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12 Die Schutzschrift - 14 Zusammenfassung Der Wichtigsten Erkenntnisse
12 Die Schutzschrift - 14 Zusammenfassung Der Wichtigsten Erkenntnisse
2024 15:22:50
Titel
Vorsorgliche Massnahmen nach der Schweizerischen
Zivilprozessordnung
unter Berücksichtigung der Schutzschrift. (Art. 261-270 ZPO und
Art. 303 ZPO)
Buchautoren Stefan von Aarburg
Jahr 2023
Seiten 182-210
ISBN 978-3-7255-9861-8
Verlag Schulthess Juristische Medien AG
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§ 12 Die Schutzschrift
I. Einleitung
563 Wer Grund zur Annahme hat, dass gegen ihn eine Massnahme beantragt wird, über die ohne vorgängige
Gewährung des rechtlichen Gehörs entschieden wird, kann seinen Standpunkt vorsorglich in einer
Schutzschrift darlegen (Art. 270 Abs. 1 ZPO). Die Schutzschrift ist demnach eine präventive Stellungnahme
gegen ein Gesuch, dessen genauen Inhalt man nicht kennt und von dem man auch nicht weiss, ob es
eingereicht wird.
III. Anwendungsbereich
566 Die Schutzschrift kann zur Verteidigung gegen jede Anordnung eingesetzt werden, die ohne vorgängige
Anhörung der Gegenpartei ergeht. Als Beispiel zu nennen sind superprovisorische Massnahmen (Art. 265
ZPO), die superprovisorische Gewährung oder der superprovisorische Entzug der aufschiebenden Wirkung
eines Rechtsmittels,849 der Arrest, oder die Aufnahme eines Güterverzeichnisses (Art. 162 SchKG).850
567 Eine Schutzschrift gegen die Ausstellung einer Vollstreckbarkeitsbescheinigung gemäss Art. 336 Abs. 2 ZPO
ist ausgeschlossen. Der Grund liegt darin, dass es sich nicht um eine gerichtliche Verfügung, sondern nur
um ein Beweismittel bzw. eine öffentliche Urkunde handelt.851 Der Einwand der fehlenden Vollstreckbarkeit
ist im Vollstreckungsverfahren geltend zu machen. Gegen eine superprovisorische Sicherungsmassnahme
nach Art. 340 ZPO kann man sich mittels einer Schutzschrift zur Wehr setzen.
568 Im Geltungsbereich des Lugano-Übereinkommens 1988 prüft das Gericht die Vollstreckbarkeit eines
ausländischen Entscheids vor erster Instanz von Amtes wegen und ohne Anhörung des Gesuchsgegners
(aArt. 34 LugÜ). Das rechtliche Gehör wird erst im Rechtsmittelverfahren gewährt. Mittels Schutzschrift kann
sich der Gesuchsgegner schon vorher Gehör verschaffen.852
569 Unter dem revidierten Lugano-Übereinkommen 2007 wird der ausländische Entscheid vor erster Instanz
ohne Anhörung des Gesuchsgegners für vollstreckbar erklärt, wenn die in Art. 53 LugÜ vorgesehenen
Förmlichkeiten erfüllt sind (Art. 41 LugÜ). Eine Prüfung der Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen erfolgt nur
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auf Intervention des Gesuchsgegners in einem allfälligen Rechtsmittelverfahren. Die Bestreitung der
materiellen Verweigerungsgründe mittels Schutzschrift ist daher zwecklos.853 Der Gesuchsgegner kann
aber immerhin gelten machen, dass die Förmlichkeiten nach Art. 53 LugÜ nicht erfüllt sind.854
IV. Aktivlegitimation
570 Zur Hinterlegung einer Schutzschrift ist jeder legitimiert, der Grund zur Annahme hat, dass gegen ihn eine
Massnahme mit superprovisorischem Charakter beantragt werden könnte.855
571 Bei einer notwendigen Streitgenossenschaft kann jeder Streitgenosse allein eine Schutzschrift hinterlegen,
weil es sich nicht um eine Klage, sondern um eine präventive Stellungnahme handelt (vgl. Art. 70 Abs. 2
ZPO).856
572 Umstritten ist, ob der Nebenintervenient berechtigt ist, eine Schutzschrift einzureichen.857 Die
Nebenintervention setzt ein rechtliches Interesse, einen rechtshängigen Prozess sowie ein Gesuch um
Nebenintervention voraus (Art. 74 ZPO). Über die Zulassung zum Verfahren entscheidet das Gericht nach
Anhörung beider Parteien (Art. 75 Abs. 2 ZPO). Solange die Hauptsache nicht rechtshängig ist und der
Nebenintervenient nicht zum Verfahren zugelassen wurde, ist er nicht berechtigt, eine Schutzschrift zu
hinterlegen.858
Dritte, denen ein Rechtsbehelf gegen die befürchtete Anordnung zusteht, sind zur Einreichung einer
Schutzschrift legitimiert. Zu denken ist z.B. an den Eigentümer, der Grund zur Annahme hat, dass sein
Vermögen irrtümlich als dem Schuldner zugehörig verarrestiert werden könnte (vgl. Art. 278 Abs. 1 SchKG ).
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VII. Aufbewahrungsdauer
578 Die Schutzschrift ist während 6 Monaten aufzubewahren (Art. 270 Abs. 3 ZPO). Mangels einer anderen
Anordnung beginnt die Frist mit Eingang der Schutzschrift beim Gericht, weil sie ab diesem Zeitpunkt
erstmals berücksichtigt werden kann. Während der Gerichtsferien steht die Frist nicht still (Art. 145 Abs. 2 lit.
b ZPO). Nach Ablauf der Frist kann eine neue Schutzschrift eingereicht oder die bestehende Schutzschrift
verlängert werden. Die Gerichte werden dafür in der Regel erneut eine Gebühr erheben. Wird keine
Verlängerung der Schutzschrift verlangt, kann das Gericht diese nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist an den
Hinterleger retournieren oder vernichten.863
VIII. Verfahren
1. Zuständigkeit
579 Die Schutzschrift ist bei jenem Gericht einzureichen, das für die Anordnung der befürchteten Massnahme
zuständig ist. Bestehen alternative Gerichtsstände, empfiehlt es sich, die Schutzschrift bei allen in frage
kommenden Gerichten zu hinterlegen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Schutzschrift ihren
Zweck erfüllt. Die Taktik stösst an ihre Grenzen, wenn eine Vielzahl von Gerichtsständen besteht. Das ist
z.B. der Fall, wenn sich eine unerlaubte Handlung in der ganzen Schweiz auswirkt (Art. 13 lit. a ZPO i.V.m.
