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zukunft forschung

MAGAZIN FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK

Ausgabe 02|09 thema klimawandel: gletscherschwund, klimaarchive und andere


klimatische änderungen im blickpunkt innsbrucker forscher | geschichte: bergbau
in tirol | politik: wahlforschung in österreich | mineralogie: analyse von oberflächen

KLIMA IM
WANDEL
EDITORIAL

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

D
ie dritte Ausgabe unseres Forschungsmagazins ZUKUNFT schaftlern koordiniertes nationales Netzwerk zur Wahlforschung
FORSCHUNG liefert Ihnen einmal mehr einen Überblick und über die ersten Ergebnisse des Spezialforschungsbereichs
über die erfolgreiche wissenschaftliche Forschung an der HiMAT, in dessen Rahmen Forscherinnen und Forscher aus sehr
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Dass wir mit unseren Be- unterschiedlichen Disziplinen gemeinsam die Geschichte des Berg-
mühungen international erfolgreich sind, unterstreicht das aktuelle baus in Tirol und seinen Nachbarregionen und dessen Auswirkun-
Shanghai-Ranking der besten Universitäten der Welt. Hier hat die gen auf Gesellschaft und Umwelt untersuchen. Berichte über den
Universität Innsbruck in diesem Jahr als einzige österreichische Transfer von wissenschaftlichen Ergebnissen in die Wirtschaft,
Universität einen deutlichen Sprung um 100 Plätze nach vorne erfolgreiche Patentierungen von Erfindungen und die Gründung
getan und belegt nun einen Rang im Bereich von 201 bis 302. Die von Spin-Off-Unternehmen runden diese Ausgabe von ZUKUNFT
Forschungsstärke der Universität Innsbruck spiegelt sich auch im FORSCHUNG ab.
Schwerpunkt dieser Ausgabe wieder, der passend zur aktuellen
Klimadebatte dem Wandel des Klimas gewidmet ist. International Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre und freuen
erfolgreiche Forschende berichten darin nicht nur über die Verän- uns über Fragen und Anregungen!
derungen in der Umwelt und die Folgen für den Tourismus und
das Rechtssystem, die Berichte werfen auch einen Blick auf das
Mikroklima in einem Skischuh, den Wandel im internationalen
Gesprächsklima und den Einfluss von Migration auf das gesell-
schaftliche Klima.
In dieser Ausgabe von ZUKUNFT FORSCHUNG stellen wir Ih-
nen außerdem zahlreiche weitere Beispiele aus der erfolgreichen
Forschung an der Universität Innsbruck vor. So zeigen wir Ihnen,
wie Mathematiker bei der Suche nach Lawinenopfern helfen und
welchen internationalen Stellenwert das Innsbrucker Zeitungsar- KARLHEINZ TÖCHTERLE, REKTOR
chiv genießt. Wir berichten über ein von Innsbrucker Politikwissen- TILMANN MÄRK, VIZEREKTOR FORSCHUNG

IMPRESSUM
Herausgeber: Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 6020 Innsbruck, public-relations@uibk.ac.at, www.uibk.ac.at
Projektleitung: Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice – Mag. Uwe Steger (us), Dr. Christian Flatz (cf)
Medieninhaber & Verleger: ECHO Zeitschriften- und Verlags GmbH, Eduard-Bodem-Gasse 6, 6020 Innsbruck, www.echoonline.at
Redaktion: David Bullock (db), Mag
Foto: Friedle

Mag. Bettina Wenko (bw); Layout & Bildbearbeitung: Thomas Binder; Fotos: Andreas Friedle, Universität Innsbruck;
Druck: Alpina Druck GmbH, Haller Straße 121, 6014 Innsbruck

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Fotos: xxxxxxxxxxxxxxx

BILD DER
WISSENSCHAFT
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INHALT

TITELTHEMA
GLETSCHER. Die Alpen und ihre dahinschmelzenden Gletscher
zählen zu den besterforschten Regionen der Erde – und liefern
wichtige Daten, um den weltweiten Klimawandel zu beurteilen. @ 10

POLARRECHT. Durch die Klimaerwärmung entstehen in der


Artkis Probleme – auch juristische. 13
8
KLIMAARCHIVE. Tropfsteine und Baumstämme bergen ein
unschätzbares Archiv über die Klimaentwicklung der letzten TITEL. Der Klimawandel betrifft uns alle – und Innsbrucker
Jahrtausende. 14 Wissenschaftler erforschen ihn etwa in den Alpen, in der
Arktis, in Afrika und mit Klimaarchiven. Und sie gehen
SZENARIO. Was passiert, wenn Obergurgl das letzte Skigebiet auch anderen Fragen von „klimatischen Änderungen“ nach.
Tirols ist? Zwei Architekten gehen dieser Frage nach. 16

MIKROKLIMA. Sportwissenschaftler und Unternehmen


wollen das Innenleben des Skischuhs verbessern. 17

GESPRÄCHSKLIMA. Manfred Kienpointner erforscht Barack


Obamas Rhetorik und deren Einfluss auf den Politik-Diskurs. @ 18

GESELLSCHAFTSKLIMA. Innsbrucker Pädagogen beschäftigen


sich mit gesellschaftlichen Veränderungen durch Migration. 19
30

POLITIK. Der Politologe Fritz Plasser koordiniert im Rah-


FORSCHUNG men eines Nationalen Forschungsnetzes die Entwicklung
einer universitären Wahlforschung für Österreich. @
STANDORT. Wissenschaftslandesrat Bernhard Tilg über den
Forschungsstandort Tirol und den Plan, ein umfassendes Angebot
an Ingenieurwissenschaften in Tirol zu etablieren. @ 22
Fotos: Institut für Geschichte und Ethnologien/TLMF, Friedle (1), Michael Winkler (1), Uni Innsbruck (1); COVERFOTO: Michael Winkler

KOMPETENZZENTREN. ACIB erhält K2-Status, alpS bereitet


sich auf einen K1-Antrag vor. 26

GERMANISTIK. Das Innsbrucker Zeitungsarchiv schenkt


digitalen Medien erhöhte Aufmerksamkeit. 36

MINERALOGIE. Roland Stalder untersucht mit seinem 38


Infrarot-Flächendetektor die Gesteine des Erdmantels. 38
GESCHICHTE. Der Schwazer Bergbau des 15. und 16. Jahr-
NATURGEFAHREN. Mit einem luftgestützten Radarsystem hunderts sowie der urgeschichtliche Silex- und Bergkristall-
soll die Suche nach Lawinenopfern verbessert werden. 40 bergbau in den Alpen sind Thema des SFB HiMAT.

RUBRIKEN
EDITORIAL/IMPRESSUM 3 | BILD DER WISSENSCHAFT: ERSTAUSGABE „DON QUIXOTE“ 4 | NEUBERUFUNG: PAVLO BLAVATSKYY 6 | FUNDGRUBE VERGANGEN-
HEIT: ABGUSSSAMMLUNG 7 | BILDGLOSSAR: KLIMAWANDEL PLASTISCH 20 | PATENTE & SPIN-OFFS 24 | TRANSIDEE 28 | MELDUNGEN 35 | ZAHLEN &
FAKTEN: FINANZMÄRKTE & RISIKO| MELDUNGEN 43 | CAST 44 | PREISE & AUSZEICHNUNGEN 47 | SPRUNGBRETT INNSBRUCK: KATHRIN LANG 50
@ Zu diesen Beiträgen finden Sie weitere Infos auf: www.uibk.ac.at/forschung/magazin/3

Der Roman „Don Quixote de la Mancha“ von Miguel de Cervantes Landesbibliothek. Die erst 2005 wiederentdeckte Rarität wurde nun
zählt zu den bedeutendsten Werken der Weltliteratur. Eines von insge- von innsbruck university press neu aufgelegt, um die Abenteuererzäh-
samt etwa dreißig bekannten Exemplaren der Erstausgabe des 1605 lung über den Ritter von der traurigen Gestalt Kennern und Liebhabern
erschienenen Romans ist im Besitz der Innsbrucker Universitäts- und der spanischen Literatur zugänglich zu machen. @

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NEUBERUFUNG

ERINNERUNGEN
AN LEMBERG
Der nach Innsbruck berufene Ökonom Pavlo Blavatskyy sucht Ent-
scheidungsfindungen. Seine, dem Ruf zu folgen, war eine sehr gute.

PAVLO
D
er in Lwiw (Lemberg) geborene Pavlo thematik, welche die wirtschaftliche Welt zwar
Blavatskyy wollte eigentlich Kernphysi- nicht verändert, zumindest aber erklärt.
BLAVATSKYY ker werden. Doch seine Eltern brachten
ihn davon ab. Nicht aus den Erfahrungen, die ENTSCHEIDUNGSFINDUNG
nach Tschernobyl gezogen wurden, wie der Uk- Der an die Universität Innsbruck berufene Pro-
rainer beteuert: „Die Spitzenuniversität für Kern- fessor beschreibt nun in der Alpenstadt, welche
physik wäre in Nowosibirsk in Sibirien gewesen wirtschaftlichen Muster sich tagtäglich beim Ein-
– meine Eltern wollten nicht, dass ihr 16-jähri- zelnen abspielen: „Mein zentrales Forschungsge-
ger Sohn alleine so weit in den Osten geht.“ Das biet sind Entscheidungsfindungen.“ Blavatskyy
war 1995, neun Jahre nach der Reaktorkatastro- sucht nach Erklärungen, wie Menschen (ökono-
1979 Geboren in Lwiw phe im ukrainischen Tschernobyl und vier nach mische und finanzielle) Entscheidungen treffen
1992–2004 Studium der dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Für den und wann sie wie risikobereit sind.
Mathematik und Internatio- Ukrainer war es eine gute Entscheidung, denn Seine persönliche Entscheidung, dem Ruf aus
nalen Wirtschaftsbeziehun- sein wissenschaftlicher Weg führte ihn daraufhin Innsbruck zu folgen, hatte für den ukrainischen
gen in Lwiw, der Wirtschaft nicht in den Osten, sondern in die entgegenge- Wissenschaftler zwei Gründe: „In Innsbruck gibt
in Cambridge und Dokto- setzte Himmelsrichtung – über Cambridge, Prag, es ausgezeichnete Lehrstühle – vor allem im Be-
ratsstudium an der Universi- Zürich bis nach Innsbruck. Was aber blieb, war reich der ökonomischen Theorie. Ich bin froh,
tät Prag. das Interesse vor allem für Mathematik – und dass ich nun mit wissenschaftlichen Spitzenleuten
2004-2009 Assistenzpro- der Wille, die Gesellschaft zum Besseren zu ver- zusammenarbeiten kann.“ Auch die Stadt selber
fessor und Postdoc an der ändern. Ein Wirtschaftsstudium – genauer Volks- beeindruckt den Lemberger – nicht nur die ho-
Universität Zürich. wirtschaft – vereinte aus Sicht des jungen Pavlo he Lebensqualität, die Innsbruck zu bieten hätte:
ab Juni 2009 Professor am
Fotos: Bullock (2)

Blavatskyy beide Interessen: „Damals war ich „Meine Geburtsstadt war ja einmal österreichisch
Institut für Finanzwissen- sehr naiv. Ich wusste nicht, dass Volkswirtschaft und in Innsbruck erinnert mich sehr viel an Lem-
schaft in Innsbruck. reine, trockene Mathematik ist.“ Trockene Ma- berg – vor allem die Architektur.“ db

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FUNDGRUBE VERGANGENHEIT

LEHRHAFTER GIPS
Vor 140 Jahren wurde die archäologische Sammlung der Universität
Innsbruck gegründet – mit mittlerweile über 900 Exponaten ist
sie die größte Kollektion klassischer Antiken in Westösterreich.

D
en Anfang machte Bonn. Schon bei der
Gründung der Rheinischen Friedrich-
Wilhelms-Universität im Jahr 1818 dachte ZUR PERSON
man an die Errichtung eines Kunstmuseums, das
als museale Lehreinrichtung antike Skulpturen in
Abgüssen präsentieren sollte. Abgüsse aus Gips
hatten schon eine bis in die Mitte des 17. Jahr-
hunderts zurückreichende Tradition, doch
dienten die Kopien antiker Kunstwerke der
Ausschmückung von Fürstenhäusern und
großbürgerlichen Haushalten bzw. als An-
schauungsobjekte an Kunstakademien und
für Künstler. Die Idee aber, Abgusssamm- Der am 4. September
lungen für Lehre und Forschung einzusetzen, 1825 in Fügen geborene
war neu – und griff von Bonn auf andere Unis Tobias Wildauer studier-
über. 1869 erreichte sie Innsbruck. te ab 1842 an der Uni-
versität Innsbruck Alte
BESONDERE SAMMLUNG Philologie, Philosophie
Auf Antrag der Professoren der Philosophischen und Geschichte und
Fakultät genehmigte das Ministerium am 24. Au- wurde im Jahr 1858
gust 1869 die Gründung eines Abgussmuseums. Ordinarius für Philo-
Dem ersten Leiter standen für Errichtung und sophie und Ästhetik. In
Ausstattung vorerst 200 Gulden im Jahr zur Ver- seinen Vorlesungen behan-
fügung, ab 1872 insgesamt 400 Gulden. Und die delte er auch archäologische
Sammlung wuchs rasch – von 40 Objekten im Themen, da eine eigene
Jahr 1870 auf 300 im Jahr 1894, 30 Jahre später Lehrkanzel für klassische
auf 400. Mit dem Bau der Neuen Universität er- Archäologie in Innsbruck erst
hielt das Museum im Jahr 1920 direkt über der 1889 eingerichtet wurde.
Aula erstmals einen adäquaten Raum. Danach 1869 wurde Wildauer
wurde es still um die Sammlung – Nachkriegszeit, vom Ministerium mit der
Wirtschaftskrise, Zweiter Weltkrieg. Erst in den „Errichtung eines Museums
50er Jahren, unter Professor Alfons Wotschitzky, für Gypsabgüße“ betraut.
ging es wieder aufwärts. Auf seine Initiative hin Wildauer starb am 3. April
wurden die Objekte restauriert und – eine Beson- 1898 in Innsbruck.
derheit der Innsbrucker Sammlung – nicht weiß Die Abbildungen links zeigen
belassen, sondern bemalt, um sie dem marmor- die Statue der Diana von
nen bzw. bronzenen Original anzunähern. Zudem Gabii (röm. Kopie nach
konnte damit die plastische Wirkung noch weiter griech. Original um 350 v.
verstärkt werden. Und schließlich erhielt die inzwi- Chr.; angekauft 1882) und
schen auf 900 Objekte angewachsene Sammlung mit den sogenannten Dresdner
Fotos: F.M. Müller, Innsbruck (3)

dem Umzug der archäologischen und altertumswis- Knaben (röm. Kopie nach
senschaftlichen Institute in das neue Zentrum für griech. Original um 430 v.
Alte Kulturen am Langen Weg im Jahr 2007 einen Chr.; angekauft 1907).
zweiten attraktiven Standort – und kann auf Anfra- Mehr Info unter archaeologie-
ge besichtigt werden. ah museum.uibk.ac.at

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GLETSCHER BRECHEN
BEREITS AUSEINANDER
Still liegen sie da. Majestätisch. Die Gletscher, das ewige Eis am Dach
der Berge. Doch in jüngster Zeit ist es dort oben mit der Ruhe vorbei:
Es kracht, gluckert und plätschert. Die Gletscher schmelzen. Die Alpen
zählen zu den besterforschten Regionen der Erde. Gerade deshalb
liefern sie wichtige Daten für die Beurteilung des weltweiten
Klimawandels.

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Foto: Institut für Meteorologie und Geophysik
TITELTHEMA

weltweit und ist ein wichtiger Beitrag zur


internationalen Forschung.“

EWIGES EIS?
Das einst in den Gletschern gespeicherte
Wasser lässt heute die Meeresspiegel stei-
gen. Allein in Österreich gibt es über 800
Gletscher. Deren Veränderung haben die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des von
a Prof. Michael Kuhn geleiteten Instituts für
d
Meteorologie und Geophysik in den Jahren
1969, 1997 und teilweise auch schon für

D
er Wandel ist dramatisch. Der Welt- 2006 in einem Inventar erfasst. Sie arbeiten
klimarat (IPCC) hat festgehalten, aber auch mit historischen Daten, die oft bis
dass die Durchschnittstemperatur in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück-
der erdnahen Atmosphäre von 1906 bis 2005 reichen. Dabei besonders hilfreich: Einer
um 0,74 °C angestiegen ist. Die Experten er- der größten Tiroler Eisriesen, der Hinter-
warten in den kommenden 100 Jahren einen eisferner in den Ötztaler Alpen, ist der am
weiteren Temperaturanstieg von bis zu 4 °C, längsten durchgehend wissenschaftlich be-
mit schwerwiegenden Folgen für Lebens- obachtete Gletscher überhaupt. „Es ist wohl
b raum und Gesellschaft. An der Universität das längste durchgehende Forschungspro-
Innsbruck untersuchen zahlreiche Forsche- jekt an der Universität Innsbruck“, sagt
rinnen und Forscher den Klimawandel und Prof. Kuhn. „Seit 1894 wird jedes Jahr die
dessen Folgen (Beispiele unten). Viel Energie Eisbewegung des Hintereisferners gemes-
wird darauf verwendet, die Klimaentwick- sen und seit dem Winter 1952/53 auch die
lung der Vergangenheit nachzuverfolgen Massenbilanz ermittelt.“ Damals mussten
(Seite 14-15). Diese Daten liefern die Grund- die Forscher noch zu Fuß von Zwieselstein
lage für zuverlässige Prognosen unserer Zu- aus zum Gletscher aufsteigen. Heute führen
kunft. Besonders interessant sind dabei die Straßen und Wege fast bis zur Gletscher-
Gletscher, sowohl in den südlichen Gefilden zunge. Um die jährliche Massenbilanz, also
c (Interview rechts), als auch in den Alpen. die Differenz zwischen dem neu hinzuge-
„Die Alpen sind ein ideales Forschungs- kommenen Schnee und dem abfließenden
gebiet für solche Fragestellungen“, erklärt
HINTEREISFERNER die Meteorologin und Gletscherkundlerin
Mit einer Fläche von knapp sieben km² ist der Dr. Andrea Fischer. „Sie zählen zu den am
Hintereisferner in den Ötztaler Alpen einer besten erforschten Gebieten der Welt, und
der größten Gletscher Tirols. In den letzten wir verfügen bereits über lange Messrei-
Jahrzehnten hat sein Ausmaß dramatisch ab- hen. Hier können wir neue Methoden aus-
genommen, wie der Vergleich von Aufnahmen probieren und die Brauchbarkeit von Mo-
aus den Jahren 1884 (a), 1929 (b), 1940 dellen sehr gut überprüfen. Das hilft uns
(c) und 2005 (d) zeigt. Die Beobachtung des auch bei der Einschätzung von Ereignissen
Hintereisferner ist das längste durchgehende
Forschungsprojekt an der Uni Innsbruck. Weitere Infos unter: www.uibk.ac.at/forschung/magazin/3

KLIMAFORSCHUNG
Fernbeobachtung: Mit Laserscanning, Fische: Die Einflüsse der Klimaerwärmung
Luftbildern und mit Hilfe von Satelliten auf die Schadstoffbelastung von Fischen
beobachten Forschungsgruppen des Instituts aus Tiroler Hochgebirgsseen und Seen in
für Meteorologie und Geophysik und des der kanadischen Arktis untersucht ein Team
Instituts für Geographie die Dynamik von um Dr. Günter Köck. Dabei analysieren
Eismassen und deren Reaktionen auf Klima- die Wissenschaftler die Konzentration von
signale sowohl in den Alpen als auch in den Metallen und organischen Schadstoffen in
Polarregionen. Gewebeproben von Seesaiblingen.

