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Die Quadratur im Viertelkreis

Text Rainer Franke

Die Kunsthalle Karlsruhe 1 Kunsthalle


Der Altbau entstand 1846. nem dreigeschossigen Inneren. Danach dauerte
in unmittelbarer Nähe zum 2 Amtsgericht
Rechts der Innenhof mit
dem 1989 fertiggestellten
es dann noch einmal rund 80 Jahre, bis der vierte
Flügel vollendet werden konnte, Resultat eines
Schloss und zum Bundes- (geplante Erweiterung)
3 Bundesverfassungs-
Erweiterungsbau von Heinz
Mohl. Der Hof wurde unter- Wettbewerbs. Der Preisträger Heinz Mohl, damals
verfassungsgericht wird sa- gericht kellert und angehoben.
Fotos: VBA Karlsruhe; Lage-
in der Stadt baulich sehr erfolgreich, nahm zwar

niert und erweitert. Von be- plan im Maßstab 1:5000


das Stützenraster von Hübsch auf, entkernte
den Amersbach-Flügel und schuf damit zum ers-
sonderer Bedeutung ist die ten Mal einen Rundgang. Sein aus der Flucht
Gestaltung des Innenhofs. springender neuer Baukörper wirkt von außen
jedoch ein wenig wie ein Güterwaggon, der nicht
Le Corbusier mochte es nicht, als er auf seinen kannte Pavillonanlage Paul Baumgartens, vor mehr recht in den Bahnhof hineinpasst. Ein Werk
Reisen im April 1910 durch Karlsruhe kam. Das kurzem sorgfältig renoviert. der Karlsruher Schule in Zeiten der Postmoderne,
Verdikt fiel 1923 in „Vers une Architecture“ immer Acht Jahrhunderte umfassen die Sammlungen die dem Konstruktiven im Zweifel den Vorzug
noch vernichtend aus. Der Strahlengrundriss ein der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, und über gab vor einem sensibleren Eingehen auf den his-
„Blendwerk“, den „jämmerlichsten Zusammen- 150 Jahre ihre Bauphasen. Vier Flügel und vier torischen Bestand, was sich besonders am An-
bruch einer künstlerischen Absicht“ verkörpernd, Architekten. Im Mai 1846 wurde der Hübsch-Flü- schluss zum Hübsch-Bau zeigte. Der Innenhof
ein kleiner Provinzfürst, der das große Versailles gel eröffnet. Ein Gesamtkunstwerk im Geiste wurde unterkellert und angehoben (Bauwelt 42-
nachahmt. Gleichwohl, die Bauten von Fiedrich der Nazarener. „Salve musis amice“, sei gegrüßt, 43.1990).
Weinbrenner schaute er sich an, ob er aber auch Freund der Musen, steht heute noch an der Die alten niederländischen, französischen und
an den Westrand des Schlossplatzes gelangte? bronzenen Eingangstür. Hübschs Vorbild war die deutschen Meister findet man in der Kunsthalle
Hier hätte er seinen Spaziergang immerhin mit italienische Frührenaissance. Die Fassade glie- selbst, ebenso das Kupferstichkabinett mit sei-
einem lokalen Arkadien beginnen können, mit ei- derte er durch flache Lisenen und palladianische nen 90.000 Blättern. Die „Junge Kunsthalle“ ist
nem Ort, den man auch heute noch jedem Be- Fenster, das Obergeschoss blieb unverputzt.
sucher nur ans Herz legen kann: Der Botanische 1838, kurz nach Baubeginn, entwickelte Hübsch Nicht offener einphasiger Planungswettbewerb mit
Garten, eingefasst von den Bauten Heinrich bereits einen Idealplan und ergänzte sein Kunst- Ideenteil mit Bewerbungsverfahren. 25 Teilnehmer und 5
Zuladungen
Hübschs (1795-1863), des badischen Baumeisters museum zu einer Vierflügelanlage, 1852 aktua­li­
1. Preis (145.000 Euro) Staab Architekten, Berlin
der Romantik. sierte er diesen Plan noch einmal. Sein Vermächt-
2. Preis (91.000 Euro) Auer Weber Architekten, Stuttgart
1837 begann Hübsch sein Ensemble, vom Groß- nis konnte aber erst von nachfolgenden Bau­
Anerkennung (31.500 Euro) Nieto Sobejano Arquitectos,
herzog zunächst beauftragt mit einem Museum direktoren fortgeführt werden. 1894 begann Jo- Berlin
für seine Kunstsammlung. Dem Haus des Gar- seph Durm den Südostflügel entlang der Wald- Anerkennung (31.500 Euro) Kuehn Malvezzi, Berlin
tendirektors folgten bis 1856 das große Orange- straße, und 1909 vollendete Heinrich Amersbach Anerkennung (31.500 Euro) haascookzemmerich Studio
riegebäude, Gewächshäuser mit Torbogen den Nordostflügel zum Schloss hin. Durm setzte 2050, Stuttgart
und Arkadengängen sowie das neue Hoftheater, die Fassadenelemente unmittelbar fort, fügte Anerkennung (31.500 Euro) Gerber Architekten, Dortmund
nachdem der Vorgängerbau Weinbrenners ab- stirnseitig allerdings preußischen Neobarock hin- Jury Matthias Sauerbruch (Vorsitz), Christoph Frank,
gebrannt war. An dessen Stelle steht heute aller- zu. Selbst Amersbach folgte noch Hübsch, seine Andras Pálffy, Wolfgang Lorch, Michael Schumacher, Marc
Frohn, Annette Ipach-Öhmann, Kalinka Becht
dings das Bundesverfassungsgericht, die be- zweigeschossige Fassade stand jedoch vor ei-