Art. 36 ZPO). In Deutschland wurde für derartige Situationen ein zentrales Schutzschriftenregister
geschaffen, auf das alle Gerichte zugreifen können (§ 945a ZPO DE). In der Schweiz existiert ein solches
Register nicht.864
gemacht werden. Es genügt, wenn die Einleitung des befürchteten Verfahrens plausibel erscheint.
Andernfalls ist auf das Gesuch mangels eines schutzwürdigen Interesses nicht einzutreten (Art. 253 ZPO
i.V.m. Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO). Gleiches gilt, wenn das angerufene Gericht für den Erlass der befürchteten
Massnahme offensichtlich nicht zuständig ist.865
581 Leidet die Schutzschrift an formellen Mängeln, fehlt z.B. eine Unterschrift oder eine Vollmacht, ist sie zur
Verbesserung zurückzuweisen (Art. 132 Abs. 1 ZPO). Keine Rückweisung ist geboten, wenn die
Schutzschrift nicht genügend substanziiert oder die behaupteten Tatsachen nicht belegt sind. In diesem Fall
verfehlt die Schutzschrift jedoch ihren Zweck.866
Gefahr, dass das Massnahmeverfahren zwecks Umgehung der Schutzschrift bei einem anderen Gericht
eingeleitet wird.870
585 Wird das Massnahmeverfahren eingeleitet, ist die Schutzschrift der Gegenpartei als Ausfluss der
Waffengleichheit erst nach dem superprovisorischen Entscheid zuzustellen.871 Im Verfahren auf Erlass
vorsorglicher Massnahmen nach Art. 261 ff. ZPO kann die Zustellung mit dem superprovisorischen
Entscheid oder mit der Gesuchsantwort erfolgen. Um sich überschneidende Eingaben zu verhindern, ist in
der Regel Letzteres vorzuziehen. Beim Arrest (Art. 271 ff. SchKG) gibt es nur auf Initiative der Parteien ein
Bestätigungsverfahren. Wird der Arrest abgewiesen, kann der Gesuchsteller das rechtliche Gehör zur
Schutzschrift nur nachholen, wenn er ein Rechtsmittel ergreift.
5. Prozesskosten
A. Gerichtskosten
586 Für die Aufbewahrung der Schutzschrift kann eine Gebühr erhoben werden. Deren Höhe bestimmt das
kantonale Recht (Art. 96 ZPO). Bei der Bemessung der Gebühr ist das Äquivalenz- und
Kostendeckungsprinzip zu beachten.
587 Umstritten ist, ob die Gebühr bei Einleitung des Massnahmeverfahrens neu verlegt werden kann.872 Das
Handelsgericht Zürich lehnt dies ab, weil das Aufbewahren der Schutzschrift einzig im Interesse des
Hinterlegers erfolgt.873 Meines Erachtens ist eine Neuverlegung der Gebühr möglich. Wer ein vorsorgliches
Verfahren einleitet, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen nicht erfüllt sind, soll auch die Kosten für
die Abwehr der Massnahme tragen. In der Praxis wird die Gebühr für die Aufbewahrung der Schutzschrift in
der Regel mittels Verfügung festgesetzt. Um die Kosten im Massnahmeverfahren neu verlegen zu können,
sollte das Gericht in der Verfügung einen entsprechenden Vorbehalt anbringen. 874 Fehlt es an
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einem Vorbehalt, kann die Neuverlegung der Kosten im Massnahmeverfahren in analoger Anwendung von
Art. 268 Abs. 1 ZPO erfolgen.
588 Die Neuverlegung der Kosten setzt voraus, dass die Schutzschrift berücksichtigt wird.875 Daran fehlt es,
wenn der Gesuchsteller nur einen vorsorglichen, nicht aber einen superprovisorischen Antrag stellt.
589 Bei Gutheissung des Gesuchs sind die Gerichtskosten des Massnahmeverfahrens inkl. jener für die
Aufbewahrung der Schutzschrift einstweilen dem Gesuchsteller aufzuerlegen, unter Vorbehalt einer anderen
Anordnung in der Hauptsache.876 Gibt es kein Hauptsacheverfahren (z.B. bei einem Arrest nach Art. 271
Abs. 1 Ziff. 6 SchKG) sind die Gerichtskosten nach dem Ausgang des Verfahrens zu verteilen. Massgebend
ist dabei nicht der Ausgang des superprovisorischen, sondern des vorsorglichen Entscheids. Wurde die
Schutzschrift mehrmals verlängert, wird man im Massnahmeverfahren in der Regel nur die Gebühr für die
aktuelle Schutzschrift neu verlegen, weil die Befürchtung, dass ein Angriff unmittelbar bevorsteht, mit Blick
auf die früheren Schutzschriften unbegründet war. Weist das Gericht die Schutzschrift zurück und erhebt es
trotzdem eine Bearbeitungsgebühr, trägt der Hinterleger die Kosten definitiv.877
B. Parteientschädigung
590 Mit Eingang des superprovisorischen Gesuchs mutiert die Schutzschrift zu einer Rechtsschrift des
Massnahmeverfahrens, weshalb der Hinterleger den Aufwand für die Schutzschrift im Massnahmeverfahren
als Parteientschädigung geltend machen kann.878 Wird das Massnahmeverfahren gutgeheissen, ist dem
Gesuchsgegner unter der Bedingung eine Parteientschädigung zuzusprechen, dass die Hauptsache nicht
871 Botschaft ZPO 2006, S. 7358; HGer AG AGVE 2007 vom 11. Juni 2007 E. 4.2; Huber, Schulthess Komm. ZPO, Art.
270 N. 16; Kofmel Ehrenzeller, Kurzkomm. ZPO, Art. 270 N. 8; Sutter-Somm/Seiler, Handkomm. ZPO, Art. 270 N. 5.
872 Verneinend: HGer ZH HE180060-O vom 24. April 2018 E. 6.3 (weil das Aufbewahren der Schutzschrift einzig im
Interesse des Hinterlegers erfolge); bejahend: OGer ZH RV220007 vom 4. Oktober 2022 E. 1.6.4; KGer GR ZK2 20
27 vom 20. Oktober 2020 E. 8.1.
