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An der Zaubzerstraße in München-Bogenhausen trifft die

Der Wohnraumvermittler
Wohnarchitektur der 1930er-, 40er-, 70er- und 80er-Jahre
aufeinander. Die neue Bebauung von Palais Mai bringt sie
zusammen.
Text Katharina Matzig Fotos Sebastian Schels

Nachfolgeauftrag empfohlen (Bauwelt 31.2016).


Dass der größte Gebäudebrandversicherer Bay- Über einem Supermarkt ent-
wickelt sich die Wohnbe-
erns von Maximilian I. Joseph 1811 gegründet wur- bauung mit 42 Einheiten. Die
de – der König gilt als Schöpfer des modernen Fassade bestimmt ein fei-
bayerischen Staats, schaffte Leibeigenschaft, nes Zusammenspiel aus Ma-
terialität, Farbpalette und
Steuerfreiheit des Adels und Folter ab und sorg-
Ausstaffierung.
te mit der Maxvorstadt für die erste planmäßi-
ge Erweiterung Münchens durch Friedrich Lud-
wig von Sckell und Karl von Fischer – ist zwar
Vergangenheit, aber trotzdem eine schöne Ge-
schichte.
Die Wohnanlagen in der Braystraße und die in
der Zaubzerstraße trennen Luftlinie nur etwa
200 Meter. Erstere gehört zum Stadtteil Haidhau-
sen, zweitere liegt in Bogenhausen, beide sind
Teil der in den 1920er- und 30er-Jahren von Theo-
dor Fischer geplanten Stadterweiterung. Die in
3 West-Ost-Richtung verlaufende Prinzregenten-
1 4 straße, neben der Brienner-, der Ludwig- und
2 der Maximilianstraße eine der vier Prachtstraßen
Münchens, zudem eine der meistbefahrenen
Ein- und Ausfallstraßen, trennt die Viertel und
mahnt exakt auf Höhe der beiden Baumaßnah-
men an die von Fritz Norkauer, Herbert Landauer
und Walter Kratz in der NS-Zeit erträumte „Neue
1 Prinzregententheater Südstadt“ mit 14.500 Wohnungen, deren Bewoh-
2 Prinzregentenstraße ner allesamt Platz in einem Luftschutzhochbun-
3 Zaubzerstraße ker finden sollten. Einer der wenigen realisierten
4 Brucknerstraße Musterbauten der monumentalen Planung aus
dem Jahr 1944 flankiert mit seinen beiden quad-
Der Schwarzplan offenbart „Wie man es dreht und wendet: Ein wohlgerate- ratischen Eckhausbunkern die Prinzregenten-
die heterogene Bebauung,
nes Bauwerk hat immer einen ambitionierten straße, der dritte Hochbunker markiert den Ab-
in der das Architekturbüro
Palais Mai eine letzte freie Bauherrn und einen begabten Architekten zu Ur- schluss des offenen Blocks an der Kreuzung
Ecke gekonnt geschlossen hebern. Der eine ist oft sogar die Vorausset- Bruckner- und Zaubzerstraße und liegt dem neu-
und neu geprägt haben.
zung für den anderen.“ 1994 erschien das schma- en Haus schräg gegenüber. Ebenso herausfor-
Lageplan im Maßstab
1:15.000 le Büchlein „Von der Utopie, dem guten Ge- dernd wie das Vis-à-vis, das durch eine Bebau-
schmack und der Kultur des Bauherrn“ von Man- ung aus den 1980er-Jahren ergänzt wurde, ist
fred Sack. Aktuell ist es immer noch: „Das Haus allerdings auch der direkte Nachbar der 2020 fer-
in der Zaubzerstraße ist tatsächlich das erste tiggestellten Wohnanlage samt sogenanntem
Projekt, das wir als Direktauftrag bekommen ha- Nahversorger: Eher vorstädtisch, „Harlachinger
ben,“ lacht Peter Scheller vom Münchner Archi- Style“, so Scheller, rückte Peter Lanz in den
tekturbüro Palais Mai. Kein Wunder: Mit der Be- 70ern eine expressive Wohnbebauung aus Sicht-
bauung eines Blockinnenhofs mit 66 Wohnun- betonfertigteilen von der Straße ab und würfel-
gen und einer Kindertagesstätte in der Braystra- te sie rund um einen üppig grünen Innenhof. Auch
ße in München, 2016 fertiggestellt, haben Ina- aus diesem Grund verwarfen die Münchner Ar-
Maria Schmidbauer, Patrick von Ridder und Peter chitektinnen und Architekten von Palais Mai die
Scheller sich bei der Bauherrin, der Bayerischen ursprünglich von der Bauherrin gewünschte
Landesbrandversicherung AG, bestens für einen und so auch im Bebauungsplan vorgesehene Pla-

