GEMEINDE

Die
Nr. 661 Januar 2010

Die
Tewet/chwat 5770
Erscheinungsort Wien
Verlagspostamt 1010 P.b.b
e 2.-

magazin
GZ 03Z034854 W
DVR 0112305 € 2.- offizielles orgaN der israeliTischeN KulTusgemeiNde wieN
 INHALT &

AUS DEM BÜRO JÜDISCHE WELT

DES PRÄSIDENTEN
IKG-Budget 2010
IN EIGENER SACHE
ALEXIA WEISS
Serie: Hinter den Kulissen der IKG
Teil 17: Redaktion
„Die Gemeinde“
POLITIK
INLAND
HORST KAKL
Aschner sitzt beim Kaffee
Ehrung für Lüftl widerrufen
Museumsdirektor Loewy und
die FPÖ
ALEXIA WEISS
Stimmenfang mit
Antisemitismus
Zweiter Brandanschlag
auf Synagoge in Kreta
ISRAEL
AMI EDEN
Kampf gegen J2K Virus
ULRICH W. SAHM
Israelische Sicherheitskon-
trollen mit Psychologie
Website für Terrornachwuchs 16
ULRICH W. SAHM
Israelisches Millionengeschäft
mit Teheran
Der Friedensprozess
mit den Palästinensern
WIRTSCHAFT
ARI MILLER
Mikrobrauereien in Israel
REINHARD ENGEL
Sonne statt Kohle
Avocado-Export im Aufwind
Israelische Weine in
internationalen Regalen
WISSENSCHAFT
Sind die Talibans Nachkommen
der Israeliten? 24
Joubert-Syndrom:
Forscher identifizieren Gen
Ausgewertet werden Meldungen von: APA, Jerusalem Post, Ha’aretz, MEMRI, Yediot Aharonot, Y-net, israelnetz
(inn), nahostfocus (NOF), ICEJ, Honestly-concerned, GMW, JTA, ILI u.v.a.; © Wikimedia Commons
Die Steinstellung
Chanukkahgechenk
für jüdische Friedhöfe 26 für unsere geliebte Frau und Mutter
3-7
Gedenken an Befreiung Brigitte Shklarek
des Budapester Ghettos 27
Die Beziehung Vatikan-Israel 28 wird s.G.w. am Sonntag, 31. Januar,
Panorama 30 um 12 Uhr am Zentralfriedhof IV. Tor
Operation Dachboden 32 stattfinden.
4
Jüdischer Natiolfonds:
Viviane und Niki Shklarek
Blumen für Ruwabi 33
Weltrekorde in Israel 34
Israelische G’schichtln 2009 36 Anlässlich TU B’SCHWAT
7 KULTUR lädt der KKL am
8 MARTA S. HALPERT
Der israelische Film 30. Januar 2010
in Scheinwerferlich 38
9
ALEXIA WEISS
nach dem G’ ttesdienst zum
10
Zwangsjacke
Bologna-Architektur 42 KIDDUSCH!
Die Kinder von
Maison D’Izieu 45
11 ERDBEBEN AUF HAITI UND
ALEXIA WEISS
Wie spreche ich mit Kindern ISRAELS „UNANGEMESSENE REAKTION“
über den Holocaust? 46 Viele Staaten und Regierungschef haben Israel beschuldigt, auf
12 ANITA POLLAK Hisbollah- und Hamas-Angriffe „unangemessen“ heftig reagiert
Im Gespräch mit zu haben. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Medien in aller Welt
Mirjam Presler 49 eine weitere „unangemessene“ Reaktion Israels publik machen.
14 ANITA POLLAK Viele Nationen haben nach den verheerenden Erdbeben in Haiti
Grüße und Küsse an alle 50 nicht gezögert, zu helfen. Die USA schickten Güter und Hilfskom-
mandos, Großbritannien entsandte 64 Feuerwehrmänner und 8 Vo-
PETER WEINBERGER
luntäre, Frankreich stellte Truppen zur Suche und Bergung Ver-
Überall & Nirgendwo 51 schütteter zur Verfügung. Andere große und wohlhabende Staa-
17 Israel in Haiti 52 ten spendeten Geld.
Das lediglich 7,5 Mio. Einwohner zählende Israel stellte ein Team
18 JUDENTUM von 250 Helfern und medizinischem Personal auf und errichtete
RABB. SCHLOMO HOFMEISTER das größte Feldlazarett in Haiti, in dem bis zu 5.000 Menschen pro
Schailes & Tschuwos 54 Tag behandelt werden können. Ein Team von im Katastrophenge-
biet von Haiti stationierten israelischen Streitkräften hat ein 1,5 Mio.
Titelbild: Baby „Israel“ © IDF
20 Euro teures Satelliten-Kommunikationssystem installiert, da die
Am Sonntag nach dem Beben wurde
das erste Baby im Feldlazarett geboren.
Telefon- und Internetleitungen am 12. Januar zerstört worden sind.
Die arabische und moslemische Welt tat – nichts.
Mutter Jeanne-Michelle brachte einen
21 gesunden Sohn zur Welt, ihr viertes Die österreichichen Medien waren - trotz Informationen - bedauer-
23 Kind. Die meiste Zeit zeigt sie kaum Re-
gungen, doch als sie den Namen ihres licherweise an dieser Art israelischer Reaktion nicht interessiert!
Sohnes erwähnt, huschte ein Lächeln Lesen Sie auf Seite 52 über Israels einmaligen Einsatz.
23 über ihr Gesicht: „Israel“. „Es geht mir
gut“, sagt sie.
PLENARSITZUNGEN 2010
9. Februar • 16. März • 15. April •
11. Mai • 8. Juni • 6. Juli • 10. Au-
gust • 7. September • 5. Oktober
25 11. November • 9. Dezember

Medieninhaber (Verleger), Herausgeber: Israelitische Kultusgemeinde Wien.

GEmEinDE Zweck: Information der Mitglieder der IKG Wien in kulturellen, politischen
und organisatorischen Belangen. Stärkung des demokratischen
Bewusstseins in der österreichischen Bevölkerung. Sitz: 1010 Wien, Seitenstettengasse 4, Postfach 145.
Tel. Redaktion/Sekretariat 53 104/271, Anzeigenannahme 53 104/272, Fax: 53104/279, E-mail redaktion@ikg-wien.at
Druck: AV+Astoria Druckzentrum GmbH, A-1030 Wien
Alle signierten Artikel geben die persönliche Meinung des Autors wieder, die sich nicht immer mit der
Meinung der Redaktion deckt. Für die Kaschrut der in der GEMEINDE angezeigten Produkte überneh-
men Herausgeber und Redaktion ausdrücklich keine Verantwortung. Nicht alle Artikel, die in der Redak-
tion einlangen, müssen zur Veröffentlichung gelangen.

2 Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

 AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN

IKG – Budget 2010

Ergebnis Budget Vorschau Budget
i.Tsd. Euro 2008 2009 2009 2010
KULTUS
Summe Einnahmen 223,2 256,8 227,5 256,8
Summe Aufwand -707,6 -801,6 -842,5 -727,2
Subventionen an rel. Vereine -768,6 -745,7 -745,6 -778,7
Ein Budget zu erstellen, welches alle Wünsche und Anfor- Bereichserfolg -1.253,1 -1.290,5 -1.360,7 -1.249,1
derungen erfüllt, ist immer schwierig, wenn nicht sogar BESTATTUNG + FRIEDHOF
unmöglich. Umso mehr gilt das für ein Budget, welches in Summe Einnahmen 753,4 749,1 747,9 749,1
Krisenzeiten erstellt wird. Für eine wachsende, prosperie- Summe Aufwand -763,9 -662,1 -842,6 -697,1
Bereichserfolg -10,5 87,0 -94,7 52,0
rende Gemeinde deren hoher Standard an Einrichtungen
gleichzeitig erhalten und ausgebaut werden soll, mitten in SOZIALES
Summe Einnahmen 98,8 104,7 132,2 104,7
einer Wirtschaftskrise ein Budget zu erstellen, ist nahezu Summe Aufwand -245,1 -353,8 -240,8 -279,3
ein Ding der Unmöglichkeit. Stipendiem -525,1 -500,2 -441,0 -496,6
Zuschuss ESRA -90,0 -90,0 -90,0 -90,0
Doch die Finanzkommission hat es in Zusammenarbeit mit Bereichserfolg -761,3 -839,3 -639,6 -761,2
den Generalsekretären und dem Controlling der iKG ge- SCHULEN + JUGEND + SPORT
schafft. Summe Einnahmen 0,3 6,0 1,4 6,0
Summe Aufwand -75,1 -90,5 -63,9 -91,0
Das Krisenjahr 2009 bescherte der iKG stagnierende und Subventionen an Vereine -674,7 -1.080,9 -1.073,2 -1.074,0
Bereichserfolg -749,5 -1.165,4 -1.135,7 -1.159,0
zum Teil auch sinkende Einnahmen. Gleichzeitig sind die
KULTUR + ÖFFENTLICHKEITSARBEIT
Kosten, teils auch unvorhersehbare Kosten, enorm gestie-
Summe Einnahmen 57,3 70,0 58,0 70,0
gen. Ein ausgeglichenes Ergebnis für 2009 wird nur Dank Summe Aufwand -292,8 -192,7 -218,9 -207,0
einer namhaften Erbschaft, die die iKG lukrieren konnte, Subventionen an Vereine -3,0 -3,0 -0,3 -3,0
erzielt werden können. Bereichserfolg -238,4 -125,7 -161,1 -140,0
"DIE GEMEINDE" + HOMEPAGE
Umso schwieriger wird es 2010 werden, denn mit derarti- Summe Einnahmen 170,1 199,8 165,1 200,8
gen nicht planbaren Einnahmen kann auch die iKG nicht Summe Aufwand -418,4 -474,7 -459,9 -476,0
jährlich rechnen. Bereichserfolg -248,3 -274,9 -294,7 -275,2
MITGLIEDERSERVICE
Gut ist, dass die inflationsrate und die Zinsen nach wie Summe Einnahmen 274,8 275,0 261,5 323,0
vor niedrig sind und die Personalkosten nur geringfügig Summe Aufwand -193,1 -213,2 -200,6 -215,3
erhöht werden mussten. Viele andere Kosten – und wir Bereichserfolg 81,7 61,8 60,9 107,7
sprechen hier fast ausschließlich von den Fixkosten - stei- IMMOBILIENVERWALTUNG & -ENTWICKLUNG
gen proportional oder sogar überproportional. Die Kosten Summe Einnahmen 6.548,9 6.536,9 6.422,3 6.749,8
für die Leistungen der iKG in den Bereichen Soziales, Summe Aufwand -1.324,4 -1.342,8 -1.380,3 -1.661,2
Zinsenaufwand -450,6 0,0 0,0 0,0
aber auch Kultus, Schulen und Kultur können nicht
Bereichserfolg 4.773,9 5.194,1 5.042,0 5.088,6
gekürzt werden, da dies die ureigensten Aufgaben der
GENERALSEKRETARIAT
Kultusgemeinde sind. Viele jüdische Vereine, die wesent- Summe Einnahmen 780,6 706,5 648,2 714,2
liche Leistungen für ihre mitglieder erbringen, leiden unter Summe Aufwand -920,7 -817,7 -956,2 -796,2
den Kostensteigerungen und benötigen mehr Zinsenaufwand -96,2 -36,0 -88,9 -85,0
Unterstützung durch die iKG in Form von Subventionen, Bereichserfolg -236,3 -147,2 -397,0 -167,0
die diese kaum mehr geben kann. GRUPPENVERWALTUNG
Summe Einnahmen 233,5 241,2 240,3 280,0
Trotz all dieser Schwierigkeiten ist es der Finanzkommis- Summe Aufwand -672,2 -688,1 -680,6 -731,2
sion gemeinsam mit der Administration gelungen dem Kul- Bereichserfolg -438,7 -447,0 -440,4 -451,2
tusrat ein ausgeglichenes Budget für 2010 zu präsentie- RESTITUTION u. ARCHIV
(ehem.Anlaufstelle 2001 - 2009 aus Budget ausgegliedert)
ren, das von diesem auch beschlossen wurde (siehe
Summe Einnahmen 0,0 100,0 100,0 749,6
nebenstehende Tabelle). Summe Aufwand -602,4 147,2
Die Vorgaben des Budgets 2010 liegen hoch und es wird viel ORGANISATIONSABTEILUNG
Summe Einnahmen 774,0 748,0 753,3 723,1
Arbeit und größte Disziplin notwendig sein, dieses hohe Summe Aufwand -1.821,5 -1.967,4 -1.905,1 -2.123,2
Ziel zu erreichen. Spielräume für weitere Ausgaben sind Bereichserfolg -1.047,5 -1.219,4 -1.151,9 -1.400,1
in diesem Budget nicht mehr enthalten. FUNDRAISING
Summe Einnahmen 257,9 400,0 209,4 350,0
Das Jahr 2010 wird ein schwieriges Jahr, mit gemeinsamer Summe Aufwand -128,1 -124,4 -137,0 -140,7
Anstrengung werden wir es meistern! Bereichserfolg 129,8 275,6 72,5 209,3
ZUSAMMENFASSUNG:
Summe Einnahmen 10.172,7 10.394,0 9.967,2 11.277,1
Summe Ausgaben -8.088,0 -8.229,3 -8.369,5 -9.244,4
Summe Zinsen -546,8 -36,0 -88,9 -85,0
Summe Einnahmen-Ausgaben 1.538,0 2.128,6 1.508,8 1.947,7
Judith Adler mag. Friedrich Herzog Summe Subventionen an Vereine -1.536,3 -1.919,6 -1.909,0 -1.945,7
Vorsitzende der Finanzkommission Generalsekretär CASH-FLOW 1,7 209,0 -400,3 2,0

Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

 IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN
SERIE
Hinter den Kulissen –
Die IKG Wien stellt sich vor
Teil 17: Redaktion „Die Gemeinde“
„Wir sind das
Sprachrohr der
IKG nach außen“
Bis diese Zeitung, die Sie nun lesen, in
Ihren Händen liegt, hat Chefredakteurin
Sonia Feiger tausende Agenturmeldun-
gen, Mails und Berichte in anderen in- und
ausländischen Medien nach möglichen
Themen gesichtet und sortiert, Autoren
um Beiträge gebeten, Bilder und Abdruck-
genehmigungen organisiert. Doch ihre
Abteilung macht weit mehr: sie ist auch
für den Insider, Sonderausgaben und den
Webauftritt der IKG verantwortlich. Man
könnte auch sagen: hier werden die Visit-
karten der Kultusgemeinde produziert.
Denn die Print- und Webpublikationen
dienen nicht nur der Information der Mit-
glieder, sondern auch der Darstellung jü-
dischen Lebens in einer nichtjüdischen
Mehrheitsgesellschaft.
VON ALEXIA WEiss
4 Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
Die Redaktion: das sind Karin Fasching-
Kuales, Sonia Feiger, Manuela Glamm,
Inge Heitzinger, Ida Labudovic und Irene
Messinger . Ein Frauenbüro also, „nicht
beabsichtig, das hat sich einfach so erge-
ben“, wie Feiger betont. Sie lobt ihr
Team, „das wirklich ausgezeichnet funktio-
niert, sonst würde auch nicht alles so rei-
bungslos laufen“. Die Aufgaben sind
klar verteilt, gearbeitet wird eigenver-
antwortlich. Und das auch manchmal
vom Home Office aus: denn messin-
ger, Glamm und Fasching-Kuales sind
mütter kleiner Kinder und arbeiten da-
her Teilzeit. internet und Laptop er-
mög-lichen dennoch eine permanente
Erreichbarkeit.
Ohne Laptop könnte auch Sonia Feiger
nicht seit mittlerweile 15 Jahren mo-
nat für monat ein aktuelles magazin
produzieren. ihr externe Festplatte
begleitet sie von zu Hause in die Re-
daktion und wieder nach Hause und
ihr Laptop hat auch so manchen an-
deren Kontinent schon bereist, denn
serVice
erreichbarkeit der redaktion
„die gemeinde“
Die Redaktion ist wochentags
von 9.00-18.00 Uhr telefonisch
unter 01/53104 – 271 (mag. inge
Heitzinger) sowie per mail unter
redaktion@ikg-wien.at erreichbar.
Urlaub oder Krankheit ändern nichts
daran: „Die Gemeinde“ muss erschei-
nen. Feiger gibt dabei eine „One Wo-
man-Show“: sie sichtet das Agentur-
material, filtert aus den rund 400 täg-
lich einlangenden mails jene, die rele-
vant sind, und arbeitet sich durch in-
und ausländische jüdische und nicht-
jüdische Publikationen.
monat für monat muss der Spagat ge-
lingen, mit dem Gebotenen eine Ziel-
gruppe anzusprechen, die so inhomo-
gen ist wie die jüdische Gemeinde in
Wien eben ist – von jung bis alt, von
säkular bis ultra-orthodox. Letzteres
schlägt sich auch in der illustration
nieder: Dekolletées dürfen nicht zu tief
ausfallen, eine Bebilderung eines Bei-
trags über Bademode made in israel
kann da schon einmal zur Herausfor-
derung werden.
„Das Lesen ist der eigentliche Schwer-
punkt für die Themenfindung“, betont
Feiger. Jüdische medien sieht sie übri-
gens nicht als Konkurrenz, sondern als
wichtige Bereicherung jüdischen Le-
bens in Österreich. Dennoch: „Die Ge-
meinde“ ist das offizielle Sprachrohr
der iKG nach außen. Es ist also durch-
aus beabsichtigt, dass auch am Juden-
tum und der iKG interessierte nicht-
juden sowie heimische medienvertre-
ter zur ständigen Leserschaft zählen.
Seit etwas mehr als drei Jahren konnte
Feiger auch renommierte Journalisten
für Eigenbeiträge in der „Gemeinde“
gewinnen: nun steuern regelmäßig
Reinhard Engel, Marta Halpert, L. Joseph
Heid, Anita Pollak und die Autorin die-
ser Serie Texte bei. Peter Weinberger be-
streitet die Kolumne „Überall &
nirgendwo“. Von Ulrich W. Sahm kom-
men Berichte aus israel. Finanziell
möglich gemacht wurde das einerseits
durch Verhandlungen mit Bilddaten-
banken, womit Fotos nun günstiger
zur Verfügung stehen und mittel für
Texte frei wurden, andererseits durch
eine Erhöhung des Autorenbudgets
 IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN
durch das Generalsekretariat, freut
sich die Chefredakteurin.
Kontakt halten, Themen in Auftrag ge-
ben, Autoren-Vorschlägen zustimmen
oder sie ablehnen: auch das gehört zu
Feigers Arbeit. Und schließlich wählt
sie auch Beiträge aus internationalen
medien aus, die dann von Fasching-
Kuales vom Englischen ins Deutsche
übersetzt werden. Sie ist seit 1999 bei
der iKG beschäftigt und hat schon zu-
vor Redaktionserfahrung gesammelt.
Dann beginnt die eigentliche Produk-
tion: vieles von dem, was sich in einem
monat an material angesammelt hat,
etwa zu israel, wäre bei Drucklegung
wieder veraltet. Also: neuerlich sich-
ten, aussortieren, neue Dinge herein-
nehmen. „Wenn aktuell noch etwas pas-
siert, kann ich bis einen Tag vor Druck
reagieren.“ manchmal heißt das auch:
den Andruck um einen oder mehrere
Tage nach hinten verschieben. Hier
lobt Feiger die gute Zusammenarbeit
mit dem AV+Astoria Druckzentrum.
Die mannschaft dort zeige immer Ver-
ständnis, was dem Blatt nicht nur hin-
sichtlich seiner Aktualität gut tut, son-
dern sicherstellt, dass es auch erscheint,
sollte Feiger krankheitsbedingt einmal
für ein, zwei Tage ausfallen. Länger
ist dies noch nie der Fall gewesen, denn
stolz erzählt sie, es in den vergangenen
15 Jahren auf nur fünf Krankenstands-
tage gebracht zu haben.
Steht fest, was ins Blatt kommt, geht
es ans Layout: dieses wird von Feiger
ebenso erstellt wie das druckfertige
PDF, das schließlich an die Druckerei
geht. Dazwischen liegen noch Bildaus-
wahl, Titelgestaltung – und das Ein-
holen von Genehmigungen im Fall des
Abdrucks von Beiträgen, die bereits
in anderen medien erschienen sind.
Hier geht Heitzinger Feiger zur Hand.
Inge Heitzingers Job-description: Redak-
tionsassistentin. 2006 hat die Kultur-
anthropologin und Kunsthistorikerin
diese Aufgabe von Fasching-Kuales
übernommen. nun kümmert sie sich
um „alle klassischen Sekretariatsaufga-
ben“ wie Terminverwaltung, Korres-
pondenz, Honorarabrechnungen. Am
Telefon ist sie die erste Ansprechper-
son. Vor allem aber lektoriert sie alle
Printprodukte und verwaltet die Abon-
nements. „Die Gemeinde“ wird in
einer Auflage von 5.500 Stück ge-
druckt. 3.200 davon werden an iKG-
mitglieder verschickt. Dazu kommen
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
etwas über 1.000 Abonnenten, die die
Zeitung regelmäßig beziehen, an die
170 davon leben im Ausland.
Seit zweieinhalb Jahren gibt es monat-
lich zwei Publikationen: magazin und
internes mitteilungsblatt wurden ge-
trennt, sodass Sie nun zwei mal im
monat ein Heft im Postkasten finden.
Das magazin hat nun einen Umfang
von zumindest 48 Seiten – kann aber,
etwa zu Rosch HaSchana, auch einmal
doppelt so dick ausfallen. Der „insi-
der“ umfasst 24 Seiten – alle jüdischen
Organisationen und Vereine haben hier
jeweils eine halbe Seite Platz, um ihre
Aktivitäten darzustellen oder Veran-
staltungen anzukündigen. iKG-Töch-
ter wie Schule, ESRA oder das JBBZ
können eine Seite befüllen. Der „insi-
der“ wird von Karin Fasching-Kuales ,
multi-Talent der Redaktion, grund-
layoutiert und schließlich von Feiger
fertig produziert.
Leichter fiele die Gestaltung des insi-
der allerdings, würden sich alle Ver-
eine an die klaren Vorgaben halten, sagt
Feiger: das Kürzen zu langer Textbei-
träge, das nachbearbeiten von Fotos,
die in schlechter Qualität abgegeben
wurden, das koste Zeit. Ginge es nach
der Chefredakteurin dürften sich übri-
gens nicht nur jüdische Organisatio-
nen, sondern auch alle im Kultusrat
vertretenen Fraktionen regelmäßig im
„insider“ darstellen: „Nicht jede Partei
hat genügend Geld, um sich eine eigene
Publikation zu leisten.“ Doch darüber
müssen andere entscheiden.
Grundsätzlich betont Feiger aber:
Fraktionspolitik hat in der Redaktion
nichts verloren. Das gilt für redaktio-
nelle mitarbeiter ebenso wie für die
mitglieder der Redaktionskommissi-
on. Diese wird alle zwei Jahre von den
Fraktionen neu beschickt, das Engage-
ment hält sich aber in Grenzen, sagt die
Chefredakteurin. „Es ist wie mit den
‚zehn kleinen Negerlein‘ – zu Beginn sind
es zehn, zwölf Personen, gegen Ende hin
sind wir bei null.“ Aktuell engagieren
sich im Rahmen dieses Gremiums
noch Peter Weinberger und Georg Haber,
der auch seit vielen Jahren die Kom-
mission leitet. „Er ist eine große Stütze
und hat immer ein offenes Ohr“, betont
Feiger.
Auf der anderen Seite heißt das aber
auch: Feiger hat ziemlich freie Hand
beim Gestalten der Printprodukte –
und genießt das. in den vergangenen
15 Jahren hat sie hier nicht nur den
Umfang der Berichterstattung massiv
erhöht (von rund 450 auf nunmehr
jährlich an die 1.000 Seiten), sondern
auch die beiden neuen Ressorts „Wirt-
schaft“ und „Wissenschaft“ geschaf-
fen. Die weiteren Themenbereiche des
magazins sind „in eigener Sache“,
„Politik“, „Jüdische Welt“, „Kultur“,
„Sport“ und „Judentum“. Hier steuert
nun seit ein paar monaten Gemeinde-
rabbiner Schlomo Hofmeister die Ru-
brik „Schailes & Tschuwos“ bei.
Eine weitere Schwerpunktsetzung er-
möglichen die Sonderausgaben: „Im-
mer wenn sich ein Thema anbietet, ent-
weder aus Aktualität oder weil es ein Jubi-
läum zu feiern gibt, produziere ich ein
Dossier oder ein eigenes Heft“, erzählt
Feiger. 2008 erschien etwa eine „Ge-
meinde kids“, ein Heft zu „60 Jahre
israel“, ein Schwerpunkt „1938-2008“.
2009 gestaltete sie Sondernummern
zu „Gaza“, „100 Jahre Tel Aviv“, „100
Jahre Kibbuz“. Dazu kommen jährlich
zwei „Aufgeblättert“ – eine Übersicht
über neue Bücher. Für das magazin
hat sich Feiger vorgenommen, im Lauf
des Jahres 2010 auch regelmäßig eine
Kinderseite zu gestalten. in Vorberei-
tung ist zudem eine Rezepte-Rubrik.
Ein weiteres Vorhaben für dieses Jahr:
eine Publikation über die Entwicklung
der Gemeinde in der nachkriegszeit.
Ida Labudovic, sie ist Kultur- und So-
zialanthropologin, stammt aus Belgrad
und lebt seit 2007 ständig in Wien, hat
dazu alle Ausgaben der „Gemeinde“,
die seit 1948 erscheint, wissenschaft-
lich aufgearbeitet. Sichtbar werden so
die Beziehungen der Gemeinde zur
Regierung, die lange Geschichte der
Wiedergutmachung, das ständige
Konfrontiertsein mit Antisemitismus,
die Beziehungen zu israel, erzählt La-
budovic. Aber auch die Entwicklung
des kulturellen Lebens und das Wie-
dererstarken der jüdischen identität
über die Jahrzehnte lassen sich aus
den Publikationen der iKG ablesen.
Labudovic betreut nun die täglich ak-
tualisierten Bereiche der iKG-Home-
page – also die „news“ sowie die
„Radio- und TV-Tipps“, die permanent
recherchiert werden müssen, und sie
schaltet die Leserbeiträge auf dem
„message Board“ frei. Außerdem
archiviert sie seit 2009 digital das ge-
samte Text- und Fotomaterial – rück-
wirkend bis 1948.
5
 IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN
Die technische Seite der Homepage hat
Irene Messinger über. Sie ist sowohl
ausgebildete Sozialarbeiterin als auch
Webmaster und steht derzeit kurz vor
dem Abschluss ihres Doktoratsstu-
diums in Politikwissenschaften. Was
auf den ersten Blick wie eine erstaun-
liche Kombination aussieht, kommt ihr
auf den zweiten Blick bei der Arbeit
in der Redaktion zugute. immer wie-
der kommen über die Homepage An-
fragen von menschen, die das Schick-
sal ihrer Vorfahren interessiert, die
nach möglicherweise noch lebenden
Verwandten, Bekannten, Freunden su-
chen. „Das ist immer wieder berührend.
Vor allem die Anfragen von älteren Leuten,
die jemanden suchen – das macht mir sehr
viel Spaß.“ Seit 2002 betreut messinger
die iKG-Homepage und entwickelt
sie dabei ständig weiter.
neben kleinen Veränderungen gibt es
auch die großen: so ist „Die Gemein-
de“ seit einigen monaten sofort nach
Erscheinen auch online lesbar, und
zwar nicht nur in Form eines PDF, son-
dern auch als durchblätterbare Appli-
kation. Die Betreuung der Homepage
erleichtert hat vor einigen Jahren das
Umstellen von automatischer Frei-
schaltung der message Board-Beiträge
auf das manuelle Onlinestellen. Das
Löschen von Spam war zuvor enorm
zeitfressend gewesen, „wobei die anti-
semitischen Spams zahlenmäßig inzwi-
schen von der Pornoindustrie überlagert
werden“, erzählt messinger.
Feiger peilt auf der Homepage eine
weitere neuerung an: sie würde gerne
Bildmaterial im Web zur Ansicht an-
bieten, das dann bei interesse bei dem
jeweiligen Rechteinhaber in druckfä-
higer Auflösung angefordert werden
kann. immer wieder gebe es von allen
möglichen Stellen und medien Anfra-
gen bezüglich Bildern zu jüdischem
Leben an die Redaktion – hier könnte
man also ein nachgefragtes Service an-
bieten.
Service wird auch von Manuale Glamm
groß geschrieben: sie ist seit 1997 im
Redaktionsteam und dabei für den
Anzeigenverkauf zuständig. Eine ih-
rer ersten Aufgaben war es dabei, den
zuvor weitgehend nur telefonisch ab-
gewickelten Annoncenverkauf EDV-
mäßig zu erfassen und die Kunden
daran zu gewöhnen, ihre Buchungen
auch mit ihrer Unterschrift zu bestäti-
gen. Ein anfangs mühsamer Prozess,
6 Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
der sich schließlich gut eingespielt hat.
Glamm, die auch Betriebsrats-Vorsit-
zende ist, hat sich, obwohl selbst nicht
Gemeindemitglied, über die Jahre „in
die IKG verliebt“: „Und wenn meine
Tochter heute zu Chanukka beim Kerzen-
anzünden in der Mitte steht, dann ist das
einfach schön.“ Schön findet Glamm
auch den ständigen Kontakt mit Ge-
meindemitgliedern, etwa wenn es um
das Schalten von Feiertagswünschen
geht, traurig allerdings „dass immer
wieder ältere Menschen, mit denen ich
viele Jahre Kontakt hatte, sterben“.
Die gesamte Redaktion traurig stimm-
ten in den vergangenen beiden Jahren
auch zwei Todesfälle innerhalb der ei-
genen Reihen: jener des in der Gemein-
de so engagiert agierenden Psychiaters
Alexander Friedmann, der damals Vor-
sitzender der Redaktionskommission
war. Und jener von Michaela Lehner, die
2008 jung und tragisch aus dem Leben
schied. Sie war vor allem für die Be-
sprechung von Werken israelischer
Autoren zuständig gewesen. Diese
Lücke füllt nun – mehr als ein Jahr
nach dem Tod Lehners - Anita Pollak
mit ihren Literaturbeiträgen.
Die Wirtschaftskrise spürt Glamm vor
allem bei inserenten aus dem nichtjü-
dischen Bereich – insgesamt ist sie
aber froh, dass es alles in allem keine
Einbrüche im Verkauf gegeben hat. Die
traditionell stärkste Ausgabe ist jedes
Jahr das Rosch HaSchana-Heft, für das
Glamm 2009 sogar einen Zuwachs
erreichen konnte. „Bei uns werden In-
serate Nicht nur für die Werbewirksam-
keit, sondern auch im Sinn von Kultur-
sponsoring geschalten“, erklärt Glamm.
Alle sechs Frauen betonen, dass ihnen
die Arbeit in der Redaktion Freude
macht, weil sie abwechslungsreich ist
– und viel Kontakt zu menschen, zu
Gemeindemitgliedern beinhaltet. Was
man für ihre Arbeit braucht? „Humor,
Geduld und eben Spaß an der Arbeit“,
antwortet Feiger, denn: „Es ist schon
eine Herausforderung, jedes Monat zwei
Zeitungen zu gebären.“ Eine Heraus-
forderung, der sie sich gerne stellt.
inhaltlich ist ihr vor allem die Bericht-
erstattung über israel ein großes Anlie-
gen – auch, weil sie in der „Gemeinde“
die möglichkeit hat, das Geschehen im
nahen Osten aus einer anderen Per-
spektive darzustellen und damit, so
hofft sie, die Chance eröffnet, israel
auch anders wahrzunehmen. Das ist
ihr wichtig, da die meisten österreichi-
schen medien eine klare Schlagseite
aufweisen – was sich nicht nur in Kom-
mentaren, sondern meist auch schon
in der Titelgestaltung ausdrückt. „Oft
würde es schon genügen, Titel und Un-
tertitel zu tauschen und man würde eine
völlig andere Geschichte lesen.“
Spaß hat Feiger aber nicht nur am Ge-
stalten, sondern auch am Umgang mit
menschen. „Über 20 Jahre PR-Tätigkeit
haben Spuren hinterlassen. Service und
Kommunikation bleiben die grundlegenden
Elemente für mein Handeln. Ich komme
aus einer Branche, die kein ‚ich‘, sondern
nur ein ‚wir‘ kennt.“
zur PersoN
sonia feiger, geb. 1950 in Prag,
aufgewachsen in Budapest und
Wien, besuchte zunächst das Lycée
Français, später das RG XiX. nach
der matura studierte sie zunächst
an der Uni Wien Psychologie und
Sprachen (Englisch, Französisch,
italienisch) und arbeitete für Simon
Wiesenthal als Sekretärin. „Es war
eine Erfahrung fürs Leben zu sehen,
wie dieser Mann funktioniert.“
ihr erster Fulltime-Job führte sie
ans AKH, wo sie in der Pressestelle
tätig war (das Studium war damit
irgendwann ad acta gelegt). nach
Übersetzungstätigkeiten und der
Geburt ihrer beiden Töchter folg-
ten vier Jahre im Konferenz- und
informationsdienst der Vereinten
nationen (UnO) in Wien und wei-
tere Jahre bei den Agenturen Bur-
son-marsteller und Publico als PR-
Konsulentin.
Seit 1995 ist Feiger in der iKG als
Chefredakteurin für „Die Gemein-
de“, die Sonderausgaben der „Ge-
meinde“ sowie den internetauftritt
der iKG verantwortlich.
Ehrenamtlich engagiert sich Feiger
seit ihrem 20. Lebensjahr in jüdi-
schen Organisationen und ist bis
heute in der WiZO und iKG-intern
in der Kulturkommission aktiv.
Sie ist mit dem Architekten Thomas
Feiger verheiratet und mutter zwei-
er erwachsener Töchter.

Weltweit Gesuchter beim Kaffee gesichtet
Interpol jagt ihn, Kroatien will seiner
habhaft werden. Doch Milivoj Asner
alias Dr. Georg Aschner (96) trank am 7.
Januar 2010 behaglich einen Verlänger-
ten in einem Klagenfurter Cafe. Mit Recht:
Die heimischen Behörden schützen ihn.
VON HORST KAKL
Er steht an prominenter dritter Stelle
der Liste der zehn meistgesuchten na-
zi-Kriegsverbrecher des Simon-Wie-
senthal-Zentrums in Jerusalem: Milivoj
Asner alias Dr. Georg Aschner. Gestern
nahm der 96-Jährige im Klagenfurter
Cafe „Kosta“ in der 10.-Oktober-
Straße unter den Augen der Öffentlich-
keit in Ruhe einen Verlängerten zu
sich. Vor amtlicher Verfolgung muss
er sich schließlich nicht fürchten.
Gemeinsam mit einer Begleiterin be-
legte Asner zur mittagszeit einen
Fensterplatz. Viel gesprochen wurde
nicht, die Haltung des mannes - für
den die Unschuldsvermutung gilt -
war gebeugt. Doch dann staunten die
Lokalbesucher: nachdem seine Gesell-
schafterin einen Spaziergang vorge-
schlagen hatte, stand Asner problem-
los auf und eilte ausholenden Schritts
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
POLITIK • INLAND
zur Tür. Eine Stütze benötigte er nicht.
Laut den Behörden ist er aufgrund
seines schlechten Zustands nicht ver-
nehmungsfähig ...
Wieder vollständig erholt
Tatsächlich musste der gebürtige Kro-
ate im Oktober nach einem Sturz in
seiner Klagenfurter Wohnung im LKH
behandelt werden. Offenbar hat er sich
vollständig erholt. Von einem Verfah-
ren gegen ihn ist längst keine Rede
mehr.
Dem am 21. April 1913 in Daruvar ge-
borenen Asner wird vorgeworfen,
während des Zweiten Weltkriegs in
Kroatien an der Verfolgung und De-
portation von Serben, Juden, Sinti
und Roma beteiligt gewesen zu sein.
in Kroatien wird er wegen Kriegsver-
brechen gesucht, auch interpol fahn-
det nach ihm. Österreich lehnte eine
Auslieferung ab, Asner bestritt stets
alle Vorwürfe.
Die Debatte über ihn erreichte im
Sommer 2008 einen Höhepunkt, als
britische Journalisten den weltweit
Gesuchten in der Klagenfurter Em-
Fanzone entdeckten – körperlich rüs-
© Kakl/KTZ
tig und geistig auf der Höhe.
Ersterscheinung: "Neue Kärntner
Tageszeitung" vom 08.01.2010/Seite: 9.
Wir danken für die Abdruckgenehmigung!
Hintergrund: Asner war im Zweiten Weltkrieg
der Chef der Ustascha-Polizei in Pozega und
während der Zeit vermutlich an Deportationen
und Vertreibungen von Serben und Juden so-
wie Roma beteiligt. 1945 flüchtete er nach Ös-
terreich, wo er bereits 1946 (!) die Staatsbür-
gerschaft erhielt.
Nachdem Kroatien seine staatliche Autonomie
wiedererlangt hatte, kehrte er 1991 in seine
Geburtsstadt zurück.
2005 wurde Asner in Kroatien wegen Kriegs-
verbrechen angeklagt, woraufhin er wieder
nach Österreich floh und sich in Klagenfurt
niederließ. Kroatien fordert seine Ausliefe-
rung, aber weil Asner österreichischer Staats-
bürger war, wurde er lange Zeit nicht ausge-
liefert – bis man festgestellt, dass Asner die
österreichische Staatsbürgerschaft nicht mehr
POLITIK
besaß. Er hatte im Jahr 1990 die kroatische
beantragt und sich nicht um die Beibehaltung
der österreichischen bemüht. Um die dann
jetzt möglich gewordene Auslieferung durch-
zuführen, muss zuerst eine Vernehmung statt-
finden, wofür zuvor die Vernehmungsfähig-
keit festgestellt werden sein muss. Mehrere
psychiatrische Gutachten kamen zu dem Er-
gebnis, dass keine Vernehmungsfähigkeit ge-
geben ist ...
7
 POLITIK • INLAND

Rektorat der TU Wien widerruft Ehrung

von umstrittenem Absolventen
Communiqué des Rektors der TU Wien zur Causa "Lüftl"
Als Reaktion auf den Vorwurf, mit der Verleihung eines „Goldenen Diploms“
an Walter Lüftl am 11. Dezember 2009 einen Holocaust-Leugner ausgezeich-
net zu haben, wurde von mir eine Kommission zur Prüfung der Causa einge-
setzt.
Dieser gehören der Dekan der betroffenen Fakultät (Professor Josef Eberhard-
steiner), der Senatsvorsitzende (Professor Franz Zehetner), die Vorsitzende der
Hochschülerinnenschaft (Bianka Ullmann) und die Leiterin des Universitätsar-
chivs (Dr. Juliane Mikoletzky) an.
Die Kommission hat Bericht erstattet und festgestellt, dass die Verfahrensvor-
schriften für „goldene Diplome“ (die unter "“Ehrungen“ in der Satzung der Darabos in Yad Vashem
TU Wien geregelt sind) nicht eingehalten wurden, keine vertiefte inhaltliche
Prüfung stattgefunden hat und die materiellen Voraussetzungen für die
Erneuerung des akademischen Grades nicht gegeben waren. Darabos sagt
Tatsächlich hat Walter Lüftl durch ein 1991 verfasstes „Gutachten“ und der da- Rechtsextremismus im
rin behaupteten technischen Unmöglichkeit des massenmordes an Juden Bundesheer den Kampf an
durch Anwendung von Giftgas seinem Stand und seiner Alma mater, der TU
Wien, massiv geschadet. Daher wird das Rektorat der TU Wien, den Empfeh-
Verteidigungsminister norbert Dara-
lungen der Kommission folgend, die Erneuerung des akademischen Grades
bos (S) will Rechtsextremismus im
an Walter Lüftl förmlich widerrufen.
Bundesheer bekämpfen und Ge-
Desweiteren wird das Rektorat im Senat eine auf den gewonnenen Erkennt- schichtsaufarbeitung betreiben.
nissen basierende novellierung der entsprechenden Verfahrensvorschriften
einbringen und die seit inkrafttreten dieser Bestimmungen erfolgten Aus- Dafür hat Darabos, der selbst Ge-
zeichnungen einer eingehenden materiellen Prüfung unterziehen lassen. schichte studiert hat, Wissenschafter
mit der Suche nach möglichen nS-
ich bedaure zutiefst, dass durch diesen individuellen, letztlich von mir zu ver- Opfern in der Grazer Belgier Kaserne
antwortenden Fehler das Ansehen der Technischen Universität Wien Schaden beauftragt. Am Grund der ehemali-
genommen hat und entschuldige mich für die verständliche Betroffenheit, die gen SS-Kaserne werden Leichen ver-
dadurch ausgelöst wurde. mutet.