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TITELTHEMA

Wasser zu ermitteln, installieren die For-


scher am Hintereisferner ein dichtes Netz
an Pegelmessstellen und graben zweimal
jährlich tiefe Schächte. Eine eigene Wetter-
station zeichnet Temperatur, Niederschlag
TROPISCHE GLETSCHER
und Windverhältnisse auf.
Am Kilimandscharo erforschen Georg Kaser
NEGATIVE BILANZ und Thomas Mölg Mechanismen des Klimawandels.
In den alpinen Gletscherregionen stieg die
mittlere Temperatur in den vergangenen 20
Jahren um ein bis zwei Grad an. Seit etwa
zehn Jahren fällt die Massenbilanz der beo-
bachteten Gletscher besonders negativ aus. „Wenn sich das
„Die Gletscher haben sich stark zurückge- gegenwärtige Klima
zogen und beginnen bereits auseinander zu fortsetzt, werden die
brechen“, erzählt Andrea Fischer. Wie lange Plateaugletscher des
aber wird es überhaupt noch Gletschereis Kilimandscharo um
geben? „Bei der Beantwortung dieser Fra- 2040 verschwunden
ge helfen uns die Daten über Massenbilanz sein“, meinen Georg
und Gesamtvolumen. Daraus lassen sich Kaser und Thomas
Szenarien entwickeln. Allerdings können Mölg (v.li.).
diese regional sehr unterschiedlich sein. So
kann ein Anstieg der globalen Temperatur ZUKUNFT: Sie erforschen mit Ihrem Team Schlüssel zum Erfolg. Einer allein kann
in manchen Gebieten zu einem Rückgang, die Gletscher auf dem höchsten Bergmas- ein so komplexes Thema nicht bewältigen,
in anderen zu einem Anstieg des Winter- siv Afrikas, dem Kilimandscharo. Ist es hier laufen viele Expertisen zusammen.
niederschlags führen. Auch Lawinen und dort nicht viel zu heiß für die Gletscher? Wir haben Leute, die sehr gut im Messen
Stauniederschläge können die lokalen Be- THOMAS MÖLG: Die Grundvorausset- sind, andere sind hervorragende Model-
Fotos: Institut für Meteorologie und Geophysik (4), Lois Lammerhuber / Edition Lammerhuber (1), Friedle (1)

dingungen stark verändern. So etwas ist zung für die Entstehung von Gletschern ist lierer.
nur schwer modellierbar, macht es für uns in den Tropen die selbe wie bei uns: Nie- ZUKUNFT: Zu welchen Ergebnissen sind
aber umso spannender.“ derschlag muss in fester Form fallen. Weil Sie am Kilimandscharo gekommen?
Die Innsbrucker Gletscherforscherinnen es dort aber sehr warm ist, bilden sie sich MÖLG: Der seit über 100 Jahren anhal-
und -forscher beschäftigen sich auch mit erst in sehr großer Höhe, am Kilimand- tende Rückzug der Gletscher hat vor al-
den Folgen dieser dramatischen Verände- scharo oberhalb von 5000 Metern. lem mit verminderten Niederschlägen
rungen. So kooperiert das Team um Dr. ZUKUNFT: Herr Kaser, Sie vertreten einen und weniger mit einer Temperaturzunah-
Fischer mit den Gletscherskigebieten in neuen Ansatz in der Klimaforschung, der me am Gipfel zu tun. Die Verhältnisse im
Sölden, Pitztal, Kaunertal und Stubai so- glaziologische Erkenntnisse mit Wetter- Indischen Ozean haben großen Einfluss
wie am Dachstein. Dort wurden die Lift- und Klimamodellen verbindet. Warum? auf das Klima in Ostafrika. Bringen die
anlagen auf den sich bewegenden Glet- GEORG KASER: Veränderungen eines Luftmassen weniger Feuchtigkeit ins Hin-
schern montiert. Schmilzt das Eis rasch ab, Gletschers liefern uns nicht nur Aufschlüs- terland, wirkt sich das über Wolken- und
könnten Liftstützen ausapern. „Wir haben se über das lokale Klima sondern auch Niederschlagsbildung auf die Massenbi-
verschiedene Dinge ausprobiert, um so et- über globale Dynamiken. Deshalb verfol- lanz der Gletscher aus. Wir haben damit
was zu verhindern“, sagt Fischer. Der beste gen wir Klimasignale über große Räume einen Schlüssel im Klimasystem identifi-
Schutz ist Schnee. Der ist weiß und reflek- hinweg. Man muss dazu viele methodi- ziert, mit dessen Hilfe wir verstehen, wie
sche Herausforderungen meistern. Will die globale Erwärmung zur Verschiebung
man lokale Daten mit großräumigen Kli- von Niederschlagszonen in den Tropen
madynamiken in Beziehung setzen, muss führt.
man komplexe Vorgänge in der Atmos- ZUKUNFT: Wie sieht es um die Zukunft
Permafrost. Dauerhaft ge- phäre verstehen. Wir bringen hier viele der Gletscher am Kilimandscharo aus?
frorene Böden können in den Spezialisierungen unter einen Hut. In der MÖLG: Wir haben festgestellt, dass sich
Alpen bis zu 100 Meter Tiefe wissenschaftlichen Gemeinde wird dieser die Gletscher auf dem Plateau anders
erreichen. Ein Team um den Ansatz sehr positiv aufgenommen. entwickeln als die Hanggletscher. Wenn
Geologen Prof. Karl Krainer ZUKUNFT: Sie leiten ein Team von jungen, sich das gegenwärtige Klima fortsetzt,
erforscht die Permafrostzonen engagierten Mitarbeitern. Welche Rolle werden die Plateaugletscher um 2040 ver-
Österreichs und die Folgen eines zu erwar- spielt das Teamwork bei Ihrer Arbeit? schwunden sein. An den Hängen hat sich
tenden verstärkten Auftauens dieser Böden. KASER: Wir sind eine Gruppe, die viel die Abnahme in den letzten Jahren jedoch
Spaß an der Arbeit hat und das ist der verlangsamt.

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TITELTHEMA

Die Tiroler Gletscherwelt bietet ein ideales Forschungsfeld für die wissenschaftliche Untersuchung des Klimawandels und seiner Folgen.
Hier können Forscherinnen und Forscher neue Methoden und Modelle entwickeln und deren Brauchbarkeit überprüfen.

der Schnee an die gewünschten Stellen aus man so leicht ins Gelände kommt.“
verfrachtet wird.“ Sehr erfolgreich war ihr Durch die Kooperationen mit den Glet-
Team auch mit dem Abdecken des Eises mit scherskigebieten steht den Wissenschaft-
Hilfe von weißem Vlies. Dieses isoliert das lern auch eine sehr gute Infrastruktur für
Eis und reflektiert die Sonnenstrahlen. „Vor ihre Projekte zur Verfügung. „Diese Leute
fünf Jahren haben wir das zum ersten Mal sind das ganze Jahr über am Gletscher
ausprobiert“, erzählt Andrea Fischer. „Seit- und für uns sehr wichtige Partner“, betont
„Ein Anstieg der globalen her nutzen die Skigesellschaften das Vlies Prof. Kuhn, der mit seinem ausschließlich
erfolgreich, um ihre Liftstützen zu schüt- aus Drittmitteln finanzierten Team die ge-
Temperatur kann in manchen
zen. Denn: Die Methode hat sich als sehr samten Ostalpen von der Silvretta bis zum
Gebieten zu einem Rückgang, effektiv erwiesen. Das Abschmelzen des Ei- Dachstein erforscht.
ses konnte auf ein Drittel reduziert werden. An den gewonnenen Daten haben auch
in anderen zu einem Anstieg „Wenn man bedenkt, dass ein Gletscher in Wasserwirtschaft und Siedlungsbau großes
des Winterniederschlags einem Jahr schon einmal um sieben Meter Interesse. Derzeit steigen die Abflüsse aus
abschmelzen kann, dann ist die Reduktion Gletschergebieten noch an. Geht die Ent-
führen.“ Andrea Fischer ein großer Gewinn“, so Fischer. wicklung freilich so weiter, wird die Was-
sermenge irgendwann wieder zurückgehen.
IDEALER STANDORT Was bedeutet das für geplante Kraftwerks-
tiert einen Großteil der Sonnenstrahlung, Für die Glaziologen, die ihr Wissen auch bauten? Welchen Einfluss hat es auf die Flüs-
während das Gletschereis meist schmutzig an viele Studierende weitergeben, ist Inns- se? Und was passiert, wenn der Wasserspei-
und eher dunkel ist. „Den Schnee kann bruck ein idealer Standort. „Man setzt sich cher Gletscher einmal nicht mehr existiert?
man entweder mit Pistenraupen transpor- in der Früh ins Auto und steht eine Stunde Grundlage für all diese Überlegungen sind
tieren oder man nützt den Wind und sorgt später am Eis“, sagt Fischer. „Es gibt auf die Prognosen der Innsbrucker Forscherin- Fotos: Lois Lammerhuber / Edition Lammerhuber (2), Institut für Meteorologie und Geophysik (2)
durch Oberflächenänderungen dafür, dass der ganzen Welt keine Universität, von der nen und Forscher. cf

KLIMAFORSCHUNG
Ökologie. In den sensib- Wasser. Neuartige Wasserkraftlösungen Hochgebirgssee. Das
len Randzonen des Lebens für schwierige und derzeit nicht nutzbare Wechselspiel der globalen
im Hochgebirge beobach- Flussstandorte in Österreich und deren prak- Kräfte und die Auswirkun-
tet Prof. Brigitta Erschba- tische Umsetzbarkeit untersucht Prof. Markus gen auf die alpine Umwelt
mer vom Institut für Botanik die Auswirkungen Aufleger vom Arbeitsbereich Wasserbau erforscht Prof. Roland Psenner mit seinem Team
des Klimawandels auf die Verteilung und am Institut für Infrastruktur. Die Erhöhung des vom Institut für Ökologie am Gossenköllesee.
Biodiversität der Vegetation und erstellt Prog- Anteils erneuerbarer Energieträger wäre ein Hochgebirgsseen sind empfindliche Detektoren
nosen zu deren weiterer Entwicklung. wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. des weltweiten Transports von Schadstoffen.

12 zukunft forschung 0209


TITELTHEMA

AUFGETAUTE FRAGEN
Der globale Klimawandel wirft nicht nur aus ökologischer Sicht viele Fragen auf.
Auch Juristen müssen sich im Zuge der Klimaerwärmung mit neuen
Problemstellungen beschäftigen.

I
n der Arktis sind die Auswirkungen des globalen Klimawan-
dels besonders stark bemerkbar. So war die bisher nur mit Eis-
brechern befahrbare Verbindung zwischen Atlantik und Pazi-
fik – die sogenannte Nordwestpassage – aufgrund der steigenden
Temperaturen im September 2007 zum ersten Mal durchgehend be-
fahrbar. Auch die Befahrbarkeit der Route über die Nordostpassage
zwischen den Nordküsten Europas und Asiens soll bis ins Jahr 2080
von 20 bis 30 Tagen auf 90 bis 100 Tage steigen. „Die Nordostpas-
sage wurde im Sommer 2009 von zwei deutschen Handelsschiffen
zum ersten Mal für kommerzielle Zwecke durchquert. Diese neu-
en Schiffsrouten, die eine wesentliche Zeitersparnis bedeuten, und
auch die Rohstoffreserven, die in diesen nun leichter zugänglichen
Gebieten vermutet werden, sind natürlich Gründe dafür, dass das
Interesse an der Arktis wächst“, beschreibt Mag. Anja Pfurtscheller
die Situation. Die Juristin beschäftigt sich in ihrer von Prof. Peter
Hilpold betreuten Dissertation mit neu entstandenen Rechtsproble-
men in der Arktis, die sich durch den Klimawandel ergeben.

UNGEKLÄRTER STATUS
Bis heute ist der politische Status der Arktis noch nicht geklärt. Da
neben den möglichen neuen Seewegen laut Schätzung des Geo-
logischen Diensts der USA 13 Prozent der weltweiten Erdölreser-
ven und 30 Prozent der Erdgasreserven in dieser sensiblen Region
verborgen liegen, ist das Interesse der Anrainerstaaten groß, die
Besitzansprüche zu klären. Derzeit setzen sich besonders die acht
Mitgliedsstaaten des Arktischen Rats mit der aktuellen Situation am
Nordpol intensiv auseinander. In der „Ilulissat Declaration“ haben
sich bereits die fünf Arktisstaaten USA (Alaska), Kanada, Dänemark
(Grönland, Färöer), Norwegen (Spitzbergen) und Russland darauf
geeinigt, eine friedliche Lösung in Bezug auf die Gebietsansprüche
in der Arktis zu finden. Es gibt aber auch zahlreiche andere Staaten,
wie Japan oder China, internationale Organisationen wie die In-
ternationale Seeschifffahrtsorganisation oder NGOs wie den WWF,
die an den aktuellen Entwicklungen in der Arktis großes Interesse
haben. „Wenn man bedenkt, dass 90 Prozent des Außenhandels
der Europäischen Union über den Seeweg abgewickelt wird, so ist
es nicht verwunderlich, dass auch diese an einem verkürzten See-
weg von Europa nach Asien durch arktische Gewässer interessiert
ist“, erklärt Pfurtscheller. In ihrer Dissertation will die Juristin die
verschiedenen Interessen und Positionen auflisten und potenziel-
Foto: www.istockphoto.com

le Konflikte aufzeigen. „Ich bin mir aber durchaus bewusst, dass


die Abgrenzungsstreitigkeiten sowie die eindeutige Klärung des
Rechtsstatus der Nordwest- und Nordostpassage vermutlich noch
lange ungelöst bleiben werden“, so Pfurtscheller. sr

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TITELTHEMA

ARCHIVE DES KLIMAS


Das Klima der letzten Jahrtausende hat auf der Erde seine Spuren
hinterlassen. Spuren, die von Innsbrucker Wissenschaftlern anhand
von Tropfsteinen und Baumringen untersucht werden.

T
ropfsteine (Sinter) bilden sich, wenn Wasser durch Die Isotope, Spielarten eines Elements, unterscheiden sich durch
Karstböden sickert und dabei den vorhandenen Kalk die Anzahl an Neutronen im Atomkern, Sauerstoff-Isotop ist also
löst. Gelangt das Wasser dann in eine Höhle, beginnt nicht gleich Sauerstoff-Isotop. Und über den Unterschied lassen
sich das Mineral Kalzit aus dem Wasser auszukristallisieren – es sich Rückschlüsse auf das Klima ziehen, auf Kalt- und Warm-
„wachsen“ Tropfsteine, nach oben (Stalagmiten) und nach unten phasen. „Wir forschen auch an Proben z.B. aus Chile, Kuba, Aus-
(Stalaktiten). Mal schneller, mal langsamer. Jahrtausende lang. tralien und Zentralasien, immer in enger Zusammenarbeit mit
Und speichern quasi das Wetter an der Oberfläche, konservieren ausländischen Forschergruppen. In diesen Klimaregionen geben
langfristige Änderungen in Temperatur und Niederschlag in ver- uns die Isotope Auskunft über Feucht- und Trockenphasen in
schlüsselter Form. Gemeinsam mit deutschen, amerikanischen der Vergangenheit“, so Spötl. Neueste Errungenschaft in der
und australischen Kollegen untersuchen Prof. Christoph Spötl Arbeitsgruppe: Der Aufbau einer Methode, um winzigste Reste
und sein Team am Institut für Geologie und Paläontologie Pro- von Wasser aus den Kristallen von Tropfsteinen zu extrahieren.
Fotos: Uni Innsbruck/Fritz Geissler (1), Friedle (1)

ben alpiner Tropfsteine. Das Alter wird mit der Thorium-Uran- Damit haben die Innsbrucker Wissenschaftler eine Mikroprobe
Methode bestimmt (Spötl: „Die Genauigkeit liegt bei idealen des Niederschlags in der Hand, der z.B. während der Eiszeit ge-
Proben bei wenigen Promillen des Alters, d.h. bei einer 50.000 fallen ist.
Jahren alten Probe beträgt die Ungenauigkeit nur etwa 150 Jah- Aktuelle Forschungen betreffen einen Klima-Kalender der letz-
re.“), die Isotopenanalyse erfolgt mittels Massenspektrometer ten Eiszeit, den es für die Alpen noch nicht gibt, sowie die Erstel-
(Einzelmessungen im Abstand von 0,1 mm, was einer zeitlichen lung einer Klimareihe, die die gesamte heutige Warmzeit umfasst
Auflösung von etwas mehr als einem Jahr entspricht). „Die sta- und die wichtige Einblicke in den natürlichen Klimaverlauf und
bilen Isotope sind unser Hauptinformant“, erklärt der Forscher. seine Variabilität vor dem Eingriff des Menschen erlaubt.

14 zukunft forschung 0209


TITELTHEMA

INDIREKTE INDIKATOREN
Um Temperaturen und Klima für die Zeit
vor instrumentellen Messserien zu erfor-
schen, benötigt es indirekte Indikatoren,
sogenannte Proxies, die in „Klimaarchiven“
gespeichert sind. Neben Tropfsteinen und
Jahrringen sind das unter anderem Eisbohr-
kerne, Korallen, See- oder Ozeansedimente
sowie Pollen. Mit solchen Klimaarchiven
beschäftigen sich mehrere Wissenschaftler
und Forschungsgruppen der Uni Innsbruck.

SPUREN IM HOLZ Reihe eines Baumes erstreckt sich über 780 Jahre. In Amerika gibt
Dass es früher schon wärmer (aber auch kälter) war als heute, kann es Bäume, die auch über 4000 Jahre alt werden können“, erklärt Ni-
auch Prof. Kurt Nicolussi belegen – und genau datieren. Der Hoch- colussi. Und mit Hilfe dieser Zirben-Lärchen-Chronologie können
gebirgsforscher am Institut für Geographie arbeitet mit Holz, mit alpine Baumfunde datiert werden – und daraus Rückschlüsse auf
sehr altem Holz. Dendrochronologie nennt sich die Wissenschafts- die Umwelt und auch das Klima der Vergangenheit gezogen wer-
disziplin, die in Hölzern ausgebildete Jahrringe (ein Abbild der den. Etwa bei der Erfassung und Analyse von Lawinenabgängen
Wachstumsbedingungen und somit auch des Klimas) untersucht. beim Schwarzsteinmoor in den Zillertaler Alpen auf 2150 Meter, im
Verschiedene Bäume der gleichen Art können sehr ähnliche Jahr- aktuellen Waldgrenzbereich gelegen. „In diesem Moor sind Lawi-
ringmuster besitzen, so lassen sich innere Sequenzen von jungen nenhölzer erhalten“, erzählt Nicolussi. Mit Hilfe der Hölzer konnten
Bäumen mit äußeren Sequenzen von alten Bäumen überlappen – das mehrere Lawinenabgänge in den letzten 8300 Jahren datiert werden.
so genannte Crossdating. Ausgehend von bekannten Daten leben- Was den Schluss zulässt, dass in wärmeren Perioden der Vergangen-
der Bäume, kann man mit Hilfe der sich überlagernden Sequenzen heit die Baumgrenze oberhalb des Moores gelegen haben muss. „Es
das Alter ganzer Baumreihen jahrgenau zurückdatieren. Andrew E. herrschten klimatische Verhältnisse, wie sie uns im Zuge des Kli-
Douglass gilt als Begründer der Dendrochronologie. Berühmt wurde mawandels heute prognostiziert werden“, hält der Dendrochrono-
Douglass durch seine Datierungen an amerikanischen Indianersied- loge fest. Belegen konnte er dies auch mit einer rund 600 Jahre alten
lungen. 1929 verhalf ihm ein bei Grabungsarbeiten in einem verlas- Zirbe, die im Jahr 2005 aus dem ewigen Eis des Schweizer Tschier-
senen Pueblodorf der Anasazi-Indianer entdecktes Holzstück eine vagletscher in einer Höhe von 2200 Meter auftauchte. Gestorben ist
Datenlücke zu schließen und eine Jahrringchronologie bis ins Jahr sie vor knapp 6880 Jahren, in der frühen Jungsteinzeit, irgendwo
700 zu erstellen. In der Zwischenzeit ist die Dendrochronologie in weiter oben, ehe sie vom vorrückenden „ewigen“ Eis begraben und
andere Sphären vorgestoßen – so reicht der längste Jahrringkalender konserviert wurde. Der aktuelle Gletscherschwund seit dem letz-
der Welt an der deutschen Universität Hohenheim bis in das Jahr ten Hochstand (Mitte 19. Jh.) legte die stumme Zeugin vergangener
10.480 v. Chr. zurück. Die zweitlängste Jahrringchronologie wurde Warmphasen dann frei. Mindestens zehnmal, so schätzen Forscher,
in Innsbruck erarbeitet und datiert über 9000 Jahre in die Vergangen- waren die Gletscher in den vergangenen 11.000 Jahren kleiner – und
heit. Basierend auf rund 1800 Proben von lebenden Bäumen und Tot- das auch über mehrere Jahrhunderte. Besonders drastisch war der
holz der Baumarten Zirbe und Lärche konnte Nicolussis Team einen Rückgang vor rund 7000 Jahren. Nicolussi: „1850 waren die Glet-
Jahrringkalender erstellen, der bis ins Jahr 7109 v. Chr. zurückreicht. scher doppelt so groß wie heute. Man kann aber auch davon ausge-
Und das bei erschwerten Voraussetzungen. „Eine durchschnittliche hen, dass 50 bis 75 Prozent der Fläche der heutigen Gletscher schon
Probe ist bei uns 200 Jahre alt, die längste von uns ausgewertete einmal verschwunden war.“ ah

zukunft forschung 0209 15


TITELTHEMA

WENN KEIN
SCHNEE FÄLLT
Das Szenario ist realistisch, die Folgen auch. Am Institut
für Gestaltung geht man der Frage nach, was passiert,
wenn kein Schnee mehr fällt unter 1900 Metern.

