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Inhaltsverzeichnis
1.Was zuerst zu untersuchen ist.
2. Von dem Körper, der Sünde und seinen Gliedern.
3. Über die Abtötung der Unzucht und Unreinigkeit.
4. Daß zur Erlangung der keuschen Reinheit die Anstrengung der
menschlichen Mühe nicht hinreiche.
5. Von der Nützlichkeit der Anfechtung, welche die Glut der Brunst in uns
erzeugt.
6. Daß Geduld die Glut der Unzucht löscht.
7. Über die Unterschiede und Stufen der Keuschheit.
8. Daß Unerfahrene über Natur und Wirkungen der Keuschheit nicht reden
können.
9. Frage, ob wir die Aufregung des Körpers auch im Schlafe vermeiden
können.
10. Antwort, daß eine im Schlafe entstehende fleischliche Aufregung der
Keuschheit nicht schade.
11. Daß ein großer Unterschied sei zwischen der Keuschheit und
Enthaltsamkeit.
12. Von den wunderbaren Dingen, welche der Herr eigens an seinen Heiligen
wirkt.
13. Daß nur Die, welche sie erfahren, die Süßigkeit der Keuschheit erkennen.
14. Frage über die Beschaffenheit des Verhaltens und Das Maaß der Zeit, in
welcher die Keuschheit vollendet werden könne.
15. Antwort, innerhalb welcher Zeit die Keuschheit erlangt werden könne.
16. Über Mittel und Zweck bei Erwerbung und Bewahrung der Keuschheit.
Als nun nach der Mahlzeit, die für unsern Hunger nach speisender Lehre
mehr lästig als angenehm schien, der Greis gemerkt hatte, daß wir sogleich
die Leistung der versprochenen Unterredung erwarteten, sprach er: „Es ist
mir nicht nur euer gespannter Lerneifer angenehm, sondern auch der
Unterricht über die vorgelegte Frage. Denn ihr habt in der That eine
vernünftige Reihenfolge im Fragen eingehalten. Es ist nämlich nothwendig,
daß auf die Fülle der so erhabenen Liebe auch die ungemessene Gabe der
vollkommenen und beständigen Keuschheit folge und so doppelte Freude sei
über die doppelte Siegespalme. Sie sind ja so eng mit einander verbunden,
daß man eine ohne die andere nicht besitzen kann. Das nun enthielt eure
Frage, wir sollten uns in einer ähnlichen Unterredung darüber verbreiten, ob
das Feuer jener Begierde, deren Glut unser Fleisch wie angeboren fühlt, ganz
könne ausgelöscht werden.
Hierin wollen wir nun zuerst genauer untersuchen, was der heilige Apostel
Paulus gemeint habe. Er sagt: „Tödtet ab eure Glieder, die auf der Erde sind.“
(Koloss. 3, 5) Ehe wir also das Übrige untersuchen, wollen wir zuerst fragen,
welches die Glieder seien, deren Abtödtung er befiehlt. Denn es treibt uns
doch der heilige Apostel Paulus nicht mit grausamem Befehle an. Hände oder
Füße oder die Genitalien abzuschneiden, sondern er will, daß der Körper der
Sünde, der wirklich aus Gliedern besteht, durch den Eifer der vollkommenen
Heiligkeit so schnell wie möglich zerstört werde, von welchem Körper er
auch anderswo sagt, „es solle der Körper der Sünde vernichtet werden.“
(Röm. 6, 6) Dann setzt er folgerichtig auseinander, welches diese Zerstörung
sei, daß wir nämlich „nicht mehr der Sünde dienen.“ Davon wünscht er auch
klagend befreit zu werden, wenn er sagt: „O ich unglücklicher Mensch! Wer
wird mich befreien von dem Leide dieses Todes?" (Röm. 7, 24)
Dieser Leib der Sünde also besteht nachweislich aus vielen Gliedern der
Laster, und zu seinen Theilen gehört, was immer in That, Wort oder
Gedanken gesündigt wird. Von seinen Gliedern aber heißt es ganz richtig,
daß sie auf der Erde seien; denn Diejenigen, welche sich ihrer bedienen,
können nicht in Wahrheit behaupten: „Unser Wandel ist im Himmel.“ Da
nun der Apostel an dieser Stelle die Theile dieses Körpers aufzählt, sagt er:
„Tödtet ab eure Glieder, die auf der Erde sind, die Unzucht, Unreinigkeit,
Lüsternheit, die böse Begierde, den Geiz, der da Götzendienst ist.“ An erster
Stelle glaubte er also die Unzucht anführen zu müssen, die durch fleischliche
Vermischung geschieht. An zweiter Stelle nannte er die Unreinigkeit, welche
zuweilen ohne jede Berührung eines Weibes Schlafende oder Wachende
durch die Sorglosigkeit des unbewachten Geistes überrascht. Sie (die
Unreinheit) wird denn auch im Gesetze gerügt und verwehrt und entzieht
jedem Unreinen nicht nur die Theilnahme an dem heiligen Fleische, sondern
läßt, damit sie nicht durch ihre Berührung das Heilige beflecken, sie auch
von der Gemeinschaft der Lagerzelte entfernen, da es sagt: „Jede Seele, die
von dem Fleische des Heilsopfers (Das dem Herrn gehört) aß, obwohl
Unreinigkeit an ihr war, wird zu Grunde gehen vor dem Herrn, und was
immer der Unreine anrührte, wird unrein sein.“ (Lev. 7, 20)
Es zeigt sich hier aber auch ganz deutlich, daß zur vollkommenen Reinheit
die bloße Keuschheit der körperlichen Enthaltung nicht hinreiche, wenn ihr
nicht die Unbeflecktheit des Innern beigefügt wird. Nach alldem nennt er
endlich als letztes Glied dieses Körpers auch den Geiz, ohne Zweifel um zu
zeigen, daß man das Gemüth nicht nur vor dem Verlangen nach fremdem
Gute bewahren müsse, sondern daß man auch sein Eigenthum großherzig
gering schätzen müsse. Das hat, wie wir in der Apostelgeschichte lesen, auch
die Menge der Gläubigen gethan. von der es heißt: „Die Menge der
Gläubigen aber hatte nur Ein Herz und Eine Seele, und keiner nannte etwas
von dem, was er besaß, sein eigen, sondern, es war ihnen alles
gemeinschaftlich.“ (Apostelg. 4, 32. 34. 35) Denn die, welche Äcker oder
Häuser besaßen, verkauften sie und brachten den Erlös für das Verkaufte und
legten ihn den Aposteln zu Füßen. Den Einzelnen aber wurde gegeben, wie
es jeder bedurfte. Damit es nun nicht scheine, als ob das nur eine
Vollkommenheit für Wenige sei, lehrt der Apostel, daß der Geiz ein
Götzendienst sei. Und nicht mit Unrecht. Denn wer immer den Bedürfnissen
der Armen nicht abhilft und sein Geld, das er mit der Hartnäckigkeit des
Ungläubigen festhält, den Geboten Christi vorzieht, der fällt in das
Verbrechen des Götzendienstes, da er die Liebe zu einer geschöpflichen
Sache der göttlichen Liebe vorzieht.