Den pauschalen Vorwurf, die TU würde sich nicht mit ihrer Vergangenheit Darabos kündigte in einer Bilanzpres-
auseinandersetzen, will ich allerdings nicht im Raum stehen lassen. Exempla- sekonferenz anlässlich seines Drei-
risch sei auf das Forschungsprojekt „Die Technische Hochschule zwischen Jahres-Jubiläums als Ressortchef an,
1938 und 1945“ (begleitet von Ausstellung und Publikation) hingewiesen. auch künftig gegen rechte Tendenzen
im Heer vorzugehen. So habe er bis-
Peter Skalicky her vier Soldaten wegen Verstoßes ge-
Rektor der TU Wien gen das Verbotsgesetz entlassen,
mehrere Gedenktafeln - u.a. auf der
LÜFTL, Dipl. Ing. Walter 1992/93 Verröffentlichung von Artikeln in der Krypta am Heldenplatz - angebracht
Gerichtsgutachter, Präsident der Bundesingeni- bundesdeutschen neonazistischen Zeitschrift
eurskammer bis 1992. Verfasser eines „Gutach-
und die Unterstützung des umstritte-
„Recht und Wahrheit“
tens“, in dem die Existenz von Gaskammern zur 1993 Veröffentlichung von Artikeln in der vom nen Ulrichsberg-Treffens in Kärnten
Ermordung von Menschen in den nationalsozia- rechtsextremen bundesdeutschen Grabert- durch das Bundesheer untersagt, lis-
listischen Konzentrations- und Vernichtungsla- Verlag herausgegebenen Zeitschrift tete der minister seine bisherigen
gern geleugnet wird. ‘Deutschland in Geschichte und Gegenwart’ Aktivitäten in diese Richtung auf.
1988 Referent bei der AFP-Wien 1994 Im internationalen Computernetzwerk ‘In-
1991 Veröffentlichung von Auszügen des „Gut- ternet’ wird ohne Wissen der Netzwerkbetrei- Auch künftig will er Rechtsextremis-
achtens“ in ‘Halt’, 59a/1991 ber und gegen den Protest vieler Usegruppen mus im Bundesheer „im Auge behal-
1992 Rücktritt als Präsident der Bundesingeni- von neonazistischen Kreisen aus den USA ne- ten“, kündigte Darabos an. Auch in an-
eurskammer. Strafanzeige nach § 3g Verbots- ben anderen „revisionistischen“ Publikationen deren Bereichen - etwa Auslandsein-
gesetz durch den Verband Sozialdemokrati- auch das „Lüftl-Gutachten“ zum Abruf ange-
sätze - will er weiter machen wie bis-
scher Ingenieure Österreichs im „Bund Sozial- boten. Einstellung der Voruntersuchung we-
gen des Verdachtes der NS-Wiederbetätigung her. Das Engagement im Ausland solle
demokratischer Akademikerinnen und Akade-
miker, Intellektueller, Künstlerinnen und Künst- durch die staatsanwaltschaftlichen Behör- im gleichen Umfang beibehalten wer-
ler“ (BSA). Bericht über das „Lüftl-Gutachten“ den und das Bundesministerium für Justiz den. Schwerpunkte bleiben 2010 nach
im „revisionistischen“ ‘Journal of Historical Gekürzt entnommen aus: Handbuch des Auslaufen der Tschad-mission die
Review’ („The Lüftl Report“) österreichischen Rechtsextremismus, Wien 1994 Golan-Höhen, Kosovo und Bosnien.

8 Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

 POLITIK • INLAND

Museumsdirektor
Loewy betroffen
über fortwährende
FPÖ-Kritik
Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen
museums Hohenems, zeigte sich ge-
troffen über die fortgesetzte Kritik der
FPÖ an seiner Person und dem muse-
um. „Ich hatte nach dem Herbst die Hoff-
nung, dass die Herren zur Besinnung
kommen und sich zum Beispiel entschul-
digen würden, das Gegenteil ist passiert“,
so Loewy bei einer Pressekonferenz
anlässlich der Präsentation der ab
märz geplanten mikwen-Sonderaus-
stellung. Er habe auf eine Versachli-
chung der Debatte gehofft. Stattdessen
setzten die FPÖ und ihre Vertreter
„immer noch einen drauf“. was er abgelehnt habe. Die Arbeit in lig“ gewesen und zudem gut besucht,
Begonnen hatte die Auseinanderset- Hohenems mache dennoch „viel Spaß“. „offensichtlich interessiert das die Leute“.
zung zwischen der FPÖ und Loewy Er habe in der letzten Zeit auch viel Wer nicht wolle, dass an die jüdische
mit dem „Exil-Judensager“ von Vor- positives Feedback erhalten. „Das war Geschichte der Stadt erinnert werde,
arlbergs FPÖ-Chef Dieter Egger im nicht weniger als ermutigend“, fand „soll das doch bitte offen sagen“. Zur
Landtagswahlkampf 2009. Erst am Loewy. Er wolle weiter mit seinem Kritik an den Kosten rechnete Loewy
vergangenen Wochenende erklärte der Team an der Erfüllung des Grün- vor, dass das museum mit seinem Re-
Lustenauer FPÖ-Bürgermeister Hans- dungsauftrags arbeiten, ein „kritisches nommee, den Besuchern und der über-
Dieter Grabher in einem Zeitungsinter- Heimatmuseum“ zu sein. Dazu gehöre regionalen, medialen Berichterstat-
view, Loewy habe doch selbst einmal auch, das minarett-Thema aufzuneh- tung für die Wirtschaft und hinsicht-
gesagt, dass seine Eltern Exil-Juden men. Der erwähnte Vortrag sei übri- lich des Werbeeffekts insgesamt „ein
aus Amerika seien. Am 13. Januar kri- gens wegen eines Sponsorings „bil- gutes Geschäft“ für die Stadt ist. APA
tisierte schließlich der Hohenemser
Bürgermeister-Kandidat der FPÖ,
Horst Obwegeser, im Vorfeld des Ge-
meindewahlkampfs die Kosten für
das museum, das eigentlich als Hei- Ausschreibung zur
matmuseum gedacht gewesen sei. Es Umgestaltung des
sei nicht in seinem Sinn, mit Steuer- Lueger-Denkmals in
geld Vorträge wie „Wie baue ich ein orts-
übliches Minarett?“ zu finanzieren. Zu-
ein Mahnmal gegen
dem kämen die Besucherzahlen auch Antisemitismus und
durch „zwangsbeglückte“ Schulklas- Rassismus in Öster-
sen zustande. Jeder denkende mensch reich
müsse selber entscheiden, was davon
zu halten sei, erklärte Loewy, von Jour-
nalisten auf die Kritik angesprochen. Plakat:
„Was soll man dazu noch sagen?“, so Lilly Panholzer,
Laurenz Feinig
Loewy. Er habe sich in den vergange-
nen monaten oft die Frage „Bleiben Skizze:
Mona Liska
oder nicht?“ gestellt, aber ihm behage
die Vorstellung nicht, dass es die FPÖ
schaffe, „den Ort judenrein“ zu machen.
Die Entscheidung sei nicht leicht ge- Einsendeschluss
wesen, zumal man ihn etwa zu einer 1. März 2010
Bewerbung als Direktor für das Jüdi-
sche museum Wien eingeladen habe,

Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770 9


In einem Kurz-Interview mit der Wiener
Stadtzeitung „Falter“ (Ausgabe 47/09)
meinte der Innsbrucker Politikwissen-
schafter Reinhold Gärnter, „dass antise-
mitische Verschwörungsmythen in Öster-
reich häufiger vorkommen als in vielen
anderen Ländern“. „Die Gemeinde“ hat
nachgefragt. Ein Blick auf Österreich als
Land „mit sehr alter antisemitischer Tra-
dition“ – und ein Ausblick auf das, was
im heurigen Wiener Wahljahr auf uns
zukommen könnte.
VON ALEXIA WEISS
Die Gemeinde: Sie sagten jüngst in ei-
nem Interview mit dem „Falter“, dass
antisemitische Verschwörungsmythen in
Österreich häufiger vorkommen als in
vielen anderen Ländern. Haben Sie dazu
Zahlen?
Reinhold Gärtner: Das war etwas
missverständlich formuliert. ich mein-
te, dass Österreich eines jener Länder
ist, in denen diese Verschwörungs-
mythen relativ oft vorkommen –
ohne konkrete Vergleichszahlen zu
nennen. ich kenne dazu auch keine
konkreten Zahlen.
Können Sie ein paar Beispiele für solche
antisemitischen Verschwörungsmythen
geben?  ter etc.) vervielfacht?
in Österreich tauchen immer wieder
die „Protokolle der Weisen von Zion“
auf, ebenso Anspielungen an israel
zum Beispiel in Zusammenhang mit
9/11. 1999 gab es die Publikation von
10
POLITIK • INLAND
„Mit Antisemitismus sind nach
wie vor mehr Stimmen zu
gewinnen als zu verlieren“
Herbert Pitlik: „Die Protokolle der
Weisen von Zion aus der Sicht nach 100
Jahren“ (publiziert im Verlag „Bürger
Schutz Offensive“), in der eindeutig
antisemitische Verschwörungsphan-
tasien vertreten werden. nicht zu ver-
gessen die immer wieder zu hörenden
revisionistischen Äußerungen (spe-
ziell aus Österreich etwa Walter Lüftl
oder Emil Lachout).
Antisemitische Angriffe auf israel be-
ziehungsweise die israelische Politik
sind nicht nur im internet immer wie-
der zu finden. in der Tiroler Abtei-
lung des RFJ (Ring Freiheitlicher Ju-
gend, Anm.) fanden sich Formulierun-
gen wie „Tyrannei und mordlust des
israelischen Apartheidstaates“; „(…)
welches das Existenzrecht dieser mitt-
lerweile zur Atommacht herange-
wachsenen Siedlerkolonie in Frage
stellt“; die Rede ist weiters vom „heu-
tigen Unrechtsstaat israel“; von „The-
odor Herzl, der unsägliche schwarze
Prophet des Grauens“ oder der
„Siedlerkolonie israel, als Häscher
des US-imperialismus“.
Wie entstehen aus Ihrer Sicht solche anti-
semitischen Verschwörungsmythen? Wer-
den Sie von einer Person sozusagen am
Reißbrett entworfen, ist das ein Prozess,
der viele Personen inkludiert?
in den seltensten Fällen sind das Ein-
zelpersonen oder spezielle Gruppen,
die dieses bewusst formulieren (zum
Beispiel bei den genannten „Proto-
kollen“). Häufiger – Beispiel RFJ –
sind das Personen, die diese ideen im
entsprechenden Umfeld finden und
dann weitergeben.
Haben sich diese Mythen mit dem Inter-
net und den modernen Massenkommuni-
kationsmitteln (Mail, Facebook, Twit-
Auch hier kann ich keine konkreten
Zahlen nennen – jedenfalls aber ist
durch die neuen medien eine we-
sentlich raschere und umfangreichere
Verbreitung feststellbar.
Warum sind gerade in Österreich  einer-
seits mehr antisemitische Verschwörungs-
mythen im Umlauf als anderswo? Und
warum sind andererseits offenbar mehr
Leute dafür anfällig, diesen auch Glauben
zu schenken?
Ob mehr als in anderen Ländern, kann
pauschal so nicht festgestellt werden.
Dass aber Österreich eines jener Län-
der mit sehr alter antisemitischer Tra-
dition ist, steht außer Zweifel. Und
Antisemitismus ist nach wie vor
abrufbar.
Sie erwähnen in dem „Falter“-Interview
auch, dass hier zu Lande öfter der Mossad
als CIA oder KGB ins Spiel gebracht wer-
den. Gut wahrnehmbar war dies bei den
Spekulationen rund um den Unfalltod Jörg
Haiders. Können Sie mir noch andere Din-
ge nennen, für die angeblich der Mossad
die Verantwortung tragen soll?
neben Haiders Unfalltod wird der
mossad (zusammen mit dem CiA)
zum Beispiel in Zusammenhang mit
9/11 immer wieder genannt.
In Wien wird kommenden Herbst gewählt.
Es wird erwartet, dass die Freiheitlichen
unter Heinz-Christian Strache alles in
Bewegung setzen werden, um hier zu mo-
bilisieren. Aus Ihrer Sicht als Politikwis-
senschafter: wird hier mit antisemitischen
Entgleisungen/Codes zu rechnen sein?
Zuletzt gab es in einem Wahlkampf ja in
Vorarlberg solche Töne, die den Freiheitli-
chen starke Stimmenzuwächse brachten.
Dieter Egger hat in Vorarlberg gezeigt,
dass mit Antisemitismus nach wie vor
mehr Stimmen zu gewinnen als zu
verlieren sind. Strache hat dies ansatz-
weise im EU-Wahlkampf vorexerziert
(Stichwort EU-Beitritt israels verhin-
dern). Es wäre wenig überraschend,
wenn Strache im Wiener Wahlkampf
neben der instrumentalisierung ande-
rer Feindbilder auch wieder auf die
Karte Antisemitismus setzt.
Wenn die Freiheitlichen oder andere (im
Parlament vertretene oder nicht vertretene)
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

Parteien antisemitische Töne anschlagen,
wer ist dann die Zielgruppe? Sollen etwa
so auch muslimische, bereits eingebür-
gerte Zuwanderer angesprochen werden?
Diese Töne richten sich primär an Tei-
le der eingesessenen österreichischen
Bevölkerung. Hier hat mit Antisemi-
tismus immer schon ein bestimmter
Prozentsatz angesprochen werden
können. Das geht (auch) in Richtung
Antijudaismus. Wären moslems die
primäre Zielgruppe, so hätte es diese
Töne vor der Präsenz von moslems in
Österreich eigentlich nicht geben
können.
Warum halten sich antisemitische Strö-
mungen in der Gesellschaft in Österreich
beharrlicher als etwa in Deutschland?
POLITIK • AUSLAND
Erneut Brandanschlag
auf Synagoge auf Kreta
Auf der griechischen mittelmeer-insel Kreta
haben Unbekannte erneut einen Brandanschlag
auf eine Synagoge verübt. Dabei entstand in
der Hafenstadt Chania im Westen der insel ein
Schaden in Höhe von mindestens 30.000 Euro.
Dutzende Bücher der Bibliothek und mehrere
Computer wurden zerstört, berichtete der
Rundfunk. Die Feuerwehr konnte den Brand
löschen, bevor die Flammen auf einen Raum
mit weiteren wertvollen Büchern übergriffen.
Von den Tätern fehlt jede Spur, verletzt wurde
niemand. Auf die Etz Hayyim Synagoge war
bereits am 6. Januar ein Brandanschlag verübt
worden. Damals entstand geringer Schaden.
Die Synagoge befindet sich in einem kleinen

Weil es in Deutschland nach 1945 eine
andere Auseinandersetzung mit dem
nationalsozialismus und dessen Ver-
brechen gegeben hat und Österreich
da doch einige Jahre nachhinkte.
zur PersoN
reinhold gärtner, geb. 1955 in
Steyr (Oberösterreich), studierte
Englisch, Geschichte und Politik-
wissenschaft, habilitierte sich 1995
und ist seit 2001 Professor am in-
stitut für Politikwissenschaft an
der Universität innsbruck. Seit 1986
engagiert er sich in der Gesellschaft
für politische Aufklärung, seit 1997
hält er Kurse für rechtsextrem auf-
fällige Jugendliche in Kooperation
mit dem Oberlandesgericht bezie-
hungsweise Landesgericht inns-
bruck. Seine Arbeitsschwerpunkte
sind Rechtspopulismus, Rechtsex-
tremismus und Rassismus, das po-
litische System Österreichs sowie
politische Bildung.
Reinhold Gärtner,
Sigrid Steininger
Politiklexikon
für junge Leute
Jungbrunnen Verlag 2008
Ab 12 Jahre
h t ipp
© L. Heid
Gebäude in der Altstadt von Chania. Sie dient
als museum und Gedenkstätte. Die rund 300
mitglieder der jüdischen Gemeinde Chanias
waren während der nazi-Zeit im Jahr 1944 de-
portiert worden. Sie kamen ums Leben, als
ihr Frachter nach dem Beschuss durch britische
Truppen sank.
Verbotsverfahren gegen rechtsextreme
„Arbeiterpartei“ in Tschechien
Vor dem Obersten Verwaltungsgericht sei. „Es handelt sich um einen politischen
Tschechiens in Brünn (Brno) läuft Prozess. Wir gewinnen an Popularität, was
erneut ein Verfahren über ein mögli- auch Grund dafür ist, warum die Regie-
ches Verbot der rechtsextremen rung die Auflösung unserer Partei for-
„Arbeiterpartei“ (Delnicka strana/DS). dert“, sagte Vandas. Bei den Europa-
wahlen 2009 erhielt die DS in Tsche-
Die Regierung fordert die Auflösung
chien rund ein Prozent der Stimmen,
der nicht im Parlament vertretenen
genauso wie bei den Regionalwahlen
DS, weil sie in der Partei eine Gefahr im Oktober 2008.
für die Demokratie sieht. Die DS sei
mit neonazis der Organisation „Na- Vandas hatte schon früher betont, er
lasse sich von einem eventuellen Ver-
tionaler Widerstand“ (Narodni odpor)
verbunden, begründet das Kabinett bot der DS nicht abschrecken. Er sei
bereit, sofort eine andere Partei zu
seine Forderung. Die „Arbeiterpartei“
wurde 2008 und 2009 durch mehrere gründen, die noch bei den für mai ge-
planten Parlamentswahlen antreten
Aktionen wie Protestmärsche gegen
würde. Die Prager Regierung hatte
die Roma-minderheit in nordböhmen
schon vor fast einem Jahr versucht, die
weitergehend bekannt. Außerdem or-
Auflösung der DS bei Gericht durch-
ganisierte sie in einigen Städten un-
zusetzen. Allerdings lehnten die Rich-
bewaffnete „Schutzpatrouillen“, um ter damals ein Verbot ab: Der Antrag
den „Problemen mit unanpassungsfähi-
gen Bürgern“ zu begegnen. in ihrem
sei nur mit einer unzureichenden men-

Buc
Programm fordert die DS auch die
Wiedereinführung der Todesstrafe so-
Reinhold Gärtner wie die Abschaffung der registrierten
Politik der Feindbilder. Partnerschaft von homosexuellen Paa-
Rechtspopulismus ren. DS-Chef Tomas Vandas wies vor
im Vormarsch Gericht Vorwürfe zurück, wonach
Kremayr & Scheriau 2009 seine Partei mit neonazis verflochten
ge an Beweisen belegt, und die einge-
brachte Dokumentation habe formelle
mängel, hieß es. Jetzt lässt sich die
Regierung vor dem Verwaltungsge-
richt von dem renommierten Prager
Anwalt Tomas Sokol vertreten. Das
Urteil könnte am kommenden Don-
nerstag bekanntgegeben werden. APA

Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770 11


©UN & JTA
Der endlose
Kampf gegen
den J2K Virus
VON AMI EDEN, JTA
Übersetzung: Karin Fasching-
Kuales
Als das 20. Jahrhundert zu Ende ging
regierte die Angst vor dem großen
Y2K-Crash, der sämtliche Computer
zum Erliegen bringen würde. Die mil-
lennium-Apokalypse blieb uns zum
Glück erspart – doch der Übergang
von den ´90ern zu den ´00ern brachte
den hartnäckigen J(ew)2K-Virus mit
sich...
man könnte es ja fast als schlechten
Scherz betrachten, mit dem es die Ge-
schichte auf die Juden abgesehen hat,
und er nimmt auch mit Ablauf des
Jahres 2010 kein Ende.
noch im Jahr 2000 liefen die Dinge
für die jüdische Gemeinschaft zu-
meist recht gut, die positiven Trends
der 1990er Jahre wurden bestens
weitergeführt. Doch dann drehte der
Wind und die Dinge verschlechterten
sich rapide.
Hatten israelis und Palästinenser
endlich begonnen, die Details für ei-
nen endgültigen Friedensvertrag aus-
zuarbeiten und eben noch die Hoff-
12
POLITIK • ISRAEL
nung bestanden, dass ein orthodoxer
Jude zum Vizepräsidenten der Verei-
nigten Staaten gewählt wird, während
die jüdische Gemeinde sich eines finan-
ziellen und kulturellen Aufschwungs
erfreute, so wurden all diese Hoffnun-
gen noch vor Ende 2000 am Boden
der Realität zerschmettert. Statt Al Go-
re (und mit ihm der jüdische Kandidat
für das Vizepräsidentenamt Joe Lie-
berman) gewann George W. Bush das
Rennen um das US-Präsidentenamt.
Gleichzeitig scheiterte der hoffnungs-
volle Friedensprozess zwischen israel
und den Palästinensern an der Wei-
gerung der Palästinenser, israels Vor-
schläge für einen finalen Friedensver-
trag zu akzeptieren – die zweite inti-
fada begann.
Antisemitismus und Antizionismus
waren wieder an der Tagesordnung,
israel und der Westen sahen sich ei-
ner aufwallenden islamistischen Ter-
rorgefahr und der Bedrohung durch
den iran gegenüber.
Der Kollaps des globalen Finanzsys-
tems und die Erschütterung der welt-
wirtschaft taten schließlich ihr Übri-
ges zur ohnehin schon immer gerin-
ger werdenden Förderung jüdischer
Kultur.
Einen weiteren Beweis für eine anhal-
tend negative Entwicklung in jüdi-
schen Angelegenheiten stellte die An-
tirassismuskonfeenz der UnO 2001
im südafrikanischen durban dar. Ur-
sprünglich als globales Forum zur Be-
kämpfung des Rassismus angekün-
digt, avancierte die Konferenz alsbald
zur Plattform der Anti-israel Aktivis-
ten. Pamphlete mit Karikaturen haken-
nasiger, bluttriefender Juden als nazis,
die palästinensische Kinder aufspieß-
ten und in denen immer wieder auf
Geld angespielt wurde, wurden dort
verteilt. im Umfeld der Konferenz wa-
ren überdies antisemitische Hitler-Ver-
herrlichungen wie „Hitler hätte seine
Arbeit zu Ende führen sollen“ zu se-
hen und Kopien der „Protokolle der
Weisen von Zion“ wurden verkauft.
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

Jüdische Aktivisten reagierten fas-
sungslos auf die intensität der ihnen
entgegen schlagenden weltweiten
Feindseligkeit.
Letztendlich konnten die Organisa-
toren der Konferenz die schlimmsten
Angriffe gegen israel zumindest aus
dem offiziellen Abschlussdokument
heraushalten, doch die Palästinenser
und ihre Verbündeten nutzten die
Gelegenheit, um eine internationale
Kampagne zur isolierung und Dele-
gitimierung des Jüdischen Staates zu
starten.
Wenige Tage später beraubten die
schockierenden Attentate des 11. Sep-
tember 2001 die US-Juden (und alle
anderen Amerikaner) des allerletzten
Gefühls der Sicherheit, das sie ange-
sichts des sich andernorts zusammen-
brauenden islamistischen Gewitters
noch haben konnten.
Auch israel blieb in dieser Zeit nicht
verschont. Eine serie von attentaten
kostete mehr als 1.000 israelis das Le-
ben und brachte den Tourismus im
Land fast vollends zum Erliegen.
zwei Kriege folgten – gegen die vom
iran unterstützten Terroristenorgani-
sationen Hisbollah im Libanon und
die Hamas in Gaza. Aus den an israel
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
POLITIK • ISRAEL
angrenzenden Gebieten regnete es
unzählige raketen auf israelische Zi-
vilisten.
inzwischen ist es relativ ruhig gewor-
den an den Fronten im norden und
Süden, dafür versetzt ein noch drin-
genderes Problem israels Sicherheits-
chefs in helle Aufregung: die Bedro-
hung durch einen nuklearen iran.
Und auch amerikanisch-jüdische Or-
ganisationen haben das Bemühen um
antiiranische Sanktionen zur obersten
Priorität erhoben.
in den USA tobte viele Jahre hindurch
der Kampf zwischen proisraelischen
Aktivisten und ihren Gegnern. Den
jüdischen Gruppierungen wurde ver-
mehrt auch von hochkarätigen mit-
gliedern der amerikanischen Gesell-
schaft und linksgerichteten Kreisen
vorgeworfen, die interessen israels vor
jene der USA zu stellen. Ex-US-Präsi-
dent Jimmy carter war hier wohl eine
der bekanntesten Stimmen.
Und als ob dies nicht schon genug
Angst und Verunsicherung in jüdi-
schen Kreisen hinterlassen hätte, über-
schwemmte auch noch mel gibson
die Welt mit seinem mit klassischen
antijüdische Klischees gespickten
machwerk „Die Passion Christi“.
Da passte die Behauptung, israelis hät-
ten im vergangenen Jahr Palästinenser
getötet, um deren Organe zu stehlen,
doch perfekt dazu.
noch wenige Dekaden zuvor hätte
man solche Entwicklungen immer
noch als isolierte Einzelfälle abtun
können. Doch der wachsende Einfluss
des internet macht aus Einzelfällen
schnell eine Welle des weltumspan-
nenden Antisemitismus.
Kann man all diesen „bad news“ da-
bei trotzdem etwas Positives abge-
winnen? Gibt es noch eine kleine Hoff-
nung auf einen historischen mei-
nungsumschwung?
Die Ausgelassenheit und Unbeküm-
mertheit der jüdischen Gemeinschaft
in den 1990ern ist jedenfalls längst
Geschichte. Dieser Traum ist ausge-
träumt. Andererseits haben israel
und die Juden bereits wesentlich
Schlimmeres überlebt.
nun, vielleicht sollen wir aus den Lek-
tionen der vergangenen zehn Jahre
einfach lernen, dass es zwar stets einen
Ausweg gibt, dass Träume allein aber
nicht immer reichen. Es braucht viel-
mehr eine gehörige Portion Willens-
kraft und wachsamen Realismus, um
so manch’ schwere Zeiten überstehen
zu können.
©Flash90
11
 POLITIK • ISRAEL
Nervosität kann man ihnen ansehen“, sagt
© U.Sahm

Rafi Ron, ehemaliger Sicherheitschef

auf dem Ben Gurion Flughafen bei Tel
Aviv.
Bei der Einfahrt zum Flughafen fragt
ein Sicherheitsbeamter den Taxifahrer,
woher er komme. Einige meter weiter
stehen Sicherheitsleute mit dem Finger
am Abzug ihres Gewehrs. Beim leises-
ten arabischen Akzent des Taxifahrers
wird sein Wagen auf eine nebenspur
befohlen. Alles wird durchsucht. Eine
nummer wird auf seine Windschutz-
scheibe geklebt. Ein Aufkleber mit der
gleichen nummer schmückt den Pass
des Reisenden. nach einigen hundert
metern parkt ein Auto mit gelben
Blinklichtern, zwei männern und lau-
fendem motor in einer nebenstraße,
jederzeit bereit, sich den Taxis in den
Weg zu stellen. Vor der Eingangstür
des Terminals stehen unauffällige
Israelische männer mit ausgebeulten Jacken. Sie
werfen prüfende Blicke auf jeden Rei-

Sicherheitskontrollen senden. Und drinnen folgt die Befra-

gung. „Sie kennen doch die Geschichte
der Verlobten eines Palästinensers, die
zählen auf Psychologie seine Familie im besetzten Gebiet besu-
chen wollte. Die hochschwangere Britin
VON ULRICH W. SAHM/APA wusste nicht einmal, dass ihr Mann einen
Plattenspieler mit Sprengstoff und Höhen-
messer in ihren Koffer gepackt hatte.“
„Wieso stimmt das Namenschild an Ihrem ihn, was denn das Theater sollte, zu-
Diese Geschichte von 1986 hört man
Koffer nicht mit dem Namen in Ihrem mal ich ihn angelogen hätte. Er lachte:
immer wieder, wenn sich die Sicher-
Pass überein? Haben Sie den Koffer selbst „Wir prüfen, ob ein Passagier verunsi- heitsleute für ihre penetranten Fragen
gepackt? War er ständig unter Ihrer Auf- chert ist oder Angst hat. Der ist für uns entschuldigen. in Frankfurt darf man
sicht? Was war der Grund Ihres Besuches ein potenzieller Terrorist.“ Das ist die nicht einmal im aufgegebenen Koffer
in Israel? Haben Sie Palästinenser getrof-
ganze Philosophie der israelischen Si- ein Küchenmesser mitführen. Die
fen?“ Die penetrante Befragung am
cherheitskontrollen. „Menschen verhal- Schuhe werden separat durchleuchtet.
Flughafen kann unangenehm sein.
ten sich unter Stress anders. Angst und Flüssigkeiten werden konfisziert. Das
Einmal zog sich die Befragung einein-
halb Stunden in die Länge. Die Sicher-
heitsbeamtin konnte nicht verstehen,
weshalb ein deutscher Tourist fließend
Hebräisch spricht. Am Ende erklärte
ich ihr: „Als ich noch jung und schön war,
hüpfte ich durch die Betten aller israeli-
schen Frauen. So lernte ich Hebräisch in
Nachtkursen.“ Die junge Frau bekam
einen hochroten Kopf und rannte be-
leidigt zu ihrem Vorgesetzten. Der
fragte mich höflich: „Do you speak He-
brew?“ (Sprechen Sie Hebräisch?) ich log:
„Not a word.“ (Kein Wort). Er fragte,
wieso ich seine mitarbeiterin beleidigt
hätte. „Weil ich keine vernünftigen Ant-
worten mehr zu ihren dummen Fragen
fand.“ Er war zufrieden und drückte
den Sicherheits-Aufkleber auf meine
©HTS

Die Kontrolle beginnt bereits bei der Einfahrt zum Flughafen

Reisetasche. Auf Hebräisch fragte ich

14 Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

 POLITIK • ISRAEL
gibt es auf dem „sichersten Flughafen
der Welt“ nicht. in Tel Aviv werden

© Reuters/Ronen Zvulun
Koffer routinemäßig durchleuchtet,
aber nur per Stichprobe genauer un-
tersucht. „Das Leben der Passagiere ist
uns wichtiger als deren Menschenwürde“,
sagte ein Sicherheitsexperte nach dem
versuchten Anschlag eines nigeria-
ners, sich zu Weihnachten in einer
northwest maschine in die Luft zu
sprengen.
Während Amerikaner und Europäer
glauben, mit nacktscannern, Koffer-
kontrollen und metalldetektoren die
Sicherheit in Flugzeugen garantieren
zu können, verlassen sich die israelis
vor allem auf die Psychologie. Ohne
Scham werden 25-jährige, alleinrei-
sende männer und besonders Araber
oder Reisende mit Stempeln arabi-
scher Länder im Pass separat und
sehr genau geprüft, nach dem motto
„Nicht jeder Moslem ist ein Terrorist,
aber (fast) jeder Terrorist ist ein Mos-
lem.“ Der nigerianer hätte es bei der
israelischen methode nicht an Bord
Israel testet
des Flugzeugs geschafft, zumal die
namen der israel-Passagiere schon
nach dem Kauf des Tickets mit ein-
biometrische Scanner
schlägigen Listen abgeglichen wer-
den. Derweil lacht man über die neu- am Flughafen
este Lehre aus jenem Vorfall: Pas-
sagiere dürfen sich eine halbe Stunde
vor der Landung nicht in Decken hül-
len. „Dann sprengt der sich halt eine drei- Die israelische Flughafenbehörde Probleme bei der Beantwortung oder
(iAA) hat auf dem Ben-Gurion-Flug- dem Umgang mit der maschine hat.
viertel Stunde vor der Landung...“, sagte
hafen in Tel Aviv mit dem Test eines Wenn diese Kontrolle erfolgreich ab-
kopfschüttelnd eine israeli.
hochmodernen biometrischen Sicher- geschlossen wurde, steht eine automa-
Beim Anflug in istanbul stehen Autos heitssystems begonnen. Die Befra- tische Gepäckaufgabe bevor. An-
mit gelben Blinklichtern vor der Lan- gung der Passagiere erfolgt dabei schließend begibt sich der Passagier
debahn. im Terminal in Berlin Schö- durch Automaten. mit der methode zum Check-in-Schalter. Anhand der
nefeld hörte ich einen hebräischen soll vor allem Zeit gespart werden. Chipkarte können die Bearbeiter er-
Funkspruch: „Schau mal, was sich im kennen, ob alle Kontrollen problem-
Um die automatische Kontrolle zu los durchgeführt wurden.
Gebüsch bewegt.“ israelis fahren vor
nutzen, muss sich der Passagier zu- nach dem Check-in erfolgt nach er-
Start und Landung ihrer maschinen
nächst einmalig am Flughafen regis- neutem Einlesen der Chipkarte als
Patrouille rund um die Flughäfen im
trieren. Dabei scannt eine maschine letzter Schritt die Kontrolle des
Ausland. Sie suchen nach Terroristen
den Pass, nimmt Fingerabdrücke und Handgepäcks.
mit geschulterten Flak-Raketen.
macht Portraitfotos, um eine biome-
im november 2002 scheiterte in mom- trische Signatur zu erstellen. Diese Das neue System wird derzeit von mit-
basa der Versuch, eine Arkia-Charter- wird auf einer Chipkarte gespeichert. gliedern eines Clubs für Vielflieger der
maschine mit einer Rakete abzuschies- mit dieser Karte kann der Passagier Fluggesellschaft El Al getestet. inner-
sen. Sie verpasste das startende Flug- dann zur ersten Sicherheitskontrolle halb von zwei Jahren sollen alle abflie-
zeug nur knapp. Ein Freund von mir an einem Automaten gehen. Dort genden Passagiere die automatische
saß in jener maschine und kannte den werden ihm mehrere Fragen gestellt, Kontrolle nutzen können, die sich
Piloten: „Der verriet, dass israelische Pi- bislang war dies die Aufgabe des Si- freiwillig registriert haben.
loten auf gefährlich eingestuften Flugplät- cherheitspersonals. Ganz auf mensch- Laut einer iAA-Sprecherin ist das Sys-
zen auf eigene Faust eine andere Startbahn liches Zutun wird jedoch nicht ver- tem bisher einzigartig auf der Welt.
benutzen, als vorgegeben. Diese Chuzpe zichtet. An allen Automaten steht Per- mehrere internationale Flughäfen hät-
hat uns in Mombasa das Leben gerettet.“• sonal zur Verfügung, falls der nutzer ten bereits interesse daran geäußert. inn

Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770 15


„Al-Fateh.net“ ist eine Kinderseite
der radikal-islamischen Hamas. Es
gibt viele bunte Bilder, Puzzle, Rätsel
und Geschichten. Doch inhaltlich hat
die Seite vor allem ein Ziel: „Die Web-
seite enthält erzieherische Botschaften für
junge Leser und sagt einiges über die Ge-
sinnung der Ideologie der Hamas aus. Sie
enthält blanken Hass, Verachtung und Dä-
monisierung der ‘Anderen’, also des Wes-
tens, besonders der USA und Europas,
der Juden, Israels und des Zionismus,
ebenso wie den Aufruf zur Errichtung ei-
nes islamischen Staates in den Palästinen-
sergebieten und das Ende des israelischen
Staates durch einen ‘heiligen Kampf’“,
heißt es in einer Studie des „institute
for monitoring Peace and Cultural
Tolerance in School Education“
(imPACT-SE).
Hinter imPACT-SE stehen mitarbei-
ter aus Europa, den USA oder israel,
die aufdecken wollen, wenn in arabi-
schen Schulbüchern oder auf Web-
seiten zum Hass aufgerufen wird,
vornehmlich gegen Juden und israel.
Auf „Al-Fateh“ gibt es Bilder zum
Ausmalen, doch sie handeln von
Schlachtszenen, die Bildergeschichten
rufen zum Dschihad auf, und eine
freundliche Großmutter erklärt ihrer
Enkelin, dass Friedensbestrebungen
zum Scheitern verurteilt sind – und
warum es wichtig ist, israelische Sol-
daten zu entführen.
Das arabischsprachige magazin ging
im September 2002 online. Die Seite
wird zweimal im monat aktualisiert.
Die Kinder-Webseite hat nach eigenen
Angaben eine wachsende Zahl von
Lesern, in den ersten vier Jahren sollen
es 34 mio. Zugriffe gewesen sein, in
den acht monaten darauf waren es
bereits 48 mio. Zum Vergleich: Die
Webseite „Spiegel online“ etwa hat
pro monat rund 4,5 mio. Zugriffe.
Auch arabischsprachige Kinder aus
Deutschland hinterlassen dort Gruß-
botschaften, berichtet „Zeit online“.
Mit Gewehren gegen israelische
Soldaten
Der Westen werde generell als korrupt
dargestellt. Der islam müsste bis zum
Sieg gegen ihn kämpfen. Eine Sprache
voll von Antisemitismus verunglimpfe
die Juden. israelisch-palästinensische
Abkommen werden abgelehnt. Auf
Landkarten sind die israelischen Gren-
16
POLITIK • ISRAEL
HAMAS-HASS
Webseite für den
Terror-Nachwuchs
Auf den ersten Blick sieht „Al Fateh.
net“ aus wie eine gewöhnliche arabi-
sche Webseite für Kinder. Doch der
Inhalt strotzt nur so vor Hass auf den
Westen, auf Juden und Israel. Die
Nichtregierungsorganisation IMPACT-
SE prangert an, dass das Magazin
Kinder weltweit mit der Hass-Ideolo-
gie der Hamas indoktriniere.
Al- ± The Hamas Web M agazineforCh ildre
AlFateh
Indoctrinatio
n to Jihad,Annihila
ti
on an
d Self
-Destuction
Dest
ruction
ruction
Ed
A R p and
y IMPAC T -SE Staf
zen nicht eingezeichnet, stattdessen ist
ein großer Staat namens „Palästina“
zu sehen. Hunderte Jahre vor Chris-
topher Columbus seien moslems be-
reits nach Amerika gereist, erzählt die
Webseite den Kindern.
Al-Fateh heißt „Der Eroberer“. Das
maskottchen der Webseite ist ein klei-
ner Junge mit dunklen Kulleraugen,
der auf einem süßen Pony in die
Schlacht reitet – mit einem riesigen
Säbel in der Hand. in den Geschichten
werden der Kampf gegen israel und
das märtyrertum gepriesen. Ein Junge
namens mahmud etwa wünscht sich
nach guten Schulleistungen ein Spiel-
zeuggewehr. Als er es bekommt, ver-
spricht er seinem Vater stolz: „Das
wird bald ein echtes Gewehr in meinen
Händen.“ Der Vater lobt ihn, streicht
ihm über das Haar und sagt: „Gerade
bist Du zum Mann geworden.“
Gewinner eines malwettbewerbes ist
in einer Geschichte ein Bild mit dem
Titel „Wenn der Himmel wütend ist“
geworden. Darauf regnen Steine auf
israelische Soldaten nieder, die getrof-
fen zu Boden sinken. „Applaudiert alle
eurem Freund Izz al-Din“ ruft der Leh-
rer in der Geschichte freudestrahlend
aus. immer wieder sind Fotos von Jun-
gen zu sehen, die mit Spielzeugge-
wehren auf israelische Soldaten
„schießen“.
in einer Ausgabe aus dem Jahr 2004
war das Foto des abgerissenen Kop-
fes der Selbstmordattentäterin von
Zeynab Abu Salam abgedruckt, die
als „märtyrerin“ bezeichnet wird.
Abu Salam hatte sich 2004 in Jerusa-
lem selbst in die Luft gesprengt. Auf
der Kinder-Webseite steht neben dem
Foto des auf dem Boden liegenden
Kopfes: „Ihr Kopf hat sich von ihrem rei-
nen Körper gelöst, und ihr Schleier hat
sie weiterhin geschmückt. Ins Paradies,
n:
n:
O Zeynab, Du Menschentochter!“
in einer Ausgabe aus dem Jahr 2003
heißt es im Vorwort: „Allah, beschütze
die, die in Palästina oder anderswo kämp-
fen... Gib ihnen den Sieg über ihre Feinde
... Allah, zerstöre sie und ihre jüdischen
und amerikanischen Herren.“ Juden
sind „Verbrecher“ und „ein Krebsge-
schwür“, bringt die Seite den Kindern
bei und leugnet den Holocaust.
nach Angabe eines Sprechers von
imPACT-SE handele es sich bei „Al-
Fateh“ um „eine der gefährlichsten Seiten
im Internet, die eine zukünftige Genera-
tion von Selbstmordattentätern indoktri-
niert“. Die internetseite, die laut der
Organisation zur Hamas gehört, war
zunächst im Libanon eingetragen,
mittlerweile gibt „Al-Fateh“ seinen
Sitz in London an. Der Standort des
Servers habe der Studie zufolge in den
vergangenen Jahren immer wieder ge-
wechselt. Zuletzt sei die Seite auf ei-
nem Server in malaysia gespeichert
gewesen, auf dem auch andere Ha-
mas-nahe internetseiten lägen. Dies
mache es schwierig, die Seite zu un-
terbinden, sagte dazu ein Sprecher des
Bundesinnenministeriums laut „Zeit
online“: „Eine Sperrung der Seite ist nicht
möglich, wenn der benutzte Server nicht
in Deutschland steht.“ Zwar sei die in-
doktrination von Kindern auf das
Schärfste abzulehnen, aber nur eine
einheimische Behörde könne die Lö-
schung anordnen. Solange bleibt die
Aufforderung zum Dschihad auch in
Deutschland aufrufbar. inn
http://www.impact-se.org/
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

Israelisches
Millionengeschäft
mit Teheran
Der Handel beläuft sich angeblich
auf hunderte Millionen Dollar
VON ULRICH W. SAHM/APA
Die israelische Firma Daronet aus dem
ultraorthodoxen Dorf Elad nahe dem
internationalen Ben Gurion Flugha-
fen hat mit der Teheraner Stadtverwal-
tung über ihre Filiale in Brüssel ein
millionengeschäft abgeschlossen.
Daronet ist auf die Gestaltung von
Webseiten im internet und die Pro-
grammierung von kundenfreundli-
chen Automatisierungsprozessen spe-
zialisiert, zum Beispiel für Tankstel-
len in ganz indien.
Die Stadtverwaltung von Teheran
habe schon US$ 200.000 (139.140 Euro)
für die Übersetzung des Programms
ins Persische im Voraus bezahlt und
werde in Raten insgesamt US$ 1 mio.
für das israelische Programm entrich-
ten, verriet der Finanzchef der Firma,
Jakob Harpaz, dem israelischen Rund-
funkreporter Shimon Vilnai. „Fürchten
Sie nicht, dass die Iraner das Geschäft
wieder rückgängig machen könnten,
wenn wir dies im israelischen Rundfunk
veröffentlichen?“ fragte Vilnai. Doch
Harpaz macht sich da keine Gedan-
ken: „Das Geschäft wurde über einen
europäischen Geschäftsmann abgewickelt.
Die Iraner haben sich ihm gegenüber ver-
pflichtet.“
Der Sprecher von Daronet, Yehoshua
Meiri, sagte auf Anfrage, dass er die
Aufregung über diesen Kontakt zwi-
schen israel und dem iran nicht ganz
verstehe. „Der Handel zwischen beiden
Ländern beläuft sich auf hunderte Millio-
nen Dollar“, behauptet meiri, der sich
selber als ultraorthodoxer Jude be-
zeichnet. Er wusste sogar ganz konkret
von persönlichen Kontakten und
heimlichen Besuchen von iranern, die
über Jordanien nach israel kämen.
So sei vor nicht langer Zeit eine Dele-
gation der Stadtverwaltung von Tehe-
ran nach israel gekommen, um bei
der israelischen Baufirma Tahal Ein-
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
POLITIK • ISRAEL
„Daronet“ sitzt im ultrorthodoxen Elad
sicht in die Originalpläne des Tehera-
ner Abwassersystems zu erhalten. Das
hatten die israelis noch zu Zeiten des
Schah ausgebaut.
Baupläne von vielen großen und
öffentlichen Gebäuden in der irani-
schen Hauptstadt liegen noch in den
Archiven von Solel Boneh, einem an-
deren israelischen Konzern mit inter-
nationalen Projekten. Weiter erzählt
meiri, dass vor zwei Jahren fünfzehn
Landwirtschaftsberater aus israel in
der nähe von Bushehr persische Bau-
ern eingewiesen hätten, „ganz in der
Terror beachtlich
zurückgegangen
israel hat im vergangenen Jahr - also
nach dem dreiwöchigen Gaza-Krieg -
einen deutlichen Rückgang der
Attacken aus den Palästinensergebie-
ten verzeichnet. Das teilte die israeli-
sche Sicherheitsagentur iSA mit.
Wurden 2008 noch über 2.000 Rake-
ten auf israel abgefeuert, so waren es
im Jahr 2009 nur noch 566.
Die Zahl der mörsergranaten-Angrif-
fe sank von knapp 1.700 auf 287 im
vergangenen Jahr.
Erstmals seit 2000 gab es im vergange-
nen Jahr auch keinen Selbstmordan-
schlag in israel, hieß es weiter.
insgesamt wurden 15 israelis 2009 ge-
tötet, neun davon während des israe-
lischen militäreinsatzes im Gazastrei-
fen. im Vorjahr waren noch 36 israelis
bei Angriffen radikaler
© U. Sahm
Nähe des Atomreaktors“, wie er betonte.
Über die Firma Daronet sagt meiri,
dass sie allein 120 fromme Frauen aus
Elad beschäftige. Besonders stolz sei
Daronet auf seine Webseiten mit
frommen inhalten. Sie würden täg-
lich 280.000 mal angeklickt. Darauf
angesprochen, dass doch kürzlich ul-
traorthodoxe Rabbiner ihren Anhän-
gern den Zugang zum internet verbo-
ten hätten, sagte meiri: „Das sind nicht
fromme Juden, die sich unsere Webseiten
anschauen, sondern weltliche Juden, die
sich dem Judentum annähern wollen.“
Ariel Sharon seit vier
Jahren im Koma
Vier Jahre nach seinem Schlaganfall
liegt der frühere israelische minister-
präsident Ariel Sharon noch immer
im Koma. Die Lebensfunktionen des
81-Jährigen seien gut, sagte Dov Weis-
glas, ein enger Freund des ehemaligen
Regierungschefs. Ob Sharon jemals
das Bewusstsein wiedererlangen wer-
de, sei unklar.
Kurz vor seiner schweren Erkrankung
hatte Sharon eine politische Kehrtwen-
de vollzogen: Der als „Bulldozer“ be-
kannte General, der stets als Freund
der Siedler galt, hatte gegen alle
Widerstände beschlossen, den besetz-
ten Gazastreifen sowie einige Siedlun-
gen im Westjordanland zu räumen. im
Spätsommer 2005 wurde dieser Schritt
vollzogen.
Seine Wiederwahl schien gesichert, bis
er am 4. Jänner 2006 ins Koma fiel.
17

Der Friedensprozess m
Das israelische Außenministerium hat
einen aktuellen Katalog von 17 Fragen und
Antworten zum Friedensprozess mit den
Palästinensern zusammengestellt.Teil 1
1. Wie kann Frieden erreicht
werden?
Der Traum von einer Zukunft, in der
israelische und arabische Kinder frei
von der Bedrohung durch Krieg und
der Furcht vor Terrorismus aufwach-
sen können, vereint alle israelis. Die
lange Geschichte gescheiterter Ver-
handlungen mit den Palästinensern
hat jedoch gezeigt, dass die Sehnsucht
nach Frieden allein noch nicht aus-
reicht.
mal für mal hat israel weit reichende
Friedensvorschläge vorgelegt, große
Zugeständnisse gemacht, ausgedehn-
te Gebiete des Landes aufgegeben,
Siedlungen geräumt, Truppen abge-
zogen, militärstützpunkte aufgelöst
und Schritte eingeleitet, die den Paläs-
tinenser ermöglichen, die Grundlagen
für eine Selbstverwaltung zu legen.
im Gegenzug hat israel eine palästi-
nensische Terrorkampagne, Selbst-
mordattentate, Raketenangriffe und
giftige Hetze gegen israelis und Juden
erhalten; und ist einer andauernden
Kampagne auf dem internationalen
Schauplatz zur Delegitimierung seiner
nackten Existenz und zur Untergra-
bung seiner Wirtschaft ausgesetzt
worden.
israel ist immer bereit zu Kompromis-
sen gewesen, und jede israelische Re-
gierung – einschließlich der gegenwär-
tigen – ist darauf vorbereitet gewesen,
große Opfer für den Frieden zu brin-
gen. Frieden Stiften macht jedoch Zu-
geständnisse auf beiden Seiten erfor-
derlich. So wie israel die Rechte und
interessen der Palästinenser anerkannt
hat, hat israel legitime Rechte und in-
teressen, die ebenfalls anerkannt und
befriedigt werden müssen. Frieden
kann nur durch ernsthafte Verhand-
lungen erreicht werden, die Differen-
zen überbrücken und alle anstehen-
den Probleme lösen.
18
POLITIK • ISRAEL
2. Was sind die fünf Prinzipien
für den Frieden?
Die Grundlagen für einen andauern-
den Frieden können in der Erfüllung
von fünf Prinzipien gefunden werden:
die ersten drei davon betreffen die
Anerkennung der Legitimität israels;
die letzten beiden beziehen sich auf
Sicherheitsbelange. Diese Prinzipien
sind zwar nicht Vorbedingungen für
Friedensverhandlungen, ein wirkli-
cher und dauerhafter Frieden wird
aber nur möglich sein, wenn sie be-
friedigt werden. Die fünf Prinzipien
lauten wie folgt:
< So wie israel dazu aufgerufen wird,
einen nationalstaat für die Palästinen-
ser anzuerkennen, so müssen auch
die Palästinenser israel als den natio-
nalstaat des jüdischen Volkes aner-
kennen.  Die Weigerung, israel als ei-
nen jüdischen Staat anzuerkennen,
liegt im Kern des Konflikts.
< Die Frage der palästinensischen
Flüchtlinge sollte im Rahmen des pa-
lästinensischen nationalstaats gelöst
werden. Während es den Palästinen-
sern frei stehen sollte, in dem palästi-
nensischen Heimatland zu siedeln,
kann es sich israel selbst nicht leisten,
demographisch von einer Flüchtlings-
flut überschwemmt zu werden, die die
grundlegende identität israels als
weltweit einziger jüdischer Staat
unterminieren würde.
< Jegliches Friedensabkommen muss
den Konflikt vollkommen beenden.
Der Frieden muss permanent sein,
nicht eine interimsphase, während
der die Palästinenser ihren Staat dazu
benutzen können, den Konflikt mit
israel weiter zu führen. nach dem
Abschluss eines Friedensabkommens
dürfen keine weiteren Forderungen
mehr erhoben werden.
< in Anbetracht der gegen israel nach
seinem Rückzug aus dem Gaza-Strei-
fen und dem Südlibanon geführten
Angriffe ist es wichtig, dass ein zu-
künftiger palästinensischer Staat einer
ist, der den Staat israel nicht bedroht.
Die Gebiete, die im Rahmen eines Ab-
kommens geräumt würden, dürften
nicht von Terroristen oder irans Ver-
bündeten für Angriffe gegen israel
missbraucht werden. Der einzige Weg,
dieses Ziel zu erreichen und einen wei-
teren Konflikt zu verhindern, besteht
in einer effektiven Entmilitarisierung
des zukünftigen palästinensischen
Staates.
< Jeder Friedensvertrag sollte mit Ga-
rantien von Seiten der internationalen
Gemeinschaft – angeführt von den
USA - verbunden sein, insbesondere
in Bezug auf Entmilitarisierung und
Sicherheitsvorkehrungen. Unterstüt-
zung würde auf politischem, nicht mi-
litärischem Wege zum Ausdruck ge-
bracht. Solch eine Garantie würde
denen gegenüber eine zusätzliche Di-
mension von Abschreckung bieten,
die danach trachten, die Entmilitari-
sierungsvorkehrungen zu entkräften
oder zu verletzen.
3. Wie haben die Palästinenser
auf israelische Friedensange-
bote reagiert?
Das israelische Volk ist stets willens
gewesen, bedeutsame Zugeständnisse
für den Frieden zu machen, sowohl
während Verhandlungen als auch uni-
lateral. Jedes mal wenn ein Frieden
möglich schien und ein Verhandlungs-
partner ein Abkommen zu erreichen
suchte, hat israel positiv geantwortet
und klar seine Fähigkeit, Frieden zu
schließen, und sein Streben danach
demonstriert.
israels Bereitschaft zu einem Abkom-
men mit seinen nachbarn geht noch
auf die Zeit vor der Staatsgründung
zurück. Die jüdische Führung des
vorstaatlichen israel akzeptierte un-
zählige internationale Pläne zur Tei-
lung des Landes – einschließlich der
Un-Resolution 181 von 1947, die zur
Teilung des Mandatesgebiets Palästina in
einen jüdischen und einen arabischen
Staat aufrief. Leider wurde dieser
Plan von der arabischen Seite gewalt-
sam zurückgewiesen, so wie es schon
beim Plan der Peel Commission von 1937
und dem britischen Weißbuch von 1939
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

mit den Palästinensern
der Fall war, die beide den Palästinen-
sern Aussichten auf die Gründung ei-
nes eigenen Staates boten.
nach der Gründung israels im Jahr
1948 zeigten sich die Palästinenser und
ihre arabischen Schutzherren interes-
sierter an der Zerstörung israels als
an der Gründung eines palästinensi-
schen Staates. Tatsächlich wurden,
obwohl das Westjordanland und der
Gaza-Streifen zwischen 1948 und 1967
unter jordanischer bzw. ägyptischer
Kontrolle standen, keine Anstalten ge-
macht, einen palästinensischen Staat
zu gründen, und die Angriffe gegen
israel gingen unverändert weiter.
im Anschluss an israels Sieg im prä-
ventiven Sechs-Tage-Krieg von 1967 zer-
schmetterte das Treffen der Arabischen
Liga in Khartoum die israelischen
nachkriegsfriedenspläne, als dort er-
klärt wurde: „Kein Frieden mit Israel,
keine Anerkennung Israels und keine
Verhandlungen mit ihm.“
israels erstes Friedensabkommen mit
einem nachbarstaat wurde in Ver-
handlungen im Anschluss an den Be-
such des ägyptischen Präsidenten An-
war Sadat 1977 in Jerusalem erzielt.
Als Teil des Friedensvertrags mit
Ägypten gab israel die Pufferzone der
Sinai-Halbinsel zurück, die 90% der
Territorien darstellte, die als Ergebnis
des Sechs-Tage-Krieges unter israeli-
sche Kontrolle gekommen waren. Da-
bei hat israel freiwillig wichtige elek-
tronische Frühwarnsysteme, 170 mili-
täranlagen, Fabriken, Geschäfte, land-
wirtschaftliche Gemeinden und ein
von israel entdecktes Ölfeld aufgege-
ben. Am schmerzhaftesten war die
Entwurzelung von 7.000 seiner Bürger
von ihren Häusern im Sinai. All das
tat israel für ein Versprechen von Frie-
den. israels Friedensvertrag mit Ägyp-
ten hat seine Bereitschaft, Opfer für
den Frieden zu bringen, klar bewiesen.
Die Palästinenser, die unter den Camp-
David-Verträgen zwischen israel und
Ägypten eine Autonomie hätten be-
gründen können, verweigerten die
Zusammenarbeit, wodurch sie aber-
mals eine Gelegenheit verpassten, ih-
re nationalen Ziele zu erreichen.
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
POLITIK • ISRAEL
nach den Veränderungen auf dem in-
ternationalen Schauplatz haben sich
die Palästinenser und die benachbar-
ten arabischen Staaten Syrien, Libanon
und Jordanien letztlich zu bilateralen
und multilateralen Verhandlungen
mit israel bereit erklärt, und auf der
Madrider Friedenskonferenz von 1991
wurden direkte Friedensgespräche be-
gonnen. Diese Gespräche führten zur
Unterzeichnung eines Friedensvertra-
ges zwischen israel und Jordanien im
Oktober 1994.
Verhandlungen zwischen israelis und
Palästinensern führten am Ende zu der
Grundsatzerklärung vom September 1993.
Für das palästinensische Versprechen,
israel anzuerkennen und der Gewalt
und dem Terrorismus abzuschwören,
willigte israel in weitreichende und
fühlbare Zugeständnisse ein, ein-
schließlich der Gründung der Palästi-
nensischen Autonomiebehörde (PA)
im Westjordanland und im Gaza-Strei-
fen unter dem Vorsitz von Yasser Ara-
fat. israel übertrug den Palästinensern
beträchtliche machtbefugnisse und
Verantwortlichkeiten in großen geo-
graphischen Räumen.
Die Verhandlungen um ein Endstatus-
abkommen gingen weiter, wenngleich
sie von palästinensischen Terroran-
schlägen und einer Hetzkampagne
gegen israel in von der PA unterstütz-
ten medien, Schulen und moscheen
gestört wurden. Diese Gespräche
führten zu den historisch entscheiden-
den Gipfeln von Camp David und Taba,
bei denen führende israelische Politi-
ker außergewöhnliche Kompromisse
für Frieden anboten. Bedauerlicher-
weise entschied sich Yasser Arafat da-
zu, diese beispiellosen Vorschläge zu-
rückzuweisen, die zu einem palästi-
nensischen Staat im Westjordanland
und im Gaza-Streifen geführt hätten.
Kurze Zeit später beschloss er, sich völ-
lig von Verhandlungen abzuwenden
und eine neue Terrorwelle – die zweite
intifada – zu starten, die zum Tod von
Tausenden israelis und Palästinensern
geführt hat.
in Ermangelung eines wirklichen pa-
lästinensischen Verhandlungspartners,
und gleichwohl auf eine Wiederauf-
nahme des Friedenprozesses erpicht,
hat sich israel 2005 einseitig aus Gaza
zurückgezogen und dabei abermals
Tausende israelischer Familien aus ih-
ren Häusern gerissen. Als der letzte
Siedler und der letzte Soldat Gaza ver-
ließen, hoffte israel, dass sein weit rei-
chendes Zugeständnis – das den Paläs-
tinensern eine konkrete Gelegenheit
bot, friedlich die Grundlagen für einen
Staat zu legen – zu einer besseren Zu-
kunft für beide Völker führen würde.
Aber erneut wurde israel sein
schmerzliches Opfer nicht vergolten.
Stattdessen übernahm die fundamen-
talistische Terrororganisation Hamas
die macht in Gaza, und die Raketen-
und mörserangriffe auf südisraelische
Gemeinden eskalierten dramatisch,
was israel im Dezember 2008 zu einer
groß angelegten Operation im Gaza-
Streifen zwang, wodurch die Hamas-
Angriffe erfolgreich vermindert wur-
den.
Trotz der palästinensischen Zurück-
weisungen hat israel seine Suche nach
Frieden noch immer nicht aufgegeben.
Allerdings findet das israelische Volk
es schwieriger, seine Hoffnungen auf-
rechtzuerhalten, insbesondere nach-
dem PA-Präsident mahmoud Abbas
sich weigerte, überhaupt auf das An-
gebot von ministerpräsident Olmert
eines palästinensischen Staates (2008)
zu antworten, das Berichten zufolge
das großzügigste Angebot war, das es
je gegeben hatte.
Seit den frühen Anfängen des Staates
israel und selbst vor seiner Gründung
hat sich ein muster abgezeichnet: Jede
israelische Willensbekundung in Be-
zug auf Kompromisse und schwierige
Opfer für den Freien wurden mit pa-
lästinensischen Zurückweisungen und
der Weigerung beantwortet, ihrerseits
mit Zugeständnissen aufzuwarten. •
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19

Mikrobrauereien erobern Israel
VON ARI MILLER, JTA/Übersetzung: Karin Fasching-Kuales
Aber nein, schlecht
sei „Goldstar Bier“
keinesfalls, meint
David Cohen, ist es
doch israels belieb-
testes industriell
hergestelltes Bier.
Aber Cohens Wahl
fällt eindeutig auf
das Bier von „The
Dancing Camel“, sei-
ner eigenen 2006 ge-
gründeten mikrobrau-
erei im industriegebiet
von Tel Aviv.
Seine Produkte sind
bekannt für ihren spe-
ziell israelischen Ge-
schmack. Es gibt „Carro-
bean Stout“, das Johannisbrot-Stark-
bier, das mit der Frucht des am mittel-
meer wachsenden Johannisbrotbaums
gebraut wird; das „Six-Thirteen Pome-
granate Ale“ mit Granatapfel, das spe-
ziell zu den Hohen Feiertagen getrun-
ken wird (613 erinnert dabei an die
Zahl der in der Torah angeführten
mitzwot); das „Golem“ mit besonders
hohem Alkoholgehalt; das „Gordon
Beach Blond“, das nach einem von Tel
Avivs Stränden benannt und mit
Rosmarin und minze gewürzt ist;
Bier-Festival im Kibbuz Ma'abarot
WIRTSCHAFT
©JTA
20
WIRTSCHAFT • ISRAEL
sowie das „Trog Wit Bier“, das nach
Sukkot gebraut wird und in jeder
Flasche ein walnussgroßes Stück Etrog
beinhaltet. Produktionsumfang vom
„Dancing Camel“: 7.500 Liter pro
monat.
Der ursprünglich aus dem amerikani-
schen new Jersey stammende Cohen
ist einer von mehr und mehr mikro-
brauern in israel. Zu den bekanntesten
zählen zum Beispiel die „LiBira Braue-
rei“ in Haifa, die „Golan Brauerei“ auf
den Golan Höhen, „Canaan Bier“ aus
ma´ale Adumim im Westjordanland
und „Malka Bier“ im westlichen Galil.
Allerdings sind die handgebrauten
Biere immer noch hauptsächlich für
lokale Konsumenten verfügbar, denn
sie sind nicht pasteurisiert, was be-
deutet, dass sie weder für lange La-
gerung noch für lange Transportwege
geeignet sind.
Experten sehen in israel bereits ein
Art von Bier-Revolution entstehen.
Während ein durchschnittlicher US-
Amerianer etwa 85 Liter Bier im Jahr
konsumiert, sind es im Heiligen Land
lediglich 13 Liter. Doch es werden je-
des Jahr mehr.
Shachar Hertz ist der Besitzer von „Beer
Master“, einem Unternehmen, das
Veranstaltungen rund ums Thema Bier
für Fans, Brauer und importeure des
Gerstensaftes organisiert. Er schätzt,
dass der Bierkonsum in israel im kom-
menden Jahrzehnt um ca. 50% steigen
wird, was der Entwicklung des Wein-
konsums in den vergangenen zehn
Jahren entsprechen würde. Auch hier
hatte die wachsende Produktion
lokaler Weine einen signifikanten
Anstieg zur Folge.
Doch trotz aller neuen mikrobraue-
reien bleibt „Goldstar Bier“ mit 27%
marktanteil immer noch das beliebtes-
te Bier der israelis. Danach kommen
„Carlsberg“ mit 19%, „maccabee“ mit
13% und „Heineken“ mit 11%.
Dabei unterstützt der Konzern „Tem-
po Beverages“, Produzent der marken
„Goldstar“ und „maccabee“ sogar
manche Kleinbrauereien und organi-
siert Wettbewerbe. Guy Zuckerman,
zuständig für den alkoholischen Pro-
duktbereich von „Tempo Beverages“,
führt die wachsende Beliebtheit von
Biergetränken auch auf die kleinen,
gemütlichen oder auch coolen Lokale
zurück, die überall aus dem Boden
sprießen. Dort geht man am Abend
hin, unterhält sich mit seinen Freun-
den und trinkt in Ruhe sein Bier.
Die internationale jüdische
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Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

Sonne statt Kohle
Trotz High-Tech-Industrie und
Spitzenforschern hinkt Israel
bei der Energieerzeugung der
internationalen Entwicklung hinterher.
Das soll sich jetzt ändern.
VON REINHARD ENGEL
mitte Februar dreht sich in Eilat alles
um erneuerbare Energie. im Badeort
am Roten meer diskutieren auf einer
mehrtägigen internationalen Konfe-
renz Experten aus israel, den USA und
Europa die unterschiedlichsten As-
pekte alternativer Energie-Erzeugung:
Es geht um Windkraftwerke und So-
larfarmen, um effiziente Stromvertei-
lung und Speicherung, um einschlägi-
ge Forschung, Schulung und Bewusst-
seinsbildung in der Bevölkerung.
Die Konferenz mit ihrer dazugehöri-
gen messe bleibt freilich nicht auf das
theoretische und akademische Feld be-
schränkt – besprochen werden sehr
wohl auch konkrete Projekte, Anlagen
und Geschäfte. Das lässt schon eine
kurze Auswahl der Sponsor-Unter-
nehmen erkennen. Unter ihnen befin-
den sich internationale industrie-Gi-
ganten wie Siemens und Bosch, hoch
spezialisierte Firmen wie Schott Solar,
Sun Ray, Suntech oder Ormat, aber
etwa auch die österreichische ABA,
die Austrian Business Agency.
„Wir haben uns wirklich bemüht, österrei-
chische Unternehmen hierher zu bekom-
men,“ erzählt Christian Lassnig, Han-
delsdelegierter in Tel Aviv. „Aber viel
mehr als fünf werden es kaum werden.“
Er führt das schwache interesse darauf
zurück, dass jene österreichischen Un-
ternehmen, die auf alternative Ener-
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
WIRTSCHAFT • ISRAEL
gien spezialisiert sind – sei es auf Solar-
technik, Biomasse oder Kraft-Wärme-
Kupplungen – in Europa gut ausge-
lastet sind und daher momentan den
kleinen israelischen markt nicht zu-
sätzlich neu bearbeiten wollen. „Dabei
gerät jetzt in Israel - spät aber doch - eini-
ges in Bewegung.“
Die Konferenz findet nicht zufällig
bereits zum dritten mal in Eilat statt.
Denn die gesamte dortige Region ar-
beitet daran, eine energiesparende
musterlandschaft in israel zu wer-
den. innerhalb der nächsten Dekade
möchte man mit kleinen und größeren
Solaranlagen 100 Prozent der selbst
benötigten Energie erzeugen, immer
wieder verwenden die manager den
Begriff „Energie-Unabhängigkeit“.
Wie realistisch diese Vision auch im-
mer sein mag, sie ist von der Realität
des ganzen Landes meilenweit ent-
fernt. Denn israel, dessen Wirtschaft
in einigen Branchen, etwa mikroelek-
tronik, Kommunikationstechnik oder
medizin- und Biotechnologie, zu den
führenden der Welt zählt, hinkt bei der
Energieerzeugung deutlich hinter den
Standards der Besten hinterher. Selbst
die weniger ambitionierten Ziele der
Regierung, nämlich den Anteil der er-
neuerbaren Energie am Gesamtener-
gie-mix bis 2020 auf 20 Prozent zu
bringen, scheinen längst nicht in Reich-
© Israelimages Uzi Tzur
weite. Derzeit hält diese Kennzahl in
israel gerade einmal bei 0,2 Prozent,
einem extrem schlechten Wert.
Selbst wenn man noch einrechnet, was
sich israelis an Stromverbrauch da-
durch ersparen, dass sie einen Gutteil
des Warmwassers mit Solarenergie
erzeugen – und das ist mittlerweile
verpflichtend in der Bauordnung für
neubauten enthalten – dann kommt
man gerade einmal auf drei Prozent
erneuerbarer Energie. Das ist immer
noch deutlich schlechter als in den
meisten osteuropäischen Ländern,
die auch noch nicht auf dem modern-
sten Stand der Technik sind.
Schmutziger Strom
Vergleichbar mit Tschechien zeigt sich
etwa der Anteil des Stroms, der aus
Kohle erzeugt wird – in israel und an
der moldau jeweils mehr als 60 Pro-
zent. nur hat Tschechien eigene Gru-
ben und daher eine einschlägige Tradi-
tion. in israel liegen die Gründe in
strategischen Entscheidungen der Ver-
gangenheit – man wollte nicht allzu
sehr von Ölimporten abhängig sein –
später blieben Kohlelieferungen aus
Ländern wie Kolumbien, indonesien
oder Australien vergleichsweise billig.
Und auch wenn die staatliche nationa-
le Stromgesellschaft Israel Electric Com-
pany (IEC) in den letzten Jahren suk-
21

zessive Filter einbauen ließ, blasen die
großen Kohlekraftwerke immer noch
zehntausende Tonnen von Schadstof-
fen in die Luft. nur ein indikator für
viele: Beim CO2-Ausstoß pro Kopf
liegt israel schlechter als ein Großteil
der europäischen Länder, bei einem
doch noch deutlich kleineren Brutto-
nationalprodukt. Die Verursacher sind
ganz klar die Kraftwerke, das Land
hat mit wenigen Ausnahmen kaum
WIRTSCHAFT • ISRAEL
Dafür baut iEC laufend weitere Kraft-
werke, teilweise bereits gasbefeuert,
aber auch nach wie vor solche, die Experimente mit Reflektoren
Kohle verbrennen. Eine Erleichterung am Weizmann Institute
erwartet man ab den Jahren 2013/
2014, wenn die Gaslieferungen aus den
neu entdeckten, großen Feldern im
mittelmeer vor der Küste von Haifa
zur Verfügung stehen.
Versteinerte Strukturen

©Israelimage/Lev Borodulin
schmutzige Schwerindustrie.
immer wieder hat es in israel von
Kohleindustrie in Shomron Seiten unterschiedlicher Regierungen
große Versprechen gegeben. 2002 etwa
kündigte das Kabinett an, bis 2007
@Israelimage/Nitsan Shorer

würden die erneuerbaren Energien

einen Anteil von zwei Prozent an der
Stromerzeugung ausmachen. Das Ziel
Denn noch liegen die Kosten für sau-

© Israelimages Douglas Guthrie.
wurde nicht einmal annähernd er-
beren Strom in der Erzeugung höher
als jene mit herkömmlichen fossilen
Brennstoffen. Daher haben etwa die
europäischen Länder Ziele festge-
Und der Stromverbrauch steigt und schrieben, welchen Anteil an Alterna-
steigt. Zwischen 1996 und 2005 hat er tiv-Energie sie ihren Energieversor-
sich um zwei Drittel erhöht, die Prog- gern vorgeben. Und eine wichtige
nosen des ministeriums für infrastruk- Rolle spielen dabei die so genannten
tur sehen eine weitere Verdoppelung Einspeistarife, also jene Preise, zu
in den nächsten Jahrzehnten vorher. denen dann saubere Energie zuge-
Die Gründe dabei liegen einerseits im kauft wird. Diese Tarife müssen hö-
Bevölkerungswachstum, anderseits in her sein als die herkömmlichen Strom-
der Steigerung an persönlichem Kom- preise, erst dann rechnet sich der Bau
fort – als größte nachfragetreiber von Windparks oder Solarfarmen.
erweisen sich die Klimaanlagen, die
mehrere monate lang auf Hochtouren
Turbinen am Golan
laufen – bei teilweise schlecht ge-
dämmten Häusern. Und grundsätz-
lich sinnvolle innovationen – etwa das

landesweite Elektroauto-netzwerk
von ‘Better Place’ – sollten die nach-
frage nach Strom noch einmal erhö-
hen, auch wenn dabei gleichzeitig Öl
eingespart wird.
Sitz der IEC in Haifa
©Common
Solarbetriebenes Telephon
reicht. Ein Berater der deutschen Ex-
portagentur Germany Trade & invest
analysierte nüchtern: „Als ein wesent-
licher Grund für die schleppende Entwick-
lung nennen Energieexperten den unver-
bindlichen Charakter der Regierungsvor-
gabe. So habe das Kabinett dem Monopol-
versorger IEC keine Verpflichtung zur
Stromversorgung aus alternativen Quel-
len auferlegt.“ Auch in Europa wurden
die Energiekonzerne erst bewegli-
cher, nachdem mächtige EU-Behörden
Wettbewerb verordneten, netze und
Erzeugung trennen ließen, unabhängi-
ge Kontrollbehörden einführten. Die
israelische Regierung sorgte jahrelang
auch nicht für finanzielle Anreize, die
©Fla90/Haim Azulay
„Seit letztem Herbst gibt es in Israel end-
lich differenzierte Einspeistarife,“ erzählt
Handelsdelegierter Lassnig. „Diese
unterscheiden etwa auch zwischen größe-
ren und kleineren Solaranlagen, damit sich
diese Investitionen auszahlen können.“
nach Jahren des Stillstands werden
jetzt wieder mehrere Standorte für
Windparks geprüft. (Am Golan pro-
duziert übrigens seit 1993 ein kleiner
Windpark Strom mit zehn Rotoren, die
von der Kärntner Firma Villas gelie-
fert wurden.) Jetzt gibt es gleichzeitig
Ausschreibungen für mehrere mittel-

es investoren überhaupt ermöglichen, große Solarkraftwerke in der negev-

für alternative Energien Geld in die Wüste, und auch eine Reihe von Kib-
Hand zu nehmen. buzim baut bereits kleinere Anlagen.

