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Mathematik für Ingenieure

Ziya Şanal

Mathematik für Ingenieure


Grundlagen – Anwendungen in Maple

3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage


Ziya ùanal
Türkisch-Deutsche Universität
Istanbul, Türkei
E-Mail: prof.sanal@hotmail.com

ISBN 978-3-658-10641-6 ISBN 978-3-658-10642-3 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-658-10642-3

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Lektorat: Dipl.-Ing. Ralf Harms

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Vorwort
Auch in der vorliegenden dritten Auflage ist der bisherige Leitgedanke dieses Lehrbuches bei-
behalten worden. Nach wie vor steht im Vordergrund die Zielsetzung, den Stoff auf möglichst
anschauliche und verständliche Weise zu vermitteln und -wo es nur geht- auf Beweisführung zu
verzichten – es sei denn, der Beweis besitzt einen hohen didaktischen Nutzen für die Studieren-
den. Es wird dabei in Kauf genommen, dass gelegentlich die mathematische Strenge etwas in den
Hintergrund tritt - zugunsten einer möglichst knappen und dennoch verständlichen Darstellung.
Die Reihenfolge der behandelten Themen ist so aufgebaut, dass jedes Kapitel -im Rahmen
des Möglichen- das nötige Rüstzeug für das nächste darauffolgende Kapitel bereit stellt. Insofern
kann von einem gut sichtbaren roten Faden gesprochen werden.
Die Zielgruppe der Leser sind nach wie vor Studierende in Bachelor- und Master-Programmen
der ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge. Aber auch berufstätige Ingenieure und sonstige
an Mathematik aus dem Blickwinkel des Ingenieurs interessierten Leser sollten mit dem Buch
sehr gut zurecht kommen können.
Wie in früheren Auflagen wurde auch in der vorliegenden Ausgabe besonderer Wert darauf ge-
legt, den Einsatz mathematischer Gesetzmäßigkeiten in der Lösung von technischen Problemen
im Bauingenieur-, Maschinen- und Wirtschaftsingenieurwesen, sowie in der Mechatronik, der
Kraftfahrzeugtechnik und -in geringerem Umfang- der Elektrotechnik sichtbar zu machen. Daher
wurde angestrebt, für den Leser nachvollziehbar darzustellen, dass Mathematik keine abstrakte
Wissenschaft ist, die sich selbst zum Selbstzweck deklariert, sondern dass wir mit Mathematik
ein äußerst effektives und praktisches Werkzeug zur Hand haben, mit dem ingenieurtechnische
Aufgabenstellungen korrekt beantwortet werden können.
Diese Auflage zeichnet sich gegenüber der zweiten Auflage durch drei Aspekte aus: Erstens
wurde der Stoff vollständig überarbeitet mit dem Ziel, die didaktische und mathematische Güte
zu verbessern. Zweitens wurden neuer Stoff und zusätzliche Beispiele/Aufgaben aufgenommen.
Und schließlich wurden entdeckte Fehler berichtigt.
Mit seinen behandelten Themen sollte dieses Buch die Mathematik-Ausbildung in Ingenieur-
studiengängen der Hochschulen weitgehend abdecken – trotzdem wird sicherlich in einigen The-
menbereichen eine noch weitergehende Tiefe erwünscht sein. Für Anregungen seitens Studieren-
der und Kollegen fühlt sich der Autor zu Dank verpflichtet.

Istanbul, Ziya Şanal


Mai 2015
Inhaltsverzeichnis

1 Grundwissen 1
1.1 Potenzen und Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Summation, Produkt und Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.3 Logarithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.4 Weiteres Grundwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.5 Winkelmaße: Grad und Radiant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.6 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.7 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2 Elementare Funktionen 23
2.1 Polynomfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.2 Potenz- und Wurzelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.3 Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.4 Logarithmus-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.5 Symmetrie und Antimetrie von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2.6 Stetigkeit und Glattheit von Funtionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
2.7 Trigonometrische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
2.8 Arkusfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
2.9 Hyperbelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2.10 Explizite und implizite Darstellung von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
2.11 Funktionen in Parameterdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
2.12 Kegelschnitt-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2.13 Weitere Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
2.14 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
2.15 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

3 Differentialrechnung 57
3.1 Differenzenquotient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
3.2 Differentialquotient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
3.3 Definition der Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
3.4 Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
3.5 Ableitung logarithmischer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.6 Ableitung von Parameterfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.7 Ableitung impliziter Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
3.8 Linearisierung einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
3.9 Höhere Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
3.10 Alternative Formeln für die zweite Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
3.11 Unbestimmte Ausdrücke und Regel von l’Hospital . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
3.12 Krümmungsradius einer Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
VIII Inhaltsverzeichnis

3.13 Lokale Extremwerte einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83


3.14 Newton-Verfahren für Nullstellenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.15 Entwicklung von Funktionen in Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3.16 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
3.17 Technische Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
3.18 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme 129


4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
4.2 Definitionen für Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
4.3 Transposition von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
4.4 Addition und Subtraktion von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
4.5 Multiplikation von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
4.6 Lineare Gleichungssyteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
4.7 Lineare Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
4.8 Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
4.9 Invertierung von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
4.10 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
4.11 Technische Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
4.12 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

5 Vektorrechnung 197
5.1 Definitionen für Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
5.2 Komponentenschreibweise für Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
5.3 Linearkombination von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
5.4 Vektordarstellung mit Basisvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
5.5 Skalarprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
5.6 Kreuzprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
5.7 Technische Anwendungen des Kreuzprodukts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
5.8 Spatprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
5.9 Lineare Abhängigkeit von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
5.11 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
5.12 Technische Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
5.13 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

6 Analytische Geometrie 267


6.1 Koordinatensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
6.2 Koordinatentransformation in der xy-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
6.3 Abstand zwischen zwei Punkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
6.4 Geraden in der xy-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
6.5 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
6.6 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

7 Integralrechnung 301
Inhaltsverzeichnis IX

7.1 Unbestimmtes Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302


7.2 Bestimmtes Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
7.3 Numerische Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
7.4 Geometrische Anwendungen der Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
7.5 Technische Anwendungen der Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
7.6 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
7.7 Technische Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
7.8 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

8 Stochastik 373
8.1 Deskriptive Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
8.2 Elementare Wahrscheinlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
8.3 Zufallsvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
8.4 Verteilungsfunktion F(x) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
8.5 Dichtefunktion f (x) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
8.6 Maßzahlen einer stetig verteilten Zufallsvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
8.7 Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
8.8 Weitere Verteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
8.9 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
8.10 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410

9 Gewöhnliche Differentialgleichungen 413


9.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
9.2 Definitionen für gewöhnliche Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . 417
9.3 Lösung einer Differentialgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
9.4 Allgemeine, spezielle und partikuläre Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
9.5 Lösungsstrategie für ein physikalisches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424
9.6 Differentialgleichungen 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
9.8 Lineare Differentialgleichungen 2. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466
9.9 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 2. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
9.10 Anwendungsbeispiele aus der Strukturdynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
9.11 Weitere technische Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494
9.12 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501

10 Fourier-Reihen 505
10.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505
10.2 Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507
10.3 Fourier-Reihen gerader und ungerader Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517
10.4 Fourier-Reihe einer bereichsweise definierten Funktion . . . . . . . . . . . . . . . 520
10.5 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524

11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen 527


11.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
11.2 Partielle Ableitung einer Funktion von zwei Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . 530
X Inhaltsverzeichnis

11.3 Partielle Ableitung einer Funktion von n unabhängigen Variablen . . . . . . . . . 536


11.4 Das totale Differential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539
11.5 Implizite Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546
11.6 Skalarfelder und Skalarfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550
11.7 Gradient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552
11.8 Richtungsableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557
11.9 Niveaulinien und Niveauflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
11.10Extremwerte von Funktionen mehrerer Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566
11.11Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571
11.12Technische Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591
11.13Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597

12 Partielle Differentialgleichungen 603


12.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
12.2 Biegeschwingungen eines Balkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
12.3 Axialschwingungen eines Stabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612
12.4 Schwingungen eines vorgespannten Seils oder einer Saite . . . . . . . . . . . . . . 618
12.5 Plattenbiegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
12.6 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624

13 Eigenwertaufgaben 627
13.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627
13.2 Spezielle und allgemeine Eigenwertaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628
13.3 Lösung der speziellen Eigenwertaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630
13.4 Lösung der allgemeinen Eigenwertaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634
13.5 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637
13.6 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639
13.7 Kenngrößen einer Matrix und Eigenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641
13.8 Numerische Methoden für Eigenwertaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646
13.9 Mises-Iterationsverfahren (Power-Methode) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647
13.10 Inverse Iteration (Modifiziertes Mises-Iterationsverfahren) . . . . . . . . . . . . . 654
13.11 Inverse Iteration bei Schwingungsproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
13.12 Inverse Iteration bei Stabilitätsaufgaben der Strukturmechanik . . . . . . . . . . . 665
13.13Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667
13.14 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671

14 Lösung von nichtlinearen Gleichungen 675


14.1 Regula Falsi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675
14.2 Fixpunkt-Iteration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679
14.3 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683
14.4 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686

15 Lösungsverfahren für lineare Gleichungssysteme 687


15.1 LU-Faktorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
15.2 Cholesky-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693
Inhaltsverzeichnis XI

15.3 Gauss-Seidel-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695


15.4 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699
15.5 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700

16 Numerische Lösung von Differentialgleichungen 701


16.1 Differentialgleichungen 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701
16.2 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706
16.3 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709

17 Komplexe Zahlen 711


17.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711
17.2 Algebraische Operationen mit komplexen Zahlen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715
17.3 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717

18 Mathematik mit Maple 719


18.1 Einführung in Maple . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720
18.2 Elementar-Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727
18.3 Differentialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729
18.4 Lineare Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733
18.5 Vektorrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737
18.6 Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739
18.7 Gewöhnliche Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
18.8 Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743
18.9 Differentialrechnung für multivariable Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 745
18.10 Partielle Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747
18.11 Eigenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749
18.12 Nichtlineare Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756
18.13 Lineare Gleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757
18.14 Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759

19 Mathematik mit C++ 761


19.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761
19.2 Der C++ Compiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762
19.3 Ableitung einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
19.4 Newton-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764
19.5 Lineare Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764
19.6 Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766
19.7 Finite-Elemente-Methode - FEM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766

Anhang 771
A Ausgewählte Formeln und Beziehungen 773
A.1 Trigonometrische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773
A.2 Arkusfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775
XII Inhaltsverzeichnis

A.3 Hyperbelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775


A.4 Ableitungen elementarer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 776
A.5 Unbestimmte Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 777
A.6 Einige bestimmte Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785
A.7 Verschiedene Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787
A.8 Verteilungsfunktion der Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 788
A.9 Verschiedene Konstanten und Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793

Literaturverzeichnis 795

Stichwortverzeichnis 797
1 Grundwissen

In diesem Kapitel werden einige elementare Beziehungen und Themen der Mathematik, die in
der Ingenieurpraxis häufig benötigt werden, vorgestellt. Es soll in erster Linie der Auffrischung
der schulischen Mathematikkenntnisse dienen.

1.1 Potenzen und Wurzeln

Potenzen
Die n-te Potenz einer reellen Zahl x ist für eine natürliche Zahl n wie folgt definiert (natürliche
Potenz).

xn = x · x ·
x · · · x für n = 1,2,3, · · · x : Basis n : Exponent (Potenz)
n-mal x

1,23 = 1,2 · 1,2 · 1,2 ·


Für zwei positive reelle Zahlen x und y sowie zwei beliebige reelle Zahlen a und b gelten die
Potenzregeln der Tabelle 1.1 auf Seite 2.
Wurzeln

Das Symbol a x wird als die a-te Wurzel der Zahl x bezeichnet (a eine beliebige reelle Zahl
und x eine beliebige positive reelle Zahl) und ist gleich der Zahl y, deren a-te Potenz gleich x
ist1 .

a
x=y ⇔ ya = x (1.1)
√ √
Für die Quadratwurzel 2 x wird in der Regel die vereinfachte Schreibweise x verwendet.
Potenz- und Wurzelausdrücke lassen sich jeweils in die andere umwandeln, z.B.:
√ √ √ √
−a
x = x−1/a xb = x−b/a
a −a
a
x = x1/a xb = xb/a

Spezialfall für Wurzeln √


Unter der Voraussetzung, dass |x|  1 ist, kann für den Ausdruck n 1 + x folgende Näherungs-
formel verwendet werden (s. auch Aufgabe 27 auf Seite 126).
√ x
n
1+x ≈ 1+ für |x|  1 (1.2)
n


1 Für eine ungerade natürliche Zahl a, z.B. 3, darf x auch negativ sein, z.B. 3
(−27) = −3.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_1,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
2 1 Grundwissen

Tabelle 1.1: Potenzregeln

Regel Beispiel

0x = 0 für x > 0 02,5 = 0

x0 = 1 2,80 = 1
00 = 1 (s. Fußnote 2 auf Seite 2)

1x = 1 12,5 = 1

x1 = x 2,81 = 2,8
1 1
x−1 = 2,8−1 =
x 2,8
1 1
x−y = 2,8−2,5 =
xy 2,82,5
1 1
xy = 2,82,5 =
x−y 2,8−2,5
xa xb = xa+b 2,82,5 · 2,81,2 = 2,83,7
xa 2,82,5
= xa−b = 2,8(2,5−1,2) = 2,81,3
xb 2,81,2
(xa )b = (xb )a = xab (2,82,5 )1,2 = (2,81,2 )2,5 = 2,83

(xy)a = xa ya (2,8 · 1,6)2,5 = 2,82,5 · 1,62,5


 a  
x xa 2,8 2,5 2,82,5
= =
y ya 1,6 1,62,5

Beispiel 1.1:
Kontrollieren Sie mit Hilfe eines Taschenrechners folgende Ausdrücke.
√ ?
a) 2,5 16 = 161/2,5 √
Taschenrechner : 2,5 16 = 3,03143 161/2,5 = 160,4 = 3,03143 
√5 ?
b) 202 = 202/5 √ √
5
Taschenrechner : 202 = 5 400 = 3,31445 202/5 = 200,4 = 3,31445 

−8 2 ?
c) 6 = 6−2/8 √ √
−8 2
Taschenrechner : 6 = −8 36 = 0,63894 6−2/8 = 6−0,25 = 0,63894 

√ ? ? 1 ? 1 ? 3 1 ? √
d) −3 8 = 8−1/3 = 1/3 = √ = 8−1
3
3
=
8 8 8

2 Die Regel 00 = 1 der Tabelle 1.1 ist in der Literatur nicht einheitlich. Während viele Mathematiker 00 als undefi-
niert stehen lassen (womit man in der Ingenieurpraxis leider nicht viel anfangen kann), definieren wiederum andere
Spezialisten, wie z.B. die Verfasser des Computer-Algebra-Systems MAPLE, 00 = 1. Im diesem Buch wurde aus
pragmatischen Erwägungen die zweite Option gewählt.
1.2 Summation, Produkt und Fakultät 3

√ 1 1 1
−3
8 = 0,5 8−1/3 = 8−0,3333 = 0,5 1/3
= 0,3333 = = 0,5
8 8 2
1 1 3 1 √ √
√ 8−1 = 0,5 
3
3
= = 0,5 = 3 0,125 = 0,5
8 2 8

Aufgabe. Kontrollieren Sie mit Hilfe eines Taschenrechners die Zahlenbeispiele in Tabelle 1.1.

Beispiel 1.2:
Die Formel (1.2) wird mittels verschiedener Zahlenwerte überprüft.
√ 0.1
a) x = 0,1 : 2
1 + 0.1 = 1.0488 1+ = 1,5 1.0488 ≈ 1,5
2
√ 0.1
b) x = 0,1 : 3
1 + 0.1 = 1.0323 1+ = 1,0333 1.0323 ≈ 1,0333
3
√ 0.01
c) x = 0,01 : 2 1 + 0.01 = 1.00499 1+ = 1,005 1.00499 ≈ 1,005
2
√ 0.1
d) x = −0,1 : 2 1 − 0.1 = 0.9487 1− = 0.95 0.9487 ≈ 0,95
2

1.2 Summation, Produkt und Fakultät


In vielen technischen Anwendungen und der Statistik werden eine beliebige Anzahl von Größen
bzw. Variablen addiert oder multipliziert. Als kompakte Schreibweise für solche Operationen
werden das Summensymbol und das Produktsymbol verwendet.

1.2.1 Summation
Für die aus den reellen Zahlen x1 , x2 , x3 , · · · gebildete Summe x1 + x2 + x3 + · · · kann man
beispielsweise auch schreiben:

∑ xi = x1 + x2 + x3 + · · ·
i=1

Das Summensymbol ∑ ist also eine Abkürzung für die Addition der Summenglieder. Falls die
Summation nur eine begrenzte Anzahl von Gliedern enthält, wird das durch die Angabe einer
Obergrenze zum Ausdruck gebracht:

n
∑ xi = x1 + x2 + x3 + · · · + xn−1 + xn (1.3)
i=1

Die Summationsuntergrenze kann natürlich auch bei einer beliebigen Zahl m beginnen:
n
∑ xi = xm + xm+1 + xm+2 + · · · + xn−1 + xn
i=m
4 1 Grundwissen

Die Summenglieder müssen nicht zwingend Zahlen sein, sie können z.B. auch Funktionen sein:
n
∑ cos iπ = cos π + cos 2π + cos 3π + · · · + cos nπ
i=1

Beispiel 1.3:
4
a) ∑ xi =? mit x1 = 7, x2 = −3, x3 = −2, x4 = 6
i=1
4
∑ xi = 7 + (−3) + (−2) + 6 = 8
i=1
3
b) ∑ sin iπ = sin 0 + sin π + sin 2π + sin 3π = 0 + 0 + 0 + 0 = 0
i=0
4 iπ π 3π
c) ∑ cos = cos 0 + cos + cos π + cos + cos 2π = 1 + 0 + (−1) + 0 + 1 = 1
i=0 2 2 2
6
d) ∑ xi = x3 + x4 + x5 + x6
i=3
5
e) ∑ i = 0 + 1 + 2 + 3 + 4 + 5 = 15
i=0
3
f) ∑ i2 = 12 + 22 + 32 = 1 + 4 + 9 = 14
i=1
3
g) ∑ (i2 − 1) = (12 − 1) + (22 − 1) + (32 − 1) = 0 + 3 + 8 = 11
i=1

Geometrische Summe
In der Finanzmathematik wird oft folgende Summe benötigt:
n
∑ xi = 1 + x + x2 + x3 + · · · + xn
i=0

Die Berechnung dieser Summe kann auch in geschlossener Form erfolgen:


⎧ n+1
⎨x −1
n
falls x = 1
∑ x i
= 1 + x + x 2
+ x 3
+ · · · + x n
=

x − 1 (1.4)
i=0 n+1 falls x = 1

Regeln für die Summation


1. Additionsregel.
n n n
∑ xi + ∑ yi = ∑ (xi + yi ) (1.5)
i=m i=m i=m
1.2 Summation, Produkt und Fakultät 5

2. Das Symbol für den Summationsindex darf beliebig gewählt werden.


n n n
∑ xi = ∑ x j = ∑ xk (1.6)
i=1 j=1 k=1

3. Der Summationsindex darf um einen beliebigen Betrag k verschoben werden.


n n+k n n+k
∑ xi = ∑ xi−k und ∑ xi = ∑ xi−k (1.7)
i=1 i=k+1 i=0 i=k

Beispiel 1.4:
Die Regel (1.7) soll für n = 3 und k = 4 überprüft werden.
3 3+4
∑ xi = ∑
?
xi−4
i=1 i=4+1
3 3+4 7
∑ xi = x1 + x2 + x3 ∑ xi−4 = ∑ xi−4 = x5−4 + x6−4 + x7−4 = x1 + x2 + x3 
i=1 i=4+1 i=5

1.2.2 Produkt und Fakultät

Mit dem Produktsymbol ∏ wird die Multiplikation einer beliebigen Anzahl von Termen in eine
mathematische Kurzform gebracht.

n n
∏ x = x · x· · · x = xn ∏ xi = x1 · x2 · · · xn (1.8)
i=1 n-mal i=1

Beispiel 1.5:
5 5
a) ∏ i = 1 · 2 · 3 · 4 · 5 = 120 b) ∏ i2 = 02 · 12 · 22 · 32 · 42 · 52 = 0
i=1 i=0

Fakultät
Die Fakultät n! (gesprochen als »n-Fakultät«) einer natürlichen Zahl n ist wie folgt definiert:

n
n! = ∏ i = 1 · 2 · 3 · · · n Spezialfall: 0! = 1 (1.9)
i=1

Beispiel 1.6:
1! = 1 2! = 1 · 2 = 2 3! = 1 · 2 · 3 = 6 5! = 120 12! = 479001600
6 1 Grundwissen

1.3 Logarithmus

In heutiger Ingenieurwissenschaft spielt der Logarithmus (und sein Gegenpart, die e-Funktion)
eine sehr bedeutende Rolle3 .
Als Ausgangspunkt für den Logarithmus betrachten wir zunächst die Beziehung

ax = b a und b : positive reelle Zahlen, x : beliebige reelle Zahl,

wobei a und b vorgegeben und x hingegen unbekannt sind. Die Lösung x dieser Gleichung
wird als Logarithmus von b zur Basis a bezeichnet:

x = loga b

Beispiel 1.7:
c) 10x = 100 ⇒ x = log10 100 d) 20x = 100 ⇒ x = log20 100

Arten des Logarithmus


Für die Basis a = 10 wird vom dekadischen Logarithmus und für die Basis a = 2,71828 . . .
(s. Seite 793) vom natürlichen Logarithmus gesprochen. In der Tabelle 1.2 sind die wichtigsten
Logarithmenregeln zusammengestellt (s. auch Beispiel 1.24 auf Seite 17).
Eine negative reelle Zahl hat keinen reellen Logarithmus, z.B. für log (−1) existiert kein
reelles Ergebnis (der Taschenrechner würde eine Fehlermeldung liefern).

Dekadischer Logarithmus lg

Beim dekadischen Logarithmus (auch Brigg-Logarithmus genannt) wird für die Basis a = 10
gewählt. Anstelle von log10 schreibt man meistens abkürzend auch »lg«.

10x = b ⇔ x = lg b (lg b ≡ log10 b) (1.10)

Beispiel 1.8:
10x = 1 x =? Lsg: x = lg 1 = 0
10x = 10 x =? Lsg: x = lg 10 = 1
10x = 100 x =? Lsg: x = lg 100 = 2
10x = 1000 x =? Lsg: x = lg 1000 = 3
10x = 24,5 x =? Lsg: x = lg 24,5 = 1,389
10x = 0,1 x =? Lsg: x = lg 0,1 = −1
10x = 0,01 x =? Lsg: x = lg 0,01 = −2
10x = 0,001 x =? Lsg: x = lg 0,001 = −3

3 In seiner geschichtlichen Entwicklung entstand das logarithmische Rechnen aus dem Bedürfnis, arithmetische
Rechenoperationen zu vereinfachen. Nach frühzeitlichen Vorleistungen indischer Mathematiker hatten insbesondere
die arabischen Mathematiker im Mittelalter ganze Tabellenwerke für Logarithmen entwickelt.
1.3 Logarithmus 7

Tabelle 1.2: Logarithmus-Regeln für beliebige Basis a

Regel Beispiel
1. loga 1 = 0 log10 1 = lg 1 = 0
2. loga a = 1 log10 10 = lg 10 = 1
3. loga ax = x lg 102,5 = 2,5
4. loga acx = cx lg 103x = 3x
5. loga a f (x) = f (x) lg 10sin 2x = sin 2x
6. loga xy = loga x + loga y lg(3 · 4) = lg 3 + lg 4
7. loga (x1 x2 · · · xn ) = loga x1 + loga x2 + · · · + loga xn lg(3 · 4 · 5) = lg 3 + lg 4 + lg 5
x 5
8. loga = loga x − loga y lg = lg 5 − lg 2
y 2
ln x ln 5
9. loga x = log10 5 = lg 5 =
ln a ln 10
10. aloga x = x 10lg x = x bzw. eln x = x
11. ac loga x = xc 103 lg x = x3 bzw. e3 ln x = x3
12. aloga f (x) = f (x) eln sin 3x = sin 3x
13. xy = ay loga x xy = ey ln x bzw. 23 = e3 ln 2

14. loga xy = y loga x lg x3 = 3 lg x


15. loga ( f (x)g(x) ) = g(x) loga f (x) lg (x2 + 1)x = x lg (x2 + 1)
16. loga xy = (loga x)y lg 23 = (lg 2)3
17. loga (x + y) = loga x + loga y lg(2 + 3) = lg 2 + lg 3
18. loga f (x) = logb f (x) loga b lg 8 = 
ln 8 lg e = 0,903

2,07944 0,43429

Natürlicher Logarithmus ln

Die Basis des natürlichen Logarithmus ist die natürliche Zahl e (e = 2,718281828459). Die
abgekürzte Schreibweise für den natürlichen Logarithmus ist »ln« anstelle von loge .

ex = b x = ln b (ln b ≡ loge b) (1.11)

Beispiel 1.9:
ex = 1 ⇒ x = ln 1 = 0 ex = 375 ⇒ x = ln 375 = 5,926926
1 1
ex =e ⇒ x = ln e = 1 ex = ⇒ x = ln = ln 0,367879 = −1
e e
8 1 Grundwissen

Einige wichtige Regeln für den natürlichen Logarithmus sind:

ln 1 = 0 ln e = 1 ln ex = x
x
ln xy = ln x + ln y ln = ln x − ln y eln x = x
y (1.12)
eln f (x) = f (x) xy = ey ln x ln xy = y ln x
ln( f (x)g(x) ) = g(x) ln f (x) ec ln x = xc ln ecx = cx

1.4 Weiteres Grundwissen


1.4.1 Mittelwert einer Zahlenreihe
Für die Definition des Mittelwertes einer Zahlenreihe x1 , x2 , x3 , · · · gibt es verschiedene Mög-
lichkeiten. Es existiert nicht die beste Mittelwertdefinition, je nach Einsatzzweck kann sich die
eine oder andere als die bessere Wahl heraus stellen. In der Ingenieurpraxis werden das arithme-
tische Mittel und das quadratische Mittel am häufigsten verwendet.
Arithmetisches Mittel xm :
n
1 1
xm =
n
(x1 + x2 + · · · + xn ) =
n ∑ xi (1.13)
i=1

Quadratisches Mittel xs :

1 2  1 n
xs =
n
x1 + x22 + · · · + xn2 =
n ∑ xi2 (1.14)
i=1

Geometrisches Mittel xg :

√ n
xg = n x1 · x2 · · · xn = n
∏ xi (1.15)
i=1

Harmonisches Mittel xh :
n n
xh = = n (1.16)
1 1 1 1
+ +···+ ∑
x1 x2 xn i=1 ix

Für eine Zahlenreihe mit positiven Elementen x1 , x2 , · · · , xn gilt folgende Beziehung:

xh ≤ x g ≤ x m ≤ xs (1.17)

Beispiel 1.10:
Für die Zahlenmenge x1 = 3, x2 = 5, x3 = 7, x4 = 9 sollen die verschiedenen Mittel-
werte berechnet und die unter ihnen bestehende Beziehung (1.17) überprüft werden.
1.4 Weiteres Grundwissen 9

a) Arithmetisches Mittel
4
1 1 1
xm =
4 ∑ xi = 4 (x1 + x2 + x3 + x4 ) = 4 (3 + 5 + 7 + 9) = 6
i=1

b) Quadratisches Mittel

1 4 2 1
xs = ∑ xi = 4 (32 + 52 + 72 + 92 ) = 6,403
4 i=1

c) Geometrisches Mittel

4 √
xg = 4 ∏ xi = 3 · 5 · 7 · 9 = 5,544
4

i=1

d) Harmonisches Mittel
4 4
xh = = = 5,081
4 1 1 1 1 1
∑ + + +
x
i=1 i 3 5 7 9

e) Kontrolle der Beziehung (1.17) :


x h ≤ xg ≤ xm ≤ xs ? 5,081 < 5,544 < 6 < 6,403 

1.4.2 Lösung einer quadratischen Gleichung


Für die Lösung einer quadratischen Gleichung lassen sich zwei Lösungsformeln angeben:

Normalform  
p p 2 (1.18)
x2 + px + q =0 x=− ± −q
2 2

Allgemeine Form √
−b ± b2 − 4ac (1.19)
ax2 + bx + c =0 x=
2a

1.4.3 Absolutwert
Der Absolutwert |x| einer reellen Zahl x ist ihr Betrag, d.h. ihr positiver Wert ohne Rücksicht
auf das Vorzeichen (der Betrag einer komplexen Zahl wird anders berechnet). Tabelle 1.3 zeigt
einige Regeln für Absolutwert.

x für x ≥ 0
|x| = (1.20)
−x für x < 0
10 1 Grundwissen

Beispiel 1.11:
|5| = 5 | − 5| = −(−5) = 5 | − 5 + 1| = | − 4| = 4 | − 5 − 1| = | − 6| = 6

Tabelle 1.3: Regeln für Absolutwert

|x| ≥ 0
|x| = | − x|
|x · y| = |x| · |y|
x  |x|
  =
y |y|
|x| + |y| ≥ |x ± y|
|x ± y| ≥ | |x| − |y| |

1.4.4 Binomische Formeln und Pascalsches Dreieck

Der Potenzausdruck (a + b)2 wird durch Ausmultiplikation von (a + b) (a + b) berechnet. Auf


die gleiche Art können höhere Potenzen von anderen Ausdrücken ermittelt werden. Die in der
Praxis am häufigsten benötigten Potenzausdrücke sind:

(a + b)2 = a2 + 2ab + b2 (1.21a)


(a − b) = a − 2ab + b
2 2 2
(1.21b)
(a + b) = a + 3a b + 3ab + b
3 3 2 2 3
(1.21c)
(a − b) = a − 3a b + 3ab − b
3 3 2 2 3
(1.21d)
(a + b)4 = a4 + 4a3 b + 6a2 b2 + 4ab3 + b4 (1.21e)
(a − b) = a − 4a b + 6a b − 4ab + b
4 4 3 2 2 3 4
(1.21f)
a − b = (a + b)(a − b)
2 2
(1.21g)

Eine sorgfältige Inspektion der konstanten Koeffizienten in den obigen Potenzausdrücken zeigt,
dass ihre Anordnung durch das sog. Pascalsche Dreieck beschrieben wird:

1 0. Potenz
1 1 1. Potenz
1 2 1 2. Potenz
(1.22)
1 3 3 1 3. Potenz
1 4 6 4 1 4. Potenz
1 5 10 10 5 1 5. Potenz
1.4 Weiteres Grundwissen 11

Das Pascalsche Dreieck hat auch in der Technik Anwendungsgebiete. Beispielsweise werden in
der Finite-Elemente-Methode (FEM) sog. vollständige Ansatzfunktionen für das Verschiebungs-
feld einer Biegeplatte mit Hilfe des Pascalschen Dreiecks aufgestellt.

1.4.5 Absoluter und Relativer Fehler


Jedes mathematische Näherungsverfahren bringt unvermeidlicherweise einen gewissen Fehler
mit sich. Dieser Fehler kann für ingeneurtechnische Anwendungen völlig unbedeutend sein, oder
aber auch so groß, dass die ganze Lösung in Frage gestellt werden muss. Deshalb wird in diesem
Buch bei vielen Aufgabenlösungen auch der relative Fehler angegeben, welcher infolge einer Nä-
herungsmethode ensteht. Natürlich kann der Fehler nur dann errechnet werden, wenn die exakte
Lösung bekannt ist (es gibt zwar auch fortgeschrittene Fehlerabschätzungsmethoden, die ohne
Kenntnis der exakten Lösung auskommen; sie werden hier jedoch nicht behandelt).
Der absolute Fehler Eabs (E für »error«) einer Näherungslösung entspricht dem Betrag der
Differenz zwischen der exakten und der Näherungs-Lösung.

Eabs = | f − fn | f : exakter Lösungswert fn : Näherungslösung

Der relative Fehler Erel der Näherungslösung ergibt sich aus folgender Beziehung:
 
 f − fn 
Erel =   (1.23)
f 

Beispiel 1.12:
Die Querschnittsfläche des Stahl-Walzprofils IPE 200 beträgt exakt A = 28,5 cm2 . Ei-
ne von Hand durchgeführte vereinfachte Flächenberechnung unter Vernachlässigung
der Ausrundungsradien liefert den Näherungswert An = 27,3 cm2 . Wie groß ist der
relative Fehler der Handrechnung?
   
 A − An   28,5 − 27,3  .
Erel =  =  = 0,042 = 4,2%
A   28,5 

1.4.6 Signum-Funktion
Die Signum-Funktion einer Zahl x (auch Vorzeichen-Funktion genannt) ist wie folgt definiert.

x
sign x = für x = 0 (1.24)
|x|

Die Vorzeichenfunktion kann also nur zwei Werte annehmen4 :



⎨ 1 wenn x ≥ 0
sign x = (1.25)
⎩ −1 wenn x < 0

4 In der Literatur ist mitunter auch die Festlegung anzutreffen, dass sign (0) nicht definiert sei. Diese Definition wird
hier nicht übernommen, weil man damit bei Ingenieuraufgaben wenig anfangen kann.
12 1 Grundwissen

Eine Zahl x und ihr Absolutwert |x| sind über die sign-Funktion miteinander wie folgt ver-
knüpft.

x = |x| · sign x (1.26)

Beispiel 1.13:
sign (−3) = −1 sign 4,6 = 1 sign π = 1 sign (−π) = −1

1.5 Winkelmaße: Grad und Radiant


In der Geometrie wird als Winkelmaß in der Regel das Gradmaß (Symbol ◦ ) verwendet; z.B. sagt
man »90 Grad ist ein rechter Winkel« usw. In physikalischen Anwendungen (Statik, Dynamik,
Elektrotechnik usw.) wird dagegen für Winkel das Bogenmaß verwendet. Die Maßeinheit für
Bogenmaß ist der Radiant (Symbol: rad).

r s=r r
a
a=1 rad

s= ar

a: Definition von 1 Radi- b: Beliebige Bogenlänge s


ant

Bild 1.1: Beziehung zwischen Bogenmaß und Bogenlänge

Wie in Bild 1.1 a dargestellt, entspricht 1 Radiant demjenigen Winkel α, der auf der Um-
fangslinie eines Kreises vom Radius r einen Bogen von der Länge s = r definiert (Bogenlänge
s gleich dem Radius r). Zwischen der Bogenlänge s, dem Radius r und dem eingeschlossenen
Winkel α des Kreisbogens in Bild 1.1 b besteht folgende Beziehung (s. auch Kapitel 7 über
Integralrechnung):

s=αr (α in Bogenmaß) (1.27)

Der Vollwinkel eines Kreises beträgt 360◦ in Gradmaß bzw. 2π rad in Bogenmaß, woraus folgt:

360◦ 180◦
1 rad = = = 57,295779513082309◦ ≈ 57,3◦
2π π
Für Ingenieuranwendungen ist die Wahl des Winkelmaßes von großer Bedeutung. Sorgloser Um-
gang kann sehr leicht, insbesondere in der Mechanik (Statik und Dynamik), zu falschen Ergebnis-
sen führen. Beispielsweise liefern Formelsammlungen der Statik den Drehwinkel eines beidsetig
1.6 Zusätzliche Beispiele 13

gelenkig gelagerten Balkens immer in Bogenmaß. Auf der anderen Seite will man sich meistens
in gewohnter Weise, d.h. in Gradmaß, vorstellen können, wie stark sich der Balken verdreht; in
solchen Fällen muss der Drehwinkel vom Bogenmaß in Gradmaß umgerechnet werden.
Faustregel: Falls eine technische Formel mit Zeit, Geschwindigkeit oder Beschleunigung zu
tun hat (s. Beispiel 2.14 auf Seite 40) oder ein mathematischer Ausdruck differenziert wird (s.
Abschnitt 3) muss in aller Regel mit Bogenmaß gearbeitet werden. In anderen Fällen ist die
Entscheidung über die Verwendung von Gradmaß oder Bogenmaß anhand der Aufgabenart zu
treffen. Es wird empfohlen, Grad nur dort zu verwenden, wo es um rein geometrische Größen
geht; in allen anderen Fällen sollte dem Bogenmaß der Vorzug gegeben werden.
Auf Taschenrechnern wird das Gradmaß i.a. mit der Kurzform deg (engl. degree) kenntlich
gemacht, das Bogenmaß mit rad (Radiant).
Die Umrechnung zwischen den beiden Winkelmaßen erfolgt mit folgenden Formeln:

180
Umrechnung vom Bogenmaß in Grad: θdeg = θrad ≈ 57,3 θrad
π
(1.28)
π 1
Umrechnung vom Grad in Bogenmaß: θrad = θdeg ≈ θdeg
180 57,3

Einige häufig verwendete Winkelwerte in Grad- und Bogenmaß sind:

Gradmaß: 0◦ 1◦ 30◦ 45◦ 60◦ 90◦ 120◦ 135◦ 180◦ 270◦ 360◦

π π π π π 2π 3π 3π
Bogenmaß: 0 π 2π
180 6 4 3 2 3 4 2

Ein weiteres Winkelmaß, das hauptsächlich im Vermessungswesen Anwendungs findet, ist das
Gon.5

2π rad = 400 gon 360◦ = 400 gon 1 gon = 0,9◦ 1 gon = 2π/400 rad

1.6 Zusätzliche Beispiele

Beispiel 1.14:
Es soll der Ausdruck (1.4) auf Seite 4 für die geometrische Summe hergeleitet werden.
Wir schreiben für den Ausdruck 1 + x + x2 + x3 + · · · + xn abkürzend s (Summe):

1 + x + x2 + x 3 + · · · + x n = s (a)

Die Multiplikation des obigen Ausdrucks mit x auf beiden Seiten liefert:

x + x2 + x3 + x4 + · · · + xn+1 = xs (b)

5 Gon wird auf Taschenrechnern mit dem Symbol »g« gekennzeichnet.


14 1 Grundwissen

Die Subtraktion der Gl. (a) von der Gl. (b) liefert:

xn+1 − 1 n
xn+1 − 1
xn+1 − 1 = s(x − 1) ⇒ s=
x−1
d.h. ∑ xi = x−1

i=0

Die obige Formel liefert allerdings für x = 1 in (1.4) einen unbestimmten Ausdruck,
nämlich 0/0, was nicht besonders nützlich ist. Dieses Unbestimmtheitsproblem kann
mit Hilfe der Regel von L’Hospital (s. Seite 77 und die Aufgabe auf Seite 126), gelöst
werden.

Beispiel 1.15:
Die Regeln in Tabelle 1.3 auf Seite 10 sind für x = 4 und y = −6 zu überprüfen.
a) |x| = | − x| |4| = 4 | − 4| = 4 ⇒ |4| = | − 4| 
b) |x · y| = |x| · |y| |4 · (−6)| = | − 24| = 24 |4| · | − 6| = 4 · 6 = 24 
   
 x  |x|  −6  | − 6| 6
c)   =  
 3  = | − 2| = 2 = =2
y |y| |3| 3
d) |x| + |y| ≥ |x + y| |4| + | − 6| = 4 + 6 = 10 |4 + (−6)| = | − 2| = 2 
e) |x| + |y| ≥ |x − y| |4| + | − 6| = 4 + 6 = 10 |4 − (−6)| = |10| = 10 
 
f) |x| − |y| ≤  |x| − |y| 
 
|4| − | − 6| = 4 − 6 = −2  |4| − | − 6|  = |4 − 6| = | − 2| = 2 −2 < 2 
 
g) |x + y| ≥  |x| − |y| 
|4 + (−6)| = | − 2| = 2 | |4| − | − 6| | = |4 − 6| = | − 2| = 2 2=2
 
h) |x − y| ≥  |x| − |y| 
|4 − (−6)| = |10| = 10 | |4| − | − 6| | = |4 − 6| = | − 2| = 2 10 > 2 

Beispiel 1.16:
Einige Logarithmenregeln in Tab. 1.2 für den dekadischen Logarithmus, d.h. Basis
a = 10, werden zahlenmäßig verifiziert.
?
a) Regel: lg xy = lg x + lg y Beispiel: lg(5 · 8) = lg 5 + lg 8
lg(5 · 8) = lg 40 = 1,60206 lg 5 + lg 8 = 0,69897 + 0,90309 = 1,60206 
x 16 ?
b) Regel: lg = lg x − lg y Beispiel: lg = lg 16 − lg 5
y 5
16
lg = lg 3,2 = 0,50515 lg 16 − lg 5 = 1,20412 − 0,69897 = 0,50515 
5
?
c) Regel: lg xy = y lg x Beispiel: lg 53 = 3 lg 5
lg 53 = lg 125 = 2,09691 3 lg 5 = 3 · 0,69897 = 2,09691 
?
d) Regel: lg(x + y) = lg x + lg y Beispiel: lg(80 + 40) = lg 80 + lg 40
lg(80+40) = lg 120 = 2,079 aber: lg 80+lg 40 = 1,903+1,602 = 3,505 
1.6 Zusätzliche Beispiele 15

Beispiel 1.17:
Die angegebenen Ausdrücke sollen soweit wie möglich vereinfacht werden.
1 1
a) lg x1/y + lg x−1/y Lsg: lg x1/y + lg x−1/y = lg x − lg x = 0
y y
b) 10x lg 3 Lsg: Mit Hilfe der Regel ax loga c = cx auf Seite 7 erhält man:
10x lg 3 = 3x

Beispiel 1.18:
Lösen Sie folgende Gleichungen nach x.

a) lg x2 + 3 lg x + 2 lg 20 = lg x5 − lg x
1
2 lg x + 3 lg x + 2 · lg 20 = 5 lg x − lg x 5 lg x + lg 20 = 4 lg x
2
1
lg x = − lg 20 lg x = lg 20−1 x = 20−1 = = 0,05
20
√ 1
b) 8 lg 10 + lg x − lg x2 +
lg x3 = lg x4
3
1 3
8 · lg 10 + lg x − 2 lg x + lg x = 4 lg x ⇒ 4 lg 10 = 4 lg x
2 3
⇒ lg 10 = lg x ⇒ x = 10
c) 2 ln x2 − ln x6 + ln x = ln 10
4 ln x − 6 ln x + ln x = ln 10 − ln x = ln 10 ln x−1 = ln 10
1 1
x−1 = 10 = 10 x= = 0,1
x 10

Beispiel 1.19:
Vereinfachen Sie folgenden Ausdruck soviel wie möglich (und sinnvoll).
1 1 1
lg + lg + ln
x−1/y x1/y x−2
Unter Beachtung der Potenz- und Logarithmenregeln erhält man:
1 1 1  
lg + lg + ln = lg x1/y + lg x−1/y + ln x2 = lg x1/y · x−1/y + 2 ln x
x−1/y x1/y x−2
1 1
= lg (x y − y ) +2 ln x = lg 1 +2 ln x = 2 ln x
   
=1 =0

Beispiel 1.20:
Vereinfachen Sie folgenden Ausdruck soviel wie möglich (und sinnvoll).

2
ln 3 (x2 − y2 )2 − ln(x − y)
3
16 1 Grundwissen

Der erste Term läßt sich wie folgt umformen:


   2
ln 3 (x2 − y2 )2 = ln (x2 − y2 )2/3 = ln(x2 − y2 )
3
2 2
= ln [(x + y) (x − y)] = [ln(x + y) + ln(x − y)]
3 3
Der gesamte Ausdruck liefert:
2 2 2 2
ln(x + y) + ln(x − y) − ln(x − y) = ln(x + y)
3 3 3 3

Beispiel 1.21:
Lösen Sie folgende Gleichung nach x.
2 +x−1)
eln(x = x2 − x + ln e3 x =?

Gemäß Logarithmenregeln gelten folgende Beziehungen:


2 +x−1)
eln(x = x2 + x − 1 x2 − x + ln e3 = x2 − x + 3

⇒ x2 + x − 1 = x2 − x + 3 ⇒ 2x = 4 ⇒ x=2

Beispiel 1.22:
Lösen Sie folgende Gleichung nach x.
1 x 1
(e + e−x ) + eln c = c + x x =? (c : Konstante)
2 e
Die Ausdrücke links und rechts vom Gleichheitszeichen ergeben:
1 x 1 1
(e + e−x ) + eln c = (ex + e−x ) + c c+ = c + e−x
2 2 ex
1 x −x 1 x 1 −x
⇒ (e + e ) + c = c + e−x ⇒ e = e ⇒ e2x = 1 ⇒ x=0
2 2 2

Beispiel 1.23:
Bestimmen Sie den Wert der Variablen x und y.

ln x + 2 ln y = 1,5, wobei die Bedingung y = x gelten soll.

√ √
ln x + 2 ln x = 1,5 ln x + ln( x)2 = 1,5 ln x + ln x = 1,5
ln(x · x) = 1,5 ln x2 = 1,5 x2 = e1,5 = 4,481689
1.6 Zusätzliche Beispiele 17


⇒ x = 2,1170 y= 2,1170 = 1,4550
Kontrolle:

ln 2,1170 + 2 ln 1,4550 = 0,7500 + 0,750 = 1,5 

Beispiel 1.24:
Einige logarithmische Regeln der Tabelle 1.2 auf Seite 7 werden nachfolgend herge-
leitet.
?
a) loga xy = loga x + loga y
Die Multiplikation der Beziehungen x = aloga x , y = aloga y ergibt:

x y = aloga x · aloga y = aloga x+loga y (a)

Aufgrund der Regel aloga f (x) = f (x) in Tabelle 1.2 gilt außerdem:

x y = aloga xy (b)

Die linken Seiten in (a) und (b) sind gleich, so daß daraus folgt:

aloga x+loga y = aloga xy (c)

Die Exponenten auf beiden Seiten in (c) müssen gleich sein, weil die Ausdrücke
auf der linken und rechten Seite die gleiche Basis a haben:

loga x + loga y = loga xy 

x ?
b) loga = loga x − loga y
y
Aus den Regeln x = aloga x und y = aloga y erhält man:

x aloga x
= = aloga x · a− loga y = aloga x−loga y (a)
y aloga y

Aufgrund der Regel aloga f (x) = f (x) in Tabelle 1.2 gilt außerdem folgende Be-
ziehung:
x
x loga
=a y, (mit f (x) = x/y) (b)
y
Die linken Seiten in (a) und (b) sind gleich, so daß daraus folgt:
x
loga x
aloga x−loga y
=a y ⇒ loga x − loga y = loga 
y
18 1 Grundwissen

?
c) loga (x1 · x2 · x3 · · · xn ) = loga x1 + loga x2 + loga x3 + · · · + loga xn
Aufgrund der Regel aloga f (x) = f (x) in Tabelle 1.2 gilt folgende Beziehung:

aloga (x1 · x2 ···xn ) = x1 · x2 · x3 · · · xn (a)

Mit Hilfe der Regel aloga x = x in Tabelle 1.2 läßt sich ferner folgende Beziehung
aufschreiben:

aloga x1 +loga x2 +···+loga xn = aloga x1 · aloga x2 · · · aloga xn = x1 · x2 · x3 · · · xn (b)

Die rechten Seiten in (a) und (b) sind identisch, so daß auch die linken Seiten
gleich sein müssen:

aloga (x1 · x2 ···xn ) = aloga x1 +loga x2 +···+loga xn

⇒ loga (x1 · x2 · · · xn ) = loga x1 + loga x2 + · · · + loga xn 


?
d) loga xn = n loga x
Die Substitution des Ausdrucks xn = x · x ·
x · · · x in die Aufgabenstellung liefert:
n−mal

loga xn = loga (x · x · x · · · x) = loga x + loga x + · · · + loga x = n loga x 


     
xn n−mal, (s. Tabelle 1.2)

1.7 Aufgaben
1. Vereinfachen Sie folgende Zahlenausdrücke soweit wie möglich (ohne Taschenrechner).
√ √
a) 6−7 68 Lsg: 6 b) 9 3 27 Lsg: 9
√ √
c) 2 · 8−1/3 Lsg: 1 d) 3 27 Lsg: 9
√ √ √ √ √
e) 10 + 14 Lsg: 10 + 14 f) 6 64 Lsg: 2

h) (1/2)−3 Lsg: 8
4
g) 78 Lsg: 49

2. Vereinfachen Sie folgende Ausdrücke.


x3,6 √ √ √
b) (x3 )−2
5 −3,4
a) (x3 )2 c) d) x3 e) ( 5 x)3 f) x
x3,1
3. Geben Sie das Ergebnis folgende Ausdrücke an, ohne den Taschenrechner zu verwenden.

| sin 90◦ | | sin(−90◦ )| | − sin 90◦ | − | − sin 90◦ | | − π|

4. Die angegebenen Ausdrücke sind als Potenzen oder Produkte darzustellen.


1.7 Aufgaben 19

a) x2 − 8x + 16 Lsg: (x − 4)2
b) 9x2 − 30x + 25 Lsg: (3x − 5)2
c) 9x4 − 6x2 + 1 Lsg: (3x2 − 1)2
d) x3 + x2 − x − 1 Lsg: (x + 1)(x2 − 1)
5. Geben Sie das Ergebnis folgender Signum-Funktionen an (ohne Taschenrechner).
a) sign x2 Lsg: + 1 sign (sin 90◦ ) Lsg: + 1

b) sign (−2 sin(−90◦ )) Lsg: + 1 sign (5 cos 180◦ ) Lsg: − 1

c) sign (− sin 270◦ ) Lsg: + 1 sign (sin2 x) Lsg: +1

6. Verifizieren Sie die Absolutwert-Regeln der Tabelle 1.3 für x = 5, y = 7.


7. Überprüfen Sie Sie die Beziehung (1.17) für die Zahlenreihe 2, 4, 6, 8, 10.
8. Lösen Sie folgende Gleichungen nach x .
a) 10x = 0, b) 10x = 50, c) 10x = 7856, d) ex = 0, e) ex = 50, f ) ex = 7856.
a) keine Lösung, b) 1,699, c) 3,895, d) k.L., e) 3,912, f ) 8,969
9. Geben Sie das Ergebnis folgender Ausdrücke ohne Benutzung eines Taschenrechners an.

a) 2 3 64 Lsg: 8 b) 9 · 81−1/4 Lsg: 3
π
c) sin 4π Lsg: 0 d) cot Lsg: 0
2
5π 6 iπ
e) sin Lsg: 1 f) ∑ sin Lsg: 1
2 i=1 2
6 iπ 100
g) ∑ cos Lsg: −1 h) lg Lsg: −1
i=1 2 1000
i) lg 400 − lg 4 Lsg: 2 j) cos 6π Lsg: 1

π 1
k) tan Lsg: ∞ l) lg Lsg: −0,5
2 10

3 1 √
3
m) ln e3 Lsg: 1 n) ln e9 Lsg: 3/2
2
10. Berechnen Sie folgende Summen und Produkte.
4 5 √
a) ∑ i2 − i Lsg: 20 b) ∑ k Lsg: 8,3823
i=1 k=1
4 6 iπ
c) ∑ j( j + 1) Lsg: 40 d) ∑ sin Lsg: 1
j=1 i=1 2
4 iπ 6 iπ
e) ∑ sin2 Lsg: 2 f) ∑ cos Lsg: −1
i=1 2 i=1 2
5 4 i 
g) ∏ (i − 1) Lsg: 24 h) ∑ ∏ j Lsg: 33
i=2 i=1 j=1
2 3  5 5
i) ∏ ∑ j Lsg: 18 j) ∑ i + ∑ i2 Lsg: 70
j=1 i=1 i=1 i=1
20 1 Grundwissen

11. Verifizieren Sie den zweiten Ausdruck in 1.7 auf Seite 5 für n = 5 und k = 2.

12. Überzeugen Sie sich, dass folgende Beziehungen richtig sind.



√ 1 1 a 1
√a
−a

x = 1/a = a = = x−1
x x x

13. Vereinfachen Sie folgende Ausdrücke mit Hilfe von Wurzelregeln.



a) 1 + a2 − 2a + 1 Lsg: a

b) (x + y) 2 Lsg: x + y

c) (a − b)−1/2 (a − b)5/2 Lsg: a − b

2x − 1
d) 1− Lsg: (x − 1)/x
x2
14. Kontrollieren Sie mit Hilfe eines Taschenrechners die Potenz-Regeln der Tabelle 1.1 für
a = 1,2, b = 1,5, x = 2,3, y = 1,3.

15. Folgende Ausdrücke sind mit Hilfe von Potenzregeln zu vereinfachen.


a) x6n−3 x−3n+3 Lsg: x3n
2 · (52 )3 · 82
b) Lsg: 10
43 · 55
2−2 · (62 )0 · 42
c) Lsg: 16
4−4 · 43
an−1 (cd + ce)n+2
d) Lsg: c3 (d + e)3
(cad + eac)n−1
2x−2 y−3 a0 2a2 y2
e) Lsg:
x2 y−5 a−2 x0 x4
16. Zeigen Sie die Richtigkeit folgender Wurzelbeziehungen, indem Sie sie als Potenzausdrücke
formulieren und die Potenzregeln anwenden. Kontrollieren Sie die Beziehungen zusätzlich
mit einem Taschenrechner für die Zahlenwerte x = 2,8 , y = 1,6 , r = 2,5 und p = 1,2 .

√ √ √ r
x x √ √ p
a) x y = x y
r r r b) √r y
= r c) r x p = ( r x)
y
 √ √ √ √ √ √
d) r p x = r · p x e) q · r xq · p = r x p f) r xr · y = x r y

17. Bestimmen Sie dir Wurzel x folgender Gleichungen.

a) e2x − ex − ex+1 = 0 Lsg: x = ln(e + 1)

18. Überprüfen Sie mit einem Taschenrechner für a = e = 2,71828, x = 10, y = 15 die Loga-
rithmenregeln der Tabelle 1.2 .
1.7 Aufgaben 21

19. Berechnen bzw. vereinfachen Sie folgende Ausdrücke (ohne Taschenrechner).


a) lg 103 Lsg: 3 b) ln e2 Lsg: 2
c) ln x4 Lsg: 4 ln x d) lg xy Lsg: lg x + lg y
x3 x3 y4
e) lg 2 Lsg: lg x f) ln 2 Lsg: 3 ln x + 4 ln y − 2 ln z
x z
a
g) lg a10n Lsg: n + lg a h) lg n Lsg: −n + lg a
 10
x+y 1
i) ln Lsg: ln(x + y) − ln z
z2 2
20. Berechnen Sie x mit Hilfe von Logarithmusregeln (ohne Taschenrechner).
1 √
a) x = lg 25 + lg 4 Lsg: x = 1
2
b) x = 2(lg 50 − lg 5) Lsg: x = 2
√ 1
c) x = lg 80 − lg 8 Lsg: x = 0,5
2
d) lg(3x + 5) − lg(x − 3) = 1 Lsg: x = 5
e) 106x 10−3x − 1000 = 0 Lsg: x = 1
f) lg x = (n + 1) lg a − lg an
Lsg: x = a
√ 1
g) ln 1 − x − ln(1 + x) = ln 10 Lsg: x = −99/101
2
1 √ 1 √
h) ln x = ln(a − b) + ln a + b − ln(a2 − b2 ) Lsg: x = 4 a2 − b2
2 4
21. Bestimmen Sie die Wurzel x (Nullstelle) folgender Gleichungen.
a) lg(ln x) = 0,1 Lsg: x = 3,5216
b) ln(lg x) = 0,1 Lsg: x = 12,74

ln(2x + 2)
c) =4 Lsg: x = 2047
ln 8
ln(x + 3) + ln(x − 3)
d) =2 Lsg: x = 5
ln 4
2
e) ln + 2 ln x = 0 Lsg: x = 0,5
x
ln(x + 2) ln(x − 2)
f) + =2 Lsg: x = 4,472
ln 4 ln 4
22. Bestimmen Sie die Wurzeln (Nullstellen) folgender Gleichungen von Hand (bei den trigo-
nometrischen Gleichungen ist Bogenmaß zu verwenden).
a) x4 − 16x2 = 0 Lsg: x1 = x2 = 0 x3 = +4 x3 = −4
b) 102x · 10−5x = 1000 Lsg: x = −1
22 1 Grundwissen

c) 6x2 − x + 2 = 8x2 + x − 2 Lsg: x1 = 1 x2 = −2



d) x − 6 = 8 − x Lsg: x1 = 4 x2 = 7

e) x + 8 = (x + 20) 1/4 Lsg: x1 = −4 x2 = −11
√ √
f) 4x − 3 − x = x − 1 Lsg: x = 1
g) sin 3x − 1 = 0 Lsg: x = π/6
h) sin 2x − cos x = 0 Lsg: x1 = π/6 x2 = π/2
i) 1 − tan2 x =1 Lsg: x1 = 0 x2 =π
j) cos2 x − sin2 x = sin x
2
cos x + cos x
2 4 Lsg: x = nπ n = 0,1,2, . . .

23. Geben Sie folgende Winkel –ohne Benutzung eines Taschenrechners– im Bogenmaß an.
a) 180◦ Lsg: π b) 270◦ Lsg: 3π/2 c) 315◦ Lsg: 7π/4
d) 45◦ Lsg: π/4 e) 135◦ Lsg: 3π/4 f) 225◦ Lsg: 5π/4

24. Eine Kugel, ein Kreiszylinder und ein Kegel haben den gleichen Radius r. Bestimmen Sie
die Höhe hz von Zylinder und hk von Kegel so, dass die drei Körper das gleiche Volumen
V haben.
Lsg:
4 1 4
Vkug = πr3 Vzyl = πr2 hz Vkeg = πr2 hk ⇒ hz = r hk = 4r
3 3 3

25. Welche Masse besitzt eine Betonkonstruktion, die sich aus einem hohlen zylindrischen Teil
und einer darauf aufgesetzten, ebenfalls hohlen Halbkugel zusammensetzt.
Außenradius des Zylinders : ra = 3 m Innenradius des Zylinders : ri = 2,7 m
Außenradius der Kugel : rka = 3 m Innenradius der Kugel : rki = 2,85 m
Länge des Zylinders :L = 6 m Betondichte : ρ = 2500 kg/m3
Lsg:

mz = 80582 kg mk = 20163 kg mtot = mz + mk = 100745 kg


2 Elementare Funktionen
In diesem Abschnitt werden einige Typen von elementaren und für die Ingenieurpraxis dennoch
wichtigen mathematischen Funktionen vorgestellt sowie ihre besonderen Eigenschaften sowie
Darstellungsformen vorgestellt.

2.1 Polynomfunktionen
Ein Polynom n-ten Grades ist eine ganze rationale Funktion von der Gestalt

y = f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 + a3 x3 + · · · + an−1 xn−1 + an xn , (2.1)

wobei a0 , a1 , . . . , an konstante Koeffizienten sind. Der Koeffizient an muss zwangsläufig = 0


sein; wäre nämlich an = 0 (und gleichzeitig an−1 = 0 ), würde es sich nicht um ein Polynom
n-ten Grades, sondern um ein Polynom vom Grad n − 1 handeln. Hingegen dürfen einzelne oder
alle Koeffizenten a0 , a1 , . . . , an−1 verschwinden, d.h. gleich Null sein (es muss natürlich nach
wie vor an = 0 sein, damit wir von einem Polynom n-ten Grades reden können).
Die höchste in der Polynomfunktion vorkommende Potenz bestimmt den Polynomgrad. Bilder
2.1 bis 2.1 d zeigen beispielhaft Schaubilder verschiedener Polynome.
Konstante Funktion
Ein Polynom 0-ten Grades ist eine konstante Funktion (waagerechte Gerade):

y = a0

Abbildung 2.1 a zeigt beispielhaft das Schaubild der konstanten Funktion y = 1.


Lineare Funktion
Ein Polynom 1. Grades wird lineare Funktion (allgemeine Gerade) genannt:

y = a0 + a1 x (2.2)

Diese Gerade schneidet die y-Achse bei a0 , die x-Achse bei −a0 /a1 und besitzt die Steigung
a1 . Das Schaubild der linearen Funktion y = x + 1 ist in Bild 2.1 b dargestellt.
Quadratische Funktion (Parabel)
Eine quadratische Funktion (Parabel) ist ein Polynom 2. Grades:

y = a0 + a1 x + a2 x2 (2.3)

In Bild 2.1 c ist die Polynomfunktion y = x2 + 2x − 1 dargestellt.


Polynome höheren Grades
Bild 2.1 d zeigt exemplarisch das Schaubild einer Polynomfunktion 5. Grades.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_2,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
24 2 Elementare Funktionen

3
3

2
2

y
y
1
1

–3 –2 –1 0 1 2 3
–3 –2 –1 0 1 2 3 x
x –1

a: y = 1 b: y = x + 1

400
30

y
20 200
y

10

–4 –2 0 2 4
x
–6 –4 –2 0 2 4
x

c: y = x2 + 2x − 1 d: y = x5 − x4 − 27x3 + 41x2 + 106x − 120

Bild 2.1: Beispiele für Polynomfunktionen

Beispiel 2.1:
Temperaturverteilung in einem Metallstab. Der dargestellte Kupferstab ist über seine
Länge thermisch vollkommen isoliert, so dass durch die Mantelfläche radial kein Wär-
metransfer möglich ist; lediglich an den beiden Stirnflächen vorne und hinten ist ein
Wärmezu- und abfluß möglich. Die vordere Stirnfläche wird bei konstanter Tempe-
ratur T1 = 100 ◦ C gehalten (ins kochende Wasser eingetaucht), die hintere Stirnfläche
bei T2 = 5 ◦ C (fließendes Kaltwasser). Die Verteilung der Temperatur über die Stablän-
ge ist eine lineare Funktion der x-Koordinate (s. auch das Beispiel auf Seite 361):

T2 − T1
T (x) = T1 + x
L
5 − 100
= 100 + x T1
L T2 x
L
5 − 100
T (x = 0) = 100 + 0 = 100◦ C
L
5 − 100
T (x = L) = 100 + L = 5◦ C
L
2.1 Polynomfunktionen 25

Beispiel 2.2:
Freier Fall ohne Luftreibung. Eine Stahlkugel wird von 100 m Hö-
he -aus Ruhelage heraus- fallengelassen. Der Einfluß des Luftwider-
standes wird vernachlässigt (für eine Stahlkugel und Fallhöhe 100 m
m ist diese Vereinfachung physikalisch sicherlich zulässig). Die au-
genblickliche Höhe h der Kugel über dem Erdboden wird durch
folgende quadratische Gleichung (Polynom 2. Grades) beschrieben:
1 h(t)
h(t) = 100 − 9,81 t 2 t : Zeit in s
2
Die Höhenposition der Kugel beträgt z.B. nach t = 3 s Falldauer:
1
h(t = 3) = 100 − 9,81 · 32 = 55,855 m
2

Beispiel 2.3:
Durchbiegung eines Kragbalkens unter Einzellast. Der abgebildete Balken, der an sei-
nem linken Ende fest eingespannt ist, sei durch die Einzellast F an seinem freien Ende
belastet und biegt sich infolge der Belastung nach unten durch. Mit Hilfe der Statik
läßt sich zeigen, dass die Biegelinie y(x) des Balkens ein Polynom 3. Grades ist.
  y
FL3 x2 x3
y=− − (a) x
EI 2L2 6L3
x
EI y(x)
F
E : Elastizitätsmodul
L
I : Trägheitsmoment des Querschnitts
Das negative Vorzeichen in der obigen Formel resultiert daraus, dass der Balken
sich in negative y-Richtung durchbiegt. Als konkretes Zahlenbeispiel betrachten wir
einen Holzbalken mit Rechteckquerschnitt (Breite b, Höhe h) aus Nadelholz der Güte-
klasse II.

F = 3 kN L = 400 cm b × h = 10 × 20 cm E = 1100 kN/cm2

Das Trägheitsmoment I beträgt nach Regeln der Statik (s. Beispiel 7.32 auf Seite 340):

bh3 10 · 203
I= = = 6666,7 cm4
12 12
Die größte Durchbiegung δ an der Balkenspitze ergibt sich nach Auswertung der
Durchbiegungsformel (a) für x = L zu:
   
FL3 L2 L3 FL3 1 1 FL3
δ = y(L) = − 2
− 3
= − − =−
EI 2L 6L EI 2 6 3EI
3 · 4003
=− = −8,73 cm
3 · 1100 · 6666,7
26 2 Elementare Funktionen

Beispiel 2.4:
Durchbiegung eines Kragbalkens unter Streckenlast. Die Biegelinie y(x) des durch die
konstante Streckenlast q belasteten Kragbalkens ist ein Polynom 4. Grades.

 
qL4 x2 x3 x4
y = f (x) = − 2
− 3+
EI 4L 6L 24L4

E : Elastizitätsmodul
I : Trägheitsmoment des Querschnitts

x
EI q

y(x)
L

Beispiel 2.5:
Spannungs-Dehnungslinie von Beton. Unter Dehnung ε eines Gegenstands (z.B. Stahl-
stab, Betonwürfel etc.) wird das Verhältnis (Quotient) der Längenänderung Δ zur ur-
sprünglichen Länge L0 verstanden. Wenn es sich bei der Dehnung um eine negative
Dehnung handelt (die Länge des Stabs wird kleiner), wird sie als Stauchung bezeich-
net.
Δ
ε= Δ : Längenänderung L0 : ursprüngliche Länge
L0
In Betonwerken wird zwecks Qualitätssicherung die Betonfestigkeit permanent über-
wacht. Im Labor des Betonwerks werden erhärtete Betonwürfel in einer Prüfmaschi-
ne gestaucht, indem sie einer Druckspannung ausgesetzt werden. Unter dieser Druck-
last verkürzt sich der Betonwürfel. Die Beziehung zwischen der Stauchung ε und der
Druckspannung σ (in N/mm2 ) für die Betonsorte C25 z.B. wird durch folgende Funk-
tion beschrieben.
25

20

15
sigma

3,1 ε − 477 ε 2
σ = 25 10

0,0023 + ε 5

0 0.001 0.002 0.003


epsilon

Wie man im Schaubild erkennen kann, wird bei einer Stauchung von etwa 0,2%
die maximal ertragbare Druckspannung des Betons erreicht, d.h. der Betonwürfel zer-
bricht bei Überschreiten dieser Dehnungs- bzw. Spannungsgrenze.
2.2 Potenz- und Wurzelfunktionen 27

2.2 Potenz- und Wurzelfunktionen


Eine Potenzfunktion ist eine Funktion der Form

y = xa (2.4)

wobei x die Basis und a der Exponent der Potenzfunktion sind. Anmerkung: Für x < 0, muss a
eine ganze Zahl sein.
Einen Sonderfall der Potenzfunktion stellt die Wurzelfunktion dar (s. auch Seite 1):

y = a x = x1/a (2.5)

Anmerkung: Wenn der Wurzelparameter a ungerade ist, darf x auch negativ sein.
Bild 2.2 zeigt beispielhaft einige Schaubilder von Potenz- und Wurzelfunktionen.
3
8

6 2
n=1
a=3
y

n=2
y

4
1 n=3
a=2
2
a=1

0 0.5 1 1.5 2 0 0.5 1 1.5 2


x x


a: Potenzfunktion y = xn b: Wurzelfunktion y = n
x

Bild 2.2: Beispiele für Potenz- und Wurzelfunktionen

Beispiel 2.6:
Optimale Wahl des Zuschlaggemisches bei Betonherstellung. Für die Herstellung von
qualitativ hochwertigem Beton wird vom Zuschlaggemisch, d.h. dem Sand-Kies-Gemisch,
gefordert, dass dessen Korndurchmesserabstufung einer bestimmten sog. Sieblinie ent-
sprechen muss. Eine in der Betonpraxis gebräuchliche Idealsieblinie ist z.B.:
100

80

60
 0,5
A

x x
A(x) = 100 = 100 40
D D
20

0 10 20 30
x
x : Beliebiger Korndurchmesser zwischen 0 und D
D : Größtkorndurchmesser des Zuschlaggemisches, z.B. D = 31,5 mm
A : Anteil der Korngruppe mit Durchmesser zwischen 0 und x (in Prozent)
28 2 Elementare Funktionen

2.3 Exponentialfunktion
Eine Funktion von der Art y = kax , wobei k und a konstante Skalare1 sind, heißt Exponential-
funktion.
In vielen Gebieten der Physik und in naturwissenschaftlichen Vorgängen spielt die in Bild 2.3
dargestellte spezielle Exponentialfunktion mit der Basis e (e-Funktion)

y = eax a∈R

eine sehr grundlegende Rolle. Die Zahl e (auch Eulersche Zahl genannt) ist definiert als
 
1 n
e = lim 1 + = 2,71828182845904523536 ≈ 2,7183
n→∞ n

8 8

6 6

4 4
y

y
2 2

–3 –2 –1 0 1 2 3 –3 –2 –1 0 1 2 3
x x

a: y = ex b: y = e−x

Bild 2.3: Beispiele für Exponentialfunktion eax

Beispiel 2.7:
Viele Phänomene und Vorgänge in der Natur finden in Form der e-Funktion statt, z.B.:
• Schwingung eines Fernsehturms unter Windeinwirkung bzw. Erdbeben:

u(t) = 15 e−0,05t sin ωt ω : Konstante

• Verbliebene Masse von 5 g radioaktivem Stoff während seines Zerfalls:


−11 t
m(t) = 5 e−1,4 · 10

1 Bezüglich der Vorzeichen von k und a existieren im reellen Definitionsbereich einige Einschränkungen, auf die hier
nicht näher eingegangen werden soll.
2.3 Exponentialfunktion 29

• Ungestörtes Wachstum von Tieren (ohne Selbstregulierung):

n(t) = k et n : Anzahl der Tiere

Beispiel 2.8:
Freier Fall mit Luftreibung. In Beispiel 2.2 auf Seite 25 wurde die Funktion h(t) für
die augenblickliche Höhe einer Stahlkugel mit der Masse m angegeben, die von ihrer
Ruhelage in der Höhe H runterfällt. Dort war die Luftreibung vernachlässigt worden.
Wenn es sich bei der Kugel jedoch nicht um Stahl, sondern um ein Material von ge-
ringer Dichte handeln sollte, z.B. um Balsaholz, dürfte die Luftreibung nicht mehr
vernachlässigt werden. Die Funktion der augenblicklichen Höhe h(t) über dem Boden
lautet dann nach Gesetzen der Dynamik (unter Annahme der sog. Stokes-Reibung mit
geschwindigkeitsproportionaler Reibungskraft):

gm gm2
h(t) = H − t + 2 (1 − e−ct/m )
 c  c  
lineare Funktion Exponentialfunktion

c : Luftwiderstandskoeffizient, g = 9,81 m/ sec2

Beispiel 2.9:
Silodruck. Ein Silo wird zur Lagerung von staubförmigem bzw. körnigem Schüttgut,
z.B. Zement, Betonkies, Mais etc. verwendet. Das Schüttgut übt auf die Silowand
einen radial gerichteten Druck (Belastung) aus. Nach DIN 1055 gilt folgende Bezie-
hung für den radialen Silodruck p auf die Wand eines Zementsilos aus Stahlbeton:

p [kN/m2]
15
10
5
0

p = f (z) = 17,8 r (1 − e−0,585z/r )


5

p : Silodruck in kN/m2
z [m]
10

r : Siloradius in m
z : Schüttguttiefe in m
15

(z = 0 : freie Schüttgutoberfläche)
20

Beispiel 2.10:
Abhängigkeit der Betonfestigkeit vom Wasserzementwert. Der Wasserzementwert w ist
in der Betontechnologie eine grundlegende Einflußgröße für die erzielbare Druckfes-
tigkeit des Betons; w ist definiert als das Verhältnis der Wassermenge W zur Zement-
menge Z (in Gewichtsanteilen, also z.B. jeweils in kg). Zuviel Wasser bei der Betonher-
30 2 Elementare Funktionen

stellung ist hinsichtlich der Druckfestigkeit nachteilig. Die mittlere Druckfestigkeit βb


einer bestimmten Betonsorte hängt von seinem Wasserzementwert w = W /Z gemäß
folgender Beziehung ab (idealisierte Beziehung):

βb = 385 w e−3,5w

Für w = 0,5 z.B. läßt sich eine Betondruckfestigkeit von

βb = 385 · 0,5 · e−3,5 · 0,5 = 33,45 N/mm2

erzielen. Würde man mehr Wasser zugeben, so daß w = 0,7 wäre, könnte die Beton-
druckfestigkeit nur noch folgenden deutlich niedrigeren Wert erreichen:

βb = 385 · 0,7 · e−3,5 · 0,7 = 23,25 N/mm2

2.4 Logarithmus-Funktionen
Der Begriff des Logarithmus und seine Rechenregeln sind auf Seite 6 behandelt. Hier werden
technische Beispiele vorgestellt. Die beiden in Technik und Wissenschaft am häufigsten verwen-
deten Logarithmusfunktionen

y = lg x dekadischer Logarithmus (2.6)


y = ln x natürlicher Logarithmus (2.7)

sind -im reellen Definitionsbereich- nur für x > 0 definiert. Bild 2.4 zeigt die Schaubilder von
lg x und ln x.
2 2

1 1
y

0 1 2 3 4 5 0 1 2 3 4 5
x x

–1 –1

–2 –2

a: Dekadischer Logarithmus y = lg x b: Natürlicher Logarithmus y = ln x

Bild 2.4: Logarithmus-Funktionen lg und ln

Die allgemeine Logarithmusfunktion f (x) = loga x mit der Basis a ist die inverse Funkti-
on (auch Umkehrfunktion genannt) zur Exponentialfunktion g(x) = ax . Zwei Funktionen f (x)
2.4 Logarithmus-Funktionen 31

10 10
10^x exp(x)

8 8
y=x y=x

6 6

y
4 4

ln(x)
2 lg(x) 2

–4 –2 2 4 6 8 10 –4 –2 2 4 6 8 10
x x
–2 –2

–4 –4

a: lg x und 10x b: ln x und ex

Bild 2.5: Exponential- und Logarithmusfunktion sind inverse Funktionen

und g(x) nennt man invers, wenn sie spiegelbildlich um die Winkelhalbierende des ersten Qua-
dranten im xy-Koordinatensystem verlaufen. Bild 2.5 zeigt beispielhaft die zueinander inversen
Funktionen 10x und lg x sowie ex und ln x.

Beispiel 2.11:
Schallpegel. Der Luftschall ensteht, wenn durch eine Schallquelle eine Störung des
normalen Luftdrucks (≈ 1 bar) hervorgerufen wird. Die dabei entstehende Luftdruck-
schwankung p ist sehr gering; sie liegt i.a. im Bereich von 10−10 ≤ p ≤ 10−3 bar. Der
Schall wird nicht durch die Druckschwankung p selbst, sondern durch den Schallpe-
gel quantifiziert, d.h. gemessen. Der Schallpegel L ist definiert durch folgende loga-
rithmische Gleichung:
p
L = 20 lg Einheit von L : Dezibel (dB)
p0

p0 = 2 · 10−10 bar (vom Menschen gerade noch hörbare Luftdruckschwankung)


Für die beiden Extremwerte von p erhält man:

10−10
p = 10−10 : L = 20 lg = −6,02 dB (absolute Stille)
2 · 10−10
10−3
p = 10−3 : L = 20 lg = 133,98 dB (Schmerzschwelle)
2 · 10−10

Beispiel 2.12:
Geschwindigkeit einer Rakete. Wir betrachten eine in der Leere des Weltalls ruhende
Rakete. Zum Zeitpunkt t = 0 hat die Rakete also die Geschwindigkeit Null (v0 =
0 m/s) und besitzt die Masse m0 . Nun soll die Rakete für Weiterflug im Weltall wie-
der in Bewegung versetzt werden. Die zur Beschleunigung der Rakete benötigte Kraft
32 2 Elementare Funktionen

stammt aus der Impulsänderung des gesamten Flugkörpers. Die Impulsänderung ent-
steht durch die (konstant vorausgesetzte) Austrittgeschwindigkeit vg der Verbrennungs-
gase aus der Rakete (vg wird relativ zur Rakete gemessen) und die stetige Abnahme
der Treibstoffmasse. Die momentane Geschwindigkeit v(t) der Rakete zu einem be-
liebigen Zeitpunkt t wird durch die sog. Ziolkowski-Formel ermittelt (die Herleitung
dieser Formel wird auf Seite 365 ausführlich gezeigt):

m0
v(t) = vg ln
m(t)

m0 : Anfangsmasse der Rakete zum Zeitpunkt t = 0


m(t) : Masse der Rakete zum Zeitpunkt t
Es soll nun die Geschwindigkeit dieser Rakete nach 20 Sekunden Flug berechnet wer-
den, wenn sich die Treibstoffmasse zu diesem Zeitpunkt um 10% verringert hat und
die Ausströmgeschwindigkeit vg = 4 km/s beträgt.

t = 20 s m(20) = m0 − 0,1 m0 = 0,9 m0 va = 4 km/s

Nach 20 Sekunden erreicht die Rakete die Geschwindigkeit


m0 1
v(20) = 4 ln = 4 ln = 0,42144 km/s = 1517,2 km/h.
0,9m0 0,9

Beispiel 2.13:
Magnitude und Energie von Erdbeben. Die Magnitude M eines Erdbebens ist ein Maß
für die vom Erdbeben freigesetzte Energie E. Eine gebräuchliche Beziehung für M ist
die in Bild 2.6 dargestellte, auch als Richter-Skala bekannte, logarithmische Skala:
2
M≈ (lg E − 11,8) (E in erg, 1 erg = 10−7 J)
3
Nach Umformung erhält man daraus:

lg E = 11,8 + 1,5M ⇒ E = 1011,8+1,5M = 1011,8 101,5M

Die Erhöhung der Magnitude um nur eine Stufe, z.B. von 6 auf 7, bewirkt einen enor-
men Zuwachs der freigesetzten Energie um den Faktor ≈ 31,62, wie man nachfolgend
sehen kann.

E6 = 1011,8 101,5 · 6 E7 = 1011,8 101,5 · 7

E7 1011,8 101,5 · 7
= 11,8 1,5 · 6 = 101,5 = 31,62
E6 10 10
Ein Erdbeben von der Magnitude M = 8 würde gegenüber einem Erdbeben mit M = 6
gar die 1000-fache Energie freisetzen (102 · 1,5 = 1000)!
2.4 Logarithmus-Funktionen 33

    
 
 

a: lineare Darstellung b: halb-logarithmische Darstellung

Bild 2.6: Beziehung zwischen Energie E und Magnitude M eines Erdbebens

Logarithmische Achsen für Funktionsgraphen


Die in Bild 2.6 a dargestellte Funktionskurve besitzt einen entscheidenden Nachteil: Schon für
mittelgroße Erdbebenenergien, z.B. für E = 1020 , ist es kaum möglich, die Erdbebenmagnitude
M aus dem Diagramm zuverlässig abzulesen — die Energie E = 1020 entspricht immerhin einer
nicht vernachlässigbaren Magnitude von M = 2/3 · (lg 1020 − 11,8) ≈ 5,5. Eine solche Funktion
mit einem sehr breiten Definitionsintervall E = [1012 ; 1024 ] kann in der linearen Eintragungswei-
se nicht mehr graphisch vernünftig dargestellt werden. Die Auftragung technischer Funktionen
in einem 2-dimensionalen Achsenkreuz in linearer Skalierung führt in der Praxis nicht selten zu
schwer ablesbaren, fehleranfälligen Graphen. Deutlich bessere Resultate für derartige Funktio-
nen liefern die nachfolgend beschriebenen Darstellungstechniken mit Hilfe von logarithmisch
unterteilten Achsen.2

a) Halb logarithmische Darstellung


In der halb-logarithmischen Darstellung (z.B. Bild 2.6 b) wird eine Achse (x- oder y-Achse) lo-
garithmisch skaliert und die andere Achse in linearer Skalierung belassen. Für das obige Beispiel
der Erdbebenmagnitude heißt dies, dass auf der x-Achse nicht direkt der Zahlenwert von E auf-
getragen wird, sondern der Zahlenwert von lg E. Der Abstand des E-Wertes, z.B. E = 1020 , vom
Koordinatenursprung ist also nicht mehr proportional zu dieser Zahl selbst, sondern proportional
zu ihrem Logarithmus, d.h. proportional zu lg 1020 = 20. So lassen sich auch zwei stark diffe-
rierende Werte, z.B. E1 = 1013 und E2 = 1024 über ihre Logarithmen problemlos eintragen: Der
Abstand von E1 = 1013 vom Koordinatenursprung ist dann proportional zum Wert lg 1013 = 13
und der Abstand für E2 = 1024 ist proportional zu lg 1024 = 24; also Zahlen, die auf der x-Achse
bequem eingetragen werden können. Das Resultat zeigt Bild 2.6 b; es handelt sich jetzt um eine
Gerade im xy-Koordinatensystem, auf der auch für eine kleine Erdbebenenergie die zugehörige
2 Für die Darstellung mit logarithmischen Achsen kann man im Handel erhältliche logarithmische Funktions-
papiere verwenden, oder auch spezielle Computersoftware, z.B. das public domain Plotprogramm GnuPlot
(http://sourceforge.net).
34 2 Elementare Funktionen

Magnitude M präzise abgelesen werden kann. Die Geradengleichung lautet einfach M = a (x+b),
wobei a = 2/3, x = lg E und b = −11,8 sind.

a: lineare Darstellung b: doppelt logarithmische Darstellung

Bild 2.7: Funktion y = x3 in linearer und logarithmischer Darstellung

Anmerkung: In der beschriebenen logarithmischen Darstellungsart kann die x-Achse natürlich


nicht bei 0 beginnen, weil Logarithmus von 0 nicht definiert ist. Stattdessen könnte x z.B. bei
1 beginnen (lg 1 = 0); diese Position dient als eine Art Referenzposition. Danach wird jeder in
Frage kommende x-Wert über seinen Logarithmus eingetragen, abhängig vom Vorzeichen des
logarithmischen Wertes, entweder rechts oder links von der Position x = 1 ein. Selbstverständ-
lich kann auch jede andere Zahl außer 1 ebenfalls als Referenzposition verwendet werden, die
zweckmäßige Wahl hängt von der Problemstellung ab.

b) Doppelt logarithmische Darstellung


Ein ähnliches Ableseproblem ist in Bild 2.7 zu sehen. Im linken Teilbild 2.7 a ist die Funktion
y = x3 in linearer Darstellung dargestellt. Für kleine x-Werte ist es unmöglich, die zugehörigen
y-Werte überhaupt -geschweige denn präzise- abzulesen. Zur Lösung des Problems wird die
Funktion logarithmiert:

y = x3 ⇒ lg y = lg x3 = 3 lg x d.h. y∗ = 3 x∗ mit y∗ = lg y x∗ = lg x

Durch Logarithmierung ist also eine Geradengleichung entstanden. Die Darstellung der Funkti-
on lg y = 3 lg x unter Verwendung von zwei logarithmischen Achsen (doppelt logarithmische
Darstellung) führt auf eine sehr leicht ablesbare Gerade in Bild 2.7 b.

c) Logarithmische Darstellung der natürlichen Exponentialfunktion eax


Wie bereits im Abschnitt 2.3 auf Seite 28 erörtert, dient die Exponentialfunktion eax der Beschrei-
bung vieler Vorgänge in Natur und Technik. Für die grafische Darstellung der natürlichen Expo-
2.5 Symmetrie und Antimetrie von Funktionen 35

 

a: lineare Darstellung b: halb logarithmische Darstellung


−11
Bild 2.8: Zerfallfunktion m(t) = e−1,4 · 10 t einer radioaktiven Substanz

nentialfunktion kann das oben beschriebene logarithmische Darstellungskonzept sinngemäß ver-


wendet werden, wobei diesmal anstelle des dekadischen Logarithmus lg der natürliche Logarith-
mus ln herangezogen wird. Beispielsweise kann die Zerfallfunktion m = f (t) einer radioaktiven
Substanz von der Masse 1g (s. Seite 28) durch Logarithmieren von der Exponentialform in die
lineare Form überführt werden:
−11 t
m = f (t) = e−1,4 · 10 ⇒ ln m = −1,4 · 10−11 t

Die Zerfallfunktion m(t) kann jedoch so transformiert werden, dass sie -anstelle der natürlichen
Logarithmenskala- auch in der gebräuchlicheren dekadischen Logarithmenskala aufgetragen wer-
den kann. Diese Transformation erfolgt mit Hilfe der Regel loga f (x) = logb f (x) loga b in
Tabelle 1.2 auf Seite 7:
−11 t
lg m = lg e−1,4 · 10 = −1,4 · 10−11 t lg e = −0,608 · 10−11 t

0,43429

Das Ergebnis ist die Gleichung einer Geraden, wobei zu beachten ist, dass auch auf der Verti-
kalachse die Substanzmenge m in logarithmischer Skala eingetragen werden muss (s. Bild 2.8).

2.5 Symmetrie und Antimetrie von Funktionen

Die Symmetrie einer Funktion y = f (x) wird mit Bezug auf die y-Achse definiert. Eine be-
züglich der y-Achse spiegelsymmetrische Funktion (s. Bild 2.9) wird symmetrisch (auch gerade
Funktion) genannt . Mathematisch wird die Symmetrie einer Funktion durch folgende Bedingung
36 2 Elementare Funktionen

ausgedrückt:

f (−x) = f (x) ⇔ f (x) symmetrisch (2.8)

Eine antimetrische Funktion (auch ungerade Funktion bzw. punktsymmetrisch genannt) ist bzgl.

4
1

y
0.5

y
2

–6 –4 –2 0 2 4 6
x [rad]
1

–0.5

–2 –1 1 2
x –1

a: y = x2 (symmetrisch) b: y = cos x (symmetrisch)

y
0.5
y

–2 –1 1 2 –6 –4 –2 2 4 6
x x [rad]

–0.5
–5

–1

c: y = x3 (antimetrisch) d: y = sin x (antimetrisch)

Bild 2.9: Beispiele für symmetrische und antimetrische Funktionen

der y-Achse schiefsymmetrisch (Bild 2.9). Die Antimetrie wird mathematisch durch folgende
Bedingung ausgedrückt:

f (−x) = − f (x) ⇔ f (x) antimetrisch (2.9)

2.6 Stetigkeit und Glattheit von Funtionen

Um den Begriff der Stetigkeit ingenieurmäßig korrekt zu verstehen, braucht man keine mathema-
tisch strenge Formulierung. Unter Stetigkeit einer Funktion versteht man, dass eine extrem kleine
(d.h. infinitesimale) Positionsänderung auf der x-Achse eine endliche Änderung des Funktions-
wertes in y-Richtung zur Folge hat.
Man kann sich die Stetigkeit visuell auch so vorstellen, dass das Schaubild einer stetigen Funk-
tion an keiner x-Position absolut parallel zur y-Achse sein darf und auf Papier gezeichnet werden
kann, ohne den Stift abzusetzen. Eine andere dem Alltag entlehnte Vorstellungsmöglichkeit wäre
z.B., dass man bei einer unstetigen Funktion irgendwann »springen« muss, wenn man entlang
2.7 Trigonometrische Funktionen 37

der Funktionskurve von einem Ende zum anderen Ende wandert. Der Polygonzug entlang der
Stufen einer Treppe wäre z.B. eine unstetige Funktion.
Beim Verständnis der Glattheit einer Funktion wollen wir ebenfalls auf ihre mathematische
Definition verzichten und die Glattheit eher phänomenal verstehen: Wenn wir unsere Fingerspit-
ze auf der Kurve bewegen und an keiner Stelle eine scharfe Spitze fühlen können, ist die Kurve
glatt.
Die in Bild 2.9 abgebildeten Funktionen sind stetig und glatt. Eine unstetige Funktion ist
zwangsläufig nichtglatt. Umgekehrt gilt es nicht! Eine nichtglatte Funktion kann durchaus ste-
tig sein. Die Funktion in Bild 2.10 a beispielsweise ist unstetig (wegen des Sprungs bei x = 2)
und damit automatisch auch nichtglatt; hingegen ist die Funktion in Bild 2.10 b zwar nichtglatt
(scharfe Spitze bei x = 2) aber trotzdem stetig.
Eine an der Stelle x0 unstetige Funktion besitzt unterschiedliche Grenzwerte an der Stelle x0 ,
je nachdem ob man sich der Stelle x0 von links oder von rechts nähert.
Eine an der Stelle x0 nichtglatte Funktion besitzt unterschiedliche Steigungen an der Stelle x0 ,
je nachdem ob man sich der Stelle x0 von links oder von rechts nähert.
Tangens- und Kotangens-Funktionen (s. Bild 2.14 auf Seite 41) z.B. sind unstetige Funktionen.
Die Unstetigkeitsstelle der Tangens-Funktion liegt z.B. bei 90◦ und die der Kotangens-Funktion
bei 180◦ .
2

1.5
1.5

1
y

1
y

0.5
0.5

–2 –1 0 1 2 3 4 0 1 2 3 4 5
x x

a: Unstetige Funktion b: Nichtglatte Funktion


(Sprung bei x = 2) (scharfe Spitze bei x = 2)

Bild 2.10: Beispiele für unstetige und nichtglatte Funktionen

2.7 Trigonometrische Funktionen


Die trigonometrischen Funktionen sind ein besonders häufig benötigtes mathematisches Werk-
zeug in Ingenieurwissenschaften. Zusätzlich zu ihren wohl bekannten Einsatzmöglichkeiten in
der Geometrie, dienen sie in der Technik z.B. auch zur Lösung von Schwingungsaufgaben dy-
namisch erregter Systeme sowie zur Beschreibung von Knickfiguren druckbelasteter Stäbe (s.
Kapitel 9), zur Beschreibung von beliebigen Funktionsverläufen in Form von periodischen Funk-
tionen, (Fourier-Reihen, s. Kapitel 10), um nur einige wenige Gebiete zu nennen. Die wichtigsten
Beziehungen zwischen den trigonometrischen Funktionen sind auf Seite 773 zusammengestellt.
38 2 Elementare Funktionen

Gradmaß oder Bogenmaß?


Auf Seite 12 wurden die beiden gebräuchlichsten Winkelmaße Grad und Radiant erörtert. Es
drängt sich selbstverständlich die Frage auf, welches Maß verwendet werden soll und ob wir die
Wahl ganz beliebig treffen können. Das Argument x einer trigonometrischen Funktion, z.B. von
sin x, muss in physikalischen Anwendungen (z.B. Schwingung) in der Regel in Bogenmaß, d.h.
Radiant (rad), verwendet werden. Die Verwendung von Grad (◦ ) würde in der Physik leicht zu un-
gewollten Fehlern führen, z.B. bei der Bestimmung der Geschwindigkeit aus der Ableitung einer
Weggröße. Daher sollte bei technischen Anwendungen konsequent Radiant verwendet werden.
Bei rein geometrischen Anwendungen kann natürlich die klassische Winkeldefinition in Grad
Verwendung finden.

Sinus
Bild 2.11 zeigt einen Einheitskreis vom Radius r = 1. Ein Zeiger, der im Kreismittelpunkt befes-
tigt ist, soll mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ω rotieren. Der vom Zeiger nach Ablauf
der Zeit t überstrichene Winkel sei α; es gilt also die Beziehung α = ω t, wobei α in Bo-
genmaß zu verstehen ist. Nach der klassischen Definition von Sinus (=Ankathete/Hypothenuse)
erhält man:3
a
sin α = sin ω t = Mit r = 1 folgt daraus: sin α = sin ω t = a
r
Für den Einheitskreis entspricht der Sinus offensichtlich der horizontal projezierten Länge a des

y=sin a

p/2 1

1 r
b a a
p g a g
b 2p p/2 b p 3p/2 2p
a
w

3p/2 Periode = 2p

Bild 2.11: Sinusfunktion

Radius r. Da es unendlich viele Werte für den Winkel α gibt, existieren auch unendlich viele
Sinuswerte, die in einem rechtwinkligen xy-Achsenkreuz eingetragen werden können. Die durch
diese Punkte gelegte Kurve entspricht dem Graph der Sinusfunktion (rechte Seite in Bild 2.11).
Wenn nun anstelle der Variable α für die Winkelangabe die übliche Variable x verwendet wird,
ergibt sich die einfachste Form der Sinusfunktion:

y = sin x

3 Das lateinische Wort Sinus bedeutet Bogen bzw. Krümmung; diese Bezugnahme auf einen Bogen geht auf die
arabischen Mathematiker des 8. bis 10. Jahrhunderts und über sie auf die indischen Mathematiker zurück.
2.7 Trigonometrische Funktionen 39

1 1

y
0.5 0.5

–200 200 –6 –4 –2 2 4 6
x [deg] x [rad]
–0.5 –0.5

–1 –1

a: sin x (x in ◦ ) b: sin x (x in rad)


1 1

y
y

0.5 0.5

–6 –4 –2 0 2 4 6 –6 –4 –2 2 4 6
x [rad] x [rad]

–0.5 –0.5

–1 –1

c: sin 2x (ω = 2) d: sin 3x (ω = 3)
1 1
y

0.5 0.5

–6 –4 –2 0 2 4 6 –6 –4 –2 0 2 4 6
x [rad] x [rad]

–0.5 –0.5

–1 –1

e: sin(x + π/3) f: sin(x − π/3)

Bild 2.12: Verschiedene Sinusfunktionen

In der Technik kommt die Sinusfunktion häufig in einer etwas erweiterten Form vor:

y = sin(ωx + ϕ) (ω : Winkelgeschwindigkeit, ϕ : Phasenwinkel) (2.10)

Die einfache Sinusfunktion y = sin x ergibt sich aus dieser allgemeinen Sinusfunktion als Son-
derfall, wenn ω = 1 und ϕ = 0 gesetzt werden. Bild 2.12 zeigt verschiedene Sinusfunktio-
nen. Je größer die Winkelgeschwindigkeit ω, umso schneller verläuft die Sinuskurve, s. Bilder
2.12 b,2.12 c und 2.12 d. Ein positiver Phasenwinkel ϕ wie in Bild 2.12 e bedeutet eine Verschie-
bung der Sinuskurve nach links, ein negativer Phasenwinkel wie in Bild 2.12 f verschiebt die
Kurve nach rechts.
40 2 Elementare Funktionen

Beispiel 2.14:
Ungedämpfte Schwingung. Der Schwingungsvorgang x eines frei schwingenden un-
gedämpften Feder-Masse-Systems ist eine periodische Funktion der Zeit t (vgl. Seite
483). Der Schwingweg x läßt sich als Funktion der Zeit angeben als:

x = f (t) = A sin ωt z.B.: x = 4,25 sin 1,57t


 
rad
A : Amplitude ω : Eigenkreisfrequenz t : Zeit [s]
s
Das Argument ωt der Sinus-Funktion ergibt sich, wie es in physikalischen Anwen-
rad
dungen stets der Fall ist, in Bogenmaß, weil ωt = s = rad.
s

Beispiel 2.15:
Gedämpfte Schwingung. Die Beschreibung von
Schwingungen realer Baukonstruktionen er- 1
folgt mittels einer multiplikativen Kombination
der Exponentialfunktion mit einer trigonometri-
y

schen Funktion. Wird z.B. eine Feder, an de- 0.5

ren Ende eine Masse befestigt ist (s. Bild 9.7 b


auf Seite 483), ausgelenkt und dann plötzlich
0
losgelassen, entsteht ein Schwingungsvorgang, 5 10 15 20
t [sec]
der allmählich abklingt. Die mathematische Be-
schreibung dieser Schwingungsfunktion besitzt –0.5
folgende Form:

y = f (t) = e−at cos ωt

Kosinus
Der Kosinus (vom lat. complementi sinus stammend) ist in Bild 2.11 definiert als cos α = b/r
und bildet das ergänzende Gegenstück zum Sinus. Der Funktionswert von Kosinus entspricht der
vertikal projezierten Länge b des Radius r im Einheitskreis des Bildes 2.11. Bilder 2.13 a und
2.13 b zeigen beispielhaft die einfache Kosinusfunktion y = cos x.

Tangens und Kotangens


Die Tangens- und Kotangensfunktion sind definiert als:

sin x cos x 1
tan x = cot x = cot x = (2.11)
cos x sin x tan x

Wie in Bild 2.14 gut zu sehen ist, besitzen beide Funktionen Unstetigkeitsstellen (für den Begriff
der Stetigkeit s. Seite 36): die Tangensfunktion hat eine Unstetigkeit an den Positionen π/2 +
i · π (i = 1,2, · · ·), während die Kotangensfunktion an den Stellen π + i · π unstetig ist (können
Sie begründen, warum an diesen Stellen eine Unstetigkeit und ein Vorzeichenwechsel auftritt?).
2.7 Trigonometrische Funktionen 41

1 1

y
0.5 0.5

–200 200 –6 –4 –2 0 2 4 6
x [deg] x [rad]
–0.5 –0.5

–1 –1

a: cos x (x in ◦ ) b: cos x (x in rad)

Bild 2.13: Kosinus-Funktion

10 10

5 5
y

y
–6 –4 –2 0 2 4 6 –6 –4 –2 0 2 4 6
x [rad] x [rad]

–5 –5

–10 –10

a: tan x b: cot x

Bild 2.14: Tangens- und Kotangensfunktion

Sekans und Kosekans


Die Sekans- bzw. Kosekansfunktion erhält man als reziproke Ausdrücke von Kosinus bzw. Sinus:

1 1
Sekans: sec x = Kosekans: csc x = (2.12)
cos x sin x

Periodizität von trigonometrischen Funktionen


Trigonometrischen Funktionen sind periodisch, d.h. ihr Schaubild wiederholt sich in regelmäßi-
gen Abständen. Die Perioden diverser trigonometrischer Funktion sind in Tabelle 2.1 angegeben.
Die Periodizität wird mathematisch durch folgende Ausdrücke beschrieben.

sin x = sin(n · 2π + x) cos x = cos(n · 2π + x) n = 1,2,3, · · ·


(2.13)
tan x = tan(n · π + x) cot x = cot(n · π + x)
42 2 Elementare Funktionen

Tabelle 2.1: Periode trigonometrischer Funktionen

Funktion Symbol Periode


Sinus sin 2π
Kosinus cos 2π
Tangens tan π
Kotangens cot π
Sekans sec 2π
Kosekans csc 2π

Beispiel 2.16:
Periodizität. Die Periodizität trigonometrischer Funktionen soll anhand folgender Bei-
spiele mit dem Taschenrechner überprüft werden (Nicht vergessen: Taschenrechner in
rad-Modus umschalten!).

sin(1,3) = sin(2π + 1,3) = sin(4π + 1,3) = · · ·


cos(2,5) = cos(2π + 2,5) = cos(4π + 2,5) = · · ·
tan(3,7) = tan(π + 3,7) = tan(2π + 3,7) = · · ·

2.8 Arkusfunktionen
Bei einer normalen trigonometrischen Funktion, z.B. bei Sinus, wird ein Winkel vorgegeben und
der Funktionswert gesucht, z.B. sin 90◦ . Bei einer Arkusfunktion hingegen sucht man denjenigen
Winkel y, dessen trigonometrischer Funktionswert vorgegeben ist. Man sucht z.B. den Winkel y,
für den der Sinus-Wert gleich 1 ist. Eine Arkusfunktion ist insofern begrifflich die inverse Funk-
tion zu der korrespondierenden trigonometrischen Funktion. Die Definition der Arkusfunktionen
ist wie folgt:

y = sin x ⇔ x = arcsin y
y = cos x ⇔ x = arccos y
(2.14)
y = tan x ⇔ x = arctan y
y = cot x ⇔ x = arccot y

Bild 2.15 zeigt diverse Arkusfunktionen. Einige wichtige Beziehungen zwischen Arkus-Funktionen
sind auf Seite 775 zusammen gestellt.
Anmerkung: In der Literatur begegnet man auch folgenden Schreibweisen für Arkusfunktio-
nen: asin, acos, atan, sin−1 , cos−1 , tan−1 . Die letztere Schreibweise mit hochgestelltem −1, die
man vor allem auf Taschenrechnern findet, ist mit Umsicht zu handhaben, weil sie leicht zu Miß-
deutungen führen kann; z.B. wäre es vollkommen falsch, Arkussinus folgendermaßen berechnen
zu wollen:
1
sin−1 y = falsch!
sin y
2.9 Hyperbelfunktionen 43

Das Symbol sin−1 y auf einem Taschenrechner bedeutet Arkussinus und hat nichts mit dem Aus-
1
druck zu tun!
sin y
200

100 100

150
y [deg]

y [deg]
50 50

y [deg]
100

–1 –0.5 0 0.5 1 0
–20 –10 10 20
x x
50

–50 –50

–1 –0.5 0 0.5 1
–100 x –100

a: arcsin x b: arccos x c: arctan x

Bild 2.15: Arkusfunktionen

Beispiel 2.17:
Arkusfunktion. Von welchem Winkel α ist die Sinusfunktion gleich 1 (mit Taschen-
rechner)?

sin α = 1 α =? ⇒ α = arcsin 1
Grad-Modus (deg): α = arcsin 1 = 90◦
π
Rad-Modus (rad): α = arcsin 1 = 1,5707962327 = rad
2

2.9 Hyperbelfunktionen
Hyperbelfunktionen werden durch Kombination der Exponentialfunktionen ex und e−x definiert:
1 x
Sinus hyperbolicus sinh x = (e − e−x )
2
1 x
Kosinus hyperbolicus cosh x = (e + e−x )
2
(2.15)
sinh x ex − e−x
Tangens hyperbolicus tanh x = = x
cosh x e + e−x
cosh x ex + e−x
Kotangens hyperbolicus coth x = = x
sinh x e − e−x
Bild 2.16 zeigt verschiedene Hyperbelfunktionen. Auf Seite 775 sind einige wichtige Beziehun-
gen für Hyperbelfunktionen angegeben.
44 2 Elementare Funktionen

4 4

0.5

y
y

y
2 2

0 0 –3 –2 –1 0 1 2 3
–3 –2 –1 1 2 3 –3 –2 –1 1 2 3
x x x
–2 –2
–0.5

–4 –4
–1

a: y = sinh x b: y = cosh x c: y = tanh x

Bild 2.16: Hyperbel-Funktionen

Anmerkung:Trotz ihrer Namensähnlichkeit mit Sinus, Kosinus usw. sind Hyperbelfunktionen


keine trigonometrischen Funktionen und sie sind nicht periodisch. Das Argument x der Hyper-
belfunktionen ist immer in Bogenmaß zu verstehen. Deshalb macht es z.B. keinen Sinn, sinh 60◦
berechnen zu wollen, indem in der Definitionsformel (2.15) x = 60 eingesetzt wird (es kommt
eine extrem große Zahl heraus, probieren Sie aus!).

Beispiel 2.18:
Kettenlinie. Die Seildurchhangskurve eines biegsamen Seils unter seinem Eigenge-
wicht q wird Kettenlinie genannt und durch eine Kosinus hyperbolicus Funktion be-
schrieben (Ursprung des xy-Koordinatensystems befindet sich am tiefsten Seilpunkt
der halben Seillänge, H die durch das Seilgewicht verursachte waagerechte Auflager-
kraft):
H  qx  N
y= cosh − 1 y in m H in N q in x in m
q H m

2.10 Explizite und implizite Darstellung von Funktionen


Eine explizite Funktion besitzt die Form y = f (x), d.h. y ist eine Funktion der unabhängigen
Variable x. Die Funktionsvariable y ist die abhängige Variable, weil sie explizite von x abhängt
(»explizite« lat. ausdrücklich).

y = f (x) explizite Darstellung einer Funktion (2.16)

Aber nicht immer liegt eine Funktion in der expliziten Form y = f (x) vor. Bei der Lösung einer
mathematischen oder physikalischen Aufgabe kann es vorkommen, dass das Ergebnis als sog.
implizite Funktion F(x, y) = 0 vorliegt. Zwar hängt die Variable y prinzipiell auch hier von
der Variable x ab, aber diese Abhängigkeit ist nur implizite (»implizite« lat. inbegriffen) Eine
implizite Funktion kann je nach Fall in die explizite Form gebracht werden, oder auch nicht.

F(x, y) = 0 bzw. F(x, y) = c implizite Darstellung einer Funktion (2.17)


2.11 Funktionen in Parameterdarstellung 45

Beispiel 2.19:
Nachfolgend sind Beispiele für explizite und implizite Funktionen gegeben.
a) x2 + y2 = 25 implizite Funktion (Gleichung eines Kreises mit Radius 5)

b) y = 25 − x2 explizite Funktion (Gleichung eines Kreises mit Radius 5)
c) y4 − 3 x2 + 5 x + 9 =0 implizite Funktion √
Sie läßt sich in explizite Form transformieren: y = 4 3 x2 − 5 x − 9
d) y4 − y3 + x2 + x + 1 = 0 implizite Funktion
Sie läßt sich nicht in explizite Form transformieren.
e) x − sin y = 0 implizite Funktion
Sie läßt sich in explizite Form transformieren: y = arcsin x
f) y+sin y−x = 0 implizite Funktion (lässt sich nicht in explizite Form transformieren)

Beispiel 2.20:
Ellipse. Durch Umformung lässt sich die implizite Ellipsengleichung in die explizite
Form bringen:

x2 y2 b 2
+ =1 (implizit) Umformung y=± a − x2 (explizit)
a2 b2 −−−−−−−−−−−−→ a

2.11 Funktionen in Parameterdarstellung


In einer Parameterfunktion werden beide Variablen x und y als Funktion einer dritten Variable
t, des sogenannten Parameters, ausgedrückt:

x = p(t) y = q(t) t : Parameter (2.18)

Die Bedeutung des Parameters t hängt von der jeweiligen Aufgabe ab, z.B. Zeit, Winkel usw.
Als Parametersymbol können auch andere Symbole als t verwendet werden, z.B. θ , ϕ usw.

Beispiel 2.21:
Kreisgleichung. Der in Bild 2.17 dargestellte Kreis mit dem Radius r wird in der
impliziten Standardform durch die Gleichung

x2 + y2 = r2

beschrieben. In der Parameterform lautet die Kreisgleichung (Bild 2.17):

x = r cos t y = r sin t t : Parameter (Winkel)


46 2 Elementare Funktionen

y r

t
x x
x=r cos t
y=r sin t

Bild 2.17: Kreis als Parameterfunktion

Anmerkung: Die Äquivalenz der beiden Darstellungsformen wird sofort ersichtlich,


wenn die beiden Terme der Parameterform quadriert und dann addiert werden:

x2 = r2 cos2 t y2 = r2 sin2 t x2 + y2 = r2 (cos2 t + sin2 t) = r2


  
=1

Beispiel 2.22:
Ellipsengleichung. Für die Beschreibung einer Ellipse (Bild 2.20) sind folgende Dar-
stellungsarten möglich:

x2 y2
implizite Form: + =1
a2 b2
b√ 2
explizite Form: y=± a − x2
a
Parameterform: x = a cos t y = b sin t 0 ≤ t ≤ 2π

Der Parameter t entspricht dem von der x-Achse aus gemessenen Umfangswinkel
im Gegenuhrzeigersinn. Für jeden beliebigen Wert von t aus dem Definitionsbereich
ergibt sich ein xy-Wertepaar, das einem Punkt auf der Ellipse entspricht.
Aufgabe: Werten Sie die Parameterform der Ellipse für a = 5; b = 3 und für
π 2π 3π
t= , , , · · · , π aus und stellen Sie Ihre Ergebnisse grafisch dar.
20 20 20

Beispiel 2.23:
Waagerechter Wurf. Die Flugbahn beim waagerechten Wurf mit der Anfangsgeschwin-
digkeit v0 kann mit Hilfe einer Parameterfunktion für Positionskoordinaten x und y
beschrieben werden (s. auch Seite 70):
1 2
x = x(t) = v0 t y = y(t) = y0 − gt (g : Erdbeschleunigung, t : Zeit)
2
2.12 Kegelschnitt-Funktionen 47

Beispiel 2.24:
Die Ganglinie eines Schraubengewindes lässt sich auf elegante Art in Parameterform
angeben. Wenn x und y die zur Schraubenachse senkrechten Koordinatenachsen be-
deuten und z der Schraubenmittelachse entspricht, lässt sich die Funktion der äußeren
Gewindekurve in folgender Form ausdrücken:

12
h 8
x = r cos ϕ y = r sin ϕ z= ϕ t 4
2π 0
r : Gewinderadius h : Ganghöhe –4

ϕ : Parameter (=Umfangswinkel), ϕ ≥ 0
–1 –1
–0.5 –0.5
0 0
y x
0.5 0.5
1 1
Der Parameter ϕ hat hier die Bedeutung des momentanen Umfangswinkels, bezo-
gen auf eine festgelegte Ausgangsposition mit ϕ = 0.

2.12 Kegelschnitt-Funktionen
Das Bild 2.18 zeigt im 3-dimensionalen Raum die Verschneidung einer Ebene mit einem Körper,
der aus zwei sich an ihrer Spitze berührenden Kreiskegeln besteht. Je nach Orientierung der Ebe-
ne im Raum (waagerecht, schräg) entstehen verschiedene Schnittkurven. Jede Schnittkurve ist ei-
ne räumliche Kurve im 3D-Raum. Wenn man nun in der Schnittebene ein geeignetes kartesisches

a: Kreis b: Ellipse c: Parabel d: Hyperbel

Bild 2.18: Kegelschnitt-Funktionen

xy-Koordinatensystem definiert, lässt sich die Schnittkurve mathematisch durch eine Gleichung
F(x, y) = 0 beschreiben. Diese Kurvengleichung wird als Kegelschnittfunktion bezeichnet und
hat folgenden allgemeinen Aufbau:

F(x, y) = Ax2 + By2 +Cx + Dy + E = 0 (2.19)


48 2 Elementare Funktionen

Die Konstanten A, B, C, D, E entscheiden über die Art der Schnittkurve:




⎪ Kreis, wenn A = B


⎨Ellipse, wenn AB > 0
Schnittkurve =

⎪Hyperbel, wenn AB < 0



Parabel, wenn entweder A = 0, B = 0 oder A = 0, B = 0

Nachfolgend werden einfache Typen verschiedener Kegelschnittfunktionen kurz erörtert.

Kreis
Die Gleichung eines Kreises mit Mittelpunkt im Koordinatenursprung (Bild 2.19 a) lautet:

x2 + y2 = r2 r : Kreisradius

Falls, wie das Bild 2.19 b zeigt, der Kreismittelpunkt vom Koordinatenursprung versetzt ist (in
x-Richtung um x0 , in y-Richtung um y0 ), lautet die Kreisgleichung:

(x − x0 )2 + (y − y0 )2 = r2

2
3
y

1
2
y

–2 –1 1 2 1
x

–1
0 1 2 3 4
x

–2 –1

a: Kreis mit x0 = 0, y0 = 0 b: Kreis mit x0 = 2, y0 = 1

Bild 2.19: Kreis

Ellipse
Die Gleichung einer Ellipse mit Mittelpunkt im Koordinatenursprung (Bild 2.20 a) lautet:

x2 y2
+ =1 a : große Halbachse b : kleine Halbachse
a2 b2
2.12 Kegelschnitt-Funktionen 49

Falls der Ellipsenmittelpunkt vom Koordinatenursprung um x0 bzw. y0 versetzt ist (Bild 2.20 b),
gilt:

(x − x0 )2 (y − y0 )2
+ =1
a2 b2

2 3
y

1 2

y
1
–2 2
x
–1
2 4
x
–2 –1

a: Ellipse mit x0 = 0, y0 = 0 b: Ellipse mit x0 = 2, y0 = 1

Bild 2.20: Ellipse

Hyperbel
Die Gleichung einer Hyperbel mit Mittelpunkt im Koordinatenursprung (Bild 2.21 a) lautet:

x2 y2
− =1 a, b : Achsenparameter
a2 b2

Falls der Hyperbelmittelpunkt vom Koordinatenursprung versetzt ist (Bild 2.21 b), gilt:

(x − x0 )2 (y − y0 )2
− =1
a2 b2

3 3

2
2
y

1
1

–4 –2 0 2 4
x
–4 –2 2 4 6 8
–1
x
–1
–2

–3 –2

a: Hyperbel mit x0 = 0, y0 = 0 b: Hyperbel mit x0 = 2, y0 = 1

Bild 2.21: Hyperbel


50 2 Elementare Funktionen

Parabel
Die Parabel lässt sich auf zwei verschiedene Arten ausdrücken.

1. Form y = f (x)
In Anlehnung an (2.19) auf Seite 47 lässt sich die allgemeine Gleichung dieser Parabelform
wie folgt angeben:

y = ax2 + bx + c

In Bild 2.22 a ist das Schaubild der einfachsten Parabelfunktion y = x2 dargestellt.

2. Form x = f (y)
Ebenfalls in Anlehnung an (2.19) auf Seite 47 lautet die allgemeine Gleichung dieser Para-
belform:

x = ay2 + by + c

Zwei häufig anzutreffende Sonderformen dieser Parabelgleichung werden Scheitelgleichun-


gen der Parabel genannt:
a) Scheitelgleichung der Parabel, wenn Scheitel im Koordinatenursprung liegt (Bild 2.22 b).
 p
y2 = 2px y=± 2px 2p : Parameter : x-Koordinate des Brennpunkts
2
b) Scheitelgleichung der Parabel mit versetzter Scheitel (Bild 2.22 c).

(y − y0 )2 = 2p(x − x0 )

3 3

25 2 2
y

20
1 1

15
0 1 2 3 4 0 1 2 3 4
y

10 x x
–1 –1

5
–2 –2

–4 –2 0 2 4
x –3 –3

a: Parabel y = x2 b: Parabel y2 = x c: Parabel (y − 1)2 = x − 2

Bild 2.22: Parabel


2.13 Weitere Funktionen 51

2.13 Weitere Funktionen


2.13.1 Gaußsche Glockenkurve

Die Funktion der Gaußschen Glockenkurve (Bild 2.23) ist definiert als:

y = a e−(bx)
2

√ √
Für die speziellen Werte a = 1/ 2π und b = 1/ 2 wird sie als Wahrscheinlichkeitsdichtefunk-
tion einer normal-verteilten statistischen Variable bezeichnet:

1
y = √ e−x /2
2
(2.20)

Die Glockenkurve spielt in der Stochastik eine sehr wichtige Rolle bei der Behandlung von
Zufallsprozessen in der Natur und Technik. Wir werden ihr später im Abschnitt 8.7 auf Seite 400
nochmals begegnen.

0.4

0.3
y

0.2

0.1

–4 –2 0 2 4
x

Bild 2.23: Glockenkurve

2.13.2 Klothoide

Der Krümmungsradius einer Klothoide (Bild 2.24) ändert sich auf stetige Weise, d.h. ohne Sprün-
ge. Aufgrund dieser günstigen Eigenschaft wird sie bei Trassierungaufgaben im Verkehrswesen
(Straßen- und Bahnbau) verwendet. Die Klothoide (auch Spinnkurve genannt) ist eine künstlich
definierte Parameterfunktion gemäß folgender Gleichung.

t t
√ πu2 √ πu2
x=λ π cos du y=λ π sin du −∞ < t < ∞ (2.21)
2 2
0 0

Der Krümmungsradius r der Klothoide ist in jedem beliebigen Kurvenpunkt P umgekehrt


52 2 Elementare Funktionen

0.8

0.6

0.4

0.2

0 0.2 0.4 0.6 0.8 1

Bild 2.24: Klothoide

proportional zur Länge s des Kurvenbogens zwischen dem Koordinatenursprung und P :

λ2
r=
s
λ ist der Proportionalitätsfaktor und hat die Dimension einer Länge. Der Krümmungsradius r
wird also mit zunehmender Bogenlänge kleiner, deshalb verläuft die Klothoide wie eine zusam-
menlaufende Spirale. Die dimensionslose Integrationsgrenze t und die Bogenlänge s sind über
folgende Beziehung miteinander verknüpft:
s
t= √
λ π
Die xy-Koordinaten des Punktes P werden mit Hilfe der obigen Integrale (sog. Fresnel-Integrale)
numerisch berechnet. Eine geschlossene Integration ist nicht möglich. Mathematische Tabellen-
sammlungen enthalten zahlenmäßige Auswertungen der Fresnel-Integrale.

2.14 Zusätzliche Beispiele


Beispiel 2.25:
Windprofil. Die Windwirkung auf hohe und schlanke Bauwerke ist ein wichtiger Last-
fall. Die Windgeschwindigkeit u ist in Bodennähe geringer, mit zunehmender Höhe
über dem Boden wird sie größer. Die Ursache dieser ungleichmäßigen Verteilung der
Strömungsgeschwindigkeit ist die makroskopische Bodenrauhigkeit (Wälder, Sträu-
cher, Bäume, Wohnhäuser, Hochhäuser, Industrieanlagen etc.). Das dabei enststehende
-mittlere- Windgeschwindigkeitsprofil läßt sich näherungsweise mit folgender Potenz-
funktion beschreiben:
 α  
z z 0,28
u = f (z) = ug z.B.: u = 90
Hg 400

z : Höhe über dem Boden ug : Gradientwindgeschwindigkeit


Hg : Gradienthöhe α : Profilexponent
2.15 Aufgaben 53

Beispiel 2.26:
Es soll die Richtigkeit der Beziehung sinh 2x = 2 sinh x cosh x gezeigt werden.
Wir setzen folgende Definitionen für Hyperbelfunktionen, s. Gl. (2.15) auf Seite 43,
in die rechte Seite der zu beweisenden Beziehung ein und erhalten:
1 1
sinh x = (ex − e−x ) cosh x = (ex + e−x )
2 2

1 1
2 sinh x cosh x = 2 (ex − e−x ) (ex + e−x )
2 2
1 x x
= (e e + e e − e−x ex − e−x e−x )
x −x
2
1 2x 1
= (e + e0 − e0 −e−2x ) = (e2x − e−2x ) = sinh 2x 
2   
=0 2  
=sinh 2x

2.15 Aufgaben

1. Berechnen Sie die Durchbiegung des in Beispiel 2.4 auf Seite 26 erörterten Kragbalkens
unter der konstanten Streckenlast q. Als Zahlenwerte sind qL = 3 kN sowie die sonstigen
Werte des Beispiels 2.3 zu verwenden. Vergleichen Sie die Durchbiegung δ der Balken-
spitze mit der des Beispiels 2.3. Welche Schlußfolgerung kann man daraus in statischer
Hinsicht ziehen?

2. Zeichnen Sie freihändig die Schaubilder folgender Funktionen (ohne Taschenrechner!).


a) y = sin (x + π/2) b) y = sin (x − π/2)
c) y = sin (2x + π/2) d) y = sin (2x − π/2)

3. Stellen Sie, ohne im Buch nachzuschauen, folgende Funktionen grafisch für x ≥ 0 quali-
tativ möglichst korrekt dar (ohne Taschenrechner!). Bestimmen Sie zusätzlich den Schnitt-
punkt der Funktionskurve mit der x-Achse - sofern vorhanden.
54 2 Elementare Funktionen

a) sin x b) cos x c) sinh x d) cosh x


1
e) ex f) e−x g) h) ln x
x
i) y = e−x cos x j) y = e−x sin x k) y = ex cos x l) y = ex sin x

4. Überprüfen Sie mit Hilfe eines Taschenrechners die Beziehungen 1 bis 3 für Sinus- und
Kosinusfunktion in Abschnitt A.1 auf Seite 773 für den Winkel x = π/6 rad = 30◦ und für
n = 1,2,3.

5. Überprüfen Sie mit Hilfe eines Taschenrechners die übrigen Rechenregeln für die trigono-
metrische Funktionen im Abschnitt A.1 auf Seite 773 für x = π/3, y = π/6, A = 3, B = 2.

6. Überprüfen Sie die folgenden Arkus-Funktionen mit Hilfe eines Taschenrechners (verges-
sen Sie nicht, Ihren Taschenrechner in den jeweils richtigen Grad-/Radiant-Modus umzu-
schalten!).
a) sin 30◦ = 0,5 arcsin 0,5 = 30◦
b) cos 60◦ = 0,5 arccos 0,5 = 60◦
c) tan 45◦ = 1,0 arctan 1,0 = 45◦
d) sin π/6 = 0,5 arcsin 0,5 = π/6
e) cos π/3 = 0,5 arccos 0,5 = π/3
f) tan π/4 = 1,0 arctan 1,0 = π/4

7. Überprüfen Sie mit Hilfe eines Taschenrechners die Rechenregeln für folgende Funktionen
für den Wert x = π/4.
a) Rechenregeln für die Arkus-Funktionen auf Seite 775.
b) Rechenregeln für die Hyperbel-Funktionen auf Seite 775.

8. Transformieren Sie folgende Funktionen in eine einfachere Form.


a) y = cosh x + sinh x Lsg: y = ex
b) y = cosh x − sinh x Lsg: y = e−x
c) y = cosh2 x − sinh2 x Lsg: y = 1
d) cos x − y−1 (sin x + sin x cos2 x) = 0
3
Lsg: y = tan x
1
e) y = sec2 x + csc2 x Lsg: y =
sin2 x cos2 x
9. Zeigen Sie die Richtigkeit folgender Beziehungen.
a) sin2 x + cos2 x = 1
Tipp: Denken Sie an ein rechtwinkliges Dreieck und die Pytagoras-Beziehung.
b) sin 3x = 3 sin x − 4 sin3 x
c) sinh(x + y) = sinh x cosh y + cosh x sinh y
Tipp: Starten Sie mit der Verarbeitung des rechten Ausdrucks.
2.15 Aufgaben 55

x 1
d) sin2 = (1 − cos x)
2 2
Tipp: Beziehungen 18 und 19 auf Seite 773.

10. Können Sie eine mathematisch einleuchtende Erklärung dafür finden, warum das Schaubild
von tanh (s. Abschnitt 2.9, Seite 43) für ±∞ asymptotisch gegen ±1 strebt?

11. Bestimmen Sie die erste von Null verschiedene positive Wurzel folgender Gleichungen.
a) sin x − cos x = 0 Lsg: x = π/4
b) tan x − 2 sin x = 0 Lsg: x = π/3
c) 1 − sin2 x + cos3 x = 0 Lsg: x = π/2
12. Folgende Gleichungen sind zu lösen.
a) sinh x + cosh x = 7,389 Lsg: x=2
b) cosh x − sinh x = 0 Lsg: x = +∞
c) cosh x + sinh x − cos π = 1 Lsg: x = −∞
d) sinh x cosh x + cos(arcsin 1)) = 0 Lsg: x=0
ex − e−x
e) sinh x cosh x = x Lsg: x = 0
e + e−x
13. Eine Hyperbel mit dem hyperbelmittelpunkt im Koordinatenursprung hat ihren Scheitel-
punkt in (2; 0) und geht durch den Punkt P = (3; 5). Stellen Sie die Hypergleichung auf.
x 2 y2
Lsg: − =1
4 20
14. Berechnen Sie die größte Durchbiegung des Kragbalkens in Beispiel 2.4 auf Seite 26 für
die Streckenlast q = 0,75 kN/m, die übrigen Größen (L, E, I) sind identisch mit denen des
Beispiels 2.3 auf Seite 25. Lsg: ymax = 3,27 cm
15. Stellen Sie die ideale Sieblinie für das Betonzuschlaggemisch grafisch dar (s. Beispiel 2.6
auf Seite 27). Bestimmen Sie außerdem den maximal zulässigen Anteil A von Körnern mit
Durchmessern von 0 bis 8 mm am Gesamtgemisch mit Größtkorndurchmesser von 31,5 mm.
Lsg: A = 50,4%

16. Die Schwingung eines Machinenteils ist durch u(t) = 6 e−0,005t gegeben, wobei die Varia-
ble t die Zeit in Sekunden bedeutet. Nach welcher Zeit Δt nimmt der Schwingweg um 30%
gegenüber seinem Anfangswert ab? Lsg: Δt = 71,3 s
17. Ist die in Bild 2.3 auf Seite 28 dargestellte e-Funktion eine symmetrische Funktion?

18. Eine Kugel aus Balsaholz mit 30 cm Durchmesser fällt aus 1000 m Höhe herunter (vgl.
Beispiel 2.8 auf Seite 29). Stellen Sie die Zeit-Höhe-Funktion der Kugel grafisch dar. Re-
cherchieren Sie die benötigten Kenngrößen zur Lösung der Aufgabe (Dichte, Luftreibungs-
koeffizient) im Internet oder Fachliteratur.
3 Differentialrechnung
Die Differentialrechnung gehört einem Gebiet der Mathematik, das als Infinitesimalrechnung
bekannt ist.1 Wörtlich besitzt infinitesimal die Bedeutung »ins unendlich Kleine gehend«. Das
Gegenteil einer infinitesimalen Größe ist eine endliche Größe. In der Infinitesimalrechnung stellt
man die Gesetzmäßigkeiten zwischen den beteiligten Größen eines mathematischen Problems
also in einem unendlich kleinen Bereich her (sozusagen unter Mikroskop) und überträgt die
gewonnenen Erkenntnisse dann zum realen, endlichen Definitionsraum.
In diesem Kapitel wird die Differentialrechnung nur für Funktionen mit einer unabhängigen
Variable behandelt (für Funktionen mit mehreren unabhängigen Variablen siehe Kapitel 11).
Unsere Betrachtungen beschränken sich auf Funktionen y = f (x), die im betrachteten x-Intervall
stetig und glatt sind.2 Stetig-glatte Funktionen sind in ihrem Definitionsbereich differenzierbar.
Beispiele für stetig-glatte Funktionen sind:

y=x y = x2 y = ex y = e−x y = sin x y = cos x y = sinh x

Wenn im folgenden von einer Funktion gesprochen wird, ist immer eine im betrachteten Intervall
stetige und glatte Funktion gemeint, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes gesagt wird.

3.1 Differenzenquotient
Bild 3.1 zeigt einen Ausschnitt einer stetigen Funktion y = f (x), welche an der Stelle x0 den
Funktionswert y0 = f (x0 ) und an einer benachbarten Position x1 den Wert y1 = f (x1 ) haben
soll. Die zugehörigen Punkte auf der Funktionskurve sind P0 = (x0 , y0 ) und P1 = (x1 , y1 ) .
Aus Bild 3.1 lassen sich folgende Differenzen Δx, Δy definieren:

Δx = x1 − x0 Δy = y1 − y0

Anmerkung: Die Differenzen Δx und Δy sind endliche, d.h. nicht infinitesimale, Größen. In
technischen Aufgaben werden Differenzen oft auch als Inkremente bezeichnet.
Die Steigung der Sekante P0 P1 in Bezug auf die x-Achse ist gegeben durch die folgende, aus
der elementaren Trigonometrie bekannte, Beziehung:

Δy y1 − y0 f (x0 + Δx) − f (x0 )


tan ϕ = = = (3.1)
Δx x1 − x0 Δx
Die Position x0 kann beliebig gewählt werden. Um diese Beliebigkeit hervorzuheben, wird im
folgenden anstelle von x0 einfach x verwendet (es gilt dann x1 = x + Δx).
1 Die von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 − 1716) verwendete Bezeichnung Infinitesimalrechnung ist der Sammel-
begriff für Differential- und Integralrechnung. Allerdings beanspruchte auch Newton die Urheberschaft für sich, so
dass die beiden Gelehrten in einen verbitterten Streit gerieten und einander anfeindeten.
2 Die Differentialrechnung lässt sich mit entsprechender Umsicht auch auf unstetige und nichtglatte Funktionen
anwendbar; in diesem Buch werden diese Feinheiten jedoch nicht weiter vertieft.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_3,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
58 3 Differentialrechnung

y y=f(x)
P1
y1

e
nt
ka
PL Dy

Se
yL
P0 j Tan
gente
DyL
y0 a
Dx

x0 x1 x

Bild 3.1: Tangente als Grenzfall der Sekante für Δx → 0

Der Quotient Δy/Δx für eine beliebige x-Position wird als Differenzenquotient bezeichnet:

Δy f (x + Δx) − f (x)
= Differenzenquotient (3.2)
Δx Δx

Beispiel 3.1:
Gesucht ist der Differenzenquotient Δy/Δx der jeweiligen Funktion.
a) y = f (x) = c (c : beliebige Konstante).

Δy c − c 0
f (x) = c f (x + Δx) = c = = =0
Δx Δx Δx

b) y = x

Δy (x + Δx) − x Δx
f (x) = x f (x + Δx) = x + Δx = = =1
Δx Δx Δx

c) y = x2

f (x) = x2 f (x + Δx) = (x + Δx)2 = x2 + 2x Δx + Δx2

Δy (x2 + 2x Δx + Δx2 ) − x2 2x Δx + Δx2


= = = 2x + Δx
Δx Δx Δx
d) y = sin x

f (x) = sin x f (x + Δx) = sin(x + Δx) = sin x cos Δx + cos x sin Δx

Δy sin x cos Δx + cos x sin Δx − sin x sin x(cos Δx − 1) + cos x sin Δx


= =
Δx Δx Δx
3.2 Differentialquotient 59

3.2 Differentialquotient

Der Abstand Δx (Differenz) in Bild 3.1 soll jetzt immer weiter so verkleinert werden, dass er im
Grenzfall gegen Null strebt, d.h. Δx → 0 wird. Die Position x1 rückt also unendlich dicht an x0
heran und die Punkte P0 und P1 kommen auf diese Weise in infinitesimale Nachbarschaft. Für
Δx → 0 geht die Sekante P0 P1 in die Tangente P0 PL über und aus dem Sekantenwinkel ϕ wird
der Tangentenwinkel α:

α = lim ϕ
Δx→0

Die unendlich kleine Differenz limΔx→0 Δx bezeichnet man als Differential dx :

dx = lim Δx Differential dx
Δx→0

Das zu dx korrespondierende Differential dy der abhängigen Variable y ist definiert als:

dy = lim Δy Differential dy
Δx→0

Mit vorangehenden Definitionen für dx und dy lässt sich der Differentialquotient dy/dx jetzt
definieren als:

dy limΔx→0 Δy Δy f (x + Δx) − f (x)


= = lim = lim Differentialquotient (3.3)
dx limΔx→0 Δx Δx→0 Δx Δx→0 Δx

Anmerkung: Differentiale dx und dy sind infinitesimale Größen, d.h. sie sind sehr klein. Deshalb
spricht man anstelle von infinitesimalen Größen oft auch von differentiellen Größen. Zwar sind
dx und dy sehr kleine Größen, allerdings kann ihr Quotient dy/dx dennoch sehr groß werden:
Beispielsweise sind die Differentiale dx = 10−15 und dy = 10−9 sicherlich sehr kleine Größen,
ihr Differentialquotient dy/dx = 10−9 /10−15 = 106 ist hingegen eine doch recht große Zahl!

Beispiel 3.2:
Gesucht ist der Differentialquotient dy/dx der Funktionen in Beispiel 3.1 (die benötig-
ten Differenzenquotienten Δy/Δx werden unmittelbar dem Beispiel 3.1 entnommen).

a) y = c (c : beliebige Konstante).
dy Δy
= lim = lim 0 = 0
dx Δx→0 Δx Δx→0

b) y = x
dy Δy
= lim = lim 1 = 1
dx Δx→0 Δx Δx→0
60 3 Differentialrechnung

c) y = x2
dy Δy
= lim = lim (2x + Δx) = 2x + 0 = 2x
dx Δx→0 Δx Δx→0

d) y = sin x

Für sehr kleine Werte von Δx gilt: sin Δx ≈ Δx

dy sin x (cos Δx − 1) + cos x sin Δx


= lim
dx Δx→0 Δx
sin x (cos Δx − 1) + cos x · Δx
≈ lim
Δx→0 Δx

sin x ( 1 − sin2 Δx − 1) Δx
= lim + lim cos x
Δx→0 Δx Δx→0 Δx

1 − (Δx)2 − 1
= sin x lim + lim cos x · 1
Δx→0 Δx Δx→0
  
≈0
= sin x · 0 + cos x = cos x

3.3 Definition der Ableitung

Den in (3.3) definierten Differentialquotienten dy/dx der Funktion y = f (x) bezeichnet man als
die erste Ableitung von y und schreibt sie als y :3

dy Δy
y = = lim Ableitung der Funktion y = f (x) (3.4)
dx Δx→0 Δx

Die Begriffe Ableitung und Differentialquotient sind also identisch. Unter Berücksichtigung
der Beziehung y = f (x) können für Ableitung y auch andere Bezeichnungen verwendet werden.
Folgende Ausdrücke sind alle gleichwertig.

d f (x) Δ f (x) d
y ≡ f  (x) = = lim = f (x)
dx Δx→0 Δx dx

Den Vorgang des Ableitens nennt man Differentiation. Zum Auffinden der Ableitung wird
also die Funktion abgeleitet oder differenziert. Die Ableitungen der wichtigsten elementaren
Funktionen sind im Anhang A.4 auf Seite 776 zusammengestellt.

3 Die Verwendung von y = f  (x) zur Kennzeichnung der Ableitung geht auf J.L. de Lagrange (1736-1813) zurück.
Lagrange hat neben Mathematik auch sehr wichtige Beiträge zur analytischen Mechanik geleistet. Von grundlegen-
der Bedeutung sind die nach ihm benannten Langrange-Gleichungen in der Dynamik.
3.3 Definition der Ableitung 61

Die Ableitung y ist selbst eine eine Funktion der unabhängigen Variable x :

y = g(x)

Differentialoperator
Die Ableitungsdefinition (3.4) kann unter Verwendung des Differentialoperators d/dx auch aus-
gedrückt werden als

dy d d f (x) d d
y = = y bzw. y = = f (x) : Differentialoperator (3.5)
dx dx dx dx dx
Der Differentialoperator d/dx ist keine neue mathematische Größe, sondern lediglich eine ande-
re -in manchen Fällen allerdings sehr zweckmäßige- Darstellungsart für den Ableitungsvorgang.
Geometrische Deutung der Ableitung
In geometrischer Hinsicht ist der Zahlenwert der Ableitung y an einer beliebigen x0 -Position
identisch mit der Steigung4 der Tangentengerade, welche genau an dieser Position an die Funkti-
onskurve gelegt wird (s. auch Bild 3.1):

y (x0 ) = g(x0 ) = f  (x0 ) = tan α x=x
0

Dieser Zusammenhang läßt sich sehr gut am Bild 3.1 demonstrieren. Unter Berücksichtigung
von Gl. (3.1) erhalten wir die Steigung der Tangentengerade an die Funktionskurve am Punkt P0
zu:
Δy f (x + Δx) − f (x) dy
tan α = lim tan ϕ = lim = lim = = y (3.6)
Δx→0 Δx→0 Δx Δx→0 Δx dx
Beispiel 3.3:

Gegeben sei die Funktion y = f (x) = 3 3 x . Gesucht ist der Steigungswinkel α der
Tangentengerade am Punkt P der Kurve an der x-Position xP = 0,4.
6
Tangente

4
y

2 P

–2 0 2 4 6
x

Zunächst ermitteln wir die Ableitung der Funktion:


√ 1 −2/3 1
y = (3 3
x) = (3 x1/3 ) = 3 x = 2/3
3 x
4 Steigung einer Gerade ist gleichbedeutend mit dem Tangens des Winkels zwischen der Gerade und der x-Achse.
62 3 Differentialrechnung

An der Stelle x = 0,4 beträgt die Steigung:


1
y (0,4) = = 1,842016
0,42/3
Der Steigungswinkel ergibt sich zu:

arctan α = y (0,4) = 1,842016 ⇒ α = 61,5◦

3.4 Ableitungsregeln
3.4.1 Faktorregel
Ein konstanter Multiplikationsfaktor c der Funktion bleibt bei der Ableitung unverändert und
beeinflusst den Ableitungsvorgang nicht.

y = c f (x) ⇒ y = c f  (x) Faktorregel (3.7)

Beispiel 3.4:
a) y = 5 x3 y = (5 x3 ) = 5 (x3 ) = 5 (3x2 ) = 15 x2
1 3
b) y = −3 ln x y = (−3 ln x) = −3 (ln x) = −3 · = −
x x
c) y = π sin x y = (π sin x) = π (sin x) = π cos x

3.4.2 Summenregel
Die Ableitung einer Funktion f (x), die als Linearkombination anderer Funktionen f1 (x), f2 (x)
usw. zusammengesetzt ist, entspricht der Summe der Ableitungen der einzelnen Funktionen:

y = f (x) = c1 f1 (x) + c2 f2 (x) + · · · + cn fn (x)


Summenregel (3.8)
y = f  (x) = c1 f1 (x) + c2 f2 (x) + · · · + cn fn (x)

Beispiel 3.5:
a) y = 5x3 − 8x2

y = (5x3 − 8x2 ) = (5x3 ) − (8x2 ) = 15x2 − 16x

b) y = 2 sin x − 5 cos x

y = (2 sin x − 5 cos x) = (2 sin x) − (5 cos x) = 2 cos x + 5 sin x

c) y = 3eax − 4 ln x + 6 tanh x
4
y = (3eax ) − (4 ln x) + (6 tanh x) = 3aeax − + 6(1 − tanh2 x)
x
3.4 Ableitungsregeln 63

3.4.3 Produktregel
Für eine Funktion f (x), die als Produkt von zwei Funktionen u(x) und v(x) definiert ist, gilt
folgende Ableitungsregel:

y = u(x) · v(x) ⇒ y = u (x) v(x) + u(x) v (x)

In Kurzschreibweise lautet die Produktregel:

y = uv y = u v + u v Produktregel (3.9)

Die Produktregel lässt sich mit Hilfe des Differentialoperators folgendermaßen auch schreiben:
d du dv
(uv) = v+ u (3.10)
dx dx dx
In Beispiel 3.36 auf Seite 94 ist die Herleitung der Produktregel ausführlich besprochen.

Beispiel 3.6:
a) y = (x − 1) (x2 − 2)
     
u v

y = (1) (x2 − 2) + (x − 1) (2x) = 3x2 − 2x − 2


       
u v u v

b) y =  sin x
x 
u v

y = 1 · sin x + x cos x = sin x + x cos x

c) y = 
e3x cos
x
u v

y = 3e3x cos x − e3x sin x = e3x (3 cos x − sin x)

Produktregel für Funktionen mit 3 Termen


Die Produktregel kann auch auf Produkte mit mehr als zwei Termen angewandt werden:

y = u(x) · v(x) · w(x) oder kürzer : y = u v w

y = (uvw) = u v w + u v w + u v w (3.11)

Beispiel 3.7:

y = 
x2 
sin x 
ln x
u v w
64 3 Differentialrechnung

1
u = 2x v = cos x w =
x
1
y = 2x x ln x + x cos
 sin
2
x ln x + x sin x x
2

u v w u v w   
u v w
= 2x sin x ln x + x cos x ln x + x sin x
2

3.4.4 Quotientenregel
Die Quotientenregel wird bei der Ableitung von Funktionen benötigt, die als Quotient zwei un-
terschiedlicher Funktionen definiert sind. Die Ableitung der Funktion

u(x) u
y = f (x) = oder in abgekürzter Schreibweise: y = f =
v(x) v

ist gegeben durch folgende Quotientenregel:

u v − u v
y = Quotientenregel (3.12)
v2

Wir können (3.12) auf relativ einfache Weise herleiten.5 Hierfür formen wir die gegebene Funk-
tion f = u/v einfach um und wenden dann darauf die Produktregel an:

fv = u ( f v) = u f  v + f v = u

 u 
u − f v u − v v u uv u v uv u v − uv
⇒ f = = − 2 = 2 − 2 =
v v v v v v v2

Beispiel 3.8:
x2
y= y =?
sin x
u = x2 v = sin x u = 2x v = cos x
u u 
   
v v
2x sin x − x 2
cos x
y = 2
sin
 x
v2

Beispiel 3.9:
sin x
y= y =?
cos x
5 Neben der hier vorgestellten einfachen Methode gibt es weitere mathematisch noch strengere Herleitungmöglichkei-
ten, die hier allerdings nicht weiter erläutert werden sollen.
3.4 Ableitungsregeln 65

u = sin x v = cos x u = cos x v = − sin x


cos x cos x − sin x (− sin x) cos2 x + sin2 x 1
y = = =
cos2 x cos2 x cos2 x

Beispiel 3.10:
In diesem Beispiel werden sowohl die Quotienten- als auch die Produktregel benötigt.

x ln x
y= y =?
ex sin x
Mit

u =  ln x
x  v = 
ex 
sin x
g h g h

liefert die Produktregel:


1
u = g h + g h = 1 · ln x + x = ln x + 1
x
v = g h + g h = ex sin x + ex cos x = ex (sin x + cos x)
Aus der Quotientenregel erhalten wir:

u v − uv (ln x + 1)(ex sin x) − (x ln x) ex (sin x + cos x)


y = =
v2 (ex sin x)2
(ln x + 1) sin x − x ln x (sin x + cos x)
=
ex sin2 x

3.4.5 Kettenregel

Leibniz-Kalkül
In der Infinitesimalrechnung gestattet das Leibniz-Kalkül6 mit Differentialen so umzugehen als
wären sie ganz gewöhnliche mathematische Größen. Aus Differentialen zusammengesetzte Ter-
me können in diesem Kalkül nach Bedarf (in mathematisch erlaubter Weise) beliebig umgeformt,
erweitert, miteinander multipliziert, dividiert werden usw. So kann man z.B. schreiben:

dy dy du dy dy du dv
= =
dx du dx dx du dv dx
Auf der Grundlage des Leibniz-Kalküls können wir jetzt die Herleitung der Kettenregel angehen.

6 Unter einem Kalkül wird ein logisches System von Regeln verstanden, mit deren Hilfe aus grundlegenden Bezie-
hungen durch Umformungen weitere Beziehungen gewonnen werden können.
66 3 Differentialrechnung

Kettenregel
Schon bei relativ einfachen Funktionen kann es vorkommen, dass die bisherigen Differentiations-
regeln nicht ausreichen um eine Funktion abzuleiten. Folgende Funktionen y = f (x) können wir
beispielsweise mit Hilfe unseres bisherigen Wissens nicht differenzieren:

y = sin(3x) y = sin(x − 3) y = ln(x2 − 2x) y = sin2 (3x − 3) (a)

Wenn f (x) so aufgebaut ist, dass f (x) = f (g(x)) gilt, kann durch Einführung einer neuen abhän-
gigen Variable u = g(x) die ursprüngliche Funktion auch ausgedrückt werden als

y = f (x) = f (g(x)) = f (u)

Variable y hängt jetzt also unmittelbar von u ab (und mittelbar natürlich nach wie vor von x ab).
Die Funktionen f (x) in (a) lassen sich nun in der Form y = f (u) schreiben:

y = sin(3x) = sin u mit u = g(x) = 3x


y = sin(x − 3) = sin u mit u = g(x) = x − 3
y = ln(x − 2x) = ln u
2
mit u = g(x) = x2 − 2x
y = sin2 (3x − 3) = sin2 u mit u = g(x) = 3x − 3

Die Kettenabbleitung lässt sich nun mit Hilfe des Leibniz-Kalküls wie folgt formulieren:

dy dy du dy dg(x) d f (u) dg(x)


y = = = =
dx du dx du dx  du
   dx
 
äußere Abl. innere Abl.

Für die Funktionen f (u) und g(x) haben sich folgende Bezeichnungen eingebürgert:

f (u) : äußere Funktion g(x) : innere Funktion

Die Ableitungen von f (u) und g(x) werden dementsprechend bezeichnet:

d f (u)
äußere Ableitung
du
dg(x)
innere Ableitung bzw. Nachdifferenzierung
dx
In kurzer Schreibweise können wir die Kettenregel schreiben als:

dy dy du
y = = Kettenregel (3.13)
dx du dx
3.4 Ableitungsregeln 67

Beispiel 3.11:
Gesucht ist die erste Ableitung der Funktion y = sin(x − 3) .

u = g(x) = x − 3 innere Funktion

y = f (u) = sin u äußere Funktion


dy d
= sin u = cos u äußere Ableitung
du du
du d
= (x − 3) = 1 innere Ableitung (Nachdifferenzierung)
dx dx
dy du
y = = (cos u) · (1) = cos u Verkettung der beiden Ableitungen
du dx

y = cos(x − 3) Rücksubstitution von u = x − 3

Beispiel 3.12:
y = 2 sin 3x y =?
dy d(2 sin u) du d(3x)
u = 3x ⇒ y = 2 sin u = = 2 cos u = =3
du du dx dx
dy du
y = = (2 cos u) · (3) = 6 cos u = 6 cos 3x
du dx

Beispiel 3.13:
y = 5 ln 1 + x3 y =?
u = 1 + x3 ⇒ y = 5 ln u
dy d(5 ln u) 5 du d(1 + x3 )
= = = = 3x2
du du u dx dx
dy du 5 2 15x2 15x2
y = = 3x = =
du dx u u 1 + x3

Beispiel 3.14:

y= (x2 + 2x − 3)3 y =?

u = x2 + 2x − 3 ⇒ y = u3

dy d( u3 ) 3 √ du d(x2 + 2x − 3)
= = u = = 2x + 2
du du 2 dx dx
dy du 3 √ 3 2 
y = = u (2x + 2) = x + 2x − 3 (2x + 2) = 3(x + 1) x2 + 2x − 3
du dx 2 2
68 3 Differentialrechnung

Kettenregel bei mehrfach verschachtelten Funktionen


Wie bereits oben erläutert, gelangt man bei der Anwendung der Kettenregel mit Hilfe der Sub-
stitution u = g(x) von der Funktion y = f (x) zur Funktion y = f (u). Falls die Ableitung von
u = g(x) irgendwo tabelliert ist (wie z.B. im Anhang A.4), kann die im vorigen Abschnitt be-
schriebene einfache Kettenregel angewandt werden.
Gelegentlich ist die Sache aber ein wenig komplizierter und dann muss man die Substitution
zweimal (ggf. sogar noch mehr) durchführen. Mit folgender zweifacher Substitution für y = f (x)

u = g(v) v = h(x) h(x) soll elementar differenzierbar sein!

lässt sich die Funktion y = f (x) ausdrücken als

y = f (u(v(x)))

Die Ableitung y lässt sich dann auf der Basis des Leibnis-Kalküls durch folgende zweifache
Kettenregel bestimmen:

dy dy du dv
y = = (3.14)
dx du dv dx

Beispiel 3.15:
y = sin(ln(x2 − 3x)) y =?
Für den innersten Ausdruck wird folgende Substitution eingeführt:

v = h(x) = x2 − 3x ⇒ y = sin(ln v)

Die Funktion y = sin(ln v) ist leider immer noch nicht elementar differenzierbar, so
dass eine erneute Substitution vorgenommen wird:

u = g(v) = ln v ⇒ y = sin u

Die Funktion y = sin u kann jetzt elementar differenziert werden.


Mit Hilfe der Kettenregel erhalten wir:

dy dy du dv
y = =
dx du dv dx
dy d(sin u) du d(ln v) 1 dv d(x2 − 3x)
= = cos u = = = = 2x − 3
du du dv dv v dx dx
1 1
y = cos u · · (2x − 3) = cos(ln v) (2x − 3)
v v
1 2x − 3
y = cos(ln(x2 − 3x)) 2 (2x − 3) = cos(ln(x2 − 3x)) 2
x − 3x x − 3x
3.5 Ableitung logarithmischer Funktionen 69

3.5 Ableitung logarithmischer Funktionen


Für die Ableitung einer logarithmischen Funktion y = ln f (x) wird die Kettenregel angewandt.
Mit der Variablentransformation u = f (x) ergibt sich:

y = ln f (x) = ln u

dy dy du
y = =
dx du dx
Mit den Ableitungen

dy d 1 1 du d
= ln u = = (äußere Abl.) = f (x) = f  (x) (innere Abl.)
du du u f (x) dx dx

erhält man die Ableitung der logarithmischen Funktion y = ln f (x) :

f  (x)
y = ln f (x) y = logarithmische Ableitung (3.15)
f (x)

Beispiel 3.16:
y = ln(sin x) y =?
f  (x) (sin x) cos x
f (x) = sin x y = = = = cot x
f (x) sin x sin x

3.6 Ableitung von Parameterfunktionen


Funktionen in Parameterform sind in Abschnitt 2.11 behandelt. In einer Parameterfunktion wer-
den beide Variablen x und y als Funktion einer dritten Variable, des sog. Parameters, ausge-
drückt:

x = p(t) y = q(t) t : Parameter (z.B. Zeit, Winkel, Bogenlänge etc.)

Anmerkung: Der Parameter muss nicht unbedingt mit dem Symbol t ausgedrückt werden; es
kann jedes beliebige geeignete Symbol verwendet werden, z.B. α, ϕ etc.
Die Ableitung einer Parameterfunktion erfolgt nach der Kettenregel:

dy dy dx
= bzw. ẏ = y ẋ
dt dx dt
Daraus folgt durch Umformung die gesuchte Ableitung y :

Ableitung einer Parameterfunktion x = p(t), y = q(t) :


(3.16)
dy ẏ dx dy
y = = wobei ẋ = ẏ =
dx ẋ dt dt
70 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.17:
Die Flugbahn beim waagerechten Wurf mit der Anfangsgeschwindigkeit v0 lässt sich
am besten mit Hilfe einer Parameterfunktion für Positionskoordinaten x und y be-
schreiben (g : Erdbeschleunigung, t : Zeit):
1 2
x = x(t) = v0 t y = y(t) = y0 − gt
2
Gesucht ist der Bahnwinkel α des Flugkörpers, wenn er den Boden berührt.

y
y v0
0

x a x

Steigung y der Flugbahn:


ẏ dx dy −gt
y = ẋ = = v0 ẏ = = −gt ⇒ y =
ẋ dt dt v0
Der Zeitpunkt t = T , zu dem der Körper den Boden berührt, ergibt sich aus:

1 2y0
y(T ) = 0 = y0 − g T 2 ⇒ T=
2 g

Bahnwinkel α bei Bodenberührung:



2y0
−g √ √
 g − 2gy0 − 2gy0
tan α = y (T ) = = ⇒ α = arctan
v0 v0 v0
Zahlenbeispiel:
Für v0 = 100 m/s, y0 = 40 m, g = 9,81 m/s2 ergibt sich der Bahnwinkel zu:

− 2 · 9,81 · 40
α = arctan = −15,6◦ (α zeigt im Uhrzeigersinn)
100
Die Flugdauer und Flugstrecke sind:

2 · 40
T= = 2,86 s x0 = v0 · T = 100 · 2,86 = 286 m
9,81
3.7 Ableitung impliziter Funktionen 71

3.7 Ableitung impliziter Funktionen

Wie auf Seite 44 bereits erörtert, kann es vorkommen, dass eine Funktion mit einer unabhängigen
Variablen nicht in der expliziten Form y = f (x) sondern in der impliziten Form F(x, y) = 0
vorliegt. Die Bestimmung der Ableitung y = dy/dx aus der impliziten Form F(x, y) = 0 bedarf
besonderer Überlegungen. Hierbei existieren folgende Möglichkeiten:

a) Entweder bringt man die Funktion von der impliziten Form F(x, y) = 0 in die explizite Form
y = f (x) und differenziert f (x) mit Hilfe allgemein bekannter Ableitungsregeln vorangegan-
gener Abschnitte, d.h. y = f  (x). Allerdings führt dieser naheliegende Weg nicht immer zum
Ziel, z.B. läßt sich die Funktion F(x, y) = x2 + 2x − y sin y = 0 nicht in die explizite Form
y = f (x) transformieren.

b) Man differenziert die implizite F(x, y) = 0 direkt nach x, wobei zu berücksichtigen ist, dass
y selbst eine Funktion von x ist. Daher ist bei der Ableitung von Termen, wo y vorkommt die
Kettenregel (äußere und innere Ableitung) anzuwenden.

c) Oder man differenziert die Funktion mit Hilfe des impliziten Ableitungskonzeptes, welches
in Abschnitt 11.5 auf Seite 546 vorgestellt wird.

Beispiel 3.18:
Für die implizite Funktion F(x, y) = x2 + y2 − 1 = 0 soll die erste Ableitung y be-
stimmt werden.

a) Wir bringen die implizite Funktion zunächst in explizite Form und differenzieren
nach x.
−x
y2 = 1 − x2 y = (1 − x2 )1/2 y =
(1 − x2 )1/2

b) Anwendung der Kettenregel

d(x2 + y2 − 1) d(0) d(x2 ) d(y2 ) d(−1) d(0)


= + + =
dx dx dx dx dx dx
d(x2 ) d(y2 ) d(y) d(−1) d(0)
+ + = ⇒ 2x + 2yy = 0
dx dy dx dx dx
−x −x
y = =
y (1 − x2 )1/2
c) Anwendung von 11.5 auf Seite 546:
F,x x −x
y = − F,x = 2x F,x = 2y y = − =
F,y y (1 − x2 )1/2
72 3 Differentialrechnung

3.8 Linearisierung einer Funktion


Aus der in Gl. (3.4) formulierten Ableitungsdefinition erhalten wir:

dy = y dx (a)

Aufgrund der Tatsache, dass y die Steigung der Tangentengerade an die Kurve darstellt, können
wir die obige Beziehung wie folgt interpretieren: dy entspricht der linearisierten Änderung der
Funktion y = f (x) bei einer infinitesimalen Änderung dx der unabhängigen Variable x.
Linearisierung bedeutet also, dass in der Nachbarschaft der jeweils betrachteten x-Position
nicht der tatsächliche Funktionsverlauf, sondern die genau an dieser x-Position an die Funktions-
kurve angelegte Tangente betrachtet wird.

y 6

y = f (x)

P1 !
y1 b !!Tangente
PL!!!
b
!!
yL
! !
P0 !α ΔyL
y0 `
!
Δx
-
x0 x1 x

Bild 3.2: Linearisierung einer Funktion

In der Auffassung der modernen Mathematik lässt sich somit die Differentiation auch beson-
ders einprägsam formulieren:
Differentiation bedeutet lokale Linearisierung.
Falls in der obigen Beziehung (a) anstelle der infinitesimalen Größe dx der endliche (d.h.
nicht-infinitesimale) Inkrement Δx verwendet wird (s. Bild 3.2), erhält man den linearen Zu-
wachs ΔyL des Funktionswertes entlang der Tangentengerade:

ΔyL = tan α · Δx = y (x0 ) · Δx mit Δx = x1 − x0 (3.17)

Für sehr kleine Werte von Δx , d.h. für Δx ≈ dx ist die Differenz zwischen dem tatsächlichen tat-
sächlichen Funktionsinkrement Δy = y1 − y0 und dem linearisierten Funktionsinkrement ΔyL =
yL − y0 klein, es gilt also: y1 ≈ yL bzw. Δy ≈ ΔyL . Für den Grenzfall geht also der linearisierte
Funktionswert (Punkt PL ) in den exakten Wert (Punkt P1 ) über:

lim PL = P1
Δx→0

Mit wachsendem Δx hingegen wird die Abweichung zwischen P1 und PL größer. Je nach
betrachteter Funktion f (x) und dem Abstand Δx könnte diese Abweichung evtl. durchaus klein
3.8 Linearisierung einer Funktion 73

sein, unter Umständen aber auch riesig groß werden. In den Funktionsschaubildern der Beispiele
3.19 und 3.20 ist die Zunahme dieser Abweichung mit zunehmendem Abstand Δx gut erkennen.
Der beschriebene Vorgang wird Linearisierung der Funktion y = f (x) an der Stelle x0 ge-
nannt. Der Punkt P0 ist der Linearisierungspunkt.
Wie aus Bild 3.2 leicht zu ersehen, ergibt sich der linearisierte Funktionswert yL zu:

yL = y0 + ΔyL = y0 + y (x0 ) · Δx oder yL = y0 + y (x0 ) · (x1 − x0 )

Durch Einführung der allgemeinen Variable x anstelle von x1 in der obigen Gleichung erhält
man die an der Stelle x0 linearisierte Funktion yL :

yL = y0 + y (x0 ) · (x − x0 ) (3.18)

Anmerkung: Vor allem in technischen Anwendungen, z.B. der nichtlinearen Mechanik, ist die
Linearisierung von Funktionen die unverzichtbare mathematische Basis für Computerprogram-
me.

Beispiel 3.19:

In Beispiel 3.3 auf Seite 61 ist die Steigung der Funktion y = 3 3 x an der Stelle x0 =
0,4 berechnet worden. Jetzt sollen an den Stellen x1 = 0,41, x2 = 0,45 und x3 = 0,5
die tatsächlichen Werte Δy und die linearisierten Werte Δyt des Funktionszuwachses
berechnet und miteinander verglichen werden.
6
Tangente

4
y

2 P

–2 0 2 4 6
x

Der Funktionsinkrement Δyi an der Stelle xi wird aus der Differenz der exakten Funk-
tionswerte berechnet:

Δyi = yi − y0 wobei y0 = f (x0 ) = f (0,4)

Der linearisierte Wert Δyt,i an der Stelle xi ergibt sich aus

Δyt,i = y (x0 ) · Δxi mit y (x0 ) = y (0,4) = 1,842016 und Δxi = xi − x0

Der relative Fehler Erel zwischen dem exakten und dem linearisierten Funktionszu-
wachs wird berechnet aus:
 
 Δyi − Δyt,i 

Erel =  
Δyi 
74 3 Differentialrechnung

In tabellarischer Zusammenstellung erhalten wir folgende Ergebnisse:

i 0 1 2 3
xi 0,40 0,41 0,50 1,00
Δxi 0,0 0,01 0,10 0,60
yi 2,210419 2,228688 2,381102 3,000000
Δyi − 0,018269 0,170683 0,789581
Δyt,i − 0,018420 0,184202 1,105209
Erel 0% 0,8% 7,9% 40%

Wir sehen, dass in der unmittelbaren Nachbarschaft von x0 der Fehler zwischen dem exakten
und dem linearisierten Ergebnis noch recht klein ist, mit zunehmendem Abstand aber rasch groß
wird.

Beispiel 3.20:
Es soll die Funktion y = e−x an der Stelle P = (x0 , y0 ) = (−1; 2,7183) linearisiert
werden. Anschließend ist der linearisierte Funktionswert an der Stelle x1 = −0,8 zu
berechnen und der relative Fehler gegenüber dem exakten Wert zu ermitteln.

Die Linearisierung erfolgt mit Hilfe der Gl. (3.18): 4

yL = y0 + y (x0 ) · (x − x0 )
P o

−(−1)
y0 = y(x0 ) = e = 2,7183
0
y = −e−x y (x0 ) = −e−(−1) = −2,7183
–2 2 4 6

yL = 2,7183 − 2,7183 (x − (−1)) = −2,7183 x –2


linearisiert
An der Stelle x1 = −0,8 ergibt sich der linearisierte Funktionswert zu:

yL (x1 ) = −2,7183 · (−0,8) = 2,1746


−(−0,8) = 2,2255.
Der exakte Funktionswert beträgt:
 y1 = y(x1 ) = e 
 yL − y   2,1746 − 2,2255 

Relativer Fehler: Erel =   =   = 0,023 ≡ 2,3%
y   2,2255 
Mit zunehmendem Abstand von der Linearisierungsposition vergrößert sich auch
der Fehler; z.B. ergeben sich für x1 = 0 völlig unterschiedliche Werte:
   
 yL − y   0 − 1 
yL (x1 ) = −2,7183 · 0 = 0 y1 = e = 1
0 
Erel =   =   = 1 ≡ 100%
y   1 
3.9 Höhere Ableitungen 75

3.9 Höhere Ableitungen


Die Ableitung der ersten Ableitung heißt die zweite Ableitung, die Ableitung der zweiten Ablei-
tung heißt die dritte Ableitung usw. Folgende Bezeichnungen können für die formale Angabe
verschiedener Ableitungen einer Funktion y = f (x) verwendet werden:

dy
1. Ableitung : y =
dx
 
d2 y d(y ) d  d dy
2. Ableitung : y = 2= = y =
dx dx dx dx dx
    
d3 y d(y ) d  d d(y ) d d dy
3. Ableitung : y = 3 = = y = =
dx dx dx dx dx dx dx dx
Beispiel 3.21:
Für die nachfolgenden Funktionen werden verschiedene Ableitungen berechnet.
a) y = x y = 1 y = (y ) = (1) = 0
b) y = x2 y = 2x y = 2 y = 0
c) y = 5x3 − 8x2 y = 15x2 − 16x y = 30x − 16 y = 30
3 3 6
d) y = −3 ln x y = − y = 2 y = − 3
x x x
e) y = 3eax y = 3aeax y = 3a2 eax y = 3a3 eax
f) y = sin(x − 3)
y = cos(x − 3) y = − sin(x − 3) y = − cos(x − 3)
g) y = 2 sin(3x)
y = 6 cos(3x) y = −18 sin(3x) y = −54 cos(3x)

3.10 Alternative Formeln für die zweite Ableitung


Mit Hilfe des Leibniz-Kalküls (Seite 65) lässt sich eine besondere Formel für die 2. Ableitung
einer Funktion y = f (x) nach x herleiten, die von der oben angegebenen Formeln abweicht. Wir
gehen zu diesem Zweck von der sofort einleuchtenden Identitätsbeziehung
1
y = 2y y
2y

aus. Den Term 2y y können wir durch einen anderen Term ersetzen. Zu diesem Zweck definieren
zunächst die Funktion g(y ) = (y )2 und leiten sie dann unter Beachtung der Kettenregel nach x:

d dg dy dg d(y )2 dy


g(y ) = (y )2 g(y ) =  = = 2y = y
dx dy dx dy dy dx
d  2
⇒ (y ) = 2y y
dx
76 3 Differentialrechnung

Wir erhalten somit aus der obigen Identitätsbeziehung:


1 d  2
y = (y )
2y dx

Nun setzen wir im Nenner dieser Beziehung anstelle von y den gleichwertigen Ausdruck dy/dx
ein und erhalten nach Streichen der dx-Terme im Zähler und Nenner:
1 d  2 1  dx d 1 d 2
y = (y ) = (y )2 = y
dy dx 2 dy  dx 2 dy
2
dx
Diese zunächst kurios aussehende Formel ist bei der Bearbeitung von physikalischen Aufgaben
mitunter sehr nützlich (s. auch Beispiel 3.23).
 
d2 y 1 d 2
y = 2= y (3.19)
dx 2 dy

Diese Formel besagt, dass die 2. Ableitung y einer Funktion y = f (x) auch ermittelt werden
kann, wenn man die 1. Ableitung y = dy/dx zunächst quadriert und dann das Ergebnis nach y
(nicht nach x !) differenziert und durch 2 dividiert.
Eine abgewandelte Form von (3.19) ergibt sich, wenn in (3.19) für dy im Nenner der gleich-
wertige Ausdruck f  (x) dx eingesetzt wird:
 
 1 d 1 d 2
y = y2 =  y (3.20)
2 f  (x) dx 2 f (x) dx

Falls es sich um ein zeitabhängiges Problem handelt, z.B. Bewegung von Körpern, kann die
Beziehung (3.19) sinngemäß angepasst werden. Bezeichnen wir mit s = f (t) die von der Zeit t
abhängige Wegstrecke, so lautet die zweite Ableitung von s nach t :
   
d2 s 1 d 2 1 d 2 ds
s̈ = = ṡ bzw. s̈ = ṡ mit ṡ = (3.21)
dt 2 2 ds 2ṡ dt dt

Beispiel 3.22:
Wir wollen die 2. Ableitung von y = 3eax mit Hilfe der Formel 3.19 bestimmen (s.
auch Beispiel 3.21).

y = 3eax y = 3aeax y2 = 9a2 (eax )2

Aus der Funktionsdefinition y = 3eax folgt unmittelbar eax = y/3 und daraus (eax )2 =
y2 /9. Wir erhalten also:

y2 1 d(y2 ) 1 d(a2 y2 ) 1 2
y2 = 9a2 = a2 y2 y = = = a 2y = a2 y = 3a2 eax 
9 2 dy 2 dy 2
3.11 Unbestimmte Ausdrücke und Regel von l’Hospital 77

Beispiel 3.23:
Die von einem sich geradlinig bewegenden Körper zurückgelegte Strecke sei durch
die Beziehung s = 2 t 2 gegeben. Die Beschleunigung a des Körpers für t = 5 s soll
sowohl klassisch mittels zweiter Zeitableitung von s(t) nach t (s. Seite 75) als auch
nach Formel (3.21) berechnet werden.
a) Klassische Ermittlung der Beschleunigung über zweimalige Ableitung von s(t)
nach t :
ds d2 s
= ṡ = 4 t = s̈ = 4 a = 4 m/s2
dt dt 2
b) Berechnung nach Gl. (3.21):

ds 1 d(16t 2 )
ṡ = = 4t ṡ2 = 16t 2 s̈ =
dt 2 ds
Der Ausdruck 16t 2 kann nicht unmittelbar nach s abgeleitet werden. Dazu wird t 2
als Funktion von s aufgestellt. Die durch die Aufgabenstellung vorgegebene Bezie-
hung s = 2t 2 liefert t 2 = s/2 . Wir erhalten somit:

1 d(16 · s/2) ds
s̈ = =4 = 4·1 = 4 a = 4 m/s2
2 ds ds

3.11 Unbestimmte Ausdrücke und Regel von l’Hospital


Die Auswertung einer Funktion f (x) für beliebige x-Werte bereitet normalerweise keine Schwie-
rigkeiten. Bei bestimmten Funktionen kann es jedoch an einer bestimmten Stelle x0 zu Schwie-
rigkeiten kommen. Einige Beispiele zeigt die Tabelle 3.1. Solche Ausdrücke heißen unbestimmte
Ausdrücke, weil sie keinen eindeutigen Zahlenwert besitzen: Ist z.B. das Ergebnis der Division
0/0 gleich 0 oder 1 oder gar eine ganz andere Zahl?
0 ∞
Unbestimmte Ausdrücke der Form oder
0 ∞
Die Regel von l’Hospital dient zur eindeutigen Bestimmung eines unbestimmten Ausdrucks der
Form 0/0 oder ∞/∞ :

f (x) f  (x)
lim = lim  (3.22)
x→x0 g(x) x→x0 g (x)

Die Funktionen im Zähler und Nenner werden also voneinander getrennt nach x abgeleitet. An-
schließend wird der Grenzwert gebildet (s. Beispiel 3.24).
Wenn der neue Grenzwert wieder ein unbestimmter Ausdruck ist, ist die Regel von l’Hospital
f  (x)
erneut anzuwenden, d.h. diesmal wird der Grenzwert limx→x0  gebildet. Liefert auch dieser
g (x)
Schritt erneut einen unbestimmten Ausdruck, wird der Vorgang wiederholt.
78 3 Differentialrechnung

Tabelle 3.1: Beispiele für unbestimmte Ausdrücke.

f (x) x0 f (x0 )

sin x 0
0
x 0
1 − ex 0
0
x 0
ex ∞

x ∞

x(e1/x − 1) ∞ ∞·0

(ex − 1)x 0 00

Beispiel 3.24:
sin x sin 0 0
lim =? Normales Vorgehen: = =?
x→0 x 0 0
Mit f (x) = sin x und g(x) = x liefert (3.22):

sin x (sin x) cos x


lim = lim 
= lim = lim cos x = cos 0 = 1
x→0 x x→0 (x) x→0 1 x→0

Unbestimmter Ausdruck der Form 0 · ∞


0 ∞
Unbestimmte Ausdrücke dieser Art können in eine der Formen oder gebracht und dann
0 ∞
mit Hilfe der Regel von l’Hospital bestimmt werden. Der Ausdruck f (x)g(x) = (0 · ∞) läßt sich
durch einfache Umformung in eine der folgenden Formen überführe :

f (x) 0 0
f (x)g(x) = = = (3.23a)
1 1 0
g(x) ∞

g(x) ∞ ∞
f (x)g(x) = = = (3.23b)
1 1 ∞
f (x) 0
In beiden Fällen läßt sich anschließend die Regel von l’Hospital auf das Ergebnis anwenden. In
Beispiel (3.25) ist die Vorgehensweise demonstriert.

Beispiel 3.25:
lim x(e1/x − 1) =?
x→∞
3.11 Unbestimmte Ausdrücke und Regel von l’Hospital 79

Normales Auswerten des Ausdrucks liefert für x → ∞:

∞(e1/∞ − 1) = ∞(e0 − 1) = ∞(1 − 1) = ∞ · 0

Wir können den Ausdruck jedoch auch umformen und in eine Form bringen, die für
(3.23) geeignet ist: schreiben:

(e1/x − 1)
lim x(e1/x − 1) = lim
x→∞ x→∞ 1
x
Normales Auswerten des Ausdrucks auf der rechten Seite für x → ∞ liefert jetzt:

(e1/∞ − 1) (e0 − 1) 0
= =
1 1 0
∞ ∞
Durch Anwendung der Regel von l’Hospital erhalten wir:

f (x) f  (x) (e1/x − 1) (e1/x − 1)


lim = lim  d.h. lim = lim  
x→x0 g(x) x→x0 g (x) x→∞ 1 x→∞ 1
x x

1 1/x
− e
⇒ lim x2 = lim e1/x = e1/∞ = e0 = 1
x→∞ 1 x→∞
− 2
x
Die Lösung lautet also: limx→∞ x(e1/x − 1) = 1

Unbestimmte Ausdrücke der Form ∞0 oder 00


Wenn der Ausdruck f (x)g(x) als Ergebnis ∞0 oder 00 liefert, kann der Ausdruck zunächst mit
Hilfe von Logarithmusregeln wie folgt umgeformt werden:

f (x)g(x) = eg(x) ln f (x)

Für die Grenzwertbetrachtung erhalten wir:

lim f (x)g(x) = lim eg(x) ln f (x) = elim g(x) ln f (x) (3.24)

Der Grenzwert des Ausdrucks lim g(x) ln f (x) im Exponenten kann bestimmt werden, indem
dieser Exponent durch Umformung in eine Formen 0/0 oder ∞/∞ gebracht wird. Anschließend
wird der Grenzwert berechnet. In Beispiel 3.26 unten ist dieser Vorgang erläutert.
80 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.26:
Die Bestimmung des folgenden Grenzwertes erfordert sowohl die Anwendung von
(3.24) als auch die zweimalige Anwendung der Regel von l’Hospital.

lim (ex − 1)x =?


x→0

Normales Auswerten des Ausdrucks liefert für x → 0 einen unbestimmten Ausdruck


vom Typ 00 :

(e0 − 1)0 = (1 − 1)0 = 00

Mit Hilfe von (3.24) läßt sich aber schreiben:


x −1)
f (x) = (ex − 1) g(x) = x ⇒ lim (ex − 1)x = elimx→0 x ln(e
x→0

Der Exponent limx→0 x ln(ex − 1) ist als nächstes zu bestimmen. Die einfache Aus-
wertung liefert für x → 0 wieder einen unbestimmten Ausdruck:

lim x ln(ex − 1) = 0 · ln(e0 − 1) = 0 


ln 0 = −0 · ∞ 
x=0
−∞

Jetzt können wir nun analog zu Beispiel 3.25 vorgehen und erhalten:

ln(ex − 1) ∞
lim x ln(ex − 1) = lim = 
x→0 x→0 1 ∞
x

ex
ln(ex − 1) (ln(ex − 1)) −x2 ex
= lim e − 1 = lim x
x 0
lim = lim   = 
x→0 1 x→0 1 x→0 1 x→0 e − 1 0
− 2
x x x

Nochmalige Anwendung von l’Hospital liefert schließlich:

−x2 ex (−x2 ex ) ex (−2x − x2 )


lim = lim = lim = lim (−2x − x2 ) = 0
x→0 (ex − 1) x→0 (ex − 1) x→0 ex x→0

d.h. lim x ln(ex − 1) = 0


x→0
x −1)
lim x(e1/x − 1) = elimx→0 x ln(e = e0 = 1
x→∞

Unbestimmte Ausdrücke der Form ∞ − ∞


Ausdrücke der Form f (x) − g(x) = (∞ − ∞) sind zunächst so umzuformen, dass eine der oben
behandelten Fälle entsteht. Danach geht man wie oben beschrieben vor.
3.12 Krümmungsradius einer Kurve 81

3.12 Krümmungsradius einer Kurve

Der Krümmungsradius ρ der Kurve y = f (x) im Punkt P entspricht dem Radius eines sich an
die Kurve anschmiegenden Kreises mit dem Mittelpunkt M, der die gleiche Tangente und gleiche
Krümmung im Berührungspunkt P hat wie die Kurve selbst (Bild 3.3). Die Funktion y = f (x)
und die Kreisgleichung yK = g(x) haben also im Berührungspunkt die gleichen Ableitungen 1.
und 2. Ordnung, d.h. es gelten y = yK und y = yK . Ohne detaillierte Herleitung seien hier die

progressiv f’’ > 0


y degressiv f’’ < 0
y
y=f(x) P y=f(x)

M r
r Tangente
M
P
Normale

x x

a: Links gekrümmte Kurve b: Rechts gekrümmte Kurve

Bild 3.3: Krümmungsradius undLinks-/Rechtskrümmung von Kurven

relevanten Formeln für Krümmungsradius und Krümmung mitgeteilt:

Krümmungsradius ρ
 3/2
1 + (y )2
ρ= (ρ ist immer positiv, ρ : Rho) (3.25)
|y |

Krümmung κ

y
κ= (κ kann positiv oder negativ sein, κ : Kappa) (3.26)
[1 + (y )2 ]3/2
Zwischen der Krümmungsradius und Krümmung existiert also folgende Beziehung

1
ρ= (3.27)
|κ|
82 3 Differentialrechnung

Rechts- und Linkskrümmung einer Kurve


Das Vorzeichen von y in Gl. (3.26) bestimmt das Krümmungsverhalten einer Funktion, weil der
Ausdruck im Nenner stets positiv ist:

y > 0 ⇔ κ >0 ⇔ Linkskrümmung


(3.28)
y < 0 ⇔ κ <0 ⇔ Rechtskrümmung

Für y > 0 liegt eine Linkskrümmung vor, d.h. die Kurve krümmt sich im Gegenuhrzeigersinn
(Bild 3.3). Bei einer links gekrümmten Kurve wird die Steigung der Tangente mit zunehmendem
x -algebraisch- immer größer (bis zum Höchststeigungswinkel α = 90◦ ).
Wenn y < 0 ist, wird von einer Rechtskrümmung gesprochen, weil sich die Funktionskur-
ve im Uhrzeigersinn krümmt. Die Steigung der Tangente einer rechts gekrümmten Kurve wird
mit zunehmendem x -algebraisch- immer kleiner (z.B. ist die Steigung m2 = −1,0 algebraisch
kleiner als die Steigung m1 = −0,5).

Beispiel 3.27:
Berechnen Sie die Krümmung und der Krümmungsradius der Funktion y = x e−x
an der Stelle x = 0.

y = (1 − x)e−x y = (x − 2)e−x

y (0) = 1 y (0) = −2


−2
κ= = −0,707
[1 + 12 ]3/2
1 1
ρ= = = 1,414
|κ| | − 0,707|
1
y

–1 0 1 2
x

–1
3.13 Lokale Extremwerte einer Funktion 83

3.13 Lokale Extremwerte einer Funktion


Bild 3.4 zeigt mehrere Hochpunkte und Tiefpunkte einer Funktionskurve. Solche Hoch- und
Tiefpunkte werden lokale Extrema genannt. Ein lokales Extremum (auch relatives Extremum
genannt) ist entweder ein lokales Maximum (Hochpunkt) oder ein lokales Minimum (Tiefpunkt).
Eine Funktion y = f (x) kann (muss aber nicht zwangsläufig) einen oder mehrere lokale Ex-
trempunkte (Hoch- bzw. Tiefpunkte) in einem Intervall a ≤ x ≤ b aufweisen. Die Gesamtheit
dieser Extrempunkte wird unter dem Sammelbegriff lokale Extrema zusammen gefasst.
Anmerkung: Die hier behandelte lokale Extremwertberechnung erfasst nicht die Randpunkte
einer Kurve. Der Punkt H in Bild 3.4 z.B. kann mit den Mitteln der hier vorgestellten Extrem-
wertberechnung nicht identifiziert werden, obwohl er eindeutig einen Maximalwert darstellt – er
liegt sogar höher als alle anderen lokalen Maximalpunkte und ist somit ein globales Maximum.
Deshalb müssen die Randpunkte einer Funktion zusätzlich zur normalen Extremwertberechnung
daraufhin überprüft werden, ob dort evtl. ein globales Maximum bzw. Minimum vorliegt.

y
H
D B,D,F: lokales Maximum
C,E,G: lokales Minimum
B

C
A
x
F G

Bild 3.4: Lokale Extremwerte einer Funktion y = f (x)

Man spricht von einem lokalen Maximum an der Stelle x0 , wenn in der engeren Umgebung
von x0 der Funktionswert stets kleiner ist als derjenige bei x0 . Ist dagegen in der Umgebung von
x0 der Funktionswert stets größer als derjenige bei x0 , dann liegt ein lokales Minimum an der
Stelle x0 vor, d.h.

lokales Maximum, wenn f (x) < f (x0 ) für alle x = x0
Lokales Extremum =
lokales Minimum, wenn f (x) > f (x0 ) für alle x = x0

Die notwendige Bedingung für ein Extremum an der Stelle x0 ist eine waagerechte Tangente, d.h.
es muss gelten:

f  (x0 ) = 0 notwendige Bedingung für lokales Extremum (3.29)

Wenn eine Funktion die notwendige Bedingung (3.29) nicht erfüllt, besitzt sie kein lokales Ex-
tremum. Auf der anderen Seite ist die Erfüllung von (3.29) aber auch keine Garantie für die
Existenz eines lokalen Extremums. Damit eine Funktion tatsächlich ein Extremum hat, muss sie
auch noch die hinreichenden Bedingungen erfüllen.
84 3 Differentialrechnung

Notwendige und hinreichende Bedingungen für ein Extremum


Die Art des lokales Extremums an der Stelle x0 hängt vom Vorzeichen der Funktionkrümmung
ab. Ein Maximum liegt vor, wenn die Funktionskurve in der Umgebung von x0 rechts gekrümmt
ist. Für eine links gekrümmte Kurve liegt dort ein Minimum vor.

Notwendige und hinreichende Bedingungen für lokale Extrema:




⎪ wenn f  (x0 ) = 0 und f  (x0 ) < 0
⎨Maximum, (3.30)
Extremum = Minimum, wenn f  (x0 ) = 0 und f  (x0 ) > 0


⎩kein Extremum, wenn f  (x ) = 0
0

Wendepunkt und Sattelpunkt


Man spricht von einem Wendepunkt an der Stelle x0 , wenn die Krümmung links und rechts von x0
unterschiedliches Vorzeichen besitzt, d.h. wenn die Kurve z.B. von Rechts- auf Linkskrümmung
wechselt oder umgekehrt. Weil das Vorzeichen der Krümmung von f  abhängt, bedeutet der
Vorzeichenwechsel, dass f  (x0 ) = 0 sein muss.
An einem Wendepunkt liegt kein lokales Extremum vor. Von einem Sattelpunkt wird gespro-
chen, wenn die Tangente im Wendepunkt waagerecht verläuft.

Notwendige und hinreichende Bedingungen für Wende- und Sattelpunkte:



f  (x0 ) = 0 und f  (x0 ) = 0 : Wendepunkt, wenn f  (x0 ) = 0 (3.31)
Wenn
f  (x0 ) = 0 und f  (x0 ) = 0 : Sattelpunkt, wenn f  (x0 ) = 0

Spezialfall
Es kann gelegentlich vorkommen, dass sowohl die 2. wie auch 3. Ableitung gleich Null sind, d.h.
f  (x0 ) = 0 als auch f  (x0 ) = 0. Wie lässt sich dann bestimmen, ob ein Extremalpunkt oder ein
Wendepunkt vorliegt?
Wenn der Fall mit f  (x0 ) = 0 und f  (x0 ) = 0 eintritt, differenziert man die Funktion f (x)
so lange weiter, bis die momentane Ableitung an der Stelle x0 einen von Null verschiedenen Wert
annimmt (natürlich vorausgesetzt, dass die Funktion so oft differenzierbar ist). Wenn die erste
von Null verschiedene Ableitung allgemein mit f (n) bezeichnet wird, kann eine Aussage über
lokale Extrema wie folgt getroffen werden:

Fall n ist Art des Extremums


f  (x0 ) = 0 und f (n) (x0 ) < 0 gerade lokales Maximum
f  (x 0) = 0 und f (n) (x 0) >0 gerade lokales Minimum
f  (x 0) = 0 und f (n) (x 0) = 0 ungerade Wendepunkt
f  (x 0) = 0 und f (n) (x 0) = 0 ungerade Sattelpunkt
3.13 Lokale Extremwerte einer Funktion 85

Beispiel 3.28:

y = x3 − 3x
2
y = 3x2 − 3 y = 6x

y
y = 0 ⇒ x0 = ∓1
y (1) = 6 > 0 ⇒ Minimum bei x = 1 –2 –1 1
x
2

Funktionswert: y(1) = −2
–2
y (−1) = −6 < 0 ⇒ Maximum bei x = −1
Funktionswert: y(−1) = 2

Es existiert zusätzlich auch ein Wendepunkt:

y = 6x = 0 ⇒ x0 = 0

y (0) = −3 = 0 und y (0) = 6 = 0 : Bei x = 0 liegt ein Wendepunkt vor.

Beispiel 3.29:
y = x2 e−x
3

2
y

–2 0 2 4
x
–1

y = 2xe−x − x2 e−x = xe−x (2 − x) = 0 ⇒ x0 = 0, x1 = 2

y = e−x (x2 − 4x + 2)


y (x0 ) = y (0) = 2e−0 = 2 > 0 ⇒ Minimum
y (x1 ) = y (2) = e−2 (22 − 4 · 2 + 2) = −2e−2 < 0 ⇒ Maximum
Funktionswerte: y(0) = 0 y(2) = 0,541
Aufgabe:
Bestimmen Sie die Position des Wendepunkts im Bereich 0 < x < 2.

Lsg:

x = 0,586
86 3 Differentialrechnung

3.14 Newton-Verfahren für Nullstellenbestimmung

Einführung
In anspruchsvollen technischen Anwendungen treten meist nichtlineare Gleichungen auf, die in
geschlossener Form nicht lösbar sind. Unter der Lösung einer Funktion versteht man die Bestim-
mung ihrer Nullstellen. In diesem Abschnitt werden nur Funktionen mit nur einer unabhängigen
Variable betrachtet. Die Lösung der Funktion

f (x) = 0

liefert also den Wert (oder die Werte) der Variable x , für den/die diese Gleichung erfüllt ist.
Äußerst wichtige ingenieurtechnische Fragestellungen, z.B. Tragfähigkeit von Bauwerken
im elasto-plastischen Bereich oder Stabilitätssicherheit von Tragwerken, können nur mit Hilfe
von Computermethoden, z.B. Finite Elemente Methode, beantwortet werden. Das fundamentale
Merkmal aller Computermethoden ist, dass sie numerisch arbeiten – im Gegensatz zu analyti-
schen Lösungen. Eine numerische Lösung liefert stets die Lösung nur des konkreten Problems;
man operiert nur mit Zahlen, nicht mit Variablen. Am Ende erhält man also als Ergebnis eine
(oder mehrere) Zahlen, keine Formeln!

y
y=f(x)
f0
y
0
P

f1
y1 T0

f2 Startpos.
S f3
a
x3 x2 x1 x0 x

Bild 3.5: Newton-Verfahren

Basis des Newton-Verfahrens


Bild 3.5 zeigt eine nichtlineare Funktion f (x), welche die x-Achse bei xs schneidet. Die Funk-
tionswerte werden auf der y-Achse aufgetragen. Die Position xs ist also die Nullstelle von f (x).
Die Lösung der Gleichung f (x) bedeutet, die Variable x so zu bestimmen, dass f (x) gleich
Null wird:

f (x) = 0 −→ x =?
3.14 Newton-Verfahren für Nullstellenbestimmung 87

Das Newton-Verfahren7 ist ein iteratives Verfahren, d.h. die Lösung wird durch sich wiederho-
lende Schritte nach einem vorgeschriebenen Muster erreicht, wobei sich die Güte der Lösung bei
jedem Iterationsschritt verbessert.
Wie bei allen numerisch-iterativen Lösungsverfahren, muss auch beim Newton-Verfahren ein
Startwert x0 gewählt werden. Dieser Startwert entspricht besitzt die Bedeutung eines allerersten
Schätzwertes für die Nullstelle. Von der Geschicklichkeit bei der Wahl des Startwertes hängt die
Iterationsgeschwindigkeit und u.U. sogar der Erfolg oder Mißerfolg des Newton-Verfahrens ab.
Einsetzen des Schätzwertes x0 in die Funktion f (x) liefert den zugehörigen Funktionswert f0 .
Auf der Funktionskurve liegt also der Punkt P = (x0 , y0 ). Die Steigung der Tangente am Punkt
P ergibt sich aus der ersten Ableitung der Funktion, nämlich als f  (x0 ). Jetzt kann man die
Gleichung der Tangente T0 entsprechend der Punktsteigungsform einer Geraden aufstellen (vgl.
Seite 280):
f0
tan α = ≡ f  (x0 )
x0 − x1

T0 : y = f (x0 ) + f  (x0 ) · (x − x0 )
Der Schnittpunkt der Geraden T0 mit der x-Achse, d.h. die Koordinate x1 , wird aus der Bedingung
y = 0 bestimmt:

f (x0 )
0 = f (x0 ) + f  (x0 ) · (x1 − x0 ) ⇒ x 1 = x0 −
f  (x0 )

Mit einer abgekürzten Schreibweise für Funktionswerte ergibt sich folgende Form der obigen
Beziehung:
f0
x 1 = x0 − mit f0 ≡ f (x0 ) f0 ≡ f  (x0 )
f0

Jetzt kann man in analoger Weise die Koordinate x2 bestimmen, danach x3 usw. Für den i-ten
Iterationsschritt ergibt sich die verbesserte Nullstelle aus folgender Beziehung:

fi−1 
xi = xi−1 −  i = 1,2,3, . . . mit fi−1 ≡ f (xi−1 ) fi−1 ≡ f  (xi−1 ) (3.32)
fi−1

Abbruchkriterium für die Iteration


Die Newton-Iteration wird beim Unterschreiten einer vorher festgelegten Genauigkeitsschranke
abgebrochen. In diesem Fall spricht man von der Konvergenz der Iteration. Beim Vorliegen der
Konvergenz ist die Funktion f (x) an der zuletzt erreichten Position xn (nach der n-ten Iteration)
näherungsweise gleich Null:

f (xn ) ≈ 0

7 Isaac Newton (1642−1727) : Universal-Gelehrter, Zeitgenosse und Kontrahent von G.W. Leibniz. Newton entdeckte
die nach ihm benannten Gesetze der Mechanik.
88 3 Differentialrechnung

Die zum Abbruch der Iteration verwendete Genauigkeitsschranke (sog. Toleranz TOL) ist ei-
ne sehr kleine Zahl, z.B. TOL= 10−5 . Um über einen evtl. Abbruch der Iteration entscheiden
zu können, muss die aktuelle Genauigkeit mit der Toleranz verglichen werden. Es gibt mehrere
Möglichkeiten, den erreichten Genauigkeitsgrad zu definieren. Hier wird das einfachste Kriteri-
um vorgestellt:

| fi | < TOL

Dieses Kriterium besagt, dass der aktuelle Absolutwert der Funktion unterhalb der Toleranz-
schwelle liegt, d.h. praktisch Null ist (können Sie sagen, warum der Absolutwert genommen
wird?). In der Spezialliteratur gibt es noch schärfere (und fortgeschrittenere) Kriterien für die
Feststellung der Konvergenz, deren Erörterung über die Zielsetzung dieses Buches jedoch hin-
ausgehen würde.
Iterations-Algorithmus beim Newton-Verfahren
Für die Bestimmung der Nullstelle xs einer beliebigen Gleichung f (x) = 0 nach dem Newton-
Verfahren wird der in Tabelle 3.2 beschriebene Iterations-Algorithmus angewandt:

Tabelle 3.2: Newtonscher Iterations-Algorithmus

1. Toleranz TOL (Genauigkeitsschranke) festlegen, z.B. TOL=10−5


2. Startwert x0 grob schätzen.
3. Die erste Ableitung f  (x) der Funktion f (x) aufstellen.
4. Funktionswert f0 und Ableitungswert f0 berechnen.
5. Iterationsindex i = 1 setzen.
6. Verbesserung der Nullstellenabschätzung :
fi−1
xi = xi−1 − 
fi−1
7. fi und fi an der neuen Position xi berechnen.
8. Überprüfung der Konvergenz:
Wenn | fi | < TOL : Konvergenz erreich; zum Schritt 9 gehen
Wenn | fi | > TOL : i um 1 erhöhen und zum Schritt 6 gehen
9. Nullstelle ist näherungsweise : x s ≈ xi
Iteration beenden.

Weitere numerische Verfahren


Es gibt eine beträchtliche Anzahl von weitere numerischen Methoden zur Nullstellensbestim-
mung von beliebigen Funktionen. Beispielhaft seien erwähnt:
- Regula falsi
- Intervallhalbierung
- Sekantenverfahren
- Modifiziertes Newton-Raphson-Verfahren
3.14 Newton-Verfahren für Nullstellenbestimmung 89

Beispiel 3.30:
Ein Behälter besteht aus einem zylindrischen Teil und einer
√ Halbkugel. Die Zylinder-
höhe h ist mit dem Radius r über die Bedingung h = r verknüpft. Wie groß muss
r sein, damit der Behälter das Volumen V = 1000 m3 hat? Die Lösung ist mit dem
Newton-Verfahren und der Toleranz TOL= 10−3 durchzuführen.

Das Volumen des Behälters ergibt sich aus:


2 3 √ 2 3
V= πr + π r2 r = π r + π r2,5
3    3
   Volumen des Zylinderteils
Volumen des Kugelteils

Die Funktion f (r), deren Nullstelle gesucht wird, lautet mit V = 1000:

2 3 2 3
1000 = π r + π r2,5 ⇒ f (r) = π r + π r2,5 − 1000
3 3
Die Ableitung der Funktion f (r) ist: f  (r) = 2πr2 + 2,5 πr1,5
Den Startwert r0 für den Radius kann man auf vielfältige Weise abschätzen. Hier
basiert unsere Schätzung darauf, dass nur der Halbkugelteil des Behälters betrachtet
wird:
2 3
1000 = πr ⇒ r0 = 7,8159
3 0
Die Newton-Iteration in tabellarischer Form lautet:
i ri fi fi Bmrkg.
0 7,8159 536,5240 555,4453
1 6,8500 58,9759 435,6262
2 6,7146 1,0653 419,9341
3 6,7120 0,0004 - | fi | < TOL
Der gesuchte
√ Radius ist also r = 6,712 m. Daraus folgt die Höhe des Zylinderteils
mit h = 6,712 = 2,5908 m. Zur Kontrolle setzen wir diese Werte in die Volumenfor-
mel und erhalten V = 999,98 m3 ≈ 1000 m3 .
90 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.31:
Die Nullstelle der Funktion f (x) = x2 − ex soll mit Hilfe des Newton-Verfahrens mit
der Toleranz TOL= 10−4 bestimmt werden.
Die Ableitung der Funktion ist f  (x) = 2x − ex . Die Iteration wird zweckmäßiger-
weise tabellarisch aufbereitet. Als Startwert wird x0 = 0 gewählt.
?
i xi fi fi | fi | < TOL 2

y
0 0,0000 -1,0000 -1,0000 nein
1 -1,0000 0,6321 -2,3679 nein –2 2
x
2 -0,7330 0,0568 -1,9465 nein
3 -0,7038 0,0006 -1,9023 nein
–2
4 -0,7035 0,00006 -1,9018 ja

3.14.1 Vor- und Nachteile des Newton-Verfahrens


Wie jede numerische Methode hat auch das Newton-Verfahren Stärken und Schwächen.
Vorteile
1. Es konvergiert sehr schnell (quadratische Konvergenz).
2. Es ist in einfacher Weise auf simultane nichtlineare Gleichungssysteme anwendbar und
bietet somit in der FEM (Finite Elemente Methode) große Vorteile.
Nachteile
1. Neben dem Funktionswert f (x) wird auch die erste Ableitung f  (x) benötigt.
2. Bei nicht-monotonen Funktionen kann es divergieren bzw. auch total versagen! Beispiele
für solche Fälle sind:
a. Wenn in einem Iterationsschritt die Tangente waagerecht verläuft, d.h. die erste Ablei-
 = 0 wird, tritt Division durch Null auf:
tung fi−1

fi−1
xi = xi−1 − =∞ 
0
b. Bei einer antimetrischen und gleichzeitig rechts gekrümmten Funktion im positiven
x-Bereich tritt zyklisches Verhalten, d.h. unendliche Schleife, auf.
Beispiel 3.32:
Bei der Lösung der Gleichung f (x) = x − tan x = 0 nach dem Newton-Verfahren wird
als Startwert x0 = π gewählt. Schon im ersten Iterationsschritt tritt Divergenz auf!

f0 = f (π) = π − tan π = π − 0 = π

1 1 1
f = 1− f0 = f  (0) = 1 − = 1− =0
cos2 x cos2 π (−1)2
f0 π
x 1 = x0 −  = π − = −∞ (!) Weiterrechnen ist nicht mehr möglich!
f0 0
3.15 Entwicklung von Funktionen in Potenzreihen 91

3.15 Entwicklung von Funktionen in Potenzreihen


Eine Potenzreihe ist ein Polynom von der Form

P(x) = a0 + a1 x + a2 x2 + · · · + an xn

Jede beliebige Funktion y = f (x) lässt sich als eine Potenzreihe ausdrücken, sofern sie genügend
oft differenzierbar ist. Es gibt zwei eng verwandte Arten der Potenzreihen von Funktionen: Mac
Laurin-Reihe und die Taylor-Reihe.

3.15.1 Mac Laurin-Reihe


Eine beliebige Funktion f (x) kann durch folgende Mac Laurin-Reihe exakt wiedergegeben wer-
den, wenn an der Stelle x = 0 der Funktionswert und die Werte aller nötigen Ableitungen be-
rechnet werden können:
f  (0) f  (0) 2 f  (0) 3
f (x) = f (0) + x+ x + x +··· (3.33)
1! 2! 3!
Die Transformation der Funktion f (x) in eine Potenzreihe bezeichnet man auch als Entwicklung
der gegebenen Funktion f (x) . Die Position x0 ist der Entwicklungspunkt.
Natürlich ist die Mac Laurinsche Reihe nur dann ein korrekter Ersatz für die Funktion f (x),
wenn sie konvergiert. Eine Reihe ist konvergent, wenn die Reihenglieder immer kleiner werden,
so dass ein Grenzwert für die Potenzreihe existiert (diese Definition ist etwas unscharf formuliert
zugunsten der Anschaulichkeit).
Bezeichnet man die Summe aller Glieder, die nach dem Term mit der n-ten Ableitung vorkom-
men, mit R, lässt sich die Mac Laurin-Reihe auch schreiben als:

f  (0) f  (0) 2 f  (0) 3 f (n) (0) n


f (x) = f (0) + x+ x + x +···+ x +R
1! 2! 3! n!
In der Ingenieurpraxis wird (oder muss) man die Potenzreihe natürlich nach dem n-ten Glied
abbrechen (man kann nicht mit unendlich vielen Gliedern arbeiten!). Durch den Reihenabbruch
entsteht ein Fehler von der Größe R gegenüber dem exakten Wert. Dieser Restfehler R ist je-
doch vernachlässigbar klein, wenn man genügend viele Terme mitnimmt. Wann es »genügend
viele Terme« sind, kann streng nur mit Hilfe von mathematischen Fehlerabschätzungsmethoden
berechnet werden. In der Praxis wird man jedoch pragmatisch vorgehen: Man nimmt halt so
viele Glieder mit, wie es sinnvoll erscheint. Dadurch ensteht folgende Mac Laurin-Reihe n-ter
Ordnung:

f  (0) f  (0) 2 f  (0) 3 f (n) (0) n


f (x) ≈ fn (x) = f (0) + x+ x + x +···+ x (3.34)
1! 2! 3! n!
92 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.33:
Die Funktion f (x) = sin x soll in eine Potenzreihe 8-ter ordnung entwickelt werden.
Mit den ersten 8 Ableitungen

f  = cos x f  = − sin x f  = − cos x f (4) = sin x

f (5) = cos x f (6) = − sin x f (7) = − cos x f (8) = sin x


erhält man an der Entwicklungsposition x = 0 :

f (0) = 0 f  (0) = 1 f  (0) = 0 f  (0) = −1 f (4) (0) = 0

f (5) (0) = 1 f (6) (0) = 0 f (7) (0) = −1 f (8) (0) = 0


Die Mac Laurin-Reihe 8-ter Ordnung für sin x ergibt sich gemäß Gl. (3.34) zu:
1 0 −1 3 0 4 1 5 0 6 −1 7 0 8
f8 (x) = 0 + x + x2 + x + x + x + x + x + x
1! 2! 3! 4! 5! 6! 7! 8!
x3 x5 x7
⇒ sin x ≈ x − + −
3! 5! 7!
Kontrolle:
Für x = π/2 ergibt die obige Reihe:

π π (π/2)3 (π/2)5 (π/2)7


sin ≈ − + −
2 2 3! 5! 7!
≈ 1,57079 − 0,64596 + 0,08969 − 0,00468 = 0,9998

Der exakte Wert ist bekanntlich sin(π/2) = 1 . Somit ergibt sich der relative Fehler
Erel nach Gl. (1.23) zu:
   
 f − fn   1 − 0,9998 

Erel =   =   = 0,0002 ≡ 0,02%
f   1 

3.15.2 Taylor-Reihe
Die Taylor-Reihe stellt eine Verallgemeinerung der Mac Laurin-Reihe dar. Als Entwicklungs-
punkt muss nicht mehr x = 0 genommen werden, sondern jede beliebige Stelle x0 dient als
Entwicklungspunkt. Die sinnvolle Festlegung von x0 erfolgt natürlich nach den Gegebenheiten
der zu lösenden Aufgabe.
Wenn mit f (n) (x0 ) die n-te Ableitung an der Stelle x = x0 bezeichnet wird, lässt sich die
Funktion f (x) in eine Taylor-Reihe entwickeln:

f  (x0 ) f  (x0 ) f  (x0 )


f (x) = f (x0 ) + (x − x0 ) + (x − x0 )2 + (x − x0 )3 + · · ·
1! 2! 3!
(3.35)
f  (x0 ) f  (x0 ) f (n) (x0 )
= f (x0 ) + (x − x0 ) + (x − x0 )2 + · · · + (x − x0 )n + R
1! 2! n!
3.15 Entwicklung von Funktionen in Potenzreihen 93

Mit ähnlichen Überlegungen wie bei den Mac Laurin-Reihen kommt man auch hier zu einer
abgebrochenen Potenzreihe n-ter Ordnung, die eine näherungsweise Wiedergabe der gegebenen
Funktion f (x) gestattet:

f  (x0 ) f  (x0 ) f (n) (x0 )


f (x) ≈ fn (x) = f (x0 ) + (x − x0 ) + (x − x0 )2 + · · · + (x − x0 )n (3.36)
1! 2! n!

Die Anzahl der Reihenglieder beträgt n + 1, d.h. ist endlich; daher ist die abgebrochene Taylor-
Reihe nur eine Näherung für die tatsächliche Funktion f (x) und besitzt stets einen Restfehler R,
der allerdings umso kleiner wird, je mehr Glieder betrachtet werden.
Der Restfehler R hängt sowohl von der höchsten in der Taylorreihe vorkommenden Ableitung
n, aber auch von der Stelle x0 , an der die Entwicklung statt findet, ab. In allgemeinen Anwendun-
gen, z.B. numerische Mechanik nach der Finite Element Methode, lässt R sich mit vertretbarem
Aufwand nicht berechnen. Für ingenieurtechnische Anwendungen ist daher der zweckmäßigste
Weg zur Bestimmung der erforderlichen Anzahl von Reihengliedern eine Verfolgung des Abfalls
der Reihenglieder mit zunehmendem n, wobei die Reihe beim n-ten Glied abgebrochen wird,
wenn die restlichen Glieder jenseits von n unterhalb eines -zweckmäßig zu wählenden- Schwel-
lenwertes liegen.

Beispiel 3.34:
Gesucht ist die Entwicklung der Funktion y = ex in eine Taylor-Reihe an der Stelle
x0 = 0 mit n = 3. Wie groß ist relative Fehler der Taylor-Reihe an der Stelle x = 0,2 ?

f (x) = ex f  (x) = ex f  (x) = ex f (3) (x) = ex

x0 = 0 ⇒ f (0) = e0 = 1 f  (0) = 1 f  (0) = 1 f (3) (0) = 1


Die Taylorreihe mit n = 3 ergibt sich zu:
1 1 1 1 1
fn (x) = 1 + (x − 0) + (x − 0)2 + (x − 0)3 = 1 + x + x2 + x3
1! 2! 3! 2 6
1 2 1 3
ex ≈ 1 + x + x + x
2 6
Funktionswert der Taylor-Reihe (Näherungswert) an der Stelle x = 0,2:
1 1
fn (0,2) = 1 + 0,2 + 0,22 + 0,23 = 1,22133
2 6
Exakter Funktionswert:

f (0,2) = e0,2 = 1,22140

Relativer Fehler:
   
 f − fn   1,22140 − 1,22133 

Erel =   =   = 5,7 · 10−5 ≡ 0,0057%
f   1,22140 
94 3 Differentialrechnung

3.16 Zusätzliche Beispiele


Beispiel 3.35:
Bestimmen Sie den Differentialquotienten dy/dx der Funktion y = x3 .

f (x) = x3 f (x + Δx) = (x + Δx)3 = x3 + 3x2 Δx + 3x (Δx)2 + (Δx)3

Δy x3 + 3x2 Δx + 3x (Δx)2 + (Δx)3 − x3


= = 3x2 + 3x Δx + (Δx)2
Δx Δx
dy Δy
= lim = lim [3x2 + 3x Δx + (Δx)2 ] = 3x2 + 0 + 0 = 3x2
dx Δx→0 Δx Δx→0

Beispiel 3.36:
Die Produktregel (uv) = u v + uv kann auf verschiedene Arten hergeleitet werden.
a) Mit Hilfe von Differentialen
Die Teilfunktionen u und v haben an infinitesimal benachbarten Positionen die Funkti-
onswerte u + du und v + dv. Das Differential d(uv) der Funktion uv ergibt sich aus der
Differenz von uv an der augenblicklich betrachteten Position und dieser infinitesimal
benachbarten Position:

d(uv) = (u + du) · (v + dv) − uv


= uv + u dv + v du + du dv − uv
= u dv + v du + du
 dv
≈0
d(uv) = u dv + v du

Division beider Seiten durch dx liefert:


d(uv) dv du
= u +v d.h. (uv) = u v + uv
dx dx dx
Die geometrische Interpretation der obigen Herleitung ist im Bild dargestellt.
u dv du dv
dv

v uv v du

u du

b) Mit Hilfe von Ableitungsdefinition


Die Anwendung der Definitionsformel (3.3) für den Differentialquotienten auf Seite
59 auf die gegebene Funktion uv liefert:

d(uv) Δ(uv) (uv)(x + Δx) − (uv)(x)


= lim = lim
dx Δx→0 Δx Δx→0 Δx
3.16 Zusätzliche Beispiele 95

Anmerkung: Der Ausdruck (uv)(x + Δx) ist als »Wert von uv an der Stelle (x + Δx)«
zu verstehen, ganz analog der Ausdruck (uv)(x).

(uv)(x + Δx) − (uv)(x) u(x + Δx) v(x + Δx) − u(x) v(x)


=
Δx Δx
Eigentlich hilft uns dieses Zwischenergebnis nicht viel weiter, weil wir mit ihm nicht
allzuviel anfangen können. Allerdings sieht die Sache deutlich besser aus, wenn wir
dem Zähler des Ausdrucks auf der rechten Seite den Term −u(x) v(x+Δx)+u(x) v(x+
Δx) hinzuaddieren, wodurch sich ja mathematisch nichts ändert (wir addieren bloß
eine »0«hinzu).

u(x + Δx) v(x + Δx) − u(x) v(v)


lim
Δx→0 Δx
=0
  
u(x + Δx) v(x + Δx) −u(x) v(x + Δx) + u(x) v(x + Δx) −u(x) v(x)
= lim
Δx→0 Δx
 
u(x + Δx) − u(x) v(x + Δx) − v(x)
= lim v(x + Δx) + u(x)
Δx→0 Δx Δx
u(x + Δx) − u(x) v(x + Δx) − v(x)
= lim lim v(x + Δx) + u(x) lim
Δx→0 Δx Δx→0 Δx→0 Δx
Mit den Grenzwerten
u(x + Δx) − u(x) v(x + Δx) − v(x)
lim = u lim v(x+Δx) = v lim = v
Δx→0 Δx Δx→0 Δx→0 Δx
erhalten wir die Produktregel:

d(uv)
= u v + uv d.h. (uv) = u v + uv
dx

c) Mit Hilfe von Logarithmus

Diese Herleitung erfolgt verblüffend schnell. Wir definieren einfach

f = uv oder ausführlicher: f (x) = u(x) v(x)

Beide Seiten werden zunächst logarithmiert, anschließend nach x abgeleitet.

ln f = ln(uv) = ln u + ln v

d ln f d ln u d ln v 1 df 1 du 1 dv
= + ⇒ = + s. (3.15) auf Seite 69
dx dx dx f dx u dx v dx
96 3 Differentialrechnung

Nun wird die linke Seite mit f und die rechte Seite mit uv multipliziert, wodurch sich
nichts ändert, weil ja f = uv gilt.

df du dv
= v+u d.h. f  = u v + uv
dx dx dx
Setzt man schließlich auf der linken Seite anstelle von f den Ausdruck uv ein, erhält
man die Produktregel:

(uv) = u v + uv

Beispiel 3.37:
Für verschiedene Funktionen soll die 1. Ableitung y berechnet werden.
a) y = 2 sin2 (5x + 3)

y = 2 · 2 sin(5x + 3) cos(5x + 3) · 5 = 20 sin(5x + 3) cos(5x + 3

y = 10 sin(10x + 6)

b) y = e−4x sin x

y = −4 e−4x sin x + e−4x cos x = e−4x (−4 sin x + cos x)

2 ln x
c) y = 5x
Anwendung der Kettenregel mit der Substitution u = x2 ln x liefert:

dy du 1
y = 5u = 5u ln 5 = 2x ln x + x2 = x (2 ln x + 1)
du dx x

dy du
y =
2
= 5u ln 5 · x (2 ln x + 1) = 5x ln x ln 5 · x (2 ln x + 1)
du dx

d) y = x ln x − ln(5x3 )

1 15x2 3
y = 1 · ln x + x − 3 = 1 + ln x −
x 5x x

e) y = ln(sin2 (x3 ))

2 sin(x3 ) cos(x3 ) 3x2


y = = 6 x2 cot(x3 )
sin2 (x3 )
3.16 Zusätzliche Beispiele 97

Beispiel 3.38:
Bestimmen Sie die 3. Ableitung folgender Funktionen.
a) y = 5 ln(1 + x3 )
15x2  = 30x − 15x  = 30(1 − 7x + x )
4 3 6
y = y y
1 + x3 (1 + x3 )2 (1 + x3 )3
b) y = tanh x
y = (tanh x) = 1 − tanh2 x (s. Ableitungstabelle auf S. 776)
y = (1 − tanh2 x) = −2 tanh x (tanh x) = −2 tanh x (1 − tanh2 x)
 
y = −2 (tanh x) (1 − tanh2 x) + tanh x (1 − tanh2 x)
= −2(1 − tanh2 x)(1 − 3 tanh2 x)
c) y = xx
y = xx (ln x + 1) y = xx (ln x + 1)2 + xx−1
y = xx (ln x + 1)3 + 3xx−1 (ln x + 1) − xx−2

Beispiel 3.39:
y = xx y =?
Die gegebene Gleichung wird zunächst auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens lo-
garithmiert:

ln y = ln xx ⇒ ln y = x ln x (vgl. (1.12) auf S. 8)

Beide Seiten werden jetzt differenziert: Die linke Seite mit der logarithmischen Ablei-
tungsregel dieses Abschnitts (unter Berücksichtigung der Tatsache, dass y eine Funk-
tion von x ist: y = f (x)) und die rechte Seite nach Produktregel:

d(ln y) d(ln y) dy 1
= = y
dx dy dx y 
 dy/dx
d(ln y)/dy

d(x ln x) 1
= 1 · ln x + x · = 1 + ln x
dx x
Das Gleichsetzen beider Ableitungen ergibt:

y
= 1 + ln x ⇒ y = y (1 + ln x) = xx (1 + ln x)
y
98 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.40:
y = xsin x y =?
Nach Logarithmieren beider Seiten der Gleichung erhält man:

ln y = ln xsin x ⇒ ln y = sin x ln x (vgl. (1.12) auf S. 8)

Analoges Vorgehen wie in Beispiel 3.39 liefert:

d(ln y) y d(sin x ln x) sin x


= = cos x ln x +
dx y dx x

 
sin x
y = y cos x ln x +
x
x cos x ln x + sin x
= xsin x
x
= xsin x−1 (x cos x ln x + sin x)

Beispiel 3.41:
2
In welchem Punkt P = (x, y) besitzt die Funktion y = 1 − e−x+2 eine waagerechte
Tangente?
 
y = 2 1 − e−x+2 −(−1) · e−x+2 = 2e−x+2 (1 − e−x+2 )

y = 0 ⇒ (1 − e−x+2 ) = 0, 1 = e−x+2 , ln 1 = −x + 2, 0 = −x + 2, x=2


2
y = 1 − e−2+2 = 1 − 1 = 0 ⇒ P : (2; 0)

Beispiel 3.42:
Gegeben ist ein Kreis mit dem Radius r = 5 in Parameterform (s. Seite 45):

x = r cos t y = r sin t

Gesucht sind für den Parameter t = 135◦ die Steigung m und der Steigungswinkel α
der Kreistangente.
Mit Hilfe der Ableitungsformel für Parameterfunktionen (3.16) erhält man:
ẏ 5 cos t
ẏ = 5 cos t ẋ = −5 sin t ⇒ y = = = − cot t
ẋ −5 sin t

Wegen m = tan α = y ergibt sich für t = 135◦ :

m = tan α = − cot(135◦ ) = +1 ⇒ α = arctan 1 = 45◦


3.16 Zusätzliche Beispiele 99

Aufgabe: Lösen Sie diese Aufgabe auch unter Verwendung der klassischen Kreisglei-
chung x2 + y2 = r2 .