873 HGer ZH HE180060-O vom 24. April 2018 E. 6.3.
874 Diese Ansicht entspricht der Praxis des Bezirksgerichts Zürich: siehe Garbarski/Grieder, Fallstricke in der Praxis, S.
23.
875 KGer GR ZK2 20 27 vom 20. Oktober 2020 E. 8.1.
876 Bezüglich Verlegung der Prozesskosten im Massnahmeverfahren siehe N. 410 ff.
877 OGer ZH LF190013-O/U vom 21. März 2019 E. 3.3.3.
878 KGer GB ZK1 16 5 vom 25. April 2016 E. II/3; OGer ZH RV220007 vom 4. Oktober 2022 E. 1.6.4.
rechtzeitig prosequiert wird. Gibt es kein Hauptsacheverfahren, sind die Kosten nach dem Ausgang des
Verfahrens zu verteilen.879
591 Umstritten ist, ob der Gesuchsgegner den Aufwand für die Schutzschrift geltend machen kann, wenn das
Massnahmeverfahren nicht kontradiktorisch geführt wird (z.B. die Anordnung des Arrests).880 Meines
Erachtens ist dies zu bejahen. Wird
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der Gesuchsgegner nicht angehört, empfiehlt es sich, die Kostennote mit der Schutzschrift einzureichen.
6. Rechtsmittel
592 Verweigert das Gericht die Entgegennahme der Schutzschrift, kann der Entscheid abhängig vom Streitwert
mit Berufung oder Beschwerde angefochten werden.881 Wird nur die Höhe der Gebühr für die Aufbewahrung
der Schutzschrift beanstandet, steht die Beschwerde offen (Art. 110 ZPO). Der Entscheid der oberen
kantonalen Instanz kann mit Beschwerde in Zivilsachen oder subsidiärer Verfassungsbeschwerde ans
Bundesgericht weitergezogen werden, sofern ein nicht wiedergutzumachender Nachteil droht (Art. 93 Abs. 1
BGG).
B. Voraussetzungen
597 Die Voraussetzungen für den Erlass vorsorglicher Unterhaltszahlungen richten sich kumulativ nach Art. 261
Abs. 1 ZPO und Art. 303 ZPO.
598 Zunächst ist erforderlich, dass das Kindesverhältnis feststeht oder nach Art. 262 ZGB zu vermuten ist (Art.
303 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b ZPO ). Ferner muss der
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Gesuchsteller den Bestand und Umfang des Unterhaltsanspruchs glaubhaft machen.887 Der
Gesuchsgegner ist zur Mitwirkung verpflichtet. Er hat seine finanziellen Verhältnisse offenzulegen. Weigert
er sich, können die Informationen beim Steueramt eingeholt werden (Art. 160 Abs. 1 lit. b ZPO). Allenfalls ist
von einem hypothetischen Einkommen und einem hypothetischen Bedarf auszugehen.
599 Dem Gesuchsteller muss ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil drohen.888 Dieser ergibt sich aus
der Bedürftigkeit des Kindes. Auf die Leistungsfähigkeit des betreuenden Elternteils kommt es nicht an, weil
von diesem nicht erwartet werden kann, den Unterhalt des anderen Elternteils vorzuschiessen.889 Nur bei
guten finanziellen Verhältnissen des Kindes ist von vorsorglichen Unterhaltszahlungen abzusehen. 890
C. Akontocharakter?
600 Gemäss Bundesgericht haben vorsorgliche Unterhaltszahlungen an minderjährige Kinder, deren
Abstammung noch nicht feststeht, sowie an volljährige Kinder Akontocharakter.891 Sie sind in der
Hauptsache rückwirkend zu überprüfen und definitiv festzusetzen. Vorsorgliche Unterhaltszahlungen an
minderjährige Kinder mit bekannter Abstammung sollen demgegenüber definitiv sein.892
601 Meines Erachtens haben vorsorgliche Unterhaltszahlungen nach Art. 261 ff. ZPO, anders als jene nach Art.
276 ZPO, immer Akontocharakter. Das ergibt sich aus ihrer provisorischen Natur. Waren die
Akontozahlungen zu tief, kann der Unterhaltsberechtigte die Differenz nachfordern. Zu hohe Zahlungen
können zurückgefordert (Art. 62 ff. OR)893 oder mit künftigen Unterhaltsforderungen verrechnet werden.
Eine Verrechnung mit künftigem Unterhalt ist nur in dem Umfang möglich, in dem die monatlichen
Unterhaltszahlungen das Existenzminimum übersteigen (vgl. Art. 125 Ziff. 2 OR ).
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F. Superprovisorische Unterhaltszahlungen
604 Superprovisorische Unterhaltszahlungen sind in der Regel abzulehnen, weil es für gewöhnlich zumutbar ist,
eine kurze Frist zur Stellungnahme abzuwarten.895
G. Vorsorgliche Unterhaltsabänderung
605 Beantragt der Gesuchsteller im Zuge einer Abänderungsklage eine vorsorgliche Unterhaltsanpassung, hat er
darzulegen, dass sich die Verhältnisse erheblich und dauerhaft geändert haben, damit eine positive
Hauptsacheprognose ausgestellt werden kann (vgl. Art. 286 Abs. 2 ZGB ).
606 Eine vorsorgliche Herabsetzung des Unterhalts ist geboten, wenn die Zahlung des Unterhalts für die Dauer
des Abänderungsverfahrens nicht mehr zumutbar ist.896 Eine vorsorgliche Erhöhung kommt in Betracht,
wenn im früheren Urteil ein Manko festgestellt wurde.
