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Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Institut für Eisenhüttenkunde

-Werkstofftechnik-

Masterarbeit

Untersuchung der Rekristallisationskinetik beim


thermomechanischen Walzen von Grobblech

von

Wirt.-Ing. Dimitri Koller (B.Sc.)


Matr.-Nr. 287 857

Durchgeführt in der AG der Dillinger Hüttenwerke


Vom 1. Oktober 2013 bis 1. Mai 2014

Betreuer: Univ. Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Bleck


Dipl.-Ing. Alexander Zimmermann (IEHK)
Dr.-Ing. Daniel Rupp (AG der Dillinger Hüttenwerke)
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbsständig verfasst habe und
keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt, sowie Zitate kenntlich
gemacht habe.

Datum: ............................... .......................................................


Wirt.-Ing. Dimitri Koller (B.Sc.)

Hiermit erlaube ich, dass meine Arbeit nach der Abgabe durch weitere Personen als meine
Prüfer eingesehen werden darf.

Datum: ............................... .......................................................


Wirt.-Ing. Dimitri Koller (B.Sc.)
Kurzfassung
In der vorliegenden Masterarbeit wird anhand von Warmumformversuchen das Rekristal-
lisationsverhalten und die entsprechende Rekristallisationskinetik mikrolegierter Stähle
untersucht. Dabei werden Doppelschlagversuch, Spannungsrelaxationsversuch und Mehr-
fachdeformationsversuch in der AG der Dillinger Hüttenwerke verglichen und methodisch
an dem Warmumformsimulator Gleeble 3800 für zukünftige Untersuchungen etabliert. Ins-
besondere werden stellvertretend für reale Stichabnahmen kleine Umformgrade (Ï = 0, 1)
berücksichtigt, für die allerdings kaum Vergleichsreferenzen in der Literatur existieren.
Um die Fließspannungsmessung an der Gleeble zu optimieren werden zunächst Vor-
versuche durchgeführt, wodurch vor allem der durchschnittliche Temperaturgradient in-
nerhalb der Probe von 47¶ C auf 12¶ C verbessert wird. Weiterhin können mit dem
Einspannsystem die an den Rändern der Proben auftretenden und durch die Schmier-
und Zusatzstoffe verursachten Aufschmelzungen verhindert werden.
Mit dem Doppelschlagversuch (D-D-T) kann für beide untersuchten Stahlgüten die
TN R aus der partiellen Entfestigung als Funktion der Temperatur abgeleitet werden. Bei
kleinen Umformgraden (Ï = 0, 1) tritt eine vollständige Entfestigung erst bei sehr hohen
Temperaturen (1175 ≠ 1200¶ C) auf. Die partielle Entfestigung unterschiedlicher Umform-
grade als Funktion der Zeit zeigt, dass eine zum Umformgrad 0,3 vergleichbare Rekristalli-
sationsrate für einen Umformgrad von 0,1 etwa 150¶ C höher liegt.
Die Auswertung des Spannungsrelaxationsversuches (S-R-T) nach dem Karjalainen-
Ansatz wird mit sinkender Temperatur und sinkendem Umformgrad unpräziser und pro-
blematischer. Temperaturunabhängig ist bei einem Umformgrad von 0,1 eine Auswertung
nur bedingt möglich. Der Spannungsrelaxationsversuch eignet sich vorwiegend für Um-
formparameter, bei denen ein vollständiges Rekristallisationsverhalten zu erwarten ist.
Beide Untersuchungsmethoden liefern vergleichbare Ergebnisse, gleichwohl systemati-
sche und charakteristische Unterschiede in der Rekristallisationskinetik bestehen. Der Me-
thodenvergleich lässt darauf schließen, dass die aus dem Doppelschlagversuch bestimmte
partielle Entfestigung im erheblichen Maße Erholung mitberücksichtigt und der Span-
nungsrelaxationsversuch fehleranfälliger auf sinkende Umformgrade reagiert.
Die Ergebnisse des Mehrfachdeformationsversuches zeigen, dass zum Einsetzen einer
vollständigen Entfestigung durch Rekristallisation eine kritische Spannung im Gefüge er-
reicht werden muss. Diese kritische Spannung wird bei einem Umformgrad von 0,1 auch
durch die Spannungsakkumulation über mehreren Stichfolgen nicht erreicht, weshalb es
entlang eines Stichplanes bei 1000¶ C zu keiner vollständigen Entfestigung kommt.
Mit der vorliegenden Arbeit ist eine erfolgreiche Entwicklung der Untersuchungsmetho-
dik in der Dillinger Hütte gelungen. Beide Methoden (D-D-T und S-R-T) können an der
Gleeble für ein breites Parameterfeld verlässlich und reproduzierbar durchgeführt werden.

I
Danksagung
Diese Masterarbeit wurde in der Dillinger Hüttenwerke AG im Bereich der grundlagen-
und anwendungsorientierten Forschung unter der Betreuung des Instituts für Eisenhütten-
kunde der RWTH Aachen im Zeitraum von Oktober bis Mai 2014 durchgeführt.

Mein besonderer Dank geht an den Herrn Dr.-Ing. Daniel Rupp für die Themenstellung
und die ausgezeichnete wissenschaftliche Betreuung, die fachlich sehr bereichernd war und
mich die methodische Erarbeitung einer wissenschaftlichen Arbeit lehrte.

Herrn Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Bleck danke ich für die freundliche Übernahme der Betreu-
ung durch das Institut und die Wissensvermittlung im Vertiefungsstudium.
Mein Dank geht auch an den Herrn Dipl.-Ing. Alexander Zimmermann, der die Arbeit
seitens des Instituts betreute.

Den Herren Dr.-Ing. Matthias Kremer und Dr.-Ing. Frank Hanus danke ich für die freund-
liche Übernahme und die Möglichkeit diese Arbeit im Stahlverarbeitungszentrum der Dil-
linger Hüttenwerke AG durchführen zu können.

Ich möchte mich auch ganz herzlich beim Herrn Andreas Hoffmann bedanken, der mich
bei meinen experimentellen Arbeiten unterstützt und durch seine reichhaltige Erfahrung
an der Gleeble konstruktiv Hilfestellung geleistet hat.

II
Inhaltsverzeichnis
Kurzfassung I

Inhaltsverzeichnis III

Abbildungsverzeichnis V

Tabellenverzeichnis X

1 Einleitung 1

2 Stand der Wissenschaft und Technik 3


2.1 Der thermomechanische Warmwalzprozess des Grobbleches . . . . . . . . . 3
2.2 Entfestigungserscheinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
2.2.1 Erholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
2.2.2 Rekristallisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
2.2.3 Einfluss des Verformungsgrades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.2.4 Spannungsakkumulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2.3 Mikrolegierungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.3.1 Löslichkeits- und Ausscheidungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.3.2 Solute Drag Effect . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.3.3 Wirkung im thermomechanischen Walzprozess . . . . . . . . . . . . 16
2.4 Untersuchungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.4.1 Mechanische Grundlagen der Druckumformung . . . . . . . . . . . 18
2.4.2 Doppelschlagversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.4.3 Spannungsrelaxationsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

3 Experimentelle Durchführung 32
3.1 Versuchsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3.1.1 Gleeble 3800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
3.1.2 Probenherstellung und Probengeometrie . . . . . . . . . . . . . . . 34
3.1.3 Aufbau Stempelsystem und Einspannvorrichtung . . . . . . . . . . 36
3.2 Versuchsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
3.2.1 Vorversuche zur Verfahrensoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . 37
3.2.2 Doppelschlagversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.2.3 Spannungsrelaxationsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
3.2.4 Mehrfachdeformationsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

4 Ergebnisse und Diskussion 50


4.1 Vorversuche zur Verfahrensoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

III
4.1.1 Optimierung des Einspannsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
4.1.2 Optimierung der Temperaturhomogenität . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.1.3 Diskussion und Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.2 Bestimmung der partiellen Entfestigung und Ableitung TN R . . . . . . . . 55
4.2.1 Doppelschlagversuch unter Variation der Temperatur . . . . . . . . 55
4.2.2 Diskussion und Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
4.3 Bestimmung der Rekristallisationskinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
4.3.1 Doppelschlagversuch unter Variation der Zeit . . . . . . . . . . . . 65
4.3.2 Spannungsrelaxationsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4.3.3 Gegenüberstellung beider Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
4.3.4 Diskussion und Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
4.4 Spannungsakkumulation beim Mehrfachdeformationsversuch . . . . . . . . 85
4.4.1 Partielle Entfestigung als Funktion des Umformgrades . . . . . . . . 85
4.4.2 Diskussion und Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

5 Zusammenfassung 91

6 Schlussfolgerung und Ausblick 93

7 Literatur 94

8 Anhang 100

IV
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 Schematische Darstellung des thermomechanischen Walzprozesses . . . . 3
Abb. 2 Schematische Darstellung der versetzungsabbauenden Erholung und der
kornneubildenden Rekristallisation als Entfestigungsmechanismen . . . . 5
Abb. 3 Löslichkeitsprodukte für Karbide und Nitride für den Bereich des Aus-
tenits und des Ferrits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Abb. 4 Schematische Darstellung eines Rekristallisation-Ausscheidung-Zeit-Tem-
peratur-Diagramms (eng. Recrystallisation-Precipitation-Time-Tempera-
ture RPTT) für einen mikrolegierten Stahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Abb. 5 Gegenüberstellung entfestigungshemmender Wirkungsweisen verschiede-
ner Mikrolegierungselemente bei verschiedenen Gehalten und Zeiten bei
900¶ C und 1000¶ C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Abb. 6 Entwicklung des durchschnittlichen Korndurchmessers als Funktion der
Temperatur und Gehalte der Mikrolegierungselemente . . . . . . . . . . 16
Abb. 7 Darstellung der a) Reibungsverhältnisse an den Stirnflächen zum Werk-
zeug und b) inhomogenen Umformzonen während der Druckumformung 20
Abb. 8 a) Dehnungsspezifischer Zusammenhang zwischen konstant bleibenden
Reibungsbedingungen und variierenden Probengeometrien und b) span-
nungsspezifischer Zusammenhang zwischen variierenden Reibungsbedin-
gungen und variierenden Probegeometrien . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Abb. 9 Darstellung des linearen Zusammenhangs zwischen Barreling-Koeffizienten,
Probengeometrie und Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Abb. 10 Schematische Darstellung a) eines Stichplanes und b) eines Fließkurven-
verlaufes des Doppelschlagversuches für zwei unterschiedliche Zwischen-
stichzeiten von 2 und 100 Sekunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
Abb. 11 Gegenüberstellung der Auswertungsmethoden des Doppelschlagversuches 25
Abb. 12 Darstellung ausgewerteter Rekristallisations-Zeit-Kurven nach den vier
verschiedenen Auswertungsansätzen des Doppelschlagversuches unter Auf-
tragung über unterschiedliche Zwischenstichzeiten . . . . . . . . . . . . . 28
Abb. 13 a) Schematische Darstellung eines Stichplanes zum Spannungsrelaxati-
onsversuch und b) Spannungsverlauf eines Spannungsrelaxationsversu-
ches mit Einteilung entsprechender Regionen zur Entfestigungsanalyse . 29
Abb. 14 Die Gleeble 3800 der AG der Dillinger Hüttenwerke . . . . . . . . . . . . 32
Abb. 15 Aufbau des ISO-T Stempelsystems der Gleeble . . . . . . . . . . . . . . 34
Abb. 16 Aufbau des Kraftübertragungselements im a) zugedeckten und b) aufge-
deckten Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

V
Abb. 17 Schematische Darstellung des Entnahmeortes der Proben aus dem Walz-
material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Abb. 18 Darstellung des Schichtaufbaus an der Kontaktstelle zwischen Probe und
Stempel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Abb. 19 a) Modifiziertes Schichtsystem mit einer Diffussionsbarriere (Tantal) zwi-
schen Probe und Graphitfolie und b) Probe mit gekennzeichneten Berei-
chen der Thermoelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Abb. 20 Beispielhafte Darstellung zweier verschiedener Widerstandskonfiguratio-
nen für einen linken Stempel mit einer 2/6 und einer 0/5 Konfiguration . 38
Abb. 21 Schematische Darstellung der Temperaturtreppe zur Untersuchung der
Temperaturhomogenität innerhalb des gelb markierten Messbereiches . . 39
Abb. 22 Schematische Versuchsdarstellung des Doppelschlagversuches mit den
entsprechenden Versuchsparametern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Abb. 23 Schematische Versuchsdarstellung des Spannungsrelaxationsversuches mit
den entsprechenden Versuchsparametern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
Abb. 24 Schematische Darstellung einer Versuchskombination aus einem Doppel-
schlag- und Spannungsrelaxationsversuch mit entsprechenden Versuch-
sparametern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Abb. 25 Schematische Darstellung des Versuchsablaufs zur Untersuchung der Span-
nungsakkumulation für die zwei unterschiedliche Versuchsvarianten in
der Zwischenstichzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
Abb. 26 Temperaturverteilung für a) eine von Tantalfolien im ”Sandwich” genom-
mene Graphitfolie und b) eine im direkten Kontakt zur Probe befindliche
Graphitfolie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Abb. 27 Darstellung der Aufschmelzungen in den Randbereichen der Probe . . . 51
Abb. 28 Beispielhafte Darstellung der Temperaturverläufe aller drei Thermoele-
mente sowie der mittleren Temperaturabweichung zur Solltemperatur
beim A625 Stempel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
Abb. 29 Beispielhafte Darstellung der Temperaturverläufe aller drei Thermoele-
mente sowie der mittleren Temperaturabweichung zur Solltemperatur
beim ISO-T Stempel der 4. Konfiguration . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Abb. 30 Darstellung des modifizierten, linearen Zusammenhangs zwischen Barreling-
Koeffizienten, Probengeometrie und Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . 54
Abb. 31 Fließkurvenverläufe der Stahlsorte 1 für unterschiedliche Temperaturen,
Ï = 0, 3 und tip = 15 Sekunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
Abb. 32 Partielle Entfestigung als Funktion der Temperatur für Auswertungen
mit der 2% Offset Methode und der 5% True Strain Methode für Stahl-
sorte 1, Ï = 0, 3 und tip = 15 Sekunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

VI
Abb. 33 Darstellung der Auswertungsgrenze der 2% Offset Methode bei Stahlsor-
te 1 für T = 1150¶ C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Abb. 34 Fließkurvenverläufe der Stahlsorte 1 für unterschiedliche Temperaturen,
Ï = 0, 1 und tip = 15 Sekunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Abb. 35 Fließkurvenverläufe der Stahlsorte 1 für unterschiedliche Temperaturen,
Ï = 0, 2 und tip = 15 Sekunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Abb. 36 Partielle Entfestigung als Funktion der Temperatur für unterschiedliche
Umformgrade, ausgewertet nach der 5% True Strain Methode für Stahl-
sorte 1 und tip = 15 Sekunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Abb. 37 Fließkurvenverläufe der Stahlsorte 2 für unterschiedliche Temperaturen,
Ï = 0, 1 und tip = 15 Sekunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
Abb. 38 Fließkurvenverläufe der Stahlsorte 2 für unterschiedliche Temperaturen,
Ï = 0, 2 und tip = 15 Sekunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
Abb. 39 Partielle Entfestigung als Funktion der Temperatur, ausgewertet nach
der 5% True Strain Methode für Stahlsorte 2 und tip = 15 Sekunden . . 61
Abb. 40 Gegenüberstellung dreier Fließkurven aus dem Doppelschlagversuch der
Stahlsorte 1 mit Ï = 0, 3, T = 950¶ C und variierenden Zwischenstichzei-
ten. Die Fließkurven sind mit 25 Datenpunkten geglättet worden. . . . . 65
Abb. 41 Rekristallisierte bzw. entfestigte Anteile der Stahlsorte 1 aus dem Dop-
pelschlagversuch, ausgewertet mit der 5% True Strain Methode und auf-
getragen über eine logarithmierte Zeitskala für Ï = 0, 3 . . . . . . . . . . 66
Abb. 42 Gegenüberstellung dreier Fließkurven aus dem Doppelschlagversuch der
Stahlsorte 1 mit Ï = 0, 1, T = 1100¶ C und variierenden Zwischenstich-
zeiten. Die Fließkurven sind mit 25 Datenpunkten geglättet worden. . . 66
Abb. 43 Rekristallisierte bzw. entfestigte Anteile der Stahlsorte 1 aus dem Dop-
pelschlagversuch, ausgewertet mit der 5% True Strain Methode und auf-
getragen über eine logarithmierte Zeitskala für Ï = 0, 1 . . . . . . . . . . 67
Abb. 44 Spannungsverläufe aus den Spannungsrelaxationsversuchen für unter-
schiedliche Temperaturen und Ï = 0, 3. Die Spannungskurven sind mit
25 Datenpunkten geglättet worden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Abb. 45 Auswertung der rekristallisierten Anteile nach dem Karjalainen-Ansatz
(Gleichung 19) für unterschiedliche Temperaturen und Ï = 0, 3. Die
Spannungskurven und die rekristallisierten Anteile der 950¶ C-Kurve sind
mit 25 Datenpunkten geglättet worden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Abb. 46 Spannungsverläufe aus den Spannungsrelaxationsversuchen für unter-
schiedliche Temperaturen und Ï = 0, 1. Die Spannungskurven sind mit
25 Datenpunkten geglättet worden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

VII
Abb. 47 Auswertung der rekristallisierten Anteile nach dem Karjalainen-Ansatz
(Gleichung 19) für unterschiedliche Temperaturen und Ï = 0, 1. Die
Spannungskurven sind mit 25 Datenpunkten geglättet worden. . . . . . . 70
Abb. 48 Spannungsrelaxationsverläufe der Stahlsorte 1 aus der kombinierten Ver-
suchsdurchführung für verschiedene Temperaturen und Ï = 0, 3. Die
gestrichelte Gerade markiert schematisch den Rekristallisationsbeginn
einzelner Relaxationskurven. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Abb. 49 Rekristallisierte Anteile aus der kombinierten Versuchsdurchführung für
verschiedene Temperaturen und Ï = 0, 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Abb. 50 Reproduzierbarkeitsuntersuchung des Spannungsrelaxationsversuches für
zwei Temperaturen und Ï = 0, 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Abb. 51 Vergleichbarkeitsuntersuchung der Kinetik aus dem Doppelschlagversuch
(D-D-T) und Spannungsrelaxationsversuch (S-R-T) für 1000¶ C und Ï =
0, 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Abb. 52 Vergleichbarkeitsuntersuchung der Kinetik aus dem Doppelschlagversuch
(D-D-T) und Spannungsrelaxationsversuch (S-R-T) für 950¶ C und Ï = 0, 3 74
Abb. 53 Vergleichbarkeitsuntersuchung der Kinetik aus dem Doppelschlagversuch
(D-D-T) und Spannungsrelaxationsversuch (S-R-T) für 1175¶ C und Ï =
0, 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
Abb. 54 Vergleichsdarstellung der Rekristallisationskinetik für a) experimentelle
Ergebnisse dieser Arbeit (Ï = 0, 3, Ï̇ = 1/s und D0 = 120 µm) und b)
Ergebnisse aus der Literatur (Ï = 0, 35, Ï̇ = 3, 6 s≠1 und D0 = 210 µm) . 76
Abb. 55 Vergleichsdarstellung des nach dem Zurob-Modell modellierten Entfes-
tigungs- und Rekristallisationsverlaufes mit den von Medina et al. stam-
menden Entfestigungsdaten aus der Literatur (Ï = 0, 35, Ï̇ = 3, 6 s≠1 ,
D0 = 210 µm und T = 950¶ C vgl. Abbildung 54b) . . . . . . . . . . . . . 78
Abb. 56 Entfestigungsentwicklung der Relaxationskurven bei sinkender Tempe-
ratur, dabei sind die Relaxationsverläufe ihrer jeweiligen Maximalspan-
nung normiert worden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Abb. 57 Darstellung des Ausscheidungseffektes beim Spannungsrelaxationsver-
such für T = 900¶ C und a) experimentelle Ergebnisse aus der Litera-
tur mit 1) Ausscheidungsbeginn und 2) Beginn der Ausscheidungsver-
gröberung sowie b) modellierte Ergebnisse aus der Literatur mit 1) Aus-
scheidungsbeginn und 2) Beginn der Ausscheidungsvergröberung . . . . 80
Abb. 58 Ausscheidungseffekt beim Spannungsrelaxationsversuch der Stahlsorte 1
für T = 1000¶ C und T = 800¶ C, Ï = 0, 3, Ï̇ = 1/s und D0 = 120 µm)
mit 1) Ausscheidungsbeginn, 2) Beginn der Ausscheidungsvergröberung
und 3) charakteristischer Buckel (vgl. Abbildungen 48) . . . . . . . . . . 81

VIII
Abb. 59 Spannungsrelaxationskurven für den konventionellen Versuchsaufbau nach
Abbildung 23 (Kurve A) und für den kombinierten nach Abbildung 24
(Kurve B), T = 950¶ C und Ï = 0, 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
Abb. 60 Gegenüberstellung experimenteller Ergebnisse dieser Arbeit für a) Ï =
0, 3, Ï̇ = 1 s≠1 und T =950¶ C sowie b) Ï = 0, 1, Ï̇ = 1 s≠1 und T =1175¶ C 84
Abb. 61 Gegenüberstellung der Ergebnisse aus der Literatur für a) Ï = 0, 55, Ï̇ =
0, 1 s≠1 und T =900¶ C und b) Ï = 0, 2, Ï̇ = 0, 1 s≠1 und T =900¶ C . . . 84
Abb. 62 Gegenüberstellung der Fließkurven aller Umformgrade für einen belas-
tenden Zustand während der Zwischenstichzeit bei 1000¶ C . . . . . . . 85
Abb. 63 Spannungsverläufe aus den zwischengeschalteten Spannungsrelaxationen
für unterschiedliche Umformgrade (a = 0, 1, b = 0, 2 und c = 0, 3) . . . . 87
Abb. 64 Darstellung der Fließkurvenverläufe für einen belastungsfreien (100 N)
und einen belastenden Zustand in der Zwischenstichzeit für Ï = 0, 1 und
T=1000¶ C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
Abb. 65 a) Darstellung des äquivalenten Spannungsniveaus bei gleichem Gesam-
tumformgrad und unterschiedlicher Umformgrade (Ï = 0, 1 und Ï =
0, 2) und b) entsprechende Relaxationskurven beider Umformgrade (Ï =
0, 1 und Ï = 0, 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
Abb. 66 Gegenüberstellung der Fließkurven aller Umformgrade für einen belas-
tenden Zustand während der Zwischenstichzeit bei 1000¶ C und einer
zusätzlichen spannungsspezifischen Bereichseinteilung zur Entfestigungs-
einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
Abb. 67 Untersuchungsvorgehen bei der Extrapolationsgenauigkeit, dargestellt
für die Untersuchung eines Umformgrades von Ï = 0.3 . . . . . . . . . . 101
Abb. 68 Integration der Flächen im Bereich Ï = 0.3 æ 0.4 für a) die Fließkurve
der Stahlsorte 1 und b) die Hill Extrapolation . . . . . . . . . . . . . . . 102
Abb. 69 Integration der Flächen im Bereich Ï = 0.3 æ 0.4 für a) die Hollomon
Extrapolation und b) die Ludwik Extrapolation . . . . . . . . . . . . . . 102

IX
Tabellenverzeichnis
1 Übersicht über die herrschenden Unsicherheitsfaktoren während der zylin-
drischen Druckumformung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2 Gegenüberstellung zulässiger Temperaturtoleranzen während Hochtempe-
raturumformungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
3 Chemische Zusammensetzung der Stahlsorte 1 . . . . . . . . . . . . . . . . 35
4 Chemische Zusammensetzung der Stahlsorte 2 . . . . . . . . . . . . . . . . 35
5 Gegenüberstellung der verwendeten Stempel und die Konfigurationen des
ISO-T Stempelsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
6 Darstellung der kompletten Versuchsmatrix des Doppelschlagversuches für
Stahlsorte 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
7 Darstellung der kompletten Versuchsmatrix des Doppelschlagversuches für
Stahlsorte 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
8 Auszug aus der Versuchsmatrix zur Bestimmung der partiellen Entfestigung
(TN R ) als Funktion der Temperatur unter konstant gehaltener Zwischen-
stichzeit und für drei verschiedene Umformgrade der Stahlsorte 1 . . . . . 43
9 Auszug aus der Versuchsmatrix zur Bestimmung der partiellen Entfestigung
(TN R ) als Funktion der Temperatur unter konstant gehaltener Zwischen-
stichzeit und für zwei verschiedene Umformgrade der Stahlsorte 2 . . . . . 44
10 Auszug aus der Versuchsmatrix zur Bestimmung der partiellen Entfestigung
(Rekristallisationskinetik) als Funktion der Zeit unter konstant gehaltener
Temperatur für (Ï = 0, 3) der Stahlsorte 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
11 Auszug aus der Versuchsmatrix zur Bestimmung der partiellen Entfestigung
(Rekristallisationskinetik) als Funktion der Zeit unter konstant gehaltener
Temperatur für (Ï = 0, 1) der Stahlsorte 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
12 Darstellung der kompletten Versuchsmatrix des Spannungsrelaxationsver-
suches für Stahlsorte 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
13 Berechnung der Barreling-Koeffizienten aus dem Doppelschlagversuch nach
Gleichung 11 für unterschiedliche Schichtsysteme, einer Ausgangsproben-
geometrie von h0 = 16, 00 mm und d0 = 8, 06 mm und Ï = 0, 3 . . . . . . . 50
14 Zusammenstellung der Abweichungen verschiedener Stempelsysteme sowie
entsprechender Konfigurationen nach Durchfahren der Temperaturtreppe
(vgl. Abbildung 21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

X
15 Vergleichsdarstellung der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit mit denen des
ACTRESS-Berichtes. Verglichen wird die maximale Fließspannung (MPa)
als Funktion der Temperatur und entsprechende Rekristallisationsstopp-
temperaturen (TN R ) bestimmt entweder aus der mittleren Fließspannung
(mean flow stress (MFS)) oder der partiellen Entfestigung (fractional sof-
tening (FS)) der Stahlsorte 1 für tip = 15 Sekunden . . . . . . . . . . . . . 63
16 Darstellung der empirisch bestimmten Rekristallisationsstopptemperatu-
ren (TN R ) in Abhängigkeit entsprechender Umformgrade und die gemesse-
nen Abweichungen zu den Ergebnissen dieser Arbeit . . . . . . . . . . . . . 64
17 Angepasste Parameter aus den JMAK-Anpassungen aus Abbildungen 41
und 43 nach Gleichung 1. Mit R̄2 wird das Bestimmtheitsmaß dargestellt. . 67
18 Angepasste Parameter der JMAK-Gleichung (Gleichung 1) aus Abbildun-
gen 45 und 47 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
19 Gegenüberstellung experimentell bestimmter (Tabelle 17) und empirisch
berechneter (Gleichung 2) t0 -Zeiten für unterschiedliche Temperaturen und
Umformgrade für Stahlsorte 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
20 Gegenüberstellung der partiellen Entfestigungen aus der Untersuchung der
Spannungsakkumulation für einen belastungsfreien (100 N) und einen be-
lastenden Zustand in der Zwischenstichzeit. Die Auswertung wurde mithilfe
der 2% Offset Methode nach Focht bewerkstelligt . . . . . . . . . . . . . . 86
21 Zusammentragung der Extrapolationsabweichungen in [%] . . . . . . . . . 102

XI
1 Einleitung
Im Rahmen eines Projektes zwischen dem Institut für Eisenhüttenkunde der RWTH Aa-
chen und der AG der Dillinger Hüttenwerke soll die Rekristallisationskinetik beim ther-
momechanischen Walzen von Grobblechen untersucht werden. Die im Saarland ansässige
Dillinger Hütte ist im Grobblechbereich einer der führenden Hersteller und bietet dies-
bezüglich ein hochqualitatives und vielseitiges Blechsortiment an. Einen wesentlichen Pro-
duktbereich stellen die thermomechanisch gewalzten Bleche dar.