22 Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770


Die Sonnenstunden im Süden von
israel gehören zu den höchsten
irgendwo auf der Welt, damit wird die
Rentabilitätsgrenze deutlich eher
erreicht als etwa in mitteleuropa.
Chancen für Unternehmen.
Es ist kein Zufall, dass sich der deut-
sche Siemens-Konzern, dessen israel-
Tochter seit einigen monaten zur Zu-
ständigkeit der Wiener Generaldirek-
torin Brigitte Ederer gehört, im Vor-
jahr bei zwei israelischen Solarunter-
nehmen eingekauft hat: Zuerst wur-
den 40 Prozent an Arava erworben,
einem kleineren Unternehmen, das in
Kibbuzzim mini-Anlagen aufstellt.
Dann übernahm Siemens um mehr
als US$ 400 mio. die mehrheit an So-
lel, einer international tätigen Spe-
zialfirma mit 500 Beschäftigten, die
schon auf Erfahrungen in mächtigen
Solarkraftwerken in Spanien und in
den USA verweisen kann. Die von Sie-
mens erzeugten Turbinen passen gut
dazu, jetzt kann der Konzern aus einer
Hand ganze Pakete anbieten. Und die
israelische Siemens-Tochter hat auch
explizit den Auftrag, nach weiteren
interessanten Energie-Unternehmen
zu suchen, die mögliche Übernahme-
kandidaten sein könnten.
Branchenkenner gehen in israel der-
zeit von etwa 200 Start-ups aus, die
sich mehr oder weniger eng mit alter-
nativen Energien beschäftigen. Es gibt
darüber hinaus eine große Anzahl von
Wissenschaftlern, die sich in diesem
Feld auskennen, aber über lange Jahre
ist diese Forschung mangels nachfrage
von Seiten der industrie eher schaum-
gebremst betrieben worden. Andere
Branchen wurden vom Staat massi-
ver gefördert – und auch von privaten
Venture-Capital-Firmen vorgezogen.
Jetzt könnte sich das Blatt wenden,
selbst wenn durch die weltweite Fi-
nanzkrise insgesamt weniger Risiko-
kapital zur Verfügung steht. „Nach
langer Vernachlässigung packt Israel die
Nutzung photovoltaischer Energie kraft-
voll an,“ heißt es in einem der jüng-
sten Energieberichte von Germany
Trade und invest von Ende Dezember
2009. „Israel bietet sich daher nicht nur
als Kunde für photovoltaische Anlagen
an, sondern auch als international bedeu-
tender Partner für die Entwicklung
neuer Photovoltaik-Technologien.“
Informationen zu der Konferenz: www.mfa.gov.il/
MFA/Israel+beyond+politics/International_
Renewable_Energy_Conference-Feb_2010.htm
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
WIRTSCHAFT • ISRAEL
Avocado-Export
im Aufwind
israel ist ein Spitzenexporteur von
Avocados. Dies wird durch Zahlen
des größten israelischen Agrarpro-
duktkonzerns Agrexco erneut deutlich.
So wird ein Anstieg von 50% bei der
Ausfuhr von Avocados aus israel er-
wartet.
in der letzten Saison belief sich das
Exportvolumen von Agrexco-Avoca-
dos auf insgesamt auf über 22.000
Tonnen bzw. 47 mio. Euro. Der Ge-
samt-Avocadoexport aus israel um-
fasste 32.000 Tonnen. in dieser Saison
wird israel voraussichtlich 50.000
Tonnen Avocados ausführen, 70% da-
von durch Agrexco. Die Einnahmen
werden rund 70 mio. Euro erreichen.
israel ist der einzige Produzent „grü-
ner“ Avocados, einer besonders um-
weltfreundlichen Sorte. Drei Viertel
aller Avocado-Bauern in israel sind
mitglieder des Avocado-Bauernver-
bandes, der eine strategische Partner-
schaft mit Agrexco unterhält.
Agrexco-Geschäftsführer Shlomo Tirosh
teilt mit, dass 90% aller weltweit ver-
triebenen Avocados zur Sorte Hass
gehören, die eine schwarze Schale hat.
israel sei der marktführer bei grünen
Avocados. „Wir exportieren sieben oder
acht verschiedene Sorten grüner Avoca-
dos, während andere Länder nur eine oder
zwei Sorten anbieten. Außerdem sind un-
sere Avocados frei von Pestiziden und in-
sofern in jeder Hinsicht grün.“
Israelischer Wein
immer häufiger
in internationalen
Regalen
israelischer Wein hat bisher oft Asso-
ziationen mit den süßlichen religiösen
Ritualtrunks geweckt, doch moderne
Techniken, die von führenden Wein-
nationen importiert wurden, helfen
dabei, dass israelische Weine ihren
Platz in den Regalen von Paris bis
new York finden. „Heute ist es sogar so,
dass Menschen nach israelischen Weinen
suchen, die internationalen Standard er-
füllen, und das Gute daran ist, dass wir
diesen auch anbieten können“, so Wein-
kritiker Daniel Rogov in einem inter-
view. „Es gibt keinen Widerspruch zwi-
schen Weinen die koscher und Weinen
die exzellent sind“.
israelische Weingüter produzieren
über 33 mio. Flaschen Wein im Jahr,
wovon der größte Teil koscheren und
jüdischen diätischen Regeln unterliegt.
Während der rabbinische Stempel bis-
her eher ein Signal an Juden ist, die
die Kaschrut befolgen, als an Wein-
kenner, so verbessert sich die Qualität
des israelischen Weines stetig, auch
mit Hilfe von Regierungsprämien.
Auch von kleineren Produzenten ern-
ten einige Jahrgänge viel internatio-
nales Lob.
Das anhaltende
Wirtschaftswachs-
tum und ein er-
höhtes Steuerauf-
kommen erlaubte
Israels Finanzmi-
nister Yuval Steinitz
die Mehrwertsteu-
er von 16,5% auf
16% zu senken.
23

Sind die Taliban Nachkommen der Israeliten?
Shahnaz Ali, Forscherin am „national
instituts for immunohaematologie“
im indischen mumbai, hat vom israe-
lischen Außenministerium ein monat-
liches Stipendium in Höhe von US$
600 erhalten. Sie soll am Technion in
Haifa anhand von DnS-Proben her-
ausfinden, ob die Afridi Pathans im
indischen Staat Uttar Pradesh israeli-
tischen Ursprungs sind.
Ein Großteil der afghanischen Talibans
stammen von jenen Afridi Pathans ab,
die sich aufgrund historischer Texte
und mündlicher Überlieferungen da-
rauf berufen, nachkommen des bibli-
schen Stammes Efraim zu sein.
Ali wird mit Professor Karl Skorecki,
Mönchsrobbe
an Israels Küste
Am Strand von Herzliya haben Fi-
scher eines der seltensten Säugetiere
der Welt angetroffen: eine mönchs-
robbe. Jahrzehntelang war kein Vertre-
ter dieser vom Aussterben bedrohten
Seehundart an israels Küste gesichtet
worden.
Da das Tier auf die Fischer einen sehr
erschöpften Eindruck machte, forder-
ten sie umgehend im nahe gelegenen
Safari-Park Hilfe an. Der von dort her-
beieilende Experte versuchte dem See-
hund zu helfen, der jedoch ins meer
entschwand. Versuche, ihn ausfindig
WISSENSCHAFT
zu machen, schlugen fehl.
Zum letzten mal wurden mönchsrob-
ben vor 50 bis 60 Jahren an israels mit-
telmeerküste gesehen. Auch im Liba-
non berichtete man damals von einem
Bestand von 10 bis 20 Tieren. Seitdem
ist in der Region kein Seehund mehr
gesichtet worden. Lediglich an den
Küsten Griechenlands und der Türkei
soll es noch eine kleine Anzahl von
mönchsrobben geben. Haaretz, 08.01.10
24
WISSENSCHAFT • ISRAEL
dem Direktor für nephrologie und
molekularmedizin an der medizini-
schen Fakultät des Technions, zusam-
menarbeiten. Skorecki hat bahnbre-
chende Entdeckungen in der Erfor-
schung jüdischer Genetik gemacht
und veröffentlicht.
im Jahr 1957 hatte der zweite Präsi-
dent israels, itzhak Ben-Zvi, der sich
mit ethnischer Forschung befasste, in
einem Buch behauptet, dass Hebräer
von Samarien aus unter dem assyri-
schen König Schalmaneser im Jahr 719
v.Z. nach Afghanistan migrierten. Der
letzte König Afghanistans, Zahir Shah,
habe wiederholt behauptet, dass er
nachfahre des biblischen Stammes
Benjamin sei.
Israelischer
Jusprofessor
erhält Humboldt-
Forschungspreis
Die Freie Universität Berlin ist erneut
Gastgeberin für einen Forschungs-
preisträger der Alexander von Hum-
boldt-Stiftung (AvH). Preisträger ist
der renommierte israelische Straf-
rechtswissenschaftler Prof. Mordechai
Kremnitzer von der Hebrew Universi-
ty of Jerusalem. Professor Kremnitzer
wird für seine herausragenden Leis-
tungen in Forschung und Lehre geehrt.
Gastgeber für den Aufenthalt des
Wissenschaftlers an der Freien Uni-
versität ist Professor Klaus Hoffmann-
Holland, inhaber der Professur für Kri-
minologie und Strafrecht am Fachbe-
reich Rechtswissenschaft.
mit dem seit 1972 vergebenen For-
schungspreis der AvH werden inter-
national angesehene Wissenschaftle-
rinnen und -wissenschaftler für ihr
Gesamtschaffen ausgezeichnet. Die
Ehrung ist mit 60.000 Euro dotiert.
Durch seine Arbeit hat Prof. Kremnit-
zer die internationale Forschung über
menschenrechte entscheidend ge-
prägt. insbesondere im Rahmen der
globalen Sicherheitsdebatte liefert er
wichtige impulse und Beiträge zur Lö-
mit moderner Genforschung können
anhand von Änderungen am Y-Chro-
mosom ethnische Verbindungen und
gemeinsame Abstammungen erforscht
werden.
im Falle von Stämmen in östlichen Pro-
vinzen indiens solle so auch erkundet
werden, ob verbreitete genetische mu-
tationen einen „Gründervater“ ha-
ben, zum Beispiel des im Jahr 721 v.Z.
ins Exil geschickten Stammes Efraim.
Die Taliban sind heute moslems. Ali
hofft, dass nach einer Bestätigung ih-
rer Thesen moslems und Juden einan-
der näher kommen und ihre histori-
schen Feindseligkeiten vergessen
könnten. inn
sung komplexer und viel diskutierter
Probleme. Zu seinen Forschungs-
schwerpunkten gehört das Verhältnis
von Terrorismus und Demokratie.
Während des bis zu einjährigen For-
schungsaufenthalts an der Freien Uni-
versität Berlin will Prof. Kremnitzer
vor allem der Frage nachgehen, wie
das internationale Strafrecht durch
Strafrechtsvergleichung weiterentwi-
ckelt werden und wie umgekehrt die
Strafrechtsvergleichung durch das
Völkerstrafrecht geprägt werden kann.
Für sein Wirken wurde Prof. Krem-
nitzer bereits mit zahlreichen israeli-
schen und internationalen Preisen
ausgezeichnet. Seine Expertise spie-
gelt sich in vielen Entscheidungen
des israel Supreme Courts wider, er
beriet unter anderem das Parlament -
die Knesset - in Verfassungsfragen.
Kremnitzer leitete das Minerva Center
for Human Rights in Jerusalem, war
Vorsitzender der Israeli Association of
Public Law, sowie Präsident des Israeli
Press Council. Er ist zudem
Vizepräsident der angesehenen unab-
hängigen Denkfabrik Israel Democracy
Institute in Jerusalem
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

JOUBERT-SYNDROM
Forscher bei Hadassah
identifizieren Gen
Forscher des Hadassah medical Cen-
ter haben, gemeinsam mit Dor Yesho-
rim, dem Committee for the Prevention
of Jewish Genetic Diseases, eine geneti-
sche mutation entdeckt, die die Ursa-
che dafür ist, das Kinder ashkena-
sisch-jüdischer Abstammung mit ei-
ner schweren neurologischen Erb-
krankheit geboren werden, die als
Joubert-Syndrom bekannt ist.
Dies ist das 13. Gen, das in den letz-
ten zwei Jahren von Hadassahs Abtei-
lung für Genetik und Stoffwechsel-
krankheiten identifiziert wurde, des-
sen mutationen Kinder haben, die mit
genetischen Krankheiten geboren
werden.  von Hadassahs Department of internal
Joubert-Syndrom betrifft das Kleinhirn,
das für die Kontrolle des Gleichge-
wichts und der Koordination der
Skelettmuskulatur verantwortlich ist.
Kinder, die mit diesem Syndrom ge-
boren werden, weisen muskeltonus,
Schluckbeschwerden, ruckartige Au-
genbewegungen und die Unfähigkeit
freiwillig muskeln zu bewegen, auf.
Während des Wachstums können sie
an geistiger Retardation und nieren-
versagen leiden.
Besorgt über die wachsende Anzahl an
Kindern, die in den letzten Jahren mit
dem Joubert-Syndrom geboren wur-
den, bat Dor Yeshorim Hadassah die
Ursache zu untersuchen. Hadassahs
Forschungsteam analysierte die DnA
von betroffenen Kindern und fand he-
raus, dass obwohl die Kinder nicht
aus der gleichen Familie stammten,
sie alle ein identisches DnA-Segment
besaßen, das eine bestimmte Sequenz
aus 13 Genen beinhaltete. nach der
Untersuchung der 13 Gene, waren die
Forscher in der Lage, jenes mit der
mutation zu identifizieren, das die Ur-
sache des Joubert-Syndroms dar-
stellt.
Basierend auf diesen Forschungser-
gebnissen untersuchte das Team von
Hadassah die DnA von 3.000 gesun-
den aschkenasischen Juden und ent-
deckte, dass einer aus 92 diese muta-
tion trug. Dies bedeutet, dass eines
von 8.000 ashkenasischen jüdischen
Paaren ein Kind mit Joubert-Syn-
drom haben könnte.
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
WISSENSCHAFT • ISRAEL
Hadassah: Hilfe gegen Alkoho-Abhängigkeit
Eine Phase i klinische Studie des Ha-
dassah medical Centers ergab, dass die
Einnahme nur einer Dosis einer neu-
en, sich langsam freisetzenden, Meta-
doxin Formel vor dem Konsum von
Alkohol die Höhe der Blutalkohols
verringert, die motorischen und kog-
nitiven Funktionen dramatisch verbes-
sert und eine Abnahme des Verlangens
nach Alkohol bei den Testteilnehmern
hervorruft. Diese Formel wurde von
Alcobra Ltd., einem Start-up Unterneh-
men von Hadasit, Hadassahs Techno-
logietransfer Firma, entwickelt.
metadoxin in seiner traditionellen
Form ist nur für ca. 50 minuten bei der
Behandlung von Alkoholabhängigkeit
wirksam. in der ersten Phase der kli-
nischen Studie, durchgeführt von Ha-
dassahs Liver-Unit und dem Depart-
ment of Psychiatry, haben die sechs
Teilnehmer 10 Stunden gefastet, eine
Dosis des sich langsam freisetzenden
metadoxin eingenommen und an-
schließend 70ml Alkohol getrunken.
Während der 12stündigen Folgeunter-
suchung wurde Blut abgenommen,
©EPA/Yael Olek University of Haifa
israelische Forscher haben eine fast
handgroße Spinne in einer Wüste ent-
deckt. Das Tier habe eine Beinspanne
von 14 Zentimetern und lebe in den
Sanddünen der Arava-Gegend im Sü-
den israels, teilte die Universität Haifa
Anfang Januar mit. Die neue Art erhielt
den namen Cerbalus aravensis. Sie sei
die größte Spinne der Gattung Cerba-
lus im nahen Osten. Das Tier sei nachts
und vor allem während der heißen
monate des Jahres aktiv und baue un-
terirdische Höhlen, die es zur Tarnung
mit einer Art Falltür aus zusammen-
klebenden Sandpartikeln verschließe.
um Alkohol und metadoxin Gehalt zu
messen. Ferner wurden die Teilnehmer
an einem Fahrsimulator beobachtet
und eingestuft (ein Performance Test,
der oft verwendet wird, um Aufmerk-
samkeits- und Hyperaktivitätsstörung
zu diagnostizieren und um die Ge-
dächtnisleistung und die kognitiven
Fertigkeiten einzuschätzen). Die Teil-
nehmer beantworteten des Weiteren
einen Fragebogen über die Höhe ihres
Verlangens nach Alkohol.
Bei allen Teilnehmern wurde ein Rück-
gang des Blutalkoholspiegels, sowie
bessere motorische und kognitive Fä-
higkeiten verzeichnet. Keiner der
Teilnehmer wies damit verbundene
nebenwirkungen auf.
Dr. Meir Mizrahi und Dr. Gadi Lalazar
medicine A, die das Team leiteten,
stellten ihre Ergebnisse auf der jährli-
chen Konferenz der American Associa-
tion for the Study of Liver Diseases (AAS
LD) in Boston, vor 7.000 Wissen-
schaftlern aus 55 Ländern vor.
Riesenspinne
in Arava-Wüste
entdeckt
Allerdings sei der Lebensraum der
schwarz-weißen Spinne durch die
Ausbreitung landwirtschaftlicher Ge-
biete sowie den Sandabbau gefährdet.
„Die neue Spinne beweist, wie wichtig es
ist, die Sanddünen zu bewahren“, sagte
Uri Shanas, Leiter der Forschergruppe
möglicherweise gebe es in den Dünen
weitere, bisher nicht bekannte Tiere.
„Wenn wir die wenigen, ihnen verbleiben-
den Lebensräume nicht schützen, sterben
sie womöglich aus, bevor wir sie entdecken
können.“ Es sei sehr selten, eine so
große Spinne in diesem Teil der Welt
zu entdecken.
25
 JÜDISCHE WELT • INLAND
ca. 20 mio. Euro werden einerseits
von den Kultusgemeinden organi-
siert (Spenden aus dem in- und
Ausland, ein EU-Projekt, etc.), ande-
rerseits durch Einzelvereinbarun-
gen mit Ländern und Gemeinden
aufgefüllt. So hat sich die Gemeinde
Wien bereit erklärt, das Friedhofs-
wärterhaus am Währinger Friedhof
(von Architekt Kornhäusel im frü-
hen 19. Jahrhundert errichtet) auf
ihre Kosten generalzusanieren.
Das Land niederösterreich wird
sich mit 25% an den instandset❚.

Fast neun Jahre nach Unterschrift des

Washingtoner Abkommens wird da-
mit das letzte völkerrechtlich noch of-

Chanukkahgeschenk fene Thema abgearbeitet.

für jüdische Friedhöfe
Bei einem Runden Tisch auf Einla-
dung von Bundeskanzler Werner
Faymann und Vizekanzler Josef Pröll,
haben sich die Vertreter des Bundes,
der Bürgermeister von Wien, der Lan-
deshauptmann von niederösterreich
❚Für die instandsetzung der Fried-
und die israelitischen Kultusgemein-
den, vertreten durch Präsident Ariel
Muzicant und Vizepräsident Oskar
Deutsch, auf eine Lösung des Problems
zur instandsetzung und instandhal-
tung der Jüdischen Friedhöfe in Ös-
terreich geeinigt.
Die Lösung sieht folgendes vor:
❚Die Verhandlungspartner waren
sich einig, dass die instandhaltung
eine gesetzliche Verpflichtung der
Gemeinden ist, und es sollen jetzt
mit der Unterstützung der Länder
auch entsprechende instandhal-
tungs- und Pflegeverträge mit allen
Gemeinden abgeschlossen werden.
höfe, wo durch die nazis, durch
Kriegsereignisse oder durch ver-
schiedene andere Einflüsse mehr
oder weniger große Schäden ent-
standen sind, wird ein eigener Fonds
zur instandsetzung Jüdischer Fried-
höfe geschaffen. Dieser Fonds wird
von der Republik Österreich mit
1 mio. Euro pro Jahr, wertgesichert,
auf die Dauer von 20 Jahren ge-
speist. Die restlichen notwendigen
Die israelitische Kultusgemeinde
dankt dem Bundeskanzler, dem Vize-
kanzler, dem Bürgermeister von Wien
und dem Landeshauptmann von nie-
derösterreich und hofft, dass auch mit
allen anderen Ländern und Gemein-
den zügig die noch notwendigen Ver-
einbarungen getroffen werden können.
nach Eröffnung des neuen maimoni-
des Zentrums durch den Bundesprä-
sidenten am 15. Dezember 2009, eines
der größten und eindrucksvollsten
Projekte jüdischen Lebens in Europa,
ist nun mit dem Durchbruch bei den
Jüdischen Friedhöfen, ein auch in Eu-
ropa beispielhafter Schritt gesetzt, den
man auch als ein verspätetes Chanuk-
kahgeschenk bezeichnen kann, worü-
ber sich die Österreichischen Kultus-
gemeinden nach so vielen Jahrzehnten
besonders freuen.

Das „OHAVE TORAH institut“ – für die Weiterführung der Schriften des Rabbiner Josef ENGEL sZ’l
sucht jegliche erhaltbare Information über das Leben und Wirken des damals im 2. Wiener Gemeindebezirk,
in der Leopoldsgasse 16, im 4. Stock ansässigen und in Wien begrabenen

Rabbiner Josef Engel sZ’l.

JÜDISCHE WELT

Uns interessieren sowohl Erzählungen aus seinem Schaffen und Leben als auch jegliches Fotomaterial von und über Rabbiner
Engel sZ’l sowie über seinen Schwiegersohn, Rabbiner izchak Morgenstern sZ’l, der Rabbiner Engel in seinen letzten
Jahren in Wien begleitete.
Sollten Sie über Informationen oder Fotomaterial verfügen, bitten wir Sie unsere Vertretung in Wien, zu kontaktieren.
Telefonnummer 06991 / 216 08 80
oder
Email: 171800@gmail.com
Herzlichen Dank für Ihre Mithilfe!
OHAVE TORAH Institut“ - Institut für die Weiterführung der Schriften des Rabbiner Josef ENGEL sZ’l

26 Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

 JÜDISCHE WELT • AUSLAND
Jüdische Gemeinde gedachte der
Befreiung des Budapester Ghettos
mit einer Feierstunde gedachte die
ungarische jüdische Gemeinde am 18.
Januar des 65. Jahrestages der Befrei-
ung des jüdischen Ghettos von Buda-
pest. „Die nach uns kommenden Genera-
tionen sollen sich an die Schrecken des
Holocaust erinnern, zugleich auch all das
Schöne und Gute lernen, die das jüdische
Dasein bedeuten“, betonte der pensio-
nierte Oberrabbiner Jozsef Schweitzer
in der Budapester Synagoge. Die Fei-
er sei laut Schweitzer zugleich ein Ge-
denken an jene, die selbst ihr Leben
bei der Rettung von Juden riskierten.
Am Tor zum Ghetto hinter der Syna-
goge in der Dohanystraße steht ein
Baum, auf dessen silbrigen Blättern
namen eingraviert sind: Die namen
von Opfern des ungarischen Holocaust.
Schwarzer Granit und roter marmor,
ein Denkmal für jene 600.000 ungari-
schen Juden, die während des Zwei-
ten Weltkrieges ermordet wurden. Als
die Rote Armee am 18. Januar 1945 die
mauern des Ghettos niederriss, waren
noch etwa 70.000 Verfolgte am Leben.
insgesamt überlebten 120.000 bis
130.000 ungarische Juden den Holo-
caust. Deutsche Truppen hatten am
19. märz 1944 Ungarn besetzt. Danach
kam Adolf Eichmann nach Budapest,
um die Deportation der ungarischen
Juden nach Auschwitz zu organisie-
ren. Eichmanns Plan, zuerst die Bu-
dapester Juden deportieren zu lassen,
wurde fallen gelassen. Stattdessen
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
wurden von Sommer 1944 an Juden
aus der ungarischen Provinz in Kon-
zentrationslager verschleppt. Am 16.
Juni erging der Befehl zur Ghettoisie-
rung. im Oktober 1944 kam in Un-
garn die Partei der faschistischen Pfeil-
kreuzler an die macht. Sie ermorde-
ten bei Pogromen in Budapest 10.000
bis 20.000 Juden. Weitere 40.000 wur-
den am Ufer der Donau erschossen
und ins Wasser geworfen. Heute leben
zwischen 80.000 und 100.000 Juden in
Ungarn, fast alle von ihnen in Buda-
pest. nach England und Frankreich
ist die ungarische jüdische Gemeinde
Holocaust-Denkmal hinter der Budapester
Verlassenschaften-Ankauf,
Gemälde, Möbel, Silber, Porzellan,
%URQ]HÀJXUHQ
Spiegelgasse 19, 1010 Wien, Österreich
Tel. 01/512 72 67 www.kulcsar.at
Mahnmal am Ufer der Donau
die drittgrößte Europas. im achten Bu-
dapester Stadtbezirk liegt das „jüdi-
sche Viertel“. Geschäftigkeit, überbe-
legte Wohnungen und betriebsame
märkte, winzige Geschäfte sind heute
Geschichte. menora und Davidstern,
über den Portalen in Stein gehauen,
kennzeichnen die schwarz-verrußten
Häuser. Dennoch sind die Traditionen
im Alltag der Budapester jüdischen
Gemeinde lebendig. Es gibt jüdische
Schächter und Bäcker, jüdische Res-
taurants, ein Krankenhaus, drei Alters-
heime und Kindergärten.
Am Holocaust-Denkmal hinter der Bu-
dapester Synagoge verweilen tagtäg-
lich menschen aus aller Welt. Sie lesen
die namen auf den silbern glänzenden
Blättern: Jacob Kraus, Franz Weiner,
Familie Strasser. Sie gedenken der Op-
fer und beten für all jene, die überleb-
ten. Sicherheitskräfte sorgen für Ruhe
und Ordnung, denn alte Ängste sind
noch immer nicht vergessen. Ungari-
sche Juden sind auch heute in Ungarn
offenem Antisemitismus ausgesetzt. APA
27
 JÜDISCHE WELT • AUSLAND
Es ist bereits der dritte Besuch von Papst

©Reuters/Tony Gentile
Benedikt XVI. in einer Synagoge. Den-
noch hat die Visite im "Tempio Maggiore"
zu Rom große Bedeutung für die Entwick-
lung der Beziehungen von katholischer
Kirche und Judentum.
Derzeit ist das Verhältnis nicht ungetrübt,
zumal in der jüdischen Gemeinde Itali-
ens Vorbehalte gegen eine mögliche Selig-
sprechung von Papst Pius XII. bestehen.
Das Dekret über den „heroischen Tu-
gendgrad“ für Pius Xii., das Benedikt
XVi. am 19. Dezember unterzeichnet
hatte, löste in jüdischen Gemeinden
Unverständnis und Kritik aus. in einer
note stellte der Vatikan jedoch klar,
dass diese kirchliche maßnahme kein
historisches Urteil über politische Ent-
scheidungen von Pius Xii. bedeute.
mit seinem Synagogenbesuch wieder-
holt der Papst die historische Geste
seines polnischen Vorgängers von
1986 und stattete zum ersten mal den
„älteren Brüdern“ der seit über 2.000
Jahren bestehenden Gemeinde Roms
einen Besuch ab.
Das Programm der Visite war dicht:
Benedikt XVi. wurde bei der Ankunft
von den Leitern der jüdischen Gemein-
den Roms und italiens begrüßt. Er
passierte zunächst die beiden Gedenk-
steine, die an die Deportation der Ju-
den Roms 1943 durch die nS-Besat-
zungsmacht sowie an den arabischen Papst Benedict XVI (r.) and Oberrabbiner Riccardo Di Segni (l.)
Handgranatenanschlag von 1982 erin- betreten gemeinsam die Synagoge
nern, bei dem ein Kind getötet und 34
Personen verletzt wurden.
Gemeinsam mit Roms Oberrabbiner
Riccardo di Segni betrat der Papst dann
Chronologie der Beziehungen
das 106 Jahre alte Gotteshaus. Es folg-
ten Gebete und Reden des Rabbiners
Vatikan-Israel
wie des Gastes. nach knapp zwei Stun- Ärger gab es wiederholt um die vati- < 1917: nach der „Balfour-Deklara-
den kehrt er in den Vatikan zurück. kanische Archivpraxis. Belastendes tion“ (Zusage des britischen Außen-
Seit dem ersten Synagogenbesuch ei- material werde unter Verschluss ge- ministers James Balfour einer Unter-
nes Papstes 1986 hatte sich im jüdisch- halten, so die Kritik. Es geht dabei vor stützung für die Errichtung einer jü-
katholischen Verhältnis viel getan. allem um den Vorwurf des Schwei- dischen „nationalen Heimstätte“ in Pa-
1994 nahmen der Vatikan und israel gens von Pius Xii. zum Holocaust so- lästina) und der Eroberung Jerusalems
volle diplomatische Beziehungen auf. wie um Äußerungen der Päpste zum durch britische Truppen warnt Papst
im Jahr 2000 kam Johannes Paul ii. zu nahostkonflikt. Benedikt XV. davor, den Juden eine „ih-
einem bahnbrechenden Besuch nach nen nicht zukommende Vorrangstellung“
israel. Vor acht monaten unternahm Einige Daten zu den schwierigen Be- im Heiligen Land einzuräumen.
Benedikt XVi. eine ähnliche Reise. ziehungen zwischen dem Vatikan und
< 1947/48: Der Teilungsbeschluss
Aber es gab auch immer wieder Rück- dem jüdischen Staat:
der Vereinten nationen für das briti-
schläge. So löste 1987 eine Papstau- < 1904: Der Publizist Theodor Herzl sche mandatsgebiet Palästina sieht
dienz für Bundespräsident Kurt Wald- versucht ohne Erfolg, Papst Pius X. für einen jüdischen und einen arabischen
heim schwere Verstimmungen aus. den Plan einer Heimstatt der Juden in Staat sowie die internationalisierung
Denn Waldheims Rolle im Zweiten Palästina (das Teil des Osmanischen von Jerusalem vor. Papst Pius Xii. for-
Weltkrieg - als Ordonnanzoffizier in Reiches ist) zu gewinnen. Pius X. er- dert in seiner Enzyklika „in multipli-
der Heeresgruppe E auf dem Balkan - klärt bei der Begegnung: „Sanktionie- cibus“ einen internationalen Status
war umstritten. ren können wir das niemals“. für Jerusalem als Heiligtum der drei

28 Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

 JÜDISCHE WELT • AUSLAND
monotheistischen Weltreligionen.
< 1958: nach seiner Wahl streckt
Papst Johannes XXiii. den Juden die
Hand zur Versöhnung aus: Streichung
der Formulierung von den „treulosen
Juden“ (Perfidis Judaeis) aus der
Karfreitagsliturgie.
< 1962-65: Das Zweite Vatikanische
Konzil betont das „gemeinsame Erbe“
von Juden und Christen. Die Erklärung
„nostra Aetate“ beklagt „alle Hass-
ausbrüche, Verfolgungen und Manife-
stationen des Antisemitismus“.
< 1964: Papst Paul Vi. besucht das
Heilige Land, wo er mit dem Ökume-
nischen Patriarchen Athenagoras i. von
Konstantinopel zusammentrifft. Er
wird in Jordanien und israel empfan-
gen. Der Vatikan spricht aber offiziell
nicht vom Staat israel.
< 1967: Der Papst fordert nach dem
Sechstagekrieg einen international ga-
rantierten Sonderstatus für Jerusalem
< 1973: israels ministerpräsidentin
Golda meir wird im Vatikan vom Papst
empfangen.
< 1977: Der Papst bittet israel in ei-
nem offiziellen Briefwechsel um Frei-
lassung des wegen Waffenschmuggels
für die Palästinenser inhaftierten mel-
kitisch-katholischen Erzbischofs Hila-
rion Capucci. Beobachter sehen darin
eine „De-facto-Anerkennung“ des
Staates israel durch den Heiligen Stuhl.
< 1978: An der Amtseinführung von
Papst Johannes Paul ii. nimmt eine
offizielle israelische Delegation teil.
< 1979: Der Papst bezeichnet bei ei-
nem Besuch in Auschwitz das einstige
KZ als „Golgotha unserer Zeit“.
< 1980: Der Vatikan protestiert gegen
ein israelisches Gesetz, das „ganz Jeru-
salem“ zur „Hauptstadt Israels“ erklärt.
< 1982: Der Vorsitzende der Palästi-
nensischen Befreiungsorganisation
(PLO), Yasser Arafat, wird erstmals
vom Papst empfangen.
< 1984: in dem Apostolischen Schrei-
ben „Redemptoris anno“ spricht Jo-
hannes Paul ii. zum ersten mal in
einem vatikanischen Dokument vom
„Staat israel“.
< 1985: israels Premierminister Shi-
mon Peres wird vom Papst empfangen.
< 1986: Als erster Papst besucht Jo-
hannes Paul ii. offiziell eine Synagoge.
Bei dem Besuch beim Oberrabbiner
von Rom bezeichnet er die Juden als
„ältere Brüder im Glauben“.
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
< 1987: Der Papst ernennt den Paläs-
tinenser michel Sabbah, einen schar-
fen Kritiker israels, zum Lateinischen
Patriarchen von Jerusalem.
< 1993: israels aschkenasischer Groß-
rabbiner meir Lau besucht den Papst
in Castel Gandolfo.
< 1994: Der Heilige Stuhl nimmt di-
plomatische Beziehungen mit dem
Staat israel und offizielle Beziehungen
mit der PLO auf.
< 1998: Der Papst erlässt das Doku-
ment „Wir gedenken: Eine Reflexion über
die Shoah“. „Wir bedauern zutiefst die Irr-
tümer und Fehler der Söhne und Töchter
der Kirche“, heißt es in dem Text. Ge-
teiltes Echo in israel; vielen geht der
Text über mangelnden kirchlichen Wi-
derstand gegen den massenmord der
nazideutschen machthaber an den Ju-
den nicht weit genug.
< 2000: Der Vatikan schließt einen
Grundlagenvertrag mit der palästinen-
sischen Regierung und bekräftigt die
Forderung nach einem international
garantierten Sonderstatus für Jerusa-
lem. Der Papst spricht eine historische
Vergebungsbitte („mea culpa“) für
die Verfehlungen der Christen in der
Geschichte aus. Dabei werden auch die
„Sünden“ genannt, die nicht wenige
Christen „gegen das Volk des Bundes und
der Seligpreisungen begangen haben“.
Der Papst reist in das Heilige Land und
betet an der Klagemauer in Jerusalem.
< 2002: Schwerer Konflikt um die
Belagerung der Bethlehemer Geburts-
kirche durch die israelische Armee.
Dissonanzen beim Besuch des israeli-
schen Präsidenten moshe Katzav im
Vatikan.
< 2003: Johannes Paul ii. verurteilt
den Bau der israelischen Sperranlage
im Westjordanland; man brauche für
einen Frieden „Brücken und keine Mau-
ern oder Zäune“. Premier Ariel Sharon
trifft bei einem Rom-Besuch nicht mit
dem Papst zusammen.
< 2004: Der Vatikan verurteilt erneut
den Sperrwall: Die Palästinenser steck-
ten in einem „riesigen Gefängnis“.
< 2005: israelische Angriffe auf den
neuen Papst Benedikt XVi. werden
vom Vatikan scharf zurückgewiesen.
Die beiden Großrabbiner laden den
Papst nach Jerusalem ein. Der Papst
empfängt Präsident Katzav und auch
den neuen palästinensische Präsident
mahmoud Abbas, nachfolger des
verstorbenen Arafat.
< 2008: irritationen wegen der neu
formulierten Karfreitagsfürbitte in
dem vom Papst wieder zugelassenen
vorkonziliaren „alten Usus“ („Lasset
uns auch beten für die Juden, auf dass
Gott unser Herr ihre Herzen erleuchtet,
damit sie Jesus Christus erkennen, den
Retter aller Menschen“) und Würdigung
von Papst Pius Xii. anlässlich dessen
50. Todestags durch Benedikt XVi.
< 2009: Das israelische Großrabbinat
bricht die Beziehungen zum Vatikan
wegen der Aufhebung der Exkommu-
nikation des als Holocaust-Leugner
hervorgetretenen traditionalistischen
Bischofs Richard Williamson von der
Bruderschaft St. Pius X. ab. Der Papst
bekräftigt seine volle Solidarität mit
den Juden und stellt sich gegen jeden
Versuch einer Leugnung des Holo-
caust. Der Papst reist ins Heilige Land,
er ruft israelis und Palästinenser zu
einem friedlichen miteinander in
zwei Staaten auf. Die vatikanisch-
israelischen Verhandlungen über Fra-
gen kirchlichen Eigentums und Steu-
erfragen bringen keinen Durchbruch.
Quelle: APA
Die Kirchen in Österreich feierten am 17.
Januar, den „Tag des Judentums“. An die-
sem Tag besinnen sich die Christen in be-
sonderer Weise auf ihre jüdischen Wurzeln.
In Wien fand der zentrale Gottesdienst in
der rumänisch-orthodoxen Pfarrkirche in
Simmering statt. Der orthodoxe Metropolit
Michael Staikos leitete den Gottesdienst,
Dechant Ferenc Simon hielt die Predigt.
Kardinal Christoph Schönborn hat bei seiner
Katechese im Stephansdom am 10. Januar
neuerlich hervorgehoben: „Wir können Je-
sus nicht am Judentum vorbei oder gar gegen
das Judentum finden“.
Ausdrücklich stellte Schönborn fest, dass
man sich von manchen, vor allem in Mittel-
europa verbreiteten, stereotypen Vorstel-
lungen im Hinblick auf das Verhältnis von
Judentum und Christentum verabschieden
müsse. So sei es nicht angebracht, die Ge-
setzesfrömmigkeit des Judentums herab-
zusetzen.
Im Hinblick auf den Prozess Jesu vor dem
Hohen Rat sagte der Wiener Erzbischof:
Das Leiden Jesu könne "weder allen da-
mals lebenden Juden ohne Unterschied noch
den heutigen Juden zur Last gelegt werden".
Die den Juden angelastete Kollektivschuld
am Tod Jesu habe im Lauf der Geschichte
„unendliches Leid“ über das jüdische Volk
gebracht, bedauerte Kardinal Schönborn.
Erst mit „Nostra Aetate“ sei eine „lange tra-
gische Geschichte“ abgeschlossen worden.
29
 JÜDISCHE WELT • AUSLAND

Panorama
Kurznachrichten aus der jüdischen Welt
Quelle: JTA/inn u.a.; Übersetzung: Karin Fasching-Kuales/Foto:©JTA u.a.

umfrage: israel hat „massives“ de der ehemalige jüdische Flüchtling sei „wesentlich weniger vorherrschend“
imageproblem in seiner neuen Heimat zum Ritter ge- als in der Vergangenheit.
Eine für das informations- und Dias- schlagen und darf den Titel „Sir“ tragen.
pora-ministerium durchgeführte Um- mit seinem Fundraising-Unternehmen höchste aliyahzahlen seit 36 Jahren
frage ergab, dass etwa 91% der Befrag- Classic Tours hat Reich millionen von im Vergleich zum Jahr 2008 kamen im
ten denken, israel hätte nach außen hin Euros für wohltätige Zwecke aufge- vergangenen Jahr um 19% mehr Aus-
ein massives imageproblem. Der jüdi- stellt. Er ist außerdem Vorsitzender wanderungswillige aus den USA nach
sche Staat würde als Land gesehen, das der Kindertransport-Gruppierung der israel – mit 3.324 Personen die höchste
„unter Terror und Krieg leidet“ (90 %). jüdischen Flüchtlingsvereinigung und Zahl seit 36 Jahren. Viele der immi-
80% meinten, israel hätte das image organisierte die Feier anlässlich des granten nahmen an Jewish Agency
eines „aggressiven Staates“. Allerdings 70. Jubiläums der Entscheidung des Programmen teil, 300 wählten den Kib-
erklärten sich auch 85% der 495 be- britischen Parlaments zur Aufnahme butz Ulpan, 90 den Ulpan Etzion und
fragten jüdische israelis bereit, an einer von Flüchtlingskindern aus den von 200 gehen einem Studium nach.
israelischen PR-Kampagne teilzuneh- nazis okkupierten Gebieten.
men und ihr Land bei Reisen ins Aus- moslems gegen antisemitismus
land positiv zu repräsentieren. im ver- Verstorbene holocaust-Überlebende auf facebook
gangenen Jahr hatten die Einwohner hinterlässt 2.500 Nachkommen Auf der Facebook-Fanpage der mosle-
israels mehr als 4,2 mio. Reisen ins Die kürzlich im Alter von 94 Jahren mischen Reformistin und Autorin Ir-
Ausland unternommen. verstorbene Holocaust-Überlebende shad Manji haben hunderte User
Yitta Schwartz aus new York hinter- nachrichten hinterlassen, die ein Sta-
feiertag für die hebräische sprache lässt fünf Generationen von nachkom- tement der Europäischen Vereinigung
Zur Würdigung der Hebräischen Spra- men, die insgesamt 2.500 Personen jüdischer Studenten gegen das Schwei-
che wurde nun der Geburtstag des Va- umfassen. zer minarettverbot, das ebenfalls dort
ters des modernen Hebräisch, Eliezer Schwartz und ihre gesamte Familie zu finden ist, würdigen.
Ben-Yehuda, am 7. Januar als Datum für hatten das Konzentrationslager Ber- manji, Autorin von „The Trouble with
den entsprechenden Feiertag vorge- gen Belsen überlebt. Sie, ihr Ehemann Islam Today: A Muslim´s Call for Reform
schlagen. Das ministerielle Komitee für und ihre sechs Kinder gingen nach in Her Faith“ und Produzentin des
Symbole und Zeremonien muss die- Antwerpen, Belgien, und emigrierten Films „Faith without Fear“ bat ihre
sem Vorschlag allerdings erst zustim- schließlich in die USA. Weitere elf moslemischen Fans, persönliche State-
men. Außerdem soll die Verwendung Kinder kamen hinzu, insgesamt hatte ments gegen Antisemitismus ins netz
von Hebräisch als Alltagssprache Schwartz später etwa 170 Enkel – und zu stellen und hunderte kamen ihrer
durch verschiedene maßnahmen ge- sie kannte alle beim namen. Bitte nach – ein extrem positives Zei-
stärkt sowie ein Workshop für Regie- chen der Hoffnung für das Verhältnis
rungsmitglieder eingerichtet werden, israel zählt 7,5 mio. einwohner von Juden und moslems.
um ihre Sprachfertigkeit zu perfektio- israels Einwohnerzahl stieg 2009 um
nieren. 1,8 % auf 7.509.000 menschen. 75,4 % israelische ausgabe von „forward“
uranus und Neptun sind davon sind Juden, 20,3 % Araber und Eine vierseitige israel-Ausgabe des jü-
oron und rahab weitere 4,3% gehören anderen Bevöl- dischen magazins „Forward“ wird ab
Die Planeten Uranus und neptun kerungsgruppen an. 160.000 Geburten 24. Januar allwöchentlich in der engli-
dürfen nun auch hebräische namen und 39.000 Todesfälle wurden ver- schen Ausgabe von Haaretz beiliegen.
ihr Eigen nennen. So heißt Uranus zeichnet. Diese wird wiederum mit der inter-
jetzt Oron, was „Licht“ bedeutet, und nationalen Herald Tribune versendet.
neptun darf sich Rahab nennen, nach antisemitismushotline in russland „Forward“ wurde 1897 als jiddische
einem meeresungeheuer, das in Bibel Die Vereinigung jüdischer Gemeinden Tageszeitung gegründet und erscheint
und Talmud erwähnt wird. Die israe- in Russland hat eine bereits früher heute einmal die Woche in Englisch
lis konnten online über die Auswahl existente Antisemitismushotline wie- und Jiddisch. Es ist die einzige jiddi-
der namen abstimmen. Alle anderen der installiert. Diese hilft Opfern von sche Zeitung in israel.
Planeten unseres Solarsystems haben Antisemitischen Übergriffen bei der
bereits hebräische namen. Suche nach Rechtsanwälten. april 2010: Buchmesse in Budapest
Einige Tage zuvor hatte der russische würdigt israel
Überlebender des „Kindertrans- Präsident Dimitri medvedev bei einem Beim 17. internationalen Bücherfesti-
ports“ zum ritter geschlagen Treffen mit dem Vorsitzenden der Ver- val in Budapest wird israel als Ehren-
Erich Reich, 74, war als Kind mit Hilfe einigung jüdischer Gemeinden in gast gefeiert werden. Die jährliche vier-
eines „Kindertransports“ vor den na- Russland, Oberrabbiner Berl Lazar, er- tägige Buchmesse ist der größte Lite-
zis nach England geflohen. nun wur- klärt, der Antisemitismus in Russland raturevent des Landes und wird am