Wenn wir nun sehen, daß viele ihr Vermögen Christo zu liebe so von sich
geworfen haben, daß wir sicher sind, es sei nicht bloß der Geldbesitz
aufgegeben, sondern selbst das Verlangen darnach für immer aus ihren
Herzen gerissen, so müssen wir folgerichtig glauben, daß auf dieselbe Weise
auch die Glut der Unzucht ausgelöscht werden könne. Denn es hätte der
Apostel Paulus nicht eine unmögliche Sache mit einer möglichen verbunden,
sondern da er wußte, daß beide möglich seien, so befahl er auch, sie auf
gleiche Weise abzutödten. Und so sehr vertraut der heilige Apostel, daß die
Unzucht oder Unreinigkeit aus unsern Gliedern getilgt werden könne, daß er
lehrt, dieselben müßten unter uns nicht nur abgetödtet werden, sondern
dürften nicht einmal genannt werden: „Buhlschaft (Liebschaft) aber,“ sagt er,
„und jegliche Unlauterkeit oder Habgier werde unter euch nicht einmal
genannt, so wie es Heiligen geziemt; auch nicht Schändlichkeit oder
thörichtes Geschwätz oder Leichtfertigkeit, die sich nicht gehört.“ (Ephes. 5,
3. 4)
Daß dies in gleicher Weise gefährlich sei und uns mit gleicher Verbannung
vom Reiche Gottes fern halte, lehrt er mit den Worten: „Das aber wisset, daß
kein Buhler, kein Unreiner oder Geiziger, was Götzendienst ist, ein Erbtheil
hat am Reiche Christi und Gottes“ und wieder: „Täuschet euch nicht; weder
Buhler noch Götzendiener noch Ehebrecher, weder Weichlinge noch
Knabenschänder, weder Diebe noch Geizige oder Trunkenbolde oder
Lästerer und Räuber werden das Reich Gottes besitzen.“ (I. Kor. 6, 9-10) Es
darf mithin kein Zweifel sein, daß die Befleckung der Unzucht und
Unreinigkeit von unsern Gliedern getilgt werden könne, da der Apostel
Paulus ihre Entfernung in derselben Weise befiehlt wie die des Geizes, des
thörichten Geredes, der Possen, der Trunkenheit und der Diebereien, deren
Trennung leicht ist.
Wir dürfen jedoch sicher sein, daß wir trotz Anwendung der ganzen Strenge
der Enthaltsamkeit, nämlich des Hungers und Durstes, der Nachtwachen und
beständigen Arbeit und des unaufhörlichen Eifers in der Lesung doch die
immerwährende Reinheit und Keuschheit nicht durch das Verdienst dieser
Mühen erlangen werden, wenn wir nicht bei dieser beharrlichen Anstrengung
uns durch die Erfahrung belehren lassen, daß die Unversehrtheit dieser
Tugend durch die Freigebigkeit der göttlichen Gnade geschenkt werde. Es
soll also jeder einsehen, daß er nur darum unermüdet in solchen Übungen
ausdauern müsse, um durch derartige Buße die Barmherzigkeit des Herrn zu
erlangen und so von der Anfechtung des Fleisches und der Herrschaft der
übermächtigen Laster durch göttliches Gnadengeschenk frei zu werden, nicht
aber als ob er sich verlasse, durch jene selbst die gewünschte unverletzte
Keuschheit des Körpers erreichen zu können. Man soll aber von solcher
Sehnsucht und Liebe für die Erlangung der Keuschheit entflammt sein, wie
ein sehr Geldgieriger oder Ehrgeiziger oder ein von unerträglicher Liebe zu
einem schönen Weibe Hingerissener seine Begierde mit der ungeduldigsten
Hitze erfüllt zu sehen wünscht.
5. Von der Nützlichkeit der Anfechtung, welche die Glut der Brunst in
uns erzeugt. Top
Wollt ihr nun vielleicht für die Wahrheit der genannten Sache einen
unwiderleglichen Beweis erhalten, durch den sich auch das Gesagte bewähre
und ihr belehrt werdet, daß dieses Kämpfen mit dem Leibe, das uns feindlich
und schädlich dünkt, zu unserm Nutzen in unsere Glieder gepflanzt worden
sei? Erwäget doch, ich bitte euch, welche Ursache wohl jene, die dem Leibe
nach verschnitten 1 sind, in Erstrebung der Tugenden so lau und träge mache.
Ist’s nicht ihre Sicherheit, daß für sie keine Gefahr bestehe, die Keuschheit
zu verlieren? Das möge mir jedoch niemand so auslegen, als wollte ich
behaupten, daß unter ihnen durchaus kein für die vollkommene Entsagung
Begeisterter zu finden sei, sondern so, daß sie gleichsam ihre Natur
bezwingen müssen, wenn einige von ihnen sich die Palme der
Vollkommenheit zum Berufe wählen und mit aller Strenge nach ihr streben,
deren heisse Liebe denjenigen, welchen sie einmal entzündet hat, antreibt,
Hunger, Durst, Nachtwachen, Blöße und alle Mühen des Körpers nicht nur
geduldig, sondern sogar freudig zu ertragen 2. Denn „es arbeitet der Mann in
Schmerzen für sich und thut sich Gewalt an wider seinen Untergang;“
(Sprüchw. 16, 26 (LXX)) und wieder: „Einer hungernden Seele scheint auch
Das Bittere süß.“ (Sprüche 27, 7) Anders nämlich wird das Verlangen nach
den gegenwärtigen Dingen nicht unterdrückt oder ausgerissen werden
können, als wenn für jene schädlichen Neigungen, die wir getilgt wünschen,
andere heilsame ins Herz geführt werden.