1.1 Motivation
Im zeitlichen Verlauf und im Rahmen der industriellen Entwicklung steigen Werkstoffan-
forderungen in den führenden Industriebereichen stetig an. Aufgrund der rasanten Nach-
frageentwicklung in der Öl- und Gasindustrie müssen zunehmend größere Mengen an Öl
und Gas über größere Distanzen transportiert werden. Dies kann nur durch die Erhöhung
bestehender Pipelinedurchmesser bewerkstelligt werden, was allerdings schwerere und vor
allem teurere Konstruktionen bedeutet. Ähnliche Entwicklungsverläufe nehmen in ande-
ren Branchen ihren Lauf, wo aufgrund steigender Materialkosten Substitutionsmöglichkei-
ten auf effizientere Konstuktionswerkstoffe gesucht werden. Als Konsequenz dessen, hat
das ökonomische Interesse als treibende Kraft einen großen Anteil an der daraus resultie-
renden Entwicklung des thermomechanischen Walzprozesses gehabt. Dieser Fertigungs-
prozess, bei dem der Ausscheidungsaspekt der Mikrolegierungselemente zur Steuerung
der Korngrößenentwicklung gezielt berücksichtigt wird, stellt eine technische Reaktion
auf sich konfliktär entwickelte Stahlanforderungen dar. Obwohl hochfeste Stähle deutlich
teurer sind, haben mit ihrer Einführung die Kosten pro Festigkeitseinheit merklich ab-
und die Konstruktionseffizienz zugenommen [Gla97].
In der jungen Vergangenheit sind Werkstoffanforderungen aufgrund innovativer Off-
shore-Ausrichtung in der Öl- und Gasindustrie und der Erschließung der Meerestiefe als
Verlegungsort für Pipelines weiter angestiegen. Dieser Anwendungsbereich konfrontiert die
Stähle der Dillinger Hütte mit hohen Drücken und niedrigen Temperaturen, wodurch die
Anforderungsprofile hinsichtlich Festigkeit (Anstieg 355 MPa auf 500 MPa) und Zähigkeit
zunehmend komplexer werden. Um diesen steigenden Anforderungsprofilen weiterhin ge-
recht werden zu können, müssen thermomechanisch gewalzte Stähle weiterentwickelt wer-
den. Hierfür ist ein ausreichendes Verständnis der metallurgischen Vorgänge und der Me-
chanismen beim Walzen unabdingbar. Insbesondere ist es erforderlich, das Rekristallisati-
onsverhalten des Austenits während der Umformprozesse umfassend zu charakterisieren.
Im Allgemeinen kann das Rekristallisationsverhalten anhand zwei unterschiedlicher Her-
angehensweisen bestimmt werden:

1
1) Die erste Möglichkeit stellt die metallographische Untersuchung dar, die sich
entweder die Gefügeabschreckung und die daraus resultierende Orientierungsbezie-
hung der Umwandlung oder die Ätzung zur Kontrastierung der ehemaligen Auste-
nitkorngrenze zur Nutze macht. Mit diesen komplexen und aufwendigen Ansätzen
kann zwar die Korngrößenentwicklung während der Rekristallisation aufgezeigt wer-
den, die Untersuchung der Kinetik erweist sich hierbei jedoch als schwierig.

2) Die zweite Möglichkeit beruht auf der direkten Fließspannungsmessung. Hierbei


wird aus fließspannungsspezifischer Entfestigung auf Rekristallisationsverhalten des
Werkstoffes zurückgeschlossen. Dieser Ansatz ist in der Literatur weit verbreitet und
eignet sich sowohl zur Bestimmung der Rekristallisationsstopptemperatur als auch
der Rekristallisationskinetik.

1.2 Zielsetzung
Im Rahmen dieser Masterarbeit soll deshalb mithilfe experimenteller und auf Fließspan-
nungsmessung beruhender Untersuchungsmethoden das Rekristallisationsverhalten und
die dazugehörige Rekristallisationskinetik des Austenits untersucht werden. Dazu sollen
der Doppelschlag-, Spannungsrelaxations- und Mehrfachdeformationsversuch angewendet
und in der Dillinger Hütte als Untersuchungsmethoden an der Gleeble 3800 methodisch
etabliert werden.
Zielsetzung der Versuche ist es, den Einfluss wichtiger Prozessparameter wie chemi-
sche Zusammensetzung, Temperatur, Stichabnahme und Zwischenstichzeiten in der Vor-
walzphase auf das Rekristallisationsverhalten niedriglegierter kohlenstoffarmer Stähle zu
ermitteln. Weiterhin sollen gezielt kleine Umformgrade (Ï ¥ 0, 1) in den Untersuchun-
gen berücksichtigt werden. Der Grund hierfür ist, dass mit diesen Umformgraden reale
Stichabnahmen während der Walzvorgänge simuliert werden können. Allerdings existieren
in der Literatur hierfür kaum Vergleichsreferenzen, da die meisten Rekristallisationsun-
tersuchungen sich auf Umformgrade (Ï Ø 0, 2) beschränken, bei denen entsprechende
Rekristallisationseffekte eindeutig aufzuzeigen sind.
Des Weiteren soll im Rahmen dieser Arbeit eine Machbarkeitsstudie erfolgen, inwieweit
die unterschiedlichen Untersuchungsmethoden an der Gleeble 3800 durchführbar sind und
wie die Methoden bzw. das Messsystem auf sinkende Umformgrade reagieren. Aufgrund
des unterschiedlichen Untersuchungsaufwandes beim Doppelschlag- und Spannungsrela-
xationsversuch soll zudem eine Vergleichbarkeitsstudie erfolgen um zukünftige Untersu-
chungen unter Berücksichtigung der Abweichungen und des experimentellen Aufwandes
durchführen zu können.

2
2 Stand der Wissenschaft und Technik
2.1 Der thermomechanische Warmwalzprozess des Grobbleches
Das Grobblech ist ein warmgewalztes Flacherzeugnis, dessen Mindestdicke 3 mm beträgt
und welches im Gegensatz zu Fein- und Feinstblech nach dem Walzvorgang nicht zu
Coils aufgehaspelt wird [Ble12]. Die Herstellung des Grobbleches erfolgt in der Regel
über drei unterschiedliche Warmwalzverfahren, in denen unterschiedliche Prozesstempe-
raturführungen die Gefügeeigenschaften des Bleches grundlegend beeinflussen. Zu unter-
scheiden ist zwischen Normalwalzen, normalisierendes Walzen und thermomechanisches
Walzen [Str05].
Die thermomechanische Grobblechherstellung ist ein kombinierter Fertigungsprozess, in
welchem die vorteilhaften Aspekte einer technischen Wärmebehandlung mit denen eines
Formgebungsverfahrens verbunden werden. Der Prozess ist durch eine charakteristische
und ausgeprägte Temperaturkontrolle gekennzeichnet. Dadurch lässt sich gleichzeitig so-
wohl die Festigkeit als auch die Zähigkeit eines Bleches verbessern [Str05]. Aufgrund der
Vielfältigkeit der nachgefragten Flachprodukte werden Grobwalzwerke mit Reversierwalz-
gerüsten betrieben, die sich diesbezüglich als besonders geeignet erwiesen haben [Han91].
Das thermomechanische Walzen besteht aus mehreren Prozessschritten, die in Abbil-

Abbildung 1: Schematische Darstellung des thermomechanischen Walzprozesses

3
dung 1 schematisch dargestellt sind.
In der Ausgangslage des thermomechanischen Walzprozesses werden Brammen in einem
Stoßofen bei etwa 1200¶ C austenitisiert, das Gussgefüge homogenisiert und dadurch die
Mikrolegierungselemente (MLE) in Lösung gebracht. Die Mikrolegierungselemente spielen
bei dem thermomechanischen Walzprozess eine entscheidende Rolle und werden zur Re-
kristallisationsbeeinflussung bzw. Erhöhung der Rekristallisationsstopptemperatur legiert.
Die Rekristallisationsstopptemperatur (eng. No-Recrystallisation Temperature (TN R )) ist
eine warmumformspezifische Temperatur, unterhalb welcher sich ein bestimmtes Gefüge
nicht mehr statisch rekristallisiert. Gleichzeitig definiert die TN R die temperaturbezogene
Prozessgrenze zwischen der Vorwalz- und der Fertigwalzphase (Abbildung 1). Zusätzlich
zu den Mikrolegierungselementen wird das mischkristallverfestigende Mangan zur Ernied-
rigung der Umwandlungstemperatur legiert.
In der Vorwalzphase werden Brammen oberhalb der TN R gewalzt und eine Rekristalli-
sation angestrebt. Als Ergebnis soll ein homogen und feinkörnig rekristallisiertes Gefüge
in die Fertigwalzphase übergeben werden (Abbildung 1).
In der Fertigwalzphase, die unterhalb der TN R erfolgt, findet keine statische Rekris-
tallisation mehr statt. Folglich führt eine Umformung unterhalb der TN R zu einer Ak-
kumulation der elastischen Verzerrungsenergie und infolgedessen zu einer Verfestigung
[Med96]. Dadurch entstehen zum einen Deformationsbänder und zum anderen in Walz-
richtung gestreckte Körner. Sowohl die Deformationsbänder als auch die Korngrenzen
agieren anschließend als Keimstellen für die “ æ – Umwandlung [Zur13]. In Kombination
mit einer schnelleren Abkühlung führt die erhöhte Keimzahl zur Umwandlungsförderung
eines sehr feinen Umwandlungsgefüges (Abbildung 1). Zur vollständigen Ausnutzung
dieses Effektes müssen 50-80% der Umformung unterhalb der TN R erfolgen [Ver11].

2.2 Entfestigungserscheinungen
Wird ein metallischer Werkstoff über seine elastische Grenze hinaus belastet, so wird er
sich aufgrund der eingebrachten Versetzungsdichte und entsprechend der Verformungs-
richtung plastisch verformen und dadurch verfestigen [Sma99]. Die Verfestigung resultiert
dabei aus der elastischen Verzerrungsenergie, die in Form von Versetzungsaufstaus an
den Korngrenzen einzelner Körner gespeichert wird. Das Anheben des Energieniveaus im
Gefügesystem ruft einen thermodynamisch metastabilen Zustand hervor. Mit steigender
Temperatur erhöhen sich Diffusionsgeschwindigkeiten im Kristallgitter, wodurch die Wi-
derstandsfähigkeit eines metastabilen Gefüges herabgesetzt wird und infolgedessen eine
partielle Entfestigung (eng. Fractional Softening) eintritt. Die Entfestigung kann dabei
durch Erholung, primäre sowie sekundäre Rekristallisation und Kriechen hervorgerufen
werden [Bür11].

4
2.2.1 Erholung

Als Erholung werden Entfestigungsvorgänge im Kristallgitter bezeichnet, bei denen verfor-


mungsbedingte null- und eindimensionale Gitterfehler, unter Erhaltung der Verformungs-
struktur, abgebaut und umgelagert werden (Abbildung 2bæc) [Bür11]. In der Regel
setzen Erholungsvorgänge in Gefügen bereits bei der Überschreitung der 0,5 Ts (Soli-
dustemperatur) ein, wodurch ein Gefüge seine freie Enthalpie erniedrigt und sich somit
in einen thermodynamisch stabileren Zustand überführt [Yam82]. Laut der herrschenden
Meinung in der Literatur können durch Erholungsvorgänge Entfestigungsgrade von etwa
20-25% erreicht werden [Bai93a].
Tritt die Erholung bereits während der plastischen Verformung ein, so wird von dyna-
mischer und im Falle des anschließenden Eintretens von statischer Erholung gesprochen
[Got07]. In Abgrenzung zur Rekristallisation ist die Erholung nicht an eine plastische Min-
destverformung gebunden, sondern kann prinzipiell nach sehr geringen Verformungsgra-
den einsetzen. Mit steigendem Umformgrad nimmt jedoch die thermodynamische Trieb-
kraft zur Entfestigung und somit die Erholungsrate zu [Bür11].

Abbildung 2: Schematische Darstellung der versetzungsabbauenden Erholung und


der kornneubildenden Rekristallisation als Entfestigungsmechanismen
[Bür11]

5
2.2.2 Rekristallisation

Die Rekristallisation ist ein thermisch aktivierter Entfestigungsvorgang, bei dem ein me-
tastabiles Gefüge seine gespeicherte, elastische Verzerrungsenergie anhand einer Korn-
neubildung reduziert (Abbildung 2d). Der Grad der Entfestigung kann bei der Re-
kristallisation 75-80% erreichen [Bai93a]. Zur Aktivierung der Rekristallisation sind ein
Mindestverformungsgrad und eine Mindesttemperatur notwendig [Zur03].
In Abgrenzung zur Erholung verlagern sich bei der Rekristallisation einzelne Großwin-
kelkorngrenzen und bewirken dadurch das Auflösen der charakteristischen Verformungs-
struktur (Abbildung 2bæd). Es entsteht ein komplett neues und chemisch identisches
Gefüge, dessen gespeicherte Energie lediglich abgebaut wurde. Bei dieser, durch Keim-
bildung und Keimwachstum getriebenen, primären Rekristallisation nimmt die Verset-
zungsdichte, wie in Abbildung (Abbildung 2bæd) dargestellt, drastisch ab und die
Verfestigung wird in einer relativ kurzen Zeit nahezu vollständig abgebaut [Got07]. Tritt
die Rekristallisation bereits während der plastischen Verformung ein, so wird, wie bei der
Erholung, von dynamischer und im Falle des anschließenden Eintretens von statischer
Rekristallisation gesprochen.
Die Kinetik der statischen Rekristallisation ist im Vergleich zur Erholung durch eine
keimwachstumsbedingte Inkubationsphase gekennzeichnet, die mit abnehmender Verfor-
mung zunimmt und mit der Johnson-Mehl-Avrami-Kolmogorow-Gleichung (JMAK) be-
schrieben werden kann:
≠( t )n
fR (t) = 1 ≠ e t0 (1)

Hierbei stellt fR den rekristallisierten Anteil und n den materialspezifischen Avrami-


Exponent dar. Die t0 Zeit ist diejenige Zeit, die zur 50%-igen Gefügerekristallisierung
notwendig ist und nach dem folgenden Ansatz berechnet werden kann [Fer00]:

Q1 Q2
t0 = 9, 92 · 10≠11 · D0 · Ï[≠5,6·D0 ]
· Ï̇≠0,53 · e[ R·T ] · e[( T )·([N b]+0,374[T i])]
≠0,15
(2)

Wo Ï der Umformgrad, Ï̇ die Umformgeschwindigkeit, D0 die Ausgangskorngröße, R die


ideale Gaskonstante, T die Temperatur und Q1/2 die Aktivierungsenergien sind.
Zusammenfassend ist die Rekristallisation und deren Kinetik eine Funktion einzelner
Parameter aus den Gleichungen 1 und 2, auf die in folgenden Abschnitten näher einge-
gangen wird [Gla97][Cha07][Fer00]:

1) Umformgrad (Ï): Das Einbringen eines Umformgrades in ein Gefüge resultiert aus
der Zunahme der gespeicherten, elastischen Verzerrungsenergie, die gleichzeitig als
treibende Kraft für die Rekristallisation fungiert.

2) Temperatur (T ): Die Rekristallisation und deren Keimwachstum sind thermisch


aktivierte Prozesse, die mit steigender Temperatur beschleunigt werden.

6
3) Umformgeschwindigkeit (Ï̇): Die Speicherung der elastischen Verzerrungsener-
gie im Gefüge ist in erster Linie auf den Umformgrad zurückzuführen. Zusätzlich
dazu beeinflusst die Umformgeschwindigkeit die Größenordnung der gespeicherten
Energie. Höhere Umformgeschwindigkeiten rufen eine höhere Energiespeicherung
im Gefüge hervor, wodurch die treibende Kraft zur Rekristallisation ansteigt. Der
Einfluss der Umformgeschwindigkeit wird deshalb in vielen Modellen mit dem Zener-
Hollomon-Parameter berücksichtigt [Mou10]:

Z = Ï̇ · e[ R·T ] (3)
Q

Hierbei ist R die ideale Gaskonstante, T die Temperatur, Q die Aktivierungsenergie


und Ï̇ die Umformgeschwindigkeit.

4) Ausgangskorngröße (D0 ): Sinkende durchschnittliche Korngröße erhöht die Korn-


grenzfläche und somit die Keimdichte für die Rekristallisation.

5) Chemische Zusammensetzung: Die Rekristallisation kann durch Ausscheidun-


gen und deren hemmende Wirkung auf die Rekristallisation erheblich beeinflusst
werden. Weiterhin können gelöste Mikrolegierungselemente einen äquivalenten Ver-
schleppunkgseffekt (eng. Solute Drag Effect) verursachen. Unter bestimmten Aus-
scheidungserscheinungen kann die Rekristallisation sogar vorübergehend vollständig
blockiert werden [Zur03]. Verbleibt das Gefüge jedoch eine Zeit lang in einem ausrei-
chend hohen Temperaturbereich, kann der Hemm- oder Blockierungseffekt aufgrund
Ausscheidungsvergröberung nach Oswald wieder abnehmen [Cha07].

Rekristallisationsstopptemperatur (TN R )

Die Rekristallisationsstopptemperatur definiert bei der Warmumformung eine Tempe-


ratur, unterhalb welcher sich ein bestimmtes Gefüge nicht mehr statisch rekristallisiert
[Pol12]. Ihren Ursprung hat die TN R als ein Kriterium des thermomechanischen Walzens,
wonach es Bezug auf Zwischenstichvorgänge bei der Warmumformung nimmt [Ver10]. Als
eine Spezifikation der Rekristallisation unterliegt die TN R auch deren Einflussfaktoren
und kann durch veränderte Umformparameter sowohl nach unten als auch nach oben
hin verschoben werden. Im thermomechanischen Walzen spielt die TN R eine elementare
Schlüsselrolle, wonach ganze Walzpläne ausgelegt werden [Bai93a].
In Anbetracht der Tatsache, dass die Rekristallisation ein Prozess ist, wird dieser bei
einer minimalen Unter- oder Überschreitung der TN R nicht komplett ausgebremst oder
vollzogen. Deshalb ist die Definition zwei weiterer Temperaturgrenzen zur präziseren Ent-
festigungsanalyse hierbei sinnvoll und zwecksmäßig, wobei diese der vereinfachenden An-

7
nahme unterliegen, dass die Rekristallisation der einzig auftretende Entfestigungsmecha-
nismus ist [Kal09]:
1) Recrystallisation Limit Temperature (TRL ): Niedrigste Temperatur, bei der
sich eine vollständige Entfestigung (FS > 85%) ereignet [Dut87].

2) Recrystallisation Stop Temperature (TRS ): Höchste Temperatur, bei der keine


Entfestigung (FS < 5%) eintritt [Dut87].
Die TN R müsste folglich zwischen der TRL und der TRS liegen, da die reine Erholung zu
einem Entfestigungsgrad von etwa 20% führt. Einer Faustregel zufolge liegt die TRS etwa
75¶ C unterhalb der TN R [Bod96][Bai11].

Empirische Bestimmungsansätze

Eine Möglichkeit zur Identifizierung der TN R stellen die empirischen Modelle dar. Mit
ihrer Hilfe kann die Bestimmung der TN R einfach und ohne zeit- sowie kostenintensi-
ve Laboruntersuchungen vollzogen werden. Dabei existieren in der Literatur verschiedene
Herangehensweisen, in denen auch unterschiedliche Einflussfaktoren zur Bestimmung her-
angezogen werden.
Der erste formulierte empirische Ansatz zur Bestimmung der TN R geht auf die Boratto-
Gleichung zurück, in welcher zunächst nur die chemische Zusammensetzung Beachtung
findet [Bor88]:
Ô Ô
Tnr = 887+464C +(6445N b≠644 N b)+(732V ≠230 V )+890T i+363Al ≠375Si (4)

Dabei sind C, N b, V, T i, Al und Si in den jeweiligen Gewichtsprozenten erfasst. Da die Re-


kristallisation eine Funktion mehrerer Parameter ist, wurden in den Folgejahren auch wei-
tere Parameter in die Bestimmung einbezogen. Bai et al. stellten 1996 einen empirischen
Zusammenhang her, der zusätzlich zur chemischen Zusammensetzung den Umformgrad,
die Umformgeschwindigkeit und die Zwischenstichzeit berücksicht [Bai96]:

Tnr = (88, 1 · log[N b + 0, 31T i + 0, 15Al] + 1156) · Ï≠0,12 · Ï̇≠0,01 · t≠0,1 (5)

Dabei sind Ï der Umformgrad, Ï̇ die Umformgeschwindigkeit und t die Zwischenstichzeit.


Ein anderer Ansatz der neben der chemischen Zusammensetzung gezielt den Umformgrad
berücksichtigt geht auf Fletcher zurück [Fle08]:
Ô Ô
Tnr = 203 ≠ 310C ≠ 149 V + 657 N b + 638 e≠0,36 Ï (6)

Dabei sind C, V und N b Elemente in den jeweiligen Gewichtsprozenten und Ï der Um-
formgrad.

8
2.2.3 Einfluss des Verformungsgrades

Der Umformgrad und die dadurch erhöhte Versetzungsdichte tragen zur Abgrenzung ein-
zelner Entfestigungsvorgänge entscheidend bei. Liegt die Verformung unterhalb eines Min-
destumformgrades, werden Versetzungen lediglich durch Erholungsvorgänge abgebaut.
Übersteigt die Verformung den zur Rekristallisation benötigten Mindestumformgrad nur
leicht, erfolgt die Entfestigung, zusätzlich zur Erholung, anhand statischer Teilrekristalli-
sierung. Wächst die Keimdichte weiter an und erreicht dabei ein ausreichend hohes Niveau,
so wird sich das Gefüge aufgrund der hohen treibenden Kraft auch dynamisch und so-
mit unmittelbar rekristallisieren [Die03]. Folglich nimmt mit steigendem Umformgrad die
Versetzungs- und somit auch die Keimdichte zur Rekristallisation zu.
Neben des statischen oder dynamischen Eintretens können Entfestigungsprozesse wei-
terhin nacheinander oder sogar parallel ablaufen. Der zur Rekristallisation benötigte Min-
destumformgrad ist ein abhängiger Parameter, der mit steigender Temperatur und sin-
kender Ausgangskorngröße abnimmt. Weiterhin lässt sich werkstoffabhängig festhalten,
dass dieser bei etwa 1-15% plastischer Dehnung im uniaxialen Zugversuch liegt [Bür11].
In Gefügen mit einer hohen Stapelfehlerenergie, wie dem Ferrit, dominiert als Ent-
festigungsmechanismus vor allem die dynamische Erholung. Das liegt daran, dass das
Klettern einzelner Versetzungen oder Versetzungspaare erleichtert und ein gegenseitiges
Auslöschen wahrscheinlicher wird. Tritt eine Entfestigung mithilfe der Erholung ein und
liegt gleichzeitig die Umformung unterhalb eines Mindestumformgrades zur Rekristalli-
sation, kann auch bei sehr langen Glühzeiten keine vollständige Entfestigung im Gefüge
bewirkt werden [Die03][Wan90].
In Gefügen mit einer niedrigen Stapelfehlerenergie, wie dem Austenit, treten dyna-
mische Entfestigungsvorgänge und insbesondere die dynamische Erholung, aufgrund des
erschwerten Kletterns, bei signifikant kleineren Umformgeschwindigkeiten auf. Dadurch
geht die Dominanz der dynamischen Erholung verloren und es entsteht eine deutlich
größere Abhängigkeit zum Umformgrad. Zhao et al. [Zha13] zeigten die Größenordnung
der Abhängigkeit im Austenit anhand eines Doppelschlagversuches an einer Gleeble 3800
auf, indem bei 950¶ C und einer Zwischenstichzeit von einer Sekunde der Unterschied hin-
sichtlich des eingebrachten Umformgrades von 0,22 und 0,35 untersucht wurde. Die ent-
sprechenden rekristallisierten Anteile lagen für den kleineren Umformgrad bei 33% und
für den hohen bei 82%. Im Falle ausbleibender statischer Rekristallisation kann, wie in
den Gefügen großer Stapelfehlerenergie, eine vollständige Entfestigung aufgrund fehlender
treibender Kraft ebenso ausbleiben [Die03][Gla97][Jon87].

9
2.2.4 Spannungsakkumulation

Aufgrund dessen, dass sich das Gefüge beim unzureichenden Umformgrad und kurzen
Zwischenstichzeiten nur partiell entfestigt, bleibt eine Restspannung im Gefüge erhal-
ten und kann sich während weiterer Verformung akkumulieren. Folglich werden Entfesti-
gungsvorgänge anschließender Umformschritte dadurch signifikant beeinflusst. Denn das
Verfestigungsniveau des Austenits hängt bei mehrstufiger Verformung nicht nur von dem
Umformgrad, der Umformtemperatur und der Zwischenstichzeit, sondern und vor allem
auch von der Restspannung im Gefüge ab [Kal09]. Die Thematik der Spannungsakkumu-
lation bildete den Untersuchungsschwerpunkt einiger Publikationen, deren Ergebnisse im
Folgenden zusammengetragen werden [Gua12][Can08][Med02][Rao98][Foc94][Bai93b].
Candic et al. konnten an einem austenitischen Cr-Ni-Stahl nachweisen, dass eine ver-
bleibende Restspannung im Gefüge verhältnismäßig umso höher liegt, je geringer die Um-
formbelastung im vorhergehenden Stich ist [Can08].
Diese Ergebnisse wurden von Medina et al. an einem mikrolegierten Stahl bestätigt.
Darüber hinaus wurde zusätzlich festgestellt, dass eine verbleibende Restspannung im
Gefüge mit zunehmender Zwischenstichzeit komplett abnimmt. Diese Untersuchungen
wurden allerdings an einem Torsionsmodul anhand von Mehrfachdeformationsversuchen
durchgeführt, in welchen die Umformrandbedingungen zwischen den einzelnen Stichen
nicht isotherm waren [Med02].
Weiterhin wurden unter diesen anisothermen Umformbedingungen und mittleren Um-
formgraden (Ï ¥ 0, 2) hohe Entfestigungsraten nach bestimmten Stichserien beobachtet,
in welchen sich die Restspannung zwischen den Stichen auf einen kritischen Wert akku-
muliert und dadurch eine vollständige Entfestigung bewirkt wird [Kal09][Cet93].
Ähnliche Beobachtungen hatte Focht in seiner Publikation an kleinen Umformgraden
(Ï = 0, 1) eines HSLA-Stahls gemacht. Unter isotherm gehaltenen Mehrfachdeformati-
onsversuchen, die an einen Doppelschlagversuch angelehnt waren, konnte er zeigen, dass
eine Entfestigung nach bestimmten Stichserien eintritt. Dabei zeigte sich die Entfestigung
umso ausgeprägter, je höher die Temperatur und die Zwischenstichzeit war. Er stellte fest,
dass erst oberhalb einer Zwischenstichzeit von 20 Sekunden maßgebliche Entfestigungser-
scheinungen eintreten [Foc94].
Nach Choquet et al. und ihrer vereinfachenden Annahme führt eine vollständige Rekris-
tallisation zu einem kompletten Abbau der elastischen Verzerrungsenergie. Demnach ist
die Restdehnung, in welcher die elastische Verzerrungsenergie inbegriffen ist, proportional
zum rekristallisierten Anteil im Gefüge. Die Zuordnung entspricht jedoch keiner linearen
Beziehung, sondern kann in folgender Fallunterscheidung ausgedrückt werden [Cho86]:

10
Y
]1
_
· Ál · (1 ≠ XR ) für XR Ø 0, 1
Ár = _ 2 (7)
[Ál für XR < 0, 1
Wo Ár für die Restdehnung, Ál für den Umformgrad aus dem vorhergehenden Stich und
XR für den rekristallisierten Anteil steht.

