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Anspruch auf Dilemma 3

Text Sophie Wolfrum

Anfang Juli wurde in Mün- „Die KOOPERATIVE GROSSSTADT eG baut im werden: das atmende Haus, Adressierung des
neuen Münchner Stadtteil Freiham ihr zweites Straßenraumes, spezifische Qualitäten des
chen ein zweiter Wettbe- Projekt mit 42 Wohnungen. Das Ziel ist ein Woh­ Wohnens im Erdgeschoss, Erschließungsräume
werb der „Kooperative nungsbau, der ambitionierte Architektur mit als Orte der Hausgemeinschaft sowie ein „for­

Grossstadt“ entschieden. zukunftsfähigen Konzepten des Wohnens ver­


eint.
(...) Die KOOPERATIVE GROSSSTADT eG
schendes Bauprojekt (...) also eine kritische Hin­
terfragung des Programms selbst (...)“.
Die von Architekten ge- ist davon überzeugt, dass diese Ansprüche nicht Auf Grund dieses Programms wurden 81 Ent­
gründete Genossenschaft mit den herkömmlichen Konzepten des Woh­ würfe eingereicht, 14 davon kamen in die Engere
nungsbaus eingelöst werden können.“ Soweit Wahl und damit in die öffentliche Sitzung des
will in Freiham zeigen, der Pressetext mit der Einladung zum öffentli­ Preisgerichts unter dem Vorsitz von Verena von ein 3. Preis  Arian Freund,

wie Qualität im Wohnungs- chen Preisgericht für das Projekt „Freihampton“. Beckerath. Dort wurde Anfang Juli das Dilemma Leonard Palm und Moritz
Wieczorek schlagen drei
bau gelingen kann. Bei der Die einladende Baugenossenschaft, die Archi­
tekten, darunter Almannai Fischer, Katharina
der Baugenossenschaft offensichtlich: auf der
einen Seite der Anspruch, Wohnungsbau besser
Punkthäuser mit unter­
schiedlichen Wohnformen
öffentlichen Jurysitzung Leuschner und Wolfgang Rossbauer, 2015 in Mün­ zu machen, als Bauträger es tun, auf der ande­ vor. So verhandeln sie in
ihrer Arbeit die Bedeutung
zum Projekt „Freihampton“ chen gegründet haben, zählt inzwischen über ren Seite ein enger wirtschaftlicher Rahmen. Die des Kollektivs für die Ge­
300 Mitglieder. Die sorgfältig ausgearbeitete 42 Wohnungen sind in eine unerbittliche Förder­
prallten jedoch Ideal und
nossenschaft.
Auslobung unterstreicht den Anspruch auf Inno­ kulisse eingebunden, und das Trauma des ers­
Wirklichkeit aufeinander. vation im Wohnungsbau. Explizit angesprochen ten Wettbewerbsprojekts der Genossenschaft

1. Preis  Die Arbeit von ein 3. Preis Romina Grillo,


Nikolas Klumpe lobten die Liviu Vasiu, Vasiliki Papadi­
Preisrichter für ihre räum­ mitriou und Laura Brixel
liche Durchlässigkeit. Die verstehen Freihampton als
Auflösung der Ecke durch eine suburbane Garten­
einen zweigeschossigen stadt. Auf beiden Riegeln
Pavilion sahen sie positiv. sehen sie Dachterrassen
Lagepläne im Maßstab vor, Laubengänge verzah­
1:1000, Grundrisse im Maß- nen Innen und Außen stra­
stab 1:333, ßen- gleichwie gartenseitig.
Alle Abb.: Verfasser

1 3
Offener einphasiger Realisierungswettbewerb
alle Preisträger erhielten ein Preisgeld von 8000 Euro
1. Preis Nikolas Klumpe, Mannheim
ein 3. Preis Arian Freund, Leonard Palm, Moritz Wieczorek,
Berlin
ein 3. Preis Romina Grillo, Liviu Vasiu, Vasiliki Papadimitriou,
Laura Brixel, Zürich
ein 3. Preis ARGE Becker, Basista, Jansen, Hamburg
ein 4. Preis Current Practice, MHO, SWStudio, Köln
ein 4. Preis Studio Urbane Strategien, Sowatorini Land­
schaft, Berlin/Stuttgart
ein 4. Preis Schaller + Partner Architekt und Innenarchi­
tektin, Klosterlanghiem
ein 4. Preis Architekt Axel Baudendistel, Baumstark Biel­
meier Architekten, München

Jury
Verena von Beckerath (Vorsitz), Jan de Vylder, Anna Viader,
Florian Summa, Tanja Seiner, Reem Almannai, Christian
Hadaller

Auslober
KOOPERATIVE GROSSSTADT eG, München

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im Stadtteil Riem, dessen Sieger, ein Entwurf

3 von Tim Schäfer, Pablo Donet Garcia und Tanja


Reimer, sich als nicht finanzierbar herausstellte, 4
wirkt nach. Dazu kommt die Skepsis, ob die
Genossen vielleicht doch nicht so experimentell
wohnen wollen. Das Pendel der Debatte schlug
im Laufe des Tages zusehends nach der zweiten
Seite aus, und so wurde mit dem Vorschlag von
Nikolas Klumpe ein Entwurf zum Sieger gekürt,
der derart konventionell ist, dass es eines Wett­
bewerbes eigentlich gar nicht bedurft hätte.