E
s war der Winter 2006/07, der sie auf
die Idee brachte. So wenig Schnee
wie damals, das hatte es noch nie ge-
geben – die Touristiker zeigten sich alarmiert.
Und die Klimaforscher trugen zu keiner Be-
ruhigung bei. Im Gegenteil: Die Prognosen
sagen, in rund 20 Jahren wird kaum mehr
weiße Pracht zu finden sein unter 1900 Me-
tern. Celia Di Pauli und Alexander Pfanzelt
vom Institut für Gestaltung Studio 1 der Ar-
chitektur-Fakultät nahmen die Angaben zum „Im Jahr 2027 wird Obergurgl
Anlass, sich damit auseinander zu setzen,
was das für Tourismusorte in Tirol bedeutet.
seine Position innerhalb der
Sie nannten das Projekt „Alpenbügel(n) Teil Skigebiete in Tirol drastisch
3/1 – Obergurgl 2027“ und wählten Ober-
gurgl als Fallbeispiel für „die Entwicklung
verändert haben müssen.“
eines architektonischen Szenarios mittels der Celia Di Pauli, Alexander Pfanzelt
Methode des Situativen Urbanismus für die
noch verbliebenen Skigebiete“. Die ersten
Untersuchungen wurden schon durchge- erkundet. Drei Tage in der Hochsaison ha-
führt, weitere sollen folgen. ben sie das Funktionieren der öffentlichen
Räume beobachtet. „Es ging darum, das
INFRASTRUKTURELL Zusammenspiel in den Außenräumen zu
Tatsache ist, tritt der Worst Case ein (und er erfassen, die momentanen Kapazitätsober-
wird eintreten), dann gibt es im Wintertou- grenzen zu untersuchen und eine Topografie
rismusland Tirol um zwei Drittel weniger zu erstellen“, erklärt Di Pauli. Nach diesem
Skigebiete als heute. „Der Massenansturm ersten Schritt sollen nun in einer zweiten Un-
wird sich also auf die noch verbleibenden tersuchungsphase halb- bzw. teilöffentliche
konzentrieren“, erklärt Pfanzelt. Zu jenen Räume genauer unter die Lupe genommen
Orten, die mit den neuen Bedingungen zu- werden, wie zum Beispiel Hotellobbies.
recht kommen müssen, gehört Obergurgl. Wichtig in diesem Zusammenhang ist etwa
Der kleine Ort im hinteren Ötztal und das auch zu erfassen, welche Einrichtungen bei
Ötztal selbst können dem Ansturm aber nur der Interaktion zwischen Einheimischen,
mit infrastrukturellen und architektonischen Saisonarbeitern und Hotelgästen eine Rolle
Foto: Pfanzelt/Di Pauli (1), Friedle (1)

Maßnahmen und Veränderungen begegnen. spielen. „Wir müssen das Gesamtsystem er-
Um herauszufinden, wie das am besten von- kennen, dann können architektonische Lö-
statten geht, haben die beiden Projektleiter sungsmöglichkeiten entworfen werden“, so
zusammen mit den Mitarbeitern des Studio Pfanzelt. Di Pauli und Pfanzelt sind mitten
1 und Professor Stefano de Martino in einem drin, die Ist-Situation in Obergurgl zu ana-
ersten Schritt die aktuelle Situation vor Ort lysieren für das Szenario 2027. sg

16 zukunft forschung 0209


TITELTHEMA

KLIMAWANDEL IM SCHUH
Das Mikroklima im Skischuh wollen Sportwissenschaftler und Unternehmen
gemeinsam optimieren. Sie suchen nach neuen Formen und Materialien für den
Innenschuh. Wohlbefinden und Fahrgefühl sollen sich dadurch verbessern.

S
eit den Anfängen des Skilaufes hat sich die Ausrüstung stark und Feuchtigkeitstransport in Textilien entwickelt. Diese wird nun
verändert. Ski, Skischuhe und Bindung von damals sind mit in einer Klimakammer aufgebaut, um die verschiedenen Materia-
den heutigen Modellen kaum noch vergleichbar. Dennoch lien während simulierten Bedingungen, die dem realen Ski fahren
ist der optimale Skischuh längst nicht gefunden, sagt Patrick Ho- entsprechen, zu testen.
fer, Mitarbeiter am Technologiezentrum für Ski- und Alpinsport In der Klimakammer werden auch Probanden auf einem Skisi-
der Universität Innsbruck: „Speziell in den Bereichen Temperatur- mulator getestet. Deren Skischuhe sind mit zahlreichen Sensoren
und Feuchtigkeitshaushalt sowie in der Reduktion von Druckstel- verdrahtet. „So können wir das Mikroklima im Schuh unter ver-
len kann der Skischuh noch verbessert werden.“ Gemeinsam mit schiedenen und nachvollziehbaren Bedingungen erfassen“, sagt
Partnern aus der Industrie hat das Forscherteam verschiedene Ski- Hofer. Vor und nach dem Test werden die Füße mit einer Wärme-
schuhe getestet. „Darunter waren sowohl günstige als auch teure bildkamera abgelichtet. „Damit kann die Wärmeabstrahlung des
Produkte“, sagt der Leiter des Technologiezentrums, Prof. Werner Fußes quantifiziert werden.“ Eine Problemzone sind die Zehen, die
Nachbauer. „Wir versuchen nun, sowohl die Form als auch die im Schuh sehr rasch abkühlen.
verwendeten Materialien des Innenschuhs zu optimieren.“ Getestet wird aber auch auf der Skipiste. Die Ergebnisse der Ver-
suche sollen helfen, den optimalen Skischuh zu konstruieren. „In
DRUCK VOM FUSS NEHMEN zwei Jahren wollen wir einen Prototypen fertig haben“, hofft Prof.
Einerseits wollen die Forscher Druckstellen im Schuh minimieren. Nachbauer. cf
„Das verbessert die Durchblutung und damit das subjektive Wohl-
befinden“, sagt der Sportwissenschaftler Nachbauer. Außerdem
haben die Forscher den Feuchtigkeits- und Temperaturhaushalt
im Visier. „Ist der Innenschuh einmal nass geschwitzt oder von au-
REGIONALE KOOPERATION
ßen Schnee eingedrungen, bildet sich an der Außenseite eine Eis- Akademische Einrichtungen und Unternehmen aus Österreich
schicht, die schlecht für das Mikroklima im Schuh ist“, beschreibt und Italien wollen gemeinsam Sicherheit und Komfort im
Patrick Hofer das Problem. Gemeinsam mit Prof. Thomas Bechtold alpinen Skilauf verbessern. Unterstützt werden sie dabei im
vom Forschungsinstitut für Textilchemie und Textilphysik sucht Rahmen eines Interreg IV-Projekts von der Europäischen Union.
Fotos: Friedle

er nun nach neuen Materialien. Bechtold hat in seinem Institut in Neben dem optimalen Skischuh werden zum Beispiel auch ein
Dornbirn eine Apparatur zur Bestimmung von Wärmedurchgang virtueller Skiläufer und Crashtest-Dummies entwickelt.

zukunft forschung 0209 17


TITELTHEMA

GUTE ARGUMENTE
Der Linguist Manfred Kienpointner erforscht die Rhetorik von
Barack Obama und deren Einfluss auf das Gesprächsklima.

O
bama hat als Präsident ein neues Klima anderem erwähnte er die Möglichkeit, zu wählen,
in der internationalen Politik geschaf- ohne politische Verfolgung fürchten zu müssen. In
fen“, so begründet das Nobelpreiskomi- einem Nachsatz ergänzte er „and that our votes
tee unter anderem die Verleihung des Friedensno- will be counted – at least most of the time“ und
belpreises an den 44. US-Präsidenten. Ein Aspekt spielte damit auf die Fehler bei der Stimmenaus-
MANFRED dieses „neuen Klimas“ ist seine herausragende zählung im Bundesstaat Florida an, die Bush eine
KIENPOINTNER Redekunst. „Wie viele Politiker beherrscht Obama hauchdünne Mehrheit und damit den Wahlsieg
natürlich das klassische Arsenal der Rhetorik, nur bescherten. „Mit dieser Art von Ironie schafft Ob-
setzt er es eben auf eine ganz andere Art ein“, er- ama es, seine eigenen Leute zu gewinnen, ohne
klärt Prof. Manfred Kienpointner, der sich aktuell den Gegner direkt zu attackieren“, erklärt Kien-
mit der Rhetorik Obamas beschäftigt. pointner.
So berichtet die amerikanische Linguistin De-
borah Tannen, dass sich politische und juristische STÄRKE DER MILDEN IRONIE
Diskurse in den USA in den letzten Jahrzehnten Obama ist außerdem in erheblichem Ausmaß da-
zunehmend verschärft haben. „Während das Gros zu bereit, Fehler einzugestehen. „Von einem Mann
eher aggressive und polarisierende Strategien an der Spitze eines so großen Staates erwartet man
Manfred Kienpointner, einsetzt, ist Obama darum bemüht, eine gemein- das zwar üblicherweise nicht. Obama schafft es
geboren 1955, studierte schaftliche Ebene zu suchen“, hebt der Sprachwis- aber trotzdem, sowohl eigene als auch kollektive
Klassische Philologie und senschaftler Kienpointner eine Charakteristik von Fehler zuzugeben und dennoch nicht als ‚Looser’
Sprachwissenschaft in Inns- Obamas Rhetorik hervor. „Das unterscheidet ihn dazustehen“, verdeutlicht Kienpointner. Ein wei-
Fotos: Official White House Photo by Chuck Kennedy (1), Friedle (1)

bruck. Er leitet das Institut sehr stark von seinem Vorgänger Bush, der klar terer Aspekt, der Obamas Rhetorik kennzeichnet,
für Sprachen und Literaturen kommuniziert hat: Wer nicht für uns ist, ist gegen ist seine Fähigkeit, sich in den Standpunkt des
an der Universität Innsbruck uns“, so Kienpointner. Obama hingegen verstehe Gegners hineinzuversetzen. „Sowohl das Studium
und ist Professor für Allge- es, seine Redeziele effizient durchzusetzen ohne seiner Bücher als auch die Auseinandersetzung mit
meine und Angewandte den Gegner vor den Kopf zu stoßen und das Ge- seinen Reden zeigen, dass es sich bei ihm tatsäch-
Sprachwissenschaft. Seine sprächsklima zu vergiften. Typisch für Obama ist lich um Empathie und nicht nur um bloße Strategie
Forschungsschwerpunkte zum Beispiel der Einsatz einer sehr milden Form handelt“, so Kienpointner. Auch das sei einem po-
liegen vor allem auf dem der Ironie: So führte er 2004 in einer Rede vor dem sitiven politischen Diskurs sehr zuträglich. ef
Gebiet von Rhetorik und Kongress der Demokraten eine Reihe von Charak-
Argumentation. teristika des Amerikanischen Traums an. Unter Weitere Infos unter: www.uibk.ac.at/forschung/magazin/3

18 zukunft forschung 0209


TITELTHEMA

RAUERES KLIMA
Ausgrenzung, Radikalisierung, salonfähiger Rassismus. Das
gesellschaftliche Klima rund um das Thema Migration ist rauer
geworden – ein neuer Lehrstuhl am Institut für Erziehungs-
wissenschaften der Universität Innsbruck fragt, warum.

D
as Institut für Erziehungswissenschaf-
ten nimmt die gesellschaftliche Heraus- Das Thema Migration wird meist als
forderung an: Seit einem Jahr ist Insti- abgegrenztes Thema behandelt, statt
tutsleiter Paul Mecheril dort Professor für Inter- als Teil eines gesellschaftlichen
kulturelles Lernen und Sozialen Wandel. Es war Diskurses gesehen zu werden.
höchste Zeit, wie sein Mitarbeiter Oscar Thomas-
Olalde meint: „Wir brauchen einen Klimawan-
del im Diskurs.“ Man müsse nachdenken, wie
über Migration in der Öffentlichkeit gesprochen
wird. Laut Thomas-Olalde, dessen zentrale For-
schungsgebiete Migration, Integrationsdiskurse
und Bildung in der Einwanderungsgesellschaft
sind, leben wir nämlich in einer Gesellschaft, in
der Rassismus salonfähig geworden sei. Gleich-
zeitig werde ausgeklammert, dass Migration
notwendige Veränderungen in einer Gesellschaft
herbeiführe: „Der derzeitige politische Diskurs
verhält sich so, als ob Migration eine gefährliche
Ausnahmesituation ist.“ Es sei aber genau umge-
kehrt: „Migration hat es immer gegeben und der
gesellschaftliche Wandel ist eine Notwendigkeit
für Entwicklung. Fortschritt auf allen Ebenen ei-
ner Gesellschaft hatte immer mit Austausch zu
tun“, weiß Thomas-Olalde.
reflektiert werden. Migration gilt es als Quer- ZUR PERSON
KONSTRUKT FREMDHEIT schnittsmaterie zu verstehen, als Bestandteil ei-
Fremdheit sei lediglich ein soziales Konstrukt ner Gesellschaft, sie dürfe nicht als abgegrenztes,
– es werde vordefiniert, wer ausgeschlossen wird eigenes Thema behandelt werden – und genau
und wer nicht. Zu erkennen sei, dass vornehm- das wird am Institut für Erziehungswissenschaf-
lich ein politisches Kalkül dahinter stecke: „Es ten gemacht. „Wir wollen neue Ziele in der Mi-
gibt einen kausalen Zusammenhang zwischen grations- und Integrationspolitik formulieren.
radikalen Aussagen und der Gunst der Wäh- Gesellschaftliches Denken und vor allem eine
lerschaft“, erklärt Thomas-Olalde. „Und dieser Änderung des Diskurses sind notwendig“, ist
Diskurs erzeugt ein raues Klima – vor allem in Oscar Thomas-Olalde überzeugt.
Krisenzeiten.“ Mit eigenen Lehrstühlen zum Themenkomp-
Solche Tendenzen müssen erkannt und ana- lex Migration sei man auf dem richtigen Weg. Oscar Thomas-Olalde ist wis-
lysiert werden, dann kann man ihnen entgegen- Derzeit findet am Institut für Erziehungswissen- senschaftlicher Mitarbeiter
steuern. Auch die Wissenschaft habe einen Bei- schaften in Innsbruck ein inhaltlicher Aufbau am Institut für Erziehungswis-
trag dazu zu leisten: Laut Thomas-Olalde bedarf statt. Antworten auf Fragen, wie „Wie schaut senschaften und beschäftigt
Fotos: Bullock(1), privat (1)

es einer Institutionalisierung und eines inhaltli- eine Gesellschaft aus, die von dieser Differenz sich vorrangig mit Religio-
chen Austausches von Forschungseinrichtungen, geprägt ist?“ werden noch gesucht. Antworten, nen, Migration, Integrations-
die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Nur die für das gesellschaftliche Klima von großer diskursen und Bildung in der
so können gesellschaftliche Mechanismen seriös Bedeutung sind. db Einwanderungsgesellschaft.

zukunft forschung 0209 19


1

KLIMAWANDEL
Der Klimawandel wird eine Zunahme der mittleren Jahres-
temperatur mit sich bringen. Was dies aber für jeden
einzelnen bedeutet, ist nur schwer vorstellbar. Dr. Ben
Marzeion vom Institut für Geographie hat gemeinsam mit
Kollegen aus Norwegen eine Methode entwickelt, mit der
die Auswirkungen des Klimawandels plastisch dargestellt
werden können. „Kaum jemand hat eine Vorstellung davon, 1
wie sich das Leben verändern wird, wenn es im Jahresmittel
ein wenig wärmer wird“, erklärt der Klimaforscher. „Sehr Auf dem Satellitenbild wurde jeder
viel einfacher wird es, wenn man sich vorstellt, an einem Ort an den nächstliegenden Punkt
anderen Ort zu leben“, sagt Marzeion. Deshalb hat er die verschoben, der heute die Tempera-
Temperaturprognosen für die Zukunft in Ortsänderungen tur hat, die dieser Ort nach den Mo-
der Gegenwart übersetzt und damit die Frage beantwortet: dellrechnungen im Jahr 2100 haben
Wo kann ich heute hingehen, um das zukünftige Klima wird. Die weißen Linien zeigen die
meiner Heimat zu erleben? tatsächliche Lage der Küsten.

20 zukunft 0209
2

Foto: Ben Marzeion/NASA’s Earth Observatory

2 3
So werden zum Beispiel in Neapel Die australische Stadt Cairns wird
nordafrikanische Wüstentemperatu- Temperaturen erleben, wie sie heute
ren im Jahr 2100 ganz normal sein, im Inselstaat Papua Neuguinea und
während die Tiroler Landeshaupt- damit nahe am Äquator üblich sind,
stadt Innsbruck klimatisch in den während sich die indonesischen
Norden der Insel Korsika rücken Inseln klimatisch weiter auf die Nord-
wird. halbkugel verschieben werden.

zukunft forschung 0209 21


STANDORT TIROL

MECHATRONIK ALS
SOLIDER SOCKEL
Wissenschaftslandesrat Bernhard Tilg über den Forschungsstandort Tirol,
die österreichischen Unis im Vergleich zur ETH Zürich und den Plan, ein
umfassendes Angebot an Ingenieurwissenschaften in Tirol zu etablieren.

ZUKUNFT: Quantenphysiker Peter Zoller wurde


als heißer Nobelpreis-Kandidat genannt, Tiroler
Forscher publizieren regelmäßig in Top-Journalen
und beim Nachwuchs holte man 50 Prozent der
START-Preise nach Tirol. Der Forschungsstandort
Tirol macht auf sich aufmerksam.
BERNHARD TILG: Tirol ist im Bereich der uni-
versitären und klinischen Grundlagenforschung
sicherlich ein Top-Standort. Die Quantenphysik
hat Weltruf und ist – bis hin zum Quantencompu-
ter – ein Thema, das Zukunft hat. Es ist sicherlich
Grundlagenforschung, bietet aber für Tirol ein
unheimliches Potenzial. Wenn man es nämlich
schafft, dieses Thema hin zur Angewandten For-
schung und zur Entwicklung zu bringen, dann
könnte Tirol so etwas werden wie das Silicon
Valley vor 40 Jahren. Und zum Thema START-
Preisträger: 50 Prozent der Preise in einem Jahr
– das ist eine besondere Auszeichnung für den
Standort und nicht selbstverständlich. Wer diese
Begutachtung durch die internationale Top-Szene
besteht, der gehört zur Crème de la Crème. Das
haben diese drei Persönlichkeiten erreicht, in den
letzten Jahren auch viele andere Tiroler Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler. Es spricht für
die Qualität, wenn die Quantenphysik und die
Biomedizin mehrere solche Preisträger stellen.
Das sind wahrscheinlich auch – ohne andere Ge-
biete abwerten zu wollen – von der Grundlagen-
forschung her die Top-Gebiete Tirols.
ZUKUNFT: Auf der anderen Seite fehlt der Uni-
versität das Geld, die Studierenden protestieren
unter dem Motto „Bildung statt Ausbildung“. Ein
Widersprich zu den wissenschaftlichen Leistun-
gen?
TILG: Es hat immer schon studentische Proteste
und Diskussionen gegeben und das halte ich auch
für positiv. Allein die Aussage aber, zwei Prozent
des BIP für Wissenschaft und Forschung zu wol-
Fotos: Friedle

Das gesamte Interview finden Sie auf www.uibk.ac.at/forschung/magazin/3

22 zukunft forschung 0209


STANDORT TIROL

ZUR PERSON
Bernhard Tilg, geboren 1967, studierte in Graz Elektrotechnik
und promovierte 1995. 1999 erhielt er die Lehrbefugnis als
Universitätsdozent, ein Jahr später wurde er mit dem START-
Preis ausgezeichnet. Ab 2002 war Tilg Universitätsprofessor
an der UMIT, von 2004 bis 2008 Rektor der UMIT. Seit Juli
2008 ist er Mitglied der Tiroler Landesregierung und für
Wissenschaft, Gesundheit und Verkehr zuständig.

len, und das nicht durch Fakten zu ergänzen, hal- Fachhochschulen, HTLs und Lehrlingsausbildun-
te ich für ungeschickt, weil Geld alleine ist es ja gen kommt. Mechatronik ist das universitäre Ba-
nicht. Die österreichischen Unis sind eine Insel in sisstudium und ein Fächermix aus den klassischen
der internationalen Szene, da wir eines der we- Fächern Maschinenbau, Elektrotechnik, Informati-
nigen Länder sind, wo es keine Studiengebühren onstechnologie, etc. Danach geht es um die Vertie-
und keine Studienzugangsregelungen gibt, und fung. An der Uni macht da Gebäudemechatronik,
wir sind das einzige Land, das noch keine Akkre- also der Master Domotronik, absolut Sinn. An der
ditierung von Studienprogrammen an öffentlich- UMIT wird ein Diplomingenieur in Mechatronik
staatlichen Universitäten hat. Es ist schon absurd. ausdifferenziert und ein Diplomingenieur in Me-
Einerseits wird kritisiert, dass die Universitäten dizintechnik. Der Mechatronik-Diplomingenieur
nicht in der Top-Liga sind, andererseits darf man ist inhaltlich noch nicht ganz definiert, er kommt
Themen nicht aufgreifen, die anderswo selbst- ja erst 2012. Vorher möchte ich noch ein Brain-
verständlich sind. Wenn wir zum Beispiel mit storming mit Tiroler Technologieunternehmen,
der ETH Zürich verglichen werden. Die hat mehr um die Ausrichtung klar festzulegen – es soll die
Budget, das viele Geld kommt aber zu einem Richtung haben, die sich die Tiroler Industrie er-
hohen Anteil aus Drittmitteln. Die ETH hat Stu- wartet. Das wollen wir
diengebühren, Zugangsregelungen und ist eine ab 2010 im Rahmen der
Kaderschmiede – und da soll sie die vergleichbare Technologieplattform
„50 Prozent der START-Preise in
Eliteuniversität sein? Das ist aber gerade der Weg, diskutieren. einem Jahr – das ist eine besondere
den internationale Top-Universitäten gehen. Das ZUKUNFT: Etwas pro-
kann man natürlich negieren und sagen: wir wol- vokant formuliert: Man Auszeichnung für den Standort Tirol
len Bildung für alle. Und ich sage bewusst „Bil- schafft die Studien, aber und nicht selbstverständlich.”
dung“, da Studenten jeder Generation ihre Zeit wie kann man Schüler
Bernhard Tilg, Wissenschaftslandesrat
an der Uni, ihre universitäre Ausbildung, genutzt für technische Fächer
haben, um sich zu bilden – das ist auch gut so. interessieren?
Ein universitäres Curriculum muss mehr Freihei- TILG: Das ist sicher eine der Aufgaben, die wir
ten haben wie ein eher verschultes Curriculum noch zu lösen haben. Gemeinsam mit Wirtschafts-
an Fachhochschulen, es soll aber nicht darüber landesrätin Patrizia Zoller-Frischauf will ich im
hinwegtäuschen, dass das Studium Qualitätskri- Jahr 2010 das Thema „Frauen in der Technik“
terien hat und auch eine gewisse Strenge, damit angehen. Das andere Thema wird „Kinder und
Studenten zur Leistung angehalten sind. Jugendliche“ sein, um diese für Natur- und Inge-
ZUKUNFT: In Tirol gibt es das neue Bachelorstu- nieurwissenschaften zu begeistern. Wir müssen
dium Mechatronik als Teil der Tiroler Technolo- ihnen klar machen, dass dieser Bereich Jobchan-
gieoffensive. Wo sehen Sie weitere Möglichkeiten, cen für die nächsten Jahre, Jahrzehnte bietet.
diese Offensive an die Unis zu bringen? ZUKUNFT: Sehen Sie einen Grund für die man-
TILG: Das gemeinsame Mechatronik-Studium von gelnde Begeisterung?
Universität Innsbruck und UMIT ist etwas sehr TILG: Die Lange Nacht der Forschung hat gezeigt,
Positives und sozusagen der solide Sockel, um dass das Interesse da ist, man muss es aber auch
universitäre Ingenieurwissenschaften am Standort transportieren. Da muss man noch viel tun, der-
Tirol aufzubauen. Das Element hat in Tirol gefehlt zeit sind wir am Beginn. Es wird dazu auch sicher
und ich freue mich, dass das in Ergänzung zu den ein strategisches Konzept brauchen. ah

zukunft forschung 0209 23


PATENTE & SPIN-OFFS

STIMULIERTE
HÖRNERVEN
MED-EL, der Hersteller von High-Tech-Hörimplantat-
systemen, ist das erfolgreichste Spin-Off der Uni Innsbruck.

