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Lexikon

der Geschichte
Lexikon
der Geschichte

Voltmedia
ISBN 3-938478-32-2

© 2005 Voltmedia GmbH, Paderborn

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Gesamtherstellung: GGPMedia GmbH, Pößneck


Redaktionsleitung: Kay Szantyr
Einbandgestaltung: Oliver Wirth, Bonn
Satz und Layout: Wissen digital GmbH, München
Vorwort

„Der schönste, reichste, beste und wahrste Roman, den ich je gelesen, ist die Geschichte.“
(Jean Paul, 1763-1825)

Die Geschichte der Welt und der Völker in ihr ist tatsächlich ein unterhaltsamer
und farbiger Roman – doch wie jeder Roman besitzt auch die Weltgeschichte
zahlreiche Interpretationsvarianten, von denen keine als die einzig wahre erkannt
werden kann. Aus diesem Grund existieren sie weiterhin alle nebeneinander: die
historische Auslegung, die in jedem Ereignis einen nie wiederkehrenden Einzel-
fall sieht; die soziologische Deutung, die sich um die Erkenntnis von Mustern
und Strukturen in der Geschichte bemüht, auf deren Basis Prognosen möglich
werden; oder auch die anthropozentrische Interpretation, die großen geschicht-
lichen Wandel an der Existenz außergewöhnlicher Politiker, Heerführer oder De-
magogen festmacht.
Die Basis aller Deutungsvarianten aber sind unverrückbare Fakten und Daten,
die durch jahrhundertelange historische Forschung verifiziert werden konnten.
Ihre Quellen reichen von vorzeitlichen Versteinerungen und Spuren, die auf
Völkerwanderungen hindeuten, bis zu den akribischen, wenngleich nicht immer
historisch korrekten Geschichtsschreibungen der alten Griechen und Römer. Sy-
stematische Geschichtsschreibung wurde erst in jüngerer Zeit betrieben. Aber
auch in den letzten Jahrhunderten verzerrten oft ideologische Ziele und religiöse
Ansichten die Darstellungen. Nur mit Mühe konnte die historische Wissenschaft
Wahrheit und Legenden trennen und eine (weitgehend) objektive Geschichte der
Menschheit niederschreiben.
Aufgrund des enormen Wissens, das sich inzwischen erschlossen hat, wird aber
auch der Überblick zunehmend erschwert. Kein Mensch ist mehr in der Lage, die
Unmenge an Fakten zu kennen, die heute „Geschichte“ sind. Gleichzeitig aber ist
das Wissen um die Geschichte zentral, will man die Welt in ihrer heutigen Form
verstehen – denn das Heute ist lediglich das Ergebnis des Gestern.
Das vorliegende Lexikon gewährt in prägnanter Kürze einen Zugang zu den
einzelnen Personen und Ereignissen der Weltgeschichte und damit zu den Hin-
tergründen der Gegenwart. Denn, wie schon Gotthold Ephraim Lessing (1729-
1781) feststellte:

„Die Geschichte soll nicht das Gedächtnis beschweren, sondern den Verstand
erleuchten.“


Aufbau und Abkürzungen des Lexikons der Geschichte

Die einzelnen Artikel sind in alphabetischer Ordnung aufgeführt. Dabei


wurde jeweils die in Deutschland übliche Schreibweise berücksichtigt (d. h.
Cäsar statt des im Lateinischen ursprünglich geschriebenen Caesar); existie-
ren mehrere gängige Versionen, wurde die üblichste gewählt, während die
anderen Varianten mit einem Blankverweis gelistet werden (z. B. Kapetinger,
↑ Capetinger).
Die Geburts- und Sterbedaten von Herrschern werden ohne Klammern, die
Daten ihrer Herrschaft mit Klammern genannt.
Neben den im Deutschen üblichen Abkürzungen, darunter der Adjektiv­
endungen auf -isch (.) bzw. -lich (l.) wurden folgende verwendet:

Abk.= Abkürzung
ahdt. = althochdeutsch ital. = italienisch
allg. = allgemein jap. = japanisch
amerik. = amerikanisch Jh. = Jahrhundert
A. T. = Altes Testament Jt. = Jahrtausend
bes. = besonders kath. = katholisch
Bez. = Bezeichnung lat. = lateinisch
bez. = bezeichnet MA = Mittelalter
chin. = chinesisch mhdt. = mittelhochdeutsch
christl. = christlich Mio. = Millionen
d. Ä. = der Ältere Mrd. = Milliarden
Dep. = Departement N = Norden
d. Gr. = der Große nat.-soz. = nationalsozialistisch
d. J. = der Jüngere ndt. = neudeutsch
dt. = deutsch niederl. = niederländisch
eigtl. = eigentlich N. T. = Neues Testament
europ. = europäisch O = Osten
ev. = evangelisch österr. = österreichisch
frz. = französisch portug. = portugiesisch
geb. = geboren Prof. = Professor
gegr. = gegründet S = Süden
gen. = genannt sog. = so genannte
geogr. = geografisch urspr. = ursprünglich
gest. = gestorben vgl. = vergleiche
hebr. = hebräisch W = Westen
hl. = heilig wirtsch. = wirtschaftlich
hrsg. = herausgegeben wiss. = wissenschaftlich
insbes. = insbesondere zus. = zusammen
insges. = insgesamt zw. = zwischen
internat. = international z. Z. = zur Zeit


AZ
Aachen

Aachen (lat. Aquae grani, mit- Karls d. Gr., kostbarer Münsterschatz, be-

A tellat. Aquisgranum; Grannus


vermutlich keltischer Gott),
Stadt in Nordrhein-Westfalen,
im 1. Jh. n. Chr. von den Römern ­ wegen
rühmter Karlsschrein, in den 1215 die ur-
sprüngl. in antikem Sarkophag beigesetz-
ten Gebeine Karls umgebettet wurden.
Aargau, Kanton der Schweiz, in der Rö-
seiner Thermen (heiße Quellen, ­Heilbäder) merzeit bekannt durch das Legionslager
aufgesucht, seit Pippin (751–768) Königs- Vindonissa (bei Windfisch) und die Ther-
hof; seit 794 fast ständige Residenz Karls men Aquae Helveticae (Baden); im MA
d. Gr., der vor der Pfalz das aus Ravenna Stammland der Grafen von Habsburg,
herbeigeschaffte eherne Reiter­standbild 1415 bis 1418 von den Eidgenossen er­
Theoderichs d. Gr. aufstellen ließ; Mittel­ obert, von Kaiser Friedrich III. vorüberge­
punkt der ↑ Karolingischen Renaissance, hend zurückgewonnen, 1474 für Habs-
Hofakademie von Dichtern und Gelehr­ten; burg endgültig verloren. 1798 (Einfall der
812 Vertrag von A.: Ost­rom aner­kannte frz. Revolutionsarmee) Kanton der Helve-
die Kaiserwürde Karls d. Gr.; 813–1531 tischen Republik. 1803 vereinigt mit dem
Krönungsort für 37 dt. Könige: Stätte von Kanton Baden zum Kanton Aargau mit
17 Reichstagen und 11 Synoden; unter den Aarau als Hauptstadt.
Staufern Reichsstadt („Aache­ner Reich“); Abälard, Peter (Pierre Abelard, Petrus
1656 durch Brand teilweise zerstört, 1793 Abaelardus), Scholastiker, 1079–1142;
von den frz. Revolutionstruppen besetzt. spielte eine Mittlerrolle im Universali-
Durch den Frieden von ↑ Lune­ville gehörte enstreit. Von seiner tragischen Liebe zu He­
A. 1801–1813 zu Frankreich als Haupt- loise zeugt ein Briefwechsel, der vermut-
stadt des Departments Roer; 1815 an Preu- lich erst später von A. erdichtet wurde.
ßen, im 2. Weltkrieg 1944 heiß umkämpft, Abbasiden, islamische Kalifendynas­tie
zur Hälfte zerstört, am 21. 10. 1944 von 749–1258; von Abbas, dem Oheim Mo-
alliierten Truppen besetzt. 1802–1821 hammeds abstammend, stürzten im Bunde
(durch Napoleon) und ab 1930 Bischofs- mit der pers. Opposition die ↑ Omaija­
sitz. Jährliche Verleihung des A.er Karls- den: Abul Abbas, der „Blutvergießer“
preises für besondere Verdienste um die (750–754), besiegte 750 am Zab den Ka-
europ. Einigung. lifen ↑ Merwan II. und bestieg nach der
Aachener Friede, beendete 1668 den Ausrottung des Geschlechtes der Omaija-
↑ Devolutionskrieg Ludwigs XIV., der A. F. den (nur ↑ Abd Ar Rahman konnte nach
von 1748 den ↑ Österr. Erbfolgekrieg. Spanien entkommen) den Thron. Der
Aachener Kongress, 1818. Frankreich er- Sieg der A. bedeutete das Zurückdrängen,
reichte hier von den übrigen ­Großmächten nicht jedoch die Ausschaltung der Araber;
(Preußen, Österreich, Russland und Eng- durch Gleichberechtigung der sich zum
land) den Rückzug der ­Besatzungstruppen Islam bekennenden Perser mit den Ara-
von frz. Boden sowie eine Herabsetzung bern, überwiegend pers. Beamtenaris­to­
französischen Kriegsentschädigung von kratie und Anknüpfung an altpers. Hof-
700 auf 265 Mio. zeremoniell wurde die Entwicklung einer
Aachener Münster, Kern des Baus die übernationalen islam. Kultur angebahnt.
im byzantininischen Stil gehaltene Pfalz- Al Mansur (754–775) errichtete am West­
kapelle ↑ Karls d. Gr., 804 von Meister ufer des Tigris die prunkvolle Residenz
Odo von Metz (?) vollendet, von Papst Bagdad (763). Glanzzeit unter ↑ Harun
Leo III. 805 geweiht, gotischer Chor aus Ar Raschid (786–809), Blüte der Litera-
dem 14. Jh., später Anbau weiterer Kapel- tur. Unter Al Mamun (813–833) Über-
len. Marmorner Kaiserstuhl aus der Zeit nahme griech. Wissenschaft: Philosophie,


Abbe

Mathematik, Astronomie, Medizin. Seit Abd Ar Rahman, Gründer des omaijad. Ka-
Mitte des 10. Jh. Verfall des Kalifats: Ab- lifats in Cordoba, regierte 756–788.
hängigkeit der Kalifen von wechselnden Abd El Kader, arab. Emir, 1807–1883;
Machthabern, Sektenwesen; die Bujiden Führer der aufständischen Stämme Alge-
wurden die weltlichen Machthaber. 1037 riens gegen die Franzosen; 1847 zur Über-
befreite der Seldschuk Togrulbeg das Kali- gabe gezwungen.
fat von dieser Herrschaft, um sie auf seine Abd El Krim, Führer der Rifkabylen,
Familie zu übertragen. 1258 wurde Bag- 1882–1963; Vorkämpfer für die Freiheit
dad das Opfer des Mongoleneinmarsches Marokkos gegen Frankreich und Spanien
unter Hulagu, dem Neffen des Dschingis (1920–1926), in frz. Gefangenschaft, 1947
Khan. Damit ging das 500-jährige islam. nach Ägypten geflohen, führend in der Be-
Weltreich der A. zu Ende. freiungsaktion Nordafrikas tätig.
Abbe, Ernst, dt. Optiker, 1840–1905; seit Abdera, im 7. Jh. v. Chr. gegr. ionische
1866 in den Jenaer Zeisswerken, schuf Ackerbaukolonie an der thrakischen Küste,
wiss. Grundlagen für die Errechnung und ­vorübergehend an thrak. Stämme verloren
Herstellung von Mikroskopen; begrün- gegangen, um 550 von Kolonisten aus dem
dete Carl-Zeiss-Stiftung mit moderner Ar- ion. Theos besetzt, Mitglied des 2. Attischen
beiterfürsorge und Achtstundentag. Seebundes, um 350 makedon., in der Rö-
Abbevillien, Kulturstufe des ↑ Paläolithi- merzeit freie Stadt. Die Abderiten galten als
kums, benannt nach dem Ort Abbeville die „Schildbürger des Altertums“.
im frz. Dep. Somme von dem dort ­tätigen Abdul Rahman, malays. ­ Politiker, 1903–
Prähistoriker J. Boucher de Crevecœur de 1990; Vorkämpfer der Unabhängigkeitsbe­
Perthes, früheste Faustkeilkultur. Die hand- wegung, 1957 erster ­Premierminister und
tellergroßen Keile waren an beiden Seiten Außenminister des Malaiischen Bundes.
roh behauen, die abgeschlagenen Splitter 1963–1970 Premierminister des neugebil­
als Kratzer genutzt; das A. ist verbreitet in deten Staates ↑ Malaysia. 1970–1972 Ge­
W- und Mitteleuropa, Nahost, N-Afrika, neralsekretär der Islamischen Weltkon­fe­
Indien; um 500 000 v. Chr.: Zeit des Hei- renz.
delberger Menschen. Abendland oder Okzident, urspr. Bez. für
ABC-Staaten, Bez. für die Republiken Ar- ↑ Europa im Gegensatz zum (östl.) Mor-
gentinien, Brasilien und Chile, die 1899 genland oder Orient. In der röm. Kaiser-
nach einem Konflikt zw. Argentinien und zeit diente das Begriffspaar Okzident und
Chile einen Vertrag über die Beilegung von Orient zur geogr. Orientierung von Ita-
Streitigkeiten durch ein Schiedsgericht und lien aus. Erst seit der nach dem Tode Kai-
über gegenseitige Abrüstung schlossen. ser Theodosius’ (395 n. Chr.) vollzogenen
Abd Al Asis, Sultan der Osmanen, 1830– Teilung des röm. Weltreiches in ein westl.
1876; regierte seit 1861, versuchte ohne Reich mit Rom und ein östl. mit Byzanz
Erfolg, durch Reformen den Staat zu er- als Hauptstadt wurde der Gegensatz „Ok-
neuern, seine Misswirtschaft führte 1875 zident“ und „Orient“ allmählich zu einem
zum Staatsbankrott; wurde durch Volks- allgemein gültigen histor.-polit. Begriff.
aufstand gestürzt und ermordet. Mit der Ausbreitung des Islam im Mit-
Abd Al Hamid II., Sultan der Osmanen, telmeerraum und seit den kriegerischen
1842–1918; gen. der rote Sultan aufgrund Auseinandersetzungen mit den Arabern
seines blutigen Vorgehens gegenüber den entstand die Idee des christlichen Abend-
Armeniern; regierte seit 1876, proklamierte landes. Seit dem 11. Jh. trat der Gegensatz
eine Verfassung, regierte absolutistisch; auf zw. röm.-kath. und griech.-orthodoxer
Betreiben der Jungtürken 1909 abgesetzt. Kirche hervor, der später auch eine Rolle

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Abrüstungskonferenzen

bei der Entstehung des Gegensatzes zwi- für verwirkte Bußen Ersatz in Form von
schen Europa und Russland spielte. Auch Wallfahrt, Kreuzfahrt usw. oder Geldabga-
dem Vordringen der Türken in Südost- ben zu leisten. A. wurde auch gewährt für
europa seit dem 15. Jh. stellte sich das A. Bau von Kirchen, Hospitälern, Brücken,
als politisch-kulturelle Einheit gegenüber. Straßen. Bonifatius VIII. führte 1300 den
Geogr. niemals eindeutig umrissen, wurde Jubiläums-A. ein. Im 15./16. Jh. entartete
der Begriff schließlich geistesgeschichtlich das A.-Wesen, sodass im Volk die Meinung
und im Sinne einer europ. Kultureinheit entstand, man könne Sünden durch Geld
gefasst, die auf der Verschmelzung von abgelten. Der Missbrauch des A. wurde zu
Antike und Christentum beruht. einem der Anlässe der ↑ Reformation.
Abendmahl (Tisch des Herrn, Eucharistie, Abolitionisten (abgeleit. von lat. ­abolitio,
Kommunion oder Sakrament des Altars), Abschaffung), Anhänger einer philan­
beim letzten Mahl mit seinen Jüngern von throp. (menschenfreundlichen) Vereini-
Jesus Christus gestiftet, gilt allen christ- gung in den USA, die sich die Abschaf-
lichen Bekenntnissen (außer Quäkern) fung der ↑ Sklaverei zum Ziel setzte; im
als Sakrament. Der Abendmahl-Streit zw. 19. Jh. bezeichnete A. auch Vereinigungen
den Reformatoren Luther, Zwingli und zur Bekämpfung der Prostitution.
Calvin und der kath. Kirche bewegte die Abraham, Abram, nach dem A.T. der
Menschen des 16. und 17. Jh.; auch zw. 175 Jahre alt gewordene älteste Erzvater
Luther und Zwingli zeigten sich beim des jüd. Volkes; wanderte um 1800 v. Chr.
↑ Marburger Religionsgespräch unüber- aus Ur im sumer. Mesopotamien nach Pa-
brückbare Differenzen. Die kath. Kirche lästina aus und galt als Kultstifter (Ein-
sanktionierte im 4. Laterankonzil (1215) gottglaube); Grab angeblich in Hebron.
und auf dem Tridentiner Konzil (1545– Abraham a Sancta Clara, Klostername
1563) die Lehre von der Transsubstan- für Hans Ulrich Megerle, 1644–1709; seit
tiation (der Verwandlung von Brot und 1677 Hofprediger in Wien, volkstüml.
Wein in Fleisch und Blut Christi); Luther Kanzelredner während der 2. Türken-
lehrte, dass die Stoffe Brot und Wein blei- belagerung. Verfasser satirisch-pädagog.
ben, dass aber Christus in, mit und unter Schriften: „Judas der Erzschelm“, „Merk’s
den Abendmahls-Elementen gegenwärtig Wien“ (Schilderung der Pest von 1680).
ist; nach Zwingli sind Wein und Brot nur Abrüstungskonferenzen zur Friedens­
Symbole, nach Calvin ist Christus geistig sicherung und Verringerung der Rüstungs-
im Abendmahl gegenwärtig. lasten, vor dem 1. Weltkrieg ↑ Haager
Abessinien, ehem. Name von ↑ Äthiopien Konferenz; danach Bemühungen des Völ-
Ablass (lat. indulgentia), nach der Lehre kerbunds: 1926 Einsetzung einer vorberei-
der kath. Kirche der Erlass von zeitlichen tenden Kommission, ergebnislos bis 1930,
Sündenstrafen (nach Tilgung der Schuld) ebenso die A. in Genf 1932/33. 1947 Ein-
auf Grund von Buß- und Sühnetaten; seit setzung einer Abrüstungskommission der
dem 9. Jh. wurde die german. Rechtsauf- UNO; 1954 neue Abrüstungsvorschläge,
fassung der geldlichen Bußleistung (↑ Wer- die am west-östlichen Gegensatz schei-
geld) ins Kirchenrecht aufgenommen. Im terten, ebenso wie die Londoner A. 1957;
13. Jh. fand die Lehre vom „Schatz der in der Folge Pläne zu einer Luftinspektion,
überschüssigen guten Werke der Heiligen“ „verdünnten Zone“, dem Auseinander­
Eingang. Die wahre Reue des Sünders rücken der „Blöcke“ (Eisenhower-, Eden-,
blieb nach der Kirchenlehre Voraussetzung Rapacki-Plan u. a.); 1958/59 Genfer
für die Wirksamkeit des A. In der Zeit der Atom-A. (Einstellung der Atombomben-
Kreuzzüge (1100–1250) wurde es üblich, versuche, Kontrolle u. a.); 1959 Chrusch­

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Abs

tschow-Plan zur totalen Abrüstung; Ge- Gorbatschow (1985–91) Fortschritte auf


genpläne des Westens (zuverlässig kon- dem Gebiet der chemischen und konven-
trollierter Atomstopp als 1. Stufe einer all- tionellen Waffen; 1991 START-I-Vertrag
gemeinen Abrüstung). 1961 Abkommen (Strategic Arms Reduction Talks), sah eine
zw. den USA und der UdSSR über Prin- Verringerung der atomaren Gefechtsköpfe
zipien einer allgemeinen Abrüstung. 1963 auf jeweils 6 000 Stück bis 2001 vor, 1993
Atomteststoppabkommen (ohne Frank- Neufassung im START-II-Vertrag; außer-
reich und China). 1967 Abkommen über dem unterzeichneten rund 100 Staaten
friedliche Erforschung und Nutzung des eine „Internationale Konvention zum Ver-
Weltraums. 1968 ­Atomwaffensperrvertrag. bot und zur Zerstörung von Chemiewaf-
Schwergewichtsverlagerung auf Maßnah- fen“. 1995 unbefristete Verlängerung des
men der Rüstungskontrolle zwischen den Atomwaffensperrvertrages, Mai 2000 UN-
Weltmächten, seit 1970 SALT-(Strategie Konferenz über seine Umsetzung, die fünf
Arms Limitation Talks) Gespräche. 1972 Atommächte einigten sich auf eine völlige
SALT-I-Abkommen, sah die quantitative nukleare Abrüstung. Dez. 2001 einseitige
Begrenzung von Anti-Raketensystemen Aufkündigung des ABM-Vertrages durch
(ABM-Vertrag) und strategischen Angriffs­ die USA.
waffensystemen vor. Seit 1973 Verhand- Abs, Hermann Josef, dt. Finanzfachmann,
lungen in Wien über Reduzierung der 1901–1994; wurde 1938 Vorstandsmit-
Streitkräfte in Mitteleuro­pa (MBFR) zwi- glied der Dt. Bank, besaß bereits in der
schen NATO- und Warschauer-Pakt-Staa- nat.-soz. Zeit großen wirtsch. Einfluss
ten; zeitweise Stagnation v. a. nach dem (1942: Aufsichtsratsmandate in 42 Fir-
Einmarsch der Sowjetunion in Afgha­nistan men). Nach dem Krieg war er Finanzbera-
1979. Im Nov. 1981 Wiederaufnah­me, ter Adenauers, 1951–53 Leiter der dt. De-
Verhandlungen zwischen den USA und legation bei der Londoner Schuldenkon-
der Sowjetunion über die in Europa sta- ferenz, 1957–1967 Vorstandssprecher der
tionierten ­ Mittelstreckenwaffen. 1983 Dt. Bank, 1967–1976 deren Aufsichtsrats-
ohne Ergebnis von der UdSSR abgebro- vorsitzender.
chen, ebenso wie die seit 1982 paral­lel Absolutismus, Regierungsform, in der der
laufenden Verhandlungen über die Ver- Herrscher unbeschränkter Inhaber der ge-
minderung der Interkontinentalraketen setzgebenden und vollziehenden Gewalt
(START). 1984–86 Stockholmer Kon- ist (↑ Bodin: „Summa in cives ac subditos
ferenz über Vertrauensbildung und Ab- legibusque soluta potestas“ = höchste von
rüstung in Europa (KVAE). 1985 neue den Gesetzen entbundene Gewalt über
amerik.-sowjet. Gespräche in Genf über Bürger und Untertanen). Zu Beginn des
Nuklear- und Weltraumwaffen, beein- 17. Jh. in fast allen europ. Staaten begrün-
flusst vom amerik. SDI-Projekt (Abwehr- det, erreichte der A. in Frankreich unter
system gegen Raketenwaffen im Welt- Ludwig XIV. bis 1715 seinen Höhepunkt.
raum) und von dem sowjet. Vorschlag, Unter dem Einfluss der ↑ Aufklärung er-
bis zum Jahr 2000 alle Kernwaffen abzu- fuhr er eine Wandlung zum „aufgeklärten
bauen; ein erstes Abkommen über die Ver- A.“. Hervorragender Vertreter dieses A.
schrottung landgestützter Mittelstrecken- wurde Friedrich der Große, der als „ers­
waffen (Reichweite 150–5 500 km) wurde ter Diener des Staates“ den Grundsatz der
im Dez. 1987 geschlossen (INF-Abkom- Erhaltung und Steigerung der absoluten
men). 1989 Beginn einseitiger Truppenre- staatlichen Macht zu verknüpfen suchte
duzierungen der Sowjets in Mitteleuropa. mit der Sorge für das Glück der Unterta-
Im Zuge der Entspannungspolitik unter nen; er schützte u. a. die Bauern vor dem

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Achämeniden

Bauernlegen. Zeugnis für seine Toleranz ker, Schaffung eines „African Common-
war die Errichtung der kath. Hedwigs- wealth“, Unterstützung der noch nicht
kirche in Berlin (1747). Joseph II., ­österr. entkolonisierten Völker in ihrem Befrei-
Vertreter des aufgeklärten A., machte ungskampf.
sich verdient durch die Bauernbefreiung Achäer, indogerman., zunächst in Thessa-
(1781–1785) und Reformen auf sozialem lien (Achaier), dann in der Nordwestecke
Gebiet. Nach der Frz. Revolution wurde des Peloponnes ansässige Volksgruppe,
der A. zunehmend abgelöst vom moder- Träger der myken. Kultur, Sammelname
nen Verfassungsstaat. der ersten Stämme der Griechen. Bei
Abt (syrisch Abba = Vater), seit dem 5. Jh. Homer auch als Gesamtbezeichnung der
Titel des Klostervorstehers bei nicht zen- Griechen verwendet. Von den A. gingen
tralisierten Orden; außerhalb der Amts- bedeutende Staatsgründungen und Kolo-
gewalt des regionalen Bischofs direkt dem nisationen in der ägäischen Inselwelt und
Papst unterstehend; trägt bischöfliche In- an der kleinasiat. Küste aus.
signien (Mitra, Stab, Ring). Wahl erfolgt Achala (Ägialos), Landschaft des Pelo-
durch Klosterkonvent. ponnes; benannt nach der Volksgruppe
Abu Bekr, Schwiegervater und Nachfol- der ↑ Achäer, urspr. von Ioniern, dann
ger Mohammeds, 573–634; seit 632 erster von Achäern besiedelt. In röm. Zeit Teil
Kalif (↑ Kalifat). der Provinz Makedonien; heute mit Elis
Abukir, Ort an der ägypt. Küste; vor A. griech. Verwaltungsbezirk.
schlug Nelson 1798 die frz. Flotte vernich- Achäischer Bund (griech. Kolonie), einer
tend. Landschlachten bei A. zwischen Eng- der Bünde, die sich in der hellenistischen
ländern und Franzosen 1799 und 1801. Zeit, der Zeit eines letzten Ringens um
Abul Abbas, erster Kalif aus der Dynastie die Erhaltung staatlicher Existenz in Grie-
der ↑ Abbasiden, gest. 754. chenland bildeten. Wie der ↑ Ätolische, so
Abu Simbel, Tempelanlage („Großer“ richtete sich auch der um 280 v. Chr. von
und „Kleiner“ Tempel) am westl. Nilufer Achaia ausgehende Bund gegen den make-
in Oberägypten, erbaut unter Ramses II. don. König ↑ Antigonos Gonatas, gleich-
(1290–1223 v. Chr.). Da ihr Untergang im zeitig auch in scharfer Rivalität zu Sparta.
Assuan-Stausee drohte, wurden die Tem- Seiner Verfassung nach war der Bund, dem
pel 1964–68 in Blöcke zerlegt und auf hö- u. a. Sikyon (seit 251 v. Chr.) und Korinth
herem Gelände wieder aufgebaut. (seit 243) angehörten, mehr ein Bundes-
Abydos, 1) bedeutende Ruinenstätte in staat als ein Staatenbund. Als ↑ Makedo-
Oberägypten, Hauptverehrungsstätte des nien von Rom bereits niedergeworfen und
Osiris, mit Tempeln Sethos’ I. (1303– als Provinz dem römischen Imperium an-
1290 v. Chr.) und Königsgräbern der bei- gegliedert war, wagte der Bund einen Krieg
den ersten Dynastien (2900–2650 v. Chr.). mit Sparta, der Rom zum Eingreifen ver-
2) antike Stadt an der engsten Stelle des anlasste: Konsul ↑ Mummius eroberte Ko-
Hellespont, Übergang nach Kleinasien; rinth, den Hauptort des Bundes, zerstörte
Schauplatz der Hero-und-Leander-Sage; ihn und löste den Bund auf (146 v. Chr.).
thrak. Gründung, um 700 v. Chr. von Mi- Achämeniden, altpers. Dynastie, herrschte
let aus besiedelt, im 14. Jh. durch die Os- seit etwa 700 v. Chr., schüttelte 559 v. Chr.
manen zerstört. die Oberherrschaft der Meder ab (↑ Ky-
Academie française, ↑ Akademie. ros II. d. Gr.) und erhob Persien zum
Accra, Konferenz von, 1959; 62 Organisa- Weltreich; gestürzt von Alexander d. Gr.
tionen aus 28 afrikan. Ländern forderten 330 v. Chr. (einzelne Herrscher ↑ Kamby-
sofortige Souveränität der afrikan. Völ- ses, Darius, Xerxes, Artaxerxes).

13
Acheuléen

Acheuléen, benannt nach der Faustkeil- innerhalb des Gerichtsbezirks, nach Jahr
Fundstätte Saint-Acheul bei Amiens, die und Tag der Aberacht, der vollen Friedlo-
dem ↑ Abbevillien folgende Kulturstufe sigkeit im ganzen Reich. Gegen Verbrecher
der Altsteinzeit (Paläolithikum), fällt in wider König und Reich (Landfriedens-
die 2. Eiszeit, in die 2. Zwischeneiszeit und bruch) verhängten der König oder sein Ge-
die 3. Eiszeit. Verbreitung: Vorderasien, richt die Reichsacht. Die Vollstreckung der
Afrika, S-, W-, Mitteleuropa. Sammler Reichsacht gegen einen Landesherrn oder
und Jäger, Hordenbildung, Grabbeigaben, eine Reichsstadt wurde einem benachbar-
Tieropfer, Schmuck. Universalwerkzeug: ten Landesherrn übertragen.
gegenüber dem Abbevillien technisch her- Acta, bei den Römern alle amtlichen Pro-
vorragend gearbeitete Faustkeile, die als tokolle und Veröffentlichungen. Die A. di-
Messer, Sägen, Schaber, Kratzer und Boh- urna oder A. publica, von Cäsar begrün-
rer zugleich benutzt werden konnten. det, waren die offiziellen Tagesberichte der
Achse (Achse Berlin-Rom, ­Achsenmächte), Kaiserzeit, enthielten urspr. nur die Sit-
Bez. für das enge außenpolit. Verhältnis zungsberichte des Senats, entwickelten sich
zw. Deutschland und Italien nach Hitlers durch Einbeziehen von Familiennachrich-
Unterstützung der ital. Annexion Äthio­ ten usw. zu einer Art Zeitung. – A. Apo-
piens. Die A. wurde ideologisch ausge- stolicae Sedis, das Amtsblatt des Päpstl.
baut durch den Beitritt Italiens zum Anti­ Stuhles. – A. Eruditorum, die erste dt. Ge-
kominternpakt (1937) und militär.-öko- lehrtenzeitschrift, in lat. Sprache, nach frz.
nom. durch den Abschluss des Stahlpakts Vorbild (Journal des Savants), gegr. 1682
(1939). Der Begriff fand später Anwen- von dem Leipziger Professor Otto Men-
dung auf die Partner des Dreimächtepakts cke, 1782 eingegangen. – A. Martyrum,
(1940), Deutschland, Italien und Japan, Protokolle und Berichte über die Prozesse
sodass sogar von einer A. Berlin–Rom–To- und Hinrichtungen der christl. Märtyrer.
kio gesprochen wird. Für die mit Deutsch- – A. Sanctorum, Verzeichnis der Heiligen
land im 2. Weltkrieg verbündeten Staaten mit Lebensbeschreibung, Ausgabe und Be-
bürgerte sich die Bez. Achsenmächte ein. arbeitung der Quellenschriften, hrsg. von
Die A. fand ihr Ende mit dem ital. Son- den ↑ Bollandisten (67 Bde., 1643–1940).
derwaffenstillstand im Sept. 1943. Action Française, rechtsradikale Bewe-
Acht (mhdt. = Verfolgung, Fried- und gung in Frankreich; gegr. 1898. Die A. F.
Rechtlosigkeit). Nach altgermanischem und ihr geistiger Führer Charles ↑ Maur-
Recht galt jede Missetat als Friedensbruch, ras bekämpften die Republik, forderten
der Friedensbrecher wurde zum Feind, Revanche für 1870/71 und planten die
den der Verletzte und dessen Sippe oder Errichtung einer Erbmonarchie auf stän-
das Volk töten durften. Gegen den nicht discher Grundlage („integraler Nationalis-
gefassten Missetäter wurde vom Thing mus“). Parlamentarisch nicht organisiert,
die Acht verhängt, der Friedlose wurde blieb die A. F. nach dem 1. Weltkrieg polit.
dadurch aus der Friedens- und Rechtsge- ohne Einfluss, wirkte aber auf die intellek-
nossenschaft ausgestoßen, als „vogelfrei“ tuelle Jugend der Zwischenkriegszeit. Ihre
konnte er getötet werden. Wer ihm Schutz Verherrlichung der Gewalt, die antisemit.
gewährte, verfiel unter Umständen selbst Kampfparolen und ihre Lehre vom absolu-
der Acht. In der fränk. Zeit Milderung der ten Primat der Politik brachten sie in Kon-
Acht, die durch ↑ Wergeld gesühnt werden frontation zur Kirche (1926 vom Papst
konnte. Im MA war die Acht prozessuales verurteilt) und machten sie zum Wegbe-
Zwangsmittel; der Verbrecher, der sich reiter des frz. ↑ Faschismus. Trotz unver-
dem Gericht nicht stellte, verfiel der Acht minderter Deutschfeindlichkeit wendeten

14
Adel

sich die Anhänger der A. F. 1939 vehe- Adams, 1) A., John, amerik. Staatsmann,
ment gegen einen Krieg mit Deutschland 1735–1826; Vorkämpfer der Unabhän-
und unterstützten nach der frz. Niederlage gigkeit Nordamerikas, Gefährte Washing-
1940 die Regierung ↑ Petain. Durch Kol- tons, war dessen Nachfolger in der Präsi-
laboration diskreditiert, verschwand die dentschaft 1797–1801. Von seinem Par-
A. F. nach 1944. Ihr Gedankengut tauchte teifreund Hamilton bekämpft, legte A.
gewandelt in den Programmen der Neuen 1799 den Konflikt mit Frankreich bei,
Rechten in Frankreich wieder auf (↑ Neo- stärkte durch seine ungeschickte Politik
faschismus). die Opposition gegen eine starke Bun-
Act of Settlement, engl. Staatsgesetz zur desgewalt. 2) A., John Quincy, Sohn von
Regelung der Thronfolge für Großbritan- 1), 1767–1848; erwarb als Staatssekre-
nien (1701). Bereits die ↑ Bill of Rights tär unter Monroe 1819 von Spanien für
(1689) hatte festgelegt, dass keine Person, 5 Mio. Dollar Florida und formulierte die
die einen Katholiken heiratete, in England ↑ Monroedoktrin, folgte Monroe als (6.)
regieren durfte. Der A. setzte die Kurfürs­ Präsident der USA (1825–1829). Vertre-
tin Sophie von Hannover und ihre Nach- ter der Zollschutz fordernden Industrie.
kommen als Thronerben ein (↑ Georg I.): 3) A., Samuel, radikaler Vorkämpfer der
1714 Personalunion Großbritannien- nordamerik. Unabhängigkeit, 1722–1803;
Hannover. trat für völlige Trennung von England ein,
Adalbert, 1) A. von Prag, hl., um 956– propagierte den offenen Widerstand der
997; Sohn des böhm. Hzgs. Slavnik, mit Kolonien, organisierte „Korrespondenz-
dem sächs. Kaiserhaus der Liudolfinger ausschüsse“ zwischen den einzelnen Ko-
verwandt, Freund Ottos III., Bischof von lonien, leitete als Vertreter von Massachu-
Prag, missionierte 994/95 erfolgreich im setts nach dem Bostoner Teesturm („Tea
ungar. Raum; Apostel der Preußen, als Party“, 1773) den Kongress von Philadel-
Märtyrer im Samland erschlagen. 2) A., phia (1774), der die Besteuerung durch
Erzbischof von Bremen, um 1000–1072; England verwarf.
aus dem Geschlecht der sächsischen Pfalz- Addison, Joseph, engl. Schriftsteller und
grafen, von König Heinrich III., dessen Politiker (Whig), 1672–1719; glänzender
Vertrauter er war, zum Erzbischof erho- Essayist, Begründer der moralischen Wo-
ben, entfaltete rege Missionstätigkeit bis chenschrift „The Spectator“.
Grönland, Island und Finnland, plante Er- Adel (von ahdt. adal = Geschlecht), der
hebung Bremens zum Patriarchat des Nor- in der ständischen Ordnung des MA mit
dens (an den Bedenken Roms gescheitert), polit. und sozialen Vorrechten (Privile-
1063–1066 Berater Heinrichs IV., auf Be- gien) ausgestattete und durch Erfüllung
treiben der Fürsten entlassen. 3) A., Erzbi- entsprechender Pflichten führende Stand.
schof von Mainz, gest. 1137; 1106 Kanzler Einen A. hat es fast überall und zu allen
Heinrichs V., als Erzbischof (1111–1137) Zeiten gegeben, mit der Herrschaft hat
seit 1112 Haupt der Fürstenopposition ge- sich jeweils auch ein Herrenstand entwi-
gen den Kaiser, betrieb nach dessen Tod ckelt (Geburts-, Besitz-, Priester-, Krieger-
1125 die Wahl Lothars von Sachsen. oder Berufsadel). In den ältesten oriental.
Adam von Bremen, Domherr und Ge- Hochkulturen, in Ägypten, bei den Assyr-
schichtsschreiber (gest. um 1081); verfasste ern usw. gab es führende Geschlechter, im
vier Bücher hamburgischer Geschichte, trojan. Sagenkreis Homers hervorragende
bedeutend durch geogr. Beschreibung des Sprosse berühmter Geschlechter myth.
Nordens, erwähnt die Amerikafahrten der Herkunft. In den ↑ Alkmäoniden erscheint
Wikinger um 1000. das alte Königsgeschlecht von Athen. Im

15
Adelheid

republikan. Rom waren die ↑ Patrizier (Ge- lit. und sozial seine alte Geltung und im
schlechtsadel) staatsführend. Bei den Ger- Zeitalter des Absolutismus auch einen Teil
manen der Völkerwanderungszeit galt zu- seiner Privilegien, den Rest erst durch die
nächst grundsätzlich nur der Unterschied Revolution des „Dritten Standes“ (1789;
zw. frei und unfrei; im Zusammenhang 1848/49) und (in Deutschland) durch die
mit krieger. Wanderzügen bildete sich ein ↑ Mediatisierungen von 1803, doch hatte
Volksadel, aus dem die Herzöge und Kö- der A. (z. B. in Preußen) prakt. bis 1918
nige gekürt wurden. Diese Adelssippen noch eine gewisse Vorzugsstellung (höhere
ragten auch durch reicheren Grundbesitz Beamtenschaft, Offizierskorps); die Wei-
(höheren Beuteanteil) aus der Masse der marer Verfassung erkannte A.-Titel nur
Freien hervor. Durch das ↑ Lehnswesen noch als Teil des Namens an. – In Frank­
wurde seit der fränk. Zeit dieser Adel ein- reich wurde der A. polit. vom Königtum
gebaut in die Lehnspyramide, seine Stel- entmachtet, blieb aber sozial privilegiert,
lung im Staat war damit rechtl. festgesetzt wurde 1789 abgeschafft, doch rief Na-
(fortan Hochadel der großen Vasallen, der poleon I. die adligen Emigranten zurück.
späteren Reichsfürsten). In der Staufer- – In England ging der alte Feudal-A. in
zeit Entwicklung eines sich aus kleineren den Rosenkriegen zugrunde, seine Reste,
Gefolgsleuten rekrutierenden Amtsadels die Nobility oder die Peers, beschicken das
der sog. ↑ Ministerialen („niederer Adel“), Oberhaus; der Titel vererbt sich nur auf
aus dem später die Reichsritterschaft her- den Erstgeborenen. Der niedere Adel, die
vorging (↑ Ritterstand). Aus den Unter- Gentry, bildete sich durch Inbesitznahme
lehnsleuten der großen Lehnsherren ent- herrenlosen Landes seit dem 15. Jh., hatte
wickelte sich der Land-A. der einzelnen keine Lehnspflichten, stellte die Friedens-
dt. Territorien. Ausübung des Waffen- richter der Grafschaften, machte das Par-
handwerks und Verwaltung des (Lehens)­ lament (Unterhaus) stark gegenüber der
Grundbesitzes wurden Grundlage der Krone und trat mit dem Bürgertum den
standesbewussten ritterl. Lebensweise und Ansätzen zum Absolutismus entgegen.
ständischen Abkapselung gegenüber dem – In Russland stellte sich der A. nach der
„gemeinen Mann“ (Prinzip der Ebenbür- Ausblutung des alten Bojaren-A. unter
tigkeit, d. h. der „gleichen Geburt“, im Iwan IV. in den Dienst des (zarist.) Cäsaro­
Rechtswesen, bei Heiraten usw.; Recht auf papismus und herrschte seinerseits gleich
Wappenführung; Satisfaktionsfähigkeit). despotisch auf seinen riesigen Gütern;
Das Nachrücken von Unfreien als Inhaber doch bildete sich im 19. Jh. der Typ der
königl. Ämter in den Ritter- oder A.-Stand „reuigen Adligen“ als eines revolutionären
hörte im späten MA auf, dafür gab es seit Gegners dieser Gesellschaftsordnung aus;
Kaiser Karl IV. den Brief-A.: Angehörige in der bolschewist. Revolution wurde der
der kaiserl. Kanzlei, vornehme Juristen, A. ausgerottet, soweit er nicht emigrierte.
die sich ein Landgut kaufen konnten, er- – In den USA konnte sich ein A. nicht
hielten den A.-Brief (Erhebung in den A.- ausbilden.
Stand bis 1806 nur durch den Kaiser, bis Adelheid, dt. Kaiserin, um 931–999;
1918 auch durch die Landesfürsten). Mit Tochter König Rudolfs II. von Burgund,
dem Absinken in die Anarchie des Feh- vermählt in 1. Ehe mit König Lothar
dewesens, der Ablösung des Lehnsstaates von Italien, in 2. Ehe seit 951 mit Kaiser
durch den modernen Staat mit Beamten- ­Otto I., führte 991–995 für ihren Enkel
tum und Söldnerheer und mit dem Auf- Otto III. die Regentschaft. Geistig hoch-
kommen eines wirtschaftl. und kulturell gebildet, unterstützte die cluniazens. Re-
überlegenen Bürgertums verlor der A. po- formideen (↑ Cluny).

16
Adolf

Adenauer, Konrad, 1876–1967, dt. Po- Heeres und der Kaiser (Augustus, Kon-
litiker; seit 1906 Mitglied der Zentrums- stantin). Durch den Übergang der röm.
partei; 1917–1933 war A. Oberbürger- Reichstradition auf die dt. Kaiser (seit Karl
meister seiner Heimatstadt Köln und ge- d. Gr.) schmückte er die dt. Reichsbanner
wann als Mitglied des Preuß. Staatsrates des MA; zusammen mit dem Kreuz war
(1920–1933 dessen Präsident) in der er Symbol des Reiches (schwarzer Adler
↑ Weimarer Republik großen polit. Ein- auf weißem Grund), wobei das Königs-
fluss, lehnte aber 1926 die Reichskanzler- wappen den einköpfigen und das Kaiser-
schaft ab. Als Katholik stand er dem Nati- wappen den zweiköpfigen A. zeigte; ab
onalsozialismus ablehnend gegenüber und Mitte 12. Jh. auch Wappenbild der großen
wurde 1933 im Zug der ↑ Gleichschaltung Reichsfürsten. Im 15. Jh. übernahmen ihn
seines Amts enthoben. 1934 vorüberge- die Reichsstädte als Zeichen ihrer Frei-
hend in Haft, zog sich A. ins Privatleben heit. Der Doppeladler in Fortsetzung der
zurück, wurde im Zusammenhang mit Tradition des 1. Reiches das Wappen der
dem Attentat vom 20. Juli 1944 erneut in- Habsburger Monarchie wie des zarist.
haftiert, doch bald wieder auf freien Fuß Russlands. Napoleon I. verlieh seit 1804
gesetzt. Nach dem Zusammenbruch baute (Beginn des imperialen Anspruchs) sei-
er – kurzfristig wieder Kölner Oberbür- nen Heeren goldene A.-Standarten; mit
germeister – die CDU mit auf und wurde weniger imperialem Bewusstsein machten
als Präsident des Parlamentar. Rates einer ihn auch die jungen USA zu ihrem Wap-
der Väter des Grundgesetzes. Als 1. Bun- pentier. 1848 Doppeladler Symbol des
deskanzler (1949–1963) stellte er sich dem Dt. Bundes; das 2. Kaiserreich von 1871
schweren Erbe der NS-Zeit: u. a. Abkom- übernahm den preuß. Einkopfadler, Über-
men über ↑ Wiedergutmachung mit Israel, gang 1919 auf die Weimarer Republik und
Verhandlungen in Moskau zur Freilassung 1950 auf die Bundesrepublik Deutschland
der Kriegsgefangenen, Aussöhnung mit (schwarzer Adler mit rotem Schnabel und
Frankreich. A. führte die Bundesrepublik roten Fängen in goldenem Schild).
ins westl. Bündnis; seine Ära begründete, Adler, 1) A., Viktor, österr. Sozialist,
nicht zuletzt dank wachsenden Wohl- 1852–1918; Führer der österr. Sozialde-
stands, eine stabile freiheitliche polit. Kul- mokratie, Mitbegründer der Österr. Repu-
tur im Westteil Deutschlands. Seine „Erin- blik. 2) A., Friedrich, Sohn von 1), österr.
nerungen“ erschienen 1965–1968. Sozialist, 1879–1960, erschoss 1916 den
Ädil, hoher Beamter im alten Rom, urspr. österr. Ministerpräsidenten Graf Stürgkh.
wohl Verwalter des Tempelschatzes, zu- Adolf, Name von Herrschern. Dt. König:
ständig für Markt- und Straßenaufsicht, 1) A. von Nassau, um 1255–1298; 1292
Wegebau, Überwachung der öffentlichen von den Kurfürsten, die einer starken
und privaten Bauten, Organisation von Reichsgewalt widerstrebten, als Nachfol-
Volksspielen und Feuerlöschwesen. ger Rudolfs von Habsburg gewählt, ver-
Adler, als König der Vögel Wappentier und letzte die Interessen des mächtigen Erzbi-
Symbol vieler Völker und Kulturkreise in schofs von Mainz, 1298 abgesetzt und im
alter und neuer Zeit (Japan, Indien, Grie- Kampf gegen den Gegenkönig Albrecht,
chenland); mit Vorliebe von Reichen mit Sohn Rudolfs, gefallen. – Holstein-Dä-
universalem Herrschaftsanspruch verwen- nemark: 2) A. II. von Schauenburg, Graf
det. So erscheint der einköpfige A. auf den von Holstein, gest. 1164; erwarb endgültig
Feldzeichen der Perser und der Makedo- Wagrien, Parteigänger seines Lehnsherrn
nier; den Römern war er das Symbol Ju- Heinrichs des Löwen, Kolonisator rechts
piters, des höchsten der Schutzgötter des der Elbe, Gründer ↑ Lübecks, gefallen im

17
Adoptivkaiser

Kampf gegen die Slawen. – Luxemburg: Aetius, Flavius, weströmischer Feldherr


3) A., Großherzog, 1817–1905; war 1839– und Politiker, um 390–454; der „letzte
1866 letzter Herzog von Nassau, das von große Römer“, verteidigte in der Völker-
Preußen annektiert wurde; 1890 bis 1905 wanderung Roms Oberherrschaft über
Großherzog von Luxemburg. – Mecklen- Gallien, vernichtete 436 mithilfe der
burg-Schwerin, Schweden: 4) A. Friedrich, Hunnen das Burgunderreich am Mittel­
1710–1771; aus dem Hause Hol­stein-Got- rhein und siedelte die Überlebenden als
torp, das mit ihm 1751 durch russ. Hilfe Grenzwacht gegen die Alemannen an
auf den schwed. Thron gelangte, beteiligte der oberen Rhone an (Kern des späteren
sich am 7-jährigen Krieg. Burgund), rettete 451 auf den Katalau-
Adoptivkaiser, in Rom (96–180); Zeit nischen Feldern mit german. Aufgeboten
der „guten Kaiser“, A. gelangten durch (u. a. Westgoten ­ unter Theoderich I., der
Adoption zur Herrschaft (die Annahme an in der Schlacht fiel) das Abendland vor
Kindes Statt, eine alte röm. Rechtseinrich- der Hunnen­gefahr, wurde 454 nach einer
tung, konnte auch auf Erwachsene ange- Palast­intrige ermordet.
wendet werden, um ihnen die Rechte leib- Afghanistan, im SW Zentralasiens, zwi-
licher Nachkommen zu verschaffen). Die schen dem Iran und Indien, durch seine
Abneigung des Senats und des Volkes ge- Gebirge und Wüsten Puffer zwischen den
gen kaiserliche Dynastien und die Furcht asiat. Großreichen, zugleich Bindeglied
vor einer Wiederholung der Despotie durch wichtige Passstraßen (Khaiberpass).
Domitians ließen den Senat 96 n. Chr. Im Altertum wiederholt von asiat. Reiter-
bestimmen, dass von nun an jeweils der völkern überflutet und unter wechseln-
Beste unter den führenden Bürgern Kai- der Herrschaft: Assyrer (erste Städtegrün-
ser werden solle, in seine Nachfolgerechte dung), Perser (Nord-A. = Satrapie Bak-
durch Adoption eingesetzt. Nerva, selbst trien), Alexander d. Gr. und Diadochen,
noch gewählt, adoptierte Trajan, es folgten Parther. Um 150 n. Chr. Kern des Indo­
Hadrian, Antoninus Pius, Mark Aurel und skythischen Reiches, 226 wieder beim Per-
Commorus. Seit 180 Soldatenkaiser). serreich (Sassaniden) mit iran.-buddhist.
Adrianopel, heute ↑ Edirne, das europ. Mischkultur, seit 7./8. Jh. von Arabern
Tor der Türkei am Grenzfluss Maritza in und Türken umkämpft, im 11./12. Jh.
Thrazien, benannt nach Kaiser Hadrian, Reich der Ghasnawiden, im 13./14. Jh.
der es um 125 n. Chr. ausbauen ließ; 378 von ↑ Dschingis Khan und ↑ Timur ver-
Ort der vernichtenden Niederlage Kai- heert. 1747 begründete Achmed Schah
ser Valens’ durch die Goten, 1366 bis nach Abschüttelung der pers. Oberherr-
zum Fall von Konstantinopel türk. Resi- schaft ein Reich A., das 1838–1842 seine
denz; im 19./20. Jh. mehrmals von Russen Unabhängigkeit gegen England nach blu-
und Balkanvölkern besetzt. 1829 Friede tigem Kampf behauptete, dank der brit.-
von A. (Unabhängigkeit Griechenlands, russ. Rivalität. Der zweite brit. Feldzug
Sonderstellung Serbiens und der Donau- (1878–1880) führte schließlich zur Festle-
fürstentümer). 1920 (Sévres) wurde A. gung einer brit.-russ. Interessengrenze. Im
an Griechenland abgetreten, 1923 (Lau­ 1. Weltkrieg blieb A. neutral. 1919 erhob
sanne) wieder türkisch. sich der Emir Amanullah gegen England
Aldua, Stadt in N-Äthiopien; 1896 endete und erhielt trotz Niederlage polit. Freiheit;
der ital. Angriff von Eritrea aus mit der Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion.
schweren Niederlage von A. und führte Amanullah machte A. 1925 zum König-
1935 eben da zu einem Sieg der Italiener reich, seine Reformen nach dem Muster
über die ­abessin. Truppen (↑ Äthiopien). der Türkei stießen jedoch auf Widerstand

18
Afrika

der konservativ-mohammedan. Kreise und durch die Loya Jirga (Große Ratsversamm-
führten zu seinem Sturz 1928. Weiteres lung), Herbst 2004 erste freie Wahlen, Be-
Lavieren als Pufferstaat zwischen West stätigung Karzais als Präsident.
und Ost. 1937 Pakt mit Türkei, Irak und Afrika, Urmenschenfunde bei Oran (Alge-
Iran; 1950 Freundschaftsvertrag mit der rien), Casablanca und Rabat (Marokko),
Ind. Union; 1961 Aufflackern alter Grenz- Broken Hill (Simbabwe), Soldanha (Süd-
streitigkeiten mit ↑ Pakistan. 1973 Sturz afrika), Oldoway (Kenia), z. T. mit dem
der Monarchie, Ausrufung der Republik, Java­menschen verwandt; Kulturreste lie-
Staatsoberhaupt Mohammed Daud Khan. gen aus der frühen bis späten Altsteinzeit
1978 kam dieser bei einem Militärputsch vor. Im Allg. die gleichen Stufen von der
ums Leben; Beistandspakt der neuen Re- Faustkeil- zur Klingen-Kultur wie in Eu-
gierung mit der Sowjetunion, eine in ropa; der früheste bekannt gewordene
Angriff genommene Landreform führte Mensch mit negriden Merkmalen stammt
zum Bürgerkrieg, im Dezember 1979 vom Niger; er gehört der Mittelsteinzeit
Einmarsch der Sowjets, schwere weltpo- an; im Osten war der Mensch Zeuge der
lit. Krise zw. Ost und West und Abkehr Vulkanbildung. In N-A., Tunesien, Alge-
zahlreicher Staaten der Dritten Welt von rien, Marokko mit Ausläufern zum Niger
der Sowjetunion. 1988/89 Abzug der sow­ und Nil im Übergang zur Jungsteinzeit
jet. Truppen, dennoch Fortgang des Bür- ausgepr. die Capsienkultur; der Mensch
gerkriegs der Mudschaheddin gegen das dieser Zeit gleicht dem europäischen ­Cro-
Regime von Staats- und Parteichef (seit Magnon-Menschen, Wechselbeziehungen
1986) Nadschibullah. April 1992 Sturz der Kulturwelt der Pyrenäenhalbinsel und
der kommunist. Regierung durch die Mu- Siziliens sind sicher; der Capsien-Mensch
dschaheddin; ab 1994 großer Einfluss der kannte keine Beile, er fertigte Gefäße aus
radikal-muslimischen Taliban-Milizen, die Straußeneiern mit Ritzornamenten an; er
begannen, einen streng islamischen Staat bewohnte auch die damals noch vegeta-
gemäß der Scharia, dem islamischen Sit- tions- und tierreiche Sahara (Elefanten,
tengesetz, in den von ihnen kontrollierten Nashörner, Flusspferde, Warzenschweine,
Regionen (1996 2/3 des Landes) zu errich- Giraffen, Hirsche, Rinder, die er auf Fel-
ten, ab Okt. 1997 Islamisches Emirat A. sen zeichnete oder farbig ausmalte); seit
Ab 1999 Sanktionen der USA (aufgrund dem 5. Jt. v. Chr. allmähliche Verbreitung
der Beteiligung des in A. lebenden Osama des Ackerbaus. Die Zeitfolge der Verbrei-
Bin Laden am Bombenanschlag auf die tung und die Wanderbewegungen der heu-
US-Botschaft in Nairobi) und wenig spä- tigen Rassen sind unsicher; als Altrassen
ter der UN gegen A. Nach den Attentaten gelten in der Regenwaldzone die hell- bis
vom 11. 9. 2001 (World Trade Center) gelbhäutigen, ­ kleinwüchsigen Pygmä­en,
Aufforderung der USA zur Auslieferung die viel weiter verbreitet waren und heute
des als Drahtzieher verdächtigen Osama noch steinzeitl. ­ leben; den Altrassen ge-
Bin Laden, blieb wirkungslos, daraufhin hören ebenfalls an die mittelwüchsigen
im Okt. 2001 Angriff der USA und ihrer Buschmänner im Süden, deren Felszeich-
NATO-Verbündeten auf A., Vertreibung nungen Beziehungen zur Spanien- und
der Taliban aus Kabul und Kandahar, im Sahara-Felskunst aufzuweisen scheinen,
Dez. 2001 Vereidigung einer Übergangs- und die hochwüchsigen Hottentottenvöl-
regierung unter Hamid Karzai, außerdem ker im S und SW. Auf Madagaskar wur-
Stationierung einer internationalen Frie- den schon früh die negriden Altstämme
denstruppe. Jan. 2004 Verabschiedung ei- von indones. Einwanderern überlagert.
ner neuen Verfassung (Präsidialsystem) Spät verbreiteten sich, wahrscheinlich aus

19
Afrika

ihrem Kerngebiet um die großen ostafri- Bantu. Anfang des 2. Jh. soll der Römer
kan. Seen, die braun- bis sehr dunkelhäu- Julius Maternus den Tschadsee erreicht
tigen Negridenvölker über den Kontinent, haben. Im 7. Jh. stießen die Araber bis zur
vermischten sich mit früheren Völkern, W-Küste N-Afrikas vor und besiedelten
nahmen neue Lebensformen an und wur- im 10. Jh. die Ostküste, wohin schon früh
den wieder sesshaft; der N war Wohnge- chinesische Handelsfahrten führten (Por-
biet mittel­meerischer, äthiop. (osthamit.), zellanfunde in Tansania). Im MA blühten
berberischer Völker; erst der Sklavenhan- zahlreiche Königreiche und Kulturen, bes.
del der Araber brachte Schwarze vermehrt im Sudangürtel und im Nigergebiet. Das
an die N-Küste; die Europäisierung setzte Christentum behauptete sich nur in Äthio­
schon in der frühen Antike ein. pien und im kopt. Ägypten. Seit dem
A. wurde im Altertum zunächst als Teil 16. Jh. geriet N-Afrika unter türk. Herr-
Asiens angesehen (zu dem auch ↑ Ägyp- schaft oder Oberhoheit. Entdeckungsge-
ten gerechnet wurde); in der Niloase schichte seit dem MA: Um die Mitte des
ers­te Reichsgründung um 3 000 v. Chr. 14. Jh. berührten Italiener Madeira und
(noch steinzeitliche Kultur); seit etwa Azoren, die aber erst im 15. Jh., dem Zeit-
1200 v. Chr. phönik.-semit. Handelskolo- alter der Entdeckungen, wirklich bekannt
nien entlang der Nordküste, bes. im heu- wurden. 1402 erreichte der Normanne
tigen Tunesien (↑ Karthago, ­ Phöniker), Bethencourt die Kanarischen Inseln. Die
Ausbildung libyscher und berber. Le- Erschließung der Westküste war das Werk
bensformen; um 800 v. Chr. Gründung der Portugiesen (1446 Cap Verde umfah-
des Reiches Kusch im mittleren Sudan; ren, 1456 Goldküste, 1471 Guineaküs­te
um 700 v. Chr. im äthiop. Hochland An- entdeckt, 1486 Kongomündung erreicht);
fänge des späteren Reiches von Aksum; 1487 umschiffte Bartolomeu Diaz das Kap
um 600 v. Chr. vermutlich erste Umseg- der Guten Hoffnung, 1497/98 fand Vasco
lung A.s durch die Phöniker vom Roten da Gama von dort den Seeweg nach Ost-
Meer aus, Rückkehr durch die Straße indien. Mit der Erforschung Inner-A.s
von Gibraltar; im 6. Jh. v. Chr. Fahrten begannen 1788 die Engländer, sie wurde
des Hanno, vielleicht bis zum Kamerun- gefördert durch „Afrika-Gesellschaften“
berg, des Kolonialgriechen Euthymenes (1788 London, 1873 Berlin, 1876 Brüs-
wahrscheinlich bis zur Senegalmündung. sel) und vorangetrieben durch die Kolo-
146 v. Chr. wurde das Gebiet um das (zer- nialpolitik der europ. Mächte, in großen
störte) Karthago als „Africa“ röm. Provinz. Zügen erst 1900 abgeschlossen. – Der Er-
30 v. Chr. kam Ägypten hinzu, 42 n. Chr. forschung folgte die Aufteilung A.s, die
Mauretanien. Um 20 v. Chr. drang Cor- Ende des 19. Jh. in ein Wettrennen nach
nelius Balbus in Libyen vor (bis Fezzan?), Kolonien ausartete und A. zum Haupt-
um 25 v. Chr. C. Petronius bis Nubien, schauplatz der imperialist. Konflikte
41/42 n. Chr. Suetonius Claudius ins At- machte. Bis dahin hatten die seefahrenden
lasgebirge, bald danach röm. Zenturionen Nationen nur befestigte Stützpunkte zur
bis zu den Nilsümpfen. Um die Zeitwende Sicherung des Seeweges nach Ostindien
scheint eine neue große Völkerbewegung (Portugiesen: Moçambique, Angola) oder
von Zentralafrika ausgegangen zu sein, für den Sklavenhandel angelegt. Eine Aus-
deren Stämme bereits Eisen fördern und nahme war Kapland, das 1652 den Spani-
schmelzen konnten und im Besitz bes­serer ern von den Holländern entrissen und zur
Waffen waren; sie breiteten sich v. a. in Siedlungskolonie ausgebaut wurde. Den
bisherigen Leerräumen aus; unter ihnen Auftakt zur Kolonialpolitik neuen Stils
vermutl. auch die Stammesgruppen der bildete die Eroberung ↑ Algeriens durch

20
Agesilaos

Frankreich; 1880 stellte der frz. Minister- blem wurde der Besitz der neuen Rohstoff-
präsident Ferry ein großes koloniales Ak- gebiete der Sahara, der Hinterländer Ma-
tionsprogramm auf und verwirklichte es rokkos und Tunesiens; Gegensätze beste-
mit Hilfe des Generals Faidherbes: 1881– hen nicht nur zw. Afrikanern und Indern,
1883 wurde durch Verträge das Protekto- Mohammedanern und den Gläubigen ein-
rat über Tunis errichtet, durch Expansion heimischer Kulte, zw. Christen und Nicht-
in Westafrika wurde Algier mit Senegam- christen und Schwarzen und Weißen, son-
bien und Gabun verschmolzen zu einem dern auch zw. der panafrikan. und panarab.
riesigen, mit dem Mutterland unmittel- Bewegung, den Vertretern der panafrikan.
bar verbundenen Kolonialreich. In Ägyp- und der nationalstaat­lichen Ideen, des Fö-
ten war England zuvorgekommen (1882), deralismus und Zentralismus, der demo-
nachdem bereits 1806 die Kapkolonie er- krat. und autokrat. Regierungsformen,
obert worden war; seit den 80er Jahren den Fortschrittlern und Traditionalisten,
propagierte Cecil Rhodes den Zusammen- den unterentwickelten und agrarstarken
schluss aller brit. A.-Besitzungen durch die oder industrialisierten Gebieten, den oft
Verbindung „Von Kapstadt nach Kairo“. nur kleinen Intelligenzschichten und den
1898 Zusammenstoß mit Frankreich im zum größten Teil noch analphabet. Mas-
Sudan (Faschoda-Krise), frz. W-O-Vor- sen; schwerste Belastung ist die Einbezie-
stoß gegen den oberen Nil abgebrochen. hung in den Machtkampf zwischen der
England blieb Herr des Sudans und un- östl. und der westl. Welt.
terwarf 1900–1902 die Burenrepubliken Ägäis, Raum des Ägäischen Meeres
Oranje und Transvaal (1910 mit Kapland (griech. Aigaios Pontos) mit Griechen-
und Natal zum Dominion Südafrikan. land, Kleinasien, den Kykladen-Inseln
Union zusammengeschlossen). Belgien und Kreta; hier die Mittelpunkte der hel-
erwarb den Kongostaat durch Initiative ladischen, vor- und frühgriech. Kulturen
König Leopolds II. (1885). Im Norden der griech. Halbinsel (↑ Griechenland),
Interessenkonflikte Frankreichs mit Ita- der minoischen ↑ Kreta-Kultur, der z. T.
lien um Tunis (1881), mit Deutschland selbständigen Kultur der Kykladen und
um Marokko (1905/06 und 1911; ↑ Ma- der des kleinasiat. Küstengebietes.
rokko). Deutschland verlor durch den Ägaten (Ziegeninseln), Inselgruppe an der
1. Weltkrieg seine Besitzungen (Erwer- Westspitze Siziliens; 241 v. Chr. entschied
bungen: 1884 Dt.-Südw.-A., Togo, Kame- der Seesieg der Römer über die Karthager
run; 1885 Dt.-Ost-A., führender Kolonial­ bei den Ä. den 1. Punischen Krieg.
pionier: Peters); Italien seine Kolonien (er- Agathokles, Tyrann von Syrakus, 360–
worben: 1889 Eritrea, Somaliland; 1912 289 v. Chr.; Gegenspieler der Karthager
Tripolis und Cyrenaika = Libyen; 1936 im Kampf um Sizilien, bemächtigte sich
Abessinien) durch den 2. Weltkrieg. Die 317 der Herrschaft, die er organisatorisch
Auflösung der brit., frz., span. und portug. festigte und erweiterte, brachte einen ost-
Kolonialreiche nach dem 2. Weltkrieg ließ sizilianischen Bund unter syrakus. Hege-
zahlr. selbst. Staaten entstehen. Als letzte monie zustande, kämpfte mit Erfolg bis
erhielten Simbabwe (das ehemalige Rho- 307 in Afrika, nahm den Königstitel an.
desien) 1980 und Namibia (ehemals Süd- Als sein Erbe kam Pyrrhus von Epirus,
westafrika) 1989 ihre Unabhängigkeit. sein Schwiegersohn, nach Italien, seine
Seit der Bildung national unabhängiger entlassenen Söldner entfachten den 1. Pu-
Staaten wird verstärkt die archäolog. und nischen Krieg.
histor. Erforschung der voreuropäischen Agesilaos, König von Sparta, 444–
Geschichte Afrikas fortgesetzt. Zum Pro- 361 v. Chr.; regierte seit 401, führte 399–

21
Agilolfinger

394 Krieg gegen Persien für die Autonomie nach dessen Tod 1056 Regentin für ihren
der kleinasiat. Griechenstädte. In dem von unmündigen Sohn ↑ Heinrich IV., ging
den Persern angezettelten ↑ Korinthischen nach dessen Entführung durch ↑ Anno
Krieg (395–387) wenig glücklich, ließ A. von Köln (Staatsstreich von ↑ Kaiserswerth
den Unterhändler Antalkidas mit den Per- 1062) ins Kloster.
sern Verhandlungen aufnehmen und gab Agora, in der Antike der Volksversamm-
387/86 im „Königsfrieden“ die kleinasiat. lungs- und Marktplatz griech. Städte; die
Griechen den Persern preis; unterlag 371 von Säulengängen umrahmte A. war der
bei ↑ Leuktra den Thebanern; trotz per- tägliche Treffpunkt für Politiker, Philo-
sönlicher Tapferkeit außerstande, den Zu- sophen usw. (lat. Bezeichnung: Forum).
sammenbruch Spartas als führende griech. Agrargesetze (römische), ↑ Gracchus.
Großmacht und die Selbstzerfleischung Agricola, 1) A., Rudolf (eigentl. R. Huys-
der griech. Staaten zu verhindern. mann), Mitbegründer des dt. Humanis-
Agilolfinger, ältestes bekanntes Herzogs- mus, 1443–1485. 2) A., Georg (eigentl.
geschlecht in Bayern, benannt nach dem G. Bauer), Mineraloge und Arzt, 1494–
Stammvater Agilolf, herrschten bis 788, 1555; Begründer der systemat. Minera-
als Bayern dem Frankenreich einverleibt logie und Metallurgie in Deutschland.
und der letzte A. ↑ Tassilo III. ins Kloster 3) A., Johann (J. Schnitter), Humanist
verbannt wurde. aus Eisleben („Magister Islebius“), 1494–
Ägina, Insel im Saronischen (oder Athe- 1566; Schüler Luthers, Schöpfer der
nischen) Golf, von Epidauros aus durch ersten ev. Schulordnung, 1540 Hofpredi-
Dorer besiedelt (etwa 1200 v. Chr.), be- ger Jo­achims II. zu Berlin. Bekannt durch
freite sich um 550 v. Chr. von der Ober- Sprichwörtersammlung. 4) A., Michael,
herrschaft der Mutterstadt; Handels- und Reformator Finnlands, um 1508–1557;
Seemacht, Sitz einer berühmten (do- Schüler Luthers, Begründer der finn.
rischen) Kunstschule; 456 von Athen be- Schriftsprache (Bibelübersetzung).
siegt, das 431 die Bewohner vertrieb und Agrigentum (lat., griech. Akragas Agri­
die Insel besiedelte. Dorischer Tempel zu gento), an der S-Küste Siziliens; in der
Ehren der aus Kreta stammenden Göttin Antike blühende Handelsstadt, gegr.
Aphaia, mit den berühmten, aus dem An- 580 v. Chr. als dorische Kolonie von Gela
fang des 5. Jh. stammenden Giebelgrup- aus, anfangs demokratisch, später unter
pen der „Ägineten“. Tyrannen, 405 von den Karthagern zer-
Agnaten (lat. „agnatus“), urspr. der nach stört, 341 neu besiedelt, 262 von den Rö-
dem Tod des Vaters geborene Sohn, im mern nach siebenmonatiger Belagerung
weiteren Sinn der Blutsverwandte väter- erobert, seit 210 v. Chr. ständig römisch.
licherseits; bei den Römern die unter vä- Agrippa, Marcus Vipsanius, röm. Feld-
terlicher Gewalt Stehenden (auch durch herr, 62–12 v. Chr.; Schwiegersohn des
einen Rechtsvorgang, z. B. durch Adop- Augustus, siegte über Pompejus zur See
tion), im Gegensatz zu den „Kognaten“ bei Mylae 36 v. Chr. und über Antonius
(„cognatus“ = der Blutsverwandte väter- und Kleopatra bei Aktium 31 v. Chr., er-
licher- und mütterlicherseits) oder Bluts- richtete in seinem 3. Konsulat 27 v. Chr.
verwandten im weiteren Sinne. Im dt. das römische Pantheon und ließ nach
Recht die männlichen Blutsverwandten, ­einer Reichsvermessung die erste römische
die in männlicher Linie vom gemeinsamen Landkarte anfertigen.
Stammvater abstammen. Agrippa von Nettesheim (bei Köln),
Agnes von Poitou, 1015(?)–1077; zweite Schriftsteller, Arzt und Philosoph, 1486–
Gemahlin Kaiser Heinrichs III. seit 1043, 1535; abenteuerliches Wanderleben; der

22
Ägypten

Magie ergeben, doch einer der ersten Vor- Delta umfassend. Sagenhafter Reichsgrün-
kämpfer gegen den Hexenwahn. der Menes, Hauptstadt Memphis (beim
Agrippina, 1) A. die Ältere, Tochter des heutigen Kairo), erste Gaueinteilung. Aus-
Vipsanius ↑ Agrippa, Gemahlin des ↑ Ger- bildung der ägypt. Bilderschrift (↑ Hie­
manicus, Mutter des Caligula, starb – von roglyphen), Erfindung des ↑ Papyrus.
Tiberius verbannt – auf der Insel Panda- Einführung des Kalenders (↑ Zeitrech-
teria 33 n. Chr. den Hungertod. 2) A. die nung). Göttlichkeit des Herrscheramtes
Jüngere, Tochter von 1), 15–59 n. Chr.; (der König = falkenartiger Gott Horus).
Gemahlin des Claudius, den sie vergiftete, Königliches Beamtentum, Ausprägung
um ihren Sohn Nero, auf den Thron zu des „ägypt. Kunststils“. – Altes Reich um
bringen; auf Neros Veranlassung ermor- 2650–2190 v. Chr. (3.–6. Dynastie): Resi-
det; Gründerin und Namensgeberin ihres denz Memphis, der erste König Djoser er-
Geburtsortes Köln (Colonia Agrippina). baute die erste Stufenpyramide (Werk des
Ägypten, Vorzeit vor dem 5. Jt.: älteste Baumeisters ↑ Imhotep); in der Glanzzeit
erhaltene Menschenspuren aus dem Ende der 4. Dynastie (um 2595–2450) entstan-
der Regenzeit (die der Eiszeit in Europa den durch Fronarbeit die gewaltigen Py-
entspricht), als die Sahara austrocknete ramiden (u. a. Cheops, Chefren, Mykeri-
und sich das Niltal bildete. Altsteinzeit- nos). Unter der 5. Dynastie Ausbildung
liche Kultur im Rahmen der westeurop. des Sonnenkults (Sonnengott Re), Son-
bzw. mittelmeer. Kulturkreise. In Horden nenheiligtum; die Könige nannten sich
ziehende Jäger und Sammler und nomadi- nun „Sohn des Re“, die Größenmaße der
sierende Hirten. – Jungsteinzeit vom 5. Jt. Pyramiden wurden kleiner; später Auf-
an: eigenständige Niltalkultur: Zelte be- kommen des Osiriskults. – 1. Zwischen-
wohnende Hirtenstämme, Rind und Schaf zeit um 2190–2050 v. Chr. (7.–10. Dy-
als Zuchttiere, Stammesverbände, Zauber- nastie): Zerfall der Reichseinheit, fast un-
glaube, Erdbestattung; im Delta sesshafte abhängige Gaufürsten, deren Familien an
Bauern mit Rind, Schaf, Ziege, Schwein. Ansehen zunahmen, in den Gauhauptstäd-
Anbau von Emmer und Gerste; Lehmsi- ten selbstbewusstes Bürgertum, zwei riva-
los, Reihenhütten, Töpferei ohne Töpfer- lisierende Dynastien: die Herakleopiten in
scheibe; Fruchtbarkeitskult; Totenbestat- Memphis und die Gaufürsten von Theben;
tung im Haus oder in hausähnl. Gräbern. Blüte der Lyrik und Lehrdichtung. – Mitt-
– Kupfersteinzeit im 4. Jt.: neben Stein- leres Reich um 2050–1710 v. Chr. (11–
auch Kupfergeräte, bilderreich verzierte 14. Dynastie): durch den Sieg des Königs
Keramik, Steinbohrer. Lehmziegelbau, Mentuhotep von Theben über den He-
Gräber mit Ziegelmauerwerk, Fernhandel rakleopiten in Memphis wurde die polit.
(Kupfer vom Sinai, Elfenbein aus Nubien, Einheit des Reiches wiederhergestellt; im
Perlen aus Abessinien, Bauholz vom Liba- Innern straffere Verwaltung und Zurück-
non, Obsidian aus der Ägäis, Olivenöl aus drängung der Gaufürsten; Übergreifen auf
Libyen und Palästina). Verwaltungszen- Nubien, Bauten in Karnak, Besiedlung der
tren und Marktflecken mit Handwerkern. Oase Fajum, Handelsfahrten nach Punt.
Handelskarawanen und Schiffsverkehr. – 2. Zwischenzeit um 1710–1570 v. Chr.
Tiere als Ortsgötter; Sonne, Sterne, Him- (15.–17. Dynastie): Epoche der Fremd-
mel, Erde, Gewässer als überlokale Gott- herrschaft der asiat. ↑ Hyksos („Fürsten
heiten. – Frühzeit um 2900–2650 v. Chr.: der Fremdländer“), Hauptstadt Auaris
1. und 2. Dynastie (Thinitenzeit, Dynastie (Tanis) im O-Delta. Die Fremden führten
aus der Gauhauptstadt This). Zeit der Pferd (als Bespannung) und Streitwagen in
Reichsbildung, von Oberägypten aus das Ägypten ein und revolutionierten dadurch

23
Ägypten

das Kriegswesen. Verbesserte Bronzetech- Edfu, Philae). In der Plastik Rückgreifen


nik. – Neues Reich um 1570–715 v. Chr. auf alte Vorbilder. Individualisierende Bil-
(17.–24. Dynastie): Das durch die theban. derkunst. Reliefbilder aus dem täglichen
Fürsten von den Hyksos befreite Ägypten Leben. – Römische Zeit um 30 v. Chr. bis
wurde Weltmacht, dehnte sich über Pa- 395 n. Chr. (bis zur Teilung des röm. Rei-
lästina und Syrien bis zum Euphrat und ches): Christianisierung, Begründung des
im S fast bis zum 4. Katarakt aus (Sudan). Mönchtums. Patriarchat von Alexandrien
Beziehungen zu Babylonien, Mitanni, (kopt. Sprache). – Byzantinische Zeit seit
Assyrien, Hethiterreich. Theben wurde 395 n. Chr.: Ä. war Teil des Ostreiches.
Weltstadt. Ungeheure Reichtümer (bes. – Arabische Zeit seit 639: Provinz des Ka-
nubisches Gold), überfeinerte Lebenshal- lifenreiches, allmähliche Mohammedani-
tung. Marktwirtschaft, gewaltige Bauten sierung. Entwicklung zur Selbständigkeit
im ganzen Nilland bes. um Theben, des- seit etwa 850. 868 Trennung vom Kalifat
sen Priesterschaft einen Staat im Staate Bagdad. Ä. wurde mit der neugegründe-
bildete (riesige Pfründen). Das Königtum ten Hauptstadt Kairo unter den Fatimiden
stützte sich auf Beamtenschaft und Heer; (969–1171) und Aijubiden (1171–1250)
Königfelsgräber im „Tal der Könige“ mit führend in der islam. Welt. Unter den
riesigen Totentempeln vor dem Gebirge. ↑ Mamelucken-Sultanen (1250–1517)
Bedeutende Pharaonen: Thutmosis III., Blüte der Moscheenbaukunst. 1517 Er-
Amenophis III., Amenophis IV. („Ketzer- oberung durch die Türken, allgemeiner
könig“ Echnaton, vorübergehende Verle- Niedergang. Erwachendes Selbstbewusst-
gung der Hauptstadt nach Al-Amarna in sein seit dem ägypt. Feldzug Napoleons
Mittelägypten, Aton einziger Staatsgott), (1798–1801), Kontakt zu Europa, Beginn
Ramses II. (monströse Bauten, Abgren- der neuzeitlichen ägypt. Geschichte. Mo-
zung der Interessensphäre gegenüber He- derne Staatsbildung durch Mehemed Ali
thitern; Angriffe der Libyer und der „See- (seit 1804). Unabhängigkeitskampf seit
völker“). Unter den Nachfolgern (3. Zwi- 1831. Europäisierung unter dem Khedi-
schenzeit) Niedergang: Grenzkriege, Ver- ven Ismail, 1863 bis 1879 (Armee, Schu-
schuldung durch Staatsbauten, Unter- len, Eisenbahnen, Suezkanal; aber Zerrüt-
wanderung im Delta durch die Libyer tung der Finanzen); 1869 Eröffnung des
(seit 950). – Spätzeit um 715–332 v. Chr. ↑ Suezkanals; 1882 Eroberung durch die
(25.–31. Dynastie): Ä. durch die Äthio- Engländer, nationale Gegenbewegung.
pier des Sudans (seit 750) überfremdet. 1914–1922 brit. Protektorat (Hoher
Rückzug der Äthiopier vor den Assyrern, Kommissar). 1922 beschränkte Unabhän-
die 670 Memphis und 663 Theben besetz- gigkeit, Festigung des Staatswesens. 1936
ten. Unter der 26. Dynastie (Psammetich, Selbständigkeit. 1942 dt. Vormarsch auf
Necho, Apries, Amasis) durch kluge As- Ä. durch brit. Truppen bei El Alamein zu-
syrerpolitik neue Blüte; Ausbildung von rückgeschlagen. 1948 Ende fast aller Re-
Beamtendynastien, Krieger- und Berufs- servatrechte Englands. 1952 Staatsstreich
kasten. Der Jenseitsglaube schwand, Ma- des Generals Nagib gegen König Fa-
gie und Tierverehrung (Stiere, Krokodile) ruk (seit 1936). 1953 Ä. Republik. 1954
traten an seine Stelle. In der Kunst „Alter- Staatsstreich ↑ Nassers. 1956 Räumung
tümelei“. Seit 525 (Schlacht bei Pelusium) der Suezkanalzone durch England, Nati-
Fremdherrschaft der Perser (mit Unter- onalisierung des Suezkanals; „Suezkrise“
brechungen). – Hellenistische Zeit um und „Suezabenteuer“ (Israel, England,
332–30 v. Chr. (Alexander und die Ptole- Frankreich), Rückzug der Interventions-
mäer): gewaltige Bautätigkeit (Dendera, truppen unter dem Druck der USA, der

24
Akademie

UdSSR und der UN. 1958 bundesstaatl. Ainu, vermutl. aus Nordasien auf die ja-
Zusammenschluss mit Syrien zur Ver- pan. Inseln eingewanderte hellhäutige
einigten Arab. Republik, lose Angliede- Rasse, Frühbewohner Japans, verbreiteten
rung des Jemen. 1961 nach Militärrevolte sich über alle Inseln, benannten viele Berge
Austritt Syriens aus der VAR; 1961 Ende und Flüsse; letzte Reste zurückgedrängt auf
des Assoziationsvertrages mit dem Jemen. Hokkaido, Sachalin, den Kurilen-Inseln.
Nasser proklamierte arab. Sozialismus und Aischa, zweite Gemahlin ↑ Mohammeds,
festigte seine Stellung durch Ausschaltung um 614–678; bekämpfte nach Moham-
der Parteien; Bau des Assuan­staudamms meds Tod den Kalifen ↑ Ali; 656 in der
mit sowjet. Hilfe. Verluste für Ä. im 3. Is- Kamelschlacht von Basra gefangen, nach
rael.-Arab. Krieg 1967. Seit 1971 ↑ Sa- Medina entführt, wo sie 678 starb (Name
dat Staatsoberhaupt, erzielte im 4. Israel.- der Schlacht nach dem Kamel, auf dem A.
Arab. Krieg Prestigeerfolg für die Araber. gesessen hat; als das Kamel stürzte, kam
Im Zuge der „Entnasserisierung“ stärkere der Kampf zum Stehen, und Ali ging als
polit. Annäherung an die USA, 1975 Wie- Sieger hervor).
dereröffnung des Suezkanals. 1979 Frie- Aistulf, König der Langobarden (749–
densvertrag mit Israel, dadurch Isolation 756); vereinigte das Herzogtum Spoleto
in der arab. Welt, 1981 Ermordung Sadats, mit der Krone und eroberte Ravenna. Um
sein Nachfolger Mubarak erreichte 1982 ihn an der Unterwerfung des röm. Herr-
die Rückgabe des ges.Sinaigebietes an Ä.; schaftsbesitzes zu hindern, reiste 754 Papst
1989 wurde Ä. wieder als Vollmitglied in ↑ Stephan II., von Byzanz im Stich gelas-
die ↑ Arabische Liga aufgenommen. sen, hilfesuchend zu König ↑ Pippin III., es
Ahnentafel, Verzeichnis der Ahnen einer kam zw. beiden zu einer Einigung (päpst-
Person in gesetzmäßigem Aufbau, vom lich-fränk. Bund). 756 zwang Pippin den
Ahnenträger aus über Eltern, Großeltern, Langobardenkönig, seine Eroberungen in
Urgroßeltern usw. (oft mit Lebensdaten Italien (auch das Exarchat Ravenna) zu-
und Wappen); v. a. üblich für die Ahnen- rückzugeben, und wies diese Gebiete dem
probe zur Zulassung für Turniere, Ämter, Papst als Oberhaupt der Kirche zu (Entste-
Orden oder ähnliches; Hauptverbreitung hung des Kirchenstaates).
jedoch im 16. und 17. Jh., auch auf Bild- Ajatollah (Ayatollah), Ehrentitel für geist-
teppichen, Gewändern, Grabmälern. liche Würdenträger im schiit. Islam, be-
Aihun, chin. Ort in der Mandschurei am deutet etwa „Zeichen (Wunder, Spiegel-
Amur; im Vertrag von A. 1858, der durch bild) Gottes“.
den Vertrag von Peking (1860) erweitert Akademie (der Wissenschaften), urspr.
und bestätigt wurde, musste China das die Philosophenschule Platons, der seine
gesamte Gebiet nördl. des Amur und den Schüler in einem dem Heros Akademos
Landstreifen zw. Amur-Ussuri und der geweihten Hain bei Athen zu versam-
Küste an Russland abgeben. Diese Grenz- meln pflegte. Die Akademie Platons (gest.
ziehung belastet das chin.-sowjet. Verhält- 347 v. Chr.) lebte nach seinem Tod fort,
nis bis heute (Kämpfe am Ussuri v. a. im wurde erst 529 n. Chr. von Kaiser Justi-
März 1969). nian aufgelöst: Die Bezeichnung wurde
Aijubiden, von Salah Ad Din Jusuf Ibn vom Humanismus für die Vereinigungen
Aijub (↑ Saladin) 1171 begr. Dynastie, löste zur Pflege der Dichtkunst (Florenz, Pa-
die Herrschaft der ↑ Fatimiden in Ägypten lermo, Toulouse) und später der Philoso-
ab. Die A. dehnten ihren Machtbereich auf phie wieder aufgegriffen: um 1445 Grün-
Syrien und N-Mesopotamien aus und re- dung der Accademia Platonica in Florenz;
gierten 1183–1232 auch im Jemen. 1582 entstand die Accademia della Crusca

25
Akadien

in Florenz als Vorbild für alle späteren verbot die Exzesse (Witwenverbrennung),
Sprachgesellschaften, deren berühmteste verfolgte als toleranter Gottgläubiger den
die Pariser Academie française wurde, als Fanatismus der Mohammedaner und
höchste Autorität in Fragen der frz. Spra- gründete einen monotheist. „Gottesglau-
che und Literatur, hervorgegangen aus ei- ben“ mit hohen sittlichen Anforderungen.
ner von Richelieu angeregten Privatgesell- Sein absolutist. Regime schuf kein Reich
schaft (1635), gebildet von den 40 „Un- von Dauer, aber seine kulturelle Leistung
sterblichen“. Ihr folgte die engl. ­ Royal erhob ihn im Geschichtsbewusstsein der
Society (Königliche Gesellschaft) in Lon- Inder zu myth. Größe und wirkte über
don (1660). Die bereits 1603 gegr. päpst- Jahrhunderte hinweg.
liche Accademia dei Lincei erlangte in- Akiba, Ben Joseph, jüd. Schriftgelehrter,
ternationales Ansehen durch naturwiss. um 50 bis 135 n. Chr.; vermutlich Begrün-
Forschungen. Auf Anregung von Leibniz der der Riten-, Vorschriften- und Geset-
wurde 1700 die Preuß. A. der Wissen- zessammlung „Mischna“, als Teilnehmer
schaften in Berlin gegründet. (Nachfolge- am Aufstand Bar Kochbars hingerichtet.
rin: Dt. A. d. W. seit 1946), desgl. die Pe- Akkad (Babylonien), erstes Großreich
tersburger A. 1724; Bayern hat seit 1759 der Geschichte (um 2350–2150 v. Chr.).
eine A. d. W., Österreich seit 1847, seit- Schon seit 2800 v. Chr. beunruhigten se-
her alle großen Kulturnationen. Diese A. mit. Hirtenstämme, aus der arab. Wüste
vereinigen die jeweils fähigsten Gelehrten kommend, die Randgebiete des Reiches
des Landes (geistes- und naturwiss. Zweig) ↑ Sumer; sie drangen allmählich ins In-
und dienen im Gegensatz zu den Univer- nere, kulturelle Verschmelzung mit den
sitäten wie zu den Akademien der Künste Sumerern. Um 2350 wurde Lugalsagesi,
nur der Forschung, nicht der Lehre. der den energischen Versuch gemacht
Akadien, ehemaliger frz. Besitz südl. des hatte, das sumer. Reich zu retten, von dem
St.-Lorenz-Stromes in Kanada, seit 1604 Semiten ↑ Sargon I. von Akkad besiegt.
von den Franzosen besiedelt, 1713 im Sargons Reich erstreckte sich vom SW-
Frieden von Utrecht an England abgetre- Iran bis nach Syrien, zum Libanon und
ten. Zahlreiche Franzosen wanderten frei- nach Kleinasien; führende Stadt wurde
willig oder unter Zwang in die Provinzen ↑ Nippur, 150 km südöstl. von Bagdad.
Neuenglands aus (A. = die heutigen ka- Entwicklung einer reichen Kultur mit
nad. Provinzen Neu-Schottland und Neu- Tempelburgen (Zikkurats) und Palaststät-
Braunschweig). ten; Sargons Nachfolger Naramsin trieb
Akbar (arab. „Der Große“), Großmogul Handel bis Indien, das semit. Akkadisch
von Indien, 1542–1605; war tatar. Her- wurde Staatssprache. Um 2150 berei-
kunft, islam. Glaubens; regierte seit 1556, tete der Einfall der Gutäer aus Nordosten
genial als Feldherr wie als Staatsmann, („Drachen des Gebirges“) dem Reich Ak-
einte in schweren Kämpfen fast ganz In- kad ein rasches Ende; in der nachakkad.
dien und machte es durch umfassende Zeit Wiederaufrichtung der sumer. Stadt-
Reformen zu einem Rechtsstaat mit ge- staaten; Akkad und Sumer bis 1955 v. Chr.
ordneter Verwaltung. Freund der Künste unter den Königen von Ur.
und Wissenschaften, größter Sittenlehrer Akkon (im Zeitalter des Hellenismus: Pto-
auf einem Thron seit Mark Aurel, tolerant lemais), Hafenstadt in Palästina, während
und aufgeschlossen für alle Religionen, der Kreuzzüge umkämpft, daher „Kirch-
gewährte A. nicht nur den Hindus (der hof der Christenheit“ genannt. Die Kreuz-
Masse seiner Untertanen), sondern auch fahrer nahmen A. 1104, verloren es 1187,
Christen und Parsen Religionsfreiheit, eroberten es 1191 nach zweijähriger Bela-

26
Alandinseln

gerung zurück (Richard Löwenherz) und die Ausgabe von Klein- oder Volksaktien
verloren es 1291 endgültig an die Mame- mit breitester Streuung und Vermeidung
lucken. – 1799 von den Türken mit engl. jeder Bindung an den Staat oder seine
Waffenhilfe gegen Bonaparte verteidigt. Organe (rein privatrechtliche Unterneh-
Akragas, ↑ Agrigentum. mungen). Berühmte Beispiele von Aktien-
AKP-Staaten, Bez. für die Entwicklungs- schwindel: John ↑ Law in Frankreich und
länder in Afrika, in der Karibik und im die ↑ „Gründerjahre“ in Deutschland.
Pazifik, die durch das Abkommen von Aksum, hl. Stadt in der Nähe von Adua,
↑ Lomé (1975) der EU (damals EWG) as- im Land Tigre, im 1.–7. Jh. n. Chr. zugleich
soziiert sind; 1975 in Georgetown auch als Name für das altabess. Reich (↑ Äthio­
formelle Organisation konstituiert, 1979 piens); erhalten sind zahlreiche Denkmä-
Unterzeichnung des 2. Lomé-Abkom- ler (Stelen von A.), Palast- und Grabrui-
mens, 2000 Abkommen von Cotonou. nen; hier wurden die ­ „Bundeslade“ der
Akropolis (griech. Oberstadt), in der An- kopt. Kirche und die „Gesetzestafeln“ des
tike der befestigte hochgelegene Teil der Moses aufbewahrt.
griech. Städte, Tempel- und Burgberg; die Aktium, Vorgebirge an der Westküste des
klassische A. von Athen, deren Ruinen er- Epirus an der Einfahrt zum Golf von Arta.
halten sind, wurde anstelle älterer Anlagen Hier errang 31 v. Chr. Oktavian, der spä-
zur Zeit des Perikles gebaut: Neben dem tere Kaiser Augustus, den entscheidenden
alten Athene-Tempel (6. Jh.) und dem al- Seesieg über Antonius und Kleopatra, der
ten Königspalast wurden 447 bis 432 der die Vorherrschaft des röm. Westen über
Parthenon, 437 bis 433 v. Chr. die Propy- den hellenist. Osten sicherte.
läen, nach 420 der Nike- und der Diony- Akzise (mittellat. accisia, Herkunft um-
sostempel, 421 bis 413 das Erechtheion stritten), seit dem MA, von den Niederlan-
vollendet. In Römertagen kamen 27 v. Chr. den ausgehend, in England und Deutsch-
der Tempel der Roma und des Augustus land Bez. für Steuern versch. Art, beson-
und das Monument des Agrippa hinzu. ders in Preußen, ursprünglich städtisch,
Nach der Christianisierung Griechenlands dann verstaatlichte, 1766–1786 zentral
wurde der Parthenon christliche Kirche, verwaltete Umsatz- und Verbrauchssteuer;
1458 nach Einnahme Athens durch die im 19. Jh. weitgehend abgebaut, im 20. Jh.
Türken Moschee. Bei der Belagerung des in vielfältigen Formen wiederbelebt.
türk. Athen durch die Venezianer (1687) Alandinseln, Inselgruppe von 6 550 In-
wurde der mittlere Teil des Parthenon in seln im Bottn. Meerbusen mit schwed. Be-
die Luft gesprengt. 1801 Bergung der be- völkerung, von strateg. Bedeutung. 1809
deutendsten Schrift- und Bilddenkmäler zusammen mit Finnland von Schweden
durch den Schotten Lord Elgin; seit 1926 an Russland abgetreten. Nach den Bestim-
Wiederherstellungsarbeiten. mungen des Pariser Friedens 1856 ent-
Aktiengesellschaft, eine der Haupt- militarisiert. 1916 mit stillschweigender
formen der kapitalist. Unternehmung, Duldung der Alliierten befestigt; Bewoh-
entwickelte sich aus den (See-)Handels- ner wünschten nach dem 1. Weltkrieg An-
gesellschaften des Frühkapitalismus (13.– schluss an Schweden, doch wurden die
16. Jh., vor allem in Italien) und den staatl. Inseln vom Völkerbund 1921 Finnland
konzessionierten Handelskompanien im zugesprochen unter den Bedingungen der
Zeitalter des Kolonialismus. In der neues­ Autonomie und Entmilitarisierung. 1939
ten Zeit hatte die A. an dem rapiden Auf- finn.-schwed. Vorstoß in der Befestigungs-
schwung des modernen Kapitalismus ent- frage, nach dem russ.-finn. Krieg hinfällig;
scheidenden Anteil, nicht zuletzt durch Entmilitarisierung 1947 erneut bestätigt.

27
Alanen

Alanen, iranisches Nomadenvolk. Urspr. Bedeutung; 1958 Erhebung A.s zum


in Südrussland und im nördl. Kaukasus 49. Bundesstaat der USA. Ende der 60er
ansässig, zogen die A., durch die Hunnen Jahre Entdeckung und Beginn der Förde-
verdrängt, um 350 nach W, fielen im Ge- rung riesiger Erdölvorräte. Seit 1977 führt
folge der Sueben und Vandalen in Gallien eine 1300 km lange Pipeline zum eisfreien
ein und teilten mit den beiden german. Hafen Valdez.
Völkern Spanien unter sich auf; nach der Alba, Fernando Alvarez de Toledo, Her-
Eroberung Spaniens durch die Westgoten zog von, span. Feldherr und Staatsmann,
an der Loire angesiedelt. Die in Südruss- 1508–1582; entschied als Oberbefehlsha-
land zurückgebliebenen Reste noch heute ber der Truppen Karls V. den Schmalkald.
als Osseten im Kaukasus erhalten. Krieg durch den Sieg von Mühlberg 1547,
Alarich, Könige der Westgoten aus dem unterwarf als kaiserlicher Statthalter die
Geschlecht der Balten: 1) A. I., um 370– aufständ. Habsburgischen Niederlande
410; führte 395 sein Volk aus Mösien nach mit militär. Gewalt; führte ein starres
dem Peloponnes und dem Epirus, schließ- Blutregiment (Hinrichtung ↑ Hoorns und
lich nach Italien, eroberte 410 Rom, starb ↑ Egmonts), Verbitterung des Bürgertums
in Unteritalien auf dem Weg nach N- durch neue, hohe Steuern. Der Kampf zw.
Afrika, begraben im Busento bei Cosenza. A. und den Rebellen (↑ Geusen) führte
(Die mehrfache Suche nach dem großen zum Abfall der Nordprovinzen. A. wurde
Goldschatz, den die Goten ihrem König 1573 abberufen, 1579 sogar verbannt,
mit ins Grab gegeben haben, blieb erfolg- führte jedoch 1580 wieder ein Heer, das
los, 1961 aber mit Mitteln der Stiftung Le- Portugal für die span. Krone eroberte.
rici wieder aufgenommen.) 2) A. II., Sohn Albanien, das „Tor zur Adria“, in der An-
und Nachfolger ↑ Eurichs, seit 484 ver- tike Teil der röm. Provinz Dalmatien, im
mählt mit Theodegotho, Tochter ↑ Theo- MA in buntem Wechsel unter bulgar.,
derichs d. Gr.; schuf 506 die „Lex Romana byzant. oder serb. Oberhoheit, teilweise
Visigothorum“, unterlag 507 Chlodwig von Venedig oder Sizilien (Normannen)
bei Vouglé (bei Poitiers) und fiel (Ende des beherrscht, unter eigenen oder fremden
Tolosanischen Reiches der Westgoten). Dynastien. 1443–1448 Freiheitskampf
Alaska, Halbinsel im N des amerik. Kon- unter dem Nationalhelden Skanderbeg.
tinents, durch die ↑ Beringstraße vom asia- 1476 dem türk. Reich einverleibt und
tischen Festland geschieden; Einfallstor für zum größten Teil zum Islam bekehrt.
die ersten Einwanderer aus Sibirien in den 1913 (2. Balkankrieg) im Frieden von Bu-
menschenleeren amerik. Kontinent. Im karest für unabhängig erklärt (um Serbien
18. Jh. von meist russ. Seefah­rern an den am Zugang zur Adria zu hindern), 1914
Küsten erforscht (Deschnew) und von Wahl des Prinzen Wilhelm von Wied zum
Russland in Besitz genommen. 1867 für „Mbret“ (Fürst) der Skipetaren, der aber
7,2 Mio. Dollar an die USA verkauft, brachte noch im gleichen Jahr das Land verließ.
es den USA die Kaufsumme durch Gold- 1914–1918 Kriegsschauplatz, nach dem
funde und Pelzreichtum binnen kurzem Krieg als selbständige Republik wieder-
wieder ein; zum Territorium der USA er- hergestellt, gefährdet durch die Ansprüche
klärt und 1942–1945 durch die 4600 km Italiens, Jugoslawiens und Griechenlands.
lange A.-Straße längs der Westküste Ka- Nach langen Wirren Regime Achmed Zo-
nadas (Baukosten 115 Mio. Dollar) un- gus (1925 Präsident, 1928 König), polit.
mittelbar mit den USA verbunden, als von Italien abhängig; 1939 von Mussolini
Flotten- und Luftstützpunkt wie als Roh- annektiert (Personalunion), Operations-
stoffreservoir von wachsender strategischer basis für das gescheiterte ital. Unterneh-

28
Albertus Magnus

men gegen Griechenland, 1943 unter dt. 1819–1861; vermählt mit Königin Vikto-
Besatzung von der ital. Krone gelöst, 1945 ria von England, seit 1857 mit dem Titel
sowjetfreundl. Regierung Enver Hox- Prinzgemahl, förderte das Verständnis der
has, Volksdemokratie und Glied des Ost- Königin für den Gedanken der dt. Ein-
blocks; 1960/61 Abkehr von Sowjetruss- heit; polit. liberal, weitsichtig; veranlasste
land (das in A. eine starke Position an der Schulreformen; Initiator der 1. Weltaus-
Adria gewinnen wollte) und Bindung an stellung in London 1851.
das kommunist. China. 1961 Abbruch der Albert von Appeldern, Bischof von Liv-
diplomat. Beziehungen zur Sowjetunion, land, um 1170–1229; Domherr aus Bre-
1968 Austritt aus dem Warschauer Pakt. men, führte ein Kreuzheer nach Livland,
1967 Schließung der Moscheen und Pro- gründete 1201 zusammen mit Kaufleuten
klamation A.s zum ersten atheist. Staat. aus Gotland Riga, stiftete den Schwertbrü-
1977/78 Streit mit China über Mao Tse- derorden, um außer den Kreuzfahrern, die
tungs „Dreiweltentheorie“, China stellte jeweils erst im Frühjahr aus den Reichs-
seine Militär- und Wirtschaftshilfe ein. In gebieten kamen, das ganze Jahr hindurch
den 80er Jahren vorsichtige Öffnung des eine schlagfertige Truppe zur Verfügung
lange Zeit internat. fast völlig isolierten zu haben, und nahm 1207 Livland von
A. gegenüber dem Ausland, zu Beginn der König Philipp von Schwaben zu Lehen,
90er demokratische Reformen. Aufgrund teilte aber die tatsächliche Herrscherge-
der wirtschaftl. Lage massenhafte Auswan- walt mit der Stadt Riga und dem Orden
derung, Auseinandersetzungen mit dem der Schwertbrüder.
Nachbarland Serbien wegen des Kosovo, Albertiner, jüngere Linie des Hauses
Unterstützung durch Stationierung von ↑ Wettin (erbliche Kurfürstenwürde), be-
NATO-Truppen. nannt nach Herzog Albrecht dem Be-
Alberoni, Giulio, span. Kardinal und herzten; 1485 Erbteilung des Hauses Wet-
Staatsmann, 1664–1752; Emporkömm- tin (Hauptsitz Sachsen-Wittenberg) in die
ling ital. Abstammung, trieb als leitender ältere Ernestiner- und die jüngere A.-Linie.
Minister seit 1717 ohne Rücksicht auf die Die Ernestiner erhielten Kursachsen, fast
Erschöpfung des Landes durch den Span. ganz Thüringen, das Vogtland, die Alber-
Erbfolgekrieg ehrgeizige, abenteuerliche tiner die Markgrafschaft Meißen und das
Großmachtpolitik mit Spitze gegen Eng- nördl. Restthüringen. 1547 gewannen die
land und den Kaiser, scheiterte beim Ver- A. die Kurwürde zurück. 1806 wurden sie
such, Sardinien und Sizilien zurückzuge- (durch Napoleon) Könige von Sachsen.
winnen, an der ↑ Quadrupelallianz und Albertus Magnus (Albert d. Große), Graf
der Vernichtung der span. Flotte bei Pas- von Bollstädt (Lauingen, Schwaben), hl.,
saro (1718) durch die Engländer, entlas- Kirchenlehrer, genannt „Doctor universa-
sen, später päpstlicher Legat. lis“, um 1193–1280; bedeutendster Ver-
Albert, Name von Herrschern.– ­Belgien: treter der Scholastik neben seinem Schüler
1) A. I., 1875–1934; König der Belgier Thomas von Aquin. Der Dominikaner er-
seit 1909, schiffte sich 1914 mit dem warb an der Pariser Sorbonne den Doktor-
Rest seiner Armee nach England ein; bei grad, 1260–1262 war er Bischof von Re-
einer Felsbesteigung tödlich abgestürzt. gensburg, lehrte vor allem in Köln, wid-
– ­Sachsen: 2) A., 1828–1902; als Kron- mete sich der Auslegung der Philosophie
prinz 1866 Heerführer gegen Preußen, des Aristoteles in christl. Sicht und führte
1870 Sieger von Gravelotte, König seit sie in die Scholastik ein, pflegte die Na-
1873. – Sachsen-Coburg-Gotha: 3) A., turwissenschaft (Tierbeobachtungen, che-
Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, mische Experimente), wurde von Fürsten

29
Albigenser

und Städten um Rat und Schiedsspruch auf den Thron; wurde auch zum König
angegangen. In der Legende lebt er fort als von Ungarn und Böhmen gekrönt; starb
christlicher Magier mit Zauberkräften. am Sumpffieber. – Bayern: 3) A. III.,
Albigenser, die nach ihrem Hauptsitz Albi 1401–1460; 1432 heimlich mit Agnes
(bei Toulouse) benannten, von der Kirche ↑ Bernauer vermählt (die sein Vater, Her-
als Ketzer verfolgten Anhänger einer reli- zog Ernst, 1435 ertränken ließ), seit 1438
giösen Reformbewegung des 12./13. Jh. in Herzog von Bayern-München. 4) A. IV.,
Südfrankreich und Oberitalien (gehen zu- 1447–1508; Herzog seit 1463, setzte die
rück auf die ↑ Katharer); sie verwarfen die Unteilbarkeit seiner Erblande fest und be-
Lehre der Kirche, predigten Armut und erbte die 1500 erloschene Linie Bayern-
Askese, gaben sich eigene Bischöfe und Landshut. 5) A. V., 1528–1579; Herzog
hatten Freunde selbst unter den Fürsten; seit 1550, förderte vor allem die Künste,
wegen der dauernden Verfolgungen Got- errichtete 1558 die herzogliche Biblio-
tesdienste in verborgenen Höhlen und thek, infolge einer Adelsverschwörung
Wäldern; von der Inquisition und durch entschied er sich für die Gegenreforma-
Kreuzzüge fast ausgerottet. tion. – Brandenburg: 6) A. I. der Bär, um
Alboin, König der Langobarden (um 560– 1100–1170; aus dem Hause der Askanier,
572), vernichtete 567 das Reich der Ge- Graf von Ballenstedt, 1134 mit der Nord-
piden an der mittleren Donau und führte mark belehnt, sicherte sich die Erbfolge im
568 sein Volk, verstärkt durch Sachsen, aus Havelland (1150), begründete im Kampf
dem nordthüring. Raum nach Italien; ver- gegen die Wenden die Mark Branden-
mählt mit Rosamunde, der Tochter des ge- burg. 7) A. III. Achilles, 1414–1486; Ho-
töteten letzten Gepidenkönigs Kunimund; henzoller, Kurfürst seit 1470, setzte 1473
auf deren Veranlassung 572 ermordet. durch Hausgesetz (Dispositio Achillea) die
Albornoz, Aegidius Alvarez Carillo, span. Unteilbarkeit der Mark fest. 8) A. Alcibi-
Kirchenfürst, um 1305–1367; Erzbischof ades, 1522–1557; Markgraf von Kulm-
von Toledo, machte als Kardinallegat für bach-Bayreuth seit 1541; zahlreiche,
Italien in Abwesenheit der Päpste (Avi- mit brutaler Härte durchgeführte Feh-
gnon) dem Chaos in Rom (Adelskämpfe, den gegen die fränk. Bistümer Bamberg
Auftreten Cola di Rienzos) ein Ende; ord- und Würzburg und die Stadt Nürnberg
nete die Verhältnisse des Kirchenstaates. („Markgräfler Krieg“). Von seinen Geg-
Albrecht, Name von Herrschern. Dt. Kö- nern geschlagen und vom Kaiser geächtet,
nige: 1) A. I., von Österreich, 1255–1308; ging A. A. 1554 außer Landes. 9) A., Bru-
ältester Sohn Rudolfs von Habsburg, erst der des Kurfürsten Joachim von Branden-
1298 zum König gewählt, besiegte seinen burg, Kurfürst von Mainz, 1490–1545;
Vorgänger (Gegenkönig) Adolf von Nas- mit 23 Jahren Erzbischof von Magdeburg,
sau; tatkräftiger Hausmachtpolitiker, be- 1514 auch von Mainz, 1518 zum Kardinal
kämpfte erfolgreich die egoist. Politik der erhoben, benötigte zur Bezahlung der ho-
Kurfürsten, verzichtete auf die das Reich hen Palliengelder usw. große Geldmengen
schwächende Italienpolitik, bemüht um und ließ die Summe durch einen Ablass
Ausgleich mit dem Papst. 1308 von sei- aufbringen, für den Tetzel, der Zeitsitte
nem Neffen Johann Parricida (= Vatermör- entsprechend, warb; der Missbrauch des
der), dem er, um die geschlossene Haus- Ablasses forderte Luthers Thesenanschlag
macht nicht zu zersplittern, sein Erbe vor- heraus. – Österreich: 10) A., Erzherzog,
enthalten hatte, ermordet. 2) A. II., Her- 1817–1895; bedeutender Heerführer,
zog von Österreich, 1397–1439; folgte 1866 Sieger von Custoza gegen die überle-
1438 seinem Schwiegervater Sigismund genen ital. Streitkräfte. – Preußen: 11) A.,

30
Alemannen

Sohn des Markgrafen Friedrich von Bran- glaubten noch bis ins 17. Jh. hinein an den
denburg-Ansbach, 1490–1568; seit 1511 Stein der Weisen und das Walten überird.
(letzter) Hochmeister des Deutschen Or- Kräfte in den chem. Vorgängen; erst all-
dens; nahm 1525 das Ordensland als welt- mählich wurde der Unterschied zwischen
liches (protestant.) Herzogtum Preußen berufsmäßigen Goldmachern und Schar-
von Polen zu Lehen, Stifter der Universi- latanen und den echten Forschern be-
tät Königsberg. – Sachsen: 12) A. III., der griffen: Seit Boyle um 1750 die moderne
Beherzte, 1443–1500; führte Kaiser Maxi- Chemie begründet hatte, erhielt das Wort
milians I. Kriege in Flandern, 1485 Her- A. jene geringschätzige Bedeutung, die es
zog der geteilten sächs. Erblande, Stifter heute hat. Solange diese Unterscheidung
der Albertin. Linie des Hauses der Wet- nicht bestand, besaßen gerade die phan-
tiner. – Württemberg: 13) A., Herzog, tasievollsten Alchemisten hohes Ansehen,
1865–1939; Thronfolger (bis 1918), im oft unterstützt von goldhungrigen Fürs-
1. Weltkrieg Führer einer Heeresgruppe ten; der alchemist. Pseudowissenschaft ist
im Westen. u. a. die (zufällige) Erfindung des Porzel-
Albuquerque, Alfonso d’, portug. Seefah- lans und die Phosphorherstellung zu ver-
rer, 1462–1515; als Statthalter Ostin­diens danken (↑ Chemie).
seit 1510 (Nachfolger ↑ Almeidas) fes­tigte Aleandro, Girolamo, ital. Humanist und
und erweiterte er die portug. Macht am Kardinal, 1480–1542; führte an der Pariser
Indischen Ozean (Goa, Ormus, Ceylon). Universität das Studium des Griechischen
Alchemie oder Alchimie, als wiss. „Che- ein und wurde ihr Rektor; trat in diplo-
mie“ in der Antike begr. von den Ägyp- matische Dienste der Kurie (päpstlicher
tern (die ihr Land „Kemi“ = „Schwarze Biblio­thekar), wurde zusammen mit ↑ Eck
Erde“ nannten; ihre Beiz- und Färbetech- als Nuntius nach Deutschland gesandt,
nik wurde im Baumwolle verarbeitenden um dem gegen Luther verhängten Kirchen­
Indien als „Kunst des Schwarzen Landes“ bann Nachdruck zu verleihen; betrieb auf
bekannt). Die Griechen beschäftigten sich dem Reichstag zu Worms 1521 die Verhän­
mit der Chemie mehr philosophisch-spe- gung der (weltl.) Reichsacht über Luther
kulativ als naturwiss.-experimentell. Erst und berichtete über Erasmus, Hutten und
die Araber griffen die Wissenschaft wieder Sickingen als Gegner der Kirche nach
auf, bauten sie aus und übermittelten ihre Rom; verdient um die Geschichtsschrei-
Kenntnisse als „al Kemia“ (= die Chemie) bung und Quellenforschung durch Ord-
dem Abendland, doch blieben sie weit nen des päpstl. Archivs sowie sorgfältig re-
entfernt von einer zutreffenden Einsicht digierte Gesandtschaftsberichte.
in das Wesen chem. Vorgänge. Ihre Über- Alemannen, Alamannen, german. Völ-
zeugung, dass Metalle ineinander umge- kerschaften, wanderten zu Beginn des
setzt werden können, übernahmen die 3. Jh. n. Chr. aus ihren alten Siedlungsge-
abendländischen Alchemisten (daher A. = bieten im norddt. Raum in das Maingebiet
Metallscheidekunst); trotz dieses Irrtums ab. Erstes histor. Auftreten gemeinsam mit
blieb die A. in ihren Grundlagen wiss., dem Stamm der Semnonen 213 n. Chr.,
bis sie bei Ausgang des MA mystisch-theo­ Vorstöße über den römischen ↑ Limes bis
sophische Züge annahm und sich in eine nach Mittel- und Oberitalien und nach
Geheimwissenschaft verwandelte; Ziel: ↑ Gallien. Die A. beherrschten im 5. Jh.
den „Stein der Weisen“ zu finden, mit des- das Gebiet zwischen Rhein, Bodensee,
sen Hilfe unedle Metalle sich vermeint- Lech, Fränk. Alb und Main. Bei Zusam-
lich in Gold verwandeln und Krankheiten menstößen mit den Franken (Chlodwig)
heilen ließen. Selbst bedeutende Gelehrte unterlagen sie, mussten einen Teil ihrer

31
Alembert

Siedlungsgebiete abtreten und die anderen sammlung zum Fürsten gewählt, machte
der fränk. Oberhoheit unterstellen. Chris- sich frei von russ. Bevormundung, ver-
tianisierung seit dem 6. Jh., im 7. und einigte Ostrumelien mit Bulgarien, was
8. Jh. Aufzeichnung der alemann. Volks- Russland veranlasste, ihn zur Abdankung
rechte; 746 von den Karolingern endgül- zu zwingen (1886); der Plan seiner Hei-
tig unterworfen. Diese Hoheitsgebiete rat mit einer preuß. Prinzessin wurde von
bildeten später das Herzogtum Aleman- Bismarck im Interesse eines guten Ver-
nia, aus dem das Herzogtum Schwaben hältnisses zu Russland verhindert („Bat-
(abgeleitet von dem alemann. Stamm der tenberg-Affäre“). – Makedonien: 2) A.
Sweben) wurde. Den Namen „Alemannia“ der Große, 356–323 v. Chr.; Sohn König
übertrugen die roman. Völker (ausgehend Philipps von Makedonien und der Köni-
von Frankreich) auf das gesamte Deutsch- gin Olympias, die ihn schon als Knaben
land: „Allemagne“. von seiner göttlichen Abkunft überzeugte.
Alembert, Jean le Rond d’, frz. Mathema- A. wurde von seinem Lehrer Aristoteles
tiker, Aufklärungsphilosoph und Freigeist, mit der griech. Hochbildung vertraut ge-
1717–1783; gab zus. mit Diderot die 28- macht, entschied 338 als Führer der ma-
bändige ↑ Enzyklopädie heraus, radikaler kedon. Adels­reiterei die Schlacht bei Chai-
Kritiker der christlichen Dogmatik. ronea, wurde 336 König von Makedonien
Aleppo, Stadt in NW-Syrien; im und Hegemon des Korinth. Bundes, der
2. Jt. v. Chr. in einer hethit. Urkunde als bei seiner Gründung (337) den Rache-
Zentrum eines Königreichs genannt; kam krieg gegen Persien proklamierte; sicherte
738 unter assyr. Herrschaft, danach in den in Blitzfeldzügen seine Herrschaft auf dem
Besitz der Meder (um 612), der Achäme- Balkan und in Griechenland; 335 Ein-
niden (539), Alexander d. Gr. (333), der nahme und Zerstörung Thebens; über-
Römer (65), Perser (540 n. Chr.) und Ara- schritt 334 den Hellespont mit insgesamt
ber (637–944); nach 969 zeitweilig by- 42 000 Mann zum Rachefeldzug (für die
zantinisch; 1260 Provinzhauptstadt der Perserzüge nach Griechenland), doch vor
Mamelucken; 1516 osmanisch; nach dem allem zum Er­oberungszug gegen die Welt-
1. Weltkrieg Teil des Völkerbundsman- macht Persien, schlug die pers. Massen-
dates Syrien, ab 1946 syrisch. aufgebote 334 am Granikos, 333 bei Issos
Alesia, keltische Stadt (nordwestl. des heu- und nach der Einnahme von Tyros und
tigen Dijon), 53 v. Chr. letzter Zufluchts- der kampflosen Unterwerfung Ägyptens
ort der aufständ. Gallier unter ↑ Vercinge- (Besuch A.s im Amonheiligtum) – 331
torix, 52 v. Chr. von Cäsar er­obert. Ausgra- bei Gaugamela; übernahm die Würde des
bungen der Lager und Befestigungen. geflüchteten und ermordeten Großkönigs
Alëuten, Inselgruppe am Südrand der Be- Darius III. (330), stieß nach Turkestan
ringsee zwischen Kamtschatka (Sibiren) vor, vermählte sich mit der baktr. Fürs-
und Alaska, um 1740 von Bering ent- tentochter Roxane, drang bis zum östl. In-
deckt, 1867 zus. mit Alaska von Russland dusarm (326) vor, siegte in seiner letzten
an die USA verkauft, im 2. Weltkrieg teil- (genialen) Schlacht am Hydaspes (326)
weise von Japan besetzt, später Flotten- über König Poros. Bald darauf aber wurde
und Luftstützpunkt der USA. er durch eine Meuterei seines Heeres zum
Alexander, Name von Herrschern. Bul- Rückzug gezwungen und erlag vor der
garien: 1) A. von Battenberg, 1857–1893; geplanten Umschiffung Ara­biens 323 in
aus dem Hause Hessen-Darmstadt (aus Babylon der Malaria. A.s Politik der Ver-
morganat. Ehe), Neffe des Zaren Alexan- schmelzung von Makedoniern und Per-
der, 1879 von der bulgar. Nationalver- sern, also des Abendlandes mit dem Mor-

32
Alexander von Roes

genland (Massenhochzeit von Susa), die neigte zu Frankreich, nachdem er vorher


den Bestand seines Reiches ­sichern sollte, Deutschland durch Geheimverträge un-
befand sich z. Z. seines Todes noch im terstützt hatte (↑ Rückversicherungsver-
Anfangsstadium; so zerfiel sein Weltreich trag 1887); 1892 Militärkonvention Russ-
(neben dem keine zweite Großmacht land-Frankreich. – Serbien: 7) A. I., 1888–
exis­tierte) unmittelbar nach seinem Tode 1934; Regent seit 1918, König 1922,
(↑ Diadochenreiche); die weitreichendste suchte 1929 die gefährdete Staatseinheit
Folge seiner Reichsgründung war die Ver- (kroat. Unabhängigkeitsstreben) durch
breitung hellen. Kultur in der Welt der Militärdiktatur zu retten (Umbenennung
Antike und die Öffnung des Ostens für Serbiens in Jugoslawien); in Marseille (mit
Weltverkehr und Welthandel. – Russland: Barthou) ermordet.
3) A. Newski, um 1220–1263; Fürst von Alexander, Päpste: 1) A. III., zuvor Kardi-
Nowgorod, besiegte 1240 die Schweden nal Roland, 1159–1181 Papst; setzte sich
an der Newa (daher sein Name) und 1242 gegen Kaiser Friedrich I. und dessen Ge-
den Dt. Orden auf dem gefrorenen Pei- genpäpste durch, einer der großen Wahrer
pussee. 4) A. I., 1777–1825; Enkel Katha- der päpstlichen Macht. 2) A. VI., aus dem
rinas II., Sohn Zar Pauls I., im Geiste der Hause Borgia, skrupelloser, sittenloser
Aufklärung erzogen, an der Ermordung und Pracht liebender Renaissancepapst
seines Vaters wohl nicht unbeteiligt, 1801 (1492–1503); Vater von Cesare und Lu-
Zar; begann mit Reformen, um die Adels- crezia Borgia; Förderer der Künste; legte
herrschaft zu brechen; blieb Sieger im durch den Vertrag von ↑ Tordesillas, der
Kampf gegen Napoleon 1812–1815, er- von beiden Parteien anerkannt wurde, die
warb Finnland und Bessarabien, erzwang Demarkationslinie für die von Spaniern
auf dem Wiener Kongress die Anerken- und Portugiesen neuentdeckten Länder
nung eines mit Russland eng verbundenen der westl. Halbkugel fest; soll an einem
Königreichs Polen, gründete die ↑ Hei- Gifttrank gestorben sein, den er für seine
lige Allianz, seine repressive Innenpolitik Gegner hatte bereiten lassen. 3) A. VII.,
führte 1825 zum ↑ Dekabristenaufstand, 1655–1667 Papst; betrieb die Jesuitenmis-
er regierte schließlich als Vorkämpfer der sion in China, beauftragte Bernini mit der
Reaktion und flüchtete in die Mystik. Die Gestaltung des Petersplatzes.
Berichte, dass A. seinen Tod vorgetäuscht Alexander Severus (Severus Alexander),
habe und als Einsiedler nach Sibirien ge- römischer Kaiser (222–235); beim Regie-
gangen sei, sind Legenden. 5) A. II., „der rungsantritt noch nicht 14 Jahre alt, wurde
Befreier“, 1818–1881; Zar seit 1855; hob er geleitet von seiner Mutter Julia Mam-
die Leibeigenschaft auf (1861), moderni- mäa und dem Rechtsgelehrten ↑ Ulpianus;
sierte das Heeres-, Justiz-, Finanz-, Ver- gebildet, tolerant, aber schwach und ohne
waltungs- und Schulwesen, lehnte jedoch festes polit. Ziel; kämpfte ohne Erfolg ge-
Einschränkung der Zaren-Selbstherrschaft gen die Neuperser (unter Ardasir, dem
durch Mitbestimmung des Volkes ab; ersten Sassandiden) und Germanen, 235
wurde mit den nationalen und sozialen bei Mainz von seinen Truppen mit seiner
Problemen Russlands nicht fertig (1863 Mutter ermordet.
Polenaufstand; Anarchismus und Nihilis- Alexander von Roes, Kölner Kleriker der
mus), durch Bombenattentat einer Anar- 2. Hälfte des 13. Jh.; streitbarer Verfech-
chistengruppe getötet. 6) A. III., 1845– ter der Reichsidee, bekämpfte in seinem
1894; regierte seit 1881, Reaktionär, för- Memoriale (1281) die frz. Ansprüche auf
derte den Panslawismus, betrieb Russifi- Kaisertum und Papsttum, in seiner Para-
zierungspolitik (Ostprovinzen, Finnland), bel vom Vogelkonzil („Pavo“), in dem der

