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Sie haben Ihre Ausstellung „Willst du wirklich neue Ideen im Wohnungsbau. Wir haben für die
wohnen wie deine Mutter?“, die kürzlich im städtische Wohnungsgesellschaft Stadt und
Architekturforum Aedes in Berlin zu sehen war, Land ein Grundstück in Neukölln bearbeitet und
Wiener Büro PPAG über fend Belegung und Nutzung bewirken einen Splitlevel- nung kollabiert schon bei der alleinerziehenden partner für die Generalplanung ihrer Wohnungs-
elastisch (Abb. links), auch Versatz. Die Rundumorien- Mutter, die im Wohnzimmer auf dem Sofa schläft, bauten. Ein gutes Konzept! Dieses Team der
über dessen Potenzial Situation. In diesem Fall sind jekt wurde ohne Angabe Berliner Projekte von PPAG. Wie kam es dazu, Mit welchem Projekt sind Sie dann in Berlin an
es die den Anrainern über von Gründen vom damali- dass Sie als Wiener Architekten in Berlin tätig den Start gegangen?
Jahrzehnte liebgewordenen gen Senat gestoppt. In wurden? Anna Popelka Für unser erstes Grundstück am
Bäume und Pfade auf ei- der Ausstellung bei Aedes
Interview Maik Novotny nem brachliegenden Areal wurde ein 1:1-Modell des Anna Popelka Begonnen hat es Ende 2013 mit Wiesenschlag in Zehlendorf haben wir die geübte
in Zehlendorf. Je vier Woh- 54m2-Typs gezeigt.“ „Urban Living“, einem Call des Landes Berlin für Praxis des Wohnbaus ziemlich weit hinter uns
Anna Popelka
Foto: Franz Pfluegl
gelassen – von der Wohnung bis zum Städtebau. Grundstück bearbeiten, müssen wir keinen es eher: Bringen wir es überhaupt zusammen,
Wir haben eine Wohnung mit einer Raumkon Beamten fragen, was dort genehmigungsfähig dass wir genug Wohnungen bauen? Dadurch
figuration entwickelt, die sich gut an sich rasch ist, das ist alles aus dem Bebauungsplan ersicht- kommt gar nie zur Sprache, worum es beim Woh-
ändernde Lebensbedingungen anpassen kann, lich. In Berlin nicht. Es ist unglaublich, wie viele nen eigentlich geht. Wohnen ist ja eine Beschäf
Elastisches
daher haben wir sie „elastische Wohnung“ ge- Behördenstellen sich aufgerufen fühlen, mitzu- tigung mit sich selbst. Ein Ort, an dem die Koor-
Quartier
nannt. Die Wohnungsbaugesellschaft degewo reden. Auch mit Kommentaren wie „gefällt mir dinaten neu ausgerichtet werden, ein Ort der Wiesenschlag,
und der Bezirk waren voll dabei. nicht“ oder „sieht aber teuer aus“. Kontemplation und der Öffnung. Ein gerade von Berlin 2015–2016
Am Tag der Vorlage für die Änderung des Be- In Wien kann verhandelt werden, wenn man deutschen Philosophen, von Heidegger bis Slot-
bauungsplans hat der damalige Senat das Pro- Außergewöhnliches will, in Berlin muss man ver- erdijk, eingehend behandeltes Thema.