Denn bei der Lebhaftigkeit unseres Geistes können wir nicht ohne jede
Anregung von Sehnsucht oder Furcht, Freude oder Trauer sein, und diese
muß also auf das Gute gerichtet werden. Wenn wir daher die fleischlichen
Begierden aus unserm Herzen zu verbannen wünschen, so wollen wir an ihre
Stelle sogleich geistige Neigungen pflanzen, damit unser Geist mit diesen
immer beschäftigt sei und so etwas habe, wobei er beständig verweilen könne
mit Verachtung der gegenwärtigen, zeitlichen Freuden. Wann unser Geist
durch tägliche Übung in diesen Zustand gekommen sein wird, dann wird er
aus Erfahrung die Stimmung jenes Verses erfassen, den wir zwar alle in der
gewohnten Psalmenweise singen, dessen Bedeutung aber nur wenige
Erfahrene verstehen: „Ich sehe den Herrn immer vor meinen Augen, denn er
ist zu meiner Rechten, damit ich nicht wanke.“ (Ps. 15, 8) Jener allein
nämlich kann eine lebendige Einsicht in die Bedeutung dieses Liedes
erlangen, welcher zu der genannten Reinheit des Leibes und der Seele kam
und nun versteht, daß er jeden Augenblick von Gott bewahrt werde, damit er
nicht wieder ins Alte zurückfalle, und daß seine Rechte, d. i. seine heiligen
Handlungen beständig von Jenem beschützt werden. Denn Gott ist seinen
Heiligen nicht zur linken Seite gegenwärtig, da ja ein Heiliger nichts Linkes
an sich hat, sondern von der Rechten, aber von den Sündern und Gottlosen
wird er nicht gesehen, weil sie nicht jene rechte Seite an sich haben, welcher
der Herr nahe zu sein pflegt, und sie können nicht mit dem Propheten sagen:
„Meine Augen sind immer auf den Herrn gerichtet, denn er wird meine Füße
aus der Schlinge befreien.“ (Ps. 24, 15) Das wird keiner in Wahrheit sagen
können, der nicht alles, was in dieser Welt ist, entweder für schädlich oder
für überflüssig oder doch für Etwas den höchsten Tugenden weit
Nachstehendes hält und nun all sein Schauen, Streben und Sorgen fest auf die
Pflege seines Herzens und der keuschen Reinheit richtet. So wird ein durch
solche Übungen gebildeter und durch seine Fortschritte verfeinerter Geist zu
der vollkommenen Reinheit des Leibes und der Seele gelangen.
Soweit nun einer in der Sanftmuth und Geduld des Herzens vorwärts
schreitet, ebensoweit wird er in der Reinheit des Körpers kommen; und je
weiter er die Leidenschaft des Zornes von sich getrieben hat, um so fester
wird er die Keuschheit bewahren. Denn nur der wird der Brunst des Leibes
entgehen, der zuvor die Aufwallungen des Gemüthes unterdrückt hat. Das
beweist klar eine durch den Mund unsers Erlösers angerühmte Seligkeit:
„Selig sind die Sanftmüthigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“
(Matth. 5, 4) Nicht anders also werden wir unser Erdreich besitzen, d. i. nicht
anders wird das aufrührerische Reich unseres Körpers unter unsere
Botmäßigkeit gebracht werden, als wenn unser Geist zuvor in sanfter Geduld
gegründet ist; und es wird einer die gegen sein Fleisch entstehenden Kämpfe
der Lust nicht unterdrücken können, wenn er nicht die Waffen der Milde
führen gelernt hat. „Denn die Sanftmüthigen werden das Erdreich besitzen
und werden in Ewigkeit darin wohnen.“ (Ps. 36, 11+29) Wie wir nun dieses
Land erwerben können, lehrt derselbe Prophet in den folgenden Versen des
Psalmes: „Warte auf den Herrn und bewahre seinen Weg, so wird er dich
erhöhen, daß du als Erbtheil das Erdreich erlangest.“ (Ps. 36, 34) Es steht
also fest, daß niemand zur festen Besitznahme jenes Landes gelangen könne,
als wer mit unerschütterlicher, geduldiger Sanftmuth die rauhen Wege und
Gebote des Herrn wahrt und von ihm aus dem Kothe der fleischlichen
Leidenschaften herausgezogen und erhöht worden ist.
Also die Sanftmüthigen werden das Land besitzen und nicht nur dies
besitzen, sondern sich auch freuen in der Fülle des Friedens, den niemand
ständig genießen wird, in dessen Fleisch noch die Kämpfe der Begierlichkeit
entstehen. Denn er wird nothwendig von den härtesten Angriffen der Teufel
beunruhigt werden und von den feurigen Geschoßen der Lust verwundet aus
dem Besitze seines Landes gedrängt werden, bis der Herr die Kämpfe
entfernt bis an die Grenzen des Reiches, den Bogen zermalmt und die
Waffen zerbricht und die Schilde im Feuer verbrennt, nämlich in jenem, das
auf die Erde zu bringen der Herr gekommen war. Ja, er muß die Bogen und
Waffen zerbrechen, mit welchen die bösen Geister Tag und Nacht kämpften,
indem sie mit den feurigen Geschoßen der Leidenschaften das Herz trafen.
Wenn einen so der Herr, der die Kämpfe bannt, von aller Glut der
brennenden Reize befreit hat, so wird er zu einem solchen Zustande der
Reinheit gelangen, daß er, frei von der Angst, mit welcher er in der
Kampfeszeit sich selbst (sein Fleisch) fürchtete, anfängt, sich desselben als
des reinsten Tabernakels zu freuen; denn „die Übel werden nicht über ihn
kommen, und die Geißel wird nicht nahen seinem Gezelte.“ (Ps. 90, 10) Er
wird nämlich durch die Tugend der Geduld zu jener prophetischen
Verheissung gelangen, daß er durch die Sanftmuth nicht nur sein Land erbt,
sondern auch sich freut in der Fülle des Friedens. Wo aber noch die
Kampfessorgen sind, da kann die Fülle des Friedens nicht sein. Es heißt ja
nicht: „sie werden sich erfreuen im Frieden,“ sondern: „in der Fülle des
Friedens.“
Dadurch ist deutlich gezeigt, daß also die Geduld das wirksamste Heilmittel
des Herzens sei, nach jenem Ausspruche Salomons: „Ein sanfter Mann ist ein
Arzt des Herzens,“ (Sprüchw. 14, 30) so daß er also nicht nur den Zündstoff
des Zornes, der Traurigkeit, der Unlust, der Ruhmsucht, des Hochmuths,
sondern auch den der Lüsternheit und aller Laster gleichmäßig auslöscht. „In
der Langmuth wohnt“, wie Salomon sagt, „Glück für die Könige.“ Denn wer
immer mild und ruhig ist, wird weder von der Aufregung des Zornes
entzündet noch von der Angst der Unlust und Traurigkeit verzehrt noch
durch die Eitelkeit der Ruhmsucht zerstreut, noch überhebt er sich in der
Aufgeblasenheit des Hochmuths. Denn „viel Friede haben die, welche den
Namen des Herrn lieben, und für sie gibt es keinen Anstoß;“ und desshalb
wird nicht mit Unrecht erklärt, daß „der geduldige Mann besser ist als der
tapfere, und besser, der den Zorn beherrscht, als der eine Stadt einnimmt“.
