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Eisenbahnstädte, Siedlungen auf stillgelegten selbe Schicksal ereilen?

sal ereilen? Anfang der Nullerjahre mit viel Aussicht aufs Wasser, aber wenigen öf­ Preisträger  Cobes klare
Schienenbündeln großstädtischer Hauptbahn­
höfe, entstehen überall in Europa. Sie heißen
entstand das mittlerweile vielkritisierte Ørestad,
eine sturmumsauste Ansammlung von Großso­
fentlichen Räumen und erneut ohne Parks. Etwa
seit 2010 wächst der dichtere Nordhavn mit groß­ 1 Anordnung verschiedenar­
tiger Baukörper erachtet
die Jury als vorteilhaft für
gern „Europaviertel“. Aus immobilienwirtschaft­ litären ohne geplanten Freiraum dazwischen, zügigen öffentlichen Hafenpromenaden, aber eine Quartiersbildung. Die
licher Sicht boten diese riesigen Flächenreser­ dafür aber breite Verkehrsadern. Später folgte kaum architektonischem Zusammenhang und Fortschreibung der histo­
rischen Werksfunktion gin­
ven in Innenstädten Profitpotenzial. Aus gesell­ unter anderem ein neues Viertel in Sydhavnen vorwiegend Wohnungen für Wohlhabende. „Ko­ ge aus den angedachten
schaftlicher Sicht wurden die Chancen vielerorts penhagen ist heute ein gutes Geschäft“, schrieb neuen Aktivitäten hervor.
verspielt. In Deutschland sind diese Stadtent­ Architekturkritiker Karsten Ifversen 2019 in „Kapi­ Alle Abbildungen: Verfasser
Parallelauftrag
wicklungsprozesse, mit der Bahn-Gesellschaft tal. København under forvandling”: „Aber archi­
Preisträger Cobe, Kopenhagen
als privatwirtschaftlichem Akteur, unglücklich tektonisch und stadträumlich gibt es noch nicht
Weitere Teilnehmer Snøhetta, Oslo; BIG und SLA; Vand­
verlaufen. Die Mechanismen des Markts wurden viel zu feiern in den neuen Stadtteilen auf alten
kunsten und Holscher Nordberg; WERK Arkitekter, alle
wenig politisch begleitet, als Resultat entstanden Kopenhagen Industriegeländen und neuen Hafenauffüllun­
sterile, hochpreisige Viertel und wenig bezahl­ Alle Teilnehmer erhielten ein Honorar in Höhe von 600.000 gen“. Die soziale Variation scheint Ifversen so gut
barer Wohnungsbau, geschweige soziale Infra­ DKK wie nicht gegeben.
struktur. Jury
Auch in Kopenhagen soll jetzt das alte Gü­ Karen Mosbech, Søren Beck-Heede, Carsten Rasmussen, Offene Ideenphase vorab
terbahnhofgelände südlich des Hauptbahnhofs Lars Gøtke, Flemming Frost, Martin Laursen Jernbanebyen umfasst 55 Hektar, davon werden
entwickelt werden. Wird diese „Jernbaneby“ Auslober 17, im Zentrum gelegene, noch für den Bahnbe­
(deutsch: Eisenbahnstadt) ebenso wie den schon DSB Ejendomsudvikling, Taastrup, und Freja Ejendomme, trieb verwendet. Das Gelände ist Eigentum der
Frederiksberg
realisierten neuen Stadtteilen Kopenhagens das Dänischen Staatsbahnen (DSB) und der staatsei­

Text Marie Bruun Yde

Jernbanebyen genen Immobiliengesellschaft Freja Ejendomme. 25 Prozent Sozialwohnungen angestrebt. Immer­ Freizeitaktivitäten und Treffpunkte vorgeschla­
Als Auslober eines Parallelverfahrens, ähnlich hin soll es einen Park von rund zehn Hektar ge­ gen. In der Ausschreibung finden sie sich als
Supergrün, autofrei, kulturhisto­ einem Workshop, wünschen sie sich einen „grü­ ben, überhaupt sollen Grün und Urbanität sich eines der Hauptprinzipien im Anspruch einer
nen Stadtteil“. Einige der auf dem Gelände be­ ergänzen. Fortschrittlich sind die Vorgaben für „Balance zwischen Stadtleben, aktiven Gemein­
risch und gemeinschaftlich soll
findlichen alten Bahngebäude sollen in die Neube­ den motorisierten Verkehr: der Stellplatzschlüs­ schaften, Privatleben und Ruhe“ wieder.
Kopen­ha­gens neuer inner­städ­­ti­
bauung integriert werden. Seit zwei Jahren gibt sel liegt bei 0,25.
scher Stadtteil auf ehemaligem es darin Ateliers, Veranstaltungen und Restau­ Darüber hinaus betonte das Wettbewerbspro­ Kleinteilig und situativ
Bahngelände werden. Echte Stadt rants, wodurch Jernbanebyen ein neuer Trend­ gramm, dass der neue Stadtteil zusammen mit Die Konzepte der fünf konkurrierenden Teams
für alle oder nur Simulation von kiez Kopenhagens wurde. den Stadtbewohnern entwickelt werden soll. sind ähnlich. Die Lärmbelastung an den Rändern
Gemeinwohlorientierung? Cobe Wie dicht das neue Viertel werden solle, auch Deshalb wurden alle Bürger vorab gebeten, Ide­ macht eine Orientierung nach innen notwendig.
gewinnt den Wettbewerb mit das zu untersuchen, war Teil der Wettbewerbs- en für die zukünftige Jernbaneby einzureichen. Alle Entwürfe präsentieren ein grünes Gewebe,
Ty­po­lo­gienvielfalt und Situations­ aufgabe. Dahingehende Vorgabe war eine Ver­ Rund 70 Vorschläge von Nachbarn, Vereinen und das sich durch das gesamte Wettbewerbsgebiet
gefühl. dichtung nach Süden, von einer GFZ von mindes­ Gewerbetreibenden flossen in die Ausschrei­ zieht. In diesen Freianlagen liegen verschiedene
tens 1,0 am nördlichen zu 1,75 am südlichen Aus­ bung ein. Von den eingangs erwähnten Fehlern Quartiere wie Schollen eingebettet.
läufer. Die Wohnunnutzung soll gegenüber Ge­ in anderen neuen Stadtteilen Kopenhagens war Der Siegerentwurf von Cobe hebt sich durch
werbe und sozialer Infrastruktur mit 70 zu 30 do­ als „tote Stadträume“ immer wieder die Rede. einen sensiblen städtebaulichen Blick ab. Wie
minieren. Wiederum ist nur das Mindestmaß von Als Gegenmaßnahmen wurden allerlei Ideen für gewohnt lässt sich das Team auf die Komplexität

