Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
TEXTGEREDE
Interferenzen Von Mündlichkeit
und Schriftlichkeit in der
Gegenwartsliteratur
Wilhelm Fink
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
Wenn die Schrift gehört gehört
Fingierte Mündlichkeit und inszenierte Schriftlichkeit am Beispiel des
Textgenres Slam Poetry
Eva Fauner
Wenn die Schrift gehört gehört, entstehen hybride Textgenres, die zwischen
Stimme und Schrift changieren, auf Redetexten basieren und Textreden
evozieren. Ein solch hybrides literarisches Genre zwischen Prosa, Lyrik und
Dramatik ist jenes der Slam Poetry. Bei Slam Poetry handelt es sich um Kurz-
texte, die schriftlich verfasst und mündlich vermittelt werden. Slam Poetry
wird bei Poetry Slams vorgetragen, die nach Prinzipien der Eventkultur funkti-
onieren und sich mittlerweile als ein konstitutiver Bereich der Literaturszene
etabliert haben. Poetry Slams rekurrieren auf die Idee des mittelalterlichen
Dichterwettstreits und erleben seit den 1980er Jahren ausgehend von den USA
eine Konjunktur auch im deutschsprachigen literarischen Feld. Mittlerweile
stellt die deutschsprachige Poetry-Slam-Szene nach der englischsprachigen
die zweitgrößte dar und hat sich von einer selbstorganisierten Randerschei-
nung zu einem institutionalisierten Format innerhalb des Literaturbetriebs
entwickelt, das die Grenzen zwischen so genannter high- und low-culture
verschwimmen lässt. Vielerorts finden die Poetry Slams in monatlichen Ab-
ständen statt, zusätzlich werden nationale und internationale Meisterschaften
veranstaltet. Ein Poetry Slam folgt klaren Regeln: Slam-Poeten und -Poetinnen
tragen selbst verfasste Texte vor, die maximal fünf Minuten dauern. Requisiten
und Kostüme sind nicht erlaubt. Die Aufführung darf kein reines Gesangsstück
sein, sondern muss hauptsächlich aus dem gesprochenen Wort bestehen, das
es durch Mimik und Gestik wirkungsmächtig zu inszenieren gilt. Die Bewer-
tung der Performance erfolgt durch eine Publikumsjury.1
Im Folgenden soll es aber nicht um das Veranstaltungsformat des Poetry
Slams gehen, sondern um die ästhetischen Verfahren der Slam Poetry, die aus
diesem Format resultieren und wiederum darauf einwirken. So widmet sich
der vorliegende Beitrag ausgewählten poetologischen und poetischen Aspek-
ten der Slam Poetry, die insbesondere das intrinsische Verhältnis von Stimme
und Schrift betreffen. In einem ersten Schritt werden den medialen Bedingun-
gen entsprechende texttypologische Merkmale von Slam Poetry als Subgenre
der Gattung ›Akustische Literatur‹ skizziert. Der zweite Abschnitt schlägt
1 Vgl. Petra Anders: Slam Poetry: Inszenierte Bühnen-Poesie. Berlin 2007, S. 1–4. http://www.
slam2007.de/slam/docs/SlamPoetry.pdf [Stand: 2.6.2017].
2 Vgl. Rüdiger Zymner: Texttypen und Schreibweisen. In: Thomas Anz (Hg.): Handbuch Litera-
turwissenschaft. Bd 1: Gegenstände und Grundbegriffe. Stuttgart, Weimar 2007, S. 25–80, hier
S. 74–77.
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
Wenn die Schrift gehört gehört 163
3 Ebd., S. 77.
4 Anders: Inszenierte Bühnen-Poesie, S. 1.
5 Zur Etablierung eines literarischen Genres ›Akustische Literatur‹ vgl. Klaus Schöning: Akus-
tische Literatur: Gegenstand der Literaturwissenschaft? In: Rundfunk und Fernsehen 27
(1979), S. 464–475; Reinhard Döhl: Akustische Literatur als Gattung. 28.10.1987. http://doehl.
netzliteratur.net/mirror_uni/hspljapan.htm [Stand: 2.6.2017] und Eva Fauner (ehem. Gru-
ber): Stimme und Schrift. Studien zur Akustischen Literatur am Beispiel von Friederike
Mayröcker. Masterarbeit. Graz 2011.
