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Rosa-Luxemburg- Kim Nalleweg

Stiftung Architekten und


Trujillo Moya
Ar­chi­tektur ha­-
ben den neu­en
Stiftungsbau
in Berlin realisiert

Vor den historischen Back-


steinbauten auf dem Areal
des ehemaligen Postbahn-
hofs haben die Architekten
einen modernen 32,5 Meter
hohen Ziegelbau errichtet.
Foto: Philipp Obkircher

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Es ist weder das höchste noch das größte Ge- was man umgangssprachlich Investorenarchi- Projekt in einer ARGE zusammengefunden haben
bäude in seinem Umfeld – und dennoch fällt es tektur nennt, wobei die Liste namhafter Archi- – Kyung-Ae Kim-Nalleweg, Max Nalleweg und
schon aus der Ferne ins Auge. Knallrot, mit auf- tekturbüros, die hier gebaut haben oder noch da- César Trujillo Moya – berichtet der Bauherrenver-
fälligen X-Stützen steht es an der S-Bahntrasse bei sind zu bauen, nicht zu verachten ist. Wer treter wenig überraschend erstmal von der ab-
inmitten des Entwicklungsgebiets „Spreeraum“. hierherkommt, tut dies gezielt: zum Arbeiten in surden Wertsteigerung des direkten Umfelds.
Ein Areal, auf das man ein bisschen wehmütig einem der Zalando-, Mercedes- oder sonstigen Um die Nachbarschaft zu greifen, in die sich die
schaut. Es erstreckt sich im Berliner Bezirk Fried- Bürobauten oder zum Besuch einer Großveran- Rosa-Luxemburg-Stiftung als öffentliche, poli­
richshain-Kreuzberg von der Jannowitzbrücke staltung. Die Erdgeschosszone ist kaum mit Nut- tische Einrichtung bewusst begeben hat. Sie ist
im Westen bis zur Elsenbrücke im Osten, be- zungen des öffentlichen Lebens belegt worden. eine von sechs parteinahen Stiftungen in
grenzt vom Bahnviadukt im Norden und der Kö- Der einzige „Platz“ im Viertel ist der Mercedes- Deutschland, wurde 1990 gegründet und steht
penicker bzw. Schlesischen Straße im Süden. Platz vor der gleichnamigen Arena, der von Rekla- der Partei Die Linke nahe.
Dazwischen fließt die Spree. Das Gebiet im ehe- metafeln immer hell erleuchtet wird. So sehr lan- 2014 wurden ihr Bundesmittel für einen Neu-
maligen Grenzraum zwischen dem Ost- und ge werden hier keine Kräne mehr stehen müs- bau zugesichert; schon 2013 hatte sie sich um
dem Westteil der Stadt wandelt sich zu einer Art sen: Die meisten „Landmarks“ erreichen bald ih- ein Grundstück bemüht. Die Entscheidung fiel
„Freizeitmeile“ mit Konzerthallen, Shoppingmall, ren Zenit, darunter ein von BIG entworfener Turm auf die Fläche an der Straße der Pariser Kommu-
Schnellrestaurants, Hotels und Unternehmens- mit einer geplanten, unvorstellbaren Höhe von ne, die Teil des ehemaligen Postbahnhofs ist.
zentralen, erdacht als eine Art städtebauliches 140 Metern. Neben der guten Anbindung an das öffentliche
Bindeglied. Insbesondere zwischen Ostbahnhof Bei der Besichtigung des Neubaus mit der Ar- Verkehrsnetz schätzte der Bauherr das histo­
und Warschauer Straße ist es geprägt von dem, chitektin und den Architekten, die sich für dieses rische Umfeld mit den Packhallen, die als Relikt