33
Alexandria

Papst als Pfau, der frz. König als Hahn und Katechetenschule in Alexandria. Ende der
der dt. Kaiser als Adler erscheinen, spricht A. S. durch den Arabereinfall (640 n. Chr.).
er von den drei Weltämtern: Imperium = (In neuerer Zeit versteht man unter Alexan­
Deutschland, Sacerdotium = Papsttum; Stu- drinismus kulturelle Dekadenz, unschöp-
dium (der Wissenschaften) = Frankreich. ferische Übergelehrsamkeit, übersteiger-
Alexandria, gegr. 331 v. Chr. von Alexan- ten wiss. Sammeleifer.)
der d. Gr., erbaut nach Plänen des make- Alexei Michailowitsch, russ. Zar (seit
don. Architekten Deinokrates, Residenz 1645), 1629–1676; Vater Peters d. Gr.,
des Ptolemäerreiches (↑ Ptolemäer), füh- vergrößerte das Moskauer Reich um die
rende Hafen- und Handelsstadt der Antike Ukraine links des Dnjepr, die Provinz
mit etwa 1 Mio. Einwohner. Zentrum der Smolensk und Sibirien bis zur nördl. des
hellenist. Weltkultur; das ↑ Museion, gegr. Amur gelegenen Wasserscheide; führte
280 v. Chr., gewährte vielen Gelehrten und 1666 eine Kirchenreform durch, leitete
Künstlern Lebensunterhalt und bot ihnen die Europäisierung Russlands ein.
reiche wiss. Hilfsmittel: Institute für alle Alexeji Petrowitsch, russ. Thronfolger,
Forschungszweige und die berühmteste 1690–1718; Sohn Peters d. Gr., die Hoff-
Bibliothek des Altertums (beim Brand nung der reformfeindlichen altruss. Partei,
der Bibliothek anlässlich der Eroberung verzichtete auf seine Rechte als Thronfol-
Alexandrias durch Cäsar 48 v. Chr. wurde ger, verstümmelte sich selbst und flüchtete
die Zahl der vorhandenen Papyrusrollen nach Italien, von seinem erbitterten Vater
auf 70 000 geschätzt). 30 v. Chr. endgül- zurückbefohlen und wegen Hochverrats
tig römisch, wurde A. in der Frühzeit des zum Tode verurteilt, im Gefängnis an den
Christentums Sitz eines bedeutenden Pa- Folgen der Tortur gestorben.
triarchats (Athanasius, Kyrillos) und einer Alexios, Kaiser von Byanz: 1) A. I. Kom-
berühmten Katechetenschule; im MA seit nenos, 1048–1118; Begründer der Dynas­
der Eroberung durch die Araber 640 ver- tie der Komnenen, hervorragender Feld-
fallen (wiederaufgebaute Bibliothek ver- herr und Diplomat, setzte sich im Bürger-
nichtet, Residenz nach Kairo verlegt); seit krieg durch und bestieg 1081 den Thron,
1517 unter türk. Herrschaft; 1798 von kämpfte zunächst wenig glücklich gegen
Napoleon erstürmt. Wiederaufstieg unter die Normannen (Niederlage von Dynha-
dem Regime Mehemed Alis (Bau des Suez- chium, 1081), erst der Tod des Norman-
Kanals), 1882 von den Engländern bom- nen ↑ Robert Guiscard (1085) bannte die
bardiert und besetzt, wichtigster brit. Flot- Gefahr; in der Abwehr gegen Türken (Sel-
tenstützpunkt im östl. Mittelmeer, brit. dschuken) und Petschenegen behauptete
Garnison bis 1947, Hauptplatz des ägypt. A. das Reich, rief nach Versöhnung mit
Baumwollhandels. – Die anderen mehr als dem Papst (Urban II.) das christl. Abend-
zwei Dutzend hellenist. Städte mit dem land zu Hilfe und schaltete sich in die
Namen A. gingen fast ausnahmslos unter, Kreuzzugsbewegung ein. Den über Byzanz
sie wurden von Alexander d. Gr. und sei- anrückenden Teilnehmern am 1. Kreuzzug
nen Generälen nach überwiegend militär. (1096) nahm er den Lehnseid für die zu
Gesichtspunkten gegründet. erobernden Gebiete ab. Mit dem Norman-
Alexandrinische Schule, Hochblüte der nen Bohemund, der in Antiochia ein neues
hellenist. Gelehrsamkeit unter den ↑ Pto- Fürstentum errichtet hatte, kam A. wiede-
lemäern in Alexandria, bes. in der Philo- rum in Konflikt. Dem Kampf Alexios’ mit
sophie (Verschmelzung griech. Geistes den Normannen hatte Venedig den Auf-
mit oriental. Mystik); entsprechend auch stieg zur Kolonialmacht und zur Vorherr-
in der frühen christlichen Theologie der schaft im östlichen Mittelmeer zu verdan-

34
Algerien

ken; A. gewährte großzügig seinem Bun- über die Mauren) als erster König von Por-
desgenossen Venedig für Flottenhilfe Ab- tugal (1179 vom Papst als Königreich an-
gabenfreiheit im Handel (1082). 2) A. IV. erkannt), machte das 1147 eroberte Lissa-
Angelus, 1203 von den Kreuzfahrern ein- bon zur Hauptstadt. 7) A. V. der Afrika-
gesetzt unter Bedingungen (Vereinigung ner, König 1438–1481; eroberte Tanger,
der griech. mit der röm. Kirche), die zu erhob Anspruch auf Kastilien und wurde
Volksaufständen führten, denen er 1204 von Isabella und Ferdinand von Kastilien
zum Opfer fiel. besiegt; unter ihm Entdeckungsfahrten
Alfons, Name von Herrschern. Aragón: portug. Seefahrer nach Westafrika.
1) A. I. der Kämpfer (el Batallaor), König Alfonsín, Raúl, argentin. Politiker, geb.
1104–1134; machte das den Mauren ent- 1927; trat 1945 in die Radikale Bürger­
rissene Saragossa zur Hauptstadt Aragóns union (UCR) ein und war 1963–1966 Par-
(Vorverlegung der Grenze über den Ebro). lamentsabgeordneter. 1981 Vorsitzender
2) A. V. der Weise, König von Aragón, seiner Partei. Bei den ersten freien Wahlen
Neapel und Sizilien (1416–1458); verei- nach der Militärdiktatur (1976–1983)
nigte 1442 Sizilien wieder mit Neapel, ging A. als Sieger hervor. Als Staatspräsi-
das er vom Papst zum Lehen nahm, und dent 1983–1989 konnte er mehrfach Re-
herrschte dort als A. I. – Kastilien-León: bellionen der Armee vereiteln, jedoch ge-
3) A. VI., König 1065–1109; herrschte lang es ihm nicht, die schwere Wirtschafts-
nach Bruderkrieg seit 1072 allein über das krise seines Landes 1988/89 und die damit
Gesamtreich einschließlich León, machte verbundenen sozialen Konflikte entschei-
das 1085 eroberte Toledo zur Hauptstadt, dend zu mindern. Dies führte zu seinem
konnte sich gegen die maurische Dynas- vorzeitigen Rücktritt am 1. 7. 1989.
tie der Almoraviden nur durch die Siege Alfred der Große, König von Wessex und
des span. Nationalhelden ↑ Cid, eines von Oberherr über die anderen angelsächs.
ihm verbannten Vasallen, behaupten. Das Teilreiche in England (871–899); drängte
von Cid eroberte Valencia verlor er nach in schweren Kämpfen die dän. Wikinger
dessen Tod an die Almoraviden. 4) A. VII. zurück, verbesserte Kirchen- und Staats-
(1126–1157); setzte als letzter Herrscher verwaltung und förderte die altengl. Lite-
des ungeteilten Kastilien-León den An- ratur; erbaute die erste engl. Flotte.
spruch auf kaiserliche Würde in Spanien Algeciras, span. Hafenstadt gegenüber
durch; Lehensträger waren die Könige von Gibraltar; seit 711 Ausgangspunkt für
Navarra und Portugal, die Fürsten von die islam. Eroberung der iber. Halbinsel;
Barcelona und Toulouse. 5) A. X. (1252– 845 und 859 von den ↑ Normannen ge-
1282); Freund der Wissenschaften („Der plündert und zerstört. 1906 Konferenzort
Astronom“) und Förderer der kastil. Lite- (↑ Marokko).
ratur, entriss den Mauren Cadiz und Car- Algerien, Teile des heutigen A. gehörten
tagena, wurde 1257 mit Unterstützung zum phönik. und karthag. Machtbereich
Frankreichs und der Kurie zum dt. Kö- und bildeten in der Antike die röm. Pro-
nig gewählt, konnte aber seine auf Italien vinzen Numidien und Mauretanien (Mau-
zielenden Pläne wegen innerer Schwierig- retania Cäsariensis), eine der „Kornkam-
keiten nicht verwirklichen; er betrat nie mern“ Roms mit ausgedehnten Planta-
deutschen Boden. – Portugal: 6) A. I. der genwirtschaften und blühenden Städten
Eroberer, 1112–1185; Sohn des mit der (Hippo Regius), 429 bis 534 unter der
Grafschaft am Tajo belehnten Heinrich Herrschaft der Vandalen, dann zum Ost­
von Burgund (der sich von Kastilien unab- röm. Reich, um 700 von den Arabern er-
hängig machte), herrschte seit 1139 (Sieg obert, im 11.–13. Jh. unter den Almoravi-

35
Alhambra

den und Almohaden, seither unter eigenen orientierte Islamische Heilsfront (FIS)
Sultanen; Schlupfwinkel gefürchteter mau- bei den ersten freien Wahlen 1991 über-
rischer und türk. Seeräuber; ­ Chaireddin raschend siegte Übernahme der Macht
Barbarossa unterstellte 1519 A. der türk. durch das Militär, seit 1997 wieder regu-
Oberhoheit unter Zusicherung von Waf- läres Parlament, aber weiterhin bürger-
fenhilfe gegen die angreifenden Spanier; kriegsähnliche Zustände.
1535–1541 Abwehr der Landeunterneh- Alhambra, ↑ Granada.
mungen Kaiser Karls V. Anfang des 18. Jh. Ali (Ben Abu Taleb), aus Mekka, einer der
machte sich A. von der türk. Oberherr- ersten Anhänger des Propheten Moham-
schaft frei; im 17./18. Jh. mehrmals von med, dessen Vetter, Adoptiv- und Schwie-
europ. Flotten bombardiert. 1830 von gersohn (Gatte der Fatima), nach der sieg-
Frankreich besetzt und erst nach schweren reichen Kamelschlacht (656; ↑ ­Aischa)
Kämpfen gegen den Emir Abd El Kader vierter und letzter orthodoxer Kalif (656–
befriedet, als Protektorat kolonisiert; Ein- 661), von Verschwörern ermordet; Zen-
geborenenaufstände bes. während des Dt.- tralgestalt aller ↑ schiitischen Sekten, die
Frz. Krieges, Rückeroberung in den 70er ihn allein als rechtmäßigen Nachfolger des
Jahren; 1882 Annexion, bis 1902 Erwei- Propheten anerkennen.
terung durch Südterritorien, Verwaltung Aliso, 11 v. Chr. von Drusus angelegtes
durch Generalgouverneur. Im 2. Welt- Kastell; wahrscheinlich bei dem heutigen
krieg Zentrum der frz. Widerstandsbewe- Wetzlar gelegen (neue Ausgrabungen:
gung unter de Gaulle, doch bereits starke 4 Kastelle, 5 Marschlager), wichtiger
Unabhängigkeitsbestrebungen. Durch die Stützpunkt der Römer zur Sicherung ih-
Verfassung der Frz. Union Teil des Mut- rer Herrschaft über Germanien (zw. Lippe
terlandes; seit 1954 Aufstand der ­Fellaghas und Rhein) zur Zeit des Augustus.
(organisiert in der FLN = Front de la libé- Alkibiades, athenischer Staatsmann und
ration nationale); 1958 A. in die Verfas- Feldherr, um 450–404 v. Chr.; Neffe des
sung der 5. Republik einbezogen, doch Perikles, Vertreter eines athen. Imperialis-
Weiterführung des „schmutzigen Krieges“. mus, trotz Bekanntschaft mit Sokrates An-
Nach Zusammenbruch eines Militär- hänger der Sophisten, plante und leitete
putsches (April 1961) im Mai 1961 in ein Unternehmen gegen Sizilien, das nach
Evian und Lugrin ergebnislose Ausgleichs- seiner vorzeitigen Abberufung (415) mit
verhandlungen de ↑ Gaulles mit den Füh- einer Katastrophe endete; floh, zum Tode
rern der Aufstandsbewegung; 1962 ge- verurteilt, nach Sparta, intrigierte dort ge-
währte Frankreich A. im Abkommen von gen Athen; vom athen. Volk zurückgeru-
Evian-les-Bains die volle Unabhängigkeit. fen, sicherte er durch Seesiege über Sparta
Ben Bella wurde Staatspräsi­dent der Re- die Getreidezufuhr aus dem Schwarzen
publik A. Durch den Sturz Ben Bellas ge- Meer, strebte nach der Diktatur, abermals
langte 1965 Oberst ↑ Boume­dienne an die verbannt; in pers. Emigration auf Betrei-
Spitze eines Revolutionsrates. 1973 Kon- ben Spartas ermordet.
ferenz der blockfreien Staaten in Algier. Alkuin, angelsächs. Gelehrter, um 735–
1976 Annahme einer neuen Verfassung 804; bedeutendster Ratgeber und Mitar-
und Wahl Boumediennes zum Staatsprä- beiter Karls d. Gr. in geistlichen Angele-
sidenten, nach dessen Tod 1978 Oberst genheiten und allen Fragen der Bildung;
Bin Dschadid Schadli als Staatsoberhaupt von adeliger Herkunft, seit 782 am Hof
gewählt, im Juli 1989 Ablösung des bis- Karls d. Gr., Mittelpunkt des Aachener
herigen Einparteiensystems durch ein plu- Gelehrtenkreises, Leiter der Hofschule,
ralist. System; als die fundamentalistisch Seele der ↑ Karolingischen Renaissance

36
Almagio

(Erneuerung der Wissenschaften der An- verbundene Staaten, die gemeinsame po-
tike); 796 Abt von St. Martin zu Tours; er- lit. oder militär. Ziele haben. – Heilige
halten ist der Briefwechsel mit Karl d. Gr. Allianz zw. Russland, Preußen und Öster-
Alldeutsche, Anhänger einer Bewegung, reich, dazu bestimmt, die auf dem Wiener
die den dt. Nationalismus fördern wollte, Kongress festgelegte staatliche und dynast.
imperialistisch, aber keine Forderung Ordnung zu sichern. Von Metternich in
nach Weltherrschaft Deutschlands, bes. den 1820/30er Jahren dirigiert, erwies sich
vor dem 1. Weltkrieg, zusammengefasst die H. A. als ein wirksames Machtinstru-
im A.n Verband. Die A. forderten die Er- ment gegen die revolutionären national-
weckung eines polit. Zusammengehörig- staatl. Bewegungen. – Im 1. und 2. Welt-
keitsgefühls aller Deutschen über die be- krieg nannten sich die gegen Deutsch-
stehenden Grenzen hinweg und eine ent- land verbündeten Großmächte alliierte
schiedene Machtpolitik, wo immer es um und assoziierte Mächte (Assoziierte meint
das Ansehen und die Interessen Deutsch- hier nicht vertraglich gebundene Staaten,
lands ging, vor allem eine kraftvolle Flot- wie z. B. die USA, im Gegensatz zu den
ten- und Kolonialpolitik. Wegen der Ver- A., den vertraglich gebundenen Mächten
stiegenheit ihrer Forderungen gewannen Frankreich, England, Italien u. a.).
die A. keinen Einfluss auf die offizielle dt. Allmende, das Gemein(de)land („allge-
Politik, schadeten ihr aber durch geräusch- meines“ im Gegensatz zum „privaten“),
volle Agitation. Die im 1. Weltkrieg gegr. die „gemeine Mark“, die zum Unterschied
„Vaterlandspartei“ griff Forderungen der von der in Hufen, Zeigen o. ä. aufgeteil-
A. auf (Annexionsprogramm). Nach dem ten Dorfgemeindeflur von den Gemein-
Frieden von Versailles (1919) gewannen degenossen ungeteilt genutzt oder deren
die A. einigen Einfluss auf die rechtsradi- Ertrag geteilt wurde (Weide, Wald, Ge-
kalen „völk.“ Parteien. wässer, Brunnen, Steinbrüche usw.). Von
Allenby, Edmund Henry Hynman, brit. bes. Bedeutung war das Recht jedes Dorf-
Feldmarschall, 1861–1936; eroberte genossen, im A.-Wald Neuland zu roden
1917/18 Palästina; 1919–1925 Hoher („Neubruch“), das dann zum Eigenbesitz
Kommissar in Ägypten. wurde. Die aus der german. Agrarverfas-
Allende Gossens, Salvador, chilen. Politi- sung überkommene A. erhielt sich bis zu
ker, 1908–1973; 1933 Mitbegründer der den Agrarreformen des 19. Jh., besteht
chilen. sozialistischen Partei, 1937 Abge- heute noch teilweise in Süddeutschland
ordneter, seit 1945 Senator; 1970 Sieg A.s und in der Schweiz.
bei den Präsidentschaftswahlen. A. trat Allod, das freie Eigentum im Gegensatz
für das sozialist. Wirtschaftsprogamm ein, zum Lehns- und Nutzungsgut, besonders
Verstaatlichungen. 1973 Putsch der Mili- in erbrechtlicher Beziehung; später Bez.
tärs unter General Pinochet. A. weigerte für vererbbare Lehensgüter, vom Besitzer
sich zu kapitulieren und wurde bei der Be- selbst bewirtschaftete (nicht verpachtete)
schießung des Regierungssitzes getötet. Außenwerke eines Gutshofes und für Gü-
Allgemeiner deutscher Arbeiterverein, ter, über die der Besitzer frei verfügen kann
↑ Sozialdemokratie. (im Gegensatz zum ↑ Fideikommissgut).
Allid, kleiner Nebenfluss des Tiber; an Almagio, Diego de, span. Konquistador,
der A. erlitten die Römer 387 v. Chr. eine 1475–1538; eroberte zus. mit Pizarro das
schwere Niederlage durch die Gallier, die Inkareich von Peru, stieß auf Veranlassung
anschließend Rom besetzten. der span. Krone weiter nach Süden vor
Alliierte, durch eine Allianz (mit for- und entdeckte Bolivien und Chile. Geriet
mellem Vertrag geschlossenes Bündnis) mit ↑ Pizarro wegen des Besitzes der Inka-

37
Al Mamun

stadt Cuzco in Streit, unterlag und wurde mering, St. Gotthard, Lukmanier; in der
im Gefängnis erwürgt. Neuzeit: Colle di Tenda, Grimsel, Furka,
Al Mamun, abbasidischer Kalif von Bag- Sustenpass, Klausen­pass, Majola, Flüela,
dad (813–833); grausamer Despot, aber Bernina, Ofenpass, Stilfser Joch, Jaufen,
sehr verdient als Förderer der Wissen- Großglockner, Karawanken, Loibl.
schaften (Übernahme griech. Wissen- Altamerikanische Kulturen, ↑ Amerika.
schaft, Bibliotheksgründung, Sternwarte). Altchristliche Kunst, im Morgen- und
Al Massur, der 2. Kalif aus dem Hause der Abendland Kunst der ersten 6 Jh. des
Abbasiden (754–775); setzte deren Herr- Christentums, zunächst noch mit den
schaft in Bagdad endgültig durch, leitete Motiven der Antike, doch schon in vor-
das Aufblühen der arab.-islam. Kultur und konstantin. Zeit (vor 300) Gestalten und
Wissenschaften ein. Symbole nur christl. Charakters (der Gute
Almeida, Francisco de, portugies. Erobe- Hirte, das Kreuz [erstmals in Hercula-
rer, um 1450–1510; erwarb für die Krone neum um 70 n. Chr.], Öllämpchen mit
Portugals den ostind.Kolonialbesitz; erster Chris­tusmonogramm, Taube, Palme, Öl-
Vizekönig von Ostindien (1505), erzwang zweig, Hirtenstab, Lamm; erste Kirchen-
gegen Araber und Ägypter 1509 das Mo- säle); nach dem Sieg des Christentums
nopol im Gewürzhandel, von Eingebore- christl. Basiliken mit Vorhof, Langhaus,
nen Südafrikas getötet. Priesterraum (Alte Peterskirche, St. Paul
Almohaden, aus einer islam. Sekte hervor- vor den Mauern, Santa Maria Maggiore in
gegangene berberische Dynastie in Nord­ Rom, Doppeldom in Trier u. a.) und Zen-
afrika und Spanien, in Nachfolge der von tralkirchen (San Stefano Rotondo in Rom,
ihnen 1147 gestürzten ↑ Almoraviden; im San Laurenzo in Mailand, San Vitale in
13. Jh. von den Spaniern zurückgedrängt; Ravenna); seit 400 christl. Mosaike und
1269 durch den nordmarokkan. Berber- Wandmalereien, Sarkophage, Elfenbein-
stamm der Meriniden vernichtet. reliefs, Steinplastiken, Portal-Holzschnitz-
Almoraviden, maurische Sekte und Dy- werke mit Motiven aus dem A.T. und N.T.
nastie; herrschte um 1050 in Nordafrika und der Legende; eigene Entwicklung in
und seit 1086–1147 auch in Spanien, von den Kirchen des Ostens (Byzanz, Syrien,
den christlichen Königreichen bedrängt Paläs­tina, Mesopotamien, Ägypten).
und 1147 von den ↑ Almohaden gestürzt. Altertum, in der Geschichtsbetrachtung
Alpenstraßen, Alpenpässe, in frühester (Periodisierung) geschichtliche Periode,
Zeit Saumpfade an den Hängen entlang; deren Grenzen in neuerer Zeit nach vor-
frühgeschichtl. Übergänge u. a.: Brenner wärts und rückwärts ausgeweitet wurden.
(Etrusker, Kelten), Rottenmanner Tau- Sie umspannt in moderner Sicht im Allg.
ern (Eisenzeit), Kleiner St. Bernhard (Kel- das Zeitalter geschichtlichen Lebens vom
ten, vielleicht Hannibal), Prebichl (früh- 4. Jh. v. Chr. (Ägypten, Mesopotamien) bis
zeitl.), Mont Genèvre (Gallier 388; frü- zur Ausbreitung des Islam im 7. Jh. n. Chr.
heste Römerstraße). – Hauptstraßen der In der älteren Sicht reichte das „Alter-
Römerzeit: Brenner, Mont Genèvre, Klei- tum“ von der griech.-röm. Antike (Ho-
ner St. Bernhard, Großer St. Bernhard, merische Zeit) bis zur Völkerwanderung
Simplon, Neumarkter Sattel, Splügen, oder bis zum Ende des Weström. Reiches
Julier, Reschenscheidegg, Fernpass, See- 476 n. Chr. Heute oft verwendete Einzel-
felder Pass, Plöcken, Poptafel, Birnbaumer datierungen für das Ende dieser Periode:
Wald, Radstädter Tauern, Pyhrn. – Im für Deutschland 375 (Beginn der Völker-
MA kamen hinzu: Predil, Krimmler Tau- wanderung), für Hellas 529 (Schließung
ern, Arlberg, Septimer, Mont Cenis, Sem- der 800-jährigen Athener Akademie durch

38
Amarna

den christl. Kaiser Justinian), für die Rei- 585 unentschiedene Schlacht am Halys,
che des Islam 622 (↑ Hedschra; vgl. auch der zum Grenzfluss wurde.
↑ Mittelalter). Amadeus, Grafen und Herzöge von Savo-
Altes Testament, ↑ Bibel. yen: 1) A. V. d. Gr., Stammvater des Hauses
Althusius (Johannes Althaus), dt. Rechts- Savoyen (und damit des späteren ital. Kö-
gelehrter, 1557–1638; verfasste eine sys­ nigshauses), 1249–1323. – 2) A. VIII. der
temat. Staatsrechtslehre und vertrat den Friedfertige, 1383–1451; 1416 zum dt.
naturrechtlichen Gedanken der Volkssou- Herzog erhoben, wurde 1440 vom Basler
veränität, der die Entwicklung der west­ Konzil zum Gegenpapst (Felix V.) gewählt,
europ. Demokratie beeinflusste. verzichtete 1449 auf die Papstwürde.
Altkatholiken, spalteten sich 1571 von Amalarich, letzter König der Westgoten
der kath. Kirche ab, da sie die Beschlüsse aus dem Geschlecht der Balten, 502–531;
des Vatikan. Konzils von 1870 über die Enkel Theoderichs d. Gr., unterlag den
Unfehlbarkeit des Papstes nicht aner- Franken 531 bei Narbonne und wurde auf
kannten. Die Bewegung ging von Univer- der Flucht ermordet.
sitätskreisen Münchens, Breslaus, Bonns Amalaswintha, Tochter Theoderichs d. Gr.
und Prags aus (dt. Messe, gegen Ablass, und nach seinem Tode 526 Regentin für
Abendmahl in beiderlei Gestalt, gegen un- ihren Sohn Athalarich. Nach dessen frü-
befleckte Empfängnis Marias, für Priester- hem Tod (534) Königin der Ostgoten.
ehe); polit. bedeutsam im ↑ Kulturkampf. Von der römerfeindlichen Partei der Go-
Neuerdings Annäherung (Abendmahlsge- ten 535 festgesetzt und von ihrem Vetter
meinschaft) an Anglikan. und Orthodoxe Theodahad im Bad ertränkt.
Kirche. Seit dem 2. Vatikanischen Konzil Amalekiter, arab. Stamm (im heutigen
besserte sich das lange Zeit negative Ver- Jordanien), Feinde der Israeliten, von den
hältnis zur röm.-kath. Kirche. Königen Saul und David vernichtet.
Altlutheraner, strenggläubige Anhänger Amaler, die Amelungen der Heldensage,
der Lehre Luthers (Augsburger Konfes- Königsgeschlecht der Ostgoten, dem auch
sion), sonderten sich bei der Verschmel- Theoderich d. Gr. angehörte; erlosch 536.
zung der luth. und reformierten Kirche in Amalfi, Stadt bei Salerno in Italien, im
Preußen zur Unionskirche im 19. Jh. ab. 5./6. Jh. n. Chr. gegr. (Seerecht von Amalfi
Altmark, Teile der ehemaligen sächsischen galt im westl. Mittelmeer), 1077 geriet A.
Nordmark (linkselbischer Teil), Stamm- unter normann. Herrschaft; Niedergang
land der ehemaligen Mark Brandenburg durch Kämpfe gegen Pisa 1135–1137.
mit den Hauptorten Stendal, Tanger- Amarna, moderne Bezeichnung für Ache-
münde und Salzwedel. Kaiser Lothar be- taton, Ruinenstätte am östlichen ­ Nilufer
lehnte den Askanier Albrecht der Bär, Graf nördlich von Assiut; der Ketzerkönig Ame­
von Ballenstedt (1134–1170), mit der A. nophis IV. (um 1353–1336 v. Chr.) ließ
Altranstädt, Dorf und Schloss bei Mer- hier in Ablehnung des Amunkultes von
seburg. Friede von A. zw. Karl XII. von Theben die neue Hauptstadt Ägyptens zu
Schweden und August I. dem Starken Ehren des reinen Sonnen(Aton)kultes er-
1706, Verzicht Augusts auf den poln. bauen. – 1886 berühmter Tontafelfund
Thron. (Amarnatafeln): Briefwechsel der Könige
Altsteinzeit, ↑ Paläolithikum. von Mittani, Assur und Babyton mit den
Alyattes, König der Lyder, (um 605– Pha­raonen Amenophis III. und Ameno-
560 v. Chr.); unter ihm größte Blüte des phis IV., überwiegend in babylonischer
Lyderreiches; 575 Eroberung und Zerstö- Sprache. Fundort der Nofretete-Büste
rung Smyrnas; Kampf mit den Medern, (1912).

39
Amasis

Amasis (Amosis), Pharaonen von Ägyp- Amerika, Doppelkontinent Nord- und


ten: 1) A. 1., 1580–1555 v. Chr.; befreite Südamerika, benannt nach dem Florenti-
das Land von den Hyksos, Begründer ner Seefahrer Amerigo ↑ Vespucci. – Vor-
des Neuen Reichs. 2) A. II., 26. Dynastie kolumbische Geschichte: A. ist vermutl.
(568–525 v. Chr.); Griechenfreund, von urspr. „menschenleerer“ Kontinent; erste
den Persern, die nach seinem Tod Ägypten nachweisbare Einwanderung (Jäger und
eroberten, geschlagen. Sammler) aus dem asiat. Sibirien über die
Amaterasu, Sonnengöttin Japans, „be­ damals noch festländische oder vereiste
trat“ am 11. Feb. 660 v. Chr. bei Osaka Beringstraße seit etwa 15 000 v. Chr. (viel-
jap. Boden (seit 1873 als Beginn der jap. leicht schon früher); Einwanderung auch
Zeitrechnung festgelegt). über den Stillen Ozean, von Südasien her,
Ambronen, vermutl. auf den Nordfrie- über die pazifische Inselwelt. Kulturstufe
sischen Inseln und in Dithmarschen ansäs- der Mittelsteinzeit vermutlich seit 10 000–
siger german. Stamm, nahm am Zuge der 2500; früheste bekannte Menschenfunde:
Kimbern und Teutonen teil, der zu ihrem Fischgrätenhöhle bei Reno (Nevada) um
Untergang bei Aquae Sextiae 102 v. Chr. 9500 v. Chr. und Santa-Rosa-Insel (kali-
durch die Römer führte. forn. Küste) um 8000 v. Chr.; allmählicher
Ambrosius, Aurelius, hl., Kirchenlehrer, Übergang zu sesshafter Lebensweise (stein-
um 339–397; 374 Bischof von Mailand, zeitliche Talkulturen, Anfänge der Kera-
zuvor dort Statthalter; bekämpfte das rö- mik), Besiedlung des ganzen Doppelkon-
mische Heidentum, den Arianismus und tinents bis Südpatagonien. Weitere Ein-
Übergriffe der Kaiser. Durch seine Hym- wanderungswellen aus Südostasien über
nen bedeutender Förderer und Erneuerer den Stillen Ozean, beginnend wahrschein-
des Kirchengesanges (Ambrosianischer lich gegen Ende des 3. Jh. v. Chr. Auch
Kirchengesang). Bekehrte durch seine Pre- weiterhin Einsickern nomadisierender Jä-
digt den hl. Augustinus. gervölker aus Sibirien, die aber meist im
Amenemhet III., altägypt. König des Mitt- Norden des Kontinents blieben. Jäger,
leren Reiches (1842–1797 v. Chr.), Er- Sammler und Pflanzer entwickelten Hoch-
bauer des „Labyrinths“ (Totentempel bei kulturen, bes. in Mittelamerika und im
Hawara); nach griech. Überlieferung legte Hochland von Peru. Aufnahme des Land-
er den Mörissee (Fajum) an. baus, später vor allem Maiskultur. Kultur-
Amenophis (Amenhotep), altägypt. Kö- zentrum war ↑ Mexiko mit der Teotihua-
nige des Neuen Reiches (18. Dynastie): can-Kultur, davon stark beeinflusst das
1) A. I., (um 1525–1505 v. Chr.); unter- Reich der aus Nordamerika in Mexiko ein-
warf Nubien bis zum 4. Katarakt, legte brechenden Tolteken (5./6. Jh. n. Chr.)
die Totenstadt von ↑ Theben an. 2) A. III. und die ↑ Mayastaaten in Guatemala, San
(um 1391–1353); einer der tatkräftigsten Salvador und auf der Halbinsel Yucatán.
Pharaonen, Erbauer des Tempels in Luxor; Im 13./15. Jh. n. Chr. bildete sich auf dem
u. a. in den „Memnonskolossen“ (Sitzsta­ mexikan. Hochland das Reich der kriege-
tuen eines Totentempels) dargestellt. rischen Azteken, der Nachfolger der Tolte-
3) A. IV., später Echnaton genannt (um ken. In Peru seit 1200 das Inkareich, Hö-
1353–1336); versuchte den Sonnenmono­ hepunkt im 15. Jh. n. Chr. – Entdeckungs-
theismus (Verehrung des Gottes Aton = geschichte vor Kolumbus: Um 1000 n. Chr.
Sonnenscheibe) einzuführen, verlegte die landeten zum ersten Male Europäer an der
Residenz von Theben in seine neugegrün­ Atlantikküste Amerikas: 981 Entdeckung
dete Hauptstadt Achetaton (↑ Amarna); Grönlands durch den Wikinger Erik den
seine Gemahlin war ↑ Nofretete. Roten; 985 sichtete der Isländer Bjarni,

40
Amerika

durch Stürme vom Kurs nach dem von (Straße nach ihm benannt) und durch-
Erik dem Roten besiedelten Grönland ab- querte den Stillen Ozean. Den Entde-
getrieben, die Küste von Nordamerika; ckungen folgten Eroberungen, Zeit der
Leif, der Sohn Eriks, und dessen Bruder ↑ Konquistadoren: Nach der Erkundung
landeten in „Helluland“ (wahrscheinlich der mexikan. Küste (1518) wurde 1519
Labrador), „Markland“ (wahrscheinlich bis 1521 Mexiko von Cortes erobert, die
Neuschottland oder Neufundland) und Kulturen der ↑ Azteken wurden vernich-
„Vinland hit goda“ = das gute Weinland, tet. Nicaragua wurde von Gil Gonzales de
d. h. wahrscheinlich südl. des St.-Lorenz- Avila entdeckt (1522). Die Welser er-
Golfs. Daueransiedlung aber durch India- schlossen Venezuela, das ihnen Kaiser
nerüberfälle unmöglich, immerhin noch Karl V. 1527 verpfändete. Pizarro eroberte
Schiffsverbindung bis zum 14. Jh.; später 1531–1536 das Inkareich (Peru), Almagro,
Kenntnisse von A. in Europa bis Kolum- dessen Rivale, Chile, Paraguay und Boli-
bus fast ganz verloren gegangen. – Kolum- vien (1535 bis 1537). Gleichzeitig mit
bus und nachkolumbische Geschichte: dem span. Kolonialreich entwickelte sich
Nach Sperrung der alten West-Ost-Han- ein portug. Kolonialbesitz. Grundlage für
delswege von Europa nach Indien durch die Abgrenzung der beiden rivalisierenden
die Türken Suche nach neuen Seewegen zu Kolonialmächte war die Demarkations­
den Reichtümern Ostasiens, vor allem linie, von Papst Alexander VI. auf Wunsch
durch Portugal und Spanien; die Erkennt- des span. Königs Ferdinand 1493 festge-
nis von der Kugelgestalt der Erde führte zu legt und durch den span.-portug. Vertrag
Versuchen, Indien auf dem Westwege über von Tordesillas 1494 bestätigt (21 Grad als
den Atlantik zu erreichen. Als erster lan- Grenzlinie, die aber fehlerhaft festgelegt
dete der Genuese Christoph ↑ Kolumbus wurde, sodass Brasilien portug., Argenti-
(in spanischen Diensten) 1492 auf Gua- nien, Mexiko usw. span. wurden). Brasi-
nahani, einer der Bahama-Inseln, in der lien von Cabral als Erstem betreten, wurde
Annahme, Indien von Westen her erreicht seit 1530 von Portugiesen kolonisiert; die
zu haben („Westindien“), entdeckte Kuba, erste Einfuhr von Negersklaven 1574 (in
Haiti („Hispaniola“); Entdeckungen 1493 Mittelamerika bereits 1502). – Weitere
bis 1496: die Kleinen Antillen, Jamaika, Erfolge der Entdeckungsfahrten: Um eine
Puerto Rico; Entdeckungen 1498: die Nordwestpassage zu erschließen, fuhr
Nordküste Südamerikas; Entdeckungen ↑ Frobisher 1576–1578 entlang der Küste
1502 bis 1504: Küste Mittelamerikas. Labradors bis zur Hudsonbai, fand John
1497/98 erreichte der Venezianer ↑ Ca- ↑ Davis 1585–1587 die nach ihm be-
boto Neufundland, die Cap-Breton-Insel, nannte Davisstraße (zwischen Grönland
den St.-Lorenz-Golf bis zur Hudsonmün- und Baffinsland); 1607 gelang ↑ Hudson
dung, Entdeckung Kolumbiens (1499) die nordöstl. Einfahrt in das Polarmeer
und der La-Plata-Länder (1508); 1513 ge- zwischen Spitzbergen und Grönland;
langte ↑ Balboa über den Isthmus von Da- 1725–1728 segelte Vitus ↑ Bering östl.
rien (Panama) und sichtete die Südsee, durch die nach ihm benannte polare
den Stillen Ozean; im selben Jahr landete Meeres­straße, die Amerika von Asien
Juan Ponce de Leon in Florida. Dias de So- trennt. – Erst im 16./17. Jh. traten Eng-
lis erkundete 1515/16 die Ostküste Süd­ land und Frankreich in der Neuen Welt als
amerikas; 1517 durchforschte Hernandez Kolonisatoren auf, Frankreich in Kanada
de Cordoba Yucatán (Maya-Kultur). Ent- und im Mississippi-Gebiet; England an
scheidender Fortschritt: ↑ Magellan umse- der Atlantikküste, wo die „Neuengland-
gelte 1519/20 als erster Südamerika staaten“ entstanden; erste engl. Kolonie

41
Amiens

Virginia (1607), Landung der ↑ Mayflower amerikas (siehe Artikel zu den einzelnen
in Plymouth (1620); Neuenglandkolo­ Staaten). Die europ. Kolonialpolitik auf
nien: Massachusetts (1630), Providence dem amerik. Kontinent war damit weitest-
und Rhode Island, Connecticut, New gehend beendet. Die machtpolit. Überle-
Maren, New Hampshire, Maine, New Jer- genheit der Vereinigten Staaten von Nord-
sey, Pennsylvania, Maryland, Carolina und amerika (USA) beherrschte von jetzt ab
Georgia. Frankreich machte zwar schon (wirtsch. und in zweiter Linie erst polit.)
im 16. Jh. Versuche mit kolonialen Nie- den Doppelkontinent: bis 1927 in der
derlassungen, die sich indes nicht hielten: Form des Imperialismus, dann durch eine
1541 Cartiers Kolonie bei Quebec, Co- Politik des „guten Nachbarn“, weiter auf
lignys Hugenottensiedlung in Florida. Im dem Weg einer staatl. ↑ „Dollardiploma-
Zuge der Kolonialpolitik Richelieus meh- tie“. Im 2. Weltkrieg traten fast alle latein-
rere Gründungen: Port Royal in ↑ Akadien amerik. Staaten an der Seite der Vereinig­
(1604), Quebec, Three Rivers und Mon- ten Staaten in den Krieg. 1948 entstand in
treal in Kanada (in der 1. Hälfte des Bogotá unter der Führung der USA die
17. Jh.); 1682 das große Gebiet beiderseits ↑ Organisation Amerikanischer Staaten
des Mississippi: Louisiana; ferner Han- (OAS). Kennzeichnend für das Verhältnis
delsplätze auf Martinique, Guadeloupe der USA zu den Staaten Lateinamerikas
und Barthelemy. Die Niederlande gründe- war das gegenseitige wirtsch. Interesse und
ten 1626 auf der Insel Manhattan Neu- das Bemühen, die Ausbreitung des Kom-
Amsterdam (später ↑ New York). Die Ri- munismus in den von sozialen und polit.
valität zwischen England und Frankreich Unruhen geprägten Ländern Lateinameri-
verursachte dauernde Kämpfe auch im ko- kas zu verhindern.
lonialen Amerika: 1629 Kanada vorüber- Amiens, Hauptstadt der Picardie mit 1220
gehend in engl. Besitz, im ↑ Utrechter begonnener Kathedrale, einem Prachtwerk
Frieden 1713 verlor Frankreich Akadien, der Gotik. – 1802 Friede von A. zur Been-
Neufundland und die Hudsonbai an Eng- digung des 2. Koalitionskrieges zwischen
land. Entscheidung fiel im Kolonialkrieg, England einerseits, Frankreich, Spanien
gleichzeitig mit dem 7-jähr. Krieg, aus und Holland andererseits geschlossen:
dem England siegreich als größte Kolonial­ Ceylon (bisher holländ.) und Trinidad
macht hervorging: Die frz. Truppen, an (bisher span.) fielen endgültig an Eng-
sich sehr kriegstüchtig, aber vom Mutter- land, Frankreich gab seine Eroberungen in
land nicht genügend unterstützt, unterla- Ägypten und Italien auf. Friede von kurzer
gen den englischen; 1759 Eroberung Que- Dauer, 1803 Wiederausbruch des Krieges.
becs nach einem nächtlichen Überra- Amin Dada, Idi, ugand. Politiker, 1925–
schungsangriff des englischen Heeres. Der 2003; im 2. Weltkrieg brit. Kolonialsoldat,
Friede von Paris (1763) sprach Kanada seit 1953 auch gegen die „Mau-Mau“-
den Engländern zu, Louisiana wurde spa- Aufständischen in Kenia eingesetzt, mit
nisch. 12 Jahre später Aufstand der 13 der Unabhängigkeit Ugandas zum Haupt-
engl. Kolonien 1775, der zum Krieg mit mann befördert. A. beteiligte sich 1966 am
dem Mutterland (↑ Unabhängigkeitskrieg) Staatsstreich des Premierministers Obote,
und zur Gründung der ↑ Vereinigten Staa- entzweite sich aber bald mit ihm und
ten von Nordamerika führte. Nur ↑ Ka- putschte seinerseits; 1971–1979 Staats-
nada blieb brit. Kolonie. In der 1. Hälfte präsident und Verteidigungsminister von
des 19. Jh. machte sich auch das span. und Uganda, seit 1974 auch Außenminister,
portug. Südamerika unabhängig: Entste- 1975 Selbsternennung zum Marschall; be-
hung der selbständigen Staaten Latein­ trieb rücksichtslos die Ausweisung des ind.

42
Amurprovinz

Bevölkerungsteils, verfolgte brutal seine 400 Tote und 1 000 Verwundete) ange-


polit. Gegner („amnesty international“ be- richtet, gab dem ind. Nationalismus unge-
schuldigte ihn der Ermordung von min- heuren Auftrieb.
destens 100 000 Menschen). Auseinander- Amselfeld, serbische Hochfläche, auf der
setzungen mit Tansania führten 1979 zum 1389 die südslaw. Völker von den Türken
Zusammenbruch seines Regimes, seitdem entscheidend geschlagen wurden (Dezi-
lebte A. im Exil in Libyen. mierung des serb. Adels); Serbien unter
Ammianus Marcellinus aus Antiochia, türk. Herrschaft; 1448 türk. Sieg über die
um 330 bis um 395 n. Chr.; seine nicht Ungarn; die Türken wandten sich anschlie-
vollständig erhaltene röm. Geschichte be- ßend gegen Konstantinopel, das 1453 fiel.
handelt (im Anschluss an ↑ Tacitus) die Amsterdam, Hafen- und Handelsstadt
Zeit von 96 bis 378 n. Chr. an der Amstelmündung; um 1300 Stadt-
Amon (Ammon, Amun), „Der Verbor- rechte, schnelle Entwicklung (Hanse-
gene“, Hauptgott, Reichsgott der alten stadt), Blüte durch die Unabhängigkeit
Ägypter, Weltschöpfer, Pneuma, „König der nördl. Niederlande Ende des 16. Jh.,
der Götter“, mit dem Sonnengott Re ver- trat das Erbe Antwerpens an; durch Ko-
eint zu Amon-Re; ursprüngl. als Frucht- lonialhandel reich geworden (Ost- und
barkeitsgott in Hermopolis, später in The- Westindische Kompanie); im 17. Jh. be-
ben verehrt (Mittelpunkt des Kultes der reits über 100 000 Einwohner; 1787 von
Karnak-Tempel in Theben); von Ameno- Preußen, 1795 von den Franzosen einge-
phis IV. (Echnaton) zeitweise als Reichs- nommen. 1808 Hauptstadt des napoleon.
gott abgesetzt. Sein berühmtes Orakel im Königreiches Holland, von 1814 an der
Ammonium der Oase Siwa (A. war gleich- Niederlande.
zeitig der Herr und Gott der Oasen der Amt (ahdt. ambaht, aus lat. ambactus,
Libyschen Wüste) 331 v. Chr. von Alexan- Dienstmann), 1) bes. im Territorialstaat
der d. Gr. aufgesucht, der sich als Sohn des des späten MA und der frühen Neuzeit
Zeus-Ammon ausgab; die Römer setzten Verwaltungs- und Gerichtsbezirk; die Äm-
ihn dem Jupiter gleich. terverfassung war die häufigste Form der
Amoriter, ostkanaanäisches Volk, das um Verwaltungsgliederung; an der Spitze des
2100 v. Chr. aus Innerarabien nach Paläs- A.es stand der A.-mann; mit der Trennung
tina, Syrien und Mesopotamien vordrang von Verwaltung und Gericht seit Ende des
(Amoritische Wanderung); später ein Alten Reiches war das A. nur noch Ver-
Nachbarvolk der Israeliten in Kanaan, das waltungseinheit. 2) allg. in der modernen
von Josua vernichtet wurde Staat- und Gemeindeverwaltung Bez. für
Amphiktyonie, bei den alten Griechen Behörde; 3) Bez. für ↑ Zunft.
der Zusammenschluss mehrerer Stadt- Amundsen, Roald, norweg. Polarforscher,
staaten zu einem Kultbund um ein ge- 1872–1928; bezwang 1903–1906 auf der
meinsam verehrtes Heiligtum, wobei auch Suche nach der genauen Lage des magnet.
die gegenseitigen polit. Beziehungen völ- Nordpols die NW-Passage, erreichte als ers­
kerrechtlich geregelt wurden; Schiedsge- ter 1911 den Südpol; bei der Suche nach
richt zur Verhinderung von Kriegen zwi- dem Italiener Nobile 1928 im Polargebiet
schen Mitgliedsstaaten. verschollen.
Amritsar, ind. Stadt; in einem See liegt Amurprovinz, russ. Territorium in Ostsi-
der Goldene Tempel (Sikh-Heiligtum). birien am Amurfluss. Seit dem 17. Jh. Ex-
– „Blutbad von A.“, 13. 4. 1919 von brit. pansionsziel Russlands in Fernost; 1639
Truppen des Generals Dyer unter un- Amur-Vertrag zwischen China und Russ-
bewaffneter indischer Volksmenge (rd. land, 1849–1854 Erforschung der Amur-

43
Anabasis

küstenländer unter Murawiew; 1858 Ver- setz, Gericht, Polizei etc.) und die polit.
trag von Tientsin über A.-Prov., erweitert Bewegung, die dieses Programm durchzu-
1860 zugunsten Russlands. A.-Gebiet Ba- setzen sucht. Der A. ist die radikalste Aus-
sis für russ. Verstoß nach der ↑ Mandschu- prägung des Liberalismus, er geht von der
rei (Amur Grenzfluss). 1969 kam es wegen optimistischen Voraussetzung aus, dass der
der seit 1964 von der Volksrepublik China Mensch von Natur gut sei, und folgert da-
gegenüber der UdSSR erhobenen Forde- raus, dass der in jeder Hinsicht freie Zu-
rung einer Vertragsänderung zu einem mi- sammenschluss sittlicher Individuen zur
litärischen Grenzkonflikt am Ussuri. Harmonie führen müsse. Der A. erstrebt
Anabasis (griech. „Hinaufmarsch“, d. h. die herrschaftsfreie Gesellschaft und nicht
nach Persien), Titel verschiedener anti- die Auflösung jeder gesellschaftlichen Bin-
ker Feldzugsberichte; berühmt die A. des dung und Ordnung, er fordert die frei-
griech. Geschichtsschreibers ↑ Xenophon, willige Unterordnung unter gemeinsam
Kriegstagebuch, in dem der Zug von festgesetzte Grundsätze. Der konsequent
10 000 griech. Söldnern im Dienste Ky- individualist. A. erlangte nur literarisch-
ros d. J. nach der Schlacht von ↑ Kunaxa theoret. Bedeutung (Stirner: „Die Ge-
durch Innerpersien zum Schwarzen Meer sellschaft ist eine Vereinigung von Ego-
geschildert wird, mit der Tendenz, den isten“); anders die sozialist. und kommu-
Nimbus von der Unangreifbarkeit Persiens nist. Formen des A., als dessen führende
zu zerstören. Theoretiker und Organisatoren ↑ Baku-
Anachoreten (griech., die Zurückgezo- nin und Fürst ↑ Kropotkin hervortraten,
genen), Eremiten und frühchristl. Einsied- in scharfem Gegensatz zum Marxismus
ler, die sich in der Einöde von Wüsten und (schwarze gegen rote Fahne, anarchist. In-
Gebirgen, „in größerer Gottnähe“, from- ternationale gegen sozialistische). Ein Teil
men Betrachtungen hingaben und in Hüt- der Anarchisten wollte durch eine Propa-
ten und Höhlen oder nomadisierend ein ganda der Güte und Vernunft zum Ziele
asket. Leben führten. Erstmals im 2./3. Jh. kommen (der belgische Geograf J. E. Re-
in Ägypten und Syrien; A. schlossen sich clus, Freund Kropotkins), die aktiveren
seit dem 4. Jh. unter dem Einfluss des Ein- revolutionären Elemente durch eine „Pro-
siedlerschülers Pachomius aus Oberägyp- paganda der Tat“ (Attentate auf führende
ten und des Kirchenlehrers und Bischofs Persönlichkeiten, Ende des 19. Jh.). In den
Basilius des Großen aus Cäsarea im öst- USA wurde der A. 1886 verboten. Stärker
lichen Kleinasien auch in kleinen klösterl. in Erscheinung trat er in Russland und in
Gemeinschaften zusammen. Hauptgebiet den romanischen Ländern, vor allem in
der A. im 4.–6. Jh. die Thebaische Wüste. Spanien, wo er als Anarcho-Syndikalis-
Anagni, ehemalige Papstresidenz südöstl. mus noch im Bürgerkrieg 1936–1939 eine
Roms, wo 1303 Papst Bonifaz VIII. von Rolle spielte. In Deutschland hat der A.
Wilhelm von ↑ Nogaret überfallen wurde. nicht Fuß fassen können. Einen aus dem
Anaklet II. (Petro Pierleoni), 1130–1138 christl. Glauben abgeleiteten A. vertrat der
Gegenpapst zu Innozenz II., Gegner des russ. Dichter Tolstoi. Anarchisten-Kon-
Kaisers, angegriffen von ↑ Bernhard von gresse 1877 in Brüssel und 1907 in Den
Clairvaux. Erhob 1130 das normann. Un- Haag. Elemente des A. sind in der Studen-
teritalien und Sizilien als päpstliches Le- tenbewegung der westl. Welt in der zwei-
hen zum Königreich. ten Hälfte der 1960er Jahre sichtbar.
Anarchismus, polit. Theorie über die Be- Anathema (griech.), ursprüngl. Weihe-
freiung der Gesellschaft vom Staat und geschenk, das der Gottheit überantwortet
jeder Form von Regierung (auch von Ge- wird; in der kath. Kirche seit dem 4. Jh.

44
Andrássy

Kirchenbann gegen Ketzer und Irrlehrer überwundenen teils feudalen, teils absolu-
mit feierl. Exkommunikation. Bannfor- tist. Staats- und Gesellschaftsordnung der
mel: „Anathema sit“ (= er sei verflucht). Bourbonenzeit, heute auch für die europ.
Anatolien (türk. Anadolu, Morgenland), Staats- und Gesellschaftsordnung von der
türk. Bezeichnung für Kleinasien, Kernge- Mitte des 17. bis zum Ende des 18. Jh. ver-
biet des türk. Reiches, Schauplatz der natio­ wendet.
nalen Regeneration der Türken (= Anato- Andalusien, Landschaft in Südspanien;
lier) nach dem 1. Weltkrieg (↑ Ankara und phönik. Kolonisation (Gründung von Ca-
Kemal Atatürk). diz um 1000 v. Chr.; karthag. Besetzung
Anatomie (griech., Zergliederung durch seit 500 v. Chr., danach röm. Provinz Bae-
Aufschneiden), die Grundlage der medi- tica; 411–429 im Besitz der Vandalen, an-
zinischen Forschung. A. wurde von den schließend von den Westgoten besiedelt,
alten Griechen nur an Tierkörpern ge- 711 arabisch, 1212–1265 vom christl. Kö-
übt; selbst die bedeutendsten Ärzte der nigreich Kastilien erobert.
Antike (Alkmaion, Hippokrates) wuss- Andechs, Benediktinerkloster in Ober-
ten über den Bau des menschlichen Kör- bayern und Wallfahrtsort seit dem 12. Jh.;
pers nur das, was sie bei der A. von Tie- 1458–1803 Benediktinerabtei, 1846 wie-
ren (besonders Hunden und Affen) oder derhergestellt; seit etwa 1130 war die Burg
bei zufälliger Bloßlegung von inneren auf dem Berg A. Stammsitz der Grafen von
Körperorganen bei Verletzungen beobach- A., der Markgrafen in Istrien und Herzöge
tet hatten. Seit dem 3. Jh. n. Chr. sezierte von Meran, die um 1245 ausstarben.
man in der berühmten ↑ Alexandrinischen Andengemeinschaft, (früher Anden-
Schule die Leichen Verstorbener (seltener pakt), 1968 geschlossene Vereinbarung
die Körper zum Tode verurteilter Verbre- über wirtsch. Zusammenarbeit zw. den
cher). Die Schule besaß zu Lehrzwecken südamerik. Staaten Chile, Kolumbien,
hergestellte anatom. Präparate; ↑ Galen, Peru, Ecuador und Bolivien als subregio-
im ganzen MA als Autorität betrachtet, nale Zollunion. 1973 trat Venezuela dem
fasste als Schüler des Museions von Ale- A. bei, dagegen schied Chile 1976 wie-
xandrien die Ergebnisse der alten Schulen der aus. 1993 trat die Freihandelszone
zusammen und kam zu neuen Ergebnissen (zunächst ohne Peru) in Kraft, 1995 der
der A. des menschlichen Körpers. Im MA gemeinsame Außenzoll. Im August 1997
wurde die A. als Frevel am menschlichen wurde der Andenpakt in Andengemein-
Körper betrachtet und war deshalb sowohl schaft umbenannt; die Staaten konnten
bei den Arabern (Glaube an die leibliche sich auf eine fortschreitende Integration
Auferstehung) wie im christl. Abendland im Bereich der Außenpolitik und den ge-
verboten (1163 Verbot durch das Konzil meinsamen Kampf gegen die Inflation ei-
von Tours; 1300 Bann durch Papst Bo- nigen. 1999 wurde die Schaffung eines ge-
nifaz VIII.). Die wiss. Sezierung zweier meinsamen Marktes bis spätestens 2005
menschlicher Leichname in den Jahren beschlossen.
1306 und 1315 an der berühmten Hoch- Andrássy, Gyula, Grafen, ungar. Staats-
schule von Bologna durch Prof. Mondini männer: 1) A. Gyula d Ä., 1823–1890;
bleibt eine Ausnahme. Erst die wiss. For- leitete 1848 den Aufstand der Ungarn,
schungen und Streitschriften des Andreas zum Tode verurteilt und 1857 begnadigt,
Vesalius und anderer brachten im 16. Jh. 1867–1871 ungar. Ministerpräsident,
die Wende (vgl. auch ↑ Chirurgie). 1871–1879 österr.-ungar. Minister des
Ancien regime (frz.), Schlagwort der Frz. Auswärtigen, schloss 1879 den Zweibund
Revolution zur Kennzeichnung der 1789 mit Deutschland; bedeutendster Vertreter

45
Andreä

der dt.-österr. Zusammenarbeit im 19. Jh. sicherheit (KGB), seit 1973 Mitglied des
2) A. Gyula d. J., Sohn von 1), 1860– Politbüros, 1982 erneut Sekretär des ZK.
1929; letzter Außenminister Österreich- Nach dem Tod von ↑ Breschnew wurde
Ungarns im Okt. 1918, übermittelte den A. 1982 zum neuen Generalsekretär der
Alliierten das Sonderfriedensangebot. KPdSU und 1983 zum Staatsoberhaupt
Andreä, Johann Valentin, württemberg. der Sowjetunion gewählt, bekannte sich
luther. Theologe, 1586–1654, typischer zur Kontinuität des Breschnew-Kurses in
Denker der geistig und polit. bewegten der Innen- und Außenpolitik (wirtsch.-
Notzeit des 30-jähr. Krieges, befreundet techn. Modernisierung bei gleichzeitiger
mit seinem schwäb. Landsmann Kepler, Restauration Sicherung der Weltmacht-
vertraut mit den Gedankengängen des Pa- stellung der UdSSR).
racelsus, des Franz von Sales, Calvins u. a.; Angeln, westgerman. Volksstamm in Hol-
suchte die Verwirklichung christlicher stein. Teile der A. zogen mit ihren Schiffen
Ideale auf dem Wege eines prakt. Chris­ zus. mit Sachsen und Jüten seit der Mitte
tentums. (Eine seiner sehr zahlreichen des 5. Jh. erobernd in den südl., von Kel-
Schriften: „Christianopolis“ 1619, dt. toromanen bewohnten Teil Britanniens,
„Christenburg“ 1626, die erste deutsche von ihnen der Name „England“ (Angel-
christliche Staatsutopie, ein christlicher land) abgeleitet. Der größte Teil blieb je-
Sonnenstaat wie bei ↑ Campanella). doch in der alten Heimat (noch heute
Andreas, Könige von Ungarn aus dem Landschaftsname Angeln in Schleswig-
Hause der Arpaden (Andreas-Krone): Holstein); weitere auswandernde Siedler
1) A. I., 1013–1060, König seit 1046; er- bildeten zus. mit anderen Völkerschaften
reichte 1058 den Verzicht auf die Ober- den neuen Stamm der Thüringer.
hoheit des Reiches über Ungarn. 2) A. II. Angelsachsen, die seit dem 5. Jh. im SO
(1205–1235); Kreuzzugteilnehmer, erließ und O von Britannien ansässigen german.
die „Goldene Bulle“ von 1222 (Privilegie- Stämme der Angeln, Sachsen und Jüten;
rung des Adels [Ministerialen] gegenüber Christianisierung seit 596 durch iroschot-
den Magnaten); begründete die Vorrechte tische Mönche; im 7. und 8. Jh. angel-
der Siebenbürger Sachsen. Vater der hl. sächs. Missionare (Willibrord, Bonifatius
↑ Elisabeth. 3) A. III., genannt „der Vene- u. a.) auf dem Festland. 1066 von den
zianer“ (1290–1301); letzter Arpade auf Normannen Wilhelms des Eroberers un-
dem ungar. Thron. terworfen, verschmolzen mit diesen und
Andreotti, Giulio, ital. Politiker, geb. der kelt. Urbevölkerung zur engl. Nation.
1919. Seit 1968 Vorsitzender der Frak- A. heute Bezeichnung für die Engl. spre-
tion der ↑ Democrazia Cristiana in der chenden Bewohner Großbritanniens, des
italien. Kammer, 1973/74, 1976–79 und Commonwealth und der USA.
1989–1992 Ministerpräsident. Im Herbst Angevinisches Reich (Angevin), bri-
1995 wegen mutmaßlicher Zugehörigkeit tisch-festländisches Reich am Westrand
zur Mafia angeklagt, im Herbst 2002 von des Abendlandes; von Heinrich von An-
einem Berufungsgericht der Anstiftung jou-Plantagenet – als engl. König Hein-
zum Mord (an dem Journalisten Carmine rich II. (1154–1189) – begründet; Zu-
Pecorelli) schuldig gesprochen, 2003 von rückdrängung der frz. Könige auf ihre
beiden Anklagen freigesprochen. Kernlande um Paris und wenige Kronlän-
Andropow, Juri Wladimowitsch, sowjet. der. 1214, nach der Schlacht von Bouvines
Politiker, 1914–1984; ab 1961 im ZK der in Flandern, fielen alle engl. Festlandsbe­
KPdSU, dessen Sekretär 1962–1967, da- sitzungen an die frz. Krone zurück; Eng-
nach Vorsitzender des Komitees für Staats- land suchte den Festlandsbesitz im 100-

46
Anhalt

jährigen Krieg (1339 bis 1453) vergeblich Kunene; 1485–1488 Entdeckung der Küs-
auf die Dauer wiederzugewinnen. tengebiete durch Portugiesen, seit 1574
Angkor („Erhabene Stadt“), Ruinenstadt ständige portug. Niederlassung; 1640–
in Kambodscha; im 10. Jh. von den Herr- 1648 holländisch. Von den Portugie-
schern des Königreichs ↑ Khmer gegrün- sen bes. seit 1885 erschlossen. A.-Vertrag
dete Hauptstadt im hinterind. Kambod- von 1898 zw. Deutschland und England
scha mit Tempelkloster Angkor Wat als (dt. wirtsch. Übergewicht in A., engl. in
Stadtteil; Blüte im 13. Jh., in den Bauwer- Moçambik). 1961 bewaffneter Aufstand
ken Verschmelzung hinduist. und ­buddhist. gegen Portugal, wurde 1964 niedergewor-
Elemente zu klass. und später barockem fen, seitdem ständige Guerillaaktivitäten.
Stil. Tempel zu Ehren Vischnus und Bud- Die Macht­übernahme durch General Spi-
dhas; Klosterarkadenfronten von je 400 m nola in Lissabon brachte für A. die Aus-
Länge, Prunk- und Festungstürme; in der sicht auf baldige Unabhängigkeit. Spinola
Stadt, die im 15. Jh. verlassen wurde, eine anerkannte 1974 das Recht der Überseege-
Zirkusarena, Aufmarschstraßen, Trinkwas- biete auf Selbstbestimmung. Uneinigkeit
serbassins; Freilegung seit 1907. der Befreiungsbewegung führte zum Bür-
Anglikanische Kirche (Church of Eng- gerkrieg, Waffenlieferung aus dem Aus-
land), die protestant. Staatskirche Englands, land. Sieg der von der Sowjetunion und
auch Episkopal-(Bischofs-)K. genannt; ent- Kuba unterstützten MPLA. Staatsober-
stand 1534, als sich Heinrich VIII. wegen haupt 1975–79 Neto (Führer der MPLA),
seines Ehescheidungs­skandals vom Papst- nach dessen Tod dos Santos, 1980 ers­te
tum lossagte, sich selbst zum Oberhaupt Parlamentswahlen. 1989 Waffenstillstand
der Landeskirche machte und ihr mit Zu- in dem seit 1975 andauernden Bürger-
stimmung des Parlaments eine neue Ver- krieg, Beginn des Abzugs der kubanischen
fassung gab (↑ Suprematsakte). Alle Klö- Truppen, 1991 Friedensvertrag zwischen
ster und Abteien wurden aufgehoben, ihr MPLA und der Widerstandsbewegung
Besitz fiel an die Krone; 1549 durch das UNITA, erneut Bürgerkrieg, 1994 Statio­
„Book of Common Prayer“ (Gebetbuch) nierung einer UN-Friedenstruppe, 1997
der Kultus neu geregelt. Nach vorüberge- Bildung einer „Regierung der Nationalen
hender Wiederherstellung der kath. Kir- Einheit und Versöhnung“, ab 1998 erneut
che durch Königin Maria die Katholische Bürgerkrieg, 2002 Waffenstillstand.
wurde 1559 unter Königin Elisabeth I. die Angoulême, Louis Antoine de Bourbon,
A. neu errichtet und das Glaubensbekennt- Herzog von, 1775–1844; kämpfte 1792–
nis in den 39 anglikanischen Artikeln fest- 1814 in der Emigration für die Thronan-
gesetzt. Die A. bewahrt in Verfassung und sprüche der Bourbonen, rief 1814 seinen
Kult wesentliche kath. Züge, doch darf sie Onkel Ludwig XVIII. zum König aus,
in ihrer Gesamtheit nicht der anglo-kath. ging 1830 mit seinem Vater Karl X. ins
↑ Hochkirche gleichgesetzt werden; ihre Exil; 1836 (nach dem Tode Karls X.) von
staatlich reglementierte Gründung führte den Anhängern der Bourbonen als König
dazu, dass die ↑ Puritaner die religiöse Re- Ludwig XIX. anerkannt.
formation in England seit dem Ende des Anhalt, urspr. Fürstentum der Askanier,
16. Jh. nachholten. 1643 beseitigte Oliver das sich im 12. Jh. aus dem unter Heinrich
↑ Cromwell die A. und führte die Presby- d. Löwen zerschlagenen Herzogtum Sach-
terialverfassung ein; Wiederherstellung der sen entwickelte, seit 1212 selbständig; Tei-
A. 1662 durch König Karl II. Stuart. lung in zahlreiche Linien (A.-Dessau, A.-
Angola, Volksrepublik an der SW-Küste Köthen, A.-Zerbst u. a.); 1807 Annahme
Afrikas zwischen Kongomündung und des Herzogstitels durch die anhaltin. Fürs-

47
Anjou

ten, 1863 nach Aussterben aller Linien bis manen, die damit am weiteren Vordringen
auf A.-Dessau einheitl. Herzogtum A. bis nach O gehindert wurden). – 1923 wurde
1918; nach 1945 vereinigt mit der ehem. A. zur Hauptstadt der neuen Türkei er-
preuß. Provinz Sachsen („Land Sachsen- klärt und großzügig ausgebaut.
Anhalt“), 1952 in Bezirke aufgeteilt; 1990 Anna, Name von Herrscherinnen. Byzanz:
Eingliederung in die Bundesrepublik und 1) A. Komnena, 1083 bis um 1150; Toch-
1994 Kreisreform zur Neuordnung der ter des Kaisers Alexios I., vermählt mit dem
Landkreise. Feldherrn und Geschichtsschreiber Nike-
Anjou (zur Römerzeit Wohnsitz der An- phoros, schrieb die Reichsgeschichte der
degaven in NW-Frankreich), ehem. Graf- Jahre 1069–1118. – England: 2) A. Bo-
schaft und Herzogtum, Stammland bedeu- leyn, 1507–1536, zweite Gemahlin Hein-
tender, weitverzweigter Dynastien. – Aus richs VIII., Mutter der Königin Elisabeth,
der Ehe Gottfrieds von A., der als Helm- wegen angeblichen Ehebruchs hingerich-
zier einen Ginsterzweig (lat. planta ge- tet; ihretwegen hatte Heinrich VIII. sich
nista) trug, mit der engl. Thronerbin 1127 von seiner ersten Gemahlin Katharina von
ging das Haus A.-Plantagenet hervor, das Aragon getrennt und mit der kath. Kirche,
1154 mit Heinrich II. den engl. Thron be- die nicht in die Scheidung einwilligte, ge-
stieg (↑ Angevinisches Reich); die Graf- brochen. 3) A. von Cleve, 1515–1557;
schaft A. wurde bereits 1204 von der frz. vierte Gemahlin Heinrichs VIII., 1540 ge-
Krone erobert und fiel an eine Nebenlinie schieden. 4) A. Stuart, 1665–1714; Köni-
der Kapetinger. Karl I. von A. (↑ Karl, Ne- gin seit 1702, Tochter Jakobs II., Schwä-
apel), Bruder König Ludwigs IX., gewann gerin und Nachfolgerin Wilhelms III. von
1246 die Grafschaft Provence dazu, 1266 Oranien, vereinigte 1707 England mit
entriss er den Hohenstaufern das König- Schottland zu Großbritannien, letzte Stu-
reich (Neapel-)Sizilien; seine Nachfolger art auf dem Thron. – Frankreich: 5) A.
herrschten im Königreich Neapel (Sizi- von Bretagne, 1477–1514, Königin, ver-
lien 1282 verloren) bis 1435 (im Mannes- mählt mit Karl VIII., dann mit König
stamm 1414 erloschen). Die Grafschaft A. Ludwig XII., brachte die Bretagne an die
kam 1290 an Karl von Valois, 1297 zum frz. Krone. 6) A. von Österr., 1601–1666;
Herzogtum erhoben, 1356 mit Maine an Königin (Regentin) von Frankreich, Toch-
Ludwig, Sohn König Johanns des Guten; ter Philipps III. von Spanien, vermählt mit
1431/35 bis 1473 gehörten zum Haus A. Ludwig XIII. von Frankreich, 1643–1651
auch noch das Herzogtum Bar und Her- Regentin für Ludwig XIV. Nach dem Tode
zogtum Lothringen. Die Herzöge von A. ihres Günstlings (Geliebten?) Mazarin
waren „Prinzen von Geblüt“ und gehörten (1661) ging sie ins Kloster. – Russland:
zu den mächtigsten frz. Kronvasallen. Fer- 7) A. Iwanowna, 1693–1740; Zarin seit
ner stellte das Haus A. die Könige von Un- 1730, Nichte Peters d. Gr., Nichte Fried-
garn 1308–1382 und Polen 1370–1382; richs d. Gr., herrschte durch ihren Günst-
mit dem Erlöschen der frz. Linie 1480 ling Biron.
wurde der Herzogtitel von A. Titel der Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-Wei-
dritten Söhne des frz. Königs; mit ihren mar, Gemahlin Herzog Ernst August Kon-
Besitztümern übernahm die frz. Krone stantins von S.-W., 1739–1807; nach des-
auch die Ansprüche auf Neapel. sen Tode vom Adel 1758 auf den Thron
Ankara (vor 1930 Angora), das antike An- erhoben und bis 1775 Regentin für ihren
kyra; im 13. Jh. von den Seldschuken er- Sohn Karl August, Mittelpunkt des geis­
obert, im 14. Jh. zum Osmanenreich; 1402 tigen Lebens in Weimar nach der Beru-
Schlacht bei A. (Sieg Timurs über die Os- fung Wielands als Erzieher ihrer Söhne.

48
Ansgar

Annalen (lat.), Jahrbücher mit Darstellung Klostergründer und Kirchenerbauer, hei-


der Zeitgeschichte; schon in Altägypten, liggesprochen; ihn besingt das um 1100
Assyrien, Israel, Altchina, Altrom (Anna- verfasste Annolied.
les Maximi oder Annales Pontificum); bei Annunzio, Gabriele d’, ital. Dichter,
den Römern später Bez. für Zeitgeschichte 1863–1938; Nationalist, eroberte 1918
gegenüber den Historiae, der Vergangen- mit einer Freischar Fiume für Italien, ital.
heitsgeschichte; im MA erste Blüte in der Nationalheld.
Zeit der Karolinger (beginnend unter Karl Ansbach, Stadt und Markgrafschaft in
Martell); Aufzeichnungen in Klöstern und Franken; seit dem 11. Jh. im Besitz der
von Mitgliedern der königl. Hofkanzlei; Grafen von Andechs, kam 1331 an die zol-
offiziöse Reichsannalen; an ihnen hat z. Z. lernschen Burggrafen von Nürnberg; wei-
Karls d. Gr. ↑ Einhard wesentlichen An- terer Landzuwachs im 14. Jh. (Bayreuth,
teil; sie gelten mit Einschränkungen als zu- Gebiete um Kulmbach, Erlangen, Feucht-
verlässigste Quelle für die Geschichte des wangen u. a.); 1415 erhielt der Zoller
Frankenreichs von 741 bis 829, später von Friedrich die Kurmark Brandenburg; ab
Fulda, dem angesehensten dt. Kloster, bis 1486 Trennung der kurfürstlichen Linie
901 fortgesetzt (Annales Fuldenses). Eine von der fränk. Linie (↑ Albrecht Achilles);
wichtige Quelle aus der Zeit der Ottonen von da ab A. und Bayreuth zeitweise ge-
sind die A. Quedlinburgenses. Zweite Blü- trennt und vereinigt; der letzte, kinder-
tezeit im 11. und 12. Jh.: A. Altahenses lose Markgraf Carl Alexander, der seit
(Niederaltaich), A. Patherbrunnenses (Pa- 1769 auch Bayreuth innehatte, trat 1791
derborn), A. Magdeburgenses, A. Pali- auf Betreiben seiner (von Berlin besto-
denses (Pöhlde a. Harz), A. Nienburgenses chenen?) Mätresse Lady Craven das Fürs-
(Nienburg a. d. Weser). Noch das ganze tentum A.-Bayreuth vor dem Erbfall an
MA hindurch finden sich vereinzelt A. Preußen ab (unter der Verwaltung ↑ Har-
Annam, ehemaliges indochin. Kaiserreich denbergs). 1805/06 kam A. durch Schön-
(seit 968), 1428 endgültig von China brunner Vertrag an Bayern, Bayreuth zu-
unterworfen, seit 1884 frz. Protektorat; nächst unter frz. Verwaltung, 1810 eben-
seit 1932–1945 unter Kaiser Bao Dai, falls an Bayern.
seit 1946 Kernland von Vietnam, ↑ Indo­ Anselm von Canterbury, hl., Kirchen-
china. lehrer, Philosoph, 1033–1109; seit 1093
Antraten (lat., Jahrgelder), Abgaben an Erzbischof von Canterbury, verteidigte im
den Papst für die Verleihung von kirch- Sinne Gregors VII. die Rechte der Kirche
lichen Ämtern, seit dem Konstanzer Kon- gegen das englische Königtum; „Doctor
zil nur noch von Bischöfen und Äbten zu ecclesiae“ und „Vater der Scholastik“ ge-
entrichten, im MA eine der wichtigsten nannt, mit ihm begann die scholastische
Quellen für die Verwaltungsausgaben des Spekulation (Grundgedanke: Credo ut in-
Päpstlichen Stuhles, in der Reformations- telligam, vom Glauben zu wiss. Einsicht;
zeit Gegenstand heftiger Kritik. Verfechter des ontolog. Gottesbeweises:
Anno, Erzbischof von Köln (1056–1075); Der Begriff Gott zwingt zum Gottglau-
bemächtigte sich des unmündigen Königs ben).
Heinrich IV. 1062, um ihn dem Einfluss Ansgar, Erzbischof, Apostel des Nor-
seiner Mutter Agnes von Poitou zu ent- dens, 801–865; Mönch im Kloster Corvey
ziehen (Staatsstreich von Kaiserswerth), an der Weser, betrieb als päpstlicher Le-
von Adalbert von Bremen 1063 verdrängt; gat Missionstätigkeit bei den Dänen und
1074 aus Köln nach Siegen vertrieben: Schweden, 831 Erzbischof von Hamburg,
Zwischenstellung zw. Kaiser und Papst; 845 von Hamburg-Bremen.

49
Antalkidas

Antalkidas, spartanischer Feldherr und sich die polit. Ordnung der ↑ Sowjet. Be-
Staatsmann, schloss 387 v. Chr. den A.- satzungszone bis zur Gründung der DDR
oder Königsfrieden mit Persien, der die (Okt. 1949) Antifaschist.-demokrat. Ord-
kleinasiat. Griechenstädte an Persien aus- nung und der Zusammenschluss aller „de-
lieferte und die spartan. Hegemonie über mokrat.“ Parteien unter Führung der SED
Griechenland sichern sollte. (Autonomie Antifaschist.-demokrat. Block.
für alle anderen, von Sparta überwacht). Antigonos, Name von Herrschern. Judäa:
Antarktis, als Land erahnt von James 1) A. II., letzter König der Juden aus der
↑ Cook 1773 auf seiner Fahrt in die ant- Familie der Makkabäer (40–37 v. Chr.);
arkt. Zone; geogr. Erschließung durch von Hemdes besiegt und von den Rö-
d’Urville, Wilkes, Roß, Hanson, Drygal- mern enthauptet. – Makedonien: 2) A. I.,
ski, Amundsen, Scott, Shackleton, Byrd, Feldherr Alexanders d. Gr., um 384–
Dusek u. a., vor allem durch die Teilneh- 301 v. Chr.; gründete nach dessen Tod als
mer an den Expeditionen des Geophysikal. Diadoche (Nachfolger) ein syr.-kleinasiat.
Jahres 1957/58 und der folgenden Jahre; Reich und suchte von hier die Einheit des
Besitzansprüche auf Teilgebiete der A., die Gesamtreiches wieder herzustellen, nahm
sich regional teilweise überdecken, stel- 306 den Königstitel an, fiel bei Ipsos ge-
len Argentinien, Australien, Chile, Frank- gen die anderen Diadochen. 3) A. II. Go-
reich, Großbritannien, Neuseeland, Nor- natas, König von Makedonien, um 320–
wegen; 1959 zur Wahrung des Friedens 239 v. Chr.; Enkel von 2), stellte das make-
in der A.-Konferenz von Washington ein don. Königtum wieder her.
auf 30 Jahre geltender A.-Vertrag geschlos- Antike (lat.), Kultureinheit des griech.-
sen (freier Zugang für wiss. Expeditionen, röm. ↑ Altertums; griech. Bildung und Le-
kein militär. Operationsgebiet). bensform (Ideale: freier Geist, edles Men-
Anti-Corn-Law-League, die engl. „Anti- schentum, freie Demokratie) beeinflussten
Kornzoll-Liga“ unter Führung ↑ Cobdens, (z. Z. Alexanders d. Gr. und des ↑ Hellenis-
gegr. 1838 in Manchester (↑ Manchester- mus) die ganze damals bekannte Welt rund
tum), Avantgarde des radikalen Freihan- um das Mittelmeer; Ausstrahlung bis nach
dels, agitierte im Interesse der industriel- Indien und China. Nachhaltigste Wir-
len Unternehmer für die Aufhebung der kung auf Rom, das sich als Erbe der grie-
1815 zugunsten der Großgrundbesitzer chischen A. berufen fühlte (Ausprägung
eingeführten Kornzölle, bis sie 1846 vom des Begriffes Humanität); Herausbildung
Parlament beseitigt wurden. der griech.-röm. Kultur mit höchster Blüte
Antifaschismus, allg. Gegnerschaft gegen in der Kaiserzeit (griech. Kunst, Literatur
jede Form des ↑ Faschismus, ob weltan- und Philosophie und röm. Recht, Organi-
schaulich, politisch oder organisatorisch; sation und Staatsbewusstsein, Versuch ei-
im engeren Sinn durch kommunist. Dok- ner Weltherrschaft ohne despot. Zwang).
trinbildung geprägtes Schlagwort, das sich Nach dem Niedergang Roms Übernahme
von der Bez. für die Frontstellung gegen antiker Kulturgüter durch die christliche
faschist. Parteien und Regime der Vergan- Kirche des Westens (lat. Kirchensprache,
genheit zum Etikett für den kommunist.- weltliche Organisation, Philosophie) und
revolutionären Kampf überhaupt wan- den christlichen Staat (↑ Karolingische
delte: So übernahmen antifaschist. Aus- Renaissance). Bewahrung antiken Wis-
schüsse („Antifas“) aus Mitgliedern von sens in den Klöstern. Im O griech.-christ-
SPD und KPD, z. T. auch des Zentrums, liche Staats- und Lebensform während des
am Ende des 2. Weltkrieges die Verwal- ganzen Mittelalters in Konstantinopel-By-
tung in den dt. Gemeinden, so nannte zanz. Herausbildung der süd- und west-

50
Antonius Pius

europ. Sprachen auf der Grundlage des cken und 1516 von den Türken erobert;
(Vulgär-)Lateins. Antike und Christentum antike Baureste erhalten.
beeinflussten auch die Welt des Islam Antiochos, Könige von Syrien aus der Dy-
(6./7. Jh.), der seinerseits dem Abendland nastie der Seleukiden: 1) A. I. Soter (281–
durch maurisch-arabische Vermittlung 261 v. Chr.), beseitigte in langwierigen
die inzwischen verschollenen Werke der Kämpfen die Galatergefahr (Zurückdrän-
griech. Philosophie von neuem zugäng- gung der ↑ Galater nach Galanen), daher
lich machte. In Renaissance und Huma- Soter = Retter. 2) A. III. d. Große (223–
nismus neue abendländ. Blüte der A., von 187 v. Chr.), warf aufständische Satrapen
dieser Zeit an treibendes Element europ. am Tigris nieder, unterlag in der großen
Kultur. Höhepunkt des Bewusstseins der Schlacht bei Rapheia (217) gegen Ptole-
Bildungswerte der A. (Geistesfreiheit und mäus IV., zog siegreich nach dem Osten
Humanität, Menschlichkeit): Aufklärung, gegen Meder und Parther, nahm Han-
Neuhumanismus (Schaffung des Gymna- nibal als Flüchtling auf, geriet mit Rom
siums durch W. von Humboldt), die dt. in Konflikt und unterlag den Römern in
Klassik (Winckelmann, Goethe, Schiller). der Schlacht bei Magnesia 190; (Verlust
Mit der wachsenden Bedeutung von Na- Kleinasiens). 3) A. IV. Ephiphanes (175–
turwissenschaft und Technik verlor das 163 v. Chr.), eroberte Ägypten; seine Tem-
klass. Bildungsideal des 19. Jh. an Bedeu- pelschändung bei einem Strafgericht über
tung. Trotzdem ist auch heute noch die A. Jerusalem und das Verbot des jüd. Kultes
eine der Grundlagen abendländ. sowie eu- führten zum Aufstand der ↑ Makkabäer.
rop.-amerik. Kultur. Antipater, makedonischer Feldherr unter
Antikominternpakt, ↑ Internationale (3). Philipp II. und Alexander d. Gr., während
Antiochia, Stadt in der Türkei am Orontes dessen Perserzug Statthalter in Makedo-
(heute Antakya), 300 v. Chr. von ↑ Seleu- nien und Griechenland, warf 322 v. Chr.
kos Nikator gegründet, Hauptstadt des den Aufstand der Griechen nieder.
Seleukidenreiches, im Altertum die be- Antisemitismus, ↑ Judentum.
deutendste, größte und prunkvollste Stadt Antisklaverei-Akte, in Genf 1926 unter-
des Ostens nach Alexandria. Hauptstadt zeichnetes Abkommen über die Abschaf-
der Provinz Syrien. Blüte unter den röm. fung der Sklaverei und die Unterdrückung
Kaisern (zehnmal so groß wie das heu- des Sklavenhandels.
tige A.), durchzogen von einer über 6 km Antonescu, Ion, rumän. General und
langen, säulenumstandenen Hauptstraße, Staatsmann, 1882–1946; machte sich
Durchmesser rd. 20 km. In A. bildete sich beim Zusammenbruch Großrumäniens
die erste große Christengemeinde außer- 1940 zum Staatsführer mit diktator. Voll-
halb Palästinas, von A. aus begann der machten (Rücktritt des Königs), führte
Apos­tel ↑ Paulus sein Missionswerk in Rumänien an der Seite Deutschlands in
Klein­asien und Osteuropa; in A. kam zu- den Krieg gegen die Sowjetunion; 1944
erst der Name „Christen“ (christianosi = verhaftet, hingerichtet.
zu Christus Gehörige) auf; Ort zahlreicher Antoninus Pius, römischer Kaiser (138–
Konzilien; im 7. Jh. von den Arabern, im 161 n. Chr.); Adoptivsohn Hadrians, ver-
11. Jh. von den Seldschuken erobert; seit suchte eine Wiederherstellung altröm.
1098 (1. Kreuzzug) christl. Fürstentum A. Glaubens, wegen seiner Friedenspolitik
als Vasallenstaat des Königreichs Jerusa- von den Zeitgenossen gepriesen („glück-
lem; 1190 wurden in A. Körperteile mit lichste Regierung der Kaiserzeit“), sicherte
den Eingeweiden Kaiser Friedrich Barba- Britannien durch den A.-Limes zwischen
rossas beigesetzt; 1268 von den Mamelu- Clyde und Forth gegen die Scoten.

51
Antonius

Antonius, 1) A., Marcus, röm. Feldherr Volksgruppen; um 700 v. Chr. lagen die


und Staatsmann, 82–30 v. Chr.; Verwand- Hauptsitze der Ä. an der kleinasiat. West-
ter Cäsars, zugleich mit diesem Konsul, küste bis Smyrna und auf einigen Inseln
nach dessen Ermordung sein Rächer, im des Ägäischen Meeres.
(2.) Triumvirat mit Oktavian und Lepidus Apartheid, (Afrikaans, Trennung, eigtl.
43 v. Chr., siegte bei Philippi über die Cä- „Gesondertheit“); Bezeichnung für die Po-
sarmörder Cassius und Brutus (42 v. Chr.), litik der Rassentrennung zwischen weißer
machte sich zum Herrn des Ostens und und farbiger (Bantu, Mischlinge, Asiaten)
verfiel der Kleopatra, 36/35 unglück- Bevölkerung in der Republik Südafrika.
licher Krieg gegen die Parther; 31 v. Chr. Seit 1948 war die A. in Südafrika durch
von seinem Schwager Oktavian bei Ak- Gesetz offizielle Regierungspolitik. Ihr Ziel
tium besiegt, nahm er sich das Leben. war die Festigung weißer Herrschaft und
2) A. d. Große, hl., Begründer des christ- Privilegien über die farbige Bevölkerung.
lichen Mönchtums, um 250–356 n. Chr.; Die A. bedeutete: Verbot gemischtrassiger
führte in Ägypten die klösterlichen Ge- Ehen; Rassentrennung in öffentlichen Ein-
meinschaften von Eremiten ein („Patri- richtungen (Schulen, Krankenhäuser, Ba-
arch des Mönchtums“). 3) A. von Padua, deanstalten); Ausschluss der Farbigen von
Kirchenlehrer, 1195–1231, hl.; Franziska- polit., sozialen und kulturellen Entschei-
nermönch, Theologe in Bologna, Prediger dungen in Parlament und Verwaltungen
gegen die Albigenser. und vom aktiven Wahlrecht. Seit 1950
Antwerpen, belg. Hafenstadt an der die Rassenzugehörigkeit und der Wohnort
Schelde, seit dem 9. Jh. als Niederlassung durch Gesetz geregelt; seit 1954 wurden
bekannt, bald Sitz einer reichen Tuch- die Schwarzen in sog. Homelands (engl.,
macherindustrie, 1315 Aufnahme in die „Heimatländer“) zwangsumgesiedelt. Das
Hanse. Im 16. Jh. eine der reichsten Städte bedeutete für die in den Städten arbeiten-
Europas (Mitte des 16. Jh. 125 000 Ein- den Schwarzen den Status eines Fremdar-
wohner); Hauptsitz der niederländ. Ma- beiters, der jederzeit wieder in sein Home-
lerei; im Freiheitskampf der Niederlande land ausgewiesen werden konnte. (Home-
1585 von den Spaniern zurückerobert lands: Transkei, Bophuthatswana, Venda,
(Ende der Weltgeltung); weiterer Nieder- Ciskei.) Die Zwangsumsiedlungen wur-
gang seit 1648 durch die niederländ. Blo- den am 1. März 1989 durch ein neues
ckade der Scheldemündung, 1714 zu den Wohngesetz, das gemischtrassige Wohnge-
österr. Niederlanden, 1794 von Frankreich biete begrenzt zulässt, leicht abgemildert.
besetzt, 1814 zum Königreich Vereinigte In Opposition zur A. standen in Südafrika
Niederlande, 1830 zu Belgien; Wiederauf- u. a. die Kirchen, die Gewerkschaften, der
stieg als Seeumschlagsplatz der nordwest- ANC („African National Congress“), die
europ. Industrie. UDF („United Democratic Front“), die
ANZUS-Pakt (Australia, New Zealand, „Progressive Party“. Nach weltweiter Ver-
United States), Pazifik-Pakt, Verteidi- urteilung u. a. durch UNO und EU wurde
gungspakt der Staaten seit 1951 mit stän- die A. im Jan. 1990 durch Parlamentsbe-
digem Rat der Außenminister; ergänzt schluss aufgehoben.
durch Beistandspakte USA-Philippinen, Apologet, Verteidiger des Christentums
USA-Japan. Neuseeland war 1986–1994 in Schrift und Lehre; in frühchristl. Zeit
wegen seiner Kernwaffen ablehnenden Po- (2. Jh. n. Chr.) bes. gegen die Anklagen
litik ausgeschlossen. wegen Staatsfeindlichkeit, Unmoral u. a.
Äoler, Sammelname für die nicht zu Io- Apostelgeschichte, Schrift des Neuen
niern oder Dorern gehörenden altgriech. Testaments, wahrscheinlich vom Evan-

52
Aquae Sextiae

gelisten Lukas um 63 n. Chr. verfasst, Übersetzer von Sprüchen aus dem Grie-
schildert die Arbeit der Apostel, das Leben chischen; als Zensor 312 Erbauer der Via
in den Urgemeinden und die Ausbreitung Appia und der ersten Wasserleitung Roms
der christlichen Lehre bis zur Übersied- (Aqua Appia).
lung des Paulus nach Rom. Après nous le déluge (franz., nach uns
Apostelkonzil, nach der kath. Überlie- die Sintflut), Ausspruch, den die Gräfin
ferung Zusammentreffen der Apostel Pe- von ↑ Pompadour nach der Niederlage
trus, Johannes, Jakobus mit Paulus und von Roßbach (1757) getan haben und der
Barnabas um 50 n. Chr. in Jerusalem; Ab- die leichtfertige Haltung des frz. Hofes
lehnung der Forderung, dass zum Chris- und des Adels vor der Revolution charak-
tentum übertretende Heiden dem mosa- terisieren soll.
ischen Religionsritus zu unterwerfen seien Apulien, südöstl. Teil der ital. Halbinsel;
(Grundlage für die Entwicklung zur Welt- 317 v. Chr. von Rom annektiert; seit etwa
kirche). 570 gehörte der N A.s zu dem langobard.,
Apostolisch, im weiteren Sinne alles, was der S zum byzantin. Reich; um die Mitte
auf die Apostel zurückgeht; im engeren des 11. Jh. eroberten die ↑ Normannen das
Sinne = päpstlich, z. B. A.er Stuhl, nach Land, machten es zum Herzogtum und
der kath. Überlieferung vom Apostel Pe- nahmen es vom Papst zu Lehen; 1128 ge-
trus begründet, gleichbedeutend mit waltsame Vereinigung mit Kalabrien und
Papsttum, A.es Glaubensbekenntnis, Apos­ ↑ Sizilien durch König Roger II. zum Kö-
tolicum, ältestes christliches Glaubens- nigreich Sizilien; größte Bedeutung unter
bekenntnis, aus dem 2. Jh. n. Chr., allen stauf. Herrschaft, u. a. unter Friedrich II.
christlichen Kirchen (mit Ausnahme der Aquädukt, Wasserleitung römischer
Ostkirchen) gemeinsam. Städte, z. T. als hohe, gemauerte Bogen,
Apotheose, die mit besonderer Zeremo- die das Wasser in Röhren oder offenen
nie verbundene Erhebung eines Menschen Kanälen in natürlichem Gefälle von nahe
unter die Götter, schon früh bei den Ägyp- oder entfernter gelegenen Gebirgen in die
tern, Persern und anderen orientalischen Stadt führten; Rom wurde in der Kaiser-
Völkern, von den Griechen an ihren He- zeit von rd. 12 großen A.en (rd. 430 km
roen, auch Gesetzgebern, Feldherren, von Länge) versorgt und hatte deshalb trotz
den Römern durch die Konsekration oder riesigen Bedarfes (außer den Wohnhäu-
Senatsbeschluss an Staatsgründern (Ro- sern 11 mächtige Thermen, fast 1 000
mulus) und Kaisern (seit Cäsar) geübt, seit kleinere Bäder und rd. 1800 Brunnen) nie
Caligula auch zu Lebzeiten. unter Wassermangel zu leiden; überall in
Appian(os), griech. Geschichtsschreiber den Römerprovinzen eindrucksvolle Rui-
des 2. Jh. aus Alexandria; bedeutend we- nen zerstörter A.e (die Rom versorgenden
gen der vollständig erhaltenen Darstellung A.e wurden sämtlich durch die Goten bei
der röm. Bürgerkriege. der Belagerung von 537 n. Chr. zerstört);
Appius Claudius Caecus (der Blinde), die bedeutendsten A.-Ruinen sind die der
röm. Staatsmann, Feldherr, Gesetzgeber römischen Campagna, der Pont du Gard
und Schriftsteller, 307 und 296 v. Chr. (Südfrankreich) und die A.e von Segovia
Konsul, 292–285 Diktator, warnte 280 und Tarragona (Spanien).
(im Krieg gegen Pyrrhus von Epirus) den Aquae Sextiae (frz. Aix-en-Provence),
Senat, zu verhandeln, solange feindliche Stadt im narbonensischen Gallien nord-
Heere auf ital. Boden stünden (= machtpo- östlich der Rhonemündung; 102 v. Chr.
lit. Programm Roms für das folgende Jh.); Schlacht gegen die ↑ Teutonen, die von
Freund griech. Literatur, Herausgeber und ↑ Marius vernichtet wurden.

53
Äquatorialguinea

Äquatorialguinea, Republik in Afrika den werden: Arabisch, Irakisch, Mesopota-


am und im Golf von Guinea; ehemals misch, Syrisch, Palästinensisch, Ägyptisch,
span. Kolonie „Territorios Espanoles del Libysch, Maghrebinisch (in anderen Län-
Golfo de Guinea“, gebildet aus der Pro- dern mit islam. Bevölkerung ist Arabisch
vinz Mbini und mehreren Inseln, darun- nur theolog. und wiss. Schriftsprache). Im
ter Fernando Póo; 1959 in eine Übersee- engeren Sinne bezeichnet der Name Araber
provinz umgewandelt, 1963 Gewährung die Bewohner der Arab. Halbinsel, die als
innerer Autonomie, 1968 Ausrufung der Urheimat der Semiten gilt. Seit dem 3. Jh.
unabh. Republik Ä. 1969; Unruhen als suchten die Semiten der Arab. Halbinsel
Folge wirtsch. Schwierigkeiten und Staats- immer wieder aus ihrem harten und kärg-
streich Präsident Macías Nguemas. Dessen lichen Nomadendasein auszubrechen und
Terrorregime sollen Tausende zum Opfer überfluteten die fruchtbareren Nachbar-
gefallen sein. 1979 wurde Macías Nguema gebiete. Die Araber sind der Hauptzweig
durch einen Putsch gestürzt und hinge- der semit. Völkergruppe, waren von jeher
richtet; seitdem Militärregierung unter überwiegend Nomaden, aufgesplittert in
Nguema Mbasogo. 1982 wurde eine Prä- zahlreiche kriegerische Stämme mit stän-
sidialverfassung angenommen. digen wechselseitigen Fehden und (seit
Aquileja, Stadt an der Isonzomündung; etwa 500 n. Chr.) im Kampf um den Be-
181 v. Chr. röm. Kolonie, bis zum 5. Jh. sitz des gemeinsamen Vielgötter-Heilig-
volkreiche Großstadt, beim Hunneneinfall tums, der Kaaba in Mekka. Nach der reli-
452 zerstört, seit dem 6. Jh. Sitz eines Pa- giösen und polit. Einigung durch den Ein-
triarchats. 1421 kam A. zu Venedig, des- gottglauben des Islam um 630 n. Chr. wur-
sen Konkurrenz den Handel A.s vernich- den sie zur Welteroberung aufgerufen und
tete; 1809 geriet A. in österr. Besitz. gründeten ein Reich, das sich vom Kau-
Aquino, Corazon Cojuanco, philippin. kasus über Kleinasien und Nordafrika bis
Politikerin, geb. 1933; Witwe des 1983 nach Spanien erstreckte. Weltgeschicht-
ermordeten philippin. Oppositionspoliti- lich bedeutsam war außer der aggressiven
kers Benigno A.; führte eine Volksbewe- Reichsbildung die durch sie erfolgende
gung gegen den Diktator Ferdinand Mar- Blockade des westl. Mittelmeeres, die im
cos an, nach dessen Sturz 1986 bis 1992 Abendland zum Zusammenbruch der an-
Staatspräsidentin; in ihrer Amtszeit zahl- tiken Geldwirtschaft und damit zur Feu-
reiche Putschversuche, 1992 keine erneute dalisierung führte; nicht weniger bedeut-
Kandidatur. sam wurden sie durch ihre glänzenden
Aquitanien (Guyenne), im SW Frank- Kulturleistungen, die um die Wende zum
reichs zwischen Loire und Garonne, alte 8. Jh. einsetzten; unter Förderung durch
gallische Provinz, seit 418 westgotisch, 507 Mäzene und Übersetzungsakademien er-
fränkisch, um 670–769 eigene Herzöge, folgten Übertragungen aus dem Syrischen,
768 karoling. Teilreich, um 950 Herzog- Griechischen, Persischen und Indischen:
tum der Grafen von Poitou, 1154 englisch Werke der Medizin (Hippokrates, Galen),
(↑ Anjou), 1453 wieder zu Frankreich. der Philosophie (Plato, Aristoteles, Plo-
Ära ↑ Chronologie, Zeitrechnung. tin), der verschiedensten naturwiss. Diszi-
Araber, im weiteren Sinne die arabisch plinen, der Mathematik und Astronomie;
sprechenden Bevölkerungsteile in Arabien, außerdem reiche eigenständige wiss., phi-
Mesopotamien, Syrien, Palästina, Ägypten, losophische und literarische Produktion;
Nordafrika, im Sudan und in Ostafrika; Verschmelzung der hellen. mit der iran.,
heute in zahlreiche Dialektgruppen aufge- zum Teil auch ind. Kultur. Im O wich-
gliedert, unter denen vor allem unterschie- tigstes Kulturzentrum Bagdad als Resi-

54
Arabien

denz der abbasid. Kalifen (Bibliotheken, Landbrücke mit Ägypten und Äthio-
Gelehrtenakademien, Sternwarte; fort- pien verbunden; Gebirgswüste, Step-
wirkend auch nach dem Verfall der Kali- pen mit einzelnen Oasen, Durchgangs-
fenmacht); im S war es Sizilien (Palermo, land Eu­ropa-Vorderer Orient-Indien mit
Syrakus), auch nach der Eroberung durch sich kreuzenden Karawanenwegen. Nur
die Normannen; im Westen, im Reich der im SW dank der Monsunregen Möglich-
omaijad. Kalifen, Cordoba, bes. seit Abd keiten für Ackerbau, Sesshaftwerdung und
Ar Rahman und Hakem II. (Universität stetige Kulturentwicklung. Hier bereits
Cordoba, die zeitweise auch abendländ. im 2. Jt. v. Chr. Städtekultur: Kulturzen-
Christen als Lehrstätte offen stand; Archi- tren im Jemen und in Hadramaut. Lange
tektenschulen, Gelehrten-, Dichter- und Kämpfe zw. den Reichen von Main, Saba,
Philosophenkreise); später waren Nach- Kataban und Hadramaut. Im Norden griff
folgefürsten Förderer des Kulturlebens. seit etwa 300 v. Chr. das Nabatäerreich z. T.
Gegen Ausgang des MA Vermittlung der auf die Halbinsel über; es war von großer
„arabischen“ (in Wirklichkeit indischen) Handelsbedeutung; zeitweise Ausdehnung
Ziffern, die erst das moderne praktische bis Syrien (Damaskus); Hauptstädte: He-
und theoretische Rechnen ermöglichten. gra und Petra, dessen Ruinen zum großen
Mit dem Eintritt der Türken in die isla- Teil erhalten sind. Röm. Expeditionen ins-
mische Welt Zurückdrängen des Araber- gesamt erfolglos; erst 105 n. Chr. wurden
tums. Ablösung der arab. durch die os- Teile Arabiens von den Römern erobert
man. Weltmacht. Bedingt durch den Nie- (Petra wurde verwüstet) und zur mehr-
dergang des Osman. Reiches wurden die teiligen Provinz Arabia zusammengefasst:
arab. Länder zu Objekten europ. Groß- Arabia Petraea (felsiges A.) umfasste die
machtpolitik, Frankreich eroberte Alge- Sinaihalbinsel, S-Palästina und einen Teil
rien (1830), Tunesien (1881) und Ma- des eigentlichen Arabiens, das zum Na-
rokko (1912), Großbritannien Ägypten batäerreich gehörte; A. Felix (glückliches
(1882) und Italien Libyen (1912). – An A.) das Weihrauchland im S mit der Oase
der Kulturentwicklung außerhalb Arabi- Hadramaut und dem Jemen; A. Deserta
ens nahmen die A. der Halbinsel kaum (ödes A.) die Wüsten gegen Mesopota-
Anteil, sie verharrten in den alten Lebens- mien hin. Nach 500 n. Chr. Unterwerfung
gewohnheiten des Nomadentums. In der von Teilen A.s unter Abessinien, um 575
Gegenwart starke Fremdeinflüsse durch im Machtbereich der pers. Dynastie der
Erdölwirtschaft, Verkehrserschließung, Sassaniden. Im 7. Jh. Heimat des ↑ Islam
Rundfunk, bessere Ernährung, arab. Be- und Ausgangsposition der arab. Erobe-
wegung, Reformen im Islam; in Ägypten, rung in drei Erdteilen, mit dem Hauptort
Palästina und im Libanon auch christliche Medina; später übernahmen Damaskus,
Araber (↑ Islam). Der Zusammenschluss dann Bagdad die Rolle der Zentralstadt
der nach 1945 unabhängigen arab. Staa- des arab. Weltreiches; Mekka blieb reli-
ten in der ↑ Arabischen Liga erwies sich als giöser Mittelpunkt. Nach der Auflösung
zu schwach für eine Basis der polit. Eini- des arab. Gesamtreiches in Teildynastien
gung. Die Entwicklung der Nachkriegs- (10. bis 12. Jh.) bildeten sich in Arabien
geschichte wurde wesentlich beeinflusst und im Jemen verschiedene Fürstentümer;
durch die Gegnerschaft der A. zu Israel; im Norden Eindringen der Türken, von
diese zerbrach jedoch 1979 mit dem is- Ägypten aus Herrschaft der Mamelucken,
rael.-ägypt. Separatfrieden. die 1517 von den Türken (Selim I.) abge-
Arabien, Halbinsel zw. Afrika und Asien, löst wurden; im 18. Jh. Erneuerungsbewe-
in ältester Zeit vielleicht durch breitere gung der ↑ Wahhabiten, doch keine blei-

55
Arabische Föderation

bende polit. Einigung; seit 1805 unter der internat. Anerkennung. 1989 in Tunis
erblichen Statthalterschaft Mehemed Alis vom palästinens. Exilparlament zum Prä-
allmählich Befreiung vom türk. Einfluss. sidenten des Staates ↑ Palästina gewählt.
Im 19. Jh. südl. Randgebiete Aden, Ha- 1994 gemeinsam mit Y. Rabin u. S. Peres
dramaut, Oman, Kuwait britisch; 1916 Friedensnobelpreis für Osloer Abkom-
Gründung des von der Türkei unabhän- men, 1996 Vorsitzender der Palästinen-
gigen Königreichs Hedschas, 1924/1925 sischen Autonomiebehörde (PNA), Sta-
Gründung des Königreiches Ibn Sauds, das gnation des Friedensprozesses führte zu
auch Hedschas einschloss. 1932 Zusam- zunehmender Kritik an A. aus den eigenen
menfassung zu Saudi-Arabien. Der ↑ Je- Reihen wie aus Israel.
men entwickelte eine eigene Geschichte, Aragonien, span. Aragón, nordspan.
assoziierte sich 1958–61 dem Staatenbund Landschaft; um 200 v. Chr. in röm. Besitz;
der Vereinigten Arabischen Republik. Von im 5. Jh. von den Westgoten besiedelt,
weltwirtschaftl. Bedeutung die Ölfelder 713 arabisch; die aus der Spanischen Mark
von Saudi-Arabien, Kuwait, den Bahrain­ Karls d. Gr. hervorgegangene Grafschaft
inseln (↑ Araber, Saudi-Arabien, Jemen, A. (im äußersten N) an der Reconquista
Islam, Mohammed u. a.). (Rückeroberung des maur. Spaniens) maß-
Arabische Föderation, kurzzeitiger Staa- geblich beteiligt, 1000–1035 mit Navarra
tenbund der Königreiche Irak und Jorda- vereinigt; Ramiro I. (1035 bis 1063) erster
nien; 1958 durch Aufstand im Irak und König von A.; 1137 Anschluss an Kata-
Ausrufung der Republik aufgelöst. lonien, 1238 Angliederung von Valencia,
Arabische Emirate ↑ Vereinigte Arabische 1282 Verbindung mit Sizilien, 1443 mit
Emirate. Neapel, 1479 Vereinigung A.s mit Kasti-
Arabische Liga, durch Verträge von 1945 lien zum spanischen Gesamtstaat.
und 1950 gegründeter Verband der arab. Aramäer, semitische Beduinen, ließen sich
Staaten (Ägypten, Saudi-Arabien, Irak, Jor- um 3000 v. Chr., aus der arab. Wüste kom-
danien, Jemen, Syrien, Libanon). Beitritte: mend, am mittleren Tigrisufer nieder; stie-
Libyen (1953), Sudan (1956), Marokko ßen seit 1300 v. Chr. in immer neuen Wel-
und Tunesien (1958), Kuwait (1961), Al- len nach Mesopotamien und Syrien vor,
gerien (1962), Südjemen (1967), Katar, verwickelten Assyrien in langwierige Ab-
Bahrain und die Vereinigten Arab. Emi- wehrkämpfe, gründeten um 1000 v. Chr.
rate (1971), Mauretanien (1973), Somalia das Reich von Damaskus und unterlagen
(1974), PLO (1976), Dschibuti (1977). den Assyrern nach hartnäckigem Wider-
Sitz des Generalsekretariats in Kairo, seit stand im 8. Jh. v. Chr. Ihre Sprache, noch
1979 in Tunis. Politische Differenzen un- zu Mohammeds Zeiten in Vorderasien
ter den arab. Staaten schränkten die Wirk- und Palästina Hauptverkehrssprache, lebt
samkeit der A. L. stark ein. Das 1979 sus- im Syrischen fort.
pendierte Ägypten wurde 1989 wieder als Aratos von Sikyon, 271–213 v. Chr., Stra-
Vollmitglied aufgenommen. tege (Feldherr) des ↑ Achäischen Bundes,
Arafat, Jasir, palästinens. Politiker, 1929– Verfasser von „Denkwürdigkeiten“.
2004; hatte seit Mitte der 60er Jahre ent- Arausio, Schlacht von, ↑ Kimbern.
scheidenden Anteil am Aufbau der Gue- Arbeiterbewegung, der seit der Indus-
rilla-Gruppe Al-Fatah, seit 1967 deren trialisierung im Zeichen des Schlagwortes
Führer; seit 1969 Vorsitzender des Exeku- der „sozialen Frage“ entwickelte Zusam-
tivkomitees der Palästinens. Befreiungs- menschluss der Handarbeiter (insbes.
front PLO. A. errang durch einen gemä- in der Industrie) zur Verbesserung ihrer
ßigten Kurs vor allem in den 80er Jahren wirtsch., soz. und polit. Lage oder zur Än-

56
Archiv

derung der Wirtschaftsstruktur in West- auf Delos; amerik. Grabungen in Athen,


und Mitteleuropa in der 2. Hälfte des Korinth und Dura. Seit Mitte des 19. Jh.
19. Jh.; die A. umfasst 1) die Bildung von planmäßige Durchforschung Mesopota-
polit. Parteien der Arbeiterschaft, insbes. miens: Lagasch, Babylon, Uruk, Nippur
die sozialistische, 2) die Gewerkschaftsbe- (Harper, Hilprecht, Peters; seit 1889 die
wegung und 3) das Genossenschaftswesen ersten Amerikaner unter den Ausgräbern),
(Konsumvereine usw.). Aus dem Kampf Ur (Glanzleistung Woolleys). In Ägypten
gegen die besitzenden Klassen ging die A. seit 1880 Grabungen des Engländers Flin-
vor allem infolge des allg. Wahlrechtes als ders Petri (1853–1942); erfolgreiche Gra-
mächtiger polit. Faktor hervor (↑ Sozia- bungen Carters (1873–1939) in Tall Al
lismus, Sozialdemokratie, Gewerkschaft, ↑ Amarna, in Theben: Grab des ↑ Tutench­
Genossenschaften, Anarchismus u. a.). amun. – Archäolog. Forschungen und
Arbeiter- und Soldatenräte, ↑ Rätesys­ Grabungen heute im Bereich aller eins­
tem. tigen Kulturländer.
Arc, Jeanne d’, ↑ Jeanne d’Arc. Archelaos I., König von Makedonien
Archäologie (griech., wörtl. „Erzählung (413–399 v. Chr.), das er der griech. Kul-
der alten Geschichten“), Altertumskunde; tur erschloss; an seinem Hof lebten be-
untersucht die materialen Hinterlassen- kannte griech. Philosophen und Künstler;
schaften der Vergangenheit mit dem Ziel, Sokrates lehnte es ab, einer Einladung des
das Wissen um das Leben (Gesetze, Sitten A. zu folgen.
usw.) des Altertums, der Vor- und Frühzeit Archimedes von Syrakus, größter griech.
(soweit sie aus Baudenkmälern, Ausgra- Mathematiker und Physiker der Antike,
bungen und Bodenfunden zu erschließen 287–212 v. Chr.; entdeckte die Gesetze
ist) zu erweitern, daher auch als „Wissen- des Hebels, des Auftriebs, des spezifischen
schaft des Spatens“ bezeichnet. Anfänge der Gewichts u. a., untersuchte die Optik von
Archäologie bereits in der Renaissance auf Hohlspiegeln, verbesserte den Flaschen-
dem Boden des antiken Italien; seit 1750 zug, A. wurde bei der Erstürmung seiner
Ausgrabungen in Pompeji; bahnbrechend Heimatstadt Syrakus von einem röm. Sol-
Winckelmann durch seine „Geschichte daten getötet.
der Kunst des Altertums“ (1764). Seit- Archiv, systematisch geordnete Samm-
dem Bestrebungen, die klass. Kunst dem lung von Schriftstücken (Urkunden, Ak-
Volk näher zu bringen: 1793 Gründung ten, Briefe, Nachlässe u. a.), neuerdings
des Nationalmuseums im Louvre in Paris; auch von Filmen, Fotos und Tonträgern
1816 Elgin Marbles (mit den Skulpturen und deren Aufbewahrungsraum. Unter-
des Parthenon) im Brit. Museum in Lon- schieden in Reichs-, Staats-, Stadt-, Diö-
don; 1830 Glyptothek König Ludwigs I. zesan-, Kloster-, Wirtschafts-, Familien-
in München. Gleichzeitig planmäßige oder Privatarchive. Königliche oder Staats-
archäolog. Erschließung Griechenlands, A. schon in Altägypten und in Babylon,
Kleinasiens usw. Deutsche Ausgrabungen: später in Griechenland und Rom. Im MA
Troja (1868, 1870–1890 durch Schlie- legte zwar schon Karl d. Gr. ein A. an, ge-
mann, dann Dörpfeld); Mykene (1876– regelte A.führung jedoch erst seit dem
77 durch Schliemann); Olympia (1874– 14. Jh. (Heinrich VII.); Reichsarchiv bis
1881); Pergamon (1878–1886 Humann); 1806 (Reichsauflösung); der größte Teil
Milet (1899–1906); Tiryns (1912); Priene der Bestände kam in das Wiener Haus‑,
(„Pompeji Kleinasiens“) u. a. Um 1906 Hof und Staatsarchiv, das zus. mit dem
Grabungen des Engländers Evans in Knos- Reichsarchiv Potsdam (Reichsakten seit
sos auf Kreta; frz. Grabungen in Delphi, 1867) von bes. Bedeutung für die dt. Ge-

57
Archonten

schichtsforschung wurde; im zweiten Teil Künstlern wie Tizian befreundet, in seiner


des 19. Jh. Öffnung der großen A.e für die Wirkung auf die öffentliche Meinung von
Forschung (1865 Wiener Haus-, Hof- und z. T. unheilvollem Einfluss auf seine Zeit.
Staatsarchiv, 1875 Preuß. Staatsarchiv, Argens, Jean Baptiste de Boyer d’, Mar-
1881 Vatikan. Archiv). quis, frz. Schriftsteller der Aufklärung,
Archonten (griech., Herrscher, Anfüh- 1704–1771; Freund Friedrichs d. Gr., seit
rer), die obersten Staatsbeamten im alten 1744 in Potsdam.
Athen; es wurden 9 A. auf ein Jahr gewählt Argentinien (lat. argentum = Silber; „Sil-
(oberster Priester, Richter, Feldherr und 6 berland“), neben Brasilien der bedeu-
„Gesetzgeber“); seit der demokrat. Verfas- tendste Staat Südamerikas, ging aus den
sungsreform 487 v. Chr. sank die Bedeu- ehem. Rio de la Plata-Provinzen hervor;
tung des Amtes. 1508 (1516) La Plata-Fluss von ­ Spaniern
Ardaschir (Artachschassa), erster Sassani- entdeckt, seitdem span. Kolonisation;
denherrscher in Persien (226–242 n. Chr.); 1536 Buenos Aires gegr.; 1806 und 1807
stürzte die parth. Arsakiden-Dynastie, Abwehr britischer Landungsversuche bei
zentralisierte die Staatsverwaltung, erhob Buenos Aires; 1810–1816 Unabhängig-
die Lehre Zarathustras zur Staatsreligion. keitskampf, 1816 Nationalversammlung;
Arelat (Arelatisches Reich), Niederbur- in der Folge machten sich Bolivien, Para-
gund südl. des Jura mit der Hauptstadt guay und Uruguay selbständig, seit 1845
↑ Arles, 879 zum Königreich erhoben Kriege gegen diese Staaten, innere Kämpfe
(Boso von Vienne), 933 mit Hochbur- zwischen Unitariern und Föderalisten, die
gund vereinigt; seitdem auch Bez. für das erst 1860 endeten; 1863 erkannte Spanien
burgund. Gesamtreich (↑ Burgund). offiziell die Unabhängigkeit A.s an; in den
Arendt, Hannah, amerik. Politikwissen- 1880er Jahren Bildung des argentinischen
schaftlerin und Soziologin dt. Herkunft, Einheitsstaates. Im 1. Weltkrieg neutral,
1906–1975; bed. ihre Werke zum Totali- im 2. Weltkrieg 1945 Kriegserklärung an
tarismusproblem und zu jüd. Problemen. Deutschland. Betont nationale Politik: la-
Areopag (griech., Areshügel), in der Nähe teinamerik. Tradition gegen panamerik.
der Akropolis von Athen gelegener Hügel Programm der USA; Rivalität gegen Bra-
(gegenüber den Propyläen), wo die Ältes­ silien; 1948 Rückkauf der Eisenbahnen
ten, die Häupter des Adels, als Rat und von England; Anspruch auf Falklandin-
Gerichtshof unter freiem Himmel tagten; seln und antarkt. Gebiete; seit 1946 Dik-
Mitglieder waren seit 683 die ausgeschie- tatur des ehem. Obersten Perón (Sozialre-
denen ↑ Archonten; seit Solon (594 v. Chr.) formen, Industrialisierung, Ausschaltung
auf die polit. Gerichtsbarkeit beschränkt der Opposition), 1955 durch einen Auf-
(400 Mitglieder). Im 5. Jh. wurde mit stand des Heeres und der Marine gestürzt,
der weiteren Ausbildung der Demokratie abgelöst durch Militärjunta, im gleichen
der A. als polit. Kontrollinstanz entmach- Jahr Wiederherstellung der Verfassung
tet (nur noch Blutgerichtsbarkeit) ↑ Bule. von 1853; 1957 wieder freie Wahlen, Ver-
Im 1. Jh. n. Chr. wurde der Hügel als Ver- such einer Neuordnung der zerrütteten
sammlungsort der Christen (Predigten des Wirtschaft; 1962 Macht­übernahme durch
Paulus) genutzt. das Militär; seit 1969 wachsende Aktivi-
Aretino, Pietro, Schriftsteller der ital. Re- täten links- und rechtsgerichteter Stadt-
naissance, 1492–1556; gefürchteter Pam- guerillas führten 1971 zu schweren Un-
phletist, geistreich und skrupellos; ver- ruhen und zum Sturz der 3. Militärregie-
kaufte seine Feder an den Meistbietenden, rung seit 1962. 1973 Rückkehr Peróns aus
von Karl V. und Franz I. bewundert, mit dem spanischen Exil und Wahl zum Prä-

58
Ariovist

sidenten, er konnte jedoch seine frühere Streitfrage berief Konstantin d. Gr. das
Machtstellung nicht wiedererlangen, Aus- Konzil von ↑ Nizäa (324/25) ein; es ent-
einanderfallen der ­ perónist. Bewegung schied für die Wesensgleichheit mit dem
zeichnete sich ab. Nach dem Tode Peróns Vater; Weiterwirken der Arius-Lehre in ra-
übernahm seine Frau Maria Eva („Evita“) dikaler (wesensungleich) und vermitteln-
Perón verfassungsgemäß die Präsident- der Form (ähnlich oder wesensähnlich);
schaft. M. Perón wurde 1976 durch Ge- der A. wurde zur Konfession u. a. der Go-
neral Videla gestürzt. Die folgende Mili- ten (↑ Wulfila), Vandalen und Langobar-
tärdiktatur drängte die linken Guerillas den (Arianer); weltgeschichtlich entschei-
zwar in die Defensive, doch nahmen die dend war das Bekenntnis der Franken zur
(z. T. von der Regierung geduldeten) ter- kath. Lehrauffassung (Chlodwigs Über-
rorist. Aktivitäten der Rechten stark zu. tritt zum kath. Glauben 496); seit dem
Im Konflikt um die ↑ Falklandinseln erlitt 6. Jh. folgten ihnen fast alle Germanenvöl-
das Regime 1982 eine folgenschwere au- ker, am längsten blieben die Langobarden
ßenpolit. Niederlage. 1983 wurde die De- arianisch.
mokratie wiederhergestellt, als Staatsprä- Aribert, Erzbischof von Mailand, gest.
sident ↑ Alfonsín (1983–1989) gewählt. 1045; krönte Konrad II. 1026 zum Kö-
1989 Staatspräsident Carlos Menem, nig von Italien, kämpfte mit Unterstüt-
Amnestie für Verbrechen unter dem Mi- zung der Bürger von Mailand gegen seine
litär-Regime, 1994 neue Verfassung, 1999 Untervasallen, deren Leben er einziehen
Staatspräsident Fernando de la Rúa, trat wollte; empörte sich 1037 gegen Kon-
nach Protesten gegen seinen Sparkurs rad II.; als dieser den Vasallen Recht gab,
2001 zurück, durch den ­ Perónisten Edu- abgesetzt, doch nicht unterworfen.
ardo Duhalde ersetzt. 2003 nach Wahlen Arier (Sanskrit, Arya = Herr oder Edler),
von Néstor Kirchner abgelöst, Aufhebung ostindogerman. Völkergruppe, Heimat
der Amnestie und zahlreiche Prozesse ge- vermutlich nördl. des Hindukusch, dran-
gen ehemalige Soldaten und Offiziere der gen im 2. Jt. in Nordindien ein, wo sie
Militärjunta. auf die Urbevölkerung der Dravidas stie-
Arginusen, Inselgruppe südöstl. von Les- ßen, und in das Hochland Aryana (Iran);
bos, 406 v. Chr. Seesieg der Athener im als Vorfahren der heutigen Inder siedelten
Peloponnesischen Krieg über die spartan. sie im Pandschab, dann in ganz Nordin-
Flotte; weil die Flottenführer wegen eines dien, und als Vorfahren der Perser im Iran.
Sturmes die Schiffbrüchigen nicht retten Ursprüngl. nur ein Begriff der Sprachwis-
konnten, wurden sie vom athenischen senschaft, wurde die Bez. A. im erwei-
Volk zum Tode verurteilt. terten Sinne und nicht korrekt auf die
Argos, Hauptstadt der Landschaft Argo- ↑ Indogermanen insgesamt angewendet;
lis im NO des Peloponnes; Heiligtum der die rassenkundliche Verwendung des Be-
Hera; Argolis urspr. von ↑ Ioniern besie- griffs A., d. h. die Hypothese von einem
delt mit kret.-myken. Mischkultur (Aus- arischen Urvolk als einer allein kultur-
grabungen von ↑ Mykene und Tiryns). schöpferischen und allen anderen überle-
Arianismus, im 4. Jh. aufkommende theo­ genen Herrenrasse ist unwissenschaftlich,
log. Lehre über das Wesen Christi; der war aber wesentlicher Teil der nat.-soz.
aus Alexandria stammende Priester Arius Ideologie.
bezeichnete Christus als aus dem Nichts Ariovist, Heerführer eines german. Sue-
entstandenes Geschöpf Gottvaters, das benstammes, drang über den Rhein nach
erst zum Sohnesrang aufgestiegen sei; zur Gallien vor, wurde trotz Verstärkung
Klärung der die Christenheit bewegenden durch andere german. Stämme von Cäsar

59
Aristagoras

58 v. Chr. im Elsass besiegt; Cäsar gelang er war insbes. der Begründer der forma-
es, ganz Gallien unter röm. Herrschaft zu len Logik und der empir. Wissenschaft,
bringen. ihr erster Organisator und Systematiker;
Aristagoras, Tyrann v. Milet; um 500 v. Chr. in seiner „Politik“ der Fürsprecher eines
Leiter des gescheiterten ioni­schen Auf- gemäßigt demokrat., auf einem starken
standes gegen die Perser; A. flüchtete nach Mittelstand beruhenden Rechts- und Ver-
Thrakien, wo er 496 v. Chr. fiel. fassungsstaates.
Aristarchos, 1) A. von Samos, griech. As- Arius, Priester aus Alexandria, gest.
tronom, um 320–250 v. Chr.; lehrte (in 336 n. Chr., Begründer der Lehre von der
Alexandria) als erster vor Kopernikus, dass nur gottähnlichen, nicht gottgleichen Na-
die Sonne im Mittelpunkt des Planetensys­ tur Christi (Leugnung der Dreifaltigkeit);
tems stehe. 2) A. von Samothrake, griech. ↑ Arianismus.
Grammatiker, 217–145 v. Chr.; Bibliothe- Arkadien, altgriech. Landschaft im mitt-
kar in Alexandria, Erklärer des Homer. leren Peloponnes, abgeschieden, friedlich,
Aristides (griech. Aristeides), athen. arm, von Hirten bewohnt, als Hort länd-
Staatsmann und Feldherr (Marathon, Sa- licher Schlichtheit und alter, guter Sitte
lamis), gest. um 467 v. Chr.; Führer der ge- von den Dichtern der griech. Schäferpoes­ie
mäßigten Konservativen, Rivale des The- (Bukoliker und Theokrit) und in der Schä-
mistokles, brachte 477 den 1. Attischen ferdichtung des 17. Jh. gerühmt.
Seebund zustande; erhielt den Beinamen Arkadius, griech. Arkadios, oström. Kai-
„der Gerechte“. ser, 377–408 n. Chr.; Sohn Theodosius’
Aristokratie (griech., Herrschaft der Bes­ d. Gr., Bruder des ↑ Honorius; erhielt 395
ten), im Gegensatz zur Demokratie, der bei der Erbteilung das oström. Reich, Ho-
Volksherrschaft, und zur Tyrannis, der norius das weströmische.
Herrschaft eines Einzelnen; Staatsord- Arkebuse, seit dem 15. Jh. die Haken-
nung, bei der eine durch Herkunft, Be- büchse (Feuerrohr) mit Luntenschloss und
sitz, Ämter bevorrechtete (und ideal: mit einem den Rückstoß auffangenden Haken
entsprechenden Vorzügen ausgestattete (Stange), auf den sie beim Feuern gestützt
und sich ihrer bes. Pflichten bewusste) wurde; im 16. Jh. durch die Muskete ver-
Oberschicht die öffentliche Gewalt inne- drängt. Arkebusiere waren die mit einer A.
hat (Oligarchie); in neuerer Zeit wird auch bewaffneten Landsknechte; später leichte
dieser Stand selbst als A. (= Adel) bezeich- Reiter.
net (↑ Adel). Arktis, die um den Nordpol liegenden
Aristoteles, aus Stagira in Makedonien Land- und Meeresgebiete; erste Kennt-
(daher „Stagirite“ genannt), griech. Phi- nisse gesammelt von irischen Mönchen
losoph, 384–322 v. Chr.; bedeutendster und den Normannen im 8. und 9. Jh.;
Schüler Platons in Athen seit 366, 342– im 16. und 17. Jh. erkundeten Engländer
339 Erzieher Alexanders d. Gr., seit 335 und Niederländer auf der Suche nach der
Leiter des von ihm gegr. Lykeions zu „Nordwestpassage“ und „Nordostpassage“
Athen, aus dem sich die philosoph. Schule die W-Küste Grönlands und die O-Küsten
der Peripatetiker entwickelte. Nach dem des nördl. Nordamerika sowie des Kanad.-
Tode Alexanders flüchtete A. vor der ma- Arkt. Archipels, Bäreninsel und Nowaja
kedonierfeindlichen Reaktion nach Euböa Semlja wurden erreicht. Entdeckung Alas-
(Anklage wegen Gottlosigkeit). A. war der kas, der Beringstraße und des Beringmeers
universalste Denker und Naturforscher durch russ. Forscher, um 1750 erste Kar-
des Altertums, von weitreichender Nach- tierung der N-Küste Sibiriens. Nachdem
wirkung bes. auf die Philosophie des MA, Ende des 18. Jh. in Nordamerika die arkt.

