20 3.

2021  ∂

Radikal
nutzungsoffen
Radical
Flexibility
Interview: Isabella Marboe

Im Quartiershaus Mio
wurde kein strikter
Nutzungsmix vorgege-
ben. Mit flexiblen
Grundrissen und lich-
ten Raumhöhen soll
dauerhafte Vielfalt ent-
stehen.

The Mio Quartiershaus

does not dictate how
StudioVlayStreeruwitz

its spaces should be

used. With flexible floor
plans and high ceil-
ings, the mixed-use
complex fosters perma-
nent ­d iversity.
 21

Wohnen und arbeiten zu Hause ist für viele Menschen Alltagsroutine. Wie aber müs-
sen Gebäude konzipiert sein, um beide Nutzungen unter einem Dach zu vereinen?
Bernd Vlay und Lina Streeruwitz haben mit ihrem Quartiershaus Mio in Wien eine
­beispielhafte Lösung für einen radikalen Nutzungsmix entwickelt – das Projekt ist vor
Corona geplant und fertiggestellt. Im Gespräch erläutern die beiden Architekten von
StudioVlayStreeruwitz Planungshürden und Vorteile.

StudioVlayStreeruwitz

Living and working at home has become a daily routine for many people. How can both
uses be combined under a single roof? Bernd Vlay and Lina Streeruwitz developed an
­exemplary solution offering a radical mix of uses with their Mio complex in Vienna. The
­project was planned and completed before the coronavirus pandemic. In this interview, the
two architects from StudioVlayStreeruwitz explain the planning challenges and advantages.
22 Interview 3.2021  ∂