Beispiel 3.43:
Ein Körper bewegt sich geradlinig. Die zurückgelegte Strecke sei durch die Beziehung
s = 0,4 t 3 gegeben. Die Beschleunigung a des Körpers zum Zeitpunkt t = 5 s ist
sowohl klassisch mittels zweiter Zeitableitung von s(t) als auch nach Formel (3.21)
auf Seite 76 (Leibniz-Kalkül) zu berechnen.
a) Klassische Ermittlung der Beschleunigung über zweimalige Ableitung von s(t)
nach t :
ds d2 s
= ṡ = 1,2 t 2 = s̈ = 2,4t a = 2,4 · 5 = 12 m/s2
dt dt 2
b) Berechnung nach Gl. (3.21):

ds 1 d(1,44t 4 )
ṡ = = 1,2t 2 ṡ2 = 1,44t 4 s̈ = (a)
dt 2 ds
Der Term t 4 im letzten Ausdruck in (a) könnte, analog zur Vorgehensweise in Bei-
spiel 3.23 auf Seite 77, als Funktion von s aufgestellt und dann nach s differenziert
werden (führen Sie dies als Hausaufgabe durch!). Es soll hier jedoch ein anderer Weg
eingeschlagen werden.
d d dt
Gemäß Kettenregel gilt die Beziehung = . Daraus ensteht durch algebrai-
ds dt ds
sche Umformung folgende Beziehung:

d d 1 d 1
= = (b)
ds dt ds dt ṡ
dt

Die Beschleunigung s̈ lässt sich jetzt aus (a), unter Berücksichtigung von (b), wie
folgt ermitteln:

1 d(1,44t 4 ) 1 1 1 1 1
s̈ = = · 5,76t 3 = · 5,76t 3 = 2,4t
2 dt ṡ 2 ṡ 2 1,2t 2

a = 2,4 · 5 = 12 m/s2
100 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.44:

Gegeben sei die Funktion y = 3 3 x. Es wird am Punkt P der Kurve, der zur Koor-
dinate x = 0,4 korrespondiert, die Normale an die Kurve gebildet. Gesucht ist der
Schnittpunkt S der Normalgeraden mit der x-Achse.

6
Tangente

y
P
2
Normale

Q S
–2 0 2 4 6
x

Die Koordinaten des Punktes P sind:



xP = 0,4 yP = 3 3 0,4 = 2,2104

Die Steigung m der Tangente am Punkt P ergibt sich zu:


1 1
y = m = y (0,4) = = 1,8420
x2/3 0,42/3
Die Steigung mn der Normale am Punkt P ist (s. Seite 291):
1 1
mn = − =− = −0,5429
m 1,8420
Punktsteigungsform der Normalgeraden (s. Seite 280):

yn (x) = mn (x − xP ) + yP = −0,5429 (x − 0,4) + 2,2104

Der Schnittpunkt Ps mit der x-Achse ergibt sich aus der Bedingung yn (xS ) = 0:

−0,5429 (xS − 0,4) + 2,2104 = 0 ⇒ xS = 4,47 S = (4,47; 0)

Aufgabe: Bestimmen Sie den Schnittpunkt Q der Tangente mit der x-Achse.
3.16 Zusätzliche Beispiele 101

Beispiel 3.45:
Gegeben sei die Funktion y = x3 . Am Punkt P = (2; 8) der Funktionskurve wird die
Normale der Kurve gebildet. Gesucht wird der Schnittpunkt Ps der Normalgeraden mit
der x-Achse.
Die Tangentensteigung am Punkt P ergibt sich zu:

y = 3x2 y (2) = 3 · 22 = 12 ⇒ m = 12

Die Steigung mn der Normale am Punkt P ist (s. Seite 291):


1 1
mn = − =−
m 12
Punktsteigungsform der Normalgeraden (s. Seite 280):
1
yn (x) = mn (x − x0 ) + y0 = − (x − 2) + 8
12
Der Schnittpunkt Ps mit der x-Achse ergibt sich aus der Bedingung yn (x) = 0:

1
− (x − 2) + 8 = 0 ⇒ xs = 98 Ps = (98; 0)
12

Beispiel 3.46:
Gegeben ist die Kurve y = 3x2 + π ln(π − x) + 1.
a) Berechnen Sie den Extremwert der Funktion im Intervall 0 ≤ x ≤ 1.
b) An der Position x0 = 1 wird die Normalen-Gerade an die Kurve y gebildet.
Ermitteln Sie den Schnittpunkt dieser Gerade mit der x-Achse.
Lösung:
π 6x2 − 6πx + π
a) y = 6x − = ≡0 ⇒ 6x2 − 6πx + π = 0 ⇒ x0 =
π −x π −x
0,176
Extremwert: y(x0 ) = 4,51
π π
y = 6 − y (x0 ) = 6 − = 5,64 > 0 ⇒ Minimum
(π − x)2 (π − 0,176)2
b) y(1) = 6,39 y (1) = 4,53
Steigung der Normalen: mn = −1/y = −1/4,53 = −0,22
Gleichung der Normalen (Punktsteigungsform): y = −0,22 (x − 1) + 6,39
Schnittpunkt mit der x-Achse ergibt sich aus y = 0 : ⇒ xs = 30,0
102 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.47:
Die Funktion y = e−x cos x soll an der Stelle x0 = 0 in eine Taylor-Reihe mit n = 3
entwickelt und der relative Fehler der Taylor-Reihe an der Stelle x = 0,2 berechnet
werden.

(x) = e−x cos x f  = −e−x (cos x + sin x) f  = 2e−x sin x

f (3) = 2e−x (cos x − sin x) f (0) = 1 f  (0) = −1 f  (0) = 0 f (3) (0) = 2


Die Taylorreihe für n = 3 ergibt sich zu:

−1 0 2 x3
fn (x) = 1 + (x − 0) + (x − 0)2 + (x − 0)3 = 1 − x +
1! 2! 3! 3
0,23
fn (0,2) = 1 − 0,2 + = 0,8027
3
Exakter Funktionswert: f (0,2) = e−0,2 cos(0,2) = 0,8024
 
 f − f
 n 
Relativer Fehler: Erel =   = 0,0004 ≡ 0,04%
 f 

Beispiel 3.48:
Gesucht ist die Entwicklung der Funktion y = ln(1 + x) in eine Taylor-Reihe an der
Stelle x = 0 mit n = 2. Wie groß ist der relative Fehler der Taylor-Reihe an der Stelle
x = 0,2 ?
1 −1
f (x) = ln(1 + x) f  (x) = f  (x) =
1+x (1 + x)2

x0 = 0 ⇒ f (0) = ln(1 + 0) = 0 f  (0) = 1 f  (0) = −1


Die Taylor-Reihe ergibt sich zu:

1 −1 x2
fn (x) = 0 + (x − 0) + (x − 0)2 = x −
1! 2! 2
Näherungswert der Funktion:

0,22
fn (0,2) = 0,2 − = 0,18000
2
Exakter Funktionswert: f (0,2) = ln(1 + 0,2) = 0,18232
 
 f − fn 
Relativer Fehler: Erel =   = 0,0127 ≡ 1,27%
f 
3.16 Zusätzliche Beispiele 103

Beispiel 3.49:
2
Entwickeln Sie die Funktion f (x) = ex−x an der Stelle x = 0 in eine Taylor-Reihe
3. Ordnung (n = 3) und bestimmen Sie den relativen Fehler dieser Reihe an der Stelle
x = 0,7.

f  (x) = (1 − 2x)ex−x
2

f  (x) = [−2 + (1 − 2x)2 ]ex−x


2

f  (x) = [−6(1 − 2x) + (1 − 2x)3 ]ex−x


2

f (0) = 1 f  (0) = 1 f  (0) = −1 f  (0) = −5


1 2 5 3
Taylor-Reihe: fn (x) = 1 + x − x − x
2 6
Funktionswerte an der Stelle x = 0,7:

Exakt: f (0,7) = 1,2337 Taylor-Reihe: fn (0,7) = 1,1692

Relativer Fehler:
   
 f − fn   1,2337 − 1,1692 

Erel =   =   = 0,052 ≡ 5,2%
f   1,2337 

Beispiel 3.50:
Berechnen Sie den Grenzwert des folgenden Ausdrucks.
x − 1 + cos x
y = lim
x→0 x + sin x
Lsg:
Wir setzen zunächst den Grenzwert x → 0 in den obigen Ausdruck ein:
x − 1 + cos x 0 − 1 + 1 0
y = lim = =
x→0 x + sin x 0+0 0
Das Ergebnis ist unbestimmter Ausdruck!

Nun wenden wir die Regel von l’Hospital und erhalten:

(x − 1 + cos x) 1 − sin x 1−0


y = lim = lim = = 0,5
x→0 (x + sin x) x→0 1 + cos x 1+1
104 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.51:
Gesucht ist der Krümmungsradius ρ der sog. Gauß-Funktion y = e−x an der Stelle
2

x = 0.
1

–2 y 0 x 2

y = −2x e−x y = e−x (−2 + 4x2 ) ⇒ y (0) = 0 y (0) = −2


2 2

−2 1 1
κ= = −2 ρ= = = 0,5
[1 + 02 ]3/2 |κ| | − 2|

Beispiel 3.52:
Berechnen Sie die Krümmung und den Krümmungsradius der Funktion y = sin2 x
an der Stelle x = π/2.
1
y

0 1 2 3
x

–1

y = 2 sin x cos x y = 2 (cos2 x −sin2 x) ⇒ y (π/2) = 0 y (π/2) = −2

−2 1 1
κ= = −2 ρ= = = 0,5
[1 + 02 ]3/2 |κ| | − 2|

Beispiel 3.53:
Gesucht ist der Extremwert der Funktion y = (7x − 1)e−2x .
Position des Extremums:

y = (9 − 14x)e−2x = 0 ⇒ x0 = 0,6429
1

Art des Extremums:


y

y = (−32 + 28x)e−2x


0 1 2
y (x0 ) = −3,87 < 0 ⇒ Maximum x

Extremaler Funktionswert:
–1
ymax = 0,9676
3.16 Zusätzliche Beispiele 105

Beispiel 3.54:
Bestimmen Sie ein lokales Extremum folgender Funktionen.
a) y = 4(x − 2)2 + 3

y = 8(x − 2) = 0 ⇒ x0 = 2

y = 8 y (x0 ) = 8 > 0 ⇒ Minimum Funktionswert: ymin = 3

b) y = (x − 2)3

y = 3(x − 2)2 = 0 ⇒ x0 = 2

y = 6(x − 2) y (2) = 0 ⇒ keine Aussage über Extrema möglich!


y = 6 = 0 ⇒ Sattelpunkt bei x = 2

c) y = ax5 mit a = 0

y = 5ax4 = 0 ⇒ x0 = 0

y = 20ax3 y (0) = 0 y = 60ax2 y (0) = 0


y(4) = 120ax y(4) (0) = 0 y(5) = 120a = 0
Es ist n = 5, d.h. ungerade; deshalb liegt bei x = 0 ein Sattelpunkt vor und zwar
unabhängig vom Vorzeichen von a.
d) y = (x − 2)4 − 3

y = 4(x − 2)3 = 0 ⇒ x0 = 2

y = 12(x − 2)2 y (2) = 0 y = 24(x − 2) y (2) = 0


y(4) = 24 > 0
Weil n = 4 (n gerade) und f (4) > 0, liegt bei x = 2 ein Minimum vor.
Funktionswert: ymin = −3
e) y = x e−x

y = 1 · e−x − x e−x = e−x (1 − x) = 0 ⇒ x0 = 1

y = −e−x (1 − x) − e−x = e−x (x − 2)


y (1) = e−1 (1 − 2) = −e−1 = −0,3678 < 0 ⇒ Maximum
Funktionswert: ymax = 0,368
106 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.55:
Ausgehend von der Startposition x0 = 0 soll mit Hilfe des Newton-Verfahrens die Null-
stelle der Funktion y = (5x − 1)e−2x ermittelt werden.

fi
i xi = xi−1 − fi fi
fi
0 0,0 −1 7
f = (5x − 1)e−2x
1 0,143 −0,214 4,185
f  = (7 − 10x)e−2x 2 0,194 −0,020 3,433
3 0,2 ≈ 0,0

⇒ xs = 0,2

Beispiel 3.56:
Für verschiedene Funktionen soll die 1. Ableitung y implizit ermittelt werden.
a) y3 + y2 − ex/3 + e−x/3 = 8
Implizite Differentiation liefert (s. Absch. 3.7):

1 1 ex/3 + e−x/3
3y2 y + 2yy − ex/3 − e−x/3 = 0 ⇒ y =
3 3 3(3y2 + 2y)

b) sin y + y ex − 3x2 = 0
Implizite Differentiation liefert:

6x − y ex
cos y · y + y ex + y ex − 6x = 0 ⇒ y =
cos y + ex

Beispiel 3.57:

Gesucht ist die Steigung der durch die Gleichung y − x2 y − 5x − 4 = 0 beschriebe-
nen Kurve am Schnittpunkt xs dieser Kurve mit der x-Achse.
Unter Verwendung der impliziten Differentiation (s. Abs. 3.7) erhält man:

√ 1 4xy + 10 y
y − 2x y − x2 √ y − 5 = 0 ⇒ y = √
2 y 2 y − x2

Die Schnittpunktkoordinate xs ergibt sich aus der Bedingung y = 0 :



0 − x2 0 − 5x − 4 = 0 ⇒ Schnittpunkt: xs = −0,8

0+0
Steigung bei xs : y = =0
0 − (−0,8)2
Die Kurve besitzt also an der Stelle xs = −0,8 eine waagerechte Tangente.
3.17 Technische Anwendungen 107

3.17 Technische Anwendungen

Beispiel 3.58:
Ein Forstbetrieb transportiert Baumstämme in einem Wasserkanal von der Breite b .
Dieser Kanal mündet in einen anderen senkrecht zu ihm orientierten Kanal von der
Breite c (Fließrichtung in Kanälen durch gestrichelte Pfeile angedeutet). Die Baum-
stämme dürfen eine bestimmte Länge nicht überschreiten, damit sie nicht an der Ecke
E festsitzen. Es soll die höchst zulässige Länge L des Baumstamms berechnet wer-
den (Einfluß des Baumstammdurchmessers wird vernachlässigt, d.h. der Baumstamm
wird mathematisch wie eine Linie behandelt).

E
L

b
a b=3m c=6m

Wir drücken die Baumstammlänge als Funktion des Winkels α aus.

b c
L= +
sin α cos α
Die höchst zulässige Länge ergibt sich als Extremwert der obigen α-Funktion. Die
Ableitung von L nach α lautet:

dL −b cos α c sin α −b cos3 α + c sin3 α


= + =
dα sin2 α cos2 α sin2 α cos2 α
Aus der Extremalbedingung
dL
=0

erhalten wir:

b 3 b
−b cos α + c sin α = 0
3 3
tan α =
3
tan α =
c c

3
tan α = = 0,7937 ⇒ α = arctan 0,7937 = 38,44◦
3

6
3 6
L= ◦
+ = 12,48 m
sin 38,44 cos 38,44◦
108 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.59:

Ein einfeldriger Biegebalken aus dem Stahlprofil IPE-200 ist an seinem linken Ende
gelenkig gelagert und am rechten Ende eingespannt. Die Belastung ist die konstan-
te Streckenlast q . Der Verlauf der Durchbiegung w über die Balkenlänge ist durch
folgende Gleichung gegeben:
 
ql 4 x 3x3 2x4
w(x) = − 3 + 4
48EI l l l

E : Elastizitätsmodul des Balkenwerkstoffs


I : Trägheitsmoment des Balkenquerschnitts
l : Länge des Balkens
Das Biegemoment M(x) und die Durchbiegung w(x) hängen über die Momenten-
Krümmung-Beziehung miteinander zusammen:

w
M = −EI · κ mit κ =
[1 + (w )2 ]3/2

Gesucht ist das Biegemoment M sowie der Krümmungsradius ρ an der Stelle x0 =


0,375 l (vom linken Balkenende aus gemessen) für folgende Werte:

q = 0,05 kN/cm l = 600 cm E = 21000 kN/cm2 I = 1940 cm4


 
ql 3 9x 2 8x 3 ql 3
w (x) = 1− 2 + 3 w (x0 ) =
48EI l l 37,4634EI
 
 ql 3 18x 24x2 ql 2
w (x) = − 2 + 3 w (x0 ) = −
48EI l l 14,2222EI

w (x0 ) = 8,63 · 10−4 w (x0 ) = −3,107 · 10−5 cm−1


− 3,107 · 10−5
κ(x0 ) = = −3,107 · 10−5 cm−1
[1 + (8,63 · 10−4 )2 ]3/2
Biegemoment:

M(x0 ) = −EI · κ(x0 )


= −21000 · 1940 · (−3,107 · 10−5 ) = 1265,8 kNcm

Krümmungsradius:

1 1
ρ= = = 32185 cm ≈ 322 m
|κ| | − 3,107 · 10−5 |
3.17 Technische Anwendungen 109

Beispiel 3.60:
Gesucht ist die momentane Geschwindigkeit eines Einmassenschwingers, dessen Schwing-
weg durch folgende Funktion gegeben ist.

x = f (t) = A sin(ωt + φ )

x momentaner Schwingweg
A Amplitude der Schwingung (Skalar)
ω Eigenschwingungsfrequenz des Schwingers (Skalar)
φ Phasenverschiebung der Schwingung (Skalar)
t Zeit
Die momentane Geschwindigkeit v entspricht der ersten Ableitung des Schwing-
weges f (t) nach der Zeit t :

dx
v = ẋ =
dt
Substitution: u = ωt + φ ⇒ x = f (u) = A sin u
dx d(A sin u) du d(ωt + φ )
= = A cos u = =ω
du du dt dt
dx dx du
v = ẋ = = = A cos u · ω = A ω cos(ωt + φ )
dt du dt

Beispiel 3.61:
Ein beidseitig gelenkig gelagerter Biegebalken von der Länge L wird in der Mitte
durch eine senkrecht stehende Einzellast F auf Biegung belastet. Die Durchbiegungs-
kurve y des Balkens unter dieser Belastung ist durch folgende Gleichung gegeben
(Koordinate x vom linken Balkenende
 aus gemessen).
FL3 x x3
y= − 0 ≤ x ≤ L/2
EI 16L 12L3
a) An welcher x-Position des Balkens tritt die größte Durchbiegung auf?
b) Welchen Wert besitzt die größte Durchbiegung ymax ?
c) Wie groß ist das Biegemoment M an der x-Position von ymax ?

Lsg:
a) Die Position der größten Durchbiegung ergibt sich aus y = 0:
 
 FL3 1 x2
y = − = 0 ⇒ x0 = L/2
EI 16L 4L3
 
FL3 x FL
b) y = − 3 y (L/2) = − <0 ⇒ Maximum
EI 2L 4EI
110 3 Differentialrechnung

FL3
Maximale Durchbiegung: ymax = y(L/2) = −
48EI

c) Biegemoment in Balkenmitte:
Das Biegemoment M und die Biegelinie eines Balkens sind miteinander durch
die Beziehung M = −EI y verknüpft (wg. Einzelheiten dieser Beziehung kann
ein Buch der Festigkeitslehre konsultiert werden).

FL FL
y (L/2) = − ⇒ M(L/2) = −EI · y =
4EI 4

Beispiel 3.62:

Die Schwingung eines Fernsehturms ist durch die Gleichung x = 0,2 e−0,1t sin 2t
beschrieben (x ist der momentane Schwingweg der Turmspitze in Metern und t die
Zeit in Sekunden).

Zu welchem Zeitpunkt t0 wird die Geschwindigkeit der Turmspitze zum ersten


Mal nach Einsetzen der Schwingung gleich Null?

Die Geschwindigkeit entspricht der ersten Ableitung des Schwingwegs nach der
Zeit:

ẋ = −0,02e−0,1t sin 2t + 0,4e−0,1t cos 2t

ẋ = e−0,1t (−0,02 sin 2t + 0,4 cos 2t)


Die Geschwindigkeit ist Null, wenn

e−0,1t
  (−0,02 sin 2t + 0,4 cos 2t) = 0 ⇒ −0,02 sin 2t + 0,4 cos 2t = 0
=0

⇒ tan 2t = 20 ⇒ 2t = arctan 20 2t = 1,52 t0 = 0,76 s

Beispiel 3.63:

Die theoretisch erzielbare Leistung einer Windenergie-Anlage (WEA) ergibt sich aus
der folgenden Formel.
   
ρ 3 πD2 1 v2 v
P = v0 1− 2 1+
2 4 2 v0 v0
3.17 Technische Anwendungen 111

Nm
P : Leistung der WEA in = Watt
s
ρ : Luftdichte in kg/m (ρ ≈ 1,25 kg/m3 )
3

D : Rotordurchmesser in m
v0 : Ungestörte Windgeschwindigkeit in m/s
(vor dem Rotor)
v : Geschwindigkeit der austretenden Luft in m/s
(hinter dem Rotor)

Die Größen ρ, v0 , D sind für den gewählten Standort und das Investitionsvolu-
men fest stehende Werte, d.h. Konstanten. Die Luftströmungsgeschwindigkeit v hin-
ter dem Rotor hingegen ist eine durch Rotorblatt-Anstellwinkel steuerbare Größe, d.h.
eine Variable. Die Leistung P der WEA ist daher eine Funktion der Variable v.
Es soll bestimmt werden, wie groß die maximale Energieausbeute der WEA aus
dem Wind ist.
Die maximale Leistung stellt sich für die Bedingung dP/dv = 0 ein, weil P = f (v)
ist:
   
dP ρ 3 πD2 1 d v2 v
= v 1− 2 1+
dv 2 0 4  2 dv v0 v0
P0 =konst.
   
P0 2v v v2 1
= − 2 (1 + ) + 1 − 2
2 v0 v0 v0 v0
   
P0 v v2 v2 P0 − 2vv0 − 2v2 + v20 − v2
= −2 − 2 2 + 1 − 2 =
2v0 v0 v0 v0 2v0 v20
=0

⇒ −2vv0 − 2v2 + v20 − v2 = 0 − 3v2 − 2vv0 + v20 = 0


v0
Die Lösungen dieser quadratischen Gleichung sind v1 = und v2 = −v0 . Die zweite
3
Lösung macht physikalisch keinen Sinn, weil die Luft nicht gegen den Wind (wegen
des negativen Vorzeichens) zurück strömen kann! Die richtige Lösung lautet also v =
v0 /3, d.h. wenn die ungestörte Windgeschwindigkeit auf ein Drittel reduziert wird,
erreicht die WEA ihre maximale Leistung Pmax .
   
P0 (v0 /3)2 v0 /3
Pmax = 1− 1+ = 0,592 P0
2 v20 v0

P0 entspricht physikalisch der im Wind insgesamt vorhandenen kinetischen Energie.


Man kann also mit einer idealen reibungsfreien WEA (d.h. mit einem traumhaft hohen
Wirkungsgrad η = 1!) bestenfalls 59% der im Wind vorhandenen Energie nutzbar
machen.
112 3 Differentialrechnung

Anmerkung: Aufgrund unvermeidbarer Reibungsverluste und anderer Ursachen er-


reichen moderne Windkraftanlagen in Wirklichkeit ca. 40 − 50% Energieausbeute.

Beispiel 3.64:
In diesem Beispiel wollen wir eine sehr wichtige Zentralaussage der Mechanik un-
ter Verwendung von (3.21) herleiten: Die von einer Kraft an einem Körper geleistete
Arbeit entspricht der Änderung der kinetischen Energie dieses Körpers.

v1 v2
F

t1 t2
s u

Bekanntlich besteht zwischen der an einem Körper (Masse m) angreifenden Kraft F


und der Beschleunigung a des Körpers folgende Beziehung nach Newton:

F = ma a : momentane Beschleunigung (a)

ds d2 s
= ṡ = v = s̈ = a s : Wegstrecke v : Geschwindigkeit t : Zeit
dt dt 2
Unter Berücksichtigung von (3.21) erhalten wir aus (a):

1 d(ṡ2 ) 1 1
F = ma = ms̈ = m ⇒ ms̈ ds = m d(ṡ2 ) ⇒ F ds = m d(v2 )
2 ds 2 2
Nun integrieren wir die ganz recht stehende Beziehung in der obigen Zeile:
 
1
F ds = m d(v2 ) Arbeitsintegral
2

Diese Integralbeziehung gilt sowohl für konstante als auch nicht-konstante Kraft F.
Der Term F ds gibt die von der Kraft F entlang des von ihr zurückgelegten Weges
geleistete Arbeit wieder, s. auch Beispiel 5.71 auf Seite 258.

Sonderfall: Konstante Kraft F


Falls die einwirkende Kraft F konstant ist (auch a wäre dann konstant), läßt sich das
obige Arbeitsintegral leicht auswerten. Im Zeitintervall [t1 · · · t2 ] legt der Körper die
Gesamtstrecke u zurück. Die Integration liefert dann:

 t2 u 1 t2
1   1
F ds = m d(v2 ) ⇒ Fs = m v2  Fu = m (v22 − v21 ) (*)
2 0 2 t1 2
u t1
3.17 Technische Anwendungen 113

Die von der Kraft F auf dem Weg u geleistete Arbeit W beträgt:

W = Fu

Die kinetische Energie zum Zeitpunkt t1 sei mit Ekin,1 und zum Zeitpunkt t2 mit Ekin,2
bezeichnet. Wir haben also:
1 2 1 2
Ekin,1 = mv Ekin,2 = mv
2 1 2 2
Die finale Aussage dieser Ergebnisse lautet, dass die Änderung der kinetischen Ener-
gie eines sich infolge der Kraft F bewegenden Körpers gleich ist der von dieser Kraft
geleisteten Arbeit W :

W = Ekin,2 − Ekin,1

Freier Fall als Beispiel


Der oben hergeleitete Energiesatz soll jetzt auf eine punktförmige Masse angewandt
werden, die sich zum Zeitpunkt t1 = 0 in der Höhenlage h über dem Boden in Ruhe
befindet, d.h. die Anfangsgeschwindigkeit v1 ist Null (v1 = 0 m/s2 ). Gesucht ist ihre
Geschwindigkeit beim Berühren des Bodens.
Die auf die Masse einwirkende Kraft F bleibt während des gesamten Fallvorgangs
konstant und beträgt F = mg. Einsetzen dieses Ausdrucks in die obige Gleichung (*)
liefert mit v1 = 0 (abgekürzt schreiben wir v anstatt v2 und h anstelle von u):
1 
mg h = m (v2 − 02 ) ⇒ v= 2gh
2

Beispiel 3.65:
Ein elastisch gebetteter Balken ist ein schlanker Balken auf elastischer Unterlage (z.B.
ein Streifenfundament auf Erdreich, eine Eisenbahnschiene auf Traversen). Wir be-
trachten einen solchen langen Balken, der in der Mitte durch ein Einzelmoment M0
belastet wird. Nach den Gesetzmäßigkeiten der technischen Mechanik ist die Biegeli-
nie w(x) des Balkens durch folgende Beziehung gegeben:

λ 2 M0 −λ x 4 k
w(x) = e sin λ x wobei λ =
k 4EI
E und I sind der Elastizitätsmodul sowie das Trägheitsmoment des Balkens; k ist die
elastische Bettungskonstante. Gesucht ist die maximale Durchbiegung des Balkens für
die Werte M0 = 3 · 106 Nmm, EI = 1 · 1011 Nmm2 , k = 0,2 N/mm2 .
Mit diesen Zahlenwerten ergibt sich die Durchbiegungsformel zu:

λ = 0,000841 λ 2 M0 /k = 10,61 ⇒ w(x) = 10,61 e−λ x sin λ x

Für die Bestimmung der maximalen Durchbiegung ermitteln wir zunächst die erste
114 3 Differentialrechnung

Ableitung von w(x) und setzen sie gleich Null:

w = 10,61 λ e−λ x (cos λ x − sin λ x)

w (x0 ) = 0 ⇒ cos λ x0 − sin λ x0 = 0 ⇒ tan λ x0 = 1 d.h. λ x0 = π/4


Einsetzen von λ x0 = π/4 in der obigen Formel für die Durcbiegung liefert:
π
wmax = 10,61 e−λ x0 sin λ x0 = 10,61 e−π/4 sin
4
= 10,61 · 0,4560 · 0,7071 = 3,42 mm

Die Position der maximalen Durchbiegung erhält man zu:


π π
x0 = = = 933,9 mm (Position der maximalen Durchbiegung)
4λ 4 · 0,000841
Die Durchbiegungslinie des Balkens ist im folgenden Bild mit Hilfe von M APLE dar-
gestellt.

2
w

0 2000 4000 6000 8000 10000


x

Beispiel 3.66:
Ein Auto (Masse m) fährt mit konstanter Geschwindigkeit v in eine Strassenkurve, die
durch die Funktion y = 100 ln x (x in Metern und x > 0) beschrieben wird. Die auf
das Auto wirkende Zentrifugalkraft kann nach der Formel F = mv2 /ρ berechnet
werden. Diese Kraft F ist nicht konstant, weil der Krümmunsradius ρ der Kurve von
der momentanten Position des Wagens abhängt. Der Reibungsbeiwert zwischen den
Reifen und der Strasse beträgt μ. Die Reibungskraft FR zwischen den Autoreifen und
dem Asphalt (Rückhaltekraft) lässt sich nach der Formel FR = μ G = μ mg berechnen
(g : Erdbeschleunigung).
m = 1500 kg v = 162 km/h μ = 0,7 g = 9,81 m/s2
Bleibt das Auto auf der Strasse oder kommt es ins Schleudern?
3.17 Technische Anwendungen 115

Krümmungsradius ρ der Fahrbahn:


 3/2
1 + (y )2 100 −100
ρ= y = y =
|y | x x2
  2 1,5
100
1+
x (x2 + 1002 )1,5
⇒ ρ= =
100 100x
x2
Zentrifugalkraft auf das Auto:

mv2 3,0375 · 108 x


v = 162 km/h = 45 m/s ⇒ F= = 2
ρ (x + 1002 )1,5

Maximale Zentrifugalkraft Fmax :

F  = dF/dx = 0 Extremalbedingung

3,0375 · 108 (x2 + 1002 )1,5 − 3,0375 · 108 x · 1,5 (x2 + 1002 )0,5 · 2x
F = =0
(x2 + 1002 )3
3,0375 · 108 (x2 + 1002 )0,5 (x2 + 1002 − 3x2 )
F = =0
(x2 + 1002 )3
3,0375 · 108 (x2 + 1002 )0,5 (1002 − 2x2 )
F = =0
(x2 + 1002 )3
Der Ausdruck (x2 + 1002 )0,5 in der letzten Gleichung ist stets = 0, weil gemäß aufga-
benstellung x ≥ 0 gilt. Daher muss folgende Bedingung gelten, damit F  = 0 erfüllt
ist:

1002 − 2x2 = 0 ⇒ xm = 5000 = 70,71 m

Die größte Zentrifugalkraft tritt also an der Stelle xm = 70,71 m auf. Nach Einsetzen
116 3 Differentialrechnung

dieses Wertes in die Gleichung für F ergibt sich die Zentrifugalkraft Fmax zu:

3,0375 · 108 70,71


Fmax = = 11691 N
(70,712 + 1002 )1,5

Die auf das Auto wirkende Rückhaltekraft aufgrund der Reibung zwischen Reifen und
Straße beträgt:

FR = 0,7 · 1500 · 9,81 = 10300 N

Das Auto kommt in der Kurve ins Schleudern, weil Fmax > FR .

Beispiel 3.67:

Ein einfeldriger Biegebalken ist an seinem linken Ende gelenkig gelagert und am rech-
ten Ende eingespannt. Die Belastung ist die konstante Streckenlast q . Der Verlauf
des Biegemomentes M und der Durchbiegung w über die Balkenlänge ist durch fol-
gende Gleichungen gegeben. Gesucht ist der Größtwert des Biegemoments und der
Durchbiegung.
   
ql 2 3x x2 ql 4 x 3x3 2x4
M(x) = − w(x) = − 3 + 4
2 4l l 2 48EI l l l

Die Position xM des größten Moments Mmax lässt sich aus der 1. Ableitung bestimmen:
 
 ql 2 3 2x
M (x) = − =0 ⇒ xM = 0,375 l
2 4l l 2

Das maximale Biegemoment beträgt dann:


 
ql 2 3 · 0,375l (0,375l)2 9
Mmax = − = ql 2
2 4l l2 128

Die Position der größten Durchbiegung lässt sich aus folgender Bedingung berechnen:
 
ql 3 9x 2 8x 3
w (x) = 1− 2 + 3 = 0
48EI l l

Die Nullstelle dieser Funktion soll hier nicht analytisch, sondern numerisch bestimmt
werden. Hierfür soll das Newton-Verfahren benutzt werden. Die Funktion, deren Null-
stelle gesucht wird, lautet:
   
 9x2 8x3   18x 24x2
f (x) = w (x) = 1 − 2 + 3 = 0 f (x) = w (x) = − 2 + 3
l l l l
3.17 Technische Anwendungen 117

Die Newton-Iteration wird tabellarisch durchgeführt:

i xi /l fi = wi fi = wi


0 0,200 0,704 -2,640
1 0,467 -0,147 -3,173 ⇒ Nullstelle: xs = 0,422 l
2 0,420 0,005 -3,333
3 0,422 - -

Die größte Durchbiegung des Balkens beträgt:


 
ql 4 0,422 l 3(0,422 )3 2(0,422 l)4 2 ql 4
wmax = w(xs ) = − 3
+ 4
=
48EI l l l 369 EI

Beispiel 3.68:
Ein beidseitig gelenkig gelagerter Balken wird durch eine linear veränderliche Stre-
ckenlast q(x) = q0 (x/L) belastet. Der Verlauf der Durchbiegung w(x) über die Bal-
kenlänge ist durch folgende Gleichung gegeben:
 
ql 4 7x 10x3 3x5
w(x) = − 3 + 5
360EI l l l

wobei E : Elastizitätsmodul, I : Trägheitsmoment des Balkenquerschnitts, l die Bal-


kenlänge sind. Es soll die maximale Durchbiegung des Balkens bestimmt werden.

q = 100 kN/m l = 2m E = 2,1 · 108 kN/m2 I = 1,71 · 10−6 m4

Die Position der maximalen Durchbiegung wird über die erste Ableitung bestimmt.
   
 ql 3 30x2 15x4 30x2 15x4
w (x) = 7− 2 + 4 =0 ⇒ f (x) = 7 − 2 + 4 =0
360EI l l l l

Die Nullstelle x/l der Funktion f (x) wird mit dem Newton-Verfahren bestimmt.
 
60x 60x3 1 60x 60x3
f  (x) = − + = − +
l2 l4 l l l3

Als Startposition wählen wir x/l = 0,5, weil es aus Alltagserfahrung naheliegt, dass
die maximale Durchbiegung irgendwo in der Nähe der Feldmitte liegen sollte.
Nachfolgende Tabelle zeigt sehr schnelle Konvergenz des Newton-Verfahrens.

i xi /l fi fi
0 0,5000 0,4375 -22,500/l x
⇒ Nullstelle: = 0,5195
1 0,5194 0,0016 -22,757/l l
1 0,5195 - -
118 3 Differentialrechnung

Die maximale Durchbiegung ergibt sich dann zu:

ql 4  ql 4
max w = 7 · 0,5195 − 10 · 0,51953 + 3 · 0,51955 = 0,00652
360EI EI
Mit den vorliegenden Zahlenwerten erhält man:

100 · 2,04
max w = 0,00652 = 0,029 m ≡ 2,9 cm
2,1 · 108 · 1,71 · 10−6

Beispiel 3.69:
Die Biegelinie y des einseitig eingespannten Balkens unter der Einwirkung des äuße-
ren Biegemomentes M ist gegeben durch:

M 2
y = f (x) = x
2EI
y : vertikale Durchbiegung des Balkens
ϕ : Verdrehung des Balkenendes (rad)
E = 2,1 · 1011 N/m2 (Elastizitätsmodul)
I = 1 · 10−7 m4 (Trägheitsmoment)
L = 6 m (Balkenlänge )

Das äußere Biegemoment leistet während der Verdrehung des Balkenendes die Ar-
beit W = 12 Mϕ.
Wie groß muß das Moment M sein, damit die geleistete Arbeit genau W = 3600 Nm
beträgt? Anmerkung: Es soll vorausgesetzt werden, dass die Durchbiegung und die
Verdrehung des Balkens klein sind, so dass tan ϕ ≈ ϕ (ϕ in Bogenmaß) angenommen
werden darf.
Drehwinkel ϕ am Balkenende:

d  M 2 M 6M
y = x = x tan ϕ ≈ ϕ = y (x = L) =
dx 2EI EI 2,1 · 1011 · 10−7

1 6M 2
W = Mϕ = = 3600 ⇒ M = 5020 Nm
2 2 · 2,1 · 1011 · 10−7

Beispiel 3.70:
In vielen Gebieten der Physik, z.B. in der Mechanik (nichtlineares Tragverhalten, Opti-
mierung), Steuerungs- und Regelungstechnik, Flugmechanik spielt die Linearisierung
einer Funktion eine wichtige Rolle. Oft ist die Lösung des Problems in geschlosse-
ner Form nicht erreichbar. Eine Näherungslösung lässt sich aber meistens iterativ er-
reichen, indem die unabhängige Variable, z.B. die statische Belastung F, in kleine
Teilbeträge (Inkremente) unterteilt und die endgültige Tragwerksantwort (abhängige
Variable y) als Summe von entsprechend vielen Verformungsinkrementen berechnet
3.18 Aufgaben 119

wird:

F = ΔF1 + ΔF2 + · · · + ΔFn

y = Δy1 + Δy2 + · · · + Δyn mit Δy1 = f1 (ΔF1 ) Δy2 = f2 (ΔF2 ) ···

3.18 Aufgaben
1. Bestimmen Sie den Differenzenquotienten Δy/Δx folgender Funktionen.
Δy
a) y = 3x2 − x Lsg: = 6x + 3Δx − 1
Δx
Δy
b) y = 3x3 + x Lsg: = 9x2 + 9x(Δx) + 3(Δx)2 + 1
Δx
Δy
c) y = 2x3 − x2 Lsg: = 6x2 + 6x(Δx) + 2(Δx)2 − 2x − Δx
Δx
2. Bestimmen Sie die 1. Ableitung y folgender Funktionen.
2 sin x
a) y = 4x5 − tan2 x Lsg: y = 20x4 −
cos3 x
5x 5 − 10 x2
b) y = Lsg: y =
2x2 + 1 (2x2 + 1)2
c) y = 2 sin (5x + 3) Lsg: y = 10 cos (5x + 3)
2 √ √ 6 2 3
Lsg: y = 4 + √ +√
3 4
d) y = − 3 + 3 x2 + 4 x3 3 4
x x x x
2 ln x
e) y = ln2 x Lsg: y =
x
f) y = ln(cos x) Lsg: y = − tan x
1
g) y = ln(tan x) Lsg: y =
sin x cos x
cos x 1
h) y= Lsg: y = − 2
sin x sin x
i) y = e−1 e2x Lsg: y = 2 e2x−1 bzw. 0,7358 e2x
j) y = ex sin x Lsg: y = (sin x + x cos x) ex sin x
 
 sin x
k) y = xsin x Lsg: y = x sin x + cos x ln x
x
√ cos x
l) y = sin x Lsg: y = √
2 sin x


m) y = ex a2x Lsg: y = e a2x + 2a2x ln a
x

n) y = 2x ex cos x Lsg: y = 2ex (cos x + x cos x − x sin x)


o) y = x2 ex sin x Lsg: y = 2x ex sin x + x2 ex sin x + x2 ex cos x
120 3 Differentialrechnung

p) y = xa ex Lsg: y = xa−1 ex (x + a)
q) y = e2x a2x Lsg: y = ex a2x + 2 ln a a2x
r) y = x2 ex cos x Lsg: y = ex [x2 (cos x − sin x) + 2x cos x]
s) y = e3−5x e5x Lsg: y = 0
t) y = 2 (1 + cos x) e− cos x Lsg: y = sin 2x e− cos x
u) y = 2 (1 − cos x) e−2+cos x Lsg: y = sin 2x e−2+cos x
1 1 1
v) y = cosh Lsg: y = − 2 sinh
x x x
3. In der Liste auf Seite 777 sind unbestimmte Integrale (Stammfunktionen) für diverse Funk-
tionen (Integranden) angegeben. Überzeugen Sie sich, dass die erste Ableitung der jewei-
ligen Stammfunktion tatsächlich den Integranden liefert (auf diese Weise haben Sie eine
große Sammlung von Übungsaufgaben für die Differentiation!).
4. Die Schwingung eines gedämpften Schwingers (s. Seite 414) wird durch die Gleichung
u = e−2t sin(4t + 5) beschrieben, wobei u die momentane Auslenkung der Schwingermas-
se und t die Zeit bedeuten (Einheiten in m und s). Wie groß ist die Beschleunigung des
Schwingers zum Zeitpunkt t = 0?

Geschwindigkeit: u̇(t) = −2e−2t sin(4t + 5) + 4e−2t cos(4t + 5)

Beschleunigung: ü(t) = −12e−2t sin(4t + 5) − 16e−2t cos(4t + 5)


Beschleunigung zum Zeitpunkt t = 0 : ü(0) = 6,97 m/s2

5. Zeigen Sie, dass man die Quotientenregel (3.12) auf Seite 64 auch aus der Produktregel
(3.9) auf Seite 63 herleiten kann, wenn auf den v−1 -Term die Kettenregel angewandt wird.
6. Versuchen Sie die Quotientenregel (3.12) auf Seite 64 mathematisch strenger als in der vor-
angehenden Aufgabe herzuleiten. Tipp: a) Gehen Sie dabei in Anlehnung an das Beispiel
3.36 für die Produktregel auf Seite 94 vor, b) Addieren Sie im Zähler diesmal den Ausdruck
−u(x) v(x) + u(x) v(x) hinzu.
7. Bestimmen Sie die erste Ableitung y folgender Funktionen in Parameterform (p : Parame-
ter).
p+1 p−1 dy
a) x= y= Lsg: y = = −1
p p dx
dy cos p − sin p
b) x = e p sin p x = e p cos p Lsg: y = =
dx cos p + sin p
8. Bestimmen Sie die Geradengleichung der Tangente der Funktionskurve y = e−x/2 sin 4x
an der Stelle x = −π/2.
Lsg: Steigung: y (−π/2) = 8,773 Gleichung der Tangente: y = 8,773x + 13,78
6−x
9. Gegeben ist die Funktion y = ln 2 . Ermitteln Sie die Gleichung der Normalen an die
x
Funktionskurve bei x = −3. Lsg: y = −1,8x − 5,4
3.18 Aufgaben 121

10. Gegeben ist eine Kurve y = sin2 x.


Berechnen Sie den Schnittpunkt der Normalengeraden der Kurve, die an der Stelle x0 = 2
gebildet wird, mit der x-Achse.
y0 = y(2) = 0,8268 y = 2 sin x cos x y (2) = −0,7568
mn = −1/y (2) = 1,3213 Normale: y = m(x − x0 ) + y0
Gleichung der Normalengeraden: y = 1,3213 (x − 2) + 0,8268 = 1,3213 x − 1,8159
Der Schnittpunkt ergibt sich aus ys = 0 : 1,3213 xs − 1,8159 = 0 ⇒ xs = 1,374

11. Gegeben ist die Kurvenfunktion y = 2sin2 x. Berechnen Sie die Koordinaten des Schnitt-
punktes der Normale der Kurve y für x0 = 0,9 mit der x-Achse.
12. Bestimmen Sie für t = π/2 die Steigung der Kurve, die in folgender Parameterdarstellung
definiert ist.

x = f (t) = 6 sin t + 4 sin 2t y = g(t) = −6 cos t − 8 cos3 t

ẏ dx dy ẏ(π/2) 6 3
Lsg: y = mit ẋ = ẏ = y (π/2) = = =−
ẋ dt dt ẋ(π/2) −8 4

13. Bestimmen Sie die 1. Ableitung folgender impliziter Funktionen.


−x
a) x2 + y2 − r2 = 0 Lsg: y = √
r 2 − x2
x 2 y2 2
b) + − 1 = 0 Lsg: y  = −b x
a2 b2 a2 y
3x2
c) y sin y − x3 = 0 Lsg: y =
sin y + y cos y
−2xy
d) x2 y + y2 = 1 Lsg: y = 2
x + 2y
3y − 2x
e) x2 + y3 − 3xy = 1 Lsg: y = 2
3y − 3x
−3y2 + 2x
f) xy3 − 3xy2 + x2 = 0 Lsg: y =
6xy
2x − 2y − 1
g) (x − y)2 − x − y + 1 = 0 Lsg: y =
2x − 2y + 1
ey
h) y − 1 − xey = 0 Lsg: y =
2−y
(x − 1)y
i) ex+y − xy = 0 Lsg: y =
x(1 − y)
sin y
j) x sin y − cos y + cos 2y = 0 Lsg: y =
2 sin 2y − x cos y − sin y
1 − 2x2
k) ln(x + y) − x2 = 0 Lsg: y =
2x
122 3 Differentialrechnung

14. Bestimmen Sie die 2. Ableitung y folgender Funktionen.


a) y = 3e−4x Lsg: y = 48 e−4x
b) y = 2x3 e−x Lsg: y = (12x − 12x2 + 2x3 ) e−x
1
c) y = x ln x Lsg: y =
x
ln x −3 + 2 ln x
d) y= Lsg: y =
x x3
e) y = et cos t Lsg: ÿ = −2 e sin t
t

f) y=e x2 −2x+1 Lsg: y = (4x2 − 8x + 6) ex


2 −2x+1

12 2 (3x2 − 2)2
g) y = 2 ln(x3 − 2x) Lsg: y = −
x2 − 2 (x3 − 2x)2
h) y = tan x Lsg: 
y = 2 tan x(1 + tan2 x)

i) y = sin2 x + cos2 x) Lsg: y = 0
y = (2 + 4x2 )ex
2 2
j) y = ex Lsg:
k) y = e2 ln x Lsg: y = 2
15. Bestimmen Sie den numerischen Wert der angegebenen Ableitung.
a) y = x ln x y (1) =?
Lsg: y = −1/x2 y (1) = −1

x ex − x 2
b) y= y (0) =?
x − ex
Lsg: y = −1 y (0) = −1

x ex − x 2
c) y= y (1) =?
x + ex
2ex (x2 − x) + e2x − x2
Lsg: y = y (1) = 0.4621
(x + ex )2
d) y = ln tan x y (π/2) =?
1 1
Lsg: y = − y (π/2) = −1
cos2 x sin2 x
 
1 x
e) y = 1+ y (1) =?
x      
1 x 1 1
Lsg: y = 1 + ln 1 + − y (1) = 0,3863
x x x+1
3.18 Aufgaben 123

16. Berechnen Sie die Wendepunkte folgender Funktionen.


 2
1 x−μ
1 −
a) y = √ e 2 σ (Gauss-Kurve)
σ 2π
Lsg: Aus f  (x) = 0 folgt die Position der Wendepunkte: x = μ ± σ .
Bedingungen für Wendepunkt: f  (μ ± σ ) = 0  f  (μ ± σ ) = 0 
b) y = sin2 x (nur der erste Wendepunkt für x > 0 gesucht)
Lsg: Wendepunkt bei x = π/4 f  (π/4) = 0  f  (π/4 = 0 

17. Bestimmen Sie die maximale Druckfestigkeit σmax des Betons C25/30, dessen Spannungs-
Dehnungslinie (σ -ε-Linie) in Beispiel 2.5 auf Seite 26 angegeben ist.
Lsg: σmax = 25 N/mm2 bei ε0 = 0,0022.

18. Die Druck-Zeit-Funktion eines explosiven Stoffes ist für t ≥ 0 durch die Funktion p(t) =
te−t gegeben. a) Bestimmen Sie den höchsten Druck pmax , b) Zeigen Sie, dass es sich um
2

ein Maximum handelt, c) Stellen Sie die Funktionskurve im Intervall 0 ≤ t ≤ 3 grafisch


dar.
dp
= (1 − 2t 2 )e−t = 0
2
Lsg: ṗ = ⇒ t0 = 0,7071 pmax = p|t=t0 = 0,429
dt
19. Ein Kind wirft einen Stein vertikal nach oben mit der Anfangsgeschwindigkeit v0 . Der
Luftwiderstand wird vernachlässigt. Die vom Stein zurückgelegte Strecke s als Funktion
der Zeit lautet s(t) = v0 t − gt 2 /2 . Bestimmen Sie die maximale Steighöhe des Steins.
Lsg: smax = v20 /2g

20. Berechnen Sie die Extrema folgender Funktionen (Sie sollten die Wurzeln der entstehen-
den Gleichungen nach Möglichkeit analytisch berechnen). Zur visuellen Kontrolle Ihrer Be-
rechnung wird empfohlen, die Funktionen mit Hilfe eines Plotsoftware zusätzlich grafisch
darzustellen.
a) y = 1 + 5x − 4x2 x≥0 Lsg: Maximum bei x0 = 0,625, ymax = 2,5625
b) y = 1 + 5x + x2 − 4x3
Minimum bei x0 = −0,5675, ymin = −0,7844
Maximum bei x0 = 0,7342, ymax = 3,6270
14 (x + 1)
c) y = √ x≥0
x
Minimum bei x0 = 1, ymin = 28
d) y = 1 + sin x cos3 x Gesucht sind nur die Extremwerte im x-Intervall [0; 2].
Maximum bei x0 = 0,5236, ymax = 1,3248
Sattelpunkt bei x0 = 1,5708, y0 = 1,0000
e) y = 3 e−(x−π)2 x≥0 Lsg: Maximum bei x0 = π, ymax = 3
124 3 Differentialrechnung

3 4
f) y = + 0,1 ≤ x ≤ 1,5
sin x cos x
Lsg: Minimum bei x0 = 0,7375, ymin = 9,866
e−x
g) y = 0 ≤ x ≤ 1,4.
cos x
Lsg: Minimum bei x0 = 0,7854, ymin = 0,6448
e−x
h) y = 1 ≤ x ≤ 3,1.
sin x
Lsg: Minimum bei x0 = 2,356, ymin = 0,134
5e−(x+1)
2
i) y = Lsg: Maximum bei x0 = −1, ymax = 5

21. Berechnen Sie das lokale Extremum folgender Funktionen im angegebenen Intervall. Für
die Bestimmung der Extremwertposition sollte ein numerisches Verfahren, z.B. Regula-
Falsi oder Newton-Verfahren, angewendet werden. Stellen Sie zusätzlich mit Hilfe eines
Kurvenplotprogramms den jeweiligen Funktionsverlauf im angegebenen Intervall grafisch
dar.
a) y = (1 + x) cos x [0; 2].
Lsg: Maximum bei x0 = 0,5678, ymax = 1,3218.
b) y = ex − e−x − sin 3x [0; 0,4].
Lsg: Minimum bei x0 = 0,2693, ymin = −0,1777.
c) y = e−x sin x [0,5; 1,2].
Lsg: Maximum bei x0 = 0,7854, ymax = 0,3224.
d) y = ln xsin x [0,2; 0,6].
Lsg: Minimum bei x0 = 0,3522, ymin = −0,36.
e) y = esin x/(x+cos x) [0; 3].
Lsg: Maximum bei x0 = π/2, ymax = 1,89.
f) y = ln xsin x [1,5; 2,5].
Lsg: Maximum bei x0 = 2,1276, ymax = 0,641.
ex
g) y = [1,2; 2,5].
ln x
Lsg: Minimum bei x0 = 1,7632, ymin = 10,28.

22. Entwickeln Sie folgende Funktionen an der Stelle x0 = 0 in Taylor-Reihen 4. Ordnung.


√ 1 2
a) f (x) = sin x b) f (x) = 1+x c) f (x) = √ d) f (x) = ex
1+x
x3 x x2 x3 5 x4
a) fT (x) = x − b) fT (x) = 1 + − + −
6 2 8 16 128
x 3x2 5x3 35x4 x 4
c) fT (x) = 1 − + − + d) fT (x) = 1 + x2 +
2 8 16 128 2
3.18 Aufgaben 125

23. Entwickeln Sie folgende Funktionen in eine Taylor-Reihe (n = 6) bei x0 = 0 .


a) f (x) = cos x b) f (x) = tan x c) f (x) = cot x d) f (x) = sinh x

x2 x4 x6 x3 2 x5
a) cos x = 1 −+ − b) tan x = x + +
2! 4! 6! 3 15
1 x x 3 2 x5 x3 x5
c) cot x = − − − d) sinh x = x + +
x 3 45 945 3! 5!
24. Bestimmen Sie für folgende Funktionen ihre Taylor-Reihe an der Stelle x = x0 der Ordnung
n. Stellen Sie mit Hilfe von M APLE die Funktion und ihre Taylor-Reihe in der näheren
Umgebung von x0 graphisch dar.
a) y = 1/x x0 = 1 n=3 Lsg: y = 1 − (x − 1) + (x − 1)2 − (x − 1)3
1
b) y = e−x cos x x0 = 0 n=2 Lsg: y = 1 − x + x3
3
1 1
c) y = ln x x0 = 1 n=3 Lsg: y = x − 1 − (x − 1)2 + (x − 1)3
2 3
d) y = sin(x2 ) x0 = 1 n=3 Lsg: y = 0,8415 + 1,081(x − 1) − 1,143(x − 1)3
25. Die von der harmonisch schwingenden Masse eines mechanischen Feder-Masse-Dämpfer-
Systems beschriebene Wegstrecke x, d.h. die von der Masse momentan eingenommene
Position x, ist als Funktion der Zeit t gegeben gemäß der Bewegungsgleichung x(t) =
e−t sin πt (t in Sekunden).
a) Bestimmen Sie die Position x , Geschwindigkeit v und Beschleunigung a der Masse
zum Zeitpunkt t = 0,3 s.
b) Bestimmen Sie die Position x der Masse zum Zeitpunkt t = 0,4 s mit Hilfe einer
a. exakten Berechnung,
b. Näherungberechnung, indem die Bewegungsgleichung x(t) zum Zeitpunkt
t = 0,3 s linearisiert wird?
a) x(0,3) = 0,599 m v(0,3) = 0,769 m/s a(0,3) = −8,052 m/s2
b) a. Exakte Lösung: x(0,4) = 0,637 m
b. Näherungslösung: x(0,4) = 0,676 m

26. Zeigen Sie mit Hilfe der Taylor-Reihe bei x0 = 0 die Richtigkeit folgender Beziehungen.
a) (sin x) = cos x (für n = 7)
x2
b) cosh x ≈ 1 + (für kleine Werte von x)
2
126 3 Differentialrechnung


27. In der linearen Statik von Konstruktionen treten Ausdrücke auf wie z.B. 2 1 + ε. Dabei
wird vorausgesetzt, dass die Dehnung des Werkstoffs ε sehr klein ist, z.B. ε =√0,001. Bei
solchen Wurzelausdrücken, in denen ε  1 ist, wird anstelle des Ausdrucks 2 1 + ε der
wesentlich einfachere Näherungsausdruck 1 + ε/2 verwendet (s. auch Formel (1.2) auf
Seite 1). Zeigen Sie mit Hilfe der MacLaurin-Reihe, dass diese Näherungsbeziehung richtig
ist.
28. Bestimmen Sie die 1. Ableitung y folgender Funktionen, indem Sie die Potenzreihe der
jeweiligen Funktion ableiten.
a) y = ex
b) y = sin x
29. Bestimmen Sie für folgende Funktionen ihre MacLaurin-Reihe der Ordnung n.
a) y = e−x n=3 b) y = ex sin x n=3 c) y = tan x n=3

d) y = ex sin x n=3 e) y = (ex − 1)2 n=2 f) y = sin2 x n=3

g) y = ln(x + 1) n=3 h) y = x2 ex n=3

x2 x 3 x3
a) y = 1 − x + − b) y = x + x2 +
2 6 3
x3
c) y = x + d) y = 1 + x2
3
x4 2 6
e) y = 2,952 + 9,342(x − 1) + 12,060(x − 1)2 f) y = x2 − + x
3 45
x2 x3 x4
g) y = x − + h) y = x2 + x3 +
2 3 2
30. Berechnen Sie folgende unbestimmte Ausdrücke mit Hilfe der Regel von l’Hospital.
Anmerkung: Kontrollieren Sie zuerst, ob der jeweilige Ausdruck grenzwertig auf die Form 0/0 oder
∞/∞ führt; ggf. müssen Sie durch geeignete Umformung des Ausdrucks zunächst auf eine dieser
Formen kommen, dann können Sie die Regel von l’Hospital anwenden.
1 − ex
a) limx→0 Lsg: −1
x
ex
b) limx→∞ Lsg: ∞
x
ex − 1
c) limx→0 Lsg: 1
sin x
ln(x − 1)
d) limx→∞ Lsg: 0
x
xn+1 − 1
e) limx→1 Lsg: n + 1
x−1
ln x
f) limx→∞ Lsg: 0
x
3.18 Aufgaben 127

sin(n − m)π
g) limm→n =π Lsg: π
n−m
 
cos(1 − n)π cos 2(1 − n)π
h) limn→1 − =0 Lsg: 0
1−n 1−n
 
t
i) limt→∞ − t + −1/t Lsg: 1
e
31. Lösen Sie folgende Gleichungen im angegebenen Bereich mit Hilfe des Newton-Verfahrens.

a) x − tan x = 0 4,4 ≤ x ≤ 4,6 Lsg: x = 4,493


b) x + tan x = 0 1,7 ≤ x ≤ 2,5 Lsg: x = 2,029
1
c) − ln x = 0 1,4 ≤ x ≤ 3,0 Lsg: x = 1,7632
x
d) e2x − sin x − 4 = 0 0,5 ≤ x ≤ 1,2 Lsg: x = 0,7736
e) x3 − 1200 x2 + 4,725 · 105 x − 6,0775 · 107 = 0 350 ≤ x ≤ 450 Lsg: x = 436,465
4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

4.1 Einführung

Matrix als rechteckige Anordung von Elementen


Die Grundlage der linearen Algebra ist der Begriff einer Matrix (Mehrzahl: Matrizen). Unter ei-
ner Matrix versteht man ein System von Größen, die in einem rechteckigen Schema angeordnet
sind. In diesem Schema werden die horizontalen Reihen als Zeilen, und die vertikalen Reihen
als Spalten der Matrix bezeichnet. Bei den als Matrix angeordneten Größen kann es sich um
Zahlen, Variablen oder auch Funktionen handeln. Jeder Eintrag in der Matrix ist ein Matrixele-
ment, wobei das eine Element eine Zahl, während ein anderes Element eine Variable, sogar ein
Funktionsausdruck, sein kann.
Die rechteckförmige Anordnung der Elemente ai j ( i = 1 . . . m, j = 1 . . . n) in einer m × n
Matrix erfolgt nach folgendem Schema:

Sp. 1 Sp. 2 . . . Sp. n


↓ ↓ ↓
⎡ ⎤ ⎛ ⎞
Zeile 1 → a11 a12 . . . a1n a11 a12 ... a1n
Zeile 2 → ⎢
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥⎥

⎜ a21 a22 ... a2n ⎟

.. ⎢ . .. .. ⎥ oder ⎜ .. .. .. ⎟
. ⎣ .. . . ⎦ ⎝ . . . ⎠
Zeile m → am1 am2 . . . amn am1 am2 . . . amn
In diesem Buch wird die Schreibweise mit eckigen Klammern verwendet. Die Nummerierung
der Zeilen erfolgt von oben nach unten (beginnend mit 1), die der Spalten von links nach rechts
(ebenfalls mit 1 beginnend).
Die Gesamtzahl von Elementen einer Matrix ergibt sich aus

Anzahl der Elemente = Anzahl der Zeilen × Anzahl der Spalten

Eine Matrix mit m Zeilen und n Spalten hat also m × n Elemente. Man spricht deshalb auch von
einer m × n-Matrix.
Mit dem Symbol ai j wird dasjenige Matrixelement bezeichnet, das sich in der i-ten Zeile
und der j-ten Spalte der Matrix befindet. Die Zählvariablen i und j werden als Indexvariablen
des Elementes bezeichnet. Der erste Index i gibt die Zeilennummer und der zweite Index j die
Spaltennummer des Elementes innerhalb der Matrix an.
Matrizen werden symbolisch mit fetten Großbuchstaben gekennzeichnet, z.B. A , R , X usw.
Anstelle eines fetten Buchstabens kann auch ein unterstrichener Buchstabe verwendet werden,
z.B. A, R, X . Nicht selten ist auch die Schreibweise [A ], [R ], [X] . Ebenfalls sieht man in der
mathematischen Literatur folgende Schreibweisen für eine m × n Matrix:

[ai j ] (ai j ) [ai j ]i=1...m, j=1...n (ai j )i=1...m, j=1...n

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_4,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
130 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Beispiel 4.1:
Nachfolgend sind einige Beispiele für Matrizen gegeben.
   
a11 a12 5 1
A=A= = 2 × 2-Matrix
a21 a22 3 8
   
b11 b12 b13 4 1 3
B=B= = 2 × 3-Matrix
b21 b22 b23 −2 6 5
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
c11 c12 2 3
C = C = ⎣ c21 c22 ⎦ = ⎣ −2 4 ⎦ 3 × 2-Matrix
c31 c32 5 8
 
3 x y
D=D= 2 × 3-Matrix
−x 6 5
⎡ ⎤
sin α x y
E = E = ⎣ −2 cos x 5 ⎦ 3 × 3-Matrix
−x 8 tan α
 
sinh x −1 0
F =F = √ 2 × 3-Matrix
ln x 4 e2x

Bedeutung der Matrizen in der Physik


Matrizen erlauben eine außerordentlich kompakte symbolische Darstellungsweise und gestatten
auf diese Weise, komplizierte Beziehungen zwischen mehreren Größen (mitunter sogar zwischen
mehreren Millionen Größen) in symbolischer Schreibweise auszudrücken. Selbst verwickelte Zu-
sammenhänge und Operationen lassen sich mit Hilfe der Matrixrechnung übersichtlich darstellen.
Eine Matrix besteht zwar aus vielen (sogar sehr vielen) Elementen, dennoch lässt sie sich in ma-
thematischen Berechnungen trotzdem als eine eigenständige Einheit behandeln – darin liegt ihre
besondere Stärke.
Matrizen besitzen auch besondere Kenngrößen und Merkmale (z.B. Determinante, Spur, Ei-
genwert und Eigenvektor), welche in diesem Kapitel vorgestellt werden. Diese sind wichtig bei
der Aufstellung und Lösung technisch wissenschaftlicher Probleme. Ohne Matrizen wären die
modernen, heute als selbstverständlich betrachteten, Berechnungsmethoden der Physik und Me-
chanik (Statik, Dynamik, Stabilität, Strömungsmechanik, Wärmeleitung, Industrieroboter, elek-
trische Schaltkreise, Magnetismus usw.) gar nicht möglich gewesen.
Matrizen bilden das Kernstück der Finite Elemente Methode (FEM). Die FEM ist eine univer-
selle Methode für die Computer-basierte numerische Lösung von physikalischen Problemen und
ist auch im Maschinenbau, Bauingenieurwesen und der Automobiltechnik das unverzichtbare
Analysewerkzeug des Berechnungsingenieurs.
4.2 Definitionen für Matrizen 131

4.2 Definitionen für Matrizen

Dimension einer Matrix


Bei einer Matrix mit m Zeilen und n Spalten ist m die Zeilendimension und n die Spaltendi-
mension der Matrix. Der Ausdruck m × n kann deshalb als Dimension der Matrix angesehen
werden. Die Reihenfolge in m × n ist wichtig: Eine m × n Matrix und eine n × m Matrix besit-
zen nicht die gleiche Dimension!

Quadratische Matrix
Eine Matrix A wird quadratisch genannt, wenn sie die gleiche Anzahl von Zeilen und Spalten hat,
d.h. die Dimension n × n besitzt.
⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n ⎡ ⎤
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ 2 −1 5
⎢ ⎥
A=⎢ . .. .. .. ⎥ Bsp: A = ⎣ −1 4 1 ⎦
⎣ .. . . . ⎦ 1 2 3
an1 an2 . . . ann

Zeilenmatrix (Zeilenvektor)
Eine Matrix mit der Dimension 1 × n heißt Zeilenmatrix bzw. Zeilenvektor, denn sie besteht aus
1 Zeile und n Spalten.
   
x = x1 x2 . . . xn Bsp: x = 2 −3 5 4 1 × 4-Matrix

Oft werden Vektoren in fetten Kleinbuchstaben angegeben, z.B. x oder y . Anstelle des Fettbuch-
stabens kann auch ein Buchstabe mit Unterstrich verwendet werden, z.B. x, y.
Anmerkung: Wenn wir in der linearen Algebra von einem »Vektor« sprechen, dann ist damit
nicht der klassische Vektor (Linie mit Pfeil) gemeint. Ein Vektor in der linearen Algebra kann
(und das kommt in der Ingenieurpraxis extrem häufig vor) mehr als 3 Komponenten haben, er
muss also nicht zwingend geometrisch anschaulich sein.

Spaltenmatrix (Spaltenvektor)
Eine Matrix mit der Dimension n × 1 heißt Spaltenmatrix bzw. Spaltenvektor, sie besteht aus n
Zeilen und 1 Spalte.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
y1 2
⎢ y2 ⎥ ⎢ −3 ⎥
⎢ ⎥
y=⎢ .. ⎥ Bsp: y=⎢
⎣ 5 ⎦
⎥ 4 × 1-Matrix
⎣ . ⎦
yn 4

Nullmatrix 0
In einer m × n Nullmatrix 0 sind alle Elemente gleich Null.
132 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

⎡ ⎤ Bsp:
0 0 ... 0
⎢ Das Ergebnis der Matrixoperation B − B
⎢ 0 0 ... 0 ⎥⎥
0=⎢ .. .. .. .. ⎥ ist die Nullmatrix 0 :
⎣ . . . . ⎦
0 0 ... 0 B −B
B =0

Gleichheit von zwei Matrizen


Zwei Matrizen A = [ai j ] und B = [bi j ] sind gleich, d.h. A = B , wenn sie beide von der gleichen
Dimension m × n sind (d.h. ihre Zeilenanzahl m und ihre Spaltenanzahl n jeweils übereinstim-
men) und die korrespondierenden Matrixelemente gleich sind.

A =B wenn ai j = bi j für i = 1,2, . . . , m und j = 1,2, . . . , n

Beispiel 4.2:
a) Folgende Matrizen sind gleich.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 3 2 3
A=⎣ 3 5 ⎦ B=⎣ 3 5 ⎦ A =B
8 1 8 1

b) Folgende Matrizen sind nicht gleich, weil ihre Dimension nicht gleich ist.
⎡ ⎤
2 3  
2 3 8
A=⎣ 3 5 ⎦ B= A = B weil A : (3 × 2) B : (2 × 3)
3 5 1
8 1

c) Eine Zeilenmatrix und eine Spaltenmatrix sind grundsätzlich ungleiche Matrizen,


selbst wenn ihre Elemente identische Zahlenwerte enthalten. Grund: Ihre Dimen-
sionen stimmen nicht überein (Zeilenmatrix: 1 × n , Spaltenmatrix: n × 1 ).
⎡ ⎤
  2
A= 2 4 −3 B=⎣ 4 ⎦ A = B
−3

Hauptdiagonale einer Matrix


Die Elemente a11 , a22 , · · · , ann (d.h. aii mit i = 1 . . . n ) einer quadratischen n × n Matrix A
bilden die Hauptdiagonale von A . Die Hauptdiagonale beginnt mit dem ersten Element oben
links und verläuft diagonal zum letzten Element unten rechts. Die Elemente der Hauptdiagonale
können auch als ein Vektor (entweder als Spaltenvektor oder als Zeilenvektor) dargestellt werden.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1 5 2  
⎢ ⎥
Bsp: A=⎣ 3 4 7 ⎦ diag A = ⎣ 4 ⎦ bzw. diag A = 2 4 3
6 2 3 3
4.2 Definitionen für Matrizen 133

Diagonalmatrix

Eine Diagonalmatrix ist eine Matrix mit der Dimension n × n, wobei ihre Elemente außerhalb
der Hauptdiagonalen alle gleich Null sind (einzelne Elemente auf der Hauptdiagonale dürfen
aber natürlich ebenfalls Null sein).
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 0 . . . 0 2 0 0 0 1 0 0 0
⎢ 0 a22 . . . 0 ⎥ ⎢ 0 3 0 ⎥ ⎢ 0
⎢ ⎥ 0 −1 0 0 ⎥
A=⎢ . .. ⎥ Bsp: A=⎢ ⎣

⎦ B=⎢
⎣ 0

0 0 4 ⎦
.. ..
⎣ .. . . . ⎦ 0 0 8 0
0 0 . . . ann 0 0 0 −4 0 0 0 2

Matrix A ist eine Diagonalmatrix, Matrix B hingegen nicht (wegen 4 in der dritten Zeile).

Anmerkung: Diagonalmatrix und »Diagonale einer Matrix« sind verschiedene Begriffe! Eine
Diagonalmatrix besitzt die Dimension n × n, während die Diagonale einer Matrix ein Vektor ist,
d.h. die Dimension n × 1 (bzw. 1 × n ) hat.

Einheitsmatrix I

Eine spezielle Diagonalmatrix ist die Einheitsmatrix I . Sie hat die Dimension n × n, ihre Haupt-
diagonalelemente haben den Zahlenwert 1, alle anderen Elemente sind Null (ai j = 1 für i = j
und ai j = 0 für i = j). Für die Einheitsmatrix werden in der Literatur anstelle von I auch die
Symbole E oder 1 verwendet.
⎡ ⎤
1 0 ... 0
⎢ 0 1 ... 0 ⎥
⎢ ⎥
I =⎢ .. .. . . . ⎥
⎣ . . . .. ⎦
0 0 ... 1

Symmetrische Matrix

Eine Matrix ist dann symmetrisch, wenn sie die Dimension n × n hat (also quadratisch ist) und
für alle Matrixelemente die Beziehung ai j = a ji gilt. Bei einer symmetrischen Matrix stellt
die Hauptdiagonale eine Symmetrielinie dar. Als Merkregel kann folgendes dienen: Man stellt
sich die Hauptdiagonale wie eine Spiegelebene vor und prüft, ob Originalbild und Spiegelbild
identisch sind.

symmetrisch unsymmetrisch
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 3 8 2 3 8
A=⎣ 3 5 −1 ⎦ B = ⎣ 3 5 −1 ⎦ a32 = −a23 !
8 −1 6 8 1 6
134 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Antimetrische Matrix

Eine quadratische Matrix wird antimetrisch bzw. schiefsymmetrisch genannt, wenn für ihre Ele-
mente gilt: aii = 0 (d.h. Hauptdiagonale ist Null) und ai j = −a ji für i = j .
⎡ ⎤
0 3 −8
A = ⎣ −3 0 −1 ⎦
8 1 0

Negative Matrix

Die negative Matrix −A


A entsteht aus der Matrix A , indem alle Elemente von A mit −1 multi-
pliziert werden.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 ... a1n −a11 −a12 ... −a1n
⎢ a21 a22 ... a2n ⎥ ⎢ −a21 −a22 ... −a2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. .. ⎥ −A
A=⎢ .. .. .. .. ⎥
⎣ . . . . ⎦ ⎣ . . . . ⎦
am1 am2 . . . amn −am1 −am2 . . . −amn

Spur einer Matrix

Die Spur einer n × n Matrix A , bezeichnet als tr A (Englisch trace), ist die algebraische Summe
der Hauptdiagonalelemente von A . Die Spur steht mit den Eigenwerten einer Matrix in einem
speziellen Zusammenhang, s. Formel (13.14) auf Seite 644.

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n 2 5 7 −3
⎢ . . . a2n ⎥ ⎢ −1
⎢ a21 a22 ⎥ 3 4 0 ⎥
A=⎢ .. .. .. ⎥ A=⎢
⎣ 6

⎣ . .
..
. . ⎦ 9 8 2 ⎦
an1 an2 . . . ann 5 1 2 −1

tr A = a11 + a22 + . . . + ann tr A = 2 + 3 + 8 − 1 = 12

Obere Dreiecksmatrix

Eine quadratische Matrix wird obere Dreiecksmatrix genannt, wenn alle Elemente unterhalb
ihrer Hauptdiagonale Null sind ( ai j = 0 für alle i > j ).
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 a13 a14 2 3 0 1
⎢ 0 a22 a23 a24 ⎥ ⎢ 0 5 −1 9 ⎥
A=⎢
⎣ 0
⎥ A=⎢ ⎥
0 a33 a34 ⎦ ⎣ 0 0 6 2 ⎦
0 0 0 a44 0 0 0 4
4.2 Definitionen für Matrizen 135

Untere Dreiecksmatrix
Eine quadratische Matrix wird untere Dreiecksmatrix genannt, wenn alle Elemente oberhalb
ihrer Hauptdiagonale Null sind ( ai j = 0 für alle i < j ).
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 0 0 0 2 0 0 0
⎢ a21 a22 0 0 ⎥ ⎢ 3 4 0 0 ⎥
A=⎢
⎣ a31
⎥ A=⎢ ⎥
a32 a33 0 ⎦ ⎣ 1 −9 7 0 ⎦
a41 a42 a43 a44 8 0 1 6

Einheitsvektor e i
In einem Einheitsvektor e i sind alle Elemente gleich Null mit Ausnahme des i-ten Elements,
welches gleich 1 ist (e j = 1 für j = i, e j = 0 für j = i).
Spalteneinheitsvektor: Zeileneinheitsvektor:
Bsp: Bsp:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤  
1 0 0 e1 = 1 0 0 0 0 ... 0
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ 0 ⎥ ⎢ 1 ⎥ ⎢ 0 ⎥  
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ e2 = 0 1 0 0 0 ... 0
⎢ 0 ⎥ ⎢ 0 ⎥ ⎢ 1 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥  
e1 = ⎢

0 ⎥
⎥ e2 = ⎢

0 ⎥
⎥ e3 = ⎢

0 ⎥
⎥ e3 = 0 0 1 0 0 ... 0
⎢ 0 ⎥ ⎢ 0 ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ .. ⎥ ⎢ .. ⎥ ⎢ .. ⎥
⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
0 0 0
Zerlegung von Matrizen in Zeilen- und Spaltenvektoren
Eine m × n Matrix kann in m Zeilenvektoren bzw. in n Spaltenvektoren zerlegt werden (welche
Zerlegungsvariante gewählt wird, hängt von der Anwendung ab):
Zerlegung in Zeilenvektoren: Zerlegung in Spaltenvektoren:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤  
a11 a12 ... a1i ... a1n z1 A= s1s2 . . . si . . . sn
⎢ ... ... ⎥ ⎢ ⎥
⎢ a21 a22 a2i a2n ⎥ ⎢ z2 ⎥ ⎡ ⎤
⎢ .. .. .. .. .. ⎥ ⎢ .. ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ a1i
⎢ . . . . . ⎥ ⎢ . ⎥ ⎢ a ⎥
A=⎢ ⎥=⎢ ⎥ ⎢ 2i ⎥
⎢ ai1 ai2 ... aii ... ain ⎥ ⎢ zi ⎥ ⎢ . ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ . ⎥
⎢ .. .. .. .. ⎥ ⎢ .. ⎥ ⎢ . ⎥
⎣ . . . . ⎦ ⎣ . ⎦ si = ⎢ ⎥
⎢ aii ⎥
am1 am2 . . . ami . . . amn zm ⎢ ⎥
⎢ .. ⎥
⎣ . ⎦
 
zi = ai1 ai2 . . . aii . . . ain ami
136 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Beispiel 4.3:
Die gegebene Matrix A soll in ihre Zeilenvektoren und Spaltenvektoren zerlegt wer-
den.
⎡ ⎤
2 3 8
⎢ 4 5 −1 ⎥
A=⎢
⎣ 9

3 6 ⎦
7 2 15
⎤ ⎡
z1    
⎢ z2 ⎥ z1 = 2 3 8 z2 = 4 5 −1
A=⎢ ⎥
⎣ z3 ⎦    
z3 = 9 3 6 z4 = 7 2 15
z4
⎡ ⎤ ⎤ ⎡ ⎡ ⎤
2 3 8
  ⎢ 4 ⎥ ⎢ 5 ⎥ ⎢ −1 ⎥
A= s1 s2 s3 s1 = ⎢ ⎥
⎣ 9 ⎦ s2 = ⎢ ⎥
⎣ 3 ⎦ s3 = ⎢
⎣ 6 ⎦

7 2 15

4.3 Transposition von Matrizen

Transposition eines Vektors


Falls ein Zeilenvektor als Spaltenvektor (und umgekehrt) geschrieben wird, redet man von Trans-
position des Vektors. Die Transponierte des Vektors x wird mit dem Symbol x T gekennzeichnet.
Transposition macht aus einem Zeilenvektor einen Spaltenvektor, und aus einem Spaltenvektor
einen Zeilenvektor.
⎡ ⎤
x1
   T ⎢ ⎢ x2 ⎥

x = x1 x2 . . . xn x T = x1 x2 . . . xn =⎢ . ⎥
⎣ .. ⎦
xn
⎡ ⎤ ⎡ ⎤T
y1 y1
⎢ y2 ⎥ ⎢ y2 ⎥  
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
y=⎢ .. ⎥ yT = ⎢ .. ⎥ = y1 y2 . . . yn
⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
yn yn
Die nochmalige Transposition eines bereits transponierten Vektors liefert den ursprünglichen
Vektor:

(xxT )T = x (yyT )T = y
4.4 Addition und Subtraktion von Matrizen 137

Beispiel 4.4:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
  2 1  
x= 2 3 −1 xT = ⎣ 3 ⎦ y=⎣ 2 ⎦ yT = 1 2 3
−1 3

Kompakte Schreibweise für einen Spaltenvektor. Gelegentlich wird, um Platz zu sparen, ein
Spaltenvektor auch als Transponierte des Zeilenvektors geschrieben. Beispielsweise sind folgen-
de Vektorangaben von ihrem mathematischen Inhalt her absolut identisch:
⎡ ⎤
a  T
⎣ b ⎦= a b c
c

Transposition einer Matrix


Wenn eine m × n Matrix A transponiert wird, entsteht die n × m Matrix A T . Die Transposition
erfolgt in der Weise, dass man die Zeilen von A als Spalten schreibt (bzw. die Spalten als Zeilen).
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 ... a1n a11 a21 . . . am1
⎢ a21 a22 ... a2n ⎥ ⎢ a12 a22 . . . am2 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. ⎥ AT = ⎢ .. .. .. ⎥ (4.1)
⎣ . . . ⎦ ⎣ . . . ⎦
am1 am2 . . . amn a1n a2n . . . amn

Bei quadratischen Matrizen kann man sich die Transposition auch so vorstellen, dass die untere
und obere Dreiecksmatrix von A jeweils um die Hauptdiagonale gespiegelt werden.
Beispiel 4.5:
⎡ ⎤
  2 3
2 3 8
a) A = (2×3)-Matrix AT = ⎣ 3 5 ⎦ (3×2)-Matrix
3 5 −1
8 −1
⎡ ⎤
a b  
⎣ ⎦ a c e
b) = c d
B B T =
b d f
e f
   
cos θ sin θ cos θ − sin θ
c) Q = QT =
− sin θ cos θ sin θ cos θ

4.4 Addition und Subtraktion von Matrizen

Addition
Die Addition von zwei m × n Matrizen A und B liefert eine neue m × n Matrix C .

C = A +B
B
138 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Tabelle 4.1: Regeln für Matrixtransposition

(A
A T )T = A
(A
A+B
B)T = A T +B
BT
(A
A + B + · · · +Z
Z )T = A T +B
BT + · · · +Z
ZT
(A
ABB)T = BT AT
(A
A B · · · Z )T = Z T · · · BT AT
Wenn A symmetrisch: AT = A

mit A = [ai j ] B = [bi j ] C = [ci j ] i = 1,2, . . . , m j = 1,2, . . . , n


Die Elemente ci j der Matrix C ergeben sich durch algebraische Addition der korrespondieren-
den Elemente ai j und bi j :

ci j = ai j + bi j i = 1,2, . . . , m j = 1,2, . . . , n (4.2)

Zwei Matrizen A und B können dann und nur dann addiert werden, wenn sie gleiche Dimension
besitzen. Wenn also A eine m × n Matrix ist, muß auch B eine m × n Matrix sein. Folglich
kann z.B. eine m × n Matrix kann nicht mit einer n × m Matrix addiert werden! Regeln der
Matrixaddition sind in Tabelle 4.2 zusammen gestellt.
Subtraktion
Die Subtraktion der Matrix B von der Matrix A erfolgt analog zur Addition:

C = A −B
B mit ci j = ai j − bi j (4.3)

Beispiel 4.6:
Einige Beispiele für die Addition und Subtraktion von Matrizen sind nachfolgend ge-
geben.
     
−4 6 3 5 −1 0 1 5 3
a) A = B= A +B B=
0 1 2 3 1 0 3 2 2
⎡ ⎤
  5 −1
−4 6 3 ⎣
b) =A B = 3 1 ⎦
0 1 2
2 3
A +B
B ist nicht definiert, weil sie unterschiedliche Dimension haben.
⎡ ⎤
2  

c) x = 3 ⎦ y= 5 1 2
5
x +yy ist nicht definiert, weil sie unterschiedliche Dimension haben.
     
−4 6 3 5 −1 0 −9 7 3
d) A = B= A −BB=
0 1 2 3 1 0 −3 0 2
4.5 Multiplikation von Matrizen 139

Tabelle 4.2: Regeln für Addition und Subtraktion von Matrizen

A +00 = A
A + (−A
A) = 0
A − (−A
A) = A +A
A
A −A
A = 0
A +B
B = B +A
A
A −B
B = −B
B +A
A
(A
A +B
B) +C
C = A + (B
B +C
C)
(A
A +B
B) −C
C = A + (B
B −C
C)
A +B
B = 0 ⇒ A = −B
B
A −B
B = 0 ⇒ A =B

4.5 Multiplikation von Matrizen

4.5.1 Multiplikation einer Matrix mit einem Skalar

Eine m × n Matrix A wird mit einem Skalar k multipliziert, indem alle Elemente von A mit k
multipliziert werden (vgl. Tabelle 4.3):
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 ... a1n k a11 k a12 ... k a1n
⎢ a21 a22 ... a2n ⎥ ⎢ k a21 k a22 ... k a2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. ⎥ kA = Ak = ⎢ .. .. .. ⎥ (4.4)
⎣ . . . ⎦ ⎣ . . . ⎦
am1 am2 . . . amn k am1 k am2 . . . k amn

Beispiel 4.7:
     
2.7 −1.8 2.7 −1.8 5.4 −3.6
A= A=2
2A =
0.9 3.6 0.9 3.6 1.8 7.2

Tabelle 4.3: Regeln für Matrix-Skalar-Multiplikation

(1) A = A
(−1) A = −AA
c (A
A +BB) = cA +cB
(c + k) A = cA +kA
c (kA
A) = (ck) A
140 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

4.5.2 Dimensionskompatibilität für Matrix-Matrix-Multiplikation

Die Grundvoraussetzung für die Multiplikation einer Matrix mit einer anderen Matrix ist, dass
deren Dimensionen kompatibel bzgl. der Multiplikation sind. Ist diese Kompatibilität nicht gege-
ben, so ist eine Multiplikation prinzipiell nicht möglich.
A sei eine m × n Matrix und B eine n × p Matrix, dann liefert die Multiplikation A B als
Ergebnis eine m × p Matrix C :

 B = 
A  C
m×n n×p m×p

Die Dimension der Matrix C ergibt sich nach folgendem Schema:

(m × n) (n × p) → (m × p) (4.5)
        
A B C

Die Voraussetzung für die Durchführbarkeit der Matrixmultiplikation AB ist, dass die beiden
innersten Dimensionszahlen im obigen Schema (links vom Pfeil) identisch sind (n und n). Diese
Voraussetzung wird als Dimensionskompatibilität für die Matrixmultiplikation bezeichnet.
Als visuelle Hilfe für die Bestimmung der Dimension von C werden die beiden innersten
Dimensionszahlen –aber nur dann, wenn sie identisch sind– gestrichen, und die beiden verblei-
benden äusseren Zahlen geben dann die Dimension des Resultats an:

(m×  n)( n × p) → (m × p)

Zwei Matrizen sind nur dann miteinander multiplizierbar, wenn sie dimensionskompatibel sind.
Folgendes Beispiel wäre deshalb falsch:

(m×  n)( q × p) → (m × p) falsch, weil n = q

Beispiel 4.8:
Es soll mit Hilfe des Dimensionskompatibilitäts überprüft werden, ob mit folgenden
Matrizen die angegebenen Multiplikationen möglich sind.

A = (m × n) B = (m × p) C = (p × m) D = (n × p)

AB nicht möglich, weil (m × n)(m × p)


AC nicht möglich, weil (m × n)(p × m)
AD möglich, weil (m×  n)( n × p) → m × p Matrix
BC möglich, weil (m×  p)( p × m) → m × m Matrix
CB möglich, weil (p×  m)( m × p) → p × p Matrix
BD nicht möglich, weil (m × p)(n × p)
CD nicht möglich, weil (p × m)(n × p)
DC möglich, weil (n×  p)( p × m) → n × m Matrix
A TB möglich, weil (n×  m)( m × p) → n × p Matrix
4.5 Multiplikation von Matrizen 141

DTC nicht möglich, weil (p × n)(p × m)


BCA möglich, weil ((m×  p)( p × m)) (m × n) → (m×  m)( m × n) → m × n Matrix
ADC möglich, weil ((m×  n)( n × p)) (p × m) → (m×  p)( p × m) → m × m Matrix
ADB nicht möglich, weil ((m×  n)( n × p)) (m × p) → (m × p)(m × p)

4.5.3 Skalarprodukt von zwei Vektoren

Ein Zeilenvektor x mit n Elementen ist gleichbedeutend mit einer 1 × n Matrix. Ein Spalten-
vektor y mit n Elementen ist gleichbedeutend mit einet n × 1 Matrix. Die Multiplikation des
Zeilenvektors x mit dem Spaltenvektor y liefert als Ergebnis ein Skalar und wird daher als Ska-
larprodukt (auch inneres Produkt genannt) von zwei Vektoren bezeichnet.
Für die Vektoren
⎡ ⎤
y1
  ⎢ y2 ⎥
⎢ ⎥
Zeilenvektor x = x1 x2 . . . xn Spaltenvektor y = ⎢ . ⎥
⎣ . ⎦.
yn

ist das Skalarprodukt x y definiert als


⎡ ⎤
y1
 ⎢
⎢ y2 ⎥

n
xy = x1 x2 . . . xn ⎢ .. ⎥ = x1 y1 + x2 y2 + · · · + xn yn = ∑ xi yi (4.6)
⎣ . ⎦ i=1
yn

Dimensionskompatibilität: (1×  n)( n × 1) → 1 × 1 Matrix (das ist ein Skalar!).

Beispiel 4.9:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
    y1 1
x= x1 x2 x3 = 2 3 1 y = ⎣ y2 ⎦ = ⎣ −1 ⎦
y3 6
3
x y = ∑ xi yi = x1 y1 + x2 y2 + x3 y3 = 2 · 1 + 3 · (−1) + 1 · 6 = 5
i=1

4.5.4 Matrixprodukt von zwei Vektoren

Die Multiplikation eines Spaltenvektors y mit n-Elementen (n × 1 Matrix) und eines Zeilenvek-
tors x mit n-Elementen (1×n Matrix) liefert als ergebnis kein Skalar sondern eine Matrix! Diese
142 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Multiplikation wird als Matrixprodukt bezeichnet und ist definiert als:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
y1 y 1 x1 y1 x2 . . . y 1 xn
⎢ y2 ⎥  ⎢ y2 x1 y2 x2 . . . y 2 xn ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
yx = ⎢ .. ⎥ x1 x2 . . . xn =⎢ .. .. .. .. ⎥ (4.7)
⎣ . ⎦ ⎣ . . . . ⎦
yn yn x1 yn x2 . . . yn xn

Mit dem Dimensionscheck sieht man sofort, dass das Ergebnis eine Matrix ist:

y : (n × 1) x : (1 × n) ⇒ y x : (n×  1)( 1 × n) → (n × n)

Beispiel 4.10:
⎤ ⎡ ⎡ ⎤
1   2 1 4
y =⎣ 2 ⎦ x= 2 1 4 yx = ⎣ 4 2 8 ⎦
−3 −6 −3 −12

4.5.5 Multiplikation einer Matrix mit einem Spaltenvektor


Die Multiplikation einer m × n Matrix A mit einem n × 1 Vektor x liefert als Ergebnis einen
Vektor y von der Dimension m × 1 :

y =Ax Dimensionskompatibilität: (m×  n)( n × 1) → (m × 1)


⎡ ⎤
⎡ ⎤ x1 ⎡ ⎤
a11 a12 ...... a1n ⎢ ⎥ y1
⎢ ⎥ ⎢ x2 ⎥ ⎢ ⎥
⎢ a21 a22 ...... a2n ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ y2 ⎥
A=⎢ .. .. .. ⎥ x=⎢ x3 ⎥ y=⎢ .. ⎥
⎣ . . . ⎦ ⎢ .. ⎥ ⎣ . ⎦
⎣ . ⎦
am1 am2 . . . . . . amn ym
xn
Das i-te Element von y ist gegeben durch Skalarprodukt des i-ten Zeilenvektors von A mit dem
Spaltenvektor x :
⎡ ⎤
x1
 ⎢
⎢ x2 ⎥

yi = ai1 ai2 · · · ain ⎢ .. ⎥ = ai1 x1 + ai2 x2 + · · · + ain xn (4.8)
  ⎣ . ⎦
i-te Zeile von A
xn
Der Multiplikationsvorgang kann durch Zerlegung der Matrix A in Zeilenvektoren besonders
übersichtlich dargestellt werden:
⎡ ⎤
z1
⎢ z2 ⎥  
⎢ ⎥
A=⎢ .. ⎥ wobei z i = ai1 ai2 . . . ain
⎣ . ⎦
zm
4.5 Multiplikation von Matrizen 143

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
y1 z1 x
⎢ y2 ⎥ ⎢ z2 x ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⇒ y=⎢ .. ⎥=⎢ .. ⎥ mit y i = z i x
⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
ym zm x
Zunächst wird also der erste Zeilenvektor z 1 der Matrix mit dem Spaltenvektor x multipliziert,
das Ergebnis ist ein Skalar. Danach wird die zweite Zeile z 2 der Matrix mit x multipliziert usw.

Beispiel 4.11:
 
  x
a) 1 3 = 1 · x + 3 · y = x + 3y
y
Dimensionskompatibilität: (1×  2)( 2 × 1) → (1 × 1)
     
3   3·4 3·2 12 6
b) 4 2 = = (2×  1)( 1 × 2) → (2 × 2)
5 5·4 5·2 20 10
  
1 2
c) nicht definiert, weil inkompatible Dimensionen!
−1 3
Dimensionskompatibilität: (2 × 1)(2 × 1) 
  
3 4 2
d) nicht definiert, weil inkompatible Dimensionen!
5 1 8
Dimensionskompatibilität: (2 × 1)(2 × 2) 
      
4 2 3 4·3+2·5 22
e) = =
1 8 5 1·3+8·5 43
Dimensionskompatibilität: (2×  2)( 2 × 1) → (2 × 1)
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 4 5 3 2·3+4·1+5·0 10
f) ⎣ 2 6 8 ⎦ ⎣ 1 ⎦ = ⎣ 2 · 3 + 6 · 1 + 8 · 0 ⎦ = ⎣ 12 ⎦
1 0 9 0 1·3+0·1+9·0 3
Dimensionskompatibilität: (3×  3)( 3 × 1) → (3 × 1)

4.5.6 Multiplikation von zwei Matrizen

Die Multiplikation einer m × n Matrix A mit einer n × p Matrix B liefert die m × p Matrix C :
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 ... a1n b11 b12 . . . b1p
⎢ a21 a22 ... a2n ⎥ ⎢ b21 b22 . . . b2p ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. ⎥ B=⎢ .. .. .. ⎥
⎣ . . . ⎦ ⎣ . . . ⎦
am1 am2 . . . amn bn1 bn2 . . . bnp
     
(m×n) (n×p)
144 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

⎡ ⎤
c11 c12 ... c1p
⎢ c21 c22 ... c2p ⎥
⎢ ⎥
C = AB = ⎢ .. .. .. ⎥ (m×  n)( n × p) → (m × p)
⎣ . . . ⎦
cm1 cm2 . . . cmp
  
(m×p)

Ein beliebiges Element ci j von C ergibt sich als das Skalarprodukt der i-ten Zeile von A und der
j-ten Spalte von B :

n
ci j = ai1 b1 j + ai2 b2 j + · · · + ain bn j = ∑ aik bk j (4.9)
k=1
i = 1,2, · · · , m j = 1,2, · · · , p

Anmerkung: Wenn wir die Matrix A als eine Menge von Zeilenvektoren z i und die Matrix B
als eine Menge von Spaltenvektoren s i auffassen, kann die Multiplikation AB auch in folgender
Form ausgedrückt werden:
⎡ ⎤
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ b11 b12 . . . b1p
a11 a12 ... a1n z1 ⎢ b21 b22 . . . b2p ⎥
⎢ a21 ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ a22 ... a2n ⎥ ⎢ z2 ⎥ B=⎢ .. .. .. ⎥
A=⎢ . .. .. ⎥=⎢ .. ⎥ ⎣ . . . ⎦
⎣ .. . . ⎦ ⎣ . ⎦
bn1 bn2 . . . bnp
am1 am2 . . . amn zm  
= s1 s2 . . . sp
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
c11 c12 ... c1p z1 · s1 z1 · s2 ··· z1 · s p
⎢ c21 c22 ... c2p ⎥ ⎢ z2 · s1 z2 · s2 ··· z2 · s p ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
C = AB = ⎢ .. .. .. ⎥=⎢ .. .. .. ⎥ (4.10)
⎣ . . . ⎦ ⎣ . . . ⎦
cm1 cm2 . . . cmp zm · s1 zm · s2 · · · zm · s p

Es würde sich z.B. auf diese Weise ergeben: c11 = z 1 · s 1 , c2p = z 2 · s p , usw.
Falk-Schema
Ein leicht zu merkendes visuelles Multiplikationsschema für zwei Matrizen A und B ist das Falk-
-
Schema in Bild 4.1.1 Das Element ci j der Matrix C (in Bild gekennzeichnet mit dem Symbol )
ergibt sich aus dem Skalarprodukt des i-ten Zeilenvektors der Matrix A mit dem j-ten Spalten-
vektor der Matrix B. Die »Koordinaten« des Elements ci j entsprechen dem Kreuzungspunkt der
i-ten Zeile von A mit der j-ten Spalte von B.

1 Der Begriff Matrix hier steht sowohl für eine »Matrix« als auch einen Vektor, d.h. für die Anwendung des Falk-
Schemas ist keine Einschränkungen bzgl. der Dimension nötig. Erforderlich ist natürlich nach wie vor die Dimensi-
onskompatibilität.
4.5 Multiplikation von Matrizen 145

xxx × x
×
x x x x x x xl ×
..
.
..
B .
..
.
×
×
×

·
·
·
-
× × ··· ··· ··· × × · · · x

A C

Bild 4.1: Falk-Schema für Matrixmultiplikation AB = C

Beispiel 4.12:
   
1 2 5 1
a) A = B=
3 4 1 2
   
7 5 8 14
AB = BA =
19 11 7 10
   
1 1 −1 1
b) A = B=
2 2 1 −1
   
0 0 1 1
AB = BA =
0 0 −1 −1
⎡ ⎤
  8 0
2 3 1
c) A = B=⎣ 6 1 ⎦
0 4 5
7 9
⎡ ⎤
  16 24 8
41 12
AB = BA = ⎣ 12 22 11 ⎦
59 49
14 57 52
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 3 1 0 0
d) A = ⎣ 4 5 6 ⎦ I =⎣ 0 1 0 ⎦
7 8 9 0 0 1
146 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

⎡ ⎤
1 2 3
AI = I A = ⎣ 4 5 6 ⎦
7 8 9

Ein simpler, nicht optimierter Algorithmus für die Computerprogrammierung der Matrix-Multiplikation
ist in Tabelle 4.4 wiedergegeben.

Tabelle 4.4: Algorithmus für Matrix-Matrix-Multiplikation

Führt die Matrix-Multiplikation C = A B durch.


Dimension von A : m × n Dimension von B : n × p

EINGABE (INPUT): m, n, p, A , B
AUSGABE (OUTPUT): m × p Matrix C

ALGORITHMUS:
for i = 1,2, · · · , m do
for j = 1,2, · · · , p do
ci j = 0 Initialisierung
for k = 1,2, · · · , n do
ci j = ci j + aik bk j
end do
end do
end do

C ausdrucken.

Einige Regeln für die Matrixmultiplikation sind in Tabelle 4.5 zusammen gestellt.

Beispiel 4.13:
Beispiel zur Regel in Tabelle 4.5, dass aus AC = BC nicht zwangsläufig A = B folgt.
     
2 1 4 0 1
A= B= C=
4 0 0 2 2
   
4 4
AC = BC = A = B aber AC = BC
4 4
4.6 Lineare Gleichungssyteme 147

Tabelle 4.5: Regeln der Matrixmultiplikation

1. AB = BA (zufällig kann AB = BA sein)


2. AI = IA = A (II : die Einheitsmatrix, vgl. Seite 133)
3. Ix = x (xx : Spaltenvektor)
4. II = I2 = I
5. (kA
A)B
B = AB ) = A (kB
k(A B) = kA
AB k : beliebiger Skalar
6. C (A
A +B
B) = CA +C
CB
7. (A
A +B
B)C
C = AC +B
BC
8. C (A
A +B
B) = (A
A +B
B)C
C
9. AB C = A (B
BC ) = (A
AB )C
C
10. AA = A2
11. AAA = A3 usw.
12. aus AB = 0 folgt nicht zwangsläufig, dass A = 0 oder B = 0 muss.
13. aus AB = 0 folgt nicht zwangsläufig, dass BA = 0 muss.
14. aus AC = BC folgt nicht zwangsläufig, dass A = B sein muss.

4.6 Lineare Gleichungssyteme

Eine lineare Gleichung mit n Unbekannten ist durch folgende Gleichung definiert:

c1 · x1 + c2 · x2 + · · · + cn · xn = b

c1 , c2 , · · · , cn sind die skalaren Koeffizienten der Gleichung, b ist ebenfalls ein Skalar (ein Ska-
lar ist ist entweder eine Zahl oder ein Symbol, dem ein skalarer Wert zugeordnet ist, z.B. λ ). Die
Variablen x1 , x2 , · · · , xn sind die Unbekannten.
Ein lineares Gleichungssystem mit n Unbekannten besteht aus n linearen Gleichungen:

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = b1


a21 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2
(4.11)
...................................
an1 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = bn

Die Zahlen a11 , a12 , · · · , ann heißen die Koeffizienten des Gleichungssystems, x1 , x2 , · · · , xn
sind die Unbekannten. Die Zahlen b1 , b2 , · · · , bn bilden die rechte Seite des Gleichungssystems.
Die Bestimmung aller unbekannten Variablen x1 , x2 , · · · , xn wird als die Lösung des Glei-
chungssystems bezeichnet.
148 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Homogenes lineares Gleichungssystem


Falls die rechte Seite in (4.11) ausschließlich aus Nullen besteht ( bi = 0, i = 1,2, . . . , n), wird
das Gleichungssystem als homogen bezeichnet.

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = 0


a21 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = 0
(4.12)
................................
an1 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = 0

Inhomogenes lineares Gleichungssystem


Das Gleichungssystem heißt inhomogen, wenn mindestens ein Element der rechten Seite ver-
schieden von Null ist (d.h. es gilt mindestens einmal bi = 0, für i = 1,2, . . . , n).

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = b1


a21 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2
(4.13)
.................................
an1 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = bn

Beispiel 4.14:

Homogenes Gleichungssystem: Inhomogenes Gleichungssystem:

2x1 + x2 + x3 = 0 2x1 + x2 + x3 = 1
4x1 + x2 + 0 · x3 = 0 4x1 + x2 + 0 · x3 = 4
−2x1 + 2x2 + x3 = 0 −2x1 + 2x2 + x3 = 0

4.6.1 Gauss-Elimination
Die Gauss-Elimination (auch Gauss-Algorithmus oder Gauss-Jordan-Algorithmus genannt) zur
Lösung von linearen Gleichungssystemen ist ein altes und (direkt oder in abgewandelter Form)
häufig verwendetes Verfahren. Die Vorgehensweise bei der Gauss-Elimination soll anhand des
folgenden Gleichungssystems erläutert werden. Für die Erläuterung der Methode soll zunächst
auf Matrixschreibweise verzichtet werden.
Zu lösen ist das folgende lineare Gleichungssystem:

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = b1


a21 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2
.................................
an1 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = bn

Die Grundidee des Gauss-Verfahrens ist die fortwährende Elimination von Variablen aus den
Gleichungen, so dass man am Ende an einer Gleichung mit nur einer Unbekannten ankommt.
Dieses Ziel lässt sich mit folgenden Schritten erreichen:
4.6 Lineare Gleichungssyteme 149

1. Die 1. Gleichung wird (links und rechts vom Gleichheitszeichen) mit der Zahl −a21 /a11
multipliziert und zur 2. Gleichung hinzu addiert. Nach dieser Operation erhält die 2. Glei-
chung folgende Gestalt:
(1) (1) (1) (1)
a21 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2

Der Hochindex in Klammern (1) informiert über den aktuellen Eliminationsschritt.

(1)
Der neue Koeffizient a21 wird bei diesem Vorgang zu Null:
 
(1) a21
a21 = a21 + a11 · − = a21 − a21 = 0
a11

Die anderen Koeffizienten ergeben sich zu:


   
(1) a21 (1) a21
a22 = a22 + a12 · − ··· a2n = a2n + a1n · −
a11 a11

In kompakter Form lässt sich dieser Schritt wie folgt angeben:


(1)
a2 j = a2 j + a1 j · (−a21 /a11 ) j = 1,2, . . . , n

Das Element b2 auf der rechten Seite muss hierbei wie folgt modifiziert werden:
 
(1) a21
b2 = b2 + b1 · −
a11

Die 2. Gleichung sieht nach dieser Operation folgendermaßen aus:


(1) (1) (1)
0 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2

Die Variable x1 ist jetzt faktisch nicht mehr in der 2. Gleichung enthalten, weil der zuge-
(1)
hörige Koeffizient a21 gleich Null ist. Man kann auch sagen, dass die Variable x1 aus der
2. Gleichung eliminiert wurde (daher kommt der Name Gauss-Elimination).

Das lineare Gleichungssystem hat jetzt folgende Gestalt:

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = b1


(1) (1) (1)
0 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2
a31 · x1 + a32 · x2 + · · · + a3n · xn = b3
...................................
an1 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = bn

2. Nun wird die Variable x1 aus der 3. Gleichung eliminiert. Hierzu wird die 1. Gleichung mit
der Zahl −a31 /a11 multipliziert und zur 3. Gleichung hinzu addiert. Die Koeffizienten der
150 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

3. Zeile ergeben sich auf diese Weise zu:


 
(1) (1) (1) a31
a31 =0 a3 j = a3 j + a1 j · (−a31 /a11 ) j = 2,3, . . . , n b3 = b3 + b1 · −
a11

Das Gleichungssystem sieht danach wie folgt aus:

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = b1


(1) (1) (1)
0 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2
(1) (1) (1)
0 · x1 + a32 · x2 + · · · + a3n · xn = b3
...................................
an1 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = bn

3. Der obige Rechengang wird sinngemäß so lange wiederholt, bis die Variable x1 aus allen
Gleichungen (außer der 1. Gleichung) verschwunden ist und folgende Gestalt besitzt:

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = b1


(1) (1) (1)
0 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2
(1) (1) (1)
0 · x1 + a32 · x2 + · · · + a3n · xn = b3
...................................
(1) (1) (1)
0 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = bn

Dabei wird folgende Eliminationsformel verwendet:


   
(1) −ai1 (1) ai1
ai j = ai j + a1 j · bi = bi + b1 · − i = 2,3, . . . , n j = 1,2, . . . , n
a11 a11

Damit wäre der erste Eliminationsschritt beendet. Das ursprügliche Gleichungssystem ( n


Gleichungen mit den n Unbekannten x1 , x2 , x3 , . . . , xn ) wurde auf ein neues System mit
(n − 1) Gleichungen und den (n − 1) Unbekannten x2 , x3 , . . . , xn transformiert. Zwar ist
die 1. Gleichung auch noch da, aber vorläufig wird sie nicht benötigt.
Anmerkung: Das Matrixelement a11 wird als das Pivotelement des ersten Eliminations-
schrittes bezeichnet (Französisch »Pivot« : Angelpunkt, Zapfen) .

4. Jetzt kommt der zweite Eliminationsschritt. Zunächst wird die -neue- zweite Gleichung mit
(1) (1)
der Zahl −a32 /a22 multipliziert und zur dritten Gleichung hinzu addiert. Das Resultat
dieser Rechenoperation ist, dass die Variable x2 aus der dritten Gleichung verschwindet:
 (1) 
(2) (1) (1) a32 (1) (1)
a32 = a32 + a22 · − (1) = a32 − a32 = 0
a22
 (1)   (1) 
(2) (1) (1) a32 (2) (1) (1) a
a3 j = a3 j + a2 j · − (1) j = 3,4, . . . , n b3 = b3 + b2 · − 32 (1)
a22 a22
4.6 Lineare Gleichungssyteme 151

(1)
Das Element a22 ist das Pivotelement dieses Eliminationsschrittes.
Diese Prozedur wird sinngemäß auf die restlichen Gleichungen, d.h. vierte, fünfte usw.,
angewandt. Am Ende entsteht folgendes Gleichungssystem:

a11 · x1 + a12 · x2 + a13 · x3 + · · · + a1n · xn = b1


(1) (1) (1) (1)
0 · x1 + a22 · x2 + a23 · x3 + · · · + a2n · xn = b2
(2) (2) (2)
0 · x1 + 0 · x2 + a33 · x3 + · · · + a3n · xn = b3
........................................
(2) (2) (2)
0 · x1 + 0 · x2 + an3 · x3 + · · · + ann · xn = bn

Damit wäre der zweite Eliminationsschritt beendet.

5. Es folgen weitere Eliminationsschritte nach obigem Muster. Am Ende des (n − 1)-ten Eli-
minationsschrittes entsteht folgendes Gleichungssystem.

a11 · x1 + a12 · x2 + a13 · x3 + · · · + a1(n−1) · xn−1 + a1n · xn = b1


(1) (1) (1) (1) (1)
0 · x1 + a22 · x2 + a23 · x3 + · · · + a2(n−1) · xn−1 + a2n · xn = b2
(2) (2) (2) (2)
0 · x1 + 0 · x2 + a33 · x3 + · · · + a3(n−1) · xn−1 + a3n · xn = b3
................................................
(n−2) (n−2) (n−2)
0 · x1 + 0 · x2 + 0 · x3 + · · · + a(n−1)(n−1) · xn−1 + a(n−1)n · xn = bn−1
(n−1) (n−1)
0 · x1 + 0 · x2 + 0 · x 3 + · · · + 0 · xn−1 + ann · xn = bn

Um die Übersichtlichkeit zu erhöhen, ersetzen wir im obigen Ausdruck die Hochindizes


zur Kennzeichnung der Eliminationsschritte durch einfaches Hochkomma und erhalten auf
diese Weise das auf Dreiecksform reduzierte System:

a11 · x1 + a12 · x2 + a13 · x3 + · · · + a1(n−1) · xn−1 + a1n · xn = b1


0 + a22 · x2 + a23 · x3 + · · · + a2(n−1) · xn−1 + a2n · xn = b2
0 + 0 + a33 · x3 + · · · + a3(n−1) · xn−1 + a3n · xn = b3
(4.14)
...............................................
0 + 0 + 0 + · · · + a(n−1)(n−1) · xn−1 + a(n−1)n · xn = bn−1
0 + 0 + 0 +···+ 0 + ann · xn = bn

Die Namensgebung reduziertes System geht darauf zurück, dass die Anzahl der Unbekann-
ten in der letzten Zeile von n auf 1 reduziert wurde.
Dieser beschriebene Vorgang der Elimination der Variablen x1 , x2 , . . . , xn−1 aus den Glei-
chungen wird Vorwärtselimination genannt. Oft spricht man auch von Dreieckszerlegung,
weil am Ende ein Gleichungssystem übrig bleibt, dessen Koeffizientenschema einer oberen
Dreiecksmatrix entspricht (vgl. Seite 134).

6. Rückwärtssubstitution. Zur Bestimmung der Unbekannten bewegt man sich jetzt im redu-
zierten Gleichungsssystem (4.14) rückwärts von der letzten zur ersten Gleichung; deshalb
152 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

wird dieser Vorgang auch als Rückwärtssubstitution bezeichnet.

Bestimmung der Unbekannten xn

Die Gleichung in der letzten Zeile von (4.14) enthält nur noch eine Unbekannte:

bn
ann · xn = bn ⇒ xn =
ann

Bestimmung der Unbekannten xn−1

Jetzt kann man die Variable xn−1 leicht aus der vorletzten Gleichung in (4.14) ermitteln,
weil xn ja inzwischen bekannt ist und in die vorletzte Gleichung eingesetzt werden kann.
1  
xn−1 = bn−1 − a(n−1)n · xn
a(n−1)(n−1)

Auf ähnliche Weise werden die übrigen Unbekannten xn−2 , xn−3 , · · · , x1 usw. berechnet.

Die allgemeine Bestimmungsformel für die Rückwärtssubstitution lautet:


 
n
1
xi = 
aii
bi − ∑ aik xk i = n, n − 1, n − 2, · · · ,3,2,1 (4.15)
k=i+1

Im letzten Substitutionsschritt zur Bestimmung von x1 gilt natürlich a1 j = a1 j in der ersten
Zeile ( j = 1,2, · · · , n).

Beispiel 4.15:
Das folgende Gleichungssystem ist nach dem Gauss-Verfahren zu lösen.

2x + y + z= 1
4x + y + 0 = −2
−2x + 2y + z= 7

Zunächst wird die 1. Gleichung mit −a21 /a11 = −4/2 = −2 multipliziert und zu der
2. Gleichung addiert; dann wird die 1. Gleichung mit −a31 /a11 = 1 multipliziert und
zur 3. Gleichung addiert:

2x + y + z= 1
0 − y − 2z = −4
0 + 3y + 2z = 8
4.6 Lineare Gleichungssyteme 153

Jetzt muss y aus der 3. Gleichung eliminiert werden. Deshalb wird die 2. Gleichung
(1) (1)
mit −a32 /a22 = −3/(−1) = 3 multipliziert und zur 3. Gleichung addiert:

2x + y + z= 1
0 − y − 2z = −4
0 + 0 − 4z = −4

Damit ist die Dreieckszerlegung beendet.


Rückwärtssubstitution. Die letzte Gleichung lautet −4z = −4 . Daraus folgt unmittel-
bar z = 1. Nach Einsetzen (Substitution) von z = 1 in die 2. Gleichung des reduzierten
Systems erhält man y = 2. Die 1. Gleichung liefert schließlich x = −1.

Gauss-Elimination in Matrixschreibweise
Das lineare Gleichungssystem (4.11) kann in Matrixschreibweise wie folgt angegeben werden:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n x1 b1
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥⎢ x2 ⎥ ⎢ b2 ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
Ax =b ⎢ .. .. .. ⎥⎢ .. ⎥=⎢ .. ⎥ (4.16)
⎣ . . . ⎦⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
an1 an2 . . . ann xn bn
        
A x b

Der im Abschnitt 4.6.1 beschriebene Gauss-Algorithmus kann sinngemäß auf Gleichung (4.16)
angewandt werden. Durch Zeilenoperationen wird die Matrix A in die obere Dreiecksform trans-
formiert (Dreieckszerlegung). Gleichzeitig wird der Vektor b den gleichen Operationen unter-
worfen. Das lineare Gleichungssystem sieht am Ende des Dreieckszerlegungsprozesses schema-
tisch wie folgt aus:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 ... a1(n−1) a1n
x1 b1
⎢ 0 a22 ... a2(n−1) a2n ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥⎢ x2 ⎥ ⎢ b2 ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ 0 ..
a3(n−1) a3n ⎥⎢ x3 ⎥ ⎢ b3 ⎥
⎢ 0 . ⎥⎢ ⎥=⎢ ⎥ (4.17)
A x = b ⎢ ⎥⎢ .. ⎥ ⎢ .. ⎥
⎢ .. .. .. .. ⎥⎢ . ⎥ ⎢ . ⎥
⎢ . . . . ⎥⎢ ⎥ ⎢  ⎥
⎢ ⎥⎣ x ⎦ ⎣ bn−1 ⎦
⎣ 0 0 . . . a(n−1)(n−1) a(n−1)n ⎦ n−1
xn bn
0 0 ... 0 ann      
   x b
A

Anschließend wird mittels Rückwärtssubstitution nach (4.15) der Unbekanntenvektor x ermit-


telt:
b 1  
xn = n xn−1 =  bn−1 − a(n−1)n · xn xn−2 = · · · usw.
ann a(n−1)(n−1)
154 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Erweiterte Matrix
Wie oben erwähnt, werden die zur Dreieckszerlegung notwendigen Operationen nicht nur auf die
Koeffizientenmatrix A selbst angewandt, sondern auch auf die rechte Seite b . Bei Handrechnun-
gen kann es daher etwas übersichtlicher sein, wenn A und b in einer erweiterten Matrix zusam-
mengefasst werden. Alle Eliminationsoperationen werden jetzt unmittelbar auf die erweiterte
Matrix angewandt (die erweiterte Matrix ist nur eine optische Erleichterung, inhaltlich ändert
sich nichts).
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1(n−1) a1n b1 a11 a12 . . . a1(n−1) a1n b1
⎢ a ⎥ ⎢ 0 a  ⎥
⎢ 21 a22 . . . a2(n−1) a2n b2 ⎥ ⎢
 
22 . . . a2(n−1) a2n b2 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ a31 a32 . . . a3(n−1) a3n b3 ⎥ ⎢
⎢ . ⎥ −→ ⎢
..    ⎥
3 ⎥
⎢ . .. .. .. .. ⎥ 0 0 . a a b
⎢ . . ⎥ ⎢ 3(n−1) 3n ⎥

. . .
⎥ ⎢ . . . . . ⎥
⎣ · · · · · ⎦ ⎣ .
. .
. .
. .
. .
. ⎦
an1 an2 . . . an(n−1) ann bn 0 0 ... 0 ann bn

Trivialer Lösungsvektor
Für jedes lineare homogene Gleichungssystem ist der Nullvektor 0 ein sog. trivialer Lösungs-
vektor (in technischen Anwendungen ist ein trivialer Lösungsvektor natürlich nicht besonders
nützlich!).

Beispiel 4.16:
Das Gleichungssystem des Beispiels 4.15 auf Seite 152 lautet in Matrixschreibweise
(die Richtigkeit dieser Matrixgleichung lässt sich leicht überprüfen, indem die Matrix-
multiplikation Ax auf der linken Seite ausgeführt wird):
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1 1 x 1
⎣ 4 1 0 ⎦ ⎣ y ⎦ = ⎣ −2 ⎦ symbolisch: A x = b
−2 2 1 z 7
        
A x b

Beispiel 4.17:
Zu lösen ist das folgende lineare Gleichungssystem.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
8 2 1 x1 1,2
⎣ 1 4 −2 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 1,0 ⎦
−1 1 6 x3 7,4

Die Gauss-Elimination (Dreieckszerlegung) liefert in der Schreibweise der erweiterten


Matrix:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
8 2 1 1,2 8 2 1 1,2 1/8
⎣ 1 4 −2 1,0⎦ ← − + −→ ⎣ 0 5 4 8,4⎦
−1 1 6 7,4 −1 1 6 7,4 ← −+
4.6 Lineare Gleichungssyteme 155

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
8 2 1 1,20 8 2 1 1,20
−→ ⎣0 5 4 8,40⎦ −1/4 −→ ⎣0 5 4 8,40⎦
0 1,25 6,125 7,55 ← −+ 0 0 5,125 5,45
Das Gleichungssystem in Dreiecksform lautet somit:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
8 2 1 x1 1,20
⎣ 0 5 4 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 8,40 ⎦
0 0 5,125 x3 5,45

Die Unbekannten werden durch Rückwärtssubstitution nach (4.15) ermittelt:

5,45
x3 = = 1,0634
5,125 ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x1 −0,1903
8,40 − 4 · 1,0634
x2 = = 0,8293 ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0,8293 ⎦
5
1,20 − 2 · 0,8293 − 1 · 1,0634 x3 1,0634
x1 = = −0,1903
8

Anmerkungen zur Gauss-Elimination


1. Wenn in einem beliebigen Schritt des Gauss-Algorithmus das Pivotelement gleich Null wird,
kann der Eliminationsprozess nicht fortgesetzt werden. In solchen Fällen kann evtl. ein Ver-
tauschen der Pivotzeile mit einer der darunter liegenden Zeilen weiterhelfen. Wenn es nicht
verhindert werden kann, dass ein Pivotelement zu Null wird, d.h. wenn auch das Vertau-
schen von Zeilen (und Spalten) nicht weiter hilft, ist das Gleichungssystem nicht lösbar.
2. Die Gauss-Elimination ist ein direktes Lösungsverfahren. Mit einem »direkten« Verfahren
können die Unbekannten im Rahmen der Rechengenauigkeit des Computers »exakt« be-
stimmt werden.2 Außerdem kann man die Anzahl der benötigten Rechenoperationen zur
Bestimmung der Unbekannten im voraus errechnen und damit die Rechenzeit abschätzen.
Im Gegensatz zu den direkten Verfahren stehen die iterativen Lösungsmethoden.
3. In der Praxis wird der Gauss-Algorithmus normalerweise nicht in der oben beschriebe-
nen Art eingesetzt. Es existieren andere Verfahren, die auf der Idee der Gauss-Elimination
basieren und eine effizientere Lösung von Gleichungssystemen gestatten (LU-Zerlegung,
Cholesky-Zerlegung, s. Seite 687). Die Gauss-Elimination wird hier trotzdem ausführlich
behandelt, weil sie ein Basisalgorithmus ist, von dem viele andere Verfahren abgeleitet wur-
den, und weil sie leicht verständlich ist, eine klare Struktur hat und hohe Robustheit besitzt.
4. Die praktischen Ingenieuraufgaben der Gegenwart führen auf lineare Gleichungssysteme
mit sehr vielen Unbekannten. In der FEM (Finite Elemente Methode) z.B. gehören Glei-
chungssysteme mit mehreren hunderttausend und sogar noch mehr Unbekannten auf einem
Rechner höherer Leistungsklasse (Workstation) zum Alltag des Berechnungsingenieurs aus
2 Diese »exakte« Bestimmung ist natürlich nur im Rahmen der Gleitkommagenauigkeit des Computers/Compilers zu
verstehen - nicht im absoluten Sinne!
156 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Gebieten Bauingenieurwesen, Flugzeugbau, Schiffsbau, Maschinenbau. Mit Höchstleistungs-


rechnern werden in der Klimaforschung und in weniger rühmlichen Gebieten wie z.B. Kern-
waffenforschung Gleichungssysteme mit vielen Millionen Unbekannten gelöst. Für solche
Aufgabenstellungen sind allerdings weder die Gauss-Elimination noch andere direkte Ver-
fahren rechentechnisch effizient. In solchen Fällen, wo die Rechenzeit eine kritische Größe
darstellt, können iterative Methoden eingesetzt werden. Iterative Verfahren kommen bei
»gut konditionierten« Systemen mit sehr viel weniger Rechenzeit aus, als die direkten Ver-
fahren. Eine kurze Einführung in iterative Lösungsmethoden wird auf Seite 695 gegeben.
Eine andere Möglichkeit riesengroße Gleichungssysteme mit direkten Verfahren zu lösen
ist der Einsatz von parallelisierenden Algorithmen, in denen das Gleichungssystem in vie-
le Teile zerlegt wird, die dann von mehreren tausend Prozessoren gleichzeitig verarbeitet
werden.

4.7 Lineare Abhängigkeit

Eine linear unabhängige Matrix wird auch als reguläre Matrix und eine linear abhängige Matrix
auch als singuläre Matrix bezeichnet. Zur Definition der linearen Abhängigkeit (bzw. Unabhän-
gigkeit) betrachten wir eine m × n Matrix A , die in m Zeilenvektoren z i bzw. n Spaltenvektoren
s i zerlegt ist:
⎡ ⎤
z1
⎢ z ⎥
⎢ 2 ⎥
⎢ . ⎥
⎢ .. ⎥
⎢ ⎥
⎢ ⎥
⎢ z i−1 ⎥  
A=⎢ ⎥ = s 1 s 2 . . . s j−1 s j s j+1 . . . s n
⎢ zi ⎥
⎢ ⎥
⎢ z i+1 ⎥
⎢ ⎥
⎢ .. ⎥
⎣ . ⎦
zm

Die Matrix A wird linear abhängig genannt, wenn zumindest einer folgender Fälle vorliegt:
a) Irgendeine Zeile z i von A kann aus den restlichen (m − 1) Zeilen durch eine beliebige Linear-
kombination mit den skalaren Koeffizienten ci zusammengesetzt werden:
m
zi = ∑ ck z k d.h. z i = c1 z 1 + c2 z 2 + · · · + ci−1 z i−1 + ci+1 z i+1 + · · · + cm z m (4.18)
k=1
k=i

b) Irgendeine Spalte s j von A kann aus den restlichen (n − 1) Spalten durch eine beliebige Line-
arkombination mit den skalaren Koeffizienten di zusammengesetzt werden:
n
sj = ∑ dk s k d.h. s j = d1 s 1 + d2 s 2 + · · · + d j−1 s j−1 + d j+1 s j+1 + · · · + dn s n (4.19)
k=1
k= j
4.7 Lineare Abhängigkeit 157

Falls keiner der obigen beiden Fälle zutrifft, wird A linear unabhängig genannt. Tabelle 4.6 zeigt
die Eigenschaften einer linear abhängigen Matrix.

Tabelle 4.6: Eigenschaften einer linear abhängigen Matrix A

1. Mindestens eine Zeile (Spalte) von A lässt sich als Linearkombination der übrigen Zeilen (Spal-
ten) ausdrücken.
2. Bei der Dreieckszerlegung einer linear abhängigen Matrix entsteht mindestens eine Nullzeile.
3. Die Determinante von A ist Null: |A
A| = 0 (s. Regel 7 auf Seite 164).
4. A besitzt keine Inverse A−1 (s. Abschnitt 4.9).

Alternative Definition der linearen Abhängigkeit


Durch geeignete Umformungen können die Beziehungen (4.18) und (4.19) auch in folgende
Form gebracht werden:

c̃1z 1 + c̃2z 2 + . . . + c̃iz i + . . . + c̃mz m = 0 (4.20a)

d˜1s 1 + d˜2s 2 + . . . + d˜js j + . . . + d˜ns n = 0 (4.20b)


Die Matrix A heißt dann und nur dann linear unabhängig, wenn zur Erfüllung der Gleichungen
(4.20a) und (4.20b) alle Koeffizienten c̃i und d˜i zwangsläufig Null sein müssen, d.h. wenn es
gelten muss:

c̃1 = c̃2 = . . . = c̃m = 0 d˜1 = d˜2 = . . . = d˜n = 0

Wenn mindestens ein Koeffizient ci bzw. di ungleich Null ist und die Gleichungen (4.20a) und
(4.20b) trotzdem erfüllt sind, heißt die Matrix A linear abhängig.

Beispiel 4.18:
⎡⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a1 2 3 8 b1 2 3 8
a) A = ⎣ a 2 ⎦ = ⎣ 3 5 −1 ⎦ B = ⎣ b 2 ⎦ = ⎣ 3 5 −1 ⎦
a3 7 11 15 b3 5 8 6
Die Matrix A linear abhängig, weil die 3. Zeile durch Linearkombination der 1.
und 2. Zeile ausgedrückt werden kann. In der Formulierung von (4.18) ergibt
sich:

a 3 = 2 a 1 +aa2 [7 11 15] = 2 [2 3 8] + [3 5 − 1]

In der alternativen Darstellung von (4.20a) nimmt die Abhängigkeitsbedingung


folgende Gestalt an:

2 · a1 + 1 · a2 − 1 · a3 = 0

Die Linearkombination auf der linken Seite liefert als Ergebnis Null, obwohl
kein einziger Koeffizient gleich Null ist; deshalb ist A linear abhängig.
158 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Dagegen ist die Matrix B ist linear unabhängig, weil keine Zeile (bzw. Spalte)
in B durch irgendeine Linearkombination anderer Zeilen (bzw. Spalten) ausge-
drückt werden kann (probieren Sie es aus!).

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
  5 3 11   5 3 11
b) C= c1 c2 c3 =⎣ 2 5 12 ⎦ D= d1 d2 d3 =⎣ 2 5 12 ⎦
7 8 20 8 8 24

C ist eine linear unabhängige Matrix, weil keine Zeile (bzw. Spalte) in C durch
Linearkombination anderer Zeilen (bzw. Spalten) ausgedrückt werden kann.

Dagegen ist die Matrix D linear abhängig, weil sich die 3. Spalte als Linearkom-
bination der 1. und 2. Spalte dargestellt werden kann:

d3 = d1 + 2 ·d2 oder 1 ·d1 + 2 ·d2 − 1 ·d3 = 0

Beispiel 4.19:

Der Rang einer Matrix A (gekennzeichnet durch rg A ) ist gleich der Anzahl ihrer
linear unabhängigen Zeilen.
a) Die Matrix A unten hat den Rang 3, weil eine Zeile als Linearkombination der
übrigen Zeilen ausgedrückt werden kann, d.h. A hat lediglich 3 unabhängige Zeilen.
⎡ ⎤
1 2 3 1
⎢ 3 4 2 5 ⎥
A=⎢
⎣ 6

9 4 10 ⎦
4 6 5 6

Die 4. Zeile ist von anderen abhängig:

z 4 = z 1 +zz2

Anzahl linear unabhängiger Zeilen = 4 − 1 = 3.

⇒ rg A = 3

b) Folgende Matrix hat den Rang 2, weil die 1. Zeile sich aus der 2. und 3. Zeile
durch Linearkombination zusammensetzen lässt. Die 3 × 3 Matrix A hat also nicht
drei, sondern nur zwei unabhängige Zeilen, ist deshalb linear abhängig.
⎡ ⎤
7 1 3
A=⎣ 3 2 −2 ⎦ z1 = 2 z2 +zz3 ⇒ rg A = 2
1 −3 7
4.8 Determinanten 159

4.8 Determinanten

Die Determinante einer quadratischen Matrix ist eine Zahl, die nach einer exakt vorgegebenen
Rechenvorschrift aus dieser Matrix berechnet wird. Die Determinante der Matrix A wird entwe-
der durch das Symbol |AA| oder durch »det A « gekennzeichnet.
Anmerkung: Das Zeichen | von |A
A| darf nicht mit dem Absolutwertzeichen | verwechselt
werden.
Gelegentlich wird das Determinantensymbol nicht auf das Matrixsymbol sondern unmittelbar
auf die Matrix selbst angewandt. Somit ergeben sich insgesamt vier Darstellungsmöglichkeiten
für die Determinante einer Matrix A :
⎡ ⎤  
a11 a12 . . . a1n  a11 a12 . . . a1n 
 
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥  a21 a22 . . . a2n 
⎢ ⎥  
|A
A| ≡ det A ≡ det ⎢ . .. .. .. ⎥ ≡  .. .. .. .. 
⎣ .. . . . ⎦ .
 . . . 
a a ... a  a a ... a 
n1 n2 nn n1 n2 nn

4.8.1 Determinante einer n × n Matrix

Für die Berechnung der Determinante einer beliebigen n × n Matrix A


⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥
⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. .. ⎥
⎣ . . . . ⎦
an1 an2 . . . ann

wird der Entwicklungssatz von Laplace verwendet, der in zwei Formen vorliegt:

n
|A
A| = ∑ (−1)i+ j ai j |AAi j | Entwicklung nach der i-ten Zeile (4.21)
j=1

n
A| = ∑ (−1)i+ j ai j |A
|A Ai j | Entwicklung nach der j-ten Spalte (4.22)
i=1

Die Unterdeterminante |AAi j | ist die Determinante derjenigen (n−1)×(n−1) Matrix A i j , welche
aus A durch Streichung der i-ten Zeile und j-ten Spalte hervorgeht. Der Term (−1)i+ j liefert
das jeweils korrekte Vorzeichen der einzelnen Summationsglieder.
Der Term (−1)i+ j in (4.21) bzw. (4.22) liefert das korrekte Vorzeichen für die einzelnen
160 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Unterdeterminanten |A
Ai j | und kann in einem Schachbrettmuster wie folgt visualisiert werden:
⎡ ⎤
+ − + − + ···
⎢ − + − + − ··· ⎥
⎢ ⎥
⎢ ⎥
A=⎢ + − + − + ··· ⎥
⎢ ⎥
⎣ − + − + − ··· ⎦
· · · · · ···

4.8.2 Determinante einer 2 × 2 Matrix

Die Determinante einer 2 × 2 Matrix ist gegeben durch


 
a11 a12
A= det A = |A
A| = a11 · a22 − a12 · a21 (4.23)
a21 a22

Die obige Formel lässt sich unmittelbar aus (4.21) ableiten:

A| = a11 |A
|A A11 | − a12 |A
A12 | mit A 11 = a22 A 12 = a21

Beispiel 4.20:
   
4 2  4 2 
A= A| = 
det A = |A = 4 · 8 − 2 · 1 = 30
1 8 1 8 

4.8.3 Determinante einer 3 × 3 Matrix

Für die Berechnung der Determinante einer (3×3)-Matrix A können wir die Laplace-Entwicklung
verwenden. Nachfolgend wird die Laplace-Entwicklung in beiden Varianten vorgestellt.
⎡ ⎤
a11 a12 a13
A = ⎣ a21 a22 a23 ⎦
a31 a32 a33

Entwicklung nach der 1. Zeile:


Die Anwendung von (4.21) auf die erste Zeile (i = 1) liefert:
3
|A
A| = ∑ (−1)1+ j a1 j |AA1 j |
j=1

= (−1)1+1 a11 |A
A11 | + (−1)1+2 a12 |A
A12 | + (−1)1+3 a13 |A
A13 |
        
=1 =−1 =1
= a11 |A
A11 | − a12 |A
A12 | + a13 |A
A13 |
4.8 Determinanten 161

Mit den Untermatrizen A 11 , A 12 , A 13


     
a22 a23 a21 a23 a21 a22
A 11 = A 12 = A 13 =
a23 a33 a31 a33 a31 a32

erhalten wir die Determinante von A :


     
 a a23   a21 a23   a21 a22 
A| = a11  22
|A  − a 
12   + a 
13  (4.24a)
a32 a33 a31 a33 a31 a32 

oder (nach Vertauschung der beiden Spalten in der mittleren Determinante):


     
 a a23   a23 a21   a21 a22 
A| = a11  22
|A  + a 
12   + a 
13  (4.24b)
a32 a33 a33 a31 a31 a32 

Entwicklung nach der 1. Spalte:

Die Anwendung von (4.22) auf die erste Spalte ( j = 1) liefert:


3
A| = ∑ (−1)i+1 ai1 |A
|A Ai1 |
i=1
= (−1)1+1 a11 |A A11 | + (−1)2+1 a21 |AA21 | + (−1)3+1 a31 |A
A31 |
= a11 |A
A11 | − a21 |A
A21 | + a31 |A
A31 |

Mit den Untermatrizen A 11 , A 21 , A 31


     
a22 a23 a12 a13 a12 a13
A 11 = A 21 = A 31 =
a23 a33 a32 a33 a22 a23

erhalten wir die Determinante von A :


     
 a a23   a a13   a a13 
A| = a11  22
|A − a21  12 + a31  12 (4.25a)
a32 a33  a32 a33  a22 a23 

oder (nach Vertauschung der beiden Zeilen in der mittleren Determinante):


     
 a a23   a a33   a a13 
A| = a11  22
|A  + a21  32  + a31  12 (4.25b)
a32 a33 a12 a13 a22 a23 

Die Auswertung der obigen Beziehungen ergibt die nachfolgende Formel, die jedoch nicht so
ganz leicht zu merken ist.

|A
A| = a11 a22 a33 + a12 a23 a31 + a13 a21 a32 − a11 a23 a32 − a22 a13 a31 − a33 a12 a21 (4.26)
162 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Eine weit verbreitetes Hilfsmittel für die Berechnung der Determinante einer 3 × 3 Matrix ist
die sog. Sarrus-Regel, die zum Schluß auf die in Gl. (4.26) angegebene Beziehung führt. Die
Sarrus-Regel gilt nur für eine 3 × 3 Matrix.

Beispiel 4.21:
⎡ ⎤
5 4 3

A= 2 2 3 ⎦ |A
A| =?
4 1 4
Mit Hilfe der Gl. (4.24a) erhalten wir:
     
 2 3     2 
A| = 5 
det A = |A −4  2 3 +3  2 = 5 (8 − 3) − 4 (8 − 12) + 3 (2 − 8) = 23
1 4   4 4   4 1 

Die Verwendung von (4.24b) liefert natürlich das gleiche Ergebnis:


     
 2 3   3 2   2 2 

det = |A | = 5 
A A  
+4   
+3   = 5 (8 − 3) + 4 (12 − 8) + 3 (2 − 8) = 23
1 4  4 4  4 1 

4.8.4 Regeln für Determinanten


Für Determinanten gelten bestimmte Regeln und Eigenschaften, die z.B. bei der Klassifikation
von Matrizen und der Lösung von linearen Gleichungssystemen bzw. Eigenwertaufgaben (s. Ka-
pitel 13) nützlich sind:

1. Determinanten sind nur für quadratische Matrizen definiert.

2. Die Determinante einer Matrix A und diejenige ihrer Transponierten A T sind identisch.
 
A| = A T 
|A (4.27)

Beispiel 4.22:
 
 1 3 0 
 
A| =  2 6 4  = 1 (6 · 2 − 4 · 0) − 3 (2 · 2 + 4 · 1) + 0 (2 · 0 + 6 · 1) = −12
|A
 −1 0 2 
 
 1 2 −1 
 
AT | =  3 6
|A 0  = 1 (6 · 2−4 · 0)−2 (3 · 2−0 · 0)−1 (3 · 4 −6 · 0) = −12
 0 4 2 

3. Wenn zwei beliebige Zeilen (oder zwei Spalten) einer Matrix miteinander vertauscht wer-
den, ändert die Determinante ihr Vorzeichen (der Betrag der Determinante bleibt unverän-
dert).
4.8 Determinanten 163

Beispiel 4.23:
a) Matrix B entsteht durch Vertauschung der 1. und 2. Zeile von A .
   
 1 3 0   2 6 4 
   
A| =  2 6 4  = −12
|A B| =  1 3 0  = 12
|B |B
B| = −|A
A| 
 −1 0 2   −1 0 2 

a) Matrix C entsteht durch Vertauschung der 1. und 2. Spalte von A .


   
 1 3 0   1 0 
   3
A| =  2 6 4  = −12
|A C | =  6
|C 2 4  = 12 |C
C | = −|A
A| 
 −1 0 2   0 −1 2 

4. Die Determinante bleibt unverändert, wenn eine Zeile (Spalte) mit einem beliebigen Skalar
multipliziert und dann zu einer anderen Zeile (Spalte) addiert wird.

Beispiel 4.24:
a) Die Matrix B entsteht aus der Matrix A , indem die 1. Zeile von A mit 2
multipliziert und zur 3. Zeile addiert wird.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 6 4 2 6 4
A=⎣ 1 3 0 ⎦ B=⎣ 1 3 0 ⎦ |A
A| = |B
B| = 12 
−1 0 2 3 12 10

a) Die Matrix C entsteht aus der Matrix A , indem die 2. Spalte von A mit −2
multipliziert und zur 3. Spalte addiert wird.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 6 4 2 6 −8
A=⎣ 1 3 0 ⎦ C=⎣ 1 3 −6 ⎦ A| = |C
|A C | = 12 
−1 0 2 −1 0 2

5. Die Determinante einer Diagonalmatrix ist das Produkt ihrer Hauptdiagonalelemente.


⎡ ⎤
a11 0 ... 0
⎢ 0 a22 ... 0 ⎥
⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. .. ⎥ A| = a11 · a22 · · · ann
|A (4.28)
⎣ . . . . ⎦
0 0 . . . ann

Es folgt daraus, dass die Determinante der Einheitsmatrix I stets 1 ist:

det I = |II | = 1 (4.29)


164 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Beispiel 4.25:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
5 0 0 5 0 0
A=⎣ 0 2 0 ⎦ |A
A| = 5 · 2 · 4 = 40 B=⎣ 0 0 0 ⎦ |B
B| = 5 · 0 · 4 = 0
0 0 4 0 0 4
Die Matrix B wird singulär genannt, weil |B
B| = 0 ist.

6. Die Determinante einer oberen (unteren) Dreiecksmatrix ist das Produkt ihrer Hauptdiago-
nalelemente.

obere Dreiecksmatrix untere Dreiecksmatrix


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . . . . a1n b11 0 0 ... 0
⎢ 0 a22 . . . . . . a2n ⎥ ⎢ b21 b22 0 . . . 0 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ 0 a33 . . . a3n ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ 0 ⎥ B = ⎢ b31 b32 b33 . . . 0 ⎥
⎢ . .. .. .. .. ⎥ ⎢ . .. .. .. .. ⎥
⎣ .. . . . . ⎦ ⎣ .. . . . . ⎦
0 0 0 . . . ann bn1 bn2 bn3 . . . bnn

|A
A| = a11 · a22 · a33 · · · ann |B
B| = b11 · b22 · b33 · · · bnn (4.30)

Anmerkung: Durch Kombination dieser und der Regel Nr. 4 kann die Determinante einer
n × n Matrix recht elegant auf die Weise berechnet werden, dass man sie zunächst mit Hilfe
der Gauss-Elimination (s. Abschnitt 4.6.1 auf Seite 153) in die Dreiecksform transformiert
und dann (4.30) anwendet. Insbesondere für Matrizen mit n > 3 ist dieser Weg schneller als
die Laplace-Entwicklung. In Beispiel 4.46 auf Seite 179 wird dieser Weg beschritten.

Beispiel 4.26:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 3 0 1 2 0 0 0
⎢ 0 5 −1 9 ⎥ ⎢ 3 4 0 0 ⎥
A=⎢
⎣ 0
⎥ B=⎢ ⎥
0 6 2 ⎦ ⎣ 1 −9 7 0 ⎦
0 0 0 4 8 0 1 6

|A
A| = 2 · 5 · 6 · 4 = 240 |B
B| = 2 · 4 · 7 · 6 = 336

7. Die Determinante einer linear abhängigen (singulären) Matrix ist = 0. Die Determinante
einer linear unabhängigen (regulären) Matrix ist = 0 (s. auch Abschnitt 4.7).

Beispiel 4.27:
 
 3 6 −4 
 
a. A =  1 −1 3 
 z 3 = 2 z 1 , d.h. A ist linear abhängig.
 6 12 −8 
4.8 Determinanten 165

Nach (4.24b) erhält man die Determinante |A


A|:

|A
A| = 3 (8 − 36) + 6 (18 + 8) − 4 (12 + 6) = 0
⎡ ⎤
2 4 3
b. B = ⎣ 3 5 −1 ⎦ z 3 = 2 z 1 −zz2 , d.h. B ist linear abhängig.
1 3 7
Nach (4.24b) erhält man die Determinante |B B|:

|B
B| = 2 (35 + 3) + 4 (−1 − 21) + 3 (9 − 5) = 0
⎡ ⎤
2 3 8
c. C = ⎣ 3 5 −1 ⎦
5 8 6
C ist linear unabhängig, weil |C
C | = 2 (30 + 8) + 3 (−5 − 18) + 8 (24 − 25) =
−1 = 0

8. Die Determinante eines Matrixproduktes ist gleich dem Produkt der Determinanten der
einzelnen Matrizen.

|A
AB | = |A
A| · |B
B| (4.31)

Beispiel 4.28:
     
3 4 −2 1 18 15
A= B= ⇒ AB =
5 7 6 3 32 26
|A
A| = 21 −20 = 1 |B
B| = −6−6 = −12 |AB
AB| = 468 − 480 = −12
AB |A
A| · |B
B| = −12

9. Wenn eine Zeile (Spalte) einer Matrix A ein Nullvektor ist, gilt |A
A| = 0. Eine solche Matrix
wird singulär genannt.

Beispiel 4.29:
   
 0 0 0   0 6 −4 
  
A| =  1 −1
|A 3 =0
 B| =  0
|B −1 3  = 0
 6 12 −8   0 12 −8 

10. Die Determinante eines Matrixproduktes von zwei quadratischen Matrizen A und B ist
unabhängig davon, ob die Matrizen von rechts oder von links multipliziert werden.

|A
AB | = |B
BA | A und B sind n × n Matrizen)
(A (4.32)

Beispiel 4.30:
       
3 4 −2 1 18 15 −1 −1
A= B= AB = BA =
5 7 6 3 32 26 33 45
166 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

|AB
AB| = 468 − 480 = −12
AB |BA
BA| = −45 + 33 = −12
BA

11. Die Multiplikation einer n × n Matrix A mit dem Skalar k ändert die Determinante um den
Faktor kn .
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n ka11 ka12 . . . ka1n
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ ka21 ka22 . . . ka2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ . .. .. .. ⎥ k A = ⎢ . .. .. .. ⎥
⎣ .. . . . ⎦ ⎣ .
. . . . ⎦
an1 an2 . . . ann kan1 kan2 . . . kann

|kA
A| = kn |A
A| (4.33)

Beispiel 4.31:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 6 4 4 12 8
A=⎣ 1 3 0 ⎦ k=2 A=⎣ 2
A = 2A
kA 6 0 ⎦
−1 0 2 −2 0 4
|A
A| = 12 |2A
A| = 4(24 − 0) + 12(0 − 8) + 8(0 + 12) =  12 = k3 |A
8 ·  A|
=23 =|A
A|

12. Multiplikation einer Zeile (bzw. Spalte) einer Matrix A mit einem Skalar k .
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n ka11 ka12 . . . ka1n
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. .. ⎥ B=⎢ .. .. .. .. ⎥
⎣ . . . . ⎦ ⎣ . . . . ⎦
an1 an2 . . . ann an1 an2 . . . ann

|B
B| = k |A
A|

Beispiel 4.32:
Die letzte Zeile von A wird mit k = 2 multipliziert und ergibt die Matrix B:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 6 4 2 6 4
A=⎣ 1 3 0 ⎦ B=⎣ 1 3 0 ⎦
−1 0 2 −2 0 4

|A
A| = 12 |B
B| = 2(12 − 0) + 6(0 − 4) + 4(0 + 6) = 24 = 2 · 12 = k |A
A|
4.8 Determinanten 167

4.8.5 Cramer-Regel
Oft soll in der Praxis ein kleines lineares Gleichungssystem von Hand gelöst werden. In solchen
Fällen ist die Cramer-Regel vorteilhaft. Betrachtet wird das folgende lineare Gleichungssystem:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1 j . . . a1n x1 b1
⎢ a21 a22 . . . a2 j . . . a2n ⎥⎢ x2 ⎥ ⎢ b2 ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A ·x = b ⎢ .. .. .. .. ⎥⎢ .. ⎥=⎢ .. ⎥
⎣ . . . . ⎦⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
an1 an2 . . . an j . . . ann xn bn
        
A x b

Ein beliebiges Element xi des Lösungsvektors x ergibt sich aus folgender Cramer-Regel:

|AAi |
xi = mit |A
Ai | = det A i |A
A| = det A i = 1,2, · · · , n (4.34)
|A
A|

A1 |
|A A2 |
|A |A
A j| An |
|A
x1 = x2 = xj = ··· xn =
|A
A| |A
A| |A
A| |A
A|
Die Matrix A i entsteht aus der Matrix A , wenn die i-te Spalte von A durch den Vektor b der
rechten Seite ersetzt wird, z.B.:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
b1 a12 . . . a1 j . . . a1n a11 b1 . . . a1 j . . . a1n
⎢ b2 a22 . . . a2 j . . . a2n ⎥ ⎢ a21 b2 . . . a2 j . . . a2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A1 = ⎢ . .. .. ⎥ A = ⎢ . .. ⎥
⎣ .. . . ... ⎦ 2
⎣ ..
..
.
..
. . ⎦
bn an2 . . . an j . . . ann an1 bn . . . an j . . . ann
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . b1 . . . a1n a11 a12 . . . a1 j . . . b1
⎢ a21 a22 . . . b2 . . . a2n ⎥ ⎢ a21 a22 . . . a2 j . . . b2 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
Aj = ⎢ .. .. .. .. ⎥ An = ⎢ .. .. .. .. ⎥
⎣ . . . . ⎦ ⎣ . . . . ⎦
an1 an2 . . . bn . . . ann an1 an2 . . . an j . . . bn

Cramer-Regel für ein 2 × 2 Gleichungssystem


Die Anwendung der Cramer-Regel auf das 2 × 2 Gleichungssystem führt zu folgenden Bestim-
mungsformeln:
    
a11 a12 x b1 a22 b1 − a12 b2 a11 b2 − a21 b1
= x= y= (4.35)
a21 a22 y b2 a11 a22 − a12 a21 a11 a22 − a12 a21

Beispiel 4.33:
Folgendes Gleichungssystem soll mit Hilfe der Cramer-Regel gelöst werden.
    
4 −6 x 6
=
−2 8 y 10
168 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

     
 4 −6   6 −6   4 6 
A| = 
|A = 20 |A 
A1 | =   = 108 A2 | = 
|A = 52
−2 8  10 8  −2 10 
|A
A1 | 108 A2 | 52
|A
x= = = 5,4 y= = = 2,6
|A
A| 20 |A
A| 20

Anmerkung: Die Cramer-Regel ist nur für kleine Gleichungssysteme mit höchstens 3 Unbekann-
ten zu empfehlen, weil der Rechenaufwand mit der Anzahl von Unbekannten rapide ansteigt. Für
größere Gleichungssysteme ist der Gauss-Algorithmus geeigneter.

4.8.6 Lösbarkeitsbedingungen für lineare Gleichungssysteme

Ein lineares Gleichungssystem besitzt nur in folgenden Fällen eine Lösung:

1. Das inhomogene Gleichungssystem A x = b (mit b = 0 ) kann nur dann eindeutig gelöst


werden, wenn die Determinante |A A| = 0 ist. Für den Fall |A
A| = 0 existiert entweder über-
haupt keine oder zumindest keine eindeutige Lösung.

2. Das homogene Gleichungssystem A x = 0 besitzt nur dann eine nicht-triviale Lösung,


wenn die Determinante |AA| = 0 ist (wenn x = 0 ist, spricht man von einer trivialen Lösung,
s. Seite 154). Für den Fall |A
A| = 0 ist der Nullvektor 0 der einzige Lösungsvektor (das
Gleichungssystem hat also nur eine Triviallösung).

Beispiel 4.34:
    
3 5 x 15
=
6 10 y 60
Die Gauss-Elimination wird auf die erweiterte Matrix angewandt:
   
3 5 | 15 −2 3 5 | 15

6 10 | 60 ← −+ 0 0 | 30

Aus der zweiten Zeile der erweiterten Matrix folgt:

0 · x + 0 · y = 30 0 = 30 

Das Gleichungssystem führt also zu einem Widerspruch und ist somit nicht lösbar. Die
Matrix A ist linear abhängig, weil die 2. Zeile ein Vielfaches der 1. Zeile ist: z 2 = 2 z 1 .
Folglich muss auch die Determinante |A A| gleich Null sein:
 
 3 5 
A| = 
|A = 30 − 30 = 0
6 10 
4.9 Invertierung von Matrizen 169

4.9 Invertierung von Matrizen

Eine quadratische Matrix B wird die inverse Matrix (auch Kehrmatrix genannt) zur quadrati-
schen Matrix A genannt, wenn zwischen A und B folgende Beziehung existiert:

AB = BA = I

Die Inverse der Matrix A wird mit A−1 bezeichnet und ergibt sich aus folgender Definition:

AA −1 = A −1A = I (4.36)

Die Inverse ist nur für quadratische Matrizen definiert. Aber nicht jede quadratische Matrix be-
sitzt unbedingt eine Inverse. Wenn die Inverse einer Matrix A existiert, wird A als reguläre Matrix
bezeichnet, anderenfalls ist A eine singuläre (d.h. linear abhängige) Matrix, s. auch Tabelle 4.6
auf Seite 157.

Berechnung der Inverse mit Hilfe der Gauss-Elimination


Die Inverse einer Matrix kann mit Hilfe des Gauss-Algorithmus berechnet werden. Hierzu wer-
den folgende n lineare Gleichungssysteme betrachtet:
⎡ ⎤⎡ (1) ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n x1 1
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ (1) ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥⎢ x ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ .. .. .. ⎥⎢ 2 ⎥ ⎢ ⎥
Ax 1 = e 1 : ⎢ . . . ⎥⎢ ⎥=⎢ 0 ⎥ (für e 1 s. Seite 135) (a)
⎢ ⎥⎢ . ⎥ ⎢ ⎥
⎢ .. .. .. ⎥ ⎢ .. ⎥ ⎣ .. ⎦
⎣ . . . ⎦⎣ ⎦ .
(1) 0
an1 an2 . . . ann xn
  
     
A x1 e1

⎡ ⎤⎡ (2) ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n x1 0
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ (2) ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥⎢ x ⎥ ⎢ 1 ⎥
⎢ .. .. .. ⎥⎢ 2 ⎥ ⎢ ⎥
Ax 2 = e 2 : ⎢ . . . ⎥⎢ ⎥=⎢ 0 ⎥ (b)
⎢ ⎥⎢ . ⎥ ⎢ ⎥
⎢ .. .. .. ⎥ ⎢ .. ⎥ ⎣ .. ⎦
⎣ . . . ⎦⎣ ⎦ .
(2) 0
an1 an2 . . . ann xn
  
     
A x2 e2

············
⎡ ⎤⎡ (n) ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n x1 0
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ (n) ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥⎢ x ⎥ ⎢ 0⎥
⎢ .. .. .. ⎥⎢ 2 ⎥ ⎢ ⎥
Ax n = e n : ⎢ . . . ⎥⎢ ⎥=⎢ ..
⎥ (c)
⎢ ⎥⎢ . ⎥ ⎢ .

⎢ ⎥ ⎢ .. ⎥ ⎣
0 ⎦
⎣ .. .. .. ⎦⎣ ⎦
. . .
(n) 1
an1 an2 . . . ann xn
  
     
A xn en
170 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Diese n Gleichungssysteme lassen sich auch in einem System zusammenfassen:


⎡ ⎤⎡ (1) (2) (n) ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n x1 x1 · · · x1 1 0 ··· 0 0
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ (1) ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥⎢ x (2)
· · · x2
(n) ⎥ ⎢ 0 1 ··· 0 0 ⎥
⎢ .. .. .. ⎥⎢ 2 x2 ⎥ ⎢ ⎥
⎢ . . . ⎥⎢ ⎥=⎢ .. .. .. ..
⎥ (d)
⎢ ⎥⎢ . .. .. ⎥ ⎢ . . . .⎥
⎢ ⎥ ⎢ .. ⎥ ⎣
0 ⎦
⎣ .. .. .. ⎦⎣ . . ⎦
. . . 0 0 ··· 1
(1) (2) (n)
an1 an2 . . . ann xn xn · · · xn 0 0 ··· 0 1
       
A X I

Die Lösung aller n Gleichungssysteme in (a), (b) und (c) nacheinander liefert also die Lösungs-
matrix X ind (d). In symbolischer Schreibweise lässt sich das obige Gleichungssystem auch wie
folgt angeben:

AX = I X = [xx1 x 2 · · · x n ] I = [ee1 e 2 · · · e n ] (II : Einheitsmatrix)

Wegen der grundlegenden Definition AA −1 = I muss also die Lösungsmatrix X des n × n Glei-
chungssystems mit n Rechte-Seite-Vektoren der inversen Matrix A −1 entsprechen, d.h. es muss
gelten X = A −1 . Dass dies tatsächlich so ist, kann man sofort erkennen, indem das obige Glei-
chungssystem mit A −1 von links multipliziert wird:

−1 −1
  A X = A
A   I I X = A −1
⇒  ⇒ X = A −1
I A−1 X

Die Inverse einer Matrix A kann also mit Hilfe der Gauss-Elimination bestimmt werden durch
die Lösung des linearen Gleichungssystems AX = I .
Enthält eine quadratische Matrix eine Nullzeile bzw. eine Nullspalte, so ist sie stets singulär,
d.h. ihre Inverse ist nicht definiert. Eine Matrix, deren Determinante gleich Null ist, besitzt keine
Inverse. Wenn eine Matrix eine Inverse besitzt, wird sie auch als invertierbar bezeichnet. Die
Regeln für die Matrixinvertierung sind in Tabelle 4.7 zusammengestellt.

Invertierung von Hand


Für die Invertierung von Hand schreibt man die zu invertierende Matrix A und die Einheitsmatrix
I in erweiterter Form nebeneinander auf:
⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n 1 0 . . . 0
⎢ a21 a22 . . . a2n 0 1 . . . 0 ⎥
⎢ ⎥
⎢ . .. .. .. .. .. ⎥
⎣ .. . . . . . ⎦
an1 an2 . . . ann 0 0 ... 1
    
A I original

Durch geeignete Zeilenumformungen (d.h. durch wiederholtes Hinzufügen eines geeigneten Viel-
fachen einer Zeile zu einer anderen Zeile) wird die Matrix A in eine Einheitsmatrix I trans-
formiert. Die Transformationsoperationen, die man auf die links stehende Matrix A anwendet,
4.9 Invertierung von Matrizen 171

Tabelle 4.7: Rechenregeln für inverse Matrizen

AA −1 = A −1A (= I )
A−1 )−1
(A = A
(AT ) −1 = (A−1 )T
1 −1
A)−1
(kA = A für k = 0
k
1 1
A−1 |
|A = d.h. det (AA−1 ) =
|A
A| det A
A −n = A−1 )n
(A n positiv und ganzzahlig
(A B)−1
A +B = A −1 +B
B−1
(AB) −1 = B−1 A−1 aber : (AB) −1 = A −1B −1
(ABC · · · Z) −1 = Z −1 · · ·C
C−1 B−1 A−1
Wenn A singulär ⇒ A −1 existiert nicht!

werden gleichzeitig auf die rechts stehende Einheitsmatrix I original angewendet. Am Ende der
Transformationsprozedur, wenn nämlich aus A die Einheitsmatrix I hervorgegangen ist, steht
auf der rechten Seite anstelle der ursprünglichen Einheitsmatrix I original die Inverse A −1 von A :
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n 1 0 ... 0 1 0 . . . 0 a11 a12 . . . a1n
⎢ a21 a22 . . . a2n 0 1 ... 0 ⎥ ⎢ 0 1 . . . 0 a21 a22 . . . a2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ .. .. .. .. .. .. ⎥ −→ ⎢ .. .. .. .. .. .. ⎥
⎣ . . . . . . ⎦ ⎣ . . . . . . ⎦
an1 an2 . . . ann 0 0 ... 1 0 0 . . . 1 an1 an2 . . . ann
         
A I original A →II A−1
I original →A
(4.37)

Beispiel 4.35:
Gesucht ist die Inverse der angegebenen Matrix. A .
⎡ ⎤
1 2 −1
A=⎣ 3 8 −2 ⎦ A −1 =?
−1 −6 3

Nach dem Vorgehensschema von (4.37) ergibt sich folgende Prozedur:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 −1 1 0 0 1 0 0 a11 a12 a1n
⎣ 3 8 −2 0 1 0 ⎦ Zeilenoperationen ⎣ 0 1 0 a21 a22 a2n ⎦
−−−−−−−−−−−−→
−1 −6 3 0 0 1 0 0 1 an1 an2 ann
         
A I original I A −1
172 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Addition von (−3)×(1. Zeile) zur 2. Zeile sowie der 1. Zeile zur 3. Zeile:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 −1 1 0 0 −3 1 2 −1 1 0 0
⎣3 8 −2 0 1 0⎦ ← −+ −→ ⎣0 2 1 −3 1 0⎦
−1 −6 3 0 0 1 ←−−−−− + 0 −4 2 1 0 1

Addition von 2×(2. Zeile) zur 3. Zeile:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 −1 1 0 0 1 2 −1 1 0 0
⎣0 2 1 −3 1 0⎦ 2 −→ ⎣0 2 1 −3 1 0⎦
0 −4 2 1 0 1 ← −+ 0 0 4 −5 2 1

Addition von −1/4×(3. Zeile) zur 2. Zeile sowie von 1/4×(3. Zeile) zur 1. Zeile:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 −1 1 0 0 ←−−−−−− + 1 2 0 −1/4 1/2 1/4
⎣0 2 1 −3 1 0⎦ ← −+ −→ ⎣0 2 0 −7/4 1/2 −1/4⎦
0 0 4 −5 2 1 −1/4 1/4 0 0 4 −5 2 1

Addition von (−1)×(2. Zeile) zur 1. Zeile:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 0 −1/4 1/2 1/4 ←−+ 1 0 0 3/2 0 1/2
⎣0 2 0 −7/4 1/2 −1/4⎦ −1 −→ ⎣0 2 0 −7/4 1/2 −1/4⎦
0 0 4 −5 2 1 0 0 4 −5 2 1

Division der 2. Zeile durch 2 und der 3. Zeile durch 4 :


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0 0 3/2 0 1/2 1 0 0 3/2 0 1/2
⎣0 2 0 −7/4 1/2 −1/4⎦ | · 1/2 −→ ⎣ 0 1 0 −7/8 1/4 −1/8 ⎦
0 0 4 −5 2 1 | · 1/4 0 0 1 −5/4 1/2 1/4
    
I A −1

Die inverse Matrix A −1 lautet somit:


⎡ ⎤
3/2 0 1/2
A −1 = ⎣ −7/8 1/4 −1/8 ⎦
−5/4 1/2 1/4

4.9.1 Sonderfälle für die Matrix-Invertierung

In folgenden Sonderfällen kann die Inverse einer Matrix unmittelbar angegeben werden.
Inverse einer 2 × 2 Matrix:
   
a11 a12 1 a22 −a12
A= A−1 = A| = a11 a22 − a12 a21
mit |A (4.38)
a21 a22 |A
A| −a21 a11
4.9 Invertierung von Matrizen 173

Inverse einer Diagonalmatrix:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
d11 0 ... 0 1/d11 0 ... 0
⎢ 0 d22 ... 0 ⎥ ⎢ 0 1/d22 ... 0 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
D=⎢ .. .. .. .. ⎥ D−1 = ⎢ .. .. .. .. ⎥ (4.39)
⎣ . . . . ⎦ ⎣ . . . . ⎦
0 0 . . . dnn 0 0 . . . 1/dnn

Bedingung: dii = 0

Beispiel 4.36:
     
2 −2 1 8 2 1,0 0,25
A= |A
A| = 16 − 8 = 8 A−1 = =
−4 8 8 4 2 0,5 0,25

Beispiel 4.37:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4,6 0 0 0 0,217 0 0 0
⎢ 0 12 0 0 ⎥ ⎢ 0 0,083 0 0 ⎥
D=⎢
⎣ 0
⎥ D−1 = ⎢ ⎥
0 5,8 0 ⎦ ⎣ 0 0 0,172 0 ⎦
0 0 0 24,3 0 0 0 0,041

4.9.2 Bedeutung der Inverse in der Statik


In der Theorie der Computer orientierten Statik (z.B. FEM - Finite Elemente Methode) werden
die mechanischen Grundgleichungen häufig in symbolischer Matrixform aufgestellt. Beispiels-
weise wird das Gleichgewicht eines Tragwerks nach der linearen Statik durch folgendes lineares
Gleichungssystem formuliert:

Kx=f K : Steifigkeitsmatrix, x : Verschiebungsvektor, f : Lastvektor (4.40)

Dieses Gleichungssystem wird symbolisch dadurch gelöst, indem beide Seiten mit K −1 multi-
pliziert werden:
−1 −1
 K x = K f
K I x = K −1 f ⇒ x = K −1 f
I

Anmerkung: Die obige Lösungsmethode für den Verschiebungsvektor x besitzt nur theoretische
Bedeutung. In kommerziellen FEM-Systemen werden andere Lösunsgmethoden verwendet, die
viel effizienter sind. Dennoch ist diese symbolische Schreibweise aus Sicht der höheren Mecha-
nik sehr wertvoll, weil sie erlaubt, mechanische Zusammenhänge in äußerst kompakter Form
darzustellen.
174 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

4.10 Zusätzliche Beispiele


Beispiel 4.38:
Folgendes Gleichungssystem ist zu lösen.

x + y + z = −2
3x + 3y − z = 6
x − y + 2z = −1

Die ersten beiden Eliminationsschritte für die 2. und 3. Zeile führen auf

x + y + z = −2
0 + 0 − 4z = 12
0 − 2y + z= 1

Das Pivotelement in der 2. Zeile ist Null! Durch Vertauschung der 2. und 3. Zeile kann
das Problem umgangen werden:

x + y + z = −2
0 − 2y + z = 1
0 + 0 − 4z = 12

Die Rückwärtssubstitution liefert die Unbekannten: z = −3, y = −2, x = 3

Beispiel 4.39:
Mit Hilfe der Gauß-Elimination soll gezeigt werden, dass folgende lineare Gleichungs-
systeme nicht bzw. nicht eindeutig lösbar sind.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3 6 −4 x1 1
a) A = ⎣ 6 −1 3 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
6 12 −8 x3 3
Die Dreieckszerlegung führt auf
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3 6 −4 x1 1
A = ⎣ 0 −13 11 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0 0 0 x3 1

Die letzte Zeile führt zur nicht erfüllbaren Gleichung 0 · x3 = 1 , d.h. das Glei-
chungssystem ist nicht lösbar. Die Determinante A ist aufgrund der Singularität
gleich Null:

|A
A| = 3 · (−13) · 0 = 0
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 −2 x1 1
b) A = ⎣ −1 1 −4 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
2 −2 8 x3 3
4.10 Zusätzliche Beispiele 175

A ist eine singuläre Matrix, weil sie linear abhängige Spalten enthält:

s3 = s1 − 3 s2

Die Determinante A ist aufgrund der Singularität gleich Null:

|A
A| = 4(8 − 8) + 2(−8 + 8) − 2(2 − 2) = 0

Beispiel 4.40:
Folgende Gleichungssysteme sind nach dem Gauß-Verfahren zu lösen. Wenn ein Null-
Pivot auftritt, soll durch Zeilenvertauschung versucht werden, das Problem zu umge-
hen.

a) 2x − 3y + 0 =3
4x − 5y + z =7
2x − y − 3z = 5

Die Lösung ergibt sich mit folgenden Eliminationsschritten:


1. (-2) × 1. Zeile zur 2. Zeile hinzu addieren
2. (-1) × 1. Zeile zur 3. Zeile hinzu addieren
3. (-2) × neue 2. Zeile zur 3. Zeile hinzu addieren
4. Rückwärtssubstitution liefert x = 3, y = 1, z = 0

2x1 − x2 + x3 = 4
b) −x1 + 2x2 + x3 = 10 Lsg: x1 = −1, x2 = 1, x3 = 7
x1 + 2x2 + x3 = 8

c) 3x1 + 2x2 + x3 = 3
2x1 + x2 + x3 = 0
6x1 + 2x2 + 4x3 = 6

Die Dreickszerlegung führt auf das System


3x1 + 2x2 + x3 = 3
0 + −0,333x2 + 0,333x3 = −2
0 + 0 + 0 = 12
Die letzte Gleichung führt zur Aussage, dass 0 = 12 sei, was offensichtlich ein
Widerspruch ist. Das Gleichungssystem ist daher nicht lösbar.

Beispiel 4.41:
Lineares Gleichungssystem – nicht eindeutige Lösung.
    
3 5 x 15
=
9 15 y 45
176 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Die Gauss-Elimination liefert


   
3 5 | 15 −3 3 5 | 15

9 15 | 45 ← −+ 0 0 | 0

Aus der zweiten Zeile folgt jetzt

0·x+0·y = 0

Diese Gleichung ist für beliebige Werte von x und y erfüllt. Man kann deshalb für x
(oder y) einen beliebigen Wert wählen und die andere Unbekannte y (oder x) aus der
1. Gleichung bestimmen. Auf diese Weise ergeben sich unendlich viele Lösungen, d.h.
das Gleichungssystem ist nicht eindeutig lösbar.
Wählt man z.B. x = 1, ergibt sich aus der ersten Zeile:

3 · 1 + 5 y = 15 ⇒ y = 2,4

Für andere gewählte Werte von x erhält man ebenfalls andere y-Werte. Die Determi-
nante von A ist, wie zu erwarten, gleich Null:
 
 3 5 
|A 
A| =   = 45 − 45 = 0 ⇒ A ist linear abhängig: z 2 = 3 z 1
9 15 

Beispiel 4.42:
Determinante nach Laplace-Formel. Die Determinante der Matrix A ist mit Hilfe
von Laplace-Entwicklung sowohl nach der 1. Zeile als auch nach der 1. Spalte zu
berechnen.
⎡ ⎤
1 −2 −3
A=⎣ 2 4 6 ⎦
−5 1 3

Entwicklung nach der 1. Zeile gemäß (4.21) auf Seite 159:


3
|A
A| = ∑ (−1)1+ j a1 j |AA1 j |
j=1

= (−1)1+1 a11 |A A11 | + (−1)1+2 a12 |AA12 | + (−1)1+3 a13 |A


A13 |
= a11 |A
A11 | − a12 |A
A12 | + a13 |A
A13 |
     
4 6 2 6 2 4
A 11 = A 12 = A 13 =
1 3 −5 3 −5 1
|A
A11 | = 12 − 6 = 6 |A
A12 | = 6 − (−30) = 36 |A
A13 | = 2 − (−20) = 22
|A
A| = 1 · 6 − (−2) · 36 + (−3) · 22 = 12
4.10 Zusätzliche Beispiele 177

Entwicklung nach der 1. Spalte gemäß (4.22):


3
A| = ∑ (−1)i+1 ai1 |A
|A Ai1 | = a11 |A
A11 | − a21 |A
A21 | + a31 |A
A31 |
i=1
     
 4 6   −2 −3   −2 −3 
= 1 ·  −2·


 1
 + (−5) · 
1 3 3   4 6 
= (12 − 6) − 2(−6 + 3) − 5(−12 + 12) = 6 + 6 − 0 = 12

Beispiel 4.43:
Determinante. Berechnen Sie die Determinante der angegebenen Matrizen.

⎡ ⎤
6 12 −2 4 2
⎢ 5 −7 5 −5 9 ⎥
⎢ ⎥
⎢ ⎥
a) A = ⎢ 1 13 2 3 −4 ⎥
⎢ ⎥
⎣ 4 5 8 1 3 ⎦
3 6 −1 2 1
´

A| = 0, weil die 1. und 5. Zeile linear abhängig sind: a1i = 2a5i


|A (i = 1,2, . . . ,5)

⎡ ⎤
2 0 −4 6
⎢ 0 5 9 −12 ⎥
b) B = ⎢
⎣ 0

0 2,4 3,8 ⎦
0 0 0 47,25
Die Determinante einer Dreiecksmatrix ist gleich dem Produkt der Diagonalele-
mente:

|B
B| = 2 · 5 · 2,4 · 47,25 = 1134

⎡ ⎤
4 1 2 3
⎢ 3 −5 ⎥
⎢ 1 2 ⎥
⎢ ⎥
c) C = ⎢ −2 1 9 2 ⎥
⎢ ⎥
⎣ 3 −4 1 6 ⎦
−5 1 4 −1
Die Determinante |C C | ist nicht definiert, weil C eine 6 × 5 Matrix ist (Determi-
nanten sind nur für quadratische Matrizen definiert).
178 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Beispiel 4.44:
Berechnen Sie mit den gegebenen Matrizen A und v die geforderten Operationen.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2 1 1
⎢ 3 −1 1 2 ⎥ ⎢ 0 ⎥
A=⎢
⎣ 1
⎥ v=⎢ ⎥
1 1 3 ⎦ ⎣ 0 ⎦
2 −2 −4 1 1

a) A v T b) A T I v c) |A
A|

a) A vT ist nicht definiert, weil inkompatible Dimensionen.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 3 1 2 1
⎢ 1 −1 1 −2 ⎥ ⎢ −1 ⎥
b) AT = ⎢
⎣ 2
⎥ I v = v ⇒ AT I v = AT v = ⎢ ⎥
1 1 −4 ⎦ ⎣ −2 ⎦
1 2 3 1 2
c) Nach Transformation der Matrix in die obere Dreiecksform erhalten wir die De-
terminante als Produkt der Hauptdiagonalelemente, weil die Addition eines Viel-
fachen einer Zeile zu einer anderen Zeile die Determinante nicht verändert.
⎡ ⎤
−1 1 2 1
⎢ 0 2 7 5 ⎥
Ad = ⎢⎣ 0 0 −4 −1 ⎦
⎥ |A
A| = |A
Ad | = (−1) · 2 · (−4) · 3 = 24

0 0 0 3

Beispiel 4.45:
Determinante einer singulären Matrix. Zur Berechnung der Determinante der Matrix
A.
⎡ ⎤
−1 1 2 1
⎢ 3 −1 1 2 ⎥
A=⎢ ⎣ 1

1 1 3 ⎦
2 −2 −4 −2

wird A mit Hilfe der Gauss-Elimination zunächst in die obere Dreiecksform transfor-
miert. Die Determinante ergibt sich aus dem Produkt der Hauptdiagonalelemente der
Dreiecksmatrix (vgl. Seite 164).
⎡ ⎤
−1 1 2 1
⎢ 0 2 7 5 ⎥
Ad = ⎢
⎣ 0
⎥ |A
A| = |A
Ad | = (−1) · 2 · (−4) · 0 = 0
0 −4 −1 ⎦
0 0 0 0
4.10 Zusätzliche Beispiele 179

Beispiel 4.46:
Bestimmung der Determinante mit Hilfe von Gauss-Elimination. In diesem Beispiel
wird die Determinante der Matrix A mittels Transformation in die Dreiecksform be-
rechnet.
⎡ ⎤
4 0 −4 6
⎢ 8 5 1 0 ⎥
A=⎢ ⎣ 0 2

6 −1 ⎦
−4 8 9 2

Die Regel 4 auf Seite 163 besagt, dass die Determinante einer Matrix unverändert
bleibt, wenn eine beliebige Zeile der Matrix mit einem beliebigen Skalar multipliziert
und zu einer anderen Zeile hinzu addiert wird. Wir können von dieser Eigenschaft
Gebrauch machen, indem die Matrix A mittels sukzessiver Zeilenoperationen in eine
obere Dreicksmatrix A o transformiert wird.
Zunächst wird das Element a11 = 4 als Pivotelement verwendet und die restlichen
Elemente der 1. Spalte werden eliminiert. Hierzu wird die 1. Zeile zunächst mit −2
multipliziert und dann zur 2. Zeile hinzu addiert. Für die 3. Zeile ist keine Operation
notwendig, weil dort ja ohnehin bereits 0 steht. Zum schluß wird die 1. Zeile (mit 1
multipliziert und dann) zur 4. Zeile hinzu addiert.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 0 −4 6 −2 4 0 −4 6
⎢8 5 1 0⎥ ⎢0 5 9 −12⎥
⎢ ⎥ ← −+
⇒ ⎢ ⎥
⎣ 0 2 6 −1⎦ ⎣0 2 6 −1 ⎦
−4 8 9 2 ←−−−−− + 0 8 5 8

Weitere Zeilenoperationen sind nachfolgend angegeben.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 0 −4 6 4 0 −4 6
⎢0 5 9 −12⎥ −2/5 −8/5 ⎢0 5 9 −12 ⎥
⎢ ⎥ ⇒ ⎢ ⎥
⎣0 2 6 −1 ⎦ ← −+ ⎣0 0 12/5 19/5 ⎦
0 8 5 8 ←−−−−−− + 0 0 −47/5 136/5
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 0 −4 6 4 0 −4 6
⎢0 5 9 −12 ⎥ ⎢0 5 9 −12 ⎥
⎢ ⎥ ⇒ Ao = ⎢ ⎥
⎣0 0 12/5 19/5 ⎦ 47/12 ⎣ 0 0 12/5 19/5 ⎦
0 0 −47/5 136/5 ← −+ 0 0 0 2525/60
Die Determinante der zuletzt aufgestellten Dreiecksmatrix A o ist durch das Produkt ih-
rer Hauptdiagonalelemente gegeben (vgl. Regel 6) und liefert somit die Determinante
von A :
12 2525 606000
|A
A| = |A
Ao | = 4 · 5 · · = = 2020
5 60 300
180 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Beispiel 4.47:

Symbolische Matrixalgebra. Es soll die Richtigkeit der Beziehung (AB) −1 = B −1A −1


auf Seite 171 bewiesen werden.

Wir gehen von der Identität (AB) (AB) −1 = I aus und multiplizieren Sie auf beiden
Seiten mit A−1 von links und formen das Ergebnis um:

A −1 (AB) (AB) −1 = A −1 I ⇒ −1 −1
  A B (AB) = A
A −1
  I
I A −1

I B (AB) −1 = A −1
 ⇒ B (AB) −1 = A −1
B

Der letzte Ausdruck wird jetzt mit B −1 von links multipliziert.


−1 −1 −1 −1
  B (AB) = B A
B ⇒ I (AB) −1 = B −1 A −1
  
I (AB) −1

Damit wäre die Beziehung (AB) −1 = B −1A −1 bewiesen.

Beispiel 4.48:

Invertierung einer Matrix. Gesucht ist die Inverse der angegebenen Matrix A .
⎡ ⎤
−1 1 2
A=⎣ 3 −1 1 ⎦
−1 3 4

Mit Hilfe der erweiterten Matrix läuft die Invertierung folgendermaßen ab.
⎡ ⎤
−1 1 2 1 0 0
⎣ 3 −1 1 0 1 0 ⎦
−1 3 4 0 0 1
    
A I
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2 1 0 0 3 −1 −1 1 2 1 0 0
⎣ 3 −1 1 0 1 0⎦ ←−+ −→ ⎣ 0 2 7 3 1 0⎦
−1 3 4 0 0 1 ←−−−− + 0 2 2 −1 0 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2 1 0 0 −1 1 2 1 0 0
⎣0 2 7 3 1 0⎦ −1 −→ ⎣ 0 2 7 3 1 0⎦
0 2 2 −1 0 1 ← −+ 0 0 −5 −4 −1 1
Nun werden die Zeilen mit geeigneten Skalaren multipliziert, um die Hauptdiagonal-
elemente der links stehenden Matrix (das ist die ursprüngliche Matrix A ) gleich 1 zu
4.10 Zusätzliche Beispiele 181

machen:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2 1 0 0 | · (−1) 1 −1 −2 −1 0 0
⎣0 2 7 3 1 0⎦ | · (0,5) → ⎣0 1 3,5 1,5 0,5 0 ⎦
0 0 −5 −4 −1 1 | · (−0,2) 0 0 1 0,8 0,2 −0,2

Es folgen noch einige weitere Zeilenoperationen und die ursprüngliche Matrix A ver-
wandelt sich in die Einheitsmatrix:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 −2 −1 0 0 ←−−−−−− + 1 −1 0 0,6 0,4 −0,4
⎣0 1 3,5 1,5 0,5 0 ⎦ ← −+ → ⎣0 1 0 −1,3 −0,2 0,7 ⎦
0 0 1 0,8 0,2 −0,2 −3,5 2 0 0 1 0,8 0,2 −0,2
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 0 0,6 0,4 −0,4 ← −+ 1 0 0 −0,7 0,2 0,3
⎣0 1 0 −1,3 −0,2 0,7 ⎦ → ⎣0 1 0 −1,3 −0,2 0,7 ⎦
0 0 1 0,8 0,2 −0,2 0 0 1 0,8 0,2 −0,2
Die linke Hälfte der erweiterten Matrix ist jetzt vollständig in die Einheitsmatrix I
transformiert. Die rechte Hälfte entspricht somit der gesuchten Inverse von A :
⎡ ⎤
−0,7 0,2 0,3
A −1 = ⎣ −1,3 −0,2 0,7 ⎦
0,8 0,2 −0,2

Beispiel 4.49:
Invertierung einer Matrix. Gesucht ist die Inverse A −1 folgender Matrix A .
⎡ ⎤
4 2 6
A = ⎣ −2 3 −1 ⎦
2 1 4
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 6 1 0 0 0,5 −0,5 4 2 6 1 0 0
⎣−2 3 −1 0 1 0⎦ ← −+ ⇒ ⎣0 4 2 0,5 1 0⎦
2 1 4 0 0 1 ←−−−−− + 0 0 1 −0,5 0 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 6 1 0 0 ←−−−−− + 4 2 0 4 0 −6
⎣0 4 2 0,5 1 0⎦ ← −+ ⇒ ⎣0 4 0 1,5 1 −2⎦
0 0 1 −0,5 0 1 −2 −6 0 0 1 −0,5 0 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 0 4 0 −6 ← −+ 4 0 0 3,25 −0,5 −5
⎣0 4 0 1,5 1 −2⎦ −0,5 ⇒ ⎣0 4 0 1,5 1 −2⎦
0 0 1 −0,5 0 1 0 0 1 −0,5 0 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 0 0 3,25 −0,5 −5 | (1/4) 1 0 0 0,8125 −0,125 −1,25
⎣0 4 0 1,5 1 −2⎦ | (1/4) = ⎣ 0 1 0 0,3750 0,250 −0,50 ⎦
0 0 1 −0,5 0 1 0 0 1 −0,5000 0 1
182 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Nach diesen Zeilenoperationen entspricht die linke Hälfte der erweiterten Matrix der
Einheitsmatrix I . Die rechte Hälfte ergibt somit die gesuchte Inverse von A .
⎡ ⎤
0,8125 −0,125 −1,25
A −1 = ⎣ 0,3750 0,250 −0,50 ⎦
−0,5000 0 1

4.11 Technische Beispiele

Beispiel 4.50:
Stabkräfte in einem Fachwerk. Das abgebildete Fachwerk wird durch die Horizontal-
kraft H und die Vertikalkraft V belastet. Die Berechnung der Stabkräfte kann nach
dem Gleichgewichtsprinzip der Statik erfolgen, weil das Fachwerk statisch bestimmt
ist. Zu diesem Zweck werden die Stäbe 1 und 2 unmittelbar am Kraftangriffspunkt
-gedanklich- durchtrennt und an den Schnitten werden die Stabkräfte N1 und N2 ange-
bracht (rechtes Teilbild).

V V
y H H
N1
N2
x
1 2
1 2
a b a b

α = 45◦ β = 70◦ H = 20 kN V = 10 kN

Das Gleichgewicht des Kraftangriffspunktes verlangt, dass die Summe aller Kräfte in
horizontaler und vertikaler Richtung jeweils Null sein muss. Diese Forderung liefert
zwei Gleichungen:

∑ Fx = H −N1 cos α +N2 cos β = 0 ∑ Fy = −V −N1 sin α −N2 sin β = 0


In Matrixschreibweise können diese beiden Gleichungen geschrieben werden als
    
− cos α cos β N1 −H
= (a)
− sin α − sin β N2 V

Die Gauss-Elimination des obigen Gleichungssystems liefert:


⎡ ⎤ sin α ⎡ ⎤
− cos α cos β −H − − cos α cos β −H
⎣ ⎦ ← − + cos α −→ ⎣ ⎦
− sin α − sin β V 0 − sin β − tan α cos β V + H tan α
4.11 Technische Beispiele 183

Aus der zweiten Zeile der reduzierten Matrix erhält man die Stabkraft N2 :
V + H tan α
N2 =
− sin β − tan α cos β

Die erste Zeile liefert dann die Stabkraft N1 :


−H − N2 cos β
N1 =
− cos α
Mit den angegebenen Zahlenwerten ergeben sich die Stabkräfte zu:

10 + 20 tan 45◦
N2 = = −23,406 kN (Druckkraft)
− sin 70◦ − tan 45◦ cos 70◦
−20 − (−23,406) cos 70◦
N1 = = 16,963 kN (Zugkraft)
− cos 45◦
Anm.: Die Gauss-Elimination würde natürlich wesentlich schneller erfolgen, wenn wir
die Zahlenwerte schon frühzeitig in die Beziehung (a) eingesetzt hätten.

Beispiel 4.51:
Instabiler Balken. Ein waagerechter Biegebalken, der in der xy-Ebene liegt, ist an sei-
nem linken Ende an einem Festlager gelenkig gelagert; sein rechtes Ende ist völlig frei.
Ein derart gelagerter Balken wird in der Statik kinematisch instabil bezeichnet, er kann
keinerlei Lasten aufnehmen und würde nach unten kippen. Einfachheit halber soll der
Balken die Länge L = 1, die Biegesteifigkeit EI = 1 und die Last F = 10 besitzen. Die
Steifigkeitsmatrix K des Balkens und der Lastvektor F sind nachstehend angegeben.
Der Vektor U der Knotenverschiebungen enthält die Verschiebung und die Verdrehun-
gen der Knotenpunkte 1 und 2. Wir versuchen, das Gleichungssystem K U = F zu
lösen.
y
labiler Balken F
1 2

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −6 2 0
K = ⎣ −6 12 −6 ⎦ P=⎣ 0 ⎦
2 −6 4 −10
⎡ ⎤
θ1 ← Verdrehung des Knotens 1
U = ⎣ u2 ⎦ ← Verschiebung des Knotens 2
θ2 ← Verdrehung des Knotens 2
Die Gauss-Elimination liefert:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −6 2 1.5 −0.5 4 −6 2 4 −6 2
⎣−6 12 −6⎦ ← −+ −→ ⎣0 3 −3⎦ −→ ⎣0 3 −3⎦
2 −6 4 ←−−−−− + 0 −3 3 ←
−+ 0 0 0
184 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Die letzte Zeile der reduzierten Steifigkeitsmatrix ist eine Nullzeile, d.h. die Matrix K
singulär, das Gleichungssystem K U = F ist nicht lösbar. Eine derartige Steifigkeits-
matrix K nennt man auch positiv semidefinit, ihre Determinante ist gleich Null, vgl.
Abschnitt 13.7.1 auf Seite 641. Die Verschiebung u2 und die Verdrehungen θ1 , θ2 stel-
len sich als unendlich große Werte heraus, d.h. der Balken wird zu einer kinematischen
Kette und damit instabil:

0 · θ2 = −10 ⇒ θ2 = −10/0 = −∞

3 · u2 + (−3) · (−∞) = −10 ⇒ u2 = −∞/3 = −∞


4 · θ1 − 6 · (−∞) + 2 · (−∞) = 0 ⇒ u2 = −4 ∞/4 = −∞
Das Verschiebungsmuster des Balkens ist im Bild gestrichelt dargestellt; ein solches
Muster wird auch als Starrkörperverschiebung bezeichnet.
Die Singularität von K kann man auch über ihre Determinante zeigen. Aus (4.24a)
erhalten wir:

|K
K | = 4 (48 − 36) − (−6) (−24 + 12) + 2 (36 − 24) = 48 − 72 + 24 = 0 ⇒ K singulär.

Die Erkenntnis aus diesem Beispiel lässt sich in der Tragwerksstatik verallgemeinern:

Die Steifigkeitsmatrix K eines Tragwerks, das instabil ist bzw. eine Starrkörper-
bewegung erfahren kann, ist singulär; ihre Determinante ist gleich Null, |K
K | = 0.

Beispiel 4.52:
Zwei dimensionaler Spannungszustand. Im 2-dimensionalen ebenen Spannungszustand
der Elastizitätstheorie existieren zwischen den Dehnungen εx , εy , γxy und den Span-
nungen σx , σy , τxy folgende Zusammenhänge, mit deren Hilfe man bei bekannten
Spannungen die unbekannten Dehnungen berechnen kann:

1 1 τxy 2(1 + μ)
εx = (σx − μ σy ) εy = (σy − μ σx ) γxy = = τxy
E E G E
E : Elastizitätsmodul, G : Schubmodul μ : Querkontraktionszahl
Die obigen Beziehungen sollen so umgeformt werden, dass man aus -bekannten- Deh-
nungen die -unbekannten- Spannungen berechnen kann.
Die obigen Elastizitätsgleichungen werden zunächst in Matrixform gebracht:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤
εx 1 −μ 0 σx
⎣ εy ⎦ = 1 ⎣ −μ ⎦ ⎣ σy ⎦
1 0 ε =F σ
E
γxy 0 0 2(1 + μ) τxy
        
ε F σ
4.12 Aufgaben 185

Das obige Gleichungssystem wird von links mit F −1 multipliziert:

F −1 ε = F −1 F σ ⇒ σ = F −1 ε = E ε mit E = F −1

Nach Invertierung von F erhalten wir die gesuchte Lösung:


⎡ ⎤
⎡ ⎤ 1 μ 0 ⎡ ⎤
σx ⎢ μ 1 ⎥ εx
⎣ σy ⎦ = E ⎢ 0 ⎥ ⎣ εy ⎦ σ =E ε
1 − μ2 ⎣ 1 − μ2 ⎦
τxy 0 0 γxy
   2(1 + μ)   
σ    ε
E

4.12 Aufgaben
1. Führen Sie für die beiden nachfolgenden Matrizen die angegebenen Matrixoperationen
durch.
⎡ ⎤
  1
a T = −1 1 2 b = ⎣ −1 ⎦
1

d) ab
a) aT +bb
e) ba
b) a +bb
f) b Ta
c) a Tb
g) b T aT
Lsg:
a) aT +bb = n.d. (1 × 3) + (3 × 1)
⎡ ⎤ d) ab = n.d. (3 × 1)(3 × 1)
0
e) ba = n.d. (3 × 1)(3 × 1)
b) a +bb = ⎣ 0 ⎦
f) b Ta = 0
3 g) bT aT = n.d. (1 × 3)(1 × 3)
c) a Tb = 0
2. Gegeben sind folgende Matrizen mit den angegebenen Dimensionen, wobei m = n = p.

A : (m × n) B : (m × p) C : (p × m)

Bestimmen Sie die Dimension folgender Matrixmultiplikationen. Zeichnen Sie zusätzlich


zu jeder Aufgabe das zugehörige Falk-Schema (Sie können für diesen Zweck Zahlenwerte
für m, n, p verwenden, z.B. m = 4, n = 6, p = 3).
a) AB nicht definiert b) A TB (n × p) c) B TA (p × n)
d) AB T nicht definiert e) A TB T nicht definiert f) AC nicht definiert
g) ATC nicht definiert h) ATC T (n × p) i) CA (p × n)
j) BC (m × m) k) CB (p × p) l) B TC T (p × p)
m) C TB T (m × m)
186 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

3. Führen Sie für die nachfolgenden Matrizen die angegebenen Matrixoperationen durch.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2   −1
−1 1 2  
A=⎣ 3 −1 1 ⎦ B= a= −1 1 2 b=⎣ 3 ⎦
3 −1 1
−1 3 4 −1

A +B
B =? A +aa =? A +bb =? a +bb =? aT +bb =?
AB =? Aa =? Ab =? Ba =? Bb =?
BA =? aA =? aB =? ab =? BaT =?
bA =? bB =? ba =? aTb =? bTaT =?

A +BB = nicht definiert A +aa = nicht definiert A +bb = nicht definiert


⎡ ⎤
−2
a +bb = nicht definiert aT +bb = ⎣ 4 ⎦ AB = nicht definiert
1
⎡ ⎤
2
Aa = nicht definiert Ab = ⎣ −7 ⎦ Ba = nicht definiert
   6 
2 2 4 7  
Bb = BA = aA = 2 4 7
−7 −7 7 9  
6
aB = nicht definiert ab = [2] BaT =
−2
⎡ ⎤
1 −1 −2
bA = nicht definiert bB = nicht definiert ba = ⎣ −3 3 6 ⎦
1 −1 −2
aT b = nicht definiert bT aT = [2] = 2

4. Führen Sie für die nachfolgenden Matrizen die angegebenen Matrixoperationen durch.
 
 x 
a) 2 1 1
y
Nicht definiert, weil inkompatible Dimension: (1 × 3)(2 × 1)
 
x  
b) 1 3
y
 
x 3x
(2 × 1)(1 × 2) = (2 × 2)
y 3y
⎤ ⎡
 x 
c) 2 1 ⎣ y ⎦
z
Nicht definiert, weil inkompatible Dimension: (1 × 2)(3 × 1)
4.12 Aufgaben 187

5. Mit folgenden Matrizen sind die angegebenen Operationen durchzuführen.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 3 8 1  
1
A=⎣ 3 5 ⎦ B=⎣ 2 3 ⎦ v=
−1
8 1 3 5

⎡ ⎤
2 3
A − 2A
a) 3A A Lsg: ⎣ 3 5 ⎦
8 1
b) AB Lsg: nicht definiert
 
46 51
c) A TB Lsg:
37 23
⎡ ⎤
−1
d) Av Lsg: ⎣ −2 ⎦
7
e) A 2 Lsg: A 2 = AA nicht definiert (Dimensionsunverträglichkeit).

6. Zeigen Sie, dass die n × n Einheitsmatrix I aus Spalteneinheitsvektoren (oder Zeilenein-


heitsvektoren) e i wie folgt zusammengesetzt werden kann.
⎡ ⎤
e1
  ⎢ e2 ⎥
⎢ ⎥
I= e1 e2 . . . en oder I = ⎢ .. ⎥
⎣ . ⎦
en

7. Verifizieren Sie die Regeln (4.1) auf Seite 138 für folgende Matrizen.
   
5 −8 1 2
A= B=
4 1 3 4

     
5 + 1 −8 + 2 6 −6 6 7
A+B = = (A + B) = T
4+3 1+4 7 5 −6 5

     
5 4 1 3 6 7
AT = BT = A T +B
BT =
−8 1 2 4 −6 5

      
5 −8 1 2 −19 −22 −19 7
AB = = (AB) T =
4 1 3 4 7 12 −22 12
188 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

    
1 3 5 4 −19 7
B TA T = =
2 4 −8 1 −22 12

8. Berechnen Sie die Determinanten folgender Matrizen.


⎡ ⎤
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ 2 0 −4 6
−3 0 0 −1 1 2 ⎢ 4 5 1 0 ⎥
A=⎣ 6 4 0 ⎦ B = ⎣ 3 −1 1 ⎦ C=⎢
⎣ 0

2 6 −1 ⎦
−1 2 5 −1 3 4
−3 8 9 1
|A
A| = −3 · 4 · 5 = −60 |B
B| = 10 |C
C | = 1134

9. Gegeben sind die Matrizen A und v .


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2 1 1
⎢ 3 −1 1 2 ⎥ ⎢ 0 ⎥
A=⎢
⎣ 1
⎥ v=⎢ ⎥
1 1 3 ⎦ ⎣ 0 ⎦
2 −2 −4 1 1

a) A v T =?
Lsg: A v T nicht definiert, weil inkompatible Dimensionen.
b) A T I v =?
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 3 1 2 1
⎢ 1 −1 1 −2 ⎥ ⎢ −1 ⎥
AT = ⎢
⎣ 2
⎥ Iv =v ⇒ AT I v = AT v = ⎢ ⎥
1 1 −4 ⎦ ⎣ −2 ⎦
1 2 3 1 2

c) |A
A| =?
Nach Transformation der Matrix in die obere Dreiecksform erhalten wir die Deter-
minante als Produkt der Hauptdiagonalelemente, weil die Addition eines Vielfachen
einer Zeile zu einer anderen Zeile die Determinante nicht verändert.
⎡ ⎤
−1 1 2 1
⎢ 0 2 7 5 ⎥
Ad = ⎢⎣ 0 0 −4 −1 ⎦
⎥ |A
A| = |A
Ad | = (−1) · 2 · (−4) · 3 = 24

0 0 0 3

10. Gegeben sind die Matrizen A , B und der Vektor v . Berechnen Sie
a) die Determinante der Matrix A .
b) A v
4.12 Aufgaben 189

c) A v T
B I B −1B −1B )−1
d) (B
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2 2 2 −1 3 2 1
⎢ 3 −1 1 −6 ⎥ ⎢ 3 4 2 −1 ⎥ ⎢ 1 ⎥
A=⎢⎣ 1
⎥ B=⎢ ⎥ v=⎢ ⎥
2 1 −2 ⎦ ⎣ −1 −2 8 3 ⎦ ⎣ 1 ⎦
1 5 −3 −2 1 5 −3 2 1
a) det A = |A
A| = 0, weil s 4 = −2ss1
⎡ ⎤
4
⎢ −3 ⎥
b) A v = ⎢
⎣ 2 ⎦

1
c) A vT nicht definiert
d) BI B −1B −1B )−1
(B =I

11. Berechnen Sie die Determinante der angegebenen Matrizen.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3 1 −4 0 1 3 1 −4 0 1
⎢ 0,5 0 ⎥ ⎢ 4 −2 ⎥
⎢ 0 0 0 ⎥ ⎢ 1 0 3 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
a) A = ⎢ −1 4 5 1 2 ⎥ b) B = ⎢ −1 0 0 2 1 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎣ 0 1 3 2 6 ⎦ ⎣ 0 0 0 2 1 ⎦
4 0 0 0 0 4 0 0 0 0

a) |A
A| = 0, weil die 2. und 5. Zeile linear abhängig sind.
b) Die Laplace-Entwicklung der Determinante nach der 5. Zeile liefert sofort |B
B| = 0.

12. Berechnen Sie die Determinante der Matrix A , indem A in die obere Dreiecksmatrix A o
transformiert wird.
⎡ ⎤
⎡ ⎤ 1 −1 1 1
1 −1 1 1 ⎢ 0 5 2 1 ⎥
⎢ 2 3 4 3 ⎥ Ao = ⎢ ⎣


A=⎢ ⎥ 0 0 −0,2 −0,6
⎣ 1 2 2 1 ⎦ 0 0 0 4
2 −1 1 2
⇒ |A A| = |AA | = 1 · 5 · (−0,2) · 4 = −4
o

13. Überprüfen Sie mit den angegebenen Matrizen die nachfolgenden Determinantenregeln.
?
a) |A
AB| = | A| · | B|
?
b) |A
AB | = |B
B A|
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 1 −1 −1 −1
A = ⎣ −1 1 1 ⎦ B = ⎣ −1 1 −1 ⎦
1 −1 1 −1 −1 1
190 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

⎡ ⎤
−7 −3 −5
a) AB = ⎣ −1 1 1 ⎦ |A
AB | = −48 |A
A| = 12 |B
B| = −4
−1 −3 1
⎡ ⎤
−4 −2 −3
b) BA = ⎣ −6 0 −1 ⎦ |B
BA | = −48
−2 −4 −1

14. Berechnen Sie die Determinante des Matrixprodukts AB .


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1 3 2 2 2
a) A = ⎣ −1 2 −4 ⎦ B = ⎣ 1 −4 3 ⎦
3 4 2 6 3 4
Wir berechnen die Determinante unter Beachtung der Regel |A
AB | = |A
A| |B
B|.

|A
A| = 2(4 + 16) + 1(−12 + 2) + 3(−4 − 6) = 40 − 10 − 30 = 0

Weil |A
A| = 0, erübrigt es sich |B
B| zu berechnen und wir haben: |A
AB | = 0 · |B
B| = 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 0 0 1 0 −4 6
⎢ −1 1 0 0 ⎥ ⎢ 0 4 9 −12 ⎥
b) A = ⎢
⎣ 3
⎥ B=⎢
⎦ ⎣
⎥ Lsg: |A
AB | = 48
2 3 0 0 0 2 2 ⎦
−2 −1 0 −1 0 0 0 −1

15. Überprüfen Sie die Regeln 11 und 12 auf Seite 166 für folgende Werte.
⎡ ⎤
4 2 1
A = ⎣ −1 1 1 ⎦ k=2
1 −1 1

16. Sind folgende Matrizen linear abhängig oder unabhängig?


⎡ ⎤
2 3 8
a) A = ⎣ 3 5 −1 ⎦ Lsg: Linear unabhängig, weil |AA| = 0
5 8 6
⎡ ⎤
2 3 8
b) B = ⎣ 3 5 −1 ⎦ Lsg: Linear abhängig, weil |B
B| = 0
5 8 7
⎡ ⎤
5 3 11
c) C = ⎣ 2 5 12 ⎦ Lsg: Linear unabhängig, weil |C
C | = 0
7 8 20
⎡ ⎤
5 3 11
d) D = ⎣ 2 5 12 ⎦ Lsg: Linear abhängig, weil |D
D| = 0
7 8 23
4.12 Aufgaben 191

17. Berechnen Sie den Ausdruck |A


A| · tr A für folgende Matrizen.
⎡ ⎤
1 2 3 4
⎢ 2 −4 2 3 ⎥
a) A = ⎢⎣ 3
⎥ Lsg: |AA| = 1096, tr A = 0 ⇒ |A
A| · tr A = 0.
2 −1 −5 ⎦
4 2 −5 4
Anm.: Die -rechenintensive- Berechnung von |A A| = 1096 hätten wir uns sparen kön-
nen, wenn wir vorher tr A ermittelt hätten! Man sollte deshalb bei Aufgabenstellungen
zunächst die einfacher zu berechnenden Teilausdrücke auswerten, um zu sehen, ob dar-
aus vielleicht nützliche Schlußfolgerungen für die restlichen Lösungsschritte gezogen
werden könnten.
⎡ ⎤
1 2 3 4
⎢ 2 −4 2 3 ⎥
b) A = ⎢⎣ 3
⎥ Lsg: |AA| · tr A = 0, weil |A
A| = 0, tr A = −4
2 −1 −5 ⎦
0 0 0 0

18. Bestimmen Sie den Rang folgender Matrizen.


⎡ ⎤
2 0 1
a) A = ⎣ −1 1 −2 ⎦ Lsg: rg A = 3, weil |AA| = 0
1 −2 3
⎡ ⎤
2 0 1
b) B = ⎣ 1 3 −4 ⎦ Lsg: rg B = 2, weil z 2 = 2 z 1 + 3 z 3 (|B
B| = 0)
−1 1 −2
⎡ ⎤
2 1 −1
c) C = ⎣ −1 4 2 ⎦ Lsg: rgCC = 2, weil s 2 = 2 s 1 + 3 s 3 (|C
C | = 0)
0 3 1

19. Für welche Werte von a ist das nachfolgende Gleichungssystem nicht oder nicht eindeutig
lösbar? Lösen Sie Gleichungssystem für a = 1.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a −3 −1 x1 1 0,2
⎣ −6 3a 0 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ −3 ⎦ Lsg: a = ±4 x = ⎣ −0,6 ⎦
0 −5 1 x3 4 1,0

20. A sei eine n × n Matrix, wobei eine Zeile, sagen wir die i-te Zeile, eine Nullzeile ist (alle
Elemente in dieser Zeile sind Null). Zeigen Sie mit Hilfe der Definition (4.20a) auf Seite
157, dass A eine linear abhängige Matrix ist.

21. Lösen Sie folgende lineare Gleichungssysteme mit Hilfe der Gauß-Elimination.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 1 x1 1
a) ⎣ −1 1 1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ −2 ⎦
1 −1 1 x3 1
192 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 1 x1 1 0,75
Lsg: ⎣ 0 1,5 1,25 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ −1,75 ⎦ ⇒ x = ⎣ −0,75 ⎦
0 0 2 x3 −1 −0,50
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
9,1 3,4 0,8 x1 38
b) ⎣ 4,8 2,5 −1,3 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 20 ⎦
2,2 1,3 1,1 x3 50
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
9,1 3,4 0,8 x1 38 −15,49
Lsg: ⎣ 0 0,71 −1,72 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ −0,04 ⎦ ⇒ x = ⎣ 47,99 ⎦
0 0 2,07 x3 40,84 19,72
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 −1 1 x1 1
⎢ −1 2 −1 1 ⎥ ⎢ x2 ⎥ ⎢ −2 ⎥
c) ⎢
⎣ −1 −1
⎥⎢ ⎥=⎢ ⎥
1 1 ⎦ ⎣ x3 ⎦ ⎣ 1 ⎦
1 −1 −1 2 x4 2
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎤⎡ ⎡ ⎤
1 −1 −1 1 x1 1 1,5
⎢ 0 1 −2 2 ⎥ ⎢ x2 ⎥ ⎢ −1 ⎥ ⎢ 0 ⎥
Lsg: ⎢
⎣ 0
⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎦ ⎣ x3 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ ⇒ x=⎢ ⎥
⎣ 1,5 ⎦
0 −4 6
0 0 0 1 x4 1 1

22. Lösen Sie das folgende lineare Gleichungssystem mit Hilfe der Cramer-Regel.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
8 2 1 x1 1 −0,10
⎣ 1 4 −2 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦ Lsg: x = ⎣ 0,71 ⎦
−1 1 6 x3 3 0,37

23. Können Sie die Gleichung (4.35) auf Seite 167 aus der Cramer-Regel herleiten?

24. Berechnen Sie die Transponierte und Inverse der Matrix A .


⎡ ⎤
−1 1 2
A=⎣ 3 −1 1 ⎦
−1 3 4
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 3 −1 −0.70 0.20 0.30
Lsg: AT = ⎣ 1 −1 3 ⎦ A−1 = ⎣ −1.30 −0.20 0.70 ⎦
2 1 4 0.80 0.20 −0.20

25. Gegeben sind die Matrizen


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −1 0 0,258 0,033 0,008
A = ⎣ −1 8 −1 ⎦ B = ⎣ 0,033 0,133 0,033 ⎦
0 −1 4 0,008 0,033 0,258
4.12 Aufgaben 193

a) Zeigen Sie, dass B die Inverse von A ist.


b) Welches Resultat liefert die Matrixmultiplikation B A ?

26. Invertieren Sie folgende Matrizen mit Hilfe der Gauß-Elimination.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 3 0,667 0,333 −0,500
a) A = ⎣ 4 5 6 ⎦ Lsg: A−1 = ⎣ −3,333 0,333 1,000 ⎦
2 6 8 2,333 −0,333 −0,500
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1 −1 0,676 −0,206 0,147
b) B = ⎣ 1 4 1 ⎦ Lsg: B−1 = ⎣ −0,206 0,324 −0,088 ⎦
−1 1 6 0,147 −0,088 0,206

27. Überprüfen Sie die Regeln der Tabelle 4.7 auf Seite 171 mit folgenden Werten.
   
2 −2 2 −2
A= B= k=3
−4 8 −1 4
⎡ 1 ⎤ ⎡ 2 1 ⎤
1
⎢ 4 ⎥ ⎢ 3 3 ⎥
A −1 = ⎣ ⎦ B −1 = ⎣ ⎦
1 1 1 1
2 4 6 3
|A
A| = 8 A|−1 = 1/8
|A A−1 | = 1/8
|A
⎡ 1 1 ⎤ ⎡ 1 1 ⎤
 
6 −6 ⎢ 3 12 ⎥ 1 −1 ⎢ 3 12 ⎥
A=
kA A)−1 = ⎣
(kA ⎦ A =⎣ ⎦
−12 24 1 1 k 1 1
6 12 6 12
⎡ ⎤
  5 1
6 −12 ⎢ 6 4 ⎥
AB = (AB) −1 = ⎢
⎣ 1


−16 40 1
3 8
28. Berechnen Sie die Inverse von AB mit den nachfolgend angegebenen Matrizen.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0,5 0 0 2 0 0
A = ⎣ 0,5 3 −1 ⎦ B = ⎣ −2 3 1 ⎦
−0,5 −2 1 −2 2 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 0 0,5 0 0
A −1 = ⎣ 0 1 1 ⎦ B −1 = ⎣ 0 1 −1 ⎦
1 2 3 1 −2 3
⎡ ⎤
1 0 0
AB )−1 = B −1A −1
Lsg: (A AB )−1 = ⎣ −1 −1 −2 ⎦
⇒ (A
5 4 7
194 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

29. Welchen Wert muss das Matrixelement a haben, damit B = A −1 wird.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 1 2 −2 −1
A=⎣ 1 1 −1 ⎦ B = ⎣ −5 7 3 ⎦ Lsg: a=1
a −2 4 −3 4 2

30. Berechnen Sie die Inverse der angegebenenen Matrizen. Kontrollieren Sie Ihr Ergebnis.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 1 0 0 1 0
a) A = ⎣ 1 0 0 ⎦ Lsg: A −1 = ⎣ 1 0 0 ⎦
0 0 1 0 0 1
Anmerkung: Es ist rein zufällig, dass A und A −1 identisch sind.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 1 0 0 1 0 1 0 0
?
Kontrolle: AA −1 = I ⎣ 1 0 0 ⎦⎣ 1 0 0 ⎦ = ⎣ 0 1 0 ⎦ 
0 0 1 0 0 1 0 0 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 0 0 0,5 0 0 0
⎢ 4 1 0 0 ⎥ ⎢ −2 1 0 0 ⎥
b) B = ⎢
⎣ −2 0

⎦ Lsg: B −1 = ⎢



2 0 0,5 0 0,5 0
0 0 −2 1 1 0 1 1
Tipp: Matrix B liegt in der unteren Dreiecksform vor. Die Lösung des Gleichungssys-
tems BX = I nach X liefert unmittelbar die gesuchte Inverse: X = B −1 .

31. Berechnen Sie die Inverse A −1 und vereinfachen Sie das Ergebnis soweit wie möglich.
⎡ ⎤
1 a 0 ⎡ ⎤
⎢ a 1 ⎥ 1 −a 0
0 1
A=⎢ ⎣
⎥ Lsg: A−1 = ⎣ −a 1 0 ⎦
1 − a2 ⎦ 1 − a2
0 0 0 0 2(1 + a)
2(1 + a)

32. Überprüfen Sie, ob die in Biespiel 4.35 auf Seite 171 ermittelte inverse Matrix A −1 die Be-
ziehung AA −1 = I erfüllt, indem Sie die Matrixmultiplikation AA −1 zahlenmäßig durch-
führen.
4.12 Aufgaben 195

33. Zeigen Sie, dass die angegebenen Matrizen orthogonal sind.


⎡ ⎤
1 0 0
⎡ √ ⎤
a) A = ⎣ 0 cos x − sin x ⎦ −1 3
0 sin x cos x ⎢ 2 2 ⎥
⎡ ⎤ c) C = ⎢⎣ √


cos x sin x 0 3 1
b) B = ⎣ − sin x cos x 0 ⎦ 2 2
0 0 1
34. Ermittteln das Ergebnis folgender Matrix-Ausdrücke.
a) AA −1A −1 (A
A−1 )−1 =? Lsg: I
b) B B I B −1B −1B )−1
(B =? Lsg: B −1
35. A , B , C sind quadratische Matrizen von gleicher Dimension. A ist zusätzlich orthogonal.
Bestimmen Sie das Ergebnis angegebener Matrixoperationen.
a) C TCATAC −1BT (B
B−1 )T Lsg: C T
b) A −1C −1B −1BCAAA T Lsg: I

36. Lösen Sie folgende Gleichungen zunächst in symbolischer Schreibweise nach A auf. Be-
rechnen Sie anschließend die Matrix A mit den angegebenen Zahlenmatrizen; und über-
prüfen Sie dann die Richtigkeit Ihrer Berechnung, indem Sie die Zahlenmatrizen in die
jeweilige Gleichung einsetzen (das Ergebnis muss immer die Nullmatrix 0 sein).
a) A +A
AB −C
CB −C
C =0 Lsg: A = C
     
2 1 1 3 1 3
B= C= ⇒ A =C =
−1 5 −2 4 −2 4
Einsetzen von A , B , C in die obige Gleichung liefert die Nullmatrix 0 . 
b) (A
A +A
AB )T −II −B
BT = 0 Lsg: A = I
   
2 1 1 0
B= ⇒ A =I =
−1 5 0 1
Einsetzen von A , B in die obige Gleichung liefert die Nullmatrix 0 . 
A−1 )T B −C
c) (A CT = 0 Lsg: A = C −1B T
⎡ 3 −7 ⎤
   
2 1 ⎢ 5 10 ⎥ 1 3
B= C=⎣ ⎦ ⇒ A=
−1 5 7 1 −2 4
5 5
Einsetzen von A , B , C in die obige Gleichung liefert die Nullmatrix 0 . 
5 Vektorrechnung

Eine Größe, die durch eine reelle Zahl ausgedrückt werden kann, heisst Skalar. Zahlreiche phy-
sikalische Größen sind nur durch ihren skalaren Wert definiert, d.h. sie besitzen keine Richtung.
Beispielsweise sind Zeit, Masse, Länge, Flächeninhalt, Temperatur, Energie alle eindeutig be-
schrieben, sofern ihr Zahlenwert bekannt ist, eine Richtungsinformation ist nicht erforderlich.
Ein Vektor hingegen besteht aus einer skalaren Größe und einer Richtungsinformation; oder
anders ausgedrückt, ein Vektor ist ein gerades Liniensegment mit festgelegter Länge und Rich-
tung. Ein Vektor ist erst durch Angabe ihrer Länge und ihrer Richtung bzw. durch ihren Anfangs-
punkt und Endpunkt vollständig definiert.
−→
In Bild 5.1 ist der Vektor a vom Punkt P zum Punkt Q definiert als a = PQ (der Pfeil gibt
die positive Richtung des Vektors an, nämlich vom Startpunkt P zum Endpunkt Q ).

rQ


l a −→
 a = PQ

rP

Bild 5.1: Vektor a als Liniensegment mit Richtung

Zur Kennzeichnung eines Vektors wird üblicherweise eines folgender mathematischer Sym-
bole verwendet:
- Fettbuchstabe, z.B. a , v , x , V , F
→ → →
- Buchstabe mit Pfeil, z.B. a , v , x
- Buchstabe mit unterer Tilde, z.B. ∼a , ∼v , ∼x
Die Länge eines Vektors a entspricht der Länge l des zugehörigen Liniensegments und wird
durch das Symbol |aa| ausgedrückt (statt Länge spricht man oft auch vom Betrag eines Vektors):
−→
|aa| = |PQ| = l

Vektoren, und mit denen verbunden die Vektoranalysis, haben durch die Entwicklung und enor-
me Verbreitung von numerischen Methoden (Computerprogramme) in allen Disziplinen des Inge-
nieurwesens, vom Maschinenbau über Bauwesen bis hin zur Elektrotechnik und Medizintechnik,
enorm an Bedeutung gewonnen.
Wir werden nur Vektoren im zwei- bzw. dreidimensionalen Raum (2D-Raum bzw. 3D-Raum)
betrachten (es gibt auch Vektoren im n-dimensionalen Raum, diese kann man sich allerdings
nicht räumlich vorstellen).