D
as Jahr 1989 war sozusagen der delt und an den Audioprozessor weiterlei-
Knackpunkt. Schon Mitte der 70er tet. Dort werden die Signale in elektrische
Jahre begannen Ingeborg und Pulsmuster verarbeitet, die über die Spule,
Erwin Hochmair an der TU Wien mit For- die mit einem Magneten durch die intakte
schungsprojekten zur Stimulation der Hör- Kopfhaut mit dem Cochlea-Implantat ver-
nerven und zu Klangverarbeitungstechnolo- bunden ist, ins Implantat gelangen. Danach
gien. Das ehrgeizige Ziel: Die Entwicklung werden die Pulsmuster entschlüsselt und
eines „künstlichen Innenohrs“, eines Implan- durch die Elektrodenträger, der durch ein bei
tats im Felsenbein hinter dem Ohr, das mit- der Operation in die Cochlea gebohrtes Loch
tels Elektrostimulation den Hörnerv aktiviert bzw. durch das „runde Fenster“ in die Ge-
und somit taub gewordene Menschen wieder hörschnecke eingeführt wird, zum Hörnerv
hören lässt. Bereits 1977 war das weltweit weitergeschickt, um diesen zu stimulieren.
erste mikroelektronische Mehrkanal-Coch- Dieser erzeugt nun so genannte Aktionspo-
lea-Implantat entwickelt, im selben Jahr tenziale, die ins Gehirn weitergeleitet werden
wurde die erste Patientin damit versorgt. In und dort als akustisches Ereignis erkannt
den Folgejahren lösten technologische In- werden – der Mensch hört. Ein Prinzip der
novationen einander in schneller Folge ab, Nervenstimulation, das MED-EL nun auch
1985 wurde Erwin Hochmair als Professor in anderen Bereichen anwenden will – etwa
für Angewandte Physik an die Uni Inns- bei Stimmbandlähmungen.
bruck (Emeritierung im Jahr 2009) berufen,
wo die Forschungsarbeiten weitergeführt NEUENTWICKLUNG
wurden. 1989 schließlich kam es zur Grün- Eine Stimmbandlähmung wird von Durch-
dung des Unternehmens MED-EL, um die trennung, Streckung, Quetschung oder sons-
entwickelten Produkte zu vermarkten. Eine tiger Schädigung der die Muskeln des Kehl-
Firmengründung – das bisher erfolgreichste kopfs stimulierenden Nerven verursacht.
Spin-Off-Unternehmen der Uni Innsbruck –, Je nach Schwere der Lähmung (ein- oder
die untrennbar mit dem Erfolg der Cochlea- beidseitig) sind die Folgen unterschiedlich
Implantate, benannt nach der Gehörschne- und reichen von Heiserkeit bis zu Atemnot.
cke, der Cochlea, verbunden ist. Bei dem MED-EL-Implantat wird eine win-
In einem batteriebetriebenen Audiopro- zige Elektrode an den Muskeln zum Öffnen
zessor, der hinter dem Ohr getragen wird, des Stimmbandes angebracht. Zusätzlich
ist ein Mikrofon eingebaut, das Schallwellen braucht es noch ein Steuergerät, das Strom-
aufnimmt, in elektrische Signale umwan- impulse über die Elektrode an den Stimm-
bandmuskel weiterleitet, um diesen zu sti-
mulieren. Der neue Kehlkopfschrittmacher
UNTERNEHMENSINFO wurde im Tiermodell – bei Pferden – schon
erfolgreich angewendet, erste klinische
Die Firma MED-EL wurde im Jahr 1989 von Ingeborg und Erwin Versuche am Menschen wurden ebenfalls
Fotos: MED-EL (1), Ritsch (1)

Hochmair in Innsbruck gegründet. Heute verfügt das nicht- durchgeführt, der Antrag für eine klinische
börsennotierte Unternehmen weltweit über rund 850 Mitarbeiter.
Studie, die 2010 starten soll, ist eingebracht.
Ein Stimmbandimplantat ist also keine Zu-
kunftsvision mehr. ah

24 zukunft forschung 0209


PATENTE & SPIN-OFFS

AUF DIE POREN CHEMIE IM


HERBSTLAUB
KOMMT ES AN
A
uf der Erde werden jedes Jahr 1000
Millionen Tonnen Chlorophyll ab-
gebaut“, erzählt Prof. Bernhard
Tiroler Chemiker haben ein Verfahren entwickelt, Kräutler vom Institut für Organische Che-
mit dem Moleküle unterschiedlicher Größe gleichzeitig mie. „Uns interessiert, welchen biologischen
Nutzen die Abbauprodukte haben.“ Schon
analysiert werden können. seit Jahren erforscht der Chemiker mit sei-
nem Team den Chlorophyll-Abbau in Pflan-
zen und hat das grundlegende chemische
Verständnis für dieses farbenfrohe Natur-
schauspiel aufgebaut. Aus der täglichen Ar-
beit mit Abbauprodukten des Chlorophylls
sind aber nicht nur neue Erkenntnisse ent-
sprungen, sondern auch Möglichkeiten für
In hauchdünnen Hohlräumen (oben) synthetisieren die eine wirtschaftliche Verwertung. So haben
Chemiker ein organisches Polymer, mit dessen Hilfe sich mittels die Forscher ein Verfahren entwickelt, mit
Hochleistungsflüssigkeitschromatographie unterschiedlich dem sie farblose Chlorophyllkataboliten aus
große Moleküle selektiv analysieren lassen. alterndem Pflanzenmaterial isolieren. „Da-
mit können pflanzliche Antioxidantien ge-
wonnen werden, die auch in reifen Früchten

I
n der Hochleistungs- men, in den Kapillaren, ein und unserer Nahrung vorkommen“, sagt
flüssigkeitschromato- organisches Polymer syn- Kräutler. Im Vorjahr wurde der Universität
graphie (HPLC) werden thetisiert, das sowohl über dafür ein Patent erteilt.
Proben mit Hilfe eines Lauf- kleine als auch große Poren Wenn der Herbst Einzug hält, wird in
mittels durch einen mit einer verfügt. „Darauf kommt es den Blättern ein biologischer Prozess aus-
stationären Phase gefüllten an“, betont Bonn, „denn bis- gelöst, die Blattseneszenz, in welcher das
Hohlraum gepumpt. Da- herige Verfahren waren auf Rhomberg vom projekt.ser- Blattgrün über mehrere molekulare Zwi-
bei werden die Substanzen große Moleküle beschränkt. vice.büro. schenstufen abgebaut wird. Eines dieser
in ihre Bestandteile aufge- Mit dem neuen Material Wirtschaftlich interes- Zwischenprodukte leuchtet gelb, hat eine
trennt und anschließend in können zum Beispiel Pepti- sant ist das von Bonn und starke antioxidative Wirkung und könnte
einem Detektor analysiert. de und Proteine, aber auch seinen Mitarbeitern entwi- auch als Sonnenschutz oder gelbes Farbpig-
Die dem Verfahren zugrun- pharmazeutisch relevante ckelte Verfahren vor allem ment Verwendung finden. Dies wurde von
de liegende Trenntechnolo- Substanzen selektiv getrennt wegen des raschen Fort- der Universität ebenso zum Patent angemel-
gie ist altbewährt und wird und analysiert werden.“ schritts auf den Gebieten det wie ein Verfahren für die Herstellung
in der Analytischen Chemie der Genomics, Proteomics „Schwarzer Chlorophylle“, die nicht nur
seit Längerem erfolgreich LIZENZIERUNG und Metabolics, die immer einzelne Farben des Sonnenlichts, sondern
eingesetzt. Bisher war es Vor zwei Jahren ließ die effizientere Trennmethoden das gesamte Spektrum des sichtbaren Lichts
allerdings nicht möglich, Universität Innsbruck diese für Proteine, Peptide und absorbieren und zum Beispiel für die Photo-
kleine und große Moleküle Erfindung patentieren. Nun Stoffwechselprodukte ver- voltaik interessant sind. cf
in Kapillaren gleichzeitig zu hat der amerikanische Welt- langen. So können auf diese
trennen. Basierend auf der marktführer für Chromato- Weise zum Beispiel in Blut-
Fotos: C. Kofler & B. Kräutler/Uni Innsbruck (1), Uni Innsbruck (2)

Doktorarbeit von Dr. Lukas graphiesysteme, Dionex, die proben gezielt Biomarker
Trojer haben die Forscher Lizenz für die Herstellung für bestimmte Erkrankun-
um Prof. Günther Bonn vom und den Vertrieb solcher gen gesucht werden. Solche
Institut für Analytische Che- Systeme erworben. „Die Er- Analysen führt Bonns Team
mie und Radiochemie nun träge aus der erfolgreichen auch am Sino-Austrian Bio-
ein neues selektives Trenn- Lizenzierung dieser Tech- marker Research Center in
material entwickelt, mit dem nologie investiert die Uni- China durch, das von den
dieses Manko überwunden versität in den Schutz neuer Universitäten Innsbruck
werden kann. Dazu wird Erfindungen“, sagt Innova- und Peking gemeinsam be- Die herbstliche Farbenpracht lässt sich
in hauchdünnen Hohlräu- tionsberaterin Dr. Cornelia trieben wird. cf auch wirtschaftlich verwerten.

zukunft forschung 0209 25


KOMPETENZZENTREN

ANPASSUNG AN DEN
KLIMAWANDEL
Gemeinsam mit Partnern aus den angrenzenden Ländern will das Tiroler
Kompetenzzentrum alpS neue Technologien und Strategien für den
Umgang mit den Folgen des Klimawandels in Gebirgsregionen entwickeln.

Fotos: ASI/Land Tirol/BH Landeck (1), ACIB (1)

26 zukunft forschung 0209


KOMPETENZZENTREN

D
as Spektrum ist dabei weit gefasst: Einerseits geht es darum,
neue Schutzmechanismen gegen Naturgefahren wie Hochwas-
ser, Murenabgänge oder Stürme zu entwickeln. Andererseits
sollen zum Beispiel mit Hilfe intelligenter Gebäudetechnologien und der
Optimierung erneuerbarer Energiequellen die Energiebereitstellung und
FORSCHUNG FÜR
Energienutzung verbessert werden. Dies trägt gleichzeitig zur Verringe-
rung von Emissionen bei und begegnet damit den Ursachen des Klima- ARZNEIMITTEL
wandels. Ein weiterer Aspekt liegt darin, neue kreative Wege aufzuzei-
gen, wie der Tourismus den Klimawandel für sich nutzen könnte. In den
kommenden Jahren wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
gemeinsam mit Unternehmen an diesen aktuellen Fragen arbeiten.
Der von der Universität Innsbruck und dem bestehenden alpS-Zen-
trum koordinierte Antrag für die Förderung als K2-Zentrum im Rahmen
des COMET-Programms der Bundesregierung wurde zwar im Oktober
abgelehnt. Dem Vorhaben wurde jedoch eine hohe wissenschaftliche
Qualität und eine gute internationale Vernetzung attestiert. „Letztlich
konnten wir uns mit unserem Thema gegen zwei starke, großindustrie-
orientierte Mitbewerber nicht durchsetzen“, resümiert Dr. Eric Veulliet,
Geschäftsführer von alpS. Das Konsortium wurde aufgefordert, einen
Antrag zur Förderung als K1-Zentrum zu stellen. Solchen kleineren
Kompetenzzentren steht bis zu einem Drittel des Budgets eines K2-
Zentrums zur Verfügung. „Wir werden nun die sich bietende Chance

I
im vollen Maße annehmen und nutzen“, zeigt sich Prof. Tilmann Märk, m Oktober wurde die Förderung des K2-Zentrums
Forschungsvizerektor der Universität Innsbruck zuversichtlich. „Zwar „Austrian Center of Industrial Biotechnology“ (ACIB)
müssen wir finanzielle und inhaltliche Abstriche hinnehmen, doch halten bewilligt. Ein Teil der geplanten Projekte dieses von
wir daran fest, in Tirol ein Kompetenzzentrum zur Anpassung an den Graz und Wien aus koordinierten Forschungsverbunds
Klimawandel im Gebirge zu etablieren.“ Von der Universität Innsbruck befasst sich mit der Entwicklung von Systemen für die bi-
sind neben Konsortialsprecher Märk der Geograph Prof. Johann Stötter otechnologische Produktion von Proteinen und Peptiden
sowie Prof. Annegret Thieken vom Institut für Infrastruktur federfüh- für Arzneimittel. „Dabei muss besonderes Augenmerk auf
rend an den Vorbereitungen für das Kompetenzzentrum beteiligt. höchste Qualität und Reinheit sowie schnelle und einfache
Einführung im Produktionsprozess gelegt werden“, sagt
GRUNDSTEIN FÜR INTERNATIONALE PROJEKTE Prof. Bernhard Auer vom Institut für Biochemie der Uni-
Das neue K1-Kompetenzzentrum kann mit einem Budget von maxi- versität Innsbruck. Mit Mitteln der molekularen Genetik
mal 18 Millionen Euro für die ersten vier Jahre ausgestattet werden und Gentechnologie stellt er mit seinem Team die dafür nö-
und wird bei positiver Entwicklung sieben Jahre gefördert. Nach der tigen Bakterienstämme her. Einerseits soll dabei die schon
Antragstellung Mitte Dezember wird eine internationale Jury Ende im Vorläuferprojekt „Austrian Center of Biopharmaceutical
Februar 2010 eine Förderentscheidung im Rahmen des COMET-Pro- Technology“ (ACBT) entwickelte Npro Autoprotease Fusi-
gramms fällen. Dann könnte das neue Kompetenzzentrum Anfang onstechnologie als Plattformtechnologie für eine möglichst
April die Arbeit aufnehmen. „Dieser Kraftakt kann nur durch eine breite Anwendung für unterschiedlichste Proteine und Pep-
intensive und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, tide ausgebaut werden. Da diese Technologie aber nicht auf
Wirtschaft und öffentlicher Hand innerhalb des neuen alpS-Konsorti- alle Proteine anwendbar ist, werden andererseits auch Sys-
um sowie durch die Unterstützung der Tiroler Zukunftsstiftung, des teme entwickelt, bei denen Proteine und Peptide bereits in
ZIT Wien, der Länder Südtirol (TIS, EURAC) und Vorarlberg (WISTO) wirksamer Form vermehrt werden. „Dies ermöglicht eine
sowie vor allem durch die Universität Innsbruck erreicht werden“, besonders einfache Reinigung des Zielprodukts und erleich-
betont Eric Veulliet. „Auch ein K1-Zentrum wird einen hervorragen- tert auch die Erstellung eines kontinuierlichen Produktions-
den Grundstein bilden, um europäische und internationale Projekte prozesses“, so Prof. Auer, der betont, dass die Lösung solch
mittelfristig zu akquirieren und damit die Spitzenposition Innsbrucks komplexer Aufgaben nur durch die interdisziplinäre Bün-
in der Gebirgsforschung auszubauen“, sagt Annegret Thieken, die wis- delung von Kompetenzen aus Wissenschaft und Industrie
senschaftliche Leiterin von alpS. möglich ist. „Erst die Vernetzung in solchen Kompetenz-
Das Förderprogramm COMET wird von der österreichischen For- zentren ermöglicht einzelnen Arbeitsgruppen erfolgreich
schungsförderungsgesellschaft (FFG) im Auftrag des Ministeriums für an der Erforschung so komplexer Themen mitzuwirken“,
Verkehr, Innovation und Technologie sowie des Ministeriums für Wirt- sagt Auer. An dem neuen K2-Zentrum sind neben den Bi-
schaft, Familie und Jugend abgewickelt. Die Bundesländer unterstützen ochemikern der Universität Innsbruck unter anderem auch
das Programm zusätzlich mit Landesmitteln. Generelles Ziel ist es, For- das Spin-Off-Unternehmen Ionimed unter der Leitung des
schungskooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft in einem Ionenphysikers Prof. Armin Hansel sowie die Tiroler Firmen
definierten Themenfeld zu stärken. cf Sandoz und Biocrates beteiligt. cf

zukunft forschung 0209 27


TRANSIDEE

... AUS TRANS IT


WIRD TRANSIDEE
Projektentwicklung: Das Transferzentrum der Universität öffnet sich und
transidee entwickelt und firmiert ab sofort unter neuer Marke.
begleitet Kooperations-
projekte von der Idee

T
bis zur Umsetzung. ransidee ist die Wissens- und Technologie- der Prämisse „Nutzen
Förderberatung: transfer-Einrichtung der Universität Inns- für beide Seiten“ abge-
transidee findet die passen- bruck, des Management Center Innsbruck wickelt werden. Sara
den Fördermöglichkeiten und und der Tiroler Zukunftsstiftung. Als Servicezen- Matt-Leubner und ihr
coacht die Projektpartner trum für Wissenschaft und Wirtschaft unterstützt Team sehen transidee
bei der Ausarbeitung eines transidee die Zusammenarbeit im Bereich der an- als Vermittler zwischen
Antrages. gewandten Forschung und sorgt für die erfolgrei- zwei unterschiedlichen
Projektmanagement: che Umsetzung gemeinsamer Projekte. Kulturen. Dabei ge-
Für einen erfolgreichen Im Herbst 2002 wurde das Transferzentrum hen die Mitarbeiter des
Projektverlauf übernimmt unter dem Namen trans IT gegründet, da es ur- Transferzentrums bei der Entstehung einer Koope-
transidee das laufende sprünglich auf Projekte im Bereich Informati- ration aktiv auf die Unternehmen zu bzw. suchen
Management bis hin zum onstechnologie spezialisiert war. In den letzten für die WissenschaftlerInnen den optimalen Wirt-
Controlling. Jahren hat sich trans IT immer mehr geöffnet und schaftspartner, denn transidee versteht sich als Ser-
Patentverwertung: neben der Unterstützung und Förderung von in- viceeinrichtung in beide Richtungen. Sind Partner
transidee begleitet die formatikbezogenen Projekten auch sehr erfolg- für die jeweilige Idee gefunden, so begleitet trans-
Entwicklung von Erfindun- reich Projekte aus den verschiedensten Branchen idee das Projekt und hilft bei der Umsetzung, denn
gen Tiroler ForscherInnen entwickelt und umgesetzt. Mittlerweile hat sich das Transferzentrum will den Prozess von der Idee,
vom Proof of Concept über das Transferzentrum als ein starker Partner für über die Impulse bis zu den Innovationen unter-
den Prototypenbau bis zur WissenschaftlerInnen und Wirtschaftspartner aller stützen, um sicherzustellen, dass am Ende Pro-
Marktreife oder Lizenzierung. Disziplinen etabliert. Dies soll nun auch mit dem dukte und Dienstleistungen stehen, die am Markt
neuen Namen transidee ausgedrückt werden. erfolgreich sein können. Für Vizerektor Tilmann
Märk ist transidee eine der tragenden Säulen des
NUTZEN FÜR BEIDE SEITEN Wissenstransferkonzeptes der Universität Inns-
Anlässlich der Namensänderung betonte Ge- bruck, um neue Erkenntnisse in einen wirtschaft-
schäftsführerin Dr. Sara Matt-Leubner (im Bild mit lichen Nutzen überzuführen und eine Schnittstelle
Vizerektor Tilmann Märk), dass transidee stabile für jene Wirtschaftspartner bereitstellen zu können,
Brücken zwischen Wissenschaft und Wirtschaft die die Forschungskompetenz der Universität für
Fotos: fotolia (1), Uni Innsbruck (1)

baut und dass Kooperationsprojekte primär unter sich nutzen wollen. transidee

Gründungsjahr: 2002 Gesellschafter: Universität Innsbruck, Management Center Innsbruck, Tiroler Zukunftsstiftung
Geschäftsführung: Priv. Doz. Dr. Sara Matt-Leubner Adresse: transidee transferzentrum universität innsbruck gmbh, Technikerstraße 21a,
6020 Innsbruck Kontakt: www.transidee.ac.at oder office@transidee.ac.at oder 0043/ 512/ 575762.