Beginnen wir mit einer grundsätzlichen Frage: Let’s start with a basic question: What does the
Was ist für euch Stadt? city mean to you?
Bernd Vlay (BV): Für mich bedeutet Stadt, dass die Bernd Vlay (BV): For me, the city means you are more
Wahrscheinlichkeit, etwas Unvorhergesehenem zu likely to encounter the unexpected than you would in
begegnen, größer ist als in der Nicht-Stadt. Die a non-city. The layering of differences creates an
Überlagerung von Verschiedenem führt zu einer urban culture.
urbanen Kultur. Lina Streeruwitz (LS): The city means encountering
Lina Streeruwitz (LS): Stadt ist die Begegnung mit differences. It also means a certain degree of ano-
Differenzen, außerdem eine gewisse Anonymität. nymity; you don’t greet everyone you meet on the
Man grüßt nicht jeden, der einem auf der Straße street – that’s different in a village.
begegnet. Das ist der Unterschied zum Dorf.
Most new developments are monofunctional.
Die meisten Neubaugebiete sind monofunktional. While residents might want shops and commer­
Zwar wünschen sich alle Bewohner Geschäfte cial space, there’s often a lack of purchasing
und Gewerbeflächen. Aber es fehlt oft an Kauf­ power and turnover to run them profitably. What
kraft und Frequenz, um diese rentabel zu führen. can be done about that?
Was könnte man dagegen tun? BV: Non-residential uses don’t pay for themselves,
BV: Wohnfremde Nutzungen rechnen sich nicht, it’s a sad but very common truth. But economic
das ist eine traurige aber sehr häufige Wahrheit. Mit incentives could certainly help, as well as temporary
ökonomischen Anreizmodellen ließe sich allerdings activities.
durchaus etwas bewirken, auch temporäre Aktivitä- LS: There’s a distinction being made between resi-
ten wären möglich. dential and non-residential. There’s a lot of money to
LS: Es gibt diese Unterscheidung zwischen Woh- be made in housing at the moment. Non-living, on
nen und Nicht-Wohnen. Mit Wohnen lässt sich the other hand, is a risk. Pure commercial housing
­derzeit viel Geld verdienen. Nicht-Wohnen hinge- often leaves out all the things that were an integral
gen ist das Unsichere. Im rein kommerziellen Wohn- part of modernist housing estates: neighbourhood
bau fällt oft all das weg, was in Siedlungen der centres, institutions, culture. Those uses shouldn’t
Moderne noch mitgedacht war: Nachbarschafts­ only be seen as a cost factor. They foster integration
zentren, Institutionen, Kultur. Lauter Nutzungen, and inclusion, provide social support, help reduce
die nicht nur als Kostenfaktor gesehen werden conflict, and more – that’s valuable.
­dürfen. Sie sorgen für eine höhere Integration und
Inklusion aller Bewohnerinnen und Bewohner, für
sozialen Halt, Konfliktreduktion und vieles mehr – BERND VLAY & LINA Studie „Mischung: current conditions for
STREERUWITZ glau- Possible“ der TU Wien. the better. In 2017 they
das ist wertvoll. ben an die Fähigkeit, Sie unterrichteten un- founded Studio Vlay-
bestehende Verhältnis- ter anderem an der Streeruwitz. Both archi-
se zum Besseren zu Akademie der Bilden- tects were heavily in-
Das Quartiershaus Mio im Sonnwendviertel Ost, verändern. 2017 grün- den Künste Wien. volved in the study
einem Stadtentwicklungsgebiet am Wiener Haupt­ deten sie ihr Studio “Mischung:Possible” at
VlayStreeruwitz in BERND VLAY & LINA TU Vienna. They have
bahnhof, vereint Geschäfte, Büros, Wohnungen Wien. Die beiden Ar- STREERUWITZ also taught at several
und öffentlich zugängliche Freiräume. Wie war chitekten waren maß- The duo believes in the architecture schools
geblich beteiligt an der power to change the and universities.
dieser Nutzungsmix möglich?
BV: Es gab ein Bieterverfahren für Teams aus Bau-
trägern und Architekten. Der Typ Quartiershaus
sollte besondere urbane Impulse setzen, daher war
die Bedingung, dass ein Teil der Erdgeschoss­
flächen für maximal 4 € pro m2 vermietet wird. Das
betraf ungefähr 10 % der Nutzfläche des Hauses, in
unserem Fall 300 m². Der Stadtsockel des Gebäu-
des nimmt diese Flächen auf und ist 4 m hoch. Um
Vielfalt zu erzeugen, haben wir die Fläche in neun
Einheiten mit jeweils 25 m2 bis 35 m2 geteilt. Die Ein-
heiten sind für Start-ups und Kleinstunter­nehmen
– die sogenannten MikropilotInnen. Eine 25 m2-Ein-
heit kostet ohne Betriebskosten etwa 100 € pro
Monat. Das ist für Start-ups ideal. Im Haus gibt es
außerdem die sogenannte Stadtloggia – einen allge-
meinen zentralen Raum, der öffentlich ist und von
allen bespielt oder für Veranstaltungen aktiviert wer-
den kann.
LS: Viele Kleinstunternehmen haben Angst vor
StudioVlayStreeruwitz

hohen Fixkosten und brauchen wenig Platz. Die

Kleinteiligkeit ist sehr resilient, weil rasch jemand
nachrücken kann, falls wer abspringt. Für große Flä-
chen mit einem einzigen Nutzer ist es wesentlich
Im Gespräch mit Vlay Streeruwitz  Under Discussion with Vlay Streeruwitz 23

Mögliches Nutzungs-
szenario: Das Erdge-
schoss und erste
Obergeschoss stehen
dem Gewerbe (dunkel-
blau) zur Verfügung. In
den oberen Ebenen
wurde ein ausgewoge-
nes 50:50-Verhältnis
zwischen Miete (hell-
blau) und Eigentum
(rot) festgelegt.

User scenario: Ground

floor and first upper
floor are available for
commercial use (dark
blue). Upper levels
have a balanced 50:50
ratio between rental
(light blue) and owner-
ship (red).

Bruno Klomfar
Die Fenster sind in laubt k
­ leine Räume three floors than above
den unteren drei mit einer Breite von the fourth floor with
­G eschossen dichter nur 2,50 m. the rooftop terrace.
gesetzt als über der This allows for small
Fuge im vierten Windows are set closer rooms with a width of
­S tockwerk. Das er- together on the lower only 2.5 metres.

