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Trockenrohdichte

700 kg/m³
Wärmeleitfähigkeit
0,166 W/mK
Luftporengehalt
23%
Zylinderdruckfestigkeit
0,76 MPa
Zugfestigkeit
0,76 MPa
Elastizitätsmodul
3100 MPa

Das Jugend- und Familien-


zentrum „Betonoase“ ist
das erste öffentliche Gebäu-
de aus Infraleichtbeton.
Foto: Alexander Blumhoff

ILC 700
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Ein Jugendclub und ein Familienzentrum haben im Herzen einer DDR-
Plattenbausiedlung in Berlin ein neues Domizil gefunden.
Der Flachbau hat 50 Zentimeter dicke Wände, denn gebaut ist er
aus einem neuen Baustoff: Infraleichtbeton.

Betonoase –
Labsal für Lichtenberg
Text Josepha Landes Fotos Alexander Blumhoff

Infraleichtbeton verlangt Be-


hutsamkeit: Die Ausarbei-
tung der Fensterdetails ver-
leiht dem Baukörper Fein-
schliff. Die teils unregelmä-
ßige Oberfläche des in Vlies
geschalten Betons trägt,
den Architekten zufolge, zur
Lebendigkeit und „Wärme“
des Materials bei.
Lageplan im Maßstab
1:2500

Ödnis ist der natürliche Kontrahent jeder Oase – gibt es hier bereits seit den siebziger Jahren eine stück in kommunalem Besitz, das sodann als
die Wüste gegen die wacker ihr Paroli bietende Oase, und zwar in Form des Jugendclubs „Be­ Grundlage für ein Gutachterverfahren herhielt.
Wasserstelle, wo Palmen gedeihen, Kamele und tonoase“. Für Jugendliche ist das Alltägliche oft Die Berliner Architekten Gruber + Popp, deren
Menschen sich laben. Lichtenberg, ein Bezirk Ödnis – das Wohnviertel, das Zuhause, die El- Büro sich im Westteil der Stadt befindet, konn­-
im Berliner Osten, ist keine Ödnis – es gibt hier tern – und das Zusammensein mit Gleichaltrigen ten in diesem Verfahren mit einem Entwurf, der
allerdings auch keine Kamele. Lichtenberg ist ein Labsal. nichts an Betonigkeit zu wünschen übrig lässt,
ein aufstrebendes Stadtviertel, geprägt von fünf- Doch die alte Betonoase fällt nun der Nach- punkten.
bis vierzehngeschossigen Zeilen- und Platten- verdichtung zum Opfer. Da man sich im Bezirk- Der im vergangenen Dezember eröffnete Flach-
bauten aus DDR-Zeiten, gut angebunden ans Ber- samt ihrer sozialen Bedeutung bewusst ist, be- bau ist ein Innovationssträger, nicht nur, weil
liner Stadtzentrum. Zum Teil gibt es noch gro­- gab man sich, als 2016 der Neubau von 600 Woh- auf der Jugend, seinen Nutzern, per se Hoffnung
ße Wiesen in den Innenhöfen, zum Teil wurde auf nungen an Ort und Stelle beschlossene Sache liegt. Die Betonoase ist das erste öffentliche Ge-
diesen „Potentialflächen“ schon nachverdich- war, auf die Suche nach einer Alternative zur Un- bäude aus Infraleichtbeton, ein Baustoff, den die
tet. Lichtenberg profitiert seit einigen Jahren von terbringung des Jugendzentrums. In direkter Bauingenieure des Lehrstuhls für Entwerfen
der Verdrängung aus der Innenstadt. Trotzdem Nachbarschaft fand sich ein freies Baugrund- und Konstruieren von Mike Schlaich an der TU Ber-

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Unter dem Vordach des Fa-
milienzentrum-Zugangs
können Eltern ihre Kinder-
wagen parken, ohne sie
aus dem Blick zu verlieren.

Eingangsfoyer und Spiel-


zimmer sind durch eine
Fenster in der Schrankwand
verknüpft.

Vordächer geben Privatheit.