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_5,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
198 5 Vektorrechnung

Die Rolle von Vektoren in der Mechanik


Die klassische Newtonsche Mechanik ist eine vektorielle Mechanik, d.h. einwirkende Kräfte auf
einen Körper und dessen Bewegungsgrößen (Verschiebung, Geschwindigkeit, Beschleunigung)
sind allesamt Vektoren. Man spricht deshalb vom Kraftvektor, Verschiebungsvektor, Geschwin-
digkeitsvektor usw. Der Vektorrechnung kommt daher in der Mechanik eine bedeutende Rolle
zu. Eines der drei Newtonschen Gesetze postuliert, dass zwischen dem einwirkenden Kraftvek-
tor F und und dem resultierenden Beschleunigungsvektor a eines Körpers folgende Beziehung
besteht:
F
a= bzw. F = m a m : Masse des Körpers (Skalar)
m
Anmerkung: Diese Newtonsche Beziehung kann mit mathematischen Methoden oder mit Lo-
gik alleine nicht hergeleitet werden. Wir können also nicht wissenschaftlich lückenlos »erklä-
ren« warum die Newtonschen Gesetze gültig sind. Langzeiterfahrung und sorgfältig durchge-
führte Versuche bestätigen aber ihre Gültigkeit: Mit Hilfe dieser »Gesetze« können wir (makro-
)mechanische Vorgänge qualitativ und quantitativ widerspruchsfrei und im Einklang mit Messun-
gen beschreiben.

5.1 Definitionen für Vektoren


Nullvektor 0 . Jeder Vektor mit der Länge 0 ist ein Nullvektor. Die Richtung eines Nullvektors
kann willkürlich gewählt werden.

Gleichheit von Vektoren. Wenn zwei Vektoren a und b beide die gleiche Länge und Richtung
haben (bei gebundenen Vektoren müssen zusätzlich die Anfangs- bzw. Endpunkte beider
Vektoren identisch sein), dann sind sie gleich. Die Gleichheit wird formal durch die Bezie-
hung a = b ausgedrückt.

Einheitsvektor e . Ein Vektor mit der Länge 1 ist ein Einheitsvektor (natürlich handelt es sich
bei zwei Einheitsvektoren e 1 und e 2 mit gleicher Länge aber unterschiedlicher Richtung
um zwei verschiedene Vektoren).

Freier Vektor. Ein freier Vektor darf in jede gewünschte Richtung beliebig parallel verschoben
werden, s. Bild 5.2. Die Parallelverschiebung wird auch Translation genannt. Während der
Translation darf der Vektor sich natürlich nicht in irgendeiner Art drehen. Ein Beispiel für
einen freien Vektor ist der momentane Richtungsvektor eines sich im Raum bewegenden
Körpers, weil ein solcher Vektor nur die Bewegungsrichtung beschreibt, ansonsten aber
keine weitere physikalische Bedeutung (z.B. Kraftvektor) besitzt.

Gebundener Vektor. Ein gebundener Vektor ist im Raum vollkommen fixiert und darf über-
haupt nicht verschoben werden. Bilder 5.3 und 5.4 zeigen Beispiele für gebundene Vekto-
ren.
Anmerkung: Die Frage, ob ein Vektor als freier oder als gebundener Vektor angesehen
werden soll, ist eigentlich keine mathematische Frage im engeren Sinne, sondern hängt von
der physikalischen Aufgabenstellung ab. Nachfolgende Beispiele sollen das beleuchten.
5.1 Definitionen für Vektoren 199

Gleitender Vektor. Ein gleitender Vektor (Bild 5.5) ist eine Art freier Vektor, der entlang seiner
Wirkungslinie verschoben werden darf, aber ohne Seitwärtsbewegung. In der Mechanik star-
rer Körper dürfen Kraftvektoren entlang ihrer Wirkungslinie beliebig verschoben werden.
Auch die sog. Stabstatik im Bauingenieurwesen macht von gleitenden Vektoren intensiven
Gebrauch, weil das Gleichgewicht des sog. statisch bestimmten Systems sich nicht ändert,
wenn ein Kraftvektor entlang seiner Wirkungslinie verschoben wird.

a
y
a
a
a

x
freier Vektor

Bild 5.2: Freier Vektor

Beispiel 5.1:
Gebundener Vektor. Der in Bild 5.3 abgebildete Ortsvektor r P des Punktes P legt die
Position von P in Bezug auf den Ursprung des Koordinatensystems fest. Genauso wird
mit r Q die Position von Q eindeutig beschrieben.

y6

rP *
 rQ
r Q
rP 
 
 


 -
x
z

Bild 5.3: Ortsvektoren für Punkte P und Q

Beispiel 5.2:
Gebundener Vektor. In Bild 5.4 ist ein waagerecht liegender Balken abgebildet, auf
den zwei Kraftvektoren einwirken: F von oben, G von unten. Für die Detailkonstrukti-
F ) oder
on des Balkens ist es von erheblicher Bedeutung, ob die Belastung von oben (F
G) eingeleitet wird. Es wird nämlich keine besondere Maßnahme notwen-
von unten (G
dig sein, wenn die Kraft von oben einwirkt. Hingegen wird man sich Detailmaßnah-
men überlegen müssen, wie die von unten eingeleitete Last G am Balken sauber und
tragfähig befestigt werden kann (z.B. mit Hilfe von Anschweißteilen).
200 5 Vektorrechnung

Allgemein können wir feststellen: Der auf einen deformierbaren Körper (elasti-
sches Kontinuum) einwirkende Kraftvektor darf nicht ohne weiteres verschoben wer-
den, weil sonst die Spannungsfeld im Körper sich stark ändern würde.

Bild 5.4: Kraftvektoren auf einem Biegebalken

Beispiel 5.3:
Gleitender Vektor. Der in Bild 5.5 abgebilde gleitende Vektor a darf entlang seiner
Vektorachse verschoben werden.

y
a

x
gleitender Vektor

Bild 5.5: Gleitender Vektor

5.2 Komponentenschreibweise für Vektoren

In Bild 5.6 ist ein Vektor a im 3D-Raum dargestellt, der vom Anfangspunkt P = (xP ; yP ; zP ) zum
Endpunkt Q = (xQ ; yQ ; zQ ) verläuft. Die zur x-Achse parallele Komponente des Vektors a soll
mit ax , die zur y-Achse parallele Komponente mit ay und die zur z-Achse parallele Komponente
mit az bezeichnet werden. In Matrixschreibweise lautet der Vektor a :

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax = xQ − xP ax xQ − xP
ay = yQ − yP a = ⎣ ay ⎦ = ⎣ yQ − yP ⎦ (5.1)
az = zQ − zP az zQ − zP
5.2 Komponentenschreibweise für Vektoren 201

y
6 pqQ



a
ay

P pq ax
az
-
x
z

Bild 5.6: Komponenten eines 3D-Vektors

Sonderfall: Vektor in der xy-Ebene


Alle Beziehungen für 3D-Vektoren gelten sinngemäß auch für Vektoren in der xy-Ebene, wenn
die z-Komponente gleich Null gesetzt wird, d.h. az = 0.
   
ax xQ − xP
a 2D = =
ay yQ − yP

Anmerkungen:
1. Es ist nicht zwingend, einen Vektor unbedingt in Spaltenform, d.h. als Spaltenvektor, anzu-
geben. Man kann auch einen Zeilenvektor verwenden. Prinzipiell spielt es keine Rolle, ob
die Vektorkomponenten in Spalten- oder Zeilenform angegeben sind. Der obige Vektor a
kann daher auch als Zeilenvektor definiert werden:
   
a = ax ay az = (x2 − x1 ) (y2 − y1 ) (z2 − z1 )

2. Nach den Regeln der Matrixrechnung wäre eine solche »großzügige« Betrachtungsweise
an sich nicht möglich gewesen. Die Vektorrechnung erlaubt dies, weil Vektorprodukte (Ska-
larprodukt, Kreuzprodukt usw.) nach eigenen Regeln definiert werden. Eine strenge Orien-
tierung nach der Regeln der Matrixrechnung ist deshalb nicht zwingend.

Beispiel 5.4:
Gegeben sind im 3D-Raum die beiden Punkte P = (4; −3; −2) und Q = (6; 2; 1). Ge-
sucht ist der Vektor a vom Punkt P zum Punkt Q in Matrixschreibweise.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax xQ − xP 6−4 2
a = ⎣ ay ⎦ = ⎣ yQ − yP ⎦ = ⎣ 2 − (−3) ⎦ = ⎣ 5 ⎦
az zQ − zP 1 − (−2) 3

Gleichheit von zwei Vektoren


Zwei Vektoren a und b sind gleich, wenn alle ihre Komponenten gleich sind:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax bx
a = ⎣ ay ⎦ b = ⎣ by ⎦ a =b ⇔ a x = bx ay = by az = bz
az bz
202 5 Vektorrechnung

5.2.1 Länge eines Vektors


Die Länge a eines Vektors a (auch Betrag |aa| des Vektors genannt) im 3D-Raum lässt sich mit
Hilfe von Pythagoras-Satz berechnen (Bild 5.6):

a = |aa| = a2x + a2y + a2z (5.2)

Falls der Vektor in der xy-Ebene liegt (im 2D-Raum ist az = 0), ergibt sich die Länge zu:

a = |aa| = a2x + a2y (5.3)

Beispiel 5.5:
Ein Vektor a verläuft vom Startpunkt P = (−1; 1; 4) zum Endpunkt Q = (1; 5; 3).
Gesucht ist der Vektor in Matrixschreibweise und seine Länge a.
⎤ ⎡
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax x2 − x1 1 − (−1) 2
a = ⎣ ay ⎦ = ⎣ y2 − y1 ⎦ = ⎣ 5 − 1 ⎦ = ⎣ 4 ⎦
az z2 − z1 3−4 −1
 
a= a2x + a2y + a2z = (2)2 + (4)2 + (−1)2 = 4,58

Beispiel 5.6:
Von einem in der xy-Ebene liegenden Vektor a sei seine Länge a und der Winkel α
zwischen der x-Achse und a bekannt: a = 3, α = 30◦ . Gesucht ist die Matrixschreib-
weise von a .
Die Komponenten des Vektors a ergeben sich aus elementarer Trigonometrie:

ax = a · cos 30 = 2,6 y 6
*

ay = a · sin 30 = 1,5 a 


ay
   
ax 2,6 
⇒ a= =  α = 30◦ -
ay 1,5 ax
x

5.3 Linearkombination von Vektoren

Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar (Pfeildarstellung)


Verschiedene Beispiele für die Skalar-Vektor-Multiplikation sind in Bild 5.7 gezeigt. Die Multi-
plikation eines Vektors a mit dem Skalar c dehnt (oder staucht) den Vektor a um den Faktor
c . Der Vektor dehnt sich, wenn c > 1 ist; für c < 1 wird er gestaucht.
Das Vorzeichen von c bestimmt die Richtung des neuen Vektors: Für c > 0 wird die alte
5.3 Linearkombination von Vektoren 203

Richtung beibehalten, für c < 0 kehrt sich die Zeigerichtung des Vektors um. Für c = −1 än-
dert sich die Länge von a zwar nicht, der neue Vektor zeigt aber genau in die entgegengesetzte
Richtung (Richtungsumkehr). Durch Multiplikation eines gebundenen Vektors (z.B. des Ortsvek-







  
 1  
 a  2aa a 
 2
a
 a −aa
     

a: 2 a 1
b: a c: − a
2

Bild 5.7: Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar

tors r mit Anfangspunkt P, Endpunkt Q und der Länge L ) mit dem Skalar c entsteht ein neuer
Vektor crr , der den gleichen Anfangspunkt P wie der Vektor r aber einen anderen Endpunkt Q
besitzt, weil sich seine Länge auf den Wert cL geändert hat.
Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar (Komponentendarstellung)
Die Multiplikation eines Vektors a in der Definition von (5.1) auf Seite 200 mit einem Skalar c
liefert einen neuen Vektor b :
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax bx ax c ax
a = ⎣ ay ⎦ b = ca ⎣ by ⎦ = c ⎣ ay ⎦ = ⎣ c ay ⎦ (5.4)
az bz az c az

Die Länge von b ergibt wie folgt:



|bb| = c2 (a2x + a2y + a2z ) = |c a | = |c| |aa|

Die Multiplikation des Vektors a mit c modifiziert also seine Länge (Dehnung, wenn |c| > 1 bzw.
Stauchung, wenn |c| < 1).

Beispiel 5.7:
Der Vektor a des Beispiels 5.5 wird mit c = 2 multipliziert. Gesucht ist die Länge
des neuen Vektors b = 2aa.
 √
|aa| = 22 + 42 + (−1)2 = 21 = 4,58 |bb| = 2 |aa| = 2 · 4,58 = 9,16

Oder alternativ:
⎡⎤ ⎡ ⎤
2·2 4 
b = 2a = ⎣ 2 · 4 ⎦ = ⎣ 8 ⎦ |bb| = 42 + 82 + (−2)2 = 9,16
2 · (−1) −2
204 5 Vektorrechnung

Addition und Subtraktion von Vektoren (Pfeildarstellung)


Die Addition von zwei Vektoren a und b liefert als Ergebnis einen neuen Vektor c , der -
geometrisch betrachtet- dem Diagonalen des Parallelogramms entspricht, welches von den Vek-
toren a und b aufgespannt wird.

c = a +bb

Anschaulicher als die Parallelogrammkonstruktion ist das sequentielle Aneinanderfügen der zu


addierenden Vektoren, vgl. Bild 5.8 a. Für die Addition a +bb wird hierbei der Anfangspunkt Pb
des zweiten Vektors b auf den Endpunkt Qa des ersten Vektors a gesetzt. Der sich vom Punkt
Pa zum Punkt Qb erstreckende Vektor ist der resultierende Vektor c . Auf diese Weise kann man
sehr leicht auch mehr als zwei Vektoren addieren. Die Reihenfolge der Addition spielt hierbei
keine Rolle, d.h. es ist gleichgültig, ob man den Vektor b zum Vektor a hinzu addiert (= a +bb),
oder den Vektor a zum Vektor b (= b +aa), vgl. Bild 5.8 b.
Die Subtraktion von zwei Vektoren kann als eine Addition mit Richtungsumkehr aufgefasst
werden. Beispielsweise lässt sich die Subtraktion a − b als Addition des Vektors a mit dem
Vektor −bb interpretieren, vgl. Bild 5.8 c:

c = a −bb = a + (−bb)

Qb Qb , Pa a - Qa Pa a - Qa , Pb

* 
*
a +bb   
 @ 
 b b   @ −bb
     b +aa a −bb @ 
 -  
 R Qb
@
Pa a Qa , Pb Pb

a: c = a +bb b: c = b +aa c: c = a −bb

Bild 5.8: Addition und Subtraktion von Vektoren

Addition und Subtraktion von Vektoren (Komponentendarstellung)


Zwei Vektoren werden addiert bzw. subtrahiert, indem ihre Komponenten algebraisch addiert
bzw. subtrahiert werden.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax bx
a = ⎣ ay ⎦ b = ⎣ by ⎦
az bz
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
cx ax + bx dx ax − bx
a+b =c ⎣ cy ⎦ = ⎣ ay + by ⎦ a−b =d ⎣ dy ⎦ = ⎣ ay − by ⎦ (5.5)
cz az + bz dz az − bz
5.3 Linearkombination von Vektoren 205

Beispiel 5.8:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 −2
a=⎣ 0 ⎦ b=⎣ 5 ⎦ c = ⎣ −5 ⎦
1 3 −3
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 28 6 2
−a = ⎣ 0 ⎦ 7aa = ⎣ 0 ⎦ a +bb = ⎣ 5 ⎦ a −bb = ⎣ −5 ⎦
−1 7 4 −2
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 2 4
b +cc = ⎣ 0 ⎦ = 0 2(aa −bb) = 2 ⎣ −5 ⎦ = ⎣ −10 ⎦
0 −2 −4
a = b = c b = −cc c = −bb b +cc = 0

Für Linearkombinationen von Vektoren gelten die Rechenregeln der Tabelle 5.1.

Tabelle 5.1: Regeln für die Linearkombination von Vektoren

a +bb = b +aa
(aa +bb) +cc = a + (bb +cc)
(c1 + c2 ) a = c 1 a + c2 a
c (aa + bb) = ca +cb
c1 (c2 a ) = (c1 · c2 ) a
a +00 = a
(−1) · a = −a
(−a)
a +(−a) = 0

Beliebige Linearkombination von Vektoren


In der folgenden Linearkombination von mehreren Vektoren a1 , a2 , a3 , · · · , an wird jeder einzel-
ne Vektor ai durch den ihm zugeordneten Skalierungsfaktor ci gedehnt, gestaucht oder gedreht.
Die Operation liefert als Ergebnis wiederum einen Vektor.

b = c1 a1 + c2 a2 + · · · + cn an (c1 , c2 , . . . cn : Skalierungsfaktoren) (5.6)

Beispiel 5.9:
⎡⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 5
a=⎣ 2 ⎦ b=⎣ 2 ⎦ c = ⎣ −1 ⎦ c1 = 2 c2 = −3 c3 = 4
3 4 −2
⎡ ⎤
25
2aa − 3bb + 4cc = ⎣ −6 ⎦
−14
206 5 Vektorrechnung

5.4 Vektordarstellung mit Basisvektoren

Bei der Behandlung mechanischer Aufgaben erweist sich die in diesem Abschnitt vorgestellte
Darstellungsart eines Vektors mit Hilfe der Basisvektoren des kartesischen 3D-Koordinatensystems
als sehr vorteilhaft, weil sie es gestattet, mit den Vektorkomponenten so umzugehen als wären
sie gewöhnliche mathematische Symbole.

Basisvektoren i , j , k
Das rechtshändige kartesische Koordinatensystem im 3D-Raum besteht aus drei orthogonalen
(d.h. zueinander senkrecht stehenden) Basisvektoren i , j , k (s. Bild 5.9). Der Basisvektor i liegt

y 6


|ii| = 1

a

| j| = 1
6
|kk | = 1
j


- -
k i x

z a = a x i + ay j + az k

Bild 5.9: Basisvektoren i , j , k

auf der x-Achse und zeigt in positive x-Richtung, j und k liegen jeweils auf der y- bzw. z-Achse
und zeigen in deren positive Richtungen. Jeder dieser Basisvektoren ist ein Einheitsvektor, d.h.
besitzt die Länge 1. In Matrixschreibweise lauten die Basisvektoren:
⎤⎡ ⎡ ⎤ ⎡

1 0 0
Spaltenform: i = ⎣ 0 ⎦ j =⎣ 1 ⎦ k=⎣ 0 ⎦ (5.7)
0 0 1
     
Zeilenform: i = 1 0 0 j= 0 1 0 k= 0 0 1
  
|ii| = 12 + 02 + 02 = 1 | j | = 02 + 12 + 02 = 1 |kk | = 02 + 02 + 12 = 1

Vektordarstellung mit den Basisvektoren i , j , k


Ein Vektor a kann auch als Linearkombination von Basisvektoren dargestellt werden:

a = a x i + ay j + a z k (5.8)
5.5 Skalarprodukt 207

Beispiel 5.10:
Gegeben sind zwei Vektoren in Matrixschreibweise:
⎡⎤ ⎡⎤
4 2
a=⎣ 0 ⎦ b=⎣ 5 ⎦
1 −3

Die Darstellung dieser Vektoren mit Basisvektoren i , j , k lautet:

a = 4 i + 0 j + 1 k = 4 i +kk b = 2i +5 j −3k

Einige exemplarische Linearkombinationen von a und b sind:

−a = −(4 i +kk ) = −4 i −kk


7a = 7 · (4 i +kk ) = 28 i + 7kk
a +bb = (4 i +kk ) + (2 i + 5 j − 3 k ) = 6 i + 5 j − 2 k
     
a b
2(aa −bb) = 2[(4 i +kk ) − (2 i + 5 j − 3 k )] = 2(2ii − 5 j + 4kk ) = 4 i − 10 j + 8 k

5.5 Skalarprodukt

Das Skalarprodukt von zwei Vektoren a und b wird durch »aa · b « gekennzeichnet. Wie der Name
es bereits zum Ausdruck bringt, ist a · b ein Skalar (d.h. eine Zahl k) und definiert als:
3-dimensionaler Fall
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax bx a = a x i + ay j + az k
a = ⎣ ay ⎦ b = ⎣ by ⎦ bzw.
az bz b = b x i + by j + bz k

a · b = ax bx + ay by + az bz Skalarprodukt für 3D-Vektoren a und b (5.9)

2-dimensionaler Fall
    a = a x i + ay j
ax bx
a= b= bzw.
ay by
b = b x i + by j

a · b = ax bx + ay by Skalarprodukt für 2D-Vektoren a und b (5.10)

In Tabelle 5.2 sind einige Rechenregeln für das Skalarprodukt angegeben.


208 5 Vektorrechnung

Tabelle 5.2: Regeln für Skalarprodukt von zwei Vektoren

a ·b = b ·a (Kommutativität)
a · (bb +cc) = a · b +aa · c (Distributivität)
(aa +bb) · c = a · c +bb · c
(k a ) · b = k(aa · b )
(k a ) · (bb +cc) = k(aa · b ) + k(aa · c )
(k1 a + k2 b ) · c = (k1 a ) · c + (k2 b ) · c = k1 (aa · c ) + k2 (bb · c )
(aa +bb) · (cc +dd ) = a · c +aa · d +bb · c +bb · d
(aa +bb +cc) · (dd +ee + f ) = a · d +aa · e +aa · f +bb · d +bb · e +bb · f +cc · d +cc · e +cc · f

Beispiel 5.11:
Gesucht ist das Skalarprodukt der Vektoren a = i + 2 j + 5kk und b = 3ii − 2 j +kk .

a · b =3 
i · i −2 i · j + 
i · k +6 j · i −4 j · j +2 j · k +15 
k · i −10 k · j +5 
k ·k
    
=1 =0 =0 =0 =1 =0 =0 =0 =1

= 3−4+5 = 4

Schreibweise ohne den Skalarpunkt ».«


Das Skalarprodukt a · b von zwei Vektoren a und b wird durch die Angabe eines Punktes » · «
kenntlich gemacht. Deshalb darf man die korrespondierenden Komponenten von a und b mitein-
ander multiplizieren, was nach den Regeln der Matrixrechnung eigentlich nicht erlaubt wäre (die
Dimensionen von a und b würden für eine Matrix-Matrix-Multiplikation inkompatibel sein, weil
sie beide entweder in Spaltenform oder in Zeilenform vorliegen).
Grundsätzlich könnte das Skalarprodukt aber auch ohne Angabe des Skalarpunktes » · « for-
muliert werden, wenn a als Zeilenvektor und b als als Spaltenvektor (oder umgekehrt) geschrie-
ben werden:
⎡ ⎤
  bx
a · b ≡ a T b = ax ay az ⎣ by ⎦ = ax bx + ay by + az bz
bz
⎡ ⎤
  ax
a · b ≡ bT a = bx by bz ⎣ ay ⎦ = ax bx + ay by + az bz
az
In der Schreibweise ohne den Punkt » · « ist die Reihenfolge der multiplizierten Vektoren und
ihrer Transponierten wichtig. Wenn man anstelle von a T b (oder b T a ) den Ausdruck a b T (oder
b a T ) verwenden würde, wäre das Ergebnis kein Skalar, sondern eine 3 × 3 Matrix!
5.5 Skalarprodukt 209

Geometrische Interpretation des Skalarprodukts


In Bild 5.10 sind zwei in der xy-Ebene liegende Vektoren a und b dargestellt, die miteinander
den Winkel α einschließen. Der Vektor a besitzt die Länge a und schließt mit der x-Achse den
Winkel γ ein, der Vektor b besitzt besitzt die Länge b und schließt den Winkel β ein. Mit den

b by

a a ay
b
g
bx ax
x

Bild 5.10: Vektoren a und b in der xy-Ebene

Angaben in Bild 5.10 lassen sich folgende elementare Beziehungen anschreiben:

by bx ay ax
α = β −γ sin β = cos β = sin γ = cos γ = (5.11)
b b a a
Mit Hilfe des Additionstheorems für die Kosinusfunktion (s. Nr. 25 auf Seite 774) und der obigen
Formeln lässt sich dann folgender Ausdruck herleiten:

bx ax by ay ax bx + ay by
cos α = cos(β − γ) = cos β cos γ + sin β sin γ = + =
b a b a ab
Unter Beachtung von (5.10) sowie a = |aa|, b = |bb| ist die obige Beziehung identisch mit

a ·b
cos α = (5.12)
|a | |bb|
a

Nach Umformung resultiert daraus die bekannte Definition für das Skalarprodukt:

a · b = |aa| |bb| cos α Skalarprodukt (5.13)

Der von den Vektoren a und b eingeschlossene Winkel α ergibt sich aus (5.12):1

a ·b
α = arccos (5.14)
|aa| |bb|

1 Der aus (5.14) berechnete Winkel α ist leider nicht immer eindeutig; das hängt mit der Kosinusfunktion zusammen.
Der Taschenrechner liefert z.B. für das Argument 0,5 den Winkel α = arccos 0,5 = 60◦ . Der Winkel α = 300◦ wäre
allerdings genauso richtig gewesen, weil zwar cos 60◦ = 0,5, andererseits aber auch cos 300◦ = 0,5.
210 5 Vektorrechnung

Der Ausdruck |bb| cos α auf der rechten Seite von (5.13) entspricht der Projektion des Vektors
b auf dem Vektor a (genauso gut könnte man natürlich auch den Ausdruck |aa| cos α wählen,
der nichts anderes ist als die Projektion des Vektors a auf dem Vektor b ). Deshalb kann das
Skalarprodukt auch interpretiert werden als die Multiplikation der Längen von zwei Vektoren,
von denen der eine auf dem anderen projeziert wird.
Das Vorzeichen des Skalarproduktes hängt von der relativen Orientierung der beiden Vektoren
zueinander ab (s. Bild 5.11):

 6 @
I
b b @b
α = 90
@ α > 90◦
α < 90◦ - - @ -
a a a

a: a · b > 0 b: a · b = 0 c: a · b < 0

Bild 5.11: Skalarprodukt



⎨> 0 : die Projektion von b auf a zeigt in die gleiche Richtung wie a

a · b = = 0 : b steht senkrecht zu a (aa ⊥ b )


⎩< 0 : die Projektion von b auf a zeigt in die entgegengesetzte Richtung wie a

Anmerkung: Der Winkel α ist der kleinere Winkel zwischen den Vektoren a und b , wenn sie
von einem gemeinsamen Punkt aus wegzeigen.

Beispiel 5.12:
⎤ ⎡ ⎤ ⎡
1 3
Gesucht ist der Winkel zwischen den Vektoren a = ⎣ 2 ⎦ und b = ⎣ −2 ⎦ .
5 1
 √
a · b = 1 · 3 + 2 · (−2) + 5 · 1 = 4 |aa| = 12 + 22 + 52 = 30
 √ 4
|bb| = 32 + (−2)2 + 12 = 14 cos α = √ √ = 0,1952 ⇒ α = 78,7◦
30 14

Länge eines Vektors als Skalarprodukt


Für die Länge des Vektors a kann eine Beziehung hergeleitet werden, die auf dem Skalarprodukt
beruht. Zu diesem Zweck wird a mit sich selbst skalar-multipliziert:

a · a = |aa||aa| cos 0 = |aa|2
  ⇒ |aa| = a ·a Länge des Vektors a (5.15)
=1
5.6 Kreuzprodukt 211

5.6 Kreuzprodukt

Einleitende Betrachtung in der xy-Ebene


Für die in Bild 5.10 auf Seite 209 dargestellten Vektoren a und b in der xy-Ebene kann mit Hilfe
der Beziehungen (5.11) und des Additionstheorems für die Sinusfunktion (s. Nr. 24 auf Seite
774) folgender Ausdruck hergeleitet werden:

by ax ay bx ax by − ay bx
sin α = sin(β − γ) = sin β cos γ − sin γ cos β = − =
b a a b ab
⇒ ax by − ay bx = a b sin α d.h. ax by − ay bx = |aa| |bb| sin α
Der Ausdruck ax by − ay bx kann mit Hilfe folgender Determinante auch als die Länge eines in
Richtung des Basisvektors k gerichteten Vektors c aufgefasst werden:
 
 i j k 

c =  ax ay 0  = 0 i + 0 j + (ax by − ay bx ) k = (ax by − ay bx ) k |cc| = ax by − ay bx
 b b 0 
x y

Nach Zusammenfassen der obigen Ergebnisse erhalten wir:

|cc| = |aa| |bb| sin α

Der Vektor c steht senkrecht sowohl auf dem Vektor a als auch auf b . Das können wir sofort
ersehen durch Bildung der Skalarprodukte:

a = a x i + ay j + 0 k b = b x i + by j + 0 k c = 0 i + 0 j + (ax by − ay bx ) k

a · c = ax · 0 + ay · 0 + 0 · (ax by − ay bx ) = 0 d.h. a ⊥ c
b · c = bx · 0 + by · 0 + 0 · (ax by − ay bx ) = 0 d.h. b ⊥ c

Allgemeine Definition des Kreuzproduktes


Die obige für den 2D-Raum angestellte Betrachtungsweise kann auch auf den 3D-Raum verall-
gemeinert werden. Das Kreuzprodukt (oder Vektorprodukt) der Vektoren a und b ist ein Vektor c ,
der senkrecht auf der von a und b aufgespannten Ebene steht. Symbolisch wird das Kreuzprodukt
geschrieben als

c = a ×bb Kreuzprodukt (5.16)

Das Bild 5.12 zeigt das Kreuzprodukt c = a ×bb in zwei Varianten. In beiden Teilbildern steht der
Vektor c senkrecht zu der von Vektoren a und b aufgespannten Ebene (s. auch das Beispiel 5.48
auf Seite 244), aber die Richtung von c ist jeweils entgegengesetzt. Mit Hilfe der Schrauben-
regel kann man sich die positive Richtung des Kreuzproduktes c leicht bildhaft machen: Wenn
eine rechtsgängige Schraube so gedreht wird wie die Drehung des Vektors a zum Vektor b auf
dem kürzestmöglichen Winkel α, bewegt sich die Schraube stets in die positive Richtung des
Kreuzprodukts c .
212 5 Vektorrechnung

z z

c
b a

a A y a
A y

a b
x x c

a: c in positiver z-Richtung b: c in negativer z-Richtung

Bild 5.12: Kreuzprodukt c = a ×bb

Im 3D-Raum lässt sich das Kreuzprodukt c = a ×bb aus folgender Formel berechnen:
⎡ ⎤ ⎡
⎤ ⎡ ⎤
ax bx cx
a = ⎣ ay ⎦ b = ⎣ by ⎦ c = a ×bb = ⎣ cy ⎦
az bz cz
   
 i j k   i ax bx 
   
c = a ×bb =  ax ay az 
 oder c =  j ay by 
 (5.17)
 b by bz   k az bz 
x

oder nach Ausrechnen der Determinante:

c = (ay bz − az by ) i + (az bx − ax bz ) j + (ax by − ay bx ) k (5.18)


        
cx cy cz

Die Komponenten von c entsprechen also folgenden 2-reihigen Determinanten:


     
 ay az   ax az   ax ay 

cx =   
cy = −   
cz =  
by bz  bx bz  bx by 

Die Herleitung von (5.18) wird in Beispiel 5.42 auf Seite 240 ausführlich demonstriert.
Die Länge (Betrag) des Kreuzprodukts c ist gleich dem Flächeninhalt A des von Vektoren
a und b aufgespannten Parallelogramms:

A = |cc| = |aa ×bb| = c2x + c2y + c2z Länge des Kreuzprodukts (5.19)

Die Herleitung der Formel (5.19) ist in Beispiel 5.44 auf Seite 242 gezeigt.
Für die Berechnung der Länge des Kreuzprodukts können auch folgende Beziehungen ver-
wendet werden:

|cc| = |aa ×bb| = |aa| |bb| sin α (5.20)


5.6 Kreuzprodukt 213


|cc| = |aa ×bb| = (aa · a )(bb · b ) − (aa · b )2 (5.21)

Die Herleitung der Formel (5.21) ist in Beispiel 5.43 auf Seite 241 gezeigt.
In Tabelle 5.3 sind die wichtigsten Regeln für das Kreuzprodukt zusammengestellt.

Tabelle 5.3: Regeln für das Kreuzprodukt von Vektoren

a ×bb = 0 ⇔ a bb
a ×bb = −(bb ×aa)
a × (bb +cc) = (aa ×bb) + (aa ×cc)
(aa +bb) ×cc = (aa ×cc) + (bb ×cc)
k(aa ×bb) = (kaa) ×bb = a × (kbb)
a × (bb ×cc) = (aa ×bb) ×cc (von Sonderfällen abgesehen)
a · (bb ×cc) = b · (cc ×aa) = c · (aa ×bb) s.(5.28) auf Seite 222
a × (bb ×cc) = (aa · c ) b − (aa · b ) c s. Beispiel 5.53 auf Seite 247
(aa ×bb) · (cc ×dd ) = (aa · c ) (bb · d ) − (aa · d ) (bb · c )
(aa ×bb) × (cc ×dd ) = (aa · (bb ×dd )) c − (aa · (bb ×cc)) d für (aa b d ) vgl. Abschnitt 5.8

Beispiel 5.13:
Für Vektoren a und b sind ihr Kreuzprodukt c und seine Länge |cc| zu berechnen.

⎤ ⎤⎡
4 −2
a=⎣ 0 ⎦ b=⎣ 1 ⎦
−1 3

   
 i j k   i j k 
   
c = a ×bb =  ax ay az = 4
  0 −1 

 b by bz   −2 1 3 
x
⎤ ⎡
1
= i (0 + 1) + j (2 − 12) +kk (4 + 0) = i − 10 j + 4 k = ⎣ −10 ⎦
4

|cc| = 12 + (−10)2 + 42 = 10,82
214 5 Vektorrechnung

Beispiel 5.14:
Es soll der Flächeninhalt A des von den Vektoren a und b aufgespannten Parallelo-
gramms berechnet werden.
⎡⎤ ⎡ ⎤
2 5
a=⎣ 3 ⎦ b = ⎣ −9 ⎦
4 12

Der Flächeninhalt A ist gleich dem Betrag des Kreuzprodukts der Vektoren a und b .
a) Berechnung nach Gl. (5.17) bzw. (5.18)
   
 i j k   i j k 
 
c = a ×bb =  ax ay az  =  2 3 4 

 b b b   5 −9 12 
x y z

= i (36 + 36) + j (20 − 24) +kk (−18 − 15) = 72 i − 4 j − 33 k



|cc| = 722 + (−4)2 + (−33)2 = 79,30

b) Berechnung nach Gl. (5.20)


 √  √
|aa| = 22 + 32 + 42 = 29 |bb| = 52 + (−9)2 + 122 = 250

Der Winkel α zwischen a und b lässt sich mit Hilfe des Skalarproduktes ermit-
teln:

a · b = 2 · 5 + 3 · (−9) + 4 · 12 = 31

a ·b 31
cos α = =√ √ = 0,3641 ⇒ α = 68,65◦ sin α = 0,9314
|aa| |bb| 29 · 250
Der Flächeninhalt A ergibt sich damit zu:
√ √
A = |aa ×bb| = |aa| |bb| sin α = 29 250 (0,9314) = 79,30

c) Berechnung nach Gl. (5.21)

a · a = 29 b · b = 250 a · b = 31
 
A = |aa ×bb| = (aa · a )(bb · b ) − (aa · b )2 = 29 · 250 − 312 = 79,30
5.6 Kreuzprodukt 215

Beispiel 5.15:
Es soll der Flächeninhalt des Polygons bestimmt werden, deren Kanten durch die Punk-
te 1, 2, 3, · · · , n − 1, n definiert sind.
3 (x3, y3)

2 (x2, y2)

y
1 (x1, y1)

O x
n (xn, yn)

n-1 (xn-1, yn-1)

Die Fläche A1 des markierten Dreiecks O12 erhalten wir aus


 
 i j k 
1 −→ − → 1 
A1 = |O1 × O2| =  x1 y1 z1 
2 2
x2 y2 z2 

Die Summe der Flächen aller Dreiecke liefert die gesuchte Gesamtfläche A:
     
 i j k   i j k   i j k 
1  1  1  
A = A1 + A2 + · · · + An =  x1 y1 z1  +  x2 y2 z2  + · · · +  xn yn zn 

2 2 2
x2 y2 z2  x3 y3 z3  x1 y1 z1 

In kompakter Form erhalten wir die Formel für den Flächeninhalt der Polygonfläche:
 
 i j k 
n
1 
n 
A = ∑ Ai = ∑  xi yi zi 
 mit xn+1 = x1 yn+1 = y1 zn+1 = z1
i=1 2 i=1  
xi+1 yi+1 zi+1

Beispiel 5.16:
Nachfolgend sind verschiedene Kreuzprodukte der Basisvektoren i , j und k im karte-
sischen xyz-Koordinatensystem angegeben. Das Vorzeichen des jeweiligen Kreuzpro-
duktes lässt sich mit Hilfe der Schraubenregel anschaulich festlegen. 6
j
i ×ii = 0 i× j =k i ×kk = − j -
k i
j ×ii = −kk j× j =0 j ×kk = i

k ×ii = j k × j = −ii k ×kk = 0
216 5 Vektorrechnung

5.7 Technische Anwendungen des Kreuzprodukts

In diesem Abschnitt werden technische Anwendungsbeispiele für das Kreuzprodukt vorgestellt.

5.7.1 Moment einer Kraft

Bild 5.13 zeigt einen Kraftvektor F , der in der Blattebene liegt und im Punkt A angreift (der
Betrag von F , d.h. die Kraftintensität, ist F). Das vom Kraftvektor F im Punkt P erzeugte
Moment M ist nach Gesetzen der Statik

Moment = Kraft × Hebelarm ⇒ M = F ·d

Wenn der Kraftvektor F nicht in der Blattebene liegt, sondern im 3D-Raum in eine beliebige
Richtung zeigt, ist die Ermittlung des Hebelarms d schon etwas aufwändiger. In solchen Fällen,
insbesondere in Computerprogrammen, bietet sich die Berechnung des Moments mit Hilfe des
Kreuzproduktes an. Der von einem im 3D-Raum liegenden Kraftvektor F in Bezug auf einen


F

P
L - α
@ r A
@
d@
@
@

Bild 5.13: Moment der Kraft F um den Punkt P

beliebigen Punkt P erzeugte Momentenvektor M entspricht dem Kreuzprodukt des Streckenvek-




tors r = PA mit dem Kraftvektor F , wobei A der Angriffspunkt von F ist:

M = r ×F
F (5.22)

In der Determinantenschreibweise des Kreuzprodukts ergibt sich:


  ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
 i j k  Mx rx Fx

M =  rx ry rz  mit M = ⎣ My ⎦ r = ⎣ ry ⎦ F = ⎣ Fy ⎦ (5.23)
 F F F  Mz rz Fz
x y z

Für die Definition des Streckenvektors r kann anstelle des Punkts A auch jeder andere beliebige
Punkt, der auf der Wirkungslinie von F liegt, gewählt werden. Der Streckenvektor r erstreckt sich
vom Punkt P zum Punkt A und hat die Länge L. Der Betrag des Momentenvektors M entspricht
dem gesuchten Moment M der Kraft F in Bezug auf den Punkt P.
5.7 Technische Anwendungen des Kreuzprodukts 217

Beispiel 5.17:
Für das Moment von F im Punkt P (s. Bild 5.13) erhält man aus (5.22) und (5.20):

M = |M F | = |rr | |F
M | = |rr ×F F | sin α = F L  α = F d
 sin
 
L F d

Beispiel 5.18:
Das in Bild 5.13 skizzierte System sei in der xy-Ebene eines rechtshändigen kartesi-
schen xyz-KS gegeben. Mit Hilfe des Kreuzproduktes soll das Moment im Punkt P für
folgende Zahlenwerte berechnet werden.
⎡ ⎤
707,1 N
F = ⎣ 707,1 N ⎦ A = (3,2; 0; 0) P = (2; 0; 0) (Koordinaten in m)
0N

Der Streckenvektor r ergibt sich gemäß (5.1) aus den Punktkoordinaten:

y6
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3,2 − 2 1,2 F
r =⎣ 0−0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ 
P
0−0 0 q - -
r A x
z M
Der Momentenvektor ergibt sich aus (5.22):
 
 i j k 

F =  1,2
M = r ×F 0 0  = i (0 − 0) + j (0 − 0) +kk (1,2 · 707,1 − 0)
 707,1 707,1 0 

M = 848,5 k M zeigt aus der Blattebene heraus, weil in positiver k -Richtung)


(M
Der Betrag des Moments ist:

M | = 02 + 02 + 848,52 = 848,5 Nm
M = |M

5.7.2 Bahngeschwindigkeit einer rotierenden Scheibe


Das Bild 5.14 zeigt eine Kreisscheibe, die sich in ihrem Mittelpunkt um eine zur Scheibenebene
senkrechte Achse im 3D-Raum mit der Winkelgeschwindigkeit ω dreht. Der Vektor Winkelge-
schwindigkeit sei mit ω bezeichnet, es gilt ω = |ω ω |. Mit r wird der Streckenvektor von einem
beliebigen Punkt A auf der Linie des Rotationsvektors ω zum Punkt P bezeichnet. Der Ge-
schwindigkeitsvektor v des Punkts P ist tangential zum Scheibenrand, d.h. er steht senkrecht auf
der von den Vektoren ω und r aufgespannten Ebene. Gesucht ist der Bahngeschwindigkeitsvek-
tor v des Punktes P.
218 5 Vektorrechnung

y
w

d
v
P
a r
A

x
z

Bild 5.14: Bahngeschwindigkeit eines rotierenden Punktes

Bereits aus der Schulphysik ist gut bekannt, dass die Bahngeschwindigkeit eines um eine
Drehachse rotierenden Punktes P gleich ist dem Produkt der Winkelgeschwindigkeit ω und
des Abstands zwischen dem Punkt P und der Drehachse:

v = ω ·d a)

Das Einsetzen der Beziehungen

v = |vv| ω|
ω = |ω d = |rr | sin α

in die obige Formel a) liefert unter Berücksichtigung der Definition des Kreuzprodukts gemäß
Gl.(5.20) auf Seite 212:

ω | |rr | sin α = |ω
|vv| = |ω ω ×rr | ⇒ v = ω ×rr

Der tangentiale Geschwindigkeitsvektor v eines beliebigen Punktes P auf der Scheibe entspricht
also dem Kreuzprodukt von ω und r :

v = ω ×rr (5.24)

ω benützen?
Frage: Was würde passieren, wenn wir anstatt v = ω ×rr den Ausdruck v = r ×ω

Beispiel 5.19:
Gesucht ist die Bahngeschwindigkeit v des Punktes P = (20; 50; 20) cm in einem
Körper, der mit der Winkelgeschwindigkeit ω = 31,42 rad/s um die y-Achse rotiert.
Der Rotationsgeschwindigkeitsvektor und der Ortsvektor lauten:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ωx 0 20
ω = ⎣ ωy ⎦ = ⎣ 31,42 ⎦ r = ⎣ 50 ⎦
ωz 0 20
5.7 Technische Anwendungen des Kreuzprodukts 219

Der Geschwindigkeitsvektor des Punkts P ergibt sich nach (5.24):


 
 i j k 

v = ω ×rr =  0 31,42 0  = 628,4 i + 0 j − 628,4 k = 628,4 (ii −kk )
 20 50 20 

Die Bahngeschwindigkeit v entspricht dem Betrag von v :



v = |vv| = 628,42 + (−628,4)2 = 888,7 cm/ sec ≡ 8,887 m/ sec

5.7.3 Radialbeschleunigung eines rotierenden Punktes

Die abgebildete kreisrunde Scheibe dreht sich in ihrem Mittelpunkt M mit konstanter Winkelge-
schwindigkeit ω um die zur Scheibe senkrechten Drehachse (M bleibt in Ruhe). Die Drehung ist
durch den Winkelgeschwindigkeitsvektor ω mathematisch vollständig beschrieben. Gesucht ist
der Beschleunigungsvektor a des Punktes P.

z w

M
r
P
v
y
x

Für einen Punkt P, der sich im Raum beliebig bewegt, gilt folgende differentiale Beziehung
zwischen seinem Geschwindigkeitsvektor v und seinem Ortsvektor r die allgemein gültige Be-
ziehung
drr
v= = ṙr
dt
Zusätzlich benötigen wir noch die in (5.24) angegebene Beziehung für den Geschwindigkeits-
vektor v des Punktes P einer rotierenden Kreisscheibe (aus Vereinfachungsgründen wird hier der
Vektor r vom Mittelpunkt M zum Punkt P verlaufend betrachtet – das ändert freilich nichts am
Ergebnis).
Der Beschleunigungsvektor a entspricht der zeitlichen Ableitung des Geschwindigkeitsvek-
tors v , es gilt also a = dvv/dt. Somit erhalten wir unter Anwendung der Kettenregel und Berück-
sichtigung von ω̇ ω = 0 (wegen ω =const.) sowie der Gl. (5.24):

ω ×rr )
dvv d(ω
a= = = (
ω̇ ω × ṙr ) = ω ×vv = ω × (ω
ω ×rr ) + (ω ω ×rr )
dt dt
0
220 5 Vektorrechnung

Für die weitere Bearbeitung des Ausdrucks ω ×(ωω ×rr ) können wir von der folgenden, in Tabelle
5.3 auf Seite 213 angegebenen und in Beispiel 5.53 auf Seite 247 bewiesenen Regel

a × (bb ×cc) = (aa · c ) b − (aa · b ) c

für das zweifache Kreuzprodukt Gebrauch machen und erhalten als Beschleunigungsvektor:

ω ×rr ) = (ω
a = ω × (ω ω · ω ) r = −ω 2r
ω · r ) ω − (ω
  
0

Die Vektoren ω und r sind im vorliegenden Fall orthogonal, so dass ω · r = 0 ist. Das negative
Vorzeichen im Ergebnis deutet darauf hin, dass der Beschleunigungsvektor a entgegengesetzt
zum Ortsvektor r gerichtet ist, also vom Punkt P aus in Richtung Mittelpunkt M zeigt.
Der Betrag des Beschleunigungsvektors a ist: |aa| = | − ω 2r | = ω 2 r, d.h. er ist identisch mit
der aus Schulphysik bekannten Formel für die Zentripetalbeschleunigung eines kreisförmig ro-
tierenden Punktes.

5.8 Spatprodukt
Das Spatprodukt stellt eigentlich keine eigenständige Produktgattung dar, es ist nur eine spezielle
Produktkombination von drei Vektoren und wird wie folgt definiert:
.
(cc a b ) = c · (aa ×bb)

Spatprodukt wird in englischsprachigen Mathematikbüchern scalar triple product genannt. Be-


vor wir die Eigenschaften des Spatproduktes erörtern, ist es nützlich, seine geometrische Deutung
gemäß Bild 5.15 kennen zu lernen. Der von den drei Vektoren a ,bb,cc gebildete schiefe Quader wird
als Spat bezeichnet (auch Parallelepiped genannt). Die Anwendung von (5.13) auf Seite 209 für
Skalarprodukt auf den Ausdruck c · (aa ×bb) liefert:

c · (aa ×bb) = |cc| |aa ×bb| cos γ = |aa ×bb| |cc| cos γ = A · h ≡ V (5.25)
     
A h

Das Spatprodukt ist also gleich der Multiplikation der Grundfläche A des Spats mit seiner Höhe
h, d.h. gleich seinem Volumen V .

a xb

c
h
b
g
A

Bild 5.15: Spatprodukt entspricht dem Volumen des Spats


5.8 Spatprodukt 221

Anmerkung: In der Literatur wird für Spatrodukt c · (aa × b ) anstelle der Abkürzung (cc a b )
auch der Ausdruck [cc a b ] verwendet.
Das Spatprodukt läßt sich mit Hilfe von Determinanten mathematisch noch präziser schreiben
als in (5.25) angegeben. Mit den Vektoren

a = a x i + ay j + a z k b = b x i + by j + bz k c = c x i + cy j + cz k

läßt sich a ×bb folgendermaßen als Determinante schreiben (s. auch (5.17) auf Seite 212):
 
 i j k 

a ×bb =  ax ay az  (a)
 b b b 
x y z

Das Spatprodukt c · (aa × b ) in Determinantenschreibweise ergibt sich, wenn in der ersten Zeile
der obigen Determinante die Komponenten des Vektors c eingesetzt werden:
 
 cx cy cz 
 
V = (cc a b ) = c · (aa ×bb) =  ax ay az  (5.26)
 b b b 
x y z

Die Richtigkeit von (5.26) läßt sich sehr einfach überprüfen, indem die Determinante in Gl. (a)
ausmultiplizert wird (vgl. auch (5.18) auf Seite 212), dann mit dem Vektor c skalarmultipliziert,
und anschließend wieder in Determinantenform geschrieben wird.
Was passiert, wenn wir als Grundfläche des Spats nicht die von a und b aufgespannte Ebene,
sondern die von b und c aufgespannte Ebene definieren? Erhalten wir dann ein anderes Volumen?
Natürlich würden wir sofort sagen, dass das Volumen V unabhängig davon sein muss, wie wir
den Spat auf den Tisch stellen! Für diesen Fall können wir in Analogie zu (5.26) schreiben:
 
 ax ay az 
 
(aa b c ) = a · (bb ×cc) =  bx by bz  (5.27)
 c c c 
x y z

Nach der Regel 3 auf Seite 162 ändert sich das Vorzeicen einer Determinante, wenn zwei Zei-
len miteinander vertauscht werden. Wenn wir nun in dieser Determinante zunächst die 1. Zeile
mit der 3. Zeile vertauschen, und dann die neue 2. Zeile mit der 3. Zeile vertauschen, entsteht
eine zweimalige Vertauschung, d.h. das Vorzeichen ändert sich zweimal, bleibt also letztendlich
unverändert. Das Ergebis ist wie folgt:
       
 ax ay az   cx cy cz   cx cy cz   cx cy cz 
       
 bx by bz  = −  bx by bz  = −(−)  ax ay az  =  ax ay az 
       
 c c c   a a a   b b b   b b b 
x y z x y z x y z x y z

Es gilt also

a · (bb ×cc) = c · (aa ×bb)


222 5 Vektorrechnung

Wir sehen, dass sich das Volumen V des Spats nicht ändert, wenn das Spatprodukt in anderer Rei-
henfolge ihrer Vektoren durchgeführt wird. Würden wir zum Experimentieren eine noch andere
Grundfläche wählen, würde sich wieder dieses Resultat ergeben. Zusammenfassend können wir
also folgende Beziehungen schreiben:

a · (bb ×cc) = b · (cc ×aa) = c · (aa ×bb) (5.28)

Anmerkung: Eine leichte Merkregel für diese Beziehungen lautet, dass wir a , b und c zyklisch
vertauschen dürfen. 2

Beispiel 5.20:
Es ist das Volumen des von den Vektoren a , b und c aufgespannten Spats zu berech-
nen.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 1
a=⎣ 0 ⎦ b=⎣ 3 ⎦ c=⎣ 1 ⎦
0 0 4

Mit Hilfe von (5.26) erhalten wir:


   
 cx cy cz   1 1 4 
   
V =  ax ay az  =  2 0 0 

 b b b   0 3 0 
x y z
= 1 · (0 − 0) + 1 · (0 − 0) + 4 · (6 − 0) = 24

5.9 Lineare Abhängigkeit von Vektoren


Die lineare Abhängigkeit von Vektoren kann analog zu den Ausführungen in Abschnitt 4.7 auf
Seite 156 behandelt werden. Die Vektoren a1 , a2 , · · · an heißen linear abhängig, wenn irgend
ein beliebiger Vektor a i unter ihnen aus den restlichen (n − 1) Vektoren durch eine beliebige
Linearkombination mit den skalaren Koeffizienten ci zusammengesetzt werden kann:
n
ai = ∑ ck a k = c1 a 1 + c2 a 2 + · · · + ci−1 a i−1 + ci+1 a i+1 + · · · + cn a n (5.29)
k=1
k=i

Falls kein einziger unter den n Vektoren durch eine Linearkombination aus den übrigen zu-
sammengesetzt werden kann, heissen die Vektoren a1 , a2 , · · · an linear unabhängig. Eine andere
-gleichwertige- Definition der linearen Unabhängigkeit ist folgende:
Die Vektoren a1 , a2 , · · · an heißen dann, und nur dann, linear unabhängig, wenn zur Erfüllung
der Gleichung

c1 a1 + c2 a2 + · · · + cn an = 0 (5.30)

2 Zyklische Vertauschung kann man sich wie das Verschieben der Perlen einer geschlossenen Kette vorstellen.
5.9 Lineare Abhängigkeit von Vektoren 223

alle Koeffizienten c1 , c2 , . . . , cn zwangsläufig gleich Null sein müssen. Wird dagegen diese Glei-
chung erfüllt, obwohl nicht alle Koeffizienten ci Null sind, werden die Vektoren a1 , a2 , · · · an als
linear abhängig bezeichnet.
Aus dieser Definition folgt, dass wenn in der Menge der Vektoren a1 , a2 , · · · an der Nullvektor
0 enthalten ist, diese Vektoren zwangsläufig linear abhängig sein müssen. Man sieht das deutlich
an folgender Linearkombination:

c1 a1 + c2 a2 + · · · + ci 0 + · · · + cn an = 0 (a)

Damit die Gleichung (a) erfüllt ist, müssen alle Koeffizienten (mit Ausnahme von ci ) gleich Null
sein. Für ci = k = 0 wäre aber die Gleichung immer noch erfüllt, weil ci mit dem Nullvektor 0
multipliziert wird:

0 · a1 + 0 · a2 + · · · + k 0 + · · · + 0 · an = 0

Da zur Erfüllung dieser Gleichung nicht alle Koeffizienten gleich Null sein müssen, ist die Vek-
tormenge a1 , a2 , · · · , 0 · · · , an linear abhängig.

5.9.1 Lineare Abhängigkeit von zwei Vektoren

Zwei Vektoren a und b sind linear abhängig, wenn ihr Kreuzprodukt der Nullvektor 0 ist:

a ×bb = 0 ⇔ a und b linear abhängig (5.31)

Aus dieser Definition folgt, dass zwei parallele Vektoren stets linear abhängig sind, weil ihr
Kreuzprodukt wegen α = 0◦ gleich Null ist.

Beispiel 5.21:
Es ist zu bestimmen, ob die folgenden zwei Vektoren a und b linear abhängig sind.

⎤ ⎡

2 4
a=⎣ 3 ⎦ b=⎣ 6 ⎦
4 8

Zwei Vektoren sind nur dann linear abhängig, wenn ihr Kreuzprodukt gleich dem Null-
vektor 0 ist. Das Kreuzprodukt von a und b lautet:
   
 i j k   i j k 

a ×bb =  ax ay az  =  2 3 4  = (24 − 24) i + (16 − 16) j + (12 − 12) k = 0
 b b b   4 6 8 
x y z

⇒ a und b sind linear abhängig.


224 5 Vektorrechnung

5.9.2 Lineare Abhängigkeit von drei Vektoren

Drei Vektoren a , b , c in einer Ebene


Drei Vektoren in einer Ebene sind immer dann linear abhängig, wenn sie alle drei durch den
selben Punkt gehen, weil sich einer von ihnen stets als Linearkombination der beiden anderen
Vektoren ausdrücken lässt, z.B.



KAA a 2
a 1A 
a2 = c1 a1 + c3 a3
A -
a3

Anmerkung: Falls a , b , c zwar nicht durch den selben Punkt gehen, aber es sich bei ihnen um
freie Vektoren handelt (s. Seite 198), können sie durch Translation in einen gemeinsamen Punkt
verschoben werden.
Drei Vektoren a , b , c im 3D-Raum
Drei im 3D-Raum definierte Vektoren a , b und c sind dann linear abhängig, wenn ihr Spatprodukt
gleich Null ist:
 
 ax ay az 
 
(aa b c ) = a · (bb ×cc) =  bx by bz  = 0 ⇔ a , b , c sind linear abhängig (5.32)
 c c c 
x y z

Begründung: Wenn das Spatprodukt von drei Vektoren gleich Null ist, bedeutet dies, dass der aus
ihnen gebildete Spat das Volumen Null hat. Daraus folgt zwangsläufig, dass sie alle drei in einer
Ebene liegen müssen. Wenn drei Vektoren aber in einer Ebene liegen, sind sie nach Erkenntnis
gemäß Seite 224 sind sie linear abhängig.
Drei Vektoren im 3D-Raum liegen also in einer Ebene, wenn sie linear abhängig sind. Um-
gekehrt können wir auch erkennen, dass drei Vektoren linear abhängig sind, wenn sie in einer
Ebene liegen.

5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie


Die Vektoralgebra bietet einen eleganten Weg, Aufgaben aus der analytischen Geometrie wesent-
lich eleganter, kompakter und übersichtlicher zu behandeln als dies in der klassischen analyti-
schen Geometrie möglich ist. Nachfolgend werden einige Möglichkeiten vorgestellt.

5.10.1 Normierung eines Vektors


In technischen Anwendungen muss immer wieder eine Normierung eines Vektors vorgenommen
werden (man redet auch vom Normalisieren). Ein Vektor a wird normiert, indem seine Kompo-
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie 225

nenten durch seine Länge |aa| geteilt werden:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a∗x ax / |aa|
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ 
a∗ = ⎢ ∗ ⎥ = ⎢ a / |a a|

mit |aa| = a2x + a2y + a2z
⎣ a y ⎦ ⎢ ⎣ y


(5.33)
az∗
az / |aa|

Der normierte Vektor a ∗ ist ein Einheitsvektor, d.h. seine Länge ist gleich Eins:
 
 a2 a2
a2
|aa|2 √
|aa∗ | = a∗x 2 + a∗y 2 + a∗z 2 =
y z
x
+ + = = 1=1
|aa|2 |aa|2 |aa|2 |aa|2

Beispiel 5.22:
Der Vektor a = [1; 1; 0] soll normiert werden.
 
Länge von a: a = |aa| = a2x + a2y + a2z = 12 + 12 + 02 = 1,414

Der normierte Vektor a∗ lautet:


⎡ a ⎤ ⎡ 1

x
⎢ a ⎥ ⎢ 1,414 ⎥ ⎡ ⎤
⎢ a ⎥ ⎢ ⎢

⎥ 0,7071
⎢ y ⎥ ⎢ 1 ⎥ = ⎣ 0,7071 ⎦
a∗ = ⎢ ⎥=
⎢ a ⎥ ⎢ 1,414 ⎥
⎣ a ⎦ ⎢ ⎣

⎦ 0
z 0
a 1,414

|aa∗ | = 0,70712 + 0,70712 + 02 = 1

5.10.2 Richtungsvektor

Ein Richtungsvektor v kann ein Einheitsvektor sein, d.h. |vv| = 1, oder aber auch von beliebi-
ger Länge. Meistens wird er in Form eines Einheitsvektors verwendet (s. auch Abschnitt 5.10.1
auf Seite 224). Ist v kein Einheitsvektor, kann man ihn in einen solchen verwandeln, indem v
normiert wird, d.h. indem man v durch seine Länge |vv| dividiert.
⎡ vx ⎤
⎡ ⎤
⎢ |vv| ⎥ v∗x
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
v ⎢ vy ⎥
v∗ = =⎢ ⎥ v∗ = ⎢⎣ v ∗ ⎥
⎦ |vv∗ | = 1 (5.34)
|vv| ⎢ |vv| ⎥ y
⎣ vz ⎦
v∗z
|v |
v
226 5 Vektorrechnung

Beispiel 5.23:
Es soll der normierte Richtungsvektor bestimmt werden, der in Richtung des Vektors
v zeigt.
⎤ ⎡
2
v=⎣ 4 ⎦
−1

Der normierte Richtungsvektor v ∗ ergibt sich aus Gl. (5.34) :


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
 2 0,4364
v 1 ⎣
|vv| = (2)2 + (4)2 + (−1)2 = 4,5826 v∗ = = 4 ⎦ = ⎣ 0,8729 ⎦
|vv| 4,5826
−1 −0,2182

|vv∗ | = 0,43642 + 0,87292 + (−0,2182)2 = 1

5.10.3 Vektorgleichung einer Geraden

5.10.3.1 Punktrichtungsform

Diese Darstellungsmöglichkeit einer Geraden entspricht sinngemäß der klassischen Punktstei-


gungsform. Die Steigung wird hier durch einen Richtungsvektor erfasst. Gegeben sind in Bild

@
@
@p P1 = (x1 , y1 , z1 )
@ a

 @
 R
@
@
r1  @ p P = (x, y, z)
 *@

 
r 
y
@@G
 
  
O 
z x

Bild 5.16: Punktrichtungsform der Geraden G

5.16 mit Bezug auf den Koordinatenursprung O ein Punkt P1 = (x1 ; y1 ; z1 ) und ein Richtungsvek-
tor a (aa muss hier nicht zwangsläufig ein Einheitsvektor sein, das wäre aber durchaus zweckmä-
ßig). Die Gerade G ist so definiert, dass sie durch den Punkt P1 geht und den Vektor a enthält. G
ist vollständig bestimmt, wenn man den Ortsvektor r jedes beliebigen Punktes P auf der Geraden
mittels folgender Vektorgleichung angeben kann:
−→
G: r = r 1 + P1 P
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie 227

−→
Der Vektor P1 P wird durch Skalierung des Vektors a gewonnen:
−→
P1 P = λ a

Die Geradengleichung in Vektorform lautet:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x x1 ax
r = r1 + λ a oder ⎣ y ⎦=⎣ y1 ⎦ +λ ⎣ ay ⎦ (5.35)
z z1 az
        
r r1 a

Die Positionskoordinaten des Punktes P = (x; y; z) hängen in dieser Darstellungsform sowohl


vom Skalierungsfaktor λ als auch von der Länge des Vektors a ab. Der Faktor λ lässt sich an-
schaulich als Anzahl der Schritte in Richtung von a deuten, wenn |aa| als Schrittweite verstanden
wird. Deshalb könnte man den Vektor a sowohl als Richtungsvektor als auch als Schrittvektor
ansehen.
Anmerkung. Es sollte nicht vergessen werden, dass in technischen Anwendungen der Multi-
plikator λ eng mit der physikalischen Bedeutung des Richtungsvektors a zusammenhängt. Zum
Beispiel könnte a der Geschwindigkeitsvektor eines Körpers sein und λ die Zeit ausdrücken.
Die in λ Sekunden zurückgelegte Strecke würde dann s = |λ · a | sein. Wenn man dabei vor-
her den Vektor a normiert, lässt sich das physikalische Problem nicht mehr korrekt erfassen,
weil a dann nicht mehr die tatsächliche, sondern eine verzerrte Geschwindigkeit (vom Betrag 1)
bedeuten würde.

Beispiel 5.24:
: Gesucht ist die Vektorgleichung der Geraden, die durch den Punkt P1 = (3; −2; 1)
geht und dem Vektor a = [5 2 3] parallel ist. Gesucht sind auch die xyz-Koordinaten
des Punkts P für λ = 2, wenn |aa| als Schrittweite gewählt wird.
Vektorgleichung der Geraden nach (5.35):
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x x1 ax 3 5
r = ⎣ y ⎦ = ⎣ y1 ⎦ + λ ⎣ ay ⎦ = ⎣ −2 ⎦ + λ ⎣ 2 ⎦
z z1 az 1 3

Koordinaten des Punkts P für λ = 2 :


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x 3 5 13
r = r1 + 2 a ⎣ y ⎦ = ⎣ −2 ⎦ + 2 ⎣ 2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
z 1 3 7

Aufgabe: Welche Koordinaten hätte der Punkt P des Beispiels 5.24, wenn der Richtungsvektor
a ein Einheitsvektor wäre?

Lsg: a ∗ = [0,8111; 0,3244; 0,4867] P = (4,62; −1,35; 1,97)


228 5 Vektorrechnung

5.10.3.2 Zweipunkteform
Gegeben sind in Bild 5.17 mit Bezug auf den Koordinatenursprung O zwei Punkte P1 = (x1 ; y1 ; z1 )
und P2 = (x2 ; y2 ; z2 ). Durch die beiden Punkte soll die Gerade G gehen. Diese Gerade ist voll-
ständig bestimmt, wenn der Ortsvektor r = [x y z ] eines beliebigen Punktes P auf der Geraden
mittels einer Vektorgleichung angegeben werden kann.

@@qP1
@ r 2 −rr 1
 @
RqP2
@
 @
r 1  r2 @ qP = (x, y, z)
 *@


y  
r @ G
  @
  
O 
x
z

Bild 5.17: Zweipunkteform der Geraden G

−−→
Für den Ortsvektor r sowie den Vektor P1 P2 erhält man:
−→ −−→ −−→
r = r 1 + P1 P r 1 + P1 P2 = r 2 ⇒ P1 P2 = r 2 −rr 1
−→ −−→
Der Vektor P1 P kann aus dem Vektor P1 P2 durch Skalierung gewonnen werden:
−→ −−→
P1 P = λ · P1 P2 = λ (rr 2 −rr 1 )

Das Einsetzen dieser Beziehung in den Ausdruck für r liefert die Vektorgleichung von G:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x x1 x2 − x1
G: r = r 1 + λ (rr 2 −rr 1 ) oder ⎣ y ⎦=⎣ y1 ⎦ +λ ⎣ y2 − y1 ⎦ (5.36)
z z1 z2 − z1
        
r r1 r 2 −rr 1

Der Vektor r 2 − r 1 spielt hierbei offensichtlich die Rolle eines Richtungsvektors und bestimmt
auch die Schrittweite. Die Positionskoordinaten des Punktes P = (x; y; z) hängen deshalb sowohl
vom Skalierungsfaktor λ (Anzahl der Schritte) als auch von der Schrittweite |rr 2 −rr 1 | ab.
Beispiel 5.25:
Gesucht ist die Vektorgleichung der Geraden G, die durch die Punkte P1 = (1; 1; 1)
und P2 = (2; 0; 4) geht, sowie die Schrittweite auf der Geraden. Bestimmen Sie ferner
den normierten Richtungsvektor r 2 −rr 1 .
⎡ ⎤ ⎡⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 2−1 1
r1 = ⎣ 1 ⎦ r2 = ⎣ 0 ⎦ r 2 −rr 1 = ⎣ 0 − 1 ⎦ = ⎣ −1 ⎦
1 4 4−1 3
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie 229

Geradengleichung:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x 1 1
r = ⎣ y ⎦ = r 1 + λ (rr 2 −rr 1 ) = ⎣ 1 ⎦ + λ ⎣ −1 ⎦
z 1 3

Schrittweite:
 √
|rr 2 −rr 1 | = 12 + (−1)2 + 32 = 11 = 3,3166

Normierter Richtungsvektor:
⎡ √ ⎤ ⎡ ⎤
1/√11 0,3015
r −rr
(rr 2 −rr 1 )∗ = = ⎣ −1/√11 ⎦ = ⎣ −0,3015 ⎦
2 1
|rr 2 −rr 1 |
3/ 11 0,9045

|(rr 2 −rr 1 )∗ | = 1

Beispiel 5.26:
Stellen Sie die Vektorgleichung einer Geraden G in der xy-Ebene auf, die durch die
klassische Beziehung x/3 + y/4 = 1 gegeben ist.
Zunächst werden zwei beliebige Punkte P1 und P2 auf der Geraden ermittelt. Wir
wählen hierfür willkürlich zwei Koordinatenwerte:
Für x1 = 0 erhält man:

0/3 + y/4 = 1 ⇒ y1 = 4 P1 = (0; 4)

Für y2 = 0 erhält man:

x/3 + 0/4 = 1 ⇒ x1 = 3 P1 = (3; 0)

Die Ortskoordinaten der Punkte P1 und P2 sind:


       
x1 0 x2 3
r1 = = r2 = =
y1 4 y2 0

Der Richtungsvektor ergibt sich zu:


   
3−0 3
r 2 −rr 1 = =
0−4 −4

Die Vektorform der Geraden G ergibt sich nach (5.36):


   
0 3
r = r 1 + λ (rr 2 −rr 1 ) = +λ
4 −4
230 5 Vektorrechnung

5.10.3.3 Abstand zwischen einem Punkt und einer Geraden

Wir betrachten eine Gerade G in der Punktrichtungsform (Bild 5.18).

G: r = r1 + λ a

Gesucht ist der Abstand d eines Punktes Q von der Geraden G ( d entspricht der Länge der
Lotgeraden vom Punkt Q zur Geraden G).

P1 q c -q Q
@ d ,
@

 a@R@ ,,
@
 @
a ∗ @

@ P @

@ R
@q
2 @
r1  rQ
@

@G


y 

O

z x
Bild 5.18: Abstand eines Punktes von einer Geraden

Da die Länge des Vektors a beliebig sein kann, wird er zunächst normiert:
a −−→ −−→
a∗ = ⇒ |aa∗ | = 1 a ∗ ≡ P1 P2 |P1 P2 | = 1
|aa|
−−→
Der Vektor c = P1 Q lässt sich nach Regeln der Vektoraddition bestimmen:

rQ = r 1 +cc ⇒ c = rQ −rr 1

Die Fläche A des von den Vektoren a∗ und c aufgespannten Parallelogramms kann mit Hilfe
des Kreuzprodukts bestimmt werden:
 
a  |aa × (rrQ −rr 1 )|
A = |aa∗ ×cc| =  × (rrQ −rr 1 ) = (a)
|aa| |aa|

Nach Regeln der elementaren Geometrie ist die Fläche A eines Parallelogramms gleich dem
Produkt der Grundlänge |aa∗ | mit der Höhe d des Parallelogramms:

A = |aa∗ | d = 1 · d = d (b)
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie 231

Gleichsetzen der beiden Flächenformeln (a) und (b) ergibt den gesuchten Abstand d:

|aa × (rrQ −rr 1 )|


d= (5.37)
|aa|

Beispiel 5.27:
Gesucht ist der Abstand des Punktes Q = (5; 3; −2) von der Geraden G, die durch
folgende Punkrichtungsform gegeben ist.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2
G: r = r1 + λ a = ⎣ 0 ⎦ + λ ⎣ 5 ⎦
1 2

⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
5 1 2 4
rQ = ⎣ 3 ⎦ r1 = ⎣ 0 ⎦ a=⎣ 5 ⎦ rQ −rr 1 = ⎣ 3 ⎦
−2 1 2 −3
 
 i j k 


a × (rrQ −rr 1 ) =  2 5 2  = −21 i + 14 j − 14 k
 4 3 −3 

|aa × (rrQ −rr 1 )| = (−21)2 + 142 + (−14)2 = 28,86
 28,86
|aa| = 22 + 52 + 22 = 5,745 ⇒ d= = 5,02
5,745

5.10.3.4 Schnittpunkt und Schnittwinkel zweier Geraden

Betrachtet werden zwei Geraden G1 und G2 in der Punktrichtungsform (Bild 5.19):

G1 : r G1 = r 1 + λ1 a 1

G2 : r G2 = r 2 + λ2 a 2

Der Schnittpunkt S lässt sich durch Gleichsetzen der Ortsvektoren r G1 und r G2 bestimmen:

r G1 = r G2 ⇒ r 1 + λ1 a 1 = r 2 + λ2 a 2 λ1 a 1 − λ2 a 2 = r 2 −rr 1

Wenn die Ortsvektoren r 1 , r 2 sowie die Richtungsvektoren a 1 , a 2 als Spaltenvektoren verstanden


werden, lässt sich diese Bestimmungsgleichung auch in folgender Matrixform schreiben:
 
  λ1  
a 1 −aa2 = r 2 −rr 1 (5.38)
λ2
232 5 Vektorrechnung

G2


a 2 
*

p
P2 
@ 

 rG2
@ 
q

p

S 
 @
r 2



@ pP1
y
 3@@ a1

 r1 @ R

((((( @
(
3


( ( ( rG1 @ G1
O
z x @@
Bild 5.19: Schnittpunkt zweier Geraden

oder in ausführlicher Schreibweise:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a1x −a2x   r2x − r1x
⎣ a1y −a2y ⎦ λ 1
= ⎣ r2y − r1y ⎦ (5.39)
λ2
a1z −a2z r2z − r1z

Dieses lineare Gleichungssystem besteht aus 3 Gleichungen und 2 Unbekannten. Es werden dar-
aus zwei Gleichungen ausgewählt und mit einem Verfahren, z.B. Cramer-Regel, nach λ1 und
λ2 gelöst (zur Hervorhebung des Schnittpunktes S werden sie als λ1s und λ2s bezeichnet). An-
schließend muss noch geprüft werden, ob die berechneten Parameter λ1s und λ2s die noch nicht
verarbeitete Gleichung in der dritten Zeile von (5.39) erfüllen. Wird diese dritte Gleichung auch
erfüllt, liegt tatsächlich ein Schnittpunkt vor, ansonsten schneiden sich die Geraden G1 und G2
nicht.
Durch Einsetzen des Parameters λ1s in die Gleichung für G1 (oder des Parameters λ2s in die
Gleichung für G2 ) werden die xyz-Koordinaten des Schnittpunktes S berechnet.

G1 : r S = r 1 + λ1s a 1 oder G2 : r S = r 2 + λ2s a 2 (5.40)

Der Schnittwinkel α zwischen den Geraden G1 und G2 lässt sich aus dem Skalarprodukt der
Richtungsvektoren a1 und a2 bestimmen:
 
a1 · a2 a1 · a2
cos α = α = arccos (5.41)
|aa1 | |aa2 | |aa1 | |aa2 |

Beispiel 5.28:
Gesucht ist der Schnittpunkt und Schnittwinkel der nachfolgend angegebenen Gera-
den.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2
G1 : r G1 = r 1 + λ1 a 1 = ⎣ 1 ⎦ + λ1 ⎣ 1 ⎦
0 1
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie 233

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1
G2 : r G2 = r 2 + λ2 a 2 = ⎣ 0 ⎦ + λ2 ⎣ −1 ⎦
2 2
Für den Schnittpunkt gilt die Bedingung rG1 = rG2 . Daraus ergibt sich nach Umfor-
mung folgende Bestimmungsgleichung:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 −1   2−1
⎣ 1 λ1
1 ⎦ = ⎣ 0−1 ⎦ (a)
λ2
1 −2 2−0

Zur Bestimmung von λ1 und λ2 werden die beiden ersten Zeilen verwendet:
    
2 −1 λ1 1
=
1 1 λ2 −1

Daraus folgt mit Hilfe der Cramer-Regel (oder Gauß-Elimination):


?
λ1s = 0 λ2s = −1 Kontrolle mit Hilfe der 3. Gl. in (a): 1 · 0 − 2(−1) = 2 

Die Koordinaten des Schnittpunktes ergeben sich zu:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 1
Aus G1 : rS = ⎣ 1 ⎦ + 0 ⎣ 1 ⎦ = ⎣ 1 ⎦ S = (1; 1; 0)
0 1 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1 1
Aus G2 : r S = ⎣ 0 ⎦ − 1 ⎣ −1 ⎦ = ⎣ 1 ⎦ S = (1; 1; 0)
2 2 0
Schnittwinkel α der Geraden G1 und G2 :
√ √
a 1 · a 2 = 2 · 1 + 1 · (−1) + 1 · 2 = 3 |aa1 | = 6 |aa2 | = 6

a1 · a2 3
cos α = = √ √ = 0,5 ⇒ α = 60◦
|a 1 ||a 2 |
a a 6 6

5.10.3.5 Vektorgleichung einer Ebene


Die Vektoralgebra bietet eine sehr elegante und kompakte Möglichkeit, eine Ebene im 3D-Raum
zu definieren (Bild 5.20). Zur Definition der Ebene E werden lediglich zwei Größen benötigt:
- ein beliebiger Punkt P1 = (x1 ; y1 ; z1 ) in der Ebene E
- ein beliebiger Normalenvektor n zur Ebene E (nn steht senkrecht zur E)
Der Normalenvektor n muss nicht unbedingt im Punkt P1 starten; jeder andere zur Ebene E
senkrecht stehende Vektor ist auch als Normalenvektor geeignet. Die Ebene E, deren Gleichung
234 5 Vektorrechnung

6
%n
% %
%
% :qP = (x, y, z)
r −rr 1
 %
%  %
P1 q 
7
% %
%   Ebene E %
 
 
r1  r n⊥E
 
 
 
y
 

O

z x
Bild 5.20: Vektorgleichung einer Ebene

wir suchen, ist eindeutig bestimmt, wenn der Ortsvektor r eines beliebigen Punktes P, der in
dieser Ebene liegt, angegeben werden kann.
−→
Der Vektor P1 P = r −rr1 liegt in der Ebene E, folglich er ist orthogonal zum Normalenvektor
n . Ihr Skalarprodukt muss daher gleich Null sein:

n · (rr −rr 1 ) = 0 ⇒ n · r −nn · r 1 = 0 n · r = n · r1

Die obigen Beziehungen repräsentieren die Vektorgleichung der Ebene:

E : n · (rr −rr 1 ) = 0 oder n · r = n · r 1 (5.42)

Man erhält die klassische Form einer Ebenengleichung durch Einsetzen der Vektoren
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
nx x x1
n = ⎣ ny ⎦ r =⎣ y ⎦ r1 = ⎣ y1 ⎦
nz z z1

in (5.42) und Bildung der Skalarprodukte als:

E : nx x + ny y + nz z = nx x1 + ny y1 + nz z1 (5.43)

Beispiel 5.29:
Gesucht ist die Gleichung
 der Ebene,
 die den Punkt P1 = (2; −5; 3) enthält und den
Normalenvektor n = 4 2 5 besitzt.

⎤ ⎤ ⎡ ⎡ ⎤
4 x 2
n=⎣ 2 ⎦ r =⎣ y ⎦ r1 = ⎣ −5 ⎦
5 z 3
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie 235

Die Gleichung der Ebene erhält man aus (5.42):

n · r = 4x + 2y + 5z n · r1 = 4 · 2 + 2 · (−5) + 5 · 3 = 13

⇒ E : 4x + 2y + 5z = 13 Gleichung der Ebene E

5.10.3.6 Abstand eines Punktes von einer Ebene


Eine Ebene sei durch den Punkt P1 mit dem Ortsvektor r 1 und den Normalenvektor n gegeben
(Bild 5.21). Der Abstand des Punkts Q mit dem Ortsvektor r Q von der Ebene E entspricht der
Länge d der Lotgeraden QQ vom Punkt Q zur Ebene E.

qQ
((((
((( 

b6




d
 n6 a 


 n∗ 6 q (((qQ


( (
 P1 ( q ( 
  Ebene E 


r 1 
r
Q


y 

O

z x
Bild 5.21: Vektorgleichung einer Ebene

Das Skalarprodukt zwischen a und n ist gegeben durch

a · n = |aa| |nn| cos α,

wobei α den Winkel zwischen a und n bezeichnet. Durch Umstellung erhält man aus dieser
Beziehung den Ausdruck
a ·n a ·n
= |aa| cos α ⇒ d= , (a)
|nn|    |nn|
=d

weil der Term |aa| cos α gemäß elementarer Trigonometrie nichts anderes ist als der gesuchte
Abstand d (Linie d ist parallel zu n ).
Aus r1 + a = rQ folgt a = rQ − r1 . Einsetzen dieses Ausdrucks für a in die Beziehung (a)
liefert:
(rrQ −rr1 ) · n
d=
|nn|

In Abhängigkeit von der relativen Orientierung der Vektoren a und n zueinander kann der
236 5 Vektorrechnung

berechnete Abstand d positiv oder negativ sein (je nachdem ob der Winkel zwischen n und a
größer oder kleiner als 90◦ ist). Ein negativer Abstand macht geometrisch keinen Sinn, weshalb
er immer als Absolutwert berechnet werden sollte:
 
 (rrQ −rr1 ) · n 
d=   (5.44)
|nn| 

Beispiel 5.30:
Gesucht ist der Abstand d des Punktes Q von der Ebene, die durch den Punkt P1 und
den Normalenvektor n definiert ist.
⎡ ⎤
1
Q = (−2; 1; 3) P1 = (1; 0; 9) n=⎣ 3 ⎦
5
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−2 1 −2 − 1 −3
rQ = ⎣ 1 ⎦ r1 = ⎣ 0 ⎦ r Q −rr 1 = ⎣ 1 − 0 ⎦ = ⎣ 1 ⎦
3 9 3−9 −6
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −3
n · (rrQ −rr1 ) = ⎣ 3 ⎦ · ⎣ 1 ⎦ = −3 + 3 − 30 = −30
5 −6
 √
|nn · (rrQ −rr1 )| = | − 30| = 30 |nn| = 12 + 32 + 52 = 35 = 5,916
Abstand d nach Gl. (5.44): d = 30/5,916 = 5,07

5.10.4 Vektorgleichungen einer Kurve


Die Parameterdarstellung einer Kurve K im 2D- oder 3D-Raum erfolgt mit Hilfe eines geeigneten
Parameters t wie folgt (s. auch Seite 45):

- 2D-Raum: x = x(t) y = y(t)

- 3D-Raum: x = x(t) y = y(t) z = z(t)

x,y,z sind die Koordinaten eines zum Parameter t korrespondierenden Punktes auf der Kurve K.
Verschiedenen Werten von t entsprechen verschiedene Positionen auf der Kurve.
Eine Kurve im 2D- bzw. 3D-Raum ist vollständig beschrieben, wenn die räumliche Position
jedes einem beliebigen Parameter t zugeordneten Kurvenpunktes P angegeben werden kann.
Die Positionsangabe erfolgt zweckmäßigerweise durch die Aufstellung einer Funktion für den
Ortsvektor r (t). Die Vektorgleichung einer Kurve ist daher durch folgende Ortsvektorfunktion
gegeben:

r = r (t) = x(t) i + y(t) j + z(t) k (5.45)


5.11 Zusätzliche Beispiele 237

Beispiel 5.31:
Nachfolgend sind die Vektorgleichungen für zwei Kurven angegeben.
a) Kreis in der xy-Ebene (s. auch Seite 45).

r (α) = r cos
 α i + r sin
 α j
x y

r : Kreisradius, α : Umfangswinkel, bezogen auf die x-Achse.


b) Schraubenlinie im xyz-Raum (s. auch Seite 47).

 α i + r sin
r (α) = r cos  α j + 2π k
x y 
z

r : Schraubenradius, α : Umlaufwinkel, h : Ganghöhe.

5.11 Zusätzliche Beispiele


Beispiel 5.32:
Der Vektor a besitzt die Komponenten [ax ay az ]T = [2 3 0]T und den Anfangs-
punkt P = (x1 ; y1 ; z1 ) = (4; 9; 0). Gesucht sind die Koordinaten seines Endpunktes
Q = (x2 ; y2 ; z2 ) sowie seine Länge a.

ax = x2 − x1 x2 = x1 + ax = 4 + 2 = 6
ay = y2 − y1 ⇒ y2 = y1 + ay = 9 + 3 = 12 ⇒ Q = (6; 12; 0)
az = z2 − z1 z2 = z1 + az = 0 + 0 = 0
√ 
a = | a| = a · a = 22 + 32 + 02 = 3,61

Beispiel 5.33:
Der Vektor v = [vx vy vz ]T = [13 8 − 5]T besitzt den Endpunkt Q = (x2 ; y2 ; z2 ) =
(−2; 5; 4). Bestimmen Sie seine Länge v und die Koordinaten des Anfangspunktes
P = (x1 ; y1 ; z1 ).

v = | v | = 132 + 82 + (−5)2 = 16,06
ax = x2 − x1 x1 = x2 − ax = −2 − 13 = −15
⇒ P = (−15; −3; 9)
ay = y2 − y1 y1 = y2 − ay = 5 − 8 = −3
az = z2 − z1 z1 = z2 − az = 4 − (−5) = 9

Beispiel 5.34:
Der Vektor a mit dem Anfangspunkt P = (−1; −4; 2) und dem Endpunkt Q = (5; 3; 7)
soll in der Gleichungsform mit Basisvektoren i , j , k bestimmt werden.
238 5 Vektorrechnung


ax = x2 − x1 = 5 − (−1) = 6 ⎬
ay = y2 − y1 = 3 − (−4) = 7 ⇒ a = ax i +ay j +az k = 6 i +7 j +5 k

az = z2 − z1 = 7 − 2 = 5

Beispiel 5.35:
Gesucht sind folgende Skalarprodukte der kartesischen Basisvektoren i , j und k .

i · i =? i · j =? i · k =?
j · i =? j · j =? j · k =?
k · i =? k · j =? k · k =?

i ·i = 1 · 1+0 · 0+0 · 0 = 1 i · j = 1·0+0·1+0·0 = 0


i ·k = 1 · 0+0 · 0+0 · 1 = 0 j ·i = 0 · 1+1 · 0+0 · 0 = 0
j · j = 0·0+1·1+0·0 = 1 j ·k = 0 · 0+1 · 0+0 · 1 = 0
k ·i = 0 · 1+0 · 0+1 · 0 = 0 k · j = 0·0+0·1+1·0 = 0
k ·k = 0 · 0+0 · 0+1 · 1 = 1

Beispiel 5.36:
   
1 1
Gesucht ist der Winkel zwischen den Vektoren a = und b =
2 −1
 √  √
a · b = 1 · 1 + 2 · (−1) = −1 |aa| = 12 + 22 = 5 |bb| = 12 + (−1)2 = 2

a ·b −1 −1
cos α = =√ √ =√ α = arccos(−0,31623) = 108,4◦
|aa| |bb| 5 2 10

Beispiel 5.37:
Gegeben sind im kartesischen Koordinatensystem die Punkte P = (−2, 4, 8) und
−→
Q = (6, −2, 4). Bestimmen Sie die Winkel zwischen dem Vektor v =PQ und den
Koordinatenachsen x, y, z.
−→
v =PQ= [6 − (−2); −2 − 4; 4 − 8] = 8ii − 6 j − 4kk ⇒ |vv| = 10,77
        
vx vy vz

v ·i 8·1
cos αx = = = 0,743 ⇒ αx = 42◦
|vv| |ii| 10,77 · 1
v·j −6 · 1
cos αy = = = −0,557 ⇒ αy = 123,8◦
|vv| | j | 10,77 · 1
v ·k −4 · 1
cos αz = = = −0,371 ⇒ αz = 111,8◦
|vv| |kk | 10,77 · 1
5.11 Zusätzliche Beispiele 239

Beispiel 5.38:
Berechnen Sie mit Hilfe des Skalarprodukts die inneren Winkel des Dreiecks mit den
Eckpunkten

A = (−3; 0; 3) B = (5; 4; −2) C = (4; −1; 3)


⎡⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
8 7 −1

→ −
→ −

AB = a = ⎣ 4 ⎦ AC = b = ⎣ −1 ⎦ BC = c = ⎣ −5 ⎦
−5 0 5
. . .
α = ∠(AB, AC) β = ∠(BA, BC) γ = ∠(CA, CB)
a ·b (−aa) · c (−bb) · (−cc)
α = arccos β = arccos γ = arccos
|aa||bb| |aa||cc| |bb||cc|
a · b = 52 (−aa) · c = 53 (−bb) · (−cc) = −2
√ √ √
|aa| = 105 = 10,247 |bb| = 50 = 7,071 |cc| = 51 = 7,141
52 53
α = arccos = 44,14◦ β = arccos = 43,59◦
10,247 · 7,071 10,247 · 7,141
−2
γ = arccos = 92,27◦
7,071 · 7,141

Beispiel 5.39:
Bestimmen Sie das Ergebnis folgender Ausdrücke (ii, j , k sind die Basisvektoren des
3D kartesischen Koordinatensystems).
a) (ii × j ) × j =? (ii × j ) × j = k × j = −ii
  
k
b) i × ( j × j ) =? i × ( j × j ) = i ×00 = 0
  
0
c) i × j ×ii × j =? (Operationen sind von links nach rechts durchzuführen.)

i × j ×ii × j = k ×ii × j = j × j = 0
 
k j

d) ((ii × j ) · k ) j ×kk =? (Operationen sind von links nach rechts durchzuführen.)

((ii × j ) · k ) j ×kk = (kk · k ) j ×kk = j ×kk = i


     
k 1
240 5 Vektorrechnung

Beispiel 5.40:
Überprüfen Sie die Regel a × (bb × c ) = (aa × b ) × c in Tabelle 5.3 auf Seite 213 für
a = i, b = i , c = j .
Nach Substitution der Vektoren i , j und k anstelle von a , b und c in die angegebene
Regel erhält man:

i × (ii × j ) = i ×kk = − j aber (ii ×ii) × j = 0 × j = 0 ⇒ − j = 0 


     
k 0

Beispiel 5.41:
Über zwei Vektoren a und b ist nur bekannt, dass sie die Bedingung |aa × b | = a · b
erfüllen. Es ist zu bestimmen, welchen Winkel α die Vektoren a und b einschließen.

|aa ×bb| = |aa||bb| sin α |aa · b | = |aa||bb| cos α

⇒ |aa||bb| sin α = |aa||bb| cos α ⇒ sin α = cos α


⇒ tan α = 1 α = arctan 1 = 45◦

Beispiel 5.42:
Die Definition des Kreuzprodukts in (5.18) auf Seite 212 soll hier ausführlich herge-
leitet werden. Wir wissen, dass c = a ×bb ein Vektor ist, der sowohl auf a als auch auf
b senkrecht steht. Es folgt daraus, dass folgende Beziehungen erfüllt sein müssen:

c ·a = 0 und c ·b = 0

wobei

a = a x i + ay j + az k ; b = b x i + b y j + bz k ; c = c x i + cy j + cz k ;

Die Skalarprodukte liefern folgende Gleichungen:

c · a = cx ax + cy ay + cz az = 0 (a)

c · b = cx bx + cy by + cz bz = 0 (b)
Nun wird zunächst (a) mit bz und (b) mit az multipliziert, anschließend wird (b) von
(a) subtrahiert:

cx ax bz + cy ay bz + cz az bz = 0

cx bx az + cy by az + cz bz az = 0
cx (ax bz − bx az ) + cy (ay bz − by az ) + cz (az bz − bz az ) = 0
  
=0
5.11 Zusätzliche Beispiele 241

⇒ cy (ay bz − az by ) = cx (az bx − ax bz ) (c)


Beziehung (c) wird automatisch erfüllt, wenn wir für cx und cy folgende Ausdrücke
wählen:

cx = (ay bz − az by ) cy = (az bx − ax bz ) (d)

Jetzt wird (a) mit bx und (b) mit ax multipliziert, anschließend werden sie voneinander
subtrahiert:

cx ax bx + cy ay bx + cz az bx = 0

cx bx ax + cy by ax + cz bz ax = 0
cx (ax bx − bx ax ) +cy (ay bx − by ax ) + cz (az bx − bz ax ) = 0
  
=0

⇒ cz (az bx − ax bz ) = cy (ax by − ay bx )
Daraus folgen für cy und cz :

cy = (az bx − ax bz ) cz = (ax by − ay bx ) (e)

Der Vektor c lautet also

c = (ay bz − az by ) i + (az bx − ax bz ) j + (ax by − ay bx ) k

Dieser Ausdruck ist mit demjenigen in(5.18) auf Seite 212 identisch, womit die Be-
weis für die Richtigkeit von (5.18) erbracht wäre.

Beispiel 5.43:
Die Kreuzproduktformel (5.21) auf Seite 213 ist sehr nützlich, wenn es nur um die
Berechnung des Betrags des Vektorprodukts geht und nicht um das Vektorprodukt
(also um die Komponenten des Vektors c ) selbst. Nachfolgend wird die Herleitung
von (5.21) gezeigt. Als Ausgangspunkt dient die Beziehung (5.20) auf Seite 212:

|cc| = |aa ×bb| = |aa| |bb| sin α

Quadrieren beider Seiten liefert:

|cc|2 = |aa|2 |bb|2 sin2 α ⇒ |cc|2 = |aa|2 |bb|2 (1 − cos2 α)

Das Einsetzen folgender Beziehungen, die aus (5.13) auf Seite 209 sowie (5.15) auf
Seite 210 folgen, in den obigen Ausdruck liefert die gesuchte Formel (5.21):

|aa|2 |bb|2 cos2 α = (aa · b )2 |aa|2 = a · a |bb|2 = b · b



|cc|2 = (aa · a ) (bb · b ) − (aa · b )2 |cc| = (aa · a ) (bb · b ) − (aa · b )2 
242 5 Vektorrechnung

Beispiel 5.44:

In diesem Beispiel wird untersucht, warum der Betrag des Kreuzprodukts in (5.19)
auf Seite 212 dem Flächeninhalt A des Parallelogramms entspricht, welches von den
Vektoren a und b aufgespannt wird.

In Beispiel 5.42 waren die Komponenten des Kreusprodukts c wie folgt ermittelt
worden:

cx = (ay bz − az by ) cy = (az bx − ax bz ) cz = (ax by − ay bx )

Jetzt berechnen wir den Betrag (die Länge) von c :



|cc| = c2x + c2y + c2z

= (ay bz − az by )2 + (az bx − ax bz )2 + (ax by − ay bx );

Die letzte Zeile kann auch in folgende Form gebracht werden (durch Ausmultiplizie-
ren und Vergleichen beider Ausdrücke kann dies verifiziert werden):

|cc| = (a2x + a2y + a2z )(b2x + b2y + b2z ) − (ax bx + ay by + az bz )2 ;

Der Ausdruck in der letzten Zeile läßt sich mit Hilfe des Skalarprodukts auch in fol-
gender Form schreiben:

|cc| = (aa · a )(bb · b ) − (aa · b )2 ; (a)

Der Flächeninhalt eines Parallelogramms ist bekanntlich gleich dem Produkt seiner
Grundkantenlänge L und seiner Höhe h, d.h.

A = L·h

Wir wählen als Grundkante den Vektor a , d.h. es ist L = |aa|. Die Höhe ergibt sich aus
h = |bb| sin α, wobei α der Winkel zwischen a und b ist.

A = |aa| · |bb| sin α

Dem Beispiel 5.43 auf Seite 241 entnehmen wir nun, dass

|aa| · |bb| sin α = (aa · a ) (bb · b ) − (aa · b )2

⇒ A= (aa · a ) (bb · b ) − (aa · b )2 (b)
Vergleich von (a) mit (b) zeigt sofort, dass |cc| = A gilt, womit der Beweis für Glei-
chung (5.19) erbracht wäre.
5.11 Zusätzliche Beispiele 243

Beispiel 5.45:
Es soll untersucht werden, ob die Vektoren a und b parallel oder orthogonal sind.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 1
a) a = ⎣ 1 ⎦ b = ⎣ −1 ⎦
2 0
Die Frage, ob die Vektoren parallel sind, kann mit Hilfe des Kreuzprodukts oder
des Skalarprodukts beantwortet werden. Wenn zwei Vektoren parallel, d.h. linear
abhängig, sind, muss ihr Kreuzprodukt gleich Null sein.
   
 i
 j k   i j k 
a ×bb =  ax ay az  =  1 1 2  = 2 i + 2 j − 2 k = 0
 b b b   1 −1 0 
x y z

⇒ a und b sind nicht parallel.


Eine Aussage über die Orthogonalität ist über das Skalarprodukt möglich. Wenn
zwei Vektoren orthogonal sind, ist der Winkel α zwischen ihnen gleich 90◦ .

cos α = 0 = a · b = 1 · 1 + 1 · (−1) + 2 · 0 = 0 ⇒ Sie sind orthogonal.


   
6 42 3 8 12
b) a = −4 b= − −
8 5 28 14 10

Sie sind parallel, weil a ×bb = 0 (Sie sollten die Detailberechnung zwecks Übung
ausführen). Alternativ läßt sich die Aufgabe auch über die Bestimmung des Win-
kels α zwischen den Vektoren a und b mit Hilfe des Skalarprodukts lösen:

|aa| = 9,33394 |bb| = 1,33342 a · b = −12,44607

a ·b −12,44607
cos α = = = −1,00000 ⇒ α = 180◦
|aa| |bb| 9,33394 · 1,33342
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0,35 −2,8
c) a = ⎣ −1,4 ⎦ b = ⎣ 11,2 ⎦
4,2 −33,6

a · b = −157,78 = 0 ⇒ a und b sind nicht orthogonal

Wenn zwei Vektoren parallel, d.h. linear abhängig, sind, muss ihr Kreuzprodukt
gleich Null sein.
   
 i j k   i j k 

a ×bb =  ax ay az  =  0,35 −1,4 4,2 
 b b b   −2,8 11,2 −33,6 
x y z
= 0i +0 j +0k = 0 ⇒ a und b sind parallel
244 5 Vektorrechnung

Beispiel 5.46:
Der Ausdruck (aa · b )2 + (|aa ×bb|)2 soll so weit wie möglich vereinfacht werden.

Skalarprodukt: a · b = |aa||bb| cos α

Vektorprodukt: |aa ×bb| = |aa||bb| sin α


(|aa||bb| cos α)2 + (|aa||bb| sin α)2 = (|aa||bb|)2 (cos2 α + sin2 α ) = (|aa| |bb|)2
  
=1

⇒ (aa · b ) + (|aa ×bb|) = (|aa| |bb|)


2 2 2

Beispiel 5.47:
Von drei -nicht näher spezifizierten- Vektoren a , b , c ist nur bekannt, dass sie folgende
Bedingung erfüllen. Bestimmen Sie den Winkel α zwischen a und c .

a × (bb ×cc) = 0

Die angegebene Bedingung (Nullvektor 0 auf der rechen Seite) bedeutet, dass der
Vektor a und das Kreuzprodukt (bb ×cc) (der ebenfalls ein Vektor ist) parallel sind.
Das Krezprodukt b × c steht senkrecht zu der Ebene, die von b und c aufgespannt
wird, d.h. b × c schließt mit dem Vektor c einen Winkel von 90◦ ein. Deshalb ist der
gesuchte Winkel α zwischen a und c : α = 90◦

Beispiel 5.48:
Es ist zu zeigen, dass das nach (5.18) auf Seite 212 berechnete Kreuzprodukt c tatsäch-
lich senkrecht auf der Ebene steht, die von den Vektoren a und b aufgespannt wird.

Wenn der Vektor c tatsächlich senkrecht auf der aufgespannten Ebene stünde, dann
müsste er senkrecht sein sowohl zu a als auch zu b - Das bedeutet, dass für die Skalar-
produkte c · a und c · b gelten muss: c · a = 0 und c · b = 0.

c · a = [(ay bz − az by ) i + (az bx − ax bz ) j + (ax by − ay bx ) k ] · (ax i + ay j + az k )


= ax (ay bz − az by ) + ay (az bx − ax bz ) + az (ax by − ay bx )
= ax ay bz − ax az by + ay az bx − ay ax bz + az ax by − az ay bx
=0

c · b = [(ay bz − az by ) i + (az bx − ax bz ) j + (ax by − ay bx ) k ] · (bx i + by j + bz k )


= bx (ay bz − az by ) + by (az bx − ax bz ) + bz (ax by − ay bx )
= bx ay bz − bx az by + by az bx − by ax bz + bz ax by − bz ay bx
=0
5.11 Zusätzliche Beispiele 245

Beispiel 5.49:
Mit Hilfe des Kreuzproduktes soll die Fläche des von den Vektoren a und b aufge-
spannten Parallelogramms berechnet werden.
⎡⎤ ⎡⎤
1 1
a=⎣ 0 ⎦ b=⎣ 1 ⎦
2 2

Die gesuchte Fläche ist gleich dem Betrag des Kreuzproduktes:


   
 i
 j k   i j k 
A = |aa ×bb| a ×bb =  ax ay az  =  1 0 2  = −2 i + 0 j + 1 k
 b b b   1 1 2 
x y z

A = |aa ×bb| = (−2)2 + 02 + 12 = 2,24

Beispiel 5.50:
Gegeben sind im 3D-Raum die Punkte A = (1; 2; 3), B = (−1; 4; −5), C = (0,1, −6).
−→
Gesucht ist der Flächeninhalt A des Parallelogramms, das von den Vektoren a =AB
−→
und b =AC aufgespannt wird.
Die Fläche des Parallelogramms entspricht dem Betrag des Kreuzproduktes der
Vektoren a und b , vgl. Gl. (5.19). Die Auswertung von (5.19) wird sowohl nach Gl.
(5.17) als auch nach Gl. (5.21) durchgeführt.
a) Lösung nach (5.17)
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 − 1 −2 0−1 −1
A = |aa ×bb| a = ⎣ 4−2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦ b = ⎣ 1 − 2 ⎦ = ⎣ −1 ⎦
−5 − 3 −8 −6 − 3 −9
 
 i j k 

a ×bb =  −2 2 −8  = −26 i − 10 j + 4 k
 −1 −1 −9 

A = |aa ×bb| = (−26)2 + (−10)2 + 42 = 28,14
b) Lösung nach (5.21)

A = (aa · a ) · (bb · b ) − (aa · b )2

a · a = 4 + 4 + 64 = 72 b · b = 1 + 1 + 81 = 83

a · b = −2(−1) + 2(−1) − 8(−9) = 72 A = 72 · 83 − 722 = 28,14
246 5 Vektorrechnung

Beispiel 5.51:
Die Vektoren v1 und v2 spannen ein Parallelogramm im 3D-Raum auf. Für welchen
Wert des Parameters λ beträgt die Fläche dieses Parallelogramms genau A = 20?
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −λ
v1 = ⎣ 1 ⎦ v2 = ⎣ 5 ⎦
1 −5
⎡ ⎤
i j k
v = v1 ×vv2 = det ⎣ 1 1 1 ⎦ = −10 i + (−λ + 5) j + (5 + λ ) k
−λ 5 −5

A = |vv| = [102 + (−λ + 5)2 + (5 + λ )2 ]1/2 = 20


A2 = 150 + 2λ 2 = 400 ⇒ λ = ±11,18

Beispiel 5.52:
Es soll der Flächeninhalt A eines Dreiecks, das durch seine Eckpunkte A, B, C defi-
niert ist, berechnet werden.

A = (1; 0; 0) B = (0; 1; 0) C = (0; 0; 1)

Die Dreiecksfläche A entspricht der halben Fläche des zugehörigen Parallelogramms,



→ −→
welches von den Vektoren a = AB und b = AC gebildet wird.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0−1 −1 0−1 −1
a = ⎣ 1−0 ⎦ = ⎣ 1 ⎦ b = ⎣ 0−0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0−0 0 1−0 1
   
 i j k   i j k 
  
a ×bb =  ax ay az  =  −1
  1 0  = i + j +kk
 b by bz   −1 0 1 
x

1  2
A= 1 + 12 + 12 = 0,866
2   
Parallelogrammfläche
5.11 Zusätzliche Beispiele 247

Beispiel 5.53:
In diesem Beispiel wollen wir die Richtigkeit der in der Tabelle 5.3 auf Seite 213
angegebenen Regel a × (bb × c ) = (aa · c ) b − (aa · b ) c für das Kreuzprodukt von drei
Vektoren zeigen.
Bevor der Beweis durchgeführt wird, ist es zweckmäßig, sich anschaulich ein Bild
davon zu machen, was die einzelnen Terme im obigen Ausdruck bedeuten. Die Ter-
me a · c und a · b sind Skalarprodukte, d.h. Zahlen. Folglich bedeutet der Ausdruck
(aa · c ) b − (aa · b ) c nichts anderes als eine Linearkombination der Vektoren b und c .
Der aus dieser Linearkombination hervorgehende Vektor liegt natürlicherweise in der
von b und c aufgespannten Ebene E. Das zweifache Kreuzprodukt a × (bb ×cc) ist also
ein Vektor, der in der Ebene E liegt. Dass dies auch tatsächlich so sein muss, läßt sich
leicht plausibel machen, wenn vor Augen gehalten wird, dass b ×cc ein Vektor ist, der
auf der Ebene E senkrecht steht. Also muss das Kreuzprodukt a × (bb × c ) wiederum
in der Ebene E liegen.
Der Beweis wird geführt, indem a × (bb ×cc) vollständig ausgeschrieben wird:
 
 i j k 

b ×cc =  bx by bz 
 c c c 
x y z
= (by cz − bz cy ) i + (bz cx − bx cz ) j + (bx cy − by cx ) k
        
ux uy uz

b ×cc = u = uxi + uy j + uzk

 
 i j k 
 
a × (bb ×cc) = a ×uu = v =  ax ay az 

 u uy uz 
x
= (ay uz − az uy ) i + (az ux − ax uz ) j + (ax uy − ay ux ) k
        
vx vy vz

Der Übersichtlichkeit halber werden die einzelnen Komponenten des Kreuzprodukts


getrennt betrachtet.
Für die vx -Komponente erhalten wir:

vx = ay uz − az uy = ay (bx cy − by cx ) − az (bz cx − bx cz )
= bx (ay cy + az cz ) − cx (ay by + az bz )

Nun fügen wir dem letzten Ausdruck den Term ax bx cx − ax bx cx hinzu, wodurch ja
sich eigentlich nichts ändert (was aber für angestrebten Beweis sich als sehr nützlich
erweist):

vx = bx (ax cx + ay cy + az cz ) −cx (ax bx + ay by + az bz )


     
a ·c a ·b
248 5 Vektorrechnung

Die Wiederholung der obigen Vorgehensweise für die Komponenten vy und vz liefert
(der detaillierte Rechengang wird dem Leser zur Übung empfohlen):

vy = by (ax cx + ay cy + az cz ) −cy (ax bx + ay by + az bz )


     
a ·c a ·b

vz = bz (ax cx + ay cy + az cz ) −cz (ax bx + ay by + az bz )


     
a ·c a ·b

Zusammenfassend erhalten wir:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
vx bx (aa · c ) cx (aa · b )
a × (bb ×cc) = ⎣ vy ⎦ = ⎣ by (aa · c ) ⎦ − ⎣ cy (aa · b ) ⎦ = (aa · c) b − (aa · b) c 
vz bz (aa · c ) cz (aa · b )

Beispiel 5.54:

Es soll überprüft werden, ob folgende Vektoren linear abhängig sind.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0 2
v1 = ⎣ 2 ⎦ v2 = ⎣ 0 ⎦ v3 = ⎣ 4 ⎦
1 3 0

Für linear abhängige Vektoren ist die Determinante der Komponentenmatrix gleich
Null. Es spielt keine Rolle, ob die Vektorkomponenten als Zeilen- oder Spaltenvek-
toren in der Matrix angeordnet werden (meistens ist jedoch zweckmäßiger, sie als
Spaltenvektoren zu schreiben).
 
 1 0 2 
 
|vv1 v2 v3 | =  2 0 4  = 1 · (0 − 12) − 2 · (0 − 6) + 1 · (0 − 0) = 0
 1 3 0 

⇒ v1 , v2 , v3 sind linear abhängig.

Beispiel 5.55:

Es soll bestimmt werden, für welchen Wert des Parameters λ die folgenden Vektoren
linear abhängig sind.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 −λ 2
v1 = ⎣ −λ ⎦ v2 = ⎣ 2 ⎦ v3 = ⎣ 2 ⎦
−7 5 2
5.11 Zusätzliche Beispiele 249

Für lineare Abhängigkeit muss det[vv1 ; v2 ; v2 ] = 0 sein:


 
 2 −λ 2 
 
 −λ 2 2  = −2λ 2 + 4λ + 16 = 0 ⇒ λ1 = −2 λ2 = 4

 −7 5 2 

Es existieren also zwei λ -Werte, für die die Vektoren v1 , v2 v2 linear abhängig sind.
Kontrolle:
 
 2 2 2 
 
λ1 = −2 :  2 2 2  = −12 − 36 + 48 = 0 
 
 −7 5 2 

 
 2 −4 2 
 
λ1 = 4 :  −4 2 2  = −12 + 24 − 12 = 0 

 −7 5 2 

Beispiel 5.56:
Für welchen Wert des Parameters λ sind die folgenden Vektoren linear abhängig?
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3 −λ −6
v1 = ⎣ 3 ⎦ v2 = ⎣ 6 ⎦ v3 = ⎣ λ ⎦
3 15 21

Für lineare Abhängigkeit muss det [vv1 ; v2 ; v2 ] = 0 sein.


 
 3 −λ −6 
 
 3 6 λ  = −3λ 2 + 18λ + 216 = 0 ⇒ λ1 = −6 λ2 = 12

 3 15 21 

Beispiel 5.57:
Untersuchen Sie, ob alle vier Punkte in einer Ebene liegen.

P = (2; 3; 1) Q = (4; 3; 2) R = (3; 2; 1) S = (7; 0; 3)


−→ − → −

Falls die Vektoren PQ, PR und PS in einer Ebene liegen, würden zwangsläufig auch
alle vier Punkte auch in einer Ebene liegen. Wir müssen also durch Berechnung des
Spatprodukts herausfinden, ob die Vektoren in einer Ebene liegen.
Zunächst werden aus den Punktkoordinaten die Vektoren ermittelt:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1 5
−→ ⎣ ⎦ −
→ ⎣ −

PQ = 0 PR = −1 ⎦ PS = ⎣ −3 ⎦
1 0 2
250 5 Vektorrechnung

Das Spatprodukt lýefert:


   
 ax ay az   2 0 1 
   
a · (bb ×cc) =  bx by bz = 1
  −1 0  = −2 = 0

 c c cz   5 −3 2 
x y

Die drei Vektoren liegen also nicht in der gleichen Ebene, und folglich liegen die vier
Punkte nicht in der gleichen Ebene.

Beispiel 5.58:

Prüfen Sie, ob der Punkt Q auf der Geraden G liegt.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2
Q = (−2; 4; −1) G : r = ⎣ −2 ⎦ + λ ⎣ −2 ⎦
2 1

Wenn der Punkt Q auf der Geraden liegt, dann muss sein Ortsvektor r Q die Geraden-
gleichung erfüllen:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−2 4 2
r Q = ⎣ 4 ⎦ = ⎣ −2 ⎦ + λ ⎣ −2 ⎦
−1 2 1

Aus der 1. Zeile dieser Gleichung folgt: −2 = 4 + 2λ ⇒ λ = −3


Durch Einsetzen von λ in die 2. und 3. Zeile wird überprüft, ob evtl. ein Wider-
spruch auftritt:

2. Zeile: 4 = −2 + (−2) · (−3) = 4 

3. Zeile: − 1 = 2 + 1 · (−3) = −1 
Der Punkt Q liegt also auf der Geraden G.

Beispiel 5.59:

Zwei Punkte P1 = (2; 3; 4) und P2 = (−4; 4; 2) im 3D-Raum werden geradlinig mit-


einander verbunden. Auf dieser Verbindungslinie von der Länge L befindet sich ein
Punkt Q, der vom Punkt P1 den Abstand 0,3L hat. Gesucht sind die Koordinaten des
Punktes Q.

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 − 2 −6
−−→
P1 P2 = a = ⎣ 4 − 3 ⎦ = ⎣ 1 ⎦
2−4 −2
5.11 Zusätzliche Beispiele 251

−−→ −−→
Durch Skalierung des Vektors P1 P2 mit dem Faktor 0,3 erhält man den Vektor P1 Q:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−6 −1,8
−−→ −−→
P1 Q = 0,3 · P1 P2 = 0,3 · ⎣ 1 ⎦ = ⎣ 0,3 ⎦
−2 −0,6

Die Koordinaten des Punktes Q lassen sich mit Hilfe seines Ortsvektors rQ bestim-
men:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 −1,8 0,2
−−→
r Q = r 1 + P1 Q = ⎣ 3 ⎦ + ⎣ 0,3 ⎦ = ⎣ 3,3 ⎦ ⇒ Q = (0,2; 3,3; 3,4)
4 −0,6 3,4

Beispiel 5.60:

Gesucht ist die Vektorgleichung der Geraden, die durch den Punkt P1 geht und dem
Vektor a parallel ist. Welche xyz-Koordinaten hat der Punkt Q auf der Geraden für die
Parameter λ1 = 2 und λ2 = −2?
⎡ ⎤
−1
P1 = (4; 0; 3) a=⎣ 1 ⎦
−1
⎡⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x x1 ax 4 −1
r = ⎣ y ⎦ = ⎣ y1 ⎦ + λ ⎣ ay ⎦ = ⎣ 0 ⎦ + λ ⎣ 1 ⎦
z z1 az 3 −1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −1 2
λ1 = 2 : r Q1 = ⎣ 0 ⎦ + 2 ⎣ 1 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
3 −1 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −1 6
λ2 = −2 : r Q = ⎣ 0 ⎦ − 2 ⎣ 1 ⎦ = ⎣ −2
2

3 −1 5
für λ1 = 2 : Q1 = (2; 2,1) für λ2 = −2 : Q2 = (6; −2,5)

Beispiel 5.61:

Im 3D-Raum sind der Punkt Q = (4; 4; 4) und die folgende Gerade G gegeben:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 1
G: r = ⎣ 0 ⎦+λ ⎣ 1 ⎦
0 −1
252 5 Vektorrechnung

Gesucht ist der Abstand d zwischen dem Punkt Q und der Geraden G.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 1 4 3
r1 = ⎣ 0 ⎦ a=⎣ 1 ⎦ rQ = ⎣ 4 ⎦ rQ −rr 1 = ⎣ 4 ⎦
0 −1 4 4
 
 i j k 

a × (rrQ −rr 1 ) =  1 1 −1  = 8 i − 7 j +kk
 3 4 4 
 √
|aa × (rrQ −rr 1 )| = 82 + (−7)2 + 12 = 114
 √ 
|aa| = 12 + 12 + (−1)2 = 3 d = 114/3 = 6,16

Beispiel 5.62:
Gesucht ist der Abstand d des Punktes Q von der Geraden, die durch den Punkt P1
geht und den Richtungsvektor a besitzt.
⎡ ⎤
1
P1 = (−4; 4; 0) Q = (1; 2; 3) a = ⎣ −1 ⎦
2
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 1 5
r1 = ⎣ 4 ⎦ rQ = ⎣ 2 ⎦ r Q −rr 1 = ⎣ −2 ⎦
0 3 3
 
 i j k 

a × (rrQ −rr 1 ) =  1 −1 2  = i + 7 j + 3 k
 5 −2 3 

|aa × (rrQ −rr 1 )| = 12 + 72 + 32 = 7,68

7,68
|aa| = 12 + (−1)2 + 22 = 2,45 d= = 3,13
2,45

Beispiel 5.63:
Gesucht ist die Vektorgleichung der Geraden G, die durch die Punkte P1 = (2; 3; −4)
und P2 = (7; 9; 5) geht. Wie groß ist der Abstand d zwischen dem Punkt P1 und demje-
nigen Punkt Q auf der Geraden, der sich für λ = 4 ergibt?

⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 7 5
r1 = ⎣ 3 ⎦ r2 = ⎣ 9 ⎦ r 2 −rr 1 = ⎣ 6 ⎦
−4 5 9
5.11 Zusätzliche Beispiele 253

⎤ ⎡ ⎡ ⎤
2 5
G : r = r 1 + λ (rr 2 −rr 1 ) = ⎣ 3 ⎦ + λ ⎣ 6 ⎦
−4 9
⎤⎡
22 
λ =4: r Q = ⎣ 27 ⎦ d = |rr Q −rr 1 | = 202 + 242 + 362 = 47,67
32

Beispiel 5.64:
Eine Gerade G ist gegeben durch den Punkt P1 und den Richtungsvektor a . Wie groß
ist der Abstand zwischen dem Punkt Q und demjenigen Punkt P2 auf der Geraden G,
der sich für λ = 3 aus der Geradengleichung ergibt?
⎡⎤
1
P1 = (−4; 4; 0) a = ⎣ −1 ⎦ Q = (1; 2; 3)
2
⎡⎤ ⎡ ⎤
−4 1
G : r = r 1 + λaa = ⎣ 4 ⎦ + λ ⎣ −1 ⎦
0 2
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 1 −1 1
r 2 = ⎣ 4 ⎦ + 3 ⎣ −1 ⎦ = ⎣ 1 ⎦ rQ = ⎣ 2 ⎦
0 2 6 3

d = |rr Q −rr 2 | = (1 + 1)2 + (2 − 1)2 + (3 − 6)2 = 3,74

Beispiel 5.65:
Bestimmen Sie, sofern vorhanden, den Schnittpunkt der Geraden G1 und G2 .
⎤ ⎡ ⎡ ⎤
1 −2
G1 : r G1 = r 1 + λ1 a 1 = ⎣ 2 ⎦ + λ1 ⎣ 1 ⎦
3 1
⎤ ⎡ ⎡ ⎤
4 1
G2 : r G2 = r 2 + λ2 a 2 = ⎣ 5 ⎦ + λ2 ⎣ 2 ⎦
9 −2
Gemäß (5.38) muss im Schnittpunkt die Bedingung rG1 = rG2 gelten. Daraus folgt:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
  −2 −1   3
  λ1   λ
a1 −aa2 = r 2 −rr 1 ⎣ 1 −2 ⎦ 1
= ⎣ 3 ⎦ (a)
λ2 λ2
1 2 6
254 5 Vektorrechnung

Zur Bestimmung von λ1 und λ2 werden die beiden ersten Zeilen verwendet:
    
−2 −1 λ1 3
=
1 −2 λ2 3

Daraus folgt mit Hilfe der Cramer-Regel (oder Gauß-Elimination):

λ1s = −0,6 λ2s = −1,8

Zur Kontrolle werden die berechneten Parameter λ1s , λ2s in die 3. Gleichung von (a)
eingesetzt:
?
1 · (−0,6) + 2 · (−1,8 = 6 − 4,2 = 6 

Dieser Widerspruch zeigt, dass die Geraden G1 und G2 sich nicht schneiden!

Beispiel 5.66:
Gegeben sind folgende Vektoren.

a = −ii − 2 j + 3kk b = 4ii + 2 j + 4kk c = 2ii + 4 j − 6kk

Jemand behauptet, dass der Vektor c zu der von den Vektoren a und b aufgespannten
Ebene E parallel sei. Überprüfen Sie, ob diese Behauptung richtig ist.
Das Kreuzprodukt a × b steht senkrecht auf der aufgespannten Ebene. Wenn der
Vektor c tatsächlich parallel zur Ebene E ist, dann muß zwangsläufig die Bedingung
(aa ×bb) · c = 0 gelten.
⎡ ⎤
i j k
a ×bb = ⎣ −1 −2 3 ⎦ = −14ii + 16 j + 6kk
4 2 4

(aa ×bb) · c = (−14ii + 16 j + 6kk ) · (2ii + 4 j − 6kk ) = −28 + 64 − 36 = 0


⇒ Der Vektor c ist parallel zur Ebene E

Beispiel 5.67:
Ein Parallelogramm E geht durch den Punkt P und ist parallel zu den beiden Vektoren
a und b . Ferner ist ein Punkt Q außerhalb der Parallelogrammebene gegeben. Berech-
nen Sie den Abstand des Punktes Q von der Ebene E.

P = (5; 5; 5) a = 3ii + 2 j + 1kk b = 4ii − 3 j − 2kk Q = (0; 0; 0)

Die Ebene E enthält den Punkt P. Zur Aufstellung der Ebenengleichung benötigen
wir noch zusätzlich einen Vektor n , der zur dieser Ebene senkrecht stehen soll. Dieser
Vektor n entspricht dem Kreuzprodukt von a und b (weil a und b parallel zur Ebene
5.11 Zusätzliche Beispiele 255

E sind):
  ⎡ ⎤
 i j k  −1
 
n = a ×bb =  3 2 1  = −ii + 10 j − 17kk = ⎣ 10 ⎦

 4 −3 −2  −17

Den Abstand d des Punktes Q von der Ebene E erhalten wir aus der Formel

|nn · (rrQ −rr1 )|


d=
|nn|

wobei r 1 und r Q die Ortsvektoren der Punkte P und Q sind:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
5 0 −5
r1 = ⎣ 5 ⎦ rQ = ⎣ 0 ⎦ rQ −rr 1 = ⎣ −5 ⎦
5 0 −5

|nn · (rrQ −rr1 )| = 40 |nn| = (−1)2 + 102 + (−17)2 = 19,748
d = 40/19,748 = 2,02

Beispiel 5.68:
Zeigen Sie, dass folgende drei Vektoren in einer Ebene liegen.

⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 1 2
a=⎣ 4 ⎦ b=⎣ 1 ⎦ c=⎣ 0 ⎦
−2 1 4

Drei Vektoren liegen in einer Ebene, wenn sie folgende Bedingung erfüllen:

(aa ×bb) · c = 0
  ⎡ ⎤
 i j k  6

a ×bb =  1 4−2  = 6ii − 3 j − 3kk = ⎣ −3 ⎦
 1 1 1  −3
⎡⎤ ⎡ ⎤
6 2
(a ×b ) · = −3 · 0 ⎦ = 0
a b c ⎣ ⎦ ⎣
−3 4
Die Vektoren a , b und c liegen also tatsächlich in einer Ebene.
256 5 Vektorrechnung

5.12 Technische Beispiele

Beispiel 5.69:
Stabkräfte eines Fachwerks. Ein Fachwerk ist eine aus Stäben bestehende Konstrukti-
on, die miteinander über Gelenke verbunde sind. In einem Fachwerkstab können nur
Kräfte auftreten, die in Richtung der Stabachse verlaufen, d.h. parallel zum Stab ge-
richtet sind. Die vertikal gerichtete äußere Kraft F greift an einem Knoten an. Gesucht
sind die Stabkräfte N1 und N2 .

N2x
x
N2
N2y

(2) N1
F

(1) a
L
F

Die Lösung dieser Aufgabe mit Hilfsmitteln der Statik würde zwar ziemlich einfach
und schnell gelingen, insbesondere wenn die Stabkräfte graphisch ermittelt werden.
Hier soll die Aufgabe jedoch streng mit Hilfe der Vektorrechnung erfolgen.
Wir nehmen zunächst mal an, dass die Stabkräfte am betreffenden Knoten so an-
greifen, wie es in der Zeichnung dargestellt ist. Dann zerlegen wir die äußere Kraft F
und die Stabkräfte in ihre xy-Komponenten:
     
0 −N1x −N2x
F= N1 = N2 =
−F 0 N2y

mit F = |F
F| N1x = |N
N 1| N2x = |N
N 2x | N2y = |N
N 2y |
Das negative Vorzeichen rührt daher, weil die x-Komponenten der Stabkraftvektoren
in die negative Koordinatenrichtung zeigen.
Nach Regeln der Statik muss am Knoten Kräftegleichgewicht herrschen, d.h. die
vektorielle Summation der äußeren und inneren Kräfte am Knoten muss gleich Null
sein:
       
0 −N1x −N2x 0
F +NN 1 +N
N2 = 0 += + = (a)
−F 0 N2y 0
5.12 Technische Beispiele 257

Aus der zweiten Zeile in (a) folgt unmittelbar: N2y = F


N2y
Aus der Zeichnung können wir ferner ablesen, dass N2x = gilt. Es ist also
tan α
N2y F
N2x = =
tan α tan α
Setzen wir diese Beziehung in die erste Zele von (a) ein und lösen nach N1x auf, erhal-
ten wir:
F
N1x = −N2x = −
tan α
Das negative Vorzeichen in der obigen Zeile bedeutet, dass der Kraftvektor N 1 nicht
nach links, sondern nach rechts zeigt, also nicht vom Knoten weg, sondern in den
Knoten hinein zeigt. Unsere ursprüngliche Annahme bzgl. der Richtung von N 1 war
also nicht korrekt. Aber dieser Fehler wurde jetzt automatisch korrigiert.
Die Vektoren der Stabkräfte lauten:
⎡ F ⎤ ⎡ F ⎤

N 1 = ⎣ tan α ⎦ N 2 = ⎣ tan α ⎦
0 F

Die Stabkräfte selbst können über den Betrag ihrer Vektoren berechnet werden:
 2
F F
N1 = −|NN 1| = − − + 02 = − (Druckkraft!)
tan α tan α
 2
F F
N2 = |N
N 2| = + F2 = (Zugkraft)
tan α sin α
Aufgabe: Zeichnen Sie die Stabkräfte als Funktion des Winkels α im Intervall
0◦ ≤ α ≤ 90◦ auf und interpretieren Sie die Ergebnisse.

Beispiel 5.70:
Ein Kraftvektor F mit der Kraftintensität F = 1000 N liegt in der xy-Ebene, greift
im Punkt A = (0; 1,5; 0) an und bildet mit der x-Achse einen Winkel von α = 30◦ .
Gesucht ist der Momentenvektor der Kraft um den Punkt P = (0; 0; 0) und sein Betrag.
Alle Positionsangaben sind in Metern.
y
F
a -z
A

M
P
x
z
258 5 Vektorrechnung

⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
Fx 1000 · cos 30◦ 866
F = ⎣ Fy ⎦ = ⎣ 1000 · sin 30◦ ⎦ = ⎣ 500 ⎦
Fz 0 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0−0 0


r = PA = ⎣ 1,5 − 0 ⎦ = ⎣ 1,5 ⎦
0−0 0

   
 i j k   i j k 
  
F =  rx
M = r ×F ry rz = 0
  1,5 0 
 F Fy Fz   866 500 0 
x
⎡ ⎤
0
= 0 · i + 0 · j − 1299 · k = −1299 k = ⎣ 0 ⎦
−1299

Der Momentenvektor M verläuft also parallel zur z-Achse und besitzt keine Kompo-
nenten in x- und y-Richtungen. Das negative Vorzeichen besagt, dass die z-Komponente
Mz des Momentenvektors M in Richtung negativer z-Achse zeigt. Das Moment M er-
gibt sich aus dem Betrag von M :
 
M = |MM | = Mx2 + My2 + Mz2 = 02 + 02 + (−1299)2 = 1299 Nm

Beispiel 5.71:
In Physik ist die mechanische Arbeit bekanntlich definiert als Arbeit=Kraft×Weg. Wir
nehmen an, dass F der auf einen Massenpunkt einwirkende Kraftvektor sei, und s der
Verschiebungsvektor dieses Massenpunktes. Die von der Kraft F entlang des Weges s
geleistete mechanische Arbeit W ist dann das Skalarprodukt von F und s :

W = F ·s

Im wichtigen ingenieurwissenschaftlichen Gebiet der Mechanik stellt das Skalarpro-


dukt eines Kraftvektors F mit dem von ihm zurückgelegten Verschiebungsvektor s
den Ausgangspunkt für die Herleitung von weiteren sehr effizienten Rechenverfahren
dar. Wir werden später in Kapitel 7 sehen, dass im allgemeinen Fall -wenn F entlang
des Weges s seine Intensität und/oder Richtung ändert- für die von einer Kraft geleis-
tete Arbeit folgende integrale Beziehung gilt:

W= F · dss
s
5.12 Technische Beispiele 259

Beispiel 5.72:
Die dargestellte kreisrunde Scheibe steht senkrecht zu der z-Achse (die z-Achse geht
durch den Mittelpunkt der Scheibe) und dreht sich mit der Winkelgeschwindigkeit
ω = 2π rad/s um die z-Achse. Ein Punkt P am Scheibenrand hat die Koordinaten
P = (0; 5; 10) (alle Koordinaten sind in Metern). Gesucht ist die momentane Bahnge-
schwindigkeit v des Punktes P und ihre Richtung.

v
P

r
A
y
x

Der Geschwindigkeitsvektor v eines beliebigen Punktes auf der Kreisscheibe ergibt


sich aus der Beziehung (5.24):
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 0
v = ω ×rr mit ω = ⎣ 0 ⎦ r =⎣ 5 ⎦
2π 10
⎡ ⎤
i j k
v = ω ×rr = ⎣ 0 0 2π ⎦ = −10π i (vv zeigt in negative x-Richtung)
0 5 10
Die Bahngeschwindigkeit v ist gleich dem Betrag von v :

v = |vv| = 10π = 31,4 m/s

Beispiel 5.73:
Beim abgebildeten Mobilkran greift am Lasthaken A der Kraftvektor F an. Berechnen
Sie den von der Belastung erzeugten Momentvektor M und seinen Betrag im Kran-
schwerpunkt S. Die Koordinaten von A und S sowie der Kraftvektor F sind nachfol-
gend angegeben.

A = (−4; 1; 13) m S = (10; 3; 2) m

F = [6; −5; −100]T kN


260 5 Vektorrechnung

A
F

z
y S

Der Momentenvektor M am Punkt S ist gegeben durch das Kreuzprodukt M =




SA ×FF.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 − 10 −14
−→
SA = r = ⎣ 1 − 3 ⎦ = ⎣ −2 ⎦
13 − 2 11
   
 i j k   i j k 
   
F =  rx
M = r ×F ry rz  =  −14 −2
  11 

 F Fy Fz   6 −5 −100 
x

M = i (200 + 55) − j (1400 − 66) +kk (70 + 12) = 255ii − 1334 j + 82kk
Das Moment M ergibt sich aus dem Betrag des Momentenvektors M :
 
M = |M
M | = Mx2 + My2 + Mz2 = 2552 + (−1334)2 + 822 = 1360,63 kNm

Beispiel 5.74:
Ein Fahrzeug A fährt zum Zeitpunkt t = 0 vom Ortspunkt P1 = (1000; 2000; 0) los und
hat eine Geschwindigkeit von vA = 72 km/h. Seine Fahrtrichtung ist parallel zum Vek-
tor a = [1 − 2 0 ]. Ein anderes Fahrzeug B fährt zum Zeitpunkt t = 0 vom Ortspunkt
P2 = (−1208; −5038; 0) los und besitzt eine Geschwindigkeit von vB = 108 km/h in
Richtung des Vektors b = [1 1 0]. Mit Hilfe der Vektorrechnung soll berechnet werden,
nach wieviel Sekunden die Fahrzeuge zusammentreffen.
Die augenblicklichen Positionen, d.h. die Ortsvektoren, der Fahrzeuge lassen sich
mit Hilfe der Geschwindigkeiten und der normierten Richtungsvektoren berechnen.
Die normierten Richtungsvektoren a ∗ und b ∗ lauten:
√ √
|aa| = 5 |bb| = 2
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a∗x 0,4472 b∗x 0,7071
⇒ a ∗ = ⎣ a∗y ⎦ = ⎣ −0,8944 ⎦ b ∗ = ⎣ b∗y ⎦ = ⎣ 0,7071 ⎦
a∗z 0 b∗z 0
Die momentanen Ortsvektoren der Fahrzeuge bestimmt man mit Hilfe der Vektorglei-
chung einer Geraden in Punktrichtungsform gemäß Gl. (5.35). Aus der für eine kon-
5.12 Technische Beispiele 261

stante Geschwindigkeit gültigen Kinematikbeziehung

Wegstrecke = Geschwindigkeit × Zeit

ergibt sich der Ortsvektor des Fahrzeugs A zu:

r A = r 1 + vA a ∗ t
⎡ ⎤ ⎡ ∗ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x1 ax 1000 0,4472
72000
r A = ⎣ y1 ⎦ + vA ⎣ a∗y ⎦ t = ⎣ 2000 ⎦ + t ⎣ −0,8944 ⎦
∗ 3600
z1 az 0 0
Der Ortsvektor des Fahrzeugs B lautet:

r B = r 2 + vB b ∗ t
⎡ ⎤ ⎡ ∗ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x2 bx −1208 0,7071
108000
r B = ⎣ y2 ⎦ + vB ⎣ b∗y ⎦ t = ⎣ −5038 ⎦ + t ⎣ 0,7071 ⎦
∗ 3600
z2 bz 0 0
Beim Zusammentreffen der Fahrzeuge gilt für Ortsvektoren die Bedingung rA = rB :
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1000 0,4472 −1208 0,7071
72000 108000
⎣ 2000 ⎦ + t ⎣ −0,8944 ⎦ = ⎣ −5038 ⎦ + t ⎣ 0,7071 ⎦
3600 3600
0 0 0 0

Daraus folgt folgende Bestimmungsgleichung:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2208 12,269 t
⎣ 7038 ⎦ = ⎣ 39,101 t ⎦
0 0

Aus der ersten (bzw. der zweiten) Gleichung ergibt sich die Zeitdauer bis zum Zusam-
mentreffen der Fahrzeuge:

t = 2208/12,269 = 180 s
262 5 Vektorrechnung

5.13 Aufgaben
1. Berechnen Sie die Komponenten des Vektors a mit dem Anfangspunkt P und dem Endpunkt
Q.
a) P = (2; 3; 4) Q = (5; 6; 7) Lsg: a = [3; 3; 3]
b) P = (−1; 2; 4) Q = (−5; −2; 3) Lsg: a = [−4; −4; −1]
c) P = (5/2; 3; −2) Q = (−1/2; 5; 4) Lsg: a = [−3; 2; 6]

2. Berechnen Sie den Anfangspunkt P des angegebenen Vektors a mit dem Endpunkt Q.
a) a = [−3; −3; −3] Q = (5; 6; 7) Lsg: P = (8; 9; 10)
b) a = [4; 4; 1] Q = (−5; −2; 3) Lsg: P = (−9; −6; 2)
c) a = [3; −2; −6] Q = (−1/2; 5; 4) Lsg: P = (−7/2; 7; 10)

3. Führen Sie die angebenen Vektoroperationen mit nachfolgenden Vektoren durch.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 0
a=⎣ 2 ⎦ b=⎣ 1 ⎦ c = ⎣ −5 ⎦
−3 4 0

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1+2 3
a) a +bb Lsg: ⎣ 2 + 1 ⎦ = ⎣ 3 ⎦
−3 + 4 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3+0 3
b) (aa +bb) +cc Lsg: ⎣ 3 − 5 ⎦ = ⎣ −2 ⎦
1+0 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 · 1 8·0 −4
c) −4aa + 8cc Lsg: ⎣ −4 · 2 ⎦ + ⎣ 8 · (−5) ⎦ = ⎣ −48 ⎦
−4 · (−3) 8·0 12
⎡ ⎤
1 
d) | a −cc| Lsg: a −cc = ⎣ 7 ⎦ | a −cc| = 12 + 72 + (−3)2 = 7,68
−3
 
e) |aa| − |cc| Lsg: 12 + 22 + (−3)2 − 02 + (−5)2 + 02 = −1,26
f) |aa|−1b Lsg: [0,5345; 0,2673; 1,0690]
g) |cc|(aa −bb) Lsg: [−5; 5; −35]
h) a /|aa| Lsg: [0,2673; 0,5345; −0.8018]

4. Berechnen Sie die Länge L des Seils, das zwischen den Punkten P und Q straff, d.h. ohne
Durchhang, gespannt wird.

P = (92; −50; 9) Q = (96; −54; 11) Lsg: L = 6


5.13 Aufgaben 263

5. Berechnen Sie den Winkel zwischen den angegebenen Vektoren.


a) a = [−6 10] b = [5 3] Lsg: α = 90◦
b) r = [2 − 1 3] s = [1 2 − 1] Lsg: α = 109,1◦
c) u = i + 2 j + 3kk v = −4ii + 6 j + 2kk Lsg: α = 60◦
6. Zeigen Sie, dass das Skalarprodukt a · b der Vektoren a = ax i + ay j + az k und b =
bx i + by j + bz k durch folgende Beziehung gegeben ist. Tipp: Machen Sie Gebrauch von
den Regeln in Tabelle 5.2 auf Seite 208.

a · b = ax bx + ay by + az bz

7. Berechnen Sie die Länge der Projektion des Vektors a auf dem Vektor b .

a = i + 2 j + 3kk b = −4 i + 6 j + 2 k Lsg: 1,87

8. Führen Sie mit den folgenden drei Vektoren die angegebenen Vektoroperationen durch.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡⎤
1 1 −1
a=⎣ 2 ⎦ b=⎣ 2 ⎦ c=⎣ 1 ⎦
−3 0 0

a) a ×bb b) b ×aa c) a · b
d) b · a e) |bb ×cc| f) |cc ×bb|
g) (cc −aa) × (2bb) h) (aa −cc) × (2bb) i) (aa +bb) ×cc
j) a ×cc −cc ×bb k) a × (bb −cc) l) b ×aa +aa ×cc
m) (aa · b )cc n) (aa ×bb) · c
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
6 −6
a) ⎣ −3 ⎦ b) ⎣ 3 ⎦ c) 5 d) 5 e) 3
0 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−12 12 3 3
f) 3 g) ⎣ 6 ⎦ h) ⎣ −6 ⎦ i) ⎣ 3 ⎦ j) ⎣ 3 ⎦
−6 6 6 6
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3 −3 −5
k) ⎣ −6 ⎦ l) ⎣ 6 ⎦ m) ⎣ 5 ⎦ n) −9
−3 3 0
264 5 Vektorrechnung

9. Welchen Wert muss die unbekannte Vektorkomponente zb haben, damit die Vektoren a und
b senkrecht zueinander stehen?
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 2
a=⎣ 6 ⎦ b=⎣ 3 ⎦ Lsg: zb = −5
2 zb

10. Zeigen Sie, dass für zwei beliebige Vektoren a und b folgende Schwarz’sche Unglei-
chung gilt.

|aa · b | ≤ |aa| |bb|

11. Sind die folgenden Vektoren linear abhängig oder unabhängig?


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 3
v1 = ⎣ 5 ⎦ v2 = ⎣ 4 ⎦ v3 = ⎣ 9 ⎦ Lsg: unabhängig
3 6 11

12. Berechnen Sie das Volumen des Spats in Beispiel 5.20 auf Seite 222 mit Hilfe der Formel
(5.25).
13. Berechnen Sie das Volumen des Spats, dessen drei benachbarte Kanten von den Vektoren
−→ −→ −

PQ, PR und PS gebildet wird.

P = (3; −1; 2) Q = (5; −1; 2) R = (3; 2; 2) S = (4; 0; 6) Lsg: V = 24

14. Ein Dreick P1 P2 P3 hat die Eckpunkte P1 = (2; 2; 5) , P2 = (4; 2; 3) und P3 = (2; 4; 3).
Zeigen Sie mit Hilfe der Vektorrechnung, dass es ein gleichschenkliges Dreieck ist.
15. Mit den angegebenen vier Punkten wird ein Viereck gebildet. eines Vierecks besitzen fol-
gende Koordinaten im kartesischen Koordinatensystem. Die Punkte P1 und P3 sind gegen-
über liegend.
a) Zeigen Sie, dass es sich bei diesem Viereck um ein Parallelogramm handelt.
b) Berechnen Sie den Flächeninhalt A des Vierecks.

P1 = (3; 3; 3) P2 = (5; 4; 4) P3 = (7; 7; 8) P4 = (5; 6; 7)


−−→ −−→ −−→ −−→
Lsg: a) Parallelogramm, weil P1 P2 ||P3 P4 und P2 P3 ||P1 P4 . b) A = 7,28
16. Zeigen Sie, dass die folgenden vier Punkte im 3D-kartesischen Koordinatensystem alle in
einer Ebene liegen. Berechnen Sie auch die Innenwinkel der von den vier Punkten gebilde-
ten Vierecks.

P1 = (2; 1; 2) P2 = (1; 5; 3) P3 = (−3; 3; 5) P4 = (−2; −1; 4)

Lsg: α1 = 95,52◦ α2 = 84,48◦ α3 = 95,52◦ α4 = 84,48◦


5.13 Aufgaben 265

17. Gegeben sind folgende drei Kraftvektoren, die an einem Rahmenpunkt angreifen. Ermitteln
Sie den resultierenden Kraftvektor und seine Lastintensität. Überprüfen Sie, ob die Kraft-
vektoren alle in einer Ebene liegen.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−2 6 10
F 1 = ⎣ −2 ⎦ F2 = ⎣ 0 ⎦ F 3 = ⎣ 40 ⎦
−2 12 −20

Lsg: Sie liegen in einer Ebene, weil die Determinante der Matrix A = [F F 1 F 3 F 3 ] gleich
F 1 ×F
Null ist bzw. das Produkt (F F 2 ) · F 3 = 0 ergibt. Die Lastintensität beträgt F = 41,71.

18. Ein Punkt P befindet sich an der Position (r, α) = (5; 135◦ ) eines Kreises in der xy-Ebene
mit dem Radius 5 cm. Bestimmen Sie den Ortsvektor des Punktes P in der Form einer
Vektorgleichung nach 5.45 in Abschnitt 5.10.4.

Lsg: r = 5 cos 135◦ i + 5 sin 135◦ j = −3,53ii + 3,53 j

19. Untersuchen Sie, ob sich die beiden Geraden g 1 und g 2 schneiden.


   
−1 2 x y
a) g 1 : r = +λ g2 : + =1
1 −3 4 6
   
4 2
Tipp: g 2 läßt sich auch schreiben als r = +λ
0 −3
Lsg: Kein Schnittpunkt!
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 2 1
b) G1 : r G1 = ⎣ 1 ⎦ + λ1 ⎣ 1 ⎦ G2 : r G2 = ⎣ 3 ⎦ + λ2 ⎣ −1 ⎦
0 1 2 2
Lsg: Kein Schnittpunkt (die Bestimmungsgleichung ist nicht lösbar).

20. Eine Ebene enthält den Punkt P1 und den Normalenvektor n . Bestimmen Sie die Gleichung
der Ebene in der klassischen Form f (x, y, z) = 0.
⎡⎤
1
P1 = (2; 5; 8) n=⎣ 3 ⎦ Lsg: x + 3y − 2z = 1
−2
6 Analytische Geometrie

6.1 Koordinatensysteme

Der Standort eines Punktes im 3-dimensionalen Raum (3D-Raum) wird durch seine relative La-
ge zu einem Bezugspunkt bestimmt. Die relative Lage wird in einem Koordinatensystem (KS)
definiert. Es gibt drei Koordinatensysteme im 3D-Raum:

- Kartesisches Koordinatensystem
- Zylindrisches Koordinatensystem
- Sphärisches Koordinatensystem

6.1.1 Kartesisches Koordinatensystem

Das kartesische, d.h. rechtwinklige, Koordinatensystem besteht aus drei zueinander senkrecht
stehenden Achsen. In diesem System wird ein Punkt P durch Angabe seiner Koordinaten x,
y und z entlang dieser drei Achsen eindeutig festgelegt (Bild 6.1). Man schreibt symbolisch
P = (x, y, z). Häufig wird auch von einem xyz-Koordinatensystem gesprochen. Im meisten Fällen
der Ingenieurpraxis hat man mit einem kartesischen Rechtssystem zu tun (auch rechtshändiges
System genannt). Das rechtshändige System lässt sich mit drei Fingern der rechten Hand gut
visualisieren (Bild 6.2).
Den drei Fingern werden dabei die drei Koordinatenachsen xyz zugeordnet. Im Grunde ist
es gleichgültig, welchem Finger die x-Achse zugeordnet wird. Wichtig ist lediglich, dass der
Zyklus »Daumen-Zeigefinger-Mittelfinger« als geschlossene Schleife durchlaufen wird. Daraus
resultieren die folgenden drei Möglichkeiten:


⎪ y-Achse zeigt in Richtung des Zeigefingers



⎪ Daumen :

⎪ z-Achse zeigt in Richtung des Mittelfingers




. y-Achse zeigt in Richtung des Mittelfingers
Richtung der x-Achse = Zeigefinger :

⎪ z-Achse zeigt in Richtung des Daumens







⎪ y-Achse zeigt in Richtung des Daumens

⎩Mittelfinger : z-Achse zeigt in Richtung des Zeigefingers

Als sehr nützlich für die Kontrolle eines rechtshändigen Koordinatensystems hat sich auch die
Schraubenregel erwiesen. Zur Veranschaulichung soll das Koordinatensystem so festgelegt sein,
dass die x-Achse dem Daumen, die y-Achse dem Zeigefinger und die z-Achse dem Mittelfinger
entspricht. Wenn jetzt eine rechtsgängige Schraube z.B. in Richtung des Mittelfingers gehalten
und so gedreht wird, wie es dem Drehsinn vom Daumen zum Zeigefinger hin entspricht, dann

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_6,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
268 6 Analytische Geometrie

x y
y
x

Bild 6.1: Kartesisches xyz-Koordinatensystem

Bild 6.2: Fingersystem als Hilfe für das positive kartesische KS

bewegt sich die Schraube in Richtung der Mittelfingerspitze, d.h. in Richtung positiver z-Achse,
weil es sich hierbei um ein rechtshändiges Koordinatensystem handelt.
Bewegt sich die Schraube dagegen in die entgegen gesetzte Richtung des dritten Fingers, han-
delt es sich beim untersuchten Koordinatensystem um ein Linkssystem.
Eine mathematisch positive Drehrichtung liegt vor, wenn bei der Drehung in einem Rechts-
system die Rechtshandregel eingehalten wird. In der xy-Ebene bedeutet dies, dass die Drehung
im Gegenuhrzeigersinn mathematisch eine positive Drehrichtung ist.

6.1.2 Zylindrisches Koordinatensystem


Bei diesem System wird die Verbindungsgerade vom Koordinatenursprung O zum Punkt P auf
die xy-Ebene projeziert. Die Projektionsgerade in der xy-Ebene soll die Länge r und den von der
positiven x-Achse aus gemessenen Winkel ϕ besitzen. Durch die Angabe der drei geometrischen
Größen r, ϕ und z ist die Position des Punktes P im 3D-Raum eindeutig bestimmt. Man schreibt
dafür P = (r, ϕ, z).
Die Umrechnung der Koordinaten von einem Koordinatensystem in ein anderes wird auch
Koordinatentransformation genannt.
Transformation zylindrischer Koordinaten in kartesische Koordinaten
Aus Bild 6.3 lassen sich die Transformationsformeln trigonometrisch recht einfach ableiten:

x = r cos ϕ
y = r sin ϕ zylindrisch −→ kartesisch (6.1)
z=z
6.1 Koordinatensysteme 269

j r x y
y
x

Bild 6.3: Zylindrisches rϕz-Koordinatensystem

Transformation kartesischer Koordinaten in zylindrische Koordinaten


Durch Umformung der Beziehungen in (6.1) ergeben sich folgende Transformationsformeln:

Kartesische Koordinaten werden transformiert in zylindrische Koordinaten:


 −−−−−−−−−−−−−−−−−−−→
r = x2 + y2
x x
ϕ = arccos = arccos  kartesisch −→ zylindrisch (6.2)
r x + y2
2
y y
ϕ = arcsin = arcsin 
r x + y2
2

z=z

Eindeutige Bestimmung von ϕ


Bei der eindeutigen Bestimmung des Winkels ϕ aus (6.2) stößt man nicht selten auf Schwie-
rigkeiten. In jedem beliebigen xy-Wertepaar ist wegen der Vorzeichen von x, y automatisch
die Quadranteninformation enthalten, d.h. man weiß sofort, in welchem Quadranten des xy-
Koordinatensystems man sich befindet. Bei der Bestimmung des Winkels ϕ in (6.2) über die
Arkusfunktionen geht diese Information verloren. Das hat zur Folge, dass man u.U. verschiede-
ne Winkelwerte für ϕ erhält, abhängig davon, ob man zur Bestimmung von ϕ den Arkussinus,
den Arkuskosinus oder den Arkustangens benutzt.
Mit ϕc sei der Winkel ϕ bezeichnet, den man aus dem Arkuskosinus ermittelt; und mit ϕs
der Winkel, der sich aus dem Arkussinus ergibt. Der Winkel ϕ lässt sich auf folgende Weise
eindeutig bestimmen:

ϕc wenn sign ϕc = sign ϕs
ϕ= (6.3)

360 − ϕc wenn sign ϕc = sign ϕs
270 6 Analytische Geometrie

oder wenn Bogenmaß verwendet wird:



ϕc wenn sign ϕc = sign ϕs
ϕ= (6.4)
2π − ϕc wenn sign ϕc = sign ϕs

Polarkoordinaten in der xy-Ebene


Polarkoordinaten r und ϕ stellen einen Sonderfall der zylindrischen Koordinaten dar. Sie ergeben
sich, wenn man nur die xy-Ebene betrachtet.

x = r cos ϕ y = r sin ϕ
 x y (6.5)
r = x2 + y2 ϕ = arccos  ϕ = arcsin 
x2 + y2 x2 + y2

Beispiel 6.1:
Die Koordinaten des Punktes P sind im zylindrischen Koordinatensystem gegeben.
Gesucht sind seine kartesischen Koordinaten.

P(r, ϕ, z) = (4; 150◦ ; 3) P(x, y, z) =?

x = r cos ϕ = 4 cos 150 = 4 · (−0,867) = −3,464


y = r sin ϕ = 4 sin 150 = 4 · 0,5 = 2
P = (x, y, z) = (−3,464; 2; 3)

Beispiel 6.2:
Die Koordinaten des Punktes P sind im kartesischem Koordinatensystem gegeben.
Gesucht sind seine zylindrischen Koordinaten.

P(x, y, z) = (1; −1; 2) P(r, ϕ, z) =?


  √
r = x2 + y2 = 12 + (−1)2 = 2
x 1
ϕc = arccos  = arccos √ = arccos 0,7071 = 45◦
x2 + y2 2
y −1
ϕs = arcsin  = arcsin √ = arcsin(−0,7071) = −45◦
x +y
2 2 2
sign ϕc = 1 sign ϕs = −1 sign ϕc = sign ϕs
⇒ ϕ = ϕc = 360◦ − 45◦ = 315◦ z=2

P = (r, ϕ, z) = ( 2; 315◦ ; 2)
6.1 Koordinatensysteme 271

6.1.3 Sphärisches Koordinatensystem

Beim sphärischen Koordinatensystem (auch Kugelkoordinatensystem genannt) wird eine Kugel


definiert, deren Radius r gleich dem Abstand des Punktes P vom Ursprungspunkt O ist (r = OP).
Die Position von P wird durch die Angabe des Radius r und von zwei Winkeln beschrieben. Der
Winkel ϕ hat dabei die gleiche Bedeutung wie beim zylindrischen KS (also der von der positiven
x-Achse aus gemessene Winkel in der xy-Ebene). Der Winkel θ wird von der positiven z-Achse
aus gemessen. Kugelkoordinaten haben also eine enge Verwandschaft mit geographischen Posi-

P
r
q
z
y
j

Bild 6.4: Sphärisches Koordinatensystem

tionsangaben auf der Erdoberfläche. Der Punkt P hat dabei vom Erdmittelpunkt den Abstand r
(Erdradius), vom Greenwich-Nullmeridian den Winkel ϕ, vom Nordpol den Winkel θ (Äquator
entspricht dem Winkel θ = 90◦ ).
Die Transformationsbeziehungen zwischen kartesischen und sphärischen Koordinaten werden
analog zu zylindrischen Koordinaten hergeleitet, wobei diesmal jedoch auch der Azimutwinkel
θ zusätzlich zu berücksichtigen ist.

Transformation von Kugelkoordinaten in kartesische Koordinaten


x = r sin θ cos ϕ
y = r sin θ sin ϕ (6.6)
z = r cos θ

Transformation kartesischer Koordinaten in Kugelkoordinaten



r = x2 + y2 + z2
x y
ϕ = arccos  ϕ = arcsin 
x2 + y2 x2 + y2 (6.7)
z z
θ = arccos = arccos 
r x + y2 + z2
2

Die eindeutige Bestimmung des Winkels ϕ erfolgt ganz analog zur Gleichung (6.3).
272 6 Analytische Geometrie

Beispiel 6.3:
Vom Punkt P sind seine kartesischen Koordinaten P = (x, y, z) = (1; 1; 2) bekannt.
Gesucht sind seine Kugelkoordinaten P(r, ϕ, θ ).
  √
r = x2 + y2 + z2 = 12 + 12 + 22 = 6 = 2,45
x 1
ϕc = arccos  = arccos √ = arccos 0,7071 = 45◦
x2 + y2 2
y 1
ϕs = arcsin  = arcsin √ = arcsin 0,7071 = 45◦
x +y
2 2 2
sign ϕc = sign ϕs ⇒ ϕ = ϕc = 45◦
z 2
cos θ = = √ = 0,816 ⇒ θ = 35,26◦
r 6
P = (r, ϕ, θ ) = (2,45; 45◦ ; 35,26◦ )

6.2 Koordinatentransformation in der xy-Ebene


6.2.1 Globales und lokales Koordinatensystem
Im Alltag denken wir bewusst oder unbewusst permanent in lokalen Koordinatensystemen. Die
Position eines Grundstücks beschreiben wir bevorzugt in Bezug auf eine Straßenecke (»biegen
Sie an der Ampel rechts ab, dann 100 m geradeaus«). Die genaue Lage des Gebäudes auf diesem
Grundstück wird in Bezug auf einen Eckpunkt des Grundstücks gemessen. Und der Standort
des Fernsehers lässt sich wiederum am besten in einem »Wohnzimmer-Koordinatensystem« be-
schreiben.
Ein neues Koordinatensystem entsteht aus einem Bezugskoordinatensystem entweder durch
Parallelverschiebung oder durch Drehung oder durch beides gleichzeitig. Im folgenden gehen
wir von einem ursprünglichen xy-Koordinatensystem aus und bezeichnen das neue aus dem xy-
System hervorgehende Koordinatensystem als das xy-Koordinatensystem.

y
y

y P
y

a x
x
O j
b
O x x

Bild 6.5: Koordinatentransformation in der xy-Ebene


6.2 Koordinatentransformation in der xy-Ebene 273

In Bild 6.5 sind zwei kartesische ebene Koordinatensysteme dargestellt. Das xy-System ist das
ursprüngliche Koordinatensystem. Das xy-Koordinatensystem geht aus dem xy-System durch
Verschiebung des Koordinatenursprungs O um die Beträge a bzw. b parallel zu den x- und
y-Achsen, sowie durch Drehung des xy-Systems um den Winkel ϕ um den neuen Ursprung O
hervor.
In der technischen Mechanik würde man beim xy-System von einem globalen und beim xy-
System von einem lokalen Koordinatensystem sprechen. In der Technik werden lokale Koordina-
tensysteme häufig verwendet. Das erleichtert die Datenerfassung und verringert die Fehleranfäl-
ligkeit.
Ein beliebiger Punkt P sei im xy-Koordinatensystem durch seine Koordinaten P = (x, y)
ausgedrückt. Im xy-System hätte P dann die Koordinaten P = (x, y). Diesen Übergang vom xy-
System in das xy-System (und umgekehrt) nennt man Koordinatentransformation.
Eine Koordinatenransformation zwischen dem ursprünglichen und dem neuen KS besteht also
aus Verschiebungs- und Drehungsvorgängen der Koordinatenachsen.
Spezifikation eines Punktes durch seinen Ortsvektor
Ein Punkt P kann symbolisch sowohl in der Standardnotation P = (x, y) definiert werden als
auch durch Angabe seines Ortsvektors r (s. Bild 6.6). Der Ortsvektor r erstreckt sich vom Koor-
dinatenursprung O zum Punkt P. In Vektorschreibweise lässt sich der Punkt P also auch durch
folgende Ortsvektoren eindeutig bestimmen:
   
x x
r= bzw. P = (x, y) r= bzw. P = (x, y)
y y

6.2.2 Translation des Koordinatensystems


Die Translation ist eine Parallelverschiebung des xy-Koordinatensystems. Nach der Translation
bleiben die x- und x-Achsen sowie die y- und y-Achsen weiterhin zueinander parallel (Bild 6.6).
Die x-Achse wird gegenüber dem Ursprung O um den Betrag a verschoben. Die Verschiebung
der y-Achse beträgt b. Ein negativer Wert von a bzw. b ist gleichbedeutend mit Verschiebung
des KS in negativer x− bzw. y-Richtung.
Die Umrechnung der Koordinaten des Punktes P = (x, y) von einem System ins andere erfolgt
dann mit Hilfe folgender Beziehungen:

x = x−a y = y−b x = x+a y = y+b (6.8)

Wenn man den Punkt P durch seinen Ortsvektor r und die Parallelverschiebungen a und b als
Vektor v ausdrückt, ergeben sich folgende Beziehungen:
 
a
r = r −vv r = v +rr wobei v = (6.9)
b

Gl. (6.9) lässt sich in Komponentenschreibweise wie folgt angeben:


           
x x a x x a
= − = +
y y b y y b
274 6 Analytische Geometrie

y
y P
r
a x x
r
v
b

x x

Bild 6.6: Parallelverschiebung des Koordinatensystems

Beispiel 6.4:
Ein Punkt P besitzt im xy-Koordinatensystem die Koordinaten P = (−2; 3). Gesucht
sind die Koordinaten von P in einem x y-Koordinatensystem, das gegenüber dem xy-
KS um a = 1 und b = −2 parallel verschoben ist.

x = x − a = −2 − 1 = −3 y = y − b = 3 − (−2) = 5 ⇒ P(x, y) = (−3; 5)

Berechnung in Vektorschreibweise:
     
−2 1 −3
P(x, y) : r = r −vv = − =
3 −2 5
     
r v

Beispiel 6.5:
Im xy-System ist ein Kreis durch die Gleichung x2 + y2 = 16 beschrieben. Wie lautet
diese Kreisgleichung im x y-System, das gegenüber dem xy-System um v = [2; −3]
verschoben wurde?
Zunächst werden die xy-Koordinaten als Funktion der x y-Koordinaten ausgedrückt:

a=2 b = −3 ⇒ x = x+2 y = y−3

Die Substitution der obigen Ausdrücke in die gegebene Gleichung x2 + y2 = 16 liefert


die Kreisgleichung im x y-System:

(x + 2)2 + (y − 3)2 = 16 bzw. x2 + y2 + 4 x − 6 y = 3


6.2 Koordinatentransformation in der xy-Ebene 275

6.2.3 Rotation des Koordinatensystems

Bei der Rotation (Drehung) wird der Koordinatenursprung O fixiert und das xy-System wird
insgesamt um den Drehwinkel ϕ um den Ursprung gedreht (Bild 6.7). Ein positiver Drehwin-
kel ϕ entspricht einer Drehung gegen den Uhrzeigersinn. Ein negativer Drehwinkel ϕ hingegen
bedeutet Rotation im Uhrzeigersinn.

y
P
y-

x-
R

Q T
j
O S x

Bild 6.7: Positive Drehung des xy-Koordinatensystems

Transformation vom xy-System ins xy-System


Die Transformation der Koordinaten des Punkts P vom xy-System ins xy-System kann mittels
geometrischer Betractungen aus Bild 6.7 abgeleitet werden:

x = OQ + QR y = PT − RT

OQ = x cos ϕ QR = ST = y sin ϕ PT = y cos ϕ RT = QS = x sin ϕ


Aus obigen Beziehungen folgt die Transformationsformel:

x = x cos ϕ + y sin ϕ y = −x sin ϕ + y cos ϕ (6.10)

Gl. (6.10) lässt sich auch in Matrizenschreibweise angeben:


     
x cos ϕ sin ϕ x
r =Rr mit r = R= r= (6.11)
y − sin ϕ cos ϕ y

Die Matrix R wird Rotationsmatrix genannt.

Transformation vom xy-System ins xy-System


Falls die Koordinaten im xy-System bekannt sind und diese ins xy-System transformiert werden
sollen, können wir die Matrixgleichung (6.11) nach r auflösen:
 
cos ϕ − sin ϕ
r = R −1 r mit R −1 = (6.12)
sin ϕ cos ϕ
276 6 Analytische Geometrie

oder in konventioneller Schreibweise:

x = x · cos ϕ − y · sin ϕ y = x · sin ϕ + y · cos ϕ (6.13)

Eigenschaft der Rotationsmatrix R


Die in (6.11) eingeführte Rotationsmatrix R ist eine sog. orthogonale Matrix. Die Inverse und
die Transponierte einer orthogonalen Matrix sind gleich, d.h. es gilt stets R −1 = R T .
   
cos ϕ sin ϕ cos ϕ − sin ϕ
R= ⇒ RT = R −1 = R T  (6.14)
− sin ϕ cos ϕ sin ϕ cos ϕ

Beispiel 6.6:
Gesucht sind die Koordinaten des Punkts P(x, y) = (3; 2) im x y-Koordinatensystem,
das gegenüber dem xy-KS um ϕ = 135◦ gedreht wird.

x = x · cos ϕ + y · sin ϕ = 3 · cos 135◦ + 2 · sin 135◦ = −0,707

y = −x · sin ϕ + y · cos ϕ = −3 · sin 135◦ + 2 · cos 135◦ = −3,535


P(x, y) = (−0,7071; −3,5355)
Berechnung in Matrixschreibweise:
     
3 cos 135◦ sin 135◦ −0,7071 0,7071
r= R= =
2 − sin 135◦ cos 135◦ −0,7071 −0,7071
 
−0,7071
r =Rr ⇒ r= ⇒ P(x, y) = (−0,7071; −3,5355)
−3,5355

Beispiel 6.7:
Der Punkt P hat im x y-Koordinatensystem, das gegenüber dem xy-KS um ϕ = 135◦
gedreht ist, die Koordinaten P(x y) = (−1,414; −7,071). Welche Koordinaten besitzt
P im xy-System?
   
−0,7071 0,7071 −0,7071 −0,7071
R= RT =
−0,7071 −0,7071 0,7071 −0,7071
   
−1,414 6
r= r = RT r ⇒ r=
−7,071 4

Beispiel 6.8:
Geradengleichung im gedrehten System. Im xy-Koordinatensystem ist eine Gerade
durch die Gleichung y = 2x − 1 gegeben. Wier lautet die Gleichung dieser Geraden
in einem xy-KS, das gegenüber dem xy-System um ϕ = 30◦ gedreht ist?
6.2 Koordinatentransformation in der xy-Ebene 277

Mit Hilfe der Rotationsformel (6.10) erhält man:

x = x · cos ϕ − y · sin ϕ = x · cos 30◦ − y · sin 30◦ = 0,866x − 0,5y


y = x · sin ϕ + y · cos ϕ = x · sin 30◦ + y · cos 30◦ = 0,5x + 0,866y

Nach Einsetzen dieser Ausdrücke für x und y in Gleichung y = 2x − 1 erhält man:

0,5x + 0,866y = 2 (0,866x − 0,5y) − 1 ⇒ y = 0,66 x − 0,536

6.2.4 Translation und Rotation


Bei dieser Koordinatentransformation ist das x y-KS gegenüber dem xy-System sowohl parallel
verschoben als auch gedreht (s. Bild 6.5). Hierbei spielt es keine Rolle, ob zunächst verschoben
und dann gedreht wird oder zunächst gedreht und dann verschoben wird.
Die Transformationsbeziehung zwischen dem xy-System und dem xy-System lautet:

x = (x − a) · cos ϕ + (y − b) · sin ϕ y = −(x − a) · sin ϕ + (y − b) · cos ϕ (6.15)

In Matrixschreibweise ergibt sich:

r = R (rr −vv) r = R T r +vv R gemäß (6.11), v gemäß (6.9) (6.16)

Beispiel 6.9:
Pegeben ist der Punkt P(x, y) = (4; 2) im xy-Koordinatensystem. Berechnen Sie die
Punktkoordinaten P(xy) im dargestellten xy Koordinatensystem, wobei ϕ = 30◦ ist.
y
y- x-

3
P

2
x

Es handelt sich beim xy-Koordinatensystem um ein verschobenes und gedrehtes KS.


       
4 a −2 6
r= v= = r −vv =
2 b 3 −1
   
cos ϕ sin ϕ 0,866 0,500
R= =
− sin ϕ cos ϕ −0,500 0,866
 
4,70
r = R (rr −vv) ⇒ r= P(x, y) = (4,70; −3,87)
−3,87
278 6 Analytische Geometrie

z Q

P L
z2
z1

x1 y
y1 x2

x y2

Bild 6.8: Abstand zwischen zwei Punkten

6.3 Abstand zwischen zwei Punkten


Der Abstand L zwischen zwei Punkten P = (x1 ; y1 ; z1 ) und Q = (x2 ; y2 ; z2 ) im kartesischen
Koordinatensystem (s. Bild 6.8) ist die Länge der Gerade, welche die beiden Punkte miteinander
verbindet. L kann mit Hilfe des Pythagoras-Satzes berechnet werden:

L= (x2 − x1 )2 + (y2 − y1 )2 + (z2 − z1 )2 (im kartesischen xyz-Raum) (6.17)

Falls die Punkte P und Q in der xy-Ebene liegen, entfällt die z-Koordinate, und die Gleichung
vereinfacht sich wie folgt:

L= (x2 − x1 )2 + (y2 − y1 )2 (in der kartesischen xy-Ebene) (6.18)

Der Abstand L zwischen den Punkten P und Q ist eine skalare Größe, d.h. vom verwendeten
Koordinatensystem unabhängig. Der Abstand zwischen zwei Punkten bleibt unverändert, wenn
anstelle kartesischer Koordinaten zylindrische oder sphärische Koordinaten verwendet werden.

Beispiel 6.10:
Bestimmen Sie den Abstand zwischen den Punkten P = (−3; 1; 7) und Q = (−1; 5; 2) ,
deren Koordinaten im kartesischen xyz-Koordinatensystem definiert sind.
Abstand L gemäß Gl. (6.17):
 √ √
Lxy = [−3 − (−1)]2 + (1 − 5)2 + (7 − 2)2 = 4 + 16 + 25 = 45 = 6,708

Beispiel 6.11:
Der Abstand zwischen zwei Punkten ist invariant gegenüber KS-Transformation. Im
kartesischen xy-System sind zwei Punkte P = (−2; 1) und Q = (2; 3) definiert. Das
x y-Koordinatensystem ist gegenüber dem xy-System um v = [1; −2] parallel verscho-
ben. Es soll gezeigt werden, dass sich der Abstand L zwischen P und Q nicht
ändert, d.h. invariant bleibt, wenn die Koordinaten der Punkte P und Q im x y-
Koordinatensystem ausgedrückt werden.
6.4 Geraden in der xy-Ebene 279

Abstand L im xy-Koordinatensystem gemäß Gl. (6.18) :


 √
Lxy = (2 − (−2))2 + (3 − 1)2 = 20 = 4,472

Koordinaten der Punkte P und Q im x y-KS:

P(x, y) = (−2 − 1; 1 − (−2)) = (−3; 3)

Q(x, y) = (2 − 1; 3 − (−2)) = (1; 5)


Abstand L gemäß Gl. (6.18) im x y-KS:
 √
Lxy = (1 − (−3))2 + (5 − 3)2 = 20 = 4,472

Lxy = Lxy , der Abstand L hat also in beiden Koordinatensystemen denselben Wert.

6.4 Geraden in der xy-Ebene

Die kürzeste Verbindungslinie zweier Punkte heißt Gerade. Eine Gerade, die symbolisch mit G
bezeichnet wird, ist durch zwei beliebige auf ihr liegende Punkte eindeutig bestimmt.

6.4.1 Formen der Geradengleichungen

Eine Gerade in der xy-Ebene lässt sich in mehreren Gleichungsformen darstellen, wobei jede
von ihnen sich durch Umformung in eine andere Darstellungsform überführen lässt.

Allgemeine Linearform
Die allgemeine Linearform (ALF) ist die allgemeinste Gleichungsform einer Geraden:

ax + by + c = 0 (6.19)

wobei a, b, c konstante Koeffizienten und x, y die Koordinaten eines beliebigen Punktes auf der
Geraden sind. Ein Punkt P = (x1 , y1 ) befindet sich dann und nur dann auf der Geraden, wenn
seine Koordinaten die Gleichung (6.19) erfüllen, d.h. wenn die Gleichung ax1 + by1 + c = 0
erfüllt ist. Anderenfalls liegt der Punkt nicht auf dieser Geraden.

Normalform (Hauptform)
Falls die Gerade, wie in Bild 6.9 dargestellt, durch den Punkt P = (x1 , y1 ) = (0, k) geht, der
sich auf der y-Achse bei der Ordinate k befindet, erhält man aus (6.22) die Normalform (auch
Hauptform genannt) einer Geraden:

y = mx+k (6.20)

Die Steigung der Geraden ist m; die Konstante k ist der Ordinatenabschnitt auf der y-Achse.
280 6 Analytische Geometrie

m=tan j

m
1

j k
x
G

Bild 6.9: Normalform einer Geraden

Punktsteigungsform
Der Term (y2 − y1 )/(x2 − x1 ) in (6.24) gibt den Tangens des Winkels ϕ zwischen der positi-
ven x-Achse und der Geraden wieder. Der Tangens des Winkels ϕ wird auch Steigung m der
Geraden genannt.
y2 − y1
m = tan ϕ = (6.21)
x2 − x1

Die Geradengleichung einer Geraden, die durch den Punkt P = (x1 , y1 ) geht und die Steigung
m besitzt (Bild 6.10), lautet in der Punktsteigungsform:

y = m (x − x1 ) + y1 (6.22)

y P=(x1,y1)
m=tan j

m
P 1

j
x
G

Bild 6.10: Punktsteigungsform einer Geraden

Zweipunkteform
Falls die Gerade durch zwei Punkte P = (x1 , y1 ) und Q = (x2 , y2 ) definiert ist (Bild 6.11),
lautet die Geradengleichung in der Zweipunkteform:

y − y1 y2 − y1
= (6.23)
x − x1 x2 − x1
6.4 Geraden in der xy-Ebene 281

y P=(x1,y1)
Q=(x2,y2)

x
G

Bild 6.11: Zweipunkteform einer Geraden

y0

x0 x

Bild 6.12: Achsenabschnittsform einer Geraden

Die Umformung liefert folgende Geradengleichung:

y2 − y1
y= (x − x1 ) + y1 (6.24)
x2 − x1

Achsenabschnittsform
Durch die beiden Punkte P = (x1 , y1 ) = (0, y0 ) und Q = (x2 , y2 ) = (x0 , 0) in Bild 6.12 verläuft
die Gerade G, welche die x-Achse bei x0 und die y-Achse bei y0 schneidet. Ausgehend von der
Zweipunkteform einer Geraden gemäß (6.23) erhält man zunächst
y − y0 0 − y0 y − y0 x y x
= ⇒ = ⇒ − +1 =
x−0 x0 − 0 −y0 x0 y0 x0
und daraus die Achsenabschnittsform einer Geraden:

x y
+ =1 (6.25)
x0 y0

Die Achsenabschnittsform gilt nicht für Geraden, die durch den Koordinatenursprung gehen,
weil dann ja x0 = y0 = 0 wäre und folglich in (6.25) das Ergebnis undefiniert.
Anmerkung: In der Technik wird die Achsenabschnittsform einer Geraden z.B. in der Festig-
282 6 Analytische Geometrie

keitslehre für das Sachgebiet »Ermüdungsfestigkeit von Werkstoffen« recht häufig verwendet.

Hesse-Normalform
Auf der in Bild 6.13 abgebildeten Geraden G wählen wir einen beliebigen Punkt Q, dessen Orts-
vektor r sei. Die vom Koordinatenursprung O zur G gebildete Lotgerade habe die Länge p und
von der x-Achse den Winkel γ. Der Abstand zwischen O und G ist also p. Der Vektor n ist der
Einheitsvektor auf der Lotgeraden, d.h. es gilt |nn| = 1.

p
n
g
O x
G

Bild 6.13: Hesse-Normalform einer Geraden

Wir drücken zunächst die Vektoren r und n mit Hilfe der Basisvektoren i und j aus (s. Seite
206) aus und berechnen dann das Skalarprodukt r · n .

r = xi +y j n = cos γ i + sin γ j |nn| = cos2 γ + sin2 γ = 1

r · n = x cos γ + y sin γ und r ·n = p (a)


Aus der letzten Beziehung (a) folgt unmittelbar die Hesse-Normalform einer Geraden G :

x cos γ + y sin γ − p = 0 Hesse-Normalform (HNF) (6.26)

Bestimmung der Hesse-Normalform aus der allgemeinen Linearform


Der Schönheitsfehler in der Beziehung (6.26) ist, dass weder der Winkel γ noch der Parameter p
noch bekannt sind. Wir könen jedoch aus der allgemeinen Linearform diese Parameter berechnen.
Dazu multiplizieren wir zunächst die Geradengleichung der allgemeinen Linearform (6.19) mit
einem Skalierungsfaktor k:

k (ax + by + c) = 0 (b)

Gleichsetzen von (6.26) mit (b) liefert:

cos γ = ka sin γ = kb − p = kc
6.4 Geraden in der xy-Ebene 283

Daraus erhalten wir:


1
cos2 γ + sin2 γ = (ka)2 + (kb)2 ⇒ k2 (a2 + b2 ) = 1 k = ±√
a + b2
2

Das Vorzeichen von k ist nicht eindeutig. Wie wir gleich sehen werden, erhalten wir den Abstand
p stets als positiven Wert (was Sinn macht), wenn k wie folgt gewählt wird:
sign c
k = −√ sign : Signumfunktion (6.27)
a2 + b2
Der Koeffizient p ergibt sich nun zu
c · sign c
p = −k · c = √ (6.28)
a2 + b2
Der Abstand p ist jetzt stets positiv, weil »c · sign c« stets positiv ist.
Die oben beschriebene Transformation von der allgemeinen Linearform in die Hesse-Normalform
kann symbolisch ausgedrückt werden als:

GHNF = k · GALF

wobei das Symbol GHNF die Geradengleichung in Hesse-Normalform und GALF die Geradenglei-
chung in allgemeiner Linearform bedeuten. Die Geradengleichung GALF braucht also lediglich
mit dem Faktor k multipliziert werden, um GHNF zu erhalten.
Falls die in der Aufgabenstellung enthaltene Geradengleichung nicht der allgemeinen Line-
arform (ALF) entspricht, muss sie vorher durch geeignete Umformungen in die ALF gebracht
werden.
Die Hesse-Normalform gilt nicht für Geraden, die durch den Koordinatenursprung gehen,
weil für solche Geraden c = 0 gilt.

Bestimmung des Winkels γ:


Nach der Ermittlung des Faktors k mit Hilfe von (6.27) kann der Winkel γ ermittelt werden:

cos γ = ka sin γ = kb ⇒ γc = arccos ka γs = arcsin kb

γc und γs können identisch sein, aber auch unterschiedlich ausfallen. Für die eindeutige Bestim-
mung des Winkels γ wenden wir die auf Seite 269 beschriebene Vorgehensweise an und erhalten:

γc wenn sign γc = sign γs
γ= (6.29)
360 − γc wenn sign γc = sign γs
284 6 Analytische Geometrie

Beispiel 6.12:
Die Gerade, die durch die Punkte P = (−2; 1) und Q = (2; 3) geht, soll in verschiede-
nen Gleichungsformen beschrieben werden.

M Q
d

P
p g
O x
G

Zweipunkteform:
Aus (6.23) ergibt sich:
y−1 3−1 y−1
= = 0,5 y = 0,5x + 2
x+2 2+2 x+2

Punktsteigungsform:
Aus Gl. (6.21) ergibt sich die Steigung zu
y2 − y1 3−1
m = tan ϕ = = = 0,5
x2 − x1 2+2
Mit den Koordinaten des Punktes P erhält man die Geradengleichung

y = 0,5 (x − (−2)) + 1 = 0,5x + 2

Mit den Koordinaten des Punktes Q ergibt sich die gleiche Geradengleichung:

y = 0,5 (x − 2) + 3 = 0,5x + 2

Normalform:
Die Koordinaten des Punktes Q können zur Bestimmung des Ordinatenabschnitts k
in Gl. (6.20) verwendet werden. Die Steigung m wurde bereits während der Herlei-
tung der Punktsteigungsform bestimmt (m = 0,5).
Die Geradengleichung y = m x + k liefert für den Punkt Q = (2; 3):

3 = 0,5 · 2 + k ⇒k=2

Die Normalform der Geradengleichung lautet somit:

y = m x + k = 0,5x + 2
6.4 Geraden in der xy-Ebene 285

Achsenabschnittsform:
Aus der oben ermittelten Normalform der Geradengleichung y = 0,5x + 2 erhält man
durch Umformung zunächst

y − 0,5x = 2

und dann durch Division beider Seiten dieser Beziehung durch 2:


−0,5x y x y
+ = 1, ⇒ + =1
2 2 (−4) 2

Die Gerade schneidet also die x-Achse bei x0 = −4 und die y-Achse bei y0 = 2.

Allgemeine Linearform:
Die allgemeine Linearform ergibt sich durch Verschiebung aller Glieder in der Glei-
chung y = 0,5x + 2 auf eine Seite (nach links oder nach rechts):

0,5x − y + 2 = 0 oder 2 · (0,5x − y + 2) = x − 2y + 4 = 0

Hesse-Normalform:
Aus der allgemeinen Linearform 0,5x − y + 2 = 0 von G erhält man gemäß (6.27) :
1
sign c = sign 2 = +1 k = − = −0,89443
0,52 + (−1)2

Die Multiplikation k · (ax + by + c) liefert:

(−0,89443) · 0,5x − (−0,89443) · y + (−0,89443) · 2 = 0

Die Ausmultiplikation liefert die Hesse-Normalform der Geraden:

HNF: −0,44721 x + 0,89443 y − 1,78885 = 0


        
cos γ sin γ p

Der Abstand der Geraden vom Ursprung beträgt also p ≈ 1,79 Längeneinheiten.

Bestimmung des Winkels γ (Hesse-Normalform):


Aus cos γ = −0,44721 folgt γ = γc = 116,56◦ und der Ausdruck sin γ = 0,89443 liefert
γ = γs = 63,44◦ . Welcher Winkel ist nun richtig? Diese Problematik bei der Bestim-
mung des Winkels ist nicht selten (s. auch Seite 269), die Ursache liegt im Verlust von
sog. Phaseninformation. Der korrekte Winkel γ (positiv im Gegenuhrzeigersinn von
der x-Achse aus gemessen) ergibt sich nach (6.29) auf Seite 283 zu:

signγc = signγs ⇒ γ = γc = 116,55◦


286 6 Analytische Geometrie

6.4.2 Steigung einer Geraden

Die Steigung m der Geraden G in Bild 6.10 entspricht dem Tangens des Winkels ϕ zwischen
der positiven x-Achse und G. Die Bestimmung der Steigung hängt von der Form der Geraden-
gleichung ab.

Gerade in der allgemeinen Linearform:


Aus der Geradengleichung (6.19) ergibt sich durch Umformung:
a c
y = − x−
b b
Die erste Ableitung dieser Funktion liefert die Steigung der Geraden:
a
m = y = − (6.30)
b
Gerade in Zweipunkteform:
Die Steigung ergibt sich aus der ersten Ableitung der Gl. (6.24):
y2 − y1
m = y = (6.31)
x2 − x1
Gerade in Achsenabschnittsform:
Gleichung (6.25) wird nach y aufgelöst und dann differenziert:
y0 y0
y = y0 − x m = y = − (6.32)
x0 x0
Gerade in Hesse-Normalform:
Gleichung (6.26) wird nach y aufgelöst und dann differenziert:
p − x cos γ cos γ
y= m = y = − = − cot γ (6.33)
sin γ sin γ

Beispiel 6.13:

Die Steigung der Geraden in Beispiel 6.12 soll bestimmt werden.

Allgemeine Linearform (6.30): Zweipunkteform (6.31):

a 0,5 y2 − y1 3−1
m=− =− = 0,5 m= = = 0,5
b −1 x2 − x1 2+2

Achsenabschnittsform (6.32): Hesse-Normalform (6.33):

y0 2 cos γ −0,447
m=− =− = 0,5 m=− =− = 0,5
x0 −4 sin γ 0,894
6.4 Geraden in der xy-Ebene 287

6.4.3 Richtungsvektor einer Geraden


Für eine Gerade in der xy-Ebene ist ihr Richtungsvektor v so definiert, dass die Vektorspitze in
die positive x-Richtung zeigt. In Komponentenschreibweise wird der Vektor v angegeben als (s.
Bild 6.14):
   
vx 1
v= = m : Steigung der Gerade (6.34)
vy m

y
G2

v m

1
m
v
G1
x

Bild 6.14: Richtungsvektor einer Geraden

Beispiel 6.14:
Gesucht sind die Richtungsvektoren der Geraden G1 und G2 .

G1 : y = −4x + 6 G2 : y = 1,5x − 2

Die Geraden haben die Steigungen

G1 : m1 = y = −4 G2 : m2 = y = 1,5

Die Richtungsvektoren ergeben sich zu:


           
v1x 1 1 v2x 1 1
v1 = = = v2 = = =
v1y m1 −4 v2y m2 1,5

6.4.4 Abstand eines Punktes von einer Geraden


Zur Berechnung des Abstandes d zwischem dem Punkt M = (x1 ; y1 ) und der in Hesse-Normalform
gegebenen Geraden G in Bild 6.15 gehen wir (wie schon auf Seite 282 gehandhabt) vom Skalar-
produkt des Ortsvektors r mit dem Normaleneinheitsvektor n aus:

r · n = x1 cos γ + y1 sin γ (a)

Andererseits gilt für das Skalarprodukt (s. Bild 6.15):

r ·n = p+d (b)
288 6 Analytische Geometrie

Gleichsetzen von (a) und (b) liefert den gesuchten Abstand d :

d = x1 cos γ + y1 sin γ − p (c)

Diese Beziehung besagt, dass der Abstand d auf unmittelbare Weise berechnet wird, wenn die
Koordinaten des Punktes M in die Gleichung (6.26) einer Geraden in der Hesse-Normalform
eingesetzt werden. Zur Vermeidung von negativen Abständen ist es zweckmäßig, für die rechte
Seite in (c) den Absolutwert zu verwenden, weil ein negativer Abstand geometrisch wenig Sinn
macht.

d = | x1 cos γ + y1 sin γ − p | (6.35)

y
M
d
r

p
n
g
O x
G

Bild 6.15: Abstand d des Punktes M von der Geraden G

Beispiel 6.15:
Gesucht ist der Abstand d des Punktes M = (−2; 3) von der Geraden G des Beispiels
6.12 auf Seite 284.
Die Hesse-Normalform der Geraden lautet:

−0,44721 x + 0,89443 y − 1,78886 = 0

Das Einsetzen der Koordinaten von M in diese Gleichung liefert den Abstand d:

d = | − 0,44721 · (−2) + 0,89443 · 3 − 1,78886| = 1,79

6.4.5 Schnittpunkt von Geraden


Der Schnittpunkt S der Geraden G1 und G2 (Bild 6.16) kann auf verschiedene Weise berechnet
werden. Falls die Geraden beispielsweise in der allgemeinen Linearform gegeben sind, erfüllen
die Koordinaten xs , ys des Schnittpunktes folgende lineare Gleichungen:

Gerade G1 : a1 xs + b1 ys + c1 = 0
6.4 Geraden in der xy-Ebene 289

Gerade G2 : a2 xs + b2 ys + c2 = 0

Diese Gleichungen können in Matrizenschreibweise zusammengefasst werden. Die Lösung des


linearen Gleichungssystems liefert die gesuchten Koordinaten xs , ys :
     
a1 b1 xs −c1
= ⇒ S = (xs , ys ) (6.36)
a2 b2 ys −c2

G2
y
v2
m2
G1
1
v1
m1
j 1

a j2
ys j1
S
xs x

Bild 6.16: Schnittpunkt S und Schnittwinkel ϕ von Geraden

Falls die Geraden in der Normalform gegeben sind (mit Steigungen m1 und m2 ), lässt sich
ihr Schnittpunkt S = (xs , ys ) durch Gleichsetzung beider Geradengleichungen für den Punkt S
ermitteln:

G1 : ys = m1 xs + k1 G2 : ys = m2 xs + k2
k1 − k2 k1 m2 − k2 m1
m1 xs + k1 = m2 xs + k2 ⇒ xs = ⇒ ys = (6.37)
m2 − m1 m2 − m1

Beispiel 6.16:
Gesucht ist der Schnittpunkt P = (xs ; ys ) der Geraden G1 und G2 .

G1 : y = 2x − 1 G2 : y = −x/3 + 5

Das Gleichsetzen der Geradengleichungen im Schnittpunkt S ergibt:

2xs − 1 = −xs /3 + 5 ⇒ xs = 2,57

Das Einsetzen von xs in die erste (oder zweite) Geradengleichung liefert: ys :

ys = 2 · 2,57 − 1 = 4,14 ⇒ Ps = (2,57; 4,14)


290 6 Analytische Geometrie

6.4.6 Winkel zwischen zwei Geraden

Methode 1
Der Winkel ϕ zwischen den Geraden G1 und G2 mit den Steigungen m1 und m2 (Bild 6.16)
lässt sich durch folgende Betrachtung bestimmen.
Der Winkel zwischen der x-Achse und der Geraden G1 wird mit ϕ1 bezeichnet und derjenige
zwischen der x-Achse und G2 mit ϕ2 . Der Winkel ϕ1 (oder ϕ2 ) wird als positiv angesehen, wenn
er im Gegenuhrzeigersinn zeigt, und negativ im Uhrzeigersinn.
Der gesuchte Schnittwinkel ϕ entspricht der Differenz der beiden Winkel (ϕ wird von der
Geraden G1 aus im positiven Drehsinn, d.h. im Gegenuhrzeigersinn, gemessen):

ϕ = ϕ2 − ϕ1

In der letzten Beziehung bilden wir nun den Tangens der links und rechts stehenden Terme.
Anschließend wenden wir den Additionstheorem 26 auf Seite 774 für Tangens und erhalten:
tan ϕ2 − tan ϕ1
tan ϕ = tan(ϕ2 − ϕ1 ) ⇒ tan ϕ =
1 + tan ϕ1 tan ϕ2

Unter Berücksichtigung der Erkenntnis, dass die Steigung m einer Geraden G dem Tangens ihres
Winkels ϕ mit der x-Achse entspricht, d.h.

m1 = tan ϕ1 m2 = tan ϕ2 ,

ergibt sich der Schnittwinkel ϕ zwischen den Geraden G1 und G2 zu:


 
m2 − m1 m2 − m1
tan ϕ = ϕ = arctan (6.38)
1 + m1 m2 1 + m1 m2

Methode 2
Diese Berechnungsmethode bedient sich der Vektorrechnung. Die Richtungsvektoren v 1 und v 2
auf den Geraden G1 und G2 (Bild 6.16) lassen sich ausdrücken als:

v 1 = i + m1 j v 2 = i + m2 j

Der Winkel ϕ wird mit Hilfe des Skalarprodukts berechnet. Hierzu lässt man die beiden Vektoren
v 1 und v 2 auf den Geraden G1 und G2 derart gleiten, dass sie ihren jeweiligen Startpunkt im
Schnittpunkt S haben. Von jetzt an werden also nicht die Geraden selbst, sondern die Vektoren
betrachtet. Das Skalarprodukt gemäß (5.12) auf Seite 209 liefert folgende Resultate:
v1 · v2
cos ϕ =
|vv1 | |vv2 |
 
v1 · v2 = (ii + m1 j ) · (ii + m2 j ) = 1 + m1 m2 |vv1 | = 1 + m21 |vv2 | = 1 + m22
6.4 Geraden in der xy-Ebene 291

1 + m1 m2 1 + m 1 m2
cos ϕ =   ϕ = arccos   (6.39)
1 + m21 1 + m22 1 + m21 1 + m22

Anmerkung: Der aus (6.39) berechnete Winkel ist der zwischen den Vektoren v 1 und v 2 lie-
gende kleinere Winkel. Allerdings braucht dieser kleinere Winkel zwischen v 1 und v 2 nicht zwin-
gend auch der kleinere Winkel zwischen G1 und G2 zu sein. Daher können die Formeln (6.38)
und (6.39), je nach aktueller Aufgabenstellung, unterschiedliche Winkel liefern, d.h. entweder
den Winkel ϕ oder den Winkel α (s. Bild 6.16). Diese Differenz wird im Beispiel 6.14 weiter
unten näher betrachtet.
Sonderfälle
Zwei Geraden G1 und G2 sind parallel, wenn ihre Steigungen gleich sind:

m1 = m 2 ⇔ G1 G2

Für zwei zueinander orthogonale Geraden G1 und G2 (G1 ⊥G2 ) gelten folgende Beziehungen:

1
m1 m2 = −1 m1 = − (6.40)
m2

Wir können die Richtigkeit der Beziehung (6.40) sofort erkennen, wenn in (6.39) ϕ = 90◦ gesetzt
und die Beziehung umgeformt wird:
1 + m1 m2 1 + m1 m2
cos 90◦ =   0=  
1 + m21 1 + m22 1 + m21 1 + m22

⇒ 1 + m1 m2 = 0 ⇒ m1 m2 = −1 

Beispiel 6.17:
Gesucht ist der Winkel zwischen den Geraden G1 und G2 .

G1 : y = 1,5x − 1 G2 : y = −4x − 12

Die Geraden haben die Steigungen

G1 : m1 = y = 1,5 G2 : m2 = y = −4

Nach (6.38) erhalten wir den Winkel ϕ als:

m2 − m1 −4 − 1,5
tan ϕ = = = 1,1 ⇒ ϕ = arctan 1,1 = 47,7◦
1 + m1 m2 1 + 1,5 · (−4)

Nach (6.39) ergibt sich der Winkel ϕ zu:

1 + 1,5 · (−4)
cos ϕ =   = −0,673 ⇒ ϕ = arccos(−0,673) = 132,3◦
1 + 1,52 1 + (−4)2
292 6 Analytische Geometrie

Mit den Winkelbezeichnungen des Bildes 6.16 ergeben sich folgende Schnittwinkel:

ϕ = 47,7◦ α = 132,3◦

6.4.7 Winkelhalbierende zweier Geraden


Bild 6.17 zeigt zwei sich schneidende Geraden G1 und G2 sowie ihre Winkelhalbierenden H1
und H2 . Wenn die Geraden G1 und G2 in der Hesse-Normalform vorliegen, ergeben sich die
Geradengleichungen von H1 und H2 aus folgender Beziehung:

H1 = G1 + G2 H2 = G1 − G2 (6.41)

Anmerkungen:

a) Die Winkelhalbierenden H1 und H2 stehen senkrecht zueinander (H1 ⊥H2 ).

a) H2 befindet sich im denjenigen Winkelraum der sich schneidenden Geraden, in dem sich auch
der Koordinatenursprung befindet.

y H2

G1 a2 a2 a1 H1
a1

G2

O x

Bild 6.17: Winkelhalbierende zweier Geraden

Beispiel 6.18:
Gegeben sind drei Punkte P1 = (−2; −4), P2 = (2; 2) und P3 = (−4; 4). Durch die
Punkte P1 ,P2 geht die Gerade G1 , und durch die Punkte P1 ,P3 die Gerade G2 . Gesucht
sind die Gleichungen der beiden Winkelhalbierenden der Geraden G1 und G2 .
Ausgehend von der Zweipunkteform ergeben sich folgende Geradengleichungen in
der allgemeinen Linearform:

2 − (−4)
G1 : y= (x − (−2)) − 4 = 1,5x − 1 ⇒ 1,5x − y − 1 = 0
2 − (−2)

4 − (−4)
G2 : y= (x − (−2)) − 4 = −4x − 12 ⇒ 4x + y + 12 = 0
−4 − (−2)
6.5 Zusätzliche Beispiele 293

Daraus erhält man folgende Geradengleichungen in Hesse-Normalform:


−1
G1 : k1 = −  = 0,555 ⇒ 0,833x − 0,555y − 0,555 = 0
1,52 + (−1)2

1 −1
G2 : k2 = − √ =√ ⇒ −0,970x − 0,243y − 2,910 = 0
42 + 12 17
Die Gleichungen der Winkelhalbierenden lauten nach Gl. (6.41):

H1 = G1 + G2 H2 = G1 − G2

H1 : −0,137x − 0,798y − 3,465 = 0 oder y = −0,172x − 4,34


H2 : 1,803x − 0,312y + 2,355 = 0 oder y = 5,779x + 7,548

6.5 Zusätzliche Beispiele

Beispiel 6.19:
Die Koordinaten des Punktes P sind im kartesischem Koordinatensystem gegeben.
Gesucht sind seine zylindrischen Koordinaten.

P(x, y, z) = (−1; −1; 1) P(r, ϕ, z) =?


 
z=1 r = x2 + y2 = (−1)2 + (−1)2 = 1,414
x −1
ϕc = arccos  = arccos √ = arccos(−0,7071) = 135◦
x +y
2 2 2
y −1
ϕs = arcsin  = arcsin √ = arcsin(−0,7071) = −45◦
x2 + y2 2
sign ϕc = sign ϕs ⇒ ϕ = 360 − ϕc = 360 − 135 = 225◦
⇒ P(r, ϕ, z) = (1,414; 225◦ ; 1)

Beispiel 6.20:
Transformation der Kreisgleichung. Im xy-Koordinatensystem sei ein Kreis mit der
Gleichung x2 + y2 = 16 gegeben. Wier lautet die Gleichung dieses Kreises in einem
uv-Koordinatensystem dessen Ursprung im xy-system die Koordinaten O = (−2; −1)
besitzt?
Das uv-Koordinatensystem ist gegenüber dem xy-System um a = −2 und b = −1
parallel verschoben. Daraus folgt mit (6.8)

x = u + a = u + (−2) = u − 2 y = v + b = v + (−1) = v − 1
294 6 Analytische Geometrie

Einsetzen dieser Ausdrücke in die Kreisgleichung x2 + y2 = 16 liefert:

(u − 2)2 + (v − 1)2 = 16 ⇒ u2 + v2 − 4u − 2v = 11

Beispiel 6.21:
Gesucht sind die Koordinaten des Punkts P(x, y) = (4; 4) im x y-Koordinatensystem,
das gegenüber dem xy-KS um a = 1, b = 2 parallel verschoben und um ϕ = 60◦
gedreht wird.
Die Lösung wird mit Hilfe der Matrixbeziehung (6.16) durchgeführt.
     
4 1 0,500 0,866
r= v= R=
4 2 −0,866 0,500
       
0,500 0,866 4 1 3,232
r = R (rr −vv) = − =
−0,866 0,500 4 2 −1,598
P(x, y) = (3,232; −1,598)

Beispiel 6.22:
Vom Punkt P sind seine kartesischen Koordinaten P = (x, y, z) = (−1; −1; 1) be-
kannt. Gesucht sind seine Kugelkoordinaten.

  √
r = x + y + z = (−1)2 + (−1)2 + 12 = 3
2 2 2

x −1
ϕc = arccos  = arccos √ = arccos(−0,7071) = 135◦
x2 + y2 2
y −1
ϕs = arcsin  = arcsin √ = arcsin(−0,7071) = −45◦
x +y
2 2 2
sign ϕc = sign ϕs ⇒ ϕ = 360 − ϕc = 360 − 135 = 225◦
z 1
cos θ = = √ = 0,577 ⇒ θ = 54,7◦
r 3

P = (r, ϕ, θ ) = ( 3; 225◦ ; 54,7◦ )

Beispiel 6.23:
Im xy-Koordinatensystem ist die Gleichung x · y = c gegeben. Wie lautet diese Glei-
chung im xy-Koordinatensystem, das gegenüber dem xy-System um ϕ = 45◦ gedreht
wurde?

x = x · cos 45 − y · sin 45 = 0,707 x − 0,707 y


6.5 Zusätzliche Beispiele 295

y = x · sin 45 + y · cos 45 = 0,707 x + 0,707 y


Das Einsetzen dieser Beziehungen in die Gleichung x · y = c liefert:

(0,707 x − 0,707 y) · (0,707 x + 0,707 y) = c


     
x y

Die Umformung und Vereinfachung dieses Ausdrucks liefert:

x 2 y2
− =c (Gleichung einer Hyperbel, s. Seite 49)
2 2
Die Funktion x y = c entspricht also im xy-System einer Hyperbel.

Beispiel 6.24:
Gesucht ist der Abstand d des Punktes Q = (−3; 4) von der Geraden G1 , die durch
die Punkte P1 = (−1; −3) und P2 = (2; 2) verläuft.
Die Steigung der Geraden lässt sich aus Koordinaten der Punkte P1 , P2 berechnen:
y2 − y1
m= = 1,667
x2 − x1
Für die Ermittlung der Punktsteigungsform der Geraden wird der Punkt P1 zugrunde
gelegt (Bezug auf den Punkt P2 würde natürlich das gleiche Ergebnis liefern):

y = m(x − x1 ) + y1 y = 1,667(x − (−1)) + (−3) = 1,667x − 1,333

Alle Terme werden jetzt auf eine Seite gebracht, so dass die allgemeine Linearform
der Geradengleichung lautet:

1,667x − y − 1,333 = 0

Für die Abstandsberechnung benötigt man die Hesse-Normalform der Geraden:


−1
k = − = 0,515 ⇒ 0,515(1,667x − y − 1,333) = 0
1,6672 + 12

⇒ 0,857x − 0,515y − 0,686 = 0


Der Abstand d ergibt sich durch Einsetzen der Koordinaten des Punktes Q in diese
Geradengleichung:

d = |0,857 · (−3) − 0,515 · 4 − 0,686| = | − 5,32| = 5,32

Das Vorzeichen des Abstands ist negativ, weil der Koordinatenursprung O und der
Punkt Q sich auf der gleichen Seite der Geraden befinden.
296 6 Analytische Geometrie

Beispiel 6.25:
Gegeben sind drei Punkte P1 = (−1; −3), P2 = (2; 2), P3 = (−3; 4). Durch die Punk-
te P1 ,P2 geht die Gerade G1 , und durch die Punkte P1 ,P3 die Gerade G2 . Gesucht sind
die Gleichungen der beiden Winkelhalbierenden H1 , H2 .
Geradengleichungen in allgemeiner Linearform:

G1 : 5x − 3y − 4 = 0 G2 : 7x + 2y + 13 = 0

Geradengleichungen in Hesse-Normalform:

G1 : 0,857x − 0,514y − 0,686 = 0 G2 : −0,962x − 0,275y − 1,786 = 0

Gleichungen der Winkelhalbierenden:

H1 = G1 + G2 ⇒ H1 : −0,105x − 0,789y − 2,472 = 0

H2 = G1 − G2 ⇒ H2 : 1,819x − 0,239y + 1,10 = 0


Aufgabe: Zeichnen Sie maßstäblich die Geraden G1 , G2 , H1 sowie H2 und überzeugen
Sie sich visuell, dass die Winkelhalbierenden H1 und H2 orthogonal zueinander sind.

Beispiel 6.26:
Gesucht ist die Gleichung der Geraden G2 , die durch den Punkt P geht und senkrecht
zur folgenden Geraden G1 steht.

P = (x1 ; y1 ) = (−2; 1) G1 : 4x − 6y − 10 = 0

2 5 2
Die Steigung m1 der Geraden G1 : y = x− ⇒ m1 =
3 3 3
Die gesuchte Gerade G2 ergibt sich aus der Punktsteigungsform mit P als Punkt und
m2 als Steigung:
1 3
m2 = − =−
m1 2

−3
G2 : y = m2 (x − x1 ) + y1 = (x + 2) + 1 = −1,5 x − 2
2

Beispiel 6.27:
Wie groß ist der Abstand zwischen der Geraden G2 des Beispiels 6.26 und dem Punkt
Q = (1; 2)?
Zur Abstandsberechnung wird die Hessesche Normalform (HNF) der Geraden G2
benötigt, zu deren Ermittlung man wiederum die allgemeine Linearform (ALF) braucht.
Die ALF ergibt sich aus der Punktsteigungsform von G2 :

G2,ALF : 1,5x + y + 2 = 0
6.5 Zusätzliche Beispiele 297

Bestimmung der Hesse-Normalform (HNF) der Geraden:



k = −1/ 1,52 + 12 = −0,5547

⇒ (−0,5547) 1,5x + (−0,5547) y + (−0,5547) 2 = 0


G2,HNF : −0,8320x − 0,5547y − 1,1094 = 0
Der Abstand des Punktes Q von der Geraden G2 ergibt sich durch Einsetzen seiner
Koordinaten in die HNF von G2 :

d = | − 0,8320 · 1 − 0,5547 · 2 − 1,1094| = 3,05

Beispiel 6.28:
Gegeben ist ein Dreieck durch seine Eckpunkte P1 = (2; 2), P2 = (−3; 4) und P3 =
(−1; −3).
a) Gesucht ist die Geradengleichung des Lots vom Punkt P2 zur Seite P1 P3 .
b) Es ist der Schnittpunkt der Lotgeraden mit der x-Achse zu bestimmen.
Lsg:
y3 − y1 −3−2 5
a) Steigung m1 der Seite P1 P3 : m1 = = =
x3 − x1 −1 − 2 3
−1 3
Steigung m2 des Lots: m2 = =−
m1 5
Die Geradengleichung des Lots ergibt sich aus der Punktsteigungsform mit P2
und m2 :

3 3 11
y = m(x − x2 ) + y2 = − (x + 3) + 4 = − x +
5 5 5

b) Der Schnittpunkt mit der x-Achse ergibt sich aus y = 0:

3 11
0 = − x+ ⇒ xs = 3,67
5 5

Beispiel 6.29:
Mit Hilfe von Richtungsvektoren soll der von den Geraden G1 und G2 eingeschlossene
Winkel ϕ berechnet werden.

G1 : −2x + y + 2 = 0 G2 : x + y − 2 = 0
   
1 1
Richtungsvektoren (nicht normiert): v 1 = v2 =
2 −1
298 6 Analytische Geometrie

√ √
v 1 · v 2 = −1 |vv1 | = 5 |vv2 | = 2
v1 · v2 −1
cos ϕ = cos ϕ = √ √ = −0,3162 ⇒ ϕ = 108,4◦
|vv1 | · |vv2 | 5 2

6.6 Aufgaben
1. Von einem Punkt P sind die kartesischen Koordinaten P = (x, y, z) bekannt. Bestimmen Sie
seine Koordinaten P = (r, ϕ, z) im zylindrischen Koordinatensystem.

a) P = (x, y, z) = (−1; 1; 2) Lsg: P = (r, ϕ, z) = ( 2; 135◦ ; 2)

b) P = (x, y, z) = (1; −1; 2) Lsg: P = (r, ϕ, z) = ( 2; 315◦ ; 2)
c) P = (x, y, z) = (−3; −4; −2) Lsg: P = (r, ϕ, z) = (5; 233,1◦ ; −2)
2. Jetzt wird die Aufgabe 1 umgekehrt: Vom Punkt P sind die zylindrischen Koordinaten P =
(r, ϕ, z) bekannt. Gesucht sind seine kartesischen Koordinaten P = (x, y, z).

a) r = 2 ϕ = 135◦ z = 2 Lsg: P = (x, y) = (−1; 1; 2)
√ ◦
b) r = 2 ϕ = 315 z = 2 Lsg: P = (x, y) = (1; −1; 2)
c) r = 5 ϕ = 233,1◦ z = −2 Lsg: P = (x, y) = (−3; −4; −2)
3. Der Punkt P hat im x y-Koordinatensystem, das gegenüber dem xy-KS um ϕ = 135◦
gedreht ist, die Koordinaten P(x y) = (−1,414; −7,071). Welche Koordinaten besitzt P im
xy-System?
   
−0,7071 −0,7071 −1,414
RT = r=
0,7071 −0,7071 −7,071
 
6
r =R r T
⇒ r=
4

4. Gegeben sind zwei Punkte P = (5; 9) und Q = (12; 18) im xy-Koordinatensystem. Zeigen
Sie, dass sich der Abstand L zwischen den Punkten P und Q nicht ändert, wenn P und Q im
x y-KS ausgedrückt werden.
a) Das x y-KS wird gegenüber dem xy-Koordinatensystem um v = [−5; 4] verschoben.
b) Das x y-KS wird gegenüber dem xy-Koordinatensystem um ϕ = 45◦ gedreht.
5. Ein kartesisches x y z-Koordinatensystem sei gegenüber dem xyz-KS um v = [1; −2; 4] par-
allel verschoben. Ferner sind im xyz-System zwei Punkte P = (−2; 1; 2) und Q = (2; 3; 6)
definiert. Zeigen Sie, dass sich der Abstand L zwischen P und Q nicht ändert, wenn die
Koordinaten der Punkte P und Q im x y z-KS ausgedrückt werden.
Lxyz = 6 P(x, y) = (−3; 3; −2) Q(x, y) = (1; 5; 2) Lxyz = 6
6. Im xy-Koordinatensystem ist die Gleichung x y = 2 gegeben. Welche Form nimmt diese
Gleichung im xy-System an, das gegenüber dem xy-System um −90◦ gedreht wird?
Lsg: x y = −2
6.6 Aufgaben 299

7. Wie lautet die Gleichung der Geraden, die durch den Punkt P = (2; −1) geht und mit der
x-Achse einen Winkel von ϕ = 150◦ bildet?
Lsg: m = tan ϕ = tan 150◦ = −0,577 y = −0,577(x − 2) − 1 = −0,577x + 0,154

8. Gegeben ist eine Gerade in der allgemeinen Linearform 3x − 2y + 2 = 0. Gesucht ist die
Geradengleichung in folgenden Formen:
a) Normalform
b) Achsenabschnittsform
c) Hessesche Normalform
Lsg:
a) Normalform : y = 1,5x + 1
x y
b) Achsenabschnittsform + =1
(−0,667) 1
c) Hessesche Normalform −0,832x + 0,554y − 0,554 = 0

9. Stellen Sie die Gleichung der Geraden G1 auf, die durch den Punkt P = (−2; 1) geht und
parallel zur Geraden G2 : 2x − 3y − 5 = 0 verläuft.
2 2 7
Lsg: Steigung m von G2 : m = Punktsteigungsform von G1 : y = x+
3 3 3
10. Berechnen Sie unter Verwendung der Hesse-Normalform den Abstand des Punktes P =
(1; −1) von der Geraden G , die durch die Punkte P1 = (−2; 1) und P2 = (2; 3) geht.
Lsg:
Allgemeine Linearform: 0,5x − y + 2 = 0
Hessesche Normalform G : −0,447x + 0,894y − 1,789 = 0.
Abstand : d = | − 0,447 · 1 + 0,894 · (−1) − 1,789| = | − 3,13| = 3,13.

11. Berechnen Sie für das Beispiel 6.18 den Winkel zwischen G1 und G2 .
12. Berechnen Sie für das Beispiel 6.14 die Winkelhalbierenden von G1 und G2 .
13. Berechnen Sie für das Beispiel 6.16 den Winkel sowie die Winkelhalbierenden von G1 und
G2 .
7 Integralrechnung
Die Integralrechnung ist das Gegenteil der Differentialrechnung und bildet das zweite Standbein
der Infinitesimalrechnung. Beide Gebiete hängen sehr eng miteinander zusammen.
Bei der Differentiation wird durch Ableitung aus einer gegebenen Funktion F(x) eine neue
Funktion f (x) gewonnen. Dieser Vorgang wird formal durch die Beziehung F  (x) = f (x) aus-
gedrückt.
Bei der Integration ist die Situation umgekehrt: Aus einer gegebenen Funktion f (x) wird eine
neue Funktion F(x) unter der Bedingung gewonnen, dass F  (x) = f (x) gilt. Dieser Vorgang
wird formal durch die Beziehung f (x) dx = F(x) ausgedrückt. Integration und Differentiation
sind also zueinander inverse Operationen.

Gegeben Operation Ergebnis Bedingung Formalausdruck

F(x) Differentiation f (x) F  (x) = f (x)


−−−−−−−−−−−−−−→

f (x) Integration F(x) F  (x) = f (x) f (x) dx = F(x)


−−−−−−−−−−−−−−→

Stammfunktion
Eine Funktion F(x) ist die Stammfunktion von f (x) , wenn folgende Bedingung gilt:

d
F(x) = f (x) bzw. F  (x) = f (x) F(x) : Stammfunktion (7.1)
dx
Beispiel 7.1:
Nachfolgend sind jeweils zwei Funktionen, f (x) und F(x), gegeben. Die Ableitung
von F(x) liefert f (x) , d.h. F(x) ist die Stammfunktion von f (x).

a) f (x) = 1 F(x) = x F  (x) = (x) = 1 = f (x) 


b) f (x) = 2x F(x) = x2 F  (x) = (x2 ) = 2x = f (x) 
c) f (x) = ex F(x) = ex F  (x) = (ex ) = ex = f (x) 
d) f (x) = cos x F(x) = sin x F  (x) = (sin x) = cos x = f (x) 
1 1
e) f (x) = F(x) = ln x F  (x) = (ln x) = = f (x) 
x x
f) f (x) = sinh x F(x) = cosh x F  (x) = (cosh x) = sinh x = f (x) 
 
1 1 1  1
g) f (x) = 2 F(x) = − F  (x) = − = 2 = f (x) 
x x x x
1 1
h) f (x) = F(x) = − ln(a − x) F  (x) = (− ln(a − x)) = = f (x) 
a−x a−x

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_7,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
302 7 Integralrechnung

7.1 Unbestimmtes Integral

Durch Hinzufügen einer beliebigen Konstante C zur Stammfunktion F(x) kann die Menge der
Stammfunktionen unbegrenzt erweitert werden, weil die Ableitung von C stets Null ist:

[F(x) +C] = F  (x) + (C) = F  (x) + 0 = F  (x) = f (x)

Sowohl F(x) als auch F(x) + C sind also Stammfunktionen von f (x). Weil C beliebig ist,
ergibt sich eine unendlich große Schar von Stammfunktionen. Die Addition von C zu F(x) kann
man sich bildlich auch so vorstellen, daß die Funktionskurve y = F(x) im xy-Koordinatensystem
in y-Richtung um den Betrag C parallel verschoben wird.
Die in Bild 7.1 dargestellten Sinusfunktionen F(x) = sin(x) + C mit verschiedenen Werten
für C sind alle gleichwertige Stammfunktionen von f (x) = cos x , weil C sich auf die Ableitung
von F(x) nicht auswirkt.

2 C=2
y

C=1

–6 –4 –2 2 4 6 C=0 8
x
C = –1

–2 C = –2

Bild 7.1: Schar von Stammfunktionen y = F(x) = sin x +C

Das unbestimmte Integral ist die Gesamtmenge aller Stammfunktionen der Funktion f (x) :

f (x) dx = F(x) +C Formale Definition des unbestimmten Integrals (7.2)

Der Ausdruck f (x) innerhalb des -Symbols wird Integrand genannt.


Die für die Ingenieurpraxis wichtigsten Integrale sind auf Seite 777 zusammengestellt.