9
8
7
6
5

3
2
StudioVlayStreeruwitz

0
Bruno Klomfar
24 Interview
schwieriger, Nachmieter zu finden. Daher gibt es bis
heute in einigen Quartiershäusern eine Leerstands­
thematik.
Im ersten Stock gibt es im Mio auch Büros, also
eine andere Nutzung als Wohnen. Wie kommt es
dazu?
BV: Der Wohnbauträger, die Heimbau, traute sich
extrem viel. In unseren Augen war ein Quartiershaus
nämlich mit Sicherheit kein Wohnhaus. Das heißt:
keine übliche Wohnraumhöhe von 2,52 m, sondern
eine nutzungsoffene Raumhöhe von 2,82 m bis ins
letzte Geschoss. Keine 3-m-Raster für die Zimmer,
­sondern entweder schmäler oder weiter. Keine
­vertikalen WC-Schächte, sondern ein horizontales
Ringleitungssystem, an dem auch in 50 Jahren
noch überall das WC angedockt werden kann.
In dieses Stadthaus sind konsequent keine Wohn-
codes eingeschrieben, damit es langfristig nut-
zungsoffen bleibt. Das Haus hat außerdem keine
­tragenden Trennwände, so kann sich jedes
Geschoss zu einem Plateau mit 400 m² verwandeln,
das nach Belieben aktiviert werden kann. Allerdings
darf der Wohnbauträger nach dem Gemeinnützig-
keitsgesetz maximal ein Drittel des Gebäudes
mit Nicht-Wohnen belegen, daher ist die Durch­
mischung nicht größer.
LS: Wir wollten ursprünglich die gesamten ersten
vier Geschosse der Sockelzone mit Gewerbe und
Arbeiten durchsetzt sehen. Dass es nun nur der
erste Stock ist, zeigt, dass wir an unsere Grenzen
gestoßen sind. Mio hat eine rückspringende Erd­
geschosszone, einen dicken Bauch, und über einer
Fuge erhebt sich dann der Turm. Der Bauch sollte
ein sehr durchmischter und lebendiger Teil des
­Hauses werden. Deshalb gibt es in diesen Geschos-
sen an der Hofseite die Laubengänge als zweite
Erschließung und zusätzlichen Freiraum für die
­informelle Kommunikation. Oben sind vor allem
­Therapieräume, Büros und die Back-Offices der
­MikropilotInnen.
Oft werden Gemeinschaftsräume nicht angenom­
men. Was braucht es, damit die Bewohner sich
mit ihnen identifizieren?
LS: Die MikropilotInnen waren Teil der Community,
die von Anfang an in einem moderierten Prozess
begleitet wurde. Es gab diverse Aufrufe über soziale
Medien, um zukünftige Mieterinnen und Mieter für
das Quartiershaus anzusprechen und diesen Mix
von Geschäften und Büros, Yoga-Raum und vielem
mehr zu erzielen. Sie lernten sich gut kennen und
waren auch beim Planungsprozess dabei. Irgend-
wann kam der Moment, als sich der Bauträger ent-
schieden hatte, für Gewerbeeinheiten eine Toilette,
eine Küche und einen Wasseranschluss einzurich-
ten. Doch die Büroräume im ersten Stock sind teils
nur 15 m² groß, bei dieser Fläche bleibt dann kaum
noch etwas übrig. Die künftigen Nutzerinnen und
Nutzer jedoch setzten sich für den von uns vorge-
schlagenen gemeinsamen Bereich mit WC, Tee­
küche und zwei Besprechungsräumen ein. So konn-
ten wir den Bauträger überzeugen.
3.2021  ∂
Your Mio Quartiershaus in Sonnwendviertel Ost –
Typ A a new district near Vienna’s main train station –
combines shops, offices, apartments, and open
Ludischer spaces that are accessible to the public. How was
this mix of uses possible?
Rückzug BV: There was a bidding process for teams of devel-
Ludic opers and architects. The Quartiershaus typology
aims to create certain urban impulses. For example, it
retreat requires that part of the ground floor space must
have maximum rents of €4/m2. This applies to about
10 % of the complex’s usable area, so in our case
300 m2. These units are located in the 4 m high
“Stadtsockel” (Urban Base), which has nine units
ranging in size from 25 m2 to 35 m2. These so-called
micropilots are meant for startups and micro busi-
... my home
nesses. A 25 m2 unit costs about €100/month exclud-
is the town. ing running costs; it’s ideal for startups. The building
also has a “Stadt Loggia” (City Loggia), a central
space which everyone can use, also for events, and
which is open to the public.
LS: Many micro businesses are afraid of high fixed
costs and only need a little space. Our small-scale
Handelsreisende
structure is resilient: if someone drops out, someone
> liebt frische Kräuter else can quickly move in. It’s much harder to find a
und das Barbecue
am Wochenende auf new tenant for larger, single-user spaces, which is