30 Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

 JÜDISCHE WELT • AUSLAND
22. April eröffnet. Auch der bekannte
israelische Autor Amos Oz wird teil-
nehmen und dort mit einem Buchpreis
geehrt.
2009 war Ungarn selbst Ehrengast bei
der Buchmesse in Jerusalem gewesen,
als Anerkennung der nunmehr zwei
Jahrzehnte dauernden engen diplo-
matischen Verbindungen zwischen
den beiden Staaten nach dem Zerfall
des Kommunismus.
zentrum für jüdische studien
eröffnet in israel
Die Ben-Gurion Universität im negev
eröffnet ein neues Zentrum für jüdi-
sche Studien. David Roskies, Professor
für jiddische Literatur am jüdisch-
theologischen Seminar in new York,
wird das Zentrum in Beersheba leiten.
Workshops und Kolloquien sollen
dort abgehalten, vergessene jiddische
Werke publiziert und mit Jiddisch-
Forschungszentren in Tel Aviv, Paris
und den USA zusammengearbeitet
werden.
Das Zentrum solle dem wachsenden
interesse an der jiddischen Kultur in
israel dienen und eine neue Genera-
tion jiddischer Gelehrter hervorbrin-
gen, um Literatur und Sprache auch
im 21. Jahrhundert fortzuführen, so
die Universität.
Neues gesetz: staat kommt
nicht mehr für Beerdigung von
Terroristen auf
Terroristen werden in israel künftig
nicht mehr auf Staatskosten beerdigt.
Ein entsprechendes Gesetz wurde von
der Knesset verabschiedet.
Das Gesetz wurde von den 39 anwe-
senden Knessetmitgliedern angenom-
men. Es gab keine Gegenstimmen und
keine Enthaltungen, heißt es laut der
Tageszeitung ‘Jediot Aharonot’.
Der Vorschlag zu dem Gesetz war
unter anderem von der Abgeordneten
Miri Regev eingebracht worden. Diese
sagte nach der Abstimmung: "Ich
hoffe, dass wir von nun an die notwendi-
gen Veränderungen vornehmen und dass
Terroristen nicht auf unsere Kosten beer-
digt werden. Jeder, der beschließt, Unschul-
dige zu verletzen, kann nicht erwarten,
dass seine Familie einen Preis dafür erhält,
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
von uns, dem Staat." Regev wies außer-
dem Kritik an dem Gesetz zurück,
dass es rassistisch sei. Sie sagte, das
Gesetz werde auch bei jüdischen Ter-
roristen angewandt.
Bislang hatte der Staat israel die Kos-
ten für die Beerdigung aller seiner ver-
storbenen Bürger getragen. Zuvor
schon hat die Knesset per Gesetz be-
schlossen, dass Angehörige von Terro-
risten keinen Anspruch auf eine staat-
liche Hinterbliebenenrente und andere
Vergünstigung hätten.
warhol-sammlung für diaspora-
museum
Ein amerikanischer Kunstliebhaber hat
dem Diaspora-museum in Tel Aviv
Bilder von Andy Warhol geschenkt.
Dabei handelt es sich um die Samm-
lung „Zehn Portraits von Juden des 20.
Jahrhunderts“.
Warhol, maler und Avantgarde-Film-
regisseur, war einer der überragenden
Vertreter der amerikanischen Pop Art-
Bewegung. Gezeichnet hat er seine
Portraits der jüdischen Kultur in den
späten 70er Jahren.
Die Portraits, die im Original als Pa-
pier-Siebdruck veröffentlicht sind, zei-
gen Albert Einstein, Sarah Bernhardt,
Louis Brandeis, Martin Buber, Sigmund
Freud, George Gershwin, Franz Kafka, die
"Marx Brothers", Golda Meir und Ger-
trude Stein. Dies berichtet die Tages-
zeitung ‘Ha´aretz’.
Der Wert der Sammlung des jüdischen
mäzens wird auf 100.000 Dollar ge-
schätzt.
Weltweit existieren 200 Kopien der
Warhol-Werke. Ein Teil der Serie war
in der Vergangenheit schon einmal im
israel-museum in Jerusalem ausge-
stellt.
website von jüdischer zeitung
gehackt
Die Website von Großbritanniens
größter jüdischer Zeitung, dem Jewish
Chronicle, wurde Opfer einer Hacker-
attacke. Grafiken auf der Homepage
wurden mit einer palästinensischen
Flagge und den Worten “gehackt von
den palästinensischen Mujahedeen”. Ei-
ne weitere in Englisch und Türkisch
hochgeladene nachricht zitiert den
Koran und enthält antisemitische Aus-
fälle gegen Juden. Die Londoner Site
wurde daraufhin für mehrere Stunden
vom netz genommen, wiederherge-
stellt und auf mögliche Firewall-
Lücken untersucht.
Neue gesichter für den shekel
Die Scheine des neuen israelischen
Shekel (niS) sollen bald neue Gesich-
ter tragen. Dies beschlossen israels
Finanzminister Yuval Steinitz und der
Direktor der Bank of israel, Stanley
Fisher, medienberichten zufolge.
Auf dem 20-Shekel-Schein wird Theo-
dor Herzl israels zweiten ministerprä-
sidenten moshe Sharett ablösen; Lite-
raturnobelpreisträger Shai Agnon wird
auf dem 50-Shekel-Schein israels ers-
ten ministerpräsidenten David Ben-
Gurion Platz machen. Auf den 100-
und 200-Shekel-Scheinen werden is-
raels zweiter Präsident Yitzhak Ben-Zvi
und israels dritter Präsident Zalman
Shazar gegen die früheren ministerpr-
äsidenten menachem Begin bzw.
Yitzhak Rabin ausgetauscht.
Die neuen Scheine sollen 2012 in Um-
lauf gebracht werden.
geschichte eines israelischen
spions wird verfilmt
Die amerikanische Produktionsfirma
„L+E Pictures“ will Schmuel Segevs
Buch „Alone in Damascus“ verfilmen.
Es erzählt die Geschichte des israeli-
schen Spions Eli Cohen. in dem Buch
werden die Anwerbung Cohens, seine
versteckten missionen und die Ergrei-
fung durch die Syrier thematisiert.
Cohen arbeitete bis zu seiner öffent-
lichen Hinrichtung 1965 fünf Jahren
lang als mossad-Agent. in dieser Zeit
knüpfte er enge Verbindungen zu
hochrangigen Politikern bis hin zu
Syriens Verteidigungsminister. Dabei
versorgte er israel mit vielen wichtigen
Hintergrundinformationen der syri-
schen Politik.
Das Drehbuch für den Film hat Lior
Geller geschrieben, der auch schon
beim erfolgreichen israelischen Kurz-
film „Roads“ Regie geführt hatte. Die
Firma „L+E Pictures“ wurde vor vier
Jahren vom Sohn des ehemaligen Dis-
ney-Chefs Michael Eisner gegründet.
31
 JÜDISCHE WELT • AUSLAND

Initiative ruft Berlin zur Hilfe bei Erhalt Operation Dachboden

von NS-Massengräbern auf VON ULRICH W. SAHM

Ein internationales Bündnis hat die
deutsche Regierung zur mithilfe beim
Erhalt von osteuropäischen massen-
gräbern für Holocaust-Opfer aufgeru-
fen. Die jüdischen initiatoren verwie-
sen in Berlin darauf, dass im Bemühen
um die Sicherung der letzten Ruhe-
stätten von millionen nazi-Opfer ein
Wettrennen gegen die Zeit drohe.
Dabei gehe es um die Gräber von
Hunderttausenden, die nicht in Kon-
zentrationslager deportiert, sondern
vor Ort dezentral von Einsatzgruppen,
Wehrmachts- und Polizeieinheiten er-
schossen worden seien. Die anschlies-
send verscharrten Leichen lägen bis
heute in meist vergessenen und über-
wiegend unmarkierten massengrä-
http://go.footnote.com/holocaust/
bern. Es sei Zeit, die Gräber zu ver-
siegeln und zu schützen, sagte die Di-
rektorin des Berliner Büros des Ame-
rican Jewish Committee (AJC), Deidre
Berger. „Es ist Zeit, der Opfer zu geden-
ken.“
Der initiative zufolge sind viele hun-
dert massengräber auf dem Gebiet
der ehemaligen Sowjetunion noch un-
entdeckt. Die Zeit dränge, da nur noch
wenige Zeitzeugen Auskunft über
die bisher undokumentierten Spuren
dieser nazi-Verbrechen geben könn-
ten. Dabei sei die Konservierung und
bauliche Umwandlung der massen-
gräber in würdige Grabstätten „eine
politische Aufgabe und ein ethisches Ge-
bot“.
Das Holocaust-museum im Kibbuz
Lochamei Haghettaot (Ghetto-Kämpfer)
im norden israels hat die „Operation
Boidem“ (Dachboden) initiiert, um
Dokumente, Briefe, Tagebücher, Alben,
Fotografien und Gegenstände im Zu-
sammenhang mit dem Holocaust zu
sammeln. So will das museum und die
Forschungsstätte aus aller Welt und
besonders aus Deutschland und Ös-
terreich historische Objekte retten,
die noch auf Dachböden oder in Kell-
ern lagern und auf dem Sperrmüll
landen könnten.

Kürzlich gelangte das Tagebuch von

Paula Alster, einer Kämpferin des
Warschauer Ghettos, zu der Gedenk-
stätte. Paulas Schwester Wanda fand
neben der Leiche Paulas ein halb ver-
branntes handschriftliches Tagebuch.
Wanda überlebte den Aufstand und
verstaute das Tagebuch auf ihrem
Dachboden in israel. Sie schaute es
sich nie mehr an. nach ihrem Tod ent-
schied ihr Sohn Nachie Rothenberg, es
dem museum in Lochamei Haghettaot
zu übergeben. Es hat einen unschätz-
baren Wert für jene, die das Geden-
ken an diesen Aufstand erforschen
und würdigen. Das Tagebuch wurde
restauriert, um einen Zerfall der Sei-
ten zu verhindern. Es wurde über-
setzt und ist heute eine Fundgrube
für informationen über den Aufstand,
Holocaust-Dokumente aus die Vernichtung des Warschauer Ghet-
tos im April 1943 und über die Konzen-
US-Nationalarchiven online tration der Juden auf dem Umschlag-
platz vor ihrer Deportation per Eisen-
Beim US-amerikanischen Archiv-Digitalisierungsanbieter Footnote kann bahn zum Fiantova Lager. nachie Ro-
man in die weltweit größte Sammlung von eingescannten Holocaust-Do- thenberg sagte bei einer Feier im mu-
kumenten und Bildern aus den nationalarchiven in Washington und Lin- seum: „In unserem Haus wurde über
don einsehen. Die über eine million Unterlagen umfassen unter anderem den Holocaust gesprochen, aber der Dach-
Register und Todeslisten der Konzentrationslager in Dachau, mauthau- boden blieb immer tabu.“ nach dem Tod
sen, Auschwitz und Flossenburg, Dokumente über Raubgut aus jüdischem seiner mutter verspürte er einen tiefen
Besitz sowie Akten der nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Drang, die niederschrift der Ereignisse
an professionelle Hände zu übergeben.
www.gfh.org.il/?CategoryID=217

32 Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

 JÜDISCHE WELT • ISRAEL

US-Rangliste zur
Lebensqualität: Israel Jüdischer Nationalfonds
an 47. Stelle
spendet Bäume für
israel belegt auf der aktuellen Rang-
liste zur Lebensqualität des US-ma- palästinensische Stadt
gazins ‘International Living’ Platz 47.
Am besten lebt es sich laut der Erhe-
bung in Frankreich. Für die Studie
wurden die Lebensumstände in 194
Ländern verglichen.
Platz zwei belegte Australien, gefolgt
von der Schweiz, Deutschland und
neuseeland. Die USA landeten auf
Platz sieben.
Für die Auswertung werden verschie-
dene Kriterien anhand nationaler und
internationaler Studien untersucht,
unter anderem die Lebenshaltungs-
kosten, das Gesundheitswesen, die
infrastruktur, die Sicherheit, möglich-
keiten zur Freizeitgestaltung und das
Klima. Auch die meinung des Heraus-
gebers wird beachtet.
israel erhielt vor allem in den Berei-
chen infrastruktur und Lebenshal-
tungskosten schlechte Werte. insge-
samt bekam der jüdische Staat 67 von
100 möglichen Punkten und landete
mit nur einem Punkt Abstand hinter
mexiko und Zypern. Frankreich er- Der Jüdische nationalfonds (JnF) hat die palästinensische mittelschicht ab.
hielt 82 Punkte und siegte zum fünf- der Palästinensischen Autonomiebe- Für den Bau werden schätzungsweise
ten mal in Folge. inn hörde 3.000 Baumsetzlinge gespendet. 10.000 palästinensische Arbeiter an-
Diese sollen am Rande der neuen pa- gestellt, heißt es laut einem Bericht der
lästinensischen Stadt Ruwabi ge- Tageszeitung „Ha´aretz“.
Einwanderung nach Israel pflanzt werden, die etwa neun Kilo-
Laut Saydan gebe es keine andere
meter nordwestlich von Ramallah im
nimmt erstmals seit 1999 zu Westjordanland entstehen soll.
Stadt in der Region, bei deren Bau so
enorm auf die Umweltverträglichkeit
Erstmals seit zehn Jahren hat die Ein-
Die Forstexperten des JnF stehen den geachtet werde. Es gebe große Bemü-
wanderung von Juden nach israel wie-
Stadtplanern dabei mit Rat und Tat hungen, die natur mit ihren Flüssen
der zugenommen. Die Zahl der neu
zur Seite. „Es gab eine große Zahl von und Quellen sowie andere Werte, wie
eingewanderten Juden sei 2009 um
Treffen, an der Stelle, wo die Stadt errichtet Antiquitäten, zu erhalten.
17% auf mehr als 16.000 angestiegen,
sagte der Chef der für Einwanderung wird und auch in den JNF-Treibhäusern.
Am Rande der neuen Stadt soll ein
zuständigen Agentur, Nathan Sharanski. Wir haben unser Wissen weitergegeben,
kleiner Wald entstehen. Für diesen
im Vorjahr war die Einwanderung mit indem wir beraten haben, wie man den Bo-
spendete der JnF rund 3.000 Setzlinge.
knapp 14.000 Juden auf ihren niedrig- den für die Pflanzungen vorbereitet und
Bei der Pflanzung halfen mitarbeiter
sten Stand seit 1987 gesunken. wie öffentliche Gärten geplant werden
der jüdischen Organisation und Paläs-
Heuer kam mehr als die Hälfte der jü- sollen, ebenfalls darüber, was die besten
tinenser gemeinsam. Sowohl Jugend-
dischen Einwanderer aus den früheren Pflanzzeiten sind und welche Arten von
liche als auch menschen im Alter von
Sowjetrepubliken, die übrigen stamm- Bäumen zu bevorzugen sind. Wir haben
mehr als 60 Jahren hätten sich beteiligt.
ten vor allem aus den USA, Europa nicht über Politik gesprochen und wir soll-
Jeder habe Werkzeuge von zu Hause
und Südamerika. 331 Juden seien aus ten das nicht tun - wir beschäftigen uns
mitgebracht.
muslimisch geprägten Ländern, dar- mit Bäumen, Forstwirtschaft, Botanik und
unter die Türkei und marokko, nach Treibhäusern“, sagte Suhil Saydan, Der Jüdische nationalfonds fördert
israel ausgewandert. Von den dies- einer der Leiter des JnF. Umweltprojekte in ganz israel. Zu den
jährigen Einwanderern waren den An- wichtigsten aktuellen maßnahmen
gaben zufolge 60% jünger als 35 Jahre. in der Stadt Ruwabi sollen etwa 6.000 gehören der dringende Bau von Was-
Seit der Staatsgründung 1948 wander- Wohneinheiten für rund 40.000 men- serreservoirs und die Begrünung der
ten mehr als 3 mio. menschen ein. schen entstehen. Das Projekt zielt auf negev-Wüste. inn

Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770 33

 JÜDISCHE WELT • ISRAEL
WELTREKORD:

WELTREKORDVERSUCH
Mehr als 64 Stunden lang
lebendig eingefroren
Der israelische magier Chesi Dajan hat
es geschafft: Kurz nach mitternacht im
neuen Jahr befreiten Helfer Dajan mit
Kettensägen aus dem Eisblock, in dem
er es mehr als 64 Stunden lang lebendig
eingefroren ausgehalten hatte. Damit
hat der israeli den mehr als neun Jahre
alten Rekord des amerikanischen illu-
sionisten David Blaine klar gebrochen.
© Flash 90/Yossi Zamir

Blaine hatte es damals exakt 61 Stun-

den, 40 minuten und 15 Sekunden in
einem Eisblock auf dem Times Square
in new York ausgehalten – als er den
Block verließ, war er augenscheinlich
in keinem guten Zustand.
Jerusalemer Köche bereiteten riesige Grillplatte zu Auch der 29 Jahre alte Chesi Dajan
Auf dem mehane Jehuda-markt in Jerusalem haben israelische Köche im stieg blass und ziemlich unterkühlt aus
november eine riesige gemischte Grillplatte zubereitet. Das Gericht wurde auf dem riesigen, acht Tonnen schweren
einer zwei meter langen Teigtasche serviert. mit der typischen Jerusalemer Eiswürfel, wie die Zeitung „Ha’aretz
Spezialität wollen es die israelis ins Guinness-Buch der Rekorde schaffen. daily“ am neujahrstag berichtete. Er
wurde sofort in Decken gehüllt und in
neun Köche aus verschiedenen Restaurantsversammelten sich in der israelischen
einen bereitstehenden Rettungswagen
Hauptstadt, um die gemischte Grillspezialität für die Riesenpita zuzubereiten.
gebracht – erholte sich aber erstaun-
Passanten und Händler auf dem markt wurden dazu eingeladen, beim Ko-
lich schnell. Während seines eisigen
chen zu helfen. Rund 32 Kilogramm Fleisch, zwölf Kilogramm Salat, zehn Kilo-
Rekordversuches trug er nur Jeans
gramm mehl und mehr als anderthalb Kilogramm Gewürze wurden verarbeitet.
und einen dünnen Pulli. Dajan hatte
Der Versuch wurde von einem Anwalt dokumentiert. „Wir versuchen, einen Welt- sich von seinen Helfern auf dem Ra-
rekord aufzustellen. Wir sind die ersten, aber wir haben die Menge hergestellt, die für bin-Platz in Tel Aviv in den Eisblock
einen Guinness-Rekord reichen müsste“, sagte noam Schaked, einer der Organi- einschließen lassen. meist war von
satoren, laut der nachrichtenagentur AFP. ihm in einem durchsichtigen Teil des
mit einem Weltrekordversuch wollten sich die Köche jedoch nicht zufrieden eisigen Gefängnisses nur ein müdes
geben! Sie versuchten bei der Gelegenheit auch, das kleinste Gericht der Welt Augenpaar zu sehen, das auf die
herzustellen: ein gefülltes Fladenbrot in münzgröße. inn Zuschauer blickte. red

REKORD:Israeli lässt sich

zum 11. Mal scheiden WELTREKORD
Ein 50-jähriger israeli hat sich zum
11. mal scheiden lassen und sucht jetzt
eine neue Braut. Der mann habe da-
mit den bisherigen Scheidungsrekord
für jüdische israelis gebrochen, berich-
tete die Zeitung „Jerusalem Post“ un-
ter Berufung auf das Rabbinat.
Er habe es sich zur Gewohnheit ge-
macht, sich alle zwei Jahre scheiden
zu lassen und unmittelbar danach eine
neue Ehefrau zu suchen, erklärte der
mann. „Ich werfe den Köder aus, und die
Fische kommen ganz von allein.“
© Reuters/Gil Cohen Magen

mit seinen vielen Scheidungen hat er

den bisherigen Rekord jüdischer isra-
elis von sechs ehelichen Trennungen
fast verdoppelt. Aus seinen bisher elf
Ehen habe der mann nur ein einziges
Kind, für das er jedoch keinen Unter-
halt zahlen könne, schrieb die Zeitung.

34 Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

 JÜDISCHE WELT • ISRAEL
benachbarten Ägypten unbekannt. in
WELTREKORD der Bibel wird Chimza erwähnt, aber
die Araber behaupten, dass ihr Volks-
held Saladin den Humus erfunden
habe, als er die Kreuzritter aus dem
Land vertrieben hat.
Für den Humus müssen die getrock-
neten Kichererbsen über nacht einge-
weicht und dann mehrere Stunden
lang gekocht werden. möglichst per
Hand werden die nun weichen Kerne
© Flash 90/Yossi Zamir

zu einem Brei zerrieben, mit Sesam-

paste, Olivenöl, Zitronensaft und
Knoblauch verfeinert und schließlich
mit gekochten Puffbohnen oder mit
Petersilie angerichtet. Es wird mit Fla-
denbrot vom Teller „aufgewischt“.
Weltrekord zum Kichern Streit, vor allem mit Libanon, provo-
zierten die israelis, als sie mit Erfolg ih-
von Ulrich W. Sahm
im Tscherkessendorf Abu Gosch west-
lich von Jerusalem hat der aus London
angereiste Jack Brockbank vom Guinness
Buch der Weltrekorde offiziell einen
neuen israelischen Weltrekord aner-
kannt. Der Koch Jawdat Ibrahim aus Abu
Gosch, für guten Humus (Kichererb-
senbrei) wohlbekannt und populär, hat
mit 78 weiteren Köchen und 400 Hel-
fern eine Satellitenschüssel von 5 me-
tern Durchmesser mit genau 4.090 Kilo
Humus gefüllt. Die Schüssel hat die
TV-Übertragungszentrale des benach-
barten newe illan ausgeliehen. So wur-
Die leere Satellitenschüssel ...
de ein vor nur wenigen Wochen in Bei-
rut aufgestellter Weltrekord mit ledig-
lische Bundeslade gestanden hat und
lich 2 Tonnen Humus durchbrochen. ren zur „nationalspeise“ deklarierten
die Kreuzfahrer das neutestamentari-
Zwischen israel, Libanon und den Pa- Kichererbsenbrei in britischen Super-
sche Emmaus vermuteten, schon ein
lästinensern gibt es einen erbitterten märkten einführten. Die Libanesen be-
zehn-Tonner Kichererbsenbrei geplant.
Krieg in der UnO und anderen inter- klagten Verluste in millionenhöhe we-
Libanon beantragte schon ein Patent gen dieses israelischen Vorstoßes. Ein
nationalen Foren wegen Urheberrech-
für Humus, so wie der Feta-Käse der palästinensischer Politiker forderte
ten an dieser von allen Dreien bean-
Griechen oder der Champagner der bei einer Sitzung der Welternährungs-
spruchten nationalspeise. Abu Gosch
Franzosen markenschutz genießen. organisation bei einer Tagung in Kairo,
rechnet mit einer Fortsetzung dieses
„Weltkriegs“ und einem libanesischen Kichererbsen werden seit Tausenden israel wegen dem „Diebstahl“ der von
Vergeltungsschlag. Deshalb wird in Jahren im Gebiet des „Fruchtbaren den Palästinensern beanspruchten
dem Dorf Abu Gosch, wo einst die bib- Halbmonds“ angebaut, sind aber im nationalspeise zu verurteilen.

Tschulent-Variationen
Israelische und arabische Küchenchefs
präsentierten im Januar in einem Jerusa-
lemer Hotel verschiedene Tschulent-Va-
riationen. Unter anderem konnten marok-
© Flash 90/Kobi Gideon

kanische, ungarische, ost-europäische,

und irakische Rezepte verkostet werden.
Tchulent oder Hamin ist ein traditional-
les jüdisches Eintopfgericht, das min-
destens 12 Stunden kochen sollte und
am Schabbat als Mittagessen dient.

Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770 35


Israelische G’schichtln aus 2009
Von Daniella Ashkenazy, JTA/Übersetzung: Karin Fasching-Kuales
Wer an israel denkt verbindet es zu-
meist mit Berichten über Terroran-
schläge, Armeeoperationen oder Sied-
lungsstreitigkeiten. Doch israel und
seine sieben millionen Einwohner
können auch mit ziemlich verrückten
Geschichten aufwarten – hier sind
einige davon aus dem Jahr 2009:
U Die seltsamste Entscheidung israe-
lischer Politiker traf im vergangenen
Jahr wohl die Stadtverwaltung von
netanya. Dort sollte im August die
Hauptstraße im Stadtzentrum mit ei-
nem leuchtend purpurfarbenen An-
strich aufgehübscht werden. Gesagt,
getan. Doch schon im Oktober war die
nicht allzu günstige Verschönerungs-
aktion der gnadenlosen israelischen
Sonne zum Opfer gefallen – schon
sah man wieder überall den schwar-
zen Asphalt...
U Dicht gefolgt wird diese – zugege-
benermaßen recht kreative – Entschei-
dung von jener der Stadtverwaltung
von Hadera. Die fast € 3,5 mio. ver-
schlingende Renovierung des stets ver-
stopften zentralen Kreisverkehrs soll-
te nicht bloß Zu- und Ausfahrten be-
inhalten, sondern auch für die Auto-
fahrer so entscheidende Verbesserun-
36
JÜDISCHE WELT • ISRAEL
©JTA
gen bringen wie Verkehrsampeln, die
hebräische Lieder spielen...
U Auch bei den israelischen Gerich-
ten ging es zuweilen etwas „anders“
zu. So brachte der israeli Shlomo Avni
seinen ganz besonderen Fall vor Ge-
richt, damit ihm erlaubt würde, sich
nach seinem Tod von wilden Tieren
fressen zu lassen, anstatt sich einer
herkömmlichen Beerdigung zu unter-
ziehen. Als lebenslanger Konsument
in der nahrungskette wolle er, erklärte
Avni, auf diese Weise der natur et-
was von ihren Gaben zurückgeben. in
seinem 772 Wörter umfassenden Ur-
teil wünschte das Oberste Gericht dem
80-Jährigen noch ein langes Leben
und lehnte sein Ansuchen einstimmig
ab. Doch Avni meinte daraufhin, er
wolle keinesfalls aufgeben und wür-
de seinen Fall vor den internationalen
Gerichtshof in Den Haag bringen...
U mehr als verblüfft waren wiede-
rum die Bewohner eines Appartement-
hauses in Tel Aviv, als sie herausfan-
den, weshalb – noch dazu während
einer ernsten Wasserknappheit im
Land – ihre Wasserrechnungen jedes
mal zehn bis einhundert mal höher
waren, als die anderer Stadtbewoh-
ner. nachforschungen ergaben schließ-
lich, dass die Wasserleitung ihres
Hauses unterirdisch mit jener eines
angrenzenden öffentlichen Parks ver-
bunden war – und die Bewässerung
dieses Parks von ebenjenen Hausbe-
wohnern mitbezahlt wurde...
U Während 2009 keinen mangel an
tollpatschigen Gaunern und dummen
Polizisten aufwies – inklusive eines
wohl etwas kurzsichtigen Exemplars,
der einer Autofahrerin einen Strafzet-
tel verpasste, weil ihr Bernhardiner
nicht angeschnallt war – fand der
außergewöhnlichste Einbruch im ichi-
lov Krankenhaus von Tel Aviv statt.
Das verwunderte Krankenhausperso-
nal registrierte eines Tages, dass das
riesige Ölgemälde eines bekannten is-
raelischen Künstlers von seinem Platz
an der Wand eines gut frequentierten
Korridors verschwunden war. Kurz
darauf verschwand ein weiteres Ge-
mälde eines anderen israelischen Kün-
stlers und weitere 24 Stunden später
war noch ein Bild verschwunden. mit
Hilfe der Überwachungskameras konn-
te das Rätsel schließlich gelöst werden:
Eine Frau mittleren Alters hatte die
Bilder einfach abgenommen und war
damit unbehelligt durch den Haupt-
eingang hinausspaziert. Dann hatte sie
die wertvollen Gemälde in ihrer nahe
gelegenen Wohnung aufgehängt...
U Das gute Herz eines israelischen
Gerichtsvollziehers rührt ganz beson-
ders. Als er bei einer verarmten Fami-
lie im westlichen Galiläa die ausstän-
digen Schulden eintreiben sollte sah
er auf den ersten Blick, dass diese men-
schen am absoluten Existenzminimum
lebten. Also vermerkte er in seinem
Formular, dass es nichts gab, das er
mitnehmen konnte. Dann nahm er sei-
ne Brieftasche heraus und drückte sei-
nem Gegenüber einige Geldscheine in
die Hand...
U Eine Gruppe überaus religiöser
Einwohner von Ashkelon nahm es be-
sonders genau und kam – wenige mo-
nate nach Ende des Gaza-Kriegs – auf
die glorreiche idee, den Beginn des
Schabbat mittels Sirenen, die sie von
ihren Balkonen aus erklingen ließen,
einzuläuten. Das Ergebnis war eine
mittelschwere Panik unter ihren nach-
barn, die die Sirenen für eine Raketen-
warnung hielten.
U Ein besonders findiger Bürger ne-
tanyas hatte eine ganz besondere Ge-
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

schäftsidee: Er bot zur Unterhaltung
auf Kindergeburtstagspartys einen
Schießstand an, bei dem die Kinder
mit scharfer munition schießen soll-
ten! Das interesse der Eltern hielt sich
dann allerdings doch in Grenzen...
U Die Autobahn Richtung Petach Tik-
vah wurde an einem denkwürdigen
Tag des vergangenen Jahres morgens
um 5.30 Uhr von einem Autofahrer
im wahrsten Sinne des Wortes unsi-
cher gemacht, der wild Zickzack fuhr
und dessen Promillestatus sich weit
über dem erlaubten Grenzwert be-
wegte. Überdies beschäftigten er und
seine Beifahrerin während der Fahrt
mit Dingen, die man üblicherweise
eher auf den Rücksitz verlegt. Als er
schließlich aufgehalten wurde recht-
fertigte sich der Fahrer damit, dass er
nur Schlangenlinien gefahren sei, weil
seine Beifahrerin ihm die Sicht ge-
nommen hätte...
U Eine besonders schwierige Ent-
scheidung hatten hingegen die Söhne
des ehemaligen sephardischen Ober-
rabbiners Ovadia Yosef zu treffen –
sie stritten darüber, welcher Segens-
spruch für den Kinder-Erdnusssnack
Bamba gewählt werden sollte.
U Dafür stach 2009 jener israeli
durch seinen Einfallsreichtum her-
vor, der einen DnA-Test zur identifi-
zierung gestohlener Rinder erfand,
der sogar noch durchgeführt werden
kann, wenn diese längst zu Hambur-
gern verarbeitet worden sind...
U Das unglaublichste Dilemma stell-
te sich aber während des Gazakrieges
im Januar dar: Wie füttert man zwei
eingeschüchterte, hungrige Löwen,
wenn man nur Armeeverpflegung zur
Verfügung hat? Eine israelische mil-
täreinheit hatte die Tiere in einem ver-
lassenen palästinensischen Zoo ent-
deckt und versuchte daraufhin einen
Weg zu finden, um die Löwen entwe-
der aus dem Kriegsgebiet zu schaffen
oder sie zumindest ernähren zu kön-
nen. Bei den israelischen Streitkräften
gibt es ja bekanntermaßen einige
außergewöhnliche Posten – darunter
zwei Kabarettisten und einen Vollzeit-
Zauberer –, doch wer hätte gedacht,
dass auch ein Tierpfleger für Löwen
benötigt würde?
Wie auch immer die iDF es schließlich
angestellt haben – als die Armee aus
Gaza abzog ging es den beiden Tieren
auf jeden Fall wieder bestens...
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
JÜDISCHE WELT • ISRAEL
WELT-AIDS-TAG
Zahl der Neuinfektionen in Israel gestiegen
in israel leben derzeit 4.525 menschen, Diagnose bei 91 von ihnen erst gestellt
die nachweislich an AiDS erkrankt wurde, als das immunsystem bereits
sind. Das Gesundheitsministerium massiv beeinträchtigt war und die Be-
geht jedoch davon aus, dass tatsächlich handlungen das Virus nicht mehr er-
mindestens 6.374 israelis infiziert sind. folgreich unter Kontrolle halten konn-
Das geht aus einer aktuellen Statistik ten. Diese Patienten seien in den meis-
hervor, die anlässlich des Welt-AiDS- ten Fällen heterosexuell, hätten einen
Tages veröffentlicht wurde. niedrigen Bildungsstand, seien nicht in
im vergangenen Jahr gab es bis zum israel geboren, litten unter psychischen
Jahresende 390 neuerkrankungen - Erkrankungen und seien überwiegend
das war die höchste Zahl seit 1998. in weiblich, heißt es laut ‘Jerusalem Post’.
den Jahren 2004 - 2007 gab es pro Jahr Anlässlich des Welt-AiDS-Tages sollen
durchschnittlich etwa 350 neuerkran- in diesem Jahr alle Soldaten kostenlos
kungen. Das Gesundheitsministerium eine Broschüre mit informationen über
wies darauf hin, dass es im vergange- AiDS erhalten. Zudem sollen 30.000
nen Jahrzehnt seine Kampagnen aus- Kondome an die militärangehörigen
geweitet habe, mit denen es zu regel- verteilt werden. Eine kürzlich durch-
mäßigen Bluttests ermutige. Dazu ge- geführte Umfrage unter 500 israelis
höre unter anderem das Angebot von hatte ergeben, dass nur knapp 25% der
kostenlosen Tests. Eine aktuelle Stu- männer Kondome beim Geschlechts-
verkehr mit verschiedenen Partnern
die am Scheba-Krankenhaus in Tel Ha-
Schomer zeigt, dass bei etwa 35% der benutzten.
HiV-Träger die Erkrankung in einem
späten Stadium festgestellt wurde. Laut Angaben der Weltgesundheits-
Itzik Levy, Leiter der Abteilung für organisation (WHO) sank die Zahl der
Geschlechtskrankheiten, untersuchte weltweiten neuinfektionen seit 2001
für die Studie alle 258 Fälle, die im um 17%auf derzeit 2,7 mio. menschen.
Krankenhaus seit 1988 diagnostiziert Damit leben insgesamt rd. 33,4 mio.
wurden. Dabei stellte er fest, dass die menschen mit dem AiDS-Virus. inn
160 Jahre Leopoldstadt
Sonderausstellung im Bezirksmuseum
im Bezirksmuseum Leopoldstadt wird von 17. Januar bis
16. Juni die Sonderausstellung „160 Jahre 2. Bezirk“ ge-
zeigt. Fotografien, modelle und andere Schaustücke er-
möglichen den Besucherinnen und Besuchern einen umfas-
senden Rückblick auf die Leopoldstädter Bezirkshistorie.
historische exponate, modelle, schriftstücke und filme
Gemäß den Festlegungen in der „Gemeindeordnung 1850“
wurde die damalige Stadt mit zahlreichen Vorstädten ver-
eint und das neu geschaffene Verwaltungsgebiet in acht
Bezirke gegliedert. Die Exponate reichen von der antiquier-
ten Kopfbedeckung eines Polizeibeamten bis zu einer
Straßenbahn im Kleinformat und offiziellen Amtsketten frü-
herer Bezirksvorsteher. Das ehrenamtlich tätige museumsteam hat eine beachtens-
werte „Zeitchronik der letzten 160 Jahre“ erstellt.
Die museumsbesucherinnen und museumsbesucher können verschiedenste mo-
delle - unter anderem von der Wehranlage und dem Gebäude der Pensionsversi-
cherungsanstalt - sowie zwei Filme sehen. neben einem Streifen über Fortschritte
im öffentlichen Verkehr im 2. Bezirk („Von der Pferdetramway bis zur U2“) wird
im Rahmen dieser Ausstellung erstmalig der Bezirksfilm „Leopoldstadt“ vorge-
führt. Die Gestalter der Schau haben sich besonders der Schwerpunkte „Donau“,
„Weltausstellung“ sowie „Persönlichkeiten im Bezirk“ angenommen.
37