60
Arminianer

Küste erreicht war, setzte im 19. Jh. eine Armenien, ursp. das Land zw. dem
intensive Erforschung ein: Bezwingung Schwar­zem und Kasp. Meer südl. des
der NW-Passage durch McClure 1850– Kaukasus, als Durchgangsland zw. Klein-
54, der NO-Passage durch Nordenskiöld asien und Persien seit alters umkämpft; al-
1878–1880, Nachweis, dass der Nordpol lyrisch, medisch, persisch, makedonisch,
von Meer umgeben ist, durch F. Nansen seleukidisch, vorübergehend unabhängig
1893–96, Erreichung des Pols durch F. A. (Großarmeni­sches Reich), römisch, sassa­
Cook 1908 (bezweifelt) und R. E. Peary nidisch, arabisch (636), seldschukisch
1909. Erster Flug zum Pol (Byrd) 1926. (Klein-A. vorüber­gehend byzantinisch und
Arkwright, Sir Richard, engl. Mechaniker in Nachfolge der Kreuzfahrerherrschaft
und Textilfabrikant, 1732–1792; Erfinder bis 1375 selbständig), mongo­lisch (1240),
der Spinnmaschine (1769), die einen Wan- ­osmanisch (1522). Im 19. Jh. trat ­Russland
del der Textilfabrikation herbeiführte. als Schutzmacht der unterdrückten Arme-
Arles, Stadt nahe der Rhonemündung ge- nier auf und erwarb Teile Nord-A., aus
legen, alte gallische Siedlung, seit Ende denen die transkaukasische Sowjetrepu-
des 2. Jh. v. Chr. röm., 45 v. Chr. Vetera- blik A. hervorging. Nach dem Zusammen-
nensiedlung (Kolonie) Cäsars, zeitweise bruch der Sowjetunion im Jahr 1991 prä-
Kaiserresidenz (Maximilian, Konstantin sidiale Republik.
d. Gr.), um 400 gallischer Regierungssitz Armenier, altes Kulturvolk des ­ Vorderen
anstelle des grenznahen, bedrohten Trier, Orients, Indogermanen; wanderten um
536 fränkisch, seit 879 Hauptstadt des 1000 v. Chr. aus Thrakien v. a. nach ↑ Arme­
Königreichs ↑ Arelat. nien ein und gründeten ein Reich mit
Armada (span., bewaffnete Macht), um wechselvollem Schicksal, errichteten um
1600 üblicher Ausdruck für Streitkräfte 300 n. Chr. die erste christliche National­
(zu Wasser wie zu Lande), im 30-jährigen kirche (mit einem Katholikos an der
Krieg durch das frz. Wort Armee ver- Spitze), übernahmen die (im Westen unter­
drängt; die Große A. Philipps II. von Spa- drückte) monophysitische Lehre, wurden
nien unter Admiral Medina Sidonia (130 im Osmanischen Reich ihres Glaubens we-
Schiffe mit rd. 30 000 Mann an Bord) fuhr gen in blutigen Massakern fast ausge­rottet
1588 zur Niederwerfung Englands aus (1894–97,1909), v. a. im Ersten ­Weltkrieg,
und wurde durch die beweglichere Tak- als bei dem Völkermord 1,5 Mio. A. ermor­
tik der engl. Flotte (↑ Drake) und durch det wurden, daneben etwa 250 000 nach
schwere Stürme vernichtet; Beginn des Syrien deportiert, 250 000 flohen nach
Aufstiegs Englands zur seebeherrschenden Transkaukasien).
Weltmacht. Armer Konrad, geheimer Bauernbund,
Armagnacs, Armagnaken, auch „Armege- der sich um 1505 im Remstal in Württem-
cken“ genannt, zügellose frz. Soldtruppen berg bildete; seine Erhebung 1514 gegen
eines Grafen von Armagnac (Südfrank- Herzog Ulrich misslang.
reich), später im Dienste König Karls VII., Arminianer, niederländ. Partei der refor­
der sie 1444 gegen die Schweizer Eid- mierten Kirche; benannt nach ihrem
genossen schickte, um sie loszuwerden; Gründer Jakob Arminius (1560–1609); sie
plünderten sie das Elsass, bis sie 1445 ver- traten gegen die Calvinisten für die Wil-
trieben und aufgelöst wurden. lensfreiheit ein und erhoben 1610 Remon-
Armbrust (lat. arcubalista, Bogen, Wurf- stranz (feierl. Protest) gegen staatl. Ver-
maschine), trag- oder fahrbare Fernschuss- folgung (daher auch „Remonstranten“);
waffe der Antike und des MA, für Pfeile auf der Synode von Dordrecht 1619 ver-
und Bolzen, später Bleikugeln und Steine. dammt, 1798 offiziell anerkannt.

61
Arminius

Arminius (fälschlich Hermann), Che- Arnold, 1) A. von Brescia, kath. Pries­
ruskerfürst, 17 v. Chr. bis 21 n. Chr.; er- ter, Reformer und Empörer, Schüler
lernte in röm. Diensten die Kriegskunst; ↑ Abälards, trat gegen die Verweltlichung
brachte ein Bündnis der german. Stämme der Kirche auf, errichtete in Rom eine Re-
zwischen Rhein und Aller zustande, ver- publik mit Senat; 1155 in Rom als Re-
nichtete gemeinsam mit Segimer 9 n. Chr. bell auf Befehl Barbarossas hingerichtet.
die Legionen des Varus im Teutoburger 2) A. von Lübeck, Geschichtsschreiber;
Wald und verhinderte die Besetzung Ger- gest. 1212; seit 1177 Abt zu St. Johann
maniens bis zur Elbe, Germanien blieb in Lübeck, setzte Helmolds Slawenchro-
der röm. Kultur entzogen; wehrte 14– nik fort, schrieb Reichsgeschichte und die
16 n. Chr. die Rachefeldzüge des Germa- Geschichte Heinrichs des Löwen. 3) A.,
nicus ab; die Gemahlin des A., Thusnelda, Gottfried, pietist. Liederdichter und Kir-
wurde röm. Gefangene; 18–21 n. Chr. im chenhistoriker, 1666–1714; ergriff in sei-
Kampf mit den Markomannen unter Mar- ner „Unparteiischen Kirchen- und Ket-
bod; A. wurde wegen angeblichen Stre- zerhistorie“ Partei für die von der Kirche
bens nach der Krone von Verwandten er- Verfolgten.
mordet. Arnulf, Name von Herrschern. Röm.-dt.
Arndt, Ernst Moritz, volkstümlicher po- Kaiser: 1) A. von Kärnten (896–899); geb.
lit. Schriftsteller und Dichter, 1769–1860; um 850 als unehelicher Sohn Karlmanns,
literar. Vorkämpfer der Befreiung von der 876 Herzog von Kärnten, 887 dt. König,
Herrschaft Napoleons und des dt. libe- besiegte 891 die Normannen, 896 zum
ralen Nationalgedankens; seit 1818 Prof. Kaiser gekrönt. – Austrasien: 2) A. der
der Geschichte an der Universität Bonn, Heilige (A. von Metz), Stammvater der
1820–1840 von der Reaktion seines Amtes Karolinger, um 582–641; 611 Bischof von
enthoben, forderte einen dt. Nationalstaat Metz, 622–627 mit Pippin Regent im ost-
mit Erbkaisertum unter preuß. Führung fränk. Reich (Austrasien), endete als Ere-
(„Katechismus für teutsche Soldaten“, mit. – Bayern: 3) A., Herzog (907–937),
„Der Rhein Teutschlands Strom, aber wehrte die Ungarn ab, 919 erster dt. Ge-
nicht Teutschlands Grenze“, „Der Gott, genkönig (gegen Heinrich I.), unterwarf
der Eisen wachsen ließ“); 1848 Mitglied sich 921; von der Kirche „der Böse“ ge-
der Frankfurter Nationalversammlung. nannt, da er Kirchengüter einzog.
Arnim, 1) A., Hans Georg (auch Arn- Arpad, erster Großfürst der vereinigten
heim), General im 30-jährigen Krieg, magyar. Stämme (um 890–907); begrün-
1581–1641; zuerst in schwed., seit 1626 in dete die Dynastie der Arpaden, die bis
kaiserlichen, seit 1631 in sächs. Diensten, 1301 in Ungarn herrschte, seit 1001 als
der bedeutendste protestant. Gegenspieler Könige.
Wallensteins auf kaiserlicher Seite. 2) A., Arras, Hauptstadt des Artois, einst Haupt­
Harry von, dt. Diplomat, 1824–1881; ort des keltischen Stammes der Atrebaten,
trieb als Botschafter in Paris (1872–1874) 451 an den Hunnen, 800 von Norman-
selbständig Politik zur Wiederherstellung nen zerstört; kam später zusammen mit
der frz. Monarchie, wurde daher von Bis- der Freigrafschaft Artois zu Burgund und
marck nach Konstantinopel versetzt, als- wurde Residenz der Herzöge; 1435 Frie-
bald im Ruhestand; wegen bismarckfeind- densschluss von A. zwischen Karl VII.
licher Publizistik (unter Verwertung amt- von Frankreich und Philipp dem Guten
licher Aktenstücke der Pariser Botschaft) von Burgund; 1493 fiel A. an das (öster-
auf Veranlassung Bismarcks strafrechtlich reichische) Haus Habsburg; der Vertrag
verfolgt; starb in Nizza. von A. 1579 leitete die endgültige Teilung

62
ASEAN

der Niederlande ein; 1659 von Franzosen Artus (kelt. Arthur), sagenhafter Heerfüh-
eingenommen, unter Ludwig XIV. von rer der Briten, Herrscherideal im MA, ver-
Vauban zur Festung ausgebaut; in beiden herrlicht in der A.-Sage; im Kampf gegen
Weltkriegen hart umkämpft. die Sachsen um 500 n. Chr., Mittelpunkt
Arrianus, Nikodemus (röm. Name Fla- eines Kreises heldenhafter Ritter (A.-Tafel-
vius), aus Bithymen, um 100–180 n. Chr., runde); das MA glaubte an seine siegreiche
griech, Geograf und Historiker; röm. Prä- Wiederkehr.
fekt von Kappadokien, Schüler des Stoi- Arya, ↑ Arier.
kers Epiktet; schrieb die Geschichte des Asarhaddon, König von Assyrien (681–
Perserzugs Alexanders d. Gr. („Anabasis“). 669 v. Chr.); Sohn des Sanherib, baute Ba-
Arsakiden, Herrschergeschlecht der Par- bylon wieder auf; Assyrien erreichte größte
ther, 247 v. Chr. bis 226 n. Chr., von Ar- Ausdehnung. A. eroberte 671 Ägypten bis
sakes abstammend, der die Seleukiden- Theben. Kämpfe gegen die einbrechenden
herrschaft abgeschüttelt hatte; von den ↑ Kimmerier.
Sassaniden gestürzt. Aschanti-Reich, afrikan. Reich unter
Artaxerxes (Artachschatra), pers. Groß- Gottkönigen im heutigen Ghana; die A.
könige: 1) A. I. Makrocheir (464– wohl von N eingewandert; gründeten um
424 v. Chr.); kämpfte gegen Aufstände in 1650 Staatenbund; um 1700 militär.-des-
Baktrien und Ägypten; Friede mit Athen pot. „Reich des Goldenen Stuhles“, be-
449 v. Chr. 2) A. II. Mnemon (404– herrschte westafrikan. Goldhandel (Gold-
358 v. Chr.); siegte 401 bei Kunaxa über minen von Oluasi); berühmte Goldar-
seinen von den Griechen unterstützten beiten; im 19. Jh. von den Engländern in
Bruder Kyros, 374 vergeblicher Vorstoß wechselvollen, blutigen Feldzügen unter-
gegen Ägypten; 387 „Königsfriede“ mit worfen; 1874 Eroberung ihrer Hauptstadt
Sparta (Rückgewinnung Kleinasiens). Kumasi.
3) A. III. Ochos (358–338 v. Chr.); unter- Aschkenasim, im A. T. Mitglieder einer
warf 343 die aufständ. Ägypter; vergiftet. Völkerschaft im N Palästinas; der Begriff
Artefakt (aus lat. ars = Kunst und facere = wurde übertragen auf die mittel- und ost-
machen), in der Vorgeschichtsforschung europ. Juden, die Jiddisch als Umgangs-
ein Gegenstand, der seine Form durch sprache haben (Gegensatz ↑ Sephardim,
menschliche Hand erfuhr. die Juden der iber. Halbinsel).
Artevelde, 1) A., Jakob van, Tuchhändler Aschoka, König des ind. Maurya-Reiches
aus Gent, 1338 Führer der rebell. flandr. (Nachfolgestaat aus dem Erbe Alexanders
Städte gegen die frz. Krone und die Gra- d. Gr.), größter ind. Herrscher (272 bis
fen von Flandern, 1345 ermordet. 2) A., 231 v. Chr.); erweiterte in blutigen Feldzü-
Philipp van, Sohn von 1), seit 1381 an der gen das Reich fast über ganz Indien und
Spitze der Genter Bürgerschaft, fiel 1382 Afghanistan; nach seiner Bekehrung zum
in der Schlacht von Roosebeke gegen ein Buddhismus Förderer der buddhist. bzw.
frz. Ritterheer. ethischen Mission in Ceylon, Griechen-
Artillerie, ↑ Geschütz. land, Ägypten („Apostelkönig“); errich-
Artois, Landschaft in Nordfrankreich, tete Hospitäler für Menschen und Tiere,
das südl. Flandern, ehemals Land der forderte Nächstenliebe und Toleranz (eth.
Atrebaten, im 5. Jh. von den Franken er- Leitsätze auf Felswände und Säulen gemei-
obert; 1180 zur frz. Krone, 1297 Herzog- ßelt); nach außen Friedenspolitik (↑ In-
tum, 1384 zu Burgund, 1493–1659 beim dien).
Hause Habsburg, dann wieder an Frank- ASEAN, Abk. für engl. Association of
reich abgetreten. South-East Asian Nations, 1967 gegrün-

63
Asien

dete regionale Organisation zur Förderung del Roms reichte bis Indien und China,
der wirtschaftlichen und politischen Zu- doch blieb Inner-A. selbst dem röm. Vor-
sammenarbeit. Gründerstaaten sind In- dringen durch die pers. Großmacht ver-
donesien, Malaysia, die Philippinen, Thai- schlossen; noch Ptolemäus war Zentral-A.
land und Singapur. Folgende Länder tra- unbekannt. Im MA erschlossen sich die
ten in die Organisation ein: 1984 Brunei, Araber in S- und O-A. zahlreiche ­Märkte.
1995 Vietnam, 1997 Myanmar und Laos, Im 13. Jh. verhandelten westl. Gesandt-
1999 Kambodscha. Die Bedeutung von schaften in der Mongolenresidenz im In-
ASEAN liegt in der gemeinsamen Abstim- nern der Mongolei. 1271–1295 reis­te der
mung von Handels-, Außen- und Sicher- Venezianer ↑ Marco Polo im Auftrag des
heitspolitik sowie in gemeinsamen Maß- Papstes und aus Handelsinteresse durch
nahmen zum regionalen Konfliktmanage- die Mongolei, China und Bengalen.
ment. Der 1994 gegründeten Asiatischen 1325–1349 kam der Araber ↑ Ibn Batuta
Freihandelszone (Asean Free Trade Area, nach China und Indien. 1498 umsegelte
AFTA) gehören alle zehn Mitgliedsstaaten der Portugiese ↑ Vasco da Gama Afrika
der ASEAN an. 2002 trat das Freihandels- und entdeckte den Seeweg nach Ostin-
abkommen der ASEAN in Kraft. dien; damit begann eine neue Epoche der
Asien, der gewaltige Festlandblock vom geogr. Erschließung Asiens, bes. durch die
Fernen Osten bis zum Stillen Ozean, im Portugiesen. 1521 fuhr ↑ Magellan auf
Westen auslaufend in die große Halbinsel dem Weg um die Welt zu den Philippi-
Europa (aus der Einheit Asien-Europa ab- nen; Gracia Henriques nahm 1525 Cele-
geleitet der Begriff „Eurasien“); historisch bes, Vasco Laurez 1526 Borneo. Um 1542
werden indes Asien und Europa auseinan- Eindringen der Europäer in Japan. 1571
der gehalten. Die Griechen der Frühzeit besiedelten die Spanier die Philippinen.
bezeichneten mit A. alle barbar. Länder, Seit 1580 begann das russ. Vordringen der
die nicht zu Europa zählen, einschließlich Kosaken ↑ Jermaks nach Sibirien, die Lena
Libyens (Afrika); A. zunächst der Name wurde 1628, der Amur und das Ochots-
für die von Ioniern gegründeten Kolonien kische Meer 1640 erreicht. 1600 schickte
der Westküste Kleinasiens. Hauptquellen die engl. Königin Elisabeth eine Expedi-
für die geschichtliche Frühzeit Hekataios tion nach Indien. Bis 1660 setzten sich
von Milet um 500 v. Chr. und Herodot die Holländer im Inselarchipel von Java,
um 450 v. Chr. Um 400 v. Chr. berichtete Celebes, Borneo usw. fest. 1601 begannen
Krepias, Arzt aus Knidos, der am pers. auch die Franzosen mit Ostindienfahrten.
Hof lebte, über Indien. Mit den Zügen Auf Befehl Peters d. Gr. gingen 1710–
Alexanders d. Gr. wird der Name auf alle 1716 mehrere russ. Expeditionen im Nor-
östl. gelegenen Länder übertragen. Um die den vor; ↑ Bering suchte 1725–1728 die
geogr. Erschließung Asiens verdient Ne- Küste des nördl. Sibirien und das Meer
archos durch seine Fahrt von der Indus- von Kamtschatka auf; mit der Erdumseg-
mündung zum Euphrat 325 v. Chr.; etwas lung James ↑ Cooks (1772–1775) wurden
später befuhren Seleukos Nikator und sein auch die nordöstl. Küsten Asiens erforscht.
Sohn Antiochos den Indischen Ozean und Seither hellt sich das geografische Bild des
das Kaspische Meer. In der Nach-Alexan- Erdteils rasch auf. – Asiens Menschheit ist
der-Zeit Handelsbeziehungen zw. Ägyp- bis weit in die Altsteinzeit zurückzuverfol-
ten und Indien. Die röm. Provinz Asia gen. Von China über die Mandschurei, die
umfasste das 133 v. Chr. geerbte Attaliden- Wüste Gobi, das Baikal-Gebiet, Indien,
Reich von ↑ Pergamon; dazu kamen später Iran, Zweistromland, Syrien, Palästina
Lydien, Phrygien und Rhodos. Der Han- sind zahlreiche früheiszeitliche Fundstät-

64
Assuan

ten nachgewiesen. Soweit der Kontinent Askari (arab. und türk., Soldat), die far-
nicht von der Vergletscherung betroffen bigen Soldaten in der dt. Schutztruppe in
wurde, erlebte er die Klimawechsel als Ostafrika, bewährten sich unter ↑ Lettow-
langdauernde Regen- oder Trockenzeiten. Vorbeck.
Frühe Kulturen erblühten bereits um Asklepiades, Arzt aus Prusa in Bithymen,
5 000 v. Chr. im Irak, mit Dorfsiedlungen 1. Jh. v. Chr.; brachte die griech. Medizin
und Dorfwirtschaft von Tierzüchterbau- in Rom zu großem Ansehen.
ern; um 4500 erhob sich in Palästina (Jeri- Asow, Stadt und Festung an der Mündung
cho) ein erstes Heiligtum. Hier, in Syrien, des Don ins A.sche Meer, ehemals genues.
Mesopotamien, im Irak, in Turkmenistan Besitz (ital. Name: Tana); Fernhandelszen-
ist in der Folge der Ackerbau nachweis- trum nach Indien und China. 1471–1696
bar. Um 3 000 wurden in China, Indien, und 1711–1736 türkisch, 1696–1711 und
im Zweistromland Hochkulturen sichtbar, endgültig 1739 russisch.
mit Stadtanlagen, und in Mesopotamien Aspasia, zweite Gemahlin des Perikles,
mit erstem monumentalen Tempelbau; hochgeistige Ionierin aus Milet, geb. um
erste Staaten- und Reichsbildungen. – A. 468; Ehe mit Perikles um 445, nach att.
war in der Folge Tummelplatz erobernder Recht nicht gültig (eheliche Verbindung
Steppenvölker (↑ Hunnen, Tataren, Mon- mit Ausländerin nicht anerkannt), doch
golen, Türken usw.). In A. entstanden fast zu Unrecht als Hetäre bezeichnet; im So-
alle bedeutenden Menschheitsreligionen. krateskreis hoch geachtet.
Dem europ. Imperialismus hatte A. lange Aspern und Eßling, Dörfer in der Do-
politisch. nichts entgegenzusetzen, erst nauebene nahe Wien; 1809 Sieg Erzherzog
im 20. Jh. ging eine Welle des Nationalis- Karls über Napoleon, der hier seine erste
mus auch durch alle asiat. Nationen, der Niederlage als Feldherr erlitt.
japan. Imperialismus machte sich die Pa- Asquith, Herbert Henry, brit. Staats-
role „Asien den Asiaten“ zu eigen; seit dem mann, 1852–1928; Führer der Liberalen
2. Weltkrieg erkämpften sich die größten neben Lloyd George, der ihn 1916 als Pre-
asiat. Nationen ihre Unabhängigkeit von mierminister (seit 1908) ablöste.
europ. oder amerik. Einflüssen (↑ Indien, Assassinen, polit.-religiöse Sekte der Mo-
China, Ceylon, Pakistan, Indonesien). hammedaner, während der Kreuzzugszeit
Asinius Pollio, Gajus, röm. Politiker und von Hassan (einem Perser aus Chorasan)
Schriftsteller. 76 v. Chr. bis 5 n. Chr.; unter um 1090 gegründet; bejahten den Meu-
Cäsar Offizier, dann auf Seiten des Anto- chelmord als Kampfmittel.
nius, unter Augustus Literat und Histori- Assignaten, Anweisungen auf die wäh-
ker (17 Bücher „Historiae“); gründete die rend der Frz. Revolution eingezogenen
erste öffentliche Bibliothek in Rom. geistlichen, königlichen und Emigranten-
Askalon, alte Hafenstadt Südpalästi- güter; 1790 dekretiert, urspr. verzinsliche
nas; eine der fünf Hauptstädte der Phili- Staatsobligationen, später ungedecktes
ster, 638 von den Arabern erobert, 1157 Papiergeld mit Zwangskurs, im Zuge der
von einem Kreuzfahrerheer besetzt, 1191 Geldentwertung 1797 außer Kraft gesetzt
von den Sarazenen zurückerobert und ge- (im Umlauf bis 1793: 4 Mrd. Francs, dann
schleift, 1270 zerstört. 8,3 Mrd., 1795/96 Emission von 37 Mrd.,
Askanien, alte dt. Grafschaft, benannt Wert schließlich kaum 0,5 % des Nenn-
nach einer Sachsenburg bei Aschersieben, wertes).
Stammburg der Askanier, die seit dem Assuan, Stadt in Oberägypten am Nil;
12. Jh. bis 1319 in der Mark Brandenburg Fürstengräber des Alten und Mittleren
und bis 1918 in Anhalt regierten. Reiches am W-Ufer des Nils, in der Nähe

65
Assur

Ruine des Simeonsklosters, gegr. im 7. Gründung eines assyrischen Großreiches


oder 8. Jh., im 13. Jh. verlassen. – Südl. des Tiglat Pilesar I. (1116–1077), Ausdeh-
von A. der 1902 fertiggestellte Nilstau- nung bis Syrien, Zypern und Kleinasien,
damm (1912 und 1933 ausgebaut), davor im 9. Jh. unter ↑ Assurnasirpal II. und
der neue A.hochdamm (errichtet 1960– ↑ Salmanassar III. eine 2. Blüte, auf die
70), der die Nilwasser auf einer Länge von abermals Verfall folgte. Von ↑ Tiglat Pile-
550 km staut. sar III. (746–727) bis zu Sanherib (705–
Assur, Stammesgott der Assyrer, Herr der 681) 3. Großzeit Assyriens mit der neuen
Stadt A. am oberen Tigris, die dem Lande Hauptstadt Ninive; unter ↑ Assurbanipal
den Namen gab (vorher Subarta) und zum (669–630) wurde 648 Babylon von as-
Ausgangspunkt der assyr. Reichsgründung syr. Truppen erobert; doch schwankte der
wurde; 612 von den Babyloniern zerstört auf brutaler Gewalt errichtete Reichsbau;
(↑ Assyrien). 1903–14 dt. Grabungen, ein Bündnis Babyloniens mit den Medern
u. a. Bibliothek ↑ Tiglat Pilesars I. brachte das Reich zum Einsturz, das nach
Assurbanipal, assyrischer König (669– der Zerstörung Ninives (612) 606 v. Chr.
630 v. Chr.), jüngerer Sohn Asarhaddons, zw. den Siegern geteilt wurde. Die kultu-
verlor um 655 Ägypten, vernichtete 639 relle Leistung der Assyrer beruhte nicht
das Reich von Elam; gründete die Biblio- auf eigenen Schöpfungen, sondern auf An-
thek in Ninive (Tontafeln). eignung und Sammlung; bedeutend durch
Assurnasirpal II., König von Assyrien Großbauten, von denen wenig erhalten
(884–859 v. Chr.); drang bis Phönikien ist (Assur, Kar-Tukulti-Ninurta, Ninive,
vor, verlegte die Hauptstadt in das neu- Kalach-Nimrud), und in der Reliefkunst,
gegründeten Kalach (gewaltiger Palast); bes. im Tierbild und in der Darstellung
Zwangsaussiedlungen. der Herrschertaten; die Assyrer waren das
Assyrien, hügeliges Land am mittleren Ti- grausamste Herrenvolk des Altertums (pri-
gris (Tigris ist sumer. Wort); im 4. Jt. zwei mitive Rechtsordnung), das die Zwangs-
nicht näher fassbare Kulturen: die ↑ Tall- umsiedlung ganzer Bevölkerungsgruppen
Halaf-Kultur (Symboltier Stier) und die aus polit.-militär. Gründen zuerst anwen-
Samarra-Kultur (Symboltier Widder); die dete.
Träger dieser Kulturen verschmolzen mit Astor, Johann Jakob, amerik. Großkauf-
einwandernden Semiten (wie in ↑ Akkad); mann dt. Herkunft, 1763–1848; wanderte
Mittelpunkt des neuen Völkertums war 1783 nach Amerika aus, organisierte den
↑ Assur, nach dem das Reich Assyrien ge- Pelzhandel von den Großen Seen zum Pa-
nannt wurde. Die Assyrer waren ein krie- zifik, unterhielt Handelsbeziehungen mit
ger. Volk, kulturell aber von Babylon im China und Japan, erwarb großes Vermö-
Süden abhängig (Übernahme der babylon. gen u. a. in New York mit Bodenspekula-
↑ Keilschrift). Um 2300–2150 v. Chr. ge- tion.
hörte A. zum Reich Akkad; um 2000 un- Astrologie (griech.), Sternkunde (ur-
ter der Oberherrschaft der 3. Dynastie von sprünglich Astronomie und Astrologie
Ur (assyr. König Uspia); dann (seit etwa nicht unterschieden), vor allem die angeb-
1815) vorübergehend selbständig (auch liche Fähigkeit, aus der Stellung der Ge-
über Babylon gebietend); zur Zeit des ba- stirne zukünftige Ereignisse vorauszusa-
bylon. Königs Hammurabi (um 1770) gen; bei den Babyloniern und Ägyptern in
Provinz Babyloniens; im 15. Jh. (bis um hoher Blüte, verbreitete sie sich nach Grie-
1330) in Abhängigkeit vom Reich der Mi- chenland und Rom, im 7.–13. Jh. von den
tanni. Seit der Mitte des 12. Jh. wachsende Arabern mit Eifer betrieben, im abend-
Übermacht Assyriens, um 1116 v. Chr. länd. MA auch von großen Gelehrten wie

66
Athen

Paracelsus, Cardanus, Tycho Brahe, Kepler vermählte sich mit ↑ Galla Placidia und er-
usw. geübt; erst im 17. Jh. entwickelte sich oberte Barcelona, wo er ermordet wurde.
(losgetrennt von der Astrologie) die Astro- Athen (griech. Athenai), neben Sparta der
nomie als eine empir. Wissenschaft. bedeutendste Stadtstaat (Polis) der klass.
Astronomie ↑ Astrologie. griech. Antike und ihr geistiger Mittel-
Asturien, Landschaft in Nordspanien, be- punkt. Im 2. Jt. v. Chr. Unterwerfung der
nannt nach den kelt. Asturen; in der Rö- (vorindogerman.) pelasg. Urbevölkerung
merzeit Militärgebiet, von den Westgoten durch eingewanderte Ionier, die sich auf
als Restbesitz gegen die Mauren gehal- der und um die ↑ Akropolis niederließen;
ten. Ausgangspunkt der Rückeroberung in der myken. Zeit war der die Ebene bis
Spaniens („Reconquista“) für das christl. zum Meer beherrschende Burgberg (Akro-
Abendland; 722 Königreich, seit dem polis) Herrschersitz (Reste der myken.
10. Jh. ↑ León genannt, 1037 unter Fer- Mauer und des Königspalastes). Seit dem
dinand d. Gr. mit Kastilien vereinigt. 9. (oder 8.) Jh. kam es zum polit. Zusam-
Astyages, letzter König der Meder (585– menschluss der Orte auf der Halbinsel At-
550 v. Chr.), Sohn des ↑ Kyaxares; unterlag tika unter der Führung Athens (die Ge-
dem Perserkönig Kyros II. schichte der Einigung klingt nach in der
Asyl (griech.) unverletzliche Freistätte; im Sage vom „Synoikismus“ [= Vereinigung]
Altertum galten gewisse den Gottheiten des Theseus); Athen (Stadtgöttin: die
geweihte Plätze, Haine und Tempel als vielleicht aus dem kretischen Kulturkreis
Freistätten für Verfolgte, auch für Rechts- übernommene Pallas Athene) und Attika
brecher und im Krieg für die Zivilbevölke- seitdem ein polit. und kultureller Begriff.
rung; seit Konstantin d. Gr. auf Kirchen, Im 8. Jh. Übergang vom Königtum zum
Klöster, christl. Hospitäler übertragen; in Adelsstaat (Archontat mit jährlich gewähl-
moderner Zeit für polit. und religiös Ver- ten ↑ Archonten), die Archontenliste be-
folgte in fremden Staaten. ginnt 683. Um 624 wurde das geltende
Atahualpa, letzter König der Inkas, von Recht von ↑ Drakon aufgezeichnet. Um
den Spaniern unter Pizarro 1533 trotz 594/93 Reformen ↑ Solons zugunsten des
Zahlung von Lösegeld ermordet. Volkes (Seisachtheia = Lastenabschütte-
Ataman, russ. Bez. für den frei gewählten, lung). 561 Beginn der Alleinherrschaft der
mit militär. und ziviler Befehlsgewalt aus- ↑ Peisistratiden; 510 Sturz der Tyrannis,
gestatteten Führer der Kosaken, entspre- Übergang zur Demokratie, 508/07 demo-
chend dem ukrain.-poln. ↑ Hetman. kratische Reformen (↑ Kleisthenes); polit.,
Atatürk, ↑ Kemal Atatürk. wirtschaftliche und kulturelle Blüte: A. als
Athanasius, Kirchenvater, um 295– Seemacht, Stadt des Handels, der Künste
373 n. Chr.; seit 328 Bischof von Ale- und Wissenschaften, mit demokrat. Ver-
xandria, Hauptgegner des ↑ Arianismus, fassung – Gegenpol zur konservativen, auf
trat statt für die (nur) gottähnliche für Königtum und Kriegeradel beruhenden
die gottgleiche Natur Christi ein; in die- Landmacht Sparta. Im Entscheidungs-
ser Auseinandersetzung fünfmal verbannt, kampf gegen Persien 500–479 v. Chr. trug
seine Auffassung wurde zur herrschenden Athen die Hauptlast des Kampfes (493
Lehrmeinung; A. deshalb „Vater der Or- Verteidigungsprogramm des ↑ Themisto-
thodoxie“ genannt, Vertreter des mönch. kles: Flottenbau, Befestigung von Piräus),
Ideals („Leben des Antonius“). Rivale ↑ Miltiades; Sieg des Miltiades bei
Athaulf, König der Westgoten (410– Marathon über die Perser (490); Höhe-
415 n. Chr.); Schwager und Nachfolger und Wendepunkt des Perserkrieges (480):
Alarichs, führte sein Volk nach Südgallien, Einbruch der Perser in Attika. Verwüstung

67
Äthiopien

des Landes und Zerstörung A.s und der Äthiopien, demokrat. Rep. in NO-Afrika,
Akropolis; Seesieg des Themistokles bei amtlich Mongasta Itiopia, arabisch Habe-
Salamis über die pers. Flotte; 476 griech. scha, im NO des afrikanischen Erdteils.
Sieg (Pausanias) bei Platää, die Perserge- Urbevölkerung Hauriten und Negride,
fahr dadurch beseitigt. Seit Gründung des um 650 v. Chr. an den Küsten griech. Ko-
1. Attischen Seebundes (477–404) wach- lonisten, um Christi Geburt gründeten S-
sende Feindschaft der schwächeren Staa- Araber im Innern das Reich von Aksum,
ten gegen das erstarkende Athen, Erfolge das den Indienhandel aufnahm und Obe-
↑ Kimons gegen die Perser; 449 v. Chr. lisken und andere Großbauten hinterließ;
Seesieg der Athener beim zypr. ↑ Salamis: nach 330 n. Chr. Christianisierung von
Niederlage Athens gegen die Böotier bei Alexandria aus, Blüte der Kultur, zeitweise
↑ Koroneia (447). Seit 445 klass. Epoche Herrschaft über Südarabien (5.–7. Jh.).
des Perikleischen Zeitalters (Ausbau der Vom 10. Jh. bis 1268 starke jüdische Ein-
langen Mauern und der Akropolis, ↑ Pe- wanderung, dann wieder Übergewicht der
rikles); totale Niederlage Athens im ↑ Pe- monophysitischen (kopt.) Christen. Um
loponnes. Krieg (431–404 v. Chr.); die von 1290 wurde unter dem Druck der Ara-
Sparta eingesetzte „Herrschaft der Drei- ber die alte Hauptstadt Aksum (früherer
ßig“ 403 v. Chr. von den Demokraten ge- Name des Königreichs: Abessinien) auf-
stürzt; der nochmalige Kampf um außen- gegeben und die Residenz nach Gon-
polit. Vormacht erfolglos (355 v. Chr. Auf- dar verlegt. Aksum blieb Krönungsstadt.
lösung des 2. Attischen Seebundes). Kultu- Nur vereinzelte Berührung mit der Welt:
relle Bedeutung unter makedonischer und 1496 wurde der portug. Reisende Pedro
(seit 86 v. Chr.) römischer Herrschaft noch de Covilhão in Gondar von den Amha-
bewahrt (Rhetoren- und Philosophen- ras zum Bleiben gezwungen, grundsätz-
schulen); 87 v. Chr. Verwüstung durch lich ließ man Fremde aus ängstlicher Vor-
Sulla; neue Blüte unter Kaiser Hadrian sicht nicht mehr abreisen. Auch die 1541
(Tempelbau, Akademie); Eroberung durch dem Kaiser Lebna Dengel gegen den Islam
die Goten (267 und 395); Christianisie- zu Hilfe gekommenen Portugiesen unter
rung ließ die heidn. Bildungsstätten ver- Führung von Christoph da Gama, dem
öden (529 n. Chr. Schließung der Akade- Bruder des Vasco d. G., mussten schließ-
mie durch den byzantin. Kaiser Justinian). lich im Lande bleiben. Neben den Ara-
Im MA bedeutungslos; 1205 errichteten bern machten die heidnischen Galla dem
Kreuzfahrer das Herzogtum Athen (Attika Reich zu schaffen. Danach wachsende
und Böotien umfassend), das bis zur Er­ Übermacht der Stammesfürsten (Ras) ge-
oberung durch die Türken (1456) bestand; genüber dem zum Schattendasein herab-
A. erhielt in türk. Zeit den Namen Setine sinkenden Kaisertum. 1850 stellte Ras
(2 000 Einwohner); 1687 von den Venezia­ Kasa von Gondar als Kaiser (Negus Nege-
nern belagert (Zerstörung des Parthenon sti) Theodorus II. die Kaisermacht wieder
durch Explosion); 1788 wieder türkisch, her, unterlag aber 1868 gegen brit. Trup-
neuer Befestigungsring; Anfang 19. Jh. pen und beging Selbstmord. Erfolgreiche
hatte Athen 10 000 Einwohner; erneute Kämpfe gegen Ägypten (1875–1879) und
Zerstörung der Stadt im griechischen Be- die Italiener, die 1896 vom Negus Mene-
freiungskampf (1826/27), 1834 Haupt- lik II. (1889–1913) bei Adua geschlagen
stadt des neugegründeten griechischen Kö- wurden. Im Frieden von Addis Abeba ver-
nigreichs und bauliche Erneuerung durch lor Italien die Schutzherrschaft über Ä., es
den Wittelsbacher Otto I., Sohn König behielt nur den Hafen Massaua; Haupt-
Ludwigs I. von Bayern (↑ Griechenland). stadt seit 1893 Addis Abeba. 1923 trat Ä.

68
Ätolischer Bund

in den Völkerbund ein. Haile Selassie I. 1926 Anerkennung der Selbstverwaltung


(seit 1930 Negus Negesti, Kaiser) führte durch die griech. Regierung, 1927 Be-
Reformen durch und erließ eine Verfas- stätigung der alten Verfassung: Rat aus
sung (1931). 1935 begann Mussolini mit vier gewählten Mönchen und 20-köpfige
der Eroberung des Landes. Der König von Mönchsvertretung. Reich an byzantin.
Italien nahm 1936 den Titel „Kaiser von Kulturgut.
Äthiopien“ an; der Negus floh nach Eng- Atlantik-Charta, zw. Churchill und Roose-
land. Im 2. Weltkrieg wurden die Italie- velt am 11. 8. 1941 auf einem Schlacht-
ner durch die Engländer vertrieben. Kai- schiff im Atlantik vereinbart und am 14. 8.
ser Haile Selassie kehrte 1941 zurück, verkündet; sie proklamierte: keine territo-
seitdem Ä. wieder selbständig durch Be- riale Vergrößerung; freie Entscheidung
schluss der UNO (1950); Angliederung der Bevölkerung bei Gebietsveränderung;
↑ Eritreas als föderativer Staat (1952); freie Wahl der Regierungsform; freier Zu-
1955 neue Verfassung, Beseitigung der gang zu den Rohstoffen für alle Völker;
Adelsvorrechte, Einrichtung eines Kron- soziale Hebung der Massen; Friede in Si-
rats, Kabinetts und Parlaments (Senat cherheit, frei von Not und Furcht; freier
mit berufenen Mitgliedern und gewähltes Zugang zu den Meeren. Ziel: Verzicht auf
Abgeordnetenhaus); äthiop.-eritreischer Anwendung von Gewalt. Auf der Grund-
Reichsrat. 1974 Putsch der äthiop. Streit- lage der A. wurden die Vereinten Natio-
kräfte mit dem Ziel der Abschaffung der nen (UN) gegründet; der Erklärung traten
feudalist. Struktur; Absetzung des Kaisers. nachträglich die UdSSR und 24 andere
1975 offizielle Abschaffung der Monar- Staaten bei.
chie, seitdem Machtausübung durch sozi- Atlantis, sagenhafter Kontinent, der in
alist. Militärregierung, Verstaatlichungen vorgeschichtlicher Zeit Teile des heutigen
und Landreform. Unruhen in ↑ Eritrea Atlantiks eingenommen haben soll; in ver-
führten zum Bürgerkrieg. Das Staatsober- lorengegangenen Schriften der ägypt. Pries­
haupt (seit 1977) Mengistu Haile Mariam terschaft und Solons erwähnt, von Platon
wurde 1987 erstmals durch Wahl bestä- in den Dialogen „Kritias“ und „Timaios“
tigt. Ein Militärputsch gegen sein Regime überliefert, aber bereits von Strabon und
1989 scheiterte, 1991 wurde er schließlich Plinius d. Ä. bezweifelt; seither viele The-
gestürzt. Übergangsregierung unter Meles orien über A.; man vermutet, die A.-Sage
Zenawi, Ende des Bürgerkrieges, interna- gründe sich auf Erinnerung an eine vorge-
tionale Hilfe zum Wiederaufbau. 1993 schichtliche Flutkatastrophe, eine unterge-
erklärte ↑ Eritrea seine Unabhängigkeit. gangene Stadtkultur an den südspan. oder
1994 neue Verfassung (Demokratische afrikan. Küsten oder auch vulkan. Ereig-
Bundesrepublik Ä.), 1995 Negasso Gi- nisse am geogr. Ort der Kanarischen In-
dada neuer Staatspräsident, Meles Zenawi seln oder auf Erzählungen ägypt. und phö-
Ministerpräsident, 1998–2000 bewaffnete nik. Seefahrer, die durch Stürme an ame-
Auseinandersetzung mit Eritrea wegen rik. Küsten verschlagen worden seien.
Grenzverlauf, 2001 Girma Golde Giorgis Atlantische Wirtschaftsgemeinschaft,
neuer Präsident. ↑ Organisation für wirtschaftliche Zusam-
Athos (Hagion Oros = Heiliger Berg), Vor- menarbeit (OECD).
gebirge der Halbinsel Chalkidike; seit dem Ätolischer Bund, Bund der Stämme Äto-
8. Jh. n. Chr. ist der A. von griech.-ortho- liens (↑ Achäischer Bund), der seit etwa
doxen Mönchen besiedelt, eine Mönchs- 320 v. Chr. große Teile Mittel- und Nord-
republik von 20 Klöstern, der auch die griechenlands umfasste; 189 v. Chr. von
Türken (seit 1430) ihre Freiheit beließen; den Römern aufgelöst.

69
Atomzeitalter

Atomzeitalter, Selbstbez. unserer Zeit: ei- Fermi und zur ungezähmten zerstörer.
nerseits unter dem Eindruck der Freiset- Kettenreaktion in der Atombombe; erste
zung der im Atomkern schlummernden Explosion am 16. Juli 1945 in Neu-Me-
gewaltigen, friedlich verwendbaren Ener­ xiko, erster Kriegseinsatz am 6. August
gien („Das zweite große Abenteuer des 1945 über Hiroschima und am 9. August
Menschen seit dem Raub des Feuers durch 1945 über Nagasaki. Seitdem trat die um-
Prometheus“), andererseits unter dem stürzende Bedeutung der Atomkraft in das
Eindruck der machtpolitisch entschei- Bewusstsein der Menschheit; planmäßiges
dend gewordenen, Geschichte machenden Bemühen um friedliche Verwertung der
Atombombenherstellung (Atommächte: neuen Energie (Atomreaktoren, Atomkraft­
USA, UdSSR, England, Frankreich, In- werke, Atommotoren, Teilchenbeschleuni-
dien, China). Der Begriff Atom (nicht ger, Ausnutzung der seit 1917 bzw. 1910
mehr teilbares Teilchen) stammt von dem bekannten und in Atomreaktoren gewinn-
griech. Philosophen Leukippos von Milet baren Isotopen); andererseits Weiterent-
(5. Jh. v. Chr.), dem Lehrer des Demokrit wicklung der Atomwaffen (1953 erste
(461–371 v. Chr.), des Schöpfers der ers­ Atomenergie durch Kernverschmelzung
ten philosoph. Atomlehre: Das Seiende in der durch eine Spaltungsbombe gezün-
ist nicht ein stetiges Ganzes, sondern es deten Wasserstoffbombe, Ausbau von Trä-
besteht aus Verknotungen, Einheiten, die gerwaffen: Flugzeuge, Raketen, Kanonen,
unveränderlich und atomar, d. h. nicht U-Boote); fortgesetzte Bemühungen zur
weiter teilbar sind und deren verschiedene Beendigung des Wettrüstens und zur Ver-
Gestalt, Lage und Anordnung im Raum hütung einer globalen Katastrophe durch
die Verschiedenheit der Dinge in der Welt wirksame Kontrolle der Verwendung der
erklärt. Diese Theorie blieb in der Antike Atomenergie in allen Ländern. 1968 un-
eine unter vielen zur Erklärung des Sei- terzeichneten die drei Atommächte USA,
enden, wurde später vergessen und erst in Großbritannien und die UdSSR einen
der Renaissance wieder bekannt; Erneue- „Vertrag über die Nichtverbreitung von
rer der Atomlehre Demokrits war Pierre Kernwaffen“ (Atomwaffensperrvertrag).
Gassendi (1592–1635). – Die neuzeitliche 40 weitere Staaten schlossen sich dem Ver-
Atomphysik geht jedoch nicht von philo- trag an, die Atommächte Frankreich, In-
soph. Erörterungen aus, sondern erwächst dien und China unterzeichneten nicht.
zunächst aus der chem. Forschung (↑ Che- Ende 1987 INF-Abkommen zw. den USA
mie), die die moderne Atomvorstellung all- und der Sowjetunion über Verschrottung
mählich entwickelte, ohne dass das Wesen sämtlicher landgestützter atomarer Mittel-
des Atoms bis heute erfasst werden kann. streckenraketen (ca. 2 700 Sprengköpfe =
– 1938 gelang O. Hahn und F. Straß- rd. 5 % des weltweiten Atomwaffenpoten-
mann durch Neutronenstrahlenbeschuss tials), (vgl. ↑ Abrüstungskonferenzen).
die Spaltung und der Zerfall von Urana- Aton, altägypt. Bez. der Sonnenscheibe,
tomkernen; die Möglichkeit der Ketten- von ↑ Echnaton religiös interpretiert und
reaktion durch Neutronenbeschuss des als alleiniger, von ihm monotheistisch ver-
Uran­isotops 235 erkannten 1939 F. Joliot, ehrter Gott verkündigt.
L. Kowarski und H. von Halban; im selben Attalos, Könige von Pergamon: 1) A. I.
Jahr errechnete O. Frisch die riesigen bei Soter (241–197 v. Chr.); nahm als erster
solchen Kettenreaktionen freiwerdenden Attalide den Königstitel an, eroberte im
Kernenergien. Die weitere Entwicklung Kampf mit den Seleukiden das westliche
führte 1942 zur Zähmung der Kettenreak­ Kleinasien, gründete die Bibliothek von
tion im ersten Uran-Atomreaktor durch Pergamon in Konkurrenz mit Alexandria.

70
Aufklärung

2) A. II. Philadelphos (159–138 v. Chr.); Auer von Welsbach, Karl Ritter von, ös-
Sohn von 1), trug zum Ausbau der Akro- terr. Chemiker und Techniker, 1858–1929;
polis von Athen bei (Zeusaltar). 3) A. III. erfand das Gasglühlicht (A.-Licht) und die
Philometor (138–133 v. Chr.); setzte die Osmiumglühlampe (Metallfaden).
Römer als Erben seines Reiches ein; Ende Auersperg, Anton Alexander Graf von,
des Reiches von ↑ Pergamon. österr. Dichter (Pseudonym: Anastasius
Atticus, Titus Pomponius, gelehrter Rö- Grün), 1806–1876; polit. Tendenzlyrik
mer, 109–32 v. Chr.; Freund des Cicero gegen das System Metternich.
und Verfasser histor. Schriften, betätigte Auerstedt, Dorf in Thüringen; Niederlage
sich auch verlegerisch. der Preußen gegen die Franzosen 1806
Attika, Landschaft und Halbinsel an der (Doppelschlacht von Jena und A.).
mittleren Ostküste Griechenlands mit Auerswald, 1) A., Hans Jakob von,
Athen als Hauptort, von Ioniern besiedelt; Oberpräsident von Ost- und Westpreu-
um 1000 v. Chr. Einheitsstaat; Städte au- ßen, wohlwollend gegenüber den Stein-
ßer Athen: Piräus, Eleusis, Thorikos, Brau- Hardenbergschen Reformen, 1757–1833;
tun, Rhamnus (↑ Athen, Griechenland). berief 1813 auf Drängen von Steins ohne
Attila (Etzel oder Godegisel), König der königliche Genehmigung den Ostpreu-
Hunnen um 433–453 n. Chr.; Reichs- ßischen Landtag ein, der die dt. Erhebung
bildung zwischen Kaukasus und Rhein gegen Napoleon einleitete. 2) A., Hans
mit Ungarn als Mittelpunkt; 450 Einfall Adolf, Sohn von 1), preuß. General 1792–
in Gallien; 451 auf den Katalaunischen 1848; als Mitglied (der Rechten) in der
Fel­dern von ↑ Aetius besiegt, drang Frankfurter Nationalversammlung, beim
452 n. Chr. in Italien ein; sein Großreich September-Volksaufstand zusammen mit
zerfiel nach seinem Tode. Grabstätte ver- Felix ↑ Lichnowsky ermordet.
mutlich im Flussbett der Theiß. Aufklärung, eine von Westeuropa ausge-
Attischer Seebund, 1. A. S.: 477 v. Chr. hende, mit ihren Wurzeln in die Renais-
von Athen gegen die Perser gegründeter sance und den Humanismus zurückrei-
und von ihm beherrschter Seebund mit chende, sich insbesondere aus dem neuen
den Ionischen Inseln und den Kolonien naturwiss.-mathemat. Weltbild des 17. Jh.
Kleinasiens; löste sich gegen Ende des Pe- (Descartes, Newton) entwickelnde geistige
loponnesischen Krieges (404 v. Chr.) auf; Bewegung zur Durchsetzung allgemeiner
der 378 v. Chr. gegen Sparta gegründete Grundsätze der Vernunft (Rationalismus)
2. A. S. zerfiel um 355 infolge der Erobe- innerhalb der menschlichen Gesellschaft
rungen Philipps II. von Makedonien. (↑ Naturrecht); nach Kant der „Ausgang
Attlee, Clement (seit 1951 Earl A.), brit. des Menschen aus selbstverschuldeter Un-
Staatsmann, 1883–1967; seit 1935 Füh- mündigkeit“; seit der Mitte des 17. Jh. bis
rer der Labour-Partei, löste 1945 Chur- ins 19. Jh. hinein von großem Einfluss auf
chill als Premierminister ab (bis 1951); das polit. Denken und die Literatur. Die
versuchte die Durchführung eines Sozia- A. verfocht besonders den Gedanken re-
lisierungsprogramms; 1951–1955 wieder ligiöser Toleranz sowie der Freiheit des
Führer der Opposition. Geistes; Revolution der unabhängigen,
Aubigné, Theodore Agrippa Chevalier d’, selbstgewissen Vernunft gegen die histo-
frz. Politiker, Soldat und Dichter, 1552– risch überkommenen Autoritäten (weltan-
1630; Hugenotte, Freund Heinrichs IV., schaulich die Kirche, politisch das ↑ An-
Verfasser einer allgemeinen Geschichte cien régime), ihre Grundsätze wollte sie
seiner Zeit; wichtig als Geschichtsquelle nicht an die nationalen Grenzen gebun-
auch seine Memoiren. den sehen, Wegbereiterin der Frz. Revo-

71
Augereau

lution und der Demokratie in Europa. Augsburger Interim, Bez. für das Reichs-
Vorher Einfluss auf Staats- und Gesell- gesetz von 1548; vorläufige Lösung der
schaftsordnung durch die Umwandlung Religionsfrage im Dt. Reich nach dem
des uneingeschränkten Absolutismus „von Schmalkald. Krieg auf dem sog. „gehar-
Gottes Gnaden“ in den „Aufgeklärten Ab- nischten“ Reichstag zu Augsburg, mit ei-
solutismus“, der nach den Prinzipien der nigen Zugeständnissen an die protestant.
Vernunft und der Toleranz zum Wohle der Stände (Laienkelch, Priesterehe); konnte
Untertanen regierte („Nichts durch das nur z. T. durchgeführt werden.
Volk, alles für das Volk“); Hauptvertre- Augsburger Religionsfriede, Reichstags-
ter: Friedrich d. Gr., Joseph II. Als philo- abschied von 1555, besiegelte die Glau-
soph. Richtung ist die A. gekennzeichnet bensspaltung in Deutschland: Anerken-
durch die Begriffe Empirismus und Ratio­ nung der Luther. ↑ Augsburgischen Kon-
nalismus; ihre bed. Vertreter: Descartes, fession als gleichberechtigt neben der
Spinoza, Hobbes, Locke, Bayle, Hume, kath.; Religionsfreiheit für die Reichs-
die frz. Enzyklopädisten Diderot und stände (fürstliche und städt. Obrigkeiten)
d’Alembert, Voltaire, in Deutschland Tho- nach dem Prinzip „Cuius regio, eius reli-
masius, Wolff, Mendelssohn und Lessing. gio“ (wer herrscht, bestimmt die Konfes-
Augereau, Pierre Francois Charles, frz. sion der Untertanen) mit dem Recht des
Heerführer, 1757–1816; von Napoleon freien Abzugs für Andersgläubige; geist-
zum Marschall von Frankreich und Her- liche Fürsten sollten beim Übertritt zum
zog von Castiglione erhoben. Protestantismus Amt und Territorium
Augsburg, 15–9 v. Chr. Legionslager, un- (Gebiet) verlieren (die reichsrechtliche
ter Claudius 45 n. Chr. Stadt (Augusta Anerkennung der Gleichberechtigung der
Vindelicorum), Hauptstadt Rätiens; 6. Jh. reformierten (calvinist.) Stände folgte erst
Bistum, infolge günstiger Verkehrslage 1648 im Westfälischen Frieden).
(Zugang zur Alpenstraße) rasches Wachs- Augsburgische Konfession (­Confessio
tum, zur Zeit der Ungarngefahr (↑ Lech- Augustana), die entscheidende Bekennt­
feld, ↑ Ulrich, Bischof von A.) befestigter nisschrift der Lutheraner, von Melanch­
Platz. Kämpfe zwischen Stadt und Bischof; thon für den Reichstag von Augsburg
1276 Freie Reichsstadt. Nach Aufblühen ausgearbeitet, von Luther gebilligt, mehr-
der Weberei (Einfuhr ägypt. Baumwolle fach überarbeitet; 1530 Kaiser Karl V. als
über Venedig) und der großen Handels- Grundlage für eine Verständigung unter
häuser (Fugger, Welser, Hoechstetter, Gos- den Konfessionen übergeben, erläutert
senbrot) wurde A. bes. im 15. und 16. Jh. und ergänzt durch die von Melanchthon
zu einem der reichsten Märkte Deutsch- verfasste Apologie der A.
lands mit weltweiten Handelsbeziehungen Auguren, altröm. Priester, denen bei
und europ. Geldmarkt; Stadt des Huma- Staatshandlungen, in Notlagen die Erkun-
nismus, der Renaissance und des Frühba- dung des Willens der Götter oblag; zur
rocks (↑ Peutinger, Fugger, Welser). In der Deutung dienten Eingeweideschau, Vogel-
Reformationszeit Ort mehrerer Reichstage; schau, Blitzbeobachtung u. a.; politisch oft
seit 1537 lutherisch (durch die Zünfte, ge- missbraucht und später nicht mehr ernst
gen den patriz. Rat); Mitglied des Schmal- genommen.
kaldischen Bundes, von Karl V. 1546 un- August, Kurfürsten von Sachsen: 1) A. I.,
terworfen (Strafgericht über die Zünfte). 1526–1586, ab 1553 Kurfürst; sorgte für
Im 17. Jh. wirtschaftlicher und polit. Nie- Verbesserung von Kultur und Wirtschaft
dergang, 1806 zu Bayern. Wiederaufstieg und für das Wohl seiner Untertanen, da-
im Industriezeitalter. rum „Vater A.“ genannt; zur Bekämp-

72
Augustus

fung des Kryptokalvinismus regte er die 430 n. Chr.; stammte aus Tagaste (Han-
Abfassung der ↑ Konkordienformel an. delsstadt in Nordafrika), urspr. Heide
2) A. II. der Starke, 1670–1733; als Kur- (sein Vater Heide, Mutter Monika Chris­
fürst Friedrich A. I. 1697 zum König von tin), Lehrer der Beredsamkeit in Karthago
Polen gewählt, trat zur kath. Kirche über, und Mailand, hier 387 von ↑ Ambrosius
seine Großmachtpläne durchkreuzt durch bekehrt (klass. Schilderung dieser Wand-
Karl XII. (↑ Nordischer Krieg), 1706 Ver- lung in seinen „Bekenntnissen“), 395 Bi-
zicht auf Polen (im Frieden von ↑ Altran- schof von Hippo, unbestrittene oberste
städt) zugunsten ↑ Leszezynskis; seit 1709 Autorität des abendländ. Geisteslebens
(Niederlage Karls XII. von Schweden bei bis ins hohe MA hinein; sein Werk über
Poltawa) kämpfte und verhandelte A. wie- den Gottesstaat (De Civitate Dei), der am
der mit Polen, 1724 ↑ Thorner Blutbad; Ende der Zeiten über das Reich des Teufels
ließ seine Residenzen Dresden und War- triumphieren wird, diente dem Papsttum
schau nach Versailler Vorbild ausbauen, als Waffe im Kampf mit dem Kaisertum;
entfaltete 1729 als König von Polen höf. auch seine sozialethischen Gedanken von
Pracht und förderte großzügig die Kunst weitreichender Wirkung (bedingte Aner-
des Barock (Zwinger, Frauenkirche in kennung des Privateigentums, Rechtferti-
Dresden). 3) A. III., 1696–1763; im Pol- gung des Reichtums allein bei Unterstüt-
nischen Erbfolgekrieg Kandidat Russ- zung der Armen, Verkauf von Waren nur
lands; überließ die Staatsgeschäfte dem zu einem „gerechten Preis“, Zins ist Wu-
Grafen ↑ Brühl. cher). – Der theolog.-philosoph. Augusti-
Augusta, Titel röm. Kaiserinnen; seit Au- nismus, bis in die Neuzeit von Einfluss,
gustus auch Beiname von Städten, die von verneinte die Selbständigkeit der Philo-
Kaisern oder zu ihren Ehren gegründet sophie (Gegensatz zum Aristotelismus des
wurden. Thomas von Aquin) und räumte dem Ver-
Augusta, dt. Kaiserin, Königin von Preu- stand nur eine untergeordnete Rolle ein
ßen, 1811–1890; Tochter des Großher- (↑ Geschichtsphilosophie). 2) A., Apostel
zogs Karl Friedrich von Sachsen-Weimar, der Angelsachsen, Benediktiner aus Rom,
Gemahlin Wilhelms I. seit 1829; wegen 601 Bischof in Canterbury, gest. 604.
englandfreundlicher und russlandfeind- Augustulus, ↑ Romulus 2).
licher Einstellung Gegnerin Bismarcks. Augustus (lat. der Erhabene), Ehrenti-
Auguste Viktoria, letzte dt. Kaiserin, tel, den der röm. Senat dem Oktavian
1858–1921; Tochter des Herzogs Fried- 27 v. Chr. verlieh; den Titel übernahmen
rich von Schleswig-Holstein-Sonderburg- die röm. Kaiser; seit Diokletian 2 Augusti
Augustenburg, Gemahlin Wilhelms II. ab (Oberkaiser), die über 2 Cäsaren geboten.
1881. Augustus, urspr. Gajus Octavius, ers­ter
Augustenburg, eine nach Schloss A. röm. Kaiser, 63 v. Chr.–14 n. Chr.; aus
(Nordschleswig) benannte Linie des ol- dem ehemals plebej. Geschlecht der Ok-
denburg.-dän. Herrscherhauses, erhob tavier, sein Vater zuletzt Prokonsul in
1848 und 1864 Erbansprüche auf den Makedonien; nach dem Tode des Vaters
dän. Thron; von der Volksstimmung in (58 v. Chr.) von Cäsar, seinem Großonkel,
Deutschland unterstützt, durch Bismarck erzogen, später adoptiert (künftiger Name:
ausgeschaltet. Gaius Julius Caesar Octavianus) und als
Augustiner, ↑ Orden. Erbe eingesetzt; nach Cäsars Ermordung
Augustinus, 1) A., Aurelius, hl., Kir- Kampf des 19-Jährigen um das Erbe gegen
chenlehrer, größter philosoph.-theolog. Konsul Marcus ↑ Antonius, der sich das
Denker des christlichen Altertums, 354– Erbe anmaßte, mit Hilfe des Senats und

73
Aurangzeb

der Cäsarveteranen; 43 v. Chr. Sieg über im Teutoburger Wald, ↑ Varus) zwang zur
Antonius, Rückkehr mit dem Heer nach Zurückverlegung der Nordgrenze bis zum
Rom, erzwang Konsulat und versöhnte Rhein: Germanien blieb unromanisiert;
sich mit Antonius. Dreimännerherrschaft Reichsgrenzen künftig etwa Rhein, Do-
(Triumvirat) mit unbeschränkten Voll- nau, Atlantik, Sahara, Euphrat. – A. war
machten: Oktavian, Antonius, Lepidus; dreimal verheiratet: mit Claudia, Scribo-
Vernichtung der innenpolit. Gegner und nia, Livia; am 19. Aug. 14 n. Chr. starb A.
Krieg gegen Cäsarmörder (Sieg bei Phi- nach 44-jähriger Regierung mit 75 Jahren
lippi, 42 v. Chr.); Aufteilung der Reichs- in Nola; Erhebung zum Divus durch den
verwaltung in Ost (Antonius), West Senat. – Augusteisches Zeitalter war klas-
(Oktavian), Afrika (Lepidus); 36 v. Chr. sische Zeit der lat. Literatur (Virgil, Ho-
Ausschaltung des Lepidus, der im Osten raz, Tibull, Propertius, Ovid, Livius, Ne-
gegen die Parther siegreiche Antonius er- pos); unter A., der Roms Machtstellung
strebte Alleinregierung und löste Verbin- sittlich untermauern wollte (Vorbild die
dung zu Oktavian, der den Gegner bei Römertugend), wurden Gesetze gegen
Aktium (31 v. Chr.) niederwarf; Antonius Luxus und zur Familienförderung erlas-
gab sich den Tod (30 v. Chr.): Ende des sen und die z. T. verfallenen Tempel wie-
Bürgerkrieges. Oktavian, Alleinherrscher, derhergestellt oder neue errichtet (Tempel
häufte, den Schein der republikan. Tradi- des Cäsar, des Apoll, Mars Ultor, das Pan-
tion mit der tatsächlichen Amtsgewalt der theon des Agrippa); Ausbau der Stadt (aus
Monarchen verbindend, die wichtigsten dem hölzernen Rom wurde das Marmor-
Ämter auf sich (u. a. Tribun mit Vetorecht Rom): Bebauung des Marsfeldes, des Jani-
gegen alle Gesetze, Zensor mit Oberauf- culushügels, Bau des Forum Augusti, der
sicht über Senat, Pontifex Maximus mit Domus Augustana (Kaiserpalast auf dem
Unverletzlichkeit seiner Person); erhielt Palatin), des Theaters des Marcellus, der
Ehrentitel Augustus und ↑ Princeps; durch Thermen des Agrippa, des Palastes der Li-
neue Reichseinteilung sicherte A. die via auf dem Palatin, des Mausoleums des
Zentralgewalt und sich als Prokonsul die A. auf dem Marsfeld; mehrere Volkszäh-
Macht in und die Einkünfte aus 27 von lungen (28 und 8 v. Chr., 13 n. Chr.) erga-
39 Provinzen, die er durch Legaten ver- ben etwa 22 Mio. Gesamtbevölkerung; das
walten und durch Legionen sichern ließ; Reich wurde vermessen, das Straßensys­
Wahrung des Friedens (Schließung des tem ausgebaut, das Postwesen organisiert
Janustempels, Errichtung der Ara Pacis) (↑ Rom, Römisches Reich).
durch ordnende Maßnahmen in Gallien, Aurangzeb, Großmogul von Indien,
Spanien, Asia; z. T. mit Waffengewalt (bes. 1618–1707; regierte seit 1658, eroberte
gegen die Parther), Vorstoß zur Donau den Dekkan und Kabul; unterdrückte
(Provinzen Raetia u. Noricum, 15 v. Chr.); als fanatischer Moslem rücksichtslos den
um 13 v. Chr. Verlegung gallischer Legio­ Hinduismus.
nen an den Rhein (↑ Neuß); vier Feld- Aurelianus, Lucius Domitius, röm. Kai-
züge gegen Innergermanien bis zur Elbe ser (270–275 n. Chr.); gewarnt durch den
(12–9 v. Chr.; Sieg der Stiefsöhne Drusus Einfall der Alemannen, die er am Ticinus
und Tiberius); 4 n. Chr. (nach dem Tod schlug, begann er den Bau der nach ihm
seiner Enkel) Adoption des Tiberius mit benannten röm. Stadtmauern gegen die
dem Recht der Nachfolge; 6–9 n. Chr. illy- Barbareneinfälle; eroberte die verloren ge-
rischer Aufstand, niedergeschlagen durch gangenen Grenzprovinzen in O und W
Tiberius (Provinz Pannonien); der Rück- zurück (Unterwerfung des Reiches von
schlag in Germanien (9 n. Chr. Schlacht ↑ Palmyra 272/73); als neue Reichsreli-

74
Australien

gion führte er den Sonnenkult ein; in By- Außerparlamentarische Opposition, Abk.


zanz ermordet. APO, in der Bundesrepublik Deutschland
Aurignacien, vorgeschichtl. ­Kulturperiode nach 1966 Bez. für die Protestbewegung
des Jung-↑ Paläolithikums (späte Altstein- insbes. der jüngeren Generation gegen das
zeit, Zeit des Cro-Magnon-Menschen), parlamentar. Regierungssystem und die in
benannt nach dem Fundort, der Höhle ihm wirtsch., gesellschaftlich und polit.
Aurignac im frz. Dep. Haute-Garonne, herrschende soziale Gruppe. Mit neuar-
umfasste innerhalb der vierten und letzten tigen, von der student. Protestbewegung
(Würm-)Eiszeit den Zeitraum von etwa der USA übernommenen Aktionsformen
40 000 an; Werkzeuge: statt der Faustkeile („teach-in“, „go-in“ und dergl.) und be-
schmale, scharfe Klingen; ferner Kno- wussten Verstößen gegen die gesetzliche
chenwerkzeuge; Beginn der Kunst (kleine Ordnung bis hin zur Anwendung von
Rundfiguren, Felszeichnungen). Gewalt bekämpfte die APO v. a. das mili-
Auschwitz, poln. Oswiecim, größtes nat.- tär. Engagement der USA in Vietnam, die
soz. KZ und Vernichtungslager bei Kra- Manipulation der öffentlichen Meinung
kau; eingerichtet im Mai/Juli 1940 (A. I = durch die Massenmedien, bes. den Sprin-
Stammlager), erweitert schließlich im Jahr ger-Konzern, und die Verabschiedung der
1941 (A. III = Monowitz/„Lager Buna“) Notstandsgesetze. Ihre Bedeutung und
und Ende 1941/Anfang 1942 (A. II = Bir- Wirksamkeit schwand mit dem Ende der
kenau, das eigentliche Vernichtungslager). Großen Koalition 1969, ihre Mitglieder
A. hatte eine Doppelfunktion, es diente zogen sich teils aus der Politik zurück, teils
mit seinen rd. 40 Außenstellen einerseits wandten sie sich der nun zur Regierung
als Arbeitslager, zum anderen der Tötung gelangten SPD oder in den 1980er Jahren
von kranken Häftlingen, Kriegsgefange- der Partei der Grünen zu, teils linksradi-
nen, Sinti und Roma, v. a. aber von Ju- kalen Gruppen und Organisationen, ei-
den im Rahmen der sogenannten End- nige wenige auch dem Terrorismus.
lösung der Judenfrage (↑ Juden). In A., Austerity, Schlagwort für die Sparpolitik
dessen Gaskammern von Mitte 1941 bis des brit. Schatzkanzlers Cripps seit 1948.
Ende Okt. 1944 in Betrieb waren, sind Austerlitt, Stadt in der Tschechoslowakei:
über 1 Mio. Menschen getötet worden, 1805 „Dreikaiserschlacht“: Sieg Napo-
weitere 500 000 Häftlinge erlagen Folter, leons über Kaiser Franz II. von Öster-
Menschenversuchen und den Haftbedin- reich und Zar Alexander I. von Russland;
gungen (Gesamtschätzungen reichen bis Waffenstillstand führte zum Frieden von
3 Mio. Ermordete). Im Jan. 1945 erreich- ↑ Preßburg.
ten Einheiten der Roten Armee das evaku- Australien, „Südland“, schon im 13. Jh.
ierte A., wo sie noch 7 600 Überlebende auf Weltkarten als A. vermutet, doch erst
vorfanden. nach 1600 von Entdeckern gesichtet, be-
Ausgleich, österreichisch-ungarischer, rührt, vor allem von Holländern (Tasman
die 1867 durchgeführte Neuordnung der 1642–1644), deshalb Neuholland ge-
staatsrechtlichen Verhältnisses zwischen nannt; Ostküste und Gesamtumriss wur-
dem österr. und dem ungar. Teil der Habs- den erst durch James ↑ Cook 1770 be-
burger Monarchie; Ungarn erhielt eigenen kannt; 1793 erste engl. Ansiedler; 1802
Reichstag und eigenes Kabinett; gemein- Umsegelung Australiens durch ↑ Flin-
same kaiserlich-königliche (k. k.) Mini- ders. Ab 1788 Neu-Südwales brit. Sträf-
sterien des Äußeren, des Krieges und der lingskolonie als Ersatz für die verlorenen
Finanzen; Zoll- und Handelsbündnis zwi- Strafkolonien Nordamerikas (Gründung
schen beiden Reichsteilen. Sydneys); seit 1829 auch freie Kolonisie-

75
Austrasien

rung; 1840 Gründung der brit. Kronko- in Italien gegen Byzanz und das Franken-
lonie ↑ Neuseeland; 1850 Parlamente in reich; war mit der Bayerin ↑ Theodolinde
den Kolonien; Goldfunde lockten mehr vermählt.
Siedler an; Ende der Strafkolonien 1868; Autokratie (griech., Selbstherrlichkeit,
1900 Zusammenschluss der 5 selbstver- Selbstherrschaft), die unumschränkte
walteten Einzelkolonien zum Bundesstaat Herrschaft eines Monarchen, Diktators,
(Australischer Bund, Commonwealth eines Einzelnen; der Kaiser von Byzanz
of Australia) als Dominion im Rahmen und der russ. Zar führten zeitweise den Ti-
des brit. Empire; Hauptstadt Melbourne tel „Autokrat“.
(später Canberra); das Landesinnere mit Automobil (griech.-latein., „sich selbst
schwacher Urbevölkerung (auf der Stufe Bewegendes“, Selbstbeweger), erste Ver-
der Jungsteinzeit, Jäger und Sammler) suche erfolgten mit Dampfantrieb: 1771
noch wenig erschlossen; Abriegelung ge- Geschütztransportwagen des frz. Artil-
gen Gefahr asiat. Unterwanderung und lerie-Offiziers Cugnot; 1801 erste Passa-
gegen billige Arbeitskräfte aus Europa, die gierfahrt mit Dampfwagen von Trevithick;
das hohe Lohnniveau senken könnten. Ab 1821 ↑ Dampflastwagen Griffiths; 1831
1941 A. selbständiger Gliedstaat im brit. erster gewerblicher Dampfomnibus in
Commonwealth; ab 1942 Krieg gegen Ja- London (Hancock); 1864 baute der Ös-
pan; 1951 ↑ ANZUS-Pakt zw. Australien, terreicher Marcus ein A. mit Benzinmo-
Neuseeland und USA. Seit 1921 Mandat tor (bisheriges Abfallprodukt Benzin fand
über NO-Neuguinea, das 1975 zusammen Verwendung; 1874 verwendete Maybach
mit Papua als Papua-Neuguinea unabhän- Benzin im Ottogasmotor); 1875 zweites
gig wurde. Marcus-Auto; 1877 Siemens-Otto entwi-
Austrasien oder Austrien (Ostreich), der ckelten elektr. Zündung, Viertaktmotor;
östliche Teil des Frankenreiches unter den 1883 Dampfomnibus und Dampfdreirä-
Merowingern, Hauptorte Metz und Reims der in England, 1883 Benzin-Motorwa-
(Gegensatz: ↑ Neustrien). gen von Benz und Benzin-Motordreirad
Autarkie (griech., Selbstgenügsamkeit), von Daimler, ab 1888 Kraftwagenbau in
als allgemeiner ethischer Begriff erstmals vielen Ländern, meist mit Daimler- oder
bei Aristoteles; heute nur wirtschaftspoli- Benz-Lizenzen; 1890 Luftreifen beim
tisch verwendet: wirtschliche Selbstversor- Auto; 1894 erster Dieselmotor und seit-
gung eines Staates, d. h. Unabhängigkeit dem Entwicklung zum Diesel-Fahrzeug.
von jeder Einfuhr durch Produktionsstei- Ausbau der A.- und Motorrad-, der Zu-
gerung (z. B. durch Subventionen, Schutz- behör-, Elektro-, Reifen- und Treibstoff-
zölle, Einfuhrverbote usw.) oder Bedarfs- industrie.
senkung. A. bedeutet wirtsch. Nationa- Autonome Sowjetrepublik, ehem. Ver-
lismus; als Ideal stellte sie in Deutschland waltungseinheit in der UdSSR unter Be-
Fichte auf („Der geschlossene Handels- rücksichtigung des Nationalitätenmerk-
staat“), doch wurde diese theoretische For- mals mit begrenzter kultureller Autono-
derung in der Praxis nie uneingeschränkt mie und eigensprachlicher Verwaltung,
verwirklicht, wie ihr Gegenprinzip, der Schule und Presse.
Freihandel; Ansätze zum A.-Streben z. B. Autonomie (griech., Selbstgesetzgebung),
im nat.-soz. Deutschland, in der Sowjet- im polit. Bereich das Recht der Selbstver-
union, im brit. Staatenverband (Ottawa- waltung eines untergeordneten Gebietes
Verträge). (z. B. Provinz) oder Verbandes gegenüber
Authari, König der Langobarden (584– der größeren Einheit (Bund, Reich); der
590); behauptete langobardischen Besitz Streit um die A. ist so alt wie das Bestre-

76
Avignon

ben, polit. Gemeinschaften zu schaffen; Stadt am Tiber, gegenüber dem Palatinhü-


ihre klass. Verwirklichung in den antiken gel, ab Mitte des 6. Jh. v. Chr. Siedlungsge-
griech. Stadtstaaten (↑ Polis); die Groß- biet der Plebejer.
reiche der Antike dagegen waren Einheits- Aventinus, Johannes (Turmayr aus Abens-
staaten mit zentralist. Verwaltung; der berg); bayer. Humanist und Historiker,
Lebensstaat des MA war praktisch auto- 1477–1634; sein Hauptwerk „Annales
nom gegenüber dem König oder Kaiser Bojorum“, eine Darstellung der bayer. Ge-
als oberster Autorität und gewährte diese schichte, ist das erste große Geschichts-
Autonomie auch nach unten (z. B. an die werk in dt. Sprache; A. schuf auch die erste
landeigenen Städte). Diese A. wich in der bayer. Karte.
Neuzeit dem weiterreichenden, schärfer Averroës (Ibn Raschid), arab. Philosoph,
formulierten Begriff der ↑ Souveränität, Jurist und Arzt, 1126–1198 n. Chr.; lebte
völkerrechtlich wie innerstaatlich; von da in Cordoba; Kommentator des Aristoteles,
an bewegten sich die A.-Bestrebungen im der erst durch ihn im 13. Jh. dem Abend-
Rahmen des souveränen Staates; A. wurde land vermittelt wurde; Pantheist, von
das Ziel von Landes- oder Reichsteilen, nachhaltigem Einfluss auf das abendländ.
die auf Grund kultureller, sprachlicher Denken; seine Lehre von der „doppelten
oder historisch bedingter Eigenheiten eine Wahrheit“ (ratio et fides: Vernunft und
Sonderstellung im größeren Verband ver- Glaube), als Averroismus bezeichnet und
langten. Als Staatsprinzip setzte sich die A. weit verbreitet, wurde von der kath. Kir-
z. B. in der Schweizer Eidgenossenschaft che verworfen; sein medizin. Hauptwerk
durch (Kantone); heftig umstritten war wurde über das MA hinaus von abend-
sie bei Aufkommen des nationalen Ge- länd. Ärzten zu Rate gezogen.
dankens in den Vielvölkerreichen des Os- Avesta, in altiran. Sprache aufgezeich-
tens: Österreich-Ungarn, Russland und nete Schrift des Parsimus, entstanden zur
Türkei; der A.-Gedanke wirkte in diesen Zeit der Sassaniden (226–661); enthält hl.
Reichen als Sprengmittel, weil die meisten Schriften, die z. T. auf Verkündigungen des
nationalen Minderheiten mehr als z. B. Propheten Zarathustra zurückgehen. Erste
bloße Kultur-A. (eigene Schulen usw.) an- europ. Übersetzung 1771 durch den frz.
strebten und die A. als Vorstufe zur natio- Orientalisten A. H. Anquetil-Duperron.
nalen Unabhängigkeit betrachteten. Ähn- Avicenna (Ibn Sina), arab. Philosoph und
lich wirkten der nationale A.-Gedanke in Arzt aus Buchara, 980–1037; Schöpfer ei-
den Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns ner philosoph.-theolog. Enzyklopädie, in
(Tschechoslowakei, Jugoslawien usw.) und der er den Islam mit der griech. Philoso-
die A.-Bestrebungen der farbigen Völker phie bekannt machte und auch auf christl.
in den europ. Kolonialreichen; anderer- Denker einwirkte; „Fürst der Ärzte“ ge-
seits gibt es Beispiele für eine A., die den nannt, dessen das gesamte medizin. Wissen
Zusammenhalt des Ganzen stärkt. der Antike zusammenfassender „Kanon der
Auvergne, Landschaft im SO Frank- Medizin“ an europ. Universitäten bis ins
reichs, benannt nach den kelt. Avernern, 17. Jh. hinein als Standardwerk galt.
seit Cäsar Teil der Provinz Aquitanien, 475 Avignon, frz. Stadt an der Rhone; phönik.
westgotisch, 507 fränkisch, im MA Graf- Siedlung, griech. Kolonie, zur Römer-
schaft, 1210 größtenteils zur frz. Krone, zeit Avennio, 730–737 durch wiederholte
1416–1623 Herzogtum beim Haus Bour- Araberangriffe zerstört, gehörte zum Bur-
bon, dann mit der Krone vereinigt. gund. Reich, kam dann zur Herrschaft der
Aventin (Mons Aventinus), einer der sie- Grafen von Provence, 1290 an Karl von
ben Haupthügel Roms, im Süden der Anjou-Neapel; 1309–1376 Exilsitz der

77
Awaren

Päpste, die A. 1348 von der Anjou-Köni- ten und den des Verteidigungsministers
gin Johanna von Neapel erwarben; danach ein; nach bürgerkriegsähnlichen Unruhen
zum Kirchenstaat, 1303–1791 päpstliche seit Ende 1968 Rücktritt als Staatspräsi-
Universität; 1797 Frankreich einverleibt. dent 1969.
Awaren, tatar. Reitervolk, das z. Z. Justi- Azincourt, nordwestl. von Arras; im 100-
nians um 668 n. Chr. seine Wohnsitze am jährigen Krieg 1416 entscheidender Sieg
Asowschen Meer verließ und in Panno- Heinrichs V. von England über die zahlen-
nien (Ungarn) siedelte; 666 im Bund mit mäßig weit überlegenen Franzosen.
den Langobarden Vernichtung der Gepi- Azoren (portug., Habichtsinseln), Insel-
den; Raubzüge 671 und 696 gegen die gruppe des Atlantiks, schon den Kartha-
Franken, seit 681 gegen die Byzantiner gern und den Arabern bekannt, 1432 von
(626 Belagerung von Byzanz); im 7. und Portugiesen entdeckt; die Insel Feyal 1466
8. Jh. Einfälle in westslaw. Gebiete. 791 bis 1472 burgundisch; 1680–1640 ge-
schlug Karl d. Gr. die A. an der Raab, 796 hörten die A. zu Spanien (Stützpunkt für
eroberte sein Sohn Pippin ihr Hauptlager die span. Amerikaflotten), dann wieder zu
an der Theiß, ihre Reste gingen in den Un- Portugal, heute portug. Provinz.
garn und Slawen auf. Azteken, indian. Eroberer aus der Stam-
Axt, als Waffe (Streitaxt) und Werkzeug mesgruppe der Chichimeken, die Mitte
seit Urzeiten in Gebrauch; im ↑ Mesoli- des 13. Jh. n. Chr. ins Hochtal von Me-
thikum, der Zeit der Bewaldung, Werk- xiko eindrangen, bald schon zur Reichs-
zeug zum Baumfällen und für den Hütten- bildung kamen und eine Kultur eigener
bau; im Neolithikum und in der Bronze- Prägung entfalteten; 1370 siedelten sie
zeit auch als Prunkaxt, Symbol männlicher auf einer Insel im Mexiko-See und grün-
Kraft; polierte, schön geformte Steinäxte deten hier die Stadt Tenochtitlan-Mexiko;
hatten oft kultische Bedeutung (z. B. in Ir- unter erfolgreichen Herrschern Expansion
land); später auch Eisenäxte mit bes. gehär- bis an den Golf von Mexiko, mit Einrich-
teter Schneide, zum Unterschied vom Beil tung von Garnisonsstützpunkten; sie zo-
mit schmalerer Schneide und mit längerem gen reiche Tribute ein zur Verschönerung
Stiel (Verwendung als Hieb- und Wurf- ihrer Hauptstadt (Tempelpyramiden, Pa-
waffe); die steinerne Streitaxt bes. schöner läste, monumentale Bildwerke, bemalte
Form hat der Kultur der mitteleurop. neo- Statuen); Menschenopfer; sie hofften auf
lith. Streitaxtleute den Namen gegeben. die Rückkehr ↑ Quetzalcoatls, des Gottes
Ayub Khan, pakistan. Feldmarschall und der Federschlange; letzter König ↑ Mon-
Politiker, 1907–1974; 1958 Ministerpräsi- tezuma, der dem Spanier Cortés und den
dent, stürzte den Staatspräsidenten Iskan- ihn unterstützenden aufständ. Stämmen
der Mirza und nahm zusätzlich dessen Pos-­ seines Reiches 1619 erlag (↑ Mexiko).

78
Baalbek

Baalbek („Höhe des Tals“), benstufige Tempelturm (Etemenanki, der

B uralte Stadt im Libanon, in


der hellenist. Zeit Heliopolis
genannt, von Augustus zur
röm. Kolonie erhoben; unter Caracalla
Marduk-Hochtempel, ↑ Babylon. Turm),
der Ischtartempel, Stadtburg und Pa-
last Nebukadnezars; mehrmalige Zerstö-
rung, mehrmalige Eroberung; im Perser-
(211–217 n. Chr.) Vollendung des großen reich eine der drei Hauptstädte; 331 von
Tempels des Baal-Helios (= Jupiter); ausge- Alexander d. Gr. erobert und Hauptstadt
dehnte Ruinen erhalten. seines Weltreiches; während der Seleuki-
Babenberger, fränk. Grafengeschlecht, denherrschaft Provinzstadt (Hauptstadt
das seinen Namen von seiner Burg in Bam- wurde Seleukia am Tigris; später Antiochia
berg ableitet; 976 Markgrafen der Ost- in Syrien); 141 Eroberung durch den Par-
mark (Österreich), 1156 Herzöge, 1246 therkönig Mithridates I.; dann langsamer
erloschen; ausgezeichnet durch große Leis- Verfall.
tungen für die südöstl. Kolonisation. Babylonien, griech. Bezeichnung für das
Babenberger Fehde, um die Vormacht- Land in Mittel- und Süd ↑ Mesopotamien
stellung in Franken zw. den Geschlech- zwischen armen. Tauros, syr. und arab.
tern der Babenberger und der rheinfränk. Steppe und Wüste und Pers. Golf, durch-
Konradiner, 902–906; die B. unterlagen, flossen von Euphrat und Tigris, waldloses
Graf Adalbert, ihr Anführer, wurde hinge- Steppenland; Vermittler des Handels zwi-
richtet. schen Indien und Mittelmeer, Mittelpunkt
Babeuf, François Noël, frz. ­Revolutionär, des Levantehandels; dort und von dort
1760–1797; Anhänger des Jakobiner­ter­ ausgehend zahlreiche Staaten- und Reichs-
rors, den er als „Gracchus“ B. in eine kom- gründungen, die zeitweise bis Indien, zum
munist. Revolution (Aufteilung des Bo- Schwarzen Meer, Mittelmeer und zum Nil
dens) überleiten wollte; die von ihm or- übergriffen; im Altertum fruchtbar durch
ganisierte „Verschwörung der Gleichen“ jährliche Schlammablagerungen, Damm-
wurde vorzeitig verraten, B. guillotiniert. und Kanalbauten (schon vor 3500 v. Chr.);
Babur (Baber), Nachkomme ↑ Timurs Einfallsland für zahlreiche Nachbarvölker,
und Dschingis Khans, 1483–1530; be- bes. aus den Wüsten; benannt nach ↑ Ba-
gründete 1526 das Reich der (mohamme- bylon (Babilu, Babel), dem Kultur- und
dan.) ↑ Großmogule in ↑ Indien (Haupt- Kultzentrum Vorderasiens am Euphrat
stadt Agra), verfasste eine wertvolle Auto- (die Babylonier nannten ihr Land Sumer
biografie. und Akkad). In B. bereits im 7. Jt. v. Chr.
Babylon (Babilu, im A. T. Babel), Ruinen­ bäuerliche Kulturen mit Getreideanbau,
stadt an beiden Ufern des mittleren Euph­ Haustieren, Rechteckhäusern (Fundstätte
rat, „Gottespforten; seit 1770 v. Chr. von Qualat Jarmo); seit dem 5. Jt. bemalte Ke-
Bedeutung (↑ Hammurabi), Hauptstadt ramik (Tell Hassuna), um Heilig­tümer ge-
und kultureller Mittelpunkt der Landschaft scharte Siedlungen dörflichen oder stadt-
und des Reiches ↑ Babylonien, vorher seit ähnlichen Charakters; seit etwa 3600
dem 3. Jt. Stadtstaat; unter Hammurabi vorsumerische steinzeitliche Kultur von
wurde der Stadtgott ↑ Marduk Reichsgott; Obeid (nach dem Hügel el-Obed bei Ur):
Umfang der Hammurabistadt noch nicht Aufkommen des Metallgusses und der
ermittelt; durch Ausgrabungen bekannt Töpferscheibe; erste Rechtecktempel aus
die 2600 mal 1500 m große Viereckstadt Ziegeln und Siegelstempel: abgelöst durch
Nebukadnezars II. mit Außen- und Innen- die Uruk-Kultur, deren Träger bereits eine
mauer und 8 Toren: im Viereck der Innen- bedeutende zivilisator. Macht darstellten;
mauer die große Prozessionsstraße, der sie- die Menschen dieser Kultur waren ent-

79
Babylonien

weder die ↑ Sumerer oder sie waren aus 2000 Einbruch semitischer Kanaanäer (in
dem Iran eingewandert, verschmolzen Kleinstaaten Jsin, Larsa, Mari, Eschrunna
mit semit. Nomaden aus den Wüsten und u. a.); das sumer. Volkstum verschwand
schafften gemeinsam die erste Stadtkultur um 1800, seine Kultur wirkte in die Zu-
im südl. Mesopotamien; dieses frühbaby- kunft; Sumerisch blieb als Kultsprache er-
lon. Reich zerfiel, wurde um 3100 v. Chr. halten, Schrift wurde von Nachfolgevöl-
von den Sumerern neu errichtet, die die kern übernommen und wirkte auch auf
zivilisatorischen Errungenschaften der ägypt. ↑ Hieroglyphenschrift ein; Mythen
Uruk-Periode neu belebten und in schöp- wurden weiterentwickelt, Nachwirkung
ferischer Kraft die eigentliche sumerische des Tier- und Dämonenglaubens noch im
Hochkultur begründeten; seit etwa 3000 MA nachweisbar, sexagesimales Zahlensy-
theokrat. Stadtstaaten der Sumerer in Süd- stem noch heute in Stunden- und Krei-
B.; um 3000 Erfindung der ↑ Keilschrift seinteilung lebendig; astrolog. und astro-
mit Silben und Wortzeichen zunächst als nom. Vorstellungen befruchteten babylon.
Handelsschrift. nach 2600 auch in Königs­ Kultastronomie.
inschriften und nach 2000 schon in literar. Um 1890 v. Chr. Begründung der Dynastie
Texten (Hymnen, Klagelieder, Beschwö- von Babylon, ↑ Hammurabi wurde um
rungen); Kultstatuen und Bildreliefs; su- 1770 Herr Babylons und des babylon. Rei-
mer. Tempelbau schon um 3000 (Hoch- ches; Babylon wurde Mittelpunkt; Ham-
tempel auf künstlichen Terrassen, Tem- murabi erhob Stadtgott ↑ Marduk zum
pelmosaike); um 2600 erste Urkunde (In- Reichsgott, der König ist Mittler zwischen
schrift auf einen sumer. ­ Priesterfürsten); ihm und den Menschen; Rechtskodifizie-
um diese Zeit Eindringen semit.-akkad. rung anknüpfend an sumer. Recht (Staats‑,
Nomaden aus der arab. Wüste in den Nor- Wirtschafts-, Familienrecht), gegliederte
den des Landes, das Akkad genannt wurde; Gesellschaft (Freie, Halbfreie, Sklaven),
Städte in Sumer: Eridu, Ur, Larsa, Lagasch, Richter wurden Berufsbeamte, Recht der
Umma, Uruk, Schuruppak, Isis, Nippur, Berufung an den König; Keilschrift wurde
z. T. unter Oberkönigen zu Stadtgemein- offizielle Staatsschrift, das Akkadische
schaften verbunden; in Akkad: Barsig, Ba- Verwaltungssprache; Tempel- und Palast-
bylos, Kisch, Sippar, Kuscha, Opis; Aus- bauten (↑ Babylon. Turm). – Nach Ham-
bildung einer sumer.-akkad. Mischreligion murabi Abfall Süd-B.s und Assurs, Zer-
durch Zusammenfassung der Lokal­götter; bröckelung des Reiches, das von Hethitern
um 2700 sagenhafter König ↑ Gilgamesch vernichtet wurde (um 1595); Eindringen
von Uruk; um 2500 Könige von Ur na- der Kassiten (Kossäer), die durch Pferd
mentlich nachweisbar (1. Dynas­tie mit und Streitwagen überlegen waren und erst
Königsgräbern und ­ Königsinschriften); um 1160 verdrängt wurden; Einbruch der
sumer.-akkad. Reichsgründung zwischen Aramäer, die sich einen Großteil Babylons
Pers. Golf und Mittelmeer durch semit. unterwarfen; seit 850 Einwirken Assyriens
Könige Sargon (um 2370) und Naram- auf B., das aber gewisse Selbständigkeit be-
sin (um 2310) von Akkad, die auch Su- hauptete. Unter ↑ Tiglat Pilesar III. (745–
mer, Elam, Assur und Teile Kleinasiens 727), dem Begründer des neuassyr. Welt-
unterwarfen; um 2200–2100 Fremdherr- reiches, Anschluss Babylons an ↑ Assy-
schaft der Gutäer aus Nord-B.; Wiederer- rien; unter seinen Nachfolgern Aufstände
richtung eines sumer. Reiches (um 2100 der Babylonier; 689 Zerstörung Babylons
durch König von Uruk); Hochblüte der durch Sanherib von Assyrien. Wiederauf-
Kultur unter Gudea (um 2100), Schulgi bau durch Asarhaddon; unter Assurbani-
(um 2070) und ihren Nachfolgern; um pal (669–630) wurde B. assyrische Pro-

80
Bad

vinz. – 626 riss Nabopolassar, Herrscher Babylonisches Reich, ↑ Babylonien.


des seit etwa 850 v. Chr. in Südbabylonien Bachofen, Johann Jakob, Schweizer Rechts-
entstandenen semit.-aramäischen Chal- und Kulturhistoriker, 1815–1887; er er-
däerstaates, die Herrschaft über Babylon forschte Mythen und Symbole der Antike,
an sich, im Bunde mit den Medern ge- Bahnbrecher der vergleichenden Rechts-
lang es dem Kronprinzen ↑ Nebukadnezar, wissenschaft; seine Theorie des ↑ Mutter-
ganz B. und das übrige Assyrerreich unter rechts ist umstritten.
chaldäische Herrschaft zu bringen; unter Bacon, l) B., Roger, engl. Mönch und Ge-
Nebukadnezar II. (604–562) umfasste das lehrter der Scholastik, 1214–1294; „Doc-
„Neubabylon. Reich“ Babylonien, Assy- tor mirabilis“ genannt, führte als einer
rien, Syrien, Palästina (Zerstörung Jeru- der ersten (chem.) Experimente durch,
salems 587 und Deportation der Juden prägte den Begriff des Naturgesetzes, for-
[↑ Babylon. Gefangenschaft]); Nebukad- derte, dass theoretisch deduzierte Ergeb-
nezars Vorbild war Hammurabi, Blüte der nisse experimentell nachgewiesen werden
chaldäischen Sternkunde und Astralreli- müssen; wegen seiner Zweifel an der Au-
gion; Bau des neuen Palastes, des neuen torität des Aristoteles zehnjährige Gefan-
Marduktempels, des Ischtartores. Unter genschaft in Paris. 2) B., Francis (Baco
seinen Nachfolgern Kampf der Herrscher von Verulam), engl. Philosoph und Staats-
mit der Marduk-Priesterschaft und gegen mann, 1561–1626; 1618 Lordkanzler, be-
die vordringenden Perser, die seit 550 im gründete im Kampf gegen die Scholastik
Osten eine Großmacht errichtet hatten; die engl. Aufklärungsphilosophie und die
539 eroberte der Perserkönig ↑ Kyros II. empir. naturwiss. Betrachtung; lehrte als
Babylon; B. war bis in die Alexanderzeit Zweck der Wissenschaft die Beherrschung
Provinz des Reiches der ↑ Perser. und Dienstbarmachung der Natur („Wis-
Babylonische Gefangenschaft: 1) der Ju- sen ist Macht“).
den: Wegführung nach Babylonien durch Bad, schon früh vor allem bei orienta-
Nebukadnezar II. nach den Zerstörungen lischen Völkern (Ägypten, Induskultur,
Jerusalems (598 Eroberung Jerusalems, Kreta), vielfach durch Religionsgesetze
Wegführung des Königs Jojachin nach Ba- geregelt (bes. bei Juden und Mohamme-
bylonien; nach der Erhebung des Königs danern); die Pythagoräer schrieben kalte
Zedekia 2. Eroberung und Zerstörung Je- Bäder zu allen Jahrezeiten vor, die Hel-
rusalems durch Nebukadnezar 587); Be- lenen badeten warm in den Gymnasien,
freiung durch Kyros II. 536 v. Chr. und die Römer brachten das Badewesen bes.
Rückwanderung; Propheten in der Zeit durch den Bau von ↑ Thermen zur Blüte,
des Exils: Ezechiel (Hesekiel) und der sie kannten großzügige Seebäder (z. B.
zweite Jesaja. 2) der Kirche: Zeit des von Bajä); Gallier und Germanen hatten ge-
Frankreich erzwungenen päpstlichen Exils heiligte Quellen für Keilbäder; Karl d. Gr.
in Avignon 1309–1376. förderte das Baden (Aachen); Klöster und
Babylonischer Turm, nach dem Vorbild Städte errichteten öffentliche Bäder (Holz-
der sumer. Zikkurats (Tempeltürme) er- wannen und Bottiche), nach den Kreuz-
richteter Hochtempel in Babylon, mehr- zügen riss im Badewesen Sittenverderb-
mals erneuert, um 600 v. Chr. durch Ne- nis ein, Badestuben wurden vielfach von
bukadnezar II. in der Größe 90 mal 90 mal Gauklern, Spielern und Scharlatanen be-
90 m in sieben Stufen erneuert; in der völkert und gaben Anlass zu Ansteckung
Höhe das „Gemach der Vermählung“ und Kurpfuscherei; an den Fürstenhöfen
Marduks mit der Oberpriesterin; der Turm des Barock und des Rokoko waren Voll-
von Alexander d. Gr. niedergelegt. bäder unbekannt (daher der große Ver-

81
Badari-Periode

brauch von Parfüm und Puder), erst die deshauptstadt Stuttgart; Landesfarben
Aufklärung und hygienische Bestrebungen Schwarz-Gold. 1970 wurde in einer Volks-
im 19. Jh. brachten das Baden wieder zu abstimmung im Landesteil Baden der Be-
Ehren; Freibaden erst seit dem Beginn des stand des Landes B.-W. bestätigt.
20. Jh. in der heutigen Form. Badoglio, Pietro, ital. Marschall und Po-
Badari-Periode, vorgeschichtliche Kultur- litiker, 1871–1956; 1935 Eroberer Abessi­
periode in Oberägypten, 4. Jt. v. Chr., be- niens, seit 1919 mehrmals Generalstabs-
nannt nach dem Fundort Badari; Kupfer- chef, 1940 abgesetzt; stürzte 1943 ↑ Mus-
Stein-Zeit, Viehzucht, Ackerbau. solini, schloss den Waffenstillstand mit den
Baden, aus verschiedenen Lehen des ehe- Alliierten ab, bis 1944 ­Ministerpräsident.
maligen Herzogtums Schwaben entstan- Baeck, Leo, jüd. Theologe, 1873–1956;
dene Markgrafschaft (1112) der Zährin- seit 1912 Rabbiner in Berlin und Dozent
ger, nach der Burg B. benannt; 1535 in an der Hochschule für die Wissenschaft
B.-Baden (seit 1689 Residenz Rastatt) und des Judentums; seit 1933 Präsident der
B.-Durlach geteilt (seit 1715 Hauptstadt Reichsvertretung der dt. Juden; nach viel-
Karlsruhe); 1771 durch Markgraf Karl fältigen Schikanen und Gestapo-Verhören
Friedrich wieder vereinigt, 1803 und 1810 1943 nach Theresienstadt deportiert. B.
erheblich erweitert, Karl Friedrich 1803– erlebte die Befreiung 1945 und versuchte
1806 Kurfürst, 1806 Großherzog; libe- nach dem Krieg von London aus die geris-
rale Landesverfassung 1818; 1835 im Dt. senen Fäden des dt.-jüd. Dialogs neu zu
Zollverein; unter Großherzog Friedrich I. knüpfen (B.-Institut 1954 gegr.).
(1852–1907) Eingliederung ins Dt. Reich; Baeyer, Adolf Ritter von, dt. Chemiker
1918 verzichtete Großherzog Friedrich II. 1835–1917; ermittelte 1883 die Struktur-
auf den Thron; 1919 wurde B. Freistaat formel des Indigos (Voraussetzung für die
mit Verfassung; 1945 nördl. Teil zur ame- künstliche Farbenherstellung); synthet.
rikan. (zum Land Württemberg-B.), südl. Indigo seit 1897 im Handel.
Teil zur frz. Besatzungszone (Land B.); Baffin, William, engl. Seefahrer, 1584–
beide Teile kamen 1952 zum Bundesland 1622; entdeckte auf der Suche nach der
↑ B.-Württemberg. Nordwestpassage das arktische Amerika;
Badeni, Kasimir Graf, österr. Staatsmann, nach ihm B.-Bai und B.-Land in der Ark-
1846–1909; aus galizischem Adel, ent- tis benannt.
fesselte als Ministerpräsident 1895–1897 Bagauden, gallische Bauern, empörten
durch seine Sprachverordnung für Böh- sich unter Diokletian 283 n. Chr. gegen
men und Mähren einen erbitterten Spra- die Großgrundbesitzer, riefen ihre Anfüh-
chenkampf, bes. in Böhmen. rer zu Kaisern aus; 285/86 unterworfen.
Baden-Powell, Sir Robert, engl. Gene- Bagdad, Stadt am Tigris, 762 n. Chr. von
ral, 1857–1941; verteidigte im Burenkrieg den ↑ Abbasiden als Reichshauptstadt ge-
Mafeking; gründete 1907 die Boy Scouts. gründet mit Hochschule des Islam, glanz-
Baden-Württemberg, dt. Bundesstaat, volle Residenz der Kalifen bis zur Erobe-
1952 aufgrund einer nach dem Neuglie- rung durch die Mongolen 1258; dann per-
derungsgesetz des Bundes angeordneten sisch oder türkisch; 1638–1917 türkisch;
Volksabstimmung (nur Süd-B. stimmte seit 1920 Hauptstadt des ↑ Irak.
für eigenes Land B.) aus den Ländern Bagdadbahn, im Anschluss an die Ana-
Württem­berg-B., Baden, Württemberg- tol. Bahn von Konia über Bagdad nach
Hohenzollern gebildet; 1952 Verfassung- Basra, stellt die Verbindung zw. dem Bos­
gebende Landesversammlung (zugleich porus und dem Persischen Meerbusen
Landtag) und Regierungsbildung; Lan- her; 2 430 km lang, 1903 begonnen, 1940

82
Bakunin

vollendet; die führende Beteiligung dt. Bajä, am Golf von Neapel, Luxusbad der
Kapitals (1899 türk. Konzession für Dt. Römer; Caligula baute über den Golf von
Bank) im Rahmen der dt. Wirtschaftsex- B. eine vielbewunderte Schiffsbrücke.
pansion und Balkanpolitik erweckte das Bajasid, türkische Sultane: 1) B. I. (1389
Misstrauen Russlands und Englands und bis 1403); erweiterte das Osmanischen
verschärfte die internat. Lage vor dem Reich um Bulgarien, Walachei und Dobru-
1. Weltkrieg. dscha; siegte 1396 bei Nikopolis über das
Bagdadpakt, bis 1959 (Austritt des Irak) Kreuzheer der Ungarn, unterlag 1402 Ti-
Name für den Nahost-Pakt; 1955 geschlos- mur bei Angora und starb in Gefangen-
sener Beistandspakt zwischen Türkei, Irak, schaft. 2) B. II. (1481–1512); kämpfte
Großbritannien, Iran, Pakistan, unter Rü- gegen Ungarn, Polen, Venedig, Ägypten,
ckendeckung durch die USA; dagegen musste zugunsten seines Sohnes Selim I.
richtete sich das Bündnissystem der Ver- abdanken.
einigten Arab. Republik (seit 1961 ohne Bajonett, Stichwaffe (Seitengewehr), die
Syrien) und Saudi-Arabiens; seit 1959 auf das Gewehr aufgesteckt wird und die
neuer Name ↑ Central Treaty Organiza- Pike ersetzt; nach der frz. Stadt Bayonne
tion (CENTO-Pakt). benannt, unter Ludwig XIV. in der frz. Ar-
Bahamas, in Westindien nördlich der mee eingeführt; zur besseren Verteidigung
Großen Antillen, von Kolumbus entdeckte der Infanterie gegen Kavallerie­attacken,
Inselgruppe (1492); ehemals englisch, auch bei Sturmangriffen verwendet.
dann von ↑ Flibustiern besetzt (1673); Bajuwaren, ↑ Bayern.
1717 wieder englisch, 1940 errichteten Baktrien, Landschaft nördl. des Hindu-
die USA militär. Stützpunkt. 1964 erließ kusch, unter Kyros II. 550 v. Chr. Satrapie
die brit. Regierung eine Verfassung mit er- des Perserreiches mit der Hauptstadt Bak-
weiterter Autonomie, seit 1973 volle Un- tra (Balch, eine der ältesten Städte Asiens);
abhängigkeit. nach kurzer Zugehörigkeit zum Alexander­
Bahrain, Emirat im Pers. Golf, gegr. 1783. reich (329–323 v. Chr.) selbständiges hel-
Durch Entdeckung der Erdöllagerstät- len.-baktr. Reich 250–150 v. Chr.; im
ten 1932 wurde B. zum wichtigsten brit. 2. Jh. v. Chr. Eindringen der Saken aus Tu-
Stützpunkt im Pers. Golf. Seit 1971 ist B. ran, um 140 v. Chr. Unterwerfung durch
unabhängig und Mitglied der Föderation die Yüe-tschi aus Ost-China; im 7. Jh. ara-
↑ Vereinigte Arabische Emirate. bisch, seit dem 10. Jh. wechselnd unter
Baibars, ägypt. Sultan der Mamelucken mongol. und türk. Dynastien, seit 1841
(1260–1277); ermordete seinen Vorgän- zu Afghanistan.
ger, schlug 1259 die Mongolen zurück, Baku, Hafenstadt am Kasp. Meer in Kau-
eroberte 1268 Antiochia und 1270 Jeru- kasien, im Altertum bekannt durch die
salem; eine der kraftvollsten Herrscherge- brennenden Erdgasquellen („Heilige Feuer
stalten des Islam (Moschee in Kairo). von B.“); 1723 russisch, 1735 persisch,
Bailly, Jean Silvain, frz. Politiker und As- seit 1806 wieder russisch; Hauptstadt von
tronom, 1736–1793; einer der Führer der Aserbeidschan.
↑ Feuillants, guillotiniert. Bakunin, Michail Alexandrowitsch, russ.
Bainville, Jacques, frz. Historiker und Po- Revolutionär, bedeutendster Vertreter des
litiker, 1879–1936; extremer Nationalist, ↑ Anarchismus, 1814–1876; Sohn eines
führendes Mitglied der Action Française, Adligen, urspr. Offizier, ging nach Westeu-
erklärte die Zerstückelung Deutschlands ropa, beteiligte sich 1849 am Aufstand in
nach dem Vorbild des Westfäl. Friedens Dresden, gründete 1864 die Inter­nationale
zum Ideal der frz. Politik. Sozialdemokrat. Allianz, schloss sich 1868

83
Balance of Power

der I. Internationale an. B. verband Pan- Baldwin, Stanley, brit. Staatsmann, 1867–
slawismus und Internationalismus, Sozi- 1947; Führer der Konservativen, 1923/24,
alismus und Anarchismus, revolutionäre 1924–1929 und 1935–1937 Premiermini-
Mystik und rationalistische Philosophie, ster, führte England 1936/1937 mit Ge-
er forderte die Revolution in Permanenz; schick durch die Thronkrise (Abdankung
die anarchosyndikalistische Bewegung in Eduards VIII.).
den roman. Ländern sah in ihm, nicht in Balearen, Inselgruppe im westl. Mittel-
Marx, den führenden Denker des ↑ Sozi- meer; in der Antike waren ihre Bewohner
alismus. als vorzügliche Steinschleuderer begehrte
Balance of Power (engl., Gleichgewicht Söldner; vor 300 v. Chr. Sitz karthag. Fak-
der Macht), ↑ Gleichgewicht. toreien, 122 v. Chr. römisch, 425 n. Chr.
Balbo, Italo, ital. Luftmarschall, 1896– vandalisch, 534 byzantinisch, später frän-
1940; beim faschist. Marsch auf Rom ei- kisch, 798 arabisch; 1229 von Aragon er-
ner der führenden „Vier Männer“, 1929 obert, 1276–1348 eigenes Königreich
Minister der Luftfahrt, 1933 Statthalter Mallorca, seitdem zu Spanien (Menorca
von Libyen, Erbauer der Via Balbia; über 1708–1782 britisch).
Tobruk abgeschossen. Balfour, Arthur James, Earl, brit. Staats-
Balboa, Vasco Núñez de, span. Konquis­ mann, 1848–1930; konservativer Minister­
tador, 1475–1519; entdeckte 1513 nach präsident 1902–1907, Außenminister
Durchquerung des Isthmus von Panama 1916–1919; gestand dem jüdischen Volk
den Stillen Ozean von Osten her („Süd- Staatsgründung in Palästina zu (↑ B.-De-
see“). klaration); bemühte sich um die Formu-
Balduin, Name von Herrschern. König lierung der staatsrechtlichen Stellung der
von Jerusalem: 1) B. 1. (1100–1118); Bru- Dominien im brit. Reichsverband (Reichs-
der Gottfrieds von Bouillon, nahm als des- konferenz 1926).
sen Nachfolger den Königstitel an. – Lat. Balfour-Deklaration, die vom brit. Außen-
Kaiser von Byzanz: 2) B. I., Graf von minister B. 1917 abgegebene Erklärung,
Flandern, begründete als einer der Füh- dass England die zionist. Bestrebungen
rer des 4. Kreuzzuges 1204 das lat. Kaiser- zur Errichtung eines Nationalheims für
tum von Byzanz, von den Bulgaren gefan- das jüd. Volk in Palästina fördern werde;
gen genommen, starb 1205. 3) B. II., Graf die B. D. in Form eines Briefes Balfours
von Courtenay, letzter lat. Kaiser (1228– an Lord Rothschild, den Vorsitzenden der
1261). engl. Zionisten, sollte die Juden der Welt
Balduin von Luxemburg, Erzbischof von für die Alliierten gewinnen; sie wurde in
Trier (1307–1354), Bruder Kaiser Hein- den Vertrag von Sèvres und in das brit.
richs VII., von bedeutendem Einfluss auf Mandat für Palästina aufgenommen.
die Reichspolitik („Königsmacher“); auf Balk, Hermann, erster Landmeister des
dem Kurverein zu Rhense (1338); auf den Dt. Ordens (seit 1230) in Preußen, gest.
Reichstagen zu Frankfurt 1338 und 1339 1239; eroberte im Auftrag des Hoch-
und auf dem Reichstag zu Koblenz Ver- meis­ters Hermann von Salza Kulmerland
fechter der Rechtswirkung der Königswahl und Ermland, gründete Thorn, Kulm, El-
durch die Kurfürsten, Verteidigung der bing, Marienwerder.
Reichsrechte gegen die Kurie, doch zwi- Balkan, Balkanhalbinsel, polit.-histor.
schen Kurie und Kaiser vermittelnd; B. Bez. seit dem 19. Jh.; im ↑ Neolithikum
ließ den Römerzug Heinrichs VII. in einer wirkten sich im Raum des Balkans vor
noch erhaltenen Pracht-Bilderchronik ver- allem die ↑ Lausitzer und die ↑ Urnenfel-
herrlichen („Balduineum“). derkultur aus, deren Ausstrahlungen bis in

84
Ballai

die Ägäis reichten; die indogerman. Kultur größere Teil des B. in die Machtsphäre der
prägte die Kultur des frühen ↑ Griechen- Sowjetunion, der sich jedoch später das
lands; über den B. führte im 3. Jh. der Weg kommunistische ↑ Jugoslawien, Albanien
der ↑ Kelten; der B. war infolge seiner ge- und Griechenland entzogen; der griech.
birgigen Struktur seit je für eine polit. Zu- Bürgerkrieg gab den Anstoß zur ↑ Tru-
sammenfassung wenig geeignet; erster Ver- mandoktrin (1947).
such einer polit. Gestaltung durch Alexan- Balkanbund, 1912 errichtetes System von
der d. Gr. und durch die Römer, durch sie vier zweiseitigen Kriegsbündnisverträgen
Einteilung in Provinzen: Illyrien, unterteilt zw. Bulgarien und Serbien bzw. Griechen-
in Dalmatien, Pannonien (etwa Ungarn) land, Montenegro und Bulgarien bzw.
und Mösien (Nordbulgarien); Thrakien, Serbien zur Beseitigung der osman. Herr-
Dakien (etwa Rumänien); Makedonien, schaft auf dem Balkan.
Epirus (etwa Albanien) und Achaia (Grie- Balkankriege, 1912 von den verbündeten
chenland); im MA kämpften Byzanz, Ser- Balkanstaaten mit dem Ziel begonnen, die
ben und Bulgaren und von der Küste aus europ. Türkei unter sich aufzuteilen, be-
Venedig um die Vormacht; im 14./15. Jh. günstigt von Russland, das die Herrschaft
machten sich die Türken zu Herren des über den Bosporus anstrebte. – Erster B.
ganzen Balkans, seit ihrer Niederlage vor 1912/13: Der Balkanbund (Serbien, Bul-
Wien mussten sie im NW vor Öster- garien, Griechenland und Montenegro)
reich zurückweichen; von NO drang seit warf die Türken bis auf die Tschataldscha-
1768 Russland vor; im l9. Jh. wurde der linie (östl. Adrianopel) zurück und erhielt
B. durch den inneren und äußeren Verfall die eroberten Gebiete im Londoner Frie-
des Osman. Reiches, die nationalen Un- den zugesprochen. Zweiter B. 1913: Im
abhängigkeitsbewegungen der B.-Völker, Streit um die Beute griff Bulgarien Serbien
die Interessenkonflikte der Großmächte an und wurde von diesem im Bunde mit
und auch durch die religiösen Gegensätze Griechenland und Rumänien geschlagen;
(röm.-kath. Kirche und griech.-orthodoxe die Türken eroberten Adrianopel zurück;
Kirche; Christen und Mohammedaner) im Frieden von Bukarest kam Mazedonien
zum polit. Wetterwinkel („Pulverfass“) Eu- zu Serbien, die Dobrudscha zu Rumänien,
ropas; nach dem russ.-türk. Krieg auf dem Saloniki und Kreta zu Griechenland.
↑ Berliner Kongress (1878) Neuordnung Balkanpakt, Vertrag von Ankara, Freund-
der Verhältnisse; am verderblichsten wirk- schaftsvertrag der Länder Türkei, Grie-
ten sich die österr.-russ. Rivalität, die Geg- chenland, Jugoslawien (seit 1953), von
nerschaft zwischen Österreich und Serbien den USA und Großbritannien gefördert
und der Streit um Mazedonien aus; die (militär., wirtsch. und kulturelle Zusam-
Türkei wurde bis 1913 trotz des Wider- menarbeit); 1954 durch Vertrag von Bled
standes und dir Reformen der Jungtürken zum Abwehrbündnis (auf 20 Jahre) erwei-
fast völlig vom B. verdrängt. 1914 ent- tert, verlor seit 1955 an Bedeutung, bereits
zündete sich der 1. Weltkrieg auf dem B. 1958 von Jugoslawien als nichtig bezeich-
(Attentat von ↑ Sarajevo), er brachte keine net. Er besteht infolge des griechisch-tür-
Lösung der B.-Probleme (seit 1919 Revisi- kischen Dauerkonflikts um die Vorherr-
onsansprüche Bulgariens). Im 2. Weltkrieg schaft in der Ägäis (Zypern) und der Auf-
versuchte Churchill, die „Zweite Front“ lösung Jugoslawiens und der UdSSR nur
auf dem B. zu errichten, um von da aus noch auf dem Papier.
Verbindung mit Sowjetrussland zu fin- Ballei, Verwaltungsprovinz in den Ritter-
den und die deutsche Ostfront aufzurol- orden der Templer, Deutschherren und
len, drang aber nicht durch; so kam der Johanniter, geleitet von einem Bailli (Ba-

85
Ballenstedt

livus), bei den Johannitern in Priorate, bei net (Auswanderungsbewegung); 1939/40


den übrigen Ritterorden in Kommenden und seit dem 2. Weltkrieg Aus- und Um-
oder Komtureien unterteilt. siedlungsaktionen.
Ballenstedt, Schlossburg und Siedlung in Balthen (got., die Kühnen), westgot. Herr-
Anhalt (7. Jh.), ältester Besitz der Aska- schergeschlecht, das mit ↑ Alarich I. um 400
nier; seit 1512 Stadt. begann und mit Amalarich 531 endete.
Ballhausplatz in Wien, nach dem dort Baltikum, Sammelbez. für die ehemals
gelegenen österr. Außenministerium. Bez. russ. Ostseeprovinzen Livland, Estland
auch für das Außenministerium selbst (wie und Kurland; nach dem 1. Weltkrieg selb-
Wilhelmstraße für das dt., Quai d’Orsay ständige Republiken Estland, Lettland
für das frz. und Downing Street für das und Litauen, 1940 infolge des Hitler-Sta-
brit. Außenministerium). lin-Paktes der Sowjetunion als Sowjetre-
Ballhausschwur, geleistet 1789 von den publiken eingegliedert, 1991 nach dem
Abgeordneten des 3. Standes der frz. Na- Zusammenbruch der UdSSR unabhän-
tionalversammlung im Ballhaus von Ver- gige Staaten. B.-Truppen: die dt. Freiwil-
sailles; Vereinbarung, nicht eher ausei- ligenverbände, die nach dem 1. Weltkrieg
nander zu gehen, bevor die Versammlung bes. in Lettland gegen die Bolschewisten
Frankreich eine konstitutionelle Verfas- kämpften und auf Befehl der Alliierten zu-
sung gegeben habe. rückgezogen werden mussten.
Ballen, Albert, Generaldirektor der Ham- Baltische Staaten, ↑ Estland, Lettland,
burg-Amerika-Linie (Hapag), 1857–1918; Litauen.
einflussreicher Wirtschaftspolitiker der Ära Bamberg: Stadt B., erbaut im Anschluss
Wilhelms II., mit dem Kaiser befreundet; an Burg Babenberg der Babenberger Gra-
um den dt.-brit. Ausgleich bemüht, entwi- fen, als Ort 902 erstmals genannt; nach
ckelte die Hapag in 15 Jahren zur größten dem Untergang der Babenberger in der
Reederei der Welt. ↑ Babenberger Fehde 902 Reichsbesitz,
Balliste, armbrustartiges, in der Antike später durch Schenkung an die Bayern-
und im MA zu Belagerungszwecken ver- herzöge; König Heinrich II. gründete den
wendetes Wurfgeschütz. Dom (1012 geweiht, zweimal abgebrannt,
Balten, den Slawen verwandte indoger- heutiger Bau 1237 geweiht); berühmte
man. Völkergruppe (Letten, Litauer, Li- Plastiken, Gräber Papst Clemens’ II.,
ven, Altpreußen und Kuren; die Esten Heinrich II. und seiner Gemahlin Kuni-
und Liven gehören zu den finn.-ugrischen gunde; auf dem Domhügel Alte und Neue
Völkern) in den Randgebieten der Ostsee Hofhaltung, Neue Residenz und Dom-
südl. des Finn. Meerbusens; im MA vom herrenbezirk, auf dem Michaelsberg das
Dt. Orden christianisiert, dann wirtsch. von Heinrich II. gegr. Benediktinerkloster;
von der Hanse beeinflusst; gleichzeitig dt. Hoftage in B. 1035, 1050 und 1122; Ver-
Einwanderung. – Später Bezeichnung für fassungsstreit zw. Bischof und Bürgerschaft
die dt. Einwohner der genannten Gebiete, im 15./16. Jh., Zerstörungen im 30-jäh-
die zur polit. und kulturell führenden rigen und 7-jährigen Krieg; zahlreiche ba-
Oberschicht geworden waren; die Dt.- rocke Neubauten; B. kam 1802 zu Bayern,
B. spielten in Staat und Heer des zarist. 1919 Sitz der vor dem Räte­terror aus
Russlands eine bedeutende Rolle, muss- München geflüchteten bayer. Regierung.
ten sich aber schon vor dem 1. Weltkrieg Verkündung der „Bamberger Verfassung“
der Russifizierungspolitik erwehren; nach (bis 1933 in Kraft). – Bistum B., von
dem 1. Weltkrieg wurden sie von den jun- Heinrich II. aus Teilen der Bistümer Eich-
gen balt. Republiken größtenteils enteig- stätt und Würzburg zur Missionierung der

86
Bandungskonferenz

Slawen gestiftet, mit reichem Grundbe- schen (Banater Schwaben) neu besiedelt;
sitz (bes. in Kärnten); der zweite Bischof der nördl. Teil 1779 mit Ungarn verei-
Suidger wurde 1046 Papst Clemens II.; nigt, der südl. seit 1872 (Magyarisierung);
der achte Bischof, Otto von Bamberg (hl.), 1920 im Vertrag von Trianon zw. Rumä-
christianisierte auf zwei Missionsreisen nien, Jugoslawien und Ungarn aufgeteilt;
Pommern („Apostel der Pommern“); seit die B.er Schwaben Jugoslawiens flüchteten
der Mitte des 13. Jh. Fürstbischöfe; bedeu- z. T. 1944 mit den abziehenden dt. Trup-
tend Bischof Georg III. (1505–1522), Rat- pen, der verbleibende Teil wurde von den
geber Maximilians I., Wortführer auf dem Tito-Partisanen in Vernichtungslager ge-
Reichstag zu Augsburg 1518; 1648 Grün- bracht, die meisten Überlebenden kamen
dung der Akademie, seit 1773 Universi- seit 1949 nach Österreich und in die Bun-
tät (bis 1804); Fürstbischof Lothar Franz desrepublik; ein ähnl. Schicksal (mit ge-
von Schönborn (1693–1729) erbaute die ringeren Opfern) traf die B.er Schwaben
Neue Residenz und die Schlösser Pom- Rumäniens.
mersfelden und Gaibach; 1802 Säkulari- Bancroft, George, nordamerik. Diplomat
sierung des Hochstifts und Vereinigung und Historiker, 1800–1891; schloss als
mit Bayern; 1817 wieder Erzbistum mit Gesandter in Berlin 1867–1874 die B.-
verändertem und erweitertem Sprengel. Verträge über die dt. Auswanderung nach
Bamberger, Ludwig, dt. Politiker, 1823– den USA (wechselseitige Anerkennung der
1899; als Teilnehmer an der 1848er Re- Staatsangehörigkeit).
volution 1849–1866 im Exil, Bankier, Banderanaike, Sirimavo, ceylones. Politi-
führender Nationalliberaler, Autorität in kerin, 1916–2000; übernahm anstelle ihres
Wirtschaftsfragen, verteidigte die Gold- 1959 ermordeten Mannes Solomon B.
währung und die Gewerbefreiheit; 1880 (Premierminister 1956–59) die Führung
spaltete er die Nationalliberalen (Sezes- der sozialist. „Sri Lanka Freedom Party“,
sion) und gründete 1884 mit der Dt. 1960–65 Premierministerin, führte ein
Fortschrittspartei die Dt. Freisinnige P.; umfangreiches Verstaatlichungsprogramm
zunächst finanzpolit. Berater Bismarcks, durch; 1970–77 und 1994–2000 erneut
wandte sich später gegen dessen Schutz- Premierministerin.
zoll-, Kolonial-, und Sozialpolitik; Ver- Bandkeramik, vorgeschichtl. Kulturkreis
trauter Friedrichs III. der Jungsteinzeit; um 4000/3 000 v. Chr.
Bambergische Halsgerichtsordnung, im Donaugebiet (bäuerliche ↑ Donaukul-
Strafgerichtsordnung vom Jahre 1507; tur), erst auf Süddeutschland, Böhmen,
verfasst von Joh. von Schwarzenberg für Mähren, Ostpolen, später auch nach Wes-
das Fürstbistum Bamberg, Vorbild für die ten hin übergreifend (Ackerbau, Vieh-
Peinliche Gerichtsordnung Karls V. von zucht und Jagd treibende Gruppen); be-
1532 (↑ Carolina). nannt nach den bandähnlichen Mustern
Banat, urspr. alle militär., durch einen Ban (runde und eckige Spirallinien), mit denen
(Grenzbefehlshaber) verwalteten Grenz- die Gefäße geschmückt sind (zum Unter-
provinzen Ungarns, später nur die Land- schied von der ↑ Schnurkeramik).
schaft zwischen Marosch, Theiß, Donau Bandmänner (Ribbon Society), Geheim-
und Karpaten (Temesburger B.), wurde bund irischer Pächter gegen engl. Groß-
zus. mit Ungarn im 15. und 16. Jh. tür- grundbesitz, um 1817 gegründet; Abzei-
kisch, 1718 durch den Frieden von Passa- chen: bunte Bänder.
rowitz wieder österreichisch; unter Maria Bandungkonferenz, 1955, Treffen der
Theresia und Joseph II. mit Magyaren, Ser- Regierungschefs bzw. Außenminister von
ben, Rumänen, vor allem aber mit Deut- 24 asiat. und afrikan. Staaten in der indo-

87
Banér

nesische Stadt Bandung (nicht anwesend ler (meist Juden, weil Zinsnehmen den
Israel und Südafrikan. Union); Kampf ge- Christen im MA verboten); Ägypter, Grie-
gen Atomaufrüstung, Rassendiskriminie- chen und Römer kannten bereits bank­
rung, Kolonialimperialismus, Ausrichtung ähnliche Funktionen; das Bankwesen im
auf gemeinsames Handeln unter Bejahung heutigen Sinne mit Geldaufbewahrung,
der Grundsätze der UN (asiat.-afrikan. bargeldloser Überweisung, Kreditvermitt-
Bewegung). lung und Finanzierung begann mit dem
Banér, Johan, schwed. Feldherr im 30- Wiederaufkommen der Geldwirtschaft
jährigen Krieg, 1596–1641; nach Gustav im 13./14. Jh. (risiko- und gewinnreicher
Adolfs Tod (↑ Lützen 1632) Oberbefehls- Fernhandel, belebt durch die Kreuzzüge;
haber des schwed. Heeres in Deutschland, schließlich steigender Geldbedarf der
Sieger von Wittstock 1636 über die Kai- Fürsten; internationales Finanzwesen der
serlichen. Kurie), v. a in Italien (Heimat des Früh-
Bangladesch, Volksrepublik in Südasien, kapitalismus). „Lombarden“ = ­ Bankiers
bis 1971 östl. Landesteil von ↑ Pakistan. der reichen oberital. Handelsstädte; da-
Die Absicht Mujibur ↑ Rahmans, nach her vielfach noch heute ital. Fachausdrü-
dem Wahlsieg der Awami-Liga die volle cke im Bankwesen; Groß-Bankiers in der
Kontrolle über Ostpakistan zu überneh- frühen Neuzeit die Fugger und Welser in
men, und die Intervention westpakistan. Augsburg; die wichtigsten Kreditinstitute
Truppen führten zum Ausbruch des Se- firmierten wegen des kanon. Zinsverbotes
zessionskrieges und zur Unabhängigkeits- zunächst als Wohlfahrtseinrichtungen,
erklärung von B. 1971. Ministerpräsident Pfandanstalten („Montes pietatis“ – Berge
M. Rahman fiel 1975 einem Putsch zum der Frömmigkeit); seit Ende des 16. Jh.
Opfer. Unter Ziaur Rahman Militärre- übernahmen die großen Handelsstädte die
gierung bis 1978, Aufhebung des Kriegs- Regulierung des Geldumlaufs und orga-
rechts 1979. Ziuur Rahman, inzwischen nisierten die Kreditwirtschaft; Gründung
Präsident, wurde 1981 ermordet. Seit öffentl. Banken: 1407 St.-Georgs-Bank
1982 wieder Militärregierung unter H. M. in Genua, 1619 Venedig, 1609 Amster-
Ershad, 1986 wurde die Verfassung wieder dam, 1619 Hamburg, 1621 Nürnberg;
eingesetzt, 1988 der Islam zur Staatsreli- erste Großbank: B. von England 1694;
gion erklärt. Seit der Verfassungsreform in Deutschland erst 2. Hälfte des 19. Jh.
1991 hat Bangladesch wieder eine funk- (Darmstädter, Dt. B.); erste Notenbank
tionierende parlamentarische Demokratie 1716 in Frankreich gegr. von ↑ Law.
(nach der Verfassung von 1972 herrschte Batiks, Sir Joseph, brit. Naturforscher
eine präsidiale Republik), 1996 –2001 und Geograf, 1743–1820; 1769–1771
Premierministerin Hasina Wajed, seither mit Cook auf Weltreise, Erforscher Is-
Khaleda Zia. – Bangladesch war und ist lands, 1788 Begründer der „Afrikan. Ge-
trotz umfangreicher ausländischer Ent- sellschaft“.
wicklungshilfe nach wie vor eines der Bann, im MA das Recht des Königs, dann
ärmsten Länder der Welt; Korruption, auch der vom König beauftragten Grafen,
eine desolate Wirtschaftslage, die sich in einem Bezirk bei Strafe etwas zu gebie-
ständig wiederholenden Umweltkatastro- ten oder zu verbieten; auch das Verbot
phen und das starke Bevölkerungswachs- oder Gebot oder die Strafe selbst; schließ-
tum verhindern, dass sich die Lage für die lich das Gebiet, das unter der Gewalt des
Bevölkerung wesentlich verbessert. B.-Herrn stand (Blut-, Burg-, Wild-, Kö-
Banken, benannt nach den Banken (ita- nigs-, Heerbann usw.). – Beim Kirchen-
lien. banca = Tisch) der Münzwechs- bann, in bes. schweren Fällen durch päpst-

88
Barclay de Tolly

liche Bulle verhängt, wird unterschieden Bar (Le Barrois), Landschaft und ehemals
der „Kleine“ und „Große B.“ (lat. Excom- Grafschaft, seit 1355 Herzogtum, in Frank­
municatio minor und major oder Ana- reich beiderseits der oberen Maas, kam
thema); der Kleine B. schloss von den Sa- 1431 zu Lothringen, mit diesem 1766 an
kramenten und kirchlichen Ämtern aus, Frankreich.
der Große B. stieß aus jeder christlichen Barbados, Antilleninsel nordöstlich von
Gemeinschaft, dem bürgerlichen Verkehr Trinidad; 1519 von Spaniern entdeckt,
und Recht aus. seit 1625 englisch, im 17. und 18. Jh. Mit-
Banner, im MA rechteckige Fahne der telpunkt des Sklavenhandels. Seit 1966
Bannerherren (des Landes- oder höheren ist B. Commonwealth-Mitglied, weiter-
Lehnsherrn) mit dem Wappenbild; Städte hin auf wirtschaftliche Unterstützung des
führten ihr B. oft auf einem B.-Wagen; B. Mutterlandes angewiesen.
zum Unterschied von der einfachen Fahne Barbaren, Bezeichnung der Griechen für
an einem Querbalken befestigt. alle nicht Griechisch Sprechenden, seit
Bannforst (Bannwald) und Banngewässer, den Perserkriegen mit einem Beiklang der
vom König kraft seines Wildbannrechtes Geringschätzung (Mangel an Bildung); für
abgegrenztes Gebiet, dessen Nutzung er die Römer alle Fremden und (vom röm.
sich zu Jagd oder Fischfang vorbehielt Standpunkt) Unzivilisierten, besonders
oder als Privileg vergab; seit Heinrich IV. die Germanen.
wurde (wenn es sich nicht um königlichen Barbarossa, 1) Emir von Algier, ↑ Chaired-
Grundbesitz handelte) dem betroffenen din. 2) Bezeichnung für ↑ Friedrich I.
privaten Grundbesitzer ein Mitnutzungs- Barberini, röm. Adelsgeschlecht mit Ba-
recht zugestanden. rockpalast und Bibliothek in Rom (heute
Bannmeile, im MA der Bannbezirk ei- in der Vaticana); aus ihm ging Papst Ur-
ner Stadt oder eines Herrensitzes (Kloster, ban VIII. hervor; von diesem gefürstet,
Schloss, Burg), meist der Umkreis einer 1738 erloschen.
Meile, innerhalb dessen kein Fremder Ge- Barcelona, Hauptstadt der span. Provinz
werbe oder Handel treiben durfte bzw. für Katalonien; angeblich phönik. Gründung,
den das ↑ Bannrecht bestand. seit Mitte des 3. Jh. n. Chr. Hauptstadt der
Bannrecht, Recht der Grundherren, das röm. Provinz Hispania Citerior (Barcino);
die Bewohner des Bannbezirkes verpflich- 415 von den Westgoten unter ↑ Athaulf,
tete, bestimmten Bedarf nur an den vom 713 von den Arabern und 801 von den
Grundherrn bestimmten Stellen zu befrie- Franken erobert (Hauptstadt der Span.
digen, z. B. Mahlzwang, Bierzwang, Kel- Mark); im 10. Jh. von christlichen Mark-
terzwang usw.; im l9. Jh. in ganz Europa grafen regiert, 985 von den Arabern wie-
durch die Gewerbeordnung aufgehoben. dererobert, kam 1137 an Aragonien; im
Bantu, ↑ Afrika. 17. Jh. zeitweise bei Frankreich; wirtsch.
Bao-Dai, Kaiser, ↑ Annam, Vietnam. Zentrum des Königreiches Aragonien,
Baptisten (Täufer), christliche Freikirche im 19. Jh. Aufstieg zur führenden Indus-
mit selbständigen Gemeinden, verwar- triestadt Spaniens; Hort des Anarchismus,
fen die Kindertaufe, Gegner der Staats- Mittelpunkt des katalan. Separatismus; im
kirchen; hielten sich streng an die Bibel; span. Bürgerkrieg (1936–1939) Sitz einer
1633 in England entstanden, 1639 durch autonomen (katalan.) Regierung.
Roger Williams nach Nordamerika ver- Barclay de Tolly, Michael, Fürst, russ.
pflanzt; 1834 auch in Deutschland B.-Ge- Feldherr, 1761–1818; aus schott. Fami-
meinden; seit 1905 im Baptist. Weltbund lie, Oberbefehlshaber der russ. Westarmee
zusammengeschlossen. 1812 (bis zur Schlacht bei Smolensk im

89
Bardowiek

Aug.) und 1813/14 (Schlachten bei Dres- Barmer Theologische Erklärung, von
den, Leipzig, vor Paris). der Barmer Bekenntnissynode 1934 ange-
Bardowiek, Ort nördl. Lüneburgs, ver- nommene Erklärung, die die Grundlagen
mutl. langobard. Siedlung, unter Karl d. Gr. des ev. Bekenntnisses formulierte und den
wichtiger Handelsplatz, 965 Münzstätte; Totalitätsanspruch des nat.-soz. Staates
1189 von Heinrich dem Löwen, dem die ebenso ablehnte wie staatliche Funktionen
Stadt die Aufnahme verweigerte, aus Rache für die Kirche; Grundgesetz der ↑ Beken-
zerstört mit Ausnahme des Domes; eine In- nenden Kirche.
schrift auf einer erhaltenen Tierfigur: „Ve- Barock, Epoche der europ. Kunst- und
stigium leonis“ (Spur des Löwen) hält die Kulturgeschichte, löste Ende des 16. Jh.
Erinnerung an den Welfen wach. die Spätgotik bzw. die Renaissance ab,
Barebone-Parlament, 1653 von Crom- setzte sich wie diese von Italien aus im
well berufen, nur 155 Mitglieder; Spott- übrigen Europa durch und herrschte als
name nach seinem Sprecher B. (= Toten- der dem Zeitalter der Gegenreformation
knochen); bald aufgelöst. und des Absolutismus gemäße künstler.
Barents, Willem, holländ. Seefahrer, um Ausdruck bis Mitte des 18. Jh. vor, in der
1550–1597; entdeckte auf der Suche nach Architektur, Bildhauerei, Malerei, Lite-
der Nordost-Durchfahrt 1596 Spitzber- ratur und Musik; der B. führte die klas-
gen, die Bäreninsel und Nowaja Semlja, sische Strenge, Erhabenheit und Ruhe der
auf der Rückreise gestorben (nach ihm be- Renaissance in festliche Repräsentation,
nannt B.-See und B.-Insel). Kraft, Bewegtheit und geschwungene Li-
Barere de Vieuzac, Bertrand, frz. Revolu- nienführung über, löste den Raum auf,
tionspolitiker, 1755–1841; 1793 Präsident schwelgte in Formen- und Farbenreich-
des Nationalkonvents im Prozess gegen tum, am Ende übersteigert zu hohler
Ludwig XVI., Mitglied des Wohlfahrtsaus- Pracht und Überladenheit; seit dem Klas-
schusses, half die Girondisten und Danton sizismus und der Aufklärung als schwüls­
stürzen; da er die Bluturteile blumenreich tig missachtet, durch Gurlitt und Wölfflin
umschrieb, „Anakreon der Guillotine“ ge- „wiederentdeckt“.
nannt. Baron, in Frankreich und England im
Bari, Hauptstadt Apuliens; nach Zerfall MA der unmittelbare Kronvasall, in Eng-
des weström. Reiches bei Ostrom, im 9. Jh. land heute die unterste Stufe (Baronet)
von Sarazenen, Byzantinern, Langobarden des Hochadels; in Deutschland seit dem
u. a. umkämpft, 1071 vom Normannen 16. Jh. der Freiherr. In Russland durch Pe-
Robert Guiscard erobert, im 15. Jh. im ter d. Gr. als Adelstitel eingeführt.
Besitz der Sforza, 1558 beim span. König- Baronius, Cäsar, Kardinal, ital. Kirchen-
reich Neapel. historiker, 1538–1607; Verfasser einer l2-
Bar-Kochba (hebr. Schimon Bar Kosiba = bändigen Kirchengeschichte von Christi
Sohn des Sterns), jüd. Fürst, Führer des Geburt bis 1198, fortgesetzt von Reynal-
Judenaufstands 132–135 n. Chr. gegen die dus u. a.
röm. Besatzungsmacht (Kaiser Hadrian); Barras, Paul Vicomte de, einer der Füh-
eroberte große Teile Judäas, erlag aber dem rer der Frz. Revolution, 1755–1829; aus
röm. Feldherrn Julius Severus (die Juden altem Adel, Offizier, als Mitglied der Berg-
verloren etwa 500 000 Mann). Jerusalem partei im Konvent an der Errichtung der
erhielt den Namen Aelia capitolina und Republik führend beteiligt, stürzte 1794
wurde zur heidn. Stadt (Kriegsbefehle, Robespierre, dann Präsident des Konvents,
Briefe, Geräte B.-K.s 1960 in den Höhlen 1795 Mitglied des Direktoriums, von Na-
am Toten Meer aufgefunden). poleon 1799 verbannt.