der gemeinschaftli- why some mixed-use complexes suffer from persis-
chen Dachterrasse
tent vacancy issues.
Business traveller
>L
 oves the fresh Mio also has office space, not just apartments, on
herbs and the week- the first upper floor, why is that?
end barbecue on the
mezzanine level BV: Heimbau, the developer, was quite daring. In our
rooftop terrace. eyes, a Quartiershaus should be more than just
­housing. So instead of a standard room height of
2.52 m, we opted for a height of 2.82 m on every
Dachgarten floor. Instead of floor plans based on a 3 m grid, the
rooms are either narrower or wider. Instead of vertical
WC shafts there’s a horizontal ring pipe system, so
that a toilet can be connected anywhere in the space,
even in 50 years’ time. There are no specific residen-
tial codes, meaning the building remains open to
Ihre 36 m²-Einheit long-term, flexible use. There are no load-bearing
kommt ganz ohne
­Zwischenwände aus. partition walls, so each floor can be transformed into
Im offenen Grundriss a 400 m2 loft which can be customized as desired.
sind Zonen zum
­Ruhen, Spielen und However, under the Public Benefit Act, only one-third
Arbeiten definiert. of the building can be for non-residential use, which
Her 36 m 2 flat has no limits the amount of mixing.
partitions at all. Its LS: Initially we envisioned all four floors of the lower
open floor plan has
zones for work, rest, ­volume as a mix of commercial and work spaces. But
and play. due to the limitations they are only on the ground
floor and first upper floor. Mio has a recessed ground
floor zone, a thick “belly”, and then the tower rises
above the mezzanine level. The lower volume was
intended as a very mixed and lively part of the build-
ing. That’s why external stairs and covered passage-
ways along the courtyard side of the volume provide
additional access, and there is an open space for
informal communication. The commercial units on the
first upper level are mainly for therapeutic practices,
offices, and the back offices of the micropilots.
Common areas are often underused. What does it
take for residents to identify with them?
LS: From the very start, the micropilots were treated
 Im Gespräch mit Vlay Streeruwitz  Under Discussion with Vlay Streeruwitz
BV: Vieles lief gleichzeitig. Gemeinsam mit dem
Büro wohnbund:consult, das mit der begleitenden
Moderation des Besiedlungsprozess beauftragt
war, gab es viele persönliche Treffen mit künftigen
Mieterinnen und Mietern. Das Thema der Gemein-
schaftsräume wurde mit aufgegriffen.
Wie funktioniert das Nebeneinander von Eigen­
tümern und Mietern?
LS: Das spürt man im Haus kaum. Als gemeinnüt-
zige Wohnbaugenossenschaft darf die Heimbau
nicht mehr als 5 % Gewinn machen. Daher waren
die Kaufpreise nicht so hoch wie bei frei finanzierten
Projekten. Die Leute kauften günstiger als beim
­Nachbargrundstück und wohnen selbst in ihrem
Eigentum. Die Identifikation war also von Anfang
an sehr groß.
BV: Das Eigentumsmodell dient der Querfinanzie-
rung des Hauses. Die Preise der oberen Wohnungen
sind so berechnet, dass die Gemeinschaftseinrich-
tungen und der niedrige Quadratmeterpreis für die
MikropilotInnen möglich wurden. Die Finanzstruktur
funktioniert aus sich heraus, ohne Förderung.
Die Fassade ist zurückhaltend und doch beson­
ders. Woran habt ihr euch orientiert?
BV: Es gab intensive Verhandlungen mit dem
­Bauträger zur Frage, wie klein die Balkone werden
­dürfen. Die regelmäßigen Öffnungen mit vielen,
­kleineren Balkonen erzeugen eine große innere
­Flexibilität. So ist überall jede Nutzung und Auf­
teilung möglich. Die Inspiration dazu waren Grün-
derzeitfassaden in Wien, aber noch mehr die
­his­torischen Gesimsbalkone aus Frankreich und
Spanien.
LS: Nach oben hin werden die Wohnungen immer
großzügiger, daher können Fenster und Balkone
anders verteilt werden. Das Haus spielt diese Diffe-
renz subtil nach außen an die Fassade.
BV: Die Fenster sind in den unteren Geschossen
dichter gesetzt als über der Fuge nach dem vierten
Stockwerk. Das ist auch der Porosität zur Stadt
geschuldet. Je näher das Haus zum Boden kommt,
umso mehr Schnittstellen gibt es nach außen.
Außerdem erlaubt der Fensterrhythmus kleine
Räume mit nur 2,5 m Breite, auch das war ein