(Sprüche 16, 32) Bis wir nun diesen festen, dauernden Frieden zu besitzen
verdienen, müssen wir in vielen Anfechtungen versucht werden und gar
häufig unter Seufzern und Thränen jenen Vers wiederholen: „Elend bin ich
geworden und gebeugt gar sehr; den ganzen Tag gehe ich trauernd einher,
weil meine Lenden sind voll von Wahn, und es ist nicht Heiles an meinem
Fleische vor dem Angesichte deines Zornes, und kein Friede meinem Gebein
ob meiner Thorheit.“ (Ps. 37, 7. 8. 4) Dann besonders werden wir passend
und in Wahrheit so klagen und weinen, wenn wir nach langer Reinheit
unseres Körpers schon hofften, die fleischlichen Befleckungen überwunden
zu haben, und nun fühlen, daß der Stachel des Fleisches wegen des
Übermuthes unseres Herzens sich wieder gegen uns erbebt, oder doch daß
auf Traumestäuschung hin der frühere unreine Fluß uns wieder benetzt.
Wenn sich also jemand schon langer Reinheit des Körpers und Herzens
erfreut und nun glaubt, er könne von dieser Lauterkeit nicht mehr
abkommen, da muß er sich nothwendig in seinem Innern gewissermaßen
rühmen und sagen: „Ich aber sprach in meiner Überfülle: In Ewigkeit werde
ich nicht wanken.“ (Ps. 29, 7. 8) Wenn er nun aber vom Herrn zu seinem
Heile verlassen wird und merkt, daß dieser Zustand der Reinheit, in welchem
er sich selbst vertraute, gestört wird, und daß er in seinem geistigen
Fortschritt wankt: da möge er nur sogleich zu jenem Urheber der Reinheit
fliehen, seine erkannte Schwäche eingestehen und sprechen: „O Herr, (nicht
in meinem, sondern) in deinem Willen hast du meiner Ehre Festigkeit
verliehen. Du wandtest dein Angesicht von mir, und ich ward verwirrt.“
Auch jenes Wort des hl. Job: „Wenn ich mich waschen würde mit
Schneewasser und meine Hände glänzten wie die reinsten, doch würdest du
in Schmutz mich tauchen, daß Abscheu vor mir hätten meine Kleider.“ (Job
9, 30. 31) Das kann nun freilich der, welcher aus eigener Schuld sich in den
Schmutz taucht, seinem Schöpfer nicht sagen. Bis er also in den Zustand der
vollkommenen Reinheit gelangt, muß er häufiger durch jene Trübsale
geschult werden, damit er endlich durch Gottes Gnade in jener angestrebten
Reinheit gestärkt in Wahrheit sagen könne: „Hoffend harrte ich auf den
Herrn, und er sah auf mich; er erhörte mein Gebet und hob mich aus der
Grube des Elends und aus dem Schmutze des Pfuhles; er stellte auf Felsen
meine Füße und lenkte meine Schritte.“ (Ps. 39, 2. 3)
Es gibt nun viele Stufen der Keuschheit, auf welchen man zu jener
unverletzlichen Reinheit hinaufsteigt. Obwohl nun meine Kraft nicht
hinreicht, diese in würdiger Weise zu erkennen oder gar aufzuzählen, so will
ich doch, weil es der Verlauf der Unterredung fordert, nach meiner geringen
Erfahrung irgendwie darüber sprechen, indem ich das Vollkommenere den
Vollkommenern überlasse und durchaus denen nicht vorgreifen will, die
durch glühendern Eifer eine größere Keuschheit besitzen und sich also durch
eine um so hellere Einsicht auszeichnen, je eifriger sie sind. So will ich also
den hohen Berg der Keuschheit in sechs Stufen theilen, die freilich an Höhe
sehr voneinander verschieden sind. Dabei will ich gewisse Mittelstufen,
deren sehr viele sind, übergehen, denn ihre feinen Unterschiede entziehen
sich so sehr dem menschlichen Verstand, daß weder ein Geist einsehen noch
eine Zunge aussprechen kann, wie allmählich die Vollkommenheit der
Keuschheit durch täglichen Fortschritt heranwächst. Denn ähnlich wie die
sichtbaren Körper täglich unbemerkbar ihr Wachsthum haben und so, ohne
es zu wissen, zu der Vollendung ihrer Gestalt gelangen, so wird auch die
Vollkraft der Seele und die Reife der Keuschheit erlangt.
Der erste Grad der Schamhaftigkeit ist nun, daß der wachende Mönch nicht
durch fleischliche Anfechtung gestürzt werde. Der zweite, daß sein Geist
nicht bei lüsternen Gedanken verweile. Der dritte, daß er durch den Anblick
eines Weibes auch nicht leichthin zu einer Begierde gereizt werde. Der
vierte, daß er im Wachen nicht einmal eine einfache Regung des Fleisches
erdulde. Der fünfte, daß seinen Geist auch nicht die leiseste Beistimmung zu
der Lust treffe, wenn der Inhalt einer Abhandlung oder eine nothwendige
Lesung ihm die Erinnerung an die menschliche Zeugung beibringt, sondern
daß er dies; als eine ganz einfache Sache und als eine dem menschlichen
Geschlechte nothwendig zugewiesene Leistung mit ruhigem und reinem
Herzensauge betrachte und nicht mehr daran denke, als wenn es sich um die
Bereitung von Ziegelsteinen oder irgend ein anderes Geschäft handeln
würde. Der sechste Grad ist, daß er selbst im Schlafe nicht durch
verführerische Vorstellungen von Weibern betrogen werde. Denn obwohl wir
nicht glauben, daß diese Bethörung mit Sündenschuld behaftet sei, so ist sie
doch ein Zeichen der noch im Innersten verborgenen Begierlichkeit. Es ist
bekannt, daß dieser Trug auf verschiedene Weise entstehe. Denn gemäß dem,
was einer wachend zu thun oder zu denken gewohnt ist, wird er auch im
Schlafe versucht; anders nämlich werden die verführt, welche die fleischliche
Verbindung nicht kennen, anders die, welche die Vereinigung mit dem
Weibe erfahren haben.
Niemand wird nun im Stande sein, dies anzunehmen und zu erproben und in
sicherer Prüfung zu entscheiden, ob es möglich oder unmöglich sei, wenn er
nicht durch lange Erfahrung und Reinheit des Herzens unter Leitung des
göttlichen Wortes Fleisch und Geist bis an ihre Grenzen kennen gelernt hat.
