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Lokomotive heißen Sportvereine nicht von un- Angerdorf Wülknitz befindet sich knapp einen

gefähr – der ESV Lok Wülknitz liefert die Erklä- Kilometer östlich dieser – auf Sächsisch „murk­-
rung gleich doppelt: Eisenbahner Sport Vereini- sischen“ – Willkommensgeste. Auf halben Weg
gung. Der in den zwanziger Jahren als SG Trak­- dorthin, an der schnurgeraden, in den dreißi­-
tor gegründete Sportclub der 700 Seelen-Ge- ger Jahren angelegten Bahnhofstraße reihen sich
meinde in Nordsachsen hat vor nicht allzu lan­- die vor wenigen Wochen dichtgemachte Mar-
ger Zeit, im Sommer 2018, eine neue Vereinsstät- kant-Kaufhalle, das Gemeindeamt (einst die Dorf-
te bekommen: ein Sportlerheim mit Kegelbahn. schule), mittelprächtige Wohngebäude und ei-
Besonders hingerissen sind die Wülknitzer näm- gentlich nicht viel mehr. Obwohl, in zweiter Rei-
lich von kugelrundem Sportbedarf wie Kegel­ he, gleich neben dem Häuschen von einer Ge-
kugeln und Fußbällen. meindeverwaltung, knallt eine orangefarbene
Die Eisenbahn hält in Wülknitz einmal in der Kiste von einer Turnhalle und schimmert ein
Stunde. Abwechselnd verkehrt sie nach Elster- grauer, noch flacherer Bau. Das ist die neue Ke-
Text Josepha Landes werda, Richtung Norden, fünf Stationen, und mit gelbahn.
Fotos Simon Menges dem Ziel Chemnitz, über Riesa, zwei Stationen
Richtung Süden. Die Bahnanbindung, den Eisen- Ein neues Zentrum auf halbem Weg

Traktor
bahnersportverein und im weiteren Sinn auch
das neue Sportgebäude verdankt der Ort dem 2016 lobte die Gemeinde einen Wettbewerb aus,
seit Anfang des 20. Jahrhunderts ortsansässi- der das etwas unschlüssige Zwischenland von
gen Imprägnierwerk. Hier wurde zu Hochzeiten Bahnhof und altem Dorfkern deutlicher zum Zen-

Lok
des Netzausbaus begonnen, Bahnschwellen trum werden lassen sollte. Die alte Kegelbahn,
wetterfest zu machen; und auch die Ortsentwick- Treffpunkt für Jung und Alt, befand sich bis da-
lung fand Anstoß durch die Fabrik. Für den Haus- hin noch nahe der Werkssiedlung, gleichzeitig
halt der kleinen Gemeinde ist das Gewerbe bis in äußerster Randlage vis-à-vis einem Solarfeld,

Kegel
heute ein Segen. und war sehr marode. Zwischen Gemeindeamt
Am verwahrlosten Bahnhof liegen sich das und Bolzplatz hingegen zerfiel das alte Hortge-
Betriebsgelände des Imprägnierwerks und bäude, das, solange noch Jugendliche Interes­-
eine 1927 für dessen Beschäftigte errichtete, nun se daran gehabt hatten, als Jugendclub genutzt
frisch sanierte Wohnanlage gegenüber. Das worden war.

In Wülknitz, Landkreis Unter der Veranda stehen


mittlerweile Bänke des Bis-

Meißen, eröffnete 2018


tros. Mitte: im Hintergrund
die orangefarbene Turnhal-

eine neue Kegelbahn.


le aus DDR-Zeiten, im An-
schnitt der 30er Jahre Alt-
bau – jetzt Gemeindeamt;
KO/OK, ein junges Büro, Ausblick von der Veranda
aufs Spielfeld. Unten:
dessen Partner aus schwellenloser Eingang

Stuttgart und Leipzig


zusammenarbeiten,
konnte seinen Wettbe­
werbsbeitrag verwirk­ Ob eine Instandsetzung oder ein Neubau zum Ihre Kegelbahn setzten sie in einer Flucht hinter
lichen. Ein Projekt, das Zweck des Kegelbahnumzugs, sinnvoller wäre, das Gemeindeamt. Der Blick von der Bahnhof-

von Sensibilität für das zu entscheiden war den vierzehn Teilneh-


mern des Wettbewerbs überlassen. Punkten
straße auf den dahinterliegenden Bolzplatz bleibt
so frei. Um das Gebäude zieht sich des Som-
Rahmenbedingungen konnten KO/OK Architekten mit ihrem Vorschlag mers eine Blumenwiese. Waren die Mittel für die

zeugt.
einer äußerst flächen- und konstruktionseffi­ Bauaufgabe streng und eng, mangelten sie für
zienten neuen Holzkonstruktion aus vorgefertig- die Gestaltung des Freiraums. Gelbe, sandgebun-
ten Elementen. Die beiden Partner von KO/OK, dene Wege führen in ein Haus, das durch und
gebür­tige Tübinger und Kommilitonen an der Bau- durch von Pragmatismus zeugt, ohne sich Lange-
haus-Universität Weimar, hatten ihr Büro gera­- weile oder Resignation hinzugeben. KO/OK ha-
Der kompakte, niedrige ben es geschafft eine graue Kiste zu bauen, die
de erst gegründet, ein jeder an seinem Wohnort –
Baukörper lässt den
Blick von der Straße zum Fabian Onneken in Leipzig und Jan Keinath in weich und nahbar wirkt. Dabei blieben sie im in-
Bolzplatz frei. Stuttgart. tensiven Austausch mit den Gemeindevertretern