Filmproduzentin Philippa Kowarsky
Mit humorvollen, selbstkritischen und
professionellen Dokumentar- und Spiel-
filmen machen israelische Produktionen
immer mehr Furore auf internationalen
Festivals und sind dadurch gut im Ge-
schäft
VON MARTA S. HALPERT
Einen aufstrebenden Wirtschaftszweig
vermutet man hier keinesfalls. in der
Levontin Straße am südlichen Ende
von Tel Aviv, knapp vor Jaffo, erinnert
vieles an die Atmosphäre auf der new
Yorker Lower East Side: Ein Textilge-
schäft reiht sich ans andere, die bunte
meterware ist bis zur Decke aufgesta-
pelt. Die riesigen Stoffballen hinter
KULTUR
den Glasscheiben haben ihre stolzen
Farben längst an die kräftigen Sonnen-
strahlen verloren. Das material wirkt
ähnlich altersschwach wie die Häuser
aus der Tel Aviver Gründerzeit.
Dennoch siedeln sich hier, wo die
mieten günstiger sind, junge Start-up
Firmen an. Und hier befindet sich auch
38
KULTUR • FILM
Der israelische Film
im Scheinwerferlicht
das Hauptquartier der erfolgreichsten und anerkannte Drehbuchautoren
Filmproduzentin israels: Philippa Ko- und Regisseure entwickelt.
warsky. Ab 1993, gleich nach ihrem
Am 22. Januar startete in den österrei-
m.A. Abschluss in Kommunikations-
chischen Kinos der von Dänemark,
wissenschaften an der City University
den USA, israel und Österreich ge-
of London, begann sie auf den ver-
meinsam produzierte 93-minuten-Do-
schiedensten Gebieten in der Film-
kumentarfilm „Defamation“, der eine
und Fernsehindustrie zu arbeiten: Pro-
ganze Reihe von angesehnen Preisen
duktion, Entwicklung und Verkauf in-
eingeheimst hat: unter anderem bei
teressierten sie gleichermaßen. „Ich war
der Berlinale, in montreal, madrid,
so fasziniert von der gesamten Materie,
Florenz, Kopenhagen, London und
von der Möglichkeit Filmemacher bei in-
ternationalen Festivals zu treffen und mit Warschau. mit rund zwanzig mitar-
beitern bereist Philippa Kowarsky das
ihnen gute Drehbücher zu verwirklichen,
ganze Jahr alle internationalen Film-
dass ich 1997 Cinephil gegründet habe“,
festivals, sowohl für Spiel- als auch
erzählt Kowarsky im interview mit der
für Dokumentarfilme. „Wir sind stän-
‘Gemeinde’. Cinephil vertreibt heute
dig auf der Suche, in der englischen Fach-
weltweit Verleihrechte für internatio-
nale, israelische und palästinensische sprache scouting genannt, sowohl nach
Filme und hat sich zum führenden Ver- fertigen internationalen Produktionen, die
trieb für renommierte Produzenten wir verleihen wollen, als auch nach jun-
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

gen aufstrebenden Drehbuchautoren und
kreativen Film-Neulingen.“ in der Zwi-
schenzeit ist Cinephil zu einem der
begehrtesten Koproduzenten von
wichtigen TV-Sendern wie ARTE, 3Sat,
ORF, WDR (und weiteren ARD-Regio-
nalsendern) sowie dem ZDF gewor-
den. Aber auch die englische BBC so-
wie kanadische und australische Un-
ternehmen suchen die Kooperation
mit Cinephil.
Wie entstand der Boom des
israelischen Films?
Worauf führt die Produzentin diesen
internationalen Erfolg des israelischen
Films in den letzten Jahren zurück?
„Das beruht auf einigen sehr positiven
Entwicklungen“, erklärt Kowarsky.
„Erstens hat Israel seit den frühen 90-er
Jahren eine Reihe von sehr guten Filmaka-
demien und Ausbildungsstätten geschaf-
fen. Von dort kommt das große Potential
an guten Leuten. Das motiviert natürlich
auch Investoren sich an diversen Projekten
zu beteiligen. Und zweitens hat sich durch
die erfolgreiche TV-Kommerzialisierung
und das Kabelfernsehen ein neuer Markt
für den israelischen Film allgemein aufge-
tan.“ Besonders stolz ist Philippa
Kowarsky auf den Umstand, dass es
sich bei den interessenten nicht nur
um Amerikaner, sondern verstärkt
auch um europäische und fernöstli-
che Käufer handelt.
Beruht die nachfrage in den USA –
und insbesondere jene in Hollywood
– auf einem gewissen positiven Senti-
ment für israel? Sind die jüdischen
Einkäufer eventuell davon beein-
flusst, dass es sich um Produktionen
aus dem jüdischen Staat handelt? Die-
ses Ansinnen weist die Geschäftsfrau
heftig zurück: „Nein, sicher nicht, wenn
es um dieses beinharte Geschäft geht. Die
israelischen Filme sind zu einer interna-
tionalen Qualität gereift und alles ist ein-
fach viel professioneller geworden. Erst
jüngst sagte mir ein Filmexperte in New
York, dass bei unseren Angeboten alles ge-
nau so passen müsste, wie aus jedem an-
deren Land ‘Business has to work’, war
seine klare Aussage!“
Und auch wenn ihr Herz mehr für die
qualitativ-anspruchsvollen und oft
auch kritischen Dokumentarfilme
schlägt, weiß Kowarsky die Tragweite
und den Effekt international erfolg-
reicher Filmproduktionen richtig ein-
zuschätzen: „Waltzing with Bashir“,
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
KULTUR • FILM
„The Visit of the Band“ oder die Ver-
filmung des Bestseller-Romans von
Zeruya Shalev „Liebesleben“ haben
viele positive impulse gegeben. mit
der arabischen israelin Suha Arraf, die
den palästinensisch-israelischen Kon-
flikt in ihrem Drehbuch zu dem Film
„Lemon Tree“ behandelt hat, ko-pro-
duziert Cinephil jetzt mit der ARD ei-
nen neuen Film über „The Women of
Hamas“ und ebenfalls mit der ARD
den Streifen „Hitlers Children.“
Exklusiv-Verträge mit anerkannten is-
raelischen Regisseuren wie Amos Gitai,
Yoav Shamir, Hanoch Zeevi, Yaron
Zilberman und David Ofek ermög-
lichen Kowarsky viele außergewöhn-
liche Produktionen zu gestalten. „Bei
den internationalen Filmfestspielen, die
wir regelmäßig besuchen, können wir mehr
als eine Schiene unserer Aktivitäten bedie-
nen. Wir hören uns einerseits verschie-
denste Ideen und Vorschläge zu Filmen an
und entscheiden dann, ob sie ausbaufähig
sind. Andererseits sehen wir dort Filme,
für die wir selbst Marketingstrategien ent-
wickeln und deren Verleih und Verkauf
wir in der Folge übernehmen.“ Als
besondere Auszeichnung für die loka-
le Filmindustrie sieht Kowarsky den
Umstand, dass internationale, finanz-
kräftige Produzenten oft ein Remake
eines israelischen Films machen: „Sie
finden die story so gut, dass sie die Rechte
kaufen und eine englisch- oder deutsch-
sprachige Version mit berühmten Schau-
spielern und größerem Aufwand drehen.“
Von Veit Harlans Jud Süß bis zum
Wettbewerb der Muezzine
Die Bandbreite jener Produktionen,
die Cinephil anbietet, ist vielfältig in
der Thematik und höchst spannend
in der Ausführung, teilweise sind sie
auch von gesellschaftspolitischer Bri-
sanz. Hier drei Beispiele aus der gros-
sen Auswahl: „Harlan, im Schatten von
Jud Süß“ ist ein Film des deutschen
Historikers Felix Moeller, der auch
eine Biographie von Hitlers Propagan-
daminister Joseph Goebbels verfasst
hat. in seinem 100-minuten Kinodoku-
mentarfilm widmet er sich diesmal
Veit Harlan, dem meisterregisseur in
den Diensten von Goebbels, der mit
„Jud Süß“ einen der schändlichsten
antisemitischen Hetzfilme der nS-Zeit
schuf. Als ebenso besessener wie
begabter Künstler ist Veit Harlan die
schillerndste Figur des nazi-Films ne-
ben Leni Riefenstahl. „Vielen jungen
Menschen sagt heute der Name Veit Har-
lan nichts mehr. Aber Leni Riefenstahl ist
als Sinnbild jener Zeit präsenter und so
kann man seine Geschichte gut vermit-
teln“, meint auch Kowarsky. Harlans
„Jud Süß“ haben millionen Deutsche
und andere Europäer gesehen, er präg-
te die Vorurteile unzähliger Zuschauer.
nach dem Zweiten Weltkrieg wurde
Veit Harlan für seinen Film „Jud Süß“
zweimal wegen Verbrechen gegen die
menschlichkeit angeklagt – und beide
male freigesprochen.
Der Film erzählt die Geschichte des
umstrittenen Regisseurs und wie sich
seine Kinder und Enkel bis heute mit
der Person und den Filmen ausein-
andersetzen. Sein ältester Sohn Tho-
mas und seine Töchter maria und Su-
sanne erlebten zwei Prozesse gegen
den Vater, aber auch, wie er scheinbar
ungebrochen weiter Filme in der jun-
gen Bundesrepublik drehte. ihre Re-
aktionen darauf fielen – zerrissen
zwischen Vaterliebe und Abrechnung
– teilweise extrem aus.
Veit Harlan polarisierte die Gesell-
schaft der 50er Jahre. War er nazi?
War er Antisemit? Ein „mordinstru-
ment“ nannte Thomas Harlan den
Film“Jud Süß“ und brach mit dem Va-
ter – zu einer Versöhnung kam es erst
auf dem Totenbett. Seine Schwester
maria wollte nach dem Krieg Schau-
spielerin werden und musste den na-
men Harlan ablegen, weil sie sonst
keine Engagements bekommen hätte.
Gemeinsam litten sie unter dem
schändlichen Erbe – aber auch tiefe
Risse in der Familie werden sichtbar,
39

wie damit umzugehen sei und ob man
den Vater öffentlich kritisieren dürfe.
Bis hin zu Veit Harlans nichte Chris-
tiane, Witwe des legendären Regis-
seurs Stanley Kubrick, reicht diese ver-
zweigte Familie. Enkelin Jessica Ja-
coby – der eine Großvater war Veit
Harlan, der andere ein im Holocaust
ermordeter jüdischer Kaufmann – ver-
körpert wie keine andere die Spaltung
deutscher Familien in Opfer und Täter.
44 th
KARLOVY VARY
muezzin
INTERNATIONAL FILM FESTIVAL
Documentary Competition
15 th
SARAJEVO
FILM FESTIVAL
Documentary Competition
8 th
DOKUFEST PRIZREN
Documentary Competition
Produced by Sebastian Brameshuber, KGP Kranzelbinder Gabriele Production, David Bohun Written & Directed by Sebastian Brameshuber
Govinda Van Maele Sound Marco Zinz Editing Gökçe nce www.muezzindocumentary.com www.kgp.co.at
Cinematography
Sebastian Brameshuber, 1981 in Oberös-
terreich geboren, studierte in Salzburg
und schaffte es in den Cinephil-Verleih
und zu den Dokufestivals in Karlovy
Vary (Tschechien) und Sarajevo als Re-
gisseur und Koproduzent des inde-
pendentfilms* „muezzin“.
mit viel Humor und Feingefühl drehte
er in der Türkei die erheiternde Ge-
schichte des landesweiten Wettbe-
werbs um den Titel des „besten mu-
ezzins“ seiner Heimat. Wie kommt es,
dass ein junger Wiener Filmemacher
sich den islamischen Gebetsruf zum
Thema seines ersten Dokumentarfilms
macht? „Ich bin über den HipHop auf
den Klang des islamischen Gebetsruf auf-
merksam geworden. Er hat mich vor allem
aus einem musikalischen Interesse heraus
fasziniert,“ erläutert Brameshuber. „Ge-
rade in der Türkei ist ein sehr komplexes
musikalisches Verständnis dahinter. Bei
meinem ersten Istanbul-Aufenthalt hab ich
dann einen Muezzin getroffen, der mir nä-
her über seinen Beruf erzählt hat. Damals
erfuhr ich von den Muezzin-Wettbewer-
ben, und damit waren bei mir die nötigen
Schalter umgelegt, dass das ein Thema
für einen Film sein könnte.“
40
KULTUR • FILM
„The Judge“ („Der Richter“) heißt das
berührende und eindrucksvolle Porträt
des ehemaligen Präsidenten des israe-
lischen Verfassungsgerichtshofs, Aha-
ron Barak. „Viele sind überzeugt, dass es
das Verdienst von Barak war und ist,
dass Israel als westliche Demokratie und
funktionierender Rechtsstaat international
angesehen und anerkannt ist“, zeigt sich
Philippa Kowarsky überzeugt. nur
durch sein entschiedenes Auftreten
gegen die Gefahren der intoleranz, der
Xenophobia und durch die Bewahrung
des Ausgleichs zwischen israels Rech-
ten als Staat und den Verpflichtungen
als ernstzunehmende Demokratie, habe
er oft kontroversielle Entscheidungen
getroffen und so dieses Ansehen ge-
wahrt. „Als Überlebender der Shoah fiel
es ihm sicher nicht leicht, beim Prozess ge-
gen Demjanuk („Ivan der Schreckliche“)
im Zweifel für den Angeklagten zu ent-
scheiden“, ist Kowarsky überzeugt.
A film by Sebastian Brameshuber
Bei der „Viennale“ in Wien war erst
kürzlich ein Film von Cinephil zu se-
hen: „Watermarks“ („Hakoah Lischot“)
die Geschichte von sieben Frauen, mei-
sterschwimmerinnen des jüdischen
Sportklubs Hakoah im Wien vor dem
Zweiten Weltkrieg. Sechzig Jahre spä-
ter kehren sie, die über drei Konti-
nente verstreut lebten, gemeinsam für
eine Woche nach Wien zurück, auf An-
regung des Filmemachers und um den
Spuren ihrer Jugend, ihrer Erinnerun-
gen und ihrer Zusammengehörigkeit
zu folgen. Der Film berichtet auch vom
Sportklub Hakoah, der bis zu seiner
Zwangsauflösung 1938 einer der
größten Europas war.
Wie umgehen mit Antisemitismus
heute?
„Defamation“, der mehrfach ausge-
zeichnete Dokumentarfilm, der am 22.
Januar österreichweit startete, beginnt
als eine Reportage gegen Antisemitis-
mus und über menschen, die es sich
zur Aufgabe gemacht haben, Antise-
mitismus weltweit aufzudecken und
ihn zu bekämpfen. Dazu zählt die An-
ti-Defamation League (ADL) in new
York mit seinem umtriebigen Chef,
Abe Foxman, an der Spitze. im Zuge
seiner Arbeit an diesem Film entdeckt
der Regisseur Yoav Shamir allerdings,
dass ein Bestehen auf den Antisemitis-
mus auch ein lukratives Geschäft sein
kann. Der zweite, vermutlich noch dra-
matischere Aspekt, den Shamir in sei-
nem Film aufdeckt, ist die systemati-
sche indoktrinierung junger menschen
in israel, denen beigebracht wird, dass
die ganze Welt Juden hasst, und dass
die einzige möglichkeit, sich als israeli
zu definieren, über diesen weltweiten
Hass ist. „Es ist erschütternd zu sehen,
wie sich die jungen Israelis im heutigen
Krakau in ihren Hotelzimmern einsper-
ren und nicht auf die Straße trauen, weil
‚alle Polen, alle Juden hassen’. So wird es
ihnen jedenfalls eingebläut,“ entsetzt sich
Kowarsky. „Defamation“ befasst sich
mit der nutzung und der Produktion
dieser Art negativer Stereotypen.
Was bedeutet Antisemitismus heute,
zwei Generationen nach dem Holo-
caust? Bei seiner kontinuierlichen Er-
forschung des modernen Lebens der
israeli bereist Regisseur Yoav Shamir
(„Checkpoint“, „5 Days“, „Flipping
Out“) die Welt, sucht nach den mo-
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

dernsten Erscheinungsformen des „äl-
testen Hasses“ und findet einige alar-
mierende Antworten auf diese Frage.
Er begleitet amerikanisch-jüdische
Aktivisten in europäische Hauptstäd-
te bei ihrer mission, die Regierungen
vor der wachsenden Gefahr des Anti-
semitismus zu warnen, und er heftet
sich an die Fersen einer israelischen
Schulklasse bei ihrer Gedenkfahrt
nach Auschwitz. Auf seiner Reise
trifft Shamir auch den kontroversiel-
len US-Historiker norman Finkelstein,
der seine unpopulären Ansichten
verbreitet, dass der Antisemitismus
von der jüdischen Gemeinschaft und
im Besonderen von israel, benützt
wird, um politisch zu punkten. Shamir
spricht auch mit Stephen m. Walt und
John J. mearsheimer, nach ihrem Vor-
trag in israel, die nach dem Erschei-
nen ihres Buches „Die israel-Lobby
und die amerikanische Außenpolitik“
über den unausgeglichenen Einfluss,
den die israel-Lobby in Washington
genießt, scharf angegriffen werden.
Der Film stellt unsere Ansichten und
Terminologie in Frage, wenn ein Vor-
fall von einigen als antisemitisch be-
schrieben wird und von anderen als
legitime Kritik an der israelischen Poli-
tik. „Defamation“ ist eine aufregende
politische Reportage, die noch für viel
Diskussionsstoff sorgen wird.
Philippa Kowarsky scheut kein poli-
tisch heißes Eisen, nimmt aber in ihre
Produktionspalette auch gerne litera-
risch hochwertige Arbeiten auf, wie
zum Beispiel jene von den berühmten
Autoren Amos Oz („The nature of
Dreams“ basierend auf seiner Autobi-
ographie) und David Grossman („So-
meone to Run With/Wohin du mich
führst“, eine Koproduktion mit An-
drew Braunsberg aus Wien). Als Ge-
schichtenerzählerin passt Philippa
Kowarsky vielleicht doch gut in das
alte Tel Aviver Textilviertel, denn sie
fasziniert mit jenen Stoffen, aus de-
nen menschliche Schicksale mit ihren
Webfehlern gestrickt sind.
* Independentfilme sind zumeist „kleine“ Filme: Sie
sind mit geringem Geldeinsatz und oft unter ho-
hem Zeitdruck hergestellt, dafür gehen sie kreativ mit
ihren Geschichten um ohne den Hollywood-Erzähl-
mustern zu folgen. Er entstand aus einer Unzu-
friedenheit einiger Filmemacher, die sich von den
großen US-Studios zu sehr gegängelt fühlten und
die ihre künstlerischen Ideen verwirklicht sehen woll-
ten. Sie machten sich auf die Suche nach anderen Fi-
nanziers und anderen Distributionswegen, um
ihre Filme produzieren zu können.
Tewet/Schwat 5770
KULTUR • FILM
DIE 10 BESTEN ISRAELISCHEN FILME
DES JAHRZEHNTS
Yossi & Jagger (2002) - Der Film erzählt, basierend auf einer wahren Geschichte,
vom Überleben junger Leute in einer unmöglichen Welt. Eine Liebesgeschichte in-
nerhalb der israelischen Armee. Das wäre an sich nichts Aussergewöhnliches,
handelte es sich dabei nicht um den Zugführer und dessen Korporal, die ihre heftige
Affäre vor allen geheimhalten müssen.
Campfire (2004) - Alleinstehende Frauen haben es schwer. Vor einem Jahr ist der
Ehemann von Rachel, einer Frau Anfang 40, gestorben, und sie ist mit ihren beiden
Töchtern Tami und Esti allein. Der Film erzählt von Rachels Plan mit beiden aus
der Stadt fortzuziehen und ihrer Bewerbung um Aufnahme in eine Siedlung. Aber
die religiöse Siedlung will keine unverheiratete Frau – zu problematisch – und so
schlägt man ihr vor, sich mit möglichen Partnern zu treffen.
Die syrische Braut (2004) - Monas Hochzeitstag wird der bewegendste Tag ihres
Lebens sein: sie lebt mit ihrer Familie in dem von Israel besetzten Teil der Golanhö-
hen und heiratet auf „die andere Seite der Grenze“ nach Syrien. Der Bräutigam ist ein
entfernter Verwandter, der syrische TV-Star Tallel. Sobald Mona jedoch nach Syrien
eingereist ist, wird sie israelisches Territorium nicht mehr betreten können. Das heißt,
sie muss sich an diesem Tag für immer von ihrer geliebten Familie verabschieden.
Turn left at the End of the World (2004) - 1969 treffen in einer kleiner Stadt in
der israelischen Wüste indische auf marokkanische Einwanderer. Es kommt zu ko-
mischen Szenen, wenn alte Feinde kulturelle Minenfelder überwinden und zwei
Teenager das entdecken, was wir als die sexuelle Revolution der Sechziger kennen.
Sweet Mud (2006) - Dviri wächst in den 1970er Jahren mit seiner verwitweten
Mutter Miri in einem Kibbuz auf, wo sich die Gemeinschaft zwar um das Wohl des
Jungen und die psychisch kranke Miri kümmert, aber auch rigid ihre Regeln durch-
setzt. Der Junge entzieht sich daher immer wieder der sozialen Kontrolle. Der
Besuch von Miris extravagantem Geliebten aus der Schweiz hellt für einige Tage de-
ren Gemüt auf und bringt neuen Schwung in die starr gewordene Gemeinschaft.
Da nach der überstürzten Abreise des Besuchers die junge Mutter wieder in Depres-
sionen versinkt, sucht Dviri ihr mittels eines Tricks wieder Hoffnung zu geben. Dabei
erfährt er endlich die Wahrheit über den Tod seines Vaters.
Die Band von Nebenan (2007) - Ein ägyptisches Polizeiorchester unter der
Leitung von "General" Tawfiq folgt der Einladung eines arabischen Kulturzentrums
in Israel, um an dessen Einweihungsfeier zu musizieren. Erste große Ernüchterung
macht sich nach Ankunft am Flughafen breit, als dort weder ein Empfangskomitee
noch ein Chauffeur bereitstehen. Was tun? Auskennen tut sich niemand, die
Englischkenntnisse sind mangelhaft, die Ratlosigkeit hingegen ist gross.
Beaufort (2007) - Wir schreiben das Jahr 2000. Der erst 22-jährige Liraz ist
Kommandeur des israelischen Militärstützpunktes Beaufort im Libanon. Seit dem
Libanonkrieg 1982 ist diese auf einem strategisch äußerst wichtigen Berg liegen-
de alte Kreuzfahrerfestung unter israelischer Kontrolle. Da sich Israel aber aus
dem Libanon zurückzieht, wird auch Beaufort als Militärstützpunkt nicht mehr
lange bestehen.
Jellyfish (2007) - Die Serviertochter Batya führt ein eher gleichgültiges Leben. Ihr
Freund zieht Leine, der Vermieter kümmert sich nicht die Bohne um den Wasserfleck
an der Decke und der piesackende Boss an den Hochzeiten, bei denen sie im Cate-
ring mithilft, kann ihr eigentlich gestohlen bleiben. Bis ihr am Strand von Tel Aviv ein
scheinbar stummes Mädchen zuläuft, das außer einem Schwimmring keine weiteren
Habseligkeiten hat.
Waltz with Bashir (2008) - Als ihm ein Freund aus alten Tagen in einer Bar von
seinem wiederkehrenden Albtraum erzählt, in dem er jede Nacht von 26 wilden
Hunden gehetzt wird, vermutet der Regisseur Ari eine Verbindung zu den gemein-
samen Einsätzen im ersten Libanon-Krieg zu Beginn der 80er Jahre. Denn zu sei-
ner Verwunderung kann auch Ari sich nur schlecht an die Erlebnisse aus dieser Zeit
erinnern. Er entschliesst sich deshalb, alte Kameraden auf der ganzen Welt aufzusu-
chen, um mittels Gesprächen hinter das Geheimnis dieser Epoche und seiner per-
sönlichen Involvierung darin zu kommen. Je tiefer Ari in den Erinnerungen buddelt,
desto surrealer werden die Bilder, die rund um seinen Einsatz als Soldat zum Vor-
schein kommen.
Libanon (2009) - Der erste Libanonkrieg im Jahr 1982: Vier junge israelische Sol-
daten sind in einem Panzer unterwegs um eine feindliche Stadt zu suchen, die
zuvor schon von der israelischen Luftwaffe bombardiert worden ist. Kommandant
Assi, Kanonier Shmulik, Lader Hertzel und Fahrer Yigal, alle erst um die 20 Jahre
alt, sind keine ausgebildeten Kampfmaschinen, sondern normale junge Männer,
die unvermittelt für diesen Krieg aufgeboten wurden.
Januar 2010 -
41

An den österreichischen Unis gärt es.
Überfüllte Hörsäle, schlechte Betreuungs-
verhältnisse und viel zu niedrige finanziel-
le Ausstattung sind das eine. Zunehmend
machen Studierende – und Lehrende –
aber auch gegen die fortschreitende Ver-
schulung der Unis mobil. Es scheint, als
sollten junge Menschen bloß noch für das
Funktionieren auf dem Arbeitsmarkt fit
gemacht werden. Kritisches Denken, Hin-
terfragen, Selbstorganisation bleiben da-
bei auf der Strecke. Leistet man damit ei-
nen guten Dienst für die Gesellschaft? Wie
kann, wenn dies nötig wird, der viel be-
schworene zivile Ungehorsam entstehen,
wenn junge Leute dazu erzogen werden,
kritiklos Wissen in ihre Köpfe zu stopfen?
VON ALEXIA WEISS
„Ich kenne persönlich nichts anderes als
das Bachelorstudium. Ich weiß nur, dass
es nicht das Studium ist, von dem mir alle
erzählt haben, sondern ein Studium, das
wie in der Schule – nur mit Massenvorle-
sungen – durchgezogen wird und keine
persönlichen Freiräume lässt“, bedauert
Julian Schmid. Der 20-Jährige studiert
an der Universität Wien Politikwis-
senschaft und Volkswirtschaft. Sein
Fazit: „Der Bachelor ist wie eine Zwangs-
jacke für bildungshungrige Leute.“
Was aber ist das Bachelorstudium?
Sei wann gibt es diese Studienform,
wie unterscheidet sie sich vom bishe-
rigen Diplomstudium, das mit dem
akademischen Grad magister been-
det wurde? 1999 beschlossen die mi-
nister von 29 europäischen Staaten in
Bologna die größte Unireform in der
europäischen Geschichte. Das Ziel: bis
2010 sollten die mittlerweile 45 teilneh-
menden Länder ihre alten Unistruktu-
ren abschaffen, um einen gemeinsamen
Hochschulraum zu schaffen. Gelingen
sollte das mit vergleichbaren Abschlüs-
sen und Rahmenbedingungen, die
eine hohe Studierendenmobilität er-
lauben.
Für Österreich bedeutet das: das bis-
herige System, wonach man zunächst
ein Diplomstudium absolviert, das mit
den Titeln magister oder Diplominge-
nieur abschließt, und danach ein Dok-
toratsstudium anschließt, wurde suk-
zessive auf die neue Studienarchitektur
umgestellt. nun belegt man zunächst
ein Bachelorstudium (meist sechs Se-
mester), danach ein masterstudium
(meist vier Semester) und schließlich
ein PhD-Studium. Der Abschluss
42
KULTUR • INLAND
Die Zwangsjacke Bologna-Architektur
master entspricht dem bisherigen ma-
gister, PhD dem bisherigen Doktorat.
Der Bachelor-Abschluss ist neu und
für all jene gedacht, die keine wissen-
schaftliche Laufbahn einschlagen wol-
len und soll vor allem eines bringen:
ein kompaktes Studium, das in abseh-
barer Zeit zu absolvieren ist. Steigen
soll so auch die Akademikerquote.
nur spießt es sich hier zu Lande hin-
ten und vorne. Problem eins: der Abs-
chluss wird gesellschaftlich kaum an-
erkannt. So veröffentlichte die Arbei-
terkammer jüngst Umfrageergebnisse,
wonach 38% der Befragten Bachelors
keine guten Berufschancen einräum-
ten. Rund ein Viertel traute sich kein
Urteil zu. mehr als 40% konnten mit
den Titeln Bachelor und master nichts
anfangen. Die Konsequenz: 87% der
bisherigen Bachelor-Absolventen ha-
ben unmittelbar danach ein master-
Studium angeschlossen. Damit wur-
de die Studiendauer nicht verkürzt,
sondern verlängert.
Problem zwei: die Einführung der Ba-
chelor-Studien führte zu einer Ver-
schulung der Unis. Was der Student
Julian Schmid kritisiert, ist auch aus
Lehrenden-Kreisen nicht selten zu
hören. Wahrscheinlich ist dies auch mit
ein Grund, warum die studentische
Protestbewegung, die in den vergan-
genen monaten österreichweit mit der
Besetzung von Hörsälen – allen voran
des Audimax an der Universität Wien
- auf sich aufmerksam machte, bis
hinauf zu den Uni-Spitzen durchaus
auf Verständnis stieß.
neben einer besseren finanziellen Aus-
stattung der Unis und dem Erhalt des
freien Hochschulzugangs machen die
aufbegehrenden Studenten auch gegen
den Bachelor mobil: so war bei einem
Demonstrationszug mitte november
auf dem Wiener Ring beispielsweise
ein Transparent mit der Aufschrift
„Wir lassen uns nicht Bakk.en“ zu lesen.
Bakken? in der Anfangsphase der Um-
stellung auf diese so genannte Bolo-
gna-Studienarchitektur wurde in Ös-
terreich das nunmehrige Bachelor-Stu-
dium Bakkalaureatsstudium genannt.
Auch das trägt zur Verwirrung bei.
Wie kann man sich diese Verschulung
vorstellen? Gloria Schaupp (25) studiert
an der Universität Wien internationale
Entwicklung (ein individuelles Di-
plomstudium) und an der Wirtschafts-
universität (WU) Wien Volkswirtschaft
(Bachelorstudium). Sie kennt daher
beides. ihr Schluss: „Durch die Umstel-
lung auf das Bachelor/Mastersystem wird
den Studierenden viel an Eigenständigkeit
genommen. So ist es nicht mehr möglich,
freie Wahlfächer zu belegen.“ Außerdem
würden auf Grund der verkürzten
Studiendauer (vergleicht man das
bisherige Diplomstudium mit dem
nunmehrigen Bachelorstudium) die
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

wissenschaftliche vertiefenden Fächer,
allen voran Seminare, immer mehr
aus dem Studium hinausgedrängt.
Schaupp, die sich an der WU innerhalb
der studentischen Protestbewegung
engagierte, weiter: „Vielfach erscheint
es so, dass dieses neue System dazu konzi-
piert wurde, den Studierenden – in mög-
lichst kurzer Zeit – Anwendungskennt-
nisse auf den verschiedenen Gebieten bei-
zubringen und somit möglichst effizient
ausgebildetes Humankapital an den Ar-
beitsmarkt zu bringen. Während in den
Diplomstudien eine gegenseitige Anre-
chenbarkeit der verschiedenen Studien-
richtungen (über die freien Wahlfächer,
Anm.) möglich war, wird dies im neuen
System unterbunden. Darum lässt sich
meines Erachtens auch der geringe Stellen-
wert trans- beziehungsweise interdiszi-
plinärer Forschung beziehungsweise Leh-
re ablesen.“ Die Studentin meint zwar,
dass „eine Verschulung nicht notge-
drungenerweise zu weniger kritischen Stu-
dentInnen führt“. Aber: „Bei entspre-
chend schwierigen Rahmenbedingungen
wie Unterfinanzierung ist dies nahezu un-
umgänglich.“
Agnes Hunyadi (25) studiert an der Uni-
versität Wien Psychologie (Diplom-
studium). Sie ist „froh, dass ich noch eine
Magistra sein werde, denn es wird lange
brauchen, bis sich dieses neue System in
den Köpfen manifestiert hat und ich will
keinerlei Nachteile im Berufsleben haben“.
Sie bewertet die neue Studienarchitek-
tur als „absolut noch nicht ausgereift“.
Und zieht Vergleiche zum Fachhoch-
schul-Sektor. Bisher hätten sich die
beiden Ausbildungssysteme massiv
voneinander unterschieden: „Während
der ganz spezifischen Fachhochschul-Aus-
bildung liegt keine Notwendigkeit der
Selbstorganisation vor. Somit entsteht
auch kein Druck, man hat immer eine An-
sprechperson, die einem sagt, was zu tun
ist, was man zu lernen hat. Es wird einem
einfach alles auf dem Präsentierteller vor-
gelegt.“ An der Uni sei man bisher da-
gegen auf sich alleine gestellt gewesen.
Was anfänglich schwer falle, aber
schließlich die Eigenständigkeit erhöhe.
mit dem Bachelor-System gehe man
aber nun in die Richtung, die an den
Fachhochschulen praktiziert werde.
„Besonders den Geisteswissenschaften
muss der Raum der Entfaltung gelassen
werden“, appelliert die Studentin an
die Bildungsverantwortlichen. „Und
wenn es vielleicht mal sieben Jahre dauert:
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
KULTUR • INLAND
es geht hier um Reifung des Herzens. Es
geht um Wissensanreicherung und Wis-
sensverinnerlichung. Diese Zustände las-
sen sich nicht in Zeit messen.“ Denn:
„Was hat es für einen Sinn, schnell, schnell
für einen Multiple Choice-Test zu lernen
und den Inhalt genauso schnell wieder zu
vergessen?“
Gregor Schlump studiert ebenfalls Psy-
chologie – aber an der Uni Klagen-
furt. Der 25-Jährige ist Deutscher und
befindet sich noch in einer Diplom-
studienordnung. Die stattfindende
Verschulung ist ihm ein Dorn im Auge.
„Das Studium in seiner chaotischen Form
ist meiner Meinung nach wichtig, um
einen Menschen zu formen.“ Und: „Ich
denke, dass die Studierenden dadurch, dass
ihnen die Entscheidungsfreiheit abgenom-
men wird, in die Unmündigkeit abdriften.
Wird den Studierenden ein fest gelegter
Stundenplan vorgelegt, beschäftigen sie
sich nicht mehr so intensiv mit den ange-
botenen Fächern und laufen wie die
Schafe dem Schäfer hinterher.“
in den meisten Studien wurde bereits
auf das neue System umgestellt: doch
manche weigern sich beharrlich. Das
können sie, denn der Vertrag von Bo-
logna ist völkerrechtlich nicht bin-
dend. Die Hochschulen müssen diese
Studienarchitektur also nicht umset-
zen. Allerdings entspricht dies nicht
der intention des Wissenschaftsminis-
teriums. Und so spießt es sich dann in
den Verhandlungen um die finanzielle
Ausstattung von Studien mit dem
Wissenschaftsressort.
Kämpferisch gibt man sich beispiels-
weise an der Akademie der Bilden-
den Künste in Wien. Dort wurde im
Oktober zum „Generalstreik“ aufge-
rufen, denn, wie es Martina Pfingstl,
Studentin und Senatsmitglied formu-
lierte: „Eigeninteressen oder Neigungen
zählen nicht mehr, sondern nur die
scheinbare Qualifikation aus möglichst
auf den Arbeitsmarkt abgestimmten Stu-
dien – und alles, was nicht ökonomischen
Interessen entspricht, kann dann ja abge-
schafft werden“. Eine Studentin aus dem
Protestbüro, das auch als Gruppe „ma-
len nach Zahlen“ auf Facebook vertre-
ten ist, betont: „Die zunehmende Ver-
schulung der Universität kommt gerade
den Gedanken einer Kunsthochschule ab-
solut nicht entgegen. Gerade KünstlerIn-
nen müssen ganz frei entscheiden können,
welche Lerninhalte sie für ihre Arbeit als
wichtig erachten. Durch die Reduzierung
von freien Wahlfächern im Bachelor-Mas-
ter-Programm ist das nicht mehr möglich.“
Ähnlich sieht man das auch am Rein-
hardt Seminar (Teil der Universität
für musik und darstellende Kunst in
Wien). in einer Solidaritätserklärung
mit der studentischen Protestbewe-
gung wurde festgehalten: „Wir lehnen
die als ‚Bologna-Prozess‘ umschriebene
Normierung und Aushöhlung der uni-
versitären Studien ab und sprechen uns
gegen die ‚Bologna-Struktur‘ aus.“ Peter
Roessler, Professor am Reinhardt Semi-
nar, präzisiert: „Wenn Strukturen den
Studierenden keine Vorteile bringen, darf
man sie nicht einfach einführen, nur weil
dies viele tun. Das Studium wird nur
sinnlos gestuft, die viel beschworene
Mobilität ist sogar weniger möglich als
zuvor, der Grad BA (für Bachelor, Anm.)
wertet das Studium auch äußerlich ab.“
Fazit Roesslers: „Der viel beschworene
‚Geist von Bologna‘ ist eher eine Nebel-
bildung, bei der sich das ‚Geistige‘ ebenso
aufgelöst hat wie das ‚Materielle‘.“
Gegen die Einführung des Bachelor-
Studiums wehren sich auch die Juris-
ten der Uni Wien. Prominenter Geg-
ner ist etwa der Dekan der Fakultät,
der Verfassungsjurist Heinz Mayer. Er
befindet sich mit seiner Kritik in gu-
ter Gesellschaft. Denn wie er im Zug
der Studentenproteste öffentlich er-
klärte, herrsche an vielen Fakultäten
in unterschiedlicher intensität die
Ansicht, dass der Bologna-Prozess zu
einer Verschulung, der Einschränkung
wissenschaftlicher Freiheit und zu
verminderten Berufsaussichten führe.
Thomas Schmidinger ist Lektor am in-
stitut für Politikwissenschaft der Uni
Wien sowie Vorsitzender der iG exter-
ne Lektorinnen und freie Wissenschaf-
terinnen. in dieser Studienrichtung
wurde das Bachelorstudium vor drei
Jahren eingeführt. Und Schmidinger
konstatiert: „Es gibt deutlich weniger
Wahlmöglichkeiten als früher. Die Stu-
dierenden können aber immer noch zum
Beispiel zwischen verschiedenen Lektü-
rekursen wählen.“
Die Verschulung färbe jedenfalls auf
das Studierendenverhalten ab, so der
Politikwissenschafter. „Viele lernen
ähnlich wie zuvor im Gymnasium, was
ihnen vorgegeben wird. Selbstständiges
Lernen, Arbeiten oder gar Forschen gibt es
nur mehr bei einer sehr kleinen Minder-
heit sehr engagierter und selbstständiger
Studierender.“ Diese seien es dann auch,
43

die Dinge hinterfragen. „Wenn ich mir
die derzeitigen Proteste an der Uni Wien
ansehe, dann ist dies der beste Beweis dafür,
dass kritisches Denken nicht verschwun-
den ist und auch wir Lehrende es immer
noch teilweise schaffen, kritisches Denken
zu fördern. Insgesamt ist die Tendenz zum
bloßen Erlernen vorgegebener Inhalte
aber dadurch sicher stärker geworden.“
Gänzlich anders fällt die Einschätzung
von Klaus Davidowicz, Professor am
institut für Judaistik der Uni Wien, aus.
Die Judaistik ist seit 2003 nach dem
neuen System organisiert. Allerdings
gibt es – anders als in anderen Studien-
richtungen – „keinen Stundenplan. Es
gibt natürlich eine Reihe von Lehrveran-
staltungen, um die man nicht herum-
kommt, wie die Sprachkurse und die ein-
führenden Proseminare, aber bei allen an-
deren gibt es nach wie vor große Freihei-
ten“. Davidowicz hofft daher auch,
dass sich die Studierenden weiter ver-
tiefen, reines Pauken sei in der Judais-
tik sowieso nicht möglich.
Wolfhard Wegscheider, Rektor der mon-
tanuni Leoben, betont: „Den einheitli-
chen Studienplan für Erstsemestrige haben
wir schon lange vor dem Bachelor-Sys-
tem an unserer Universität eingerichtet.“
Wahlmöglichkeit gebe es nach wie vor:
„Allein schon mit der Auswahl der Bache-
lor-Arbeiten können individuelle Schwer-
punkte gesetzt werden.“ Und: ein gutes
Technik-Studium könne sowieso nicht
gepaukt werden. „Ein Ingenieur, der
nicht versteht, was er tut, ist kein Ingeni-
KULTUR • INLAND
eur. Das ist ja eigentlich die große Heraus-
forderung der technischen Studienrich-
tungen.“
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich
demnach, dass die Bedürfnisse der
unterschiedlichen Studienrichtungen
auch sehr verschieden sind. Was für die
eine Disziplin passt (etwa Technik),
passt für die andere nicht (Geistes-
wissenschaften, Kunst). Entscheiden-
des moment dürfte jedenfalls sein,
wie die Bachelor-Studien gestaltet wer-
den. Und hier ortet sogar der bisheri-
ge Wissenschaftsminister Johannes
Hahn (ÖVP), grundsätzlich Verfechter
des Bologna-Prozesses, ein Defizit. So
meinte er in einem interview mit „Die
Presse“, er habe aus vielen Gesprä-
chen Kritik an der Bologna-Architek-
tur herausgehört. „Ich habe daher exem-
plarisch eine Reihe der neuen Studien-
pläne anschauen lassen. Manche sind sehr
ordentlich gemacht, etwa an der WU. Aber
bei manchen anderen ist die Kritik der
Studierenden berechtigt.“
Damit schiebt er natürlich die Verant-
wortung für die Zustände an den Unis
Protest an der Wiener Universität:
„Studieren ist eng inmeiner Box“
einmal mehr von sich weg, hin zu den
Hochschulen. Ein alt bekanntes Spiel.
Die Ausbildung wird das allerdings
nicht verbessern. Wie angespannt die
Lage ist, zeigt sich auch an der weit-
gehenden Solidarisierung beziehungs-
weise dem Verständnis der Rektoren
und Professoren mit den Anliegen der
studentischen Protestbewegung. So
meint etwa Rektor Wegscheider: „Ich
bin überzeugt, dass die Studierenden den
Anspruch auf angemessene Studienbedin-
gungen haben, und zwar sowohl intellek-
tuell als auch infrastrukturell. Wo das nicht
erfüllt ist, sympathisieren sicher die meis-
ten Studierenden mit den Protesten.“
Und auf die Frage, ob die neue Stu-
dienarchitektur Akademiker schaffe,
die dann im Job funktionieren, aber
nichts mehr hinterfragen, meint der
Chemiker: „Dieses Problem kann man
schwerlich auf eine ‚Architektur‘ schieben.
Wenn die Betreuungsrelationen misera-
bel sind, dann wird sich die Hochschule
auch mit nur reproduzierenden Studie-
renden zufrieden geben müssen.“ Triste
Aussichten.