Darüber sagt der heilige Apostel Paulus: „Lebendig ist das Wort Gottes und
wirksam und durchdringender als jedes zweischneidige Schwert, und es geht
bis zur Theilung von Seele und Geist, von Fugen und Mark und entscheidet
über die Gedanken und Strebungen des Herzens.“ (Hebr. 4, 12) So wird ein
solcher, gleichsam zwischen den Grenzlinien der beiden Gebiete aufgehellt,
wie ein Untersuchungs- und Schiedsrichter in gerechter Abwägung
entscheiden, was der menschlichen Natur nothwendig und unvermeidlich
zugetheilt sei, und was durch lasterhafte Gewohnheit und den Leichtsinn der
Jugend zugezogen sei. Er wird in Betreff der Natur und Wirkung dieser
Dinge sich nicht bei den falschen Meinungen des Volkes beruhigen, sondern
das Maß der Reinheit mit der zuverlässigen Waage seiner Erfahrung und
gerechten Untersuchung erwägen und sich durchaus nicht von dem Irrthum
jener täuschen lassen, die durch die Schuld ihrer Nachlässigkeit häufiger
befleckt werden, als es die Natur fordert, und nun die natürliche Anlage
vorschützen. Selbst wenn bekannt ist, daß sie der Natur vielmehr Gewalt
anthun und ihr eine Befleckung abpressen, welche sie selbst nicht
herbeigeführt hätte, so setzen sie doch ihre Unenthaltsamkeit auf Rechnung
eines leiblichen Bedürfnisses, ja sogar des Schöpfers, und wälzen ihre eigene
Schuld zur Schmach der Natur ab. Von diesen heißt es in den Sprüchwörtern
gar schön: „Die Thorheit des Mannes verdirbt seine Wege. Gott aber klagt er
an in seinem Herzen.“ (Sprüchw. 19, 3)
Wer also immer durch beständigen Eifer des Herzens in jenen Zustand der
Reinheit gekommen ist, daß sein Geist von jeder Zuckung dieser
Leidenschaft völlig befreit ist und nur sein Leib im Schlafe den Übelfluß
unnöthiger Säfte ausstößt, der wird Bestimmung und Maß der Natur am
sichersten begreifen und wird erst dann, wenn er nach langer Zeit beim
Erwachen wieder einmal merkt, daß sein Leib ohne sein Wissen befleckt
wurde, von einem Bedürfnisse der Natur reden. Ohne Zweifel wird ein
solcher noch so weit kommen, daß er als derselbe erfunden wird bei Nacht
wie bei Tage, im Bette wie im Gebete, allein wie mitten unter Schaaren von
Menschen. Endlich wird er sich niemals im Verborgenen so ansehen, wie er
sich schämen würde, von Menschen gesehen zu werden (also nackt); und
jenes unvermeidliche Auge wird Nichts mehr an ihm entdecken, was vor den
Augen der Menschen verborgen sein möchte. Wenn er so angefangen hat,
sich an dem süßesten Lichte der Keuschheit beständig zu ergötzen, wird er
mit dem Propheten sagen können: „Und die Nacht ist mir Licht in meiner
Lust, weil Finsternis nicht dunkel ist vor dir, sondern die Nacht helle ist wie
der Tag; wie das Dunkel in jener, so ist das Licht an diesem.“ (Ps. 138, 11.
12) Endlich fügt derselbe Prophet bei, wie er das erhalten habe, da es ja über
die Möglichkeit der menschlichen Natur zu geben scheint, und sagt: „Weil du
besaßest meine Nieren 3,“ d. i. nicht durch meine Tätigkeit und Kraft habe
ich diese Reinheit erlangt, sondern weil du die Glut der schändlichen Lust
getödtet hast, die meinen Nieren innewohnte.
9. Frage, ob wir die Aufregung des Körpers auch im Schlafe vermeiden
können. Top
Daß eine beständige Reinheit des Körpers sich durch Gottes Gnade im
wachen Zustande finden könne, haben wir theilweise erfahren und leugnen
nicht, daß durch strenge Enthaltsamkeit und Widerstand des freien Geistes
die Aufregung des Fleisches den Wachenden fern bleiben könne; wollen aber
belehrt werden, ob wir auch im Schlafe von dieser Belästigung frei sein
können. Aus zwei Ursachen nämlich halten wir das für unmöglich, und
obwohl wir dieses ohne Scheu nicht sagen können, so litten wir doch, weil
die Nothwendigkeit des Heilmittels es erfordert, daß du mit Nachsicht es
aufnehmest, wenn vielleicht etwas mit zu wenig Scham offen dargelegt wird.
Der erste Grund also ist, daß durch die Ruhe des Schlafes die Lebendigkeit
des Geistes erschlafft ist und also die Überraschung jener Regung durchaus
nicht wahrgenommen werden kann. Der zweite ist, daß auch die Anhäufung
des Urins, wenn er während unseres Schlafes durch den beständigen Zufluß
innerer Säfte die Weite der Blase ganz ausgefüllt hat, die schlaffen Glieder
aufregt, was auch Kindern und Verschnittenen nach demselben Gesetze
begegnet. Daher kommt es, daß, wenn auch nicht Freude an der Lust den
beistimmenden Geist verwundet, ihn doch der schändliche Zustand der
Glieder verwirrt und demüthigt.
Chäremon: Es zeigt sich, daß ihr die Tugend der wahren Keuschheit noch
nicht erkannt habt, da ihr glaubt, sie könne nur mit Hilfe der Strenge von den
Wachenden bewahrt werden. In Folge dessen meint ihr, daß, wenn im
Schlafe der Ernst des Gemüthes erschlafft, auch die Unversehrtheit nicht
bleiben könne. Nun besteht aber die Keuschheit nicht, wie ihr glaubt, durch
den Schutz der Strenge, sondern durch die Liebe zu sich selbst, durch das
Wohlgefallen an ihrer eigenen Reinheit. Denn nicht Keuschheit, sondern
Enthaltsamkeit nennt man es, wo immer ihr noch irgend eine Lüsternheit
feindlich widersteht. Ihr seht also, daß denen, welche durch Gottes Gnade die
Liebe zur Keuschheit im Innern erhalten haben, jener Nachlaß der Strenge im
Schlafe nicht schade, da ja dieselbe sogar den Wachenden sich nur zu
deutlich als treulos beweist. Denn was immer mit Mühe unterdrückt wird,
das gewährt zwar dem Kämpfenden einen zeitweiligen Waffenstillstand, aber
nicht beständige, sichere Ruhe nach der Arbeit. Was aber durch tief
gewurzelte Tugend besiegt ist, das ist ohne jeden Schein von Unruhe
beigelegt und läßt dem Sieger die dauernde Sicherheit des Friedens.