Beispiel 7.2:
Einige Beispiele für das unbestimmte Integral der Funktion f (x) sind nachfolgend
angegeben (man kann die Richtigkeit der Ergebnisse leicht kontrollieren, indem die
angegebenen Integrale einmal differenziert werden).
a) f (x) = 4x3 f (x) dx = 4x3 dx = x4 +C
b) f (x) = − sin x f (x) dx = (− sin x) dx = cos x +C
c) f (x) = −e−x f (x) dx = (−e−x ) dx = e−x +C
xk+1
d) f (x) = xk f (x) dx = (xk ) dx = +C k : Skalar
k+1
7.1 Unbestimmtes Integral 303

Differentiation und Integration als inverse Operationen


Die Integration ist die Umkehrung der Differentiation. Aus dieser Aussage folgt, dass die Ablei-
tung eines Integrals wieder den Integranden liefern muss. Dass dies tatsächlich auch der Fall ist,
sieht man sofort, wenn beide Seiten der Gl. (7.2) nach x differenziert werden:
 
d d d d
f (x) dx = (F(x) +C) = F(x) + C = f (x) + 0 = f (x)
dx dx dx dx

Zwischen Differentiation und Integration gelten die folgenden formalen Beziehungen:



d
f (x) dx = f (x) (7.3)
dx
 
d
f (x) dx = f  (x) dx = f (x) (7.4)
dx

Beispiel 7.3:
Für die Funktion f (x) = x3 erhält man mit Hilfe der Beziehungen (7.3) und (7.4):
  4 
d d x 4x3
x3 dx = +C = + 0 = x3 
dx dx 4 4
 
d 3
x dx = 3x2 dx = x3 +C = f (x) +C 
dx

Aufgabe:
Die Ableitung der Funktion F(x) = sin x ist f (x) = cos x (Bild 7.2). Gemäß Gl. (7.1) existiert
zwischen den Funktionen F(x) und f (x) die Beziehung dF/dx = f (x) . Die Ableitung einer
Funktion wiederum entspricht der Steigung ihrer Tangente. Zeichnen Sie für die Positionen
x0 = π/4, π/2, 3π/4 in Bild 7.2 mit einem Lineal die Tangente an die Kurve F(x) , und messen
Sie den Tangentenwinkel α ab (der Winkel α ist als positiv anzusehen, wenn er von der x-
Achse aus im Gegenuhrzeigersinn zeigt, anderenfalls als negativ). Überprüfen Sie dann, ob die
Bedingung tan α = f (x0 ) an den angegebenen Positionen tatsächlich erfüllt ist.

1
F(x)=sin x
y

0.5

0 0.5 1 1.5 2 2.5 3


x
–0.5

f(x)=cos x
–1

Bild 7.2: F(x) = sin x ist die Stammfunktion von f (x) = cos x
304 7 Integralrechnung

7.1.1 Regeln für das unbestimmte Integral


Für unbestimmte Integrale gelten folgende Rechenregeln.

1. Faktorregel. Ein konstanter Faktor k darf vor das Integral verschoben werden.
 
k · f (x) dx = k f (x) dx (7.5)

2. Summenregel. Eine lineare Kombination von Funktionen darf gliedweise integriert wer-
den.

f (x) = c1 f1 (x) + c2 f2 (x) + · · · + cn fn (x)


   
f (x) dx = c1 f1 (x) dx + c2 f2 (x) dx + · · · + cn fn (x) dx (7.6)

3. Potenzregel. Die Potenzregel geht auf die Kettenregel der Differentiation zurück.
 a+1
1
f (x)a f  (x) dx = f (x)a+1 +C Hinweis: f (x)a+1 ≡ f (x) (7.7)
a+1

4. Logarithmusregel. Die Logarithmusregel geht auf die Ableitung einer logarithmischen


Funktion zurück.

f  (x)
dx = ln f (x) +C (7.8)
f (x)

Beispiel 7.4:
1. Faktorregel.
 
4 sin x dx = 4 sin x dx = 4(− cos x) +C = −4 cos x +C

2. Summenregel.
a. (cos x − sin x) dx = cos x dx − sin x dx = sin x − (− cos x) +C = sin x +
cos x +C

b. (3ex − 2x) dx = 3ex dx + (−2x) dx = 3 ex dx − 2 x dx = 3ex − x2 +C


3. Potenzregel.

1
( x2 − ex )3 (2x − ex ) dx = (x2 − ex )4 +C
      4
f (x) f  (x)

4. Logarithmusregel.
3x2
a. dx = ln(x3 + 1) +C, weil (x3 + 1) = 3x2
x3 + 1
7.1 Unbestimmtes Integral 305

2x
b. dx = ln(x2 − 5) +C, weil (x2 − 5) = 2x
x2 − 5
x 1 20x 1
c. dx = dx = ln(10x2 − 5) +C
10x2 − 5 20 10x2 − 5 20

7.1.2 Partielle Integration


Das Ziel der partiellen Integration besteht darin, den Integranden f (x) im Integralausdruck
f (x) dx soweit zu vereinfachen, dass zum Schluß ein Grundintegral entsteht (etwas verein-
facht ausgedrückt versteht man unter Grundintegral ein besonders einfaches Integral, das man
praktisch auswendig kennt, oder zumindest mit ein wenig Überlegung leicht von Hand aufstellen
kann, ohne in einer Integralsammlung nachzuschauen).
Zur Herleitung der partiellen Integrationsformel betrachten wir das Produkt u(x) v(x) von
zwei Funktionen u(x) und v(x). Die Ableitung des Produkts uv liefert gemäß der Produktregel
(3.9):

(u v) = u v + u v

Die formale Integration beider Seiten liefert die bekannte partielle Integrationsformel:
    
(u v) dx = u v dx + u v dx ⇒ u v dx = u v − u v dx
  
=uv (vgl. (7.4))

Bei der Bestimmung von f (x) dx nach der partiellen Integrationsregel wird der Integrand f (x)
zunächst als Produkt von zwei -sinnvoll zu wählenden- Funktionen f1 (x) und f2 (x) ausgedrückt.
Danach wird anstelle der Bezeichnung f1 das Symbol u und anstelle von f2 das Symbol v
verwendet:
  
f (x) dx = f1 (x) f2 (x) dx = u(x) v (x) dx Anmerk: u(x) v (x) ≡ f (x)
     
u(x) v (x)

Das Integral f (x) dx lässt sich jetzt mit Hilfe folgender partieller Integrationsformel berech-
nen:
 
u v dx = u v − u v dx

oder etwas ausführlicher: Partielle Integration (7.9)


 
u(x) · v (x) dx = u(x) · v(x) − u (x) · v(x) dx

Der Term v(x) ist die Stammfunktion des Ausdrucks v (x).


306 7 Integralrechnung

Beispiel 7.5:
  
x sin x dx = sin x dx = 
x 
 x (− cos x) − 1 · (− cos x) dx

     
u v u v u v

= −x cos x + cos x dx = −x cos x + sin x +C

Beispiel 7.6:
  
1
ln x dx = 1 dx = 
ln x · 
 x −
ln x ·  x dx
x 

u v u v v
u

= ln x · x − dx = ln x · x − x = x (ln x − 1) +C

Beispiel 7.7:
  
x2 1 x2
x ln x dx = x ln
 x dx = ln
x · − dx
2
 2
x 

v  u u
v u v

x2 x x2 x2 x2
= ln x − dx = ln x − +C = (2 ln x − 1) +C
2 2 2 4 4

Beispiel 7.8:
  2 
x x x2
x ex dx = x e x
  dx = e − ex dx
2 2
v u

Der Integrand ist nach partieller Integration komplizierter geworden als das Ausgangs-
problem! Die Wahl von u und v war also ungeeignet. Die Integration gelingt jedoch
problemlos durch Vertauschung von u und v :
  
x ex dx = ex dx = x ex −
x 
 1 · ex dx = ex (x − 1) +C
u v

Beispiel 7.9:
  
x −x −x x+1
dx = x 
 e dx = (x) (−e ) − 1 · (−e−x ) dx = − x

ex        e
u v u v u v
7.1 Unbestimmtes Integral 307

Hinweise:
1. Die partielle Integration ist nur dann sinnvoll, wenn u v einfacher zu integrieren ist als
f (x).

2. Erfahrung und Intuition -und manchmal einfach auch Glück!- spielen bei der richtigen Wahl
von u und v eine große Rolle.
3. Für die Wahl von u und v existieren keine allgemein gültigen Regeln. Meistens ist es sinn-
voll, Potenzfunktionen mit positiver Potenz (z.B. x, x2 usw.) als u zu wählen, weil sich
dadurch der Potenzgrad bei der Bildung von u verringert.
4. Falls der neue Ausdruck u v dx auf der rechten Seite in (7.9) zwar einfacher als der
Originalausdruck u v dx geworden ist, aber trotzdem noch nicht elementar integrierbar,
muss die partielle Integration wiederholt werden.
5. Die ursprüngliche Wahl von u und v kann sich als ungeeignet herausstellen. Das merkt
man daran, dass der neue Integrand noch komplizierter geworden ist als der ursprüngliche
Integrand. In diesem Fall müssen u und v vertauscht werden, vgl. Beispiel 7.8. Falls auch
die Vertauschung nicht weiter hilft, ist die partielle Integration für den vorliegenden Fall
ungeeignet.

6. Falls während der partiellen Integration die Ausdrücke u v dx (auf der linken Seite)
und u v dx (auf der rechten Seite) identisch werden, wird u v dx auf die linke Seite
gebracht, vgl. Beispiel 7.35.
7. Manchmal führt die partielle Integration zu einem Trivialergebnis, wie z.B. 0 = 0, mit dem
man wenig anfangen kann. In solchen Fällen sollte geprüft werden, ob die Ausnutzung
geeigneter mathematischer Gesetzmäßigkeiten, z.B. Substitution von (1 − sin2 x) anstelle
von cos2 x , weiter hilft, vgl. Beispiel 7.37.
8. Statt der Schreibweise u v dx für die partielle Integration kann natürlich auch jede andere
beliebige Schreibweise verwendet werden, z.B. g h dx = g h − g h dx oder p q dx =
p q − p q dx .
9. Partielle Integration ist ein leistungsfähiges Werkzeug, mit dem sich viele Integrationsaufga-
ben lösen lassen. Ferner ist es bei der Formulierung und Behandlung von Aufgaben der Kon-
tinuumsmechanik (Mechanik deformierbarer Körper) von überragender Bedeutung. Den-
noch ist die partielle Integration kein Universalwerkzeug, das für alle Integrationsaufgaben
geeignet wäre. Es gibt noch weitere spezielle Integrationsmethoden, die in weiterführender
Fachliteratur ausführlich behandelt werden.
308 7 Integralrechnung

7.2 Bestimmtes Integral


Die Fläche unterhalb der Kurve y = f (x) in Bild 7.3 kann näherungsweise dadurch bestimmt
werden, dass man das Intervall [a, b] in n Teilintervalle von gleicher Breite Δx unterteilt.1 Je-
dem Teilintervall entspricht eine Teilfläche, die sich zwischen der Kurve f (x) und der x-Achse
befindet. Die Teilfläche ΔIi kann bei genügend schmaler Intervallbreite Δx als ein Trapez be-
trachtet werden (das entspricht der Linearisierung der gekrümmten Randkurve im Intervall Δx
entsprechend Abschnitt 3.8) und besitzt den Flächeninhalt:
1 2
f (x ) + f (x ) + f  (x ) Δx
f (xi ) + f (xi + Δx) i i i
ΔIi ≈ Δx ≈ Δx
2 2
1
≈ f (xi ) Δx + f  (xi ) (Δx)2
2
Die Gesamtfläche I unterhalb der Kurve ergibt sich durch Summation aller Teilflächen:
n n 1 2
1
I = ∑ ΔIi = ∑ f (xi ) Δx + f  (xi ) (Δx)2
i=1 i=1 2

Die Anzahl n der Teilintervalle kann beliebig groß gewählt werden. Wenn n im Grenzfall gegen
unendlich geht, wird die Intervallbreite Δx infinitesimal, und geht in dx über:

lim Δx = dx lim ΔIi = dI lim xi = x (dx)2 << dx


n→∞ n→∞ n→∞

∞ ∞ 1 2 ∞
1
I = ∑ ΔIi = ∑ f (xi ) dx + f  (xi ) (dx)2 ≈ ∑ f (xi ) dx
i=1 i=1 2 i=1

In der letzten Gleichung wurde der zweite Term mit (dx)2 vernachlässigt, weil er sehr viel
kleiner als der erste Term mit dx ist.

f(xi )
y=f(x)
f(x1)
f(xn )
DI 1 DI i
DI n
Dx Dx Dx

a=x1 xi xn b x

Bild 7.3: Zur Definition des bestimmten Integrals

1 Es sollte jedoch hervorgehoben werden, dass das bestimmte Integral nicht immer gleichbedeutend ist mit dem Flä-
cheninhalt der zwischen der Funktionskurve und der x-Achse liegenden Fläche (hierzu mehr Ausführungen auf
Seite 310). Dennoch ist es didaktisch sehr sinnvoll, das bestimmte Integral anhand von Flächenbetrachtungen zu
erläutern.
7.2 Bestimmtes Integral 309

Die unendliche Summe wird als das bestimmte Integral der Funktion y = f (x) im Intervall
[a, b] bezeichnet und ist definiert als:

b b
I= dI I= f (x) dx Bestimmtes Integral (7.10)
a a

7.2.1 Berechnung des bestimmten Integrals


Das bestimmte Integral lässt sich mit Hilfe der Stammfunktion F(x) von f (x) berechnen (Bild
7.4). Zu diesem Zweck betrachten wir ein infinitesimal schmales Trapez zwischen der Kurve
f (x) und der x-Achse (im Bild stark vergrößert dargestellt). Wegen seiner infinitesimalen Breite
kann man das Trapez auch als Rechteck betrachten, dessen Höhe f (x) ist. Die differentielle
Fläche des Rechtecks ist dI = f (x) dx .

f(x)
F(b)
F(x)

F(x)

f(x)
dF
F(a)
f(x)
dx

a x b x

Bild 7.4: Bestimmtes Integral und Stammfunktion

Zwischen f (x) und ihrer Stammfunktion F(x) existiert gemäß (7.1) folgende Beziehung:

dF
= f (x) ⇒ dF = f (x) dx
dx
Integration beider Seiten dieser Beziehung im Intervall [a, b] liefert:

b b b
dF = f (x) dx ⇒ F(b) − F(a) = f (x) dx
a a a
  
=F(b)−F(a)

b
Nach Einführung des Ausdrucks F(x)a als Abkürzung für die Änderung F(b) − F(a) der
Stammfunktion erhält man die wohlbekannte Beziehung für das bestimmte Integral:

b b

f (x) dx = F(b) − F(a) = F(x) (7.11)
a
a
310 7 Integralrechnung

Beispiel 7.10:
Nachfolgend werden mehrere bestimmte Integrale berechnet.
2 1 1 22 16
a) x3 dx = x4 = −0 = 4
0 4 0 4
2 1 22
b) ex dx = ex = e2 − e−1 = 7,02
−1 −1
π 1 2π
c) sin x dx = − cos x = (− cos π) − (− cos 0) = 1 − (−1) = 2
0 0
2π 1 22π
d) sin x dx = − cos x = (− cos 2π) − (− cos 0) = −1 − (−1) = 0
0 0
π 1 2π
e) cos x dx = sin x = (sin π) − (sin 0) = 0 − 0 = 0
0 0
2π 1 22π
f) cos x dx = sin x = (sin 2π) − (sin 0) = 0 − 0 = 0
0 0

3π/2 1 23π/2
g) cos x dx = sin x = sin(3π/2) − sin(π/2) = −1 − 1 = −2
π/2 π/2

2x 1 x + 1 22
h) x
dx = − x = 0,594
0 e e 0

3 1 x2 23
i) x ln x dx = (2 ln x − 1) = 2,843
0,5 4 0,5

Bestimmtes Integral = Flächeninhalt?


Das bestimmte Integral ab f (x) dx wird oft mit dem Flächeninhalt unterhalb der Kurve gleich
gesetzt. Das ist nur in Sonderfällen richtig.
Das Integral ab f (x) dx entspricht der Summe von unendlich vielen infinitesimalen Teilflä-
chen im Integrationsbereich [a, b] . Diese Teilflächen sind allerdings mit Vorzeichen behaftet,
weil der Funktionswert f (x) positiv oder negativ sein kann. Das heißt, dass positive und negative
Teilflächen zu addieren sind. Im Extremfall können sich diese Teilflächen vollständig auslöschen
und das bestimmte Integral wird zu Null.
Daher darf das bestimmte Integral nicht generell als Flächeninhalt zwischen der Funktion
f (x) und der x-Achse interpretiert werden. Die Gleichsetzung des bestimmten Integrals als Flä-
cheninhalt ist nur in solchen Fällen korrekt, in denen die Kurve f (x) im Integrationsintervall
[a, b] die x -Achse nicht kreuzt. Die Berechnung von Flächen mit Hilfe des bestimmten Integrals
wird im Abschnitt 7.4.1 behandelt.
7.2 Bestimmtes Integral 311

7.2.2 Eigenschaften des bestimmten Integrals


Für das bestimmte Integral gelten prinzipiell die gleichen Regeln wie für das unbestimmte Inte-
gral (vgl. Abschnitt 7.1.1) und darüber hinaus einige zusätzliche Aspekte.
1. Faktorregel

b b
k · f (x) dx = k f (x) dx (7.12)
a a

Beispiel 7.11:
π/2
 π/2
 π/2 

4 sin x dx = 4 sin x dx = 4(− cos x) = 4 −0 − (−1) = 4
0
0 0

2. Summenregel

b  b b
c1 f1 (x) + c2 f2 (x) + · · · dx = c1 f1 (x) dx + c2 f2 (x) dx + · · · (7.13)
a a a

Beispiel 7.12:
1 1 1
a. (3ex − 2x) dx = 3ex dx − 2x dx
0
 01 0
= 3 [ex ]10 − x2 0 = 3(e − 1) − (1 − 0) = 4,15
 2 2
2 x 2x3 x4
b. (x − 2x + x ) dx =
2 3 − + = 0,667 − 0 = 0,667
0 2 3 4 0

3. Identische Integrationsgrenzen. Bei identischen Integrationsgrenzen ist das bestimmte


Integral gleich Null.

a b
f (x) dx = 0 bzw. f (x) dx = 0 (7.14)
a b

Beispiel 7.13:
3 1 1 23 1
x dx = x2 = (32 − 32 ) = 0
2 3 2
3

4. Vertauschen von Integrationsgrenzen. Das Vertauschen der oberen und unteren Integrati-
onsgrenze bewirkt einen Vorzeichenwechsel des Integrals.

a b
f (x) dx = − f (x) dx (7.15)
b a
312 7 Integralrechnung

Beispiel 7.14:
0 π
?
sin x dx = − sin x dx
π 0

0 1 20
sin x dx = − cos x = (− cos 0 + cos π) = (−1 − 1) = −2
π
π
π  π 

− sin x dx = − − cos x = cos π − cos 0 = −1 − 1 = −2
0
0

5. Unterteilung des Integrationsintervalls. Das Integrationsintervall a ≤ x ≤ b darf in zwei


(oder auch beliebig viele) Teilintervalle unterteilt werden.

b c b
f (x) dx = f (x) dx + f (x) dx für a ≤ c ≤ b (7.16)
a a c

Beispiel 7.15:
2 2

2x dx = x2  = (22 − 02 ) = 4
0
0

1 2 1 2
 
2x dx + 2x dx = x2  + x2  = (12 − 0) + (22 − 1) = 1 + 3 = 4
0 1
0 1

6. Partielle Integration

b b 1 2b b

f (x) dx = u v dx = u v − u v dx mit f (x) = u(x) · v (x) (7.17)
a
a a a

Beispiel 7.16:
π/2
 π/2 π/2

sin x dx = −x cos x +
x 
 cos x dx
0
0 u v 0
π/2 π/2
 
= −x cos x + sin x = [−0 + 0] + [1 − 0] = 1
0 0
Die Integrationsgrenzen könnten auch ganz zum Schluß ausgewertet werden:
π/2
 1 2π/2
x sin
 x dx = −x cos x + sin x = [−0 + 1 + 0 − 0] = 1
0
0 u v
7.3 Numerische Integration 313

7.3 Numerische Integration


Falls die Stammfunktion F(x) des Integranden f (x) gefunden werden kann, wird von geschlos-
sener Integration gesprochen. Existiert dagegen keine Stammfunktion, muss das bestimmte Inte-
gral mittels numerischer Integration bestimmt werden.
Numerische Integration liefert immer ein skalares Einzelergebnis, welches nur für das gera-
de untersuchte Problem gültig ist. Dagegen liefert die geschlossene Integration ein generisches
Resultat, d.h. das Ergebnis besitzt allgemeine Gültigkeit.
Beispiele für bestimmte Integrale, die nicht in geschlossener Form ausgewertet werden kön-
nen, weil für die Integranden keine Stammfunktionen existieren, sind in nachfolgenden Bildern
angegeben.
1 2
f (x) = e−x f (x) = e−x ln x
2 2
f (x) dx =? f (x) dx =?
0 1
1
0.04
0.8 f(x)
f(x)

0.02
0.6

0.4
0 1 1.2 1.4 1.6 1.8 2
0 0.2 0.4 x 0.6 0.8 1 x

ex 3 1 2
f (x) = f (x) dx =? f (x) = f (x) dx =?
ln x 2 x sin x 1
18 1.2

16 1
f(x)

f(x)

14
0.8

12
0.6
2 2.2 2.4 x 2.6 2.8 3 1 1.2 1.4 1.6 1.8 2
x

Numerische Integration ist natürlich nur für das bestimmte Integral definiert. Unbestimmte In-
tegrale lassen sich nicht numerisch ermitteln. Das Ergebnis der numerischen Integration ist (von
Einzelfällen abgesehen) ein Näherungswert, dessen Güte vom verwendeten Integrationsverfah-
ren abhängt. Nachfolgend werden einige Standardverfahren für numerische Integration erörtert.
314 7 Integralrechnung

7.3.1 Trapez-Verfahren

Das Trapez-Verfahren (auch Trapez-Regel genannt) ist eine besonders einfache Methode und
lässt sich sehr gut anschaulich herleiten. Die gekrümmte Funktionskurve zwischen zwei Stütz-
stellen wird durch ein Trapez näherungsweise ersetzt (Bild 7.5). Der Integrationsbereich [a, b]
wird in n Teilintervalle gleicher Breite unterteilt (äquidistante Intervalle), was insgesamt n + 1
Stützstellen ergibt:

Integrationsbereich : a≤x≤b
Anzahl der Teilintervalle : n
Stützstellen : x0 , x1 , x2 , · · · , xn
b−a
Schrittweite : h=
n

y
y i-1 yi
y1 y=f(x)

y0 h yn

I1 Ii In

a=x0 x1 xi-1 xi b=x n x

Bild 7.5: Trapez-Verfahren

Die x- und y-Koordinaten der i-ten Stützstelle ergiben sich dann aus:

xi = a + i · h yi = f (xi ) i = 0,1,2, . . . , n

In tabellarischer Form erhält man:

Stützstelle i 0 1 2 ··· n
xi a a+h a + 2h ··· b
yi y0 y1 y2 ··· yn

Die Trapezfläche Ii des i-ten Teilintervalls lässt sich auf elementare Weise berechnen:
yi−1 + yi
Ii = h i = 1,2,3, · · · , n
2
Hinweis: Die Trapezfläche Ii besitzt Vorzeichen, d.h. kann positiv oder negativ sein!
7.3 Numerische Integration 315

Das bestimmte Integral I ergibt sich aus der Summe der n Trapezflächen:

b
I= f (x) dx ≈ I1 + I2 + · · · + In
a

b
y0 + y1 y1 + y2 y2 + y3 yn−1 + yn
f (x) dx ≈ h+ h+ h+...+ h
2 2
         2  2 
a
I1 I2 I3 In

Nach dem Zusammenfassen gleicher Terme ergibt sich die Trapez-Regel zu:

b y +y 
0 n
f (x) dx ≈ h · + y1 + y2 + y3 + · · · + yn−1 Trapez-Regel (7.18)
2
a

Die Genauigkeit des Trapez-Verfahrens ist, wie bei allen numerischen Methoden, umso besser,
je mehr Teilintervalle benutzt werden.

Sonderfall : n = 2

b y +y 
0 2
f (x) dx ≈ h · + y1
2
a

Beispiel 7.17:
1
e−x dx nach dem Trapez-Verfahren mit n = 2
2
Es soll das bestimmte Integral I =
0
berechnet werden.

Anmerkung: Dieses Integral ist nicht geschlossen bestimmbar, daher besitzt es auch
kein exaktes Ergebnis. Als quasi-exaktes Ergebnis soll hier der mit Maple berechnete
Wert I = 0,7468 zu Grunde gelegt werden.

n=2
i xi yi yi
y = f (x)e−x
2
0 0,0 1,0000
b−a 1−0 1 0,5 0,7788
h= = = 0,5 2 1,0 0,3679
n 2
∑ 1,3679 0,7788

1 y +y   1,3679 
e−x dx = h ·
2 0 2
I= + y1 = 0,5 · + 0,7788 = 0,7314
2 2
0
316 7 Integralrechnung

Relativer Fehler des numerischen Integrals gegenüber dem »exakten« Wert:


 
 0,7314 − 0,7468 

Erel =   = 0,021 = 2,1%
0,7468 

7.3.2 Simpson-Verfahren
Das Simpson-Verfahren nutzt den Sachverhalt aus, dass drei Punkte in der xy-Ebene mit einer all-
gemeinen quadratischen Parabel y = c0 + c1 x + c2 x2 verbunden werden können. Beispielsweise
verläuft durch die folgenden drei Punkte jeweils eine quadratische Parabel (Bild 7.6):

Parabel 1 : P0 = f (x0 , y0 ) P1 = f (x1 , y1 ) P2 = (x2 , y2 )


Parabel i : P2i−2 = f (x2i−2 , y2i−2 ) P2i−1 = f (x2i−1 , y2i−1 ) P2i = (x2i , y2i )

Der Integrationsbereich wird diesmal in 2n äquidistante Teilintervalle unterteilt. Der Grund für
die Wahl von 2n Intervallen liegt darin, dass die Simpson-Regel eine gerade Anzahl von Teilin-
tervallen benötigt (2n ist immer eine gerade Zahl).

y
P2i-2 P2i-1 P2i
P2 y=f(x)
P1
Ii
P0 I1
P2n

2h In

a=x0 x2i-2 x2i b=x2n x


x2i-1

Bild 7.6: Simpson-Verfahren

Die quadratische Parabel, die sich jeweils über drei Stützstellen erstreckt, kann einen beliebig
gekrümmten Kurvenverlauf natürlich nur näherungsweise decken. Der Fehler dieser Näherung
ist aber deutlich geringer als die geradlinige Näherung des Trapezverfahrens. Daher darf man
beim Simpsonverfahren im allgemeinen eine spürbar höhere Genauigkeit erwarten als beim Tra-
pezverfahren.
Integrationsbereich : a≤x≤b
Anzahl der Teilintervalle : 2n
Stützstellen x0 , x1 , x2 , · · · , x2n−1 , x2n
:
b−a
Schrittweite : h=
2n
Die x- und y-Koordinaten der i-ten Stützstelle ergiben sich dann aus:

xi = a + i · h yi = f (xi ) i = 0,1,2, . . . ,2n


7.3 Numerische Integration 317

In tabellarischer Form erhält man:


Stützstelle i 0 1 2 ··· 2n
xi a a+h a + 2h ··· b
yi y0 y1 y2 ··· y2n
Der Flächeninhalt I1 der ersten Doppelteilfläche zwischen den Stützstellen x0 und x2 beträgt:

h
I1 = (y0 + 4y1 + y2 )
3
Anmerkung: Die obige Formel zur Berechnung des Flächeninhalts eines Quasi-Rechtecks, des-
sen vierte Randlinie durch eine quadratische Parabel beschrieben wird (schraffierte Fläche in
Bild 7.6), kann üblichen Formelsammlungen entnommen werden und soll hier nicht im Detail
hergeleitet werden.
Der Flächeninhalt I2 der zweiten Doppelteilfläche zwischen den Stützstellen x2 und x4 ergibt
sich in analoger Weise zu:

h
I2 = (y2 + 4y3 + y4 )
3
Für die i-te Doppelteilfläche Ii zwischen den Stützstellen x2i−2 und x2i gilt:

h
Ii = (y2i−2 + 4y2i−1 + y2i ) i = 1,2,3, · · · , n
3
Die Gesamtfläche unterhalb der Funktionskurve ergibt sich aus der Summe aller n Doppelteil-
flächen:
b
I= f (x) dx ≈ I1 + I2 + · · · + In
a

b
h h h
f (x) dx ≈ (y0 + 4y1 + y2 ) + (y2 + 4y3 + y4 ) + · · · + (y2n−2 + 4y2n−1 + y2n )
a 3   3   3  
I1 I2 In

Nach dem Zusammenfassen gleicher Terme ergibt sich die Simpson-Regel zu:

b
h 
f (x) dx ≈ y0 + y2n + 4(y1 + y3 + · · · + y2n−1 ) + 2(y2 + y4 + · · · + y2n−2 ) (7.19)
3
a

Sonderfall : 2n = 2 (eine Teilfläche)

b
h
f (x) dx ≈ [y0 + y2 + 4y1 ] (7.20)
3
a
318 7 Integralrechnung

Sonderfall : 2n = 4 (zwei Teilflächen)

b
h
f (x) dx ≈ [y0 + y4 + 4(y1 + y3 ) + 2y2 ] (7.21)
3
a

Die Simpson-Regel besitzt eine deutlich schnellere Konvergenz als die Trapezregel, d.h. eine Er-
höhung der Intervallanzahl verbessert die Genauigkeit der Simpsonregel in viel stärkerem Maße
als diejenige der Trapezregel.

Beispiel 7.18:
1
Das bestimmte Integral I = e−x dx des Beispiels 7.17 soll jetzt nach dem Simpson-
2

0
Verfahren mit 2n = 2 und 2n = 4 berechnet werden (exaktes Ergebnis: I = 0,7468).

Simpson-Regel mit 2n = 2

2n = 2
i xi yi yi
b−a 1−0 0 0,0 1,0000
h= = = 0,5
2n 2 1 0,5 0,7788
2 1,0 0,3679
∑ 1,3679 0,7788

1
0,5
e−x dx =
2
I= (1,3679 + 4 · 0,7788) = 0,7472
3
0

Relativer Fehler des numerischen Integrals:


 
 0,7472 − 0,7468 

Erel =   = 0,0005 = 0,05%
0,7468 

7.3.3 Gauss-Quadratur

Die numerische Integration nach Gauss wird Gauss-Quadratur genannt. Ihre Herleitung ist rela-
tiv aufwändig und soll hier nicht wiederholt werden. Nachfolgend werden nur die wesentlichen
Teile des Verfahrens vorgestellt.
Bei der Gauss-Quadratur wird die Funktion f (x) an einigen genau festgelegten Stellen inner-
halb des Integrationsintervalls [a, b] ausgewertet und mit tabellierten Gewichtungsfaktoren Wi
multipliziert. Anschließend werden die einzelnen Terme addiert. Man erhält dadurch folgende
7.3 Numerische Integration 319

numerische Integrationsformel:

b n
f (x) dx = ∑ fi Wi
a i=1

Die Rechenprozedur der Gauss-Quadratur ist nachfolgend zusammengefasst:

Gauss-Quadratur

b n
f (x) dx ≈ ∑ fi Wi
a i=1

n : Anzahl der Stützstellen (üblicherweise 1 bis 4)


fi : Funktionswert an der Stelle xi (7.22)
a+b b−a
fi = f (xi ) mit xi = + ξi
2 2
Wi : Gewichtungsfaktor
b−a
Wi = αi
2
Die Koeffizienten ξi und αi sind der Tabelle 7.1 zu entnehmen.

Tabelle 7.1: Koeffizienten der Gauss-Quadratur

n i ξi αi
1 1 0 2
2 1 −0,5773502692 1
2 +0,5773502692 1
1 −0,7745966692 0,5555555556
3 2 0 0,8888888889
3 +0,7745966692 0,5555555556
1 −0,8611363116 0,3478548451
4 2 −0,3399810436 0,6521451549
3 +0,3399810436 0,6521451549
4 +0,8611363116 0,3478548451

Die Gauss-Quadratur ist die in der höheren numerischen Mechanik wohl am häufigsten ver-
wendete numerische Integrationsmethode. Der Grund für seine Beliebtheit liegt in der hohen
320 7 Integralrechnung

Genauigkeit bei der Integration von Polynomfunktionen, die man schon mit sehr wenigen Stütz-
stellen erreichen kann. Ein Polynom (2n − 1)-ten Grades lässt sich bereits mit n Stützstellen
exakt, d.h. ohne Näherungsfehler, integrieren.

Beispiel 7.19:
1
Das bestimmte Integral I = e−x dx des Beispiels 7.17 soll nach der Gauss-Quadratur
2

0
mit 2 Stüzstellen berechnet werden (exaktes Ergebnis: I = 0,7468).

a+b b−a
= 0,5 = 0,5
2 2

n=2
i ξi xi fi αi Wi
1 -0,57735 0,2113 0,9563 1 0,5
2 +0,57735 0,7887 0,5368 1 0,5

1
e−x dx = 0,5 · 0,9563 + 0,5 · 0,5368 = 0,7466
2
I=
0

Relativer Fehler:
 
 0,7466 − 0,7468 

Erel =   = 0,0003 = 0,03%
0,7468 

Beispiel 7.20:
1
Es soll das Integral I = x3 e−x
2 /2
dx nach der Gauss-Quadratur mit n = 2 berechnet
0
werden.

n=2
i ξi xi fi αi Wi
1 -0,57735 0,2113 0,00919 1 0,5
2 +0,57735 0,7887 0,35947 1 0,5

I = 0,5 · 0,00919 + 0,5 · 0,35947 = 0,1843


7.3 Numerische Integration 321

Die Bedeutung des Koeffizienten ξ in der Gauss-Quadratur


Die Bedeutung des Koeffizienten ξi wird deutlich, wenn die dimensionsbehaftete Ortskoordinate
x mit Hilfe folgender linearer Transformation durch die dimensionslose Variable ξ ausgedrückt
wird:
a+b b−a
x = g(ξ ) = +ξ − 1 ≤ ξ ≤ +1
2 2
Die Richtigkeit dieser Transformation sieht man sofort, wenn die Endpunkte der neuen Variable
ξ eingesetzt werden:

a+b b−a
ξ = −1 : x= + (−1) =a
2 2
a+b b−a
ξ = +1 : x= + (+1) =b
2 2
Die Stützstellen xi lassen sich also aus den dimensionslosen Stützstellen ξi bestimmen:

a+b b−a
xi = + ξi
2 2
Das ursprüngliche Integral kann als Funktion von ξ geschrieben werden:

b +1
b−a
f (x) dx = f (g(ξ )) dξ
2
a −1

+1
Das Integral −1 f (g(ξ )) dξ ergibt sich mit Hilfe der Gauss-Quadratur zu:

1 n
f (ξ ) dξ = ∑ αi fi
i=1
−1

b
Das gesuchte Integral a f (x) dx lautet somit:

b 1
b−a n
b−a n
f (x) dx = f (g(ξ )) dξ = ∑ αi f (xi ) = ∑ Wi fi
2 i=1  2  i=1
a −1
Wi

Anmerkungen
• Für Polynomfunktionen liefern die Simpson- und Gauss-Regel i.a. genauere Ergebnisse als
die Trapezregel. Für Exponential- oder Transzendentalfunktionen gilt dies nicht unbedingt.
• In der Finite-Element-Methode (FEM), die einen Zweig der computergestützten Mechanik
(computational mechanics) bildet, wird die Gauss-Quadratur in der dimensionslosen Form
mit der Variable ξ durchgeführt.
322 7 Integralrechnung

7.4 Geometrische Anwendungen der Integralrechnung


In diesem Abschnitt werden einige geometrische Anwendungsbeispiele der Integralrechnung vor-
gestellt.

7.4.1 Flächenberechnung
Das bestimmte Integral I entspricht dem Flächeninhalt A zwischen der Funktionskurve y = f (x)
und der x-Achse im Intervall x = [a, b] , sofern die Funktionskurve die x-Achse nicht schneidet.
Das bestimmte Integral I wird negativ, wenn die Kurve der Funktion f (x) unterhalb der x-Achse
verläuft. Da aber nur ein positives Flächenmaß geometrisch Sinn macht, sollte generell als Fläche
A der Absolutwert des Integrals I verwendet werden, d.h. A = |I| :

b 
 
A = |I| =  f (x) dx  (7.23)
a

Beispiel 7.21:
Gesucht ist die von der Sinusfunktion y = sin x im Intervall 0 ≤ x ≤ π eingeschlos-
sene Fläche A.
1

y 0.5

0 1 2 3
x

π π

A= sin x dx = − cos x = − cos π − (− cos 0) = 1 + 1 = 2
0
0

Vorzeichenwechel der Funktionswerte


Wenn die Funktionswerte von f (x) im Integrationsintervall [a, b] ihr Vorzeichen wechseln,
muss die Flächenberechnung mit Hilfe des bestimmten Integrals etwas modifiziert werden. In
diesem Fall wird das Intervall [a, b] in n Teilintervalle unterteilt. Die Anzahl der Teilintervalle
n ist so zu wählen, dass das Vorzeichen von f (x) sich innerhalb eines Intervalls nicht ändert.
Die Gesamtfläche A ergibt sich dann aus der Addition der einzelnen Flächen Ai :
n n
A = ∑ Ai = ∑ |Ii |
i=1 i=1

Anmerkung: Leider sieht man der Funktionsgleichung f (x) oft nicht ohne weiteres an, ob sie
im Integrationsbereich einen Vorzeichenwechsel erfährt oder nicht. Im Zweifelsfall sollte man
daher eine Skizze des Funktionsverlaufes anfertigen – in vielen Fällen wird eine von Hand nur
qualitativ gezeichnete Funktionskurve ausreichend sein.
7.4 Geometrische Anwendungen der Integralrechnung 323

Beispiel 7.22:
Die von der Sinusfunktion y = sin x und der x-Achse eingeschlossene Fläche im
Intervall [0; 2π] soll berechnet werden.
1
y
0 2 4 6
x
–1

a) Ohne Unterteilung des Integrationsbereiches erhält man auf jeden Fall ein falsches
Ergebnis.

2π 2π

A= sin x dx = − cos x = − cos 2π − (− cos 0) = −1 + 1 = 0 
0
0

b) Mit Unterteilung des Integrationsbereiches, aber ohne Verwendung der Absolut-


werte der Teilintegrale, erhält man wieder ein falsches Ergebnis.

π 2π
A= sin x dx + sin x dx
0 π
π 2π 
 
= − cos x − cos x = −(−1 − 1) − 1 − (−1) = 2 − 2 = 0 
0 π

c) Unterteilung des Integrationsbereiches und Verwendung der Absolutwerte der


Teilintegrale liefert das korrekte Ergebnis.
   
π  2π 
   
A =  sin x dx +  sin x dx
0  π 
   
   
= [− cos x]π0  + [− cos x]2π
π  = |2| + | − 2| = 4 

Flächenberechnung bei bereichsweise definierten Funktionen


Gelegentlich kommt es vor, dass die Funktion f (x) die x-Achse zwar nicht schneidet, aber aus
nur bereichsweise definierten Teilfunktionen besteht (Bild 7.7). Auch in solchen Fällen ist die
Unterteilung des Integrationsintervalls in geeignete Teilbereiche notwendig:


⎪ f1 (x) für x0 ≤ x ≤ x1



⎨ f2 (x) für x1 ≤ x ≤ x2
f (x) = ..



⎪ .

⎩ f (x) für x
n n−1 ≤ x ≤ xn
324 7 Integralrechnung

0.5

y
0 1 2
x

Bild 7.7: Bereichsweise definierte Funktionen x und cos(x − 1)

⇒ A = A1 + A2 + · · · + An
     
 x1  x2   xn =b 
     
A =  f1 (x) dx  +  f2 (x) dx + · · · +  fn (x) dx
x =a  x  x 
     
0 1 n−1
  
A1 A2 An

Beispiel 7.23:
Die Fläche unterhalb der bereichsweise definierten Kurve in Bild 7.7 soll berechnet
werden.

⎨ f1 (x) = x für 0 ≤ x ≤ 1
f (x) =
⎩ f2 (x) = cos(x − 1) für 1 ≤ x ≤ π + 1
2

       
1   π/2+1  1   π/2+1 
         
A = A1 + A2 =  f1 (x) dx +  f2 (x) dx =  x dx +  cos(x − 1) dx
0   1  0   1 
1 2 2  1 2 
 x 1  π/2+1 
=   +  sin(x − 1)
 
 = |(0,5 − 0)| + |(1 − 0)| = 0,5 + 1 = 1,5

2 0 1

7.4.2 Fläche zwischen zwei Kurven


Die in Bild 7.8 a dargestellte Fläche A zwischen den Kurven f1 (x) und f2 (x) ergibt sich aus der
nachfolgenden Beziehung (die Kurven schneiden sich nicht im Innenbereich des Integrationsin-
tervalls [a, b] ).
   
 b   b b 
   
A =  [ f1 (x) − f2 (x)] dx  =  f1 (x) dx − f2 (x) dx  (7.24)
a  a a


Wenn sich die Kurven f1 (x) und f2 (x) an n Zwischenpunkten innerhalb des Integrationsintervalls
[a, b] kreuzen (mit den Kreuzungspositionen x1 , x2 , · · · , xn ), muss die gesuchte Fläche A als
7.4 Geometrische Anwendungen der Integralrechnung 325

y y

y=f1(x) y=f1(x)
n=1
n
A A1
A2
y=f 2 (x)
y=f 2 (x)

a b x a x1 b x

a: ohne Zwischenschnittpunkt b: mit einem Zwischenschnittpunkt

Bild 7.8: Fläche zwischen zwei Kurven

Summe der Teilflächen Ai berechnet werden.


n+1
A= ∑ Ai = |I1 | + |I2 | + · · · + |In+1 | (7.25)
i=1

x1 x2  =b
xn+1

I1 = [ f1 (x) − f2 (x)] dx I2 = [ f1 (x) − f2 (x)] dx ··· In+1 = [ f1 (x) − f2 (x)] dx


a x1 xn

oder in verallgemeinerter Form:


xi
Ii = [ f1 (x) − f2 (x)] dx i = 1,2, · · · , n + 1 wobei x0 = a, xn+1 = b
xi−1

Hinweis: Wenn die beiden Kurven sich nur an den Endpunkten des Integrationsbereiches schnei-
den, d.h. nur an den x-Positionen a und b , gilt Gl. (7.24).

Beispiel 7.24:
Gesucht ist die zwischen den Kurven f1 (x) = 2 + sin x und f2 (x) = 2 − sin x liegende
Fläche im Intervall 0 ≤ x ≤ 2π .
3

2
y
1

0 2 4 6
x

Im Integrationsbereich schneiden sich die Kurven von f1 (x) und f2 (x) an einem Zwi-
schenpunkt (n = 1) und zwar an der Stelle x1 = π :
π π 1 2 π π

I1 = ( f1 − f2 ) dx = 2 + sin x − (2 − sin x) dx = 2 sin x dx = −2 cos x = 4
0
0 0 0
326 7 Integralrechnung

2π 2π 2π 1 2



I2 = ( f1 − f2 ) dx = 2 sin x dx = −2 cos x = −2 1 − (−1) = −4
π
π π

A = |I1 | + |I2 | = 4 + | − 4| = 8

7.4.3 Flächenberechnung in Polarkoordinaten


Der in Bild 7.9 abgebildete Kreis vom Radius r wird durch die Gleichung x2 + y2 = r2 beschrie-
ben. Die Kreisfläche A könnte nach der Formel (7.23) wie folgt berechnet werden:

x2 + y2 = r2 ⇒ y2 = r 2 − x 2 y = f (x) = ± r2 − x2

r r 
 √ r
x r 2 − x2 r 2 x
A=4 f (x) dx = 4 r2 − x2 dx = 4 + arctan √
2 2 r 2 − x2 0
0 0
 
r2 π
= 4 0+ − 4 [0 + 0] = πr2
2 2

ds
r
da
a
x

Bild 7.9: Kreisfläche in Polarkoordinaten

Die Berechnung der Kreisfläche gestaltet sich aber wesentlich eleganter, wenn man anstel-
le der kartesischen xy-Koordinaten die Polarkoordinaten r und α verwendet (Definition von
Polarkoordinaten vgl. Seite 270). Die Länge eines infinitesimalen Kurvenstückes auf dem Kreis-
umfang sei mit ds bezeichnet (Bild 7.9). Nach Regeln elementarer Geometrie gilt:

ds = r · dα

Das dunkel schraffierte dreieckförmige infinitesimale Kreissegment mit dem Segmentwinkel dα


besitzt die Form eines Dreiecks. Sein Flächeninhalt beträgt:

1 1 r2
dA = r · ds = r · (r dα) = dα
2 2 2
7.4 Geometrische Anwendungen der Integralrechnung 327

Die Integration über den gesamten Umfang liefert die bekannte Formel für die Kreisfläche:

2π 2π 2π


1 r2 r2 2π r2
A= dA = r dα =
2
dα = α  = (2π − 0) = πr2
2 2 2 0 2
0 0 0

7.4.4 Bogenlänge einer Kurve


Die Bogenlänge einer Kurve spielt in Ingenieuranwendungen eine wichtige Rolle (z.B. Seillän-
ge einer Hängeseilbrücke, Trägerlänge einer Bogenbrücke, Bahnlänge eines Flugkörpers). Zur
Herleitung der Formel der Bogenlänge wird in der xy-Ebene eine beliebige Kurve y = f (x)
betrachtet (Bild 7.10).

y
s y=f(x)
dy
dx

ds dy
dx

a b x

Bild 7.10: Bogenlänge s einer Kurve

An einem differentiellen Bogenelement mit der infinitesimalen Länge ds ergeben sich folgen-
de Beziehungen aus der Pythagoras-Beziehung:
  2 
dy  
(ds) = (dx) + (dy) = 1 +
2 2 2
(dx)2 = 1 + y2 (dx)2
dx

⇒ ds = 1 + y2 dx (7.26)
Die gesamte Bogenlänge s ergibt sich aus der Integration der differentiellen Bogenlänge ds über
dem Integrationsintervall [a, b]:

 b 
s= ds s= 1 + y2 dx (7.27)
a
328 7 Integralrechnung

Beispiel 7.25: √
Zu berechnen ist die Bogenlänge der Kurve y = x3 im Intervall 0 ≤ x ≤ 2 .
1.5

y
0.5

0 1 2
x
3 1/2
y = x3/2 ⇒ y = x
2
  3/2 2
2  2 2 
3 1/2 9 2 4 9
s= 1+ x dx = 1 + x dx = 1+ x = 3,53
2 4 3 9 4
0 0 0

7.4.5 Bogenlängenberechnung in Polarkoordinaten


Die Bogenlängenberechnung nach Gl. (7.27) kann sich in Einzelfällen wesentlich vereinfachen,
falls die Kurve in Polarkoordinaten (vgl. Seite 270) beschrieben werden kann.
Als Demonstrationsbeispiel wird die Umfangslänge U eines Kreises berechnet (Bild 7.11).
Die Berechnung erfolgt zunächst im kartesischen xy-Koordinatensystem und dann anschließend
im Polarkoordinatensystem.

ds
r
a da
x

Bild 7.11: Polarkoordinaten zur Berechnung des Kreisumfangs


7.4 Geometrische Anwendungen der Integralrechnung 329

Beispiel 7.26:
Berechnung im kartesischen KS: Die Berechnung des Kreisumfangs nach Gl. (7.27)
lautet:
 −x r2
y= r 2 − x2 ⇒ y = √ 1 + y2 =
r 2 − x2 r 2 − x2

r  r
r
U =4 1 + y2 dx = 4 √ dx
r 2 − x2
0 0
1 x 2r π 
= 4r arcsin = 4r (arcsin 1 − arcsin 0) = 4r − 0 = 2πr
r 0 2

Dieser Rechengang ist zwar nicht besonders schwierig, aber auch nicht gerade sehr einfach. Deut-
lich einfacher wird er unter Verwendung von Polarkoordinaten, wie nachfolgend gezeigt wird.
Die Länge ds eines infinitesimalen Kurvenstückes auf dem Kreisumfang ergibt sich zu:

ds = r · dα

Integration über 360◦ in Umfangsrichtung liefert:

2π 2π 2π



U= ds = r dα = rα  = r(2π − 0) = 2πr
0
0 0

Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, dass es sich sehr lohnen kann, darüber nachzudenken, ob ein
gegebenes mathematisches Problem durch Transformation in einen anderen Variablenraum (hier:
vom kartesischen xy-Raum in den polaren rα-Raum) möglicherweise einfacher gelöst werden
kann.

7.4.6 Schwerpunkt einer Linie mit Massenbelegung


Eine Linie in der technischen Mechanik läßt sich als einen sehr dünnen massebehafteten Draht
vorstellen (Bild 7.12). Die Masse pro Längeneinheit des Drahts ergibt sich aus m(s) = A(s) · ρ(s),
wobei A die Querschnittsfläche des Drahts und ρ die Dichte des Drahtwerkstoffes (Masse pro
Volumeneinheit) bedeuten. A und ρ brauchen nicht konstant verteilt sein, sie dürfen als Funktion
der laufenden Koordinate s entlang der Linie vorgegeben sein. Der Schwerpunkt S des Linie ist
durch seine Koordinaten xs , ys festgelegt, welche durch folgende Formeln gegeben sind.
 
1 1
xs = m(s) x ds ys = m(s) y ds (7.28)
M M
s s

M : Gesamtmasse der Linie M= s m(s) ds


330 7 Integralrechnung

f(s) ds
m= S x

ys y

xs x

Bild 7.12: Schwerpunkt einer Linie

Sonderfall: Gleichmäßige Massenbelegung


Für gleichmäßige Massenverteilung m(s) = m entlang der ganzen Linie errechnet sich die Ge-
samtmasse aus M = l · m (l Länge der Linie) und die obigen Beziehungen lassen sich wie folgt
vereinfachen:
1 1 1
xs = m(s) x ds = m x ds = x ds
M s lm s l s
1 1 1
ys = m(s) y ds = m y ds = y ds
M s lm s l s

Beispiel 7.27:
Gesucht ist der Schwerpunkt S des abgebildeten Kreisbogens mit gleichmäßiger Mas-
senverteilung.

y
ds
S
a da
ys b r y

Aus der Abbildung lassen sich folgende Beziehungen ableiten:

ds = r dα y = r cos α l = 2β r l : Länge des Kreisbogens

Das Integral entlang der Bogenkoordinate s läßt sich jetzt in ein Integral mit α als
Integrationsvariable überführen:

 β β r sin β
1 2 r 
ys = y ds = r2 cos α dα = sin α  =
l 2β r β 0 β
s 0
7.4 Geometrische Anwendungen der Integralrechnung 331

y=f(x)
y

dx

y y+dy
L
x
x r2
r1
ds

x=a x=b h

a: Rotationskörper b: Kegelstumpf

Bild 7.13: Rotationskörper bei Drehung von f (x) um die x-Achse

7.4.7 Mantelfläche eines Rotationskörpers


Es Rotationskörper entsteht, wenn eine in der xy-Ebene liegende Kurve um eine der beiden Ko-
ordinatenachsen um 360◦ gedreht wird. Bild 7.13 a zeigt einen Rotationskörper bei Drehung um
die x-Achse.
Die Mantelfläche entspricht der gekrümmten Oberfläche, die unmittelbar der Kurve y = f (x)
zugeordnet ist (sie enthält also nicht die beiden kreisförmigen Stirnflächen).

7.4.7.1 Rotationsfläche um die x-Achse


Wenn die Kurve y = f (x) einmal vollständig um die x-Achse gedreht wird, entsteht eine Rota-
tionsfläche, deren Längsachse die x-Achse ist. Für die Berechnung der Mantelfläche wird der
differentielle Kegelstumpf in Bild 7.13 b mit folgenden geometrische Kenngrößen betrachtet:
Höhe h = dx
Mantellänge L = ds
Radius am linken Ende r1 = y
Radius am rechten Ende r2 = y + dy
Die Mantelfläche des Kegelstumpfs ergibt sich aus elementarer Geometrie:

dAM = π (r1 + r2 ) L

Nach Einsetzen obiger differentieller Größen in diese Formel erhält man:

dAM = π ( y + y + dy) ds = 2π y ds + π dy ds
      
r1 r2 ≈0

Die Größen ds und dy sind infinitesimal; daraus folgt, dass (ds · dy) << ds . Folglich kann
in obiger
 Beziehung der zweite Term vernachlässigt werden. Setzt man noch die Beziehung
ds = 1 + y2 dx gemäß (7.26) ein, ergibt sich die Mantelfläche des differentiellen Kegelstumpfs
332 7 Integralrechnung

y=f(x)

dy

ds
a x b x
x+dx

Bild 7.14: Rotationskörper bei Drehung von f (x) um die y-Achse

zu:

dAM = 2π y ds = 2π y 1 + y2 dx

Die gesamte Mantelfläche AM des Rotationskörpers ergibt sich schließlich durch Integration von
dAM im Intervall a ≤ x ≤ b :

b b 
AM = dAM ⇒ AM = 2π y 1 + y2 dx (7.29)
a a

Beispiel 7.28:
Es soll die Mantelfläche des Rotationskörpers berechnet werden, der durch vollständi-
ge Drehung der Kurve y = cosh x um die x-Achse entsteht (0 ≤ x ≤ 2).

y = cosh x y = sinh x

2  2
AM = 2π cosh x 1 + sinh x dx = 2π cosh2 x dx
2
  
0 cosh x 0
2
1 
= 2π (x + sinh x cosh x) = 49,15
2 0

7.4.7.2 Rotationsfläche um die y-Achse


Wenn die Kurve y = f (x) um die y-Achse gedreht wird, entsteht der in Bild 7.14 dargestellte
Rotationskörper. Seine Mantelfläche wird durch ähnliche Betrachtungen wie im Falle der Rota-
tion um die x-Achse berechnet. Die beiden Radien des Kegelstumpfes sind diesmal r1 = x und
r2 = x + dx . Die Mantelfläche des differentiellen Kegelstumpfes ergibt sich aus:
7.4 Geometrische Anwendungen der Integralrechnung 333

dAM = π (x + x + dx) ds = 2π x ds + π
 dx
 ds
≈0

Die Mantelfläche AM ergibt sich durch Integration von dAM im Intervall a ≤ x ≤ b :

b b 
AM = dAM ⇒ AM = 2π x 1 + y2 dx (7.30)
a a

Beispiel 7.29:
Gesucht ist die Mantelfläche des Rotationskörpers, der durch Drehung der Kurve y =
cosh x um die y-Achse entsteht (0 ≤ x ≤ 2).

y = cosh x y = sinh x

2  2
AM = 2π x 1 + sinh x dx = 2π x cosh x dx
2
  
0 cosh x 0
2

= 2π (x sinh x − cosh x) = 28,22
0

7.4.8 Volumen eines Rotationskörpers

Die Berechnung des Volumens eines Rotationskörpers basiert prinzipiell auf der gleichen Grund-
lage wie die Berechnung der Mantelfläche. Zunächst wird das Volumen eines differentiellen
Kegelstumpfes ermittelt und daraus wird das Gesamtvolumen durch Integration berechnet.

7.4.8.1 Rotationskörper um die x-Achse

Der bei der Drehung um die x-Achse entstehende Rotationskröper ist in Bild 7.13 a dargestellt.
Das Volumen eines Kegelstumpfes mit der Höhe h beträgt nach elementarer Mathematik:

πh 2
VKegel = (r1 + r1 r2 + r22 )
3
Mit den geometrischen Größen des differentiellen Kegelstumpfes erhält man:
π dx 1 2 2
dV = y + y · (y + dy) + (y + dy)2
3
π 1 2 2
= 3y dx + 3y dx dy + dx (dy)2 = πy2 dx
3      
≈0 ≈0

In der obigen Gleichung sind Terme, in denen Produkte von dx und dy vorkommen, vernach-
lässigbar klein gegenüber dem ersten Glied mit dx, so dass sie weggelassen werden können. Das
334 7 Integralrechnung

yb

dV
y=f(x)

dy
ya

a x b x
x+dx

Bild 7.15: Volumen bei bei Drehung von f (x) um die y-Achse

Volument V ergibt sich aus der Integration von dV im Integrationsintervall a ≤ x ≤ b :

b b
V= dV V =π y2 dx (7.31)
a a

Beispiel 7.30:
Es soll das Volumen des Rotationskörpers berechnet werden, der durch Drehung der
Kurve y = sinh x um die x-Achse entsteht ( 0 ≤ x ≤ 2 ).

2 2
1 
V =π sinh2 x dx = π (sinh x cosh x − x) = 18,29
2 0
0

7.4.8.2 Rotationskörper um die y-Achse


Für die Bestimmung des Volumens, welches durch Drehung der Kurve y = f (x) um die y-Achse
entsteht (Bild 7.15), stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Bei beiden Alternativen ist der
Ausgangspunkt das infinitesimale Volumen dV des Kegelstumpfes mit der Höhe dy :

dV = π x2 dy

Methode A
Bei dieser Methode wird die Funktion y = f (x) zunächst nach x aufgelöst, d.h. man berechnet
die Umkehrfunktion x = g(y). Anschließend wird dV in Richtung der y-Achse integriert.

yb yb yb


V= dV = π g (y) dy
2
V =π x2 (y) dy (7.32)
ya ya ya
7.4 Geometrische Anwendungen der Integralrechnung 335

Hinweis: Es ist zu beachten, dass die Variable x im obigen Integral eine Funktion von y ist, d.h.
es ist x = g(y). Die Funktion x = g(y) wird gewonnen, indem die Funktion y = f (x) nach x
aufgelöst wird.
Methode B
Bei dieser Methode wird das Integral in (7.32) so umgeformt, dass die Integration von dV in
Richtung der x-Achse erfolgt. Aus der allgemeinen Ableitungsdefinition y = dy/dx folgt dy =
y dx. Das infinitesimale Volumen dV ergibt sich dadurch zu:

dV = π x2 dy = π x2 y dx

Jetzt kann die Integration über die unabhängige Variable x erfolgen, vgl. Bild 7.15:

b b
V= dV V =π x2 y dx (7.33)
a a

Anmerkungen:
- Falls das Volumen gemäß Gl. (7.33) negativ wird, ist einfach der Absolutwert zu nehmen.
- Es ist keine allgemein gültige Aussage möglich, welche Methode die schnellere bzw. übersicht-
lichere ist; es kommt auf den Einzelfall an.

Beispiel 7.31:

4
Es soll das Volumen des Rotationskörpers be- 3
2
rechnet werden, der durch Drehung der Kurve 1

y = sinh x um die y-Achse entsteht (0 ≤ x ≤ 2). 0


–2
–1 –1
–2

0 0
1 1
2 2

a) Lösung mit Hilfe der Gleichung (7.32):

y = sinh x ⇒ x = g(y) = arcsinh y

yb yb
V =π x dy = π
2
arcsinh2 y dy
ya ya

Die Integrationsgrenzen in y-Richtung sind:

ya = f (x = 0) = sinh 0 = 0 yb = f (x = 2) = sinh 2 = 3,63


3,63

⇒ V =π arcsinh2 y dy = 21,13
0

Anmerkung: Für den Integranden existiert keine Stammfunktion. Das obige Inte-
gral wurde mit Maple numerisch ausgewertet.
336 7 Integralrechnung

b) Lösung mit Hilfe der Gleichung (7.33):

b 2
 2 
y = sinh x ⇒ y = cosh x V =π x y dx = π x2 cosh x dx
a 0
2

V = π (x2 sinh x − 2x cosh x + 2 sinh x) = 21,09
0

7.5 Technische Anwendungen der Integralrechnung


In Technik und Wissenschaft existiert für Integralrechnung ein breites Spektrum von Einsatzmög-
lichkeiten. In nachfolgenden Abschnitten sollen exemplarisch nur einige wenige Anwendungs-
beispiele vorgestellt werden.

7.5.1 Biegelinie eines eingespannten Balkens


Ein an seinem linken Ende fest eingespannter Balken wird an seinem rechten Ende durch die
Einzellast F belastet. Gesucht ist die größte Durchbiegung des Balkens.
Das Biegeproblem des Balkens wird durch die folgenden Beziehungen der Festigkeitslehre
beschrieben:
- Biegemoment M als Funktion der Position : M = −F(L − x)
- Krümmung der Biegelinie als Funktion des Biegemoments : y = M/EI
E ist der Elastizitätsmodul, I das Trägheitsmoment des Balkenquerschnitts.
y

x
x
y(x)
F

Aus den gegebenen Beziehungen erhält man durch Einsetzen:


F
y = − (L − x)
EI
Mit Hilfe der grundlegenden differentiellen Beziehungen

dy dy
y = ⇒ dy = y dx und y = ⇒ dy = y dx
dx dx
erhält man die Biegelinie durch zweimalige Integration:
  
dy = y dx : dy = y dx ⇒ y = y dx
  
y
7.5 Technische Anwendungen der Integralrechnung 337

     
dy = y dx : dy = y dx ⇒ y= y dx = y dx dx
  
y

Für das vorliegende Beispiel erhält man:


   
F F x2
y = y dx = − (L − x) dx = − Lx − +C1
EI EI 2
      
F x2 F Lx2 x3
y= y dx = − Lx − dx + C1 dx = − − +C1 x +C2
EI 2 EI 2 6
Die unbekannten Konstanten C1 und C2 werden aus den Randbedingungen am linken Rand, d.h.
für x = 0 , bestimmt:
y(0) = 0 Durchbiegung am linken Rand ist gleich Null.

y (0) = 0 Drehwinkel ϕ am linken Rand ist gleich Null.

F
y(0) = − (0 − 0) +C1 · 0 +C2 = 0 0 + 0 +C2 = 0 ⇒ C2 = 0
EI
F
y (0) = − (0 − 0) +C1 = 0 0 +C1 = 0 ⇒ C1 = 0
EI
Die Biegelinie als Funktion der Ortskoordinate x lautet somit:
 2 
F Lx x3
y(x) = − −
EI 2 6

Die größte Durchbiegung w tritt am rechten Ende des Balkens für x = L auf:
 
F L · L2 L3 FL3 FL3
y(L) = − − =− w = |y(L)| =
EI 2 6 3EI 3EI

7.5.2 Masse und Massenschwerpunkt eines Körpers

Die Schwerkraft, die auf einen Körper wirkt, greift in seinem sog. Massenschwerpunkt (oder
kürzer auch: Schwerpunkt) an. Bild 7.16 zeigt einen Körper mit der Gesamtmasse M. Die Dichte
ρ des Körpers soll nicht konstant sein, sondern variabel über das Volumen V des Körpers verteilt,
d.h. ρ = ρ(rr ). Das infinitesimales Volumenelemen dV mit dem Ortsvektor r besitzt die Masse
dm = ρ · dV .
Die Gesamtmasse M des Körpers ergibt sich aus dem Integral
 
M= dm = ρ(rr ) dV (7.34)
V V

Für die Bestimmung des Schwerpunkts S denken wir uns die gesamte Masse M des Körpers in
seinem Schwerpunkt S konzentriert. S wird durch seinen Ortsvektor r s gemessen. Aus Gründen
338 7 Integralrechnung

dV
y
V,M r
r=f(r) S
rs

x x

Bild 7.16: Massenschwerpunkt S eines Körpers

des physikalischen Gleichgewichts (näher soll darauf hier allerdings nicht eingegangen werden)
gilt folgende Bedingung:
 
Mrr s = r dm = ρ(rr )rr dV
V V

Und daraus folgt die Bestimmungsgleichung für den Schwerpunkt:



1
rs = ρ(rr )rr dV (7.35)
M
V

Schwerpunkt im kartesischen KS:


Die Formel (7.35) kann auch im kartesischen xyz-Koordinatensystem angegeben werden. Hierzu
drücken wir zunächst die Ortsvektoren r s und r sowie das infinitesimale Volumen dV im kartesi-
schen KS aus:

r s = xs i + ys j + zs k r = xii + y j + zkk dV = dx dy dz

Einsetzen dieser Beziehungen in 7.35 liefert:



1
xs i + y s j + z s k = ρ(x, y, z) (xii + y j + zkk ) dV
M
V

Gleichsetzen der jeweiligen Komponenten auf der linken und rechten Seite liefert die gesuchten
Beziehungen für die Koordinaten des Schwerpunkts im xyz-Koordinatensystem:
 
1 1
xs = x ρ(x, y, z) dV = x ρ(x, y, z) dx dy dz (7.36a)
M M
V V
 
1 1
ys = x ρ(x, y, z) dV = y ρ(x, y, z) dx dy dz (7.36b)
M M
V V
7.5 Technische Anwendungen der Integralrechnung 339

 
1 1
zs = x ρ(x, y, z) dV = z ρ(x, y, z) dx dy dz (7.36c)
M M
V V

7.5.3 Trägheitsmoment eines Querschnitts


Die Durchbiegung des Balkens im Abschnitt 7.5.1 hängt unter anderem auch vom Trägheitsmo-
ment I ab. Das Trägheitsmoment ist die relevante Kenngröße eines Balkenquerschnittes hinsicht-
lich der Biegebeanspruchung und bezieht sich um eine in der Querschnitssebene liegende Be-
zugsachse (Bild 7.17). Man unterscheidet zwischen zwei Trägheitsmomenten eines Querschnitts:

Ix : Trägheitsmoment um die x-Achse


Iy : Trägheitsmoment um die y-Achse

Bild 7.17 zeigt einen beliebigen Querschnitt, in dessen Schwerpunkt S das xy-Koordinatensystem
platziert ist. Bei Querschnitten aus homogenem Werkstoff fällt der Schwerpunkt mit dem sog.
Neutralpunkt des Querschnitts zusammen. Der Neutralpunkt ist derjenige Punkt, an dem Biege-
spannungen gleich Null sind.

dA
y
A
S x x

Bild 7.17: Trägheitsmoment eines beliebigen Querschnitts

Die Trägheitsmomente Ix und Iy ergeben sich gemäß Regeln der Technischen Mechanik aus
den nachfolgenden bestimmten Integralen:
 
Ix = y dA2
Iy = x2 dA A : gesamte Querschnittsfläche (7.37)
A A

Für Vollquerschnitte nach Bild 7.18 lässt sich die Integrationsformel (7.37) weiter vereinfachen:
ymax xmax
Ix = 2
y dAy dAy = b(y) dy Iy = x2 dAx dAx = h(x) dx
ymin xmin

ymax xmax
Ix = 2
y b(y) dy Iy = x2 h(x) dx Vollquerschnitte (7.38)
ymin xmin
340 7 Integralrechnung

y
b(y)
ymax
dy
dAy
y
h(x)
S x
A dAx

xmin ymin

x dx
xmax

Bild 7.18: Vollquerschnitt ohne Hohlflächen

Beispiel 7.32:
Gesucht sind die auf den Schwerpunkt S bezogenen Trägheitsmomente Ix und Iy
eines Rechteckquerschnitts mit der Höhe h und Breite b .

dAy

h S
x

Aus Gleichung (7.38) erhält man mit b(y) = b und h(x) = h :

h/2
y3 h/2 b 1 h 3  −h 3 2 bh3
Ix = y2 b dy = b  = − =
3 −h/2 3 2 2 12
−h/2

b/2
x3 b/2 h 1 b 3  −b 3 2 hb3
Iy = x2 h dx = h  = − =
3 −b/2 3 2 2 12
−b/2

Beispiel 7.33:
Die Trägheitsmomente Ix und Iy eines Kreisrings sind identisch, d.h. Ix = Iy = I .
Gesucht ist das Trägheitsmoment I für einen dünnen Kreisring mit der Wanddicke t
und mittlerem Radius r
7.5 Technische Anwendungen der Integralrechnung 341

y
dA

t ds
da
r y
a
x

Die Integration wird in diesem Fall zweckmäßigerweise im ebenen Polarkoordinaten-


system durchgeführt. Aus Gleichung (7.37) erhält man:

I = Ix = y2 dA y = r sin α dA = t · ds = t · (r dα) = (tr) dα
A

2π 2π 1α 22π


1
I= (r sin α) (t r) dα = r t
2 3
sin2 α dα = r3 t − sin 2α = π r3t
0 0 2 4  0

π

Beispiel 7.34:
Gesucht ist das auf den Schwerpunkt S bezogene Trägheitsmoment Ix eines gleich-
schenkligen Dreieckquerschnitts mit Kantenlänge a und Höhe h .
y

b(y)

dA y
h

ys
S x

Der Schwerpunkt S ist gleichzeitig der Neutralpunkt des Dreieckquerschnitts und be-
sitzt von der unteren Grundkante den Abstand ys = h/3. Die veränderliche Breite b
ist eine Funktion der y-Koordinate:
 
2 y h 2
b(y) = a − − ≤y≤ h
3 h 3 3

Das Trägheitsmoment um die x-Achse erhält man gemäß Gl. (7.38) wie folgt:

ymax 
2h/3    2h/3
2 y 2 3 a 4
Ix = y b(y) dy =
2
y a2
− dy = ay − y
3 h 9 4h −h/3
ymin −h/3
342 7 Integralrechnung

  3  4    3  4 
2 2h a 2h 2 −h a −h ah3
= a − − a − =
9 3 4h 3 9 3 4h 3 36

7.6 Zusätzliche Beispiele

Beispiel 7.35:
  
e cos x dx =
x x
x dx = e sin x −
e cos

x
ex 
 sin x dx
u v g h
⎡ ⎤

⎢ x ⎥
= ex sin x − ⎣
e (− cos x) − ex (− cos x) dx⎦

     
g h g h

= ex (sin x + cos x) − ex cos x dx

Der letzte Ausdruck auf der rechten Seite wird nach links gebracht:
 
ex
2 ex cos x dx = ex (sin x + cos x) ⇒ ex cos x dx = (sin x + cos x)
2

Beispiel 7.36:

e−ω t cos ω t dt =? ω : Konstante

 
−ω t −ω t 1 sin ω t
e  ω t dt = e
cos sin ω t − (−ω e−ω t ) dt
ω ω
u v

1 −ω t −ω t
= e sin ω t + e  ω t dt
sin
ω
g h

1 1 1
= e−ω t sin ω t − e−ω t cos ω t − (−ω e−ω t ) (− cos ω t) dt
ω ω ω

1 −ω t −ω t
= e (sin ω t − cos ω t) − e cos ω t dt
ω

1 −ω t
⇒ 2 e−ω t cos ω t dt = e (sin ω t − cos ω t)
ω

1 −ω t
⇒ e−ω t cos ω t dt = e (sin ω t − cos ω t)

7.6 Zusätzliche Beispiele 343

Beispiel 7.37:
  
sin x dx =
2
sin x dx = sin x (− cos x) −
sin x 
 cos x (− cos x) dx
u v

= − sin x cos x + cos
x cos
x dx
g h

= − sin x cos x + cos x sin x − (− sin x) sin x dx
 
sin2 x dx = − sin x cos x + cos x sin x + sin2 x dx ⇒ 0=0

Die resultierende triviale Gleichung 0 = 0 ist nutzlos! Setzt man dagegen nach der ers-
ten partiellen Integration anstelle des Ausdrucks cos2 x den gleichwertigen Ausdruck
1 − sin2 x ein, gelingt die partielle Integration problemlos:
  
sin2 x dx = − sin x cos x + cos2 x dx = − sin x cos x + (1 − sin2 x) dx

= − sin x cos x + x − sin2 x dx

Jetzt wird das Integral sin2 x dx auf der rechten Seite nach links gebracht und man
erhält dann:
 
1
2 sin2 x dx = − sin x cos x + x ⇒ sin2 x dx = (x − sin x cos x)
2

Beispiel 7.38:
Das Integral ex sin x dx soll mit Hilfe der partiellen Integration bestimmt werden.
  
ex sin x dx = ex sin x − ex cos x dx = ex sin x − ex cos x − ex sin x dx

Jetzt wird der letzte Term auf der rechten Seite auf die linke Seite gebracht:

2 ex sin x dx = ex sin x − ex cos x

1
⇒ ex sin x dx = ex (sin x − cos x) + c
2

Beispiel 7.39:
Das Integral x sin2 x dx soll mit Hilfe der partiellen Integration bestimmt werden.
  
x sin2 x dx = (x sin x) 
sin x dx = x sin x (− cos x) − (sin x + x cos x) (− cos x) dx
  
u v
344 7 Integralrechnung

 
= −x sin x cos x + sin x cos x dx + x cos2 x dx

1
= −x sin x cos x + sin2 x + x (1 − sin2 x) dx
2
 
1
= −x sin x cos x + sin2 x + x dx − x sin2 x dx
2

1 x2
= −x sin x cos x + sin2 x + − x sin2 x dx
2 2
Jetzt wird der letzte Term auf der rechten Seite auf die linke Seite gebracht:
 
1 x2
x sin2 x dx + x sin2 x dx = −x sin x cos x + sin2 x +
2 2

1 x2
2 x sin2 x dx = −x sin x cos x + sin2 x +
2 2

1
x sin2 x dx = (−2x sin x cos x + sin2 x + x2 )
4

Beispiel 7.40:
2
e−x dx numerisch nach der Trapezregel mit n = 2
2
Berechnen Sie das Integral I =
0
und n = 5. Wie groß ist der relative Fehler gegenüber dem mit MAPLE berechneten
Ergebnis I = 0,882 ?

2−0
a) Trapezregel mit n = 2 h= = 1,0
2
n=2
i xi yi yi
0 0,0 1,0000 1,0
I = 1,0 · 0,3679 + · 1,0183 = 0,877
1 1,0 0,3679 2
2 2,0 0,0183
∑ 1,0183 0,3679

Relativer Fehler E gegenüber dem mit MAPLE berechneten Ergebnis:


 
 0,877 − 0,882
 
E =  = 0,0057 = 0,57%
 0,882 

2−0
b) Trapezregel mit n = 5 h= = 0,4
5
7.6 Zusätzliche Beispiele 345

n=5
i xi yi yi
0 0,0 1,0000
1 0,4 0,8521 0,4
2 0,8 0,5273 I = 0,4 · 1,6936 + 1,0183 = 0,881
2
3 1,2 0,2369
4 1,6 0,0773
5 2,0 0,0183
∑ 1,0183 1,6936
 
 0,881 − 0,882
 
Relativer Fehler: E =   = 0,0011 = 0,11%
 0,882 

Beispiel 7.41:
1
e−x dx ist nach dem Trapez-Regel mit n = 4 zu be-
2
Das bestimmte Integral I =
0
rechnen. Wie groß ist der relative Fehler gegenüber dem mit MAPLE berechneten
Ergebnis I = 0,7468 ?
n=4
i xi yi yi
0 0,0 1,0000
1−0 1 0,25 0,9394
h= = 0,25
4 2 0,50 0,7788
3 0,75 0,5698
4 1,00 0,3679
∑ 1,3679 2,2880

1  1,3679 
e−x dx = 0,25
2
I= + 2,2880 = 0,7430
2
0

Relativer Fehler des numerischen Integrals:


 
 0,7430 − 0,7468 

Erel =   = 0,005 = 0,5%
0,7468 

Beispiel 7.42:
1
e−x dx ist nach Simpson-Verfahren mit 2n = 4 zu
2
Das bestimmte Integral I =
0
berechnen. Wie groß ist der relative Fehler gegenüber dem mit MAPLE berechneten
Ergebnis I = 0,7468 ?
346 7 Integralrechnung

2n = 4
i xi yi yi yi
0 0,0 1,0000
b−a 1−0 1 0,25 0,9394
h= = = 0,25
2n 4 2 0,50 0,7788
3 0,75 0,5698
4 1,00 0,3679
∑ 1,3679 1,5092 0,7788

1
0,25
e−x dx =
2
I= (1,3679 + 4 · 1,5092 + 2 · 0,7788) = 0,7469
3
0

Relativer Fehler des numerischen Integrals:


 
 0,7469 − 0,7468 
Erel =   = 0,0001 = 0,01%

0,7468

Beispiel 7.43:
3
Es soll das bestimmte Integral I = e−x dx nach folgenden Verfahren berechnet wer-
2

0
den. Wie groß ist der relative Fehler gegenüber dem mit MAPLE berechneten Ergebnis
I = 0,8862 ?
a) Trapez-Verfahren ( n = 2 und n = 4 )
b) Simpson-Verfahren (2n = 2, 2n = 4)
c) Gauss-Quadratur (n = 3)
a) Trapez-Verfahren mit n = 2

3−0 3 1,5
e−x dx =
2
h= = 1,5 · 1,0001 + 1,5 · 0,1054
2 0 2
= 0,9082
n=2
i xi yi yi  Fehler:
Relativer 
 0,9082 − 0,8862 
0 0,0 1,0000 Erel =   = 0,025 = 2,5%

0,8862
1 1,5 0,1054
2 3,0 0,0001
∑ 1,0001 0,1054
7.6 Zusätzliche Beispiele 347

b) Trapez-Verfahren mit n = 4

3−0 3 0,75
e−x dx =
2
h= = 0,75 · 1,0001 + 0,75 · 0,6815
4 0 2
= 0,8862
n=4
i xi yi yi  Fehler:
Relativer 
 0,8862 − 0,8862 
0 0,0 1,0000 
Erel =   = 0,0 = 0%
0,8862 
1 0,75 0,5698
2 1,50 0,1054
3 2,25 0,0063
4 3,0 0,0001
∑ 1,0001 0,6815
c) Simpson-Verfahren mit 2n = 2

3−0 3 1,5
e−x dx =
2
h= = 1,5 (1,0001 + 4 · 0,1054)
2 0 3
= 0,7109
2n = 2
i xi yi yi  Fehler:
Relativer 
 0,7109 − 0,8862 
0 0,0 1,0000 Erel =   = 0,198 = 19,8%

0,8862
1 1,5 0,1054
2 3,0 0,0001
∑ 1,0001 0,1054

d) Simpson-Verfahren mit 2n = 4

2n = 4
i xi yi yi
0 0,0 1,0000
3−0 1 0,75 0,5698
h= = 0,75
4 2 1,50 0,1054
3 2,25 0,0063
4 3,0 0,0001
∑ 1,0001 0,5761 0,1054

3
0,75
e−x dx =
2
I= (1,0001 + 4 · 0,5761 + 2 · 0,1054) = 0,879
3
0

Relativer Fehler:
 
 0,879 − 0,8862 

Erel =   = 0,008 = 0,8%
0,8862 
348 7 Integralrechnung

e) Gauß-Quadratur mit n = 3

a+b = 0+3 = 3 b−a = 3−0 = 3

n=3
i ri xi fi αi Wi
1 -0,77459 0,3381 0,8920 0,55556 0,83334
2 +0 1,5 0,1054 0,88889 1,33334
3 +0,77459 2,6619 0,0008 0,55556 0,83334
3
e−x dx = 0,83334 (0,8920 + 0,0008) + 1,33334 · 0,1054 = 0,885
2
I=
0

Relativer Fehler:
 
 0,885 − 0,8862 

Erel =   = 0,001 = 0,1%
0,8862 

Beispiel 7.44:
1
Berechnen Sie das Integral I = x3 e−x
2 /2
dx nach der Gauss-Quadratur mit n = 2.
0

n=2
i ξi xi fi αi Wi
1 -0,57735 0,2113 0,00919 1 0,5
2 +0,57735 0,7887 0,35947 1 0,5

I = 0,5 · 0,00919 + 0,5 · 0,35947 = 0,1843

Beispiel 7.45:
Gesucht ist die Fläche, die zwischen der stückweise definierten Funktion und der x-
Achse liegt.

sin x für 0 ≤ x ≤ π/2
f (x) =
1 für π/2 ≤ x ≤ π
1

y 0.5

0 1 2 3
x
7.6 Zusätzliche Beispiele 349

π/2
 π
A = A1 + A2 = sin x dx + 1 dx
0 π/2
π/2 π
 
= − cos x + x = (0 + 1) + (π − π/2) = 2,571
0 π/2

Beispiel 7.46:
Nachfolgend sind verschiedene Funktionen y = f (x) gegeben. Es soll die Fläche be-
rechnet werden, die im jeweils angegebenen Intervall x = [a, b] zwischen der Funkti-
onskurve und der x-Achse liegt.

a) y = 1 + 2x + 2x sin x2 x = [0; 3]

10
y

0 1 2 3
x

Die Funktion f (x) wechselt im Integrationsbereich das Vorzeichen nicht, deshalb


ist eine Intervallunterteilung nicht erforderlich.

3 3

A=I= (1 + 2x + 2x sin x2 ) dx = (x + x2 − cos x2 ) = 13,91
0
0

b) y = e−x x = [0; 4]
1
y

0.5

0 1 2 3 4
x

4
4

A = I = e−x dx = −e−x  = 0,9817
0 0

c) y = x sin x x = [−π; π]
350 7 Integralrechnung

1.5

y
0.5

–2 0 2
x

Die Flächenberechnung mit einem Intervall ist möglich, weil f (x) keinen Vorzei-
chenwechsel erfährt.
π +π

A=I= x sin x dx = (sin x − x cos x) = 6,283
−π
−π

d) y = x cos x x = [0; π]
x
1 2 3
0

–1
y

–2

–3

Der Nulldurchgang der Funktionskurve erfolgt bei x = π/2. Die Flächenberech-


nung muss über zwei Teilbereiche erfolgen:
π/2
 π/2

I1 = x cos x dx = (cos x + x sin x) = 0,5708
0
0

π π

I2 = x cos x dx = (cos x + x sin x) = −2,5708
π/2
π/2

A = |I1 | + |I2 | = 3,1416


7.6 Zusätzliche Beispiele 351

Beispiel 7.47:
Gesucht ist die zwischen den Funktionen f1 (x) = cos x und f2 (x) = sin x eingeschlos-
sene Fläche im Intervall 0 ≤ x ≤ xs , wobei xs die x-Koordinate des Schnittpunktes von
f1 und f2 ist.
1

y 0.5

0 0.5 1 1.5
x

Der Schnittpunkt der beiden Kurven ergibt sich aus der Bedingung f1 = f2 :

cos x = sin x ⇒ 1 = tan x ⇒ xs = π/4

π/4
 π/4
 1 2π/4
A= ( f1 − f2 ) dx = (cos x − sin x) dx = sin x + cos x
0
0 0
= [(0,7071 + 0,7071) − (0 + 1)] = 0,4142

Beispiel 7.48:
Es soll die zwischen den Kurven f1 (x) und f2 (x) liegende Fläche A berechnet wer-
den, wobei der Integrationsbereich durch die beiden Schnittpunkte der beiden Kurven
bestimmt wird.
a) f1 (x) = x2 + 2 f2 (x) = −x2 + 2x + 2
Die Schnittpunkte der beiden Kurven ergibt sich aus der Bedingung f1 = f2 :

x2 + 2 = −x2 + 2x + 2 ⇒ 2x (x − 1) = 0 ⇒ x1 = 0 x2 = 1

x2 1
 1
 
2 3 
I= [ f1 (x) − f2 (x)] dx = 2x2 − 2x dx = x − x2  = −0,333
3 
x1 0 0

A = |I| = 0,333
b) f1 (x) = −x + 6 f2 (x) = x2
Die Schnittpunkte der beiden Kurven ergibt sich aus der Bedingung f1 = f2 :

−x + 6 = x2 ⇒ x2 + x − 6 = 0 ⇒ x1 = −3 x2 = 2

2 2
I= ( f1 − f2 ) dx = (−x + 6 − x2 ) dx = 20,83 A = 20,83
−3 −3
352 7 Integralrechnung

Beispiel 7.49:
Gesucht ist die zwischen den Funktionen f (x) = cosh x und g(x) = 2x eingeschlos-
sene Fläche im Intervall 0 ≤ x ≤ xs , wobei xs die noch zu bestimmende x-Koordinate
des Schnittpunktes der Kurven f (x) und g(x) ist.
1.5

f(x)
1
y

0.5 g(x)

0 0.2 0.4 0.6


x

Der Schnittpunkt xs der beiden Kurven ergibt sich aus der Bedingung f (x) = g(x):

cosh x = 2x Lösung nach dem Newton-Verfahren : xs = 0,58939

π/4
 π/4
 0,58939
A= ( f − g) dx = (cosh x − 2x) dx = (sinh x + x2 )0 = 0,27673
0 0

Beispiel 7.50:
Berechnen Sie die Bogenlänge der Kurve y = cosh x im Intervall 0 ≤ x ≤ π.

π  π

y = cosh x ⇒ y = sinh x s= 1 + sinh2 x dx = sinh x = 11,549
   0
0 cosh x

Beispiel 7.51:
Wenn ein biegeweiches Seil oder Kette zwischen zwei sich auf der gleichen Höhe be-
findlichen Punkten schlaff aufgehägt wird, hängt sich das Seil durch. Der Verlauf des
Seils ergibt sich aus der folgenden Beziehung, deren Herleitung auf die Festigkeitsleh-
re zurückgeht.
 
1 λL λL
y= cosh ( − λ x) − cosh
λ 2 2

λ ist eine von den Gegebenheiten des aktuellen Problems abhängige Konstante. Ge-
sucht ist die Länge des Seils für λ = 0.3, L = 10 m.

λL
y = − sinh ( − λ x)
2
7.6 Zusätzliche Beispiele 353

L  L
λL
s= 1 + y2 dx = 1 + sinh2 ( − λ x)
0 0   2 
cosh(λ L/2−λ x)
λL L 1 1 λL λL 2 2 λL
1 
= − sinh ( − λ x) = − sinh (− ) − sinh ( ) = sinh
λ 2 0 λ 2 2 λ 2
Die Seillänge ergibt sich schließlich zu:
2 0,3 · 10
s= sinh = 14,195 m
0,3 2

Beispiel 7.52:
Gesucht ist die Bogenlänge der Kurve y = cosh x im Intervall 0 ≤ x ≤ 2, wobei das
Integral numerisch nach der Gauss-Quadratur mit n = 2 zu berechnen ist.

2  2 

y = sinh x s= 1 + y2 dx = 1 + sinh2 x dx
  
0 0 f (x)

a+b 2 b−a 2
= =1 = =1 x i = 1 + ri Wi = αi
2 2 2 2

n=2
i ri xi fi αi Wi
1 -0,57735 0,4227 1,0906 1 1
2 +0,57735 1,5773 2,5242 1 1

2 2
s= f (x) dx ≈ ∑ Wi fi = 1 · 1,0906 + 1 · 2,5242 = 3,615
i=1
0

Anmerkung: MAPLE liefert die Bogenlänge s = 3,627.

Beispiel 7.53:
Berechnen Sie die Bogenlänge der Kurve y = cos x im Intervall 0 ≤ x ≤ π/2 , wobei
als Integrationsmethode die Gauss-Quadratur mit n = 2 verwendet werden soll.

π/2
 

y = cos x ⇒ y = − sin x s= 1 + sin2 x dx
0
354 7 Integralrechnung

Gauß-Quadratur:
π 
s= 1 + sin2 x dx ≈ W1 · f1 +W2 · f2
  
0 f (x)

b+a π b−a π
a=0 b = π/2 = = W1 = π/4 W2 = π/4
2 4 2 4
b+a b−a π π
x1 = + ξ1 = − 0,57735 = 0,3320
2 2 4 4
b+a b−a π π
x2 = + ξ2 = + 0,57735 = 1,2388
2 2 4 4
f1 = f (x1 ) = 1,0518 f2 = f (x2 ) = 1,3761
π
s = W1 · f1 +W2 · f2 = (1,0518 + 1,3761) = 1,9068
4
Das mit MAPLE berechnete Ergebnis ist s = 1,9101. Der relative Fehler der Gauß-
Integration mit 2 Stützstellen beträgt Erel = |(1,9101 − 1,9068)/1,9101| = 0,0017 =
0,17%.

Beispiel 7.54:
Die Bogenlänge der Kurve y = sin x im Intervall 0 ≤ x ≤ π ist zu berechnen.
1
y = sin x y = cos x
y

0.5
π 
s= 1 + cos2 x dx 0
   1
x
2 3
0 f (x)
Dieses Integral lässt sich in geschlossener Form nicht berechnen (es existiert kei-
ne Stammfunktion des Integranden f (x)) und soll deshalb numerisch mit Hilfe der
Simpson-Regel mit 2n = 4 berechnet werden.

2n = 4
i xi fi fi fi
 0 0 1,41421
f (x) = 1 + cos2 x 1 π/4 1,22474
b−a π −0 2 π/2 1,00000
h= = = π/4 3 3π/4 1,22474
2n 4
4 π 1,41421
∑ 2,82842 2,44948 1,00000
π
s= (2,82842 + 4 · 2,44948 + 2 · 1,00000) = 3,83
4·3
Das mit MAPLE berechnete Ergebnis ist s = 3,82. Der relative Fehler der Simpson-
7.6 Zusätzliche Beispiele 355

Integration beträgt Erel = (3,83 − 3,82)/3,82 = 0,0026 ≈ 0,3%.

Beispiel 7.55:
Berechnen Sie die Bogenlänge der Kurve im Beispiel 7.54 mit Hilfe der Gauss-Quadratur
mit 2 Stützstellen.
π 
n=2 s= 1 + cos2 x dx ≈ W1 · f1 +W2 · f2
  
0 f (x)

b+a π b−a π
= = W1 = π/2 W2 = π/2
2 2 2 2
b+a b−a π π
x1 = + ξ1 = − 0,57735 = 0,6639
2 2 2 2
b+a b−a π π
x2 = + ξ2 = + 0,57735 = 2,4777
2 2 2 2
f1 = f (x1 ) = 1,2729 f2 = f (x2 ) = 1,2729
π
s = W1 · f1 +W2 · f2 = (1,2729 + 1,2729) = 3,99
2
Der relative Fehler der Gauß-Integration beträgt Erel = (3,99 − 3,82)/3,82 = 0,044 =
4,4%. Eine deutliche Verbesserung der Genauigkeit würde die Gauß-Quadratur mit 3
Stützstellen bringen.

Beispiel 7.56:
Ein Seil ist mit seinen beiden Endpunkten jeweils an den Punkten P1 = (0; 0) und
P2 = (50;√117,85) aufgehängt (alle Angaben in m ). Der Seilverlauf ist durch die Kur-
ve y = x x/3 gegeben. Die Masse des Seils beträgt pro laufenden Meter Seillänge
m = 30 kg/m. Gesucht ist die Gesamtmasse M des Seils.
√ 1 1
y=x x/3 = x3/2 ⇒ y = x1/2
3 2

x2  50 
L= 1 + y2 dx = 1 + y2 dx
x1 0
50
x 2 1 x 250
= 1+ dx = · 4 1 + )3/2 = 129,6 m
4 3 4 0
0

Die Gesamtmasse des Seils ergibt sich zu:

M = m · L = 30 · 129,6 = 3888 kg
356 7 Integralrechnung

Beispiel 7.57:
Das abgebildete Bergprofil ist durch die Funktion y = 500 sin2 (x/1000) gegeben
(y0 = 500 m). Welche Wegstrecke L wird zurück gelegt, wenn ein Bergwanderer vom
Bergfuß (y = 0 bei x = 0) losgeht und auf dem Berggipfel (y = y0 ) ankommt?
y

y0

y=f(x)

x0 x

Bestimmung der x0 -Koordinate:


x0 x0
y(x0 ) = 500 = 500 sin2 ⇒ sin2 =1 x = 1570,8
1000 1000
Berechnung der Wegstrecke L (Bogenlänge):
x x
y = sin cos
1000 1000

1570,8
  
1570,8

L= 1 + y2 dx = 1 + [sin(x/1000) cos(x/1000)]2 dx


0 0
  
f (x)

Für den Integranden f (x) existiert keine Stammfunktion, d.h. das Integral ist nicht
geschlossen bestimmbar. Daher wird mit Hilfe der Simpson-Regel numerisch integriert
(gewählt 2n = 2):

i xi sin(xi /1000) cos(xi /1000) fi


1570,8 − 0 0 0 0 1,0 1,0
h= = 785,4
2 1 785,4 0,7071 0,7071 1,118
2 1570,8 1,0 0 1,0

785,4
L= [1 + 1 + 4 · 1,118] = 1694 m
3
Der mit MAPLE berechnete Wert beträgt L = 1665 m. Für ein genaueres Resultat mit
der Simpson-Regel müsste man also 2n erhöhen.
7.6 Zusätzliche Beispiele 357

Beispiel 7.58:

Durch Drehung der Kurve y = r2 − x2 (Definitionsbereich −r ≤ x ≤ r) um die x-
Achse ensteht eine Kugel. Es soll die Formel für die Mantelfläche dieser Kugel herge-
leitet werden.
−x r2
y = √ ⇒ 1 + y2 =
r 2 − x2 r 2 − x2


r  r 
r2
AM = 2π y 1 + y2 dx = 2π r 2 − x2 · dx
r 2 − x2
−r −r
r 1 2r
= 2π r dx = 2πr x = 4πr2
−r
−r

Beispiel 7.59:
Eine Ellipse in der xy-Ebene mit der x-Halbachse a und der y-Halbachse b wird
einmal vollständig um die x-Achse rotiert. Das Volumen des enststehenden Rotations-
4π 2
ellipsoids beträgt V = ab . Diese Formel soll mit Hilfe der Gl. (7.31) hergeleitet
3
werden.
x2 y2 b2 2
Gleichung der Ellipse: + =1 ⇒ y2 = (a − x2 )
a2 b2 a2

a a 2
 a
b b2 2 x3
V = π y dx = π 2
(a − x ) dx = π 2 a x −
2 2
a2 a 3
−a −a −a
   
b 2 a3 a3 4π 2
=π 2 a3 − − −a3 + = ab
a 3 3 3

Beispiel 7.60:
Eine Ellipse in der xy-Ebene mit der x-Halbachse a und der y-Halbachse b wird
einmal vollständig um die y-Achse rotiert. Das Volumen des enststehenden Rotations-
4π 2
ellipsoids beträgt V = a b. Diese Formel soll mit Hilfe der Gl. (7.32) hergeleitet
3
werden.
x2 y2 a2 2
Gleichung der Ellipse: + =1 ⇒ x2 = (b − y2 )
a2 b2 b2
358 7 Integralrechnung

yb b 2
a a2 1 2 y3 2b
V =π x2 dy = π (b2 − y2 ) dx = π b y−
b2 b2 3 −b
ya −b
   
a2 b3 b3 4π 2
=π b3 − − −b3 + = a b
b2 3 3 3

Beispiel 7.61:
Gesucht ist das Volumen des Rotationskörpers, der durch Drehung der bereichsweise
definierten Kurven f (x) = cosh x und g(x) = 2x im Intervall 0 ≤ x ≤ 2) um die y-
Achse entsteht. Der Punkt P (Schnittpunkt der beiden Kurven) besitzt die Koordinaten
P = (xs ; ys ) = (0,58939; 1,17878).
4

f(x)
f(x)

P=(0,58939; 1,17878)

g(x)

0 1 2 3
x

xs 2
 
f = sinh x g =2 V =π x · 2 dx + π
2
x2 sinh x dx
0 xs
     
V1 V2

2π 3 0,58939
V1 = x 0 = 0,43
3
2
V2 = π(x2 cosh x − 2x sinh x + 2 cosh x)0,58939 = 18,96 ⇒ V = 19,39

Beispiel 7.62:
Es soll das Volumen des Rotationskörpers berechnet werden, der durch Drehung der
Kurve y = x2 (Definitionsbereich 0 ≤ x ≤ 3) um die y-Achse entsteht und zwar
sowohl nach Gleichung (7.32) als auch nach (7.33).

a) Lösung nach Gl. (7.32) :

yb
ya = 0 = 0 2
yb = 3 = 9 2
V =π x2 dy
ya

9 9
y2 9
y = x2 ⇒ x2 = y V =π x2 (y) dy = π y dy = π  = 127,23
2 0
0 0
7.6 Zusätzliche Beispiele 359

b) Lösung nach Gl. (7.33) :

b 3
 2  π 4 3
y = 2x ⇒ V =π x y dx = 2π x3 dx = x  = 127,23
2 0
a 0

Beispiel 7.63:
Die Kurve y = x2 +1, welche im Intervall 1 ≤ x ≤ 2 definiert sei, wird um die y-Achse
einmal vollständig rotiert. Berechnen Sie das Volumen des Rotationskörpers.

a) Lösung nach Gl. (7.32) :

Umstellung der Funktion y = f (x) liefert: x2 = y − 1

Integrationsgrenzen:

ya = 12 + 1 = 2 y b = 22 + 1 = 5

yb 5  5
y2
V =π x (y) dy = π
2
(y − 1) dy = π −y = π (12,5−5−2+2) = 23,56
2 2
ya 2

b) Lösung nach Gl. (7.33) :

b 2
 2  π 4 2
y = 2x V =π x y dx = π x2 · 2x dx = x  = 23,56
2 1
a 1

Beispiel 7.64:
Die Kurve y = 2e−x /2 im Intervall 0 ≤ x ≤ 1 wird um die y-Achse einmal vollständig
2

rotiert. Berechnen Sie das Volumen des Rotationskörpers.

a) Lösung nach Gl. (7.32) :

y = 2e−x
2 /2
Umstellung liefert: x2 = 2 ln 2 − 2 ln y = ln 4 − 2 ln y

Integrationsgrenzen: ya = 1,213 yb = 2

yb 2  2
⇒ V =π x (y) dy = π
2
(ln 4 − 2 ln y) dy = π ln 4 · y − 2y(ln y − 1) 1,213 = 1,134
ya 1,213
360 7 Integralrechnung

b) Lösung nach Gl. (7.33) :

b 1
 −x2 /2 2 
x3 e−x
2 /2
y = −2x e V =π x y dx = −2π dx
a 0

Dieses Integral wird mit Hilfe der Gauss-Quadratur integriert.

n=2
i ξi xi fi αi Wi
1 -0,57735 0,2113 0,00919 1 0,5
2 +0,57735 0,7887 0,35947 1 0,5

I = −2π(0,5 · 0,00919+0,5 · 0,35947) = −1,158 V = |−1,158| = 1,158

Beispiel 7.65:

Die schraffierte Fläche zwischen der Kurve y = 2e−x /2


2

(im Intervall 0 ≤ x ≤ 1) und der x-Achse wird um die


y-Achse einmal vollständig rotiert. Berechnen Sie das Vo-
lumen des Rotationskörpers.

Das Volumen des Rotationskörpers besteht aus der Summe des Teilvolumens Vk ,
welches von der gekrümmten Kurve erzeugt wird, und des Teilvolumens Vz des unteren
Kreiszylinders.
Volumen Vz :

h = y(1) = 1,213 Vz = πr2 h = π · 12 · 1,213 = 3,810

Das durch die Drehung der gekrümmten Kurve um die y-Achse enstehende Volumen
Vk wird aus Beispiel 7.64 übernommen: Vk = 1,134
Gesamtvolumen: V = Vk +Vz = 3,810 + 1,134 = 4,944

Beispiel 7.66:
Zwischen zwei gleich hohen Punkten P1 und P2
hängt ein Seil, dessen Verlauf durch die Funkti-
on y = cosh x im Intervall −1 ≤ x ≤ 1 beschrie-
ben wird. Wenn man das Seil wie ein Sprung-
seil schleudert (die Aufhängepunkte bleiben da-
bei fest), umschreibt es einen Rotationskörper.
Gesucht ist das Volumen es Rotationskörpers.
7.7 Technische Anwendungsbeispiele 361

Die Volumenformel (7.31) auf Seite 334 gilt nur für den Fall, dass die Kurve um die x-
Achse rotiert wird. Das ist hier aber nicht der Fall (das Seil wird um eine zur x-Achse
zwar parallele aber versetzte Achse rotiert; deshalb muss die Seilkurve parallel zur
y-Achse so verschoben werden, dass die Kurve letztendlich um die x-Achse rotiert.

Die erforderliche vertikale Verschiebung beträgt:

y(1) = cosh 1 = 1,543

Die zur x-Achse verschobene Seilkurve ergibt sich somit zu:

y∗ = cosh x − 1,543

Volumen des Rotationskörpers bei Drehung der Seilkurve y∗ um die x-Achse:

+1 +1
V =π (y∗ )2 dx = π (cosh x − 1,543)2 dx
−1 −1
+1
=π (cosh2 x − 3,086 cosh x + 2,3808) dx
−1
 +1
1
=π (sinh x cosh x + x) − 3,086 sinh x + 2,3808x
2 −1
= π · 2(1,4067 − 3,6267 + 2,3808) = 1,01

7.7 Technische Anwendungsbeispiele


Beispiel 7.67:
Temperaturfeld in einem Stab. Gesucht ist die Temperaturverteilung T (x) in einem
Wärme leitenden Stab der Länge L, wobei über die Temperatur die nachfolgenden In-
formationen bekannt sind:

T (x = 0) = T1 Temperatur am linken Stabende hat den konstanten Wert T1


T (x = L) = T2 Temperatur am rechten Stabende hat den konstanten Wert T2
T  (x) = 0 2. Ableitung von T verschwindet überall entlang des Stabes

T1
T2 x
L

Einmalige Integration von T  (x) liefert T  (x) :


 
T  (x) = T  (x) dx = 0 dx = C1
362 7 Integralrechnung

Erneute Integration von T  (x) liefert T (x) :


 
T (x) = T  (x) dx = C1 dx = C1 x +C2

Die unbekannten Konstanten C1 und C2 werden aus den Randbedingungen bestimmt:

T (0) = T1 : C1 · 0 +C2 = T1 ⇒ C2 = T1

T (L) = T2 : C1 · L +C2 = T2 C1 · L + T1 = T2 ⇒ C1 = (T2 − T1 )/L


Mit den nunmehr bekannten Konstanten C1 und C2 ergibt sich die gesuchte Funktion
der Temperaturverteilung als eine lineare Funktion der Längskoordinate x:
T2 − T1
T (x) = x + T1
L

Beispiel 7.68:
Geradlinige Bewegung. Entlag einer geradlinigen Bahn im 3D-Raum bewege sich eine
Masse (Bild 7.19). Die von der Masse mit Bezug auf einen Ausgangspunkt zurückge-
legte Wegstrecke s sei als Funktions der Zeit t bekannt, d.h. s = s(t). Die momentane
Geschwindigkeit v(t) entspricht der ersten Ableitung der Wegstrecke s(t) nach der
Zeit t. Die momentane Beschleunigung a(t) wiederum ist durch die erste Ableitung
der Geschwindigkeit nach der Zeit definiert:

ds dv d2 s
v(t) = = ṡ a(t) = = v̇ = 2 = s̈ (a)
dt dt dt

t t+dt

v(t)

s(t) ds

Bild 7.19: Geradlinige Bewegung

Die Fragestellung könnte auch umgekehrt erfolgen: Bei bekannter Beschleunigung


a = a(t) sollen Geschwindigkeit v = v(t) und Wegstrecke s = s(t) berechnet werden.
Aus Gl. (a) folgen die Beziehungen:

dv = a(t) dt ds = v(t) dt

Integration dieser Beziehungen liefert die Geschwindigkeit und Wegstrecke:


   
v(t) = dv = a(t) dt s(t) = ds = v(t) dt (b)
7.7 Technische Anwendungsbeispiele 363

Beispiel 7.69:
Beschleunigte Bewegung. Ein Körper befindet sich zum Zeitpunkt t = 0 an der Po-
sition s = 0 und besitzt die Geschwindigkeit v0 (Anfangsbedingungen). Für t ≥ 0
erfährt er die konstante Beschleunigung a. Gesucht ist seine Geschwindigkeit v und
Wegstrecke s zu jedem beliebigen Zeitpunkt t > 0.
t=0
s=0 t

a=konst.

v0
s(t)

Die Geschwindigkeit lässt sich aus (b) des Beispiels 7.68 berechnen:

v(t) = a dt = at + c1

Die Konstante c1 wird aus der Anfangsbedingung bestimmt:

v(t = 0) = v0 ⇒ a · 0 + c1 = v0 c1 = v 0 ⇒ v(t) = v0 + at

Die Wegstrecke s ergibt sich aus der Integration von v :


 
1 2
s(t) = v(t) dt = (v0 + at) dt = v0t + at + c2
2
Zur Bestimmung der Konstante c2 dient die Anfangsbedingung s(0) = 0 :

1 2
0 + 0 + c2 = 0 ⇒ c2 = 0 ⇒ s(t) = v0 t + at
2

Beispiel 7.70:
Mechanische Arbeit. Ein Körper mit der Masse m = 200 kg, der sich auf einer rei-
bungsfreien Unterlage befindet, wird aus dem Ruhestand heraus durch die Einwirkung
der Kraft F = 1000 N beschleunigt. Berechnen Sie die in 10 Sekunden geleistete Ar-
beit W .

Die allgemeine Beziehung für die geleistete Arbeit W lautet nach den Gesetzen der
Physik:

W= F ds (Integral der Kraft entlang der zurückgelegten Strecke)

Unter Berücksichtigung der Beziehungen ds = v dt und v = v0 + at erhält man mit


v0 = 0 (Körper befindet sich für t = 0 im Ruhezustand) aus der obigen Beziehung:
  
W= F ds = F v dt = F at dt
364 7 Integralrechnung

Das Einsetzen der bekannten Newtonschen Beziehung a = F/m für eine konstante
Kraft in das letzte Integral liefert in einem beliebigen Zeitintervall [t0 , t1 ]:

t1 t1 t1 t 10


F F2 F 2t 2  1 F 2t 2 
W= F at dt = F t dt = t dt = =
m m 2m t0 2m 0
t0 t0 t0

Mit den vorliegenden Zahlenwerten ergibt sich die geleistete Arbeit zu

10002 (102 − 0)
W= = 250000 Nm = 250000 J = 250 kJ
2 · 200

Beispiel 7.71:

Flughöhe einer Rakete. Eine Rakete befindet sich auf der Erdoberfläche und setzt
sich vom Ruhezustand aus in vertikale Bewegung, d.h. ihre Anfangsgeschwindigkeit
ist Null: v0 = 0. Die Beschleunigung der Rakete in Bezug auf die Erdoberfläche ist
durch die Funktion a(t) = 10(1 − e−0,1 t ) (in m/s2 ) gegeben (Anmerkung: Diese Be-
schleunigungsformel basiert nicht auf der Ziolkowski-Formel des Beispiels 7.72!). Ge-
sucht sind die Raketengeschwindigkeit und ihre Flughöhe nach 20 s Flugzeit.

Die Geschwindigkeit v ergibt sich aus Gl. aus (b) des Beispiels 7.68:
 
v(t) = a(t) dt = 10 (1 − e−0,1 t ) dt = 10 t + 100 e−0,1 t + c1

Aus der Anfangsbedingung v(0) = 0 folgt:

v(0) = 10 · 0 + 100 e−0,1 ·0


  +c1 = 0 ⇒ c1 = −100
1

v(t) = 10 t + 100 e−0,1 t − 100 ⇒ v(20) = 113,5 m/s


Auch die Flughöhe s lässt sich mit Hilfe von Gl. (b) des Beispiels 7.68 berechnen:
 
s(t) = v(t) dt = (10 t + 100 e−0,1 t − 100) dt

= 5 t 2 − 1000 e−0,1 t − 100 t + c2

Da sich die Rakete zum Zeitpunkt t = 0 auf dem Boden befand, ergibt sich:

s(0) = 0 = 5 · 02 − 1000 e−0,1 · 0 − 100 · 0 + c2 ⇒ c2 = 1000

s(t) = 5 t 2 − 1000 e−0,1 t − 100 t + 1000 ⇒ s(20) = 864,7 m


Das folgende Schaubild zeigt die Höhe der Rakete als Funktion der Zeit.
7.7 Technische Anwendungsbeispiele 365

800

600

s(t)
400

200

0 10 20
t

Beispiel 7.72:
Herleitung der Raketengleichung. Im Beispiel 2.12 auf Seite 31 hatten wir die sog.
Ziolkowski-Gleichung für die momentane Geschwindigkeit einer Rakete im Weltall
betrachtet. Im vorliegenden Beispiel soll diese Gleichung mit Hilfe des Impulserhal-
tungssatzes hergeleitet werden. Aus Vereinfachungsgründen werden einige physikali-
sche Grundannahmen getroffen: Gravitationseffekte der Erde oder anderer Himmels-
körper werden vernachlässigt. Außerdem wird die Gasmasse, die pro Zeiteinheit die
Rakete verläßt, als konstant vorausgesetzt.
Der Impuls p eines sich bewegenden Massenpunktes entspricht dem Produkt seiner
Masse und Geschwindigkeit: p = mv. Der Impulserhaltungssatz besagt, dass die zeit-
liche Änderungsrate (zeitliche Ableitung) des Gesamtimpulses des Systems »Rakete-
Gas« gleich ist der resultierenden Kraft aller auf dieses System einwirkenden äußeren
Kräfte. Auf eine Rakete im Weltall wirken allerdings keine äußeren Kräfte, d.h. sie
sind Null. Da keine äußeren Kräfte auf das System einwirken, muss die differentielle
Änderung des Gesamtimpulses gleich Null sein:

dp = dpr + dpg = 0 (a)

Hierbei ist p der Gesamtimpuls, pr der Impuls der Rakete und pg der Impuls der
ausgetretenen Gasmasse. Mit den Definitionen
m0 : Anfangsmasse der Rakete zum Zeitpunkt t = 0
m : momentane Masse der Rakete, m = f (t)
v : momentane Geschwindigkeit, v = g(t)
mg : ausgetretene Gasmasse mg = h(t) bis zum Zeitpunkt t
vg : Austrittsgeschwindigkeit der Rakete vg = const.
erhalten wir die Änderung des Raketenimpulses mit Hilfe der Kettenregel der Diffe-
rentiation:
dpr d(mv)
dpr = dt = dt = (ṁv + mr v̇) dt (b)
dt dt
Die differentielle Änderung dpg des Impulses der austretenden Gasmasse entspricht
dem Impulsbeitrag der kontinuierlich aus der Rakete ausströmenden Gasmasse pro
Zeiteinheit (sog. Massenstrom) multipliziert mit ihrer Absolutgeschwindigkeit gegen-
366 7 Integralrechnung

über einem ruhenden Beobachter auf der Erde:

dpg = ṁg (v − vg ) dt (c)

ṁg ist die austretende Gasmenge pro Zeiteinheit. Das Minusvorzeichen vor vg rührt
aus der entgegengesetzten Richtung der Gasströmungsrichtung gegenüber der Flug-
richtung der Rakete.
Einsetzen von (b) und (c) in (a) liefert:

ṁv + mv̇ + ṁg (v − vg ) = 0 (d)

Der Massenstrom ṁg der Austrittgase pro Zeiteinheit entspricht der Abnahmerate der
Raketenmasse m (die Rakete verliert soviel Masse wie Gas austritt):

ṁg = −ṁ (e)

woraus folgt:

ṁv + mv̇ − ṁv + ṁvg = 0 ⇒ mv̇ + ṁvg = 0 (f)

ṁ dv dm 1
v̇ = − vg ⇒ =− vg (g)
m dt dt m
Das Zeitdifferential dt darf aus der Beziehung herausgekürzt werden (man erinnere
sich an das Leibniz-Kalkül auf Seite 65) und wir erhalten:
vg
dv = − dm
m
Wegen vg = const. hängt die linke Seite nur von v und die rechte Seite nur von m ab.
Daher dürfen die linke Seite und die rechte Seite unabhängig voneinander integriert
werden:
 
1 1
dv = −vg dm ⇒ v = −vg ln m + c = vg ln +c
m m
Die Integrationskonstante c läßt sich aus der Anfangsbedingung zum Zeitpunkt t = 0
bestimmen. Für t = 0 befindet sich die Rakete im Ruhezustand, d.h. v(0) = 0 und es
folgt daraus:
1 1
v(0) = vg ln +c = 0 ⇒ c = −vg ln
m0 m0
1 1 m0
v = vg ln − vg ln = vg ln
m m0 m
7.7 Technische Anwendungsbeispiele 367

Das ist exakt die im Beispiel 2.12 auf Seite 31 angegebene Raketengleichung:

m0
v(t) = va ln Raketengleichung nach Ziolkowski
m(t)

Beispiel 7.73:
Laminare Rohrströmung. Wenn ein Kreisrohr von einer Flüssigkeit mit geringer bis
mäßiger Geschwindigkeit durchströmt wird, sprechen wir von einer laminarer Strö-
mung (Schichtenströmung). Eine solche Strömung besitzt ein parabelförmiges Ge-
schwindigkeitsprofil über dem Rohrquerschnitt:

Δp 1
v(r) = − (R2 − r2 )
Δ s 4η

v(r) Strömungsgeschwindigkeit an der momentanen Radialposition r, Δ p/Δ s Druck-


gradient (d.h. Druckabfall Δ p über der Länge Δ s), η dynamische Zähigkeit, R
Rohrradius. Diese Beziehung ist als das Gesetz von Hagen-Poiseuille bekannt. Das Ge-
schwindigkeitsprofil besitzt die Form eines Rotationsparaboloids (bzw. Parabel, wenn
nur die Ebene betrachtet wird).

r R v(r)
s

Die maximale Strömungsgeschwindigkeit vmax tritt in der Rohrmitte (d.h. r = 0) auf:

Δ p R2
vmax = v(r = 0) = −
Δ s 4η
Der Volumenstrom (das Flüssigkeitsvolumen, welches pro Zeiteinheit durch das Rohr
fließt) ergibt sich aus der Integration der Geschwindigkeit über dem Strömungsquer-
schnitt A :
  R
Δp 1
V= v(r) dA =  dr = −
v(r) 2πr (R2 − r2 ) 2πr dr
Δ s 4η
A A dA 0
R  R
Δp π Δp π R2 r2 r4 
=− (R2 r − r3 ) dr = − −
Δ s 2η Δ s 2η 2 4 0
0
Δ p πR4
=−
Δ s 8η

Anmerkung: Da die Druckänderung in Strömungsrichtung stets negativ ist, d.h. Δ p/Δ s <
0, ergibt sich der Volumenstrom V mit positivem Wert (V > 0).
368 7 Integralrechnung

Die mittlere Strömungsgeschwindigkeit vm im Kreisrohr kann wie folgt berechnet


werden:
V 1 Δ p πR4 Δ p R2 vmax
vm = =− 2 · =− =
A πR Δ s 8η Δ s 8η 2
Zahlenbeispiel:
In einem Kreisrohr mit 10 cm Durchmesser fließt Wasser bei Raumtemperatur in lami-
narer Strömung. Die dynamische Viskosität des Wassers beträgt η = 1,79 · 10−3 Ns/m2 .
Der gemessene Druckabfall ist Δ p = −15,0 N/m2 /m. Gesucht sind die maximale und
mittlere Strömungsgeschwindigkeit sowie der Volumenstrom pro Sekunde.

R = 0,10/2 = 0,05 m A = π · 0,052 = 7,85 · 10−3 m2

−15
vmax = v(r = 0) = − · (0,052 − 02 ) = 5,24 m/s
4 · 1,79 · 10−3
π · 0,054
V = −(−15) = 0,0206 m3 /s = 20,6 lt/s
8 · 1,79 · 10−3
V 0,0206
vm = = = 2,62 m/s
A 7,85 · 10−3

7.8 Aufgaben
1. Bestimmen Sie folgende Integrale mit Hilfe von Integraltabellen (bei den Lösungen wurde
die Integrationskonstante weggelassen).
a) 5a dx Lsg: 5ax b) −3e2,4 dx Lsg: −3e2,4 x
2
c) 2x dx Lsg: x2 d) 2x2 dx Lsg: x3
3
x4,5 −x−0,6
e) x3,5 dx Lsg: f) x−1,6 dx Lsg:
4,5 0,6
2 2 x6
g) dx Lsg: −x−2 h) dx Lsg:
x3 x−5 3
−(−2x + 5)4 8
i) (−2x + 5)3 dx Lsg: j) dx Lsg: 8 ln x
8 x
x − x3 x2
k) dx Lsg: ln x − l) −5ex dx Lsg: −5ex
x2 2
−e−3,2x 2,6x − 1 2,6x
m) e−3,2x dx Lsg: n) x e2,6x dx Lsg: e
3,2 6,76
2,5x
o) − ln 5x dx Lsg: −x (ln 5x − 1) p) 2,5x dx Lsg:
0,9163
4
q) −4 sin 3x dx Lsg: cos 3x r) −4 sin 3 · x dx Lsg: −2 sin 3 · x2
3
7.8 Aufgaben 369

sin 2x sin2 5x
s) cos(−2x) dx Lsg: t) sin 5x cos 5x dx Lsg:
2 10
x sin 4x x sin 4x
u) sin2 (2x) dx Lsg: − v) cos2 (−2x) dx Lsg: +
2 8 2 8
1 cot x
w) dx Lsg: x) tanh 5x dx Lsg: ln (cosh 5x)
−4 sin2 x 4
2. Bestimmen Sie folgende Integrale, ggf. unter Vereinfachung der Integranden und Verwen-
dung von Integraltabellen.
− cos 5x cos x
a) sin 2x cos 3x dx Lsg: + +c
10 2
b) (− cos x − 3 sin x) dx Lsg: − sin x + 3 cos x + c
c) (−3 sin x + 3 cos 3x) dx Lsg: 3 cos x + sin 3x + c
d) (sin2
4x + cos2 (−4x)) dx Lsg: x + c

e) sin2 x + 3 + cos x · cos x dx Lsg: = 2x + c
f) (2 sinh x − 3 cosh x) dx Lsg: 2 cosh x − 3 sinh x + c
 −2  e−2x
g) + e−2x dx Lsg: −2 tan x − +c
cos2 x 2
3. Bestimmen Sie folgende Integrale.

a) cosh 2x − sinh2 x dx Lsg: sinh x

4. Bestimmen Sie folgende Integrale mit Hilfe der partiellen Integration (die Integrationskon-
stante c wurde Einfachheit halber weggelassen).
− e−2x
a) x e−2x dx Lsg: (x + 0,5)
2
x 1
b) x e−ax dx Lsg: (− − 2 ) e−ax
a a
(a2 x2 + 2ax + 2) −ax
c) x2 e−ax dx Lsg: − e
a3
d) x cos x dx Lsg: x sin x + cos x
1
e) x sin ax dx Lsg: (sin ax − ax cos ax)
a2
1
f) cos2 x dx Lsg: (x + sin x cos x)
2
sin2 x
g) sin x cos x dx Lsg:
2
 
x2 x 1
h) x2 e2x dx Lsg: 2
e dx =
x 

2x
e2x − +
2 2 4
u v
370 7 Integralrechnung

1 4x
i) x2 e4x dx Lsg: e (1 − 4x + 8x2 )
32
j) x2 sin x dx Lsg:  sin x dx = −x2 cos x + 2x sin x + 2 cos x
x2 
u v
k) x2 cos x dx Lsg: x2 sin x + 2x cos x − 2 sin x

l) ecos x sin 2x dx Lsg: 2 ecos x (1 − cos x)


Tipp: Machen Sie zunächst Gebrauch von der wohlbekannten Beziehung sin 2x = · · ·. Dann setzen Sie im ersten
Schritt der partiellen Integration für den Term cos x die Variable u ein. Im anschließenden zweiten Integrationsschritt
können Sie die Variable u für 1 einsetzen.
1
m) sin 2x e−2 cos x dx Lsg: e−2 cos x ( + cos x) s. Tipp in der vorherigen Aufgabe.
2
5. Berechnen Sie folgende Integrale mit Hilfe der partiellen Integration.
∞ α
a) e−αt cos ωt dt Lsg: 2
0 α + ω2
∞ ω
b) e−αt sin ωt dt Lsg:
0 α2 + ω2

6. Berechen Sie die angegebenen Integrale mit folgenden numerischen Integrationsverfahren.


Die in Klammern angegebenen Lösungen wurden mit Maple ermittelt. Ihre Resultate könnten aufgrund von Abrundungsfehlern
möglicherweise von diesen Werten geringfügig abweichen.

· Trapez-Regel mit n = 4
· Simpson-Regel mit 2n = 4
· Gauß-Integration mit n = 2
1 2
3 ex
a) ex dx (1,46265) b) dx (13,68173)
0 2 ln x
2 2
e−x ln x dx e−x dx
2 2
c) (0,03261) d) (0,88208)
1 0
14 2 sin x
e) dx (1,92242) f) dx (1,60541)
2 ln x 0 x
π/3  π/3 
g) 1 − sin2 x dx (0,86603) h) 1 − 0,25 sin2 x dx (1,00756)
0 0
π/3 1 π/3 1
i)  dx (1,31696) j)  dx (1,08955)
0 1 − sin2 x 0 1 − 0,25 sin2 x
2 1 3
k) dx (0,73039) l) x2 sin x cos x dx (−2,44346)
1 x sin x 2

7. Auf Seite 407 sind in (8.52) drei Wahrscheinlichkeitsintegrale angegeben, deren Wert gleich
1 ist. Berechnen Sie alle drei Integrationen numerisch mit Hilfe der Gauss-Quadratur mit
n = 4 für die Werte μ = 0; σ = 0,5; k = 1,5.
7.8 Aufgaben 371

8. Berechnen Sie die zwischen der Kurve f (x) und der x-Achse liegende Fläche im angegebe-
nen Intervall.
a) f (x) = 4x sin x −π ≤ x ≤ π Lsg: A = 8π = 25,13
b) f (x) = sin x −π ≤ x ≤ 0 Lsg: A = | − 2| = 2
c) f (x) = cos x cosh x 0 ≤ x ≤ π/2 Lsg: A = 1,255

9. Berechnen Sie die zwischen der Kurve f (x) und der x-Achse liegende Fläche im angegebe-
nen Intervall.


⎪ 1
für 0 ≤ x ≤ 1

1 + x2
a) f (x) = Lsg: A = 1,5901
⎪1

⎩ für 1 ≤ x ≤ 5
2x
10. Berechnen Sie die zwischen den Funktionskurven f1 (x) und f2 (x) liegende Fläche A im
angegebenen Intervall.
2x
a) f1 (x) = cos x f2 (x) = 1 − 0 ≤ x ≤ π/2 Lsg: A = 0,2146
π
4x
b) f1 (x) = 2 sin x f2 (x) = 0 ≤ x ≤ π/2 Lsg: A = 0,4292
π
11. Berechnen Sie die von den Funktionskurven f1 (x) und f2 (x) eingeschlossene Fläche, wobei
der Integrationsbereich sich über die beiden Schnittpunkte der beiden Kurven erstreckt.
a) f1 (x) = x2 − 2 f2 (x) = −x2 + 2x + 2 Lsg: A = | − 9| = 9
b) f1 (x) = 3x − 1 f2 (x) = x2 − 2x − 1 Lsg: A = 20,83
πx
c) f1 (x) = 5 − x f2 (x) = 5 cos Lsg: A = 3,415
10
12. Berechnen Sie die zwischen den Kurven y1 = cos2 x und y2 = sin2 x liegende Fläche im
Intervall 0 ≤ x ≤ xs , wobei xs die x-Koordinate des Schnittpunktes von y1 und y2 ist.
Lsg: A = 0,5

13. Berechnen Sie die zwischen den Kurven y1 = cos x und y2 = sin x liegende Fläche im
Intervall 0 ≤ x ≤ 2π.
Lsg: A = 5,6568

14. Berechnen Sie die Bogenlänge der Funktion y = sin x im Intervall 0 ≤ x ≤ π mit Hilfe
der numerischen Integration nach der Simpson-Regel (2n = 6).
Lsg: s = 3,82.

15. Berechnen Sie die Bogenlänge folgender Funktionskurven y = f (x) zwischen den angege-
benen Anfangs- und Endpunkten x0 und x1 . Die Integrale sind entweder in geschlossener
Form oder, falls keine Stammfunktion existiert, mit einem numerischen Integrationsverfah-
ren durchzuführen. Die Lösungen sind in Klammern angegeben.
1
a) y = x0 = 1.6 x1 = 3 (1,95)
ln x
372 7 Integralrechnung

b) y = ex x0 = 0 x1 = 5 (147,88)
c) y = e−x x0 = 0 x1 = 5 (5,226)
d) y = ex sin2 x x0 = 0 x1 = π/2 (5,231)
e) y = cosh x x0 = 0 x1 = 1 (1,175)

16. Berechnen Sie die Bogenlänge der Funktion y = sin x (0 ≤ x ≤ π) des Beispiels 7.54 auf
Seite 354 mit 3 und 4 Stützstellen nach der Gauß-Quadratur.

17. Zwischen zwei sich auf der gleichen Höhe befindlichen Punkten P1 , P2 , die voneinander
einen Abstand von 2 m haben, soll ein Seil schlaff eingehängt werden. Der Seilverlauf
sei durch die Funktion y = cosh2 x gegeben, wobei das xy-Koordinatensystem im tiefsten
Punkt 7in der Seilmitte positioniert ist. Berechnen Sie die Seillänge s.
1 
Lsg: y = 2 cosh x sinh x s= 1 + (2 cosh x sinh x)2
−1
Die Integration wird numerisch durchgeführt und liefert: s = 3,627 m

18. Berechnen Sie die Mantelfläche des√ Rotationskörpers, der durch Drehung der Funktion
y = x2 (Definitionsbereich 0 ≤ x ≤ 2) um die y-Achse entsteht.
√  √2
1 
Lsg: y = 2x AM = 2π 0 2 x 1 + (2x)2 dx = 2π (1 + 4x2 )1,5  = 13,61
12 0

19. Durch Drehung der Kurve y = sin x (Definitionsbereich 0 ≤ x ≤ π) um die x-Achse ensteht
ein Rotationskörper. Berechnen Sie das Volumen dieses Körpers.
π π
Lsg: V = π sin2 x dx = (x − sin x cos x)|π0 = 4,93
0 2

20. Berechnen Sie das Volumen des Rotationskörpers, der durch Drehung der Kurve y = x2
(Definitionsbereich 0 ≤ x ≤ 5) um die y-Achse entsteht.
V = 981,75

21. Eine Ellipse in der xy-Ebene mit der x-Halbachse a und der y-Halbachse b wird einmal
vollständig um die y-Achse rotiert. Das Volumen des enststehenden Rotationsellipsoids be-
4π 2
trägt V = a b. Können Sie diese Formel mit Hilfe der Gleichung (7.32) auf Seite 334
3
herleiten?
8 Stochastik

Stochastik spielt in den Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie in der Wirtschaft (gerade
dort!) eine wichtige Rolle. Ihre Anwendungsmöglichkeiten sind sehr breit gestreut. Einige Bei-
spiele sind:

• Ingenieurwissenschaften und Physik


– Qualitätssicherung (Fertigung, Wareneingang)
– Materialforschung (Festigkeit von Werkstoffen, Ermüdung)
– Erdbebenforschung (Auftretenswahrscheinlichkeit, Wiederkehrperiode)
– Windeinwirkungen auf Bauwerke (Höchsgeschwindigkeit)
– Klimaforschung, Wettervorhersage
– Stochastische Mechanik (chaotische Systeme)
– Kernphysikalische Berechnungen

• Wirtschaftswissenschaften
– Versicherungen (Risikoanalyse)
– Marktanalysen (Konsumverhalten, Absatzchancen)
– Wirtschaftliche Wachstumsprognosen
– Börsenkurse (Charttechnik)

• Sozialwissenschaften
– Hochrechnungen am Wahlabend
– Demografische Prognosen (Bevölkerungswissenschaft)

• Medizin
– Wirksamkeit eines neuen Medikamentes
– Krebsrisiko von bestimmten Substanzen

Stochastik ist der Oberbegriff für die deskriptive Statistik, die Wahrscheinlichkeitstheorie und die
mathematische Statistik.
Die deskriptive Statistik (auch beschreibende oder empirische Statistik genannt) hilft, beson-
dere Merkmale von versuchsmäßig oder empirisch gewonnenen Daten (z.B. durch Messungen,
Umfragen, Beobachtungen) zu erkennen. Zu diesem Zweck werden die Daten geordnet, aus-
gewertet, tabellarisch verarbeitet und visualisiert. Dabei bedient sich die deskriptive Statistik
bestimmter Maßzahlen (Kennzahlen) für Datenreihen, mit deren Hilfe eine extrem kompakte
Beschreibung von großen (und meistens unübersichtlichen) Datenmengen möglich wird. Statisti-
sche Maßzahlen reduzieren die in der Zahlenmenge enthaltenen Informationen auf einige wenige
skalare Kenngrößen.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_8,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
374 8 Stochastik

Die Wahrscheinlichkeitstheorie beschäftigt sich mit Zufallsexperimenten, z.B. Würfelwer-


fen, Lottoziehung oder Glücksspielen, und stellt Gesetzmäßigkeiten auf, die in diesen Zufallsex-
perimenten enthalten sind.1 Es hört sich schon paradox an, dass in zufällig entstehenden Ereignis-
sen Gesetzmäßigkeiten vorhanden sein sollen. Erfahrungsgemäß existieren sie aber tatsächlich –
zumindest in guter Näherung. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Wenn wir eine Münze werfen,
hängt es absolut vom Zufall ab, ob die oben liegende Seite der Münze »Kopf« oder »Zahl« ist.
Sowohl Kopf als auch Zahl haben die gleiche Eintrittswahrscheinlichkeit, nämlich jeweils 50%
oder 0,5. Beim zweiten Wurf der Münze könnte diesmal Zahl auftreten, aber evtl. doch wieder
Kopf. Und beim dritten Versuch? Wenn wir dieses Experiment 1000-mal werfen, so zeigt die Er-
fahrung, wird ungefähr in 500-mal Kopf und 500-mal Zahl auftreten. Vielleicht könnten es auch
520-mal Kopf bzw. Zahl sein; es sind aber bisher keine Münzenexperimente bekannt geworden,
bei denen Kopf oder Zahl z.B. 400-mal oder 600-mal vorgekommen wären. Dieses Experiment
bestätigt also, dass an der wahrscheinlichkeitstheoretischen Gesetzmäßigkeit des Münzenwurfs
»die Wahrscheinlichkeit für Kopf bzw. Zahl ist 50%« etwas dran sein muss!
Die mathematische Statistik stellt mathematische Modelle auf, mit deren Hilfe die Gesetz-
mäßigkeiten zufälliger Vorgänge (Prozesse) umfassend beschrieben werden. Mit Hilfe solcher
Modelle gelingt es, komplexe Vorgänge und Ereignisse hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlich-
keiten zu analysieren. Die Wahrscheinlichkeitstheorie bildet die Grundlage der mathematischen
Statistik. Mit Hilfe der mathematischen Statistik kann man z.B. folgende Fragestellungen beant-
worten:
- Welche Höchstwindgeschwindigkeit auf ein Gebäude ist während seiner Lebensdauer zu er-
warten?
- Wie groß ist die maximale Erdbebenbeschleunigung, die innerhalb von 50 Jahren mit einer
Wahrscheinlichkeit von 10% auftritt?
- Wie hoch sollen die Verkehrslasten einer Geschoßdecke angesetzt werden?
- Was ist als Mindestdruckfestigkeit für Beton C25 festzulegen?
- Wie hoch ist das Risiko für den Materialermüdungsbruch eines zyklisch, d.h. wechselnd, bean-
spruchten Bauteils?
- Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines GAU (größter anzunehmender Unfall) innerhalb von
25 Jahren in einem Kernkraftwerk?

8.1 Deskriptive Statistik


Die deskriptive (beschreibende) Statistik beschäftigt sich mit Datenreihen, die empirischen Ur-
sprungs sind: Festigkeit von Betonteilen, Durchmesser von Schrauben, Arbeitsmarktzahlen, Kör-
pergröße und Gewicht der Bevölkerung, Durchmesser von Bäumen eines bestimmten Alters, Wet-
tertemperatur in einem bestimmten Zeitraum, Blutdruck von Patienten einer Klinik usw.
1 Die Entstehung der Wahrscheinlichkeitstheorie geht auf das 17. Jahrhundert zurück, wo man versucht hat, mit Hilfe
von mathematischen Überlegungen die Gewinnchancen bei Glücksspielen zu ermitteln. Die streng mathematischen
Grundlagen wurden aber erst im 19. Jahrhundert geschaffen. Das 20. Jahrhundert brachte dann bedeutende Fort-
schritte in der Stochastik. Wissenschaftliche Forschung wie z.B. Kernphysik, die nicht mit Hilfe der klassichen
Newtonschen Mechanik behandelt werden kann, beschleunigte die Entwicklung der Stochastik.
8.1 Deskriptive Statistik 375

Tabelle 8.1: Stichprobe der Betondruckfestigkeiten fc in N/mm2 .

Würfel-Nr. Festigkeit x [N/mm2 ] Würfel-Nr. Festigkeit x [N/mm2 ]


1 25,5 2 26,0
3 26,0 4 27,0
5 26,5 6 26,5
7 25,0 8 26,5
9 26,5 10 28,0
11 27,0 12 26,5
13 26,0 14 25,5
15 26,0 16 27,0
17 26,5 18 27,5
19 27,5 20 26,5

Grundgesamtheit und Stichprobe


Betrachten wir ein Beispiel aus der Praxis: Ein Hersteller von Betonfertigteilen will im Rah-
men seiner Qualitätskontrolle die Festigkeitseigenschaft seines Produktes überwachen. Aus Kos-
tengründen kontrolliert er allerdings nicht jede einzelne Betonmischung, die das Werk verläßt,
sondern nur stichprobenartig. In einem bestimmten Zeitraum -sagen wir an 20 Tagen- werden
insgesamt 20 Proben zufallsartig dem Frischbeton entnommen und daraus Betonwürfel herge-
stellt. Tabelle 8.1 enthält die gemessenen Druckfestigkeiten dieser 20 Betonwürfel nach 28 Ta-
gen Erhärtungszeit. Die Anzahl aller Betonmischungen des Betonwerks bezeichnet man als die
Grundgesamtheit. Theoretisch wird die Grundgesamtheit durch alle Betonmischungen während
der gesamten Betriebsdauer des Betonwerks (also mehrere Jahrzehnte) repräsentiert. Aus prak-
tischen Erwägungen betrachtet man jedoch auch einen kürzeren Zeitraum (z.B. ein Jahr, einen
Monat oder halt was als sinnvoll erscheint) als ausreichend für die Definition der Grundgesamt-
heit. Berücksichtigt man, dass das Betonwerk jährlich Tausende von Betonmischungen tätigt,
handelt es sich bei den 20 Messwerten um eine kleine Teilmenge, die sog. Stichprobe2 , aus der
Grundgesamtheit. Eine Stichprobe besteht also aus einem überschaubaren Zahlenhaufen. Die An-
zahl der Werte in der Teilmenge heißt Stichprobenumfang n (im vorliegenden Beispiel ist n = 20).
Die einzelnen Zahlenwerte heißen die Stichprobenwerte3 . Die Stichprobenwerte in Tabelle 8.1
sind ungeordnet, sie wurden einfach in der zeitlichen Reihenfolge der durchgeführten Messungen
eingetragen.
Aus der ursprünglichen Stichprobe entsteht die geordnete Stichprobe, falls die Zahlenwerte
arithmetisch aufsteigend geordnet werden:

x1 x2 x3 · · · xn ungeordnete (ursprüngliche) Stichprobe


x(1) x(2) x(3) · · · x(n) geordnete Stichprobe mit x(1) ≤ x(2) ≤ x(3) usw.

2 Bei einer Stichprobe handelt es sich nicht immer um eine Zahlenmenge. In anderen Statistikbereichen, z.B. Markt-
forschung, besteht die Stichprobe aus ausgewählten Personen einer größeren Zielgruppe.
3 Die Begriffe Stichprobe und Datenreihe werden in diesem Kapitel synonym verwendet.
376 8 Stochastik

Tabelle 8.2: Häufigkeitsverteilung der Stichprobe in Tabelle 8.1.

Festigkeit xi [N/mm2 ] Absolute Häufigkeit ni Relative Häufigkeit h(xi )


25,0 1 0,05
25,5 2 0,10
26,0 4 0,20
26,5 7 0,35
27,0 3 0,15
27,5 2 0,10
28,0 1 0,05
Summe 20 1,00

8.1.1 Absolute und relative Häufigkeit


In Tabelle 8.2 sind die Betonfestigkeiten der Tabelle 8.1 derart zusammengestellt, dass jeder
Wert nur einmal vorkommt (anstelle des Symbols fc für die Druckfestigkeit verwenden wir in der
Tabelle das mathematisch neutralere Symbol xi ). Damit keine Informationen verloren gehen muss
natürlich auch die Anzahl angegeben werden, mit der jeder Wert in der Stichprobe vorkommt.
Beispielsweise kommt die Druckfestigkeit 26 N/mm2 genau 4-mal in der Stichprobe vor. Diese
Zahl wird als absolute Häufigkeit dieses Wertes bezeichnet. Falls ein beliebiger Stichprobenwert
xi insgesamt ni -mal vorkommt, beträgt seine absolute Häufigkeit ni .
Die absolute Häufigkeit eines bestimmten Wertes a in einer Stichprobe bewegt sich zwischen
den Extremen 0 (der Wert a kommt überhaupt nicht vor, d.h. na = 0) und n (alle Stichprobenwerte
haben den Zahlenwert a, d.h. na = n).
Es kommt häufig vor, dass in einer Stichprobe vom Umfang n sich nicht alle Werte voneinan-
der unterscheiden; ein Wert kann doppelt, dreifach oder mehrfach auftreten. Beträgt die Anzahl
der zahlenmäßig unterschiedlichen Werte k (k ≤ n), so kann man die Stichprobe ohne Informati-
onsverlust mit Hilfe der folgenden Verteilungstabelle auch in komprimierter Form beschreiben:
Wert xi x1 x2 x3 ··· xk
Absolute Häufigkeit ni n1 n2 n3 ··· nk
Relative Häfigkeit h(xi ) n1 /n n2 /n n3 /n ··· nk /n
Die Summe aller absoluten Häufigkeiten entspricht dem Stichprobenumfang n:
k
∑ ni = n1 + n2 + · · · + nk = n
i=1

Die relative Häufigkeit des Stichprobenwertes xi ist definiert als der Quotient seiner absoluten
Häufigkeit ni und des Stichprobenumfangs n. Kommt also ein Meßwert xi genau ni -mal in der
Stichprobe vor, so ist seine relative Häufigkeit h(xi ) gegeben durch

ni Anzahl der Versuche mit xi als Ergebnis


h(xi ) = h(xi ) = (8.1)
n Stichprobenumfang n

In der Tabelle 8.2 besitzt beispielsweise die Betonfestigkeit 26 N/mm2 die relative Häufigkeit
8.1 Deskriptive Statistik 377

0.4

0.3

0.2

0.1

0 24 25 26 27 28 29

Bild 8.1: Relative Häufigkeitsfunktion (als Balkendiagramm) für die Stichprobe in Tabelle 8.2

h(26) = 4/20 = 0,20. Bild 8.1 zeigt als Balkendiagramm die relativen Häufigkeiten der Stichpro-
benwerte.
Die relative Häufigkeit h(xi ) ist eine positive reelle Zahl, die höchstens gleich 1 sein kann:

0 ≤ h(xi ) ≤ 1 (8.2)

Die Summe der relativen Häufigkeiten einer Stichprobe ist gleich 1 :


k
n1 n2 nk n
∑ h(xi ) = h(x1 ) + h(x2 ) + · · · + h(xk ) = n
+ +···+ = = 1
n n n
i=1

k
∑ h(xi ) = 1 (8.3)
i=1

Häufigkeitsfunktion
Aus den relativen Häufigkeiten, mit denen die einzelnen Zahlenwerte in der Stichprobe vorkom-
men, lässt sich folgende Häufigkeitsfunktion h(x) definieren:

h(xi ) falls x = xi
h(x) = (8.4)
0 falls x = xi

Summenhäufigkeitsfunktion
Die in (8.4) definierte Häufigkeitsfunktion gibt die relative Häufigkeit an, mit der einzelne Zah-
lenwerte in der Stichprobe vorkommen. Die Betonfestigkeit 27 N/mm2 in der Stichprobe der
Tabelle 8.1 beispielsweise hat die relative Häufigkeit h(27) = 0,15 wie man aus der Tabelle 8.2
sofort sieht. Interessiert man sich nun z.B. für die relative Häufigkeit aller Betonfestigkeiten
zwischen 0 und (einschließlich) 27 N/mm2 , kann man die Antwort durch Addition der relativen
Häufigkeiten h(xi ) für die Werte x = 0 bis x = 27 gewinnen. Das so gewonnene Ergebnis heißt
378 8 Stochastik

Summenhäufigkeitsfunktion (oder Verteilungsfunktion) H(x) und ist definiert als

H(x) = ∑ h(xi ) Summenhäufigkeitsfunktion (8.5)


xi ≤x

Beispiel 8.1:
Für die Stichprobe in Tabelle 8.2 ergibt sich z.B. die Summenhäufigkeitsfunktion
H(27) zu

H(27) = ∑ h(xi ) = 0,05 + 0,10 + 0,20 + 0,35 + 0,15 = 0,85


xi ≤27

Das bedeutet, dass 85% aller Versuchswürfel der Stichprobe die Betonfestigkeit ≤
27 N/mm2 haben. 15% der Betonwürfel haben dagegen die Festigkeit > 27 N/mm2 .
Für die gesamte Stichprobe ergeben sich die in folgender Tabelle zusammen gestellten
Summenhäufigkeiten:

xi 25,0 25,5 26,0 26,5 27,0 27,5 28,0


H(xi ) 0,05 0,15 0,35 0,70 0,85 0,95 1,00

8.1.2 Statistische Maßzahlen


Maßzahlen einer Datenreihe dienen dazu, eine umfangsreiche Datensammlung mit Hilfe von
wenigen Kenngrößen in extrem kompakter Form statistisch zu beschreiben. Sie sind wertvolle
Kennwerte einer Stichprobe, die verhindern, dass man »vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr
sieht«.
Mittelwert
Der Mittelwert x̄ einer Stichprobe (Datenreihe) x1 , x2 , · · · , xn vom Umfang n ist das arithmeti-
sche Mittel der Stichprobenwerte:

x1 + x2 + · · · + xn 1 n
x̄ =
n
=
n ∑ xi Mittelwert einer Stichprobe (8.6)
i=1

Der Mittelwert gibt die durchschnittliche Größe der Stichprobenwerte an. Er ist ein sog. La-
gemaß, weil durch den Mittelwert die Positionierung der Stichprobe auf der Zahlengeraden an-
gegeben wird.
Der Stichprobenmittelwert x̄ ist eine -in vielen Fällen sehr gute- Näherung für den Mittelwert
μ der Grundgesamtheit:

x̄ ≈ μ (8.7)
8.1 Deskriptive Statistik 379

Berechnung des Mittelwertes mit Hilfe der Häufigkeitsfunktion:


Falls die relative Häufigkeit einer Stichprobe bekannt ist, kann die Berechnung des Mittelwertes
auch in anderer Weise geschehen. Der Ausgangspunkt ist die Formel (8.1), woraus folgt:
ni
h(xi ) = ⇒ ni = h(xi ) n (8.8)
n
Wir betrachten eine Stichprobe vom Umfang n mit k verschiedenen Werten (k ≤ n). Die Formel
zur Berechnung des Mittelwertes läßt sich nun durch Transformation der Formel (8.6) auch in
folgende Form bringen:

1 n
1 k k
ni k
h(xi ) n k
x̄ =
n ∑ xi = n ∑ xi ni = ∑ xi = ∑ xi
n i=1 n
= ∑ xi h(xi )
i=1 i=1 i=1 i=1

k
x̄ = ∑ xi h(xi ) Mittelwertberechnung aus der Häufigkeitsfunktion (8.9)
i=1

Modalwert

Unter Modalwert xmod wird der am häufigsten auftretende Wert der Stichprobe verstanden. Für
die Stichprobe der Tabelle 8.2 beträgt der Modalwert 26,5 (kommt 7-mal vor).

Median (Zentralwert)

In der Originalform einer Stichprobe sind die Werte nicht geordnet, ihre Platzierung folgt einfach
der Versuchschronologie. Ordnet man die Stichprobenwerte x1 , x2 , · · · , xn ihrer Größe nach
neu, entsteht daraus die neue Datenreihe x(1) , x(2) , · · · , x(n) (geordnete Stichprobe), für welche
strikt die Relation x(i) ≤ x(i+1) gilt. Wenn der Stichprobenumfang n eine ungerade Zahl ist,
steht ein Stichprobenwert genau an der mittleren Position dieser neuen Datenreihe. Diesen Wert
bezeichnet man als Median (auch Zentralwert genannt). Die links vom Median x̃ liegende Hälfte
der Stichprobe ist also kleiner als x̃, und die rechts davon liegende Hälfte größer als x̃. Falls n
eine gerade Zahl ist, wird der Median üblicherweise definiert als arithmetisches Mittel der beiden
am weitesten in der Mitte liegenden Stichprobenwerte. Der Median x̃ ist, wie der Mittelwert, ein
Lagemaß und definiert durch die Formel


⎨x( n+1 ) falls n ungerade
x̃ = 1  
2
Median (8.10)

⎩ x( n2 ) + x( n2 +1) falls n gerade
2

Anmerkung: Von den drei Lagemaßen Mittelwert, Modalwert und Median wird der Mittelwert in
der Praxis am häufigsten verwendet. Sein Nachteil besteht darin, dass er empfindlich gegenüber
Ausreißern in der Stichprobe ist. Ein Ausreißer ist ein von den übrigen Werten stark abweichen-
der Wert und ensteht meistens durch Meßfehler. Der Modalwert wird von Ausreißern überhaupt
nicht und der Median nur geringfügig beeinflußt (s. auch Aufgabe 2 auf Seite 410).
380 8 Stochastik

Quantil und Perzentil


Wie oben erläutert, unterteilt der Median eine Stichprobe wertemäßig in zwei Hälften. Mit Hilfe
des Quantils kann diese Unterteilung noch feiner differenziert werden. Für eine geordnete Stich-
probe vom Umfang n kennzeichnet das p-Quantil einen Wert q p aus der Stichprobe, der diese in
zwei Teile unterteilt; ein Teil enthält die n · p Werte, die kleiner oder gleich q p sind; der andere
Teil enthält die übrigen n · (1 − p) Werte, die größer als q p sind. Der Quantilparameter p ist eine
reelle Zahl zwischen 0 und 1. Das p-Quantil teilt die Stichprobe also im Verhältnis p : (1 − p)
auf. Ist z.B. n = 100 und p = 0,25, entspricht das 0,25-Quantil q0,25 demjenigen Zahlenwert,
der die Stichprobe derart in zwei Teile unterteilt, dass 25 Werte kleiner oder gleich dem Wert
q0,25 und die restlichen 75 Werte größer als q0,25 sind. Das Quantil einer geordneten Stichprobe
ist definiert durch:

⎨x(np) falls np ganzzahlig
qp = Quantil (8.11)
⎩x sonst (np + 0,5 auf ganze Zahl runden)
(np+0,5)

Das p-Quantil und das (p · 100)-Perzentil drücken die gleiche statistische Größe aus, d.h. beim
0,3-Quantil und 30-Perzentil handelt es sich um die selbe Größe. Das Quantil q0,5 entspricht dem
Median x̃, weil q0,5 die Stichprobe in zwei gleiche Teile unterteilt.
Varianz
Die Lagemaße einer Stichprobe, also der Mittelwert und Medianwert, haben insofern eine be-
grenzte Aussagekraft als sie keinerlei Informationen darüber preisgeben, ob die Stichprobenwer-
te sich voneinander wenig oder viel unterscheiden. Beispielsweise haben folgende Stichproben
zwar den selben Mittelwert (= 4); die Werte der zweiten Reihe liegen aber viel weiter auseinan-
der als die Werte der ersten Reihe.

3,8 3,9 4,0 4,1 4,2 2 3 4 5 6

Man erkennt sofort, dass die erste Stichprobe statistisch »zuverlässiger« ist, weil weniger schwan-
kend, während bei der zweiten Reihe starke Ausschläge um den Mittelwert auftreten. Es wird also
eine weitere Maßzahl benötigt, die dieser Besonderheit der Stichprobe Rechnung trägt. Die benö-
tigte Maßzahl wird Streuungsmaß genannt, weil sie die Streuung der Stichprobenwerte um den
Mittelwert quantitativ beschreibt. Das in der Praxis am häufigsten verwendete Streuungsmaß4 ist
die (empirische) Varianz s2 , welche durch folgende Formel definiert ist5 :

n
1
s2 =
n−1 ∑ (xi − x̄)2 (Empirische) Varianz einer Stichprobe (8.12)
i=1

4 Es existieren weitere Streuungsmaße, z.B. die Spannweite oder die mittlere absolute Abweichung.
5 Durch die Verwendung von n − 1 in der Formel (8.12) anstelle von n wird die Varianz σ 2 der Grundgesamtheit,
für die man sich ja letztendlich interessiert, besser angenähert. Das hängt mit der sog. Erwartungstreue einer Schätz-
funktion der analytischen Statistik zusammen. In der Statistik versucht man i.d.R. Aussagen über die Grundge-
samtheit zu machen – wenn auch für Auswertungen lediglich Stichproben mit begrenztem Umfang zur Verfügung
stehen. Aus diesem Grund hat sich (n − 1) als Divisor eingebürgert. Würde man sich hingegen nur für die Varianz
der Stichprobe selbst interessieren, müßte eigentlich n eingesetzt werden. Bei großem Stichprobenumfang ist die
Differenz zwischen beiden Formen aber sowieso vernachlässigbar klein.
8.1 Deskriptive Statistik 381

Das Quadrieren der Differenzen (xi − x̄) in der Formel (8.12) hat weniger mit exakter Herleitung
der Formel zu tun als vielmehr mit pragmatischen Gründen. Würde man nämlich das Quadrat
weglassen, so würde unter Beachtung von (8.6) das Streuungsmaß immer Null(!) und damit als
Kennzahl unbrauchbar sein:
n n n
1 1 1 n x̄ n x̄
n−1 ∑ (xi − x̄) = n−1 ∑ xi − n−1 ∑ x̄ = n − 1 − n − 1 = 0 !
i=1 i=1 i=1
   
=n x̄ =n x̄

Durch das Quadrieren wird das geschilderte Problem beseitigt, weil dann der Term (xi − x̄)2
immer positiv ist. Für Varianz gilt stets: s2 ≥ 0. Falls alle Werte in der Stichprobe zahlenmäßig
gleich sind (x1 = x2 = · · · = xn = x̄), ist die Varianz gleich Null, weil in diesem Fall (xi − x̄)2 =
(x̄ − x̄)2 = 0.
Durch Umformung lässt sich die Varianzformel (8.12) auch in folgende Form bringen, welche
bei der Arbeit mit dem Taschenrechner bequemer ist (s. Beispiel 8.14 auf Seite 407):
 
n
1
s =
2
n−1 ∑ xi2 − nx̄ 2
Alternativformel für die Varianz (8.13)
i=1

Die Formel in (8.13) ermöglicht zwar bei Handrechnung weniger Rechenarbeit. Ihr Nachteil
gegenüber (8.12) ist aber, dass aufgrund des Quadrierens von Stichprobenwerten große Zahlen
auftreten können und daraus die in der numerischen Mathematik gefürchtete Problematik »Dif-
ferenz großer Zahlen« entsteht. Außerdem könnte ein möglicher Abrundungsfehler von x̄ den
Wert nx̄2 , und damit das Resultat, auch ungünstig beeinflussen.
Die Stichprobenvarianz s2 ist eine Näherung für den Varianz σ 2 der Grundgesamtheit:

s2 ≈ σ 2 (8.14)

Die Varianz s2 ist an sich kein direkt verwertbares Streuungsmaß; sie läßt sich nicht unmit-
telbar in Relation setzen mit dem Mittelwert. Dieser Nachteil wird vermieden, wenn als Streu-
ungsmaß nicht die Varianz selbst, sondern ihre Quadratwurzel, die sog. -und in der Statistik sehr
nützliche- Standardabweichung verwendet wird.
Berechnung der Varianz mit Hilfe der Häufigkeitsfunktion:
Wie bereits auf Seite 379 bei der Berechnung des Mittelwerts gezeigt, kann die Häufigkeitsfunk-
tion auch für die Varianzberechnung herangezogen werden. Für eine Stichprobe vom Umfang n
mit k verschiedenen Werten (k ≤ n) erhält man mit Hilfe von (8.8) aus (8.12):
n k k
1 1 1
s2 =
n−1 ∑ (xi − x̄)2 = n − 1 ∑ (xi − x̄)2 ni = n − 1 ∑ (xi − x̄)2 h(xi ) n
i=1 i=1 i=1

k
n
s2 =
n−1 ∑ (xi − x̄)2 h(xi ) (8.15)
i=1
382 8 Stochastik

oder ausgehend von (8.13) folgende Beziehung:


 
k
n
s =
2
n−1 ∑ xi2 h(xi ) − x̄ 2
(8.16)
i=1

Standardabweichung
Eine weitaus nützlichere Maßzahl als die Varianz ist die Standardabweichung s, die als Quadrat-
wurzel der Varianz s2 definiert ist:

√ 1 n
s= s2 =
n−1 ∑ (xi − x̄)2 Standardabweichung einer Stichprobe (8.17)
i=1

3  
4
4 1 n
5
s= ∑ xi − nx̄2
n − 1 i=1
2 Standardabweichung (Alternativform) (8.18)

Der Nutzen der Standardabweichung wird insbesondere bei der Untersuchung normal verteil-
ter statistischer Ereignisse deutlich (s. Abschnitt 8.7).
Beispiel 8.2:
Für die in Tabelle 8.1 auf Seite 375 angegebene Stichprobe der Betonfestigkeiten sol-
len die verschiedenen statistischen Maßzahlen ermittelt werden.
a) Relative Häufigkeiten h(xi ) : (s. auch Tabelle 8.2 auf Seite 376).

xi 25,0 25,5 26,0 26,5 27,0 27,5 28,0


ni 1 2 4 7 3 2 1
h(xi ) 0,05 0,10 0,20 0,35 0,15 0,10 0,05
b) Mittelwert x̄
n
1 1
x̄ =
n ∑ xi = 20 (25,5 + 26 + 26,5 + · · · + 27 + 27,5 + 26,5)
i=1
1
= 529,5 = 26,475
20
Mittelwertberechnung aus der Häufigkeitsfunktion gemäß (8.9):
7
x̄ = ∑ xi h(xi )
i=1
= 25 · 0,05 + 25,5 · 0,10 + 26 · 0,20 + 26,5 · 0,35 + 27 · 0,15+
+ 27,5 · 0,10 + 28 · 0,05
= 26,475
8.1 Deskriptive Statistik 383

c) Medianwert x̃
Zunächst wird die Stichprobe in die geordnete Form gebracht:

25 25,5 25,5 26 26 26 26 26,5 26,5 26,5



10. Wert

26,5 26,5 26,5 26,5 27 27 27 27,5 27,5 28



11. Wert

Gemäß (8.10) mit n = 20 ergibt sich der Medianwert zu:


1   1  1
x̃ = x( 20 ) + x( 20 +1) = x(10) + x(11) = (26,5 + 26,5) = 26,5
2 2 2 2 2

d) Quantil q0,3
Es soll das 0,3-Quantil q0,3 berechnet werden, d.h. es ist derjenige Wert in der
Stichprobe zu bestimmen, unterhalb dessen 30% aller Werte liegen. Mit n = 20
erhält man n · p = 20 · 0,3 = 6. Das 6-te Element x(6) der geordneten Stichprobe
entspricht also dem 0,3-Quantil.

25 25,5 25,5 26 26 26
 26 26,5 26,5 26,5
x(6) =q0,3

26,5 26,5 26,5 26,5 27 27 27 27,5 27,5 28


Das 0,3-Quantil beträgt q0,3 = 26.
e) Varianz s2
Berechnung mit Hilfe von (8.12):
1
s2 = [(25,5 − 26,475)2 + (26 − 26,475)2 + (26,5 − 26,475)2 + · · · +
20 − 1
· · · + (27 − 26,475)2 + (27,5 − 26,475)2 + (26,5 − 26,475)2 ] = 0,5388

Berechnung mit Hilfe von (8.13):


1 
s2 = 25,52 + 262 + 26,52 + · · · + 272 + 27,52 + 26,52 − 20 · 26,4752
20 − 1
1
s =
2
(14028,75 − 14018,51) = 0,5388
20 − 1

f) Standardabweichung s
Die Standardabweichung der Stichprobe entspricht der Quadratwurzel der Vari-
anz.

s = 0,5388 = 0,7340
384 8 Stochastik

8.2 Elementare Wahrscheinlichkeitstheorie


Die im Abs. 8.1 behandelte deskriptive Statistik liefert die Maßzahlen einer Stichprobe, mit de-
ren Hilfe die statistischen Eigenschaften der Grundgesamtheit abgeschätzt werden können. Dabei
handelt es sich um bloße Beschreibung des vorhandenen statistischen Datenbestands. Die nächste
Abstraktionsstufe wäre die Schaffung von mathematischen Modellen zur Beschreibung der sta-
tistischen Eigenschaften von Grundgesamtheiten. Die Grundlage der mathematischen Statistik
ist die Wahrscheinlichkeitstheorie, welche in diesem Abschnitt behandelt werden soll.
Der elementarste Baustein der Wahrscheinlichkeitstheorie ist das Zufallsexperiment. Ein Zu-
fallsexperiment (Zufallsversuch) ist ein beliebig oft wiederholbares Experiment, dessen Ausgang
nicht vorausgesagt werden kann; es ist also ein nicht-deterministischer Vorgang. Beispiele sind
Werfen einer Münze (Kopf oder Zahl?) oder Werfen eines Würfels (Augenzahl=?). Das Ergebnis
des Wurfs liegt außerhalb unseres Einflußbereiches und hängt ausschließlich vom Zufall ab.6 Ein
Beispiel für einen deterministischen Vorgang wäre die wechselnde Folge von Tag und Nacht.

8.2.1 Ereignisse
Elementares Ereignis. Beim Werfen einer Münze unterscheidet man zwischen zwei Ergebnis-
sen: »Kopf« oder »Zahl«. Beim Werfen eines Würfels sind 6 Ergebnisse möglich: irgend eine
der Zahlen 1,2, · · · ,6. Bei der Geburt eines Kindes sind zwei Ergebnisse möglich: »Mädchen«
oder »Junge«. Der Ausgang eines Experiments wird als elementares Ereignis bezeichnet und
kann symbolisch mit ei gekennzeichnet werden. Beim Münzenwurf könnte z.B. definiert werden,
dass e1 = Kopf und e2 = Zahl ist. Die Elementarereignisse des Würfelwerfens sind: e1 = 1, e2 =
2, · · · , e6 = 6. Die Menge aller möglichen elementaren Ereignisse eines Experiments wird Ergeb-
nismenge E genannt. Beim Münzenwurf haben wir also die Ergebnismenge E = {Kopf, Zahl},
beim Würfelexperiment die Ergebnismenge E = {e1 , e2 , e3 , e4 , e5 , e5 } = {1,2,3,4,5,6}. Wenn
beim Münzenwerfen »Kopf« auftritt, kann nicht gleichzeitig auch »Zahl« auftreten. Wenn beim
Würfelversuch die Augenzahl 2 auftritt, sind die anderen Zahlen bei diesem Versuch ausgeschlos-
sen. Unter elementaren Ereignissen verstehen wir also alle möglichen, nicht weiter zerlegbaren
Resultate (Ausgänge) eines Experiments, die sich gegenseitig ausschließen. Das Ergebnis einer
Messung oder Beobachtung ist ebenfalls ein elementares Ereignis, z.B.:

- Körpergröße bzw. Körpergewicht einer Person


- Wanddicke einer Stahlröhre
- Durchmesser einer Maschinenschraube
- Druckfestigkeit eines Betonwürfels
- Lebensdauer eines LKW-Stoßdämpfers

Ein Ereignis (Zufallsereignis) wird aus den elementaren Ereignissen des Experiments defi-
niert (die Definition erfolgt entsprechend der Zielsetzung der zu lösenden Aufgabe). Symbolisch
wird ein Ereignis mit einem kursiven Großbuchstaben gekennzeichnet, z.B. A oder B. Beim Ein-
treten eines Ereignisses spricht man davon, dass das Ereignis realisiert wurde.

6 Wir setzen einen perfekten Würfel voraus. Aufgrund technisch unvermeidbarer Toleranzen wird der Würfel in der
Realität nicht absolut sondern lediglich »nahezu« perfekt sein. Dies ändert aber die Grundaussagen nicht.
8.2 Elementare Wahrscheinlichkeitstheorie 385

Beispiel 8.3:
a) Beispiele für die Definition von Ereignissen beim Werfen einer Würfel.
• A =»die Augenzahl ist 5«, oder A = {e5 } = {5}
• A =»die Augenzahl ist eine gerade Zahl«, oder A = {e2 , e4 , e6 } = {2,4,6}
b) Beispiele für die Definition von Ereignissen beim gleichzeitigen Werfen von 2
Würfeln.
• A =»die Augensumme ist 8«
• A =»beim 1. Würfel ist die Augenzahl 3, beim 2. Würfel eine 5«
• A =»bei beiden Würfeln ist die Augenzahl eine ungerade Zahl«

Unmögliches Ereignis ∅. Beim Werfen eines Würfels kann die Zahl 7 grundsätzlich nicht ein-
treffen. Wenn mit A das Ereignis »Eintreffen der Zahl 7« bezeichnet wird, ist es ein unmögliches
Ereignis.
Sicheres Ereignis E. Wir betrachten das Experiment »Werfen einer Münze«. A soll das Er-
eignis »Kopf oder Zahl« bedeuten. Weil auf jeden Fall Kopf oder Zahl eintreffen muss, ist A ein
sicheres Ereignis (wir setzen voraus, dass die Münze nicht hochkant stehen bleiben kann!). Beim
Würfelwurf ist das Ereignis »eine Zahl zwischen 1 und 6 zu erhalten« ein sicheres Ereignis. Die
Ergebnismenge E eines Experiments stellt ein sicheres Ereignis dar.
Komplementärereignis. Das zum Ereignis A komplementäre Ereignis wird symbolisch mit
A bezeichnet. Das komplementäre Ereignis A tritt dann und nur dann ein, wenn A nicht eintritt
(das Nichteintreten von A garantiert, dass A eintritt).
Beispiel 8.4:
a) Für die Stichprobe der Betonfestigkeiten in Tabelle 8.2 sei das Ereignis A defi-
niert als »Betonfestigkeit ≤ 26 N/mm2 «. Das Komplementärereignis A ist dann
das Ereignis »Betonfestigkeit > 26 N/mm2 «.
b) Beim Wurf einer Münze sei A = {Kopf}. Das zu A komplementäre Ereignis ist
dann A = {Zahl}.
c) Beim Wurf eines Würfels sei A = {3,4} (»Augenzahl ist entweder 3 oder 4«).
Das zu A komplementäre Ereignis ist A = {1,2,5,6}.

Beim Münzenwurf ist »Zahl« das Komplementärereignis zu »Kopf« und umgekehrt, weil wenn
Kopf eintritt, nicht gleichzeitig auch Zahl eintreten kann. Komplementäre Ereignisse schließen
sich immer gegenseitig aus.
Vereinigung von Ereignissen (union). Das Ereignis A ∪ B (Vereinigung von A und B) tritt
dann ein, wenn entweder nur A eintritt oder nur B eintritt oder A und B gleichzeitig eintreten (s.
Bild 8.2). Eine andere gebräuchliche Bezeichnung für die Vereinigung ist Summe von Ereignis-
sen mit der symbolischen Schreibweise A + B (gleichbedeutend mit A ∪ B).
Durchschnitt von Ereignissen (intersection). Das Ereignis A ∩B (Durchschnitt von A und B)
tritt dann ein, wenn A und B beide gleichzeitig eintreten (s. Bild 8.3). Eine andere gebräuchliche
Bezeichnung für den Durchschnitt ist Produkt von Ereignissen mit der symbolischen Schreib-
weise AB (gleichbedeutend mit A ∩ B). Der Durchschnitt eines Ereignisses A und ihres komple-
mentären Ereignisses ist ein unmögliches Ereignis, d.h. A ∩ A = ∅
386 8 Stochastik

A B

Bild 8.2: Vereinigung A ∪ B von Ereignissen

A\B AXB B\A

Bild 8.3: Durchschnitt A ∩ B sowie Differenzen A \ B und B \ A von Ereignissen

Differenz von Ereignissen. Das Ereignis A \ B (Differenz von A und B) enthält alle Elemente
von A, die nicht zu B gehören (s. Bild 8.3). Analog enthält das Ereignis B \ A alle Elemente von
B, die keine Elemente von A sind.

Beispiel 8.5:
Vereinigung und Durchschnitt von Ereignissen. Zwei Münzen werden gleichzeitig ge-
worfen. Mit A wird das Ereignis »Kopf bei der 1. Münze«, mit B das Ereignis »Kopf
bei der 2. Münze« bezeichnet. A ist das zu A komplementäre Ereignis, d.h. »Zahl bei
der 1. Münze«; B ist das zu B komplementäre Ereignis, d.h. »Zahl bei der 2. Münze«.
a) Das Ereignis »mindestens einen Kopf« zu erhalten kann durch die Vereinigung
A ∪ B (oder A + B) erfasst werden.

A ∪ B = {(Kopf, Zahl), (Zahl, Kopf), (Kopf, Kopf), } = {(A, B), (A, B), (A, B)}

b) Das Ereignis »zweimal Kopf« zu erhalten wird mit Hilfe des Durchschnitts A ∩B
(oder des Produkts AB) ausgedrückt.

A ∩ B = {(Kopf, Kopf), } = {(A, B)}

c) Es ist ein sicheres Ereignis, bei jeder Münze entweder »Kopf« oder »Zahl« zu er-
halten. Dagegen ist es ein unmögliches Ereignis, bei einer Münze weder »Kopf«
noch »Zahl« zu erhalten.

A∪A = E A∩A = ∅ B∪B = E B∩B = ∅

Unvereinbare und vereinbare Ereignisse. Zwei Ereignisse A und B, die nicht gleichzeitig auf-
treten können, heißen unvereinbare Ereignisse, weil sie sich gegenseitig ausschließen. Wenn z.B.
in Bild 8.4 das ereignis A eintritt, kann B nicht zum selben Zeitpunkt eintreten und umgekehrt.
Beispielsweise sind Kopf und Zahl beim Wurf einer Münze zwei sich gegenseitig ausschließen-
de Ereignisse, weil sie beim ein und selben Wurf nicht gleichzeitig auftreten können. Falls es
8.2 Elementare Wahrscheinlichkeitstheorie 387

AXB = 0

A B

Bild 8.4: Zwei unvereinbare Ereignisse

grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist, dass A und B gleichzeitig eintreten können, heißen sie
vereinbare Ereignisse.

Beispiel 8.6:
a) Vereinbare und unvereinbare Ereignisse. Es sei das Ereignis A definiert als »die
Augenzahl ist eine gerade Zahl« (d.h. eine Zahl aus der Menge 2,4,6) und das
Ereignis B als »die Augenzahl ist eine ungerade Zahl« (d.h. eine aus 1,3,5). A
und B sind unvereinbare Ereignisse (schließen sich gegenseitig aus), weil sie
nicht gleichzeitig auftreten können. Es gilt also A ∩ B = ∅.
b) Nun sei das Ereignis A definiert als »die Augenzahl ist eine gerade Zahl« (be-
stehend aus 2,4,6) und das Ereignis B als »eine durch 3 teilbare gerade Zahl«
(d.h. die 6). A und B sind vereinbare Ereignisse, weil sie beim Wurf von 6 beide
realisiert werden (das Eintreten von A schließt das Eintreten von B nicht aus).

8.2.2 Definition der Wahrscheinlichkeit


Wenn z.B. beim Zufallsexperiment »Münzenwurf« mit A das Ereignis »Kopf« bezeichnet wird,
beträgt die Wahrscheinlichkeit P für dessen Eintreffen

P(A) = P(Kopf) = 50% = 0,5 ,

weil nur zwei Ergebnisse bei diesem Experiment eintreffen können (Kopf oder Zahl), die beide
hinsichtlich ihrer Auftretenswahrscheinlichkeit gleichberechtigt (gleich wahrscheinlich) sind.7
Man spricht von einem günstigen Ereignis (das kann auch ein Elementarereignis sein), wenn
dessen Eintreten zum Eintreten des Ereignisses A führt. Beispiel: In einer Urne befinden sich
4 weiße und 6 schwarze Kugeln. Das Ereignis A ist definiert als »die Wahrscheinlichkeit, bei
einmaligem Ziehen eine weiße Kugel zu erhalten«. Jede weiße Kugel in der Urne führt zu ei-
nem günstigen elementaren Ereignis für A, jede schwarze Kugel dagegen zu einem ungünstigen
ereignis.
Die klassische Definition der Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des Ereignisses A (bei
gleich wahrscheinlichen Ereignissen) lautet nach Laplace:

ng Anzahl der für A günstigen Ereignisse


P(A) = = (8.19)
n Anzahl aller möglichen Ereignisse

7 Die Wahrscheinlichkeit 50% bzw. 0,5 bedeutet, dass in der Hälfte aller Münzenwürfe Kopf eintritt, z.B. 500-mal
Kopf, wenn die Münze insgesamt z.B. 1000-mal geworfen wird.
388 8 Stochastik

Bei dem in (8.19) Bezug genommenen »günstigen Ereignis« kann es sich auch um ein Elemen-
tarereignis handeln, falls das Ereignis nur aus einem solchen besteht.

Beispiel 8.7:
a) Wurf einer Münze. Für das Ereignis A =»die oben liegende Seite der Münze ist
Kopf « beträgt die Wahrscheinlichkeit P(A) = 1/2 = 0,5 = 50%, weil nur eines
von zwei möglichen Ereignissen günstig für A ist.
Das Ergebnis P(A) = 1/2 bedeutet nicht, dass bei jedem 2. Wurf A garantiert
eintreten wird. Es bedeutet auch nicht, dass bei 10 Würfen genau 5-mal Kopf vor-
kommen wird (es können auch 4 oder 6 Fälle sein). P(A) = 1/2 besagt nur, dass
bei sehr vielen Würfen (sagen wir mal 1000) ungefähr in 500 Fällen (es können
aber z.B. auch 480 oder 520 sein) Kopf auftreten wird. Weil das Ergebnis jedes
einzelnen Münzenwurfs vom Zufall abhängt, kann die Wahrscheinlichkeitsrech-
nung auch nur ungefähre Vorhersagen machen, die in der Praxis aber von großem
Nutzen sind.
b) Wurf eines Würfels. Für das Ereignis A =»Augenzahl 5« beträgt die Wahr-
scheinlichkeit P(A) = 1/6 ≈ 0,167 = 16,7%, weil nur 1 Elementarereignis (näm-
lich der Zug einer 5) günstig für A ist, die Anzahl aller möglichen Elementarer-
eignisse ist 6.
Das Ergebnis P(A) = 1/6 bedeutet, dass bei genügend vielen Würfen, sagen wir
600, in ca. 100 Fällen die Augenzahl 5 vorkommen wird.
c) Wurf von zwei Würfeln. Bei diesem Experiment sind insgesamt 36 Fälle mög-
lich (die erste Zahl bedeutet die Augenzahl des 1. Würfels, die zweite diejenige
des 2. Würfels):

(1,1), (1,2), · · · (1,6), (2,1), (2,2), · · · (2,6), · · · · · · (6,1), (6,2), · · · (6,6)

Für das Eintreten des Ereignisses A =»Summe der beiden Augenzahlen ist 10«
sind nur die drei Elementarereignisse (4,6), (5,5), (6,4) günstig. Die Wahrschein-
lichkeit für A ist dann:
3 1
P(A) = = = 0,083 = 8,3%
36 12

d) Kugeln in einer Urne. In einer Urne befinden sich 4 weiße und 6 schwarze
Kugeln. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, bei einmaligem Ziehen eine weiße
Kugel zu erhalten?
Das Ereignis A lautet »eine weiße Kugel bei einmaligem Zug«. Die Anzahl der
für A günstigen Elementarereignisse ist 4, weil 4 weiße Kugeln vorhanden sind.
Die Anzahl aller möglichen Elementarereignisse ist 10, weil weiße und schwarze
Kugeln beim Zug »gleichberechtigt« sind (keine Farbe ist gegenüber der anderen
bevorzugt oder benachteiligt). Die Wahrscheinlichkeit für A lautet gemäß (8.19):
4
P(A) = = 0,4 = 40%
10
8.2 Elementare Wahrscheinlichkeitstheorie 389

e) Geburt eines Kindes. Langzeitzählungen zeigen, dass bei Neugeborenen auf


100 Mädchen 106 Jungen kommen. Wenn wir das Ereignis »Geburt eines Mäd-
chens« mit A und »Geburt eines Jungen« mit B bezeichnen, erhalten wir eine
Stichprobe mit insgesamt 206 Werten, wobei jeder Wert entweder A oder B ist.
Die Wahrscheinlichkeiten für die Geburt eines Mädchens, P(A), oder für die ei-
nes Jungen, P(B), entsprechen den relativen Häufigkeiten der Mädchen- bzw.
Jungengeburten:
nA 100
P(A) = h(A) = = = 0,485 = 48,5% (Mädchen)
nA + nB 206
nB 106
P(B) = h(B) = = = 0,515 = 51,5% (Junge)
nA + nB 206
Unter 1000 Geburten können wir also 485 Mädchen und 515 Jungen erwarten.

Die enge Verwandschaft zwischen der relativen Häufigkeit und der Wahrscheinlichkeit läßt sich
empirisch sehr anschaulich überprüfen. Bei Münzenwürfen fand man folgende Ergebnisse für
das Ereignis »Kopf« (s. [10]):

Anzahl Anzahl der Fälle Relative theoretisch zu erwartende


der Würfe mit »Kopf« Häufigkeit Anzahl der Fälle »Kopf«
4040 2048 0,5069 2020
12000 6019 0,5016 6000
24000 12012 0,5005 12000

8.2.3 Eigenschaften der Wahrscheinlichkeit


Die grundlegenden Regeln der Wahrscheinlichkeit heissen Kolmogorowsche Axiome und lauten:

1. Jedes zufällige Ereignis A besitzt eine Wahrscheinlichkeit P(A), die eine reelle Zahl zwi-
schen 0 und 1 ist.

0 ≤ P(A) ≤ 1 (8.20)

2. Das sichere Ereignis E hat die Wahrscheinlichkeit P(E) = 1.

3. Für die Vereinigung von zwei unvereinbaren Ereignissen gilt der Additionssatz

P(A ∪ B) = P(A) + P(B) für A ∩ B = ∅ (8.21)

Das 3. Axiom (8.21) läßt sich auch auf endlich oder unendlich viele paarweise unvereinbare
Ereignisse verallgemeinern:

P(A1 ∪ A2 ∪ · · · ∪ An ) = P(A1 ) + P(A2 ) + · · · + P(An ) (8.22)


390 8 Stochastik


6 ∞
P( Ai ) = ∑ P(Ai ) (8.23)
i=1 i=1

Paarweise unvereinbar bedeutet Ai ∩ A j = ∅ für i = j.


Für ein sicheres Ereignis E bzw. ein unmögliches Ereignis ∅ gelten folgende Wahrscheinlichkeiten:
Sicheres Ereignis E : P(E) = 1
Unmögliches Ereignis ∅ : P(∅) = 0
Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des Durchschnitts von zwei unvereinbaren Ereignis-
sen ist gleich Null:

falls A ∩ B = ∅ ⇒ P(A ∩ B) = 0

Die Vereinigung eines Ereignisses A mit ihrem Komplement A ist ein sicheres Ereignis (entweder
tritt A ein, oder wenn sie nicht eintritt, muss definitionsgemäß zwangsläufig A eintreten). Dage-
gen ist deren Durchschnitt ein unmögliches Ereignis (das Ereignis A tritt definitionsgemäß nur
dann ein, wenn A nicht eintritt; folglich können A und A nicht gleichzeitig eintreten):

A∪A = E P(A ∪ A) = 1 A∩A = ∅ P(A ∩ A) = 0

Die Summe der Wahrscheinlichkeiten für das Ereignis A und für ihr komplementäres Ereignis
A ist immer 1, d.h. das Ereignis A ∪ A ist ein sicheres Ereignis.

P(A) + P(A) = 1 P(A) = 1 − P(A) P(A) = 1 − P(A) (8.24)

Beispiel 8.8:
a) Die Wahrscheinlichkeit, dass die Betondruckfestigkeit fc der Produkte eines Fer-
tigteilherstellers geringer als oder gleich 27 N/mm2 sind beträgt 85%, d.h. P( fc ≤
27) = 0,85. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für fc > 27 N/mm2 ?

P( fc > 27) = 1 − P( fc ≤ 27) = 1 − 0,85 = 0,15 ≡ 15%

b) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, beim Werfen eines Würfels entweder eine
3 oder eine 4 zu erhalten?
Wenn A das Ereignis »eine 3« und B das Ereignis »eine 4« bedeuten, wird das
Ereignis »eine 3 oder eine 4« durch die Vereinigung von A und B wiedergegeben.

Ereignis »eine 3 oder eine 4« = A ∪ B A∩B = 0

Die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses A ∪ B wird berechnet nach (8.21):

1 1 1
P(A ∪ B) = P(A) + P(B) = + = ≡ 33,3%
6 6 3

c) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, beim Werfen eines Würfels gleichzeitig eine
3 und eine 4 zu erhalten?
8.2 Elementare Wahrscheinlichkeitstheorie 391

Die Wahrscheinlichkeit muss aus naheliegenden Gründen zwangsläufig Null sein,


weil es unmöglich ist, beim Wurf eines Würfels eine 3 und eine 4 gleichzeitig zu
erhalten.

(3 ∩ 4) = ∅ → P(3 ∩ 4) = 0

d) Beim Wurf einer Münze sei das Ereignis A =«Kopf« definiert. Das zu A komple-
mentäre Ereignis ist dann A =»Zahl«. Über dieses Experiment sind dann folgen-
de Aussagen möglich:

Wahrscheinlichkeit, dass »Kopf« eintritt: P(A) = 0,5

Wahrscheinlichkeit dass »Zahl« eintritt: P(A) = 1 − P(A) = 1 − 0,5 = 0,5


P(A ∪ A) = 1 (Es ist sicher, dass entweder Kopf oder Zahl eintritt.)
P(A ∩ A) = 0 (Kopf und Zahl können nicht gleichzeitig eintreten.)

e) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, beim Wurf eines Würfels nicht eine 3 zu
erzielen?
Wenn wir mit A das Ereignis »eine 3 zu erzielen« bezeichnen, bedeutet A das
Ereignis »eine 3 nicht zu erzielen«.

1 1 5
P(A) = P(A) = 1 − P(A) = 1 − = ≡ 83,3%
6 6 6

8.2.4 Additions- und Multiplikationssätze der Wahrscheinlichkeit


Der Ausgang eines Zufallsexperiments kann zwar nicht vorhergesagt werden, doch existieren
gewisse Gesetzmäßigkeiten zwischen den verschiedenen Ereignissen:
Multiplikationssatz für zwei unabhängige Ereignisse.
Zwei Ereignisse A und B werden als voneinander unabhängig bezeichnet, wenn das Eintreten von
A völlig unabhängig vom Eintreten (oder Nichteintreten) von B ist, d.h. dass es auf das Ereignis A
keinerlei Einfluß hat, ob B bereits eingetreten ist oder nicht (und natürlich umgekehrt). Beispiele:
- Beim zweimaligen Werfen einer Münze ist, wie man sich das leicht plausibel machen
kann, das Ergebnis des zweiten Wurfs vom Ergebnis des ersten Wurfs unabhängig - und
umgekehrt.
- Beim gleichzeitigen Wurf von zwei Münzen ist das Ergebnis der ersten Münzen völlig
unabhängig vom Ergebnis der zweiten Münze - und umgekehrt.
- An einer Verkehrsampel der Innenstadt werden vorbei fahrende Autos beobachtet. Die
Marke des i-ten Wagens ist unabhängig von der Marke des (i − 1)-ten Wagens.
Die Wahrscheinlichkeit für das gleichzeitige Eintreten von zwei unabhängigen Ereignisse A
und B ist gegeben durch folgende Multiplikationsformel:

P(A ∩ B) = P(A) · P(B) (8.25)


392 8 Stochastik

Beispiel 8.9:
Multiplikationssatz. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, beim gleichzeitigen Werfen
von zwei Würfeln eine 3 beim ersten Würfel und eine 4 beim zweiten Würfel zu
erhalten?
Die Wahrscheinlichkeit beim ersten Würfel eine 3 zu erzielen (Ereignis A) beträgt
1/6. Die Wahrscheinlichkeit beim zweiten Würfel eine 4 zu erzielen (Ereignis B) be-
trägt ebenfalls 1/6. Die Ereignisse A und B sind voneinander unabhängig (die Würfel
wissen nichts voneinander!). Bei beiden Würfeln eine 3 zu erzielen, entspricht dem
Ereignis A ∩ B und wir erhalten aus (8.25):

1 1 1
P(A ∩ B) = P(A) · P(B) = · =
6 6 36
Anmerkung: Dieses Experiment lässt sich auch mit einem Würfel realisieren, indem
dieser zweimal geworfen wird. Diese beiden Würfe sind voneinander unabhängig,
weil der Würfel »nicht weiß«, was beim ersten Wurf herausgekommen ist!

Additionssatz für zwei beliebige Ereignisse.


Für zwei Ereignisse, die sich gegenseitig nicht ausschließen, gilt:

P(A ∪ B) = P(A) + P(B) − P(A ∩ B) (8.26)

Additionssatz für zwei sich gegenseitig ausschließende Ereignisse.


Für zwei sich ausschließende, d.h. unvereinbare, Ereignisse ist P(A ∩ B) = 0, weil A und B per
Definition ja niemals gleichzeitig eintreten können. Nach dem 3. Kolmogorow-Axiom (8.21) gilt
der Additionssatz

P(A ∪ B) = P(A) + P(B) (8.27)

Multiplikationssatz für n unabhängige Ereignisse.


Ereignisse A1 , A2 , · · · , An werden als unabhängig voneinander bezeichnet, wenn das Eintreten
von Ai (i beliebig) völlig unabhängig vom Wert aller anderen Ereignisse A j ( j = 1,2, · · · , n
aber j = i ) ist. Für n voneinander unabhängige Ereignisse gilt die Beziehung

P(A1 ∩ A2 ∩ A3 · · · ∩ An ) = P(A1 ) · P(A2 ) · P(A3 ) · · · · P(An ) (8.28)

Beispiel 8.10:
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, bei zweimaligem Würfeln mindestens eine Drei
zu erzielen?

Mit den Ereignissen

A : Drei beim 1. Wurf B : Drei beim 2. Wurf


8.3 Zufallsvariable 393

entspricht das Ergebnis »mindestens eine Drei zu erhalten« der Vereinigung der Er-
eignisse A und B, d.h. A ∪ B, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Die gesuchte
Wahrscheinlichkeit beträgt deshalb:

P(A ∪ B) = P(A) + P(B) − P(A ∩ B)

A ∩ B : Drei sowohl beim 1. als auch beim 2. Wurf


1 1 1
P(A) = 1/6 P(B) = 1/6 P(A ∩ B) = · =
6 6 36
1 1 1 11
P(A ∪ B) = + − = = 0,306 = 30,6%
6 6 36 36

8.3 Zufallsvariable
Wenn alle möglichen (denkbaren) Ereignisse eines Zufallsexperimentes durch Zahlenwerte aus-
gedrückt werden, kann man den daraus resultierenden Wertebereich einer Variablen X zuordnen.
Diese Variable X wird als Zufallsvariable (oder Zufallsgröße) dieses Experimentes bezeichnet.
Man unterscheidet zwischen diskret und stetig verteilten Zufallsvariablen. Eine Zufallsvaria-
ble ist diskret verteilt, wenn es sich um ein Zufallsexperiment handelt, bei dem das Ergebnis
gezählt wird; das Resultat des Experiments gehört also einer abzählbaren Menge von Werten
an. Hingegen wird beim Zufallsexperiment einer stetig verteilten Zufallsvariable gemessen; der
Meßwert kann jeden beliebigen reellen Wert auf der Zahlenachse annehmen.
Im Ingenieurwesen interessieren meistens stetig veränderliche Größen (Spannung, Verfor-
mung, einwirkende Belastungsintensität, zulässige Lastamplitude usw.). Um den Themenumfang
kompakt zu halten, werden im Folgenden nur stetig verteilte Zufallsvariablen betrachtet.
Beispiel 8.11:
a) Beim Werfen eines Würfels kann die die Anzahl der Augen (1,2, · · · ,6 ) der
Zufallsvariable X zugeordnet werden. Wenn die beobachtete Augenzahl beim
Wurf z.B. 5 ist, so sagt man, dass X den Wert 5 angenommen hat. Bei diesem
Experiment ist X eine diskrete Variable, weil sie nur ganzahlige Werte aus der
Zahlenmenge 1 bis 6 annehmen kann.
b) Beim Werfen von fünf Münzen interessieren wir uns für die Anzahl der Köpfe.
Die diskrete Zufallsvariable X nimmt also einen der Werte 0 bis 5 an. Welchen
Wert X annimmt, hängt vom Zufall ab. Auch in diesem Experiment ist X eine
diskrete Variable.
c) Die Qualitätskontrolle eines Autoherstellers macht Stichprobenkontrollen und
sortiert diejenigen Schrauben aus, deren Schaftdurchmesser die vorgegebene stren-
ge Toleranz nicht einhalten. Die Anzahl aussortierter Schrauben in einem Los
wird der Zufallsvariable X zugeordnet. X kann nur die Werte 0, 1, 2, · · · anneh-
men, sie ist also eine diskrete Zufallsvariable.
d) Bei einer Prüfung werden die Noten 1,0; 1,3; 1,7; · · · ; 3,7; 4,0; 5,0 vergeben.
Die Anzahl der Studierenden für jede dieser Noten wird ermittelt und der diskre-
ten Zufallsvariable X zugeordnet.
394 8 Stochastik

e) Die Druckfestigkeit einer Betonprobe kann -innerhalb eines zu erwartendes Bereiches-


jeden beliebigen reellen Wert auf der reellen Zahlenachse annehmen, z.B. 25,86 N/mm2
oder 25,87 N/mm2 (die Zahl der Nachkommastellen hängt lediglich von der
Messgenauigkeit ab). Deshalb ist X in diesem Experiment eine stetige Variable.
f) Die Dauerfestigkeit einer wechselnd beanspruchten Schraube wird als diejenige
Spannungsamplitude in der Schraube definiert, bei der die Schraube mindestens
2 · 106 Lastwechseln erträgt ohne abzubrechen. Die Zufallsvariable X ist eine ste-
tige Größe, weil sie -innerhalb eines zu erwartendes Bereiches- jeden beliebigen
Spannungswert annehmen kann.

Trifft bei einem Zufallsexperiment ein bestimmtes Ereignis ein, das einem Zahlenwert a ent-
spricht, so reden wir davon, dass die Zufallsvariable X den Wert a angenommen hat. Die Wahr-
scheinlichkeit, dass die Zufallsvariable X genau den Wert a annimmt, wird durch folgenden
Ausdruck definiert:

P(X = a)

In der Praxis kommt es oft vor, dass man sich nicht für die Auftretenswahrscheinlichkeit eines ein-
zelnen Wertes, sondern für die eines Wertebereiches interessiert, z.B. für die Wahrscheinlichkeit,
dass die Betondruckfestigkeit zwischen 26 N/mm2 und 27 N/mm2 liegt. Die Wahrscheinlich-
keit, dass die Zufallsvariable X einen bestimmten Wert oder Wertebereich annimmt bzw. unter-
halb oder oberhalb eines bestimmten Wertes liegt, wird wie folgt ausgedrückt:

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zufallsvariable X wird ausgedrückt durch


exakt den Wert a annimmt P(X = a)
irgendeinen Wert im Intervall [a, b] annimmt P(a ≤ X ≤ b)
einenWert annimmt, der höchstens gleich a ist P(X ≤ a)
einenWert annimmt, der mindestens gleich a ist P(X ≥ a)

Das Ereignis −∞ ≤ X ≤ ∞ ist ein sicheres Ereignis, weil die Zufallsvariable X ja irgendeinen
Wert auf der (zu beiden Seiten unendlichen) reellen Zahlenachse annehmen muss:

P(−∞ ≤ X ≤ ∞) = 1

Für einen beliebigen reellen Wert a gilt:

P(X ≤ a) + P(X > a) = P(−∞ ≤ X ≤ ∞) = 1

Daraus folgt folgende Beziehung:

P(X > a) = 1 − P(x ≤ a) (8.29)

Die mathematische Beschreibung der Verteilung einer Zufallsvariablen erfolgt durch ihre Vertei-
lungsfunktion (s. Abschnitt 8.4) oder ihre Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion (s. Abschnitt 8.5).
8.4 Verteilungsfunktion F(x) 395

1,0

F(x)

Fb
f(x)

Fa P(a<X<=b)

a b x

Bild 8.5: Verteilungsfunktion F(x) und Wahrscheinlichkeitsdichte f (x)

8.4 Verteilungsfunktion F(x)

Im Abschnitt 8.1 war unser Augenmerk auf die Berechnung statistischer Merkmale einer jeweils
konkreten Stichprobe gerichtet. Dort wendeten wir ein bestimmtes Rechenverfahren auf eine vor-
liegende Datenreihe an; aus dem Resultat aber keine allgemeinen Schlußfolgerungen gezogen
werden. In Ingenieurwissenschaften ist man aber auch anderen statistischen Aussagen interes-
siert: Das Ausfallrisiko eines Kernkraftwerks, die Wahrscheinlichkeit der Überschreitung einer
bestimmten Windstärke oder eines Erdbebens in den nächsten 50 Jahren, die Lebensdauer einer
Brücke usw. Solche Fragen können beantwortet werden, wenn geeignete mathematische Modelle
für die statistischen Merkmale der betreffenden Grundgesamtheit aufgestellt werden können.
Wir betrachten eine Zufallsvariable X (es spielt keine Rolle, ob sie diskret ist oder stetig) und
interessieren uns für die Wahrscheinlichkeit P, dass X kleiner oder höchstens gleich einer reellen
Zahl x ist, d.h. für den Fall X ≤ x. Die Wahrscheinlichkeit P hängt natürlich von x ab, d.h. sie
ist eine Funktion von x .

F(x) = P(X ≤ x) (Wahrscheinlichkeits-)Verteilungsfunktion (8.30)

F(x) wird als die (Wahrscheinlichkeits-)Verteilungsfunktion der Zufallsvariablen X bezeichnet.


Sie ist eine Summenfunktion und eng verwandt mit der Summenhäufigkeit, die auf Seite 377
definiert wurde. Der Ausdruck P(X ≤ x) ist gleichbedeutend mit P(−∞ ≤ X ≤ x). Bild 8.5
zeigt schematisch eine Verteilungsfunktion (gestrichelte Linie).
Die Wahrscheinlichkeit, dass X kleiner oder gleich dem Wert a ist, ist gegeben durch

P(X ≤ a) = F(a) (8.31)

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zufallsvariable X irgendeinen Wert im halb offenen Intervall
]a; b] (ausschließlich a, einschließlich b, wobei a < b) annimmt, läßt sich aus folgender Bezie-
396 8 Stochastik

hung ermitteln8 (s. auch das Beispiel 8.18 auf Seite 409):

P(a < X ≤ b) = P(X ≤ b) − P(X < a) = F(b) − F(a) (8.32)

8.5 Dichtefunktion f (x)

In Abschnitt 8.4 wurde die Verteilungsfunktion einer Zufallsvariable X definiert als

F(x) = P(X ≤ x)

Wie in Bild 8.5 zu sehen, ist F(x) eine stetige Funktion, weil X eine stetig verteilte Zufallsvariable
ist. Die Differentiation von F(x) nach x liefert eine neue Funktion f (x), die als Wahrscheinlich-
keitsdichtefunktion oder kurz Dichtefunktion der Zufallsvariable X bezeichnet wird:

dF(x)
= f (x) F  (x) = f (x) Dichtefunktion (8.33)
dx
Aus der letzten Beziehung folgt durch Integration zwischen −∞ und x : 9

x x x
dF(ξ ) = f (ξ ) dξ F(x) = f (ξ ) dξ (8.34)
−∞ −∞ −∞

Mit Hilfe der Beziehungen (8.31) und (8.34) lässt sich die Wahrscheinlichkeit, dass X kleiner
oder gleich dem Wert a (bzw. b ) ist, ermitteln durch Integration der Dichtefunktion f (x) in
den Grenzen −∞ und a (bzw. −∞ und b ). Weil hier als Integrationsgrenze a (bzw. b) statt x
verwendet wird, kann auch die formale Variable ξ durch x ersetzt werden.

a b
P(X ≤ a) = F(a) = f (x) dx P(X ≤ b) = F(b) = f (x) dx (8.35)
−∞ −∞

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zufallsvariable X irgendeinen Wert im Intervall ]a; b] annimmt
(s. die Fußnote auf Seite 395), läßt mit Hilfe von (8.32) und (8.35) angeben als

b a
P(a < X ≤ b) = P(X ≤ b) − P(X < a) = F(b) − F(a) = f (x) dx − f (x) dx (8.36)
−∞ −∞

8 Bei stetig verteilten Zufallsvariablen kann anstelle des offenen Intervalls auch das geschlossene Intervall [a; b]
verwendet werden, weil die Verteilungsfunktion keine Sprünge aufweist.
9 Im Integrand wird ein neues Variablensymbol ξ verwendet, weil x als obere Integrationsgrenze verwendet wird. Da
ξ lediglich als Platzhalter fungiert, hat dies keine weitere Konsequenz.
8.5 Dichtefunktion f (x) 397

Aufgrund der Relation a < b lässt sich die rechte Seite von (8.36) auch schreiben als

b a a b a b
f (x) dx − f (x) dx = f (x) dx + f (x) dx − f (x) dx = f (x) dx
−∞ −∞ −∞ a −∞ a

so dass (8.36) schließlich auf folgende Beziehung führt:

b
P(a < X ≤ b) = P(X ≤ b) − P(X < a) = F(b) − F(a) = f (x) dx (8.37)
a

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zufallsvariable X irgendeinen Wert zwischen a und b an-
nimmt, ist also gleich dem Inhalt der Fläche, die von der Dichtefunktion f (x) und der x-Achse
und den beiden vertikalen Begrenzungsgeraden bei x = a und x = b eingeschlossen wird.
Der Flächeninhalt unterhalb der Dichtefunktion f (x) in Bild 8.5 ist exakt gleich 1. Diese
Eigenschaft ist sofort ersichtlich, wenn wir die Wahrscheinlichkeit eines sicheren Ereignisses für
eine stetig verteilte Zufallsvariable X betrachten. Das Ereignis −∞ ≤ X ≤ +∞ ist ein sicheres
Ereignis, weil ja X irgendeinen Wert zwischen −∞ und +∞ annehmen muss. Daher gilt:

P(−∞ ≤ X ≤ ∞) = 1

∞
f (x) dx = 1 (8.38)
−∞

Die Wahrscheinlichkeit, dass X größer als ein vorgegebener Wert a ist, ergibt sich unmittelbar
aus der Beziehungen (8.29) und (8.35):

a
P(X > a) = 1 − f (x) dx (8.39)
−∞

In der Technik, Wirtschaft, Medizin, Sozialforschung unterliegen die zu untersuchenden Vorgän-


ge und Phänomene vielfältigen zufallsbedingten Einflußgrößen. Während z.B. die Druckfestig-
keit eines Betonpfeilers von den Zuschlagstoffen, dem Wasserzementwert, Mischbedingungen
des Frischbetons, der Nachbehandlung des Betons und noch vielen Faktoren abhängt, wird die
Geburtenrate in einem Land vielleicht vom Sozialfrieden, Einkommensentwicklung, Psychologie
und aktuellen gesellschaftlichen Trends usw. beeinflußt. Es ist deshalb unmöglich, all diese statis-
tischen Prozesse mit einer einzigen, sozusagen universalen, Dichtefunktion f (x) zu beschreiben.
In der Statistik existieren folglich verschiedene mathematische Modelle der Dichtefunktion, von
denen die wichtigste und am häufigsten verwendete die im Abschnitt 8.7 behandelte Normal-
Verteilung oder Gauss-Verteilung ist.
398 8 Stochastik

8.6 Maßzahlen einer stetig verteilten Zufallsvariable


Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion f (x) einer stetig verteilten Zufallsvariable X
können die wichtigsten Maßzahlen der Grundgesamtheit dieser Zufallsvariable auf mathematisch
elegante Art berechnet werden.
Mittelwert einer Zufallsvariable X
Der Mittelwert der Grundgesamtheit wird mit μ bezeichnet und ist definiert durch:

∞
μ= x f (x) dx Mittelwert (8.40)
−∞

Anmerkung: Diese Formel ist analog zur Schwerpunktformel der Mechanik (s. auch Formel
(7.28) auf Seite 329).
Varianz und Standardabweichung einer Zufallsvariable X
Die Varianz der Grundgesamtheit wird mit σ 2 bezeichnet und ist definiert durch:

∞
σ =
2
(x − μ)2 f (x) dx Varianz (8.41)
−∞

Anmerkung: Diese Formel ist analog zur Formel für das Trägheitsmoment der Mechanik.

Die Standardabweichung der Grundgesamtheit wird mit σ bezeichnet und ist durch die posi-
tive Quadratwurzel der Varianz gegeben:

σ= σ2 Standardabweichung (8.42)

Beispiel 8.12:
Der wöchentliche Zementbedarf eines Betonwerks ist eine Zufallsvariable X mit der
Dichtefunktion

⎨ 3 (x − 350) (450 − x) für 350 ≤ x ≤ 450 (x in Tonnen)
f (x) = 5 · 105
⎩0 für alle übrigen x

a) Wie groß ist der mittlere Zementbedarf pro Woche?


b) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Zementbedarf höchstens 380 t be-
trägt?
c) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Zementbedarf 380 bis 420 t be-
trägt?
d) Welche Zementmenge müsste das Werk bevorraten, damit die Wahrscheinlich-
keit, dass der Vorrat in einer Woche erschöpft wird, nur 5% beträgt.
8.6 Maßzahlen einer stetig verteilten Zufallsvariable 399

a) Der mittlere Zementbedarf lässt sich gemäß (8.40) berechnen.

∞ 450
3
μ= x f (x) dx = x (x − 350) (450 − x) dx = 400 t
5 · 105
−∞ 350

b) Die Wahrscheinlichkeit, dass der Zementbedarf höchstens 380 t beträgt, lässt


sich gemäß (8.35) berechnen.

380 380
3
P(X ≤ 380) = f (x) dx = (x − 350) (450 − x) dx = 0,216 = 21,6%
5 · 105
−∞ 350

c) Die Wahrscheinlichkeit, dass der Zementbedarf 380 bis 420 t beträgt, wird mit
Hilfe von (8.37) berechnet.

420 420
3
P(380 ≤ X ≤ 420) = f (x) dx = (x − 350) (450 − x) dx = 0,568 = 56,8%
5 · 105
380 380

d) Die zu bevorratende Zementmenge sei mit a bezeichnet. Die Wahrscheinlich-


keit, dass mehr als diese Menge a verbraucht wird, ergibt sich aus der Beziehung
(8.39):
a
P(X > a) = 1 − f (x) dx = 0,05
−∞

a
3
1− (x − 350) (450 − x) dx = 0,05
5 · 105
350

a − 1200 a2 + 4,725 · 105 a − 6,0775 · 107 = 0


3
⇒ a = 436,47 t
Das Betonwerk müsste also ≈ 437 t Zement bevorraten, damit es mit 95% Wahr-
scheinlichkeit für eine Woche reicht (die Wahrscheinlichkeit, dass mehr als 437 t
Zement benötigt wird, beträgt 5%).
400 8 Stochastik

8.7 Normalverteilung
In der Technik und Naturwissenschaft spielt die Normalverteilung (auch Gauss-Verteilung ge-
nannt) eine besondere Rolle. In Messungen von physikalischen Größen sind Messfehler prak-
tisch nicht vermeidbar. Schon kleine Störungen des Messumfelds, Messstabilität des Messgeräts
und zufallsbedingte Schwankungen in den Eigenschaften des Messobjekts bringen Streuungen
der Messwerte mit sich. Beispielsweise werden Betonproben, die der selben Mischung entnom-
men und unter identischen Bedingungen gelagert wurden, nicht exakt die selbe Druckfestigkeit
aufweisen. Ebenso wird es in der Praxis nicht zu vermeiden sein, dass Stahlschrauben dessel-
ben Herstellers geringfügig voneinander abweichende Schaftdurchmesser aufweisen (die eine
Schraube ist vielleicht an einer nagelneuen Werkzeugmaschine hergestellt worden, die andere
dagegen an einer fünf Jahre alten Maschine).
Die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion f (x) der Normalverteilung ist eine Exponential-
funktion und definiert als:
 2
1 x−μ
1 −
f (x) = √ e 2 σ Dichtefunktion der Normalverteilung (8.43)
σ 2π

Ihre Funktionskurve ist dargestellt in Bild 8.6 für μ = 0 und für vier verschiedene σ -Werte
(s = 0,25; 0,50; 0,75; 1,0). Sie ähnelt der Form einer Glocke, weshalb sie auch als Glockenkurve
bezeichnet wird.
1.6

1.4

1.2 s=0,25

1
f(x) 0.8

0.6 s=0,50

0.4
s=0,75
0.2
s=1,0

–4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4
x

Bild 8.6: Verschiedene Dichtefunktionen f (x) der Normalverteilung.

Das Integral der Dichtefunktion f (x) liefert die Verteilungsfunktion F(x):


⎛ ⎞2
1 ξ −μ
x x − ⎝ ⎠
1 2 σ
F(x) = f (ξ ) dξ = √ e dξ (8.44)
σ 2π
−∞ −∞
8.7 Normalverteilung 401

1 1

F(x) F(x)

0.8 0.8

0.6 0.6

0.4 0.4
f(x) f(x)

0.2 0.2

–4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4 –4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4
x x

a: μ = 0 σ = 0,5 b: μ = 0 σ = 1,0

Bild 8.7: Dichtefunktion f (x) und Verteilungsfunktion F(x) der Normalverteilung.

Bild 8.7 zeigt exemplarisch zwei Dichtefunktionen f (x) und die zugehörigen Verteilungsfunktio-
nen F(x) einer Normalverteilung.
Die Verteilungsfunktion (8.44) einen Nachteil; sie hängt nämlich sowohl vom jeweiligen Mit-
telwert μ als auch von der jeweiligen Standardabweichung σ ab. Glücklicherweise ist es mög-
lich, sie mit Hilfe einer Variablentransformation in eine von μ und σ unabhängige Form zu
bringen. Zu diesem Zweck wird eine neue Variable u definiert und in das Integral (8.44) einge-
setzt:
ξ −μ du 1
u= ⇒ = ⇒ dξ = σ du
σ dξ σ

Die Integrationsgrenzen −∞ bis x für ξ in (8.44) ändern sich durch die Variablentransformation
in −∞ bis (x − μ)/σ für u. Das Wahrscheinlichkeitsintegral (8.44) lautet somit:

(x−μ)/σ
 (x−μ)/σ

1 1
e−u
2 /2
e−u
2 /2
F(x) = √ σ du = √ du
σ 2π 2π
−∞ −∞

Jetzt wird die obere Integrationsgrenze durch ein neues Symbol ersetzt:

x−μ
z= −∞ ≤ z ≤ ∞ (8.45)
σ

Die Verteilungsfunktion F(x) bekommt dadurch folgende Form:


z
1
e−u
2 /2
F(x) = √ du

−∞
402 8 Stochastik

Es hat sich eingebürgert, die rechte Seite mit dem Symbol Φ(z) zu kennzeichnen:

z
1
e−u
2 /2
Φ(z) = √ du (8.46)

−∞

Das Integral Φ(z) kann für verschiedene Werte von z integriert werden. Die Integration kann
zwar nicht mehr elementar durchgeführt werden, aber numerische Ergebnisse liegen in tabellier-
ter Form vor, s. Anhang A.8 auf Seite 788.

Wir erhalten also aus den bisherigen Resultaten folgende Beziehung:


 
x−μ
F(x) = Φ(z) bzw. F(x) = Φ (8.47)
σ

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zufallsvariable X höchstens gleich einem Wert x ist, lautet
also:

P(X ≤ x) = F(x) = Φ(z) (8.48)

Für spezifische Werte von x, z.B. x = a bzw. x = b , ergibt sich dann:


 
a−μ a−μ
P(X ≤ a) = F(a) = Φ = Φ(za ) mit za =
σ σ
  (8.49)
b−μ b−μ
P(X ≤ b) = F(b) = Φ = Φ(zb ) mit zb =
σ σ

Der Zusammenhang zwischen den beiden Formen der Verteilungsfunktion in (8.47) wird trans-
parenter, wenn wir x verschiedene Werte zuweisen, z.B.
 
μ +σ −μ
x = μ +σ : z = 1, F(x) = P(X ≤ μ + σ ) = Φ = Φ(1)
σ
 
μ −σ −μ
x = μ −σ : z = −1, F(x) = P(X ≤ μ + σ ) = Φ = Φ(−1)
σ
 
μ +σ −μ
x = μ + 2σ : z = 2, F(x) = P(X ≤ μ + 2σ ) = Φ = Φ(2)
σ
 
μ −σ −μ
x = μ − 2σ : z = −2, F(x) = P(X ≤ μ + 2σ ) = Φ = Φ(−2)
σ
 
μ +σ −μ
x = μ + 3σ : z = 3, F(x) = P(X ≤ μ + 3σ ) = Φ = Φ(3)
σ
 
μ −σ −μ
x = μ − 3σ : z = −3, F(x) = P(X ≤ μ + 3σ ) = Φ = Φ(−3)
σ
8.7 Normalverteilung 403

Aus den Beziehungen (8.37) und (8.49) ergeben sich folgende Formeln für die Wahrscheinlich-
keit, dass die normal verteilte Zufallsvariable X im Intervall [a; b] liegt (alle Formeln sind gleich-
wertig):

P(a < X ≤ b) = P(X ≤ b) − P(X < a) = F(b) − F(a) (8.50a)

   
b−μ a−μ
P(a < X ≤ b) = Φ −Φ (8.50b)
σ σ
b−μ a−μ
P(a < X ≤ b) = Φ(zb ) − Φ(za ) mit zb = za = (8.50c)
σ σ
Bei einer normal verteilten Zufallsvariable X ist es in der Praxis gebräuchlich, den Zahlenwert
von X als Mittelwert μ plus ein Vielfaches der Standardabweichung σ anzugeben. In diesem
Falle würden sich z.B. folgende Wahrscheinlichkeiten ergeben (für die Zahlenwerte von Φ(z) s.
Seite 788, wo das Symbol Ω (z) die Differenz Φ(z) − Φ(−z) kennzeichnet):

P(μ − σ < X ≤ μ + σ ) = Φ(1) − Φ(−1) = 0,6827 =68,3%


P(μ − 1,96σ < X ≤ μ + 1,96σ ) = Φ(1,96) − Φ(−1,96) = 0,9500 =95%
P(μ − 2σ < X ≤ μ + 2σ ) = Φ(2) − Φ(−2) = 0,9545 =95,5%
(8.51)
P(μ − 2,58σ < X ≤ μ + 2,58σ ) = Φ(2,58) − Φ(−2,58) = 0,9901 =99%
P(μ − 3σ < X ≤ μ + 3σ ) = Φ(3) − Φ(−3) = 0,9973 =99,7%
P(μ − 3,29σ < X ≤ μ + 3,29σ ) = Φ(3,29) − Φ(−3,29) = 0,9990 =99,9%

Die obigen Wahrscheinlichkeiten lassen sich auch so interpretieren, dass sich die gemessenen
bzw. beobachteten Werte einer normal verteilten Zufallsvariable X wie folgt verteilen:
a) 68% aller Werte liegen im Intervall [μ − σ ; μ + σ ]

b) 95% aller Werte liegen im Intervall [μ − 2σ ; μ + 2σ ]

c) 99% aller Werte liegen im Intervall [μ − 2,6σ ; μ + 2,6σ ]


d) 99,9% aller Werte liegen im Intervall [μ − 3,3σ ; μ + 3,3σ ]

Die Normalverteilung ist zwar nicht die einzige Verteilung, die in der Praxis eingesetzt wird;
doch ist sie wohl die beliebteste. Ihren starken Verbreitungsgrad verdankt sie nicht nur ihrem
hohen Alter10 sondern auch ihrer Handlichkeit und der Symmetrie ihrer Funktionskurve.

10 Die Normalverteilung war von C.F. Gauss (1777-1855) für die statistische Beurteilung von Messfehlern eingeführt
worden.
404 8 Stochastik

Beispiel 8.13:
Wir nehmen an, dass die in Beispiel 8.2 auf Seite 382 auf der Basis einer Stichprobe
statistisch untersuchten Betondruckfestigkeiten normal verteilt sind und Mittelwert μ
sowie Standardabweichung σ der Grundgesamtheit durch den Stichprobenmittelwert
x sowie die empirische Standardabweichung s der Stichprobe ausreichend genau wie-
dergegeben sind. Die Zufallsvariable X entspricht der Betondruckfestigkeit.