Der Siegerentwurf von Cobe:


Nordwestlich ist die „Eisen­
bahnstadt“ durch den Bo­
gen der aktiven Gleisanlage
umschlossen. Auf der Ge­
genseite trennt eine Schnell­
straße das seit Anfang der
2000er entwickelte Viertel
Sydhavnen ab.

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und Eigenart des Ortes ein. Die Tiefe und Details tiert bleiben. Bei BIG, Snøhetta und WERK sind Rekreativ gesättigt Teilnehmer Snøhetta ver­
des Masterplans stechen ins Auge. Die Variation
der Typologien sowie Proportionen der Stadt­
die Gebäudevolumen weniger differenziert, sie
bleiben einen Beweis schuldig, dass die Platzie­
Wird also Jernbanebyen die Qualitäten bieten,
die den anderen neuen Stadtteilen Kopenhagens T siegelt wenig Fläche und
schlägt dafür höhere, dich­
tere Quartiere vor. Diese
räume und der Fokus auf Orte des Miteinanders rung der Häuser zu attraktiven Wohnsituationen fehlen? Die Ziele der Ausschreibung entspringen Konsequenz findet die Jury
überzeugen mit kleinteiliger und situativer Aus­ führen kann und ein interner Zusammenhang dem gesamtstädtischen Entwicklungsplan einen zu hohen Preis für
den Freiraum.
arbeitung. Die Visualisierungen zeigen fließende wie auch eine Verbindung zur restlichen Stadt „Kommuneplan 19“. Dieser zielt auf ein „nachhal­
Übergänge zwischen privaten und öffentlichen, möglich ist. Der von BIG bekannte Ansatz, ein tiges“ Kopenhagen – bis 2025 will man CO2-neu­
grünen und bebauten Räumen sowie Koexistenz einfaches Prinzip zu verfolgen (der bei der Archi­ tral werden – und ermöglicht den Neubau kleiner
von Alt und Neu, Dichte und Leere, Aktivität tektur prima funktionieren kann) bewirkt hier Wohnungen. Der ausdrückliche Wunsch nach
und Erholung, Wildnis und Pflege. Gleichzeitig er­ zwar eine Stärkung der Stadtnatur, im städte­ gemischten Wohnungstypen und Eigentumsver­
füllen sie das Ziel des Wettbewerbsprogramms baulichen Maßstab verharrt er jedoch in Schema­ hältnissen in Jernbanebyen ist also realistisch.
„mehr Menschen die Möglichkeit zu geben auf tismus. Mehre Projekte schirmen sich zu kräf­- Die Auslober erwarten auf Nachfrage keine exklu­
weniger Quadratmetern zu wohnen und mehr in tig von den umringenden Verkehrsstraßen und sive Stadt wie die wassernahen Stadtteile, son­
den Räumen der Stadt zu leben“. dem Bahndamm ab, zum Beispiel mit einem ho­ dern man adressiere ein Segment, das ökolo­
Auch Vandkunsten, die seit 1970 Masterpläne hen Wall. Auch hier präsentiert Cobe den sym­ gisch und urban orientiert sei. Auch die Pläne für
und Wohnungsbau in Verbindung bringen, be­ pathischsten Schallschutz mit verschiedenen Grünräume, Spiel- und Sportplätze könnten zu­
gegnen der Komplexität des Gebietes mit vielfäl­ lokalen Lösungen und Öffnung zur umgebenden mindest teilweise den Hunger nach Erholungs­
tigen Wohnsituationen, die jedoch zu fragmen­ Stadt. gebieten im Stadtzentrum kompensieren.

Teilnhemer Vandkunsten

T arbeiteten mit Holscher


Nordberg zusammen. Ihre
Expertise im Wohnungsbau
zeigt sich an der Vielzahl
verschiedener Wohnsitua­
tionen.

Teilnehmer BIG und SLA’s Teilnehmer WERKs Häuser

T Entwurf hebt plakativ die


Stärke ihrer Grünstrategie
hervor, scheint jedoch im
T bleiben geometrisch, der
Freiraum wenig organisch.
Die Jury beklagt insbeson­
Lageplan repetitiv und ein­ dere landschaftliche Einbu­
fach. Es bleiben Zweifel, ßen durch den Vorschlag
ob die Quartiere mit einan­ einer bis zu acht Meter ho­
der und der neue Stadtteil hen Wallanlage um den
mit der Gesamtstadt ver­ Stadtteil.
wachsen können.

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