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und Debatte 11.06.12//Nr.


31.10.14 Nr.253
133//Seite
Seite23
1 / Teil 01
#
! NZZ AG

Die trostlose Ruhe der Reihen-


BÖRSEN UND MÄRKTE
Investoren wetten auf Lockerungen

gräber
Investoren in den USA bringen sich
zurzeit in Position, um von einer wei-
teren quantitativen geldpolitischen
Lockerung zu profitieren.
Wenn etwas nicht an den Ort Seite
der21letzten Ruhe gehört, so sind das Pflanzengift und der
Lärm von Laubbläsern. Die Friedhofsplanung sollte sich nach den Bedürfnissen
der Bevölkerung ausrichten: Abkehr von der Monokultur und Hinwendung zu einer
schlichten, naturverträglichen Erinnerungskultur. Von Andreas Diethelm

alter Bäume in Frieden zu ruhen. Wäre da nicht die


Ein junges Reh geriet letztes Jahr als «Grabschän- trostlose Ruhe und Ordnung der Reihengräber, wo
der-Bambi» in die Zeitung, bloss weil es beim Ver- keine Laus, kein Marienkäfer sich regen darf. Da-
köstigen von Schnittblumen überrascht wurde. Im für ist gesorgt – auch dafür, dass kein welkes Blatt
Kanton Zürich werde vielerorts nicht nur Essbares den Rasen entweihe. Wenn etwas nicht an den Ort
aus Friedhöfen weggetragen und bestimmt nicht der letzten Ruhe gehört, so ist es Gift und der Lärm
vom Rotwild, berichtete kürzlich der «Landbote». der Laubbläser, sollte man meinen. Wohl lässt man
Die Profanisierung des Friedhofs erfolgt auf ver- da und dort Wildblumen sprechen auf verlassenen
schiedenen Wegen; in der Stadt Zürich etwa steht Grabfeldern, mit Schmetterlingen und Bienen
zwar noch kein Partyvolk am Eingangsportal an, etwa. Wohltuend hebt sich vielstimmiges Gesum-
doch die Verwaltung denkt schon seit geraumer me vom fernen Verkehrsgeräusch ab. Der Fried-
Zeit laut in Richtung «Aufwertung» – denn die hofshonig ist schon käuflich, ein Geschäft kann das
Friedhöfe leeren sich. Wo Reihengräber sich in aber nicht werden – zu spärlich ist der Nektar.
strenger Ordnung dicht aneinanderdrängten, ent- Dabei war man in den 1980er Jahren schon wei-
steht zunehmende Weite, mitten in der sich ver- ter. Zwei naturkundige Gärtner zeigten beispiels-
dichtenden Stadt. Seit Anfang der 1990er Jahre weise auf dem Friedhof Zürich Witikon, was zu tun
verzeichnet die Stadt einen Rückgang bei den Be- ist, damit das Grab kein toter Ort ist. Mit attrakti-
stattungen um ein Viertel. Erdbestattungen ma- ven Kombinationen standortgerechter Wildstau-
chen gerade noch 10 Prozent aus; 1980 wurden 6 den gewannen sie die Kunden für eine umweltver-
Prozent der Toten in Gemeinschaftsgräbern bei- trägliche Form des Grabschmucks, der keinen
gesetzt, heute sind es 40 Prozent. Der Arbeitsauf- Kunstdünger benötigt, nicht gewässert werden
wand nimmt damit ab, aber auch die Einnahmen muss, deshalb nicht krank wird und daher auch
sinken. Das ist ein Problem, wenn die Höhe des nicht mit Pilzgiften gespritzt zu werden braucht.
Budgets nicht abnehmen darf. Das Angebot stiess auf grosses Interesse, und eine
Zeitlang warb die Stadt überschwänglich mit die-
sem natürlichen Grabschmuck.
Ein kleines Stück Zeit Nach wenigen Jahren wurde der begonnene
Kulturwandel abgebrochen. Dies obwohl inzwi-
Der Bund deutscher Friedhofsgärtner wollte Ge- schen eine städtische Verordnung genau diesen
gensteuer geben und rief 2001 einen «Tag des verlangte: dass die Bepflanzung so zu wählen sei,
Friedhofs» aus, eine Aktion, der sich kürzlich dass auf Bewässerung und auf Gift verzichtet wer-