So lange wir also fühlen, daß wir durch die Erregung des Fleisches
beunruhigt werden, mögen wir wissen, daß wir noch nicht zu dem Gipfel der
Keuschheit gelangt sind, sondern noch in dem schwächern Zustande der
Enthaltsamkeit uns befinden und durch Kämpfe ermüdet werden, deren
Erfolg immer zweifelhaft sein muß. Wenn ihr aber die Aufregung des
Fleisches dadurch als unvermeidlich beweisen wollt, daß selbst die
Verschnittenen (Sterilisierte, Kastrierte und Eunuchen) nach Wegnahme der
Zeugungstheile nicht von ihr frei sein können, so müßt ihr wissen, daß diesen
nicht die fleischliche Brunst und die lüsterne Begierde fehlen, sondern nur
die Kraft des zeugenden Samens. Es ist also klar, daß auch diese, wenn sie zu
der von uns angestrebten Keuschheit gelangen wollen, in der Demuth,
Zerknirschung des Herzens und Strenge der Enthaltsamkeit nicht schlaffer
sein dürfen, obwohl man nicht leugnen kann, daß die Keuschheit von ihnen
mit weniger Mühe und Anstrengung erreicht werden könne.
11. Daß ein großer Unterschied sei zwischen der Keuschheit und
Enthaltsamkeit. Top
Dann ruft er uns noch zu Höherem, will auch den Ort selbst zeigen, an
welchem der Herr seine Freude hat, und sagt: „Und im Frieden ist seine
Stätte,“ d. i. nicht im Zusammenstoße des Kampfes und im Ringen mit den
Lastern, sondern im Frieden der Keuschheit und in der beständigen Ruhe des
Herzens. Wenn es also Jemandem gelungen ist, diesen Ort des Friedens
durch Auslöschung der fleischlichen Leidenschaften zu erreichen, so wird er
auch von da noch weiter aufsteigen, und zum geistigen Sion, d. i. zur Warte
Gottes geworden wird er auch dessen Wohnung sein. Denn nicht im Kampfe
der Enthaltsamkeit, sondern auf der feststehenden Warte der Tugenden
wohnt der Herr, wo er nicht mehr bloß zurückstößt oder unterdrückt, sondern
auf ewig zerbricht die mächtigen Bogen, von denen einst gegen uns die
feurigen Geschoße der Luft gerichtet wurden. Ihr seht also, daß nicht im
Ringen der Enthaltsamkeit, sondern im Frieden der Keuschheit des Herrn Ort
ist und ebenso seine Wohnung auf der Höhe und Beschaulichkeit der
Tugenden. Deßhalb werden nicht mit Unrecht die Thore Sions allen Gezeiten
Jakobs vorgezogen: „Denn es liebt der Herr die Thore Sions über alle Zelte
Jakobs.“ (Ps. 86, 2)
Wenn ihr nun aber die Aufregung des Fleisches deßhalb für unvermeidlich
erklärt, weil der Urin, wenn er die Blase durch beständiges Einträufeln erfüllt
hat, auch die ruhigen Glieder aufregt, so muß man folgendes wissen: Obwohl
diese Aufregung den wahrhaft nach Keuschheit Strebenden zur Erreichung
derselben kein Hinderniß ist, da sie nur zuweilen und im Schlafe dieser
nothwendige Zustand verursacht: so werden doch die so erregten Glieder
durch die Herrschaft der Keuschheit zu ihrer gewöhnlichen Ruhe
zurückgeführt, so daß sie nicht nur ohne Reiz, sondern auch ohne die
geringste lüsterne Erinnerung sich beruhigen. Damit aber nun das Gesetz des
Leibes mit dem der Seele übereinstimme, so ist selbst beim Wassertrinken
das Zuviel so zu beschneiden, daß jene tägliche Ansammlung von Säften in
die zuerst trocken gewordenen Glieder fließt und so jene Aufregung des
Körpers, die ihr für unvermeidlich haltet, nicht nur zu einem sehr seltenen,
sondern auch zu einem milden und lauen, ja, um mich so auszudrücken,
kalten Feuer mache und ohne Hitze und Brand eine gleichsam thauige
Flamme errege, ähnlich jener wunderbaren Erscheinung des Moses, so daß
der Dornbusch unseres Leibes von unschädlichem Feuer umgeben nicht
brennender ähnlich jenen drei Jünglingen, denen durch den Thau des Geistes
die Flamme des chaldäischen Ofens so abgewendet wurde, daß die Glut nicht
einmal ihr Haar oder dessen äusserste Spitzen berührte. So mögen wir
gewissermaßen das, was den Heiligen durch den Propheten versprochen
wird, dem Anfange nach schon in diesem Leibesleben besitzen: „Wenn du
durch Feuer wandelst, wirst du nicht gebrannt werden, und die Flamme wird
für dich nicht glühend sein.“ (Is. 43, 2)
12. Von den wunderbaren Dingen, welche der Herr eigens an seinen
Heiligen wirkt. Top
Ja groß in der That und wunderbar und nur den Erfahrenen ganz bekannt ist
das, was der Herr mit unaussprechlicher Freigebigkeit seinen Getreuen,
selbst so lange sie noch in diesem Gefäße des Verderbens wohnen, mittheilt.
Das durchsah der Prophet in der Reinheit seines Geistes und rief sowohl in
seinem als derjenigen Namen, die zu solchem Zuständen und Stimmungen
gelangen, aus: „Wunderbar sind deine Werke, o Herr, und meine Seele
erkennt sie gar wohl.“ (Ps. 138, 14) Es wäre ja nicht einzusehen, was der
Prophet großes oder neues gesagt hätte, wenn man glauben wollte, daß er von
einer andern Herzenserfahrung oder andern Werken Gottes dies gemeint
habe. Denn es gibt ja doch keinen, der nicht auch aus der Größe der
Schöpfung erkannte, daß die Werke Gottes wunderbar seien. Was aber Gott
in seinen Heiligen täglich wirkend zu Stande bringt und mit besonderer
Freigebigkeit reichlich ausgießt, das erkennt niemand als die Seele des
Genießenden, die in der Stille des Gewissens so sehr die einzige Zeugin
seiner Wohlthaten ist, daß sie dieselben nicht nur mit keinem Worte
darlegen, sondern nicht einmal mit Sinn und Gedanke erfassen kann, wenn
sie von dieser feurigen Inbrunst hinweg wieder in diese materiellen und
irdischen Anschauungen herabgezogen wird. Wer sollte auch die Werke
Gottes an sich nicht bewundern, wenn er die unersättliche Gefräßigkeit des
Leibes, den so theuren und verderblichen Aufwand für den Gaumen so in
sich unterdrückt sieht, daß er nur selten und widerwillig ein bisschen ganz
werthlose Speise zu sich nimmt! Wer sollte nicht staunen über die Werke
Gottes, wenn er fühlt, daß jenes Feuer der Leidenschaft, das er für
naturnothwendig und unauslöschlich hielt, so erkaltet sei, daß er sich nicht
einmal durch eine einfache Regung des Körpers aufgereizt findet!