14 Wettbewerbe Entscheidungen Bauwelt 11.2018


1. Preis Volker Staab

1 entfernt wieder das Unter-


geschoss, senkt den Innen-
hof ab und fügt einen So-
ckel aus Weißbeton mit um-
laufender Galerie ein. Vier
schlanke Stützen bilden mit
der Decke einen Lichttisch.
Links unten: Das Amtsge-
richt wird komplett umge-
baut. Darüber erhebt sich
ein neuer Baukörper für
Sonderausstellungen. Sche-
ma mit der unterirdischen
Verbindung.
Erd- und Untergeschoss
sowie Schnitt im Maßstab
1:1500

Bauwelt 11.2018 Wettbewerbe Entscheidungen 15


im Haus des Gartendirektors untergebracht, die
große Sammlung der Moderne im Orangerie­
gebäude. Fußläufig nicht weit, aber eben nicht
direkt verbunden. Raum für größere Wechsel-
ausstellungen fehlt, vieles ist ausgelagert. Nicht
einmal 20 Prozent der Galeriefläche sind klimati-
siert, im Sommer kämpft man mit Überhitzung,
der Brandschutz ist ältlich. Alles in allem eine be-
engte, unbefriedigende Situation, insbesondere
wenn man es mit dem Pendant in Stuttgart ver-
gleicht, was im Ländle immer eine Rolle spielt.
Ein erster Anlauf der neuen Direktorin führt
2013 zu einem VOF-Verfahren. Fünf Büros wer-
den zum Nachdenken aufgefordert, und dieses
endet mehrfach mit einem Abriss der Bauteile
von Mohl. Die Ergebnisse werden nie veröffent-
licht, gleichwohl erhebt sich vielerorts Protest.
Ganz besonders echauffiert sich Hans Kollhoff,
Heinz Mohl hatte ihm wohl die Pläne zugänglich
gemacht. Das Verfahren wird letztlich abgebro-
chen, die Entwürfe nicht weiterverfolgt.
Ein neuer Anlauf wird möglich, als sich die Bli-
cke auf das östlich benachbarte Amtsgericht
2. Preis Auer Weber heben lienkissen überdacht den
das Innenhofniveau auf die Hof. Eine breite Treppe führt
Ebene des Erdgeschosses zum Erweiterungsbau.
und ermöglichen einen Erd- und Untergeschoss
kompletten Rundgang. Ein sowie Schnitt im Maßstab
dünnes Stahlgitter mit Fo­ 1:1500

richten. Von der Kunsthalle durch eine vielbefah-


rene Straße getrennt, ist dieser letzte Block im
Viertelkreis der Zirkelbebauung ein spätes Zeug-
nis der Wiederaufbaujahre. Klassisch unent-
schieden zwischen der Einpassung in die Block-
struktur und dem zeitgenössischen Streben
nach Solitären. Kein Komplex jedenfalls, der eine
Nutzung als Museum nahelegt. Auch die Justiz-
verwaltung ist wenig erfreut, denn das Gericht
bräuchte dann ja einen neuen Standort.
Dennoch scheint diese Idee die einzige Mög-
lichkeit, um die Situation grundlegend zu ver-
bessern. Im Sommer 2017 wird deshalb ein neuer
Kunsthallen-Wettbewerb ausgeschrieben, auf-
geteilt in einen Realisierungsbereich, die Kunst-
halle, und einen Ideenteil, das Amtsgericht. Für
die Vierflügelanlage der Kunsthalle wird das Kor-
sett fest geschnürt: Sanierung und Neuordnung
im Bestand. Ein deutlicher Hinweis, dass sich
die Urheberrechtsproblematik nur durch Abriss
umgehen ließe, entzieht den Mohl-Flügel der
Gefahr. Stattdessen wird der Innenhof als neue
Mitte nahegelegt und eine unterirdische Verbin-
dung zum Amtsgericht vorgegeben. Dort sollen