­Argument.
Wie funktionieren die Wohnungen in so einem
Stadthaus?
BV: Eine normale Drei-Zimmerwohnung hat fast
40 Laufmeter Innenwände. Ein Loft ohne Wände
spart also viele Ressourcen. Der Wohnungstyp A
hat 36 m2, für ihn haben wir das Sechs-Zonen-­
Wohnen entwickelt. Das Thema ist die Aneignung
der Nischen, es gibt dazu unterschiedliche gezeich-
nete Szenarien. Zum Beispiel für eine Handlungs­
All diagrams: StudioVlayStreeruwitz
reisende, die aus dem Koffer lebt und keine
Schränke braucht. Oder für ein Pärchen, eine Mode-
designerin in Fernbeziehung und so weiter.
LS: Bei den größeren Wohnungen sind die Aneig-
nungsszenarien noch vielfältiger. Man kann sie als
Loft, als klassische Wohnung oder als Wohnsalon
25
as part of the community, which came together in a
Typ B moderated process. There were several calls on
social media to target prospective tenants to achieve
Dichte this mix of shops, offices, a yoga studio, and more.
Everyone got to know each other and were involved
Packung in the planning process. At some point the developer
Densely wanted each commercial unit to have a toilet, kitchen,
and water supply. But some of them on the first upper
packed floor are only 15 m2, so the installations would leave
them with barely any space. The future users also
favoured our idea of a common area with WC, kitch-
enette, and two meeting rooms, so we managed to
convince the developer, too.
... affordable
BV: A lot of things were going on at the same time.
place to live
& work. The firm wohnbund:consult was commissioned to
moderate the formation of the user community, and
together we held many in-person meetings with the
future tenants. One of the things we discussed was
the common areas.
How does the mix of owners and tenants work?
Starterpärchen mit LS: It’s barely noticeable. Heimbau is a non-profit
­adoptiertem Kind housing cooperative and isn’t allowed to make more
>n
 utzen das Angebot than a 5 % profit. So the purchase prices were lower
der MikropilotInnen, than in privately financed projects. People paid less
um ihr Business zu
starten than they would for neighbouring properties, and
they live in the properties they own. So there has
Startup couple with
adopted child been a strong sense of identification with the project
from the outset.
>T
 hey additionally
rent a m
­ icropilot to BV: The ownership model serves to cross-finance the
launch their small building. The prices for the upper-level flats were cal-
business.
culated to cover the communal facilities and the low
rents for the micropilots. The financial structure works
on its own, without external funding.
The facade is minimalist yet distinctive. What
inspired the design?
Mikro-Café
BV: We had intensive negotiations with the developer
regarding the balconies’ small size. Equally spaced
36 m² für die kleine
Familie: Ein Spielbe- windows and many small balconies allow for more
reich für das Kind und flexibility with the interiors, for a wide variety of uses
eine ausreichend gro-
ße Zone zum Kochen and floor plans. For inspiration we looked to Vienna’s
und Essen. Schiebe- Wilhelminian facades, but even more so to traditional
elemente trennen bei
Bedarf den Wohn- balconies from France and Spain.
Schlafbereich ab. LS: The flats are more spacious higher up, so their
36 m 2 for a small family windows and balconies can be distributed differently.
includes a child’s play The building subtly reflects this difference on the
area and a zone for
cooking and meals. facade.
Sliding elements sepa- BV: The windows on the lower floors are set closer
rate the living/bedroom
area if needed. together than those above the fourth (mezzanine)
level. This also reflects the building’s sense of poros-
ity. The closer you get to the ground level, the more
interfaces there are with the rest of the city. And the
window rhythm allows for narrow rooms just 2.5 m
wide, which was also an argument.
What are the apartments like in your urban
­complex?
BV: A standard three-bedroom apartment has nearly
40 running metres of wall space. So a loft without
partition walls saves a lot of resources. Apartment
type A has 36 m2; we developed a six-zone living
concept for it. The idea is to make use of the niches;
26 Interview 3.2021  ∂