2.3 Mikrolegierungselemente
Als Mikrolegierungselemente werden metallische Zulegierungsstoffe in Stählen bezeichnet,
die in der Größenordnung von bis zu 0,1 Gew.-% legiert werden. Klassische Mikrolegie-
rungselemente sind Niob, Titan und Vanadium. In einigen Fällen werden Aluminium und
Molybdän dazugezählt.
Ihre technische Bedeutung erlangten die Mikrolegierungselemente in den 60er Jah-
ren, als zunächst nur das Niob aufgrund seines verfestigenden Charakters den Einsatz
in hochfesten Stählen fand. Ende der 70er Jahren gelang dann mit der Erforschung
und der Interpretation des Ausscheidungseffektes der entscheidende Durchbruch. Damit
konnte die elementare Rolle der Mikrolegierungselemente in der Beeinflussung der Korn-
größenentwicklung aufgezeigt werden [Gla97]. Dies führte im zeitlichen Verlauf der Pro-
zessentwicklung zur Berücksichtigung und Integrierung der Mikrolegierungselemente in
die betreffenden Herstellungsprozesse, aus denen das thermomechanische Walzen hevor-
gegangen ist.

2.3.1 Löslichkeits- und Ausscheidungsverhalten

Mikrolegierungselemente scheiden sich in der einfachen NaCl-Stuktur in Form von Metall-


karbiden MC oder Metallkarbonitriden M(C, N) und in Folge thermodynamischer oder
mechanischer Instabilität aus. Dabei besteht die Struktur aus zwei ineinander gesetz-
ten, kubisch flächenzentrierten Gittern, in denen die Metallatome ein kubisch primitives
Bravais-Gitter bilden und in der Mitte des Kubus ein Kohlenstoff- bzw. Stickstoffatom
sitzt [Got07][Zur03]. Aufgrund der entstehenden Gitterfehlpassung zum ferritischen Git-
tersystem, die im Falle von VN 15% und NbC bis zu 25% reicht, müssen Versetzungen
die inkohärenten Ausscheidungen mithilfe eines höheren Energieaufwandes überwinden.
Dies zeigt sich in der Zunahme der Festigkeit [Kes86][DeA09].
In der Ausgangslage vieler Verarbeitungsprozesse befinden sich die legierten metalli-
schen [M ] und die interstitiellen Elemente [X] nach einer Erwärmung gelöst im Auste-
nit. Mit abnehmender Temperatur im Prozess und daraus resultierender Senkung des
Löslichkeitsvermögens des Austenits scheiden sich entsprechende Karbide bzw. Kabroni-

11
tride im Austenit gemäß des folgenden Zusammenhangs aus:

[M ] + [X] ¡ (M X) (8)

Dabei stehen [M ] und [X] für die repräsentativen Konzentrationen des gelösten Metalls
und des interstitiell gelösten Kohlen- bzw. Stickstoffs und (M X) für das dazugehörige
Ausscheidungsgemisch im Austenit.
Unter Berücksichtigung einer von den Aktivitätskoeffizienten der Ausscheidungen abhän-
gigen Gleichgewichtskonstante ks kann die Löslichkeit der Ausscheidungen als Funktion
der Temperatur wie folgt beschrieben werden:

B
log ks = log[M ][X] = A ≠ (9)
T

In welcher A und B Konstanten für ein bestimmtes System und log ks die inverse Gleich-
gewichtskonstante (Löslichkeitsprodukt) aus dem logarithmierten Produkt aus [M ] und
[X] zur Basis 10 sind [Gla97].
Aufgrund dessen, dass die meisten Löslichkeitsuntersuchungen ihren Fokus auf die Be-
stimmungen der reinen Löslichkeitsprodukte von Karbiden oder Nitriden beschränken,
bleiben sowohl die einfachen als auch die komplexen Zusammenhänge der Karbonitride
unberücksichtigt. Weiterhin unterliegt die Bestimmung der Löslichkeitsprodukte zweier
grundlegender und vereinfachender Annahmen [Zur03]:

1) Die gegenseitige Beeinflussung gelöster Teilchen in der Lösung wird vernachlässigt.

2) Es wird von einer konstanten Ausscheidungsstöchiometrie über der Temperatur aus-


gegangen.

Die Ausscheidungsstöchiometrie ändert sich jedoch erheblich über dem Temperaturver-


lauf und darüber hinaus von Stahlsorte zu Stahlsorte [Gla97]. Das bedeutet im Um-
kehrschluss, dass ein bestimmtes Löslichkeitsprodukt nur innerhalb der abgeleiteten Stahl-
sorte Gültigkeit besitzt. Dies ist auch eine Erklärung, warum in der Literatur von unter-
schiedlichen Löslichkeitsprodukten berichtet wird und warum Auflösungstemperaturen
sich um bis zu 100¶ C voneinander unterscheiden können [Zur03].
In Abbildung 3 sind verschiedene Löslichkeitsprodukte von Karbiden und Nitriden
sowohl für den Austenit- als auch für den Ferritbereich dargestellt. Hieraus kann entnom-
men werden, dass der Austenit ein höheres Löslichkeitsvermögen im Vergleich zum Ferrit
besitzt. Nitride sind sowohl im Austenit als auch im Ferrit weniger lösbar als Karbide.
NbN ist im Vergleich zum NbC etwa um das 10-fache weniger und das TiN sogar um
das 1000-fache weniger lösbar als TiC [Hom12]. Das TiN bleibt auch bei Temperaturen
oberhalb 1200¶ C thermodynamisch stabil und löst sich im Austenit nicht auf.

12
Abbildung 3: Löslichkeitsprodukte für Karbide und Nitride berechnet nach Gleichung
9 für den Bereich des Austenits und des Ferrits [IEHK]

Ausscheidungskinetik

Neben der sinkenden Temperatur als treibende Kraft für Ausscheidungsvorgänge wird
die Ausscheidungskinetik darüber hinaus durch den Umformgrad und die Gehälter der
interstitiell gelösten Elemente beeinflusst. Weiterhin nimmt mit sinkender Temperatur
die Größe der thermodynamisch ausgeschiedenen Partikel ab. Das ist vor allem in Bezug
auf das einzustellende Endgefüge ein wichtiger Zustand, denn vorausgeschiedene Partikel
neigen während des Prozesses zur Vergröberung und bewirken dadurch eine abnehmende
Hemmwirkung der Rekristallisation und somit das Absenken der TN R [Nis12].
Durch die eingebrachte Verformung werden Körner im Gefüge gestreckt und infolgedes-
sen wird die Korngrenzfläche erhöht. Dadurch nimmt die Keimdichte für Ausscheidungen
zu. Nach Thillou et al. stellen die Versetzungen und Korngrenzen die mit Abstand wich-
tigsten Keimbildungsstellen für Ausscheidungen dar [Thi98]. Andere Autoren versuchen
die keimbildende Bedeutsamkeit der Versetzungen vom Stellenwert der Korngrenzen zu
trennen und geben an, dass im Falle relativ großer Körner (¥ 50µm) nur 1% der Aus-
scheidungsvorgänge an den Korngrenzen stattfinden [Dut87].

13
2.3.2 Solute Drag Effect

Neben ihrer Ausscheidungswirkung wird den sich in Lösung befindlichen Mikrolegie-


rungselementen ein nicht zu vernachlässigbarer Einfluss zugesprochen. Gelöste Mikro-
legierungselemente rufen eine Art Schleppwirkung, sowohl der primären als auch der se-
kundären Rekristallisation, hervor [Sub13][Mar02][Col77]. In Abbildung 4 ist das Ein-
treten der Schleppwirkung und die dazugehörige Verschleppung der primären Rekristalli-
sation schematisch dargestellt. Im Kontrast dazu ist auch die entsprechende Verzögerung
bei zusätzlicher Ausscheidungswirkung aufgezeigt.

Abbildung 4: Schematische Darstellung eines Rekristallisation-Ausscheidung-Zeit-


Temperatur-Diagramms (eng. Recrystallisation-Precipitation-Time-
Temperature RPTT) für einen mikrolegierten Stahl [Zur03]

Mithilfe von Doppelschlagversuchen und Messungen mit einer dreidimensionalen Atom-


sonde konnten Maruyama und Smith aufzeigen, dass der Rekristallisationsbeginn durch
die Schleppwirkung signifikant verschoben werden kann [Mar02]. Auch geht aus diesen Er-
gebnissen hervor, dass die Schleppwirkung der Mikrolegierungselemente in Anwesenheit
von Kohlen- oder Stickstoff und in Folge einer Clusterbildung stark erhöht wird. In einigen
Fällen soll die Verschiebung des Rekristallisationsbeginns sogar der Größenordnung feiner
Nb(C, N)-Ausscheidungen entsprechen. Verschärft sich die Situation nun dahingehend,
dass sich Ausscheidungen, wie oben erwähnt, vergröbern und ihre Hemmwirkung merk-
lich abnimmt, so wird der Rekristallisationsvorgang sogar beschleunigt anstatt gebremst,

14
da Ausscheidungen auf Kosten der Schleppwirkung gelöster Elemente entstehen [Zur03].
Im Widerspruch dazu berichten Speer und Hansen, dass die Schleppwirkung im Vergleich
zu den Ausscheidungen der Karbonitride als sehr klein einzuordnen ist [Spe89]. Ande-
re Autoren hingegen räumen beiden Effekten eine außerordentliche Wichtigkeit zu und
merken an, dass beide Effekte sich gegenseitig signifikant beeinflussen [And83][Thi10].
Neben der Rekristallisationsverschleppung kann sich darüber hinaus auch eine Ver-
schleppung der Erholung ereignen, da das Gleiten und Klettern von Versetzungen behin-
dert wird [Zur03]. Eines der umfangreichsten Untersuchungen diesbezüglich lieferte vor
etwa 30 Jahren Yamamoto et al., als anhand von Doppelschlagversuchen mehrere mikrole-
gierte Stähle bei einer 20%-igen Entfestigung verglichen wurden [Yam82]. Da eine 20%-ige
Entfestigung nur der reinen Erholung zuzuordnen ist, konnte damit die Separation der
Rekristallisation gelingen (Kapitel 2.2.1). In Abbildung 5 sind diese Ergebnisse der
rein erholungsbehafteten Verschleppung in Abhängigkeit der Gehalte und der benötigten
Zeit zur Verschleppung dargestellt. Die Wirkung des Niobs ist, übereinstimmend zu den
rekristallisationsverschleppenden Ergebnissen nach Maruyama und Smith, am stärksten
[Mar02].

Abbildung 5: Gegenüberstellung entfestigungshemmender Wirkungsweisen verschiede-


ner Mikrolegierungselemente bei verschiedenen Gehalten und Zeiten bei
900¶ C und 1000¶ C [Yam82]

15
2.3.3 Wirkung im thermomechanischen Walzprozess

Beim thermomechanischen Walzen werden Mikrolegierungselemente primär zur Kontrolle


der Korngrößenverteilung durch Rekristallisationshemmung und sekundär zur Ausschei-
dungsverfestigung legiert. Das Ziel des thermomechanischen Walzprozesses ist die Ein-
stellung eines Feinkorngefüges, wofür ein umwandlungsfreudiges und feinkörniges Aus-
tenitgefüge Grundvorraussetzung ist [Nis12]. Zur Gewährleistung dieser Feinkörnigkeit
des Austenitgefüges muss sowohl die sekundäre Rekristallisation während der Austeniti-
sierung als auch die primäre statische Rekristallisation in den Zwischenstichzeiten pro-
zessübergreifend gehemmt oder unterdrückt werden. Daher stellt die Rekristallisationsun-
terdrückung im thermomechanischen Walzprozess einen entscheidenden Faktor in Bezug
auf die Keimdichtezahl und somit das “ æ –-Umwandlungsverhalten, aus dem sich die
Gefügeumwandlung vollzieht, dar.
Für eine wirksame Unterdrückung der sekundären Rekristallisation bei der Brammen-
erwärmung wird Titan legiert, welches thermodynamisch stabile Nitride bildet, die auch
oberhalb 1200¶ C im Austenit nicht in Lösung gehen und das Kornwachstum während der
Austenitisierung dadurch unterdrücken (Abbildung 6) [Cha07].

Abbildung 6: Entwicklung des durchschnittlichen Korndurchmessers als Funktion der


Temperatur und Gehalte der Mikrolegierungselemente [IEHK]

Die Rolle des TiN rückt jedoch in den Hintergrund, wenn es um die wirksame Hem-
mung bzw. Blockierung der primären Rekristallisation geht. Hier sind NbC und Nb(C, N)
deutlich wirksamer, wie bereits in früheren Untersuchungen nachgewiesen wurde [Ver09].
Die Verzögerung der primären, statischen Rekristallisation zeigt sich bei einer Niob-
zugabe deutlich ausgeprägter, als dies der Fall bei V und Ti ist [Cha07]. Dies liegt dar-
an, dass für eine wirksame Unterdrückung der primären Rekristallisation die Mikrolegie-

16
rungselemente zur entsprechenden Zeit und in entsprechender Größe ausgeschieden wer-
den müssen. Im Hinblick auf die Ausscheidungsgröße sollten ausgeschiedene Partikel im
Durchmesser nicht größer als 5 nm werden, was im Regelfall nur mit spät ausgeschiedenen
Partikeln zu bewerkstelligen ist. Dabei können die Partikel sowohl spannungsinduziert als
auch aufgrund thermodynamischer Instabilität aus dem Austenit ausgeschieden werden.
Für den Fall der verfrühten Ausscheidung, wie es bei den Titannitriden ist, wird eine signi-
fikante Vergröberung der Partikel über der Zeit beobachtet, wodurch die Hemmwirkung
der primären Rekristallisation erheblich abnimmt [Gla97].

2.4 Untersuchungsmethoden
Es gibt im Allgemeinen zwei unterschiedliche Herangehensweisen zur Bestimmung der
Rekristallisation und deren Kinetik. Die eine Herangehensweise basiert auf der Methode
der metallographischen Beobachtung, wo mithilfe von Licht- und Rasterelektronenmikro-
skopie die Gefüge analysiert werden. Diese Herangehensweise ist äußerst komplex, da
zunächst die ehemalige Austenitkorngrenze mittels Gefügeabschreckung und daraus re-
sultierender Orientierungsbeziehung der Umwandlung oder mittels Ätzung zur Kontras-
tierung zu identifizieren ist. Weiterhin ergeben sich Unterscheidungsschwierigkeiten, wenn
es darum geht, einzelne Austenitkörner als Rekristallisations- oder Verformungskörner zu
klassifizieren.
Die andere und stärker verbreitete Herangehensweise basiert auf der Methode der di-
rekten Fließspannungsmessung, woraus dann Entfestigungsvorgänge abgeleitet werden
[Ver11]. Die Ableitung der Entfestigung aus den Fließkurven stellt eine sehr effektive
Methode zur Beschreibung der Rekristallisation und deren Kinetik dar [Zur03]. Dazu
zählen der Doppelschlag- und der Spannungsrelaxationsversuch, auf die in den Kapiteln
2.4.2 und 2.4.3 noch näher eingegangen wird. Mit beiden Methoden lassen sich, wenn
auch mit unterschiedlichem Aufwand und einer einschränkenden Tendenz sowohl die TN R
als auch die Rekristallisationskinetik bestimmen. Die Einschränkung beläuft sich beim
Doppelschlagversuch auf die Kombination kleiner Umformgrade (Ï Æ 0, 1) mit kleinen
Zwischenstichzeiten. Bei diesen Versuchsparametern wird eine ausgeprägte Fluktuation
der Entfestigungswerte beobachtet, wodurch die Bestimmung der TN R womöglich unter
einer hohen Fehlerquote erfolgt. Aufgrund dessen mangelt es in der Literatur an Ver-
gleichsreferenzen sowohl für die Bestimmung der TN R als auch der Kinetik [Kal09].
In der Regel werden beide Versuche mithilfe von Druck- oder Torsionsversuchen durch-
geführt. In der Literatur existieren weder für den Druck- noch für den Torsionsversuch
einheitliche Versuchsnormen oder Versuchsstandardisierungen [Ble05][Roe06]. Im Gegen-
satz zum Druckversuch erfolgt beim Torsionsversuch die Berechnung und das Einbringen
des Umformgrades divergent über dem Querschnitt der Probe. Das bedeutet, dass axi-

17
al in der Mitte der Probe eine neutrale Faser existiert, in der die Umformung Null ist
und zur Oberfläche hin zunimmt [Jon12][Die61]. Diese Tatsache führt zwangsweise zu ei-
ner ähnlichen Rekristallisationsausprägung, deren rekristallisierten Anteile ebenfalls über
dem Querschnitt variieren [Ver10]. Weiterhin wird in der Literatur davon berichtet, dass
im Torsionsversuch die Entlastung der Probe in der Zwischenstichzeit nicht äquivalent
zum Druckversuch bewerkstelligt werden kann, da die Probe im Torsionsmodul verfah-
rensbedingt eingespannt ist. Nichtsdestotrotz konnten Vervynckt et al. nachweisen, dass
die Ergebnisse beider Versuche größtenteils apparaturunabhängig sind und verlässliche
Vergleichsmöglichkeiten bieten [Ver10].

2.4.1 Mechanische Grundlagen der Druckumformung

Die zylindrische Druckumformung stellt ein weit entwickeltes Umformprozedere dar, mit
dessen Hilfe ein Werkstoffverhalten untersucht und in Anwesenheit von Unsicherheits-
faktoren, wie der Reibung und der Verformungswärme, auf Grundlage entsprechender
Fließkurven interpretiert und bewertet werden kann.
Die Reibung entsteht während der Druckumformung an den Kontaktflächen zwischen
der Probe und dem Stempelsystem und resultiert aus der Tatsache, dass metallische Pro-
ben im mikroskopischen Maßstab keine perfekt glatte Oberfläche aufweisen und demnach
Oberflächengleitung nur aufgrund der herrschenden Zugspannungen stattfindet [Die03].
Eine umgeformte zylindrische Probe wird in Anwesenheit von Reibung ausbauchen, ih-
re zylindrische Form verlieren und eine inhomogene Verformung innerhalb der eigenen
Geometrie hervorrufen. Ein ausgeprägtes Ausbauchen führt zwangsweise zu einer aus-
geprägten Mitberücksichtung der Reibungseffekte und somit zu einer fehlerhaften und
reibungsbehafteten Fließspannungsmessung. Die Fließspannungsmessung repräsentiert in
diesem Fall nicht das tatsächliche Materialverhalten. Deshalb spielt die Reibung in der zy-
lindrischen Druckumformung eine wichtige Rolle und muss in der Untersuchung berücksich-
tigt werden.
Um dem Anspruch der Reproduzierbarkeit sowie der Verlässlichkeit der Ergebnisse ge-
recht werden zu können, müssen weitere Unsicherheitsfaktoren in den Versuchsabläufen
berücksichtigt werden [Roe06]. Aus der Bewertung des Einflussbereiches in Anlehnung an
Evans et al. in Tabelle 1 geht hervor, dass alle erwähnten Faktoren in Bezug auf expe-
rimentelle Unsicherheiten zu berücksichtigen sind, aber vor allem der Reibung und der
Probengeometrie (D-H-Verhältnis) eine besondere Wichtigkeit zuzusprechen ist [Eva01].
In Tabelle 1 werden die einzelnen Faktoren isoliert voneinander betrachtet, d.h. wie
beeinflusst der betrachtende Faktor den Versuch, wenn alle anderen Faktoren konstant
gehalten werden.

18
Tabelle 1: Übersicht über die herrschenden Unsicherheitsfaktoren während der zylindri-
schen Druckumformung [Die03][Roe06][Eva01][Kal09]

Unsicherheitsfaktoren Beeinflussung Einflussbereich


Reibung Ausbauchung, Temperaturhomogenität +++
und Verformungshomogenität
Probengeometrie Ausbauchung, Ausknickung und Tem- +++
peraturhomogenität
Probenausgangsmaterial Ausbauchung und Verformungshomoge- ++
nität
Umformgrad Ausbauchung, Temperaturhomogenität ++
und Messgenauigkeit
Umformgeschwindigkeit Temperaturhomogenität und Verfesti- +
gungsrate
Testtemperatur Ausbauchung und Verformungshomoge- ¶
nität
Probenvolumen Ausbauchung und Temperaturhomoge- ¶
nität

Spannungsverhältnisse und Probengeometrie

Ausgehend von der reinen Druckumformung entstehen im Inneren einer Probe während
der Verformung sekundäre Spannungen und Dehnungen, die sich betragsmäßig aufgrund
der Reibung lokal und entlang der Probengeometrie in Abhängigkeit des D-H-Verhältnisses
unterscheiden können (Abbildung 7b).
Diese sekundären Anteile können Zugspannungen sein, obwohl eine reine Druckspan-
nung zur Verformung anliegt. Diese Tatsache geht aus dem Fließspannungskriterium nach
von Mises hervor, welches die Beziehung der Normalspannungen zu den Schubspannun-
gen im Fließzustand beschreibt. Unter der Annahme eines ebenen Spannungszustandes
(‡3 und Á3 = 0) resultiert aus dem Kriterium folgende Spannung-Dehnungsbeziehung
[Die03]:

1
Á1 = ⁄ [‡1 ≠ ‡2 ]
2
1 (10)
Á2 = ⁄ [‡2 ≠ ‡1 ]
2

Wo Á1/2 die Dehnungen, ‡1/2 die Spannungen in die entsprechenden Richtungen und ⁄ ein
Proportionalitätsfaktor sind.

19
Wird zunächst von einer idealisierten und komplett reibungsfreien Umformung an den
Kontaktflächen ausgegangen, sodass keine Zugspannungen mehr anliegen, so wird ‡1 = 0
(in Abbildung 7a als ·i gekennzeichnet). Die Gleichung 10 liefert für diese Annahme
ein Zug-Druck-Dehnungsverhältnis von Á1 /Á2 = ≠1/2. Die Druckumformung ist unter
diesen Bedingungen homogen, da in diesem Fall nur die reine Druckspannung ‡2 wirkt
[Die03].

Abbildung 7: Darstellung der a) Reibungsverhältnisse an den Stirnflächen zum Werk-


zeug und b) inhomogenen Umformzonen während der Druckumformung
[Die03]

Liegt hingegen Reibung vor, so ist der Materialfluss an den unmittelbaren Kontaktflächen
in radialer und tangentialer Richtung aufgrund gegenläufiger Zugspannung der Reibung
gehindert, wohingegen im mittleren Höhenbereich der Probe diese Hinderung nicht vor-
liegt. Als Folge dessen tritt ein Ausbauchen der Probe auf und ist umso ausgeprägter,
je kleiner das D-H-Verhältnis ist. Unter diesen Bedingungen nehmen die Zugdehnungen
(Á1 ) in radialer und tangentialer Richtung zu und gleichzeitig die Druckdehnungen (Á2 ) in
axialer Richtung ab. Dadurch stellt sich ein kleineres Dehnungsverhältnis (Á1 /Á2 < ≠1/2)
ein, woraus sich im Umkehrschluss ein höherer Mitberücksichtigungsgrad der Zugdehnung
(Á1 ) ergibt (Abbildung 8a) [Die03].
Folglich nimmt mit steigendem D-H-Verhältnis der Reibungsgrad ab. Das D-H-Verhältnis
sollte allerdings aufgrund zunehmender Ausknickneigung der Probe auf ein maximales
Verhältnis von 2 begrenzt werden. Weshalb in Abbildung 8a die homogene (reibungs-
freie) Umformung mit dem D-H-Verhältnis von 2 gleichgesetzt werden kann, gleichwohl
das D-H-Verhältnis für einen reibungsfreien Zustand æ Œ laufen müsste.
Der Ausbauchung bzw. dem Fehlerniveau, welches durch das Ausbauchen hervorgeru-
fen wird, kann deshalb mithilfe eines größeren D-H-Verhältnisses oder einer intensiveren
Schmierung entgegengewirkt werden [Eva01]. Das in vielen Publikationen empfohlene D-

20
H-Verhältnis liegt im Falle reibungsbehafteter Umformung und geschmierter Aufbauart
bei 1,5, wobei ein D-H-Verhältnis im Intervall von 1-2, in Abhängigkeit der Schmierung,
ebenfalls zulässig ist und in der Untersuchung erwähnt werden sollte [Roe06].