μ = x = 26,475 N/mm2 σ = s = 0,734 N/mm2

a) Wieviel Prozent der Betonwürfel haben eine Druckfestigkeit ≤ 25 N/mm2 ?


b) Wieviel Prozent der Betonwürfel haben eine Druckfestigkeit ≤ 27 N/mm2 ?
c) Wieviel Prozent der Betonwürfel haben eine Druckfestigkeit > 28 N/mm2 ?
d) Wieviel Prozent der Betonwürfel haben eine Druckfestigkeit im Bereich [25; 27] N/mm2 ?
e) In welchem (um den Mittelwert symmetrisch liegenden) Festigkeitsintervall lie-
gen 99% aller Werte.
f) Wie hoch ist die Festigkeit, die von 1% der Betonwürfel unterschritten wird?
g) Wie hoch ist die Festigkeit, die von 1% der Betonwürfel überschritten wird?
Lsg:
a) Die dimensionslose Größe z ergibt sich aus (8.45):
x−μ 25 − 26,475
z= = = −2,0
σ 0,734

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Druckfestigkeit ≤ 25 N/mm2 ist ergibt sich aus
(8.48) mit Hilfe der Tabelle A.8 auf Seite 788:

P(X ≤ 25) = Φ(−2) = 1 − Φ(2) = 1 − 0,97725 = 0,02275 ≈ 2,3% (*)

Die Festigkeit 25 N/mm2 wird also bei nur 2,3% aller Betonwürfel unterschrit-
ten.
x−μ 27 − 26,475
b) z = = = 0,71
σ 0,734

P(X ≤ 27) = Φ(0,71) = 0,76115 = 76,1% (**)

76,1% aller Betonwürfel haben also eine Festigkeit ≤ 27 N/mm2 .


x−μ 28 − 26,475
c) z = = = 2,08
σ 0,734
Mit Hilfe der Beziehung P(X > a) = 1 − P(X ≤ a) (s. (8.29) auf Seite 394)
ergibt sich:

P(X > 28) = 1 − P(X ≤ 28) = 1 − Φ(2,08) = 1 − 0,98124 = 0,0188 = 1,9%


8.7 Normalverteilung 405

Nur 1,9% aller Betonwürfel haben also eine Festigkeit größer als 28 N/mm2 .
d) Aus (8.50c) sowie den Resultaten (*) und (**) folgt:

P(25 ≤ X ≤ 27) = Φ(z27 ) − Φ(z25 ) = Φ(0,71) − Φ(−2)


= 0,76115 − 0,02275 = 0,7384 = 73,8%

73,8% aller Betonwürfel haben also eine Festigkeit zwischen 25 und 27 N/mm2 .
e) Zur Bestimmung von Bereichen (Intervallen), in denen eine Zufallsvariable liegt,
wird der integrale Flächeninhalt Ω (z) aus Tabelle A.8 benötigt. Ω (z) ist gleich
dem zwischen −z und +z liegenden Flächeninhalt. Gemäß Aufgabenstellung
sollen 99% aller Werte im gesuchten Intervall liegen. Aus Tabelle A.8 ist Ω (z) =
0,99 für z = ±2,58. Der gesuchte Festigkeitsbereich lautet dann gemäß (8.45):
a − 26,475
−2,58 = ⇒ a = 24,58 N/mm2
0,734
b − 26,475
+2,58 = ⇒ b = 28,37 N/mm2
0,734

99% der Betonwürfel haben also eine Druckfestigkeit zwischen 24,58 und 28,37 N/mm2 .
f) Die Situation, dass ein bestimmter Wert x von 1% der Betonwürfel unterschrit-
ten wird, tritt ein für F(x) = 0,01, d.h. Φ(z) = 0,01. Nach Tabelle A.8 erhält
man den zugehörigen z-Wert mit z = −2,33. Die Druckfestigkeit, welche von
nur noch 1% der Betonwürfel unterschritten wird, ergibt sich somit zu:

a − 26,475
−2,33 = ⇒ a = 24,76 N/mm2
0,734

g) Wenn 1% der Betonwürfel einen bestimmten Wert überschreiten, bedeutet dies,


dass 99% der Betonwürfel unterhalb oder höchstens gleich diesem Wert sind.
Wir suchen also nach dem Festigkeitswert x , für den F(x) = 0,99 gilt. Aus
Tabelle A.8 erhalten wir für Φ(z) = 0,99 den Wert z ≈ 2,33. Die Druckfestigkeit,
welche von nur noch 1% der Betonwürfel überschritten wird, beträgt:
a − 26,475
2,33 = ⇒ a = 28,18 N/mm2
0,734
406 8 Stochastik

1.4 Weibull k=1,5

1.2

0.8 Rayleigh
f(x)

0.6

0.4

0.2 Gauss

0 0.5 1 1.5 2 2.5 3


x

Bild 8.8: Wahrscheinlichkeitsdichte f (x) nach verschiedenen Verteilungen

8.8 Weitere Verteilungen


Ausser der Normalverteilung gibt es noch weitere statistische Verteilungen (Wahrscheinlichkeits-
dichtefunktionen), die in Spezialgebieten der Technik genauere statistische Aussagen erlauben.
Bei diesen Gebieten handelt es sich im Bauwesen z.B. um die Lebensdauerberechnung von Bau-
teilen unter Wechselbeanspruchung (Materialermüdung) und um genaue Vorhersagen von Wind-
lasten auf Bauwerke. Nachfolgend werden sie kurz vorgestellt.
Rayleigh-Verteilung
Die Rayleigh-verteilung eignet sich gut zur Beschreibung von Windhäufigkeiten an einem Stand-
ort. Sie ist eine unsymmetrische Verteilung und definiert für x > 0 :
 2
1 x−μ
x−μ −
f (x) = e 2 σ für x ≥ 0
σ2

Weibull-Verteilung
Die Weibull-Verteilung wird häufig eingesetzt auf den Gebieten der Materialermüdung sowie der
Bestimmung von Windlasten auf Bauwerke. Sie ist eine unsymmetrische Verteilung und definiert
für x > 0 :
 x k
k  x k−1 −
f (x) = e σ für x ≥ 0 k : Formkonstante
σ σ
Die Verallgemeinerung der Weibull-verteilung führt zur Gumbel-Verteilung.
In Bild 8.8 sind die Dichtefunktionen nach Gauss, Rayleigh und Weibull (Parameter μ = 0, σ =
0,5, k = 1,5 ) gegenüber gestellt. Es sollte dabei beachtet werden, dass nur die rechte Hälfte
der Normalverteilung dargestellt ist. Die unterhalb der Dichtekurve jeder Verteilung liegende
Gesamtfläche ist immer gleich 1 (bei Normalverteilung gleich 0,5, weil ihre linke Hälfte für
8.9 Zusätzliche Beispiele 407

x < 0 im Bild nicht dargestellt ist).


 2
∞
1 x−μ
1 −
Gauss: 2 √ e 2 σ dx = 1,0
σ 2π
0
 2
∞
1 x−μ
x− μ −2 σ (8.52)
Rayleigh: e dx = 1,0
σ2
0
 x k
∞
k  x k−1 −
Weibull: e σ dx = 1,0
σ σ
0

8.9 Zusätzliche Beispiele


Beispiel 8.14:
Herleitung der alternativen Varianzformel. Nachfolgend wird gezeigt, wie die Formel
(8.13) auf Seite 381 für die Varianz einer Stichprobe aus Gleichung (8.12) hergeleitet
werden kann.
Das Ausmultiplizieren des Klammerausdrucks in (8.12) liefert:
n  n n n 
1 1
s =
2
∑ (xi − x̄) = n − 1 ∑ xi − 2x̄ ∑ xi + ∑ x̄
n − 1 i=1
2 2 2
i=1 i=1 i=1
     
nx̄ nx̄2
   
n n
1 1
=
n−1 ∑ xi2 − 2nx̄2 + nx̄2 =
n−1 ∑ xi2 − nx̄ 2
i=1 i=1

Beispiel 8.15:
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, bei zweimaligem Werfen einer Münze mindestens
einmal Kopf zu erhalten?
Lösung 1: Mit Hilfe des Additionssatzes.

A : Kopf beim 1. Wurf B : Kopf beim 2. Wurf

Das Ereignis C=»mindestens einmal Kopf« entspricht der Vereinigung (union) der Er-
eignisse A und B. Der Additionssatz liefert:

C = A ∪B P(C) = P(A ∪ B) = P(A) + P(B) − P(A ∩ B)

1 1 1
P(A) = 1/2 P(B) = 1/2 P(A ∩ B) = · =
2 2 4
1 1 1 3
⇒ P(C) = + − = = 0,75 = 75%
2 2 4 4
408 8 Stochastik

Lösung 2: Mit Hilfe des Multiplikationssatzes.

A : Zahl beim 1. Wurf B : Zahl beim 2. Wurf

Die Wahrscheinlichkeit, dass Ereignis D=«zweimal hintereinander Zahl« eintrifft, be-


trägt:

1 1 1
P(D) = P(A ∩ B) = · =
2 2 4
Das Ereignis C (mindestens einmal Kopf) tritt dann ein, wenn D (zweimal Zahl) nicht
eintritt:
1 3
P(C) = 1 − P(D) = 1 − = = 0,75 = 75%
4 4

Beispiel 8.16:
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, bei dreimaligem Werfen einer Münze zunächst
einmal Kopf und dann zweimal Zahl zu erhalten?

Es handelt sich bei diesem Experiment um drei voneinander unabhängige Ereignisse


A1 , A2 , A3 . Das gefragte Ereignis A (einmal Kopf, zweimal Zahl) entspricht der Verei-
nigung dieser Ereignisse:

A = A1 ∩ A2 ∩ A3 P(A) = P(A1 ∩ A2 ∩ A3 ) = P(A1 ) · P(A2 ) · P(A3 )

P(A1 ) = 1/2 P(A2 ) = 1/2 P(A3 ) = 1/2


1 1 1
⇒ P(A) = · · = 0,125 = 12,5%
2 2 2

Beispiel 8.17:
Das Rohrleitungssystem einer Erdölraffinierie besitze 500 Flanschverbindungen, von
denen jede aus zwei Einzelflanschen vom Typ F1 und vom Typ F2 sowie einem Dich-
tungsring zwischen ihnen besteht. Es ist bekannt, dass 1% der Flansche vom Typ F1
und 1,5% derjenigen vom Typ F2 ungenügende Qualität haben sowie bei 2% der Dicht-
ringe mangelnde Dichtungseigenschaft zu erwarten ist. Wieviele absolut einwandfreie
(d.h. ohne jeglichen Mangel) Flanschverbindungen im Rohrleitungssystem können wir
erwarten?
Damit eine Flanschverbindung als absolut einwandfrei (Ereignis A) bezeichnet wer-
den kann, müssen sowohl Einzelflansche als auch der Dichtungsring dieser Verbin-
dung mangelfrei sein.

A1 : Ereignis, dass der Flansch vom Typ F1 einwandfrei ist.


A2 : Ereignis, dass der Flansch vom Typ F2 einwandfrei ist.
8.9 Zusätzliche Beispiele 409

A3 : Ereignis, dass der Dichtungsring einwandfrei ist.

Das Ereignis A, dass eine Flanschverbindung komplett einwandfrei ist, entspricht dem
Durchschnitt aller drei Ereignisse:

A = A1 ∩ A2 ∩ A3

Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des Ereignisses A ist nach (8.28):

P(A) = P(A1 ∩ A2 ∩ A3 ) = P(A1 ) · P(A2 ) · P(A3 )

Wahrscheinlichkeit für einwandfreien Flansch F1:

P(A1 ) = 1 − P(A1 ) = 1 − 0,01 = 0,99

Wahrscheinlichkeit für einwandfreien Flansch F2:

P(A2 ) = 1 − P(A2 ) = 1 − 0,015 = 0,985

Wahrscheinlichkeit für einwandfreien Dichtungsring:

P(A3 ) = 1 − P(A3 ) = 1 − 0,02 = 0,98

Wahrscheinlichkeit einer einwandfreien Flanschverbindung beträgt somit:

P(A) = 0,99 · 0,985 · 0,98 = 0,95565 ≈ 95,5%

Insgesamt können wir N = 0,95565 · 500 = 477 einwandfreie Flanschverbindungen


erwarten.

Beispiel 8.18:

Zufallsvariable X im Intervall a bis b. Die Beziehung (8.32) auf Seite 396 soll unter
der Annahme a < b hergeleitet werden. Wie es einleuchten dürfte, schließen sich das
Ereignis A = ( X ≤ a) und B = (a < X ≤ b) gegenseitig aus. Die Vereinigung dieser
beiden Ereignisse ist das Ereignis A ∪ B = X ≤ b. Nach dem Additionssatz (8.27) für
zwei sich gegenseitig ausschließende Ereignisse gilt:

P(A ∪ B) = P(A) + P(B) d.h. P(X ≤ b) = P(X ≤ a) + P(a < X ≤ b)

Die Umstellung der Gleichung liefert

P(X ≤ b) − P(X ≤ a) = P(a < X ≤ b) (a)

Unter Berücksichtigung der Beziehungen

P(X ≤ b) = F(b) P(X ≤ a) = F(a)


410 8 Stochastik

folgt aus (a) die Beziehung (8.32):

P(a < X ≤ b) = F(b) − F(a)

Beispiel 8.19:
Für eine normal verteilte Zufallsvariable X mit dem Mittelwert μ = 0 und der Stan-
dardabweichung σ = 1 sollen folgende Wahrscheinlichkeiten bestimmt werden.
a) P(X ≤ 1,6) b) P(X > 1,96) c) P(X ≤ −0,9)
d) P(X > −1,2) e) P(1 ≤ X ≤ 2) f) P(−1 < X ≤ 0)
 
1,6 − 0
a) P(X ≤ 1,6) = Φ = Φ(1,6) = 0,94520 = 94,5%
1
b) P(X > 1,96) = 1 − P(X ≤ 1,96) = 1 − Φ(1,96) = 1 − 0,975 = 0,025 = 2,5%
 
−0,9 − 0
c) P(X ≤ −0,9) = Φ = Φ(−0,9) = 0,18406 = 18,4%
1
d) P(X > −1,2) = 1 − P(X ≤ −1,2) = 1 − 0,11507 = 0,88493 ≈ 88,5%
e) P(1 < X ≤ 2) = Φ(2) − Φ(1) = 0,97725 − 0,84134 = 0,13591 ≈ 13,6%
f) P(−1 < X ≤ 0) = Φ(0) − Φ(−1) = 0,5 − 15866 = 0,34134 ≈ 34,1%

8.10 Aufgaben
1. Berechnen Sie die statistischen Kennzahlen der Stichprobe in Beispiel 8.2 auf Seite 382
unter Verwendung der Formeln (8.9), (8.13), (8.15) und (8.16).

2. Es soll untersucht werden wie stark die in Beispiel 8.2 auf Seite 382 berechneten Lagemaße
verfälscht werden, wenn in der Tabelle 8.1 auf Seite 375 der Festigkeitswert 25 N/mm2
durch einen Lese- bzw. Schreibfehler mit 75 N/mm2 angegeben ist.
Mittelwert : x̄ = 28,975 Modalwert : xmod = 26,5 Median : x̃ = 26,5
Varianz : s2 = 117,78 Standardabweichung : s = 10,85
Während der Mittelwert sich spürbar ändert, bleiben Modalwert und Median unempfindlich.
Eine ganz krasse Verzerrung ergibt sich bei Varianz (und folglich bei Standardabweichung).

3. In einer Schachtel befinden sich 2 Schrauben. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass jede
Schraube den richtigen Durchmesser besitzt, beträgt jeweils 50%. Wie groß ist die Wahr-
scheinlichkeit, dass sich in der Schachtel mindestens eine Schraube mit richtigem Durch-
messer befindet? 75 %

4. Für eine normal verteilte Zufallsvariable X mit dem Mittelwert μ = 1 und der Standardab-
weichung σ = 2 sollen folgende Wahrscheinlichkeiten bestimmt werden.
a) P(X ≤ 1,8) b) P(X > 1,6) c) P(X ≤ −1,5)
d) P(X > −0,8) e) P(0 ≤ X ≤ 4) f) P(−1 < X ≤ 1)
8.10 Aufgaben 411

a) 0,6554 b) 0,3821 c) 0,1056


d) 0,8159 e) 0,6247 f) 0,3413
5. X ist eine normal verteilte Zufallsvariable mit dem Mittelwert μ = 0 und der Standardab-
weichung σ = 1. Wie groß muss die Konstante c sein, damit folgende Wahrscheinlichkei-
ten gegeben sind.
a) P(X ≤ c) = 90% b) P(X ≤ c) = 3%
c) P(X > c) = 5% d) P(0 < X ≤ c) = 35%
e) P(−c < X ≤ 0) = 20% f) P(−c < X ≤ c) = 99%
a) ≈ 1,28 b) ≈ −1,88 c) ≈ 1,64
d) ≈ 1,04 e) ≈ 0,52 f) ≈ 2,58
6. X ist eine normal verteilte Zufallsvariable mit dem Mittelwert μ = 2 und der Standardab-
weichung σ = 0.5. Wie groß muss die Konstante c sein, damit folgende Wahrscheinlich-
keiten gegeben sind.
a) P(X > c) = 30% b) P(2 − c < X ≤ 2 + c) = 90%
a) ≈ 2,26 b) ≈ 0,825
9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

9.1 Einführung
Eine gewöhnliche Differentialgleichung (DGL) ist eine Gleichung, welche zwischen einer (noch
unbekannten) Funktion f (x) (oder y) und ihren Ableitungen sowie der unabhängigen Variable x
eine Beziehung herstellt, z.B.

d2 d
2 f (x) + 4 f (x) − 3 f (x) = e−x − 5 sin x oder 2y + 4y − 3y = e−x − 5 sin x
dx2 dx
Die unabhängige Variable muss keineswegs immer x heißen, in Schwingungsproblemen der Dy-
namik tritt beispielsweise die Zeit t als unabhängige Variable auf und die abhängige Funktion
könnte dann z.B. mit u(t) bezeichnet werden:

d2 d
u(t) + 3 u(t) + 2u(t) = cos 4t oder ü + 3u̇ + 2u = cos 4t
dt 2 dt
Nachfolgend werden zunächst einfache Beispiele aus der Physik und Mechanik vorgestellt, wie
ein Phänomen mit Hilfe einer Differentialgleichung beschrieben werden kann. Es geht also zu-
nächst lediglich um die mathematische Beschreibung eines physikalischen Problems – nicht um
dessen Lösung, der Lösungsschritt kommt später.

Beispiel 9.1:
Balkenbiegung. Der in Bild 9.1 dargestellte Balken mit dem Elastizitätsmodul E und
dem Trägheitsmoment I sei an seinem linken Ende fest eingespannt und durch die
konstante Streckenlast q senkrecht zu seiner Längsachse belastet. Die Biegelinie des
Balkens ist eine Funktion de Ortskoordinate x, d.h. y = f (x), und wird durch folgende
Differentialgleichung beschrieben:

q d4 y
y = wobei y ≡ y(x) =? (9.1)
EI dx4

y y
Ausgangszustand N
x
x EI ausg
y(x)
EI q eknic
kter
Zust. Nk
y(x) L
L

Bild 9.1: Biegung eines Balkens Bild 9.2: Knicken eines Balkens

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_9,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
414 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Beispiel 9.2:
Knicken eines Balkens. Das Bild 9.1 zeigt einen an seinem linken Ende fest eingespann-
ten Balken (E Elastizitätsmodul des Werkstoffs, I Trägheitsmoment des Balkenquer-
schnitts), der durch eine an seinem rechte Ende angreifende Einzellast N in Richtung
seiner Längsachse belastet wird. Die Druckkraft N wird von Null aus langsam gestei-
gert. Während des Belastungsvorgangs stellt sich zunächst keinerlei seitliche Verschie-
bung ein (in axialer Richtung verkürzt sich der Stab natürlich ein wenig - mit bloßem
Auge kann man dies jedoch i.d.R. nicht erkennen). Beim Erreichen eines kritischen
Wertes Nk weicht der Stab schlagartig seitlich aus. Dieses klassische Problem der Fes-
tigkeitslehre ist als Stabknicken eines Stabes bekannt und wurde bereits im Jahre 1744
von Euler1 mathematisch untersucht. Die kritische Last Nk heißt die Knicklast des
Stabes. Das Problem des Stabknickens wird durch folgende Differentialgleichung 4.
Ordnung beschrieben:

EI y + Nk y = 0 Nk =? (9.2)

Anmerkung: Diese DGL gilt nicht nur für den eingespannten Balken des Bildes 9.1,
sondern unabhängig von Auflagerbedingungen für jeden Balken – der Einfluß der je-
weiligen Auflagerbedingung auf die Knicklast wird erst bei der Bestimmung der sog.
Integrationskonstanten berücksichtigt, vgl. auch Abschnitt 9.11.1 auf Seite 494.

Beispiel 9.3:

Einfacher Schwinger. Die nebenstehende Abbildung zeigt


einen einfachen Schwinger mit der Masse m, der Feder k k c
und dem Dämpfer c. An der Masse greift eine dynamische,
d.h. zeitabhängige, Kraft F(t) an. Die Schwingung x(t),
d.h. die Verschiebung-Zeit-Funktion der Masse, wird ma-
m
thematisch durch folgende Differentialgleichung beschrie- x(t)
ben.
F(t)

d2 d
m 2
x(t) + c x(t) + k x(t) = F(t) bzw. m ẍ(t) + c ẋ(t) + k x(t) = F(t),
dt dt
wobei x die Verschiebung der Masse, t die Zeit, und d/dt die Ableitung nach der Zeit
bedeuten. In abgekürzter Schreibweise lautet die DGL:

m ẍ + c ẋ + k x = F(t)

1 Leonhard Euler (1707 − 1783), Schweitzer Mathematiker. Euler wurde schon mit 20 Jahren zum Professor für
Physik (und später für Mathematik) berufen.
9.1 Einführung 415

Beispiel 9.4:
In der nebenstehenden Abbildung ist ein elektrischer
Schwingkreis schematisch dargestellt. Er besteht aus ei- I
nem Ohmschen Widerstand R (Einheit Ohm), einer Spule
R
mit der Induktivität L (Einheit Henry) und einem Konden- L
sator mit der Kapazität C (Einheit Farad). Der durch den C
Schwingkreis fließende Strom I ist eine Funktion der Zeit
t, d.h. I = f (t).
Der augenblickliche Stromdurchfluß I wird durch folgende Differentialgleichung
beschrieben:
R 1 dI d2 I
I¨ + I˙ + I=0 mit I˙ = I¨ = 2
L LC dt dt

Beispiel 9.5:
Freier Fall ohne Widerstand. Bild 9.3 zeigt den freien Fall eines Körpers mit der Masse
m (in kg) von einer Bezugshöhe aus, z.B. von einem Fernsehturm. Auf die Masse wirkt
die Schwerkraft F = mg infolge der Erdbeschleunigung g ( g = 9,81 m/s2 ). Der
Luftwiderstand soll vernachlässigt werden. Die momentane vertikale Ortskoordinate
s(t) als Funktion der Zeit t wird durch folgende Differentialgleichung beschrieben,
welche auf das bekannte Newtonsche Gesetz Beschleunigung = Kraft / Masse
zurückgeht:
mg
s̈ = ⇒ s̈ = g s(t) =? (9.3)
m
Der Ausdruck s̈ = g besagt, dass die Beschleunigung des Körpers zu jedem beliebi-
gen Zeitpunkt t der Erdbeschleunigung g gleich ist, d.h. er erfährt eine konstante Be-
schleunigung und wird dadurch immer schneller. Wir wissen aber noch nicht, welche
Geschwindigkeit der Körper z.B. nach 2 Sekunden freien Falls erreicht bzw. welche
Strecke er dabei zurückgelegt hat. Erst die Lösung der DGL wird diese Frage beant-
worten können.
Anmerkung: Die DGL (9.3) stellt eine besonders einfache DGL dar. Man könnte sie
unmittelbar nach Regeln der Integralrechnung zweimal integrieren und so die gesuch-
te Wegstrecke s(t) bestimmen. Derart einfache DGLn kommen in der technischen
Realität aber -leider- nicht besonders häufig vor.

s(t) s(t) .
R=cs

m m
.. ..
s s
F=mg F=mg

Bild 9.3: Freier Fall ohne Widerstand Bild 9.4: Freier Fall mit Widerstand
416 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Beispiel 9.6:
Freier Fall mit Widerstand. Nun betrachten wir einen komplizierteren Fall. Bild 9.4
zeigt den freien Fall eines Körpers in einem viskosen Fluid – wenn z.B. der Körper
frei im Meer sinkt.
Aufgrund des Strömungswiderstandes entsteht jetzt eine nicht mehr vernachlässig-
bare und von der Geschwindigkeit abhängige Widerstandskraft R = cṡ (c ist der vis-
kose Widerstandsbeirwert in Ns/m, ṡ ist die momentane Fallgeschwindigkeit in m/s).
Die Widerstandskraft R wirkt auf den Körper abbremsend, d.h. in entgegengesetzt zur
Fallrichtung. Die nach unten gerichtete Nettokraft auf den Körper beträgt F = mg−cṡ.
Die Bewegung des Körpers wird auf der Grundlage des Newtonschen Gesetzes
durch folgende Differentialgleichung beschrieben:

(mg − cṡ) / m = s̈ ⇒ ms̈ + cṡ = mg s(t) =? (9.4)


  
Nettokraft

Anmerkung: Diese DGL ist schon deutlich anspruchsvoller als die DGL (9.3). Die
gesuchte Wegstrecke s(t) lässt sich nicht mehr einfach durch zweimalige Integration
bestimmen.

Beispiel 9.7:
Flüssigkeitsaustritt. Ein Behälter mit einer Austrittsöffnung unten sei mit Wasser ge-
füllt (Bild 9.5). Der Pegelstand im Behälter verringert sich kontinuierlich, weil das
Wasser durch die Öffnung an der Wand austritt. Die momentane Pegelhöhe h ist eine
Funktion der Zeit t , d.h. h = f (t). Dementsprechend sind der hydrostatische Druck
und die von diesem Druck abhängige Austrittsgeschwindigkeit ebenfalls Funktionen
der Zeit. Die Pegelhöhe im Behälter wird durch folgende DGL beschrieben:

k A∗  dh
ḣ + 2gh = 0 ḣ = h(t) =? (9.5)
A dt

t=0

A ist die -über die Höhe konstante- Querschnittsfläche t>0


des Behälters, A∗ die Querschnittsfläche der Austrittsöff-
h0
nung. Experimente zeigen, dass der austretende Flüssig- r h(t)
keitsstrahl einen kleineren Querschnitt hat als der Öffnungs-
querschnitt A∗ ; mit dem Ausflusskoeffizient k wird dieser
Austrittsöffnung
Effekt berücksichtigt (kA∗ gibt die Strahlquerschnittsfläche
wieder). Für kreisrunde Öffnungen kann k ≈ 0,6 angesetzt D
werden.
Bild 9.5: Behälter mit Öffnung
9.2 Definitionen für gewöhnliche Differentialgleichungen 417

9.2 Definitionen für gewöhnliche Differentialgleichungen


Eine gewöhnliche Differentialgleichung (abgekürzt: DGL) ist eine Gleichung, in der die Funk-
tion y = f (x) und ihre Ableitungen y , y , y , . . . sowie die unabhängige Variable x in einer
beliebigen Kombination vorkommen:

dn y dn−1 y
F(x, y, y , y , · · · , y(n−1) , y(n) ) = 0 wobei y(n) ≡ , y(n−1) ≡ usw.
dxn dxn−1
Folgende Differentialgleichung besteht z.B. aus der Funktion y = f (x) und ihren Ableitungen bis
zur 2. Ordnung (Anmerkung: Diese DGL ist frei erfunden, sie entspricht nicht einem konkreten
physikalischen Phänomen!):

d2 y dy
x3 y + sin(2x) y − x2 y + 5x − 4 = 0 bzw. x3 2
+ sin(2x) − x2 y + 5x − 4 = 0
dx dx
Es ist nicht zwingend, dass wir die unabhängige Variable mit x , die abhängige Variable mit y
und die Funktion mit f (x) bezeichnen. Je nach physikalischer Aufgabenstellung können andere
Bezeichnungen zweckmäßiger sein. Nachfolgend werden einige Beispiele vorgestellt, wo die
unabhängige Variable die Zeit ist.
Differentialgleichungen haben in der Technik eine herausragende Bedeutung, weil physika-
lische Vorgänge sich mathematisch als Differentialgleichungen in sehr kompakter Form formu-
lieren lassen. Eine Differentialgleichung ist ein mathematisches Modell für ein physikalisches
Problem. Immer dann wenn ein physikalisches Phänomen die Änderungsrate einer Funktion f
bezüglich einer Positionskoordinate bzw. der Zeit beinhaltet, z.B. d f /dx bzw. d f /dt, bietet sich
an, dieses Problem durch eine DGL zu beschreiben.
Implizite und explizite Differentialgleichungen
Falls die unabhängige Variable x und die abhängige Variable y sowie sämtliche Ableitungen
von y auf einer Seite des Gleichheitszeichens stehen, liegt eine implizite Differentialgleichung
vor:

F(x, y, y , y , · · · , y(n) ) = 0 implizite DGL (9.6)

Falls der höchste Ableitungsterm der abhängigen Variable y auf der linken bzw. rechten Seite
der DGL steht, liegt eine explizite Differentialgleichung vor:

y(n) = G(x, y, y , y , · · · , y(n−1) ) explizite DGL (9.7)

Die Beschreibung physikalischer Probleme führt meistens zunächst auf die implizite Form. Durch
Umformung kann daraus evtl. explizite Form der DGL gewonnen werden.

Beispiel 9.8:
Durch Umformung soll folgende DGL in impliziter Form in explizite Form transfor-
miert werden.

x3 y + sin(2x) y − x2 y + 5x − 4 = 0 implizite DGL


418 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Nach Umformung erhält man die DGL in expliziter Form:


sin 2x  1 5 4
y = − y + y− 2 + 3 explizite DGL
x3 x x x

Ordnung einer Differentialgleichung


Die Ordnung der höchsten in einer DGL vorkommenden Ableitung wird die Ordnung der Diffe-
rentialgleichung genannt.

Beispiel 9.9:

Differentialgleichung Funktion Ordnung


y + 2xy + 1 = 0 y = f (x) 1
2y − sin x = 0 y = f (x) 1
ṅ = −kn √ n = f (t) 1
ḣ = −k h h = f (t) 1
EI y + N y = 0 y = f (x) 2
ms̈ = mg s = f (t) 2
ms̈ + cṡ = mg s = f (t) 2
y + y − xy = x y = f (x) 2
y + y + y y − 2x + 4 = 0 y = f (x) 3
xy − 2ex y + y = 2x2 y = f (x) 3
y = q y = f (x) 4

Lineare und nichtlineare Differentialgleichungen


Eine DGL wird als lineare Differentialgleichung bezeichnet, wenn sie in folgende Form gebracht
werden kann:

bn (x) y(n) + bn−1 (x) y(n−1) + · · · + b2 (x) y + b1 (x) y + b0 (x) y = r(x) (9.8)

dn y
wobei y(n) ≡ , bi (x), und r(x) : beliebige Funktionen von x (i = 0,1, . . . , n)
dxn
Ein Sonderfall dieser DGL ist die lineare Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten:

an y(n) + an−1 y(n−1) + · · · + a2 y + a1 y + a0 y = r(x) (9.9)

Aus der obigen Definition folgt, dass eine lineare DGL folgende Eigenschaften aufweist:

- Die Funktion y und ihre Ableitungen y , y , . . . , y(n) treten in linearer Form, d.h. nur in der
ersten Potenz, auf.

- Die DGL enthält keine nichtlinearen Terme wie z.B. y2 , y, (y )2 , ey , sin y, cos y usw.
- Die DGL enthält keine gemischten Produkte wie z.B. yy , yy , y y usw.
9.2 Definitionen für gewöhnliche Differentialgleichungen 419

Beispiel 9.10:
Nachfolgend sind einige Beispiele für lineare und nichtlineare DGLn angegeben.
Differentialgleichung Linear oder nichtlinear?
y + 3x = 5 linear
4y + (sin x) y − 3xy = 4x linear
y − 2x4 y + x2 y − (cos x) y = sin2 x − 5x linear
(y )2 − 2y = 3 nichtlinear
y + y y = 0 nichtlinear
y + y − y2 = 0 nichtlinear
y + ln y = 2x − 3 nichtlinear
y + 2y + ey = 0 nichtlinear

y − k 1 + y2 = 0 nichtlinear

Gewöhnliche und partielle Differentialgleichung


Eine gewöhnliche Differentialgleichung liegt vor, wenn die Funktion f von einer Variablen ab-
hängt, z.B. f (x). Dagegen handelt es sich um eine partielle Differentialgleichung, wenn f von
mehr als einer Variablen abhängt, z.B. f (x, y).


⎪ f (x) f ist eine gewöhnliche DGL ( f hängt nur von x ab)





⎨ f (t) f ist eine gewöhnliche DGL ( f hängt nur von t ab)
f = f (x, y) f ist eine partielle DGL ( f hängt von x und y ab)



⎪ f (x, y, z)

⎪ f ist eine partielle DGL ( f hängt von x , y und z ab)

⎩ f (x, y, z, t, · · · ) f ist eine partielle DGL ( f hängt von mehreren Variablen ab)

Partielle Ableitungen werden in Kapitel 11 behandelt, ein Einblick in die partiellen Differential-
gleichungen ist in Kapitel 12 gegeben. Ein einfaches Beispiel für eine partielle DGL ist z.B.

∂ 2T ∂ 2T
+ 2 =0 Laplace-Gleichung,
∂ x2 ∂y

welche die stationäre Temperaturverteilung T = f (x, y) in der xy-Ebene beschreibt.


Wahl von Variablensymbolen
Die Bezeichnungen für die unabhängige Variable und die hiervon abhängige Funktion sollten
so gewählt werden, dass sie das physikalische Problem auf möglichst leicht verständliche Art
wiedergeben. Die Differentialgleichung des freien Falls eines Körpers im Meer nach Bild 9.4
könnte z.B. auch mit dem Positionssymbol x und dem Zeitsymbol t wie folgt beschrieben
werden:
mẍ + cẋ − mg = 0 implizite Form
c
ẍ = g − ẋ explizite Form
m
420 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

9.3 Lösung einer Differentialgleichung


Eine Differentialgleichung F(x, y, y , y , · · · , y(n) ) = 0 zu lösen heißt, eine Funktion y = f (x)
zu finden, welche die gegebene DGL erfüllt, d.h. F(x, f (x), f  (x), f  (x), · · · , f (n) (x)) = 0 er-
gibt. Anstelle von Lösung spricht man auch von der Integration einer Differentialgleichung, d.h.
bei DGLn sind die Begriffe »Lösung« und »Integration« gleichbedeutend. Bei technischen An-
wendungen kommt fast immer eine weitere Forderung hinzu: Die Lösungsfunktion muss nicht
nur die DGL erfüllen, sondern muss auch bestimmte Bedingungen, die sog. Anfangsbedingungen
bzw. Randbedingungen befriedigen.
Eine Funktion der Form y = f (x), welche die DGL erfüllt, heißt explizite Lösung der DGL.
Ebenfalls möglich ist eine implizite Lösung der Form g(x, y) = 0. Ferner hängt die Lösung einer
DGL nicht davon ab, ob die DGL in expliziter Form nach (9.7) oder impliziter Form nach (9.6)
vorliegt. Beide DGL-Formen führen auf die gleiche Lösung.
Die Lösung einer DGL wird i.a. systematisch mit Hilfe von geeigneten Methode gewonnen,
die in nachfolgenden Abschnitten dieses Kapitels vorgestellt werden. Im Prinzip ist es an sich
gleichgültig, wie eine Lösung gefunden wird; sie könnte auch einfach durch Ausprobieren ge-
funden werden, wenngleich dies in der Regel eine ziemlich mühsame und in allermeisten Fällen
wenig Erfolg versprechende Methode sein dürfte!
Beispiel 9.11:
In folgenden Beispielen ist jeweils die DGL und rechts davon die -allgemeine- Lösung
angegeben (wie diese Lösung gewonnen wurde, soll uns vorläufig nicht interessieren).
Es soll jeweils durch Substitution der angeblichen Lösung in die DGL gezeigt werden,
dass sie auch tatsächlich die jeweilige DGL erfüllt (die DGL ist erfüllt, wenn die linke
und rechte Seite der DGL nach Einsetzen der Lösungsfunktion identisch sind).
?
a) x y = y Lsg: y = cx c : beliebige Konstante
Aus der Lösungsfunktion erhält man durch Ableitung: (y) = (cx) ⇒ y =
c
x c = 
Einsetzen in die DGL ergibt:  cx ⇒ cx = cx 
xy y

Die Funktion y = cx ist also tatsächlich die Lösung der DGL x y = y, weil die
Substitution von y = cx in die DGL zu einer Identität führt (linke Seite ist gleich
rechte Seite).
?
b) x y = 2 + y Lsg: y = −2 + cx
Aus der Lösungsfunktion erhält man: (y) = (−2 + cx) ⇒ y = c
x c = 2 + (−2 + cx)
Einsetzen in die DGL liefert:  ⇒ cx = cx 
  
xy 2+y
?
c) xy − 2y = 0 Lsg: y = cx2
Aus der Lösungsfunktion erhält man: (y) = (cx2 ) ⇒ y = 2cx
Einsetzen in die DGL liefert: x (2cx) − 2 (cx2 ) = 2cx2 − 2cx2 = 0 
        
xy 2y =0
9.3 Lösung einer Differentialgleichung 421

?
d) y − y = 0 Lsg: y = cex
Aus der Lösungsfunktion erhält man:

(y) = (cex ) ⇒ y = cex

Einsetzen in die DGL liefert: cex − cex = 0 


  
0
?
e) ṁ = −k m Lsg: m = ce−kt
Aus der Lösungsfunktion erhält man:

d d
m = (ce−kt ) ⇒ ṁ = −kce−kt
dt dt
Einsetzen in die DGL liefert: −kce−kt = −k · ce−kt 
?
f) yy + x =0 Lsg: x2 + y2 + c = 0
Die in der impliziten Form angegebene Lösungsfunktion x2 + y2 + c = 0 wird
zunächst nach y aufgelöst und nach x differenziert:
  −2x −x
y= −x2 − c ⇒ (y) = ( −x2 − c ) = √ =√
2 −x − c
2 −x2 − c
Einsetzen der Lösungsfunktion und ihrer Ableitung in die DGL ergibt:
 −x
−x2 − c √ +x = 0 ⇒ −x + x = 0 
−x2 − c
  
yy

Alternatives Vorgehen: Es ist nicht zwingend notwendig, die Lösung in die expli-
zite Form zu transformieren. Man kann direkt auch mit der impliziten Lösungs-
funktion arbeiten. Bei der impliziten Ableitung (vgl. auch Abschnitt 3.7) ist zu
beachten, dass y von x abhängig ist und die Kettenregel angewendet werden
muss:
 
d 2 d 2 dy d
(x2 + y2 + c) = (0) ⇒ x + y + c=0
dx dy dx dx

⇒ 2x + 2y y + 0 = 0 yy = −x
Einsetzen in die DGL liefert:

−x + x = 0 
  
0
422 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

9.4 Allgemeine, spezielle und partikuläre Lösung

Allgemeine Lösung einer DGL


Wenn die Lösung einer DGL noch unbekannte Konstanten enthält, nennt man sie die allgemeine
Lösung dieser DGL. Alle Lösungen in Beispiel 9.11 sind z.B. allgemeine Lösungen, weil sie die
unbekannte Konstante c enthalten. Aufgrund der Konstante c besteht die allgemeine Lösung
y = f (x) einer DGL aus einer unendlichen Schar von gleichartigen Lösungen, von denen jede
sich gegenüber anderen Lösungen durch eine Parallelverschiebung in Richtung der y-Achse
unterscheidet.
Anmerkung: Die Anzahl der Konstanten der allgemeinen Lösung ergibt sich aus der Ordnung
der DGL. Die allgemeine Lösung einer DGL 1. Ordnung z.B. enthält nur eine Konstante c1 ,
diejenige einer DGL 2. Ordnung enthält zwei Konstanten c1 und c2 .
Anfangsbedingungen und Randbedingungen
Wenn die Lösung f (x) der DGL die zusätzlichen Bedingungen nur an einer einzigen Stelle, z.B.
x = a, erfüllen muß, spricht man von Anfangsbedingungen. Die DGL wird in diesem Fall auch
Anfangswertaufgabe genannt.
Wenn die zusätzlichen Bedingungen an mindestens zwei Stellen, z.B. x1 = a und x2 = b,
vorgegeben sind, handelt es sich um Randbedingungen und die DGL ist eine Randwertaufgabe.
Bei diesen zwei Stellen kann es sich auch um zwei Zeitpunkte t1 und t2 handeln (z.B. bei
dynamischen Vorgängen).
Hinweis: Zur Bestimmung von n Konstanten einer DGL n-ter Ordnung werden n Zusatzbe-
dingungen (Anfangs- bzw. Randbedingungen) benötigt. Enthält die allgemeine Lösung z.B. die
Konstanten c1 und c2 , sind zu deren Bestimmung zwei Zusatzbedingungen erforderlich.
Anfangsbedingungen kommen in der Regel bei Aufgaben der Starrkörperdynamik vor. Rand-
bedingungen treten eher in der Statik von Stäben und Flächentragwerken auf. Anfangs- und
Randbedingungen können aber auch gleichzeitig auftreten, wie z.B. in der Dynamik deformier-
barer Körper (Stäbe und Flächentragwerke).
Spezielle Lösung einer DGL
Falls die allgemeine Lösung der DGL neben der DGL selbst noch bestimmte vorgegebene Zusatz-
bedingungen erfüllen muss, ergibt sich die spezielle Lösung der DGL. Bei der speziellen Lösung
handelt es sich also um eine ganz bestimmte Lösung aus einer unendlichen Schar von denkba-
ren Lösungen. In der speziellen Lösung kommen deshalb keine unbestimmten Konstanten mehr
vor, sondern diese Konstanten erhalten ganz konkrete Zahlenwerte. Die spezielle Lösung wird
aus der allgemeinen Lösung durch Erfüllung von Anfangsbedingungen bzw. Randbedingungen
gewonnen.

Beispiel 9.12:
Für das Beispiel 9.11a soll die spezielle Lösung für die Anfangsbedingung y(2) = 6
bestimmt werden.
Die allgemeine Lösung y = cx besteht aus einer unendlichen großen Schar von
Geraden, die durch den Ursprung des xy-Koordinatensystem gehen (die Steigung der
Geraden wird durch die Konstante c bestimmt). Aber nur eine einzige von ihnen geht
9.4 Allgemeine, spezielle und partikuläre Lösung 423

auch durch den Punkt P = (2; 6) . Diese wird wie folgt bestimmt :

6
y(2) = 6 = c · 2 ⇒ c= =3
2
Einsetzen von c = 3 in die allgemeine Lösung liefert die spezielle Lösung:

y = 3x

Diese Lösung erfüllt sowohl die DGL wie auch die Anfangsbedingung (überzeugen
Sie sich!).

Beispiel 9.13:
Für die in Abschnitt 9 vorgestellten Beispiele gelten folgende Anfangs- bzw. Rand-
bedingungen (ihre Herleitung ist Gegenstand der Mechanik, es soll hier nicht näher
darauf eingegangen werden):

Problem Anfangsbedingungen Erläuterung


Randbedingungen
Biegung eines Kragbalkens unter y(0) = 0 Durchbiegung
Streckenlast (Randwertproblem) y (0) = 0 Verdrehung
y (L) = 0 ∝Biegemoment
y (L) = 0 ∝Querkraft
Knicken eines Kragbalkens y(0) = 0 Durchbiegung
(Randwertproblem) y (0) = 0 Verdrehung
y (L) = 0 ∝Biegemoment
EIy (L) = −Ny (L) Querkraft
Wasserpegel h(0) = h0 Anfangshöhe
(Anfangswertproblem)
Freier Fall s(0) = s0 Startposition
(Anfangswertproblem) ṡ(0) = v0 Anfangsgeschwindigkeit

Partikuläre Lösung einer DGL


Falls bei der Ermittlung der allgemeinen Lösung die Integrationskonstante c nicht berücksichtigt
wird, liegt eine partikuläre Lösung vor. Bei der partikulären Lösung handelt es sich also um eine
beliebige Lösung aus einer unendlichen Anzahl von möglichen Lösungen. Zur Aufstellung der
partikulären Lösung werden keine Anfangsbedingungen bzw. Randbedingungen benötigt.
Anmerkung: Meistens werden in der Literatur spezielle und partikuläre Lösungen als synony-
me Begriffe verwendet. Zur besseren begrifflichen Trennung und Vermeidung von Mißverständ-
nissen wurde hier die obige Differenzierung vorgenommen.
Auffinden der Lösung
Zur Lösung einer DGL sind im allgemeinen spezielle Methoden erforderlich, weil die DGL ja so-
wohl die unbekannte Funktion y als auch ihre Ableitungen y , y , . . . in beliebiger Kombination
424 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

enthält. In Ausnahmefällen kann es jedoch möglich sein, eine Differentialgleichung auf einfache
Weise zu lösen. Beim Biegungsproblem des gleichmäßig belasteten Balkens auf Seite 413 z.B.
lässt sich die DGL (9.1) am einfachsten dadurch lösen, indem man die DGL 4-mal hintereinander
nach üblicher Integralrechnung integriert und die unbekannten Kostanten c1 , c2 , c3 , c4 aus den
Randbedingungen bestimmt.

Hinweise
1. Nicht jede DGL besitzt eine Lösung. Die DGL y2 + 1 = 0 z.B. besitzt keine reelle Lösung,
weil für jeden beliebigen reellen Wert von y der Ausdruck y2 + 1 positiv ist, d.h. es gilt
stets y2 + 1 > 0, und folglich kann die DGL nicht erfüllt werden.
2. Eine DGL kann mehr als eine Lösung haben. Die DGL y2 − xy + y = 0 beispielsweise
besitzt neben der allgemeinen Lösung y = cx − c2 noch die sog. singuläre Lösung y = x2 /4.

9.5 Lösungsstrategie für ein physikalisches Problem

Die Behandlung eines physikalischen Problems erfolgt i.a. in zwei Arbeitsschritten:

1. Formulierung des physikalischen Problems mit Hilfe einer Differentialgleichung:


Die Aufstellung der zugehörigen DGL erfolgt unter Beachtung physikalischer Gesetzmä-
ßigkeiten und Zuhilfenahme speziellen Fachwissens. Die Ordnung der entstehenden DGL
hängt vom aktuellen physikalischen Problem ab. Das von der DGL beschriebene Problem
wird -je nach Ordnung der DGL- Anfangswertaufgabe oder Randwertaufgabe genannt.
2. Lösung der Anfangswert- bzw. Randwertaufgabe:
a. Ermittlung der allgemeinen Lösung der DGL.
b. Gewinnung einer speziellen Lösung aus der allgemeinen Lösung durch Erfüllung von
Anfangs- bzw. Randbedingungen.

Beispiel 9.14:
Die Masse des radioaktiven Elements Radium ist eine Funktion der Zeit; sie wird mit
zunehmender Zeit weniger, weil Radium aufgrund seiner radioaktiven Strahlung zer-
fällt. Dieser Zusammenhang wird durch folgende Differentialgleichung beschrieben
(das ist die Formulierung des physikalischen Problems):
dm 1
ṁ = −km oder: = −k m k = 1,4 · 10−11 (Zerfallsexponent)
dt s
Es ist zu bestimmen, nach wieviel Jahren von ursprünglich m0 = 5 g Radium noch
2 g übrig bleibt.
Man kann sich durch Einsetzen überzeugen, dass die DGL ṁ = −km folgende
allgemeine Lösung besitzt:

m = m(t) = ce−kt Kontrolle: ṁ = −cke−kt −km = −kce−kt ṁ = −km 

Die spezielle Lösung wird aus der Anfangsbedingung m(t = 0) = 5 (anfängliche Men-
9.6 Differentialgleichungen 1. Ordnung 425

ge der radioaktiven Substanz) bestimmt:

m(0) = m0 = 5 = ce−k · 0 = c 


e0 = c ⇒ c=5 ⇒ m(t) = 5e−kt
=1

Jetzt wird die Zeit t0 bestimmt, nach deren Ablauf eine Restmenge von 2 g Radium
übrig bleibt:

5e−kt0 = 2 e−kt0 = 0,4 ⇒ ln(e−kt0 ) = ln 0,4 − kt0 = −0,916290732


  
−kt0

0,916290732
t0 = = 6,544933 · 1010 s ≡ 6,544933 · 1010 /(365 · 24 · 3600) = 2075 Jahre!
1,4 · 10−11

9.6 Differentialgleichungen 1. Ordnung


In diesem Abschnitt werden einige grundlegende Lösungsverfahren für Differentialgleichungen
1. Ordnung vorgestellt.

9.6.1 Trennung der Variablen


Falls eine Differentialgleichung 1. Ordnung in der Form

g(y) y = f (x) (9.10)

vorliegt bzw. sich mittels algebraischer Umformungen in diese Form transformieren lässt, ergibt
sich eine einfache Lösungsmethode. Unter Verwendung der Beziehung y = dy/dx kann man
die DGL wie folgt umformen:
dy
g(y) = f (x) ⇒ g(y) dy = f (x) dx
dx
Auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens liegt jetzt jeweils eine Funktion mit artgleichen Varia-
blen vor, d.h. auf der linken Seite eine Funktion von nur y und auf der rechten Seiteeine Funktion
von nur x. Dieser Vorgang wird als Trennung der Variablen bezeichnet, weil die x-Terme und
y-Terme voneinander vollkommen getrennt sind. Deshalb können beide Seiten voneinander un-
abhängig integriert werden. Diese Methode wird Trennung der Variablen genannt:

Differentialgleichung: g(y) y = f (x)


 
Lösung: g(y) dy = f (x) dx + c (9.11)

Nach Durchführung der Integration ist der Ausdruck nach y aufzulösen.


426 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Beispiel 9.15:

Trennung der Variablen. y − y2 = 0 Anfangsbedingung: y(1) = 1 y =?


 
1  1 −1
y = y2 y = 
1 dy = (1)dx + c ⇒ = x+c
y2 y2 y
 f (x)
g(y)

−1
Umformung des letzten Ausdrucks liefert die allgemeine Lösung: y =
x+c
Kontrolle durch Einsetzen der allgemeinen Lösung in die DGL:
   2
−1 1 1 1
y =
?
= ⇒ − =0 0=0 
x+c (x + c)2 (x + c)2 x+c
     
y y2

Spezielle Lösung ergibt sich aus der Erfüllung der Anfangsbedingung:


−1 −1
y(1) = 1 = ⇒ 1 + c = −1 c = −2 ⇒ ys =
1+c x−2
Kontrolle der speziellen Lösung:
   
 −1 1 1 −1 2 ?
(ys ) = = ⇒ − =0 0=0 
x−2 (x − 2)2 (x − 2)2 x−2
     
y y2

Beispiel 9.16:

Trennung der Variablen. Die DGL 2yy − 4x = 0 ist unter Erfüllung der Anfangsbe-
dingung y(0) = 0 zu lösen.

Die allgemeine Lösung erhält man durch Trennung der Variablen:


 
2y y = 
4x ⇒ 2y dy = 4x dx + c y2 = 2x2 + c

g(y) f (x)


y = ± 2x2 + c
Kontrolle der allgemeinen Lösung (Einfachheit halber nur die positive Wurzel über-
prüft):
 2x
Differenzieren der allgemeinen Lösung: (y) = ( 2x2 + c) = √
2x2 + c
9.6 Differentialgleichungen 1. Ordnung 427

Einsetzen in die DGL:


 2x ? ?
2 2x2 + c √ −4x = 0 4x − 4x = 0 0=0 
   2x2 + c
y   
y

Die spezielle Lösung ys ergibt sich aus der allgemeinen Lösung durch Einarbeitung
der Anfangsbedingung:
 √ √ √
y(0) = 0 = ± 2 · 02 + c = ± c ⇒ c=0 ⇒ ys = ± 2x2 = ± 2 x

Kontrolle der speziellen Lösung (nur die Lösung mit positivem Vorzeichen wird über-
prüft) :
√ √ √ √
(ys ) = ( 2 x) = 2
? ?
⇒ 2   2 −4x = 0
2 x  4x − 4x = 0 0=0 
ys ys

Hinweise:
1. Es ist wichtig, die unbestimmte Integrationskonstante unmittelbar nach der Integration des
Ausdrucks f (x) einzuführen. Eine spätere Hinzufügung kann zu falscher allgemeiner Lö-
sung führen.

Im obigen Beispiel 9.16 wäre z.B. folgende Vorgehensweise falsch gewesen:


 
2yy − 4x = 0 ······ 2y dy = 4x dx y2 = 2x2

⇒y= 2x + c !
Dass diese Lösung falsch ist, erkennt man beim Einsetzen in die DGL 2yy − 4x = 0 :
√ √
y = ( 2x + c) = 2
√ √ √ √
⇒ 2 · ( 2x + c) · 2 − 4x = 4x + 2 2 c − 4x = 2 2 c = 0 
Das Ergebnis ist = 0, d.h. die DGL wird nicht erfüllt. Zwar könnte die Erfüllung der DGL
erzwungen werden, wenn c = 0 eingesetzt wird; dann hätte man aber nicht die allgemeine
Lösung sondern nur eine beliebige Lösung gewonnen.

2. Es wird allgemein empfohlen, nach Bestimmung der speziellen Lösung einer DGL deren
Richtigkeit mittels Substitution in die ursprüngliche DGL und Überprüfung der Zusatzbe-
dingungen (Anfangs-/Randbedingungen) zu kontrollieren. Die Lösung ist richtig, wenn die
Substitution zu keinem Widerspruch in der ursprünglichen DGL führt und gleichzeitig die
Zusatzbedingungen erfüllt.
428 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

9.6.2 Transformation der Variablen

Es kann vorkommen, dass sich eine Differentialgleichung 1. Ordnung nicht unmitttelbar, sondern
erst nach einer Variablentransformation in die Form mit getrennten Variablen bringen lässt.
Beispielsweise ist es mit algebraischen Umformungen nicht möglich, folgende DGL in die
Form g(y) y = f (x) zu bringen:

y = x + y lässt sich nicht in die Form g(y) y = f (x) bringen!

Die in Abs. 9.6.1 beschriebene Methode Trennung der Variablen ist also auf diese DGL nicht
unmittelbar anwendbar. In bestimmten Fällen lassen sich solche Differentialgleichungen jedoch
mit Hilfe einer Variablentransformation in die Form mit getrennten Variablen bringen.
Nachfolgend werden einige ausgewählte Typen von DGLn betrachtet, die mittels Variablen-
transformation gelöst werden können.

9.6.2.1 DGLn vom Typ y = f (Ax + By +C)

Die rechte Seite einer solchen DGL besteht aus einer beliebigen Funktion des Ausdrucks Ax +
By + C, wobei A, B, C skalare Koeffizienten sind. Eine DGL dieses Typs lässt sich mittels der
Variablensubstitution

u = Ax + By +C

in eine neue DGL überführen:

y = f (Ax + By +C) y = f (u)


wird transformiert in die Form
−−−−−−−−−−−−−−−−−−→

Nach der Überführung der DGL in die Form y = f (u) wird noch der Term y aus der DGL
eliminiert. Hierzu werden beide Seiten des Substitutionsausdrucks u = Ax + By +C nach x dif-
ferenziert (unter Beachtung der Tatsache, dass sowohl y als auch u von x abhängige Variablen
sind und deshalb nach der Kettenregel differenziert werden müssen):
d d
u= (Ax + By +C)
dx dx
d d d u − A
u = (Ax) + (By) + C = A + B y + 0 ⇒ y =
dx dx dx B
Einsetzen des letzten Ausdrucks für y in die ursprüngliche DGL liefert die transformierte DGL:

u − A 1
= f (u) ⇒ u = B f (u) + A u = 1
B A + B f (u)
  
g(u)
9.6 Differentialgleichungen 1. Ordnung 429

Es handelt sich beim letzten Ausdruck offensichtlich um eine DGL mit getrennten Variablen,
welche direkt integriert werden kann:
 
1 du 1 1
=1 ⇒ du = dx du = (1)dx
A + B f (u) dx A + B f (u) A + B f (u)

Die Integration der linken Seite ist von der Funktion f (u) abhängig, das Integral der rechten Seite
kann hingegen allgemein gültig angegeben werden:

1
du = x + c (9.12)
A + B f (u)

Nach der Bestimmung von u aus (9.12) muss anschließend noch der Ausdruck (Ax + By + C)
anstelle von u zurück substitutiert werden. Die Auflösung des enstehenden Ausdrucks nach y
liefert schließlich die gesuchte Lösung y = p(x).

Beispiel 9.17:
Nachfolgend sind einige DGLn vom Typ y = f (Ax + By +C) vor und nach der Ein-
führung der Substitutionsvariable u = Ax + By +C angegeben:

DGL Substitutionsvariable Transformierte DGL f (u)


y = 2x − 3y + 4 u = 2x − 3y + 4 y = u u
√ √ √
y = −x + 2y − 1 u = −x + 2y − 1 y = u u
y = sin(x + y) u = x+y y = sin u sin u

Beispiel 9.18:
y − y = x y(0) = 0 y =?

Lösungsweg 1:
Bei diesem Lösungsweg wird (9.12) direkt angewandt. Zunächst wird die DGL in die
Form y = x + y gebracht. Aus dem Vergleich von (Ax + By + C) mit der rechten
Seite (x + y) erkennt man, dass A = B = 1 und C = 0 sind. Mit der Substitution
u = x + y entsteht die DGL y = u.

y = u ⇒ f (u) = u

nun kann (9.12) unmittelbar angewandt werden:


 
1 1
du = x + c du = x + c
A + B f (u) 1+1·u

⇒ ln(1 + u) = x + c (∗) e   = e
ln(1+u) x+c
⇒ 1 + u = ex 
ec = c1 ex
1+u c1
430 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Nach Rücksubstitution von u = x + y erhält man die allgemeine Lösung:

1 + (x + y) = c1 ex ⇒ y = c1 ex − x − 1

Die Erfüllung der Anfangsbedingung liefert die spezielle Lösung:

y(0) = 0 = c1 e0 − 0 − 1 = c1 − 1 ⇒ c1 = 1 ⇒ y s = ex − x − 1

Lösungsweg 2: Schrittweise Berechnung.


In dieser Vorgehensweise werden alle Schritte, die in der theoretischen Herleitung
oben zu (9.12) geführt haben, nachvollzogen (deshalb ist dieser Weg auch etwas lang-
wieriger). Die Umformung der gegebenen DGL liefert y = x + y. Mit der Substitution
u = x + y ergibt sich:

(u) = (x + y) = 1 + y ⇒ y = u − 1

Das Einsetzen des Ausdrucks für u und der Ableitung y in die DGL y = x + y
liefert:
1
u − 1 = 
u ⇒ u = 1 + u u = 1
   1+u
y x+y

Der letzte Ausdruck ist eine DGL mit getrennten Variablen und lässt sich leicht inte-
grieren:
 
1
du = (1) dx ⇒ ln(1 + u) = x + c identisch mit der Lösung (*)
1+u
Der Rest der Berechnung verläuft wie beim Lösungsweg 2.

Beispiel 9.19:
y = (x + y)2 y(0) = 0 y =?
Auch bei diesem Beispiel wird die Lösung sowohl mit Hilfe der Gleichung (9.12)
unmittelbar als auch durch detaillierte Ausführung aller Schritte der Variablentransfor-
mation ermittelt.
Lösungsweg 1: Anwendung der Gl.(9.12).
Vergleich von (Ax + By +C) mit der rechten Seite (x + y) der DGL ergibt, dass A =
B = 1 und C = 0 sind. Mit f (u) = u2 folgt aus (9.12):
 
1 1
du = x + c du = x + c
A + B f (u) 1 + 1 · u2

⇒ arctan u = x + c u = tan(x + c)
Nach Rücksubsitution von u = x + y in die obige Lösung erhält man die allgemeine
9.6 Differentialgleichungen 1. Ordnung 431

Lösung:

x + y = tan(x + c) ⇒ y = −x + tan(x + c)

Die Berücksichtigung der Anfangsbedingung y(0) = 0 liefert die spezielle Lösung:

y(0) = 0 = −0 + tan(0 + c) = tan c ⇒ c = arctan 0 = 0 ⇒ ys = −x + tan x

Lösungsweg 2: Schrittweise Berechnung.


Mit der Variablensubstitution u = x + y erhält man

u = (x + y) = 1 + y ⇒ y = u − 1

Einsetzen der Substitutionsausdrücke in die ursprüngliche DGL ergibt eine neue DGL
mit getrennten Variablen:
 
1 1
u − 1 = u2 ⇒ u = 1 + u2 u = 1 ⇒ du = (1) dx
    1 + u2 1 + u2
y (x+y)2

⇒ arctan u = x + c u = tan(x + c) Der Rest verläuft wie oben.

y
9.6.2.2 DGLn vom Typ y = f
x

Differentialgleichungen der Form y = f (y/x) werden als eulerhomogene DGL bezeichnet. Bei
ihnen besteht die rechte Seite aus einer beliebigen Funktion von y/x. Die Differentialgleichung
y = f (y/x) lässt sich mit Hilfe einer Variablentransformation in eine DGL mit getrennten Varia-
blen überführen. Hierzu wird eine neue Variable u definiert und die ursprüngliche DGL in eine
neue Form transformiert:
y y
y = f y = f (u)
wird transformiert in die Form
u= −−−−−−−−−−−−−−−−−−→
x x
Aus der Substitution u = y/x folgt y = x u. Ableitung beider Seiten der Gleichung y = x u nach
x liefert unter Beachtung der Kettenregel:
   
d d d d
(y) = (xu) ⇒ y = x ·u+x· u y = u + x u (9.13)
dx dx dx dx

Substitution der Variable u anstelle von y/x und des Ausdrucks u + x u anstelle von y in der
ursprünglichen DGL liefert eine transformierte Differentialgleichung mit getrennten Variablen:
1 1
u + x u = f (u) ⇒ x u = f (u) − u ⇒ u =
    f (u) − u x
y f (y/x)
432 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Integration dieser DGL ergibt:


  
1 1 1
du = dx du = ln x + c (9.14)
f (u) − u x f (u) − u

Nach Bestimmung von u mit Hilfe von (9.14) wird zurück substitutiert, d.h. y/x anstelle von u
in die Ergebnisgleichung eingesetzt, und anschließend nach y aufgelöst.

Beispiel 9.20:
Nachfolgend sind einige DGLn vom Typ y = f (y/x) vor und nach der Einführung
der Substitutionsvariable u = y/x angegeben:

DGL Transformierte DGL f (u) Hinweis


y
y = −2 y = u − 2 u−2
x
y x 1 1 x 1 1
y = − y = u − u− ≡ =
x y u u y y/x u
2y
y = sin( + 1) y = sin(2u + 1) sin(2u + 1)
x

Beispiel 9.21:
x y = x + y y (1) = −3 y =?
y
Die Division beider Seiten durch x liefert: y = 1 +
x
Lösungsweg 1: Anwendung der Gl.(9.14).
Nach der Substitution von
y
u=
x
y
in die DGL y = 1 + erhält man die transformierte DGL
x
y = 1 +u
 
⇒ f (u) − u = (1 + u) − u = 1

f (u)

und aus (9.14) die Lösung für u :


 
1
du = ln x + c ⇒ du = ln x + c ⇒ u = ln x + c
f (u) − u

Rücksubstitution von y/x anstelle von u in die Lösung ergibt schließlich die allge-
9.6 Differentialgleichungen 1. Ordnung 433

meine Lösung y der DGL:


y
= ln x + c ⇒ y = x (ln x + c)
x
Die spezielle Lösung erhält man aus der Anfangsbedingung:
1
y = 1 · (ln x + c) + x ( + 0) = ln x + c + 1 y (1) = −3 = ln 1 + c + 1
x
c = −4 ⇒ ys = x (ln x − 4)

Lösungsweg 2: Schrittweises Vorgehen.


Mit der Substitutionsvariable
y
u=
x
und der Beziehung

y = u + xu

gemäß (9.13) wird die DGL in folgende Form transformiert:


1
u + x u = 1 + u ⇒ x u = 1 ⇒ u =
x
Diese DGL hat die Gestalt der getrennten Variablen und lässt sich leicht integrieren:
 
1 1
du = dx ⇒ du = dx ⇒ u = ln x + c
x x
Der Rest der Lösung verläuft wie oben.

Anmerkung:
Wie bereits in Abschnitt 9.6.1 erläutert, ist es in der Regel notwendig, die Integrations-
konstante c unmittelbar nach der ersten Integration der transformierten DGL einzutra-
gen. Wie nachfolgend gezeigt wird, wäre es in diesem Beispiel falsch, die Konstante
c erst zum Schluß zur Lösungsfunktion y hinzuzufügen, d.h. die allgemeine Lösung
folgendermaßen herzuleiten:
y
u = ln x ⇒ = ln x ⇒ y = x ln x + c 
x
Dass diese angebliche Lösung falsch ist, sieht man sofort, wenn sie in die DGL xy =
x + y eingesetzt wird:
1
(y) = (x ln x + c) ⇒ y = 1 · ln x + x + 0 = ln x + 1
x
434 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

⇒ x (ln x + 1) = x + x ln x + c ⇒ 0=c
     
y y

Die DGL wird also nicht identisch erfüllt, sondern nur für einen speziellen Wert von
c , nämlich für c = 0 ! Deshalb kann y = x ln x + c nicht die allgemeine Lösung der
DGL sein.
 y
9.6.2.3 DGLn vom Typ y = f x,
x
Das Vorgehen zur Lösung von Differentialgleichungen der Gestalt y = f (x, y/x) verläuft in
enger Anlehnung an das Vorgehen bei der Lösung der DGL vom Typ y = f (y/x) in Abschnitt
9.6.2.2. Auch hier wird die gleiche Variablensubstitution vorgenommen:
y
u= ⇒ y = xu
x
Wie bereits für Gl. (9.13) gezeigt wurde, gilt für diese Art von Variablentransformation folgende
Beziehung:

y = u + x u

Die Substitution von u für y/x und von u + x u für y in der ursprünglichen DGL liefert die
transformierte Differentialgleichung:

f (x, u) − u
u + x u = f (x, u) ⇒ u =
  x 
g(x,u)

Das ist eine DGL der Form u = g(x, u), die mittels einer geeigneten Methode zu lösen ist. Wenn
man Glück hat handelt es sich um eine DGL mit getrennten Variablen. Ansonsten muss eine
andere geeignete Integrationsmethode zur Bestimmung von u gewählt werden.
Im letzten Schritt wird wieder eine Rücksubstitution vorgenommen, d.h. es wird in der Lösung
der Ausdruck y/x anstelle von u eingesetzt und anschließend nach y aufgelöst.
Beispiel 9.22:
x y = x2 + y y(1) = 0 y =?  y
Division beider Seiten durch x liefert eine DGL vom Typ y = f x, :
x
y
y = x +
x
Substitution von y/x = u und y = u + x u liefert:

u + x u = x + u ⇒ u = 1 u = x+c
  
y

y
⇒ = x+c ⇒ y = x (x + c)
x
9.6 Differentialgleichungen 1. Ordnung 435

Bestimmung der speziellen Lösung:

y(1) = 0 = 1 (1 + c) ⇒ c = −1 ⇒ ys = x(x − 1)

 
Ax + By
9.6.2.4 DGLn vom Typ y =f
Cx + Dy
Eine solche DGL lässt sich in die Form y = f (y/x) (eulerhomogene DGL, s. Abs. 9.6.2.2)
überführen, wenn der Zähler und Nenner der rechten Seite durch x dividiert werden.
⎛ y ⎞
A+B
y = f ⎝ x ⎠
y
C+D
x
Einführung der Substitutionsvariable u = y/x und der Ausdrucks y = u + xu gemäß (9.13)
transformiert diese DGL in die Form mit getrennten Variablen:
   
A + Bu A + Bu 1 1
u + xu = f ⇒ xu = f −u   u =
C + Du C + Du A + Bu x
f −u
C + Du
  
1 1 1
  du = dx ⇒   du = ln x + c (9.15)
A + Bu x A + Bu
f −u f −u
C + Du C + Du

Beispiel 9.23:
x+y
Gesucht ist die Lösung der Anfangswertaufgabe y = y(1) = 1.
x
y
Die Division des Zählers und Nenners der rechten Seite durch x liefert: y = 1 +
x
Nach Substitution von u = y/x und y = u + xu in der DGL erhält man:
 
1 1 1
u + u x = 1 + u ⇒ u = du = dx du = dx
x x x
y
u = ln x + c = ln x + c
⇒ y = x (ln x + c) allgemeine Lösung
x
Die Einarbeitung der Randbedingung y(1) = 1 liefert die spezielle Lösung:

1 = 1 · (ln 1 + c) ⇒ c=1 ys = x (ln x + 1)


436 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

9.6.3 Lineare Differentialgleichungen 1. Ordnung

Eine Differentialgleichung 1. Ordnung wird als linear bezeichnet, wenn sie folgende Gestalt
besitzt:

y + q(x) y = r(x) Lineare Differentialgleichung 1. Ordnung (9.16)

Die Bezeichnung linear kommt daher, dass y und y in linearer Form vorliegen. Hingegen sind
q(x) und r(x) beliebige Funktionen von x, d.h. sie können z.B. Polynome, trigonometrische
bzw. exponentielle Funktionen sein. Die Funktion r(x) auf der rechten Seite wird Störfunktion
genannt.
Eine lineare DGL ist entweder homogen oder inhomogen, je nachdem ob auf der rechten Seite
eine Null oder die Störfunktion r(x) steht:

y + q(x) y = 0 lineare homogene DGL 1. Ordnung (9.17a)

y + q(x) y = r(x) lineare inhomogene DGL 1. Ordnung (9.17b)


Die allgemeine Lösung der homogenen DGL (9.17a) wird mit Hilfe von Trennung der Variablen
bestimmt (s. Abs. 9.6.3.1).
Die allgemeine Lösung der inhomogenen DGL (9.17b) ergibt sich als Summe von zwei Teil-
lösungen:

Allgemeine Lösung einer linearen inhomogenen DGL 1. Ordnung:

DGL: y + q(x) y = r(x)


Lösung: y = yh + y p (9.18)
y Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL y + q(x) y = r(x)
yh Allgemeine Lösung der homogenen DGL y + q(x) y = 0
yp Partikuläre Lösung der inhomogenen DGL y + q(x) y = r(x)

Anmerkungen:
1. Von den für die Bestimmung der partikulären Lösung y p der inhomogenen DGL zur Ver-
fügung stehenden Verfahren werden hier folgende zwei behandelt:

a. Für eine lineare inhomogene DGL mit konstantem Koeffizient q(x) = k wird die par-
tikuläre Lösung mit Lösungsansätzen bestimmt, sofern die Störfunktion r(x) einen
bestimmten Aufbau hat (Abschnitt 9.6.3.2).
b. Für eine lineare inhomogene DGL mit beliebigem Koeffizient q(x) wird die partikulä-
re Lösung mit Hilfe von »Variation der Konstante« ermittelt (Abschnitt 9.6.3.3).

2. Die spezielle Lösung ys der inhomogenen DGL (9.17b) wird durch Erfüllung der Anfangs-
bedingung y(x0 ) = y0 aus der allgemeinen Lösung (9.18) der inhomogenen DGL bestimmt.
9.6 Differentialgleichungen 1. Ordnung 437

9.6.3.1 Lineare homogene Differentialgleichung 1. Ordnung


Die lineare homogene DGL (9.17a)

y + q(x) y = 0 (9.17a)

lässt sich besonders einfach lösen, weil es sich dabei eigentlich um eine DGL mit getrennten
Variablen handelt. Die Division beider Seiten durch y liefert:
 
y y dy 1
+ q(x) = 0 = −q(x) = −q(x) dx dy = − q(x) dx
y y y y
Nach Integration der letzten Gleichung auf beiden Seiten (unter Einbeziehung der Integrations-
konstante c ) erhält man die allgemeine Lösung der linearen homogenen DGL 1. Ordnung:

ln y = − q(x) dx + c1 eln y = e−
⇒  q(x) dx+c1
= e− q(x) dx
ec1

y c

Allgemeine Lösung einer linearen homogenen DGL 1. Ordnung:

DGL: y + q(x) y = 0 (9.19)

Lösung: y = c e− q(x) dx

Anmerkungen:
1. Falls eine Anfangsbedingung für die homogene DGL vorgegeben ist, lässt sich aus der
allgemeinen Lösung (9.19) die spezielle Lösung der homogenen DGL gewinnen.

2. Falls es sich bei der zu lösenden Anfangswertaufgabe um eine inhomogene DGL nach
(9.17b) handelt und Gl. (9.19) lediglich die zugehörige homogene DGL darstellt, gilt fol-
gendes:
a. Die allgemeine Lösung der zugehörigen homogenen DGL wird zur Vermeidung von
Verwechslung mit der allgemeinen Lösung der inhomogenen DGL mit yh bezeichnet.
b. Die allgemeine Lösung (9.19) der homogenen DGL stellt nur die Teillösung yh dar.
In diesem Fall muss die Anfangsbedingung von der allgemeinen Lösung der inhomo-
genen DGL erfüllt werden. Es wäre falsch, zur Erfüllung der Anfangsbedingung die
Teillösung yh alleine heranzuziehen.

Beispiel 9.24:
Gesucht ist die Lösung der Anfangswertaufgabe y + (3x2 − 2x)y = 0, y(0) = 1.
Da es sich von Haus aus um eine homogene DGL handelt, braucht man keine parti-
kuläre Lösung. Mit Hilfe von (9.19) erhält man die allgemeine Lösung der homogenen
DGL:
 
q(x) = 3x2 − 2x ⇒ q(x) dx = (3x2 − 2x) dx = x3 − x2
438 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

⇒ y = c e− = c e−(x
3 −x2 )
= c e−x
q(x) dx 3 +x2

Die Einarbeitung der Anfangsbedingung liefert die spezielle Lösung:

y(0) = 1 = c e−0+0 = c ⇒ ys = e−x


3 2 3 +x2

9.6.3.2 Lineare Differentialgleichung 1. Ordnung mit konstantem Koeffizienten


Ein Sonderfall der DGL (9.16) ist die lineare DGL mit konstantem Koeffizient. In diesem Fall ist
der Koeffizient q(x) einfach ein skalarer Koeffizient k , d.h. es ist q(x) = k :

y + k y = r(x) (9.20)

Die allgemeine Lösung dieser inhomogenen DGL setzt sich entsprechend Gl. (9.18) aus zwei
Teillösungen zusammen:

y = yh + y p

y : Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL y + ky = r(x)


yh : Allgemeine Lösung der homogenen DGL y + ky = 0
y p : Partikuläre Lösung der inhomogenen DGL y + ky = r(x)

Die allgemeine Lösung yh der homogenen DGL ergibt sich gemäß (9.19) zu:

yh = c e − k dx
= c e−kx (9.21)

Zur Bestimmung der partikulären Lösung y p der DGL (9.20) könnte auch die im nächsten Ab-
schnitt besprochene Methode der Variation der Konstanten angewandt werden. Für die meisten
technischen Anwendungen geht es jedoch auch wesentlich einfacher:
Falls die Störfunktion r(x) in (9.20) eine Gestalt gemäß Tabelle 9.1 besitzt, kann die partiku-
läre Lösung mit Hilfe von Lösungsansatzfunktionen dieser Tabelle bestimmt werden.
Die Wahl der Ansatzfunktion erfolgt auf der Basis der Störfunktion r(x) : Durch Vergleich der
aktuellen Störfunktion mit der linken Spalte der Tabelle 9.1 stellt man fest, welcher Tabellenzeile
die Ansatzfunktion zu entnehmen ist und wählt dann die in der rechten Spalte stehende Funktion
als Lösungsansatz. In der Tabelle 9.1 sind Lösungsansätze für im Ingenieurwesen besonders
häufig auftretende Störfunktionen angegeben.
9.6 Differentialgleichungen 1. Ordnung 439

Tabelle 9.1: Ansatzfunktionen für die partikuläre Lösung der DGL (9.20)

Störfunktion r(x) Lösungsansatzfunktion y p (x)

a0 A0 (oder einfach A )

a0 + a1 x A0 + A1 x

a0 + a1 x + a2 x2 A0 + A1 x + A2 x2

a0 + a1 x + a2 x2 + · · · + an xn A0 + A1 x + A2 x2 + · · · + An xn



⎨ falls λ = −k : x (A0 + A1 x + · · · + An xn ) eλ x
(a0 + a1 x + · · · + an xn )eλ x


⎩falls λ = −k : (A + A x + · · · + A xn ) eλ x
0 1 n

(a0 + a1 x + · · · + an xn ) sin αx (A0 + A1 x + · · · + An xn ) sin αx


+ (B0 + B1 x + · · · + Bn xn ) cos αx

(a0 + a1 x + · · · + an xn ) cos αx (A0 + A1 x + · · · + An xn ) sin αx


+ (B0 + B1 x + · · · + Bn xn ) cos αx

(a0 + a1 x + · · · + an xn ) eλ x sin αx (A0 + A1 x + · · · + An xn ) eλ x sin αx


+ (B0 + B1 x + · · · + Bn xn ) eλ x cos αx

(a0 + a1 x + · · · + an xn ) eλ x cos αx (A0 + A1 x + · · · + An xn ) eλ x sin αx


+ (B0 + B1 x + · · · + Bn xn ) eλ x cos αx

Erläuerung: a0 , a1 , a2 , · · · sowie λ und α sind vorgegebene Skalare; k gemäß (9.20).

Regeln für die Anwendung der Tabelle 9.1:

1. Wenn die Störfunktion die m-te Potenz von x enthält (m ≤ n), d.h. xm , muss der Lö-
sungsansatz lückenlos alle Terme mit der Ordnung ≤ m enthalten (d.h. alle Terme mit
A0 , A1 , · · · , Am und ggf. natürlich auch mit B0 , B1 , · · · , Bm ). Dies gilt auch für den Fall,
dass einzelne Zwischenkoeffizienten ai xi (i < m) in der Störfunktion fehlen sollten (vgl.
Beispiel 9.26).

2. Falls die Störfunktion r(x) durch eine Summe der in der linken Tabellenspalte angegebenen
Funktionen dargestellt werden kann, dann besteht der Lösungsansatz y p (x) aus der Summe
der korrespondierenden Ansatzfunktionen der rechten Spalte.
440 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Beispiel 9.25:

1
Gesucht ist die Lösung der Anfangswertaufgabe y + 2y = 1 + x, y(0) = .
2
Allgemeine Lösung der zugehörigen homogenen DGL mit Hilfe von (9.21):

y + 2y = 0 d.h. k = 2 ⇒ yh = c e−2x

Partikuläre Lösung der inhomogenen DGL mit Hilfe einer Ansatzfunktion:

Ansatzfunktion gemäß Tabelle 9.1: y p = A0 + A1 x ⇒ yp = A1

Nach Einsetzen der Ansatzfunktion und ihrer Ableitung in die inhomogene DGL erhält
man:

A1 +2(A0 + A1 x) = 1 + x
   
yp yp

Zusammenfassen der konstanten und linearen Terme in Gruppen liefert:

(A1 + 2A0 ) + 2A1 x = 1 + x

Der Koeffizientenvergleich zwischen linker und rechter Seite liefert:

A1 + 2A0 = 1 2A1 = 1 ⇒ A1 = 1/2 A0 = 1/4

Mit den bekannten Koeffizienten A0 und A1 ergibt sich die partikuläre Lösung zu:
1 1
yp = + x
4 2
Die allgemeine Lösung der inhomogenen DGL ergibt sich durch Addition beider Teil-
lösungen:
1
y = yh + y p ⇒ y = c e−2x + (1 + 2x)
4
Bestimmung der unbekannten Konstante durch Erfüllung der Anfangsbedingung:
1 ·0 1 1 1 1 1
y(0) = = c e−2
  + 4 (1 + 2 · 0) = c + 4 c= − =
2 2 4 4
=1

Die spezielle Lösung der Anfangswertaufgabe lautet schließlich:


1 −2x 1 1
ys = e + (1 + 2x) = (e−2x + 1 + 2x)
4 4 4
9.6 Differentialgleichungen 1. Ordnung 441

Beispiel 9.26:
Nachfolgend sind noch einige Beispiele für die Wahl von Ansatzfunktionen gemäß
Tabelle 9.1 zur Bestimmung der partikulären Lösung für lineare DGLn mit konstanten
Koeffizienten gegeben.

Differentialgleichung Ansatzfunktion y p gemäß Tab. 9.1


y − 2y = 5 A0
y + 2y = 5 − 3x A0 + A1 x
y − y = x 3 A0 + A1 x + A2 x2 + A3 x3
y − y = 1 − x 4 A0 + A1 x + A2 x2 + A3 x3 + A4 x4
y + 2y = (1 − 4x) e−2x x (A0 + A1 x) e−2x
y + 2y = (1 − 4x + x3 ) e2x (A0 + A1 x + A2 x2 + A3 x3 ) e2x
y − 2y = sin 2x A0 sin 2x + B0 cos 2x
y − 2y = sin αx A0 sin αx + B0 cos αx
y + y = e−4x sin 2x A0 e−4x sin 2x + B0 e−4x cos 2x

9.6.3.3 Variation der Konstanten


Die Lösungsmethode »Variation der Konstanten« wird angewendet, um die partikuläre Lösung
der inhomogenen linearen Differentialgleichung 1. Ordnung (9.16) mit variablem Koeffizienten
q(x) zu bestimmen:

y + q(x) y = r(x) (9.22)

Die allgemeine Lösung der inhomogenen DGL setzt sich aus zwei Teillösungen zusammen, vgl.
(9.18):

y = yh + y p

Die allgemeine Lösung yh der zugehörigen homogenen DGL y + q(x) y = 0 lautet nach Gl.
(9.19):

y h = c e− q(x) dx

Die Methode Variation der Konstanten wird angewandt, um die partikuläre Lösung y p der in-
homogenen DGL mit variablem Koeffizienten q(x) zu bestimmen. Sie basiert auf der Idee, für
die Bestimmung der partikulären Lösung y p der inhomogenen DGL die allgemeine Lösung yh
der homogenen DGL als Ausgangspunkt (als Ansatzfunktion) zu verwenden. Hierbei wird aller-
dings die Konstante c in yh durch die -zunächst unbekannte- Funktion C(x) ersetzt (d.h. die
Konstante c bekommt die Freiheit zu varieren, daher kommt der Name »Variation der Konstan-
ten«). Dadurch ergibt sich für die Bestimmung der partikulären Lösung der inhomogenen DGL
folgender Lösungsansatz:

y p = C(x) e− q(x) dx
(9.23)
442 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Die erste Ableitung dieser Ansatzfunktion für y p mit Hilfe der Produkt- und Kettenregel ergibt:
 
  − q(x) dx − q(x) dx d
y p = C (x) e −C(x) q(x) e Anmerkung: q(x) dx = q(x)
dx

Falls die Ansatzfunktion (9.23) tatsächlich eine Lösung der inhomogenen DGL (9.22) sein soll,
muss sie selbstverständlich diese DGL erfüllen. Einsetzen der Ansatzfunktion y p in (9.23) und
ihrer Ableitung yp in die DGL (9.22) ergibt:

yp + q(x) y p = r(x)

⇒ C (x) e− q(x) dx
−C(x) q(x) e− q(x) dx
+ q(x) C(x) e− q(x) dx
= r(x)
  
=0
 − q(x) dx  − q(x) dx
C (x) e = r(x) ⇒ C (x) e e  = r(x) e
q(x) dx q(x) dx

⇒ C (x) = r(x) e q(x) dx

Die Integration der letzten Gleichung liefert die unbekannte Funktion C(x):
 
C(x) = C (x) dx = r(x) e q(x) dx
dx

Die partikuläre Lösung der inhomogenen DGL lautet jetzt:


 
− q(x) dx
y p = C(x) e = r(x) e q(x) dx
dx e− q(x) dx

Nach Einführung der Abkürzung h(x) = q(x) dx erhält man folgende Teillösungen:
 
yp = r(x) eh(x)
dx e−h(x) (Partikuläre Lösung der inhomogenen DGL)

yh = c e−h(x) (Allgemeine Lösung der homogenen DGL)

Hinweis: Die Hilfsfunktion h(x) ist ohne Konstante c anzusetzen.

Die allgemeine Lösung y der inhomogenen DGL ergibt sich somit folgendermaßen:
  
−h(x) −h(x) −h(x)
y = yh + y p ⇒ y = c e  + e r(x) eh(x)
dx = e r(x) eh(x)
dx + c
yh   
yp

Die allgemeine Lösung einer inhomogenen linearen DGL 1. Ordnung mit variablem Koeffizient
9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung 443

q(x) ergibt sich mit Hilfe der Variation der Konstanten also zusammenfassend zu:

Variation der Konstanten für eine inhomogene lineare DGL 1. Ordnung

Inhomogene Differentialgleichung : y + q(x) y = r(x)


Zugehörige homogene Differentialgleichung : y + q(x) y = 0
Abkürzung (h(x) ohne Konstante c): h(x) = q(x) dx (9.24)
Allgemeine Lösung der homogenen DGL : yh = c e−h(x)
1 2
Partikuläre Lösung der inhomogenen DGL : y p = r(x) eh(x) dx e−h(x)
1 2
Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL : y = e−h(x) r(x) eh(x) dx + c

Beispiel 9.27:
Gesucht ist die Lösung der Anfangswertaufgabe y − x y = 2x, y(0) = 0.
Aus y + (−x) y = 2x folgt: q(x) = −x r(x) = 2x
 
⇒ h(x) = q(x) dx = (−x) dx = −x2 /2

Aus (9.24) erhält man die allgemeine Lösung der inhomogenen DGL:
   
−h(x) −(−x2 /2) −x2 /2
y=e r(x) e h(x)
dx + c = e 2x e dx + c
   1 2
= ex /2 2 x e−x /2 dx + c = ex /2 −2 e−x /2 + c
2 2 2 2

2 /2
e−x /2 +c ex
2 2 /2 2 /2
= −2 ex  = c ex −2
e0 =1

Die spezielle Lösung ergibt sich aus der Erfüllung der Anfangsbedingung:
0 /2 2 2 /2
y(0) = 0 = c e −2 ⇒ c=2 ⇒ ys = 2 ex −2
1

9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung

Beispiel 9.28:
Überprüfen Sie, ob die angegeben Funktionen y = f (x) bzw. x = g(t) Lösungen der
angegebenen Differentialgleichungen sind.
?
a) y tan x = y y = f (x) = c sin x
444 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Die Ableitung der -vermeintlichen- Lösungsfunktion f (x liefert:

y = f  (x) = c cos x

Einsetzen der Lösungsfunktion und ihrer Ableitung in der DGL liefert:

? sin x ?
c cos x tan x = c sin x c cos x = c sin x c sin x = c sin x 
cos x
Die -vermeintliche- Lösungsfunktion y = f (x) führt zu keinem Widerspruch in
der DGL, folglich muss sie eine Lösung sein.
?
b) ẋ = −4x x = g(t) = ce−4t
ẋ = −4ce−4t ⇒ −4ce−4t = −4ce−4t 

Beispiel 9.29:
Zeigen Sie, dass die angegebenen Funktionen y = f (x) Lösungen der jeweiligen Diffe-
rentialgleichung sind. Zusätzlich soll die spezielle Lösung der DGL bestimmt werden.
a) y − y + 4 = 0 y = f (x) = cex + 4 y(0) = 6
Einsetzen der Lösungsfunktion f (x) und ihrer Ableitung in der DGL liefert:

y = f  (x) = cex cex − cex − 4 + 4 = 0 0=0 

Erfüllung der Anfangsbedingung liefert:

6 = c e0 + 4 ⇒ c=2 spezielle Lösung: ys = 2ex + 4

b) y − 2xy = 0
2
y = f (x) = cex y(1) = 2e

y = f  (x) = 2cxex
2 2 2
2cxex − 2x cex = 0 
Spezielle Lösung:
2 2
y(1) = f (1) = c e1 = 2e ce = 2e ⇒ c=2 ⇒ ys = 2ex

c) y = 6c x e3x
2 2
y = f (x) = ce3x y(1) = e2

f  = 6c x e3x
2 2 2
⇒ 6cxe3x = 6cce3x 

Spezielle Lösung:

y(1) = e2 = c e3 · 1 = ce3
2
⇒ 1 = ce c = 1/e

1 3x2
e = e3x −1
2
⇒ ys =
e
9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung 445

Beispiel 9.30:
Lösen Sie die Anfangswertaufgabe y = xy mit der Anfangsbedingung y(0) = 4.
Umformung der DGL liefert:
1
y = 
x
y
 f (x)
g(y)

Allgemeine Lösung:
 
1 x2 x2
eln y = e 2 +c
2 /2
dy = x dx + c ⇒ ln y = +c  y = ex ec
y 2
=y

Kontrolle der allgemeinen Lösung:


 2   2
y = ex /2 ec = x2 /2 ex /2 ec + ex /2 (ec ) = x ex /2 ec
2 2


=0

2 /2
y = xy
? 2 /2 ? 2 /2
xy = x · ex ec x ex ec = x · ex ec 
Die spezielle Lösung wird durch Erfüllung der Anfangsbedingung bestimmt:
2 /2
y(0) = 4 = e0 ec = e0 ec = ec ⇒ ln 4 = ln ec = c 
ln e = c c = 1,38629
=1

2 /2 2 /2
ys = ex e1,38629 = 4 ex
Kontrolle der speziellen Lösung:
 2 
(ys ) = 4 ex /2 = 4x ex /2 ex /2 = x 4 e
x /2
2 2 ? 2
⇒ 4x
   
y y

Alternative Definition der Konstante:


Durch Einführung einer neuen Konstante c1 = ec lässt sich die allgemeine Lösung
auch wie folgt angeben:
2 /2
y = c 1 ex

Aus der Anfangsbedingung folgt dann die spezielle Lösung:


2 /2 2 /2
y(0) = 4 = c1 e0 = c1 e0 = c1 ⇒ c1 = 4 ⇒ ys = 4 ex
446 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Beispiel 9.31:
Lösen Sie die angegebenen Differentialgleichungen nach Abschnitt 9.6.1.
a) y + 2xy = 0
y 1 1
= −2x dy = −2x dx dy = − 2x dx
y y y
eln y = e−x
2 +c
y = e−x 
ec = c1 e−x
2 2
ln y = −x2 + c 
y c1

b) y − ay =0
y 1 1
=a dy = a dx dy = a dx
y y y
ln y = ax + c eln y = eax+c y = eax ec = c1 eax
c) y y − 3x2 = 0
y y = 3x2 y dy = 3x2 dx y dy = 3x2 dx
y2 √
= x3 + c y = ∓ 2x3 + c
2
d) y sin x = y cos x
y 1
= cot x dy = cot x dx
y y
ln y = ln(sin x) + c eln y = eln(sin x)+c y = sin x · ec = c1 sin x
e) y cos x = y sin x
y 1
= tan x dy = tan x dx
y y
ln y = − ln(cos x) + c eln y = e− ln(cos x)+c = e− ln(cos x) ec
ec c1
y = ln(cos x) =
e cos x
f) y − y2 = 1
y 1
Umformen der DGL liefert: =1 ⇒ dy = dx
1 + y2 1 + y2
arctan y = x + c ⇒ y = tan(x + c)
g) xy − y = 0
y 1 1 1
Umformen der DGL liefert: = ⇒ dy = dx
y x y x
ln y = ln x + c1 ⇒ y = eln x+c1 = eln x ec1 = c x
h) x + y y =0
y2 x2
y y = −x ⇒ y dy = − x dx = − + c1
√2 2
y2 = −x2 + 2c1 = c − x2 ⇒ y = c − x2

c
9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung 447

i) y = −xy3
y 1 −1 x2
= −x ⇒ dy = − x dx = − + c1
y3 y3 2y2 2

1 1 1
= x2 − 2c1 = x2 + c ⇒ y2 = y=
y2  x2 + c x2 + c
−c

j) y = 2xy2
 
dy dy dy 1
y = 2xy2 = 2xy2 ⇒ 2 = 2xdx = 2x dx ⇒y=
dx y y2 c − x2

Beispiel 9.32:
Lösen Sie folgende DGLn 1. Ordnung (Anfangswertaufgabe).

3
a) 4y + 4x − 8xy = 0, y(0) =
2
Nach Umformung und Vereinfachung erhält man:

y
y = −x + 2xy y = x(2y − 1) =x
2y − 1
Integration beider Seiten liefert:
 
1 1 x2
dy = x dx ln(2y − 1) = + c1
2y − 1 2 2
2 +2c 2
ln(2y − 1) = x2 + 2c1 ⇒ eln(2y−1) = ex 1 = 
e2c1 ex
2c

2 2 1
2y − 1 = 2c ex ⇒ y = c ex +
2
1 1 1
Anmerkung: Das Integral dy kann auch als ln(y − ) angeschrie-
2y − 1 2 2
ben werden. Die allgemeine Lösung sieht dann etwas anders aus als der obige
Ausdruck. Die spezielle Lösung für gegebene Anfangsbedingung würde jedoch
in beiden Fällen identisch sein.
Spezielle Lösung:

3 1 1 2 1
y(0) = = c e0 + = c + ⇒ c=1 ⇒ y s = ex +
2 2 2 2

y
b) = 1−y y(π) = 3
cos x
448 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

y 1
= cos x dy = cos x dx
1−y 1−y

− ln(1 − y) = sin x + c ln(1 − y) = − sin x − c 1 − y = e− sin x e−c

⇒ y = 1 − e− sin x e−c oder: y = 1 −Ce− sin x oder: y = 1 +Ce− sin x


Anfangsbedingung (für die Form y = 1 −Ce− sin x ):

y(π) = 1 −Ce− sin π = 1 −Ce−0 = 1 −C = 3 ⇒ C = −2

Spezielle Lösung:

y = y = 1 + 2e− sin x

y
c) +y = 0 y(0) = 1
sinh x
1 
Umformung der DGL liefert: y = − sinh x
y
 
1
dy = − sinh x dx ln y = − cosh x+c1 y = e− cosh x ec1 = c e− cosh x
y

Anfangsbedingung: y(0) = 1 ⇒ 1 = c e−1 ⇒ c=e


Spezielle Lösung: y = e 1−cosh x

d) y − y + y tanh2 x = 0 y(1) = 4,2834


Allgemeine Lösung:

y
y = y(1 − tanh2 x) = 1 − tanh2 x ln y = tanh x +C
y

y = etanh x+C = eC etanh x = c etanh x ya = c etanh x


Spezielle Lösung:

y(1) = 4,2834 = c etanh 1 = c · 2,1417 ⇒ c=2 ⇒ ys = 2 etanh x

Beispiel 9.33:
Lösen Sie die angegebenen Differentialgleichungen nach Abschnitt 9.6.2.
a) y − y = x − 1 y(0) = 1 (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.1)
Die Umformung der DGL liefert:

y = x + y − 1 Das ist eine DGL in der Form y = f (Ax + By +C)

Lösungsweg 1: Anwendung der Gl.(9.12).


9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung 449

u = x+y−1 f (u) = u A = B = 1, C = −1

1
du = x + c1 ⇒ ln(u + 1) = x + c1
1+1·u

  = e
eln(u+1) = ex  u + 1 = cex
x+c1
ec1
u+1 c

⇒ x + y − 1 +1 = c e x
⇒ y = −x + c ex
  
u

Nach Erfüllung der Anfangsbedingung erhält man die spezielle Lösung:

y(0) = 1 = −0 + c e0 = c ⇒ c=1 ys = −x + ex

Lösungsweg 2: Schrittweise Berechnung.


Die Ableitung der Substitution u = x + y − 1 liefert:

(u) = (x + y − 1) = 1 + y ⇒ y = u − 1

Nach dem Einsetzen der Substitution und des letzten Ausdrucks in die DGL
erhält man:
1
u − 1 = u ⇒ u = 1 + u u = 1
1+u
Die Integration liefert die allgemeine Lösung:
 
1
du = (1) dx ⇒ ln(u + 1) = x + c1 Der Rest verläuft wie oben.
1+u

b) y = 2x − y + 1 y(0) = 1 (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.1)


Die Substitution u = 2x − y + 1 liefert: u = 2 − y y = 2 − u
 
1 1
2 − u = u u = 2 − u du = dx du = dx
2−u 2−u

− ln(2 − u) = x + c1 eln(2−u) = e−x−c1 2 − u = e−c1 e−x = c e−x


u = 2 − c e−x ⇒ 2x − y + 1 = 2 − c e−x y = c e−x + 2x − 1
Allgemeine Lösung: y = c e−x + 2x − 1,
Aus y(0) = 1 folgt c = 2 ⇒ spezielle Lösung: ys = 2 e−x + 2x − 1
c) y = (x + y + 1)2 y(0) = 0 (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.1)
Substitution: u = x + y + 1 A = 1, B = 1, C = 1, f (u) = u2
1 1
Allgemeine Lösung: du = x + c, du = x + c
A + B f (u) 1 + u2
450 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

arctan u = x + c ⇒ tan(arctan u) = tan(x + c) u = tan(x + c)


x + y + 1 = tan(x + c) y = tan(x + c) − x − 1
Spezielle Lösung:
y(0) = 0 = tan(0 + c) − 0 − 1 tan c = 1 ⇒ c = π/4
π
y = tan(x + ) − x − 1
4
d) y (x + y)2 − 1 = 0 (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.1)
1
Die Umformung der DGL liefert: y =
(x + y)2

Substitution: u = x + y ⇒ u = 1 + y  ⇒ y = u − 1
 
1 1 + u2 u2
u − 1 = ⇒ u = ⇒ du = dx +C
u2 u2 1 + u2
u − arctan u = x +C x + y − arctan(x + y) = x +C arctan(x + y) = y −C
⇒ x + y = tan(y −C) ⇒ y = tan(y −C) − x
e) y = 2x + y + 3 y(0) = −4 (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.1)
Substitution: u = 2x + y + 3
Allgemeine Lösung: y = c ex − 2x − 5 Spezielle Lösung: ys = ex − 2x − 5
f) y x2 = x2 + xy + y2 (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.1)

y x2 = x2 + xy + y2 ⇒ y = 1 + y/x + (y/x)2

y = f (u) mit der Substitution u = y/x f (u) = 1 + u + u2


 
du du
= ln x + ln c ⇒ = ln cx
f (u) − u 1 + u2
arctan u = ln cx u = tan(ln cx) y/x = tan(ln cx) y = x tan(ln cx)
x+y
g) y = (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.2)
x−y
Division des Zählers und Nenners der rechten Seite der DGL durch x und an-
schließende Substitution u = y/x liefert:

y
1+ 1+u 1 + u2

y = x u + xu = ⇒ xu =
y 1−u 1−u
1−
x
 
1−u  1 1 u 1
u = ( − ) du = dx
1 + u2 x 1 + u2 1 + u2 x
1
arctan u ∓ ln(1 + u2 ) = ln x + c
2
9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung 451

Daraus ergibt sich die allgemeine Lösung in impliziter Form (explizite Angabe
von y ist nicht möglich):

y 1 x2 + y2
arctan ∓ ln = ln x + c
x 2 x2

x2 + xy − 2y2
h) y = y(1) = 1 (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.2)
x2 − xy
Division des Zählers und Nenners auf der rechten Seite durch x2 liefert eine
DGL von der Gestalt y = f (y/x):

y y2
1+ −2 2
y = x x
y
1−
x
Mit Hilfe der Substitution u = y/x erhält man:

1 + u − 2u2 1 − u2 (1 + u)(1 − u)
u + xu = ⇒ xu = = = 1+u
1−u 1−u 1−u
 
u 1 1 1
= du = dx ln(1 + u) = ln x + c1
1+u x 1+u x
eln(1+u) = eln x+c1 1 + u = ec1 eln x = cx
Die Rücksubstitution von u = y/x liefert die allgemeine Lösung:

y = cx2 − x

Die spezielle Lösung wird aus der Anfangsbedingung y(1) = 1 bestimmt:

c · 12 − 1 = 1 ⇒c=2 ⇒ ys = 2x2 − x

i) x y = 4x + y y(1) = 0 (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.2)


y
Umformung der DGL: Division beider Seiten durch x liefert: y = 4 +
x
Lösungsweg 1: Dieser Weg basiert auf der unmittelbaren Anwendung von (9.14):

u = y/x ⇒ y = 4 + u f (u) − u = 4 + u − u = 4
  
f (u)

Aus (9.14) erhält man:



1 u
du = ln x + c = ln x + c u = 4 ln x + 4c
4 4
Nach der Rücksubstituion von u = y/x in den letzten Ausdruck erhält man die
452 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

allgemeine Lösung:
y
= 4 ln x + 4c y = x (4 ln x + 4c)
x
Die Berücksichtigung der Anfangsbedingung liefert die spezielle Lösung:

y(1) = 0 = 1 · (4 ln 1 + 4c) = 4 · 0 + 4c ⇒ c=0 ⇒ ys = 4x ln x

Lösungsweg 2: Schrittweises Vorgehen.


Substitution von y/x = u und y = u + x u in die DGL liefert :
 
4 4
u + x u = 4 + u ⇒ u = du = dx
x x
y
⇒ u = 4 ln x + c ⇒= 4 ln x + c ⇒ y = x (4 ln x + c)
x
Die Berücksichtigung der Anfangsbedingung liefert die spezielle Lösung:

y(1) = 0 = 1 (4 ln 1 + c) = 0 + c ⇒ c=0 ⇒ ys = 4x ln x

x3 + 2y3
j) y = y(1) = 1 (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.2)
xy2
Mit Hilfe der Substitution y = x u erhält man:

x3 + 2x3 u3 x3 (1 + 2u3 ) 1 + 2u3


u + xu = = =
x3 u2 x 3 u2 u2
1 + 2u3 1 + u3
xu = − u =
u2 u2
 
u2 u 1 u2 1 1
= du = dx ln(1 + u3 ) = ln x + c1
1+u 3 x 1+u 3 x 3
eln(1+u ) = eln x
3 3 +3c
ln(1 + u3 ) = 3 ln x + 3c1 = ln x3 + 3c1 1

3
1 + u3 = e3c1 eln x = cx3 u = (cx3 − 1)1/3
Die Rücksubstitution von u = y/x liefert die allgemeine Lösung:

y = x (cx3 − 1)1/3

Aus der erfüllung der Anfangsbedingung folgt die spezielle Lösung:

y(1) = 1 · (c · 13 − 1)1/3 = 1 ⇒ c − 1 = 13 c=2 ys = x (2x3 − 1)1/3


k) −2x4 sin x2 − xyy + y2 = 0 y( π) = 0 (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.3)
9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung 453

Division der Gleichung durch xy und Umformung liefert:

y x y 1
y = − 2x2 sin(x2 ) = − 2x2 sin(x2 )
x y x y
x
Das ist eine DGL von der Gestalt y = f (x, y/x). Mit der Substitution u = y/x
erhält man:
1 2
u + u x = u − 2x sin(x2 ) ⇒ uu = −2x sin x2
u
 
u2
u du = − 2x sin x2 dx = cos x2 + c
2
Die Rücksubstitution von u = y/x liefert die allgemeine Lösung:

y2 = 2x2 (cos x2 + c)

Die spezielle Lösung wird aus der Anfangsbedingung y( π) = 0 bestimmt:

0 = 2π (cos π + c) ⇒ c = 1 ⇒ ys = x 2 (cos x2 + 1)

y2 − xy
l) y = y(2) = 1 (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.3)
x2
Mit Hilfe der Substitution y = x u erhält man:

x2 u2 − x2 u
u + xu = = u2 − u xu = u2 − 2u
x2
 
u 1 1 1 1 u
= du = dx − ln = ln x + c1
u − 2u x
2 u − 2u
2 x 2 u−2
u u c
ln = −2 (ln x + c1 ) = ln(x−2 ) − 2c1 ⇒ = c x−2 = 2
u−2 u−2 x
Die Rücksubstitution von u = y/x liefert die allgemeine Lösung:

2cx
y=
c − x2
Die spezielle Lösung wird aus der Anfangsbedingung bestimmt:

4c 8x
y(2) = =1 ⇒ c = −4/3 ys =
c−4 3x2 + 4

m) xyy − y2 = 2x4 cos x2 y( π) = 0 (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.3)
454 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

y x
Division der Gleichung durch xy liefert: y = + 2x2 cos x2
x y
Das ist eine DGL von der Gestalt y = f (x, y/x), die mit Hilfe der Substitution
u = y/x in die Form mit getrennten Variablen gebracht werden kann. Man erhält
mit der Substitution y/x = u :

1 2
u + u x = u + 2x cos(x2 ) ⇒ uu = 2x cos x2
u
 
u2
u du = 2x cos x2 dx = sin x2 + c
2
Die Rücksubstitution von u = y/x liefert die allgemeine Lösung:

y = x 2(sin x2 + c)

Die spezielle Lösung wird aus der Anfangsbedingung y( π = 0 bestimmt:

0 = 2π (sin π + c) ⇒ c = 0 ⇒ ys = x 2 sin x2

Beispiel 9.34:
Gesucht ist die Lösung des Anfangswertproblems (Beispiel zu Abschnitt 9.6.2.2):
y y
y = 1 + ln , y(1) = 1
x x

Maple-Lösung s. Seite 741.


Lösungsweg 1: Dieser Weg basiert auf der unmittelbaren Anwendung von (9.14):

u = y/x ⇒ y = u(1 + ln u) f (u) − u = u(1 + ln u) − u = u ln u


  
f (u)

Aus (9.14) erhält man:



1
du = ln x + c ln(ln u) = ln x + c e   = e
ln(ln u) ln x+c
= 
eln x 
ec
u ln u
ln u x c1

ln u = c1 x eln u = ec1 x
 ⇒ u = ec1 x
u

Die Substitution von u = y/x liefert schließlich die allgemeine Lösung:


y
= ec1 x ⇒ y = x ec1 x
x
9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung 455

Bestimmung der speziellen Lösung durch Erfüllung der Anfangsbedingung:

y(1) = 1 = 1 · ec1 · 1 = ec1 c1 = 0 ⇒ ys = xe0 · x ys = x

Lösungsweg 2: Schrittweises Vorgehen.


Mit der Beziehung y = u + x u nach (9.13) erhält man aus der Aufgabenstellung:
1 1
u +x u = u (1 + ln u) ⇒ x u = u ln u ⇒ u =
u ln u x
=y

Das ist eine DGL mit getrennten Variablen, deren Lösung wie folgt lautet:

ln(ln u) = ln x + c

Der restliche Lösungweg verläuft wie oben.

Beispiel 9.35:

Lösen Sie die angegebene Differentialgleichung gemäß Abschnitt 9.6.3.2.

y − y = x sin x y(0) = −1

Allgemeine Lösung der homogenen DGL:

yh = c ex

Partikulärer Lösungsansatz:

y p = (A0 + A1 x) sin x + (B0 + B1 x) cos x

yp = A0 cos x + A1 sin x + A1 x cos x − B0 sin x + B1 cos x − B1 x sin x


Einsetzen in die DGL und Gruppierung liefert:

(−A0 +A1 −B0 ) sin x+(A0 −B0 +B1 ) cos x+(−A1 −B1 ) x sin x +(A1 −B1 ) x cos x = x sin x

Der Koeffizientenvergleich linker und rechter Seite liefert:

−A0 + A1 − B0 = 0 A0 − B0 + B1 = 0

−A1 − B1 = 1 A1 − B1 = 0
Die Lösung dieses Gleichungssystems mit vier Unbekannten liefert:

A0 = 0 A1 = −1/2 B0 = −1/2 B1 = −1/2


456 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL:

1 1
y = yh + y p y = c ex − cos x − x (sin x + cos x)
2 2
Die Erfüllung der Anfangsbedingung y(0) = −1 liefert c = −1/2
Die spezielle Lösung lautet:

1 1
ys = − (cos x + ex ) − x (sin x + cos x)
2 2

Beispiel 9.36:
Lösen Sie die angegebene Differentialgleichung gemäß Abschnitt 9.6.3.2.

y − 6y − sin 2x = 0 y(0) = 0

Die Umformung der DGL ergibt:

y − 6y = sin 2x

Allgemeine Lösung der homogenen DGL:

yh = c e6x

Partikulärer Lösungsansatz:

y p = A sin 2x + B cos 2x ⇒ yp = 2A cos 2x − 2B sin 2x

Nach Einsetzen von y p in die DGL und Umformen:

(−6A − 2B) sin 2x + (2A − 6B) cos 2x = sin 2x

Der Koeffizientenvergleich auf beiden Seiten liefert:

2A − 6B = 0 ⇒ A = 3B

1 3
−6A − 2B = 1 ⇒ −18B − 2B = 1 B=− A=−
20 20
Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL:

3 1
y = yh + y p = c e6x − sin 2x − cos 2x
20 20
Aus der Anfangsbedingung erhält man:

1 1
y(0) = c − 0 − =0 ⇒c=
20 20
9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung 457

Spezielle Lösung:

1 6x
ys = (e − 3 sin 2x − cos 2x)
20

Beispiel 9.37:

Lösen Sie die angegebene Differentialgleichung gemäß Abschnitt 9.6.3.2.

y − 2y + 1 + x2 = 0, y(1) = 7/4

Umformung der DGL liefert:

y − 2y = −1 − x2

Allgemeine Lösung der homogenen DGL:

y − 2y = 0 : yh = c e2x (gemäß (9.21) mit k = −2)

Partikuläre Lösung der inhomogenen DGL mit Ansatzfunktion nach Tabelle 9.1:

y p = A0 + A1 x + A2 x2 ⇒ yp = A1 + 2A2 x

Nach Einsetzen der Ansatzfunktion und ihrer Ableitung in die DGL erhält man:

A1 + 2A2 x − 2(A0 + A1 x + A2 x2 ) = −1 − x2
     
yp 2y p

Zusammenfassen der konstanten, linearen und quadratischen Terme in Gruppen:

(A1 − 2A0 ) + (2A2 − 2A1 )x − 2A2 x2 = −1 − 0 · x − x2

Der Koeffizientenvergleich auf beiden Seiten liefert:

A1 − 2A0 = −1 2A2 − 2A1 = 0 − 2A2 = −1

⇒ A2 = 1/2, A1 = 1/2, A0 = 3/4


Mit den nunmehr bekannten Koeffizienten A0 , A1 , A2 ergibt sich die Partikulärlösung
zu:
3 1 1
yp = + x + x2
4 2 2
Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL:
3 1 1
y = yh + y p ⇒ y = c e2x + + x + x2
4 2 2
458 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Die spezielle Lösung lässt sich mit Hilfe der Anfangsbedingung bestimmen:
7 3 1 1 7 7 7
y(1) = = c e2 · 1 + + · 1 + · 12 = c e2 + c e2 = − =0
4 4 2 2 4 4 4
3 1 1
⇒ c=0 ys = + x + x2
4 2 2

Beispiel 9.38:
Lösen Sie die angegebene Differentialgleichung gemäß Abschnitt 9.6.3.2.

y + y = sin x, y(0) = 3/2

Allgemeine Lösung der homogenen DGL y + y = 0 :

yh = c e−x

Partikuläre Lösung der inhomogenen DGL mit Ansatzfunktion nach Tabelle 9.1:

y p = A sin x + B cos x ⇒ yp = A cos x − B sin x

Das Einsetzen der Ansatzfunktion und ihrer Ableitung in die DGL liefert:

A cos x − B sin x + A sin x + B cos x = sin x

Nach Gruppierung der Sinus- und Kosinusterme erhält man mit Hilfe des Koeffizien-
tenvergleichs beider Seiten:

(A − B) sin x + (A + B) cos x = sin x + 0 · cos x

⇒ A−B = 1 A+B = 0 ⇒ A = 1/2 B = −1/2


1
yp = (sin x − cos x)
2
Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL:
1
y = yh + y p = c e−x + (sin x − cos x)
2
Die Einarbeitung der Anfangsbedingung liefert die unbekannte Konstante:
3 1 1 4
y(0) = = c e−0 + (sin 0 − cos 0) = c − ⇒ c= =2
2 2 2 2
Spezielle Lösung der inhomogenen DGL (Lösung der Anfangswertaufgabe):
1
ys = 2 e−x + (sin x − cos x)
2
9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung 459

Beispiel 9.39:
Lösen Sie die angegebene Differentialgleichung gemäß Abschnitt 9.6.3.2.

y − y = x sin 2x y(0) = 0

Allgemeine Lösung der homogenen DGL:

yh = c ex

Partikulärer Lösungsansatz:

y p = (A0 + A1 x) sin 2x + (B0 + B1 x) cos 2x

Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL:

2 1
y = c ex − (2 + 5x) cos 2x + (3 − 5x) sin 2x
25 25
Spezielle Lösung:

4 x 2 1
ys = e − (2 + 5x) cos 2x + (3 − 5x) sin 2x
25 25 25

Beispiel 9.40:
Lösen Sie die angegebene Differentialgleichung gemäß Abschnitt 9.6.3.2.

y = 2y + e2x , y(0) = 1

Allgemeine Lösung der homogenen DGL:

yh = c e2x

Partikulärer Lösungsansatz:

y p = Ax e2x , weil λ = −a

Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL:

y = (x + c)e2x ,

Spezielle Lösung: ys = (x + 1)e2x


460 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Beispiel 9.41:
Lösen Sie die angegebene Differentialgleichung gemäß Abschnitt 9.6.3.2.

y = 3y + e−2x y(0) = 4/5

Allgemeine Lösung der homogenen DGL:

yh = c e3x

Partikulärer Lösungsansatz:

y p = A e−2x

Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL:

1 −2x
y = c e3x − e
5
Spezielle Lösung:

1 −2x
ys = e3x − e
5

Beispiel 9.42:
y − 2y = e−2x y(0) = 1 y =? (Maple-Lösung auf Seite 741)

Allgemeine Lösung der homogenen DGL: yh = c e2x

Partikuläre Lösung der inhomogenen DGL mit Hilfe der Tabelle 9.1:

λ = −2 k = −2 d.h. es ist λ = −k

⇒ Ansatzfunktion: y p = A0 e−2x = A e−2x


yp = −2A e−2x ⇒ −2A e−2x − 2A e−2x = e−2x − 4A e−2x = e−2x
1
−4A = 1 ⇒ A = −1/4⇒ y p = − e−2x
4
Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL:
1 −2x
y = yh + y p ⇒ y = c e2x − e
4
Die Konstante c wird aus der Anfangsbedingung bestimmt:
1 −2 · 0 1 1 5
y(0) = 1 = c e2 · 0 − e = c e0 − e−2 · 0 = c − ⇒ c=
4 4 4 4
9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung 461

5 2x 1 −2x
Spezielle Lösung: ys = e − e
4 4

Beispiel 9.43:
Lösen Sie die angegebenen Differentialgleichungen nach Abschnitt 9.6.3.3.

a) x y + y = x cos x, y(π) = 0.
Die Division beider Seiten durch x liefert:

1 1 1
y + y = cos x ⇒ q(x) = r(x) = cos x h(x) = dx = ln x
x x x
Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL nach Gl. (9.24):
⎡ ⎤

y=e − ln x ⎣ eln x dx + c⎦ = e− ln x (cos x + x sin x + c)
cos x · 
x
1 1
= (cos x + x sin x + c) = (cos x + x sin x + c)
eln x x
Einarbeitung der Anfangsbedingung:
1 1
y(π) = 0 = (cos π + π · sin π + c) = (−1 + 0 + c) ⇒ c=1
π π
Spezielle Lösung der Anfangswertaufgabe:
1
y= (cos x + x sin x + 1)
x

y 2 3
b) y + = 1+ , y(1) = .
x x 2

1 2 1
q(x) = r(x) = 1 + h(x) = dx = ln x
x x x
Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL nach Gl. (9.24):
⎡ ⎤
  
2 1
y = e− ln x ⎣ (1 + ) · 
eln x dx + c⎦ = (x + 2) dx + c
x x
x
 2 
1 x x c
= + 2x + c = + 2 +
x 2 2 x

Einarbeitung der Anfangsbedingung:


3 1 c
y(1) = = +2+ ⇒ c = −1
2 2 1
462 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Spezielle Lösung der Anfangswertaufgabe:


x 1
ys = +2−
2 x

c) x y + y = x2 , y(3) = 4.
Die Division beider Seiten der DGL durch x liefert:
 
y 1 1
y + = x ⇒ q(x) = r(x) = x h(x) = q(x) dx = dx = ln x
x x x
Gleichung (9.24) liefert die allgemeine Lösung der inhomogenen DGL:
   
− ln x − ln x
y=e x e dx + c = e
ln x
x dx + c
2

 
1 x3 x2 c
= +c = +
x 3 3 x

Einarbeitung der Anfangsbedingung:

32 c c
y(3) = 4 = + = 3+ ⇒ c=3
3 3 3
Spezielle Lösung der inhomogenen DGL:

x2 3
y= +
3 x

Beispiel 9.44:
Die Differentialgleichung y − 2xy = x ist zu lösen a) nach Methode der Trennung
der Variablen, b) Methode der Variation der Konstanten, und c) Methode der Ansatz-
funktionen.

a) Lösung mit Hilfe der Trennung der Variablen


 
1 1
y = x(1 + 2y) y = 
x dy = x dx
1 + 2y 1 + 2y
   f (x)
g(y)

1 1 C
ln(1 + 2y) = x2 +C ln(1 + 2y) = x2 + = x2 +C1
2 2 2
2 +C 2 2 eC1 1 2 1
eln(1+2y) = ex 1 1 + 2y = ex eC1 y = ex − = c ex −
2
 2 2
c
9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung 463

b) Lösung mit Hilfe der Variation der Konstanten



q(x) = −2x r(x) = x h(x) = − 2x dx = −x2


1 1
x · e−x dx + c) = ex (− e−x + c) = cex −
2 2 2 2 2
y = ex (
2 2

c) Lösung mit Hilfe der Ansatzfunktionen


Allgemeine Lösung der homogenen DGL y − 2xy = 0 :
2
yh = cex

Partikulärer Lösungsansatz:

y p = A0 + A1 x ⇒ yp = A1

Einsetzen in die DGL liefert:

A1 − 2x (A0 + A1 x) = x ⇒ A1 − 2A0 x − 2A1 x2 = x

Der Koeffizientenvergleich beider Seiten liefert:

−2A0 = 1 ⇒ A0 = −1/2 A1 = 0 ⇒ y p = −1/2

Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL:

2 1
y = yh + y p = cex −
2

Beispiel 9.45:
Die Differentialgleichung xy = 4x2 + y ist zu lösen a) nach Methode der Variablen-
transformation, b) Methode der Variation der Konstanten, und c) Methode der Ansatz-
funktionen.

a) Variablentransformation
Nach Division der Gleichung durch x und Umformung erhält man:

y
y = 4x + DGL der Form y = f (x, y/x) (s. Abs. 9.6.2.3)
x
Die Substitution von u = y/x liefert:

u + xu = 4x + u ⇒ u = 4 ⇒ u = 4x + c
464 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Die Rücksubstitution von y/x für u liefert:

y
= 4x + c ⇒ y = 4x2 + cx
x

b) Variation der Konstanten


Nach Division der Gleichung durch x und Umformung ergibt sich

y 1
y − = 4x d.h. q(x) = − r(x) = 4x
x x

1
h(x) = − dx = − ln x
x
 
y = eln x ( 4x · e−ln x dx + c) = x ( 4 dx + c) = 4x2 + cx
1/x

c) Ansatzfunktion
Die Methode der speziellen Ansatzfunktionen nach Abs. 9.6.3.2 gilt nur für linea-
re DGLn mit konstantem Koeffizienten, d.h. für q(x) = const. Zwar funktioniert
sie gelegentlich auch für q(x) = const, aber nicht immer. Für das vorliegende
Beispiel allerdings versagt sie, wie nachfolgend gezeigt wird.
Die Umformung der DGL liefert:

1
y − y = 4x
x
Allgemeine Lösung der homogenen DGL y − y/x = 0 :

yh = cx

Partikulärer Lösungsansatz:

y p = A0 + A1 x ⇒ yp = A1

Nach Einsetzen in die DGL erhält man:


1 1
A1 − (A0 + A1 x) = 4x d.h. (A1 − A1 ) − A0 = 4x
x    x
0

Multiplikation beider Seiten mit x in der letzten Gleichung liefert:

−A0 = 4x2 ⇒ A0 = −4x2

Es gibt keine Möglichkeit, den Koeffizienten A1 zu bestimmen, d.h. die Ansatz-


methode versagt in diesem Fall.
9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung 465

Beispiel 9.46:
Die Differentialgleichung y + x2 y = x2 ist zu lösen a) nach Methode der Trennung
der Variablen und b) Methode der Ansatzfunktionen.
a) Trennung der variablen
Umformung der DGL ergibt: y = x2 (1 − y)
 
y 1
= x2 ⇒ dy = x2 dx
1−y 1−y

x3 − x3
− ln(1 − y) = + c1 ln(1 − y) = − c1
3 3
− x3
−c1
e−c1 e−x
3 /3
eln(1−y)
=e 3 1 − y = 
c
−x3 /3
(oder auch y = 1 + c e−x
3 /3
y = 1−c e )

b) Spezielle Ansatzfunktion
Allgemeine Lösung der homogenen DGL y + x2 y = 0 :

yh = c e−x
3 /3

Partikulärer Lösungsansatz:

y p = A0 + A1 x + A2 x2 ⇒ yp = A1 + 2A2 x

Nach Einsetzen von y p in die DGL erhält man:

A1 + 2A2 x2 + A0 x2 + A1 x3 + A2 x4 = x2

Der Koeffizientenvergleich auf beiden Seiten liefert:

A0 = 1 A1 = 0 A2 = 0 ⇒ yp = 1

Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL:

y = yh + y p = 1 + c e−x
3 /3
466 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

9.8 Lineare Differentialgleichungen 2. Ordnung


In diesem Abschnitt werden ausschließlich lineare Differentialgleichungen 2. Ordnung mit kon-
stanten Koeffizienten behandelt. Diese DGLn kommen in technischen Anwendungen, insbeson-
dere in der Mechanik und Elektrotechnik (mechanische und elektromagnetische Schwingungen),
sehr häufig vor. Man unterscheidet zwischen homogener und inhomogener DGL:

a2 y + a1 y + a0 y = 0 lineare homogene DGL in allgemeiner Form (9.25a)

a2 y + a1 y + a0 y = r(x) lineare inhomogene DGL in allgemeiner Form (9.25b)


Die Funktion r(x) auf der rechten Seite der inhomogenen DGL wird als Störfunktion bezeichnet.
Diese DGl 2. Ordnung der sog. allgemeinen Form lässt sich in eine DGL in der Normalform
überführen, indem ihre linke und rechte Seite durch a2 dividiert werden:
a1  a0
y + y+ y=0
a2 a2
 
p q

a1  a0 r(x)
y + y+ y=
a2 a2 a2
  
p q r(x)

Mit den Abkürzungen p = a1 /a2 und q = a0 /a2 und r(x) = r(x)/a2 ergibt sich die DGL in
der Normalform zu:

y + p y + q y = 0 lineare homogene DGL in Normalform (9.26a)

y + p y + q y = r(x) lineare inhomogene DGL in Normalform (9.26b)


Die Bestimmung der allgemeinen Lösung yh der homogenen DGL (9.26a) mit Hilfe eines Expo-
nentialansatzes wird im Abschnitt 9.8.1 erläutert.
Die allgemeine Lösung y der inhomogenen DGL (9.26b) ergibt sich, wie bereits schon im
Abschnitt 9.6.3 für Differentialgleichungen 1. Ordnung erläutert, als Summe von zwei Teillösun-
gen:

Allgemeine Lösung einer linearen inhomogenen DGL 2. Ordnung:

DGL: y + p y + q y = r(x)


Lösung: y = yh + y p (9.27)
y Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL y + py + q = r(x)
yh Allgemeine Lösung der homogenen DGL y + py + q y = 0
yp Partikuläre Lösung der inhomogenen DGL y + py + q y = r(x)

Für die Ermittlung der partikulären Lösung der inhomogenen DGL werden Ansatzfunktionen
verwendet, vgl. Absschnitt 9.8.2.
9.8 Lineare Differentialgleichungen 2. Ordnung 467

Anmerkung: Falls die zu lösende Anfangs- bzw. Randwertaufgabe keine Störfunktion r(x)
besitzt, d.h. wenn die das Problem beschreibende DGL von Haus aus homogen ist, kann die
Unterscheidung zwischen y und yh entfallen, weil sie in diesem Sonderfall identisch sind. In
nachfolgenden Abschnitten wird daher auf die Angabe des Index h verzichtet, wenn es keine
Verwechslungsgefahr zwischen y und yh besteht.

9.8.1 Allgemeine Lösung der homogenen Differentialgleichung 2. Ordnung

Für die Bestimmung der allgemeinen Lösung der linearen homogenen DGL 2. Ordnung mit
konstanten Koeffizienten p und q

y + p y + q y = 0 (9.28)

wird folgender Lösungsansatz gemacht:

y = eλ x λ : Parameter (zunächst unbekannt)

Die Lösungsansatzfunktion sowie ihre 1. und 2. Ableitung werden in die DGL eingesetzt:

y = λ eλ x y = λ 2 eλ x

λ 2 eλ x + p λ eλ x + q eλ x = 0
eλ x = 0
⇒ (λ 2 + p λ + q) 
=0

Es gilt stets eλ x
= 0, so dass der eingeklammerte Ausdruck zwingend gleich Null sein muss,
damit die Gleichung erfüllt ist. Diese Bestimmungsgleichung wird charakteristische Gleichung
der homogenen DGL genannt:

λ2 + p λ +q = 0 (charakteristische Gleichung) (9.29)

Die Lösung dieser quadratischen Gleichung liefert zwei Wurzeln für den Parameter λ :

p p2
λ1,2 = − ± −q (9.30)
2 4

Der Parameter λ kann in Abhängigkeit von der Diskriminante

p2
D= −q
4

reell oder komplex sein. Das Vorzeichen von D entscheidet wesentlich darüber, wie die Lösung
der DGL aussieht.
Insgesamt lassen sich drei Fälle unterscheiden:
468 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

p2
1. D = −q > 0
4

In diesem Fall sind beide Wurzeln λ1 und λ2 reell und verschieden:


 
p p2 p p2
λ1 = − + −q λ2 = − − −q
2 4 2 4

Die homogene DGL besitzt also zwei Einzellösungen (partikuläre Lösungen):

y1 = e λ 1 x y2 = eλ2 x

Die Linearkombination der Einzellösungen y1 und y2 liefert die allgemeine Lösung der
homogenen DGL:

y = c1 · y1 + c2 · y2 ⇒ y = c1 eλ1 x + c2 eλ2 x (9.31)

p2
2. D= −q = 0
4

In diesem Fall sind beide Wurzeln λ1 und λ2 reell und identisch:


p
λ1 = λ2 = λ = −
2
Man bekommt deshalb zunächst zwei identische Teillösungen:

y1 = y2 = eλ x = e−px/2

Es lässt sich jedoch zeigen, dass mit dem Lösungsansatz

y = C(x) e−px/2

und Anwendung der »Variation der Konstanten« (vgl. Abschnitt 9.6.3.3) die allgemeine
Lösung der homogenen DGL wie folgt lautet:

y = (c1 + c2 x) e−px/2 (9.32)

p2
3. D= −q < 0
4

Die allgemeine Lösung der homogenen DGL (9.28) lautet:

y = e−ηx (A cos ωx + B sin ωx) (9.33)


9.8 Lineare Differentialgleichungen 2. Ordnung 469

wobei

p p2
η= ω= q− (9.34)
2 4

Dieser Fall mit D < 0 ist für technische Anwendungen, insbesondere Schwingungen (Erd-
beben, Windlasten, Maschinen, Elektrotechnik), von besonderer Bedeutung. Im Abschnitt
9.10 ab Seite 483 wird dieses Thema anhand mehrerer Beispiele aus der Dynamik ausführ-
lich behandelt.

Herleitung der Formel (9.33):


Zunächst ist es zweckmäßig, in der Bestimmungsformel (9.30) für den Parameter λ den
Ausdruck in der Quadratwurzel etwas umzuformen:
   3
  
p p2 p p2 p 4 4 p2
λ1,2 = − ± −q = − ± − q− = − ± 4(−1) · q −
2 4 2 4 2 5 4
  
>0

p2 p2
Wenn − q < 0 ist (Fall 3), muss zwangsläufig D = q − > 0 sein. Jetzt wird -1 im
4 4
letzten Ausdruck durch i ersetzt (i ist die imaginäre Einheit und i2 = −1, vgl. Seite 712)
2

und man erhält den Parameter λ schließlich in komplexer Form:


  
2

p p p p2
λ1,2 = − ± i2 q − = − ±i q−
2 4 2 4

Zwecks abkürzender Schreibweise werden zwei neue Symbole eingeführt:



p p2
η= ω = q−
2 4

Die beiden komplexen Wurzeln lassen sich jetzt in folgender kompakter Form anschreiben:

λ1 = −η + iω λ2 = −η − iω

Die beiden Einzellösungen der homogenen DGL lauten somit:

y1 = eλ1 x = e(−η+iω)x y2 = eλ2 x = e(−η−iω)x

Die allgemeine Lösung der homogenen DGL (9.28) ergibt sich als Linearkombination der
Einzellösungen y1 und y2 :

y = c1 · y1 + c2 · y2 = c1 e(−η+iω)x + c2 e(−η−iω)x = c1 e−ηx eiωx + c2 e−ηx e−iωx


= e−ηx (c1 eiωx + c2 e−iωx )
470 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Mit Hilfe der Eulerschen Formeln für komplexe Zahlen (s. auch Seite 714)

eiωx = cos ωx + i sin ωx e−iωx = cos ωx − i sin ωx (9.35)

erhält man als allgemeine Lösung folgenden komplexwertigen Ausdruck:

y = e−ηx [c1 (cos ωx + i sin ωx) + c2 (cos ωx − i sin ωx)]


= e−ηx [(c1 + c2 ) cos ωx + i (c1 − c2 ) sin ωx ]
     
C1 C2
−ηx −ηx
= C1 e cos ωx +i C2 e
 sin ωx

g1 (x) g2 (x)

Es lässt sich zeigen, dass bei einer komplexwertigen Lösung y = C1 g1 (x) + i C2 g2 (x) der
homogenen DGL sowohl der Realteil g1 (x) als auch der Imaginärteil g2 (x), jeweils für
sich alleine betrachtet, ebenfalls Lösungen der Differentialgleichung sind (auf formalen Be-
weis wird hier verzichtet und auf Spezialliteratur verwiesen). Das bedeutet, dass im obigen
komplexwertigen Ausdruck jeder der Terme

y1 = e−ηx cos ωx y2 = e−ηx sin ωx

eine einzelne Lösung der homogenen DGL darstellt. Durch erneute lineare Überlagerung
dieser Lösungen erhält man schließlich die Formel (9.33):

y = e−ηx (A cos ωx + B sin ωx)

wobei in Anlehnung an die übliche Schreibweise diesmal nicht c1 , c2 als Symbole für die
Integrationskonstanten verwendet wurden, sondern A und B.

Beispiel 9.47:
Lösen Sie die Randwertaufgabe y + 4y = 0 y(0) = 0,1 y (0) = 0.

p2
p=0 q=4 ⇒ D= − q = −4 < 0 (Fall 3, s. Seite 468)
4
 
p p2 02
Aus (9.34) erhält man: η = = 0 ω= q− = 4− =2
2 4 4
Die allgemeine Lösung ergibt sich aus (9.33):

y = e−ηx (A cos ωx + B sin ωx) = e−0 · x (A cos 2x + B sin 2x) = A cos 2x + B sin 2x

Die unbekannten Konstanten A und B werden aus den zwei Randbedingungen be-
stimmt:

y(0) = 0,1 ⇒ A cos 0 +B sin


  0 = 0,1 ⇒ A = 0,1
=1 =0
9.8 Lineare Differentialgleichungen 2. Ordnung 471

y = −2A sin 2x + 2B cos 2x y (0) = −2 · 3 · 0 + 2B · 1 = 0 ⇒ B=0


Die -spezielle- Lösung der Randwertaufgabe ist somit:

ys = 0,1 cos 2x

Ein physikalischer Demonstrationsfall für dieses Beispiel ist der in Bild 9.7 a auf Sei-
te 483 abgebildete ungedämpfte Einmassenschwinger. Wird die Masse zum Zeitpukt
t = 0 um den Betrag y(0), d.h. um 0,1 m, statisch ausgelenkt, in der ausgelenkten
Position ruhig festgehalten und dann plötzlich losgelassen, wird sie Schwingungen
ausführen, die zeitlich einer Kosinus-Funktion entsprechen (vgl. auch Beispiel 9.59
auf Seite 484).

Beispiel 9.48:
Lösen Sie das Anfangswertproblem y − 2y − 3y = 0 mit den Anfangsbedingungen
y(0) = 1 y (0) = 0.
Lsg:

(−2)2
D= + 3 = 2 > 0 (Fall 1)
4
 
(−2) 22 (−2) 22
λ1 = − + +3 = 1+2 = 3 λ2 = − − + 3 = 1 − 2 = −1
2 4 2 4
y1 = e3x y2 = e−x ⇒ y = c1 e3x + c2 e−x
Einarbeitung der Anfangsbedingungen:

y = 3c1 e3x − c2 e−x

y(0) = 1 = c1 e3 · 0 + c2 e−0 ⇒ c1 + c2 = 1 c 1 = 1 − c2
y (0) = 0 = 3c e3 · 0 − c e−0
1 2
3 1
⇒ 3c1 − c2 = 0 3(1 − c2 ) − c2 = 0 4c2 = 3 ⇒ c2 = c1 =
4 4
Die Lösung der Anfangswertaufgabe (spezielle Lösung) lautet:
1 3x 3 −x
y= e + e
4 4

Beispiel 9.49:
Einsturz der Tacoma-Brücke. Ein berühmtes Beispiel für angefachte Schwingungen ei-
nes Bauwerks ist der Einsturz der Tacoma-Hängebrücke im US-Bundesstatt Washing-
ton am 7. November 1940. Aufgrund ihrer Konstruktionsart konnte bei der Tacoma-
Brücke eine sog. gekoppelte Biege-Torsions-Schwingung auftreten, welche imstande
472 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

ist, auch dem gleichmäßig wehenden Wind Energie zu entziehen. Ein solcher Schwin-
gungsmechanismus ist schon seit 1920-er Jahren aus dem Flugzeugbau unter dem
Namen Flattern von Flügeln bekannt und führte in der Luftfahrt zu zahlreichen Ab-
stürzen von Flugzeugen. Bei solchen sich selbst anfachenden Schwingungen spricht
man auch von selbst erregten Schwingungen.
Aufgrund ihrer aeroelastischen Eigenschaften konnte die Brücke dem mittel starken
Wind mit lediglich 67 km/h Strömungsgeschwindigkeit andauernd kinetische Energie
entziehen – mathematisch bedeutet dies, dass der Dämpfungsterm η in (9.36) nega-
tiv wird. Die Brückenschwingungen wurden aufgrund der negativen Dämpfung im-
mer stärker, bis das Material die extrem hohen Beanspruchungen nicht mehr ertragen
konnte und die Brücke schließlich einstürzte. Dieses Unglück ist von Passanten mit
Filmkamera aufgenommen worden und ist im Internet als beeindruckende Videodatei
verfügbar.

Beispiel 9.50:
Dynamik ist ein wichtiges Teilgebiet der Mechanik, ihren Kernpunkt bilden die Schwin-
gungen von Strukturen. Die unabhängige Variable der Dynamik ist die Zeit t. Die ab-
hängige Variable, die wir allgemein mit dem Symbol u kennzeichnen können, kann
vielfältiger Natur sein, z.B. die Auslenkung eines bestimmten Tragwerkspunktes, das
Biegemoment an der Einspannstelle etc. Die Anpassung der Lösungsfunktion (9.33)
an die Variablenbezeichnungen der Dynamik liefert als Lösungsfunktion:

u = e−η t (A cos ωt + B sin ωt) (9.36)

Diese Funktion wird in der Dynamik als gedämpfte Schwingungsfunktion bezeichnet.


Der Parameter ω ist die Kreisfrequenz der Schwingung. Die Einheit von ω ist rad/s.
In Bild 9.6 ist die Schwingungsfunktion für folgende Werte grafisch dargestellt.

A=1 B=1 ω =5

η = 0.6 : u(t) = e−0,6t (cos 5t + sin 5t) Amplitude von u(t) klingt ab.
η = 0.0 : u(t) = cos 5t + sin 5t Amplitude von u(t) bleibt konstant.
η = −0.6 : u(t) = e0,6t (cos 5t + sin 5t) Amplitude von u(t) wird größer.
9.8 Lineare Differentialgleichungen 2. Ordnung 473

40
1
1

u
u

20

t [sec]
2 4 6
0 2 4 6 0
0 2 4 6 t [sec]
t [sec] –20

–1
–40

a: η = 0,6 b: η = 0 c: η = −0,6

Bild 9.6: Schwingungsfunktion des Beispiels 9.50

Der Parameter η drückt die Dämpfung der Schwingung aus. Das Vorzeichen von η
bestimmt die Art der Schwingung, s. auch Tabelle 9.2:
a) Wenn η > 0 ist, liegt eine gedämpfte Schwingung vor, weil der Term e−ηt und
damit die Schwingungsamplitude u mit wachsendem t immer kleiner werden, s.
Bild 9.6 a.
b) Wenn η = 0 ist, liegt eine ungedämpfte Schwingung vor, weil e−ηt = 1 ist und da-
mit die Schwingungsamplitude u unabhängig von t konstant bleibt, s. Bild 9.6 b.
Es ist anzumerken, dass bei realen Bauwerken η = 0 nicht vorkommt!
c) Wenn η < 0 ist, handelt es sich um eine angefachte Schwingung, bei der die
Schwingungsamplituden immer größer werden, weil mit wachsendem t der Term
e−ηt immer größer wird.

Tabelle 9.2: Auswirkungen der Dämpfung auf die Schwingung.

Dämpfungskonstante η Schwingung ist Schwingungsamplitude


η >0 gedämpft klingt ab
η =0 ungedämpft bleibt konstant
η <0 negativ gedämpft wird größer

Die Periode einer vollständigen Kosinus-/Sinuswelle beträgt 2π (s. Tabelle 2.1 auf
Seite 42). Die für einen solchen vollen Schwingungszyklus benötigte Zeit T wird als
Periode der Schwingung bezeichnet und ergibt sich aus

ωT = 2π ⇒ T= Einheit von T : s
ω
Die Schwingungsfrequenz kann anstelle der Kreisfrequenz ω auch durch eine andere
Einheit, die Hertz (abgekürzt Hz) mit dem Symbol f , ausgedrückt werden:

1 Hertz = 1 Hz = 1 Schwingungszyklus / Sekunde


474 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Man bezeichnet f als Zyklusfrequenz, oder einfach auch als Frequenz. Eine Frequenz
von 2 Hz beispielsweise bedeutet, dass in jeder Sekunde 2 volle Schwingungszyklen
durchlaufen werden. Der Kehrwert der Frequenz f ist die Periode T . Zwischen der
Kreisfrequenz ω , der Frequenz f und der Periode T bestehen folgende Beziehungen:

ω 1 1 2π
ω = 2π f f= T= f= T=
2π f T ω

9.8.2 Partikuläre Lösung der inhomogenen Differentialgleichung 2. Ordnung


Die partikuläre Lösung y p der linearen inhomogenen Differentialgleichung zweiter Ordnung mit
konstanten Koeffizienten

y + p y + q y = r(x) (9.37)

erfolgt mit Hilfe der speziellen Ansatzfunktionen in Tabelle 9.3. Die Tabelle enthält Lösungsan-
sätze für einige in technischen Anwendungen besonders häufig vorkommende Störfunktionen.
Die Wahl der geeigneten Ansatzfunktion hängt vom Typ der Störfunktion r(x) ab. Die rechte
Seite der inhomogenen DGL wird mit den Einträgen in der Spalte »Störfunktion« der Tabelle
verglichen. Sofern die rechte Seite der DGL mit dem Tabelleneintrag strukturell, d.h. im Aufbau,
übereinstimmt, wird die in der rechten Spalte stehende Lösungsansatzfunktion gewählt und in
die DGL eingesetzt.
Regeln für die Anwendung der Tabelle 9.3:
Bei der Anwendung der Tabelle 9.3 sind zusätzlich folgende Regeln zu beachten:

1. Grundregel.
Falls die Störfunktion r(x) eine der in der linken Tabellenspalte enthaltenen Funktionen
ist, wird als Lösungsansatz y p (x) die korrespondierende Funktion in der rechten Spalte
gewählt. Dieser Lösungsansatz und seine Ableitungen werden in die inhomogene DGL ein-
gesetzt und daraus die unbestimmten Koeffizienten A0 , A1 , A2 etc. bestimmt.
2. Modifikationsregel.
a. Falls die Störfunktion r(x) und eine Einzellösung der homogenen DGL (9.28) (z.B.
y1 oder y2 auf Seite 468) identisch sind, dann wird die Ansatzfunktion y p (x) mit x
multipliziert.
b. Wenn die Einzellösungen y1 , y2 der DGL (9.28) identisch sind, d.h. wenn y1 = y2 (das
ist dann der Fall, wenn D = 0 ist, s. Seite 468), wird die Ansatzfunktion y p (x) mit
x2 multipliziert.

3. Additionsregel. Falls die Störfunktion r(x) durch eine Summe der in der linken Tabellen-
spalte angegebenen Funktionen dargestellt werden kann, dann besteht der Lösungsansatz
y p (x) aus der Summe der korrespondierenden Ansatzfunktionen der rechten Spalte.
9.8 Lineare Differentialgleichungen 2. Ordnung 475

Tabelle 9.3: Ansatzfunktionen für die partikuläre Lösung der DGL (9.37)

Störfunktion r(x) Lösungsansatzfunktion y p (x)






⎪ falls q = 0 : (A0 + A1 x + · · · + An xn )


a0 + a1 x + a2 x2 + · · · + an xn falls p = 0, q = 0 : x (A0 + A1 x + · · · + An xn )






falls p = q = 0 : x2 (A0 + A1 x + · · · + An xn )

(a0 + a1 x + a2 x2 + · · · + an xn ) esx (A0 + A1 x + A2 x2 + · · · + An xn ) esx s. Modifikationsregel

a0 sin αx A sin αx + B cos αx

a0 cos αx A sin αx + B cos αx

(a0 + a1 x + a2 x2 + · · · + an xn ) sin αx (A0 + A1 x + A2 x2 + · · · + An xn ) sin αx


+(A0 + B1 x + B2 x2 + · · · + Bn xn ) cos αx

(a0 + a1 x + a2 x2 + · · · + an xn ) cos αx (A0 + A1 x + A2 x2 + · · · + An xn ) sin αx


+(B0 + B1 x + B2 x2 + · · · + Bn xn ) cos αx

Anmerkung: a0 , a1 , a2 , · · · sowie s und α sind vorgegebene Skalare; p und q gemäß (9.28).

Beispiel 9.51:
Nachfolgend sind einige Beispiele für die Wahl von Ansatzfunktionen für die partiku-
läre Lösung angegeben.

Störfunktion r(x) Ansatzfunktion y p (x)


1 + 2x A0 + A1 x
1 − 4x + 2.5x2 − 9x3 A0 + A1 x + A2 x2 + A3 x3
4x3 A0 + A1 x + A2 x2 + A3 x3
2e5x Ae5x
−2e−7x Ae−7x
sin 2x A sin 2x + B cos 2x
3 sin(−2x) A sin(−2x) + B cos(−2x)
5 cos 2x A sin 2x + B cos 2x
2e3x + sin 2x A1 e3x + A2 sin 2x + B1 cos 2x
e5x + 4e−3x + sin 2x A1 e5x + A2 e−3x + A3 sin 2x + A4 cos 2x
476 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Beispiel 9.52:

Gesucht ist die partikuläre Lösung der inhomogenen DGL y + 4y = 16x2 .
Mit der Ansatzfunktion y p = A0 + A1 x + A2 x2 aus Tabelle 9.3 (p = 0, q = 0) erhält
man:

yp = A1 + 2A2 x yp = 2A2

Das Einsetzen in die DGL liefert:

2A2 +4 (A0 + A1 x + A2 x2 ) = 16x2 ⇒ (2A2 + 4A0 ) + 4A1 x + 4A2 x2 = 0 + 0 · x + 16x2


   
yp yp

Der Koeefizientenvergleich zwischen der linken und rechten Seite liefert:

2A2 + 4A0 = 0 4A1 = 0 4A2 = 16 ⇒ A2 = 4 A1 = 0 A0 = −2

Die partikuläre Lösung lautet:

y p = −2 + 0 · x + 4x2 = −2 + 4x2

Beispiel 9.53:

Gesucht ist die spezielle Lösung der folgenden Randwertaufgabe.

y − 3y − 4y = e−x y(0) = 0 y (0) = 0

Der Ansatz y = eλ x für die Lösung der homogenen DGL y − 3y − 4y = 0 liefert:

(λ 2 − 3 λ − 4) eλ x = 0 ⇒ λ1 = −1 λ2 = 4

Die Teillösungen und die Lösung der homogenen DGL lauten:

y1 = e−x y2 = e4x yh = c1 y1 + c2 y2 = c1 e−x + c2 e4x

Für die Störfunktion r(x) = e−x (mit s = −1) bietet sich die Ansatzfunktion y p =
A0 e−x an (s. Tabelle 9.3). Die erste und zweite Ableitung der Ansatzfunktion lauten:

yp = −A0 e−x yp = A0 e−x

Das Einsetzen der Ansatzfunktion und ihrer Ableitungen in die inhomogene DGL lie-
fert:

A0 e−x −3 (−A0 e−x ) −4 (A0 e−x ) = e−x ⇒ 0 = e−x 


        
=yp =yp =y p
9.8 Lineare Differentialgleichungen 2. Ordnung 477

Der obige Ausdruck rechts ist ein Widerspruch, unser Lösungsansatz ist also nicht
korrekt. Die Ursache des Problems liegt darin, dass die Störfunktion r(x) = e−x und
die Teillösung y1 = e−x identisch sind. Gemäß der Modifikationsregel 2 auf Seite 474
muss deshalb die richtige Ansatzfunktion lauten:

y p = A0 x e−x

Nach Einsetzen der Ansatzfunktion und ihrer Ableitungen

yp = A0 (e−x − x e−x ) yp = A0 (−2e−x + x e−x )

in die inhomogene DGL erhält man:

A0 (−2e−x + x e−x ) − 3 A0 (e−x − x e−x ) − 4 x A0 e−x = e−x

1
⇒ −5A0 e−x = e−x ⇒ A0 = −
5
Die partikuläre Lösung lautet somit:
1
y p = − x e−x
5
Die allgemeine Lösung der inhomogenen DGL ergibt sich aus der Überlagerung der
homogenen Lösung mit der Partikulärlösung:
1 −x
y = yh + y p = c1 e−x + c2 e4x − xe
5
Die unbekannten Konstanten c1 , c2 ergeben sich aus den Randbedingungen. Aus y(0) =
0 folgt:
1
c1 · 1 + c2 · 1 − ·0·1 = 0 c1 + c2 = 0 (a)
5
Die Erfüllung der Bedingung y (0) = 0 liefert:

1 −x
y = −c1 e−x + 4c2 e4x − (e − x e−x )
5
1 1
y (0) = −c1 · 1 + 4c2 · 1 −
(1 − 0) = −c1 + 4c2 − = 0 (b)
5 5
Die Auflösung des Gleichungssystems (a) und (b) liefert:
1 1
c1 = − c2 =
25 25
478 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Die spezielle Lösung des Randwertproblems kann jetzt angegeben werden:


1 −x 1 4x 1 −x
ys = − e + e − xe
25 25 5

9.8.3 Allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung 2. Ordnung


Wie bereits in Abs. 9.8 erläutert, setzt sich die allgemeine Lösung y der linearen inhomogenen
DGL 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten

y + p y + q y = r(x) (9.38)

aus den Teillösungen yh und y p zusammen:

y = yh + y p

Die allgemeine Lösung yh der zugehörigen homogenen DGL wird gemäß Abschnitt 9.8.1 be-
stimmt. Die Bestimmung der partikulären Lösung y p der inhomogenen DGL wurde in Abs.
9.8.2 erläutert. Nach Aufstellung der allgemeinen Lösung y kann durch erfüllung der Randbe-
dingungen die spezielle Lösung ys bestimmt werden.

Beispiel 9.54:
Gesucht ist die Lösung der DGL y + 4y = 16x2 , y(0) = 1, y (0) = 0.
Für diese DGL sind die allgemeine Lösung der homogenen DGL und die partikuläre
Lösung der inhomogenen DGL bereits ermittelt (s. Beispiele 9.47 und 9.52):

yh = A cos 2x + B sin 2x y p = −2 + 4x2

Die allgemeine Lösung der inhomogenen DGL ergibt sich aus der Addition beider
Teillösungen:

y = yh + y p = A cos 2x + B sin 2x − 2 + 4x2

Die Berücksichtigung der Anfangsbedingungen liefert die Lösung der Anfangswert-


aufgabe:

y(0) = 1 = A cos(2 · 0) + B sin(2 · 0) − 2 + 4 · 02 = A − 2 ⇒ A=3

y = −2A sin 2x + 2B cos 2x + 8x


y (0) = 0 = −2A sin(2 · 0) + 2B cos(2 · 0) + 8 · 0 = 2B ⇒ B=0
ys = 3 cos 2x − 2 + 4x2
9.9 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 2. Ordnung 479

9.9 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 2. Ordnung


Beispiel 9.55:
Überprüfen Sie, ob die angegebene Funktion y = f (x) die Lösung der jeweiligen
DGL ist.
a) y + 4y = 0 y = f (x) = A sin 2x + B cos 2x
Die Ableitung der -vermeintlichen- Lösungsfunktion f (x liefert:

y = f  (x) = 2A cos 2x − 2B sin 2x y = f  (x) = −4A sin 2x − 4B cos 2x

Einsetzen von y = f (x) und ihrer 2-ten Ableitung f  (x) in die DGL liefert:
?
−4A sin 2x − 4B cos 2x + 4 (A sin 2x + B cos 2x) = 0
?
−4A sin 2x + 4A sin 2x −4B cos 2x + 4B cos 2x = 0 0=0 
    
=0 =0

Die -vermeintliche- Lösungsfunktion f (x) erfüllt also die DGL (das Einsetzen
von f (x) in die DGL führte zu keinem Widerspruch) und ist deshalb eine Lö-
sung.
b) y − 9y = 0 y = f (x) = c1 e2x + c2 e−3x

f  = 2c1 e2x − 3c2 e−3x f  = 4c1 e2x + 9c2 e−3x


Einsetzen der -vermeintlichen- Lösungsfunktion f (x) und ihrer 2. Ableitung in
die DGL liefert:

4c1 e2x + 9c2 e−3x − 9 (c1 e2x + c2 e−3x ) = 0


?

?
⇒ −5c1 e2x = 0 e2x = 0 
Aufgrund des Widerspruchs im Ergebnis (e2x ist nicht gleich 0 – es sei denn für
x = −∞, was aber hier uninteressant wäre) ist die angegebene Funktion f (x)
keine Lösung der DGL.
c) y = 2ex y = f (x) = 2ex + c1 x + c2

f  = 2ex + c1 f  = 2ex ⇒ 2ex = 2ex  f (x) ist eine Lösung

d) y = 4ex y = f (x) = 4ex + c1 x2 + c2 x + c3

f  = 4ex +2c1 x + c2 f  = 4ex +2c1 f  = 4ex ⇒ 4ex = 4ex 


480 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Beispiel 9.56:
Lösen Sie die angegebenen homogenen Differentialgleichungen 2. Ordnung.
a) y − 5y = 0 y(0) = 0 y (0) = 5
Der Lösungsansatz y = eλ x liefert die charakteristische Gleichung

(λ 2 − 5λ ) eλ x = 0 λ 2 − 5λ = 0 ⇒ λ1 = 0 λ2 = 5

⇒ y 1 = e0 = 1 y2 = e5x
Allgemeine Lösung der homogenen DGL:
y = c1 y1 + c2 y2 = c1 + c2 e5x
Aus den Anfangsbedingungen ergibt sich:

y(0) = c1 + c2 · 1 = 0 y (0) = 5c2 · 1 = 5 ⇒ c2 = 1 c1 = −1

Spezielle Lösung: ys = −1 + e5x


b) y − 2y − 3y = 0 y(0) = 4 y (0) = 0
Der Lösungsansatz y = eλ x liefert die charakteristische Gleichung

(λ 2 − 2λ − 3) eλ x = 0 λ 2 − 2λ − 3 = 0 ⇒ λ1 = −1 λ2 = 3

y1 = e−x y2 = e3x
Allgemeine Lösung:
y = c1 y1 + c2 y2 = c1 e−x + c2 e3x
Mit den Anfangsbedingungen ergibt sich:

y(0) = c1 + c2 = 4 y (0) = −c1 + 3c2 = 0 ⇒ c1 = 3 c2 = 1

Spezielle Lösung: ys = 3e−x + e3x


c) y − 4y = 0
Mit dem Lösungsansatz y = eλ x erhält man:

(λ 2 − 4) eλ x = 0 λ2 −4 = 0 ⇒ λ1 = +2 λ2 = −2

y1 = e2x y2 = e−2x
Allgemeine Lösung: y = c1 y1 + c2 y2 = c1 e2x + c2 e−2x
d) y − 8y + 16y = 0 y(0) = −1 y (0) = −2
Die allgemeine Lösung erhält man gemäß Abschnitt 9.8.1 auf Seite 467:

p2
p = −8 q = 16 D= −q = 0 ⇒ λ 1 = λ2 = 4
4

Gleichung (9.32) liefert: yh = (c1 + c2 x) e4x


9.9 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 2. Ordnung 481

Erfüllung der Anfangsbedingungen:

y(0) = (c1 + c2 · 0)e0 = −1 ⇒ c1 = −1

y = c2 e4x + 4(c1 + c2 x)e4x


y (0) = c2 e0 + 4(c1 + c2 · 0) · e0 = c2 + 4c1 = −2
⇒ c2 − 4 · 1 = −2 c2 = 2
Spezielle Lösung: ys = (−1 + 2x)e4x
e) y + 6y + 10y = 0
Zweckmäßig ist die Lösung mit Hilfe der unmittelbaren Anwendung von (9.33).
Hier wird jedoch aus didaktischen Gründen der -umständlichere- detaillierte Weg
gezeigt.
Der Lösungsansatz y = eλ x liefert:

(λ 2 + 6λ + 10) eλ x = 0 ⇒ λ 2 + 6λ + 10 = 0

λ1,2 = −3 ∓ −1 ⇒ λ1 = −3 + i λ2 = −3 − i
  
i

Mit Hilfe der Euler-Beziehungen


eix = cos x + i sin x e−ix = cos x − i sin x
erhält man die allgemeine Lösung:

y1 = e−3x+ix = e−3x eix = e−3x (cos x + i sin x)

y2 = e−3x−ix = e−3x e−ix = e−3x (cos x − i sin x)


y = c1 y1 + c2 y2 = e−3x (c1 cos x + ic1 sin x + c2 cos x − ic2 sin x)
y = e−3x [(c1 + c2 ) cos x + i (c1 − c2 ) sin x] = e−3x (C1 cos x +C2 sin x)
     
C1 C2

Beispiel 9.57:
Lösen Sie die inhomogene Differentialgleichung y − 8y + 25y = x .
Allgemeine Lösung der homogenen DGL:

yh = c1 e4x sin 3x + c1 e4x cos 3x

Partikuläre Lösung der inhomogenen DGL:

y p = A + Bx ⇒ yp = B yp = 0

0 − 8B + 25(A + Bx) = x (−8B + 25A) + 25Bx = x


⇒ B = 1/25 A = 8/625
482 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Allgemeine Lösung:
8 1
y = yh + y p = c1 e4x sin 3x + c1 e4x cos 3x + + x
625 25

Beispiel 9.58:
Lösen Sie folgende Anfangswertaufgaben 2. Ordnung.
a) y − y = 5 cos 2x y(0) = −1, y (0) = −2
Allgemeine Lösung der homogenen DGL y − y = 0 :

yh = c1 ex + c2 e−x

Einsetzen des Ansatzes y p = A sin 2x + B cos 2x für die Partikulärlösung in die


inhomogene DGL liefert:

−5A sin 2x − 5B cos 2x = 5 cos 2x ⇒ A=0 B = −1

⇒ y p = − cos 2x
Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL :

y = yh + y p = c1 ex + c2 e−x − cos 2x

Erfüllung der Anfangsbedingungen:

y(0) = −1 = c1 e0 + c2 e−0 − cos 0 = c1 + c2 − 1 ⇒ c1 = −c2

y = c1 ex − c2 e−x + 2 sin 2x

y (0) = −2 = c1 e0 − c2 e−0 + 2 sin 0 = c1 − c2 + 0 − 2 = −2c2


⇒ c2 = 1 c1 = −1
Spezielle Lösung der Anfangswertaufgabe:

ys = −ex + e−x − cos 2x

b) y + y − 2y = 20 cos 2x y(0) = 0 y (0) = 2


Allgemeine Lösung der inhomogenen DGL:

y = c1 e−2x + c2 ex − 3 cos 2x + sin 2x

Anfangsbedingungen:

y(0) = 0 ⇒ c1 + c2 − 3 = 0

y = −2c1 e−2x + c2 ex + 6 sin 2x + 2 cos 2x


9.10 Anwendungsbeispiele aus der Strukturdynamik 483

y (0) = 2 ⇒ −2c1 + c2 = 0
⇒ c1 = 1 c2 = 2
Spezielle Lösung:

ys = e−2x + 2 ex − 3 cos 2x + sin 2x

9.10 Anwendungsbeispiele aus der Strukturdynamik


Eines der Hauptanwendungsgebiete für Differentialgleichungen 2. Ordnung mit konstanten Ko-
effizienten sind die mechanischen Schwingungsprobleme von Ingenieurkonstruktionen und Bau-
werken (Strukturdynamik). In diesem Abschnitt wird der einfache Schwinger mit nur einem
Freiheitsgrad behandelt.

9.10.1 Freie Schwingung eines Schwingers mit einem Freiheitsgrad

Der in Bild 9.7 a dargestellte Einmassenschwinger ist der einfachste Schwingertyp und besteht
aus einer Feder und einer Masse. Der Schwinger in Bild 9.7 b enthält zusätzlich einen Dämpfer.
Falls keine Störfunktion F(t) vorhanden ist, d.h. wenn F(t) = 0 (für t ≥ 0), wird sein Schwin-
gungsvorgang als freie Schwingung bezeichnet. Es wird anstelle von freier Schwingung auch von
Eigenschwingung gesprochen, weil der zeitliche Ablauf des Schwingungsvorganges nicht durch
äußere Einwirkungen, sondern durch den Schwinger selbst bestimmt wird.

k k c

m m
x(t) x(t)

F(t) F(t)

a: ungedämpft b: gedämpft

Bild 9.7: Ungedämpfter und gedämpfter Einmassenschwinger

9.10.2 Ungedämpfte freie Schwingung

Die freie Schwingung des ungedämpften Schwingers in Bild 9.7 a mit F(t) = 0 wird durch fol-
gende lineare homogene Differentialgleichung 2. Ordnung beschrieben:

d2
m x(t) + k x(t) = 0 bzw. m ẍ(t) + k x(t) = 0 t : Zeit
dt 2
484 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Der Einfachheit halber kann die Angabe der unabhängigen Zeitvariable t wegfallen:

k
m ẍ + k x = 0 bzw. ẍ + x=0 (9.39)
m
Diese DGL entspricht dem Fall 3 auf Seite 468, weil

k p2
p=0 q= ⇒ D= −q < 0
m 4
Die Parameter η und ω ergeben sich aus 9.34 auf Seite 469 zu:

k
η =0 ω= ω : Eigenkreisfrequenz
m

Die Lösung dieser DGL ergibt sich aus (9.33) auf Seite 468, wobei die unabhängige Variable x
in (9.33) jetzt durch t und die abhängige Variable y durch x ersetzt werden muss:

x = e−0 · t (A cos ωt + B sin ωt) = A cos ω t + B sin ω t (9.40)

Die Integrationskonstanten A und B werden aus bekannten Anfangsbedingungen bestimmt.


Anmerkungen:
1. Im nächsten
 Abschnitt wird bei der Behandlung eines gedämpften Schwingers für den Aus-
druck k/m anstelle von ω das Symbol ω0 verwendet, um die Eigenkreisfrequenz eines
ungedämpften Systems von der des gedämpften Systems besser unterscheiden zu können.
2. Die Lösung (9.40) kann man auch direkt aus (9.46) entnehmen, indem das Dämpfungsmaß
ξ gleich Null gesetzt wird.

Beispiel 9.59:
Ein ungedämpfter Feder-Masse-Schwinger nach Bild 9.7 a wird statisch um 0,02 m
ausgelenkt und dann zum Zeitpunkt t = 0 plötzlich los gelassen, d.h. es liegen die
Anfangsbedingungen x(0) = 0,02 (Anfangsauslenkung) und ẋ(0) = v0 = 0 (Anfangs-
geschwindigkeit) vor. Gesucht ist die Schwingungsfunktion x(t).

k = 30.000 N/m m = 70 kg c = 0 Ns/m (weil ungedämpft)



k 30000
ω= = = 20,70 rad/s (Eigenkreisfrequenz)
m 70

ω 20,70
f= = = 3,295 Hz (Eigenfreuenz in Hertz)
2π 2π
Die DGL der Schwingung und ihre Lösung lauten gemäß (9.42) und (9.40):

k p2 k
m ẍ + k x = 0 ⇒ ẍ + x=0 Diskriminante : D = −q = − < 0
m 4 m
9.10 Anwendungsbeispiele aus der Strukturdynamik 485

⇒ x = A cos ω t + B sin ω t ẋ = −Aω sin ω t + Bω cos ω t


Die spezielle Lösung folgt aus den Anfangsbedingungen:

x(0) = A · 1 + B · 0 = 0,02 ⇒ A = 0,02

ẋ(0) = −Aω · 0 + Bω · 1 = 0 ⇒B=0


⇒ x(t) = 0,02 cos(20,7 t)
Die Schwingungsamplitude ist nachfolgend als Funktion x(t) der Zeit t dargestellt.
0.02
x(t)

0 0.2 0.4 0.6 0.8 1


t

–0.02

9.10.3 Gedämpfte freie Schwingung


Der in Bild 9.7 b dargestellte Einmassen-Feder-Dämpfersystem ist der allgemeinere Fall. Seine
Bewegungsdifferentialgleichung lautet:

d2 d
m x(t) + c x(t) + k x(t) = 0 bzw. m ẍ(t) + c ẋ(t) + k x(t) = 0 (9.41)
dt 2 dt
oder in vereinfachter Schreibweise:
c k
m ẍ + c ẋ + k x = 0 bzw. ẍ + ẋ + x = 0 (9.42)
m m
Hinweis: Es ist unbedingt darauf zu achten, dass die Koeffizienten m, c, k in Einheiten angege-
ben werden, die zueinander physikalisch konsistent sind. Für praktische Anwendungen werden
folgende Einheiten empfohlen:

Größe Symbol Einheit

N
Federsteifigkeit k
m

Masse m kg
N
Viskose Dämpfungskonstante c
m/s
486 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Die freie Schwingung des gedämpften Schwingers in Bild 9.7 b mit F(t) = 0 wird durch
folgende lineare homogene Differentialgleichung 2. Ordnung beschrieben:

c k
m ẍ + c ẋ + k x = 0 ẍ + ẋ + x = 0 (9.43)
m m
Die üblichen Bauwerke des Bauingenieurwesens haben in der Regel eine geringe Dämpfung,
aber hohe Federsteifigkeit und große Masse. Deshalb liegt in aller Regel der Fall 3 auf Seite 468
vor.

Mit den Parametern


 p 2
c k p c k  c 2
p= q= ⇒ η= = ω= q− = −
m m 2 2m 2 m 2m
ergibt sich die Lösung dieser DGL aus (9.33), wobei die unabhängige Variable x in (9.33) jetzt
durch t und die abhängige Variable y durch x ersetzt werden muss:

x(t) = e−ηt (A cos ωt + B sin ωt) (9.44)

ω ist die Eigenkreisfrequenz des gedämpften Systems.

Für die Behandlung gedämpfter mechanischer Schwingungen ist es zweckmäßig, neue Para-
meter einzuführen:

cc = 2 m ω0 (kritische Dämpfung) (9.45a)


c c
ξ= = (kritischer Dämpfungsgrad) (9.45b)
2mω0 cc

ω0 = k/m (Eigenkreisfrequenz des ungedämpften Systems) (9.45c)
Das Produkt 2m ω0 wird kritische Dämpfung genannt und mit dem Symbol cc ausgedrückt. Ein
kritisch gedämpfter Schwinger kann keine Schwingungszyklen mehr ausführen, sondern ledig-
lich eine kriechende Bewegung. Das wird deutlich, wenn man die Eigenkreisfrequenz ω eines
kritisch gedämpften Systems berechnet:

c = cc = 2mω0 (für kritisch gedämpftes System)


3
4   
k  c 2 4 4 k 2m ω0 2
ω= − =4 − = ω02 − ω02 = 0
m 2m m
5 2m
ω02

Das Ergebnis ω = 0 bedeutet, dass die Eigenkreisfrequenz des gedämpften Schwingers Null ist,
d.h. keine Schwingung stattfinden kann, sondern nur eine kriechende Bewegung. Für ein kritisch
gedämpftes System ist daher ξ = 1:

c = cc = 2m ω0 ⇒ ξ =1 keine Schwingung möglich!


9.10 Anwendungsbeispiele aus der Strukturdynamik 487

Anmerkung: Der kritische Dämpfungsgrad ξ wird in der Strukturdynamik gelegentlich auch als
Lehrsches-Dämpfungsmaß bezeichnet und gibt das Verhältnis der aktuellen Bauwerksdämpfung
zur kritischen Dämpfung wieder.
Mit dem Dämpfungsparameter ξ lautet die Schwingungsfunktion (9.44) des frei schwingen-
den gedämpften Einmassenschwingers:
c 1 η
ξ= = ⇒ η = ξ ω0
2m
 ω0 ω0
η

x(t) = e−ξ ω0 t (A cos ωt + B sin ωt) (9.46)


Zwischen der Eigenkreisfrequenz ω des gedämpften und der Eigenkreisfrequenz ω0 unge-
dämpften Systems besteht folgende Beziehung:
 
k  c 2 
ω= − = ω02 − η 2 = ω02 − ξ 2 ω02 ⇒ ω = ω0 1 − ξ 2 (9.47)
m 2m
Beispiel 9.60:
Ein gedämpfter Feder-Masse-Schwinger nach Bild 9.7 b wird statisch um 2 cm ausge-
lenkt und zum Zeitpunkt t = 0 plötzlich los gelassen.

k = 30.000 N/m m = 70 kg c = 120 N/ms−1

Gesucht sind:
1. Eigenfrequenzen ω und f .
2. Zeitfunktion x(t) der Schwingung.
Zum Zeitpunkt t = 0 befindet sich der Schwinger im ausgelenkten Zustand in Ruhe-
stellung. Die Anfangsbedingungen lauten daher:

x(0) = 2 cm = 0,02 m ẋ(0) = 0 m/s

Die Schwingungs-DGL des gedämpften Schwingers lautet:


120 30000
ẍ + ẋ + x=0 ⇒ ẍ + 1,714 ẋ + 428,571 x = 0
70 70
Der Dämpfungsgrad ξ und die Eigenkreisfrequenz ω ergeben sich aus (9.45b) und
(9.47):
 
k 30000 c 120
ω0 = = = 20,70 rad/s ξ= = = 0,0414
m 70 2mω0 2 · 70 · 20,70
 
ω = ω0 1 − ξ 2 = 20,70 1 − 0,0412 = 20,68 ξ ω0 = 0,0414 · 20,70 = 0,857
Die Eigenkreisfrequenz ω des gedämpften Schwingers verringert sich also gegenüber
der Eigenkreisfrequenz ω0 des ungedämpften Schwingers nur unbedeutend. Das ist
488 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

0.02

x(t)
0.01

0 1 2
t

–0.01

Bild 9.8: Zeitverlauf der Schwingung des Beispiels 9.60

typisch für Tragwerke des Bauingenieurwesens. Für übliche Ingenieurbauwerke ist der
Dämpfungseinfluß auf die Eigenfrequenz in der Regel stets vernachlässigbar klein.
Die Eigenfrequenz f ergibt sich zu:

ω 20,68
f= = = 3,29 Hz (d.h. 3,29 Schwingungszyklen pro Sekunde)
2π 2π
Mit den gegebenen Werten liegt der Fall 3 auf Seite 468 vor. Die Schwingungsfunktion
lautet gemäß Gl. (9.46):

x(t) = e−ξ ω0 t (A cos ωt + B sin ωt )

Die unbekannten Konstanten A und B lassen sich aus Anfangsbedingungen bestim-


men:

x(0) = 0,02 = e−ξ ω0 · 0 (A · 1 + B · 0) = A ⇒ A = 0,02

ẋ = −ξ ω0 e−ξ ω0 t (A cos ωt + B sin ωt ) + e−ξ ω0 t (−Aω sin ω t + Bω cos ω t)


ẋ(0) = 0 = −(ξ ω0 ) · 1 (A · 1 + Bω · 0) + 1 (−Aω · 0 + Bω · 1) = −A(ξ ω0 ) + Bω
A (ξ ω0 ) 0,02 · 0,857
⇒ B= = = 0,00083
ω 20,68
Die Schwingungsfunktion des gedämpften Schwingers lautet:

x(t) = e−0,857 t (0,02 cos 20,68 t + 0,00083 sin 20,68 t)

Der Schwingungszeitverlauf ist in Bild 9.8 grafisch dargestellt.


Anmerkung: Der Einfluß der Dämpfung auf die Eigenfrequenz ist zwar für normale
Baukonstruktionen von untergeordneter Bedeutung. Wie man auch in Bild 9.8 sieht,
haben selbst geringe Dämpfungswerte allerdings einen bedeutenden Einfluß auf den
Schwingungsverlauf. Bereits nach 3 Schwingungszyklen verringert sich die Schwin-
gungsamplitude dieses Beispiels auf den halben Wert des Anfangsauslenkung.
9.10 Anwendungsbeispiele aus der Strukturdynamik 489

10
9
8
7
6

D
F(t) 5 ξ=0,05

4
3 ξ=0,20
F
2
ξ=0,50
p 2p 3p 4p wt
1

-F 0 0.5 1 1.5 2
beta

a: Harmonische Last F(t) = F sin ωt b: Dynamische Vergrößerungsfunktion D

Bild 9.9: Dynamische Antwort eines gedämpften Systems

9.10.4 Erzwungene Schwingung


Wenn ein Schwingungssystem durch eine dynamische äußere Last F(t) zu Schwingungen an-
geregt wird, spricht man von erzwungener Schwingung. Das Bild 9.7 b zeigt einen gedämpften
Einmassenschwinger, dessen Schwingung durch folgende inhomogene Differentialgleichung 2.
Ordnung beschrieben wird:

dx d2 x
m ẍ + c ẋ + k x = F(t) mit ẋ = und ẍ = (9.48)
 dt dt 2
Störfunktion

x : Schwingweg, m : Masse, k : Federkonstante, c : Dämpfungskonstante


Die Division beider Seiten durch m liefert die Normalform der Schwingungs-DGL:

c k F(t)
ẍ + ẋ + x =
m m m
Es gibt verschiedene Arten von erzwungenen Schwingungen, die sowohl von der Systemkonfi-
guration als auch von der Art der dynamischen Belastung abhängen. Einige Fälle werden nach-
folgend untersucht.

9.10.4.1 Harmonisch erregter Schwinger und Resonanz


Das Feder-Masse-Dämpfer-System in Bild 9.7 b sei durch die in Bild 9.9 a dargestellte zeitabhän-
gige Kraft F(t) = F sin ω t belastet. Eine solche sinusförmige Belastungsfunktion wird harmo-
nische Erregung genannt.
Die Bewegung des Schwingers wird durch folgende inhomogene DGL 2. Ordnung beschrie-
490 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

ben:

m ẍ + c ẋ + k x = F sin ω t (9.49)

Die allgemeine Lösung der zugehörigen homogenen DGL lautet (vgl. Abschnitt 9.10.3):

m ẍ + c ẋ + k x = 0 ⇒ xh = e−ξ ω0 t (A cos ω t + B sin ω t)



k c 
mit ω0 = ξ= ω = ω0 1−ξ2
m 2mω0
Zur Bestimmung der partikulären Lösung der inhomogenen Gleichung wird gemäß Tabelle 9.3
auf Seite 475 folgender Ansatz gemacht:

x p = A0 sin ω t + B0 cos ω t

Daraus erhält man die Ableitungen nach der Zeitvariable t :

ẋ p = A0 ω cos ω t − B0 ω sin ω t ẍ p = −A0 ω 2 sin ω t − B0 ω 2 cos ω t

Nach Substitution dieser Ableitungen in die Gleichung (9.49) und Zusammenfassung der Sinus-
und Kosinus-Terme erhält man:

[(k − mω 2 )A0 − ω cB0 ] sin ω t + [ω cA0 + (k − mω 2 )B0 ] cos ω t = F sin ω t (a)

Der Koeffizientenvergleich auf der linken und rechten Seite von (a) liefert:

[(k − mω 2 )A0 − ω cB0 ] = F (Sinus-Term)

[ω cA0 + (k − mω 2 )B0 ] = 0 (Kosinus-Term)


Das ist ein lineares Gleichungssystem mit zwei Unbekannten A0 und B0 . Mit Hilfe der Gauß-
Elimination bzw. der Cramerschen Regel (vgl. Seite 148 bzw. 167) ergeben sie sich zu:

F (k − mω 2 ) F (−ω c)
A0 = B0 = (b)
(k − mω 2 )2 + (ω c)2 (k − mω 2 )2 + (ω c)2

Es ist zweckmäßig, an dieser Stelle einige Abkürzungen einzuführen, um sowohl die Übersicht-
lichkeit zu erhöhen als auch den Formeln eine leichtere physikalische Interpretierbarkeit zu ver-
leihen. In Anlehnung an die gängige Fachliteratur der Strukturdynamik werden die in der Tabelle
9.4 angegebenen Symbole definiert.

Die Gleichung (b) lässt sich mit Hilfe dieser Abkürzungen auch schreiben als

F 1−β2 F −2ξ β
A0 = B0 =
k (1 − β 2 )2 + (2ξ β )2 k (1 − β )2 + (2ξ β )2
2

Das Einsetzen der nunmehr bekannten Konstanten A0 und B0 in die partikuläre Lösung der inho-
9.10 Anwendungsbeispiele aus der Strukturdynamik 491

Tabelle 9.4: Spezielle Symbole für gedämpfte Schwinger

Symbol Bedeutung

k
ω0 = Eigenkreisfrequenz des ungedämpften Schwingers
m
cc = 2mω0 kritische Dämpfung
c
ξ = kritisches Dämpfungsmaß (Lehrsches Dämpfungsmaß)
cc
ω
β = Frequenzverhältnis der Erregerkraft
ω0

mogenen DGL liefert:

F 1−β2 F −2ξ β
xp = sin ω t + cos ω t
k (1 − β ) + (2ξ β )
2 2 2 k (1 − β )2 + (2ξ β )2
2

F 1  
⇒ xp = (1 − β 2 ) sin ω t − 2ξ β cos ω t (9.50)
k (1 − β 2 )2 + (2ξ β )2
Der Ausdruck in eckigen Klammern der Gl. (9.50) lässt sich auch wie folgt schreiben (vgl. Regel
34 auf Seite 774):
 1/2
(1 − β 2 ) sin ω t − 2ξ β cos ω t = (1 − β 2 )2 + (2ξ β )2 sin(ω t − φ )

−(−2ξ β ) 2ξ β
mit φ = arctan = arctan
1−β2 1−β2
Die partikuläre Lösung der inhomogenen DGL (9.49) ergibt sich damit wie folgt:
F 1
xp =  sin(ω t − φ ) (c)
k (1 − β )2 + (2ξ β )2
2

Die verschiedenen Terme dieser Lösung haben folgende Bedeutung:

F/k = statische Auslenkung xs


1
 = dynamischer Vergrößerungsfaktor D
(1 − β 2 )2 + (2ξ β )2
φ = Phasenwinkel (Nacheilungswinkel)

Die homogene Lösung der DGL (9.49) ist bereits in (9.46) angegeben:

xh = e−ξ ω0 t (A cos ωt + B sin ωt) (d)


492 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Die Superposition der partikulären Lösung (c) und der homogenen Lösung (d) liefert die allge-
meine Lösung der inhomogenen Differentialgleichungleichung (9.49):
F 1
x = xh + x p = e−ξ ω0 t (A cos ω t + B sin ω t ) +  sin(ω t − φ ) (9.51)
k (1 − β 2 )2 + (2ξ β )2

Die noch unbekannten Konstanten A und B in (9.51) können aus Anfangsbedingungen be-
stimmt werden. Allerdings ist das in der Praxis meistens nicht notwendig. Der xh -Term geht
nach einigen Schwingungszyklen aufgrund des Dämpfungsterms e−ξ ω0 t gegen Null und wird
somit für praktische Zwecke bedeutungslos.
Der partikuläre Lösungsteil ist dagegen nicht abklingend und wird deshalb als stationärer
Schwingungszustand bezeichnet (nicht zu verwechseln mit dem statischen Zustand eines Sys-
tems). Die stationäre schwingung des harmonisch angeregten Systems lässt sich somit wie folgt
angeben:
F 1
x(t) =  sin(ω t − φ ) = xs D sin(ω t − φ )
k
 (1 − β 2 )2 + (2ξ β )2
x
  
s
D

xs = F/k (statische Auslenkung des Systems) D : Dynamischer Vergrößerungsfaktor


Der Maximalwert xmax der dynamischen Auslenkung stellt sich für sin(ω t − φ ) = 1 ein:
xmax
xmax = xs · D d.h. D=
xs
Die maximale dynamische Auslenkung xmax ergibt sich also als Produkt der statischen Aus-
lenkung xs und des dynamischen Vergrößerungsfaktors D. Das Bild 9.9 b zeigt die Kurven des
dynamischen Vergrößerungsfaktor D als Funktion des Frequenzverhältnisses β für drei verschie-
dene Werte des kritischen Dämpfungsgrades ξ .

9.10.4.2 Plötzliche Belastung eines masselosen Systems


Das in Bild 9.10 a abgebildete masselose Feder-Dämpfer-System wird zum Zeitpunkt t = 0
durch die Kraft F(t) = F0 plötzlich belastet (die Platte, an der die Kraft angreift, wird als starr
und masselos angenommen, d.h. m = 0). Die in Bild 9.10 b dargestellte Belastungsfunktion F(t),
welche für t ≥ 0 konstant bleibt, wird als Sprungfunktion bezeichnet.

0 für t < 0
F(t) =
F0 für t ≥ 0

Es soll die dynamische Auslenkung x(t) des Kraftangriffspunktes als Funktion der Zeit bestimmt
werden.
Die DGL der dynamischen Bewegung ergibt sich aus (9.48) durch Weglassen des Masse-
Terms.

c ẋ + k x = F0
9.10 Anwendungsbeispiele aus der Strukturdynamik 493

k c
F(t)
masselos
F
0

x(t)
F(t) t

a: System b: Belastung F(t)

Bild 9.10: Plötzliche Belastung eines masselosen Systems

Die Anfangsbedingung lautet x(0) = 0 , weil das System sich für t = 0 in Ruhe befindet. Die
allgemeine Lösung xh der zugehörigen homogenen DGL c ẋ + k x = 0 ergibt sich mit Hilfe des
Lösungsansatzes x = eλt wie folgt:

ẋ = λ eλt eλt = 0
⇒ (λ c + k)  ⇒ λ = −k/c xh = Ce−kt/c
=0

Die partikuläre Lösung x p der inhomogenen DGL c ẋ + k x = F0 wird mit Hilfe des Lösungsan-
satzes x p = A gewählt, weil die rechte Seite lediglich aus dem konstanten Glied F0 besteht:

F0
ẋ p = 0 ⇒ c · 0 + k A = F0 ⇒ A = F0 /k xp =
k
Die allgemeine Lösung der inhomogenen DGL ergibt sich aus der Addition der partikulären und
homogenen Lösungen:
F0
x = x p + xh = +C e−kt/c
k
Die Berücksichtigung der Anfangsbedingung liefert:
F0 F0 F0 F0
x(0) = 0 = +C e−k · 0/c = +C e0 = +C ⇒ C=−
k k k k
Die dynamische Auslenkungsfunktion des Feder-Dämpfer-Systems lautet somit:
F0
x= (1 − e−kt/c ) (9.52)
k
Beispiel 9.61:
Gesucht ist der Zeitverlauf der dynamischen Auslenkung des Feder-Dämpfer-Systems
in Bild 9.10 unter der Einwirkung der Sprungfunktion F(t) = F0 .

Gegeben: F0 = 1000 N k = 104 N/m c = 2 · 104 Ns/m


494 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Mit diesen Zahlenwerten liefert Gl. (9.52):


1000
(1 − e−10 t/2 · 10 ) = 0,1 (1 − e−0,5t )
4 4
x(t) = 4
10
Der zeitliche Verlauf der dynamischen Auslenkung ist nachfolgend grafisch darge-
stellt.

x [m] 0.1

0 2 4 t [s] 6 8 10

Anmerkung: Das System führt eine aperiodische Bewegung aus, ohne Schwingungs-
zyklen. Der Höchstwert der Auslenkung strebt asymptotisch gegen die statische Aus-
lenkung xs :
F0 1000
lim x(t) = xs mit xs = = = 0,1
t→∞ k 10000

9.11 Weitere technische Anwendungsbeispiele


In diesem Abschnitt werden einige weitere Anwendungsbeispiele aus der technischen Mecha-
nik vorgestellt, die mit Hilfe von linearen Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
beschrieben werden.

9.11.1 Knicken eines axial belasteten Stabes


Es wird ein Stab betrachtet, der an seinen beiden Enden gelenkig gelagert ist und durch eine
konstante Druckkraft N axial gedrückt wird (Bild 9.11). Die Knicklast des Stabes ist derjenige
kritische Wert Nk der Axialkraft, unter dem der Stab plötzlich seitlich ausweicht, d.h. ausknickt.
Das Knickproblem des Stabes wird durch die homogene Differentialgleichung

d2 y
EI y + N y = 0 bzw. EI +N y = 0
dx2
beschrieben (y ist die seitliche Durchbiegung des Stabes an einer beliebigen Position x, d.h. es
ist y = f (x)). Die Normalform dieser DGL lautet:

N
y + y=0 (9.53)
EI

Vergleicht man diese DGL mit (9.26a), so stellt man fest:


9.11 Weitere technische Anwendungsbeispiele 495

y ausgeknickter Stab

x EI
L
N

Bild 9.11: Knicklast eines Stabes

N p2 N
p=0 q= ⇒ −q = − <0 ⇒ Fall 3, vgl. Seite 468
EI 4 EI
Mit den Parametern

p p2 N
η = =0 ω= q− =
2 4 EI

lautet gemäß (9.33) die allgemeine Lösung der homogenen DGL (9.53):

y = e−ηx (A cos ωx + B sin ωx) = e−0 ·x


  (A cos ωx + B sin ωx) = A cos ωx + B sin ωx
=1

Aufgrund der gelenkigen Lagerung des Stabs an seinen beiden Enden ist eine seitliche Verschie-
bung an den Lagerpunkten nicht möglich. Zur Bestimmung der speziellen Lösung müssen daher
folgende Randbedingungen erfüllt werden:

y(x = 0) = 0 y(x = L) = 0 (seitliche Verschiebungen am Stabanfang und -ende)

Man erhält daraus die unbekannten Konstanten:

y(0) = 0 = A cos(ω · 0) + B sin(ω · 0) = A · 1 + B · 0 = A ⇒ A=0

y(L) = 0 = 0 · cos ωL + B sin ωL ⇒ B sin ωL = 0


Die letzte Gleichung wird sowohl durch B = 0 als auch durch sin ωL = 0 erfüllt. Es macht
allerdings physikalisch wenig Sinn, B = 0 zu setzen, weil man dann (wegen A = 0) nur das
triviale Ergebnis y = 0 erhalten würde. Daher muss die Bedingung sin ωL = 0 näher untersucht
werden.
Die Bedingung sin ωL = 0 wird für folgende Werte erfüllt:

ωL = nπ (n = 1,2,3, · · · ) ⇒ ω=
L

Substitution von N/EI für ω in der obigen Beziehung ωL = nπ liefert die Knicklast:

N EI
L = nπ ⇒ N = n2 π 2 2
EI L
496 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Die Gleichung der Knickfigur lautet aufgrund von A = 0 und ω = nπ/L :



y = B sin x (Der Stab knickt also wie eine Sinuskurve aus).
L
Da n verschiedene Werte annimmt, existieren verschiedene Knicklasten. In der Praxis interes-
siert jedoch meistens nur die Knicklast für n = 1, weil diese die kleinste Last ist, unter der die
Tragfähigkeit des Stabes bereits erschöpft wird (die höheren Knicklasten des beidseitig gelenkig
gelagerten Stabs für n > 1 haben also nur theoretische Bedeutung).
Die Knicklast Nk für n = 1 wird kritische Knicklast des Stabes genannt (Eulersche Knicklast)
und beträgt:

EI
Nk = π 2 (Eulersche Knicklast des beidseitig gelenkigen Stabes)
L2

9.11.2 Abkühlung einer Stahlkugel

Eine kleine Stahlkugel (Radius r, Kugelvolumen V , Kugeloberfläche A, Materialdichte ρ, spezi-


fische Wärmekapazität c) wird auf die Temperatur T0 erhitzt und zum Zeitpunkt t = 0 in eine
strömende Flüssigkeit, deren Temperatur Ta beträgt, eingetaucht. Die in der Kugel gespeicherte
Wärmeenergie wird bei diesem Vorgang mittels Konvektion an die Flüssigkeit abgegeben (Kon-
vektionsbeiwert h). Gesucht ist die Zeitfunktion der mittleren Kugeltemperatur.
Die Differenzialgleichung für dieses sog. instationäre (d.h. zeitabhängige) Wärmeleitungspro-
blem ist eine inhomogene DGL 1. Ordnung und lautet gemäß Wärmegesetze der Physik:
dT
cρV = −hA(T − Ta ) T : momentane Temperatur, d.h. T = f (t)
dt
Die DGL wird zunächst umgeformt:

dT dT hA hA
cρV + hAT = hATa ⇒ + T= Ta
dt dt cρV cρV

dT hA
⇒ + λ T = λ Ta oder : Ṫ + λ T = λ Ta mit λ =
dt cρV
Die allgemeine Lösung Th der zugehörigen homogenen DGL Ṫ + λ T = 0 erhält man nach
(9.21):

Th = c e−λt − cλ e−λt + λ ce−λt = 0


? ?
Kontrolle: Ṫh + λ Th = 0 0=0

Für die Bestimmung der partikulären Lösung von Ṫ + λ T = λ Ta wird gemäß Tabelle 9.3 auf
Seite 475 der Lösungsansatz Tp = A0 gewählt:

Tp = 0 ⇒ 0 + λ A0 = λ Ta A0 = Ta ⇒ Tp = Ta
9.11 Weitere technische Anwendungsbeispiele 497

Die allgemeine Lösung der inhomogenen DGL ergibt sich als Summe von Th und Tp :

T = Th + Tp = c e−λt + Ta

Die spezielle Lösung der inhomogenen DGL erhält man durch Erfüllung der Anfangsbedingung:

T (0) = T0 = c e−λ · 0 + Ta = c + Ta ⇒ c = T0 − Ta

⇒ T (t) = (T0 − Ta ) e−λt + Ta


Zahlenbeispiel:

J/kg W /m2
r = 1 cm = 0,01 m ρ = 7800 kg/m3 c = 460 ◦C
h = 10 ◦C

T0 = 300◦C Ta = 20◦C
4 3 4
⇒ A = 4π r2 = 4π 0.012 = 1,2566 · 10−3 m2 V= π r = 0,013 = 4,19 · 10−6
3 3
hA 10 · 1,2566 · 10−3
⇒ λ= = = 8,359 · 10−4
cρV 460 · 7800 · 4,19 · 10−6
−4 t
⇒ T (t) = 280 e−8,359 · 10 + 20
300

Mittlere Kugeltemperatur nach 1 Stunde: 200

T (1 h) = T (3600 s)
T(t)

−4
= (300 − 20) e−8,359 · 10 · 3600 + 20 100

= 33,8 ◦C

0 1000 2000 3000


t [s]

9.11.3 Absinken eines Körpers im Meer

Von einem Schiff auf hohem Ozean wird eine Messsonde ins Wasser gelassen. Die Sonde beginnt
ihren Sinkvorgang beim Eintauchen ins Wasser mit der Anfangsgeschwindigkeit v(t = 0) =
0 m/s, d.h. aus dem Ruhezustand heraus. Auf den Körper wirkt als treibende Kraft die nach unten
gerichtete Gravitationskraft F = mg (wobei m die Masse der Sonde und g = 9,81 m/s2 die
Erdbeschleunigung sind). Die Reibungskraft R, die vom Wasser auf die Sonde ausgeübt wird und
entgegen der Gravitationskraft wirkt, soll proportional der Sinkgeschwindigkeit angenommen
werden, d.h. R = kv (k : Widerstandsbeiwert). Gesucht ist die die Sinkgeschwindigkeit der Sonde
v = f (t) als Funktion der Zeit.
Das Absinken der Sonde wird mit Hilfe des sog. dynamischen Kräftegleichgewichts durch
498 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

r 4
x(t)

v(t)
R=kv
2

m
F=mg 0 2 4
t [s]

a: Angreifende Kräfte b: Absinkgeschwindigkeit

Bild 9.12: Absinken eines Körpers im Meer

folgende inhomogene Differentialgleichung 2. Ordnung beschrieben:

m ẍ = F − R d.h. m ẍ = mg − k v

x : Abstand von der Wasseroberfläche, v : Sinkgeschwindigkeit k : Widerstandsbeiwert


Die Sinkgeschwindigkeit v = f (t) ist eine Funktion der Zeit t und entspricht der ersten Ablei-
tung der Wegstrecke x. Mit den Beziehungen

dx d2 x
v= v̇ = = ẍ
dt dt 2
lässt sich die obige DGL 2. Ordnung auf eine DGL 1. Ordnung zurückführen:

mv̇ = mg − kv

mẍ

Die Umformung dieser DGL liefert eine neue DGL mit getrennten Variablen:

1 1 1 1
v̇ = ⇒ dv = dt
mg − kv m mg − kv m
Nach Integration beider Seiten erhält man:

1 t kt
− ln(mg − kv) = + c1 ln(mg − kv) = − − kc1
k m m
kt
− −kc1
eln(mg−kv)
=e m = e−kt/m e−kc1
  mg − kv = c e−kt/m
c

mg c −kt/m
v(t) = − e
k k
9.11 Weitere technische Anwendungsbeispiele 499

Die Integrationskonstante c wird aus der Anfangsbedingung bestimmt:

mg c 0 mg c
v(0) = 0 = − e = − ⇒ c = mg
k k k k
mg
Der Zeitverlauf des Absinkens lautet: v(t) = (1 − e−kt/m )
k
Zahlenbeispiel: m = 1 kg g = 9,81 m/s2 k = 2 Ns/m

v(t) = 4,905 (1 − e−2t ) (grafische Darstellung von v(t) siehe Bild 9.12)

Die Sonde erreicht also bereits nach ca. 2 s eine stationäre Sinkgeschwindigkeit von 4,9 m/s.

9.11.4 Vertikale Schwingung eines schwimmenden Körpers

Bild 9.13 zeigt einen kreiszylindrischen Körper, der in einer Flüssigkeit schwimmt. Im Ruhezu-
stand (statisches Gleichgewicht) seien die Tauchtiefe des Körpers h und die über den Flüssig-
keitsspiegel hinausragende Höhe s. Es gelten folgende Kennwerte:

ρ : Flüssigkeitsdichte r : Zylinderradius H : Zylinderhöhe m : Zylindermasse

statisches Gleichgewicht

s
Fluessigkeitsspiegel

H
h

Bild 9.13: Schwimmender Körper

Im statischen Gleichgewichtszustand kann die Eintauchtiefe h aus dem Archimedes-Prinzip


berechnet werden:

Körpergewicht = Gewichts des verdrängten Wassers


m
m g = π r2 h ρ g ⇒ h= s = H −h
πr2 ρ
Wenn der Körper in seiner Gleichgewichtslage gestört wird, z.B. durch einen Hammerschlag
in vertikaler Richtung, wird er auf und ab schwingen. Während der Schwingung befindet sich
die Trägheitskraft mẍ mit dem zusätzlichen Auftrieb πr2 x ρ gemäß dem d’Alembertschen Prin-
zip im dynamischen Gleichgewicht. Die dynamische Gleichgewichtsbedingung lässt sich, mit x
als Schwingweg gegenüber der statischen Ruhelage, durch folgende Differentialgleichung aus-
500 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

drücken:
πR2 ρ
mẍ + πr2 ρ x = 0 ⇒ ẍ + x=0
m
Bei dieser Betrachtung wurde Einfachheit halber der Effekt der Flüssigkeitsreibung (Viskosität)
nicht berücksichtigt.
Nach der Einführung der Abkürzung ω 2 = πR2 ρ/m lautet die DGL der Vertikalschwingung:

ẍ + ω 2 x = 0 ω : Eigenkreisfrequenz der Schwingung [rad/s]

und ihre Lösung ist gemäß Gl. (9.40)

x = A cos ω t + B sin ω t (9.54)

Die Konstanten A und B sind aus Anfangsbedingungen zu ermitteln.


Beispiel 9.62:
Ein kreiszylindrischer Körper schwimmt im Wasser, wobei ein Teil aus dem Wasser
hinausragt (Bild 9.13). Wir drücken mit einer Hand von oben gegen den Körper, so
dass seine Oberseite sich gerade noch auf der Höhe des Wasserspiegels befindet. Plötz-
lich wird der Körper losgelassen, so dass er zu schwingen anfängt. Gesucht ist der
Schwingungszeitverlauf für folgende Zahlenwerte:

R = 0,2 m H = 0,2 m ρ = 1000 kg/m3 ρk = 800 kg/m3 (Dichte des Zylinders)

Masse des Zylinders:

m = π R2 H ρk = π · 0,22 · 0,2 · 800 = 20,1 kg

Für den Ruhezustand (statischen Gleichgewichtszustand) erhält man:

m 20,1
h= = = 0,16 m s = 0,2 − 0,16 = 0,04 m
πR ρ π · 0,22 · 1000
2

Die Eigenkreisfrequenz der vertikalen freien Schwingung beträgt:

πR2 ρ π · 0,22 · 1000 


ω2 = = = 6,25 (rad/s)2 ω= 6,25 = 2,5 rad/s
m 20,1
Die Frequenz f und Periode T der freien Schwingung sind:

ω 2,5 1 1
f= = = 0,4 Hz T= = = 2,5 s
2π 2π f 0,4
Der Zylinder wird von Hand 0,04 m ins Wasser gedrückt, ruhig gehalten und plötzlich
losgelassen. Deshalb lauten die Anfangsbedingungen wie folgt:

x(0) = s = 0,04 m ẋ(0) = 0 m/s


9.12 Aufgaben 501

Das Einsetzen dieser Anfangsbedingungen in (9.54) liefert:

x = A cos ω t + B sin ω t ẋ = −ω A sin ω t + ω B cos ω t

0,04 = A cos(ω · 0) + B sin(ω · 0) ⇒ A = 0,04


0 = −ω A sin(ω · 0) + ω B cos(ω · 0) ⇒ B=0
Die Schwingungsfunktion des Zylinders lautet:

x = 0,04 cos(2,5t)

0.04
x(t)

0.02

0 2 4 6
t [s]
–0.02

–0.04

9.12 Aufgaben
1. Zeigen Sie, dass die angegebenen Lösungsfunktionen auch tatsächlich Lösungen der ange-
gebenen Differentialgleichungen sind.
a) ẋ = −2x Lösung: x = ce−2t
ẋ = −2ce−2t ⇒ −2ce−2t = −2ce−2t 
b) y + 9y =0 Lösung: y = A sin 3x + B cos 3x
y = 3A cos 3x − 3B sin 3x y = −9A sin 3x − 9B cos 3x
⇒ −9A sin 3x − 9B cos 3x + 9 (A sin 3x + B cos 3x) = 0 
2. Lösen Sie folgende Anfangswertaufgaben 1. Ordnung.
a) y − xy − x = 0
2 /2 2 /2
y(0) = 1 Lsg: ya = c ex −1 ys = 2 ex −1
b) y − λ y =0 y(1) = 1 Lsg: ya = c e−λ x ys = eλ (1−x)
c) y − 2xy + x2 y = 0 x2 −x3 /3 2 −x3 /3
y(1) = 1 Lsg: ya = c e ys = 1,94773 ex
d) y = e−y ex y(0) = 1

Lsg: ya = ln(ex + c) ys = ln(ex + e − 1) = ln(ex + 1,71828)

e) y = y ex
x x
y(0) = e Lsg: ya = c ee ys = ee
f) y = 3 x2 y − y sin x y(0) = 1
3 +cos x 1 3
ya = c ex ys = ex +cos x
e
502 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

1
g) y − 3x2 y + y
3 −tan x 3 −tan x
=0 y(0) = 3 Lsg: ya = c ex ys = 3 ex
cos2 x
1 1
h) y − y2 cos x = 0 y(0) = 1 Lsg: ya = ys =
c + sin x 1 + sin x
3. Lösen Sie folgende Anfangswertaufgaben mit Hilfe der Methode Variation der Konstanten
(falls keine Integraltabellen für die anfallenden Integrale zur Hand sind, können Sie mit
Hilfe der partiellen Integration arbeiten).
a) y − (cos x) y = − cos x y(0) = 1 Lsg: ya = 1 + c esin x ys = 1 + esin x
b) y +(sin x) y = sin x y(1) = 1 Lsg: ya = 1+c ecos x ys = 1−0,6923 ecos x

4. Zeigen Sie durch Substitution, dass die Funktionen


     
p2 p2
− 2p + 4 −q x − 2p − 4 −q x
y1 = e und y2 = e

Lösungen der homogenen Differentialgleichung y + p y + q y = 0 sind (vgl.auch Seite


467).
5. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung folgender Differentialgleichungen 2. Ordnung.
a) y + y = 0 y = c1 sin x + c2 cos x
b) y − 4y =0 y = c1 + c2 e4x
c) y − 4y = 0 y = c1 e−2x + c2 e2x
d) y + 4y = 0 y = c1 sin 2x + c2 cos 2x
e) y − 2y + 2y =0 y = ex (c1 sin x + c2 cos x)
f) y = 0 y = c1 + c2 x
g) y + 2y + 2y =0 y = e−x (c1 sin x + c2 cos x)
h) y + 4y + 4y = 0 y = e−2x (c1 + c2 x)
i) y + 6y + 9y = 0 y = e−3x (c1 + c2 x)
j) y − y − 20y = 0 y = c1 e−4x + c2 e5x
k) y + 2y − 3y = 0 y = c1 e−3x + c2 ex
6. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung folgender Differentialgleichungen 2. Ordnung.
1
a) y − 3y + 2y = e4x y = c1 ex + c2 e2x + e4x
6
b) y + 25y = 75 sin 10x y = c1 sin 5x + c2 cos 5x − sin 10x
c) y + y = x + 5x2 y = c1 sin x + c2 cos x − 10 + x + 5x2
d) y + y = 2 sin x y = c1 sin x + c2 cos x − x cos x
e) y + y = 2 cos x y = c1 sin x + c2 cos x + x sin x
7. Lösen Sie folgende Anfangswertaufgaben 2. Ordnung.
9.12 Aufgaben 503

a) y + y = 1 y(0) = y (0) = 0 y = 1 − cos x


b) y + y =x y(0) = y (0) = 0 y = x − sin x
6
c) y + 25y = 25x y(0) = 5 y (0) = −5 Lsg: y = − sin 5x + 5 cos 5x + x
5
d) y + 2y + 26y = 26 y(0) = y (0) = 0
 
1
y = −e−x sin 5x + cos 5x + 1
5
8. Lösen Sie folgende Anfangswertaufgaben 2. Ordnung.
a) y − y = 5 sin 2x y(0) = 0 y (0) = 0
ya = c1 ex + c2 e−x − sin 2x ys = ex − e−x − sin 2x
b) y − y = 10 sin 3x y(0) = 0 y (0) = 0
3 3
ya = c1 ex + c2 e−x − sin 3x ys = ex − e−x − sin 3x
2 2
2 1
c) y + y = sin 2x y(0) = 0 y (0) = 0 Lsg: ys = sin x − sin 2x
3 3
d) y + y = cos x y(0) = 0 y (0) = 0
1 1 1
Lsg: ya = c1 sin x + c2 cos x + cos x + x sin x ys = x sin x
2 2 2
9. Lösen Sie folgende Anfangswertaufgaben 2. Ordnung.
a) y − 2y + y = cos x y(0) = 0 y (0) = 0
1 1 1
Lsg: ya = c1 ex + c2 x ex − sin x ys = x ex − sin x
2 2 2
b) y − 2y + y = sin x y(0) = 0 y (0) = 0
1 1 1
Lsg: ya = c1 ex + c2 x ex + cos x ys = ex (x − 1) + cos x
2 2 2
c) y − 2y + y = sin x − cos x y(0) = 0 y (0) = 0
1 1
Lsg: ya = c1 ex + c2 x ex + (sin x + cos x) ys = (−ex + sin x + cos x)
2 2
10. Lösen Sie folgende Anfangswertaufgaben 2. Ordnung.
a) y − 5y + 6y = 2 ex y(0) = 0 y (0) = 0
Lsg: ya = c1 e2x + c2 e3x + ex ys = −2e2x + e3x + ex
b) y + 2y + y = 4 ex y(0) = 0 y (0) = 0
Lsg: ya = c1 e−x + c2 x e−x + ex ys = −e−x − 2x e−x + ex
c) y + 2y + y = 9 e2x y(0) = 0 y (0) = 0
Lsg: ya = c1 e−x + c2 x e−x + e2x ys = −e−x − 3x e−x + e2x
d) y − 2y + y = 2 ex y(0) = 0 y (0) = 0
Lsg: ya = c1 ex + c2 x ex + x2 ex ys = x2 ex
504 9 Gewöhnliche Differentialgleichungen

e) y − 3y + 2y = 2 ex sin x y(0) = 5 y (0) = 5


Lsg: ya = c1 ex + c2 e2x + ex (cos x − sin x) ys = 3 ex + e2x + ex (cos x − sin x)
f) y − 2y − 8y = 72 x ex y(0) = 0 y (0) = 0
4 4
Lsg: ya = c1 e−2x + c2 e4x − 8x ex ys = − e−2x + e4x − 8x ex
3 3
11. Bestimmen Sie die Schwingungsfunktion des Einmassenschwingers in Beispiel 9.59 auf
Seite 484 für die Anfangsbedingungen x(0) = 0 und ẋ(0) = v0 = 1 m/s (das bedeutet,
dass, die Masse zum Zeitpunkt t = 0 zwar nicht ausgelenkt ist, aber eine Anfangsgeschwin-
digkeit besitzt, z.B. durch Einwirkung eines impulsartigen Krafteinwirkung).
x(t) = 0,0483 sin(20,7t)
10 Fourier-Reihen

10.1 Einführung
Periodische Funktion. Bild 10.1 zeigt das Beispiel einer periodischen Funktion mit willkürli-
chem Verlauf. Eine Funktion f (x) wird periodisch genannt, wenn für eine positive reelle Zahl p
folgende Bedingung erfüllt ist:

f (x + n · p) = f (x) n = 1,2,3, · · · p : Periode der Funktion (10.1)

f(x)

p x
p

Bild 10.1: Periodische Funktion mit der Periode p

HarmonischeFunktion. Eine Funktion f (x) wird harmonisch genannt, wenn sie eine Sinus-
oder Kosinus-Funktion ist. Bild 10.2 zeigt harmonische Funktionen mit verschiedenen Perioden.

1 1 1

0 2 4 6 0 2 4 6 0 2 4 6

–1 –1 –1

a: f (x) = cos x (p = 2π) b: f (x) = cos 2x (p = c: f (x) = cos 3x (p =


2π/2 = π) 2π/3)
1 1 1

0 2 4 6 0 2 4 6 0 2 4 6

–1 –1 –1

d: f (x) = sin x (p = 2π) e: f (x) = sin 2x (p = π) f: f (x) = sin 3x (p =


2π/3)

Bild 10.2: Harmonische Funktionen cos nx und sin nx (Periode p = 2π/n)

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_10,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
506 10 Fourier-Reihen

Beispiel für eine periodische aber nicht-harmonische Funktion


Auf Seite 490 wurde die Schwingung des gedämpften Schwingers in Bild 9.7 b unter der dyna-
misch einwirkenden Last F(t) gemäß Bild 9.9 a untersucht. Aufgrund des sinusförmigen Verlaufs
der Belastung F(t) mit der Zeit (eine sog. harmonische Belastung) konnte die Partikulärlösung
der Differentialgleichung mit Hilfe einer trigonometrischen Ansatzfunktion ermittelt werden:

F(t) = F sin ω t Harmonische Belastungsfunktion


x p = A0 sin ω t + B0 cos ω t Ansatzfunktion für die Lösung

In der Technik sind Zeitverläufe von Lasten in vielen Fällen zwar periodisch aber nicht unbedingt
harmonisch. Beispielsweise besitzen die von Turmglocken, Kolbenmaschinen, Schiffspropellern,
Hubschrauberrotoren ausgehenden dynamischen Erregungskräfte ein nicht-harmonisches Zeit-
verlaufsmuster, wobei einer Grunderregungsfrequenz (Grundton) höhere Erregungsfrequenzen
(Obertöne) überlagert sind.
In Bild 10.3 ist der Verlauf einer periodischen Belastung dargestellt, deren Sägezahn ähnlicher
Verlauf mathematisch nicht als eine kompakte Gleichung für die gesamte t-Achse, sondern nur
durch mehrere abschnittsweise zu definierende Funktionen beschrieben werden kann, z.B.:


⎪ 2t für t <= π/2



⎪ π

2(π − t)
F(t) = für t <= 3π/2

⎪ π



⎪ 2(−2π + t)
⎩ für t <= 5π/2 usw.
π

F(t)

p 2p 3p 4p t

Bild 10.3: Periodische Belastungsfunktion (p = 2π)

Für dieses Zeitverlaufsmuster der Belastung ist es deutlich schwieriger –wenn gar unmöglich–
eine geeignete Ansatzfunktion für die Lösung der Schwingungs-DGL (9.48) auf Seite 489 zu
finden. Einen Ausweg bietet die Entwicklung dieser periodischen Funktion in eine sog. Fourier-
Reihe.
Mit Hilfe der Fourier-Reihe kann eine zwar periodische aber nicht-harmonische Funktion
als Summe von verschiedenen harmonischen Funktionen ausgedrückt werden. Die Lösung der
Aufgabe (Schwingung des Systems) wird dann als Superposition der Teillösungen (Teilschwin-
gungen) für die einzelnen harmonischen (Belastungs-)Funktionen gewonnen.
10.2 Fourier-Reihen 507

10.2 Fourier-Reihen

Jede periodische Funktion1 f (x) mit der Periode 2L kann als eine Linearkombination von unend-
lich vielen harmonischen Sinus- und Cosinus-Funktionen ausgedrückt werden:
∞  nπx nπx 
f (x) = ∑ an cos
L
+ bn sin
L
Periode: p = 2L
n=0

Für n = 0 wird der Kosinus-Term gleich 1 und der Sinus-Term gleich 0 (der Koeffizient b0
spielt also keine Rolle). So läßt sich die Reihe in der nachfolgenden Form schreiben, die als
Fourier-Reihe bekannt ist:2
∞ 
nπx nπx 
f (x) = a0 + ∑ an cos + bn sin (10.2)
n=1 L L

Die Koeffizienten a0 , an und bn werden Fourier-Koeffizienten genannt und können durch fol-
gende Formeln bestimmt werden.

L L L
1 1 nπx 1 nπx
a0 = f (x) dx an = f (x) cos dx bn = f (x) sin dx (10.3)
2L L L L L
−L −L −L

Die Bestimmungsgleichungen (10.3) für Fourier-Koeffizienten lassen sich wie folgt herleiten.

Bestimmung von a0 :
Gleichung (10.2) wird auf beiden Seiten im Bereich [−L, L] integriert:

L L ∞ L ∞ L
nπx nπx
f (x) dx = a0 dx + ∑ an cos dx + ∑ bn sin dx
n=1 −L L n=1 −L L
−L −L
        
=2L =0 =0
L L
1
f (x) dx = a0 2L ⇒ a0 = f (x) dx
2L
−L −L

Wie man leicht erkennen kann, entspricht der Koeffizient a0 dem mittleren Wert der periodischen
Funktion f (x) über dem Intervall [−L, L].

