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Am Waldmeisterweg

Text Reem Almannai und Florian Fischer Fotos Hélène Binet

Zwischen Waldmeisterweg
und Birchdörfli wird auf­
gemischt. Dunkle Lisenen
rhythmisieren die helle Fas­
sade des Neubaus. Drei­
eckige Motive treten wieder­
holt auf. Lageplan im Maß-
stab 1:2000

Das jüngste Projekt der Architekten Lütjens


Padmanabhan ist ein Mehrfamilienhaus in
Zürcher Randlage. Bauherr und Betreiber ist
eine Stiftung, die sich für günstige Familien­
wohnungen in der Stadt einsetzt. Der Ersatz­
neubau nutzt einerseits sehr effizient die
Fläche des Grundstücks – zugleich bezieht
er Stellung zur Frage der Ästhetik in der
Architektur.

Gerade erst erschien das siebte Rammstein- Projekt der Architekten Lütjens Padmanabhan?
Studio-Album, nach einer fast zehnjährigen Pau­ Die moralisch zweifelhaften Konnotationen, de­
se. Das Erscheinen des Albums war mit einem nen das Werk von Rammstein ganz bewusst un­
Aufwand in Szene gesetzt wie kein zweites im terliegt, einmal beiseitegelassen, geht es jeweils
deutschsprachigen Raum. Seit mehr als 25 Jahren um die Frage, wie man heute, in der Architektur
schon bedient sich die Band in ihrer bra­c h­i al- wie im Pop, noch ein Oeuvre schaffen kann.
virtuosen Art aus einem Fundus an Zeichen und Lütjens Padmanabhan verfolgen seit nunmehr
Formen, die sie sich aus dem Bilderpool der zwölf Jahren einen Weg, der die spezifische Lö­
deutschen Geschichte und der Geschichte des sung in einer fortwährenden Kontinuität bei der
Metall- und Elektropops zurecht geschnitzt Verwendung der Mittel und Formen sucht –
hat. Skandal und Provokation sind minutiös kal­ oder sind es bereits Zeichen? Dreiecke, schräg
kuliert und wurden wieder einmal mit medialer gesetzte Wände, extreme Spitzen, ausgestellte
Aufmerksamkeit belohnt. Manches war auf­ Brüstungen, kräftige Farbakzente und Streifen­
gewärmt, anderes neu, und wieder anderes so muster oder ihre, bei John Hejduk entlehnten
opulent neu eingekleidet und verlinkt, dass ei­ Katzenohren, um nur ein paar zu benennen. Ihre
nem von der Melange aus Abneigung und Faszi­ Methode besteht dabei in einer Mischung aus
nation schwindelig werden konnte. Aber was vordergründiger Wiedererkennbarkeit und tiefer­
hat das alles mit einem überschaubar großen gehendem architekturhistorischem Interesse,
Mehrfamilienhaus im Züricher Stadtteil Oerlikon aus der kreuzweisen Verschneidung zweier kon­
zu tun, mit dem nunmehr vierten realisierten trärer Referenzen, oder sogar dem ein oder an­