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langfristig der Sonderausstellungsbereich, die
Sammlung der Moderne sowie Vortragssaal, Bü-
ros, Depots und Gastronomie Platz finden. Die
Orangerie soll aufgegeben werden.
Zwanzig Büros haben am Wettbewerb teilge-
nommen, darunter vier der bereits am VOF-Ver-
fahren beteiligten. Das Resultat ist ein eindeutiger
erster Preis, den Volker Staab mit seinem Ent-
wurf errang. Er variiert das Prinzip, ein Haus ins
Haus zu stellen, in beiden Gebäudekomplexen.
Vom Amtsgericht bleiben im Ideenteil nur zwei
Flügel für interne Nutzungen stehen. Die beiden
anderen, dem Kunsthalleneingang zugewandten,
werden zum Fassadenskelett zurückgebaut,
über das sich in zweiter Ebene ein neuer Baukör-
per für die Sonderaustellungen und die Moderne
erhebt. Eine kräftige Geste, aber zugleich eine
schlüssige Variante des originalen Dachgeschos-
ses, das ebenfalls zurückspringt.
Im Innenhof der Kunsthalle sieht das Haus im Schema mit dem Lüftungs-
Haus hingegen vollkommen anders aus. Es be- und Heizungskonzept. Für
die Eindeckung der Innen-
steht nur aus einem Sockel und einem Baldachin. hofüberdachung sind ETFE-
Der Sockel aus Weißbeton hat zwei Ebenen. Eine Folienkissen vorgesehen.
umlaufende Galerie, auf die man ebenerdig vom
Eingang geführt wird, und ein abgesenktes Atri- lerdings das Hofgefälle sein, denn das neue
um. Die neue Hofebene erreicht man über eine At­r ium fällt mit drei Prozent in Richtung Erwei-
große Freitreppe, die die linke Stirnseite einnimmt. terungsbau, und der Denkmalschutz ist noch
Ganz selbstverständlich sind ringsherum unter wenig begeistert von den beiden Aufzügen im
der Galerie die Serviceräume angeordnet, auf dem Hübsch-Flügel. Den Mohl-Bau hingegen lässt
Weg zur Kasse blickt man schon in Richtung Staab weitgehend unverändert, bis auf das glä-
der unterirdischen Verbindung zum Erweiterungs- serne Treppenhaus, das etwas zugemauert wird.
bau. Überraschend wie die Hofabsenkung ist Auer Weber Architekten als zweite Preisträger
auch die Dachlösung. Vier Rundsäulen bilden mit heben das Innenhofniveau auf die Ebene des
der Decke einen Lichttisch, gestreutes Tages- Erdgeschosses und ermöglichen so wie im Ober-
licht soll hier von Kunstlicht unterstützt werden. geschoss einen kompletten, flexiblen Rundgang.
Die genaue Transparenz verraten die Pläne noch Die Jury lobte den insgesamt respektvollen
nicht. Ein senkrecht aufgesetztes Lichtband Umgang mit der Bausubstanz. Ein dünnes Stahl-
lässt jedoch zumindest verdeckt Tageslicht auf gitter mit Folienkissen überdacht den Hof, eine
die umlaufenden Fassaden fallen und inszeniert breite Treppe führt über eine Zwischenebene in
sie dadurch, zusammen mit dem neuen Sockel. eine Folge von unterirdischen Ausstellungsräu-
Die Galerie von unten wiederholt sich also oben men bis hin zum Erweiterungsbau. Ihre Höhe er-
noch einmal, mit dieser höheren Ebene lassen fordert allerdings einen tiefen Eingriff ins Grund-
sich wohl auch alle Dachanschlüsse zu den Alt- wasser, und manche Wegeführung ist etwas
flügeln unauffällig lösen. gangartig geraten. Für Depots wird ein nordöst-
Was mit der neuen Erschließung über den ab- licher Unterbau vor dem Amersbach-Flügel vor-
gesenkten Innenhof in Kauf genommen werden geschlagen. An Nutzfläche für die Kunsthalle
muss, ist die schnelle Durchquerung des präch- wird so ein Optimum erreicht, im Gegensatz zum
tigen Treppenhauses von Hübsch. Erst auf dem Staab-Entwurf. Dieser wiederum muss aufgrund
Rückweg von der Kasse zum Rundgang kann seines offenen Atriums konsequent auf ein ge-
man es genießen. Oder auf dem Weg zum Aus- ringeres Raumprogramm in der Vierflügelanlage
gang, wenn man sich die Museumsräume über setzen. Alles andere wird weggelassen oder
das Untergeschoss des Amersbach-Flügels er- muss zunächst ausgelagert werden, also auch
schließt, das zunächst als Sonderausstellungs- die jetzigen Depots. Das wird vielleicht den Druck
fläche dient. Aber nun ja, die jetzige Kasse im erhöhen, den Ideenteil in Angriff zu nehmen.
Treppenhaus würde so oder so ein Opfer des Kein ungeschickter Schachzug, denn zu Kosten
Brandschutzes. Und eigentlich sind solche Peti- und Terminen war noch wenig Konkretes zu
tessen unerheblich angesichts der klaren Ent- hören. Wenn man aber den Siegerentwurf um­
wurfssprache, mit der die Gegenwart zum zwei- setzen und für die Kunsthalle etwas erreichen
ten in das Karree der Kunsthalle einzieht. Nicht will, dann muss absehbar auch der zweite Schritt
unproblematisch für Veranstaltungen könnte al- folgen. So leid es der Justiz tut.

Bauwelt 11.2018 Wettbewerbe Entscheidungen

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