Text Kirsten Klingbeil Fotos Philipp Obkircher

Viel Rot, viel Ziegel


Die ARGE aus Kim Nalleweg Architekten und Trujillo Moya Architek-
tur hat für die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin ein Haus gebaut.
Dank strikter Gestaltungsprinzipien entstand trotz engem Kosten-
rahmen und dichtem Raumprogramm ein überzeugendes Büroge-
bäude.
Kein Dekor, auch wenn es
1 Ostbahnhof
einen Betonkosmetiker
brauchte, um die Xe in die- 2 Straße der Pariser
ser Qualität zu realisieren: Kommune
Die Stützen sind Teil eines 3 Postbahnhof
Vierendeelträgers und
4 Mühlenstraße
nehmen die Last der Hoch-
hausscheibe auf. 5 Spree
Lageplan im Maßstab
1:10.000 1

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des ehemals industriell geprägten Arbeiterbe- diesen gern mit gläsernen Wänden vom umlau-
zirks noch erhalten sind. fen Foyer getrennt, um so das stützenfreie Ge-
2016 wurde der offene, 2-phasige Architektur- schoss erfahrbar zu machen, denn die Last der
wettbewerb für den Stiftungsbau mit 155 Ein­ Hochhausscheibe wird von Trägern abgefangen,
reichungen eindeutig mit einem ersten Preis und die man durch den abgehängten Gitterrost an
keinem zweiten Preis entschieden. Die jungen der Decke erkennt. Man kann diesen Wunsch gut
Architekten überzeugten mit ihrem Entwurf eines nachvollziehen. Stattdessen wurde eine nicht-
breiten Sockels für öffentliche Nutzungen und tragende Kalksandsteinwand eingezogen, in der
darüberstehender, schmaler Hochhausscheibe auch die vom Foyer aus zugängliche Garderobe
für Büroräume, die von prägnanten X-Stützen integriert wurde.
getragen wird. Und natürlich mit den großen Ter- Schon am schmalen, umlaufenden Foyer wird
rassen. deutlich, dass mit Raum nicht verschwenderisch
Das Wettbewerbskonzept findet sich so im umgegangen wurde. Vielmehr wurde versucht,
fertigen Haus umgesetzt wieder: Der eingeschos- aus jeder Baumaßnahme das größtmögliche Nut-
sige Sockel erstreckt sich fast über das gesam- zungspotenzial zu erzielen: Die großen Fenster
te Grundstück. In dessen Mitte liegt der stützen- im Foyer sind mit Sitzbänken versehen und die-
freie, vier Meter hohe Veranstaltungssaal, der nen auch als Schaukästen für die Stiftung. Die
mit mobilen Raumteilern in drei kleinere Räume eingestellte Trennwand zum Veranstaltungssaal
unterteilt werden kann. Die Architekten hätten ist Verdunklung und Garderobe in einem, das
Das einzige bis ins 8. Ober-
geschoss durchgehende
Treppenhaus ist zugleich
Fluchtweg. In den Büro­
räumen liegt statt der an-
sonsten allgegenwärtigen
Das Foyer rahmt den teil­
Fliesen ein Kugelgarntep-
baren großen Veranstal-
pich.
tungssaal im Erdgeschoss.
Schnitt im Maßstab 1:500
Die Fenster dienen auch
als Schaukästen für Ausstel-
lungen.

Architekten
ARGE Kim Nalleweg Archi-
tekten + Trujillo Moya Archi-
tektur; Kyung-Ae Kim-Nalle-
weg, Max Nalleweg, César
Trujillo Moya

Mitarbeiter
Paul Künzel (Wettbewerb),
Klaus Deterding, Sofia
Ceylan, Timo Büscher, Julika
Krönerat

Bauleitung
Architekturbüro Schasler,
Berlin

Haustechnik
pin – planende Ingenieure,
Berlin

Tragwerk
SFB – Saradshow Fische-
dick Berlin Bauingenieure

Bauphysik
Müller-BBM, Berlin

Brandschutz
hhpberlin Ingenieure für
Brandschutz, Berlin

Geotechnik
IFK, Berlin

Bauherr
Grundstückgesellschaft
EG, 1. OG und Regelgeschoss
Straße d. Pariser Kommune 8
im Maßstab 1:500

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Die Farbwahl liegt auf der
Hand: Es ist die Partei-Far-
be Der Linken und soll Be-
zug nehmen auf den roten
Schutzanstrich von Indus­
triebauten. Die Terrassen
sind im Prinzip der einzige
nutzbare Außenraum der
Stiftung.