Im Zeilenbau nichts Neues


Das Grundstück in Freiham nimmt eine nach
ein 4. Preis Das Projekt von ein 4. Preis  Schaller + ein 4. Preis  Axel Bauden­
Süden und Osten orientierte Ecke im von West 8 Studio Urbane Strategien Partner entwarfen eine Vil­ distel und Baumstark
entwickelten Bebauungsplan ein, der Vielfalt und Sowatorini Landschaft la, ein Eckhaus und eine Bielmeier sprengten mit
„atmet das Leben“, so die Gartenhaus. Diese werden ihrem Vorschlag die im
und Kleinteiligkeit fördern möchte und dazu eine
Jury. Eine begrünte Galerie verschieden erschlossen Bebauungsplan vorgesehe­
stark differenzierte Höhenentwicklung vorsieht hält die Gemeinschaft zu­ und bieten „einen bunten ne Masse, gliederten das
– die Blockecken werden betont. Klumpes Ent­ sammen. Strauß“ Wohnformen. Vo­lumen aber überzeugend.
wurf spart genau diese Ecke aus und besetzt
ein 3. Preis  Die ARGE gen Riegel. Die Jury begrüß­ sie mit einem Pavillon, in dem sich der geforderte als Zuschaltzimmer genutzt werden oder der
Becker, Basista, Jansen kon­
zentriert das Bauvolumen
in einem sechsgeschossi­
te zwar den resultierenden
Freiraum, sah jedoch städte­
baulich Schwierigkeiten.
Gemeinschaftsraum, eine Werkstatt und der
Müllraum befinden. 4 Hausgemeinschaft zur Verfügung stehen. In dem
anderen Haus sind die entsprechenden Räume
Die negative Ecke ist ein charakteristisches zwar in gleicher Weise grafisch hervorgehoben,
Element der Zeilentypologie im Wohnungsbau, entpuppen sich aber bei näherer Betrachtung
die hier städtebaulich gerade nicht gewollt war. als die im Raumprogramm geforderten 1–Zimmer
Und auch die Wohnriegel, mit je zwei Treppen­ Wohnungen. Dadurch wird das Haus zum kon­
häusern, beide als 2– bzw. 3–Spänner mit konven­ ventionellen 3–Spänner. Vielleicht kann der Dach­
tionellen Wohnungen bestückt, zeugen davon. garten auf dem niedrigeren Westteil die Haus­
Die Grundrisse unterscheiden sich vom Mittel­ gemeinschaft bereichern.
flur–Typ nur dadurch, dass die Wand zum Wohn­
zimmer ausgespart wird und das gegenüberlie­ Das Schweigen des Publikums
gende Zimmer mit einer Doppeltür zugeschaltet Von den Entwürfen, die tatsächlich in dem einen
werden kann. Die Ausrichtung der Wohnungen oder anderen Bereich innovative oder unkonven­
führt dazu, dass die Schlafzimmer des einen tionelle Lösungen anboten, wurden drei gleich­
ein 4. Preis  Current Prac­
tice, MHO und SWStudio Riegels nach Osten auf die Straße blicken, Wohn­ wertig mit dem 3. Preis bedacht, sowie vier mit
gestalten einen wilden zimmer, Küchen und Balkone nach Westen dem 4. Preis. Den Abstand zum 1. Preis unter­
Innenhof. Die Grundrisse in den Hof. Dort aber begegnen sie den nach streicht die Jury. Zudem verbleiben sechs Entwür­
findet die Jury zwar nicht
optimal, hält den Entwurf Norden orientierten Schlafräumen des zweiten fe in der engeren Wahl, unter anderen diejeni­
aber für gut finanzierbar. Hauses. Das Leben auf dem Balkon der einen gen, die sich explizit auf die Einladung zu einem
trifft auf die Rückzugsorte der anderen. Das ist „forschenden Bauprojekt“ berufen haben.

4 Zeilenbau der Moderne, der allein aus der opti­


malen Orientierung der Wohnung zur Himmels­ 4 Das Publikum der öffentlichen Jury, das sich
vor Beginn schriftlich verpflichten musste, nicht
richtung gedacht ist und das städtebauliche zu kommentieren, sah diese Entscheidung im
Gefüge ignoriert. Laufe der Debatte kommen, denn immer wieder
Die „Adressierung des Straßenraumes“ soll wurde an das Desaster des ersten Wettbewer­
allein durch die Hauseingänge und den Pavillon bes „San Riemo“ erinnert. Viele Zuschauer waren
eingelöst werden. Jedoch, die Straßenfassade sehr enttäuscht: Der mit Anspruch ausgelobte
könnte kaum monotoner sein. Auch die Hofseite, Wettbewerb kulminierte in einem herkömmli­
geprägt von einer Feuerwehrumfahrt und der chen Konzept von Wohnungen. Eine von Architek­
Tiefgarageneinfahrt, lässt keine besondere Qua­ ten gegründete Baugenossenschaft, die gegen
lität erkennen; ebenso wenig die Freiräume. die Banalität des Münchner Wohnungsbaus an­
Worin liegt nun überhaupt das Geheimnis des getreten ist, hat ebenso mit der Mühsal der Um­
Entwurfs, der in der Debatte der Jury als derjeni­ stände zu kämpfen wie die verfemten Bauträger.
ge mit „wunderbaren Grundrissen“ gehandelt Einer der Preisrichter wies denn auch darauf hin,
wurde? Die gewünschten „Kooperationsräume“ dass ein Wettbewerbsentwurf kein Baugesuch
im Ost–West–Riegel sind tatsächlich sehr ge­ sei. Bleibt also die Frage, welcher Weg zwischen
schickt balkonseitig in der Achse des Treppen­ Wettbewerbsergebnis und Baugesuch liegen
hauses, zwischen je zwei Wohnungen angeord­ wird, wo die Genossen scheinbar doch allzu gro­
net. So können sie entweder von den Nachbarn ßes Risiko scheuen.

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