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deren Selbstzitat. In gewisser Schrecklähmung leichten Hang. Trotz eines hohen Maßes an for­ Geste ist. Das verwendete Motiv ist dabei offen­
Die Entwurfsmethode
ob der schamlosen Virtuosität und des kons­ maler Kohärenz entstehen drei oder vier eigen­ sichtlich ohne Bezug zur konkreten Umgebung
truktiven Undogmatismus ihrer Werke ist dabei ständige Eindrücke ein und desselben Körpers, gewählt und liefert doch eine prinzipielle Antwort besteht aus einer Mischung
häufiger der Vorwurf einer zu „lauten“, zu intel­ der sich auf diese Weise selbstverständlich in auf deren grundsätzliche Natur. Man könnte es vordergründiger Wie­der­
lektuellen Architektur zu hören.
Das Projekt am Waldmeisterweg basiert auf
den Kontext einfügt. Die rückseitige Gartenfas­
sade wird durch die spitze Ecke deutlich von
als paradigmatisches Vorgehen einer architek­
tonischen Offenheit betrachten, bei dem nicht
erkennbarkeit und archi­tek­
einem gewonnenen Wettbewerb aus dem Jahr der Straße abgesetzt. Die Eckdetails tragen zu wie bei einer klassisch kontextuell gedachten turhistorischem Inter­esse.
2013. Es handelt sich um einen Ersatzneubau für dieser Zerlegung des Baukörpers bei: Die Eternit­ Architektur zwischen fremd und vertraut unter­
die Zürcher Stiftung PWG, die kostengünstigen platten treffen nicht mit Gehrungsschnitten auf­ schieden wird, sondern nur die plausible An­
Mietwohnungsbau betreibt und errichtet. Die einander, sondern überlappen sich oder stehen wendbarkeit zählt.
spitze, polygonale Form des Neubaus lotet das offen über. Ein circa 50 Zentimeter hoher Fries aus einer
Grundstück nach maximalem Baurecht aus; So sehr die Form und ihre „Überspitzung“ wie grauen vertikalen Bretterschalung teilt die Fas­
das Volumens lässt sich dabei als Summe von schon beim kleineren Mehrfamilienhaus im Basler saden horizontal und mittig. Zarte hölzerne Lise­
Flächen verstehen. Die Kubatur entwickeln die Vorort Binningen (2014) deutliche Anleihen zu nen schaffen eine primäre Gliederung über die
Architekten über präzise konnotierte Ansichten: Robert Venturis North Penn Visiting Nurses Asso­ Länge. Sie sind mit den Fenstern kurzgeschlos­
Eine prominent städtische Straßen- und Ein­ ciation (1963) aufnimmt, so sehr steht sie auch sen und im immer gleichen Abstand zu ihnen
gangsfassade flankiert den kleinen Waldmeister­ hier wieder für die spezifische Ausprägung einer gesetzt. Da diese aber nicht entlang eines starren
weg an der Nordseite, und eine ebenso eindeu­ architektonischen Idee, die zur städtebaulichen Raumrasters sondern latent frei in der Wand
tige Gartenfassade zeigt nach Süden gegen den Klärung führt und gerade nicht eine expressive platziert sind, folgen auch die Lisenen keinem

Spiel mit den Kontrasten im Die Materialität des Attika­


Treppenhaus (links), Kalei­ geschosses ist bewusst
doskopischer Reigen im ruppig gewählt, um die An­
Windfang, ausgehend von mutung als Penthouse zu
der verspiegelten Verklei­ vermeiden.
dung eines Entsorgungs­
schachtes
Ansichten im Maßstab 1:500

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Architekten strikten Rhythmus. Unterlegt ist diese Gliede­ Die Terrazzostütze ist archi­
tektonischer Fixpunkt der
Lütjens Padmanabhan rung mit den Plattenstößen der horizontal und
Grundrisse, mit einem Augen­
Architekten, Zürich geschuppt ausgeführten hellen Eternitplatten, zwinkern wirft sie hölzern
die wiederum ihrer eigenen Logik sinnvoller Plat­ Schatten. Das Bad als atmo­
Projektleitung sphärische Erin­nerung an
tenmaße gehorchen und nahezu keine Kongru­
Moritz Hörne (Ausführung), ein Ferienhaus.
Hannah Klein (Wettbewerb-
enz zu den Fensteröffnungen aufweisen. Es sind Grundrisse im Maßstab 1:500

UA
LI
ST.P
Baueingabe) damit keine Proportionssysteme oder andere
„starre“ Regeln dem Entwurfsverfahren zugrun­
Mitarbeiter
de gelegt. Trotzdem geht es bei den Fassaden
Marine de Dardel, Géraldine
um Gliederung und Proportionierung, um Aus­
Recker , Julia grosse Darrel­
mann, Henrike Heuer, druck und Erscheinung, um eine präzise aber
Andrea Micanovic, Nadine weiche Ordnung.
Käser Cenoz, Luca Bazelli
Die Fenster der unteren vier Geschosse liegen
Bauleitung ST.PAUL
I
übereinander, ihre Formate variieren. In der obe­
Vollenweider Baurealisation ren Etage rücken sie aus der Achse. Dieses At­
GmbH, Schlieren tikageschoss hebt sich auch durch seine abwei­
chende Materialität ab. Als Hinweis, dass sich
Tragwerksplanung
hier oben keine „nobleren Wohnungen“ als im
sjb kempter fitze ag,
Frauenfeld
Rest des Hauses befinden, sind die Außenwände
lediglich grau verputzt. Auch dies gliedert, neben
Bauherr dem Fries, die vertikale Entwicklung der Fassa­
Stiftung PWG, Zürich den. Das bestimmende Element der Straßenfas­ tung der halböffentlichen Räume mit ihren pop­
sade besteht in der festen Kombination aus gro­ pigen Applikationen, und er tut das ganz wesent­
Hersteller
ßem Zimmerfenster und hoch liegendem kleinen lich auch dank der Materialisierung und Detail­
Fassade Eternit, Boden
Zahna, Sanitär Laufen Badfenster, die der Gartenfassade aus Loggien lierung der vorgehängten Fassaden.
und bodentiefen Fenstern. Es sind diese Motive, Und auch die grundrisstypologischen Überle­
ihre Repetition und die bewusst gesetzten Hell- gungen passen in diesen Referenzrahmen. Mit
Dunkel-Kontraste, die Spannung in die an sich der tief liegenden Küchendiele, ihrem Anschluss
ULI
ST.PA

