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Zur Verwendung von Eigenformen in DIN 4131 und DIN 4149
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1 Eigenformen der Biegeschwingung schubstarrer Stäbe
Die Biegeschwingung eines schubstarren Stabes der Länge l mit konstanter Biegesteifigkeit
EI und konstanter Massenbelegung µ pro Längeneinheit wird bekanntlich [1] beschrieben
durch die partielle Differentialgleichung
EI y IV + µ y • • = p ( z , t ) (1)
Zur Bestimmung der vier Freiwerte Ai stehen in der Regel vier homogene Randbedingungen
zur Verfügung; z.B. gilt für einen Kragträger y (0) = y ∇ (0) = y ∇∇ (1) = y ∇∇∇ (1) = 0 bzw. mit einer
Einzelmasse M E am Kragarmende y ∇∇∇ (1) = −( y (1) M E l 4ω 2 ) / EI ; die Koeffizientendeterminate
des Gleichungssystems liefert für den Kragträger die sog. Frequenzgleichung
M E λr
1 + cr Cr = ( sr C r − c r S r ) . (3)
lµ
sr + Sr
In Gl. (4) wird abkürzend F (λr ) = verwendet. Andere elementare Lagerungsfälle des
c r + Cr
Biegeträgers führen zu ähnlich aufgebauten Eigenformen [2]. Es erweist sich als zweckmäßig,
die Eigenformen numerisch auf den Wert Eins zu normieren, indem man Gl. (4) dividiert mit
dem betragsmäßig größten Wert N = max yr respektive aus der Menge der Extrema der
Verschiebungen MAX {yr (ζ 1max ); yr (ζ 2max ); K; yr (ζ nmax ); yr (ζ = 1)} bzw. aus der Menge der relativen
Extrema der ersten Verschiebungsableitungen yr∇ (ζ nmax ) .
Die Frage, was man anfangen kann mit Eigenformen wie z.B. in Gl. (4) formuliert, lässt sich
einfach beantworten: Gl. (4) ist eine qualitative Beschreibung, jedoch nicht quantitativ. Diese
Aussage gilt für jede Eigenform. Hat man jedoch eine einzige Ordinate, im folgenden z.B.
max y F genannt, quantitativ bestimmt, so liegen alle übrigen Ordinaten durch Multiplikation mit
max y F ebenfalls quantitativ fest. Betrachtet und bezeichnet man Φ r (ζ ) = yr (ζ ) / N als auf Eins
normierte r-te Eigenform, so ensteht durch Multiplikation mit max y F die quantitativ bekannte r-te
Schwingungsform
yr (ζ )
Φ*r (ζ ) = max yF = Φ r (ζ ) max yF . (5)
N
Die Biegemomente und Querkräfte lassen sich nunmehr aus den bekannten Beziehungen
durch Differentiation ermitteln, da die Schwingungsform Φ*r (ζ ) nach Gl. (5) bzw. die Eigenform
Φ r (ζ ) = yr (ζ ) / N gemäß Gl. (4) hinreichend oft differenzierbar vorliegen.
Die Gln. (1) bis (4) sind nur für einfache Fälle leicht handhabbar und dienen einerseits zum Auf-
zeigen der grundsätzlichen Zusammenhänge, andererseits zu Abschätzungen. In [4] werden
mit der Methode der finiten Elemente in der Variante des Weggrößenverfahrens computer-
orientierte Berechnungshilfen für dynamische Berechnungen aufbereitet; auf die Ausführungen
in [4] zurückgreifend werden im folgenden ohne Herleitung für den beliebig gelagerten, geraden
Stabzug mit unterschiedlicher Querschnittsausbildung und Massenbelegung die wichtigsten
Formeln zusammengestellt: in Analogie zu den Gln. (1) bis (6), die für den gesamten Stab gel-
ten, beschreibt die folgende Gleichung (7a) für die r-te Eigenform eines beliebig gelagerten,
[ ]
geraden Stabzugs die Verknüpfung des Vektors s Tr = Q ij M ij Q ji M ji der lokalen Element-
T
[
schnittkräfte und des Vektors Φ ijr = wi ψ i wj ψ j ] r
der Verschiebung der Ränder i und j des i-ten
Stabelements der Länge l
[
s r = max y F k − ω r2m Φ ijr] (7a)
Für die r-te Eigenform Φ ir (ζ ) im i-ten Stabelement gilt analog zu den Gln. (4) und (5)
Φ ir (ζ ) = [H 1 (ζ ) H 2 (ζ ) H 3 (ζ ) H 4 (ζ )] Φ ijr . (8)
Durch die näherungsweise Verwendung der Hermiteschen Polynome H1 (ζ ) = 1 − 3ζ + 2ζ , 2 3
Im Anhang A.2.2.1 der DIN 4131 und DIN 4133 werden in der Tabelle A.3 die Angaben zur
Bestimmung von max y F bereit gestellt:
max yF,j / d < 0,1 0,1 bis 0,6 > 0,6 Index j kennzeichnet den j-ten Wirbelablösebereich
Lj / d 6 4,8+12 max yF,j /d 12 Tragrohrdurchmesser d, Lj Länge der Wirbelablösung
1 1
Mit Hilfe der Gl. (A.23) max y F j / d = K w ⋅ K ⋅ clat ⋅
⋅ der DIN 4131 ist max y F in der Regel
S 2 Sc
iterativ zu bestimmen. Für jeden Eigenwert und die zugehörige Eigenform sind noch die vier
Integrale I1 = ∫ Φ (ζ )m(ζ )Φ (ζ )dζ , I 2 = ∫ Φ (ζ )Φ(ζ ) dζ , I 3 = ∫ Φ (ζ ) dζ und I 4 = ∑ j=1 ∫ Φ(ζ ) dζ
1 1 1 n
0 0 0 Lj
zu ermitteln, die jedoch mit Hilfe der Gln. (2) bis (8) leicht auszuwerten sind. Weitere Angaben
können [3] entnommen werden. Auf die drei einfachen, komplett gerechneten Zahlenbeispiele
in [3] wird verwiesen; u.a. wird gezeigt, dass eine Nachlaufberechnung mit Hilfe der
Trägheitskräfte Fi = mi ( 2πf ) 2 Φ i max y F nach Gl. (A.21) der DIN 4131 zur Berechnung der
Schnittgrößen nicht erforderlich ist.
