Sie sind auf Seite 1von 3

Fragestellung: Warum sind Raum und Zeit letztlich für Kant ideal und nicht real?

Und wie
verknüpft sich diese Annahme mit Kants Konzeption synthetischer Urteile a priori?

Die von Kant behauptete Idealität von Raum und Zeit ist Voraussetzung synthetischer
Urteile a priori.1 Die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori – bzw. die Bedingungen der
Möglichkeit – ist zentraler Untersuchungsgegenstand der Kritik der reinen Vernunft. Damit ist
die Behauptung der Idealität von Raum und Zeit ein zentrales Momentum in der Kritik der
reinen Vernunft; sie soll im Folgenden erläutert werden, ebenso wie nachvollzogen werden
soll, weshalb die Idealität von Raum und Zeit Voraussetzung synthetischer Urteile a priori ist.

Raum und Zeit sind Kant zufolge Begriffe a priori. Ihre Apriorizität zeigt sich in der
Unausdenkbarkeit ihres Nichtseins. In Bezug auf den Raum erläutert Kant dies, indem er
anführt, dass von Gegenständen zwar jede Eigenschaft abstrahiert werden könne, der Raum
hingegen, den der (gedachte) Gegenstand eingenommenen hat, bleibe unweigerlich erhalten.
Er sei unausdenkbar, also notwendig und mithin a priori. Ohne die Vorstellung des Raumes
könnten Menschen die Dinge gar nicht als äußere wahrnehmen. Die Tatsache, dass sie aber als
solche erscheinen, führt Kant darauf zurück, dass der Raum als Vorstellung in der
menschlichen Wahrnehmung vorausgesetzt ist. Ebenso verhalte es sich mit der Zeit: die Dinge
könnten den Menschen notwendigerweise nur in der Zeit erscheinen. Das Zugleich- oder
Nacheinandersein manifestiere sich in der menschlichen Wahrnehmung und könne nicht
„weggenommen“ werden. Die Erscheinungen ließen sich zwar aus der Zeit hinweg denken,
jene aber nicht aus den Erscheinungen. Weil die Rezeptivität des Subjekts – das ist die
Fähigkeit von Gegenständen affiziert zu werden – notwendigerweise aller Anschauung dieser
Objekte vorhergehe, sei die Form aller Erscheinungen vor allen wirklichen Wahrnehmungen.2
Wenn die Anschauung aber den Objekten selbst vorhergeht, muss sie im Subjekt angetroffen
werden, nämlich als formale Beschaffenheit des Subjekts von Gegenständen affiziert zu
werden. Raum und Zeit sind den Dingen also nicht inhärent. Vielmehr handele es sich bei
Raum und Zeit um Anschauungsformen: der Raum in Bezug auf äußere Erscheinungen
(äußere Anschauung) und die Zeit in Bezug auf uns selbst und unseren inneren Zustand
(innere Anschauung).3
Aus dieser Feststellung folgert Kant die transzendentale Idealität von Raum und Zeit.

1
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. Nach der 1. und 2. Original-Ausgabe hrsg. von Jens Timmermann,
mit einer Bibliogr. von Heiner Klemme, Hamburg 1998 (im Folgenden: KrV), B 56.
2
Kant, KrV, B 41.
3
Kant, KrV, A 38

1
Raum und Zeit existieren nicht losgelöst von den Betrachtungen der Menschen. Als
Anschauungsformen sind sie vielmehr an die Rezeptivität bzw. die Vorstellungen des Subjekts
geknüpft und deshalb ideal. Raum und Zeit sind nämlich nicht die Bedingung der Möglichkeit
der Sachen selbst, wohl aber ihrer Erscheinung (für den Menschen).4 Weil Raum und Zeit
Bedingungen der Möglichkeit der Erscheinungen sind – und zwar für alle menschlichen
Wesen – kommt ihnen aber empirische Realität zu. Denn der Umstand, dass Raum und Zeit
die Anschauungsformen aller Menschen schlechthin sind, führt dazu, dass Raum und Zeit in
der (menschlichen) Erfahrung wirklich sind.5 Allein, absolute Realität vermag Raum und Zeit
nicht zuzukommen, als sie Wirklichkeit nur als Vorstellungen haben. Absolute Realität wäre
gegeben, wenn Raum und Zeit in der Sphäre der Dinge an sich angetroffen würden. Dies ist
aber gerade nicht der Fall, weil sie „lediglich“ die besondere Beschaffenheit der Anschauung
durch das (menschliche) Subjekt sind. Raum und Zeit können empirisch zwar erfahren
werden, sind selbst aber nicht empirisch. Als sinnliche Anschauungsformen der Menschen
sind sie der Realität vorgelagert. Sie sind Formen der Anschauung durch den Menschen – also
an dessen Vorstellungen gebunden – und damit ideal. Aus ihrer „Nicht-Empirizität“ folgt, dass
sie rein sind – nämlich reine Formen der Anschauung. Hierin liegt nun auch Kants
Behauptung begründet, die transzendentale Idealität von Raum und Zeit sei Voraussetzung für
(die Möglichkeit) synthetische(r) Urteile a priori; nämlich, dass es reine Anschauung gibt und
zwar in Form von Raum und Zeit.
Synthetische Urteile sind Erweiterungsurteile. In Abgrenzung zu analytischen Urteilen
wird bei synthetischen Urteilen die Verknüpfung von Subjekt und Prädikat nicht durch
Identität – also durch (bloße) Auseinandersetzung der Begriffe – erreicht. Vielmehr wird mit
synthetischen Urteilen ein Prädikat einem Subjekt zugeordnet, ohne dass dieses bereits in dem
Subjekt angelegt ist.6 Wenn aber über den Begriff hinausgegangen werden soll, ohne aus dem
Begriff selbst zu schließen, muss zur Verstandesleistung der Begriffsauseinandersetzung
etwas hinzutreten: das ist Anschauung. Wenn das Erweiterungsurteil zudem a priori sein soll,
muss die Apriorizität der Anschauung gewährleistet sein – sie muss „rein“ sein. Deshalb ist
die Reinheit der Anschauungsformen Raum und Zeit Voraussetzung für die Möglichkeit
synthetischer Urteile a priori.

Synthetische Urteile führen zu einer Erweiterung, die über den Begriff hinausgeht. Die
Erweiterung ist also gerade nicht in dem Begriff vorausgesetzt. Wenn Erweiterungsurteile

4
Kant, KrV, A 34.
5
Kant, KrV, B 52.
6
Kant, KrV, B 11.

2
möglich sind, muss also etwas zur Begriffsauseinandersetzung hinzutreten. Beispielsweise
Erfahrung, aus der synthetische Erkenntnisse gewonnen werden können. Ist aber nach der
Möglichkeit synthetischer Urteile a priori gefragt, so kann Erfahrung nicht als Quelle dienen.
Dann muss die Quelle der Erweiterung ihrerseits apriorisch sein. Genau das aber leisten Raum
und Zeit als reine Formen der Anschauung. Ihre Reinheit folgt aus ihrer transzendentalen
Idealität. Also ist die transzendentale Idealität von Raum und Zeit Voraussetzung für die
Möglichkeit synthetischer Urteile a priori.

Das könnte Ihnen auch gefallen