Abbildung 8: a) Dehnungsspezifischer Zusammenhang zwischen konstant bleibenden


Reibungsbedingungen und variierenden Probengeometrien [Die03] und b)
spannungsspezifischer Zusammenhang zwischen variierenden Reibungsbe-
dingungen und variierenden Probegeometrien [Roe06]

Neben der Reibung wird das Ausbauchen auch durch eine unzureichende Temperatu-
rinhomogenität hervorgerufen, die entlang der Probe während der Umformung vorliegt
oder entsteht. Die Temperaturinhomogenität wird einerseits durch die Wirkungsweise der
Erwärmung und andererseits durch die Probengeometrie bestimmt. Toleranzen für Tem-
peraturinhomogenitäten können der Tabelle 2 entnommen werden [Roe97]. Die Tem-
peraturschwankungen innerhalb der Probe sollen bei bestimmten Temperaturen definier-
te Grenzen nicht überschreiten. Weiterhin muss die Temperaturmessung einer Genau-
igkeit unterliegen, in welcher maximale Unsicherheiten ebenfalls nach Tabelle 2 nicht
überschritten werden dürfen. Dabei ist zu beachten, dass die Toleranzen in den letzten 15

Tabelle 2: Gegenüberstellung zulässiger Temperaturtoleranzen während Hochtempera-


turumformung nach [Roe06]

Testtemperatur in ¶ C Schwankung Unsicherheit


T < 600 ±2 ±2
600 < T < 900 ±4 ±3
T Ø 900 ±6 ±4

21
Jahren um über 50% eingeschränkt wurden und somit nur noch halb so hoch ausfallen
[Roe06].

Barreling-Koeffizient

Der Barreling-Koeffizient beschreibt das Ausbauchen einer Probe in Anwesenheit von Rei-
bung und Temperaturinhomogenitäten. Mit der Bestimmung des Barrelling-Koeffizienten
kann die Messgültigkeit eines Versuches bewertet werden. Der Barreling-Koeffizient einer
Probe ist wie folgt definiert [Die03][Roe06]:

hf · df2
B= (11)
h0 · d02

Wobei h0 und d0 jeweils die Ausganghöhe und der Ausgangsdurchmesser sowie hf und
df die Endhöhe und der Enddurchmesser sind. Der Enddurchmesser wird dabei an der
Stelle der größten Ausbauchung mehrmals über dem Querschnitt gemessen und gemittelt
[Roe06].
Ist das D-H-Verhältnis der Testprobe 1,5 und B aus Gleichung 11 größer als 1,10,
so ist der Test und die Messung laut Roebuck et al. ungültig [Roe06]. Denn ein aus-
geprägtes Ausbauchen ist ein Indiz für entweder ausgeprägte Reibungsverhältnisse oder
bedeutende Temperaturinhomogenitäten, die Unsicherheiten oder Abweichungen in der
Fließspannungsmessung bedeuten. Zu beachten ist jedoch, dass die definierte Grenze des
Koeffizienten nur in Verbindung mit dem empfohlenen D-H-Verhältnis von 1,5 gültig ist.
Evans and Scharning untersuchten in diesem Kontext mehr als 3000 Finite-Elemente-
Analysen und haben aufzeigen können, dass ein Zusammenhang zwischen dem Barreling-
Koeffizienten und Probengeometrie in Abhängigkeit der Reibung wie folgt besteht [Eva01]:
Ô
m = (1 + B) (12)

Wo B der Barreling-Koeffizient, m der Reibungskoeffizient und ein Berücksichtigungs-


koeffizient der Probengeometrie, des Probenvolumens, der Testtemperatur und der Um-
formgeschwindigkeit sind. Wobei Probenvolumen, Testtemperatur und Umformgeschwin-
digkeit nach Evans and Scharning vernachlässigbar sind (vgl. Tabelle 1). Dadurch re-
sultiert ein linearer Zusammenhang, aus dem hervorgeht, dass bei konstanter Reibung
(exemplarisch als gestrichelte Linie in Abbildung 9 dargestellt) der Barreling-Koeffizient
mit dem D-H-Verhältnis zunimmt. Da der Messfehler von der Reibung abhängt, ist der
Barreling-Koeffizient < 1,1 bei einem D-H-Verhältnis von 2.

22
Abbildung 9: Darstellung des linearen Zusammenhangs zwischen Barreling-
Koeffizienten, Probengeometrie und Reibung [Eva01]

2.4.2 Doppelschlagversuch

Der Doppelschlagversuch ist eine Untersuchungsmethode, bei der ein charakteristisches


Entfestigungsverhalten einer umgeformten Probe Rückschlüsse auf ihre Erholungs- und
Rekristallisationsneigung gibt. Mit dem Doppelschlagversuch lässt sich sowohl die partielle
Entfestigung und somit die TN R als auch die Rekristallisationskinetik bestimmen.
Im Doppelschlagversuch wird eine Probe in einer zweistufigen Warmumformung zwei-
mal mit den identischen Parametern verformt und die entsprechenden Fließspannungen
gemessen (Abbildung 10). Die zwei Umformstiche sind durch eine Zwischenstichzeit
voneinander getrennt, die einen maßgeblichen Einfluss auf den Grad der Entfestigung
hat. Während dieser Zwischenstichzeit ist die Probe komplett entlastet, sodass eine be-
lastungsfreie Möglichkeit zur statischen Entfestigung gewährleistet wird [Ver11]. Der Grad
der Entfestigung ergibt sich dann aus einer Vergleichsanalyse beider Stiche. Für den Fall
der vollständigen Entfestigung werden die beiden Fließkurven nahezu identisch verlaufen
(Abbildung 10b). Stellt der Fließkurvenverlauf des 2. Stiches hingegen eine Art Extra-
polation der ersten Fließkurve dar, so deutet dies auf das Ausbleiben der Entfestigung
hin. Aus dem Grad der Entfestigung kann dann direkt auf den Erholungsgrad oder die
Rekristallisation zurückgeschlossen werden (vgl. Kapitel 2.2.1 und 2.2.2).
Ein grundsätzliches Problem des Doppelschlagversuches besteht in der gleichzeitigen
Erfassung aller auftretender Entfestigungsvorgänge im Gefüge. Neben der Erholung und
Rekristallisation wird die Entfestigung auch durch Ausscheidungen und Kornvergröberung

23
Abbildung 10: Schematische Darstellung a) eines Stichplanes und b) eines Fließkurven-
verlaufes des Doppelschlagversuches für zwei unterschiedliche Zwischen-
stichzeiten von 2 und 100 Sekunden

hervorgerufen, weshalb die Separierung und Qualifizierung einzelner Vorgänge maßgeb-


lich erschwert wird [Zur03][Kal09]. Aus diesem Grund exisitieren für die Auswertung des
Doppelschlagversuches unterschiedliche Auswertungsansätze, mit denen unterschiedliche
Anteile der Erholung berücksichtigt werden [Ver10].

Auswertungsmethoden

In der Auswertung des Doppelschlagversuches haben sich vier unterschiedliche Methoden


etabliert (Abbildung 11) [Kar98][Zur03][Ver11][Hom12]:

1) 0,2% und 2% Offset Methode,

2) 5% True Strain Methode,

3) Back Extrapolation Methode,

4) Mean Flow Stress Methode.

Offset Methode (0,2% und 2%)

Die 0.2% Variante der Offset Methode stellt die älteste Methode zur Auswertung des Dop-
pelschlagversuches dar. Durch ihre relativ knapp definierte 0,2%-ige Streckgrenze neigt
diese Methode bei der Bestimmung des rekristallisierten Anteils grundsätzlich zu einer
ausgeprägten Mitberücksichtigung der Erholung und somit zu einer Überwertung der
Rekristallisation (Abbildung 12). Weiterhin ist der 0,2%-ige Offset oftmals schwer zu
bestimmen. Dieser Methode wird in der Literatur und deshalb in dieser Arbeit keine große
Bedeutung zugesprochen [Ver10].
Die 2% Variante ist eine Weiterentwicklung des oben beschriebenen Ansatzes und findet

24
Abbildung 11: Gegenüberstellung der Auswertungsmethoden des
Doppelschlagversuches

25
einen deutlich größeren Zuspruch in der Literatur. Zur Bestimmung des rekristallisier-
ten Anteils wird eine erhöhte Streckgrenze von 2% verwendet, wodurch der Miterfas-
sungsgrad der Erholung minimiert und die Rekristallisation präziser wiedergegeben wird
[Mac96][Fer99]. Ein weiterer Vorteil dieser Methode ist, dass zur Auswertung der Entfes-
tigung keine Extrapolation von Fließkurven notwendig ist, welche mit gewissen Unsicher-
heiten verbunden ist und Fehler in der Auswertung hervorrufen kann.

5% True Strain Methode

Die 5% True Strain Methode ist eine auf Extrapolation von Fließkurven basierende Me-
thode, die ebenfalls wie die 2% Offset Methode in der Literatur verbreitet ist. Die Grund-
idee besteht darin, dass nach einer 5%-igen Dehnung und ausbleibender Entfestigung die
Fließspannung des nachfolgenden Stiches auf das Niveau der kontinuierlichen Verformung
zurückfällt. Der ausschlaggebende Punkt ergibt sich hierbei aus der Auswertung bei einer
relativ hohen Dehnung, wodurch eine wirksame Separation von Erholung und Rekristal-
lisation aus der Entfestigung gelingt. Als Folge dessen gibt die Methode mit hoher Wahr-
scheinlichkeit die tatsächlich rekristallisierte Menge im Gefüge wieder, wie Karjalainen
und Perttula anhand metallographischer Vergleichsuntersuchungen nachweisen konnten
[Kar98]. Die entsprechenden Extrapolationen haben Karjalainen und Perttula mit der
Hollomon-Gleichung durchgeführt (Gleichung 20). Nachteile dieser Methode sind zum
einen die bereits erwähnte Unsicherheit bzgl. der Extrapolation der ersten Fließkurve
und zum anderen eine aufgrund der hohen Dehnung sinkende Sensibilität der Messungen
[Ver11].

Back Extrapolation Methode

Der Ansatz der Back Extrapolation Methode ähnelt dem der 0,2% Offset Methode. Auf-
grund zweier Unsicherheitsfaktoren, welche aus dem problematischen 0,2% Offset und der
Rückwärtsextrapolation entstehen, ist diese Methode in der Literatur weniger verbreitet
[Ble03][Dev91]. Untersuchungen von Fernandez et al. zeigen außerdem, dass diese Metho-
de, ebenfalls wie die 0,2% Offset Methode, zu einer grundsätzlichen Überschätzung der
Rekristallisation führt [Fer99].

Mean Flow Methode

Bei der Mean Flow Methode wird die mittlere Fließspannung durch die Integration ent-
sprechender Fließkurven geschätzt, um damit den rekristallisierten Anteil im Gefüge zu
beschreiben. Diese Methode stellt nach Fernandez et al. eine gute Näherung zu metal-
lographischen Vergleichsuntersuchungen dar [Fer99]. Die Auswertung dieser Methode ist
jedoch unter Umständen mit einem höheren Aufwand verbunden.

26
Fazit Doppelschlagversuch

Aufgrund der abweichenden Ansätze werden die vier Methoden in der Literatur entspre-
chend kontrovers diskutiert. Einige Autoren haben sich gezielt mit dem Genauigkeitsa-
spekt dieser Methoden, im Hinblick auf die Separation einzelner Entfestigungsvorgänge,
beschäftigt und haben in ihren Untersuchungen einfachheitshalber die Rekristallisation als
den einzig auftretenden Entfestigungsmechanismus berücksichtigt [Kar98][DeA91][Fer99].
Sie konnten nachweisen, dass die Auswertungsergebnisse der 2% Offset und der 5% True
Strain Methode in der Größenordnung von nur 5-10% von entsprechenden metallographi-
schen Vergleichsuntersuchungen abweichen. Diese beiden Methoden sollen auch laut Ver-
vynckt et al. weitestgehend ähnliche Entfestigungsergebnisse über eine breit veränderbare
Zwischenstichzeit zeigen (Abbildung 12) [Ver10].
Es konnte demnach zwar nachgewiesen werden, dass mit entsprechenden Auswertungs-
methoden der Miterfassunsgrad der Erholung minimiert wird, eine vollständige Entkopp-
lung der Erholung konnte dadurch jedoch nicht bewerkstelligt werden, sodass die Separa-
tionsproblematik weiterhin bestehen bleibt.
Ein weiter Nachteil dieser Methode ist der experimentelle Aufwand, der betrieben wer-
den muss, um die Kinetik der Rekristallisation beschreiben zu können. Denn aus einem
Versuch resultiert jeweils immer nur eine statische Entfestigungsinformation und somit
nur ein Messpunkt. Mithilfe einer Gesamtauftragung mehrerer Messpunkte über eine
breit variierte Zwischenstichzeit entsteht dann erst der gewünschte Kinetikverlauf aus
den Rekristallisations-Zeit-Kurven (Abbildung 12).
Weiterhin soll die Genauigkeit aller Methoden nach Untersuchung von Kang et al., die
ebenfalls mithilfe eines Doppelschlagversuches vollzogen wurde, maßgeblich abnehmen,
wenn signifikante Ausscheidungsvorgänge im Gefüge einsetzen [Kan97]. In diesem Fall
übersteigt die Pinningkraft der Ausscheidungen die treibende Kraft zur Rekristallisati-
on, wodurch es zu einem Rekristallisationsstopp kommt. Deshalb können nach einigen
Autoren die Rekristallisations-Zeit-Kurven nur 2-3 Verläufe haben [Ver10][Zur03]:

1) Monoton steigend S-förmig,

2) a) Steigende unvollständige S-Kurve mit einer Unterbrechung,


b) Steigende unvollständige S-Kurve mit permanenten Unterbrechungen.

Die Argumentation bzgl. der Unterbrechungen (sog. Plateauausbildung) und deren Auf-
lösungen wird dahingehend geführt werden, dass eine starke Vergröberung der Ausschei-
dungen eintreten kann, wodurch die Pinningkraft unterhalb der treibenden Kraft zur Re-
kristallisation fällt und die Rekristallisation dadurch weiter voran getrieben wird [Kan97]
[Zur01].

27
Abbildung 12: Darstellung ausgewerteter Rekristallisations-Zeit-Kurven nach den vier
verschiedenen Auswertungsansätzen des Doppelschlagversuches unter
Auftragung über unterschiedliche Zwischenstichzeiten (tip ) [Ver11]

Auch wenn Unsicherheiten in der Qualifizierung der Entfestigungsarten bestehen, so stellt


die Ableitung des rekristallisierten Anteils aus der Entfestigung des Doppelschlagversuches
eine gängige und breit annerkannte Analysemethode in der Literatur der mikrolegierten
Stähle dar [Zur03].

2.4.3 Spannungsrelaxationsversuch

Der Spannungsrelaxationsversuch ist eine Untersuchungsmethode, bei der ein charakteris-


tisches Entfestigungsverhalten einer umgeformten Probe Rückschlüsse auf ihre Erholungs-
und Rekristallisationsneigung gibt. Die Kinetik lässt sich dabei elegant und besonders
schnell anhand nur eines Versuches analysieren, wohingegen die Bestimmung der TN R mit
mehreren Versuchen verbunden ist [Ver10]. Ein weiterer Vorteil dieser Methode ist, dass
der Entfestigungsvorgang in seine einzelnen Bestandteile der Rekristallisation und der
Erholung zerlegt werden kann. Dadurch gelingt die vollständige Separation der Erholung
[Kar95].
Beim Spannungsrelaxationsversuch wird eine zylindrische Probe unmittelbar nach ei-
ner einstufigen Warmumformung stempelspezifisch in einen starren Belastungszustand
gebracht und für eine bestimmte Zeit gehalten (Abbildung 13a). Dieses erfolgt über
eine steife Positionierung der Stempel, deren Fixierungsposition sich aus dem Umform-
grad und der entsprechenden Stempeldrücklänge ergibt. Dabei verharren die Stempel im

28
Abbildung 13: a) Schematische Darstellung eines Stichplanes zum Spannungsrelaxati-
onsversuch und b) Spannungsverlauf eines Spannungsrelaxationsversu-
ches mit Einteilung entsprechender Regionen zur Entfestigungsanalyse

Anschluss der Verformung in der Position der maximalen Drücklänge und halten somit
die Höhe der Probe über der Relaxationszeit konstant [Ver10].
Hierbei wird der grundlegende Unterschied zum Doppelschlagversuch insofern deut-
lich, als dass beim Spannungsrelaxationsversuch die Probe nach einer Umformung nicht
entlastet, sondern aufgrund fixierter Stempelpositionen weiterhin unter Ausübung einer
Gegenkraft belastet und gehalten wird. Aus dem gemessenen Spannungsabfall über der
Zeit wird dann auf die Entfestigung im Werkstoff zurückgeschlossen. Hieraus ergeben sich
große Herausforderungen für den auf Fließspannungsmessung beruhendem Versuch und
speziell für das Messsystem. Denn zur Gewährleistung der korrekten und fehlerarmen
Fließspannungsmessung müssen folgende Bedingungen erfüllt werden [Oka76]:

1) Homogene Umformung innerhalb der Probe,

2) Homogene Temperaturführung über der Länge der Probe,

3) Verhinderung von Werkzeugrelaxationen.

Die Sensibilität der Messung lässt sich aus dem Hookschen Gesetz sehr gut vergegenwärti-
gen. Betrachtet man einen mikrolegierten Stahl bei 950¶ C und eine Probenhöhe h von 11,8
mm, so bewirkt eine Höhenabnahme h der Probe um 1 µm eine Spannungsveränderung
von etwa 9 M P a. Diese Höhenabnahme kann dabei von der Relaxation des Werkzeu-
ges oder der Temperaturinhomogenität und deren Beeinflussung der Wärmeausdehnung
hervorgerufen werden [Ver10].

29
Auswertungsansatz nach Karjalainen

Da die Rekristallisation, wie im Kapitel 2.2.2 bereits erwähnt, zu einer raschen Entfes-
tigung bzw. zu einem raschen Spannungsabfall führt, kann eine Separation der Erholung,
deren Entfestigungsverlauf deutlich flacher ausfällt und linear verläuft, vorgenommen wer-
den [Kar95]. Die Auswertung und die damit verbundene Ableitung der Entfestigungsar-
ten basiert auf der Auftragung des Spannungsverlaufes über eine logarithmierte Zeitskala
(Abbildung 13b). Nach Karjalainen können anhand der Steigung der Kurven drei Re-
gionen unterschieden werden (Abbildung 13b) [Kar95]:

I) Die moderate Entfestigung in diesem Bereich wird durch Erholungs- und Kriechef-
fekte des angespannten Austenits vorangetrieben. Dieser Bereich kann mit folgender
Geradengleichung beschrieben werden:

A = ‡ = ‡1 ≠ –1 log(t) (17)

In welcher ‡1 den Achsenschnittpunkt mit der Spannung und –1 die Steigung der
Geraden wiedergibt.

II) Der rasche Abfall der Spannung wird von der Rekristallisation hervorgerufen. Der
zeitliche Beginn der statischen Rekristallisation kann, unter Berücksichtigung der
entsprechenden keimwachstumsbedingten Inkubationszeit, eindeutig identifiziert wer-
den.

III) Die Entfestigung fällt in dieser Region wieder deutlich auf ein schwächeres Ni-
veau des Kriechens und zusätzlich der Kornvergröberung des entspannten Austenits
zurück. Aufgrund des Ausbleibens der Erholung fällt die Entfestigung dadurch im
Vergleich zur Region I schwächer aus. Der Verlauf wird beschrieben durch:

B = ‡ = ‡2 ≠ –2 log(t) (18)

In welcher ‡2 den Achsenschnittpunkt mit der Spannung und –2 die Steigung der
Geraden wiedergibt.

Nach Karjalainen und in Anlehnung an den Avrami-Ansatz aus Gleichung 1 kann der
rekristallisierte Anteil aus der Relaxation wie folgt bestimmt werden:

‡1 ≠ –1 log(t) ≠ ‡
XR = (19)
(‡1 ≠ ‡2 ) ≠ (–1 ≠ –2 ) log(t)

Mit XR als dem rekristallisierten Anteil und den beiden Geradengleichungen aus Glei-
chung 17 und Gleichung 18 [Kar98].

30
Fazit Spannungsrelaxationsversuch

Auch wenn die Separationsproblematik mithilfe der Spannungsrelaxationsmethode in den


Griff zu bekommen ist und einige Publikationen über eine gute Übereinstimmung der Er-
gebnisse mit dem Doppelschlagversuch berichten [Kar98][Ver10], so machen auch einige
Autoren auf Unsicherheiten bzgl. der Beeinflussung der Entfestigungsrate in der Span-
nungsrelaxationsmethode aufmerksam [Ble05][Haa04]. Aus diesen Publikationen geht her-
vor, dass die Rekristallisationskinetik im Spannungsrelaxationsversuch beschleunigt und
abweichend wiedergegeben werden kann. Die Beeinflussung der Kinetik soll nach herr-
schender Meinung zum einen auf den Belastungszustand während der Relaxation und
zum anderen auf die exponentielle Abnahme der Versetzungsdichte zurückzuführen sein
[Ver10]:

1) Durch die anhaltende Belastung der Probe wird das Gleiten von Versetzungen im
Spannungsrelaxationsversuch erleichtert, wodurch sowohl die Erholungs- als auch
die Rekristallisationskinetik beschleunigt wird.

2) Das anfänglich hohe Spannungsniveau ruft in der Ausgangslage der Relaxation eine
entsprechend höhere treibende Kraft zur Entfestigung hervor, weshalb die Rekristal-
lisation oder Erholung zunächst schnell verlaufen und im Verlauf der Relaxation ver-
langsamt werden. Diese Tatsache erschwert die Identifizierung einer repräsentativen
Kinetik.

Demnach können die Ergebnisse der Spannungsrelaxationsmethode die Geschwindigkeit


der Rekristallisationskinetik im Labormaßstab tendenziell überbewerten. Die Überwertung
beläuft sich, im Falle sehr kleiner Ausgangskörner oder Umformgrade, sogar teilweise bis
auf über 50%. Denn mit einer kleinen Ausgangskorngröße geht zwangsweise eine größere
Korngrenzfläche und somit eine höhere Keimdichte für die Rekristallisation einher [Kar98].
Weiterhin stellt die Auswertung des Spannungsrelaxationsveruches bei mikrolegierten
Stählen eine besondere Herausforderung dar. Aufgrund der Überlagerung verschiedener
Effekte kann es zu Identifikationsschwierigkeiten einzelner Regionen kommen [Zur03].
Dies tritt umso ausgeprägter auf, je kleiner die Relaxationszeit und die Untersuchung-
stemperatur ist. Mit sinkender Untersuchungstemperatur nehmen Ausscheidungseffekte
zu und bewirken infolgedessen eine signifikante Verlangsamung oder Behinderung der Re-
kristallisation. Dadurch wird die Kinetik und somit der Entfestigungsverlauf zu höheren
Zeiten hin verschoben, wodurch die Bestimmung der Referenzgeraden B maßgeblich er-
schwert wird (Abbildung 13b). In diesem Fall kann die Auswertung des rekristallisierten
Anteils nicht mehr erfolgen. Aus diesem Grund beschränken sich viele Publikationen auf
Untersuchungsbereiche, in denen Ausscheidungseffekte der Mikrolegierungselemente nicht
eintreten [Kar98][Ver10].

31
3 Experimentelle Durchführung
Im experimentellen Teil stehen die Hilfsmittel und die kalibrierspezifischen Vorbereitun-
gen dieser Masterarbeit im Vordergrund. Alle verwendeten Apparaturen, Materialien und
insbesondere die Versuchsparameter werden detailliert beschrieben, damit eine nachvoll-
ziehbare und reproduzierbare Durchführung der Versuche ermöglicht wird.

3.1 Versuchsaufbau
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde das Druckumformverhalten zweier mikrole-
gierter Stähle an einer Gleeble 3800 der Firma D.S.I. (Dynamic System Inc.) im Stahl-
verarbeitungszentrum der AG der Dillinger Hüttenwerke untersucht (Abbildung 14).

Abbildung 14: Die Gleeble 3800 der AG der Dillinger Hüttenwerke

32
3.1.1 Gleeble 3800

Die Gleebe 3800 ist ein servohydraulischer Warmumformsimulator, bei dem eine Probe
durch Widerstandserwärmung auf entsprechende Temperaturen gebracht wird und welche
momentan im Unternehmen mit der Software QuikSim 2 betrieben wird. Das System ist
bei metallischen Proben in der Lage, hohe Aufheizungsgeschwindigkeiten von 10.000¶ C/s
probengeometrieabhängig zu realisieren. Umgekehrt sind mithilfe geeigneter Stempel und
der Zuführung externer Abkühlmedien hohe Abkühlgeschwindigkeiten möglich.
Der servohydraulische Zug-Druck-Zylinder kann den Stempel bis auf 200 mm/s und
einer Kraft von 100 kN beschleunigen. Im reinen Druckversuch können sogar 200 kN
erreicht werden. Die Umformsteuerung erfolgt dabei kraft- oder weggebunden und kann
während des Versuches umgeschaltet werden:

1) Kraftgebunden (Force): Steuerung ist an die Kraftmessdose des Systems gekop-


pelt, wodurch während der Erhitzung die thermische Ausdehnung der Probe mit-
berücksichtigt und eine konstante Spannungsverteilung gewährleistet werden kann.

2) Weggebunden (Stroke): Steuerung ist an einen Wegaufnehmer im Kolben gekop-


pelt, wodurch die Mess- und Umformgenauigkeit der kompletten Maschinennachgie-
bigkeit unterliegt. Mit höherer Umformbelastung besteht eine ausgeprägtere Gefahr
einer fehlerhaften Messung.

3) Weggebunden (L-Gauge): Steuerung ist an einen induktiven Wegaufnehmer ge-


koppelt, der zwischen den beiden Stempelbacken sitzt, die Höhenveränderung der
Probe misst und somit nur die Nachgiebigkeit des Stempelsystems einfließt.

ISO-T Stempelsystem der Gleeble-Apparatur

Zur Gewährleistung einer homogenen Temperaturführung bietet D.S.I. einen sog. iso-
thermen Umformstempel an (Abbildung 15b). Dieser besteht aus mehreren Einzel-
teilen und wird für die Anwendung zusammengebaut. Dabei lässt sich das eigentliche
Kraftübertragungselement (in Abbildung 15a gekennzeichnet) aus dem Stempelsystem
ausbauen, zerlegen und materialspezifisch anpassen. Die Anpassung beläuft sich dabei
auf die in Reihe geschalteten, thermischen Widerstände (Graphitfolien). Durch das Weg-
lassen oder Hinzufügen dieser 0, 25 mm dicken Graphitfolien kann der Widerstand des
Stempels modifiziert werden (Abbildung 16b). Zum einen kann damit einer asymme-
trischen Temperaturverteilung entgegengewirkt und zum anderen direkt Einfluss auf eine
Temperaturinhomogenität innerhalb der Probe und dem jeweiligen Material genommen
werden.

33
Abbildung 15: Aufbau des ISO-T Stempelsystems der Gleeble

Abbildung 16: Aufbau des Kraftübertragungselements im a) zugedeckten und b) auf-


gedeckten Aufbau

3.1.2 Probenherstellung und Probengeometrie

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden zwei unterschiedliche Stahlgüten untersucht


und miteinander verglichen. Dabei beschränkte sich die Untersuchung auf einen thermo-
mechanisch gewalzten Niob-Stahl (Tabelle 4) und eine etwas höher legierte (Nb, Ti) Güte
(Tabelle 3). Aus Gründen der Vertraulichkeit muss auf eine genaue Analyse der chemi-
schen Zusammensetzungen verzichtet werden, weshalb die Analysen mit einem Restfaktor
deklariert werden:

34
Tabelle 3: Chemische Zusammensetzung der Stahlsorte 1

Elemente in % C Si Mn Nb Rest
Ist 0,05 0,3 1,8 0,04 Cu, Mo, Ni, Ti

Tabelle 4: Chemische Zusammensetzung der Stahlsorte 2

Elemente in % C Si Mn Nb Rest
Ist 0,04 0,3 1,6 0,02 Cu, Ni

Die zylinderförmigen Proben sind Blechmaterial und stammen jeweils aus einer Charge.
Vorhergehende interne Untersuchungen im Unternehmen hatten gezeigt, dass die durch-
schnittlichen Korngrößen im Anschluss einer 10-minütigen Austenitisierung bei 1200¶ C für
Stahlsorte 1 bei etwa 120 µm und Stahlsorte 2 bei etwa 200 µm lagen. Der Durchmesser der
Proben ist 8 mm und die Höhe 16 mm, wobei Fertigungstoleranzen für den Durchmesser
bei 0,1 mm und für die Höhe bei 0,05 mm liegen. Dadurch wird ein Durchmesser-Höhen-
Verhältnis von 2 eingestellt. Aus einem Probenrohling werden jeweils drei Proben an
einer CNC-Drehmaschine herausgedreht und die entsprechenden Ober- und Unterseiten
zur Gewährleistung einer ebenen Kontaktfläche plan geschliffen.