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nung einer Aufstockung des bestehenden, halb Die Wohnungen im westli-
chen Teil des Gebäudes
in die Erde vergrabenen Supermarkts mit Frisör
werden über Laubengänge
auf dem Dach: Ein Holzaufbau würde die Straßen- erschlossen.
situation räumlich nicht ausbessern, ganz ab- Unten: Die nördliche Gebäu-
gesehen davon, dass Wohnungen (auch) an die- deecke ist siebengeschos-
sig und bildet im Quartier
ser Stelle fehlten. Stadt und Bayerische Lan- einen Hochpunkt mit Fern-
desbrandversicherung waren schnell überzeugt: wirkung aus.
Heute steht an der Zaubzerstraße ein Gebäude, Foto links und kleines Foto
rechts: Architekten;
das durch seine Höhenentwicklung, mit Vor- und Schnitt im Maßstab 1 :500
Rücksprüngen und einem differenzierten Ab-
stand zur Straße, elegant zwischen Formen und
Zeiten vermittelt und komfortablen Wohnraum
schafft.
Prinzregent heißt der neue Supermarkt. Ein-
ladend schieben sich seine grünen Metallmar-
Eine feine Materialwahl fin- kisen, die auch gut einen südfranzösischen Le-
det sich nicht nur an der
bensmittelladen verschatten könnten, auf den
Fassade wieder: Die Gestal-
tung des Treppenhauses Bürgersteig. Große Glasscheiben darunter locken
mit Terrazzoboden lässt an den Blick ins Innere, das sich auf Erd- und Un-
die Zwanziger Jahre erin-
tergeschoss verteilt, verbunden über einen un-
nern.
Grundrisse (EG + 1. OG) im gewohnt großzügigen Luftraum. Ein weiterer
Maßstab 1:750 Eingang an der Westseite führt ins Café, der Vor-
platz – ehemals abgesenkter Parkplatz – ist
jetzt schon beliebter Nachbarschaftstreff. Mehr
als drei Stellplätze, ein wenig entfernt, hat und
braucht der neue Markt nicht. Die Autos der An-
wohner verteilen sich auf die bestehende Tief-
garage aus den 1970er-Jahren, die wie die darü-
berliegende Wohnanlage ebenfalls der Bayeri-
schen Landesversicherung AG gehört.
42 Wohnungen, aufgeteilt in 17 Einzimmerap-
partements, 1 1 Zweizimmer-, 8 Dreizimmer- und
6 Vierzimmerwohnungen, entwickeln sich in drei
und vier Geschossen plus Maisonetten über
dem vier Meter hohen Erdgeschoss. Siebenge- Mutter, Kinder. Dachterrassen vergrößern in den
schossig wird die nördliche Ecke der Bebauung Außenraum, die weißen, blickdichten Blumenkäs-
zum städtebaulichen Hochpunkt. Erschlossen ten der mit fein profiliertem Trapezblech verklei-
werden die Wohnungen, wie die der Nachbarn, deten Balkone haben die Architekten entworfen.
über den Innenhof, mit Blick ins Grüne. Grün ist Auch der Rest ist en détail geplant, intensiv wur-
auch das Granulat aus Marmor Verde, das auf den Farben, Muster und Materialien studiert, ehe
dem Boden im Treppenhaus an die 1920er-Jahre Entscheidungen fielen. Das sieht man: Je nach
erinnert und die Eingangszonen angemessen Lichteinfall schimmert der Putz auf dem Massiv-
akzentuiert: Im Maßstab 1:10 baute das Team von bau aus Stahlbeton und Dämmziegeln unter-
Palais Mai das Modell des hohen Raums, um sei- schiedlich und vermittelt zwischen dem Sichtbe-
ne Proportionen, die Wölbungen der Decke und tongrau, das seit 50 Jahren vor sich hin grünt
den gerundeten Wandausschnitt zu überprüfen, und dem Beige der klassisch verputzten Block-
Architekten Tragwerksplanung Landschaftsplanung
schließlich darf und kann eine Erschließung in randbebauung. Auf der Innenhoffassade korres-
Palais Mai Gesellschaft von BPR Dr. Schäpertons und Kronenbitter Landschafts-
Architekten und Stadtpla- Partner, München architekten, München Bogenhausen durchaus ein wenig repräsentativ pondiert Kieselputz mit dem alten Waschbeton.
nern, München; Ina-Maria sein. Platz ist aber auch für Begegnung: Eine lan- Die gedämmten Stahlbetonfertigteile entspre-
Schmidbauer, Patrick von TGA Bauherr ge, in die Treppenwand eingelassene hölzerne chen in ihrer Profilierung dem Muster des Stan-
Ridder, Peter Scheller
Ingenieurbüro Spiegl, Bayerische Landesbrand- Sitzbank lädt zur Kommunikation ebenso wie die dard-Trapezblechs der Balkonbrüstungen. Das
München versicherung AG, München
Projektleitung Laubengänge der im Westen gelegenen Woh- Erdgeschoss betonen sie, gemeinsam mit den da-
Ruth Auffarth Elektrotechnik Hersteller nungen. rüber aufstrebenden, schmal aus der Fassade
Raible + Partner, München Fassade StoVentec Wertig sei die Ausstattung, beschreiben die hervortretenden Pilastern vertikal, in den Wohn-
Mitarbeiter Ziegel Schlagmann Poroton Architekten bei der Hausführung, bei der die geschossen sorgen sie für horizontale Gliede-
Charlotte Meyer, Veronika Bauphysik Sonnenschutz Warema
Türen der komplett vermieteten Wohnungen ver- rung. Nicht „pseudo-betonmäßig“ und nicht
Groß, Michael Gsell Betonwerkstein Euval
Imakum, Germering
Fliesen Mosa ständlicherweise verschlossen bleiben, aber „pseudo-gründerzeitmäßig“ begegnet das hyb-
Bauleitung
Brandschutz nicht exklusiv: Fußbodenheizung, Parkett, Bal- ride Haus der Straße und dem Viertel, es ist
Architekturbüro Hechen-
K33 Brandschutz, München kon. Eine der Maisonette-Wohnungen funktio- schlicht und einfach schön zeitgemäß – und er-
bichler, München
niert bestens für drei Generationen, Großmutter, klärt sich in seinem Umfeld bestens.

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