ruhigen Fassaden bringen und das freie Austa­ an die großen Loggien und ihrem Dreh- und An­
rieren von Proportionen ermöglichen. Das funk­ gelpunkt im Übergang zum Wohnzimmer – einer
tioniert erstaunlich gut und verleiht dem Haus, schwarzen, tragenden Terrazzostütze – gene­
aller vermeintlichen Sprödigkeit zum Trotz, eine rieren die Architekten einen Hybrid aus kammer­
ST.PAUL
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beschwingte Leichtigkeit. artiger Wohnung und Raumkontinuum. Selbst


so banale Dinge wie die Gestaltung einfacher
Gewohnte Typologien ohne Bindekraft Bäder und die Anordnung des kleinen Badfens­
ters als Oberlicht werden Teil der Erzählung.
Doch nicht nur die architektonische Auseinan­ Der Bezug zum Beach House bietet das ästhe­
dersetzung mit den Fragen der Gliederung des tische Handwerkzeug, um auf Grundlage einer
Baukörpers und der Fassaden lohnt eine Analyse. effektiven Flächenbilanz eine nahbare Architek­
Das Gebäude führt auch eine andere Ebene der tur zu entwickeln, die sich offen in die Nachbar­
Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen schaft einfügt. Der so gelassen wie ambitionierte
Wohnungsbau vor. Es geht – mit einem Mode­ Umgang gerade auch mit all den zusätzlichen,
wort gesagt – um die Annäherung über ein Nar­ die reine Lehre störenden Elementen eines Mehr­
rativ. Dies hat damit zu tun, dass laut den beiden familienhauses, macht dies deutlich: Briefkäs­
Architekten heute nicht nur der räumlich-archi­ ten, Außenleuchten, Vordächer, Fahrradabstell­
tektonische Kontext brüchig geworden ist, son­ plätze und nicht zuletzt Mülltonnen bedenken
dern auch der typologische und gesellschaft­ Lütjens Padmanabhan mit humorvoller Aufmerk­
liche nicht mehr die Selbstverständlichkeit und samkeit.
Bindekraft aufweist, wie manche das vielleicht Das Wohnhaus am Waldmeisterweg ist Ergeb­
gerne noch hätten. Lütjens Padmanabhan grei­ nis einer Sicht auf die Welt, die den Nutzer wert­
fen dabei ungeniert und tatsächlich erst einmal schätzt. Es ist ein dem Wesen nach egalitäres,
völlig bezugslos auf ein Beispiel ihrer „Lieblings­ aber gleichzeitig von einem starken architekto­
architekten“ zurück, auf das Lieb House (1969) nischen Ausdruckswillen geprägtes Gebäude,
von Venturi Scott Brown. Sie holen sich damit das unter der Prämisse disziplinierter Kosten­
neben formal architektonischen Anleihen den steuerung entstanden ist. Wenn es gelänge, die
Erzählstrang eines „Beach-House“ in ihren Ent­ zugrundeliegende Offenheit wieder in die ar­
wurfskosmos. Und dieser trägt. Er trägt die chitektonische Debatte einzuführen und Fragen
Eingangshalle und den daran angegliederten von Geschmack und Stil nicht für moralische
Waschraum, er trägt die flach geneigte Zufahrt oder persönliche Stellvertreterkämpfe zu miss­
der Garage, er trägt grundsätzlich die Gestal­ brauchen, dann wäre viel gewonnen.

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