Abbildung 17: Schematische Darstellung des Entnahmeortes der Proben aus dem
Walzmaterial

35
3.1.3 Aufbau Stempelsystem und Einspannvorrichtung

Eine Probe wird zwischen den beiden Stempeln mithilfe eines Schichtsystems an den
Kontaktflächen eingespannt. Das Schichtsystem kann Abbildung 18 entnommen werden.
Dieses besteht aus Kupferpaste, Tantalfolie, Vakuumpaste und Graphitfolie.
Die Kupferpaste (PBC/ Moly Paul) der Firma K.S. Paul GmbH wird zwischen der
Tantalfolie und dem Stempel aufgetragen und soll primär den Verschleiß der teuren Wolf-
ramcarbidelemente eingrenzen.
Als Diffusionsbarriere kommt eine 0,1 mm dicke Tantalfolie und als Schmiermittel eine
0,25 mm dicke Graphitfolie zum Einsatz.
Zwischen der Tantal- und der Graphitfolie wird eine Vakuumpaste der amerikanischen
Firma Dow Corning Corporation verwendet. Diese hat primär eine klebende Wirkung und
hält somit das Schichtsystem beim Aufbau zusammen.
An der zylindrischen Oberfläche im Höhenbereich h0 /2 wird ein Paar Thermoelemente
des Typs K aus Ni-Cr-Ni mit Punktschweißen kontaktiert. Diese sind für einen Tempera-
turbereich von ≠270¶ C bis 1370¶ C zugelassen. Schließlich werden an den von der Isolier-
schicht befreiten Enden der Thermoelemente keramische Abdeckringe zur Verhinderung
von Kurzschlüssen aufgezogen.

Abbildung 18: Darstellung des Schichtaufbaus an der Kontaktstelle zwischen Probe und
Stempel

36
3.2 Versuchsdurchführung
Im Folgenden wird die Versuchsdurchführung mit den zugrunde liegenden Versuchspara-
metern protokolliert. Die dazugehörigen Ergebnisse werden in Kapitel 4 dieser Arbeit
vorgestellt und diskutiert.

3.2.1 Vorversuche zur Verfahrensoptimierung

Wie bereits in Kapitel 2.4.1 erwähnt und in Tabelle 1 zusammengefasst, bestehen


während der Versuchsdurchführung Unsicherheitsfaktoren, welche Messungen und insbe-
sondere die Fließspannungsmessung im Hinblick auf die Auswertung negativ beeinflussen.
Aus diesem Grund wurde zunächst versucht, die Aufbauart und die Temperaturhomoge-
nität während des Versuchsprozesses zu optimieren.

Optimierung der Einspannung

Im Rahmen des Aufbausystems sollte primär der Einfluss des sich im direkten Kontakt zur
Probe befindlichen Graphits als Schmiermittel auf das Ausbauchen der Probe untersucht
werden. Mit der Verwendung einer zusätzlichen Diffusionsbarriere zwischen Probe und
Schmiermittel wurde weiterhin eine mögliche Infiltration der Probe durch den Kohlenstoff
untersucht. Dies wurde mithilfe einer Gegenüberstellung der vorgestellten Aufbauarten
nach Abbildung 18 und Abbildung 19a bewerkstelligt. In der Aufbauvariante nach
Abbildung 18 wurde auf die Tantalfolie als Diffusionsbarriere verzichtet.

Abbildung 19: a) Modifiziertes Schichtsystem mit einer Diffussionsbarriere (Tantal)


zwischen Probe und Graphitfolie und b) Probe mit gekennzeichneten
Bereichen der Thermoelemente

Sekundär sollte dabei der Temperaturaspekt berücksichtigt werden, d.h. es wurde un-
tersucht, inwieweit sich die Temperaturhomogenität entlang der Probe bei einer Modi-
fizierung des Schichtsystems veränderte. Dazu wurden zwei zusätzliche Thermoelemente

37
(TC3, TC4) in den Randzonen der Proben angebracht und die Temperaturabweichungen
zur Solltemperatur (TC1) verglichen (Abbildung 19b).

Optimierung der Temperaturhomogenität

Im Bereich des Aufbausystems wurde die Temperaturhomogenität in Abhängigkeit des


Schichtsystems untersucht. Unberücksichtigt blieb dabei der Einfluss des Stempels und
dessen Widerstandskonfiguration auf die Temperaturhomogenität. Deshalb wurde zusätz-
lich eine Untersuchung am Stempelsystem vorgenommen.
Dazu wurden der ISO-T Stempel von D.S.I. und ein hauseigener Stempel aus einem
warmfesten Stahl (A625) verglichen. Beim ISO-T Stempel wurden weiterhin aufgrund
festgestellter asymmetrischer Temperaturverteilung unterschiedliche Widerstandskonfigu-
rationen untersucht (Abbildung 20).

Abbildung 20: Beispielhafte Darstellung zweier verschiedener Widerstandskonfiguratio-


nen für einen linken Stempel mit einer 2/6 und einer 0/5 Konfiguration

Eine 2/6 Konfiguration bedeutete für einen linken Stempel dabei, dass zwischen der Kup-
ferplatte und dem warmfesten Stahlelement zwei Graphitfolien und zwischen dem Wolf-
ramcarbidelement und Stahlelement sechs Graphitfolien saßen (vgl. Abbildung 16).
Eine 2/6 Konfiguration für einen rechten Stempel bedeutete die spiegelbildliche Umkeh-
rung des Systems. Die einzelnen zu untersuchenden Konfigurationen können Tabelle 5
entnommen werden. In Tabelle 5 sind die Konfigurationen beider Stempelseiten festge-
halten und werden durch einen vertikalen Stich getrennt.
Zur Untersuchung wurde eine Temperaturtreppe abgefahren und die Abweichungen
der Thermoelemente in den Randbereichen zur steuernden Solltemperatur (TC1) in der
Mitte verglichen (Abbildung 21). Durch die Treppenfahrweise sollten unterschiedliche
Temperaturbereiche im Hinblick auf die Toleranzen aus Tabelle 2 bewertet werden. Um

38
Einpendeleffekte ausschließen zu können, wurde der Messbereich auf die letzten 120 Se-
kunden jeder einzelnen Temperaturstufe beschränkt. Der Messbereich ist in Abbildung
21 gelb gekennzeichnet.

Tabelle 5: Gegenüberstellung der verwendeten Stempel und die Konfigurationen des


ISO-T Stempelsystems

Temperatur A625 ISO-T ISO-T 1 ISO-T 2 ISO-T 3 ISO-T 4


¿ Konfig.æ - 2/4 | 4/2 2/6 | 2/0 2/6 | 2/0 2/6 | 4/0 2/6 | 5/0
1200 C

⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤
1100¶ C ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤
1000¶ C ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤
900¶ C ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤
800¶ C ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤

Abbildung 21: Schematische Darstellung der Temperaturtreppe zur Untersuchung der


Temperaturhomogenität innerhalb des gelb markierten Messbereiches

3.2.2 Doppelschlagversuch

Mithilfe des Doppelschlagversuches wurde die partielle Entfestigung an der Gleeble 3800
untersucht. Aus der partiellen Entfestigung als Funktion der Temperatur wurde die Re-
kristallisationsstopptemperatur (TN R ) und aus der partiellen Entfestigung als Funktion
der Zeit die Rekristallisationskinetik abgeleitet. Dazu wurden die ISO-T Stempel mit der
4. Konfiguration aus Tabelle 5 und der Aufbau nach Abbildung 19a verwendet (vgl.
Kapitel 4.1.1 und 4.1.2). Die Prozessparameter des Doppelschlagversuches können der
Abbildung 22 entnommen werden und waren wie folgt:

39
• Aufheizen mit 5¶ C/s und Austenitisierung bei 1200¶ C,

• Halten bei 1200¶ C für 10 Minuten zur Homogenisierung und Auflösung der Mikro-
legierungselemente,

• Abkühlung mit 5¶ C/s auf die entsprechende Umformtemperatur zwischen 1200¶ C


und 800¶ C,

• Vor der 1. Umformung 10 Sekunden auf der Umformtemperatur zum Einpendeln


der Probentemperatur halten,

• 1. Umformung mit einem Umformgrad (Ï) von 0,3, 0,2 oder 0,1 und einer Umform-
geschwindigkeit (Ï̇) von 1/s,

• Nach der 1. Umformung wird die Probe entlastet und auf 100 N im Force-Modus
gemäß einer definierten Zwischenstichzeit gehalten,

• 2. Umformung mit den identischen Umformparametern aus dem 1. Umformstich,

• Abkühlen auf Raumtemperatur.

Abbildung 22: Schematische Versuchsdarstellung des Doppelschlagversuches mit den


entsprechenden Versuchsparametern

Die kompletten Versuchsmatrizen des Doppelschlagversuches können Tabelle 6 für Stahl-


sorte 1 und Tabelle 7 für Stahlsorte 2 entnommen werden.

40
Tabelle 6: Darstellung der kompletten Versuchsmatrix des Doppelschlagversuches für Stahlsorte 1. Zu Beachten ist dabei, dass bei
einigen Kinetikversuchen Zwischenstichzeiten gefahren wurden, die über 45 Sekunden hinaus gingen, aber in den jeweiligen
Versuchstabellen (Tabellen 10 und 11) mit aufgeführt sind
Zwischenstichzeit
Temperatur 1s 5s 10s 15s 20s 30s 45s
¿ Ïæ 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3
1200¶ C ⇤
1175¶ C ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤
1150¶ C ⇤
1125¶ C

41
1100¶ C ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤
1075¶ C ⇤
1050¶ C ⇤ ⇤
1025¶ C
1000¶ C ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤
975¶ C ⇤
950¶ C ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤
925¶ C ⇤
900¶ C ⇤ ⇤
800¶ C ⇤ ⇤ ⇤
Tabelle 7: Darstellung der kompletten Versuchsmatrix des Doppelschlagversuches für Stahlsorte 2
Zwischenstichzeit
Temperatur 1s 5s 10s 15s 20s 30s 45s
¿ Ïæ 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3

1200 C ⇤
1175¶ C
1150¶ C ⇤ ⇤
1125¶ C
1100¶ C ⇤ ⇤

42
1075¶ C
1050¶ C ⇤
1025¶ C
1000¶ C ⇤ ⇤
975¶ C
950¶ C ⇤ ⇤
925¶ C
900¶ C ⇤ ⇤
800¶ C ⇤ ⇤
Partielle Entfestigung als Funktion der Temperatur zur Ableitung der TN R

Die Bestimmung der TN R erfolgte für jeden einzelnen Umformgrad anhand konstant ge-
haltener Zwischenstichzeit von 15 Sekunden und variierender Temperatur. Die TN R wurde
dabei bei der Temperatur definiert, bei welcher das 20% Entfestigungsniveau unterschrit-
ten wurde. Die Versuchsmatrizen zur Bestimmung der Entfestigung als Funktion der Tem-
peratur sind aus Platzgründen hier nur Auszüge aus den Gesamtmatrizen der jeweiligen
Stähle und sind für Stahlsorte 1 in Tabelle 8 und für Stahlsorte 2 in Tabelle 9 zusam-
mengetragen:

Tabelle 8: Auszug aus der Versuchsmatrix zur Bestimmung der partiellen Entfestigung
(TN R ) als Funktion der Temperatur unter konstant gehaltener Zwischenstich-
zeit und für drei verschiedene Umformgrade der Stahlsorte 1

Zwischenstichzeit
Temperatur 15s
¿ Ïæ 0,1 0,2 0,3
1200 C


1175¶ C ⇤
1150¶ C ⇤ ⇤ ⇤
1100¶ C ⇤ ⇤ ⇤
1075¶ C ⇤
1050¶ C ⇤ ⇤
1000¶ C ⇤ ⇤ ⇤
975¶ C ⇤
950¶ C ⇤ ⇤ ⇤
925¶ C ⇤
900¶ C ⇤ ⇤
800¶ C ⇤ ⇤ ⇤

43
Tabelle 9: Auszug aus der Versuchsmatrix zur Bestimmung der partiellen Entfestigung
(TN R ) als Funktion der Temperatur unter konstant gehaltener Zwischenstich-
zeit und für zwei verschiedene Umformgrade der Stahlsorte 2

Zwischenstichzeit
Temperatur 15s
¿ Ïæ 0,1 0,2
1200 C


1150¶ C ⇤ ⇤
1100¶ C ⇤ ⇤
1050¶ C ⇤
1000¶ C ⇤ ⇤
950¶ C ⇤ ⇤
900¶ C ⇤ ⇤
800¶ C ⇤ ⇤

Partielle Entfestigung als Funktion der Zeit zur Erfassung der


Rekristallisationskinetik

Die Bestimmung der Rekristallisationskinetik erfolgte für jeden einzelnen Umformgrad


bei konstant gehaltener Temperatur und variierender Zwischenstichzeit. Die Versuchs-
matrizen zur Bestimmung der Rekristallisationskinetik sind erweiterte Auszüge aus der
Gesamtversuchsmatrix und sind für einen Umformgrad von 0,3 in Tabelle 10 und für
0,1 in Tabelle 11 zusammengetragen.
Die Untersuchung der Rekristallisationskinetik wurde nur an Stahlsorte 1 vorgenom-
men. Zur Beurteilung der Temperaturabhängigkeit wurde die Kinetikuntersuchung bei je-
weils zwei unterschiedlichen Temperaturen durchgeführt. Dabei wurden die Untersuchungs-
temperaturen aus der Versuchsserie der partiellen Entfestigung als Funktion der Tempe-
ratur abgeleitet. Die höhere Untersuchungstemperatur hatte bei einer Zwischenstichzeit
von 15 Sekunden zu einer 60-70%-igen und die niedrige Untersuchungstemperatur zu einer
20-30%-igen partiellen Entfestigung geführt (vgl. Kapitel 4.2.1).

44
Tabelle 10: Auszug aus der Versuchsmatrix zur Bestimmung der partiellen Entfestigung
(Rekristallisationskinetik) als Funktion der Zeit unter konstant gehaltener
Temperatur für (Ï = 0, 3) der Stahlsorte 1

Zwischenstichzeit
Temperatur 1s 5s 10s 15s 20s 30s 45s 90s 180s 360s
¿ Ïæ 0,3
1000 C

⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤
950¶ C ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤

Tabelle 11: Auszug aus der Versuchsmatrix zur Bestimmung der partiellen Entfestigung
(Rekristallisationskinetik) als Funktion der Zeit unter konstant gehaltener
Temperatur für (Ï = 0, 1) der Stahlsorte 1

Zwischenstichzeit
Temperatur 0,5s 1s 5s 10s 15s 20s 30s 45s 90s 180s
¿ Ïæ 0,1
1175 C

⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤
1100¶ C ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤ ⇤

3.2.3 Spannungsrelaxationsversuch

Mithilfe des Spannungsrelaxationsversuches wurde die Rekristallisationskinetik untersucht.


Dazu wurden die ISO-T Stempel mit der 4. Konfiguration aus Tabelle 5 und der Aufbau
nach Abbildung 19a verwendet (vgl. Kapitel 4.1.1 und 4.1.2). Die Prozessparameter
des Spannungsrelaxationsversuches sind in Abbildung 23 skizziert und waren wie folgt:

• Aufheizen mit 5¶ C/s und Austenitisierung bei 1200¶ C,

• Halten bei 1200¶ C für 10 Minuten zur Homogenisierung und Auflösung der Mikro-
legierungselemente,

• Abkühlung mit 5¶ C/s auf die entsprechende Umformtemperatur zwischen 1200¶ C


und 800¶ C,

• Vor der Umformung 10 Sekunden auf der Umformtemperatur zum Einpendeln der
Probentemperatur halten,

45
• Umformung mit einem Umformgrad (Ï) von 0,3, 0,2 oder 0,1 und einer Umformge-
schwindigkeit (Ï̇) von 1/s,

• Nach der Umformung wird die Stempelposition gehalten und die Spannung für 500/
800 s aufgezeichnet,

• Nach Ablauf der Relaxationszeit wird die Probe auf Raumtemperatur abgekühlt.

Abbildung 23: Schematische Versuchsdarstellung des Spannungsrelaxationsversuches


mit den entsprechenden Versuchsparametern

Die komplette Versuchsmatrix des Spannungsrelaxationsversuches für Stahlsorte 1 kann


Tabelle 12 entnommen werden. Die Rekristallisationskinetik wurde dabei aus dem Span-
nungsverlauf nach dem Karjalainen Ansatz (Kapitel 2.4.3) für jede geprüfte Temperatur
abgeleitet. Die geprüften Umformgrade und Temperaturen sind ebenfalls Tabelle 12 zu
entnehmen.
Der in Tabelle 12 markierte Umformgrad (0,3*) stellt ein spezielles Versuchsvorgehen
dar, welches schematisch in Abbildung 24 dargestellt ist und im Anschluss des zweiten
Stiches des Doppelschlagversuches angehängt wurde. Dieses Vorgehen ist auf die Tatsa-
chen zurückzuführen, dass dadurch kein zusätzlicher Aufwand entstand, im Anschluss des
Doppelschlagversuches eine Spannungsrelaxation nachzuschalten und dadurch zusätzliche
Informationen zu erhalten waren. Weiterhin erfolgten diese Versuche parallel zu den Dop-
pelschlagversuchen und somit vor der eigentlichen Versuchsdurchführung der Spannungs-
relaxationsversuche nach Abbildung 23. Der Vorteil hierbei war, dass unterschiedliche
Versuchseinstellungen hinsichtlich Messfrequenz und Relaxationszeiten bewertet und in
der anschließenden eigentlichen Versuchsserie angewendet werden konnten.

46
Abbildung 24: Schematische Darstellung einer Versuchskombination aus einem
Doppel- schlag- und Spannungsrelaxationsversuch mit entsprechenden
Versuchsparametern

Tabelle 12: Darstellung der kompletten Versuchsmatrix des Spannungsrelaxationsver-


suches für Stahlsorte 1

Umformgrad
Temperatur 0,1 0,2 0,3 0,3*
1175¶ C ⇤
1150¶ C ⇤ ⇤
1100¶ C ⇤ ⇤ ⇤
1050¶ C ⇤
1000¶ C ⇤ ⇤
975¶ C ⇤
950¶ C ⇤ ⇤
925¶ C ⇤
900¶ C ⇤ ⇤
800¶ C ⇤

47
3.2.4 Mehrfachdeformationsversuch

Mithilfe des isothermen Mehrfachdeformationsversuches wurde eine Untersuchung zur


Spannungsakkumulation durchgeführt. Hierbei wurde der Versuchsplan speziell angepasst
und die Methodik des Spannungsrelaxationsversuches teilweise integriert.
Der Versuchsplan diesbezüglich beinhaltete die Untersuchung dreier Umformgrade (Ï =
0, 3, 0, 2 und 0, 1) bei 1000¶ C, wobei jeder Umformgrad mit zwei unterschiedlichen Ver-
suchsvarianten vollzogen wurde und eine Maximalumformung bei Ï = 0, 6 lag. Der Un-
terschied in der Versuchsdurchführung bestand dabei im Belastungszustand während der
Zwischenstichzeit.
Aufgrund des maximal aufzubringenden Umformgrades von 0,6 konnten mit einem Um-
formgrad von 0,1 sechs Stiche, mit 0,2 drei Stiche und mit 0,3 zwei Stiche realisiert werden
(Abbildung 25).

Abbildung 25: Schematische Darstellung des Versuchsablaufs zur Untersuchung der


Spannungsakkumulation für die zwei unterschiedliche Versuchsvarianten
in der Zwischenstichzeit

In der ersten Versuchsvariante wurde die Probe während der Zwischenstichzeit konven-
tionell entlastet. In der zweiten Versuchsvariante wurde die Probe während der Zwischen-
stichzeit unter fixierten Stempelpositionen in den Belastungszustand eines Spannungsre-
laxationsversuches überführt, der nach jedem Stich gemäß der Zwischenstichzeit nur 15
Sekunden andauerte.
Die Akkumulation wurde aus den jeweiligen Entfestigungen einzelner Stiche bewertet.
Mithilfe der beiden Versuchsvarianten konnte der Entfestigungsunterschied und somit
die Entfestigungskinetik unterschiedlicher Belastungszustände in der Zwischenstichzeit

48
untersucht werden. Des Weiteren konnten dadurch zusätzliche Informationen hinsichtlich
der Rekristallisation abgeleitet werden.
Die Auswertung der Entfestigungen wurde nach der 2% Offset Methode (Gleichung 13)
durchgeführt. Dabei wurde das Auswertungsvorgehen dahingehend angepasst, als dass
im Vorfeld der Anwendung von Gleichung 13 zu prüfen war, ob eine Rekristallisation
im vorhergehenden Stich stattgefunden hat oder nicht [Foc94]. Für den Fall, dass keine
Rekristallisation auftrat, entsprach ‡0 dem ‡0 des ersten Stiches. Für den Fall, dass eine
Rekristallisation auftrat, entsprach ‡0 dem ‡0 des vorhergehenden Stiches. Im Gegensatz
dazu war ‡m immer auf den vorhergehenden Stich zu beziehen.

49
4 Ergebnisse und Diskussion
Im Folgenden werden die experimentellen Ergebnisse systematisch und zusammenfassend
präsentiert. Ihre Interpretation und Diskussion erfolgt im Anschluss einzelner Abschnitte.

4.1 Vorversuche zur Verfahrensoptimierung


Die im Rahmen der Vorversuche durchgeführten Untersuchungen, nach Kapitel 3.2.1
bzgl. der Einspannung und Kapitel 3.2.1 der Temperaturhomogenität, dienten der Ver-
fahrensoptimierung. Die gewonnenen Erkenntnisse aus den Ergebnissen flossen unmittel-
bar in den Aufbau der anschließend folgenden Hauptversuche ein.

4.1.1 Optimierung des Einspannsystems

Die gemessenen Barreling-Koeffizienten für die Untersuchung 1 (Ta/C) nach Abbildung


18 und Untersuchung 2 (Ta/C/Ta) nach Abbildung 19a sind in Tabelle 13 zusam-
mengetragen.

Tabelle 13: Berechnung der Barreling-Koeffizienten aus dem Doppelschlagversuch nach


Gleichung 11 für unterschiedliche Schichtsysteme, einer Ausgangsproben-
geometrie von h0 = 16, 00 mm und d0 = 8, 06 mm und Ï = 0, 3

Untersuchung 1 Untersuchung 2
Temperatur Temperatur
1100¶ C 800¶ C 950¶ C 1100¶ C
Barreling-Koeffizient 1 1,082 1,094 1,094 1,071
Barreling-Koeffizient 2 - 1,088 1,071 1,058
Barreling-Koeffizient 3 - 1,090 1,051 1,104
Ø 1,08 1,09 1,07 1,07
Ø 1,08 1,08

Aus der Untersuchung des Einspannsystems geht hervor, dass die Reibung an den Kon-
taktflächen bei Verwendung einer zusätzlichen Diffusionsbarriere zwischen Schmiermittel
und Probe unverändert blieb. Der ”schlankere” Aufbau nach Abbildung 18 zeigte dabei
die im Vergleich homogenere Temperaturverteilung an (Abbildung 26). In Abbildung
26 ist zu erkennen, dass beim ”Sandwich-Aufbau” eine asymmetrische Temperaturvertei-
lung während des Haltens herrschte. Das linke Thermoelement (TC3) lief der Solltem-
peratur (TC1) mit etwa bis zu 40¶ C hinterher. Wohingegen das rechte Thermoelement
(TC4), zumindest in den ersten 400 Sekunden, eine Temperaturabweichung Æ 10¶ C auf-
wies. Der ”schlankere” Aufbau zeigte dieses Verhalten nicht. Im Gegenteil war hier die

50
Abbildung 26: Temperaturverteilung für a) eine von Tantalfolien im ”Sandwich” ge-
nommene Graphitfolie und b) eine im direkten Kontakt zur Probe be-
findliche Graphitfolie

Temperaturverteilung homogen über der Haltezeit, gleichwohl eine konstante Abweichung


von 40¶ C zur Solltemperatur bestand.
Die Untersuchung des ”schlankeren” Aufbaus nach Abbildung 18 wurde allerdings be-
reits nach wenigen Versuchen gestoppt, da es hierbei zu Aufschmelzungen an den Rändern
der Proben kam. Diese bildeten sich überwiegend in den Randbereichen bzw. in der Nähe
der Kontaktflächen aus und sind auf Randinfiltrationen durch den Kohlenstoff bzw. die
Kupferpaste zurückzuführen (Abbildung 27). Deshalb ist in Tabelle 13 ein einziger
Barreling-Koeffizient zu diesem Aufbau nach Abbildung 18 gemessen worden. Diese
Aufschmelzungen konnten bei dem ”Sandwich”-Aufbau nach Abbildung 19a nicht beo-
bachtet werden.

Abbildung 27: Darstellung der Aufschmelzungen in den Randbereichen der Probe

51
4.1.2 Optimierung der Temperaturhomogenität

Die Temperaturverläufe aller Thermoelemente und die gemittelten Temperaturabweichun-


gen der Ränder (TC3 und TC4) zur Solltemperatur (TC1) sind in Abbildung 28 für den
A625 Stempel und in Abbildung 29 für die 4. Konfiguration des ISO-T Stempels bei-
spielhaft gezeigt. Dabei sind die mittleren Temperaturabweichungen der Abbildungen
28 und 29 den rechten Ordinatenachsen der Diagramme zugeordnet. In Abbildung 28
ist neben der schlechteren Homogenität der A625 Stempel eine charakteristische Fluktua-
tion der mittleren Abweichung zu erkennen. Diese Fluktuation ist in Abbildung 29 nicht
vorhanden. Der Temperaturverlauf zeigt sich bei Verwendung der ISO-T Stempel ausge-
glichen und konstant. Hier lag die Abweichung über der Temperaturtreppe im Schnitt bei
15¶ C. Die Variation der Widerstände (Graphitfolien) machte weiterhin deutlich, dass da-
durch das Homogenitätsniveau im Schnitt um etwa 3¶ C auf 12¶ C weiter verbessert werden
konnte (Tabelle 14).
In Tabelle 14 sind die Abweichungen beider Stempelsysteme sowie die Abweichun-
gen der unterschiedlichen Konfigurationen der ISO-T Stempel zusammengetragen. Die 4.
Konfiguration mit dem asymmetrischen Widerstandsaufbau zeigte beim Durchfahren der
Temperaturtreppe die im Schnitt geringste Temperaturabweichung an (12¶ C). Die Un-
tersuchungen zu den Systemen A625, ISO-T und ISO-T 4 wurden zur Verifizierung der
Ergebnisse drei mal gefahren.