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44 Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770


DIE KINDER VON MAISON D`IZIEU
Wanderausstellung konzipiert und kuratiert
von der Gedenkstätte Maison d´Izieu (Frankreich).
28. JANUAR - 18. FEBRUAR 2010
Hans Mandl Berufsschule - Campus Längenfeld
1120 Wien, Längenfeldgasse 13-15 • Mo.-Fr. 8.00 – 20.00 Uhr
Anmeldung für Schulklassen und Gruppen erbeten: Agentur Milli Segal
Fon 01 9687266, Email: milli.segal@chello.at, Homepage: www.millisegal.at
Die Fotoausstellung zeigt die Kinder
und ihre Erzieher in der Zeit ihres
Aufenthaltes in izieu von mai 1943
bis April 1944. Es sind fröhliche Bil-
der, mit fröhlichen Kindern. Das Wis-
sen um ihre grausame Ermordung ist
dadurch noch schmerzvoller.
Das von Sabine und Miron Zlatin ge-
gründete Kinderheim in izieu (80 km
von Lyon entfernt), beherbergte über
einhundert jüdische Kinder verschie-
dener nationalitäten deren Eltern be-
reits von den nazis deportiert waren.
Die Kinder hatten durch die Aufnah-
me in izieu die Chance der antisemi-
tischen Verfolgung zunächst zu ent-
kommen.
Am morgen des 6. April 1944 wurden
44 Kinder - sieben davon aus Wien -
und ihre Erzieher, die zu dieser Zeit
im Kinderheim waren, auf Befehl von
Klaus Barbie, dem Leiter der Lyoner Ge-
stapo, festgenommen und deportiert.
mit Ausnahme von zwei Jugendlichen
und des Direktors Zlatin, die in Reval
(Estland) erschossen wurden, wurde
die Gruppe nach Auschwitz deportiert.
Die einzigen Überlebenden waren eine
Erzieherin Lea Feldblum, die das Lager
überlebte und ein Erwachsener, der
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
KULTUR • INLAND
während der Razzia fliehen konnte.
Die Kinder und ihre Erzieher wurden
kurz nach ihrer Ankunft vergast.
im Anschluss an den Prozess von
Klaus Barbie in Lyon 1987 (dessen Ver-
haftung nur durch die unermüdliche
initiative von Beate und Serge Klarsfeld
möglich war) bildete sich am 4. märz
1988 um Sabine Zlatin die Vereinigung
„Musée mémorial des Enfants d´Izieu“.
Diese Vereinigung wurde „zur Erin-
nerung an die 44 Kinder, ihren Direktor
und ihre Erzieher, die jüdischer Abstam-
mung waren und den Märtyrertod starben
und als Zeichen dankbarer Verehrung der
Widerstandskämpfer und Deportierten,
insbesondere aus den Departments Ain,
Isère, Jura, Rhone, Haute-Savoie, Savoie
und Saone-et-Lôire, gegründet.“
Seit 1994 ist das maison d´ izieu eine
Gedenkstätte.
WIEN
28. Januar – 18. Februar 2010
Hans-Mandl-Berufsschule Längenfeldgasse 13-
15, 1120 Wien
Dir. Dr. Gerhard Bisovsky
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22. Februar – 15. März 2010
Berufsschule für Verwaltungsberufe
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Mo.-Fr. 10.00 – 15.00 Uhr
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Mo.- Do. 8.30 – 16.30 Uhr/Fr. 8.30 – 14.30 Uhr
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Helga Reiter, B.Ed. (HelgaReiter1@gmx.at)
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Fachberufsschule Klagenfurt 1
Wulfengasse 24, 9020 Klagenfurt
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Mo.-Fr. 10:00 – 14:00 Uhr
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Mo.-Fr. 8.00 – 17.00 Uhr
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Gölbeszeile 10-12, 7000 Eisenstadt
BD-StV Mag. Anna Karlicek
(anna.karlicek@bs-eisenstadt.at)
45

Reden, erzählen, Fragen beantworten
statt schweigen lautet ein wichtiges
Prinzip des richtigen Umgangs mit dem
schwierigen Thema Shoa innerhalb der
Familie. Auf der anderen Seite muss
man erklären, ohne dabei zu traumati-
sieren, im Kind also nicht Ängste zu
schüren, die es nicht verarbeiten kann.
„Die Gemeinde“ sprach dazu mit den
drei Experten Mathilde Zeman, Leiterin
der Schulpsychologie im Wiener
Stadtschulrat, David Vyssoki, ärztlicher
Leiter des psychosozialen Zentrums
ESRA, sowie Max Friedrich, Vorstand
der Uniklinik für Psychiatrie des Kinder-
und Jugendalters der Medizinischen
Universität Wien.
VON ALEXIA WEISS
U-Bahn-Fahrt mit einem dreijährigen
Kind. Auf eine Sitzlehne hat jemand
mit schwarzem Filzstift ein Haken-
kreuz geschmiert. Das Kind fragt:
„Mami, was ist das?“ - Familienfest zu
Hause. Eingeladen ist auch der sehr
alte und demente Großonkel, der ge-
betsmühlenartig seine Kindheitserleb-
nisse als jüdischer Bub in der nS-Zeit
erzählt und dabei nicht mit grausamen
Details spart, obwohl sich Kleinkinder
in Hörweite befinden. - in den Radio-
nachrichten, die während des Früh-
stücks laufen, schnappt das Kind den
Begriff nazis auf. „Was heißt das?“
Was tun in solchen Situationen? Ab
wann soll oder kann ich mit meinem
Kind über den Holocaust sprechen,
wann muss ich es tun? Soll ich das
Thema aktiv ansprechen, soll ich war-
ten, bis das Kind mit Fragen kommt?
Wenn Fragen kommen: weiche ich aus,
vertröste ich, versuche ich zu antwor-
ten, wenn ja, in welcher Form? Wann
erzähle ich die eigene Familienge-
schichte? Wie gehe ich mit dem The-
ma um, wenn das Kind nicht zwei jü-
dische Elternteile hat, sondern einen
jüdischen und einen nichtjüdischen?
Eines vorweg: Patentrezept gibt es
keines. nicht umsonst betont Max
Friedrich, dass die Thematisierung des
Holocaust heikler und schwieriger ist
als die Aufklärung in Sachen Sexuali-
tät. Aber es gibt doch klare Richtlinien
der Experten. Die wichtigste lautet:
auf das Alter des Kindes Rücksicht
nehmen.
46
KULTUR • INLAND
Wie spreche ich mit Kindern
über den Holocaust?
Kinder im Kindergartenalter durchle-
ben die so genannte magisch-animis-
tische Phase, erklärt Friedrich. „Die
ganze Welt ist belebt. In diesem Lebensal-
ter hat eine Erklärung über Völkerschick-
sale relativ wenig Sinn, weil die wirkliche
Tragweite vom Kind nicht erfasst werden
kann“. Auch David Vyssoki betont: „Bis
zum Alter von sechs Jahren sollte der
Holocaust überhaupt kein Thema sein.“
Kleine Kinder halten ihre Eltern für
Helden, die sie immer beschützen.
Vyssoki nennt es „die Allmacht der El-
tern“. Wird einem Vier-, Fünfjährigen
erzählt, dass der Vater eines anderen
Kindes dieses nicht mehr beschützen
konnte, würde eine Welt für ihn zu-
sammenbrechen. Er wäre zutiefst ver-
unsichert, hätte das Gefühl, er könnte
sich auf seine Eltern nicht mehr ver-
lassen, könnte aber gleichzeitig seine
Ängste und Zweifel noch nicht adä-
quat kommunizieren. Das zieht eine
Desillusionierung nach sich, die wie-
derum in schlechte Träume, Schlaf-
probleme, Einnässen oder in einer psy-
chosomatischen Erkrankung münden
kann. Werden zu grausame Fakten zu
früh erzählt, kann dies bei Kindern
grundsätzlich zu einer Traumatisie-
rung führen, warnen die Experten.
Dennoch: wenn von Kindern Fragen
kommen, sind diese immer zu beant-
worten. „Schweigen oder ausweichen sind
keine Option“, betont Barbara Zeman.
„Wenn Kinder und Jugendliche etwas fra-
gen, ist immer darauf einzugehen, um
welches Thema es sich auch immer handelt.
Ein ‚Das verstehst du noch nicht‘ ist als
Antwort abzulehnen.“
Beispiel Hakenkreuz: hier empfiehlt
die Psychologin zu sagen, „das ist ein
Symbol für eine Zeit, in der ganz Schreck-
liches bestanden hat. Kinder durften plötz-
lich nicht mehr in die Schule gehen. Men-
schen mussten aus ihren Wohnungen
ausziehen und an andere Orte umziehen,
wo man ihnen weh getan hat. Das Haken-
kreuz ist ein negatives Symbol und des-
halb dürfen wir es nicht verwenden.“
Beispiel des alten, dementen Famili-
enmitglieds: von diesem sei auf Grund
seiner Erkrankung kein adäquates
Verhalten gegenüber kleinen Kindern
zu erwarten, betont Friedrich. Unbe-
dingt muss dem Kind, dass so zu hören
bekommt, wie der Onkel der Ermor-
dung seines Vaters zusah und sich
dann mit seiner mutter und seiner
Schwester versteckt hielt, eine Erklä-
rung gegeben werden. Den Tod kön-
nen kleine Kinder noch nicht begrei-
fen, nicht umsonst gebe es Spiele wie
„Du hast drei Leben“. Dennoch spüre
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

das mädchen, der Bub, dass etwas Be-
ängstigendes passiert sein muss. „Ich
kann also erklären, dass der Onkel viel
Schlimmes erlebt hat und dass er seine Ge-
schichte immer und immer wieder erzäh-
len muss, damit man sie nicht vergisst“.
Es sind Sätze wie diese, die dem Kind
suggerieren, ja, du hast richtig ver-
standen, das gibt es Dinge, die nicht
schön sind, die aber auch dafür sorgen,
dass das Kind sich in seiner Phantasie
nicht Dinge zusammenreimt, die zu
Ängsten führen.
Zeman rät, wenn etwa ein Sechsjähri-
ger irgendwo aufschnappt, dass in der
nS-Zeit Juden umgebracht wurden,
zu sagen, „ja, das hat es gegeben, das war
etwas ganz Schreckliches. Dann sollte man
sich aber hinwenden zur Frage: Was be-
deutet es, wenn man jemand anders weh
tut?“ Details, wie die menschen zu To-
de kamen, sind in diesem Alter tabu.
Oft kommt dann allerdings vom Sohn,
der Tochter die heikle Frage: „Warum
hat man uns Juden nicht gemocht?“ Hier
sollte man das antworten, „was man
authentisch empfindet“, betont Zeman.
„Man kann beispielsweise sagen, dass es
immer wieder Zeiten gibt, wo Menschen,
die anders sind, ausgegrenzt wurden. Und
dass das sogar so weit gehen kann, dass
versucht wird, dass der andere nicht mehr
existiert.“ Gleichzeitig kann man aber
auch vermitteln: „So etwas kann jeder-
zeit jede andere Gruppe treffen.“
Kommt das Kind nicht von sich aus
mit Fragen, empfehlen die Experten,
frühestens im Volksschulalter das The-
ma Holocaust von sich aus anzuspre-
chen. Dann fangen Kinder an, die Re-
alität der Geschichtlichkeit des men-
schen zu begreifen, sagt Friedrich, sich
mit Fragen zu befassen, „Woher komme
ich?, Wer waren meine Vorfahren?, Was
haben diese für Schicksal gehabt?“
Aber, warnt Vyssoki: dabei niemals mit
der eigenen belasteten Familienge-
schichte beginnen. im Vordergrund
sollte zunächst die Frage des guten
Umgangs mit anderen menschen ste-
hen, es sollte darüber geredet wer-
den, wie man sich gegenüber Kindern
verhält, die vordergründig anders zu
sein scheinen, es sollte vermittelt wer-
den, dass Gewalt niemals ein mittel
ist, um einen Konflikt zu lösen, und
dass Ausgrenzung immer ein schlech-
ter Weg ist.
Langsam kann man dann das Kind
zum Thema hinführen, sagt auch Ze-
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
KULTUR • INLAND
man – ohne zunächst Zahlen zu nen-
nen, Gräueltaten im Detail zu beschrei-
ben. „Man kann einem Fünf- oder Sechs-
jährigen eine Gaskammer, Erschießungen,
ein Quälen in Steinbrüchen nicht erklären
– das ist erst etwa ab dem Alter von 13,
14 Jahren möglich.“
Vyssoki betont, „erst ab etwa zehn Jah-
ren sind Kinder in der Lage, Trauer zu ent-
wickeln“. Und auch erst dann können
sie verstehen, dass es Gewalt gibt. Was
sie allerdings auch noch in diesem Al-
ter nicht verstehen können: dass ein
Staat plötzlich millionen von men-
schen entrechtet, geschehen mit den
nürnberger Rassegesetzen. „Kinder
können sich vorstellen, dass ein Jude ge-
zwungen wurde, die Straße zu reinigen.
Aber ich glaube nicht, dass sich Kinder
vorstellen können, dass sich eine Gesell-
schaft plötzlich derart ändern kann.“ Al-
lerdings fügt Vyssoki hinzu: „Aber wel-
cher Erwachsener kann das wirklich begrei-
fen?“ Genau deshalb hätten sich ja
viele menschen in der nS-Zeit nicht
Angela Gluck Wood
Holocaust
Was damals geschah
400 Farbfotografien, DVD
dk • 978-3-8310-1260-2
ab 10 Jahren
Sensibel und eindrucksvoll führt
dieses Buch an das Thema Holocaust heran. Mit
der Darstellung bewegender Einzelschicksale
und altersgerecht aufbereiteten Informationen
werden historische Fakten und Hintergründe
geschildert, von Hitlers Aufstieg über den Alltag
im Ghetto bis zu den Vernichtungslagern und den
Nürnberger Prozessen. Interviews mit Überleben-
den auf DVD sowie zahlreiche authentische
Erfahrungsberichte ermöglichen eine persönli-
che Annäherung an das Geschehen. Schautafeln,
Karten und viele, bisher teils unveröffentlichte
Fotografien veranschaulichen die Texte und ma-
chen Zusammenhänge begreifbar. Die Interviews
auf der DVD entstanden in Zusammenarbeit mit
der Shoa Foundation, einer vom Regisseur
Steven Spielberg gegründeten gemeinnützigen
Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat,
Zeitzeugenberichte von Holocaust-Überlebenden
für pädagogische Zwecke zugänglich zu machen.
Mit einem Vorwort von Steven Spielberg. Ausge-
zeichnet mit dem Sydney Taylor Honor Award
2008, dem amerikanischen Literaturpreis der
jüdischen Bibliotheken!
Rachel van Kooij
Eine Handvoll Karten
Jungbrunnen • 978-3-7026-5817-5
ab 13 Jahren
Ansichtskarten, die ein kleines
Mädchen in den 1930er Jahren in
einem Album gesammelt hat, sind
der Ausgangspunkt für diesen
außergewöhnlichen Roman, in
rechtzeitig in Sicherheit gebracht,
„weil sie sich nicht vorstellen konnten,
was ihnen alles passieren könnte“.
Stichwort Konzentrationslager: dieses
kann man Volksschulkindern als eine
Art Gefängnis beschreiben, in dem
menschen eingesperrt wurden, ob-
wohl sie nichts Falsches gemacht hat-
ten, nur weil sie anders waren als die
anderen. Und in diesem KZ sei es ih-
nen ganz schlecht gegangen, „weil sie
sich nicht frei bewegen konnten und auch
sehr wenig zu essen bekamen, weil es nicht
so humane Gefängnisse waren wie heute.
Und deshalb sind auch viele Menschen in
diesen Lagern gestorben“, so Zeman.
Wichtig ist hier auch dem Kind klar zu
machen, dass ein Konzentrationslager
nichts mit dem Lager zu tun hat, auf
welches das Kind möglicherweise in
den Ferien fährt. „Sonst hat das Kind,
Angst in ein Lager zu fahren.“
Besuche in einem ehemaligen Konzen-
trationslager, Lektüre von einschlägi-
ger Literatur wie dem Tagebuch der
dem Fiktion und Wahrheit aufeinandertreffen. Die
Autorin ist der Spur der Karten gefolgt, hat jahre-
lang recherchiert, mit Zeitzeugen gesprochen, hat
Fakten kunstvoll mit einer Geschichte verwoben.
Tami Shem-Tov
Das Mädchen mit den drei Namen
Fischer • 978-3-596-85373-1
ab 10 Jahren
Holland ist von den Nazis besetzt.
Lieneke, ein jüdisches Mädchen,
lebt unter falschem Namen bei ei-
ner Arztfamilie. Ihr Vater und der Rest der Familie
lebten versteckt an einem anderen Ort. Er schickte
seiner Tochter kleine Briefe, die er liebevoll illus-
triert und ausschmückte. Sie sollen Lieneke Mut
machen. Lieneke und ihre Familie haben wie durch
ein Wunder überlebt.
Stéphane Bruchfeld, P.A. Levine
Erzählt es euren Kindern
Der Holocaust in Europa
DVA • 978-3-570-30245-3
Ab 14 Jahren
Im Mittelpunkt stehen die Schick-
sale Einzelner. Zu ihren Erinnerungen, zu Fotos und
Dokumenten treten Stimmen von Zuschauern und
Tätern. Entstanden ist eine aufrüttelnde Dokumen-
tation der Ausgrenzung, Verfolgung und Ermor-
dung von Juden, Sinti, Roma, Homosexuellen und
Behinderten.
Anna Maria Jokl
Die Perlmutterfarbe
Ein Kinderroman für fast alle Leute
suhrkamp • 978-3-518-46039-9
Nicht wegzudenken aus der Litera-
tur des 20. Jahrhunderts ist dieser
Roman über zwei deutsche Schulklassen Anfang
der dreißiger Jahre. Auch als DVD erhätlich.
47

Anne Frank, das Zeigen von Filmen
wie „Schindlers Liste“: all das sollte
einerseits immer gut vorbereitet wer-
den, andererseits nicht vor einem Alter
von 13, 14 Jahren erfolgen, sind sich
die Experten einig. Erst dann ist das
abstrakte Denken ausgeprägt. Eltern
sind hier gefordert, Kindern Fragen,
die diese aus der Schule mitbringen,
zu beantworten, und das Thema nicht
allein der Schule zu überlassen, vor al-
lem wenn es sich um Familien handelt,
die selbst in irgendeiner Form von der
nS-Verfolgung betroffen waren – und
sei es, wenn zwar keine Familienmit-
glieder zu Tode gekommen sind, die
Vorfahren aber emigrieren mussten,
um zu überleben. All diese Geschich-
ten sollten dem Kind behutsam und
altersgemäß vermittelt werden.
Denn, betont Friedrich: Schweigen
löscht die Geschichte nicht. So wer-
den nur Traumata von Generation zu
Generation weitergegeben. Und: so
sind Probleme in der Pubertät vorpro-
grammiert. Der Psychiater nennt als
Beispiel den Fall eines mädchens, des-
sen mutter ihn aufsuchte, weil das
Kind ständig log. Schließlich stellte
sich heraus, dass das mädchen adop-
tiert worden war, es aber nicht wusste.
Sobald dieses „Familiengeheimnis“
gelüftet wurde, hörte das Kind auch
wieder auf, zu lügen. Friedrich betont:
„Die Wahrheit kommt immer ans Licht.“
im schlimmsten Fall kann dies sogar
zum Bruch mit der Familie durch das
Kind führen.
Kinder spüren, dass etwas nicht in
Ordnung ist, selbst wenn nicht darü-
ber gesprochen wird, bestätigt auch
Vyssoki, und gibt ein Beispiel aus seiner
eigenen Familiengeschichte: erst durch
die Frage, wie es seinen Großeltern
gehe, kam er darauf, dass er keine hat.
Doch was war mit ihnen geschehen?
Dass selbst Experten privat mit dem
Thema immer wieder zu kämpfen ha-
ben, zeigt auch folgendes Beispiel: Vys-
soki ist mit einer nichtjüdin, die in
Schärding aufgewachsen ist, verheira-
tet. Einer seiner Söhne fragte ihn als
Kind: „Du Papa, wenn dein Papa noch
leben würde, glaubst du, er würde sich mit
Opa vertragen?“ Vyssoki gibt zu: „Ich
habe ihm darauf bis heute nicht geantwor-
tet.“ Keine ideale Reaktion. „Man soll
sich den Fragen stellen, immer.“
Allerdings ist dies auch eine besonders
heikle Situation, wie Vyssoki erläutert:
denn Kinder aus gemischten Bezie-
48
KULTUR • INLAND
hungen tendieren immer dazu, sich
nur mit den Opfern zu identifizieren,
zu solidarisieren und in weiterer Folge
den nichtjüdischen Elternteil abzu-
lehnen. Daher muss man in solchen
Familien besonders behutsam in der
Vermittlung der Familiengeschichte
vorgehen und es – als Eltern – gemein-
sam tun, „und zwar so, dass sich beide
Partner dabei wohl fühlen. Es muss für
beide stimmig sein. Es darf nicht einer
der beiden Partner abgewertet werden“.
Um den Holocaust nicht auch für die
vierte, fünfte Generation zur psychi-
schen Belastung werden zu lassen, ist
also ein offener Umgang mit dem The-
ma gefragt, der gleichzeitig nicht ver-
störend sein darf. Eine wichtige Vor-
aussetzung dafür ist, dass Eltern von
Geburt an die Kommunikation mit
ihrem Kind pflegen und suchen. Und:
„Das Kind muss immer so erzogen werden,
dass es mit allem nach Hause kommt“,
sagt Friedrich. „Und dann muss es ein
Bemühen erkennen können, dass die Eltern
eine ehrliche Antwort geben, auch wenn
sie um eine Antwort ringen. Die Antwort
muss immer authentisch sein – sonst wird
sie nicht geglaubt.“ Fazit Friedrichs: „Wir
alle müssen zur Bewältigung dieser Ver-
gangenheit beitragen, in dem wir uns
einbringen, auch in der Familie.“
LESETIPPS ZUM THEMA HOLOCAUST
6 BIS 10 JAHRE
ADLER, David
Die Nummer auf dem Arm meines
Großvaters/Friedrich Verlag
DEUTSCHKRON, Inge/RUEGENBERG, Lukas
Papa Weidt. Er bot den Nazis die Stirn
Butzon&Bercker
ELIAS, Mirjam
Geheimversteck Hotel Atlantic/Fischer
FÄEHRMANN, Willi
Der überaus starke Willibald/Arena
INNOCENTI, Roberto
Rosa Weiss/Patmos (Sauerländer)
KRAUSNICK
Elses Geschichte/Patmos (Sauerländer)
LEVINE
Hannas Koffer/Ravensburger
LOWRY, Lois
Wer zählt die Sterne/Carlsen
NEUDECK, Rupert/RUEGENBERG, Lukas:
Janusz Koczak: Der König der Kinder
Butzon&Bercker
POOLE, J./BARRET, A./PRESSLER M.
Anne Frank/Arena
UNGERER, Tomi
Otto. Autobiographie eines Teddybären/Diogenes
ZOELLER, Elisabeth
Anton oder Die Zeit des unwerten Lebens/Fischer
AB 11 JAHRE
ASSCHER-PINKHOF, Clara - Ab 12 Jahre
Sternkinder/Oetinger
AUERBACH, Inge - Ab 11 Jahre
Ich bin ein Stern/Beltz
BARTH-GRÖZINGER, Inge - Ab 13 Jahre
Etwas bleib. Das Schicksal der Fam. Levy/Piper
BOYNE, John - Ab 12 Jahre
Der Junge im gestreiften Pyjama/Fischer
BRENNER-WONSCHICK, H. - Ab 13 Jahre
Die Mädchen von Zimmer 28/Droemer-Knaur
BUERGENTHAL, Thomas - Ab 14 Jahre
Ein Glückskind/Fischer
DEUTSCHKRON, Inge - Ab 12 Jahre
Ich trug den gelben Stern/dtv
ERBEN, Eva - Ab 12 Jahre
Mich hat man vergessen/Beltz
HERMAN-FRIEDE, Eugen - Ab 12-13 Jahre
Abgetaucht/Schroedel
KERR, Judith - Ab 12 Jahre
Als Hitler das rosa Kaninchen stahl/Ravensburger
KRAUS, Irma - Ab 12 Jahre
Das Wolkenzimmer/randomhouse
LEVOY, Myron - Ab 14 Jahre
Der gelbe Vogel/dtv
LEWIN, Waldtraut - Ab 12 Jahre
Drei Zeichen sind die Wahrheit/randomhouse
MOSKIN, Marietta - Ab 12 Jahre
Um ein Haar/randomhouse
ORLEV, Uri Ab 13-15 Jahre
Die Insel in der Vogelstraße/Ravensburger
ORLEV, Uri - Ab 12 Jahre
Lauf, Junge, lauf/Beltz
PAUSEWANG, Gudrun - Ab 12 Jahre
Reise im August/Ravensburger
PEREL, Sally
Ich war Hitlerjunge Salomon/Heyne
PRESSLER, Mirjam - Ab 12 Jahre
Das Tagebuch der Anne Frank/Fischer
PRESSLER, Mirjam - Ab 12 Jahre
Malka Mai/Beltz
RABINOVICI, Schoschana - Ab 12 Jahre
Dank meiner Mutter/Fischer
REISS, Johanna- Ab 14 Jahre
Und im Fenster der Himmel/dtv
RICHTER, Hans Peter - Ab 14 Jahre
Damals war es Friedrich/dtv
De ROSNAY, Tatiana - Ab 12 Jahre
Sarahs Schlüssel/Berlin Verlag
ROLNIKAITE, Mascha - Ab 14 Jahre
Ich muss erzählen. Tagebuch 1941-1945/Rowohlt
ROSS, Carlo - Ab 14 Jahre
Im Vorhof der Hölle/dtv
SCHROEDER, Rainer M. - Ab 12 Jahre
Die lange Reise des Jakob Stern/randomhouse
STERN, Carola/BRODERSEN, Ingke - Ab 13 Jahre
Eine Erdbeere fur Hitler/Fischer
VAN DIYK, Lutz - Ab 12 Jahre
Zu keinem ein Wort/randomhouse
VINKE, Hermann - Ab 13-15
Das kurze Leben der Sophie Scholl/Ravensburger
VON DER GRÜN, Max - Ab 12 Jahre
Wie war das eigentlich?/dtv
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

©AlexaGelberg
Manchmal werde ich
richtig missionarich
Ein Gespräch mit der Autorin und
Übersetzerin Mirjam Pressler
VON ANITA POLLAK
Etwa 40 Bücher hat mirjam Pressler
selbst verfasst, rund 300 übersetzt. Aus
dem Hebräischen, dem Englischen,
dem niederländischen. Sie hat die
Kritische Werkausgabe der Tagebü-
cher Anne Franks besorgt und Anne
Franks Schicksal in zahlreichen Bü-
chern beleuchtet. Zuletzt in einem
Band über deren Familiengeschichte.
Knapp danach ist nun ein von ihr
übersetzter Roman der israelischen
Autorin mira magén erschienen. Die
beiden in dieser und der kommenden
Ausgabe rezensierten Bücher sind
Anlass für ein Gespräch mit der viel-
seitigen Autorin.
„Ich habe einen Hausmann. Ich muss mich
um nichts kümmern“. Diese Erklärung
scheint ihr auszureichen, wenn sie auf
ihr enormes Arbeitspensum, ihren
fast unglaublichen Output, angespro-
chen wird. Und: „Ich bin relativ fleißig.
Wenn mir etwas Spaß macht, kann ich
mich sehr lange konzentrieren“.
Schreiben oder Übersetzen? Wo liegen
Presslers neigungen, wo ihre Prioritä-
ten? „Ich schreibe lieber selbst, aber ich
übersetze auch sehr gern. Und ich bin
dankbar, wenn ich nach Beendigung eines
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
KULTUR • LITERATUR
eigenen Buches übersetzen kann und
nicht in ein schwarzes Loch falle. Wenn
mir ein Buch gefällt, werde ich richtig mis-
sionarisch und will, dass es auch anderen
gefällt. Beim Übersetzen merkt man jeden
Fehler, das erzieht zu größerer Genauig-
keit auch beim Selber schreiben“.
mit Anne Frank hat sich Pressler als
Übersetzerin und Autorin über Jahr-
zehnte beschäftigt. ist sie so etwas wie
ein Lebensthema? „Nein, das nicht ge-
rade, aber da hat sich eins aus dem ande-
ren ergeben. Als ich an der   Kritischen
Ausgabe gearbeitet habe, bin ich förmlich
in sie hinein gekrochen. Meine jüngste
Tochter war damals so alt wie Anne, als
sie starb, und ich dachte mir, das hätte auch
ihr passieren können. Nachdem ich dann
eine Biografie über sie geschrieben hab, das
ist etwa 15 Jahre her, glaubte ich, jetzt ist
es für mich damit vorbei. Aber dann kam
dieser erstaunliche Fund von tausenden
Briefen, da ist man an mich herangetreten
und ich war sehr davon fasziniert. Ich hab
dann ein dreiviertel Jahr bis zu 14 Stun-
den täglich gearbeitet, weil das Buch zu
Annes 80. Geburtstag im vergangenen
Jahr fertig sein sollte“.
Ausufernde Recherchen unter ande-
rem zur Geschichte der Frankfurter
Juden gehörten dazu wie auch der
Kontakt zu Annes weit über 80-jähri-
gem Cousin Buddy und dessen Frau
Gerti Elias, die den Schatz am Dach-
boden gehoben hatte. „Sie waren wun-
derbar und ganz geduldig. Es ist eine
richtige Freundschaft daraus entstanden.“
Da die aufgefundene Korrespondenz
naturgemäß einseitig ist - die Briefe an
die jeweiligen Adressaten sind nicht
erhalten -  musste Pressler ihre Fanta-
sie arbeiten lassen und einiges dazu
erfinden. „Die rein fiktiven Teile sind im
Präsens geschrieben. Die ganze Geschich-
te ist ja von drei Generationen aus erzählt.
Stellenweise war ich am Verzweifeln.“ 
mischungen von Fantasie und histo-
rischem Wissen bzw. Recherchen sind
auch das Rezept von Presslers Jugend-
büchern. Für ihr jüngstes „nathan
und seine Kinder“, auf den Spuren
von Lessings „nathan der Weise“, ist
sie vor kurzem mit dem CORinE-
Preis für das beste Jugendbuch  2009
ausgezeichnet worden.
nicht immer, aber doch sehr oft, spielt
das Judentum, spielen der Holocaust
und seine traumatischen Folgen eine
Rolle in Presslers Werk bzw. in ihrer
Themenwahl. „missionarisch“ will
sie damit aber nicht sein „Ich bin nicht
fromm, aber ich weiß viel, hab viel gelesen
und viel darüber im Kopf.  Die philosophi-
sche Grundlage interessiert mich bei den
Juden eben mehr als bei den Christen.“
im Alltag spielt die Religion bei ihr
eine geringe Rolle, „der einzige Feiertag,
bei dem wir uns alle treffen, ist Pessach“.
Da kommen ihre drei Töchter, die alle
israelische Vornamen haben, und ihre
fünf Enkel zusammen.
Hebräisch hat Pressler schon als Kind
in Deutschland gelernt, später hat sie
dann ein Jahr in einem Kibbuz ge-
lebt.  Auch daher ihre enge Beziehung
zum Land, das sie immer wieder be-
sucht, und zur Sprache. Seit vielen
Jahren übersetzt sie die prominentes-
ten Autoren wie Amos Oz, Batya Gur,
Zeruya Shalev und mira magén. mit
ihrer Kollegin Ruth Achlama teilt sie
sich quasi die Creme der israelischen
Gegenwartsliteratur. „Ich suche sie mir
nichts selbst aus, aber wenn ich einmal ei-
nen Autor übersetze, bleibe ich ihm treu.“ 
Warum manche israelische Autoren im
deutschen Sprachraum besser ankom-
men als andere, kann sie nicht erklä-
ren. „Freilich war Zeruya Shalevs „Lie-
besleben“ spektakulär, aber Mira Magén
ist nicht schlechter. Sie ist eine tolle Auto-
rin, eine großartige Beobachterin, in Israel
hat sie einen Fan-Club, aber sie hat mehr
Erfolg verdient“.
mit der Übertragung von magéns
Sprache und Wortwitz in „Die Zeit
wird es zeigen“  hat mirjam Pressler
jedenfalls das ihre zu diesem wün-
schenswerten Erfolg beigetragen.
ZUR PERSON
Mirjam Pressler wurde 1940 in Darm-
stadt geboren und wuchs bei Pflege-
eltern auf. Sie studierte in Frankfurt
und verbrachte ein Jahr in einem Kib-
buz in Israel. Ende der 70er begann
sie zu schreiben. Ihre drei Töchter hat
sie nach ihrer Scheidung allein groß-
gezogen, wobei sie acht Jahre lang ei-
nen Jeansladen führte. Sie übersetzte
mehr als 300 Werke aus dem Engli-
schen, Niederländischen und Hebräi-
schen. Ihr Hauptwerk ist die Kritische
Werkausgabe der Anne Frank Tagebü-
cher. Mit ihren eigenen Werken zählt
sie heute zu den wichtigsten deut-
schen Kinder- und Jugendbuchauto-
ren. Dafür erhielt sie auch zahlreiche
Preise. Mirjam Pressler lebt mit ihrem
„Hausmann“ bei München.
49

„Grüße und
Küsse an alle“
Mirjam Pressler erzählt die Geschichte
der Familie von Anne Frank
VON ANITA POLLAK
Anne und
Margot Frank
Pailettenkleider,
ein Frack, Pelze, Hüte. Ein mit Blüm-
chenstoff bezogener Karton. Als sie ihn
öffnet, findet sie Briefe, viele Briefe,
mit seidenen Bändern verschnürt.
manche in Kurrentschrift, schwer zu
entziffern, manche gut lesbar. Sie stö-
bert weiter, immer wieder, entdeckt
noch mehr Schachteln, Fotos, Alben,
in alten Lederkoffern jede menge
Briefe, an die sechstausend … 
So schildert Gerti Elias den sensatio-
KULTUR • LITERATUR
nellen Fund auf dem Dachboden des material hat nun mirjam Pressler „Die
Hauses in Basel, in das sie Jahrzehnte Geschichte der Familie von Anne
davor eingeheiratet hatte. in eine Frank“ rekonstruiert und als span-
große, weit verzweigte Familie. Ger-
tis mann,  Buddy Elias, ist Anne Franks
nende Chronik nacherzählt.
Es ist fast ein Roman geworden. Dank
Cousin. Der letzte Verwandte, der sie
Presslers erzählerischer Fantasie, die
noch erlebt hat. in ihrer kurzen Kind-
dort einsetzt, wo die Dokumente auf-
heit haben sie oft die Ferien im Schwei-
hören, Schicksale und Lebenslinien
zer Sommersitz der Familie, in Sils,
verfolgt, den Familienmitgliedern über
verbracht. Buddys mutter Leni war ei-
Jahrzehnte quasi beim Leben zu schaut
ne geborene Frank, die Schwester von
und zuhört. Andererseits sind es diese
Annes Vater Otto Frank. Annes Groß-
menschen selbst, sind es ihre unglaub-
mutter Alice Frank hatte in diesem
lich lebendigen Briefe, ist es ihre litera-
Haus gelebt, sie ist dort gestorben. 
rische Kraft – viele Briefe sind in Vers-
Die Basler Herbststraße war nach der
form verfasst -, die das Buch zum Er-
1933 aufgegebenen Villa in Frankfurt
eignis machen.   
Fluchtpunkt und Zuflucht für die
Und es ist das Geschichtspanorama,
ganze Verwandtschaft in schweren
das sich in diesen Dokumenten spie-
Zeiten. nur für Otto und seine Fami-
gelt, sich in dieser Chronik entfaltet.
lie, die nach Amsterdam ausgewan-
Bis in die Frankfurter Judengasse des
dert waren, blieb Basel unerreichbar.
18. Jahrhunderts reicht der Stamm-
Erst 1946 kam Otto wieder heim.
baum der Ahnen Stern und Cahn zu-
Alleine.  Seine Frau Edith, die Töchter
rück. Die Geschichte einer geglückten
margot und Anne sind umgekommen.
Emanzipation. Einer von Annes Vor-
Viele hunderte Briefe kreisen um das fahren wurde der erste jüdische Pro-
Schicksal Annes. Auch um ihr weltbe- fessor in Deutschland, bzw. der erste,
rühmtes Tagebuch. Und ihr mythos dem diese Karriere ohne Taufschein
gibt dem Fund auf dem Dachboden gelang.  ihr Großvater michael Frank
natürlich besondere Relevanz. Die gründete eine Bank, es war die Hoch-
Dokumente wurden historisch aufge- blüte der Familie in Frankfurt. man
arbeitet und befinden sich heute in heiratete noch mit Rabbiner, das Ju-
Amsterdam. Aus ausgewähltem Brief- dentum spielte ansonsten kaum eine

„Ich war keine Heldin“ - Miep Gies ist im Alter von 100 Jahren gestorben
Miep hat zufällig einige Alben retten können und auch Anne´s Tagebücher. Ich habe jedoch noch nicht die Kraft darin zu lesen,
schrieb Anne Franks Vater an seine Mutter Alice im August 1945 nach Basel. Nur einer der vielen auf dem Dachboden ent-
deckten Briefe, in dem Otto immer wieder auf die aufopfernde, mutige Miep Gies zu sprechen kommt. Kurz vor ihrem 101.
Geburtstag ist die Helferin der Familie Frank und Retterin der Tagebücher nun am 11. Januar in Holland gestorben.
„Ich war keine Heldin. Mitmenschen in Not zu helfen, ist keine Frage des Mutes, sondern eine Wahl, die jeder Mensch in seinem
Leben einmal treffen muss als Unterschied zwischen dem Guten und dem Bösen“, sagte sie oft, wenn sie wegen ihrer Tapferkeit
bewundert wurde. Unter Lebensgefahr versorgte sie gemeinsam mit nur wenigen anderen Widerstandsleuten die im
Amsterdamer „Hinterhaus“ versteckte Familie über zwei Jahre lang mit Lebensnotwendigem und sogar mit Bü-
chern und Nachrichten, auf die Anne besonders sehnsüchtig wartete.  Miep bringe in ihrem Gewand immer
frische Luft von draußen mit, schrieb Anne einmal.
Als die Gestapo die acht Hinterhaus-Bewohner nach einem Verrat entdeckte und verhaftete, gelang es Miep,
die Tagebücher und einige andere Dokumente in Sicherheit zu bringen. In ihrem Band „Meine Zeit mit Anne
Frank“ hat die ehemalige Sekretärin Otto Franks ihre Erinnerungen festgehalten.
Miep, als Hermine Santrouschitz 1909 in Wien geboren, ist als unterernährtes Kind
1920 zu einer Gastfamilie nach Holland gekommen und schließlich dort geblieben.
Durch ihre Heirat mit Jan Gies, der ihr später bei ihrer geheimen Tätigkeit beistand,
wurde sie Niederländerin.
Bis zu ihrem Tod beantwortete sie Anfragen und Briefe, die ihr aus aller Welt gestellt
wurden und reiste als Zeitzeugin in viele Länder. Zu ihren zahleichen Ehrungen kam
erst im Vorjahr das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.
Ehrung im Simon
Als „Gerechte unter den Völkern“ wurden sie und ihr Mann schon 1972 von Yad
Wiesenthal Center
Vashem aufgenommen. Anita Pollak
Auch ein Stern zwischen Mars und Jupiter trägt seit Oktober 2009 den Namen von Miep Gies. Die Internationale Astronomische Union (IAU)
ehrte damit ihren Mut und ihre Standhaftigkeit. Der 1972 entdeckte Asteroid, der nun als "Miep Gies" durchs Weltall zieht, besteht aus
Felsmaterial und hat einen Durchmesser von etwa sieben Kilometern.