6 Natalie Binczek: Einen Text ›zu umschneiden und von seiner Unterlage abzupräparieren‹.
Elfriede Jelineks »Moosbrugger will nichts von sich wissen«. In: Natalie Binczek/Cornelia
Epping-Jäger (Hg.): Das Hörbuch. Praktiken audioliteralen Schreibens und Verstehens. Mün-
chen 2014, S. 158–177, hier S. 172–173 und S. 177.
7 Dieter Mersch: Transmediale Strategien im Ästhetischen. Das Literarische und sein Anderes.
In: David Bathrick/Heinz-Peter Preußer (Hg.): Literatur inter- und transmedial. Inter- and
Transmedial Literature. Amsterdam, New York 2012, S. 89–111, hier S. 92.
8 Ebd., S. 89.
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
164 Eva Fauner
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
Wenn die Schrift gehört gehört 165
Schreibweise der Slam Poetry greift die technische Aufzeichnungs- und Wie-
dergabefunktion des Phonographen ästhetisch auf und integriert sie in den
Schreibprozess. Diese Aufnahme- und Wiedergabefunktion kann mit einer
Schreibtechnik analogisiert werden, die im Hinblick auf den lauten Textvor-
trag angewandt wird. Durch die Schreibtechnik der Slam Poetry kommen
lautstilistische, rhetorische und performative Mittel derart zum Einsatz, dass
mündlich-stimmliche Qualitäten des Sprachgebrauchs in den Schrifttext im-
plementiert werden – dies wird unter dem Terminus ›fingierte Mündlichkeit‹
subsummiert. Umgekehrt verweist die Textperformance auf der Bühne auf
Merkmale der schriftlichen Textproduktion – dafür steht das Schlagwort ›in-
szenierte Schriftlichkeit‹. Insofern ereignet sich Slam Poetry in einem Span-
nungsfeld von fingierter Mündlichkeit und inszenierter Schriftlichkeit. In
diesem Spannungsfeld entstehen hybride Textformen, die die medialen und
konzeptionellen Eigenschaften von Stimme und Schrift permanent durch-
kreuzen, wie dies bei avancierten Ausprägungen der Slam Poetry der Fall ist.
Mit Uwe Wirth lässt sich diese als »weiche Intermedialität« des Typs »konzep-
tionelle Übertragung« klassifizieren, was die »Grundlage poetologischer Pro-
gramme«11 darstellt: Die den akustischen Medien inhärenten Wirkungsweisen
bleiben konzeptionell erhalten, wodurch die visuellen medialen Eigenschaf-
ten der Schrift modifiziert werden.
Die schriftstimmliche Hybridität der Slam Poetry basiert darauf, dass ein
explizit zum mündlichen Vortrag bestimmter Text schriftlich konstruiert
wird. Die linear verlaufende Irreversibilität der akustischen Rezeption steht
in einem Spannungsverhältnis zur schriftlichen Produktion eines Textes. Ein
schriftlicher Text zeichnet sich dadurch aus, dass er strukturierbar, reflektier-
bar und korrigierbar ist, bevor er zur Rezeption freigegeben wird. Der expo-
nierte Konstruktionscharakter stellt ein zentrales Charakteristikum von Slam
Poetry dar: Ihre auf Unmittelbarkeit, Originalität, Esprit und Rasanz bauende
Performanz entspringt einer schriftlichen Konzeption, die Raum für Sprach-
spielkonstruktionen gibt, um klangtechnische Wirkungsweisen von Sprache
bestmöglich im Text zu installieren. Mit Ludwig Jäger lässt sich eine solche
»audioliterale«12 Konstruktion als »Form des Schreibens im strengen Sinne«13
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
166 Eva Fauner
Der Begriff ›Rhythmus‹ leitet sich vom griechischen ›rhein‹ = ›fließen‹ ab und
bedeutet »eine nach einem Zeitmaß geregelte Bewegung oder Abfolge […]