28 zukunft forschung 0209


POLITIK

WIR SCHLIESSEN
EINE LÜCKE
Im Rahmen eines Nationalen Forschungsnetzes entwickeln Politolo-
gen eine universitäre Wahlforschung für Österreich. Koordiniert wird
das Projekt durch Politikprofessor und Wahlforscher Fritz Plasser.

ZUKUNFT: Was ist das Ziel dieses Nationalen For- gen. Dafür planen wir eine sehr nutzerfreundliche
schungsnetzwerkes? Homepage mit Verzweigungen für die Fachleute
FRITZ PLASSER: Das übergeordnete Ziel unseres und für die breite Öffentlichkeit. Wir hoffen aber
Nationalen Forschungsnetzwerkes Austrian Nati- auch, dass dies künftig viele Journalistinnen und
onal Election Study (AUTNES) ist die universitäre Journalisten in Anspruch nehmen werden. Last but
Institutionalisierung der Wahlforschung in Öster- not least werden daraus mittelfristig auch Bücher,
reich. Das ist neu, denn in den vergangenen Jahr- Fachartikel und fachbezogene wissenschaftliche
zehnten hat sich diese Forschung hier auf Daten- Kommentare entstehen, die wiederum interessier-
material gestützt, das im Auftrag von politischen te Menschen bei der Interpretation von Politik und
Parteien erhoben wurde. Bisher war Österreich Wahlen in Österreich unterstützen. Ich könnte mir
damit das einzige Land in Westeuropa, das kei- vorstellen, dass dies bereits zur nächsten Natio-
ne universitär verankerte Wahlforschungsgruppe nalratswahl, wenn alles in normalen Bahnen läuft,
hatte. Und weil es eben bisher keine international funktionieren kann.
standardisierten Daten für Österreich gibt, kommt ZUKUNFT: In diesem Bereich, der Erklärung und
unser Land bei internationalen Untersuchungen in der Interpretation von Politik in Österreich, hat
diesem Bereich nicht vor. Somit ist die Internationa- die Politikwissenschaft in Innsbruck ja bereits eine
lisierung ein weiteres wichtiges Ziel von AUTNES, Tradition.
denn wir schließen so eine Lücke und wir haben PLASSER: Richtig, die entsprechenden Wissen-
„Bisher war dann die Möglichkeit, das österreichische Wahl- schaftlerInnen können für sich in Anspruch neh-
verhalten oder das Fallbeispiel Österreich in die men, dass sie in punkto Wahlforschung und Erfor-
Österreich das vergleichende internationale Forschung einzu- schung von politischer Kommunikation über eine
einzige Land in bringen. gewisse Akzeptanz bei den Medien als unabhängi-
ZUKUNFT: Das heißt aber auch, dass Sie Daten, die ge ExpertInnen verfügen. Für uns ist das auch ein
Westeuropa, das Sie erheben werden, entsprechend zur Verfügung weiterer Schritt auf dem Weg zu einem sozialwis-
keine universitär stellen wollen. senschaftlichen Kompetenzzentrum.
PLASSER: Ja, die von AUTNES erhobenen oder auf- ZUKUNFT: Was werden Sie konkret untersuchen?
verankerte bereiteten, älteren Datenbestände werden über ein PLASSER: Wir werden hier ein integriertes Wahl-
Wahlforschungs- Rechenzentrum der nationalen und internationa- forschungsprojekt mit vier wesentlichen Teilpro-
len Forschungsöffentlichkeit zugänglich gemacht. jekten entwickeln, die im Hinblick auf die For-
gruppe hatte.“ Forscherinnen und Forscher können diese Daten- schungsfragen und -methoden so eng wie möglich
Fritz Plasser sätze also herunterladen und damit arbeiten. Diese verzahnt sind. Wir wollen also weiter gehen als
„Open-Access-Policy“ heißt jedoch nicht, dass wir die Standardbefragungen in anderen Ländern, die
die Daten sofort nach der Erhebung freigeben, son- hauptsächlich die Wählerbewegungen rund um die
dern wir haben natürlich zunächst die Möglichkeit, Wahlen untersuchen. Ein erstes Feld ist eben dieser
diese Daten zu interpretieren und Veröffentlichun- klassische Bereich, den wir als „Demand-Side“ be-
gen damit zu machen. Wir haben aber auch eine zeichnen und den wir über klassische Befragungen
Verpflichtung gegenüber der politisch interessier- erheben werden. Heutzutage spielt aber die klassi-
ten Öffentlichkeit. Diese politisch interessierten sche Parteienmobilisierung eine immer geringere
Bürgerinnen und Bürger werden wir mit sehr gut Rolle. Daher werden in Kombination damit die
aufbereiteten Kernbefunden und Hintergrund-
wissen über Wahlverhalten in Österreich versor- Audiomitschnitt unter: www.uibk.ac.at/forschung/magazin/3

30 zukunft forschung 0209


POLITIK

INFO
Das Nationale Forschungsnetzwerk AUTNES wid-
met sich der Entwicklung einer universitären Wahl-
forschung in Österreich. Es wird vom Wissen-
schaftsfonds FWF mit 3,2 Mio. Euro gefördert und
ist zunächst auf drei Jahre angelegt. Koordiniert
wird dieses Projekt von Prof. Fritz Plasser, Dekan
der Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie
an der Universität Innsbruck. Die weiteren Partner
neben der Politikwissenschaft in Innsbruck sind die
Universitäten in Wien und Mannheim. In Innsbruck
werden zwei der vier Arbeitspakete bearbeitet.

Erkenntnisse der politischen Kommunikations-


forschung angewendet, also die journalistische
Berichterstattung und deren Inhalte untersucht.
Wir nennen dies die „Media-Side“. Die dritte Kom-
ponente bildet die „Campaign-Side“, die Kampag-
nenforschung. Hier werden wir die Strategien der
Parteien untersuchen, inwieweit es den Parteien
gelingt, wichtige Themen auf die Tagesordnung
zu setzen oder inwieweit die mediale Berichter-
stattung die Kampagnen beeinflusst. Hierfür ist es
notwendig, sich mit Werbung und Werbetheorien
zu beschäftigen und letztlich alle Plakate, Inserate
usw., aber auch die Presseaussendungen und die
Äußerungen im Web bis hin zu den Kanälen der
„Social Media“ zu untersuchen. Die vierte Säule,
die „Supply-Side“, untersucht die Parteien selbst,
nicht die Werbung, sondern die Aussagen von Po-
litikerinnen und Politikern. Dabei werden wir un-
tersuchen, wer welches Thema wie anspricht. Als
Untersuchungsobjekte werden wir dazu Aussagen
in Medien, also die Zitate oder O-Töne sowie die
Wahlprogramme verwenden. Wir entwickeln da-
mit ein sehr innovatives Wahlforschungsprojekt.
Gerade dieser Aspekt wurde von den internationa-
len Gutachtern besonders herausgestellt.
ZUKUNFT: Wie schaut das Netzwerk aus und wel-
che Bereiche werden in Innsbruck untersucht?
PLASSER: AUTNES besteht aus drei Partnern: Die
Universität Wien, dort wird die klassische Wahl-
forschung stattfinden, die Universität Mannheim,
die sich der Parteienuntersuchung annehmen
wird und die Universität Innsbruck. Wir werden
die Kampagne- und die Medienanalysen abdecken
und die Arbeitsgruppen wurden bereits einge-
richtet. Ich bin der Sprecher oder Koordinator des
gesamten Netzwerkes. In allen Bereichen werden
wir besonders den wissenschaftlichen Nachwuchs,
geführt von ausgewiesenen Fachleuten, einbinden.
Diese Fachleute sind Wolfgang Müller in Mann-
Fotos: Friedle

heim, Sylvia Kritzinger in Wien sowie Günther


Lengauer und ich in Innsbruck. us

zukunft forschung 0209 31


HIMAT

IM ZEICHEN DES ERZES


Im Rahmen des interdisziplinär angelegten Spezialforschungsbereiches
HiMAT werden unter anderem Bergbau und Siedlung in Schwaz während
des 15. und 16. Jahrhunderts untersucht und der urgeschichtliche Silex- und
Bergkristallbergbau in den Alpen erforscht.

U
m die Spuren zu erkennen und richtig zu deuten, braucht mer und Schleifsteine. „Eine Sensation“, sagt Walter Leitner, Leiter
Foto: Institut für Geschichte und Ethnologien/TLMF (2), HIMAT (1)

es mehr als einen guten Riecher, es braucht das Wissen des Institutes für Archäologien an der Universität Innsbruck: „Die
und die Erfahrung von Archäologen. Im Gemsteltal, ei- Geräte sagen uns eindeutig: Dort wurde Material abgeschlagen und
nem Seitental des Kleinwalsertales, beispielsweise hatten Forscher zwar in einer Zeit zwischen dem 7. und 3. Jahrtausend v. Chr.“
2004 begonnen, systematisch nach ganz bestimmten Hinweisen zu Nicht nur das Gemsteltal ist ins Zentrum archäologischen Inte-
suchen, nach Abbauspuren, die weit in die Urgeschichte zurück rei- resses gerückt im Zusammenhang mit dem urgeschichtlichen Silex-
chen. Ausschlaggebend für das wissenschaftliche Interesse war die und Bergkristallabbau in den Alpen, auch bei der Grubalacke im
Tatsache, dass der dortige Bach Feuerstein führt. Die Archäologen Rofangebirge wurden Grabungskampagnen und am Riepenkar in
wurden fündig. Weit hinten im Tal, an einer sehr abschüssigen Stelle, den Tuxer Alpen Untersuchungen durchgeführt. Ermöglicht wur-
entdeckten sie Stufen und Ausbuchtungen im Hang und abgeschla- de die intensive Erforschung von Spuren prähistorischen Bergbaus
genes Material. Und nicht nur das, sie fanden auch zwei Steinhäm- in den Alpen durch das interdisziplinäre Spezialforschungsprojekt

32 zukunft forschung 0209


HIMAT

HiMAT (History of Mining Activities in the Tyrol and Adjacent


Areas: Impact on Enviroment and Human Societies), das seit April
2007 an der Universität Innsbruck läuft. Der Sonderforschungsbe-
reich, der sich vorwiegend mit dem Abbau und der Verhüttung
metallischer Erze befasst und deren Auswirkungen auf Umwelt BERGBAU SCHWAZ
und Gesellschaft untersucht, besteht aus 14 Teilprojekten. Sie er- Zwei ganz wesentliche
fassen einen zeitlichen Rahmen von der Ur- und Frühgeschich- Punkte in der Forschung
te über das Mittelalter bis in die Gegenwart. Involviert sind die über den frühneuzeitlichen
Geschichtswissenschaften, die Archäologie, die Archäobotanik, die Bergbau und die Verhüttung
Archäozoologie, die Mineralogie, die historische Namenskunde, in Schwaz konnten nun
die Ethnologie, die Dendrologie und die Geoinformation. geklärt werden. Erstens,
Das vorerst auf vier Jahre angelegte Projekt wird vom Fonds zur ein gut organisierter und
Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanziert, bei rechtlich geregelter Silberabbau im Gebiet Schwaz begann
entsprechend positiven Ergebnissen wird es auf zehn Jahre verlän- allerfrühestens in den 30er Jahren des 15. Jahrhunderts.
gert. Allein schon was im Projektteil 02 (Bergbau und Siedlung in Von einem „florierenden Bergbau“ könne man zu diesem
Schwaz – Die Entwicklung eines besonderen Umfeldes während Zeitpunkt aber noch nicht sprechen, wie der Historiker
des 15. und 16. Jahrhunderts) und im Projektteil 05 (Urgeschicht- Franz Mathis festhält. Und: Die Einwohnerzahl von Schwaz
licher Silex- und Bergkristallabbau in den Alpen) bisher zutage im 15. und 16. Jahrhundert dürfte mit sehr hoher Wahr-
befördert wurde, dürfte eine Fortsetzung von HiMAT mehr als scheinlichkeit nicht wie bisher angenommen bei ca. 20.000
wahrscheinlich machen. gelegen sein, sondern viel eher um die 5000.

AM ANFANG STAND …
Vom 3. bis zum 18. Juli 2008 fanden Grabungsarbeiten bei der Leitner. Und das Areal um die Grubalacke ist möglicherweise eine
Grubalacke im Rofangebirge statt. Unter der Leitung von Leitner zentrale Stelle für die prähistorische Gewinnung von Radiolarit
erkundete ein zwölfköpfiges Team dieses Gebiet als Ressourcen- im unteren Inntal. Während Silex in seinen Varietäten recht weit
region für Feuerstein. Dass sich dort bereits im 7. bis 6. Jahrtausend verbreitet ist, handelt es sich beim Bergkristall um ein eher selten
v. Chr. Jäger und Sammler und später auch Hirten getummelt hat- vorkommendes Material. Zu finden ist es nur in den Zentralalpen,
ten, war seit vielen Jahren bekannt. Immer wieder wurden zwi- in kristallinen Zonen. Die Wissenschaft kennt zwei Großzonen, das
schen Grubalacke und Ziereinsee diverse Steingeräte gefunden. Engadiner- und das Tauernfenster. Den entscheidenden Hinweis
Doch nun wollte man herausfinden, ob in der Gegend Rohmaterial erhielten die Forscher hier durch eifrige Mineraliensammler.
wie Radiolarite und Hornsteinarten (Varietäten des Silex) nicht nur Auf 2700 Metern Höhe, am Riepenkar in den Tuxer Alpen, hatten
gesammelt, sondern auch abgebaut wurden. „Grund für die Son- sie ein großes Vorkommen entdeckt. Während die Sammler heute
dierungen waren kohlige Holzelemente, die nach entsprechenden auf ganze Kristalle aus sind, hat der steinzeitliche Mensch den Berg-
C-14 Laboruntersuchungen ein Alter von circa 2700 vor Chr. erga- kristall vor allem zum Herstellen diverser Geräte verwendet, etwa
ben“, so der Projektleiter. Allerdings konnten keine weiteren Indi- Klingen und Pfeilspitzen. Der Stein war ein ideales Tauschgut. „Der
zien für eine steinzeitliche Fundstelle erbracht werden. Erfolgreich dort vorkommende Bergkristall ist von großer Güte und Reinheit.
war man trotzdem. Denn in unmittelbarer Nähe der Grubalacke Die montanarchäologischen Untersuchungen haben bestätigt, dass
stellten die Wissenschaftler in den Verwitterungsschichten auch die Vorkommen schon von postglazialen Jägern genutzt wurden,
eine graue Verfärbung fest, die besonders reich mit Radiolaritsplit- erklärt Leitner. Da das Riepenkar zwischen Zillertal und Pfitschertal
tern und -abschlägen durchsetzt war. „Wir haben heuer unweit liegt, wo schon mehrere Fundstellen von Bergkristallobjekten un-
davon ein Lager entdeckt. Es handelt sich um die höchstgelegene tersucht wurden, liegt der Schluss nahe, dass es sich hier um eine
Abbaustelle für Silex, die wir bisher nachweisen konnten“, erklärt mittelsteinzeitliche Transitroute handelt. ➝

DAS PROJEKT HIMAT


Der Raum von Tirol, Südtirol, Salzburg und Vorarlberg zählte einst zu den bedeutendsten
Bergbauregionen Europas. In den Metallzeiten erreichte der Bergbau in dieser Region einen
bemerkenswerten Höhepunkt und in einzelnen Montanregionen zeichnete sich sogar die
Entwicklung von Produktionsschwerpunkten mit präindustriellem Charakter ab. So präsen-
tierte sich etwa die Region Schwaz, bekannt als „Mutter aller Bergwerke“, als das führende
Montangebiet Europas. Ein Team von Natur-, Geisteswissenschaftlern und Technikern der Uni
Innsbruck hat gemeinsam mit international renommierten Partnern einen Spezialforschungsbe-
reich (SFB HiMAT) mit 14 Projektteilen in Angriff genommen mit dem Ziel, die Auswirkungen
der historischen Bergbauaktivitäten auf die Umwelt und auf die Gesellschaft von der Prähistorie
bis in die Gegenwart in dieser Region zu untersuchen. Nähere Infos unter himat.uibk.ac.at.

zukunft forschung 0209 33


HIMAT

„Gewichtige Lücken konnten erst durch


die jüngsten Forschungen geschlossen
werden.“ Franz Mathis, Geschichtswissenschaftler

ZUR MUTTER ALLER BERGWERKE


Einige paar tausend Jahre später angesiedelt ist der Projektteil „Berg-
bau und Siedlung in Schwaz“, der vom Historiker und stellvertre-
tenden Leiter des Institutes für Geschichte und Ethnologie, Franz
Mathis, koordiniert wird. Wer glaubt, die bergbauliche Blütezeit in
Tirol sei schon umfassend erforscht, der irrt. „Es fehlt bis heute ei-
ne zufriedenstellende, umfassende Beschreibung und Analyse des
Schwazer Bergbaus“, erklärt Mathis. Im Rahmen von HiMAT soll
diese Lücke nun nachhaltig geschlossen werden. Im Mittelpunkt
der wissenschaftlichen Auseinandersetzung steht eine genau Be-
trachtung der Wechselwirkung zwischen Bergbautätigkeit und
Siedlungsgebaren im Großraum Schwaz. Zudem wird ein Modell
für den Aufstieg und Niedergang des Bergbaus entwickelt, „das als
Basis für ein besseres Verständnis der sozioökonomischen und öko-
logischen Auswirkungen auch der prähistorischen Bergbaue dienen
kann“, erläutert der Geschichtswissenschaftler.
Die Zwischenergebnisse zeigen: Hier waren und sind noch ei-
nige, wesentliche Fragen zu klären. Den Forschern ist es nicht nur
gelungen, eine Datierung vorzunehmen, wann der Silberabbau
in Schwaz begonnen hat, sie konnten auch nachweisen, dass die
bisher angenommene Einwohnerzahl viel zu hoch angesetzt war.
„Wir können sagen, dass im 15. und 16. Jahrhundert maximal 5000
Menschen in Schwaz selbst lebten. Die häufig genannte Einwoh-
nerzahl von 20.000 verteilte sich vielmehr auf die gesamte Region
einschließlich der umliegenden Gemeinden“, so Mathis. Wesent-
liche Erkenntnisse wurden auch bereits publiziert, darunter etwa
ein „mikrohistorischer Blick“ auf die Knappendörfer Vomp und
Gallzein und ihr soziales Gefüge. „Eine Aufgabe des historischen
Projektteiles innerhalb von HiMAT ist es, anhand einer mikrohis-
torischen Studie zu drei Dörfern im unmittelbaren Einzugsgebiet
von Schwaz, nämlich Gallzein, Buch und Vomp die historische
Wirklichkeit einer solchen ‚Durchdringung‘ herauszuarbeiten“, so
Projektmitarbeiter Alois Unterkircher. Für Vomp konnten so zum
Beispiel folgende Daten erhoben werden: Im Stichjahr 1687 gingen
ABBAU IN FRÜHEN ZEITEN hier zwar drei Viertel der Bewohner einer landwirtschaftlichen oder
handwerklich-gewerblichen Tätigkeit nach, die Knappen stellten
Silex und Bergkristall gehören zu den wichtigsten Roh- jedoch mit rund 15 Prozent einen nicht unerheblichen Anteil an der
materialien für die Herstellung von Werkzeugen in der Sozialstruktur dieses Dorfes. „In Buch und Gallzein lebten sogar
Steinzeit. Gerade für den alpinen Raum ist es von großer noch im ausgehenden 18. Jahrhundert weit über 60 Prozent der-
Wichtigkeit, entsprechende Abbaugebiete ausfindig zu Bevölkerung unmittelbar oder zumindest im Nebenerwerb vom
machen und zu erforschen. Sie ermöglichen Rückschlüsse Bergbau. Die beiden Orte können als regelrechte ‚Knappendörfer‘
auf Besiedlung, Kulturräume und Kontaktzonen. Denn die bezeichnet werden“, resümiert Unterkircher. Die Ergebnisse sol-
Rohmaterialien verweisen auf Lagerplätze, Transitrouten, len helfen, makrohistorische und überindividuelle montanistische
Jagdreviere und nicht zuletzt auf Tausch- und Handelsbe- Forschungsfragen über Schwaz hinaus zu klären und bestehende
Foto: Institut für Archäologien (3)

ziehungen. „Wie jüngste Untersuchungen zeigen, sind im Forschungslücken zu schließen. Etwa die, wie Konjunkturphasen
Unterinntal und auch in Vorarlberg ergiebige Lagerstätten im Bergbau Bevölkerungsbewegungen in den Bergbauzentren be-
von Feuerstein (Silex) entdeckt worden, die bereits auf einflusst haben. Ein Ende ist noch nicht in Sicht.
eine Abbautätigkeit in der mittleren und jüngeren Steinzeit Die Zielsetzungen und Teilergebnisse der beiden vorgestellten Pro-
hinweisen“, so der Archäologe Walter Leitner. jektteile zeigen, wie umfassend HiMAT angelegt ist. sg