Lr S a
Lr = µl ∫ Φ r (ζ ) dζ , mr = µl ∫ Φ r (ζ ) Φ r (ζ ) dζ und S a = β r ⋅ cal a .
1 1
umax,r = mit (9a, b, c, d)
mr ω r2 0 0
Die sog. Spektralwerte der Beschleunigung Sa, der Geschwindigkeit Sv und der Verschiebung
S
Sd sind verknüpft durch die Beziehungen S a = ω r Sv und Sv = ω r S d , d.h. S d = a2 . Nach Abschnitt
ωr
7.2.4 der DIN 4149 ergibt sich der aus a0, κ und α zu ermittelnde Rechenwert cal a der
Horizontalbeschleunigung zu cal a = a0 ⋅ κ ⋅ α . Für das Kragträgerbeispiel aus [3] werden die
maßgebenden Formeln mitgeteilt und die Ergebnisse in Tabelle 1 zusammengestellt:
Lr 4 Lr 4
= , falls l ≥ λr und = , falls l < λr . (10a, 10b)
mr λr F (λr ) mr l F (λr )
2
Da der Zeitpunkt des Auftretens der Maximalantworten in den einzelnen Eigenformen verfah-
rensbedingt unbekannt ist, wird jede mechanische Größe, z.B. M, Q, N oder u, nach denselben
statistischen Regeln überlagert:
∑ ∑ ∑
n n
M = n
r =1 M r2 , Q = r =1
Qr2 , u = r =1
ur2 K usw. (12a, b, …)
Länge l[m] D[m] t[m] cal a[m/s²] T1=1,31608s Tr(r=2,3,...)<0,45 µ[kNs²/m] E[kN/m²]
20,00 0,3 0,00300 1,0 β1=0,4238458 βr (r=2,3, ...) =1,0 0,021973 210000000
Gln.(10a, 10b) Gln. (9) Gln. (11) Gl. (12a)
r λr βr/ωr 2
F(λr) λr /l Lr/mr umax,r Mr(0)/cal a (Mr(0)/cal a)2
1 1,87510 0,0185957 1,36222 0,0937550 1,5659869 0,02912067 1,659221 2,7530159
2 4,69400 0,0011172 0,98187 0,2347000 0,8678886 0,00096960 0,346206 0,1198589
3 7,85500 0,0001425 1,00078 0,3927500 0,5088349 0,00007249 0,072484 0,0052539
4 10,99550 0,0000371 0,99997 0,5497750 0,3637974 0,00001350 0,026448 0,0006995
5 14,13717 0,0000136 1,00000 0,7068585 0,2829416 0,00000384 0,012443 0,0001548
6 17,27876 0,0000061 1,00000 0,8639380 0,2314981 0,00000141 0,006815 0,0000464
7 20,42035 0,0000031 1,00000 1,0210176 0,2000000 0,00000062 0,004129 0,0000171
M M M M M M M M M
12 36,12832 0,0000003 1,00000 1,8064158 0,2000000 0,00000006 0,000746 0,0000006
Σ= 2,879060
Kragträger [3] : l = 20,0 m; d = 0,3 m; Iy-y = 3086,703 m ; µ = 0,022 t/m; St 52
4
Tabelle 1 M(0)/cal a 1,696779
w = 0,618 w = 1,000
vektoren sind ω1 = 19,54395, Φ1 = 12 , ω 2 = 51,1667, Φ 2 = 22 . Mit Hilfe von
w13 = 1,000 w23 = −0,618
Gl. (8) erhält man für die erste Eigenform Φ ir==11 (ζ ) = H 3 (ζ ) w12 , Φ ir==21 = H1 (ζ ) w12 + H 3 (ζ ) w13 im i-ten
Stabelement und respektive Φ ir==12 (ζ ) = H 3 (ζ ) w22 , Φ ir==22 = H1 (ζ ) w22 + H 3 (ζ ) w23 für die zweite
Eigenform. Lr und mr sind nunmehr leicht auswertbar; die Gl. (9b, c) sind zur Berücksichtigung
von N Einzelmassen M kE an den Knoten k zu erweitern, so daß für den geraden Stabzug mit n
Elementen i zwischen den Knoten i und j die Gln. (13) anzuwenden sind:
i =n
µl
mr = Σ { [156 (wi2 + w2j ) + 4l 2 (ψ i2 + ψ 2j ) + 108wi w j + 44l (wiψ i − w jψ j ) − 6l 2ψ iψ j − 26l ( wiψ j − w jψ i ) ]r }
i =1 420
k =N
+ Σ ( wk M kE wk )
k =1
i =n
µl k=N
Lr = Σ { [ wri + wrj + l (ψ i −ψ j ) ]} + Σ (M kE wk ) (13a, b)