jekt ohne Angabe von Gründen gestoppt. Das handeln. Damit bleibt es beim vorbestimmtem
Projekt hatte die Konvention zu sehr verlassen. Ergebnis. Nahe am Gewohnten, innerhalb eines Welche Anforderungen bleiben dann noch Hofmöblierung im
Museumsquartier Wien
Wohnbau darf sich eben nicht zu weit vorwagen. beschränkten Horizonts von Vorstellung von übrig, die in Berlin an den Wohnbau und an die Enzis MQ Wien,
Es gab dann noch Rettungsversuche und Alter Stadt. Es gibt kein Vertrauen in Planung. Architekten gestellt werden? Moderation 2002–2012
nativprojekte, die auf gute Weise etwas konven- Georg Poduschka Auch das Regelwerk ist veral- Anna Popelka In Berlin sind die Planungsricht
tioneller waren, aber allesamt gescheitert sind. tet. Die Bauordnung liest sich wie die Wiener linien der Bauträger eine Bibel, da muss jede Kü-
Später gab es einen Wettbewerb für das Areal, Bauordnung vor zwanzig Jahren. Die strukturel- chenzeile und jeder Schrank die genau richtige Low-Cost-Luxus
Singularität
ohne uns, das daraus resultierende Projekt ist len Reformen der letzten Jahrzehnte fanden Länge haben. Als ob alle Mieter gleich viel ko- trotz Standards Das Haus mit der
heute so weit wie unseres damals war. Eine Ver- alle nicht statt. Es gibt zum Beispiel noch keine chen oder gleich viel Kleidung besitzen. Die Ein- Wohnen am Park, Elefantenhaut
Wien 2009 Zumdorf, Burgenland
schwendung von Energie, Zeit und Geld. Die zielorientierte Formulierung von Anforderungen. haltung solcher Standards schützt aber nicht 2005 Terrassenhaus
Baupreise sind zwischenzeitlich exponentiell ge- vor einem schlechten Grundriss. Die daraus re- Wettbewerb, Wien 2005
stiegen. Welchen Status hat der Wohnbau in Berlin ge- sultierende Monotonie des Massenwohnbaus Pah-cej-Kah
Stadt_Land_schaft
nerell aus Ihrer Sicht? ist in den meisten Städten offensichtlich. Deutsch Wagnam,
Europan 6, Wien 2001–2013 2012–2016
Sie haben in Wien zahlreiche und vielbeachtete Georg Poduschka Ich lese täglich einen Presse- Dabei ist es so kompliziert auch wieder nicht,
Wohnbauten realisiert. Funktioniert der Wohn- spiegel der Berliner Medien zum Thema Wohnen. ein Haus zu bauen. Wir haben so viele Werk
bau in Berlin anders als in Wien? Da geht es um Zahlen, um das Erreichen von Quo- zeuge wie nie, um Komplexität zu verarbeiten.
Anna Popelka Wenn man die Prozesse betrach- ten, um Leistbarkeit. Aber nicht um Qualitäten. Trotzdem wird der Wohnbau künstlich verein-
tet: absolut. Von der Grundstücksentwicklung facht und immer ärmer. Und dann versucht man,
für den leistbaren Wohnbau, über die Wohnbau- Auch im Wiener Wohnbau geht es um Quoten, bei den Balkonen noch etwas Individualismus Schwimmbadwohnung
Die überfunktionelle
gesellschaften, über das behördliche Selbstver- die zu erfüllen sind. hineinzubringen, um zu kaschieren, dass dahin- Adaptierung eines Ein-
Qualität des wohnens
familienhauses aus den
ständnis, alles ist anders. Allein, dass es in Berlin Anna Popelka Aber in Wien wird versucht, das ter alles gleich aussieht. Das ist allerdings in Wien 2009
Wohnmodelle 70er Jahren, Knittelfeld,
nur selten einen Bebauungsplan gibt, ist für uns Wohnen auszudifferenzieren und aktuelle The- Wien und Berlin gleich. Anna Popelka, 1994 Steiermark 2015
als Wiener verstörend. Wenn wir in Wien ein men in die Diskussion zu bringen. In Berlin heißt Georg Poduschka Wenn man Entwicklung för-
aber jeder Bauträger möchte seinen dezentralen Inseln und viel Luft dazwi-
schen, mit dem Wechsel von Dichten. Da glauben
don praktiziert, ein produktiver Ansatz.
trotzdem eine Freude am Pro- wir auch im Großen daran, dass wir neue Modelle
brauchen, die man nur umsetzen muss. Nichts
Sind Krisenzeiten, wie sie das leistbare Woh-
nen zurzeit erlebt, Gelegenheit zur Innovation?
jekt haben. In Berlin freut man gegen die Struktur der Gründerzeit oder der klas- Georg Poduschka Ich würde die Gegenwart
sich, dass das Haus am Ende sischen Moderne, aber man kann sie nicht ein-
fach reproduzieren, jede Zeit braucht ihren eige-
nicht als Krisenzeit bezeichnen. Krisenzeit ist,
wenn die Nachfrage schwächelt, wenn Bauträger