34 zukunft forschung 0209


KURZMELDUNGEN

RAUMZEIT AUF
DEM PRÜFSTAND
D as Fermi Gammastrahlen-Weltraum-
teleskop sendet seit einem Jahr wis-
senschaftliche Daten zur Erde. Über eintau-
send einzelne Gammalichtquellen konnten
bereits entdeckt werden. Ende Oktober
berichteten die beteiligten Wissenschaftler
– unter ihnen der Innsbrucker Astroteil-
chenphysiker Olaf Reimer – in der Fachzeit-

KEIN WIDERSPRUCH
schrift Nature über eine Messung, die neue
Einblicke in die Struktur von Raum und
Zeit gibt. Bei der Beobachtung eines 7,3 Mil-
liarden Lichtjahre entfernten Gammastrah-
Laut einer Studie Innsbrucker Psychologinnen sind der lenausbruchs konnten jene Theorien wider-
Glaube an Allah und Integration kein Widerspruch. legt werden, die eine lineare Abhängigkeit
zwischen Energie und Lichtgeschwindigkeit

O
b sich Migrantin- ders interessant, denn: „Der tholischen und orthodoxen vorhersagen. Mit den Instrumenten an Bord
nen und Migran- Islam wird oft als Integra- Christen mit Migrationshin- des 4,5 Tonnen schweren Satelliten wurden
ten in Österreich tionsbarriere und Symbol tergrund. Zwei Drittel der in nur einem Jahr zahlreiche neue Rekor-
integrieren oder separieren, der Abgrenzung aufgefasst. befragten Muslime sind gut de in der Gammaastronomie aufgestellt, so
hängt von vielen Faktoren Unsere Studie hingegen legt integriert, so das Ergebnis die schnellste je beobachtete Bewegung, die
ab. Welche Rolle die Reli- nahe, dass keine Zusammen- der Studie. Religiosität ist Gammastrahlung mit der höchsten bisher
gion dabei spielt, hat ein hänge zwischen überzeugter also kein Hindernis für die gemessenen Energie und der Gammastrah-
Team um Dr. Tatjana Schnell Glaubensausübung und In- Integration. Ob sich Migran- lenausbruch mit der größten je gemessenen
vom Institut für Psycholo- tegration bestehen“, erklärt ten integrieren hängt viel- Gesamtenergie.
gie erforscht. Es liefert ein die Psychologin. mehr davon ab, wie hoch
differenziertes Bild über die der Akkulturationsstress
Zusammenhänge von Reli- BESONDERS RELIGIÖS und die Sprachkenntnisse
gion und Akkulturation. Die Von den befragten Migran- der Betroffenen sind. In der
Forscherinnen haben 129 tinnen und Migranten mit Gruppe der in Separation
Asylwerber, 107 Menschen muslimischem Glauben lebenden Muslime scheinen
mit Migrationshintergrund bezeichnen sich 72 Prozent Identifikation mit dem Islam
und 136 Österreicher be- als überzeugt religiös, wo- und Fundamentalismus eine
fragt. „Uns hat interessiert, bei die Religiosität unter Strategie zur Bewältigung
ob die intensive Ausübung den in Österreich geborenen solcher Integrationsproble-
nichtchristlicher Religiosität Muslimen ausgeprägter ist me darzustellen – die jedoch
die Integration ins Aufnah- als in der Elterngeneration. fehlschlägt, da das Wohl-
meland verhindert“, sagt Das Ausmaß der religiösen befinden in dieser Gruppe
Schnell. Aus diesem Grund Überzeugtheit ist hingegen niedrig ist, Sinnkrisen hin- Gammalicht aus entfernten Galaxien gibt
sind die Ergebnisse beson- deutlich geringer unter ka- gegen relativ häufig. Einblicke in die Struktur von Raum und Zeit.

UNI-RANKING: SPRUNG NACH VORNE


Die Universität Innsbruck hat sich im aktuellen Shanghai-Ranking deutlich verbessert und liegt nun
Fotos: NASA (1), fotolia (1), Uni Innsbruck (1)

in den Rängen zwischen 201 bis 302. Das an der Shanghai Jiao Tong Universität erstellte „Aca-
demic Ranking of World Universities“ bewertet jedes Jahr über 1000 Universitäten weltweit nach
sechs Kategorien, die mit dem Nobelpreis gewürdigte Absolventen und Angehörige, die Zahl
der häufig zitierten Forscher und Publikationszahlen umfassen. Daraus entsteht eine Rangliste, in
der die Universität Innsbruck nun gemeinsam mit der Medizinischen Universität Wien und hinter
der Universität Wien als zweitbeste österreichische Universität gereiht ist. Dahinter folgen die
Universität Graz, die Medizinischen Universitäten in Graz und Innsbruck und die TU Wien.

zukunft forschung 0209 35


GERMANISTIK

DIE
DIGITALE FLUT
Am Innsbrucker Zeitungsarchiv, das eines der größten
Archive dieser Art im deutschsprachigen Raum ist, wird
den digitalen Medien erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt.

Täglich: Stefan Neuhaus, Leiter des Innsbrucker Zeitungsarchivs, und Renate Giacomuzzi bei der Lektüre.

D
as kritische Durchforsten von 34 sich jeden Morgen ein Stapel Zeitungen,
Zeitungen und Zeitschriften ge- den er akribisch nicht nur auf Beiträge über
hört zum täglichen Programm Literatur, sondern auch auf Nachbargebiete
der Mitarbeiter des Innsbrucker Zeitungs- der Literatur hin liest, vom Interview über
archivs zur deutschen und fremdsprachi- die Reportage und der Rezension bis zur
gen Literatur, kurz IZA. Dessen Leiter, literarischen Talkshow, von Belletristik über
Fotos: Friedle

Stefan Neuhaus, ist da nicht ausgenom- Kabarett bis zu Film, Rechtschreibreform


men. Auch auf seinem Schreibtisch findet und Sachbuch.

36 zukunft forschung 0209


GERMANISTIK

Seit der Gründung des IZA durch den Li- Im Rahmen von DILIMAG, das vom
teraturwissenschaftler Michael Klein (siehe Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird,
Infokasten) ist das Archiv stetig angewach- werden erstmals die literaturwissenschaft-
sen. Über eine Million Zeitungsartikel sind lichen Aspekte digitaler Literaturmagazine
mittlerweile (auch digital) erfasst, pro Jahr untersucht. Neben einer umfassenden bibli-
kommen rund 30.000 Beiträge dazu. Seit ografischen Erfassung sollen möglichst viele
über 20 Jahren werden zudem Mitschnit- der ca. 300 deutschsprachigen digitalen Lite-
te von Rundfunk- und Fernsehsendungen raturmagazine auch elektronisch archiviert
über Literatur gesammelt und Literatur- und der Öffentlichkeit online zur Verfügung
verfilmungen in die Audio-Videothek auf- gestellt werden. „Voraussetzung dafür ist
genommen, über 11.000 sind es inzwischen. natürlich, dass uns die Herausgeber und
Dazu kommen die Online-Medien, die eine Autoren ihr Einverständnis geben“, so die
immer bedeutendere Rolle in Sachen Litera- Projektverantwortliche Renate Giacomuzzi.
turkritik, Literaturvermittlung und -rezep- Nicht berücksichtigt werden Print-Zeitun-
tion erlangen. Sie stellen das IZA vor neue gen und -Zeitschriften, die online gegangen
Herausforderungen. sind, und Internetprojekte, die von vornher-
GRÜNDUNG
ein auf einen Abschluss hin angelegt sind.
DIGITALE LITERATUR Gestartet wurde das auf drei Jahre ange-
Das Bemerkenswerte neben dem Umfang legte Projekt 2007. „Wir haben 148 Maga-
des Archivs: Die gigantische und europa- zine erfasst und noch gut 100 weitere aus-
weit einmalige Sammlung steht nicht nur gewählt“, erklärt Giacomuzzi. Im Zentrum
Wissenschaftlern und Studenten zur Verfü- des Interesses steht die Frage: Welche neuen
gung, sondern kann von allen literarisch In- Formen der Auseinandersetzung mit Litera-
teressierten online genutzt werden (http:// tur sind im Netz entstanden bzw. entstehen
iza.uibk.ac.at). „Das IZA ist die einzige Ein- im Netz? „Als einfaches Beispiel sind hier
richtung dieser Art im deutschsprachigen etwa die Blogs zu sehen“, so die Germanis- Als Michael Klein 1966 von Bonn nach
Raum, die über ein Online-Archiv verfügt. tin. Vor ein neuartiges Problem gestellt wird Innsbruck übersiedelte, fanden sich 15
Das IZA ist zudem nicht nur Archiv und die Forschung durch die Tatsache, dass sich Ordner in seinem Gepäck, gefüllt mit
Dokumentationsstelle, sondern auch For- Literaturmagazine im Internet permanent auf Papier aufgeklebten Zeitungsaus-
schungseinrichtung“, betont Neuhaus. Das verändern. Ein Beitrag, der heute online ge- schnitten. Sie sollten die Basis werden
IZA veranstaltet Symposien und Tagungen stellt wird, kann morgen schon überarbeitet, für eine Einrichtung, die einmalig ist im
und es veröffentlicht zwei Publikations- erweitert oder gar wieder gelöscht sein. deutschsprachigen Raum, das Innsbrucker
reihen – die „Innsbrucker Studien zur All- Zeitungsarchiv (IZA). Es umfasst mittler-
tagsrezeption“ erscheinen im LitVerlag, die BREITER DISKURS weile mehr als eine Million Zeitungsartikel
„Angewandte Literaturwissenschaft“ im „Wir archivieren die Seiten in regelmäßigen über deutsch- und fremdsprachige Literatur
StudienVerlag. Abständen. Man nennt das im Fachjargon und den Literaturbetrieb. Ab dem Jahr
Im Aufbau befindet sich die Online-Zeit- ‚harvesten‘. Damit werden sie langfristig 2000 liegen die gesammelten Artikel in di-
schrift für Literaturkritik (www.literaturkri- gesichert, was für die Forschung, etwa die gitaler Form vor. Seit 1986 gibt es zudem
tik.at), in der u.a. Beiträge zur Theorie der Rezeptionsforschung, natürlich absolut not- eine umfangreiche Audio-Video-Sammlung.
Literaturkritik veröffentlicht werden. Das wendig ist“, erklärt Giacomuzzi. Ein weite- Auch literarische Verfilmungen finden Ein-
IZA nutzt nicht nur selbst das Medium in- rer Aspekt, der für Wissenschaftler heute gang in die Audio-Videothek, die jährlich
tensiv, es macht das World Wide Web auch und in Zukunft von eminenter Wichtigkeit um zirka 500 Mitschnitte wächst.
zum Forschungsgegenstand. Denn zum ist, und neue Forschungsfelder eröffnet, ist Bis zum Jahr 1988 sicherte Klein, seit
klassischen Sammelbereich – Zeitungen, auch die Tatsache, dass im Netz die Grenzen 1973 Assistent am Institut für Germanis-
Zeitschriften, TV und Radio – ist in den zwischen Laienkritiker und professionellem tik, das Archiv durch Eigenfinanzierung,
letzten Jahren ein neuer hinzugekommen. verschwimmen, Hierarchien aufgehoben dann wurde es vom Institut übernom-
Die Online-Medien boomen, allen voran werden. „Das bietet einerseits die Chance, men. Tatkräftige Unterstützung erhielt
sind die Literaturmagazine von erhöhter dass ein breiterer Diskurs über Literatur der leidenschaftliche und mitreißende
Relevanz für das IZA. Das Forschungspro- stattfindet, kann aber auch zu einer Verfla- Literaturwissenschaftler stets von seiner
jekt DILIMAG („Digitale Literaturmaga- chung der Auseinandersetzung führen“, Frau Monika und einer kleinen Schar
zine“), das vom IZA gemeinsam mit dem erklärt Neuhaus. Themen für eine wissen- von Mitarbeitern. Michael Klein ist 2004
Institut für Germanistik, der Abteilung für schaftliche Auseinandersetzung ergeben in Pension gegangen, sein Nachfolger
Digitalisierung und elektronische Archivie- sich zuhauf. im IZA wurde Stefan Neuhaus. Er hat
rung sowie der Universitäts- und Landes- Das IZA sammelt kontinuierlich weiter auch die neu geschaffene Professur für
bibliothek durchgeführt wird, trägt dem in und stellt allen Interessierten online einen Literaturkritik und Angewandte Literatur-
besonderer Weise Rechnung. umfassenden Pool zur Verfügung. sg wissenschaft inne.

zukunft forschung 0209 37


MINERALOGIE

4096
AUGEN
SEHEN
MEHR
Der Mineraloge Prof.
Roland Stalder beschäftigt
sich mit Gesteinen des Erd-
mantels. Für seine
Forschungsarbeit nutzt er
einen Infrarot-Flächen-
detektor, der 64 mal 64
Punkte mit einer Ortsauf-
lösung von wenigen
Mikrometern in
30 Sekunden liefert.

D
er Flächendetektor an unserem
Institut stellt mit Sicherheit ein
Alleinstellungsmerkmal dar. Wir
sind das einzige Institut, das in unserem
Fach österreichweit damit arbeitet. Auch
im Bereich der gesamten Geowissenschaf-
ten stehen in Europa derzeit nur zwei
Geräte dieser Art zur Verfügung“, zeigt
sich Prof. Roland Stalder vom Institut für
Mineralogie und Petrographie der Uni-
versität Innsbruck von der vorhandenen
Infrastruktur begeistert.
Der Infrarot-Flächendetektor misst mit-
hilfe von Infrarotstrahlung die Frequenz
Fotos: Friedle (1), Uni Innsbruck/Stalder (2)

– also die Häufigkeit von Schwingungen


pro Zeiteinheit – von Atom- und Molekül-
gruppen. Da jede in einer Probe enthaltene
Atom- und Molekülgruppe verschiedene
Teile des Infrarotspektrums absorbiert,
kann anhand des Restspektrums auf
bestimmte Charakteristika des Unter-

38 zukunft forschung 0209


MINERALOGIE

suchungsgegenstands geschlossen wer- konzentriert sich Stalder auf den enthal-


den. Diese Charakteristika und ihre tenen Wasserstoff, da dieser aufgrund
Konzentration machen wiederum Rück- seiner geringen Größe das mobilste der
schlüsse auf die einzelnen Komponen- Elemente ist. Nominell enthalten Pyroxe-
DIFFERENZIERTE EINSICHTEN
ten des untersuchten Materials möglich. ne zwar keinen Wasserstoff, bauen aber
Dank der 64 mal 64 Detektorpixel, die auf Spuren davon ein, was Änderungen der
einer Fläche von 170 mal 170 Mikrome- physikalischen Eigenschaften bewirkt.
tern ein vollständiges Infrarotspektrum „Indem wir die Pyroxene nun verschie-
aufzeichnen können, ist eine sehr hohe denen Umgebungen, also Temperatu-
Ortsauflösung möglich. „Eine Auflösung ren und Drücken, aussetzen, können
von drei Mikrometern ist für das Gerät wir mithilfe des Flächendetektors die
kein Problem – und das in 30 Sekunden“, Mobilität des Wasserstoffs beobachten.
erklärt Stalder. Vereinfacht gesagt können wir dadurch
Neben der hohen Ortsauflösung ist die rückrechnen, wie lange Kristalle die-
Echtzeit ein großer Vorteil des Geräts. Die ser Mineralgruppe brauchen, um vom
Alternative zu Messungen im Infrarot- Erdmantel an die Erdoberfläche zu ge- Das Bild links zeigt eine lichtmikroskopische
Flächendetektor ist die Nutzung eines langen“, beschreibt der Mineraloge die Aufnahme eines scheinbar homogenen
Synchrotrons, eines Teilchenbeschleuni- einzelnen Forschungsschritte. Pyroxen-Kristalls. Der Kristall wurde aus einer
gers, der an Großforschungseinrichtun- wasserhaltigen Schmelze unter Hochdruck
gen wie dem CERN vorhanden ist. Diese VIELSEITIG EINSETZBAR synthetisch hergestellt. Mithilfe des IR-Flächen-
Art der Untersuchung ist aber extrem Auch wenn das Gerät anlässlich der Beru- detektors lässt sich erkennen, dass die
zeitaufwändig. „Neben der Koordinati- fung von Prof. Roland Stalder eigens für Konzentration an Wasserstoff zum Rand hin
on – man muss an diesen Einrichtungen seine Forschungsarbeit an der Universi- zunimmt. Die genaue Auswertung solcher
Strahlzeit beantragen und eigens anreisen tät Innsbruck installiert wurde, stellt er Konzentrationsprofile gibt Auskunft über die
– dauert auch der Messvorgang für mei- diese technische Ressource auch anderen Mobilität von Wasserstoff unter den gege-
ne Untersuchungen am Synchrotron viel Disziplinen zur Verfügung. „Da der Flä- benen Bedingungen und liefert damit unter
länger. Für eine mit dem Flächendetektor chendetektor mittels Infrarotstrahlung anderem einen wichtigen Beitrag für Modelle
vergleichbare Ortsauflösung würde der Schwingungen von OH-Gruppen misst, zur elektrischen Leitfähigkeit des Erdmantels.
Messvorgang im Synchrotron rund fünf kann er für die Untersuchung aller Stoffe
Stunden betragen. Instabile Stoffe zu un- eingesetzt werden, die solche Schwingun-
tersuchen, ist dadurch praktisch unmög- gen aufweisen“, erklärt der Mineraloge
lich“, so Stalder. das breite Einsatzspektrum. Demnach
können neben natürlichen Kristallen auch
REISE DER PYROXENE synthetische Materialien, Biomaterialien
Bei seiner Forschungsarbeit beschäftigt sowie Fasern – zum Beispiel Asbestfasern
sich der Mineraloge unter anderem mit – untersucht werden.
einer gesteinsbildenden Mineralgruppe, Gemeinsam mit Prof. Ulrich Gries- Das Bild links zeigt die Aufnahme eines
die zu rund einem Drittel im Erdmantel ser von der Abteilung Pharmazeutische Schmelzfilmpräparats des Betäubungsmittels
vorkommt – mit Pyroxenen. „Da wir bis Technologie testete Stalder den Einsatz Phenobarbital im Polarisationsmikroskop.
auf einige Einschlüsse in Vulkangestein des Flächendetektors bereits für die Die helleren Stellen repräsentieren die kris-
keinen Zugang zu diesem Material ha- Pharmazie: An einer handelsüblichen tallinen Regionen der Substanz, die schwar-
ben, stellen wir es unter realen Bedin- Kopfschmerztablette konnten die Wissen- zen Stellen die glasartig erstarrte Schmelze.
gungen synthetisch her“, erläutert Stal- schaftler dank der hohen Ortsauflösung Im Infrarot-Bild rechts lassen sich die Berei-
der. die genaue Wirkstoffverteilung analy- che der beiden Phasen sehr gut differenzie-
Ziel der Untersuchungen an diesen sieren. Laut Prof. Stalder würde sich der ren. Derartige Analysen sind besonders bei
synthetisch hergestellten Mineralgrup- Flächendetektor auch für Untersuchun- der Erforschung verschiedener Festphasen
pen ist es, Rückschlüsse darauf zu zie- gen in der Pathologie, der Biologie, Che- von Arzneistoffen wichtig, wie sie am Institut
hen, wie sich diese unter den Bedingun- mie oder Forensik eignen. „Wir sind gern für Pharmazie von Prof. Griesser und seinem
gen im Erdinneren verhalten und wie bereit, unsere Infrastruktur auch anderen Team durchgeführt werden. Der hier unter-
lange es dauert, bis sie an die Erdober- Disziplinen zur Verfügung zu stellen. suchte Arzneistoff Phenobarbital kann zum
fläche gelangen. „Pyroxene eignen sich Ihre Erfahrungen könnten auch unsere Beispiel in mindestens 17 verschiedenen
besonders gut für die Analyse im Infra- Forschungsarbeit bereichern, da wir von Festformen existieren. Der inzwischen seit
rot-Flächendetektor, da sie gelegentlich anderen Untersuchungsszenarien lernen fast 100 Jahren verwendete Arzneistoff wird
interessante chemische Zonierungen können“, lädt Roland Stalder alle Interes- heute bei Epilepsie und zur Narkosevorbe-
zeigen“, erklärt Stalder. Bei seinen Un- sierten zur interdisziplinären Zusammen- reitung verwendet und gehört laut WHO zu
tersuchungen an dieser Mineralgruppe arbeit ein. sr den „unentbehrlichen“ Arzneimitteln.

zukunft forschung 0209 39


LAWINENRADAR

RECHENMODELL
SOLL LEBEN RETTEN
Große Verschüttungstiefen, widrige Wetterverhältnisse oder die
Gefahr von Nachlawinen setzen den heutigen Methoden zur
Bergung von Lawinenopfern Grenzen. Mit dem Einsatz eines
luftgestützten Radarsystems wollen Innsbrucker Wissenschaftler die
Methoden bei der Suche nach Lawinenopfern nun erweitern.