Die Flächen der The micropilot commer-

­MikropilotInnen sind cial spaces range in
25–35 m² groß und size from 25–35 m 2 with
kosten ab 4 Euro/m² monthly rents starting at
Miete. Sie sind für €4/m 2. They are de-
Start-ups und Kleinst- signed for startups and
unternehmer gedacht. micro entrepreneurs.

StudioVlayStreeruwitz

StudioVlayStreeruwitz
„Viele Kleinstunternehmen haben Angst
vor hohen Fixkosten und brauchen wenig
Platz.“
“A lot of micro businesses are afraid of high fixed
costs and don’t need much space.”

Im 4 m hohen Sockel
befindet sich die Stadt
loggia. Als Gemein-
schaftsraum steht sie
den Menschen, die im
Quartiershaus wohnen
und arbeiten, zur Ver-
fügung.
StudioVlayStreeruwitz

The “Stadtloggia”
(Urban Loggia) is in the
4 m high base and is a
common area for those
who live and work at
the Mio complex.
 Im Gespräch mit Vlay Streeruwitz  Under Discussion with Vlay Streeruwitz
mit großzügigem Wohnraum und abgetrennten
Arbeitszimmer nutzen. Die grundsätzliche Offenheit
des Hauses mit Blick auf seine Nutzung ist auch
innerhalb der Wohnungen gegeben.
BV: Die „falsche Loggia“, ein Balkon mit Doppel­
flügeltüren, den wir auch „spanische Loggia“ nen-
nen, war ein taktisches Manöver. Mit ihm konnten
wir den Bauträger davon überzeugen, dass der
kleine Balkon kein Problem ist. Normalerweise
­sollen Balkone mindestens 1,80 m tief sein. Wir
­wollten stattdessen den Freiraum ins Haus bringen.
Also entwarfen wir Doppelflügeltüren, durch die sich
die Balkone nach innen stülpen lassen, ohne die
Gebäudehülle zu verändern. Bei geringerer Raum-
tiefe entstehen „spanische Loggien“, bei mittlerer
Raumtiefe Wintergärten und bei großer Raumtiefe
Freiluftzimmer. Das alles ist mit dem gleichen Balkon
möglich und erklärt die Diskretion des Hauses. Hier
exponiert sich das individuelle Privatleben nicht auf
dem Balkon.
LS: Interessant ist, dass die Bewohner ihren Balkon
nicht zu einer „spanischen Loggia“ erweitert haben.
Die meisten finden es toll, dass jedes Zimmer einen
eigenen Balkon hat. Wir mussten also Lösungen für
ein Problem finden, das es eigentlich gar nicht gab.
Welche Strategien braucht es, um aus einem
Wohnhaus ein gemischt genutztes Quartiershaus
zu machen?
BV: Für uns gibt es immer diese Triade: Hard-Ware,
Soft-Ware und Org-Ware. Die Hard-Ware ist die typo-
logische Intelligenz eines Gebäudes: Nutzungsof-
fene Räume, keine tragenden Wände, ein flexibles
Haustechniksystem. Mio hat tragende Außenmauern
und kommt innen nur mit Stützen aus. Das Haus ist
offen geplant.
LS: Die äußere Haut ist wie eine Schale und statisch
relevant. Wichtig ist auch die nutzungsoffene Raum-
höhe in allen Geschoßen.
BW: Bei der Soft-Ware geht es um die Nutzungs­
mischung, also die Programmierung. Die Org-Ware
ist der Treiber des Erfolgs. Also: die Suche und die
Betreuung der Nutzerinnen und Nutzer, Marketing,
Branding. All das muss zusammenspielen. Die
Architektur kann noch so gut sein, wenn diese drei
Komponenten nicht stimmen, wird es schwierig.
Corona bedeutet für viele Menschen, dass sie
nun auch Zuhause arbeiten. Was heißt das für
die Stadt?
BV: Die Tendenz zur Flucht aus der Stadt ist jetzt
schon zu bemerken. Da fragt sich, was dieses
Vakuum nach sich zieht und wie eine Stadt in aus­
gedünnteren Modus funktionieren kann.
LS: Arbeit bildet Gesellschaft, und wenn sich die
Arbeit in die Wohnung und damit in den privaten
Raum verlagert, sind Austausch und Kommuni­
All diagrams: StudioVlayStreeruwitz
kation auf Dauer in Gefahr. Die Ortswechsel im
­Alltag in der Stadt sind wichtig, weil sie die Mög­
lichkeit bieten, jemandem begegnen zu können.
Wenn w ­ eiterhin viele Menschen zu Hause arbeiten,