Jugendliche und Familien
teilen sich den Garten, ein
Beet soll Distanz wahren.
Detailschnitt im Maßstab
1:20

lin entwickelt haben (s. Interview S. 44). Wände


und Dach der Betonoase sind selbstdämmend –
Styrodur blieb bei diesem Projekt weitestge- 1

hend den Modellbauern im Büro vorbehalten. Die


Projektarchitekten hatten sich vielmehr mit der
Schwierigkeit herumzuschlagen, jedes Detail ver-
einfachen zu müssen. Anschlussfugen im Fens- 2 5

terdetail? – Braucht es nicht. Zudem: Entwerfen 6

in Infraleichtbeton fordert eine andere Denk-


weise als Entwerfen in Beton. Nicht nur sind die 1 Schattenfuge
7
Wände 50 Zentimeter dick, die Vordächer 32, 2 Anschluss nach RAL
8
auch Stürze, Auskragungen und Spannweiten 3 Sitzbank Holz

müssen neu gedacht werden. Infraleichtbeton, 4 UK Holz


3 9
ein Werkstoff, der dank hochporöser Zuschläge 5 Kompriband
4 10
eine geringere Dichte als Wasser aufweist, näm- 6 Tropfkante
2 11
lich nur 700 kg/m³ wiegt, bedingt, einhergehend 7 Anschluss nach RAL

mit einer verringerten Festigkeit, neue Gebäude- 8 Aluminiumfenster


12
proportionen. 9 Fensterbank Aluminium

Das Grundstück der Betonoase schließt an ei- 10 Unterfütterung Holz


1 1 Abdichtung
nen Weg durch den Wohnhof an. Die Eingangs-
12 ILC 700 (Infraleichtbeton)
fassade liegt vis-à-vis einer Schule, die derzeit

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Die Einbaumöbel aus See- verstaut werden sollen. Höl- 1 Zugang Familienzentrum Architekten Hersteller
kiefernholz sind in Abstim- zerne Sitzflächen in den
mung mit den Nutzern Fensternischen laden ein, 2 Familienzentrum Gruber + Popp Architekten, Außentüren/Fenster wicona
Berlin Türbeschläge Griffwerk
entwickelt worden – ihre den Beton zu bewohnen 3 Spielzimmer
Fensterbeschläge FSB
Formate entsprechen (rechts). 4 Zugang Jugendclub Projektarchitekten Innentüren jeld-wen
den Brettspielen, die darin Grundriss im Maßstab 1:500
5 Jugendclub Bodenbelag Forbo (Linole-
Achim Schock
um), Agrob Buchtal (Fliesen)
6 Kreativraum
Sanitärobjekte Keramag
7 Computerraum Mitarbeiter
Leuchten lightnet, molto
8 Sport-/Bewegungsraum Charlotte Knall (Wettbe- luce, simes
werb), Kolja Werschky und
6 9 Beet Dieter Sailer (Bauleitung)

Tragwerksplanung
7 5 9
schlaich bergermann
partner, Berlin
8
Landschaftsplanung
Beusch Landschaftsarchi-
3 tekten, Potsdam
2
Bauherr
4 Bezirksamt Lichtenberg,
Bildung, Kultur, Soziales
und Sport/Abteilung Jugend
1
und Gesundheit