90
Basilios

Barriere-Traktat, Grenzschutzvertrag von der Schweiz); seit 1501 zur Eidgenossen-


1715, abgeschlossen zw. Österreich und schaft; Heimatstadt Merians, Sitz der Hu-
den Vereinigten Niederlanden, die das manisten und Reformatoren Calvin, Reu-
Recht erhielten, zum Schutz gegen Frank- chlin, Murner, Erasmus. – Das ehema-
reich in mehreren Festungen der österr. lige reichsunmittelbare Bistum B., gegr.
Niederlande Besatzungen zu unterhal- im 4. Jh., verlor im 14. Jh. die Herrschaft
ten; Quelle vieler Reibereien; 1781 von über die Stadt; bei Einführung der Refor-
Joseph II. einseitig gekündigt. mation in B. 1529 verlegten die Bischöfe
Barth, 1) B., Heinrich, dt. Forschungs- ihren Sitz nach Pruntrut; ihre reichsun-
reisender, 1821–1865; erforschte auf 6- mittelbaren Besitzungen kamen 1793 an
jähriger Reise Nord- und Zentralafrika Frankreich – B., auch zwei Halbkantone
(bes. den Sudan). 2) B., Karl, reformierter der Schweiz (B. Stadt und B. Land).
Theologe, 1886–1968; Begründer der dia­ Baseler Frieden, 1795 Separatfrieden zwi-
lektischen Theologie; Gegner des National­ schen Frankreich und Preußen, das den
sozialismus („Vater der Bekennenden Kir- Kampf gegen die frz. Republik einstellte,
che“), des westl. Kapitalismus und des das linke Rheinufer preisgab und dafür
östl. Kommunismus; 1935 aus Deutsch- rechtsrheinisch entschädigt werden sollte.
land vertrieben, lehrte seitdem in Basel Baseler Konzil, 1431–1449, letzter großer
(bed. Werk: „Kirchliche Dogmatik“). Versuch des MA einer Reform der Kirche
Bartholomäusnacht (Pariser Bluthoch- an Haupt und Gliedern, schloss mit den
zeit), Niedermetzelung von mehreren tau- gemäßigten Hussiten einen Kompromiss,
send Hugenotten (u. a. Admiral Coligny, schränkte die Vorrechte des Papstes vor
Führer der frz. Hugenotten) während der allem in finanzieller Hinsicht ein, geriet
Hochzeit Heinrichs von Navarra (spä- aber in der Frage: „Steht das Konzil über
ter Heinrich IV.) und Margaretes von Va- dem Papst?“ in Streit mit Eugen IV., ge-
lois in der Nacht zum Bartholomäustag, gen den sich das Konzil nicht durchsetzen
24. Aug. 1572; Ende der Protestantisie- konnte; der Papst machte die Reformbe-
rung Frankreichs. schlüsse durch den Abschluss von Konkor-
Barthou, Jean Louis, frz. Politiker, 1862– daten zunichte; das Konzil löste sich selbst
1934; Anhänger Poincarés, 1913 Minis- auf (Nachwirkung der konziliaren Idee
terpräsident, 1922 Vorsitzender der Repa- [↑ Konzil] auf den ↑ Gallikanismus).
rationskommission, 1934 Außenminister Basileus (Herr, König), Titel des altgriech.
(Verträge mit den osteurop. Staaten und Archon für die religiösen Opfer und Feste;
der Sowjetunion); zus. mit König Alexan- im MA Titel oström. Kaiser.
der von Jugoslawien in Marseille ermor- Basilios, 1) B. I., der Makedonier, Kai-
det. ser von Byzanz (867–886); Begründer der
Basedow, Johann Bernhard, dt. Päda- makedon. Dynastie, kämpfte erfolgreich
goge, 1723–1790; regte Reformen des Er- gegen die Araber, reorganisierte Verwal-
ziehungswesens im Geist der Aufklärung tung und Gesetzgebung. 2) B. II., Kaiser
an, gründete 1774 das Philanthropinum von Byzanz (976–1025); zerstörte das bul-
(Lehrerseminar und Musterschule) in Des- gar. Reich endgültig 1018, daher Beiname
sau (↑ Philanthropinismus). „Bulgaroktonos“ = Bulgarentöter; festigte
Basel, römische Gründung (Lager „Basi- und erweiterte die byzantin. Macht von
lia“ und Kolonie „Augusta ­Rauracorum“), der Adria bis zum Euphrat, hatte ent-
seit Ende des 5. Jh. fränkisch, 912 an scheidenden Anteil an der Christianisie-
Burgund, 1032 beim Dt. Reich, spä- rung Russlands; Blüte der byzantin. Kunst
ter Reichsstadt; 1460 Universität (älteste („Makedonische Renaissance“).

91
Basilius der Große

Basilius der Große, hl., Kirchenlehrer, Bastarner, ostgerman. Volksstamm zwi-


331–379; Erzbischof von Cäsarea (Kap- schen Karpaten und Weichsel; stießen
padokien), im Sinne der Beschlüsse von Ende des 2. Jh. v. Chr. zum Balkan vor, 168
↑ Nicäa Gegner des ↑ Arianismus, Begrün- Bundesgenossen des Königs Perseus gegen
der des Mönchswesens der Ostkirche (Ba- die Römer, dann in Thrakien; gingen im
silianer), für die seine 451 zusammenge- 2. Jh. n. Chr. in den Goten auf.
fasste Mönchsregel noch heute gilt; Stifter Bastiat, Frédéric, frz. Nationalökonom,
eines großen Hospitals zur Aufnahme von 1801–1850; Freihändler, propagierte den
Armen, Kranken und Pilgern (die erste Wirtschaftsoptimismus Careys, kämpfte
bekannte Anstalt christlicher Liebestätig- gegen den Sozialismus.
keit). Bastille, urspr. in Frankreich üblicher
Basken, Volksstamm beiderseits der west- Name für alle mit Bastionen und Türmen
lichen Pyrenäen, zum größeren Teil bei versehenen Schlösser; Name der Zwing-
Spanien (mit Hauptstadt Bilbao), mit der burg, die Karl V. und Karl VI. 1369–1382
einzigen noch lebenden nicht-indogerman. zu Paris bauen ließen; seit dem 15. Jh.
Sprache Westeuropas, vermutlich Rest der Staatsgefängnis, kam die B. bald in Verruf,
iber. Urbewohner Spaniens; kämpften im sie wurde am 14. Juli 1789 als Zeichen der
Span. Bürgerkrieg 1936–1939 (obwohl Tyrannei vom Volk erstürmt und 1792 ab-
streng kath.) auf Seiten der Republik für getragen; der 14. Juli wurde frz. National­
Autonomie und Sprachenrechte. Wäh- feiertag.
rend der Regierungszeit ↑ Francos sepa- Bataver, german. Volksstamm an der
ratist. Bestrebungen und zahlreiche Ter- Rheinmündung; unter Cäsar röm. Unter-
roraktionen der Separatistenorganisation tanen, erhoben sich 69 n. Chr. unter Ci-
ETA. Seit 1979 Autonomiestatut: eigenes vilis, einem im röm. Heer ausgebildeten
Regionalparlament, eigene Regionalregie- Häuptling, an der Spitze aller Rheinger-
rung. Dennoch weiterhin Terroranschläge manen gegen die röm. Herrschaft, 71 wie-
der ETA (unterbrochen von einem Waf- der unterworfen; 288 von den salischen
fenstillstand 1994–1999), die nach der Franken überwältigt.
Gründung eines selbständigen baskischen Batavia, Hauptstadt der Insel Java und
Staates strebt. Niederländ.-Indiens, seit 1619 Verwal-
Bassermann, dt. Politiker: 1) B., Fried- tungssitz der Niederländ.-Ostind. Kom-
rich, 1811–1855; stellte im Badischen panie (Umbenennung aus Djakarta in Ba-
Landtag den Antrag auf dt. Nationalver- tavia); heute wieder Djakarta, Sitz der in-
tretung, Mitglied der Frankfurter National­ dones. Regierung.
versammlung auf Seiten der preuß.-erb- Batavische Republik, 1795 Name der
kaiserlichen Partei, gemäßigt liberal; die Vereinigten Niederlande nach der Vertrei-
„B.schen Gestalten“ („Gestalten“ als Be- bung der Oranier durch das revolutionäre
zeichnung für zwielichtige Personen in B.s Frankreich; 1806 von Napoleon zum Kö-
Bericht über eine Reise nach dem revolu- nigreich Holland (unter Napoleons Bru-
tionären Berlin) wurden sprichwörtlich. der Louis) erklärt; 1815 Holland und das
2) B., Ernst, 1854–1917; Führer der Na- österr. Belgien zum Königreich der Nie-
tionalliberalen Partei seit 1904. derlande vereinigt (bis 1830).
Bastard, das Kind einer außerehelichen Bathory, altes ungar. Adelsgeschlecht.
oder unebenbürtigen Verbindung, im MA – B., Stephan IV., König von Polen
herald. durch den sog. Bastardfaden ge- (1575–1586); zuvor Fürst von Siebenbür-
kennzeichnet, der schräg durch das Wap- gen, setzte sich nach seiner Wahl in Polen
pen verläuft. gegen den Gegenkandidaten Kaiser Maxi-

92
Bauernbefreiung

milian II. durch, kämpfte erfolgreich um Austromarxismus in Österreich, 1918/19


Livland gegen Moskau. Staatssekretär des Äußeren; für Anschluss
Bath-Partei, arab. polit. Partei, die den an Deutschland, 1920 maßgeblich an der
föderativen Zusammenschluss der arab. Ausarbeitung der österr. Verfassung betei-
Staaten auf der Grundlage einer sozialist. ligt; emigrierte nach dem Sozialistenauf-
Gesellschaft anstrebt; in Syrien und bis stand 1934. 4) B., Wilhelm, Pionier des
2003 im Irak an der Macht. U-Bootes, 1822–1876; bayer. Unterof-
Batschka, Landschaft zwischen ­ unterer fizier; der von ihm konstruierte „Brand-
Theiß und Donau mit dem Hauptort taucher“ sank 1851 auf Probefahrt in der
Neusatz. Anfang des 18. Jh. von Öster- Kieler Bucht.
reich den Türken entrissen und mit Deut- Bauernbefreiung, allg.: revolutionäre oder
schen besiedelt; 1920 größtenteils an Ju- reformgesetzliche Beseitigung der persön-
goslawien (heute Teil der Wojwodina), der lichen oder dinglichen Dauerabhängigkeit
Rest an Ungarn. des Bauern von ↑ Grund- oder ↑ Gutsherr-
Batthyany, altes ungar. Adelsgeschlecht: schaft; die Bindungen gingen z. T. auf die
1) B., Karl Joseph, Fürst von, österr. Feld- Siedlungszeit zurück, verstärkten sich nach
marschall und Staatsmann, 1698–1772; Ausbau der Gerichtsherrschaft und Polizei-
Waffengefährte Prinz Eugens am Rhein gewalt und sonstiger Vorrechte der Grund-
und gegen die Türken; siegte 1745 bei oder Gutsherren, bes. seit dem Ende des
Pfaffenhofen über Franz von Bayern. MA; die Abhängigkeit ging bis zur Schol-
2) B., Eleonore, Freundin des Prinzen Eu- lenpflichtigkeit (Verbot der Freizügigkeit),
gen, um 1698–1745. 3) B., Ludwig, Graf dinglichen Hörigkeit (auch bei Heirat und
von, 1809–1849; erster ungar. Minister- Erbfall) und Erbuntertänigkeit, der per-
präsident, um den österr.-ungar. Interes- sönlichen und vererbten ↑ Leibeigenschaft
sensausgleich bemüht; wegen Hochverrats mit Frondienst und Abgaben (bes. schroff
erschossen. in den Gutsherrschaften Ostdeutschlands,
Batu Khan, Mongolenfürst, Enkel Dschin- nach dem 30-jährigen Krieg); in England
gis Khans, unterwarf seit 1237 Russland, erhielten die Bauern schon im Spät-MA
nach der Eroberung Kiews verwüstete er persönliche Freiheit, in Österreich unter
Polen und Schlesien, 1241 siegte er bei Maria Theresia und Joseph II.; in Preu-
↑ Liegnitz über ein dt.-poln. Ritterheer, ßen teilweise unter Friedrich Wilhelm I.
zog sich dennoch (wegen des Todes des und Friedrich II.; Hauptanstoß war die
Großkhans) zurück; seit 1251 Herrscher Frz. Revolution, die 1789 die völlige B.
über ein westmongol. Reich (Hauptstadt in Frankreich durchführte; für Deutsch-
Sarai an der Wolga), starb 1255 (↑ Gol- land von größter Bedeutung die Aufhe-
dene Horde). bung der bäuerlichen Erbuntertänigkeit
Bauer, 1) B., Gustav, dt. Politiker, im Jahr 1807 für Preußen (Steinsche Re-
1870–1944; Sozialdemokrat, 1919–1920 formen), ergänzt durch Hardenbergsches
Reichskanzler bis zum Kapp-Putsch; wäh- Regulierungsedikt zur Entschädigung
rend seiner Regierung Versailler Vertrag der Grundherren, vor allem durch Land-
und Weimarer Verfassung. 2) B., Max, abgaben von Seiten der befreiten Bau-
preuß. Oberst, Mitarbeiter Ludendorffs ern (1811 und 1816); ähnliche Gesetze
im 1. Weltkrieg, 1869–1929; setzte sich folgten in den übrigen dt. Ländern; die B.
ein für Vervollkommnung der techn. wurde in Deutschland erst durch die Re-
Waffen und für Lenkung der Kriegswirt- volution von 1848 abgeschlossen; in Russ-
schaft. 3) B., Otto, österr. Publizist und land folgte eine begrenzte B. 1861, durch
Politiker, 1882–1938; Wortführer des die 23 Mio. leibeigene Bauern persönlich

93
Bauernkriege

frei wurden, die Ablösung der Lasten er- Florian Geyer, Wendel Hippler („Bau-
folgte erst seit 1906. Die B. wirkte anfangs ernkanzler“) und Peter Gaismair (Tirol);
nicht nur segensreich: der befreite Bauer im übrigen unfähige Führung Hauptur-
blieb vielerorts lange Zeit außerhalb ei- sache der Niederlage neben dem Mangel
ner schützenden Gemeinschaft, durch die an Disziplin, Unterordnung und militä-
Landabtretung vermehrte sich in manchen rischer Schulung; blutige Niederlage der
Gegenden der Großgrundbesitz (↑ Jun- Bauernhaufen bei Leipheim (Wurzach),
ker), oft Absinken in landloses Landar- Frankenhausen (Thüringen), Königshofen
beiter- oder Häuslertum; insgesamt aber (a. d. Tauber) und Zabern (Elsass); fürch-
kraftvoller Aufstieg eines selbstbewussten terliches Strafgericht der Fürsten (Bau-
Bauerntums, Bildung neuer Bauernstellen ernmetzeleien des Feldhauptmanns des
und Steigerung der Agrarproduktion. Schwäbischen Bundes, des Georg Truch-
Bauernkriege, Erhebungen der Bauern in seß von Waldburg); drückendere Abhän-
W- und Mitteleuropa mit dem Ziel, das gigkeit der Bauern als zuvor; Versinken in
„alte Recht“ wiederherzustellen, d. h. die politische Lethargie; zum Teil Abkehr von
Ansprüche der feudalen Mächte (König- der Reformation.
tum, Kirche, Adel) auf Obereigentum an Bauernlegen, in der Zeit der ↑ Grund-
allem Boden zurückzuweisen und das po- herrschaft das gewaltsame Einziehen,
lit. und soziale Ansehen des Bauernstandes aber auch der Aufkauf bäuerlicher Stel-
wieder zu heben; z. T. mit wirtschaftlichen len durch die Grund- oder Gutsherren;
Forderungen verbunden (Minderung der in England, wo die Bauern der herrschaft-
Abgaben); z. T. im Gefolge reformator. lichen Schafweide und dem Park weichen
Strömungen (Wiclif; Luther); Kampf um mussten, führte das B. zum Ruin des Bau-
„göttliches Recht“: Verwirklichung der ernstandes; in Deutschland griffen z. T.
(sozial aufgefassten) „Gerechtigkeit Gottes Landesherren zugunsten der Bauern ein,
auf Erden“. – Bereits im 3. Jh. n. Chr. und z. B. in Preußen (Ostelbien), wo nach dem
später Bauernunruhen im röm. Gallien, 30-jährigen Krieg ein umfassendes B. ein-
wiederholte Aufstände der ↑ Bagauden; setzte, die Armee aber auf das bäuerliche
1322–1328 in Flandern, 1356 in Nord- Rekrutenreservoir angewiesen war und das
frankreich (↑ Jacquerie), 1381 in England B. verboten wurde.
(↑ Wat Tyler), 1513–1515 in der Schweiz; Bauhütten, seit dem späteren MA Werk-
1431 in Worms, 1461 im Allgäu, 1476 der stattverband aller an Sakral­bauten tätigen
Pfeifer von Niklashausen; 1502 „Bund- Handwerker; mit streng ­hierarch. Aufbau
schuh“ am Rhein, 1514 „Armer Konrad“ (Bauknechte, Lehrlinge, Gesellen, Poliere,
in Württemberg. – 1524–1525 der Große Hüttenmeister), ­ eigener Gerichtsbarkeit,
B., breitete sich in wenigen Wochen vom Freizügigkeit, ­Ausbildungs- und Lohnord-
Allgäu nach Tirol, Württemberg, Schwa- nungen (Hüttenordnungen), Steinmetz-
ben, Lothringen, Franken bis nach Thü- zeichen; ihre Mitglieder zur Geheimhal-
ringen aus; gemäßigtes Programm der tung der Kunstregeln verpflichtet; Haup-
↑ „Zwölf Artikel“; Anschluss von Städten torte der Bauhütten: Straßburg, Wien,
an die Bewegung freiwillig, Anschluss von Köln und Bern (Zürich); 1459 gaben sich
Adligen und Fürsten meist erzwungen; die B. zu Regensburg ein gemeinsames
vergebliche Hoffnung auf Zustimmung Statut, das Kaiser Maximilian I. 1498 be-
des Kaisers (Reichsreformprogramm) stätigte; Oberhaupt aller dt. B. war die B.
und Luthers (anfangs auf Seiten der Bau- von Straßburg; im 17. und 18. Jh. Ver-
ern, dann Schrift „Wider die räuber. und schmelzung mit Steinmetzzünften; im
mörder. Bauern“); Führer von Format nur 19. Jh. aller Sonderrechte entkleidet.

94
Bayern

Bäumer, Gertrud, eine der bedeutendsten Provinz Noricum; reiche röm. Provinzial­
Vertreterinnen der dt. Frauenbewe- kultur (Bodenfunde, Reste der Straßen-
gung, 1873–1954; wirkte 1919–1933 im züge: Castra Regina [Regensburg] bedeu-
Reichsinnenministerium und im Reichs- tender militär. Mittelpunkt).
tag; namhafte historische und politische Um 500 n. Chr. Einwanderung und erste
Schriftstellerin. Landnahme der Bajuwaren (Bayern, wohl
Baumwolle, kam in ältesten Zeiten von aus Böhmen kommend, aus kelt., geman.,
Indien-China nach Ägypten, durch Phö- röm. Volksteilen zusammengesetzt); um
niker und Karthager nach Griechenland, 570 Vorstoß bis Südtirol, um 670 bis zum
Sizilien und Spanien; auch die Inka kann- Wiener Wald. Seit etwa 740 Christiani-
ten B.; B.-Manufakturen (meist Anferti- sierung (iroschott. Mission) und Organi-
gung von Leinen-Baumwolle-Mischge- sation der Kirche, Herzogtum der ↑ Agi-
weben) in Spanien seit dem 8. Jh. durch lolfinger (seit dem 6. Jh., verwandt mit
die Araber; in Italien seit dem 14. Jh. Langobard. Königsgeschlecht) endete 788
(Venedig), von hier gelangte die B. nach mit der Absetzung ↑ Tassilos III. B. wurde
Deutschland (B.-Markt Augsburg); seit fränk. Provinz. Seit 10. Jh. Entwicklung
der Erfindung der Spinnmaschine Ende der Stammesherzogtümer, zunächst unter
des 18. Jh. Verspinnung der reinen Baum- den Luitpoldingern, seit 947 den sächs.
wollfasern vor allem in England, Sachsen ↑ Liudolfingern; unter Herzog Heinrich I.
und Lyon; im 19. Jh. war Baumwolle das größte Ausdehnung (955): Bayern, Fran-
wichtigste Welthandelsgut, doch auch die ken, Nordgau (Oberpfalz), Schwaben,
Quelle schwerwiegender sozialer Probleme Kärnten, Friaul, ital. Marken. 1070–1180
(afrikan. Sklaven auf den Plantagen der mit Unterbrechungen unter Welfenherzö-
nordamerik. Südstaaten; ungesunde Ab- gen, u. a. Heinrich X. der Stolze, ↑ Hein-
hängigkeit der Baumwollländer vom kri- rich XI. der Löwe. Nach dessen Sturz
sengestörten Weltmarkt; drückende sozi- 1180–1918 unter den ↑ Wittelsbachern
ale Lage der Textilarbeiter, darunter viele (1180 bis 1183 ↑ Otto I.); 1214 kam die
Frauen und Kinder). Pfalzgrafschaft bei Rhein („Rheinpfalz“,
Bayard, Pierre du Terrail, Seigneur de, frz. „Unterpfalz“, Pfalz am Rhein, Ober- und
Feldherr, Ritter, 1475–1524; wegen seiner Mittelrheingebiete) zu Bayern, bedeu-
Tapferkeit unter Karl VIII., Ludwig XII. tender Machtzuwachs (seitdem der Löwe
und Franz I. von Frankreich „Ritter ohne im bayer. Wappen); doch 1255 erste Lan-
Furcht und Tadel“ genannt. desteilung: 1) Oberbayern und Rhein-
Bayern (bis Ludwig I. „Baiern“ geschrie- pfalz (mit Kurwürde), 2) Niederbayern;
ben), setzt sich zusammen aus Altbayern ↑ Ludwig IV. der Bayer (1302 Herzog,
(südl. der Donau zwischen Lech und 1314 dt. Kaiser) schloss mit seinen Nef-
Salzach), der Oberpfalz und den neubayer. fen, den Söhnen des Pfalzgrafen Rudolf,
Gebieten Franken (beide nördl. der Do- den Hausvertrag von Pavia (1329): Die
nau) und Schwaben (zwischen Lech und Rudolfinger erhielten die Rheinpfalz und
Iller). Alt-B. urspr. besiedelt von ↑ Kelten die Oberpfalz, Ludwig behielt Ober- und
und ↑ Illyrern, beteiligt an den Kulturen Niederbayern; nach dem Tod Ludwigs des
der ↑ Hallstatt- und der ↑ Latène-­Periode; B. (1347) 1349 2. Landesteilung, 1392
seit Ende des 2. Jh. v. Chr. Rückzug der 3. Teilung (Linien: Straubing, Ingolstadt,
Kelten; dann Römerherrschaft; Teil der Landshut, Oberbayern mit München).
Provinz Rätien (einschließlich Vindelicien) Nach dem Aussterben der Landshuter Li-
mit Hauptstadt Augusta ­ Vindelicorum nie erhob Pfälzer Linie gegen München An-
(Augsburg) und, östl. des Inns, Teil der spruch auf Landshuter Land, daher grau-

95
Bayern

samer Erbfolgekrieg; durch Schiedsspruch wurden; Maximilian IV. Joseph (↑ Max. I.


Kaiser Maximilians I. unter Albrecht V. Josef, 1756–1825) wurde mithilfe seines
dem Weisen (1467–1508) Wiederverei- absolutist. (1817 entlassenen) Ministers
nigung Bayerns, aber gleichzeitig für die Montgelas zum Schöpfer des modernen
Söhne des Pfälzers Errichtung eines neuen Bayer. Staates (u. a. Aufhebung der Leib-
Fürstentums Neuburg-Sulzbach („Jüngere eigenschaft; 1818 Verfassung); im Bunde
Pfalz“); zur Vermeidung neuer Landestei- mit Napoleon (↑ Rheinbund) beträcht-
lungen erließ Albrecht IV. das Primoge- liche territoriale Gewinne, bes. Südtirol,
niturgesetz (1506): Vererbung nach dem dessen Aufstandsbewegung niedergeschla-
Recht der Erstgeburt. Unter ↑ Wilhelm IV. gen wurde. Schon 1803 durch den Reichs-
(1508–1550) Rechtsreform; Unterdrü- deputationshauptschluss Erwerb der Bis­
ckung des Luthertums; unter ↑ Albrecht IV. tümer Augsburg, Freising, Würzburg usw.;
(1550–1579): nach außen Annäherung an 1805 ff. Erwerb von „Neubayern“: Mark-
die protestant. Reichsstände, innenpolit. grafschaften Ansbach und Bayreuth,
infolge (protestant.) Adelsverschwörung Reichsstadt Nürnberg, mediatisierte Ge-
und unter Einfluss der Jesuiten (Universi- biete; 1806 Erhebung zum Königreich,
tät Ingolstadt) streng katholisch; ↑ Maxi- 1812 Teilnahme am napoleon. Feldzug
milian I. (1597–1651) errichtete den kath. nach Russland, 1813 Anschluss an die Ver-
Musterstaat, Vertreter eines gemäßigten bündeten. Unter dem deutschgesinnten
Absolutismus, im 30-jährigen Krieg Heer- und kunstliebenden König ↑ Ludwig I.
führer der ↑ Liga, Rivale Wallensteins, er- (König 1825–1848) wirtschaftlicher und
hielt 1623 zur Belohnung die Kurfürsten- kultureller Aufstieg. München geistiges
würde; während des Krieges 1632–1646, Zentrum Deutschlands; 1848 Revolution
1648 Verwüstungen B.s; im Westfäl. Frie- und Abdankung des Königs (im Zusam-
den Kurfürstenwürde als erblich aner- menhang mit der Lola- ↑ Montez-Affäre).
kannt. ↑ Ferdinand Maria (1651–1679) König ↑ Maximilian II. (König 1848–
trieb frankreichfreundliche Neutralitäts- 1864) bes. Förderer der Wissenschaften.
politik; ↑ Max II. Emanuel (1679–1726), Unter König ↑ Ludwig II. (1864–1886)
zunächst beteiligt am Türkenkrieg, erwarb mitentscheidende dt. Politik, nach dem
durch Bündnis mit Frankreich die Nieder- Krieg 1866 Friede mit Preußen und 1867
lande, daher wurde B. im ↑ Span. Erbfol- Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen,
gekrieg ein Opfer Österreichs (Bauernauf- 1870 Beitritt zum Dt. Reich (doch Son-
stand, Sendlinger Mordweihnacht). 1724 derstellung durch Reservatrechte); Kul-
Unions-Erbvertrag zw. Bayern und Pfalz, turkampf. Nach Ludwigs II. Tod Regent-
1726–1745 Karl Albrecht als ↑ Karl VII. schaft Prinz Luitpolds (für Ludwigs geis­
Kaiser; im Österr. Erbfolgekrieg Bayern teskranken Bruder Otto), Nachfolger: sein
wieder in der Hand österr. Truppen. Im Sohn Ludwig III. (König seit 1913), ver-
Frieden zu Füssen (1745) verzichtete Kur- lor 1918 durch die Revolution den Thron.
fürst ↑ Maximilian III. Joseph auf die ös- 1919 Räterepublik, nach deren Nieder-
terr. Länder (Ende der bayer. Großmacht- werfung „Freistaat“; 1920 Coburg zu B.;
politik). Nach dem Tode Maximilians, Konkordat 1924; nach 1945 Rheinpfalz
mit dem die „Bayer.“ Linie ausstarb, 1777 und Lindau bis 1956 der bayer. Verwal-
Regierungsantritt des (pfälz.) Kurfürsten tung entzogen; 1956 Lindau wieder bei
↑ Karl Theodor (bis 1799), dessen Tausch- B., Rheinpfalz blieb bei Rheinland-Pfalz;
pläne (Eintausch der Niederlande gegen 1946 neue Verfassung. Als einziges westdt.
Bayern) durch Einschreiten Friedrichs Parlament lehnte der Bayer. Landtag 1949
d. Gr. (Dt. Fürstenbund 1785) verhindert das Grundgesetz ab, akzeptierte jedoch die

96
Bebel

Gründung der Bundesrepublik Deutsch- Béarn, ehemaliges Fürstentum Südfrank-


land unter Einschluss von B. Stärkste Par- reichs, am Fuße der Pyrenäen, von Basken
tei ist seit den ersten Landtagswahlen von bewohnt, seit 600 fränk. Grafschaft; kam
1946 die CSU, die 1946–1956 und seit 1548 durch Heirat an das Haus Bourbon,
1957 in unterschiedlich zusammengesetz- fiel durch Heinrich IV. (den „Béarner“)
ten Koalitionen, seit 1962 in der Alleinre- 1589 an die frz. Krone, mit der es 1620
gierung den Ministerpräsidenten stellt. für immer vereinigt wurde.
Bayeux, Tapisserie de, berühmter Bildtep- Beatrix von Burgund, um 1144–1184;
pich aus dem Ende des 11. Jh., im roma- 2. Gemahlin Kaiser Friedrichs I. seit 1156,
nischen Stil; Stickerei mit farbiger Wolle Tochter und Erbin des Pfalzgrafen Rai-
auf weißer Leinwand (50 cm hoch, 70 m nald II. von Burgund.
lang), mit ausführlicher und durch latein. Beaufort, Henry, engl. Kardinal und
Legende erklärter Darstellung der Erobe- Staatsmann, 1377–1447; Lordkanzler,
rung Englands durch die Normannen 1417 auf dem Konstanzer Konzil; gehörte
(Sieg Wilhelms des Eroberers bei Hastings dem Gerichtshof an, der Jeanne d’Arc ver-
1066). urteilte; krönte 1431 Heinrich VI. in Paris
Bayle, Pierre, frz. Philosoph der Aufklä- zum König von Frankreich.
rung, 1647–1706; forderte Geschichts- Beauharnais, 1) B., Alexandre, Vicomte
schreibung nach krit. gesichteten Quellen; de, frz. General, 1760–1794; kämpfte im
Verfechter der uneingeschränkten Freiheit nordamerik. Unabhängigkeitskrieg, 1789
der Wissenschaft und des Bekenntnisses; Mitglied der Nationalversammlung, we-
Moral nur auf Vernunft gegründet. gen der Räumung von Mainz guillotiniert.
Bayonne, frz. Stadt am Golf von Biskaya, 2) B., Josephine, Witwe von 1), 1763–
1154–1451 englisch; 1808 Zusammen- 1814; heiratete durch Vermittlung von
kunft Napoleons I. mit dem span. König Barras 1796 Napoleon Bonaparte, von
Karl IV., der zugunsten Joseph Bonapartes ihm 1804 zur Kaiserin gekrönt; da sie kin-
auf den span. Thron verzichtete. derlos blieb, ließ Napoleon sich 1809 von
Bayreuth, Hauptstadt Oberfrankens; erst- ihr scheiden. 3) B., Eugen, Sohn von 1)
mals 1194 genannt, 1248 im Besitz der und 2), Stiefsohn Napoleons, 1781–1824;
hohenzollernschen Burggrafen von Nürn- 1805–1814 Vizekönig von Italien, 1817
berg, 1430 von den Hussiten zerstört; als Schwiegersohn des Königs Max I. von
1557–1603 mit der Markgrafschaft Ans- Bayern zum Herzog von Leuchtenberg er-
bach vereinigt; 1604–1769 Residenz der hoben. 4) B., Hortense, Tochter von 1)
Linie Brandenburg-B., 1769–1791 wieder und 2), 1783–1837; seit 1802 Gemahlin
mit Ansbach vereinigt; 1792–1806 preu- Ludwig Bonapartes, des späteren Königs
ßisch, 1807–1810 unter frz. Verwaltung; von Holland, Mutter Napoleons III.
1810 an Bayern. – 1876 Eröffnung des Bebel, August, einer der Mitbegründer
Richard-Wagner-Festspielhauses, seither und Führer der Sozialdemokrat. Partei
Festspielstadt. in Deutschland, 1840–1913; Sohn eines
Bazaine, François Achille, frz. Marschall, Unteroffiziers, 1864 Drechslermeister in
1811–1888; 1863–1867 Oberbefehlsha- Leipzig, schloss sich Arbeiterbildungs-
ber des frz. Expeditionskorps in Mexiko, vereinen an, gründete 1869 zus. mit W.
wegen der Kapitulation von Metz (1870) ↑ Liebknecht in Eisenach die Sozialdemo-
zum Tode verurteilt, von MacMahon zu krat. Arbeiterpartei, seit 1867 im Reichs-
Festung begnadigt, entfloh 1874 nach tag, glänzender Agitator und Organisator;
Spanien. unter dem Sozialistengesetz 1878–1890
Beaconsfield, ↑ Disraeli. der meistverfolgte Mann Deutschlands,

97
Beck

mehrmals des Hochverrats angeklagt und Beecher-Stowe, Harriet, amerik. Schrift-


verurteilt; setzte sich in den 70er Jahren stellerin, 1812–1896; Vorkämpferin gegen
gegen die Nachfolger ↑ Lassalles und nach die Sklaverei („Onkel Toms Hütte“, 1852,
Neugründung der Partei 1890 (Erfurter in 37 Sprachen übersetzt); trat für die be-
Programm) gegen die radikaleren „Jungen“ rufliche Frauenemanzipation ein.
durch, hielt gegen die „Revisionisten“ aber Befreiungskriege, 1812–1815, Kampf fast
auch am Marxismus fest. ganz Europas gegen die Herrschaft Napo-
Beck, 1) B., Józef, poln. Staatsmann, leons nach dessen gescheitertem Russland-
1894–1944; Waffengefährte und Vertrauter feldzug 1812; eingeleitet durch die preuß.-
Pilsudskis, seit 1932 Außenminister, ver- russ. Konvention von ↑ Tauroggen und
suchte vergeblich zwischen bolschewist. die ostpreuß. Volkserhebung; entschieden
Russland und nat.-soz. Deutschland zu la- durch die Völkerschlacht bei Leipzig Okt.
vieren (Nichtangriffspakte), um Polen zu 1813 und, nach Napoleons Rückkehr von
retten. 2) B., Ludwig, dt. Generaloberst, Elba, durch die Schlacht von ↑ Belle-Al-
1880–1944; Generalstabschef 1935–1938, liance (Waterloo) 1815, endend mit Na-
als Gegner der Kriegspolitik Hitlers entlas- poleons Verbannung nach St. Helena.
sen; Haupt der Verschwörung gegen Hitler Verlauf: Dezember 1812 Neutralitätsver-
im Juli 1944, nach gescheitertem Selbst- trag des aus Russland weichenden preuß.
mordversuch erschossen. Hilfskorps mit den Russen; Februar 1813
Becket, Thomas, hl., um 1118–1170; preuß.-russ. Schutz- und Trutzbündnis
1155 Kanzler Heinrichs II. von England, von Kalisch; März 1813 Kriegsaufruf des
seit 1162 Erzbischof von Canterbury und preuß. Königs von Breslau aus und Kriegs-
Vorkämpfer des Papsttums gegen die In- rüstung; Mai 1813 Siege Napoleons, auf
vestituransprüche des Königreichs, floh dessen Seite die Rheinbundstaaten stan-
1164 nach Frankreich, nach seiner Rück- den, bei Groß-Görschen und Bautzen.
kehr im Dom von Canterbury erschlagen; Rückzug der Verbündeten nach Schle-
1173 heiliggesprochen; vielfach literarisch sien und Waffenstillstand; Juni bis August
gestaltet (T. S. Eliot, Anouilh). 1813 Allianz Preußen-Österreich-Russ-
Beda, gen. Venerabilis (der Ehrwürdige), land-England; August 1813 Siege über frz.
angelsächs. Theologe aus Northumberland, Heere bei Groß-Beeren und an der Kau-
hl., um 673–735; Humanist, schrieb erste bach; Niederlage bei Dresden; Aug. und
engl. (Kirchen-)Geschichte und „Die sechs Sept. 1813 Niederlage frz. Generale bei
Weltzeitalter“, regte die christliche Zeit- Kulm, Nollendorf und Dennewitz; Okt.
rechnung in der Geschichtsschreibung an. 1813 Umfassung und Niederlage Napole-
Bede (mhdt., Bitte), eine seit dem 12. Jh. ons bei Leipzig (Völkerschlacht bei Leip-
in allen dt. Territorien übliche direkte zig); Napoleon flüchtete über den Rhein;
Steuer, die im allg. der Landesherr von Fall die Rheinbundstaaten traten auf die Seite
zu Fall vom bäuerlichen und bürgerlichen der Verbündeten. – 1814: Krieg in Frank-
Besitz „erbat“ = erhob. Geistlicher und rit- reich: ab Jan. 1814 Vormarsch der Ver-
terl. Besitz waren von der B. befreit. bündeten auf Paris, das im März 1814
Bedford, John, Herzog von, dritter Sohn kapitulierte; April 1814 dankte Napoleon
Heinrichs IV. von England, 1389–1435; ab, Verbannung nach Elba, Rückkehr der
Regent in Frankreich seit 1422, siegte Bourbonen (Ludwig XVIII.). 1. Friede
1424 bei Verneuil über die Franzosen; die von Paris (Grenzen von 1792); seit Sept.
Belagerung von Orléans musste er infolge 1814 ↑ Wiener Kongress zur Neuordnung
des Auftretens der Jungfrau von Orléans Europas. – März 1815: Landung Napole-
aufgeben (1429). ons in Frankreich; Einzug in Paris; engl.,

98
Bela

preuß., niederländ. Truppen sammelten schaft von Frauen für religiöse und wohl-
sich in Belgien; Juni 1815 Sieg Napoleons tätige Zwecke in mauerumgürteten Höfen
über Blücher bei Ligny, alliierter Sieg bei (B.-Höfe); vor allem in Belgien und den
Belle-Alliance (Waterloo); Juli 1815 Ein- Niederlanden heimisch; der männliche
zug der Verbündeten in Paris, Rückkehr Zweig nennt sich Begharden (seit 1230).
Ludwigs XVIII., Napoleon nach St. He- Behaim, Martin, Nürnberger Kaufmann
lena verbannt (dort 1821 gest.); 2. Pariser und Kosmograf, um 1459–1507; Schüler
Frieden (ungefähr die Grenzen von 1790, des ↑ Regiomontanus; seit etwa 1484 mit
Besetzung N- und O-Frankreichs, Kriegs- Unterbrechungen in Portugal, Teilnehmer
entschädigung). – Die Bezeichnung „Frei- und navigator. Ratgeber bei Entdeckungs-
heitskriege“ wurde in demokrat. und libe- fahrten; entwarf den ersten Globus und
ral gesinnten Kreisen abgelehnt, weil die ließ ihn in Nürnberg anfertigen.
den Völkern bei Beginn des Kampfes ver- Beirut, Hauptstadt des Libanon, wich-
sprochene polit. Freiheit des Innern der tiger Hafen an der Levanteküste; die
befreiten Staaten auf dem Wiener Kon- phönik. Hafenstadt Beruta ist seit dem
gress hintertrieben wurde. 14. Jh. v. Chr. belegt; um 140 von den Sy-
Begin, Menachem, israel. Politiker, 1913– rern zerstört, unter Augustus ab 14 v. Chr.
1992; war früh zionistisch aktiv, 1940 als wieder aufgebaut. Seit 635 (mit Unter-
Führer einer radikalen zionist. Jugendor- brechungen) arabisch, 1110 von den
ganisation in Litauen von den Sowjets ver- Kreuzfahrern erobert. 1291 unter Hoheit
haftet und nach Sibirien verbannt, 1942 der Mamelucken, 1516 osmanisch. Seit
nach Palästina eingewandert, ab 1942 dem 19. Jh. bevorzugter Niederlassungs-
Führer der terrorist. Untergrundorganisa- ort westlicher Missionen und Handels-
tion Irgun Zwai Leumi und verantwort- gesellschaften, seit 1943 Hauptstadt der
lich für zahlreiche Gewaltakte. 1948 grün- Republik Libanon. Bis zum Bürgerkrieg
dete B. die rechtsgerichtete Cherut-Partei (1975–1990) eines der wichtigsten Wirt-
und bekämpfte die Politik des Staatsgrün- schaftszentren Vorderasiens, im Bürger-
ders ↑ Ben Gurion, v. a. territoriale Kon- krieg starke Beschädigungen, seit 1991
zessionen an die Araber. 1967–1970 Mi- Wiederaufbau mit einem völlig neuen
nister ohne Geschäftsbereich, seit 1977 Stadtzentrum.
als Kandidat des nationalkonservativen Bekennende Kirche, 1933 aus dem Ge-
Likud-Blocks Premierminister. B. förderte gensatz zur nat.-soz. Kirchenpolitik
die zielbewusste Gründung weiterer israel. (Reichsbischof, „Deutsche Christen“) ent-
Siedlungen in den besetzten jordan. Ge- standene Bewegung innerhalb der evan-
bieten, v. a. in Judäa und Samaria. 1979 gelischen Kirche, die den kirchlichen
Abschluss des israel.-ägypt. Friedensver- Machtansprüchen der Regierenden aus
trages, wofür ihm gemeinsam mit ↑ Sadat dem christl. Bekenntnis heraus entgegen-
der Friedensnobelpreis verliehen wurde. trat (Hauptwortführer die Pastoren Niem-
1981 Annektierung der seit 1967 besetz- öller und Asmussen, von der Schweiz her
ten syr. Golanhöhen, 1982 Invasion des Karl Barth); ↑ Drittes Reich.
Libanon und Duldung des Massakers im Bela, Könige von Ungarn: 1) B. III.
Palästinenserlager Chatila. Im Sept. 1983 (1173–1196); in Byzanz aufgewachsen
trat B. formell zurück, zu den Parlaments- und mit byzantin. Hilfe auf den Thron er-
wahlen 1984 ließ er sich nicht mehr auf- hoben, unterstützte später vorübergehend
stellen. die Serben gegen Byzanz. 2) B. IV. (1235–
Beginen, im 13. Jh. gestiftete, ordensähn- 1270); baute das Land nach den Mongo-
liche (ohne Gelübde, ohne Regel) Gemein- lenverwüstungen (1241 Niederlage bei Er-

99
Belagerungsmaschinen

lau gegen die Mongolen) wieder auf; der bei Spanien und kath. (Vertrag von Arras
von ihm geförderte Burgenbau des Adels 1579); 1659, 1668 und 1678 wurden Ar-
schwächte jedoch die königliche Gewalt. tois, Teile Flanderns und der Hennegau
Belagerungsmaschinen, schon in ältesten französisch; 1714 zu Österreich (Österr.
Zeiten der Stadtkultur bekannt; eine der Niederlande); 1794 Frankreich einver-
ersten Darstellungen auf assyr. Reliefs um leibt, 1815 zusammen mit Holland Kö-
850 v. Chr.; Meister der Belagerungskunst nigreich der Vereinigten Niederlande. Die
die Römer, die selbst die größten und stär- Geschichte des heutigen Staates, der 1831
kstbefestigten Städte (Syrakus, Karthago) seinen Namen B. erhielt, begann 1830 mit
jahrelang nach allen Regeln der Kunst bela- dem Aufstand gegen das aus religiösen und
gerten und nach dem damaligen Stand der wirtsch. Gründen verhasste holländ. Re-
Technik höchstentwickelte B. zum Einsatz gime; Proklamierung der Unabhängigkeit
brachten: Belagerungstürme (in Höhe der Belgiens, die von der Londoner Konferenz
Festungsmauern), Widder (Rammböcke (1831) bestätigt wurde, unter gleichzei-
gegen Mauerwerk und Tore), Katapulte tiger Verbürgung ewiger Neutralität; Hol-
(zum Schleudern von Steinkugeln und land erkannte 1839 die Unabhängigkeit
Brandtöpfen) und Steinschleudern; ähn- Belgiens an; seit 1831 parlamentar. Verfas-
liche B. wurden auch im MA verwendet. sung, im gleichen Jahre Leopold von Sach-
Belfast, seit 1920 Hauptstadt von Nord­ sen-Coburg zum König gewählt; innere
irland. Die Spannungen in Nordirland Politik war beherrscht durch Gegensatz
führten in B. seit dem Ende der 60er Jahre zw. Konservativen und Liberalen, german.
zu schweren Konflikten zwischen Katho- Flamen (seit den 40er Jahren „Flämische
liken und Protestanten. Bewegung“) und roman. Wallonen; ge-
Belfort, frz. Stadt und Festung am Süd- gen Napoleon III. Abwehr der Annexions­
fuß der Vogesen zum Schutz der Burgun- pläne; seit 1881 private Kolonialpolitik
dischen Pforte; Festung 1686 von ↑ Vau- Leopolds II. (1865–1909) am Kongo;
ban gebaut, 1870/71 vergeblich belagert. Gründung des ↑ Kongostaates, der 1908
Belgien, parlamentar. Monarchie in W- belg. Kolonie wurde; 1894 allg. Wahl-
Europa; im röm. Altertum nach dem kelt. recht; 1906 Militärvereinbarung zw. belg.
Stamm der Belgen benannte gall. Land- und engl. Generalstab zur Sicherung der
schaft zw. Seine und Niederrhein; seit Neutralität (↑ Schlieffen); Verletzung der
57 v. Chr. von Cäsar erobert; seit 16 v. Chr. Neutralität Belgiens 1914 durch Deutsch-
röm. Provinz Belgica mit Hauptstadt land Anlass für brit. Kriegseintritt; 1914–
Reims (Durocortorum), umfasste Gebiet 1918 und 1940–1944 unter dt. Besatzung;
zw. Rhein, Nordsee, Seine, Saône; nach nach 1945 heftige innere Auseinanderset-
den Verträgen von Verdun (843) und zungen um die Person Leopolds III., der
Meersen (870) zum Ostfränk. Reich, au- 1940 den Befehl zur Kapitulation gege-
ßer Flandern und Artois; zerfiel seit dem ben hatte; 1947 wirtschaftspolit. Zusam-
10. Jh. in mehrere Territorien (Herzog- menschluss mit Holland und Luxemburg
tümer Limburg, Brabant, Luxemburg; zur ↑ Benelux-Union; 1949 Beitritt zum
Grafschaften Namur, Antwerpen, Henne- Atlantikpakt; seit 1958 im Gemeinsamen
gau nebst dem Bistum Lüttich); im 15. Jh. Markt (EWG); 1960/61 wirtsch. und po-
(einschließlich Flandern und Artois) verei- lit. Erschütterung durch Kongo-Krise. Die
nigt bei Burgund; seit 1482 habsburgisch, Kolonie Belg.-Kongo erhielt 1960 die Un-
1548 zu den Span. Niederlanden; wirtsch. abhängigkeit. Verschärfung der Gegen-
und kulturelle Blüte; im Freiheitskampf sätze zwischen Flamen und Wallonen. Zur
der Niederlande blieben die Südprovinzen Regelung dieser Frage kam es 1971 durch

100
Benedikt von Aniane

Verfassungsänderung, in der die Abkehr Bell, Alexander Graham, amerik. Erfinder


vom Zentralstaat zugunsten einer halbfö- (geb. in Schottland), 1847–1922; konstru-
deralist. Staatsform verankert wurde. 1988 ierte 1876 das erste industriell herstellbare
weitere Verfassungsänderungen, die B. in Telefon (↑ Telefon, Reis).
einen Bundesstaat umwandeln (Regionen Bellarmin, Robert, hl., ital. Jesuit und
Flandern, Wallomen und Brüssel). 1993 Kardinal, 1542–1621; Rechtsphilosoph,
endgültig zu einem föderalistisch struktu- Vorkämpfer des Papsttums gegen territo-
rierten Bundesstaat mit drei autonomen rial- und nationalkirchliche Bestrebungen,
Regionen (Flandern, Wallonien, Brüssel- Verfasser eines Volkskatechismus, der in
Hauptstadt) umgewandelt und Kompe- 60 Sprachen übersetzt wurde, 1930 heilig-
tenzen auf Bundesebene beschränkt. Im gesprochen.
gleichen Jahr wurde Albert II. neuer bel- Belle-Alliance, Gehöft 20 km südl. Brüs-
gischer König. sel, nach dem Blücher die Schlacht von
Belgisch-Kongo, ↑ Kongostaat. ↑ Waterloo benannt hat (↑ Befreiungs-
Belgrad (serb. Beograd = weiße Burg), kriege).
Hauptstadt Jugoslawiens; röm. Singidu- Belsazar, bibl. Name für Belscharussur,
num, kelt. Siedlung, röm. Militärlager, babylon. Kronprinz, führte seit 551 die
das während der Völkerwanderung mehr- Regierungsgeschäfte, wohl 539 v. Chr. im
fach zerstört und wiedererrichtet wurde; Kampf gegen den Perserkönig Kyros II. ge-
im 10. Jh. bulgarisch, 11./12. Jh. byzanti- fallen; im A. T. Gotteslästerer, dem durch
nisch; 1241–42 im Mongolensturm ver- das Menetekel der bevorstehende Unter-
wüstet, vom serb. König Stephan Duschau gang seines Reiches verkündet wird.
als Burg wiedererbaut, fiel B. 1433 an Un- Benedek, Ludwig von, österr. General,
garn; wichtige Grenzfeste gegen die Tür- 1804–1881; unterlag 1866 bei Königgrätz
ken; 1521 türkisch, 1717 von Prinz Eugen als Oberbefehlshaber der Nordarmee den
erstürmt, 1739 im Frieden von B. wieder Preußen.
an die Türken; seit 1827 Hauptstadt Ser- Benedetti, Vincent Graf, frz. Diplomat,
biens, bis 1867 mit türk. Besatzung, seit 1817–1900; seit 1864 Botschafter in Ber-
1918 Hauptstadt Jugoslawiens; im 1. Welt- lin; seine Unterredung 1870 in Bad Ems
krieg von den Truppen der Mittelmächte, mit König Wilhelm gab Anlass zur ↑ Em-
im 2. Weltkrieg von dt. Truppen besetzt. ser Depesche.
Belisar, Feldherr des oström. Kaisers Ju- Benedikt, Name von 16 Päpsten, von de-
stinian I., um 500–565; 522–532 Oberbe- nen B. XII. (1334–1342) als Erbauer der
fehlshaber im Orient, vernichtete 534 das Papstburg von Avignon, B. XIV. (1740–
Vandalenreich in Nordafrika und kämpfte 1758) als Kirchenrechtslehrer und Förde-
536–540 und 544–549 gegen die Ostgo- rer der Wissenschaft und Künste, B. XV.
ten in Italien; 559 schlug er die Hunnen (1914–1922) wegen seiner Bemühungen
vor Byzanz zurück. um den Frieden der Welt (bes. 1917), der
Belize, früher Brit.-Honduras, Republik Linderung des Kriegs- und Nachkriegs­
in Zentralamerika; Kerngebiet der Maya; elends und durch die Herausgabe des
1638 von brit. Schiffbrüchigen besiedelt, ↑ Codex Iuris Canonici von besonderer
seit 1782 unter brit. Schutz, 1862 Kolo- Bedeutung sind.
nie; erhielt 1964 volle innere Autonomie, Benedikt von Aniane, Gote, Abt von
1973 in B. umbenannt, nach langwie- Aniane in Frankreich, um 750–821;
rigen Verhandlungen, v. a. wegen territori- Gründer von Kornelimünster bei Aachen,
aler Ansprüche des Nachbarn Guatemala, Berater Ludwig des Frommen (kirchliche
1981 unabhängig. und weltliche Reformgesetzgebung, Got-

101
Benedikt von Nursia

tesreich auf Erden: ein Gott, ein Kaiser, von 1958 bereitete volle Wirtschaftsunion
eine Kirche). vor, die 1960 verwirklicht wurde (Vertrag
Benedikt von Nursia, hl., Begründer des auf 50 Jahre).
abendländ. Mönchtums, etwa 480–543; Beneš, Eduard, tschechoslowak. Staats-
529 Abt des von ihm gegr. Klosters und mann, 1884–1948; nächster Mitarbei-
mittelalterl. Kulturzentrums Monte Cas- ter ↑ Masaryks, seit 1918 Außenminister,
sino und Verfasser der ersten abendländ. 1935 Staatspräsident, 1938–1945 im Exil
Mönchsregel (Leitsatz: Ora et labora in London. 1946 erneut zum Präsidenten
– Bete und arbeite); Stifter des Benedik- gewählt; trat 1948 nach dem kommunist.
tinerordens. Staatsstreich, dem er unzureichenden Wi-
Benediktiner (Ordo Sancti Benedicti, derstand leistete, zurück.
OSB), der 529 von Benedikt von Nursia Benevent, Stadt nordöstl. von Neapel,
gestiftete Mönchsorden; gegründet auf Samnitersiedlung; 275 v. Chr. Niederlage
Demut, feierliche Gebetsübung (Chorge- des Königs Pyrrhus gegen ein röm. Heer;
sang), Streben nach Vollkommenheit und 545 n. Chr. von den Ostgoten zerstört, da-
geistiger oder profaner Arbeit (zum Un- nach langobard. Herzogssitz, 1049 zum
terschied von der mehr myst. Mönchswelt Kirchenstaat; 1266 fiel Manfred von Ho-
des Orients und der Ostkirche); durch Bo- henstaufen bei B. gegen Karl von Anjou.
denkultivierung, Rodung und Siedlung, Bengalen, ind. Landschaft im Gebiet des
Gartenkulturen, Handwerk (geschlossene unteren Ganges, reichstes und dichtest
Klosterwirtschaft), Bau von Kirchen und bevölkertes Gebiet Indiens; seit Ende des
Klosterschulen, Pflege der Wissenschaft 12. Jh. von Mohammedanern erobert; seit
und Kunst (Buchmalerschulen) wurden 1650 Eindringen der Engländer, ihr Sieg
die B. auf vielen Gebieten Lehrer und bei Plassey (1737) begründete die brit.
Erzieher der abendländ. Völker im MA; Herrschaft in B.; nach der Teilung des un-
zuerst in Einzelklöstern, seit 900 zusam- abhängigen Indien wurde Ost-B. 1947 auf
mengeschlossen in Gruppenklöstern; seit Grund einer Volksabstimmung Pakistan.
596 in England (Abteien, Klosterschulen, Exklave in Hindu-Indien. 1971 prokla-
gelehrte Anstalten); die angelsächsischen mierte Scheich Mujibur ↑ Rahman in Ost-
B. (Suitbert, Willibrord, Bonifatius, Pir- pakistan die unabhängige Republik Ben-
min, Ansgar, Willibald) missionierten galen = ↑ Bangladesch.
in Deutschland und im Norden; bis ins Bengler, Rittergesellschaft, 1391 von
12. Jh. war abendländ. Mönchtum bene- westfäl. und rheinischem Adel gegen den
diktinisch (↑ Cluny, Orden, Monte Cas- Landgrafen von Hessen und den Bischof
sino). von Paderborn gegründet, löste sich 1395
Beneficium, im MA die von der Krone auf; Abzeichen: silberner „Bengel“.
oder Kirche zur Nutzung gegen bestimmte Ben Gurion, David, Gründer und erster
Leistungen (Dienste oder Abgaben) ver- Regierungschef des Staates und der Repu-
gebenen Ländereien, im Kirchenrecht die blik Israel, 1886–1973; geb. im russ.-poln.
Pfründe eines Kirchenamtes; aus der Ver- Plonsk; schon 1906 im damals türk. Paläs-
bindung des B. mit der ↑ Vasallität ent- tina Vorkämpfer des ↑ Zionismus und des
stand das ↑ Lehenswesen. jüd. Siedler-Sozialismus (↑ Israel). B. G.
Benelux, Abk. für Belgique (Belgien), Ne- war von 1948–1953 und von 1956–1963
derland (Niederlande) und Luxembourg Ministerpräsident und Verteidigungsmi-
(Luxemburg); seit 1921 Luxemburg und nis­ter. 1965 Bruch mit der von ihm 1930
Belgien in Wirtschaftsunion; seit 1944 gegr. Arbeiterpartei Mapai und Gründung
mit den Niederlanden Zollunion; Vertrag der Rafi-Partei.

102
Berber

Benin, Volksrepublik in W-Afrika, ehe- bei Preuß.-Eylau besiegte. 2) B., Rudolf


mals frz. Kolonie ↑ Dahomey; 1960 un- von, dt. Politiker, 1824–1902; Hannove-
abhängig, seit 1. Dez. 1975 in B. umbe- raner; 1859 Vorsitzender des Deutschen
nannt. Erste Parlamentswahlen seit dem Nationalvereins, 1866–1898 Führer der
Militärputsch Mathieu Kerékons (1972) Nationalliberalen Partei, Anhänger Bis-
fanden 1979 statt, K. wurde im Amt des marcks, der ihn und seine Partei bis 1878
Staats- und Regierungschefs bestätigt. zur Durchsetzung seiner Politik benutzte,
Ende der 1980er Jahre aufgrund der wirt- aber dann beiseite drängte.
schaftl. Lage (geschätzte Auslandsschulden Benno, hl., 1010–1106; Bischof von Mei-
1,5 Mrd. Dollar) Abkehr vom Marxismus ßen seit 1066. Missionar der Wenden,
und Demokratisierungsprozess, gemäß Gegner der Investiturpolitik Heinrichs IV.,
der Verfassung von 1991 parlamentarische der ihn zweimal absetzte.
Präsidialrepublik. 1991–1996 Staatspräsi- Bentham, Jeremy, brit. Philosoph des
dent Nicéphore Soglo, seit April 1996 er- klass. Liberalismus, 1748–1832; Rationa­
neut Mathieu Kérékon. list und Pragmatiker; der von ihm begrün­
Benin-Reich, nach der Stadt Benin, westl. dete Utilitarismus (­Nützlichkeitsdenken)
des Nigerdeltas am Golf von Guinea be- unter dem Leitsatz „Größtmögliches
nannt, sagenhafte Gründung durch einen Glück der größtmöglichen Zahl“ (durch
König Ogane „aus dem Osten“, schon um liberale Reformen und eine Politik des
1300 Kulturzentrum am unteren Niger Laissez faire) beeinflusste nachhaltig die
(Verbindung nach Abessinien); Küsten Denk- und Verhaltensweise des westeurop.
1470 von portug. Seefahrern entdeckt und Bürgertums im 19. Jh.
erste Handelsniederlassungen mit portug. Benz, Carl Friedrich, dt. Ingenieur, 1844–
Handelsmonopol (seit 1536); Blütezeit 1929; baute 1885 einen dreirädrigen Ben-
der B.-Kultur im 15. und 16. Jh. unter zinkraftwagen mit Einzylinder-Viertakt-
den Kriegerkönigen Ewuara und Casigu, motor, als „billigstes Beförderungsmit-
vermutlich durch die Ife-Kultur direkt be- tel für Geschäftsreisende und Touristen“;
einflusst. Der Reichtum des Landes v. a. ↑ Automobil.
in der Spätzeit gründete auf extensivem Ben Zwi, Isaac, früher Schimschilewitsch,
Sklavenhandel; 1897 Eroberung durch die Isaak, israel. Politiker, 1884–1963; ging
Briten; in ↑ Nigeria aufgegangen. 1907 als Lehrer nach Palästina, 1921 Mit-
Benkendorf (Benckendorff), Alexander begründer der Gewerkschaft Histradut
Christoforowitsch Graf, russ. General und 1930 der sozialist. Arbeiterpartei Ma-
und Hofbeamter, 1781 oder 1783–1844; pai; organisierte 1931–1948 als Präsident
Ratgeber des Zaren Nikolaus I; seit 1826 des Jüd. Nationalrats die jüd. Selbstvertei-
Organisator und Chef der nach dem Auf- digung und war 1952–1963 israel. Staats-
stand der ↑ Dekabristen eingerichteten präsident.
Geheimpolizei; kam bei einem Schiffsun- Berber, nordafrikanische alpine Volks-
glück ums Leben. stämme hamitischer Abkunft, Reste der
Bennet, Gordon, nordamerik. Journalist, hellhäutigen Altbevölkerung Nordafri-
1795–1872; Gründer des „New York He- kas; im Altertum Mauren, Mauretanier,
rald Tribune“ (1835), des Vorbilds für die Numidier, Libyer, Gargamanten u. ä. be-
amerik. Massen- und Sensationspresse. nannt; nach der arabischen Einwanderung
Bennigsen, 1) B., Levin Leontjewitsch, nur noch in einzelnen Gebirgs- und Wüs­
Graf, russ. General, 1745–1826; Ver- tengebieten als Nomaden oder Ackerbau-
schwörer gegen Zar Paul I. (1801), 1807 ern reinrassig erhalten, u. a. die marokka-
Oberbefehlshaber gegen Napoleon, den er nischen B., die Rifkabylen und Tuareg, im

103
Berchtold

MA nach ihnen benannt die Berberel und lagerung in mittelalterl. Burgen; gesichert
die B.-Staaten (Marokko, Algerien, Tunis, gegen Wurfgeschosse, Erklettern, Unter-
Tripolis). graben, Rammen; Fundament­inneres oft
Berchtold, Leopold Graf, österr. Politiker, Verlies (↑ Burg).
1863–1942; Außenminister 1912–1915; Bergius, Friedrich, dt. Chemiker, 1884–
legte im Sommer 1914 mit dem Ultima- 1949; entwickelte Methoden der Kohle-
tum an Serbien die Richtung der österr. verflüssigung (B.-Verfahren zur Gewin-
und dt. Außenpolitik fest (↑ 1. Weltkrieg). nung synthet. Benzins) und der Holzver-
Berdjajew, Nikolai, russ. Religions- und zuckerung; Nobelpreis 1931.
Geschichtsphilosoph, 1874–1948; seit Bergpartei („Der Berg“, Montagne), in der
1922 in Paris, forderte ein „neues MA“, Frz. Revolution die radikalste Gruppe (Ja-
d. h. Rückkehr zu Gott; verkündete mes- kobiner und Cordeliers), die im Konvent
sian. Sendung des russ. Volkes. die oberen Sitzreihen einnahmen (Mon-
Berengar, 1) B. I., Markgraf von Friaul, tagnards); die Partei der „Ebene“ (Plaine)
Enkel Ludwigs des Frommen, um 850– wurde von den Girondisten geführt, wäh-
924; 888 König von Italien, 915 zum rend der Schreckensherrschaft verächtlich
Kaiser gekrönt, 924 ermordet. 2) B. II., als „Sumpf“ (Mamis) bezeichnet.
Markgraf von Ivrea, um 900–966; Enkel Berija, Lawrenti Pawlowitsch, sowjet. Po-
Berengars I., 950 König von Italien, 963 litiker, 1899–1953; seit 1921 im sowjet.
von Kaiser Otto I. gefangengenommen, Staatssicherheitsdienst tätig, seit 1934 im
gest. in Bamberg. ZK der KPdSU, 1938 Volkskommissar
Beresina, rechter Nebenfluss des Dnjepr; des Innern und damit Chef der Sicherheits­
im November 1812 fand hier der verhäng- organe. B. war einer der Stellvertreter und
nisvolle, verlustreiche Übergang der zu- engsten Vertrauten des Diktators Stalin.
rückflutenden Großen Armee Napoleons Nach dessen Tod 1953 amtsenthoben,
statt. in einem Geheimprozess als „imperialist.
Berg, alte Grafschaft, seit 1380 Her- Agent“ und „Verräter“ zum Tode verurteilt
zogtum, östl. des Niederrheins mit der und hingerichtet.
Hauptstadt Düsseldorf; kam 1511 zusam- Bering, Vitus, dän. Seefahrer, 1680–1741;
men mit Jülich und Ravensberg zu Kleve befuhr in russ. Diensten seit 1728 den
(1521: Kleve-Mark); 1614 (endgültig NO-Teil des Stillen Ozeans, das nach ihm
1666) Jülich und Berg an Pfalz-Neuburg, benannte B.-Meer, erforschte die NO-Küs­
mit diesem 1685 an Kurpfalz und 1777 an ten Asiens und nach Durchfahrt der nach
Bayern; 1806 napoleon. Großherzogtum ihm benannten B.-Straße 1741 die Küste
unter Joachim Murat, 1815 an Preußen. Alaskas und die Alëuten.
Bergen, norweg. Hafenplatz, 1070 von Berlichingen, Götz von, „mit der eisernen
König Olaf Kyrre gegr.; wurde alleiniger Hand“, fränk. Ritter, 1480–1562; 1525
Umschlagplatz für den Handel mit ge- von den aufständ. Bauern gezwungen, ihre
trockneten Fischen (Stock- und Klipp- Führung zu übernehmen; kämpfte später
fisch); um 1350 Errichtung eines Hanse- gegen Türken und Franzosen.
Kontors, das gegen Fische vornehmlich Berlin (Name wendisch), entstanden aus
Mehl, Bier und Salz einführte; das dt. den Fischerdörfern B. und Kölln, die um
Stadtviertel „Tydsebrüggen“ = „Dt. Brü- 1237 Stadtrecht erhielten und 1307 ver-
cke“. – 1450 Unionsvertrag von B. zw. einigt wurden; im 15. Jh. Mitglied der
Dänemark und Norwegen. Hanse; seit 1486 ständige Residenz der
Bergfried, „Berchfrid“, fester, unbewohn­ Kurfürsten von Brandenburg, um 1640
ter Hauptturm und letzte Zuflucht bei Be- 6 000 Einwohner; unter dem Großen Kur-

104
Bermudas

fürsten Festung und Stadterweiterung. Ba- Westberlins an die Bundesrepublik getrof-


rockbauten Schlüters (Schloss, Zeughaus); fen wurden. Mit der Vereinigung 1990
nach 1685 Aufnahme von Hugenotten endete die Teilung der Stadt, 1991 wurde
(↑ Réfugiés), die sich wirtsch. und geistig sie zur Hauptstadt der Bundesrepublik
positiv auswirkte; im 18. Jh. Entwicklung Deutschland erklärt. 1999 nahm die Bun-
zum beherrschenden wirtsch. und kul- desregierung ihre Arbeit in Berlin auf.
turellen Mittelpunkt des preuß. Staates; Berliner Kongress, 13. Juni–13. Juli 1878
unter Friedrich d. Gr. 100 000 Einwoh- unter Vorsitz Bismarcks als „ehrlicher
ner, 1760 vorübergehend von Russen, Makler“; in Berlin durchgeführte Konfe-
1806–1808 von Franzosen besetzt; 1808 renz der führenden Staatsmänner der eu-
Selbstverwaltung; 1810 Universität (Aus- rop. Großmächte und der Türkei zur Neu-
gangspunkt der geistigen und sittlichen ordnung der Verhältnisse auf dem Balkan
Erneuerung Preußens); klassizist. Bauten nach dem ↑ russ.-türk. Krieg von 1877 und
Schinkels; 1848 Mittelpunkt der Revolu- dem (hinfälligen) Frieden von San Stefano
tion in Preußen; Entwicklung zur Groß- (3. März 1878). Die neue Balkanordnung
stadt; 1871 Hauptstadt des Dt. Reiches; führte jedoch zu neuen Spannungen, Ver-
„Gründer(bau)fieber“ und rapide Entwick- schärfung der russ.-österr. Rivalität und
lung zur Weltstadt und Industriestadt, mit der nationalen Frage auf dem Balkan.
bedeutenden Kulturstätten (Preuß. Staats- Berliner Mauer, 1961 von der DDR-Re-
bibliothek, Pergamon-, Kaiser-Friedrich- gierung errichtet, riegelte Ost- und West-
Museum, Staatsoper, Schillertheater u. a.); Berlin hermetisch ab. Die 45,1 km lange Be-
1918/19 revolutionäre Unruhen und Stra- tonmauer war mit Sicherungsanlagen verse-
ßenkämpfe (Spartakistenaufstand); 1920 hen, das Wachpersonal hatte Schießbefehl.
Eingemeindung zahlreicher Randstädte; Durch Öffnung der Grenze seit Nov. 1989
größte Industriestadt Europas; im 3. Reich obsolet geworden, 1990 abgetragen.
wurde B. eigene Provinz; im 2. Weltkrieg Berlinguer, Enrico, ital. Politiker, 1922–
verheerende Luftangriffe; 25. April bis 1984; seit 1959 im Parteivorstand der KP,
2. Mai 1945 von den Russen erobert, da- 1969 stellvertretender Generalsekretär der
nach in vier Besatzungssektoren geteilt; Partei.
1948 sowjetruss. Blockade der Westsek- Bermudakonferenzen, 1. B., 1953: Be-
toren („Luftbrücke“), Trennung des Ost- kräftigung der atlantischen Solidarität
sektors unter eigenem Magistrat; B. (Ost) der NATO durch die Regierungschefs
Hauptstadt der DDR; Garantie der West- von Frankreich, Großbritannien und den
mächte für die Westsektoren, 1958 B.-Ul- USA. 2. B., 1957: Abstimmung der Außen­
timatum der UdSSR, führte zu Ost-West- politik von Großbritannien und den USA
Verhandlungen 1959; neue sowjet. For- durch Eisenhower und Macmillan. 3. B.,
derungen weiteten 1961 die B.-Krise zur 1961: Vereinbarung zwischen Kennedy
Weltkrise aus: B. (West) sollte zur Freien und Macmillan über Intensivierung der
Stadt erklärt und das Kontrollrecht auf Entspannungs- und Abrüstungsgespräche
den Verbindungsstraßen und die Luft- mit der UdSSR.
kontrolle der DDR übertragen werden. Bermudas, Inselgruppe im Atlantik, brit.
1961 Absperrung von B. (Ost) durch die Kolonie, US-Marine- und Luftstützpunkt
„Mauer“ (Stopp des Flüchtlingsstroms). im Rahmen der NATO. Durch die Ver-
Die Berlinverhandlungen der vier Mächte fassung von 1968 erhielten die B. Selbst-
führten 1971 zu einer Vereinbarung über verwaltung, engl. Recht gilt weiterhin,
B. (West), in der vor allem Bestimmungen Landesverteidigung durch das brit. Mut-
über die Sicherheit und die Bindungen terland.

105
Bern

Bern, Bundeshauptstadt der Schweiz und das ihm als Fürstentum versprochen war,
Hauptstadt des Kantons B., 1191 von und eroberte 1638 die Festung Breisack
Berthold V. von Zähringen gegründet; im (Schlüsselstellung der Habsburger); nach
13. Jh. Reichsstadt; 1353 Beitritt zur Eid- seinem Tod wurden seine Eroberungen,
genossenschaft; 1415 Eroberung des Aar- entgegen dem Letzten Willen B.s, von
gaues, 1536 der Waadt; 1528 Reformation Frankreich einbehalten.
Zwinglis; 1798–1813 frz. Besetzung und Bernstein (Ambra, Augenstein), fossiles
Abtretung von Aargau und Waadt; 1848 Nadelholzharz, „Vater des Handels“; aus
Bundeshauptstadt. der Jungsteinzeit Schmuckstückfunde in
Bernadotte, Jean Baptiste, General Na- Kleinasien; in der Bronzezeit Luxushan-
poleons I. und Marschall von ­ Frankreich, delsgut selbst im Mittelmeerraum (My-
1764–1844; 1804 Gouverneuer des von kene), im Fernhandel auf den „B.-Stra-
den Franzosen besetzten Hannover; 1810 ßen“ herangebracht; im späten MA Rega-
als schwedischer Kronprinz adop­tiert; 1813 lien des Dt. Ordens.
Führer der Nordarmee im Befrei­ungskrieg Bernstein, Eduard, dt. sozialist. Theoreti-
(Leipzig); 1818–1844 als Karl XIV. König ker, 1850–1932; ging 1878 nach Zürich,
von Schweden. später nach London, wo er den Fabianis-
Bernauer, Agnes, Tochter eines Baders aus mus (↑ Fabian Society) kennen lernte, trat
Augsburg, 1432 heimlich mit Herzog Al­ mit einer Kritik am Marxismus hervor,
brecht III. von Bayern vermählt und 1435 den er wegen nicht eingetroffener Voraus-
von dessen Vater in der Donau ertränkt. sagen (Verelendungstheorie von Marx) für
Bernhard, Prinz der Niederlande, 1911– revisionsbedürftig erklärte, und begrün-
2004; heiratete 1937 Juliana, die Kron- dete den Revisionismus; wirkte vor allem
prinzessin der Niederlande, 1976 in Be­ für die Gewerkschaften, die sich hinter ihn
stechungsskandal (Lockheed) verwickelt. stellten.
Bernhard von Clairvaux, gen. Doctor Bernstorff, mecklenburg. Uradel: 1) B.,
mellifluus = honigfließender Lehrer, Kir- Johann Hartweg, Graf von, dän. Minis-
chenlehrer, bedeutender Kirchenpoliti- ter, 1712–1772; Reformen im Geiste der
ker, 1091–1153; Begründer einer tiefen Aufklärung, förderte die Literatur, Gön-
Christusmystik (Gegner Abälards) mit ner Klopstocks, den er nach Dänemark
dem Auftrag zu Predigt und Werken der holte. 2) B., Johann Heinrich, dt. Diplo-
Liebe; Begründer der Mystik des MA; mat, 1862–1939; Botschafter in den USA
von weitreichendem Einfluss auch auf die 1908–1917, versuchte den Kriegsein-
Reichsentwicklung („ungekrönter König tritt der USA zu verhindern; dann in der
im Abendland“); prägte wesentlich den Türkei; 1926 dt. Vertreter in der Abrü-
Zisterzienserorden, rief zum 2. Kreuzzug stungskonferenz des Völkerbundes.
auf. Bernward, Bischof von Hildesheim, hl.,
Bernhard von Weimar, protestant. Feld- um 960–1022; Erzieher und Kaplan Kai-
herr im 30-jährigen Krieg, 1604–1639; ser Ottos III., Anhänger der cluniazens.
seit 1631 in schwed. und in frz. Diens- Reformbewegung (↑ Cluny), Gelehrter
ten, entschied nach Gustav Adolfs Tod die und Förderer der Kunst; unter ihm wurde
Schlacht bei Lützen (1632), erhielt 1633 Hildesheim zum Kunstzentrum („Bern-
ein Herzogtum Franken, das er nach sei- wardkunst“, Dom St. Michael, Bernwards­
ner Niederlage bei Nördlingen 1634 ge- türen, deren Reliefs Anfang der roman.
gen die Kaiserlichen wieder verlor; nach Plastik sind).
dem Prager Frieden (1634) Übertritt in Berosos, babylonischer Priester und Ge-
frz. ­Dienste; kämpfte mit Erfolg im Elsass, schichtsschreiber um 280 v. Chr.; Verfasser

106
Bessarion

einer Geschichte des chaldäisch-babylon. Besançon, alte Hauptstadt der Sequaner


Reiches, die nur in Bruchstücken noch (Vesontio), 1032 zum Dt. Reich; Reichs-
vorhanden ist. tag von B. 1157 (Auseinandersetzung
Berry, Charles Ferdinand, Herzog von, zwischen dem päpstlichen und dem kai-
1778–1820; Sohn des Grafen von Artois, serlichen Kanzler, Roland von Siena und
des späteren Königs Karl X., floh 1792 aus Rainald von Dassel); Freie Reichsstadt
Frankreich, Emigrantenführer, 1814 zu- seit 1283; 1555–1648 spanisch, 1678 zu
rückgekehrt; 1815 von Ludwig XVIII. mit Frankreich.
dem Befehl über die Truppen in Paris be- Besatzungsstatut, regelte 1949 das Be-
traut, ermordet. satzungsrecht der USA, Großbritanniens
Bertha, 1) B., „mit dem großen Fuß“, „die und Frankreichs in der Bundesrepublik
Spinnerin“, Gattin Pippins des Kurzen, (unter Vorbehalt Zuerkennung der gesetz-
Mutter Karls d. Gr., gest. 783 (sagenum- gebenden, vollziehenden und rechtspre-
woben und historisch nicht sicher). 2) B., chenden Gewalt, sofern die Sicherheit der
Tochter Karls d. Gr. und seiner Gemahlin Besatzungsmächte gewahrt blieb; Grund-
Hildegard, Angilberts heimliche Gemah- gesetzänderungen waren genehmigungs-
lin, Mutter des Chronisten Nithard. 3) B., pflichtig; die Bundesrepublik blieb ent-
Tochter des burgund. Grafen Otto von Sa- militarisiert; Einspruchsrecht gegen Ge-
voyen und der Markgräfin Adelheid von setze); Milderung 1951 (Recht zu eigener
Turin, gest. 1087; 1065 vermählt mit Kai- Außenpolitik, Wegfall des Prüfungsrechtes
ser Heinrich IV. bei Gesetzen); Ablösung 1952 durch
Berthier, Alexander, Herzog von Neu­ ↑ Deutschland-Vertrag (Bonner Vertrag),
châtel, Fürst von Waltram, frz. Marschall der nach Ablehnung durch Frankreich
und Stabschef Napoleons I., 1753–1815; durch ↑ Pariser Verträge (1955) ersetzt
beging Selbstmord. wurde, ↑ Deutschland, Bundesrepublik.
Berthold von Henneberg, Kurfürst, Erz- Bessarabien, Gebiet zwischen Pruth, Dn-
bischof von Mainz, 1442–1504; Reichs- jestr und Schwarzem Meer; im Altertum
kanzler (Leiter der Reichskanzlei) unter von Skythen bewohnt; kam unter röm.
Maximilian I., betrieb mit Tatkraft und und got. Herrschaft, im 7. Jh. von den
Ausdauer Pläne zu einer umfassenden thrak. Bessen erobert, deren sagenhafter
Reichsreform (Stärkung der Reichs ge- Fürst Bessarab dem Land den Namen gab;
genüber der kaiserlichen und Territorial­ seit 1367 bildete B. die östl. Hälfte des
gewalt, Reichsheer, Reichssteuer, Reichs- Fürstentums Moldau unter türk. Oberho-
untertanenschaft), scheiterte nach An- heit; 1812 zu Russland, 1856 teilweise zu-
fangserfolgen (Errichtung des Reichskam- rückgegeben; 1878 von dem 1858 gebil-
mergerichts) an den Sonderinteressen des deten Rumänien ganz an Russland abge-
Kaisers und der Reichsstände. treten (↑ Berliner Kongress); 1918–1920
Berthold von Regensburg, Franziskaner- Anschluss an Rumänien unter russ. Pro-
mönch, einflussreicher Wanderprediger, test; 1940 wieder an Russland; 1941–1944
1220–1272. vorübergehend nochmals rumänisch.
Berwick, James Fitzjames, Herzog von, Bessarion, Johannes, byzantin. Humanist
Marschall von Frankreich, 1670–1734; und Kirchenpolitiker, um 1403–1472;
natürlicher Sohn des späteren Königs Ja- 1437 Erzbischof von Nicäa, 1438/39 auf
kobs II. von England; 1691 im Dienst dem Konzil von Ferrara/Florenz für die
Ludwigs XIV.; eroberte 1714 Barcelona; Wiedervereinigung der griech. mit der
im poln. Erbfolgekrieg vor Philippsburg röm. Kirche tätig; 1439 zum Kardinal in
gefallen. Rom ernannt, seitdem in Italien als Ver-

107
Bessières

mittler griech. Literatur; 1463 lat. Patri- deklaration (12. Dez. 1916); Rücktritt
arch von Konstantinopel. Juli 1917; B. versagte durch seine Politik
Bessières, Jean Baptiste, Herzog von des „Zu spät“ und der Halbheiten, war in
Istrien, frz. Marschall, 1768–1813; wehrpolit. Fragen Tirpitz und Ludendorff
kämpfte in Ägypten, Oberitalien (Ma- unterlegen.
rengo), Österreich und Russland; als Bettelorden (Mendikanten), Mönchs-
Kommandeur der Garde bei Großgör- orden seit ca. 1220, zu deren Regel das
schen (Lützen) gefallen. Gelübde der Armut gehört, das privates
Bessos, pers. Satrap der Provinz Baktrien, und klösterliches Eigentum verbietet: nur
schwang sich nach Ermordung des Königs Nutznießung für einfachste Lebensbe-
Darius III. 330 v. Chr. als Artaxerxes IV. dürfnisse, Leben von milden Gaben (da-
zum König auf; 329 von Alexander d. Gr. für Seelsorge, Unterricht), Rückkehr zur
gefangen genommen und als Königsmör- apostol. Strenge und Sittenreinheit (Buß-
der nach pers. Recht hingerichtet (grau- bewegung), als Seelsorger und Prediger vor
same Kreuzigung). allem in volkreichen Städten tätig; weitge-
Besthaupt, im MA Abgabe des besten hende Missionstätigkeit, urspr. Franziska-
Stückes Vieh oder anderer Besitzstücke ner, und Dominikaner später auch Karme-
an den Grundherrn aus dem Erbe des hö- liter, Kapuziner, Augustiner, Serviten u. a.
rigen Bauern nach dessen Ableben (eine Beust, Friedrich Ferdinand Graf von,
Art Erbschaftssteuer). sächs. und österr. Staatsmann, 1809–
Bestuschew-Rjumin, Alexei Petrowitsch 1886; zunächst in sächs. diplomat. Dienst
Graf, russischer Staatsmann, 1693–1766; (Berlin, Paris, München, London und
1744–1758 Großkanzler der Zarin Elisa- 1848 Gesandter in Berlin); 1849 sächs.
beth, führte Russland gegen Preußen in Außenminister, bald auf Seiten Preußens,
den 7-jährigen Krieg, fiel 1757 wegen sei- bald Österreichs; Gegner des Zollvereins;
ner Eigenmächtigkeiten in Ungnade und nach 1859 für Reform des Dt. Bundes im
wurde verbannt. Sinne der ↑ Trias-Idee; ab 1864 entschie-
Bethlen, Gabor (Gabriel), Fürst von Sie- den antipreußisch, nach Königgrätz auf
benbürgen, 1580–1629; Gegner Habs- Veranlassen Bismarcks zurückgetreten;
burgs und Verbündeter der Protestanten ging in österr. Dienste (1866 Außenminis­
im 30-jährigen Krieg, fiel mehrmals in die ter, 1867 Ministerpräsident), maßgeblich
österr. Erblande ein; 1620 zum König von beteiligt am österr.-ungar. ↑ Ausgleich;
Ungarn gewählt, 1621 zum Verzicht ge- Annäherung an Frankreich und Italien;
zwungen. 1870 durch die Haltung Ungarns und den
Bethmann Hollweg, Theobald von, dt. Druck Russlands am Eingreifen gehindert,
Staatsmann, 1856–1921; Reichskanzler 1871 entlassen.
1909–1917; Verfassung und Wahlreform Beveridge, William Lord, brit. liberaler
für Elsass-Lothringen; in der Marokko- Politiker und Sozialreformer, 1879–1963;
krise 1911 diplomat. Niederlage; 1913 verdient um die Errichtung der Arbeit-
Heeresverstärkung, 1914 Bagdadabkom- sämter in England: entwarf 1942 im Auf-
men mit England, 1914 durch das Vorge- trag Churchills den nach ihm benannten
hen Österreichs diplomat. überspielt; nach Plan einer umfassenden brit. Sozialversi-
Ausbruch des Krieges entschuldigte er im cherung nach kontinentaleurop. Muster
Reichstag das Unrecht des Einmarsches (1946 in den Grundzügen verwirklicht).
in Belgien mit Notwehr; Gegner des ver- Bevin, Ernest, brit. Arbeiterführer und
schärften und des uneingeschränkten U- Politiker, 1881–1951; Arbeitsminister im
Boot-Krieges; Fehlschlag der Friedens­ Kriegskabinett Churchill 1940; 1945–

108
Bibel

1951 Außenminister im Kabinett Attlee, gen Verweigerung einer Aussage zu 3 Jah-


maßgeblich beteiligt am Zustandekom- ren Zwangsarbeit verurteilt, im selben
men des Brüsseler Vertrages (1948), der Jahr wurde ihre Kandidatur bei den Par-
OECD (1948) und der NATO (1949). lamentswahlen abgelehnt; aus dem Exil
Beza, Theodor, Genfer Theologe, 1519– versucht sie weiterhin, gegen das 1999 er-
1605; Freund und 1564 Nachfolger Cal- richtete pakistanische Militärregime anzu-
vins, Lehrer an der Theolog. Akademie kämpfen.
in Genf, führender Apologet der refor- Biafra, Ostteil Nigerias, erklärte sich 1967
mierten Kirche; organisierte Hilfsaktionen für selbständig. In der krieger. Auseinan-
für die Hugenotten. dersetzung konnte es sich gegen die Trup-
Bharat, amtlicher Name der ↑ Indischen pen der nigerian. Bundesregierung nicht
Union, nach einem sagenhaften Kaiser behaupten. Seit der Kapitulation 1970 ist
Bharata. B. wieder voll in den nigerian. Staat inte-
Bhutan, konstitutionelle Monarchie im griert.
Himalaja, zw. ↑ Nepal, Indischer Union Bibel (griech. ta biblia, die Bücher, oder
und Tibet; außenpolit. Vertretung und biblos, das Buch), hl. Schrift, Wort
Landesverteidigung durch ind. Union Gottes, das Wort, Buch der Bücher, Altes
(seit 1949 auch jährliche Unterstützungs- (A. T.) und Neues Testament (N. T.); von
zahlung); im 19. Jh. Kolonialkämpfe mit den christl. Kirchen in verschiedenem
Brit.-Indien, Abwehr der chin. Herr- Umfang als Urkunde göttlicher Offenba-
schaftsansprüche. 1971 wurde B. Mitglied rung anerkannt, Grundlage für Glauben
der UN. Seit 1974 Bestrebungen nach und Lehre. Das A. T. begann in der Zeit
wirtsch. und außenpolit. Unabhängigkeit der Könige (seit 11. Jh. v. Chr.) zu entste-
von Indien. hen; seine Entwicklung bis zum für das Ju-
Bhutto, Zulfikar Ali-Khan, pakistan. Poli- dentum wie für das Christentum verbind-
tiker, 1928–1979; war 1963–66 Außenmi- lichen Kanon währte mehr als 1 000 Jahre
nister, gründete die linksgerichtete opposi- (Abschluss etwa 90 n. Chr.), doch ist die
tionelle „Volkspartei“, befürwortete 1971 Kanoneigenschaft einiger Schriften strit-
die militär. Intervention der westpakistan. tig geblieben (im Protestantismus gelten
Zentralregierung gegen den Separations- die nur in griech. Sprache vorliegenden
versuch O-Pakistans; 1971–73 Staatsprä- Schriften der Spätzeit, z. B. Bücher der
sident, 1973–1977 Ministerpräsident. B. Makkabäer, Sprüche Jesus Sirachs, Weis-
wurde nach einem Militärputsch verhaftet heit Salomos, zwar als „klug und nütz-
und 1978 wegen Anstiftung zum Mord an lich“, aber als unkanonisch, apokryph;
einem polit. Gegner zum Tode verurteilt; der Katholizismus hat sie als deuteroka-
trotz Intervention ausländ. Politiker 1979 nonisch vollwertig in den Kanon aufge-
hingerichtet. – Seine Tochter und Mitar- nommen; das Judentum erkennt sie z. T.
beiterin Benazir B., geb. 1953, gewann an); das A. T., das aufgrund mündlicher
1988 nach dem Tod von B.s Nachfolger Überlieferung urspr. hebr. und chaldäisch
(und Gegner) Ziaul Haq die Parlaments- abgefasst wurde, umfasst etwa den Zeit-
wahlen und wurde im Dezember 1988 zur raum eines Jahrtausends und enthält den
Ministerpräsidentin ernannt – die erste Bericht vom „auserwählten Volk“ Israel als
Regierungschefin eines islam. Staates, im Heilsgeschichte (Größe Gottes, Abhängig-
Juli 1990 entlassen, kam 1993 erneut ins keit der Geschöpfe von ihm, Gebote sitt-
Amt (bis 1996). 1999 in Abwesenheit zu licher Lebensführung, Wirken Gottes in
5 Jahren Haft verurteilt, 2001 in einem der Geschichte); es enthält 1) das Gesetz
neuen Verfahren 3 Jahre Haft. 2002 we- und die überlieferte Geschichte (den Pen-

109
Bibliothek

tateuch, jüd. Thora, alexandrinische Bez. dotion (2. Jh. n. Chr.), Hieronymus (um


der fünf Bücher Mose: Genesis, Exodus, 400, ↑ Vulgata), außerdem frühe Überset-
Leviticus, Numeri, Deuteronomium); zungen ins Samaritanische, Aramäische,
2) die Propheten (Geschichte und Reden Koptische, Äthiopische, Syrische, Go-
der Propheten als Verkünder des Wortes tische (↑ Wulfila). Die Übersetzung Mar-
Gottes, als Volkslehrer, Mahner, Gottge- tin ↑ Luthers war von entscheidender Be-
sandte); 3) die Schriften (Psalmen, Sprü- deutung für die Reformation und zugleich
che, das Hohelied, Klagelieder) der Predi- für die Entwicklung der dt. Sprache. Da-
ger, Lehrbücher; 4) die apokryphen bzw. neben Zürcher Bibel ↑ Zwinglis.
deuterokanon. jüngeren Schriften (siehe Bibliothek (Büchersammlung), älteste
oben) mit verstärkter Hindeutung auf den nachweisbare B. die Tempel-B. der Ba-
Messias. – Das N. T. umfasst weniger als bylonier in Nippur (zurückreichend bis
ein Jahrhundert und ist griech., z. T. ara- 2200 v. Chr.) aus Tontafeln; umfang-
mäisch abgefasst; es ist Quelle für das Le- reich die B. von Chattusa-Bogazköy
ben Jesu und seiner Jünger, für Glauben (14./13. Jh. v. Chr., Keilschriften); B. mit
und Leben der frühen Gemeinden und vorderasiat. Literaturdenkmälern die Ton-
die erste Ausbreitung des Christentums; tafelsammlung des assyr. Königs ↑ Assur-
erstes Schriftzeugnis sind (etwa 2 Jahr- banipal im Palast zu Ninive (7. Jh. v. Chr.);
zehnte nach Christi Tod) die Paulusbriefe; zu den größten B.en des Altertums zähl-
fast gleichzeitig entstanden wohl in ara- ten die zu Alexandria (↑ Museion, vor dem
mäischer Sprache erste Aufzeichnungen Brand 48/47 v. Chr. etwa 700 000 Schrift-
von Reden und Taten Christi, dann als rollen) und die zu Pergamon; in Rom ver-
erstes Evangelium das des Markus (um fügten Cicero, Atticus, Vergilius usw. über
70), kurze Zeit später das Evangelium eigene Privatbibliotheken; C. Asinius Pol-
des Matthäus, zwischen 70 und 100 das lio gründete 39 n. Chr. die erste öffentliche
Evangelium des Lukas und die Apostelge- B.; im 4. Jh. n. Chr. hatte Rom 28 öffent-
schichte; vor 100 das Evangelium und die liche B.en; im MA bestanden B.en nur in
Apokalypse des Johannes („Offenbarung den Klöstern und bei manchen Hauptkir-
des Johannes“, Visionen von Himmel und chen (erste Klosterbibliothek durch Cassi-
Hölle, von Endzeit und Weltgericht); der odor um 540 in Vivarium); Blüte in der
Kanon des N. T. gegen Ende des 2. Jh. im Karolingerzeit (Kölner Dom-B.); seit dem
wesentlichen festgelegt, doch bei Griechen 13. Jh. auch an den Universitäten (mit
und Lateinern noch lange unterschiedlich; Katalogen und Ausleihe); gewaltiger Auf-
Abschluss gegen Ende des 4. Jh. – Hand- schwung seit dem 15./16. Jh. durch den
schriften: Papyrus mit Teil des Johannes- Humanismus, vor allem seit der Erfindung
Evangeliums um 130 n. Chr.; Rollentexte des Buchdrucks (Laurentiana in Florenz,
vom Toten Meer (Jesaja, Jesus Sirach, Vaticana in Rom); infolge der Klosterauf-
Buch Tobias) auf Leder und Papyrus (um hebung Errichtung von städt. B.en; nach
200 n. Chr.). Papyrus Bodmer II (um 200, Ausbildung der neueren Territorialstaaten
14. Kapitel des Johannes-Evangeliums); Gründung von fürstlichen (den später
Texte im sog. „Thomas-Evangelium“ staatlichen) B.en (berühmt die Palatina
(2./3. Jh.); die Codices Vaticani (4. Jh.), = Pfälzische B. zu Heidelberg); Anfang
Sinaiticus (4. Jh.), Alexandrinus (5. Jh.), des 19. Jh. wanderten die reichen Bücher-
Ephraemi (5. Jh.) u. a. – Übersetzungen: schätze der aufgehobenen Klöster in die
↑ Septuaginta (3. u. 2. Jh. v. Chr.), früh- Landes-B.en; erst im 19. Jh. die moderne
christliche lat. Übersetzung (Vetus Latina), B., allgemein zugänglich, mit großzügigen
Ben Akiba Aquila, Symmachus und Theo- Benutzungsmöglichkeiten (↑ Buch).

110
Bischof

Bidault, Georges, frz. Politiker, 1899– auf der Synode von 843 in Konstantino-
1983; 1946 und 1949/50 Ministerprä- pel die Beschlüsse von 787 endgültig be-
sident, Gegner der Algerienpolitik de kräftigt.
Gaulles. Bildersturm, Zerstörung von Heiligenbil-
Biedermeier, Kultur des Bürgertums im dern und -figuren in der Reformationszeit
dt. Vormärz 1815–1848; Bezeichnung ab- durch extreme Anhänger der neuen Lehre
geleitet von zwei komischen Typen in der (Vorwurf des Götzendienstes); Luther trat
Zeitschrift „Fliegende Blätter“: Bieder- gegen die Bilderstürmer auf; in der luther.
mann und Bummelmeier (Ludwig Eich- Kirche wurden Bilder als Schmuck er-
rodts Biedermeiergedichte); Lebensstil des laubt; die Reformierten lehnten Bilder in
zurückgezogen lebenden Bürgers (gemüt- ihren Kirchen ab.
lich, einfach, sparsam, philiströs); in der Bill of Rights, engl. Staatsgrundgesetz von
Möbelkunst: Zopfstil und antikisierende 1689, hervorgegangen aus der „Declara-
Mode; solide in Material und Arbeit, tion of Rights“, in der das Parlament seine
schlicht und sparsam; Mittelpunkt der alten Rechte und Forderungen gegenüber
Geselligkeit die Familie, der Salon; Bie- der Krone zusammenfasste (Steuerbewil-
dermeier in der Literatur: Übergang von ligungsrecht, Freiheit der Wahl und der
der Romantik zum Realismus. Rede, kein stehendes Heer), anerkannt
Bier, schon in ältesten Zeiten hergestellt; von Wilhelm III. von Oranien bei seiner
in Babylonien und Ägypten aus Emmer Thronbesteigung; die Gefahr des Absolu-
oder Gerste gewonnen; die Nordvölker tismus war dadurch gebannt und der Par-
kannten nach Pytheas (um 240 v. Chr.) lamentarismus fest begründet.
ebenfalls das B.; Priscus erwähnt es als Billunger, wahrscheinlich aus Franken
Getränk im Lager Attilas (448 n. Chr.), stammendes Geschlecht, das 950–1106
bei den Griechen und Römern wenig ge- die Herzogwürde in Sachsen innehatte.
schätzt. – Im MA wurde die Kunst des Birger Jarl, Regent von Schweden seit
Bierbrauens vor allem von den Klöstern 1248, aus der Familie der Folkunger,
gepflegt. Brauen und Ausschank mit be- schloss Handelsverträge mit der Hause,
sonderen Privilegien verbunden; führende erhob Stockholm zur Stadt, gest. 1266.
dt. Braugebiete in Bayern und Westfalen; Birma, ↑ Burma.
norddt. Bier war eines der Hauptexport- Biroll, Graf von (Ernst Johann von Büh­
güter der Hanse. ren), russ. Staatsmann, 1690–1772; unter
Bilderstreit in Byzanz: Kaiser Leo III. ver- Zarin Anna 1730–1740 Lenker der russ.
bot 726 und 730 die Verehrung der Hei- Politik auf den Bahnen Peters d. Gr., Geg-
ligenbilder, die im Orient zu Entartungen ner der altruss. Partei, 1737 Herzog von
geführt hatte, und machte das Verbot zu Kurland, 1740–1762 verbannt.
einer völligen Verneinung der Bilderver- Bischof (griech. episkopos, Aufseher);
ehrung; die Westkirche verdammte die oberster kirchl. Würdenträger in ei­nem
grundsätzliche Leugnung des Bilderkults, Sprengel (Diözese), nach kath. Auffassung
da die Verehrung dem Urbild der Darstel- als Nachfolger der Apostel; er wurde in der
lung gelte; der Parteikampf der Bilderstür- älteren Zeit von den ­ Gemeindeältesten,
mer (Ikonoklasten) und der Bilderdiener später von Klerus und Volk der Bischofs-
(Ikonodulen) wirkte zersetzend im byzan- stadt gewählt, schließlich vom Papst er-
tin. Reich: Unter Kaiserin Irene erlaubte nannt. Die byzantin. Kaiser beanspruch-
das 7. allg. Konzil zu Nicäa 787 den Bil- ten schon früh das Recht der Ernennung
derdienst; nach einem Wiederaufleben des der Bischöfe der oström. Kirche, ein An-
Streites wurden unter Kaiserin Theodora spruch, den in der folgenden Zeit auch

111
Bismarck

die german. Fürsten und Könige für ihre nennung zum preuß. Ministerpräsidenten
Herrschaftsbereiche erhoben. Nach ger- und Außenminister, gewaltsame Lösung
manischem Recht war der Grundherr, der des preuß. Verfassungskonfliktes um die
auf seinem Grund und Boden eine Kir- Heeresreform (Auflösung des Landtages);
che baute, Eigentümer dieser Kirche, ver- dann planmäßige Inangriff­nahme der Pro-
pflichtete sie zu Abgaben und war auch bleme der dt. Einheit unter Führung Preu-
Herr über die Zuwendungen, die ihr von ßens und Ausschluss Österreichs (kleindt.
den Gläubigen gemacht wurden; aus die- Lösung): 1864 Krieg gegen Dänemark um
sem Recht (↑ Eigenkirchenrecht) leitete Schleswig-Holstein, 1866 Kampf gegen
sich auch der Anspruch auf die Ernennung Österreich, Schonung des besiegten Öster-
und Absetzung der Geistlichen ab; da die reichs und der süddt. Staaten, Gründung
Könige ihren Herrschaftsbereich, die spä- des Norddt. Bundes; 1867 Bundeskanzler;
teren Kaiser das Gesamtreich als ihr Grund­ 1870 Krieg gegen Frankreich; 1871 Prokla-
eigentum und die Kirchen als Eigenkir- mation des Dt. Kaiser­reiches in Versailles;
chen betrachteten, vertraten sie die Auffas- Erhebung in den Fürs­tenstand, Reichs-
sung, dass sie als „Grundherren“ auch die kanzler und Vorsitzender des Bundesrates
Bischöfe einsetzen oder absetzen könnten; (starke Stellung in Reichsverfassung veran-
der Jahrhunderte lange Kampf zw. dem kert), 1878 innenpolit. Wendung (Über-
Papsttum und den Königen bzw. den Kai- gang zur Schutzzollpolitik, Trennung von
sern um die Besetzung der Bischofssitze den National­liberalen); 1878 „ehrlicher
und die Belehnung mit dem Bischofsamt (ausgleichender) Makler“ auf dem ↑ Ber-
(↑ Investitur; die B. waren auch weltliche liner Kongress (Verstim­mung Russlands);
Fürsten, einige später Kurfürsten) hatte in 1879 Abschluss des Verteidigungsbünd-
dieser germanischen Rechtsauffassung eine nisses mit Österreich, 1882 nach Beitritt
seiner Ursachen, mit dem Wormser Kon- Italiens zum ↑ Dreibund erweitert (1883
kordat 1122 endgültig bereinigt; die ↑ Sä- Anschluss ­Rumäniens); 1887 ↑ Rückversi-
kularisierung in der Reformation, in Eng- cherungsvertrag mit Russland; 1890 nach
land unter Heinrich VIII., in Frankreich in erbitterter Machtprobe von Kaiser Wil-
der Frz. Revolution und in Deutschland helm II. entlassen, danach Abfassung der
1803 (↑ Deputationshauptschluss), besei- „Gedanken und Erinnerungen“ (eigent-
tigte fast alle von Bischöfen verwalteten licher Titel: „Erinnerung und Gedanke“).
weltlichen Territorien. – In der anglikan. – B.s Staatskunst sicherte durch seine
und schwed. Kirche B.-Amt etwa dem des Bündnispolitik den Frieden Europas nach
kath. entsprechend; in den dt. Landeskir- 1871, doch im Innern belastete er die
chen seit 1933 Titel des leitenden Geist- deutschen Zustände mit der Durchfüh-
lichen (Landes-B.). rung des Kulturkampfes, einer oft parla-
Bismarck, Otto von B.-Schönhausen (seit mentsfeindlichen Haltung und der Ein-
1865 Graf, 1871 Fürst, 1890 Herzog von bringung des Sozialistengesetzes; Schöp-
Lauenburg), preuß.-dt. Staatsmann, 1815– fer der ersten umfassenden Sozialgesetz-
1898; aus altem märk. Adel, 1837 Regie- gebung der Welt (Unfall-, Kranken- und
rungs-Referendar in Potsdam, 1839 Guts- Altersversicherung).
herr und Deichhauptmann zu Schönhau- Bistum (Sprengel), Amtsbezirk eines kath.
sen, 1847–1850 konservativer Abgeordne- Bischofs; durch Belehnungen wurden die
ter, 1851 Gesandter Preußens beim Bun- Bistümer seit Otto I. teilweise zu selbstän-
destag in Frankfurt/Main (preuß. Macht- digen, reichsunmittelbaren Fürstentü-
politik gegen Österreich), 1859 Botschaf- mern; im 16./17. Jh. und 19. Jh. säkula-
ter in Petersburg, 1862 in Paris, danach Er- risiert, rein kirchliche Verwaltungsbezirke.