müssten wir ganz neu über Nutzungsmischungen
nachdenken.
Typ C
Modeladen,
innovativ
Fashion
startup
... my
home is my
profession.
Modedesignerin in
Fernbeziehung
>n
 utzt das Angebot
der MikropilotInnen,
um ihr Business zu
starten
Fashion designer in
long-distance relation-
ship.
>S
 he additionally
rents a ­m icropilot to
launch her business.
Pop-Up in Stadtloggia
Mit Glaselementen
trennt die Nutzerin
den Wohn- und Ar-
beitsbereich in dieser
36 m² Einheit ab und
erweitert den Balkon
in den Innenraum.
So entsteht eine Art
Wintergarten.
Her 36 m 2 flat has glass
elements to separate
living and working and
to extend the balcony
inwards, which creates
a kind of winter garden.
27
we created different scenarios for this. For example,
for a person who travels a lot for work, who lives out
of their suitcase and doesn’t need closets. Or for a
couple, or a fashion designer in a long-distance rela-
tionship, and so on.
LS: For the larger apartments, the user scenarios are
even more diverse. They can be used as a loft, a
classic apartment, or a combined live/work space
with a spacious living area and separate study. The
fundamental openness of the building in terms of its
use is reflected inside the apartments.
BV: The “false loggia” – a balcony with double doors,
we call it a “Spanish loggia” – was a tactical manoeu-
vre, so we could convince the developer that small
balconies wouldn’t be a problem. Balconies are
­normally at least 1.80 m deep. Instead, we brought
the open space inside. The double doors open the
balconies inwards, without changing the building
envelope. With a smaller room depth it creates a
Spanish loggia; with a medium room depth it creates
a winter garden, and with greater room depths it
­creates an open-air space. All this is possible with
the same balcony. It also underpins the building’s
sense of discretion; individual privacy isn’t exposed
on the balcony.
LS: It’s interesting that the residents have chosen not
to expand their balconies into a Spanish loggia. And
most people love the fact that each room has its own
balcony. Ultimately, we found solutions to a problem
that doesn’t really exist.
What strategies are needed to turn a residential
building into a mixed-use Quartiershaus?
BV: We see it in terms of a triad: hardware, software,
and orgware. Hardware is the building’s typological
intelligence: rooms with flexible use, no load-bearing
walls, and a flexible building services system. Mio
has load-bearing outer walls and only uses columns
on the inside. The building is planned for flexible use.
LS: The outer skin is like a shell and structurally
­relevant. The high ceilings on every floor offer more
flexible use.
BW: Software is about the mix of uses, the program-
ming. And orgware is the driver of success. This
means composing and supporting the user commu-
nity as well as marketing and branding. All of these
things have to work together. If these three compo-
nents aren’t right, it will be difficult no matter how
good the architecture is.
Due to the coronavirus crisis, many people are
now working from home. How does that impact
the city?
BV: There’s a noticeable trend to flee the city. It
makes you wonder about the resulting vacuum, and
how a city can function in such a reduced mode.
LS: Work shapes society, and if work shifts into the
home and thus into the private sphere, it means that
dialogue and communication will suffer. Being able to
change your location is an important aspect of urban
life, because it gives you opportunities to encounter
other people. If a lot of people continue to work at
home, we will have to rethink the mix of uses.