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2. Im Eheschutzverfahren
A. Vorsorgliche Unterhaltszahlungen nach Art. 261 ff. ZPO
607 Es ist umstritten, ob das Gericht für die Dauer des Eheschutzverfahrens vorsorgliche Unterhaltszahlungen
nach Art. 261 ff. ZPO anordnen kann. Von der h.L. und der Mehrzahl der kantonalen Gerichte wird dies
bejaht.897 Strittig ist dabei wiederum, ob nur vorsorgliche Kindesunterhalts- (analog Art. 303 ZPO) oder auch
vorsorgliche Ehegattenunterhaltszahlungen zulässig sind.898 Das Obergericht Zürich lehnt vorsorgliche
Unterhaltszahlungen kategorisch ab, weil Geldzahlungen nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen zulässig
seien (Art. 262 lit. e ZPO), für eherechtliche Verfahren eine entsprechende Grundlage fehle und keine
Gesetzeslücke vorliege.899 Das Bundesgericht hat die Frage der Zulässigkeit vorsorglicher
Unterhaltszahlungen im Eheschutzverfahren bisher offengelassen.900
608 Sowohl das Massnahmeverfahren (Art. 261 ff. ZPO) als auch das Eheschutzverfahren sind summarischer
Natur. Beide Verfahren dauern in der Regel gleich lang, weshalb vorsorgliche Unterhaltszahlungen für
gewöhnlich ausser Betracht fallen. Das Eheschutzverfahren kann sich ausnahmsweise jedoch in die Länge
ziehen, z.B. wenn noch ein Gutachten eingeholt wird. Würde man in solchen Fällen vorsorgliche
Unterhaltszahlungen verweigern, liefe dies auf eine Schlechterstellung der Kinder verheirateter Eltern
gegenüber jener unverheirateter hinaus (vgl. Art. 303 ZPO). Auch kann es nicht Sache der Sozialhilfe sein,
den Unterhalt zu bevorschussen, wenn der Gesuchsgegner leistungsfähig ist. Meines Erachtens sind
vorsorgliche Kindes- und Ehegattenunterhaltszahlungen daher zuzulassen.
894 Moret/Steck, BSK ZPO, Art. 303 N. 23; Pfänder Baumann, DIKE Komm. ZPO, Art. 303 N. 6; Schweighauser,
Schulthess Komm. ZPO, Art. 303 N. 24; Spycher, BK ZPO, Art. 303 N. 20; Sutter-Somm/Seiler, Handkomm. ZPO,
Art. 303 N. 3.
895 Zogg, FamPra 2018, S. 85.
896 Vgl. BGE 118 II 228 E. 3b (bezüglich der vorsorglichen Abänderung eines Scheidungsurteils).
897 Kofmel Ehrenzeller, FamPra 2021, S. 33; Moret/Steck, BK ZPO, Art. 303 N. 10a; Spycher, BK ZPO, Art. 271 N. 15;
Zogg, FamPra 2018, S. 84; KGer BL 400 17 353 vom 23. Januar 2018 E. 2; KGer SG FS.2015.22 vom 28.
Dezember 2015 E. 2c; OGer AR ERZ 19 4 (GVP 31/2019 Nr. 3766) vom 27. Mai 2019 E. 1.1.1.
898 Bejahend: Zogg, FamPra 2018, S. 84; verneinend: Kofmel Ehrenzeller, FamPra 2021, S. 33.
899 OGer ZH LE190005-O/U vom 4. März 2019 E. 3.1; LE170002-O/U vom 23. Mai 2017 E. III/B/2; LE160049-O/U vom
1. November 2016 E. 2.3.1; LE130035-O/U vom 24. Mai 2013 E. 4; LE110069-O vom 8. Februar 2012 E. 2.4.2.
900 BGer 5A_212/2012 vom 15. August 2012 E. 2.2.2 .
B. Befristeter Teilentscheid
609 Gemäss dem Kantonsgericht Graubünden kann das Gericht nicht nur vorsorgliche Unterhaltszahlungen
nach Art. 261 ff. ZPO anordnen, sondern auch einen bis zum Eheschutzentscheid befristeten (definitiven)
Teilentscheid treffen.901 In letzterem
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Fall sind an die Unterhaltsberechnung und die Begründungsdichte des Urteils die gleichen Anforderungen zu
stellen wie an den Eheschutzentscheid.
C. Rechtsmittel
a. Vorsorgliche Unterhaltszahlungen nach Art. 261 ff. ZPO
610 Gemäss dem Kantonsgericht Graubünden sind Entscheide über vorsorgliche Unterhaltszahlungen im
Eheschutzverfahren, analog superprovisorischen Massnahmen, nicht anfechtbar.902 Nach Ansicht des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft steht gegen den Entscheid die Beschwerde offen, sofern ein nicht leicht
wiedergutzumachender Nachteil droht (Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO).903 Das Bundesgericht stellt vorsorgliche
Massnahmen, die nach Anhörung der Gegenpartei und für die Dauer eines Massnahmeverfahrens nach Art.
261 ff. ZPO ergehen, ordentlichen vorsorglichen Massnahmen gleich.904 Meines Erachtens sind analog
dazu auch vorsorgliche Massnahmen während des Eheschutzverfahrens mit Berufung oder Beschwerde
anfechtbar.
611 Wegen des Akontocharakters vorsorglicher Unterhaltszahlungen nach Art. 261 ff. ZPO ist nur eine grobe
Unterhaltsberechnung vorzunehmen. Ist die Berechnung nicht offensichtlich unrichtig, hat die
Rechtsmittelinstanz den Entscheid zu bestätigen.
b. Befristeter Teilentscheid
612 Ein befristeter Teilentscheid kann mit denselben Rechtsmitteln angefochten werden wie der
Eheschutzentscheid.
3. Im Scheidungsverfahren
A. Vorsorgliche Unterhaltszahlungen nach Art. 276 ZPO
a. Einleitung
613 Für die Dauer des Scheidungsverfahrens können vorsorgliche Massnahmen nach Art. 276 ZPO angeordnet
werden. Das Verfahren entspricht nicht einem Massnahmeverfahren nach Art. 261 ff. ZPO, sondern einem
Eheschutzverfahren während des Scheidungsverfahrens (vgl. Art. 276 Abs. 1 ZPO).905 Vorsorglich
angeordnete
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Unterhaltszahlungen sind grundsätzlich definitiv. Wird die Scheidungsklage zurückgezogen, fällt das
Massnahmeverfahren nicht dahin.906 Bereits angeordnete Massnahmen gelten weiter, solange das
Getrenntleben nicht aufgehoben oder der Entscheid nicht abgeändert wird (Art. 276 Abs. 1 ZPO i.V.m. Art.