Treppenhaus Erschließung und Fluchtweg. Eine Es entstehen unweigerlich im ersten Geschoss liegen die Bibliothek und deutig in der Gegenwart verorten. Für die Büro- Nur im 1. Obergeschoss sind
die X-Stützen auch aus dem
Reaktion auf den engen Kostenrahmen und das zwei Besprechungsräume an den Kopfseiten – räume hatte der Nutzer zwei Wünsche: Fenster,
dichte Raumprogramm.
Assoziationen zu Verwal- und man gelangt auf die beiden Dachterrassen die sich öffnen lassen, kein Großraumbüro. Es
Innenraum wahrnehmbar
und unterstreichen dort
Die Stringenz in der Gestaltung, die man schon tungsbauten der 60er- und auf Höhe der Bahntrasse. wurden 599 Fenster im gesamten Haus verbaut. einmal mehr den rauen Aus-
bau Charme der Innenräu-
von außen auf den ersten Blick wahrnimmt, setzt
70er-Jahre. Die X-Stützen Hier entspringt quasi die Hochhausscheibe. Die Konstruktion mit drei Flügeln ermöglicht ei-
me.
sich mit der reduzierten Materialwahl im Innen- Ihre Fassade hat ein minimales Streifenrelief auf nen angemessenen Schutz vor dem Lärm des
raum fort. Sichtbeton, Holzfenster, am auffälligs- verorten das Gebäude ein- Höhe der bündig sitzenden, aluminiumverklei­ Verkehrs und der Bahntrasse. Außerdem ließ sich
ten: der rote Boden aus Klinkerfliesen, der sich, deutig in der Gegenwart. deten Fensterbänder. Der industriell gefertigte, so der Sonnenschutz, zwischen den Flügeln sit-
abgesehen vom Teppichboden in der Bibliothek glatte Ziegel verleiht der Fassade trotz des eher zend, wartungsarm integrieren. An langen Fluren
und den Büroräumen, durch das gesamte Ge- Dekor, sondern außenliegendes Tragwerk als Teil einfachen Materials eine schlichte Eleganz. Dort, liegen die Büroräume. Sie sind klein, mit ein oder
bäude zieht. Selbst an den Wänden der Sanitär- von Vierendeelträgern mit sich kreuzenden Stüt- wo die zwei Erschließungskerne sitzen, ist die zwei Arbeitsplätzen. Zusätzlich gibt es Grup-
räume findet man die Klinker. Nichts wird ver- zen. Ober- und Untergurt liegen hinter der Fas- Fassade geschlossen. Hier kann die Stiftung mit penräume. Mit der kleinteiligen Struktur geht die
steckt. Technische Installationen sind offen ge- sade. Die X-Stützen bilden einen starken Kontrast Plakaten zu ihrer Arbeit in den Außenraum strah- Offenheit der unteren Geschosse naturgemäß
führt. Alle zusätzlichen Ausstattungselemente zur restlichen Fassade. Gerade dadurch wird len. Es entstehen unweigerlich Assoziationen etwas verloren. Dank der umlaufenden Fenster
wie Schalter, Steckdosen, Türen, Lampen setzen eine Spannung erzeugt, die die vermeintliche Ein- zu Verwaltungsbauten der 60er- und 70er-Jahre, bleibt von überall der weite Blick auf das hetero-
sich in schwarz ab. Natürlich sind auch die X-Stüt- fachheit der Scheibe im doppelten Sinne zum wobei die strenge, gradlinige Ausführung und gene Stadtgefüge, in das die Architekten selbst-
zen, wie man vielleicht vermuten könnte, kein Tragen bringt. Hinter der umlaufenden X-Reihe der Bruch mit den X-Stützen das Gebäude ein- bewusst einen modernen Solitär gesetzt haben.

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