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und über den gesamten Planungsprozess hin- Formen, nun in rot und grün frisch lackiert, pas- nicht alltäglich. Meist werden Kegelbahnen heu­-
weg nah an ihrer Ursprungsidee. sen gut zur Sprache des Neubaus – sie könnten te in Stand gesetzt, denn Kegelvereine sind
Für die Fassade wählten die Architekten einen dagewesen, könnten aber auch neu sein. häufig Traditionsclubs. Die Aufgabe, so Architekt
klassischen Aufbau, dem sie jedoch mit Propor­ Im Inneren setzt sich der schnörkellos präzise Onneken, sei schon ziemlich einzigartig gewe-
tionenspiel Leben verleihen. Ein vorgehängter, Umgang mit der Bauaufgabe fort. Hier treten sen. Was die Architekten an ihr bewiesen haben,
niedriger Betonsockel, mit Zuschlag aus Elbe- der naturbelassene Ton der Lärche an den De- ist, dass ein geringes Budget kein Hindernis für
sand, erdet den Bau in kühlem Grau. Darüber cken, weiße Wände sowie blauer und roter Lino­ Qualität darstellen muss. Sie haben Funktionen
strukturieren Lisenen, die im Holzbauraster leumbelag in Einklang. Die Elektro-Ausstattung gebündelt und so das Raumprogramm gestrafft.
von 62,5 Zentimetern tanzen, eine mit ins Grün­ wurde durchgehend in Aluminiumrohren auf Putz Dafür konnten hochwertige Materialen wie die
liche tendierendem Hellgrau lasierte, vertika­- verlegt, auch die Beschläge sind in Alu gehalten. langlebige Keimfarbe für die Fassade und der
le Lärchenholzschalung. Das Gesims fasst eine Die Raumstruktur ist simpel. Selbsterklärend er- fein sandgestrahlte Segmentsockel verbaut
mittelgraue, einfach zurückgetreppte Zinkkan­- strecken sich die Umkleideräume für Kegler und werden. Die Baukosten beliefen sich auf 1,2 Mil-
te – kein schmaler, sondern ein markierter Dach­ Fußballer in einer Spange links des Eingangs. Die lionen Euro. Unterstützt wurde die Gemeinde
abschluss. Großflächige, bodenhohe Fenster Kegelanlage mit vier Classic-Bahnen nimmt den von der Sächsischen Aufbaubank, die im Rah-
reihen sich in die Fassadenstruktur und öffnen Großteil, etwa zwei Drittel des Innenraums, ein. men einer Sportförderung fast die Hälfte der
Umkleidekabine mit Ober- die öffentlichen Bereiche von Kegelbahn und Ausgestattet wurde sie, auf Wunsch der Sport- Kosten übernahm.
licht und Aufputz-Instal­
Sportlerbar zum Bolzplatz. Alle privaten Räume, ler, von einer Firma aus dem Erzgebirge, die, so Wülknitz mag ein bisschen trostlos erschei-
lationen; Sanitärräume mit
Raster-Versprung im So- Umkleiden und Sanitär, werden über das Dach wissen die Experten, ihre Aufstellflächen mit den nen, das Kegelbahn-Projekt zeigt aber, dass
ckel; Kegelanlage, gebaut belichtet. In Richtung der Zuwegung umfängt stärksten Prallwänden umfasst. die Frage, ob der sächsisch-ländliche Raum ohne-
von Möckel Kegelbahnen das Fassadenbild zudem eine Art Veranda als hin schon verloren sei, sich relativieren ließe,
aus Markneukirchen
Freiluft-Bistro mit Blick aufs Kick-Geschehen. Ländliches Bauen für Zusammenhalt mit Engagement von Innen und Außen, im Mitein-
Das Außenmobiliar des Horts, geschmiedete ander. Im vergangenen Jahr erhielten KO/OK
Sitzgruppen und Fahrradständer, wollten die Nut- Mit einem Blick auf die anderen von jenem Her- und die Wülknitzer für ihre Kegelbahn den zwei-
Das erwartbare Knallen der zer am liebsten ersetzt wissen, zum Glück aber steller aus dem Erzgebirge gebauten Kegelbah- ter Preis im Sächsischen Landeswettbewerb
Kugeln war den Bauherren fehlte dafür das Budget. Die einfach gestalteten nen wird deutlich: Die Wülknitzer Bauaufgabe ist „Ländliches Bauen“.
n der Planung kein Dorn im
Ohr. Auf Schallschutzele-
mente verzichteten die Pla-
ner aus Kostengründen.

Architekten
KO/OK Architektur, Stutt-
gart/Leipzig

Projektarchitekten
Fabian Onneken,
Jan Keinath

Mitarbeiter
Lisa Holzhauer, Lucas
Riedel

Bauherr
Gemeinde Wülknitz

Hersteller
Fassadenfarbe Keim
Verglasung Jet
Dach VMZink
Beschläge FSB
Sonnenschutz Rolltex
Bodenbelag Forbo
Armaturen Grohe
Sanitärobjekte Keramag
Während des Baus ent-
Leuchten Bega, li’arde
stand der Wunsch nach ei-
Schalter/Steckdosen Gira
ner Bar im Sportbereich.
Heizkörper Arbonia
Schnitt: Die Konstruktion
eines Köcherfundaments
ist dem industriellen Hallen-
bau entlehnt.
Grundriss und Schnitt im
Maßstab 1:500

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