Wer sollte nicht erschauern vor der Macht Gottes, wenn er sieht, daß sonst
harte und grausame Menschen, die selbst durch den zartesten Gehorsam der
Untergebenen zur höchsten Zorneswuth gereizt wurden, zu einer solchen
Sanftmuth sich bekehrt haben, daß sie nicht nur durch keine Beleidigungen
mehr gereizt werden, sondern sich über die zugefügten mit der höchsten
Großherzigkeit freuen! Wer in der That sollte nicht die Werke Gottes
bewundern und mit aller Rührung ausrufen: „Ich habe erkannt, daß der Herr
groß ist,“ (Ps. 134, 5) wenn er sich selbst oder irgend einen andern statt
räuberisch freigebig, statt verschwenderisch enthaltsam, statt hochmüthig
und überfein und verzärtelt jetzt demüthig, schmutzig und rauh geworden
sieht, so daß er die Dürftigkeit und Bedrängniß dieser unserer Lage freiwillig
erträgt! Das sind wahrhaft wunderbare Werke Gottes, welche die Seele des
Propheten und der ihm ähnlichen als etwas Ausserordentliches sieht, erstaunt
bei dem Anblicke des wunderbaren Bildes. Das sind die Wunderzeichen, die
der Herr gesetzt hat auf die Erde, bei deren Betrachtung ebenderselbe
Prophet alle Völker zu ihrer Bewunderung aufruft mit den Worten: „Kommet
und schauet die Werke des Herrn, die er hingestellt hat als Wunderdinge auf
Erden, da er die Kriege verdrängte bis an die Grenzen der Erde; den Bogen
zertrümmert er und zerbricht die Waffen und verbrennt die Schilde im
Feuer.“ (Ps. 45, 9. 10) Denn was kann es für ein größeres Wunderding geben,
als daß in einem ganz kurzen Augenblicke aus den raubsüchtigsten Zöllnern
Apostel werden, daß grausame Verfolger in die geduldigsten Prediger des
Evangeliums sich verwandeln, so daß sie den Glauben, welchen sie
verfolgten, selbst mit Vergießung ihres Blutes verbreiten? Das sind die
Gottesthaten, von denen der Sohn bezeugt, daß er sie täglich zugleich mit
dem Vater wirke.
„Mein Vater,“ sagt er, „wirkt bis heute, und ich wirke auch.“ (Joh. 5, 17) Von
diesen Werken Gottes sagt der heilige David, indem er im Geiste lobsingt:
„Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, der allein große Wunder thut.“ (Ps.
71, 18) Von ihnen sagt auch der Prophet Amos: „Der Alles macht und ändert
und Todesschatten wandelt in Morgenlicht.“ (Amos 5, 8) Das ist nämlich die
Umwandlung, die von der Rechten des Allerhöchsten kommt. Betreffs dieses
heilsamen Gotteswirkens bittet der Prophet den Herrn, indem er sagt:
„Befestige, o Gott, das, was du in uns gewirkt hast.“ (Ps. 67, 29) Ich will nun
schweigen von jenen heimlichen und verborgenen Erweisen Gottes, deren
besondere Wirkung der Geist aller Heiligen jeden Augenblick in sich erfährt,
und von jener himmlischen Eingießung geistiger Freude, durch welche die
gedrückte Seele mit der Heiterkeit einer unverhofften Wonne erhoben wird
zu jenen geheimnißvollen Entzückungen des Herzens und zu
unaussprechlichen und unerhörten Trostesfreuden, die uns zuweilen aus der
trägsten Erstarrung zum glühendsten Gebete wie aus tiefem Schlafe
erwecken. Das ist die Freude, von der der heilige Apostel Paulus sagt: „Kein
Auge hat es gesehen, kein Ohr gehört, und in keines Menschen Herz ist es
gedrungen,“ (I. Kor. 2, 9) nämlich nicht eines solchen, der durch irdische
Laster gelähmt noch Mensch ist, menschlichen Leidenschaften anhängt und
nichts von jenen Gaben Gottes erfährt. Endlich fügt derselbe Apostel sowohl
von sich, als den ihm ähnlichen, welche die menschliche Lebensweise
aufgegeben hatten, die Worte bei: „Uns aber hat es Gott geoffenbart durch
seinen Geist.“
13. Daß nur die, welche sie erfahren, die Süßigkeit der Keuschheit
erkennen. Top
Zu einer je höhern Reinheit nun ein Geist in all dem vorgedrungen ist, desto
erhabener wird auch seine Anschauung Gottes sein, und seine Bewunderung
wird zu sehr wachsen, als daß er die Fähigkeit darüber zu reden oder Worte
zur Darstellung finden könnte. Denn wie ein Unerfahrener die Macht dieser
Freude nicht in seinem Geiste erfassen kann, so kann auch der Erfahrene sie
nicht mit Worten erklären, gerade wie wenn jemand einem, der nie etwas
Süßes verkostet hat, die Süßigkeit des Honigs mit Worten begreiflich machen
wollte; es würde doch wohl weder Jener die Annehmlichkeit eines
Geschmackes, den er nie mit dem Munde wahrnahm, so mit den Ohren
erfassen noch der Andere eine Süßigkeit, welche er im Genusse des
Geschmackes erfuhr, mit Worten ausdrücken können. Man muß eben den
lieblichen Reiz selbst erfahren und kann dann nur schweigend bei sich selbst
die erprobte Lust des Geschmackes bewundern. So wird nun auch Jeder, der
zu der genannten Tugendhaftigkeit zu gelangen vermochte, all das, was der
Herr durch besondere Gnade in den Seinen wirkt, mit stillem Geiste
durchdenken und von staunender Bewunderung entflammt mit innigster
Herzensrührung ausrufen: „Wunderbar sind deine Werke, o Gott, und meine
Seele erkennt sie gar wohl.“ Das ist also das wunderbare Gotteswerk, daß der
fleischliche Mensch, selbst solange er noch im Leibe weilt, die fleischlichen
Neigungen verachtet und bei dem so großen Wechsel der Verhältnisse und
Drangsale doch einen Gemüthszustand bewahrt und unbeweglich ausbauen
bei all der Veränderung des Zufälligen. Ein in solcher Tugend gegründeter
Greis wurde einst bei Alexandria von Schaaren der Ungläubigen umringt und
nicht nur durch Verwünschungen, sondern auch durch die schwersten
Unbilden der auf ihn Eindringenden bedrängt, wobei sie ihm spöttisch
zuriefen: „Was für ein Wunder hat der Christus, den ihr verehrt, gethan?“
„Dieses,“ sprach er, „daß ich durch solche und noch größere Unbilden, wenn
ihr sie mir zufügen würdet, weder aufgeregt noch beleidigt werde.“