1 Streng mathematisch gesehen, müssen diese Funktionen bestimmte Konvergenzkriterien erfüllen.


2 Jean B. J. Fourier (1768-1830) war ein französischer Mathematiker und Physiker. Während seiner theoretischen Un-
tersuchungen über die instationäre Wärmeleitung kam Fourier zur Überzeugung, dass alle periodischen Funktionen
als eine trigonometrische Reihe (Fourier-Reihe) dargestellt werden können. Damalige Mathematiker waren aller-
dings mit dieser Auffassung von Fourier nicht ganz einverstanden, so dass die Akademie der Wissenschaften die
Veröffentlichung seiner Arbeit sogar ablehnte. Erst in folgenden Jahrzehnten wurde seine Idee allgemein akzeptiert.
508 10 Fourier-Reihen

Bestimmung von an :
mπx
Gleichung (10.2) wird auf beiden Seiten mit cos multipliziert und anschließend im Be-
L
reich [−L, L] integriert. Mit Hilfe der Integraltabellen im Anhang erhält man daraus folgende
Resultate.
L L ∞ L
mπx mπx nπx mπx
f (x) cos dx = a0 cos dx + ∑ an cos cos dx
L L n=1 L L
−L −L −L
     
=0 =L, falls m=n; =0, falls m=n

∞ L
nπx mπx
+ ∑ bn sin cos dx
n=1 L L
−L
  
=0 für alle m und n

L L
nπx 1 nπx
f (x) cos dx = an L ⇒ an = f (x) cos dx
L L L
−L −L

Bestimmung von bn :
mπx
Gleichung (10.2) wird auf beiden Seiten mit sin multipliziert und anschließend im Bereich
L
[−L, L] integriert:

L L ∞ L
mπx mπx nπx mπx
f (x) sin dx = a0 sin dx + ∑ an cos sin dx
L L n=1 −L L L
−L −L
     
=0 =0 für alle m und n
∞ L
nπx mπx
+ ∑ bn sin sin dx
n=1 L L
−L
  
=L, falls m=n; =0, falls m=n
L L
nπx 1 nπx
f (x) sin dx = bn L ⇒ bn = f (x) sin dx
L L L
−L −L
10.2 Fourier-Reihen 509

Wahl der Startposition bei der Integration


Bei der Bestimmung der Fourier-Koeffizienten kann die Startposition des Integrationsbereichs
frei gewählt werden; einzige Bedingung ist, dass sich die Integration über eine volle Periode 2L
erstreckt. Folgende Ausdrücke sind deshalb alle gleichwertig (r ist die frei wählbare Startposition
für die Integration):

L 2L 
r+2L
1 1 1
a0 = f (x) dx = f (x) dx = f (x) dx
2L 2L 2L
−L 0 r
L 2L 
r+2L
1 nπx 1 nπx 1 nπx
an = f (x) cos dx = f (x) cos dx = f (x) cos dx
L L L L L L
−L 0 r
L 2L 
r+2L
1 nπx 1 nπx 1 nπx
bn = f (x) sin dx = f (x) sin dx = f (x) sin dx
L L L L L L
−L 0 r

Zusammenfassend erhält man folgende Fourier-Reihe und Fourier-Koeeffizienten:

Fourier-Reihe einer beliebigen periodischen Funktion f (x)

∞ 
nπx nπx 
f (x) = a0 + ∑ an cos + bn sin
n=1 L L


r+2L
1
a0 = f (x) dx
2L
r

r+2L
1 nπx (10.4)
an = f (x) cos dx
L L
r

r+2L
1 nπx
bn = f (x) sin dx
L L
r

2L : Periode p der Funktion f (x) (p = 2L)


r : Startposition für Integration,
meistens r = −L oder r = 0
510 10 Fourier-Reihen

Anmerkungen:
- Fourier-Reihen sind ein grundlegendes mathematisches Hilfsmittel in der Mechanik.
- Die Entwicklung einer periodischen Funktion in eine Fourier-Reihe wird auch als harmo-
nische Analyse bezeichnet.
- Jedem Term der Fourier-Reihe mit n ≥ 1 ist eine Kosinus- und eine Sinus-Schwingung
zugeordnet, deren Schwingungsperiode 2π/n beträgt (Beispiele für Kosinus- und Sinus-
Funktionen mit verschiedenen Perioden sind in Bild 10.2 angegeben).
- Unter allen Fourier-Koeffizienten an , bn dominieren insbesondere diejenigen Terme, de-
ren Kosinus- bzw. Sinus-Funktion in der anzunähernden Funktion f (x) am ehesten enthal-
ten sind.
- In der Praxis wird die Anzahl der Terme in der Fourier-Reihe auf eine praktikable Anzahl
begrenzt. Eine solche abgeschnittene Reihe wird als Partialsumme S bezeichnet.

Beispiel 10.1:
Für die in Bild 10.4 dargestellte periodische Funktion mit der Periode p = 2π

0 für − π ≤ x ≤ 0
f (x) =
sin x für 0 ≤ x ≤ π

ist die Fourier-Reihe zu bestimmen (Maple-Lösung auf Seite 743).

1
f(x)

0.5

–10 –5 0 5 10 15
x

Bild 10.4: Funktion zu Beispiel 10.1 (Periode p = 2π)

Für die Bestimmung der Fourier-Koeffizienten nach (10.4) wird r = −L gewählt.


Mit p = 2L = 2π erhalten wir:
⎛ ⎞
L 0 π
1 1 ⎝
a0 = f (x) dx = 0 dx + sin x dx⎠
2L 2π
−L −π 0
1  1 1
= − cos x |π0 = (1 + 1) =
2π 2π π

L  0 π 
1 nπx 1
an = f (x) cos dx = 0 · cos nx dx + sin x cos nx dx
L L π
−L −π 0
  
=0
10.2 Fourier-Reihen 511


⎨an = 2
für n = 2,4,6,8, . . .
an = π(1 − n2 ) (s. Integral Nr. 25 auf Seite 786)

0 für n = 1,3,5,7, . . .
2 2 2
a2 = − a4 = − a6 = − usw.
3π 15π 35π
a1 = a3 = a5 = · · · = 0

L  0 π 
1 nπx 1
bn = f (x) sin dx = 0 · sin nx dx + sin x sin nx dx
L L π
−L −π 0
  
=0

⎨1 für n=1
= 2 (s. Integral Nr. 18 auf Seite 785)
⎩0 für n ≥ 2
1
b1 = b2 = b3 = b4 = b5 = · · · = 0
2
Die Fourier-Reihe für die angegebene Funktion lautet:
 
1 2 cos 2x cos 4x cos 6x 1
f (x) = − + + + · · · + sin x
π π 3 15 35 2

Für die visuelle Untersuchung der Konvergenz der Fourier-Reihe ist es sinnvoll, die
Partialsummen mit zunehmender Gliederzahl zu bilden, z.B.:
1 1
S1 = + sin x
π 2
 
1 2 cos 2x 1
S2 = − + sin x
π π 3 2
 
1 2 cos 2x cos 4x 1
S4 = − + + sin x
π π 3 15 2
 
1 2 cos 2x cos 4x cos 6x cos 8x cos 10x cos 12x 1
S12 = − + + + + + + sin x
π π 3 15 35 63 99 143 2
In Bild 10.5 sind die Funktionskurven der Partialsummen dargestellt. Wie intuitiv zu
erwarten, steigt die Güte der Fourier-Approximation für die vorgegebene Funktion
f (x) mit zunehmender Anzahl der Terme in der Partial-Summe.
512 10 Fourier-Reihen

1 1

0.5 0.5

Fourierreihe f(x)

–3 –2 –1 0 1 2 3 –3 –2 –1 0 1 2 3

a: Partialsumme S1 b: Partialsumme S2

1 1

0.5 0.5

–3 –2 –1 0 1 2 3 –3 –2 –1 0 1 2 3

–0.5 –0.5

c: Partialsumme S4 d: Partialsumme S12

Bild 10.5: Partialsummen für die Funktion in Bild 10.4 (nur eine Periode dargestellt)

Beispiel 10.2:
Für die in Bild 10.6 dargestellte periodische sägezahnförmige Funktion mit der Peri-
ode p = 2L = 2π

f (x) = x + π für −π ≤ x ≤ π Periodizität: f (x + 2π) = f (x)

ist die Fourier-Reihe zu bestimmen (Maple-Lösung auf Seite 744).

5
f(x)

–15 –10 –5 5 10 15

Bild 10.6: Funktion zu Beispiel 10.2 (Periode p = 2π)


10.2 Fourier-Reihen 513

L π  π
1 1 1 x2 
a0 = f (x) dx = (x + π) dx = + πx  = π
2L 2π 2π 2 −π
−L −π

L π
1 nπx 1
an = f (x) cos dx = (x + π) cos nx dx
L L π
−L −π
 
1 cos nx + nx sin nx π sin nx π
= + 
π n2 n −π
=0

L π
1 nπx 1
bn = f (x) sin dx = (x + π) sin nx dx
L L π
−L −π
 
1 sin nx − nx cos nx π cos nx π
= − 
π n2 n −π
2nπ cos nπ 2 cos nπ
=− =−
πn2 n
2 2 2 2
b1 = 2 b2 = −1 b3 = b4 = − b5 = b6 = −
3 4 5 6
Die Fourier-Reihe für die angegebene Funktion lautet:
 
sin 2x sin 3x sin 4x sin 5x sin 6x
f (x) = π + 2 sin x − + − + − +···
2 3 4 5 6

Bild 10.7 zeigt folgende Partialsummen mit 3, 4, 5 und 100 Termen der obigen Fourier-
Reihe (die Partialsumme mit 100 Termen ist aus Platzgründen nicht ausgeschrieben):
 
sin 2x sin 3x
S3 = π + 2 sin x − +
2 3
 
sin 2x sin 3x sin 4x
S4 = π + 2 sin x − + −
2 3 4
 
sin 2x sin 3x sin 4x sin 5x
S5 = π + 2 sin x − + − +
2 3 4 5
Anmerkung: Die Funktion in Bild 10.6 ist offensichtlich ein schwieriger Fall für die
Fourier-Entwicklung. Bild 10.7 d zeigt, dass die scharfen Ecken sogar mit 100 Fourier-
Termen nicht einwandfrei dargestellt werden können.
514 10 Fourier-Reihen

6 6

4 4

2 2

–8 –6 –4 –2 0 2 4 6 8 –8 –6 –4 –2 0 2 4 6 8

a: Partialsumme S3 b: Partialsumme S4

6 6

4 4

2 2

–8 –6 –4 –2 0 2 4 6 8 –8 –6 –4 –2 0 2 4 6 8

c: Partialsumme S5 d: Partialsumme S100

Bild 10.7: Partialsummen für die Funktion in Bild 10.6

Beispiel 10.3:
Die in Bild 10.8 dargestellte periodische sägezahnförmige Funktion mit der Periode
p = 2L = 2π

−x für − π ≤ x ≤ 0
f (x) =
x für 0≤x≤π

ist in eine Fourier-Reihe zu entwickeln.

2
f(x)

–15 –10 –5 0 5 10 15
x

Bild 10.8: Funktion zu Beispiel 10.3 (Periode p = 2π)

⎛ ⎞
L 0 π
1 1 ⎝ 1  2 0 π  π
a0 = f (x) dx = (−x) dx + (x) dx⎠ = −x −π + x2 0 =
2L 2π 4π 2
−L −π 0
10.2 Fourier-Reihen 515

⎛ ⎞
L 0 π
1 nπx 1
an = f (x) cos dx = ⎝ (−x cos nx) dx + x cos nx dx⎠
L L π
−L −π 0

1
= [−(cos nx + nx sin nx)]0−π + [(cos nx + nx sin nx)]π0
π n2
−2
= (1 − cos nπ)
π n2
−4
an = für n = 1,3,5, · · · an = 0 für n = 2,4,6, · · ·
π n2

⎛ ⎞
L 0 π
1 nπx 1⎝
bn = f (x) sin dx = (−x sin nx) dx + x sin nx dx⎠
L L π
−L −π 0

1
= [−(sin nx − nx cos nx)]0−π + [(sin nx − nx cos nx)]π0
π n2
=0

Die Fourier-Reihe für die angegebene Funktion lautet:


 
π 4 cos 3x cos 5x cos 7x cos 9x
f (x) = − cos x + + + + +···
2 π 32 52 72 92

Bild 10.9 zeigt zwei Partialsummen; gut zu erkennen ist, dass sogar die besonders ein-
fache Partialsumme S1 mit einem einzigen Kosinus-Term ein ingenieurmäßig brauch-
bares Resultat liefert.

3 3

2 2

1 1

–15 –10 –5 0 5 10 15 –15 –10 –5 0 5 10 15

a: Partialsumme S1 b: Partialsumme S9

Bild 10.9: Partialsummen für die Funktion in Bild 10.8


516 10 Fourier-Reihen

Beispiel 10.4:
Für die in Bild 10.10 dargestellte periodische rechteckförmige Funktion mit der Peri-
ode p = 2L = 2π

−1 für − π ≤ x ≤ 0
f (x) =
+1 für 0≤x≤π

ist die Fourier-Reihe zu bestimmen.

f(x)
–15 –10 –5 5 x 10 15

–1

Bild 10.10: Funktion zu Beispiel 10.4 (Periode p = 2π)

⎛ ⎞
L 0 π
1 1 ⎝ 1  
a0 = f (x) dx = (−1) dx + (+1) dx⎠ = −x|0−π + x|π0 = 0
2L 2π 2π
−L −π 0

⎛ ⎞
L 0 π
1 nπx 1⎝
an = f (x) cos dx = (− cos nx) dx + cos nx dx⎠
L L π
−L −π 0
1  
= − sin nx|0−π + sin nx|π0 = 0 für n = 1,2,3,4, · · ·
πn

⎛ ⎞
L 0 π
1 nπx 1
bn = f (x) sin dx = ⎝ (− sin nx) dx + sin nx dx⎠
L L π
−L −π 0
1   2
= cos nx|0−π − cos nx|π0 = (1 − cos nπ)
πn πn
4
bn = für n = 1,3,5,7, · · · bn = 0 für n = 2,4,6,8, · · ·
πn
Die Fourier-Reihe für die angegebene Funktion lautet (Bild 10.11 zeigt einige Partial-
summen):
 
4 sin 3x sin 5x sin 7x sin 9x
f (x) = sin x + + + + +···
π 3 5 7 9
10.3 Fourier-Reihen gerader und ungerader Funktionen 517

1 1

–10 –5 5 10 –10 –5 5 10

–1 –1

a: Partialsumme S5 b: Partialsumme S9

1 1

–10 –5 5 10 –10 –5 5 10

–1 –1

c: Partialsumme S13 d: Partialsumme S100

Bild 10.11: Partialsummen für die Funktion in Bild 10.10

10.3 Fourier-Reihen gerader und ungerader Funktionen

Für eine beliebige gerade bzw. ungerade Funktion nach Bild 10.12 gelten folgende allgemein
gültigen Integrationsbeziehungen:
Gerade Funktion g(x):

g(−x) = g(x)

L 0 L L
⇒ g(x) dx = g(x) dx + g(x) dx = 2 g(x) dx
−L −L 0 0

Ungerade Funktion u(x):

u(−x) = −u(x)
518 10 Fourier-Reihen

L 0 L L L
⇒ u(x) dx = u(x) dx + u(x) dx = (−u(x)) dx + u(x) dx = 0
−L −L 0 0 0

g(x) u(x)

-L L x -L L x

a: Gerade Funktion g(x) b: Ungerade Funktion u(x)

Bild 10.12: Gerade und ungerade Funktionen

Für das Produkt einer beliebigen geraden und ungeraden Funktion, g(x) bzw. u(x), gelten
folgende Eigenschaften:
Eigenschaften der Produkte von g(x) und u(x)
· g(x) · u(x)
g(x) gerade ungerade
u(x) ungerade gerade
Wie Bilder 2.12 und 2.13 zeigen, ist die Kosinusfunktion gerade, die Sinusfunktion dagegen
ungerade. Multipliziert man sie mit einer geraden bzw. ungeraden Funktion, g(x) bzw. u(x),
besitzen die resultierenden Funktionen folgende Eigenschaften:
Eigenschaften der Produkte von g(x) und u(x)
· cos nπx/L · sin nπx/L
g(x) gerade ungerade
u(x) ungerade gerade
Daraus folgt unter Berücksichtigung vorangehender Integrationsbeziehungen:

L L L
nπx nπx nπx
g(x) cos dx = 2 g(x) cos dx g(x) sin dx = 0
L L L
−L 0 −L

L L L
nπx nπx nπx
u(x) sin dx = 2 u(x) sin dx u(x) cos dx = 0
L L L
−L 0 −L

Aus obigen Resultaten können wir unmittelbar schlussfolgern:


• Für eine gerade Funktion f (x) sind alle Fourier-Koeffizienten bn identisch Null.
• Für eine ungerade Funktion f (x) sind alle Fourier-Koeffizienten an identisch Null.
10.3 Fourier-Reihen gerader und ungerader Funktionen 519

Als Beispiele für die Fourier-Reihen gerader bzw. ungerader Funktionen können wir die Bil-
der 10.8 und 10.10 etwas näher betrachten:
- In Bild 10.8 ist die Funktion gerade, die zugehörige Fourier-Reihe auf Seite 515 enthält aus-
schließlich Kosinus-Terme.
- In Bild 10.10 ist die Funktion ungerade, die zugehörige Fourier-Reihe auf Seite 516 enthält
ausschließlich Sinus-Terme.
Es ergeben sich somit für die Entwicklung von geraden und ungeraden Funktionen in Fourier-
Reihen folgende Bestimmungsformeln:

Fourier-Reihe für eine gerade Funktion f(x)


nπx
f (x) = a0 + ∑ an cos Periode = 2L
n=1 L
(10.5)
L L
1 2 nπx
mit a0 = f (x) dx an = f (x) cos dx bn = 0
L L L
0 0

Fourier-Reihe für eine ungerade Funktion f(x)


nπx
f (x) = ∑ bn sin
L
Periode = 2L
n=1 (10.6)
L
2 nπx
mit bn = f (x) sin dx a0 = a n = 0
L L
0

Beispiel 10.5:
Für die in Beispiel 10.3 behandelte gerade Funktion der Abbildung 10.8 soll die
Fourier-Reihe unter Verwendung der Formel (10.5) ermittelt werden.
Mit der Periode 2L = 2π ergibt sich:

L π
1 1 1  2 π  π 2 − 0 π
a0 = f (x) dx = x dx = x 0 = =
L π 2π 2π 2
0 0

L π
2 nπx 2
an = f (x) cos dx = x cos nx dx
L L π
0 0


=
2
(cos nx + nx sin nx) = −2 (1 − cos nπ)
πn 2  π n2
0
520 10 Fourier-Reihen

−4
an = für n = 1,3,5, · · · an = 0 für n = 2,4,6, · · ·
π n2
Die Fourier-Reihe ist identisch (wie es auch sein muss) mit derjenigen in Beispiel
10.3:
 
π 4 cos 3x cos 5x cos 7x cos 9x
f (x) = − cos x + + + + + · · ·
2 π 32 52 72 92

Beispiel 10.6:
Für die in Beispiel 10.4 behandelte ungerade Funktion der Abbildung 10.10 soll die
Fourier-Reihe unter Verwendung der Formel (10.6) ermittelt werden.

L
2 nπx
bn = f (x) sin dx
L L
0
π π
2 2  2
= sin nx dx = (− cos nx) = (1 − cos nπ)
π πn 0 π n
0
4
bn = für n = 1,3,5,7, · · · bn = 0 für n = 2,4,6,8, · · ·
πn
Wir erhalten somit folgende Fourier-Reihe:
 
4 sin 3x sin 5x sin 7x sin 9x
f (x) = sin x + + + + +···
π 3 5 7 9

10.4 Fourier-Reihe einer bereichsweise definierten Funktion


Wie in vorangegangenen Abschnitten erläutert ist die Entwicklung einer beliebigen Funktion in
eine Fourier-Reihe nur möglich, wenn die Funktion periodisch ist. In technischen Aufgabenstel-
lungen existieren aber Situationen, wo die Funktion f (x) lediglich in einem begrenzten (finiten)
Intervall gegeben ist (finite Funktion); außerhalb dieses Bereiches ist die Funktion physikalisch
gar nicht vorhanden. Beispielsweise ist die dynamische Belastung, die beim Aufprall eines Ga-
belstaplers auf eine Hallenstütze entsteht, physikalisch nur für wenige Sekundenbruchteile vor-
handen. Vor dem Aufprall und danach wirkt keine Stoßkraft mehr auf die Stütze. Genauso ist die
Biegelinie eines belasteten Biegebalkens nur innerhalb der Balkenlänge definiert, außerhalb des
Balkens ist keine Durchbiegungslinie vorhanden.
Bild 10.13 zeigt schematisch eine finite Funktion f (x), die nur im Intervall 0 ≤ x ≤ s definiert
ist, d.h. sie ist in Wirklichkeit ganz und gar nicht periodisch.

Es ist dennoch möglich, auch für solche nicht-periodischen Funktionen passende Fourier-Reihen
aufzustellen. Man unterstellt einfach, dass sich die Funktion periodisch wiederholen würde. Die-
se Periodizität ist natürlich nur fiktiv; in der physikalischen Wirklichkeit sind diese erweiterten
10.4 Fourier-Reihe einer bereichsweise definierten Funktion 521

f(x)

s x

Bild 10.13: Finite Funktion im Definitionsbereich 0 ≤ x ≤ s

f(x)

s x

a: Einfache periodische Fortsetzung mit unveränderter Periode 2L = s


f(x)

-s s x

b: Gerade Erweiterung mit verdoppelter Periode 2L = 2s


f(x)

-s s x

c: Ungerade Erweiterung mit verdoppelter Periode 2L = 2s

Bild 10.14: Verschiedene Erweiterungsmöglichkeiten für die Funktion in Bild 10.13

periodischen Teile der Funktion ohne Bedeutung. Folgende Möglichkeiten für die periodische
Erweiterung der finiten Funktion bieten sich hierbei an:

- Einfache Erweiterung. Man kann die Funktion gemäß Bild 10.14 a ganz einfach periodisch
mit der Periode 2L = s fortsetzen und auf übliche Art die Fourier-Koeffizienten aus (10.4) auf
Seite 509 ermitteln. Die Fourier-Reihe besteht i.a. sowohl aus Kosinus- wie auch Sinus-Termen,
d.h. der Rechenaufwand ist höher.
- Gerade Erweiterung. Die Funktion kann durch Spiegelung um die y-Achse nach Bild 10.14 b
so erweitert werden, dass eine gerade Funktion entsteht mit der verdoppelten Periode 2L = 2s.
Die Fourier-Reihe besteht nur aus Kosinus-Termen und lässt sich nach (10.7) ermitteln.
- Ungerade Erweiterung. Die Spiegelung um die y-Achse nach Bild 10.14 c kann so erfolgen,
dass eine ungerade Funktion entsteht mit der verdoppelten Periode 2L = 2s. Die Fourier-Reihe
522 10 Fourier-Reihen

besteht nur aus Sinus-Termen und wird bestimmt nach (10.8).

In der angelsächsischen Fachliteratur werden die letzten beiden Möglichkeiten als half-range
expansions bezeichnet. Sowohl die gerade als auch die ungerade periodische Erweiterung sind
prinzipiell gleichwertig. Es kann aber sein, dass die eine oder die andere Variante sich in einem
konkreten Fall als zweckmäßiger erweist – was oft auch der Fall ist.

Gerade Erweiterung einer finiten Funktion:



nπx
f (x) = a0 + ∑ an cos Periode : 2L = 2s
n=1 s (10.7)
s s
1 2 nπx
a0 = f (x) dx an = f (x) cos dx bn = 0
s s s
0 0

Ungerade Erweiterung einer finiten Funktion:



nπx
f (x) = ∑ bn sin
s
Periode : 2L = 2s
n=1 (10.8)
s
2 nπx
bn = f (x) sin dx an = 0
s s
0

Beispiel 10.7:
Die in Bild 10.15 a dargestellte finite Funktion f (x) = x mit dem Definitionsbereich
0 ≤ x ≤ π soll nach gerader sowie ungerader Erweiterung in eine Fourier-Reihe ent-
wickelt werden.

f(x)
3 3

2 2
f(x)

f(x)

1 1

0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5


p x x x

a: Funktion f (x) = x b: Gerade Erweiterung c: Ungerade Erweiterung

Bild 10.15: Funktion und Partialsummen S9 für das Beispiel 10.7


10.4 Fourier-Reihe einer bereichsweise definierten Funktion 523

Gerade Erweiterung:
s π
1 1 1 2 π π 2 − 0 π
2L = 2s = 2π a0 = f (x) dx = x dx = x = =
s π 2π 0 2π 2
0 0

s π π
2 nπx 2 nπx 2
an = f (x) cos dx = x cos dx = x cos nx dx
s s π π π
0 0 0

2  −2
= (cos nx + nx sin nx) = (1 − cos nπ)
πn 2
0 π n2
−4
an = für n = 1,3,5, · · · an = 0 für n = 2,4,6, · · ·
π n2
Die Fourier-Reihe lautet:
 
π 4 cos 3x cos 5x cos 7x cos 9x
f (x) = − cos x + + + + + · · ·
2 π 32 52 72 92

Die in Bild 10.15 b dargestellte Partialsumme S9 gibt die Funktion mit hoher Genauig-
keit wieder.

Ungerade Erweiterung:
s π π
2 nπx 2 nπx 2
bn = f (x) sindx = x sin dx = x sin nx dx
s s π π π
0 0 0

2  2
= (sin nx − nx cos nx) = − cos nπ
πn 2
0 n
2 2
bn = für n = 1,3,5, · · · bn = − für n = 2,4,6, · · ·
n n
Die Fourier-Reihe lautet:
 
sin 2x sin 3x sin 4x sin 5x sin 6x
f (x) = 2 sin x − + − + − +···
2 3 4 5 6

Die in Bild 10.15 c dargestellte Partialsumme S9 kann die Funktion nur in grober Nä-
herung wiedergeben; für eine ausreichende Genauigkeit müssten viel mehr Terme be-
rücksichtigt werden.
524 10 Fourier-Reihen

10.5 Aufgaben
1. Stellen Sie die angegebenen periodischen Funktionen grafisch dar und bestimmen Sie ihre
Fourier-Reihe. Bilden Sie verschiedene Teilsummen der Reihen und vergleichen Sie die
Ergebnisse grafisch.
a) f (x) = x für −π ≤ x ≤ π
Lsg: Periode p = 2π
2 1 2
f (x) = 2 sin x − sin 2x + sin 3x − sin 4x + sin 5x − · · ·
3 2 5
b) f (x) = x für 0 ≤ x ≤ 2π
Lsg: Periode p = 2π
 
1 1 1 1
f (x) = π − 2 sin x + sin 2x + sin 3x + sin 4x + sin 5x + · · ·
2 3 4 5
c) f (x) = x2 für −π ≤ x ≤ π
Lsg: Periode p = 2π
 
π2 1 1 1 1
f (x) = − 4 cos x − 2 cos 2x + 2 cos 3x − 2 cos 4x + 2 cos 5x − · · ·
3 2 3 4 5

0 für − π/2 ≤ x ≤ 0
d) f (x) =
cos x für 0 ≤ x ≤ π/2
Lsg: Periode p = π
1 2 4 2 8
f (x) = + cos 2x + sin 2x − cos 4x + sin 4x+
π 3π 3π 15π 15π
2 12
+ cos 6x + sin 6x − · · ·
35π 35π

0 für 0 ≤ x ≤ π
e) f (x) =
− sin x für π ≤ x ≤ 2π
Lsg: Periode p = 2π
1 1 2 2 2
f (x) = − sin x − cos 2x − cos 4x − cos 6x − · · ·
π 2 3π 15π 35π

f) f (x) = sin x für 0≤x≤π


Lsg: Periode p = π
 
2 4 cos 2x cos 4x cos 6x cos 8x
f (x) = − + + + +···
π π 1·3 3·5 5·7 7·9
g) f (x) = sin2 x für 0≤x≤π
1
Lsg: Periode p = 2π f (x) = (1 − cos 2x)
2
10.5 Aufgaben 525

2. Die Funktion f (x) = x ist nur im finiten Intervall 0 ≤ x ≤ 2π definiert. Sie soll nach
gerader sowie ungerader Erweiterung in eine Fourier-Reihe entwickelt werden.
a) Gerade Erweiterung.

L = s = 2π ⇒ Periode 2L = 2s = 4π a0 = π
−8
an = für n = 1,3,5, · · · an = 0 für n = 2,4,6, · · ·
π n2
8 x 8 3x 8 5x
f (x) = π − cos − cos − cos − · · ·
π 2 9π 2 25π 2
b) Ungerade Erweiterung.

L = s = 2π ⇒ Periode 2L = 2s = 4π

b0 = 0 b1 = 4 b2 = −2 b3 = 4/3 b4 = −1 b5 = 4/5 ······


x 4 3x 4 5x
f (x) = 4 sin − 2 sin x + sin − sin 2x + sin − · · ·
2 3 2 5 2
3. Die Funktion f (x) = x (π − x) ist nur im finiten Intervall 0 ≤ x ≤ π definiert. Stellen
Sie zunächst die Funktion gemäß gerader sowie ungerader Erweiterung grafisch dar und
entwickeln Sie sie in die jeweilige Fourier-Reihe.
a) Gerade Erweiterung.

π2 cos 4x cos 6x
f (x) = − cos 2x − − −···
6 22 32

b) Ungerade Erweiterung.
 
8 sin 3x sin 5x
f (x) = sin x + + +···
π 33 53
11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

11.1 Einleitung
Im Abschnitt 3 ist die Differentialrechnung von Funktionen mir nur einer unabhängigen Variable
von der Form y = f (x) behandelt worden. In diesem Abschnitt sollen die grundlegenden Ideen
der Differentialrechnung auf multivariable Funktionen (das sind Funktionen mit mindestens zwei
unabhängigen Variablen) ausgeweitet werden. Zunächst wird die einfachste multivariable Funk-
tion mit zwei unabhängigen Variablen x und y betrachtet:

z = f (x, y)

Die Funktion z = f (x, y) repräsentiert eine Fläche im xyz-Raum (3D-Raum). Diese Fläche kann
eine ebene oder aber auch eine gekrümmte Fläche sein, dies hängt allein von der Gestalt der Funk-
tion f (x, y) ab. Jedem konkreten Wertepaar (x0 , y0 ) gehört ein z0 -Wert: z0 = f (x0 , y0 ). Die
Koordinaten (x0 , y0 , z0 ) repräsentieren einen Punkt P0 im kartesischen 3D-Koordinatensystem.
Trägt man nun für (unendlich) viele xy-Koordinatenwerte die dazu gehörigen z-Werte in dieses
Koordinatensystem ein, erhält man eine diskretisierte und aus (unendlich) vielen Punkten beste-
hende Fläche im 3D-Raum. Das Aussehen dieser Fläche hängt natürlich vom mathematischen
Inhalt der Funktion f (x, y) ab und reicht von einer simplen Ebene bis hin zu sehr komplex
gekrümmten räumlichen Flächen.
Bild 11.1 zeigt die Raumfläche der Funktion z = f (x, y) = xy sin x sin y , die mit dem Computer-
Algebrasystem M APLE geplottet wurde. Falls die Anzahl n der unabhängigen Variablen größer

z2
0

–2 –2

0 0
y x
2 2

Bild 11.1: 3D-Darstellung der Funktion z = xy sin x sin y

als zwei ist ( n > 2 ), ist es zweckmäßiger, die unabhängigen Variablen in Indexschreibweise
anzugeben, d.h. als x1 , x2 , . . . , xn . Die dazu gehörige Funktion

z = f (x1 , x2 , . . . , xn )

lässt sich jetzt allerdings nicht mehr geometrisch anschaulich darstellen, weil unser Vorstellungs-
vermögen einen 4D-Raum -geschweige denn einen n-D-Raum- nicht mehr bildhaft erfassen

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_11,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
528 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

kann. Wegen dieser fehlenden visuellen Darstellungsmöglichkeit wird eine solche Fläche -etwas
abstrakt- eine Hyperfläche genannt.
Die Ableitung einer Funktion von mehreren (mindestens zwei) unabhängigen Variablen nach
einer dieser Variablen, z.B. nach xi , wird als partielle Ableitung (oder partielle Differentiation)
bezeichnet.

z = f (x1 , x2 , . . . , xi , . . . , xn ) Ableitung nach xi z,xi = f,xi = g(x1 , x2 , . . . , xi , . . . , xn )


−−−−−−−−−−−−−−−→

11.1.1 Beispiele für multivariable Funktionen in der Technik


Aus unzählig vielen Ingenieuranwendungen, in denen Funktionen von mehreren Variablen vor-
kommen, sollen nachfolgend einige wenige Beispiele betrachtet werden.
Beispiel 11.1:
Balkenbiegung. Die maximale Durchbiegung w des einseitig eingespannten und durch
die Einzellast F belasteten Balkens in Bild 11.2 (sog. Kragbalken) wird nach Regeln
der Statik durch folgende Formel berechnet:

FL3
w= w = f (F, L, E, I)
3EI
wobei F die Einzelkraftintensität, L die Balkenlänge, E den Elastizitätsmodul des
Werkstoffs und I das Trägheitsmoment des Balkenquerschnitts bedeuten (der Balken
hat über seine ganze Länge konstanten Querschnitt und gleichen Werkstoff). Die Durch-
biegung w der Balkenspitze ist eine Funktion dieser vier unabhängigen Variablen, d.h.
w ist eine multivariable Funktion.

F
EI

w
verformter Balken
L

Bild 11.2: Kragbalken unter Einzellast

Beispiel 11.2:
Stabknicken. Der in Bild 11.3 a dargestellte Stab sei an seinem linken Enden gelenkig
und am rechten Ende auch gelenkig aber gleichzeitig axial frei verschieblich gelagert.
Es wird angenommen, dass der Stab absolut homogen ist, eine absolut geradlinig ver-
laufende Achse sowie einen absolut konstant verlaufenden Querschnitt besitzt. Dieser
Stab sei am seinem rechten Ende durch eine axiale Druckkraft N belastet, deren In-
tensität von Null beginnend langsam gesteigert wird. Unter diesen Umständen würde
der Stab zunächst keinerlei seitliche Verformungen zeigen, d.h. er würde sich zwar ein
wenig verkürzen aber ansonsten absolut gerade bleiben. Beim Erreichen einer ganz be-
stimmten Lastintensität, die hier mit Nk bezeichnet werden soll, wird der Stab schlag-
artig zu Seite ausweichen, d.h. ausknicken. Die Knicklast Nk ist eine Funktion der drei
11.1 Einleitung 529

EI

N
ausgeknickter Stab

a: Stabknicken

r
H
m

F v
A

b: Rückstoßkraft c: Kinetische Energie

Bild 11.3: Beispiele für multivariable Probleme in der Technik

unabhängigen Variablen E, I und L (sie haben die gleiche Bedeutung wie im Beispiel
11.1):
EI
Nk = π 2 = f (E, I, L)
L2

Beispiel 11.3:
Rückstoßkraft. Bild 11.3 b zeigt einen Behälter, in dem sich eine Flüssigkeit befindet.
Die Flüssigkeit strömt durch eine an der Behälterwand angebrachte Öffnung hinaus.
Die Rückstoßkraft F des austretenden Flüssigkeitsstrahls auf die Behälterwand ist eine
Funktion der drei Variablen ρ, A, H:

F = 2gρAH = f (ρ, A, H),

wobei ρ Flüssigkeitsdichte, A Querschnittsfläche der Öffnung, H Flüssigkeitshöhe


über der Öffnung bedeuten (die Erdbeschleunigung g ist eine konstante Größe).

Beispiel 11.4:
Kinetische Energie. Bild 11.3 c zeigt einen Körper mit der Masse m , der sich mit der
Geschwindigkeit v bewegt. Die kinetische Energie Ekin des Körpers ist eine Funktion
von zwei Variablen:
1
Ekin = mv2 = f (m, v)
2
530 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

11.2 Partielle Ableitung einer Funktion von zwei Variablen


Wie in Kapitel 3 erläutert, wird die Ableitung einer Funktion y = f (x) mit nur einer unabhängi-
gen Variablen x als gewöhnliche Ableitung f  = dy/dx bezeichnet.
Die Ableitung einer Funktion von mehreren (mindestens zwei) unabhängigen Variablen nach
einer dieser Variablen wird hingegen partielle Ableitung (oder partielle Differentiation) genannt.
Der Ablauf der partielle Ableitung entspricht sinngemäß der zweiten gewöhnlichen Ableitung
einer Funktion mit einer unabhängigen Variablen. Bei der partiellen Ableitung muss allerdings
darauf geachtet werden, dass alle unabhängigen Variablen -außer der einen, nach der differenziert
werden soll- wie konstante Größen behandelt werden. Wenn also die Funktion f (x, y, z) nach x
differenziert werden soll, wird x als variabel betrachtet und die beiden anderen Variablen y und
z sind vorübergehend als Konstanten zu behandeln; wenn nach y zu differenzieren ist, sind y als
variable, x und z hingegen als konstante Größen zu betrachten. Unter Beachtung dieser Besonder-
heit ist der Ablauf der partiellen Ableitung identisch mit der der gewöhnlichen Ableitung.

11.2.1 Definition der partiellen Ableitung 1. Ordnung


Wie oben ausgeführt, entspricht die partielle Ableitung einer multivariablen Funktion z = f (x, y)
sinngemäß der gewöhnlichen Ableitung einer monovariablen Funtion g = f (x). Die mathema-
tische Definition der partiellen Ableitung 1. Ordnung ergibt sich aus der Grenzwertbetrachtung
des Differenzenquotienten der Funktion an einem beliebigen Punkt P = (x, y) in beiden Koordi-
natenrichtungen:

f (x + Δ x, y) − f (x, y)
Partielle Ableitung nach x : z,x = f,x = lim
Δ x→0 Δx
(11.1)
f (x, y + Δ y) − f (x, y)
Partielle Ableitung nach y : z,y = f,y = lim
Δ y→0 Δy

Für die Ableitung z,x nach x wurde also y als konstante Größe und für die Ableitung z,y nach
y wurde x als konstante Größe betrachtet.
Die mathematische Bezeichnung der partiellen Ableitung von z = f (x, y) kann auf verschiede-
ne Weise erfolgen. Die nachfolgend angegebenen Ausdrücke sind alle gleichwertig und stellen
die gebräuchlichsten formalen Bezeichnungen für die partielle Ableitung dar:1

∂z ∂f ∂ f (x, y) ∂z ∂f ∂ f (x, y)
z,x = = f,x = = z,y = = f,y = = (11.2)
∂x ∂x ∂x ∂y ∂y ∂y

Die partielle Ableitung wird durch das Symbol ∂ (Delta) ausgedrückt (zur Erinnerung: bei ge-
wöhnlicher Differentiation wird der Buchstabe d verwendet).

1 Zur Verdeutlichung der partiellen Ableitung wird in diesem Buch ein Komma vor die Differentiationsvariable
gesetzt, z.B. f,x oder f,xy . In vielen mathematischen Lehrbüchern wird aus Gründen einer möglichst kompakten
Schreibweise auf das Komma verzichtet, d.h. es lautet einfach fx oder fxy . Letztendlich ist es von untergeordne-
ter Bedeutung, ob mit oder ohne Komma geschrieben wird. Im Hinblick auf das für Ingenieure wichtige Anwen-
dungsgebiet Kontinuumsmechanik, wo partielle Ableitungen bevorzugt mit Komma hervorgehoben werden (um die
Ableitung nach x nicht mit einem normalen Richtungsindex x zu verwechseln), wird die Verwendung von Komma
empfohlen.
11.2 Partielle Ableitung einer Funktion von zwei Variablen 531

Beispiel 11.5:
a) z = f (x, y) = x + y z,x =? z,y =?
z,x = f,x = 1 + 0 = 1 y als Konstante behandelt, nach x differenziert
z,y = f,y = 0 + 1 = 1 x als Konstante behandelt, nach y differenziert
b) z = f (x, y) = x y
z,x = f,x = 1 · y + x · 0 = y
z,y = f,y = 0 · y + x · 1 = x
c) z = f (x, y) = x2 y + 3 x y2 − 4 x y + x + y − 4
z,x = 2x · y + 3 · 1 · y2 − 4 · 1 · y + 1 + 0 − 0 = 2xy + 3y2 − 4y + 1
z,y = x2 · 1 + 3x · 2y − 4 x · 1 + 0 + 1 − 0 = x2 + 6xy − 4x + 1
d) z = f (x, y) = sin x sin y
z,x = cos x sin y z,y = sin x cos y
x
e) z = f (x, y) =
y
1 x
z,x = z,y = − 2
y y

11.2.2 Definition der partiellen Ableitung 2.Ordnung


Die mathematische Definition der partiellen Ableitung 2. Ordnung für die Funktion f (x, y) ist
durch folgende Grenzwertbeziehungen gegeben:

f,x (x + Δ x, y) − f,x (x, y) f,y (x, y + Δ y) − f,y (x, y)


f,xx = lim f,yy = lim
Δ x→0 Δx Δ y→0 Δy
(11.3)
f,x (x, y + Δ y) − f,x (x, y) f,y (x + Δ x, y) − f,y (x, y)
f,xy = lim f,yx = lim
Δ y→0 Δy Δ x→0 Δx

Die beiden letzten Ableitungen in Gl. (11.3), d.h. f,xy und f,yx , werden als gemischte partielle
Ableitungen 2. Ordnung bezeichnet.
Die Anordnung der Indizes für Ableitungsvariablen erfolgt nach der Reihenfolge der Ablei-
tung. Beispielsweise besagt die partielle Ableitung f,xy , dass f zunächst nach x abgeleitet wird.
Das Resultat f,x dieser Ableitung wird anschließend nach y abgeleitet, woraus dann f,xy entsteht.
Für Funktionen, die glatt sind, d.h. stetige Ableitungen besitzen (das ist für Ingenieuranwen-
dungen in der Regel der Fall), spielt die Reihenfolge der gemischten partiellen Ableitungen keine
Rolle, d.h. es gilt für die Funktion z = f (x, y):

f,xy = f,yx bzw. z,xy = z,yx (11.4)

Für die formal-mathematische Bezeichnung der 2. partiellen Ableitung stehen mehrere Mög-
lichkeiten zur Verfügung. Nachfolgend sind einige Alternativen aufgezeigt – welche von ihnen
532 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

man wählt hängt hauptsächlich vom persönlichen Geschmack und vom zu behandelnden Aufga-
bengebiet ab.
 
∂ 2z ∂ ∂ z,x ∂2 f ∂ ∂ f,x ∂ ∂ f (x, y)
z,xx = 2 = z,x = = f,xx = 2 = f,x = =
∂x ∂x ∂x ∂x ∂x ∂x ∂x ∂x
 
∂ 2z ∂ ∂ z,y ∂2 f ∂ ∂ f,y ∂ ∂ f (x, y)
z,yy = 2 = z,y = = f,yy = 2 = f,y = =
∂y ∂y ∂y ∂y ∂y ∂y ∂y ∂y
 
∂ 2z ∂ ∂ z,x ∂2 f ∂ ∂ f,x ∂ ∂ f (x, y)
z,xy = = z,x = = f,xy = = f,x = =
∂x ∂y ∂y ∂y ∂x ∂y ∂y ∂y ∂y ∂x
 
∂ 2z ∂ ∂ z,y ∂2 f ∂ ∂ f,y ∂ ∂ f (x, y)
z,yx = = z,y = = f,yx = = f,y = =
∂y ∂x ∂x ∂x ∂y ∂x ∂x ∂x ∂x ∂y

11.2.3 Praktische Durchführung der partiellen Ableitung


Das Vorgehen bei der Berechnung partieller Ableitungen ist relativ einfach. Ist beispielsweise
die Ableitung f,x gesucht, wird die Variable x der Funktion f (x, y) als eine echte Variable be-
trachtet; die Variable y wird dagegen vorübergehend wie eine Konstante behandelt. Alles andere
im Ableitungsvorgang verläuft wie gewohnt. Bei der Berechnung von f,y kehrt sich das ganze
Spiel um, d.h. y wird jetzt als echte Variable betrachtet – x nimmt vorübergehend die Rolle
einer Konstante. Ansonsten behalten alle Regeln der normalen Differentiation ihre Gültigkeit.

Beispiel 11.6:
z = f (x, y) = x + y z,x = f,x = 1 + 0 = 1 z,y = f,y = 0 + 1 = 1
∂ z,x ∂ (1) ∂ 1 ∂ z,y ∂ (1) ∂ 1
z,xx = f,xx = = = =0 z,yy = f,yy = = = =0
∂x ∂x ∂x ∂y ∂y ∂y
∂ z,x ∂ (1) ∂ 1 ∂ z,y ∂ (1) ∂ 1
z,xy = f,xy = = = =0 z,yx = f,yx = = = =0
∂y ∂y ∂y ∂x ∂x ∂x

Beispiel 11.7:
z = f (x, y) = x y z,x = f,x = 1 · y + x · 0 = y z,y = f,y = 0 · y + x · 1 = x
∂ z,x ∂ (y) ∂ y ∂ z,x ∂ (y) ∂ y
z,xx = f,xx = = = =0 z,xy = f,xy = = = =1
∂x ∂x ∂x ∂y ∂y ∂y
∂ z,y ∂ (x) ∂ x ∂ z,y ∂ (x) ∂ x
z,yx = f,yx = = = =1 z,yy = f,yy = = = =0
∂x ∂x ∂x ∂y ∂y ∂y

Beispiel 11.8:
z = f (x, y) = x2 y + 3 x y2 − 4 x y + x + y − 4
z,x = 2x · y + 3 · 1 · y2 − 4 · 1 · y + 1 + 0 − 0 = 2xy + 3y2 − 4y + 1
z,y = x2 · 1 + 3x · 2y − 4 x · 1 + 0 + 1 − 0 = x2 + 6xy − 4x + 1
z,xx = 2 · 1 · y + 0 − 0 + 0 = 2y
11.2 Partielle Ableitung einer Funktion von zwei Variablen 533

z,yy = 0 + 6x · 1 − 0 + 0 = 6x
z,xy = 2x · 1 + 6y − 4 + 0 = 2x + 6y − 4
z,yx = 2x + 6 · 1 · y − 4 + 0 = 2x + 6y − 4

Beispiel 11.9:
z = f (x, y) = sin x sin y z,x = cos x sin y z,y = sin x cos y
∂ ∂
z,xx = z,x = (cos x sin y) = − sin x sin y
∂x ∂x
∂ ∂
z,yy = z,y = (sin x cos y) = − sin x sin y
∂y ∂y
∂ ∂
z,xy = z,x = (cos x sin y) = cos x cos y
∂y ∂y
∂ ∂
z,yx = z,y = (sin x cos y) = cos x cos y
∂x ∂x

Anmerkung: Bei allen vorangehenden Beispielen konnte die Gültigkeit der Regel f,xy = f,yx nach
Gl. (11.4) bestätigt werden.

11.2.4 Definition der partiellen Ableitung höherer Ordnung

In technischen Anwendungen kommen durchaus auch partielle Ableitungen höherer Ordnung


vor. Der Übersichtlichkeit halber soll hier eine Funktion f (x, y) mit nur zwei unabhängigen
Variablen betrachtet werden. Nachfolgend ist zur Demonstration die formale Bezeichnung der
partiellen Ableitungen 3. Ordnung an einigen Fällen angegeben, ohne in mathematische De-
tails einzugehen:

∂3 f ∂ f,xx ∂ ∂3 f ∂ f,xx ∂
f,xxx = = = f,xx f,xxy = = = f,xx
∂ x3 ∂x ∂x ∂ x2 ∂ y ∂y ∂y

∂3 f ∂ f,yy ∂ ∂3 f ∂ f,yy ∂
f,yyx = = = f,yy f,yyy = = = f,yy usw.
∂y ∂x
2 ∂x ∂x ∂y 3 ∂y ∂y
Die mathematische Definition der partiellen Ableitung 3. Ordnung erfolgt ganz analog zu parti-
ellen Ableitungen erster und zweiter Ordnung, z.B. (nicht alle Ableitungen sind angegeben):

f,xx (x + Δ x, y) − f,xx (x, y) f,yy (x, y + Δ y) − f,yy (x, y)


f,xxx = lim f,yyy = lim
Δ x→0 Δx Δ y→0 Δy
(11.5)
f,xx (x, y + Δ y) − f,xx (x, y) f,yy (x + Δ x, y) − f,yy (x, y)
f,xxy = lim f,yyx = lim
Δ y→0 Δy Δ x→0 Δx
534 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

11.2.5 Beispiel für partielle Ableitung in der Mechanik


Nachfolgend wird eine Aufgabe aus der Statik vorgestellt, in der partielle Ableitungen vorkom-
men.

Beispiel 11.10:
Plattenbiegung. Eine rechteckige Stahlplatte mit konstanter Dicke t, die in der xy-
Ebene liegt und durch eine konstante Flächenlast p in z-Richtung belastet wird, erfährt
elastische Verformung. Die Durchbiegung w (Verformung) der Platte in z-Richtung
ist eine Funktion von Variablen x und y , d.h. w = f (x, y). Das Durchbiegungsproblem
der Platte wird durch folgende Gleichung, in der partielle Ableitungen 4. Ordnung vor-
kommen, beschrieben:

p Et 3
w,xxxx + 2w,xxyy + w,yyyy = mit D =
D 12(1 − μ 2 )

E : Elastizitätsmodul, μ : Querkontraktionszahl (z.B. μ = 0,3 für Stahl)


Das Problem der Plattenbiegung enthält also partielle Ableitungen 4. Ordnung.

Zum Vergleich: Das vergleichbare Problem der ebenen Balkenbiegung (mit kon-
stanter Querschnittsfläche) wird durch eine Gleichung beschrieben, in der nur die ge-
wöhnliche Ableitung 4. Ordnung vorkommt:
 p
w = Balkenbiegung
EI
Anmerkung: Gleichungen, in denen Ableitungen vorkommen, beschreiben das je-
weilige physikalische Problem in der Sprache der Mathematik. Wie man eine Lösung
des physikalischen Problems gewinnt, d.h. die Gleichungen selbst gelöst werden kön-
nen, ist wiederum ein anderes Teilgebiet der Mathematik, nämlich das der Differenti-
algleichungen (s. Kapitel 9).2

11.2.6 Numerische partielle Ableitung


Ausgehend von der Definition der partiellen Ableitung nach Gl. (11.1) kann an einzelnen Posi-
tionen des Funktionsdefinitionsraums die partielle Ableitung 1. Ordnung auf numerischem Wege
näherungsweise berechnet werden. Die Näherung besteht darin, dass der Grenzwert limΔ x→0
(bzw. limΔ y→0 ) durch einen sehr kleinen von Null verschiedenen Zahlenwert ersetzt wird:

f (x + Δ x, y) − f (x, y)
z,x = f,x ≈ lim (z.B. Δ x = 10−5 )
Δ x→sehr klein Δx
f (x, y + Δ y) − f (x, y)
z,y = f,y ≈ lim (z.B. Δ y = 10−5 )
Δ y→sehr klein Δy
2 Differentialrechnung und Differentialgleichung sind ganz verschiedene Dinge und dürfen nicht verwechselt werden.
Das Gebiet der Differentialgleichungen stellt -stark vereinfacht ausgedrückt- die nächst höhere Stufe der Differenti-
alrechnung dar.
11.2 Partielle Ableitung einer Funktion von zwei Variablen 535

Anmerkungen:
1. Es gibt keine mathematisch exakte Definition, wann der gewählte Zahlenwert für Δ x und
Δ y als »sehr klein« angesehen werden kann. Der Bereich Δ x = Δ y = 10−5 · · · 10−9 ist für
Anwendungen im Maschinenbau und Bauingenieurwesen oft eine gute Wahl.
2. Eine solche Berechnung liefert natürlich den Zahlenwert der Ableitung an nur einem ganz
konkreten Raumpunkt und keine allgemein gültige Ableitungsfunktion. Insofern ist diese
Vorgehensweise nur in jenen Fällen nützlich, in denen die Ableitung nur schwer aufzustel-
len ist und man vielleicht sowieso nur einen einzelnen Zahlenwert benötigt bzw. in solchen
Fällen, wo man mit Computerprogrammen, z.B. mit Tabellenkalkulationssoftware, arbeitet.

Beispiel 11.11:
Gesucht ist die partielle Ableitung 1. Ordnung für die Funktion z = f (x, y) = sin x sin y
am Punkt P = (x0 , y0 ) = (π/4, π/4) auf numerischem Wege (s. auch Beispiel 11.9).
Am Auswertungspunkt P ergeben sich die Funktionswerte zu:
π π
f (x0 , y0 ) = sin x0 sin y0 = sin sin = 0,5000
4 4
Als Abstandsdifferenzen werden -sinnvoll aber ziemlich willkürlich- gewählt:

Δ x = Δ y = 0.001

Je kleiner diese Differenzen gewählt werden, umso größer wird die Genauigkeit3 . In
infinitesimaler Entfernung zu P ergeben sich folgende Funktionswerte (in 6-stelliger
Genauigkeit):
π π
f (x0 + Δ x, y0 ) = sin( + 0,001) sin = 0,707814 · 0,707107 = 0,500500
4 4
π π
f (x0 , y0 + Δ y) = sinsin( + 0,001) = 0,707107 · 0,707814 = 0,500500
4 4
Die partiellen Ableitungen 1. Ordnung am Punkt P lauten:
 π π  f (x + Δ x, y ) − f (x , y ) 0,500500 − 0,500000
0 0 0 0
f,x , = = = 0,5
4 4 Δx 0,001
 π π  f (x , y + Δ y) − f (x , y ) 0,500500 − 0,500000
0 0 0 0
f,y , = = = 0,5
4 4 Δy 0,001
Vergleich der numerischen Ableitung mit der exakten Lösung:
Die exakten Ableitungsfunktionen sind bereits in Beispiel 11.9 ermittelt worden:

f,x = cos x sin y f,y = sin x cos y

3 Diese Aussage gilt aber nur bis zur Genauigkeitsgrenze der Zahlendarstellung im Taschenrechner bzw. Computer.
Der Bereich bis 1 · 10−5 dürfte i.a. völlig unbedenklich sein – man muss aber dann auch recht viele Nachkommas-
tellen, z.B. 8, mitführen!
536 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Die zugehörigen Ableitungswerte am Punkt P sind


π π  π π π π  π π
f,x , = cos sin = 0,5 f,y , = sin cos = 0,5
4 4 4 4 4 4 4 4
Zwischen der exakten und der numerischen Lösung dieses Beispiels gibt es also keinen
Unterschied.

11.3 Partielle Ableitung einer Funktion von n unabhängigen Variablen

Das prinzipielle Vorgehen hierbei ist nicht viel anders als bei Funktionen von zwei Variablen.
Hierzu wird eine Funktion von n unabhängigen Variablen betrachtet:

z = f (x1 , x2 , . . . , xn )

Gesucht sind ihre partiellen Ableitungen 1. und 2. Ordnung. Zunächst werden die formalen ma-
thematischen Ableitungsausdrücke angegeben (aus Platzgründen sind diesmal nur einige ausge-
wählte Alternativen angegeben) und danach wird die mathematische Definition erläutert.

11.3.1 Definition partieller Ableitung 1. Ordnung

Es existieren n erste partielle Ableitungen, weil n unabhängige Variablen vorhanden sind.

∂f ∂ f (x1 , x2 , . . . , xn )
z,x1 = f,x1 = =
∂ x1 ∂ x1
∂f ∂ f (x1 , x2 , . . . , xn )
z,x2 = f,x2 = =
∂ x2 ∂ x2 (11.6)
......
∂f ∂ f (x1 , x2 , . . . , xn )
z,xn = f,xn = =
∂ xn ∂ xn
Bei der Bestimmung der partiellen Differentiation f,xi (i = 1,2, . . . , n) werden alle unabhängigen
Variablen außer xi (d.h. alle xk für k = 1,2, . . . , n mit k = i) vorübergehend als Konstanten
behandelt. Die Funktion f (x1 , x2 , . . . , xn ) wird also augenblicklich so betrachtet, als ob sie nur
eine gewöhnliche Funktion der einzigen Variable xi wäre.
Die Definition der partiellen Ableitung 1. Ordnung für die Funktion f (x1 , x2 , . . . , xn ) erfolgt
durch folgende Grenzwertbetrachtung.

f (x1 , x2 , . . . , xi + Δ xi , . . . , xn ) − f (x1 , x2 , . . . , xi , . . . , xn )
f,xi = lim (11.7)
Δ xi →0 Δ xi

Aus dieser Definition ergeben sich z.B. folgende Ableitungen 1. Ordnung:

f (x1 + Δ x1 , x2 , . . . , xn ) − f (x1 , x2 , . . . , xn )
f,x1 = lim
Δ x1 →0 Δ x1
11.3 Partielle Ableitung einer Funktion von n unabhängigen Variablen 537

f (x1 , x2 + Δ x2 , . . . , xn ) − f (x1 , x2 , . . . , xn )
f,x2 = lim
Δ x2 →0 Δ x2
f (x1 , x2 , . . . , xn + Δ xn ) − f (x1 , x2 , . . . , xn )
f,xn = lim
Δ xn →0 Δ xn

11.3.2 Definition partieller Ableitung 2. Ordnung

Für eine Funktion von n unabhängigen Variablen existieren n × n = n2 partielle Ableitungen 2.


Ordnung.

∂ ∂ ∂
f,x1 x1 = f,x f,x1 x2 = f,x ... f,x1 xn = f,x
∂ x1 1 ∂ x2 1 ∂ xn 1
∂ ∂ ∂
f,x2 x1 = f,x f,x2 x2 = f,x ... f,x2 xn = f,x (11.8)
∂ x1 2 ∂ x2 2 ∂ xn 2
......
∂ ∂ ∂
f,xn x1 = f,x f,xn x2 = f,x ... f,xn xn = f,x
∂ x1 n ∂ x2 n ∂ xn n
Zur formalen Bezeichnung partieller Ableitung 2. Ordnung existieren folgende Alternativen:
 
∂ ∂ f,xi ∂2 f ∂ ∂ f (x1 , x2 , . . . , xn )
z,xi x j = f,xi x j = f,x = = =
∂xj i ∂xj ∂ xi ∂ x j ∂xj ∂ xi

Aus dieser Definition ergibt sich beispielsweise:


 
∂ ∂ f,x2 ∂2 f ∂ ∂ f (x1 , x2 , . . . , xn )
z,x2 x3 = f,x2 x3 = f,x2 = = =
∂ x3 ∂ x3 ∂ x2 ∂ x3 ∂ x3 ∂ x2

Die Gleichheit von gemischten partiellen Ableitungen ist auch für -stetig differenzierbare- Funk-
tionen von n Variablen gegeben:

f,xi x j = f,x j xi bzw. z,xi x j = z,x j xi (11.9)

Die partielle Ableitung 2. Ordnung geht aus folgender Grenzwertbetrachtung hervor:

f,xi (x1 , x2 , . . . , x j + Δ x j , . . . , xn ) − f,xi (x1 , x2 , . . . , x j , . . . , xn )


f,xi x j = lim (11.10)
Δ x j →0 Δxj

Beispiel 11.12:
y = f (x1 , x2 , x3 ) = x1 + x2 + x3

y,x1 = 1 + 0 + 0 = 1 y,x2 = 0 + 1 + 0 = 1 y,x3 = 0 + 0 + 1 = 1

∂ ∂ ∂
y,x1 x1 = 1=0 y,x1 x2 = 1=0 y,x1 x3 = 1=0
∂ x1 ∂ x2 ∂ x3
538 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

∂ ∂ ∂
y,x2 x1 = 1=0 y,x2 x2 = 1=0 y,x2 x3 = 1=0
∂ x1 ∂ x2 ∂ x3
∂ ∂ ∂
y,x3 x1 = 1=0 y,x3 x2 = 1=0 y,x3 x3 = 1=0
∂ x1 ∂ x2 ∂ x3

Beispiel 11.13:
y = f (x1 , x2 , x3 ) = x1 x2 x3

y,x1 = 1 · x2 x3 = x2 x3 y,x2 = x1 · 1 · x3 = x1 x3 y,x3 = x1 x2 · 1 = x1 x2

∂ ∂ ∂
y,x1 x1 = (x2 x3 ) = 0 y,x1 x2 = (x2 x3 ) = x3 y,x1 x3 = (x2 x3 ) = x2
∂ x1 ∂ x2 ∂ x3
∂ ∂ ∂
y,x2 x1 = (x1 x3 ) = x3 y,x2 x2 = (x1 x3 ) = 0 y,x2 x3 = (x1 x3 ) = x1
∂ x1 ∂ x2 ∂ x3
∂ ∂ ∂
y,x3 x1 = (x1 x2 ) = x2 y,x3 x2 = (x1 x2 ) = x1 y,x3 x3 = (x1 x2 ) = 0
∂ x1 ∂ x2 ∂ x3

Beispiel 11.14:
y = f (x1 , x2 , x3 , x4 ) = x14 + 2x1 x2 − x22 x33 + 4x4

y,x1 = 4x13 + 2 · 1 · x2 − 0 + 0 = 4x13 + 2x2

y,x2 = 0 + 2x1 · 1 − 2x2 x33 + 0 = 2 x1 − 2x2 x33


y,x3 = 0 + 0 − x22 · 3x32 + 0 = −3x22 x32
y,x4 = 0 + 0 − 0 + 4 · 1 = 4
y,x1 x1 = 12x12 y,x1 x2 = 2 y,x1 x3 = 0 y,x1 x4 = 0
y,x2 x1 = 2 y,x2 x2 = −2x33 y,x2 x3 = −6x2 x32 y,x2 x4 = 0
y,x3 x1 = 0 y,x3 x2 = −6x2 x32 y,x3 x3 = −6x22 x3 y,x3 x4 = 0
y,x4 x1 = 0 y,x4 x2 = 0 y,x4 x3 = 0 y,x4 x4 = 0
11.4 Das totale Differential 539

11.4 Das totale Differential


11.4.1 Geometrische Bedeutung der partiellen Ableitung
Eine geometrisch anschauliche Interpretation der partiellen Ableitung ist nur für Funktionen mit
zwei unabhängigen Variablen möglich. Bild 11.4 zeigt schematisch die 3D-Darstellung einer
beliebigen Funktion z = f (x, y), die einer Fläche im 3D-Raum entspricht. Zusätzlich werden
noch zwei Ebenen betrachtet, die den Punkt P enthalten (nicht im Bild dargestellt): Eine zur
xz -Ebene parallele Ebene E1 (für diese Ebene gilt y = const.) und eine zur yz -Ebene parallele
Ebene E2 (für diese Ebene gilt x = const.)
Nun werden die Tangentengeraden an die Schnittkurven zwischen der räumlichen Fläche und
den beiden Ebenen E1 und E2 gebildet. Der Winkel zwischen der Tangente, die in der Ebene
E1 liegt, und der x-Achse beträgt αx und der Winkel zwischen der Tangente in der Ebene E2
und der y-Achse ist αy .
Die partielle Ableitung z,x entspricht der Steigung der Tangente in der Ebene E1 . Die partielle
Ableitung z,y entspricht der Steigung der Tangente in der Ebene E2 :

z,x = tan αx z,y = tan αy

Die partielle Ableitung der Funktion f entspricht der Änderungsrate von f in Richtung der je-
weiligen Koordinatenachse x und y.

z
z=f(x,y)
y

ay
Dy
tan αx = z,x
tan αy = z,y

ax
P=(x,y,z) Dx
x

Bild 11.4: Geometrische Bedeutung der partiellen Ableitung

Tangentialebene
Die Tangentialebene einer räumlich gekrümmten Fläche z = f (x, y) an einem beliebigen Punkt
P = (x0 , y0 , z0 ) ist diejenige ebene Fläche, welche die räumliche Fläche genau in diesem Punkt
P berührt, siehe Bild 11.5. Die Tangentialebene wird durch folgende Gleichung beschrieben:

zt = ft (x, y) = z(x0 , y0 ) + z,x (x0 , y0 ) · (x − x0 ) + z,y (x0 , y0 ) · (y − y0 ) (11.11)

Es wird aus Bild 11.5 deutlich, dass die Abweichung der Tangentialebene von der Funktions-
fläche umso größer wird, je mehr man sich vom Punkt P entfernt. Die Orientierung der Tan-
gentialebene im 3D-Raum hängt mit den partiellen Ableitungen 1. Ordnung folgendermaßen
zusammen:
540 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

ay

P ax

Bild 11.5: Tangentialebene im Punkt P

- z,x : Steigung der Tangentialebene in x-Richtung (z,x = tan αx )


- z,y : Steigung der Tangentialebene in y-Richtung (z,y = tan αy )

11.4.2 Totales Differential von Funktionen mit zwei unabhängigen Variablen

Zunächst wird eine Funktion z = f (x, y) mit zwei unabhängigen Variablen betrachtet. Wie
bereits auf Seite 527 erläutert, repräsentiert diese Funktion eine Fläche im 3D-Raum. Ferner
wird angenommen, dass diese Fläche gekrümmt sei – also wie die Oberfläche eines Luftbal-
lons. Ferner wird ein -willkürlich gewählter- Punkt P auf dieser Fläche mit den Koordinaten
P = (x0 , y0 , z0 ) betrachtet, vgl. Bild 11.5. Es soll berechnet werden, wie sich die z-Koordinate
ändert, wenn sich die aktuelle Position auf der gekrümmten Fläche vom Punkt P zu einem infi-
nitesimal benachbarten Punkt Q bewegt.
Die xy-Koordinaten des Punktes Q unterscheiden sich von denen des Punktes P nur um
differenzielle (infinitesimale) Beträge dx und dy. Es gilt also xQ = x0 + dx und yQ = y0 + dy.
Anmerkung: Die infinitesimale Nachbarschaft von P und Q ist nur in der xy-Ebene definiert.
In Richtung der z-Achse brauchen sie nicht infinitesimal benachbart zu sein.
Die z-Koordinate des Punktes P ergibt sich aus zP = f (x0 , y0 ) . Wegen der infinitesimalen
Nachbarschaft zwischen P und Q befindet sich der Punkt Q in der Tangentialebene des Punktes
P. Mit Hilfe der Gl. (11.11) kann die z-Koordinate des Punktes Q berechnet werden:

zP = f (x0 , y0 )
zQ = zP + z,x (x0 , y0 ) · (xQ − x0 ) + z,y (x0 , y0 ) · (yQ − y0 )
= zP + z,x (x0 , y0 ) · ( x0 + dx −  x0 ) + z,y (x0 , y0 ) · ( y0 + dy −  y0 )
     
xQ yQ

= zP + z,x (x0 , y0 ) · dx + z,y (x0 , y0 ) · dy

Die Höhendifferenz dz zwischen den Punkten P und Q wird als totales Differential bezeichnet:

dz = zQ − zP = zP + z,x (x0 , y0 ) · dx + z,y (x0 , y0 ) · dy−  zP = z,x (x0 , y0 ) · dx + z,y (x0 , y0 ) · dy

Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die Positionsangaben x0 , y0 in den Klammern wegge-
11.4 Das totale Differential 541

lassen, so dass sich folgender Ausdruck für das totale Differential dz (oder d f ) ergibt:

dz = z,x · dx + z,y · dy oder d f = f,x · dx + f,y · dy (11.12)

Das totale Differential (auch vollständiges Differential genannt) ist also ein Maß für die Ände-
rung des Funktionswertes in der Tangentialebene. Es ist insofern eng verwandt mit dem gewöhn-
lichen Differential dy einer Funktion mit nur einer Variablen y = f (x) , vgl. Seite 59. Daraus
wird auch klar woher das Attribut »total« kommt: Während beim gewöhnlichen Differential die
Änderung nur einer einzigen unabhängigen Variable x , nämlich dx, betrachtet wird, muss beim
totalen Differential die Änderungen von x und y gleichzeitig betrachtet werden. Man interessiert
sich für die »totale« Änderung d f des Funktionswertes f (x, y) bei Änderung beider unabhän-
giger Variablen.
Die Tatsache, dass das totale Differential d f den Funktionszuwachs auf der Tangentialebene
ausdrückt, kann auch so interpretiert werden, dass es sich beim totalen Differential um eine
Linearisierung der Funktion f (x, y), d.h. Approximation der gekrümmten Raumfläche durch
eine Ebene, handelt.
Wenn nun die Einschränkung, dass es sich beim Abstand zwischen den Punkten P und Q um
infinitesimale Beträge dx und dy handeln soll, fallengelassen wird, kann die Höhenänderung
dz auf der Tangentialebene auch für größere Abstände Δx, Δy berechnet werden:

dz = z,x · Δx + z,y · Δy (11.13)

Die tatsächliche Höhenänderung Δz auf der gekrümmten Fläche, d.h. der Funktionsinkrement,
für größere Abstände Δx, Δy kann nur näherungsweise aus dem totalen Differential berechnet
werden:

Δz ≈ z,x · Δx + z,y · Δy (11.14)

Je größer Δx und Δy in (11.14) gewählt werden, umso größer wird natürlich der Fehler in Δz.
Daher ist große Vorsicht geboten bei der Berechnung der Höhenänderung aus dem totalen Diffe-
rential.

Beispiel 11.15:
Das totale Differential der Funktion z = f (x, y) = x2 + y2 ergibt sich zu:

z,x = 2x + 0 = 2x z,y = 2y + 0 = 2y

dz = z,x · dx + z,y · dy = 2x · dx + 2y · dy
An verschiedenen räumlichen Punkten nimmt das totale Differential verschiedene Wer-
te an, z.B.:
am Punkt P1 = (x, y) = (0; 0) : dz = 2 · 0 · dx + 2 · 0 · dy = 0
am Punkt P2 = (x, y) = (0,5; 1) : dz = 2 · 0,5 · dx + 2 · 1 · dy = dx + 2 dy
542 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Beispiel 11.16:  
Die Funktion z = 3x2 + y2 sin x2 + y2 stellt eine Raumfläche im kartesischen 3D-
Koordinatensystem dar (Bild 11.6). Die Funktion besitzt am Punkt P = (x, y) = (1; 1)
die Höhenkoordinate
 
zP = 3 · 12 + 12 sin 12 + 12 = 1,975

Der Winkel der Sinus-Funktion muss in Bogenmaß eingesetzt werden! Nun wird ein
zu P benachbarter Punkt Q = (1,2; 1 + dy) betrachtet, d.h. es ist dx = 0,2. Es soll
berechnet werden, für welchen Wert von dy der Funktionswert unverändert bleibt, d.h.
die Bedingung zP = zQ gilt.

0
z

–5

–2 –2

0 0
y x
2 2

 
Bild 11.6: 3D-Bild der Funktion z = 3x2 + y2 sin x2 + y2

Einsetzen der Koordinaten des Punktes Q in die Funktionsgleichung liefert


 
zQ = 3 · 1,22 + (1 + dy)2 sin 1,22 + (1 + dy)2 = 1,975

Die Bestimmung von dy aus dieser Gleichung ist keineswegs trivial. Von Hand lässt
es sich nicht lösen und erfordert numerische Methoden (z.B. Newton-Verfahren).
Wenn statt einer exakten Lösung der Aufgabe auch eine Näherungslösung in Frage
käme, würde eine -linearisierte- Lösung mit Hilfe des totalen Differentials auch von
Hand gelingen (s. nächstes Beispiel).

Beispiel 11.17:
Jetzt soll die Aufgabe des Beispiels 11.16 mit Hilfe des totalen Differentials nähe-
rungsweise gelöst werden. Zunächst werden die partiellen Ableitungen aufgestellt:
6x    2x
z,x =  sin x2 + y2 + 3x2 + y2 cos x2 + y2 
2 3x + y
2 2 2 x2 + y2
  
3x sin x2 + y2 x 3x2 + y2 cos x2 + y2
=  + 
3x2 + y2 x2 + y2

2y    2y
z,x =  sin x2 + y2 + 3x2 + y2 cos x2 + y2 
2 3x2 + y2 2 x2 + y2
11.4 Das totale Differential 543

  
y sin x2 + y2 y 3x2 + y2 cos x2 + y2
=  + 
3x2 + y2 x2 + y2

Nach Einsetzen der Koordinaten des Punktes P = (1; 1) in die vorstehenden Gleichun-
gen ergeben sich die partiellen Ableitungen zu:

z,x (1; 1) = 1,7022 z,y (1; 1) = 0,7144

Einsetzen dieser Zahlenwerte in den Ausdruck für das totale Differential liefert:

dz = z,x · dx + z,y · dy = 1,7022 · 0,2 + 0,7144 · dy

Das totale Differential entspricht dem -linearisierten- Höhenunterschied der Punkte


P und Q (d.h. Höhenunterschied in der Tangentialebene). Weil diese Punkte sich auf
gleicher Höhe befinden sollen (z p = zQ ), muss das totale Differential identisch Null
sein:

dz = 0 = 1,7022 · 0,2 + 0,7144 · dy ⇒ dy = −0,4765

⇒ yQ = yP + dy = 1 − 0,4765 = 0,5235
Der Punkt Q muss also die Koordinaten Q = (1,2; 0,5235) haben, damit der Funkti-
onswert (d.h. die Höhenkoordinate) unverändert bleibt.

Kontrolle: Einsetzen der Koordinaten Q = (1,2; 0,5235) in die Funktionsgleichung


z = f (x, y) liefert zQ = 2,070 . Es sollte aber laut Problemstellung zQ = 1,975 sein.
Das bedeutet, dass der Lösungsweg mit Hilfe des totalen Differentials folgenden rela-
tiven Fehler hat:
 
 2,070 − 1,975 

Erel =   = 0,048 ≡ 4,8%
1,975 

Dieser relative Fehler von 4,8% erscheint im Hinblick auf reine Mathematik relativ
hoch, ingenieurtechnisch dürfte er jedoch im gerade noch tolerablen Bereich bleiben.

Wozu braucht man das totale Differential?

Das totale Differential dz der Funktion z = f (x, y) gibt die Änderung des Funktionswertes auf
der Tangentialebene wieder (Linearisierung), unterscheidet sich daher von der wahren Änderung
des Funktionswertes. Solange man sich nicht allzu weit vom Berührungspunkt zwischen der
Funktionsfläche und ihrer Tangentialebene befindet, kann das totale Differential als brauchbare
Näherung für den wahren Funktionszuwachs betrachtet werden. Der wahre Funktionszuwachs
Δz (Inkrement) kann mit Hilfe der Beziehung (11.14) näherungsweise berechnet werden:

Δz ≈ z,x · Δx + z,y · Δy
  
totales Differential
544 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Diese Näherung ist umso genauer, je kleiner die Abstände Δx und Δy sind, weil dadurch der
Abstand zwischen der Tangentialebene und der Funktionsfläche ja ebenfalls kleiner wird.
In folgenden Situationen ist das totale Differential besonders nützlich:
1. Man will wissen, wie sich die Änderung einzelner unabhängiger Variablen auf den Funkti-
onswert auswirkt.
2. In der Ingenieurpraxis sind die Problemstellungen mitunter sehr komplex, z.B. es kann sein,
dass keine einzelne Gleichung vorliegt, sondern ein simultanes nicht-lineares Gleichungs-
system. In einem solchen Fall wäre es ziemlich hoffnungslos, nach einer exakten Lösung
zu suchen. Der einzig gangbare Weg wäre dann die Linearisierung des Problems, d.h. die
Bildung des totalen Differentials.
Anwendungsgebiete des totalen Differentials sind vielseitig und reichen von der Flugsteue-
rung von Raketen und Flugzeugen, über Computersimulationen von Crash-Problemen im Auto-
mobilbau bis hin zu elasto-plastischen Bauteilberechnungen, z.B. Simulation von Blechumform-
prozessen, sowie zur Berechnung der Tragfähigkeit von Bauwerken.

11.4.3 Das totale Differential von Funktionen mit n unabhängigen Variablen


Die Idee des totalen Differentials lässt sich ohne weiteres auf Funktionen mit mehr als zwei
unabhängigen Variablen anwenden. Allerdings lässt sich die Tangentialebene dann nicht mehr
grafisch bzw. anschaulich darstellen. Die räumliche Vorstellung geht also verloren. Es handelt
sich dann bei der »Tangentialebene« lediglich um einen abstrakten Begriff, der mathematisch
gesehen die Linearisierung der Funktion zum Ausdruck bringen soll.

11.4.3.1 Funktionen mit drei unabhängigen Variablen


Das totale Differential du einer Funktion u = f (x, y, z) mit drei unabhängigen Variablen x, y, z
ist definiert durch

du = u,x · dx + u,y · dy + u,z · dz oder d f = f,x · dx + f,y · dy + f,z · dz (11.15)

Diese Gleichung besagt, um welchen Betrag du sich der Funktionswert u auf der Tangential-
ebene ändert, wenn man sich vom Punkt P = (x, y, z) zum Punkt Q = (x + dx, y + dy, z + dz)
bewegt. Die abhängige Variable u kann hierbei ganz verschiedene physikalische Bedeutungen
haben, z.B.:
- Temperaturverteilung in einem Körper.
- Verteilung der Massendichte in einem inhomogenen Körper.
- Mechanisches oder elektrisches Potentialfeld.

Beispiel 11.18:
Gesucht ist das totale Differential der Funktion u = f (x, y, z) = x2 + y2 + z2 .

u,x = 2x + 0 = 2x u,y = 2y + 0 = 2y u,z = 2z + 0 = 2z

du = u,x · dx + u,y · dy + u,z · dz = 2x · dx + 2y · dy + 2z · dz


11.4 Das totale Differential 545

Beispiel 11.19:
Gegeben ist die Funktion u = f (x, y, z) = sin(x2 + y2 + z2 ). Gesucht ist das totale
Differential du.

u,x = cos(x2 + y2 + z2 ) · 2x u,y = cos(x2 + y2 + z2 ) · 2y u,z = cos(x2 + y2 + z2 ) · 2z

du = u,x · dx + u,y · dy + u,z · dz


= 2x cos(x2 + y2 + z2 ) · dx + 2y cos(x2 + y2 + z2 ) · dy + 2z cos(x2 + y2 + z2 ) · dz
= 2 cos(x2 + y2 + z2 ) · (x dx + y dy + z dz)

Beispiel 11.20:
In einem Körper ist die stationäre -d.h. zeitlich konstante- räumliche Temperaturver-
teilung durch folgende Funktion beschrieben:

T (x, y, z) = 100 ex e−y e−2z T in ◦C

Die Temperatur am Punkt Q = (0,05; 0,10; −0,10) soll näherungsweise berechnet


werden, indem die Funktion T (x, y, z) am Punkt P = (0; 0; 0) linearisiert wird.
Die angestrebte Linearisierung der Temperaturänderung ist nichts anderes als die
Berechnung des totalen Differentials der Temperaturverteilungsfunktion T (x, y, z).

T,x = 100 ex e−y e−2z T,y = −100 ex e−y e−2z T,z = −200 ex e−y e−2z

Am Punkt P = (0; 0; 0) erhält man die Temperatur TP und die partiellen Ableitungen:

TP = 100 e0 e−0 e−0 = 100

T,x = 100 e0 e−0 e−0 = 100 T,y = −100 e0 e−0 e−0 = −100 T,z = −200 e0 e−0 e−0 = −200
Mit der Formel für das totale Differential

dT = T,x dx + T,y dy + T,z dz

und den differenziellen Änderungen der Ortskoordinaten

dx = xQ − xP = 0,05 − 0 = 0,05 dy = yQ − yP = 0,1 − 0 = 0,10 dz = zQ − zP = −0,10

erhält man die Temperaturdifferenz zwischen P und Q :

dT = 100 · 0,05 − 100 · 0,10 − 200 · (−0.10) = 15◦C

Die näherungsweise berechnete Temperatur im Punkt Q beträgt somit:

TQ = TP + dT = 100 + 15 = 115◦C
546 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Der exakte Wert der Temperatur in Punkt Q beträgt:

TQ = 100 e0,05 e−0,10 e−2 · (−0,1) = 116,2◦

Relativer Fehler der Näherungsrechnung (s. auch Seite 11):


 
 116,2 − 115 

Erel =   = 0,010 ≡ 1%
116,2 

11.4.3.2 Funktionen mit mehr als drei unabhängigen Variablen

Das totale Differential einer Funktion u = f (x1 , x2 , . . . , xn ) mit n unabhängigen Variablen er-
folgt analog zu den bisherigen Fällen und ergibt sich zu:

du = u,x1 dx1 + u,x2 dx2 + · · · + u,xn dxn (11.16)

Beispiel 11.21:
Gesucht ist das totale Differential der Funktion u = x1 + x22 + x33 + x44 .

u,x1 = 1 u,x2 = 2x2 u,x3 = 3x32 u,x4 = 4x43

⇒ du = dx1 + 2x2 dx2 + 3x32 dx3 + 4x43 dx4

11.5 Implizite Ableitung

Bei einer expliziten Funktion y = f (x) ist es meistens nicht allzu schwierig, die Ableitung y =
f  (x) zu ermitteln. Mitunter liegen die Funktionen aber in der sog. impliziten Form F(x, y) = 0
vor (siehe auch Abschnitt 2.10). Die implizite Differentiationsmöglichkeit (vgl. Seite 71) ist be-
sonders in jenen Fällen nützlich, wo die abzuleitende Funktion nicht mittels Umformungen in
explizite Form gebracht werden kann oder aber die erzielte explizite Form derart komplex ge-
worden ist, dass die Differentiation großen Aufwand erfordern würde. In diesem Abschnitt wird
gezeigt, wie die Ableitung y = dy/dx einer impliziten Funktion mit Hilfe des totalen Differenti-
als auf elegante Weise erfolgen kann.

11.5.1 Implizite Ableitung von Funktionen mit einer unabhängigen Variablen

Für eine implizite Funktion F(x, y) = 0 soll die Ableitung y = dy/dx bestimmt werden. Weil
Funktion F von allen erdenklichen Werten x und y, die sich in ihrem Definitionsbereich befin-
den, erfüllt wird, gilt auch für eine infinitesimal benachbarte Position folgende Gleichung:

F(x + dx, y + dy) = 0


11.5 Implizite Ableitung 547

Die Differenz der Funktionswerte in infinitesimal benachbarten Punkten entspricht dem totalen
Differential:

dF = F(x + dx, y + dy) − F(x, y) = 0 − 0 = 0

Das totale Differential ist formal definiert als dF = F,x dx + F,y dy. Daraus folgt:

dF = 0 ⇒ F,x · dx + F,y · dy = 0

Die Umformung dieses Ausdrucks liefert schließlich die gesuchte Ableitungsformel:

dy F,x F,x
=− y = − Implizite Ableitung von F(x, y) = 0 (11.17)
dx F,y F,y

Hinweis: Es wäre aber unzutreffend, aus F(x, y) = 0 zu folgern, dass automatisch auch F,x = 0
oder F,y = 0 sein müssten (sie können im Einzelfall zufällig natürlich Null sein).

Beispiel 11.22:
Gesucht ist die Ableitung y der Funktion x2 + ey = 0.
Die Funktion liegt in der impliziten Form vor, nämlich F(x, y) = x2 + ey = 0.
Die Anwendung der Gleichung (11.17) liefert:
F,x 2x
F,x = 2x F,y = ey y = − =− y
F,y e

Im Ergebnisausdruck steht noch die Variable y, die eliminiert werden kann. Aus der ge-
gebenen Funktion x2 + ey = 0 folgt nach Umformung, dass ey = −x2 ist. Substitution
dieses Ausdrucks in die Lösung liefert schließlich
2x 2
y = − =
−x2 x

Beispiel 11.23:
Gesucht ist die Ableitung y der impliziten Funktion ey + y − x = 0 .

F(x, y) = ey + y − x Fx = −1 Fy = ey + 1

Gleichung (11.17) liefert:


−1 1
y = − =
ey + 1 ey + 1
Anmerkung: Auch wenn die erste Ableitung y vorliegt, hat sie einen schwerwiegen-
den Schönheitsfehler: Die Variable y steht auch im Ergebnisausdruck und lässt sich
leider nicht eliminieren. Das bedeutet, dass die Gewinnung eines Ausdrucks für die
Ableitung in der klassischen Form y = h(x) nicht möglich ist.
548 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Beispiel 11.24:
Berechnen Sie die Ableitung y der Funktion y4 − xy − 1 = 0.
y
F(x, y) = y4 − xy − 1 Fx = −y Fy = 4y3 − x ⇒ y =
4y3 − x

11.5.2 Implizite Ableitung von Funktionen mit zwei unabhängigen Variablen

Falls eine Funktion nicht in der expliziten Form z = f (x, y), sondern in der impliziten Form
F(x, y, z) = 0 vorliegt, können die partiellen Ableitungen z,x und z,y durch eine ähnliche Vorge-
hensweise wie im obigen Abschnitt bestimmt werden. Das totale Differential dF der Funktion
F(x, y, z) ist, aus denselben Gründen wie in Abschnitt 11.5.1 erläutert, gleich Null:

dF = F,x dx + F,y dy + F,z dz = 0

Die Umformung dieser Beziehung liefert:


F,x F,y
dz = − dx − dy
F,z F,z

Theoretisch könnte ja die gegebene implizite Funktion F(x, y, z) = 0 auch in die explizite Form
z = f (x, y) gebracht werden. Das totale Differential dz würde dann folgendermaßen aussehen:

dz = z,x dx + z,y dy

Das Gleichsetzen der beiden letzten Ausdrücke für das totale Differential dz führt zu folgenden
Beziehungen für die partiellen Ableitungen:

F,x F,y F,x F,y


− dx = z,x dx − dy = z,y dy ⇒ z,x = − z,y = − (11.18)
F,z F,z F,z F,z

Beispiel 11.25:
Mit Hilfe der impliziten Differentiation sollen die partiellen Ableitungen 1. Ordnung
z,x und z,y für die Funktion z − x2 y sin xy = 0 berechnet werden.
Die Lösung erfolgt mit Hilfe der Gl. (11.18):

Implizite Funktion: F(x, y, z) = z − x2 y sin xy

F,x = 0 − 2xy sin xy − x2 y cos(xy) · y = −2xy sin xy − x2 y2 cos xy


F,y = 0 − x2 sin xy − x2 y cos(xy) · x = −x2 sin xy − x3 y cos xy
F,z = 1 − 0 = 1
F,x −2xy sin xy − x2 y2 cos xy
z,x = − =− = 2xy sin xy + x2 y2 cos xy
F,z 1
11.5 Implizite Ableitung 549

F,y −x2 sin xy − x3 y cos xy


z,y = − =− = x2 sin xy + x3 y cos xy
F,z 1
Anmerkung: Für dieses einfache Beispiel hätte man die Lösung natürlich auch auf
üblichem Wege sehr leicht finden können.

Beispiel 11.26:

Mit Hilfe der impliziten Differentiation sollen die partiellen Ableitungen z,x und z,y
für die Funktion sin z − x2 y sin xy = 0 bestimmt werden.

F(x, y, z) = sin z − x2 y sin xy

⇒ F,x = −2xy sin xy − x2 y2 cos xy F,y = −x2 sin xy − x3 y cos xy F,z = cos z
F,x 2xy sin xy + x2 y2 cos xy F,y x2 sin xy + x3 y cos xy
z,x = − = z,y = − =
F,z cos z F,z cos z
Im Ergebnis steht noch die abhängige Variable z, die sich mit Hilfe folgender Bezie-
hungen eliminieren lässt.

sin z − x2 y sin xy = 0 ⇒ sin


 z = x y sin xy
2 4 2 2
⇒ cos2 z = 1 − x4 y2 sin2 xy
1−cos2 z

Die Substitution von cos z = 1 − x4 y2 sin2 xy in die Lösung liefert:

2xy sin xy + x2 y2 cos xy x2 sin xy + x3 y cos xy


z,x =  z,y = 
1 − x4 y2 sin2 xy 1 − x4 y2 sin2 xy

Beispiel 11.27:

Jetzt soll die Lösung des Beispiels 11.26 an der Position P = (x, y) = (1; 1) mit Hilfe
der numerischen Ableitung überprüft werden.

F(x, y, z) = sin z − x2 y sin xy = 0 ⇒ z = arcsin(x2 y sin xy)

Für die numerische Ableitung werden als infinitesimale Abstände dx = dy = 10−3


gewählt (natürlich sind auch andere sinnvolle Werte möglich), so dass sich folgende
benachbarte Punkte ergeben:

Q1 = (1 + dx ; 1) = (1,001; 1) Q2 = (1; 1 + dy) = (1; 1,001)

Die Funktionswerte an den Punkten P, Q1 , Q2 sind:

zP = 1,00000 zP1 = 1,00413 zP2 = 1,00256


550 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Die partiellen Ableitungen am Punkt P erhält man wie folgt:


1,00413 − 1,00000 1,00256 − 1,00000
z,x (P) = = 4,1309 z,y (P) = = 2,5628
10−3 10−3
Die exakten Ableitungswerte ergeben sich durch Substitution der Koordinaten von P
in die Ableitungsausdrücke in Aufgabe 11.26:

z,x (P) = 4,1148 z,y (P) = 2,5574

11.6 Skalarfelder und Skalarfunktionen


Eine mathematische oder physikalische Größe, die durch eine Zahl vollständig beschrieben wer-
den kann, z.B. Lufttemperatur, wird Skalar genannt. Ein Gebiet, in dem zu jedem Punkt dieses
Gebiets eine skalare Größe zugeordnet ist, wird Skalarfeld genannt. Die Temperaturverteilung in
der Atmosphäre z.B. stellt ein Skalarfeld dar. Ein anderes Skalarfeld ist das Gravitationsfeld der
Erde, welches die Ursache der Erdbeschleunigung ist. Auch in der Struktur- und Strömungsme-
chanik kommen Skalarfelder vor. Beispielsweise bildet die Verteilung der Formänderungsener-
gie in einem elastischen Körper ein Skalarfeld. Die Verteilung der kinetischen Energie in einem
strömenden Fluid stellt ebenfalls ein skalares Feld dar. Magnetische und elektrische Felder sind
weitere Beispiele für Skalarfelder.
Das Skalarfeld einer skalaren und zeitlich konstanten Größe u im kartesischen xyz-Raum ist
eine Funktion der drei unabhängigen Ortsvariablen x, y und z. Falls das Skalar u noch zusätzlich
von der Zeit t abhängt (z.B. Änderung der Lufttemperatur im Tagesablauf), kommt eine vierte
unabhängige Variable hinzu:

u = f (x, y, z) zeitunabhängiges Skalarfeld


u = f (x, y, z, t) zeitabhängiges Skalarfeld

Eine Funktion u, welche ein Skalarfeld beschreibt, wird einfach auch als Skalarfunktion bezeich-
net. Wie oben schon erwähnt, spielen Skalarfelder in der Physik eine bedeutende Rolle. Die
physikalische Bedeutung der skalaren Variable u hängt natürlich von der jeweiligen Aufgaben-
stellung ab.

Beispiel 11.28:
Stationäre Temperaturverteilung. Es wird ein Verbrennungsmotor betrachtet. Nach
dem Start stellt sich nach einer Weile ein Beharrungszustand der Temperaturvertei-
lung im Motorblock ein. Die Temperaturanzeige bleibt konstant (stationärer Zustand).
Die Temperatur im Motorblock ist zwar zeitlich stationär, räumlich allerdings nicht
gleichmäßig verteilt. In der Nähe der Verbrennungskammer ist die Temperatur sehr
hoch, nach außen hin nimmt die Temperatur ab, weil durch das zirkulierende Kühl-
wasser Wärme abgeführt wird. Im stationären Zustand sind die Wärmeerzeugung und
die Wärmeabfuhr mengenmäßig gleich, d.h. es herrscht thermodynamisches Gleich-
gewicht. Im abgebildeten Bild ist die Temperaturvereilung eines 2-Zylinder V-Motors
dargestellt.
11.6 Skalarfelder und Skalarfunktionen 551

Die stationäre Temperaturverteilung im Motorblock ist eine Skalarfunktion der drei


Raumkoordinaten x, y, z :

T = f (x, y, z)

Diese Funktion lässt sich durch farbige Darstellung im 3D-Raum mit Hilfe eines ge-
eigneten Computerprogramms gut sichtbar machen (sog. Konturplot).

Beispiel 11.29:
Instationäre Temperaturverteilung. Eine Stahlkugel bei Raumtemperatur (d.h. 20◦ )
wird in kochendes (100 ◦ C) heißes Wasser eingetaucht. Die Temperaturverteilung in
der Kugel ist räumlich und zeitlich veränderlich, d.h. es liegt ein sog. instationäres
Temperaturfeld vor, d.h. anfänglich außen heiß, innen kalt; allmählich werden die in-
neren Zonen auch wärmer.
Die Temperaturverteilung in der Kugel ist diesmal eine Skalarfunktion von vier
unabhängigen Variablen (Raumkoordinaten x, y, z und Zeit t ):

T = f (x, y, z, t)

Auch dieses Skalarfeld lässt sich mittels Konturplot, welches diesmal zeitlich verän-
derliche Farbverläufe verwendet, z.B. Computeranimation, sehr gut visualisieren.
Erst nach längerer Zeit ändert sich die Temperaturverteilung in der Kugel nicht
mehr mit der Zeit – die instationäre Temperaturverteilung geht in eine stationäre Ver-
teilung über.

Skalarfeld im nD-Raum
Der Begriff des Skalarfeldes lässt sich problemlos auf mehr als drei Dimensionen erweitern.
Dann ordnet die Skalarfunktion jedem Punkt des n-dimensionalen Raums einen eindeutigen
Skalarwert zu. Die Gesamtheit aller Skalarwerte bildet somit ein Skalarfeld im n-dimensionalen
Raum:

u = f (x1 , x2 , . . . , xn ) zeitunabhängiges Skalarfeld im n-dimensionalen Raum


u = f (x1 , x2 , . . . , xn , t) zeitabhängiges Skalarfeld im n-dimensionalen Raum
552 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Invarianz eines Skalarfeldes gegenüber Koordinatentransformation


Invarianz bedeutet Unveränderlichkeit, »invariant« ist »unverändert bleibend«. Ein Skalarfeld ist
invariant gegenüber der Wahl des Koordinatensystems, d.h. die Werte der Skalarfunktion sind
unabhängig vom gewählten Koordinatensystem.
Beispielsweise ist die Temperatur an einem bestimmten Punkt P der Atmosphäre eine skalare
Größe und hängt nicht davon ab, ob bei der rechnerischen Bestimmung (oder Messung) der
Temperatur an dieser Position kartesische, zylindrische oder sphärische Koordinaten verwendet
werden. Es gilt stets

TP = f (xP , yP , zP ) = g(rP , θP , zP ) = h(r p , θP , ϕP )

Ein Temperaturfeld ist also in Bezug auf das verwendete Koordinatensystem stets invariant.
Eine Skalarfunktion kann für zwei unterschiedliche Koordinatensysteme allerdings von un-
terschiedlicher Gestalt sein; z.B. können die Gleichungen f , g und h des Temperaturfeldes ganz
unterschiedlich aussehen. Sie alle liefern aber -unabhängig vom verwendeten KS- immer den
gleichen Zahlenwert.
Die Invarianz-Eigenschaft ist eine notwendige Bedingung für die Existenz eines Skalarfeldes.
Wenn eine Funktion f in unterschiedlichen Koordinatensystemen unterschiedliche Zahlenwerte
liefern würde, wäre sie keine Skalarfunktion, d.h. das beschriebene Feld wäre kein Skalarfeld.

11.7 Gradient
In Physik und Ingenieurwissenschaften spielt der Gradient eine wichtige Rolle. Er gibt Auf-
schluß darüber, in welcher Richtung sich ein Skalarfeld am stärksten ändert.
Verwendung des Gradienten in der Mechanik
In der Strukturmechanik4 wird das Kräftegleichgewicht durch diskretisierte mathematische Mo-
delle beschrieben. Ein derartiges Modell besitzt n Freiheitsgrade x1 , x2 , . . . , xn , die man sich im
hiesigen Kontext als unabhängige Variablen vorzustellen hat. Unter äußeren Lasten verformt sich
die Struktur und in Folge davon ändert sich ihre potentielle Energie. Die potentielle Energie der
verformten Struktur hängt von den Verformungen ab, ist also eine Skalarfunktion der n Freiheits-
grade. Mit Hilfe des Gradienten der potentiellen Energie lässt sich dann die Gleichgewichtslage
des Tragwerks bestimmen, d.h. die Freiheitsgrade x1 , x2 , . . . , xn können berechnet werden.

11.7.1 Gradient einer Skalarfunktion


Es wird eine Skalarfunktion u = f (x, y, z) im 3-dimensionalen Raum oder u = f (x, y) in der
2D-Ebene betrachtet. Diese Skalarfunktion könnte z.B. beschreiben:

- Temperaturverteilung in einem Körper


- Luftdruckverteilung in der Atmosphäre
- Hydrodynamische Druckverteilung in einer strömenden Flüssigkeit
- Formänderungsenergie in einem elastischen Körper
4 Strukturmechanik ist ein Zweig der Mechanik, der sich mit deformierbaren Tragwerken, Konstruktionen und Bau-
elementen befasst. Sie ist ein für Bauingenieurwesen und Maschinenbau fundamentales Teilgebiet der Physik.
11.7 Gradient 553

In einem beliebigen Punkt P = (x, y, z) des 3D-Raums besitzt die Skalarfunktion den Wert uP .
Nun wird ein anderer Punkt Q in infinitesimaler Nachbarschaft von P betrachtet, d.h. Q besitzt
die Koordinaten Q = (x + dx, y + dy, z + dz). Der Wert der Skalarfunktion im Punkt Q beträgt uQ .
Die Differenz du zwischen den beiden Skalarwerten entspricht dem totalen Differential (s. Seite
541):

uQ − uP = du = u,x dx + u,y dy + u,z dz (11.19)

Dieser Ausdruck, dessen Glieder alle skalare Größen sind, wird jetzt in einen neuen Ausdruck
mit skalaren und vektoriellen Termen umgeformt. Zu diesem Zweck werden folgende Skalarpro-
dukte der Basisvektoren i , j , k des kartesischen 3D-Koordinatensystems verwendet, vgl. Seite
206:

i ·i = 1 j·j =1 k ·k = 1

Gleichung (11.19) lässt sich jetzt auch in folgender Form schreiben:

du = u,x (ii · i ) dx + u,y ( j · j ) dy + u,z (kk · k ) dz


= (u,x i ) · (ii dx) + (u,y j ) · ( j dy) + (u,z k ) · (kk dz) (11.20)

In diesem Ausdruck entspricht jeder Term von der Gestalt (u,x i ) und (ii dx) usw. einem Vektor.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Skalarprodukt von orthogonalen Vektoren gleich
Null ist, d.h. wegen

i·j =0 i ·k = 0 j ·k = 0

kann man die zweite Zeile in (11.20) in erweiterter Form auch folgendermaßen schreiben:

du = (u,x i + u,y j + u,z k ) · (dx i + dy j + dz k ) (11.21)


     
Vektor Vektor

Den ersten Klammerausdruck in Gl. (11.21) bezeichnet man als Gradient der Skalarfunktion u :

Gradient einer Skalarfunktion




u,x   (11.22)
grad u = u,x i + u,y j + u,z k = ⎣ u,y ⎦ = u,x u,y u,z
u,z

Gradient ist also ein Vektor! Der zweite Ausdruck in Gl. (11.21) ist der Vektor der infinitesi-
malen Positionsänderung vom Punkt P zum Punkt Q, den man einfach auch als differentiellen
Abstandsvektor dss bezeichnen kann:
 
dss = dx i + dy j + dz k = dx dy dz
554 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Das totale Differential du in (11.21) kann daher als Skalarprodukt des Gradienten und des diffe-
rentiellen Abstandsvektors aufgefasst werden:

du = grad u · dss (11.23)

Die Gleichung (11.21) kann alternativ auch als Skalarprodukt von zwei Spaltenvektoren angebe-
nen werden (Der Punkt » · « zwischen den beiden Spaltenvektoren soll dabei das Skalarprodukt
zum Ausdruck bringen):
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
u,x dx
du = ⎣ u,y ⎦ · ⎣ dy ⎦ = u,x dx + u,y dy + u,z dz
u,z dz
     
Gradient Abstandsvektor

Anmerkung: Nach den Regeln der Matrixrechnung wäre die obige Multiplikation von zwei Spal-
tenvektoren miteinander nicht möglich (wegen Dimensionsinkompatibilität). Wenn mit dem Punkt
» · « jedoch unmissverständlich gemacht wird, dass es sich um ein Skalarprodukt von zwei Vek-
toren handelt, dann kann die Regel der Dimensionskompatibilität ignoriert werden.

Beispiel 11.30:
Für verschiedene Skalarfunktionen soll der Gradient berechnet werden.

a) Temperaturfeld: u = f (x, y, z) = x2 + y2 + z2
Gradient am Punkt P = (x0 , y0 , z0 ) = (−1; 2; 0) gesucht.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
u,x 2x
grad u = ⎣ u,y ⎦ = ⎣ 2y ⎦ oder: grad u = 2x i + 2y j + 2z k
u,z 2z

Am Punkt P ergibt sich der Gradient zu:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 · (−1) −2
grad u(P) = ⎣ 2 · 2 ⎦ = ⎣ 4 ⎦ oder: grad u(P) = −2 i + 4 j
2·0 0

b) Fläche im Raum: u = f (x, y) = x2 + y2 .


   
u,x 2x
grad u = = oder: grad u = 2x i + 2y j
u,y 2y

c) Fläche im Raum: u = f (x, y) = x2 − y2 am Punkt P = (x0 , y0 ) = (−1; 1).


   
u,x 2x
grad u = = oder: grad u = 2x i − 2y j
u,y −2y
11.7 Gradient 555

Am Punkt P ergibt sich der Gradient zu:


   
2 · (−1) −2
grad u(P) = = oder: grad u(P) = −2 i − 2 j
(−2) · 1 −2

11.7.2 Richtung des Gradienten

Für den Gradienten einer Skalarfunktion gilt folgende fundamentale Eigenschaft:

Der Gradient ist ein Vektor, der stets in Richtung der größten Funktionszunahme
zeigt; oder anders ausgedrückt: die Richtung des Gradienten fällt mit der Richtung
der größten Steigung der Skalarfunktion zusammen.

Die Richtigkeit dieser Aussage kann man sich mit Hilfe folgender Überlegung plausibel machen:
Es wird der Gradient an einem beliebigen Punkt P betrachtet. Ferner wird am P ein Abstandsvek-
tor dss mit der Länge 1 (|dss| = 1) so gewählt, dass er vom Punkt P aus in Richtung der größten
Funktionszunahme zeigt. Das heißt, dass an der Pfeilspitze des Vektors dss das totale Differential
größer ist als die totalen Differentiale in allen anderen Richtungen. Das totale Differential gemäß
Gl. (11.23) lässt sich als Skalarprodukt von zwei Vektoren auch schreiben als:

du = grad u · dss = |grad u| |dss| cos θ

Das totale Differential du ist ein Maximum, wenn θ = 0 ist, d.h. wenn der Gradient parallel zum
Vektor dss ist und in die gleiche Richtung wie dss zeigt. Da der Vektor dss so gewählt wurde, dass
er in Richtung der maximalen Funktionszunahme zeigt, folgt daraus die obige Aussage.

11.7.3 Gradient im nD-Raum

Der Begriff des Gradienten lässt sich ohne Schwierigkeiten auf nD-Raum (n-dimensionaler
Raum) erweitern. Zwar ist dann eine visuelle Deutung des Gradienten nicht mehr möglich, die
mathematische Behandlung und die daraus folgenden Schlussfolgerungen erfolgen aber analog
dem 3D-Fall. Die Skalarfunktion

u = f (x1 , x2 , . . . , xn )

mit n unabhängigen Variablen lässt sich durch Einführung des Vektors x = [x1 , x2 , . . . , xn ] sym-
bolisch auch in folgender Form schreiben:

u = f (xx)
556 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Der Gradient von u ist gegeben durch folgende Beziehung:


⎡ ⎤
∂u
⎢ ∂ x1 ⎥
⎢ ⎥
⎢ ∂u ⎥
⎢ ⎥  
∂ f (xx) ⎢
⎢ ∂ x2 ⎥

∂u ∂u ∂u
grad u = =⎢ ⎥ = · · · (11.24)
∂xx ⎢ .. ⎥ ∂ x1 ∂ x2 ∂ xn
⎢ . ⎥
⎢ ⎥
⎢ ⎥
⎣ ∂u ⎦
∂ xn

Beispiel 11.31:
Gesucht ist der Gradient der Funktion u = x1 − x22 + x33 − x44 von vier unabhängigen
Variablen am Punkt P = (2; 1; 3; −1).
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
u,x1 1 1 1
⎢ u,x ⎥ ⎢ −2x2 ⎥ ⎢ −2 · 1 ⎥ ⎢ −2 ⎥
grad u = ⎢ 2 ⎥ ⎢
⎣ u,x ⎦ = ⎣ 3x2

⎦ grad u(P) = ⎢

⎥=⎢
⎦ ⎣ 27


3 3 3 · 32
u,x4 −4x43 −4 · (−1) 3 4

11.7.4 Der Nabla-Operator

Der sog. Nabla-Operator ∇ (gesprochen als »del«) ist eine andere Bezeichnungsmöglichkeit für
den Gradienten - als Alternative zur Textform »grad«. Abgesehen von der kompakteren Schreib-
weise, bietet ∇ noch den Vorteil, dass er auch wie ein algebraischer Operator verwendet werden
kann und dadurch bei Umformungen von Gleichungen, in denen Gradienten vorkommen, auch
sehr nützlich sein kann.
Der Nabla-Operator im 3D-Raum kann in verschiedenen Formen angegeben werden:
⎡ ⎤

⎢ ∂x ⎥
⎢ ⎥  
∂ ∂ ∂ ⎢ ∂ ⎥ ∂ ∂ ∂
⎢ ⎥
∇= i+ j+ k oder ∇ = ⎢ ⎥ oder ∇ = (11.25)
∂x ∂y ∂z ⎢ ∂y ⎥ ∂x ∂y ∂z
⎢ ⎥
⎣ ∂ ⎦
∂z

Man kann den Nabla-Operator wie ein algebraischer Operator auf eine Skalarfunktion u =
f (x, y, z) anwenden. Beispielsweise lässt sich der Gradient von u = f (x, y, z) mit Hilfe des
Nabla-Operators wie folgt berechnen:

grad u = ∇u
 
∂ ∂ ∂ ∂u ∂u ∂u
= i + j + k u= i+ j+ k
∂x ∂y ∂z ∂x ∂y ∂z
11.8 Richtungsableitung 557

oder:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
∂ ∂u
⎢ ∂x ⎥ ⎢ ∂x ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥  
⎢ ∂ ⎥ ⎢ ∂u ⎥ ∂u ∂u ∂u
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
grad u = ⎢ ⎥ u=⎢ ⎥ bzw. grad u =
⎢ ∂y ⎥ ⎢ ∂y ⎥ ∂x ∂y ∂z
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎣ ∂ ⎦ ⎣ ∂u ⎦
∂z ∂z

11.7.5 Totales Differential im nD-Raum

Die Bestimmung des totalen Differentials erfolgt analog dem 3D-Fall auf Seite 554. Für eine
Funktion mit n unabhängigen Variablen

u = f (x1 , x2 , . . . , xn )

ergibt sich das totale Differential für den Abstandsvektor dxx aus dem folgenden Skalarprodukt:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
u,x1 dx1
⎢ u,x2 ⎥ ⎢ dx2 ⎥ ∂u ∂u ∂u
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
du = grad u · dxx = ⎢ .. ⎥ ·⎢ .. ⎥= dx1 + dx2 + · · · + dxn (11.26)
⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦ ∂ x1 ∂ x2 ∂ xn
u,xn dxn

oder mit Hilfe des Nabla-Operators:

du = ∇ f · dxx (11.27)

11.8 Richtungsableitung

Wenn die Ableitung einer Funktion mit mindestens zwei unabhängigen Variablen in einer ganz
beliebigen Raumrichtung berechnet werden soll, leistet der Gradient sehr nützliche Dienste. In
Bild 11.7 ist beispielsweise im Punkt P die Steigung der Flächentangente in Richtung des Vektors
m gesucht. Es ist also erforderlich, die erste Ableitung der Funktion z = f (x, y) in Richtung von
m zu berechnen. Dieser Vorgang wird Richtungsableitung genannt:

∂f
(Ableitung von f in Richtung von m )
∂m
Die Richtungsableitung ist also ein Maß für die Änderungsrate einer Funktion in einer vorgege-
benen Richtung.
558 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

a) Richtungsableitung für den Fall |m


m| = 1

Die Richtung, in der wir die Ableitung der Skalarfunktion berechnen wollen, sei durch den Ein-
heitsvektor m , d.h. Länge |m
m| = 1, gegeben:
  
mx
m= m| = m2x + m2y = 1
|m
my

Die Komponenten mx bzw. my des Vektors m entsprichen dem Kosinus des Winkels γ zwischen
m und den positiven Koordinatenachsen x bzw. y :

γx = ∠(m
m, x) mx = cos γx γy = ∠(m
m, y) my = cos γy

Die Ableitung der Funktion f in Richtung des Einheitsvektors m ist eine skalare Größe und
ergibt sich aus dem Skalarprodukt

∂f
= grad f · m für |m
m| = 1 (11.28)
∂m

b) Richtungsableitung für den Fall |m


m| = 1

Es kann mitunter vorkommen, dass der Richtungsvektor m kein Einheitsvektor ist, d.h. |m
m| = 1.
In diesem Fall muss m zunächst normiert (oder »normalisiert«) werden (vgl. Abs. 5.10.1, Seite
224). Der normierte Vektor m ∗ ergibt sich aus:
m
m∗ = m∗ | = 1
mit |m
|m
m|

Die Richtungsableitung im Richtung von m ∗ (und folglich m ) wird dann berechnet aus:

∂f m
= grad f · m ∗ = grad f ·
∂m |m
m|

∂f grad f · m
= für |m
m| = 1 (11.29)
∂m |m
m|

Beispiel 11.32:

Für die dargestellte Fläche z = f (x, y) = x2 +y2 (Paraboloid) soll der Steigungswinkel
α der Tangente am Punkt P = (1; 1; 2), deren Projektion in der xy-Fläche parallel
zum Vektor m = i + j verläuft, berechnet werden.
11.8 Richtungsableitung 559

z z=f(x,y)
y

Bild 11.7: Zur Ableitung in Richtung des Vektors m

P y
i
P
j
y x m=i+j
i
m=i+j
x

Der Gradient der Funktion z = x2 + y2 lautet (vgl. Beispiel 11.30):


   
z,x 2x
grad z = =
z,y 2y

Eine Normierung des Richtungsvektors m ist erforderlich, weil |m


m| = 1.
 √
m =i+ j |m
m| = 12 + 12 = 2
     
∂z grad z · m 1 2x 1 2x 1 √
= = √ · (i + ) =
i j √ · = 2 (x + y)
∂m |m
m| 2 2y 2 2y 1
Am Punkt P = (1; 1; 2) ergibt sich der Steigungswinkel α der Fläche in Richtung von
m zu:

∂ z  √ √
tan α =  = 2 (xP + yP ) = 2 (1 + 1) = 2,8284
∂m P

α = arctan 2,8284 = 70,5◦


560 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Richtungsableitung im nD-Raum
Es muss sich nicht zwangsläufig immer um einen 3D-Raum handeln, die Richtungsableitung
lässt sich auch in einem beliebigen nD-Raum für die Skalarfunktion u = f (x1 , x2 , . . . , xn ) de-
finieren. In diesem Fall ist eine räumliche Vorstellung der Ableitungsrichtung allerdings nicht
mehr möglich, man muss sich dann die Funktion im Sinne einer Hyperfläche vorstellen, s. Seite
528.

m = [m1 , m2 , . . . , mn ] |m
m| = m21 + m22 + · · · + m2n = 1

Das weitere Vorgehen erfolgt gemäß Gleichung (11.28).

11.9 Niveaulinien und Niveauflächen


Niveaulinien und Niveauflächen einer Skalarfunktion geben die Gesamtheit der Punkte wieder,
an denen diese Skalarfunktion einen konstanten Wert annimmt.

11.9.1 Niveaulinien
Die Funktion z = f (x, y) beschreibt eine beliebig gekrümmte Fläche im 3D-Raum. Bild 11.8
zeigt als einfaches Beispiel eine solche Fläche in Form eines Paraboloids. Diese Fläche soll nun
durch eine zweite zur xy-Ebene parallele ebene Fläche z = c geschnitten sein (c ist ein skalarer
Wert). Entlang der Verschneidungslinie bleibt die Höhenordinate der gekrümmten Fläche kon-
stant. Die Verschneidungskurve wird durch die Gleichung f (x, y) = c beschrieben und wird als
Niveaulinie (auch Höhenlinie bzw. Isolinie genannt) bezeichnet.

z2

2
0
–2 0
y
0
x
2 –2

Bild 11.8: Schnittkurve eines Paraboloids als Niveaulinie

Niveaulinien im 3D-Raum sind auf Skalarfunktionen mit 2 unabhängigen Variablen beschränkt.


Sie sind Linien, auf der alle Punkte mit dem gleichen Wert der Skalarfunktion liegen.
Es ist zweckmäßig, sich die Niveaulinie der Funktion z = f (x, y) auf die xy-Ebene projeziert
vorzustellen. Die Beschreibung dieser Linie kann explizit oder implizit erfolgen:

f (x, y) = c bzw. F(x, y) = f (x, y) − c = 0 Niveaulinie (11.30)


11.9 Niveaulinien und Niveauflächen 561

Niveaulinien kennt man im Alltag z.B. in Form von:


- Höhenlinien in topografischen Landkarten
- Isobaren in Wetterkarten (Linien gleichen Drucks)
- Isothermen in der Bauphysik (Linien gleicher Temperatur)
Beispiel 11.33:
In Bild 11.9 ist ein elliptisches Paraboloid dargestellt, das mathematisch durch die
Gleichung z = x2 + y2 gegeben ist. Dieses Paraboloid entsteht durch 360◦ -Drehung
der Kurve z = x2 um die z-Achse und wird allgemein auch als rotationssymmetrische
Fläche bezeichnet. Die Niveaulinien dieses Paraboloids ergeben sich aus der Bedin-
gung, dass der Funktionswert konstant bleibt:

f (x, y) = x2 + y2 = c

Der Wert der Konstante c hängt vom aktuellen Problem ab. Die obige Gleichung der
Niveaulinien besitzt die Form einer Kreisgleichung, d.h.√jede Niveaulinie entspricht
einem in der xy-Ebene liegenden Kreis vom Radius r = c .

4
y 1

z2
–2 –1 1 2
x

0 –1
–2 2
0 0
x y
2 –2 –2

a: Flächenverlauf b: Niveaulinien

Bild 11.9: Elliptisches Paraboloid z = f (x, y) = x2 + y2

Beispiel 11.34:
Niveaulinien. Bild 11.10 zeigt die Raumfläche und die Niveaulinien eines hyperboli-
schen Paraboloids (Sattelfläche) mit der Gleichung z = f (x, y) = xy. Die Niveaulinien
entsprechen der Kurvengleichung xy = c (bzw. y = c/x ) und beschreiben Hyperbeln
in der xy-Ebene.

11.9.2 Orthogonalität des Gradienten zu Niveaulinien


Zwischen einer Niveaulinie und dem an dieser Niveaulinie berechneten Gradienten (s. Bild
11.11) existiert folgende allgemein gültige Orthogonalität:
Der Gradient einer Skalarfunktion u = f (x, y) an einem beliebigen Punkt P = (x0 , y0 )
steht senkrecht zu der durch diesen Punkt gehenden Niveaulinie dieser Funktion, d.h.
Gradient und Niveaulinie sind zueinander orthogonal.
562 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

2
y
1

z0
–3 –2 –1 0 1 2 3
x
–1

–2
–2 2
0 0
x y –3
2 –2

a: 3D-Fläche b: Niveaulinien

Bild 11.10: Hyperbolisches Paraboloid z = f (x, y) = xy

t grad f
grad f

Niveaulinien
grad f
t

Bild 11.11: Orthogonalität zwischen Gradient und Niveaulinie

Wenn mit t der Tangentenvektor an eine Niveaulinie f (x, y) = c bezeichnet wird, so ergibt sich
die Ableitung der Funktion f (x, y) in Richtung der Tangente gemäß Gl. (11.28) zu:

∂f
= grad f ·tt
∂t
Entsprechend der Definition einer Niveaulinie ändert sich der Funktionswert entlang der Niveau-
linie nicht, folglich muss die Ableitung der Funktion in Richtung der Tangente Null sein:

∂f
= grad f ·tt = 0
∂t
Das Skalarprodukt grad f ·tt ist aber dann und nur dann Null, wenn der Winkel zwischen dem
Gradienten und dem Tangentialvektor 90◦ ist (zum Ausschluss des Trivialfalls wird vorausge-
setzt, dass |grad f | = 0, und |tt | = 0 sind).
11.9 Niveaulinien und Niveauflächen 563

Beispiel 11.35:
Der Gradient der Funktion f (x, y) = x2 + y2 lautet:
⎡ ⎤
∂f
 
⎢ ∂x ⎥
grad f = ⎢ ⎥ = 2x
⎣ ∂f ⎦ 2y
∂y

Bild 11.9 zeigt die Niveaulinien der Funktion f (x, y) = x2 + y2 , welche Kreise mit
der Gleichung x2 + y2 = c sind. Wenn man den Gradienten für verschiedene Punkte
auf einem der Kreise berechnet und als Richtungsvektor am jeweiligen Punkt einträgt,
stellt sich heraus, dass der Gradient stets senkrecht zur Niveaulinie gerichtet ist (Bild
11.11). Beispielsweise ergibt sich der Gradient für c = 1 (Radius gleich 1) und P =
(0,707; 0,707) zu:
y grad f

1,414
1,414
   
2 · 0,707 1,414
grad f (P) = = x
2 · 0,707 1,414
Niveaulinien

Der Gradient am Punkt P zeigt also in Richtung der Winkelhalbierenden zwischen


der positiven x- und y-Achse.

Beispiel 11.36:
Gradient steht senkrecht zur Niveaulinie. Für das Beispiel 11.35 soll überprüft werden,
ob der Gradient tatsächlich orthogonal zur Niveaulinie ist, die durch den Punkt P =
(0,707; 0,707) geht.
Die Aussage »der Gradient ist orthogonal zur Niveaulinie« bedeutet, dass der Gra-
dient orthogonal ist zur Tangente der Niveaulinie. Die Orientierung der Tangente in
der xy-Ebene läßt sich über den Richtungsvektor v im Punkt P bestimmen, s. (6.34)
auf Seite 287.
   
vx 1
v (P) = = mit m = y (P)
vy P m P

Aus der Kreisgleichung x2 + y2 = 1 folgt :


 −x
y = 1 − x2 y = √
1 − x2
 
−0,7071 1
m(P) = y (P) =  = −1 ⇒ v (P) =
1 − 0,70712 −1
Die Vektoren grad f und v können nur dann orthogonal sein, wenn ihr Skalarprodukt
564 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

verschwindet:
   
1,414 1
(grad f · v )P = · = 1,414 − 1,414 = 0 
1,414 −1

11.9.3 Niveauflächen
In strenger Analogie zu Niveaulinien existieren im 3D-Raum sog. Niveauflächen (Isoflächen), auf
denen die Skalarfunktion u = f (x, y, z) einen konstanten Wert beibehält. Für eine Niveaufläche
im 3D-Raum gilt also die Bedingung:

f (x, y, z) = c oder f (x, y, z) − c = 0 Niveaufläche

Zwischen dem Gradienten und der Niveaufläche existiert folgende Orthogonalität:


Der Gradient einer Skalarfunktion u = f (x, y, z) an einem beliebigen Punkt
P = (x0 , y0 , z0 ) steht senkrecht zu der durch diesen Punkt gehenden Niveau-
fläche dieser Funktion.
Beispiel 11.37:
Die Temperaturverteilung in einer Stahlkugel, die in siedendes Wasser eingetaucht
wird, stellt beispielsweise ein Skalarfeld dar. Die Temperatur T ändert sich in radia-
ler Richtung von Kugeloberfläche zum Kugelkern nach bestimmten physikalischen
Gesetzmäßigkeiten, ist aber kugelsymmetrisch, d.h. hängt nicht vom Umfangs- oder
Azimutwinkel ab. Die verschiedenen Temperaturschichten bilden Niveauflächen (man
kann sich das als konzentrisch angeordnete Kugelschalen vorstellen). Die Niveauflä-
che des Temperaturfeldes ergibt sich aus:

T = f (x, y, z) = konst

11.9.4 Bestimmung der Flächennormale aus dem Gradienten


Für die Bestimmung der Normale einer Fläche im 3D-Raum wird die Flächengleichung in der
impliziten Form betrachtet (falls sie in der expliziten Form z = f (x, y) gegeben ist, muß sie
zunächst in die implizite Form transformiert werden):

F(x, y, z) = c oder F(x, y, z) − c = 0

Diese Flächengleichung entspricht in ihrem Aufbau exakt derjenigen einer Niveaufläche. Da der
Gradient einer Niveaufläche stets senkrecht auf dieser steht, kann daraus gefolgert werden, dass
der Normalenvektor einer beliebigen Fläche mit Hilfe des Gradienten berechnet werden kann.
Voraussetzung dafür ist die Transformation der gegebenen Fläche in die Form einer Niveaufläche,
so dass der Gradient ermittelt werden kann.
Die Länge (der Betrag) des Gradienten hängt vom jeweiligen Skalarfeld ab und wird im allge-
meinen beliebig sein. Auf der anderen Seite ist es in der Ingenieurpraxis üblich, die Flächennor-
male durch einen Einheitsvektor zu beschreiben. Deshalb ist eine Normierung des Gradienten,
11.9 Niveaulinien und Niveauflächen 565

der ja ein Vektor ist, erforderlich. Die Beziehung zwischen dem Vektor der Flächennormalen n
und dem Gradienten ergibt sich dann zu:

grad F
n= |nn| = 1 Normalenvektor auf einer Fläche (11.31)
|grad F|

Anmerkung: Falls die räumliche Fläche in expliziter Form definiert ist, z.B. z = f (x, y) , wird sie
zunächst in die implizite Form F(x, y, z) = z − f (x, y) = 0 gebracht.

Beispiel 11.38:
Normalenvektor. Bild 11.12 zeigt eine Kugel vom Radius R , deren Gleichung wie
folgt lautet:

x2 + y2 + z2 = R

Mit Hilfe der Gleichung (11.31) soll der Normalenvektor n auf der Kugeloberfläche

z
n
n

x
n

Bild 11.12: Normalenvektoren auf einer Kugeloberfläche (zu Beispiel 11.38)

berechnet werden.
 Die Kugeloberfläche ist eine Niveaufläche, weil auf ihr die Skalarfunktion F(x, y, z) =
x2 + y2 + z2 einen konstanten Wert, nämlich den Radius R , besitzt. Der Gradient
von F(x, y, z) auf der Kugeloberfläche ergibt sich zu:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡
∂F 
x x ⎤
⎢ ∂x ⎥ ⎢ x +y +z ⎥
2 2 2 ⎡ ⎤
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎢
R ⎥
⎥ x
⎢ ⎥ ⎢ y ⎥ ⎢ y ⎥ 1⎢ ⎥
⎢ ∂F ⎥ ⎢  ⎥ ⎢ ⎥= ⎢ y ⎥
grad F = ⎢ ⎥=⎢ ⎥=
⎢ ∂y ⎥ ⎢ x2 + y2 + z2 ⎥ ⎢ ⎢ R ⎥
⎥ R
⎣ ⎦
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎣ ⎦
⎣ ∂F ⎦ ⎣ z ⎦ z z

∂z x +y +z
2 2 2 R
Die Länge des Gradienten beträgt:
 
x2 + y2 + z2 R2
|grad F| = 2
= =1
R R2
566 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Der Normalenvektor n ergibt sich somit zu:


⎡ ⎤
x 3
1⎢ ⎥ 41 √
|n | = 4
grad F ⎢ ⎥
n= = ⎣ y ⎦ n 5 2 (x + y + z ) = 1 = 1
2 2 2
|grad F| R R   
z R2

11.9.5 Niveauflächen im nD-Raum


Niveauflächen sind nicht unbedingt auf den 3D-Raum beschränkt. Auch für eine Skalarfunktion
mit n unabhängigen Variablen, u = f (x1 , x2 , . . . , xn ) ist eine Niveaufläche definiert. Man kann
sie sich jedoch nicht mehr als räumliche Fläche vorstellen, muss sie vielmehr als eine Hyperflä-
che deuten (siehe auch Seite 528).

Beispiel 11.39:
In der Finite Elemente Methode der Strukturmechanik (FEM) wird das Tragwerk mit
Hilfe von Knoten in zusammenhängende Elemente unterteilt. Dadurch entstehen n
Freiheitsgrade, von denen jeder die Bedeutung einer unabhängigen Variable besitzt.
Das Potential Π der äußeren Lasten ist eine skalare Funktion, die von den Freiheits-
graden, d.h. von den Verformungen des Tragwerks, abhängt.

Π = f (u1 , u2 , · · · , un )

Alle möglichen Kombinationen von n Freiheitsgraden, in denen die Potentialfunktion


Π den gleichen Wert annimmt, bilden zusammen eine hypergeometrische Niveauflä-
che.

11.10 Extremwerte von Funktionen mehrerer Variablen


11.10.1 Funktionen mit zwei unabhängigen Variablen
Im Abschnitt 3.13 wurde gezeigt, dass die lokalen Extremwerte einer Funktion mit nur einer
unabhängigen Variablen y = f (x) mit Hilfe der ersten und zweiten Ableitung f  und f  be-
stimmt werden können. Die Bestimmung der lokalen Extremwerte einer Funktion mit zwei unab-
hängigen Variablen z = f (x, y) erfolgt prinzipiell zwar ähnlich, im Detail gibt es jedoch einige
bedeutende Unterschiede.
Damit eine Funktion z = f (x, y) lokale Extremwerte besitzt, müssen zwei notwendige Bedin-
gungen erfüllt werden.

z,x = f,x = 0 z,y = f,y = 0 (11.32)

Diese beiden Bedingungen liefern zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten. Die Lösung die-
ses Gleichungssystems (welches aber keineswegs linear sein muss) liefert die Position(en) der
lokalen Extremwerte P = (x0 , y0 ). Je nach Aufgabenstellung kann die Anzahl dieser Positionen
zwischen Null (kein Extremwert) oder unendlich (z.B. bei trigonometrischen Funktionen) liegen.
11.10 Extremwerte von Funktionen mehrerer Variablen 567

Nachdem man aus Gleichung (11.32) die Position der Extremwerte ermittelt hat, wird die sog.
Hesse-Matrix H aufgestellt:
   
h11 h12 f,xx (x0 , y0 ) f,xy (x0 , y0 )
H= = (11.33)
h21 h22 f,yx (x0 , y0 ) f,yy (x0 , y0 )

Die Elemente von H sind Zahlenwerte der zweiten partiellen Ableitungen der Funktion z =
f (x, y) an der Stelle P = (x0 , y0 ). Die Hesse-Matrix H ist symmetrisch, d.h. es gilt h12 = h21 .
Die Determinante D der Hesse-Matrix H ist:

D = det H = |H
H | = h11 · h22 − h12 · h21 = f,xx (x0 , y0 ) · f,yy (x0 , y0 ) − f,xy
2
(x0 , y0 )

Der Typ des lokalen Extremums, d.h. Maximum oder Minimum, wird schließlich mit Hilfe
folgender Kriterien bestimmt.


⎪ D > 0 und f,xx (x0 , y0 ) > 0 : Minimum


⎨D > 0 und f,xx (x0 , y0 ) < 0 : Maximum
Wenn (11.34)

⎪D<0 : Sattelpunkt



D=0 : zusätzliche Analysen notwendig

Beispiel 11.40:
Für die in Bild 11.13 dargestellte Funktion z = sin x + sin y soll das lokale Extremum
im Bereich 0 ≤ x ≤ π und 0 ≤ y ≤ π bestimmt werden.

z 0

–2
–5 5
0 0
x y
5 –5

Bild 11.13: Funktion z = sin x + sin y

Zunächst werden die partiellen Ableitungen 1. Ordnung gebildet.

f,x = cos x f,y = cos y

Aus den notwendigen Bedingungen f,x = 0 und f,y = 0 der Gleichung (11.32) folgt
die Extremalposition:
π π π π 
cos x = 0 ⇒ x0 = cos y = 0 ⇒ y0 = P= ;
2 2 2 2
568 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Anmerkung: Von den unendlich vielen periodischen Extremal-Positionen (wegen Ko-


sinus) wird in diesem Beispiel nur die allererste Position berücksichtigt.
Die Hesse-Matrix H ergibt sich zu:

f,xx = − sin x f,xy = f,xy = 0 f,yy = − sin y


π π
f,xx (x0 , y0 ) = − sin = −1 f,yy (x0 , y0 ) = − sin = −1
2 2
f,xy (x0 , y0 ) = 0 f,yx (x0 , y0 ) = 0
 
−1 0
H= ⇒ D = (−1) · (−1) − 02 = 1
0 −1
Der Typ des Extremums ergibt sich aus Gl. (11.34):

D=1>0 und f,xx (x0 , y0 ) = −1 < 0 ⇒ Maximum

Die Funktion f = sin x+sin y besitzt also an der Stelle P = (π/2, π/2) ein Maximum
mit folgendem Wert:
π π
zmax = f (x0 , y0 ) = sin + sin = 1 + 1 = 2
2 2

11.10.2 Extremwerte von Funktionen mit Nebenbedingungen

Die im vorigen Abschnitt behandelte Lösung der Extremwertaufgabe für die Funktion z = f (x, y)
enthält Wertepaare in der Form (x0 , y0 ) ; dies sind Punkte in der xy-Ebene, an denen die Funktion
z = f (x, y) einen Extremwert besitzt. Falls zusätzlich noch gefordert wird, dass diese Lösungs-
punkte auf einer Kurve liegen müssen, die durch die Gleichung ϕ(x, y) = 0 gegeben ist, spricht
man von einer Extremwertaufgabe mit Nebenbedingungen.
Zur Lösung einer Extremwertaufgabe mit Nebenbedingungen könnte man die Gleichung der
Nebenbedingung ϕ(x, y) = 0 nach einer der beiden Variablen auflösen und in die Gleichung z =
f (x, y) einsetzen, so dass eine Gleichung mit nur noch einer Variable vorliegt, deren Extremwert
nach Abschnitt 3 bestimmt werden kann.

Lagrange-Multiplikator-Methode
Eine elegantere Methode als der oben beschriebene Weg bietet die Multiplikator-Methode von
Lagrange. Bei diesem Verfahren wird durch Linearkombination der Funktionen f (x, y) und
ϕ(x, y) eine neue künstliche Funktion L(x, y, λ ) , die Lagrange-Funktion definiert:

L(x, y, λ ) = f (x, y) − λ ϕ(x, y)

Der Parameter λ ist der unbekannte Lagrange-Multiplikator. Die Extremwerte der ursprüngli-
chen Funktion f (x, y) und der Lagrange-Funktion L(x, y, λ ) sind identisch, weil ja definionsge-
mäß stets ϕ(x, y) = 0 gilt.
Die notwendigen Bedingungen für die Existenz eines Extremwertes der Lagrange-Funktion
11.10 Extremwerte von Funktionen mehrerer Variablen 569

ergeben sich zu:

L,x = f,x − 0 · ϕ(x, y) − λ ϕ,x = f,x − λ ϕ,x = 0


L,y = f,y − 0 · ϕ(x, y) − λ ϕ,y = f,y − λ ϕ,y = 0 (11.35)
L,λ = 0 − 1 · ϕ(x, y) − λ · 0 = −ϕ(x, y) = 0 (automatisch erfüllt)

Die Auflösung dieses Gleichungssystems liefert die Positionen der Extremwerte von f (x, y),
wobei die Nebenbedingung ϕ(x, y) = 0 dabei automatisch erfüllt wird.

Aus den beiden ersten Beziehungen in (11.35) erhält man:


f,x f,y
f,x − λ ϕ,x = 0 ⇒ λ= und f,y − λ ϕ,y = 0 ⇒ λ=
ϕ,x ϕ,y

Gleichsetzen der λ -Ausdrücke liefert eine Bestimmungsgleichung:

f,x f,y
= (11.36)
ϕ,x ϕ,y

Das Lagrange-Multiplikator-Verfahren lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Lagrange-Multiplikator-Methode für z = f (x, y)

z = f (x, y) Funktion, deren Extremum gesucht ist


ϕ(x, y) = 0 Nebenbedingung

Bestimmungsgleichungen: (11.37)
f,x f,y
= ϕ(x, y) = 0
ϕ,x ϕ,y
bzw.
f,x − λ ϕ,x = 0 f,y − λ ϕ,y = 0 ϕ(x, y) = 0

Beispiel 11.41:

Mit Hilfe der Lagrangeschen Multiplikatormethode soll der Radius r und die Höhe
h eines zylindrischen Behälters (z.B. einer Konservendose) berechnet werden, damit
er bei gegebenem Volumen V0 die kleinstmögliche Oberfläche A besitzt.

Die zu minimierende Funktion der Oberfläche lautet:

A = f (r, h) = 2πrh
   + 2πr

2

Mantelfläche Deckelflächen
570 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Die Nebenbedingung liegt in Form des gegebenen Volumens V0 vor:

V = πr2 h = V0 ⇒ ϕ(r, h) = πr2 h −V0 = 0

Die Anwendung der Gleichung (11.37) liefert:

f,r = 2πh + 4πr f,h = 2πr ϕ,r = 2πrh ϕ,h = πr2

2πh + 4πr 2πr


= 2 ⇒ h = 2r
2πrh πr
Die Höhe des Behälters muss also gleich dem Durchmesser 2r sein. Nach Substitution
von h = 2r in der Nebenbedingung erhält man:

3 V0 3 V0
πr · 2r −V0 = 0
2
⇒ r= ⇒ h=2
2π 2π

Für ein Volumen von z.B. V0 = 1000 m3 ergeben sich: r = 5,419 m und h = 10,838 m.
Die Oberfläche beträgt A = 2πrh+2 · πr2 = 2π · 5,419 · 10,838+2π · 5,4192 = 553,5 m2 .
Für jede andere zulässige Kombination von r und h ergibt sich eine größere Oberflä-
che. Bei gleichem Volumen V0 = 1000 m3 und vorgegebenem Radius r = 8 m würde
sich z.B. die Oberfläche A0 = 652,1 m2 ergeben.

11.10.3 Extremwerte von Funktionen von n unabhängigen Variablen


Die Kriterien in Gl. (11.34) zur Bestimmung der Art des Extremums lassen sich nicht auf Funk-
tionen mit mehr als zwei unabhängigen Variablen anwenden. Daher benötigen wir eine andere
Methode, die für jede beliebige Anzahl von Variablen funktioniert.
Die notwendige Bedingung für die Existenz von Extrema der Funktion

u = f (x1 , x2 , . . . , xn )

mit n unabhängigen Variablen ist das Verschwinden des Gradienten:

grad u = grad f = 0 notwendige Bedingung (11.38)

Diese Bedingung ist gleichbedeutend mit der Forderung, dass sämtliche partiellen Ableitungen
erster Ordnung verschwinden müssen:

u,x1 = f,x1 = 0 u,x2 = f,x2 = 0 ... u,xn = f,xn = 0 (11.39)

Hinweis. Diese Bedingungen sind zwar notwendig, aber noch nicht hinreichend für die Existenz
von Extrema.
Die Lösung der Gleichung (11.39) liefert die Position x 0 = [x10 , x20 , . . . , xn0 ] im n-dimensionalen
Raum, an der die Funktion ihr Extremum hat (natürlich sofern dies überhaupt existiert). Statt nur
einer Position x 0 kann es natürlich problemabhängig auch mehrere Positionen x 0 , x 1 , x 2 , . . .
geben, wo die Funktion zum Extremum wird.
11.11 Zusätzliche Beispiele 571

Als nächstes muss die Hesse-Matrix H an der Position x 0 aufgestellt werden (vgl. auch
Abschnitt 11.10.1):
⎡ ⎤
h11 h12 . . . h1n
⎢ h21 h22 . . . h2n ⎥ 
⎢ ⎥ ∂ 2 f 
H =⎢ .. ⎥ mit hi j = f,xi x j (xx ) =
0
(11.40)
∂ xi ∂ x j x 0
.. ..
⎣ . . . ⎦
hn1 hn2 . . . hnn

Im nächsten Rechenschritt muss die Definitheit von H bestimmt werden (für Definitheit von
Matrizen vgl. Abschnitt 13.7.1 auf Seite 641).
Der Typ des Extremwertes der Funktion u = f (x1 , x2 , . . . , xn ) wird mit Hilfe folgender Kri-
terien bestimmt:


⎪H positiv definit : Minimum


⎨H negativ definit : Maximum
Wenn (11.41)

⎪H indefinit : Sattelpunkt



H semi-definit : zusätzliche Untersuchungen notwendig

Falls H positiv semi-definit oder negativ semi-definit ist, kann keine Aussage über die Art des
Extremums gemacht werden. In solchen Fällen sind weitergehende Untersuchungen mit Hilfe
von Taylor-Reihen notwendig.

11.11 Zusätzliche Beispiele

Beispiel 11.42:

z = f (x, y) = x2 + y2 + 10 Gesucht: Partielle Ableitungen.


z,x = 2 x z,y = 2 y
5 z,xx = 2 z,xy = 0
60 4
y 3 z,yx = 0 z,yy = 2
40
z 20 1
2

1
2
x 3
4
5
572 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Beispiel 11.43:
z = f (x, y) = x e−x
2 −y2
Gesucht: Partielle Ableitungen.
z,x = (1 − 2x2 ) e−x −y
2 2
0.4

z,y = −2xy e−x −y


2 2
0.2

z
z,xx = (−6x + 4x3 ) e−x −y
0 2 2
–0.2
z,xy = (4x2 y − 2y) e−x −y
2 2
–0.4

z,yx = (4x2 y − 2y) e−x −y


–2 –2 2 2
–1 –1

z,yy = (4xy2 − 2x) e−x −y


0 0 2 2
y 1 1
x
2 2

Beispiel 11.44:
z = f (x, y) = −x4 y2 + 60 Gesucht: Partielle Ableitungen.
z,x = −4x3 y2 z,y = −2x4 y
60
z,xx = −12x2 y2 z,xy = −8x3 y
f,yx = −8x3 y f,yy = −2x4
40
z
20

0
–2 –2
–1 –1
0 0
y 1 1
x
2 2

Beispiel 11.45:
Gegeben ist die Funktion z = f (x, y) = ln(x + y). Es ist zu zeigen, dass f (x, y) die
Gleichung x z,x + y z,y = 1 erfüllt.
Zunächst werden die partiellen Ableitungen der gegebenen Funktion gebildet:
1 1
z,x = z,y =
x+y x+y
Das Einsetzen dieser Ausdrücke in die Gleichung x z,x + y z,y liefert:
x y x+y
+ = =1 
x+y x+y x+y

Beispiel 11.46:
Linearisierte Höhenänderung. Die Höhenkoordinate der unten dargstellten gekrümm-
ten 3D-Fläche ist durch die Gleichung z = f (x, y) = e−x y3 gegeben. Die momen-
tane Position auf der Fläche sei P = (4; 8; zP ). Nun wird ein anderer Punkt Q =
(4,1; 8 + Δ y; zP ) betrachtet (Q besitzt also die gleiche Höhenkoordinate wie P). Es
soll mit Hilfe des totalen Differenzials der erforderliche Betrag Δ y berechnet werden,
damit Q tatsächlich die selbe Höhe besitzt wie P.
11.11 Zusätzliche Beispiele 573

0.8
0.4
z 0
–0.4
–0.8
0 12
2 10
4 8
6 6
x 8 4 y
10 2
12 0

Die lineariserte Höhenänderung dz ergibt sich aus dem totalen Differenzial:

dz ≈ f,x Δ x + f,y Δ y = −e−x y3 Δ x + 3e−x y2 Δ y

Voraussetzungsgemäß soll die Höhenänderung gleich Null sein:

dz = 0 ⇒ 0 = −e−4 · 83 · 0,1 + 3e−4 · 82 Δ y ⇒ Δ y = 0,2667

Wenn die aktuelle Position sich um den Betrag Δ x = 0,1 in x-Richtung ändert, muss
man gleichzeitig eine Positionsänderung in y-Richtung um den Betrag Δ y = 0,2667
vornehmen, damit die Höhenordinate z unverändert bleibt.
Die exakten Höhenordinaten an beiden Positionen sind

zP = f (4; 8) = 9,3776 zQ = f (4,1; 8,2667) = 9,3624 zP ≈ zQ

Der relative Fehler der linearisierten Berechnung beträgt :


 
 9,3776 − 9,3624 

Erel =   = 0,0016 = 0,16%
9,3776 

Beispiel 11.47:
Totales Differential. Ein zylindrischer Behälter besitzt den Radius r = 3 m und die
Höhe h = 8 m . Berechnen Sie mit Hilfe des totalen Differentials die Volumenänderung
des Behälters, wenn man die Höhe 0,10 m verringert und gleichzeitig den Radius um
0,3 m erhöht. Berechnen Sie den relativen Fehler Ihrer Lösung gegenüber dem exakten
Wert der Volumenänderung.
Das Volumen eines kreiszylindrischen Behälters beträgt V = πr2 h. Das totale Dif-
ferential des Volumens lautet:
∂V ∂V
dV = dr + dh = 2πrh dr + πr2 dh
∂r ∂h
Mit den gegebenen Zahlenwerten ergibt sich die linearisierte Volumenänderung zu:

dV = 2π · 3 · 8 · 0,30 + π · 32 · (−0,10) = 42,412 m3


574 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Die exakte Volumenänderung ergibt sich aus der Differenz der Volumina vor und nach
der Änderung der geometrischen Abmessungen:

V0 = πr2 h = π32 · 8 = 226,195 m3 Volumen vor Maßänderung

V1 = π(r + dr)2 (h + dh)


= π(3 + 0,3)2 (8 − 0,1) = 270,274 m3 Volumen nach Maßänderung
ΔV = V1 −V0 = 270,274 − 226,195 = 44,079 m3 Volumenänderung
Relativer Fehler (s. auch Seite 11):
   
 dV − ΔV   42,412 − 44,079 
Er =   =   = 0,0378 = 3,78%
ΔV   44,079 

Beispiel 11.48:
Totales Differential. Eine räumlich gekrümmte Fläche im 3D kartesischen Koordina-
tensystem ist durch die Gleichung z(x, y) = 5 ln(2x2 + y2 ) gegeben. Am Punkt P =
(5; 6; 22,27) auf dieser Fläche befindet sich ein Körper. Nun bewegt sich der Körper
um 0,7 Längeneinheiten in x-Richtung (d.h. dx = 0,7). Berechnen Sie mit Hilfe des
totalen Differentials, um wieviel Einheiten sich der Körper in y-Richtung bewegen
müsste (dy =?), damit seine Höhe z unverändert bleibt.
5
z(x, y) = 5 ln(2x2 + y2 ) ⇒ dz = (4x dx + 2y dy)
2x2 + y2
20
dz = 0 = (4 · 5 · 0,7 + 2 · 6 · dy)
2 · 52 + 62
⇒ 4 · 5 · 0,7 + 2 · 6 · dy = 0 dy = −1,17

Beispiel 11.49:
Invarianz des Abstands zwischen zwei Punkten. Es werden zwei Punkte P = (x1 , y1 , z1 )
und Q = (x2 , y2 , z2 ) im kartesischen Koordinatensystem betrachtet.

z z

y
P
c
y
x a
b
x
11.11 Zusätzliche Beispiele 575

Der Abstand L zwischen ihnen wird durch folgende Skalarfunktion bestimmt.



L = (x2 − x1 )2 + (y2 − y1 )2 + (z2 − z1 )2

Der Abstand L müsste nach Erfahrungen des Alltags völlig unabhängig davon sein,
in welchem Koordinatensystem die Punkte P und Q definiert sind. Es soll in diesem
Beispiel überprüft werden, ob L tatsächlich invariant gegenüber einer Koordinaten-
translation, d.h. Parallelverschiebung des Koordinatensystems, ist.
In einem neuen kartesischen x y z-Koordinatensystem, das gegenüber dem xyz-System
um die Beträge a, b und c parallel verschoben ist (jeweils in positiver Richtung der
Achsen x, y und z), besitzen die Punkte P und Q folgende Koordinaten:

P = (x1 , y1 , z1 ) = (x1 − a, y1 − b, z1 − c) Q(x2 , y2 , z2 ) = (x2 − a, y2 − b, z2 − c)

Der Abstand L im x y z-Koordinatensystem ergibt sich zu (s. Seite 278):



L = (x2 − x1 )2 + (y2 − y1 )2 + (z2 − z1 )2

= [(x2 − a) − (x1 − a)]2 + [(y2 − b) − (y1 − b)]2 + [(z2 − c) − (z1 − c)]2

= (x2 − x1 )2 + (y2 − y1 )2 + (z2 − z1 )2

Der Abstand L im x y z-KS ist also identisch mit dem Abstand L im xyz-System, d.h.
er ist invariant gegenüber Koordinatentranslation.

Beispiel 11.50:
Geschwindigkeitsfeld ist kein Skalarfeld. In diesem Beispiel wird gezeigt, dass die Ge-
schwindigkeit eines sich bewegenden Körpers kein Skalarfeld darstellt (s. Bild 11.14).
Es wird eine kreisförmige Scheibe vom Radius a betrachtet, deren Mittelpunkt auf

z vx
w aw vy
a
a vt j
x
P=(x,y)

Bild 11.14: Geschwindigkeit einer rotierenden Scheibe

der z-Achse liegt (z-Achse steht senkrecht zur Scheibe). Die Scheibe rotiert mit kon-
stanter Winkelgeschwindigkeit ω um die z-Achse (in positiver z-Richtung gesehen
576 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

erfolgt die Rotation im Uhrzeigersinn). Es soll untersucht werden, ob die Geschwin-


digkeit eines Massenpunktes P am Scheibenrand invariant gegenüber der Wahl des
Koordinatensystems ist.
Die Umfangsposition von P ist durch den Winkel ϕ, der von der x-Achse aus
gemessen wird, eindeutig bestimmt. Der Winkel ϕ ergibt sich aus dem Produkt der
Winkelgeschwindigkeit ω und der verstrichenen Zeit t :

ϕ =ωt

Im zylindrischen rϕz-Koordinatensystem ist die tangentiale Bahngeschwindigkeit des


Punktes P in Umfangsrichtung unabhängig vom zurückgelegten Winkel ϕ und ergibt
sich aus folgender Formel:

vt = a ω (vt : tangentiale Bahngeschwindigkeit in ϕ-Richtung)

Im kartesischen xyz-Koordinatensystem sind die Geschwindigkeitskomponenten vx


und vy durch folgende Beziehungen gegeben:

vx = −vt sin ϕ = −aω sin ϕ = −aω sin ωt (Geschwindigkeit in x-Richtung)


vy = vt cos ϕ = aω cos ϕ = aω cos ωt (Geschwindigkeit in y-Richtung)

Aufgrund der Ausdrücke sin ωt und cos ωt besitzen die Geschwindigkeiten vx und
vy zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Zahlenwerte, d.h. die Geschwindigkeit
des Punktes P stellt kein Skalarfeld dar. Auch aus der Kinematik (ein Teilgebiet der
Mechanik) ist wohl bekannt, dass Geschwindigkeit kein Skalar sondern ein Vektor ist
(man spricht vom Geschwindigkeitsvektor), folglich kann auch kein Skalarfeld vorlie-
gen.

Beispiel 11.51:
Invarianz des hydrostatischer Druckes. In einem kreiszylindrischen Behälter befindet
sich eine Flüssigkeit. Die hydrostatische Druckverteilung kann im kartesischen xyz-
Kooordinatensystem oder im zylindrischen rϕz-Koordinatensystem beschrieben wer-
den:

p = f (x, y, z) p = g(r, ϕ, z),

Messungen zeigen, dass der hydrostatische Druck an einer beliebigen Behälterpositi-


on nur von der Flüssigkeitshöhe abhängt und nicht von dem verwendeten Koordinaten-
system. Deshalb liefern die beiden Gleichungen oben stets den gleichen Druck. Die
hydrostatische Druckfunktion p stellt also ein Skalarfeld dar, das invariant gegenüber
einer KS-Transformation bleibt.

Beispiel 11.52:
Orthogonalität zwischen Gradient und Niveaulinie. Die Funktion x2 + y2 = c stellt
einen Kreis in der xy-Ebene dar. Es soll gezeigt werden, dass der Gradient dieser
Funktion stets orthogonal, d.h. senkrecht, zum Kreis gerichtet ist (vgl. auch Beispiel
11.11 Zusätzliche Beispiele 577

11.35).
Der Gradient der Funktion f (x, y) = x2 + y2 lautet:
 
2x
grad f =
2y

Der Tangentenvektor t des Kreises lautet


 
1 −x
t= mit y = √
y c − x2

Der Gradient steht nur und nur dann orthogonal zum Kreis, wenn das Skalarprodukt
des Gradienten und des Tangentenvektors an den Kreis für jeden beliebigen Punkt des
Kreises gleich Null ist.

grad f ·tt = 2x · 1 + 2y · (−x/ c − x2 ) = 2x · 1 + 2y · (−x/y) = 2x − 2x = 0 

Beispiel 11.53:
Richtungsableitung. Für das dargestellte Fläche z = x2 + y2 (Paraboloid ) soll am
Punkt P = (1; 1; 2) die Steigung der Fläche in Richtung des Vektors m = i − j be-
rechnet werden.
Der Gradient der Funktion z = f (x, y) = x2 + y2 lautet (vgl. Beispiel 11.30):

z
j
y
i
P
    P
z,x 2x i-j
grad z = = x
z,y 2y
-j
y
i-j i

Eine Normierung des Richtungsvektors m ist erforderlich, weil |m


m| = 1.
 √
m| = 12 + (−1)2 = 2
|m

Die Richtungsableitung von z in Richtung von m ergibt sich zu:


     
∂z grad z · m 1 2x 1 2x 1 √
= =√ · (ii − j ) = √ · = 2 (x − y)
∂m |m
m| 2 2y 2 2y −1
578 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Am Punkt P beträgt die Steigung in Richtung von m :



∂ z  √
 = 2 (1 − 1) = 0 α = arctan 0 = 0◦
∂m P

α = 0◦ besagt, dass am Punkt P die Fläche in Richtung des Vektors m Null Steigung
besitzt.

Beispiel 11.54:
Richtungsableitung. Die Funktion z = f (x, y) = 1000 e−(x +y )/20000 soll das Höhen-
2 2

profil eines Berges beschreiben, wobei x die Koordinate in West-Ost-Richtung und y


die Koordinate in Süd-Nord-Richtung und z die Höhenordinate bedeuten sollen. Die
momentane Position sei P = (x, y) = (50,50), die Höhenordinate am P beträgt also

z = 1000 e−(50
2 +502 )/20000
= 778,8 m

Gesucht ist die Steigung des Bergs am Punkt P in zwei verschiedenen Himmels-
richtungen:
1000

z
a) Richtung West-Ost
0
b) Richtung Südwest-Nordost –200 200

0 0
x y
200 –200

Zur Berechnung des Gradienten werden die partiellen Ableitungen gebildet:

z,x = −0,1x e−(x


2 +y2 )/20000
z,y = −0,1y e−(x
2 +y2 )/20000

Daraus ergibt sich der Gradient zu:

grad z = z,x i + z,y j = −0,1 e−(x


2 +y2 )/20000
(x · i + y · j )

Am Punkt P = (50; 50) lautet der Gradient:

grad f (P) = −0,1 e−(50 +50


2 2 )/20000
(50 · i + 50 · j ) = −0,0778 (50 · i + 50 · j )
= −3,894 (ii + j )

a) Richtung West-Ost:
Dieser Himmelsrichtung entspricht folgender Richtungsvektor m :

m = 1 ·i +0 · j = i |m
m| = 12 = 1

Die Steigung und der Steigungswinkel am Punkt P in West-Ost-Richtung erge-


11.11 Zusätzliche Beispiele 579

ben sich zu:


∂f
(P) = grad f (P) · m = −3,894 (ii + j ) · i = −3,894 + 0 = −3,894
∂m
⇒ α = arctan(−3,894) = −75,6◦

b) Richtung Südwest-Nordost:
Der dieser Himmelsrichtung entsprechende Richtungsvektor lautet:
 √
m = 1 ·i +1 · j = i + j m| = 12 + 12 = 2
|m

Der Vektor m ist kein Einheitsvektor, so dass eine Normierung erforderlich ist:
m m
m∗ = = √ = 0,707 (ii + j )
|m
m| 2
Die Steigung und der Steigungswinkel am Punkt P in Südwest-Nordost-Richtung
sind dann:
∂f
(P) = grad f (P) · m ∗ = −3,894 (ii + j ) · 0,707 (ii + j )
∂m
= −3,894 · 0,707 (ii + j ) · (ii + j ) = −3,894 · 0,707 · 2 = −5,51

⇒ α = arctan(−5,51) = −79,7◦

Anmerkung: Die Südwest-Nordost-Richtung ist also mit einer geringfügig größeren


Steigung verbunden als die West-Ost-Richtung. Die negativen Vorzeichen der Steigun-
gen rühren aus der Tatsache, dass der Richtungsvektor m jeweils in positive Koordi-
natenrichtungen zeigt und bei Bewegung in diesen Richtungen die Höhenordinate des
Berges abnimmt.

Beispiel 11.55:
Richtungsableitung. Durch die Gleichung z = f (x, y) = x3 − x2 y + xy2 + xy ist im 3D-
Raum eine Fläche gegeben. Wir befinden uns auf der Fläche am Punkt P = (2; 3; 20).
Gesucht ist der Steigungswinkel der Fläche in Richtung des Vektors m = −3ii + 4 j .

∂f grad f · m
=
∂m |m
m|

f,x = 3x2 − 2xy + y2 + y f,y = −x2 + 2xy + x


f,x (P) = 3 · 4 − 2 · 2 · 3 + 9 + 3 = 12 f,y (P) = −4 + 2 · 2 · 3 + 29 = 10
   2 
f,x 3x − 2xy + y2 + y
grad f = =
f,y −x2 + 2xy + x
   
f,x 12
grad f (P) = = grad f · m = 12 · (−3) + 10 · 4 = 4
f,y P 10
580 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen


∂f
|m
m| = (−3)2 + 42 = 5 = 4/5 = 0,8
∂m
Steigungswinkel der Fläche in Richtung von P : α = arctan 0,8 = 38,66◦

Beispiel 11.56:
Richtungsableitung. Eine Fläche ist durch die Gleichung z = f (x, y) gegeben. Gesucht
ist am Punkt P der Steigungswinkel α der Fläche in Richtung des Vektors m .

z = f (x, y) = x sin(2x + 2y) P = (x0 ; y0 ; z0 ) = (π/2; π/2; 0) m = 3ii + 4 j

∂f grad f · m   
= grad f = f,x i + f,y j grad f P = f,x P i + f,y P j
∂m |m
m|
f,x = sin(2x + 2y) + 2x cos(2x + 2y) f,y = 2x cos(2x + 2y)
 
f,x P = sin(π + π) + π cos(π + π) = 0 + π = π f,y P = π cos(π + π) = π

grad f P = π i + π j grad f · m = π · 3 + π · 4 = 7π
 ∂f
|m
m| = 32 + 42 = 5 = 7π/5 = 4,39823 α = arctan 4,39823 = 77,19◦
∂m

Beispiel 11.57:
Normalenvektor zur Niveaulinie bzw. zur Niveaufläche. Mit Hilfe des Gradienten soll
der normierte Normalenvektor n am Punkt P zur jeweiligen Niveaulinie in der xy-
Ebene bzw. Niveaufläche im xyz-Raum bestimmt werden.
a) x2 + y2 = 25 P = (3; 4)
Gesucht: Normalenvektor auf der Niveaulinie am Punkt P.

f (x, y) = x2 + y2 − 25 = 0

grad f = 2x i +2y j grad f (P) = 6 i +8 j |grad f (P)| = 62 + 82 = 10
Normalenvektor am Punkt P:
grad f 6 i +8 j
n= = = 0,6 i + 0,8 j
|grad f | 10

b) x2 + y2 + z2 = 32 P = (4; 4; 0)
Gesucht: Normalenvektor auf der Niveaufläche am Punkt P.

f (x, y, z) = x2 + y2 + z2 − 32 = 0

grad f = 2x i + 2y j + 2z k grad f (P) = 8 i + 8 j + 0 · k = 8 i + 8 j


 √ 8 i +8 j
|grad f (P)| = 82 + 82 = 128 ⇒ n= √ = 0,707ii + 0,707 j
128
11.11 Zusätzliche Beispiele 581

Beispiel 11.58:
Normalenvektor. Berechnen Sie mit Hilfe des Gradienten den normierten Normalen-
vektor, der senkrecht steht zur Kurve y = f (x) in der xy-Ebene bzw. zur Fläche
z = f (x, y) an dem angegebenen Punkt P.

a) y = f (x) = x3 P = (1; 1)
Lsg:
√ 3√
f (x, y) = x3 − y = 0 grad f = xi− j grad f (P) = 1,5 i − j
2
Normalenvektor:
1,5 i − j
n= √ = 0,832 i − 0,555 j
3,25

b) z = f (x, y) = x2 + y2 P = (1; 2; 5)
Lsg:

f (x, y) = x2 + y2 − z = 0 grad f = 2x i + 2y j − k grad f (P) = 2 i + 4 j −kk

Normalenvektor:
2 i + 4 j −kk
n= √ = 0,436 i + 0,873 j − 0,218 k
21

Beispiel 11.59:
Extremum. Zeigen Sie, dass die Funktion z = f (x, y) = x3 + y3 − 6xy ein Extremum
an der Position P = (x0 , y0 ) = (2,2) besitzt. Um welche Art von Extremum handelt
es sich dabei?
Wenn die Funktion ein Extremum an der Stelle P besitzen soll, dann muß sie die
dafür notwendigen Bedingungen (11.32) erfüllen:

f,x = 3x2 − 6y f,x (P) = 3x02 − 6y0 = 3 · 22 − 6 · 2 = 12 − 12 = 0 

f,y = 3y2 − 6x f,y (P) = 3y20 − 6x0 = 3 · 22 − 6 · 2 = 12 − 12 = 0 


Es liegt also am Punkt P tatsächlich ein Extremum vor. Die Art des Extremums läßt
sich mit Hilfe des Entscheidungskriteriums (11.34) bestimmen:

f,xx = 6x f,xy = −6 f,yy = 6y


  
h11 = f,xx P = 6 · 2 = 12 h12 = f,xy P = −6 h22 = f,yy P = 6 · 2 = 12
1 1 1
 
 12 −6 
D=   = 108 D > 0, h11 > 0 ⇒ Minimum bei P
−6 12 
582 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Beispiel 11.60:
Extremum. Bestimmen Sie die Extremwerte der Funktion z = f (x, y) = x4 + y4 − 4xy
an allen in Frage kommenden Stellen.

f,x = 4x3 − 4y f,y = 4y3 − 4x f,xx = 12x2 f,yy = 12y2 f,xy = −4

Die Erfüllung der notwendigen Bedingungen (11.32) für ein Extremum liefert:

f,x = 4x3 − 4y = 0 ⇒ y = x3 Substitution dieses Ausdrucks in f,y liefert:

f,y = 4y3 − 4x = 4(x3 )3 − 4x = 4x9 − 4x = 4x(x8 − 1) = 0 ⇒ x1 = 0 und x8 = 1


Aus x8 = 1 folgen : x2 = 1 x3 = −1 (die anderen Wurzeln sind nicht reell)
Substitution von x1 , x2 , x3 in y = x3 liefert : y1 = 0 y2 = 1 y3 = −1
Als mögliche Positionen für Extremwerte kommen also 3 Stellen in Frage:

P1 = (x1 , y1 ) = (0; 0) P2 = (x2 , y2 ) = (1; 1) P3 = (x3 , y3 ) = (−1; −1)

An diesen Stellen werden die Entscheidungskriterien nach (11.34) überprüft.


Position P1 :

f,xx (0; 0) = 12 · 0 = 0 f,yy (0; 0) = 12 · 0 = 0 f,xy (0; 0) = −4


 
 0 −4 

D=  = −16 Bei P1 liegt ein Sattelpunkt vor : y(P1 ) = 0
−4 0 
Position P2 :

f,xx (1; 1) = 12 · 12 = 12 f,yy (1; 1) = 12 · 12 = 12 f,xy (1; 1) = −4


 
 12 −4 
D =  = 128 Bei P2 liegt ein Minimum vor : y(P2 ) = −2
−4 12 
Position P3 :

f,xx (−1; −1) = 12 · (−1)2 = 12 f,yy (−1; −1) = 12 · (−1)2 = 12 f,xy (1; 1) = −4
 
 12 −4 
D =   = 128 Bei P3 liegt ein Minimum vor : y(P3 ) = −2
−4 12 
11.11 Zusätzliche Beispiele 583

Beispiel 11.61:
Extremum. Gesucht ist das Extremum der Funktion z = f (x, y) = 2x2 − xy − 2y + y2 .
Die Extremumposition erhält man mit Hilfe von (11.32) wie folgt:
10
z,x = 4x − y z,y = −x − 2 + 2y

z,xx = 4 z,xy = −1 z,yy = 2 z

z,x = 0 = 4x − y ⇒ y = 4x 0

z,y = 0 = −x − 2 + 2y –2

2 0 4
⇒ −x − 2 + 2 · 4x = 0 x0 = x
0 y
2
7 2 –2
8
Die Substitution von x0 = 2/7 in y = 4x liefert : y0 =
7
 
2 8
Es liegt also an der Position P0 = , ein Extremum vor.
7 7
Die Art des Extremums wird nach (11.34) bestimmt:
 
 4 −1 
D=  =7>0 und z,xx = 4 > 0 ⇒ Es liegt ein Minimum vor.
−1 2 

Das Funktionsminimum zmin beträgt:


 2  2
2 2 8 8 8
zmin = f (x0 , y0 ) = 2x02 −x0 y0 −2y0 +y20 = 2 · − −2 · + = −1,143
7 7 7 7 7

Beispiel 11.62:
Extremum. Bestimmen Sie die Position (x0 , y0 ), den Wert z0 sowie die Art des Extre-
mums der Funktion

z = x2 − xy + y2 + 9x − 6y + 20

z,x = 2x − y + 9 = 0 zy = −x + 2y − 6 = 0 ⇒ x0 = −4 y0 = 1
z0 = (−4)2 − (−4) · 1 + 12 + 9 · (−4) − 6 · 1 + 20 = −1 (Extremalwert)
Hesse-Matrix:
 
 2 −1 
H =  D = 2 · 2 − (−1)(−1) = 3 h11 = 2 > 0
−1 2 

⇒ Minimum am Punkt P = (x0 , y0 ) = (−4; 1) zmin = −1


584 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Beispiel 11.63:
Lagrange-Multiplikatormethode. Das Volumen V und die Oberfläche O eines Quaders
mit den Kantenlängen a, b und c sind durch folgende Formeln gegeben.

V = abc O = 2(ab + ac + bc) b

Unter der Voraussetzung, dass b = a ist, sollen die Kantenlängen a und c mit
Hilfe der Lagrangeschen Multiplikatormethode so ermittelt werden, dass bei vorgege-
bener Oberfläche O = 100 cm2 das Volumen des Quaders zum Maximum wird. Wie
groß ist Vmax ?
Aus b = a folgt:

V = a a c = a2 c O = 2(a a + a c + a c) = 2a2 + 4ac

Die Funktion f , deren Extremum gesucht wird, und die Nebenbendingung ϕ lauten:

f (a, c) = V = a2 c ϕ(a, c) = 2a2 + 4ac − 100 = 0

Die Anwendung der Lösungsformeln in Gl. (11.37) liefert:

f,a = 2ac f,c = a2 ϕ,a = 4a + 4c ϕ,c = 4a

2ac a2
= ⇒ a(a − c) = 0 ⇒ a=0 und a = c
4a + 4c 4a
Die Wurzel a = 0 ist unbrauchbar, weil damit automatisch auch die Oberfläche O Null
sein würde. Die zweite Wurzel a = c, eingesetzt in die Nebenbedingung ϕ, liefert:

2c2 + 4c2 − 100 = 0 ⇒ c = 4,0825 cm2 a = 4,0825 cm2

Volumen V = a2 c = 4,08252 · 4,0825 = 68,04 cm3


Bei vorgegebener Oberfläche eines Quaders wird also dessen Volumen zum Maximum,
wenn der Quader ein Würfel mit identischen Kantenlängen a = b = c ist.
11.11 Zusätzliche Beispiele 585

Beispiel 11.64:
Multiplikatormethode. Die Fläche A und der Umfang U des abgebildeten Kreisseg-
ments sind gegeben durch

α 2
A= r U = r(α + 2) a r
2

Bestimmen Sie mit Hilfe der Lagrangeschen Multiplikatormethode den Winkel α


und den Radius r so, dass bei vorgegebener Fläche A0 = 49 cm2 der Umfang des
Kreissegments zum Minimum wird. Wie groß ist Umin ?
Die zu minimierende Funktion f und die zu erfüllende Nebenbendingung ϕ lau-
ten:
α 2
f (α, r) = U = r(α + 2) ϕ(α, r) = r − A0 = 0
2
Die Anwendung der Lösungsformeln in Gl. (11.37) liefert:
1 2
f,α = r f,r = α + 2 ϕ,α = r ϕ,r = α r
2
r α +2
= ⇒ α = 2 rad
r2 /2 αr
Nach Einsetzen von α = 2 in die Nebenbedingung ϕ ergibt sich der Radius r zu:

2 2  √
r − A0 = 0 ⇒ r= A0 = 49 = 7
2
Der minimale Umfang beträgt

Umin = 7 · (2 + 2) = 28

Für jeden anderen Winkel α = 2 rad ist U > 28, siehe die Grafik.
30

29
U

28

27 1 2 3
alpha
586 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Beispiel 11.65:
Multiplikatormethode. Jetzt soll die Aufgabe in Beispiel 11.64 mit
ein wenig modifizierter Formulierung gelöst werden.
Der Flächeninhalt abgebildeten Kreissektors ist durch die Formel
A = br/2 zu berechnen. Ferner ist A vorgegeben und beträgt
A = A0 = 49 cm2 . Berechnen Sie mit Hilfe der Lagrangeschen Mul-
tiplikatormethode den kleinstmöglichen Sektorumfang Umin .

Die zu maximierende Funktion ist der Umfang U:

U = f (b, r) = b + 2r

Die Nebenbedingung ergibt sich aus dem vorgegebenen Flächeninhalt:

br br
A0 = ⇒ ϕ(b, r) = − A0 = 0
2 2
Die Bestimmungsgleichungen der Lagrangeschen Multiplikatormethode ergeben:

r b
f,b = 1 f,r = 2 ϕ,b = ϕ,r =
2 2
f,b f,r 1·2 2·2
= = ⇒ b = 2r
ϕ,b ϕ,r r b
Aus dem vorgegebenen Flächeninhalt A0 folgt:
2r · r √ √ √ √
A0 = ⇒ r= A0 = 49 = 7 ⇒ b = 2 A0 = 2 49 = 14
2
Der minimale Umfang U lautet:
√ √ √
Umin = b + 2r = 2 A0 + 2 A0 = 4 A0 = 4 · 7 = 28

Beispiel 11.66:

Multiplikatormethode. Die Fläche A des schraffierten Kreisseg-


α
ments ist gegeben durch die Beziehung A = (R2 − r2 ). Die Um-
2
fangslänge U des Kreissegments ergibt sich aus U = α(R + r) +
2(R − r) . Der innere Radius r und der Winkel α sind unbekannt,
während der äußere Radius R vorgegeben ist, d.h. R = R0 .

Mit Hilfe der Lagrangeschen Multiplikatormethode sollen folgende Aufgaben ge-


löst werden.
a) Fläche A ist vorgegeben mit dem Wert A0 . Für welche Werte von α und r wird
die Umfangslänge U zum Extremum?
11.11 Zusätzliche Beispiele 587

b) Umfang U ist vorgegeben mit dem Wert U0 . Für welche Werte von α und r wird
die Fläche A zum Extremum?
Lösung:
a) Die Funktion f , deren Extremum gesucht wird (vgl. Seite 569), ist die Umfangs-
länge U:

f (α, r) = U(α, r) = α(R + r) + 2(R − r)

Die Nebenbedingung ϕ, der die Lösung genügen muss ist durch die vorgegebene
Fläche A0 definiert:
α 2
A(α, r) = A0 ⇒ ϕ(α, r) = (R − r2 ) − A0 = 0
2
Unter Verwendung der Gl. 11.36 auf Seite 569 erhält man:
1 2
f,α = R + r f,r = α − 2 ϕ,α = (R − r2 ) ϕ,r = −αr
2
f,α f,r 2(R + r) α − 2 2 α −2
= = ⇒ =
ϕ,α ϕ,r R2 − r 2 −αr R−r −αr
Die Auflösung der letzten Gleichung nach α liefert:

2(R − r)
α= (a)
R+r

Der unbekannte Radius r wird durch Einsetzen des obigen α-Ausdrucks in die
Flächenbeziehung berechnet:

α 2 1 2(R − r) 2
A0 = (R − r2 ) = (R − r2 ) = (R − r)2
2 2 R+r
 
⇒ A0 = R − r ⇒ r = R − A0
Der Winkel α kann jetzt aus der Beziehung (a) berechnet werden:
√ √
2(R − r) 2[R − (R − A0 )] 2 A0
α= = √ = √
R+r R + R − A0 2R − A0
Das Extremum der Umfangslänge U beträgt somit:

2 A0   
U= √ (R + R − A0 ) + 2[R − (R − A0 )] = 4 A0
2R − A0

b) Die Funktion f , deren Extremum gesucht wird (vgl. Seite 569), ist die Fläche A:
α 2
f (α, r) = A(α, r) = (R − r2 )
2
588 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Die Nebenbedingung ϕ, der die Lösung genügen muss, ist durch den vorgegebe-
nen Umfang U0 definiert:

U(α, r) = U0 ⇒ ϕ(α, r) = α(R + r) + 2(R − r) −U0 = 0

1 2
f,α = (R − r2 ) f,r = −αr ϕ,α = R + r ϕ,r = α − 2
2
f,α f,r R2 − r2 −αr R−r −αr
= = ⇒ =
ϕ,α ϕ,r 2(R + r) α − 2 2 α −2
Die Auflösung der letzten Gleichung nach α liefert:

2(R − r)
α= (a)
R+r

Der unbekannte Radius r wird durch Einsetzen des α-Ausdrucks in den Um-
fangsausdruck berechnet:

2(R − r)
U0 = α(R + r) + 2(R − r) = (R + r) + 2(R − r) = 4(R − r)
R+r
U0
⇒ r = R−
4
Der Winkel α kann jetzt aus der Beziehung (a) berechnet werden:
U0
2(R − r) 2[R − (R − 4 )] 2U0
α= = =
R+r U 0 8R −U0
R+R−
4
Das Extremum der Fläche A beträgt:

α 2 1 2U0 U0 U2
A= (R − r2 ) = [R2 − (R − )2 ] = 0
2 2 8R −U0 4 16

Beispiel 11.67:

Multiplikatormethode. Ein Stahlrahmen mit der abgebildeten Kon-


tur (unten Rechteck, oben Halbkreis) soll genau den vorgegebenen
Flächeninhalt A0 = 1,7 m2 besitzen. Unter Verwendung der Lagran-
geschen Multiplikatorenmethode sollen die Kantenlängen a und b
so berechnet werden, dass der Umfang U des Rahmens möglichst
klein wird.

Die zu minimierende Funktion ist der Umfang U = f (a, b) = a + 2b + πa/2. Die Ne-
11.11 Zusätzliche Beispiele 589

benbedingung ergibt sich aus dem vorgegebenen Flächeninhalt:

1 a2 πa2 πa2
A = ab + π = ab + = A0 ⇒ ϕ(a, b) = ab + − A0 = 0
2 4 8 8
π 2+π πa 4b + πa
f,a = 1 + = f,b = 2 ϕ,a = b + = ϕ,b = a
2 2 4 4
f,a f,b 2+π 4 2
= = ⇒ a = 2b
ϕ,a ϕ,b 2 4b + πa a
Die Kantenlänge b wird durch Einsetzen der Beziehung a = 2b in die Nebenbed. ϕ
berechnet:
π4b2 π
2b · b + − A0 = 0 ⇒ b2 (2 + ) = A0
8 2

2A0 2A0
b= ⇒ a=2
4+π 4+π
Für A0 = 1,7 ergeben sich die Kantenlängen als: a = 1,38 m, b = 0,69 m
Die kleinste Umfangslänge Umin beträgt:

Umin = a + 2b + πa/2 = 1,38 + 2 · 0,69 + 1,38π/2 = 4,93 m

Beispiel 11.68:
Multiplikatormethode. Das Extremum der Funktion z = f (x, y) = x2 + y2 soll mit Hilfe
der Lagrangeschen Multiplikatormethode berechnet werden, wobei die Variablen x
und y über die Bedingung x + y = 2 miteinander verknüpft sind.
Die Nebenbedingung in impliziter Form lautet:

ϕ(x, y) = x + y − 2 = 0

f,x = 2x f,y = 2y ϕ,x = 1 ϕ,y = y


f,x f,y 2x 2y
= = ⇒ x=y
ϕ,x ϕ,y 1 1
Einsetzen von x = y in die Nebenbedingung ϕ(x, y) ergibt:

y+y = 2 ⇒ y = 1,0 ⇒ x = 1,0

Das Extremum ergibt sich zu:

zextr = 1,02 + 1,02 = 2,0

Aufgabe: Überzeugen Sie sich, dass es sich bei diesem Extremum um ein Minimum
handelt, indem Sie für verschiedene x− und y-Werte den Funktionswert z berechnen,
oder die Funktion z mit Hilfe von Maple plotten.
590 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Beispiel 11.69:
Multiplikatormethode. Die Funktion z = f (x, y) = x y soll unter Einhaltung der Ne-
benbedingung ϕ(x, y) = x2 + y2 − 1 = 0 mit Hilfe der Lagrangeschen Multiplikatoren-
Methode zum Extremum gemacht werden.

z0

–2
2
0 0
x y
2

Die Funktion z = xy stellt ein Hyperboloid (Sattelfläche) im 3D-Raum dar. Die Ne-
benbedingung x2 + y2 − 1 = 0 beschreibt einen Kreis vom Radius 1. Die gestellte
Aufgabe besagt also, dass auf der Sattelfläche derjenige Extremumpunkt P zu finden
ist, dessen Projektion P auf der xy-Ebene sich auf dem gegebenen Kreis befindet.

Mit den Ableitungen

f,x = y f,y = x ϕ,x = 2x ϕ,y = 2y

erhält man aus (11.37):


y x
= ⇒ y=x
2x 2y
Die Substitution von y = x in die Nebenbedingung liefert die xy-Positionen, an denen
die Sattelfläche ein Extremum hat:
 
x2 + x2 − 1 = 0 ⇒ x = ± 0,5 ⇒ y = ± 0,5

Es handelt sich also um die Eckpunkte eines Quadrats in der xy-Ebene, an denen die
Sattelfläche ihre Extrema hat. Die Zahlenwerte der Extrema sind:
   
z (+ 0,5, + 0,5) = 0,5 · 0,5 = +0,5
   
z (− 0,5, + 0,5) = − 0,5 · 0,5 = −0,5
   
z (− 0,5, − 0,5) = − 0,5 · (− 0,5) = +0,5
   
z (+ 0,5, − 0,5) = 0,5 · (− 0,5) = −0,5
11.12 Technische Anwendungsbeispiele 591

11.12 Technische Anwendungsbeispiele


Beispiel 11.70:
Totales Differential. Der abgebildete Kreissegment (z.B. aus einem Baumstamm her-
aus geschnitten) besitzt das Trägheitsmoment5 Iy um die y-Achse:
y

x x

R4
Iy = (α − sin α cos α) a R
4
y
Um die Tragfähigkeit zu erhöhen, soll Iy vergrößert werden. Mit Hilfe des totalen
Differentials ist näherungsweise (linearisiert) zu ermitteln, um wieviel Grad der Win-
kel α erhöht werden muss, damit das Trägheitsmoment um 20% zunimmt.
In diesem Beispiel ist das Trägheitsmoment Iy eine Funktion nur einer einzigen
Variablen, nämlich des Winkels α. Deshalb entspricht das totale Differential der ge-
wöhnlichen Linearisierung einer Funktion gemäß Abschnitt 3.8.
Das totale Differential beträgt:

dIy = Iy,α dα
 
Iy,α = 0,25R4 1 − (cos2 α − sin2 α) = 0,5R4 sin2 α
dIy = 0,5R4 sin2 α dα (a)
Gemäß Aufgabenstellung soll der Zuwachs von Iy 20% betragen:

R4
dIy = 20% Iy = 0,2Iy = 0,2 (α − sin α cos α) (b)
 4  
Vorgabe Iy

Aus den Gleichungen (a) und (b) folgt die Bestimmungsbedingung für dα :

0,2 4 α − sin α cos α


0,5R4 sin2 α dα = R (α − sin α cos α) ⇒ dα =
4 10 sin2 α
Zahlenbeispiel: Für α = 30◦ ≡ π/6 rad ergibt sich:

π/6 − sin π/6 cos π/6


dα = = 0,0362 rad ≡ 2,07◦
10 sin2 (π/6)

Der Winkel α muss also um 2,07◦ auf insgesamt 32,07◦ vergrößert werden.

5 Das Trägheitsmoment ist eine grundlegende Größe bei der statischen Berechnung von balkenförmigen Konstruktio-
nen und hängt von der Geometrie des Balkenquerschnittes ab.
592 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Beispiel 11.71:
Das Gravitationspotential eines kugelförmigen Körpers mit der Masse m ist eine
Skalarfunktion, die kugelsymmetrisch verläuft und im 3D-Raum durch folgende Glei-
chung gegegeben ist.
G·m
U = f (r) =
r
G = 6,6726 · 10−11 kg−1 s−2 ist die universelle Gravitationskonstante. r ist der Abstand
zwischen dem Mittelpunkt des kugelförmigen Körpers und der aktuellen Raumpositi-
on, an der das Potential berechnet werden soll.
Gesucht ist der Gradient von U im Punkt P = (x, y, z) = (a,0,0).
In Bezug auf ein kartesisches Koordinatensystem, dessen Ursprung sich im Mit-
telpunkt des Körpers befindet, ergibt sich der Abstand r eines beliebigen Punktes
P = (x, y, z) im 3D-Raum aus der bekannten Beziehung:

r = x2 + y2 + z2

Das Potentialfeld ist jetzt gegeben durch


G·m
U = f (r) = 
x2 + y2 + z2

Die partiellen Ableitungen lauten


−Gmx −Gmx −Gmx
U,x = =  =
(x2 + y2 + z2 )3/2 ( x +y +z )
2 2 2 3 r3

−Gmy −Gmy −Gmy


U,y = =  =
(x2 + y2 + z2 )3/2 ( x +y +z )
2 2 2 3 r3
−Gmz −Gmz −Gmz
U,z = =  =
(x2 + y2 + z2 )3/2 ( x +y +z )
2 2 2 3 r3
Der Gradient des Gravitationspotentials, grad U, ergibt sich daraus zu:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
U,x x
⎣ ⎦ −Gm ⎣
grad U = U,y = 3 y ⎦
r
U,z z

Im Punkt P beträgt der Gradient:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
 a 1
−Gm ⎣ ⎦ −Gm ⎣ ⎦
r = a2 + 02 + 02 = a grad U = 3 0 = 2 0
a a
0 0
11.12 Technische Anwendungsbeispiele 593

Beispiel 11.72:
Gesamtmasse der Erde. In diesem Beispiel soll mit Hilfe des Gradienten, der in Bei-
spiel 11.71 berechnet wurde, die Masse m der Erdkugel bestimmt werden.
Nach den Gesetzmäßigkeiten der Physik ist überall dort ein Gravitationsfeld vor-
handen, wo ein Gravitationspotential U existiert - und umgekehrt (physikalische De-
tails sollen nicht weiter betrachtet werden). Da jede Masse ein Gravitationspotential
besitzt (s. Beispiel 11.71), heißt das, dass jede Masse auch ein Gravitationsfeld besitzt.
Ferner wird auf jeden Massenpunkt, der sich in einem Gravitationsfeld befindet, eine
Anziehungsskraft m a ausgeübt.
Der Vektor a ist der Beschleunigungsvektor, der mit dem Gravitationspotential
über folgende Beziehung verknüpft ist:

a = −grad U

Der Ausdruck für den Gradienten grad U ergibt sich aus Beispiel 11.71:
⎡ ⎤
x
Gm ⎣ ⎦
a= 3 y
r
z

Der skalare Beschleunigungswert ergibt sich aus dem Betrag des Beschleunigungsvek-
tors a :
Gm  2 Gm Gm
a = |aa| = x + y2 + z2 = 3 r = 2 ,
r3 r r

weil für jeden Punkt im 3D-Raum die Beziehung x2 + y2 + z2 = r gilt.
Auf der Erdoberfläche entspricht die Gravitationsbeschleunigung a der Fallbe-
schleunigung g (a = g = 9,81 m/s2 ). Es gilt ferner r = R (Erdradius R = 6,378 · 106 m ).
Die Erdmasse ergibt sich mit diesen Werten zu:

Gm 6,6726 · 10−11 m
9,81 = 9,81 = ⇒ m = 5,98 · 1024 kg
R2 (6,378 · 106 )2

Aus diesem Ergebnis kann die mittlere Massendichte ρE der Erde berechnet werden.
Dazu braucht man lediglich die Erdmasse durch das Erdvolumen V zu teilen:
m 4 4
⇒ ρE = V = πR3 = π(6,378 · 106 )3 = 1,087 · 1021 m3
V 3 3
5,98 · 1024
ρE = = 5500 kg/m3
1,0868 · 1021
Im Mittel weist die Erde also eine recht hohe Massendichte auf, mehr als doppelt so
hoch wie der Beton!
594 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Beispiel 11.73:
Gasdruck. Für den Zusammenhang von Druck, Volumen und Temperatur in idealen
Gasen gilt das Gesetz von Gay-Lussac:
mRT
P=
MV

P Gasdruck in atm (Atmosphäre)


R Gaskonstante R = 0,08206 (L · atm)/(K · mol)
T absolute Temperatur des Gases in K (Kelvin)
V Gasvolumen in L (Liter)
m Masse des Gases in g (Gramm)
M molare Masse des Gases in g/mol (für jedes Gas unterschiedlich)

Mit Hilfe des totalen Differentials soll näherungsweise berechnet werden, um wie-
viel Prozent sich der Druck eines Gases ändert, wenn seine Temperatur um 25% und
sein Volumen um 10% gleichzeitig ansteigen. Das Ergebnis soll mit dem exakten Re-
sultat verglichen werden.
Das totale Differential des Druckes ergibt sich zu (Temperatur T und Volumen V
sind hier die unabhängigen Variablen):

∂P mR ∂P mRT
= =−
∂T MV ∂V MV 2
∂P ∂P mR mRT
dP = dT + dV = dT − dV
∂T ∂V MV MV 2
Die Änderung der Temperatur und des Volumens ist:

dT = 25% · T = 0,25T dV = 10% · V = 0,1V

Die linearisierte Druckänderung ist somit:


mR mRT mRT mRT
dP = 0,25T − 0,1V = (0,25 − 0,1) = 0,15 = 0,15P
MV MV 2 MV MV
 
=P

Der Druck würde sich also um 15% erhöhen.


Exaktes Ergebnis: Der Druck nach der Erhöhung der Temperatur und des Volu-
mens beträgt:

mR(T + 0,25T ) mRT 1,25


Pneu = = = 1,136P
M(V + 0,1V ) MV 1,1

Die exakte Druckänderung beträgt:

dP = Pneu − P = 0,136P, d.h. 13,6%


11.12 Technische Anwendungsbeispiele 595

Der relative Fehler der Rechnung mit dem totalen Differential beträgt:
 
 0,15 − 0,136 

Erel =   = 0,103 = 10,3%
0,136 

Beispiel 11.74:
Kleinste Benetzungslänge. Die Seitenwände des dargestellten Wasserkanals sind um
den Winkel α gegenüber der Waagerechten geneigt. Die Strömungsfläche A ist vorge-
geben, d.h. bekannt. Die Bodenbreite des Kanals ist a und die Länge jeder geneigten
Wand beträgt b. Die Benetzungslänge entspricht der Umfangslänge L = a + 2b des
Bodens und der geneigten Wände.
Die geometrischen Maße a, b und der Winkel α der Wände sollen so festgelegt
werden, dass die Benetzungslänge L (Umfangslänge) des Wassers (wo Wasser die Ka-
nalwand berührt) minimal wird.

b A b
a
a

Aus der Kanalgeometrie erhält man den Strömungsquerschnitt A :


A
A = ab sin α + b2 sin α cos α ⇒ a= − b cos α
b sin α
Nach Einsetzen des Ausdrucks für a in die Beziehung für L erhält man:
A A
L= − b cos α + 2b = + b(2 − cos α)
b sin α b sin α
Die notwendigen Bedingungen für Extremum sind:

0 − Ab cos α A cos α
L,α = + b sin α = 0 ⇒ b2 =
b2 sin2 α sin3 α
−A −A
L,b = + (2 − cos α) = + 2 − cos α = 0
b2 sin α A cos α
sin α
sin3 α
− sin2 α
⇒ + 2 − cos α = 0
cos α
⇒ sin2 α + cos2 α = 2 cos α
 ⇒ 1 = 2 cos α ⇒ α = 60◦
 
=1

Durch Einsetzen von α = 60◦ erhält man:



A cos α A cos 60 √
b= = = 0,87738 A
sin α
3 3
sin 60
596 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

A √ √
a= √ − 0,87738 A · cos 60 = 0,87738 A
0,87738 A · sin 60

Für a = b ist der Kanalumfang L also Extremum.


Die Art des Extremums wird wie folgt bestimmt:

A sin α (1 + cos2 α)
L,αα = + b cos α
b sin4 α
A sin 60 (1 + cos2 60) √
L,αα (α = 60◦ ) = 4
+ b cos 60 = 2,63215 A
b sin 60
2A √ 3,41929
L,bb = 3 L,bb (b = 0,87738 A) = √
b sin α A
A cos α
L,αb = L,bα = 2 + sin α
b sin2 α

L,αb (α = 60◦ , b = 0,87738 A) = 1,73206
Determinante der Hesseschen Matrix:
√ 3,41929
D = L,αα · L,bb − l,αb
2
= 2,63215 A √ − 1,732062 = 6
A
D > 0 und L,αα > 0 ⇒ L ist Minimum
Die Benetzungsfläche ist also am kleinsten, wenn α = 60◦ und a = b.
11.13 Aufgaben 597

11.13 Aufgaben
1. Bestimmen Sie die partiellen Ableitungen erster und zweiter Ordnung für folgende Funk-
tionen. Die Lösungen sind jeweils darunter angegeben.
x
a) z =
y
1 −x
z,x = f,x = z,y = f,y = 2
y y
−1 −1 2x
z,xx = f,xx = 0 z,xy = f,xy = 2 z,yx = f,yx = 2 z,yy = f,yy = 3
y y y
b) z = x ey
z,x = ey z,y = x ey z,xx = 0 z,xy = z,yx = ey z,yy = x ey
c) z = −x y2 + 3 x y3 − 4 x y
z,x = 3y3 − y2 − 4y zy = 9xy2 − 2xy − 4x
z,xx = 0 z,xy = z,yx = 9y2 − 2y − 4 z,yy = 18xy − 2x
d) z = y ex
z,x = y ex z,y = ex
z,xx = y ex z,xy = z,yx = ex z,yy = 0
e) z = (2x + 2y)2
z,x = 8(x + y) zy = 8(x + y)
z,xx = 8 z,xy = z,yx = 8 z,yy = 8
f) z = (2x2 − 2y2 )3
z,x = 48(x2 − y2 )2 x zy = −48(x2 − y2 )2 y
z,xx = 192(x2 − y2 ) x2 + 48(x2 − y2 )2
z,xy = z,yx = −192(x2 − y2 ) xy
z,yy = 192(x2 − y2 ) y2 − 48(x2 − y2 )2

g) z = e−xy
z,x = −e−xy y zy = −e−xy x
z,xx = e−xy y2 z,xy = z,yx = e−xy (xy − 1) z,yy = e−xy x2
h) z = e−xy + xy − x2 + y2
z,x = y (1 − e−xy ) − 2x z,y = x (1 − e−xy ) + 2y
z,xx = y2 e−xy − 2 z,xy = z,yx = e−xy (xy − 1) + 1
z,yy = x2 e−xy + 2
598 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

i) z = xy ex
z,x = ex y (x + 1) zy = ex x
z,xx = ex y (x + 2) z,xy = z,yx = ex (x + 1) z,yy = 0

j) z = (x − ey )2
z,x = 2 (x − ey ) zy = −2 (x − ey ) ey
z,xx = 2 z,xy = z,yx = −2 ey z,yy = 2 e2y − 2 (x − ey ) ey

k) z = xy e−x
2 −y2

z,x = (−2x2 y + y) e−x


2 −y2
zy = (−2xy2 + x) e−x
2 −y2

z,xx = (4x3 y − 6xy) e−x


2 −y2

z,xy = z,yx = (4x2 y2 − 2x2 − 2y2 + 1) e−x


2 −y2

z,yy = (4xy3 − 6xy) e−x


2 −y2

x
l) z = ln
y
z,x = 1/x zy = −1/y
z,xx = −1/x2 z,xy = z,yx = 0 z,yy = 1/y2

m) z = ln(x + y)
1 1
z,x = zy =
x+y x+y
−1 −1 −1
z,xx = z,xy = z,yx = z,yy =
(x + y)2 (x + y)2 (x + y)2

n) z = ln(x2 − y2 )
2x −2y
z,x = 2 zy =
x − y2 x2 − y2
−2(x2 + y2 ) 4xy −2(x2 + y2 )
z,xx = z,xy = z,yx = z,yy =
(x2 − y2 )2 (x2 − y2 )2 (x2 − y2 )2
11.13 Aufgaben 599

2. Bestimmen Sie a) numerisch und b) exakt die partiellen Ableitungen 1. Ordnung am Punkt
P mit den vorgegebenen Werten Δ x = Δ y = 0,001. Gesucht ist außerdem der relative
Fehler der numerischen Berechnung.
a) z = f (x, y) = sin x sin y P = (π/4; π/6)

numerisch: f,x (P) = 0,353377 f,y (P) = 0,612196


exakt: f,x (P) = 0,353553 f,y (P) = 0,612372
relativer Fehler in %: Ex = 0,05% Ey = 0,03%
b) z = −x y2 + 3 x y3 − 4 x y P = (1; 2)

numerisch: f,x (P) = 12.000000 f,y (P) = 28,017000


exakt: f,x (P) = 12,000000 f,y (P) = 28,000000
relativer Fehler in %: Ex = 0% Ey = 0,06%
c) z = (2x2 − 2y2 )3 P = (1,5; 1,1)

numerisch: f,x (P) = 78,126164 f,y (P) = −57,013607


exakt: f,x (P) = 77,875200 f,y (P) = −57,108480
relativer Fehler in %: Ex = 0,32% Ey = 0,17%
3. Ermitteln Sie das totale Differential der angegebenen Funktion.
xy
1. z =
x−y

y(x − y) − xy −y2 x(x − y) − xy (−1) x2


z,x = = zy = =
(x − y) 2 (x − y)2 (x − y)2 (x − y)2

−y2 dx + x2 dy
⇒ dz = z,x dx + z,y dy =
(x − y)2

Zusatzfrage: Wie groß ist näherungsweise die Höhenänderung, wenn wir uns von der
Position P = (1; −1) in x-Richtung um +0,1 und in y-Richtung um +0,1 Einheiten
bewegen? Lsg: dz = 0
4. Berechnen Sie die Höhenänderung näherungsweise mit Hilfe des totalen Differentials, wenn
man sich in Beispiel 11.15 auf Seite 541 vom Punkt P2 um dx = −0,1 und dy = 0,05
entfernt.
Lsg: Δz ≈ dz = 0
5. Die Höhenkoordinate z einer gekrümmten 3D-Fläche ist durch die Gleichung

sin 3x sin 2y
z = f (x, y) = 1 +
2+x+y

gegeben. Auf der Fläche befindet sich der Punkt P = (1,3; 1,4; zP ).
600 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

a) Berechnen Sie die neue Höhenordinate nach einer Positionsänderung in der xy-Ebene
um Δ x = 0.05 und Δ y = 0.1 (auf der Fläche bewegt man sich vom Punkt P zum Punkt
Q ) mit Hilfe einer
a. linearisierten Berechnung,
b. exakten Berechnung
sowie den zugehörigen Relativfehler zwischen Näherung und exaktem Ergebnis.
b) Wie groß ist der Relativfehler für Δ x = 0.2 und Δ y = 0.4?
Lsg:
Höhenordinate am Punkt P :

zP = f (P) = f (1,3; 1,4) = 0,95098

Partielle Ableitungen:

(3 cos 3x sin 2y)(2 + x + y) − sin 3x sin 2y


f,x =
(2 + x + y)2

(2 sin 3x cos 2y)(2 + x + y) − sin 3x sin 2y


f,y =
(2 + x + y)2
Partielle Ableitungen am Punkt P : f,x (P) = −0,14479 f,y (P) = 0,28619
a) Für Δ x = 0.05 und Δ y = 0.1 : Q = (1,35; 1,50; zQ )
a. Näherungslösung: zQ = 0,97236
b. Exakte Lösung: zQ = 0,97706
c. Relativfehler: Er = 0,0048 ≈ 0,5%
b) Für Δ x = 0.2 und Δ y = 0.4 : Q = (1,5; 1,8; zQ )
a. Näherungslösung: zQ = 1,03650
b. Exakte Lösung: zQ = 1,08162
c. Relativfehler: Er = 0,0417 ≈ 4,2%
6. Berechnen Sie näherungsweise (d.h. mit Hilfe einer Linearisierung) die Änderung des Träg-
heitsmoments Iy im Beispiel 11.70 auf Seite 591, wenn R sich um 10% erhöht und α sich
um 5% verringert (R = 0,3 m, α = 30◦ ).
7. Berechnen Sie den Gradienten grad f folgender Funktionen.

a) f (x, y) = x2 + y2
b) f (x, y) = ln(x2 + y2 )
c) f (x, y) = sin x cosh y
d) f (x, y) = e−x sinh y
e) f (x, y) = sin(x2 + y2 )
11.13 Aufgaben 601

1
a) grad f =  (x i + y j )
x2 + y2
1
b) grad f = (2x i + 2y j )
x2 + y2
c) grad f = cos x cosh y i + sin x sinh y j
d) grad f = −e−x sinh y i + e−x cosh y j
e) grad f = 2 cos(x2 + y2 ) · (x i + y j )

8. Bestimmen Sie die Skalarfunktionen f (x, y, z) , deren Gradient die nachfolgenden Vektoren
sind.
a) grad f = i + j +kk
b) grad f = 2x i + 3y2 j +kk
c) grad f = −yz i − xz j − xy k
a) f (x, y) = x + y + z b) f (x, y) = x2 + y3 + z
c) f (x, y) = −xyz

9. Berechnen Sie den Steigungswinkel α der Fläche z = x2 +3 y am Punkt P = (1; 2; 5,24)
in Richtung des Vektors m = 2 i + 3 j . Lsg: α = 63,34 ◦

10. Von dem in Beispiel 11.64 auf Seite 585 behandelten Kreissegment ist der Umfang vorge-
geben: U = 100. Berechnen Sie mit Hilfe der Lagrangeschen Multiplikatormethode den
Winkel α und den Radius r so, dass die Fläche A Kreissegments zum Maximum wird.
Wie groß ist Amax ?
640

620

α =2 r = 25
A

600

580
Amax = 625
560

1 2 3
alpha

11. Berechnen Sie mit Hilfe der Lagrangeschen Multiplikatormethode, wie groß der Radius r
und die Höhe h eines Zylinders sein müssen, damit er bei gegebener Oberfläche A0 das
größte Volumen V besitzt.
Hinweis: Volumen und Oberfläche eines Zylinders: V = πr2 h A = 2πrh + 2πr2

A0 2A0
r= h=
6π 3π
12. Bestimmen Sie mit Hilfe der impliziten Differentiation die partiellen Ableitungen z,x und
z,y für die Funktion cos z = x2 y sin xy .
Funktion in impliziter Form: F(x, y, z) = cos z − x2 y sin xy = 0

F,x = −2xy sin xy − x2 y2 cos xy F,y = −x2 sin xy − x3 y cos xy F,z = − sin z
602 11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

2xy sin xy + x2 y2 cos xy x2 sin xy + x3 y cos xy


z,x = z,y =
− sin z − sin z
cos z = x2 y sin xy ⇒ cos2 z = x4 y2 sin2 xy ⇒ sin2 z = 1 − x4 y2 sin2 xy
2xy sin xy + x2 y2 cos xy x2 sin xy + x3 y cos xy
z,x = −  z,y = − 
1 − x4 y2 sin2 xy 1 − x4 y2 sin2 xy

13. Überprüfen Sie Ihre Lösung der Aufgabe 12 mit Hilfe der numerischen Ableitung an der
Position P = (x, y) = (1; 1) für differentielle Abstände dx = dy = 10−3 .

cos z = x2 y sin xy ⇒ z = arccos(x2 y sin xy)

Infinitesimal benachbarte Punkte:

Q1 = (1 + dx ; 1) = (1,001; 1) Q2 = (1; 1 + dy) = (1; 1,001)

zP = 0,57080 zQ1 = 0,56667 zQ2 = 0,56823


0,56667 − 0,57080
z,x (P) = = −4,1300
10−3
0,56823 − 0,57080
z,y (P) = = −2,5700
10−3
Exakte Ableitungswerte:

z,x (P) = −4,1148 z,y (P) = −2,5574


12 Partielle Differentialgleichungen

12.1 Einführung
Den Ausgangspunkt einer partiellen Differentialgleichung (PDGL) bildet die multivariable Funk-
tion u = f (x, y, z, . . . ). Durch die PDGL werden die unbekannte Funktion u und ihre partiellen
Ableitungen u,x , u,y , u,xx , u,xy , . . . sowie die unabhängigen Variablen x, y, z, . . . in Beziehung ge-
setzt. Beispielsweise lauten die partiellen Differentialgleichungen erster bzw. zweiter Ordnung
für eine Funktion u = f (x, y) mit zwei unabhängigen Variablen in allgemeiner Darstellung:

PDGL 1. Ordnung : F(x, y, u, u,x , u,y ) = 0


PDGL 2. Ordnung : F(x, y, u, u,x , u,y , u,xx , u,yy , u,xy ) = 0

Ein besonders häufig vorkommender Fall einer PDGL ist die stationäre Temperaturverteilung in
einer dünnen Platte.
Stationäres Temperaturfeld.
Die stationäre1 Temperaturverteilung in einer dünnen Metallplatte ist eine Funktion von zwei
unabhängigen Ortsvariablen, d.h. T = f (x, y). Die Verteilung der Temperatur in der Platte wird
durch folgende PDGL, die sog. Laplace-Gleichung, beschrieben:

∂ 2T ∂ 2T
+ 2 =0 Laplace-Gleichung (12.1)
∂ x2 ∂y

Diese DGL besagt, dass die Temperatur in der Platte so verteilt sein muss, dass die Summe ihrer
zweiten Ableitungen in x- und y-Richtung in jedem Punkt der Platte stets Null ergibt.
Für einen möglichst anschaulichen Einstieg in das Thema der PDGL aus Sicht ingenieurwis-
senschaftlicher Anwendungen untersuchen wir nachfolgend einige Aufgabenstellungen aus der
Mechanik, insbesondere Schwingungsprobleme von Balken und Stäben, die mathematisch mit
Hilfe von partiellen Differentialgleichungen beschrieben werden.

12.2 Biegeschwingungen eines Balkens


Es wird ein Biegebalken betrachtet, der zum Zeitpunkt t = 0 einer statischen oder dynamischen
Gleichgewichtsstörung unterworfen werden soll. Eine statische Gleichgewichtsstörung könnte
z.B. sein, dass der Balken ausgelenkt und dann plötzlich losgelassen wird. Eine dynamische
Gleichgewichtsstörung liegt z.B. vor, wenn auf dem Balken ein anderer Körper (z.B. ein Fahr-
zeugaufprall auf eine Brückenstütze) mit der Geschwindigkeit v0 aufschlägt. Für t > 0 sollen
auf den Balken keine äußeren Lasten mehr einwirken. In all diesen Fällen führt der Balken für
1 von lat. statio: Stillstehen; stationär bedeutet »zeitlich nicht veränderlich«, d.h. das System beharrt in einem be-
stimmten Zustand. Die räumliche Verteilung der Zustandsvariable (z.B. Temperatur) ändert sich nicht mit der Zeit.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_12,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
604 12 Partielle Differentialgleichungen

t > 0 freie Schwingungen aus. Die freie Schwingung erfolgt senkrecht zur Balkenachse und wird
durch folgende homogene partielle Differentialgleichung beschrieben:

∂ 2y 2∂ y
4 EI
+ c =0 c2 = (12.2)
∂t 2 ∂ x4 m

n=1
y

F(x)
x 0
E,I,m
L n=3 n=2

a: Gelenkig gelagerter Balken b: Die ersten 3 Eigenformen

Bild 12.1: Biege-Eigenschwingungen eines Balkens

Die Variable y ist die von der Ortsvariable x und der Zeit t abhängige Durchbiegung der
Balkenachse, d.h. y = y(x, t). E ist der Elastizitätsmodul des Werkstoffs in N/m2 , I das Trägheits-
moment des Balkenquerschnitts in m4 , m die Masse pro Längeneinheit des Balkens in kg/m. Es
wird vorausgesetzt, dass der Balken homogen ist, d.h. E, I, m sind über die gesamte Balkenlänge
konstant verlaufende Größen. In einem realen Schwingungsproblem müssen neben der partiellen
DGL (12.2) selbst noch zusätzliche Bedingungen (Randbedingungen und Anfangsbedingungen),
die vom konkreten Problem abhängen, erfüllt werden.
Lösung der Schwingungsdifferentialgleichung
Zur Lösung der PDGL (12.2) wird ein Produktansatz 2 gemacht:

y(x, t) = F(x) G(t) Ansatzfunktion (12.3)

Die in (12.2) benötigten partiellen Ableitungen der Ansatzfunktion lauten:

∂ 2y ∂ 2 F(x) ∂ 2 G(t)
= ÿ = G(t) + F(x) = F(x) G̈(t)
∂t 2  ∂t
2
  ∂t 2
=0

∂ 4y  ∂ 4 F(x) ∂ 4 G(t)


= y = G(t) + F(x) = F  (x) G(t)
∂ x4 ∂ x4 ∂ x
  
4

=0

Nach Einsetzen dieser Ausdrücke in (12.2) und anschließender Umformung erhält man:3

F  G̈
F G̈ + c2 F  G = 0 c2 F  G = −F G̈ ⇒ =− 2 (12.4)
F c G
2 Auch Separationsansatz genannt, weil F(x) und G(t) voneinander getrennte (separate) Funktionen sind.
3 Zur Abkürzung schreiben wir F anstelle von F(x), sowie G anstelle von G(t).
12.2 Biegeschwingungen eines Balkens 605

Im letzten Ausdruck der Beziehung (12.4) besteht die linke Seite aus den Funktionen F und
F  , welche ausschließlich von der Ortsvariable x abhängen, weil ja F = F(x) ist. Die rechte
Seite enthält die Konstante c2 sowie Funktionen G und G̈, die ausschließlich von der Zeitvariable
t abhängen. Das bedeutet, dass die linke Seite völlig unabhängig von der rechten Seite ist – und
natürlich auch umgekehrt.
Diese gegenseitige Unabhängigkeit der linken und der rechten Seite in (12.4) hat zur Konse-
quenz, dass für jeden beliebig (aber natürlich noch innerhalb der Balkenlänge) gewählten Wert
der Variable x die Funktion F  /F stets das gleiche (Zahlen-)Ergebnis liefert, weil ja während
der Änderung von x sich der Ausdruck auf der rechten Seite nicht ändert (G hängt ausschließ-
lich von t ab, und t wiederum ändert sich nicht, wenn wir x ändern). Auf die gleiche Art behält
der Ausdruck G̈/G auf der rechten Seite einen konstanten Wert bei, wenn für t beliebige Werte
gewählt werden (weil ja hierbei sich der nur von x abhängige Ausdruck F  /F nicht ändert).
Diese permanente Gleichheit in (12.4) kann aber bei beliebigem x und t logischerweise nur
dann eintreten, wenn die Ausdrücke auf der linken und rechten Seite des Gleichheitszeichens
jeweils gleich sind einer -vorläufig noch nicht bekannten- Konstante k4 : 4

F  G̈ F  G̈
= − 2 = k4 ⇒ = k4 und − = k4
F c G F c2 G
Anstelle einer gekoppelten partiellen DGL erhält man auf diese Weise zwei getrennte gewöhnli-
che Differentialgleichungen:

F  − k4 F = 0 a) G̈ + c2 k4 G = 0 b) (12.5)

Durch der Produktansatz haben wir also die partielle DGL (12.2) in eine gewöhnliche DGL
transformiert.

Bestimmung von F(x)


Für die Lösung der DGL F  − k4 F = 0 in (12.5) wird die Ansatzfunktion F(x) = eλ x verwen-
det.

F(x) = eλ x ⇒ F  (x) = λ 4 eλ x

F  − k4 F = λ 4 eλ x − k4 eλ x = (λ 4 − k4 ) 
eλ x = 0 ⇒ λ 4 = k4 λ 2 = ±k2
=0

Aus λ = +k folgen zwei Wurzeln:


2 2
λ1 = k λ2 = −k
Aus λ 2 = −k2 folgen unter Verwendung der imaginären Einheit i zwei weitere Wurzeln:

λ 2 = −k2 = i2 k2 mit i2 = −1 ⇒ λ3 = ik λ4 = −ik

4 Man hätte anstelle von k4 natürlich auch einfach k verwenden können; dies hätte jedoch zu -optisch störenden-
Wurzelausdrücken bei der Lösung geführt, daher ist es zweckmäßiger, k4 als Konstante zu verwenden.
606 12 Partielle Differentialgleichungen

Die Substitution der berechneten λ -Werte in den Lösungsansatz F(x) = eλ x liefert vier Einzel-
lösungen für die Funktion F(x):

F1 (x) = ekx F2 (x) = e−kx F3 (x) = eikx F4 (x) = e−ikx

Die Gesamtlösung für F(x) ergibt sich durch lineare Superposition der Teillösungen:

F(x) = c1 F1 + c2 F2 + c3 F3 + c4 F4 = c1 ekx + c2 e−kx + c3 eikx + c4 e−ikx (a)

Zur Elimination der Exponentialausdrücke mit imaginären Bestandteilen werden folgende allge-
meine Beziehungen verwendet:

ekx = cosh kx + sinh kx


e−kx = cosh kx − sinh kx
(12.6)
eikx = cos kx + i sin kx
e−ikx = cos kx − i sin kx

Das Einsetzen dieser Beziehungen in der Gesamtlösung (a) und das anschließende Umformen
des Resultats, auf analoge Art wie auf Seite 470 erläutert, liefern folgenden reellen Ausdruck:

F(x) = A cos kx + B sin kx +C cosh kx + D sinh kx (12.7)

Berücksichtigung der Randbedingungen (beidseitig gelenkiger Balken)


Die -noch unbekannten- Konstanten A, B, C, D und k in (12.7) werden aus vorgegebenen Rand-
bedingungen (Auflagerbedingungen des Balkens) bestimmt. Im vorliegenden Fall wird, wie Bild
12.1 a zeigt, ein an seinen beiden Enden gelenkig gelagerter Balken betrachtet (natürlich kann
man auch andere Randbedingungen ebenso behandeln, die erfordern jedoch mehr Detailarbeit).
Die Randbedingungen dieses Balkenproblems sind die zu jedem Zeitpunkt t ≥ 0 verschwin-
dende Durchbiegung y sowie das verschwindende Biegemoment M an beiden Balkenenden.
Mit Hilfe der klassischen Moment-Krümmungsbeziehung M = EI y der Balkenstatik (s. auch
Beispiel 3.61 auf Seite 109) erhält man folgende Randbedingungen:

y(0, t) = y(L, t) = 0 (Durchbiegung bei x = 0 und x = L)

M(0, t) = EI y (0, t) = 0 M(L, t) = EI y (L, t) = 0 (M bei x = 0 und x = L)


Aus der Durchbiegungsbedingung erhält man durch Einsetzen der Ortskoordinaten x = 0 und
x = L im Produktansatz y = F(x) G(t) in (12.3):

y(0, t) = F(0)G(t) = 0 y(L, t) = F(L)G(t) = 0 (a)

Diese beiden Beziehungen können nur dann erfüllt werden, wenn entweder F(0) = F(L) = 0
oder G(t) = 0 ist. Der Fall G(t) = 0 macht physikalisch keinen Sinn, weil es dann zwangsläufig
bedeuten würde, dass der Balken sich ständig in Ruhe befindet, d.h. gar nicht schwingt. Deshalb
ist nur der Fall G(t) = 0 von physikalischer Bedeutung. Daraus folgt, dass zur Erfüllung der
12.2 Biegeschwingungen eines Balkens 607

Bedingungen in (a) F(0) = F(L) = 0 sein muss.