Abbildung 28: Beispielhafte Darstellung der Temperaturverläufe aller drei Thermoele-


mente sowie der mittleren Temperaturabweichung zur Solltemperatur
beim A625 Stempel

52
Abbildung 29: Beispielhafte Darstellung der Temperaturverläufe aller drei Thermoele-
mente sowie der mittleren Temperaturabweichung zur Solltemperatur
beim ISO-T Stempel der 4. Konfiguration

Tabelle 14: Zusammenstellung der Abweichungen in [¶ C] verschiedener Stempelsysteme


sowie entsprechender Konfigurationen nach Durchfahren der Temperatur-
treppe (vgl. Abbildung 21)

Temperatur A625 ISO-T ISO-T 1 ISO-T 2 ISO-T 3 ISO-T 4


¿ Konfig.æ - 2/4 | 4/2 2/6 | 2/0 2/6 | 2/0 2/6 | 4/0 2/6 | 5/0
1200 C

52 16 12 18 12 12
1100¶ C 62 14 10 14 9 9
1000¶ C 39 17 12 15 13 12
900¶ C 42 16 11 23 16 15
800¶ C 39 12 16 23 15 14
Ø 47 15 12 19 13 12
Anzahl 3 3 1 1 1 3

53
4.1.3 Diskussion und Interpretation

Die Versuche zur Optimierung des Einspannsystems hatten gezeigt, dass bei Benutzung
der notwendigen Diffusionsbarriere (Tantalfolie) zwischen Probe und Schmiermittel (Gra-
phitfolie) der durchschnittliche Barreling-Koeffizient bei etwa 1,08 lag. Wie in Kapitel
2.4.1 bereits angemerkt, wird in der Literatur ein Grenzwert des Barreling-Koeffizienten
empfohlen, welcher die Reichweite der Messgültigkeit eingrenzt. Dieser liegt für eine Pro-
bengeometrie (D-H-Verhältnis) von 1,5 bei 1,10.
Aus den Untersuchungen von Evans und Scharning [Eva01] geht diesbezüglich her-
vor, dass mit zunehmendem D-H-Verhältnis dieser Grenzwert des Barreling-Koeffizienten,
gemäß der linearen Beziehung aus Gleichung 12, zunimmt. Dieser Zusammenhang ist in
Abbildung 30 verdeutlicht. Hierbei ist ein D-H-Verhältnis von 1,5 abgeschätzt und rot
gestrichelt dargestellt worden. Dies ergibt sich aus der positionellen Zwischenlage angren-
zender D-H-Verhältnisse. Der dazu entsprechende Grenzwert des Barreling-Koeffizienten
von 1,10 ist mit der roten vertikalen Geraden skizziert. Aus dem Schnittpunkt dieser
beiden Geraden resultiert der entsprechende Reibungskoeffizient des Versuchsaufbaus als
die vertikal schwarz gestrichelte Gerade. Da der Reibungskoeffizient stellvertretend für
den Fehleranteil steht, können unter dessen konstanten Annahme entsprechende Grenz-
werte der Barreling-Koeffizienten für unterschiedliche D-H-Verhältnisse richtungsweisend
abgeleitet werden. Für ein D-H-Verhältnis von 2 erhöht sich der entsprechende Abszissen-
wert und somit der Grenzwert des Barreling-Koeffizienten, was aus der blauen vertikalen
Geraden hervorgeht. Demnach erfolgt die Fließspannungsmessung bei einem Barreling-

Abbildung 30: Darstellung des modifizierten, linearen Zusammenhangs zwischen


Barreling-Koeffizienten, Probengeometrie und Reibung [Eva01]

54
Koeffizient von 1,08 und einer Probengeometrie von 2 mit einem geringeren Messfehler,
als dies bei einer Probengeometrie von 1,5 der Fall wäre.
Die Versuche zur Optimierung der Temperaturhomogenität haben gezeigt, dass die Ho-
mogenität bei Verwendung der ISO-T Stempel und dessen widerstandsspezifischen Mo-
difizierung zwar verbessert, jedoch die entsprechenden Toleranzen nach Tabelle 2 damit
nicht eingehalten werden konnten. Allerdings ist davon auszugehen, dass mit sinkendem
D-H-Verhältnis die Temperaturhomogenität innerhalb der Probe, aufgrund abnehmender
Wärmeabführung über die Stirnflächen, zunimmt. Roebuck et al. gehen auf diesen Um-
stand und auf die unterschiedlichen Aufheizmechanismen in Tabelle 2 nicht ein, weshalb
die Toleranzen eher als Versuchsempfehlungen zu interpretieren sind [Roe06]. Auf jeden
Fall konnte mit der Optimierung des Testsystems eine symmetrische und homogene Ver-
formung gewährleistet werden. In der weiteren Versuchsdurchführung wurden deshalb die
ISO-T Stempel mit der 4. Konfiguration aus Tabelle 5 und der Aufbau nach Abbildung
18 verwendet (vgl. Kapitel 4.1.1 und 4.1.2).

4.2 Bestimmung der partiellen Entfestigung und Ableitung TN R


Die partielle Entfestigung wurde mithilfe des Doppelschlagversuches nach Kapitel 3.2.2
bestimmt. Zudem wurde die TN R aus dem Entfestigungsverlauf abgeleitet.

4.2.1 Doppelschlagversuch unter Variation der Temperatur

Im Rahmen der Auswertung wurden zunächst die Fließkurven mit dem Umformgrad von
0,3 ausgewertet und die entsprechenden partiellen Entfestigungswerte der 2% Offset Me-
thode mit denen der 5% True Strain Methode verglichen. Die Fließkurven sind in Abbil-
dung 31 und die partiellen Entfestigungswerte in Abbildung 32 dargestellt.
Die einzelnen Entfestigungswerte wurden mithilfe einer Trendlinie zusammengefasst.
Die TN R wurde als die Temperatur definiert, bei welcher die partielle Entfestigung als
Funktion der Temperatur 20% erreicht (Abbildung 32). Die Extrapolation der 5% True
Strain Methode wurde mithilfe der Hill-Gleichung (Gleichung 22) vorgenommen. Diese
war in der Genauigkeitsuntersuchung durch die geringste Abweichung gekennzeichnet (vgl.
Anhang 8).
Die Auswertung zeigte, dass die beiden Auswertungsmethoden sich über der Tempe-
ratur im Schnitt um 4,27 % unterschieden. Die 5% True Strain Methode gab dabei eine
überwiegend geringfügig höhere Entfestigung an. Die Auswertung der Fließkurven anderer
Umformgrade wurden im Folgenden nur noch mit der 5% True Strain Methode durch-
geführt. Der Grund hierfür war, dass der gewählte 2%-ige Offset der 2% Offset Methode
für den Umformgrad 0,1 zu groß und eine Berechnung der Entfestigung, wie in Abbil-
dung 33 dargestellt, nicht mehr möglich war. Hierbei war ‡r aus Gleichung 13 Ø ‡m ,

55
Abbildung 31: Fließkurvenverläufe der Stahlsorte 1 für unterschiedliche Temperaturen,
Ï = 0, 3 und tip = 15 Sekunden

Abbildung 32: Partielle Entfestigung als Funktion der Temperatur für Auswertungen
mit der 2% Offset Methode und der 5% True Strain Methode für Stahl-
sorte 1, Ï = 0, 3 und tip = 15 Sekunden

56
Abbildung 33: Darstellung der Auswertungsgrenze der 2% Offset Methode bei Stahl-
sorte 1 für T = 1150¶ C

wofür die Gleichung nicht definiert ist (vgl. Abbildung 11). Die aufgetretene Maschi-
nennachgiebigkeit, die sich im Zurückfallen der Fließkurven nach einzelnen Stichen zeigt
und in Abbildung 31 zu erkennen ist, wurde in der Auswertung mit der 5% True Strain
Methode berücksichtigt.

Stahlsorte 1

Die Fließkurvenverläufe der Stahlsorte 1 sind für eine Zwischenstichzeit von 15 Sekunden
und einen Umformgrad von 0,1 in Abbildung 34 und für einen Umformgrad von 0,2 in
Abbildung 35 dargestellt. Die entsprechenden Entfestigungsverläufe einzelner Umform-
grade können Abbildung 36 entnommen werden.
Die TN R nahm mit steigendem Umformgrad ab. Bei einem Umformgrad von 0,3 lag die
TN R bei etwa 935¶ C. Bei einem Umformgrad von 0,2 lag die TN R bei etwa 960¶ C. Nicht
eindeutig konnte die TN R bei einem Umformgrad von 0,1 bestimmt werden, denn bereits
bei 1075¶ C entfestigte sich das Gefüge nur um knapp 25%, hielt dieses Niveau nahezu bis
950¶ C und sank erst dann unter das 20%-ige Entfestigungsniveau ab.

57
Abbildung 34: Fließkurvenverläufe der Stahlsorte 1 für unterschiedliche Temperaturen,
Ï = 0, 1 und tip = 15 Sekunden

Abbildung 35: Fließkurvenverläufe der Stahlsorte 1 für unterschiedliche Temperaturen,


Ï = 0, 2 und tip = 15 Sekunden

58
Abbildung 36: Partielle Entfestigung als Funktion der Temperatur für unterschiedliche
Umformgrade, ausgewertet nach der 5% True Strain Methode für Stahl-
sorte 1 und tip = 15 Sekunden

Stahlsorte 2

Die Fließkurvenverläufe der Stahlsorte 2 sind für eine Zwischenstichzeit von 15 Sekunden
und einen Umformgrad von 0,1 in Abbildung 37 und für einen Umformgrad von 0,2
in Abbildung 38 dargestellt. Die Entfestigungsverläufe einzelner Umformgrade können
Abbildung 39 entnommen werden. Diese wurden ebenfalls mithilfe von Trendlinien in
einen Verlauf überführt.
Die Auswertung zeigte, dass die TN R mit steigendem Umformgrad ebenfalls abnahm.
Bei einem Umformgrad von 0,2 lag die TN R bei etwa 925¶ C und somit etwa 35¶ C unterhalb
der Stahlsorte 1. Im Gegensatz zur Stahlsorte 1 konnte die TN R der Stahlsorte 2 bei einem
Umformgrad von 0,1 sowie ausgehend vom Entfestigungsverlauf bestimmt werden und lag
etwa bei 1025¶ C.

59
Abbildung 37: Fließkurvenverläufe der Stahlsorte 2 für unterschiedliche Temperaturen,
Ï = 0, 1 und tip = 15 Sekunden

Abbildung 38: Fließkurvenverläufe der Stahlsorte 2 für unterschiedliche Temperaturen,


Ï = 0, 2 und tip = 15 Sekunden

60
Abbildung 39: Partielle Entfestigung als Funktion der Temperatur, ausgewertet nach
der 5% True Strain Methode für Stahlsorte 2 und tip = 15 Sekunden

4.2.2 Diskussion und Interpretation

Die zur Bestimmung der partiellen Entfestigung durchgeführten Versuche waren an die
Versuchsparamter des ACTRESS-Berichtes angelehnt. In diesem Bericht wurde eine zur
Stahlsorte 1 vergleichbare Stahlgüte untersucht [Kal09]. Der Vorteil darin war, dass damit
einerseits die Versuchsergebnisse dieser Arbeit verglichen und andererseits die Versuchs-
beherrschung an dem Gleeblesystem bewertet werden konnte.
Im ACTRESS-Bericht wurden allerdings nur die Spannungsrelaxationsversuche an ei-
ner Gleeble durchgeführt. Die Versuche zur Bestimmung der TN R wurden mithilfe an-
isothermer Mehrfachdeformationsversuche an einem Torsionsmodul mit einer vergleich-
bar höheren Umformgeschwindigkeit (Ï̇ = 3, 6) bewerkstelligt. Aus den Untersuchungen
von Vervynckt et al. [Ver10] geht zwar hervor, dass die Ergebnisse einzelner Versuchsme-
thoden apparaturunabhängig sind, jedoch Entfestigungsdiskrepanzen zwischen dem an-
isothermen Mehrfachdeformations- und dem Doppelschlagversuch bestehen und diese des-
halb nur bedingt vergleichbar sind [Ver11]. Die ebenfalls von Vervynckt et al. beschriebene
Methodenähnlichkeit zwischen der 2% Offset und der 5% True Strain Methode konnte in
dieser Arbeit anhand einer breit variierenden Temperatur bestätigt werden (Abbildung
32)[Ver10].

61
Die Versuchsplanung sah zudem gezielt die Berücksichtigung kleiner Umformgrade (Ï =
0, 1) vor, welche laut dem ACTRESS-Bericht zwar zu einer ausgeprägten Fluktuation der
Entfestigungswerte führen, aber eine stärkere Anlehnung an realistische Stichabnahmen
darstellen. Demnach soll bei kleinen Umformgraden die Bestimmung der TN R erschwert
werden, sodass diese nicht mehr eindeutig oder womöglich unter einer hohen Fehlerquote
erfolgt [Kal09]. Dies hatte sich bei den Ergebnissen der Stahlsorte 1 auch dahingehend
bestätigt, als dass die Eindeutigkeit der Ergebnisse und somit die Identifikationsgenau-
igkeit der TN R mit sinkendem Umformgrad merklich abnahm (Abbildung 36). Hierbei
konnte bei einem Umformgrad von 0,1 die TN R ausgehend vom Entfestigungsverlauf nicht
mehr eindeutig abgeleitet werden. Bei Stahlsorte 2 konnte dieser Umstand nicht bestätigt
werden. Hierbei konnte die TN R ausgehend vom Entfestigungsverlauf bestimmt werden.
Weiterhin zeigten die TN R -Werte einen im Vergleich zur Stahlsorte 1 plausiblen Verlauf,
denn hier lagen die Rekristallisationsstopptemperaturen aufgrund des geringeren Legie-
rungsniveaus der Stahlsorte 2 entsprechend niedriger (vgl. Abbildungen 36 und 39).
Aufgrund dessen, dass es bei der 2% Offset Methode zu Auswertungsschwierigkeiten bei
kleinen Umformgraden kam, wurde aufgrund der nachgewiesenen Vergleichbarkeit beider
Methoden im Folgenden nur noch mit der 5% True Strain Methode ausgewertet.
In Abbildung 36 ist die Entfestigungsentwicklung für alle drei Umformgrade der Stahl-
sorte 1 gezeigt. Für Umformgrade 0,2 und 0,3 zeigen die Entfestigungswerte plausible
Verläufe auf. Für den Umformgrad 0,1 trifft dies nicht zu, hier nimmt mit sinkender
Temperatur die Entfestigung zwar ebenfalls ab, jedoch kommt es in einem Temperaturin-
tervall von 1075¶ C bis 950¶ C zu einem konstanten Entfestigungsverhalten (24-28%). Ein
konstantes Entfestigungsverhalten über der Temperatur wird für gewöhnlich bei hohen
oder niedrigen Temperaturen beobachtet, bei denen sich das Gefüge komplett oder gar
nicht entfestigt. Denn mit sinkender Temperatur nimmt der thermodynamische Anteil der
treibenden Kraft zur Entfestigung ab und umgekehrt (vgl. Gleichung 2). Im Gegenzug
nimmt mit steigendem Umformgrad der verformungsbedingte Anteil der treibenden Kraft
zur Entfestigung zu, weshalb die Entfestigungswerte des Umformgrades 0,3 im Vergleich
zum 0,2 zu niedrigeren Temperaturen hin verschoben sind. Bei einem Umformgrad von
0,1 liegt aufgrund der geringen Verformung und daraus resultierenden niedrigen elasti-
schen Verzerrungsenergie ein geringer verformungsbedingter Anteil der treibenden Kraft
zur Entfestigung vor. Als Konsequenz zeigt sich das Gefüge bei gleichen Temperaturen
entfestigungsträge und entfestigt sich erst bei sehr hohen Temperaturen, bei denen der
thermodynamische Anteil der treibenden Kraft ein Niveau erreicht, welches in der Summe
zur vollständigen Entfestigung ausreicht. In Anbetracht dieser Entfestigungsentwicklung
ist davon auszugehen, dass die entsprechende TN R bei etwa 1050¶ C lag.
Eine mögliche Begründung hierfür könnte in einer zu starken Mitberücksichtigung der
Erholung liegen, was zu einer allgemeinen Erhöhung des Entfestigungsniveaus führt und

62
dadurch die definierte 20%-ige Entfestigungsunterschreitung als Identifikationspunkt der
TN R ausgehebelt wird. Diese Separationsproblematik des Doppelschlagversuches ist in
der Literatur eine viel diskutierte Thematik. Es konnte zwar anhand eines Umformgra-
des von 0,3 nachgewiesen werden, dass mit entsprechenden Auswertungsmethoden der
Miterfassungsgrad der Erholung reduziert wird, wie sich die Miterfassung jedoch mit sin-
kenden Umformgraden verhält, ist nicht thematisiert worden [Fer99]. Weiterhin unterlag
diese Untersuchung den vereinfachenden Annahmen, dass die Entfestigung im Gefüge nur
durch primäre Rekristallisation und Erholung hervorgerufen wird. Andere Entfestigungs-
mechanismen wie sekundäre Rekristallisation, Ausscheidungen und Kriechen wurden im
Rahmen dieser Untersuchungen ebenfalls nicht thematisiert.
Weiterhin könnte diese Entwicklung auf eine signifikante Ausscheidungswirkung im
Gefüge zurückzuführen sein, die nach Untersuchungen von Kang et al. zu einer erheb-
lichen Abnahme der Methodengenauigkeit des Doppelschagversuches führt [Kan97]. Die-
se These wird auch dadurch gestützt, dass die entsprechende Identifikation der TN R bei
Stahlsorte 2 für einen Umformgrad von 0,1 eindeutig erfolgte (Abbildung 39). Der Un-
terschied im Entfestigungsverlauf ist demnach nur auf die unterschiedlichen Stahlgüten
zurückzuführen, die sich im Wesentlichen nur im Gehalt des Kohlenstoffs und der Mikro-
legierungselemente unterschieden.
Die Bestimmung der TN R erfolgte im ACTRESS-Bericht auf Grundlage der mittleren
Fließspannung aus dem anisothermen Mehrfachdeformationsversuch [Kal09]. Ein direkter
Vergleich ist deshalb nur bedingt sinnvoll (Tabelle 15). Unabhängig von der Ableitungs-
methodik der TN R weisen die Rekristallisationsstopptemperaturen dieser Arbeit Unter-

Tabelle 15: Vergleichsdarstellung der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit mit denen des
ACTRESS-Berichtes. Verglichen wird die maximale Fließspannung (MPa)
als Funktion der Temperatur und entsprechende Rekristallisationsstopptem-
peraturen (TN R ) bestimmt entweder aus der mittleren Fließspannung (mean
flow stress (MFS)) oder der partiellen Entfestigung (fractional softening
(FS)) der Stahlsorte 1 für tip = 15 Sekunden

ACTRESS-Bericht vorliegende Arbeit


Ïæ 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3
max. Fließspannung
950¶ C 125 135 145 122 150 160
1000¶ C 105 115 125 108 120 130
TN R
MFS 908¶ C 930¶ C 938¶ C - - -
FS - - - ¥ 1050¶ C 960¶ C 935¶ C

63
schiede zu denen aus dem Bericht auf. Die Unterschiede nehmen dabei mit sinkendem
Umformgrad zu. Ungewiss bleiben die Ursachen für die Unterschiede, da diese sowohl
durch die leicht abweichende chemische Zusammensetzung der Stahlgüten als auch durch
die bereits erwähnte Ergebnisdiskrepanz beider Versuchsmethoden hervorgerufen werden
konnten. Weiterhin lag eine abweichende Umformgeschwindigkeit vor.

Vergleich mit empirischen Bestimmungsansätze der TN R

Zusätzlich zur experimentellen Bestimmung wurde die TN R empirisch nach den Gleichun-
gen 4, 5 und 6 ermittelt. Diese sind in Tabelle 4.2.2 zusammengetragen. Hierbei sticht
vor allem die empirische Bestimmung der TN R nach Bai et al. hervor, die im Vergleich
zu den beiden anderen Ansätzen übereinstimmende Ergebnisse zu den experimentellen
Untersuchungen liefert [Bai96].

Tabelle 16: Darstellung der empirisch bestimmten Rekristallisationsstopptemperaturen


(TN R ) in Abhängigkeit entsprechender Umformgrade und die gemessenen
Abweichungen zu den Ergebnissen dieser Arbeit

Stahlsorte Boratto Bai Fletcher


¿ Ïæ - 0,1 0,2 0,3 0,1 0,2 0,3
1 951¶ C 1047¶ C 964¶ C 918¶ C 925¶ C 904¶ C 883¶ C
2 842¶ C 1014¶ C 933¶ C 889¶ C 890¶ C 868¶ C 847¶ C
gem. Abweichung
1 - - 4¶ C 17¶ C - 56¶ C 35¶ C
2 - 9¶ C 8¶ C - 135¶ C 57¶ C -

Die experimentellen Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei mikrolegierten Stählen und
insbesondere bei kleinen Umformgraden (Ï ¥ 0, 1) die Bestimmung der TN R mit einer Feh-
lerwahrscheinlichkeit erfolgt. Deshalb ist die TN R zur Charakterisierung und Beschreibung
des Rekristallisationsverhaltens ungeeignet. Vielmehr sollten komplette Entfestigungs-
verläufe zur Rekristallisationsbeschreibung herangezogen werden und unter verschiedenen
Entfestigungsmöglichkeiten bewertet und interpretiert werden.

64
4.3 Bestimmung der Rekristallisationskinetik
Die Rekristallisationskinetik wurde mit dem Doppelschlagversuch nach Kapitel 3.2.2
und dem Spannungsrelaxationsversuch nach Kapitel 3.2.3 charakterisiert. Dabei wur-
de die Rekristallisationskinetik zweier Umformgrade (0,1 und 0,3) zur Beurteilung der
Temperaturabhängigkeit bei jeweils zwei unterschiedlichen Temperaturen untersucht. Die
Untersuchung beschränkte sich nur auf Stahlsorte 1.

4.3.1 Doppelschlagversuch unter Variation der Zeit

Zur Bestimmung der Kinetik wurden die aus dem Doppelschlagversuch stammenden Fließ-
kurven mit der 5% True Strain Methode ausgewertet. Beispielhaft und übersichtshalber
sind jeweils nur drei Fließkurven eines Umformgrades in Abbildungen 40 und 42 dar-
gestellt. Die jeweiligen Zwischenstichzeiten können den Abbildungen entnommen wer-
den. Einige Fließkurven sind aufgrund der hohen Messtemperatur, der hohen Messfre-
quenz (5000 Hz), des geringen Umformgrades und daraus resultierender Messschwankung
übersichtshalber mit einem Perzentil-Filter (25 oder 50 Datenpunkte) geglättet worden.
Dies ist in den jeweiligen Abbildungen gekennzeichnet.
Die resultierenden Entfestigungswerte sind über logarithmierte Zeitskalen für einen
Umformgrad von 0,3 in der Abbildung 41 und 0,1 in Abbildung 43 gezeigt. Die Ent-

Abbildung 40: Gegenüberstellung dreier Fließkurven aus dem Doppelschlagversuch der


Stahlsorte 1 mit Ï = 0, 3, T = 950¶ C und variierenden Zwischenstich-
zeiten. Die Fließkurven sind mit 25 Datenpunkten geglättet worden.

65
Abbildung 41: Rekristallisierte bzw. entfestigte Anteile der Stahlsorte 1 aus dem Dop-
pelschlagversuch, ausgewertet mit der 5% True Strain Methode und auf-
getragen über eine logarithmierte Zeitskala für Ï = 0, 3

Abbildung 42: Gegenüberstellung dreier Fließkurven aus dem Doppelschlagversuch der


Stahlsorte 1 mit Ï = 0, 1, T = 1100¶ C und variierenden Zwischenstich-
zeiten. Die Fließkurven sind mit 25 Datenpunkten geglättet worden.

66
Abbildung 43: Rekristallisierte bzw. entfestigte Anteile der Stahlsorte 1 aus dem Dop-
pelschlagversuch, ausgewertet mit der 5% True Strain Methode und auf-
getragen über eine logarithmierte Zeitskala für Ï = 0, 1

festigungsverläufe wurden mithilfe der JMAK-Gleichung nach Gleichung 1 angepasst.


Die entsprechenden Parameter der JMAK-Regressionen können Tabelle 17 entnommen
werden. Die Kinetik aus den Abbildungen 41 und 43 verlief für beide Umformgrade
und für die jeweils höheren Temperaturen schneller. Weiterhin deuteten die Entfestigungs-
verläufe der Abbildung 41 auf eine charakteristische Plateauausbildung hin, die sich bei
der tieferen Temperatur (950¶ C) ausgeprägter zeigte. Auch fand mit sinkender Tempera-
tur sowohl eine zeitliche Verbreiterung als auch eine zeitliche Verschiebung des Plateaus
statt. Bei 1000¶ C bildete sich das Plateau bei einem Entfestigungsgrad von etwa 70% im

Tabelle 17: Angepasste Parameter aus den JMAK-Anpassungen aus Abbildungen 41


und 43 nach Gleichung 1. Mit R̄2 wird das Bestimmtheitsmaß dargestellt.

JMAK-Fit-Parameter Temperatur
¿ 1100¶ C 1175¶ C 950¶ C 1000¶ C
Ïæ 0,1 0,1 0,3 0,3
n 0,53 0,80 0,51 0,75
t0 90,02 13,55 93,00 11,91
R̄2 0,9633 0,9568 0,9675 0,9400

67
Bereich zwischen 10 und 15 Sekunden heraus. Wohingegen es sich bei 950¶ C bei einem
Entfestigungsgrad von etwa 55% und im Bereich zwischen 45 und 90 Sekunden ausbil-
dete. Die Entfestigungsverläufe der Abbildung 43 (Ï = 0, 1) zeigten keine ähnlichen
Anzeichen einer Plateauausbildung an.

4.3.2 Spannungsrelaxationsversuch

Die Auswertung der Rekristallisationskinetik beim Spannungsrelaxationsversuch erfolgte


anhand der konventionellen Versuchsdurchführung nach Abbildung 23 und anhand der
kombinierten Versuchsdurchführung nach Abbildung 24. Im Folgenden werden zunächst
die Ergebnisse der konventionellen Versuchsdurchführung gezeigt.
Die zur Bestimmung der Rekristallisationskinetik verlaufenden Spannungsrelaxations-
kurven sind in Abbildung 44 für einen Umformgrad von 0,3 und in Abbildung 46
für einen Umformgrad von 0,1 dargestellt. Alle nachfolgenden Spannungsverläufe sind
ebenfalls mit einem Perzentil-Filter geglättet worden. Allgemein ist zu erkennen, dass die
Spannungsrelaxationsversuche mit sinkendem Umformgrad größere Schwankungen in den
Relaxationskurven zeigen (Abbildung 46).
Die Auswertung wurde nach dem Karjalainen-Ansatz (Kapitel 2.4.3) durchgeführt,
wobei nicht jeder Kurvenverlauf damit ausgewertet werden konnte. Unterhalb einer be-
stimmten Temperatur konnte keine sinnvolle Auswertung mehr erfolgen, da die einzelnen

Abbildung 44: Spannungsverläufe aus den Spannungsrelaxationsversuchen für unter-


schiedliche Temperaturen und Ï = 0, 3. Die Spannungskurven sind mit
25 Datenpunkten geglättet worden.

68
Abbildung 45: Auswertung der rekristallisierten Anteile nach dem Karjalainen-Ansatz
(Gleichung 19) für unterschiedliche Temperaturen und Ï = 0, 3. Die
Spannungskurven und die rekristallisierten Anteile der 950¶ C-Kurve sind
mit 25 Datenpunkten geglättet worden.

Abbildung 46: Spannungsverläufe aus den Spannungsrelaxationsversuchen für unter-


schiedliche Temperaturen und Ï = 0, 1. Die Spannungskurven sind mit
25 Datenpunkten geglättet worden.