179 ZGB).907
b. Voraussetzungen
614 Die Voraussetzungen für vorsorgliche Unterhaltszahlungen im Scheidungsverfahren richten sich nach den
Bestimmungen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft (Art. 276 Abs. 1 ZPO). Der Gesuchsteller muss
glaubhaft machen, dass der gemeinsame Haushalt aufgehoben wurde und der Gesuchsgegner
leistungsfähig ist (Art. 276 Abs. 1 ZPO i.V.m. Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB). Der Nachweis eines nicht leicht
wiedergutzumachenden Nachteils oder einer zeitlichen Dringlichkeit ist nicht erforderlich.908
c. Akontocharakter?
i. Grundsatz
615 Unterhaltsanordnungen nach Art. 276 ZPO sind grundsätzlich definitiv. Sie können im Scheidungsurteil nicht
mehr überprüft und rückwirkend erhöht oder herabgesetzt werden. Im Scheidungsurteil zugesprochene
Unterhaltsanordnungen treten ab Rechtskraft des Entscheids an die Stelle der vorsorglichen Zahlungen.909
Die Anordnung von Unterhalt ab Rechtshängigkeit der Scheidungsklage ist im Scheidungsurteil nur möglich,
wenn der Unterhalt zuvor nicht in einem Eheschutz- oder vorsorglichen Massnahmeverfahren nach Art. 276
ZPO festgesetzt worden ist.910
Eheschutz- oder vorsorglichen Massnahmeverfahren nach Art. 276 ZPO angeordneten Unterhaltszahlungen
bis zur Teilrechtskraft über die Scheidungsnebenfolgen. 911
617 Das Gericht kann auch nach Teilrechtskraft im Scheidungspunkt noch vorsorgliche Unterhaltszahlungen
anordnen (Art. 276 Abs. 3 ZPO). Im Urteil über die Scheidungsnebenfolgen kann der Unterhalt auf den
Zeitpunkt der Teilrechtskraft im Scheidungspunkt zurückbezogen werden. Das gilt selbst dann, wenn der
Unterhalt zuvor in einem Eheschutz- oder vorsorglichen Massnahmeverfahren nach Art. 276 ZPO festgesetzt
worden ist.912 Wird der Unterhalt ab Teilrechtskraft im Scheidungspunkt neu festgesetzt, erhalten die
vorsorglichen Zahlungen nachträglich provisorischen Charakter. Andernfalls bleiben sie definitiv.
Unterhaltszahlungen nach Teilrechtskraft im Scheidungspunkt bis zur Teilrechtskraft im Unterhaltspunkt
haben demnach eine Art Zwitterfunktion.
908 Leuenberger/Sutter, FamKomm., Anh. ZPO, Art. 276 N. 4; vgl. auch OGer ZH LY140014 vom 10. Juni 2014 E. 3.2.2;
Zogg, FamPra 2018, S. 51.
909 BGer 5A_807/2018 vom 28. Februar 2019 E. 2.2.2 .
910 BGE 142 III 193 E. 5.3.
911 BGer 5A_40/2014 vom 17. April 2014 E. 4.2 .
912 BGE 142 III 193 E. 5.3; 128 III 121 E. 3b/bb und c/aa; BGer 5A_807/2018 vom 28. Februar 2019 E. 2.2.2;
5A_956/2015 vom 7. September 2016 E. 7.2 .
913 BGE 142 III 193 E. 5.3.
4. Im Scheidungsabänderungsverfahren
A. Voraussetzungen
620 Für die Dauer des Scheidungsabänderungsverfahrens kann der Unterhalt vorsorglich angepasst werden.914
Die Voraussetzungen für eine vorsorgliche Abänderung richten sich nach Art. 261 ff. ZPO. Der Gesuchsteller
muss glaubhaft machen, dass sich die Verhältnisse erheblich und dauerhaft geändert haben, ein nicht leicht
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wiedergutzumachender Nachteil droht, und zeitliche Dringlichkeit besteht (Art. 261 Abs. 1 ZPO, Art. 129 Abs.
1 ZGB, Art. 286 Abs. 2 ZGB ).915
B. Akontocharakter?
621 Die vorsorgliche Unterhaltsabänderung ist provisorischer Natur.916 Der Grund liegt darin, dass das
rechtskräftige Scheidungsurteil nicht mit einer vorsorglichen Massnahme definitiv abgeändert werden kann.
Wird die Abänderungsklage zurückgezogen oder darauf nicht eingetreten, gelten die Anordnungen des
Scheidungsurteils und nicht jene des Massnahmeentscheids.
III. Prozesskostenvorschuss
1. Bei selbständigen Klagen nach Art. 295 ZPO
622 Kinder verfügen in der Regel nicht über die finanziellen Mittel, um ihren Unterhaltsanspruch gerichtlich
durchzusetzen. Um das Verfahren zu finanzieren, können sie von ihren Eltern mittels vorsorglicher
Massnahmen nach Art. 261 ff. ZPO einen Prozesskostenvorschuss verlangen.917 Die Pflicht zur Leistung
eines Prozesskostenvorschusses wird aus der familienrechtlichen Beistands- und Unterhaltspflicht abgeleitet
(Art. 272 ZGB, Art. 286 ZGB).918 Der Vorschuss ist von den Eltern nicht im Verhältnis ihrer
Leistungsfähigkeit zu tragen,919 sondern dem Beklagten nach Massgabe des mutmasslichen Unterliegens
aufzuerlegen (analog Art. 106 Abs. 2 ZPO). Das Gericht kann den Beklagten einstweilen auch die gesamten
Kosten vorschiessen lassen (analog Art. 107 Abs. 1 lit. c ZPO). Der Anspruch auf Leistung eines
Prozesskostenvorschusses geht der unentgeltlichen Rechtspflege vor.920
623 Die Voraussetzungen für die Leistung eines Prozesskostenvorschusses richten sich nach Art. 261 Abs. 1
ZPO und Art. 303 ZPO.921 Das Kind muss den Bestand und Umfang des Unterhaltsanspruchs glaubhaft
machen. Die Eltern sind zur Mitwirkung verpflichtet und haben ihre finanziellen Verhältnisse offenzulegen
(Art. 160 ZPO). Das Kindesverhältnis muss feststehen oder zu vermuten sein (Art. 303
199
Abs. 1 und Abs. 2 lit. b ZPO). Ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil ist zu bejahen, wenn das Kind
den Prozess nicht selbst finanzieren kann und ihm deshalb ein Rechtsverlust droht.922
624 Der Prozesskostenvorschuss ist nicht dem Gericht, sondern dem Kind bzw. dessen Vertreter zu
überweisen.923 Wird er nicht bezahlt, kann er in Betreibung gesetzt werden.924 Die gerichtliche Anordnung
berechtigt zur definitiven Rechtsöffnung (Art. 80 Abs. 1 SchKG). Im Hauptsacheentscheid sind die
Prozesskosten definitiv festzusetzen und nach Massgabe des Obsiegens und Unterliegens zu verteilen (Art.
