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Das Southbank Centre und das benachbarte Na­ Das National Film Theatre, wie das Kino anfangs

anfangs Mediathek und im Juni 2021 die Ausschreibung


tional Theatre gehören zu Londons bekanntes­ hieß, wurde 2007 in BFI Southbank umbenannt. über 1 Million Pfund zur Modernisierung des La­
ten und umstrittensten Bauwerken von Moderne Das Gebäude nahm das einstige Museum of the den-, Kassen- und Personalbereichs.
und Brutalismus. Anstoß für die umfassende Moving Image (1999–2002) auf und wuchs wei­-
kulturelle Neugestaltung dieses einstigen Indus­ ter unter die Waterloo Bridge: Eine große Media­ Queen’s Walk entlang der Themse
triegeländes in der Mitte von London war 1951 thek des BFI – entworfen von Adjaye Associates –
das Festival of Britain, bei dem das Beste gefei­ sowie ein Laden, Studios, ein Café und ein Res­ Doch hier betrachten wir eine andere Renovierung
ert werden sollte, was das Land nach dem Zwei­ taurant entstanden. 1999 (ein gutes „Kinojahr“) – das Ergebnis eines Wettbewerbs des Ro­yal Ins­
ten Weltkrieg in Kunst, Technik und Architektur öffnete das BFI Imax nördlich der Waterloo Bridge titute of British Architects (RIBA), bei dem fünf Ar­
zu bieten hatte. Dauerhafte Gebäude wie die mit der größten Kinoleinwand Großbritanniens chitekturbüros eingeladen waren, die Gastrono­
Royal Festival Hall, aber auch temporäre Skulp­ in einer zylindrischen Glasstruktur, entworfen miebereiche und die Interaktion des Kinos mit der
turen, Pavillons und Freizeitparks leiteten eine von Avery Associates. Hauptpromenade der Southbank, dem Queen’s
gut drei Jahrzehnte dauernde intensive Entwick­ Obwohl die Covid-19-Pandemie Ängste bezüg­ Walk, neu zu gestalten. Bis dahin öffne­te es sich
lung ein, die sich bis heute fortsetzt. lich der Zukunft des Kinos wegen des Erfolgs mit einer verglasten Front und einem vom Zeit­
Das Kino war ein zentraler Bestandteil des Fes­ der Streaming-Dienste befeuert hat, scheint die­ geist überholten Café zu dieser Straße, die unter
tivals und spielt an dieser Stelle von jeher eine se Londoner Gegend alles zu bieten, was zufälli­- der Waterloo Bridge hindurchführt. Das Londo­
wichtige Rolle. Die Bebauungsabfolge erzählt ge Besucher wie auch Cineasten sich wünschen, ner Büro Carmody Groarke bekam den Zuschlag
hier eine ziemlich einzigartige Geschichte der von Blockbustern auf der Großleinwand bis hin für das Projekt, das 2018 fertiggestellt wurde.
Beziehung zwischen Architektur und Kinoerleb­ zu Archivsammlungen und kuratierten Program­ Die größte Herausforderung bestand in der
nis: Den Anfang machte 1951 das Telekinema – men. Allerdings erweisen sich die im letzten Jahr­ Sichtbarkeit. Obwohl schon so lange vor Ort,
ein grauer Stahlbau neben den Bögen der Water­ zehnt aufgekommenen Boutique-Kinos als Kon­ spielte das Kino im Quartier keine besondere Rol­
loo Station, in dem während des Festivals so­ kurrenz, denn nun erwarten Besucher die Be­ le, was bei einem Gebäude unter einer Brücke
wohl Fernsehsendungen als auch speziell für reitstellung von Angeboten, die dem eigentlichen nicht verwundert. Damit steht das BFI an der
das Festival produzierte Filme gezeigt wurden. Kinobetrieb oft nachgeordnet sind – Lounges, Southbank allerdings nicht allein da: Wie kann
1957 zog das British Film Institute (BFI), das für Bars, Räume für private Veranstaltungen und Bo­ man sowohl das gegenüberliegende Ufer anspre­
die Programmgestaltung des Telekinema zu­ nusprogramme. chen (dem alle Gebäude in dieser Gegend Vor­
Die illuminierten Panels des ständig gewesen war, in seinen jetzigen Stand­ Das BFI Southbank befindet sich als Teil einer rang einräumen) als auch die Belvedere Road und
umgebauten Kinos machen ort unter der von Sir Giles Gilbert Scott entwor­ staatlich geförderten Organisation in einer gu­ den Upper Ground im Süden? Jeder Versuch, ei­
den Raum unter der Water-
loo Bridge einladender als fenen Waterloo Bridge um, deren wuchtige Form ten Ausgangslage, um diese diversen Stürme zu nen Eingang an der Vorder- oder der Rückseite
„unter der Brücke“ üblich. aus Beton 1942 die Ästhetik des Brutalismus überstehen. So gab es im letzten Jahrzehnt ver­ des BFI zu gestalten, wird von der Waterloo Brid-
der Southbank gewissermaßen vorwegnahm. schiedene erfolgreiche, aber auch verworfene ge überschattet. Deshalb befand sich die Haupt­
Diese Brücke führt quer durch das Areal und Vorschläge für Umbaumaßnahmen. Am drama­ fassade seit 2007, großflächig verglast, an der
trennt das Southbank Centre einschließlich der tischsten war die Ablehnung des 2018 von Ole Theatre Avenue gegenüber dem National Thea­
1968 erbauten Hayward Gallery im Westen vom Scheeren vorgelegten Entwurfs für einen neuen, tre. In einer Zeit, in der das Kino für die Besu­