112
Blaustrumpf

Bithynien, Landschaft im NW Kleinasiens Blake, Robert, engl. Admiral und Seeheld,


am Marmarameer, Bosporus und Schwar- 1599–1657; durch seine Siege über Hol-
zen Meer, Hauptstadt Nikomedia (gegr. länder (1653) und Spanier (1657) wurde
264 v. Chr.), wichtigste Stadt Nicäa; nach er zum Mitbegründer der engl. Seeherr-
Zerfall des Perserreiches selbständig, seit schaft (↑ Navigationsakte 1651).
190 v. Chr. unter röm. Einfluss, 73 v. Chr. Blanc, Louis, frz. sozialist. Theoretiker, Po-
röm. Provinz, 395 n. Chr. oströmisch, seit litiker und Historiker, 1811–1882; kriti-
dem 13. Jh. osmanisch. sierte als einer der ersten den Wirtschafts-
Bizone, Bez. für das im Dez. 1946 ge- liberalismus, forderte Arbeiterproduktions­
schaffene einheitliche Wirtschaftsgebiet genossenschaften unter staatlicher Regie
aus amerik. und brit. Besatzungszone und staatliche Garantie des Rechtes auf
in Deutschland; 1947 wurde ein Wirt- Arbeit, verwirklichte als Mitglied der pro-
schaftsrat der B. gebildet, der als ein Wirt- visor. Regierung 1848 sein Programm in
schaftsparlament die Vorform der westdt. Form der Nationalwerkstätten (aufgelöst
Regierung darstellte; April 1949 durch 1849), ging nach dem Maiaufstand ins
Anschluss der frz. Besatzungszone zur Tri- Exil;1871 in der Nationalversammlung
zone erweitert. Gegner der Kommune.
Björkö, Insel im Finnischen Meerbusen, Blanca von Kastilien, Königin von Frank-
1905 Zusammenkunft und (persönlicher) reich, 1188–1252; vermählt mit Lud-
Vertrag zw. Kaiser Wilhelm II. und Zar wig VIII., regierte als Vormund ihres
Nikolaus II., Verteidigungsbündnis, das Sohnes Ludwig IX. 1226–1236; schloss
jedoch an der Haltung der russ. Minister den Vertrag von Paris 1229 (Ende der Al-
scheiterte. bigenserkriege; Teile des Herzogtums Nar-
Black Muslims, 1932 gegründete radi- bonne fielen an die Krone, der Rest 1271);
kale mohammedanische Sekte in den unterdrückte Aufstandsversuche der Ba-
USA, treten für schwarzen Nationalismus rone.
und Rassentrennung ein, wollen Grün- Blanchard, Jean-Pierre, frz. Luftschiffer,
dung eines separaten Staates. Weltweit be- 1753–1809; 1785 erste Überquerung des
kannteste Anhänger: der 1965 ermordete Ärmelkanals im Ballon und erster Fall-
Malcolm X. und der Boxer C. Clay (Mu- schirmabsprung (↑ Luftfahrt).
hammad Ali). Blanqui, Louis Auguste, frz. Kommunist,
Black Panther Party, 1966 gegründete 1805–1881; unermüdlicher Verschwörer
afroamerik. Organisation, die den Befrei- und Organisator bewaffneter Aufstände;
ungskampf der Schwarzen zum Ziel hat. 1871 einer der Führer des Kommune-Auf-
In sog. Selbstverteidigungstruppen gegen standes.
die Übergriffe der Polizei gerieten ihre Blauer Montag, im MA der Montag vor
Mitglieder oft in gewaltsame Auseinander- Fastenbeginn (benannt vielleicht nach der
setzungen. In den späten 1960er Jahren violettblauen Verkleidung des Altars wäh-
wurde die Black Panthers Party von den rend der Fastenzeit), an diesem Tag wurde
US-Behörden terroristischer Aktionen ver- nicht gearbeitet („blau gemacht“).
dächtigt. 1968 ermordete der US-Geheim- Blaustrumpf (engl. blue stocking), seit
dienst führende Mitglieder der Bewegung. etwa 1800 üblicher Spottname für gelehrte
1972 spaltete sich die Partei an der Frage Frauen, die ihre weiblichen Pflichten ver-
des Einsatzes von Gewalt zum Erreichen nachlässigen (benannt nach einem um
ihrer Ziele und verlor ab 1973 an Bedeu- 1750 in London tagenden literar. Kreis, zu
tung. Bekannteste Führer: St. Carmichael dem ein Teilnehmer, Mr. Benjamin Stil-
und E. Cleaver. lingfleet, mit blauen Wollstrümpfen statt

113
Bleikammern

der üblichen schwarzseidenen zu erschei- 1936/37 erster sozialistischer Ministerprä-


nen pflegte und damit allen Teilnehmern, sident Frankreichs, Führer der Volksfront-
insbesondere den weiblichen, diese spöt- regierung, 1940 von der Regierung Pétain
tische Bezeichnung verschaffte). eingekerkert und wegen der mangeln-
Bleikammern (Piombi) von Venedig, das den Kriegsbereitschaft Frankreichs ange-
berüchtigte Staatsgefängnis der Republik klagt, 1942–1945 im ­Konzentrationslager
unter dem bleigedeckten Dach des Do- Buchen­wald; 1946/47 erneut Minister­
genpalastes, 1797 zerstört. präsident.
Blendung, die alten Griechen straften mit Blum, Robert, dt. Politiker, 1807–1848;
dieser barbarischen Maßnahme Ehebruch, im Vormärz demokratischer Agitator in
Tempelraub und vorsätzliche Beraubung Leipzig, radikaler Abgeordneter der Frank-
der Sehkraft, die Westgoten die Abtrei- furter Nationalversammlung 1848; wurde
bung, die Langobarden den Diebstahl; wegen der Teilnahme am Aufstand in
das Strafrecht seit Friedrich II. von Hohen­ Wien erschossen.
staufen verordnete die Strafe bei Meineid Bluntschli, Johann Kaspar, Schweizer li-
und Hochverrat an Reich und Kirche. beraler Rechtsgelehrter, 1808–1881; seit
Bligh, William, brit. Seefahrer, 1754– 1861 Prof. in Heidelberg; 1861–1871
1817; Kapitän der „Bounty“, deren Besat- Mitglied der bad. Ersten Kammer und des
zung 1789 auf der Rückfahrt von Tahiti Zollparlaments, seit 1873 ­ Abgeordneter
meuterte und ihn auf hoher See in einem und zuletzt Präsident der bad. Zweiten
Boot ausetzte. Kammer.
Bljucher (Blücher), Wassili Konstantino­ Blutbann, Blutgerichtsbarkeit, im MA
witsch, sowjet. General, 1890–1938; Bür- Gerichtsbarkeit über Leben und Tod der
gerkriegsheld und Führer des erfolgreichen Untertanen, urspr. nur den Königen und
bolschewist. Kampfes 1921/22 gegen Ja- Kaisern vorbehalten; als Privileg später
pan in Sibirien; 1924–27 militär. Berater den Landesfürsten verliehen.
der chin. Kuomintang-Regierung, 1935 Blutrache, bei Totschlag oder Kränkung
Marschall der Sowjetunion. Wiederherstellung des Rechts durch
Blücher, Gebhard Leberecht von, aus Selbsthilfe oder durch Sippen- oder Fa-
pommerschem Adel, Fürst B. von Wahl- miliengenossen; vielen Völkern eigentüm-
statt, preuß. Feldmarschall, 1742–1819; lich, die noch keine ausreichende staat­liche
1791 Oberst der roten Husaren, 1803 Rechtssatzung besitzen; bei verschiedenen
Gouverneur in Westfalen; volkstümlicher indogerman. Völkern (Germanen, Per-
Heerführer der Befreiungskriege, genannt sern) konnte die Blutschuld durch „Wer-
„Marschall Vorwärts“; siegte 1813–1814 geld“ abgegolten werden; auch der Islam
als Befehlshaber der schles. Armee an der erlaubte die Lösungssumme; im antiken
Kaubach, bei Wartenburg, Möckern (b. Rom galt in der frühen Republik das „ius
Leipzig) und, nach dem Rheinübergang talionis“ (Wiedervergeltung nach strenger
bei Kaub und Koblenz, bei La Rothière Blutrache); auf Island und in Norwegen
und Laon; entschied 1815 (nach seiner noch im 10./11. Jh. sogenannten „Bluts-
Niederlage bei Ligny) durch rechtzei- brüderschaften“ zu gegenseitigem Schutz
tiges Eintreffen zus. mit Wellington die und wechselseitiger Rächung im Falle des
Schlacht von Waterloo. Totschlags; ähnliche Verbindungen im
Blum, Léon, frz. Sozialistenführer, 1872– 13./14. Jh. in den Balkanländern, auf Kor-
1950; seit 1919 Führer der sozialistischen sika u. a.
Fraktion, protestierte nach dem 1. Welt- Bocche di Cattaro, Bucht von Cattaro
krieg gegen die Politik von Versailles; (Kotor), golfartige Bucht an der Ostküste

114
Böhmen

Jugoslawiens, schon in röm. Zeit Flotten- schaft, desgleichen in den von der UdSSR
stützpunkt; im MA handeltreibende Küs­ beeinflussten Oststaaten und in radikalster
tenstädte, bes. Kotor (Cattaro), gegen das Form im kommunist. China.
offene Meer durch Ketten geschützt; zeit- Bodin, Jean, genannt Bodinus, frz. huma-
weise Seeräuberzuflucht. nist. Rechtsgelehrter und polit. Schriftstel-
Böckler, Hans, dt. Gewerkschaftler und ler, 1530–1596; Vertreter des Naturrechts,
Politiker, 1875–1951, wurde als führender begründete die Epoche machende Lehre
Kopf der illegalen Gewerkschaftsbewe- von der Staatssouveränität, erklärte die ab-
gung in der nat.-soz. Zeit verfolgt, orga- solute Monarchie für die beste Staatsform,
nisierte nach 1945 den Wiederaufbau der trat für religiöse Toleranz ein.
Gewerkschaften und deren Zusammenfas- Boethius, Anicius Manlius Severinus,
sung im DGB, setzte sich bes. für die Mit- röm. Staatsmann und Philosoph, um
bestimmung in der Montanunion ein. 480–525 n. Chr.; übersetzte und erklärte
Bodelschwingh, 1) B., Ernst von B.-Vel- Schriften des Aristoteles („Letzter Römer
mede, preuß. Staatsmann, 1794–1854; und erster Scholastiker“); Ratgeber des
nach 1848 Mitbegründer der Zentrums- Ostgotenkönigs Theoderich, der ihn später
partei. 2) B., Friedrich von, Sohn von 1), unter der (grundlosen) Anklage des Hoch-
evang. Pfarrer, 1831–1910, Begründer der verrats gefangen nehmen und hinrichten
wohltätigen, sich selbst versorgenden An- ließ; im Gefängnis verfasste er im antiken
stalten in Bethel (Pflegehäuser, Diakonis- Geist sein Werk „Trost der Philosophie“.
sen- und Diakonenanstalt) mit Außenan- Bogazköy, Ruinenstätte der althethi­ti­
stalten und Afrika-Mission. schen Hauptstadt Chatussa (14. und
Bodenreform, soz. Kernproblem in Staa- 13. Jh. v. Chr.) in Ostanatolien; einst hoch-
ten, deren Agrarverfassung durch Groß- zivilisierte Stadt, bedeutende Keilschriftbi-
grundbesitz, Schrumpfung eines lebensfä- bliothek mit hethit. Urkunden, Schriften.
higen Bauernstandes und Landflucht ge- Bogomilen (slaw., Gottesfreunde), ma-
kennzeichnet ist; die klass. B.-­Bewegung nichäische Sekte, entstanden im 10. Jh.
im alten Rom ging von den ↑ Gracchen in Thrakien, verbreitet auf dem Balkan,
aus; die gleichen siedlungs­polit. Ziele, im 11./12. Jh. verfolgt; verwarfen Ehe,
doch unter den bes. Bedingungen des Fleischgenuss und Bilderverehrung; in ge-
modernen Industriestaates, verfolgten wissem Sinne Vorläufer der ↑ Katharer.
im 19. Jh. die Bodenreformer (u. a. ↑ Da- Böhmen, benannt nach den kelt. ↑ ­Boiern
maschke): Aufteilung des Großgrundbe- (Boiohaemum = Heim der Böhmen), die
sitzes, Schaffung einer Bodenreserve, Ver- um 60 v. Chr. den Germanen wichen; um
hinderung der Grundstücksspekulation 9 v. Chr. Einwanderung der Markoman-
u. a.; prakt. durchgeführt wurde eine B. in nen, die um 500 nach Bayern auswan-
Frankreich während der Frz. Revolution; derten; seit dem 6. Jh. Vordringen der
in Deutschland (Ostelbien) Ansätze wäh- Tschechen, zur Zeit Karls d. Gr. Christia-
rend der Weimarer Republik; radikale B. nisierung; in der 2. Hälfte des 9. Jh. polit.
unter Verneinung des Privatbesitzes über- Zusammenfassung im Großmähr. Reich
haupt in Russland nach der bolschewist. des Swatopluk; nach 908 unter ostfränk.
Oktoberrevolution, ähnlich in den balt. Oberhoheit; durch König Heinrich I. 950
Staaten (Enteignung des dt. Großgrund- unterworfen, seitdem beim Reich (tribut-
besitzes); die B.-Bewegung wurde im Os- pflichtig und Heeresfolge); seit der Stau-
ten abgelöst durch den Agrarkommunis- ferzeit Aufstieg der Dynastie der ↑ Prze-
mus: in Sowjetrussland nach dem 1. und mysliden. 1196 erbliches Königtum; seit
2. Weltkrieg Grundlage der Agrarwirt- dem 12. Jh. Einwanderung dt. Bauern und

115
Böhmische Brüder

Handwerker; Glanzzeit unter ↑ Ottokar II. Bojar (türk. bajar, der Vornehme), im al-
(1253–1278); mit dem Erlöschen der Prze- ten Russland Angehöriger der obersten
mysliden 1306 B. als Reichsgut eingezo- Schicht des fürstlichen Dienstadels; Krie-
gen; 1310–1437 unter luxemburg. Herr- ger und Mitglied des Verwaltungsrats
schern; „Goldenes Zeitalter“ unter Kaiser (Duma) des Fürsten, mit Landbesitz aus-
Karl IV. (Prag Erzbistum, Reichshaupt- gestattet, doch im Gegensatz zum Abend-
stadt, Universität); unter Wenzel IV. wach- land ohne Standesprivilegien und Erblich-
sende Macht des Adels; durch dynast. Fa- keit des Amtes; Rangordnung der Bojaren-
milienverbindung mit England Einsickern geschlechter nach dem Dienstalter festge-
der Lehre Wiclifs, Reformbewegung unter setzt; von Iwan IV. blutig verfolgt, da sie
Hus, 1419–1436 Hussitenkriege, Schwä- der Autokratie hinderlich waren, von Pe-
chung des kath. Deutschtums; 1452–1471 ter d. Gr. als Stand abgeschafft und durch
Herrschaft des Hussiten Georg ↑ Podieb- neuen Dienstadel ersetzt.
rad, dann (Königswahl durch den Adel) Boleslaw, Name von Herrschern. Polen:
unter der Regierung der Jagellonen, mit 1) B. I. Chrobry (der Kühne), Herzog
Ungarn verbunden und mit diesem 1526 (992–1025); erhob Polen zur Vormacht
habsburgisch; ständiger Kampf des habs- unter den Westslawen (Krakau, Gnesen);
burg. Königtums mit den Ständen; der nach dem Tode des befreundeten Kaisers
Widerstand der protestant. böhm. Stände Otto III. vorübergehende Besetzung Böh-
gegen den Kaiser führte zum Ausbruch des mens und Mährens; Krieg gegen Deutsch-
30-jährigen Krieges; nach dem Sieg am land (1004–1018); behauptete von seinen
Weißen Berg (Niederlage des Winterkö- Eroberungen die Lausitz; 1025 zum König
nigs 1620) Strafgericht über 27 tschech. gekrönt. 2) B. II., Herzog (1058–1080);
und dt. Ständeführer, Wiederherstellung gewann die Slowakei und russ. Gebiet
der habsburg. absolutist. Herrschaft und zw. Bug und San, 1076 König, vertrieben,
des Katholizismus; erst im Gefolge der starb 1081 in Ungarn. 3) B. III., Herzog
Ideen von Aufklärung und Romantik (1102–1138); besiegte 1109 Kaiser Hein-
Wiedererwachen eines tschech. National- rich V., eroberte 1121 das heidnische Her-
bewusstseins; 1848 Slawenkongress und - zogtum Pommern (1135 von Kaiser Lo-
aufstand in Prag; bis 1918 erbitterter Spra- thar mit Pommern und Rügen belehnt).
chenkampf gegen das Deutschtum und Böhmen: 4) B. I., Herzog (929–967); ur-
Kampf für die Erneuerung der „Wenzels- spr. Führer des heidn.-nationalen Adels,
krone“; 1918 B. größtes der „histor. Län- ermordete seinen Bruder Wenzel (tschech.
der“ der neu gegr. Tschechoslowakei, seit Nationalheiliger), gewann Teile Mährens
1993 Teil der Tschechischen Republik. und Altschlesiens, 950 von Otto d. Gr. un-
Böhmische (Mährische) Brüder, aus den terworfen.
Hussiten hervorgegangene christliche Ge- Boleyn, Anna, zweite Gemahlin Hein-
meinschaft; verneinten Eigentum, Eid, richs VIII. von England, 1507–1536
Waffendienst (↑ Mähr. Brüder). (↑ Anna).
Boier, keltisches Volk, spaltete sich im Bolingbroke, Henry Saint John, Viscount,
4. Jh. v. Chr.; der eine Teil ist in Nordita- engl. Staatsmann (Tory) und Schriftsteller,
lien (Hauptstadt Bonoma = Bologna) in 1678–1751; 1710–1714 Außenminister,
den Römern aufgegangen; ein anderer Teil schloss den Frieden von Utrecht 1713;
in Böhmen, von dort Ausbreitung nach wegen hochverräter. Verbindungen mit
Pannonien, Noricum und Gallien; in Böh- den vertriebenen Stuarts 1715–1723 im
men von den Markomannen um 9 v. Chr. Exil; Vorbild für die Bezeichnung ↑ „John
verdrängt (↑ Böhmen). Bull“.

116
Bolschewismus

Bolivar, Simon, südamerik. Staatsmann setzung des Sparkurses in der Wirtschafts-


und Nationalheld, 1783–1830; genannt politik, innenpolitische Auseinanderset-
„Libertador“ (Befreier), erkämpfte 1819– zungen wegen Banzers Mitgliedschaft in
1824 die Unabhängigkeit Kolumbiens, der Militärregierung der 70er, wiederholte
Venezuelas, Ecuadors, Perus und Boliviens Ausrufung des Ausnahmezustandes, 2001
von der span. Herrschaft, 1819 Präsident Rücktritt Banzers, Übergangspräsident
der Republik Groß-Kolumbien, wurde der Jorge Quiroga. 2002 Sánchez de Lozada
Nachahmung Napoleons verdächtigt und erneut zum Präsidenten gewählt, Rücktritt
dankte 1830 ab. Okt. 2004 nach Protesten gegen geplante
Bolivien, südamerik. Republik, das alte Erdgasexporte in die USA, Ernennung des
Oberperu (um 1200 eroberten Inkas aus vormaligen Vizepräsidenten Carlos Mesa
Peru ganz B.); 1538 durch Spanier (↑ Al- zum neuen Staatsoberhaupt.
magro) erobert, seit 1776 Teil des span. Vi- Bollandisten, Jesuitengesellschaft, beschäf­
zekönigreichs La Plata, seit 1819 Revolu- tigten sich mit Erforschung der Heiligen-
tion und selbständige Regierung in La Paz, geschichten, Herausgeber der ↑ Acta Sanc-
1825 unter Simon ↑ Bolivar (1816 Beginn torum, benannt nach dem Gründer Jean
des Befreiungskrieges Bolivars), den es Bolland, 1596–1665.
durch Übernahme seines Namens ehrte Bologna, Hauptstadt der ital. Landschaft
(Bolivia), unabhängige Republik; 1879– Emilia; „Felsina“ der Etrusker, danach
1884 zus. mit Peru Salpeter-Krieg gegen „Bonoma“ der kelt. Boier, 189 v. Chr. von
Chile, an das es seine einzige Küstenpro- den Römern erobert; im MA zeitweilig
vinz und den Zugang zum Pazifik verlor; beim byzantin. ↑ Exarchat; 1167 Beitritt
1932–1935 Niederlage im ↑ Gran-Chaco- zum Lombard. Städtebund, guelfisch; un-
Konflikt gegen Paraguay; im 19. Jh. und in terwarf sich nach Machtkämpfen der Ge-
der ersten Hälfte des 20. Jh. zahlreiche Re- schlechter 1512 dem Papst; bis 1860 beim
volutionen und Umsturzversuche, 8 Prä- Kirchenstaat, dann Anschluss ans König-
sidenten ermordet; verarmte Bevölkerung reich Sardinien; besitzt älteste europ. Uni-
(„Tibet Amerikas“), auf Auslandshilfe an- versität, gegr. 1119; im MA wichtigste
gewiesen; 1952 Verstaatlichung der Zinn- Pflegestätte des röm. Rechtes; in B. fand
minen und Wahlrecht auch für Analpha- 1530 die letzte Kaiserkrönung (Karl V.)
beten. 1964 Machtübernahme durch das statt und tagte 1547/48 das ↑ Tridenti-
Militär unter General Barrientos; 1967 nische Konzil.
Partisanenkrieg „Che“ Guevaras von der Bolschewismus, ehem. Bez. für das kom-
Militärregierung mit amerikan. Hilfe nie- munist.-totalitäre Gesellschafts-, Staats-,
dergeschlagen; 1970/71 mehrere Putsche, Wirtschafts- und Kultursystem der Sowjet­
seit 1971 wurde B. von einer Junta rechts- union mit Anspruch auf Weltgeltung,
orientierter Offiziere unter Oberst Suarez beruhend auf den Sozialisierungs- und
regiert. Nach den manipulierten Wahlen Weltrevolutionsideen des ↑ Marxismus,
1978 mehrere Putsche; 1979 Generalstreik, getragen vom imperialist. slaw. Sendungs-
1980/81 erneute Putsche. Seit 1985 unter bewusstsein des 19. Jh. und der Philoso-
Präsident Victor Paz Estenssoro Versuche, phie des dialekt. Materialismus (Denken,
die Wirtschaft des Landes (Inflationsrate geistiges Leben und Streben des Menschen
zeitweilig 22 000 %) zu sanieren, Krise werden allein durch die ständige Verände-
durch Zusammenbruch des Zinnmarktes rung der wirtschaftlichen Produktionsver-
1986; 1989 Staatspräsident Paz Zamora, hältnisse, des gesellschaftlichen Seins, be-
1993 Gonzalo Sánchez de Lozada. 1997 stimmt); Ziel: über eine im marxist. Pro-
Koalitionsregierung unter Banzer, Fort- zess oder durch revolutionäre Taktik er-

117
Bolz

richtete (Minderheits-)Diktatur des (bäu- fielen B.-Attentaten zum Opfer; zur Be-
erlichen und industriellen) Proletariats drohung der Menschheit wurden seit 1945
zur klassen- und staatslosen Menschheit, die Atombomben.
gegebenenfalls unter vorübergehenden Bonaparte, eigtl. (ital.) Buonaparte, kors.
Kompromissen. Der B. der UdSSR wurde Familie, im 16. Jh. von Genua eingewan-
getragen von der staatsregierenden Partei dert; ihr entstammen die Napoleoniden,
(KPdSU) und ihren Spitzengremien: Zen- u. a. die Kaiser ↑ Napoleon (B.) I. und Na-
tralkomitee, Parteipräsidium, Parteisekre- poleon III.; Vater Napoleons I. war Car-
tariat und der vom Parteitag gewählten lo B., Advokat in Ajaccio, 1746–1785;
Parteikontrollkommission. Mutter Lätitia, geb. Ramolino, 1750–
Bolz, Eugen, dt. Jurist und Staatsmann, 1836; Napoleon der zweitälteste Sohn,
1881–1945; seit 1912 Mitglied im Zent- seine sieben Geschwister: 1) B., Joseph,
rum; unterstützte als württemberg. Staats- 1768–1844; 1806 König von Neapel,
präsident (1928–1933) die Politik ↑ Brü- 1808–1814 von Spanien. 2) B., Lucian
nings und bekämpfte den Nationalsozia- (Luden), 1775–1840; 1799 entscheidend
lismus; 1933 für mehrere Wochen in Haft, beteiligt am Staatsstreich (18. Brumaire),
unterhielt Verbindungen zu den Wider- anschließend Innenminister; befürwor-
standskreisen um ↑ Goerdeler; nach dem tete das Konkordat mit der Kurie, über-
gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 warf sich mit seinem Bruder; 1814 vom
verhaftet und hingerichtet. Papst mit dem Fürstentum Cassino be-
Bombay, auf einer Insel an der W-Küste lehnt. 3) B., Elisa (Marie-Anna), 1777–
Vorderindiens; eine der größten Hafen- 1820; 1805 Fürstin von Piombino, 1809
und Industriestädte Asiens; 1534 portu- Großherzogin von Toskana. 4) B., Ludwig
giesisch, 1661–1947 englisch; Hauptsitz (Louis), 1778–1846; 1806–1810 König
der pars. Feueranbeter, der Nachkommen von Holland, Vater Napoleons III. aus der
der altpersischen Religion Zarathustras; Ehe mit Hortense ↑ Beauharnais. 5) B.,
in der Vorstadt Malabar Hill „Türme des Pauline, 1780–1825; verheiratet mit Fürst
Schweigens“, auf denen die Toten ausge- Borghese. 6) B., Karoline, 1782–1839;
setzt werden. verheiratet mit Joachim Murat, 1806
Bomben, eiserne Behälter mit Sprengla­ Großherzogin von Berg, 1808–1814 Kö-
dungen; als erster ließ Malatesta, Fürst nigin von Neapel. 7) B., Jérôme, 1784–
von Rimini, B. aus zwei eisernen Halbku- 1860; 1807–1813 König von Westfalen,
geln anfertigen, die durch einen Zünder bestgehasster Napoleonide in Deutsch-
(ital. „bomba“) zur Detonation gebracht land; 1850 Marschall von Frankreich, un-
worden (1433), seit Ende des 15. Jh. als ter Napoleon III. zum Kronerben ernannt;
Granaten in artillerist. Gebrauch; vor dem sein jüngster Sohn Napoleon Joseph Karl
Abfeuern der Geschütze werden die Zün- Paul bonapartist. Thronprätendent, im
der durch Anbrennen mit der Lunte in Volksmund „Prinz Plon-Plon“ genannt;
Gang gesetzt, Geschoss- und Aufschlag- 1822–1891.
zünder kamen im 19. Jh. auf, chemische Bonapartismus, in der polit. Literatur je-
und Uhrwerkszünder 19./20. Jh. (Bezeich- des Regime im Stile Napoleons I. oder Na-
nung Bombe durch Granate verdrängt); poleons III.; in der Regel Produkt und Ab-
Flieger-B. seit 1. Weltkrieg; mit Dynamit schluss von Revolutionen, gekennzeichnet
gefüllte, geworfene B. im 19. Jh. bevor- durch die Mischung autoritärer, konserva-
zugte Kampfmittel revolutionärer Anar- tiver Formen mit demokrat. und sozialen
chisten und Nihilisten, vor allem in Russ- Errungenschaften; dem B. als einer Son-
land; zahlreiche Herrscher und Minister derform der Diktatur sind bes. die Beru-

118
Bono

fung auf den Volkswillen und die Vorliebe nedikt Gaetani, 1294–1303); betrachtete
für Volksabstimmungen (Plebiszite) eigen- sich seit 1300 auch in weltlicher Hinsicht
tümlich, wenn deren günstiger Ausgang als der Universalherr Europas, bekämpfte
von vornherein mit Sicherheit einberech- erbittert Philipp IV. von Frankreich, ver-
net werden kann; außenpolit. Verbindung kündete 1302 in der Bulle „Unam sanc-
von Machtpolitik und Nationalismus, tam“ (↑ Zweischwerterlehre) den Vorrang
nach Bedarf Berufung auf das nationale der geistlichen vor der weltlichen Gewalt;
Selbstbestimmungsrecht, im Gegensatz starb an der Demütigung durch den frz.
zum legitimist. Prinzip (↑ Legitimisten); Überfall in Anagni 1303.
Auflösung der europ. Staatenordnung von Bonifatius, weströmischer Feldherr, Statt-
1815 war das außenpolit. Hauptziel des B. halter in Afrika seit 422 n. Chr., rief die
im 19. Jh., verfochten von Napoleon III. Vandalen nach Afrika, besiegte Aetius, ge-
Bonapartisten, Anhänger der Familie storben 432.
Bonaparte und Verfechter ihrer Thronan- Bonn, alte Stadt der Ubier, röm. Bonna
sprüche nach dem Sturz Napoleons I., be- oder Castra Bonnensia, von Drusus etwa
kämpften die Republikaner wie die An- 15 v. Chr. gegr., in der Völkerwanderung
hänger der Häuser Bourbon und Orléans; wiederholt zerstört und wieder aufgebaut,
seit dem Tode des Prinzen Lulu (Sohn Na- 1273–1794 Residenz der Kurfürsten von
poleons III.) polit. nicht mehr bedeutend, Köln; im „Münster“ wurden Friedrich der
halten aber noch heute an der Thronkan- Schöne und Karl IV. gekrönt; Schlossbau
didatur der Nachkommen Jerómes, des seit 1692; 1801 an Frankreich, 1814 an
Bruders Napoleons I., fest. Preußen, seit 1949 Hauptstadt der Bun-
Bonhoeffer, Dietrich, dt. ev. Theologe, desrepublik Deutschland; Universität seit
1906–1945; seit 1931 Studentenpfarrer 1786 (bzw. 1818). 1949–1990 Haupt-
und Privatdozent in Berlin, 1935 Leiter stadt, bis Mitte 1999 Regierungssitz der
des (illegalen) Predigerseminars der Be- Bundesrepublik.
kennenden Kirche in Finkenwalde; schloss Bonner Vertrag, ↑ Deutschland-Vertrag.
sich der polit. Widerstandsbewegung ge- Bonset, Georges, frz. Jurist und Politi-
gen das Dritte Reich an, 1943 verhaftet, in ker, 1889–1973; 1925–1940 Minister
den letzten Kriegstagen hingerichtet. verschiedener Ressorts, unterzeichnete als
Bonifatius, hl., eigentlich Winfrid, be- Außenminister ↑ Daladiers das Münchner
deutender Vertreter der angelsächs. Mis- Abkommen. Bonneval, Claude Alexandre
sion, gen. „Apostel der Deutschen“, Be- Graf von, frz. Abenteurer, 1675–1747; zu-
nediktiner, um 672–754; 719 in Rom mit erst in der frz. Marine, dann im frz. Heer,
Germanenmission beauftragt; 722 in Rom dann in der österr. Armee, kämpfte als ös-
zum Bischof geweiht. Missionar in Thü- terr. General gegen Frankreich und gegen
ringen, Hessen und Friesland, Gründer der die Türken, 1724 wegen Zerwürfnissen
Klöster Fulda und Fritzlar; 738 päpstlicher verabschiedet, ging 1729 zu den Türken
Legat von Deutschland und kirchlicher über, zum Islam übergetreten, organisierte
Organisator, gründete Bistümer (Freising, als Achmed Pascha das türkische Heeres-
Regensburg, Passau, Salzburg, Würzburg, wesen.
Fritzlar, Eichstätt, Erfurt); 745/746 (Ti- Bono, Emilio de, ital. General und Mit-
tular-)Erzbischof von Mainz; bei neuem begründer des Faschismus, 1886–1944;
Missionszug von Friesen erschlagen; in 1935 Oberkommandierender, im Krieg
Fulda begraben. gegen Abessinien durch Badoglio ersetzt,
Bonifatius, Bonifaz, Name von neun half 1943 Mussolini stürzen; 1944 er-
Päpsten; der bedeutendste: B. VIII. (Be- schossen.

119
Bootgrab

Bootgrab, vor- und frühgeschichtliche ↑ Machiavellis; seine Schwester Lucrezia


Form der Beisetzung in einem Boot, vor- B., 1480–1519, war in dritter Ehe ver-
wiegend in N-Europa; bes. in der Wikin- mählt mit Herzog Alfonso von Ferrara und
gerzeit, meist mit reichen Grabbeigaben. machte dessen Hof zu einem glänzenden
Das bedeutendste B. wurde 1903 in Ose- Sammelpunkt bedeutender Künstler, Ge-
berg am Oslofjord entdeckt. lehrter und Dichter; ihr schlechter Ruf be-
Booth, William, 1829–1912; Begründer ruht vermutlich auf zeitgenössischen Ver-
der Heilsarmee in London 1878. leumdungen.
Böotien, alte griech. Landschaft zwischen Boris, 1) B. I. Michael, erster christlicher
dem Sund von Euböa und der Straße Bulgarenzar (Khan) (852–889); 865 ost-
von Korinth, Hauptstadt Theben; im kirchlich getauft; Nationalheiliger, zuletzt
4. Jh. v. Chr. polit. bedeutsam, Widersa- im Kloster, gest. 907. 2) B. III., Zar von
cher Spartas. Bulgarien 1894–1943, Zar ab 1918; stand
Bordeaux, an der Garonne, Hauptstadt im 2. Weltkrieg auf der Seite Deutschlands
des Dep. Gironde; im Altertum (Burdi- und regierte seit Hitlers Machtübernahme
gala) Hauptstadt der röm. Provinz Aqui- 1933 sein Land als autoritärer Herrscher;
tanien (reiche Überreste aus der Römer- wurde jedoch aufgrund sowjetischer Dro-
zeit); 507 von den Franken, 732 von den hungen im Krieg nicht aktiv. 3) B., Godu-
Arabern erobert, 735 von Karl Martell zu- now, ↑ Godunow.
rückerobert; im 9. Jh. von den Normannen Bormann, Martin, dt. Politiker, geb. 1900,
geplündert; 1154 an England (Heinrich II. seit 1945 verschollen, 1973 offiziell für tot
von Anjou), Beginn des wirtsch. und kul- erklärt. B. war seit 1930 in der obersten
turellen Aufstiegs; Hauptstadt des Herzog- Parteiverwaltung der NSDAP tätig, 1941
tums Guyenne (bei England); 1451–1453 Leiter der Parteikanzlei, 1943 „Sekretär
von Frankreich zurückgewonnen; in der des Führers“, gewann großen Einfluss auf
Frz. Revolution Hauptort der Girondi- Hitler. 1946 vom Nürnberger Gerichtshof
sten; 1870/71 Mittelpunkt der nationalen in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Verteidigung (Gambetta), Sitz der Natio- Börne, Ludwig, polit. Schriftsteller und
nalversammlung; im 1. Weltkrieg Sitz der Kritiker, 1786–1837; radikaler Demo-
frz. Regierung. krat des Vormärz, lebte in Paris im Exil,
Borghese, röm. Adelsgeschlecht, nach Meister des journalistischen Feuilletons,
ihm benannt die Villa B. in Rom (17. Jh.) durch seine „Pariser Briefe“ wurde er zum
mit berühmten Kunstschätzen; Fürst Ca- literarischen Abgott des „Jungen Deutsch-
millo B. war 1803–1814 mit Napoleons land“.
Schwester Pauline verheiratet. Bornhöved, Ort in Schleswig, südl. Kiel;
Borgia, aus der span. Provinz Valencia 1227 Sieg der norddt. Fürsten unter füh-
stammendes Adelsgeschlecht, das in Ita- render Teilnahme der Stadt Lübeck über
lien zur Macht gelangte und zwei Päpste, den Dänenkönig Waldemar II.; das Land
↑ Kalixtus III. und ↑ Alexander VI., stellte; bis zur Eider blieb bei Deutschland.
dessen natürlicher Sohn Cesare B., 1475– Bornu, ehemaliges afrikan. Reich südwestl.
1507, schaffte sich gewaltsam ein Her- des Tschadsees (Hauptstadt Kuka); begr.
zogtum in der Romagna, ermordete sei- wahrscheinlich schon im 10. Jh. n. Chr.,
nen Bruder Juan, wurde 1493–1498 ohne zeitweise mit Kanem vereinigt, unter
Priesterweihe Kardinal, musste seine Er- einem ausgewanderten König von Kanem
oberungen 1503 herausgeben und fiel in um etwa 1500 selbständig. Zentrum des
Spanien; er verkörperte den skrupellosen Islam im mittleren Sudan; Handel bis
Renaissancefürsten und das polit. Ideal zum Mittelmeer (Tripolis); Anfang des

120
Bosporus

19. Jh. von den Fulbe bedrängt; Scheich netzündung für Verbrennungsmotoren


Omar von B. Förderer der Afrikareisenden und versah als erster Kraftwagen mit ein-
Barth, Overweg, Vogel, Rohlfs, Nachtigal; heitlicher elektr. Ausrüstung.
1883–1901 unter der despot. Herrschaft Bosnien, histor. Landschaft Jugoslawiens,
des arab. Sklavenhändlers Rabeh; dann urspr. von Illyrern bewohnt; gehörte in
Hauptteil zur brit. Kolonie Nigerien, ein röm. Zeit zur Provinz Dalmatien; seit 600
Teil zur dt. Kolonie Kamerun, der Rest zu von Südslawen (Kroaten und Serben) be-
Frz.-Äquatorialafrika. siedelt; unter der Herrschaft von Fürsten
Borodino, Dorf im Gouvernement Mos- (Titel: Ban) und unter ungar. Oberhoheit;
kau; 1812 verlustreicher Sieg Napoleons von Ban Stephan Twertko I. (1353–1391)
über die Russen unter Kutusow. geeinigt und 1377 Königreich, Verfall und
Borromäus (Borromeo), Carlo, Graf, Kar- Adelsherrschaft unter den Nachfolgern;
dinal und Erzbischof von Mailand, hl., 1463 von den Türken unterworfen (Her-
1538–1584; bedeutender, asketischer Kir- zegowina, der südwestl. Teil, erst 1482);
chenpolitiker nach dem Tridentin. Konzil, Übertritt des Großteils des Adels zum Is-
wirkte für Erneuerung des kirchlichen Le- lam; 1875 Aufstand, 1878 durch den Ber-
bens, insbes. der Mönchsorden. liner Kongress unter österr. Verwaltung,
Börse, im alten Rom gab es bereits im langwierige und blutige Niederwerfung
1. Jh. v. Chr. die „Collegia mercatorum“ des Aufstands, wirtsch. und kulturelle Er-
(Zusammenkünfte der Kaufleute); im MA schließung (Bahnen, Straßen, Schulen);
Handelshallen (seit dem 13. Jh.); Börsen 1908 Eingliederung in den österr.-ungar.
im modernen Sinne, d. h. gesetzlich or- Staatsverband (Annexions- oder ↑ Bosn.
ganisiert, entstanden zuerst in Antwerpen Krise); Herd des großserb. Nationalis-
1531, Lyon und Toulouse 1546, in Lon- mus; 28. Juni 1914 Ermordung des österr.
don 1566; in Hamburg seit 1558, in Ber- Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo;
lin seit 1716; der Name wurde abgeleitet 1919 zu Jugoslawien; im 2. Weltkrieg er-
von einer Familie van der Burse in Brügge, bitterter Widerstand gegen dt.-ital. Beset-
Anfang 16. Jh., deren Wahrzeichen – der zung. Seit 1992 Landesteil der Republik
Geldbeutel – das Gebäude schmückte, in Bosnien-Herzegowina.
dem die Kaufherren schon seit dem 13. Jh. Bosnische Krise, von 1908/09, Öster-
regelmäßig zusammenkamen, um hier mit reich, von Deutschland diplomatisch un-
Tauschgütern zu handeln, die beim Ge- terstützt, annektierte das von ihm bereits
schäftsabschluss nicht zur Stelle zu sein seit 1878 (↑ Berliner Kongress) besetzte
brauchten. – In Deutschland ist seit der Bosnien mit der Herzegowina und ver-
Börsenreform von 1934 die Anzahl der Ef- schärfte dadurch die polit. Gegensätze
fektenbörsen von 21 auf 9 verringert, um zwischen den europ. Großmächten vor
leistungsfähige Märkte zu schaffen. dem 1. Weltkrieg.
Borsig, August, dt. Maschinenbauer und Bosporus (griech., „Rinderfurt“), Meer-
Industrieller, 1804–1854; erbaute die ers- enge von Konstantinopel; im Altertum
ten dt. Lokomotiven. thrak. B., Ausgang aus dem Schwarzen
Bosch, 1) B., Carl, dt. Chemiker und In- Meer ins Marmarameer und durch die
dustrieller, 1874–1940; (mit Haber) Ver- ↑ Dardanellen ins Mittelmeer; Öffnung
fahren zur Stickstoffgewinnung aus der oder Beherrschung der türk. Meerengen
Luft (Ammoniak-Synthese aus Luftstick- seit dem 18. Jh. eines der Hauptziele der
stoff), Verfahren zur Kohleverflüssigung; russ. Politik; „Kranker Mann am B.“ =
Nobelpreis 1931. – B., Robert, dt. Indus- Spottname im 2. Teil des 19. Jh. für die ver-
trieller, 1861–1942, entwickelte die Mag­ fallende Türkei. – Kimmerischer B. hieß

121
Bossuet

in der Antike die Straße von Kertsch; hier kan. Politiker, geb. 1916; seit 1948 Parla-
entstand um 480 v. Chr. auf beiden Land- mentsabgeordneter für die National Party,
seiten das Bosporan. Reich, dessen letzter 1961–66 Minister für Städtebau, öffent-
König sich ↑ Mithradates VI. von Pontus liche Arbeiten und Angelegenheiten der
unterwarf; kam unter röm. Oberhoheit, Farbigen, seit 1966 Parteiführer der NP in
dann unter die Herrschaft der Sarmaten, der Kap-Provinz, 1966–80 Verteidigungs-
Ostroms, der Chasaren und Tataren. minister. Seit 1978 auch Ministerpräsi-
Bossuet, Jacques Bénigne, frz. Theologe, dent, versuchte B. die Situation der Far-
Kanzelredner, Historiker, 1627–1704; bigen im Alltagsleben zu verbessern, ohne
1681 Bischof von Meaux („Der Adler von jedoch des System der Apartheid (Rassen-
Meaux“), vertrat die Rechte der gallikan. trennung) insges. anzugreifen. Nach Ver-
Kirche, diente andererseits der kath. Kir- fassungsreform 1984 zum 1. exekutiven
che durch Bekämpfung des ↑ Quietismus Präsidenten der Zweiten Republik ge-
und dessen Verteidigers Fenelon wie des wählt, der in Personalunion die Ämter des
Protestantismus, als dessen Grundfehler Staatsoberhauptes sowie des Regierungs-
er die konfessionelle Zersplitterung der chefs vereinigt; amtierte bis 1989.
Kirchen ansah; betrieb die Aufhebung des Bothwell, James Habburn, Earl of, schott.
↑ Edikts von Nantes; Verfasser einer Uni- Abenteurer, um 1536–1578; ermordete
versalgeschichte im Geiste der Geschichts- 1567 Darnley, den Gemahl Maria Stuarts,
philosophie des MA. die er danach selbst heiratete; vertrieben,
Boston, Hauptstadt des nordamerikischen in dän. Gefangenschaft gestorben.
Staates Massachusetts. 1630 von Purita- Botswana, Republik im südl. Afrika;
nern gegründet, Mittel- und Ausgangs- seit 1885 war das nördl. Betschuanaland
punkt der Unabhängigkeitsbewegung der brit. Protektorat, bis 1962 Angliederungs-
nord­amerikan. Kolonien; 1770 blutiger bestrebungen Südafrikas. 1966 entließ
Zusammenstoß mit englischen Truppen Großbritannien B. in die Unabhängig-
(„B. Massacre“); 1773 Bostoner Teesturm keit. Als einer der schwarzafrikanischen
(„B. Teaparty“), bei dem als Indianer ver- „Frontstaaten“ im Rhodesienkonflikt (bis
kleidete Einwohner eine Schiffsladung un- 1979) befand sich B. wegen seiner starken
verzollten Tee der Ostindischen Kompanie wirtsch. Abhängigkeit von der Republik
ins Wasser warfen. – 1638 wurde nahe B. Südafrika in einer besonders exponierten
die Cambridge-Harvard-Universität, die Situation.
älteste der Neuen Welt, gegr. (↑ Unabhän- Böttger, Johann Friedrich, Erfinder des
gigkeitskrieg). (europ.) Porzellans, 1682–1719; Apothe-
Bos(t)ra, antike Stadt in Syrien, Kultur­ ker, Alchimist und vermeintlicher „Gold-
mittelpunkt, Tempel der Astarte; seit macher“, von August dem Starken deshalb
105 n. Chr. röm. Provinzialhauptstadt gefangen gehalten, erfand (1708/09) statt
(Prov. Arabia): Beginn der „Bostran. Ära“ Gold zus. mit Tschirnhaus das rotbraune
für das Ostjordanland (↑ Zeitrechnung); „B.-Porzellan“, später das weiße (chines.);
später byzantinisch. daraufhin Gründung der Meißener Porzel-
Botha, 1) B., Louis, südafrikan. Staats- lan-Manufaktur.
mann und General, 1862–1919; kämpfte Botzaris, Markus, Held des griech. Frei-
gegen die Engländer im Burenkrieg, 1907 heitskampfes, um 1788–1823; zeichnete
Ministerpräsident von Transvaal, 1910– sich bei der ersten Belagerung von Misso-
1919 erstes Ministerpräsident der Südafri- lunghi aus, fiel im Kampf gegen die Alba-
kan. Union, eroberte 1915 Deutsch-Süd- nesen; Lieblingsgestalt des griech. Volks-
west-Afrika. 2) B., Pieter Willem, südafri- liedes.

122
Bourges

Bougainville, Louis Antoine de, 1729– im Bourbonnais, die ein Sohn Ludwigs IX.
1811; frz. Weltumsegler (1766–1769) und 1272 durch Heirat erworben hatte; Graf-
Südseeforscher. schaft B. 1327 zum Herzogtum erhoben,
Bouillon, Gottfried von,↑ Gottfried von B. 1523 nach dem Abfall des Connétable
Bouillon, belg. Stadt südl. Namur; ehe- Charles de B. zus. mit anderen bourbon.
mals Grafschaft, 1023 Herzogtum, 1096 Besitzungen (Herzogtum Auvergne) von
von Gottfried von B. an das Bistum Lüt- der Krone eingezogen; 1527 erlosch die
tich verpfändet; später dem Haus Latour ältere Linie des Hauses; die Seitenlinie
gehörig; 1814 zu Luxemburg; 1837 zu Vendôme gelangte zunächst auf den Thron
Belgien. von Navarra und 1589 mit Heinrich IV.
Boulanger, Georges Ernest, frz. General auf den frz. Thron, regierte in gerader Linie
und Politiker, 1837–1891; 1886–1887 bis 1792 (Frz. Revolution) und nochmals
Kriegsminister, Chauvinist, gefährdete den 1814–1830; Seitenlinien Condé, Condi
europ. Frieden durch intensive Revanche- und Orléans. In Spanien erlangte das
Propaganda (für 1870/71); gestürzt, floh Haus B. durch den Enkel Ludwigs XIV.,
nach Brüssel und beging Selbstmord. Philipp, 1700, endgültig 1714 den Thron,
Boulogne-sur-Mer, Gründung der belg. den es bis 1931 inne hatte. Im Königreich
Moriner, röm. Portus Gesoriacus; 1435– beider Sizilien herrschte eine Nebenlinie
1477 bei Burgund, danach bei Frankreich, der span. Bourbonen von 1738–1860; ein
1544–1550 von den Engländern besetzt; Seitenzweig im Herzogtum Parma und Pi-
berühmt durch das von Napoleon für eine acenza bis 1859.
Invasion Englands 1803–1805 errichtete Bourgeois, Léon, frz. Staatsmann, 1851–
Lager von B. 1925; 1919 1. Präsident des Völkerbundes;
Boumedienne, Houari, alger. Offizier Friedensnobelpreis 1920.
und Politiker, 1925–1978; schloss sich Bourgeoisie (frz. bourgeois, Bürger); kam
1954 Ben Bella an, wurde 1960 General- als Schlagwort zur Kennzeichnung der
stabschef der Befreiungsarmee. B. stützte „besitzenden Klasse“ in der Frz. Revolu-
Ben Bella bei der Machterrichtung im un- tion auf, verbreitet jedoch erst durch das
abhängigen Algerien, stürzte ihn jedoch Werk von Karl Marx, in dessen Schrift
1965 und wurde Staatspräsident. „Wissenschaftlicher Sozialismus“ die B.
Bourbaki, Charles Denis Sauter, frz. Ge- als Trägerin des kapitalist. Systems ana-
neral, 1816–1897; kämpfte im Krim- lysiert und als historische Gegenspielerin
krieg, bei Solferino und im Dt.-Frz. Krieg des ↑ Proletariats im entscheidenden (in-
1870/71; als Führer der Ostarmee bei Bet- dustriellen) Stadium des Klassenkampfes
fort geschlagen. ausgegeben wurde; nach Erfüllung ihrer
Bourbon, Herzog Karl von, Connétable historischen Mission (Überwindung des
von Frankreich, 1490–1527; frz. Feldherr, Feudalismus, Ausbildung des kapitalist.
siegte 1515 im Dienste Franz’ I. bei Mari- Systems bis zum Monopolkapitalismus)
gnano, ging 1523 zu Kaiser Karl V. über, selbst zum Untergang verurteilt; durch
weil die Königinmutter Luise mit Erfolg die marxist. Literatur wurde „Bourgeois“
gegen ihn intrigierte, führte 1524 ein kai- im 19. Jh. zu einem der meistgebrauchten
serliches Heer in die Provence, hatte An- polit. Schimpfworte, sinngemäß „Ausbeu-
teil am Sieg von Pavia 1525 über Franz I.; ter“.
fiel bei der Erstürmung Roms. Bourges, frz. Stadt zwischen Paris und
Bourbonen, frz. Herrschergeschlecht, Ne- Orléans; Galliersiedlung, 52 v. Chr. von
benlinie der ↑ Capetinger, benannt nach Cäsar erobert („Avaricum“ nach dem
der Stammburg Bourbon l’Archambault Fluss Avara = Yevre, später „Bituricae“

123
Bouteflika

benannt); im 5. Jh. in den Händen der tion seinen Abschied; 1841 erneut berufen
Westgoten, 583 fränkisch; Erzbistum mit (bis 1847).
einer der größten Kathedralen der Welt Boyneburg, Konrad von B. (Bemelberg),
(got., 13./14. Jh.); bis zum Auftreten der dt. Landsknechtsführer unter Frundsberg,
Jungfrau von Orléans Residenz König 1494–1567; erstürmte 1527 Rom (↑ Sacco
Karls VII. (König von B., zunächst nur di Roma).
im Süden Frankreichs anerkannt). Konzil Bozen, Hauptstadt der autonomen Provinz
von B. von 1438 verteidigte unter Vorsitz Bozen in Südtirol (Italien); bereits in vor-
Karls VII. die gallikan. Kirche gegen die geschichtlicher Zeit besiedelt, 14. v. Chr.
Papstgewalt; Verhältnis geregelt durch die röm. Straßenstation; im 7. Jh. Sitz einer
Pragmatische Sanktion von B. langobard. Grafschaft, zw. den Grafen von
Bouteflika, Abdul Aziz, alger. Politiker, Tirol und den Bischöfen von Trient um-
geb. 1937; 1963–1979 Außenminister, stritten, 1531 endgültig an Tirol; das B.er
seit 1965 Mitglied des Revolutionsrates, Handels- und Wechselgericht (1635) war
1979/80 Berater des Präsidenten, seit Vorbild für ähnl. Einrichtungen in Frank-
1999 Staatspräsident. furt/M., Leipzig und Wien. 1805 mit Ti-
Bouvines, zwischen Lille und Tournay; rol an Bayern, 1810 an das napoleon. Kö-
1214 entscheidende Niederlage König Ot- nigreich Italien, 1815 an Österreich, 1919
tos IV. (welf.-engl. Bündnis) durch den frz. mit Südtirol an Italien.
König Philipp II. August; Philipp über- Brabant, belg. Provinz, Hauptstadt Brüs-
sandte den auf dem Schlachtfeld zurück- sel; ehemals Kern von Niederlothringen,
gelassenen goldenen Reichsadler Fried- dessen Herzöge sich seit 1190 „Herzöge
rich II.; „von da an“, schrieb der Chronist, von B.“ nannten; 1355 zum Haus Luxem-
„sank das Ansehen der Dt. bei den Wel- burg, seit 1406 bei Burgund, 1430 mit
schen“ (Frankreich beendete den Thron- diesem vereinigt; 1477 an Habsburg, 1555
streit); Frankreichs Aufstieg zur vorherr- spanisch, 1648 nördl. Teil von den Hollän-
schenden Macht in Europa angebahnt, dern erobert, südl. Teil bis 1714 spanisch,
das frz. Königtum siegte über die Kron- dann österreichisch, 1830 zu Belgien. B.
vasallen; England musste seine Hoffnung war von Ende des 14. Jh. bis zur Mitte des
auf Rückgewinnung der Normandie be- 16. Jh. wirtsch. und kultureller Mittel-
graben, im Innern Zugeständnisse an die punkt der Niederlande (B.er Leinen).
Stände (Magna Charta 1215). Bradshaw, John, engl. Rechtsgelehrter,
Boxer, chinesischer Geheimbund, des- 1649 Lordpräsident des Gerichtshofes, der
sen Aufstand 1900 gegen die weißen Karl I. zum Tode verurteilte.
Kolonial­mächte zur Belagerung des Pekin- Braganza, portug. Dynastie, stammte von
ger ­Gesandtschaftsviertels und zur Ermor- Alfons von Portugal (1442 Herzog von B.)
dung des dt. Gesandten von Ketteler in ab; 1640–1853 auf dem portug. Thron;
Peking führte; Strafexpedition der Groß- stellte 1822–1889 auch die Kaiser von
mächte (B.-Krieg) und 1901 B.-Protokoll Brasilien.
(chines. Sühneleistungen). Brahe, Tycho, dän. Astronom, 1546–
Boyen, Hermann von, preuß. General 1601; arbeitete im Auftrag Landgraf Wil-
und Heeresreformer, 1771–1848; Mitar- helms IV. am ersten mit drehbarer Kuppel
beiter Scharnhorsts bei der Reorganisa- versehenen Observatorium in Kassel, er-
tion des Heeres nach dem Tilsiter Frieden, richtete 1576 auf der dän. Insel Ven ein
1814–1819 Kriegsminister, Schöpfer der eigenes Observatorium, erneuerte und
↑ Landwehr; von konservativen Kreisen berichtigte die Beobachtungsmethoden;
beargwöhnt; nahm bei Anbruch der Reak- seit 1597 in Prag, versuchte das ptole-

124
Brandt

mäische und kopernikan. Weltsystem zu kald. Bundes); danach Verbindung mit


­vereinen; Lehrer Keplers, der auf seinen der Geschichte ↑ Preußens. B. seit 1815
Beob­achtungen aufbaute und sie weiter- preuß. Provinz, 1947–1952 Land der
entwickelte. DDR, 1952 Dreiteilung (Bezirke Cottbus,
Brahmanismus, Lehre der Brahmanen, Frankfurt/Oder, Potsdam); seit 1990 Bun-
etwa im 6.–8. Jh. v. Chr., ausgebildet, ind. desland. 2) B., Stadt, das altwend. Brenna-
pantheist. Religion, in der indo-arischen bor (Brennaburg, Burg auf gebrannter Ro-
Religionsentwicklung die zweite Stufe, die dung); 928 von Heinrich I. den Hevellern
auf die „vedische“ Stufe folgte; Entwick- entrissen; 948 Bistum, 1161 durch Al­
lungsreihe: Vedismus (↑ Veden), Brah- brecht den Bären neu eingerichtet, 1571
manismus (↑ Hinduismus); der B. ver- säkularisiert; 1848 Sitz der preuß. Natio-
drängte in Indien den Buddhismus weit- nalversammlung.
gehend. Im Mittelpunkt steht der geistige Brandenburg, Friedrich Wilhelm, Graf
„Brahma“, die Weltseele, Urgrund des Le- von, preuß. General und Staatsmann,
bens, das höchste göttl. Wesen; der Weg 1792–1850; Sohn König Friedrich Wil-
zu seiner Erkenntnis führt über Opfer helms II., trat 1848 an die Spitze eines reak­
und Opfergebet; sittliches Handeln för- tionären Ministeriums und oktroyierte
dert die Seelenwanderung; der Übergang nach Auflösung der preuß. Nationalver-
von einem Leben ins andere vollzieht sich sammlung die neue Verfassung, stimmte
stufenweise, daher ausgeprägtes Kastensys­ der ↑ Olmützer Punktation zu.
tem, an der Spitze die geheiligte Kaste der Brandström, Elsa, schwed. Rote-Kreuz-
Brahmanen (Priester). Schwester, 1888–1948; betreute im
Brakteaten (lat. nummi bracteati, Blech- 1. Weltkrieg die dt. und österr. Kriegsge-
münzen), nur auf einer Seite geprägte, fangenen in Russland („Engel von Sibi-
sehr dünne Silber- (selten Gold-)münzen rien“).
des dt. MA und der Neuzeit, 12.–17. Jh. Brandt, Willy, dt. Politiker, 1913–1992;
Brandenburg, 1) B., auch „die Mark“ emigrierte 1933 nach Norwegen und ar-
schlechthin; bis zur Völkerwanderung beitete dort und in Schweden als Jour-
Land der germanischen Semnonen, später nalist. 1945 kehrte B. als Korrespondent
der slaw. Wenden, von ↑ Albrecht dem Bä- skandinavischer Zeitungen nach Deutsch-
ren Mitte 12. Jh. erobert, seit 1144 Mark- land zurück, seit 1948 in der SPD tätig.
grafschaft, seit 1157 endgültig dt.; von 1957–1966 war B. Regierender Bürger-
Albrechts Nachkommen, den Askaniern meister von Berlin. 1964 wurde er zum
(1134–1320), Erwerb von Teltow und Parteivorsitzenden der SPD gewählt. Als
Barnim, der Uckermark und der Gebiete Außenminister (1966–1969) bemühte B.
Lebus und Stargard, der Oberlausitz, der sich um eine Aktivierung der Ostpolitik;
Neumark, der Niederlausitz; 1231 Lehens­ 1969 Wahl zum Bundeskanzler, Fortset-
hoheit über Pommern; 1320–1373 unter zung der Entspannungspolitik (Dt.-Sow­
den Wittelsbachern, 1373–1411 unter jet. Vertrag 1970, Dt.-Poln. Vertrag 1970,
den Luxemburgern; ab 1411 bzw. 1417 Viermächteabkommen über Berlin 1971);
(feierliche Belehnung Friedrichs VI.) unter 1971 Friedensnobelpreis. 1974 Rücktritt
den Hohenzollern, Kurwürde seit 1415; als Bundeskanzler, B. übernahm die poli-
1473 durch Hausgesetz (Dispositio Achil- tische Verantwortung im Zusammenhang
lea, ↑ Albrecht Achilles) Unteilbarkeit und mit dem Spionagefall Guillaume. Seit
Trennung von dem fränk. Herzogtum der 1976 Präsident der Sozialist. Internatio-
Hohenzollern; 1539 Einführung der Re- nale, seit 1977 Vorsitzender der unabhän-
formation (jedoch außerhalb des Schmal- gigen Internat. Nord-Süd-Kommission,

125
Brasidas

trat 1987 von seinem Amt als Parteivorsit- gas; 1960 neue Hauptstadt Brasilia. Pro-
zender der SPD zurück, bis zu seinem Tod bleme: Währungssicherung, Agrarreform,
Ehrenvorsitzender. Steuergerechtigkeit, Ordnung der Staats-
Brasidas, spartan. Feldherr im Peloponnes. finanzen. Unter Präsident Kubitschek
Krieg, eroberte 424 die att. Kolonie Am- (1956–1961) forcierte Industrialisierung.
phipolis in Thrakien, schlug 422 v. Chr. Seit 1964 Machtausübung durch das Mi-
das athen. Entsatzheer unter Kleon. litär; die neue Verfassung verstärkte die
Brasilien, Bundesrepublik in S-Amerika; Position der Zentralexekutive. 1968 Auf-
1500 von Cabral als erstem Europäer be- hebung der wichtigsten Verfassungsarti-
treten; 1500–1815 portug. Kolonie; seit kel und Vertagung des Parlaments auf un-
1531 Besiedlung und königliche Verwal- bestimmte Zeit durch das Militär. 1969
tung; Versklavung der Küstenindianer; neue Verfassung. Die Ära der Militär­
Schutz für Indianer durch Jesuiten (seit regierungen (1964–1985) wurde 1988
1549, sie wurden als Arbeiter durch Ne- durch Verabschiedung einer das Präsidial-
gersklaven ersetzt); Anbau von Zucker- system konstituierenden Verfassung end-
rohr und Baumwolle; 1630–1654 setzten gültig beendet. 1989 erstmals seit 1960
sich die Holländer in Teilen B.s fest; seit wieder Präsidentschaftswahlen. Es gelang
1695 Gold-, seit 1730 Diamantenfunde; jedoch nicht, die hohe Inflationsrate und
1763 wurde Rio de Janeiro Hauptstadt; die Staatsverschuldung zu meistern. 1989
1797 soziale Unruhen unter dem Einfluss Wahl Fernando Collor de Mellos zum Prä-
der Ideen der Frz. Revolution; 1807–1820 sidenten, legte radikales Finanzierungs-
Rio de Janeiro Sitz der vor Napoleon ge- programm vor, musste jedoch wegen Kor-
flüchteten portug. Regierung; der Regent ruption Ende 1992 zurücktreten. Mitte
Pedro, Sohn König Johanns VI. von Por- der 90er Jahre erste Stabilisierung der
tugal, betrieb die Unabhängigkeit und ließ Wirtschaft B.s unter Fernando Henrique
sich 1823 zum Kaiser krönen (Pedro I.); Cardoso, erste gesetzl. Einschränkungen
1826 Verbot der Sklaveneinfuhr. 1826 der Rodung des tropischen Regenwaldes.
Abfall Uruguays; unter Pedro II. (1841– Trotz der anhaltenden Finanzkrise 1998
1889) wirtsch. Aufstieg (Kaffeeanbau); Pe- Bestätigung Cardosos 1998 im Amt; im
dro scheiterte an Sklavenfrage (1888 Ab- selben Jahr und erneut 2001 internat. Fi-
schaffung der Sklaverei) und polit. Militär; nanzhilfe des IWF für B.
B. seit 1891 Republik (Vereinigte Staaten Bratianu, Familie führender rumänischer
von B., 20 Bundesstaaten); innere Ent- liberaler Politiker: 1) B., Ion, 1822–1891;
wicklung oft gehemmt durch Auseinan- 1848–1857 wegen Teilnahme am rumän.
dersetzungen zwischen Zentralgewalt und Aufstand in der Verbannung; 1867/68
Gliedstaaten. Aufstände und Finanzkrisen Minister, bemühte sich vergeblich um das
(Kaffeepreise), außenpolit. gutes Einver- Zustandekommen einer Union der Donau­
nehmen mit den USA, aber Rivalität mit fürstentümer; 1878 erreichte er die Unab-
Argentinien, gemildert durch Zusammen- hängigkeit Rumäniens. 2) B., Constantin,
schluss zu den ↑ ABC-Staaten 1899; kul- 1866–1948 (?), Haupt der Opposition ge-
turell Anlehnung an Portugal; Entwick- gen ↑ Antonescu, brachte 1944 den Waf-
lung zum Industriestaat, zunehmende fenstillstand mit Russland zustande; von
Stadtbildung, starke Einwanderung; im den Sowjets verhaftet.
Zusammenhang mit wirtsch. Krisen (vor Brauer, Max, dt. Politiker, 1887–1973;
allem auf dem Kaffeemarkt) wiederholte wurde 1924 Oberbürgermeister des preuß.
Aufstände, 1930–1945 und 1950–1954 Altona; 1933 von den Nationalsozialisten
autoritäres Regime des Präsidenten Var- abgesetzt, leitete als erster Nachkriegsbür-

126
Breisach

germeister von Hamburg (1946–1953) 1922 Freistaat, 1933–1945 zusammen


den Wiederaufbau der Hansestadt ein, mit ↑ Anhalt unter Reichsstatthalterschaft,
1957–1960 erneut Hamburger Bürger- 1946 Teil des Landes Niedersachsen.
meister. Breda, Stadt in Nordbrabant, seit dem
Braun, 1) B., Karl Ferdinand, dt. Physi- 15. Jh. bei einer nassauischen Nebenlinie
ker, 1850–1918; verdient um wiss. Fun- (später N-Oranien), 1648 endgültig nie-
dierung der drahtlosen Telegrafie, Erfinder derländisch; der berühmte Kompromiss
der Braunschen Röhre (Kathodenstrahl- von B. 1566 (Adelsbund gegen die span.
röhre); 1909 Nobelpreis. 2) B., Otto, dt. Inquisition) war Auftakt der Erhebung ge-
Sozialdemokrat. Politiker, 1872–1955; gen die Spanier; B. wechselte im nieder-
1920–1933 preuß. Ministerpräsident länd. Freiheitskampf dreimal den Besitzer;
(„Roter Zar von Preußen“), nach dem berühmt die Einnahme durch den span.
Sturz Brünings von der Regierung Papen Feldherrn Spinola 1625 (Gemälde von
abgesetzt, 6. Feb. 1933 endgültig amtsent- Velasquez: Die Übergabe von B.). – Der
hoben, seitdem im Exil. Friede von B. 1667 beendete den unent-
Braunschweig, 1) Stadt: Siedlung um schiedenen 2. Seekrieg zw. Holland und
die Burg Dankwarderode; Brunswik 1031 England.
erstmals erwähnt; kam 1127 an das Haus Brederode, Heinrich Graf von, Vorkämp-
der Welfen, Stadtrecht durch Heinrich fer der niederländ. Befreiung von span.
den Löwen (romanischer Dom 1173 gegr., Herrschaft, 1531–1568; überreichte an
mit Grabmälern Heinrich des Löwen und der Spitze der Adligen der Statthalterin
seiner Gattin); 1247 Hansemitglied, 1753 Margarete von Parma die Kompromiss­
herzogliche Residenz. -Fachwerkbauten adresse von ↑ Breda; auf einem Festgelage
der Altstadt im 2. Weltkrieg zerstört. schlug er seinen Gesinnungsgenossen vor,
2) Herzogtum B.: Restbesitz (Eigengut) den Namen ↑ „Geusen“ anzunehmen.
der Welfen nach dem Sturz Heinrichs des Bregenz, Hauptstadt des österr. Bundes-
Löwen seit 1181, 1235 neues Herzogtum landes Vorarlberg, am O-Ufer des Boden-
B.-Lüneburg; fortgesetzt Teilungen; seit sees gelegen, ma. Stadtkern in Terrassen-
1569 zwei Hauptlinien: 1. Lüneburg, B.- lage; entstanden in röm. Zeit als Siedlung
Lüneburg, später Kurfürstentum ↑ Han- Brigantium in der Nähe eines Kastells; um
nover, schließlich Königreich Hannover; 260 durch die Alemannen zerstört, im
2. Dannenberg, seit 1634 im Besitz von 5. Jh. Bau einer alemann. Burg an Stelle
Wolfenbüttel, daher B.-Wolfenbüttel (aus- der röm. Oberstadt; seit Mitte des 10. Jh.
gestorben 1884, s. u.). Nichtsouveräne Li- Residenz der Udalrichinger; um 1200
nie B.-Bevern: Herzog Ferdinand, preuß. Stadtrecht, 1330 Marktprivileg, 1408 an
Feldherr unter Friedrich d. Gr. Herzog die Grafen von Montfort, 1451 an die
↑ Friedrich Wilhelm (aus der Linie B.- Habsburger.
Wolfenbüttel) im Kampf gegen das repu- Breisach, „Mons Brisiacus“ der Sequaner,
blikan. Frankreich und Napoleon. – B. Stützpunkt Ariovists, ehemals stark befes­
1807–1813 dem Königreich ­ Westfalen tigter Rheinübergang; seit dem 12. Jh. im
zugeschlagen; 1830 Revolution gegen Besitz der Bischöfe von Basel, 1275 Reichs-
Misswirtschaft Herzog Karls II. (vertrie- stadt, 1331 von Kaiser Ludwig an Öster-
ben); Aussterben der braunschweig. Wel- reich verpfändet, 1425 endgültig habsbur-
fen 1884, Regentschaft durch preuß. und gisch; 1638 von ↑ Bernhard von Weimar
mecklenburg. Prinzen; 1913–1918 Wel- erobert, 1648–1697 bei Frankreich, da-
fenherzog Ernst August von Cumberland nach wieder mit Unterbrechungen bei Ös-
(aus der Linie B.-Lüneburg-Hannover); terreich; 1805 an Baden.

127
Breisgau

Breisgau, Landschaft zw. Schwarzwald nister die Außenpolitik Adenauers. 2) B.,


und Oberrhein, bis 1218 zähringisch, Lorenz, dt. Politiker, 1813–1891; republi-
dann geteilt; bis zum 15. Jh. nach und kan. Mitglied der Frankfurter National-
nach zu Habsburg; 1468–1474/77 an versammlung, 1849 Führer der bad. Re-
Burgund verpfändet, im 17. und 18. Jh. volution, zum Tode verurteilt, floh 1850
von Frankreich und Österreich umkämpft; nach den USA, 1876 dort Kongressmit-
1810 der gesamte B. Teil des Großherzog- glied. 3) B., Lujo, dt. Nationalökonom
tums Baden. und Sozialpolitiker, 1844–1931; trat für
Breitenfeld, Dorf bei Leipzig; im 30-jähr. Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte ein,
Krieg schwed. Siege über die Kaiserlichen: forderte Freihandel.
1631 durch Gustav Adolf (über Tilly), Brenz, Johannes, dt. Luther. Theologe,
1642 durch Torstenson. 1499–1570; Reformator Württembergs,
Bremen, 1) ehemaliges Bistum; gegr. 788; verfasste die „Große Kirchenordnung“
845 mit Erzbistum Hamburg vereinigt, 1559.
Sitz der Erzbischöfe nach Bremen verlegt, Breschnew, Leonid, sowjet. Politiker,
von wo aus die Missionierung Skandinavi- 1906–1982; seit 1952 im Zentralkomi-
ens begann; der bedeutendste Erzbischof tee, seit 1957 Mitglied des Präsidiums der
war ↑ Adalbert von B.; im 13. Jh. Kampf KPdSU, 1960–1964 Vorsitzender des Prä-
um Stade (↑ Stedinger); seit 1522 Ein- sidiums des Obersten Sowjets. 1964 als
dringen der Reformation; unter protes- Nachfolger ↑ Chruschtschows 1. Sekretär
tant. Fürsten; 1648 schwed. Herzogtum des Zentralkomitees und damit mäch-
mit Hauptstadt Stade; 1715 durch Kauf tigster Mann der Sowjetunion; außenpo-
an Hannover. 2) Stadt B., seit dem 13. Jh. lit. v. a. um die Sicherung der Weltmacht-
von den Bischöfen unabhängig, 1276 stellung der UdSSR und deren ­Hegemonie
Beitritt zur Hanse, Mitglied des Schmal- in Osteuropa bemüht, innenpolit. Fort-
kald. Bundes, 1541 reichsunmittelbar, setzung des wirtsch.-techn. Modernisie-
1810–1813 französisch, 1815 Freie Stadt rungsprozesses bei restaurativen Tenden­
im Deutschen Bund, erwarb 1827 Bre- zen; 1976 Marschall der Sowjetunion, seit
merhaven; Aufschwung zum Übersee- 1977 als Vorsitzender des Präsidiums des
und führenden dt. Auswandererhafen Obersten Sowjets Staatsoberhaupt.
(Norddt. Lloyd); 1848/49 Beseitigung der Breschnew-Doktrin, zur nachträglichen
patriz. Ratsverfassung, 1866 Beitritt zum Rechtfertigung der militär. Interven-
Norddt. Bund, Zollanschluss an das Reich tion der UdSSR in der Tschechoslowakei
erst 1888; 1919 kurzzeitig Räterepublik, 1968 entwickelte Doktrin von der „be-
ab 1933 gemeinsam mit Oldenburg von schränkten Souveränität“ aller sozialist.
einem Reichsstatthalter regiert. – 1946 Staaten; nach dem früheren sowjetischen
selbständiges Land (Freie Hansestadt Bre- Staats- und Parteichef ↑ Breschnew be-
men). nannt, stieß bei vielen Kommunisten, be-
Brennus, 1) B., gall. Heerführer, eroberte sonders bei den kommunistischen Parteien
mit den ↑ Senonen 387 v. Chr. Rom, mit Jugoslawiens, Rumäniens und Chinas auf
Lösegeld zum Abzug bewogen. 2) B., kelt. starken Widerstand. Verlor schon unter
Heerführer, fiel 279 v. Chr. in Griechen- ↑ Gorbatschow stark an Bedeutung.
land ein, plünderte Delphi, musste sich je- Breslau, Gründung an der Stelle eines al-
doch zurückziehen, beging Selbstmord. ten Handelsplatzes im 10. Jh. als böhm.
Brentano, lombard. Adelsgeschlecht seit Lehen; als Sitz des um 1 000 gegr. Bistums
1282: 1) B., Heinrich, dt. Politiker, 1904– B. 1018 erstmals urkundlich erwähnt;
1964; vertrat 1955–1961 als Außenmi- Vorort der Christianisierung Schlesiens;

128
Brieg

seit 1163 Residenz des in Niederschlesien Bretton Woods (USA), internationales


regierenden Zweiges der Piasten; 1241 Währungs- und Finanzabkommen zur
von den Mongolen zerstört, im 13. Jh. Zu- Stabilisierung der Währungen und für
wanderung dt. Kolonisten, wirtsch. und zwischenstaatliche Kreditgewährung, be-
kultureller Mittelpunkt der dt. Ostkolo- schlossen 1944 von einer Sonderkommis-
nisation, Hansemitglied; 1327–1335 mit sion der Vereinten Nationen, 1945 von 28
Böhmen (unter Luxemburgern) vereinigt, Staaten ratifiziert (nicht von der Sowjet-
dessen Schicksal es im 15. Jh. teilte; 1527 union). Hauptinstitutionen: Internatio-
österreichisch (Habsburg); 1742 (im Frie- naler Währungsfonds und Internationale
den von B.) preußisch; 1807 von Franzo- Bank für Wiederaufbau und Entwicklung;
sen besetzt; 1813 Residenz des preuß. Kö- Hauptzweck: Förderung des Welthandels,
nigs; 1945 in 11-wöchigem Kampf fast Produktionssteigerung und Beseitigung
völlig zerstört und unter poln. Verwaltung von Devisenbeschränkungen; Teilnehmer
(Wroclaw) gestellt. verpflichtet, einen Teil der Beteiligungs-
Brest-Litowsk, Friede von, 1918, erster quote in Gold zu zahlen.
Friedensschluss im 1. Weltkrieg zw. den Breve (lat. brevis, kurz), päpstliches Schrei-
Mittelmächten und der Sowjetunion, die ben, das sich von einer Bulle durch minder
beträchtliche Gebietsverluste hinnehmen feierliche, kurze Form unterscheidet.
musste (u. a. Finnland, Polen, Ukraine, Briand, Aristide, frz. Staatsmann, 1862–
balt. Staaten); Lenin nahm die dt. Bedin- 1932; urspr. Sozialist, 1909–1932 mehr-
gungen an, um eine „Atempause“ für den fach Ministerpräsident und Außenmi-
Bürgerkrieg zu gewinnen; nach dem dt. nister, Vertreter einer europ. Zusammen-
Zusammenbruch wurde der Friede von arbeit, bes. der dt.-frz. Verständigung
den Westmächten und der Sowjetunion (↑ Stresemann) und der Politik von ↑ Lo-
für ungültig erklärt; er diente den Geg- carno; 1926 zus. mit Stresemann Friedens-
nern Deutschlands als Rechtfertigung für nobelpreis.
die Friedensbedingungen von Versailles. Briefmarken, erstmals durch den Mai-
Bretagne, nordwestfrz. Halbinsel; wegen tre des requètes (Berichterstatter über
ihrer seit dem 5. Jh. n. Chr. aus England Bittschriften) O. de Valayer unter Lud-
geflüchteten Keltenbevölkerung Britan- wig XIV. 1653 in der Pariser Stadtpost ver-
nia minor (Klein-Britannien) genannt (die wendet (streifbandähnliche Billets de port
Bewohner Britanni, Bretonen); 497 frän- payé zu 1 Sou); blieben im 18. Jh. ohne
kisch, später selbständig (Breton. Mark Nachahmung; allgemeine Einführung der
Karls d. Gr. gegen die unruhigen Breto- Postwertzeichen zuerst in England 1840;
nen); 1113 engl. Lebenshoheit, 1166 eng- es folgten 1843 Kanton Zürich, Brasi-
lisch; seit 1213 unter einer capeting. Ne- lien, 1845 Finnland, 1846 Norwegen
benlinie, 1297 Herzogtum, 1488–1532 und Nordamerika, 1848 Russland, 1849
Kronbesitz; z. Z. der Frz. Revolution zu- Frankreich, Belgien, Bayern, 1850 Preu-
sammen mit der Vendée Hauptgebiet der ßen, Österreich, Sachsen.
königstreuen Volksbewegung; starke se- Brieg, Herzogtum in Schlesien, 1348 aus
paratist. Bewegung der kelt. sprechenden dem Herzogtum Liegnitz entstanden, von
Bretonen im 2. Weltkrieg, beim dt. Rück- einem Zweig der Piasten beherrscht, mehr-
zug flohen die Führer nach Irland. mals mit Liegnitz wiedervereinigt; 1524
Brétigny, frz. Ort östl. von Chartres; 1360 reformiert, 1537 Erbverbrüderung mit
Friede zw. Frankreich und England, das Brandenburg (Hohenzollern), trotzdem
Poitou, die Guyenne und Gascogne sowie nach Aussterben der Herzöge 1675 vom
Calais erhielt. Kaiser eingezogen und mit Österreich ver-

129
Bright

einigt; erst 1742 nach dem 1. Schles. Krieg Friedensbedingungen zu erreichen, lehnte
an Preußen abgetreten. die Unterzeichnung des Vertrages ab; seit
Bright, John, brit. liberaler Staatsmann, 1922 Botschafter in Moskau, erstrebte
1811–1888; mit ↑ Cobden Haupt der eine dt. Orientierung nach Osten, trug
↑ Anti-Corn-Law-League und des ↑ Man- entscheidend zum Zustandekommen des
chestertums, entschiedener Gegner des Berliner Vertrages bei.
brit. Imperialismus; seit 1859 Führer der Brockhaus, Friedrich Arnold, dt. Verle-
radikalen Liberalen im Unterhaus, mehr- ger, 1772–1823; urspr. in Amsterdam, gab
mals Minister. 1813 auf Befehl des Fürsten Schwarzen-
Brindisi, röm. Brundisium, seit 245 v. Chr. berg in Altenburg die „Deutschen Blätter“
bereits latein. Kolonie, Kriegshafen Roms als Tageszeitung und Nachrichtenblatt des
an der Adria, Endpunkt der Via Appia. Hauptquartiers der Verbündeten heraus;
Brissot, Jacques Pierre, frz. Politiker, seit 1817 in Leipzig; 1808 übernahm er
1754–1793; die von ihm gegründete Par- das „Conversationslexikon“ Löbels und
tei der Brissotins wurde zu den Girondi- Frankes und baute es aus.
sten gerechnet; nach deren Sturz hinge- Broglie, Albert Victor de, frz. Staatsmann
richtet. und Schriftsteller, 1821–1901; Führer der
Britannicus, Beiname röm. Kaiser; Tibe- orleanist. Katholiken, betrieb nach 1871
rius Cäsar Claudius B., Sohn des Kaisers die Wiederherstellung der Monarchie,
Claudius und der Messauna, adoptierte stürzte 1873 Thiers, 1873/74 Minister,
seinen Stiefbruder Nero, der ihn 55 n. Chr. 1877 nach Staatsstreich kurze Zeit Minis-
vergiften ließ. terpräsident.
Britannien, lat. Britannia, röm. Name für Bronzezeit, aus der Jungsteinzeit (↑ Neo-
England, das 55 und 54 v. Chr. von Cä- lithikum) erwachsende Kultur, Ende 3. bis
sar betreten, aber erst nach weiteren er- Anfang 1. Jt. v. Chr. nachweisbar in ver-
folglosen Angriffen unter Kaiser Claudius schiedenen Kulturbereichen der Erde, in
(mit 30 000 Mann), Aulus Plautius und Europa war die Ägäis (kret.-myken. Stadt-
Vespasian 43 n. Chr. (unter Kaiser Clau- kultur) erster Mittelpunkt (seit etwa 2500
dius) erobert wurde. B. wurde 407 von bereits auf Kreta), insgesamt Zeit fried-
den Römern geräumt; seit Mitte des 5. Jh. licher Entwicklung (verfeinerter Acker-
von ↑ Angelsachsen in Besitz genommen bau, größere Dörfer, stadtähnliche Orte,
(↑ England). erste Staatsanfänge). Die Bronze ist eine
Briten, die kelt. Bewohner Englands, seit schmelzbare und dadurch leicht form- und
dem 5. Jh. n. Chr. von den Angelsachsen verzierbare Kupfer-Zinn-Legierung; Kup-
zurückgedrängt; heute Name für die Eng- fer bereits im Neolithikum als Schmuck-
länder. rohstoff oder für Geräte (im österr. Do­
Britischer Staatenbund, ↑ Common- naugebiet bis Siebenbürgen, seit dem 5. Jt.
wealth, Empire, Großbritannien. in Mesopotamien) verwandt (Kupfervor-
Britisches Museum, Museum und Biblio- kommen auf Zypern, Sinai, in Spanien,
thek in London, 1753 gegr., heute eine der Etrurien, der Slowakei, Ungarn, Sieben-
größten Bibliotheken der Welt (7 Mio. Bü- bürgen, Mitteldeutschland, Zinnstein im
cher); bedeutende Altertümer- und Mün- Vogtland, Erzgebirge, bes. in Spanien und
zensammlungen. England, später auch in Hallstatt); Kupfer,
Brockdorff-Rantzau, Ulrich Graf von, Zinn und Bronzerohstoff (in Stäben, Rin-
dt. Diplomat, 1869–1928; 1918–1919 gen, Barren) und Bronzefertigwaren schon
Reichsaußenminister, Unterhändler in Ver­ früh Objekte des Fernhandels, Tausch
sailles, versuchte vergebens, Milderung der gegen Nahrungsmittel, Salz, Tongefäße,

130
Bruce

Bernstein u. a., bes. durch Phöniker und Eisen verschwistert. – Von Europa bzw.
Etrusker. dem Vorderen Orient aus Verbreitung der
Die europ. B. unterteilt in 3 Stufen: Bronze in Asien, vom Mittelmeer aus in
1) Früh-B. um 1800–1500 v. Chr. bes. in Afrika (z. B. späte Bronzekultur im ↑ Be-
Mitteleuropa; allmählich Ersatz der Stein- nin-Reich), eigen­ständige Entwicklung im
waffen und -geräte und des Schmuckroh- Fernen Osten (China) und in den vorko-
stoffes durch Bronzewaren (Beile, Dolche, lumbischen Kulturen Amerikas (Azteken,
Schwerter, Lanzenspitzen, Reifen, Ringe, Maya; nicht die Inka, die nur Kupfer,
Anhänger, Nadeln); Bronze-Händler und Gold und Silber kannten).
-Gießer wurden sozial gehobene Schicht; Brougham and Vaux, Henry Baron, brit.
Bronze-Barrenbesitz wurde Grundlage Staatsmann und Schriftsteller, 1778–
zu individuellem Reichtum; Aufschwung 1868; 1830–1834 Lordkanzler, dann Mit-
in Handel und Gewerbe, verbesserter glied des Oberhauses, zw. Whigs und Tor-
Ackerbau, neue Waffenarten, größere ries; trat für humanitäre Reformen, Volks-
Dörfer, stärkere Befestigungen (bronze- bildung und Katholikenemanzipation ein;
zeitliche Kultur von Kreta und Mykene); Vorkämpfer für die Abschaffung des Skla-
Bestattung vornehmlich in Hockerstel- venhandels.
lung (Hockergräber). 2) Mittel-B. etwa Brown, Robert, engl. Prediger und Grün-
1500–1300 v. Chr.; die B. hatte jetzt auch der einer wiedertäufer. Religionsgemein-
in W- und N-Europa die Steinzeit abge- schaft, um 1550–1630; Vorläufer der ↑ In-
löst; Hebung des gesamten bäuerlichen dependenten.
Lebensstandards (auch bedeutende Gold- Browne, Maximilian Ulysses Reichsgraf
arbeiten, ziervollste Keramik); Bronze­ von, österr. Feldmarschall irischer Ab-
arbeiten in höchster Vollendung (Gürtel-, stammung, 1705–1757; 1740 zur Räu-
Brustschmuck, Prunkgefäße); reiche bron- mung Schlesiens gezwungen, 1757 in der
zene Grabbeigaben in den Hügelgräbern Schlacht bei Prag tödlich verwundet.
dieser Zeit; Bronzescheiben als Symbole Brownlow, William Gannaway (auch Par-
der Sonne auf den Sonnenwagen (pferde- son B.), Unionsverfechter im nordamerik.
bespannter Trundholm-Wagen mit gold- ↑ Sezessionskrieg, 1805–1877; Methodist,
blechbeschlagener Bronzescheibe), gestei- Journalist; einer der schärfsten Publizisten
gerte Kupferförderung, Zinnhandel auch gegen die Südstaaten und die Autono-
über See. 3) Spät-B. seit etwa 1300, Zeit miebestrebungen Tennessees, wurde nach
der ↑ Urnenfelderkultur (Brandbestattung dem Anschluss Tennessees 1865 dessen
in Urnen); bronzene Rundschildbeschläge, erster Gouverneur; berühmt seine „Sket-
typ. Schwertformen, Luren, Henkelscha- ches of the rise, progress and decline of se-
len, Aufkommen der Fibel (lat. fibula, cession“ (1862).
Gewandhaftung) zur Gewandsicherung Bruce, altes schott. Adelsgeschlecht, im
in Form der Spange oder Sicherheitsnadel 14. Jh. mit dem Hause Baliol im Kampf
und ihre techn. und ästhet. Vervollkomm- um den schott. Thron. – 1) B., Robert,
nung zur Brosche mit Spiralen, Zierbü- 1306 zum König gewählt, behauptete
geln, Schmuckplatten, Bronzeblechge- 1314 den Thron und Schottlands Unab-
hängen, figürlichen Darstellungen (Tiefe, hängigkeit durch den Sieg von Bannock-
Masken), eingelegten Korallen oder Farb­ burn über Eduard II. von England. 2) B.,
email; die verschiedenen Fibelformen bie- David, Sohn von 1), beim Tode seines Va-
ten bis ins frühe MA Hinweise für die ters 1329 noch unmündig, 1346–1356 in
Datierung von Funden. Die Bronze war engl. Gefangenschaft, erhielt gegen Löse-
auch in der ↑ Eisenzeit noch lange dem geld den Thron zurück, starb 1370.

131
Bruck

Bruck, Karl Ludwig Freiherr von, österr. Brüder vom gemeinsamen Leben (Fra-
Staatsmann, 1798–1860; Mitbegründer terherren, Hieronymianer, Gregorianer),
des Österr. Lloyds und der österr. Han- von Gerhard Groote um 1376 in Deventer
delskammern, 1848 Mitglied der Frank- gegründete ordensähnliche religiöse Ge-
furter Nationalversammlung, danach bis nossenschaft von Weltpriestern und Laien
1851 Handelsminister, Wirtschaftsorga- ohne Gelübde, bes. am Niederrhein und
nisator und -planer großen Stils, dem ein in Norddeutschland verbreitet; befassten
Wirtschaftsgroßraum Europa vorschwebte; sich bes. mit Jugenderziehung.
drang mit seinen umfassenden Reformvor- Brügge, in Westflandern, im MA eine der
schlägen nicht durch; beging Selbstmord. wirtsch. bedeutendsten Städte Europas
Brückenbrüder, Orden der Brückenbrü- durch blühendes Tuchgewerbe (Verarbei-
der des MA, als Frères pontifes oder Fra- tung engl. Wolle) und glänzende Han-
tres pontifices im 12. Jh. in Südfrankreich delsverbindungen (seit Balduin, Graf von
entstanden; Gliederung in Ritter, Mönche Flandern und Lateinischer Kaiser von By-
und Arbeiter; ihre Aufgaben: Bau und Un- zanz: Levantehandel; Stapelplatz für engl.
terhalt von Brücken, Anlegung von Hospi- Wolle und für den westeurop. Hansehan-
zen (Brückenbau im MA religiöse und soz. del); reich privilegiertes Hansemitglied;
Tat: Brückenheilige, Brückenkapellen); am flandr. Freiheitskampf gegen die frz.
der von Papst Clemens III. 1139 bestätigte Krone maßgeblich beteiligt (1302 Mor-
Orden im 15. Jh. von Pius II. aufgelöst. genfeier von B.: Zünfte ermordeten die frz.
Brüdergemeine (Brüderunität oder Herrn­ Besatzung; Schlacht bei Kortrijk); 1384
huter), protestant.-pietist. Freikirche. Reste zu Burgund; 1488 hielt die Bürgerschaft
und geistige Nachfahren der 1457 gegrün- Maximilian I. 4 Monate lang gefangen und
det ↑ Böhmisch-mähr Brüder wanderten zwang ihn zum Verzicht auf die Herrschaft
1722 aus Böhmen und Mähren aus und über Flandern; in der Folge wurde B. von
stifteten 1727 in Herrnhut/Lausitz, einer kaiserlichen Truppen genommen; durch
Besitzung des Grafen Zinzendorf, die neue die Entdeckung der großen Seewege, die
Gemeinschaft; 1749 Gemeinde in Eng- Versandung der Fahrrinne zur Nordsee,
land, später Zweige auch in Amerika; aus- das Aufkommen Antwerpens und durch
gedehnte Missionstätigkeit; Erziehungsan- die span.-habsburg. Herrschaft allmäh-
stalten; die B. verwirklichte die Einheit von licher Niedergang; Stadtbild B.s mit sei-
Glauben und Leben im Geiste des ↑ Pie- nen zahlreichen Kanälen noch heute vom
tismus. MA geprägt.
Bruderschaften, bes. im MA verbreitete, Brühl, Heinrich Graf von, sächs. Staats-
von der (kath.) Kirche erlaubte und geför- mann, 1700–1763; allmächtiger Minister
derte Vereinigungen von Laien, die sich zu Friedrich Augusts II. (III.) von Sachsen-
besonderer Frömmigkeit oder guten Wer- Polen, vernachlässigte Verwaltung und
ken verpflichteten, ohne Ordensgelübde; Heer zugunsten höf. Prachtentfaltung.
verschiedene Mönchsorden gründeten für Brukterer, german. Volksstamm westlich
Laien verschiedene Standes-B., die lose der Ems, an den Aufständen gegen die Rö-
den Orden angeschlossen waren. mer beteiligt; später zu Franken
Brüder und Schwestern des freien Geis- Brumaire, 2. Monat des frz. Revolutions-
tes, freigeistige Sekte des 14./15. Jh.; pan- kalenders; am 18. B. (9. Nov.) 1799 stürzte
theist. Mystiker, meist Laien, außerhalb Napoleon Bonaparte, aus Ägypten zurück-
der kirchlichen Ordnung; bes. am Ober- gekehrt, durch Staatsstreich die Direktorial­
rhein, auch in Frankreich und Italien ver- regierung, löste den Rat der 500 auf und
breitet. übernahm als Erster Konsul die Macht.

132
Brüssel

Brun, ↑ Bruno. den USA und Prof. der Harvard-Universi-


Brune, Guillaume, frz. Marschall, 1763– tät; 1951 Rückkehr und Professur in Köln.
1815; ehemaliger Buchdrucker, errichtete 1970 erschienen seine Memoiren.
1797/98 die Helvetische Republik, 1806 Bruno, Giordano, ital. Philosoph, 1548–
Gouverneur der Hanse-Städte, als angeb- 1600; urspr. Dominikaner, Pantheist, von
licher Mörder der Prinzessin ↑ Lamballe Lukrez, Lullus und Nikolaus von Cues
von Royalisten ermordet. beeinflusst, verkündete mit dichterischer
Brunfels, Otto, dt. Theologe und Gelehr- Leidenschaft die Lehre von der Unend-
ter, „Vater der Botanik“, um 1488–1534; lichkeit des Alls und erweiterte damit
zunächst Kartäuser, in Straßburg zum Pro- die Lehre des Kopernikus zum philoso-
testantismus übergetreten, luther. Prediger, phischen Weltbild; nach unstetem Wan-
dann Arzt, begründete die moderne, auf derleben von der Inquisition ergriffen und
unmittelbare Naturbeobachtung aufge- in Rom als Ketzer verbrannt.
baute Botanik; Verfasser eines berühmten Bruno, 1) B., Erzbischof von Köln, Brun
Kräuterbuches in lat. und dt. Sprache, genannt, 925–965; Bruder Kaiser Ottos I.,
Freund Huttens; sein Name stand an der Herzog von Lothringen; als Erzkanzler
Spitze des 1550 auf kaiserlichen Befehl Vertreter einer starken Reichspolitik und
zusammengestellten Verzeichnisses der einer engen Bindung des Reichsklerus und
Hauptketzer. des Reichsepiskopats an das Königtum; als
Brunhilde, Tochter des Westgotenkönigs Kirchenfürst für entschiedene Klosterre-
Athanagild, 567 vermählt mit Sigbert von form; Förderer der Wissenschaften. 2) B.
Austrasien; trieb ihn zum Krieg gegen sei- von Köln, hl., um 1040–1101; zog sich
nen Bruder Chilperich von Neustrien, der 1086 in die Gebirgsschlucht Chartreuse
sich nach der Verstoßung Galswinthas, der bei Grenoble zurück, wurde zum Stifter
Schwester Brunhildes, mit Fredegunde des Kartäuserordens. 3) B. von Querfurt,
vermählt hatte; erlag als Regentin dem hl., um 970–1009; Missionsbischof in Po-
Aufstand des austras. Adels; dem Sohn len, Ungarn, bei den Petschenegen; auf ei-
Fredegundes, Chlothar II., ausgeliefert ner Missionsreise in Preußen erschlagen.
und zu Tode gefoltert (in der Heldensage Brüssel, im 7. Jh. durch den hl. Ge­rald,
Gemahlin Gunthers von Burgund und Bischof von Cambrai, auf einer Insel der
Feindin Siegfrieds). Senne gegründet; im 11. Jh. Residenz der
Brüning, Heinrich, dt. Politiker, 1885– Herzöge von Niederlothringen und Bra-
1970; 1921–1930 Geschäftsführer des bant, 1430 an Burgund, 1477 an Habs-
(christl.) Dt. Gewerkschaftsbundes, Mit- burg; von Karl V. zur Hauptstadt der
glied der Zentrumspartei. 1930–1932 Niederlande erhoben, Herd des nieder-
Reichskanzler; versuchte durch Ausnut- ländischen Aufstandes (1566 Bund der
zen der verfassungsmäßigen Vollmachten ↑ Geusen zu B.; 1577 Union von B. zwi-
des Reichspräsidenten (Notverordnungen) schen Spanien und den Aufständischen);
und unpopuläre Sparmaßnahmen die 1585 von Alexander Farnese unterwor-
schwere Finanz- und Wirtschaftskrise des fen, teilte von da an das Schicksal der spa-
Reiches zu überwinden; bereitete die Lö- nischen, seit 1714 der österreichischen
sung der Reparationsfrage vor; im Innern Niederlande; mehrmals von den Franzo-
Kampf gegen Nationalsozialismus (Verbot sen belagert oder erobert (zuletzt 1794),
der SA 1932) und Kommunismus; 1932 Herd der Unzufriedenheit mit der österr.
von Hindenburg wegen seiner Agrarre- Herrschaft; 1830 Schauplatz der Revolu-
formpläne in Ostelbien entlassen; 1933 tion, durch die es zur Hauptstadt des neu-
Zentrumsführer; 1935 Emigration nach gebildeten Königreichs Belgien wurde; in

133
Brüsseler Pakt

beiden Weltkriegen von dt. Truppen be- Bucer, Butzer, Martin, Reformator Straß-
setzt. Nach dem 2. Weltkrieg war B. einer burgs, 1491–1551; urspr. Dominikaner,
der Hauptstreitpunkte im flämisch-wallo- durch Luther für die Reformation gewon-
nischen Sprachenstreit. B. ist Hauptsitz nen, für die er in Oberdeutschland, bes.
der Institutionen der Europäischen Union in Straßburg, neben und zusammen mit
und seit 1967 der Führungsorgane der Jakob Sturm wirkte; neigte zu Zwingli,
NATO. Verfasser der Confessio Tetrapolitana
Brüsseler Pakt, 1948 zw. Frankreich, („Bekenntnis der vier Städte“ Straßburg,
Großbritannien, Belgien, Holland, Konstanz, Lindau, Memmingen, auf dem
Luxemburg geschlossener wirtsch. und Reichstag zu Augsburg 1530 vorgelegt);
militär. Beistandspakt gegen ein wieder- im Gegensatz zu Luther auch politisch
erstarkendes Deutschland (Erweiterung äußerst rührig, in enger Verbindung mit
des brit.-frz. Bündnisses von Dünkir- dem Landgraf Philipp von Hessen; Seele
chen 1947); nach Scheitern der Europ. des Projektes eines protestantischen Ge-
Verteidigungsgemeinschaft (EVG) 1954 genreiches gegen den Kaiser gerichtet; un-
durch Beitritt Deutschlands und Italiens ermüdlich um die Einigung von Luthe-
zur Westeurop. Union (WEU) erweitert ranern und Zwinglianern bemüht (Wit-
(1955); seitdem Bestandteil des Nordat- tenberger Konkordie 1536), weigerte sich
lantikpakts NATO. nach dem ­Schmalkald. Krieg, das Interim
Brussilow, Alexej, russ. Heerführer, 1853– anzuerkennen; als Prof von Erzbischof
1926; leitete 1916/17 großangelegte Of- Cranmer nach Cambridge berufen.
fensiven in Wolhynien und der Bukowina, Buch (ahdt. buoh = zusammengehef-
deren ungeheure Menschenopfer (über tete Buchenholztafeln [auf denen man
1 Mio.) die russ Armee demoralisierten. schrieb]); in babylonischer Zeit Tonta-
Bruttier, im Altertum Bewohner der süd- fel-B., in Altindien Palmblatt-B., bei den
westital. Landschaft Bruttium (heute: Ka- Griechen und Römern zuerst in Form von
labrien); Verbündete Pyrrhus’, dann der Papyrusrollen, die um Christi Geburt auch
Karthager, nach dem Sieg Roms versklavt. zu Büchern gebunden wurden; bei den
Brutus, Beiname des röm. Geschlechtes Römern in Form von zusammengebun-
der Junier. 1) B., Decimus Junius, Unter- denen Wachstafeln; seit etwa 250 v. Chr.
feldherr Cäsars im Gallierkrieg; um 84– auch Tierhautrollen (griech. kylindros, lat.
83 v. Chr. Statthalter Galliens, Teilnehmer volumen); seit dem 4. Jh. n. Chr. kam der
an der Verschwörung gegen Cäsar. 2) B., Blatt-Codex auf Papyrus oder Pergament
Lucius Junius, nach sagenhafter Über- auf; er wurde gegenüber der als heidnisch
lieferung Befreier Roms von der Königs- angesehenen Rolle zur Form des christ-
herrschaft um 510 v. Chr.; 509 erster röm. lichen Buches; Rollen wurden in Behäl-
Konsul, ließ seine Söhne als Verschwörer tern, Kästen oder Regalen aufbewahrt, die
hinrichten. 3) B., Marcus Junius, 85– Codices erhielten zunächst nur ein festeres
42 v. Chr.; Neffe und Schwiegersohn Ca- Anfangs- und Schlussblatt, später (leder-
tos, Anhänger der Senatspartei, einer der bezogene) Holzdeckel oder Kleinodien-
Cäsarmörder, bei ↑ Philippi (42) besiegt, einbände, wurden auch im Buchbeutel ge-
beging Selbstmord. tragen; Blattzählung erfolgte erst seit dem
Bucentaur, Staatsgaleere, auf der der 14. Jh., in dieser Zeit auch das Aufkom-
Doge von Venedig bei dem alljährlichen men der Papierbücher und der gedruck-
Fest der Vermählung mit dem Meer zu fah­ ten Blockbücher mit Holzschnitttafelsei-
ren pflegte; der letzte B. wurde 1798 von ten; in der Anfangszeit des ↑ Buchdrucks
den Franzosen verbrannt. wurde das B. der Handschrift nachge-

134
Buchdruck

staltet (Inkunabelzeit bis etwa 1500), mit den als Ganzes in Holztafeln (ursprüng-
handgemalten, zum Teil schon in Metall lich Metalltafeln) geschnitten und mit
oder Holz geschnittenen Initialen und Il- einem Reiben auf Papier übertragen; aus-
lustrationen; die Buchherstellung wurde geübt von den Briefmalern und Karten-
zum Handwerk, der Buchdruck ermögli- machern, Formschneidern und Briefdru-
chte Massendrucke; Verschlechterung der ckern; vor allem Abzüge von Heiligen-
Buchkultur im 17. Jh. (30-jähriger Krieg), bildern, Ablassbriefen, Kalendern und
Reform im 18. Jh. (Rokoko, Klassik); seit Grammatikfibeln, sogenannte Donaten;
dem 19. Jh. Maschinendruck. – Buchillus- um 1440/50 Erfindung des Buchdrucks
tration besonders in roman. und got. Zeit mit beweglichen Lettern durch ↑ Guten-
hoch entwickelt; im 15. Jh. Aufkommen berg (eigentlich Serie von Erfindungen:
des Holzschnitts und des Kupferstichs, im Letternguss mit eigens entwickelter Gieß-
19. Jh. des Stahlstichs und der fotomechan. vorrichtung, Setzkasten, Setzleiste, Hand-
Ätzung. Die Buchausmalung erfolgte in presse, Druckfarbe); erstes Meisterwerk
der Spätantike in städt. Werkstätten meist Gutenbergs 42-zeilige Bibel mit 1282 Sei-
durch Sklaven, im MA in Klosterschreib- ten, Auflage etwa 150; Druckereien (Of-
stuben und bischöflichen Malschulen; fizinen): Bamberg 1457, Straßburg 1459,
Buchmaler (Miniatoren) waren Nonnen Köln 1465, Augsburg 1468; in Italien seit
und Mönche; bedeutende Schreibstuben 1465, hier wurde Venedig seit 1469 der
u. a. in Hinsau, Tours, Echternach, Trier, bedeutendste europäischer Druckort; in
Lorsch, Corbie, St. Gallen, Cîteaux, Rei- Frankreich 1470, in den Niederlanden
chenau, Regensburg, Salzburg. 1472, Ungarn 1472, Spanien 1473, Polen
Buchanan, James, nordamerik. Staats- 1474, England 1482, Schweden 1484; um
mann, Demokrat, 1791–1868; als Staats- 1500 gab es 260 Druckorte, bis dahin wa-
sekretär um den Erwerb des bisher mexi- ren 40 000 Bücher und Schriften in einer
kan. Kaliforniens (1846) verdient; 1857– Auflage von etwa 6 Mio. erschienen; die
1861 Präsident, begünstigte die Sklaven- Buchdrucker (Goldschmiede, Buchmaler,
halter und damit den Abfall (Sezession) Schreiber, Formschneiden, Akademiker)
der Südstaaten. bildeten keine Zunft, sondern waren „freie
Bucharin, Nikolai, führender Bolschewist, Kunst“ (der Buchdruck war unsicheres
1888–1938; an der Oktoberrevolution Gewerbe, da Buchdrucker auch Verleger
1917 maßgeblich beteiligt; Chefredakteur waren): Der B. förderte Entwicklung ei-
der „Prawda“ seit 1917, Mitglied des Po- ner einheitlichen Schriftsprache; erste Ver-
litbüros 1924, Vorsitzender der Komin- leger im 16. Jh.; 1725 erste Stereotypie
tern 1926 und Parteitheoretiker von be- (Letternsatz wurde in Gips gegossen, die
stimmendem Einfluss auf die bolschewist. Gipsform wurde mit Blei ausgegossen, die
Doktrin und Taktik; bei der großen Säu- als Druckplatte diente); 1796 Flachdruck-
berung Stalins zum Tode verurteilt und verfahren (Lithografie). 1799 erste Papier-
hingerichtet (↑ Bolschewismus). maschinen; 1800 erste Eisendruckpressen
Buchdruck, Vorstufen sind Siegel- und (statt hölzerner); 1811 dampfbetriebene
Stempeldruck, seit den Kreuzzügen der Schnellpresse (Friedrich Koenig); 1822 ers­
Zeugdruck; Druck mit Tonlettern schon tes Setzmaschinenpatent; 1837 Galvano-
um 1 000 in China; mit Wortstempeln plastik (Herstellung von Negativformen);
aus Bronze Ende des 14. Jh. in Korea; 1848 erste Rotationspresse; 1884 Zeilen-
Vorläufer des Gutenberg. Letterndruckes setzmaschine Ottmar Mergenthalers; im
war der Tafeldruck in den Blockbüchern: 20. Jh. Foto- und Lochstreifensetzma-
Text oder Bild oder Text und Bild wur- schine und neue Druckverfahren.

135
Bucher

Bucher, Lothar, preuß. Politiker und Jour- ben“-Kolonie Neuofen, die mit dem un-
nalist, 1817–1892; ursprünglich radikaler gar. Buda verschmolz; 1351 Residenz;
Liberaler, als Mitglied der Nationalver- 1526 Pest von den Türken erobert, 1541
sammlung 1848 am Steuerverweigerungs- Ofen; Türkenherrschaft (Festung Ofen
beschluss beteiligt, deshalb später in den umkämpft); 1686 befreit; 1849 im un-
Anklagezustand versetzt, emigrierte 1850 gar. Aufstand von österr. Truppen besetzt;
nach London; dank einer Amnestie nach 1867 Hauptstadt der Länder der ungar.
Berlin zurückgekehrt, von Bismarck 1864 Krone, im gleichen Rang wie Wien; 1944
in das Auswärtige Ministerium berufen, von dt. Truppen besetzt, 1945 sechs Wo-
wurde dann zu einem seiner engsten Mit- chen lang umkämpft; 1956 antibolschewi-
arbeiter. stischer Aufstand.
Büchner, 1) B., Georg, dt. Dichter und Buddha (Sanskrit: der Erleuchtete), Bei-
Revolutionär, 1813–1837; Gründungs- name des indischen Königssohns Sid-
mitglied der hess. Verschwörerorganisa- dharta Gautama, um 560–480 v. Chr.,
tion „Gesellschaft für Menschenrechte“, Stifter der buddhist. Religion, in der er
deren bürgerlich-liberales Programm er die Philosophie des ↑ Brahmanismus mit
zu einem klassenkämpfer.-sozialist. umzu- persönlichem religiösen Erlebnis verband
wandeln suchte; Hauptverfasser der illega- (nach 7-jähriger Askese „Erleuchtung“,
len Flugschrift „Der hessische Landbote“, verkündet in der Predigt von Benares);
musste fliehen; aufrüttelnd wirken seine Grunderkenntnis: Alles Leben ist vergäng-
realist. Dramen: „Dantons Tod“, „Woy- lich, alles Leid hat seine Quelle in der Le-
zek“. 2) B., Ludwig, Philosoph, 1824– bensgier, die überwunden werden muss.
1899; Bruder von 1), verfasste „Kraft und Buddhismus, ind. Religion, nach ihrem
Stoff“, das Standardwerk des radikalen Gründer ↑ Buddha benannt, bes. durch
Materialismus im 19. Jh. König ↑ Aschoka Mitte des 3. Jh. v. Chr.
Buckingham, engl. Herzogsgeschlecht, aus gefördert und Staatskirche; in den An-
dem bedeutende Staatsmänner hervorgin- fängen als Hinayana („kleines Fahrzeug“,
gen. – 1) B., George Villiers, 1592–1628; das den einzelnen über den Strom der
einflussreicher Hofmann unter König Ja- Leiden führt) nur Lehre für wenige, seit
kob I., dann unter Karl I., vom Parlament dem 2. Jh. n. Chr. als Mahayana („großes
wegen spanienfeindlicher und franzosen- Fahrzeug“, auf dem alle Wesen zum er-
freundlicher Politik angeklagt, ermordet. lösenden Ufer gelangen) Religion auch
2) B., George Villiers, 1627–1688, Sohn für die Massen und deren Erlösungsbe-
von 1), Günstling Karls II., 1669–1675 dürfnis und Weltreligion; Lehre von der
Mitglied in dessen absolutist. Ministe- Seelenwanderung und dem glückseligen
rium. Aufgehen im „Nirwana“ durch stufen-
Budapest, Doppelstadt an der Donau, weise Läuterung (achtteiliger Pfad), Ver-
gebildet aus Buda (auf dem rechten Stei- senkung durch Askese und Abwendung
lufer) mit Festung und Schloss, und Pest vom ird. Dasein. – Buddha hinterließ kei-
(auf dem linken Flachufer); 1872 verei- nen Nachfolger; Richtschnur sollte seine
nigt; röm. Militärkolonie Aquincum (das Lehre sein, nach seinem Tode von den
spätere Altofen), warme Heilquellen von Jüngern gesammelt und mündlich weiter-
Buda von den Römern benutzt; im MA gegeben (Richtungen, Schulen, die Bud-
Entstehen einer kleineren Siedlung auf dhas Worte verschieden auslegten und sie
dem linken Ufer (Pest); 1241 von Mon- dann schriftlich fixierten); Buddha war in
golen zerstört; von Bela IV. neu angelegt; dieser Zeit noch nicht kult. verehrter Heil-
Altofen im 14. Jh. überflügelt von „Schwa- bringer, sondern Lehrer, es gab noch keine

136
Bugeaud

Buddha-Statuen; das plast. Bild wurde dem 13. Jh. griff er in der Form des tibe-
erst nach Christi Geburt in der hellenist. tan. Lamaismus auf die Mongolei über. In
Gandhara-Kunst geschaffen, zugleich mit Korea gewann im 14. Jh. der Konfuzianis-
Vergöttlichung Buddhas. Nach frühen mus und in Indonesien im 15. Jh. der Is-
Ansätzen zur Missionierung im Ausland lam die Überhand. Im 17. Jh. entstanden
(Prediger in Diadochen-Reichen, Eindrin- erste ­ buddhistische Gemeinden auf eu-
gen nach Ceylon, das bis heute Zentrum rop. Boden bei den Kalmüken. Heute ist
des Alt-Buddhismus blieb) in der Zeit von der Hinayana-B. in Ceylon, Burma, Siam,
Chr. Geburt bis etwa 500 Missionierung Laos und Kambodscha verbreitet; der Ma-
Indonesiens, W-Afghanistans, O-Irans, O- hayana-B. in Nepal, Vietnam, China, Ko-
Turkestans, von dort aus ↑ Chinas, in dem rea, Japan; der Lamaismus in Tibet, Sik-
der Buddhismus im 3./4. Jh. Volksreligion kim, Bhutan und der Mongolei.
wurde, unter Übernahme des Kaiserkults Budjonny, Semjon Michailowitsch, sow-
und der Ahnenopfer; von China aus Tong- jet. Marschall, 1883–1973; gewann im
king und Korea (dort um 372 n. Chr.) mis- Bürgerkrieg 1919–1921 als Reiterführer
sioniert. Seit der Mitte des 1. Jh. n. Chr. der Roten Armee legendären Ruhm. Im
begann in Indien der B. mit dem Hindu- 2. Weltkrieg Oberbefehlshaber im SW-
ismus und Brahmanismus zu verschmel- Abschnitt (1941) und im N-Kaukasus
zen und sich in weitere Sekten zu teilen, (1942). Obwohl auf beiden Kriegsschau-
das Rituelle überwucherte den Lehrinhalt; plätzen glücklos, blieb er als einer der äl-
im NW Indiens wurde er seit 711 vom Is- testen Mitstreiter Stalins hochgeehrt und
lam überwunden. Bis etwa 1000 hatte er wurde 1946 in den Obersten Sowjet ge-
fast alle seine Anhänger an den Islam, den wählt.
Hinduismus und andere Religionen ver- Buenos Aires, Hauptstadt von Argenti-
loren. Zur Hochblüte entwickelte er sich nien, am Rio de la Plata; erste Stadtgrün-
indes in Ceylon und in Hinterindien, wo dung (1535) durch spanische Konquista-
im 9. Jh. die große Kultstadt Angkor ent- doren, 1541 aufgegeben; zweite Stadt-
stand, und in Indonesien, wo ebenfalls gründung 1580; 1777 Hauptstadt des
im 9. Jh. Borobudur auf Java mit herr- Vizekönigreichs La Plata; 1810 Zentrum
lichen Stupas geistiger Mittelpunkt war. der Revolution gegen die Spanier, 1816
In China wurde der B. trotz von Zeit zu Hauptstadt der Konföderation am Rio de
Zeit heftiger Verfolgungen (mit Säkulari- la Plata, seit 1861 Hauptstadt der Repu-
sierung der Mönche und Tempelenteig- blik Argentinien.
nung) durch geschmeidige Anpassung an Buffon, Georges Louis Leclerc, Graf von,
die bestehenden Volkskulte und den ↑ Ta- frz. Naturforscher, 1707–1788; Intendant
oismus zu einem bestimmenden Kultur- des Königlichen Botanischen Gartens
faktor (neben dem vorherrschenden Kon- in Paris, Verfasser einer stilistisch glän-
fuzianismus). In Japan, wo er den ↑ Schin- zenden 36-bändigen Naturgeschichte, von
toismus mit seinem Natur- und Ahnen- den Zeitgenossen, auch in Deutschland,
kult verdrängte, wurde er stark japanisiert viel gelesen (Popularisierung der Wissen-
und gewann mehr nationalist. und krieger. schaft).
Gepräge. In Tibet, wo er 642 eingeführt Bugeaud, Thomas Robert, Herzog von
wurde, nahm der B. die Form des ↑ Lama- Isly, Marschall von Frankreich, 1784–
ismus an, mit z. T. bizarrer Zaubermagie. 1849; entscheidend beteiligt an der Un-
Um 1200 erlag der B. in Indien dem Hin- terwerfung Algeriens, wo er zum General-
duismus, um die gleiche Zeit belebte er gouverneur aufstieg, schlug 1844 die Ma-
sich in Japan im ↑ Zen-Buddhismus. Seit rokkaner am Isly.

137
Bugenhagen

Bugenhagen, Johann (aus Pommern), in Stalins Partei- und Staatsapparat; seit


dt. Reformator, 1485–1558; urspr. Prä- 1948 Mitglied des Politbüros, 1947–49
monstratenser, neben Luther und Me- und 1952–55 Verteidigungsminister, seit
lanchthon der einflussreichste Führer der 1955 Ministerpräsident; 1958 als Regie-
Reformation, bes. in Norddeutschland, rungschef amtsenthoben und aus dem Po-
seit 1521 in Wittenberg, ordnete das litbüro, 1961 auch aus dem ZK entfernt.
protestant. Kirchen- und Schulwesen in Bulgarien, Land der ursprünglich den
Braunschweig, Hamburg, Pommern, Dä- Turkvölkern verwandten Bulgaren, die aus
nemark, Schleswig-Holstein. dem mittleren Wolgagebiet (Großbulgar.
Bukanier, ↑ Flibustier. Reich) seit der Mitte des 6. Jh. in ihre heu-
Bukarest, in den Chroniken seit dem tigen Wohngebiete (Teil der ehemaligen
14. Jh. genannt; seit dem 17. Jh. Residenz röm. Provinzen Mösien und Thrakien)
der Fürsten der Walachei, 1862 Haupt- vorgedrungen waren, sich mit den Slawen
stadt des neugebildeten Fürstentums Ru- vermischten und 681 ein eigenes Reich
mänien; im 1. und 2. Weltkrieg von dt. gründeten; im 9. Jh. in die byzantin. Kir-
Truppen besetzt; durch alliierte und dt. che einbezogen; im 10. Jh. unter Symeon
Luftangriffe teilweise zerstört. d. Gr. Vormacht auf dem Balkan, Angriffe
Bukarester Friedensschlüsse, 1812 zw. gegen Byzanz; um 1000 von Byzanz un-
Türkei und Russland, das Bessarabien terworfen, 1185 wieder selbständig; seit
und Teile der Moldau erhielt. – 1886 zw. 1330 Auflösung in Teilstaaten, seit 1396
Serbien und Bulgarien. – 1918 zw. Rumä- türk. Provinz; 1878 durch den Berliner
nien und den Mittelmächten: Dobrudscha Kongress Gründung des der Türkei tri-
fiel an Bulgarien, Deutschland erhielt Öl- butpflichtigen, aber verwaltungsmäßig
ausbeutungsrechte (im Nov. 1918 aufge- selbständigen Fürstentums; B. 1908 sou-
hoben). veränes Königreich unter dem Hause
Bukowina (Buchenland), Landschaft im Sachsen-Coburg (↑ Ferdinand I.); große
NO der Kurpaten, hauptsächlich von Ru- militärische und territoriale Verluste im
thenen und Rumänen besiedelt, Landes- 2. ↑ Balkankrieg; 1915 auf Seiten der Mit-
hauptstadt Czernowitz; 1513 türkisch, telmächte, um Mazedonien und südlich
1769 von den Russen besetzt; 1775 ös- Dobrudscha zurückzugewinnen; 1918 mi-
terreichisch, 1786 mit Galizien vereinigt, litärischer Zusammenbruch; im Vertrag
1850 eigenes Kronland, 1918 zu Rumä- von Neuilly 1919 erneut Gebietsabtre-
nien; 1940 ultimativ erzwungene Abtre- tungen an Rumänien und Griechenland,
tung der nördl. Bukowina an Russland, zwischen den beiden Weltkriegen Bauern-
Umsiedlung von dt. Bewohnern, meist und Bürgersystem und seit 1934 autori-
Bauern. täres Regime des Königs Boris; 1941 auf
Bule (griech., Rat), in der athen. Verfas- Seiten Deutschlands, Gewinn der südl.
sung des Solon (594 v. Chr.) Rat der 400, Dobrudscha (schon 1940; 1947 belassen),
aus den drei ersten Steuerklassen gewählt, Thrakiens und Mazedoniens; 1944 russ.
Sitz im Buleutherium, u. a. Aufsicht über Einmarsch, 1946 Abschaffung der Mo-
die Staatsverwaltung, Staatsgerichtshof; narchie, demokrat. Volksrepublik (↑ Di-
in der Verfassung des Kleisthenes von mitrow); 1947 in Paris Friedensvertrag
510 v. Chr. Rat der 500, aus dem die 50 (Staatsgrenzen von 1941); Freundschafts-
↑ Prytanen hervorgingen. und Beistandspakt mit Jugo­slawien;
Bulganin, Nikolai Alexandrowitsch, sow­ wirtsch.-sozialist. Sowjetisierung; 1948
jet. Politiker, 1895–1975, bekleidete seit Bündnispakt mit Sowjetrussland und
den 1930er Jahren leitende Positionen Kündigung des Freundschaftsabkommens

138
Bundespräsiden

mit ­ Jugoslawien, 1955 Beitritt zum War- Bundesakte, Verfassungsvertrag des Dt.
schauer Militärpakt, Mitglied der UN. Re- Bundes, von 39 Staaten 1815 als Teil der
gierungschef seit 1962 T. Schiwkow (1989 Schlussakte des ↑ Wiener Kongresses un-
entmachtet). 1979 Auseinandersetzungen terzeichnet.
mit Jugoslawien um die mazedon. Frage, Bundesgenossenkriege 1) 357–355 v. Chr.
seit 1984/85 durch sog. „Bulgarisierungs- Krieg des Tyrannen Maussolos von Karien
kampagnen“ Druck auf die türk. Minder- und der Inseln Chios, Rhodos und Kos,
heit. Nach Zusammenbruch des Kommu- sowie Byzantions gegen Athen. 2) 220–
nismus 1990 erste allg. und freie Wahlen, 217 v. Chr. Krieg Philipps V. von Make-
1991 neue Verfassung (parlamentarische donien und des Achäischen Bundes gegen
Demokratie), in den folg. Jahren wech- den Ätolischen Bund. 3) 91–89 v. Chr.
selnde Regierungen, 2001 Wahlsieg der und 82 v. Chr. der italienischen Verbünde-
„Nationalen Bewegung“ unter Ex-Mo- ten Roms gegen Rom um die Erringung
narch Simeon II. (Sakskoburggotski), der des röm. Bürgerrechts (↑ Gracchen); 89
seither Ministerpräsident von B. ist Verleihung des Bürgerrechts an alle Bun-
Bulle (mittellat. bulla = Kapsel), urspr. desgenossen.
Metallabguss von Siegelstempeln, dann Bundeskanzler, 1) in der Schweiz auf
die Kapsel mit dem Siegel, schließlich die 4 Jahre gewählter Leiter der Kanzlei des
gesiegelte Urkunde selbst, vornehmlich Bundesrats und der Bundesversammlung
die feierlichen Erlasse der byzantin. und („Kanzler der Eidgenossenschaft“). 2) in
abendländ. Kaiser sowie der Päpste (mit Österreich 1920–1938 und seit 1945 Chef
Benennung nach den ersten Wörtern des der Bundesregierung. 3) im Norddt. Bund
Textes); auf Pergament geschrieben, die 1867 bis 1871 Leiter des Bundespräsidi-
angehängten Siegel oft in kostbaren Sie- ums und Vorsitzender des Bundesrats.
gelbehältern (↑ Goldene B.). 4) in der Bundesrepublik Deutschland als
Bullinger, Heinrich, schweizer. Reforma- primus inter pares Leiter der Bundesregie-
tor, 1504–1575; Nachfolger Zwinglis in rung. Wahl auf Vorschlag des Bundesprä-
Zürich; Verfasser des Züricher Überein- sidenten durch den Bundestag; bestimmt
kommens 1549 (Einigung Calvins mit die Richtlinien der Politik, hat im Vertei-
den Zwinglianern); auch Verfasser der digungsfall Befehls- und Kommandoge-
2. Helvet. Konfession 1566 (Abgrenzung walt über die Streitkräfte.
gegen das Luthertum). Bundespräsident, allg. das Staatsober-
Bülow, 1) B., Bernhard Fürst von, dt. haupt eines Bundesstaats; in der Bundes-
Staatsmann, 1849–1929; 1897–1900 republik Deutschland von der ↑ Bundes-
Staatssekretär des Auswärtigen, 1900– versammlung auf 5 Jahre gewählt (einma-
1909 Reichskanzler, gewandter Diplomat, lige anschließende Wiederwahl zulässig).
aber ohne festen außenpolit. Kurs (Schei- Befugnisse u. a.: Vorschlagsrecht für die
tern einer Verständigung mit England, Wahl des ↑ Bundeskanzlers, Ernennung
↑ Haldane); innenpolit. den zunehmenden und Entlassung (auf Ersuchen des Bun-
Spannungen nicht gewachsen; scheiterte destags) des Bundeskanzlers, Ernennung
u. a. an der Reichsfinanzreform; bedeut- und Entlassung der Minister auf Vorschlag
sam seine „Denkwürdigkeiten“ (1930– des Bundeskanzlers, Einberufung des
31). 2) B., Friedrich Wilhelm Graf B. von Bundestags und dessen Auflösung, Ernen-
Dennewitz, preuß. General, 1755–1816; nung und Entlassung der Bundesrichter,
Sieger über die Franzosen 1813 bei Groß- Bundesbeamten, Offiziere und Unteroffi-
beeren und Dennewitz, 1814 bei Laos und ziere, Gnadenrecht, Ehrungen. Der B. ver-
1815 bei Belle Alliance. tritt den Bund völkerrechtlich, er schließt

139
Bundesrat

Verträge und beglaubigt und empfängt desrat, dessen Mitglieder (im Gegensatz
die Gesandten. B.en seit 1949: Th. Heuss zum Reichstag) von den Regierungen er-
(1949–1959), G. Lübke (1959–1969), nannt wurden; die Aufteilung der Sitze
G. Heinemann (1969–1974), W. Scheel nach Einwohnerzahlen gab Preußen ein
(1974–1979), K. Carstens (1979–1984), Übergewicht. – Seit 1949 Parlament der
R. von Weizsäcker (1984–1989–1994), Bundesrepublik Deutschland (entspre-
R. Herzog (1994–1999), J. Rau (1999– chend dem früheren Reichstag), auf 4 Jahre
2004), H. Köhler (seit 2004). – In Ös- in allgemeiner, unmittelbarer, freier, glei-
terreich ist die verfassungsrechtliche Stel- cher und geheimer Wahl gewählt.
lung des B.en vergleichbar mit der des B. Bundesverfassungsgericht, Sitz in Karls-
der Bundesrepublik Deutschland. – In ruhe, seit 1951 bestehendes unabhängiges
der Schweiz führt der B. den Vorsitz im höchstes Verfassungsgericht der Bundesre-
↑ Bundesrat, dem er als Chef eines De- publik Deutschland, übt die Kontrolle der
partements angehört; jährlicher Wechsel Gesetzgebung in Übereinstimmung mit
nach dem Dienstalter. der Verfassung (Grundgesetz, GG) aus;
Bundesrat, im Norddeutschen Bund besteht aus 2 Senaten mit je 8 Richtern,
und im Dt. Reich von 1871 Vertretung die je zur Hälfte vom Bundesrat und Bun-
der Bundesstaaten (nicht im Sinne eines destag gewählt werden.
Oberhauses); im Kaiserreich die unter Bundesversammlung, zur Wahl des
Ausschluss der Öffentlichkeit tagende Ver- Bundespräsidenten der Bundesrepublik
tretung der Staaten, das entscheidende Deutschland zusammentretendes Kolle-
Reichsorgan (über dem Reichstag ste- gium, dem die Mitglieder des Bundestages
hend); zu seiner Zuständigkeit gehörte und ebenso viele (gewählte) Vertreter der
u. a. die Genehmigung der durch den Landtage angehören.
Reichstag beschlossenen Reichsgesetze Bundeswehr, Streitkräfte der Bundesrepu-
und die Entscheidung bei Streitigkeiten blik Deutschland, in die NATO integriert,
unter den Bundesstaaten (nach 1918 in entstanden durch Änderungen des Grund-
der Weimarer Verfassung ersetzt durch gesetzes in den Jahren 1954 und 1956,
den ↑ Reichsrat). – Seit 1949 das Länder- welche die Wehrgesetzgebung konstituier-
organ der Bundesrepublik aus Mitgliedern ten, allg. Wehrpflicht seit 21. Juli 1956, seit
der Landesregierungen (mit Vertretungs- 2001 in allen Bereichen auch für Frauen
recht), die an die Weisungen ihrer Regie- offen. An der Spitze der B. steht der Bun-
rungen gebunden sind; in den Ausschüs- desminister der Verteidigung, im Verteidi-
sen können auch andere Ländervertreter gungsfall der Bundeskanzler. Ursprünglich
tätig sein; jährlich wechselnde Präsident- Verteidigungsstreitkräfte, seit 1993 auch
schaft. – In Österreich von den Landtagen in „Out of Area“-Einsätzen im Rahmen
der Bundesländer gewählte Körperschaft. der UN eingesetzt, 1999 im Rahmen des
In der Schweiz oberste leitende und voll- Eingreifens der NATO im Kosovo-Kon-
ziehende Bundesbehörde. flikt erster Kampfeinsatz der Bundeswehr.
Bundesrepublik Deutschland, ↑ Deutsch- Weitere Einsatzgeb. der B. seit Jan. 2002
land, Grundgesetz. Afghanistan und im Rahmen des Interna-
Bundestag, im 19. Jh. ständige Versamm- tionalen Kampfes gegen den Terrorismus
lung der Gesandten der 38 souveränen das Horn von Afrika.
Gliedstaaten des Dt. Bundes in Frankfurt Bundschuh, im MA der derbe, mit Rie-
am Main, 1815–1848 und 1850–1866; men zusammengeschnürter Bauernschuh,
nach der Reichsgründung entsandten die Feldzeichen der aufständ. Bauern in Süd-
Bundesstaaten ihre Vertreter in den ↑ Bun- westdeutschland 1492/1525.