i =1 2 6 k =1
Im Beispiel fallen nur die Ausdrücke mit den Einzelmassen ins Gewicht, so dass sich ergibt:
L1 10 ⋅ 0,618 + 10 ⋅ 1,0 L 10 ⋅ 1,0 − 10 ⋅ 0,618
= = 1,17083 und 2 = = 0,27639
m1 0,618 ⋅ 10 ⋅ 0,618 + 1,0 ⋅ 10 ⋅ 10 m2 1,0 ⋅ 10 ⋅10 + ( −0,618) ⋅10 ⋅ ( −0,618)
Mit den Gln. (9a, d) errechnet man umax,1 = 1,91273 ⋅ 10−3 und umax,2 = 6,58778 ⋅ 10−5 . Schließlich
ergibt sich mit den Gln. (7) für die Schnittgrößen in den Stielen:
Mrij [kNm] r=1 r=2 Gln. (12) Qrij [kN] r=1 r=2 Gln. (12)
M12 17,7319 0,98816 17,7594 Q12 11,8212 0,658775 11,8396
M23 10,9589 -1,59888 11,0749 Q23 7,30593 -1,06592 7,38328
Eine Berechnung der Schnittgrößen mit Hilfe der horizontal wirkenden statischen Ersatzlasten
H E , j ,i = m j ⋅ β ⋅ γ j ,i ⋅ cal a nach Gl. (1) der DIN 4149 ist nicht erforderlich.
5 Schlußbemerkungen
Offensichtlich ist es zweckmäßig, dass die Eigenformen in hinreichend oft differenzierbarer und
leicht integrierbarer Form zur Verfügung stehen, sei als Lösung der Schwingungsdifferential-
gleichung entsprechend den Gln. (1) bis (6) oder elementweise gemäß den Gln. (7) und (8).
Ist eine einzige Ordinate quantitativ bekannt, z.B. max yF gemäß DIN 4131 bzw. umax,r gemäß
DIN 4149, so sind die Schwingungsformen bekannt, aus denen sämtliche Schnittgrößen mit
den üblichen baustatischen Methoden berechnet werden können ohne Nachlaufberechnungen
mit Hilfe von Trägheitskräften Fi oder statischen Ersatzlasten HE,j,i . Die Gln. (9) bis (13) sind
hierbei wie gezeigt von praktischem Nutzen.
Im Abschnitt 6.3.1 Allgemeines der E DIN 4149 [5] ist angegeben:
„(2) Das Referenzverfahren für die Bestimmung der Erdbebeneinwirkungen ist die Berechnung
nach dem Antwortspektrenverfahren unter Berücksichtigung mehrerer Schwingungsformen,
unter Verwendung eines linear-elastischen Tragwerksmodells und des in 5.3.3 angegebenen
Bemessungsspektrums.“ Somit kann davon ausgegangen werden, dass die hier mitgeteilten
Formeln auch für Nachweise nach der EDIN 4149 verwendbar sein werden.
Weitere Angaben zum Stand der Neubearbeitung der DIN 4149 sind in [6] nachzulesen.
Literatur
[1] Marguerre, K.;Wölfel, H.: „Technische Schwingungslehre“. B.I.-Wissenschaftsverlag, Mannheim
1979.
[2] Werner, D.: „Baudynamik“, VEB Verlag für Bauwesen, Berlin 1989.
[3] Dickel, T.; Rothert, H. : „Berechnungshilfen für einfache Fälle des Querschwingungsnach-weises
nach DIN 4131 und DIN 4133“. Bauingenieur 69,1994. Seiten 239-246.
[4] Dickel, T.; Rothert, H. : „Anmerkungen und computerorientierte Berechnungshilfen zum
Querschwingungsnachweis nach DIN 4131 und DIN 4133“. Bauingenieur 69,1994. Seiten 403-408.
[5] E DIN 4149: 2002-10.
[6] Meskouris, K.; Brüstle, W.; Schlüter, F.-H. : „Neufassung der Norm DIN 4149“. Seiten S3-S8.
In: Bauingenieur, Band 79, September 2004.
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Nürnberg, 15.10.2004 / Dr.-Ing. T. Dickel