106 Abs. 2 ZPO). In familienrechtlichen Verfahren können sie auch nach Ermessen verlegt werden (Art. 107
Abs. 1 lit. c ZPO). Soweit der Prozesskostenvorschuss die vom Beklagten zu zahlenden Gerichtskosten inkl.
Parteientschädigung übersteigt, steht ihm eine Rückforderung zu.925 Über die Rückforderung entscheidet
das Gericht anlässlich der Liquidation der Prozesskosten von Amtes wegen (Art. 296 ZPO). Anwaltskosten
des Kindes, welche durch die erhaltene Parteientschädigung nicht gedeckt sind, hat das Kind zu tragen.926
2. Im Eheschutzverfahren
625 Ehegatten sind sich gegenseitig zum Beistand verpflichtet (Art. 159 Abs. 3 ZGB, Art. 163 ZGB).927 Verfügt
ein Ehegatte nicht über die erforderlichen Mittel, um einen Prozess zu finanzieren, und ist sein Partner
leistungsfähig, kann er von diesem einen Prozesskostenvorschuss verlangen.928 Der
Prozesskostenvorschuss geht der unentgeltlichen Rechtspflege vor. 929 Er dient der Durchsetzung des
Hauptsacheanspruchs und ist daher als vorsorgliche Massnahme im Sinne von Art. 261 ff. ZPO zu
qualifizieren.
626 Die Mehrzahl der kantonalen Gerichte lässt vorsorgliche Unterhaltszahlungen nach Art. 261 ff. ZPO sowie
Prozesskostenvorschüsse im bzw. für das Eheschutzverfahren zu.930 Das Obergericht Zürich lehnt
vorsorgliche Zahlungen demgegenüber ab, weil diese nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen zulässig
seien
200
(Art. 262 lit. e ZPO), eine entsprechende Grundlage aber fehle und nicht von einer Gesetzeslücke
auszugehen sei.931 Den Antrag auf Leistung eines Prozesskostenvorschusses nimmt es als Antrag auf
Leistung eines «Prozesskostenbeitrags» im Endentscheid entgegen. Rechtlich kann es sich dabei nur um
einen Antrag handeln, die Prozesskosten nach Ermessen und unabhängig vom Ausgang des Verfahrens
dem Gesuchsgegner aufzuerlegen (Art. 107 Abs. 1 lit. c ZPO). Wird ein Prozesskostenvorschuss von einer
rechtskundigen Partei als vorsorgliche Massnahme beantragt, treten die zürcherischen Gerichte auf das
Begehren nicht ein.932
627 Ein Antrag auf Leistung eines Prozesskostenvorschusses im Eheschutzverfahren ist in der Regel nicht
praktikabel, weil das Eheschutzverfahren üblicherweise nicht länger dauert als das Massnahmeverfahren.
Der Prozesskostenvorschuss könnte daher meist erst nach Abschluss des Eheschutzverfahrens erhältlich
gemacht werden. Zieht sich das Eheschutzverfahren in die Länge, z.B. weil noch ein Gutachten eingeholt
wird, und kommt die Anordnung eines Prozesskostenvorschusses ausnahmsweise in Betracht, hat der
Gesuchsteller den Unterhaltsanspruch, einen nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteil, sowie die
zeitliche Dringlichkeit glaubhaft zu machen (Art. 261 Abs. 1 ZPO ).
628 Spricht das Gericht einen Prozesskostenvorschuss zu, entscheidet es im Zuge der Liquidation der
Prozesskosten über die Rückzahlung eines zu viel bezahlten Betrags.933 Die Rückforderung kann mit
Unterhaltsforderungen verrechnet werden, soweit die monatlichen Zahlungen das Existenzminimum
übersteigen (Art. 125 Ziff. 2 OR). Alternativ kann die Rückforderung bei der güterrechtlichen
Auseinandersetzung im Scheidungsverfahren berücksichtigt werden.934
3. Im Scheidungsverfahren
629 Für das Scheidungsverfahren kann ein Prozesskostenvorschuss auf dem Weg einer vorsorglichen
Massnahme nach Art. 276 ZPO beantragt werden.935 Gemäss dem Bundesgericht sind vorsorgliche
Unterhaltszahlungen nach Art. 276 ZPO definitiver Natur, weshalb es den Entscheid als Endentscheid
qualifiziert.936 Der Ent-
201
scheid über den Prozesskostenvorschuss hat demgegenüber provisorischen Charakter.937 Über die
definitive Höhe und Verteilung der Prozesskosten ist erst im Scheidungsurteil zu befinden. Entsprechend
müsste der Entscheid, analog einer vorsorglichen Massnahme nach Art. 261 ff. ZPO, als Zwischenentscheid
im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG qualifiziert werden.938 Gemäss dem Bundesgericht handelt es sich
jedoch um einen Endentscheid (Art. 90 BGG).939
SchKG).943 Die Hinterlegung kann mit einer Schuldneranweisung kombiniert werden (Art. 262 lit. c ZPO).
So kann der Arbeitgeber des Schuldners z.B. verpflichtet werden, einen Teil des Lohns direkt auf das
Sperrkonto zu überweisen.
633 Das Gericht kann zur Sicherstellung des Unterhaltsanspruchs auch nach Rechtskraft des Entscheids in der
Hauptsache eine Hinterlegung anordnen (Art. 302 Abs. 1 lit. c ZPO). In diesem Fall können aber nur künftige
Unterhaltsbeiträge sichergestellt werden (Art. 132 Abs. 2 ZGB, Art. 292 ZGB). Bereits fällige Forderungen
sind auf dem Betreibungsweg einzuziehen.