140
Burg

Bunker Hill bei Boston, 1775 im amerik. und hugenott. Kolonisten in Südafrika
↑ Unabhängigkeitskrieg Gefecht zw. Eng- (1615 Gründung der Kapkolonie, der ers-
ländern und den aufständ. nordamerik. ten afrikan. Siedlerkolonie); strenggläubig
Kolonisten. und konservativ, ein Teil von ihnen wan-
Bunsen, Christian Karl Josias, Freiherr derte nach der Eroberung der Kapkolo-
von, preußischer Diplomat und Schrift- nie durch die Engländer nordwärts und
steller, 1791–1860; Freund Friedrich Wil- gründete 1842 den Oranje-Freistaat, 1853
helms IV., trotz seiner liberalen Prinzipien die Südafrikan. Republik (Transvaal),
als Nachfolger Niebuhrs preuß. Geschäfts- die nach ihrer – durch innere Schwierig-
träger beim Vatikan, im Zusammenhang keiten erleichterten – Annexion (1877)
mit dem ↑ Kölner Kirchenstreit abberu- den Engländern 1881 am Majubaberg
fen; später in London während der schles- eine schwere Niederlage beibrachte und
wig-holstein. Krise; wegen seines Eintre- sich dadurch bedingte Unabhängigkeit
tens für Preußens Teilnahme am Krim- erkämpfte; systemat. Einkreisung der B.-
krieg gegen Russland abberufen. Republik durch die Engländer (Basuto,
Bunzelwitz, niederschles. Dorf bei Betschuanaland, Rhodesien), beschleu-
Schweidnitz, 1761 befestigtes „Hungerla- nigt durch Gold- und Diamantenfunde;
ger“ der unterlegenen preuß. Armee unter 1895 Abwehr des Überfalls der brit. Jame-
Friedrich d. Gr., das die vereinigten Ös- son-Freischärler; Gesetzgebung gegen brit.
terreicher und Russen nicht anzugreifen Überfremdung unter Präsident Krüger
wagten. Anlass zum Einschreiten Englands: 1899–
Buonarotti, Filippo, ital.-frz. Revolutio- 1902 Burenkrieg (international bedeut-
när, 1761–1837; wegen oppositioneller sam, weil er Englands militär. Schwäche
Umtriebe aus der Toskana verbannt, ging zu Lande enthüllte): infolge erdrückender
nach Korsika, 1793 nach Paris, Vertrauter brit. Übermacht, Verwüstung der Farmen
Robespierres, dann als Teilnehmer an der und Internierung von Frauen und Kindern
Verschwörung Babeufs verbannt. in Konzentrationslagern schließlich Kapi-
Burckhardt, l) B., Jacob, schweizer. tulation der B.; ihre Republiken wurden
Kunst- und Kulturhistoriker, 1818–1897; brit. Kolonien; 1906/07 Selbstverwaltung,
Schüler Rankes, gleichbedeutend in der 1910 Zusammenschluss zur ↑ Südafrikan.
Originalität der Deutung und Gediegen- Union, Aussöhnung mit England, doch
heit der Darstellung; humanitärer Geist, Opposition des nationalist. Flügels.
sah entgegen dem Fortschrittsoptimismus Burg, befestigter Ort, an dem man sich
seines Jh. das Kommen neuer Barbarei vo- „bergen“ kann; als befestigte Anlage an
raus; vertrat einen ästhet. kulturellen In- schwer zugänglicher Stelle angelegt (auf
dividualismus gegen Materialismus und steilen Bergen, zw. Wasserläufen; Wasser-
Staatsallmacht, bes. des modernen Wohl- burgen, mit Wall und Graben); bis zur
fahrtsstaates; mit seinem Pessimismus Karolingerzeit Volksburgen als Zuflucht
beeinflusste er nachhaltig bes. Nietzsche für die Gesamtbevölkerung bei Feindein-
und Spengler. 2) B., Carl Jacob, schwei- fällen (Fluchtburg/Fliehburg);später Her-
zer. Staatsmann und Schriftsteller, 1891– renburgen als Wehr- und Wohnanlage
1974; 1937–1939 Völkerbundskommissar der Grafen und des grundbesitzenden
in Danzig (Politik des Ausgleichs); 1944– Adels, aus dem sich der Ritterstand ent-
48 Präsident des IRK; Verfechter der eu- wickelte; seit dessen Blüte im 11.–13. Jh.
rop. Einheit. Bau zahlreicher Ritterburgen (Hauptteile:
Buren (holländ. = Bauern), Nachkom- Palas = Herrenhaus mit Rittersaal, Keme-
men der holländ., später auch niederdt. nate = mit Kamin versehene Wohn- und

141
Burgenland

Frauengemächer, Bergfried = Hauptturm maßgebend. Als ausschlaggebend erwies


als letzte Zuflucht, Kapelle, Wirtschafts- sich die überlegene wirtsch. Leistungsfä-
gebäude, unterirdisches B.-Verlies, Zieh- higkeit des B.tums insges. gegenüber den
brunnen, Zugbrücke, Wehranlagen mit privilegierten Ständen; seit dem 18. Jh.
Zinnen, Scharten, Pechnasen usw.); mit kämpfte das B.tum um die polit. Gleich-
dem politisch-sozialen Niedergang des berechtigung, als „Dritter Stand“ errang es
Ritterstandes infolge Erstarkung des Ter- in der Frz. Revolution einen vollständigen
ritorialfürstentums sanken viele B. zu Sieg, in Deutschland kam es 1848 nur zu
Raubnestern (Raubritterburgen) herab Teilerfolgen, das B. blieb weiterhin Träger
und wurden zerstört (durch weittragende des polit. Liberalismus; staatspolitisch er-
wirkungsvolle Pulverwaffen); an die Stelle weiterte sich der Begriff des B. zum Staats-
der (oft ungewöhnlichen) Burg trat seit bürger (einschließlich der ländlichen Be-
dem 15./16. Jh. das großzügiger angelegte völkerung) mit verfassungsmäßig garan-
fürstliche Schloss, militär. die den neuen tierten gleichen Rechten, ihm entsprach in
Verhältnissen (Belagerungsgeschütze) an- Frankreich der citoyen; soziologisch dage-
gepasste Festung. gen wurde im 19. Jh. das in einem spezif.
Burgenland, seit 1918 Bezeichnung für Sinne jetzt als ↑ „Bourgeoisie“ bezeichnete
die früheren westungar. Komitate Eisen- Bürgertum innerhalb der Klassengesell-
burg, Ödenburg und Wieselburg, bewohnt schaft, die es an Stelle der alten Stände-
von den deutschsprachigen Heanzen, seit ordnung geschaffen hatte, aus seiner An-
1921 österr. Bundesland außer Ödenburg, griffsstellung vom „Proletariat“ allmählich
das nach Scheinabstimmung 1922 wieder in die Verteidigung gedrängt.
ungar. wurde; das B., früher „Armenhaus Burgfriede, im MA der durch Verbot oder
Europas“, heute wirtsch. gut entwickelt Einschränkung der Fehde verstärkte per-
(Landwirtschaft, Industrie). sönliche Rechtsschutz innerhalb einer um-
Bürger, urspr. Burgverteidger, dann der mauerten Anlage (Burg oder Stadt); heute
Bewohner einer befestigten Anlage (Burg), die befristete Einstellung innenpolit.
seit dem 10./11. Jh. entwickelte sich ein Kämpfe an Festtagen (z. B. Weihnachts-
neuer Stand zwischen Adel und Geistlich- B.) oder bei nationalem Notstand (z. B.
keit mit dem Ziel der kommunalen Selbst- der Parteien in Deutschland bei Ausbruch
verwaltung: das B.tum; die Entwicklung des 1. Weltkriegs).
dieses seit dem späten MA wirtsch. wie kul- Burggraf, im MA der militärisch und
turell eindeutig führenden Standes war eng richterlich bevollmächtigte Vertreter des
mit der des Städtewesens verknüpft und Stadtherrn, in Königs- oder Bischofsstäd-
ist ein besonderes Zeichen der abendländ. ten; später auch als Titel ohne Amt verlie-
Sozialentwicklung gegenüber der orien- hen.
tal.; Inhaber des vollen städt. Bürgerrechts Burgiba (Bourguiba), Habib, tunesischer
und Träger der städt. Selbstverwaltung Politiker, 1903–2000; studierte 1924–27
waren zunächst die Patriziergeschlechter, Jura in Paris, gründete 1934 die Neo-De-
im späten MA erkämpften sich auch die stour-Partei und hatte als ihr Führer we-
zünftigen Handwerker und Kleinkaufleute sentlichen Anteil am Kampf um die Un-
die Ratsfähigkeit; nichtzünftige Handwer- abhängigkeit Tunesiens. 1934–36, 1938–
ker, Gesellen und Dienstleute, Juden und 1942 und 1952–54 saß B. in frz. Gefäng-
Geistlichkeit besaßen kein Bürgerrecht; nissen. 1955 kehrte er nach Tunesien zu-
für die örtlich verschiedene Abstufung rück und wurde Ministerpräsident, nach
der B.rechte war in der Regel Grundbesitz Abschaffung der Monarchie 1957 Staats-
oder die Führung eines eigenen Haushalts präsident. B. lehnte panarabische Hege-

142
Burkina Faso

moniebestrebungen ab, seine Politik war nichtet wurde (Nibelungensage). Rest des
westlich orientiert; 1987 gestürzt. Volkes im Rhone-Saône-Gebiet angesie-
Burgoyne, John, brit. General, 1722– delt (↑ Burgund).
1792; musste als Oberbefehlshaber im Burian, Stephan Freiherr von, österr.-un-
nordamerik. Unabhängigkeitskrieg 1777 gar. Staatsmann, 1851–1922; 1915/16
bei Saratoga kapitulieren. und 1918 Minister des Auswärtigen, in-
Burgund, frz. Bourgogne, histor. Land- folge Meinungsverschiedenheiten mit der
schaft im Rhone-Saône-Gebiet; im MA dt. Regierung zum Abschluss eines Sepa-
ein meist selbständiges Reich von oft ratfriedens für Österreich-Ungarn ent-
wechselndem Umfang; benannt nach schlossen.
den ↑ Burgundern, deren letztes Reich Burke, Edmund, brit. Staatsmann und
an der Rhone 534 von den Franken zer- polit. Denker, 1729–1797; Fürsprecher
stört wurde; aus dem fränk. Teilreich B. der Freiheitsbewegung der Nordamerika-
bildeten sich beim Zerfall des Karolinger- ner, Iren, Korsen, Polen und Inder, doch
reiches zwei selbständige Königreiche un- nach 1789 Verfechter einer konservativen
ter dt. Lehenshoheit: 879-Nieder-B. (nach Staatsauffassung gegen die Frz. Revolution
seiner Hauptstadt Arles Arelat genannt) als ein „zerstörendes Experiment radikaler
mit der Provence; unter Boso 887 Hoch.- Doktrinäre ohne polit. Instinkt“ und Sinn
B. (Hauptstadt Besançon) mit der Frei- für polit. Realitäten, betrachtete demge-
grafschaft B. (Franche-Comté) und der genüber Staat und Gesellschaft als etwas
Westschweiz unter dem Welfen Rudolf I.; organ. Gewachsenes, verwarf die Mas-
933/34 beide Reiche vereint zum König- sendemokratie und trat für ein parlamen-
reich Arelat; 1033–1034 durch Erbschaft tar. System mit führender Elite ein; be-
an die dt. Könige, allmählich Auflösung einflusste den Freiherrn vom Stein, Gentz
in mehrere Territorien, die größtenteils an und Adam Müller.
Frankreich fielen (Provence, Dauphiné, Burkina Faso, (Land der ­Unbestechlichen),
Savoyen, Franche-Comté); daneben be- Republik in Westafrika (bis 1984 Ober-
stand seit dem 10. Jh. das Herzogtum B. volta); 1896 wurden die Reiche der Mossi
mit der Hauptstadt Dijon, 1361 von der von Ouagadougou, Oatenga und Tenko-
frz. Krone eingezogen und 1363 an eine dogo von den Franzosen erobert. 1919
königliche Nebenlinie (Valois) verliehen, Konstitution als Kolonie und Eingliede-
von Karl dem Kühnen (1467–1477) zu rung in Frz.-Westafrika, 1932 aufgelöst
einem mächtigen Reich zwischen Alpen und unter die Kolonien Elfenbeinküs­te,
und Nordsee ausgebaut, nach seinem Tod Sudan und Niger aufgeteilt. Im Rahmen
(1477) zw. Frankreich und Habsburg auf- der Frz. Union 1947 als Territorium wie-
geteilt bzw. umstritten: Niederlande und derhergestellt, 1960 in die Unabhängig-
Freigrafschaft B. zu Habsburg (1512), Er- keit entlassen. 1965/66 Militärputsch un-
richtung eines Burgund. Kreises; 1556 an ter General S. Lamizana (Staatsoberhaupt
die span. Habsburger; Herzogtum B. zu bis 1980). Die Verfassung von 1977 wurde
Frankreich; 1678 (Nimwegen) fiel auch 1980 vom Militär außer Kraft gesetzt. Im
die Freigrafschaft an Frankreich. Nov. 1982 wurde das „Militärkomitee
Burgunder, ostgerman. Volk, urspr. auf für die Wiederaufrichtung des Nat. Fort-
Bornholm, dann zw. unterer Oder und schritts“ durch einen wiederholten Putsch
Weichsel, im 4. Jh. n. Chr. am Main, 406– gestürzt, J. B. Quedraogo wurde im Au-
413 Bildung eines Reiches um Worms, gust 1983 ebenfalls durch Putsch abgelöst,
das von dem röm. Feldherrn Aëtius und Th. Sankara setzte als neuer Machthaber
den ihm verbündeten Hunnen 436 ver- den Namenswechsel durch und verstaat-

143
Burleigh

lichte Grund und Boden, im Okt. 1987 angewendet; in jüngster Zeit sind büro-
fiel er einem blutigen Putsch unter Ju- kratische Verwaltungen häufig der Kritik
stizminister B. Campaore zum Opfer. Im ausgesetzt wegen ihrer Tendenz zur Ver-
Laufe der nächsten Jahre wurden wieder selbständigung und Eigengesetzlichkeit.
Parteien zugelassen, 1991 wurde Compa- Burschenschaften, dt. Student. Bewe-
oré bei einer Wahlbeteiligung von unter gung, gegr. 1815 in Jena: veranstaltete
30 % (die Opposition hatte zum Boykott 1817 Wartburgfest (↑ Wartburg), trat für
der Wahl aufgerufen) zum Staatspräsi- die dt. Einheit und polit. Freiheiten ein;
denten gewählt. Im Mai 1992 erstmals seit 1819 nach der Ermordung ­ Kotzebues
14 Jahren wieder Parlamentswahlen, 1996 durch den Studenten Sand verboten
Zusammenschluss der Regierungspartei (↑ Karlsbader Beschlüsse) und verfolgt bis
ODP-MT (Organisation pour la Démo- 1848; danach farbentragende Student. Ver-
cratie Populaire-Mouvement du Travail) bindungen nach dem Muster der Corps;
mit zehn bisherigen Oppositionsparteien als Gesamtverband 1883–1934 der Allg.
zum CDP (Congrès pour la Démocratie et Dt. Burschenbund, daneben seit 1902 die
le Progrès) zusammen, 1998 Wiederwahl Burschenschaft, 1935/36 aufgelöst; nach
Compaorés. dem 2. Weltkrieg neu entstanden.
Burleigh (Burghley), William Cecil, Baron, Burundi, Republik in O-Afrika; wahr-
engl. Staatsmann, 1520–1598; leitender scheinlich im 17. Jh. von den Tussi gegr.,
Minister der Königin Elisabeth seit 1558, seit 1890 Teil von Dt.-Ostafrika, zus. mit
entschiedener Gegner Maria Stuarts und Ruanda 1919 Völkerbundsmandat und
Spaniens; setzte den Protestantismus in 1946 als UN-Treuhandgebiet unter belg.
England durch. Verwaltung, 1962 unabhängiges König-
Burma, Name (bis 1989) von ↑ Myanmar. reich, 1966 Republik. Im Innern Gegen-
Burmastraße, im Anschluss an die Bahn- sätze zwischen der unterdrückten Bevölke-
strecke Rangun-Lashio über das Grenz- rungsmehrheit der Hutu (85 %) und den
gebirge nach Südwestchina, 1936–1939 Tutsi, die fast alle Machtpositionen besetz-
erbaut, 1100 km lange strateg. Gebirgs- ten; blutige Auseinandersetzungen (Bür-
straße, um China im Kampf gegen Japan gerkrieg) 1972, 1988 und 1993 führten
mit Kriegsmaterial zu versorgen. zu Hunderttausenden Toten und Flücht-
Bürokratie (frz.-griech.), die hierarch. ge- lingen, 2000 auf Vermittlung N. Mandelas
gliederten Kräfte des Beamtentums sowie Unterzeichnung eines Friedensvertrages
das polit. System eines Staates, in dem das zwischen den verfeindeten Gruppie-
zu einem Berufsstand zusammengefasste rungen, trotzdem weiterhin Gefechte zwi-
Beamtentum polit. Macht ausübt; B. ist schen der Armee und den Hutu-Rebellen.
gekennzeichnet durch abgegrenzte Auf- Busch, 1) B., Hermann von dem (Bu-
gabenverteilungen, Befehlsgewalten und schius Pasiphilus), dt. Humanist, 1468–
Kompetenzen, durch beruflichen Aufstieg 1534; Parteigänger Reuchlins im Kampf
in vorgegebenen Laufbahnen, festgeglie- gegen die Kölner Dominikaner, Freund
derte Bezahlung und genaue Aktenfüh- Huttens. 2) B., Moritz, dt. Journalist,
rung über sämtliche Vorgänge; V. Seigneur 1821–1899; seit 1870 Mitarbeiter Bis-
de Gournay prägte den Begriff B. be- marcks, vielgelesener Autor zahlreicher
reits 1745; urspr. nur auf die vom Berufs­ Bücher über den Reichskanzler.
beamtentum durchgeführte staatl. Verwal- Busento, Nebenfluss des Crati in Kala-
tung bezogen, wurde der Begriff B. bes. brien; nach der Sage wurde in seinem Bett
seit Anfang des 20. Jh. auch auf private bei Cosenza 410 ↑ Alarich begraben (neue
Wirtschafts- und Organisations­formen Ausgrabungen bisher ergebnislos).

144
Byzantinisches Reich

Bush, George Herbert Walker, amerik. der Carbonari und am Freiheitskampf der
Politiker, geb. 1924; seit 1966 als Abge- Griechen teil, starb während des Kampfes
ordneter der Republikaner im Repräsen- in ↑ Missolunghi.
tantenhaus, 1970–72 UNO-Botschafter, Byzantinisches Reich (Byzanz, Ostrom),
danach zwei Jahre Vorsitzender seiner Par- abendländ. Bez. für das Oström. Reich;
tei, 1976–77 Leiter des Geheimdienstes hervorgegangen aus der Reichsaufgliede-
CIA, 1981 Vizepräsident unter ↑ Reagan, rung ↑ Diokletians, die Konstantin durch
1989–1993 41. Präsident der Vereinigten die äußerst bedeutungsvolle, aus strateg.
Staaten, trat in seiner Amtszeit innenpo- Gründen (gegen die Perser) erfolgende
litisch für die Sanierung der Staatshaus- Verlegung der Reichshauptstadt von Rom
haltes und Bekämpfung der Drogenkrimi- nach Byzanz (= Konstantinopel) 330 be-
nalität ein; außenpolitisch Verständigung kräftigte; 395 endgültige Teilung des Im-
mit ↑ Gorbatschow über Abrüstungsfra- periums unter ↑ Theodosius, dem letzten
gen. Sein Nachfolger Bill ↑ Clinton wurde Alleinherrscher des Gesamtreiches, der das
2001 wiederum von B.s Sohn George Reich unter seine Söhne Arkadius (Os-
Walker Bush abgelöst. ten) und Honorius (Westen) aufteilte. Das
Bute, John Stuart, Earl of, brit. Staats- B. R. umfasste um 400 den Balkan südl.
mann, 1713–1792; schloss 1763 nach der unteren Donau (etwa ab Belgrad),
dem Rücktritt des älteren Pitt mit Frank- aber ohne Dalmatien, Kleinasien bis ans
reich und Spanien den Frieden von Paris. Hochland von Armenien, Syrien, Paläs­
Butler, Walter, kaiserlicher Oberst, irischer tina, Sinaihalbinsel, Ägypten und Libyen
Abstammung; organisierte 1634 in Eger und alle O-Mittelmeerinseln: ungefährer
die Ermordung Wallensteins. Grenzverlauf zw. Ost und West: Belgrad
Bylinen, epische Heldenlieder der russ. – Südostspitze Italiens – Große Syrte.
Volksdichtung; Blütezeiten als höf. Kunst Anders als Westrom verstand es Ostrom,
im 11./12. Jh. in Kiew, im 13./14. Jh. in sich der Germaneneinfälle zu erwehren
Nowgorod und u. a. im 16. Jh. in Mos- und von den Erschütterungen der Völker-
kau, danach als Volkskunst weiter tradiert. wanderung zum großen Teil verschont zu
Die B. berichten, z. T. märchenhaft aus- bleiben: Abwehr der Westgoten (teilweise
geschmückt, über histor. Ereignisse und Ansiedlung auf byzantin. Reichsgebiet),
Personen, z. B. über Wladimir d. Gr., Iwan der Hunnen unter Attila und der Ostgo-
d. Schrecklichen, Peter d. Gr. ten unter Theoderich; dadurch Staatsent-
Byrd, Richard, nordamerik. Flieger und wicklung ohne Germanenanteil, Bewah-
Polarforscher, 1888–1957; flog 1926 rung des spätantik-lat., vornehmlich aber
mit F. Bennet als erster zum Nordpol, er- des griech.-hellenist. Sprach- und Kultur-
forschte 1929/30 den Südpol mit Flug- erbes mit zunehmender Ausprägung eines
zeugen, leitete 1946/47 die größte ame- griech.-byzantin. Nationalgeistes, auch
rik. Antarktisexpedition und bereitete die im kirchlichen Bereich: 451 Gründung
amerik. Expedition des Geophys. Jahres des Patriarchats von Konstantinopel; Aus-
1957/58 vor. bau der Verfassung der griech. Kirche; in
Byron, George Noel Gordon, Lord, engl. dieser Zeit Hochblüte der Theologie und
Dichter, 1788–1824; Lyriker und Drama- christlichen Philosophie; Entfaltung des
tiker der Romantik (Weltschmerz); seine weltflüchtigen griech. Mönchtums. Nach
Werke zählen zur Weltliteratur und beein- dem Zusammenbruch des Weström. Rei-
flussten nachhaltig die europäische Lite- ches 476 n. Chr. bewahrte im Westen das
ratur des 19. Jh.; B. führte ein abenteuer- Papsttum die gesamtröm. Kaiser- und
liches Leben, nahm an der Verschwörung Reichsidee (vorerst in Abhängigkeit von

145
Byzantinisches Reich

Ostrom, bis die Päpste die Franken als ser (Zusammenbruch des ↑ Sassaniden-
ihre Schutzmacht anerkannten), im Os- reiches, 627); Abwehrkämpfe gegen Awa-
ten beanspruchten die byzantin. Kaiser ren und Slawen. In der Folge tauchten als
das Kaisererbe und verbanden die Funk- neue Gegner das Donaubulgar. Reich (seit
tion des Cäsars mit der des Pontifex ma- 680) und die Araber auf, die Ägypten, Sy-
ximus („Cäsaropapismus“ gegenüber dem rien, Paläsrina erobert hatten und byzan-
späteren Dualismus Kaiser und Papst im tin. Provinzen in Persien besetzten, aber
Westen). 678 und 718 vor Konstantinopel zurück-
Vom Osten ging unter Kaiser Justinian I. geworfen wurden (Rettung des Abend-
(527–565) der letzte tatkräftige Versuch landes): Kleinasien blieb byzantin. Boll-
aus, Ostrom wieder zum Haupt eines röm. werk gegen den Islam. Im 8. und 9. Jh.
Gesamtreiches zu machen; nach Kodifizie- 100-jähriger zerrüttender ↑ Bilderstreit
rung des gesamtröm. Rechtes im (noch lat. (Heiligenbilderverehrung als gottesläster-
verfassten, christlich durchsetzten) ↑ Cor- lich verboten, Vernichtung der Bilder);
pus iuris (534); Zurückeroberung eines Höhepunkt des Bilderstreits unter Leo III.
Teiles der weström. Reichshälfte; es wur- (717–741) und Konstantin V. (741–775),
den Nordafrika nach Zerstörung des Van- Zulassung der Bilderverehrung unter Kai-
dalenreiches durch ↑ Belisar (534), Italien serin Irene (780–802), endgültig unter
nach Vernichtung des Ostgotenreiches Kaiserin Theodora 843. Langobarden er-
durch ↑ Narses (552–554) und ein Teil oberten 751 ↑ Exarchat von Ravenna, der
des westgot. Südspaniens (554) oström. Papst beanspruchte Dukat von Rom; nur
Reichsglieder; vorübergehende Überwin- Unteritalien und Sizilien (bis 827) blie-
dung des abendländ. Schismas (wegen der ben byzantin. (Anerkennung des Kaiser-
christolog. Frage); Bau der Hagia Sophia tums Karls d. Gr., Hinwendung des Papst-
als neuem Reichssymbol; unter Justinian tums zum Frankenreich); obwohl sich die
Vorstoß der ↑ Slawen und ↑ Bulgaren in Byzantiner noch Römer nannten, weitere
die byzantin. Balkanprovinzen und der Entfremdung zwischen Ost und West. Ge-
Perser in Kleinasien (hier wurde die Frie- gen Leo VI. den Weisen (886–912), der
denssicherung durch Tributzahlung er- sich „Auserwählter Gottes“ nannte und
kauft; starker Einfluss des Orients auf die ein absolutist. Regiment führte, verfocht
byzantin. Herrscheridee). Unter Justini- Patriarch Photias die Zweigewaltenlehre;
ans Nachfolgern Verlust von großen Tei- das Corpus iuris Justinians wurde durch
len Italiens an die Langobarden (seit 568) neues Reichsgesetz abgelöst (Festigung des
und Aufteilung Italiens in lango­bard. und Beamtentums, Zunftordnung für Handel,
byzant. Einflussgebiete (byzantin. ­ waren Schiffbau; Seidenherstellung). Unter Kon-
u. a. das Exarchat Ravenna mit Unter­ stantin VII. Porphyrogennetos (912–963)
italien und Sizilien und ↑ Dukat Rom). Blüte der Wissenschaften („Makedonische
Nach Festsetzung der Slawen auf dem Bal- Renaissance“ antiker Schriftsteller), För-
kan unter Kaiser ↑ Heraklius I. (61()641) derung der Klein- und Wehrbauern. 961
Reichsreform zur Stärkung der Abwehr- wurden Kreta, 965 Zypern, 969 Teile Syri-
kraft: Aufteilung in Wehrkreise (Themen) ens, 974/75 Teile Palästinas dem Islam ent-
unter kommandierenden Generalen (auch rissen, 972 wurde Bulgarien byzantin. Pro-
in den ital. und nordafrikan. Provinzen), vinz; Beginn der Missionierung des Bal-
Wehrbauerntum an den Grenzen; Helle- kans (Serbien, Bulgarien) und Mährens im
nisierung der Kultur (Griechisch wurde Sinne des byzantin. Christentums; weltge-
Amtssprache, der Kaiser nannte sich ↑ Ba- schichtlich folgenreich wurde die Christia-
sileus); drei Kreuzzüge gegen die Per- nisierung Russlands bes. unter ↑ Basilios II.

146
Byzantinisches Reich

(976–1025); das B. R. erstreckte sich von Nordwest-Kleinasien; starke kulturelle ge-
der Adria bis Armenien, von der Donau genseitige westöstl. Durchdringung, aber
bis zum Euphrat; doch nach Aufgabe der kirchliche und soziale Gegensätze zwi-
Themenverfassung und der Einführung schen Herrschenden und rechtloser Bevöl-
eines Söldnerheeres anstelle des Wehrbau- kerung; der Dynastie von Nicäa (Paläolo-
erntums und durch das Übergewicht der gen) gelang 1261 die Wiedergewinnung
Zivilverwaltung und der Großgrundbesit- von Konstantinopel (Ende des lat. Kaiser-
zer Aufstieg der Territorialgewalten und tums). Kaiser ↑ Michael VIII. Palaiologos
Schwächung der Wehrkraft, vor allem im (1258–1282) suchte gegen Venedig das
Kampf gegen die Offensive der ↑ Petsche- Bündnis Genuas und durch Union mit
negen von der Donau her, der Normannen der röm. Kirche (Konzil von Lyon 1274)
(Verlust Unteritaliens) und der türk. ↑ Sel- Beendigung des Schismas, scheiterte aber
dschuken (Verlust Inner-Kleinasiens). an innerem Widerstand; um 1300 ging
Unter Konstantin IX. (1042–1055) wegen Kleinasien erneut verloren.
dogmat. und kirchenpolit. Streitfragen Das 14. Jh. war gekennzeichnet durch das
Trennung der Ost- und Westkirche 1054 weitere Vordringen der Türken, die Kon-
(gegenseitige Bannung Papst Leos IX. und stantinopel umgingen und Bulgarien,
des Patriarchen Michael Cärularius’), spä- Serbien, Thessalien, Griechenland, die
ter Übergreifen des Schismas auf bulgar., Dobrudscha besetzten; Kulturzentrum
rumän., serb. und russ.-orthodoxe Kir- war zeitweise Mistra (Sparta) auf dem Pe-
che (↑ Ostkirche). In den folgenden Jah- loponnes. ↑ Johannes V. (1354–1391) er-
ren Tiefpunkt der byzantin. Macht. Italien hoffte durch erneutes Unionsangebot mi-
war restlos, der Balkan teilweise, Klein- litär. Hilfe des Westens; auch er scheiterte
asien fast völlig verloren; die Zentralge- an den inneren Gegensätzen (sozialradi-
walt gelähmt; Währungsverfall; 1081 be- kale Bewegung, myst. Sektierer); um 1400
gründete General Alexios Komnenos als war das B. R. fast ganz auf die Hauptstadt
↑ Alexios I. (1081–1118) die Komnenen- beschränkt; das kirchliche Erbe trat Mos-
Dynastie und schlug mit Hilfe Venedigs kau an; erneute Unionspläne schlugen
und Genuas die Normannen zurück; Ve- fehl (1437 in Rom, 1439 in Florenz), da
nedig erhielt 1082 Handelsvorrechte (Be- sie vom Volk und von Russland abgelehnt
ginn seines Seereiches); Alexios gewann im wurden („Lieber ein türk. Turban als eine
1. Kreuzzug 1096/97 Teile ­Kleinasiens zu- röm. Mitra“); auch der letzte Aufruf zur
rück; Manuel I. (1143–1180) erstrebte ver­ Union 1452 und zur Hilfeleistung war
geblich Zurückgewinnung Italiens; nach vergebens und wurde von den in partiku-
ihm Zersetzung des Reiches durch Thron- larist. Interessen befangenen abendländ.
folgekämpfe, um 1200 Verlust des Balkans; Staaten überhört; nur eine kleine päpst-
Byzanz, für Fehlschläge in den Kreuzzü- liche Hilfstruppe eilte nach Konstantino-
gen verantwortlich gemacht, wurde auf pel. Die durch Mongolenangriffe vorüber-
Betreiben Venedigs unter Führung des gehend geschwächten Türken begannen
vertriebenen Kaisersohnes Alexios IV. An- 1453 unter Sultan Mehemed II. (1451–
griffsziel des 4. Kreuzzuges und fiel 1204 1481) die Belagerung Konstantinopels,
in die Hand der Kreuzfahrer; Errichtung das sie am 29. Mai unter Einsatz schwerer
des ↑ lat. Kaisertums in Byzanz und Um- Artillerie eroberten; der letzte Paläologe,
gebung; Zerfall des übrigen Reichsgebietes Kaiser Konstantin XI. Dragasas, fiel; Kon-
in Herzogtümer, Grafschaften, Baronien stantinopel wurde türkische Hauptstadt
und die Teilreiche von Epirus an der Adria, (Stambul). 1456 wurde Athen, 1460 der
Trapezunt am Schwarzen Meer, Nicäa in Peloponnes, 1461 Trapezunt erobert, das

147
Byzanz

sich seit 1204 als eigenes Kaiserreich erhal- gien bergen viele Zeugen des byzantin.
ten hatte; der Südwesten des Abendlandes Kunsteinflusses; in der ital. Malkunst des
war dem weiteren Vordringen der Türken 13. Jh. ist die „maniera greca“ oder „bizan-
geöffnet; 1459 eroberten sie Serbien, 1463 tina“ ein fester Begriff; auch die dt. Roma-
Bosnien, 1464 die Walachei, 1479 Alba- nik und Gotik und der dt. Humanismus
nien, 1483 die Herzegowina, 1526 fast erhielten Anregungen aus dem byzantin.
ganz Ungarn, die Verteidigung des Abend- Kunst- und Kulturbereich.
landes übernahm das Haus Habsburg. Byzanz (Byzantion), um 660 v. Chr. von
Die lange Zeit unterschätzte Bedeutung Dorern aus Megara gegr. Kolonie am Bos-
des B. R. liegt nicht nur in der Abdäm- porus, handelspolit. bedeutend, 515 v. Chr.
mung der Anstürme, denen Europa vom persisch, 478 v. Chr. von Pausanias be-
Osten (Slawen) und vom Orient (Islam) freit, der 7 Jahre in B. blieb; Mitglied
her ausgesetzt war, sondern v. a. auch in des Att. Seebundes, nach 405 v. Chr. vo-
seinen Kulturleistungen, die sowohl in rübergehend unter spartan. Herrschaft;
das Abendland wie in den Vorderen Ori- 340 v. Chr. erfolglose Belagerung durch
ent und nach Russland ausstrahlten: Das Philipp II. von Makedonien, selbstän-
christliche theologisch-philosophische dig auch unter Alexander d. Gr. und den
Denken des frühen Mittelalters wurde ent- Dia­dochen; um 278 v. Chr. von den Kel-
scheidend mitgeprägt durch die Schriften ten heimgesucht, im 2. Jh. v. Chr. mit Rom
frühbyzantin. Theologen (u. a. Eusebius, gegen dessen kleinasiat. Gegner verbündet
Athanasius, Basilius, Gregor von Nyssa, und darum als sog. Freie Stadt privilegiert;
Gregor von Nazianz, Johannes Chrys- 196 n. Chr. von Septimius Severus wegen
ostomos); bis in die Stauferzeit wirkte der Parteinahme für den Gegenkaiser nach
Byzanz auf das abendländ. Kaisertum ei- dreijähriger Belagerung größtenteils zer-
nerseits durch Heiraten, andererseits als stört; 330 von Konstantin d. Gr. als Roma
Vorbild für Herrschaftsordnungen, Hof- Nova (Neu-Rom) feierlich zur Residenz
zeremonien und Lebensformen, die Ara- erhoben, großzügig ausgebaut und Kon-
ber übernahmen vom B. R. Heeresord- stantinopel benannt; 395 bei Teilung des
nungen, Waffen- und Schiffbautechniken. Reiches durch Theodosius Hauptstadt des
In die profane Literatur des Abendlandes Oström. (↑ Byzantin.) Reiches, Sitz eines
strömten starke Einflüsse aus den Werken Patriarchen (seit dem 5. Jh. Oberhaupt der
der byzantin. Geschichtsschreiber, Alter- griech.-orthodoxen oder Ostkirche); ↑ Ha-
tumskundler, Philosophen und vor allem gia Sophia anstelle der gleichnamigen, 330
der Übersetzer, da Byzanz das hellen. und errichteten, später abgebrannten Kirche,
hellenist. Erbe umfassender bewahrte als erbaut 532–535; oftmals belagert (622
der Westen; auf dem Gebiet der bildenden Doppelangriff der Awaren, Slawen und
Kunst war die Ausstrahlungskraft des B. R. Perser; 674/78 und 717/18 Angriffe der
besonders groß; die Kunst entwickelte sich Araber siegreich abgewiesen); 1204 von
aus frühchristlichen, spätantiken, später Kreuzfahrern genommen und Hauptstadt
auch oriental. Elementen und gelangte des ↑ lat. Kaisertums, 1261 vom griech.
mehrmals zu hoher Blüte (Architektur, Kaiser Michael VIII. Palaiologos zurück­
Mosaik- und Reliefkunst, Raumdekora- erobert; 1453 Eroberung durch die Tür-
tion, Wandmalerei, Elfenbeinschnitze- ken, deren Hauptstadt es bis 1923 blieb
rei, Bronzeguss, Seidenweberei); Ravenna (Istanbul, Stambul).
(Kirche, Mosaiken), Venedig (Markus-
dom), Rom, Süditalien, Sizilien, aber auch
Russland, der Balkan, Armenien, Geor-

148
Cabet

Cabet, Etienne, frz. Kommu- Caere (Cervetri), alte etruskische Stadt

C nist, 1788–1856; schrieb den


utop. Roman „Reise nach Ika-
rien“, versuchte den Kommu-
nismus auf friedlichem Wege zu verwirk-
in der Toskana, 353 Friede mit Rom auf
100 Jahre; im MA verfallen, 1536 wurde
hier eine Gräberstadt der Etrusker aufge-
funden (Wandgemälde, Vasen).
lichen, gründete 1848 in Texas und 1851 Caetano, Marcelo José, portug. Politiker,
in Illinois mit Anhängern aus Frankreich 1906–1980; seit 1936 enger politischer
„ikar.“ Kolonien, scheiterte jedoch. Mitarbeiter ↑ Salazars bei der Errichtung
Caboto, Giovanni (John Cabot), ital. See- des portug. Ständestaates; 1968 Minister-
fahrer in engl. Diensten, um 1420–1498; präsident, 1974 durch Militärputsch ge-
entdeckte 1497 auf der Suche nach der stürzt, in Brasilien im Exil.
Nordwestpassage (noch vor Kolumbus, der Cafe Filho, Joa Fernandes, brasilian. Poli-
erst auf seiner 3. Fahrt 1498–1500 Süda- tiker, 1899–1970; Mitinitiator des Staats-
merika anlief ) das amerik. Festland (Labra- streichs von 1930, 1954 Staatspräsident,
dor), gelangte bis zur Küste Neufundlands 1955 Rücktritt wegen innenpolit. Schwie-
und südl. vielleicht bis Florida. rigkeiten.
Cabral, Pedro Alvarez, portug. Seefahrer, Caillaux, Joseph, frz. Staatsmann, 1863–
um 1460–1526; landete 1500 in Brasi- 1944; 1911/12 Ministerpräsident, im
lien (das er für die portug. Krone in Besitz 1. Weltkrieg wegen Hochverrats verhaftet,
nahm), als er auf der Indienfahrt westwärts 1920 verurteilt, 1925 begnadigt; 1925,
abgetrieben wurde; gründete die ers­ten 1926 und 1935 jeweils für kurze Zeit Fi-
portug. Faktoreien in Indien. nanzminister.
Cadiz, Hafenstadt an der span. Atlantik­ Ça ira (frz., „So wird’s geh’n ...“, nämlich
küste, phönik. Gründung um 1100 v. Chr.; „die Aristokraten an die Laterne zu hän-
seit etwa 500 v. Chr. bedeutender karthag. gen“), Refrain eines vielgesungenen Liedes
Handelsplatz; 206 v. Chr. von den Römern der Frz. Revolution, das später von der
erobert (Gades); 711–1262 n. Chr. in Hän- Marseillaise verdrängt und 1797 verboten
den der Araber, dann an Kastilien, Haupt- wurde.
stapelplatz des span. Kolonialhandels; seit Cajetan, Jacobus (eigtl. Thomas de Vio
dem 18. Jh. Hafen der Silberflotte, mehr- von Gaeta), bedeutendster kath. Theologe
mals von den Engländern angegriffen, 1810 der Reformationszeit, 1469–1534; Domi-
und 1823 von den Franzosen belagert, im nikanergeneral, Kardinal, hochgebildeter
19. Jh. revolutionärer Unruheherd. Humanist und Scholastiker, versuchte als
Cadoudal, Georges, frz. Royalistenführer, päpstlicher Legat auf dem Reichstag zu
1771–1804; 1799 Führer der bret. ↑ Chou- Augsburg 1518 vergeblich, Luther zum
ans gegen die frz. Revolutionäre, ging nach Widerruf zu bewegen.
der Niederschlagung des Aufstandes nach Calais, Stadt und Seefestung, mittelalterl.
London; 1803/04 zus. mit Pichegru Ver- Gründung; nach der Schlacht von Crécy
schwörung gegen Napoleon, hingerichtet. 1347–155 in englischem Besitz (letzter
Caen, Hauptstadt des frz. Dep. Calva- engl. Stützpunkt auf dem europ. Festland);
dos, von Wilhelm dem Eroberer um 1060 1588 fand auf der Höhe von C. die Arma-
gegr.; normann.-roman. und got. Bauten, daschlacht statt; 1639 versenkten die Nie-
Hauptsitz der Herzöge von der Norman- derländer vor C. eine der span. Silberflot-
die; in den Kriegen mit England und in ten; im 2. Weltkrieg fast völlig zerstört.
den Hugenottenkriegen heiß umstritten; Calatrava, Orden von, span. Ritterorden;
1944 bei Invasion der Alliierten heftig um- 1158 gegr. anlässlich der Verteidigung der
kämpft und weitgehend zerstört. span. Stadt Calatrava gegen die Mauren;

149
Calhoun

später wurde die Großmeisterwürde zu zur ewigen Seligkeit oder zur Verdamm-
einem Titel der span. Könige. nis und die Rechtfertigung allein aus dem
Calhoun, John Caldwell, nordamerik. Glauben (der bei den zur Verdammnis
Staatsmann, 1782–1850; mehrfach Vize- Ausersehenen nur ein Scheinglaube ist). In
präsident der USA, vertrat gegen die Union der von Luther und Zwingli abweichenden
die Interessen der Südstaaten (Sklaverei). Abendmahlslehre wurde 1549 mit den
Calicut, ind. Stadt an der Malabarküste; Zwinglianern eine Einigung erzielt; äu-
urspr. Handelsplatz eines Hindu-Fürsten, ßerste Einfachheit im Kultus nach dem
1498 erster Landeplatz Vasco da Gamas Vorbild der apostol. Urkirche, Bilder auch
in Indien, portug. Festung und stärkster nicht als Schmuck in den Kirchen gedul-
kolonialer Stützpunkt; später im Besitz det; republikan. Kirchenverfassung, Pres-
Englands (aus dem Namen C. abgeleitet byterium = Rat der Ältesten an der Spitze,
Kaliko, gefärbter Kattun). Selbständigkeit gegenüber dem Staat. Der
Caligula (Gajus Julius Caesar Germani- C. verbreitete sich bes. in Westeuropa (in
cus), röm. Kaiser (37–41 n. Chr.); geb. Frankreich: Hugenotten; in Schottland:
12 n. Chr., Sohn des Germanicus, aufge- Presbyterialkirche des John Knox) und
wachsen im Feldlager (daher C., Soldaten- zeigte sich im Gegensatz zum Luthertum
stiefelchen); seine Schreckensherrschaft en- auch in weltlich-polit. Fragen (Ideal der
dete mit seiner Ermordung durch die Prä- Volkssouveränität) kämpferisch interessiert
torianer. (Auswirkung vor allem in den aufständ.
Calonne, Charles Alexandre de, frz. Staats- Niederlanden); die Gegenreformation fand
mann, 1734–1802; versuchte als Finanz- den erbittertsten Widerstand beim C.; in
minister 1783–1785 vergeblich eine Fi- Deutschland blieben die Anhänger des C.
nanzreform vor dem Ausbruch der Revo- vom Augsburger Religionsfrieden 1555
lution; auf seine Veranlassung trat 1787 ausgeschlossen, doch neigte selbst der Kreis
(zum erstenmal seit 1626) die ↑ Notabeln- um Melanchthon zum C.; diese „Krypto-
versammlung zusammen, ohne seine Vor- calvinisten“ fanden in den luther. Ländern
schläge zur Deckung des Defizits zu unter- keine Duldung; der C. rächte sich durch
stützen. entsprechende Intoleranz dort, wo er sich
Calvin (Cauvin), Johann, Reformator, durchsetzte (1562 Pfalz, 1604 Hessen-Kas-
1509–1564; frz. Herkunft, kam 1536 erst- sel); er trug andererseits wesentlich zur För-
mals nach Genf, geriet – als leidenschaft- derung der Toleranz von Staats wegen bei,
licher Fanatiker – in Streit mit den Anhän- indem er das Problem der religiösen Min-
gern der freieren, weniger strengen Lehre derheit aufwarf; im Dt. Reich wurde der C.
Zwinglis, musste fliehen; 1541 zurückge- 1648 als gleichberechtigt neben kath. und
rufen, gründete er die reformierte Kirche luth. Kirche anerkannt. – Die wirtschafts-
und führte ein strenges Kirchenregiment; und sozialgeschichtliche Bedeutung des C.
einer der bedeutendsten Gegenspieler der besteht darin, dass der C. von seinen An-
Gegenreformation; sein Hauptwerk (1536) hängern Arbeitseifer fordert und den sicht-
„Institutio religionis Christianae“; seine baren Erfolg des Arbeitens als eines der
Lehre, der ↑ Calvinismus, geprägt von sei- Zeichen der Auserwählung ansieht (Aus-
ner Strenge und Unerbittlichkeit. wirkung auf das kapitalist. Denken).
Calvinismus, durch ↑ Calvin begr. protes- Camara, Helder Pessoa (gen. Dom Helder),
tant. Religionslehre; in ihrem Mittelpunkt brasilian. Erzbischof, 1909–1999; Sprecher
steht die aus der gänzlichen Verderbtheit der progressiven Gruppe der brasilian. Kir-
des Menschen (Erbsünde) gefolgerte gött- che. C. plädierte für „brasilian. Sozialis-
liche Vorherbestimmung (Prädestination) mus“, lehnte Gewaltanwendung ab.

150
Canaris

Cambacérès, Jean-Jacques Régis de, frz. Camorra, polit. Geheimverbindung im


Staatsmann, 1753–1824; Revolutionspo- ehemaligen Königreich Neapel im 19. Jh.;
litiker, gemäßigtes Mitglied des Konvents; von den Bourbonen meist geduldet, un-
1793 Präsident des Wohlfahrtsausschusses, terstützte Garibaldi; im Königreich Italien
1799 Justizminister, dann Zweiter Konsul, wieder auf Seiten der gestürzten Bourbo-
1804 Erzkanzler, wesentlich an der Ausar- nen, sank allmählich zum Terroristenbund
beitung des Code Napoleon beteiligt; 1808 ab, 1911 Hinrichtung seiner Führer; den-
zum Herzog von Parma ernannt, 1816– noch lebte der Bund nach den Weltkriegen
1818 verbannt. immer wieder auf (↑ Mafia).
Cambon, 1) C., Joseph, frz. Revolutionär, Campanella, Thomas, ital. Philosoph,
1754–1820; Mitglied des Konvents und 1568–1639; Dominikaner, verband unter
des Wohlfahrtsausschusses, 1794 an Ro- dem Einfluss Platons in dem utop. Roman
bespierres Sturz beteiligt; Finanzmann und „Civitas solis“ (Sonnenstaat) die Vorstel-
Förderer des Assignatenwesens; 1816 ver- lung einer kath. Universalmonarchie mit
bannt. 2) C., Paul, frz. Diplomat, 1843– gemeinwirtsch. Ideen (Verneinung des Pri-
1924; 1898–1920 Botschafter in London, vateigentums); 26 Jahre unter der Beschul-
treibende Kraft der ↑ Entente cordiale. digung des Hochverrats in span. Haft,
Cambrai, frz. Stadt an der Schelde; das 1634 Flucht nach Frankreich.
„Cameracum“ der Römer, von Nerviern Campe, Joachim Heinrich, philanthrop.
besiedelt: im 6. Jh. Bischofssitz; Anfang Pädagoge der Aufklärung und Jugend-
des 11. Jh. erhielten die Bischöfe die Graf- schriftsteller, 1746–1818; Reformer des
schaft C. (dt. Kammerich) als Reichsle- braunschweig. Schulwesens im Geiste
hen; 1556 Erzbistum, 1678 an Frankreich; Rousseaus und Basedows, Bearbeiter des
1508 ↑ Liga von C. – 1529 „Damenfriede“ „Robinson Crusoe“ für die Jugend.
von C. (ausgehandelt von Margarete von Camphausen, preuß.-dt. liberale Politiker
Parma, der Statthalterin der Niederlande, und Minister: 1) C., Ludolf, 1803–1890;
mit Luise von Savoyen, der Mutter des Kö- nach der Märzrevolution 1848 Minister-
nigs Franz I.) zw. Frankreich und Habs- präsident, drang mit seinem Verfassungs-
burg. 1917 Tankschlacht von C. (erster entwurf nicht durch, trat als Bevollmäch-
Masseneinsatz von Tanks durch die Eng- tigter Preußens in Frankfurt ohne Erfolg
länder). für engeren Bundesstaat unter preuß. Füh-
Cambridge, 1) Hauptstadt der Grafschaft rung (Programm Gagern) ein. 2) C., Otto,
C. im SO Englands; neben Oxford älteste Bruder von 1), 1812–1896; 1869–1878
und berühmteste Universität Englands, Finanzminister im Zeichen des frz. (Kriegs-
1229 gegr.; 19 Colleges (selbständige Kör- entschädigungs-) „Milliarden-Segens“; als
perschaften); darunter das Trinity Col- Förderer des Handels- und Industriekapi-
lege, gegr. 1546 (Schüler: Bacon, New- tals von Schutzzöllnern und Agrariern wie
ton, Byron); St. John’s (1511) und Kings von Sozialisten heftig angegriffen.
College (1441) mit prächtigen Kapellen. Campoformio, Schloss in Venetien; 1796
2) Stadt in Massachusetts bei Boston, mit Friede zwischen Frankreich und Öster-
der Harvard-Universität, der ältesten und reich, das die österr. Niederlande und die
berühmtesten der USA, gestiftet 1636 von Lombardei gegen den Erwerb Venetiens,
dem Prediger Harvard. Istriens und Dalmatiens abtrat und sich in
Camillus, Marcus Furius, röm. Feldherr den Geheimbestimmungen zur Räumung
und Staatsmann, Eroberer des etruskischen des linken Rheinufers verpflichtete.
Veji (396 v. Chr.), mehrmals Diktator; Canaris, Wilhelm, dt. Admiral, 1887–
391–387 v. Chr. im Exil. 1945; seit 1935 Chef der Abwehrabtei-

151
Canberra

lung, 1938–1944 Leiter des Amtes Aus- Canterbury, Stadt in England, nach
land/Abwehr im OKW, unterstützte bes. der Sage 900 v. Chr. von den Briten als
1938–1941 die Widerstandsbewegung Caerkent gegr., röm. Durovernum; König
gegen Hitler; obwohl bereits im Februar Ethelbert von Kent machte es 568 n. Chr.
1944 entlassen, wurde C. nach dem Atten- zu seiner Residenz; um 600 Bistum C., be-
tat vom 20. Juli 1944 verhaftet und in den gründet vom Mönch Augustinus (ältestes
letzten Kriegstagen hingerichtet. Bistum Englands), später Erzbischofssitz
Canberra, austral. Bundeshauptstadt, als mit berühmter Kathedrale aus dem 11.–
Hauptstadt 1913 gegr. (als Kompromiss 15 Jh.; der Erzbischof von C. ist Primas der
der Städte Sydney und Melbourne). anglikan. Kirche und erster Peer des Kö-
Canisius, Petrus (eigtl. Peter de Hondt), nigreichs; Stadt 1942 durch Luftangriffe
Prediger, Kirchenpolitiker, Missionar, ers­ schwer zerstört.
ter dt. Jesuit, hl., 1521–1597; wirkte maß- Capetinger, frz. Herrschergeschlecht, das
gebend für die Gegenreformation („Zwei- mit Hugo Capet, dem Grafen von Paris und
ter Apostel der Deutschen“), verfasste Herzog von Franzien, 987 den Thron be-
volkstümliche Katechismen, die 1597 in stieg; stammte von einem ­eingewanderten
200 Ausgaben vorlagen. Sachsen namens Witichin ab, erwarb Fran-
Cannae, Ort in Apulien am Aufidus; zien und erreichte 887/98 und 922/23 vo-
216 v. Chr. erlitten hier die Römer durch rübergehend die Königswürde; regierte in
Hannibal die vernichtendste Niederlage ih- Frankreich im Hauptstamm bis 1328, in
rer Geschichte (rd. 50 000 Tote und 20 000 der Seitenlinie der Valois bis 1589, in der
Gefangene auf röm. Seite, 6 000 Tote auf der Bourbonen bis 1792 (bzw. 1830).
karthag. Seite). In der Kriegsgeschichte ist Capistran(us), Johannes, ital. Franziskaner
C. das klass. Beispiel für die Vernichtungs- und Kreuzzugsprediger, hl., 1386–1456;
schlacht durch Umfassung. rief Europa zur Türkenabwehr auf (Befrei-
Canning, George, brit. Staatsmann, 1770– ung Belgrads 1456).
1827; Tory, 1807–1809 und seit 1822 Capitani (ital. Häupter); adelige Groß­
Außenminister, 1827 Premierminister; lehensträger, hoher ital. Feudaladel im
verantwortlich für den Überfall auf die MA.
dän. Flotte in Kopenhagen 1807; gegen Capitularia, Sammlungen von Gesetzen
die Heilige Allianz gerichtete Außenpoli- und Erlassen der Karolingerzeit, benannt
tik (Unterstützung des griech. Freiheits- nach ihrer Einteilung in Kapitel; darunter
kampfes, Förderung der von Spanien abge- das berühmte „Capitulare de villis“ (Ord-
fallenen südamerik. Staaten). nung über die Landgüter) Karls d. Gr. zur
Canossa, ital. Burg südwestl. Reggio-Emi- Verbesserung der heruntergewirtschafteten
lia; im 11. Jh. im Besitz der Markgräfin von Krongüter in Aquitanien; wichtige Quelle
Tuszien, 1255 zerstört; hier erzwang Kai- der westeurop. Sozial- und Wirtschaftsge-
ser Heinrich IV. 1077 durch persönliche schichte (Gliederung des Fronhofhand-
Kirchenbuße die Aufhebung des Bannes werks, Anbautechnik, Nutzpflanzen).
durch Papst Gregor VII. (Bismarck 1872 Caprivi, Leo Graf von, preuß. General
im Reichstag: „Nach Canossa gehen wir und dt. Staatsmann, 1831–1899; zuerst
nicht!“). Stabsoffizier in den Kriegen 1864, 1866
Canrobert, François Certain de, frz. Mar- und 1870/71; 1883/88 Chef der Admira-
schall, 1809–1895; am Staatsstreich Napo- lität, 1890–1894 als Nachfolger Bismarcks
leons III. beteiligt, kämpfte auf der Krim, Reichskanzler („Neuer Kurs“), lehnte Er-
bei Magenta und Metz (Gefangennahme); neuerung des geheimen ↑ Rückversiche-
eine der Hauptstützen der Bonapartisten. rungsvertrages mit Russland ab; erwarb

152
Carlos

Helgoland im Austausch gegen Sansibar entlehnte Ausdrucksweise, mit der sich die
und leitete eine neue Handelspolitik (Sen- Eingeweihten verständigten.
kung der Agrarzölle) ein; von den Alldeut- Carcassonne, Stadt in Südfrankreich,
schen und den agrar. Schutzzöllnern heftig Dep. Aude; vorröm. Siedlung Carcasso im
angefeindet. 1. Jh. v. Chr. erstmals erwähnt, in der Rö-
Caprivizipfel, Landstreifen an der NO- merzeit Colonia Julia Carcasso; seit 462
Grenze Deutsch-Südwestafrikas, 1890 westgotisch, 725 arabisch, um 759 von
erworben als Verbindung zum Sambesi; den Franken zurückerobert, seit 1247 frz.
1921 zu Brit.-Betschuanaland. Krondomäne. Die Altstadt mit doppeltem
Capsien, ↑ Afrika. Mauerring bewahrt bis heute mittelalterl.
Capua, Hauptstadt Campaniens; etrusk. Gepräge.
Gründung um 600 v. Chr., um 430 v. Chr. Carcer Mamertinus, altröm. Staatsge-
samnitisch, um 335 unter röm. Schutz fängnis am O-Hang des Kapitols in Rom;
(Anlass zum 1. Samniterkrieg); 312 End- vermutlich im 3. Jh. v. Chr. erbaut; wurde
punkt der Via Appia; 216 v. Chr. (nach der Ende des 14. Jh. zur Kirche San Pietro in
Schlacht von Cannae) schloss die Stadt ein Carcere umgestaltet, da das Bauwerk nach
Bündnis mit Hannibal, dessen Truppen der christl. Legende das Gefängnis von Pe-
dort im Winterquartier verweichlichten; trus und Paulus gewesen sein soll.
211 von den Römern zurückerobert und Cardwell, Edward, brit. Staatsmann,
mit Entzug der Stadtrechte und Entvölke- 1813–1886; u. a. Präsident des Handels-
rung bestraft; durch Cäsar wieder aufge- amtes, Staatssekretär für Kolonien, Kriegs-
baut; in der Völkerwanderung zerstört. minister; Verfechter der „Kauffahrteiakte“,
Caracalla, Beiname (nach dem kelt. Solda- verdient um das Gesetzwerk für die brit.
tenmantel, Mantel mit Kapuze) des Mar- Handelsmarine; reformierte das brit. Heer-
cus Aurelius Severus Antoninus, röm. Kai- wesen 1871.
ser (211–217 n. Chr.); fähiger, aber grau- Carey, Henry, bedeutendster amerik. Nati-
samer Herrscher, ermordete 212 seinen onalökonom des 19. Jh., 1793–1879; über-
Bruder und Mitregenten Geta; erteilte 212 wand die pessimist. Richtung der klass. (li-
durch die Constitutio Antoniniana allen beralen) Schule (Ricardo, Malthus) und
freien Einwohnern des Imperiums das Bür- den Individualismus der Aufklärungszeit;
gerrecht (Gleichstellung der Provinzen mit hielt den Assoziations- (Geselligkeits-, Er-
Italien); kämpfte gegen Alemannen und gänzungs-) Trieb für die wichtigste Trieb-
Goten; auf Feldzug gegen die Parther er- feder an Stelle des Eigennutzes; urspr. Frei-
mordet; Zeuge seiner verschwenderischen händler, dann Schutzzöllner im Sinne des
Bautätigkeit die gewaltigen C.-Thermen in Merkantilismus; von großem Einfluss auf
Rom. die europ. Nationalökonomie.
Carbonari (ital., Köhler), nationalrevolu- Carlos, Infanten von Spanien: 1) Don C.,
tionärer Geheimbund in Italien, entstand 1545–1568; von seinem Vater Philipp II.
um 1796 als Träger der Freiheits- und Ein- 1568 (vermutlich wegen Geisteskrank-
heitsbewegung, nach 1815 bes. im König- heit) gefangen gesetzt, um seine Flucht
reich Neapel am Werk. Nach der Revolu- in die Niederlande zu verhindern (Drama
tion von 1820 unterdrückt, neuer Mittel- von Schiller, 1787; Oper von Verdi, 1867).
punkt Paris, wo sich Mazzinis „Junges Ita- 2) Don C., 1788–1855; Sohn Karls IV.,
lien“ absonderte; der Name bezieht sich auf focht die (altkastil statt salische) Erbfolge
die schwarzen Mäntel, Masken und Hüte, der Tochter seines Bruders Ferdinand VII.,
die die C. bei ihren Zusammenkünften Isabellas II., an; Führer der ↑ Karlistenpar-
trugen, und auf ihre dem Köhlergewerbe tei im 1. Karlistenkrieg (1834–1849), ge-

153
Carlyle

schlagen, verzichtete 1844 auf die Thron- (↑ Levée en masse); der einzige führende
folge. Jakobiner, der die Revolution überlebte,
Carlyle, Thomas, schott. Historiker und ohne seine polit. Ideen aufzugeben; unter
Schriftsteller, 1795–1881; Goethe-Vereh- Napoleon zeitweilig Minister; nach 1815
rer, vermittelte den Engländern die Begeg- verbannt, starb in Magdeburg. 2) C., Sadi
nung mit dem dt. Geistesleben (Überset- Marie François, frz. Staatsmann, 1837–
zungen), verurteilte aus puritan.-christl. 1894; Enkel von 1); 1887 Präsident der
Geist die Frz. Revolution als widerchristl.; Republik, von Anarchisten ermordet.
Gegner des Liberalismus, Individualismus Carnuntum, alte Keltenstadt in Pannonien
und der Massendemokratie; vertrat die (östlich von Wien, an der Donau, heute
Anschauung: „Männer machen die Ge- Petronell-Altenburg); von den Römern als
schichte“ („Über Helden und Heldenver- großes Truppenstandlager und Donauha-
ehrung“, „Friedrich der Große“); als Sozial­ fen ausgebaut, später Grenzstadt gegen die
politiker Anhänger der christl.-sozialen Be- Germanen; um 400 n. Chr. von den Qua-
wegung Englands. den zerstört; 2 Amphitheater, Mithrastem-
Carmagnole, frz. Revolutionslied, entstan- pel, kelt.-illyr. Heiligtümer.
den 1792 bei der Einnahme der Stadt Car- Carol, Könige von Rumänien: 1) C. I.,
magnola in Piemont; wurde neben dem Prinz Karl von Hohenzollern-Sigmarin-
↑ „Ça ira“ und der „Marseillaise“ das be- gen, 1839–1914; auf Empfehlung Napo-
liebteste Kampflied; Napoleon I. sorgte leons III. 1866 zum Fürsten von Rumä-
nach seinem Staatsstreich (1799) dafür, nien gewählt, 1881 zum König ausgeru-
dass die C. und die anderen Revolutions- fen; Begründer des modernen Rumäni-
lieder ihre Popularität verloren. ens, mit dem Dreibund verbündet, den er
Carmichael, Stokeley, führender Vertre- bei Kriegsausbruch unterstützte. 2) C. II.,
ter der amerik. ↑ Black-Power-Bewegung, Großneffe von 1), 1893–1953; verzich-
1941–1998; forderte den revolutionären tete zunächst auf die Thronfolge (Eheskan-
Befreiungskampf der Farbigen in den USA, dal mit Mme. Lupescu); 1930 nach seiner
ging Ende der 1960er Jahre nach Guinea, Rückkehr aus dem Ausland von der Na-
wo er unter dem Namen Kwame Ture für tionalversammlung zum König ausgeru-
einen sozialist. Panafrikanismus eintrat. fen, versuchte ein persönliches Regiment,
Carmona, Fragoso, portug. General und 1938 Staatsstreich (autoritäre Regierung);
Staatsmann, 1869–1951; machte sich 1926 13. Nov. 1940 Staatskrise (von Russland
durch Staatsstreich zum Staatsoberhaupt erzwungene Abtretung Bessarabiens; Ver-
und errichtete ein autoritäres Regime. lust des nördl. Siebenbürgens an Ungarn),
Wiederholt zum Präsidenten gewählt; gab berief General ↑ Antonescu als Staatsfüh-
1932 das Amt des Ministerpräsidenten an rer, der ihn zur Abdankung zwang.
↑ Salazar ab. Carolina, abgekürzte Bezeichnung für die
Carnegie, Andrew, nordamerik. Stahl- und Constitutio criminalis Carolina (C. C. C.),
Eisenindustrieller schott. Herkunft, 1835– die Kaiser Karl V. 1532 nach dem Muster
1919; verdient als Stifter gemeinnütziger der ↑ Bambergischen Halsgerichtsordnung
und wiss. Einrichtungen (z. B. Mount-Wil- als Strafgesetzbuch für die „peinlichen“
son-Observatorium). Verbrechen erließ; erste reichseinheitliche
Carnot, 1) C., Lazare, frz. Staatsmann und Regelung des Strafrechts und -verfahrens;
Militärschriftsteller, 1753–1823; Ingeni- obwohl von großer Härte (Verstümme-
euroffizier, als Mitglied des Wohlfahrtsaus- lungen, Folter), war die C. in einigen dt.
schusses Organisator der Revolutionsheere Ländern (Mecklenburg, Bremen, Schaum-
1793 und Schöpfer der allg. Wehrpflicht burg-Lippe) noch bis 1871 in Kraft.

154
Casanova

Carpet-baggers, nach dem amerikan. Se- zeit fungierte er u. a. als Vermittler in poli-
zessionskrieg die aus dem Norden in die tischen Missionen, wie auf Haiti, in Nord-
besiegten Südstaaten eingereisten Abenteu- korea und Nicaragua. Im Balkankrieg er-
rer und Postenjäger, deren ganzes Gepäck reichte er 1994 einen Waffenstillstand zwi-
in einer Reisetasche (Carpet-bag) Platz schen Serbien und Bosnien-Herzegowina,
hatte; sie besetzten die wirtsch. und po- 2002 Friedensnobelpreis.
lit. Schlüsselstellungen und beuteten den Cartier, Jacques, frz. Seefahrer, 1491–
Süden aus, der schließlich zur Selbsthilfe 1557; erforschte 1534–1541 die Küsten
griff und sich zugleich gegen die befreiten von Labrador und Neufundland und den
Schwarzen wandte (Ku-Klux-Klan); 1877 St. Lorenz-Strom.
machte Präsident Hayes dem C.-System Cartwright, Edmund, brit. Mechaniker,
ein Ende. 1743–1823; urspr. Theologe, verdient
Carrero Blanco, Luis, span. Offizier und durch techn. Verbesserungen in der Textil-
Politiker, 1903–1973; 1967 Vizepräsident, industrie, Erfinder des mechan. Webstuhls
Vertrauter von ↑ Franco; 1973 Regierungs­ (1786).
chef, wurde Opfer eines Sprengstoffatten- Carus, Marcus Aurelius, aus Dalmatien,
tats polit. Gegner. röm. Kaiser (282–283); urspr. Prätoria-
Carrier, Jean Baptiste, frz. Revolutionspo- nerpräfekt des Kaisers Probus, nach dessen
litiker, Konventsmitglied, 1756–1794; ver- Tod zum Kaiser erhoben, kämpfte erfolg-
antwortlich für die Massenertränkungen in reich gegen die Parther.
Nantes 1793, hingerichtet. Casablanca, marokkan. Hafenstadt am At-
Carroccio, Fahnenwagen der oberital. lantik; im 16. Jh. von den Portugiesen gegr.,
Städte, auf dem das Feldzeichen (Banner) 1907 von Frankreich besetzt. – 1943 Kon-
aufgerichtet war und von dem aus die Füh- ferenz zw. Churchill und Roosevelt, der die
rer ihre Befehle gaben; eingeführt 1037 Forderung nach bedingungsloser Kapitula-
durch den Mailänder Erzbischof Aribert, tion der Achsenmächte durchsetzte; Aus-
um die Kampfmoral zu stärken; der Ver- gleich zwischen den Führern des „Freien
lust des C. galt als Schmach; der mailänd. Frankreichs“, de Gaulle und Giraud.
C. ging 1162 und 1237 verloren. Casablanca-Staaten, Gruppe afrikan.
Cartagena, ehemaliger karthag. Stütz- Staaten (Ghana, Guinea, Mali, Marokko,
punkt in Spanien, 225 v. Chr. von Hasdru- Vereinigte Arab. Republik und algerische
bal als Carthago nova gegr.; 209 v. Chr. von Exilregierung), die 1961 in C. über ge-
Scipio Africanus erobert, wurde Haupt- meinsames militärisches Oberkommando
stadt der Provinz Hispania citerior; in der und eine „Afrikan. Charta“ konferierten.
Völkerwanderungszeit fast völlig verödet, Forderung nach sofortiger Unabhängig-
blühte erst im 19. Jh. wieder auf. keit aller afrikan. Völker. Die Vereinigung
Carter, James Earl (gen. Jimmy), geb. der C.-Staaten löste sich 1963 mit der Bil-
1924; 1962–1966 Senator, 1970–1975 dung der „Organization of African Unity“
Gouverneur von Georgia, 1976 Präsident- (OAU) wieder auf.
schaftskandidat der Demokratischen Par- Casanova, Giacomo, adelte sich selbst:
tei, 1977–1981 Präsident der USA, poli- Chevalier de Seingalt, ital. Abenteurer,
tisch größte Erfolge 1978 der Panamaka- 1725–1798; floh aus den Bleikammern des
nal-Vertrag, 1979 Camp-David-Abkom- venezian. Dogenpalastes (wegen Spionage
men zwischen Ägypten und Israel, 1980 eingesperrt), zog als vielseitiger Dilettant
SALT II-Vertrag mit der UdSSR. Unterlag an den europ. Höfen umher, schließlich
bei den Wahlen 1980 dem Republikaner Bibliothekar in Dux (Böhmen); schrieb ga-
↑ Reagan. Nach dem Ende seiner Amts- lante, erst nach seinem Tod erscheinende

155
Cäsar

Memoiren mit aufschlussreichen Zeitschil- die Republik sich überlebt habe, bestätigte
derungen (wiss. zuverlässige Ausgabe erst der Aufstieg seines Großneffen und Adop-
seit 1960). tivsohnes Octavian; „C.“ wurde zunächst
Cäsar (Caesar), Gaius Julius, röm. Feldherr ehrenvoller Beiname der julischen, dann
und Staatsmann, 100–44 v. Chr.; stammte Titel der Kaiser überhaupt, seit Hadrian
aus dem uradligen Geschlecht der Julier, Amtstitel der Thronfolger; davon abgelei-
mütterlicherseits mit der plebejischen No- tet „Kaiser“ und „Zar“.
bilität verwandt, schloss sich der Volkspar- Cäsarea, Name mehrerer Städte der An-
tei gegen die Adelsfamilien an; in Fühlung tike, darunter: 1) C., Hauptstadt Kappa-
mit ↑ Catilina, den er für seine Zwecke dokiens, vordem Mazaka, von Tiberius in
brauchte; 80–70 rhetor. und militär. Aus- C. umbenannt; eine der Hauptmünzstät-
bildung im Osten; seit 68 im Staatsdienst, ten des östl. Römerreiches. 2) C. in NW-
68 Quästor, 65 Ädil, 63 Pontifex Maxi- Palästina, an der Grenze von Galiläa und
mus; 62 Prätor; schloss 60 mit ↑ Pompe- Samaria, 13. v. Chr. von Herodes ausgebaut
jus und ↑ Crassus das erste ↑ Triumvirat; und Augustus zu Ehren in C. umbenannt,
59 Konsul (Ausschaltung des Senats); er­ Sitz der römischen Prokuratoren.
oberte und befriedete 58–52 als Statthalter Cäsarion, Sohn Julius Cäsars und Kleopa-
das noch freie, Rom oft bedrohende kelt. tras, 47–30 v. Chr. Als Sohn einer Nicht-
Gallien (Südgallien war bereits röm. Pro- römerin kam er als Erbe Cäsars nicht in
vinz = Gallia Narbonensis), schaffte sich Frage; nach der Einnahme Alexandrias von
dort ein zuverlässiges Heer, überwarf sich Octavian hingerichtet.
mit Pompejus und dem Senat, überschritt Cäsarismus, Regierungsform nach dem
49 mit seinem Heer den Rubikon (Grenze Vorbild Julius Cäsars; Herrschaft eines
seiner Provinz); schlug 48 Pompejus bei Einzelnen, der nicht einer legitimen Dy-
Pharsalus, überließ 47 das mühsam be- nastie entstammt (↑ Legitimismus), son-
friedete Ägypten ↑ Kleopatra, vernichtete dern sich durch Staatsstreich des Thrones
47/46 die Reste der Pompejaner in Nord- bemächtigt, gestützt auf das Heer oder
afrika und Spanien: unumschränkter Al- Anhängerschaft im Volk; meist im Ge-
leinherrscher in Rom, ließ sich alle wich- folge von Staatskrisen oder revolutionären
tigen Staatsämter unter Wahrung der ver- Wirren, begünstigt durch den allgemeinen
fassungsmäßigen Formen („Cäsarismus“: Wunsch nach Frieden und Ordnung. Der
Alleinherrschaft auf demokrat. Grund- C. bedient sich meist der verfassungsmä-
lage) übertragen, reorganisierte das Reich ßigen Formen; zu seinen polit. Mitteln ge-
(Überwachung der Steuererhebung, Verlei- hören Volksabstimmungen und Scheinpar-
hung des röm. Bürgerrechts an zahlreiche lamente; Spielart des C. ist z. B. der ↑ Bo-
Provinziale, Gründung von Kolonien zur napartismus.
schnelleren Romanisierung bes. Galli- Cäsarius von Heisterbach (bei Königs-
ens, Veteranensiedlungen, Verminderung winter), Zisterziensermönch, um 1180–
des röm. Proletariats, Kalenderreform); 1240; Verfasser von Legendensammlungen
sein Streben nach der Krone in den For- in Anekdoten- und Novellenform (als Kul-
men des hellenist. Absolutismus führte zu turgeschichtsquelle von Wert), Biografien
einer Verschwörung von Anhängern des über Erzbischof Engelbert von Köln und
Senats und fangt. Republikanern und zu Elisabeth von Thüringen.
seiner Ermordung an den Iden des März Cäsaropapismus, Vereinigung von welt-
(15. März); von seinen Schriften erhalten: licher (kaiserlicher) und oberster geistlicher
7 Bücher über den Gall. Krieg, 2 Bücher Herrschergewalt in einer Hand (im Unter-
über den Bürgerkrieg. C.s Erkenntnis, dass schied zur Hierokratie: Unterordnung der

156
Cateau-Cambrésis

geistl. unter die weltl. Gewalt), vor allem 1769–1822; 1812 Außenminister, trieb
in Byzanz (↑ Justinian I.); da Russland von unermüdlich zum Entscheidungskampf
Byzanz aus christianisiert wurde, setzte sich mit Napoleon und zur Wiedereinsetzung
auch dort das System des C. durch; der Zar der Bourbonen; Vertreter Englands auf
war zeitweilig auch Patriarch der Kirche, dem Wiener Kongress von 1815, mit Met-
die als „Ornat“ der Monarchie angesehen ternich hauptverantwortlich für die restau-
wurde und unter Peter d. Gr. den Rest von rative Neuordnung Europas nach Napo­
Selbständigkeit verlor; cäsaropapist. Züge leons Sturz; in der brit. Innenpolitik als ari-
auch im Karolingerreich. stokratischer Reaktionär verhasst; beging
Casement, Sir Roger, irischer Freiheits- in geistiger Verwirrung Selbstmord.
kämpfer, 1864–1916; sabotierte im Castro, Fidel, kuban. Politiker, geb. 1927;
1. Weltkrieg die brit. Rekrutierung in Ir- Studium der Rechte, Rechtsanwalt in Ha-
land, agitierte im (england-)feindlichen vanna; 1953 wegen Aufstandsversuchs zu
Ausland für die irische Unabhängigkeit, in 15 Jahren Gefängnis verurteilt; 1955 frei-
London gehenkt. gelassen; nach erfolgreichem Guerillakrieg
Cassin, René, frz. Jurist und Politiker, (seit 1956) gegen die Regierung Batista
1887–1976; nach wiss. Laufbahn 1924– 1959 Ministerpräsident, seit 1976 auch
1938 Mitglied der frz. Delegation beim Staatsoberhaupt: Durchführung von So-
Völkerbund, seit 1940 führend in der Exil- zialreformen, Enteignung nordamerik.
organisation Freies Frankreich; an der Ab- Besitzes, Landverteilung, Planwirtschaft,
fassung der Menschenrechtserklärung der Volksbildungssystem. Wirtsch. und po-
UN maßgeblich beteiligt; 1965–1968 Prä- lit. Druck der USA führten zu militä-
sident der Europ. Gerichtshofs für Men- rischer Aufrüstung und zur Anlehnung an
schenrechte; 1968 Friedensnobelpreis. die Sowjetunion durch ↑ Kuba. C. unter-
Cassiodor (Flavius Magnus Aurelius Cas- stützte den Guerillakampf in Südamerika
siodorus), röm. Gelehrter und Staatsmann, und Afrika, dort (↑ Angola) seit Mitte der
um 490–583; Minister Theoderichs d. Gr., 70er Jahre auch durch Militärhilfe. Seit
wirkte im Sinne der gotisch-röm. Verstän- der Kubakrise Differenzen zw. dem kom-
digung; schrieb eine Geschichte der Goten munist. Kuba unter C. und den westl.
und eine Weltchronik; trat um 540 in das Ländern nahezu unüberbrückbar; nach
von ihm gegr. Kloster Vivarium ein und dem Zusammenbruch des Kommunismus
förderte das Bildungswesen der Klöster 1989 außenpolit. zunehmend isoliert. Auf
(Abschriften antiker Schriftsteller). Grund der Wirtschaftskrise Kubas gab C.
Cassius, Longinus Gaius, aus plebejischem Mitte der 1990er die sozialist. Wirtschafts-
Geschlecht, röm. Politiker; zunächst Partei- ordnung z. T. auf, wurde 1998 vom Volks-
gänger Cäsars, dann zusammen mit Brutus kongress in seinem Amt bestätigt.
Haupt der Verschwörung gegen Julius Cä- Catania (Katane), ionische Kolonie auf
sar, an dessen Ermordung beteiligt; nach Sizilien, als Tochterstadt von Naxos um
der Niederlage bei Philippi (42 v. Chr.) be- 729 v. Chr. gegr., 476 v. Chr. von Syrakus
ging er Selbstmord. aus besetzt, seit 260 v. Chr. römisch, unter
Cassius Dio, ↑ Dion Cassius. Augustus Kolonie; im MA von Feindein-
Castiglione, Baldassare Graf, ital. Diplo- fällen und Erdbeben heimgesucht (↑ Groß-
mat und Schriftsteller, 1478–1529; zeich- griechenland).
nete im „Cortegiano“ (1528) das Idealbild Cateau-Cambrésis (bei Cambrai), 1559
eines Hofmannes der Renaissance. Frieden zwischen Spanien, England und
Castlereagh, Henry Robert Stewart, Mar- Frankreich, das Calais erhielt, aber auf
quis of Londonderry, brit. Staatsmann, sämtliche Ansprüche in Italien und Bur-

157
Catilina

gund (für immer) verzichtete; Höhepunkt Gesetzgebung, Handelsverträge und Bahn-


der span. Macht in Europa. bau; beteiligte sich am Krimkrieg, um sich
Catilina, Lucius Sergius, röm. patriz. Po- das Wohlwollen der Westmächte zu si-
litiker, um 108–62 v. Chr.; sein Programm chern, brachte auf dem Pariser Friedens-
der Schuldentilgung fand Anklang, Cä- kongress 1856 die ital. Frage zur Sprache;
sar und Crassus sahen in ihm ein Werk- verband sich mit Napoleon III. in einem
zeug; erster Umsturzversuch 66 v. Chr. (ge- Geheimbündnis zum gemeinsamen An-
plante Ermordung der Konsuln, Diktatur griff gegen Österreich; trat 1859 vorüber-
Crassus-Cäsar) misslang; staatsgefährliche gehend zurück, weil der Vorfriede von Vil-
Verschwörung 63/62 v. Chr. (nach Ermor- lafranca seinen Wünschen nicht entsprach,
dung der Konsuln sollte Rom in Brand ge- vollzog anschließend trotz des frz. Protestes
steckt werden; Aufwiegelung der gall. Al- die Annexion Mittelitaliens und des Kö-
lobroger), wurde vom Konsul ↑ Cicero auf- nigreichs beider Sizilien.
gedeckt; C. floh mit 3 000 Anhängern und Ceausescu, Nicolae, rumän. Politiker,
fiel im Verzweiflungskampf bei Pistoria. 1918–1989; seit 1945 im Zentralkomitee,
Cato, 1) C., Marcus Porcius C. Censorius seit 1960 Leiter des Parteiapparates der KP
(Cato d. Ä.), röm. Staatsmann und Schrift- Rumäniens, 1965 1. Parteisekretär, 1967–
steller, 234–149 v. Chr.; 195 Konsul, 184 1974 Vorsitzender des Staatsrates (Staats-
Zensor (gefürchtet, daher Beiname Censo- oberhaupt), seit 1974 Staatspräsident. C.
rius); Verfechter der altröm. Tradition und verfolgte eine unabhängige rumän. Außen­
Sittenstrenge, Todfeind Karthagos, dessen politik, machte sich jedoch im eigenen
Zerstörung er unermüdlich forderte; Geg- Land zunehmend durch Vetternwirtschaft,
ner des griech. Kultureinflusses, Schöpfer Zerstörung der alten agrar. Strukturen und
der lat. Prosa. 2) C., Marcus Porcius Uti- den Terror seiner Geheimpolizei „Securi-
censis (Cato d. J.), Urenkel von 1), 95– tate“ verhasst; im Dez. 1989 gestürzt und
46 v. Chr.; Anhänger der Senatsaristokratie, von einem Militärgericht hingerichtet.
Gegner Cäsars; nach dessen Sieg bei Thap- Celsus, Aulus Cornelius, röm. Gelehr-
sus tötete sich C. selbst, um den Untergang ter und Arzt um 30 n. Chr.; Verfasser ei-
der Republik nicht erleben zu müssen. ner großen Enzyklopädie, die auf hohem
Caulaincourt, Armand Augustin Louis Niveau den Stand der damaligen Wissen-
Marquis de, Herzog von Vicenza, frz. schaft, bes. der Medizin, wiedergibt.
Staatsmann, 1773–1827; 1807 Gesandter Celtis (Celtes), Konrad (eigtl. K. Pickel),
in Petersburg, begleitete Napoleon auf dem dt. Humanist, 1459–1508; durchreiste als
Rückzug von Moskau, 1813 und 1815 gefeierte Autorität humanist. Studien und
Außenminister. klass. Beredsamkeit ganz Deutschland; von
Cavaignac, Eugène, frz. General und Po- Kaiser Friedrich III. 1487 mit dem Lorbeer
litiker, 1802–1857; warf im Juni 1848 in zum (lat.) Dichter gekrönt (poeta laurea-
blutigen Straßenkämpfen den Arbeiterauf- tus), stiftete Humanistenvereinigungen
stand in Paris nieder. (Sodalitas Rhenana in Heidelberg), von
Cavour, Camillo Benso Graf von, ital. Maximilian I. als erster Lehrer der Rede-
Staatsmann, 1810–1861; Begründer der und Dichtkunst an einer dt. Universität
nationalen Einheit Italiens; 1852–1859 1497 nach Wien berufen.
und 1860–1861 Ministerpräsident von CENTO-Pakt, Abk. für ↑ Central Treaty
Sardinien-Piemont (Haus Savoyen), dem Organization.
er die Führerrolle (ähnlich Preußen in Central Intelligente Agency, Abk. CIA,
Deutschland) zugedacht hatte, förderte Zentralamt des amerik. Geheimdienstes;
die Entwicklung des Landes durch liberale 1947 gegr.; mehrfach entgegen ihrer Be-

158
Chaldäer

stimmung innerhalb der USA tätig (Über- schlug die Umwandlung der Kathedrale
wachung von Gegnern des Vietnam- Notre-Dame in den „Tempel der Vernunft“
krieges, Infiltrierung von Organisationen, vor; als Anhänger Dantons guillotiniert.
Verletzung des Briefgeheimnisses); teils Chabrias, athen. Feldherr, trug durch
Außenpolitik auf eigene Faust (Pläne zur seine Erfolge (376 v. Chr. Seesieg bei Na-
Ermordung missliebiger ausländ. Politi- xos über die Spartaner) zum Wiedererstar-
ker); 1975/76 Untersuchungsausschuss des ken Athens nach dem Peloponnes. Krieg
Kongresses, danach Entlassung zahlreicher bei, fiel 357 v. Chr. in der Seeschlacht bei
hoher C.-Beamter. Chios.
Central Treaty Organization, Nachfolge- Chacokrieg, 1932–1935, zw. ↑ Bolivien
organisation des ↑ Bagdadpaktes; Sitz seit und Paraguay um Grenzgebiet am La Plata
1960 Ankara; 1979 aufgelöst. (Erdöl; Zugang Boliviens zum Paraguay);
Cesarini, Giuliano de, Kardinal, 1398– 1938 erhielt Paraguay den größeren Teil
1444; rief als päpstlicher Legat in Deutsch- des umstrittenen Gebiets, Bolivien einem
land zum Kreuzzug gegen die Hussiten auf; Korridor zum Paraguay.
1431–38 Leiter des ↑ Baseler Konzils, fiel Chadidscha, erste Gattin Mohammeds,
in Ungarn gegen die Türken. um 555–619; reiche Kaufmannswitwe, in
Ceylon, Inselstaat an der Südspitze Vor- deren Geschäft der 15 Jahre jüngere Pro-
derindiens; Hauptstadt Colombo; Urbe- phet zunächst als Karawanenführer und
völkerung den Weddiden zugehörig; um Handelsagent tätig war; Mohammeds ­erste
500 v. Chr. Singhalesenherrschaft; in den Anhängerin, Mutter von ↑ Fatima.
Weddahöhlen altsteinzeitliche Funde; Chaireddin, gen. C. Barbarossa, griech.
Mitte 3. Jh. n. Chr. Einführung des Buddhis­ Seeräuber, um 1467–1546; seit 1515 Herr
mus, Blütezeit im 12. Jh.; 1517 Niederlas- von Algier, kämpfte als türk. Admiral und
sung der Portugiesen, die 1606 von den Verbündeter Franz’ I. von Frankreich gegen
Holländern verdrängt wurden; Ausbeu- Karl V., schlug 1538 die kaiserliche Flotte.
tung durch Gewürzmonopol (Zimt) und Chaironeia (lat. Chaeronea), Stadt im
Perlenhandel; 1796 von den Engländern westl. Böotien; hier siegte 338 v. Chr.
erobert, 1802 britische Kronkolonie, 1948 Philipp von Makedonien über Athener
selbständig. Mitglied des Commonwealth; und Thebaner und setzte damit der griech.
1954 Mitglied der Föderation der fünf Unabhängigkeit ein Ende. – 86 v. Chr. Sieg
↑ Colombo-Staaten (Burma, Indien, Pakis- Sullas und der Römer über ↑ Mithradates.
tan, Indonesien und Ceylon); 1955 UN- Chalcedon (türk. kadikoi), Stadt im alten
Mitglied. 1972 wurde Ceylon zur Repu- Bithymen am Bosporus; 675 v. Chr. von
blik ↑ Sri Lanka. Megara aus gegr., 74 v. Chr. an die Römer;
Chaban-Delmas, Jacques, frz. Politiker, 451 n. Chr. 4. ökumen. (allg.) Konzil; Rom
1915–2000; 1958 gegen den Willen de lehnte Überordnung des Patriarchen von
Gaulles zum Präsidenten der Nationalver- Konstantinopel ab; das Chalkedonische
sammlung gewählt, 1969 nach dem Rück- Glaubensbekenntnis verwarf die Lehre der
tritt de Gaulles bis 1972 Ministerpräsi- ↑ Monophysiten.
dent; von 1978–1981 und 1986–1988 er- Chaldäer, semit. Bewohner der Landschaft
neut Präsident der Nationalversammlung; Chaldäa (Kaldu) am unteren Euphrat; ihr
1947–1977 und 1983–1995 Bürgermei- Name erscheint um 900 v. Chr. unter den
ster von Bordeaux. Titeln der assyr. Könige, diese machten
Chabot, François, Radikaler der Frz. Re- Ur zur Hauptstadt; später verbunden mit
volution, 1759–1794; urspr. Kapuziner- der Geschichte der Babylonier (neue chal-
mönch; fanat. Cordelier im Konvent, däische Dynastie 626–538); erster chal-

159
Chalid Ibn Al Walid

däischer König in Babylon und Begründer für Irland (Gladstones Plan: ↑ Home Rule)
des Neubabylon. Reiches war ↑ Nabu- von den Liberalen abfielen; 1895–1903
polassar (626–605 v. Chr.); ihm folgten: Kolonialminister, Hauptvertreter des Impe-
↑ Nebukadnezar (604–556) und Nabonid rialismus, zus. mit C. Rhodes Urheber des
(555–538); die C. standen als Sterndeuter Burenkrieges, betrieb den engen Zusam-
in hohem Ansehen, ihre astronom. Kennt- menschluss Englands mit den Kolonien
nisse und religiösen Vorstellungen wurden zum Empire, scheiterte trotz glänzender
z. T. vom Hellenismus übernommen. Agitation mit dem Plan einer Wehr-, Zoll-
Chalid Ibn Al Walid (el Makhzumi), arab. und Wirtschaftsunion (Schutzzölle). 4) C.,
Feldherr aus dem Stamme Koraisch; an- Sir Joseph Austen, brit. Staatsmann, 1863–
fangs erbitterter Gegner Mohammeds, seit 1937 Sohn von 3), Konservativer, 1924–
626 einer seiner tapfersten Anhänger, be- 1929 Außenminister, schloss den ↑ Lo-
siegte 632 die Perser und 634 die Byzan- carnovertrag und den Kelloggpakt (↑ Kel-
tiner, eroberte Syrien und Palästina. logg); Friedensnobelpreis 1925.
Chalkis, griech. Seehandelsstadt auf Euböa; Chambord, frz. Königsschloss (im Renais-
Blüte im 8.–6. Jh. v. Chr.; Grün­dung zahl- sance-Stil) an der Loire, von Franz I. erbaut.
reicher Kolonien; durch seine Lage an der 1552 Vertrag von C. zwischen Heinrich II.
Meeresenge des Euripos einer der „Schlüs- von Frankreich und dt. protestant. Fürsten,
sel zu Hellas“; 506 v. Chr. von Athen un- an der Spitze Kurfürst Moritz von Sachsen,
terworfen. der bei seinem geplanten Abfall vom Kaiser
Châlons-sur-Marne, frz. Stadt in der (Karl V.) frz. Hilfe benötigte und dafür in
Champagne; zur Römerzeit als Catalau- die Abtretung der dt. Bistümer Metz, Toul
num eine der bedeutendsten Städte Gal- und Verdun einwilligte.
liens, nach ihr die Schlacht auf den ↑ Kata- Champagne, frz. Kreidelandschaft östl.
launischen Feldern benannt; alter Bistums- von Paris; im MA Grafschaft unter frz.
sitz; in der Neuzeit bekannt durch das Lehenshoheit, Residenz Troyes, seit 1361
von Napoleon III. 1856 angelegte Trup- endgültig mit der Krone vereinigt. – Im
penübungslager, das größte Frankreichs. 1. Weltkrieg eines der Hauptschlachtfelder,
Chamberlain, 1) C., Arthur Neville, brit. zw. Aisne und Marne frz. Offensiven 1915
Staatsmann, 1869–1940; Sohn von 3), und 1917, dt. Offensive 1918.
Konservativer, seit 1937 Ministerpräsident, Champlain, Samuel de, frz. Entdecker und
betrieb gegenüber Hitler und Mussolini Kolonialpionier, 1567–1635; Erforscher
Politik des „Appeasement“ (Beschwichti- und erster Gouverneur Kanadas, gründete
gung), schloss 1938 das ↑ Münchener Ab- 1608 Quebec („Vater Neu-Frankreichs“).
kommen über friedliche Regelung der Su- Champollion, Jean-François, frz. Ägyp-
detenfrage; gab 1939 die engl.-frz. Garan- tologe, 1790–832; fand den Schlüssel zur
tieerklärung für Polen ab; nach dem dt. Ein- Entzifferung der ↑ Hieroglyphen.
marsch in Polen Kriegserklärung; Mai 1940 Chantilly, ehemalige Residenz des Hauses
von ↑ Churchill abgelöst. 2) C., Houston ↑ Condé, Renaissanceschloss, im 1. Welt-
Stewart, brit.-dt. Kulturphilosoph, 1855– krieg frz. Hauptquartier. – 1915 Konfe­renz
1927; Schwiegersohn ­ Richard Wagners, von C., auf der die Alliierten be­schlossen,
gilt durch sein Werk „Die Grundlagen des ihre Offensiven zu koordinieren und Gal-
19. Jh.“ mit dem Rassenmythos als einer lipoli (Dardanellen) zu räumen.
der geistigen Wegbereiter des Nationalso- Chanzy, Antoine Eugène Alfred, frz. Gen-
zialismus. 3) C., Joseph, brit. Staatsmann, eral, 1823–1883; einer der fähigsten frz.
1836–1914; Führer der Liberalen Union- Heerführer 1870/71, versuchte 1871 mit
isten, die in der Frage der Selbstverwaltung der 2. Loire-Armee den Entsatz von Paris;

160
Chassidismus

1873 Generalgouverneur von Algerien, Chartismus, demokratische Arbeiterbewe-


1879 Botschafter in Petersburg. gung in England, entstanden nach der nur
Chapultepec, Akte von, ein 1945 in C. beschränkten Parlamentsform von 1832,
(bei Mexiko-Stadt) auf Vorschlag der USA die den Arbeitern das Wahlrecht voren-
zwischen den amerikanischen Staaten (au- thielt; benannt nach dem 1838 in einer
ßer Kanada) geschlossenes wechselseitiges Flugschrift formulierten Programm, der
Garantieabkommen, das in allgemeinen „People’s Charter“, der Magna Charta des
Wendungen die gemeinsame Abwehr eines Volkes; allgemeines, gleiches und geheimes
Angriffes auf einen Teil Amerikas vorsieht; Wahlrecht, Abgeordnetendiäten und jähr-
ausgebaut auf der Panamerik. Konferenz liche Parlamentswahl, mit dem Ziel, die
1948 zur „Organisation Amerik. Staaten“ Vorherrschaft der Besitzenden im Parla-
(OAS). ment zu brechen und der Arbeiterschaft
Charette de la Contrie, frz. Royalist, Einfluss auf Staat und Wirtschaft zu ver-
1763–1796; seit 1793 Führer der aufständ. schaffen; zugleich die erste demokrat. Mas-
Vendéer im Kampf gegen die Republik, senbewegung mit sozialem Inhalt; forderte
nach wechselvollen Kämpfen gefangen ge- Einkommensteuer, Fabrikgesetze u. a.;
nommen und erschossen. 1838 Nationalkonvent des C., Spaltung
Charlotte, Kaiserin von Mexiko, 1840– in Radikale (O’Connor) und Gemäßigte
1927; Tochter König Leopolds I. von Bel- (Lovett); Massenversammlungen und -pe-
gien und Gemahlin ↑ Maximilians, Erz- titionen an das Parlament, Streiks ohne
herzogs von Österreich, dem sie 1864 nach Erfolg; nochmals großer Ansatz 1848,
Mexiko folgte; reiste 1866/67 nach Eu- kurz vor der Revolution; danach Abflauen,
ropa, um Hilfe für den gefährdeten Thron Übernahme der Anhängerschaft und der
zu erlangen, verfiel dem Wahnsinn. sozialen Forderungen durch die Trade-
Charta (frz. Charte), bei den Römern Blatt Unions (Gewerkschaften).
der Papyrusstaude, dann jedes Schriftstück Chartreuse, La grande (frz., Große Kar-
überhaupt (davon abgeleitet das Wort tause), das 1084 vom hl. Bruno gegr.
Karte); im MA und später jede Urkunde, Stammkloster des Kartäuserordens (Leben
vor allem solche polit. Natur, in denen der Mönche in Einzelhütten) nahe Gre-
wichtige Freiheiten oder Privilegien festge- noble zw. steilen Felswänden; 1793 aufge-
stellt wurden (in dieser Bedeutung ↑ Ma- hoben, 1816 wieder bezogen.
gna C., ↑ Atlantik-C., UN-C.); im 19. Jh. Chasaren, türkisches, urspr. in Innerasien,
auch Bezeichnung für geschriebene Ver- dann im Ural ansässiges Volk, seit Ende
fassung, z. B. Charte constitutionelle Lud- 6. Jh. n. Chr. in Südrussland; im 8./9. Jh.
wigs XVIII. 1814; seit dem Verfassungs- sich ausbreitendes Reich der C. zwischen
streit in Portugal C. = die vom Herrscher Ural und Dnjepr. Hauptstadt seit 730 Itil
gegebene Verfassung, zum Unterschied von an der Wolgamündung; byzantin. Ein-
der Konstitution, die sich das Volk durch flüsse, Vermittlung des oriental. Handels
die Nationalversammlung selbst gegeben zum Norden. Nebeneinander der Religi-
hat. onen und Toleranz; Gesamtvolk 860 für
Charta 77, im Jan. 1977 in der CSSR gegr. die jüd. Religion gewonnen; danach teil-
Bürgerrechtsgruppe, die bis 1990 aktiv weise christianisiert, um 965 von den Rus-
war, setzte sich für die Bürger- und Men- sen unterworfen.
schenrechte in der CSSR und in der Welt Chassidismus, im 18. Jh. mystische Bewe-
ein. Im Zuge der Liberalisierung wurde ei- gung innerhalb des osteurop. Judentums,
ner ihrer Sprecher, der Dramatiker V. Ha- begründet von Baal Schem Tov (Rabbi Is-
vel, im Dez. 1989 Staatspräsident. rael ben Elieser), suchte die Nähe Gottes

161
Chateaubriand

statt in Askese in Herzensfreude, Andacht Chavín de Huantar, archäolog. Fundort


und Demut; dabei sammelten sich die eines Heiligtums in den nordperuan. An-
Chassidim um einen Zaddik (vollkommen den am O-Hang der Cordillera Blanca;
Frommen). wird in das 1. Jt. v. Chr. datiert und der
Chateaubriand, François René Vicomte Chavin-Kultur zugeordnet; erhalten ist die
de, frz. Dichter und Staatsmann; 1768– Ruine eines nahezu quadrat. Steinbaus mit
1848; urspr. beeinflusst von Rousseau; Innenhof von 75 m Seitenlänge und etwa
ein Jahr in Nordamerika unter Indianern, 13 m Höhe, in die Außenwände sind Stein-
1792 im Emigrantenheer; 1800–1804 im masken (menschliche Gesichter mit Raub-
Dienste Napoleons, danach dessen erbit- tiergebiss) und Friese eingelassen, die wilde
terter Gegner; Legitimist, seit 1814 Di- Tiere oder Kombinationen anderer Tierar-
plomat im Dienste Ludwigs XVIII.; 1822 ten darstellen.
Außenminister, trieb entschiedene Restau- Chelléen, früherer Name für ↑ Abbevil-
rationspolitik im Geiste der Heiligen Alli- lien.
anz. 1824 entlassen; Übertritt zur liberalen Chemie, Anfänge ↑ Alchemie; die wiss.
Opposition, seit 1830 wieder Anhänger chem. Forschung begann mit Robert Bo-
der Bourbonen. yle (1627–1691); entgegen der herkömm-
Chatten, Germanenstamm zwischen Main lichen Dreielementenlehre (auch die im
und Werra; nahm an der Erhebung des Ar- Altertum und MA bekannten Metalle
minius teil, fiel wiederholt in röm. Gebiet Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Zinn, Blei,
ein; röm. Rachefeldzüge 15 n. Chr. (Ger- Quecksilber wurden auf diese 3 Grunde-
manicus), 83 und 89 (Domitian); aus den lemente zurückgeführt) lehrte Boyle, dass
C. gingen die Hessen hervor. alle chem. nicht mehr zerlegbaren Stoffe
Chauken, Germanenstamm zwischen We- Elemente seien, echtes chem. Wissen
ser und Ems, Seefahrer und Piraten; spä- müsse experimentell, durch chem. Ana-
ter im Chattenland; wahrscheinlich in den lyse, nicht autoritativ fundiert sein; auch
Sachsen aufgegangen. Jungius (1587–1657) wendete sich gegen
Chauliac, Guy de, frz. Chirurg des 14. Jh., die Dreielementenlehre und forderte ge-
Arzt am päpstl. Hof zu Avignon, beschrieb naue Messungen mit der Waage; um 1700
die Pest 1348. waren 15 Elemente bekannt; im 18. Jh.
Chaumette, Pierre Gaspard, frz. Revoluti- wurden 19 neue Elemente entdeckt; Black
onär, 1763–1794; als fanatischer Terrorist (1728–99) begründete die Gaschemie
führend beteiligt an den Greueltaten 1792 (Gase können aus festen Körpern entste-
und an der Verurteilung Marie ­Antoinettes; hen). Cavendish (1731–1810) erkannte
hingerichtet. die Zusammensetzung des Wassers, Priest-
Chauvinismus, benannt vermutlich nach ley (1733–1804) die Zusammensetzung
Chauvin, einem Soldaten, der wegen sei- der Luft (Entdeckung des Sauerstoffs, der
ner blinden Schwärmerei für Napoleon be- Salzsäure, des Ammoniakgases, der schwefl.
kannt war; Scribe verewigte den Haudegen Säure und des Kohlen­oxydgases); Richter
in einem Lustspiel als Säbelrassler, der für (1762–1807) erforschte die Gewichtsver-
Frankreichs Kriegsruhm und Machtvergrö- teilung der Grundstoffe in Verbindungen
ßerung lebt und stirbt; Chauvin auch Figur und bei chem. Reaktionen (Stöchiome-
in dem Lustspiel der Brüder Cigniard „La trie) und stellte dazu erste Tabelle auf; La-
cocarde tricolore“; C. ist übersteigerter Va- voisier (1743–1794) nannte quantitative
terlandsstolz, gegen fremde Rechte blinder Messungen Grundforderung der chem.
und oft zur Kriegshetze führender Patrio- Forschung; er erkannte, dass Verbren-
tismus. nung Sauerstoffaufnahme (Oxydation)

162
Chemnitz

ist, und stellte das Gesetz von der Erhal- mögen der Elemente), hochbedeutsam für
tung des Stoffes auf (Summe der Gewichte die Entwicklung der modernen Großche-
der chem. aufeinander wirkenden Stoffe = mie; die räumliche Anordnung der Atome
Summe der Gewichte der entstandenen in Molekülen und Kristallen (Stereoche-
Stoffe); bald danach begründete Dalton mie) erkannte van t’Hoff (1852–1911);
(1766–1844) die moderne Atomlehre: Alle neue Methoden und Erkenntnisse wurden
Körper bestehen aus kleinsten, nicht mehr durch die Entdeckung des Massenwer-
zerlegbaren Teilchen, unveränderlichen tungsgesetzes (1867, Berechnung chem.
Atomen, die bei dem gleichen Element Gleichgewichte), der Osmose (1877), der
gleiche Struktur haben; sie verbinden sich Kolloidchemie (ab 1850) und der Spek-
in ganzzahligen Verhältnissen; Grundein- tralanalyse (1859, dadurch Entdeckung
heit ist das Wasserstoffatom (= 1); nachdem neuer Elemente, Übergreifen der chem.
Galvani (1737–1798), Volta (1745–1827) Forschung auf die Weltallmaterie) gewon-
und Davy (1778–1829) die Vorausset- nen; 1856 gelang erstmals die Herstellung
zungen für die Elektrochemie (Elektrolyse, einer synthet. Anilinfarbe; sie begründete
Elektrothermie) geschaffen hatten, gelang das Zeitalter der chem. Industrie im 19.
es Berzelius (1779–1848), erstmals genaue und 20. Jh. (Stickstoff aus der Luft, Koh-
Gewichte für die Atome von Elementen leverflüssigung, künstl. Kautschuk, Kunst-
festzulegen; er versuchte eine erste Syste- fasern, Zellstoff, Kunststoffe); von nicht
matik der Elemente, führte die Zeichen- geringerer Bedeutung war das Eindringen
sprache der C. ein und schied anorganische in die Chemie der Lebensvorgänge (Bio-
C. der toten von der organ. C. der lebenden chemie, physiolog. Chemie): Erforschung
Körper; doch bewies Wöhler (1800–1882) des Blutfarbstoffes, des Chlorophylls, der
durch die Synthese von Harnstoff (aus Am- Vitamine, Hormone, Fermente, des Zell-
moniak u. a.), dass organ. Stoffe auch aus plasmas; Entdeckung der Antibiotika;
toten Stoffen entstehen können; um 1800 chem. Herstellung von Heilmitteln (z. B.
begann fabrikmäßige Herstellung chem. Sulfonamide); Chemotherapie und chem.
Produkte (Schwefelsäure, Soda, Chlor- Schädlingsbekämpfung; der Ausbau der
kalk, Rübenzucker), im 19. Jh. Ausbau der Atomphysik brachte neue (meist künst-
chem. Theorie, der Experimente, der Nut- liche) Elemente (Transurane) und Klärung
zung chem. Forschungsergebnisse; 50 neue über den wirklichen Charakter der Materie
Elemente wurden entdeckt und Ordnung und ihren Aufbau aus Atomen und deren
in die Vielzahl der Elemente gebracht; das Elementarteilchen; er ergab zugleich, dass
gelang L. Meyer (1830–1895) und Men- chem. Vorgänge sich nur im Schalenbe-
delejew (1834–1907), die die Elemente reich der Atome, innerhalb des Elektro-
nach ihren Atomgewichten ordneten und nengürtels, abspielen; der Begriff C. wird
erkannten, dass das Atomgewicht den heute jedoch auch auf Atomkerne ange-
Charakter des Elementes bestimmt (Pe- wandt und meint dann die Vorgänge bei
riodisches Sys­tem der Elemente); Liebig natürlich oder künstlich ausgelösten Um-
(1803–1873) begründete die Agrarchemie, wandlungsprozessen im Kern (Kernche-
indem er die Bedeutung der Mineralien mie).
für die Pflanzenernährung erfasste (Kunst- Chemnitz, 1) C., Martin, bedeutendster
dünger); Kekulé (1829–1896) erkannte die luther. Theologe im Zeitalter der Gegen-
Vierwertigkeit des Kohlenstoffes und die reformation, 1522–1586; maßgebend
Ringstruktur des Benzols und wurde da- beteiligt an dem Zustandekommen der
mit zum Begründer der Valenztheorie (Va- ↑ Konkordienformel. 2) C., Philipp Bogis-
lenzwertigkeit, gegenseitiges Bindungsver- law von, Geschichtsschreiber, 1605–1678;

163
Cheops

Enkel von 1), dt. Reichshistoriograf in Childebert I., fränk. König, um 495–558;


schwed. Diensten, verteidigte die Rechte Sohn und (511) Nachfolger Chlodwigs im
der Reichsstände und den Protestantis- Gebiet der Bretagne bis zur Somme, zer-
mus gegen das habsburgische Kaisertum; störte 534 mit seinem Bruder Chlotar das
schrieb eine Geschichte der Teilnahme Burgunderreich.
Schwedens am 30-jährigen Krieg. Childerich, fränk. Könige aus dem Hause
Cheops (Chufu), König von Ägypten der Merowinger: 1) Ch. I. (457–481), Va-
(4. Dynastie) um 2540 v. Chr.; Erbauer der ter Chlodwigs; sein Grab in Tournai reich
größten Pyramide bei Giseh und des an- an merowing.-fränk. Beigaben. 2) Ch. II.
schließenden Reichsfriedhofs (Grabbauten (670–673), herrschte anfangs nur in Aus-
der hohen Beamten). trasien; bemächtigte sich 673 auch Neu-
Chephren (Chafra), König von Ägypten striens und Burgunds. 3) Ch. III. (743–
(4. Dynastie), um 2510 v. Chr.; Erbauer der 751), letzter Merowinger auf dem Thron,
zweitgrößten Pyramide im Reichsfriedhof von den Söhnen Karl Martells abgesetzt
von Giseh (früher Totenstadt von Mem- und ins Kloster geschickt.
phis) mit berühmtem Bildnis (Diorit) als Chile, Staat in S-Amerika; von ­ Spaniern
Gottkönig mit dem Horusfalken. (Almagro) seit 1539 erobert und dem Vize-
Cherbourg, Hafenstadt in der Normandie königreich Peru einverleibt; seit 1778 span.
auf der Halbinsel Cotentin; im MA um- Generalkapitanat; 1810–1818 Kampf für
kämpft von England und Frankreich, das die Unabhängigkeit, danach Republik, Dik-
C. 1450 endgültig eroberte; unter Lud- tatur des Präsidenten O’Higgins (1818–
wig XIV. zur stärksten Seefestung Frank- 1823); 1840–1860 wirtsch. Aufstieg; neue
reichs ausgebaut, 1758 von den Engländern Kupfer- und Silberminen, Eisenbahnen,
erobert und geschleift; von Ludwig XVI., Einwanderung (bes. aus Deutschland),
Napoleon I. und Napoleon III. erneut aus- Schulen, Gründung der Universität San-
gebaut und erweitert; 1944 durch die Alli- tiago (1843); C. gewann 1879–1884 im
ierten schwer beschädigt. Krieg gegen Bolivien und Peru das wert-
Cherusker, german. Stamm im Weserge- volle Kupfer- und Salpetergebiet an der
biet, der als Kern der unter ↑ Arminius ver- Küste; ­Weltmonopol C.s in Salpeter durch
bündeten Stämme 9 n. Chr. den Römern die dt. Stickstoff­gewinnung aus der Luft
die Niederlage im Teutoburger Wald bei- im 1. Weltkrieg gebrochen, seitdem Wirt-
brachte, sich auch 1416 gegen Germanicus schaftskrisen und soziale Unruhen; 1943
behauptete; ging später vermutlich in den Kriegserklärung an Japan; im 2. Weltkrieg
Sachsen auf. erneut wirtsch. Aufschwung durch Roh-
Chester, Hauptstadt der westmittelengl. stoffexporte v. a. in die USA; 1952 militä-
Grafschaft C., altröm. Gründung im Stadt- rischer Beistandspakt mit den USA; 1961
bild erkennbar, besterhaltene mittelalterl. Währungsreform und Zehnjahrespro-
Stadt Englands (Mauern, Fachwerkbauten, gramm für Wirtschaftsausbau. 1964 nach
romanisch-got. Dom). dem Wahlsieg des Christdemokraten Frei
Chichén Itzá, Mayastadt, um 600 n. Chr. Reformprogramm. 1970 Präsidentschaft
in der Nähe von Quellen auf der Halbin- des Sozialisten ↑ Allende nach dem Wahl-
sel Yucatán gegr.; 1007 im Städtebund mit sieg der Volksfront; Verstaatlichungen und
Mayapan und Uxmal; 11–13. Jh. Hoch- Landreform. 1973 Militärputsch unter Ge-
blüte, Bau von Tempelpyramiden, Paläs­ neral Pinochet, Ermordung Allendes; Mili-
ten, Observatorium, Ballspielplatz; dann tärregierung verhängte Belagerungszustand
von Mayapan unterjocht; in span. Zeit be- und hob die Verfassung auf, Auflösung von
reits in Trümmern (↑ Maya). Kongress und Partei, Aufhebung der polit.