Die Momentenbedingung an den Auflagern liefert mit der selben Argumentation wie oben:

y (x, t) = F  (x)G(t) : EIy (0, t) = EI F  (0)G(t) = 0 EIy (L, t) = EI F  (L)G(t) = 0

⇒ F  (0) = F  (L) = 0
Aus (12.7) erhält man durch zweimalige Differentiation:

F  (x) = −Ak2 cos kx − Bk2 sin kx +Ck2 cosh kx + Dk2 sinh kx

Einsetzen der Koordinaten x = 0 und x = L in F(x) und F  (x) liefert unter Berücksichtigung der
vorgegebenen Randbedingungen:

F(0) = A cos
0 +B sin
0 +C cosh
  0 +D sinh
  0 = A +C = 0
=1 =0 =1 =0

F(L) = A cos kL + B sin kL +C cosh kL + D sinh kL = 0


F  (0) = −Ak2 cos 0 − Bk2 sin 0 +Ck2 cosh 0 + Dk2 sinh 0 = −Ak2 +Ck2 = 0
F  (L) = −Ak2 cos kL − Bk2 sin kL +Ck2 cosh kL + Dk2 sinh kL = 0
Diese vier Bestimmungsgleichungen werden zweckmäßig in Matrizenform geschrieben:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡⎤
1 0 1 0 A 0
⎢ cos kL sin kL cosh kL sinh kL ⎥ ⎢ B ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥=⎢ ⎥ (12.8)
⎣ −k2 0 k2 0 ⎦⎣ C ⎦ ⎣ 0 ⎦
−k cos kL
2 −k2 sin kL 2
k cosh kL 2
k sinh kL D 0

Das obige homogene lineare Gleichungssystem besitzt nur und nur dann eine nichttriviale Lö-
sung, wenn die Determinante der Koeffizientenmatrix gleich Null ist (s. die Lösbarkeitsbedin-
gungen auf Seite 168). Die Determinante läßt sich entweder mit Hilfe des Laplaceschen Ent-
wicklungssatzes auf Seite 159 oder mittels Transformation in die Dreiecksform (s. Seite 179)
ermitteln:

Determinante = 4k4 sin kL sinh


 kL = 0
=0

Wegen L = 0 und k = 0 kann diese Bedingung nur erfüllt werden, wenn sin kL = 0 ist. Daraus
folgt die unbekannte Konstante k:


kL = nπ ⇒ k= n = 1,2,3, . . . (12.9)
L
608 12 Partielle Differentialgleichungen

Jetzt können die Konstanten A, B, C, D aus (12.8) bestimmt werden. Mit k = nπ/L erhalten wir:
⎡ ⎤
1 0 1 0 ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
⎢ cos nπ sin cosh nπ ⎥
sinh nπ A 0
⎢  nπ ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢
B ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ =0 ⎥⎢ = ⎥
⎢ −k2 0 k2 0 ⎥⎣ C ⎦ ⎣ 0 ⎦
⎢ ⎥
⎣ −k2 cos nπ −k2 sin nπ k2 cosh nπ k sinh nπ ⎦
2
D 0
  
=0

Aus der 1. und 3. Zeile folgt:

A +C = 0 und − A +C = 0 ⇒ A=C =0

Aus der 2. Zeile erhält man (unter Berücksichtigung, dass A = C = 0):

 nπ = 0
D sinh ⇒ D=0
=0

Einsetzen von A = C = D = 0 in der 4. Zeile liefert die Bedingung B · 0 = 0, d.h. B ist beliebig
frei wählbar. Mit der Wahl B = 1 liefert (12.7) die gesuchte Funktion F(x) 5 :

nπx
F(x) = Fn (x) = sin n = 1,2,3, . . . (12.10)
L

Die Funktion Fn (x) wird als Eigenschwingungsform des Balkens bezeichnet. Der Balken besitzt
unendlich viele sinusförmige Eigenschwingungsformen, weil n = 1,1,2,3, . . .. In Bild 12.1 sind
die ersten drei Eigenschwingungsformen des Balkens dargestellt.
Bestimmung von G(t)
Die zu lösende gewöhnliche DGL G̈ + c2 k4 G = 0 in (12.5) wird zunächst durch Einführung
eines neuen Symbols ωn in leicht modifizierter Form geschrieben:
De f .
ωn = ck2 ⇒ ωn2 = c2 k4 G̈ + ωn2 G = 0 n = 1,2,3, . . . (12.11)

Die Auswertung des Terms ck2 mit den aktuellen Werten des beidseitig gelenkigen Balkens
liefert:
 
EI nπ 2
ωn = ck =
2
s. (12.2) und (12.9)
m L

Mit dem Lösungsansatz G(t) = eβt erhält man aus (12.11):

eβt = 0
(β 2 + ωn2 )  ⇒ β 2 = −ωn2 ⇒ β1 = iωn β2 = −iωn
=0

5 Mit der Wahl von B = 1 wird die Maximalamplitude der Eigenschwingungsform normiert. Prinzipiell kann B auch
jeder beliebiger Zahlenwert zugeordnet werden.
12.2 Biegeschwingungen eines Balkens 609

Durch analoges Vorgehen wie oben bei der Bestimmung von F(x) erhält man:

G1n (t) = eiωn t = cos ωnt + i sin ωnt G2n (t) = e−iωn t = cos ωnt − i sin ωnt

Die Linearkombination der einzelnen Lösungsteile (Sinus- und Kosinus-Terme) liefert:

Gn (t) = Hn cos ωnt + Kn sin ωnt n = 1,2,3, · · · (12.12)

Die noch unbekannten Konstanten Hn und Kn werden aus den Anfangsbedingungen des Balkens
zum Zeitpunkt t = 0 bestimmt, vgl. Beispiel 12.1.

Eigenperiode und Eigenfrequenz


Der volle Schwingungszyklus des Balkens wird vollendet, wenn in (12.12) ωnt = 2π erreicht
wird. In diesem Augenblick wird t = Tn , wobei Tn die Periode der Sinus- bzw. Kosinusschwin-
gung bedeutet. Die Eigenschwingungsperiode Tn des beidseitig gelenkig gelagerten Balkens in
der n-ten Eigenschwingungsform ergibt sich somit zu:
 2
EI nπ 2L2 m
ωn Tn = 2π ⇒ Tn = 2π Tn = n = 1,2,3, . . . (12.13)
m L n2 π EI

Die Eigenfrequenz fn und die Eigenkreisfrequenz ωn der n-ten Eigenform ergeben sich zu:

1 n2 π EI
fn = = 2 n = 1,2,3, . . . (12.14)
Tn 2L m


2π n2 π 2 EI
ωn = = 2π fn = 2 n = 1,2,3, . . . (12.15)
Tn L m

Allgemeine Lösung y(x, t)


Wie aus den Lösungen (12.10) und (12.15) ersichtlich, besitzt der Balken unendlich viele Eigen-
schwingungsformen und Eigenfrequenzen (wegen n = 1,2,3, . . .). Die allgemeine Schwingungs-
lösung y(x, t) des beidseitig gelenkig gelagerten Balkens ergibt sich daher nach dem Superpo-
sitionsprinzip durch lineare Kombination der Einzellösungen gemäß dem Produktansatz (12.3)
unter Verwendung von (12.10) und (12.12):
∞ ∞
nπx
y(x, t) = ∑ Fn (x)Gn (t) = ∑ sin L
(Hn cos ωnt + Kn sin ωnt) n = 1,2,3, . . . (12.16)
n=1 n=1

Berücksichtigung der Anfangsbedingungen


Die Balkenschwingung für t > 0 hängt von der Anfangsauslenkung y(x,0) und der Anfangsge-
schwindigkeit ẏ(x,0) des Balkens zum Zeitpunkt t = 0 ab. Wenn die Anfangsauslenkung durch
die Funktion f0 (x) und die Anfangsgeschwindigkeit durch die Funktion v0 (x) gegeben sind,
610 12 Partielle Differentialgleichungen

lauten die Anfangsbedingungen

y(x,0) = f0 (x) ẏ(x,0) = v0 (x) (12.17)

Für die Erfüllung der Anfangsbedingung v0 (x) wird noch ẏ(x, t) benötigt. Die Differentiation
von (12.16) nach t liefert:
∞ ∞
nπx
ẏ(x, t) = ∑ Fn (x)Ġn (t) = ∑ sin L
(−Hn ωn sin ωnt + Kn ωn cos ωnt) (12.18)
n=1 n=1

Nach Einsetzen von t = 0 in (12.16) und (12.18) und Berücksichtigung von (12.17) erhält man:

nπx
y(x,0) = ∑ Hn sin
L
= f0 (x) (12.19)
n=1


nπx
ẏ(x,0) = ∑ Kn ωn sin L
= v0 (x) (12.20)
n=1

Noch sind die Konstanten Hn , Kn nicht bekannt. Zu ihrer Bestimmung wird Gebrauch von
Fourier-Reihen gemacht. Der Vergleich der Gleichung (12.19) mit (10.6) zeigt, dass die An-
fangsauslenkung f0 (x,0) offensichtlich der Fourier-Reihe einer ungeraden Funktion entspricht
(wegen der Sinusfunktion). Auf gleiche Weise stellt man aus (12.20) fest, dass die Anfangsge-
schwindigkeit v0 (x,0) durch die Fourier-Reihe einer ebenfalls ungeraden Funktion beschrieben
wird. Mit Hilfe von (10.6), (12.19) und (12.20) erhält man folgende Bestimmungsgleichungen
für Hn , Kn :

L L
2 nπx 2 nπx
Hn = f0 (x) sin dx Kn = v0 (x) sin dx (12.21)
L L L ωn L
0 0

Nach Bestimmung der Konstanten Hn und Kn mit Hilfe der obigen Beziehungen kann die dyna-
mische Antwort des Balkens, d.h. die spezielle Lösung der partiellen DGL, aus (12.16) ermittelt
werden.

Beispiel 12.1:
Es soll die freie Schwingung eines beidseitig gelenkig gelagerten Balkens untersucht
werden, der wie in Bild 12.2 dargestellt, ausgelenkt und dann losgelassen wird. Das
rechte Ende des Balkens trifft zum Zeitpunkt t = 0 am rechten Auflager mit der Ge-
schwindigkeit ve auf (erneutes Abheben vom Auflager wird unterdrückt).
Die Anfangsbedingungen zum Zeitpunkt t = 0 (wenn der ausgelenkte Balken nach
dem Loslassen gerade das Auflager berührt) lauten (das Vorzeichen von v0 ist negativ,
weil die Anfangsgeschwindigkeit in negativer y-Richtung erfolgt):
x
f0 (x) = 0 v0 (x) = − ve
L
12.2 Biegeschwingungen eines Balkens 611

E,I,A x
L

Bild 12.2: Ausgelenkter Balken in Beispiel 12.1

Die Auswertung der Formeln in (12.21) mit diesen Funktionen liefert:

Hn = 0
L  L
2 x  nπx 2ve L2 nπx nπx nπx
Kn = − ve sin dx = − 2 sin − cos
L ωn L L L ωn n2 π 2 L L L 0
0
2ve L2 2ve (−1)n
=− (−nπ cos nπ
   ) =
L ωn n π
2 2 2 ωn nπ
(−1)n

Einsetzen der Konstanten Hn , Kn in (12.16) liefert die dynamische Biegelinie (dynami-


sche Antwort) des Balkens:

2ve (−1)n nπx
y(x, t) = ∑ ωn nπ sin L sin ωnt n = 1,2,3, . . . (12.22)
n=1

Zahlenbeispiel: Für die Balkenaufgabe in Bild 12.2 mit folgenden Kennwerten ist die
dynamische Antwort für die Anfangsgeschwindigkeit ve = 2,0 m/s zu untersuchen.

L = 10 m E = 2,1 · 1011 N/m2 I = 8 · 10−9 m4 A = 1 · 10−3 m2 ρ = 7850 kg/m3

Die Eigenfrequenzen und die dynamische Biegelinie ergeben sich aus (12.15) und
(12.22):

m = ρ A = 7,85

n2 π 2 EI n2 π 2 2,1 · 1011 · 8 · 10−9
ωn = 2 = = 1,4438 n2
L m 102 7,85
f1 = ω1 /2π = 0,23 Hz
f2 = ω2 /2π = 0,92 Hz
f3 = ω3 /2π = 2,07 Hz
T1 = 1/ f1 = 4,35 s T2 = 1/ f2 = 1,09 s T3 = 1/ f3 = 0,48 s
612 12 Partielle Differentialgleichungen

1 1
bei x=L/2
t=3.0

y(t)
y(x)

0.5 0.5
t=2.5

0 0 2 4 6
2 4 6 8 10
t=2.0 x [m] t [s]

–0.5 t=0.5 –0.5


t=1.5
t=1.0
–1 –1

a: Biegelinie zu verschiedenen Zeitpunkten b: Zeitverlauf der dynamischen Durchbiegung

Bild 12.3: Freie Schwingungen des Balkens in Bild 12.2


2 · 2,0 (−1)n nπx
y(x, t) = ∑ 1,4438 · π n3
sin
10
sin(1,4438n2t)
n=1

In Bild 12.3 sind die Biegelinie des Balkens zu verschiedenen Zeitpunkten sowie der
Zeitverlauf der Durchbiegung an verschiedenen Balkenpunkten dargestellt (Auswer-
tung mit Hilfe von MAPLE, n = 1 · · · 100).

12.3 Axialschwingungen eines Stabs


Die freie axiale Schwingung eines Stabs erfolgt parallel zu seiner Längsachse, s. Bild 12.4 a, und
wird durch folgende PDGL beschrieben:

∂ 2u 2∂ u
2 EA
− c =0 c2 = Wellengleichung (12.23)
∂t 2 ∂ x2 m

Diese DGL ist die sog. eindimensionale Wellengleichung. Die Variable u ist die axiale Ver-
schiebung des Stabquerschnitts an der Position x ; A ist die Querschnittsfläche des Stabs; E und
m haben die selbe Bedeutung wie in (12.2) auf Seite 604. Auch hier wird homogener Stab mit
konstantem Querschnitt angenommen.

n=1
F(x)

0
E,A,m x
L n=3
n=2

a: Einseitig eingespannter Stab b: Die ersten 3 Eigenformen (axial)

Bild 12.4: Axiale Schwingungen eines Stabs


12.3 Axialschwingungen eines Stabs 613

Für die Lösung von (12.23) wird wieder ein Produktansatz ähnlich wie in (12.3) gemacht:

∂ 2u ∂ 2u
u(x, t) = F(x) G(t) = ü = F(x) G̈(t) = u = F  (x) G(t) (12.24)
∂t 2 ∂ x2
Das Einsetzen der obigen Beziehungen in (12.23) führt, unter Verwendung der Proportionaliäts-
konstante −k2 , auf zwei gewöhnliche Differentialgleichungen6 :

F  G̈
F G̈ − c2 F  G = 0 = 2 = −k2 (12.25)
F c G

F  + k2 F = 0 G̈ + c2 k2 G = 0 (12.26)

Bestimmung von F(x)


Mit dem Lösungsansatz F(x) = eλ x erhält man aus (12.26) links:

eλ x = 0
(λ 2 +k2 )  ⇒ λ 2 = −k2 ⇒ λ1 = ik λ2 = −ik mit i= −1 i2 = −1
=0

Durch Einsetzen von λ1 und λ2 im Lösungsansatz F(x) = eλ x erhält man zwei Einzellösungen,
F1 (x) und F2 (x). Die Gesamtlösung für F(x) ergibt sich dann durch Linearkombination der Teil-
lösungen:

F1 (x) = eikx F2 (x) = e−ikx F(x) = c1 F1 + c2 F2 = c1 eikx + c2 e−ikx

Der letzte Ausdruck wird mit Hilfe der Beziehungen in (12.6) von der Exponentialform in die
trigonometrische Funktionsform transformiert und liefert folgendes Ergebnis:

F(x) = A cos kx + B sin kx (12.27)

Die beiden Konstanten A und B sowie der unbekannte Proportionalitätsfaktor k in (12.27)


werden aus vorgegebenen Randbedingungen (Auflagerbedingungen des Stabs) bestimmt. Nach-
folgend wird der Fall des einseitig eingespannten Stabs behandelt.
Berücksichtigung der Randbedingungen (einseitig eingespannter Stab)
Es wird gemäß Bild 12.4 a ein Stab betrachtet, der an seinem linken Ende fest eingespannt, am
rechten Ende frei ist. Die Randbedingungen für t ≥ 0 lauten:
u(0, t) = 0 Axialverschiebung am linken Ende
N(L, t) = EAu (L, t) = 0 Axialkraft am rechten Ende (N = EAε = EAu )
Mit ähnlichen Betrachtungen wie auf Seite 606 liefert die Erfüllung der obigen Randbedingungen
unter Verwendung von (12.27) folgende Ergebnisse:

u(0, t) = 0 : F(0)G(t) = 0 ⇒ F(0) = A cos 0 + B sin 0 = 0 ⇒ A=0


6 In (12.25) hätte als Proportionalitätskonstante prinzipiell auch +k2 verwendet werden können; allerdings würde es
dann auf eine triviale Lösung F(x) ≡ 0 führen, welche physikalisch uninteressant wäre.
614 12 Partielle Differentialgleichungen

Die Erfüllung der Axialkraftbedingung N(L, t) = 0 am rechten Stabende führt auf folgendes:

Aus(12.24) und (12.27) folgt : u (x, t) = F  (x)G(t) = (−Ak sin kx +Bk cos kx) G(t)
  
=0

EAu (L, t) = EAkG(t) B cos kL = 0 ⇒ B cos kL = 0


  
=0

Die letzte Gleichung in der zweiten Zeile kann sowohl durch B = 0 als auch durch cos kL = 0
erfüllt werden. Der Fall B = 0 ist allerdings physikalisch nicht relevant, weil daraus das triviale
Ergebnis F(x) = 0 folgen würde, d.h. der Stab würde gar keine Schwingungen ausführen, was
aber der Aufgabenstellung widerspräche. Der andere Fall, nämlich cos kL = 0 , wird für kL =
(2n − 1)π/2 stets erfüllt. Daraus folgt die unbekannte Proportionalitätskonstante k:

(2n − 1)π (2n − 1)π


kL = ⇒ k= n = 1,2,3, . . . (12.28)
2 2L

Zur Normierung der Eigenschwingungsamplitude wird B = 1 gewählt und die Eigenschwin-


gungsform des Stabs in Axialrichtung ergibt sich zu:

(2n − 1)π x
F(x) = Fn (x) = sin n = 1,2,3, . . . (12.29)
2L

In Bild 12.4 b die ersten drei Eigenschwingungsformen dargestellt.

Bestimmung von G(t)


Die zu lösende gewöhnliche DGL G̈ + c2 k2 G = 0 in (12.26) wird zunächst durch Auswertung
des Terms c2 k2 mit den aktuellen Resultaten des einsetig eingespannten Stabs neu aufgestellt.
Gleichzeitig wird eine neue Variable ωn definiert:

EA (2n − 1)π
ck = ≡ ωn s. Gl. (12.23) und (12.28)
m 2L
Aus (12.26) wird dann:

G̈ + ωn2 G = 0 n = 1,2,3, . . . (12.30)

Das Einsetzen des Lösungsansatzes G(t) = eβt in die obige DGL liefert die Lösung (vgl. auch
Seite 608):

Gn (t) = Hn cos ωnt + Kn sin ωnt (12.31)

Die Konstanten Hn und Kn werden aus den Anfangsbedingungen bestimmt.

Eigenperiode und Eigenfrequenz


Ein ganzer Schwingungszyklus wird vollzogen, wenn (12.31) ωnt = 2π ist (weil 2π die Periode
einer vollen Sinus-/Kosinuswelle ist). Die Eigenschwingungsperiode Tn des Stabs ergibt sich wie
12.3 Axialschwingungen eines Stabs 615

folgt:

EA (2n − 1)π 4L m
ωn Tn = 2π ⇒ Tn = 2π Tn = n = 1,2,3, . . . (12.32)
m 2L 2n − 1 EA

Die Eigenfrequenz fn und die Eigenkreisfrequenz ωn der n-ten Eigenform lauten:



1 2n − 1 EA
fn = = n = 1,2,3, . . . (12.33)
Tn 4L m


2π (2n − 1)π EA
ωn = = 2π fn = n = 1,2,3, . . . (12.34)
Tn 2L m

Allgemeine Lösung u(x, t)


Die allgemeine axiale Schwingungsfunktion u(x, t) des einseitig eingespannten Stabs ergibt sich
durch Superposition aller Teillösungen gemäß (12.29) und (12.31):

(2n − 1)π x
u(x, t) = ∑ sin 2L
(Hn cos ωnt + Kn sin ωnt) n = 1,2,3, . . . (12.35)
n=1

Berücksichtigung der Anfangsbedingungen


Die Stabschwingung für t > 0 hängt von der Anfangsauslenkung u(x,0) und der Anfangsge-
schwindigkeit u̇(x,0) zum Zeitpunkt t = 0 ab. Wenn die Anfangsauslenkung durch eine vor-
gegebene Funktion f0 (x) und die Anfangsgeschwindigkeit durch eine ebenfalls vorgegebene
Funktion v0 (x) beschrieben sind, lauten die Anfangsbedingungen:

u(x,0) = f0 (x) u̇(x,0) = v0 (x) (12.36)

Zur Erfüllung dieser Anfangsbedingungen wird wie auf Seite 609 vorgegangen. Man erhält auf
diese Weise die folgenden Bestimmungsgleichungen für die Konstanten Hn und Kn :

L L
2 (2n − 1)π x 2 (2n − 1)π x
Hn = f0 (x) sin dx Kn = v0 (x) sin dx (12.37)
L 2L L ωn 2L
0 0

Nach Bestimmung der Konstanten Hn und Kn mit Hilfe der obigen Beziehungen kann die axiale
Schwingung des Stabs aus (12.35) ermittelt werden.

Beispiel 12.2:
Es soll die freie axiale Schwingung eines an seinem linken Ende eingespannten Stabs
(s. Bild 12.4) untersucht werden, der an seinem rechten Ende axial um den Betrag ue
ausgelenkt und dann plötzlich losgelassen wird.
616 12 Partielle Differentialgleichungen

Die Anfangsbedingungen zum Zeitpunkt t = 0 sind:


x
f0 (x) = ue v0 (x) = 0
L
Die Auswertung von (12.37) mit den obigen Funktionen liefert:

2 x (2n − 1)πx
Hn = ue sin dx
L L 2L
 
2ue 4L2 (2n − 1)πx (2n − 1)πx (2n − 1)πx L
= 2 sin − cos
L (2n − 1)2 π 2 2L 2L 2L 0
 
8ue (2n − 1)π (2n − 1)π 8ue (−1)n
= sin − 0−0+0 = − 2
(2n − 1)2 π 2  2  2 π (2n − 1)2
−(−1)n

Kn = 0

Das Einsetzen der Konstanten Hn , Kn in (12.35) liefert die Schwingungsgleichung des


Stabs:

8ue (−1)n (2n − 1)πx
u(x, t) = ∑ − π 2 (2n − 1)2 sin
2L
cos ωnt n = 1,2,3, . . . (12.38)
n=1

Zahlenbeispiel:
Für den Stab mit folgenden Kennwerten ist die axiale Schwingung für ue = 0,01 m
zu untersuchen.

L = 10 m E = 2,1 · 1011 N/m2 ρ = 7850 kg/m3

I = 8 · 10−9 m4 A = 1 · 10−3 m2
Die Eigenfrequenzen und die dynamische Axialverschiebung ergeben sich aus (12.34)
und (12.38):

(2n − 1)π EA
m = ρ A = 7,85 ωn = 2π fn = = 258,61 (2n − 1)π
2L m
f1 = ω1 /2π = 129,3 Hz f2 = ω2 /2π = 387,9 Hz
f3 = ω3 /2π = 646,5 Hz

−0,08 (−1)n (2n − 1)πx
u(x, t) = ∑ sin cos(258,61 (2n − 1)πt)
n=1 π (2n − 1)
2 2 2L

In Bildern 12.5 a und 12.5 b sind der Zeitverlauf der Axialverschiebung am Sta-
bende und an der Stabmitte dargestellt. Bild 12.5 c zeigt die Verteilung der Axialver-
schiebung über den Stab. Man sieht, dass die Axialverschiebung für t > 0 aus zwei
Mustern besteht: aus einem linear veränderlichen Teil und einem konstant verlaufen-
12.3 Axialschwingungen eines Stabs 617

0.01 0.01
x=L x=L/2

u (L/2, t)
u (L, t)

0 0.005 0.01 0.015 0.02 0 0.005 0.01 0.015 0.02


t t

–0.01 –0.01

a: Axialverschiebung u(L, t) bei x = L b: Axialverschiebung u(L/2, t) bei x = L/2


0.01 0.0 200000
0.000483 s
u (x, t)

N (x, t)
0.000966 s
0.00145 s
0.00193 s
0 2 4 6 8 10 0 2 4 6 8 10
0.00242 s x [m]
x [m]
0.00290 s
0.00338 s

–0.01 –200000

c: Axialverschiebung zu verschiedenen d: Axialkraft N zu verschiedenen Zeitpunk-


Zeitpunkten ten

Bild 12.5: Dynamische Antwortgrößen für den Stab in Bild 12.4

den Teil. Nach den Grundregeln der Festigkeitslehre ergibt sich die Axialkraft im Stab
aus der Beziehung N = EAε = EA(du/dx). Im linear veränderlichen Teil der Axial-
verschiebung, d.h. im linken Teil in Bild 12.5 c, besitzt die Ableitung du/dx einen
konstanten Wert; das bedeutet, dass dort die Axialkraft konstant verläuft.
Mit den Vorgaben der Aufgabenstellung erhält man die Axialkraft N im linken Teil
des Stabs wie folgt:

du d u e x ue du EAue 2,1 · 1011 · 0,001 · 0,01


= = ⇒ N = EA = = = 210000 N
dx dx L L dx L 10
Im rechten Teil des Stabs, wo der Verlauf Axialverschiebung einen konstanten Wert k
besitzt, ergibt sich die Axialkraft zu:

du dk du
= =0 ⇒ N = EA = 2,1 · 1011 · 0,001 · 0 = 0 N
dx dx dx
In Bild 12.5 d ist der Verlauf der Axialkraft über den Stab zu verschiedenen Zeitpunk-
ten dargestellt. Wie man gut erkennen kann, bewegt sich die Axialkraftfront wie eine
steile Wellenfront entlang des Stabs; und zwar zunächst ausgehend vom rechten Sta-
bende nach links, dann anschließend vom eingespannten linken Ende nach rechts –
dann von dort aus wieder nach links usw. Dieses Ausbreitungsmuster der Axialkraft
ist identisch mit der Ausbreitung einer Welle, daher der Name Wellengleichung für die
PDGL (12.23).
618 12 Partielle Differentialgleichungen

12.4 Schwingungen eines vorgespannten Seils oder einer Saite


Die freie transversale Schwingung eines vorgespannten Seils –bzw. auch einer Gitarrensaite–
gemäß Bild 12.6 nach einer anfänglichen statischen oder dynamischen Gleichgewichtsstörung
(z.B. Windstoß auf das Seil oder Anzupfen der Saite) wird durch folgende PDGL beschrieben:

∂ 2y ∂ 2y S
− c2 2 = 0 c2 = Wellengleichung (12.39)
∂t 2 ∂x m

Der Aufbau dieser partiellen DGL ist identisch mit dem von (12.23), deshalb handelt es sich auch
hier um eine eindimensionale Wellengleichung. Die Variable y ist die zur Seilachse transversale
Verschiebung des Seils an der Position x ; S ist die Vorspannkraft des Seils, m ist die Seilmasse
pro Längeneinheit (S und m werden als über die Seillänge konstant verlaufend vorausgesetzt).
Der Produktansatz für die Lösung von (12.39) und die nachfolgenden Arbeitsschritte erfolgen
exakt nach dem gleichen Schema wie in Abschnitt 12.3 (für die Wahl von −k2 als Proportionali-
tätskonstante in (12.25) gilt die gleiche Begründung wie auf Seite 613):

∂ 2y ∂ 2y
y(x, t) = F(x) G(t) = ÿ = F(x) G̈(t) = y = F  (x) G(t) (12.40)
∂t 2 ∂ x2
F  G̈
F G̈ − c2 F  G = 0 = 2 = −k2 (12.41)
F c G
F  + k2 F = 0 G̈ + c2 k2 G = 0 (12.42)

Bestimmung von F(x)


Mit dem Lösungsansatz F(x) = eλ x erhält man aus (12.42) links:

(λ 2 + k2 ) eλ x = 0 ⇒ λ 2 = −k2 ⇒ λ1 = ik λ2 = −ik

Die Lösungsfunktion F(x) erhält man aus den Einzellösungen F1 (x) und F2 (x) (vgl. Seite 613):

F1 (x) = eikx F2 (x) = e−ikx F(x) = c1 F1 + c2 F2 = c1 eikx + c2 e−ikx

⇒ F(x) = A cos kx + B sin kx (12.43)

n=1
y
F(x)

0
E,A,m x
S L n=3 n=2

a: Ausgelenktes Seil b: Die ersten 3 Eigenformen

Bild 12.6: Schwingungen eines vorgespannten Seils


12.4 Schwingungen eines vorgespannten Seils oder einer Saite 619

Berücksichtigung der Randbedingungen


Für das an beiden Enden festgehaltene Seil (Saite) gelten folgende Randbedingungen:

y(0, t) = 0 y(L, t) = 0 (für t ≥ 0)

Die Erfüllung der obigen Randbedingungen in (12.43) führt auf folgende Resultate:

y(0, t) = 0 ⇒  0 +B sin


F(0, t) = A cos 0 = 0 ⇒ A=0
=1 =0

y(L, t) = 0 ⇒ F(L, t) = A  kL +B sin kL = 0


 cos ⇒ B sin kL = 0
=0

Die letzte Gleichung in der zweiten Zeile kann sowohl durch B = 0 als auch durch sin kL = 0
erfüllt werden. Der Fall B = 0 ist allerdings physikalisch nicht relevant, weil dann das Seil wegen
F(x) ≡ 0 überhaupt nicht schwingen könnte (vgl. auch Seite 614).
Aus sin kL = 0 folgt:


sin kL = 0 ⇒ kL = nπ k= n = 1,2,3, . . . (12.44)
L

Die mit B = 1 normierte Eigenschwingungsform des Seils ergibt sich aus (12.43):

nπ x
F(x) = Fn (x) = sin n = 1,2,3, . . . (12.45)
L

In Bild 12.6 b sind die ersten drei Eigenschwingungsformen des Seils dargestellt.
Bestimmung von G(t):
Die zu lösende gewöhnliche DGL G̈ + c2 k2 G = 0 in (12.39) wird durch Einführung eines neuen
Symbols ωn neu aufgestellt.

S nπ
ck = ≡ ωn s. (12.39) und (12.44) (a)
m L
Die daraus resultierende DGL und deren Lösung sind (vgl. (12.31) auf Seite 614):

G̈ + ωn2 G = 0 n = 1,2,3, . . .

Gn (t) = Hn cos ωnt + Kn sin ωnt (12.46)


Die Konstanten Hn und Kn werden aus den Anfangsbedingungen (Seilauslenkung und Seilge-
schwinfigkeit zum Zeitpunkt t = 0) bestimmt.
620 12 Partielle Differentialgleichungen

Eigenperiode und Eigenfrequenz


Für einen kompletten Schwingungszyklus gilt ωnt = 2π . Die Periode Tn und die Eigenfrequen-
zen fn sowie ωn ergeben sich unter Berücksichtigung der Definition (a) zu:

S nπ 2L m
ωn Tn = 2π Tn = 2π ⇒ Tn =
m L n S

Die Eigenfrequenz fn und die Eigenkreisfrequenz ωn in der n-ten Eigenform lauten:



1 n S 2π nπ S
fn = = ωn = = 2π fn = n = 1,2,3, . . . (12.47)
Tn 2L m Tn L m

Allgemeine Lösung y(x, t)


Die allgemeine Schwingungslösung y(x, t) des Seils ergibt sich, wie auf Seite 615 für axiale
Stabschwingungen beschrieben, zu:

nπ x
y(x, t) = ∑ sin L
(Hn cos ωnt + Kn sin ωnt) n = 1,2,3, . . . (12.48)
n=1

Berücksichtigung der Anfangsbedingungen


Die Seilschwingung für t > 0 hängt von der Anfangsauslenkung y(x,0) und der Anfangsge-
schwindigkeit ẏ(x,0) zum Zeitpunkt t = 0 ab. Wenn die Anfangsauslenkung durch die Funkti-
on f0 (x) und die Anfangsgeschwindigkeit durch die Funktion v0 (x) gegeben sind, lauten die
Anfangsbedingungen

y(x,0) = f0 (x) ẏ(x,0) = v0 (x) (12.49)

Die Erfüllung der Anfangsbedingungen erfolgt wie auf Seite 615 erläutert und man erhält die
folgenden Bestimmungsgleichungen für die Konstanten Hn und Kn :

L
2 nπx
Hn = f0 (x) sin dx
L L
0
(12.50)
L
2 nπx
Kn = v0 (x) sin dx
L ωn L
0
12.4 Schwingungen eines vorgespannten Seils oder einer Saite 621

Beispiel 12.3:
Die Schwingungen des an beiden Enden festgehaltenen Seils in Bild 12.6 sind zu
untersuchen. Das Seil wird vorher mit der Kraft S vorgespannt. Als Anfangsbedingung
ist eine sinusförmige Auslenkung vorgegeben. Die Maple-Lösung ist auf Seite 747.
Anfangsbedingungen zum Zeitpunkt t = 0 :

πx y
f0 (x) = a sin
L a
x
v0 (x) = 0
Die Konstante Hn erhält man aus (12.50) für n = 1 mit Hilfe des Integrals 72 auf
Seite 781 und für n = 1 mit der Integralformel 82 auf Seite 781:

n=1:
L  
2a πx πx 2a x L 2πx L
H1 = sin sin dx = − sin =a
L L L L 2 4π L 0
0

n>1:
⎡ ⎤
π(n − 1)x π(n + 1)x L
L sin sin
2a πx nπx aL ⎢ L L ⎥
Hn = sin sin dx = ⎣ − ⎦ =0
L L L 2π n−1 n+1
0
0
Kn = 0 für n = 1,2,3, · · ·
Das Einsetzen der Konstanten Hn , Kn in (12.48) liefert die Schwingungsgleichung des
Seils:
πx
u(x, t) = a sin cos ω1t (12.51)
L
Zahlenbeispiel: Für folgende Kennwerte wird (12.51) zahlenmäßig ausgewertet.

L = 10 m a = 0,01 m S = 10000 N

A = 1 · 10−3 m2 ρ = 7850 kg/m3 m = ρ A = 7,85



nπ S
ωn = = 3,569 nπ ω1 = 3,569π ω2 = 7,138π ω3 = 10,707π
L m
f1 = ω1 /2π = 1,78 Hz f2 = ω2 /2π = 3,57 Hz f3 = ω3 /2π = 5,35 Hz
πx
u(x, t) = 0,01 sin cos(3,569 π t)
10
In Bild 12.7 sind die Seilschwingungen dargestellt.
622 12 Partielle Differentialgleichungen

0.01 t=0.00 0.01

t=0.05
x=L/2

y(L/2, t)
y(x, t)

t=0.10

0 2 4 6 8 10 0 0.5 1 1.5 2
t t=0.15 t

t=0.20

t=0.30
–0.01 t=0.25 –0.01

a: Seilverschiebung zu verschiedenen b: Zeitverlauf von y(L/2, t)


Zeitpunkten

Bild 12.7: Schwingungen des Seils in Bild 12.6

12.5 Plattenbiegung
Das Problem der Plattenbiegung unter äußerer Belastung gehört zu wichtigen Aufgabenstellun-
gen der Statik. Beispielsweise müssen Decks und Wände von Schiffen, Karosserieteile von Kraft-
fahrzeugen, Geschossdecken von Wohn- und Bürohäusern sowie Fahrbahnplatten von Brücken
unter Eigenlast und Nutzlasten auf Plattenbiegung untersucht und bemessen werden. Bei Glas-
fassaden von modernen Bürohochhäusern werden die großflächigen Fensterscheiben durch Wind-
und Erdbebenlasten ebenfalls auf Plattenbiegung beansprucht.
Die Belastung wirkt stets normal zur Plattenmittelfläche (Platten, die durch parallel zur Plat-
tenfläche wirkende Lastkomponenten beansprucht sind, werden in der Mechanik als Scheiben
bezeichnet).
Die Durchbiegung der Plattenmittelfläche, w = w(x, y), ist eine Funktion der Ortskoordinaten
x und y. Mathematisch wird die Plattenbiegung unter einer beliebig verteilten Flächenlast q(x, y)
durch folgende partielle Differentialgleichung (DGL) beschrieben:

∂ 4w ∂ 4w ∂ 4w 1 Eh3
+ 2 2 2 + 4 = q(x, y) D= (12.52)
∂x 4 ∂x ∂y ∂y D 12(1 − μ 2 )

D wird als Plattenbiegesteifigkeit bezeichnet.

Beispiel 12.4:
Rechteckplatte mit gelenkiger Lagerung der Plattenränder. Eine Rechteckplatte wird
durch eine Flächenlast q(x, y) belastet, die sinusförmig in beiden Koordinatenrichtun-
gen verteilt sei.
Die partielle DGL der Plattenbiegung unter dieser speziellen Last lautet:

∂ 4w ∂ 4w ∂ 4w πx πy
+ 2 + = q0 sin sin (12.53)
∂x 4 ∂x ∂y
2 2 ∂y 4 a b
Die Randbedingungen für die gelenkige Lagerung aller Ränder lauten:
• Die Durchbiegung w der Platte entlang aller Ränder ist gleich Null.
12.5 Plattenbiegung 623

• Die Biegemomente Mx und My in der Platte entlang aller Ränder sind aufgrund
der gelenkigen Lagerung gleich Null

Unter Berücksichtigung der Moment-Durchbiegung-Beziehungen (die Gegenstand der


Festigkeitslehre sind und auf die hier nicht näher eingegangen wird) lassen sich die
obigen Randbedingunen mathematisch wie folgt ausdrücken:

Entlang der Ränder parralel zur y-Achse:


w=0 ∂ 2 w/∂ x2 = 0 für x = 0 und x = a (a1)
Entlang der Ränder parralel zur x-Achse:
w=0 ∂ 2 w/∂ y2 = 0 für y = 0 und y = b (a2)

Für die PDGL (12.53) eignet sich folgende Funktion w = f (x, y) als Lösungsansatz,
weil sie sowohl die PDGL als auch die Randbedingungen in (a) erfüllt:
πx πy
w = c sin sin (b)
a b

Randbedingungen für die Durchbiegung w:


   
   
w = w = 0  w = w = 0 
x=0 x=a y=0 y=b

Randbedingungen für die zweiten Ableitungen von w:

∂ 2w π2 πx πy ∂ 2w π2 πx πy
= −c sin sin = −c sin sin
∂ x2 a2 a b ∂ y2 b2 a b

∂ 2 w  ∂ 2 w  ∂ 2 w  ∂ 2 w 
 =  =0  =  =0
∂ x x=0 ∂ x2 x=a
2 ∂ y y=0 ∂ y2 y=b
2

Einsetzen Lösungsansatzes (b) in (12.53) liefert die unbekannte Konstante c :

∂ 4w π4 πx πy ∂ 4w π4 πx πy
= c 4 sin sin = c 4 sin sin
∂x 4 a a b ∂y 4 b a b

∂ 4w π4 πx πy
= c sin sin
∂x ∂y
2 2 2
a b 2 a b
 4 
π π 4 π 4 πx πy q0 πx πy
⇒ c + 2 2 2 + 4 sin sin = sin sin
a4 a b b a b D a b
 4 
π π4 π4 q0 q0
⇒ c + 2 + = ⇒ c=  
a4 a2 b2 b4 D 1 1 2
π D 2+ 2
4
a b
624 12 Partielle Differentialgleichungen

Die Durchbiegung der Platte ergibt sich schließlich durch Einsetzen von c in (b):
q0 πx πy
w=  2 sin sin
1 1 a b
π 4D 2 + 2
a b

Die Verformungen der Rechteckplatte sind im folgenden Bild (stark vergrößert)


dargestellt:

12.6 Aufgaben

1. Zeigen Sie, dass die Verwendung von k2 als Proportionalitätskonstante in (12.25) tatsäch-
lich zu einer Triviallösung F(x) ≡ 0 für den axial schwingenden Stab führt.

2. Ein vorgespanntes Seil hat zum Zeitpunkt t = 0 die unten näher spezifizierten Anfangs-
bedingungen f0 (x) (Auslenkung) und v0 (x) (Geschwindigkeit). L ist die Länge, N die
Vorspannkraft und m die Massenverteilung des Seils. Bestimmen Sie die Funktion der Seil-
schwingung (es ist ausreichend, wenn Sie höchstens 3 Harmonische betrachten).

a) f0 (x) = 0.01 sin 2x v(0) = 0 L=π m N=1 N m = 1 kg/m

Hilfsformeln:
  
1 sin(a − b)x sin(a + b)x
sin ax sin bx dx = −
2 a−b a+b

sin(2 − n)π π
≡ für n = 2
2(2 − n) 2
Lsg:

H1 = 0 H2 = 0.01 H3 = 0 H4 = 0 Ki = 0 i = 1,2,3

Schwingungsgleichung: y(x, t) = 0,01 sin 2x cos 2t


12.6 Aufgaben 625

y
0.5

0 1 2 3
x

–0.5

–1
Schwingungsfigur für Zeitpunkte t = 0; π/12; π/6; π/4; π/3; 5π/12; π/2 s


⎪ x L
⎨0,02 für 0<x≤
b) f0 (x) = L 2 v0 (x) = 0
⎩0,02 L − x

für
L
<x<L
L 2
L=π m N=1N m = 1 kg/m

Lsg:

H1 = 0,0081 H2 = 0 H3 = −0,0009 H4 = 0 Ki = 0 i = 1,2,3, · · ·

y(x, t) = 0,0081 sin x cos t − 0,0009 sin 3x cos 3t


0.01

0.005
y

0 1 2 3
x

–0.005

–0.01
Schwingungsfigur zu Zeitpunkten t = 0; π/6; π/3; π/2; 2π/3; 5π/6; π s

c) f0 (x) = 0.01 (sin x + sin 3x) v(0) = 0

L=π m N=1 N m = 1 kg/m

Lsg:

H1 = 0,01 H2 = 0 H3 = 0,01 H4 = 0 Ki = 0 i = 1,2,3, · · ·

y(x, t) = 0,01 sin x cos t + 0,01 sin 3x cos 3t


626 12 Partielle Differentialgleichungen

0.015

0.01

y
0.005

0 1 2 3
x
–0.005

Schwingungsfigur für Zeitpunkte t = 0; π/12; π/6; π/4; π/3; 5π/12; π/2 s


d) f0 (x) = 0 v0 (x) = 0,6 sin 2x

L=πm N = 10 N m = 0,1 kg/m

Hilfsformeln:
  
1 sin(a − b)x sin(a + b)x
sin ax sin bx dx = −
2 a−b a+b

sin(2 − n)π
lim ≡π
n→2 (2 − n)
Lsg:

0.02
y

0 1 2 3
x

–0.02

Saitenauslenkung zu Zeitpunkten t = 0,0; 0,02; 0,04; 0,06; 0,08 s.


13 Eigenwertaufgaben

13.1 Einführung

In der Ingenieurpraxis kommen Eigenwertaufgaben sehr häufig vor; z.B. die kleinste Knicklast ei-
ner Stütze in einem Hochhaus oder eines Druckstabes in einem Baukran, der kritische Beuldruck
eines U-Boots oder einer Rakete, die Eigenfrequenzen eines Flugzeuges oder einer Hängebrücke
sind nur einige wenige Beispiele für eine immens breite Palette von Aufgabenstellungen, deren
Behandlung stets auf ein Eigenwertproblem führt.
Folgende Matrixgleichung wird als Eigenwertgleichung und das durch diese Gleichung be-
schriebene mathematische Problem als spezielle Eigenwertaufgabe bezeichnet.

Ax = λ x Eigenwertgleichung (13.1)

Der Skalar λ ist der Eigenwert und der Vektor x ist der Eigenvektor der Matrix A . Die qua-
dratische Matrix A ist vorgegeben, λ und x sind dagegen unbekannt. Die Eigenwertaufgabe
gilt als gelöst, wenn es gelingt, ein (λ , x )-Paar zu finden, das die Gleichung (13.1) erfüllt. Auf
welchem Wege λ und x gefunden werden (durch Ausprobieren oder durch ein mathematisches
Verfahren), spielt im Prinzip keine Rolle. Bereits schon für einfache Eigenwertprobleme wird es
aber ziemlich mühsam sein, durch Ausprobieren zum Ziel zu kommen.

Beispiel 13.1:
Es kann leicht überprüft werden, dass die unten angebenen Werte für λ und x tat-
sächlich dem Eigenwert und Eigenvektor der Matrix A entsprechen.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 1 k
A=⎣ 0 3 −1 ⎦ λ =1 x=⎣ 0 ⎦
0 0 4 0

λ und x sind nur dann ein Eigenwert bzw. Eigenvektor von A , wenn sie die Eigenwert-
gleichung Ax = λxx identisch erfüllen. Das Einsetzen von λ und x in diese Gleichung
liefert:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 1 k k k k
Ax = ⎣ 0 3 −1 ⎦ ⎣ 0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ λ x = 1· ⎣ 0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0 0 4 0 0 0 0

Offensichtlich ist das gebebene λ -xx-Paar eine Lösung des Eigenwertproblems, weil
die Eigenwertgleichung identisch erfüllt wird.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_13,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
628 13 Eigenwertaufgaben

Beispiel 13.2:
Berechnung des Eigenwertes. Gegeben ist eine Matrix A und ihr Eigenvektor x . Be-
rechnen Sie den zugehörigen Eigenwert λ .
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −2 −2 −0,7071
A = ⎣ −2 4 −2 ⎦ x = ⎣ −0,7071 ⎦
−2 −2 2 1

Der Eigenwert kann aus der grundlegenden Definition Ax = λxx bestimmt werden.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −2 −2 −0,7071 −3,4142
Ax = ⎣ −2 4 −2 ⎦ ⎣ −0,7071 ⎦ = ⎣ −3,4142 ⎦
−2 −2 2 1,0 4,8284
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−3,4142 −0,7071
Ax = λxx d.h.: ⎣ −3,4142 ⎦ = λ ⎣ −0,7071 ⎦ ⇒ λ = 4,828
4,8284 1,0

13.2 Spezielle und allgemeine Eigenwertaufgabe

Die Eigenwertgleichung (13.1) lässt sich auch in folgender Form schreiben.

Ax −λ x =0

Aufgrund der Beziehung I x = x erhält man daraus die spezielle Eigenwertaufgabe:

A x − λ Ix = 0 ⇒ (A
A − λ I)x = 0 spezielle Eigenwertaufgabe (13.2)

In der Ingenieurpraxis führen die Lösungsverfahren in aller Regel auf einen etwas anders auf-
gebauten Ausdruck als derjenige in (13.2). Diese als allgemeine Eigenwertaufgabe bezeichnete
Beziehung lautet:

(A
A − λ B) x = 0 allgemeine Eigenwertaufgabe (13.3)

Transformation der allgemeinen Eigenwertaufgabe in eine spezielle Eigenwertaufgabe


Die allgemeine Eigenwertaufgabe (13.3) kann in eine spezielle Eigenwertaufgabe überführt wer-
den. Hierfür existieren zwei Möglichkeiten.

1. Falls die Matrix B invertierbar ist, wird die Gleichung (13.3) auf beiden Seiten mit B −1
linksmultipliziert:
−1 −1 −1
 A −λ B
(B
B  B) x = B 0 ⇒ (C
C − λ I)x = 0 mit C = B −1A (13.4)
C I
13.2 Spezielle und allgemeine Eigenwertaufgabe 629

2. Falls die Matrix A invertierbar ist, wird die Gleichung (13.3) auf beiden Seiten mit A −1
linksmultipliziert:
 
−1 −1 −1 1
   −λ   ) =
(A
A A A B x A 0 ⇒ (I − λ ) =
I D x 0 ⇒ D − I x=0
λ
I D

Durch Einführung eines neuen Symbols λ = 1/λ erhält man die spezielle Eigenwertaufga-
be in der üblichen Schreibweise:

1
(D
D − λ I)x = 0 mit λ= und D = A −1B (13.5)
λ

Es ist nicht immer gleichgültig, welchen der obigen beiden Transformationswege wir einschla-
gen. Folgende Fälle sind denkbar:

1. Die Lösungsmethode für die Eigenwertaufgabe liefert alle Eigenwerte. In diesem Fall kön-
nen wir zwischen den Transformationsvarianten (13.4) und (13.5) –falls keine besonderen
Gründe für eine bestimmte Wahl vorliegen– frei wählen. Ein besonderer Grund, der unsere
Wahl unmittelbar beeinflussen würde, läge z.B. vor, wenn die Inverse B −1 bzw. A −1 nicht
existieren würde.

2. Die Lösungsmethode für die Eigenwertaufgabe liefert nur den kleinsten Eigenwert (die Ite-
rationsverfahren in Abschnitt 13.8 liefern z.B. nur einen einzigen Eigenwert). Nehmen wir
an, dass wir uns für den kleinsten Eigenwert λmin interessieren (was in der Ingenieurpraxis
meistens auch der Fall ist). Ferner nehmen wir an, dass das gewählte Iterationsverfahren
den kleinsten Eigenwert λmin liefert. In diesem Fall wäre die Transformation gemäß (13.4)
genau die richtige Wahl.
Falls das gewählte Iterationsverfahren jedoch den größten Eigenwert λmax liefert, wäre die
Transformation gemäß (13.4) ungeeignet. In diesem Fall kann die Transformation nach
(13.5) durchgeführt werden, so dass als Ergebnis λ max heraus kommt. Den gesuchten
kleinsten Eigenwert λmin erhalten wir dann gemäß (13.5) aus der Beziehung λmin = 1/λ max .

Beispiel 13.3:
Bei Schwingungs- oder Stabilitätproblemen von Tragwerken hat man es mit der allge-
meinen Eigenwertaufgabe zu tun. Die Berechnung der Eigenfrequenz oder Knicklast
eines Tragwerks führt z.B. auf folgende allgemeine Eigenwertaufgaben:
Eigenfrequenzen Knick- oder Beullasten

(K
K − ω2 M) x = 0 (K
K − λ K G) x = 0

Die Matrix K wird als Steifigkeitsmatrix des Tragwerks bezeichnet, M ist die Mas-
senmatrix, ω die Eigenkreisfrequenz. Bei der Knicklastaufgabe bedeuten λ die kriti-
sche Lastintensität, K G die geometrische Steifigkeitsmatrix des Tragwerks.
630 13 Eigenwertaufgaben

13.3 Lösung der speziellen Eigenwertaufgabe

Die spezielle Eigenwertaufgabe nach (13.2)

A x − λ Ix = 0

lautet in zunächst ausgeschriebener und dann wieder zusammen geführter Form:


⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 − λ a12 ... a1n x1 0
⎢ a21 a22 − λ ... a2n ⎥⎢ x2 ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ .. .. .. ⎥⎢ .. ⎥=⎢ .. ⎥ (13.6)
⎣ . . . ⎦⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
an1 an2 . . . ann − λ xn 0
        
A −λII x 0

Bestimmung der Eigenwerte


(13.6) ist ein homogenes lineares Gleichungssystem, weil die rechte Seite aus dem Nullvektor
0 besteht. Es besitzt nur dann eine nichttriviale Lösung, wenn die Determinante der Koeffizien-
tenmatrix (A A − λII ) gleich Null ist (vgl. die Lösbarkeitsbedingung 2 für homogene Gleichungs-
systeme im Abschnitt 4.8.6, Seite 168). Diese Determinante wird als Eigenwertdeterminante
bezeichnet:

|A
A − λ I| = 0 Eigenwertdeterminante (13.7)

oder in ausführlicher Schreibweise:


 
 a11 − λ a12 ... a1n 
 
 a21 a − λ . . . a2n 
 22 
 . . .. =0 (13.8)
 .. .. . 
 
 a a ... a −λ 
n1 n2 nn

Die Eigenwertdeterminante (13.8) liefert die sog. charakteristische Gleichung, welche ein Poly-
nom n-ten Grades in λ ist:

An λ n + An−1 λ n−1 + · · · + A1 λ 1 + A0 = 0 charakteristische Gleichung (13.9)

Die Lösung von (13.9) liefert die gesuchten Eigenwerte λ1 , λ2 , . . . λn , d.h. sie sind die Nullstellen
der charakteristischen Gleichung. Eine reelle und symmetrische n × n Matrix A besitzt genau
n reelle Eigenwerte ( λi , i = 1,2, . . . , n ). Zwei oder mehr Eigenwerte können allerdings gleich
sein (die zugehörigen Eigenvektoren können durchaus unterschiedlich sein).

Bestimmung der Eigenvektoren


Nach der Bestimmung der Eigenwerte werden die zugehörigen Eigenvektoren bestimmt. Zu je-
dem Eigenwert korrespondiert ein Eigenvektor. Wenn z.B. der i-te Eigenvektor x i gesucht ist,
wird der Eigenwert λi in das Gleichungssystem (13.2) eingesetzt und das daraus resultierende
13.3 Lösung der speziellen Eigenwertaufgabe 631

homogene lineare Gleichungssytem gelöst, z.B. mit Hilfe des Gauß-Verfahrens.


Der Eigenvektor x i ist allerdings kein eindeutiger Lösungsvektor, sondern nur ein relativer,
d.h. seine Elemente sind nur in relativem Verhältnis zueinander aussagefähig und nicht etwa
in absolutem Sinne. Voraussetzungsgemäß ist die Determinante der Eigenwertgleichung gemäß
(13.7) gleich Null, d.h. |A
A −λ I | = 0. Ein Gleichungssystem mit Null-Determinante ist aber nicht
eindeutig lösbar. Am Ende der Gauß-Elimination stellt sich die Situation ein, dass ein Element
des Lösungsvektors willkürlich gewählt werden kann und die übrigen Elemente ein Vielfaches
dieses gewählten Wertes sind.
Während des Gauß-Algorithmus entsteht eine Gleichung der Form » 0 · xi = 0«. Daraus folgt,
dass xi einen beliebigen Skalarwert annehmen darf, d.h. xi = k. Es ergibt sich also ein Eigen-
vektor, in dem ein Element den Wert k hat. Die restlichen Elemente des Eigenvektors sind dann
Vielfache oder Bruchteile des Skalars k :
⎡ ⎤
a1 k x
⎢ . ⎥ .
⎢ .. ⎥ ..
⎢ ⎥
⎢ a k ⎥ x
⎢ i−1 ⎥
⎢ ⎥
xi = ⎢ k ⎥ ← Zeile i a j : Skalarfaktoren j = 1,2, · · · , i − 1, i + 1, · · · , n
⎢ ⎥
⎢ ai+1 k ⎥ x
⎢ ⎥
⎢ .. ⎥ ..
⎣ . ⎦ x.
an k x

Anmerkung: Die Wahl des Skalars k ist grundsätzlich beliebig, man kann also stets k = 1 wäh-
len. In der Ingenieurpraxis wird meistens der berechnete Eigenvektor anschließend so skaliert,
dass das betragsmäßig größte Element des Eigenvektors +1 wird, weil dadurch auf elegante Art
praktische Schlussfolgerungen aus dem Eigenvektor möglich sind.
Beispiel 13.4:
Die Eigenwerte und Eigenvektoren der nachfolgenden Matrix A aus Beispiel 13.1
sollen mit Hilfe der Eigenwertdeterminante nach Gl. (13.7) bestimmt werden.
⎡ ⎤
1 −1 1
A=⎣ 0 3 −1 ⎦ λ =? x =?
0 0 4
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1−λ −1 1 x1 0
(A
A − λII ) x = 0 ⎣ 0 3−λ −1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ (a)
0 0 4−λ x3 0
Die Eigenwertdeterminante und charakteristische Gleichung lauten:
 
 1−λ −1 1 

A − λII | =  0
|A 3−λ −1  = 0
 0 0 4−λ 

⇒ (1 − λ ) (3 − λ ) (4 − λ ) = 0
632 13 Eigenwertaufgaben

Das Polynom der charakteristischen Gleichung liegt als Produkt von drei Linearfakto-
ren vor, so dass sich die gesuchten Eigenwerte unmittelbar ergeben:

(1 − λ ) = 0 ⇒ λ1 = 1 (3 − λ ) = 0 ⇒ λ2 = 3 (4 − λ ) = 0 ⇒ λ3 = 4

Erster Eigenvektor x1 . Nach Einsetzen des ersten Eigenwertes λ1 = 1 in die Eigen-


wertaufgabe (a) erhält man ein lineares homogenes Gleichungssystem:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1−1 −1 1 x1 0 0 −1 1 x1 0
⎣ 0 3−1 −1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ ⇒ ⎣ 0 2 −1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0 0 4−1 x3 0 0 0 3 x3 0

Die Matrix A − λII liegt -zufällig- bereits in der oberen Dreiecksform vor, d.h. eine
Gauß-Elimination ist nicht notwendig. Sie ist linear abhängig, d.h. singulär, weil eine
A − λII | = 0). Trotzdem
Nullspalte vorhanden ist. Die Determinante ist folglich Null (|A
ist eine, wenn auch nicht eindeutige, Lösung des linearen Gleichungssystems möglich,
weil es sich um ein homogenes Gleichungssystem handelt (rechte Seite ist der Null-
vektor).
Aus der 3. Zeile ergibt sich: 3 · x3 = 0 ⇒ x3 = 0
Die Substitution von x3 = 0 in die 2. Zeile liefert:

2 · x 2 − 1 · x3 = 0 ⇒ 2 · x2 − 1 · 0 = 0 ⇒ x2 = 0

Die 1. Zeile ergibt jetzt:

0 · x 1 − 1 · x2 + 1 · x 3 = 0 ⇒ 0 · x1 − 1 · 0 + 1 · 0 = 0 ⇒ x1 = k

Der 1. Eigenvektor lautet also (k kann beliebig gewählt werden):


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x1 k x1 1
x 1 = ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ mit k = 1 : ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
x3 0 x3 0

Die Richtigkeit der Lösung lässt sich leicht überprüfen:


⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 1 k k
Ax1 = ⎣ 0 3 −1 ⎦ ⎣ 0 = 0 ⎦
⎦ ⎣
0 0 4 0 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
k k
λ1 x 1 = 1 · ⎣ 0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0 0
d.h. Ax 1 = λ1 x 1 
13.3 Lösung der speziellen Eigenwertaufgabe 633

Zweiter Eigenvektor x2 . Das Einsetzen von λ2 = 3 in die Eigenwertgleichung (a)


ergibt:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1−3 −1 1 x1 0 −2 −1 1 x1 0
⎣ 0 3−3 −1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ ⇒ ⎣ 0 0 −1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0 0 4−3 x3 0 0 0 1 x3 0

Wieder liegt die Matrix A − λII in der oberen Dreiecksform vor, d.h. die Rückwärts-
substitution kann unmittelbar beginnen:

Zeile 3 : 1 · x3 = 0 ⇒ x3 = 0

Zeile 2 : 0 · x 2 − 1 · x3 = 0 0 · x2 − 1 · 0 = 0 ⇒ x2 = k
Zeile 1 : − 2 · x1 − 1 · x2 + 1 · x3 = 0 − 2 · x1 − 1 · k + 1 · 0 = 0 ⇒ x1 = −k/2
Der 2. Eigenvektor lautet:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x1 −k/2 x1 −0,5
x 2 = ⎣ x2 ⎦ = ⎣ k ⎦ mit k = 1 : ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 1 ⎦
x3 0 x3 0

Kontrolle:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 1 −k/2 −1,5k
Ax 2 = ⎣ 0 3 −1 ⎦ ⎣ k ⎦ = ⎣ 3k ⎦
0 0 4 0 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−0,5k −1,5k
λ2 x 2 = 3 · ⎣ k ⎦ = ⎣ 3k ⎦ d.h. Ax 2 = λ2 x 2 
0 0
Dritter Eigenvektor x3 . Analoges Vorgehen mit λ3 = 4 liefert folgende Resultate:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1−4 −1 1 x1 0 −3 −1 1 x1 0
⎣ 0 3−4 −1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ ⇒ ⎣ 0 −1 −1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0 0 4−4 x3 0 0 0 0 x3 0

Aus 3. Zeile folgt: 0 · x3 = 0 ⇒ x3 = k


Aus 2. Zeile folgt:

−1 · x2 − 1 · x3 = 0 − 1 · x2 − 1 · k = 0 ⇒ x2 = −k

Aus 1. Zeile folgt:

−3 · x1 − 1 · x2 + 1 · x3 = 0 − 3 · x1 − 1 · (−k) + 1 · k = 0 ⇒ x1 = 2k/3
634 13 Eigenwertaufgaben

Der 3. Eigenvektor lautet somit:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x1 0,67k x1 0,67
x 3 = ⎣ x2 ⎦ = ⎣ −k ⎦ mit k = 1 : ⎣ x2 ⎦ = ⎣ −1 ⎦
x3 k x3 1

Kontrolle:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 1 0,67k 2,67k
Ax 3 = ⎣ 0 3 −1 ⎦ ⎣ −k ⎦ = ⎣ −4k ⎦
0 0 4 k 4k
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0,67k 2,67k
λ3 x 3 = 4 · ⎣ −k ⎦ = ⎣ −4k ⎦ ⇒ Ax 3 = λ3 x 3 
k 4k

13.4 Lösung der allgemeinen Eigenwertaufgabe

Die allgemeine Eigenwertaufgabe nach Gl. (13.3)

(A
A − λ B) x = 0

lautet in ausgeschriebener Form:


⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 − λ b11 a12 − λ b12 . . . a1n − λ b1n x1 0
⎢ a21 − λ b21 a22 − λ b22 . . . a2n − λ b2n ⎥⎢ x2 ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ .. .. .. ⎥⎢ .. ⎥=⎢ .. ⎥ (13.10)
⎣ . . . ⎦⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
an1 − λ bn1 an2 − λ bn2 . . . ann − λ bnn xn 0
        
A −λB
B x 0

Bestimmung der Eigenwerte


Auch hier handelt es sich, wie schon in Abschnitt 13.3, um ein homogenes lineares Gleichungs-
system. Alle in Abschnitt 13.3 angestellten Überlegungen gelten auch hier. Die Eigenwertdeter-
minante lautet:

|A
A − λ B| = 0 Eigenwertdeterminante (13.11)

Die charakteristische Gleichung ist ein Polynom n-ten Grades in λ :

Kn λ n + Kn−1 λ n−1 + · · · + K1 λ 1 + K0 = 0 (13.12)

Die Lösung von (13.12) liefert die Eigenwerte λ1 , λ2 , . . . λn .


13.4 Lösung der allgemeinen Eigenwertaufgabe 635

Bestimmung der Eigenvektoren


Zur Bestimmung der Eigenvektoren wird genauso vorgegangen wie auf Seite 630 für die spezielle
Eigenwertaufgabe bereits erläutert – allerdings muss hier natürlich anstelle der Einheitsmatrix I
die Matrix B verwendet werden.

13.4.1 Anwendungsbeispiel: Eigenschwingung eines Zweimassenschwingers


Eigenwertaufgaben kommen in der Technik sehr häufig vor – Schwingungsprobleme von Bau-
werken und Maschinen unter dynamischen Lasten sowie Stabilitätsprobleme von Tragwerken
(Knicken, Beulen) unter Druckbelastung führen auf Eigenwertaufgaben.
In Bild 13.1 sind zwei verschiedene mechanische Schwingungssysteme mit 2 bzw. 3 Frei-
heitsgraden dargestellt. Unter Freiheitsgrad (FHG) eines mechanischen Systems versteht man
die Auslenkung, d.h. die Verschiebung, eines charakteristischen Punktes dieses Systems relativ
zu einer Nullposition. Die Eigenfrequenzen und Eigenschwingungsformen solcher Systeme las-
sen sich durch Lösung der zugehörigen Eigenwertaufgabe bestimmen.

a: Schwinger mit 2 FHG b: Schwinger mit 3 FHG

Bild 13.1: Schwingungssysteme mit 2 und 3 Freiheitsgraden

Beispiel 13.5:
Für den Zweimassen-Schwinger mit 2 Freiheitsgraden in Bild 13.1 a liefern die New-
K Steifigkeitsmatrix, M Mas-
ton-Gesetze der Mechanik folgende Eigenwertgleichung (K
senmatrix):
   
k1 + k2 −k2 m1 0
(K
K − ω 2M ) x = 0 mit K = M=
−k2 k2 0 m2

oder in ausgeschriebener Form:


  
k1 + k2 − ω 2 m1 −k2 x1
=0
−k2 k 2 − ω 2 m2 x2

ω ist die Eigenkreisfrequenz des Schwingungssystems in rad/s. Zwischen ω und der


Eigenfrequenz f (Einheit von f ist Hertz [Hz]) existiert die Beziehung ω = 2π f .
636 13 Eigenwertaufgaben

Diese Eigenwertaufgabe ist für folgende Zahlenwerte zu lösen:

k1 = 10000 N/m k2 = 2000 N/m m1 = 80 kg m2 = 40 kg

Wir führen eine neues Symbol λ = ω 2 ein (dieser Schritt ist aber nicht zwingend).
Die Eigenwertdeterminante und die charakteristische Gleichung lauten dann:
   
 k1 + k2 − λ m1 −k2   12000 − 80λ −2000 
 = = λ 2 − 200λ + 6250 = 0
 −k2 k2 − λ m2   −2000 2000 − 40λ 

Die Lösung der charakteristischen Gleichung liefert die Eigenwerte:



λ1 = ω12 = 38,76276 ω1 = 38,76276 = 6,23 rad/s f1 = 6,23/2π = 0,99 Hz

λ2 = ω22 = 161,23724 ω2 = 161,23724 = 12,7 rad/s f2 = 12,7/2π = 2,02 Hz
Erster Eigenvektor. Den 1. Eigenvektor x1 erhält man durch Einsetzen von λ1 =
38,76276 in die Eigenwertgleichung und Lösen des linearen Gleichungssystems.
    
12000 − 80 · 38,76276 −2000 x1 0
=
−2000 2000 − 40 · 38,76276 x2 0
    
8899 −2000 x1 0
⇒ =
−2000 449,49 x2 0
Die Dreieckszerlegung führt auf:
    
8899 −2000 x1 0
=
0 0 x2 0

Die 2. Zeile des reduzierten Gleichungssystems ergibt:

0 · x2 = 0 ⇒ x2 = k

Aus der ersten Zeile erhält man:

8899 · x1 − 2000 · k = 0 ⇒ x1 = 0,2247 k

Der 1. Eigenvektor ergibt sich mit –der willkürlichen Wahl– k = 1 zu:


   
x1 0,2247
x1 = =
x2 1

Physikalische Interpretation des Eigenvektors: Das System führt freie Schwingungen


(Eigenschwingung) derart aus, dass in dem Augenblick, wo die Auslenkung x2 des
Massenpunktes m2 den Wert 1,0 erreicht hat, die Auslenkung x1 des Massenpunktes
m1 genau 0,2247 beträgt.
13.5 Zusätzliche Beispiele 637

Zweiter Eigenvektor. Der 2. Eigenvektor x2 ergibt sich durch analoges Vorgehen


wie beim 1. Eigenvektor. Nach Einsetzen von λ2 = 161,23724 in die Eigenwertauf-
gabe, der anschließenden Dreieckszerlegung und dem Lösen des linearen Gleichungs-
systems erhält man:
         
−899 −2000 x1 0 −899 −2000 x1 0
= −→ =
−2000 −4449,5 x2 0 0 0 x2 0
 
−2,225
⇒ x2 = k ⇒ x1 = −2,225k Für k = 1 ergibt sich: x 2 =
1
   
−1 1
Nach Normierung auf max|xi | = 1 : x 2 = oder x 2 =
i 0,4494 −0,4494

13.5 Zusätzliche Beispiele

Beispiel 13.6:
Das in Bild 13.1(b) auf Seite 635 dargestellte frei schwebende Schwingungsystem
führt für die Werte k = 1, m1 = m2 = m3 = 1 auf folgendes Eigenwertproblem:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 0 1 0 0
K − ω 2M ) x = 0
(K mit K = ⎣ −1 2 −1 ⎦ M =⎣ 0 1 0 ⎦
0 −1 1 0 0 1

Daraus erhalten wir mit der Abkürzung λ = ω 2 :


⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1−λ −1 0 x1 0
(K − λM ) =
K M x ⎣ −1 2 − λ −1 ⎦ ⎣ x2 = 0 ⎦
⎦ ⎣
0 −1 1−λ x3 0

Bestimmung der Eigenwerte aus der Eigenwertdeterminante:


 
 1−λ −1 0 

 −1 2 − λ −1  = (1 − λ ) [(2 − λ ) (1 − λ ) − 1] − 1(1 − λ ) = 0

 0 −1 1 − λ 

⇒ (1 − λ ) (λ 2 − 3λ + 1) − (1 − λ ) = 0 ⇒ (1 − λ ) (λ 2 − 3λ + 1 − 1) = 0
⇒ (1 − λ ) (λ 2 − 3λ ) = 0 ⇒ λ · (1 − λ ) · (λ − 3) = 0
Die Eigenwerte λ (Eigenkreisfrequenzen ω 2 ) ergeben sich zu:

λ = 0 ⇒ λ1 = ω12 = 0 1−λ = 0 ⇒ λ2 = ω22 = 1 λ −3 = 0 ⇒ λ3 = ω32 = 3


638 13 Eigenwertaufgaben

Erster Eigenvektor x1 . Mit λ1 = 0 erhält man das Gleichungssystem


⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 0 x1 0
⎣ −1 2 −1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0 −1 1 x3 0

Nach Dreieckszerlegung ergibt sich (mit k = 1):


⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 0 x1 0 x1 k 1
⎣ 0 1 −1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ ⇒ x 1 = ⎣ x2 ⎦ = ⎣ k ⎦ = ⎣ 1 ⎦
0 0 0 x3 0 x3 k 1

Alle Massen des 3-Massenschwingers führen also eine gleichmäßige Bewegung in die
gleiche Richtung aus und bleiben dann einfach in Ruhe (das ist in der Mechanik als
Starrkörperverschiebung bekannt, das System kann gar nicht schwingen). Dieser Fakt
geht auch aus der Eigenkreisfrequenz ω12 = 0 unmittelbar hervor.

Kontrolle:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 0 1 0 1 0
K x 1 = ⎣ −1 2 −1 ⎦ ⎣ 1 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ λ1 x 1 = 0 ⎣ 1 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0 −1 1 1 0 1 0

Zweiter Eigenvektor x2 . Mit λ2 = 1 erhält man das Gleichungssystem


⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 −1 0 x1 0
⎣ −1 1 −1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0 −1 0 x3 0

Um eine Dreieckszerlegung durchführen zu können, benötigt man in der ersten Zeile


ein Pivotelement, das = 0 ist. Um dies zu erreichen wird die 2. Zeile zur 1. Zeile hinzu
addiert:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 0 −1 x1 0
⎣ −1 1 −1 ⎦ ⎣ x2 = 0 ⎦
⎦ ⎣
0 −1 0 x3 0

Daraus erhält man nach Dreieckszerlegung und Rückwärtssubstitution:


⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 0 −1 x1 0 x1 −k −1
⎣ 0 1 0 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ ⇒ x 2 = ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0 0 0 x3 0 x3 k 1

Die physikalische Interpretation des zweiten Vektors x 2 zeigt, dass die mittlere Masse
m2 in Ruhe bleibt (x2 = 0), während die Massen m1 und m3 eine betragsmäßig gleiche
aber gegenläufige Schwingung ausführen (mit Amplituden −1 bzw. 1).
13.6 Aufgaben 639

Kontrolle:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 0 −1 −1 1 −1
K x 2 = ⎣ −1 2 −1 ⎦ ⎣ 0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ λ2 x 2 = 1 ⎣ 0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0 −1 1 1 1 −1 1

Dritter Eigenvektor x3 . Mit λ3 = 3 erhält man das Gleichungssystem


⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−2 −1 0 x1 0
⎣ −1 −1 −1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0 −1 −2 x3 0

Nach Dreieckszerlegung und Rückwärtssubstitution ergibt sich:


⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−2 −1 0 x1 0 x1 k 1
⎣ 0 −0,5 −1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ ⇒ x 3 = ⎣ x2 ⎦ = ⎣ −2k ⎦ = ⎣ −2 ⎦
0 0 0 x3 0 x3 k 1

Kontrolle:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 0 1 3 1 3
K x 3 = ⎣ −1 2 −1 ⎦ ⎣ −2 ⎦ = ⎣ −6 ⎦ λ3 x 3 = 3 ⎣ −2 ⎦ = ⎣ −6 ⎦
0 −1 1 1 3 1 3

13.6 Aufgaben
1. Zeigen Sie, dass der angegebene λ -Wert und x -Vektor die Eigenwertaufgabe A x = λ B x
erfüllen, d.h. dass sie ein Eigenwert und ein Eigenvektor sind.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 0 1 0 0 1
a) A = ⎣ 0 1 1 ⎦ B=⎣ 0 1 0 ⎦ λ = −1 x=⎣ 2 ⎦
0 0 −1 0 0 1 −4
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 −1 0 1 0 0 1,0000
b) A = ⎣ −1 2 −1 ⎦ B=⎣ 0 1 0 ⎦ λ = 1,555 x = ⎣ 0,4450 ⎦
0 −1 1 0 0 1 −0,8019
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
6 −2 0 3 0 0 1,0
c) A = ⎣ −2 4 −2 ⎦ B=⎣ 0 2 0 ⎦ λ = 2,0 x = ⎣ 0,0 ⎦
0 −2 2 0 0 1 −1,0
2. Berechnen Sie die Eigenwerte und Eigenvektoren der Matrix A .
 
1 3
a) A =
2 1
   
1 1
Lsg: λ1 = 3,45 λ2 = −1,45 x1 = x2 =
0,816 −0,816
640 13 Eigenwertaufgaben

 
−2 0
b) B =
1 4
   
1 0
Lsg: λ1 = −2 λ2 = 4 x1 = x2 =
−0,167 1
 
6 −2
c) C =
−3 4
   
1 1
Lsg: λ1 = 7,65 λ2 = 2,35 x1 = x2 =
−0,823 1,823

3. Lösen Sie die Eigenwertaufgabe (A


A − λ B ) x = 0 mit den angegebenen Matrizen.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
5 0 4 3 1 0
a) A=⎣ 2 1 0 ⎦ B = ⎣ −1 −0,5 0 ⎦
−1 1 1 0 1 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−0,500 −0,286
Lsg: λ1 = 1,8889 λ2 = −2,0 x1 = ⎣ 1,000 ⎦ x2 = ⎣ −0,429 ⎦
0,389 1,000
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
6 −2 0 3 0 0
b) = −2
A ⎣ 4 −2 ⎦ B = 0 2 0 ⎦

0 −2 2 0 0 1

λ1 = 0,367 λ2 = 2,0 λ3 = 3,633


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0,333 1,0 0,333
x1 = ⎣ 0,816 ⎦ x2 = ⎣ 0,0 ⎦ x3 = ⎣ −0,816 ⎦
1,000 −1,0 1,000

4. Bestimmen Sie in der Eigenwertaufgabe (A


A − λ B) x = 0 den jeweils unbekannten Parame-
ter.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
6 −2 1 1 −1 1 1,0000
a) A = ⎣ −2 4 −2 ⎦ B = ⎣ −1 2 0 ⎦ x = ⎣ −0,1820 ⎦
1 −2 2 0 0 1 0,9645
λ =? Lsg: λ = 3,4142
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
6 −2 1 1 −1 1 0,1244
b) A = ⎣ −2 4 −2 ⎦ B = ⎣ −1 2 0 ⎦ x = ⎣ 0,7693 ⎦
1 −2 2 0 0 1 a
λ = 0,5858 a =? Lsg: a = 1,0
13.7 Kenngrößen einer Matrix und Eigenwerte 641

13.7 Kenngrößen einer Matrix und Eigenwerte


13.7.1 Definitheit einer Matrix
Die Definitheit einer Matrix wird mit Hilfe des folgenden Kriteriums festgelegt. Hierbei ist A
eine beliebige symmetrische n × n Matrix und x ein beliebiger n × 1 Vektor nur mit der Ein-
schränkung, dass x = 0 sein muss.


⎪ positiv definit, wenn x TAx > 0


⎨positiv semidefinit, wenn xTAx ≥ 0
A ist (13.13)

⎪negativ definit, wenn x TAx < 0



negativ semidefinit, wenn x TAx ≤ 0

Positiv definite Matrix


Es ist praktisch aussichtslos, die positive Definitheit einer Matrix dadurch beweisen zu wollen,
in dem man unendlich viele verschiedene Formen des Vektors x in die Beziehung x TAx einsetzt
und überprüft, ob das Ergebnis positiv ist. Es gibt glücklicherweise andere elegantere Wege, die
nachfolgend erläutert sind.
Eine symmetrische n × n Matrix A ist positiv definit, wenn folgende Kriterien erfüllt sind (die
Erfüllung eines Kriteriums ist ausreichend und stellt sicher, dass die anderen auch erfüllt sind):
1. Alle Eigenwerte von (A A − λII ) x = 0 sind positiv:

λi > 0 (i = 1,2, · · · , n)

2. Alle Haupt-Unterdeterminanten von A sind positiv:


 
   a11 a12 a13 
 a11 a12   
a11 > 0,    a21 a22 >0
 a21 a22  > 0,  a23  ··· usw.
 a 
31 a32 a33

A kann mittels
3. Alle Hauptdiagonalelemente nach der Dreieckszerlegung von A sind positiv (A
Zeilenoperationen, z.B. mittels Gauß-Elimination, in die obere oder untere Dreiecksform
transformiert werden).
Beispiel 13.7:
Die positive Definitheit der Matrix K in Beispiel 13.5 soll überprüft werden.
 
12000 −2000
K= λ1 = 1614,83 λ2 = 12385,16
−2000 2000

1. K ist positiv definit, weil beide Eigenwerte positiv sind.


2. K ist positiv definit, weil beide Hauptunterdeterminanten positiv sind:
   
 k11 k12   12000 −2000 
k11 = 12000 > 0  =  = 2 · 107 > 0
 k21 k22   −2000 2000 
642 13 Eigenwertaufgaben

3. K ist positiv definit, weil nach der Dreieckszerlegung (Gauß-Elimination) alle


Hauptdiagonalelemente positiv sind.
   
12000 −2000 Dreieckszerlegung 12000 −2000
−−−−−−−−−−→
−2000 2000 0 1667

1. Diagonalelelement: 12000 > 0 2. Diagonalelelement: 1667 > 0

Positiv semidefinite Matrix


Für eine positiv semidefinite Matrix A gelten folgende Regeln (die Erfüllung eines Kriteriums
ist ausreichend und stellt sicher, dass die anderen auch erfüllt sind):
1. Kein Eigenwert von (A A − λII ) x = 0 ist negativ, d.h. es ist λi ≥ 0.
2. Keine (Haupt-)Unterdeterminante von A ist negativ.
3. Kein Hauptdiagonalelement nach der Dreieckszerlegung von A ist negativ.

Beispiel 13.8:
Die positive Definitheit der Matrix K in Beispiel 13.6 kann wie folgt bestimmt wer-
den:
⎡ ⎤
1 −1 0
K = ⎣ −1 2 −1 ⎦ λ1 = 0 λ2 = 1 λ3 = 3
0 −1 1

1. K ist positiv semidefinit, weil ein Eigenwert Null und die beiden anderen positiv
sind.
2. K ist positiv semidefinit, weil zwar die ersten zwei Hauptunterdeterminanten
positiv, aber die dritte gleich Null sind.
 
 1 −1 
k11 = 1 > 0   = 2−1 = 1 > 0
 −1 2 
 
 1 −1 0 

 −1 2 −1  = 1(2 − 1) − 1(0 + 1) + 0(1 − 0) = 0

 0 −1 1 
3. K ist positiv semidefinit, weil nach der Dreieckszerlegung ein Hauptdiagonalele-
ment gleich Null und die anderen positiv sind.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 0 1 −1 0
⎣ −1 2 −1 ⎦ Dreieckszerlegung ⎣ 0 1 −1 ⎦
−−−−−−−−−−−−→
0 −1 1 0 0 0
13.7 Kenngrößen einer Matrix und Eigenwerte 643

Negativ definite Matrix


Eine symmetrische n × n Matrix A ist negativ definit, wenn folgende Kriterien erfüllt sind (die
Erfüllung eines Kriteriums ist ausreichend und stellt sicher, dass die anderen auch erfüllt sind):

1. Alle Eigenwerte von (A


A − λII ) x = 0 sind negativ:

λi > 0 (i = 1,2, · · · , n)

2. Alle (Haupt-)Unterdeterminanten von A sind negativ:


 
   a11 a12 a13 
 a11 a12   
a11 < 0,    a21 a22 a23 <0
 a21 a22  < 0,   ··· usw.
 a 
31 a32 a33

3. Alle Hauptdiagonalelemente nach der Dreieckszerlegung von A sind negativ (A A kann mit-
tels Zeilenoperationen, z.B. mittels Gauß-Elimination, in die obere oder untere Dreiecks-
form transformiert werden).
Negativ semidefinite Matrix
Hier gilt das Gegenteil von dem was für eine positiv semidefinite Matrix gilt (das Wort »negativ«
in den Kriterien dort ist also durch »positiv« zu ersetzen).
Indefinite Matrix
Eine symmetrische n × n Matrix A ist indefinit, wenn die Eigenwerte von A sowohl positiv wie
auch negativ bzw. Null sind.
Bedeutung der Definitheit in der Mechanik
Die Art der Definitheit von Matrizen spielt in der Strukturmechanik eine große Rolle:

• Ein Tragwerk ist statisch stabil aufgebaut bzw. gelagert, wenn die elastische Steifigkeitsma-
trix K des Tragwerks positiv definit ist.

• Ein Tragwerk, das eine Starrkörperverschiebung erfahren kann, z.B. aufgrund ungenügen-
der Auflagerbedingungen, besitzt eine positiv semidefinite Steifigkeitsmatrix K (auch ein
fliegendes oder frei stehendes Flugzeug hat eine positiv semidefinite Steifigkeitsmatrix).

• Ein Tragwerk ist kinematisch verschieblich, wenn die elastische Steifigkeitsmatrix K des
Tragwerks nicht positiv definit ist. Ein solches Tragwerk ist unter keinen Umständen akzep-
tabel.

• Eigenfrequenzen eines Tragwerks sind nur dann größer als Null, wenn die elastische Stei-
figkeitsmatrix K des Tragwerks positiv definit ist.

• Die Stabilität eines durch Druckkräfte belasteten Tragwerks ist erschöpft, d.h. das Tragwerk
stürzt in sich zusammen, wenn die Addition der elastischen Steifigkeitsmatrix K und der
sog. geometrischen Steifigkeitsmatrix K G , d.h. K + K G , eine positiv semidefinite Matrix
ergibt.
644 13 Eigenwertaufgaben

13.7.2 Beziehungen zwischen Kenngrößen und Eigenwerten einer Matrix


Zwischen den Eigenwerten und anderen Kenngrößen einer Matrix existieren bestimmte Gesetz-
mäßigkeiten. Die wichtigsten davon sind:
1. Die Spur einer Matrix A (s. Seite 134) ist gleich der Summe der Eigenwerte der dazugehö-
rigen speziellen Eigenwertaufgabe:
n
(A
A − λ I )xx = 0 ⇒ tr A = ∑ λi = λ1 + λ2 + · · · + λn (13.14)
i=1

2. Die Determinante einer Matrix A ist gleich dem Produkt ihrer Eigenwerte der dazugehöri-
gen speziellen Eigenwertaufgabe:
n
(A
A − λ I )xx = 0 ⇒ det A = ∏ λi = λ1 · λ2 · · · · · λn (13.15)
i=1

Daraus folgt, dass für eine singuläre Matrix (d.h. linear abhängige Matrix) mindestens ein
Eigenwert gleich Null sein muss.
3. Alle Eigenwerte einer reellen symmetrischen Matrix sind reell, d.h. nicht-komplex.
4. Alle Eigenwerte einer reellen symmetrischen positiv definiten Matrix sind reell und positiv.1
5. Alle Eigenwerte einer reellen symmetrischen positiv semidefiniten Matrix A sind nicht ne-
gativ. Die Anzahl der von Null verschiedenen Eigenwerte ist gleich dem Rang von A.
6. Falls alle Eigenwerte λi einer Matrix voneinander verschieden sind, sind alle Eigenvektoren
x i voneinander verschieden und linear unabhängig,
7. Wenn x i ein Eigenvektor von ist, dann ist auch der belebig skalierte Vektor c x i ein Eigen-
vektor (c darf allerdings nicht Null sein).
8. Die Eigenvektoren x i der allgemeinen Eigenwertaufgabe (A A − λB
B)xx = 0 mit reellen symme-
trischen Matrizen A , B erfüllen folgende Orthogonalitätsbeziehungen:

x Ti A x j = 0 und x Ti B x j = 0 für i = j

9. Die Eigenvektoren x i der speziellen Eigenwertaufgabe (A


A − λII )xx = 0 mit reeller symmetri-
scher Matrix A erfüllen folgende Orthogonalitätsbeziehungen:

x Ti A x j = 0 und x Ti x j = 0 für i = j

10. A und B seien zwei n × n Matrizen (BB sei ferner nicht-singulär). Die Eigenwerte der Matrix
C , die man aus einer sog. Ähnlichkeitstransformation C = B −1AB , erhält, sind identisch mit
1 Die Steifigkeitsmatrix K eines Bauwerks ist symmetrisch und positiv definit, wenn es ein stabiles Gleichgewicht
aufweist (was auch zwingend der Fall sein sollte, weil sonst das Bauwerk ja instabil und somit unbrauchbar sein
würde).
13.7 Kenngrößen einer Matrix und Eigenwerte 645

denen der Matrix A . Bezeichnen wir die Eigenvektoren von C mit x c , so ergeben sich die
Eigenvektoren x von A aus x = Bx c .

11. Wenn die Matrix A die Eigenwerte λ1 , λ2 , · · · , λn hat, so besitzt die Matrix A − k I die
Eigenwerte λ1 − k, λ2 − k, · · · , λn − k (Satz der spektralen Verschiebung; k ist ein Skalar).
Die Eigenvektoren bleiben durch die spektrale Verschiebung unverändert.

12. Wenn die Eigenvektoren x i einer symmetrischen und nicht-singulären n × n Matrix A so


skaliert sind, dass x Ti x i = 1 gilt, liefert die sog. spektrale Komposition:
n n
1 T
A = ∑ λix ix Ti A −1 = ∑ x ix i
i=1 λ
i=1 i

Beispiel 13.9:
Die Beziehungen (13.14) und (13.15) zwischen den Eigenwerten und Matrixkenngrö-
ßen einer Matrix sollen für folgende Matrizen überprüft werden.
⎡ ⎤
1 −1 0
a) K = ⎣ −1 2 −1 ⎦ λ1 = 0 λ2 = 1 λ3 = 3 (s. Beispiel 13.6).
0 −1 1

3
tr K = 1 + 2 + 1 = 4 ∑ λi = 0 + 1 + 3 = 4
i=1

⇒ tr K = ∑ λi 
i
3
det K = 1 · (2 − 1) − 1(0 + 1) + 0(1 − 0) = 0 ∏ λi = 0 · 1 · 3 = 0
i=1

⇒ det K = ∏ λi 
i
⎡ ⎤
6 −2 0
b) A = ⎣ −2 4 −2 ⎦ λ1 = 0,5359 λ2 = 4,0 λ3 = 7,4641
0 −2 2

3
tr A = 6 + 4 + 2 = 12 ∑ λi = 0,5359 + 4,0 + 7,4641 = 12
i=1

⇒ tr A = ∑ λi 
i

det A = 6 (8 − 4) + 2 (−4 + 0) + 0 = 16
3
∏ λi = (0,5359) · (4,0) · (7,4641) = 16 ⇒ det A = ∏ λi 
i=1 i
646 13 Eigenwertaufgaben

13.8 Numerische Methoden für Eigenwertaufgaben

In diesem Kapitel werden nur symmetrische Matrizen mit reellen Elementen betrachtet. Alle
Eigenwerte einer reell-symmetrischen Matrix sind reell. Sowohl die spezielle als auch die allge-
meine Eigenwertaufgabe nach Abs. 13.2 werden anwendungsbezogen behandelt:

Ax = λxx bzw. (A
A − λII ) x = 0 spezielle Eigenwertaufgabe

Ax = λB
Bx bzw. (A
A − λB
B) x = 0 allgemeine Eigenwertaufgabe
Für die numerische Lösung von Eigenwertaufgaben steht eine sehr große Bandbreite an effizien-
ten und stabilen Lösungsverfahren zur Verfügung. Neben zahlreichen kommerziell erhältlichen
Software-Paketen (z.B. IMSL und NAG) existieren auch kostenlose public domain Bibliothe-
ken (i.d.R. in Programmiersprachen FORTRAN, C, C++), wie z.B. das Softwarepaket LAPACK 2
(Nachfolgebibliothek des früheren EISPACK-Software). Im folgenden sollen nur solche Verfah-
ren besprochen werden, die eine gewisse Anschaulichkeit bieten und so als Einführung in die
Thematik geeignet sind. Für effizientere Verfahren sollte im Bedarfsfall unbedingt die Spezialli-
teratur konsultiert werden.

13.8.1 Vektornorm

Eine Vektornorm drückt die verallgemeinerte Länge eines Vektors (sie ist nicht zwingend mit
dem geometrischen Längenbegriff gleichzusetzen!). Die am meisten gebräuchlichen Vektornor-
men sind nachfolgend definiert.

xx1 = |x1 | + |x2 | + · · · + |xn | l1 -Norm


xx2 = (x12 + x22 + · · · + xn2 )1/2 l2 -Norm (Euklid-Norm) (13.16)
xx∞ = max |xi | l∞ -Norm
i

Beispiel 13.10:
Nachfolgend sind die verschiedenen Vektornormen des Vektors a angegeben.

⎡ ⎤ xx1 = |x1 | + |x2 | + |x3 | = 5 + 2 + 3 = 10


5 
a) a = ⎣ −2 ⎦ x 2 = 52 + (−2)2 + 33 = 6,164
x
3 xx∞ = max |xi | = max{5; 2; 3} = 5
i=1···3

⎡ ⎤ xx1 = |x1 | + |x2 | + |x3 | = 5 + 2 + 3 = 10


−5 
b) a = ⎣ 2 ⎦ xx2 = (−5)2 + 22 + 33 = 6,164
3 xx∞ = max |xi | = max{5; 2; 3} = 5
i=1···3

2 erhältlich z.B. bei http://www.netlib.org


13.9 Mises-Iterationsverfahren (Power-Methode) 647

13.9 Mises-Iterationsverfahren (Power-Methode)

Das Iterationsverfahren nach von Mises ist eine einfache Standardmethode für die Bestimmung
des größten Eigenwertes und des zugehörigen Eigenvektors einer quadratischen n × n Matrix A .
Es handelt also um die Lösung der speziellen Eigenwertaufgabe

Ax = λxx (13.17)

Die Idee hinter der Mises-Iteration


Die Eigenwerte der Matrix A seien bezeichnet als λ1 , λ2 , · · · , λn (die Eigenwerte seien so geord-
net, dass λ1 < λ2 < · · · < λn−1 < λn )3 und ihre Eigenvektoren als x 1 , x 2 , · · · , x n .
Jeder beliebige Vektor u(0) mit n Elementen (egal wie dieser Vektor aussehen mag) kann als
Linearkombination der n Eigenvektoren der Matrix A ausgedrückt werden4 :

u (0) = c1x 1 + c2x 2 + · · · + cnx n (13.18)

Wenn die obige Beziehung (13.18) auf beiden Seiten mit der Matrix A multipliziert wird, erhält
man zunächst:

Au (0) = A (c1x 1 + c2x 2 + · · · + cnx n )

Den auf der linken Seite der obigen Beziehung stehenden Ausdruck Au (0) bezeichnen wir mit
u (1) . Unter Berücksichtigung von (13.17) erhält man:

u (1) := Au (0)
= A (c1x 1 + c2x 2 + · · · + cnx n )
= c1 Ax 1 +c2 Ax 2 + · · · + cn Ax n
  
λ1 x1 λ2 x2 λnx n

u(1) = c1 λ1x1 + c2 λ2x2 + · · · + cn λnxn

Die nochmalige Multiplikation der letzten Zeile in der obigen Beziehung mit A liefert einen
neuen Vektor u (2) . Unter erneuter Berücksichtigung von (13.17) ergibt sich:

u (2) := Au (1)
= A (c1 λ1x 1 + c2 λ2x 2 + · · · + cn λnx n )
= c1 λ1Ax 1 + c2 λ2Ax 2 + · · · + cn λnAx n = c1 λ1 λ1x 1 + c2 λ2 λ2x 2 + · · · + cn λn λnx n
u (2) = c1 λ12x 1 + c2 λ22x 2 + · · · + cn λn2x n

3 Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass A positiv definit ist, d.h. alle Eigenwerte positiv sind – für negative
Eigenwerte gelten grundsätzlich die gleichen Überlegungen.
4 Voraussetzung: die Matrix der Eigenvektoren X = [xx1 , x 2 , · · · , x n ] darf nicht singulär sein; das ist dann der Fall,
wenn die Matrix A nicht-defektiv ist (defektive Matrizen können bei nicht-symmetrischen Matrizen auftreten; für
die Steifigkeitsmatrizen von Bauwerken sind sie daher ohne Relevanz).
648 13 Eigenwertaufgaben

Nach der k-ten Multiplikation mit der Matrix A erhält man:

u (k) = Au (k−1)
= A (c1 λ1k−1x1 + c2 λ2k−1x2 + · · · + cn λnk−1xn )
= c1 λ1k−1Ax 1 + c2 λ2k−1Ax 2 + · · · + cn λnk−1Ax n
= c1 λ1k−1 λ1x 1 + c2 λ2k−1 λ2x 2 + · · · + cn λnk−1 λnx n
= c1 λ1kx 1 + c2 λ2kx 2 + · · · + cn λnkx n

Für große k-Werte folgt aus der Relation λ1 < λ2 < · · · < λn−1 < λn , dass

λ1k  λ2k  · · ·  λn−1


k
 λnk

Bei sehr großen Werten von k dominiert deshalb der Multiplikator λnk alle übrigen Multiplikato-
ren und es gilt näherungsweise:

u (k) ≈ cn λnk x n

Dieses Resultat bringt zum Ausdruck, dass der Vektor u (k) gegen den Eigenvektor x n konvergiert
(cn λnk ist ein Proportionalitätsfaktor).

Der Algorithmus der Mises-Iteration


Den Ausgangspunkt bildet ein beliebiger nichttrivialer Startvektor u (0) mit n Elementen (nicht-
trivial bedeutet, dass u (0) = 0 sein muss)5 . Im 1. Iterationsschritt wird ein neuer Vektor u (1)
berechnet:

u (1) = Au (0)

Jetzt wird der Iterationsvektor u (1) normalisiert 6 . Die Normalisierung wird üblicherweise mit
(1)
der l∞ -Norm dieses Schrittes, also mit l∞ , vorgenommen (s. Formel (13.16) auf Seite 646). Wir
erhalten den normalisierten Vektor x(1) wie folgt:

u (1) u (1)
x (1) = (1)
=
l∞ uu(1) ∞

Im 2. Iterationsschritt wird x(1) als Ausgangsvektor verwendet, um einen verbesserten Eigenvek-


tor zu ermitteln:

u (2) = Ax (1)

5 Die Konvergenz der Mises-Iteration ist umso schneller, je ähnlicher der Startvektor u (0) dem Eigenvektor x n des
größten Eigenwertes λn gewählt wird, s. auch die Anmerkungen auf Seite 651.
6 Ohne Normalisierung könnten die Vektorelemente mit zunehmender Iteration immer unhandlichere Zahlenwerte
aufweisen, so dass es selbst bei Computerauswertung zu einem overflow oder underflow der Gleitkommazahlen und
somit zum Programmabbruch kommen könnte.
13.9 Mises-Iterationsverfahren (Power-Methode) 649

Die Normalisierung im 2. Iterationsschritt erfolgt analog dem ersten Schritt:

u (2)
x (2) =
uu(2) ∞

Anmerkung: Während der Mises-Iteration sollte zweckmäßigerweise in jedem Iterationsschritt


i der jeweilige Iterationsvektor u (i) normalisiert werden. Die Normalisierung kann mit der l∞ -
(i)
Norm dieses Schrittes, also mit l∞ , vorgenommen werden:

u (i)
x (i) = (13.19)
uu(i) ∞

Im k-ten Iterationsschritt wird zunächst der nicht-normalisierte Iterationsvektor u (k) berechnet:

u (k) = Ax (k−1) (13.20)

Zwischen dem Vektor u (k) und dem daraus durch Normierung zu gewinnenden Vektor x (k) exis-
tiert formal folgende Beziehung:

u (k) = α (k) x (k) (13.21)

wobei α (k) nichts anderes ist als der Nenner von (13.19). Somit erhalten wir:

α (k) = uu(k) ∞

Einsetzen von (13.21) in (13.20) liefert:

α (k) x (k) = Ax (k−1)

Unter voraussetzung der Konvergenz der Mises-Iteration kann angenommen werden, dass nach
ausreichend vielen Iterationsschritten der Unterschied zwischen den geschätzten Eigenvektoren
x (k) und x (k−1) vernachlässigbar klein geworden ist, so dass man schreiben kann:

x (k−1) ≈ x (k) ⇒ α (k) x (k) = Ax (k)

Der letzte Ausdruck ist aber nichts anderes als (13.17), d.h. der Faktor α ist der gesuchte domi-
nante (betragsmäßig der größte) Eigenwert:

(k)
λn = α (k) = uu(k) ∞

(k)
Die Vektornorm l∞ im k−ten Iterationsschritt entspricht also dem gesuchten Eigenwert. Der
Iterationsalgorithmus nach von Mises ist in Tabelle 13.1 angegeben.
650 13 Eigenwertaufgaben

Tabelle 13.1: Algorithmus für die Mises-Iteration (Power-Methode)

Löst die spezielle Eigenwertaufgabe Ax = λxx für eine n × n-Matrix A .

EINGABE (INPUT):
Matrix A , Startvektor u (0) , Toleranz ε (Genauigkeitsschranke), maximale Anzahl N der
Iterationen.

AUSGABE (OUTPUT):
Der größte Eigenwert λ und der zugehörige Eigenvektor x ; ggf. eine Warnmeldung,
wenn Konvergenz nicht erreicht wird.

ALGORITHMUS:

u (0)
x (0) = (Normierung des Startvektors)
uu(0) ∞

λ (0) = uu(0) ∞

for k = 1,2, · · · , N do

u (k) = A x (k−1) (uu(k) berechnen)

u (k)
x (k) = (normierter Eigenvektor)
uu(k) ∞

λ (k) = uu(k) ∞ (Eigenwert)


 
 λ (k) − λ (k−1) 
 
ERR =   (Relativer Fehler)
 λ (k) 

Wenn ERR ≤ ε : Iteration abbrechen.


end do

T
x (n) A x (n)
λ= T
(Rayleigh-Quotient), n = min(k, N)
x (n) x (n)
Ausgabe von λ und x (Bildschirm, Drucker etc.)

Wenn ERR > ε : Warnmeldung, dass Konvergenz nicht erreicht wird.


13.9 Mises-Iterationsverfahren (Power-Methode) 651

Anmerkungen:

1. Die Mises-Iterationsmethode liefert den betragsmäßig größten Eigenwert (dominanter Ei-


genwert) einer Matrix. In Ingenieuranwendungen ist in der Regel jedoch der niedrigste
Eigenwert von Interesse, wie z.B. die niedrigste Eigenfrequenz bzw. die kleinste Knicklast
einer Konstruktion. Die Mises-Iterationsmethode in ihrer hier vorgestellten Standardform
ist in solchen Fällen nicht besonders nützlich. Durch eine Modifikation der Eigenwertauf-
gabe kann man die Methode aber auch für solche Aufgabenstellungen einsetzen.
2. Mit Hilfe des Rayleigh-Quotienten kann nach Beendigung der Iteration der Eigenwert noch-
mals verbessert werden, s. den Algorithmus in Tabelle 13.1.

3. Bei der Mises-Iteration konvergiert der Eigenwert wesentlich schneller als der Eigenvektor.
Bereits nach wenigen Iterationsschritten kann oft eine sehr gute Näherung für den Eigen-
wert erreicht werden, obwohl die Näherungsgüte des Eigenvektors noch nicht besonders gut
ist. Soll der Eigenvektor mit hoher Genauigkeit bestimmt werden, müssen mehr Iterationen
durchgeführt werden.

4. Die Mises-Iteration konvergiert sehr langsam, wenn der dominante Eigenwert λn der Matrix
A und der nächst kleinere Eigenwert λn−1 annähernd gleich sind, d.h. wenn λn ≈ λn−1 . In
solchen Fällen sollte einem anderen Verfahren der Vorzug gegeben werden.
5. Die Mises-Iteration ist selbst-korrigierend, d.h. ein Rechenfehler bei der Ermittlung des
verbesserten Eigenvektors würde zwar die Konvergenz verzögern, sie aber nicht unmöglich
machen (diese gutmütige Eigenschaft ist leicht nachvollziehbar, wenn man den fehlerhaft
berechneten Vektor einfach als Startvektor der Iteration betrachtet).

6. Bei der Wahl des Startvektors u (0) ist darauf zu achten, dass der Koeffizient cn in (13.18)
nicht exakt gleich Null ist, d.h. der größte Eigenvektor x n in u (0) -zumindest teilweise- ent-
halten ist. cn = 0 würde bedeuten, dass der Eigenvektor x n im Startvektor u (0) überhaupt
nicht enthalten ist, folglich kann die Iteration auch nicht gegen den größten Eigenwert λn
konvergieren. Für cn = 0 rückt die Power-Iteration den Einfluss des größten Eigenvektors
x n von Iteration zu Iteration immer stärker in Vordergrund (dabei helfen auch die Rundungs-
fehler der Gleitkommaoperationen) und konvergiert so gegen den größten Eigenwert λn . In
Computerprogrammen wird häufig ein Zufallsvektor generiert, dessen Elemente im Inter-
vall [−1 : +1] liegen und dieser als u (0) verwendet (in der Ingenieurpraxis funktioniert
diese Vorgehensweise meistens ganz gut).
652 13 Eigenwertaufgaben

Beispiel 13.11:
Mit Hilfe der Power-Methode ist der größte Eigenwert λmax und der zugehörige Ei-
genvektor der folgenden Matrix A zu bestimmen (Maple-Lösung auf Seite 749).
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
10 −1 −8 2
Ax = λxx A = ⎣ −1 0.4 1 ⎦ u (0) = ⎣ −2 ⎦
−8 1 8 2

Die l∞ -Norm des Startvektors ist uu(0) ∞ = 2.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
(0) 2 1
u 1
⇒ x (0) = (0) = ⎣ −2 ⎦ = ⎣ −1 ⎦ λ0 = uu(0) ∞ = 2
uu ∞ 2
2 1

1. Iterationsschritt:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
10 −1 −8 1 3
u (1) = Ax (0) = ⎣ −1 0.4 1 ⎦ ⎣ −1 ⎦ = ⎣ −0,4 ⎦
−8 1 8 1 −1
⎡ ⎤
1
u (1)
uu(1) ∞ = 3 λ (1) = uu(1) ∞ = 3 x (1) = (1) = ⎣ −0,1333 ⎦
uu ∞
−0,3333
2. Iterationsschritt:
⎡ ⎤
12.8
u (2) = Ax (1) = ⎣ −1.3867 ⎦ uu(2) ∞ = λ (2) = 12,8
−10.8
⎡ ⎤
(2) 1
u
x (2) = (2) = ⎣ −0,1083 ⎦
uu ∞
−0,8437
3. Iterationsschritt:
⎡ ⎤
16,8583
u (3) = Ax (2) = ⎣ −1.8871 ⎦ uu(3) ∞ = λ (3) = 16,8583
−14,8583
⎡ ⎤
(3) 1
u
x (3) = (3) = ⎣ −0,1119 ⎦
uu ∞
−0,8814
13.9 Mises-Iterationsverfahren (Power-Methode) 653

4. Iterationsschritt:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
17,1629 (4) 1
u
u (4) = Ax (3) = ⎣ −1.9261 ⎦ uu(4) ∞ = λ (4) = 17,1629 x (4) = (4) = ⎣ −0,1122 ⎦
uu ∞
−15,1629 −0,8835

5. Iterationsschritt:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
17,1800 (5) 1
u
u (5) = Ax (4) = ⎣ −1.9284 ⎦ uu(5) ∞ = λ (5) = 17,1800 x (5) = (5) = ⎣ −0,1122 ⎦
uu ∞
−15,1800 −0,8836

Die Konvergenz nach dem 5. Iterationsschritt ist ingenieurmäßig ausreichend (die bei-
den letzten Eigenwerte λ (4) = 17,1629 und λ (5) = 17,18 unterscheiden sich nur un-
wesentlich voneinander). Die relative Differenz zwischen ihnen ist vernachlässigbar
klein:

λ (5) − λ (4) 17,18 − 17,1629


ε̃ = (5)
= = 0,001 = 0,1%
λ 17,18
Eine zusätzliche Verbesserung läßt sich über den Rayleigh-Quotienten nach der 5. Ite-
ration erreichen:
T T
x (5) A x (5) = 30,811 x (5) x (5) = 1,793 ⇒ λ = 30,811/1,793 = 17,181

Der gesuchte maximale Eigenwert beträgt somit

λmax = 17,181

Auch wenn der Verbesserungseffekt des Rayleigh-Quotienten in diesem Beispiel nach


der 5. Iteration äußerst gering ausfällt (weil die erreichte Genauigkeit für k = 5 schon
sehr hoch ist), sollte er trotzdem nicht unterschätzt werden. Schon nach wenigen Ite-
rationen kann er erhebliche Verbesserungen nach sich ziehen. Folgende Tabelle zeigt
die Eigenwert-Vorhersagen in jedem Iterationsschhritt, wenn der Rayleigh-Quotient
in jeweiligen Schritt berechnet werden würde:
T T
Iteration k x (k) A x (k) x (k) x (k) λ
1 16,585 1,129 14,691
2 29,600 1,724 17,172
3 30,742 1,789 17,181
4 30,807 1,793 17,181
5 30,811 1,793 17,181
654 13 Eigenwertaufgaben

13.10 Inverse Iteration (Modifiziertes Mises-Iterationsverfahren)


Die im Abschnitt 13.9 vorgestellte Standard-Mises-Iteration konvergiert gegen den größten Ei-
genwert, s. auch die Anmerkungen auf Seite 651. In Ingenieuranwendungen ist aber normalerwei-
se nicht der größte, sondern der kleinste Eigenwert von praktischer Bedeutung, z.B. die kleinste
Knicklast einer Rahmenkonstruktion, die niedrigste Eigenfrequenz einer Brücke usw. Durch eine
Modifikation der Eigenwertaufgabe kann die Mises-Iteration auch zur Berechnung des kleinsten
Eigenwertes herangezogen werden.
Die in (13.17) gegebene spezielle Eigenwertaufgabe lässt sich durch Multiplikation der gesam-
ten Gleichung mit der Inverse A −1 von A und durch Division mit dem Eigenwert λ in folgende
Form bringen:
1 −1 1 1 1
Ax = λxx ⇒ A
  A x = A −1 λxx ⇒ I x = A −1x ⇒ x = A −1x
λ λ λ λ
I

Die ursprüngliche Eigenwertaufgabe wurde also in eine neue Eigenwertaufgabe transformiert:


1
A −1x = x (13.22)
λ
Durch Einführung eines neuen Symbols κ
1
κ= (13.23)
λ
läßt sich (13.22) auch schreiben als

A −1x = κ x (13.24)

Die Eigenwerte κi der inversen Matrix A−1 in (13.24)7 seien der Größe nach geordnet, d.h.
κ1 < κ2 < κ3 < · · · < κn . Die Anwendung der Mises-Iteration gemäß Abschnitt 13.9 auf (13.24)
liefert den größten Eigenwert κmax (=κn ), der aufgrund der Beziehung (13.23) wiederum dem
-eigentlich gesuchten- kleinsten Eigenwert λmin (=λ1 ) entspricht (wegen der reziproken Bezie-
hung zwischen κ und λ ):

1 1 1
κmax = d.h. κn = ⇒ λ1 = (13.25)
λmin λ1 κn

Die Bestimmung der Inverse A −1 in (13.24) ist eine rechenintensive Aufgabe, insbesondere bei
größeren Bauwerken wie Hochhäuser oder Brücken. Glücklicherweise braucht A −1 auch nicht
zwingend ermittelt zu werden. Um dies zu erkennen, betrachten wir einen beliebigen Iterations-
schritt k: Die Anwendung der Standard-Mises-Iteration auf die in (13.24) gegebene Eigenwert-
aufgabe liefert folgenden Ausdruck:

u (k) = A −1x (k−1)

7 Der Name »inverse Iteration« kommt daher, dass wir an der inversen Matrix A −1 iterieren.
13.10 Inverse Iteration (Modifiziertes Mises-Iterationsverfahren) 655

Der Vektor x (k−1) ist der zuletzt geschätzte Eigenvektor und bereits bekannt aus dem Iterations-
schritt k − 1. Der obige Ausdruck kann auch geschrieben werden als

A u (k) = x (k−1) (13.26)

Wir haben also ein lineares Gleichungssystem mit dem Unbekanntenvektor u (k) , welches mit
Hilfe der LU-Faktorisierung auch ohne Kenntnis von A −1 gelöst werden kann (s. Seite 687, Ab-
schnitt 15.1):

A = LU ⇒ LU u(k) = x(k−1) ⇒ u(k) = · · · (13.27)

Durch Einführung des Hilfsvektors y (k) = U u (k) erfolgt die Ermittlung von u (k) in zwei Schrit-
ten:
1. L y (k) = x (k−1) (Vorwärtssubstitution zum Bestimmen von y (k) )
2. U u (k) = y (k) (Rückwärtssubstitution zum Bestimmen von u (k) )
Der -gesuchte- kleinste Eigenwert λ (k) im k-ten Iterationsschritt ergibt sich als Reziproke von
κ (k) :

1 1
λ (k) = (k)
= (k)
κ uu ∞

Am Ende der Iteration kann das Ergebnis -falls gewünscht- nochmals mit Hilfe des Rayleigh-
Quotienten nach Tabelle 13.2 auf Seite 656 verbessert werden.

Beispiel 13.12:

Mit Hilfe der Power-Methode ist der kleinste Eigenwert und zugehörige Eigenvektor
der in Beispiel 13.11 angegebenen Eigenwertaufgabe in 3 Iterationsschritten zu be-
stimmen. Der mit Maple berechnete kleinste Eigenwert beträgt λ = 0,2698, s. Seite
751.

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
10 −1 −8 2
Ax = λxx λ =? x =? A = ⎣ −1 0.4 1 ⎦ u (0) = ⎣ −2 ⎦
−8 1 8 2

Die LU -Zerlegung der Matrix A nach dem Algorithmus in (15.6) auf Seite 689 liefert:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0 0 10 −1 −8
A = LU L = ⎣ −0,1 1 0 ⎦ U =⎣ 0 0,3 0,2 ⎦
−0.8 0,6667 1 0 0 1,467
656 13 Eigenwertaufgaben

Tabelle 13.2: Algorithmus für die Inverse-Iteration

Löst die spezielle Eigenwertaufgabe Ax = λxx für eine n × n-Matrix A.

EINGABE (INPUT):
Matrix A , Startvektor u (0)
Toleranz ε (Genauigkeitsschranke), maximale Anzahl N der Iterationen.

AUSGABE (OUTPUT):
Der kleinste Eigenwert λ und der zugehörige Eigenvektor x

ALGORITHMUS:

u (0)
x (0) = (Normierung des Startvektors)
uu(0) ∞

λ (0) = uu(0) ∞

A = LU LU -Zerlegung von A )
(L

for k = 1,2, · · · , N do

A u (k) = x (k−1) (uu(k) berechnen)

u (k)
x (k) = (normierter Eigenvektor)
uu(k) ∞
1
λ (k) = (k)
(Eigenwert)
u ∞
u
 
 λ (k) − λ (k−1) 
 
ERR =   (Relativer Fehler)
 λ (k) 

Wenn ERR ≤ ε : Iteration abbrechen.


end do
T
x (n) A x (n)
λ= T
(Rayleigh-Quotient) n = min(k, N)
x (n) x (n)
Ausgabe von λ und x (Bildschirm, Drucker etc.)
Wenn ERR > ε : Warnmeldung, dass Konvergenz nicht erreicht wird.
13.10 Inverse Iteration (Modifiziertes Mises-Iterationsverfahren) 657

Die l∞ -Norm des Startvektors ist uu(0) ∞ = 2.


⎤ ⎡ ⎡⎤
2 1
u (0)
1
⇒ x(0) = (0) = ⎣ −2 ⎦ = ⎣ −1 ⎦ λ0 = uu(0) ∞ = 2
uu ∞ 2
2 1

1. Iterationsschritt: A u (1) = x (0)


⎡ ⎤
1,0000
Die Lösung von Ly (1) = x (0) liefert : y (1) = ⎣ −0,9000 ⎦
2,4000
⎡ ⎤
1,0000
Die Lösung von U u (1) = y (1) liefert : u (1) = ⎣ −4,0909 ⎦
1,6364
⎡ ⎤
(1) 0,2444
1 u
uu(1) ∞ = 4,0909 λ (1) = = 0,2444 x (1) = (1) = ⎣ −1,0000 ⎦
uu(1) ∞ uu ∞
0,4000
2. Iterationsschritt: A u (2) = x (1)
⎡ ⎤
0,2444
Die Lösung von Ly (2) = x (1) liefert : y (2) = ⎣ −0,9756 ⎦
1,2459
⎡ ⎤
0,3222
Die Lösung von U u (2) = y (2) liefert : u (2) = ⎣ −3,8182 ⎦
0,8495
⎡ ⎤
0,0844
1 u (2)
uu(2) ∞ = 3,8182 λ (2) = = 0,2619 x (2) = (2) = ⎣ −1,0000 ⎦
uu(2) ∞ uu ∞
0,2225
3. Iterationsschritt: A u (3) = x (2)
⎡ ⎤
0,0844
Die Lösung von Ly (3) = x (2) liefert : y (3) = ⎣ −0,9916 ⎦
0,9510
⎡ ⎤
0,1534
Die Lösung von U u (3) = y (3) liefert : u (3) = ⎣ −3,7375 ⎦
0,6484
658 13 Eigenwertaufgaben

⎡ ⎤
(3) 0,0411
1 u
uu(3) ∞ = 3,7375 λ (3) = = 0,2676 x (3) = (3) = ⎣ −1,0000 ⎦
uu(3) ∞ uu ∞
0,1735
Zum Schluß wird das Ergebnis mit Hilfe des Rayleigh-Quotienten verbessert:
T T 0,27811
x (3) A x (3) = 0,27881 x (3) u (3) = 1,03179 λ= = 0,2702
1,03179

13.11 Inverse Iteration bei Schwingungsproblemen

Bei Bauwerken und sonstigen Konstruktionen tritt die Eigenwertaufgabe besonders häufig für die
Untersuchung ihrer Eigenschwingungen (Eigenfrequenzen und Schwingungsformen). In solchen
Fällen ist folgende allgemeine Eigenwertaufgabe zu lösen:

(K
K − ω 2M )xx = 0 (13.28)

K : Steifigkeitsmatrix, M : Massenmatrix, ω 2 : Eigenkreisfrequenz. Die Umformung von (13.28)


liefert die für Iteration geeignete Form:

K x = ω 2M x (13.29)

13.11.1 Bestimmung der kleinsten Eigenfrequenz

In der Ingenieurpraxis ist normalerweise die kleinste Eigenfrequenz von Bedeutung. Daher soll
zunächst untersucht werden, ob die Iteration tatsächlich gegen den kleinsten Eigenwert konver-
giert. Die Gleichung (13.29) wird auf beiden Seiten mit K −1 multipliziert und durch ω 2 dividiert:

1 −1 ω2 1 1
K K x = 2 K −1M x ⇒ I x = K −1M x K −1M x = x (13.30)
ω 2 ω ω2 ω2

Durch Einführung des neuen Symbols λ = 1/ω 2 erhält man daraus das Eigenwertproblem in der
üblichen Schreibweise:

K −1M x = λ x (13.31)

Wenn wir das Matrixprodukt K −1M als eine neue Matrix A betrachten, sehen wir, dass es sich
bei der obigen Beziehung um die spezielle Eigenwertaufgabe von (13.17) in der Form Ax = λ x
handelt und die Iteration nach Abschnitt 13.9 den größten Eigenwert λmax liefert. Aufgrund der
reziproken Beziehung λ = 1/ω 2 kann man sofort ersehen, dass die Iteration in Wirklichkeit den
kleinsten Eigenwert ωmin
2 liefert.

1 1
λmax = ⇒ ωmin
2
=
ωmin
2 λmax
13.11 Inverse Iteration bei Schwingungsproblemen 659

Die Schlußfolgerung aus den obigen Betrachtungen ist, dass die Anwendung der Iterationsme-
thode auf die Beziehung (13.29) den kleinsten Eigenwert liefert. Es ist hierbei darauf zu achten,
dass der zuletzt bekannte Schätzvektor x (k−1) auf der rechten Seite einzusetzen ist, d.h. zunächst
wird das Produkt M x (k−1) gebildet, das Ergebnis dient dann als bekannte rechte Seite z (k) bei der
Lösung des Gleichungssystems K x (k) = z (k) .

Die Anwendung der Mises-Iteration auf die Eigenwertaufgabe K x = ω 2M x liefert


den kleinsten Eigenwert ωmin
2 .

Das Vorgehen soll für einen beliebigen k-ten Iterationsschritt erklärt werden. Ausgangspunkt ist
die Beziehung K x = ω 2M x in (13.29). Zunächst wird das Produkt der Matrix M mit dem nor-
mierten Eigenvektor x (k−1) des letzten Iterationsschrittes gebildet und einem temporären Vektor
z (k) zugewiesen:

z (k) = M x (k−1) (oder: M x (k−1) −→ z (k) )

gebildet. Anschließend wird das Gleichungssystem

K u (k) = z (k)

nach u (k) gelöst8 . Für die Ermittlung von u (k) braucht man nicht unbedingt die rechenintensive
Ermittlung der inversen Matrix K −1 . Mit Hilfe der LU-Faktorisierung der Matrix K ist es mög-
lich, u (k) auch ohne Kenntnis von K −1 zu berechnen – vgl. Abschnitte 15.1 und 13.10 sowie Gl.
(13.26) und (13.27):

K = LU ⇒ LU u (k) = z (k)
  ⇒ Ly (k) = z (k) ⇒ y (k) = L −1z (k)
y (k)

U u(k) = y(k) ⇒ u(k) = U −1y(k)


(k)
Der -gesuchte- kleinste Eigenwert ω 2 wird in jedem Iterationsschritt k berechnet aus der l∞ -
Norm von u (k) :

(k) 1
ω2 =
uu(k) ∞

Der Rayleigh-Quotient kann nach Ende der Iteration das Ergebnis nochmals verbessern:

x TK x
ω2 =
x TM x

Beispiel 13.13:
Für ein 3-geschossiges Tragwerk (Stahlbetonrahmenkonstruktion mit starren Geschoß-
decken und flexiblen Stützen) ist ein dynamischer Nachweis gegen Erdbebenlasten ge-
8 Der Grund für die Verwendung des Symbols u (k) : Der Lösungsvektor u (k) ist nicht normiert, erst durch dessen
Normierung wird daraus x (k) gewonnen.
660 13 Eigenwertaufgaben

Tabelle 13.3: Inverse-Iteration für Eigenfrequenz-Berechnung

Löst die allgemeine Eigenwertaufgabe K x = ω 2M x .

EINGABE (INPUT):
Matrizen K , M , Startvektor u (0) , Toleranz ε (Genauigkeitsschranke), maximale Anzahl
N der Iterationen.

AUSGABE (OUTPUT):
Die kleinste Eigenkreisfrequenz ω und der zugehörige Eigenvektor x ; ggf. eine Warn-
meldung, wenn Konvergenz nicht erreicht wird.

ALGORITHMUS:

u (0)
x (0) = (Normierung des Startvektors)
uu(0) ∞

(0) 1
ω2 =
uu(0) ∞
K = LU LU -Zerlegung von K )
(L

for k = 1,2, · · · , N do

z (k) = M x (k−1)
K u (k) = z (k) (uu(k) berechnen)

u (k)
x(k) = (normierter Eigenvektor)
uu(k) ∞

(k) 1
ω2 = (Eigenwert)
uu(k) ∞
 
 λ (k) − λ (k−1) 
 
ERR =   (Relativer Fehler)
 λ (k) 

Wenn ERR ≤ ε : Iteration abbrechen.


end do
T
x (n) K x (n)
λ= T
(Rayleigh-Quotient) n = min(k, N)
x (n) M u (n)
Ausgabe von λ und x (Bildschirm, Drucker etc.)
Wenn ERR > ε : Warnmeldung, dass Konvergenz nicht erreicht wird.
13.11 Inverse Iteration bei Schwingungsproblemen 661

fordert, weshalb die kleinste Eigenkreisfrequenz ωmin und der zugehörige Eigenvektor
berechnet werden sollen. Die Steifigkeits- und die Massenmatrix des Bauwerks sind
unten angegeben, ebenso der Startvektor für die Iteration. Die Anzahl der maximalen
Iterationsschritte beträgt N = 4, die Toleranz ε = 0,01. Die Maple-Lösung ist auf Seite
751. ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −0,4 0 15 0 0 1
K = 107 ⎣ −0,4 0,8 −0,4 ⎦ M = 103 ⎣ 0 15 0 ⎦ u (0) = ⎣ 1 ⎦
0 −0,4 0,4 0 0 7,5 2
(0)
Die l∞ -Norm des Startvektors ist uu ∞ = 2.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
(0) 1 0,5
u 1 (0) 1 1
⇒ x (0) = (0) = ⎣ 1 ⎦ = ⎣ 0,5 ⎦ ω2 = (0)
= = 0,5
uu ∞ 2 u ∞ 2
u
2 1

Die LU -Zerlegung der Matrix K nach dem Algorithmus in (15.6) auf Seite 689 liefert:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0 0 1 −0,4 0
K = LU L = ⎣ −0,4 1 0 ⎦ U = 107 ⎣ 0 0,64 −0,4 ⎦
0 −0,625 1 0 0 0,15

1. Iterationsschritt:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
15 0 0 0,5 7500
z (1) = M x (0) = 103 ⎣ 0 15 0 ⎦ ⎣ 0,5 ⎦ = ⎣ 7500 ⎦
0 0 7,5 1 7500
⎡ ⎤
7500
Die Lösung von Ly (1) = z (1) liefert : y (1) = ⎣ 10500 ⎦
14062
⎡ ⎤
0,0037
Die Lösung von U u (1) = y (1) liefert : u (1) = ⎣ 0,0075 ⎦
0,0094
⎤⎡
0,4000
(1) 1 u (1)
uu(1) ∞ = 0,0094 ω2 = = 106,6667 x (1) = (1) = ⎣ 0,8000 ⎦
uu(1) ∞ uu ∞
1,0000
 
 ω 2 (1) − ω 2 (0)   106,6667 − 0,5 
    = 0,9953
ERR =  =
 ω 2 (1)  106,6667 
2. Iterationsschritt:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
15 0 0 0,4 6000
z (2) = M x (1) = 103 ⎣ 0 15 0 ⎦ ⎣ 0,8 ⎦ = ⎣ 12000 ⎦
0 0 7,5 1 7500
662 13 Eigenwertaufgaben

⎤⎡
6000
Die Lösung von Ly (2) = z (2) liefert : y (2) = ⎣ 14400 ⎦
16500
⎡ ⎤
0,0043
Die Lösung von U u (2) = y (2) liefert : u (2) = ⎣ 0,0091 ⎦
0,0110
⎡ ⎤
(2) 0,3864
2 (2) 1 u
uu(2) ∞ = 0,0110 ω = = 90,9091 x(2) = (2) = ⎣ 0,8295 ⎦
uu(2) ∞ uu ∞
1,0000
 
 ω 2 (2) − ω 2 (1)   90,9091 − 106,6667 
    = 0,1733
ERR =  = 
 ω 2 (2)  90,9091
3. Iterationsschritt:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
15 0 0 0,3864 5795,45
z (3) = M x (2) = 103 ⎣ 0 15 0 ⎦ ⎣ 0,8295 ⎦ = ⎣ 12443,18 ⎦
0 0 7,5 1,0000 7500
⎡⎤
5795,45
Die Lösung von Ly (3) = z (3) liefert : y (3) = ⎣ 14761,36 ⎦
16725,85
⎡ ⎤
0,0043
Die Lösung von U u (3) = y (3) liefert : u (3) = ⎣ 0,0093 ⎦
0,0112
⎡ ⎤
(3) 0,3847
(3) 1 u
uu(3) ∞ = 0,0112 ω2 = = 89,6815 x (3) = (3) = ⎣ 0,8318 ⎦
uu(3) ∞ uu ∞
1,0000
 
 ω 2 (3) − ω 2 (1)   89,6815 − 90,9091 
    = 0,0137
ERR =  = 
 ω 2 (3)  89,6815
4. Iterationsschritt:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
15 0 0 0,3847 5770,70
z (4) = M x (3) = 103 ⎣ 0 15 0 ⎦ ⎣ 0,8318 ⎦ = ⎣ 12477,71 ⎦
0 0 7,5 1,0000 7500
⎡ ⎤
5770,70
Die Lösung von Ly (4) = z (4) liefert : y (4) = ⎣ 14785,98 ⎦
16741,24
13.11 Inverse Iteration bei Schwingungsproblemen 663

⎡ ⎤
0,0043
Die Lösung von U u (4) = y (4) liefert : u (4) = ⎣ 0,0093 ⎦
0,0112
⎡ ⎤
(4) 0,3845
(4) 1 u
uu(4) ∞ = 0,0112 ω2 = = 89,5991 x (4) = (4) = ⎣ 0,8320 ⎦
uu(4) ∞ uu ∞
1,0000
 
 ω 2 (4) − ω 2 (3)   89,5991 − 89,6815 
    = 0,0009
ERR =  = 
 ω 2 (4)  89,5991
Das -ohnehin sehr genaue- Ergebnis kann zum Schluß mit Hilfe des Rayleigh-Quotienten
nochmals verbessert werden:
T T
x (4) K x (4) = 1,80097 · 106 x (4) M x (4) = 20101

1,80097 · 106 
ωmin
2
= = 89,596 ωmin = 89,596 = 9,466
20101

13.11.2 Bestimmung der größten Eigenfrequenz


Soll aus irgend einem Grunde nicht die kleinste sondern die größte Eigenfrequenz bestimmt
werden, wird die Eigenwertaufgabe nach (13.29) zunächst umgeformt. Die Multiplikation von
(13.29) auf beiden Seiten mit M −1 liefert das Eigenwertproblem in der Standardform:

M −1K = ω 2 M −1
 M x ⇒ M −1K x = ω 2x (13.32)
I

Die obige Beziehung ist identisch mit dem Eigenwertproblem von (13.17), wenn wir das Matrix-
produkt M −1K als A und ωmax
2 als λ betrachten. Die Anwendung der Mises-Iteration nach Abs.
13.9 auf (13.32) würde also die Eigenfrequenz ωmax
2 liefern.

Beispiel 13.14:
Für das Beispiel 13.13 auf Seite 659 ist die größte Eigenkreisfrequenz ωmax in 4 Ite-
rationsschritten zu berechnen. Das Ergebnis ist nach der 4. Iteration mit Hilfe des
Rayleigh-Quotienten zu verbessern.
Lsg: Die Inverse der Massenmatrix M ist besonders einfach, weil sie eine Diago-
nalmatrix ist:
⎡ ⎤
0,6667 0 0
M −1 = 10−4 ⎣ 0 0,6667 0 ⎦
0 0 1,3333
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
666,667 −266,667 0 1
M −1K = A = ⎣ −266,667 533,333 −266,667 ⎦ u (0) = ⎣ 1 ⎦
0 −533,333 533,333 2
664 13 Eigenwertaufgaben

Die l∞ -Norm des Startvektors ist uu(0) ∞ = 2.


⎤ ⎡ ⎤ ⎡
1 0,5
u (0)
1
⇒ x(0) = (0) = ⎣ 1 ⎦ = ⎣ 0,5 ⎦ λ0 = uu(0) ∞ = 2
uu ∞ 2
2 1

1. Iterationsschritt:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
666,667 −266,667 0 0,5 200,00
u (1) = Ax (0) = ⎣ −266,667 533,333 −266,667 ⎦ ⎣ 0,5 ⎦ = ⎣ −133,33 ⎦
0 −533,333 533,333 1 266,67
⎡ ⎤
(1) 0,75
u
uu(1) ∞ = 266,67 λ (1) = uu(1) ∞ = 266,67 x (1) = (1) = ⎣ −0,50 ⎦
uu ∞
1,00
2. Iterationsschritt:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
666,667 −266,667 0 0,75 633,33
u (2) = Ax (1) = ⎣ −266,667 533,333 −266,667 ⎦ ⎣ −0,50 ⎦ = ⎣ −733,33 ⎦
0 −533,333 533,333 1,00 800,00
⎡ ⎤
(2) 0,7917
u
uu(2) ∞ = 800,00 λ (2) = uu(2) ∞ = 800,00 x (2) = (2) = ⎣ −0,9167 ⎦
uu ∞
1,0000
3. Iterationsschritt:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
666,667 −266,667 0 0,7917 772,22
u (3) = Ax (2) = ⎣ −266,667 533,333 −266,667 ⎦ ⎣ −0,9167 ⎦ = ⎣ −966,67 ⎦
0 −533,333 533,333 1,0000 1022,22
⎡ ⎤
(3) 0,7554
u
uu(3) ∞ = 1022,22 λ (3) = uu(3) ∞ = 1022,22 x (3) = (3) = ⎣ −0,9457 ⎦
uu ∞
1,0000
4. Iterationsschritt:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
666,667 −266,667 0 0,7554 755,80
u (4) = Ax (3) = ⎣ −266,667 533,333 −266,667 ⎦ ⎣ −0,9457 ⎦ = ⎣ −972,46 ⎦
0 −533,333 533,333 1,0000 1037,68
⎡ ⎤
(4) 0,7284
u
uu(4) ∞ = 1037,68 λ (4) = uu(1) ∞ = 1037,68 x (4) = (4) = ⎣ −0,9372 ⎦
uu ∞
1,0000
Die größte Eigenfrequenz beträgt nach 4 Iterationen ω 2 = 1037,68. Der Rayleigh-
13.12 Inverse Iteration bei Stabilitätsaufgaben der Strukturmechanik 665

Quotient bringt eine spürbare Steigerung der Genauigkeit:


T T 2469,16
x (4) K x (4) = 2469,16 x (4) M x (4) = 2,41 ωmax
2
= = 1024,5
2,41
2469,16 
ωmax
2
= = 1024,5 ωmax = 1024,5 = 32,0 rad/s
2,41
Die mit Maple ermittelte größte Eigenfrequenz beträgt ωmax
2 = 1023,16.

13.12 Inverse Iteration bei Stabilitätsaufgaben der Strukturmechanik


Schlanke Bauwerke bzw. deren Tragelemente (z.B. Stützen von Hochhäusern, Stäbe von Fach-
werken) können unter Druckbeanspruchung instabil werden, d.h. ihre Tragfähigkeit schlagartig
verlieren. Dieser Verlust der Tragfähigkeit tritt unter Druckspannungen auf, die betragsmäßig
weit unter der Streckgrenze des Werkstoffes liegen, z.B. lediglich 10% der Streckgrenze. Das
Instabilwerden von Tragwerken bezeichnet man als Knicken, wenn es sich um Stabtragwerke
handelt; bei Platten und Schalen spricht man vom Beulen der Struktur. Mathematisch werden all
diese Phänomene durch folgende allgemeine Eigenwertaufgabe beschrieben:

(K
K − λK
K g )xx = 0 bzw. K x = λ K gx (13.33)

K : Steifigkeitsmatrix, K g : geometrische Steifigkeitsmatrix, λ : kritische Lastamplitude.

Der Vergleich von (13.33) mit (13.29) zeigt, dass beide Eigenwertaufgaben gleiche Struktur
aufweisen. Deshalb können die Lösungsalgorithmen des Abschnitts 13.11.1, insbesondere der
Tabelle 13.3 sinngemäß auf die Stabilitätsaufgabe angewandt werden, wenn die Massenmatrix
M in Tabelle 13.3 durch die geometrische Steifigkeitsmatrix K g von (13.33) und ω 2 durch λ
ersetzt werden.

Beispiel 13.15:
Ein Balken ist an seinem Ende starr eingespannt und am anderen Ende durch eine
axiale Druckkraft belastet. Die FEM-Modellierung des Balkens mit 1 Element liefert
die unten angebene Eigenwertaufgabe. Es soll die kleinste Knicklast mit Hilfe der
inversen Iteration berechnet werden (Anzahl der Iterationsschritte N = 3). Die Maple-
Lösung ist auf Seite 753.

Ausgangszustand N

E, I, A ausg
eknic
kter
Zust. Nk
L

⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0 0 0 0 0 1
K =⎣ 0 12 −6 ⎦ Kg = ⎣ 0 1,2 −0,1 ⎦ u (0) = ⎣ 1 ⎦ λmin =?
0 −6 4 0 −0,1 0,1333 1
666 13 Eigenwertaufgaben

Die l∞ -Norm des Startvektors ist uu(0) ∞ = 1.


⎤ ⎡
1
u (0) 1 1
⇒ x(0) = (0) = ⎣ 1 ⎦ λ (0) = = =1
uu ∞ uu(0) ∞ 1
1

1. Iterationsschritt:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 0 0 1 0
z (1) = K gx (0) = ⎣ 0 1,2 −0,1 ⎦ ⎣ 1 ⎦ = ⎣ 1,1000 ⎦
0 −0,1 0,1333 1 0,0333
⎡ ⎤
0
Die Lösung von K u (1) = z (1) liefert : u (1) = ⎣ 0,3833 ⎦
0,5833
⎡ ⎤
0
1 u (1)
uu(1) ∞ = 0,5833 λ (1) = = 1,7143 x (1) = (1) = ⎣ 0,6571 ⎦
uu(1) ∞ uu ∞
1,0000
 
 λ (1) − λ (0)   1,7143 − 1,0 
    = 0,417
ERR =  =
 λ (1)  1,7143 
2. Iterationsschritt:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 0 0 0 0
z (2) = K gx (1) = ⎣ 0 1,2 −0,1 ⎦ ⎣ 0,6571 ⎦ = ⎣ 0,6886 ⎦
0 −0,1 0,1333 1,0000 0,0676
⎡ ⎤
0
Die Lösung von K u (2) = z (2) liefert : u (2) = ⎣ 0,2633 ⎦
0,4119
⎡ ⎤
0
1 u (2)
uu(2) ∞ = 0,4119 λ (1) = = 2,4278 x (2) = (2) = ⎣ 0,6393 ⎦
uu(1) ∞ uu ∞
1,0000
 
 λ (2) − λ (1)   2,4278 − 1,7143 
    = 0,294
ERR =  = 
 λ (2)  2,4278
3. Iterationsschritt:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 0 0 0 0
z (3) = K gx (2) = ⎣ 0 1,2 −0,1 ⎦ ⎣ 0,6393 ⎦ = ⎣ 0,6672 ⎦
0 −0,1 0,1333 1,0000 0,0694
13.13 Zusätzliche Beispiele 667

⎡ ⎤
0
Die Lösung von K u (3) = z (3) liefert : u (3) = ⎣ 0,2571 ⎦
0,4030
⎡ ⎤
(3) 0
1 u
uu(3) ∞ = 0,4030 λ (1) = = 2,482 x (3) = (3) = ⎣ 0,6380 ⎦
uu(1) ∞ uu ∞
1,0000
 
 λ (3) − λ (2)   2,4815 − 2,4278 
    = 0,022
ERR =  = 
 λ (3)  2,4815
Die Anwendung des Rayleigh-Quotienten nochmals verbessert werden:
T T
x (3) K x (3) = 1,228 x (3) K g x (3) = 0,494

1,228
λmin = = 2,486
0,494
Das exakte Maple-Ergebnis beträgt ebenfalls λmin = 2,486, d.h. die Konvergenz der
Iteration nach Aufstellung des Rayleigh-Quotienten ist exzellent.
Anmerkung: Im vorliegenden Beispiel ist der Balken ist lediglich mit einem fini-
ten Element diskretisiert worden. Die Finite Element Methode (FEM) selbst ist ein
Näherungsverfahren, welches umso genauere Resultate liefert, je mehr Elemente ver-
wendet werden. Daher ist bei der obigen Lösung ein gewisser Fehler gegenüber der
exakten Knicklast nicht zu vermeiden – auf diesen strukturellen Fehler hat die numeri-
sche Eigenwert-Iteration keinen Einfluß. Die exakte Lastamplitude, die sog. Eulersche
Knicklast, für den obigen Balken beträgt λ = π 2 EI/(2L)2 = 2,467. Bemerkenswert ist,
dass die recht grobe Diskretisierung mit einem einzigen finiten Element ein durchaus
brauchbares Resultat (=2,486) geliefert hat, der relative Fehler beträgt lediglich 0,77%.

13.13 Zusätzliche Beispiele

Beispiel 13.16:
Für das Eigenschwingungsproblem in Beispiel 13.5 auf Seite 635 soll die kleinste Ei-
genkreisfrequenz ω und der zugehörige Eigenvektor nach der Iterationsmethode unter
Verwendung des angegebenen Startvektors u (0) berechnet werden. Einzuhaltende Ite-
rationstoleranz für ω 2 ist ε = 0.01.
     
12000 −2000 80 0 (0) 1
K= M= u =
−2000 2000 0 40 1

Die kleinste Eigenfrequenz wird mit Hilfe der inversen Iteration nach Tab. 13.1 ermit-
telt.
668 13 Eigenwertaufgaben

1. Iterationsschritt:
    
80 0 1 80
z (1) = M x (0) = =
0 40 1 40
 
0,0120
Lösung von K u (1) = z (1) : u (1) = uu(1) ∞ = 0,0320
0,0320
 
2 (1) 1 (1) u (1) 0,3750
ω = = 31,25 x = (1) =
uu(1) ∞ uu ∞ 1,0000
2. Iterationsschritt:
   
30 0,0070
z(2) = M x(1) = K u(2) = z(2) u(2) =
40 0,0270
 
(2) 2 (2) 1 (2) u (2) 0,2593
uu ∞ = 0,0270 ω = = 37,037 x = (2) =
uu(2) ∞ uu ∞ 1,0000
 
 ω 2 (2) − ω 2 (1)   37,037 − 31,25 
    = 0,1562 > ε
ERR =  = 
 ω 2 (2)  37,037
3. Iterationsschritt:
   
(3) (2) 20,7407 (3) (3) (3) 0,0061
z = Mx = Ku =z u =
40 0,0261
 
(3) 1 u (3) 0,2330
uu(3) ∞ = 0,0261 ω2 = = 38,3523 x (3) = =
uu(3) ∞ uu(3) ∞ 1,0000
 
 ω 2 (3) − ω 2 (2)   38,3523 − 37,037 
    = 0,0343 > ε
ERR =  = 
 ω 2 (3)  38,3523
4. Iterationsschritt:
   
18,6364 0,0059
z (4) = M x (3) = K u (4) = z (4) u (4) =
40 0,0259
 
2 (4) 1 u (4) 0,2267
uu(4) ∞ = 0,0259 ω =
= 38,6643 x(4) = =
uu(4) ∞ uu(4) ∞ 1,0000
 
 ω 2 (4) − ω 2 (3)   38,6643 − 38,3523 
    = 0,0081 < ε 
ERR =  = 
 ω 2 (4)  38,6643
13.13 Zusätzliche Beispiele 669

Beispiel 13.17:
Kleinste Eigenfrequenz. Das Eigenschwingungsproblem einer Hochbaurahmenkonstruk-
tion wird durch das Eigenwertproblem K x = ω 2 M x beschrieben, wobei K die Stei-
figkeitsmatrix und M die Massenmatrix, ω die Eigenkreisfrequenz und x den Eigen-
vektor bedeuten.
Die für den Nachweis der Erdbebensicherheit benötigte kleinste Eigenfrequenz ω 2
soll mit Hilfe der Power-Iteration, ausgehend vom angegebenen Startvektor x (0) , be-
rechnet werden (die zugehörigen inversen Matrizen K −1 und M −1 sind zwecks Ar-
beitserleichterung angegeben).
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1,027 −0,467 0 3 0 0 1
K = 105 ⎣ −0,467 0,933 −0,467 ⎦ M = 10 4⎣
0 2 0 ⎦ x (0) = ⎣ 1 ⎦
0 −0,467 0,467 0 0 1 2
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1,786 1,786 1,786 0,333 0 0
K −1 = 10−5 ⎣ 1,786 3,929 3,929 ⎦ M −1 = 10−4 ⎣ 0 0,5 0 ⎦
1,786 3,929 6,071 0 0 1
Das allgemeine Eigenwertproblem K x = ω 2 M x wird zunächst in ein spezielles Ei-
genwertproblem Ax = λxx überführt:

K −1K x = ω 2 K −1M x ⇒ x = ω 2 K −1M x


1 −1 1
x =K
 M x ⇒ Ax = λxx mit der Abkürzung λ=
ω2 ω2
A
⎡ ⎤
0,5357 0,3571 0,1786
A = ⎣ 0,5357 0,7857 0,3928 ⎦
0,5357 0,7857 0,6071
Die Anwendung der Mises-Iteration liefert den größten Eigenwert λmax , aus dem dann
die kleinste Eigenfrequenz ωmin2 bestimmt werden kann. Bereits nach 3 Iterationen
stellt sich befriedigende Konvergenz ein und man erhält folgendes Ergebnis (aufgrund
der starken Konvergenz kann sogar auf die Berechnung des Rayleigh-Quotienten ver-
zichtet werden):
⎡ ⎤
0,4833
(3) 1 1
x (3) = ⎣ 0,8610 ⎦ λmax = 1,542 ωmin
2
= = = 0,648 rad/s2
λmax 1,542
1,0000
670 13 Eigenwertaufgaben

Beispiel 13.18:
In Beispielen 13.13 und 13.14 wurden jeweils die kleinste und die größte Eigenkreis-
frequenz, ωmin = ω1 bzw. ωmax = ω3 , berechnet. Untersuchen Sie, ob die zugehörigen
Eigenvektoren x 1 und x 3 die Orthogonalitätsbedingungen erfüllen.

⎡ ⎤T ⎡ ⎤⎡ ⎤
0,3845 1 −0,4 0 0,7284

x 1 K x 3 = 0,8320
T ⎦ 107 ⎣
−0,4 0,8 −0,4 ⎦ ⎣ −0,9372 ⎦ = 793
1,0000 0 −0,4 0,4 1,0000
⎡ ⎤T ⎡ ⎤⎡ ⎤
0,3845 15 0 0 0,7284

x 1 M x 3 = 0,8320
T ⎦ 10 3 ⎣
0 15 0 ⎦ ⎣ −0,9372 ⎦ = 4,8
1,0000 0 0 7,5 1,0000
Das Resultat könnte zunächst überraschen, weil es -entgegen der Erwartung- nicht
Null ist! Das liegt daran, dass die Genauigkeit der Eigenvektoren noch nicht extrem
hoch ist (obwohl die Eigenwerte sehr gut konvergiert haben). Trotzdem kann inge-
nieurmäßig von der Erfüllung der Orthogonalitätsbedingung gesprochen werden – zur
Rechtfertigung betrachten wir folgende (sog. generalisierte) Größen:

x T1K x 1 = 1,8 · 106

x T1M x 1 = 20100
x T3K x 3 = 2,9 · 107
x T3M x 3 = 28633
Der Vergleich dieser Zahlenwerte mit denen oben (d.h. mit x T1K x 3 und x T1M x 3 ) zeigt,
dass die Zahlenwerte in den Orthogonalitätsbeziehungen verschwindend klein sind im
Vergleich zu den generalisierten Größen. Z.B. beträgt der Quotient x T1K x 3 / x T1K x 1 :

x T1K x 3
= 793/1,8 · 106 = 4,4 · 10−4 ≈ 0
x T1K x 1

Man kann also -ingenieurmäßig- die Orthogonalitätsbedingungen als erfüllt betrach-


ten.
Die Überprüfung der Orthogonalität mit Hilfe von direkten Maple-Prozeduren zeigt,
dass diese tatsächlich erfüllt sind, s. Beispiel auf Seite 755:

x T1K x 3 = −0,00082 ≈ 0 x T1M x 3 = −0,77 · 10−6


13.14 Aufgaben 671

13.14 Aufgaben

1. Mit Hilfe der power method bzw. der inversen Iteration sind der größte bzw. der kleinste
Eigenwert und die zugehörigen Eigenvektoren der Eigenwertaufgabe (A A − λII )xx = 0 zu
berechnen (Startvektor u (0) , Anzahl der Iterationsschritte N). Überprüfen Sie ferner, ob die
berechneten Eigenvektoren die Orthogonalitätseigenschaften erfüllen.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −1 −0.5 2
a) A = ⎣ −1 0,5 0,5 ⎦ u (0) = ⎣ −1 ⎦ N=5
−0,5 0,5 2 −2

Zunächst wird die Inverse von A gebildet:


⎡ ⎤
0,5455 1,2727 −0,1818
A −1 = ⎣ 1,2727 5,6364 −1,0909 ⎦
−0,1818 −1,0909 0,7273

Anm.: Statt der Berechnung der Inverse A −1 wäre die Lösung auch mit der LU-Zerlegung
von A möglich, s. Abschnitt 13.10 und Beispiele 13.12 und 13.13.

1. Eigenwert und Eigenvektor: 3. Eigenwert und Eigenvektor:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−0,2334 1,0000
λ1 = 0,1623 x 1 = ⎣ −1,0000 ⎦ λ3 = 4,4218 x 3 = ⎣ −0,2908 ⎦
0,2085 −0,2754

Orthogonalitätsprüfung: x T1x 3 = 0,2 · 10−5  x T1Ax 3 = 0,9 · 10−5 


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
6 3 −3 1
b) A = ⎣ 3 10 3 ⎦ x (0) = ⎣ 1 ⎦ N=4
−3 3 8 1
⎡ ⎤
0,3381 −0,1571 0,1857
A−1 = ⎣ −0,1571 0,1857 −0,1286 ⎦
0,1857 −0,1286 0,2429
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1,0000 0,2636
λ1 = 1,709 x 1 = ⎣ −0,6445 ⎦ λ3 = 12,282 x 3 = ⎣ 1,0000 ⎦
0,7847 0,4873

x T1x 3 = 0,0015 x T1Ax 3 = 0,0150


Anm.: Mit mehr Iterationen würde die Genauigkeit insbesondere der Eigenvektoren
steigen und auch folglich wäre die Orthogonalitätsbedingung noch besser erfüllt wer-
den; z.B. nach 6 Iterationen (N = 6) liefert der Orthogonalitätscheck (alle Berechnun-
gen mit 10 Dezimalstellen durchgeführt): x T1x 3 = 0,00003, x T1Ax 3 = 0,0003.
672 13 Eigenwertaufgaben

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −2 0,5 1
c) A = ⎣ −2 3 −2 ⎦ x (0) = ⎣ 1 ⎦ N=3
0,5 −2 4 1
⎡ ⎤
0,4156 0,3636 0,1299
A −1 = ⎣ 0,3636 0,8182 0,3636 ⎦
0,1299 0,3636 0,4156
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0,5447 0,9307
λ1 = 0,8238 x 1 = ⎣ 1,0000 ⎦ λ3 = 6,676 x 3 = ⎣ −1,0000 ⎦
0,5447 0,9307

x T1x 3 = 0,0139 x T1Ax 3 = 0,0185

2. Für das Eigenschwingungsproblem in Beispiel 13.5 auf Seite 635 soll die größte Eigen-
kreisfrequenz ω und der zugehörige Eigenvektor nach Mises-Iteration (vgl. Seite 663) unter
Verwendung des angegebenen Startvektors u (0) . Einzuhaltende Iterationstoleranz für ω 2 ist
ε = 0.01.
     
12000 −2000 80 0 (0) 1
K= M= u =
−2000 2000 0 40 1

Lsg: Die Iteration ähnlich wie in Beipiel 13.14 liefert die geforderte Genauigkeitstoleranz
nach 5 Iterationen (ohne Bildung des Rayleigh-Quotienten):
 
(5) 1,000
ω 2 = 161,06 ω = 12,7 x2 = ERR = 0,003 < 0,01 
−0,448

3. Die Eigenschwingung eines 3-Massen-Schwingers wird durch folgendes Eigenwertproblem


beschrieben.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
k1 + k2 −k2 0 m1 0 0
(K
K − ω 2M ) x = 0 K = ⎣ −k2 k2 + k3 −k3 ⎦ M = ⎣ 0 m2 0 ⎦
0 −k3 k3 0 0 m3

Federsteifigkeiten und Massen:

k1 = 12 k2 = 8 k3 = 8 m1 = 10 m2 = 8 m3 = 4
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
20 −8 0 10 0 0 0,08333 0,08333 0,08333
K = ⎣ −8 16 −8 ⎦ M = ⎣ 0 8 0 ⎦ K −1 = ⎣ 0,08333 0,20833 0,20833 ⎦
0 −8 8 0 0 4 0,08333 0,20833 0,33333

a) Ermitteln Sie die Matrix A , wenn diese allgemeine Eigenwertaufgabe in eine spezielle
Eigenwertaufgabe der Form Ax = ω 2 x (zwecks Berechnung des größten Eigenwer-
13.14 Aufgaben 673

tes) überführt wird.


⎡ ⎤
2,00 −0,80 0
Lsg: A = ⎣ −1,00 2,00 −1,00 ⎦
0 −2,00 2,00

b) Ermitteln Sie die Matrix A , wenn diese allgemeine Eigenwertaufgabe in eine spezi-
elle Eigenwertaufgabe der Form Ax = (1/ω 2 ) x (zwecks Berechnung des kleinsten
Eigenwertes) überführt wird.
⎡ ⎤
0,83333 0,66667 0,33333
Lsg: A = ⎣ 0,83333 1,66667 0,83333 ⎦
0,83333 1,66667 1,33333

c) Lösen Sie mit Hilfe der Mises-Iteration die Eigenwertaufgabe nach der kleinsten und
der größten Eigenkreisfrequenz ω 2 unter Verwendung des Startvektors

x (0) = [1; −1; 2]T

Die Anzahl der Iterationsschritte beträgt N = 3.


1. Eigenwert und Eigenvektor: 3. Eigenwert und Eigenvektor:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0,4018 0,4196
2 = 0,327
ωmin x 1 = ⎣ 0,8336 ⎦ ωmax
2 = 3,68 x 3 = ⎣ −0,8480 ⎦
1,0000 1,0000
Orthogonalitätsprüfung: x T1K x 3 = 0,10 x T1M x 3 = 0,03
14 Lösung von nichtlinearen Gleichungen

Eine nichtlineare Gleichung f (x) zu lösen bedeutet, diejenigen Werte der unabhängigen Varia-
ble x zu finden, für die f (x) = 0 gilt. Diese speziellen Werte von x können wir zwecks bes-
serer Unterscheidung mit r bezeichnen (sog. Nullstellen). Wird die Funktionskurve y = f (x)
im xy-Koordinatensystem wie in Bild 14.1 grafisch dargestellt, entspricht die Nullstelle r dem
Schnittpunkt zwischen der Kurve und der x-Achse. In einfachen Fällen lässt sich eine nichtlinea-
re Gleichung (NL-Gleichung oder NLG) auch mit Hilfe von Formelsammlungen (wie z.B. die
Wurzelformeln für quadratische oder kubische Gleichungen).

y=f(x)

Nullstelle
r x

Bild 14.1: Nullstelle einer nichtlinearen Funktion

In einzelnen Fällen kennt man die Nullstelle einer nichtlinearen Funktion einfach aus Erfah-
rung, z.B. dass x = 1 die Nullstelle von f (x) = ln x ist (s. auch Bild 2.4 auf Seite 30). Im allgemei-
nen wird es aber nicht möglich sein, eine NL-Gleichung auf Erfahrungsgrundlage oder mit Hilfe
einer Formelsammlung zu lösen. In solchen Fällen ist der Einsatz numerischer Lösungsverfah-
ren sinnvoll bzw. sogar notwendig. Numerische Verfahren liefern immer eine Näherungslösung,
deren Genauigkeit allerdings durch Erhöhungs der Iterationsschritte an die Erfordernisse der ge-
stellten Aufgabe beliebig genau angepasst werden kann. Nachfolgend wird ein Einblick in diese
numerischen Methoden gegeben.

14.1 Regula Falsi


Die Methode regula falsi (»Methode der falschen Position«, auch Eingabelungsverfahren ge-
nannt) ist eine beliebte Iterationsmethode zur Bestimmung der Nullstelle r einer beliebigen
Funktion f (x) = 0 (Bild 14.2).
Zum Starten der Iteration werden zwei x-Werte a und b benötigt, die so zu wählen (zu schät-
zen) sind, dass die zugehörigen Funktionswerte fa = f (a) und fb = f (b) verschiedene Vorzei-
chen haben (der eine Funktionswert positiv, der andere negativ). Diese unterschiedlichen Vorzei-
chen garantieren, dass im Intervall [a, b] mit Sicherheit eine Nullstelle r der Funktion vorliegt,

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_14,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
676 14 Lösung von nichtlinearen Gleichungen

d.h. die Funktionskurve f (x) die x-Achse bei r schneidet.1 Zu den Startwerten a und b gehö-
ren die Punkte A = (a, fa ) und B = (b, fb ) auf der Funktionskurve. Die Verbindungsgerade L
der Punkte A und B schneidet die x-Achse an der Position x = c (Bild 14.2), welche eine eine
verbesserte Schätzung für die gesuchte Nullstelle darstellt (verbessert deswegen, weil c näher an
r liegt als a oder b). Der Wert von c läßt sich mit Hilfe der Steigung m der Verbindungsgerade
von A und B bestimmen.

fb B
y=f(x)

a c r
c’ b x
fc’

fa P
A

Bild 14.2: Regula Falsi (Eingabelungsverfahren)

fb − fa
Bestimmung von m aus dem Dreieck ABP : m=
b−a
fb
Bestimmung von m aus dem Dreieck cBb : m=
b−c
Gleichsetzen der beiden Beziehungen liefert die Bestimmungsformel für c:
fb − fa fb
=
b−a b−c
fb a − fa b fb a − fa b + ( fb b − fb b) b( fb − fa ) − fb (b − a)
⇒ c= = =
fb − fa fb − fa fb − fa
(b − a) fb
⇒ c = b− (14.1)
fb − fa

Im 2. Iterationsschritt wird die nächste -noch genauere- Nullposition c bestimmt und diese
neu berechnete Position der Variable c zugewiesen.
Nach dem ersten Iterationsschritt müssen aber auch die Werte von a und b neu angepasst
werden, um korrekt weiter iterieren zu können. Es muß nämlich festgestellt werden, in welchem
Intervall sich die Nullstelle gerade befindet. Es existieren hierfür drei Möglichkeiten:
1 Das ist eine Folge des sog. Mittelwertsatzes der Infinitesimalrechnung.
14.1 Regula Falsi 677

a) sign fa = sign fc ( fa und fc haben gleiches Vorzeichen).


Die Nullstelle r befindet sich offensichtlich im Intervall [c, b]. Der alte Wert der Variable
a wird durch den aktuellen Wert von c ersetzt (b bleibt unverändert). Auch der alte Funkti-
onswert fa muss jetzt durch einen neuen ersetzt werden.

a := c, dann f (a) neu berechnen

Die verbesserte Nullstelle c ergibt sich nunmehr durch sinngemäße Anwendung von (14.1)
auf das neue Intervall [a, b].
b) sign fb = sign fc ( fb und fc haben gleiches Vorzeichen).
Die Nullstelle r befindet sich in diesem Fall im Intervall [a, c]. In der Formel (14.1) wird
diesmal die Variable b durch c ersetzt (a bleibt unverändert). Der Funktionswert fb wird
neu berechnet.

b := c, dann f (b) neu berechnen

Die verbesserte Nullstelle c ergibt sich wieder aus (14.1).


c) f (c) = 0 oder f (c) ≈ 0
Die Nullstelle r ist schon gefunden und keine weitere Iteration erforderlich. In der Praxis
wird die Bedingung f (c) = 0 nur in Ausnahmefällen exakt erfüllt werden können, weil auf
der reellen Zahlenachse unendlich viele Gleitkommazahlen existieren (ein Taschenrechner
oder ein Computer kann Zahlen nur mit endlicher Genauigkeit darstellen). Deshalb verwen-
det man in der Praxis die Bedingung f (c) ≈ 0. Beim Programmieren wird dies ausgedrückt
durch

| f (c)| < ε ⇒ r≈c

ε wird als Toleranz bzw. Genauigkeitsschranke bezeichnet; sie ist eine kleine positive Zahl,
z.B. ε = 0,01 oder aber auch ε = 1−6 , die in Anlehnung an die Anforderungen der zu
lösenden Aufgabe vom Anwender zu wählen ist.
Der Iterationsalgorithmus für regula falsi ist in Tabelle 14.1 zusammen gestellt.
Anmerkungen:
1. Regula Falsi ist deutlich schneller als das sog. Bisektionsverfahren. Das Bisektionsverfahren
basiert auf verketteter Halbierung des die Nullstelle enthaltenden Intervalls; es ist zwar
besonders einfach zu handhaben, konvergiert jedoch langsamer.
2. In seltenen Fällen, z.B. bei einer extrem flach verlaufenden Funktionskurve, kann es in
Kombination mit einer üblichen Toleranzvorgabe (z.B. ε = 10−3 bis ε = 10−2 ) vorkommen,
dass der konvergierte Funktionswert fc die Toleranz zwar unterschreitet, die Genauigkeit
der gefundenen Nullstelle jedoch noch eine gewisse Unschärfe besitzt. Zur Sicherstellung
einer vollständigen Konvergenz wird daher für reale Anwendungen empfohlen, nicht nur
die Bedingung | f (c)| < ε zu überprüfen, sondern auch die Änderungsrate der Nullstelle c
zwischen zwei aufeinander folgenden Iterationsschritten zu überwachen. Eine Konvergenz
ist dann garantiert, wenn die Bedingung (|(ck − ck−1 )/ck |) < ε ebenfalls erfüllt ist.
678 14 Lösung von nichtlinearen Gleichungen

Beispiel 14.1:
Mit Hilfe von regula falsi soll die nichtlineare Gleichung

f (x) = 1 − 10x e−x sin x

gelöst werden. Die auf Nullstellen zu untersuchenden Intervalle sind [0, 1] sowie
[2, 5]. Als Konvergenzkriterium wird die Genauigkeitsschranke (Toleranz) ε = 0,001
gewählt. Die maximale Anzahl der Iterationsschritte ist N = 6.

2
y

0 1 2 3 4 5
x

–2

Lösung mit Regula Falsi im Intervall [0, 1]


k a b fa fb c fc
0 0 1 1 −2.1 0.323 0.258 r = 0,389
1 0.323 1 0.258 −2.1 0.397 −0.0326
2 0.323 0.397 0.258 −0.0326 0.389 0.0009 < ε

Lösung mit Regula Falsi im Intervall [2, 5]


k a b fa fb c fc
0 2.000 5.000 −1.46 1.32 3.57 1.42
1 2.000 3.574 −1.46 1.42 2.8 0.426 r = 2,6
2 2.000 2.798 −1.46 0.426 2.62 0.0452
3 2.000 2.618 −1.46 0.0452 2.6 0.00336
4 2.000 2.599 −1.46 0.00336 2.6 0.000239 < ε
14.2 Fixpunkt-Iteration 679

Tabelle 14.1: Algorithmus Regula Falsi

Bestimmt die Nullstelle einer nichtlinearen Gleichung f (x) = 0.

EINGABE (INPUT):
- ε : Toleranz (Genauigkeitsschranke) für den Funktionswert
- N : maximale Anzahl der Iterationen.
- a,b : Intervallgrenzen beim Start der Iteration

AUSGABE (OUTPUT):
Näherungslösung für die Nullstelle von f (x) und eine Erfolgsmeldung (bzw. Warnmel-
dung, wenn Konvergenz nicht erreicht wird).

ALGORITHMUS:
fa = f (a), fb = f (b)
for k = 1,2, · · · , N do
c = b − (b − a) ∗ fb /( fb − fa ),
fc = f (c)
if | fc | < ε : Iteration abbrechen (Konvergenz erreicht).
if sign fa = sign fc
a = c, fa = fc
else
b = c, fb = fc
end if
end do
c und fc ausdrucken.
if | fc | < ε : Erfolgsmeldung ausdrucken; ansonsten Warnmeldung, dass Konver-
genz nicht erreicht wurde.

14.2 Fixpunkt-Iteration
Die Fixpunkt-Iteration ist ein konzeptionell einfaches Verfahren zur näherungsweisen Bestim-
mung der Nullstellen einer nichtlinearen Gleichung f (x) = 0. Dabei wird die Ausgangsgleichung
f (x) = 0 zunächst mit Hilfe geeigneter Umformungen in die Form

f (x) = 0 Umformung h(x) = g(x) (14.2)


−−−−−−−−−−−−→

gebracht. Anschließend wird für die unbekannte Nullstelle x∗ ein Startwert x0 gewählt und in
die rechte Seite g(x) von (14.2) eingesetzt. Der aus der Auswertung von g(x) mit x0 resultieren-
de Zahlenwert g0 liefert eine neue Gleichung h(x) = g0 , deren Wurzel x1 mit einem geeigneten
Verfahren zu bestimmen ist. Die gegenüber dem Startwert x0 verbesserte Nullstellenschätzung
x1 wird danach erneut in die rechte Seite g(x) eingesetzt, dabei ein neuer Zahlenwert g1 = g(x1 )
680 14 Lösung von nichtlinearen Gleichungen

berechnet und anschließend aus h(x) = g1 wieder ein weiter verbesserter Schätzwert x2 ermit-
telt. Diese Iterationsfolge liefert eine Zahlenfolge x0 , x1 , x2 , x3 , · · ·, welche gegen die gesuchte
exakte Nullstelle x∗ konvergiert:

g(x0 ) → g0 Lösung von h(x) = g0 liefert x1


g(x1 ) → g1 Lösung von h(x) = g1 liefert x2
g(x2 ) → g2 Lösung von h(x) = g2 liefert x3

Die Verallgemeinerung dieser Rechenschritte liefert die Rechenvorschrift der Fixpunkt-Iteration2 :

h(xk+1 ) = g(xk ) Fixpunkt-Iteration (14.3)

Sonderfall h(x) ≡ x
Ist h(x) = x , dann lautet die zu lösende Gleichung

x = g(x) (14.4)

Die oben beschriebene Iterationsfolge liefert:

x1 = g(x0 ) x2 = g(x1 ) x3 = g(x2 ) ······

Die Iterationsformel lautet für diesen Sonderfall:

xk+1 = g(xk ) (14.5)

Die Umformung von f (x) = 0 in die Gleichungsform h(x) = g(x) kann auf vielfältige Weise
erfolgen – mit jeweils unterschiedlichem Ergebnis für h(x) und g(x). Deshalb kann die Zah-
lenfolge der Iterationswerte x1 , x2 , x3 , · · · jeweils auch unterschiedlich sein. Ebenso hängt die
Konvergenzrate (oder ob der eingeschlagene Iterationsweg überhaupt konvergiert) vom jeweili-
gen h(x)/g(x)-Paar ab.
Abbruch der Iteration. Die Iteration kann als konvergiert betrachtet werden, wenn die rela-
tive Differenz der letzten zwei aufeinander folgenden Nullstellen eine vorgegebene Toleranz ε
unterschreitet (für die Wahl von ε siehe die Ausführungen auf Seite 677):
 
 xk+1 − xk 
 <ε ⇒ xk+1 ≈ x∗
 x 
k+1

Konvergenzbedingung.
Eine ausgeprägte Schwäche der Fixpunkt-Iteration ist, dass die Funktionen h(x) und g(x) in der
Nähe der Nullstelle x∗ bestimmte Bedingungen erfüllen müssen, damit das Verfahren überhaupt

2 Der Name Fixpunkt-Iteration rührt daher, dass die linke und die rechte Seite von (14.2) für einen Fixpunkt x∗ zuein-
ander konvergieren.
14.2 Fixpunkt-Iteration 681

konvergiert. Diese Bedingungen sind:

|g (x)| < |h (x)| für die Gleichungsform (14.2)


(14.6)
|g (x)| < 1 für die Gleichungsform (14.4)

Falls die Bedingung (14.6) nicht erfüllt wird, tritt entweder Divergenz auf oder die Nullstelle
oszilliert zwischen zwei Werten (Pingpong-Effekt). Eine Abhilfe könnte die Modifikation der
Teilfunktionen g(x) und h(x) schaffen, wenn dadurch die Bedingung (14.6) doch noch erfüllt
werden kann.

Beispiel 14.2:
Mit Hilfe von Fixpunkt-Iteration soll die nichtlineare Gleichung

f (x) = 1 − 10x e−x sin x

gelöst werden. Als Konvergenzkriterium wird die Genauigkeitsschranke (Toleranz)


ε = 0,001 . Die maximale Anzahl der Iterationsschritte ist N = 6.

2
y

0 1 2 3 4 5
x

–2

a) Lösungsweg 1
Wir wählen folgende Umformung für f (x):

ex
f (x) = h(x) g(x) mit h(x) = x g(x) =
10 sin x
Die nichtlineare Gleichung liegt in der Form von (14.4) vor, d.h. x = g(x).
Iteration nach (14.5) liefert:

k xk g(xk ) xk+1 ERR


0 0,3000 0,4568 0,4568 0,343
1 0,4568 0,3580 0,3580 0,276
2 0,3580 0,4082 0,4082 0,123
3 0,4082 0,3789 0,3789 0,078
4 0,3789 0,3949 0,3949 0,040
5 0,3949 0,3858 0,3858 0,024
6 0,3858 0,3909 0,3909 0,013
682 14 Lösung von nichtlinearen Gleichungen

Die Konvergenz wird in 6 Iterationsschritten nicht erreicht, der relative Fehler


im letzten Iterationsschritt ist 1,3% (liegt also über dem vorgegebenen zulässi-
gen Fehler ε = 0,001 ). Die beim Abbruch der Iteration berechnete Nullstelle
ist r = 0,3909. Die Lösungsfolge ist aber offensichtlich doch konvergent. Die
vorgegebene Toleranz ε = 10−3 wurde tatsächlich nach N = 11 Iterationsschrit-
ten erreicht (in der Tabelle nicht gezeigt, führen Sie diese Iterationsschritte als
Hausaufgabe aus!).
Konvergenzbedingung nach (14.6) wird im Bereich der Nullstelle x∗ = 0,4 er-
füllt:
10 ex (sin x − cos x)
g (x) = g (x∗ ) = −0,523
100 sin2 x
?
h (x) = 1 h (x∗ ) = 1 |g (x∗ )| < |h (x∗ )| 0,523 < 1 

b) Lösungsweg 2
Wir wählen folgende Umformung für f (x):

ex
f (x) = h(x) g(x) mit h(x) = sin x g(x) =
10x
Diese Wahl entspricht der Form h(x) = g(x) der Gleichung (14.2).
Iteration nach (14.3) liefert:

k xk g(xk ) xk+1 ERR


0 0,3000 0,4500 0,4667 0,357
1 0,4667 0,3417 0,3487 0,338
2 0,3487 0,4064 0,4185 0,167
3 0,4185 0,3631 0,3716 0,126
4 0,3716 0,3902 0,4009 0,073
5 0,4009 0,3725 0,3817 0,050
6 0,3817 0,3838 0,3939 0,031

Auch hier wird die Konvergenz in 6 Iterationsschritten nicht erreicht, der rela-
tive Fehler im letzten Iterationsschritt ist 3,1%; die näherungsweise berechnete
Nullstelle ist r = 0,3939. Die Lösungsfolge ist aber offensichtlich konvergent.
Die vorgegebene Toleranz ε = 10−3 läßt sich tatsächlich nach N = 15 Iterations-
schritten erreichen (in der Tabelle nicht gezeigt).
Konvergenzbedingung nach (14.6) wird im Bereich der Nullstelle x∗ = 0,4 er-
füllt:
10 ex (x − 1)
g (x) = g (x∗ ) = −0,5594
100 x2
?
h (x) = cos x h (x∗ ) = 0,9210 |g (x∗ )| < |h (x∗ )| 0,5594 < 0,9210 
14.3 Zusätzliche Beispiele 683

c) f (x) = h(x) g(x) mit h(x) = ex g(x) = 10x sin x

k xk g(xk ) xk+1 ERR


0 0,3000 0,8866 −0,1204 3,492
1 −0,1204 0,1446 −1,9336 0,938
2 −1,9336 18,0774 2,8947 1,668
3 2,8947 7,0754 1,9566 0,479
4 1,9566 18,1279 2,8975 0,325
5 2,8975 7,0038 1,9465 0,489
6 1,9465 18,1072 2,8963 0,328

Bei diesem h-g-Paar stellt sich kein konvergierendes, sondern ein alternierendes
Verhalten bei der Folge von x-Werten ein. Der relative Fehler im letzten Iterati-
onsschritt ist 32,8%.
Konvergenzbedingung nach (14.6) wird im Bereich der Nullstelle x∗ = 0,4 nicht
erfüllt:

g (x) = 10 sin x + 10 x cos x g (x∗ ) = 7,578


?
h (x) = ex h (x∗ ) = 1,492 |g (x∗ )| < |h (x∗ )| 7,578 > 1,492 

14.3 Zusätzliche Beispiele


Beispiel 14.3:
Mit Hilfe von regula falsi soll die nichtlineare Gleichung

f (x) = 1 − 10x e−x cos x

gelöst werden. Die auf Nullstellen zu untersuchenden Intervalle sind [0, 1] sowie
[1, 2]. Die Genauigkeitsschranken (Toleranz) ist ε = 0,001. Die maximale Anzahl
der Iterationsschritte beträgt N = 6.

2
y

0 1 2 3 4 5
x

–2
684 14 Lösung von nichtlinearen Gleichungen

Nullstellensuche im Intervall [a,b]=[0.000000, 1.000000]


k a b fa fb c fc
0 0.000 1.000 1 -0.988 0.503 -1.66
1 0.000 0.503 1 -1.66 0.189 -0.535
2 0.000 0.189 1 -0.535 0.123 -0.0791
3 0.000 0.123 1 -0.0791 0.114 -0.0101
4 0.000 0.114 1 -0.0101 0.113 -0.00128
5 0.000 0.113 1 -0.00128 0.113 -0.00016
Die Nullstelle ist : r=0.112657 (Konvergenz erreicht)

Nullstellensuche im Intervall [a,b]=[1.000000, 5.000000]


k a b fa fb c fc
0 1.000 5.000 -0.988 0.904 3.09 2.41
1 1.000 3.088 -0.988 2.41 1.61 1.12
2 1.000 1.608 -0.988 1.12 1.28 -0.00248
3 1.285 1.608 -0.00248 1.12 1.29 0.000114
Die Nullstelle ist : r=1.28564 (Konvergenz erreicht)

Beispiel 14.4:
Mit Hilfe von Fixpunkt-Iteration soll die nichtlineare Gleichung gelöst werden. Einzu-
haltende Toleranz beträgt ε = 0,001 .

f (x) = 5 ln x − x
4

2
y

0 2 4 6 8 10 12 14
x

–2

a) Lösungsweg 1

f (x) = h(x) g(x) mit h(x) = x g(x) = 5 ln x

Iteration nach (14.5) mit Startposition x0 = 2 liefert die Nullstelle r = 12,7063:


k x_k g(x_k) x_(k+1) ERR
0 2.0000 3.4657 3.4657 0.4229
1 3.4657 6.2146 6.2146 0.4423
2 6.2146 9.1345 9.1345 0.3197
3 9.1345 11.0603 11.0603 0.1741
4 11.0603 12.0168 12.0168 0.0796
5 12.0168 12.4315 12.4315 0.0334
6 12.4315 12.6012 12.6012 0.0135
7 12.6012 12.6690 12.6690 0.0053
8 12.6690 12.6958 12.6958 0.0021
9 12.6958 12.7063 12.7063 0.0008
Konvergenz erreicht
14.3 Zusätzliche Beispiele 685

Es ist auffallend, dass die Iteration –trotz der in der Nähe der ersten Nullstelle
gewählten Startposition– gegen die zweite Nullstelle konvergiert. Die Ursache
hierfür ist die Konvergenzbedingung (14.6), welche für x = 12,7 erfüllt wird,
nicht aber für die erste Nullstelle x = 1,3:
5
g (x) = h (x) = 1
x
?
g (12,7) = 0,3937 h (12,7) = 1 |g | < |h | 0,3937 < 1 
?
g (1,3) = 3,846 h (1,3) = 1 |g | < |h | 3,846 < 1 
x∗
Der Trick, die Konvergenz gegen die erste Nullstelle = 1,3 z.B. dadurch zu
erzwingen, indem die Startposition kleiner als 1,3 gewählt wird, z.B. x0 = 1,2 ,
funktioniert nicht; die Iteration bricht ab wegen Logarithmus mit negativem Ar-
gument (probieren Sie es aus!).
b) Lösungsweg 2

f (x) = h(x) g(x) mit h(x) = 5 ln x g(x) = x

Diesmal gelingt es, die erste Nullstelle zu ermitteln. Iteration nach (14.5) mit
Startposition x0 = 2 liefert die Nullstelle r = 1,2961:
k x_k g(x_k) x_(k+1) ERR
0 2.0000 2.0000 1.4918 0.3406
1 1.4918 1.4918 1.3477 0.1070
2 1.3477 1.3477 1.3093 0.0293
3 1.3093 1.3093 1.2994 0.0077
4 1.2994 1.2994 1.2968 0.0020
5 1.2968 1.2968 1.2961 0.0005
Konvergenz erreicht
Konvergenzbedingung nach (14.6) wird im Bereich der Nullstelle x∗ = 1,3 er-
füllt:
5
g (x) = 1 h (x) =
x
?
g (1,3) = 1 h (1,3) = 3,846 |g | < |h | 1 < 3,846 
686 14 Lösung von nichtlinearen Gleichungen

14.4 Aufgaben
1. Bestimmen Sie eine Nullstelle r der angegebenen Funktion mit regula falsi im angegeben
Intervall. Toleranz ε = 10−3 .
a) f (x) = x sin x − 2 [4,0; 8,0] Lsg: r = 6,59
b) f (x) = x + 2 − ex [1,0; 1,5] Lsg: r = 1,15
c) f (x) = x − 1 − sin x [1,0; 3,0] Lsg: r = 1,93

2. Bestimmen Sie eine Nullstelle r der angegebenen Funktion mit der Fixpunkt-Iteration
(Startposition x0 angegeben). Toleranz ε = 10−3 . Überprüfen Sie die Konvergenzbedingung
(14.6) für jede Aufgabe.
a) f (x) = tanh x − ln x x0 = 2 Lsg: r = 2,6936

b) f (x) = x − x + 5 x0 = 2 Lsg: r = 2,7911
1
c) f (x) = x − x0 = 1,5 Lsg: r = 1,1139
sin x
3. Die Fixpunkt-Iteration konvergiert nicht für folgende Gleichungen (Startwert x0 ). Zeigen
Sie mit Hilfe der Konvergenzbedingung (14.6), dass das auch zu erwarten wäre.
a) f (x) = x − 3 sin x mit h(x) = x g(x) = 3 sin x x0 = 2
b) f (x) = x − 2 cos x mit h(x) = x g(x) = 2 cos x x0 = 1
x2 x2
c) f (x) = x − mit h(x) = x g(x) = cos x x0 = 2
3 3
4. Bestimmen Sie die Nullstelle r folgender Funktionen im angegeben Intervall. Toleranz
ε = 10−3 .
 
1 2
a) f (x) = x sinh −5 [0,3; 0,7] Lsg: r = 0.4221
x
 
1 2
b) f (x) = x cosh −5 [1,5; 3,0] Lsg: r = 1,9778
x
15 Lösungsverfahren für lineare Gleichungssysteme

In Abschnitt 4.6.1 auf Seite 148 hatten wir das Gauss-Eliminationsverfahren kennen gelernt, wel-
ches einer der grundlegendsten Algorithmen zur Lösung eines linearen Gleichungssystems mit
n Unbekannten x1 , x2 , x3 , · · · , xn ist. In diesem Kapitel lernen wir noch einige weitere Lösungs-
verfahren, die in der Praxis eine wichtige Rolle spielen.
Das zu lösende lineare Gleichungssystem lautet:

Ax = b (15.1)

mit der Koeffizientenmatrix A , der rechten Seite b und dem Vektor x der Unbekannten:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n b1 x1
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ b2 ⎥ ⎢ x2 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ . . .. . ⎥ b = ⎢ . ⎥ x = ⎢ . ⎥
⎣ .. .. . .. ⎦ ⎣ .. ⎦ ⎣ .. ⎦
an1 an2 . . . ann bn xn

Es wird vorausgesetzt, dass in A alle Hauptdiagonalelemente von Null verschieden sind (aii = 0
für i = 1,2, · · · , n); ggf. muß das durch Vertauschen der Zeilen des Gleichungssystems sicherge-
stellt sein. Für die Lösung von (15.1) stehen sowohl direkte und als auch iterative Lösungsver-
fahren zur Verfügung, einige von denen nachfolgend besprochen werden.
Bei direkten Verfahren kann die maximal erforderliche Anzahl von Rechenoperationen a prio-
ri angegeben, zumindest sehr gut abgeschätzt, werden. Dadurch ist es möglich, die Rechenzeit
für die Lösung der Gleichungssystems im voraus näherungsweise zu ermitteln. Bei iterativen
Verfahren ist eine solche Abschätzung nicht möglich; die Anzahl der Iterationen und somit die
Rechenzeit hängt von Eigenschaften der Koeffizientenmatrix A ab, z.B. von ihrer Konditionszahl,
sowie von der Wahl des Startvektors x 0 .

15.1 LU-Faktorisierung

Die LU-Faktorisierung ist ein direktes und mit der Gauss-Eliminationsmethode eng verwandtes
Verfahren. Dessen Ausgangspunkt ist die grundsätzliche Möglichkeit, die Koeffizientenmatrix A
in (15.1) als Produkt von zwei Dreiecksmatrizen darzustellen.

A =LU (15.2)

L ist eine untere (lower) und U eine obere (upper) Dreiecksmatrix. Je nach ihrer Struktur un-
terscheidet man zwischen den Verfahren von Doolittle, Crout und Cholesky, die nachfolgend
besprochen werden. In jedem dieser Verfahren werden die Elemente von L und U zeilenweise
(von der ersten zur letzten Zeile) und in jeder Zeile von der ersten zur letzten Spalte hin ermittelt.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_15,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
688 15 Lösungsverfahren für lineare Gleichungssysteme

15.1.1 Doolittle-Verfahren

Beim Doolittle-Verfahren besteht die Hauptdiagonale der unteren Dreiecksmatrix L aus lauter
»1«. Die Zerlegung von A sieht dann wie folgt aus:

A = LU
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n 1 0 ... 0 u11 u12 . . . u1n
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ l21 1 ⎥ ⎢
... 0 ⎥ ⎢ 0 u22 . . . u2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ . .. .. .. ⎥=⎢ .. .. .. ⎥ ⎢ .. .. .. ⎥ (15.3)
⎣ .. . . . ⎦ ⎣ . . . ⎦ ⎣ . . . ⎦
an1 an2 . . . ann ln1 ln2 . . . 1 0 0 . . . unn
        
A L U

Für die Bestimmung der Elemente von L und U werden die Matrizen L und U in (15.3) mitein-
ander multipliziert. Auf diese Weise erhält man zunächst:

a11 = u11 a12 = u12 · · · a1n = u1n


a21 = l21 u11 a22 = l21 u12 + u22 · · · a2n = l21 u1n + u2n
n−1
(15.4)
an1 = ln1 u11 an2 = ln1 u12 + ln2 u22 · · · ann = ∑ lnk ukn + unn
k=1

Die Umstellung der Beziehungen nach den unbekannten l- und u-Termen liefert:

u11 = a11 u12 = a12 ··· u1n = a1n


l21 = a21 /u11 u22 = a22 − l21 u12 ··· u2n = a2n − l21 u1n
······ ······ ··· ······
n−1
ln1 = an1 /u11 ln2 = (an2 − ln1 u12 )/u22 ··· unn = ann − ∑ lnk ukn
k=1

Mit Hilfe der Faktorisierung in (15.2) läßt sich das lineare Gleichungssystem (15.1) schreiben
als

Ax =b ⇒ LU x = b (15.5)

Die Lösung des Gleichungssystems (15.5) erfolgt in zwei Schritten:


Schritt 1: Durch Einführung eines neuen Vektors y anstelle des Produktes U x , d.h. y = U x,
läßt sich (15.5) in ein neues lineares Gleichungssystem transformieren:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0 ... 0 y1 b1
⎢ l21 1 ... 0 ⎥ ⎢ y2 ⎥ ⎢ b2 ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
U x =b
L  Ly =b ⎢ .. .. .. ⎥ ⎢ .. ⎥=⎢ .. ⎥
⎣ . . . ⎦⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
y
ln1 ln2 ... 1 yn bn

Die Lösung des Gleichungssystems L y = b nach y ist einfach, weil L eine Dreiecksmatrix ist.
15.1 LU-Faktorisierung 689

Die Abarbeitung der Gleichungen von oben nach unten liefert:

1 · y 1 = b1 ⇒ y1 = b1
l21 y1 + 1 · y2 = b2 ⇒ y2 = b2 − l21 y1
l31 y1 + l32 · y2 + 1 · y3 = b3 ⇒ y3 = b3 − l31 y1 − l32 y2 · · · · · · usw.

Schritt 2: Nachdem y bestimmt wurde, kann U x = y nach x gelöst werden. Auch dieser
Schritt ist einfach, weil U eine Dreiecksmatrix ist. Die Abarbeitung der Gleichungen in U x = y
von unten nach oben liefert:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
u11 u12 . . . u1n x1 y1
⎢ 0 u22 . . . u2n ⎥⎢ x2 ⎥ ⎢ y2 ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
U x =y ⎢ .. .. .. ⎥⎢ .. ⎥=⎢ .. ⎥
⎣ . . . ⎦⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
0 0 . . . unn xn yn
n
y1 − ∑ u1k xk
yn yn−1 − un−1,n xn k=2
xn = xn−1 = ··· x1 =
unn un−1,n−1 u11

Die Verallgemeinerung der obigen Lösungsschritte liefert die folgenden Formeln für das
Doolittle-Verfahren.

Doolittle-Verfahren für A x = b

LU-Faktorisierung
A = LU A ist eine (n × n)-Matrix
i = 1,2, · · · , n j = 1,2, · · · , n
 
j−1
1
li j = ai j − ∑ lik uk j für j < i
ujj k=1
lii = 1
i−1
(15.6)
ui j = ai j − ∑ lik uk j für j ≥ i
k=1

Bestimmung von x und y


Ly = b Ux = y
i−1
yi = bi − ∑ lik yk i = 1,2, · · · , n
k=1
 
n
1
xi =
uii
yi − ∑ uik xk i = n, · · · ,2,1
k=i+1
690 15 Lösungsverfahren für lineare Gleichungssysteme

Beispiel 15.1:
Mit Hilfe der LU-Faktorisierung nach Doolittle ist das folgende Gleichungssystem zu
lösen.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 −0.2 0.2 x1 4
⎣ −0.2 1 0.4 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
0.2 0.4 2 x3 6

Die LU-Faktorisierung der Koeffizientenmatrix nach Doolittle A gemäß (15.6) liefert:

u11 = a11 = 2 u12 = a12 = −0,2 u13 = a13 = 0,2

l21 = a21 /u11 = −0,2/2 = −0,1 u22 = a22 − l21 u12 = 1 − (−0,1) (−0,2) = 0,98
u23 = a23 − l21 u13 = 0,4 − (−0,1)(0,2) = 0,42
l31 = a31 /u11 = 0,2/2 = 0,1 l32 = (a32 −l31 u12 )/u22 = (0,4−(0,1) (−0,2))/0,98 = 0,4286
u33 = a33 − l31 u13 − l32 u23 = 2 − (0,1)(0,2) − (0,4286)(0,42) = 1,8
⎡ ⎤⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0 0 2 −0.2 0.2 x1 4
⎣ −0,1 1 0 ⎦ ⎣ 0 0,98 0,42 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
0.1 0,4286 1 0 0 1,8 x3 6
       
L U x
  
y

Zunächst wird der Vektor y berechnet:


⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0 0 y1 4
L y = b : ⎣ −0,1 1 0 ⎦ ⎣ y2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
0.1 0,4286 1 y3 6
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
y1 4
⇒ ⎣ y2 ⎦ = ⎣ 2,4 ⎦
y3 4,5714
Mit bekanntem y kann jetzt der Vektor x berechnet werden:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 −0.2 0.2 x1 4
U x =y : ⎣ 0 0,98 0,42 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2,4 ⎦
0 0 1,8 x3 4,5714
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x1 1,8821
⇒ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 1,3605 ⎦
x3 2,5397
15.1 LU-Faktorisierung 691

15.1.2 Crout-Verfahren
Eine mit dem Doolittle-Verfahren eng verwandte Variation der LU-Faktorisierung ist das Crout-
Verfahren. Das Crout-Verfahren unterscheidet sich vom Doolittle-Verfahren lediglich dadurch,
dass die Hauptdiagonale der oberen Dreiecksmatrix U (anstelle von L ) durchgehend aus »1«
besteht.

A = LU
⎡ ⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n l11 0 ... 0 1 u12 . . . u1n
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ l21 l22 ... 0 ⎥⎢ 0 1 . . . u2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥⎢ ⎥
⎢ . .. .. .. ⎥=⎢ .. .. .. ⎥⎢ .. .. .. ⎥ (15.7)
⎣ .. . . . ⎦ ⎣ . . . ⎦⎣ . . . ⎦
an1 an2 . . . ann ln1 ln2 . . . lnn 0 0 ... 1
       
A L U

Die Wiederholung der Arbeitsschritte, die zur Gleichung (15.6) geführt haben, liefert schließlich
den nachfolgenden Algorithmus des Crout-Verfahrens.

Crout-Verfahren für A x = b

LU-Faktorisierung
A = LU A ist eine (n × n)-Matrix
i = 1,2, · · · , n j = 1,2, · · · , n
j−1
li j = ai j − ∑ lik uk j für j ≤ i
k=1
uii = 1
  (15.8)
i−1
1
ui j = ai j − ∑ lik uk j für j > i
lii k=1

Bestimmung von x und y


 
i−1
1
yi = bi − ∑ lik yk i = 1,2, · · · , n
lii k=1
n
xi = yi − ∑ uik xk i = n, · · · ,2,1
k=i+1
692 15 Lösungsverfahren für lineare Gleichungssysteme

Beispiel 15.2:
Mit Hilfe der LU-Faktorisierung nach Crout ist das folgende Gleichungssystem zu
lösen.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 −0.2 0.2 x1 4
⎣ −0.2 1 0.4 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
0.2 0.4 2 x3 6

Die LU-Faktorisierung der Koeffizientenmatrix nach Crout A gemäß (15.8) liefert:

l11 = a11 = 2

u12 = a12 /l11 = −0,2/2 = −0,1 u13 = a13 /l11 = 0,2/2 = 0,1
l21 = a21 = −0,2 l22 = a22 − l21 u12 = 1 − (−0,2)(−0,1) = 0,98
u23 = (a23 − l21 u13 )/l22 = (0,4 − (−0,2) (0,1))/0,98 = 0,4286
l31 = a31 = 0,2 l32 = a32 − l31 u12 = 0,4 − (0,2)(−0,1) = 0,42
l33 = a33 − l31 u13 − l32 u23 = 2 − (0,2)(0,1) − (0,42)(0,4286) = 1,8
⎡ ⎤⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 0 1 −0.1 0.1 x1 4
⎣ −0,2 0,98 0 ⎦ ⎣ 0 1 0,4286 ⎦ ⎣ x2 = 2 ⎦
⎦ ⎣
0.2 0,42 1,8 0 0 1 x3 6
    
L U

Bestimmung von y :
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 0 y1 4
Ly =b : ⎣ −0,2 0,98 0 ⎦ ⎣ y2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
0.2 0,42 1,8 y3 6
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
y1 2
⇒ ⎣ y2 ⎦ = ⎣ 2,449 ⎦
y3 2,5397
Bestimmung von x :
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −0.1 0.1 x1 2
U x =y : ⎣ 0 1 0,4286 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2,449 ⎦
0 0 1 x3 2,5397
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x1 1,8821
⇒ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 1,3605 ⎦
x3 2,5397
15.2 Cholesky-Verfahren 693

15.2 Cholesky-Verfahren
Für Matrizen, die sowohl symmetrisch als auch positiv definit1 sind (wegen positiver Definitheit
von Matrizen siehe Seite 641), kann die LU-Faktorisierung des Abschnitts 15.1 in eine noch ein-
fachere Variante umgewandelt werden, die als Cholesky-Verfahren bekannt ist. Beim Cholesky-
Verfahren läßt sich die Koeffizientenmatrix A faktorisieren als:

A = L LT
⎡ ⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n l11 0 ... 0 l11 l21 . . . ln1
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ l21 l22 ... 0 ⎥⎢ 0 l22 . . . un2 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥⎢ ⎥
⎢ . .. .. .. ⎥=⎢ .. .. .. ⎥⎢ .. .. .. ⎥ (15.9)
⎣ .. . . . ⎦ ⎣ . . . ⎦⎣ . . . ⎦
an1 an2 . . . ann ln1 ln2 . . . lnn 0 0 ... lnn
       
A L LT

Anmerkung: Die L -Matrix in (15.9) ist nicht dieselbe wie die L -Matrix des Abschnitts 15.1.
Analoges Vorgehen wie bei Doolittle und Crout liefert die folgenden Formeln des Cholesky-
Verfahrens:

Cholesky-Verfahren für A x = b

A = LL T A ist eine (n × n)-Matrix i = 1,2, · · · , n


Bestimmung von L
3
4
4 i−1
lii = 5aii − l2∑ ik
k=1
 
j−1
1
li j = ai j − ∑ lik l jk für j < i (15.10)
ljj k=1

Bestimmung von x und y


 
i−1
1
yi = bi − ∑ lik yk i = 1,2, · · · , n
lii k=1
 
n
1
xi = yi − ∑ lki xk i = n, · · · ,2,1
lii k=i+1

Anmerkung: Bei der Computer-Implementation des Cholesky-Verfahrens kann auf die Speiche-
rung von L T im RAM-Speicher verzichtet werden. Wo immer ein Element von L T benötigt wird,
kann nach Vertauschung des Zeilenindex und Spaltenindex des aktuellen Feldelementes auf die
Matrix L zugegriffen werden (das ist in der letzten Zeile von (15.10) bei der Bestimmung des
Vektors x geschehen – statt lik wird dort lki verwendet).
1 Beispiel für eine symmetrisch/positiv-definite Matrix: Steifigkeitsmatrix K eines stabilen Tragwerkes (Brücke,
Hochhaus usw.), dessen Starrkörperbewegung mit Hilfe geeigneter Auflagerbedingungen unterbunden ist.
694 15 Lösungsverfahren für lineare Gleichungssysteme

Beispiel 15.3:
Mit Hilfe des Cholesky-Verfahrens ist folgendes Gleichungssystem zu lösen (Maple-
Lösung auf Seite 757).
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 −0.2 0.2 x1 4
⎣ −0.2 1 0.4 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
0.2 0.4 2 x3 6

Die LLT -Faktorisierung der Koeffizientenmatrix A nach Cholesky gemäß (15.10) lie-
fert:
√ √ 1 1
l11 = a11 = 2 = 1,4142 l21 = a21 = (−0,2) = −0,1414
l11 1,4142
 
l22 = a22 − l21
2 = 1 − (−0,1414)2 = 0,9899
1 1
l31 = a31 = (0,2) = 0,1414
l11 1,4142
1 1
l32 = (a32 − l31 l21 ) = (0,4 − 0,1414 · (−0,1414)) = 0,4243
l22 0,9899
 
l33 = a33 − (l31 2 + l2 ) =
32 2 − (0,14142 + 0,42432 ) = 1,3416
⎡ ⎤⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1.4142 0 0 1,4142 −0.1414 0.1414 x1 4
⎣ −0,1414 0,9899 0 ⎦⎣ 0 0,98991 0,4243 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
0.1414 0,4243 1,3416 0 0 1,3416 x3 6
    
L LT

Die Lösung der Gleichungssysteme L y = b und L T x = y liefert:


⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1.4142 0 0 y1 4
L y = b : ⎣ −0,1414 0,9899 0 ⎦ ⎣ y2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
0.1414 0,4243 1,3416 y3 6
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
y1 2,8284
⇒ ⎣ y2 ⎦ = ⎣ 2,4244 ⎦
y3 3,4073
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1,4142 −0.1414 0.1414 x1 2,8284
LT x = y : ⎣ 0 0,98991 0,4243 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2,4244 ⎦
0 0 1,3416 x3 3,4073
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x1 1,8821
⇒ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 1,3605 ⎦
x3 2,5397
15.3 Gauss-Seidel-Verfahren 695

15.3 Gauss-Seidel-Verfahren
Die Gauss-Seidel-Methode ist ein iteratives Verfahren. Zu ihrer Herleitung wird in (15.1) die
Matrix A als Summe von drei Matrizen dargestellt:

A = D +L
L +U
U (15.11)

D ist eine Diagonalmatrix, die aus den Diagonalelementen von A gebildet wird; L ist die eine
untere Dreiecksmatrix, die nur aus den unteren Außerdiagonalelementen von A besteht; auf ähn-
liche Weise ist U eine obere Dreiecksmatrix, die nur die oberen Außerdiagonalelemente von A
enthält:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 0 . . . 0 0 0 ... 0 0 a12 . . . a1n
⎢ 0 a22 . . . 0 ⎥ ⎢ a21 0 . . . 0 ⎥ ⎢ 0 0 . . . a2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
D=⎢ . . . ⎥ L=⎢ . . . ⎥ U =⎢ . .. .. ⎥
⎣ .. .. .. ⎦ ⎣ .. .. .. ⎦ ⎣ .. . . ⎦
0 0 . . . ann an1 an2 . . . 0 0 0 ... 0
 
ai j für i> j ai j für i< j
D = diag (a11 , a22 , · · · , ann ) L= U=
0 für i≤ j 0 für i≥ j
Einsetzen von A = D +L
L +U
U in (15.1) und anschließende Umformung liefert:

(D
D +L
L +U
U)x = b Dx = b −L
Lx −U
Ux x = D −1 (bb −L
Lx −U
U x)

Aus der letzten Beziehung folgt die nachfolgende Iterationsformel des Gauss-Seidel-Verfahrens2 :

x (k+1) = D −1 (bb −L
Lx (k+1) −U
U x (k) ) k = 0,1,2,3, · · · (15.12)

z.B.: x (1) = D −1 (bb −L


Lx (1) −U
U x (0) ) x (2) = D −1 (bb −L
Lx (2) −U
U x (1) ) usw.
Weil D eine Diagonalmatrix ist, gilt für die Inverse D −1 = diag (1/a11 ,1/a22 , · · · , 1/ann ). Bei
der Aufstellung von (15.12) ist vom Umstand Gebrauch gemacht worden, dass für die Matrix L ,
deren Elemente ja alle unterhalb der Hauptdiagonalen platziert sind, die im aktuellen Iterations-
schritt k + 1 bereits ermittelten Näherungswerte der Vektors x (k+1) verwendet werden können.
Für die Multiplikation mit U stehen lediglich die Unbekannten x (k) aus dem vorausgehenden
Iterationsschritt k zur Verfügung.
Alternatives Vorgehen für Handrechnungen
Für Handrechnungen ist ein der eigentlichen Iteration vorausgehender Zwischenschritt zweckmä-
ßiger. Dabei werden alle Zeilen des linearen Gleichungssystems nacheinander durch das Haupt-
diagonal der jeweiligen Zeile dividiert, z.B. wird die i-te Zeile durch das Element aii dividiert:

ai1 x1 + ai2 x2 + · · · + aii xi + · · · + ain xn = bi | · a−1


ii

2 Verfahren wie die Gauss-Seidel-Iteration, bei denen stets die brandaktuellen Werte der Unbekannten im nächsten
Arbeitsschritt sofort wieder verwendet werden, heißen Einzelschrittverfahren, im Gegensatz zu den weniger emp-
fehlenswerten Gesamtschrittverfahren, z.B. das Jacobi-Verfahren.
696 15 Lösungsverfahren für lineare Gleichungssysteme

ai1 ai2 ain bi


⇒ x1 + x2 + · · · + 1 · xi + · · · + xn = (15.13)
aii aii aii aii
   
a∗i1 a∗i2 a∗in b∗i

Diese als Normalisierung bezeichnete Division aller Zeilen von A durch das Diagonalelement der
jeweiligen Zeile liefert eine neue Matrix A ∗ , deren sämtliche Diagonalelemente aus 1 bestehen.
An die Stelle des Gleichungssystems Ax = b tritt somit das gleichwertige normalisierte Sys-
tem ein:

Ax = b → A ∗x = b ∗

Die Koeffizientenmatrix A∗ wird wieder als Summe von drei n × n-Matrizen dargestellt:

A ∗ = I +L
L∗ +U
U∗

wobei I die Einheitsmatrix ist. Unter Beachtung der allgemeien gültigen Beziehungen I −1 = I
und I M = M (M M beliebige quadratische Matrix) erhält man in Anlehnung an (15.12) folgende
Iterationsformel:

x(k+1) = b∗ −L
L∗x(k+1) −U
U ∗x(k) k = 0,1,2,3, · · · (15.14)

Es bleibt noch die Frage zu klären, wie der Startvektor x (0) zu wählen ist, damit die Iteration
möglichst rasch konvergiert. Darauf gibt es leider keine eindeutige Antwort, es hängt einfach von
der Problemstellung ab. Als pragmatisches Vorgehen wird folgender Weg empfohlen:

1. Wenn überhaupt nichts bekannt ist, kann x(0) = 0 gewählt werden.


2. Bei Aufgaben der Strukturmechanik, z.B. der Baustatik, kann x(0) durch eine zwar grobe
aber ingenieurmäßig logische Skizzierung der zu erwartenden Verformungen des Bauwerks
abgeschätzt werden.
Computer-Implementation
Die für Programmierung benötigte Komponentenschreibweise der Iterationsformel (15.12) lau-
tet:
 
i−1 n
(k+1) 1 (k+1) (k)
xi = bi − ∑ ai j x j − ∑ ai j x j i = 1,2, · · · , n k = 0,1,2, · · · (15.15)
aii j=1 j=i+1

Diese Formel beinhaltet bereits die Zusammensetzung der Matrix A entsprechend (15.11) aus
drei Matrizen. Ein für die Computerimplementation geeigneter Algorithmus ist in der Tabelle
auf Seite 697 wiedergegeben.
15.3 Gauss-Seidel-Verfahren 697

Gauss-Seidel-Verfahren zur Lösung des Gleichungssystems A x = b

EINGABE (INPUT):
A , b , Startvektor x (0)
ε : Genauigkeitsschranke (Toleranz)
N : maximale Anzahl der Iterationen.
AUSGABE (OUTPUT):
a) Näherungslösung x (k)
b) Erfolgsmeldung, wenn Konvergenz erreicht wurde.
c) Warnmeldung, wenn Konvergenz nicht erreicht wurde.

ALGORITHMUS:
Iterationsschleife über die maximale Anzahl von Iterationen:
for k = 0,1,2, · · · , N − 1 do
for i = 1,2, · · · , n do
 
i−1 n
(k+1) 1 (k+1) (k)
xi = bi − ∑ ai j x j − ∑ ai j x j
aii j=1 j=i+1

end do
 
 x(k+1) − x(k) 
 i i 
ERR = max   i = 1,2, · · · , n
i  x(k+1) 
i
Wenn ERR < ε: Lösung gefunden. Iteration abbrechen.
end do

Lösungsvektor x (k) ausdrucken.


Wenn ERR ≤ ε : Erfolgsmeldung ausdrucken, dass Konvergenz erreicht wurde.
Wenn ERR > ε : Warnmeldung ausdrucken, dass Konvergenz nicht erreicht wurde.

(15.16)
698 15 Lösungsverfahren für lineare Gleichungssysteme

Beispiel 15.4:

Das nachfolgende lineare Gleichungssystem A x = b ist nach Gauss-Seidel-Verfahren


zu lösen (zum Vergleich ist die exakte Lösung angegeben; (Maple-Lösung auf Seite
758).
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 −0.2 0.2 x1 4 0 1,8821
⎣ −0.2 1 0.4 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦ x (0) = 0 = ⎣ 0 ⎦ x exakt = ⎣ 1,3605 ⎦
0.2 0.4 2 x3 6 0 2,5397

Das Gleichungssystem wird gemäß (15.13) normalisiert und dann mit der Iterations-
formel (15.14) gelöst.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −0,1 0,1 2 0
A ∗ = ⎣ −0,2 1 0,4 ⎦ b∗ = ⎣ 2 ⎦ x (0) = ⎣ 0 ⎦
0,1 0,2 1 3 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0 0 0 0 0 0 −0,1 0,1
I =⎣ 0 1 0 ⎦ L ∗ = ⎣ −0,2 0 0 ⎦ U∗ = ⎣ 0 0 0,4 ⎦
0 0 1 0,1 0,2 0 0 0 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 −0,1 · 0 + 0,1 · 0 2
k = 0 : ⎣ 2 ⎦ − ⎣ −0,2 · 2 ⎦−⎣ 0,4 · 0 ⎦ = ⎣ 2,4 ⎦
3 0,1 · 2 + 0,2 · 2,4 0 2,32
           
b∗ L ∗x (1) U ∗x (0) x (1)

k=1:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 −0,1 · 2,4 + 0,1 · 2,32 2,0080
⎣ 2 ⎦ − ⎣ −0,2 · 2,008 ⎦−⎣ 0,4 · 2,32 ⎦ = ⎣ 1,4736 ⎦
3 0,1 · 2,008 + 0,2 · 1,4736 0 2,5045
           
b∗ L ∗x (2) U ∗x (1) x (2)

k=2:
⎡ ⎡⎤ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 −0,1 · 1,4736 + 0,1 · 2,5045 1,8969
⎣ 2 ⎦ − ⎣ −0,2 · 1,8969 ⎦−⎣ 0,4 · 2,5045 ⎦ = ⎣ 1,3776 ⎦
3 0,1 · 1,8969 + 0,2 · 1,3776 0 2,5348
           
b∗ L ∗x (3) U ∗x (2) x (3)

k=3:
⎡ ⎡⎤ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 −0,1 · 1,3776 + 0,1 · 2,5348 1,8843
⎣ 2 ⎦ − ⎣ −0,2 · 1,8969 ⎦−⎣ 0,4 · 2,5348 ⎦ = ⎣ 1,3629 ⎦
3 0,1 · 1,8843 + 0,2 · 1,3654 0 2,5390
           
b∗ L ∗x (4) U ∗x (3) x (4)
15.4 Zusätzliche Beispiele 699

     7
 1,8843 − 1,8969   1,3629 − 1,3776   2,5390 − 2,5348 

ERR = max      
1,8843 ; 1,3629 ; 2,5390 
= max {0,006686; 0,0108; 0,0017} = 0,0108 ≡ 1,08%

15.4 Zusätzliche Beispiele


Beispiel 15.5:
Folgendes lineares Gleichungssystem ist nach Gauss-Seidel-Verfahren in 3 Iterations-
schritten mit dem angegebenen Startvektor x (0) und mit 4 Nachkommastellen zu lösen.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0,1667 0,1667 x1 1,7833 1
⎣ 0,1111 1 −0,2226 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0,4 ⎦ x (0) = ⎣ 1 ⎦
0,25 −0,125 1 x3 1,5125 1

Lsg:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 0 0 0 0,167 0,167
L = ⎣ 0,111 0 0 ⎦ U =⎣ 0 0 −0,222 ⎦
0,25 −0,125 0 0 0 0

Iterationsschritt 1: m = 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1,7833 0 0,3333 1,4500
x (1) = ⎣ 0,4 ⎦ − ⎣ 0,1611 ⎦ − ⎣ −0,2222 ⎦ = ⎣ 0,4611 ⎦
1,5125 0,3049 0 1,2076

Iterationsschritt 2: m = 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1,7833 0 0,2781 1,5051
x (2) = ⎣ 0,4 ⎦ − ⎣ 0,1672 ⎦ − ⎣ −0,2683 ⎦ = ⎣ 0,5051 ⎦
1,5125 0,3136 0 1,1989

Iterationsschritt 3: m = 2
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1,7833 0 0,2833 1,5000
x (3) = ⎣ 0,4 ⎦ − ⎣ 0,1667 ⎦ − ⎣ −0,2664 ⎦ = ⎣ 0,4997 ⎦
1,5125 0,3125 0 1,2000
700 15 Lösungsverfahren für lineare Gleichungssysteme

15.5 Aufgaben
1. Folgende lineare Gleichungssysteme stammen aus der FEM-Modellierung eines Fachwerks.
Der x -Vektor enthält die unbekannten Knotenverschiebungen des Fachwerks. Bestimmen
Sie x nach den Lösungsmethoden von Doolittle, Crout, Cholesky und Gauss-Seidel (für die
Gauss-Seidel-Iteration ist der angegebene Startvektor x (0) zu verwenden).
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3,8285 −1 −2,8285 0 x1 1
⎢ −1 3,8285 0 0 ⎥ ⎢ x2 ⎥ ⎢ 0 ⎥
a) ⎢
⎣ −2,8285
⎥⎢ ⎥=⎢ ⎥
0 3,8285 1 ⎦ ⎣ x3 ⎦ ⎣ 0 ⎦
0 0 1 3,8285 x4 1

⎤ ⎡ ⎤
0,5 0,598
⎢ 0,2 ⎥ ⎢ 0,156 ⎥
x (0) = ⎢ ⎥
⎣ 0,3 ⎦ Lsg: x = ⎢ ⎥
⎣ 0,401 ⎦
0,1 0,156
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −0,2612 −0,7388 0 −0,2612 x1 0
⎢ −0,2612 ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ 1 0 0 0,2612 ⎥⎢ x2 ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
b) ⎢ −0,7388 0 1 0,2612 0 ⎥⎢ x3 ⎥=⎢ 1 ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎣ 0 0 0,2612 1 0 ⎦⎣ x4 ⎦ ⎣ −1 ⎦
−0,2612 0,2612 0 0 1 x5 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3 3,268
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ 1 ⎥ ⎢ 0,677 ⎥
(0) ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
x =⎢ 4 ⎥ Lsg: x = ⎢ 3,945 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎣ −2 ⎦ ⎣ −2,030 ⎦
1 0,677

2. Lösen Sie folgende lineare Gleichungssysteme nach Gauss-Seidel-Verfahren in 3 Iterations-


schritten und unter Verwendung des angegebenen Startvektors x (0) .
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0,10 0,05 x1 3,0 1 2,7572
a) ⎣ −0,12 1 0,10 ⎦ ⎣ ⎦ ⎣
x2 = 1,2 ⎦ x (0) ⎣
= 1 ⎦ ⎣
Lsg: = 1,3059
x ⎦
0,15 −0,20 1 x3 2,4 1 2,2476
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 −0,20 0,20 x1 4,0 4 1,8922
b) ⎣ −0,20 1 0,40 ⎦ ⎣ ⎦ ⎣
x2 = 2,0 ⎦ x (0) ⎣
= 2 ⎦ ⎣
Lsg: = 1,3720
x ⎦
0,20 0,40 2 x3 6,0 1 2,5364
16 Numerische Lösung von Differentialgleichungen

16.1 Differentialgleichungen 1. Ordnung

Wir betrachten eine Differentialgleichung 1. Ordnung in der expliziten Form y = f (x, y). Soll-
te die DGL ursprünglich in der impliziten Form F(x, y, y ) = 0 vorliegen, kann sie oft durch
geeignete Transformation in die explizite Form gebracht gebracht werden. Ferner wird eine An-
fangsbedingung y(x0 ) = y0 vorgegeben. Die zu lösende Anfangswertaufgabe lautet somit:

y = f (x, y) y(x0 ) = y0 Anfangswertaufgabe (16.1)

In Kapitel 9 haben wir Methoden kennen gelernt, die Differentialgleichung (16.1) analytisch zu
lösen. Eine solche analytische Lösung y = g(x), heißt geschlossene Lösung. Die Aufstellung
einer geschlossenen Lösung wäre grundsätzlich eine wunderbare Sache - hätte man doch da-
mit eine allgemein gültige Lösung des untersuchten Problems in der Hand. Jedoch wird es in der
Ingenieurpraxis recht oft leider nicht möglich sein -auch mit Hilfe umfangreichster Formelsamm-
lungen nicht-, eine geschlossene Lösung zu finden. In solchen Fällen ist die numerische Lösung
der DGL der einzig mögliche Weg.
Die numerische Lösung einer DGL1 liefert nur eine Näherungslösung für die vorgegebene
DGL. Die gesuchte Antwort auf die Aufgabe ist nicht kontinuierlich über dem gesamten De-
finitionsintervall der unabhängigen Variable x bekannt, sondern nur an einzelnen Punkten auf
der x-Achse. Man sagt auch, die Antwort liegt in diskreter Form vor. Diese diskretisierte Lö-
sung weicht naturgemäß von der wahren Lösung immer ab. Je nach gewähltem Verfahren und
eingestellter Schrittweite (Abstand zwischen zwei aufeinanderfolgenden x-Werten) kann die Ab-
weichung innerhalb tolerierbarer Grenzen liegen aber u.U. auch unakzeptabel groß werden.
In all diesen verfahren wird die DGL (16.1) diskretisiert, d.h. man startet von einem Anfangs-
wert (x0 , y0 ) los und geht Schritt für Schritt vorwärts. Zu jedem betrachteten Schritt xk wird der
zugehörige Funktionswert yk (Ordinatenwert) bestimmt. Deshalb werden diese Verfahren auch
Schrittverfahren (step-by-step methods) genannt. Man unterscheidet zwischen Einschrittverfah-
ren und Mehrschrittverfahren. Im Rahmen einer Einführung in das Thema sollen hier nur die
Einschrittverfahren betrachtet werden. Nachfolgend werden einige grundlegende Methoden vor-
gestellt.
Die numerische Lösung von Differentialgleichungen besitzt eine große Bedeutung in der mo-
dernen Technik. Als Beispiele, wo DGLn in Echtzeit2 zu lösen sind, können erwähnt werden:
Autopilot eines Flugzeuges, Raketensteuerung, fahrerlose Fahrzeugsysteme, Robotersteuerung,
aktiv geregelte Gebäude unter Erdbebeneinwirkungen, Steuerungs- und Regelungssysteme von
Maschinen.

1 Numerische Lösung einer DGL wird auch numerische Integration der Differentialgleichung genannt.
2 Eine Aufgabe in Echtzeit zu lösen bedeutet, dass die numerische Lösung innerhalb kürzester Zeit vorliegen muss,
so dass eine sinnvolle Steuerung der Maschine noch möglich ist.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_16,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
702 16 Numerische Lösung von Differentialgleichungen

16.1.1 Euler-Verfahren
Für die Diskretisierung der DGL (16.1) wird die unbekannte Funktion y(x) formal in eine Taylor-
Reihe (s. S. 92) an der Stelle x entwickelt. Der Funktionswert an der Stelle x + h ergibt sich dann
aus der folgenden unendlichen Taylor-Reihe:

h2  h3 
y(x + h) = y(x) + h y (x) + y (x) + y (x) + · · ·
2! 3!
Für ausreichend klein gewählte Schrittweite h werden die höheren Potenzen h2 , h3 , · · · im Ver-
gleich zu h sehr klein sein, so dass sie vernachlässigt werden können. Die auf diese Weise
linearisierte Diskretisierung lautet dann:

y(x + h) ≈ y(x) + h y (x) (16.2)

Aufgrund der DGL (16.1), wo die Steigung y identisch mit dem Funktionswert f (x, y) ist, kann
die obige Beziehung auch geschrieben werden als:

y(x + h) ≈ y(x) + h f (x, y) (16.3)

Ausgehend von der Startposition x0 führt diese Beziehung auf folgende Iterationsfolge:

y(x0 + h) = y(x1 ) = y1 = y0 + h f (x0 , y0 ) mit x0 + h = x1


y(x1 + h) = y(x2 ) = y2 = y1 + h f (x1 , y1 ) mit x1 + h = x2
y(x2 + h) = y(x3 ) = y3 = y2 + h f (x2 , y2 ) mit x2 + h = x3
.........