noch Umbaumaßnahmen erfährt. Zur Rechten


Treibkraft des Projekts war Spaß und Pauken an. Auch hier nutzen die Archi-
des Grundstücks ist ein, derzeit als Vierzehn­ tekten visuell ein Wandregal zur Raumtren-
geschosser geplanter, Wohnblock avisiert, des- zweifelsohne der Drang nung. Die Module dieser Einbauwände sind in Ab-
sen beide unteren Etagen ein Kindergarten be- aller Beteiligten, die Mög- sprache mit den Betreibern auf Maß gebracht
ziehen soll – Lichtenberg bekommt Nachwuchs.
Es gibt zwei Eingänge zur Betonoase, denn der
lichkeiten des neuarti­- worden, um den Kartons der Gesellschaftsspie-
le, die darin Platz finden sollten, zu entspre-
Jugendclub hat sich ein Familienzentrum als Part- gen Werkstoffs, den zum chen.
ner an Bord geholt. Dieses Familienzentrum war Einsatz zu bringen sich Trennen und Verbinden ist eine Devise, die
früher an anderer Stelle im Viertel ansässig und
nutzt nun den rechten Teil des Neubaus als Mie­-
unter dem Titel Betonoase dem Entwurf der Betonoase zugrunde liegt.
Sie äußert sich in den Einbauwänden für die in-
ter. Der mittige Eingang, dem ein langgezogener, geradezu aufdrängte, nenräumliche Gliederung. Sie zeigt sich in den
überdachter Außenbereich vorgelagert ist, ist auszureizen. verschiedenen Typen von Fensterformaten und
von beiden Einrichtungen nutzbar, funktional je- den weit auskragenden Vordächern, die einen
doch besonders auf die Bedürfnisse der jungen aufgreifen, und verwandelt es spielerisch in sensibel ersonnenen Puffer zwischen privaten
Familien abgestimmt. Für die Jugendlichen gibt Wandprojektionen. und öffentlichen, von der hohen Umgebungs­
es zusätzlich einen Zugang über einen tief über- Der Grundriss des Gebäudes ist unkompli- bebauung aus einsehbaren, Bereichen herstellen.
dachten Außenbereich an der linken Gebäude- ziert: Das Familienzentrum zur Rechten des Sie ist auch Grundlage für das Gemüsebeet,
seite, einen Raum, der auch zum „gepflegten Ab- Eingangs besteht aus einem großzügigen Raum das den Garten des Jugendclubs auf nahbare
hängen“ geeignet ist. mit integrierter Küche und angegliedertem Art und Weise von dem des Familienzentrums
Die Betonaußenwände, die beidseitig roh be- Spielzimmer. Dieses Spielzimmer, mittels zwei­- trennt.
lassen wurden, sind fein strukturiert. Horizon- er großer, übereck angeordneter Nischenfens­- Die andere Treibkraft des Projekts war zwei-
tale Streifen zeugen vom Arbeitsprozess, bei dem ter auf den Garten ausgerichtet, ist durch eine fellos der Drang aller Beteiligten, die Möglich-
Lage um Lage frisch zubereiteten Betons auf- Einbauregalwand aus Seekiefernholz vom Ein- keiten des neuartigen Werkstoffs, den zum Ein-
geschüttet wurde. Die Laibungen der Fenster, die gang abgetrennt. Ein in diese Wand integriertes satz zu bringen sich unter dem Titel Betonoase
in allen Funktionsräumen und dort stets über Fenster zeugt vom Verständnis der Architek- geradezu aufdrängte, auszureizen. Architekten
Kopfhöhe einbinden, sind außen jeweils zweisei- ten für die Bedürfnisse der Nutzer: Das Fenster wie auch Bauingenieure geizen in der Nachbe-
tig abgeschrägt, was dem Lichteinfall, aber auch öffnet den Kindern Einblick ins Spiel der ande- trachtung nicht mit Lob für die Auftraggeber, das
der Ästhetik des kastigen Baukörpers zugute- ren, was den, bisweilen von den kleineren Kin- Bezirksamt Lichtenberg. Der Wille, beim Bau
kommt. Daneben gibt es in jedem Aufenthaltsbe- dern verspürten, Trennungsschmerz von den der Betonoase den plastikarmen Weg zu favori-
reich quasi raumhohe, breite Fensternischen, Eltern überwinden hilft. sieren, wurde effektiv unterstützt. Nicht zuletzt
die, mit Holz ausgelegt, zum Sitzen und darin Spie- Derartige Bezüge zum praktischen Gebrauch hinsichtlich des Bestrebens, dem Baustoff zu ei-
len einladen, jeweils einen Gartenzugang und des Hauses finden sich im gesamten Gebäude, ner Zustimmung im Einzelfall zu verhelfen. Die
Oberlichtkuppeln. Die Kunst am Bau der Künstler- auch im Jugendclub, der ähnlich dem Familienzen- mit der bauaufsichtlichen Prüfung verbundenen
gruppe dreidreidrei fängt das durch diese Öff- trum organisiert ist. Hier schließen seitlich an bürokratischen Schritte verliefen reibungslos
nungen einfallende Licht in verschiedenartigen einen eher länglichen Aufenthaltsraum, ebenfalls und schnell.
kleinen Satelliten ein, die das Thema „Kosmos“ mit integrierter Küche, kleine Räume für Sport,

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