164
China

Freiheiten, Verhaftungswelle. 1978 wurde Tschungkuo („Reich der Mitte“) genannt;


der Belagerungszustand aufgehoben (der Zentrum der großen Ebene zw. Hoangho
Ausnahmezustand blieb jedoch aufrecht), und Jangtse, hier auch die dichteste Besied-
die Militärregierung nahm erstmals Zi- lung. – Ur- und Vorgeschichte nur sehr lü-
vilisten auf. 1980 neue Verfassung. 1988 ckenhaft bekannt (keine systemat. Gra-
sprach sich in einem Plebiszit die Mehrheit bungen); Menschen schon um
der Bevölkerung gegen eine Verlängerung 500 000 v. Chr. in C. nachweisbar (Peking-
der Amtszeit von Präsident Pinochet aus, Mensch, Sinanthropus pekinensis: Reste
1989 Wahlsieg des Christdemokraten Azó- von 40 Altsteinzeitmenschen, die das Feuer
car, der einem Wahlbündnis aus 17 Par- und einfache Steinwerkzeuge kannten,
teien vorstand; damit Ende der Militärdik- doch primitiver als der Neandertaler wa-
tatur Pinochets, der jedoch als Oberbefehls­ ren); Reste sichtbarer Kultur im Neolithi-
haber des Heeres sowie als Mitglied des Se- kum im Hoangho-(Gelber Fluss-)Gebiet;
nates und des Nationalen Sicherheitsrates Bauernkultur mit zahlreichen Dörfern; ab
weiter großen Einfluss besaß. 1993 Ein- 2500, vielleicht durch Einwanderung,
richtung von Sondergerichten zur Abur- Yangschao-Kultur (Kansu, Schensi,
teilung von Menschenrechtsverletzungen Schansi, Hoanan und nördl. China), von
während der Zeit der Militärdiktatur, de- weitreichendem Einfluss; noch ohne Me-
nen sich jedoch Pinochet, geschützt durch tall; Anbau von Hirse, Reis, Weizen; Na-
seine Ämter, nicht stellen musste. Der Ex- turkult (Ströme, Berge, Quellen sind Göt-
General wurde erst 1998 in England ver- ter, Obergott die Erde, Glaube an eine
haftet, 2002 wurde in C. Anklage gegen sinnliche und eine Charakterseele), Zau-
ihn erhoben, das Verfahren jedoch wegen berbann, Ahnendienst (Ahnen sind Ober-
seiner Demenz eingestellt. 1994–2000 war häupter der Patriarchalfamilie); rote,
der Christdemokrat E. Frei Ruiz-Tagle Prä- schwarze, gelbe Keramik. – Seit etwa
sident, Modernisierung von Wirtschaft 2000–1500 Lungschan-Kultur (in Schan-
und Gesellschaft, 2000 gewann der Sozi- tung, Nord-Honan, Anhui, Schekiang, Ki-
alist Ricardo Lagos die Stichwahl um das angsu in NO-C.); ebenfalls noch ohne Me-
Präsidentenamt. tall, mit befestigten Siedlungen; graue,
Chilliasmus (griech. chilioi, 1000), die schwarze Keramik; seit etwa 1800 Beginn
auf Matth. 26, 29 oder Apokalypse 20, 2–4 staatlicher Organisationen (erste Königs-
gestützte Erwartung des Tausendjährigen dynastie); Beginn der Bronzezeit. – Alter-
Reiches Christi auf Erden, anschließend tum: seit etwa 1500–1100 v. Chr. durch
Überwindung des Satans, Untergang der König Tang begr. Schang-Dynastie (Her-
Welt, Totenauferstehung, Jüngstes ­Gericht; kunft unbekannt), Zentrum Nordost-Ho-
besonders starke Bewegung im 8. Jh., dann nan („Reich der Mitte“); losere Staatsorga-
bei der ersten nachchristlichen Jahrtau- nisation (priesterliches Erbkönigtum, das
sendwende, im Spät-MA und in der Refor- die sittliche und gesellschaftliche Gesamt-
mationszeit durch protestant. Sektierer. ordnung, das Tao, zu sichern hatte, der Kö-
Chilperich I., fränk. König aus dem Hause nig war absetzbar; Gaufürsten); z. T. Ab-
der Merowinger (561–584); Teilherrscher kehr von der Langschau-Kultur, jetzt fan-
in Neustrien, führte Kriege gegen seine tast. Tierornamentik (Drachen, Schlan-
Brüder; ließ seine Gattin Galswintha, gen); hohe Bronzekunst (Dämonenmas-
Schwester Brunhildes, ermorden. ken), weiße Keramik; Erweiterung des
China, historisch das chin. Reich in seiner Ackerbaus; Haustiere, auch Opfertiere wa-
wechselnden Ausdehnung, von den üb- ren Rind, Schwein, Hund, Schaf, Wasser-
rigen Asiaten Kitai, von den Chinesen büffel, Pferd; Seide und Hanfanbau; man

165
China

glaubte an den Himmelsgott Schau, an Ende des chin. Kaisertums 1911/1912 Be-
Götter und Dämonen (Menschenopfer); stand hatte; das geeinigte Reich wurde zen-
um 1300 wurde Yin in N-Honan Resi- tral verwaltet, erhielt einheitliche Maße,
denz, Umbenennung der Schang in Yin; Gewichte und einheitliche Schrift; oberste
Orakelpriester benutzten Kultschrift (2 000 religiöse Wesenheit war der Himmel; der
Zeichen); Übergriffe der Könige, Religi- Herrscher von Chin nannte sich „Erster,
onsverfall führten zur Opposition der Gau- erhabener Kaiser“; in dieser Zeit begann
fürsten; Gaufürst von Tschou beseitigte die gegen das zwischen Mongolei und Pamir
Dynastie Schang-Yin. Tschou-Zeit um bestehende Hunnenreich der Bau der
1100–256 v. Chr.; die Tschou organisierten Großen Mauer (↑ Chinesische Mauer, zu-
und sicherten das Land militär. und teilten nächst als Wall); Ausrottung der feudalen
es in eine große Zahl von Lehen auf; das Überlieferung durch Bücherverbrennung
Handwerk war stark gegliedert; im 10. Jh. (213); die absolutist. Dynastie Chin brach
von N-C. her Ausdehnung des Reiches in einer Rebellion zusammen; der Trup-
nach Osten und Südosten durch Erobe- penführer Kiu Ki (Kaiser Kao-tsu) grün-
rungszüge der Lehensfürsten; in der dete die Han-Dynastie 206 v. Chr.–
Tschou-Zeit wurde das Muschelgeld durch 222 n. Chr.; weiterhin Abwehrkämpfe ge-
Kupfer- und Bronzegeld ersetzt; in den gen die C. bedrohenden Hunnen; um
Städten bildete sich Handel treibender 190 n. Chr. Beseitigung des Bücherver-
Kaufmannsstand; im Laufe des 8. Jh. trat botes, Blüte einer mag. Theologie und pro-
die Tschou-Dynastie gegenüber den Terri- faner Wissenschaften (Dichtung, Ge-
torialherren (Fürstenbünde, z. T. gegen schichtsschreibung); Kaiser Wu-ti (140–
Hunnen gerichtet) stark zurück; in die 87 v. Chr.) drängte die Hunnen in die
Kämpfe der Lehensstaaten wurden die Wüste Gobi zurück, unterwarf Teile Ko-
Bauern hineingerissen, die zunehmend reas, südchin. Küstengebiete, eroberte das
verarmten; das Lehenswesen wurde besei- Tarimbecken und führte C. zu einem ers-
tigt; zur Hebung der Wirtschaft staatlich ten Höhepunkt; gegen die Verarmung
organisierte Kanal- und Deichbauten. Un- durch die Kriege kämpfte er durch Landre-
ter der Tschou-Dynastie, auch in ihrer Ver- form an (Weinbau, Großgüter, Staatsmo-
fallszeit, bedeutendes literar. und philo- nopole); doch zunehmend Wirtschaftskri-
soph. Leben; die Kultschrift wurde zur all- sen und Überbevölkerung, zahllose Bauern
gemeinen Schrift; gegen den religiösen sanken zu Pächtern herab; unter Wu-ti
Verfall trat um 500 ↑ Lao-tse auf (↑ Taois- Ausdehnung des chin. Handels über Zen-
mus), der die myst. Versenkung in die All- tralasien (↑ Seidenstraße); die Herrschaft
natur lehrte; fast um die gleiche Zeit wirkte der Han-Dynastie wurde zeitweise unter-
↑ Konfuzius, der zur Pflege der Tradition brochen durch die Herrschaft des Kaisers
aufrief und die Pflichten gegenüber der Fa- Wang Mang (9–23 n. Chr.) aus dem ver-
milie über die Pflichten gegenüber dem wandten Hause Hsin, unter dem die zen-
Staat stellte. Die Territorialherren von tralasiat. Eroberungen größtenteils verlo-
Chin im Norden, die alle anderen Teil- ren gingen; unter den Nachfolgern, die
staaten (Tschao, Yen, Wei, Tschu und Tsi) wieder der Han-Dynastie angehörten,
unterwarfen, machten der Herrschaft der durch Berührung mit den Persern, Indern
Tschou ein Ende und begründeten als erste und dem hellenist.-röm. Orient starke
Dynastie des MA die Chin-Dynastie, 256– fremde Kultureinflüsse; das Kaiserreich ge-
206 v. Chr.; der von ihr gegründete absolu- wann seine alte Machtstellung wieder und
tist. Staat wurde zum universalen Kaiser- erweiterte sein Gebiet um Annam, Tong-
staat, der in wechselnden Formen bis zum king und Turkestan; auf der Seidenstraße

166
China

Handel bis ins Römerreich; seit etwa See, Vernichtung des nordkorean. Reiches;
100 n. Chr. erneute Hunnenbedrohung Kaiser Hsüan-Tsun 713–756 (Blüte der Li-
und Aufstände der Militärbefehlshaber; teratur). – In der Tang-Zeit Entfaltung der
doch zunehmende Erschließung Südchinas Pagoden- und Tempelkunst, Grabanlagen
und Besiedlung durch nord- und mittel- mit Geisteralleen; reiche lyrische Dichtung
chin. Reisbauern. – In der Han-Zeit er- (Litaipe 701–770) und hohe Gelehrsam-
neute Blüte der Literatur (Geschichts- keit; christliche Missionare (Nestorianer
werke, Lehrgedichte, Literatursamm- um 780); unter Kaiser Wu-tsung (841–
lungen). Ausbildung einer realist. Kunst, 846) Verfolgung des Buddhismus und Sä-
der Drache wurde zum Reichssymbol; das kularisierung seiner Kirchengüter und Klö-
Staatsdenken wurde vornehmlich durch ster; Ausrottung der Christen. – Unter den
den Konfuzianismus bestimmt; seit etwa Nachfolgern Bauern­kriege. Nach Zerrüt-
60 n. Chr. (unter Kaiser Ming-ti) kam je- tungen und Reichs­teilungen Sung-Dy-
doch von Indien her der ↑ Buddhismus nastie, nördl. mit Hauptstadt Kaifang und
nach C. und begann mehr und mehr das südl. mit Hauptstadt Nanking oder Hangt-
geistige Leben zu bestimmen; buddhist. schou, 960–1269. Zur Herstellung der
Bücher wurden übersetzt, Chinesen pilger- Reichseinheit große Reformen unter Kai-
ten in die Heimat Buddhas; starke wechsel- ser Schen-tsun (1068 bis 1085), Außen-
seitige Beeinflussung auf dem Gebiet der handel mit Indochina und Indonesien. Das
Philosophie und Literatur. Seit 222 Auf- Reich verlor durch tungus. Staatsgrün-
spaltung in drei Reiche; später, nach vorü- dungen den Norden und wurde von 1211
bergehender Einigung (265–317) und Ein- an durch Mongoleneinfälle erschüttert
fall der Hunnen in N-C., Trennung in N- (↑ Dschingis Khan eroberte Peking), Teile
(Reich der Wei) und S-C. (317–589) mit Chinas wurden den Mongolen tribut-
starker innerer Zerrüttung; doch weitere pflichtig; trotz des zunehmenden Nieder-
Kolonisierung in den südl. Küstenbezirken gangs Blüte des geistigen Lebens, der Dich-
und Ausbildung von kulturellen Zentren tung, der Philosophie („Buddhist. Scholas-
in den verschiedenen Reichsgebieten; Blüte tik“), der Geschichtsschreibung, der Land-
der buddhist. Kultur unter den Kaisern des schaftsmalerei und der Baukunst (erstes
6. Jh.; der Süden trieb Handel mit Südosta- Porzellan). ↑ Mongolen-Dynastie, 1271–
sien und Indonesien. Erneute Wiederher- 1368; C. wurde Chanat (Teilstaat) des Rie-
stellung der Reichseinheit durch den süd- senreiches der ↑ Mongolen, die 1274 und
chin. Feldherrn Yang Chien, Gründung 1281 von Korea aus auch Japan zu besetzen
der Tsui-Dynastie, 569–617; unter ihr Ka- suchten; das Reich – erster Großkhan war
nalbau Jangtse-Hoangho, verlustreiche Kublai Khan (1280–1294) – hatte rund
Kämpfe gegen die Türken, Indochinesen 38 Mio. Einwohner; die Bewohner waren
und Koreaner; Einführung des Prüfungs- in vier Klassen eingeteilt: Mongolen,
wesens für die Beamten (bis ins 20. Jh. be- ­Innerasiaten, Nordchinesen, Südchinesen;
stehend). – Mit türk. Hilfe kam die Tang- die Verwaltung fast ausschließlich in Hän-
Dynastie, 618–907, zur Herrschaft und den von Mongolen; in dieser Zeit ↑ Marco
zentralisierte das Reich von Neuem. Be- Polo in C.; Bau des Kaiserkanals Hangt-
deutender Herrscher Tsai Tsung (626– schou-Peking; Eindringen des Islams; Ab-
649); C. war Weltreich; Kulturaustausch stieg seit 1307 durch Thronfolgestreitig-
mit Indien, zeitweise Lehenshoheit über keiten und Parteikämpfe; den südchin. Na-
das Sassanidenreich; Einflussnahme auf Ti- tionalisten gelang es 1368, die Mongolen
bet und Japan; Kaiser Kao-Tsun (650– zu vertreiben, die sich in die ↑ Mongolei
683): Machtbereich bis zum Balchasch- zurückzogen, aber auch weiterhin das Land

167
China

beunruhigten. Ming-Zeit, 1368–1644; sensphären; 1840–1842 ↑ Opiumkrieg, im


unter Kaiser Tsai-tsu (1368–1398) wurden anschließenden Frieden von Nanking 1842
alle Nichtchinesen aus den Ämtern vertrie- Abtretung von Hongkong an England,
ben; Küstenbefestigungen gegen drohende Freigabe mehrerer Häfen für den Europa-
jap. Invasion; Korea machte sich selbstän- handel, später durch Handelsdiktate erwei-
dig; unter Tscheng-tsu (1402–1424) er- tert; 1850 Beginn des Taiping-Aufstands
neute Einfälle der Mongolen; 1420 wurde (Aufstand sozialrevolutionärer Sektierer),
Peking wieder Hauptstadt, Bau des Him- die Aufteilung von Grund und Boden for-
melsaltars und der Ming-Gräber in Nan- derten und Mittelchina besetzten und ver-
king; Bau einer Flotte gegen Japan; 1514 wüsteten; nach der militär. Intervention
erschienen erstmals portug. Schiffe und Englands und Frankreichs (↑ Lorcha-Krieg
gründeten Handel treibend 1567 die Kolo- wegen angeblicher Schändung einer brit.
nie ↑ Macao; ab 1581 Jesuitenmission in Flagge auf dem chin. Schiff Lorcha, Beset-
China, erste christliche Kirchen; der Jesuit zung Pekings, Zerstörung des Sommerpa-
Joh. Adam Schall von Beill (1619–1665) lastes), 1860 Vertrag von Tientsin; Freigabe
war Leiter der kaiserlichen Sternwarte; weiterer Vertragshäfen, europ. Gesandt-
1622 setzten sich die Holländer auf For- schaften in Peking, Exterritorialität der
mosa fest; Europa erhielt nähere Kunde Fremden, freie christliche Mission; Verlust
vom Weltreich C. (Chinoiserien in der eu- Amurs und der Fernostprovinz Sibiriens an
ropäischen Kunst); unter dem letzten Russland; 1876 wurde China gezwungen,
Ming-Kaiser Einbruch der tungus. Man- Gesandtschaften im Ausland zu unterhal-
dschu, die in der Mandschurei ein Reich ten. 1885 fiel Annam an Frankreich, 1886
errichteten und 1644 Peking eroberten. Burma an England; nach dem chin.-jap.
– Neuzeit: Mandschu-Zeit, 1644–1911: Krieg von 1894/95 um Korea trat China
Die Mandschu, die mit der Zeit zu Chine- im Vertrag von Schimonoseki Formosa
sen wurden, sicherten ihre Herrschaft (Taiwan) und die Pescadores-Inseln an Ja-
durch über das ganze Reich verteilte Garni- pan ab; Korea wurde „unabhängig“; 1896
sonen; Kaiser Kang-hi (1662–1722) schuf erzwang Russland die Benutzung der nord-
zentralist. Verwaltung (Besetzung der Äm- chin. Bahn nach Wladiwostok; 1898 be-
ter durch je einen Chinesen und einen setzte Deutschland als Vergeltung für die
Mandschu) und förderte die Kolonisation, Ermordung von Missionaren Kiautschou
besetzte 1683 Formosa und legte 1689 die mit Tsingtau; die fremdenfeindliche Bewe-
Grenze gegen Russland fest; die Mongolen gung führte 1900 zum Aufstand der ↑ Bo-
unterwarfen sich 1696; der Kanon der xer und zum Eingreifen europ. Mächte, der
konfuzian. Schriften wurde festgelegt; gro- USA und Japans; Besetzung Pekings; hohe
ßer Einfluss der christl. Missionare, jedoch Sühnegelder, die C.s Finanzwirtschaft wei-
1724 Verbot der christl. Mission; unter ter zerrütteten; die einsetzenden Reform-
Kaiser Kien-lung (1735–1795) größte Aus- bestrebungen (Plan einer Verfassung, Be-
dehnung des chin. Reiches; 1751 wurde seitigung der Beamtenprüfungen, Eisen-
Tibet chin. Protektorat, 1758/59 wurde bahnbau) konnten das Kaisertum nicht
Ostturkestan besetzt, Burma und Nepal mehr retten. – Neueste Zeit: 1911 Revolu-
anerkannten die chin. Oberhoheit; um die tion der Jungchinesen unter ↑ Sun Yatsen,
Mitte des Jh. hatte C. 100 Mio. Einwoh- dem Führer der 1905 gegr. revolutionären
ner, Ende des 18. Jh. 275 Mio. – Das Kuomintang-Partei; Sturz der Mandschu-
19. Jh. war gekennzeichnet durch das Ein- Dynastie. Der mit den Revolutionären
greifen der westeurop. Seemächte und die paktierende General Yüan Schikei wurde
Politik der Aufteilung Chinas in Interes- 1. Präsident der Chin. Republik; Abfall Ti-

168
China

bets und der Mongolei; Generalsherrschaft; trieunternehmen, große Produktionsstei-


im 1. Weltkrieg Besetzung Kiautschous gerung. 1964 Explosion der ersten chin.
und Eingreifen in die Innenpolitik durch Atombombe in Zentralasien. 1965 ent-
Japan; seit 1920 Bürgerkrieg der Generale; fachte Mao Tse-tung die „Kulturrevolu-
zunehmender Einfluss der UdSSR; seit tion“ gegen die bürokratische Praxis der
1925 war ↑ Tschiangkaischek Führer der Parteihierarchie, die „Roten Garden“
Kuomintang; dann Auseinanderfall der dienten der Mobilisierung eines revolutio-
Partei (nach dem Tod Sun Yat-sens) in nären Bewusstseins. 1971 Aufnahme der
Kommunisten (↑ Mao Tse-tung) und Nati- Volksrepublik C. in die UN. Die Öffnung
onalchinesen (Tschiangkaischek); T. gelang nach Westen signalisierte 1972 der Besuch
es, Nord und Süd zu einigen (1928); Nati- des amerik. Präsidenten Nixon in China.
onalversammlung 1931, doch im gleichen 1976 nach dem Tode Maos innere Unru-
Jahre Besetzung der Mandschurei durch Ja- hen und Machtkämpfe. Ausschaltung der
pan („Kaiserreich Mandschukuo“ von Ja- radikalen Fraktion um Maos Witwe ↑ Ts-
pans Gnaden, ab 1934) und Vordringen chiang Tsching (sog. „Viererbande“).
nach Innerchina; Chin.-jap. Krieg 1937– ↑ Hua Guofeng übernahm den Vorsitz im
1945 (Eroberung Pekings, Tientsins, Nan- ZK der KPCh (bis 1981), der in der Kul-
kings, Tsingtaus, Kantons; Blockade der turrevolution entmachtete ↑ Deng Xiao-
Küste; Vormarsch stockte nach Überflu- ping kehrte 1977 in seine Ämter als stell-
tung der Hoangho-Ebene und durch Parti- vertretender Ministerpräsident und stell-
sanenkrieg); nach Bau der ↑ Burmastraße vertretender Vorsitzender des ZK zurück.
Gegenoffensive C.s; nach Ende des Krieges Seitdem wirtsch. Liberalisierung: Herab-
neuer Bürgerkrieg (der Nationalchinesen setzung des Kollektivierungsniveaus, Leis­
unter Staatspräsident Tschiangkaischek seit tungsprinzip im Lohnsystem, Technolo-
1948) gegen die Kommunisten unter Mao gieimport aus dem Westen; Rückbesin-
Tse-tung, dem Präsidenten der seit 1949 nung auf die klass. chin. Traditionen in der
bestehenden „Chin. Volksrepublik“; nach Kultur. 1979 diplomat. Anerkennung
Niederlage Flucht der Nationalchinesen durch die USA. 1978 Krieg mit Vietnam.
nach Formosa („Nationalchina“, ↑ Tai- 1983 und 1986 „Rektifizierungskampa-
wan); in „Rotchina“ radikale Landreform, gne“ zur Säuberung der Partei von „radi-
Kollektivierung, gesteigerte Industrialisie- kalen“ Mitgliedern. Eine Bewegung für
rung, Beistandspakt mit der UdSSR 1950; Freiheit und Demokratie, getragen haupt-
im gleichen Jahre Eingreifen in den Korea- sächlich von Studenten, wurde im Juni
krieg (↑ Korea) und Eroberung Tibets; 1989 blutig niedergeschlagen; dies führte
1958 Überspringen der „sozialist.“ Stufe vorübergehend zur polit. Isolation Chinas,
der Industrialisierung (↑ Kommunismus) seine Bedeutung als Absatzmarkt und als
durch Gründung der Volkskommunen (ex- bevölkerungsreichstes Land der Welt be-
zessives Kollektivierungssystem, Aufhe- wirkte jedoch eine rasche Reintegration.
bung der Unterschiede zw. Stadt und Land, Auch nach dem Tode Deng Xiaopings
Kampf gegen altchin. Familienordnung), 1997 blieb die chin. Führung unter Min.
um den „letzten Zustand der Geschichte“ Präs. Li Peng (1988–1998) und Parteichef
zu erreichen; ideolog. Kampf mit dem Jiang Zemin (seit 1989, seit März 1993
Kommunismus der UdSSR um die Mög- auch Staatspräsident) bei dem eingeschla-
lichkeit der vorzeitigen Verwirklichung der genen Kurs einer liberalen Wirtschaft ei-
kommunist. Gesellschaftsordnung und der nerseits, der Unterdrückung jegl. Demo-
„Koexistenz“ mit den „kapitalist.“ Län- kratiebewegungen andererseits. 2001 Auf-
dern. Bis 1966 Verstaatlichung aller Indus- nahme in die WTO, auch unter Min.Präs.

169
Chinamensch

Wen Jiaobao (seit 2003) weitere wirtsch. 1. Jh. v. Chr.; der Grieche Hippokrates
Öffnung bei gleichzeitigen vorsichtiger po- (5. Jh. v. Chr.) verfügte über chirurg. Er-
lit. Reformen (Lockerung der “Ein-Kind“- fahrung trotz geringer anatom. Kennt-
Politik, 2003 Verfassungsänderung: nisse (Behandlung von Knochenbrüchen,
Grundrechte auf Streik und Freizügigkeit Bauchhöhlenoperationen); mit schweren
sowie “Recht auf Privatsphäre”). Blutungen verbundene Operationen konn-
1997 erhielt C. die ehem. brit. Kronko- ten erst durchgeführt werden, als die Un-
lonie Hongkong zurück, 1999 die portug. terbindung der Blutgefäße bekannt war, die
Kolonie Macao, beide behielten als “Son- der Enzyklopädist ↑ Celsus für die Zeit um
derverwaltungszonen” ihr Wirtschaftssy- 50 n. Chr. überliefert; im MA fand die C.
stem, während die polit. Führung durch eine Pflegestätte in der medizin. Schule von
eine chinafreundliche ersetzt wurde. Salerno, die die Kenntnisse der Araber dem
Chinamensch, ↑ Paläolithikum. Abendland vermittelte, hier Ausbildung
Chinesische Mauer, von Kaiser Schi Hu- von geschulten Chirurgen für die Kreuz-
ang-ti Ende des 3. Jh. v. Chr. zum Schutz züge; im 13. Jh. wurden frz. Wund­ärzte
gegen Angriffe von Nomadenvölkern aus (Schule von Paris, Montpellier) Lehrmei-
dem Norden zunächst als Erdwall ange- ster der C.; Höhepunkt der C. im 16. Jh.
legt; im 15. Jh. zur gemauerten Befesti- war das Wirken des Franzosen Ambroise
gung ausgebaut; Länge 2450 km, Höhe bis Paré, der vier frz. Königen als Leibarzt auf
16 m, Dicke bis 8 m, größte Bauanlage der ihren Feldzügen folgte und die Behand-
Welt; Renovierung durch die kommunist. lung von Schusswunden verbesserte, die
Regierung. Gefäßunterbindung wiederentdeckte und
Chioggia, Stadt bei Venedig; 1381 Sieg der den Kaiserschnitt versuchte; auch ↑ Para-
Venezianer über die Genuesen; Sicherung celsus förderte die vernachlässigte, den Ba-
der Vorherrschaft Venedigs. dern, Feldscherern, Steinschneidern und
Chirac, Jacques René, frz. Politiker, geb. Schröpfern überlassene „niedere C.“ durch
1932; 1972–74 Landwirtschaftsminister, vorzügliche Anweisungen in der Wundbe-
1974 Innenminister, 1974–76 Premiermi- handlung; drei entscheidende Fortschritte
nister. Seit 1977 Bürgermeister von Paris, brachte erst das 19. Jh.: die antiseptische
1986–88 wiederum Premierminister, un- Wundbehandlung (↑ Lister), die Narkose
terlag bei den Präsidentschaftswahlen 1988 (Long, Morton, Simpson, Braun u. a.) und
dem Amtsinhaber ↑ Mitterrand, konnte die künstliche Erzeugung von Blutleere an
1995 schließlich dessen Nachfolge antre- den Operationsstellen (↑ Anatomie).
ten. 1997 durch Sieg der Linken bei den Chlodomer, König der Franken, 511–524;
Parlamentswahlen geschwächt, musste den Sohn und Teilerbe Chlodwigs, residierte in
Sozialisten Jospin zum Premierminister be- Orléans.
rufen. 2002 (erst in der Stichwahl gegen Chlodwig (Chlodowech, Ludwig), König
den extremen Rechten Le Pen) in seinem der salischen Franken aus dem Hause der
Amt als Staatspräsident bestätigt. Merowinger, um 466–511; Sohn Childe-
Chirurgie (griech., Eingriff mit der Hand), richs I., trat 482 die Herrschaft an, begrün-
neben der Geburtshilfe ältester Zweig der dete das Fränk. Reich durch Beseitigung
Heilkunst; Amputationen, Schienen ge- der anderen salischen Gaukönige, schließ-
brochener Glieder, Schädelöffnungen wur- lich auch der ripuarischen und durch
den von den Wundärzten der Ägypter vor- Siege über die Römer (↑ Syagrius erlag bei
genommen; von noch höheren chirurg. ­Soissons 486), über Alemannen und West-
Kenntnissen zeugt das ind. Werk „Ayur- goten; trat 496 zum (kath.) Christentum
veda“ (Buch der Lebenskunde) aus dem über (der Arianismus der Ostgermanen

170
Christentum

entscheidend überwunden, Voraussetzung Reich, das 1194 das Seldschukenreich er-


für die Reichseinheit); übernahm das zen- oberte, dann von den Mongolen zerstört
tralist. Verwaltungssystem der Römer, be- wurde; im 16. Jh. usbek. Teilreich (Khanat
wahrte aber auch die german. Tradition Chiwa), Sklavenhandelszentrale; 1873 von
(Aufzeichnung der Lex salica). Russland erobert, mit zarist. Generalgou-
Chlothar, fränk. Könige aus dem Hause vernement Usbekistan vereinigt; Baum-
der Merowinger: 1) C. I. (511–561); Sohn wollgebiet.
Chlodwigs I. und dessen Nachfolger im Chorherren, Angehörige eines Ordens, die
nordwestl. Teil des Reiches seit 511, be- nicht nach der Mönchsregel, sondern nach
teiligte sich an der Vernichtung der Reiche den Richtlinien für Kleriker leben; entstan-
der Thüringer und Burgunder, überlebte den im Gefolge der mittelalterl. Kirchenre-
seinen Bruder, dadurch 558 noch einmal form. Ihnen obliegt der gemeinsame Chor-
König des Gesamtreiches. 2) C. II., gest. dienst, Seelsorge, Unterricht und Wissen-
629, kam 584 als Sohn Chilperichs I. im schaft.
Alter von vier Monaten unter Regentschaft Chosrau, sassanidische Perserkönige:
seiner Mutter Fredegunde auf den Thron 1) C. I. (531–579); erhob das Buch Ave-
von Neustrien; das Edictum Chlotarii sta (Kanon des Zarathustra) zur religiösen
(614) festigte die Stellung des Adels und Autorität; Freund griech. Bildung; kämpfte
der Hausmeier; 623 abgedankt. gegen Byzanz, gegen die „weißen Hun-
Choiseul-Amboise, Etienne François, nen“, Inder und Araber. 2) C. II. (590–
Herzog von, frz. Staatsmann, 1719–1785; 628); machtvoller Eroberer (Syrien, Nord-
Günstling der Pompadour, brachte 1756 ägypten) und verhasster Despot, ermordet.
als Gesandter in Wien das Bündnis mit Chotusitz, böhm. Städtchen; 1742 Sieg
Österreich zustande; 1758–1770 Außen- Friedrichs d. Gr. über die Österreicher.
minister und zeitweilig Kriegsminister; Chouans, die royalist. Aufständischen der
Gegenspieler Englands im Kampf um die Bretagne gegen die Revolutionsrepublik,
koloniale Vorherrschaft; setzte 1762 das benannt nach ihrem Anführer Jean Cotte-
Verbot der Jesuiten in Frankreich durch; reau, mit dem Beinamen „Chouan“ (Uhu);
reorganisierte Heer und Flotte nach 1763, führten 1792–1799 einen blutig niederge-
gewann 1768 Korsika für Frankreich. schlagenen Guerillakrieg (Chouanerie).
Cholera, in Ostasien heimische Infekti- Christentum, die von ↑ Jesus von Nazareth
onskrankheit; in Europa epidemisch zuerst – genannt „Christus“ = Gesalbter Gottes
1831 aufgetreten, zuletzt 1892 in Ham- – gestiftete Religion, in Erfüllung der Ver-
burg; 1883 entdeckte Robert Koch den heißungen des A. T. aus der jüd. Religion
Erreger, seither durch behördliche hygien. hervorgegangen, doch gleichzeitig als Of-
Maßnahmen fast erloschen. fenbarungsreligion etwas grundsätzlich
Chomjakow, Alexej, russ. Schriftsteller, Neues; durch die Apostel (vor allem Pau-
1804–1860; Wegbereiter des Panslawis- lus) zunächst im östl. Mittelmeerraum bis
mus, verkündete Sendung Russlands und Italien verbreitet; entwickelte sich aus den
seinen Triumph über den zum Untergang verstreuten Gemeinden des Urchristen-
bestimmten Westen, der das wahre Chris- tums im Rahmen des übernationalen röm.
tentum verraten habe. Imperiums zur Weltkirche, in seiner Aus-
Choresmien, das Gebiet um Chiwa, in breitung gefördert durch die Jenseitsge-
der heutigen Sowjetrepublik Usbekistan; richtetheit und das Erlösungsbedürfnis der
im Altertum von iran. Völkern bewohnt, Spätantike sowie durch die werbende Kraft
im 9. und 8. Jh. v. Chr. machtvoller Staat der Blutopfer seiner Märtyrer (↑ Christen-
Zentralasiens; 1097–1220 n. Chr. Neues verfolgungen); gehemmt noch bis ins 4. Jh.

171
Christenverfolgungen

durch das Misstrauen des röm. Staates, Christenverfolgungen, im röm. Reich bis
durch innere Auseinandersetzungen (↑ Ari- zum Toleranzedikt von Mailand 313; mit
anismus/Athanasius) und die Rivalität der hervorgerufen durch die Absonderung der
anderen großen Weltreligionen und phi- Christen und den Ausschließlichkeitsan-
losoph. Systeme der ausgehenden Antike spruch des Christentums, das den Kult der
(↑ Mithra); dabei formte sich das C. auch offiziellen Staatsgötter verdammte; neben
als Geistes- und Bildungsmacht in der Be- den Hassinstinkten der heidn. Großstadt-
gegnung mit dem Hellenismus; anderer- bevölkerung gaben polit. Erwägungen der
seits enge Verbindung mit dem röm. Staats- Kaiser den Ausschlag; die Staatsgleichgül-
und Rechtsdenken durch die Erhebung zur tigkeit der Christen steigerte sich im 3. Jh.
Staatsreligion bzw. Reichskirche unter Kai- zur Verweigerung des Militärdienstes und
ser Theodosius I. 391. Im Kampf um den der Übernahme öffentlicher Ämter; die als
Primat (geistliche Vorrangstellung) setzte Geheimbünde verdächtigten Christenge-
sich der Bischof von Rom 451 (Reichs- meinden genossen nicht die Sonderrechte
konzil zu Chalcedon) gegen Konstantino- der Juden (die gleichfalls die heidn. Göt-
pel durch; die Taufe des Merowingerkönigs zendienste ablehnten). – C. des ↑ Nero
Chlodwig I. (496) führte die röm. Kirche 64 n. Chr., auf Rom beschränktes Ablen-
auf den Weg der mittelalterl. Staats- und kungsmanöver und Willkürakt Neros;
Reichskirche; die Rivalität Rom-Byzanz ↑ Trajan lehnte planmäßige Fahndung ab,
aber, dogmatisch vertieft, führte 1054 zur bejahte aber grundsätzlich Strafverfolgung
Kirchenspaltung (Schisma): Teilung in ein bei Verweigerung der Teilnahme am röm.
abendländ. (röm.-kath.) und morgenländ. Kult, dadurch Denunziantentum und
(griech.-orthodoxes) C. Die ↑ Reforma- Willkür der lokalen Justizbehörden be-
tion (seit 1517) verursachte eine erneute günstigt; größere C. unter ↑ Mark Aurel;
Glaubensspaltung in der christl. Kirche systemat. C. erstmals unter ↑ Decius 250
und sprengte die Einheit der mittelalterl. (Einkerkerung oder Tod); unter ↑ Aureli-
Welt in Europa, die aus der Aneignung anus 280 (neue Reichsreligion des Sol in-
des C. und der von ihm religiös unter- victus – Sonnengott – mit Ausschließlich-
bauten universalen Reichsidee durch die keitsanspruch); schlimmste C. unter ↑ Dio­
german.-roman. Völkerwelt erwachsen war kletian seit 303 (Verhaftung der Priester,
(↑ Luther, Zwingli, Calvin, Anglikanische Verschickung in die Bergwerke bei Op-
Kirche). Subjektive Auslegung der christl. ferverweigerung; im weström. Reichsteil
Lehre führte zur weiteren Aufsplitterung Kirchenzerstörung, Folterung, Todesstrafe
in Freikirchen und Sekten (vor allem auf nach besonderen Strafverfahren). Zahl der
protestant. Seite); die christl. Ständeord- Opfer (Märtyrer) nicht festzustellen, doch
nung wurde gleichzeitig abgelöst von der aus dem Geist der Blutzeugen bedeutender
modernen Gesellschaftsordnung (Aufklä- Kräftezuwachs für die Kirche; Beendigung
rung, Frz. Revolution), womit das C. als der C. durch das Toleranzedikt 313 un-
beherrschende Lebensmacht (z. B. in der ter Konstantin d. Gr. (vgl. auch ↑ Japan,
Wirtschaftsauffassung) ausgeschaltet wer- China).
den sollte. Parallel zu der von den Kir- Christian, Name von Herrschern. Anhalt:
chen bekämpften „Entchristlichung“ des 1) C. I., Fürst von A.-Bernburg, 1568–
Abendlandes („Religion Privatsache“, C. in 1630; befreundet mit König Heinrich IV.
den meisten Ländern nicht mehr Staatsre- von Frankreich, Calvinist, Feldherr der
ligion) lief die Ausbreitung des C. in der protestant. Union, unterlag 1620 in der
„Neuen Welt“ und großen Teilen Afrikas Schlacht am Weißen Berge. – Dänemark:
und Asiens. 2) C. I. (1448–1481); geb. 1426, 1450

172
Christus

König von Norwegen (seither in Perso- und föderalist. Partei, von der sich 1949
nalunion), 1457–1470 König von Schwe- die CDU der DDR ablöste und gleich-
den, 1460 Herzog von Schleswig, Graf geschaltet wurde; in der Bundes­republik
von Holstein; Gründer der Universität Ko- Deutschland 1949–1966 und seit 1982
penhagen (1479). 3) C. II. (1513–1523); tragende Regierungspartei; Ziele: kul-
geb. 1481, bemächtigte sich 1520 Schwe- turpolitisch: christliche Staatsgestaltung,
dens (↑ „Stockholmer Blutbad“ unter dem Schutz von Ehe und Familie, Elternrecht;
schwed. Adel), 1523 aus beiden Reichen wirtsch.- und sozialpolitisch: freie sozi-
vertrieben, starb 1559 in der Gefangen- ale Marktwirtschaft, gemeinsamer euro-
schaft. 4) C. IV., 1577–1648; Dänemarks päischer Markt, Schutz des Privateigen-
volkstümlichster Herrscher, griff ohne tums, Mitbestimmungsrecht; außenpoli-
Erfolg in den 30-jähr. Krieg ein (1625– tisch: Zusammenarbeit mit dem Westen,
1629), erwarb bleibendes Verdienst durch europäische Integration, Unterstützung
Verwaltungsreform und merkantilist. Wirt- der Entwicklungsländer; die CDU steht in
schaftsförderung; Gründung von Kolo- Fraktionsgemeinschaft mit der seit 1945 in
nien auf Island und Grönland. 5) C. VIII. Bayern bestehenden, betont föderalistisch
(1839–1848); geb. 1786, kündigte 1846 eingestellten, in den Gesamtzielen der
mit seinem „offenen Brief“ die Verschmel- CDU entsprechenden Christlich-Sozialen
zung Schleswig-Holsteins mit Dänemark Union (CSU). Seit dem Ende der Großen
an und eröffnete damit den Streit um die Koalition 1969 war die CDU/CSU im
Herzogtümer. 6) C. IX. (1863–1906); geb. Bund Oppositionspartei. Im Okt. 1982
1818, aus der Linie Sonderburg-Glücks- Koalitions­regierung mit der FDP, die in
burg; durch das Londoner Protokoll 1852 den Wahlen von 1983, 1987, 1990 und
zum Thronfolger bestimmt, verlor durch 1994 bestätigt wurde. Seit der Bundestags-
seine Verschmelzungspolitik 1864 Schles- wahl 1998 befindet sich die CDU nach 16-
wig-Holstein und Lauenburg. 7) C. X. jähriger Regierungszeit wieder in der Op-
(1912–1947): geb. 1870, blieb beim dt. position. Der Organisationsgrad der CDU
Einmarsch 1940 im Lande, leistete pas- ist gering, nur etwa 2 % ihrer Anhänger-
siven Widerstand. – Halberstadt; 8) C., schaft sind Mitglieder der Partei. – In der
Prinz von Braunschweig-Wolfenbüt- ehemaligen DDR ordnete sich die CDU
tel, 1599–1626; 1616 Administrator des 1949 als Blockpartei der SED unter. Nach
(luth.) Bistums Halberstadt, protestant. den politischen Umwälzungen von 1989
Feldherr im 30-jähr. Krieg; wegen harter wurde sie zunächst eigenständige politische
Kriegführung als „der tolle Halberstädter“ Kraft. Aus den Volkskammerwahlen 1990
gefürchtet, von Tilly 1622 bei Höchst und ging die Ost-CDU als stärkste Partei her-
1623 bei Stadtlohn geschlagen. vor und stellte in der DDR-Regierung den
Christine, Königin von Schweden, 1626– Ministerpräsidenten (Lothar de Maizière).
1689 (1632–1654); Tochter Gustav Adolfs, Im Okt. 1990 vereinigte sie sich mit der
gelangte 1632 zur Herrschaft, eigen­willig, westdt. CDU.
hochbegabt, dankte 1654 ab und wurde Christophe, Henri, König von Haiti,
1655 kath., widmete sich nach unstetem 1767–1820; urspr. Sklave, wurde später
Leben 1668 bis zu ihrem Tod 1689 ih- zum General ernannt und 1807 Präsident,
ren künstlerischen und wissenschafltichen ließ sich 1811 als Henri I. zum König krö-
Neigungen in Rom. nen; hatte nur Einfluss im NO der Insel,
Christlich-Demokratische Union (CDU), beging Selbstmord, als das Volk sich gegen
1945 gegr., beide christl. Konfessionen Ge- ihn erhob.
samtdeutschlands umfassende demokrat. Christus, ↑ Jesus.

173
Christusorden

Christusorden, portug. Ritterorden, 1318 heute die Datierung erlaubt); noch ge-
zum Kampf gegen die Mauren gestiftet; nauere Altersbestimmungen ermöglicht
von bes. Bedeutung bei der Kolonisierung; die Radio­carbonmethode, jedoch nur an
1550 Großmeisterwürde mit der Krone organ. Stoffen (Gewebe, Knochen, Pflan-
Portugals verknüpft. zen- und Holzreste); für frühe Zeit kön-
Chronik (griech., Zeitbuch), Form der Ge- nen die vergleichende Völkerkunde und
schichtsschreibung, in der die Ereignisse in die vergleichende Sprach-, Sagen-, My-
zeitlicher Ordnung erzählt werden, u. a. im then- und Märchenforschung zeitliche An-
MA gepflegt. C.en gehen oft von den An- haltspunkte bieten, bes. für die Frage, ob
fängen (der Welt, eines bestimmten Klos- histor. Vorgänge bei verschiedenen Völ-
ters, einer bestimmten Stadt) aus und stel- kern früher oder später liegen; eine große
len die Dinge in den Rahmen der Heils- Rolle in der Datierung von Ereignissen für
geschichte. Die Grenzen zu den ↑ Annalen die Umrechnung althistor. Kalender spie-
sind fließend. Der Gebrauch der Mutter- len Angaben über Himmelserscheinungen
sprache setzte sich, von Italien ausgehend, (Sonnen- und Mondfinsternisse, Venus­
im späten MA immer mehr durch. beobachtungen, Siriusaufstiege, Gestirns-
Chronologie, Lehre von der Zeitmessung konjunktionen, z. B. für das Geburtsjahr
und den Zeitrechnungsarten; Altersbestim- Christi: „Stern der Weisen“); diplomat.
mung, Datierung von vorgeschichtlichen Briefwechsel, internat. Handelsbeziehun­
oder geschichtlichen Funden, Ereignissen, gen (Einfuhrgüter aus Kulturländern, de-
Tatsachen und die entsprechenden Verfah- ren C. festliegt), Kriege, Friedensschlüsse
ren; Anfänge schon in der Antike (z. B. bei lassen Zeitangaben des einen Partners oder
↑ Eratosthenes) und im MA; wiss. C. erst Volkes auf das andere übertragen; Königs-
seit Joseph Scaliger (De emendatione tem- , Archonten-, Konsullisten des Altertums,
porum, 1583) und Petavius (De doctrina Annalen des MA machen zeitliche Fest-
temporum, 1627); die ersten entschei- legungen möglich, ebenso Angaben über
denden Beiträge von der Astronomie her Olympische Spiele und über Kalender­
lieferten Kepler und Newton; grundlegend reformen und ihre (astronom.) Begrün-
L. Ideler (1766–1846). Annähernde Daten dung; Datierungsquellen sind auch die
für die Eiszeiten und die eiszeitlichen (alt- Jahresringe von Baumstämmen (↑ Dendro-
steinzeitl.) Kulturstufen werden astrono- chronologie), Verwitterungserscheinungen,
misch (Ermittlung von Klimaänderungen Grab- und Triumphtafeln oder an Sied-
durch datierbare Änderungen der Sonnen- lungsplätzen auf Völkerwanderungswegen,
einstrahlung), durch die Messung der Ton- in Militärlagern vorgefundene Münzen,
schichten nach dem Zurückweichen von sofern festgestellt werden kann, seit wann
Gletschern, durch die Messung der Ausbrei- und wie lange sie in Kurs waren; ebenso
tung und Schichtendicke der Moränen ge- Gräber und Bestattungsweisen und Geräte,
wonnen; die Pollenanalyse (↑ Moorfunde) deren Material (handgeformte oder Dreh-
lässt die Zusammensetzung der Vegeta- scheibenkeramik; Stein-, Kupfer-, Bronze-,
tion bestimmter Landschaften in früherer Eisenfundstücke), Form, Verzierungsweise
Zeit ermitteln (das Alter vorgeschichtlicher für eine Epoche oder einen Kulturkreis
Fundstücke kann an Erdresten mit Pollen typisch sind (Band-, Schnurkeramik, Spi-
grob festgestellt werden); der Fluortest er- ralfibeln, Kreuzformen u. a.); auch Fami-
möglicht es, im Boden lagernde Skelettre- lien-, Orts- und Flurnamen lassen zeit-
ste altersmäßig zu bestimmen (Knochen liche Rückschlüsse zu; v. a ergiebig sind
nehmen mit dem Grundwasser Fluor auf, die Schrift- und Sprach­analyse bei Schrift-
dessen mengenmäßige Anreicherung bis denkmälern (Wortschatz) und die Stilana-

174
CIA

lyse bei Kunstwerken und Ornamenten, um 354–407 n. Chr.; Patriarch von Kon-


die oft bis auf das Jahrzehnt genaue Datie- stantinopel, griech. Kirchenvater und be-
rungen zulassen. rühmter Redner; wegen seiner Reform-
Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch, ideen und seiner sozialpolit. Anklagen am
sowjet. Politiker; 1894–1971; Bergmann, Kaiserhof (↑ Eudoxia) verhasst und 403
kämpfte ab 1918 im kommunist. Bürger- verbannt.
krieg, später Parteifunktionär, Baustellen- Churchill, Winston, brit. Staatsmann,
leiter; 1935 als Nachfolger von Kagano- 1874–1965; aus der Familie der Herzöge
witsch Parteiführer Moskaus; wenig später von Marlborough, nahm am Burenkrieg
im Obersten Sowjet; als gebürtiger Ukrai- teil; seit 1900 Mitglied des Unterhauses, ur-
ner 1938 Parteiführer der Ukraine („Säu- spr. konservativ, trat zu den Liberalen über,
berungs“-Aktionen); von dort 1939 Beru- seit 1906 in der Regierung; Anteil an der
fung ins Politbüro. 1941 organisierte C. Sozialgesetzgebung der Liberalen; 1911–
den Abtransport der Industrie aus der Uk- 1915 Marineminister (Rücktritt nach ge-
raine, um sie den Deutschen zu entziehen, scheitertem Dardanellenunternehmen);
und den Partisanenkampf; nach Kriegsende 1917/19 Munitions-, 1919/21 Kriegs-,
wieder in der Ukraine; 1949 Sekretär im 1921/22 Kolonialminister, als Liberaler
Zentralkomitee (ZK) der KPdSU und nicht wiedergewählt; Wiederanschluss an
1952 im Präsidium; nach Stalins Tod 1953 die Konservativen; seit 1930 Anteilnahme
einer der vier Sekretäre des ZK; nach Be- an der Außenpolitik, bekämpfte Baldwins
rijas Sturz 1. Sekretär des ZK (= Parteifüh- und Chamberlains nachgiebige Politik ge-
rer); 1955 Sturz Malenkows; 1955–1958 genüber den Achsenmächten; nach Kriegs-
mit Ministerpräsident Bulganin staats- ausbruch Marineminister, 1940–1945 Mi-
bestimmend; auf dem 20. Parteitag 1956 nisterpräsident und Führer Englands im
(Verurteilung Stalins, gegen Persönlich- 2. Weltkrieg; 1945–1951 Führer der kon-
keitskult) sagte C. Ausbruch des Sozialis- servativen Opposition, 1951–1955 wieder
mus aus den Landesgrenzen voraus, hielt Ministerpräsident. C. trat als einer der ers-
aber takt. Koexistenz zw. Kapitalismus und ten westl. Politiker für Ost-West-Entspan-
Marxismus für möglich; gewaltiger Ausbau nung ein, 1956 erhielt er auf Grund seiner
der Schwerindus­trie und Rüstung (Atom- Verdienste um die Einigung Europas den
bomben, Raketenwaffen); außenpolitisch Karlspreis. Auch als Schriftsteller trat C.
flexible Taktik; 1957/58 Ausschaltung der hervor („Marlborough“, 1933–1938, „Der
polit. Konkurrenten Molotow, Kagano- Zweite Weltkrieg“, 1948–1953; Nobel-
witsch, Malenkow, Schukow, Bulganin; preis für Literatur 1953).
seit 1958 auch Ministerpräsident; auf dem Churriter, vorderasiat. Volk (Ausgangs-
22. Parteitag 1961 nochmals schärfste Ver- punkt Churrum bei Aserbeidschan), das
urteilung des polit. und wirtschaftstheoret. nach 1680 v. Chr. aus dem inneren Iran
Stalinismus; Entfernung der Stalinisten aus nach Assyrien und Kleinasien vordrang,
Staats- und Parteiämtern, Entfernung der kleinere Fürstentümer gründete, den Mi-
Leiche Stalins aus dem Lenin-Mausoleum. tanni-Staat beherrschte und im Mitanni-
Zunehmende wirtschaftliche Misserfolge und Hethiterreich aufging; vermutlich ver-
und die Verschärfung des Konflikts mit dankt Vorderasien ihnen die Einführung
China führten 1964 zum Sturz C.s als Par- des Pferdes; Vermittlung der babylon. Keil-
tei- und Regierungschef, 1966 Ausschluss schrift an die Hethiter ihnen zugeschrieben
aus dem ZK. (Kulturfunde in ↑ Tall Halaf ).
Chrysostomus (wegen seiner Beredsam- CIA, Abk. für ↑ Central Intelligence
keit C. = Goldmund gen.), Johannes, hl., Agency.

175
Ciano

Ciano, Galeazzo, Graf von Cortellazzo, Anhängern Sullas beherrschte Rom und er-
ital. Diplomat und Politiker, 1903–1944; richtete eine Schreckensherrschaft; von sei-
Schwiegersohn Mussolinis, 1936–1943 nen Soldaten 84 erschlagen.
Außenminister, begründete 1936 die Achse Cinquecento (ital., fünfhundert, Abk. für
Berlin-Rom, versuchte den Kriegseintritt 1500), in der Kunst- und Kulturgeschichte
Italiens zu verhindern. Am Sturz Mussoli- gebräuchliche Bez. für das 16. Jh., d. h. die
nis 1943 beteiligt, nach dessen Befreiung Hochrenaissance (und Übergang zum Ba-
verhaftet und hingerichtet. rock), vertreten durch Bramante, Miche-
Cicero, Marcus Tullius, röm. Staatsmann, langelo, Raffael, in der Literatur Ariost
Jurist und Schriftsteller, 106–43 v. Chr.; und Tasso.
der größte Redner Roms, Vollender des Cipangu, Marco Polos Bezeichnung für
klass. lat. Stils, als Philosoph selbst nicht ↑ Japan; unter diesem Namen zeichnete
schöpferisch, doch bedeutend durch die auch der ital. Geograf Toscanelli die Inseln
formvollendete Vermittlung der nach­ auf seine Karten ein.
aristotelischen, besonders stoischen, grie- Circus, Schauplatz der circensischen Spiele
chischen Philosophie und ihrer humani- (ludi circenses), röm. Festspiele, zuerst
tären Ideen (“Academica”, “Tuskulanische nur als Pferde- und Wagenrennen, seit
Gespräche”, “Über das Greisenalter”, 264 v. Chr. auch als ↑ Gladiatorenkämpfe
“Über die Freundschaft”), deckte 63 v. Chr. und Tierhatzen; das Hauptvergnügen der
als Konsul die Verschwörung des ↑ Catilina großstädt. Massen, die „panem et circen-
auf; republikanisch gesinnt, entschied sich ses!“ (Brot und Spiele) forderten; Haupt-
daher im Bürgerkrieg für Antonius gegen schauplatz in Rom der C. Maximus (bis
Cäsar; nach Cäsars Ermordung Führer des zum 4. Jh. n. Chr. für 385 000 Zuschauer
Senats gegen Antonius, der ihn umbrin- erweitert); vorher seit 220 v. Chr. der
gen ließ. Das Erbe Ciceros wirkt durch alle C. Flaminius; neue C.-(↑ Amphitheater-
Zeiten bis zur Gegenwart. Bauten) unter Nero, den Flaviern (↑ Ko-
Cid Campeador (Kämpfer), Beiname des losseum), Caracalla; größere röm. Provinz-
span. Nationalhelden Ruy Diaz de Vivar, städte verfügten über eigene Anlagen (Ve-
um 1045–1099; Idealgestalt des kastilian. rona, Nîmes, Pompeji, Trier u. a.).
Rittertums der Reconquista, eroberte 1094 Cisalpinische Republik, 1797 von Gene-
das maurische Königreich Valencia; dich- ral Bonaparte in Oberitalien proklamierter
terisch verherrlicht in altspan. Romanzen frz. Vasallenstaat, umfasste Mailand, Mo-
(übersetzt von Herder); Dramen von Lope dena, Ferrara, Bologna, Romagna, nahm
de Vega und Corneille. 1802 den Namen „Italienische Republik“
Cimbern, ↑ Kimbern. an, ging 1805 im napoleon. „Königreich
Cincinnatus, Lucius Quinctius, altröm. Italien“ auf.
Nationalheld, nach der Überlieferung Cispadanische Republik, „diesseits (d. h.
458 v. Chr. vom Pflug weg zum Dikta- südlich) des Po“, 1796 von Bonaparte pro-
tor berufen, um das von den Äquern ein- klamiert, 1797 in der „Cisalpinischen Re-
geschlossene Heer zu befreien; löste diese publik“ aufgegangen.
Aufgabe binnen 16 Tagen und kehrte auf Cisrhenanische Republik, ein 1797 von
sein Landgut zurück, als Musterbild röm. Anhängern der Frz. Revolution „diesseits
Tugend gefeiert. des Rheins“ (den „Cisrhenanen“) geplantes
Cinna, Lucius Cornelius, röm. Feldherr Staatsgebilde (mit Bonn, Köln, Aachen),
und Staatsmann, seit 87 v. Chr. Konsul, durch die Abtretung des linken Rheinufers
verband sich mit Marius, den er aus dem an Frankreich (↑ Campoformio) illusorisch
Exil zurückgerufen hatte, eroberte das von geworden.

176
Clayton-Bulwer-Verrtrag

Citeaux, frz. Kloster in Burgund, Dep. Clark, Mark Wayne, amerik. General,
Côte d’Or; 1098 von Robert von Molesme 1896–1984; befehligte im 2. Weltkrieg das
und Alberich gegr. Reformkloster, das zum amerik. Expeditionskorps in England und
Mutterkloster des ↑ Zisterzienserordens leitete an der Spitze der amerik. 5. Armee
wurde. die Invasionen in Tunesien, Sizilien und
Citoyen (frz. Bürger), in der Ära der Frz. Süditalien.
Revolution 1792–1804 Anredeform an Clarke, Henri Jacques Guillaume, Herzog
Stelle des aristokrat. „Monsieur“; 1848 auf von Feltre, frz. Marschall irischer Abstam-
kurze Zeit wieder in Gebrauch. mung, 1765–1818; 1806 Gouverneur von
Civitas Dei (lat. Gottesstaat), nach ↑ Augus­ Erfurt und Berlin, 1817–1814 Kriegsmini-
tinus (dessen Hauptwerk: „De Civitate ster Napoleons.
Dei“, Vom Gottesstaat) der alle Völker um- Claudier, altröm. Geschlecht plebejischer
fassende christl. Idealstaat (im Gegensatz Herkunft, dem die Kaiser von Tiberius bis
zur Civitas terrena, dem irdischen Staat Nero entstammten (Adoption des Tiberius
der Kinder der Finsternis), in den sich am durch Augustus, dessen Gattin Livia vor-
Ende auch die weltl. Gewalten einordnen; her mit einem Claudius verheiratet war).
als Kernbegriff der teleolog. (zielgerichte- Claudius, röm. Kaiser: 1) C., (Tibe-
ten) Geschichtsauffassung (Geschichtste- rius Claudias Nero Germanicus; 41–
leologie) des MA großer Einfluss auf den 54 n. Chr.); geb. 10 v. Chr., Sohn des Dru-
Machtkampf zw. Papsttum und Kaisertum. sus (des Bruders des Kaisers Tiberius), als
Clactonien, Kulturstufe der Altsteinzeit „Schwachkopf“ verachtet, von den Präto-
(↑ Paläolithikum), benannt nach der Fund- rianern zum Kaiser erhoben, hoch gelehrt
stätte im Moor von Clacton-on-Sea an der und dank seiner Ratgeber auch in der Re-
SO-Küste Englands, nahe der Themsemün- gierung erfolgreich; eroberte Britannien,
dung; Kultur ohne Faustkeile, statt dessen führte Reformen durch; ließ seine zügel-
Werkzeuge, die durch Zertrümmerung lose Gemahlin Messalina hinrichten, hei-
von Feuersteinknollen auf Steinunterlage ratete Agrippina, die ihn vergiftete, nach-
entstanden sind und, am Rand grob oder dem er ihren Sohn Nero adoptiert hatte.
feiner bearbeitet, zum Schlagen, Schnei- 2) C. II. Gothicus (Marcus Aurelius Vale-
den, Schaben, Kratzen, Sägen und Bohren rius Claudius; 268–270); besiegte Aleman-
benutzt wurden, vielleicht Hinterlassen- nen und Goten; erlag der Pest.
schaften einer eigenen Menschenrasse in Clausewitz, Carl von, preuß. General und
W- und N-Europa. Militärschriftsteller, 1780–1831; am Ab-
Clairvaux, Zisterzienserabtei südl. Troyes schluss der Konvention von ↑ Tauroggen
im Herzogtum Burgund, 1115 von ↑ Bern- (1812) beteiligt; 1812–14 in russ. Diens­
hard von C. gegr., 1792 aufgehoben. ten; sein nach seinem Tod unvollendet er-
Clarendon, engl. Staatsmänner: 1) C., Ed- schienenes Buch „Vom Kriege“, das die mi-
ward Hyde, Earl of, 1609–1674; im Bür- litärtechn. Ergebnisse der Befreiungskriege
gerkrieg Parteigänger der Stuarts; nach auswertet, wurde Grundlage der modernen
der Restauration von 1660 Leiter der Po- Kriegslehre.
litik als Lordkanzler Karls II., 1667 ge- Clay, Lucius D., amerik. General, 1897–
stürzt, floh nach Frankreich, schrieb die 1978; 1947–49 Militärgouverneur in der
erste Geschichte des engl. Bürgerkriegs. amerik. Besatzungszone Deutschlands,
2) C., George Villiers, Earl of, 1800–1870; Organisator der Luftbrücke während der
1847–1852 Vizekönig von Irland, schlug Berliner Blockade.
den irischen Aufstand 1848 nieder, seit Clayton-Bulwer-Vertrag, Abkommen
1853 mehrmals Außenminister. zw. den USA und England 1850 über die

177
Clémenceau

Neutralität des geplanten Kanals zwischen „Sprecher des Menschengeschlechts“, Kon-


dem Atlantischen und Pazifischen Ozean; ventsmitglied, guillotiniert.
1900/01 zugunsten der amerik. Revisions- Club of Rome, internat. Organisation von
forderungen (rein amerik. Kontrolle) außer Wissenschaftlern sowie Persönlichkeiten
Kraft gesetzt (↑ Panamakanal). aus Politik, Wirtschaft und Kultur zur Un-
Clémenceau, Georges, frz. Staatsmann, tersuchung der Situation und Zukunftsper-
1841–1929; gefürchteter Parlamenta- spektiven der Menschheit, gegr. 1968 von
rier („Der Tiger“); für Wiederaufnahme dem Industriellen Aurelio Peccei in Rom.
des Dreyfusprozesses (↑ Dreyfus-Affäre); 1973 Veröffentlichung: „Die Grenzen des
1906–1909 und 1917–1919 Ministerprä- Wachstums“ von D. Meadows, im selben
sident; seine willensstarke Politik führte Jahr Auszeichnung mit dem Friedenspreis
zum Sieg Frankreichs im 1. Weltkrieg und des Deutschen Buchhandels. 1991 er-
zur weitgehenden Durchsetzung der frz. schien der Bericht des Rates des Club of
Forderungen gegenüber Deutschland im Rome „Die erste globale Revolution. Be-
↑ Versailler Vertrag. richt zur Lage der Welt“.
Clermont-Ferrand, Stadt in Südfrankreich; Cluny, frz. Benediktinerabtei nördl. Lyon,
1095 Konzil unter Vorsitz Papst Urbans II., 910 von Herzog Wilhelm von Aquita-
beschloss den 1. Kreuzzug. nien gegr., 1790 aufgehoben; von ihr ging
Cleveland, Stephen Grover, nordamerik. im 10. und 11. Jh. die große cluniazen-
Staatsmann, 1837–1908; Präsident der sische Reformbewegung zur Erneuerung
USA 1885–1889 und 1893–1897; De- des Mönchswesens aus (strenge Kloster-
mokrat, Antiimperialist, verhinderte die zucht, Unabhängigkeit der Klöster von der
Einführung der freien Silberwährung und Rechtsprechung der fürstlichen Bischöfe
forderte die staatliche Kontrolle der Privat- und weltlichen Vogteien, Unterstellung
eisenbahnen. direkt unter Rom), zur Erneuerung der
Clive, Robert, Baron C. of Plassey, Begrün- Gesamtkirche (gegen die Priesterehe) und
der der brit. Macht in Ostindien, 1725– Stärkung des Papsttums; die Cluniazenser
1774; seit 1743 im Dienst der Ostind. aus vielen hundert Klöstern (in Deutsch-
Kompanie, siegte 1757 bei ↑ Plassey über land bes. Hirsau) wurden zur mächtigen
den Herrscher von Bengalen, festigte und Stütze des Papsttums im ↑ Investiturstreit:
erweiterte die brit. Herrschaft (Verwal- sie waren die Träger der die mittelalterl.
tungsverträge mit dem Großmogul 1765). Auffassung vom Sinn des Krieges revolu-
1767 wegen Amtsmissbrauch angeklagt, tionierenden ↑ Gottesfriedensbewegung
später rehabilitiert, endete durch Selbst- (vgl. auch ↑ Landfriede) und später der
mord (↑ Indien). Kreuzzugsidee.
Cloaca Maxima, ältester und bedeu- Cobbett, William, brit. Politiker, 1763–
tendster Abwasserkanal im alten Rom; 1835; bis 1803 Gegner der brit. Friedens-
vom 6.–1. Jh. v. Chr. gebaut, ermöglichte politik gegenüber Napoleon I., kämpfte für
auch die Anlage des Forum Romanum. die Rechte der verelendeten Fabrik- und
Clodius Pulcher, Publius, berüchtigter po- Landarbeiter und war seit 1815 Führer der
lit. Abenteurer in Rom; 58 v. Chr. Volks- unorganisierten brit. Arbeiterschaft; 1832
tribun, verbannte seinen Feind Cicero wurde er ins Unterhaus gewählt.
und terrorisierte Rom mit seinen Banden, Cobden, Richard, brit. Industrieller und
52 v. Chr. im Straßenkampf erschlagen. Wirtschaftspolitiker, 1804–1865; klass.
Cloots (Klootz), Baron von, gen. Anarcha- Vertreter des freihändlerischen ↑ Manche-
sis C., frz. Revolutionspolitiker dt. Her- stertums (Grundsatz des „Laissez faire“);
kunft, 1755–1794; demokrat. Schwärmer, Führer der ↑ Anti-Corn-Law League.

178
Colombo-Plan

Cobenzl, Ludwig Graf von, österr. Staats- nus Karls d. Gr.; schließlich die Sammlung
mann, 1753–1809; als Gesandter in St. Pe- des kath. Kirchenrechts, abschließend ver-
tersburg in Gunst bei Katharina II., ent- einigt im C. Iuris Canonici (C. des kano-
schiedener Gegner des revolutionären nischen Rechts), seit 1918 in Kraft.
Frankreich; maßgeblich beteiligt an der Colbert, Jean Baptiste, frz. Staatsmann, be-
3. Teilung Polens (1795), Unterhändler deutendster Vertreter des ↑ Merkantilismus
zu ↑ Campoformio (1797), ↑ Rastatt und („Colbertismus“), 1619–1683; förderte als
↑ Lunéville, 1801–1805 Staatskanzler und Finanzminister Ludwigs XIV. Flotte, Kolo-
Außenminister, errichtete das österr. Kai- nien und die gesamte Staatswirtschaft, bes.
sertum und schloss Defensivbündnis mit Gewerbe, Handel und Verkehr; Gegner der
Russland (1804). frz. Eroberungspolitik auf dem Kontinent,
Cocceji, Samuel Freiherr von, dt. Rechtsge- konnte sich aber gegen die Kriegspartei
lehrter, 1679–1755; 1738 Chef der preuß. (Louvois) nicht durchsetzen.
Justiz, 1747 preuß. Großkanzler, refor- Coligny, Gaspard de, frz. Feldherr und
mierte das Rechtswesen in Preußen (Pro- Führer der ↑ Hugenotten, 1519–1572;
zessordnung 1748). 1552 für seine Siege im Dienste der Krone
Cochläus, Johann, dt. Humanist und kath. zum Admiral (Befehlshaber) von Frank-
Theologe, 1479–1552; rührigster Gegner reich ernannt; seit 1559 Calvinist, 1569
Luthers, den er in Predigten und Schriften an der Spitze der Hugenotten; Opfer der
bekämpfte; beteiligt an der Abfassung der ↑ Bartholomäusnacht.
↑ Confutatio. Colleoni, Bartolomeo, ital. Condotti-
Code Napoléon, das auf Veranlassung Na- ere in mailändischen und venezianischen
poleons I. ausgearbeitete, 1804 als Code Diensten, 1400–1475; Denkmal von Ver-
civil (1807 „C. N.“) veröffentlichte Zi- rocchio in Venedig.
vilgesetzbuch, später mehrmals erweitert Collot d’Herbois, Jean Marie, frz. Revolu-
und auch in Holland, Belgien, Italien, Spa- tionär, 1749–1796; ehemaliger Schauspie-
nien, Portugal, den bayer., hess. und preuß. ler und Theaterdichter, radikaler Jakobiner,
Rheinlanden und Baden eingeführt; in 1793 Präsident des Konvents, Mitglied des
Deutschland 1900 vom Bürgerl. Gesetz- Wohlfahrtsausschusses, verantwortlich für
buch abgelöst; 1806 kamen das Zivilpro- die Massenhinrichtungen in ↑ Lyon, 1795
zessbuch, 1808 die Strafprozessordnung deportiert.
hinzu, die beide für die dt. Rechtsentwick- Colombo, Emilio, ital. Politiker, geb.
lung bedeutsam wurden. 1920; seit 1950 Minister in den verschie-
Codex, alte (Buch)Handschrift; ursprüng- densten Ressorts, zeitweilig Präsident des
lich die zu einem ↑ Buch zusammenge- Ministerrats der EWG; 1970–71 Minister-
fügten hölzernen und mit Wachs überzo- präsident, 1977–79 Präsident des Europ.
genen Schreibtafeln der Römer, bes. für Parlaments.
Ein- und Ausgabenverzeichnisse; im MA Colombo-Plan (Colombo Plan for Coope­
der handschriftliche Pergament-, später rative Economic Development in South
Papier-C.; berühmt die frühmittelalterl. and Southeast Asia), 1950 im Verband
Bibelhandschriften auf Pergament, z. B. des brit. Commonwealth in Colombo be-
der C. argenteus (Silberne C.), die mit sil- schlossener wirtsch. Aufbauplan der Staa-
bernen Lettern auf purpurrotem Pergament ten Australien, Großbritannien, Japan, Ka-
geschriebene gotische Bibelübersetzung des nada und Neuseeland für die Länder des
↑ Wulfila, heute in Uppsala; auch die kai- süd- und südostasiatischen sowie des pazi-
serlichen Gesetzsammlungen im MA wer- fischen Raumes (6-Jahres-Pläne). Derzeit
den als C. bezeichnet, z. B. der C. Caroli- sind 24 Staaten der Initiative angeschlos-

179
Colonna

sen. In dem Plan sind Hilfeleistungen in Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe wurde
Form von Darlehen, Zuschüssen und im Juni 1991 förmlich aufgelöst.
Sachleistungen wie z.B. Düngemittel, Aus- Comenius, Johann Amos (Komensky),
bildungsprogramme etc. enthalten. Theologe und pädagog. Reformer, 1592–
Colonna, berühmtes röm. Adelsgeschlecht, 1670; Bischof der ↑ Böhmisch-mährischen
meist ghibellinisch gesinnt, griff in seiner Brüder, wirkte für eine christl. durchdrun-
Blütezeit im 11.–16. Jh. oftmals entschei- gene Erziehung und (unter dem Einfluss
dend in die innerröm. Machtkämpfe ein Bacons) für Reformen des Schulwesens
und beeinflusste bes. die Papstwahl; aus ihm (Anschauung an Stelle der Belehrung aus
gingen außer Papst Martin V. (1417–31) Büchern), bes. im Sprachunterricht.
viele Kardinäle, Feldherren, Staatsmänner Comes (lat. Begleiter), die röm. Bezeich-
und Gelehrte hervor. – 1) C., Sciarra, floh nung Palatini für die Bewohner des kaiser-
vor Papst Bonifatius VIII. nach Frankreich, lichen Palastes (für den Hofadel) wandelte
1303 an der Gefangennahme des Papstes sich mit Beginn des 4. Jh. n. Chr. in Comi-
Bonifatius VIII. in Anagni beteiligt, krönte tati, Reisegefährten; Comes wurde zum Ti-
als Haupt der republikanischen Regierung tel, der dem späteren Graf entsprach.
in Rom, in Abwesenheit des Papstes, 1328 Commodus, Marcus Aurelius C. Antoni-
Kaiser Ludwig den Bayern in Rom. 2) C., nus, röm. Kaiser (180–192); geb. 161,
Prospero, Feldherr, 1452–1523; vertrieb Sohn ↑ Mark Aurels, grausam, ausschwei-
nach 1515 als Oberbefehlshaber der an- fend; ließ seine Gattin hinrichten, trat als
tifrz. Koalition die Franzosen aus Italien, Circuskämpfer auf, ermordet.
siegte 1522 bei Bicocca. Commoners (engl., Gemeine), alle, die
Columban, einer der ersten Germanen­ nicht zur engl. Nobility, also zum Ober-
apostel, hl., um 543–615; irischer Her- haus, gehören; House of Commons = Un-
kunft (Kloster Bangor), verbreitete das terhaus.
Christentum unter den Franken und Ale- Common Law (engl., Gemeines Recht):
mannen, stiftete zahlreiche Klöster (be- 1) das anglo-amerik. Rechtssystem im
rühmt: Bobbio in der Lombardei 612). Unterschied zum röm. Recht und seinen
Columbus, ↑ Kolumbus. Tochterrechten auf dem europ. Kontinent
COMECON, Abk. für engl. Council for Mu- und in Lateinamerika (Civil Law). 2) im
tual Economic Assistance, dt. auch Rat für engeren Sinne das zentralisierte, für ganz
gegenseitige Wirtschaftshilfe (Abk. RGW), England gültige Recht, wie es sich seit Wil-
Wirtschaftsorganisation der ehemaligen helm d. Eroberer durch die Königsrechte
sozialist. Ostblockstaaten, die 1949 auf In- gegen die lokal beschränkten Gewohn-
itiative der Sowjetunion gegründet wurde, heitsrechte und Sonderrechte eigenen Ur-
um der Organisation für wirtschaftl. Zu- sprungs durchsetzte. 3) das Gewohnheits-
sammenarbeit (OEEC) eine ähnliche Wirt- recht (aufgrund richterlicher Entschei-
schaftsorganisation entgegenzusetzen. Sitz dungen von Fall zu Fall) zum Unterschied
der Organisation war Moskau. Mitglieder vom gesetzlichen Recht (Statute Law).
waren die Sowjetunion, Polen, die Tsche- Common Prayer Book, seit 1549 das li-
choslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulga- turg. Handbuch (Agende) der anglikan.
rien, die DDR (seit 1950), die Mongo- Staatskirche in England, mehrmals revi-
lische Volksrepublik (seit 1962), Kuba (seit diert, eine letzte Revision 1928 am Wider-
1972) und Vietnam (seit 1978). Mit Jugos- stand des Parlaments gescheitert.
lawien gab es ein Asso­ziierungsabkommen Commonwealth (engl., Gemeinwohl,
und mit Finnland, Irak, Mexiko und Ni- Gemeinwesen, Staatenbund): 1) Bez. für
caragua ein Kooperationsabkommen. Der die Republik unter ↑ Cromwell (C. of

180
Condorcet

England). 2) 1900 Zusammenschluss der Hitler und den Franzosen im gleichen Ei-
austral. Einzelstaaten zum C. of Austra- senbahnwagen wie 1918 und am gleichen
lia. 3) 1926 (C.-Konferenz) infolge des Platz.
Strebens der Dominions nach uneinge- Comte, Auguste, frz. Sozialphilosoph.
schränkter Souveränität Umgestaltung und 1798–1857; Begründer des Positivismus
Umbenennung des brit. Weltreiches (Bri- und der Soziologie als (oberster) Wissen-
tish Empire) in „British C. of Nations“, schaft; begann als Saint-Simonist und en-
Gemeinschaft freier Staaten und Völker dete als Prophet einer neuen Gesellschaft
(angegliedert das eigentlich abhängige Ko- und einer neuen „Menschheitsreligion“, ei-
lonialreich); die engl. Krone als „Symbol“ ner Verbindung von Positivismus (Wissen-
stellt das Bindeglied des C. dar; als Völ- schaftsgläubigkeit), sozialist. Utopismus
kerfamilie seit 1948 ohne den Zusatz „Bri- und hierarch. Forderungen („positive“ Phi-
tish“ mit Rücksicht auf die Gefühle der losophen an der Spitze des neuen Gemein-
nichtengl. Völker (Indien u. a.); die letzten wesens); C. selbst Vorsitzender des „Europ.
(theoret.) Vorrechte des brit. Parlaments Komitees der zukunftsgläubigen Mensch-
gegenüber den Dominions fielen 1931 heit“. Einfluss auf St. ↑ Mill, Spencer und
durch das Statut von Westreinster: formelle auch Marx (soziolog. Betrachtungsweise in
Beziehungen zwischen England und den der Geschichtswissenschaft); ↑ Geschichts-
gleichberechtigten Mitgliedern des C. nur philosophie.
noch wirtsch., kulturell (Premierminister- Condé, Seitenlinie der Bourbonen, be-
besprechungen, gemeinsame Währungs- nannt nach ihrem Stammsitz, der Stadt
grundlage, C.-Konferenzen in unregelmä- Condé im Hennegau (Nordfrankreich);
ßigen Zeitabständen); Mitgliedsstaaten: bedeutendste Vertreter: 1) C., Ludwig I.
Antigua und Barbuda, Australischer Bund, von Bourbon, Prinz von C., 1530–1569;
Bahamas, Bangladesch, Barbados, Belize, zusammen mit ↑ Coligny an der Spitze der
Botswana, Brunei, Dominica, Fidschi, Hugenotten gefangen genommen und er-
Gambia, Ghana, Grenada, Guyana, In- schossen. 2) C., Ludwig II. von Bourbon,
dien, Jamaika, Kamerun, Kanada, Kenia, Prinz von C. („Der große Condé“), Feld-
Kiribati, Lesotho, Malawi, Malaysia, Ma- herr, 1621–1686; besiegte die Spanier bei
lediven, Malta, Mauritius, Moçambique, Rocroy 1643, die Kaiserlichen bei Allers-
Namibia, Nauru (indirekt), Neuseeland, heim (Elsass) 1645, eroberte 1646 Dünkir-
Nigeria, Pakistan, Papua-Neuguinea, Saint chen; überwarf sich in den Kämpfen der
Kitts und Nevis, Saint Lucia, Saint Vincent Fronde mit dem Hof und Mazarin, wurde
and the Grenadines, Salomonen, Sambia, span. Oberbefehlshaber, als Hochverräter
Samoa, Seychellen, Sierra Leone, Singapur, zum Tode verurteilt, 1659 rehabilitiert, er-
Sri Lanka, Republik Südafrika, Swasiland, oberte 1668 die Freigrafschaft Burgund;
Tansania, Tonga, Trinidad und Tobago, Tu- siegte unter Ludwig XIV. in den Nieder-
valu (indirekt), Uganda, Vanuatu und Zy- landen 1674; 1675 Oberbefehlshaber am
pern. Simbabwes Mitgliedschaft im Com- Rhein; das Haus C., dem auch der Emi-
monwealth wurde aufgrund der Unterdrü- grantenführer Prinz Ludwig Joseph von
ckung der Opposition und der Enteignung Enghien angehörte, erlosch 1830.
weißer Farmer im Land 2002 suspendiert, Condorcet, Antoine, Marquis de, frz. Ge-
2003 trat Simbabwe aus dem C. aus. lehrter, 1743–1794; Enzyklopädist, för-
Compiègne, Ort nördl. von Paris; im Wald derte als Mathematiker die Integralrech-
von C. wurde 1918 zw. Marschall Foch nung; bekämpfte das Königtum als un-
und Erzberger der Waffenstillstand abge- sozial, vertrat uneingeschränkten Fort-
schlossen; 1940 Waffenstillstand zwischen schrittsglauben; 1792 Präsident der Ge-

181
Confessio Augustana

setzgebenden Versammlung, stand als er wiss. unterbaute; gründete in Frankreich


Konventsmitglied ↑ Brissot nahe; geächtet, kommunist. „Phalanstères“ (freie Arbeits-
beging nach Verhaftung Selbstmord (↑ Ge- gemeinschaften); nach seinem Hochver-
schichtsphilosophie). ratsprozess 1849 schuf er kommunist. Ko-
Confessio Augustana, ↑ Augsburgische lonien in Texas.
Konfession. Constans, röm. Kaiser des Westens (337
Confutatio pontificia, kath. Gegenschrift bis 350 n. Chr.), der jüngste Sohn Kon-
gegen die ↑ Augsburgische Konfession; auf stantins d. Gr., seit 333 Cäsar, wie sein Va-
dem Reichstag von Augsburg 1530 im Auf- ter Anhänger des Athanasius, erlag einer
trag Karls V. verlesen. Offiziersrevolte in Gallien, ermordet.
Connétable (von lat. comes stabuli, Stall- Constant de Rebecque, Benjamin, frz.
meister); in Frankreich seit dem 13. Jh. Politiker und Schriftsteller, 1767–1830;
Oberbefehlshaber des Landheeres, im Liberaler und Befürworter der konstitutio-
Rang über den Marschällen und Prinzen, nellen Monarchie, von Napoleon 1802 als
im Krieg mit fast unbeschränkten Voll- Freund von Mme. de ↑ Staël verbannt.
machten, als Amt und Würde von Lud- Constantius, röm. Kaiser: 1) C. I. Chlorus
wig XIII. 1627 aufgehoben (↑ Bourbon). (305–306 n. Chr.), 293 zum Cäsar des Wes-
Conrad von Hötzendorf, Franz Graf, ös- tens ernannt, nach Diokletians Abdankung
terr.-ungar. Feldmarschall, 1852–1925; zum Augustus erhoben, Vater Konstantins
1906–1911 und 1912–1917 General­ d. Gr. 2) C. II. (337–361); Sohn Konstan-
stabschef, trat 1908/09 für einen Präven- tins d. Gr., zunächst Herr des Ostens, 351
tivkrieg gegen die Politik der Irredenta in nach dem Tod seines Bruders Constans des
Italien und die serb. Expansion ein; 1911 Gesamtreichs, begünstigte im Gegensatz
vorübergehend entlassen; entwarf die Pläne zu Vater und Bruder die Lehre des ↑ Arius.
zu den Durchbruchsschlachten von Gor- Contadora-Gruppe, aus Kolumbien, Me-
lice 1915 und Tolmein-Flitsch 1917; trat xiko (bis 1989), Panama und Venezuela
1917 wegen Meinungsverschiedenheiten bestehende Staatengruppe (1983–1990),
mit Kaiser Karl zurück und übernahm eine benannt nach der Insel Contadora, auf
Heeresgruppe in Tirol. der die erste Konferenz stattfand. Ziel der
Conring, Hermann, Rechtsgelehrter und Gruppe war die friedliche Beilegung des
Mediziner, 1606–1681; forderte als Natur- Konflikts um ↑ Nicaragua.
wissenschaftler und als Jurist kritische Ein- Contarini, mächtiges venezian. Adelsge-
zelforschung, trat für eine vom röm. Recht schlecht, aus dem zahlreiche Dogen, Kir-
unbeeinflusste vergleichende Rechtsge- chenfürsten, Feldherren und Gelehrte her-
schichte ein, Begründer der dt. Rechtsge- vorgingen. – C., Gasparo, Kardinal, 1483–
schichte. 1542; Gesandter Venedigs auf dem Worm-
Consalvi, Ercole Marchese, Kardinal, ser Reichstag 1521, wirkte seit 1535 für die
1757–1824; päpstlicher Staatssekretär, Reform der Kirche und suchte Verständi-
schloss mit Napoleon 1801 das Konkordat; gung mit den Protestanten (Regensburger
von diesem zeitweilig interniert, wirkte Religionsgespräch 1541).
1815 auf dem Wiener Kongress für Wie- Contrat social (frz. Gesellschaftsvertrag),
derherstellung des Kirchenstaates, dessen Titel des 1762 erschienenen Hauptwerkes
Verwaltung er reorganisierte; verdient um von J. J. ↑ Rousseau; gegen den Kernbe-
zahlreiche Konkordatsabschlüsse. griff des absolutist. Staates, das Gottes-
Considérant, Victor, frz. Sozialist, 1808– gnadentum (↑ Gottes Gnaden), gerichtete
1893; Anhänger Fouriers, den seine Agita- „Vertragslehre“ der Aufklärung, wonach
tion erst bekannt machte und dessen Ideen der Staat aus dem freiwilligen Zusammen-

182
Cornwall

schluss freier Individuen entstanden ist; Robespierre gestürzt, die Führer hingerich-
trug wesentlich zur geistigen Vorbereitung tet; berühmte Mitglieder der C.: Brissot,
der Frz. Revolution bei. Danton, Desmoulins, Marat, Hébert.
Cook, James, brit. Forschungsreisender Cordoba, südspan. Stadt am Guadalquivir;
und Weltumsegler, 1728–1779; erforschte in der röm. Kaiserzeit berühmte Handels-
in drei Reisen seit 1768 Südsee und Be- stadt, durch Hochschule kultureller Mit-
ringmeer, widerlegte die Annahme eines telpunkt; 711 von Arabern erobert, seit
großen zusammenhängenden Südkonti- 756 Residenz der Emire und Kalifen (Ka-
nents, nahm die austral. Ostküste auf noch lifat von C. der maurischen Dynastie der
heute wertvollen Karten auf; von Eingebo- Omaijaden); Mittelpunkt der maur. Kul-
renen auf Hawaii erschlagen. tur, von legendärer Pracht („Mekka des
Coolidge, Calvin, nordamerik. Politiker, Westens“); 1236 von Kastilien erobert,
1872–1933; Vizepräsident unter Harding, seither im Verfall. – Kathedrale eingebaut
Präsident der USA 1923–1929, Republika- in die im 8. Jh. errichtete Hauptmoschee
ner; seine Präsidentschaft stand im Zeichen (die zweitgrößte des Islams); maur. Palast
der „prosperity“ (Wirtschaftsblüte). begonnen 778 (↑ Araber, Islam).
Cooper, 1) C., Alfred Duff, brit. Staats- Cordova y Aguilar, Gonzalo Fernandez
mann, 1890–1954; Konservativer, 1935 de, span. Feldherr, 1443–1515; vertrieb
Kriegs-, 1937 Marineminister, gegen 1495 und 1501–03 (Sieg am Garigliano)
Chamberlains Politik, 1940–43 Minister die Franzosen aus dem Königreich Neapel,
im 1. Kabinett Churchill, 1944–48 Bot- begründete den Ruhm der span. Waffen in
schafter in Paris. 2) C., James Fenimore, Europa.
nordamerik. Schriftsteller, 1789–1851; Coriolan (Gnäus Marcius Coriolanus), sa-
schilderte im „Lederstrumpf“ das ­Indianer- genhafter röm. Patrizier, eroberte 493 die
und Grenzerleben im amerik. Westen. Volskerstadt Corioli; in die Verbannung ge-
Copán, bedeutende Ruinenstätte der Maya, schickt, bedrohte er mit einem volskischen
bei Santa Rosa de C. in W-Honduras gele- Heer seine Vaterstadt Rom (488 v. Chr.);
gen; der Ort galt im 9./10. Jh. wegen sei- von den Volskern getötet.
ner bes. Pflege der Wissenschaften als „Ale- Cornelia, Tochter des Scipio Africanus
xandria der Neuen Welt“, entdeckt wurde d. Ä., 2. Jh. v. Chr., Gemahlin des Sempro-
er 1576; wichtigster Teil ist die „Akropo- nius Gracchus und Mutter der ↑ Gracchen;
lis“ mit ihren Pyramiden und Tempeln, be- galt als Muster einer Römerin.
rühmt die lange „Hieroglyphentreppe“ auf Cornelius, Geschlechtername mehrerer
dem Gebiet der Skulpturenkunst entwi- patrizischer und plebejischer röm. Fami-
ckelte C. einen eigenen, fast vollplast. Stil. lien (Cornelier); dem Geschlecht gehörten
Corday, Charlotte, Mörderin Marats, u. a. an: Cinna, Dolabella, Gallus, Len-
1768–1793; wollte Frankreich von der ja- tulus, Scipio, Sulla, Tacitus. – C., Name
kobinischen Schreckensherrschaft befreien eines Papstes der Märtyrerzeit (251–253),
und suchte sich den verhassten Marat als der die während der Christenverfolgung
Opfer aus; guillotiniert. (unter Decius) Abgefallenen gegen Bußlei-
Cordeliers, radikaler Klub der Frz. Re- stung wieder in die Kirche aufnahm.
volution, benannt nach dem Tagungsort, Cornelius Nepos, ↑ Nepos.
einem Kloster der C. („Strickträger“, der Cornwall, engl. Landschaft (lat. Cornu
nach ihrem Leibgurt benannten Franzis- Gallige, das äußerste von Galliern be-
kaner); 1790 als Sektion der Jakobiner ge- wohnte Land); auf der gebirgigen Halbin-
gründet, radikaler als diese, mit ihnen zus. sel hielten sich die Kelten und ihr Druiden­
im Konvent die „Berg“-Partei; 1794 von kult neben Wales am längsten; seit 1330

183
Cornwallis

führt der engl. Thronfolger den Titel eines es durch die Rechtsschule von Bologna, die
Herzogs von C. Glossatoren, wiederbelebt und zu einem in
Cornwallis, Charles Brome, Marquess of, sich geschlossenen Rechtssystem verbun-
brit. Heerführer und Politiker, 1738–1805; den, das später in dieser Form als Instru-
kapitulierte 1781 bei Yorktown (Washing- ment der auf Rechtseinheit bedachten mo-
ton), 1786 Generalgouverneur in Ostin- dernen Staaten das zersplitterte dt. Recht
dien, 1798 Vizekönig von Irland, unter- verdrängte (Rezeption des röm. Rechts)
zeichnete 1802 den Frieden von Amiens. und im l6. Jh. unbeschränkte Geltung er-
Corpus, Schriftensammlung, z. B. Samm- langte. Das Bürgerliche Gesetzbuch (seit
lung von Gesetzen, Inschriften. Auch Be- 1900 in Kraft) ist z. T. auf den Grundsät-
zeichnung für Zusammenschluss, Bund. zen des C. aufgebaut.
C. catholicorum, Zusammenschluss der Cortes (span., Gerichtshof ), Ständever-
kath. Reichsstände nach dem 30-jäh- sammlung (Adel, Kirche, Städtevertreter),
rigen Krieg unter Führung von Kurmainz, Volksvertretung in Spanien und Portugal
C. evangelicorum, Zusammenschluss der seit dem 12. Jh. (Steuerbewilligung, Ge-
protestant. Reichsstände 1648 unter Füh- setzgebung); seit dem 15. Jh. im Verfall; C.
rung Kursachsens; auf den Reichstagen von Cadiz (1810–1813) erstes modernes
wurde nicht abgestimmt, sondern zw. dem Parlament Spaniens.
C. e. und dem C. c. als gleichberechtigten Cortés, Hernán, span. Eroberer ↑ Mexikos,
Partnern verhandelt. 1485–1547; 1504 in Haiti, 1511 Beteili-
Corpus Iuris Canonici, im 12.–15. Jh. gung an der Eroberung von Kuba; 1519–
nach dem Vorbild des Corpus Iuris Civilis 1521 eroberte und zerstörte C. das Reich
zusammengestellte Sammlung der kanon. der Azteken: 1519 Landung bei Veracruz,
Rechtsquellen des MA, als kirchlich ausle- Marsch mit 452 Soldaten und 6 leichten
gendes Gesetzbuch 1918 vom ↑ Codex Iu- Geschützen, begleitet von Hunderten von
ris Canonici abgelöst. Indianern als Lastenträgern ins Hochland,
Corpus Iuris Civilis, die auf Veranlassung über Tlaxcala, Cholula nach Tenochtit-
Kaiser Justinians von einer Juristenkommis- lan-Mexiko, der Hauptstadt des Azteken-
sion unter Vorsitz Tribonians besorgte Zu- reiches; König ↑ Montezuma II., der ihn
sammenfassung des gesamten röm. Rechts, feierlich empfing, ließ er gefangen setzen
begonnen 528 n. Chr. mit der Sammlung und zwang ihn zur Anerkennung der span.
der geltenden kaiserlichen Erlasse (Codex Oberhoheit; Montezuma bei aztek. Auf-
Justinianus, 529), ergänzt durch die Erlasse stand getötet; nach Rückschlägen (Noche
aus den Jahren 535 bis 565 (diese – neuen triste) 2. Zug und endgültige Eroberung
– Nachträge als „Novellen“ bezeichnet) von Tenochtitlan und des Aztekenreiches
und auf den neuesten Stand gebracht; da- (1521); C. der erfolgreichste Konquista-
neben stehen die „Pandekten“ oder „Dige- dor, wurde Statthalter von Neuspanien,
sten“, die aus der un­übersichtlichen Fülle dann aber nach Intrigen von Neidern und
der alten juristischen Lehrmeinungen Gegnern teilweise entmachtet; 1530 Expe-
ausgewählten und den praktischen Erfor- dition nach Kalifornien; 1541 Teilnahme
dernissen angepassten Auszüge (533 als am Feldzug Karls V. nach Algier.
Reichsgesetz verkündet); dazu als Einlei- Corvey, Schloss bei Höxter (Westfalen),
tung über grundsätzliche Rechtsfragen die ehemalige Benediktinerabtei, die ältes­te
„Institutionen“. Das C. spielte im MA nur Deutschlands; 822 als Schwesterkloster
eine untergeordnete Rolle (Subsidarrecht des frz. Klosters Corbie gegründet; im
in Italien und Frankreich, bei Lücken im MA Pflegestätte der Wissenschaften (hier
einheimischen Recht); im 12.-l4. Jh. wurde entstand u. a. 967 Widukinds Sachsen­

184
Cremona

geschichte); seit dem l3. Jh. gefürstete ternat. Olymp. Komitees (bis 1925) die
Reichsabtei, 1803 säkularisiert. neuen ↑ Olymp. Spiele (l. Olymp. Spiele
Cosmas von Prag, tschech. Geschichts- 1896 in Athen).
schreiber, um 1045–1125; als Domherr Couthon, Georges, frz. Revolutionär,
von Prag verfasste er 1119/22–25 die erste 1755–1794; Mitglied des Konvents und
lat. Chronik der Böhmen, „Chronikon Bo- des Wohlfahrtsausschusses, maßgeblich
emorum“, stützte sich darin bes. auf sagen- an den Massenerschießungen in ↑ Lyon
hafte Überlieferungen aus der böhm. Vor- (1793) beteiligt; vertrauter Freund Robe-
und Frühgeschichte. spierres, mit diesem hingerichtet.
Costa Rica, Staat in Mittelamerika; 1502 Couve de Murville, Maurice, frz. Politi-
von Kolumbus entdeckt, span. Kolonie; ker, 1907–1999; 1956–58 Botschafter in
1821 unabhängig, 1871 eigene Verfassung; Bonn; 1958–1968 vertrat er als Außenmi-
Gebietsstreitigkeiten mit Panama und Ni- nister konsequent die Politik de Gaulles,
caragua von den USA bzw. den Paname- 1968–69 Ministerpräsident.
rik. Staaten beigelegt. In beiden Weltkrie- Covenant (Convenant), Bündnis der pres-
gen trat C. R. an der Seite der USA in den byterian. Schotten mit ihrem König (1580
Krieg ein. Wirtsch. Abhängigkeit von den mit Jakob I.); dann untereinander (1638)
USA, v. a. durch Niederlassung von Bana- gegen Karl I. zur Verteidigung ihres Glau-
nenpflanzungsgesellschaften. Nach bürger­ bens.
kriegsartigen Auseinandersetzungen 1948 Cranmer, Thomas, engl. Theologe und
Aufbau eines sozial orientierten demokrat. Reformator, 1489–1556; Erzbischof von
Verfassungsstaates unter Präs. José F. Ferrer Canterbury seit 1533, schied die Ehe
(1948–49, 1953–58, 1970–74). Im Kon- Heinrichs VIII. mit Katharina von ­Aragon,
flikt um ↑ Nicaragua versuchte das Land, förderte als dessen Kanzler und Ratge-
das 1983 die dauernde, aktive und unbe- ber die Trennung der englischen Kirche
waffnete Neutralität ausrief, zu vermitteln von Rom und begründete die ↑ Angelika­
(Friedensnobelpreis 1987 für Präsident nischen Kirche; Feuertod unter Maria I.
Arias Sanchez). Wegen seiner Neutrali- der Katholischen.
tät, seiner ­Landschaft und seines relativen Crassus, Marcus Licinius, röm. Kon-
Wohlstandes wird C. R. auch die „Schweiz sul, 115–53 v. Chr.; Anhänger Sullas, un-
Mittelamerikas“ genannt. terdrückte 71 den Sklavenaufstand des
Cotta von Cottendorf, Johann Friedrich, Spartacus, danach Konsul; sich stützend
Freiherr, dt. Verlagsbuchhändler, 1764– auf seine gewaltigen Reichtümer (Speku-
1832; Freund und Verleger Schillers und lationsgewinne durch Aufkauf zerfallener
Goethes; seit 1798 Herausgeber der „Allge- Häuser, deren Wiederinstandsetzung und
meinen Zeitung“ (bis 1850 bedeutendstes Vermietung zu überhöhten Preisen), trieb
dt. Presseorgan), seit 1807 auch des „Mor- er eigennützige Politik, suchte durch Geld
genblattes für die gebildeten Stände“; den Catilina für sich auszunützen; mit Cäsar
techn. Entwicklungen sehr aufgeschlossen: und Pompejus im ersten Triumvirat; von
1824 eine der ersten dampfgetriebenen den Parthern vernichtend geschlagen und
Schnellpressen; das Verlagsarchiv mit zahl- nach Verrat ermordet.
reichen Handschriften 1961 der Schiller- Cremona, Stadt in Norditalien; kelt. Grün-
Gesellschaft, Marbach, übergeben. dung, 218 v. Chr. Römerkolonie, 69 n. Chr.
Coubertin, Pierre Baron de, frz. Sports- unter Kaiser Vespasian zerstört; im 12. Jh.
mann, 1862–1937; erneuerte den olym- ghibellinisch. 1334 zu Mailand. – Im
pischen Gedanken und organisierte als 16. Jh. berühmte Maler-, im 16.–18. Jh.
Vorsitzender des 1894 von ihm gegr. In- Geigenbauschule.

185
Crépy-en-Laonnais

Crépy-en-Laonnais, frz. Dorf nahe Laon; liche Beherrscher Ägyptens (großzügiger


1544 Friedensschluss zwischen Franz I. Ausbau der Nilregulierung, Straffung der
von Frankreich und Karl V.: Mailand blieb ägypt. Verwaltung).
Reichslehen, Neapel zu Spanien, Burgund Cromwell, Oliver, engl. Staatsmann und
zu Frankreich. Feldherr, 1599–1658; seit 1640 treibende
Crescentius, Adelsgeschlecht im mittelal- Kraft der puritan. Parlamentsopposition
terl. Rom: Johannes C., um 985–995 welt- gegen Karl I., Führer der radikalen ↑ In-
licher Gewalthaber in Rom, bezeichnete dependenten, schaffte sich im Bürgerkrieg
sich als patricius Romanorum, wurde 998 eine Elitereiterei aus ergebenen Anhängern,
nach der Einnahme Roms durch Otto III. den „Heiligen“, mit der er 1644/45 die kö-
gefangen gesetzt und vor der Engelsburg niglichen Heere und 1648 die Schotten be-
enthauptet, seine Parteigänger wurden ge- siegte und sich das presbyterian. Parlament
kreuzigt. gefügig machte; das ihm ergebene „Rumpf-
Crispi, Francesco, ital. Staatsmann, 1819– parlament“ setzte die Hinrichtung Karls I.
1901; beteiligt 1848–1849 am Aufstand in durch (C. Mitglied des Gerichtshofes); im
Palermo und 1860 an der Erhebung Sizili- Staatsrat der Republik spielte C. die füh-
ens unter Garibaldi im ital. Parlament Füh- rende Rolle; 1649/50 warf er als General-
rer der liberalen Linken, 1887–1891 und gouverneur von Irland den irischen Auf-
1893–1896 Ministerpräsident; Vertreter stand grausam nieder; nach neuen Siegen
der Politik des ↑ Dreibundes; versuchte Er- über die Schotten und Truppen Karls II.
oberung Abessiniens, die bei ↑ Adua 1896 gab er 1653 eine Verfassung, die ihn zum
scheiterte. Lord-Protektor von England, Schottland
Croce, Benedetto, ital. Philosoph und His- und Irland erhob; errichtete zeitweilig eine
toriker, 1866–1952; entwarf, die Dialektik Militärdiktatur; 1652–1654 führte er ei-
Hegels neu gestaltend, eine Philosophie nen siegreichen Seekrieg gegen Holland,
des Geistes, unter Ablehnung der Natur- gegen das er 1651 die ↑ Navigationsakte
philosophie eine Philosophie des Lebens verkündet hatte; er unterstützte überall die
und eine idealist. Geschichtsphilosophie. protestant. Mächte gegen Spanien; seine
Cro-Magnon, Ort in der Dordogne (S- großen militär. Erfolge in und außerhalb
Frkr.), Fundstätte (1868) von fünf Ske- Europas (1655 Eroberung Jamaikas, 1658
letten des C.-Menschen des Jung-↑ Paläo- Einnahme von Dünkirchen) und seine
lithikums, nach dem Neandertaler 50 000 konsequente merkantilist. Politik begrün-
bis etwa 12 000 v. Chr. lebend; der Cro- deten Englands Stellung als führende See-,
Magnon-Mensch war der Träger der ↑ Au- Kolonial- und Handelsmacht; im Inneren
rignacien, ↑ Solutréen- und ↑ Magdale- gelang es ihm nicht, seine Macht zu legali-
nien-Kultur; Klingen und Knochengeräte; sieren, er geriet in Konflikte mit dem Parla-
Beginn der darstellenden Kunst, früheste ment, das er nach Hause schickte; die Kö-
Menschendarstellungen (Venusstatuetten); nigskrone lehnte er ab und hinderte seine
Rentierjäger. Der C.-Mensch war über Eu- Anhänger daran, die polit. Revolution bis
ropa, Nordafrika und die Kanaren verbrei- zur soz. weiterzutreiben; die Wohlfahrt des
tet; mit ihm begann die Aufspaltung in Landes und die Garantie der bürgerl. Ord-
die Großrassen der Gegenwart (Europide, nung hielt er für die moralische Rechtferti-
Australide, Mongolide, Negride). gung seiner Diktatur; sein unfähiger Sohn
Cromer, Evelyn Baring, Earl of, brit. Richard, 1626–1712, folgte ihm 1658 als
Staatsmann, 1841–1917; einer der großen Lord-Protektor, musste aber schon 1659
Mehrer des brit. Empire, als Generalkon- der inneren Opposition, die 1680 zur Re-
sul in Kairo 1883–1907 war er der eigent- stauration der Stuarts führte, weichen.

186
Curtius Rufus

Crotus Rubianus (Johannes Jäger), dt. Dampferverbindungen über den Atlantik


Humanist, um 1480–1545; Freund Hut- ein und gründete die erste Dampfschiff-
tens, Mitverfasser (vielleicht Urheber) der fahrtsgesellschaft der Welt.
„Epistolae obscurorum virorum“ (↑ Dun- Cunha, Tristão da, portug. Seefahrer, gest.
kelmännerbriefe), einer scharfen human- um 1550; entdeckte die nach ihm be­nannte
istischen Satire auf den selbstgenügsamen, Insel im südl. Atlantik; erhielt als Leiter
ungebildeten niederen Klerus, abgefasst in einer Gesandtschaft 1515 von Papst Leo X.
sog. „Mönchslatein“. die Schenkungsurkunde für alle Gebiete,
CSU, Abk. für Christlich-Soziale Union, die Portugal den Ungläubigen entriss.
↑ Christlich-Demokrat. Union. Cuno, Wilhelm, dt. Staatsmann, 1876–
Cuius regio, eius religio, Grundsatz des 1933; Generaldirektor der Hamburg-
↑ Augsburger Religionsfriedens von 1555 Amerika-Linie, 1922/1923 Reichskan-
(der in einem Territorium herrschende zler mit einem „Kabinett der Wirtschaft“,
Reichsstand bestimmt das rel. Bekennt­nis konnte in der Reparationsfrage zu keinem
seiner Untertanen). Erfolg gelangen und die Besetzung des
Cumae, altitalisches Dorf bei Neapel, äl- Ruhrgebietes nicht verhindern; abgelöst
teste griech. Kolonie auf ital. Boden, als von ↑ Stresemann.
Stadt mit Festungsburg um 750 v. Chr. Curiae, die Geschlechterverbände im al-
von Chalcis aus gegr. und sich in die bäuer­ ten Rom, die Kuriatkomitien (Volksver­
liche Umgebung ausdehnend; die Bewoh- sammlungen nach Curiae) wurden später
ner waren Seefahrer im ­ Tyrrhen. Meer, abgelöst von den Zenturiat-Komitien.
behaupteten sich 524 und 474 v. Chr. Curiatier, sagenhaftes Geschlecht aus Alba
(mithilfe Hierons von Syrakus) gegen Longa, das Drillingsbrüder zum Kampf ge-
die Etrusker. Ende des 5. Jh. von ital- gen röm. Drillinge – die Horatier – stellte
ischen Völkerschaften zerstört und von und unterlag; Alba Longa kam dadurch
Oskern und Samniten beherrscht. Unter unter die Herrschaft Roms.
den Römern (seit 338 v. Chr.) Kleinstadt; Curius Dentatus, Manius, röm. Staats-
seine Rolle als Handelsplatz übernahm das mann und Feldherr, Konsul 290, 284 und
nahe Puteoli; in C. Orakel – Kulthöhle der 275 v. Chr., schlug Sabiner und Samniten;
Sibylle; die Höhle wurde 1932 entdeckt zwang Pyrrhus von Epirus durch den Sieg
(↑ Großgriechenland). von Benevent (275) zur Räumung Italiens;
Cumberland, 1) C., Wilhelm August, von Cato als Ideal eines Römers gerühmt.
Herzog von, Sohn Georgs II. von Eng- Curtius, 1) C., Ernst, dt. klassisch. Philo-
land, 1721–1765; Heerführer im 7-jäh- loge, 1814–1896; leitete die Ausgrabun-
rigen Krieg; 1757 von den Franzosen bei gen in Olympia. 2) C., Julius, dt. Poli-
Hastenbeck geschlagen, räumte Hannover tiker, 1877–1948; seit 1920 Mitglied des
(Konvention von Kloster Zeven). 2) C., Reichstages (Dt. Volkspartei), 1926–1929
Ernst August, Herzog von, königlicher Reichswirtschafts-, 1929–1931 Reichs­
Prinz von Großbritannien, Herzog von außenminister (Durchsetzung des Young-
Braunschweig-Lüneburg, Sohn Georgs V., Planes); konnte 1931 die geplante dt.-ös-
des letzten Welfenkönigs von Hannover, terr. Zollunion gegen den frz.-brit. Wider-
1845–1923; 1885 als Erbe von Braun- stand nicht durchsetzen.
schweig ausgeschlossen, weil er an seinem Curtius Rufus, Quintus, röm. Geschichts­­
Anspruch auf Hannover festhielt. schreiber der Kaiserzeit; verfasste eine „Ge-
Cunard, Sir Samuel, brit. Reeder (aus schichte Alexanders d. Gr.“ in 10 Büchern,
Kanada), 1787–1865; richtete 1840 trotz von den die letzten acht fast vollständig er-
der Warnung der Techniker regelmäßige halten sind.

187
Curzon

Curzon, George Nathaniel, Marquess C. of Cuzco (Cusco), 1200–1533 n. Chr. Haupt-


Kedlestone, brit. Staatsmann, 1859–1925; stadt des Inkareiches, etwa 3400 m hoch
1898–1905 Vizekönig von Indien, 1919– gelegen, Residenz des „regierenden Inka“
1924 Außenminister. und des „Viererrates“, der Vertretung des
Curzon-Linie, die vom brit. Außenminister hohen Adels; nach Osten durch Berg- und
↑ Curzon 1920 vorgeschlagene Grenzzie- Grenzfestung Machu Picchu geschützt;
hung zwischen Polen und Russland, folgte Sonnentempel und Tempel der Sonnen-
etwa der Siedlungsgrenze zw. Polen einer- jungfrauen freigelegt; in der Nähe monu-
seits, Ukrainern und Weißrussen ander- mentale Reste von Machu Picchu und der
erseits (überwiegend ukrainisch, Ostgali- Vor-Inkastadt Sacschuaman; 1533 Einzug
zien jedoch zu Polen); wurde von Polen ↑ Pizarros; 1535 z. T. niedergebrannt,
abgelehnt, das nach seinem Sieg über die Gründung der neuen Hauptstadt Lima;
Sowjets 1920 große Gebiete östl. der C. 1536/37 vergebliche Belagerung der Stadt
behielt; 1939 annektierte die Sowjetunion durch die Inkas; auf den Ruinen Bau der
diese Gebiete einschließlich Ostgaliziens heutigen Provinzhauptstadt C.
und ließ sich auf der Konferenz von Tehe- Cyrankiewicz, Jozef, poln. Politiker,
ran 1943 eine Nachkriegsgrenze gemäß der 1911–1989; als Generalsekretär der Poln.
C. zusichern; Polens Protest gegen diese Sozialist. Partei (PPS) seit 1945 maßgeb­
„5. Teilung Polens“ ohne Erfolg; Polen lich an deren 1948 vollzogenen Vereini-
wurde jedoch 1945 auf Kosten Deutsch- gung mit den Kommunisten zur Vereinig-
lands durch die zur Verwaltung überge- ten Poln. Arbeiterpartei beteiligt. 1947–52
benen Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße- und 1954–70 Ministerpräsident, unter-
Linie entschädigt. zeichnete den Dt.-Poln. Vertrag; 1970–72
Custoza (fälschlich Custozza), Dorf süd- Staatspräsident, seit 1972 Botschafter in
westl. von Verona; hier schlugen die Öster- Bern.
reicher 1848 unter Radetzky die sardische Cyrus, ↑ Kyros.
Armee unter König Karl Albert, 1866 un- Czartoryski, Adam Georg Fürst, poln. Sta-
ter Erzherzog Albrecht die Italiener unter atsmann, 1770–1861; Patriot, nahm am
Lamarmora. Freiheitskampf Kosciuszkos teil; 1795 als
Cuvier, George Baron de (eigtl. Küper), Geisel in Petersburg, während der napo-
frz. Naturforscher dt. Herkunft, 1769– leon. Kriege Ratgeber und Begleiter des
1832; begründete die vergleichende Anat- Zaren Alexander I.; nach der poln. Erhe-
omie und Paläontologie; vertrat eine Katas- bung 1830 Präsident der Nationalregie­
trophentheorie (alles Leben wird nach rung, aus Protest gegen poln. Übergriffe
gewissen Zeiträumen durch Katastrophen zurückgetreten, seit 1831 Haupt der aristo­
vernichtet; neues Leben durch neue Schöp- krat. poln. Emigranten in Paris.
fung; Ablehnung der organ. Entwicklung- Czernin, Ottokar Graf, österr.-ungar.
slehre). Staats­mann, 1872–1932; von 1916–1918
Cuza, Alexandru Ioan, erster Fürst Ru­ Außenminister, der eine neue Linie der ös-
mäniens, 1820–1873; nahm 1848 an der terr.-ungar. Außenpolitik im Sinne Kaiser
revolutionären Bewegung in der ­ Moldau Karls einleitete; im Frühjahr 1917 diplo-
teil; 1862 Zusammenschluss der Vereinig­ mat. Schritte in Berlin mit dem Ziel eines
ten Fürstentümer unter dem Namen Ru­ baldigen Friedens. – Unabhängig davon
mänien (C. als Alexander Johann I. von Sonderfriedens-Aktion des Prinzen ↑ Six-
Rumänien); führte grundlegende liberale tus.
Reformen durch; 1866 zur Abdankung
gezwungen.

188
Dachau

Dachau, nat.-soz. KZ; 1933– mit weiträumigen Lehmpalästen; blutige

D 1945 waren hier rd. 200 000


Menschen interniert, mindes­
tens 34 000 von ihnen wurden
zwischen 1940 und 1945 getötet; D. war
Gewaltherrschaft, grausame Eroberungs-
kriege mit Hinmetzelung aller ­Gefangenen,
Sklavenjagden, Leopardenkult mit uner-
messlichen Menschenopfern; berühmt und
eines der ersten KZs der Nationalsozia- berüchtigt die Frauenregimenter, die noch
listen; die vom Kommandanten Eicke ein- 1890 den eindringenden Franzosen ent-
geführte Lagerordnung wurde maßgeblich gegentraten; 1904 Kolonialgebiet in Frz.-
für die weiteren ↑ Konzentrationslager. Westafrika; 1960 unabhängig, jedoch in
Dacia, ↑ Dakien. der Franc-Zone verbleibend. Seit der Un-
Dagobert I., merowing. König der Franken abhängigkeit wiederholt Militärputsche,
(629–639), Sohn Chlotars II.; herrschte Regierung durch „Nationalrat der Revo-
seit 622 in Austrasien, später über das Ge- lution“ seit 1965; Abbau der privilegierten
samtreich (Austrasien, Neustrien und Bur- Beziehungen zu Frankreich, 1975 Umbe­
gund), kämpfte vergeblich gegen den Sla- nennung in ↑ Benin.
wenherrscher Samo in Böhmen. Unter D. Daily-Telegraf-Affäre, enstanden durch
Emporkommen des arnulfing. Adelsge- die Veröffentlichung eines Interviews Kai-
schlechts (Arnulf von Metz und Pippin). ser Wilhelms II. in der großen engl. Zei-
Nach seinem Tod Preisgabe der Reichsein- tung „Daily Telegraf“ 1908 mit taktlosen
heit durch Erbteilung. Bemerkungen über das dt.-engl. Verhält-
Daguerre, Louis Jacques Mandé, frz. De- nis. Entfesselte einen Sturm in der öffent-
korationsmaler, 1789–1851; erfand in den lichen Meinung in Deutschland gegen das
1830er Jahren zus. mit Nièpce das erste fo- „persönliche Regiment“ des Kaisers mit
tograf. Verfahren, die Daguerreotypie. seinen Unberechenbarkeiten in der Außen­
Dahlberg, Erik Graf, schwed. Feldmar- politik (Thronkrise); seitdem stärkere Zu-
schall, 1625–1703; berühmter Festungs- rückhaltung in der Außenpolitik.
bauer, „Vauban Schwedens“ genannt; Geg- Daimler, Gottlieb, dt. Ingenieur, Pionier
ner der Offensivpläne Karls XII. gegen Po- der Motorentechnik, 1834–1900; konstru-
len, Russland und Sachsen. ierte Verbrennungsmotoren und 1885 ein
Dahlmann, Friedrich Christoph, dt. His­ mit Verbrennungsmotor (Glührohrzün-
toriker und Politiker, 1785–1860; in Kiel dung) ausgestattetes, hölzernes Zweirad;
Wortführer Schleswig-Holsteins gegen die 1890 Gründung der Daimler-Motoren­-
dän. Krone, fand das Dokument mit der Gesellschaft (seit 1926 mit Fa. Benz zur
Bestimmung „up ewig ungedeelt“; 1837 Daimler-Benz AG vereinigt).
unter den ↑ „Göttinger Sieben“, seit 1842 Daimyo, seit dem 12. Jh. japanische Grund­
Prof. in Bonn, 1848 Mitglied des Frank- herren (Lebensherren), im 13. bis 19. Jh.
furter Parlaments, gemäßigter, am engl. auch Territorialherren, deren Rechte 1869
Vorbild orientierter Liberaler, für kleindt. auf den Kaiser übergingen.
Lösung, an der Ausarbeitung der Reichs- Dakien, Siedlungsgebiet der thrakischen
verfassung maßgeblich beteiligt, kapitu- Daker im heutigen Rumänien, die z. Z.
lierte vor der Reaktion. Als Vertreter eines Cäsars zusammen mit den Goten ein Reich
liberalen geschichtlichen Denkens von be- zwischen Schwarzem Meer und Böhmen
herrschendem Einfluss auf das Geschichts- errichteten und die röm. Nordgrenze be-
bild des histor. interessierten Bürgertums. unruhigten; gegen ihren König ­Decebalus
Dahomey, ehemals selbständiges König­ führte Trajan 101–107 n. Chr. siegreiche
reich des Ewestammes in W-Afrika 1625– Kriege (verherrlicht auf den Reliefs der
1894, Hauptstadt: Alada, später Aboma Trajansäule in Rom). Begründung der Ko-

189
Daladier

lonie Dacia in Siebenbürgen und westlich Teil der Provinz Illyricum; seit dem 4. Jh.
des Alt (einzige röm. Siedlung nördlich der wechselnd im Besitz germ. Völker, vor
Donau), besiedelt mit Pannoniern, Dal- allem der Ostgoten; nach deren Untergang
matinern, Syrern. Reste der Daker erhalten Teil des byzantin. Reiches. Im 7. Jh. Be-
in der Großen Walachei (Vorfeld der Pro- sitznahme durch Kroaten und Serben, seit
vinz); unter Mark Aurel Abwehrkämpfe ge- 11. Jh. umkämpft zw. Venedig, Ungarn,
gen die Sarmaten, im 3. Jh. Goteneinfälle, Byzanz, Serbien, Bosnien und Kroatien.
271 Räumung der Provinz, Rückführung Die Inseln und Küstengebiete 1420 vene-
der Bevölkerung nach Neu-D. südl. der zianisch, gegen die Türken behauptet und
Donau. landwärts vergrößert (Grenzziehung durch
Daladier, Édouard, frz. Staatsmann, 1884– den Frieden von Passarowitz 1718), 1797
1970; Radikalsozialist (bürgerlich-liberal), (endgültig 1814) zu Österreich, 1816–67
jahrelang Kriegsminister, 1933 und 1938– Königreich, 1867 Kronland, 1869 Auf-
1940 Ministerpräsident; beteiligt am Ab- stand. Nationalitätenkampf der Kroaten
schluss des Münchener Abkommens, da- gegen Deutsche und Italiener; seit 1919 zu
durch Konflikt mit der Volksfront; 1939 Jugoslawien, seit 1991 zu Kroatien.
Garantieerklärung für Griechenland, Ru- Dalwigk, Karl Friedrich Reinhard Freiherr
mänien und Polen, 3. Sept. Kriegserklä- von, dt. Staatsmann, 1802–1880; seit 1850
rung an Deutschland (nach Briefwechsel Leiter der Politik des Großherzogtums
mit Hitler), unter Petain als Mitschuldiger Hessen, einer der Gegenspieler Bismarcks
an frz. Niederlage verurteilt, 1944 nach in der dt. Frage, trat für uneingeschränkte
Deutschland gebracht, 1945 befreit. Selbständigkeit der Mittelstaaten zw. Preu-
Dalai Lama, das geistliche und weltliche ßen und Österreich ein und verfocht die
Oberhaupt des ↑ Lamaismus. ↑ Trias-Lösung.
Dalberg, altes dt. Adelsgeschlecht (Minis­ Damaschke, Adolf, Führer der dt. ↑ Boden­
terialadel), Erzkämmerer des Adelsstifts reform-Bewegung, 1865–1935; kämpfte
Worms, im 17. Jh. zu Reichsfreiherren er- für Überwindung der sozialen Not v. a.
hoben. – 1) D., Johann, Kanzler der Kur­ allem der Großstädte durch Beschränkung
pfalz, Bischof von Worms, 1445–1503; des Privateigentums an Grund und Boden
Förderer der Universität Heidelberg, Grün- (z. B. Enteignung von Grundstücken für
der der Bibliothek zu Heidelberg, sein Mu- Sozialeinrichtungen).
senhof Mittelpunkt des Früh­humanismus Damaskus, Stadt an der großen Handels-
(Agricola, Celtes, Reuchlin). 2) D., Karl straße Mittelmeer–Euphratgebiet; bedeu-
Theodor, Freiherr von, letzter Kurfürst und tender Markt und Gewerbeplatz bereits in
Erzbischof von Mainz, 1744–1817: 1806 der Altsteinzeit (Faustkeilindustrie) ebenso
Fürstprimas des Rheinbundes, 1810/13 wie in geschichtl. Zeit (↑ „Damaszener
Großherzog von Frankfurt, nach 1815 Erz- Klingen“), am Ostfluss des Antilibanons;
bischof von Regensburg, Freund Goethes z. Z. Davids um 1 000 v. Chr. als gefähr-
und Wielands. licher Nachbar der Israeliten erstmalig er-
Dalmatien, Küstenlandschaft an der Adria; wähnt, 950–800 v. Chr. Hauptstadt eines
in der Jungsteinzeit im Einflussbereich der aramäischen Reiches, 732 v. Chr. von den
↑ Urnenfelder- und in der Bronzezeit der Assyrern erobert, dann babylonisch und
↑ Hallstattkultur; in späterer Zeit bewohnt persisch, blühende Handelsstadt; 333 in
von den illyr. Dalmatinern, benannt nach der Gewalt Alexanders d. Gr., anschließend
der Handelsstadt Delminium; 229 v. Chr. unter den Seleukiden; seit 64 v. Chr. unter
erster Krieg mit den Römern, 33 v. Chr. von röm. Oberhoheit, 105 n. Chr. von Trajan
Oktavian unterworfen und seit 10 n. Chr. der Provinz Syrien einverleibt. Bischofs-

190
Dampfschiff

sitz im byzantinischen Reich, 635 vom 1700 (Kolben-“Feuermaschine“) erst von


Kalifen Omar erobert, bis 753 Residenz James Watt seit 1769 (1. Patent) in indus-
der ↑ Abbasiden, 1148 ohne Erfolg von triell einsetzbarer Form entwickelt. Die
Kreuzfahrern belagert, 1154 von Sultan nach dem Vorbild von Watts Erfindungen
Nureddin von Aleppo erobert; 1401 von gebauten D.n (mit Kondensator, doppelt
Timur zerstört, 1516 türk. Statthaltersitz, wirkendem Zylinder, Schieber und Feue-
1860 Christenmassaker durch die ↑ Dru- rung) wurden in England zunächst meist
sen. Nach dem 1. Weltkrieg Hauptstadt im Bergbau (Auspumpen des Grubenwas-
des frz. Mandats Syrien, beim Drusenauf- sers) verwendet. 1798 baute der Englän-
stand 1925 von den Franzosen beschossen. der Richard Trevithick die erste leistungs-
Seit dem 2. Weltkrieg Hauptstadt der Re- fähige Hochdruck-D., 1801 der Ameri-
publik Syrien bzw. bis 1961 2. Hauptstadt kaner Symington die direkt wirkende D.
der Vereinigten Arab. Republik. mit unbeweglichem, liegendem Zylinder.
Damaskusschrift, 1896 im Schriftrollen- Bereits um 1800 wurde die Arbeitskraft
archiv (Genua) der Synagoge Kairo ent- von 3 Mio. Menschen von der D. ersetzt;
deckte und in Teilen auch in Qumran am die „Industrielle Revolution“ wäre ohne
Toten Meer erhaltene Manuskripte bzw. D. undenkbar gewesen (Energie an jedem
Abschriften der Lebensordnung einer jüd. Standort, zu jedem Zweck). Das 19. Jh.
Gemeinschaft („Neuer Bund“, Essener?) brachte an Konstruktionsverbesserungen:
aus dem 1. Jh. v. Chr. mit dem Ziel einer die Mehrfachexpansion (zweistufig schon
Rückkehr zu Moses. 1781 von Hornblower), Steuerungsver-
Damaszener Klingen, aus Indien und Per- besserung (1849 Dampfsteuerung von
sien stammende Stahlart, bei der Stahlplat- Corlis, 1867 Ventilsteuerung), Dampf­
ten oder Stahldrähte und Weicheisen unter überhitzung (Idee des Elsässers Hirn, 1892
vielfacher Verdrehung/Knickung bei lang- Heiß-D. des Deutschen W. Schmidt). Die
samer Abkühlung miteinander verschweißt moderne Hochdruckdampftechnik wurde
werden. Die D. K. (Handelsplatz Damas- von Schmidt entscheidend gefördert (1886
kus) oder Panzer zeigten bei hoher Festig- Versuchsmaschine für 60 at). 1891 kon-
keit große Elastizität; seit etwa 900 be- struierte Eberle die 1. Entnahme-D., 1909
kannt, durch die Araber nach Spanien (To- Stumpf die Gleichstrom-D.
ledo) übertragen, durch die Kreuzfahrer Dampfschiff, um 1690 schlug der Franzose
auch in Mitteleuropa bekannt geworden. Papin vor, Dampfkraft zum Bewegen der
Damiani, Petrus, hl., einflussreicher Ver- Schiffe zu verwenden; die Fahrt von 1707
fechter des kirchlichen Reformgedankens, auf der Fulda oder Weser ist eine Legende.
1007–1072; ursprünglich Schweinehirt, 1736 erhielt der Engländer Hull ein Patent
dann Mönch, eiferte gegen die Sittenlosig- auf Ruderradschiffe mit Dampfkraft; auch
keit des Klerus; 1058/61 Kardinalbischof der Physiker Daniel Bernoulli griff den Ge-
von Ostia, von Papst Gregor VII. mehr- danken auf. Versuche mit D.-Konstrukti-
mals zu Missionen verwendet; als Legat auf onen machten Auxiron 1774, Perrier 1775
der Synode zu Mainz (1069) bewegte er und Marquis Joufroy 1776 (bis 1816) in
Kaiser Heinrich IV. dazu, auf die geplante Frankreich, der Engländer Fitch und der
Ehescheidung zu verzichten. Amerikaner Miller 1787 und 1788. Sy-
Dampfmaschine, nach den ­Konstruktionen mington kombinierte 1801 die bis dahin
des frz. Physikers Papin um 1690 (atmo- gemachten Verbesserungen. Am erfolg-
sphär. Kolben-D.), des engl. Mecha­nikers reichsten war Fulton, der mit dem Rad-
Savery zur gleichen Zeit (Aspira­tions­ dampfer „Claremont“ 1807 den Hudson
maschine) und des Engländers ­Newcomen befuhr; 1811 1. europ. Raddampfer von

191
Dampier

Bell. Schon 1819 kreuzte die „Savannah“ zug) die dalmatinische Hauptstadt Zara
als erstes (noch besegeltes) Dampfschiff und zweimal, 1203 und 1204, Byzanz, er-
den Atlantik in 26 Tagen (davon 8 Tage un- warb wichtige Handelsstützpunkte (Ioni­
ter Segel), 1833 wurde in England das erste sche Inseln, Kreta), rettete 1205 das 1204
Kriegsdampfschiff gebaut. Einen gewal- errichtete ↑ lateinisches Kaisertum in By-
tigen Fortschritt bedeutete die Erfindung zanz vor der Vernichtung durch die Bul-
der Schiffsschraube durch I. Ressel 1829, garen.
doch herrschte der Raddampfer noch bis Danebrog, dän. Reichsbanner (rotes Ban-
über die Mitte des 19. Jh. vor; die Damp- ner, weißes Kreuz), fiel nach einer Sage in
fer waren auch jetzt noch zusätzlich mit Se- der Schlacht von Reval 1219 unter Walde-
geln ausgerüstet. Seiner Zeit voraus war der mar II. in höchster Not aus den Wolken.
von Brunel und Russel konstruierte, 1857 Danegeld, ↑ Ethelred II.
vollendete Riesendampfer „Great Eastern“ Dänemark, eines der Kernsiedelgebiete der
(ganz aus Eisen). Weitere bedeutende Fort- Urgermanen; nach Abzug der Westgerma-
schritte in der Entwicklung waren die Ver- nen seit dem 5. Jh. von den skandinav. Dä-
wendung von Stahl als Hauptbaumate- nen besetzt, die zu den gefürchteten Wi-
rial, die Verdrängung der Kolbenmaschine kingern (Normannen) gehörten; unter Kö-
durch den Turbinenantrieb (auch kombi- nig Gottfried (ermordet 810) Kämpfe mit
niert mit Generator und Elektromotor), Karl d. Gr.; Christianisierung begonnen
Kohlenstaub- oder Ölfeuerung an Stelle im 9. Jh., mit Dauererfolg im 10. Jh. vom
der Kohlenheizung. Moderne (leichte) Erzbistum Bremen aus, um 965 Übertritt
Kriegsschiffe erreichten Geschwindigkeiten des Königs Harald Blauzahn zum Chris-
von über 40 Seemeilen in der Stunde = tentum; seit Anfang des 10. Jh. geeintes
über 70 km. Neueste Entwicklung: Wärme­ Königreich mit Teilen von Schleswig und
energie durch Atomreaktor. Südschweden. Unter Knut d. Gr. (1016
Dampier, William, engl. Weltumsegler oder 1018–1035) vorübergehende Erobe-
1652–1715; nach ihm benannt die D.- rung Englands und Norwegens; Glanzzeit
Straßen (nordwestl. bzw. nordöstl. von unter Waldemar I. d. Gr.; Großmachtstel-
Neuguinea) und das D.-Land (Halbinsel lung (Mecklenburg, Pommern, Holstein)
im NW Australiens). 1227 in der Schlacht bei Bornhöved zu-
Danekelmann, Eberhard Freiherr von, sammengebrochen; im Innern Erstarken
brandenburg. Staatsmann, 1643–1772; des Feudaladels, Absinken der Bauern in
leitender Minister des Kurfürsten Fried- die Leibeigenschaft, schwaches Wahlkö-
rich III. (des späteren Königs Friedrich I.), nigtum. Nach der Vertreibung des Kö-
Calvinist, entschiedener Vertreter des Ab- nigs Christoph II. wurde 1326 Graf ↑ Ger-
solutismus und des Merkantilismus; wegen hard III. d. Gr. von Holstein Reichsverwe-
seines Widerstandes gegen die Verschwen- ser; Übergriffe des gewalttätigen holstein.
dungssucht des Kurfürsten und wegen sei- Adels. Unter ↑ Waldemar IV. Wiederher­
ner energischen Amtsführung von seinen stellung des früheren Reichsumfangs, sein
Neidern 1697 gestürzt. Überfall auf ­Gotland (↑ Wisby) 1361 lös­te
Dandolo, eine der zwölf ersten Familien Krieg mit der Hanse aus, Waldemar konnte
von Venedig, aus der bedeutende Staats- sich nicht behaupten und floh ins Aus-
männer, Gelehrte usw. hervorgingen; am land. Durch den demütigenden Frieden
berühmtesten Enrico D., um 1108–1205, von Stralsund (1370) geriet Dänemark in
Doge von Venedig seit 1192, Begründer Abhängigkeit von der Hanse. Unter Köni-
der venezianischen ­ Mittelmeerherrschaft, gin Margarete 1387 Union mit Norwegen,
eroberte mithilfe der Kreuzfahrer (4. Kreuz- 1389 auch mit Schweden; 1397 ↑ Kalma-

192
Dante Alighieri

rische Union, Verschmelzungspolitik gegen Stützpunkte, die Insel erhielt 1979 die in-
heftigen Widerstand der Schweden. Nach- nere Autonomie. Staatsoberhaupt seit 1972
folger Margaretes: ↑ Erich der Pommer. Seit Königin Margarete II. 1973 wurde D. Mit-
1448 Haus Oldenburg in D. (in Schweden glied der Europäischen Union. Die lang-
Gegenkönige). Vereinigung mit Schwe- jährige parlamentar. Herrschaft der Sozial-
den endgültig 1523 gelöst. 1640 Personal- demokraten (zuletzt Minderheitsregierung
union mit Schleswig-Holstein (bis 1863). unter A. Jørgensen) wurde 1982 beendet.
1536 Einführung der Reformation und Bis 1993 bürgerlich-liberale Minderheits-
Säkularisierung der Kirchengüter. 1625– regierungen, 1993–2001 Mitte-Links-Re-
29 erfolgloses Eingreifen in den ↑ 30-jäh- gierung, seitdem Minderheitsregierung der
rigen Krieg. Territoriale Verluste durch rechtsliberalen und Konservativen unter
die Kriege mit Schweden (1643–45 und Anders Fogh Rasmussen.
1657/58). 1665 Einführung des Absolu- Danewerk, befestigter Grenzwall der Dä-
tismus durch die Lex regia (Königsgesetz), nen gegen die Deutschen in Schleswig, um
1700–1721 Teilnahme am ↑ Nordischen 808 von König Gottfried erbaut, 974 von
Krieg gegen Schweden; zweite Hälfte des Kaiser Otto II. erstürmt, 1027 an Däne-
l8. Jh. aufgeklärter Absolutismus und Re- mark zurück, 1849 von den Preußen er-
formen (­Bauernbefreiung). Nach Beschie- stürmt, danach wiederaufgebaut und ver-
ßung Kopenhagens und Wegnahme der stärkt, 1864 kampflos geräumt und von
Flotte durch die Engländer 1807 Anschluss den Preußen geschleift.
an Napoleon, 1814 Abtretung Norwegens Danilewski, russ. Schriftsteller, ­Wortführer
an Schweden, Helgolands an England; von des Panslawismus, 1822–1885; gab in dem
den nationalliberalen „Eiderdänen“ gefor- 1871 erschienenen Werk „Russland und
derte und von der Krone übernommene Europa“, das zur „Bibel der Panslawisten“
Politik der Einverleibung Schleswig-Hol- wurde, eine geschichtsphilosophisch-reli-
steins Anlass zum Krieg gegen den Dt. giöse Rechtfertigung der Führerrolle Russ­
Bund (geführt von Preußen) 1849/50; lands bei der Befreiung der Balkanvölker
Regelung der Thronfolge im Gesamtstaat und der Bildung eines allslaw. Reiches „von
1852 durch ↑ Londoner Protokoll, 1863 der Adria bis zum Stillen Ozean“, stellte
Gesamtstaatsverfassung auch für Schles- darin eine (Spengler vorwegnehmende)
wig-Holstein Ursache des Krieges gegen Kulturtypenlehre auf, um zu beweisen,
Preußen und Österreich (↑ Schleswig-Hol- dass das „Russland der demütigen Heili-
steinischer Krieg), Niederlage (Düppeler gen“ nicht zum „Europa der gewalttätigen
Schanzen) und Verlust der Herzogtümer. Helden“ gehöre und berufen sei, den zum
Neutralität im 1. Weltkrieg, 1917 Verkauf Untergang verurteilten Westen zu über-
der dän.-westind. Inseln. 1920 Rückge- winden und abzulösen.
winnung N-Schleswigs durch Volksabstim- Dante Alighieri, der größte ital. Dichter,
mung; 1940 dt. Einmarsch (kampflos); seit Schöpfer der ital. Literatursprache (de vul-
1943 Widerstandsbewegung, 1945 Lan- gari eloquentia) und einer der tiefstschöp-
dung der Engländer in Kopenhagen, Ab- fenden Geister aller Zeiten, 1265–1321;
zug der deutschen Truppen; nach 1945 aus Florenz stammend, als gemäßigter
Ende der traditionellen Neutralitätspolitik; Guelfe Opfer der Parteikämpfe seiner Va-
1949 Beitritt zum Nordatlantikpakt; Mit- terstadt, 1301 verbannt und nach sei-
begründer des Nordischen Rats. 1918 Er- ner Parteinahme für Kaiser Heinrich VII.
klärung Islands zum selbständigen Staat in „auf ewig“ geächtet („De monarchia“ über
Personalunion mit D., Personalunion 1944 Weltreich und Weltkaisertum; Kirche und
gelöst. Auf Grönland (Provinz) amerik. Reich gleichberechtigt); sah seine Vater-

193
Danton

stadt nicht wieder und starb nach ruheloser Dardanellen, Meerenge zw. Ägäischem und
Wanderschaft in Ravenna. Sein Hauptwerk Marmarameer, nach der antiken Stadt Dar-
„La Divina Commedia“, etwa 1311–1321 danos benannt, antiker Name Hellespont;
verfasst, gestaltet das Weltbild seiner Zeit in der Antike „Brücke“ Europa – Asien;
in einer visionären Schau, im Persönlichen durch die Araber stark befestigt; seit 1356
das Schicksal der Menschheit deutend. türkisch. Das Durchfahrtsrecht durch die
Danton, Georges Jacques, einer der Führer D. wurde seit dem 18. Jh. zu einem inter-
der Frz. Revolution, 1759–1794; Advokat, nationalen Problem: – Die D.-verträge des
begründete mit ↑ Desmoulins die radikale 19. Jh. waren Ergebnisse des Ringens zw.
Parteigruppe der Cordeliers, Vertreter der Russland, das über den Besitz der Darda-
„natürlichen Grenzen“ Frankreichs, Mit- nellen Zugang zum Mittelmeer erstrebte,
glied des Konvents und des Wohlfahrts- England und Frankreich, die im 19. Jh. der
Ausschusses; verantwortlich für die Septem­ russ. Expansion entgegentraten, und der
bermorde 1792; errichtete 1793 das Revo­ Türkei als der traditionellen Hüterin der
lutionstribunal, durch Robespierre ­gestürzt, Meerengen. – Gegen die 1833 von Russ-
hingerichtet (↑ Frz. Revolution). land dem Sultan abgenötigten Vorrechte
Danzig, bed. Ostseehafen, an der Weich- 1841 Vertrag der Großmächte mit der
selmündung; 997 erstmals erwähnt; um Türkei: Verbot der Durchfahrt nichttürk.
1260 Hauptstadt des Herzogtums Pom- Kriegsschiffe ohne Zustimmung der Pforte,
merellen (Oberpommern), 1224–1226 1856 im Pariser Frieden bestätigt; ähnliche
dt. (Lübisches) Stadtrecht. Umkämpft zw. Bestimmungen enthielten das Londoner
Pommern, Dänemark, Polen, Branden- Protokoll von 1871 und der Berliner Frie-
burg und dem Dt. Orden; 1308/10 zum den von 1878. Nach dem gescheiterten
Dt. Orden, 1361 Hansemitglied, nach D.-Unternehmen der Alliierten 1915 und
1410 (Tannenberg) Loslösung vom Or- nachdem ein Geheimabkommen mit Russ-
den, endgültig 1454; trotz Personalunion land (Zusage der D.-Kontrolle) durch die
mit Polen (durch 2. Thorner Frieden 1466) russ. Revolution gegenstandslos geworden
weitgehende Unabhängigkeit und Auf- war, 1918 Besetzung der D., Unterstellung
stieg zur beherrschenden Handelsstadt; unter eine Internationale D.-Kommission
bei der 3. Teilung Polens 1793 zu Preußen, und uneingeschränkte Durchfahrt; 1922
1807–1814 durch Napoleon Freistaat; Rückeroberung der 1918 an Griechenland
1878 Hauptstadt der Provinz Westpreu- abgetretenen Halbinsel Gallipoli durch die
ßen; 1919–1939 gegen den Willen der Be- Türken. 1923 im Vertrag von Lausanne
völkerung „Freie Stadt“ unter Protektorat ständige Überwachung der freien Durch-
des Völkerbundes und seit 1922 im poln. fahrt durch den Völkerbund; D. weiter-
Zollgebiet. Konflikte mit Polen, das seine hin entmilitarisiert, Durchfahrt für fremde
Sonderrechte zu erweitern suchte und den Kriegsschiffe auch im Frieden gesperrt.
Konkurrenzhafen Gdingen baute. Einglie- Entgegen der Tradition sowjet. Widerstand
derung in das Dt. Reich 1939 (2. Welt- gegen Öffnung der D. (Furcht vor Inter-
krieg); 1945 von Russen erobert, dabei vention). 1936 im Vertrag von Montreux
mittelalterl. Stadtbild zerstört, Marienkir- volle Wiederherstellung der türk. Souverä-
che, größtes Denkmal der Backsteingotik, nität und Wiederbefestigung, freie Durch-
ausgebrannt. Von Polen annektiert, dt. Be- fahrt im Frieden ohne Einschränkung nur
völkerung vertrieben; Wiederaufbau nach für Handelsschiffe, Sonderregelung für
1950. Heute bedeutende Industrie- und Kriegsschiffe.
Hafenstadt, Stadtverband mit Zoppot und Darius (griech. Dareios), persische ­Könige
Gdingen. aus dem Geschlecht der Achämeniden.