50 Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770


Rolle, man verehrte die Klassiker, ging
zu „Lohengrin“, schrieb schönstes
Hochdeutsch, doch was „naches“ sind,
das wusste man immerhin noch.    dy einmal am Eis zu tanzen, vielleicht
Den großbürgerlichen Lebensstil bei-
zubehalten, damit hatte man dann in
Basel die größte mühe. Aber Annes
Tante Leni entfaltete überraschende
geschäftliche Talente und erhielt mit
einem Altwaren- und später Antiqui-
tätenhandel mehrere Generationen
unter einem Dach. Dass man in der
Herbststraße nie hungern musste, ja
sogar eine Köchin hielt, während Otto
in Auschwitz litt und seine Frau ver-
hungerte, das gab nach dem Krieg
schon gehörige Schuldgefühle.
neun Briefe von Anne aus Amster-
dam, bereits auf niederländisch, sind
erhalten. Jüdischer Religionsunterricht
findet im Augenblick nicht statt, schreibt
KULTUR • LITERATUR
sie Ende 1940 im Geburtstagsbrief an
ihre Omi Alice. ihr größter Wunsch
ist es damals mit ihrem Cousin Bud-
sogar aufzutreten. (Buddy sollte später
14 Jahre lang als Eisclown mit „Ho-
liday on ice“ durch die Welt reisen).
Dann kam die lange quälende brieflose
Zeit zwischen Amsterdam und Basel.
Sie denken alle sicher an Dich.
Doch kein Brief ist auf dem Geburtstags-
tisch.
Kein Telefon kann Dich erreichen.
So etwas ist doch ohne Gleichen.
Reimte Otto für seine Frau Edith, ab-
geschieden im Hinterhaus, zum 43. Ge-
burtstag. Es war ihr letzter.
Die nachkriegswirren erschweren die
Korrespondenzen, die Schreckens-
nachrichten treffen verzögert ein,
schlagen die Empfänger nieder.
Schmerzerfüllte Brieflawinen folgen.
Annes posthumer Weltruhm erreicht
schließlich auch die Familie und macht
sie letztlich zu einer besonderen. Be-
sonders war sie durch ihre Wärme,
ihren Zusammenhalt, eine Familie, in
der jeder alles über den anderen wusste,
ihre Kultiviertheit und ihre Fähigkeit,
ja Kunst, sich schriftlich auszudrücken,
auch ohne diese ungewollte Promi-
nenz, die sie trotzdem mit Stolz er-
füllte. Woher Anne Frank ihr früh
vollendetes literarisches Talent hatte,
hier wird es mehr als
deutlich.
Mirjam Pressler
„Grüße und Küsse
an alle“
Die Geschichte der
Familie von Anne Frank
S. Fischer

Überall & Nirgendwo
P. Weinberger
manches mal muss man „Klartext reden, wenn man poli-
tisch etwas bewegen wolle“ hat Österreichs Provinzgewis-
sen, der Vorarlberger FPÖ-ler Egger (die Bezeichnung
‚Politiker’ für ihn zu verwenden, wäre reiner Euphemis-
mus) in einem interview im Radio Vorarlberg am 29. De-
zember 2009 gemeint. „Sein ‚Exiljuden’-Sager1 sei richtig
gewesen“, schließlich habe man es geschafft, dass man
heute sehr offen über das „integrationsproblem“ disku-
tieren könne.
im Klartext gesprochen, kann also ruhig ein bisschen
Antisemitismus ins Spiel gebracht werden, um politisch
etwas zu bewegen. immerhin ein politisches Konzept,
dessen sich schon Lueger zu Beginn des 20. Jahrhunderts
bedient hat und das offensichtlich, gemessen an den Wah-
lerfolgen der FPÖ in Vorarlberg, ein Jahrhundert später
nichts an Wirkung verloren hat. Obwohl erfreulicher-
weise der Ausdruck „Exiljude“ auf Platz 2 der österrei-
chischen „Unwörter des Jahres“ gelandet ist, ändert dies
leider kaum etwas an der Tatsache, dass das „integrati-
onsproblem“ fektisch bereits einer Lösung in Eggers Sinn
zustrebt. Kenntnisse in Deutsch jenseits der Fähigkeiten
eines Durchschnittsösterreichers, sich in dieser Sprache
auszudrücken, zu verlangen, wird sicher ausreichen das
„integrationsproblem“ dauerhaft zu lösen.
im Klartext hieß es auch, dass man keine Veranlassung
gesehen habe, am 11. Dezember 2009 im Festsaal der TU
Wien Walter Lüftl das Goldene ingenieursdiplom nicht zu
verleihen. „Wir haben extra nachgefragt. Die Fakultät hat die
Verleihung befürwortet“, meinte Rektor Skalicky2 entschul-
digend. nachgefragt? Hat man vielleicht doch leise Zwei-
fel gehabt? Oder vielleicht sogar gewusst, dass Walter
Lüftl zu den öffentlich durchaus bekannten Holocaust-
leugnern gehört? Die Fakultät hat die Verleihung befür-
wortet und der Studiendekan dieser Fakultät hat die Lau-
datio gehalten. Dem Laudator Kolbitsch vom institut für
Hochbau und Technologie ist offensichtlich entgangen,
dass Lüftl wegen seiner Studie „Holocaust – Glaube und
Fakten“ als Präsident der ingenieurskammer seinerzeit
zurücktreten musste, dass diese Studie von vielen Ein-
schlägigen immer noch zitiert wird, dass ... . Ein kurzer
Blick in das internet hätte eigentlich schon ausgereicht,
um Lüftl als „Globalleugner“ zu identifizieren3. Als „eine
Unappetitlichkeit der ganz speziellen Art“ bezeichnete der
Kultursprecher der Grünen diesen Festakt. ich persön-
lich geniere mich für meine ehemalige Universität, an
der, wie es scheint, mitunter technische mit politischer
intelligenz unvereinbar ist.
P.S.: im Klartext gesprochen, muss leider auch zur
Kenntnis genommen werden, dass - wie immer vielleicht
persönliche Befindlichkeiten mit im Spiel waren oder zum
Ausdruck kamen - das viel propagierte Wiesenthal Zen-
trum nunmehr keinerlei Chance mehr hat, zu einer inter-
national beachteten institution zu werden. Auch wenn es
manche, in dieser Form gesagt, stört oder es so nicht hö-
ren wollen: dieser Traum ist ausgeträumt. Zeitgeschicht-
liche Forschung wird sich in Zukunft weitgehend auf
lokaler Ebene abspielen .
1
Egger hatte im Landtagswahlkampf den Direktor des Jüdischen
Museums in Hohenems, den Deutsche Hanno Loewy, als „Exiljuden
aus Amerika in seinem hochsubventionierten Museum bezeichnet,
den die Innenpolitik nichts angehe“.
2
Der Standard, 18. Dezember 2009
3
Baurat h.c. Dipl.-Ing. Walter Lüftl, Die Lügen unserer Zeit, Vierteljah-
reshefte für freie Geschichtsforschung 5(3) (2001), S. 325f. Zu finden auf
der Homepage von Historical Revisionism – International and Inde-
pendent Scientific Historical Research, http://www.vho.org/VffG/
2001/3/Lueftl325f.html

Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770 51


Israel hilft Haiti
Israel verhält sich unverhältnismäßig, un-
proportional, übertrieben. Das weiß die
ganze Welt, spätestens seit dem Goldsto-
ne-Bericht. Dass sich Israel in den zehn
Jahren vor seinem Gazafeldzug im De-
zember 2008 und Januar 2009 unver-
hältnismäßig lang zurückgehalten hat
und so viele Raketen von seinen Nach-
barn einsteckte, wie kein anderes Land
seit dem Zweiten Weltkrieg, wird großzü-
gig übergangen. Und wenn sich Israelis
jetzt schon wieder vollkommen unpro-
portional und übertrieben in eine Krise
einmischen, gibt es natürlich viel Wich-
tigeres zu berichten. Warum eigentlich?
VON JOHANNES GERLOFF, JERUSALEM
Israelisches Rettungsteam
ZAKA am Einsatzort
Die Kinderabteilung
Als sich Europa und Amerika noch
die Augen rieben und die islamische
Welt konzentriert in die andere Rich-
tung blickte, waren schon israelische
Flugzeuge auf dem Weg in die Kari-
bik. Wer menschen, die unter Trüm-
mern verschüttet sind, retten will, ist
im Wettlauf gegen die Zeit. Die israe-
lischen Teams mussten um die halbe
Welt reisen. Zum Vergleich: Zwischen
Jerusalem und Port-au-Prince liegen
10.500 Kilometer. Vom karibischen
Erdbebengebiet zur Südspitze Floridas
sind es keine 2.000 Kilometer. Zentral-
52
ISRAEL IN HAITI
europäische Hauptstädte wie Berlin, Ärzten, 25 Krankenschwestern und Sa-
Prag oder Paris liegen etwa 8.000 Ki- nitätern betrieben. Es beinhaltet eine
lometer von Haiti entfernt. Doch nicht Apotheke, eine Kinderabteilung, Ra-
nur im Vergleich der Entfernung is- diologie, eine intensivstation, eine
raels vom Katastrophengebiet ist die notaufnahme, zwei Operationsräume,
israelische Hilfe unproportional - auch eine chirurgische Abteilung, eine in-
im Blick darauf, wie viel Hilfe 7,5 nere Abteilung und eine Geburtshilfe-
mio. israelis im Vergleich zu anderen station. Als die israelischen Flugzeuge
nationen auf die Beine stellen. starteten, war der Flughafen in Port-
au-Prince geschlossen. man hoffte, bei
Als die nachricht am 12. Januar um
der Ankunft dann auch tatsächlich
die Welt lief, dass kurz vor 17 Uhr ein
landen zu können.
Erdbeben der Stärke 7.0 auf der Rich-
Die Landung war möglich. Die israeli-
terskala den armen inselstaat erschüt-
schen Helfer nahmen im Stadtzentrum
tert hatte, meldete das israelische Go-
einen Fußballplatz in Beschlag und
vernment Press Office bereits, dass ein
begannen mit der Arbeit. Eine Woche
zwölf mann starkes Team der Organi-
nach dem verheerenden Erdbeben, das
sation IsraAid von Such- und Ber-
mehr als 100.000 Todesopfer gefor-
gungsexperten auf dem Weg nach mit-
dert hat, arbeiten 250 israelis in Haiti
telamerika sei. Am darauf folgenden
rund um die Uhr. Das Feldlazarett hat
morgen meldete ein Sprecher der
383 menschen behandelt, 140 lebens-
israelischen Armee, sieben ingenieure,
rettende Operationen durchgeführt
Ärzte, Logistik- und Bergungsexper-
und sieben Babys auf die Welt verhol-
ten hätten das Land in Richtung Haiti
fen - wobei eines den namen „israel“
verlassen, um die Lage vor Ort zu er-
erhielt.
kunden. Kurz darauf ordnete Premier-
Der verantwortliche Chirurg, Oberst
minister Benjamin netanjahu offiziell
Guy Lin, ehemaliger Befehlshaber der
an, dem inselstaat unbürokratisch und
Rettungseinheiten an der israelischen
schnell zu helfen. Der israelische Bot-
nordfront, spendete sein eigenes Blut
schafter in der Dominikanischen Re-
und rettete so das Leben eines drei Ta-
publik, Amos Radjan, wurde zur Be-
ge alten Babys. 60 Patienten werden
richterstattung nach Haiti entsandt.
stationär behandelt. Über Satellit be-
Am Abend waren fünfzig israelische
raten sich die notärzte vor Ort mit is-
Soldaten auf dem Weg in Richtung
raelischen Spezialisten in der Heimat,
Westen.
die so beispielsweise Operationen über
Video beobachten und beratend be-
Ultra-orthodoxe Helfer am schnellsten
gleiten können. israelische Suchhunde
Als erstes Hilfsteam trafen nach 38
fanden mehr als ein Dutzend Überle-
Stunden vier mitarbeiter der ultra-or-
bende unter den Trümmern. Und die
thodoxen Organisation ZAKA in Port-
mittlerweile sechs ZAKA-Volontäre
au-Prince ein. ZAKA ist eine Volon-
retteten in einer Operation, die 38
tärsorganisation, die sich ursprünglich
Stunden dauerte, acht Studenten aus
vor allem um die Bergung von toten
den Ruinen der Universität.
Terror-Opfern kümmerte, dann aber
die notwendigkeit erkannte, sich zu- Hilfe für Staaten ohne
erst um die Lebenden zu kümmern Beziehungen zu Israel
und diese zu retten. Entsprechend sind
Seit seiner Gründung hat der Staat
viele ZAKA-Volontäre in Erster Hilfe
israel in mehr als 140 Ländern huma-
ausgebildet. Die vier ZAKA-mitarbei-
nitäre Hilfe geleistet. in manchen Fäl-
ter reisten aus mexiko an, wo sie zur
len geschah dies in Staaten, die keine
Bergung und identifizierung des jüdi-
diplomatischen Beziehungen mit dem
schen Geschäftsmanns Moses Saba und
jüdischen Staat unterhalten, oder diese
seiner Familie gewesen waren. Sabas
sogar vehement ablehnen. im Dezem-
Hubschrauber war abgestürzt und al-
ber 2004 verwüstete ein Tsunami weite
le insassen ums Leben gekommen.  
Teile Südostasiens. israel schickte 60
Am Abend des 14. Januar starteten zwei Tonnen Hilfsgüter nach indonesien,
Boeing 747 mit 220 israelischen Helfern das größte islamische Land, das kei-
unter Leitung von Brigadegeneral nerlei diplomatische Beziehungen mit
Schalom Ben-Arje. neben Hilfsgütern israel unterhält. Ein kleines Team der
hatten die maschinen auch ein kom- israelischen Armee flog gleichzeitig
plettes Feldlazarett an Bord. Das Feld- mit 82 Tonnen Hilfsmaterialien nach
lazarett wird unter anderem von 40 Sri Lanka. im november 2005 halfen
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

israelische Organisationen nach einem
Erdbeben im pakistanischen Kasch-
mir. im August 2007 schickte das „Fast
Israeli Rescue and Search Team“ (FiRST)
drei Ärzte und drei Krankenschwes-
tern in die Erdbebenzone in Peru.
FiRST war in den vergangenen Jahren
in der Türkei, in indien, mexiko, im
Kongo, Tschad, Sudan (Darfur) und
malawi im Einsatz.
Absurde Vorwürfe
interessant ist, dass die Kritiker israels
selbst in dieser Situation nicht schwei-
gen. Gemütlich hinter dem Laptop
verschanzt rechnen sie das Elend der
menschen in Gaza - für das natürlich
ausschließlich israel verantwortlich ist!
- gegen israels Hilfe in Haiti auf und
kommen zu dem Schluss: So lassen
sich Kriegsverbrechen nicht sühnen.
Dem jüdischen Staat wird vorgewor-
fen, mit der Haiti-Hilfe lediglich vom
Goldstone-Bericht ablenken zu wollen.
man erinnert sich daran, dass israel
auch 2003 dem iran Erdbebenhilfe an-
geboten hatte und bezeichnet das als
„Chutzpe“. „Lobenswerter Weise“, so ei-
ner der Blogger, habe die iranische Re-
gierung abgelehnt. Anschuldigungen,
die jüdischen Ärzte seien in Katastro-
phengebieten nur deshalb so schnell
vor Ort, um auch dort menschliche Or-
gane zu ernten, machen im internet
die Runde.
Der Gipfel modernen antisemitischen
Erfindungsreichtums wurde sichtbar,
als eine Studie der Hebräischen Uni-
versität im Jahr 2006 feststellte, dass
es im israelisch-palästinensischen Kon-
flikt - im Gegensatz zu sonst allen an-
deren kriegerischen Auseinanderset-
zungen in der Welt - keine Vergewalti-
gungen von palästinensischen Frauen
gegeben hat. Anstatt zu fragen, ob das
jüdische Volk vielleicht doch irgend-
wie einen höheren ethischen maßstab
an sich selbst anlegt, wurde das Phä-
nomen mit dem „israelischen Rassis-
mus“ erklärt, der es „den Juden“ verbie-
te, ihren kostbaren Samen an die Frau-
en von Untermenschen zu verschwen-
den. Befragte palästinensische Frauen
zeigten sich gar beleidigt, dass jüdi-
sche Soldaten sie aufgrund rassisti-
scher Vorurteile nicht beachteten.
Ganz offensichtlich darf ein Jude auch
heute in gewissen Kreisen nichts rich-
tig machen. Deshalb ist es vielleicht
besser, überhaupt nicht zu berichten,
was „die Juden“ tun, wenn man ihnen
auch nur halbwegs wohlgesonnen ist.
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
ISRAEL IN HAITI
Schaue.Fühle.Handle.
von Tzvi Hersh Weinreb, JTA/Übersetzung Inge Heitzinger
Es sind drei Wörter, mit denen das Judentum auf die Fragen religiöser Menschen in die-
ser Zeit des großen Leidens auf Haiti antwortet. Es gibt zwei Arten von Fragen, die
wir uns stellen, wenn wir mit solchen Katastrophenszenen, von denen die Insel heim-
gesucht wurde, konfrontiert werden. Einerseits fragen wir uns „warum?“ Oder noch
besser „wie kann Gott erlauben, dass so etwas passiert?“ Andererseits fragen wir „was?“
– „Was kann ich, als einzelner hilfloser Mensch, hunderte Meilen vom tragischen Geschehen
entfernt, tun, um zu helfen?“
Ganz einfach, unsere Tradition besteht darauf, dass wir die erste Art von Fragen, un-
beachtet lassen. Diese wurden vielleicht schon Millionen Male im Lauf unserer Ge-
schichte gefragt. Es gibt zahlreiche Antworten und die theologische Literatur befasst
sich damit ausführlich. Aber keine der Antworten hat je die Frage ausgemerzt.
Das Judentum besteht darauf, dass wir die zweite Art von Fragen stellen. Wir müs-
sen sie wie die Anfrage von Gott an uns behandeln. Und dafür gibt es nur eine ein-
dringliche und klare Antwort: Schaue! Fühle! Handle!
Zuerst müssen wir „sehen“. Wir können der verständlichen Versuchung nicht nach-
geben, die Szenen des Leidens von unseren visuellen Sinnen fernzuhalten. Wir müs-
sen uns die Szenen der Katastrophe ansehen und erlauben, von ihnen getrof-fen zu
werden. Zweitens müssen wir den Schmerz der so fürchterlich Leidenden nachfühlen.
Wir wagen es nicht, uns gegen diesen Schmerz zu betäuben. Wir können uns nicht
erlauben, auf irgendeine Art und Weise das Leiden „wegzureden“ mit krank, verrückt,
oder traurigen Worten des Trostes, wie „sie haben es vielleicht verdient“. Wir müssen
die Opfer als menschliche Wesen sehen, die sich von uns in keiner Weise unterschei-
den, unschuldig und untadelig, die sich in einer verzweifelten Lage und in arger Not be-
finden. Und dann müssen wir auf diese Not reagieren. Es gibt immer einen Weg um
zu helfen, egal wie groß die Entfernung vom Ort der Tragödie ist, und egal wie ohn-
mächtig wir uns vielleicht fühlen.
Die Momente von Tragödien und Krisen sind nicht die Zeit, in der wir über Gott philo-
sophieren sollten. Das ist nicht die Zeit, in der wir darüber „warum guten Menschen
schlimme Dinge passieren“ spekulieren sollten. Das ist die Zeit, in der wir fragen soll-
ten: „Was kann ich tun, um diesen guten armen Menschen zu helfen?“
Diejenigen von uns, die ein Leben im Glauben und in religiöser Hingabe führen, wis-
sen, dass wir die Antworten auf unsere Zweifel an Gott, nicht durch unsere philoso-
phischen Fragen erhalten. Wir werden sie eher allmählich im Zusammenhang mit
moralischen Handlungen, Nächstenliebe und Mitgefühl erhalten.
Die gesamte jüdische Gemeinde kann auf ihre Antwort auf die Katastrophe in Haiti
stolz sein. Rettungsmannschaften aus Israel und Millionen Dollar von amerikani-
schen Juden sind der Beleg für unsere Antwort. Was auch immer die Motivation für
diese Antwort war, es ist eine religiöse Antwort, eine jüdische Antwort.
Die Art und Weise mit religiösen Zweifeln und Skepsis Gott gegenüber umzugehen ist,
mitfühlend und großzügig zu handeln, und im Glauben, in der Gewissheit und in der Zu-
versicht, dass unsere Handlungen Zeugnis ablegen werden von Gottes gütiger Liebe.
Rabbi Tzvi Hersh, ist ausführender Vizepräsident Emeritus der Orthodoxen Union
IKG-Spendenkonto - „Hilfe für Haiti“
BAWAG, BLZ 14000 - Konto Nummer 02010 724000
IBAN AT 7714000 02010 724000 - BIC BAWAATWW
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Schewat 5770
(16. Januar - 14. Februar 2010)
Historische Ereignisse & wichtige Tage
Bitte beachten, dass alle jüdischen Tage mit dem Sonnenuntergang des Vortages beginnen!
Der Monat Schewat hat immer 30 Tage. Es ist der fünfte Monat des jüdischen Ziviljahres und
der elfte Monat des religiösen Jahres, welches mit dem Monat Nissan beginnt.
Ungewöhnlich viele der bedeutendsten neuzeitlichen jüdischen Gelehrten haben ihre
Jahrzeit in diesem Monat, deren im Folgenden nur eine kleine Auswahl Erwähnung findet.
1. Schewat (16. Januar)
An diesem Tag, vor 3282 Jahren, versammelte
Mosche Rabbenu das Jüdische Volk und erinnerte
sie noch einmal eindringlich an die Verbote und
Vorschriften der Torah und ihre unbedingte Ein-
haltung. Diese mahnende Wiederholung der Ge-
setze, wie sie im Sefer Dewarim (5. Buch Mose)
nachzulesen ist, dauerte 37 Tage, bis zum 7. Adar,
dem Todestag von Mosche Rabbenu.
2. Schewat (17. Januar)
Der als verbrecherischer Hasmonäer König in
die Geschichte eingegangene Alexander Jannaij
(Jannäus) starb an diesem Tag vor 2086 Jahren.
Er war ein Anführer der Zeddukim (Sadduzäer), der
ersten grösseren jüdischen Reformbewegung,
die, wie alle ihr folgenden, die Autorität der rab-
binischen Tradition und die mündliche Torah
(heute bekannt als Mischna und Talmud) ablehn-
ten. Die Zeddukim, angeführt von Alexander Jan-
naij, verfolgten die Anhänger des Rabbinischen
Judentums mit aller Brutalität und töteten dabei
über 50.000 „orthodoxe“ Juden; daher wurde sein
Todestag, der ein Ende dieser inner-jüdischen
Judenverfolgung darstellte, in talmudischer Zeit
als grosser Festtag gefeiert.
4. Schewat (19. Januar)
Jahrzeit des berühmten Rabbiners und Kabba-
listen Rabbi Jisrael Abuchatzera, verehrt und be-
kannt als der Baba Sali („der betende Vater“),
der vor 26 Jahren im hohen Alter verstarb. In Ma-
rokko, in eine berühmte Rabbiner und Kabbalis-
ten Familie geboren, wurde er bereits in jungen
Jahren als „Wunder-Rabbiner bekannt. Nachdem
er Marokko verlassen hatte, lebte er mehrere
Jahre in Frankreich und später in Israel, wo er
1984 starb. Zahllose, unglaubliche Erzählungen
und Geschichten, von denen viele als Mythen
und Legenden erscheinen, jedoch von ebenso
vielen zeitgenössischen Augenzeugenberichten
in ihrer Authentizität gestützt werden, machen
den Baba Sali bis heute unvergesslich. Jährlich
pilgern über Hunderttausend Juden und Araber
an sein Grab in Netiwot.
5. Schewat (20. Januar)
Jahrzeit des chassidischen Rabbiners Jehudo Ari-
jeh Leib Alter, der zweite Gerer Rebbe, auch be-
kannt unter dem Namen seines berühmten Wer-
kes Sfas Emmes, der vor 105 Jahren starb.
Jahrzeit meines Rabbiners und Lehrers Raw Pin-
chas Paul Biberfeld, der vor 11 Jahren starb. Er
wurde 1915 in Berlin geboren, wo er 1938 seine
Ordination am Hildesheimer Rabbinerseminar er-
hielt. 1939 emigrierte er über Italien nach Eretz
Israel, dem damaligen britischen Mandatsge-
biet Palästina, wo er an den Jeschiwos (Talmud-
akademien) Kol Torah und Chewron in Jerusalem
tätig war. Er heiratete die einzige Tochter des
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JUDENTUM
chassidischen Rabbiners Zwi Arijeh Twerski,
Rebbe von Zlatipol und Chortkow aus Wien. Von
1953 bis 1984 war er der leitende Rosch Jeschiwa
(Direktor) des Kollel Chortkow in Tel Aviv und
Herausgeber der Zeitschrift Ne’emon. 1984 zog er
von Israel zurück nach Deutschland wo er die
Position als Oberrabbiner von München annahm
und als solcher bis 1998 fungierte.
14. Schewat (29. Januar)
Jahrzeit des berühmten Talmudisten Rabbiner Ja-
kow Jehoschua Falk Katz, bekannt unter dem Titel
seines Werkes Penei Jehoschua. Er wirkte als Rab-
biner der Gemeinden von Lemberg, Berlin, Metz
und Frankfurt.
15. Schewat (30. Januar)
TuBeSchwat, dieser Tag gilt als das „Neujahr der
Bäume und hat bis heute vor allem eine wichtige
halachische Bedeutung zur Berechnung des Al-
ters von Bäumen und der Fruchtjahrgänge und
der damit verbundenen Torah Vorschriften für alle
Bäume die innerhalb der biblischen Grenzen von
Eretz Israel (unabhängig von heutigen Staats-
grenzen!) wachsen; dazu gehören insbesondere
die Gesetze von Orla (dass die Früchte eines jun-
gen Baumes innerhalb seiner ersten drei Jahre
nicht koscher sind), sowie Maaser Scheni und
Maaser Oni (verschiedene Abgaben, die, je nach
Jahrgang, von der Ernte getrennt werden müssen,
bevor geerntetes Obst und Früchte konsumiert
werden dürfen). In Israel begehen vor allem - pa-
radoxer Weise – säkulare und national-religiöse
Juden den Abend von TuBeSchwat mit einem
Seder (einer „Ordnung“ folgenden rituellen Mahl-
zeit), bei dem israelische Früchte und Obst ge-
gessen werden. Ursprünglich ein kabbalistischer
Brauch aus dem 16. Jahrhundert, der in den
1940er und 50er Jahren mit säkular zionistischen
Konnotationen wiederbelebt wurde, der sich (mit
Ausnahme einiger chassidischer Gemeinden,
die den Seder entsprechend der kabbalistischen
Tradition begehen) unter religiösen Juden im
Allgemeinen nicht durchgesetzt hat.
22. Schewat (6. Februar)
Jahrzeit von Rabbiner Menachem Mendel von
Kotzk, genannt der Kotzker Rebbe.
25. Schewat (9. Februar)
Jahrzeit von Rabbiner Jisroel Salanter, dem Be-
gründer der polnisch-litauischen „Mussar
(Ethik) Bewegung.
26. Schewat (10. Februar)
Jahrzeit von Rabbiner Dovid ben Schmuel Halewi,
bekannt durch seinen berühmten Kommentar
zum Schulchan Aruch (Jüdischer Gesetzeskodex
von R’ Josef Karo), genannt Turej Sohow oder ein-
fach nur Ta“S.
Schailos &Tschuwos
ausgewählte halachische
Fragen, beantwortet
von Gemeinderabbiner
Schlomo Hofmeister
AskTheRabbi@ikg-wien.at
FRAGE: „Ist es erlaubt einen Organspen-
deausweis zu haben oder sind Organ-
spenden und Transplantationen im jüdis-
chen Recht verboten?”
AnTWORT: Organspenden und
Transplantationen sind halachisch
weder immer verboten noch generell
erlaubt. Die Torah verbietet es prinzi-
piell nutzen aus den sterblichen
Überresten eines verstorbenen men-
schen zu ziehen (Schulchan Oruch J“D
349:1ff), jedoch erlaubt uns die Torah
bekanntlich in einem Fall von imma-
nenter Pikuach Nefesch (um Leben zu
bewahren) beinahe jedes ihrer Verbote
außer Acht zu lassen. Das bedeutet,
dass unter ganz bestimmten Voraus-
setzungen, die Entnahme von funk-
tionstüchtigen Organen im Todesfall
durchaus erlaubt ist, um durch deren
Transplantation das Leben eines da-
rauf wartenden Empfängers zu retten.
Die üblichen Organspendeausweise,
sowohl in Europa als auch in israel,
sind jedoch äußerst problematisch,
weil es sich dabei um rechtliche
Blanko-Cheques handelt, die unser ge-
mäß den Werten und Vorstellungen
der Torah funktionierendes jüdisches
Rechtssystem in Bezug auf das Leben
und den Körper des Ausweisträgers
ausschalten, und stattdessen, undif-
ferenziert, den staatlichen Behörden
und institutionen übergeben. Eines
von mehreren Problemen dabei ist,
dass deren Richtlinien, wann beispiel-
sweise ein schwerverletzter mensch
für tot erklärt wird, nicht mit der
jüdischen Definition übereinstim-
men, und somit dem Träger eines
Spendeausweises Organe entnommen
werden können, obwohl er gemäß der
halachischen Definition noch am Le-
ben ist. Was die Organentnahme ei-
nes Toten im unbedingten Bedarfsfall
zulässig macht hängt von unter-
schiedlichen Faktoren ab, und die
diesbezügliche Entscheidung muss in
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770

jedem einzelnen Fall, individuell,
unter Berücksichtigung vieler Details,
von einer kompetenten halachischen
Autorität getroffen werden. Wenn ein
Jude seine Organe im Todesfall zur
Lebensrettung anderer menschen,
innerhalb des halachisch möglichen,
zur Verfügung stellen möchte, sollte
er keinen Organspendeausweis füh-
ren, sondern eine notarielle Verfügng
veranlassen, worin mindestens ein
kompetenter Rabbiner namentlich ge-
nannt und dadurch explizit befugt
wird, nach Kenntnisnahme aller Tat-
sachen, die diesbezüglichen Entschei-
dungen der Halachah entsprechend
zu treffen.
FRAGE: „Wenn man eine parvene Mahl-
zeit in einem fleischigen Topf zubereitet,
darf man zu dieser Mahlzeit etwas Mil-
chiges essen?”
AnTWORT: Diesbezüglich gibt es
eine prinzipielle meinungsverschie-
denheit und unterschiedliche Hala-
chah zwischen Sephardim und Asch-
kenasim. Gemäß der sephardischen
Halachah, dürfen diese Lebensmittel
(z. B. Reis, Pasta, Kartoffeln oder Ge-
müse) sowohl mit fleischigen als auch
mit milchigen Speisen zusammen ge-
gessen werden, egal in welchen Töp-
fen sie gekocht wurden. Gemäß der
aschkenasischen Halachah dürfen alle
in milchigen Töpfen gekochte Lebens-
Januar 2010 - Tewet/Schwat 5770
JUDENTUM
mittel nur zusammen mit milchigen
Speisen gegessen werden, und in flei-
schigen Töpfen Gekochtes nur mit
Fleischigem. Wenn Sephardim Asch-
kenasim zu sich zum Essen einladen,
sollten sie das bei der zu dieser Gele-
genheit servierten mahlzeit unbedingt
berücksichtigen. (Das zu anderen Ge-
legenheiten gemäss der sephardischen
Halachah korrekt gehandhabte Ge-
schirr ist kein Problem für aschkena-
sische Gäste in einem sephardischen
Haus!) Wenn aus Versehen, oder aus
Unwissenheit bezüglich der aschkena-
sischen Halachah (z. B. bei einem se-
phardischen Gastgeber, aber auch in
einem aschkenasischen Haushalt),
beispielsweise eine heiße Kartoffel aus
einem fleischigen Topf zusammen mit
milchigen Speisen auf einem milchi-
gen Teller gelandet ist, sind sowohl der
Teller, als auch die milchigen Speisen
im nachhinein („bediewet”) koscher,
aber vorsätzlich („lechatchilo”) darf man
es nicht tun. Jedoch, wie in jedem Fall,
wenn man lechatchilo etwas macht,
das nur bediewet erlaubt ist, wird die
Kaschrut des Geschirrs problema-
tisch, wenn diese Halachah, wissend
dass es für Aschkenasim nur bediewet
erlaubt ist, lechatchilo, also vorset-
zlich, missachtet wurde.
FRAGE: „Darf man sich einer Schönheits-
operation unterziehen, obwohl man in der
Früh „baruch ata ... sheAsani kirzono”
(Anm. d. Red. Gepriesen seist Du ... der
mich nach Seinem Willen erschaffen hat)
betet? Wenn nicht, lügt man dann nicht
bei dieser Bracha?”
AnTWORT: „Unnötige” chirurgische
Eingriffe, insbesondere jene die eine
narkose erfordern, sind halachisch in
jedem Fall ein Problem. Die Frage ist,
was ist nötig. Alles was zur Wieder-
herstellung oder der Erhaltung der Ge-
sundheit dient, ist selbstverständlich
erlaubt, in den meisten Fällen sogar
obligatorisch. inwieweit Schönheitso-
perationen erlaubt sind, hängt von der
jeweiligen Situation ab. in extrem
Fällen, und das obliegt nicht aus-
schliesslich der Objektivität eines
Arztes und des Rabbiners, sondern
ist durchaus auch abhängig vom sub-
jektiven Empfinden der betreffenden
Person, können auch plastische Ope-
rationen erlaubt sein, wenn eine un-
erträgliche, psychische Belastung mit
einem angeborenen „Schönheitsfeh-
ler” verbunden ist, die ihrerseits eine
psychosomatische oder gar organische
Gesundheitsgefährdung bedeuten
könnte. Schönheitsoperationen sind
nicht prinzipiell verboten, aber auch
nicht prinzipiell erlaubt. Es ist schwer
eine allgemein gültige Regel aufzu-
stellen; jeder Fall muss unter Berück-
sichtung vieler verschiedener Fakto-
ren, die ich hier nicht alle aufzählen
kann, individuell entschieden werden.
Die Bracha „ScheAsani Kirzono”
kann meines Erachtens unabhängig
davon gesagt werden, weil sie sich
nicht auf das physische Erscheinungs-
bild bezieht.
Ein 60 jähriger Sohn ruft seine jiddis-
che Mama nach langer Zeit wieder
einmal an. „Wie geht es Dir Mama?” -
„Nicht so gut Bubbale. Ich fühle mich
sehr schwach“ antwortet sie.
„Warum? Was fehlt Dir denn?“ - „Ich
habe seit über 3 Wochen nichts mehr
gegessen!“ - „Das ist ja furchtbar!
Warum hast Du so lange nichts mehr
gegessen?“ fragt der Sohn. „Weil ich
nicht den Mund voll haben wollte für
den Fall, dass Du mich anrufst!“J
Tu BiSchwat
Neujahr der Bäume
Samstag, 30. Januar 2010
15. Schwat 5770
55
 Spenden & Schenken
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