69
Abbildung 47: Auswertung der rekristallisierten Anteile nach dem Karjalainen-Ansatz
(Gleichung 19) für unterschiedliche Temperaturen und Ï = 0, 1. Die
Spannungskurven sind mit 25 Datenpunkten geglättet worden.

Regionen nach Kapitel 2.4.3 nicht identifiziert und die Gerade B nicht mehr bestimmt
werden konnte. Dies betraf bei einem Umformgrad von 0,1 die 1000¶ C-Kurve und bei
einem Umformgrad von 0,3 alle Kurven unterhalb 950¶ C. Bei diesen Kurven deutet sich
ein linearer Entfestigungsverlauf über der kompletten Relaxationszeit an. Die ausgewer-
teten Kurven nach Gleichung 19 wurden anschließend mit dem JMAK-Ansatz nach
Gleichung 1 angepasst und die entsprechenden Fit-Parameter in Tabelle 18 zusam-
mengetragen.

Tabelle 18: Angepasste Parameter der JMAK-Gleichung (Gleichung 1) aus Abbil-


dungen 45 und 47

JMAK-Fit-Parameter Temperatur
¿ 1150 C

1175 C 950¶ C 1000¶ C

1100¶ C
Ïæ 0,1 0,1 0,3 0,3 0,3
n 0,74 0,58 0,95 1,1 0,89
t0 4,64 2,81 22,75 17,03 0,79

70
In den Abbildungen 45 und 47 ist zu erkennen, dass sowohl mit sinkender Tempe-
ratur als auch mit sinkendem Umformgrad die Qualität der Auswertung abnimmt. In
Abbildung 47 ist trotz der hohen Temperatur die Messung und entsprechend die Aus-
wertung durch eine hohe Fluktuation der Werte gekennzeichnet. In Abbildung 45 wird
deutlich, dass mit sinkender Temperatur die Spannungsrelaxationskurven komplizierter
werden und zunehmend in einen linearen Entfestigungsverlauf über der kompletten Re-
laxationszeit übergehen. Aus den entsprechenden Auswertungen geht hervor, dass die
keimwachstumsbedingte Inkubationsphase der Rekristallisation mit sinkender Tempera-
tur zunimmt. Die Verzögerung entspricht bei einem Temperaturabstieg von 1100¶ C auf
1000¶ C etwa 2 Sekunden (Abbildung 45).

Ergebnisse der kombinierten Versuchsvariante

Die Spannungsrelaxationsverläufe aus der kombinierten Versuchsdurchführung nach Ab-


bildung 24, welche im Anschluss des Doppelschlagversuches durchgeführt wurden, sind
für einen Umformgrad von 0,3* (vgl. Tabelle 12) und verschiedene Temperaturen in
Abbildung 48 dargestellt.
Die Spannungsverläufe aus Abbildung 48 zeigen, dass mit abnehmender Temperatur
die Ausgangsspannungen der Relaxationen zunehmen. Weiterhin ist zu erkennen, dass
die Spannungen, im Falle ausreichend hoher Temperaturen und entsprechender Zeiten,
sich auf ein charakteristisches Niveau relaxieren. Dieses Niveau wird mit zunehmender
Temperatur schneller erreicht. Bei 1150¶ C ist dieses Niveau bereits nach einer Sekunde
erreicht, wohingegen es bei 950¶ C fast 20 Sekunden dauert. Weiterhin ist zu erkennen,
dass unterhalb 950¶ C die Spannungen nicht mehr auf das besagte Niveau abfallen und
auch nach 500 Sekunden oberhalb dessen verbleiben.
Des Weiteren sind in Abbildung 48 mit der gestrichelten Geraden die entsprechenden
Rekristallisationsstartzeiten schematisch festgehalten. Dies wird unter Berücksichtigung
der dazugehörigen Auswertungen aus Abbildung 49 deutlich. Hierbei ist zu erkennen,
dass mit sinkender Temperatur die Rekristallisation bei späteren Zeiten einsetzt. Des Wei-
teren ist zu erkennen, dass mit sinkenden Temperaturen der Rekristallisationsvorgang sich
verlängert. Bei einer Temperatur von 925¶ C, welche im Gegensatz zu der konventionellen
Versuchsdurchführung einen schwankungsarmen Verlauf aufweist, ist die Rekristallisation
erst nach 200 Sekunden abgeschlossen. Im Gegensatz dazu ist die Rekristallisation bei
einer Temperatur von 950¶ C bereits nach 30 Sekunden vollzogen.

71
Abbildung 48: Spannungsrelaxationsverläufe der Stahlsorte 1 aus der kombinierten Ver-
suchsdurchführung für verschiedene Temperaturen und Ï = 0, 3. Die
gestrichelte Gerade markiert schematisch den Rekristallisationsbeginn
einzelner Relaxationskurven.

Abbildung 49: Rekristallisierte Anteile aus der kombinierten Versuchsdurchführung für


verschiedene Temperaturen und Ï = 0, 3

72
Untersuchung der Reproduzierbarkeit

Im Rahmen der Auswertung wurden die Kurvenverläufe auf ihre Reproduzierbarkeit un-
tersucht. Wie in Abbildung 50 zu sehen ist, konnten die Spannungsrelaxationen repro-
duzierbar nachgefahren werden.

Abbildung 50: Reproduzierbarkeitsuntersuchung des Spannungsrelaxationsversuches


für zwei Temperaturen und Ï = 0, 3

4.3.3 Gegenüberstellung beider Methoden

Die Gegenüberstellungen der Ergebnisse beider Methoden sind in den Abbildungen 51,
52 und 53 zusammengetragen. Zum Zwecke der Vergleichbarkeit wurden die rekristallisier-
ten Anteile aus den Spannungsrelaxationsversuchen ebenfalls mit der JMAK-Gleichung
(Gleichung 1) angepasst. Die Spannungsrelaxationsmethode zeigt dabei eine systemati-
sche Überwertung der Rekristallisationsrate. Die Überwertung findet beim kleinen Um-
formgrad (Ï = 0, 1) durchgehend statt, wohingegen die Überwertung bei den großen
Umformgraden (Ï = 0, 3) lediglich in der Endphase der Rekristallisation zu verzeichnen
ist. Ein Vergleich der Tabellen 17 und 18 zeigt keine eindeutigen Zusammenhänge und
es treten nur vereinzelt Übereinstimmungen auf.

73
Abbildung 51: Vergleichbarkeitsuntersuchung der Kinetik aus dem Doppelschlagver-
such (D-D-T) und Spannungsrelaxationsversuch (S-R-T) für 1000¶ C und
Ï = 0, 3

Abbildung 52: Vergleichbarkeitsuntersuchung der Kinetik aus dem Doppelschlagver-


such (D-D-T) und Spannungsrelaxationsversuch (S-R-T) für 950¶ C und
Ï = 0, 3

74
Abbildung 53: Vergleichbarkeitsuntersuchung der Kinetik aus dem Doppelschlagver-
such (D-D-T) und Spannungsrelaxationsversuch (S-R-T) für 1175¶ C und
Ï = 0, 1

4.3.4 Diskussion und Interpretation

Doppelschlagversuch unter Variation der Zeit

Die Kinetikuntersuchung lieferte vergleichbare Ergebnisse zur Literatur. Allerdings finden


sich in der Literatur keine Untersuchungen, die einen Umformgrad Ï < 0, 2 berücksichtigen.
Im Folgenden kann deshalb kein Literaturvergleich zum in dieser Arbeit untersuchten Um-
formgrad (Ï = 0, 1) erfolgen.
In einigen Publikationen wurden ähnliche Beobachtungen im Hinblick auf die Pla-
teauausbildung gemacht [Ver11][Ver09][Ble05][Zur01][Med99][Kan97]. Alle Untersuchun-
gen wurden hierbei ebenfalls mit einem Doppelschlagversuch unter Variation der Zeit
durchgeführt, wobei unterschiedliche Auswertungsmethoden benutzt wurden. Die Pla-
teauausbildung soll nach der vorliegenden Mehrheit in der Literatur durch Niobausschei-
dungen verursacht werden. Dabei übersteigt die Pinningkraft der Ausscheidungen die
treibende Kraft zur Rekristallisation, wodurch es zu einem vorübergehenden Rekristalli-
sationsstopp im Gefüge kommt. Die Auflösung dieser Plateaus wird anschließend durch
eine starke Vergröberung der Ausscheidungen bewirkt, wodurch die Pinningkraft wieder
unterhalb der treibenden Kraft zur Rekristallisation fällt und die Rekristallisation dadurch
weiter voran getrieben wird.
Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass mit abnehmender Temperatur eine Absen-

75
kung und Verbreitung des Plateaus stattfand (Abbildung 54a). Diese Phänomene sind
dahingehend zu erklären, als dass mit sinkender Temperatur die Ausscheidungskinetik der
Mikrolegierungselemente zunimmt und infolgedessen die Ausscheidungen schneller voran-
schreiten. Weiterhin werden bei geringeren Temperaturen höhere Energie- bzw. Verset-
zungsmengen gespeichert, die wiederum als aktive Keimbildungsstellen für die Ausschei-
dung der Mikrolegierungselemente fungieren. Diese Effekte führen zu einer frühzeitigen
Blockierung der Entfestigung, was sich im Absenken des Plateaus bemerkbar macht. Wei-
terhin ist die Teilchenvergröberung nach Oswald eine Funktion der Temperatur und er-
folgt bei niedrigeren Temperaturen langsamer. Als Folge dessen zeigen sich die Plateaus
bei tieferen Temperaturen entsprechend breiter.
Medina et al. hatten diese Entwicklung an einer etwas abweichenden Stahlgüte bestätigen
können (0,024 Gew.-% Nb und 0,021 Gew.-% C) [Med99]. Mit abnehmender Tempera-
tur fand auch hier eine Verbreitung des Plateaus statt (Abbildung 54b). Weiterhin
können Ähnlichkeiten in der Temperatur und in den rekristallisierten Anteilen, in denen
die Plateauausbildung einsetzt, festgestellt werden. Unterschiede liegen allerdings in der
Umformgeschwindigkeit und Ausgangskorngröße vor.
Der Grund, warum dieses Phänomen bei den kleinen Umformgraden (Ï = 0, 1) nicht
eintrat, lag wohl an den hohen Temperaturen, bei welchen das Niob noch gelöst im Aus-
tenit vorlag und nicht ausgeschieden wurde.
In Tabelle 19 ist zudem ein Vergleich entsprechender und experimentell bestimmter t0 -
Zeiten aus Tabelle 17 mit theoretisch berechneten nach Gleichung 2 gegenübergestellt.

Abbildung 54: Vergleichsdarstellung der Rekristallisationskinetik für a) experimentelle


Ergebnisse dieser Arbeit (Ï = 0, 3, Ï̇ = 1/s und D0 = 120 µm) und b)
Ergebnisse aus der Literatur (Ï = 0, 35, Ï̇ = 3, 6 s≠1 und D0 = 210 µm)
[Med99]

76
Tabelle 19: Gegenüberstellung experimentell bestimmter (Tabelle 17) und empirisch
berechneter (Gleichung 2) t0 -Zeiten für unterschiedliche Temperaturen und
Umformgrade für Stahlsorte 1

Bestimmung t0 -Zeiten Temperatur


¿ 1100 C

1175¶ C 950¶ C 1000¶ C
Ïæ 0,1 0,1 0,3 0,3
Experimentell 90,02 13,55 93,00 11,91
Berechnet 80,47 23,98 58,21 22,94

Die Gegenüberstellung zeigt durchweg deutliche Unterschiede in den t0 -Zeiten auf. Al-
lerdings ist wohl davon auszugehen, dass die bereits diskutierten Zweifel des Doppel-
schlagversuches mit zunehmenden Zwischenstichzeiten stärker ins Gewicht fallen. Denn
dadurch werden neben der Erholung auch sekundäre Entfestigungsmechanismen wie Korn-
vergröberung oder vor allem Kriecheffekte sich ausgeprägter zeigen, als dies bei einer
Zwischenstichzeit von 15 Sekunden der Fall war. Weiterhin führt der auf der reinen
Entfestigung beruhende Ansatz dazu, dass bei niedrigen Temperaturen ein 100%-iges
Entfestigungsniveau nach langen Zwischenstichzeiten erreicht wird. In diesem Fall wird
fälschlicherweise auf eine 100%-ige Rekristallisation zurückgeschlossen. Ein Gefüge kann
sich auch mittels Erholung und Kriechen stark entfestigen, da die Erholung bereits bei
der Überschreitung der 0,5 Ts verformungsunabhängig einsetzt. Deshalb wird in der Lite-
ratur die Ordinatenachse über der logarithmierten Zeit nicht einheitlich definiert. Manche
Autoren sprechen von einem rekristallisierten [Ver11][Zur01][Med99][Kar98] und andere
hingegen von einem entfestigten Anteil [Ver09][Cha07][Ble05][Kan97]. Zurob et al. haben
diesen Umstand untersucht und werteten die in der Literatur vorliegenden Ergebnisse
mithilfe seines Modells aus [Zur02]. Zurob berücksichtigt in seinem Modell die komplexe
gegenseitige Beeinflussung von Erholung, Rekristallisation und Ausscheidung [Zur03]. Den
in Abbildung 55 dargestellten Verläufen ist zu entnehmen, dass die aus dem Doppel-
schlagversuch stammenden Entfestigungswerte von Medina et al. einen erheblichen Anteil
an Erholung und ggf. andere Entfestigungsmechanismen enthalten, wodurch es zu einer
beschleunigten Kinetikwiedergabe kommt. Allerdings haben Medina et al. [Med99] den
Doppelschlagversuch mit der Back Extrapolation Methode ausgewertet, die nach Fern-
andez et al. [Fer99] zu einer grundsätzlichen Überschätzung der Rekristallisation führen
soll. Auch wenn in dieser Arbeit die Auswertung mit der 5% True Strain Methode durch-
geführt wurde und diese nachgewiesenerweise die Miterfassung der Erholung minimieren
soll, so ist trotzdem davon auszugehen, dass die Rekristallisations-Zeit-Kurven aus den
Abbildungen 41 und 43 bedeutende Anteile an Erholung enthalten.

77
Abbildung 55: Vergleichsdarstellung des nach dem Zurob-Modell [Zur03] modellierten
Entfestigungs- und Rekristallisationsverlaufs mit den von Medina et
al. stammenden Entfestigungsdaten aus der Literatur (Ï = 0, 35, Ï̇ =
3, 6 s≠1 , D0 = 210 µm und T = 950¶ C vgl. Abbildung 54b) [Med99]

Spannungsrelaxationsversuch

Die Auswertung und die Interpretation der Relaxationskurven gestaltete sich nach dem
Karjalainen-Ansatz mit sinkenden Temperaturen und Umformgraden unpräziser und pro-
blematischer. In Abbildung 45 ist dies anhand der Kurvenentwicklung und der zuneh-
menden Auswertungsschwankung bei sinkenden Temperaturen zu erkennen. Ein Grund,
warum diese Schwankungen in Abbildung 48 nicht festgestellt werden können, liegt
an den unterschiedlichen und kleineren Messfrequenzen in der kombinierten Versuchs-
durchführung. Die in der kombinierten Versuchsdurchführung durchgeführten Spannungs-
relaxationsversuche sind deshalb eher als Vorversuche zu werten.
Es deutet sich an, dass die Auswertungsproblematik des Spannungsrelaxationsversuches
aufgrund geringer Steigungsunterschiede zwischen den Erholungs- und Rekristallisations-
regionen einzelner Relaxationskurven entsteht. Dies geht vor allem aus dem Vergleich
der 1000¶ C und 950¶ C-Kurve hervor (Abbildung 45). Hierbei nimmt die Auswertungs-
schwankung der 950¶ C-Kurve im Vergleich stark zu.
Wie bereits erwähnt und in Abbildung 56 gezeigt, nehmen Spannungsrelaxationskur-
ven mit sinkenden Temperaturen zunehmend lineare Entfestigungsformen an, da maßgeb-
liche Entfestigungsmechanismen, wie die Rekristallisation, teilweise oder ganz ausbleiben.
In Abbildung 56 sind dazu die Relaxationsverläufe auf ihre jeweiligen Maximalspan-
nungen normiert. Dabei ist deutlich zu erkennen, dass Relaxationskurven unabhängig
vom Spannungsbezug ihren Entfestigungsverlauf hinsichtlich der Steigung mit sinken-

78
Abbildung 56: Entfestigungsentwicklung der Relaxationskurven bei sinkender Tempe-
ratur, dabei sind die Relaxationsverläufe ihrer jeweiligen Maximalspan-
nung normiert worden

der Temperatur ändern. Diese Entwicklung steht allerdings mit dem Auswertungsansatz
nach Karjalainen insofern im Konflikt, als dass Karjalainen im seinem Auswertungsvorge-
hen die Steigungsunterschiede einer Spannungsrelaxationskurve explizit nutzt. Bei einem
linearen Entfestigungsverlauf über der kompletten Relaxationszeit versagt folglich sein
Auswertungsmodell, was sowohl die Ergebnisse dieser Arbeit als auch die Literatur bele-
gen [Ver10][Zur03]. Bei Temperaturen bei denen vollständiges Rekristallisationsverhalten
zu erwarten ist, zeigt die Auswertung nach Karjalainen hingegen einen plausiblen und
schwankungsarmen Verlauf (1000¶ C und vor allem 1100¶ C-Kurve in Abbildung 45).
Eine ähnliche Entwicklung konnte beim kleinen Umformgrad (Ï = 0, 1) bei der 1100¶ C-
Kurve festgestellt werden (Abbildung 47). Hierbei war eine Auswertung aufgrund des
linearen Entfestigungsverlaufes ebenfalls nicht möglich. Die anderen zwei Spannungs-
verläufe aus Abbildung 47 konnten mit dem Karjalainen-Ansatz zwar ausgewertet wer-
den, jedoch können die Ergebnisse aufgrund des ungewissen und schwankenden Span-
nungsverlaufes bei einem Umformgrad von 0,1 nicht mehr richtig eingeordnet werden.
Es entsteht daher der Anschein, dass die Spannungsrelaxationsmethode bei einem Um-
formgrad Ï ¥ 0, 1 seine Anwendungsgrenze findet. Ebenfalls wie beim Doppelschlagver-
such treten bei kleinen Umformgraden und hohen Temperaturen hohe Messschwankungen
auf, die darüber hinaus die bereits ohnehin komplizierte Auswertung des Spannungsrela-
xationsversuches noch weiter erschweren.

79
Der Spannungsrelaxationsversuch ist aufgrund seiner Komplexität und den Anforderun-
gen an das Messsystem deutlich weniger in der Literatur verbreitet, wodurch sich auch
entsprechend weniger Vergleichsmöglichkeiten, insbesondere für kleine Umformgrade, er-
geben. Wie bereits in Kapitel 2.4.3 erwähnt, stellt darüber hinaus der Relaxationsverlauf
bei mikrolegierten Stählen einen komplizierten Prozess dar. Hierbei wird der Spannungs-
abfall sowohl durch Ausscheidungen als auch durch deren Vergröberung beeinflusst.
Erste hinreichende Interpretationen bzgl. des Ausscheidungsverhaltens gehen auf die
Untersuchungen von Jonas et al. zurück [Jon88]. Sie verglichen 2 Stahlgüten, die sich
nur im Titangehalt unterschieden und stellten fest, dass der Entfestigungsvorgang durch
die Ti(C,N)-Ausscheidungen verlangsamt wurde und sich wie in Abbildung 57a dar-
stellte. Zurob konnte mithilfe seines Modells diesen Ausscheidungsvorgang modellieren
und darüber hinaus feststellen, dass es sich hierbei um die Verschleppung der Erholung
handelte (Abbildung 57b) [Zur03].

Abbildung 57: Darstellung des Ausscheidungseffektes beim Spannungsrelaxationsver-


such für T = 900¶ C und a) experimentelle Ergebnisse aus der Litera-
tur [Jon88] mit 1) Ausscheidungsbeginn und 2) Beginn der Ausschei-
dungsvergröberung und b) modellierte Ergebnisse aus der Literatur
[Zur03] mit 1) Ausscheidungsbeginn und 2) Beginn der Ausscheidungs-
vergröberung

Ähnliche Beobachtungen wurden in dieser Arbeit bei Relaxationskurven unterhalb 1000¶ C


gemacht (Abbildung 48). In Abbildung 58 ist diese mögliche Beobachtung des Aus-
scheidungseffektes für zwei unterschiedliche Temperaturen (1000¶ C und 800¶ C) darge-
stellt. Dabei zeigt sich die Ausscheidungswirkung bei der kleineren Temperatur von 800¶ C
am stärksten (Abbildungen 48). Dies könnte dadurch zu erklären sein, dass mit abneh-
mender Temperatur die Größe der ausgeschiedenen Partikel abnimmt und die Wirkung
der Ausscheidungen entsprechend zunimmt. Für den Fall, dass es sich hierbei tatsächlich
um Ausscheidungen handelt ist es beachtlich festzustellen, dass der Zeitpunkt des Aus-

80
Abbildung 58: Ausscheidungseffekt beim Spannungsrelaxationsversuch der Stahlsorte 1
für T = 1000¶ C und T = 800¶ C, Ï = 0, 3, Ï̇ = 1/s und D0 = 120 µm)
mit 1) Ausscheidungsbeginn, 2) Beginn der Ausscheidungsvergröberung
und 3) charakteristischer Buckel (vgl. Abbildungen 48)

scheidungsbeginns konstant über der Temperaturveränderung bei etwa 1-2 Sekunden lag
und demnach temperaturunabhängig war. Da die Ausscheidungskinetik der Mikrolegie-
rungselemente wesentlich von der Temperatur abhängt, können die beschriebenen Beob-
achtungen nicht als Ausscheidungen gewertet werden.
Bei der 1000¶ C-Kurve in Abbildung 58 ist weiterhin das Einsetzen der Rekristallisati-
on deutlich zu erkennen, wo die Entfestigung unterhalb des linearen Verlaufs der Erholung
fällt. Wohingegen der Entfestigungsverlauf der 800¶ C-Kurve linear über der kompletten
Relaxationszeit verläuft. Dies bestätigt den Vorteil der Methode gegenüber dem Dop-
pelschlagversuch, die einzelnen Entfestigungsmechanismen separieren zu können [Kar95].
Der Vorteil bzgl. der Separation der Rekristallisation von der Erholung besteht in der Tat-
sache, dass die Rekristallisation aufgrund der keimwachstumsbedingten Inkubationsphase
später einsetzt. Auf dieses Unterscheidungsmerkmal kann bei linearer Entfestigung nicht
zurückgegriffen werden, da diese neben Erholung und Kriechen auch unter Umständen
durch die Relaxation des Testsystems hervorgerufen werden kann.
Neben der Bestimmung der Rekristallisationskinetik kann mit dem Spannungsrelaxa-
tionsversuch auch die TN R abgeschätzt werden. Ein Vorgehen zur Bestimmung der TN R
mithilfe der Spannungsrelaxationsmethode ist in der Literatur nicht vorhanden. Es liegt

81
jedoch nahe, dass aufgrund des Rekristallisationsverhaltens als Funktion der Temperatur
eine Temperatur bestimmt werden kann, bei der eine signifikante Verlaufsänderung der
Relaxationskurve eintritt und die TN R damit anzeigt. In Abbildung 48 ist dies anhand
der signifikanten Verlaufsänderung zwischen der 925¶ C und der 950¶ C-Kurve zu erken-
nen. Diese Temperatureingrenzung bzgl. der TN R stimmt mit den Ergebnissen aus dem
Doppelschlagversuch überein, wo die TN R für eine Zwischenstichzeit von 15 Sekunden bei
935¶ C lag.
Aufgrund dessen, dass die Spannungsverläufe in Abbildung 48 aus der kombinierten
Versuchsdurchführung nach Abbildung 23 stammen, muss hierbei eine mögliche Ak-
kumulation der Spannung mitberücksichtigt werden, die innerhalb der zwei Stiche des
Doppelschlagversuches hätte entstehen können. In Abbildung 59 sind Spannungsrela-
xationskurven bei 950¶ C für den konventionellen Versuch nach Abbildung 23 und den
kombinierten Versuch nach Abbildung 24 dargestellt. Hierbei zeigt sich der Einfluss
der Verformung anhand von zwei Aspekten. Zum einen hat Kurve B eine höhere Aus-
gangsspannung und zum anderen ein deutlich ausgeprägteres Rekristallisationsverhalten.
Demnach könnte die mit der Spannungsrelaxationsmethode abgeschätzte TN R durch die
Spannungsakkumulation beeinflusst wiedergegeben worden sein. Dies trat umso ausge-
prägter auf, je niedriger die Entfestigungen zwischen den einzelnen Stichen im Doppel-
schlagversuch bei entsprechenden Temperaturen waren. Bei einer Temperatur von 950¶ C
zeigte der Doppelschlagversuch eine Entfestigung von etwa 25% auf.