194
Daudet

1) D. I. (522–485 v. Chr.), warf den Auf- seines berühmten Enkels. 2) D., Charles,
stand des Gaumata nieder und rettete Enkel von 1), 1809–1882; sammelte auf
damit die Reichseinheit, sicherte die Au- einer 5-jährigen Erdumsegelung das Mate-
ßenprovinzen (518 Zug nach Ägypten, rial für sein Epoche machendes Werk „Über
um das Schreckensregiment des Kamby- die Entstehung der Arten durch natürliche
ses II. vergessen zu machen), unterwarf Zuchtwahl“ (1859); ↑ Darwinismus.
auf einer großen Expedition gegen die Darwinismus, von Charles ↑ Darwin auf-
­Skythen (Schiffsbrücke über den Bospo- gestellte Entwicklungstheorie; erklärte in
rus) ­ Thrakien und Makedonien, eroberte Ablehnung der herrschenden Theorie Cu-
das Indus­tal, reorganisierte die Reichs- viers und in Fortsetzung schon bestehen-
verwaltung (Einteilung in 20 Satrapien, der Entwicklungstheorien die Entstehung
Reichswährung, Staatspost), unterdrückte und Umformung aller Tier- und Pflanzen­
den großen Aufstand der ionischen Städte arten durch die Prinzipien der Variation
(Milet zerstört 494) und bereitete die Er- (Abweichung vom Elterntypus), natürliche
oberung von Hellas vor; der Feldzug des Auslese (abhängig von der Bewährung der
Datis und Artaphernes nach Athen führte Variation bei der Lebensbehauptung) und
zur Niederlage von Marathon 490 v. Chr. Vererbung (vorzugsweise der günstigen Va-
2) D. III. Kodomannos, letzter Achäme- riationen); die Entstehung der Arten ist
nide (um 336–330 v. Chr.); unterlag Ale- vom Ziel her bestimmt; in Form dieser
xander d. Gr., floh nach dem O-Iran, von Auslese- oder Selektionstheorie verhalf
dem Satrapen Bessos ermordet. der D. zus. mit den Theorien ↑ Lamarcks
Darlan, François, frz. Admiral, 1881–1942; der Abstammungslehre zum Sieg, wonach
seit 1937 Chef des Generalstabs, 1940 Ma- alle Lebewesen nicht von Anfang an in der
rineminister der Vichy-­Regierung, 1941 heutigen Form da waren, sondern sich aus
Regierungschef, zum Nachfolger Petains einer oder wenigen gemeinsamen Urfor-
ernannt; 1942 Oberkommandierender der men erst durch natürliche Zuchtwahl im
frz. Armee, erklärte sich zum Staatschef Kampf ums Dasein entwickelt haben. Im
von Nordafrika und ging zu den Alliierten positivistisch eingestellten 19. Jh. (↑ Positi-
über, kurz danach in Algerien ermordet. vismus) feierte der D. höchste Triumphe,
Darnley, Henry Stuart, Lord, Vetter und gegen die Absicht Darwins auch außerhalb
(1565) zweiter Gemahl Maria Stuarts, seines eigentlichen biolog. Bereiches (Dar-
1545–1567; Vater König Jakobs I. von winistische Weltanschauung, Nietzsches
England, von ↑ Bothwell ermordet. Herrenmenschentum durch Auslese, Ma-
Darre, Richard Walther, dt. Agrarpoliti- terialismus, Manchestertum, Imperialis-
ker, 1895–1953; seit 1933 Reichsleiter der mus, Nationalsozialismus). Der D. heute
NSDAP, 1933–1942 Reichsminister für allgemein anerkannt und durch die Muta-
Ernährung und Landwirtschaft (Reichs- tionstheorie ergänzt.
erbhofgesetz, Reichsnährstand), seit 1934 Daschkow, Jekaterina Romanowna, Fürs­
Reichsbauernführer, Verfechter der Blut- tin, Vertreterin der Aufklärung in Russ-
und-Boden-Ideologie der Nationalsozia- land, 1743–1810; 1762 beteiligt an der
listen. 1942 aus allen Ämtern entlassen; Verschwörung gegen Zar Peter III. und
1945 in Nürnberg zu 7 Jahren Haft verur- an der Thronbesteigung Katharinas d. Gr.,
teilt, 1950 entlassen. 1783 Präsidentin der Akademie der Wis-
Darwin, brit. Naturforscher. 1) D., Eras- senschaften.
mus, 1731–1802; mit seiner naturge- Dussel, Reinhard von, ↑ Rainald.
schichtlichen Theorie (in Form von Lehr- Daudet, Léon, Schriftsteller, 1867–1942;
gedichten) ein Vorläufer ↑ Lamarcks und Wortführer der nationalistischen ↑ „Action

195
Daun

Française“, Führer der royalistischen „Ca- Dawesplan, benannt nach seinem Haup-
melots de roi“. turheber ↑ Dawes, ausgearbeitet und ange-
Daun, Leopold Joseph Maria Reichsgraf nommen 1924; sollte die dt. Zahlungsfä-
von, österr. Feldmarschall, 1705–1766; higkeit für die Reparationen und damit die
reorganisierte seit 1748 die österr. Armee, Rückzahlung der europ. Schulden an die
Rivale ↑ Laudons, als Stratege «der große USA sichern, unter dem Schlagwort „Busi-
Zauderer» genannt, gefährlicher Gegner ness, not politics“; belastete Deutschland
Friedrichs d. Gr., siegte bei Kolin (1757), mit 1–1,75 Mrd. Mark Jahreszahlungen
Hochkirch (1758) und Maxen (1759). bis 1927, ab 1928 mit 2,5 Mrd. Zinsen-
Dauphin, Titel der Kronprinzen von dienst von Reichsbahn- und Industrieobli-
Frankreich 1349–1830; urspr. Titel der gationen, Verpfändung von Zöllen und in-
Grafen von Vienne, der Reichslehnsherren direkten Steuern als Sicherheit; endgültige
der Dauphine in SO-Frankreich, die einen Reparationssumme nicht festgesetzt; zur
Delphin im Wappen führten; 1349 ver- Stabilisierung der dt. Währung 800 Mio.
machte Graf Humbert II. die Dauphine „D.-Anleihe“; 1929 vom Young-Plan ab-
der Krone unter der Bedingung, dass der gelöst.
Thronerbe Frankreichs stets den Titel Dayan, Moshe, israel. General und Poli-
dieses Landes führen sollte. tiker, 1915–1981; Oberbefehlshaber des
David (hebr., Geliebter), jüd. König, um Sinaifeldzuges von 1956; 1959–64 Land-
1000–970 v. Chr.; nach der Auseinander­ wirtschaftsminister, 1964 Mitbegründer
setzung mit den ↑ Seevölkern eigentlich Be- (mit ↑ Ben Gurion) der Rafi-Partei (Ab-
gründer des jüdischen Reiches, Nachfolger spaltung der Sozialdemokrat. Mapai-Par-
Sauls, durch den Propheten Samuel zum tei); führte als Verteidigungsminister (bis
König gesalbt; vereinigte Israel und Juda, 1974) den Sechstagekrieg 1967. 1977–79
machte das bisher kanaanäische Jerusalem Außenminister; 1981 Gründer der Partei
zur Hauptstadt (durch Überführung der Telem (Bewegung für die nationale Erneu-
Bundeslade); Psalmendichter; bestimmte erung), die jedoch unbedeutend blieb.
Salomo, den Sohn seiner Geliebten Beth- Deák, Franz, ungar. Staatsmann, 1803–
seba, zu seinem Nachfolger (↑ Israel). 1876; Liberaler, 1848 Justizminister, trat
Davis, 1) D., Jefferson, amerik. Staats- als Abgeordneter im ungar. Reichstag für
mann, 1808–1889; Vorkämpfer der Skla- den Ausgleich mit Österreich (1867) ein.
venhalterstaaten, im Sezessionskrieg 1861– Debré, Michel, frz. Politiker, 1912–1996;
1865 Präsident der Südkonföderation und 1959–1962 Ministerpräsident, 1966–1968
Seele des Widerstandes gegen die Union, Wirtschafts- und Finanzminister, 1968/69
1865 gefangen genommen, 1868 begna- Außenminister, anschließend bis 1973 Ver-
digt. 2) D., John, engl. Seefahrer, 1550– teidigungsminister, unterlag bei den Präsi-
1605; entdeckte 1585 die D.-Straße zw. dentschaftswahlen 1981 dem Sozialisten
Grönland und Baffinland, 1592 die Falk- ↑ Mitterrand.
landinseln. Debreczin, ungar. Stadt; 1567 Synode,
Dawes, Charles G., nordamerikanischer Annahme des reformierten Glaubensbe-
Politiker und Finanzexperte, 1865–1951; kenntnisses (das „calvinist. Rom“); 1711
im 1. Weltkrieg Leiter der amerikanischen Kongress von D.: Ungarn unterwarf sich
Intendantur, 1924 Vorsitzender des Interna­ dem Hause Habsburg; 1849 Sitz der un-
tionalen Sachverständigenausschusses der gar. Regierung; ↑ Kossuth verkündete die
­Reparationskommission, 1925 Friedensno- Unabhängigkeit Ungarns.
belpreis, 1925–29 Vizepräsident der USA; Decebalus, König der Daker an der un-
↑ Dawes-Plan. teren Donau, führte 86–88 n. Chr. Krieg

196
Delbrück

gegen Rom, von Trajan 102–107 besiegt, zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, danach
beging 107 Selbstmord (Reliefs der Trajan- verbannt; 1944 Mitbegründer der Demo-
säule; ↑ Dakien). crazia Cristiana; 1944/45 und 1951–1953
Decemvirn (lat., „decemviri“, zehn Män- Außenminister, 1946–1953 Ministerpräsi-
ner), in der röm. Verfassungsgeschichte dent; entschiedener Vorkämpfer der europ.
Kommission aus zehn Mitgliedern mit Son- Integration, gewährte 1946 Südtirol Auto-
derauftrag und -vollmacht; berühmt die nomie.
um 451 v. Chr. mit dem ­ Niederschreiben Dekabristen (russ., „Dezembermänner“),
der Gesetze beauftragten, die das ↑ „Zwölf- Teilnehmer einer russ. Offiziersverschwö-
tafelgesetz“ abfassten. rung gegen das absolute Zarenregime, die
Decius, Gaius Messius Quintus Traianus, unter Führung von Oberst Pestel anlässlich
röm. Kaiser aus Sirmium (249–251), setzte des Thronwechsels beim Tod Alexan­ders I.
sich für altröm. Sitte und Religion ein, ließ im Dezember 1825 in Petersburg den Um-
als Erster die Christen planmäßig verfol- sturz versuchten, um ihr westlerisches Re-
gen; fiel gegen die Goten, die er über die formprogramm (u. a. Bauernbefreiung) zu
Donau zurückwarf. verwirklichen. Der Aufstand wurde von
Declaration of Independence, Unabhän- Nikolaus I. niedergeworfen, die Anführer
gigkeitserklärung; am 4. Juli 1776 vom gehängt oder nach Sibirien verbannt.
Kongress der 13 britischen Kolonien in Dekeleia, Ort nördl. Athen, den im Pelo-
Amerika angenommen, aus denen später ponnes. Krieg die Spartaner besetzten, um
die Vereinig­ten Staaten von Amerika ent- von hier aus Athen zu blockieren; daher
standen. wird der letzte Abschnitt des Krieges 413–
Declaration of Rights, aus der ↑ „Petition 404 v. Chr. auch ↑ Dekeleischer Krieg“ ge-
of Rights“ hervorgegangene Erklärung, in nannt.
der das engl. Parlament 1689 die Grund- Dekretalen (lat. decretales epistolae),
sätze der engl. Verfassung und die Grund- päpstliche Rechtsentscheidungen in Einzel­
rechte des Bürgers festlegte und König Ja- fällen, schon im frühen MA gesammelt,
kob II. wegen Verletzung dieser Rechte die z. T. in das ↑ Corpus Iuris Canonici aufge-
Thronrechte absprach; von Wilhelm III. zu nommen.
der ↑ „Bill of Rights“ erweitert. Dekumatenland (lat. decumates agri: Be-
Defoe, Daniel, engl. Schriftsteller, 1660– deutung des Namens noch umstritten, die
1731; Strumpfhändler, Pamphletschreiber, Erklärung „Zehntland“ – wegen Zahlung
Politiker, Parteigänger Wilhelms von Ora- eines Zehnten an die Römer – kommt für
nien, kämpfte gegen Intoleranz und Kor- diese Zeit nicht in Frage, vielleicht „Zehn-
ruption, zu Pranger und Gefängnis ver- land“, d. h. in 10 Teile gegliedertes Land),
urteilt; durch meisterhafte, wirkungsvolle die seit Domitian zum röm. Reich gehö-
Satiren und Herausgabe der ersten Moral. rende südl. Oberrheinebene zw. Rhein und
Wochenschrift (1704 „Review“) einer der Donau (Württemberg, Baden), im Schutz
Begründer des modernen Journalismus, des ↑ Limes von Kelten für die dort statio­
ließ seinen Roman „Robinson Crusoe“ nierten Legionen bebaut; 260 n. Chr. von
(Darstellung der Kulturentwicklung der den Alemannen überrannt.
Menschheit), der ein Welterfolg wurde, als Delbrück, 1) D., Clemens von, preuß.
ersten Zeitungsroman erscheinen, nach- Staatsmann, 1856–1921; 1909-l6 preuß.
geahmt in zahlreichen Robinsonaden. Handelsminister und Stellvertreter des
De Gasperi, Alcide, ital. Staatsmann, Reichskanzlers Bethmann-Hollweg. 2) D.,
1881–1955; im 1. Weltkrieg als Irreden- Hans, dt. Historiker, Nachfolger Treitsch-
tist in österr. Haft, 1926 als Antifaschist kes in Berlin, 1848–1929; Herausgeber der

197
Delcassé

„Preuß. Jahrbücher“, Vertreter des natio- das geschwächte Sultanat, Plünderung und
nalen Bürgertums; deutete Staatenbildung Terrorisierung D.; Pandschab und Sind
von der Kriegsgeschichte her, forderte für gingen verloren; Lodi-Dynastie (1451–
Deutschland Anteil an der Weltherrschaft; 1526), unter ihr Herrschaft der Territorial­
später der Linken zuneigend, Gegner Lu- fürsten; 1526 wurde das Sultanat Beute
dendorffs und Tirpitz’. 3) D., Rudolf von, ↑ Baburs, Gründung des ↑ Mogul-Reiches
preuß. Staatsmann, 1817–1903; verdient mit der Zentralregierung in D.
um die Entwicklung des Zollvereins als Delos, Insel der Ägäis; seit der Mitte des
Präsident des Bundeskanzleramtes des 6. Jh. v. Chr. im Besitz Athens, berühmtes
Norddt. Bundes; ab 1871 enger Mitarbei- Heiligtum mit Apollon- und Artemis-
ter Bismarcks bei der Errichtung und beim kultstätte und Orakel, 477 v. Chr. wurde
Ausbau des Dt. Reiches; als führender li- durch Athen der Attische oder Delische
beraler Wirtschaftspolitiker trat er zurück, Seebund gegründet, dessen Bundeskasse
als Bismarck sich für Schutzzollpolitik ent- sich bis 454 auf D. befand; um 168 v. Chr.
schied, und kämpfte seit 1878 im Reichs- von den Römern eingerichteter Freihafen,
tag für den Freihandel gegen Bismarcks Mittelpunkt der Sklavenmärkte der Ägäis;
Schutzzoll- und Verstaatlichungspolitik. 87 v. Chr. Landung des Mithradates und
Delcassé, Théophile, frz. Staatsmann, Gemetzel unter den Einwohnern.
1852–1923; Außenminister 1898–1905 Delphi (griech. Delphoi), bed. antike Ora-
und 1914/15; Vertreter der Revanchepoli- kelstätte (Apollons), für Kultur, Verfassungs­
tik gegen Deutschland, Schöpfer der „En- fragen, Kolonisation in Phokis (Mittelgrie-
tente cordiale“ mit England (1904). chenland), Sitz der Pythia, Schauplatz der
Delhi, Hauptstadt der Indischen Union Pythischen Spiele. Autonomer Mittelpunkt
(mit Alt-D. und Neu-D.); um 1 000 n. Chr. (Vorort) der Delphischen ↑ Amphiktyonie,
gegründet, 1193 von Türken erobert, 1398 durch eine polit. und sozial gut informierte
von ↑ Timur zerstört (5-tägige Plünde- Priesterschaft von erheblichem Einfluss auf
rung), seit 1526 Residenz des Großmo- die griech. Lebensgestaltung, bes. nach der
guls; 1739 Einfall des Perserkönigs Nadir Aufnahme des Dionysoskults; unermess-
Schah (Massaker und Brand); 1803 bri- lich reich durch Weihegaben; 279 v. Chr.
tisch, 1912–1948 Sitz der brit. Vizekö- von Galliern bedroht, von Sulla (86 v. Chr.)
nige. Prachtbauten: Jumna-Moschee (die und Nero geplündert, doch ehrten auch
größte des Islams), Palast der Großmogule die Römer das Delphische Orakel; erst in
mit dem Pfauenthron. – D. (Groß-D.) seit christl. Zeit verfiel D. nach einer kurzen
1912 Staat der Ind. Union. Blüte unter Trajan und Hadrian; Ende des
Delhi, Sultanat, 1206–1526, von dem Skla- 4. Jh. n. Chr. wurde das Orakel von Kaiser
vengeneral Aibak (1206–1290) ­ begründet Theodosius geschlossen.
(mohammedan. ­„Sklavendynastie“, 1206– Demagogie (griech. Volksführung),
1290), reichte zeitweise von Indus- bis Volksverführung und -aufwiegelung durch
Gangesmündung und bis Mittelindien; Phrasen, Hetze und Appell an die nied-
unter dem Sultanat D. harte Kämpfe mit rigen Instinkte der Massen; urspr. war De-
Hindus, Mongolen, Rajputen; Islam drang magoge in Athen eine Führergestalt mit
bis Dekhan und S-Indien vor; Tughluq- persönl. Ansehen und überlegener Rede-
Dynastie (1320–1413), unter ihr größte kunst in den Volksversammlungen, doch
Ausdehnung, doch seit 1335 Aufstände schon Thukydides verband mit dem Aus-
in den Randstaaten im Osten und Süden, druck ein negatives Werturteil (Verachtung
das Sultanat schrumpfte bis Ende des Jh. des Gerbers Kleon, der als Demagoge und
zusammen; 1398/99 Einfall ↑ Timurs in Gegner des Perikles auftrat). – Die „De-

198
Demokratie

magogenverfolgungen“ der Vormärzzeit in teurer, der nach seinem Siegeszug bis vor
Deutschland richteten sich gegen die „de- die Tore Moskaus eine Gegenregierung bil-
magog. Umtriebe“ der Liberalen Patrioten, dete; vom Volk „der Gauner von Tuschinn“
z. B. gegen die Burschenschaften (↑ Karls- gen., von der ehrgeizigen Gattin des ersten
bader Beschlüsse); zu den Verfolgten ge- „Pseudo-D.“ als ihr Gemahl und damit als
hörten Männer wie Arndt, Jahn, Welker der „echte D.“ anerkannt. Gegen die Miss-
u. a., später auch Fritz Reuten. wirtschaft seines beutehungrigen Anhangs
Demetrios, 1) D. von Phaleron, griech. empörte sich schließlich das russische Nati-
Staatsmann und Philosoph, um 350– onalbewusstsein. Das Eingreifen Polens in
283 v. Chr., 378–308 v. Chr. Statthalter die „Wirren“ brach seine Macht, er wurde
von Athen, von Demetrios Poliorketes ver- 1610 zu Kaluga ermordet. Ein dritter und
trieben, Ratgeber des Ptolemäus bei der ein vierter D. hatten noch weniger Glück
Einrichtung der Bibliothek des Museions (Dramen von Schiller und Hebbel).
zu Alexandria. 2) D. Poliorketes („Städte­ Demirel, Suleyman, türk. Politiker, geb.
eroberer“), Diadochenherrscher, um 336– 1924; seit 1964 Vorsitzender der Gerechtig­
283 v. Chr.; Sohn des Antigonos Mono- keitspartei, 1965–71 Ministerpräsident,
phthalmos (des Einäugigen), kämpfte in Rücktritt unter dem Druck der Armee-
zahlreichen wechselvollen Feldzügen gegen führung. 1975–77, 1977/78 und 1979/80
die anderen Diadochen um die Vorherr- Ministerpräsident rechtsgerichteter Re-
schaft, vertrieb Kassandros aus Griechen- gierungen, 1980 durch Militärputsch ge-
land, unterlag 301 mit seinem Vater bei Ip- stürzt. Das gegen ihn und seinen sozial-
sos, erstürmte 294 Athen; 294–287 v. Chr. demokratischen Gegenspieler Bülent Ece-
König von Makedonien, von Pyrrhus ver- vit verhängte Verbot der polit. Betätigung
trieben, starb in seleukidischer Gefangen- wurde per Referendum 1987 aufgehoben.
schaft. 3) D. I. Soter („Retter“), König von 1993–2000 Staatspräsident der Türkei.
Syrien (161–150 v. Chr.); vorher als Geisel Democrazia Cristiana, 1942 unter Füh-
in Rom, Sohn des Seleukos IV., siegte 160 rung de Gasperis gegründet ital. christl.-de-
über ↑ Judas Makkabäus, auf der Flucht mokratische Partei, Nachfolgeorganisation
vor dem Usurpator Balas getötet. der 1926 durch die Faschisten aufgelös­ten
Demetrius, Sohn Iwans des Schrecklichen katholischen Volkspartei. Seit 1944 war
aus 6. Ehe, 1582–1591; wahrscheinlich die DC tragende Regierungspartei Italiens
auf Veranlassung von Boris Godunow er- mit wechselnden Koalitionspartnern und
mordet, die Ungewissheit seines Todes, stellte zeitweise den Ministerpräsidenten.
der Streit um die Thronfolge führten zum 1994 wurde die Partei aufgelöst.
Auftreten mehrerer Anwärter auf den Za- Demokratie (griech., Volksherrschaft),
renthron, die sich als Zarewitsch D. ausga- Staatsform, bei der die höchste Gewalt
ben. Der erste „falsche“ oder „Pseudo-D.“, vom Volk (demos) ausgeht; nach der klas-
der Mönch Gregor Otrepjew, zog mit poln. sischen Formulierung von Lincoln „Regie-
Unterstützung gegen Moskau und bestieg rung aller für alle durch alle“; zwei Organi-
nach dem Tod Godunows 1605 den Thron, sationsformen der D. sind zu unterschei-
wurde 1606 wegen Begünstigung der kath. den: direkte Demokratie (durch Plebiszit,
Kirche von den Bojaren ermordet, die ih- Volksabstimmung) und indirekte D. (re-
ren Standesgenossen Schulski als Zaren präsentative, d. h. durch Volksvertretung).
einsetzten. Dagegen erhob sich das unzu- Historisch erwachsen und geformt ist die
friedene Volk und erklärte sich für einen D. in der Auseinandersetzung mit den ent-
zweiten „falschen D.“ als den Vorkämp- gegengesetzten Grundsätzen (in der An-
fer für soziale Gerechtigkeit: einen Aben- tike: die ↑ Despotie, die ↑ Tyrannis und

199
Demokratische Partei

die Oligarchie; im MA und in der Neuzeit: alisierung verwirklichte oder angestrebte


↑ Feudalismus, ↑ Absolutismus, ↑ Dikta- „bürgerliche“ D. Hand in Hand mit dem
tur). In reiner Form ist die D. selten ver- polit. Liberalismus und (in Deutschland,
wirklicht, weil der Begriff des „Volkes“ Italien und Osteuropa) mit der national-
als des obersten Trägers der Staatsgewalt staatlichen Bewegung. Auch die D. stand
je nach der herrschenden Sozialordnung (wie der Industrialismus) unter dem Ge-
unterschiedlich weiter oder enger gefasst setz des „West-Ost-Gefälles“, früh ausge-
wird. So schloss die D. der Antike, wie sie prägt in den angelsächs. Ländern (freiheit-
sich namentlich in den reichen griech. See- liche Tradition), spät und schwach entwi-
und Handelsstädten entwickelte, Sklaven ckelt in Russland (zarist. Autokratie, An-
und Besitzlose von den polit. Rechten aus; alphabetentum). In Deutschland kämpften
die röm. Republik ist mehr ↑ Aristokratie linksliberale Gruppen (Fortschritt, später
als D. Der Gedanke der parlamentarischen Freisinn) noch um die Verwirklichung der
Vertretung (indirekte D.) war der Antike demokrat. Idee, als von sozialist. Seite die
meist fremd. Auch die german. Volksver- liberale „bürgerliche“ D. bereits als „Klas-
sammlung stellte eine Form der direkten senherrschaft der Kapitalisten“ angefoch-
D. dar, wie sie in den vereinzelten bäuer- ten und eine neue Form der D. auf der
lichen Republiken des MA (Urkantone, Grundlage der sozialen Gleichheit ange-
Dithmarschen) in Erscheinung trat und strebt wurde (orthodox. Marxismus bzw.
schließlich noch heute in den ↑ Landsge- Kommunismus, Herstellung der angeblich
meinden einiger schweizer. Kantone be- allein wirklichen D. – „Volksdemokratie“
steht. Wichtig für die Entwicklung der D. – auf dem Umweg über die Diktatur des
waren die Stadtrepubliken bes. Oberita- Proletariats). Ein Todfeind erstand der D.
liens, später das Bürgertum Hollands und nach dem 1. Weltkrieg von rechts in den
Englands, dessen wirtschaftliche Macht autoritären Bewegungen, die sich beson-
sich in polit. Selbstbewusstsein umsetzte ders in Italien und Deutschland durch-
und den Grundsätzen der D. zum Durch- setzten („Führerprinzip“). Als ideologische
bruch verhalf; in England zus. mit dem Waffe wurde die D. von den westlichen
Adel und im Verlauf einer Entwicklung, Alliier­ten im 1. und 2. Weltkrieg verwen-
die bereits mit der ↑ Magna Charta ein- det („Kreuzzug für die D.“); bis heute häu-
setzte; in den absolutist. regierten Staaten fig Begründung v.a. der USA für militär.
des Festlands erst seit Ende des 18. Jh., in Aktionen gegen nichtdemokratische Staa-
den Revolutionen des ↑ „Dritten Standes“ ten; ↑ Parlament, Ständewesen.
(1789, 1848) geistig vorbereitet durch die Demokratische Partei, polit. Partei in den
schon seit dem späten MA immer wieder USA, 1828 gegründet; die republikan.
formulierten Lehren von der Volkssouve- Vorherrschaft (1860–1932) wurde durch
ränität und dem Widerstandsrecht (gegen die Demokraten erst seit der großen Wirt-
Tyrannen) und vor allem durch die polit. schaftskrise durchbrochen; ideolog. Unter-
Theorien der Aufklärung (Gesellschaftsver- schiede zwischen der D. P. und der Repu-
trag, Gewaltenteilung, Menschenrechte). blikan. Partei sind kaum erkennbar, ledig-
Die Volksvertretung war in der Stände- lich in der Sozial-, Schul- und Wirtschafts-
versammlung des MA bereits vorgebildet politik zeigt die D. P. größeres Engagement
(engl. Parlament, frz. Generalstände, dt. für die unteren Schichten der Gesellschaft,
Reichstag); das 19. Jh. verwirklichte in fast die einen großen Teil ihrer Wähler stellen.
allen europ. Staaten das allgemeine, glei- Demosthenes, 1) D., athen. Feldherr im
che und geheime Wahlrecht. In der polit. Peloponnes. Krieg, eroberte 425 v. Chr.
Praxis ging diese im Zeitalter der Industri- Pylos; 413 nach der athen. Kapitulation

200
Deportation

auf Sizilien von den Syrakusanern hinge- kräfte S-Russlands eine Großoffensive, die
richtet. 2) D., Staatsmann und größter bis Tula vorankam und dann zusammen-
Redner Athens, 384–322 v. Chr.; kämpfte brach, flüchtete auf einem frz. Torpedo-
in seinen berühmten Reden gegen König boot und starb im Exil in den USA.
Philipp II. von Makedonien („Philippika“) Denkta, Rauf Rasit, nordzypriot. Politiker,
und die Makedonenfreunde in Athen (u. a. geb. 1924; seit 1960 Präsident der türk.
Äschines) für die von diesen bedrohte Frei- Kommunalkammer auf Zypern, 1964–68
heit der Griechen und gründete den Hel- im türk. Exil, 1973 Vizepräsident Zyperns,
len. Bund. Nach der Niederlage bei Chai- seit 1975 Präsident des „Türk. Föderations­
ronea (338 v. Chr.) zog er sich aus dem po- staates von Zypern“; verhandelte als Füh-
lit. Leben zurück; wegen Bestechung ver- rer der türk. Volksgruppe auf Zypern mit
urteilt, floh er, kehrte nach dem Tod König anderen Volksgruppen, scheiterte mit sei-
Philipps zurück, floh erneut vor den Make- nem Teilstaaten-Modell am Widerstand
donern und nahm, um der Hinrichtung zu von Erzbischof ↑ Makarios. 2003 lehnte er
entgehen, Gift. einen UNO-Friedensplan zur Wiederverei-
Dendrochronologie, Datierungsmethode nigung Zyperns ab.
aus den Jahresringen von Hölzern, Balken Departement, frz. Verwaltungsbezirk; die
an vorgeschichtlichen und geschichtlichen 1789 von der frz. Nationalversammlung
Bauten: Charakterist., unverwechselbare beschlossene, von Abbé ↑ Sieyès durchge-
Wachstumserscheinungen der Jahresringe führte Einteilung des Landes in 83 etwa
an einem Holz werden mit den gleichen an gleich große D.s (mit einem Präfekten an
einem zeitlich vorausgehenden Holz und der Spitze, unterteilt in Arrondissements
Charakteristika dieses Holzes mit denen und Kantone), sollte die histor. Gegensätze
eines noch früheren usw. verglichen, sodass der (33) Provinzen der Monarchie auslö-
sich eine Folge von Jahresringen (= Jahren) schen; sie entsprang dem radikal rationa-
ergibt, die Datierungen weit zurück ermög­ list. Denken der Aufklärung und dem Wil-
licht. len zum nationalen Einheitsstaat. – Heute
Deng Xiaoping (Teng Hsiap’ing), chin. zählt Frankreich 95 D.s, die Namen der
Politiker, 1904–1997, Generalsekretär der früheren Provinzen haben sich als Land-
KPCh 1956–1967. D. wurde 1967 Op- schaftsbezeichnungen erhalten. – In der
fer der “Kulturrevolution”, 1973 rehabili- Schweiz Bez. für die Verwaltungseinheiten,
tiert, stieg er nach dem Tod Mao Tse-tungs auf welche die Regierungsgeschäfte (der
(1976) zum einflussreichsten chin. Politi- Kantone oder des Bundes) verteilt werden.
ker auf. Mit D. verbindet sich einer­seits die Deportation (lat., „Wegführung“, „Ver-
Öffnung Chinas zum Westen, aber auch schleppung“), 1) strafweise Verbannung
die blutige Niederschlagung der Demokra- von Verbrechern oder Staatsfeinden an ei-
tiebewegung auf dem “Platz des Himmli­ nen bestimmten Ort, vorzugsweise entle-
schen Friedens” 1989. 1990 Rücktritt von gene öde Inseln oder Landstriche mit rauen
allen wichtigen Ämtern. Lebensbedingungen; in der Antike von
Denikin, Anton Antonowitsch, russ. Ge- den ersten röm. Kaisern eingeführt, in der
neral und Konterrevolutionär, 1872–1947; Neuzeit von einigen Staaten in ein System
1917 Oberkommandierender gegen die gebracht. Das zarist. Russland deportierte
Deutschen, kämpfte 1918 als Nachfolger seit etwa 1650 bis 1917 nach Sibirien (in
Kornilows an der Spitze einer Freiwilligen- 5 Graden, vom Zwangsaufenthalt in einer
armee gegen die Bolschewisten im Nord- Stadt ohne sonstige Rechtsbeschränkung
kaukasus und am Kuban, leitete 1918 als bis zum Kettensträfling); die bolschewist.
Oberbefehlshaber der weißgardist. Streit- Machthaber setzten diese Tradition mit der

201
Derby

Einrichtung von Arbeitslagern fort, dabei hänger mystisch-asket. Bewegungen, aus


noch stärker auf die Ausbeutung der Ar- denen im MA zahlreiche Orden mit unter-
beitskraft der Verurteilten zu kolonisator. schiedlichen Regeln hervorgingen, meist in
oder industriellen Zwecken bedacht. Kolo- Klöstern unter einem Scheich, von from-
nisator. Ziele verfolgte auch England, das men Stiftungen, Betteln oder einem Hand-
seit 1619 nach Nordamerika, später Aus- werk lebend; Aufgaben: religiöse Unterwei-
tralien deportierte, doch 1858 die D. ab- sungen der Bevölkerung, Armenpflege, re-
schaffte. Das frz. Strafgesetzbuch (1810) ligiöse Übungen, ekstat. Kulttanz und -ge-
führte die D. als drittschwerste Strafe (nach sang („tanzende“, „heulende“ D.); auch als
Tod und lebenslängl. Kerker) auf; die Ver- Wanderprediger und Gaukler unterwegs;
schickung in die berüchtigten Strafkolo- bekannte D.-Orden: Rufaije, Mewlewije,
nien begann Mitte des 19. Jh. (Cayenne Bektaschi, Kalender-D., ↑ Senussi; meist
1852, Neukaledonien 1863, bes. 1872 für durch Tracht und Kult unterschieden; von
die Teilnehmer am Kommune­aufstand). großem religiösen und zeitweise auch von
2) Zwangsweise Umsiedlung ganzer Völker polit. Einfluss.
oder Bevölkerungsgruppen als Strafe oder Desaix, Louis Charles Antoine, frz. Gene-
aus polit., rass., milit. oder wirtsch. Grün- ral, 1768–1800; half Bonaparte bei der Er-
den, im Altertum von den Assyrern einge- oberung Ägyptens, fiel bei Marengo, nach-
führt, von den Römern bes. zur Sicherung dem er den Sieg herbeigeführt hatte.
gefährdeter Grenzprovinzen angewendet; Desiderius, letzter König der Langobarden,
in der neuesten Zeit bes. vom nat.-soz. Herzog von Tuszien (757–774); Nachfolger
Deutschland (von „Fremd­arbeitern“ in die Aistulfs, von Karl d. Gr., der seine Tochter
Rüstungsindus­trie, von Juden in die Ver- Desiderata heiratete, gestürzt, starb in der
nichtungslager), von der Sowjetunion und Verbannung; das langobardische Reich ins
der Türkei (von ↑ Armeniern 1915) geübt. Frankenreich einbezogen.
Derby, Edward Geoffrey, Graf, früherer Desmoulins, Camille, frz. Revolutionär,
Lord Stanley, brit. Staatsmann, Führer der 1760–1794; Advokat, Führer der Massen
Konservativen, 1799–1869; mehrfach Mi- beim Bastillesturm 1789, Mitbegründer
nister und Ministerpräsident, kämpfte ge- des Klubs der Cordeliers, wendete sich ge-
gen die Aufhebung der engl. Staatskirche gen die Schreckensherrschaft der Jakobi-
in Irland. – Sein Sohn Edward Henry D., ner, mit Danton hingerichtet.
1826–1893, trat als Gegner der russland- Despotie (despotes, griech. = Hausherr;
feindlichen Politik Disraelis zu den Libe- Despot bei den Persern Beiname von Kö-
ralen über. Die berühmten Derby-Rennen nigen, im ↑ Byzantin. Reich Anrede für
hat ein Ahne, der 12. Graf D., 1780 be- Prinzen, Thronfolger, Vasallenfürsten; bei
gründet. den Türken im 16./l7. Jh. für ­Gouverneure
Derfflinger, Georg (seit 1674) Reichs- auf dem Balkan): willkürliche Gewaltherr-
freiherr von, brandenburg. Feldmarschall, schaft ohne Gesetzesbindung und Kon-
1606–1695; Sohn eines Bauern, im 30- trolle, stützte sich auf die Mitwirkung
jähr. Krieg in schwed. Diensten, seit 1654 willfähriger Elemente, auf starke Polizei,
Reiterführer des Großen Kurfürsten; ver- militär. Hausmacht; heute Bez. für die un-
trieb zus. mit diesem die Schweden aus umschränkte Herrschaft eines Einzelnen.
Deutschland, entschied durch den Hand- Deutsch (ahdt. „diutisk“, mhdt. „tiu[t]sch“,
streich auf Rathenow den Sieg von Fehr- abgeleitet von „theoda“ – Volk), urspr. Be-
bellin 1675. zeichnung für die (german.) Sprache des
Derwische (persisch, „Arme“, „Bettler“), Volkes (lat.: „lingua theodisca“), im Ge-
Mönche des Islam (auch weiblich); An- gensatz zum Latein als Kirchensprache und

202
Deutsche Demokratische Republik

„walhisk“, Welsch, den roman. Sprachen; mission. Erster Staatspräsident Wilhelm


erst seit dem 9. Jh. zur Bezeichung der die­se Pieck, erster Ministerpräsident Otto Gro-
Sprache sprechenden Menschen („theo- tewohl, stellvertretender Ministerpräsident
disci“) angewandt (die in den Quellen des Walter Ulbricht, sämtlich Sozialist. Ein-
frühen MA als „barbari“ bezeichnet oder heitspartei Deutschtands (SED). Zusam-
nach den Stämmen, z. B. Franci, genannt mensetzung der Volkskammer, die zus. mit
wurden); seit dem 10. Jh. für Franken, der Länderkammer das Parlament bildet,
Sachsen, Bayern, Alemannen, ­ Thüringer, von der SED bestimmt, die auch die „de-
Friesen des Ostfränkischen Reiches ge- mokrat. Massenorganisationen“ (Gewerk-
braucht; bis ins 19. Jh. in der Schreibweise schaften, Frauenbund usw.) beherrschte.
„teutsch“ verwendet, da fälschlich von 1950 Ulbricht Generalsekretär der SED,
­„teutonicia (von Livius ­ übernommener, Verkündung des 1. Fünfjahresplans, An-
seit Otto d. Gr. im MA gebräuchl. Name erkennung der Oder-Neiße-Linie, Schaf-
der Deutschen) abgeleitet. fung der polit. Geheimpolizei. Okt. 1950
Deutsche Arbeitsfront, Abk. DAF, nach Wahlen, keine parlamentar. Opposition,
Zerschlagung der Gewerkschaften am „Blockpolitik“ der gleichgeschalteten Par-
10. Mai 1933 gebildete nat.-soz. Organi- teien (CDU, LDP, DNP, DBP). Freund-
sation, die anstelle der Gewerkschaften die schaftsverträge mit den Ostblockstaaten.
Interessen der dt. Arbeiter wahrnehmen Nach Bodenreform (­entschädigungslose
sollte; stützte sich auf das Vermögen der Enteignung des Privatbesitzes über 100 ha)
zwangsaufgelösten Gewerkschaften. Als und Errichtung Volkseigener Betriebe
Trägerin der „Nat.soz. Gemeinschaft ‚Kraft (VEB) konsequente Durchführung der
durch Freude’“ (KdF) organisierte die DAF zentral gelenkten Wirtschaft unter fast
Urlaub und Reisen und die Volksbildung. völliger Ausschaltung der Privatwirtschaft
Nach Kriegsbeginn war sie wesentlich an (1958: Anteil der sozialistischen Betriebe
der Umstellung der Wirtschaft auf die Rüs­ an Industrieproduktion 89 %); staatseigene
tungsproduktion beteiligt. Am 10. Okt. Handelsorganisation (HO), Produktions-
1945 aufgelöst. gemeinschaften der Handwerker und Bau-
Deutsche Demokratische Partei (DDP), ern; Einbau der Wirtschaft in die gesamte
1918 von Friedrich Naumann gegr. bür- Ostblockwirtschaft, z. T. im Rahmen des
gerliche, staatsbejahende, antisozialist. Par- später gegründeten ↑ COMECON (des
tei der Weimarer Republik, im Reich und „Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfen).
in den Ländern meist in den Regierungen 1952 Proklamierung der vollständigen So-
vertreten; 1930 Umbenennung in Deut- zialisierung und der längst vororganisier-
sche Staatspartei, 1933 selbst aufgelöst. ten „Nationalen Streitkräfte“. Auflösung
Deutsche Demokratische Republik, gegr. der Länder (nur noch Bezirkseinteilung)
7. Okt. 1949; Hauptstadt und Regierungs- zugunsten der zentralist. Verwaltung, Auf-
sitz Ost-Berlin, Verfassung am 30. Mai lösung der Länderkammer; 1953 Ulbricht
1949 vom „Volkskongress“ angenommen, 1. Parteisekretär; 17. Juni 1953 Aufstand
der sich zum provisor. Parlament erklärte der Arbeiter und Bauern militär. niederge-
und dessen über eine Einheitsliste unfrei schlagen; Beginn der zweiten Fluchtwelle
gewählte ständige Vertretung, der „Deut- (1950–1959 2,3 Mio. Flüchtlinge); 1954
sche Volksrat“, sich als vorläufige Dt. erfolgte nach der ergebnislosen Berliner
Volkskammer konstituierte, die Verfassung Außenminister-Konferenz der vier Mächte
in Kraft setzte und die Regierungsgeschäfte über die Deutschlandfrage durch sowjet.
übernahm. Gleichzeitig Umwandlung der Erklärung die ausdrückliche Anerkennung
sowjet. Militärverwaltung in eine Zivilkom- der DDR als „souveräner Staat“ (Ende des

203
Deutsche Demokratische Republik

Besatzungs-Regimes, die Befugnisse der tung ständiger Vertretungen in Bonn und


bisherigen Hochkommissare gingen über Ost-Berlin, Öffnung weiterer Grenzüber-
auf den sowjet. Botschafter, Belassung der gangsstellen und Einrichtung eines klei-
sowjet. Streitkräfte als „Schutztruppen“). nen Grenzverkehrs. Aufgabe des Allein-
1955 Beitritt der DDR zum Warschauer vertretungsanspruchs der Bundesrepublik.
Pakt; Änderung der Verfassung vom 1973 wurde die DDR Mitglied der Verein-
7. Okt. 1949, Bildung der „Nationalen ten Nationen. 1976 Umbesetzungen in der
Volksarmee“. 1956 2. Fünfjahresplan; seit Führungsspitze: Vorsitzender des Staatsrats
Erhebung in Ungarn verschärfte Überwa- (seit 1972 durch das Gesetz über den Mi-
chungsmaßnahmen; neben der Nationalen nisterrat der DDR wieder aufgewertetes
Volksarmee wurden Grenzpolizei und Be- Amt) wurde SED-Generalsekretär Hone-
triebskampfgruppen der SED aufgestellt. cker, Stoph wechselte auf den Posten des
1957 wurde die Staatsordnung der „Volks- Ministerratsvorsitzenden. Nach Jahren re-
demokratie“ als erreicht bezeichnet; die lativer Entspannung zw. den beiden dt.
Staatsgewalt ging faktisch von dem durch Staaten verschlechterte sich das Klima seit
das Zentralkomitee der kommunist. SED 1980 wegen Parteinahme der DDR für den
gelenkten Ministerrat aus. Im Truppenver- sowjet. Einmarsch in Afghanistan und die
trag vom 12. März 1957 wurde die weitere Unterdrückung der freien Gewerkschafts-
Anwesenheit der Truppen der Sowjetunion bewegung in Polen Solidarnosc). Der
geregelt; Verkündung eines Siebenjahres- Grenzübertritt zw. der DDR und Polen
plans; die Staatsflagge Schwarz-Rot-Gold wurde in beiden Richtungen erschwert.
erhielt Hammer- und Zirkel-Emblem; der Satz für den Devisen-Zwangsumtausch
1960 Pieck gest.; Ulbricht Vorsitzender für Besucher der DDR drastisch erhöht;
des Nationalen Verteidigungsrates, Partei- verstärkt erhob die DDR die Forderung
führer, Vorsitzender des Staatsrats (Amt nach völliger völkerrechtlicher Anerken-
des Staatspräsidenten beseitigt), Grote- nung durch die Bundesrepublik. Parallel
wohl Vorsitzender des Ministerrats; 1961 zur Friedensbewegung im Westen (nach
Flüchtlingsflut in die Bundesrepublik; am dem Beschluss über die Stationierung der
13. Aug. Abriegelung der Berliner Sek- Mittelstreckenraketen, Abrüstungskonfe-
torengrenze; 1962 Einführung der Wehr- renzen) begannen sich auch in der DDR
dienstpflicht für Männer und Frauen; Er- autonome Friedensgruppen zu bilden. In
klärung zum selbständigen Zollhoheitsge- zahlreichen Rahmen- und Einzelverein-
biet. Seit dem VI. Parteitag der SED Phase barungen entwickelte sich das dt.-dt. Ver-
wirtsch. Reformexperimente durch „Neues hältnis seit Mitte der 80er Jahre weiter
Ökonomisches System der Planung und (Kulturabkommen, Kredite für die DDR,
Leitung der Volkswirtschaft“. Aufstieg der Ausbau der grenzüberschreitenden Stra-
DDR zur stärksten Industriemacht des ßenverbindungen). Honeckers Staatsbe-
Ostblocks nach der UdSSR. Die Verfas- such in der Bundesrepublik im Sept. 1987
sung von 1968 charakterisierte die DDR galt der DDR als Anerkennung ihrer Ei-
als „Sozialist. Staat deutscher Nation“. genstaatlichkeit. Erstmals 1988 zeigte sich
1971 wurde ↑ Honecker 1. Staatssekretär die Regierung bereit, Entschädigungszah-
der SED, 1973 ↑ Stoph Vorsitzender des lungen für jüd. Opfer des Nationalsozialis-
Staatsrats. 1972 Normalisierung der Bezie- mus zu leisten. Die Weigerung der DDR-
hungen zur BRD durch Unterzeichnung Führung, den von M. Gorbatschow in der
des Grundlagenvertrages: Vereinbarungen UdSSR unter den Schlagworten Glasnost
über Einsetzung einer Grenzkommission, und ↑ Perestroika vorangetriebenen ge-
Austausch von Korrespondenten, Errich- sellschaftlichen und kulturellen Verände-

204
Deutsche Kommunistische Partei

rungen zu folgen, isolierte die DDR im delsgesellschaften und (politisch-propagan­


Ostblock; wirtsch. Schwierigkeiten und distisch „Dt. Kolonialgesellschaft“ und
eine seit Mitte 1989 rapide anschwellende „Dt. Kolonialverein“, erst später ­Initiative
Ausreisebewegung (hauptsächlich über des Reichs durch Übernahme der Schutz-
Ungarn und die ↑ CSSR) führten zu tief- herrschaft, Pachtverträge, Kauf oder Kom­
greifender Erschütterung des Staatswesens: pensationsforderung; Ausbau zu Tausch­
Massendemonstrationen, Entmachtung, märkten, Handels- und Machtstützpunk-
teilweise sogar Verhaftung führender Po- ten, Erschließung als Rohstoffquellen und
litiker, Umbenennung der Staatspartei in Siedlungsräume. Bis zum 1. Weltkrieg fi-
SED-PDS (Partei des Demokrat. Sozialis- nanz. Zuschussunternehmen. Heftige in-
mus – seit 1990 nur noch PDS), Öffnung nenpolit. Kämpfe zwischen „Kolonial-
der Grenze nach Westen im Nov. 1989, schwärmern“ und Kolonialgegnern; Ko-
Angebote an die Opposition zur Regie- lonial­skandale (↑ Peters); Eingeborenen­
rungsbeteiligung, freie Wahlen, wirtsch. aufstände (↑ Hereros). 1884 Dt.-Südwest­
Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik afrika (Lüderitz), Kamerun und Togo
mit der Aussicht auf grundlegende Verän- (Nachtigal), Kaiser-Wilhelm-Land, Neu-
derungen im Verhältnis der beiden dt. Staa- guinea. 1885 Dt.-Ostafrika (Peters), Mar-
ten. Die ersten freien Volkskammerwahlen schallinseln, 1898 Kiautschou (auf 99 Jahre
am 18. März 1990 ergaben eine Mehrheit gepachtet). 1899 Karolinen, Marianen, Pa-
für die konservative Allianz (CDU, DSU, lauinseln, (westl.) Samoainseln, 1911 Neu-
Demokrat. Aufbruch). 1. Sept. 1990 Wirt- kamerun. – Im 1. Weltkrieg fielen alle dt.
schafts-, Sozial- und Währungsunion mit Kolonien in Feindeshand, der Versailler
der Bundesrepublik, 3. Okt. Beitritt. Vertrag sprach Deutschland die Fähigkeit
Deutsche Einigungskriege, Bez. für die ab, Kolonien zu verwalten, („Kolonial-
drei Kriege, deren national integrierende schuldlüge“); die dt. Schutzgebiete wur-
Wirkung wesentlich zur dt. Einigung unter den als ↑ Mandate England, den britischen
Preußens Führung beitrug: ↑ Schleswig- Domi­nions, Frankreich, Japan und Belgien
Holstein. Krieg 1864, ↑ Dt. Krieg 1866, zugeteilt. Die in ↑ Locarno gemachten Zu-
↑ Dt.-Frz. Krieg 1870/71. sicherungen auf teilweise Rückgabe blie-
Deutsche Farben, bis 1806 Kaiserfarbe ben unerfüllt (↑ Kolonien).
Schwarz-Gelb; Bundesfarben 1848/49: Deutsche Kommunistische Partei, Abk.
Schwarz-Rot-Gold; Norddt. Bund und DKP; die 1968 neu gegründete kommu-
Zweites Dt. (Kaiser-)Reich: Schwarz- nist. Partei, die rechtlich keine Nachfolge­
Weiß-Rot; Weimarer Republik: Schwarz- partei der KPD (↑Kommunist. Partei
Rot-Gold; Handelsflagge: Schwarz-Weiß- Deutschlands) war, sondern mit neuem
Rot mit schwarz-rot-goldener Ecke; „Drit- Statut und Grundsatzprogramm die Ver-
tes Reich“: zunächst Schwarz-Weiß-Rot, fassungsordnung des Grundgesetzes formal
seit 1935 nur noch für Kokarden, Schlag- nicht anzweifelte. Sie strebte als allg. Ziel
bäume usw., sonst Hakenkreuzflagge; Bun- die „revolut. Veränderung der BRD“ hin
desrepublik und DDR Schwarz-Rot-Gold; zu einer „sozialist. Demokratie“ an. Die
in der DDR seit 1959 mit Hammer-und DKP wurde zwar nie als verfassungswid-
Zirkel-Emblem. rig verboten, wurde jedoch immer als ver-
Deutsche Fortschrittspartei, ↑ Fort- fassungsfeindliche Partei betrachtet (Radi-
schrittspartei. kalenerlass). Mit dem Ende der SED-Herr-
Deutsche Kolonien, zunächst durch pri- schaft in der ehemaligen DDR wurde der
vate Initiative (z. B. ↑ Lüderitz) ­erworben; DKP die materielle Grundlage entzogen.
Träger der Kolonialbewegung waren Han- 1990 wurde die Partei aufgelöst.

205
Deutscher Bund

Deutscher Bund, 1815 an Stelle des 1806 Verbündete Preußens: Italien und norddt.
aufgelösten Hl. Röm. Reiches Dt. Nation Kleinstaaten; auf Seiten Österreichs alle
auf dem ↑ Wiener Kongress durch die übrigen Mitglieder des Dt. Bundes (Han-
Bundesakte begründeter, durch die Wiener nover, Sachsen, Baden, beide Hessen,
Schlussakte 1820 erweiterter Zusammen- Bayern und Württemberg). Militär. Ent-
schluss der souveränen dt. Einzelstaaten scheidung bei Königgrätz, wo Moltke über
(35 Fürsten, 4 Freie Städte), die mit bevoll- Benedek siegte. Maßvolle Forderungen
mächtigten Gesandten auf dem Frankfur- Bismarcks (im Gegensatz zu preuß. Mi-
ter ↑ Bundestag (unter österr. Vorsitz) ver- litärs) im Vorfrieden zu Nikolsburg und
treten waren. Österreich gehörte nur mit Frieden zu Prag. Einverleibung Hanno-
Teilen seiner Gebiete (Böhmen, Mähren, vers, Kurhessens, Nassaus, Frankfurts und
Tirol u. a.) dem Dt. B. an, ebenso Preußen Schleswig-Holsteins in Preußen, das freie
(ohne Ost- und Westpreußen). Keine Ent- Hand in Deutschland erhielt. Österr. Ge-
wicklung zum dt. Nationalstaat (Versuch bietsverluste: Venetien an Italien (trotz ital.
1848/49 fehlgeschlagen); Mitglieder waren Niederlagen bei Lissa und Costoza). – Auf-
auch der König von England als König von lösung des Dt. Bundes.
Hannover, der König von Dänemark als Deutscher Michel, im 16. Jh. aufgekom-
Herzog von Holstein, der König der Nie- mener Spottname für den schwerfälligen,
derlande als Großherzog von Luxemburg. gutmütigen, bäuerlich-derben Typ des
Der Dt. B. zerfiel 1866 mit der von Öster- Deutschen, später ironische Bezeichnung
reich erwirkten Mobilmachung des Bun- für politische Rückständigkeit.
desheeres gegen Preußen und der Austritts- Deutscher Nationalverein, ↑ National-
erklärung Preußens. verein.
Deutscher Kaiser, 1871–1918 Titel der Deutscher Orden (Deutschritter oder
Könige von Preußen, die im (Zweiten) Dt. Deutschherren), einer der drei großen
Reich die Rechte eines Bundespräsidenten geistlichen Ritterorden neben ­Johannitern
besaßen. Wilhelm I. war gegen diesen Titel und Tempelherren; ging 1198 nach der
(„Charaktermajor“) und forderte den Titel vorausgegangenen Gründung eines Pilger­
„Kaiser von Deutschland“; bei der Kaiser- spitals vor dem von den Kreuzfahrern be-
proklamation in Versailles verfiel der Groß- lagerten Akkon (Akka, nördl. Haifa) aus
herzog von Baden auf den Ausweg, das einer von dt. Kreuzfahrern gestifteten
Hoch auf „Kaiser Wilhelm“ auszubringen. Bruderschaft zur Krankenpflege, Missions­
Deutscher König, an Stelle des „Königs der arbeit und zur Bekämpfung der Ungläu-
Franken und Sachsen“ (10. Jh.) Titel des bigen hervor; 1199 päpstlich bestätigt;
dt. Herrschers, seit dem 11. Jh. häufiger: Kauf von Landbesitz im Hl. Land. Nach
„König der Römer“; nach der Kaiserkrö- missglückter Niederlassung im siebenbürg.
nung vom Kaisertitel verdrängt, während Burgenland 1211 bis 1225 (Gründung
der Titel „Röm. König“ oft auf den von von Kronstadt) unter dem Hochmeister
den Fürsten durch Wahl zu bestätigenden Hermann von Salza um 1226 Beginn der
Thronerben angewendet wurde. Christianisierung Preußens, dessen Erobe-
Deutscher Krieg 1866 zw. Österreich und rung bes. dank des Landmeisters Hermann
Preußen um die Vorherrschaft in Deutsch- Balk 1283 abgeschlossen wurde (Ordens-
land (kleindt. oder großdt. Lösung der staat); seit 1226 standen die Hochmeister
dt. Frage); entzündet durch österr.-preuß. im Rang von Reichsfürsten; 1237 Ver-
Spannungen in Schleswig-Holstein und schmelzung mit dem 1202 begründeten
durch den preuß. Antrag auf Reform des Schwertbrüderorden in Livland, Bistümer
Dt. Bundes (unter Ausschluss Öster­reichs). Kulm, Pomesanien, Ermland, Samland;

206
Deutsche Volkspartei

1291 Sitz des Hochmeisters von Akkon krieg teilweise zerstört, seit 1947 wieder-
nach Venedig, dann nach Marburg a. d. aufgebaut; veranschaulicht die Entwick-
Lahn, 1309 in die Marienburg verlegt. lung von Naturwissensch. und Technik,
Größte Ausdehnung des Ordensstaates un- enthält wertvolle Originalapparate von
ter den Hochmeistern Winrich von Kni- Erfindern.
prode und Ulrich von Jungrogen im l4. Jh.: Deutsches Reich: Durch die Kaiserkrö-
Preußen, Livland, Kurland, Estland, Gut- nung Karls d. Gr. im Jahre 800 wurde
land; beherrschende Ostseemacht, fast die Tradition des römischen Imperiums
moderne Geldwirtsch.; neben Ritter- und mit der des christlichen Abendlandes und
Priesterbrüdern auch Söldner; Konvente nach der Entstehung eines dt. Königtums
unter Komturen, Komtureien zu Balleim (Anfang 10. Jh.) mit diesem durch Kaiser
zusammengefasst unter Landkomturen, Otto I. zum „Imperium Romanorum et
dt. Balleim unter Deutschmeis­tern (sonst Francorum“ verbunden. Außer Deutsch-
Landmeistern); die Hochmeis­ter wurden land bildeten auch Italien und Burgund
gewählt; Tracht: Ordensbrüder: weißer die Grundlage dieses mittelalterlichen
Mantel mit schwarzem Kreuz, Ritterbrü- Reiches, das deutsch und universal zu-
der: weißer Wappenrock mit Kreuz, kür- gleich war. Seit dem 11. Jh. als Römisches
zerer Mantel; Banner: weiß mit schlankem Reich, seit dem Spätmittelalter als „Hl. Rö-
Kreuz. Ende des 14. Jh. Gegensätze zu misches Reich Dt. Nation“ (eingeschränkt
Städten und Landadel. Wechselvolle auf Deutschland) bezeichnet; es bestand als
Kämpfe gegen Litauen und Polen. 1410 Erstes Reich bis 1806 unter wechselnden
vernichtende Niederlage bei Tannenberg, Kaiserhäusern. Die Machtgrundlage des
danach Abfall der dt. Städte; 1457 Ver- Reiches, die Lehenshoheit, seit dem 16. Jh.
lust der Marienburg, Verlegung des Sitzes durch die Ausbildung der autonomen Ter-
nach Königsberg; 1466 Zusammenbruch ritorialstaaten stark gemindert. Vom Ers-
der Ordensmacht im 2. Thorner Frieden ten Reich führte keine direkte Verbindung
(Westpreußen zu Polen, Ordensland Ost- zu dem 1871 durch die Politik Preußens
preußen poln. Lehen); 1525 unter dem geschaffenen, in Versailles proklamierten
Hochmeister ↑ Albrecht von Branden- nationalen, „kleindeutschen“ Kaiserreich,
burg-Ansbach Ordensgebiet in ein welt- dem sogenannten Zweiten Reich, das bis
lich-protestant. Herzogtum umgewandelt 1918 bestand. 1919-1933 war das Dt.
(1618 zu Brandenburg); kath. gebliebene Reich eine Republik (↑ Weimarer Repu-
Ritter verlegten Ordenssitz nach Mergent- blik), 1933-1945 als sogenanntes „↑ Drit-
heim, hielten aber Anspruch auf Preußen tes Reich“ eine faschistische ↑ Diktatur.
aufrecht, Besitz verblieb noch in Mittel-, ↑ Deutschland.
Süd- und Südostdeutschland, Italien, Spa- Deutsche Staatspartei, ↑ Deutsche De-
nien, Schweden, Griechenland, seit 1809 mokrat. Partei.
nur noch in Österreich; Hochmeister seit Deutsche Volkspartei, bürgerlich-nati-
1840 nur Titel; der priesterliche Zweig er- onale Partei der Weimarer Republik; aus
hielt 1929 neue Ordensregel, von Natio- den ehemaligen Nationalliberalen hervor-
nalsozialisten verboten, 1945 wiederherge- gegangen, gemäßigt monarchistisch, z. T.
stellt (Flüchtlingsfürsorge, ­Missionsarbeit). von der Schwerindustrie beeinflusst, die
Deutscher Zollverein, ↑ Zollverein. sich in den Wahlkämpfen zerrieben, 1933
Deutsches Museum, 1) in Berlin, 1930 schließlich aufgelöst. – Als bedeutendster
eröffnet, dt. Kunst bis Ende des 18. Jh. Parteiführer wurde ↑ Stresemann bekannt,
2) in München, 1903 von Oscar von Mil- dem es gelang die Partei in die Weimarer
ler gegründet, Neubau 1925, im 2. Welt- Republik einzubauen.

207
Deutsch-Französischer Krieg

Deutsch-Französischer Krieg, von 1870– Besiedlung durch Jäger und Sammler, im


1871 Ursache: die von Frankreich als He- ↑ Neolithikum erste Bauernkulturen mit
rausforderung angesehene Politik Bis- 3 Kulturkreisen: der nordische K. (Hünen-
marcks, unter preußischer Führung die dt. gräber im norddt. Flachland); der bandke-
Einheit zu verwirklichen, auf der Gegen- ramische Donaukreis (Ausgangspunkt der
seite Napoleons III. Prestige- und Kom- ↑ Urnenfelderkultur) und der westliche
pensationspolitik und die frz. Furcht vor K. (Pfahlbauten, Michelsberger Kultur).
einer preuß.-dt. Hegemonie in Europa. Gegen Ende der Steinzeit Beginn der In-
Auslösung durch die „einkreisende“ ho- dogermanisierung (Schnurkeramik, Streit-
henzollernsche Thronkandidatur in Spa- axt, Ackerbau, Viehzucht, außer Rind und
nien sowie Bismarcks Veröffentlichung der Schaf auch schon Pferd, das zunächst nur
↑ Emser Depesche Juli 1870. Kriegserklä- als Luxus von den Königen usw. als Zug-
rung Frankreichs an Preußen, auf dessen tier gebraucht wurde, Sonnenkult). In der
Seite wider frz. Erwarten die süddt. Staa- Bronzezeit seit etwa 1600 v. Chr. lassen sich
ten traten. Unter Moltkes Oberleitung dt. drei Völker unterscheiden: im Norden die
Siege bei Wörth, Spichern; Armee Bazaines Germanen, im SW die Kelten, im SO die
nach dt. Siegen bei Colombey-Nouilly, Illyrer. Die Kulturen von Hallstatt und La
Mars-la-Tour, Gravelotte und St. Privat Tène (Eisenzeit) hatten bereits Kontakt
in Metz eingeschlossen und im Okt. zur mit der Kultur im Süden. Erste Berührung
Übergabe gezwungen. Armee MacMahons zwischen Germanen und Römern im Krieg
am 2. Sept. bei Sedan geschlagen, Napo- gegen ↑ Kimbern und Teutonen (113–
leon III. gefangen. Danach Einschließung 101), noch sahen die Römer in den Ger-
von Paris, Abwehr der frz. Entsatzarmeen. manen ↑ Kelten; Germanenstämme ver-
Brechung des „nationalen Widerstands“ drängten allmählich die Kelten, mit denen
der 3. Republik (Gambetta); Jan. 1871 sie sich z. T. auch vermischten, doch ver-
Übergabe von Paris, Vorfriede von Ver- hinderten die Römer zunächst mit Erfolg
sailles Febr. 1871, endgültiger Abschluss ein weiteres Vordringen über den Rhein.
im ↑ Frankfurter Frieden. Ergebnis: die 58 v. Chr. ↑ Ariovist, Führer der Sueben,
dt. Einheit im Sinne Bismarcks verwirk­ bei Mühlhausen (?) von Cäsar, der als ers-
licht; Abtretung von Elsass und Lothrin- ter Römer Kelten und Germanen unter-
gen; frz. Reparationszahlungen; Krönung schied, geschlagen. 56 v. Chr. Abwehr der
Wilhelms I. von Preußen zum Dt. Kaiser; Usipeter und Tenkterer; 55 und 53 v. Chr.
frz. Vormachtstellung in Europa gebro- Übergang Cäsars über den Rhein, der zur
chen; Belastung der europäischen Politik befestigten Militärgrenze des Römerreiches
durch das Aufsteigen der neuen Groß- wurde; 15 v. Chr. wurde der spätere bayer.
macht Deutschland und durch frz. „Re- Raum südl. der Donau zur römischen Pro-
vanche“-Gedanken. vinz (Raetien-Vindelicien); im Übrigen
Deutschland, der heutige dt. Raum war in – abgesehen von vereinzelten militär. De-
den ↑ Eiszeiten von den Gebirgen und von monstrationen – zeigte Rom keine Ab-
der Arktis her z. T. vergletschert und nahm sicht, seine Herrschaft jenseits des Rheins
an den verschiedenen Kulturen des ↑ Paläo­ zu erweitern; aufgrund der bitteren Erfah-
lithikums teil; früheste Menschenfunde: rungen in der Schlacht im Teutoburger
Heidelberger Mensch (400 000 Jahre zu- Wald verzichtete Rom auf Eroberung des
rück, „der erste greifbare Europäer“), freien Germaniens; der von den röm. Kai-
Steinheimer Mensch (300 000 Jahre zu- sern Trajan und Hadrian 98–138 errich-
rück), der Neandertaler (um 100 000); im tete Limes sollte den Bestand des Reiches
↑ Mesolithikum Bewaldung und dichtere sichern; gegen 90 n. Chr. wurden die bishe-

208
Deutschland

rigen Operationsbereiche des röm. Heeres der ↑ Völkerwanderung (um 375–568)


am Ober- und Unterrhein verwaltungsmä- stießen 406 Vandalen, Quaden und Ala-
ßig von Gallien losgelöst und zu den Pro- nen über den Rhein nach Gallien vor, 407
vinzen ↑ Germania superior (Obergerma- überschritten auch Burgunder und erneut
nien) und Germania inferior (Untergerma- Alemannen den Rhein; burgund. Födera-
nien) ausgebaut. Seitdem gliederte die sich ten-Reich um Worms, das indes 436 vom
geschichtlich lange auswirkende Teilung weström. Heermeister Aetius vernichtet
des dt. Gebietes in ein von Rom verwal- wurde (451 Durchzug der ↑ Hunnen un-
tetes Germanien (Germania Romana) mit ter Attila, 476 Ende des weström. Reiches,
röm. Provinzialkultur (reiche Städte, z. B. das weitgehend german. unterwandert war,
Augusta Treverorum = Trier, mit Forum, durch ↑ Odoaker). Gegen Ende der Völ-
Amphitheater, Thermen) und in das freie kerwanderung sechs Hauptstämme zwi-
Germanien (Germania libera, magna), im schen Rhein und Elbe: Friesen, Sachsen,
Wesentlichen unberührt von röm. Zivilisa- Thüringer, Alemannen, Bayern und Fran-
tion. Tacitus gab in seiner „Germania“ die ken (bereits um 260 erstmals gen.), deren
klass. Schilderung Germaniens um Chr. Stellung sich seit Mitte des 5. Jh. sichtlich
Geburt. Die Germanen waren Krieger, festigt; fränk. Kultur und fränk. Staatsbil-
Ackerbauern, Viehzüchter, teilweise beein- dung (↑ Fränk. Reich) für die Zunkunft
flusst durch das Keltentum; Rom vermit- D.s geschichtlich entscheidend: Im ger-
telte im Laufe der Jh. viele Elemente zur man.-roman. Norden entwickelte sich auf
höheren Kultur: Schrift, Literatur, Stein- Grundlage german., röm. und christlicher
bau, Städte- und Straßenwesen, höhere re- Elemente (histor. Bedeutung des Übertritts
ligiöse Vorstellungen. Auf die Dauer ließen Chlodwigs zum kath. Christentum 496)
sich die Wogen der in Bewegung geratenen ein Staat neuartigen, besonderen Geprä-
Germanen an den Grenzen nicht stauen: ges: ↑ Chlodwig, der Merowinger, einigte
Der Vorstoß der Markomannen gegen die die Teilreiche seiner sal. Rivalen und besei-
Donau (166 n. Chr.) zwang Rom zu lang- tigte den König der ripuar. Franken, ver-
wierigen militärischen Abwehrmaßnah- nichtete durch seinen Sieg bei Soissons
men; 213 n. Chr. versuchten die Aleman- über Syagrius den letzten Rest röm. Herr-
nen den rätischen und obergermanischen schaft, bezwang die Alemannen und hin-
Limes zu durchbrechen, durch ↑ Caracalla terließ 511 seinen Nachfolgern ein festge-
zunächst aufgehalten, 233 aber gelang ih- fügtes „fränk. Reich“; seine Söhne unter-
nen der Durchbruch und der Vorstoß bis warfen die Thüringer und die Burgunder
Oberitalien, Rom gab den Limes auf und und brachten auch Bayern in lose Abhän-
räumte das Land nördl. der Donau und gigkeit, Sachsen und Friesen hielten sich
rechts des Rheins, das planmäßig stärker unabhängig.
befestigt wurde. Seit Ende des 3. Jh. an der Nach Verfall der Merowinger-Herrschaft
oberen Donau und am Rhein Ansiedlung durch Teilungen, Familienzwiste Wieder-
von Germanen; 288 die Rheinmündung aufstieg unter den Hausmeiern (Pippini-
von den Franken besetzt, Sachsen erschie- den); Pippin der Mittlere (aus dem austra-
nen an der Küste Nordfrankreichs; seit 355 sischen Geschlecht der Arnulfinger, stellte
Vordringen der Franken an und über den durch seinen Sieg über den neustr. Haus-
Rhein; 350 der Rhein von den Aleman- meier bei Tertri 687 die Reichseinheit wie-
nen auf breiter Front überschritten, auf- der her; sein leiblicher Sohn, Karl Martell,
gehalten 357 durch den Sieg Julians bei schlug 732 in der Schlacht zw. Tours und
Straßburg; 401 wurde schließlich der Ober­ Poitiers die ↑ Araber und rettete dadurch
rhein von den Römern geräumt. Im Zuge die christlich-german. Kultur vor dem Is-

209
Deutschland

lam. Endgültige Verlagerung des polit. und tonicorum“), das ↑ Heinrich I., 919–936,
kulturellen Schwergewichtes vom Mittel- der erste der sächs. Herrscher, begründete
meer nach Norden. Martells Sohn Pippin (919–1024); H. suchte die Einheit seines
d. Jüngere, seit 741 Hausmeier, seit 752 Reiches zu fördern, reorganisierte die Lan-
König, wurde zum Begründer der karo- desverteidigung (Burgenbau; Schaffung ei-
lingischen Königsdynastie (­endgültige Ab- ner Reiterei und Ausbildung des Lehens-
setzung der Merowinger); folgenreich die wesens); er vernichtete ein ungar. Heer
sog. Pippinsche Schenkung: gegen päpstl. bei Riade (Unstrut). Seinem Sohn Otto I.
Anerkennung der neuen Dynastie königl. d. Gr. (936–973) gelang die Niederwer-
Schutz des Papsttums vor den Langobar- fung der aufständ. Herzöge und die Ver-
den (rechtliche Grundlage des ↑ Kirchen- treibung der Ungarn (Schlacht auf dem
staates), Verknüpfung kirchl. und welt- Lechfeld 955); Otto kehrte zur Reichskir-
licher Macht. Die Entwicklung gipfelte chenpolitik der Karolinger zurück, indem
in dem abendländischen Reich ↑ Karls er die geistlichen Fürsten zu Stützen der
d. Gr. (768‑814): Einverleibung des Lan- Reichseinheit machte, erneuerte die Kai-
gobardenreichs, Unterwerfung des bayer. serwürde (Kaiserkrönung 962) und ge-
Herzogtums (Absetzung Tassilos III.), Be- wann maßgeblichen Einfluss auf das Papst-
zwingung des letzten noch unabhängigen tum, dadurch Begründung des Hl. Röm.
Stammes der Sachsen; Erneuerung der Reiches und Einleitung der mittelalterl.
röm. Kaiserwürde als krönender Abschluss Italienpolitik der dt. Kaiser. Unter Otto II.
(Translatio imperii); neben diesen polit. und vollends unter Otto III. christlich-uni-
Erfolgen auch die erste nachdenkende und versale Einheitskultur noch ohne nationale
nachempfindende Renaissance der klass. Besonderheiten, getragen von Kloster- und
Wissenschaft und Kunst (↑ Karoling. Re- Domschulen, eine neue Renaissance (↑ Ot-
naissance). Karl d. Gr. (Charlemagne) wird tonisches R.).
sowohl von dt. wie von frz. Historikern in In dem letzten der Sachsenkaiser, Hein-
gleicher Weise als Ahnherr des dt. wie des rich II., erstand dem Reich ein Retter ge-
frz. Königtums bezeichnet, sein Kaisertum genüber den Wirren im Innern wie auch
war abendländ.-christl.-universal, da noch gegenüber den Slawen (Boleslav Chrobry).
keine Nationen mit eigener Staatsidee be- ↑ Konrad II. (1024–1039) eröffnete die
standen; erst durch die Reichsteilungen, Reihe der fränk. oder sal. Kaiser (1024–
die seine Erben und Nachfolger vornah- 1125), stützte sich, um vom Adel und 122
men, vor allem durch die Verträge von von der Kirche unabhängig zu werden, auf
↑ Verdun und ↑ Mersen bahnte sich eine die kleineren Vasallen, denen er die Erblich-
dt. wie auch eine frz. Nationalgeschichte keit ihrer Lehen zugestand. Die Regierung
an. Ludwig der Deutsche wurde Erbe Ost- ↑ Heinrichs III. (1039–1056) bedeutete
frankens (des späteren Deutschlands), Re- einen Höhepunkt kaiserlicher Machtfülle
sidenz in Regensburg; nach seinem Tode (Absetzung und Ernennung der Päpste),
neue Teilreiche und mangels einer starken der nach dem Tod des Kaisers zwangsläu-
Zentralgewalt Erneuerung der Stammes­ fig zur Auseinandersetzung mit dem Papst-
herzogtümer in Sachsen, Bayern, Schwa- tum um die Abgrenzung der gegenseitigen
ben und Franken. Gegen die anderen Machtbereiche (↑ Investitur) führte. Den
Herzöge vermochte sich der 911 zum dt. erbitterten Kampf musste ↑ Heinrich IV.
König gewählte Frankenherzog Konrad I. (1056–1106) austragen; 1062 als Knabe
nicht völlig durchzusetzen; sein Reich in Kaiserswerth gewaltsam entführt, 1065
(„Regnum Francorum“) war Übergang zu mündig, warf er 1073/74 einen Sachsen-
dem eigentlichen dt. Reich („Regnum Teu- aufstand nieder, kämpfte hartnäckig gegen

210
Deutschland

Papst Gregor VII. und die gregorian. Re- reiches, verbunden mit der Oberherrschaft
form, zuletzt auch gegen den eigenen Sohn des Kaisertums über die abendländ. Chris­
Heinrich V. (1106–1125), dem es gelang, tenheit; seinem Hause suchte er auf dem
1122 im Wormser Konkordat den Investi- Erbweg die Kaiserkrone zu sichern, sein
turstreit beizulegen. Die Notlage des Kö- früher Tod aber verhinderte die Durchfüh-
nigs nützten im Innern des Reiches die rung und leitete den Abstieg ein. Das Dop-
partikularen polit. Gewalten, bes. die Wel- pelkönigtum Philipps von Schwaben und
fenherzöge, zur Stärkung und Erweiterung des Welfen Otto IV. (1198–1212) offenba-
ihrer Macht, der König fand Hilfe bei den rte den Niedergang des König- und Kaiser-
(bes. rheinischen) Städten; in die Zeit des tums. Die Niederlage Ottos bei ↑ Bouvines
Investiturstreites fiel auch der Beginn der (1214) bedeutete nochmals einen Sieg der
„Hl. Kriege“, der ↑ Kreuzzüge; ohne dt. Staufer, deren Zeitalter glanzvoll ausklang
Beteiligung begann der 1. Kreuzzug, in der in dem kämpfer. Königtum ↑ Friedrichs II.
Hauptsache getragen von dem religiös-ver- (1212–1250), dessen Tod den Untergang
klärten Rittertum. Nachfolger Heinrichs V. des mittelalterl. Kaisertums überhaupt
wurde ↑ Lothar von Supplinburg (1125– bedeutete. Fr. machte den geistlichen wie
1137), unter ihm Wiederaufnahme der den weltlichen Fürsten in Deutschland
Mission und Kolonisation im Nordosten. große Zugeständnisse, die für die Entwick-
Nachfolger wurde statt des von ihm desi- lung landesherrlicher Macht entscheidend
gnierten Welfen (Heinrich der Stolze) der wurden, und konzentrierte sich auf den
Hohenstaufe ↑ Konrad III. (1138–1152), Machtkampf mit den Päpsten; gleichzeitig
gewählt von der Kirche und den Fürsten; gewannen die westeurop. Mächte Einfluss
als erster Staufer lag Konrad fast dauernd auf die dt. Verhältnisse. Der Tod des Kai-
im Kampf mit den Welfen und war betei- sers, das Erliegen der letzten Staufer in Ita-
ligt an dem gescheiterten 2. Kreuzzug. Ge- lien (Hinrichtung Konradins 1268) besie-
waltiger Aufschwung des Kaisertums un- gelten das Ende des ritterlichen Zeitalters in
ter ↑ Friedrich I. Barbarossa (1152–1190), seiner Größe und seinem Glanz (die große
zunächst Verständigung mit den Fürsten, Zeit der Ministerialen, staufische Dich-
dann leidenschaftlicher Kampf mit dem tung und Kunst). Für das Reich folgte das
Papsttum und mit den lombardischen Interregnum, „die kaiserlose, die schreck-
Städten, schließlich aber nachgiebig ge- liche Zeit“; erst die Erhebung Rudolfs von
genüber Papst und Lombarden; Sturz Habsburg 1273 weckte neue Hoffnungen;
Heinrich des Löwen; nächstes Ziel die Er- nach Lage der neuen Verhältnisse, unter
oberung des normannischen Reiches, vor- denen die tatsächliche Macht des König-
zeitiger Tod an der Spitze des 3. Kreuz- tums schwere Einbußen erlitten hatte, sah
zugs. In Fortführung seiner Politik brach sich König Rudolf indes in der Hauptsa-
↑ Heinrich VI. (1190–1197) den Wider- che auf die Macht seines Hausbesitzes an-
stand des welfisch-sächsisch-niederrhein. gewiesen, doch gelang es ihm, durch Land-
Fürstenbundes (Gefangennahme des Kö- friedenstätigkeit (Landfriedensbündnisse)
nigs Richard Löwenherz von England) und segensreich zu wirken. Die fortschreitende
eroberte das normannische Reich, Höhe- ostdt. Kolonisation, die von den Landes-
punkt der stauf. Macht; Heinrich, der die herren, Städten und Ritterorden getragen
Kronen von Deutschland, Burgund, der wurde, brach zusammen, als die außerdt.
Lombardei und von Sizilien trug, plante Staaten Osteuropas und Skandinaviens er-
die Beseitigung des Wahlreichs, die Be- starkten; ohne den notwendigen Rückhalt
gründung einer Erbmonarchie und darü- durch ein starkes Reich erlahmte die Macht
ber hinaus die Errichtung eines Universal- des Dt. Ordens ebenso wie die der Hanse.

211
Deutschland

Zunehmende Hausmachtpolitik schwächte Burgund. Kreis = Burgund, Luxemburg,


nicht nur den Reichsgedanken, sondern Belgien, Holland waren habsburgische
auch eine gesamtdt. Ordnung, im Unter- Hausmacht). Verwicklungen durch den
schied zur nationalstaatlichen Entwicklung wachsenden außerdt. Besitz; Kampf gegen
in Frankreich und England, wo sich Zen- Westen; die Türken zwangen Karl V. zum
tralgewalt und Erbmonarchie durchsetzten Kampf auch nach SO. Im Innern Schwä-
und die Territorialherren allmählich zum chung durch den Misserfolg der kirch-
Hofadel herabgedrückt wurden. Das Recht lichen Reform und die daraus erwach-
der Königswahl wurde in Deutschland seit sende Glaubens- und Kirchenspaltung in
der Mitte des 13. Jh. von den ↑ Kurfürsten der ↑ Reformation (konfessionelle und po-
beansprucht; vor der Wahl ließen sich die lit. Spaltung der Reichsstände). Das Herr-
Landesfürsten ihre Rechte bestätigen oder scherhaus teilte sich 1521/22 in eine dt.
erweitern (Wahlkapitulation). Unter den und span. Linie, doch blieb die Verflech-
Luxemburgern versuchte Heinrich VII. tung in außerdt. Angelegenheiten in der
(1308–1313) tatkräftig die Kaisertradition Folgezeit verhängnisvoll, als Deutschland
fortzusetzen (von Dante als ­Erneuerer der zum Tummelplatz fremder Heere und In-
Kaiserschaft gefeiert); er starb auf dem Rö- teressen wurde.
merzug; der Luxemburger Karl IV. (1347– Der ↑ Augsburger Religionsfriede von
1378) bestätigte in der ↑ Goldenen Bulle 1555 bestätigte die konfessionelle Spal-
1336 das alleinige Wahlrecht der Kur- tung und die staatliche Zerrissenheit. In
fürsten, das Grundlage der Reichsordnung den Parteiungen der protestant. „Union“
bis zur Reichsteilung 1806 blieb (Grün- (1608) und der kath. „Liga“ (1609) stan-
dung des vom Reich unabhängigen Rhein- den sich die Konfessionen gegenüber.
bundes). Seinem Sohn Sigmund (Sigis- Der Aufstand der Böhmen (↑ Prag) ließ
mund; 1410–1437) gelang es, auf kirch- die Fronten zusammenprallen (↑ 30-jähr.
lichem Gebiet das Schisma zu verhüten; Krieg). Der ↑ Westfäl. Frieden 1648 zerstü-
doch blieben Versuche zur Kirchenreform ckelte das Reich in 372 Obrigkeitsstaaten,
erfolglos, ebenso wie unter Maximilian I. überlieferte die Macht den Reichsfürsten
(1493–1519) die von ↑ Berthold von Hen- und strich das Reich als Großmacht aus,
neberg angeregte Reichsreform zur Stär- während England, Schweden und Russ-
kung der Zentralgewalt fehlschlug. Durch land und vor allem Frankreich emporstie-
seine Ehe mit der Erbin von Burgund, gen: Frankreich löste unter Ludwig XIV. D.
durch Erbvertrag mit Böhmen‑Ungarn, als erste Festlands-Großmacht ab. In dem
durch die Ehe seines Sohnes Philipp mit „Monstrum“ des Reiches mit dem Neben-
Johanna, der Tochter Ferdinands von Ara- einander souveräner Fürsten, die entweder
gon und Isabellas von Kastilien, legte Ma- als Landesherren für die Wohlfahrt ihrer
ximilian den Grund zur späteren Donau- Untertanen sorgten oder ganz ihren pri-
monarchie. Die größeren Fürsten des Rei- vaten Zielen lebten und den „beschränkten
ches bauten in dieser Zeit zielstrebig ihre Untertanengeist“ heranzüchteten, standen
Territorien aus (Röm. Recht, Beamtentum, die Reichsinteressen fast völlig zurück, der
Söldnertruppen) und versuchten, auch das Kaiser war nur noch Träger eines Ehren-
Bürgertum der privilegierten Städte zu Un- titels (ein gewisser „Reichspatriotismus“
tertanen zu machen. hielt sich jedoch noch bis 1806). Ansehen
Das Universalreich des MA wiederher- und Macht der habsburg. Kaiser gründeten
zustellen, war das Bemühen vor allem sich auf ihre immer noch wachsende Haus-
Karls V. (1519–1556), des Erben eines Rie- macht, die es ihnen ermöglichte, die ↑ Tür-
senreiches (Spanien und seine Kolonien; kengefahr zu bannen (Wien 1683, Belgrad

212
Deutschland

1688); das Vorrücken Frankreichs im El- der Reichsdeputationshauptschluss (1803)


sass konnte jedoch nicht verhindert wer- wurde für die Fürsten zur großen territori-
den. Innerhalb des Reichsraumes wurde alen „Flurbereinigung“ (Säkularisation der
die Schwäche der Reichsgewalt seit 1640 geistl. Gebiete, Mediatisierung zahlreicher
(↑ Friedrich Wilhelm I.) von den Herr- Reichsstädte); nach dem 3. Koalitionskrieg
schern Brandenburg-Preußens zur Verein- 1806: Niederlage Preußens, Errichtung des
heitlichung und Ausweitung ihres Staates souveränen Rheinbundes außerhalb des
benutzt, der ein Bollwerk gegen die sich Reiches, dadurch am 6. Aug. 1806 Ende
seit dem 18. Jh. vorschiebende Macht des Ersten Reiches, des „Hl. Röm. Reiches
Russlands wurde. Ostpreußen wurde aus Dt. Nation“; Franz II., letzter Kaiser des
der poln. Lehnshoheit befreit. Der Erb- alten Dt. Reiches, legte unter dem Druck
folgekrieg um die Kaiserwürde der Habs- Napoleons die Kaiserkrone nieder, nach-
burger (1741–43) führte zum dreimal er- dem er 1804 den österreichischen Kaiser-
neuerten Kampf Preußens und Österreichs titel angenommen hatte; das Ende des Kai-
um Schlesien. Mit der Eroberung Schlesi- sertums verschlimmerte die Lage. Nach der
ens durch ↑ Friedrich d. Gr. (↑ 7-jähriger Katastrophe Napoleons in Russland Erhe-
Krieg) verstärkte sich der Dualismus zwi- bung der Völker und Wiedererkämpfung
schen Österreich und Preußen, der für der Freiheit in den ↑ Befreiungskriegen.
mehr als ein Jh. die dt. (und europ.) Poli- Die europ. Neuordnung, die 1815 auf
tik bestimmte. Die habsburg. Kaisermacht dem ↑ Wiener Kongress im Geiste der
wurde durch Preußens Aufstieg zur Groß- „Heiligen Allianz“ erfolgte, enttäuschte die
macht nach Südosteuropa abgedrängt. Die Hoffnungen der dt. Patrioten und schaffte
Entwicklung der beiden dt. Großstaaten erneut einen Bund souveräner dt. ­Staaten,
bewegte sich noch weiter vom Reich zur Ei- den ↑ Deutschen Bund, der sich im Vor-
genstaatlichkeit fort. Durch die Teilungen märz mit Mühe und unterschiedlichem
↑ Polens von 1772, 1793, 1795 wurden die Erfolg (↑ Karlsbader Beschlüsse) der libe-
deutschen Grenzen nach Osten vorgescho- ralen und nationalen Bewegung erwehrte.
ben. Im Zeitalter der ↑ Frz. Revolution Die erstrebte polit. Einheit D.s wurde
und ↑ Napoleons wirkte sich durch das zunächst auf wirtsch. Gebiet eingeleitet
Fehlen einer aktionsfähigen Zentralgewalt durch den Dt. ↑ Zollverein (1833) und
die Ohnmacht des Reiches verhängnis- seinen Ausbau. Die vom Bürgertum getra-
voll aus; Verlauf und Ergebnis der ↑ Koa- gene Revolution von 1848/49 (↑ Märzre-
litionskriege offenbarten die Schwäche des volution) führte zur ersten dt. ↑ National-
alten Reiches gegenüber der frz. Nation: versammlung, eröffnete am 18. Mai 1848
Rückzug nach der Kanonade von ↑ Valmy in der Paulskirche den ersten Versuch zur
(1792), Ausbruch Preußens aus der Koali- Bildung eines alle dt. Länder umfassenden
tion (Basler Separatfrieden 1795, von der parlamentarischen Reichstages; der revo­
österr. Publizistik als „Verrat am dt. Vater- lutionären Bewegung wurde der ­ Mangel
land“ gebrandmarkt; fakt. Preisgabe des an einem politischen Zentrum D.s ebenso
linken Rheinufers); nach schweren Nie- zum Verhängnis wie der Mangel an polit.
derlagen Österreichs Friede von Campo Wirklichkeitssinn; der Versuch zur Schaf-
Formio (1797), in dessen Geheimabma- fung einer einheitlichen dt. Verfassung
chungen sich Österreich zur Räumung des und eines Reichsministeriums sowie eines
linken Rheinufers verpflichtete; der 2. Ko- neuen dt. Kaisertums misslang, stattdes-
alitionskrieg (1799–1802, Preußen blieb sen verschärfte sich der österr.-preuß. Ge-
wieder neutral) endete mit dem Frieden gensatz im Kampf um die Führung in D.;
von Lunéville, linkes Rhein­ufer blieb frz.; der Kampf (Scheitern des ↑ Erfurter Parla-

213
Deutschland

ments, Preußens Nachgeben in ↑ Olmütz) mühungen um den Ausgleich der Interes-


wurde durch die Politik ↑ Bismarcks und sen. Verhängnisvoll wirkte sich das Miss-
den durch sie ausgelösten ↑ Deutschen trauen des Auslands, bes. Englands, aus, als
Krieg 1866 im Sinne der nationalen preuß. nach Bismarcks Rücktritt im Zeitalter des
Staatsidee entschieden. Mit dem preuß. ↑ Imperialismus und Wilhelms II. das neue
Sieg entstand ein kleindt. Bundesstaat un- Reich von der kontinentalen zur Weltpoli-
ter Führung Preußens (Auflösung des Dt. tik überging und eine Seemacht zu grün-
Bundes, Ausscheiden Österreichs aus D.), den begann. Der außenpolit. „Neue Kurs“
zunächst seit 1867 als ↑ Norddt. Bund, begann 1890 mit der unerwarteten Kündi-
nach der siegreichen Beendigung des gung des ↑ Rückversicherungsvertrages mit
↑ Dt.-Frz. Krieges als („kleindeutsches“) Russland; das unbedingte dt. Zusammen-
Kaiserreich (sog. Zweites Reich; „vom Volk gehen mit Österreich verstärkte die Ab-
gebilligt, aber von ihm polit. nicht mitge- neigung Russlands, das sich mit dem we-
staltet“) unter dem Hause Hohenzollern gen der Abtretung Elsass‑Lothringens geg-
und einem ernannten, beamteten Reichs- nerischen Frankreich verband. Auch das
kanzler als einzigem Reichsminis­ter. Den Verhältnis zu England wurde zusehends
deutschen Nationalstaat erklärte Bismarck gespannter; die ↑ Krügerdepesche (1896)
als „saturiert“ und als gleichberechtigtes, verstimmte England schwer, Bündnisver-
friedliebendes Mitglied der europ. Staaten- handlungen (1893 und 1901) blieben ohne
gemeinschaft, um das in der Umwelt und Erfolg. So vermochte die an sich friedfer-
im Innern bestehende Misstrauen allmäh- tige, aber unsichere und wenig scharfsich-
lich zu beseitigen. Bismarcks geschickter tige, durch die Ungeschicklichkeit des Kai-
und zurückhaltender Außenpolitik gelang sers und bes. ↑ Bülows belastete dt. Politik
es, Vertrauen für die neue europ. Groß- 1890 bis 1914 den Ausbruch des Ersten
macht D. zu erwerben. ↑ Weltkrieges nicht zu verhindern. Die dt.
Weniger günstig gestalteten sich die innen- Niederlage 1918 brachte in der November-
polit. Verhältnisse: Bismarck schonte zwar revolution den Zusammenbruch des Kai-
die Gefühle der dt. Dynastien und ihrer sertums und des Zweiten Reiches sowie die
Anhänger (außer den Welfen), genehmig­te Schaffung der ↑ Weimarer Republik, deren
Reservatrechte in der Reichsverfassung bes. Verfassung zum ersten Mal Reichsministe-
für Bayern, aber der ↑ Kulturkampf hielt rien vorsah und den Parlamentarismus in
das Misstrauen des kath. Volksteils gegen D. einführte. Die D. auferlegten Lasten
das „protestant. Hohenzollernreich“ wach. des Versailler Vertrages (nicht zu bewälti-
Der preuß. Großgrundbesitz wurde auf gende Güter- und Geldreparationen, Ko-
Kosten anderer Volksschichten begünstigt lonialverlust, Abtretung von Reichsteilen,
(Getreidezölle), ebenso die Schwerindus­ politische Demütigungen), die frz. Ruhr-
trie (Eisenzölle); die parlamentar. Opposi- besetzung und die Inflation von 1922/23
tion der Linksliberalen wurde zu unfrucht- zerrieben die Kräfte des demokrat. Kerns
barem Parteikampf verdammt, die in der und begünstigten sowohl den Linksradi-
Sozialdemokratie polit. organisierte Arbei- kalismus wie einen extremen Nationalis-
terschaft durch das ↑ Sozialistengesetz (trotz mus (↑ Nationalsozialismus), der den Ge-
der für Europa vorbildlichen Sozialgesetz- danken einer europ. Zusammenarbeit im
gebung) weiterhin entfremdet. Die auch ↑ Völkerbund, in den D. 1926 dank der
für die Außenpolitik D.s entscheidende Politik ↑ Stresemanns aufgenommen wor-
Frage, ob Festhalten an agrar. Struktur oder den war, sabotierte. Die Massenarbeitslo-
Übergang zum reinen Industriestaat, blieb sigkeit, Zusammenbruch des Mittelstandes
offen; deshalb in der Folgezeit ständige Be- im Gefolge der Weltwirtschaftskrise 1930–

214
Deutschland, Bundesrepublik

32 und noch ungelöste außenpolit. Pro- kontrollamt; Gesetzgebung: der parlaments­


bleme erschütterten die kaum gefestigte ähnliche Wirtschaftsrat). Marshallplan,
Demokratie. begann am 1. Juli 1948 nach Währungs-
Unter Ausnutzung der (in der ganzen reform mit Wirtschaftsstarthilfe. 1948 Be-
Welt) bestehenden (abklingenden) Krise schluss der westl. Besatzungsmächte, dass
gelangte der Nationalsozialismus 1933 Westzonen in bundesstaatlicher Ordnung
zur Herrschaft und errichtete die autori- gemeinsame, bevollmächtigte Regierung
täre Staatsform des sog. ↑ Dritten ­Reiches, erhalten sollen; Anweisung zur Einberu-
das 1938 mit der Angliederung Öster- fung einer konstituierenden Versamm-
reichs als „Großdt. Reich“ proklamiert lung zum 1. Sept. 1949 und zur Festlegung
wurde. Die territorialen Ansprüche Hitlers der Ländergrenzen mit dem Ziel der Be-
führten – nach einer scheinbaren Beruhi- endigung der Teilung Deutschlands (Ein-
gung durch das ↑ Münchener Abkommen ladung an die UdSSR, die ablehnte). Am
– infolge des Überfalls auf die Tschecho- 1. Sept. 1948 traten 65 von den Landtagen
slowakei und Polen zum Zweiten ↑ Welt- gewählte Delegierte (dazu 5 Berliner De-
krieg, der 1945 mit dem völligen Zusam- legierte ohne Stimmrecht) aus 7 Parteien
menbruch des Dt. Reiches, der Besetzung (CDU/CSU 26, SPD 26, FDP 5, DP 2,
ganz D.s, der Abtrennung großer Reichs- Zentrum 2, Kommunisten 2) zum Parla-
teile und der Vertreibung ihrer Bewohner mentar. Rat in Bonn zusammen; Ratsprä-
endete. sident Konrad Adenauer. Am 8. Mai 1949
Aus den Besatzungszonen der Westmächte wurde das Grundgesetz als provisor, Ver-
einerseits und der Sowjetzone andererseits fassung für Gesamtdeutschland angenom-
bildeten sich zwei getrennte Staatsteile he- men, am 23. verkündet, am 15. Juli Erlass
raus, die 1949 eine verschiedene verfas- des Wahlgesetzes zum 1. Bundestag und
sungsmäßige Grundlage erhielten: ↑ Bun- zur 1. Bundesversammlung. 14. Aug. 1949
desrepublik Deutschland und ↑ Deutsche Wahlen (78,5 % Beteiligung). Am 7. Sept.
Demokratische Republik (DDR). 1949 Konstituierung von Bundestag und
Deutschland, Bundesrepublik, aus den Bundesrat. Die 1. Bundesversammlung
drei westlichen Besatzungszonen gebildet, (804 Mitglieder) wählte am 12. Sept. 1949
föderalist., demokrat., parlamentar. Staats- den 1. Bundespräsidenten mit 5-jähriger
wesen (Bundesstaat). Vorausgegangen wa- Amtszeit (Prof. Theodor Heuss, FDP), auf
ren 1945 bzw. 1946 die Bildung der Län- dessen Vorschlag wählte der 1. Bundes-
der Bayern, Württemberg-Baden, Hessen tag am 19. Sept. 1949 den Bundeskanzler
(US-Zone), Baden (Südbaden), Württem­ (Konrad Adenauer, CDU). Die Rechte der
berg-Hohenzollern, Rheinland-Pfalz (frz. 11 Länder (heute nach Bildung von Baden-
Zone), Bremen, Hamburg, Schleswig-Hol- Württemberg und der Rückkehr des Saar-
stein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfa- landes 10) wurden vom Bundesrat vertre-
len (brit. Zone, nach Auflösung der preuß. ten, zur prov. Hauptstadt wurde Bonn be-
Provinzen); Großberlin erhielt besatzungs- stimmt. Die Rechte der westl. Besatzungs-
rechtliche Sonderstellung, das um 109 Ge- mächte wurden durch das am 21. Sept.
meinden vergrößerte Saargebiet wurde von 1949 in Kraft getretene Besatzungsstatut
Deutschland losgetrennt und in Anleh- geregelt; sie behielten sich die oberste Ge-
nung an Frankreich autonom; 1947 Bil- walt bei Gefährdung der Ordnung vor und
dung der wirtsch., verkehrsmäßig und fi- bestätigten dem Bund und den Ländern
nanziell zusammengefassten US- und brit. die Staatshoheit (ausgenommen Entwaff-
Zone (Bizone, Leitung: Dt. Exekutivrat, nung, Entmilitarisierung, Ruhrkontrolle,
Frankfurt; Überwachung: Zweimächte­ Vorprüfungs- und Einspruchsrecht bei Ge-

215
Deutschland, Bundesrepublik

setzen, Außenpolitik); das Statut wurde 3. Bundestages, 3. Kabinett Adenauer; im


1951 (Beendigung des Kriegszustandes gleichen Jahr Mitbegründung der ↑ Europ.
zw. Westmächten und BRD) revidiert Wirtschaftsgemeinschaft (Gemeinsamer
(kein Prüfungsverfahren mehr für Gesetze, Markt, EWG) und der Atomgemeinschaft
Recht zu selbständiger Außenpolitik) und (EURATOM); 1. Jan. 1958 Inkrafttreten
1952 durch Deutschland-Vertrag ersetzt der EWG. 1. Juli 1959 Bundespräsiden-
(Bonner Vertrag): Die BRD erhielt Verfü- tenwahl (Heinrich Lübke). 6. Juli 1959
gungsgewalt über alle inneren und äußeren wirtsch. Rückgliederung des Saarlandes;
Angelegenheiten (ausgenommen Stationie- 1961 Wahl des 4. Bundestages, 4. Kabinett
rung von Streitkräften, Status von Berlin, Adenauer. 1963 Rücktritt Adenauers als
Lage D.s als Ganzes, Wiedervereinigung, Bundeskanzler, Wirtschaftsminister ↑ Er-
Friedensvertrag, Notstandsbefugnisse bei hard wurde Bundeskanzler.
Bedrohung); Regelung der Truppenstatio- 1966 führte die wirtsch. Rezession zur
nierung; Westmächte und Regierung ver- Bildung der Großen Koalition von CDU/
pflichteten sich zur Politik der Wiederver- CSU und SPD unter ↑ Kiesinger. 1969
einigung mit friedlichen Mitteln. Die BRD Wahl ↑ Heinemanns zum Bundespräsi-
trat 1949 der OEEC, 1950 der Europä- denten. Die Bundestagswahl von 1969
ischen Zahlungsunion (EZU), 1951 dem brachte die erste Bundesregierung un-
Europarat und der Europ. Gemeinschaft ter Führung der SPD unter Bundes-
für Kohle und Stahl (Montan­union), 1952 kanzler ↑ Brandt, Koalitionsregierung
dem ­ Weltnachrichtenverein, der Internat. mit der FDP wurde nach dem Wahlsieg
Arbeitsorganisation und der UNESCO 1972 fortgesetzt. 1974 nach Spionageaf-
bei; schneller Fortgang des wirtsch. Wie- färe Rücktritt Brandts als Bundeskanzler,
deraufbaus und der Wiedergewinnung des Nachfolger wurde ↑ Schmidt, Wahl des
Vertrauens in der Welt (vor allem Versöh- Außenministers ↑ Scheel zum Bundesprä-
nung mit Frankreich). 6. Sept. 1953 Wahl sidenten. Außenpolitisch kam mit der Re-
des 2. Bundestages, 2. Kabinett Adenauer. gierung Brandt größere Bewegung in die
17. Juli 1954 Wiederwahl des Bundesprä- Deutschland- und Ostpolitik. 1970 dt.-
sidenten Heuss. Am 24. März 1955 tra- sowjet. und dt.-poln. Vertrag, Viermäch-
ten Pariser Verträge in Kraft, Eintritt der teabkommen über Berlin. 1972 „Vertrag
BRD (nach Scheitern der Europ. Verteidi- über die Grundlagen der Beziehungen zw.
gungsgemeinschaft/EVG) in die Nordat- der Bundesrepublik Deutschland und der
lant. Verteidigungsgemeinschaft (NATO); DDR“. 1973 Aufnahme bei der dt. Staa-
Vorbehalte hinsichtlich Status von Berlin, ten in die Vereinten Nationen. 1973 Nor-
Wiedervereinigung, des Friedensvertrags, malisierungsvertrag mit der Tschechoslo-
Stationierung von Truppen zur Verteidi- wakei (Münchener Abkommen von 1938
gung der freien Welt (Truppenvertrag) und wurde für „nichtig“ erklärt). Pragmatisch
Verteidigungsbeitrag; Wiedervereinigung ausgerichtete Politik der SPD/FDP-Ko-
und Friedensvertrag blieben gemeinsames alitionsregierung unter H. Schmidt seit
Ziel; bei Wiedervereinigung Vertragsände- 1974, Sanierung der Renten- und Kran-
rung möglich; am 5. Mai 1955 Wiederher- kenversicherung, Kampf gegen den Ter-
stellung der vollen Souveränität (Ende des rorismus (1977 Mogadischu), Ausbau der
Besatzungsregimes, Auflösung der Alliier- Kern­energie, der „Macher“ Schmidt in der
ten Hochkommission); 1956 Einführung internat. Politik aber bald höher angesehen
der allg. Wehrpflicht; Vertrag mit Frank- als in D. selbst. Erstarken der oppositio-
reich über Angliederung des Saarlandes nellen CDU/CSU in den Bundesländern,
(vollzogen am 1. Jan. 1957); 1957 Wahl des 1979 mit K. Cars­tens zum erstenmal ein

216
Deutschlandlied

Bundespräsident der CDU gewählt. Bei 9. Nov. Grenzöffnung zw. der DDR und
den Bundestagswah­len 1980 unterlag der der Bundesrepublik.
Herausforderer F. J. ↑ Strauß; dennoch ge- Im Zwei-Plus-Vier-Vertrag (12. Sept. 1990)
riet die weitergeführte Koalitionsregierung zw. der frei gewählten Regierung der DDR
Schmidt durch massive Einsparungen in unter de Maizière, der Regierung der BRD
den Bundeshaushalten 1981 und 1982 zu und den vier Siegermächten aus dem
Lasten breiter Bevölkerungsschichten in 2. Weltkrieg wurden die Voraussetzung für
die Krise, die FDP unter Genscher vollzog die Wiedervereinigung der beiden dt. Staa-
den Wechsel zur Koalition mit der CDU/ ten geschaffen, die am 3. Okt. 1990 vollzo-
CSU. 1. Okt. 1982 Sturz der Regierung gen wurde. Hauptstadt wurde erneut Ber-
durch konstruktives Misstrauensvotum, lin, im Nov. 1990 wurde die Oder-Neiße-
der CDU-Vorsitzende ↑ H. Kohl wurde Linie als endgültige Ostgrenze bestätigt.
Kanzler. Bundestagswahl 1983 Mehrheit Bei den ersten freien gesamtdeutschen
für die Koalition aus Christdemokraten/ Wahlen seit Ende des 2. Weltkriegs wurde
Christlich-Sozialen und Liberalen, SPD die Koalition aus CDU/CSU und FDP un-
und die neu hinzugekommenen Grünen ter Kanzler Kohl bestätigt (erneut 1994).
seitdem in der Opposition. Außenpolit. Die Wiedervereinigung stellte eine große
setzte die Regierung Kohl/Genscher den wirtsch. Belastung für D. dar. Durch die
Kurs ihrer Vorgänger fort (Entspannungs- Übernahme der Altschulden und die ho-
politik bei gleichzeitiger Westorientie- hen Kosten für den Wiederaufbau in den
rung), was sie in Auseinandersetzungen mit neuen Bundesländern stiegen die Staats-
der Friedensbewegung und den Gegnern chulden an, ebenso die Zahl der Arbeits-
der Atomenergie brachte. Die Sensibilisie- losen. Schwierig gestaltete sich auch die
rung der Bevölke­rung für die vom Atom Bewältigung der entstandenen gesellschaft-
ausgehenden Gefahren wurde 1986 durch lichen und sozialen Probleme durch die
das Reaktorunglück von Tschernobyl ver- Wiedervereinigung. 1998 verlor die Koa-
stärkt; einen Markstein setzte in gewisser lition unter Kohl die Wahlen und wurde
Hinsicht 1989 der Verzicht der Atomin- von einer Koalition aus Sozialdemokra-
dustrie auf die Wiederaufbereitungsanlage tischer Partei und Bündnis 90/Die Grünen
in ­ Wackersdorf (Ober­pfalz). Wirtschafts- unter Bundeskanzler G. Schröder (SPD)
polit. setzte die Regierung auf die „Selbst- abgelöst. 2002 erneut (knapper) Wahlsieg
heilungskräfte des Marktes“, ähnlich wie der regierenden rot-grünen Koalition. Au-
zur selben Zeit die brit. und amerik. Re- ßenpolitisch spielt Deutschland v. a. im eu-
gierungschefs Thatcher und Reagan. In- rop. Einigungsprozess eine führende Rolle,
nenpolitisch 1983 starke Belastung durch brach aber 2003 aufgrund seines hohen
die sog. Flick-Affäre (­Vorwürfe gegen Bun- Haushaltsdefizits bereits zum zweiten Mal
deswirtschaftsminister Graf Lambs­dorff den EU-Stabilitätspakt.
wegen Bestechlichkeit), das Vorhaben, Deutschlandlied, dt. Nationalhymne; Text
ein Amnestiegesetz für Steuerstraftaten im von dem Sprach- und Liedforscher und
Zusammenhang mit Parteispenden ein- Liederdichter August Heinrich Hoffmann,
zuführen, scheiterte; 1984 Arbeitskämpfe gen. Hoffmann von Fallersleben, Prof. in
in der Metall- und Druckindustrie um Breslau, 1841 auf Helgoland verfasst und
die 35-Stunden-Woche. Die Bundestags- an einen Hamburger Verleger verkauft;
wahlen 1987 bestätigten die Koalitionsre- nach seiner Entlassung aus dem Lehramt
gierung. 1989 Massenflucht von Bürgern (wegen seiner „Unpolit. Lieder“) Bekennt-
aus der DDR (↑ Deutsche Demokratische nislied des Verfemten zum Nachweis seiner
Republik) in den Westen und schließl. am nationalen Gesinnung (Übernahme der

217
Deutschmeister

Melodie der alten österr. Kaiserhymne von pelallianz; im Frieden von Aachen erhielt
Joseph Haydn); Veröffentlichung in Stu- L. nur 12 flandr. Festungen (Lille).
dentenliederbüchern; im 1. Weltkrieg Lied Dezemberverfassung, von Kaiser Franz
der Langemarckkämpfer; 1922 zur dt. Na- Joseph in Kraft gesetzte liberale Grundge-
tionalhymne erhoben. setze; wegbereitend für das konstitutionelle
Deutschmeister, ↑ Deutscher Orden. Regierungssystem in Österreich; die D.
Deutschnationale Volkspartei, konserva- war 1867–1919 geltendes Gesetz.
tive Rechtspartei der ↑ Weimarer Republik, Diadem (griech., Stirnbinde), Schmuck-
die der parlamentar.-demokrat. Verfassung band aus Stoff oder Metall zum Zusam-
meist feindlich gegenüberstand; erstrebte menhalten des Haupthaares, galt im alten
Wiederherstellung der Monarchie, stützte Orient (bes. Persien) als Zeichen könig-
sich auf den ostelb. Großgrundbesitz und licher Würde, von Alexander d. Gr. über-
Teile der Schwerindustrie; geriet unter nommen, von den Römern der Republik
Führung Hugenbergs in ein immer mehr verabscheut, erst von Konstantin offiziell
reaktionäres und rechtsradikales Fahrwas- zum Symbol der kaiserlichen Würde erho-
ser und ebnete Hitler den Weg zur Macht ben; als edelsteinbesetzter Stirnreif wan-
(↑ Drittes Reich), 1933 selbst aufgelöst. delte es sich schließlich zur Krone.
Deutsch-Sowjetischer Nichtangriffspakt, Diadochen (griechisch, Nachfolger durch
am 23. Aug. 1939 in Moskau abgeschlos- Übernahme), die Feldherren ­ Alexanders
sener Vertrag, in dem das Dt. Reich und d. Gr., die sich als seine Nachfolger in
die Sowjetunion sich wechselseitig Neu- wechselvollen und langwierigen Kämp-
tralität im Falle eines Angriffs auf Dritte fen um die Teile des Weltreichs stritten
versicherten. Ein geheimes Zusatzproto- („D.-Kämpfe“). Von den hellenistischen
koll beinhaltete die Möglichkeit der Tei- D.-Reichen erlangten größere Bedeutung
lung Polens, der Einbeziehung Finnlands, Ägypten (Ptolemäer), Vorderasien (Seleu-
Estlands, Lettlands und ­Bessarabiens in die kiden) und Makedonien (Antigoniden);
sowjetische, der Litauens in die dt. Macht- die Nachfolger der D. wurden Epigonen
und Interessenssphäre (Existenz dieses Zu- genannt.
satzprotokolls erst 1989 von der Sowjet- Diana von Poitiers, Geliebte König Hein-
union zugegeben). Der D. gab Hitler freie richs II. von Frankreich, 1499–1566; seit
Hand für die Entfesselung des 2. ↑ Welt- 1547 als Herzogin von Valentinois unbe-
kriegs. dingte Herrin des Hofes; 1559, nach dem
De Valera, ↑ Valera. Tod Heinrichs II., von Katharina von Me-
Devolutionskrieg, erster Eroberungskrieg dici verbannt.
Ludwigs XIV. 1667/68 gegen die span. Diaz, 1) D., Armando, Duca della Vit-
Niederlande; L. forderte auf Grund des in toria, ital. Marschall, 1861–1928; Ober-
Brabant geltenden sog. Devolutionsrechts befehlshaber seit 1917, Kriegsminister
(Ablösungsrechts), wonach Kinder aus ver- 1922–1924. 2) D., Bartholomeu, portug.
schiedenen Ehen eines Vaters das während Seefahrer, um 1450–1500; erreichte 1486
der einzelnen Ehen erworbene Vermö- erstmals das Kap der guten Hoffnung, bei
gen erhalten sollen, als Erbgut seiner Ge- dem er auf späterer Fahrt unterging. 3) D.,
mahlin, der ältesten Tochter Philipps IV. Porfirio, mexikan. General und Staats-
von Spanien (gest. 1665), Teile der span. mann, 1830–1915; kämpfte gegen Kaiser
Niederlande und ließ Turenne zur Besitz- Maximilian, 1877–1880 und 1884–1911
nahme einrücken; zur Abwehr des über- Präsident der Republik, regierte diktato-
raschenden Angriffs schlossen die Nieder- risch; rang um Mexikos Selbständigkeit ge-
lande mit England und Schweden die Tri- genüber den USA; 1911 gestürzt.

218
Diktatur

Dibelius, Friedrich Karl Otto, dt. ev. Lan- polit. Liberalismus; Fürsprecher der Leh-
desbischof, 1880–1967; seit 1925 Ge- rerschaft (forderte Hochschulbildung für
neralsuperintendent der Kurmark, 1933 Volksschullehrer).
des Amtes enthoben, danach führend in Dietrich von Bern (Verona), in der german.
der Bekennenden Kirche; 1945–1966 Bi- Heldensage Name des Ostgotenkönigs
schof von Berlin, 1949–1961 Vorsitzen- ↑ Theoderich d. Gr., in zahlr. Dichtungen
der des Rates der Evangelischen Kirche in besungen (Nibelungenlied, Thidreksaga);
Deutschland. Idealheld der Deutschen des MA.
Diderot, Denis, frz. Philosoph und Dich- Dijon, Stadt in Frankreich; als galloröm.
ter der Aufklärung, 1713–1784; Herausge- Siedlung Divio seit dem 2. Jh. nachweisbar,
ber und Hauptverfasser der großen frz. En- 479 burgundisch, 534 fränkisch; seit 1016
zyklopädie (seit 1751) im Geiste des Frei- im Besitz der Herzöge von Burgund, die es
denkertums, für das er auch mit journalist. zu ihrer Hauptstadt machten; seit 1477 zu
Mitteln kämpfte. Frankreich.
Diebitsch-Sabalkanskij, Iwan Graf von, Diktator (lat.), in Alt-Rom höchster, au-
russischer General, 1785–1831; schloss ßerordentlicher Beamter, in Notzeiten
1812 die Konvention von Tauroggen mit auf Senatsbeschluss durch einen Konsul
General Yorck; 1829 Oberbefehlshaber im eingesetzt und mit unumschränkten Voll-
Türkenkrieg, nahm nach dem Übergang machten ausgestattet; sein Auftrag ist fest
über den Balkan (daher auch genannt Sa- umrissen, längste Amtsdauer 6 Monate.
balkanskij = Balkanüberschreiter) Adriano- Diktatur, Staatsführung durch einen einzel-
pel; kämpfte 1830/31 gegen die aufständ. nen (oder eine Gruppe) mit unbeschränkter
Polen. Machtbefugnis; das Amt des ↑ Diktators
Diehards (engl.), die „Unentwegten“, nach im alten Rom war im Staatsrecht fest ver-
ihrem Wahlspruch „to die hard“ = schwer ankert und genau ­ umrissen (Beschrän-
sterben, der extreme, schroff imperialist. kung der Amtsdauer und des Auftrags); in
Flügel der engl. Konservativen. der Neuzeit (Regierung ohne parlamentar.
Dien Bien Phu, Stadt in Vietnam; diente Kontrolle, Neigung zu Willkür und Recht-
1953 den Franzosen als Sperre gegen den losigkeit), entbehrt in der Regel der Dauer-
Nachschub des Vietminh, die Kapitula- haftigkeit und kommt überwiegend in Re-
tion der Franzosen in D. 1954 gilt als ent- publiken vor (z. B. in den Stadtrepubliken
scheidende frz. Niederlage in der 1. Phase der Antike und des MA, wo der Diktator
des Vietnam-Krieges, leitete die Trennung meist als „Tyrann“ bezeichnet wird; oder in
Frankreichs von seinen Kolonien ein. den Republiken Südamerikas; eine D. ist
Diesel, Rudolf, dt. Ingenieur, 1858– auch in (schwachen) Monarchien möglich
1913; Erfinder des nach ihm benannten (z. B. D. Primo de Riveras in Spanien). Die
Schwerölmotors (Dieselmotor) mit Zün- D. dient oft zur Verhinderung der sozi-
dung durch hochverdichtete Luft; erster alen Revolution, kann aber auch den Fort-
D.-Motor 1894 (↑ Automobil). schritt proklamieren (Diktatur des Prole-
Diesterweg, Adolf, dt. Pädagoge, Schulre- tariats ↑ Marxismus). Wegbereiter der D.
former, 1790 1866; von der preuß. Regie- sind Wirtschaftskrisen, nationale Katastro­
rung wegen seiner liberalen, aufklären Ge- phen und politische Unsicherheit der Mas-
sinnung gemaßregelt; Mitglied des preuß. sen (Ruf nach dem „starken Mann“). Eine
Abgeordnetenhauses; Gegner der Konfes- im 19./20. Jh. häufige Form der D. ist die
sionsschule und geistlicher Schulaufsicht, Militär-D., ausgeübt von erfolgreichen Ge-
Verfechter des modernen staatlichen Volks- neralen in Ländern mit schwacher demo-
schulwesens im Sinne ↑ Pestalozzis und des kratisch. Tradition; mit weltanschaulichen

219
Diluvium

Prinzipien verbindet sie sich in den tota- ein Jt. Währungseinheit der islam. Welt
litären „Führerstaaten“ des 20. Jh. (auch geblieben ist; eingeführt 696 n. Chr.; weist
„autoritäre“ Staaten genannt: faschist. Ita- meist Koransprüche als Ornament auf.
lien, nat.-soz. Deutschland, ähnlich die Diodorus Siculus, griech. Geschichtsschrei­
Diktatur Francos, der sich auf die Falange ber, Verfasser der „His