Licht und Wasser unter


1976 von Denys Lasdun errichteten National 180 Millionen Pfund teuren Hauptsitz des BFI. cher persönlicher und intimer werden muss, be­
Theatre im Osten. Die vier Leinwände des Kinos Seitdem gab man sich mit einigen bescheidene­ wirkten dieser das Lebensgefühl der Neunziger­
befinden sich unter den Bögen der Brücke, ren Änderungen zufrieden: unter anderem 2012 jahre vermittelnde Glaskasten und das anschlie­
was im Inneren nicht allzu offensichtlich wird. eine neue Bibliothek, 2017 die Modernisierung der ßende große Foyer das genaue Gegenteil.

der Brücke 6
1 British Film Institute (BFI)
Southbank Centre:
2 Queen Elizabeth Hall
3 Hayward Gallery

Carmody Groarke Architects verliehen dem British Film Institute an 3


4 National Theatre
5 Southbank/Queens Walk

der Londoner Southbank Strahlkraft. Zur Themse präsentiert sich 7


6 Belvedere Road

das in einem Brückenkopf verstaute Kino nun mit einer hell erleuch-
7 Upper Ground
8 Theatre Avenue

teten Front. Ein Foyer-Umbau, der aus dem Straßenbau bekannten 8


2 9 Themse

Materialien Gemütlichkeit entlockt. 1


5

4
Das Kino ist Teil einer Kultur-
Meile, nebenan befindet
Text Jon Astbury Fotos Luke Hayes
9 sich das National Theatre.
Carmody Groarke ziehen
eine Zwischenebene ein: Im
Café werden die Stahl­
betonrippen fast greifbar.
Lageplan im Maßstab
1 :2500

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Das Polycarbonat-Dach
Architektur
steht unter der Brücke
Carmody Groarke Archi­ hervor, wodurch die Signal­
tects, London wirkung zum Fluss ver­
Andy Groarke stärkt wird.

Mitarbeit
Lukas Barry

Auftraggeber
British Film Institute,
London

Hersteller
Verglasung Ridlands
Dachbelag Bauder
Boden Ketley Floor Tiles
Sanitärausstattung Vitra
Fliesen Solus
Leuchten Thorn, Encapsu-
lite, Storm Zenit
Aufzüge Kone

Die Umbaumaßnahme fo­ Die Einsichtigkeit des öf­


kussierte den Empfangs­ fentlichen Gebäudeab­
bereich des British Film Ins­ schnitts macht auch das
titute, der Saal blieb unan­ vorgelagerte Kai attrak­-
getastet. tiv zum Flanieren.