einige Schweizer Städte angeschlossen haben. An- den könne und dass dank naturnaher Pflege die
lass genug, über die Beziehung von Friedhofs- und Lebensräume einheimischer Pflanzen und Tiere
Trauerkultur nachzudenken. – Unlängst zeigte das aufgewertet werde.
Schweizer Fernsehen Heddy Honigmanns Film Statt diese Grundsätze umzusetzen, intensivier-
«Forever», ein Bericht aus dem Pariser Friedhof te das damalige Gartenbauamt Imagewerbung für
Père-Lachaise, ein Liebesfilm eigentlich. Inschrif- seine angebliche Naturnähe. Man liess zwar die mit
ten und Bildchen erinnern an berühmte und unbe- dem Wechselflor verursachte Umweltbelastung er-
kannte Geliebte, Besucher bringen eine Blume mitteln: Sie erwies sich für ihre Favoriten Fuchsia,
mit, einen Kiesel, Konfekt (für Proust – aus Süd- Begonia, Erica und Calluna als desaströs, der Be-
korea), und vor allem: ein kleines Stück Zeit. richt aber modert längst im Archiv. Anstatt die ver-
Der Ort ist Inspiration. Die Zurückgebliebenen bliebenen Reihengräber lebendig zu gestalten, bil-
lauschen den Spuren, die die Vorangegangenen in ligen viele Stadtverwaltungen, die Bemühungen
ihren Herzen gelegt haben. Dazu benötigen sie kei- des Friedhofsgewerbes, die Anziehung des Ge-
nen floralen Bombast – er fehlt am Grab von Apol- meinschaftsgrabes auf oft fragwürdige Weise zu
linaire, von Chopin und auch bei jenen, deren diskreditieren. Eine Dissertation resümiert die
Lebenswerk unbekannt und vielleicht auch uner- Kernthese der Branche: «. . . öffentlich-gemein-
kannt blieb. Eine Brücke zu den Verstorbenen schaftliches Trauern sei nicht mehr möglich, Werte
schlägt die Liebe, niemals aber Begonien und und Normen verfielen. Dies gehe mit mangelnder
Fuchsien, seien sie noch so makellos und zahlreich. Sozialität und mit psychischer Auffälligkeit der Be-
Die Bewirtschaftung der Gräber mit jahreszeitlich fürworterInnen dieser Gräber einher und ende im
auswechselbarem, industriell produziertem Im- Kulturverfall und Geschichtsverlust».
portgewächs ist ein Nachkriegs-Geschäftsmodell,
ein auslaufendes, jedoch beileibe keine Zürcher
Erfindung. Vielmehr ist diese Form der Friedhofs- Abkehr von der Monokultur
kultur eine mitteleuropäische, vorwiegend auf die
Einzugsgebiete von Rhein und junger Donau be- Ein Friedhofsverwalter konnte ein Verbot für
schränkte Spezialität. Grabbesucher durchsetzen, auf «seinem» Gemein-
In vielen Friedhöfen geniesst man, im Schatten schaftsgrab – einem Rasen, wie wir ihn von Sport-
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! NZZ AG

BÖRSEN
plätzen herUND MÄRKTE
kennen – Blumen hinzulegen. Er er-
klärte sich überzeugt, dass man «diese Grabform
Investoren
weniger wetten
attraktiv auf Lockerungen
machen sollte».
Investoren in den
Vernünftiger USA
lautet dasbringen sich Studie des
Fazit einer
zurzeit in Position,
Bestattungs- um von einer
und Friedhofamts derwei-
Stadt Zürich:
terenkann
«Es quantitativen geldpolitischen
nicht das Ziel der Friedhofsplanung sein,
Lockerung
die zu profitieren.
Bedürfnisse der Bevölkerung den Einkünften
der Bildhauer und Floristen undSeite 21 in der Be-
anderer
stattungsbranche Tätigen unterzuordnen.» Das
Ziel könnte heissen: Abkehr von der Monokultur
und Hinwendung zu einer schlichten, naturverträg-
lichen Erinnerungskultur, Manifestation von Wer-
den, Sein und Vergehen.
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Andreas Diethelm ist Pflanzenbiologe und Umweltberater in Zürich.

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