14. Frage über die Beschaffenheit des Verhaltens und das Maß der Zeit,
in welcher die Keuschheit vollendet werden könne. Top
16. Über Mittel und Zweck bei Erwerbung und Bewahrung der
Keuschheit. Top
Es ist also für jeden von uns, der mit aller Kraft sich gegen den Geist der
Unzucht abmüht, ein ganz besonderer Sieg, das Mittel nicht in den Werth
seines Ringens zu setzen. Obwohl dieser Glaube leicht und allen zugänglich
scheint, so besitzen ihn doch Anfänger so schwer als die Vollkommenheit der
Keuschheit. Denn wenn ihnen nur ein kleiner Theil der Reinheit lächelt, so
schleicht sich schon in die verborgenen Tiefen ihres Innern sachte eine
gewisse Überhebung, in der sie sich schmeicheln, und da sie nun glauben, sie
hätten jene durch den Eifer ihres Strebens erreicht, so ist nothwendig, daß sie
von jenem himmlischen Schutze ein wenig entblößt, so lange von jenen
Leidenschaften, welche die göttliche Kraft ausgelöscht hatte, unterdrückt
werden, bis sie durch Erfahrung belehrt einsehen, daß sie durch ihre Kraft
und Thätigkeit das Gut der Reinheit nicht erreichen können. Damit wir nun
unsere Unterredung über Das Ziel der vollsten Keuschheit, die wir in langem
Nachtwachen geführt haben, kurz beschließen, indem wir alles so reichlich
und einzeln Dargestellte in eines zusammenfassen: so ist das die Vollendung
der Keuschheit, daß den wachenden Mönch kein Wohlgefallen an irgend
einer Lust bestricke, den schlafenden aber kein Spiel der Träume täusche;
sondern daß, wenn im Schlafe durch die Sorglosigkeit des betäubten Geistes
eine fleischliche Aufregung entsteht, sie sich ohne jeden Reiz des Körpers
wieder beruhige, wie sie ohne irgend eine Zuckung der Lust entstanden ist.
Das haben wir nun über das Ziel der Keuschheit, soweit wir konnten, nicht
mit bloßem Wortschwall, sondern nach der Lehre der Erfahrung
auseinandergesetzt. Obwohl ich glaube, daß dies von Trägen und
Nachlässigen vielleicht für unmöglich gehalten wird, so bin ich doch sicher,
daß es von eifrigen und geistigen Männern eingesehen und gebilligt wird.
Denn der Unterschied zwischen Mensch und Mensch ist so groß als der
Abstand dessen, worauf die Meinung ihres Gemüthes gerichtet ist, nämlich
des Himmels von der Hölle oder Christi von Belial (dem König der Hölle),
nach jenem Ausspruche unsers Herrn und Erlösers: „Wenn jemand mir dient,
der folge mir nach; und wo ich bin, wird auch mein Diener sein;“ (Joh. 12,
26) und wieder: „Wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.“ (Matth.
6, 21) Soweit lehrte der fromme Chäremon über die Vollkommenheit der
Keuschheit und beschloß seine bewunderungswürdige Lehre von der
erhabensten Reinheit damit, daß er uns, den Bestürzten und Angstvollen,
rieth, wir sollten, weil der größere Theil der Nacht schon vorüber sei, die
Glieder ein wenig der Ruhe überlassen und sie nicht ganz um die natürliche
Speise des Schlafes betrügen, damit nicht auch der Geist schlaff werde durch
die Ermüdung des Körpers und so die Kraft der heiligen Spannung verliere.
1 Von der römisch-katholischen Kirche wurden per Dekret von Papst Sixtus
V. vom 7. Juni 1587 folgende Gruppen unter dem Oberbegriff
„Verschnittene“ zusammengefasst: 1. Sterilisierte, 2. Kastrierte und 3.
Eunuchen.
• Antriebsarmut
• Osteoporose
2 Es wird weiter unten (im Kapitel 10) gesagt, dass auch die sogenannten
Verschnittenen (Sterilisierte, Kastrierte und Eunuchen) nicht frei von
sexueller Begierde sind. Es fehlt ihnen lediglich an der Fähigkeit Sperma zu
produzieren. Sie sollten sich aber ebenso wie jeder Brahmachari darum
bemühen, sich von der sexuellen Begierde zu lösen. Es soll ihnen allerdings
leichter fallen, sich von dieser Begierde zu lösen.
3 Da mir nicht ganz klar war, was die Niere mir der Sexualität zu tun hat,
habe ich mich ein wenig im Internet umgesehen. Dabei fand ich besonders
auf den Seiten der traditionellen fernöstlichen (chinesischen) Medizin einige
interessante Hinweise:
Zunächst die Funktion der Niere: Eine Funktion der Nieren ist die
Ausscheidung von (überflüssigen) Endprodukten des Stoffwechsels, den
sogenannten harnpflichtigen Substanzen, und Giftstoffen aus dem Körper
durch Bildung des Harns, welcher schließlich über die Harnwege aus dem
Körper ausgeschieden wird. Die Niere bilanziert den Wasserhaushalt und
dient damit der langfristigen Blutdruckeinstellung, reguliert durch die
Kontrolle der Zusammensetzung des Harns den Elektrolythaushalt und den
Säure-Basen-Haushalt. Weiterhin ist die Niere ein bedeutendes Organ für den
Zwischenstoffwechsel des Körpers. Die Niere produziert Hormone, wie
beispielsweise Erythropoetin, für die Blutbildung und ist der Abbauort von
Peptidhormonen, aber auch viele Funktionen der Niere selbst werden durch
Hormone gesteuert.
Die sexuelle Energie der Frau hingegen hat mehr Bezug zum Blut, die
Essenz ist stärker mit der Gebärmutter verbunden, so dass alles, was die
Gebärmutter schwächt (wie z.B. Menstruation und insbesondere Geburten),
das Nieren-Jing verletzt. Beim Orgasmus verliert die Frau ob dieses
Unterschiedes weniger Essenz als der Mann.
Der sexuelle Wunsch, die Libido, ist abhängig von der Energie der Niere. Ein
gesundes sexuelles Verlangen spricht somit für eine gesunde und starke
Nieren-Energie. Eine Schwäche des Nieren-Yang allerdings führt zu
mangelnder Libido, einer Unfähigkeit sich an der Sexualität zu erfreuen oder
einen Orgasmus zu erreichen. Eine Schwäche des Nieren-Yin hingegen kann
zu einem übersteigerten Sexualtrieb führen, der allerdings nicht befriedigt
werden kann oder auch zu lebhaften sexuellen Träumen mit Samenergüssen
und Orgasmen.
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