Abbildung 59: Spannungsrelaxationskurven für den konventionellen Versuchsaufbau


nach Abbildung 23 (Kurve A) und für den kombinierten nach Ab-
bildung 24 (Kurve B), T = 950¶ C und Ï = 0, 3

82
Methodenvergleich

Aus dem Methodenvergleich geht hervor, dass beide Methoden vergleichbare Ergebnisse
liefern, jedoch systematische Unterschiede in dem Gesamtverlauf der Kinetik bestehen.
Weiterhin bestätigen die Ergebnisse des Vergleiches die bereits diskutierten Stärken und
Schwächen beider Methoden.
Bei 1000¶ C zeigen beide Methoden in Abbildung 51 eine überwiegend ähnliche Re-
kristallisationskinetik. Mit sinkender Temperatur in Abbildung 52 wird der Unterschied
in der Rekristallisationskinetik größer. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass der Unter-
schied überwiegend auf die zunehmende Auswertungsproblematik des Spannungsrelaxa-
tionsversuches bei sinkenden Temperaturen zurückzuführen ist. Weiterhin ist in Abbil-
dung 51 zu erkennen, dass der Doppelschlagversuch im Vergleich zum Spannungsrelaxa-
tionsversuch bei kleinen Zwischenstichzeiten höhere Rekristallisationsanteile liefert, was
womöglich ebenfalls auf die bereits diskutierte hohe Mitberücksichtigung der Erholung
zurückzuführen ist. Dies geht vor allem aus dem anfänglich linearen Spannungsverlauf
der Relaxationskurve hervor. Weiterhin setzt die Rekristallisation bei einer Restspannung
von etwa 70 MPa ein. Wird dies der Ausgangsspannung der Relaxation gegenübergestellt,
so wird deutlich, dass vor dem Einsetzen der Rekristallisation die Spannung um bereits
etwa 40% abgebaut wurde. Dieser Wert steht in einem deutlichen Widerspruch zu der
herrschenden Mehrheit in der Literatur, die von einer 20%-igen rein erholungsbehafteten
Entfestigung ausgeht. Einige Autoren merken jedoch auch 30%-ige Entfestigungswerte
durch Erholung an [Kar95]. Allerdings ist hierbei nicht auszuschließen, dass das Testsys-
tem sich mitrelaxiert und den Wert somit nach oben treibt.
Die in der Literatur thematisierte beschleunigte Wiedergabe der Rekristallisationski-
netik im Spannungsrelaxationsversuch konnte in dieser Arbeit bestätigt werden. In Ab-
bildung 60 ist dazu die Überwertung der Kinetik vergleichsweise dargestellt. Hier ist zu
erkennen, dass der Spannungsrelaxationsversuch die Kinetik erst bei hohen Zeiten oder
über dem kompletten Verlauf beschleunigt wiedergibt. Ähnliche Beobachtungen aus der
Literatur sind in Abbildung 61 gezeigt. Allerdings ist hierbei ein direkter Vergleich der
Ergebnisse nur bedingt sinnvoll, da es sich um eine stark abweichende Stahlgüte (C-Mn-
Stahl mit 1,42 Gew.-% Mn und 0,18 Gew.-% C) handelt, die aber eine ähnliche Tendenz
im Rekristallisationsverhalten aufzeigt. Diese Tendenz wird auch verformungsübergreifend
dahingehen bestätigt, als dass mit sinkendem Umformgrad die Kinetikbeschleunigung
des Spannungsrelaxationsversuches sich über die komplette Relaxationszeit verschiebt
(Abbildung 61b). Diese beschleunigte Kinetikwiedergabe ist eine viel diskutierte The-
matik in der Literatur, wozu es unterschiedliche Erklärungsansätze gibt [Ver10][Kar98].
Die Wesentlichen sind im Kapitel 2.4.3 bereits beschrieben worden.
Auffällig wird bei einem Umformgrad von 0,1 der Verlauf der rekristallisierten Anteile

83
Abbildung 60: Gegenüberstellung experimenteller Ergebnisse dieser Arbeit für a) Ï =
0, 3, Ï̇ = 1 s≠1 und T =950¶ C sowie b) Ï = 0, 1, Ï̇ = 1 s≠1 und
T =1175¶ C

Abbildung 61: Gegenüberstellung der Ergebnisse aus der Literatur für a) Ï = 0, 55, Ï̇ =
0, 1 s≠1 und T =900¶ C und b) Ï = 0, 2, Ï̇ = 0, 1 s≠1 und T =900¶ C
[Ble05]

aus der Spannungsrelaxation im Vergleich zu dem des Doppelschlagversuches. Es kommt


zu einer systematischen Überwertung der Rekristallisation über der Zeit (Abbildung
60b). Dieser Verlauf ist zwar ein typisches Ergebnis aus der Literatur, jedoch ist die
Überwertung in diesem Fall auf die Auswertung zurückzuführen, die ausgehend vom Span-
nungsverlauf nicht mehr sinnvoll erfolgen konnte. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass
der Spannungsrelaxationsversuch eine ausgeprägtere Sensibilität zum Umformgrad auf-
weist als der Doppelschlagversuch. Mit sinkendem Umformgrad gestaltet sich die bereits
ohnehin schon sehr anfällige und sensible Mess- und Auswertungsmethodik des Span-
nungsrelaxationsversuches als schwieriger, woraus schlussendlich keine vernünftigen Er-
gebnisse mehr abgeleitet werden können.

84
4.4 Spannungsakkumulation beim
Mehrfachdeformationsversuch
4.4.1 Partielle Entfestigung als Funktion des Umformgrades

Die Untersuchung der Spannungsakkumulation wurde mithilfe des Mehrfachdeformati-


onsversuches nach Kapitel 3.2.4 bewerkstelligt. Die Untersuchung zeigte auf, dass die
Spannung sich entlang des Stichplanes verformungsabhängig akkummulierte und dadurch
die Entfestigung anschließender Umformstiche beeinflusste. Dieser Effekt trat besonders
deutlich bei dem mittleren Umformgrad 0,2 auf.
In Abbildung 62 sind die Fließkurven aller Umformgrade der Versuchsvariante mit den
in der Zwischenstichzeit geschalteten Spannungsrelaxationsversuchen gegenübergestellt.
Eine Spannungsakkumulation ist hierbei vor allem bei den Umformgraden 0,1 und 0,2 zu
erkennen. Für den Umformgrad von 0,3 konnte keine Spannungsakkumulation festgestellt
werden, weil sich das Gefüge bereits nach einer Stichfolge stark entfestigt und somit nahezu
keine Restspannung im Gefüge verbleibt. Bei Ï = 0, 1 fand eine starke Akkumulation
zwischen dem ersten und zweiten Stich statt. Hierbei nahm die maximale Fließspannung

Abbildung 62: Gegenüberstellung der Fließkurven aller Umformgrade für einen belas-
tenden Zustand während der Zwischenstichzeit bei 1000¶ C

85
von 92 MPa im ersten Stich auf 116 MPa im zweiten Stich zu. Ähnliches war bei Ï = 0, 2
zu erkennen, wo die maximale Fließspannung von 116 MPa im ersten Stich auf 132 MPa
im zweiten Stich stieg. Das ist bei Ï = 0, 1 eine Steigerung von 26% und bei Ï = 0, 2 eine
Steigerung von knapp 14%. Im weiteren Verlauf nahm die maximale Fließspannung bei
einem Umformgrad von 0,1 konstant ab (92 MPaæ116 MPaæ119 Mpaæ115 MPaæ112
MPaæ108 MPa). Die zur Abbildung 62 entsprechenden partiellen Entfestigungen sind
für beide Versuchsvarianten in Tabelle 20 dargestellt.

Tabelle 20: Gegenüberstellung der partiellen Entfestigungen in [%] aus der Untersu-
chung der Spannungsakkumulation für einen belastungsfreien (100 N) und
einen belastenden Zustand in der Zwischenstichzeit. Die Auswertung wurde
mithilfe der 2% Offset Methode nach Focht bewerkstelligt [Foc94].

Entfestigung Umformgrad
¿ 0,1 0,2 0,3
Stichæ 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2. 1.
Ohne Belastung 19,16 20,19 37,57 29,65 46,70 37,5 72,19 70,14
Mit Belastung 20,94 20,41 39,17 38,19 43,30 30,01 77,88 70,69

Bei einem Umformgrad von 0,3 fand eine relativ hohe Entfestigung bereits nach dem ersten
Stich statt. Übereinstimmend zu den Ergebnissen aus Kapitel 4.2.1 lag die Entfestigung
(1000¶ C und Ï = 0, 3) bei etwa 70%. Weiterhin deuten die Ergebnisse aus den zwischen-
geschalteten Spannungsrelaxationsversuchen aus Abbildung 63c auf eine Zunahme der
Entfestigung nach dem zweiten Stich hin. Hier ist zu erkennen, dass der entsprechende
Relaxationsverlauf nach dem zweiten Stich auf eine ausgeprägtere Entfestigung als nach
dem 1. Stich hindeutet. Bei einem Umformgrad von 0,2 lag die Entfestigung ebenfalls
übereinstimmend zu den Ergebnissen aus Abbildung 36 bei etwa 30%. Eine vergleichs-
weise hohe Entfestigung trat erst nach dem zweiten Stich auf, wo diese einen Wert von 77%
erreichte. Nach dem dritten Stich deutet sich ein Entfestigungsrückgang in Abbildung
63b an. Hierbei erkennt man, dass die Ausgangsspannung und entsprechend der Entfes-
tigungsverlauf unterhalb des Niveaus des zweiten Stiches fallen. Bei einem Umformgrad
von 0,1 trat nach keinem der fünf Stiche eine vergleichsweise hohe Entfestigung auf. Nach
dem ersten Stich lag die Entfestigung leicht abweichend zu den Ergebnissen aus Abbil-
dung 36 bei etwa 20%. Nach dem zweiten Stich blieb das Entfestigungsniveau konstant,
gleichwohl sich die Spannung von 116 MPa auf 119 MPa weiter akkumulierte. Dieses Ent-
festigungsniveau stieg erst nach dem dritten Stich und hielt sich bei dem vierten und
fünften Stich bei etwa 39-43%. Die Kurvenverläufe der Relaxationsversuchen zeigen sich
in Abbildung 63a diesbezüglich nicht eindeutig und bestätigen die bereits thematisierte

86
Methodikcharakteristik des Spannungsrelaxationsversuches bei kleinen Umformgraden.

Abbildung 63: Spannungsverläufe aus den zwischengeschalteten Spannungsrelaxationen


für unterschiedliche Umformgrade (a = 0, 1, b = 0, 2 und c = 0, 3)

Einfluss des Spannungszustandes auf statisches Rekristallisationsverhalten

Der Vergleich beider Versuchsvarianten hinsichtlich Beeinflussung des Entfestigungsver-


haltens in der Zwischenstichzeit von 15 Sekunden ist in Abbildung 64 dargestellt.

Abbildung 64: Darstellung der Fließkurvenverläufe für einen belastungsfreien (100 N)


und einen belastenden Zustand in der Zwischenstichzeit für Ï = 0, 1 und
T=1000¶ C

87
Hieraus geht hervor, dass die partielle Entfestigung davon unberührt blieb. Die entspre-
chenden Entfestigungswerte können Tabelle 20 entnommen werden. Dabei liegen die
jeweiligen Entfestigungen für die zwei unterschiedlichen Versuchsvarianten auf einem ver-
gleichbaren Niveau. Der größte prozentuale Entfestigungsunterschied liegt bei etwa 8,5%
(Ï = 0, 1 nach dem 4. Stich).

4.4.2 Diskussion und Interpretation

Aus den Mehrfachdeformationsversuchen geht hervor, dass es verformungs- und tempera-


turabhängig zu einer maßgeblichen Akkumulation der Spannung entlang eines Stichplanes
kommt. Zur vollständigen Entfestigung muss die akkumulierte Spannung dabei einen kri-
tischen Wert erreichen. Diese Erkenntnis geht allgemein aus der Versuchsvariante mit den
zwischen den Stichen geschalteten Spannungsrelaxationsversuchen aus Abbildung 63
und speziell aus Abbildung 65 hervor.
In Abbildung 65 ist zu erkennen, dass das Einsetzen der Rekristallisation bei einer
bestimmten Temperatur von einer bestimmten Fließspannung im Gefüge und nicht vom
Umformgrad nur des einzelnen Stiches abhängt. Dies wird anhand zwei unterschiedlicher
Umformgrade gezeigt, deren Spannungen sich entlang des Stichplanes auf einen identi-
schen Wert akkumulierten (Abbildung 65a) und ein identisches Entfestigungsverhalten
(Abbildung 65b) hervorruften. Allerdings sind die nach der angepassten 2% Offset Me-
thode ausgewerteten Entfestigungswerte aus Tabelle 20 diesbezüglich unterschiedlich

Abbildung 65: a) Darstellung des äquivalenten Spannungsniveaus bei gleichem Ge-


samtumformgrad und unterschiedlicher Umformgrade (Ï = 0, 1 und
Ï = 0, 2) und b) entsprechende Relaxa- tionskurven beider Umform-
grade (Ï = 0, 1 und Ï = 0, 2)

88
(für Ï = 0, 1, F S ¥ 20% und Ï = 0, 2, F S ¥ 30%). Die Vermutung liegt jedoch nahe,
dass diese Abweichung durch den unterschiedlichen Bezug in der Streckgrenze der 2%
Offset Methode entsteht (vgl. Kapitel 3.2.4). Dabei wurde bei dem Umformgrad 0,2
konventionell ausgewertet und bei 0,1 Bezug auf den ersten Stich genommen.
Wird diese Erkenntnis aus Abbildung 65 den Umformgraden und den entsprechen-
den maximalen Fließspannungen nach einzelnen Stichen gegenübergestellt, so deutet sich
übereinstimmend zu den Entfestigungswerten aus Tabelle 20 ein stark abweichendes
Entfestigungsverhalten über mehreren Stichen an. In Abbildung 66 sind zwei Berei-
che gekennzeichnet, die eine qualitative Unterscheidung ermöglichen. Ausgehend von den
Entfestigungswerten aus Tabelle 20 sind den jeweiligen maximalen Fließspannungen Ent-
festigungsgrade zugeordnet. Es ist zu erkennen, dass es bei einer erreichten Spannung von
etwa 135 MPa zu einer hohen Entfestigung von mehr als 70% kommt. Bei Fließspannun-
gen unter 120 MPa werden Entfestigungsgrade von maximal 43% beobachtet. Deshalb
kommt es bei einem Umformgrad von 0,3 und einer erreichten Fließspannung von 138
MPa, nach bereits einer Stichfolge zu einer relativ hohen Entfestigung (FS=70%). Aus

Abbildung 66: Gegenüberstellung der Fließkurven aller Umformgrade für einen


belastenden Zustand während der Zwischenstichzeit bei 1000¶ C
und einer zusätzlichen spannungsspezifischen Bereichseinteilung zur
Entfestigungseinordnung

89
diesem Grund fand in diesem Gefüge nur geringfügig eine Spannungsakkumulation statt.
Bei einem Umformgrad von 0,2 und einer Fließspannung von 119 MPa führt die geringe
Entfestigung (FS=30%) der ersten Stichfolge zu einer 14%-igen Spannungsakkumulation.
Dies hat zur Folge, dass eine kritische Spannung von etwa 135 MPa erreicht und dadurch
eine starke Entfestigung in der zweiten Stichfolge hervorgerufen wird (FS=77%).
Bei einem Umformgrad von 0,1 akkumuliert sich die Spannung zwar maßgeblich zwi-
schen dem ersten und zweiten Stich auf, jedoch wird keine Fließspannung über 120 MPa
erreicht, wodurch es auch nach keinem Stich zu einer vergleichsweise hohen Entfestigung
im Gefüge kommt. Nach dem Erreichen der 120 MPa im dritten Stich nimmt die ma-
ximale Fließspannung sogar kontinuierlich auf 108 MPa ab. Es deutet sich an, dass die
Entfestigung aus der Zwischenstichzeit und die Verfestigung aus der Verformung sich in
einen Gleichgewicht einpendeln. In den ersten beiden Stichen kommt es aufgrund der ge-
ringen Entfestigung (jeweils etwa 20%) zu einem Übergewicht der Verfestigung, wodurch
die Spannung sich akkumuliert. Im dritten Stich wird aufgrund der akkumulierten Span-
nung eine Entfestigung von knapp 40% erreicht, wodurch anscheinend die Verfestigung
unterhalb das Niveau der Entfestigung fällt. Als Folge dessen findet keine Spannungs-
akkumulation im Gefüge mehr statt und die maximale Fließspannung nimmt ab. Dieser
Umstand wird nach jedem weiteren Stich beobachtet, in dem eine Entfestigung von etwa
40% vorgelegen hat.
Bei einem Umformgrad von 0.1 konnten in dieser Arbeit auffällig oft Entfestigungen
zwischen 20-40% festgestellt werden. Laut der Definition findet in diesem Fall in den
Gefügen eine Teilrekristallisierung statt. Diese Tatsache müsste mit metallographischen
Untersuchungen zur Verifizierung der Ergebnisse dieser Arbeit überprüft werden.

90
5 Zusammenfassung
Im Folgenden werden die wesentlichen Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit noch einmal
zusammenfassend dargestellt und kommentiert.

Vorversuche:

• Mit der Verwendung der ISO-T Stempel von D.S.I. und der Variation der ther-
mischen Widerstände (Graphitfolien) konnte der durchschnittliche Temperaturgra-
dient innerhalb der Probe von 47¶ C auf 12¶ C reduziert und infolgedessen die
Messgenauigkeit der Fließspannung verbessert werden.

• Die Untersuchung des Einspannsystems zeigte, dass bei Verwendung einer Diffusi-
onsbarriere (Tantalfolie) zwischen dem Schmiermittel (Graphitfolie) und der Probe,
der Reibungsanteil an den Kontaktflächen unverändert blieb und der Barreling-
Koeffizient im Rahmen der Messgültigkeit lag [Roe06]. Auf diese Weise gelang es,
die an den Rändern der Proben auftretenden und durch Kupferpaste oder Kohlen-
stoff verursachten Aufschmelzungen während der Austenitisierung zu verhindern.

Doppelschlagversuch:

• Die mit den 2% Offset und 5% True Strain Methoden ausgewerteten Fließkurven
zeigten übereinstimmend zu der herrschenden Meinung in der Literatur, vergleich-
bare Entfestigungen auf. Der Unterschied hierbei lag im Schnitt bei etwa 4%.

• Für beide untersuchten Stahlgüten konnte die TN R aus der partiellen Entfestigung
als Funktion der Temperatur abgeleitet werden. Dabei nahmen sowohl mit sinken-
dem Umformgrad als auch mit sinkender Temperatur die Entfestigungen ab. Bei
kleinen Umformgraden (Ï ¥ 0, 1) trat eine vollständige Entfestigung erst bei sehr
hohen Temperaturen (1175 ≠ 1200¶ C) auf.

• Die empirische Bestimmung der TN R nach Bai et al. lieferte vergleichbare Ergebnisse
zu den experimentellen Untersuchungen dieser Arbeit [Bai96]. Die durchschnittliche
Abweichung lag hierbei bei etwa 10¶ C.

• Die partielle Entfestigung als Funktion der Zeit nahm mit sinkendem Umformgrad
und sinkender Temperatur ab. Ein Vergleich des Rekristallisationsverhaltens un-
terschiedlicher Umformgrade zeigte, dass eine zum Umformgrad 0,3 vergleichbare
Rekristallisationsrate für einen Umformgrad von 0,1 etwa 150¶ C höher lag.

• Die Rekristallisations-Zeit-Kurven zeigen bei entsprechenden Versuchsparametern


(Ï = 0, 3 und T Æ 1000¶ C) Anzeichen einer Plateauausbildung an. Mit sinkender
Temperatur nimmt deren Ausprägung zu.

91
Spannungsrelaxationsversuch:

• Die Auswertung des Spannungsrelaxationsversuches nach dem Karjalainen-Ansatz


wurde mit sinkender Temperatur und sinkendem Umformgrad unpräziser und pro-
blematischer. Temperaturunabhängig war bei einem Umformgrad von 0,1 eine Aus-
wertung nur bedingt möglich.

• Mit dem Spannungsrelaxationsversuch ließen sich einzelne Entfestigungsmechanis-


men separieren und die Rekristallisationskinetik nur anhand eines Versuches bestim-
men.

• Aus den Ergebnissen des Spannungsrelaxationsversuches ging hervor, dass die Me-
thodik sich vorwiegend für Umformparameter eignet, bei denen ein vollständiges
Rekristallisationsverhalten zu erwarten ist.

Methodenvergleich:

• Beide Untersuchungsmethoden liefern vergleichbare Ergebnisse, gleichwohl systema-


tische und charakteristische Unterschiede in der Rekristallisationskinetik bestehen.

• Die in der Literatur thematisierte Beschleunigung der Rekristallisationskinetik im


Spannungsrelaxationsversuch konnte in dieser Arbeit bestätigt werden.

• Der Methodenvergleich deutete darauf hin, dass die aus dem Doppelschlagversuch
bestimmte Entfestigung im erheblichen Maße Erholung mitberücksichtigt und der
Spannungsrelaxationsversuch empfindlicher auf sinkende Umformgrade reagiert.

Mehrfachdeformationsversuch:

• Die Ergebnisse des Mehrfachdeformationsversuches zeigen, dass zum Einsetzen ei-


ner vollständigen Entfestigung durch Rekristallisation eine kritische Spannung im
Gefüge erreicht werden musste. Diese lag für Stahlsorte 1 und eine Temperatur von
1000¶ C bei etwa 135 MPa.

• Diese kritische Spannung wurde bei einem Umformgrad von 0,3 bereits nach ei-
nem Stich erreicht. Bei einem Umformgrad von 0,2 akkumulierte sich die Spannung
erst nach einer Stichfolge auf den kritischen Wert auf. Bei einem Umformgrad von
0,1 wurde diese kritische Spannung auch nach mehreren Stichfolgen nicht erreicht,
weshalb es entlang des Stichplanes zu keiner vollständigen Entfestigung kam.

92
6 Schlussfolgerung und Ausblick
Mit der vorliegenden Arbeit ist eine erfolgreiche Entwicklung der Untersuchungsmethodik
in der Dillinger Hütte gelungen. Sowohl der Doppelschlag- als auch der Spannungsrela-
xationsversuch können an der Gleeble 3800 für ein breites Parameterfeld verlässlich und
reproduzierbar durchgeführt werden. Mit den in dieser Arbeit behandelten Methoden
konnten zwei unterschiedliche Stahlgüten untersucht und plausibel charakterisiert wer-
den. Die Haupterkenntnisse dieser Methoden sind:

• Der Doppelschlagversuch ermöglicht durch seine einfache und vergleichsweise robus-


te Auswertung verlässliche Ergebnisse für einen weiten Bereich an Umformbedin-
gungen.

• Der Spannungsrelaxationsversuch ermöglicht aufgrund des teilweise schwer inter-


pretierbaren und temperaturabhängigen Spannungsverlaufes nur unter speziellen
Umformparameter verlässliche Ergebnisse.

• Mit dem Mehrfachdeformationsversuch können reale Stichpläne für den thermome-


chanischen Walzprozess simuliert und die Spannungsakkumulation über mehrere
Stiche untersucht werden.

Die Ergebnisse der Arbeit haben gezeigt, dass mit sinkenden Umformgraden die Intepre-
tation der Messungen zunehmend komplizierter wird. Es konnte deshalb nicht eindeutig
geklärt werden, ob bei hohen Temperaturen die hohen Entfestigungen durch Rekristalli-
sation oder Erholung hervorgerufen wurden. Ein Abgleich mit metallographischen Unter-
suchungen zur Charakterisierung des Rekristallisationsverhaltens scheint daher sinnvoll.
Zur vollständigen Abbildung realer Stichpläne sollten ebenfalls Flachstauch- oder Torsi-
onsversuche in Erwägung gezogen werden, da hier größere Gesamtumformgrade realisiert
werden können.

93
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98
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99
8 Anhang
Untersuchung Extrapolationsgenauigkeit
Eine Methode zur Modellierung und Extrapolierung von Fließkurven stellt die Hollomon-
Gleichung dar [Ble11]:
‡w = kH ÏnH (20)

In welcher ‡w die wahre Spannung, kH die Hollomon-Konstante, nH der Exponent der


Hollomon-Gleichung und Ï die wahre Dehnung sind. Erweitert man die Hollomon-Gleichung
um eine entsprechende Fließgrenze, so wird dann von der Ludwik-Gleichung gesprochen
[Ble11]:
‡w = ‡0 + kL ÏnL (21)

Wo ‡w die wahre Spannung, kL die Ludwik-Konstante, nL der Exponent der Ludwik-


Gleichung, ‡0 die Fließgrenze des Werkstoffes und Ï die wahre Dehnung sind.
Aufgrund der bestehenden Unsicherheiten bei der Extrapolation wird in dieser Arbeit
eine dritte Möglichkeit zur Extrapolation von Fließkurven untersucht. Die Hill-Gleichung
stellt einen disziplinfremden mathematischen Ansatz dar, mit welchem hyperbolische Kur-
venverläufe beschrieben werden können. In Anlehnung an die zu beschreibenden und er-
klärenden Variablen kann die Gleichung wie folgt wiedergegeben werden:

Ïn
‡w = Vmax (22)
k n + Ïn

In welcher ‡w als die wahre Spannung und Ï die wahre Dehnung deklariert werden können.
Die Variablen n, k und Vmax müssen dimensionslos angenommen werden.
Zur Untersuchung der Extrapolationsgenauigkeit wurden drei Proben bei 800¶ C, 950¶ C
und 1100¶ C mit einem Umformgrad von 0.6 verformt. Durch die hohe Verformung war
es möglich die Genauigkeit der Extrapolation anhand der Gleichungen 20, 21 und 22
über den versuchsrelevanten Verformungsbereich hinaus zu bewerten (Abbildung 67).
Die Messung der Extrapolationsgenauigkeit erfolgte in Abhängigkeit vom zu betrachten-
den Umformgrad. Für einen betrachtenden Umformgrad von z.B. 0.3 wurde entsprechend
im Bereich 0-0.3 extrapoliert und nur im Bereich 0.3-0.4 gemessen und gegenübergestellt
(Abbildung 67). Dies hängt damit zusammen, dass bei der Auswertung nach der 5%
True Strain Methode lediglich der Bereich nach einer zusätzlichen 5% Dehnung relevant
ist (vgl. Kapitel 2.4.2 und Abbildung 11). Im Rahmen der Messung wurde in den
entsprechenden Bereichen integriert und die Flächenabweichung der einzelnen Kurven
der Fließkurve prozentual gegenübergestellt. Aus den Untersuchungen der Extrapolati-
onsgenauigkeit ging hervor, dass die Extrapolation nach Hill (Gleichung 22) mit 98.7%
die im Schnitt größte Genauigkeit zum tatsächlichen Fließkurvenverlauf aufwies. Gefolgt

100
Abbildung 67: Untersuchungsvorgehen bei der Extrapolationsgenauigkeit, dargestellt
für die Untersuchung eines Umformgrades von Ï = 0.3

von der Extrapolation nach Ludwik mit 96.6% und Hollomon mit 94.67%. Lediglich bei
einer Temperatur von 1100¶ C und einem Umformgrad von 0.1 zeigte die Extrapolation
nach Ludwik eine höhere Genauigkeit, als die der Hill auf. Die einzelnen Abweichungen
sind diesbezüglich in Tabelle 21 zusammengetragen und deren Auswertung in den Ab-
bildungen 68 und 69 dargestellt.
Die Extrapolationsgenauigkeit nach Hill nahm temperaturabhängig und tendenziell mit
sinkendem Umformgrad ab. Die Genauigkeit verschlechterte sich im Durchschnitt von
99.74% bei einem Umformgrad von 0.3 auf 97.1% bei 0.1. Bei der mittleren Untersu-
chungstemperatur von 950¶ C wurde eine Unempfindlichkeit gegenüber dem Umformgrad
festgestellt.
Die Extrapolationen nach Hollomon (Gleichung 20) und Ludwik (Gleichung 21)
zeigten teilweise ähnliche Ausprägungen auf. So verhielten sich beide Extrapolationen
ebenfalls weniger empfindlich bei der mittleren Untersuchungstemperatur. Die Extrapo-
lationsgenauigkeit nach Ludwik nahm von 97.03% bei 0.3 auf 95.26% bei 0.1 ab. Auffällig
war ebenfalls, dass die Extrapolation nach Hollomon allgemein unempfindlich gegenüber
der Senkung des Umformgrades war. Hier nahm die Extrapolationsgenauigkeit von 95%
bei 0.3 auf 94.06% bei 0.1 ab.

101
Abbildung 68: Integration der Flächen im Bereich Ï = 0.3 æ 0.4 für a) die Fließkurve
der Stahlsorte 1 und b) die Hill Extrapolation

Abbildung 69: Integration der Flächen im Bereich Ï = 0.3 æ 0.4 für a) die Hollomon
Extrapolation und b) die Ludwik Extrapolation

Tabelle 21: Zusammentragung der Extrapolationsabweichungen in [%]

Temperatur Hill Ludwik Hollomon


¿ Ïæ 0.1 0.2 0.3 0.1 0.2 0.3 0.1 0.2 0.3
1100¶ C 3.60 1.57 0.10 2.51 1.68 2.60 5.73 3.96 4.61
950¶ C 0.50 0.40 0.63 3.70 1.30 2.55 2.30 3.11 3.36
800¶ C 4.60 0.60 0.04 8.02 4.50 3.75 9.80 8.04 7.03
Øæ 2.90 0.74 0.26 4.74 2.49 2.97 5.94 5.04 5.00

102

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