Die als Euler-Verfahren bekannte allgemeine Iterationsformel lautet somit:

yk = yk−1 + h f (xk−1 , yk−1 ) k = 1,2,3, · · · Euler-Iteration (16.4)

Die geometrische Interpretation von (16.4) entspricht einem von links nach rechts fortschreiten-
den Polygonzug , dessen erste Kante mit der Tangente an die wahre Funktion y = g(x, y) an der
Position x0 identisch ist.
Die Euler-Methode ist eine Methode erster Ordnung, weil in der Diskretisierung (16.2) höchs-
tens der lineare Term vorkommt. Die Konsequenz der Linearisierung ist, dass mit zunehmendem
Iterationsschritt k immer mehr von der wahren Funktion abweicht, d.h. der Fehler anwächst, s.
auch Bild 16.1 auf Seite 703. Zur Erzielung einer akzeptablen Genauigkeit muss die Schrittweite
verkleinert, d.h. die Anzahl der Iterationsschritte erhöht, werden.
Das Euler-Verfahren ist ein sehr einfaches Verfahren, welches sich auch für Handrechnung gut
eignet. Zur Erzielung einer befriedigenden Genauigkeit und Vermeidung der Divergenz von der
tatsächlichen Lösung muss die Schrittweite allerdings recht klein gewählt werden, was jedoch
wiederum die Anzahl der Rechenschritte erhöht. Mit den heutigen leistungsfähigen Rechnern
stellen selbst extrem kleine Schrittweiten aber kein wirkliches Problem dar. Deshalb wird das
Euler-Verfahren sogar in der Crashsimulation von Fahrzeugen erfolgreich eingesetzt.
16.1 Differentialgleichungen 1. Ordnung 703

Beispiel 16.1:
Mit Hilfe des Euler-Verfahrens soll folgendes Anfangswertproblem im Intervall 0 ≤
x ≤ 3 in 5 Schritten gelöst werden (Maple-Lösung auf Seite 759).

y − y = x − 1 y(0) = 1

Für die Anwendung der Euler-Methode wir die obige DGL zunächst in die explizite
Form y = f (x, y) gebracht:

y = x − 1 + y d.h. f (x, y) = x − 1 + y

3−0
Schrittweite: h = = 0,6
5
Die geschlossene, d.h. exakte, Lösung dieser DGL lautet y = −x + ex , vgl. Seite 448.
Beide Lösungen, d.h. die numerische und die exakte, sind in Bild 16.1 grafisch dar-
gestellt. Wie man erkennt, ist mit der gewählten Schrittweite die Euler-Methode bei
dieser Aufgabenstellung kaum brauchbar.
Bild 16.2 zeigt die Lösung mit 20 bzw. 100 Lösungsschritten. Es wird deutlich,
dass das Euler-Verfahren erst bei einer sehr hohen Zahl von Integrationsschritten ak-
zeptable Ergebnisse liefert.

Lösung nach dem Euler-Verfahren


k xk yk f (xk , yk ) yexakt
0 0 1,0000 0,0000 1,0000
1 0,60 1,0000 0,6000 1,2221
2 1,20 1,3600 1,5600 2,1201
3 1,80 2,2960 3,0960 4,2496
4 2,40 4,1536 5,5536 8,6232
5 3.00 7,4858 9,4858 17,086

20

Runge-Kutta
exakt
10 Heun

Euler

0 1 2 3

Bild 16.1: Lösung der DGL in Beispiel 16.1 mit 5 Integrationsschritten


704 16 Numerische Lösung von Differentialgleichungen

20 20

Runge-Kutta Runge-Kutta
exakt exakt
10 Heun 10 Heun
Euler Euler

0 1 2 3 0 1 2 3

a: 20 Integrationsschritte b: 100 Integrationsschritte

Bild 16.2: Lösung des Beispiels 16.1 mit verschiedenen Integrationsschritten

16.1.2 Heun-Verfahren
Das Heun-Verfahren basiert auf dem Euler-Verfahren, versucht jedoch die Steigung der Funkti-
on durch Mittelung besser anzunähern. Andere Bezeichnungen für dieses Verfahren sind verbes-
sertes Euler-Verfahren oder verbessertes Euler-Cauchy-Verfahren. Die Integrationsformeln des
Heun-Verfahrens für die DGL y = f (x, y) lauten:

y∗k = yk−1 + h f (xk−1 , yk−1 ) mit y∗0 = y0 (erste Näherung) (16.5)

h 
yk = yk−1 + f (xk−1 , yk−1 ) + f (xk , y∗k ) k = 1,2,3, · · · (Verbesserung)
2
(16.6)

In der Formel (16.5) wird mit Hilfe des klassischen Euler-Verfahrens nach (16.4) ein erster Nä-
herungswert y∗k für die Funktion an der Position k ermittelt. Anschließend wird in (16.6) der
Mittelwert der beiden Funktionssteigungen an den Stellen k − 1 und k gebildet.

Beispiel 16.2:
Das Anfangswertproblem des Beispiels 16.1 ist nach dem Heun-Verfahren zu lösen.

Lösung nach dem Heun-Verfahren


k xk y∗ f (xk , y∗k ) yk f (xk , yk ) yexakt
0 0 1,0000 0,0000 1,0000 0,0000 1,0000
1 0,60 1,0000 0,6000 1,1800 0,7800 1,2221
2 1,20 1,6480 1,8480 1,9684 2,1684 2,1201
3 1,80 3,2694 4,0694 3,8398 4,6398 4,2496
4 2,40 6,6236 8,0236 7,6388 9,0388 8,6232
5 3.00 13,062 15,062 14,869 16,869 17,086

Die Lösung ist in Bild 16.1 grafisch dargestellt. Die Genauigkeit der Lösung ist in
der ersten Hälfte des Integrationsintervalls befriedigend, in der zweiten Hälfte steigt
der Fehler spürbar an. Mit 20 Integrationsschritten, s. Bild 16.2, erreicht man dagegen
eine sehr gute Genauigkeit.
16.1 Differentialgleichungen 1. Ordnung 705

16.1.3 Runge-Kutta-Verfahren
Das Runge-Kutta-Verfahren ist ein hochpräzises Verfahren von großer praktischer Bedeutung.
An jedem Iterationsschritt werden vier Hilfswerte K1 , . . . , K4 berechnet, die geometrisch der
Steigung der Funktion an verschiedenen Positionen im augenblicklichen Intervall entsprechen.
Anschließend wird ein gewichteter Mittelwert der vier Steigungen gebildet. Der restliche Vor-
gang ist identisch mit dem Euler-Verfahren.

h
yk = yk−1 + (K1 + 2K2 + 2K3 + K4 ) k = 1,2,3, · · · Runge-Kutta-Iteration (16.7)
6

mit den Parametern

K1 = f (xk−1 , yk−1 )
h h 
K2 = f xk−1 + , yk−1 + K1
2 2
h h 
K3 = f xk−1 + , yk−1 + K2
2 2
K4 = f (xk−1 + h, yk−1 + h K3 )

Beispiel 16.3:
Das Anfangswertproblem des Beispiels 16.1 auf Seite 703 ist nach dem Runge-Kutta-
Verfahren zu lösen.

Lösung nach dem Runge-Kutta-Verfahren


k xk K1 K2 K3 K4 yk yexakt
0 0 −− −− −− −− 1,0000 1,0000
1 0,60 0,0000 0,3000 0,3900 0,8340 1,2214 1,2221
2 1,20 0,8214 1,3678 1,5317 2,3404 2,1175 2,1201
3 1,80 2,3175 3,3127 3,6113 5,0843 4,2425 4,2496
4 2,40 5,0425 6,8552 7,3991 10,082 8,6058 8,6232
5 3.00 10,006 13,308 14,298 19,185 17,046 17,086

Die in Bild 16.1 grafisch dargestellte Lösung zeigt eine ausreichende Genauigkeit. Mit
20 Integrationsschritten ist die Genauigkeit sogar als exzellent zu bezeichnen, s. Bild
16.2.
706 16 Numerische Lösung von Differentialgleichungen

16.2 Zusätzliche Beispiele

Beispiel 16.4:
Folgende Differentialgleichungen sind nach Verfahren von Euler, Heun und Runge-
Kutta zu lösen (Schrittweite h, Anzahl der Integrationsschritte N).

a) y = x + y y(0) = 2 N=5 h = 0,6

Funktionswerte yn nach
n xn Euler Heun Runge-K. exakt
0 0,0 2,0000 2,0000 2,0000 2,0000
1 0,6 3,8000 3,7400 3,8642 3,8664
2 1,2 6,6800 7,3052 7,7525 7,7604
3 1,8 11.288 14,119 15,327 15,349
4 2,4 18,660 26,716 29,617 29,669
5 3,0 30,457 49,607 56,138 56,256

60

exakt
Heun
Runge-Kutta
40

20

Euler

0 1 2 3

b) y = x − y y(0) = 1 N=5 h = 0,4

Funktionswerte yn nach
n xn Euler Heun Runge-K. exakt
0 0,0 1,0000 1,0000 1,0000 1,0000
1 0,4 0,6000 0,7600 0,7408 0,7406
2 0,8 0,5200 0,7248 0,6989 0,6987
3 1,2 0,6320 0,8289 0,8026 0,8024
4 1,6 0,8592 1,0276 1,0047 1,0038
5 2,0 1,1555 1,2908 1,2708 1,2707
16.2 Zusätzliche Beispiele 707

1.5

Runge-Kutta
1 Heun
Euler verb.

exakt

0.5 Euler Std.

0 1 2

c) y = 2y/x3 y(1) = 2 N=5 h = 0,4

Funktionswerte yn nach
n xn Euler Heun Runge-K. exakt
0 1,0 2,0000 2,0000 2,0000 2,0000
1 1,4 3,6000 3,3248 3,2642 3,2640
2 1,8 4,6496 4,1040 3,9934 3,9928
3 2,2 5,2874 4,5608 4,4224 4,4218
4 2,6 5,6846 4,8437 4,6898 4,6890
5 3,0 5,9434 5,0289 4,8657 4,8649

6 Euler

Heun

4
exakt & Runge-Kutta

0 1 2 3
708 16 Numerische Lösung von Differentialgleichungen

Beispiel 16.5:

Die Differentialgleichung y = x y mit der Anfangsbedingung y(1) = 2 ist nach
den Verfahren von Euler und Heun zu lösen (Anzahl der Integrationsschritte N = 5,
Schrittweite h = 0,1).

Standard Euler-Verfahren
n xn yn h fn
0 1,0 2,00000 0,14142
1 1,1 2,14142 0,16097
2 1,2 2,30239 0,18208
3 1,3 2,48447 0,20491
4 1,4 2,68938 0,22959
5 1,5 2,91897 −−

Lösung nach dem Heun-Verfahren


k xk y∗ f (xk , y∗k ) yk f (xk , yk ) yexakt
0 1,00 2,0000 1,4142 2,0000 1,4142 2,0000
1 1,10 2,1414 1,6097 2,1512 1,6134 2,1512
2 1,20 2,3125 1,8248 2,3231 1,8290 2,3232
3 1,30 2,5060 2,0579 2,5175 2,0626 2,5177
4 1,40 2,7237 2,3105 2,7361 2,3158 2,7364
5 1,50 2,9677 2,5840 2,9811 2,5899 2,9815

3 exakt
Runge-Kutta
Heun

Euler
2.5

2 1 1.2 1.4
16.3 Aufgaben 709

16.3 Aufgaben
1. Lösen Sie folgende Anfangswertaufgaben nach Verfahren von Euler, Heun und Runge-
Kutta im angegeben Intervall in N Integrationsschritten. Stellen Sie Ihre Ergebnisse grafisch
dar und diskutieren Sie Ihre Resultate.
a) y + y = sin x y(0) = 1/2 Integrationsintervall [0; 2] N=5

0.8

0.6

0.4

0.2

0 1 2

b) y − 2y = −1 − x2 y(1) = 1,75 Integrationsintervall [1; 5] N=5


Wie können Sie die beobachtete Divergenz beheben?

10

0 2 3 4 5

–10
17 Komplexe Zahlen

17.1 Einführung
Im Alltag haben wir normalerweise mit reellen Zahlen zu tun - vom Einkauf im Supermarkt bis
hin zum Tilgungsplan eines Darlehens. Eine reelle Zahl bildet den Oberbegriff für nachfolgend
erläuterte Zahlentypen.

Ganze Zahlen erstrecken sich wie folgt vom negativen Unendlichen zum positiven Unendlichen:

−∞ ··· −3 −2 −1 0 1 2 3 ··· ∞

Natürliche Zahlen bestehen aus nicht negativen ganzen Zahlen1 : 0 1 2 3 ··· ∞.

Rationale Zahlen (Brüche) kennen wir als Dezimalzahlen, z.B.

−4,8 − 2,4 − 0,5 0 0,5 2,4 4,8

Eine rationale Zahl ist als Quotient von zwei ganzen Zahlen definiert; die obigen Dezimalzahlen
lassen sich auch schreiben als:
−24 −12 −1 1 12 24
0
5 5 2 2 5 5
Eine Dezimalzahl ist entweder abbrechend oder periodisch. Die Rationalzahl 1/4 = 0,25 endet
mit der letzten Ziffer 5, bei der Rationalzahl 1/7 = 0,142857142857 . . . hingegen wiederholt
sich die Ziffernfolge 142857 ständig.

Irrationale Zahlen sind nicht-rationale Dezimalzahlen; sie sind weder abbrechend noch peri-
odisch. Eine irrationale √
Zahl lässt sich nicht als Quotient zweier ganzer Zahlen darstellen. Bei-
spielsweise ist die Zahl 2 = 1.4142135623730950488016887242096980785696718753769 · · ·
irrational.

Reelle Zahlen bestehen aus der Gesamtmenge der ganzen sowie der rationalen und irrationa-
len Zahlen. Stellt man sich alle denkbaren Zahlen grafisch auf einer Linie angeordnet vor, so
bilden die reellen Zahlen eine unendlich dichte Abfolge von Punkten dar, d.h. enthalten alle
Punkte zwischen −∞ und +∞ auf der Zahlengeraden.
Um den Typ einer Zahl symbolisch hervorheben zu können werden Symbole verwendet, z.B.
Z. Im Anhang A.9 auf Seite 793 sind die wichtigsten von ihnen zusammengefasst.

1 Ein Teil der mathematischen Literatur zählt 0 nicht zu den natürlichen Zahlen.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_17,


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712 17 Komplexe Zahlen

Imaginäre Einheit
Wir betrachten folgende quadratische Gleichung und ihre Lösung.
√ √
x2 + 1 = 0 x =? Lsg.: x2 = −1 x = −1 (Was liefert der Taschenrechner für −1?)

Die Gleichung x2 + 1 = 0 ist mit reellen Zahlen nicht lösbar, weil es bekanntlich keine reelle
Zahl x gibt, deren Quadrat −1 ist.
Mit der Idee der imaginären Einheit wird der Zahlenbegriff über die reellen Zahlen hinaus
erweitert. Die imaginäre Einheit wird durch das Symbol i (oder j) gekennzeichnet und ist wie
folgt definiert:

i= −1 imaginäre Einheit (17.1)

⇒ i2 = −1
Die imaginäre Einheit i ist, wie schon der Name sagt, eine sehr abstrakte Zahl, die man sich im
üblichen Sinne nicht vorstellen kann.
Die Gleichung x2 + 1 = 0 lässt sich jetzt mit Hilfe der imaginären Einheit i wie folgt lösen:

x2 = −1 = i2 ⇒ x = ± i2 = ± i

Natürlich können wir mit diesem Resultat in der realen Welt des Alltags recht wenig anfangen!
Die Erweiterung des Zahlenbegriffs auf komplexe Zahlen zeigt ihren wahren Nutzen erst bei der
Lösung bestimmter physikalischer Probleme. Die Behandlung gedämpfter Schwingungen in der
Mechanik oder Elektrotechnik bespielsweise wird erst möglich, wenn man mit der imaginären
Einheit i arbeitet.
Beispiel 17.1:
Für folgende Gleichungen existieren keine reellen Lösungen. Mit Hilfe der imaginären
Einheit lassen sie sich dennoch formal ohne Schwierigkeit lösen – das Ergebnis heißt
dann komplexe Lösung.
a) x2 + 4 = 0
√ √
x2 = −4 ⇒ x = ± −4 = ± 4i2 = ± 2i d.h. x1 = +2i x2 = −2i

b) x2 + 2x + 5 = 0
Mit Hilfe der Formel (1.19) auf Seite 9 erhält man:
√ √
x = −1± −4 = −1± 4i2 = −1±2i d.h. x1 = −1+2i x2 = −1−2i

Komplexe Zahl
Éine komplexe Zahl besteht aus einer reellen Zahl und einer imaginären Zahl, z.B.:
√  √ √
1 + −4 = 1 + 4 · (−1) = 1 + 4 −1 = 1 ± 2i
  
i
17.1 Einführung 713

Eine komplexe Zahl z besteht aus einer speziellen Linearkombination zwei-


er reeller Zahlen x und y sowie der imaginären Einheit i .

z = x+iy

Welchen Nutzen haben komplexe Zahlen in der Praxis? Komplexe Zahlen sind insbesondere
nützlich bei der Behandlung von gedämpften Schwingungsproblemen in der Mechanik, in der
Stabilitätstheorie von Bauwerken und in der Biegetheorie von gekrümmten Schalentragwerken
(z.B. ein an seinem unteren Fußende im Fundament einbetonierter kreiszylindrischer Flüssig-
keitsbehälter aus Stahl). In der Elektrotechnik sind sie unverzichtbar bei der Behandlung von
Ladungs- und Entladungsproblemen sowie Wechselstromvorgängen.
Komponentenform einer komplexen Zahl z
z = x + iy (17.2)
x = Re z (x ist der Realteil von z )
y = Im z (y ist der Imaginärteil von z )

Gaußsche Zahlenebene
Die Gaußsche Zahlenebene dient zur grafischen Darstellung einer komplexen Zahl z , wobei als
Darstellungsform entweder ein Pfeil oder einfach ein Punkt verwendet werden kann. Bild 17.1
zeigt die komplexe Zahl z = 4 + 2i in Pfeil- und Punktdarstellung.

Im 6
z = 4 + 2i

rP 2
2 *

z  Im

1
 -
O 4 Re –2 2 4
–1 Re

a: Zeigerdarstellung b: Punktdarstellung

Bild 17.1: Komplexe Zahl z in der Gaußschen Zahlenebene.

Betrag und Argument einer komplexen Zahl


Der Betrag (Modul) und das Argument einer komplexen Zahl z sind definiert als

r = |z| = x2 + y2 Betrag (17.3)

y
ϕ = arg z = arctan Argument (17.4)
x
714 17 Komplexe Zahlen

Eulersche Beziehung für komplexe Zahlen


Zwischen der Exponentialfunktion einer rein imaginären Zahl ix und den trigonometrischen
Funktionen besteht folgende Eulersche Beziehung 2 :

eix = cos x + i sin x e−ix = cos x − i sin x (17.5)

Polarform einer komplexen Zahl


Man kann eine komplexe Zahl z als einen bestimmten Punkt P mit den Koordinaten x und
y in einem kartesischen xy-Koordinatensystem mit Ursprung O interpretieren. Die Gerade OP
wird als komplexer Zahlenvektor bezeichnet. Auf der waagerechten Achse (reelle Achse) wird
der Realteil x aufgetragen. Die vertikale Achse (imaginäre Achse) enthält den Imaginärteil y.
Der Betrag r entspricht der Länge der Geraden OP und das Argument ϕ entspricht dem
Winkel zwischen der reellen Achse und der Geraden OP. Durch Einsetzen der geometrischen
Beziehungen x = r cos ϕ und y = r sin ϕ in (17.2) und Verwendung der Eulerschen Beziehung
(17.5) erhält die komplexe Zahl z die sog. Polarform

z = r (cos ϕ + i sin ϕ) = r eiϕ (17.6)

Gleichheit von komplexen Zahlen


Zwei komplexe Zahlen z1 = x1 + iy1 = r1 (cos ϕ1 + i sin ϕ1 ) und z2 = x2 + iy2 = r2 (cos ϕ2 +
i sin ϕ2 ) sind dann und nur dann identisch, wenn

entweder x1 = x2 und y1 = y 2
oder r1 = r2 und ϕ1 = ϕ2 + n · 2π (n = 0,1,2, . . . )

Eine komplexe Zahl z ist nur dann Null, wenn sowohl der Realteil als auch der Imaginärteil Null
sind oder -wenn z in Polarform ausgedrückt ist- der Betrag (Modul) r Null ist:

z = x + iy = 0 ⇒ x = 0 und y = 0

z = r eiϕ = 0 ⇒ r = 0 (ϕ ist unbestimmt! )

Konjugiert komplexe Zahl


Die zu einer komplexen Zahl z konjugiert komplexe Zahl z unterscheidet sich von z nur im
Vorzeichen ihres Imaginärteils.
Konjugiert komplexe Zahl in Komponentenform:

z = x + iy z = x − iy (17.7)

Konjugiert komplexe Zahl in Polarform:

z = r (cos ϕ + i sin ϕ) z = r(cos ϕ − i sin ϕ) (17.8)

2 Leonhard Euler, 1707-1783


17.2 Algebraische Operationen mit komplexen Zahlen: 715

Die komplexe Zahl z und ihre konjugiert komplexe Zahl z liegen spiegelsymmetrisch zur reellen
Achse. Bild 17.2 zeigt die komplexe Zahl z = x + iy und ihre konjugiert Komplexe z = x − iy.

Beispiel:
z = 4 + 2i
Im 6
z = 4 − 2i

rP

*
2
2

z
  -
Im
HH 4
H Re
z H –2 0 2 4
HH
jrP
−2 Re

–2

a: Zeigerdarstellung b: Punktdarstellung

Bild 17.2: Komplexe und konjugiert komplexe Zahlen z , z.

17.2 Algebraische Operationen mit komplexen Zahlen:


Unter Beachtung der elementaren Eigenschaften der imaginären Einheit lassen sich verschiedene
algebraische Operationen mit komplexen Zahlen relativ einfach herleiten:

Potenzen von i:

i2 = −1
i3 = i · i2 = −i
i4 = i2 · i2 = (−1) · (−1) = +1
i5 = i · i4 = i
usw.

Addition und Subtraktion:

z1 + z2 = (x1 + x2 ) + i (x1 + y2 ) (17.9)


z1 − z2 = (x1 − x2 ) + i (y1 − y2 ) (17.10)

Beispiel 17.2:
z1 = 10 + 20i z2 = 3 + 7i z1 + z2 = 13 + 27i z1 − z2 = 7 + 13i
716 17 Komplexe Zahlen

Multiplikation:

z1 · z2 = (x1 + iy1 )(x2 + iy2 )


= x1 x2 + ix1 y2 + iy1 x2 + i2 y1 y2
= (x1 x2 − y1 y2 ) + i (x1 y2 + x2 y1 ) (17.11)

z1 · z2 = r1 (cos ϕ1 + i sin ϕ1 ) · r2 (cos ϕ2 + i sin ϕ2 )


= r1 r2 [cos(ϕ1 + ϕ2 ) + i sin(ϕ1 + ϕ2 )]
= r1 r2 ei(ϕ1 +ϕ2 ) (17.12)

Anmerkung: Multiplikation einer komplexen Zahl z mit der imaginären Einheit i entspricht
in der Gaußschen Zahlenebene der Drehung des Zahlenvektors um 90◦ im Gegenuhrzeigersinn;
die Multiplikation mit i2 bedeutet eine Drehung um 180◦ im Gegenuhrzeigersinn.

Beispiel 17.3:
z1 = 4 + 5i z2 = 6 + 7i z1 · z2 = −11 + 58i

Division:
z1 x1 + iy1
=
z2 x2 + iy2
(x1 + iy1 )(x2 − iy2 )
=
(x2 + iy2 )(x2 − iy2 )
x1 x2 + y1 y2 x2 y1 − x1 y2
= +i (17.13)
x2 + y2
2 2 x22 + y22

z1 r1 (cos ϕ1 + i sin ϕ1 )
=
z2 r2 (cos ϕ2 + i sin ϕ2 )
r1
= [cos(ϕ1 − ϕ2 ) + i sin(ϕ1 − ϕ2 )] (17.14)
r2
r1
= ei(ϕ1 −ϕ2 )
r2

Beispiel 17.4:
z1
z1 = 4 − 4i z2 = 4 + 3i = 0,16 − 1,12i
z2

Satz von Moivre


(cos ϕ + i sin ϕ)n = cos nϕ + i sin nϕ n∈Q (17.15)
17.3 Aufgaben 717

Potenz einer komplexen Zahl


Mit Hilfe des Satzes von Moivre lässt sich sehr leicht zeigen, dass die n-te ganzzahlige Potenz
einer komplexen Zahl z = r (cos ϕ + i sin ϕ) gegeben ist durch

zn = rn (cos nϕ + i sin nϕ) = rn einϕ n∈Z (17.16)

Beispiel 17.5:
z = 3 (cos ϕ + i sin ϕ) z2 = 9 (cos 2ϕ + i sin 2ϕ)

Quadratwurzel einer komplexen


  Zahl 
√ x +y +x
2 2 x2 + y2 − x
z = x ∓ iy z= ∓i
2 2
Beispiel 17.6:

z = 2 + 4i z = 1,799 + 1,111i

17.3 Aufgaben
1. Zeigen Sie, dass a) i3 = −i, b) i7 = −i, c) i9 = i.
2. Zeigen Sie, dass a) 1/i = −i, b) 1/i2 = −1, c) 1/i3 = i, d) 1/i4 = 1.
3. Gegeben sind die komplexen Zahlen z1 = 3 + 3i, z2 = 3 − 3i, z3 = −3 + 3i, z4 = −3 − 3i.
a) Stellen Sie die Zahlen z1 , · · · , z4 in der Gaußschen Zahlenebene grafisch dar.
b) Berechnen Sie jeweils den Betrag und das Argument.
c) Berechnen Sie i · z1 , i2 · z1 , i3 · z1 , i4 · z1 und tragen Sie die Resultate in die
bereits erzeugte Gaußschen Zahlenebene ein.
d) Berechnen Sie die jeweils konjugiert komplexe Zahl zi .
e) Stellen Sie z1 , · · · , z4 in der Polarform dar.
4. Führen Sie die Operation z1 + z2 mit den angegeben komplexen Zahlen z1 und z2 durch.
a) z1 = 4 − 4i z2 = −11 + 6i Lsg: −7 + 2i
b) z1 = 10 + 20i z2 = −10 − 8i Lsg: 12i
c) z1 = −9 + 17i z2 = 9 + 17i Lsg: 34i
5. Führen Sie die Operation z1 − z2 mit den angegeben komplexen Zahlen z1 und z2 durch.
1. z1 = −10 + 31i z2 = 10 − 28i Lsg: −20 + 59i
6. Führen Sie die Operation z1 · z2 mit den angegeben komplexen Zahlen z1 und z2 durch.
a) z1 = 13 − 4i z2 = 12 + 11i Lsg: 200 + 95i
b) z1 = 7 + 2i z2 = 8 + 3i Lsg: 50 + 37i
718 17 Komplexe Zahlen

c) z1 = 1 + 4i z2 = 1 − 21i Lsg: 85 − 17i


7. Führen Sie die geforderten Operationen durch.
a) (100 + 7i)2 =? Lsg: 9951 + 1400
b) (100 − 7i)2 =? Lsg: 9951 − 1400
8. Führen Sie die Operation z1 /z2 mit den angegeben komplexen Zahlen z1 und z2 durch.
a) z1 = 3 + 10i z2 = 6 − 4i Lsg: −0,423 + 1,385i
b) z1 = 4 + 2i z2 = 2 − 2i Lsg: 0,5 + 1,5i
c) z1 = 4 − i z2 = 2 + i Lsg: 1,4 − 1,2i
d) z1 = 3 + 4i z2 = 4 − 3i Lsg: 0 + i = i
9. Stellen Sie folgende komplexen Zahlen in der Gaußschen Zahlenebene in Zeigerform dar
(Hinweis: Eulersche Formel!).
a) z = eiπ/2 Lsg: z = i
b) z = eiπ Lsg: z = −1
c) z = ei3π/2 Lsg: z = −i
d) z = ei2π Lsg: z = 1
10. Schreiben Sie folgende komplexe Zahlen in Komponentenform und stellen Sie sie in der
Gaußschen Zahlenebene grafisch dar.
a) z = 10(cos π4 + i sin π4 ) Lsg: 7,07 + 7,07i
b) z = 8 e−iπ/2 Lsg: −8i
11. Gegeben sind die komplexen Zahlen z1 = 1 + i und z2 = 2 + 2i. Berechnen Sie folgenden
Ausdruck.
z1 · z2 12 12
z= Lsg: z = + i
z1 + z2 18 18
12. Wie lautet 1/z , wenn z = r eiϕ ist? Stellen Sie z und 1/z für r = 1, ϕ = 60◦ in der
1
Gaußschen Zahlenebene grafisch dar. Lsg: 1/z = e−iϕ
r
13. Können Sie die Gleichungen (17.12) und (17.14) herleiten?
14. Leiten Sie, indem Sie den Satz von Moivre für n = 2 auswerten, die folgenden wohl
bekannten trigonometrischen Formeln ab.

cos 2θ = cos2 θ − sin2 θ sin 2θ = 2 cos θ sin θ

Tipp: Betrachten Sie nach der Auswertung des Satzes von Moivre die links und rechts vom
Gleichheitszeichen stehenden Ausdrücke als zwei verschiedene komplexe Zahlen z1 und
z2 und machen Sie dann Gebrauch von der Definition der Gleichheit zweier komplexer
Zahlen.
18 Mathematik mit Maple

Maple ist ein Computer-Algebra-System (CAS) und löst mathematische Aufgaben mit Hilfe ei-
nes digitalen Computers und kann sowohl mit Zahlen als auch mit mathematischen Symbolen
umgehen. Ein CAS-Programm arbeitet also einerseits wie ein hoch intelligenter Taschenrech-
ner (natürlich sind die Rechenfähigkeiten eines CAS um Größenordnungen besser als eines Ta-
schenrechners), andererseits besitzt stellt es die Expertise und das Wissen von Hunderten von
Mathematikern, die an der Entwicklung eines solchen Programms mitarbeiten.
Die Fähigkeit von CAS-Programmen, symbolische Berechnungen durchführen zu können, ist
auch das wesentlichste Unterscheidungsmerkmal zu sonstigen Computerprogrammen. Ein Nicht-
CAS-Programm (z.B. ein Finite-Element-Programm zur statischen Berechnung von Tragwerken
bzw. Maschinen) benutzt nur numerische Lösungsmethoden und kann deshalb als Ergebnis le-
diglich Zahlen bzw. bestenfalls Farbplots bzw. Animationen zu deren Visualisierung liefern. Da-
gegen kann ein CAS-Programm das Integral einer komplizierten mathematischen Funktion wie-
der in Form einer mathematischen Formel, also als algebraischer Ausdruck, zurückgeben. Dies
wird als Computeralgebra bezeichnet – man nennt es auch als symbolisches Rechnen (symbolic
computing). Aufgrund dieser Fähigkeit sind CAS-Programme heutzutage unverzichtbare Werk-
zeuge in hochkomplexen Forschungsgebieten wie die Kernphysik und Astrophysik. Aber auch
in Entwicklungsabteilungen der Industrie sowie in akademischer Forschung wird in zunehmen-
dem Maße CAS-Software für die Lösung technischer Aufgabenstellungen eingesetzt (Technical
Computing).
CAS-Programme stellen Zahlen mit sehr hoher Genauigkeit dar und beherrschen sogar ih-
re exakte Darstellung. Im Gegensatz zu einem normalen Rechenprogramm, das die Zahl 1/3
als eine sog. Fließkommazahl 0,33333 . . . (i.d.R. mit höchstens 15 Dezimalstellen im Compu-
terspeicher) verarbeitet, behandelt ein CAS-Programm sie exakt als die Bruchzahl 1/3. Es geht
also keine Information verloren. Für die allermeisten technischen Anwendungen ist dieser Vorteil
eines CAS-Programms jedoch nicht Ausschlag gebend für ihren Einsatz; in Ingenieuranwendun-
gen ist eine 15-stellige Genauigkeit auch hoch genug. Außerdem steht dem exakten Rechener-
gebnis eines CAS-Programmes ein nicht unwichtiger Nachteil gegenüber, nämlich die längere
Rechenzeit im Vergleich zu den anwendungsspezifischen Rechenprogrammen.
Auf dem Markt sind verschiedene CAS-Programme erhältlich, manche von ihnen sogar kos-
tenlos (freeware). Die bekanntesten Vertreter von CAS-Software sind: Maple, Mathematica, Axi-
om, Macsyma, MuPAD, Reduce, MathCAD.
Die Schwäche von CAS-Programmen ist ihre relativ geringe Geschwindigkeit im Vergleich zu
sonstigen speziellen Rechenprogrammen, weil sie die Benutzereingaben nicht Maschinensprache
übersetzen sondern während der Laufzeit nacheinander interpretieren.
In diesem Buch wird der Einsatz von CAS-Software bei der Lösung von mathematischen
Aufgaben am Beispiel von MAPLE1 erläutert.

1 Maple ist ein kommerzielles Programm; für Studierende und Lehrkräfte existieren preiswerte Einzellizenzen bei
voller Leistungsfähigkeit des Programms sowie Campus-Lizenzen für den Einsatz in der Lehre.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_18,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
720 18 Mathematik mit Maple

Tabelle 18.1: Spezielle Maple-Symbole

Symbol Bedeutung
; Anweisungsende (Ergebnis wird auf dem Bildschirm angezeigt)
: Anweisungsende (Ergebnis wird auf dem Bildschirm nicht angezeigt)
# Kommentarzeichen (alles was rechts von # steht wird ignoriert)
% Platzhalter für den zuletzt berechneten Wert
? ruft Maple-Hilfe auf, z.B. ?sin zeigt Informationen über Sinus-Funktion

Tabelle 18.2: Maple-Konstanten

Konstante Bedeutung
Pi π
exp(k) ek (e = 2,718 . . . )
I i (imaginäre Einheit)
infinity ∞

18.1 Einführung in Maple


Eine vollständige Einführung in Maple ist im begrenzten Rahmen eines Buchabschnittes nicht
möglich. Es gibt aber zahlreiche und umfangreiche Literatur, die den Leser sehr fundiert in Maple
einweisen. Das Ziel dieses Abschnittes ist es, die Maple-Syntax anhand der Beispiele deutlich
zu machen und die Einsatzmöglichkeiten von Maple anhand von Anwendungsbeispielen zu de-
monstrieren.
Das Semikolon ; (s. Tabelle 18.1) beendet die Benutzereingabe (Ende der Anweisung) und
veranlasst Maple die geforderte Berechnung sofort durchzuführen.
Der Doppelpunkt : ist ebenfalls ein Anweisungsendezeichen und mit dem Semikolon ver-
wandt. Der Unterschied zwischen den beiden Zeichen ist, dass beim Semikolon die Anweisung
von Maple ausgeführt, d.h. berechnet, und das Ergebnis sofort ausgedruckt wird. Beim Doppel-
punkt wird die Anweisung zwar ausgeführt, das Ergebnis wird aber nicht ausgedruckt, d.h. bleibt
im Hintergrund; das ist oft für Zwischenrechnungen ein durchaus gewünschter Effekt. 2
Maple kennt zahlreiche Konstanten aus der Mathematik und Naturwissenschaften. Die für
Ingenieure wichtigsten Konstanten sind in Tabelle 18.2 zusammengestellt.
Die Eingabe des Benutzers wurde im Buch durch Verwendung des Zeichensatzes »Courier«
kenntlich gemacht. Das Maple-Ergebnis ist in Roman-Schriftart zu sehen. Das Zeichen > ist das
Bereitschaftszeichen (prompt) von Maple (das Zeichen > wird nicht vom Benutzer eingegeben).

2 Bei den meisten Maple-Beispielen in diesem Buch wird ein Maple-Befehl aus Gründen der Platzersparnis mit dem
Doppelpunkt : beendet. Dem Leser wird jedoch empfohlen, bei der Ausführung der Beispiele mit Maple anstelle
des Doppelpunkts den Semikolon ; zu verwenden. Dadurch werden auch die Ergebnisse der Zwischenschritte
sichtbar.
18.1 Einführung in Maple 721

18.1.1 Ausführungsreihenfolge arithmetischer Operationen


Maple wertet arithmetische Ausdrücke in der gleichen Weise aus, wie sie bei anderen Program-
miersprachen auch üblich ist. Beispielsweise wird der Ausdruck 2 + 3 ∗ 4 interpretiert als »3 mal
4, dann plus 2« und nicht etwa als »2 plus 3, dann mal 4«. Maple trifft seine Entscheidung auf-
grund intern fest vereinbarter Regeln über Rangordnung der Operatoren (operator precedence):
- Multiplikation/Division hat Vorrang gegenüber Addition/Subtraktion.
- Bei mehreren Operationen mit Multiplikation bzw. Division erfolgt die Ausführung von links
nach rechts. Das gleiche gilt für Addition/Division.
Mit Hilfe von Klammern lässt sich eine spezielle Ausführungsreihenfolge erzwingen, die nicht
der Rangordnung entspricht:
> (2+3)*4;
20

> 2+3*4;
14

18.1.2 Elementares Rechnen mit Maple


Die nachfolgenden Maple-Beispiele aus der elementaren Arithmetik sind durch eingefügte Kom-
mentare erläutert.

Beispiel 18.1:
Datei: Maple/Grundwissen/elementares-rechnen-1.mws
> 2; # Maple gibt den Eingabewert einfach wieder aus
2
> 2+3;
5
> 2+3*4; # entspricht 2+(3*4)
14
> %; # gibt das letzte Maple-Ergebnis aus
14
> (2+3)*4; # zunächst wird 2+3 berechnet
20
> 12/4: # es wird zwar gerechnet, aber nicht ausgegeben}
> %; # das letzte Rechenergebnis wird ausgegeben
3
> %-3; # subtrahiert 3 vom letzten Wert
0
> %+4; # addiert 4 zum letzten Wert
4
> 2*5: # Ergebnis ist 10, wird aber nicht angezeigt
> %; # das letzte Ergebnis wird angezeigt
10
> 2/3; # exakte Berechnung, Ausgabe als Bruchzahl
722 18 Mathematik mit Maple

2
3
> evalf(2/3); # exakte Berechnung, Ausgabe als Gleitkommazahl
0.66667
> 2./3; # Erzwingen einer Gleitkommaberechnung ohne evalf
0.66667
> 2+3/4; # zunächst wird 3/4 berechnet
11
4
> (2+3)/4; # zunächst wird 2+3 berechnet
5
4
> 3^2; # Quadrat von 3
9
> (-3)^2; # Quadrat von -3
9
> 3^(-2); # 3 hoch (-2)
1
9
> 3^1.5; # 3 hoch 1,5
5.19615
> sqrt(9); # Quadratwurzel
3
> 2+3^2; # zunächst 3 zum Quadrat, dann 2 dazu addieren
11
> sqrt(3^2); # zunächst 3 zum Quadrat, dann Quadratwurzel
3
> (sqrt(3))^2; # zunächst Quadratwurzel von 3, dann Quadrat
3
> sqr(3); # Maple kennt keine Funktion mit namen sqr
sqr(3)

Beispiel 18.2:
Datei: Maple/Grundwissen/elementares-rechnen-2.mws
> sqrt(4);
2
> Pi;
π
> evalf(Pi);
3.14159
> sin(Pi); # Sinus von 180 Grad
0
> sin(Pi/2); # Sinus von 90 Grad
1
> arcsin(1/sqrt(2)); # Arkussinus von 0.7071 (in Bogemass)
π
4
18.1 Einführung in Maple 723

> convert(arcsin(1/sqrt(2)), degrees); # Arkussinus von 0.7071 (in


> Grad)
45 degrees
> signum(+5);
1
> signum(-5);
−1

18.1.3 Variablen
Mathematische Variablen beginnen in Maple mit einem Buchstaben und enthalten -fast- beliebig
viele weitere Buchstaben bzw. Ziffern. Zwischen Groß- und Kleinschreibung wird unterschieden,
d.h. a und A sind unterschiedliche Variablen. Genauso sind xy , xY , Xy und XY alle verschie-
dene Variablen.
Wertzuweisung an Variablen
Mit Hilfe des Zuweisungsoperators := wird ein Wert an eine Variable zugewiesen3 . Im folgenden
Beispiel bedeutet die Anweisung a:=5 nicht etwa eine mathematische Gleichung im Sinne von
a = 5 , sondern »a besitzt von jetzt an den Wert 5«. Der mathematischen Operator = hat eine
andere Bedeutung.

Beispiel 18.3:
Datei: Maple/Grundwissen/zuweisung-an-variablen.mws
> a:=5; # Echo der Eingabe, wenn Semikolon als Befehlsende
a := 5
> a; # zeigt den Wert der Variable a an
5
> b:=2: # kein Echo, wenn Doppelpunkt als Befehlsende
> b; # zeigt den Wert der Variable b an
2
> a+b;
7
> c:=3+4;
c := 7
> a*2; # a wird mit 2 multipliziert
10
> a+b;
7
> a:=a*2;
a := 10
> a+b;
12
> c;
5
> d:=b/a;

3 Maple verwendet für die Wertzuweisung also die gleiche Syntax wie die Programmiersprachen Delphi und Pascal.
724 18 Mathematik mit Maple

1
d :=
5
> evalf(d); # zeigt d in Gleitkomma-Darstellung
0.20000

Stringvariablen
Eine Zeichenkette wird als String-Variable bezeichnet; sie wird in Hochkommas eingeschlossen.
> s:="Maple ist ein leistungsfähiges CAS";
s:=“Maple ist ein leistungsfähiges CAS”

18.1.4 Plotten mit Maple


Maple verfügt über verschiedene mächtige Befehle, mit denen anspruchsvolle Funktionsplots
erzeugt werden können. Nachfolgend sind einige Möglichkeiten exemplarisch aufgezeigt.

Beispiel 18.4:
Polynom. Datei: Maple/Plotten/polynom-1.mws
> f := x^3 - 20*x^2 + 50*x + 200: # Funktion
> x_a:=-3 : x_e:=17: # Anfangs- und Endpunkt auf der x_Achse
> plot(f, x=x_a..x_e);

200
y

x
10
0

–200

Beispiel 18.5:
Schraubenlinie. Datei: Maple/Plotten/schrauben-linie.mws
> with(plots):
> spacecurve([cos(t),sin(t),t], t=0..6*Pi, axes = FRAME,
> labels = [x,y,t], color=black);

16
12
t 8
4
0
–1 –1
–0.5 –0.5
0 0
y x
0.5 0.5
1 1
18.1 Einführung in Maple 725

Beispiel 18.6:
Halbkugel. Datei: Maple/Plotten/halb-kugel.mws
Mit dem Befehl plot3d lassen sich 3D-Flächen plotten.
> with(plots):
> setoptions3d(style = patch,shading=ZGRAYSCALE,scaling=constrained):
> plot3d(1,0..2*Pi,0..Pi/2,coords=spherical);

Beispiel 18.7:
Fläche im 3D-Raum. Datei: Maple/Plotten/3d-flaeche.mws
> with(plots):
> z:=x*y*sin(x)*sin(y): # zu plottende Funktion
> setoptions3d(style = patch, shading=NONE,scaling=constrained):
> plot3d(z,x=-Pi..Pi,y=-Pi..Pi, labelfont=[HELVETICA,OBLIQUE,12],
> axes=NORMAL, labels=[x,y,’z’],axes=FRAME,orientation=[45,30]);

3
z2
1
0
–3 –3
–2 –2
–1 –1
0 0
y x
1 1
2 2
3 3

Beispiel 18.8:
Parameterkurven.
1. Gerade in der xy-Ebene.
Datei: Maple/Plotten/gerade-1.mws
> with(plots):
> plot([4*t, t-2, t=0..5], labels=["x","y"]);

2
y

0 10 20
x

–2
726 18 Mathematik mit Maple

2. Ellipse: x(t) = 2 sin t, y(t) = 3 cos t, 0 ≤ t ≤ 2π


Datei: Maple/Plotten/ellipse-1.mws
> with(plots):
> f:=[2*sin(t), 3*cos(t), t=0..2*Pi]:
> plot(f, scaling=constrained);

y
–2 2
x

–2

3. Schmetterlingfigur: x(t) = sin 2t, y(t) = sin 4t, 0 ≤ t ≤ 2π


Datei: Maple/Plotten/schmetterling.mws
> with(plots):
> f:=[sin(2*t), sin(4*t), t=0..2*Pi];
> plot(f, scaling=constrained);
1
y

–1 1
x

–1

18.1.5 Funktionen und Befehle von Maple


Maple verfügt über eine riesige Funktionsbibliothek mit Tausenden von Funktionen, die prak-
tisch jedes Gebiet der Mathematik abdecken. Ingenieure brauchen -glücklicherweise- nur einen
kleinen Teil dieser Bibliothek. Eine Funktion aus der Maple-Funktionsbibliothek ist ein Pro-
grammcode, der eine ganz klar definierte Aufgabe erledigt. Dabei arbeitet die Funktion wie eine
blackbox: man füttert sie mit Eingabedaten und erhält ein fertiges Ergebnis; wie das im Einzel-
nen geschieht und alle Zwischenergebnisse bleiben dem Benutzer verborgen (interessieren ihn in
der Regel eigentlich auch nicht). Die Tabelle 18.3 zeigt einige ausgewählte Maple-Funktionen.
Hinweis: Das Argument x für trigonometrische Funktionen der Tabelle 18.3 ist stets in Bo-
genmaß (rad) einzugeben!
18.2 Elementar-Mathematik 727

Tabelle 18.3: Maple-Funktionen (sehr kleiner Auszug)

Funktionsname Bedeutung
abs(x) Absolutwert (Betrag) von x
arcsin(x) Arkussinus
arccos(x) Arkuskosinus
arctan(x) Arkustangens
convert(x,fraction,n) Konvertiert die Gleitkommazahl x in eine Bruchzahl
cos(x) Kosinus
cosh(x) Kosinushyperbolicus
cot(x) Kotangens
D(f) differenziert den Ausdruck f
diff(f,x) differenziert den Ausdruck f nach x
exp(x) Eulersche Zahl e in der x-ten Potenz
evalf(x) liefert den Gleitkommawert von x
fsolve(f,v) löst die Gleichung f nach der Variable v numerisch auf
implicitdiff(f,y,x) differenziert y nach x implizite ab (f ist der Ausdruck)
ln(x) natürlicher Logarithmus von x
log10(x) dekadischer Logarithmus von x
restart initialisiert Maple vollständig
signum(x) Vorzeichen von x
sin(x) Sinus
sinh(x) Sinushyperbolicus
solve(f,v) löst die Gleichung f nach der Variable v auf
sqrt(x) Quadratwurzel von x
tanh(x) Tangenshyperbolicus

18.2 Elementar-Mathematik
In diesem Abschnitt werden ausgewählte Beispiele aus dem Abschnitt 1 mit Maple gelöst.

18.2.1 Wurzeln, Summation

Beispiel 1.1 auf Seite 2. Wurzelberechnung.


> 16ˆ(1/2.5);
3,03143
> 16ˆ(2/5.);
3,03143
> 27ˆ(-1/3.);
0,33333
728 18 Mathematik mit Maple

Beispiel 1.3 auf Seite 4. Summation.


> sum(’i’, ’i’=1..5);
15
> sum(’i’, ’i’=0..5);
15
> sum(’iˆ2’, ’i’=1..3);
14
> sum(’iˆ2-1’, ’i’=1..3);
11
> evalf(sum(’sqrt(i)’, ’i’=1..5));
8.38233
> sum(’sin(i*Pi)’, ’i’=0..3);
0

Beispiel 1.10 auf Seite 8. Mittelwert einer Zahlenmenge.


Datei: Maple/Grundwissen/mittelwert.mws
> with(stats): # lädt Maple’s Statistik-Paket
> reihe:=[3,5,7,9]:
> describe[mean](reihe); # arithmetisches Mittel
6
> evalf(describe[geometricmean](reihe)); # geometrisches Mittel
5.54444
> evalf(describe[quadraticmean](reihe)); # quadratisches Mittel
6.40312
> evalf(describe[harmonicmean](reihe)); # harmonisches Mittel
5.08065

Beispiel 21 auf Seite 21. Logarithmische Gleichung.


Datei: Maple/Grundwissen/log-gleichung-1.mws
> f:=ln(2*x+2)/ln(8)=4;
ln(2 x + 2)
f := =4
ln(8)
> solve(f,x);
2047
> f:=(ln(x+3)+ln(x-3))/ln(4)=2;
ln(x + 3) + ln(x − 3)
f := =2
ln(4)
> solve(f,x);
5
> f:=ln(x+2)/ln(4)+ln(x-2)/ln(4)=2;
ln(x + 2) ln(x − 2)
f := + =2
ln(4) ln(4)
> fsolve(f,x);
4.47214
18.3 Differentialrechnung 729

18.2.2 Lösung von Gleichungen


Maple stellt zur Lösung von linearen und nichtlinearen Gleichungen und Gleichungssystemen
die Befehle solve und fsolve zur Verfügung.

Beispiel 18.9:
Datei: Maple/Grundwissen/gleichungs-loesung-1.mws
> f:=4*x^2-12*x-20=0; # Definition der Gleichung
f := 4 x2 − 12 x − 20 = 0
> fsolve(f,x); # Numerische Lösung von f
−1.19258, 4.19258
> fsolve(4*x^2-12*x-20=0); # Alternative Lösung
−1.19258, 4.19258
> f := x^5 - 2*x^4 + 40*x^3 - 102*x^2 + 12*x - 20000;
f := x5 − 2 x4 + 40 x3 − 102 x2 + 12 x − 20000
> fsolve( f, x);
6.93998
> f:=tan(cos(x));
f := tan(cos(x))
> solve( tan(cos(x))=1., x );
0.66746
> f:=5-(ln(x+(x^2-1)^(1/2))-ln(2+8^(1/2)));
√ √
f := 5 − ln(x + x2 − 1) + ln(2 + 8)
> fsolve(f,x);
358.30176
> f:=(1-x^2)/(1+x^2)=0;
1 − x2
f := =0
1 + x2
> solve(f);
−1, 1

18.3 Differentialrechnung
Maple stellt für die Differentiation von Funktionen und Ausdrücken zwei Möglichkeiten zur
Verfügung:
1. Der Befehl diff ist der allgemeinere Befehl und wird für normale sowie partielle Ablei-
tung von Ausdrücken verwendet.
2. Der Operator-Befehl D differenziert Funktionen mit nur einer unabhängigen Variable in
Operatorform. Die D-Form ist insbesondere bei der Lösung von Differentialgleichungen
mit Anfangs- und Randbedingungen nützlich.

Beispiel 18.10:
Datei: Maple/DiffRech/ableitungs-befehle-1.mws
730 18 Mathematik mit Maple

Im folgenden Beispiel wird die Sinus-Funktion in beiden Formen abgeleitet. In der


letzten Zeile ist der Wert der Ableitung an der Stelle π ausgewertet.
> diff(sin(x),x); # Standardmethode
cos(x)
> D(sin); # Operator-D-Methode (leitet sin ab)
cos
> D(sin)(x); # leitet sin(x) ab
cos(x)
> D(sin)(Pi); # leitet sin ab, Ergebnisauswertung bei Pi
−1

Beispiel 3.36 auf Seite 94. Produktregel.


Datei: Maple/DiffRech/produkt-regel-1.mws
> y:=(x-1)*(x^2-2); # Funktion y=f(x)
y := (x − 1) (x2 − 2)
> diff(y,x); # Ableitung von y nach x
x2 − 2 + 2 (x − 1) x
> expand(%); # Ausmultiplizieren des letzten Resultats
3 x2 − 2 − 2 x

Beispiel 3.8 auf Seite 64. Quotientenregel.


Datei: Maple/DiffRech/quotienten-regel-1.mws
> y:=x^2/sin(x);
x2
y :=
sin(x)
> diff(y,x); # Ableitung von y nach x
2x x2 cos(x)

sin(x) sin(x)2
> factor(%); # Faktorisierung des letzten Ausdrucks
x (−2 sin(x) + x cos(x))

sin(x)2
Beispiel 3.15 auf Seite 68. Kettenregel.
Datei: Maple/DiffRech/ketten-regel-1.mws
> y:=sin(ln(x^2-3*x));
y := sin(ln(x2 − 3 x))
> diff(y,x); # Ableitung von y nach x
cos(ln(x2 − 3 x)) (2 x − 3)
x2 − 3 x
Beispiel 11.23 auf Seite 547. Implizite Ableitung.
Datei: Maple/DiffRech/implizite-ableitung-1.mws
> f:=exp(y)+y-x=0;
f := ey + y − x = 0
> abl:=implicitdiff(f,y,x); # implizite Ableitung von y nach x
18.3 Differentialrechnung 731

1
abl :=
ey + 1
> zwischen_ausdruck:=solve(f,exp(y)); # Auflösung von f nach e^y
zwischen_ausdruck := −y + x
> subs(exp(y)=zwischen_ausdruck,abl); # Substitution von e^y
1
−y + x + 1
Beispiel 3.34 auf Seite 93. Taylor-Reihe.
Datei: Maple/DiffRech/taylor-reihe-1.mws
In diesem Beispiel wird die Funktion ex in eine Taylor-Reihe mit 4 Reihengliedern entwi-
ckelt. Abweichend von den bisherigen Beispielen wird hier die Funktion f mit Hilfe des
Pfeiloperators »→« definiert; dadurch wird die Funktionsauswertung erleichtert. Der Maple-
Befehl convert konvertiert den Ausdruck für die Taylor-Reihe in ein Polynom mit einer
endlichen Anzahl von Gliedern. Der Befehl unapply besitzt die selbe Wirkung wie der →-
Pfeiloperator. Im Schaubild ist die Kurve der Taylor-Reihe (die untere Kurve) mit der exakten
Funktion ex (die obere Kurve) verglichen.
> f:=x -> exp(x):
> taylor(f(x), x=0, 4); # Taylor-Reihe für x=0
1 2 1 3
1+x+
x + x + O(x4 )
2 6
> fT:=unapply(convert(%,polynom),x); #Umwandlung in ein Polynom
1 2 1 3
fT := x → 1 + x + x + x
2 6
> exakt:=f(0.2);
exakt := 1.22140
> naeherung:=fT(0.2);
naeherung := 1.22133
> E[rel]:=abs((exakt-naeherung)/exakt)*100; # rel. Fehler in %
Erel := 0.00568
8

4
y

–1 0 1 2
x

Beispiel 3.24 auf Seite 78. Unbestimmer Ausdruck.


Datei: Maple/DiffRech/unbestimmter-ausdruck-1.mws
> limit(sin(x)/x, x=0); # Grenzwert von 0/0 bestimmen
1

Beispiel 3.27 auf Seite 82. Krümmung einer Kurve.


732 18 Mathematik mit Maple

Datei: Maple/DiffRech/kruemmung-einer-kurve-1.mws
> y:= x*exp(x);
y := x ex
> abl_1:=diff(y,x); # 1. Ableitung
abl_1 := ex + x ex
> abl_2:=diff(y,x$2); # 2. Ableitung
abl_2 := 2 ex + x ex
> kappa:=unapply(abl_2/(1+abl_1^2)^1.5, x);
2 ex + x ex
κ := x →
(1 + (ex + x ex )2 )1.5
> kappa:=kappa(0); # Krümmung
κ := 0.7071067812
> rho:=1/abs(kappa); # Krümmungsradius
ρ := 1.414213562

Beispiel 5 auf Seite 105. Extremwertbestimmung.


Datei: Maple/DiffRech/extremwert-bestimmung-1.mws
> with(Student[Calculus1]): # das nötige Maple-Paket laden
> y:=x-> x*exp(-x);
y := x → x e(−x)
> ExtremePoints(y(x)); # x-Positionen der Extremwerte
[1]
> evalf(y(%[1])); # y-Wert an der Extremwertposition
0.36788
> plot(y(x),x=-0.2..3, labels=["x","y"], view=[-0.2..3,-0.3..0.5]);

0.4
y

0.2

0 1 2 3
x

–0.2

Beispiel 3.31 auf Seite 90. Nulstellenbestimmung mit Newton-Verfahren.


Datei: Maple/DiffRech/newton-verfahren-1.mws
> with(Student[Calculus1]): # Paket laden
> y:=x^2-exp(x):
> NewtonsMethod(y,x=0); # x=0 gibt die Startposition an
−0.70347

Beispiel 3.66 auf Seite 114. Schleudergefahr für ein Auto in der Kurve.
Datei: Maple/DiffRech/auto-in-der-kurve.mws
> y:=100*ln(x): # Funktion der Straße
18.4 Lineare Algebra 733

> m:=1500: v:=162000/3600: mu:=0.7: g:=9.81:


> rho:=abs((1+diff(y,x)^2)^1.5/diff(y,x$2)): # Krümmungsradius
> F:=m*v^2/rho: # Zentrigualkraft auf das Auto
> with(Student[Calculus1]): # benötigt für Extremwertbestimmung
> x_F_max:=ExtremePoints(F); # x-Position der Extremwerte
x_F_max := [−70.71068, 70.71068]
> F_max:=evalf(subs(x=x_F_max[2], F)); # max. Zentrifugalkraft
F_max := 11691.34295
> F_R:=mu*m*g; # Rückhaltekraft infolge Reibung
F_R := 10300.50000
> if( F_max > F_R ) then
> print("Das Auto kommt ins Schleudern");
> else
> print("Das Auto kommt bleibt in der Kurve"):
> fi;
“Das Auto kommt ins Schleudern”

Beispiel 3.67 auf Seite 116. Größte Durchbiegung eines Balkens.


Datei: Maple/DiffRech/balken-durchbiegung-1.mws
> M:=1/2*q*l^2*(3*x/(4*l)-x^2/l^2): # Biegemomenten-Verlauf
> dM:=diff(M,x): # 1. Ableitung des Biegemomentes
> x_M_max:=evalf(solve(dM, x)); # Position des max. Biegemomentes
x_M_max := 0.37500 l
> M_max:=convert(subs(x=x_M_max, M), fraction); # maximales M
9 q l2
M_max :=
128
> w:=q*l^4/(48*E*J)*(x/l-3*x^3/l^3+2*x^4/l^4): # Durchbiegung
> dw:=diff(w,x): # 1. Ableitung der Durchbiegung
> x_w_max:=evalf(solve(dw, x)); # Position der max. Durchbiegung
x_w_max := l, 0.42154 l, −0.29654 l
> subs(x=x_w_max[2], w): # Bestimmung der maximalen Durchbiegung
> w_max:=convert(%, fraction, 4); # Konvertierung in eine Bruchzahl
2 q l4
w_max :=
369 E J

18.4 Lineare Algebra

Beispiel 4.19 auf Seite 158. Rang einer Matrix.


Datei: Maple/LinAlgebra/matrix-rang-1.mws
> with(LinearAlgebra):
> A:=Matrix([[1,2,1],[3,4,2],[6,8,4],[9,12,6]]);
⎡ ⎤
1 2 1
⎢ 3 4 2 ⎥⎥
A := ⎢
⎣ 6 8 4 ⎦
9 12 6
> Rank(A);
2
734 18 Mathematik mit Maple

Beispiel 4.5 auf Seite 137. Matrix-Transposition.


Datei: Maple/LinAlgebra/matrix-transp-1.mws
> with(LinearAlgebra):
> A:=Matrix([[2,3,8],[3,5,-1]]);
 
2 3 8
A :=
3 5 −1
> A_T:=Transpose(A);
⎡ ⎤
2 3
A_T := ⎣ 3 5 ⎦
8 −1
Beispiel 4.6 auf Seite 138. Matrix-Addition.
Datei: Maple/LinAlgebra/matrix-addition-1.mws
> with(LinearAlgebra):
> A:=Matrix([[-4,6,3],[0,1,2]]);
 
−4 6 3
A :=
0 1 2
> B:=Matrix([[5,-1,0],[3,1,0]]);
 
5 −1 0
B :=
3 1 0
> C:=Add(A,B);
 
1 5 3
C :=
3 2 2
Beispiel 4.7 auf Seite 139. Multiplikation einer Matrix mit einem Skalar.
Datei: Maple/LinAlgebra/matrix-skalar-mult-1.mws
> with(LinearAlgebra):
> A:=Matrix([[2.7,-1.8],[0.9,3.6]]);
 
2.70000 −1.80000
A :=
0.90000 3.60000
> k:=2;
k := 2
> C:=Multiply(A,k);
 
5.40000 −3.60000
C :=
1.80000 7.20000
Beispiel 5.36 auf Seite 238. Skalarprodukt.
Datei: Maple/LinAlgebra/skalar-produkt-1.mws
> with(LinearAlgebra):
> v:=Vector([2,3,1]);
⎡ ⎤
2
v := ⎣ 3 ⎦
1
> w:=Vector([1,-1,6]);
⎡ ⎤
1
w := ⎣ −1 ⎦
6
18.4 Lineare Algebra 735

> skalar_produkt:=DotProduct(v,w);
skalar_produkt := 5

Beispiel 4.11 auf Seite 143. Matrix-Vektor-Multiplikation.


Datei: Maple/LinAlgebra/matrix-vektor-mult-1.mws
> with(LinearAlgebra):
> A:=Matrix([[2,4,5],[2,6,8],[1,0,9]]);
⎡ ⎤
2 4 5
A := ⎣ 2 6 8 ⎦
1 0 9
> v:=Vector([3,1,0]);
⎡ ⎤
3
v := ⎣ 1 ⎦
0
> w:=Multiply(A,v);
⎡ ⎤
10
w := ⎣ 12 ⎦
3
Aufgabe 17 auf Seite 191. Determinante einer Matrix.
Datei: Maple/LinAlgebra/determinante-1.mws
> with(LinearAlgebra):
> A:=Matrix([[1,2,3,4],[2,-4,2,3],[3,2,-1,-5],[4,2,-5,4]]);
⎡ ⎤
1 2 3 4
⎢ 2 −4 2 3 ⎥

A := ⎢
⎣ 3 2 −1 −5 ⎦
4 2 −5 4
> det:=Determinant(A);
det := 1096

Aufgabe 8 auf Seite 188. Determinante einer Matrix.


Datei: Maple/LinAlgebra/determinante-2.mws
> with(LinearAlgebra):
> A:=Matrix([[-3,0,0],[6,4,0],[-1,2,5]]):
> Determinant(A);
−60
> B:=Matrix([[-1,1,2],[3,-1,1],[-1,3,4]]):
> Determinant(B);
10
> C:=Matrix([[2,0,-4,6],[4,5,1,0],[0,2,6,-1],[-3,8,9,1]]):
> Determinant(C);
1134

Aufgabe 16 auf Seite 190. Lineare Abhängigkeit einer Matrix.


Datei: Maple/LinAlgebra/matrix-lineare-abhaengigkeit-1.mws
Eine Matrix ist linear abhängig, falls ihre Determinante gleich Null ist, ansonsten ist sie linear
unabhängig.
> with(LinearAlgebra):
736 18 Mathematik mit Maple

> A:=Matrix([[2,3,8],[3,5,-1],[5,8,6]]):
> Determinant(A); # A ist linear unabhängig, weil det(A)=-1
−1
> B:=Matrix([[2,3,8],[3,5,-1],[5,8,7]]):
> Determinant(B); # B ist linear abhängig, weil det(B)=0
0
> C:=Matrix([[5,3,11],[2,5,12],[7,8,20]]):
> Determinant(C); # C ist linear unabhängig, weil det(C)=-57
−57

Aufgabe 21 auf Seite 191. Lineares Gleichungssystem.


Datei: Maple/LinAlgebra/lineares-gl-system-1.mws
> with(LinearAlgebra):
> A:=Matrix([[4,2,1],[-1,1,1],[1,-1,1]]):
> b:=Vector([1,-2,1]):
> x:=evalf(LinearSolve(A,b));
⎡ ⎤
0.75000
x := ⎣ −0.75000 ⎦
−0.50000

Aufgabe 4.39 auf Seite 174. Nicht lösbares lineares Gleichungssystem.


Datei: Maple/LinAlgebra/lineares-gl-system-2.mws
Das folgende lineare Gleichungssystem ist nicht lösbar, weil die Matrix A singulär ist.
> with(LinearAlgebra):
> A:=Matrix([[3,6,-4],[6,-1,3],[6,12,-8]]):
> b:=Vector([1,2,3]):
> x:=LinearSolve(A,b);

Error, (in LinearAlgebra:-LA_Main:-LinearSolve) inconsistent system

Aufgabe 26 auf Seite 193. Inverse einer Matrix.


Datei: Maple/LinAlgebra/matrix-inverse-1.mws
> with(LinearAlgebra):
> A:=Matrix([[1,2,3],[4,5,6],[2,6,8]]):
> evalf(MatrixInverse(A));
⎡ ⎤
0.66667 0.33333 −0.50000
⎣ −3.33333 0.33333 1.00000 ⎦
2.33333 −0.33333 −0.50000
> B:=Matrix([[2,1,-1],[1,4,1],[-1,1,6]]):
> evalf(MatrixInverse(B));
⎡ ⎤
0.67647 −0.20588 0.14706
⎣ −0.20588 0.32353 −0.08824 ⎦
0.14706 −0.08824 0.20588
18.5 Vektorrechnung 737

18.5 Vektorrechnung

Beispiel 5.22 auf Seite 225. Normierung eines Vektors.


Datei: Maple/VektorRechnung/normierung-eines-vektors-1.mws
Die zur Normierung eines Vektors benötigte Vektorlänge wird mit dem Maple-Befehl VectorNorm
und dem optionalen Parameter Euclidean berechnet.
> with(LinearAlgebra):
> a:=Vector([1.,1,0]):
> L:=VectorNorm(a,Euclidean); # berechnet die Vektorlänge
L := 1.41421
> a:=a/L; # Normierung
⎡ ⎤
0.70711
a := ⎣ 0.70711 ⎦
0.00000
> VectorNorm(a,Euclidean); # Länge des normierten Vektors
1.00000

Beispiel 5.12 auf Seite 210. Winkel zwischen zwei Vektoren.


Datei: Maple/VektorRechnung/winkel-zwischen-2-vektoren-1.mws
In diesem Beispiel soll der Winkel zwischen zwei Vektoren berechnet werden. Die kann ent-
weder direkt nach Gl. (5.12) oder mit Hilfe des Maple-Befehls VectorAngle durchgeführt
werden. Der Maple-Befehl convert mit dem Parameter degrees wandelt einen Winkel
vom Bogenmaß in Grad um.
> with(LinearAlgebra):
> a:=Vector([1,2,5]):b:=Vector([3,-2,1]):
> p:=DotProduct(a,b); # Skalarprodukt von a und b
p := 4
> # Alternative 1 zur Winkelberechnung
> La:=VectorNorm(a,Euclidean):
> Lb:=VectorNorm(b,Euclidean):
> alpha:=evalf(convert(arccos(p/(La*Lb)),degrees));
α := 78.74476 degrees
> # Alternative 2 zur Winkelberechnung
> alpha:=evalf(convert((VectorAngle(a,b)), degrees));
α := 78.74476 degrees

Beispiel 5.14 auf Seite 214. Betrag des Kreuzproduktes von zwei Vektoren.
Datei: Maple/VektorRechnung/kreuzprodukt-1.mws
> with(LinearAlgebra):
> a:=Vector([2,3,4]):b:=Vector([5,9,12]):
> c:=CrossProduct(a,b): # Kreuzprodukt von a und b
> ‘|c|‘:=VectorNorm(c,Euclidean); # Betrag des Kreuzproduktes
|c| := 5

Beispiel 5.21 auf Seite 223. Lineare Abhängigkeit von Vektoren und Kreuzprodukt.
Datei: Maple/VektorRechnung/linear-abhaengige-vektoren-1.mws
> with(LinearAlgebra):
738 18 Mathematik mit Maple

> a:=Vector([2,3,4]):b:=Vector([4,6,8]):
> c:=CrossProduct(a,b); # (a x b) ist Null
⎡ ⎤
0
c := ⎣ 0 ⎦
0
Beispiel 5.74 auf Seite 260. Zusammentreffen von zwei Fahrzeugen.
Datei: Maple/VektorRechnung/zusammentreffen-von-fahrzeugen.mws
> with(LinearAlgebra):
> r[1]:=Vector([1000,2000,0]): # Startposition Fahrzeug A
> r[2]:=Vector([-1208,-5038,0]): # Startposition Fahrzeug B
> v[A]:=72000/3600: v[B]:=108000/3600: # Geschw. von A und B
> a:=Vector([1,-2,0]): b:=Vector([1,1,0]):
> a:=evalf(a/VectorNorm(a,Euclidean)): # Normierung von a
> b:=evalf(b/VectorNorm(b,Euclidean)): # Normierung von b
> r[A]:=r[1]+v[A]*a*t: # Momentaner Ortsvektor von A
> r[B]:=r[2]+v[B]*b*t: # Momentaner Ortsvektor von B
> bedingung:=simplify(r[A]-r[B]); # Bedingung des Zusammentreffens
⎡ ⎤
2208.00000 − 12.26893 t
bedingung := ⎣ 7038.00000 − 39.10175 t ⎦
0.00000
> ‘t‘:=solve(bedingung[1],t); # Lösen der ersten Bedingungsgleichung
t := 179.96677

Aufgabe 5.49 auf Seite 245. Flächenberechnung mit Hilfe des Kreuzproduktes.
Datei: Maple/VektorRechnung/flaeche-eines-parallelogramms-1.mws
> with(LinearAlgebra):
> a:=Vector([1,0,2]):b:=Vector([1,1,2]):
> c:=CrossProduct(a,b): # Kreuzprodukt von a und b
> ‘A=|c|‘:=evalf(VectorNorm(c,Euclidean));
A = |c| := 2.23607

Aufgabe 5.61 auf Seite 251. Abstand zwischen einem Punkt und einer Geraden.
Datei: Maple/VektorRechnung/abstand-punkt-gerade-1.mws
> with(LinearAlgebra):
> r[Q]:=Vector([4,4,4]): # Ortsvektor des Punktes Q
> r[1]:=Vector([1,0,0]): # Ortsvektor des Punktes P1
> a:=Vector([1,1,-1]):
> ’r[Q]’=r[Q], ’r[1]’=r[1], ’a’=a, ’r[Q]-r[1]’=r[Q]-r[1];
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 1 1 3
rQ = ⎣ ⎦
4 , r1 = ⎣ ⎦
0 , a= ⎣ ⎦
1 , rQ − r1 = ⎣ 4 ⎦
4 0 −1 4
> ‘|q|‘:=VectorNorm(CrossProduct(a,r[Q]-r[1]), Euclidean);

|q| := 114
> ‘|a|‘:=evalf(VectorNorm(a,Euclidean));
|a| := 1.73205
18.6 Integralrechnung 739

> d:=evalf(‘|q|‘/‘|a|‘);
d := 6.16441

18.6 Integralrechnung

Beispiel 7.7 auf Seite 306. Unbestimmtes Integral.


Datei: Maple/IntegRech/unbestimmtes-integral-1.mws
> f:=x*ln(x):
> Int(f,x)=int(f,x);

1 2 x2
x ln(x) dx = x ln(x) −
2 4
Beispiel 7.35 auf Seite 342. Unbestimmtes Integral.
Datei: Maple/IntegRech/unbestimmtes-integral-2.mws
> f:=exp(x)*cos(x):
> Int(f,x)=int(f,x);

1 x 1
ex cos(x) dx = e cos(x) + ex sin(x)
2 2
Beispiel 7.12 auf Seite 311. Bestimmtes Integral.
Datei: Maple/IntegRech/bestimmtes-integral-1.mws
> f:=3*exp(x)-2*x:
> Int(f,x=0..1)=evalf(int(f,x=0..1));
1
3 ex − 2 x dx = 4.15485
0
> f:=x-2*x^2+x^3:
> Int(f,x=0..1)=evalf(int(f,x=0..2));
1
x − 2 x2 + x3 dx = 0.66667
0

Beispiel 7.17 auf Seite 315. Trapez-Regel.


Datei: Maple/IntegRech/trapez-regel-1.mws
> with(Student[Calculus1]):
> f:=exp(-x^2):
> Int(f, x=0..1)=evalf(ApproximateInt(f, x=0..1, method = trapezoid));
1
e(−x ) dx = 0.74621
2

Beispiel 7.18 auf Seite 318. Simpson-Regel.


Datei: Maple/IntegRech/simpson-regel-1.mws
> with(Student[Calculus1]):
> f:=exp(-x^2):
> Int(f, x=0..1)=evalf(ApproximateInt(f, x=0..1, method = simpson));
1
e(−x ) dx = 0.74682
2

0
740 18 Mathematik mit Maple

Beispiel 7.19 auf Seite 320. Gauß-Quadratur.


Datei: Maple/IntegRech/gauss-quadratur-1.mws
> f:=exp(-x^2):
> Int(f, x=0..1)=evalf(Int(f, x=0..1, method = _Gquad));
1
e(−x ) dx = 0.74682
2

Beispiel 7.54 auf Seite 354. Bogenlänge.


Datei: Maple/IntegRech/bogen-laenge-1.mws
> with(Student[Calculus1]):
> f:=sin(x):
> Bogenlaenge:=evalf(ArcLength(f, x=0..Pi));
Bogenlaenge := 3.82020

Beispiel 7.57 auf Seite 356. Bogenlänge bei Bergwanderung.


Datei: Maple/IntegRech/bogen-laenge-2.mws
> with(Student[Calculus1]):
> f:=500*sin(x/1000)^2: # Funktion des Bergprofils
> x_0:=fsolve(f=500,x); # x_0 position bestimmen
x_0 := 1570.79633
> Bogenlaenge:=evalf(ArcLength(f, x=0..x_0));
Bogenlaenge := 1664.79181

Beispiel 7.28 auf Seite 332. Mantelfläche bei Rotation um die x-Achse.
Datei: Maple/IntegRech/mantel-flaeche-x-1.mws
> with(Student[Calculus1]):
> f:=cosh(x):
> A_M:=evalf(SurfaceOfRevolution(f, x=0..2));
A_M := 49.15009

Beispiel 7.29 auf Seite 333. Mantelfläche bei Rotation um die y-Achse.
Datei: Maple/IntegRech/mantel-flaeche-y-1.mws
> with(Student[Calculus1]):
> f:=cosh(x):
> A_M:=evalf(SurfaceOfRevolution(f, x=0..2, axis=vertical));
A_M := 28.22108

Beispiel 7.30 auf Seite 334. Volumen eines Rotationskörpers bei Drehung um die x-Achse.
Datei: Maple/IntegRech/volumen-rotationskoerper-x-1.mws
> with(Student[Calculus1]):
> f:=sinh(x):
> V:=evalf(VolumeOfRevolution(f, x=0..2));
V := 18.29186

Beispiel 7.32 auf Seite 340. Trägheitsmomente eines Rechteckquerschnitts.


Datei: Maple/IntegRech/traegheits-moment-1.mws
18.7 Gewöhnliche Differentialgleichungen 741

> I_x:=int(b*y^2, y=-h/2..h/2); # Trägh.-Moment um die x-Achse


b h3
I_x :=
12
> I_y:=int(h*x^2, x=-b/2..b/2); # Trägh.-Moment um die y-Achse
h b3
I_y :=
12

18.7 Gewöhnliche Differentialgleichungen


Gewöhnliche Differentialgleichungen lassen sich mit dem Maple-Befehl dsolve lösen.
Beispiel 9.15 auf Seite 426. DGL 1. Ordnung.
Datei: Maple/DiffGl/diff-gl-1-ord-1.mws
> dgl:=diff(y(x),x)-y(x)^2=0;
dgl := ( dx
d
y(x)) − y(x)2 = 0
> dsolve({dgl, y(1)=1},y(x)); # Lösen der DGL mit Anfangsbedingung
1
y(x) = −
x−2
Beispiel 9.19 auf Seite 430. DGL 1. Ordnung.
Datei: Maple/DiffGl/diff-gl-1-ord-2.mws
> dgl:=diff(y(x),x)=(x+y(x))^2;
d
dgl := dx y(x) = (x + y(x))2
> dsolve({dgl, y(0)=0},y(x)); # Lösen der DGL mit Anfangsbedingung
y(x) = −x + tan(x)

Beispiel 9.34 auf Seite 454. DGL 1. Ordnung.


Datei: Maple/DiffGl/diff-gl-1-ord-3.mws
> dgl:=diff(y(x),x)=y(x)/x*(1+ln(y(x)/x)):
> dsolve({dgl, y(1)=1},y(x));
y(x) = x

Beispiel 9.24 auf Seite 437. DGL 1. Ordnung.


Datei: Maple/DiffGl/diff-gl-1-ord-4.mws
> dgl:=diff(y(x),x)+(3*x^2-2*x)*y(x):
> dsolve({dgl, y(0)=1},y(x));
y(x) = e(x
2 (−x+1))

Beispiel 9.42 auf Seite 460. DGL 1. Ordnung.


Datei: Maple/DiffGl/diff-gl-1-ord-5.mws
> dgl:=diff(y(x),x)-2*y(x)=exp(-2*x):
> dsolve({dgl, y(0)=1},y(x));
1 5
y(x) = (− e(−4 x) + ) e(2 x)
4 4
Beispiel 9.54 auf Seite 478. DGL 2. Ordnung.
Datei: Maple/DiffGl/diff-gl-2-ord-1.mws
> dgl:=diff(y(x),x$2)+4*y(x)=16*x^2:
742 18 Mathematik mit Maple

> dsolve({dgl, y(0)=1, D(y)(0)=0},y(x));


y(x) = −2 + 3 cos(2 x) + 4 x2

Beispiel 9.60 auf Seite 487. Freie gedämpfte Schwingung.


Datei: Maple/DiffGl/freie-gedaempfte-schwingung-1.mws

> dgl:=m*diff(x(t),t$2)+c*diff(x(t),t)+k*x(t)=0:

> k:=30000: m:=70: c:=120:

> anfangsbed:=x(0)=0.02, D(x)(0)=0: # Anfangsbedingungen

> lsg:=evalf(dsolve({dgl,anfangsbed},x(t)));

lsg := x(t) = 0.0008287893669 e(−0.8571428571 t) sin(20.68421462 t)


+ 0.02000000000 e(−0.8571428571 t) cos(20.68421462 t)
> plot_funktion:=op(2,lsg): # Extraktion der rechten Seite

> plot(plot_funktion,t=0..2); # Schwingung in den ersten 2 sec

0.02
x(t)

0.01

0 1 2
t

–0.01

–0.02

Beispiel 18.11:
Datei: Maple/DiffGl/schwingung-resonanz-1.mws
In diesem Beispiel wird das harmonisch erregte Schwingungsproblem des Abschnitts
9.10.4.1 (s. Seite 489) untersucht. Die Kenngrößen des Schwingers sind identisch mit
denen des Beispiels 9.60 (s. Seite 487). Die Zeitfunktion der Erregerkraft lautet F(t) =
3000 sin 20,7t. Der Schwinger kommt also in Resonanz mit der Erregung, weil die
Erregerfrequenz und die Eigenfrequenz zusammenfallen.
> dgl:=70*diff(x(t),t$2)+120*diff(x(t),t)+30000*x(t)=3000*sin(20.7*t):

> anfangsbed:=x(0)=0.0, D(x)(0)=0: # Ruhezustand am Anfang

> lsg:=evalf(dsolve({dgl,anfangsbed},x(t)));

lsg := x(t) = 0.04727394327 e(−0.8571428571 t) sin(20.68421462 t)


+ 1.207723109 e(−0.8571428571 t) cos(20.68421462 t)
− 1.207723109 cos(20.70000000 t)
+ 0.002771345299 sin(20.70000000 t)
> plot_funktion:=op(2,lsg): # Extraktion der rechten Seite

> plot(plot_funktion,t=0..5); # Schwingung in der ersten 5 sec


18.8 Fourier-Reihen 743

x(t)
0 2 4
t

–1

18.8 Fourier-Reihen

Beispiel 10.1 auf Seite 510. Fourier-Reihe.


Datei: Maple/./Fourier/Beisp/bsp-fourier-reihe-10.mws
> restart:
> f:=piecewise(x<=0, 0, x>=0, sin(x));

0 x≤0
f :=
sin(x) 0 ≤ x
> L:=Pi; # 2L ist die Periode
L := π
> N:=6: NMAX:=50: # Anzahl der Fourier-Terme (min-max)
> Int(’f’,x)=int(f,x);


0 x≤0
f dx =
−cos(x) 0<x
> Int(’f’*cos(n*Pi*x/L),x)=int(f*cos(n*Pi*x/L),x);

 ⎨0 x≤0
f cos(n x) dx = 1 cos((n + 1) x) 1 cos((n − 1) x) 1
⎩− + − 0<x
2 n+1 2 n−1 (n + 1) (n − 1)
> Int(’f’*sin(n*Pi*x/L),x)=int(f*sin(n*Pi*x/L),x);

 ⎨0 x≤0
f sin(n x) dx = 1 sin((n − 1) x) 1 sin((n + 1) x)
⎩ − 0<x
2 n−1 2 n+1
> a:=unapply(1/L*int(f*cos(n*Pi*x/L),x=-L..L), n);
> a(0):=limit(a(n), n=0)/2;
> seq(a[m]=limit(a(n), n=m), m=1..N);
> at:=seq(limit(a(n), n=m), m=1..NMAX):
1 + cos(π n)
a := n → −
π (n2 − 1)
1
a(0) :=
π
2 2 2
a1 = 0, a2 = −
, a3 = 0, a4 = − , a5 = 0, a6 = −
3π 15 π 35 π
> b:=unapply(1/L*int(f*sin(n*Pi*x/L),x=-L..L), n);
> seq(b[m]=limit(b(n), n=m), m=1..N);
> bt:=seq(limit(b(n), n=m), m=1..NMAX):
744 18 Mathematik mit Maple

sin(π n)
b := n → −
π (n2 − 1)
1
b1 =
, b2 = 0, b3 = 0, b4 = 0, b5 = 0, b6 = 0
2
> f:=a(0)+add(at[n]*cos(n*Pi*x/L)+bt[n]*sin(n*Pi*x/L), n=1..N);
> #g:=a(0)+add(at[n]*cos(n*Pi*x/L)+bt[n]*sin(n*Pi*x/L), n=1..NMAX):
1 1 2 cos(2 x) 2 cos(4 x) 2 cos(6 x)
+ sin(x) −
f := − −
π 2 3 π 15 π 35 π
> #plot([f,g],x=-4*Pi..4*Pi); # bei Bedarf aktivieren

Beispiel 10.2 auf Seite 512. Fourier-Reihe.


Datei: Maple/./Fourier/Beisp/bsp-fourier-reihe-11.mws
> restart:
> f:=x+Pi; # -Pi <= x <= Pi
f := x + π
> L:=Pi; # 2L ist die Periode
L := π
> N:=6: NMAX:=50: # Anzahl der Fourier-Terme (min-max)
> Int(f,x)=int(f,x);

1 2
x + π dx =
x +π x
2
> Int(f*cos(n*Pi*x/L),x)=int(f*cos(n*Pi*x/L),x);
cos(n x) + sin(n x) n x
 + π sin(n x)
n
(x + π) cos(n x) dx =
n
> Int(f*sin(n*Pi*x/L),x)=int(f*sin(n*Pi*x/L),x);
sin(n x) − cos(n x) n x
 − cos(n x) π
(x + π) sin(n x) dx = n
n
> a:=unapply(1/L*int(f*cos(n*Pi*x/L),x=-L..L), n);
> a(0):=limit(a(n), n=0)/2;
> seq(a[m]=limit(a(n), n=m), m=1..N);
> at:=seq(limit(a(n), n=m), m=1..50):
2 sin(π n)
a := n →
n
a(0) := π
a1 = 0, a2 = 0, a3 = 0, a4 = 0, a5 = 0, a6 = 0
> b:=unapply(1/L*int(f*sin(n*Pi*x/L),x=-L..L), n);
> seq(b[m]=limit(b(n), n=m), m=1..N);
> bt:=seq(limit(b(n), n=m), m=1..50):
2 (−sin(π n) + cos(π n) n π)
b := n → −
π n2
2 −1 2 −1
b1 = 2, b2 = −1, b3 = , b4 = , b 5 = , b6 =
3 2 5 3
> f:=a(0)+add(at[n]*cos(n*Pi*x/L)+bt[n]*sin(n*Pi*x/L), n=1..N);
> g:=a(0)+add(at[n]*cos(n*Pi*x/L)+bt[n]*sin(n*Pi*x/L), n=1..NMAX):
2 1 2 1
f := π + 2 sin(x) − sin(2 x) + sin(3 x) − sin(4 x) + sin(5 x) − sin(6 x)
3 2 5 3
> #plot([f,g],x=-4*Pi..4*Pi); # bei Bedarf aktivieren
18.9 Differentialrechnung für multivariable Funktionen 745

18.9 Differentialrechnung für multivariable Funktionen

Beispiel 11.43 auf Seite 572. Partielle Ableitung 2. Ordnung.


Datei: Maple/DiffRechMultiVar/partielle-ableitung-1.mws
> z:=x*exp(-x^2-y^2); # Funktion
z := x e(−x −y )
2 2

> z_x:=collect(diff(z,x),exp); # 1. Ableitung nach x


z_x := (1 − 2 x2 ) e(−x −y )
2 2

> z_y:=collect(diff(z,y),exp); # 1. Ableitung nach y


z_y := −2 x y e(−x −y )
2 2

> z_xx:=collect(diff(z,x$2),exp); 2. Ableitung nach x


z_xx := (−6 x + 4 x3 ) e(−x −y )
2 2

> z_xy:=collect(diff(z,x,y),exp); gemischte Ableitung nach x,y


z_xy := (−2 y + 4 x2 y) e(−x −y )
2 2

> z_yy:=collect(diff(z,y$2),exp); 2. Ableitung nach y


z_yy := (−2 x + 4 x y2 ) e(−x
2 −y2 )

Beispiel 11.57 auf Seite 580. Bestimmung der Normale aus dem Gradienten.
Datei: Maple/DiffRechMultiVar/gradient-und-normalen-vektor-1.mws
− − −
Anmerkung: Maple verwendet für Einheitsvektoren i , j und k die Symbole e x , e y und e z .
> with(VectorCalculus):
> f:=x^2+y^2-25: # Funktion 1
> grad:=Gradient( f, [x,y] );
− −
grad := 2 x e x + 2 y e y
> L:=sqrt(grad . grad): # Länge des Gradienten
> n:=grad/L: # Normalenvektor
> evalf(subs(x=3,y=4,n)); # Normalenvektor bei P=(3;4)
− −
0.60000 e x + 0.80000 e y
> f:=x^2+y^2+z^2-32: # Funktion 2 im 3D-Raum
> grad:=Gradient( f, [x,y,z] );
− − −
grad := 2 x e x + 2 y e y + 2 z e z
> n:=grad / sqrt(grad . grad):
> evalf(subs(x=4,y=4,z=0,n)); # Normalenvektor bei P=(4;4;0)
− − −
0.70711 e x + 0.70711 e y + 0.00000 e z

Beispiel 11.70 auf Seite 591. Linearisierung des Trägheitsmoments.


Datei: Maple/DiffRechMultiVar/traegheitsm-eines-kreissegments.mws
> restart:
> I_y:=R^4/4*(alpha-sin(alpha)*cos(alpha)): # I_y des Kreissegments
> abl_I_y:=diff(I_y,alpha): # Ableitung von I_y nach alpha
> d_I_y:=abl_I_y*d_alpha=0.2*I_y: # linear. Zuwachs von I_y um 20%
> d_a:=solve(d_I_y, d_alpha): # Lösung nach d_alpha
746 18 Mathematik mit Maple

> alpha:=convert(30*degrees,radians): # Konvertierung Grad zu


> Radiant
> d_a:=evalf(subs(alpha=alpha, d_a)); # d_a für alpha=30 Grad
d_a := 0.03623
> d_a:=evalf(convert(%, degrees)); # Konvertierung Radiant zu Grad
d_a := 2.07608 degrees

Beispiel 11.74 auf Seite 595. Benetzungsfläche eines Kanals.


Datei: Maple/DiffRechMultiVar/benetzungsflaeche-eines-kanals.mws

> restart:
> Flaeche:=A=a*b*sin(alpha)+b^2*sin(alpha)*cos(alpha):
> L:=a+2*b:
> ‘a‘:=solve(Flaeche,a): # Auflösung von Flaeche nach a
> ‘L‘:=subs(a=%,L): # das neue a wird in L susbtitutiert
> L_alfa:=diff(L,alpha): # 1. Ableitung nach alpha
> L_alfa_2:=diff(L,alpha$2): # 2. Ableitung nach alpha
> L_b:=diff(L,b): # 1. Ableitung nach b
> L_b_2:=diff(L,b$2): # 2. Ableitung nach b
> L_alfa_b:=diff(L,alpha,b): # gemischte Ableitung nach a und b
> b_temp:=solve(L_alfa, b): # Auflösung von L_alpha nach b
> ‘L_b‘:=subs(b=b_temp[1], L_b): # Einsetzen von b in L_b
> alpha_0:=solve(L_b,alpha ): # Extremwert-Position von alpha
> alpha_0_deg:=evalf(convert(alpha_0[1], degrees));# alpha_0 in Grad
alpha_0_deg := 60.00000 degrees
> ‘b‘:=evalf(subs(alpha=alpha_0[1], b_temp[1]));

b := 0.87738 A
> ‘a‘:=evalf(subs(alpha=alpha_0[1], a));

a := 0.87738 A
> ‘L‘:=evalf(subs(alpha=alpha_0[1], L));

L := 2.63215 A
> # Berechnung der Hesse-Determinante
> L_alfa_2_x0:=evalf(subs(alpha=alpha_0[1], L_alfa_2)):
> L_b_2_x0:=evalf(subs(alpha=alpha_0[1], L_b_2)):
> L_alfa_b_x0:=evalf(subs(alpha=alpha_0[1], L_alfa_b)):
> Hesse_Det:= evalf(L_alfa_2_x0 * L_b_2_x0 - (L_alfa_b_x0)^2);
Hesse_Det := 6.00000

Beispiel 11.32 auf Seite 558. Richtungsableitung.


Datei: Maple/DiffRechMultiVar/richtungsableitung-1.mws
18 1. 0 Partielle Differentialgleichungen 747

> #Richtungsableitung einer Skalarfunktion


> restart:with(LinearAlgebra):with(VectorCalculus):
> f:=x^2+y^2;
> x0:=1;y0:=1;
> m:=Vector([1,1]);
> Diff(’f’,x)=diff(f,x);
> f_x:=op(2,%):
> Diff(’f’,y)=diff(f,y);
> f_y:=op(2,%):
> gradient:=Gradient(f,[x,y]);
> gradient_P:=simplify(evalVF(gradient,<x0,y0>));
> m_normiert:=VectorScalarMultiply(m, 1. /
> evalf(VectorNorm(m,Euclidean)));
> steigung:=evalf(DotProduct(gradient_P,m_normiert));
> alpha:=evalf(arctan(steigung)*180/Pi);
f := x2 + y2
x0 := 1
y0 := 1
m := ex + ey

∂x f = 2x

∂y f = 2y
gradient := 2 x e ?x + 2 y e ?y
gradient_P := 2 ex + 2 ey
 
0.7071
m_normiert :=
0.7071
steigung := 2.8284
α := 70.5288

18.10 Partielle Differentialgleichungen

Beispiel 12.3 auf Seite 621. Seilschwingung.


Datei: Maple/PartDiffGl/Beisp/bsp-seil-01-dyn-resp-maple.mws
> restart:with(StringTools):with(plots):pathname:=".\\":

Warning, the assigned name Group now has a global binding

Warning, the name changecoords has been redefined


> f_0:=B*sin(Pi*x/L);v_0:=0; # Anfangsbed.
> phi:=(x,n)->sin(n*Pi*x/L); #Eigenform
πx
f _0 := B sin( )
L
v_0 := 0
nπ x
φ := (x, n) → sin( )
L
> H_integrand:=f_0*apply(phi,x,n);
> K_integrand:=v_0*apply(phi,x,n);
πx nπ x
H_integrand := B sin( ) sin( )
L L
K_integrand := 0
748 18 Mathematik mit Maple

> Int(’f_0’*apply(phi,x,n),x=0..L)=int(H_integrand,x=0..L);
> Int(’v_0’*apply(phi,x,n),x=0..L)=int(K_integrand,x=0..L);
L
nπ x L B sin(π n)
f _0 sin( ) dx = −
L π (−1 + n2 )
0

L
nπ x
v_0 sin( ) dx = 0
L
0

> L:=10;B:=0.01;S:=10000;A:=0.001;rho:=7850;
L := 10
B := 0.0100
S := 10000
A := 0.0010
ρ := 7850

> N:=5: NMAX:=20:m:=rho*A;omega_n:=n*Pi/L*sqrt(S/m);


m := 7.8500
omega_n := 3.5692 π n
> seq(H[n]=2/L*int(H_integrand,x=0..L), n=1..N);
> H_seq:=seq(2/L*int(H_integrand,x=0..L), n=1..NMAX):
> seq(K[n]=2/(L*omega_n)*int(K_integrand,x=0..L), n=1..N);
> K_seq:=seq(2/(L*omega_n)*int(K_integrand,x=0..L), n=1..NMAX):
H1 = 0.0100, H2 = 0.0000, H3 = 0.0000, H4 = 0.0000, H5 = 0.0000
K1 = 0, K2 = 0, K3 = 0, K4 = 0, K5 = 0
> #Kontrolle der Richtigkeit der Koeffizienten H und K
> H1:=add(H_seq[n]*phi(x,n), n=1..NMAX):
> K1:=add(K_seq[n]*omega_n*phi(x,n), n=1..NMAX):
> p:=plot([H1],x=0..L, labels=["",""], view=[0..L,0..0.02],
> labeldirections=[HORIZONTAL, VERTICAL], font=[HELVETICA,OBLIQUE,14],
> labelfont=[HELVETICA,OBLIQUE,14], color=black, scaling=unconstrained,
> numpoints=100, thickness=2, tickmarks=[6,3]):display([p]);
> y:=(x,t)->add(phi(x,n)*(H_seq[n]*cos(omega_n*t)+K_seq[n]*sin(omega_n*
> t)), n=1..NMAX):y(x,t);
πx
0.0100 sin( ) cos(3.5692 π t)
10
> p_seq:=seq(plot(y(x,0.05*k),x=0..L, labels=["t","y(x, t)"],
> view=[0..L,-L/1000..L/1000], labeldirections=[HORIZONTAL, VERTICAL],
> font=[HELVETICA,OBLIQUE,10], labelfont=[HELVETICA,OBLIQUE,10],
> color=black, scaling=unconstrained, numpoints=500, thickness=2,
> tickmarks=[4,3]),k=0..6):
> t1:=textplot([7,0.0100,‘t=0.00‘]):
> t2:=textplot([5,0.0075,‘t=0.05‘]):
> t3:=textplot([5,0.0050,‘t=0.10‘]):
> t4:=textplot([7,-0.0018,‘t=0.15‘]):
> t5:=textplot([5,-0.0055,‘t=0.20‘]):
> t6:=textplot([7,-0.0095,‘t=0.25‘]):
> t7:=textplot([5,-0.0085,‘t=0.30‘]):
> display(p_seq,t1,t2,t3,t4,t5,t6,t7);
> p2:=plot(y(0.5*L,t),t=0..2, labels=["t","y(L/2, t)"],
> view=[0..2,-0.01..0.01], labeldirections=[HORIZONTAL, VERTICAL],
> font=[HELVETICA,OBLIQUE,10], labelfont=[HELVETICA,OBLIQUE,10],
> color=black, scaling=unconstrained, numpoints=500, thickness=2,
> tickmarks=[4,3]):
> t2:=textplot([0.0115,0.008,‘x=L/2‘]):
> display([p2,t2]);
18.11 Eigenwerte 749

18.11 Eigenwerte

Aufgabe 2 auf Seite 639. Eigenwerte und Eigenvektoren einer Matrix.


Datei: Maple/LinAlgebra/eigenwert-1.mws
Mit dem Maple-Befehl Eigenvectors können die Eigenwerte und Eigenvektoren einer
Matrix können berechnet werden. Der Befehl Eigenvectors gibt auf dem Bildschirm
einen Spaltenvektor und eine Matrix aus. Der Vektor val enthält die Eigenwerte. In der
ausgegebenen Matrix vec sind die Eigenvektoren in Form von Spaltenvektoren angeordnet.
Der erste Spaltenvektor entspricht dem ersten Eigenvektor, der zweite Spaltenvektor dem
zweiten Eigenvektor usw. Durch Division eines Eigenvektors durch eines seiner Elemente
kann der Eigenvektor normiert werden.
> restart:
> with(LinearAlgebra):
> A:=Matrix([[1,3],[2,1]]);
 
1 3
A :=
2 1
> (val,vec):=evalf(Eigenvectors(A));
   
3.44949 1.00000 1.00000
val, vec := ,
−1.44949 0.81650 −0.81650
> B:=Matrix([[-2,0],[1,4]]);
 
−2 0
B :=
1 4
> (val,vec):=evalf(Eigenvectors(B));
   
−2.00000 −6.00000 0.00000
val, vec := ,
4.00000 1.00000 1.00000
> # Normierung des 1. Eigenvektors
> vec[1..-1,1]:=vec[1..-1,1]/vec[1..-1,1][1]:
> vec; # Ausgabe der normierten Eigenvektoren
 
1.00000 0.00000
−0.16667 1.00000
> C:=Matrix([[6,-2],[-3,4]]);
 
6 −2
C :=
−3 4
> (val,vec):=evalf(Eigenvectors(C));
   
7.64575 −1.21525 0.54858
val, vec := ,
2.35425 1.00000 1.00000
> # Normierung des 1. Eigenvektors
> vec[1..-1,1]:=vec[1..-1,1]/vec[1..-1,1][1]:
> # Normierung des 2. Eigenvektors
> vec[1..-1,2]:=vec[1..-1,2]/vec[1..-1,2][1]:
> vec; # Ausgabe der normierten Eigenvektoren
 
1.00000 1.00000
−0.82288 1.82288
Beispiel 13.11 auf Seite 652. Eigenwertaufgabe nach Power-Iteration.
Datei: Maple/Eigenwerte/NumEigenWerte/Beisp/b-01.mws
750 18 Mathematik mit Maple

> # MISES-Iteration (Power-Methode):


> # Spezielle Eigenwertaufgabe A x=l.x
> restart:with(LinearAlgebra):
> NITER:=4: # Anzahl max Iterationen
> eps:=1E-3: # Toleranz
> A := Matrix([[10, -1, -8],[-1,0.4,1],[-8,1,8]]):
> u0:=Vector([2,-2,2]):
> nrm:=Norm(u0):lambda:=nrm:x||0:=Normalize(u0):
> (’A’=A, ’u’^[0]=u0, ‘||u||‘[infinity]=nrm, ’x’^[0]=x||0);
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
10 −1 −8 2 1
A = ⎣ −1 0.4000 1 ⎦ , u = ⎣ −2 ⎦ , ||u||∞ = 2, x = ⎣ −1 ⎦
[0] [0]

−8 1 8 2 1
> # Iterationsalgorithmus mit Normalisierunng
> for k from 1 to NITER do
> u||k:=A.x||(k-1): nrm:=Norm(u||k): x||k:=Normalize(u||k):
> lambda_L:=lambda: # Wert der letzten Iteration
> lambda:=nrm:
> err:=abs((lambda-lambda_L)/lambda):
> print(’k’=k,’u’^[k]=u||k,’x’^[k]=x||k);
> print(‘||u||‘[infinity]=nrm, ’lambda’=lambda,’ERR’=err);
> if ( err<= eps) then break end if:
> end do:
> # Verbesserung mit Rayleigh-Quotient
> if k>NITER then k:=k-1 end if:
> zaehler:=Transpose(x||k).A.x||k:
> nenner:=Transpose(x||k).x||k:
> lambda:=zaehler/nenner: # Rayleigh Quotient
> printf("Rayleigh-Quotient fuer k=%2d : Zaehler=%g Nenner=%g
> Lambda=%f",k,zaehler,nenner,lambda);
> lambda:=lambda;
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3.0000 1.0000
[1]
k = 1, u = ⎣ ⎦ [1]
−0.4000 , x = ⎣ −0.1333 ⎦
−1.0000 −0.3333
||u||∞ = 3.0000, λ = 3.0000, ERR = 0.3333
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
12.8000 1.0000
k = 2, u[2] = ⎣ −1.3867 ⎦ , x[2] = ⎣ −0.1083 ⎦
−10.8000 −0.8437
||u||∞ = 12.8000, λ = 12.8000, ERR = 0.7656
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
16.8583 1.0000
k = 3, u[3] = ⎣ −1.8871 ⎦ , x[3] = ⎣ −0.1119 ⎦
−14.8583 −0.8814
||u||∞ = 16.8583, λ = 16.8583, ERR = 0.2407
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
17.1629 1.0000
k = 4, u[4] = ⎣ −1.9261 ⎦ , x[4] = ⎣ −0.1122 ⎦
−15.1629 −0.8835
||u||∞ = 17.1629, λ = 17.1629, ERR = 0.0177

Rayleigh-Quotient fuer k= 4 : Zaehler=30.8074 Nenner=1.79311


Lambda=17.180983
λ := 17.1810
> # Exakte Berechnung sämtlicher Eigenwerte/-vektoren
> DIM:=RowDimension(A):
> (val,vec):=evalf(Eigenvectors(A)):
> lambda:=val,seq(v[i]=Normalize(vec[1..-1,i]), i=1..DIM);
18.11 Eigenwerte 751

⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
17.1810 + 0.0000 I 1.0000 + 0.0000 I −0.9033 + 0.0000 I
λ := ⎣ 0.9492 + 0.0000 I ⎦ , v1 = ⎣ −0.1122 + 0.0000 I ⎦ , v2 = ⎣ −0.1760 + 0.0000 I ⎦ ,
0.2698 + 0.0000 I −0.8836 + 0.0000 I −1.0000 + 0.0000 I
⎡ ⎤
0.0241 + 0.0000 I
v3 = ⎣ −1.0000 + 0.0000 I ⎦
0.1543 + 0.0000 I

Beispiel 13.12 auf Seite 655. Eigenwertaufgabe nach Power-Iteration.


Datei: Maple/Eigenwerte/NumEigenWerte/Beisp/b-02.mws
> # Inverse Iteration (Inverse Power-IteratioN)
> # Spezielle Eigenwertaufgabe A x=l.x
> restart:with(LinearAlgebra):
> NITER:=10: # Anzahl max Iterationen
> eps:=1E-2: # Toleranz
> A := Matrix([[10, -1, -8],[-1,0.4,1],[-8,1,8]]):
> u0:=Vector([2,-2,2]):
> nrm:=Norm(u0):lambda:=nrm:x||0:=Normalize(u0):
> (’A’=A, ’u’^[0]=u0, ‘||u||‘[infinity]=nrm, ’x’^[0]=x||0);
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
10 −1 −8 2 1
A = ⎣ −1 0.4000 1 ⎦ , u = ⎣ −2 ⎦ , ||u||∞ = 2, x = ⎣ −1 ⎦
[0] [0]

−8 1 8 2 1
> L:=LUDecomposition(A,output=’L’):
> U:=LUDecomposition(A,output=’U’):
> (’L’=L, ’U’=U);
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1.0000 0.0000 0.0000 10.0000 −1.0000 −8.0000
L = ⎣ −0.1000 1.0000 0.0000 ⎦ , U = ⎣ 0.0000 0.3000 0.2000 ⎦
−0.8000 0.6667 1.0000 0.0000 0.0000 1.4667
> # Iterationsalgorithmus mit Normalisierunng
> DIM:=RowDimension(A):
> for k from 1 to NITER do
> y||k:=LinearSolve(L,x||(k-1)): u||k:=LinearSolve(U,y||k):
> nrm:=Norm(u||k): x||k:=Normalize(u||k):
> lambda_L:=lambda: # Wert der letzten Iteration
> kappa:=nrm:lambda:=1/kappa:
> err:=abs((lambda-lambda_L)/lambda):
> print(’k’=k,’u’^[k]=u||k,’x’^[k]=x||k);
> print(‘||u||‘[infinity]=nrm, ’kappa’=nrm, ’lambda’=lambda, ’ERR’=err):
> if ( err<= eps) then break end if:
> end do:
> # Verbesserung mit Rayleigh-Quotient
> if k>NITER then k:=k-1 end if:
> zaehler:=Transpose(x||k).(A.x||(k)):
> nenner:=Transpose(x||k).x||k:
> lambda:=zaehler/nenner: # Rayleigh Quotient
> printf("Rayleigh-Quotient : ZHLR=%g NNR=%g
> Lambda=%f",zaehler,nenner,lambda);
> lambda:=lambda;
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1.0000 0.2444
k = 1, u = ⎣ −4.0909 ⎦ , x = ⎣ −1.0000 ⎦
[1] [1]

1.6364 0.4000
||u||∞ = 4.0909, κ = 4.0909, λ = 0.2444, ERR = 7.1818
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0.3222 0.0844
k = 2, u = ⎣ −3.8182 ⎦ , x = ⎣ −1.0000 ⎦
[2] [2]

0.8495 0.2225
752 18 Mathematik mit Maple

||u||∞ = 3.8182, κ = 3.8182, λ = 0.2619, ERR = 0.0667


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0.1534 0.0411
k = 3, u = ⎣ −3.7375 ⎦ , x = ⎣ −1.0000 ⎦
[3] [3]

0.6484 0.1735
||u||∞ = 3.7375, κ = 3.7375, λ = 0.2676, ERR = 0.0211
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0.1073 0.0289
k = 4, u = ⎣ −3.7152 ⎦ , x = ⎣ −1.0000 ⎦
[4] [4]

0.5934 0.1597
||u||∞ = 3.7152, κ = 3.7152, λ = 0.2692, ERR = 0.0060

Rayleigh-Quotient : ZHLR=0.27694 NNR=1.02634 Lambda=0.269832


λ := 0.2698

> # Exakte Berechnung sämtlicher Eigenwerte/-vektoren


> (val,vec):=evalf(Eigenvectors(A)):
> lambda:=val,seq(v[i]=Normalize(vec[1..-1,i]), i=1..DIM);
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
17.1810 + 0.0000 I 1.0000 + 0.0000 I −0.9033 + 0.0000 I
λ := ⎣ 0.9492 + 0.0000 I ⎦ , v1 = ⎣ −0.1122 + 0.0000 I ⎦ , v2 = ⎣ −0.1760 + 0.0000 I ⎦ ,
0.2698 + 0.0000 I −0.8836 + 0.0000 I −1.0000 + 0.0000 I
⎡ ⎤
0.0241 + 0.0000 I
v3 = ⎣ −1.0000 + 0.0000 I ⎦
0.1543 + 0.0000 I

Beispiel 13.13 auf Seite 659. Eigenwertaufgabe nach Power-Iteration.


Datei: Maple/Eigenwerte/NumEigenWerte/Beisp/b-03.mws

> # Inverse Iteration für Eigenschwingungen : Kx=w^2 Mx


> # als Allgemeine Eigenwertaufgabe
> restart:with(LinearAlgebra):
> K := Matrix([[1e7, -4e6, 0],[-4e6,8e6,-4e6],[0,-4e6,4e6]]):
> M:=Matrix([[15000, 0, 0],[0,15000,0],[0,0,7500]]):
> u0:=Vector([1,1,2.]): # Startvektor
> NITER:=3: # Anzahl der Iterationen
> eps:=1E-2:
> x||0:=Normalize(u0):nrm:=Norm(u0):omg2:=1/nrm:
> (’K’=K, ’M’=M);
> (’u’^[0]=u0, ‘||u||‘[infinity]=nrm, ’omg2’=omg2,’x’^[0]=x||0,
> ’epsilon’=eps);
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0.1000 108 −0.4000 107 0 15000 0 0
K = ⎣ −0.4000 107 0.8000 107 −0.4000 107 ⎦ , M = ⎣ 0 15000 0 ⎦
0 −0.4000 107 0.4000 107 0 0 7500
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0.5000
u[0] = ⎣ 1 ⎦ , ||u|| = 2.0000, omg2 = 0.5000, x[0] = ⎣ 0.5000 ⎦ , ε = 0.0100

2.0000 1.0000
18.11 Eigenwerte 753

> # Iterationsalgorithmus mit Normalisierung auf max. Vektorelement


> for k from 1 to NITER do
> omg2_L:=omg2:
> z||k:=M.x||(k-1):
> u||k:=LinearSolve(K,z||(k)): x||k:=Normalize(u||k):
> nrm:=Norm(u||k): omg2:=1/nrm:
> err:=abs((omg2-omg2_L)/omg2):
> print(’k’=k,’z’^[k]=z||k,’u’^[k]=u||k, ’x’^[k]=x||k):
> print(‘||u||‘[infinity]=nrm, ’omega’^2=omg2, ’ERR’=err):
> if ( err<= eps) then break end if:
> end do:
> # Rayleigh Quotient
> if k>NITER then k:=k-1 end if:
> zaehler:=Transpose(x||k).K.x||k:
> nenner:=Transpose(x||k).M.x||k:
> omg2:=zaehler/nenner:
> printf("Rayleigh-Quotient : ZHLR=%g NNR=%g
> omg2=%f",zaehler,nenner,omg2):
> ’omega’^2=omg2;
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
7500.0000 0.0037 0.4000
[1]
k = 1, z = ⎣ ⎦ [1]
7500.0000 , u = ⎣ ⎦ [1]
0.0075 , x = ⎣ 0.8000 ⎦
7500.0000 0.0094 1.0000
||u||∞ = 0.0094, ω 2 = 106.6667, ERR = 0.9953
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
6000.0000 0.0043 0.3864
k = 2, z = ⎣ 12000.0000 ⎦ , u = ⎣ 0.0091 ⎦ , x = ⎣ 0.8295 ⎦
[2] [2] [2]

7500.0000 0.0110 1.0000


||u||∞ = 0.0110, ω 2 = 90.9091, ERR = 0.1733
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
5795.4545 0.0043 0.3847
k = 3, z = ⎣ 12443.1818 ⎦ , u = ⎣ 0.0093 ⎦ , x = ⎣ 0.8318 ⎦
[3] [3] [3]

7500.0000 0.0112 1.0000


||u||∞ = 0.0112, ω 2 = 89.6815, ERR = 0.0137

Rayleigh-Quotient : ZHLR=1.80084e+06 NNR=20099.6 omg2=89.595877


ω 2 = 89.5959

> # Exakte Berechnung der Eigenwerte/-vektoren


> (val,vec):=evalf(Eigenvectors(K,M)):
> DIM:=RowDimension(K):
> ’omega^2’=val,seq(v[i]=Multiply(Normalize(vec[1..-1,i]),-1),
> i=1..DIM);
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1023.1597 + 0.0000 I −0.6870 + 0.0000 I
ω2 = ⎣ 620.5778 + 0.0000 I ⎦ , v1 = ⎣ 0.9184 + 0.0000 I ⎦ ,
89.5958 + 0.0000 I −1.0000 + 0.0000 I
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0.9465 + 0.0000 I 0.3845 + 0.0000 I
v2 = ⎣ 0.1636 + 0.0000 I ⎦ , v3 = ⎣ 0.8320 + 0.0000 I ⎦
−1.0000 + 0.0000 I 1.0000 + 0.0000 I

Beispiel 13.15 auf Seite 665. Knicklast eines eingespannten Balkens.


Datei: Maple/Eigenwerte/NumEigenWerte/Beisp/b-20.mws
754 18 Mathematik mit Maple

> # Mises-Iteration für Stabilitaet : Kx=lambda Kg x


> # Min Knicklast
> restart:with(LinearAlgebra):
> K := Matrix([[1,0,0],[0,12,-6],[0,-6,4]]):
> Kg:=Matrix([[0,0,0],[0,1.2,-0.1],[0,-0.1,0.13333]]):
> u0:=Vector([1,1,1]): # Startvektor
> NITER:=3: # Anzahl der Iterationen
> eps:=1E-3:
> interface(displayprecision=4):
> x||0:=evalf(Normalize(u0)):nrm:=Norm(u0):
> lambda:=1/nrm:
> B:=K: C:=Kg:
> (’K’=K, ’Kg’=Kg);
> interface(displayprecision=3):
> (’u’^[0]=u0, ‘||u||‘[infinity]=nrm,’lambda’^[0]=lambda,’x’^[0]=x||0,
> ’epsilon’=eps);
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0 0 0 0 0
K= ⎣ 0 ⎦
12 −6 , Kg = ⎣ 0 1.200 −0.100 ⎦
0 −6 4 0 −0.100 0.133
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 1.000
u[0] = ⎣ 1 ⎦ , ||u||∞ = 1, λ [0] = 1, x[0] = ⎣ 1.000 ⎦ , ε = 0.001
1 1.000

> # Bestimmung des kleinsten Eigenwertes


> interface(displayprecision=4):
> DIM:=RowDimension(B):
> lambda_L:=lambda:
> for k from 1 to NITER do
> z||k:=C.x||(k-1):
> u||k:=LinearSolve(B,z||k):
> nrm:=Norm(u||k): x||k:=Normalize(u||k):
> kappa:=nrm:lambda:=1/kappa:
> err:=abs((lambda-lambda_L)/lambda):
> print(’k’=k,’z’^[k]=z||k,’u’^[k]=u||k,’x’^[k]=x||k);
> print(‘||u||‘[infinity]=nrm, ’kappa’=nrm, ’lambda’=lambda, ’ERR’=err):
> if ( err<= eps) then break end if:
> lambda_L:=lambda:
> end do:
> # Verbesserung mit Rayleigh-Quotient
> if k>NITER then k:=k-1 end if:
> zaehler:=Transpose(x||k).(B.x||(k)):
> nenner:=Transpose(x||k).(C.x||k):
> lambda:=zaehler/nenner: # Rayleigh Quotient
> printf("Rayleigh-Quotient : ZHLR=%g NNR=%g
> Lambda=%f",zaehler,nenner,lambda);
> lambda:=lambda;
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0.000 0.000 0.000
k = 1, z = ⎣ 1.100 ⎦ , u = ⎣ 0.383 ⎦ , x = ⎣ 0.657 ⎦
[1] [1] [1]

0.033 0.583 1.000


||u||∞ = 0.583, κ = 0.583, λ = 1.714, ERR = 0.417
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0.000 0.000 0.000
k = 2, z = ⎣ 0.689 ⎦ , u = ⎣ 0.263 ⎦ , x = ⎣ 0.639 ⎦
[2] [2] [2]

0.068 0.412 1.000


||u||∞ = 0.412, κ = 0.412, λ = 2.428, ERR = 0.294
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0.000 0.000 0.000
k = 3, z = ⎣ 0.667 ⎦ , u = ⎣ 0.257 ⎦ , x = ⎣ 0.638 ⎦
[3] [3] [3]

0.069 0.403 1.000


18.11 Eigenwerte 755

||u||∞ = 0.403, κ = 0.403, λ = 2.481, ERR = 0.022

Rayleigh-Quotient : ZHLR=1.22841 NNR=0.494135 Lambda=2.485979


λ := 2.486
> # Direkte Maple-Berechnung der Eigenwerte/-vektoren
> interface(displayprecision=3):
> DIM:=RowDimension(B):
> (val,vec):=evalf(Eigenvectors(B,C)):
> lambda:=val,seq(v[i]=Normalize(vec[1..-1,i]), i=1..DIM);
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
Float(∞) + 0.000 I 1.000 + 0.000 I 0.000 + 0.000 I
λ := ⎣ 32.181 + 0.000 I ⎦ , v1 = ⎣ 0.000 + 0.000 I ⎦ , v2 = ⎣ 0.105 + 0.000 I ⎦ ,
2.486 + 0.000 I 0.000 + 0.000 I −1.000 + 0.000 I
⎡ ⎤
0.000 + 0.000 I
v3 = ⎣ −0.638 + 0.000 I ⎦
−1.000 + 0.000 I
Beispiel 13.18 auf Seite 670. Orthogonalitätsbedingung von Eigenvektoren.
Datei: Maple/Eigenwerte/NumEigenWerte/Beisp/b-07.mws
> # Orthobonalitaet von Eigenvektoren
> # Allgemeine Eigenwertaufgabe K x=Lambda . M x
> restart:with(LinearAlgebra):
> K := Matrix([[1e7, -4e6, 0],[-4e6,8e6,-4e6],[0,-4e6,4e6]]):
> M:=Matrix([[15000, 0, 0],[0,15000,0],[0,0,7500]]):
> u0:=Vector([1,1,2.]): # Startvektor
> interface(displayprecision=1):
> (’K’=K, ’M’=M);
⎡ ⎤
0.100000 108 −0.400000 107 0
K = ⎣ −0.400000 107 0.800000 107 −0.400000 107 ⎦ ,
0 −0.400000 107 0.400000 107
⎡ ⎤
15000 0 0
M=⎣ 0 15000 0 ⎦
0 0 7500
> # Direkte Maple-Berechnung der Eigenwerte/-vektoren
> interface(displayprecision=2):
> DIM:=RowDimension(K):
> (val,vec):=evalf(Eigenvectors(K,M)):
> lambda:=val,seq(v[i]=Normalize(vec[1..-1,i]), i=1..DIM);
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1023.159704 + 0.000000 I 0.687007 + 0.000000 I
λ := ⎣ 620.577801 + 0.000000 I ⎦ , v1 = ⎣ −0.918424 + 0.000000 I ⎦ ,
89.595828 + 0.000000 I 1.000000 + 0.000000 I
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−0.946481 + 0.000000 I −0.384474 + 0.000000 I
v2 = ⎣ −0.163583 + 0.000000 I ⎦ , v3 = ⎣ −0.832008 + 0.000000 I ⎦
1.000000 + 0.000000 I −1.000000 + 0.000000 I
> # Orthogonalitateskontrolle
> interface(displayprecision=6):
> ’x’[1]^T.’K’.’x’[3]=(Transpose(Normalize(vec[1..-1,1])).K).
> Normalize(vec[1..-1,3]);
> ’x’[1]^T.’M’.’x’[3]=(Transpose(Normalize(vec[1..-1,1])).M).
> Normalize(vec[1..-1,3]);
(x1 T ) . K . (x3 ) = −0.000820 + 0.000000 I
(x1 T ) . M . (x3 ) = −0.769475 10−6 + 0.000000 I
756 18 Mathematik mit Maple

18.12 Nichtlineare Gleichungen

Beispiel 14.1 auf Seite 678. Nichtlineare Gleichung nach Regula Falsi.
Datei: Maple/NumMethod/NichtLinGl/Beisp/b-01.mws
> # Nullstellenbestimmung mit REGULA FALSI
> restart:interface(latexwidth=6,screenwidth=100):
> RegulaFalsi:=proc(al,bl,N,EPSY)
> local a,b,fa,fb,fc,dc,c,k,konv;
> a:=al:b:=bl:konv:="NICHT":
> printf("\nNullstellensuche im Intervall [a,b]=[%f, %f]\n",a,b);
> printf("N=%d EPSY=%8.5g\n",N,EPSY); # Werte zeige
> fa:=f(a):fb:=f(b):
> printf("%3s %8s %8s %9s %9s %8s
> %9s\n","k","a","b","fa","fb","c","fc"):
> for k from 0 to N do
> c:=b-(b-a)*fb/(fb-fa):fc:=f(c):
> printf("%3d %8.3f %8.3f %9.3g %9.3g %8.3g
> %9.3g\n",k,a,b,fa,fb,c,fc):
> if (abs(fc) <= EPSY ) then konv:="": break end if:
> if sign(fa)=sign(fc) then
> a:=c: fa:=fc:
> else
> b:=c: fb:=fc:
> fi;
> end do:
> printf("Die Nullstelle ist : s=%g (Konvergenz %s
> erreicht)\n",c,konv);
> end:
> # Konkretes Beispiel
> f:=(x)->1-10*x*exp(-x)*sin(x); # nichtlin. Gleichung
> N:=6:EPSY:=1E-3:
> #
> a:=0.0:b:=1.0: # Intervall [a,b] mit Nullstelle
> RegulaFalsi(a,b,N,EPSY);
> #
> a:=2.0:b:=5.0: # Intervall [a,b] mit Nullstelle
> RegulaFalsi(a,b,N,EPSY);
> #
f := x → 1 − 10 x e(−x) sin(x)

Nullstellensuche im Intervall [a,b]=[0.000000, 1.000000]

N=6 EPSY= 0.001

k a b fa fb c fc

0 0.000 1.000 1 -2.1 0.323 0.258

1 0.323 1.000 0.258 -2.1 0.397 -0.0326

2 0.323 0.397 0.258 -0.0326 0.389 0.00086

Die Nullstelle ist : s=0.388814 (Konvergenz erreicht)

Nullstellensuche im Intervall [a,b]=[2.000000, 5.000000]

N=6 EPSY= 0.001


18.13 Lineare Gleichungssysteme 757

k a b fa fb c fc

0 2.000 5.000 -1.46 1.32 3.57 1.42

1 2.000 3.574 -1.46 1.42 2.8 0.426

2 2.000 2.798 -1.46 0.426 2.62 0.0452

3 2.000 2.618 -1.46 0.0452 2.6 0.00336

4 2.000 2.599 -1.46 0.00336 2.6 0.000239

Die Nullstelle ist : s=2.59812 (Konvergenz erreicht)

18.13 Lineare Gleichungssysteme

Beispiel 15.3 auf Seite 694. Cholesky-Verfahren.


Datei: Maple/NumMethod/LinGlSys/Beisp/bsp-cholesky-1.mws
> # CHOLESKY-Verfahren für ein lineares Gleichungssystem
> restart:with(LinearAlgebra):
> A := Matrix([[2, -0.2, 0.2],[-0.2, 1, 0.4],[0.2, 0.4, 2]]):
> b:=Vector([4, 2, 6]): (’A’=A,’b’=b);
   
2 −0.2000 0.2000 4
A = −0.2000 1 0.4000 , b = 2
0.2000 0.4000 2 6
> # Aufstellen der Dreiecksmatrix L
> DIM:=RowDimension(A):
> L:=Matrix(DIM,DIM):
> U:=Matrix(DIM,DIM):
> for i from 1 to DIM do # Schleife ueber Zeilen
> # Bestimmung der Ausser-Diagonal-Elemente in der Zeile i
> for j from 1 to i-1 do
> summe := 0.:
> for k from 1 to j-1 do summe := summe + L[i,k] * L[j,k] end do:
> L[i,j]:= (A[i,j] - summe)/L[j,j]:
> end do:
> # Bestimmung des Diagonalelements L[i,i]
> summe := 0.:
> for k from 1 to i-1 do summe := summe + L[i,k]^2 end do:
> L[i,i]:= sqrt((A[i,i] - summe)):
> end do:’L’=L;
 
1.4142 0 0
L = −0.1414 0.9899 0
0.1414 0.4243 1.3416
> # Loesung von [L]{y} = {b} und [LT]{x}={y}
> y:=Vector(DIM): x:=Vector(DIM):
> # Bestimmung des Vektors {y}
> for i from 1 to DIM do # Schleife ueber Zeilen
> summe := 0.:
> for k from 1 to i-1 do summe := summe + L[i,k] * y[k]: end do:
> y[i]:= (b[i] - summe)/L[i,i]:
> end do:
> # Bestimmung des Vektors {x}
> for i from DIM to 1 by -1 do # Schleife ueber Zeilen
> summe := 0.:
> for k from i+1 to DIM do summe := summe + L[k,i] * x[k]: end do:
> x[i]:= (y[i] - summe)/L[i,i]:
> end do:’y’=y, ’x’=x;
   
2.8284 1.8821
y = 2.4244 , x = 1.3605
3.4073 2.5397
758 18 Mathematik mit Maple

Beispiel 15.4 auf Seite 698. Gauss-Seidel-Iteration.


Datei: Maple/NumMethod/LinGlSys/Beisp/bsp-seidel-1.mws

> # Gauss - Seidel-Iteration


> restart:with(LinearAlgebra):
> A := Matrix([[2, -0.2, 0.2],[-0.2, 1, 0.4],[0.2, 0.4, 2]]):
> b:=Vector([4, 2, 6]): # rechte Seite
> x:=Vector([0,0,0]): # Startvektor
> NITER:=4: # Anzahl der Iterationen
> (’A’=A,’b’=b,’x_0’=x);
     
2 −0.2000 0.2000 4 0
A = −0.2000 1 0.4000 , b = 2 , x_0 = 0
0.2000 0.4000 2 6 0

> # Gleichungssystem so normalisieren, dass A[i,i]=1 wird


> DIM:=RowDimension(A):
> for i from 1 to DIM do
> adiag := A[i,i];
> for j from 1 to DIM do
> A[ i,j]:= A[i,j]/adiag;
> end do:
> b[i]:=b[i]/adiag;
> end do:
> ’A’=A, ’b’=b;
   
1 −0.1000 0.1000 2
A = −0.2000 1 0.4000 , b = 2
0.1000 0.2000 1 3

> # Aufstellen der unteren Dreiecksmatrix L


> L:=Matrix(DIM,DIM):
> for i from 1 to DIM do
> for j from 1 to i-1 do
> L[ i,j]:= A[i,j];
> end do
> end do:’L’=L;
 
0 0 0
L = −0.2000 0 0
0.1000 0.2000 0

> # Aufstellen obere Dreiecksmatrix U


> U:=Matrix(DIM,DIM):
> for i from 1 to DIM do
> for j from i+1 to DIM do
> U[ i,j]:= A[i,j];
> end do
> end do:’U’=U;
 
0 −0.1000 0.1000
U= 0 0 0.4000
0 0 0

> # Gauss-Seidel-Iteration
> X:=Matrix(1..DIM,1..NITER): # für Zwichenspeicherung
> for m from 0 to NITER-1 do
> for j from 1 to DIM do
> x[j]:=b[j]-add(A[j,k]*x[k],k=1..j-1);
> x[j]:=x[j]-add(A[j,k]*x[k],k=j+1..DIM);
> X[j,m+1]:=x[j];
> end do:
> end do:
> print(seq(’x’[k]=X[1..-1,k], k=1..NITER)): # Iterationsergebnisse
       
1.8824 1.8821 1.8821 1.8821
x1 = 1.3609 , x2 = 1.3606 , x3 = 1.3606 , x4 = 1.3605
2.5396 2.5397 2.5397 2.5397

> x_exakt:=LinearSolve(A,b); # Exakte Lösung des Gleichungssystems


 
1.8821
x_exakt := 1.3605
2.5397
18.14 Differentialgleichungen 759

18.14 Differentialgleichungen

Beispiel 16.1 auf Seite 703. Lösung von DGLn 1. Ordnung nach Euler, Heun und Runge-
Kutta.
Datei: Maple/NumMethod/DGL/Beisp/b-01-komplett.mws

> restart:pathname:=".\\":with(StringTools):with(plots):
> f:=(x,y)->x-1+y; # rechte seite der DGL y’=f(x,y)
> a:=0.0:b:=3.0:N:=5: # Integrationsintervall [a,b] und Anzahl der
> Schritte
> x||0:=a:y||0:=1.: # Anfangsbedingung y(x0)=y0
> h:=evalf((b-a)/N):
> (’a’=a,’b’=b,’x[0]’=x||0,’y[0]’=y||0, ’h’=h); # Werte zeigen
Warning, the assigned name Group now has a global binding
Warning, the name changecoords has been redefined
f := (x, y) → x − 1 + y
a = 0.0000, b = 3.0000, x0 = 0.0000, y0 = 1.0000, h = 0.6000

> # Exakte Lösung der DGL


> dgl:=[diff(y(x),x)=f(x,y(x)),y(x||0)=y||0 ]:
> y_ex:=op(2,dsolve(dgl,y(x)));
> for i from 0 to N do
> print(’i’=i, ’x’[i]=x||i,’y’[ex]=evalf(subs(x=a+i*h,y_ex)));
> x||(i+1):=x||i+h:
> end do:
> seq_exakt:=seq([x||i,evalf(subs(x=a+i*h,y_ex))],i=0..N):
y_ex := −x + ex
i = 0, x0 = 0.0000, yex = 1.0000
i = 1, x1 = 0.6000, yex = 1.2221
i = 2, x2 = 1.2000, yex = 2.1201
i = 3, x3 = 1.8000, yex = 4.2496
i = 4, x4 = 2.4000, yex = 8.6232
i = 5, x5 = 3.0000, yex = 17.0855

> # Standard-Euler-Verfahren
> K:=f(x||0,y||0):
> print(’i’=0, ’x’[0]=x||0, ’y’[0]=y||0, ’f’=K);
> for i from 1 to N do
> x||i:=x||(i-1)+h;
> y||i:=y||(i-1) + h*K;
> K:=f(x||i, y||i);
> print(’i’=i, ’x’[i]=x||(i), ’y’[i]=y||i , ’f’=K);
> end do:
> seq_euler_std:=seq([x||i,y||i],i=0..N): # Sequenz der Wertepaare (x,y)
i = 0, x0 = 0.0000, y0 = 1.0000, f = 0.0000
i = 1, x1 = 0.6000, y1 = 1.0000, f = 0.6000
i = 2, x2 = 1.2000, y2 = 1.3600, f = 1.5600
i = 3, x3 = 1.8000, y3 = 2.2960, f = 3.0960
i = 4, x4 = 2.4000, y4 = 4.1536, f = 5.5536
i = 5, x5 = 3.0000, y5 = 7.4858, f = 9.4858
760 18 Mathematik mit Maple

> # Heun-Verfahren (Verbessertes Euler-Verfahren)


> ‘y*‘||0:=y||0:K||1:=f(x||0,y||0):K||2:=f(x||0,‘y*‘||0):
> print(’i’=0, ’x’[0]=x||0, ‘y*‘=‘y*‘||0, ‘K*‘=K||2, ’y’[0]=y||0,
> ’K’=K||1);
> for i from 1 to N do
> x||i:=x||(i-1)+h;
> ‘y*‘||i:=y||(i-1)+h*K||1;
> K||2:=f(x||i, ‘y*‘||i);
> y||i:=y||(i-1)+h/2*(K||1+K||2);
> K||1:=f(x||i, y||i);
> print(’i’=i, ’x’[i]=x||i, ‘y*‘=‘y*‘||i, ‘K*‘=K||2, ’y’[i]=y||i,
> ’K’=K||1);
> end do:
> seq_heun:=seq([x||i,y||i],i=0..N):
i = 0, x0 = 0.0000, y∗ = 1.0000, K∗ = 0.0000, y0 = 1.0000, K = 0.0000
i = 1, x1 = 0.6000, y∗ = 1.0000, K∗ = 0.6000, y1 = 1.1800, K = 0.7800
i = 2, x2 = 1.2000, y∗ = 1.6480, K∗ = 1.8480, y2 = 1.9684, K = 2.1684
i = 3, x3 = 1.8000, y∗ = 3.2694, K∗ = 4.0694, y3 = 3.8398, K = 4.6398
i = 4, x4 = 2.4000, y∗ = 6.6236, K∗ = 8.0236, y4 = 7.6388, K = 9.0388
i = 5, x5 = 3.0000, y∗ = 13.0620, K∗ = 15.0620, y5 = 14.8690, K = 16.8690
> # Runge-Kutta-Verfahren
> print(’i’=0, ’x’[0]=x||0,’K’[1]=0., ’K’[2]=0., ’K’[3]=0., ’K’[4]=0.,
> ’y’[0]=y||0);
> for i from 1 to N do
> x||i:=x||(i-1)+h;
> K1:=f(x||(i-1), y||(i-1));
> K2:=f(x||(i-1)+h/2, y||(i-1)+h/2*K1);
> K3:=f(x||(i-1)+h/2, y||(i-1)+h/2*K2);
> K4:=f(x||(i-1)+h, y||(i-1)+h*K3);
> y||i:=y||(i-1)+h/6*(K1+2*K2+2*K3+K4);
> print(’i’=i, ’x’[i]=x||i,’K’[1]=K1, ’K’[2]=K2, ’K’[3]=K3, ’K’[4]=K4,
> ’y’[i]=y||i);
> end do:
> seq_runge:=seq([x||i,y||i],i=0..N):

i = 0, x0 = 0.0000, K1 = 0.0000, K2 = 0.0000, K3 = 0.0000, K4 = 0.0000, y0 = 1.0000

i = 1, x1 = 0.6000, K1 = 0.0000, K2 = 0.3000, K3 = 0.3900, K4 = 0.8340, y1 = 1.2214

i = 2, x2 = 1.2000, K1 = 0.8214, K2 = 1.3678, K3 = 1.5317, K4 = 2.3404, y2 = 2.1175

i = 3, x3 = 1.8000, K1 = 2.3175, K2 = 3.3127, K3 = 3.6113, K4 = 5.0843, y3 = 4.2425

i = 4, x4 = 2.4000, K1 = 5.0425, K2 = 6.8552, K3 = 7.3991, K4 = 10.0819, y4 = 8.6058

i = 5, x5 = 3.0000, K1 = 10.0058, K2 = 13.3075, K3 = 14.2981, K4 = 19.1846, y5 = 17.0460


> # Nur ausführen, wenn Bild als Postscript in Datei gespeichert werden soll
> filename:=Join([pathname, "plot.eps"], ""):
> plotsetup(ps,plotoutput=filename,
> plotoptions=‘width=10cm,height=8cm,portrait,noborder‘ ):
> pl_sol:={[seq_euler_std],[seq_heun],[seq_runge],y_ex
> },x=a..b,y=0..(y||N)*1.2:
> pl:=plot(pl_sol, labels=["",""], labeldirections=[HORIZONTAL,
> VERTICAL], font=[HELVETICA,OBLIQUE,10],
> axesfont=[HELVETICA,OBLIQUE,9], labelfont=[HELVETICA,OBLIQUE,9],
> color=black, scaling=unconstrained,tickmarks=[3,3], axes=NORMAL,
> color=BLACK):
> tp1:=textplot([2.5,12,‘exakt‘]):
> tp2:=textplot([2.65,4,‘Euler‘]):
> tp3:=textplot([2.80,10,‘Heun‘]):
> tp4:=textplot([2.4,14,‘Runge-Kutta‘]):
> display([pl,tp1,tp2,tp3,tp4]);
19 Mathematik mit C++
19.1 Einführung
C++ ist eine Programmiersprache neuerer Generation und hat eine weite Verbreitung in der In-
dustrie gefunden. C++ ist international genormt (ANSI/ISO C++ 1998). Dank dieser Standardi-
sierung sind in C++ geschriebene Programme portierbar, d.h. ein C++-Quellprogramm lässt sich
ohne Änderungen auf unterschiedlicher Computer-Hardware (PC, Workstation, Mainframe) und
unter verschiedenen Betriebssystemen (Windows, Linux, Unix) zum Laufen bringen. C++ ent-
hält als Untermenge den allergrößten Teil der weit verbreiteten Programmiersprache C (z.B. ist
das populäre Betriebssystem Linux im Wesentlichen in C geschrieben). Aufgrund ihres großen
Sprachumfangs kann C++ in diesem Buch nicht im Detail behandelt werden. Interessierte Le-
ser seien unter zahlreichen hervorragenden Bücher über C++ z.B. auf [8],[15], sowie auf [17]
verwiesen.
C++ ist eine allgemeine Programmiersprache (general purpose programming language) und
hat insofern mit der Mathematik an sich wenig zu tun. Es existiert in C++ kein Befehl, um z.B. ein
lineares Gleichungssystem zu lösen oder eine Matrix zu invertieren. C++ unterscheidet sich also
grundlegend vom Mathematikprogramm Maple, welches in Abschnitt 18 behandelt wird (Maple
selbst ist zum großen Teil in C und C++ geschrieben!). Alles was C++ dem Anwender für die
Lösung eines Problems zur Verfügung stellt sind die folgenden prinzipiellen Möglichkeiten:

• Anweisungen
• Variablen
• Felder (arrays)
• Zeiger (pointer)
• Klassen (Objektorientierung)
• Benutzerdefinierte Datentypen
• Container (Listen, Vektoren)
• Schleifen
• Verzweigungen
• Funktionen (Unterprogramme)
• Bedingte Ausführung von Anweisungen
• Eingabe und Ausgabe von Daten
• Mathematische Grundfunktionen
• Funktionsbibibliothek für verschiedene Zwecke (z.B. Speichermanagement etc.)

Es sollte hervorgehoben werden, dass es -von einfachen Fällen abgesehen- keine simple Aufgabe
ist, ein C++-Programm für Ingenieuranwendungen zu schreiben (diese Aussage gilt aber auch für
jede andere Programmiersprache, wie z.B. VisualBasic, C#, Java, Pascal, Fortran).
Mit C++ lassen sich mit vertretbarem Aufwand nur solche Programme schreiben, die nume-
rische Lösungen liefern (im Gegensatz zu symbolischen Lösungen). Eine numerische Lösung
besteht einfach aus einer beliebigen Menge von Zahlen (im einfachsten Fall eine einzige Zahl)

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_19,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
762 19 Mathematik mit C++

und gilt nur für den untersuchten Fall. Eine symbolische Lösung hingegen besteht aus mathema-
tischen Symbolen und ist allgemein gültig.
Ein C++-Programm, das vom Menschen gelesen werden kann, wird Quellprogramm (oder
Quellcode) genannt. Auf der CD sind alle Programme sowohl als ausführbares Programm (Da-
teiendung .exe) als auch im Quellcode (Dateiendung .cpp) enthalten.

Beispiel 19.1:
Die Lösung der quadratischen Gleichung

ax2 + bx + c = 0

lautet bekanntlich:

−b ± b2 − 4ac
x=
2a
Die obige Lösung ist eine symbolische Lösung, weil sie für alle Werte von a, b und c
gültig ist (Ausnahme: a = 0).
Die symbolische Lösung lässt sich mit Hilfe von Maple mit einem einzigen Befehl
folgendermaßen bestimmen:
> solve(a*x^2+b*x+c=0, x);
√ √
−b + b2 − 4 a c −b − b2 − 4 a c
,
2a 2a

In C++ existiert kein vergleichbarer Befehl, der die Lösung symbolisch liefern könnte.
Man kann jedoch die obige Lösungsformel in C++ programmieren (sozusagen einen
ganz speziellen Taschenrechner zur Lösung von quadratischen Gleichungen schaffen)
und für beliebige Werte von a, b, c ein numerisches Resultat erzielen.

In nachfolgenden Abschnitten werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie man mit Hilfe von C++-
Programmen Routineaufgaben der Mathematik auf numerischem Weg lösen könnte. Alle vorge-
stellten Programme sind auf der Buch-CD enthalten. Anhand des mitgelieferten Quellcodes (mit
Dateiendung .cpp) kann sich der Leser einen Eindruck über die Lösungsstrategien verschaffen.

19.2 Der C++ Compiler


Für die Übersetzung der cpp-Quellprogramme in lauffähige exe-Programme enthält die Buch-
CD auch einen C++-Compiler, der als freeware unter GNU General Public License1 kostenlos
erhältlich ist. Dieser C++-Compiler ist die sog. mingw-Portierung2 der sehr leistungsfähigen
GNU-Compiler gcc und g++ auf der Windows-Plattform.

1 GNU General Public License, abgekürzt GPL. Die GPL gestattet die kostenlose Nutzung, Weitergabe, Weiterent-
wicklung und Modifikation eines unter GPL freigegebenen Programmes und schreibt die Offenlegung des Quellco-
des eines solchen Programmes vor. Die GPL wurde 1991 von Richard Stallmannn, dem Gründer der Free Software
Foundation (FSF), ins Leben gerufen. Linux ist das bekannteste Beispiel von GPL-Software.
2 Mingw ist eine Abkürzung für Minimalist GNU for Win32 (http://www.mingw.org). Die GNU-Compiler gcc
und g++ sind im Betriebssystem Linux standardmäßig enthalten.
19.3 Ableitung einer Funktion 763

Der Compiler mingw enthält keine Benutzeroberfläche, d.h. lässt sich nur im Kommandozei-
lenmodus aufrufen. Glücklicherweise hat ein Softwareanbieter 3 ein Entwicklungswerkzeug ent-
wickelt (Dev-C++) und mit dem mingw-Compiler nahtlos integriert. Das Programm Dev-C++
steht unter GPL und besitzt eine komfortable grafische Benutzeroberfläche mit Laufzeitfehlersu-
che (debugging) und einen Texteditor.
Dev-C++ arbeitet auf Projektbasis, d.h. alle Programmmodule werden in einem Projekt zu-
sammengefasst und automatisch von Dev-C++ verwaltet.
Nach der Installation von Dev-C++ kann durch Doppelklick der jeweiligen Projektdatei (Da-
teiendung .dev) die Benutzeroberfläche von Dev-C++ gestartet werden.

19.3 Ableitung einer Funktion

Beispiel 3.20 auf Seite 74. Ableitung der Funktion e−x .


Das mitgelieferte Programm ableitung.exe für die numerische Ableitung einer Funktion
befindet sich im CD-Verzeichnis Datei: \c++\programme/ableitung/.
Das Unterprogramm ableitung(double x) berechnet die Ableitung der Funktion. Ihr
Quellcode lautet:
double ableitung(double x)
// Berechnet die Ableitung von f(x) an der Stelle x
{
double dx = 1e-5;
return ( f(x + dx) - f(x) ) / dx;
}

Das Unterprogramm ableitung benötigt für die Berechnung der Ableitung der Funktion
zwei Zahlenwerte: den Funktionswert f an der Stelle x und einen weiteren Funktionswert f an
der Stelle x + dx.
Im Unterprogramm f(double x) wird der Funktionswert an der als Parameter übergebe-
nen Stelle x berechnet.
double f(double x)
// Berechnet den Funktionswert f(x) an der Stelle x
{
double fkt;
fkt = ( exp(-x) ); // vom Benutzer anzupassen
return fkt;
}
Die Eingabe und Ausgabe des Programmes ableitung auf dem Bildschirm lautet:
Numerische Ableitung einer Funktion
-----------------------------------
Ableitung ist gesucht an der Stelle x = -1
Die Ableitung df ist : -2.71827

Programmanpassung
Für die Ableitung einer beliebigen anderen Funktion ist lediglich folgende Zeile dieses Unterpro-
grammes vom Anwender zu modifieren:
fkt = ( exp(-x) );
Ansonsten sind keinerlei Änderungen im Programm notwendig. Soll z.B. die Funktion f (x) =
x2 − ex abgeleitet werden, muss diese Zeile wie folgt lauten:
fkt = ( x*x - exp(x) );

3 Bloodshed Software http:///www.bloodshed.net


764 19 Mathematik mit C++

19.4 Newton-Verfahren

Beispiel 3.31 auf Seite 90. Nulstellenbestimmung für die Funktion x2 − ex .


Datei: \c++\programme/newton/newton.exe.

Die Eingabe und Ausgabe des Programmes lautet:


Nullstellenbestimmung nach dem NEWTON-Verfahren
-----------------------------------------------
Intervall [x1,x2], in dem die Nullstelle liegt :
x1 = 0
x2 = -1
Nullstelle x = -0.703467

19.5 Lineare Algebra


Das Programm Datei: \c++\programme/linalgebra/linalg.exe löst das lineare Gleichungssystem
Ax = b
Optional gestattet linalg die Invertierung einer quadratischen Matrix A . Als Eingabe erwartet
linalg die Elemente der Matrix A und die der rechten Seite b . Die rechte Seite muss nicht un-
bedingt aus einem Spaltenvektor zu bestehen, sondern kann mehrere Spaltenvektoren enthalten.
Die Eingabe der Matrix A und der rechten Seite b erfolgt bei diesem Programm nicht über die
Tastatur, sondern über eine ASCII-Datei, die mit jedem beliebigen Texteditor erstellt werden
kann (ohne Textformatierung!). Auf der Buch-CD sind drei Beispiele enthalten.
Oft ist es für Dokumentationszwecke wünschenswert, die Ausgabe des Programmes nicht
auf dem Bildschirm zu erhalten, sondern in einer Datei zu speichern. Dies lässt sich mit dem
Programm linalg.exe problemlos erreichen, indem die Ausgabe in eine Datei umgelenkt
wird. Das Programm wird für diesen Zweck einfach wie folgt aufgerufen:
linalg > dateiname
Der Parameter dateiname ist der Name der Datei, welche das Berechnungsergebnis enthalten
soll und wird vom Anwender beliebig gewählt. Falls dateiname Leerräume (blanks) hat, muss
sie in Gänsefüßchen eingeschlossen werden, z.B.:
linalg > ausgabe.txt oder linalg > "ausgabe datei 1.txt"

Beispiel 19.2:
Bei der Lösung des linearen Gleichungssystems Ax = b mit der Beispieldatei bsp-1.dat
lautet die Ein- und Ausgabe des Programms wie folgt:
Lineares Gleichungssystem & Matrixinvertierung
----------------------------------------------

Welche Berechnung sollen Sie durchfuehren?

Lineares Gleichungssystem [A][x]=[b] = 1


Matrix Invertierung = 2
Ende = 0

Ihre Eingabe : 1
19.5 Lineare Algebra 765

Name der Eingabedatei : bsp-1.dat

Matrix A :
1.0000e+000 2.0000e+000 3.0000e+000
4.0000e+000 5.0000e+000 6.0000e+000
2.0000e+000 6.0000e+000 8.0000e+000

Rechte Seite [b]:


1.0000e+000
0.0000e+000
0.0000e+000

Loesungsvektor [x]:
6.6667e-001
-3.3333e+000
2.3333e+000

Beispiel 19.3:
Die Invertierung der Matrix A des Beispiels 19.2 liefert:
Welche Berechnung sollen Sie durchfuehren?

Lineares Gleichungssystem [A][x]=[b] = 1


Matrix Invertierung = 2
Ende = 0

Ihre Eingabe : 2
Name der Eingabedatei : bsp-1.dat

Matrix A :
1.0000e+000 2.0000e+000 3.0000e+000
4.0000e+000 5.0000e+000 6.0000e+000
2.0000e+000 6.0000e+000 8.0000e+000

Inverse Matrix von A :


6.6667e-001 3.3333e-001 -5.0000e-001
-3.3333e+000 3.3333e-001 1.0000e+000
2.3333e+000 -3.3333e-001 -5.0000e-001

Für alle Beispiele im Programmverzeichnis sind auch die entsprechenden Dateien vorhanden.
766 19 Mathematik mit C++

19.6 Integralrechnung

1
Beispiel 7.19 auf Seite 320. Berechnung des Integrals I = e−x dx mittels Gauß-Quadratur.
2

0
Datei: \c++\programme/integration/gauss.exe.

Numerische Integration nach Gauss-Quadratur


-------------------------------------------
Integrationsintervall [a,b]:
a = 0
b = 1
Anzahl der Stuetzstellen (1...5) : 1
Integral = 0.778801
Der Einfluß der Anzahl von Stützstellen auf das Integrationsergebnis ist wie folgt:
Anzahl der Stuetzstellen (1...5) : 2
Integral = 0.746595
Anzahl der Stuetzstellen (1...5) : 3
Integral = 0.746815
Anzahl der Stuetzstellen (1...5) : 4
Integral = 0.746824
Anzahl der Stuetzstellen (1...5) : 5
Integral = 0.746824

19.7 Finite-Elemente-Methode - FEM


Die Finite-Elemente-Methode (FEM) ist eine Computer gestützte Berechnungsmethode für die
Lösung von Aufgaben der Mathematik und Physik. Im Bauingenieurwesen und im Maschinen-
bau hat sich die FEM zu einem unentbehrlichen Werkzeug des Ingenieurs entwickelt. Das wich-
tigste Einsatzgebiet für die FEM im Ingenieurwesen ist die Strukturmechanik, d.h. die Beur-
teilung der Tragfähigkeit und der Lebensdauer von Tragwerken und Bauteilen. Aber auch in
anderen wichtigen Gebieten der Physik, z.B. Strömungsmechanik, Elektromagnetismus, Feld-
probleme, ist die FEM ein außerordentlich leistungsfähiges und extrem wichtiges Berechnungs-
verfahren.
Es lässt sich nicht messerscharf angeben, wann und von wem genau die FEM erfunden wurde.
Zahlreiche Wissenschaftler haben schon frühzeitig wichtige Beiträge zur Entwicklung der Me-
thode geleistet. In der FEM-Fachwelt werden im allgemeinen die folgenden Meilensteine in der
Geschichte der FEM als zutreffend angesehen:
• 1908 : Ritz veröffentlicht die nach ihm benannte Methode mit Ansatzfunktionen über dem
gesamten Lösungsgebiet.
• 1943 : Courant löst auf numerischem Wege die StVenant-Torsion, indem er das Lösungsge-
biet in Dreiecke unterteilt und in jedem Dreieck Interpolationspolynome verwendet.
• 1956 : Turner/Clough/Martin/Topp setzen ebene Dreieckselemente für die Berechnung von
Flugzeugstrukturen ein.
• 1960 : Clough verwendet zum ersten Mal die Bezeichnung Finite-Element-Method für die
neue Berechnungsmethode.
19.7 Finite-Elemente-Methode - FEM 767

a: FE-Netz b: Spannungen am
verformten Stab

Bild 19.1: Flachstab mit Loch unter Zugkraft (Viertel-Modell)

Die Grundidee der FEM ist die Unterteilung der zu untersuchenden Struktur (Tragwerk, Bauteil,
Strömungsfeld usw.) in finite (d.h. endliche) Elemente. Dann wird mit Hilfe eines geeigneten Me-
chanikprinzips, z.B. Minimierung des Gesamtpotentials des Tragwerkes, ein Gleichungssystem
erzeugt, deren Lösung die unbekannten Knoten-Verschiebungen des FE-Netzes liefert. Schließ-
lich werden aus den Knotenverschiebungen die Spannungen und Schnittgrößen berechnet. Die
FEM macht intensiven Gebrauch von folgenden mathematischen Teilgebieten:
- Matrixrechnung
- Eigenwerte und Eigenvektoren
- numerische Lösung von linearen und nichtlinearen Gleichungssystemen
- numerische Differentiation
- numerische Integration
- Differentialgleichungen

Beispiel 19.4:
In Bild 19.1 a ist der Elementnetz eines Flachstabs mit einem kreisförmigen Loch dar-
gestellt (nur ein Viertel des Flachstabs gezeigt). Der Stab wird in seiner Längsrichtung
durch eine Zugkraft belastet (nicht dargestellt). Für die Berechnung der Verformungen
und Spannungen des Zugstabs wurde das kommerzielle FEM-Programm Adina4 . Bild
19.1 b zeigt die von-Mises-Vergleichsspannungen am verformten Stab.

4 ADINA - Automatic Dynamic Incremental Nonlinear Analysis, ADINA R&D Inc.


768 19 Mathematik mit C++

Bild 19.2: Hauptmenü von Sanfex

19.7.1 Das FEM-Programm Sanfex


Die Buch-CD enthält das vom Verfasser entwickelte FEM-Programm Sanfex, welches für Lehr-
zwecke und als Einstieg in die FEM gut geeignet ist. Sanfex lehnt sich in der Befehlssyntax an das
weitverbreitete kommerzielle FEM-Programm Ansys, so dass hier -nicht zuletzt aus Platzgründen-
auf eine ausführliche Benutzeranleitung verzichtet wird. Sanfex ist in der Lage, folgende Aufga-
ben aus der Strukturmechanik zu lösen:

• Statische Berechnung von


– Fachwerken
– Rahmentragwerken
– Platten in der xy-Ebene
– Einzelfedern
• Eigenfrequenzen und Eigenschwingungsformen
• Dynamische Berechnung von Stabtragwerken mit Hilfe der modalen Analyse
• Berechnung der Knicklasten und Knickfiguren von Rahmentragwerken

Auf der CD befinden sich im Unterverzeichnis Beispiele zahlreiche Eingabedateien.


Sanfex stellt dem anwender eine komfortable Benutzeroberfläche zur Verfügung. Die Befehle
können zwar auch interaktiv direkt von der Tastatur eingegeben werden. Meistens ist es jedoch
besser, mit einem Texteditor eine Eingabedatei (Dateiendung .dat) zu erstellen, die dann per
Mausklick von Sanfex eingelesen wird.
19.7 Finite-Elemente-Methode - FEM 769

Kurzbeschreibung des Sanfex-Hauptmenüs


Anhand einer Bildschirm-Hardcopy werden nachfolgend die wichtigsten Bedienungselemente
von Sanfex erläutert (Bild 19.2).

Read Data File. Sanfex öffnet ein neues Fenster, in dem eine Eingabedatei mit der Maus aus-
gewählt werden kann. Die Eingabedatei besitzt die Endung .dat und enthält alle Befehle,
die zur Modellbeschreibung nötig sind.
Run. Startet den FEM-Kern. Der Kern erzeugt die Elementsteifigkeitsmatrizen, die Gesamtstei-
figkeitsmatrix und, sofern notwendig, die korrespondierenden Matrizen für die Massenma-
trix sowie die geometrische Steifigkeitsmatrix.
Reset. Löscht alle Daten aus dem Sanfex-Speicher, d.h. initialisiert Sanfex.
Plot Mesh. Plottet das FE-Elementnetz.
Edit Data File. Sanfex lässt den Anwender eine dat-Datei wählen und öffnet dann diese Datei
mit dem Texteditor notepad.exe. Durch Anpassung der Konfigurationsdatei _sanfex.ini
ist aber die Verwendung eines anderen Texteditors auch möglich.
User Cmd. Der Anwender kann Sanfex-Befehle über die Tastatur eingeben.
Cmd List. Listet alle Sanfex-Befehle auf. Diese Befehle sind dem FEM-Programm Ansys nach-
empfunden.
Select Postfile. Der Anwender kann eine Modelldatei (Dateiendung .dbm) wählen, die von San-
fex angelegt wurde. Die Modelldatei ist eine Binärdatei und enthält alle Daten über das
FEM-Modell. Dieser Befehl wählt zwar die Datei, liest sie aber noch nicht ein.
Retrieve Postdata. Dieser Befehl liest alle Daten aus der Postprozessordatei, die im vorherigen
Schritt gewählt wurde (die Datei mit der Endung .dbm und, falls vorhanden, noch zusätz-
lich die korrespondierende Datei mit der Endung .dbv). Nach Ausführung dieses Befehls
liegen alle Informationen über die Verformungen, Spannungen und Schnittgrößen des Trag-
werks im Sanfex-Speicher.
Plot Window. Öffnet das Plotfenster, wo der Anwender das unverformte und verformte FE-
Modell plotten kann.
Select Outfile. Der Anwender kann die Ergebnisdatei eines Sanfex-Laufes wählen (Dateien-
dung .out) wählen. Die Ergebnisdatei ist eine Textdatei und enthält ein Echo der Ein-
gabedaten für Kontrollzwecke und die Ergebnisse der Sanfex-Berechnung. Dieser Befehl
wählt zwar die Datei, liest sie aber noch nicht ein.
Edit Outfile. Öffnet die Ergebnisdatei, die im vorhergehenden Schritt gewählt wurde mit dem
Texteditor.
Save Model. Dieser Befehl speichert alle Modelldaten, die sich im Sanfex-Speicher befinden, in
einer dat-Datei ab. Dieser Befehl ist nur dann interessant, wenn die Modelldaten über die
Tastatur eingegeben wurden und nicht verloren gehen sollen.
770 19 Mathematik mit C++

Bild 19.3: Verformte Struktur


Anhang
A Ausgewählte Formeln und Beziehungen
In diesem Abschnitt sind häufig benötigte Beziehungen und Formeln zu verschiedenen Themen-
gebieten des Buches zusammengestellt.

A.1 Trigonometrische Funktionen


1. sin x = sin (x + 2nπ) n = 0, ±1, ±2, ±3, · · ·
2. cos x = cos (x + 2nπ)
3. tan x = tan (x + nπ)
4. cot x = cot (x + nπ)
 π
5. sin x + = cos x
2
 π
6. cos x + = − sin x
2
 π
7. tan x + = − cot x
2
 π
8. cot x + = − tan x
2
9. sin (x + π) = − sin x
10. cos (x + π) = − cos x
11. tan (x + π) = tan x
12. cot (x + π) = cot x
13. sin (−x) = − sin x
14. cos (−x) = cos x
15. tan (−x) = − tan x
16. cot (−x) = − cot x
17. sin 2x = 2 sin x cos x
18. cos 2x = cos2 x − sin2 x
19. sin2 x + cos2 x = 1
1
20. sin2 x = (1 − cos 2x)
2

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
774 A Ausgewählte Formeln und Beziehungen

1
21. cos2 x = (1 + cos 2x)
2
x 1
22. sin2 = (1 − cos x)
2 2
x 1
23. cos2 = (1 + cos x)
2 2
24. sin (x ± y) = sin x cos y ± cos x sin y
25. cos (x ± y) = cos x cos y ∓ sin x sin y
tan x ± tan y
26. tan (x ± y) =
tan x ∓ tan y
x+y x−y
27. sin x + sin y = 2 sin cos
2 2
x+y x−y
28. cos x + sin y = 2 cos cos
2 2
x+y x−y
29. sin x − sin y = 2 cos sin
2 2
x+y x−y
30. cos x − cos y = −2 sin sin
2 2
sin x 1
31. tan x = =
cos x cot x
cos x 1
32. cot x = =
sin x tan x
33. A sin x + B cos x = (A2 + B2 )1/2 cos(x − φ ) mit φ = arctan(A/B)

34. A sin x + B cos x = (A2 + B2 )1/2 sin(x − φ ) mit φ = arctan(−B/A)


35. Kosinus-Satz: a2 = b2 + c2 − 2bc cos α
a, b, c sind die Kanten eines Dreiecks, α der Winkel zwischen b und c
A.2 Arkusfunktionen 775

A.2 Arkusfunktionen
1. arcsin(−x) = − arcsin x

2. arccos(−x) = π − arccos x

3. arctan(−x) = − arctan x

4. arccot(−x) = π − arccotx
5. arcsin x + arccos x = π/2

6. arctan x + arccot x = π/2

A.3 Hyperbelfunktionen
1. sinh (−x) = − sinh x

2. cosh (−x) = cosh x


3. sinh 2x = 2 sinh x cosh x

4. cosh 2x = sinh2 x + cosh2 x

5. cosh2 x = 1 + sinh2 x
6. sinh (x ± y) = sinh x cosh y ± cosh x sinh y

7. cosh (x ± y) = cosh x cosh y ± sinh x sinh y


776 A Ausgewählte Formeln und Beziehungen

A.4 Ableitungen elementarer Funktionen


c, a, k sind skalare Konstanten.

Nr. f (x) f  (x) Nr. f (x) f  (x)


1
1. c 0 22. lg kx
x ln 10
2. x 1 1
23. loga x
x ln a
3. x2 2x
24. sin x cos x
4. x3 3x2
25. sin ax a cos ax
5. xa a xa−1
26. cos x − sin x
√ 1 1
6. x √ = x−1/2 27. cos ax −a sin ax
2 x 2
a
1 1 28. tan ax
7. x1/n √
n n−1
= x(1−n)/n cos2 x
n x n a
29. cot ax − 2
1 1 sin x
8. − 2
x x 30. sin2 ax 2a sin ax cos ax
1 2
9. − 3 31. cos2 ax −2a sin ax cos ax
x2 x
1
32. arcsin x √
10. xx xx (1 + ln x) 1 − x2
1
11. xax a xax (1 + ln x) 33. arccos x −√
1 − x2
12. ex ex 1
34. arctan x
1 + x2
13. e−x −e−x 1
35. arccot x −
14. eax aeax 1 + x2
36. sinh x cosh x
15. e f (x) e f (x) f  (x)
37. cosh x sinh x
16. ax ax ln a a>0
1
38. tanh x = 1 − tanh2 x
17. akx k akx ln a a>0 cosh2 x
1 1
18. ln x 39. coth x − = 1 − coth2 x
x sinh2 x
1
19. ln kx
1 40. arcsinh x √
x 1 + x2
1
f  (x) 41. arccosh x √
20. ln f (x) (s. Abs. 3.5) x −1
2
f (x) 1
42. arctanh x
21. lg x
1 1 − x2
x ln 10 1
43. arccoth x
1 − x2
A.5 Unbestimmte Integrale 777

A.5 Unbestimmte Integrale


Die Integrationskonstante C wurde zwecks besserer Übersichtlichkeit weggelassen.
1. dx = 1 · dx = x
2. a dx = ax
xa+1
3. xa dx = (a = −1)
a+1
(ax + b)n+1
4. (ax + b)n dx = (n = −1)
a(n + 1)
1
5. dx = ln x s. Fußnote 1
x
1 1
6. dx = −
x2 x
1 1
7. dx = − 2
x3 2x
1 x−(a−1)
8. dx = −
xa (a − 1)
1
9. dx = ln(a + x)
a+x
1
10. dx = − ln(a − x)
a−x
1 1
11. dx = ln(ax + b)
ax + b a
1 ax + b
12. dx = −
(ax + b)n a(n − 1)(ax + b)n
x ax − b ln(ax + b)
13. dx =
ax + b a2
x ax + b ln(ax − b)
14. dx =
ax − b a2
ax + b ax bc − ad
15. dx = + ln(cx + d)
cx + d c c2
x2 x2 bx b2 ln(ax + b)
16. dx = − +
ax + b 2a a2 a3
1 In mathematischer Literatur ist das Ergebnis normalerweise als ln |x| zu finden. In diesem Buch wird für Integrale
in Anlehnung an die Konvention in [6] stets die Form ohne Betragszeichen verwendet; dies ist auch in allen Compu-
teralgebrasystemen implementierte Vorgehensweise.
778 A Ausgewählte Formeln und Beziehungen

x2 x2 bx b2 ln(ax − b)
17. dx = + +
ax − b 2a a2 a3
x b ln(ax + b)
18. dx = 2 +
(ax + b)2 a (ax + b) a2

x −b ln(ax − b)
19. dx = 2 +
(ax − b)2 a (ax − b) a2
1 1 x
20. dx = arctan
a2 + x 2 a a
1 1 x+a
21. dx = ln
a2 − x 2 2a x−a
1 1 x
22. dx = ln
x(ax + b) b ax + b
1 1 x
23. dx = − ln
x(ax − b) b ax − b
1 1 a x
24. dx = − − 2 ln
x2 (ax + b) bx b ax + b
1 1 a x
25. dx = − 2 ln
x2 (ax − b) bx b ax − b
1 1 cx + d
26. dx = ln bc = ad
(ax + b)(cx + d) bc − ad ax + b
1 2 2ax + b
27. dx = √ arctan √
ax2 + bx + c 4ac − b2 4ac − b2
 
x 1 b d
28. dx = ln(ax + b) − ln(cx + d) bc = ad
(ax + b)(cx + d) bc − ad a c

x ln(ax2 + bx + c) b 2ax + b
29. dx = − √ arctan √
ax + bx + c
2 2a a 4ac − b2 4ac − b2
√ 2
30. ax + b dx = (ax + b)3/2
3a
√ 2
31. ax − b dx = (ax − b)3/2
3a
√ 2
32. x ax + b dx = (ax + b)3/2 (3ax − 2b)
15a2
√ 2
33. x ax − b dx = (ax − b)3/2 (3ax + 2b)
15a2
A.5 Unbestimmte Integrale 779

 
√ √
1 b2 √
34. a2 x2 + b2 dx =x a x +b +
2 2 2 ln(ax + a x + b )
2 2 2
2 a
 
√ 1 √ b2 √
35. a x − b dx =
2 2 2 x a x −b −
2 2 2 ln(ax + a x − b )
2 2 2
2 a
 
√ 1 √ b2 ax
36. −a2 x2 + b2 dx = x −a2 x2 + b2 + arctan √
2 a −a2 x2 + b2
 
√ 1 √ b2 ax
37. −a x − b dx =
2 2 2 x −a x − b −
2 2 2 arctan √
2 a −a2 x2 − b2
√ 1 2 2 3/2
38. x a2 x2 + b2 dx = 2
a x + b2
3a
√ 1 2 2 3/2
39. x a2 x2 − b2 dx = a x − b2
3a2
√ 1 2 2 3/2
40. x −a2 x2 + b2 dx = − 2
−a x + b2
3a
√ 1 2 2 3/2
41. x −a2 x2 − b2 dx = − 2
−a x − b2
3a
1 2√
42. √ dx = ax + b
ax + b a
1 2√
43. √ dx = ax − b
ax − b a
1 1 √
44. √ dx = ln(ax + a2 x2 + b2 )
a2 x2 + b2 a
1 1 √
45. √ dx = ln(ax + a2 x2 − b2 )
a2 x2 − b2 a
1 1 ax
46. √ dx = arctan √
−a2 x2 + b2 a −a x2 + b2
2

1 1 ax
47. √ dx = arctan √
−a2 x2 − b2 a −a2 x2 − b2
x 1 √ 2 2
48. √ dx = a x + b2
a2 x2 + b2 a2
x 1 √ 2 2
49. √ dx = a x − b2
a2 x2 − b2 a2
x 1 √ 2 2
50. √ dx = − −a x + b2
−a2 x2 + b2 a2
780 A Ausgewählte Formeln und Beziehungen

x 1 √ 2 2
51. √ dx = − −a x − b2
−a2 x2 − b2 a2
52. ex dx = ex

53. e−x dx = −e−x


1 ax
54. eax dx = e
a
1
55. x eax dx = (ax − 1) eax
a2
1 2 2
56. x2 eax dx = (a x − 2ax + 2) eax
a3
2 1 ax2
57. x eax dx = e
2a
1 x 1
58. dx = − ln(b + ceax )
b + c eax b ab
1 x 1
59. dx = − ln(−b + ceax )
b−ceax b ab
eax 1
60. dx = ln(b + ceax )
b + c eax ac
eax 1
61. dx = − ln(b − ceax )
b − c eax ac
1 x
62. ax dx = a
ln a
63. ln x dx = x (ln x − 1)

64. ln ax dx = x (ln ax − 1)

65. ln2 ax dx = x (ln2 ax − 2 ln ax + 2)

x2
66. x ln ax dx = (2 ln ax − 1)
4
x3
67. x2 ln ax dx = (3 ln ax − 1)
9
x2
68. x ln2 ax dx = (2 ln2 ax − 2 ln ax + 1)
4
x3
69. x2 ln2 ax dx = (9 ln2 ax − 6 ln ax + 2)
27
1
70. dx = ln(ln ax)
x ln ax
A.5 Unbestimmte Integrale 781

1
71. sin ax dx = − cos ax
a
x 1 x sin ax cos ax
72. sin2 ax dx = − sin 2ax = −
2 4a 2 2a
1
73. x sin ax dx = (sin ax − ax cos ax)
a2
1
74. x2 sin ax dx = [2ax sin ax − (a2 x2 − 2) cos ax ]
a3
1
75. x sin(ax2 ) dx = − cos(ax2 )
2a
1 ln(1 − cos ax) − ln(sin ax)
76. dx =
sin ax a
1 1  π ax 
77. dx = − tan −
1 + sin ax a 4 2
1 1  π ax 
78. dx = tan +
1 − sin ax a 4 2
1 1
79. dx = − cot ax
sin2 ax a
1 1
80. dx = tan ax
1 − sin2 ax a
x
81. sin ln x dx = (sin(ln x) − cos(ln x))
2
sin(a − b)x sin(a + b)x
82. sin ax sin bx dx = − (a2 = b2 ) Für a = b s. Nr. 72
2(a − b) 2(a + b)
cos bx cos (2a + b)x cos (2a − b)x
83. sin2 ax sin bx dx = − + −
2b 4(2a + b) 4(2a − b)
1
84. cos ax dx = sin ax
a
x 1
85. cos2 ax dx = + sin 2ax
2 4a
1
86. x cos ax dx = (cos ax + ax sin ax)
a2
1
87. x2 cos ax dx = [2ax cos ax + (a2 x2 − 2) sin ax ]
a3
1
88. x cos(ax2 ) dx = sin(ax2 )
2a
782 A Ausgewählte Formeln und Beziehungen

1 ln(1 + sin ax) − ln(cos ax)


89. dx =
cos ax a
1 1 ax
90. dx = tan
1 + cos ax a 2
1 1
91. dx = − ax
1 − cos ax a tan
2
1 1
92. 2
dx = tan ax
cos ax a
1 1
93. dx = −
1 − cos ax
2 a tan ax
x
94. cos ln x dx = (sin(ln x) + cos(ln x))
2
sin(a − b)x sin(a + b)x
95. cos ax cos bx dx = + (a2 = b2 ) Für a = b s. Nr. 85
2(a − b) 2(a + b)
sin bx sin (2a + b)x sin (2a − b)x
96. cos2 ax cos bx dx = + +
2b 4(2a + b) 4(2a − b)
1
97. sin ax cos ax dx = sin2 ax
2a
x sin 4ax
98. sin2 ax cos2 ax dx = −
8 32a
1
99. sinn ax cos ax dx = sinn+1 ax (n = −1)
a(n + 1)
1
100. sin ax cosn ax dx = − cosn+1 ax (n = −1)
a(n + 1)
cos(a + b)x cos(a − b)x
101. sin ax cos bx dx = − − (a2 = b2 ) Für. a = b s. Nr. 97
2(a + b) 2(a − b)
sin bx sin (2a + b)x sin (2a − b)x
102. sin2 ax cos bx dx = − −
2b 4(2a + b) 4(2a − b)
cos bx cos (2a + b)x cos (2a − b)x
103. cos2 ax sin bx dx = − − +
2b 4(2a + b) 4(2a − b)
1 1
104. dx = ln(tan ax)
sin ax cos ax a
1 2
105. 2 2
dx = − cot 2ax
sin ax cos ax a
sin ax 1
106. dx = (n = 1)
cosn ax a(n − 1) cosn−1 ax
A.5 Unbestimmte Integrale 783

cos ax 1
107. dx = − (n = 1)
sinn ax a(n − 1) sinn−1 ax
1
108. ebx sin ax dx = ebx (b sin ax − a cos ax)
a2 + b2
1
109. ebx cos ax dx = ebx (a sin ax + b cos ax)
a2 + b2
110. ecos x sin x dx = −ecos x

111. esin x cos x dx = esin x

112. a xa−1 sin xa dx = − cos xa

113. a xa−1 cos xa dx = sin xa


1
114. tan ax dx = − ln(cos ax)
a
tan ax
115. tan2 ax dx = −x
a
1
116. cot ax dx = ln(sin ax)
a
cot ax
117. cot2 ax dx = − −x
a
1 √
118. arcsin ax dx = (ax arcsin ax + 1 − a2 x2 )
a
1 √
119. arccos ax dx = (ax arccos ax − 1 − a2 x2 )
a
1
120. arctan ax dx = x arctan ax − ln (1 + a2 x2 )
2a
1
121. sinh ax dx = cosh ax
a
1
122. cosh ax dx = sinh ax
a
1
123. tanh ax dx = ln (cosh ax)
a
1
124. coth ax dx = ln (sinh ax)
a
1 1 ax 
125. dx = ln tanh
sinh ax a 2
1 2
126. dx = arctan eax
cosh ax a
784 A Ausgewählte Formeln und Beziehungen

 
1 1
127. sinh ax dx =
2
sinh ax cosh ax − x
2 a
 
1 1
128. cosh ax dx =
2
sinh ax cosh ax + x
2 a
1
129. tanh2 ax dx = x − tanh ax
a
1
130. coth2 ax dx = x − coth ax
a
1 1
131. x sinh ax dx = x cosh ax − 2 sinh ax
a a
1 1
132. x cosh ax dx = x sinh ax − 2 cosh ax
a a
1 2 2
133. x2 sinh ax dx = (a x cosh ax − 2ax sinh ax + 2 cosh ax)
a3
1 2 2
134. x2 cosh ax dx = (a x sinh ax − 2ax cosh ax + 2 sinh ax)
a3
1 ax
135. sin ax sinh ax dx = [e (sin ax − cos ax) + e−ax (sin ax + cos ax)]
4a
1 ax
136. sin ax cosh ax dx = [e (sin ax − cos ax) − e−ax (sin ax + cos ax)]
4a
1 ax
137. cos ax sinh ax dx = [e (sin ax + cos ax) + e−ax (− sin ax + cos ax)]
4a
1 ax
138. cos ax cosh ax dx = [e (sin ax + cos ax) + e−ax (sin ax − cos ax)]
4a
1 1
139. sinh ax sinh bx dx = sinh(a + b)x − sinh(a − b)x
2(a + b) 2(a − b)
1 1
140. cosh ax sinh bx dx = cosh(a + b)x − cosh(a − b)x
2(a + b) 2(a − b)
1 1
141. sinh ax cosh bx dx = cosh(a + b)x + cosh(a − b)x
2(a + b) 2(a − b)
A.6 Einige bestimmte Integrale 785

A.6 Einige bestimmte Integrale


m, n : ganze Zahlen; r : reelle Zahl
π/2 π/2
1. sin x dx = 1 7. cos x dx = 1
0 0
π π
2. sin x dx = 2 8. cos x dx = 0
0 0
2π 2π
3. sin x dx = 0 9. cos x dx = 0
0 0
π π
4. sin x dx = 0 10. cos x dx = 0
−π −π
π/2 π π/2 π
5. sin2 x dx = 11. cos2 x dx =
0 4 0 4
π π π π
6. sin2 x dx = 12. cos2 x dx =
0 2 0 2
π/2 π/2 1 · 3 · 5 · . . . · (2n − 1) π
13. sin2n x dx = cos2n x dx =
0 0 2 · 4 · 6 · . . . · (2n) 2
π/2 π/2 2 · 4 · 6 · . . . · (2n)
14. sin2n+1 x dx = cos2n+1 x dx =
0 0 1 · 3 · 5 · . . . · (2n + 1)
π 2π π
15. sin x cos x dx = sin x cos x dx = sin x cos x dx = 0
0 0 −π

π/2 1
16. sin x cos x dx =
0 2

π 2π π für m = n = 0
17. sin mx sin nx dx = sin mx sin nx dx =
−π 0 0 für m = n

π π/2 für m = n = 0
18. sin mx sin nx dx =
0 0 für m = n

π 2π π für m = n = 0
19. cos mx cos nx dx = cos mx cos nx dx =
−π 0 0 für m = n

π π/2 für m = n = 0
20. cos mx cos nx dx =
0 0 für m = n
π 2π
21. sin mx cos nx dx = sin mx cos nx dx = 0
−π 0
786 A Ausgewählte Formeln und Beziehungen

L mπx nπx mπx 2L


nπx r+2L mπx nπx
22. sin cos dx = cos dx =
sin sin cos dx = 0
−L L L 0 L L r L L

L mπx nπx 2L mπx nπx L für m = n = 0
23. sin sin dx = sin sin dx =
−L L L 0 L L 0 für m = n

L mπx nπx 2L mπx nπx L für m = n = 0
24. cos cos dx = cos cos dx =
−L L L 0 L L 0 für m = n

⎨ 2m
π für m + n ungerade
25. sin mx cos nx dx = m2 − n2

0 0 für m + n gerade


π
e−a
2 x2
26. dx = sign a
0 2a


π
x2 e−a
2 x2
27. dx = 3 sign a
0 4a
∞ 1 π a 1 π
28. dx = 29. √ dx =
0 a2 + x 2 2a 0 a2 − x2 2

30. e−x ln x dx = −0,577216
0
A.7 Verschiedene Ausdrücke 787

A.7 Verschiedene Ausdrücke


 
cos k(n − m)π cos 2k(n − m)π
1. limm→n − =0 k, n, m ganze Zahlen
k(n − m) k(n − m)
sin k(n − m)π
2. limm→n =π k, n, m ganze Zahlen
k(n − m)
788 A Ausgewählte Formeln und Beziehungen

A.8 Verteilungsfunktion der Normalverteilung

z −z
1 −u2 /2 1
e−u
2 /2
Φ(z) = √ e du Φ(−z) = √ du
2π 2π
−∞ −∞

Φ(−z) = 1 − Φ(z) Ω (z) = Φ(z) − Φ(−z) = 2 Φ(z) − 1

z Φ(z) Φ(−z) Ω (z) z Φ(z) Φ(−z) Ω (z)


0.00 0.50000 0.50000 0.00000 0.31 0.62172 0.37828 0.24344
0.01 0.50399 0.49601 0.00798 0.32 0.62552 0.37448 0.25103
0.02 0.50798 0.49202 0.01596 0.33 0.62930 0.37070 0.25860
0.03 0.51197 0.48803 0.02393 0.34 0.63307 0.36693 0.26614
0.04 0.51595 0.48405 0.03191 0.35 0.63683 0.36317 0.27366
0.05 0.51994 0.48006 0.03988 0.36 0.64058 0.35942 0.28115
0.06 0.52392 0.47608 0.04784 0.37 0.64431 0.35569 0.28862
0.07 0.52790 0.47210 0.05581 0.38 0.64803 0.35197 0.29605
0.08 0.53188 0.46812 0.06376 0.39 0.65173 0.34827 0.30346
0.09 0.53586 0.46414 0.07171 0.40 0.65542 0.34458 0.31084
0.10 0.53983 0.46017 0.07966 0.41 0.65910 0.34090 0.31819
0.11 0.54380 0.45620 0.08759 0.42 0.66276 0.33724 0.32551
0.12 0.54776 0.45224 0.09552 0.43 0.66640 0.33360 0.33280
0.13 0.55172 0.44828 0.10343 0.44 0.67003 0.32997 0.34006
0.14 0.55567 0.44433 0.11134 0.45 0.67364 0.32636 0.34729
0.15 0.55962 0.44038 0.11924 0.46 0.67724 0.32276 0.35448
0.16 0.56356 0.43644 0.12712 0.47 0.68082 0.31918 0.36164
0.17 0.56749 0.43250 0.13499 0.48 0.68439 0.31561 0.36877
0.18 0.57142 0.42858 0.14285 0.49 0.68793 0.31207 0.37587
0.19 0.57535 0.42465 0.15069 0.50 0.69146 0.30854 0.38292
0.20 0.57926 0.42074 0.15852 0.51 0.69497 0.30503 0.38995
0.21 0.58317 0.41683 0.16633 0.52 0.69847 0.30153 0.39694
0.22 0.58706 0.41294 0.17413 0.53 0.70194 0.29806 0.40389
0.23 0.59095 0.40905 0.18191 0.54 0.70540 0.29460 0.41080
0.24 0.59483 0.40517 0.18967 0.55 0.70884 0.29116 0.41768
0.25 0.59871 0.40129 0.19741 0.56 0.71226 0.28774 0.42452
0.26 0.60257 0.39743 0.20514 0.57 0.71566 0.28434 0.43132
0.27 0.60642 0.39358 0.21284 0.58 0.71904 0.28096 0.43809
0.28 0.61026 0.38974 0.22052 0.59 0.72240 0.27760 0.44481
0.29 0.61409 0.38591 0.22818 0.60 0.72575 0.27425 0.45149
0.30 0.61791 0.38209 0.23582 0.61 0.72907 0.27093 0.45814
A.8 Verteilungsfunktion der Normalverteilung 789

z Φ(z) Φ(−z) Ω (z) z Φ(z) Φ(−z) Ω (z)


0.62 0.73237 0.26763 0.46474 1.01 0.84375 0.15625 0.68750
0.63 0.73565 0.26435 0.47131 1.02 0.84614 0.15386 0.69227
0.64 0.73891 0.26109 0.47783 1.03 0.84849 0.15150 0.69699
0.65 0.74215 0.25785 0.48431 1.04 0.85083 0.14917 0.70166
0.66 0.74537 0.25463 0.49075 1.05 0.85314 0.14686 0.70628
0.67 0.74857 0.25143 0.49714 1.06 0.85543 0.14457 0.71086
0.68 0.75175 0.24825 0.50350 1.07 0.85769 0.14231 0.71538
0.69 0.75490 0.24510 0.50981 1.08 0.85993 0.14007 0.71986
0.70 0.75804 0.24196 0.51607 1.09 0.86214 0.13786 0.72429
0.71 0.76115 0.23885 0.52230 1.10 0.86433 0.13567 0.72867
0.72 0.76424 0.23576 0.52848 1.11 0.86650 0.13350 0.73300
0.73 0.76730 0.23270 0.53461 1.12 0.86864 0.13136 0.73729
0.74 0.77035 0.22965 0.54070 1.13 0.87076 0.12924 0.74152
0.75 0.77337 0.22663 0.54675 1.14 0.87286 0.12714 0.74571
0.76 0.77637 0.22363 0.55275 1.15 0.87493 0.12507 0.74986
0.77 0.77935 0.22065 0.55870 1.16 0.87698 0.12302 0.75395
0.78 0.78230 0.21770 0.56461 1.17 0.87900 0.12100 0.75800
0.79 0.78524 0.21476 0.57047 1.18 0.88100 0.11900 0.76200
0.80 0.78814 0.21186 0.57629 1.19 0.88298 0.11702 0.76595
0.81 0.79103 0.20897 0.58206 1.20 0.88493 0.11507 0.76986
0.82 0.79389 0.20611 0.58778 1.21 0.88686 0.11314 0.77372
0.83 0.79673 0.20327 0.59346 1.22 0.88877 0.11123 0.77754
0.84 0.79955 0.20045 0.59909 1.23 0.89065 0.10935 0.78130
0.85 0.80234 0.19766 0.60467 1.24 0.89251 0.10749 0.78502
0.86 0.80511 0.19489 0.61021 1.25 0.89435 0.10565 0.78870
0.87 0.80785 0.19215 0.61570 1.26 0.89617 0.10383 0.79233
0.88 0.81057 0.18943 0.62114 1.27 0.89796 0.10204 0.79592
0.89 0.81327 0.18673 0.62653 1.28 0.89973 0.10027 0.79945
0.90 0.81594 0.18406 0.63188 1.29 0.90147 0.09853 0.80295
0.91 0.81859 0.18141 0.63718 1.30 0.90320 0.09680 0.80640
0.92 0.82121 0.17879 0.64243 1.31 0.90490 0.09510 0.80980
0.93 0.82381 0.17619 0.64763 1.32 0.90658 0.09342 0.81316
0.94 0.82639 0.17361 0.65278 1.33 0.90824 0.09176 0.81648
0.95 0.82894 0.17106 0.65789 1.34 0.90988 0.09012 0.81975
0.96 0.83147 0.16853 0.66294 1.35 0.91149 0.08851 0.82298
0.97 0.83398 0.16602 0.66795 1.36 0.91308 0.08691 0.82617
0.98 0.83646 0.16354 0.67291 1.37 0.91466 0.08534 0.82931
0.99 0.83891 0.16109 0.67783 1.38 0.91621 0.08379 0.83241
1.00 0.84134 0.15866 0.68269 1.39 0.91774 0.08226 0.83547
790 A Ausgewählte Formeln und Beziehungen

z Φ(z) Φ(−z) Ω (z) z Φ(z) Φ(−z) Ω (z)


1.40 0.91924 0.08076 0.83849 1.79 0.96327 0.03673 0.92655
1.41 0.92073 0.07927 0.84146 1.80 0.96407 0.03593 0.92814
1.42 0.92220 0.07780 0.84439 1.81 0.96485 0.03515 0.92970
1.43 0.92364 0.07636 0.84728 1.82 0.96562 0.03438 0.93124
1.44 0.92507 0.07493 0.85013 1.83 0.96638 0.03362 0.93275
1.45 0.92647 0.07353 0.85294 1.84 0.96712 0.03288 0.93423
1.46 0.92785 0.07214 0.85571 1.85 0.96784 0.03216 0.93569
1.47 0.92922 0.07078 0.85844 1.86 0.96856 0.03144 0.93711
1.48 0.93056 0.06944 0.86113 1.87 0.96926 0.03074 0.93852
1.49 0.93189 0.06811 0.86378 1.88 0.96995 0.03005 0.93989
1.50 0.93319 0.06681 0.86639 1.89 0.97062 0.02938 0.94124
1.51 0.93448 0.06552 0.86896 1.90 0.97128 0.02872 0.94257
1.52 0.93574 0.06426 0.87149 1.91 0.97193 0.02807 0.94387
1.53 0.93699 0.06301 0.87398 1.92 0.97257 0.02743 0.94514
1.54 0.93822 0.06178 0.87644 1.93 0.97320 0.02680 0.94639
1.55 0.93943 0.06057 0.87886 1.94 0.97381 0.02619 0.94762
1.56 0.94062 0.05938 0.88124 1.95 0.97441 0.02559 0.94882
1.57 0.94179 0.05821 0.88358 1.96 0.97500 0.02500 0.95000
1.58 0.94295 0.05705 0.88589 1.97 0.97558 0.02442 0.95116
1.59 0.94408 0.05592 0.88817 1.98 0.97615 0.02385 0.95230
1.60 0.94520 0.05480 0.89040 1.99 0.97670 0.02330 0.95341
1.61 0.94630 0.05370 0.89260 2.00 0.97725 0.02275 0.95450
1.62 0.94738 0.05262 0.89477 2.01 0.97778 0.02222 0.95557
1.63 0.94845 0.05155 0.89690 2.02 0.97831 0.02169 0.95662
1.64 0.94950 0.05050 0.89899 2.03 0.97882 0.02118 0.95764
1.65 0.95053 0.04947 0.90106 2.04 0.97932 0.02068 0.95865
1.66 0.95154 0.04846 0.90309 2.05 0.97982 0.02018 0.95964
1.67 0.95254 0.04746 0.90508 2.06 0.98030 0.01970 0.96060
1.68 0.95352 0.04648 0.90704 2.07 0.98077 0.01923 0.96155
1.69 0.95449 0.04551 0.90897 2.08 0.98124 0.01876 0.96247
1.70 0.95543 0.04457 0.91087 2.09 0.98169 0.01831 0.96338
1.71 0.95637 0.04363 0.91273 2.10 0.98214 0.01786 0.96427
1.72 0.95728 0.04272 0.91457 2.11 0.98257 0.01743 0.96514
1.73 0.95818 0.04182 0.91637 2.12 0.98300 0.01700 0.96599
1.74 0.95907 0.04093 0.91814 2.13 0.98341 0.01659 0.96683
1.75 0.95994 0.04006 0.91988 2.14 0.98382 0.01618 0.96765
1.76 0.96080 0.03920 0.92159 2.15 0.98422 0.01578 0.96844
1.77 0.96164 0.03836 0.92327 2.16 0.98461 0.01539 0.96923
1.78 0.96246 0.03754 0.92492 2.17 0.98500 0.01500 0.96999
A.8 Verteilungsfunktion der Normalverteilung 791

z Φ(z) Φ(−z) Ω (z) z Φ(z) Φ(−z) Ω (z)


2.18 0.98537 0.01463 0.97074 2.57 0.99492 0.00508 0.98983
2.19 0.98574 0.01426 0.97148 2.58 0.99506 0.00494 0.99012
2.20 0.98610 0.01390 0.97219 2.59 0.99520 0.00480 0.99040
2.21 0.98645 0.01355 0.97289 2.60 0.99534 0.00466 0.99068
2.22 0.98679 0.01321 0.97358 2.61 0.99547 0.00453 0.99095
2.23 0.98713 0.01287 0.97425 2.62 0.99560 0.00440 0.99121
2.24 0.98745 0.01255 0.97491 2.63 0.99573 0.00427 0.99146
2.25 0.98778 0.01222 0.97555 2.64 0.99585 0.00415 0.99171
2.26 0.98809 0.01191 0.97618 2.65 0.99598 0.00402 0.99195
2.27 0.98840 0.01160 0.97679 2.66 0.99609 0.00391 0.99219
2.28 0.98870 0.01130 0.97739 2.67 0.99621 0.00379 0.99241
2.29 0.98899 0.01101 0.97798 2.68 0.99632 0.00368 0.99264
2.30 0.98928 0.01072 0.97855 2.69 0.99643 0.00357 0.99285
2.31 0.98956 0.01044 0.97911 2.70 0.99653 0.00347 0.99307
2.32 0.98983 0.01017 0.97966 2.71 0.99664 0.00336 0.99327
2.33 0.99010 0.00990 0.98019 2.72 0.99674 0.00326 0.99347
2.34 0.99036 0.00964 0.98072 2.73 0.99683 0.00317 0.99367
2.35 0.99061 0.00939 0.98123 2.74 0.99693 0.00307 0.99386
2.36 0.99086 0.00914 0.98172 2.75 0.99702 0.00298 0.99404
2.37 0.99111 0.00889 0.98221 2.76 0.99711 0.00289 0.99422
2.38 0.99134 0.00866 0.98269 2.77 0.99720 0.00280 0.99439
2.39 0.99158 0.00842 0.98315 2.78 0.99728 0.00272 0.99456
2.40 0.99180 0.00820 0.98360 2.79 0.99736 0.00264 0.99473
2.41 0.99202 0.00798 0.98405 2.80 0.99744 0.00256 0.99489
2.42 0.99224 0.00776 0.98448 2.81 0.99752 0.00248 0.99505
2.43 0.99245 0.00755 0.98490 2.82 0.99760 0.00240 0.99520
2.44 0.99266 0.00734 0.98531 2.83 0.99767 0.00233 0.99535
2.45 0.99286 0.00714 0.98571 2.84 0.99774 0.00226 0.99549
2.46 0.99305 0.00695 0.98611 2.85 0.99781 0.00219 0.99563
2.47 0.99324 0.00676 0.98649 2.86 0.99788 0.00212 0.99576
2.48 0.99343 0.00657 0.98686 2.87 0.99795 0.00205 0.99590
2.49 0.99361 0.00639 0.98723 2.88 0.99801 0.00199 0.99602
2.50 0.99379 0.00621 0.98758 2.89 0.99807 0.00193 0.99615
2.51 0.99396 0.00604 0.98793 2.90 0.99813 0.00187 0.99627
2.52 0.99413 0.00587 0.98826 2.91 0.99819 0.00181 0.99639
2.53 0.99430 0.00570 0.98859 2.92 0.99825 0.00175 0.99650
2.54 0.99446 0.00554 0.98891 2.93 0.99831 0.00169 0.99661
2.55 0.99461 0.00539 0.98923 2.94 0.99836 0.00164 0.99672
2.56 0.99477 0.00523 0.98953 2.95 0.99841 0.00159 0.99682
792 A Ausgewählte Formeln und Beziehungen

z Φ(z) Φ(−z) Ω (z) z Φ(z) Φ(−z) Ω (z)


2.96 0.99846 0.00154 0.99692 3.33 0.99957 0.00043 0.99913
2.97 0.99851 0.00149 0.99702 3.34 0.99958 0.00042 0.99916
2.98 0.99856 0.00144 0.99712 3.35 0.99960 0.00040 0.99919
2.99 0.99861 0.00139 0.99721 3.36 0.99961 0.00039 0.99922
3.00 0.99865 0.00135 0.99730 3.37 0.99962 0.00038 0.99925
3.01 0.99869 0.00131 0.99739 3.38 0.99964 0.00036 0.99928
3.02 0.99874 0.00126 0.99747 3.39 0.99965 0.00035 0.99930
3.03 0.99878 0.00122 0.99755 3.40 0.99966 0.00034 0.99933
3.04 0.99882 0.00118 0.99763 3.41 0.99968 0.00032 0.99935
3.05 0.99886 0.00114 0.99771 3.42 0.99969 0.00031 0.99937
3.06 0.99889 0.00111 0.99779 3.43 0.99970 0.00030 0.99940
3.07 0.99893 0.00107 0.99786 3.44 0.99971 0.00029 0.99942
3.08 0.99896 0.00104 0.99793 3.45 0.99972 0.00028 0.99944
3.09 0.99900 0.00100 0.99800 3.46 0.99973 0.00027 0.99946
3.10 0.99903 0.00097 0.99806 3.47 0.99974 0.00026 0.99948
3.11 0.99906 0.00094 0.99813 3.48 0.99975 0.00025 0.99950
3.12 0.99910 0.00090 0.99819 3.49 0.99976 0.00024 0.99952
3.13 0.99913 0.00087 0.99825 3.50 0.99977 0.00023 0.99953
3.14 0.99916 0.00084 0.99831 3.51 0.99978 0.00022 0.99955
3.15 0.99918 0.00082 0.99837 3.52 0.99978 0.00022 0.99957
3.16 0.99921 0.00079 0.99842 3.53 0.99979 0.00021 0.99958
3.17 0.99924 0.00076 0.99848 3.54 0.99980 0.00020 0.99960
3.18 0.99926 0.00074 0.99853 3.55 0.99981 0.00019 0.99961
3.19 0.99929 0.00071 0.99858 3.56 0.99981 0.00019 0.99963
3.20 0.99931 0.00069 0.99863 3.57 0.99982 0.00018 0.99964
3.21 0.99934 0.00066 0.99867 3.58 0.99983 0.00017 0.99966
3.22 0.99936 0.00064 0.99872 3.59 0.99983 0.00017 0.99967
3.23 0.99938 0.00062 0.99876 3.60 0.99984 0.00016 0.99968
3.24 0.99940 0.00060 0.99880 3.61 0.99985 0.00015 0.99969
3.25 0.99942 0.00058 0.99885 3.62 0.99985 0.00015 0.99971
3.26 0.99944 0.00056 0.99889 3.63 0.99986 0.00014 0.99972
3.27 0.99946 0.00054 0.99892 3.64 0.99986 0.00014 0.99973
3.28 0.99948 0.00052 0.99896 3.65 0.99987 0.00013 0.99974
3.29 0.99950 0.00050 0.99900 3.66 0.99987 0.00013 0.99975
3.30 0.99952 0.00048 0.99903 3.67 0.99988 0.00012 0.99976
3.31 0.99953 0.00047 0.99907 3.68 0.99988 0.00012 0.99977
3.32 0.99955 0.00045 0.99910 3.69 0.99989 0.00011 0.99978
A.9 Verschiedene Konstanten und Symbole 793

A.9 Verschiedene Konstanten und Symbole

Konstanten
π = 3,14159265358979323846
e√ = 2,71828182845904523536
2 = 1,41421356237309504880
1 rad = 57,2957795130823208768 ◦
1◦ = 0,01745329251994329555 rad
Symbole
∑ Summe
∀ für alle
∏ Produkt
∃ es existiert
≈ ungefähr gleich
∧ und
= nicht gleich
∨ oder
≡ äquivalent
¬ nicht
:= definitionsgemäß gleich
{} Menge
∝ proportional
∈ ist ein Element von
∞ unendlich
⊂ ist eine Teilmenge (Untermenge) von
<< viel kleiner als
∩ Schnittmenge
>> viel größer als
∪ Vereinigung
⇒ daraus folgt
N Natürliche Zahlen
⇔ ist gleich bedeutend mit
Z Ganze Zahlen
 parallel
Q Rationale Zahlen
⊥ senkrecht
R Reelle Zahlen
∂ partielles Ableitungssymbol (Delta)
C Komplexe Zahlen
∇ Nabla-Operator
Literaturverzeichnis

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[17] Willms, A.: C++ Programmierung. Addison-Wesley 2001
[18] Zurmühl, R.; Falk, S.: Matrizen und ihre Anwendungen. Springer-Verlag 1984

Die obige Liste gibt nur einen sehr kleinen Teil von umfangreicher weiter führender Fachliteratur
bzw. von Formelsammlungen wieder.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
Stichwortverzeichnis

Symbole – explizite, 417, 420


e-Zahl, 7, 28 – gewöhnliche, 413
– homogene, 436, 466
A – implizite, 417, 420
Ableitung, 60 – inhomogene, 436, 466
– äußere, 66 – Integration, 420
– Faktorregel, 62 – Knicklast, 494
– implizite, 546 – lineare, 418, 436
– innere, 66 – lineare homogene, 437
– Kettenregel, 65 – Lösung, 420
– logarithmische, 69 – mit konstantem Koeffizienten, 438
– partielle, 528, 530 – nichtlineare, 418
– Produktregel, 63 – Ordnung, 418
– Quotientenregel, 64 – partielle, 603
– Regeln, 62 – partikuläre Lösung, 423, 474
– Summenregel, 62 – Randwertaufgabe, 422
Ableitungen – Schwingung, 483
– höhere, 75 – spezielle Lösung, 422
Absoluter Fehler, 11 – Störfunktion, 436, 466
Absolutwert, 9 – Transformation der Variablen, 428
Abstand zweier Punkte, 278 – Trennung der Variablen, 425
Arkusfunktionen, 42, 775 – Variation der Konstanten, 441
Axialschwingungen, 612 Differentialgleichungen, 701
– Euler-Verfahren, 702
B – Heun-Verfahren, 704
Balken auf elastischer Bettung, 113 – Runge-Kutta-Verfahren, 705
Balkenschwingungen, 603 Differentialoperator, 61
Basis, 1 Differentialquotient, 59
Binomische Formeln, 10 Differentialrechnung, 57
Bogenlänge, 327 – Leibniz-Kalkül, 65
– multivariable, 527
Differentiation, 60
C Differenzen, 57
C++, 761 Differenzenquotient, 57, 58
– Ableitung, 763 Differenzierbarkeit, 57
– Integration, 766 Diffrentialgleichung
– lineare Algebra, 764 – Euler-Verfahren, 702
– Newton-Verfahren, 764 Doolittle-Verfahren, 688
Cholesky-Verfahren, 693 Dreieckszerlegung, 151
Computeralgebra, 719, 761
Cramer-Regel, 167 E
Crout-Verfahren, 691 e-Funktion, 28
Ebene
D – Vektorgleichung, 233
Determinante, 159 Eigenwertaufgabe, 627, 646
– Laplace-Entwicklungssatz, 159 – allgemeine, 628
Dichtefunktion, 396 – charakteristische Gleichung, 630
Differential, 59 – Eigenwertdeterminante, 630
– totales, 540 – spezielle, 628
– vollständiges, 541 Eingabelungsverfahren, 675
Differentialgleichung elastische Bettung, 113
– 2. Ordnung, 466 Ereignis
– allgemeine Lösung, 422, 478 – unvereinbares, 387
– Anfangswertaufgabe, 422 Ereignisse, 384
– Ansatzfunktion, 438 Euler-Verfahren, 702
– charakteristische Gleichung, 467 Eulersche Formeln, 470
– Diskriminante D, 467 Eulersche Zahl, 28
– erster Ordnung, 425 Explizite Funktion, 44

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3,


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798 Stichwortverzeichnis

Exponent, 1 – Steigung, 286


Exponentialfunktion, 28 – Vektorgleichung, 226
Extremwerte, 83 – Winkel, 290
– hinreichende Bedingung für, 84 – Winkelhalbierende, 292
– Lagrange-Multiplikator, 568 Gleichungssysteme
– mit Nebenbedingungen, 568 – Cholesky-Verfahren, 693
– notwendige Bedingung für, 84 – Crout-Verfahren, 691
– zwei unabhängige Variablen, 566 – Doolittle-Verfahren, 688
Gon, 13
Gradient, 552
F – in der Mechanik, 552
Fakultät, 5 – nD-Raum, 555
Falk-Schema, 144 – Richtung, 555
Fehler Grundgesamtheit, 375
– relativer, 74
Fixpunkt-Iteration, 679
Fläche H
– rotationssymmetische, 561 Häufigkeit, 376
Fläche zwischen zwei Kurven, 324 Häufigkeitsfunktion, 377
Flächenberechnung Halblogarithmische Darstellung, 33
– in Polarkoordinaten, 326 Hesse-Matrix, 567
Flächennormale, 564 Heun-Verfahren, 704
Fourier-Reihe, 505, 507 Hyperbelfunktion, 43
– finite Funktion, 520 Hyperbelfunktionen, 775
– gerade Funktion, 517 Hyperfläche, 528
– Koeffizient, 507
– nicht-periodische Funktion, 520 I
Freier Fall Implizite Ableitung, 546
– mit Reibung, 29 Implizite Funktion, 44
– ohne Reibung, 25 Infinitesimalrechnung, 57
Fresnel-Integral, 52 Inkrement, 57
Funktion, 23 Integral
– antimetrisch, 35 – Fresnel, 52
– antimetrische, 36 – bestimmtes, 308
– Arkus, 42 – Integrand, 302
– Extremwerte, 83 – numerisches, 313
– Gaußsche Glockenkurve, 51 – unbestimmtes, 302
– glatte, 36 Integralanwendungen
– inverse, 30 – Bogenlänge, 327
– Kegelschnitte, 47 – Flächenberechnung, 322
– Klothoide, 51 – Mantelfläche, 331
– konstante, 23 – Volumen, 333
– lineare, 23 Integration
– linearisierte, 72
– logarithmische, 30 – partielle, 305
– Maximum, 83 Invarianz, 552
– Minimum, 83 Inverse Funktion, 30
– multivariable, 527 Inverse Iteration
– Parabel, 23 – Schwingungsprobleme, 658
– Parameterdarstellung, 45 – Stabilitätsprobleme, 665
– periodische, 41 Irrationale Zahlen, 711
– Polynom, 23
– Schraubenlinie, 47 K
– Skalar, 550 Kegelschnitte, 47
– stetige, 36 – Ellipse, 48
– symmetrisch, 35 – Hyperbel, 49
– trigonometrische, 37 – Kreis, 48
– unstetige, 36 – Parabel, 50
– Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion, 51 Kehrmatrix, 169
Klothoide, 51
Koeffizientenvergleich, 440, 457
G Kolmogorowsche Axiome, 389
Gauss-Elimination, 148 Komplexe Zahlen, 711
Gauss-Seidel-Verfahren, 695
Gauss-Verteilung, 400 Koordinatensystem, 267
Gaußsche Glockenkurve, 51 – globales, 272
Geometrische Summe, 4 – kartesisches, 267
Gerade, 279 – rechtshändiges, 267
– Abstand eines Punktes, 287 – sphärisches, 271
– Hesse-Normalform, 282 – zylindrisches, 268
– Richtungsvektor, 287 Koordinatentransformation
– Schnittpunkt, 288 – Rotation, 275
Stichwortverzeichnis 799

– Translation, 273 – Dimensionskompatibilität, 140


– Translation und Rotation, 277 – Dreiecksmatrix, 134
Kosekans, 41 – Eigenvektor, 627
Kosinus, 40 – Eigenwert, 627
Kotangens, 40 – Einheitsmatrix, 133
Krümmung, 81 – Einheitsvektor, 135
– Links, 82 – Hauptdiagonale, 132
– Rechts, 82 – inverse, 169
Kurve – Invertierung nach Gauss, 169
– Vektorgleichung, 236 – lineare Abhängigkeit, 156
– Matrixprodukt, 141
L – Multiplikation, 139, 142, 143
l’Hospital Regel, 77 – positiv definit, 641
Lagrange-Multiplikator, 568 – positiv semidefinit, 642
Laplace-Gleichung, 603 – quadratische, 131
Leibniz-Kalkül, 65, 75 – Rang, 158
Lineare Abhängigkeit, 156, 222 – reguläre, 156
Lineare Abhängigkeit und Kreuzprodukt, 223, 224 – schiefsymmetrische, 134
Lineare Funktion, 23 – singuläre, 156
Lineare Gleichungssysteme, 129, 687 – Skalarprodukt, 141
Lineares Gleichungssystem, 147 – Spaltenmatrix, 131
– Cramer-Regel, 167 – Spaltenvektor, 131
– Dreieckszerlegung, 153 – Spur, 134
– erweiterte Matrix, 153 – symmetrische, 133
– Gauss-Elimination, 148, 153
– homogenes, 148 – Transponierte, 136
– inhomogenes, 148 – Unterdeterminante, 641, 643
– Matrix-schreibweise, 153 – Zeilenvektor, 131
– Pivot, 150 Matrizen, 129
– Rückwärtssubstitution, 151 Maximum, 83
– Vorwärtselimination, 151 Median, 379
Linearisierung, 72 Minimum, 83
Mittelwert, 8
Linkskrümmung, 82 Modalwert, 379
Logarithmische Darstellung, 33 Multivariable Funktion
Logarithmus, 6 – technische Beispiele, 528
– dekadischer, 6 Multivariable Funktionen, 527
– natürlicher, 7
Logarithmus-Funktion, 30 N
LU-Faktorisierung, 687 Nabla-Operator, 556
Newton-Verfahren, 86
M Nichtlineare Gleichungen, 675
Mac Laurin-Reihen, 91 Niveaufläche, 564
Maple, 719 – Flächennormale, 564
– Befehlsende :, 720 – nD-Raum, 566
– Befehlsende ;, 720 Niveaulinie, 560
– Differentialgleichungen, 741, 759 – Orthogonalität zum Gradienten, 561
– Differentialrechnung, 729 Normalverteilung, 400
– Eigenwerte, 749 Nullstelle
– Fourier-Reihen, 743 – Newton-Verfahren, 86
– Funktionen, 726 Numerische Integration, 313
– Integralrechnung, 739 – Gauss-Quadratur, 319
– Konstanten, 720 – Simpson-Regel, 317
– lineare Algebra, 733 – Trapezverfahren, 315
– Lineare Gleichungssysteme, 757 Numerische Methoden, 646, 687, 701
– Lösung von Gleichungen, 729 – Eingabelungsverfahren, 675
– Multivariable Differentialrechnung, 745 – Fixpunkt-Iteration, 679
– Nichtlineare Gleichungen, 756
– partielle DGLn, 747 P
– Plotten, 724 Paraboloid, 561
– Vektorrechnung, 737 Parameterdarstellung einer Funktion, 45
Masse eines Körpers, 337 Partielle Ableitung, 528, 530
Massenschwerpunkt, 337 – Definition, 530
Matrix – höherer Ordnung, 533
– Addition, 137 – numerische, 534
– antimetrische, 134 Partielle Differentialgleichung, 603
– Definitheit, 641 Partielle Integration, 305
– Determinante, 159 Pascalsches Dreieck, 10
– Diagonalmatrix, 132 Periode, 41
– Dimension, 131 Periodizität von Funktionen, 41
800 Stichwortverzeichnis

Pivotelement, 150 – Median, 379


Plattenbiegung, 534, 622 – Modalwert, 379
Polarkoordinaten, 328 – Perzentil, 380
Polynomfunktionen, 23 – Quantil, 380
– Grad, 23 – Standardabweichung, 382
Potenz- und Wurzelfunktionen, 27 – Varianz, 380
Potenzen, 1 Stetigkeit, 36
Potenzreihen, 91 Stichprobe, 375
Produkt, 5 Stochastik, 373
Summation, 3
Q Symmetrie und Antimetrie, 35
Quadratische Gleichung, 9
Quantil, 380 T
Quotient, 711 Tangens, 40
Tangente, 61
R – Steigung, 61
rationale Funktion, 23 Tangentenwinkel, 59
Rationale Zahlen, 711
Rayleigh-Verteilung, 406 Tangentialebene, 539
Rechtecklatte, 622 Taylor-Reihe, 92
Rechtskrümmung, 82 Temperaturverteilung
Reelle Zahlen, 711 – instationär, 551
Regula falsi, 675 – stationär, 550
Reihen Totales Differential, 539, 540
– Mac Laurin, 91 – nD-Raum, 557
– Potenz, 91 Trapezverfahren, 314
– Taylor, 92 Trigonometrische Funktionen, 37, 773
Relativer Fehler, 11
Richtungsableitung, 557 U
– im nD-Raum, 560 Umkehrfunktion, 30
Runge-Kutta-Verfahren, 705 Unbestimmter Ausdruck, 77
Unbestimmtes Integral, 302
S – Regeln, 304
Sattelpunkt, 84 Unterdeterminanten, 641
Schallpegel, 31
Schraubenlinie, 47 V
Schraubenregel, 268 Varianz, 380
Schwarz’sche Ungleichung, 264 Variation der Konstanten, 441
Schwerpunkt, 337 Vektor
Schwingung – Freier, 198
– erzwungene, 489 – Gebundener, 198
– freie, 483 – Gleitender, 199
– gedämpfte, 485 Vektoren, 197
– kritische Dämpfung, 486 – Anwendungen des Kreuzprodukts, 216
– Resonanz, 489 – Basisvektoren, 206
– ungedämpfte, 483 – Kreuzprodukt, 211
Seil – Länge von, 202
– vorgespanntes, 618 – lineare Abhängigkeit, 222
Sekans, 41 – Linearkombination, 205
Sekantenwinkel, 59 – Linearkombination von, 202
sign, 11 – Matrixschreibweise, 200
Signum-Funktion, 11 – Normierung, 224
Silodruck, 29 – Skalarprodukt, 207
Sinus, 38 Vektornorm, 646
Skalarfeld, 550 Verteilungsfunktion, 395
– Invarianz, 552 Vorgespanntes Seil, 618
Skalarfunktion, 550 Vorwärtselimination, 151
Spatprodukt, 220 Vorzeichen-Funktion, 11
Spinnkurve, 51
Sprungfunktion, 492 W
Stammfunktion, 301 Wahrscheinlichkeit, 384, 387
Standardabweichung, 382 – Definition, 387
Statistik, 373 – Dichtefunktion, 396
– beschreibende, 373 – Eigenschaften, 389
– deskriptive, 373, 374 – Ereignisse, 384
– empirische, 373 Wahrscheinlichkeitssätze, 391
– Häufigkeit, 376 Weibull-Verteilung, 406
– Häufigkeitsfunktion, 377 Wendepunkt, 84
– Maßzahlen, 378 Winkelmaße, 12
– mathematische, 374 – Bogenmaß, 12, 38
Stichwortverzeichnis 801

– Gon, 13
– Gradmaß, 12, 38
– Umrechnung, 13
Wurzel, 1

Z
Zahl-e, 28
Zahlen
– rationale, 711
Zeilenmatrix, 131
Zufallsgröße, 393
Zufallsvariable, 393
– stetig verteilte, 398

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