V. Prozessuales
1. Offizial- und Untersuchungsmaxime
634 Kinderbelange unterstehen der Offizial- und Untersuchungsmaxime. Das Gericht ist an die Parteianträge
nicht gebunden und erforscht den Sachverhalt von Amtes wegen (Art. 296 ZPO).
Steht das Kindesverhältnis nicht fest, wird die Hinterlegung oder vorläufige Zahlung nur auf Antrag verfügt
(vgl. Art. 303 Abs. 2 ZPO). Umstritten ist, ob dies auch bei feststehendem Kindesverhältnis gilt.944 Meines
Erachtens ist ein Antrag nicht erforderlich, jedoch wird das Gericht in der Regel nicht von sich aus
vorsorgliche Massnahmen anordnen.945 Bezüglich der Wahl der Massnahme besteht keine Bindung an die
Parteianträge.
636 Die Offizial- und Untersuchungsmaxime gelten für alle Verfahrensbeteiligten, also auch zugunsten des
Unterhaltsschuldners.946 Das Gericht hat in der Hauptsache daher von Amtes wegen über die Erstattung
von zu viel bezahlten vorsorglichen Unterhaltszahlungen zu befinden.
2. Zuständigkeit
A. Örtliche Zuständigkeit
637 Über die Hinterlegung, die vorläufige Zahlung, die Auszahlung hinterlegter Beiträge sowie die Rückerstattung
vorläufiger Zahlungen entscheidet das für die Klage zuständige Gericht (Art. 304 Abs. 1 ZPO). Die
Bestimmung geht Art. 13
203
ZPO als Lex specialis vor.947 Eine alternative Zuständigkeit am Vollstreckungsort besteht nicht. Die
Zuständigkeit in der Hauptsache richtet sich nach Art. 25–27 ZPO.948 Über die Auszahlung hinterlegter oder
die Rückzahlung zu viel bezahlter Beiträge entscheidet das Hauptsachegericht mit dem Endentscheid.
638 Das mit der Unterhaltsklage befasste Gericht entscheidet auch über die elterliche Sorge und die weiteren
Kinderbelange (Art. 304 Abs. 2 ZPO). Zu den weiteren Kinderbelangen gehören die Regelung der
Betreuungsanteile und die Anordnung von Kindesschutzmassnahmen. Sobald die Unterhaltsklage
rechtshängig ist, geht die Entscheidkompetenz von der KESB an das Gericht über.949 Ein bei der KESB
hängiges Verfahren kann nur in Bezug auf Kindesschutzmassnahmen weitergeführt werden (Art. 315a Abs 3
Ziff. 1 ZGB).950
B. Sachliche Zuständigkeit
639 In der Lehre ist umstritten, ob Art. 304 ZPO nur die örtliche oder auch die sachliche Zuständigkeit regelt.951
Die Frage dürfte theoretischer Natur sein, weil die Kantone neben dem ordentlichen Gericht, soweit
ersichtlich, kein alternativ zuständiges Fachgericht für familienrechtliche Angelegenheiten kennen. Wäre dies
aber der Fall, könnte das Massnahmeverfahren nach Rechtshängigkeit der Hauptsache nur noch beim
angerufenen Hauptsachegericht eingeleitet werden. Insofern regelt Art. 304 ZPO auch die sachliche
Zuständigkeit.
944 Bejahend: Pfänder/Baumann, DIKE Komm. ZPO, Art. 303 N. 4; verneinend: Jeandin, CR CPC, Art. 303 N. 5; Sutter-
Somm/Seiler, Handkomm. ZPO, Art. 303 N. 5.
945 Vgl. Sutter-Somm/Seiler, Handkomm. ZPO, Art. 303 N. 3.
946 BGer 5A_899/2019 vom 17. Juni 2020 E. 3.3.2 .
947 Spycher, BK ZPO, Art. 304 N. 4; Stalder/Van De Graaf, Kurzkomm. ZPO, Art. 304 N. 1.
948 Moret/Steck, BSK ZPO, Art. 304 N. 3.
949 BGE 145 III 436 E. 4.
950 KGer SG KES.2022.4-EZE2 vom 20. Juni 2022 E. III/4a.
951 Nur örtliche Zuständigkeit: Schweighauser, Schulthess Komm. ZPO, Art. 304 N. 6; örtliche und sachliche
Zuständigkeit: Pfänder Baumann, DIKE Komm. ZPO, Art. 304 N. 1; Stalder/Van De Graaf, Kurzkomm. ZPO, Art. 304