Die Renovierung hatte also zwei Ziele: Es war nö­


tig, den Eingang am Ufer prominent zu platzie­
Die größte Herausforderung ausdehnt und Ausblicke auf das Nordufer sowie
die Unterseite der Brücke bietet. Der neu gewon­
ren, damit sich das Kino in der betriebsamen Ku­ bestand in der Sichtbar- nene Raum ist zwar mit rund 100 Quadratmetern
lisse der Southbank behaupten könnte. Außer­ keit. Obwohl schon so lan- relativ bescheiden doch das Gebäude profitiert
dem sollten die Räume den Charme der Bouti­
que-Kinos bekommen – ein Lokal und Event­
ge vor Ort, spielte das Kino immens von der neuen Perspektive auf die Um­
gebung, die etwa beim Neujahrsfeuerwerk be­
bereiche –, um ein Publikum über die ausgespro­ im Quartier keine beson- stimmt voll zur Geltung kommt. Auch von außen
chenen Kinogänger hinaus anzusprechen. dere Rolle, was bei einem ist die Brücke durch eine gläserne Fläche über
Carmody Groarkes Ansatz war deshalb so er­ dem Vordach gerahmt und als Blickfang insze­
folgreich, weil sie nicht versuchen, die Brücke
Gebäude unter einer Brü- niert. Diese subtile Geste verleiht dem Eingang
in den Hintergrund zu drängen oder zu ignorieren. cke nicht verwundert. Tiefe und spielt auf die Leinwände an, die sich
Vielmehr wird ihre Form gefeiert, und sie dient im Bauch des Brückenkopfes befinden.
als Kontrapunkt zu dem neuen, eleganten Aus­ tique-Kinos en vogue, ist die Atmosphäre getra­ Als Hinweis auf das langjährige Erbe dieses
druck. In einer verhaltenen Art-Deco-Referenz gen und schwer. Eine Palette dunkler Rot- und Ortes wurde im Rahmen des Projekts das ur­
an die Kinos des „Goldenen Zeitalters“ präsen­ Brauntöne hebt sich gegen schwarze Metalltei­- sprüngliche Leuchtschild des National Film Thea­
tiert sich der neue Eingang durch ein, wie es die le und unverkleidete Rohrleitungen ab. Bezüge tre an der Seite der Waterloo Bridge restauriert
Architekten formulierten‚ „absichtlich low-tech“ zu Kinoattributen – etwa die Neonschriftzüge (entworfen in den Fünfzigerjahren von dessen
gehaltenes Vordach mit einer Brüstungsverklei­ und von den Zwanzigerjahren beeinflusstes Architekt Norman Engleback). Es ist zu hoffen,
dung aus glasfaserverstärktem Kunststoff, das Mobiliar – gibt es, jedoch sorgt die Gegenwart dass sich dieses Gespür für Kontinuität auch in
über dem sanierten Café mit seiner durchgehen­ der Brückenunterseite mit ihren Querträgern der künftigen baulichen Entwicklung des Orts
den Glasfassade liegt. Es ragt östlich und west­ dafür, dass das Ganze geerdet bleibt. Während finden wird. Die Form, in der Kino Teil des Lebens
lich sogar so weit hinaus, dass es an beiden eine Betonbrücke üblicherweise eher ein Ge­ ist, verändert sich über die Jahre, doch seine
Seiten der Brücke hervorlugt und damit von al­ fühl von Kälte erzeugt, findet man hier ein war­ Bedeutung als kultureller Raum, das zeigen die
len Blickwinkeln aus auf den Eingang hinweist. mes Ambiente. Zeitschichten an der Southbank, war stets gege­
Im Inneren ermöglicht eine große, kreisrunde Im Obergeschoss bildet die runde Aussparung ben. Schreiben wir die Geschichte fort!
Aussparung in der Decke des Erdgeschosses einen zentralen Bezugspunkt für eine Galerie­
den Blick auf die Brückenunterseite. Wie bei Bou­ bar, die sich auf eine Terrasse auf dem Vordach Aus dem Englischen von Beate Staib

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