Fotos: Leimgruber (2)

40 zukunft forschung 0209


LAWINENRADAR

D
a auch heute noch mehr als ein Drittel aller Lawinenop-
fer kein Lokalisierungsgerät bei sich haben, gestaltet sich
die Bergung für die Rettungskräfte oft sehr zeitaufwen-
dig und gefährlich. Aus diesem Grund startete das Zentrum für
Naturgefahren- und Risikomanagement alpS 2005 gemeinsam mit
dem Institut für Mathematik der Universität Innsbruck das Projekt
„Luftgestützte, automatisierte Ortung Lawinenverschütteter mit- „Die luftgestützte Ortung von Lawinenverschüt-
tels Radartechnologie“. Ebenfalls am Projekt beteiligt ist die Firma
Wintertechnik Engineering GmbH als Unternehmenspartner. „Die
teten mittels Georadar könnte eine zuverlässi-
luftgestützte Ortung von Lawinenverschütteten mittels Georadar ge und zeitsparende Ergänzung zu den her-
könnte eine zuverlässige und zeitsparende Ergänzung zu den her-
kömmlichen Rettungsmethoden darstellen“, erklärt Mag. Sylvia
kömmlichen Rettungsmethoden darstellen.“
Leimgruber, Mathematikerin und Projektmitarbeiterin bei alpS. Sylvia Leimgruber, Mathematikerin und Projektmitarbeiterin

ECHTZEITMESSUNG
Georadar (Ground Penetrating Radar/GPR) ist ein weit verbrei- einer Diffraktionshyperbel im zugehörigen Radargramm. „Um die
tetes elektromagnetisches Reflexionsverfahren, das es ermög- Diffraktionshyperbel automatisiert zu detektieren, wenden wir ei-
licht, nicht zugängliche Objekte oder Strukturen im Untergrund ne Matched-Filter-Methode an. Dabei wird eine Musterhyperbel
zu detektieren. Diese Methode kommt zum Beispiel bereits bei als Schablone vorgegeben, die gleitend mit der Schneeschicht im
der Ortung von Landminen, bei Qualitätskontrollen von Brücken Radargramm verglichen wird“, so die Mathematikerin. Je genauer
und Eisenbahnschienen oder bei archäologischen und glaziolo- die Schablone dem tatsächlichen Reflexionsmuster eines Lawinen-
gischen Untersuchungen zum Einsatz. „Die große Neuerung an opfers entspricht, umso eindeutiger wird die Detektion. Die Mus-
unserer Entwicklung ist, dass die Radarbilder in Echtzeit ausge- terhyperbel muss dementsprechend genau festgelegt werden. „Der
wertet werden – man also direkt im Helikopter sieht, wo mögli- Unterschied zwischen Mensch und Tier kann im Radargramm den-
che Lawinenopfer liegen“, erklärt Projektmitarbeiter Dr. Harald noch nicht erkannt werden“, beschreibt Leimgruber mögliche Feh-
Grossauer, Physiker und Mitarbeiter am Institut für Mathematik. lerquellen. Ein weiteres Problem, das bei der Ortung von Langzeit-
Die Radarsuche in Schnee und Eis ist allerdings technisch sehr verschütteten mittels Georadar auftritt, ist die Tatsache, dass diese
anspruchsvoll, da große Datenmengen in Echtzeit verarbeitet und nach einigen Tagen gefrieren und sich in Folge im Radargramm
visualisiert werden müssen. Für die Aufarbeitung der Rohdaten kaum mehr von der Umgebung abheben.
und die anschließende Auswertung in Echtzeit war die Entwick- Nach der Entwicklungsphase gehen die Wissenschaftler in die-
lung einer dynamischen Software nötig, die auf der Kombination sem Winter in eine praktische Testphase. Dabei bekommen sie
eines Active-Contour-Modells und einer Matched-Filter-Methode Unterstützung aus dem Bundesministerium für Inneres. Dieses
basiert. „Active-Contour-Modelle kommen derzeit beispielsweise ermöglicht es ihnen, einen Eurocopter bei der Suche nach Verschüt-
bei der Gesichtserkennung oder bei der Auswertung medizini- teten mit dem Georadar zu begleiten. „Wenn sich das System in
scher Daten zum Einsatz. Um die Auswertung der Radarbilder diesem Winter bei den Tests bewährt, hat die luftgestützte Radar-
direkt im Helikopter zu ermöglichen, mussten wir ein spezielles suche sicher das Potenzial, das Spektrum der bisher verwendeten
numerisches Active-Contour-Modell programmieren“, erläutert Rettungsmethoden zu erweitern und damit eventuell die Zahl der
Grossauer. Lebendbergungen zu erhöhen“, zeigen sich die beiden Projektmit-
arbeiter überzeugt. sr
SCHABLONENVERGLEICH
Beim Messvorgang werden von der am Lasthaken eines Helikop-
ters angebrachten Radarantenne in sehr dichter Folge hochfrequen- ANSCHMIEGSAM
te Radarimpulse auf den Lawinenkegel gerichtet. Eine Frequenz
von 400 MHz ermöglicht das Eindringen der Signale in trocke-
nem Schnee bis zu mehreren zehn Metern Tiefe. Die jeweilige Ein-
dringtiefe des Radarimpulses ist dabei stark vom Wassergehalt des
Schnees abhängig. „Trockener Schnee ist fast transparent. Nasser
Schnee reduziert durch die hohe Signalabsorption die Eindring-
tiefe“, erklärt Sylvia Leimgruber. Wenn die elektromagnetische
Welle auf eine dielektrische Grenzfläche trifft, wird sie an dieser
reflektiert. Die Untergrundreflexionen zwischen den Sendeimpul- Active-Contour-Modelle werden eingesetzt, um die Grenzen
sen werden aufgezeichnet und in einem sogenannten Radargramm zusammengehörender Gebiete (Konturen) in einem Bild automa-
zusammengefasst. Bei der luftgestützten Radarsuche erzeugen die tisiert zu finden. Eine Active Contour ist eine Kurve, die sich im
Signale an der Luft-Schnee-Grenze und der Schnee-Untergrund- Bild solange bewegt und verformt, bis sie sich an eine Kontur
Grenze starke Reflexionshorizonte im Radargramm. Befindet sich angeschmiegt hat. Bei der Lawinenortung wird dieses Modell
in der Schneeschicht ein Streukörper, so zeigt sich dieser in Form zur Eingrenzung der Schneeschicht verwendet.

zukunft forschung 0209 41


ZAHLEN & FAKTEN

EXPERIMENTE
Lange Zeit war die Wirtschafts-
FINANZEN KREDITRISIKO
In Österreich sind sie immer noch

UND RISIKO
wissenschaft eine Wissenschaft eine beliebte Finanzierungsform
ohne Experimente. Doch in den beim Erwerb von Wohneigentum.
letzten zwei Jahrzehnten werden In Tirol betrug 2008 der Anteil
offene Fragen zunehmend im der Fremdwährungskredite am
Labor untersucht. In der Finanz- Finanzkrise zeigt die Notwendigkeit privaten Kreditvolumen ca. 37 %.
wirtschaft ist es insbesondere das eines besseren Risikomanagements. „Den Preis, den man für die nie-
Börsengeschehen, das auf diese drigere Zinsbelastung zu ‚zahlen‘
Weise analysiert wird. Forscher hat, besteht in den Risiken, die
des Innsbrucker Forschungs- mit Fremdwährungskrediten
schwerpunkts „Finanzmärkte verbunden sind“, erklärt Dr.
und Risiko“ veranstalten dazu im Jochen Lawrenz vom Institut für
Computerlabor Experimente, bei Banken und Finanzen. „Systema-
denen meist rund 20 Teilnehmer tische Analysen zeigen, dass sich
pro Markt etwa eine Stunde Kreditnehmer nicht unerheblichen
lang Aktien handeln können. Risiken aussetzen.“ Auf Basis
Dieses Instrument eignet sich, um historischer Daten besteht eine
im Labor zu testen, was in der Wahrscheinlichkeit von 5 %, dass
Realität nicht möglich oder zu ein Fremdwährungskredit in Höhe
teuer wäre. Es ist auch bei den von 100.000 Euro gegenüber
Studierenden sehr beliebt, weil dem Euro-Kredit zu zusätzlichen

D
sie das Funktionieren der Börse ie aktuelle Finanzkrise konfrontiert uns mit Finanzierungskosten von 12.600
dadurch aktiv erfahren können. Geldsummen, die alle bisher gekannten Di- Euro führen kann. Extreme
mensionen sprengen. 2007 waren es Milliar- Wechselkursereignisse erhöhen
denverluste der Banken – 30 Milliarden US-$ bei der diesen Betrag und machen einen
Citigroup, 40 Milliarden US-$ bei der Schweizer UBS, Fremdwährungskredit zu einem
die die Welt in Atem hielten. Nach dem Zusammen- riskanten Finanzierungsgeschäft.
bruch der Investmentbank Lehman Brothers waren es
die staatlichen Rettungspakete – 100 Milliarden Euro
in Österreich, 500 Milliarden Euro in Deutschland, 700
NATURRISIKEN
Milliarden US-$ in den USA – die die Vorstellungskraft Angesichts der zunehmenden
der meisten überstiegen. Konjunkturprogramme in Re- Wertekonzentration und Besied-
„Wir führen beispielsweise im kordhöhe folgten – 770 Milliarden US-$ in den USA, 500 lungsdichte, besonders im Alpen-
Labor eine Transaktionssteuer – Milliarden US-$ in China. In den letzten zwei Jahren raum, wächst die Notwendigkeit
die oft geforderte Tobin-Steuer – wurden somit weltweit etwa 9.000.000.000.000 US-$ zur der Integration von Elementarrisi-

Fotos: Forschungsschwerpunkt „Finanzmärkte und Risiko“ (1), Lechner (1), fotolia (1)
ein“, erklärt Prof. Jürgen Huber. Stützung des Finanzsektors und zur Ankurbelung der ken in das Risikomanagement der
„Dabei stellen wir fest, dass diese Wirtschaft ausgegeben. öffentlichen Hand sowie privater
die besteuerten Märkte faktisch Unternehmen. Da langfristig der
zerstören würde, während ‚Steu- STAATEN VERSCHULDEN SICH mit ca. 270 Mio. Euro pro Jahr
erparadiese’ florieren würden.“ Diese Summen sind so hoch, dass zu erwarten ist, dass dotierte österreichische Katastro-
Die Labormärkte sind stets durch die Staatsverschuldung der westlichen Länder von phenfonds sowie Rückversiche-
sehr aktiven Handel gekenn- 78 Prozent im Jahr 2007 auf 115 Prozent im Jahr 2014 rungskapazitäten kaum ausrei-
zeichnet. Meist gibt es alle zwei anwachsen wird – allein die USA verbuchen heuer chen werden, um Schäden nach
Sekunden eine Transaktion, also ein Budgetdefizit von zwölf Prozent. „Diese Schulden Naturereignissen zu kompensie-
etwa 1.500 bis 2.000 Trans- zurückzuzahlen wird entweder Sparpakete und Steu- ren, ist eine Auseinandersetzung
aktionen pro Labormarkt. Dies ererhöhungen oder aber eine hohe Inflation erfordern, mit alternativen Lösungen zum Ri-
übersteigt das übliche Aktivitäts- die den realen Wert der Schulden reduziert“, sagt Prof. sikomanagement unumgänglich.
maß an der Wiener Börse bei Jürgen Huber, der Sprecher des Forschungsschwer-
weitem. Die Teilnehmer an den punkts „Finanzmärkte und Risiko“ an der Universität
Labormärkten, meist Studierende, Innsbruck. Die Forscherinnen und Forscher des Instituts
werden entsprechend ihrem Han- für Banken und Finanzen wollen das Verständnis von
delserfolg in Euro bezahlt, so ist Finanzmärkten und Risiken verbessern und wirken ak-
sichergestellt, dass sie ernsthaft tiv an der Gestaltung neuer Märkte und verbesserter
handeln. Risikomanagementtechniken mit. cf

42 zukunft forschung 0209


KURZMELDUNGEN

MEHR ARTEN NEUE


PLATTFORM
UND WENIGER FEHLER
Bei der Abgrenzung von Arten reduziert ein integrativer U nter der Führung des In-
nsbrucker Forschungsin-
stituts STI entsteht in Europa
Taxonomie-Ansatz die Fehlerrate deutlich. ein neues Software-Experi-
ment, das mit dem Teilchen-

W
ie vielfältig die beschleuniger LHC am CERN
Natur tatsächlich in Genf vergleichbar ist: Statt
ist, kann niemand subatomarer Teilchen wird der
genau sagen. Das liegt unter „Large Knowledge Collider“
anderem daran, dass sowohl (LarKC) gigantische Mengen
traditionelle als auch moder- an Wissen zusammenführen
ne Methoden zur Abgrenzung und als neuartige Entwick-
von Arten fehleranfällig sind. lungsplattform für seman-
„Es gibt viele Tierarten, soge- tische Technologien dienen.
nannte kryptische Arten, die Die Artenbestimmung ist ein Stiefkind der modernen Biologie. „Der LarKC wird als Plattform
einer anderen Art sehr ähnlich dienen, um Forscherinnen und
sehen, jedoch eigenständig sind nen und Forscher einen neuen, Morphologie einbezieht. „Mor- Forschern Experimente mit rie-
und eine völlig andere Funkti- integrativen Taxonomie-Ansatz phologie hat einen etwas ver- sigen Datenmengen aus dem
on im Ökosystem einnehmen. entwickelt. staubten Anstrich, ist aber nach Internet zu ermöglichen“, sagt
Das Aussehen allein ist also wie vor sehr wichtig. Wenn man Mick Kerrigan, Forscher am
nicht immer ein sicherer Leit- INTEGRATION nur DNA-Methoden einsetzt, STI Innsbruck. „Sie können
faden für die Abgrenzung von „Wir haben 184 Gliederfüßler- verzichtet man auf viel Wissen, sich aus aller Welt mit ihren
Arten“, beschreibt Prof. Birgit Studien aus 48 Fachjournalen das über Jahrhunderte ange- Experimenten in das System
Schlick-Steiner vom Institut für analysiert“, erzählt Schlick- häuft wurde. Außerdem haben einklinken, ohne dass sie sich
Ökologie ein Grundproblem der Steiner, „und konnten zeigen, eben auch DNA-Methoden ihre Gedanken über den experi-
Taxonomie. Mit einem internati- dass alle Methoden zur Art- Fehler.“ Sinnvoll ist laut Schlick- mentellen Aufbau machen
onalen Team konnte sie zeigen, abgrenzung, wenn sie isoliert Steiner, die Morphologie mit müssen“, so Kerrigan.
dass nicht nur der morpholo- eingesetzt werden, hohe Feh- einer DNA-Methode und einer
gische Zugang, sondern auch lerraten haben, im Durchschnitt weiteren Methode zu kombinie-
moderne taxonomische Verfah- etwa ein Drittel.“ Die Forscher ren, die je nach Forschungsvor-
ren wie DNA-Methoden, Zyto- schlagen daher eine integrative haben zu wählen ist. „So können
genetik oder Chemie eine hohe Taxonomie vor, die mehrere Me- wir die durchschnittliche Fehler-
Fehleranfälligkeit aufweisen. thoden miteinander kombiniert rate von einem Drittel auf etwa
Deshalb haben die Forscherin- und dabei auch die traditionelle drei Prozent reduzieren.“

STRUKTUR VON BIOMOLEKÜLEN


Die Bausteine des Lebens untersucht START-Preisträgerin Kathrin Breuker mit einem Fourier-Trans-
form-Ionen-Zyklotron-Resonanz-Massenspektrometer. Vor einem Jahr wurde dazu ein extrem
präzises Messinstrument in einem Labor der Uni Innsbruck installiert. Finanziert wurde es aus
Mitteln des Uniinfrastrukturprogramms und des START-Preises. „Dieses Messgerät erlaubt es uns,
die Moleküle in der Gasphase und damit frei von Lösungsmitteln zu studieren“, erläutert Breuker.
Fotos: Schlick-Steiner (1), LarKC (1), Uni Innsbruck (1)

„So können wir die Moleküle ohne Beeinflussung von außen untersuchen und damit strukturelle
Eigenschaften bestimmen, die uns Aufschluss über das Verhalten in unterschiedlichen chemischen
Umgebungen geben können.“ Diese Kenntnisse sind auch die Voraussetzung, um die Moleküle
in der Gasphase gezielt auseinander brechen zu lassen. Dissoziationsmechanismen werden
nämlich dazu genutzt, die Moleküle genau zu charakterisieren. „Im Gegensatz zu anderen
Vizerektor Tilmann Märk feiert mit den Verfahren, wo große Moleküle zunächst chemisch zerlegt, gereinigt, dann analysiert und die
Forschern den ersten Geburtstag des hoch- Daten schließlich mühsam wieder zusammengesetzt werden, können wir hier die Moleküle in der
präzisen Messinstruments. Gasphase gezielt in Fragmente zerlegen und deren Massen genau bestimmen“, so Breuker.

zukunft forschung 0209 43


GRÜNDUNGEN

WOHIN GEHT DER


SCHNEE?
Der Klimawandel und seine Auswirkungen sind ein
brandaktuelles Thema, dessen sich GRID-IT, Gesellschaft für
angewandte Geoinformatik, angenommen hat.

I
n Partnerschaft mit der Universität Innsbruck Ableitung meteorologischer Eingangsdaten bei
und der Universität Graz sowie dem Förder- unterschiedlichen Klimaszenarien für die ausge-
programm ACRP (Austrian Climate Resarch wählten Gebiete. Damit sollen quantifizierbare
Program) werden die Folgen eines veränderten Aussagen darüber getroffen werden, wie es um
Klimas auf die Schneeverhältnisse in Tirol und die zukünftige Schneesicherheit in den ausge-
der Steiermark untersucht. Das Forschungspro- wählten Gebieten bestellt ist.
jekt CC-Snow (Effects of Climate Change on Futu-
re Snow Conditions in Tyrol and Styria) wird vom AUSWIRKUNGEN AUF TOURISMUS
„klima+energie fonds“ finanziert. In den vorgesehenen nachfolgenden Projektpha-
Das Projekt koppelt drei Bausteine: ein „loka- sen sollen Auswirkungen auf den Wintertouris-
les“ Schneedeckenmodell für eine physikalisch mus und die Wirtschaft untersucht und anhand
genaue Abbildung der Akkumulations-, Drift- von Risikoabschätzungen Adaptionsstrategien
und Schmelzprozesse mit einer hohen räumli- entwickelt werden. „Im Rahmen des Projekts
chen Auflösung, ein „regionales“ Schneemodell können wir neue und innovative Verfahren
für eine flächendeckende Anwendung mit redu- zur Ableitung von Schneekarten aus Ferner-
zierten Anforderungen an Eingangsdaten und kundungsdaten testen, über die Kopplung mit
Modellparameter und einer geringeren räumli- robusten schneehydrologischen Modellen Aus-
chen Auflösung sowie ein Klimamodell für die sagen zu Wasserreserven in den Bergen treffen
und über die vom Wegener-Zentrum in Graz
bereitgestellten Klimaszenarien und Klima-
DIE TECHNOLOGIE
Fotos: ABB (1), istockphoto.com (1), HVTE (1)

modell-Outputs fundiert die Entwicklung der


GRID-IT, 2004 mit Unterstützung des CAST Gründungszentrums gegründet, hat seinen Schneeverhältnisse in der Zukunft abschätzen“,
ursprünglichen Schwerpunkt in geografischen Informationssystemen und widmet informiert Dr. Hannes Kleindienst, Geschäftsfüh-
sich seit 2007 verstärkt der Fernerkundung. Seit 2008 ist GRID-IT Vertriebspartner rer von GRID-IT. Die Ergebnisse werden für den
für ERDAS in Österreich (Software zur digitalen Bildverarbeitung und Management Tourismus und die Stromwirtschaft Tirols von
von Rasterdaten) und hält seitdem gute Kontakte zu zahlreichen Anwendern, die mit großem Interesse sein. Weitere Informationen
diesem System arbeiten. Weitere Infos: www.grid-it.at zum Projekt: www.cc-snow.at. cast

44 zukunft forschung 0209


GRÜNDUNGEN

HIGH VOLTAGE TEST


EQUIPMENT
Peter Mohaupt will mit seiner neuen Prüftechnologie weltweit
Netzbetreibern eine kostengünstigere Überwachung und
Zustandsbewertung von Energiekabeln ermöglichen.