N. 1; Sutter-Somm/Seiler, Handkomm. ZPO, Art. 304 N. 1.
C. Funktionelle Zuständigkeit
640 Die Zusammensetzung des Spruchkörpers regelt das kantonale Recht, soweit das Gesetz nichts anderes
bestimmt (Art. 4 ZPO).952 Ist in der Hauptsache ein Kollegium zuständig, kann der Entscheid über
vorsorgliche Massnahmen z.B. an den Vorsitzenden delegiert werden. 953
204
-Die Sicherheitsleistung des Gesuchsgegners (Art. 261 Abs. 2 ZPO) muss grundsätzlich geeignet sein,
die Gefährdungslage zu reduzieren. Ist die Rechtsverletzung nach Leistung der Sicherheit nicht mehr
glaubhaft, ist von vorsorglichen Massnahmen zwingend abzusehen.968 Droht dem Gesuchsteller ein
reiner Vermögensschaden, kann die Sicherheit auch dazu dienen, den drohenden Schaden
sicherzustellen. Eine solche Sicherheit kommt jedoch nur in Betracht, wenn der Schaden voraussichtlich
leicht zu beweisen und zu bemessen ist.969
-Eine Sicherheitsleistung des Gesuchstellers (Art. 264 Abs. 1 ZPO) kommt in Betracht, wenn dem
Gesuchsgegner bei Anordnung der Massnahme ein Schaden droht. Die Prozesskosten des
Massnahmeverfahrens und des Hauptsacheverfahrens müssen nicht sichergestellt werden, weil die damit
zusammenhängenden Kosten nicht kausal durch eine ungerechtfertigte vorsorgliche Massnahme
-Ein Gesuch um Erlass vorsorglicher Massnahmen begründet keine Rechtshängigkeit in der Hauptsache
und ist in Bezug auf Fristen des materiellen Rechts (z.B. Art. 75 ZGB, Art. 706a Abs. 1 OR) nicht
fristwahrend.973
-Gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person das Recht, in einem streitigen Verfahren über zivilrechtliche
Ansprüche ihre Argumente in einer mündlichen und öffentlichen Verhandlung vor einem unabhängigen
Gericht mit voller Kognition vorzutragen. In einem vorsorglichen Massnahmeverfahren besteht dieser
Anspruch nur bei irreversiblen Leistungsmassnahmen oder bei Regelungsmassnahmen, mit welchen für
bestimmte Zeit definitiv über das in der Hauptsache streitige Recht entschieden wird.974
-Der Gesuchsteller hat im Massnahmeverfahren das ausländische Recht grundsätzlich unaufgefordert
darzutun. Andernfalls kann das Gericht infolge von Dringlichkeit unmittelbar schweizerisches Recht
anwenden.975
-Vorsorgliche Massnahmen nach Art. 261 ff. ZPO sind Zwischenentscheide im Sinne von Art. 93 lit. a
BGG. Etwas anderes gilt nur, wenn die Massnahme den Entscheid in der Hauptsache präjudiziert. In
diesem Fall handelt es sich um einen Endentscheid.976
-Superprovisorische Massnahmen sind grundsätzlich nicht anfechtbar. Etwas anderes gilt nur, wenn die
Verweigerung oder Gutheissung der Massnahme dazu führt, dass das Hauptsacheverfahren
gegenstandslos wird. In diesem Fall handelt es sich um einen Endentscheid. 977
-Bei einem vorprozessualen Massnahmeverfahren empfiehlt es sich, die Prozesskosten einstweilen dem
Gesuchsteller aufzuerlegen, unter Vorbehalt einer anderen Anordnung in der Hauptsache. Dem
Gesuchsgegner ist unter der Bedingung, dass die Hauptsache nicht rechtzeitig prosequiert wird, eine
Parteientschädigung zuzusprechen. Die Verteilung der Prozesskosten nach dem Ausgang des Verfahrens
drängt sich auf, wenn die vorsorgliche Massnahme dazu führt, dass das Hauptsacheverfahren
gegenstandlos wird.978
209
-Das Massnahmeverfahren ist selbst eine Art Vollstreckungsverfahren. Das zeigt sich daran, dass die
Rechtsbegehren häufig primär oder sogar ausschliesslich auf eine Vollstreckungshandlung abzielen. Weil
im Vollstreckungsrecht die Offizialmaxime gilt, kann das Gericht nicht nur eine mildere Massnahme als
beantragt anordnen, sondern auch eine nicht zielführende Massnahme von Amtes wegen verschärfen.980
-Die Prosequierungsfrist wird durch das Gericht angesetzt. Weil die Berufung und die Beschwerde die
Vollstreckung nicht hemmen (Art. 315 Abs. 4 lit. b ZPO, nArt. 315 Abs. 2 lit. b ZPO, Art. 325 Abs. 1 ZPO),
läuft die Frist ab dem Tag, der auf die Zustellung des Entscheids folgt (Art. 142 Abs. 1 ZPO).981 Als Teil
des Urteilsdispositivs unterliegt die Prosequierungsfrist wie alle summarischen Anordnungen dem
Fristenregime des Summarverfahrens. Die Frist steht während der Gerichtsferien daher nicht still. 982
-Der Gesuchsgegner kann die ihm auferlegten Prozesskosten des Massnahmeverfahrens nicht als
Schaden geltend machen, weil die Kosten nicht durch eine ungerechtfertigte vorsorgliche Massnahme,
sondern durch das Massnahmeverfahren an sich verursacht werden. Ersatzfähig sind die Prozesskosten
des Massnahmeverfahrens nur, wenn die Voraussetzungen nach Art. 41 OR erfüllt sind.983
-Eine vorsorgliche Massnahme ist ungerechtfertigt, wenn sich herausstellt, dass der Verfügungsanspruch
nicht bestand oder nicht durchsetzbar war. Gleiches gilt, wenn keine Rechtsverletzung drohte oder der
Vollzugsbehörde bei der Vollstreckung ein Fehler unterlaufen ist. Stellt sich heraus, dass bei Anordnung
der Massnahme kein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil drohte oder keine zeitliche Dringlichkeit
bestand, ist von Schadenersatz abzusehen, weil der Eingriff letztlich im Einklang mit dem materiellen
Recht erfolgte.984
210
-Gemäss dem Bundesgericht handelt nicht widerrechtlich, wer einen Anspruch auf dem Rechtsweg
verfolgt oder zur Sicherstellung desselben um vorsorglichen Rechtsschutz nachsucht. Das gilt selbst
dann, wenn sich der Anspruch später als nicht existent erweist. Rechtswidrig ist die Inanspruchnahme des
vorsorglichen Rechtsschutzes nur, wenn sie zweckwidrig erfolgt. Zweckwidrig handelt z.B., wer den
Richter durch Vorlage gefälschter Dokumente täuscht. In diesem Fall hat der Gesuchsteller bereits nach
Art. 41 OR für den Schaden einzustehen. Soll den Kausalhaftungen nach Art. 264 Abs. 2 ZPO und Art.
273 SchKG eine eigenständige Bedeutung zukommen, kann es auf die Widerrechtlichkeit der Schädigung
nicht ankommen. Der Gesuchsteller hat daher unabhängig von einer Schutznorm auch für reine
Vermögensschäden einzustehen.985
-Wird die Hauptsache nicht prosequiert, sind vorsorgliche Massnahmen nicht automatisch als
ungerechtfertigt zu betrachten. Reicht der Gesuchsgegner eine Schadenersatzklage ein, hat der
Gesuchsteller unabhängig von seiner Stellung im Prozess als Beklagter den Bestand des dem
Massnahmebegehren zugrunde liegenden Anspruchs nachzuweisen. Dem Gesuchsgegner obliegt der
Beweis, dass die vorsorgliche Massnahme aus anderen Gründen ungerechtfertigt war.986