D
er Strom kommt aus der Steckdose.“ Aus Sicht des Endver- DER HINTERGRUND
brauchers – privat wie kommerziell – ein zu Recht erhobe- In der Stromverteilung finden Energiekabel, die beispielsweise in
ner Anspruch. Um aber tatsächlich die Verfügbarkeit von Tunnelanlagen ober- oder unterirdisch oder am Meeresboden verlegt
elektrischer Energie rund um die Uhr sicherzustellen, müssen vor sind, breitere Anwendung. Das stromführende Kabel ist dabei von
allem Übertragungs- und Verteilungsnetze ausfallsicher ausgelegt einem Isoliermantel umgeben und aus mehreren Teilstücken zusam-
sein. Das Gründungsprojekt High Voltage Test Equipment (HVTE) mengesetzt. Nach der Verlegung muss die Qualität der Verlegearbeit
um DI Peter Mohaupt will mit seiner neuen Prüftechnologie weltweit oder bei bereits bestehenden Kabelsystemen deren Zustand überprüft
Netzbetreibern eine kostengünstigere Überwachung und Zustands- werden.
bewertung von Energiekabeln ermöglichen und so einen wesentli- Die zur Überwachung und Zustandsbewertung aktuell im Ein-
chen Beitrag zur Erhöhung der Versorgungssicherheit leisten. satz befindlichen Prüfsysteme sind groß und teuer. Das führt nicht
Die bereits patentierte Technologie erlaubt dank eines wesentlich selten zu äußerst schwierigen Prüfsituationen, die gegebenenfalls
einfacheren Handlings eine drastische Reduktion der Anschaffungs- Kompromisse erfordern. Ein Sicherheitsrisiko in der Versorgungs-
und Unterhaltskosten. DI Peter Mohaupt: „Wir wollen in einem äu- sicherheit!
ßerst interessanten Nischenmarkt derzeit ungenügend abgedeckte Die Finanzierung eines ersten Prototyps wurde durch das „Pre-
Marktsegmente, z.B. Kurzstrecken, besser erschließen. Zusätzlich Seed“ Förderprogramm der austria wirtschaftsservice (aws) und
sollen auch bis dato äußerst herausfordernde Prüfsituationen, wie Eigenmittel ermöglicht. CAST schließt die Liquiditätslücke zur An-
etwa die Prüfung von Seekabeln bei Off-Shore-Windparks, deutlich schlussfinanzierung und berät insbesondere in Fragen des Patentma-
vereinfacht werden. nagements. cast

zukunft forschung 0209 45


GRÜNDUNGEN

GET YOUR
KOMMENTAR

DAS UNGELIEBTE
KIND BUSINESS STARTED!
I
n wirtschaftlich schweren Zeiten wird Der internationale Businessplan-Wettbewerb „Best of
überall gespart. Auch die öffentliche
Hand hat in den letzten Monaten ver-
Biotech“ steht in den Startlöchern.
stärkt Einsparungen in vielen Bereichen

B
vorgenommen. Naturgemäß gibt es derer ereits zum fünften Mal startet im
solche, in denen mehr gespart wird und Februar 2010 der internationale
jene, die kaum eine Kürzung erfahren. Der Businessplan-Wettbewerb „Best of
gesamte Bereich Technologie und Innovation Biotech“ (www.bestofbiotech.at). Gesucht
ist einer, in dem extreme Einschnitte vonsei- werden innovative Geschäftsideen aus
ten der öffentlichen Hand eingetreten sind. dem Life-Science-Bereich. ForscherInnen,
Obwohl nahezu jeder Politiker in Sonn- Studierende und kreative Innovations-
tagsreden das Thema Innovation und For- träger, die aus ihren vielversprechenden
schung gern aufgreift und viele Ankündi- Ideen ein Unternehmen machen möchten,
gungen erfolgen, schaut die Realität leider sind eingeladen, diese zu einem vollstän-
gegenteilig aus. Egal ob man die öffentlichen digen Businessplan auszubauen.
Finanzmittel für Schutzrechtssicherungen Der Wettbewerb läuft in zwei Phasen ab.
oder Technologiegründungen und -transfer In der ersten Phase (Februar bis April 2010)
betrachtet, überall wurden teilweise emp- können Kurzkonzepte eingereicht werden.
findliche Kürzungen vorgenommen. Dies In der anschließenden zweiten Phase (Mai
ist aber auch deshalb so dramatisch, weil bis Oktober 2010) werden diese zu einem
schon bisher nur weniger als ein Prozent der vollständigen Businessplan ausgebaut. Be-
Forschungsmittel für Forschungsverwertung gleitet wird die zweite Phase von speziel-
ausgegeben wurde. Diese Strategie ist leider len Workshops und intensivem Coaching.
aus zwei Blickwinkeln als äußerst negativ Die Gewinner können sich auf Preisgelder
zu bewerten. Natürlich können öffentliche in Höhe von 44.500 Euro freuen.
Forschungseinrichtungen ohne Geld ihren CAST, als Partner von Best of Biotech, Gesucht werden innovative Geschäfts-
Auftrag nach Verwertung von Forschungs- ist Ansprechpartner für Einreichungen ideen aus dem Life Science Bereich.
ergebnissen nicht ausreichend nachkommen. aus Tirol und bietet beratende Begleitung
Dadurch entgehen unserer Volkswirtschaft sowie Coaching für alle BOB Teilnehmer- ges Sprungbrett auf dem Weg von der
neue Impulse und Innovationen, die direkt Innen. Des Weiteren wird CAST in der Wissenschaft in die Wirtschaft etabliert.
von unserer Forschung generiert werden. zweiten Phase begleitende Workshops Getragen wird der Wettbewerb vom Bun-
Zudem wird auch die immer wieder gefor- anbieten, welche die Themen Gewerb- desministerium für Wirtschaft, Familie
derte nähere Anbindung der Forschung an liche Schutzrechte, Marktrecherche und und Jugend im Rahmen des Schwer-
die Wirtschaft weiter untergraben, was in Wettbewerbsanalyse, Strategiefindung, punktprogramms Life Science Austria
Folge zu einer großen Diskussion im Bereich Finanzierung und Finanzplanung behan- (LISA) der austria wirtschaftsservice
der Forschungspolitik führen wird. delt. Best of Biotech hat sich als wichti- (aws). bw/cast
Österreich und Tirol sind aufgerufen, eine
mittel- bis langfristige Forschungspolitik zu
implementieren, bei der auch der Bereich ADVENTURE X
Forschungsverwertung eine entscheidende Es kann wieder eingereicht werden – beim
Rolle spielt, weil gerade dadurch der Innova- Businessplan-Wettbewerb der Tiroler
tionskreislauf angestoßen wird und damit ein Zukunftsstiftung und CAST. Der Bewerb
wirtschaftlicher Nutzen für unseren Standort gliedert sich in drei Phasen, ein Einstieg
generiert werden kann. Wenn wir diesen Weg ist jederzeit möglich. Erfahrene Praktiker
nicht gehen, sondern weiter hoffen, dass „eh unterstützen angehende Jungunternehmer
Fotos: CAST (1), Friedle (1)

alles nicht so schlimm ist“, wird dies inner- an kostenlosen Coachingabenden und
halb der nächsten fünf Jahre zu einem deut- Seminarwochenenden bei der Erstellung
lichen Einbruch der österreichischen Wettbe- ihres Businessplans. Infos und Anmeldung
werbsfähigkeit führen. mac unter: www.adventurex.info

46 zukunft forschung 0209


PREISE & AUSZEICHNUNGEN

EXOTISCHE
QUANTENGASE
Die gebürtige Italienerin und Quantenphysikerin Francesca
Ferlaino erhielt in diesem Jahr einen der begehrten START-Preise.

Q uantengase haben außergewöhnliche


Eigenschaften und bieten ideale Mög-
lichkeiten, um grundlegende Fragen
der Physik im Detail zu studieren. Experimental-
komplexen Wechselwirkungseigenschaften stark
korrelierter Systeme ermöglichen und bietet vor
allem neue Ansatzpunkte für die Untersuchung
des Quantenmagnetismus.“ Die Universität Inns-
physiker schätzen sie insbesondere als Modell- bruck unterstreicht einmal mehr ihre führende
systeme für die Untersuchung der Eigenschaften Rolle als Forschungsuniversität in Österreich. Wie
von Festkörpern. Seit 1995 die ersten Bose-Ein- in den vergangenen Jahren kommt auch heuer ei-
stein-Kondensate erzeugt wurden, hat sich die- ne START-Preisträgerin aus ihren Reihen: Frances-
ses Forschungsfeld enorm ausgeweitet und heute ca Ferlaino forscht seit 2006 in der Arbeitsgruppe
werden verschiedenste Atomsorten experimentell um Wittgenstein-Preisträger Rudolf Grimm am
untersucht. Institut für Experimentalphysik. cf

QUANTENMAGNETISMUS
Francesca Ferlaino wird in dem mit knapp 1,2 Mil- FRANCESCA FERLAINO
lionen Euro dotierten START-Projekt ein neues, 1977 geb. in Neapel
exotisches Element für Experimente mit quanten- 1996–2000 Diplomstudium Physik, Universität Federico II, Neapel
entarteten Gasen und stark korrelierten Systemen 1999–2000 Masterarbeit, International School for Advanced Studies, Triest
verwenden: Erbium, ein sehr seltenes und bisher 2001–2004 Doktoratsstudium Physik, Universität Florenz und
wenig beachtetes Metall. „Es ist ein vielverspre- European Laboratory for Non-Linear Spectroscopy (LENS)
chender Kandidat für die geplanten Experimen- 2004–2006 Postdoc, LENS, Florenz
Foto: Uni Innsbruck (1)

te, weil es vergleichsweise schwer ist und einen 2006–2007 Gastwissenschaftlerin, Inst. f. Experimentalphysik, Universität Innsbruck
stark magnetischen Charakter besitzt“, sagt Fer- 2007–2009 Lise-Meitner-Stipendiatin (FWF), Inst. f. Experimentalphysik, Innsbruck
laino. „Erbium wird uns neue Einblicke in die ab 2009 Associate Researcher, Inst. f. Experimentalphysik, Innsbruck

zukunft forschung 0209 47


PREISE & AUSZEICHNUNGEN

TECHNOLOGIE
QUANTENINFORMATION
Mitte November erhiel-

SPRUNG
ten Rainer Blatt und
Ignacio Cirac für ihre
Arbeiten zu Quanten-
kommunikation und
-computer in Oberko- Laura-Bassi-Exzellenzzentrum für die
chen, Deutschland, den
Forschungsgruppe „Quality Engineering“ um die
Carl-Zeiss-Forschungs-
preis 2009. Dieser Informatikerin Ruth Breu.
1988 von der Carl-Zeiss-Stiftung ins Leben geru-
fene Preis wird alle zwei Jahre für herausragende

D
Leistungen in der internationalen Optikforschung ie verteilte elektronische
vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert. Gesundheitsakte oder
neue Formen des Ver-
kehrsmanagements, bei dem ein-
UMWELTTECHNIKER zelne Fahrzeuge miteinander kom-
munizieren, sind derzeit noch Zu-
ERFOLGREICH kunftsmusik. „Wir stehen aber vor
einem neuen Technologiesprung,
den man mit dem der Einführung
des Internets vergleichen könnte“,
sagt Prof. Ruth Breu, die eines von
acht in diesem Jahr in Österreich
eingerichteten Laura-Bassi-Exzel-
lenzzentren leitet.
„Mit der Einführung serviceo-
rientierter Systeme werden solche
Im September wurde DI Robert Sitzenfrei vom Anwendungen in Zukunft möglich
Arbeitsbereich für Umwelttechnik der Fakultät sein.“ Weil dabei möglicherweise
für Bauingenieurwissenschaften in Japan als kritische Daten ausgetauscht wer-
Nachwuchswissenschaftler ausgezeichnet. Bei den, steigen die Qualitätsanforde-
einer internationalen Konferenz zur numerischen rungen an die IT-Systeme drastisch,
Modellierung im Bereich der Siedlungsentwäs- insbesondere hinsichtlich der Sicherheit und Zuverlässigkeit. Gemeinsam mit
serung war das Team um Leiter Prof. Wolfgang Industriepartnern will das neue vom Wirtschaftsministerium geförderte Exzel-
Rauch mit insgesamt zehn Präsentationen beson- lenzzentrum innovative Methoden und Werkzeuge für die Qualitätssicherung
ders stark vertreten. serviceorientierter IT-Systeme entwickeln.

WEIBLICHE VORBILDER
PRIZE FÜR TROI Das Forschungsförderungsprogramm Laura Bassi bemüht sich um die Schaffung
weiblicher Vorbilder in technologieintensiven Bereichen und will Impulse für die
Die Architektin Valen- Umsetzung von Management- und Teamentwicklungszielen an der Schnittstelle
tine Troi hat neue, von Industrie und Wissenschaft geben. Ruth Breu konnte sich mit ihrem Team
textile Verarbeitungs- im Wettbewerb um diese Förderungen zur Stärkung von Frauen in Forschungs-
(1), Privat (3), Friedle (1), Lackner (1), Uni Innsbruck (2)

methoden für faser- einrichtungen erfolgreich durchsetzen. Die Mutter von drei Kindern ist seit 2002
verstärkten Kunststoff Professorin am Institut für Informatik und war wesentlich am Aufbau dieses
entwickelt. Dieser neuen Fachbereichs beteiligt. Das Institut für Informatik fungiert nicht nur als
Hightech-Baustoff zentraler Ausbilder in Informationstechnologien, sondern hat sich auch als In-
eröffnet der Architektur novationsmotor und Partner der lokalen IT-Industrie etabliert. Mit dem neuen
neue Möglichkeiten in Exzellenzzentrum sollen die internationale Sichtbarkeit und das wirtschaftliche
xxxxxxxxxxxxxxx

der Umsetzung unge- Potential des Instituts für Informatik weiter vergrößert werden.
wöhnlicher Formen. Nun erhielt Troi im Rahmen „Für das Laura-Bassi-Exzellenzzentrum habe ich mir auch zum Ziel gesetzt,
des Programms PRIZE für die Entwicklung von dazu beizutragen, das Bild der Informatikerin und des Informatikers in der Ge-
Ritsch

Prototypen vom Austria Wirtschaftsservice über sellschaft vom einsamen Hacker zum kommunikationsorientierten Teamarbeiter
Fotos:
Fotos:

100.000 Euro Förderung. zu verändern“, erklärt Breu. sr

48 zukunft forschung 0209


PREISE & AUSZEICHNUNGEN

TIROL EHRT ÖKONOMEN


Der Ökonom Matthias
Sutter erhielt im Dezem-
ber den mit 14.000
Euro dotierten Wissen-
schaftspreis des Landes
Tirol. Sutter befasst sich
vor allem mit experi-
menteller Wirtschaftsfor-
schung, Wirtschaftspsy-
chologie und Spieltheorie. Die Wirtschaftszeitung
„Handelsblatt“ reihte ihn an vierter Stelle der
besten Nachwuchsökonomen im deutschsprachi-
gen Raum. Sutter studierte in Innsbruck Theologie
und Volkswirtschaftslehre und lehrt seit 2006 als
Professor am Institut für Finanzwissenschaft.

LOKAL, GLOBAL BOLTZMANN-PREIS

Als erster Europäer wird Thomas Mölg bei der


Jahrestagung der American Geophysical Union
zum besten Nachwuchswissenschaftler in der
Klimaforschung gekürt.

D
iese Auszeichnung durch die einflussreichste internationale Fachgesell-
schaft ist eine besondere Ehre für einen österreichischen Wissenschaftler“, Die Österreichische Physikalische Gesellschaft hat
sagt Thomas Mölg, der im Dezember in San Francisco den „2009 AGU heuer ihre wichtigste Auszeichnung, den Ludwig-
Cryosphere Young Investigator Award“ erhält. Der Tiroler Forscher wird für seine Boltzmann-Preis, an den Innsbrucker Theoretiker
Beiträge zur Erforschung des Energiehaushalts von Gletschern und deren Wech- Andrew Daley verliehen. Er beschäftigt sich unter
selwirkung mit dem Klima ausgezeichnet. „In meinen Forschungen versuche ich, anderem mit der Frage, wie kalte Atome in opti-
lokale Messdaten von tropischen Gletschern mit der großräumigen Klimadynamik schen Gittern für den Bau von Quantencomputern
in einen Zusammenhang zu bringen“, erklärt Mölg. Diesen einzigartigen Ansatz und Quantensimulatoren verwendet werden kön-
hat er in der Forschungsgruppe um Prof. Georg Kaser vom Institut für Geografie nen. Der gebürtige Neuseeländer ist seit 2002 in
und in Kooperation mit Kollegen am Institut für Meteorologie der Uni Innsbruck in der Forschungsgruppe um Prof. Peter Zoller tätig.
den letzten Jahren mitentwickelt. Die enge Verbindung von Glaziologie und Atmos-
phärenwissenschaften ermöglicht einen breiteren Blick auf den Zusammenhang
zwischen dem Klimawandel und den Veränderungen von Gletschern. L’ORÉAL STIPENDIUM
SCHLÜSSEL IM KLIMASYSTEM Michaela Aigner aus der Forschungsgruppe
Ausgehend von lokalen Messungen analysieren die Forscher mit aufwendigen um Ronald Micura erhielt Mitte November ein
Wetter- und Klimamodellen die klimatischen Zusammenhänge auf lokaler, re- mit 15.000 Euro dotiertes L’Oréal Österreich
gionaler und globaler Ebene. So konnten Mölg und seine Kollegen zum Beispiel Stipendium. Ihr Ziel ist es, mit Hilfe einer durch
zeigen, dass der seit über 100 Jahren anhaltende Rückzug der Gletscher am Kili- eine Azidgruppe
mandscharo vor allem mit einem Rückgang der Niederschläge und weniger mit veränderten RNA neue
einer Temperaturzunahme am Gipfel des Berges zusammenhängt. „Die Verhält- Möglichkeiten dafür zu
nisse im Indischen Ozean haben einen großen Einfluss auf das Klima in Ostafrika. schaffen, die Interakti-
Bringen die Luftmassen weniger Feuchtigkeit ins Hinterland, wirkt sich das über on von Nukleinsäuren
Wolken- und Niederschlagsbildung stark auf die Massenbilanz der Gletscher am untereinander sowie
Kilimandscharo aus. Wir haben an diesen Gletschern einen Schlüssel im Klima- von Nukleinsäuren mit
system identifiziert, mit dessen Hilfe wir verstehen, wie die globale Erwärmung Proteinen untersuchen
zur Verschiebung von Niederschlagszonen in den Tropen führt“, so Mölg. cf zu können.

zukunft forschung 0209 49


SPRUNGBRETT INNSBRUCK

ZWISCHEN
CHEMIE UND BIOLOGIE
Als erfolgreiche Nachwuchswissenschaftlerin wechselte die Chemikerin Kathrin
Lang vor einem halben Jahr an die traditionsreiche University of Cambridge in
Großbritannien. Dem Leiter ihrer neuen Forschungsgruppe wurde in diesem Jahr
der Chemie-Nobelpreis zuerkannt.

B
ei der Wahl ihres neuen Arbeitsplat- ten Riboschalter eingesetzt werden können.
zes bewies die gebürtige Südtirole- Riboschalter sind RNA-Moleküle, die an der
rin Kathrin Lang ein gutes Händ- zentralen Steuerung von Lebensvorgängen
chen: Im Vorjahr hatte sie sich um eine Stel- beteiligt sind. Weil sie bei Bakterien beson-
le beim amerikanischen Strukturbiologen ders weit verbreitet sind, gelten sie als An-
Venki Ramakrishnan am Medical Research griffspunkte für neue Antibiotika und ste-
Council – Laboratory of Molecular Biology hen zunehmend im Mittelpunkt des wissen-
in Cambridge beworben. Der war von ih- schaftlichen Interesses. Mit ihrem Wechsel
ren bisherigen Leistungen sehr angetan und nach Cambridge stößt die Chemikerin nun
nahm sie in sein Team auf. Seit April dieses in die Strukturbiologie vor. „Es ist nicht
Jahres forscht Lang als Postdoc in der For- immer leicht, sich in ein neues Gebiet hin-
schungsgruppe des frischgebackenen Che- einzudenken, auch ist hier die Arbeitsweise
mie-Nobelpreisträgers. „Mit dem Wechsel ganz anders als ich es von der Chemie her
nach Cambridge habe ich mich in ein für gewohnt bin“, erklärt Lang. „Ich bin aber
mich ganz neues und sehr kompetitives Ar- trotzdem überzeugt, dass es die Mühe wert
beitsgebiet vorgewagt“, sagt Kathrin Lang, ist, denn gerade die Grenzgebiete zwischen
die sich während ihres Chemiestudiums Chemie und Biologie sind meiner Meinung
an der Universität Innsbruck auf die bioor- nach extrem fruchtbar.“ Die Chemie sei eine
ganische Chemie spezialisiert hatte. In der sehr breit gefächerte Disziplin mit Verbin-
Gruppe um den RNA-Spezialisten Ronald dungen zur Biologie, Physik, Mathematik
Micura hatte sie sich mit der Erzeugung und Informatik. „Jeder findet die Sparte,
chemisch modifizierter Ribonukleinsäuren die ihn am meisten interessiert und ihm am
beschäftigt, die unter anderem als Werkzeug besten liegt“, sagt Lang.
zur Untersuchung der erst kürzlich entdeck-
EIGENE ARBEITSGRUPPE
Auf ihre Studienzeit in Innsbruck blickt
Kathrin Lang gerne zurück: „Ich würde auf
ZUR PERSON
jeden Fall wieder in Innsbruck Chemie stu-
Kathrin Lang wurde 1979 in Bozen geboren dieren“, sagt sie. „Durch die vielen Praktika
und hat zunächst an der TU München Techni- ist es zwar ein zeitaufwändiges Studium,
sche Mathematik studiert. Nachdem ihr die aber die Qualität der angebotenen Vorlesun-
Mathematik aber zu trocken war, begann gen, Praktika und Seminare ist sehr hoch.
sie 1999 das Studium der Chemie an der Man wird mit dem richtigen akademischen
Universität Innsbruck. Hier schloss sie sowohl Rüst- und Handwerkszeug ausgestattet. Das
das Diplomstudium (2004) als auch das Dok- Studium ist zudem sehr persönlich, man hat
toratsstudium (2008) mit Auszeichnung ab. in nahezu jeder Lehrveranstaltung persön-
Für ihre guten Leistungen wurde Lang unter lichen Kontakt mit den Lehrenden.“ In Zu-
anderem bereits mit dem Karl Schlögl Preis kunft will die Chemikerin auf jeden Fall in
(2009) und dem Dr. Christine und Georg der Forschung bleiben und vielleicht einmal
Foto: privat

Sosnovsky Preis (2009) ausgezeichnet. eine eigene Arbeitsgruppe leiten. cf

50 zukunft forschung 0209

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