von Elementen« bzw. »eine strukturierte Folge innerhalb definierter Zeiträu-
me«.15 Diese sehr weit gefasste Rhythmusdefinition ermöglicht, Rhythmus als
landläufig musikalisch verstandenes Prinzip auch auf nicht-musikalische Me-
dien zu beziehen. In diesem Sinne erachtet Michael Lommel Rhythmus als
»intermodale Kategorie«, die »[…] mehrere Sinne durchqueren und dabei je
eigene Rhythmus-Formen generieren [kann; EF], ohne zwangsläufig Medien
zu kombinieren«.16 Diese Auffassung korreliert mit dem »weichen Intermedi-
alitätsbegriff«,17 dem nicht die Kombination zweier unterschiedlicher Medi-
en, sondern die Imitation bzw. Transformation konzeptioneller Eigenschaften
eines Mediums in einem anderen zugrunde liegen. In Bezug auf die Sprache
bedeutet das, dass sich Sprachrhythmus nicht nur in der Linearität des laut-
lichen Sprechens manifestiert. Auch ein Schrifttext kann durch den Einsatz
graphischer, metrischer und rhetorischer Stilmittel so aufgebaut sein, dass
rhythmische Strukturen ein konstitutives Merkmal darstellen. Sprachrhythmus
ist ein suprasegmentales Merkmal von Äußerungen, das sich in der Phonematik,
14 Ebd., S. 245.
15 Michael Lommel: Der Rhythmus als intermodale Kategorie. In: Joachim Paech/Jens
Schröter (Hg.): Intermedialität analog – digital. Theorien – Methoden – Analysen. Mün-
chen 2008, S. 79–89, hier S. 80.
16 Ebd., S. 83.
17 Wirth: Intermedialität, S. 119.
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
Wenn die Schrift gehört gehört 167
der Syntax, der Interpunktion, der Lexik und vielen weiteren sprachlichen
Momenten manifestiert, die schließlich die Semantik einer sprachlichen Äu-
ßerung präfigurieren. In Bezug auf die Sprechsprache organisiert der Sprach-
rhythmus die prosodischen Komponenten Akzent, Intonation, Tempo und
Zäsur. Sprachrhythmus lässt sich nicht auf formale Aspekte reduzieren, die das
metrische Schema eines Textes definieren. Vielmehr ist der Sprachrhythmus
ein bedeutungsgenerierendes Gliederungsprinzip, das zwischen Form und
Sinn angesiedelt ist.18
Texte, die im Fokus rhythmischer Effekte stehen, reizen die prosodi-
schen Gegebenheiten der Sprache in besonderem Maße aus und koppeln
die Differenzierung zwischen betonten und unbetonten Sequenzen an den
inhaltlichen Aussagewert. Der Sprachrhythmus stellt somit ein zentrales Klas-
sifikationsmerkmal phonographischer Schreibweisen dar und basiert auf
Techniken der Repetition und der Variation. Sprachliche Wiederholungs- und
Abwandlungsformen durchziehen einen auf Sprachrhythmus ausgelegten
Text von der Mikro- bis zur Makroebene und betreffen somit die Anordnung
und Gestaltung von Silben, Wörtern, Sätzen und Absätzen.
Es ist unter anderem die metasprachliche Omnipräsenz des Sprachrhyth-
mus, die eine Analyse von Slam Poetry vor Herausforderungen stellt. Akzen-
tuierung, Tempo, Atmung, Zäsuren – all diese Koordinaten der Sprechkunst
stehen letztlich mit dem Sprachrhythmus in Verbindung. In Kombination
mit der medientheoretischen Komplexität von Slam Poetry schlägt sich das
schwer fassbare Phänomen des Sprachrhythmus in nach wie vor ungelösten
Analyseproblematiken nieder. So verwundert es nicht, dass die Notwendigkeit
eines adäquaten Analyseinstrumentariums in der einschlägigen Forschungs-
literatur (auch jüngeren Datums) als Desiderat formuliert ist.19 Auch wenn
die Auffassung, Akustische Literatur sei lediglich der Überbegriff für eine
Literatur beliebigen Inhalts, die nicht geschrieben und gelesen, sondern ge-
sprochen und gehört wird,20 weitgehend eliminiert werden konnte, existieren
18 Vgl. Magdalena Maria Jezek: Rhythmus und Sprache. Zusammenhänge und gegenseitige
Beeinflussung von musikalischem und sprachlichem Rhythmus. Wien 2011, hier S. 10–13;
Hans Lösener: Der Rhythmus in der Rede. Linguistische und literaturwissenschaftliche
Aspekte des Sprachrhythmus. Tübingen 1999, S. 143.
19 Zu den »Herausforderungen einer literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit
Slam Poetry« vgl. Franziska Holzheimer: Strategien des Authentischen. Herausforderun-
gen einer literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Literatur sekundärer Ora-
lität am Beispiel von Slam Poetry. Paderborn 2014, S. 11–24.
20 Vgl. Armin Schäfer: Unterwegs zur akustischen Literatur: Karl Kraus. In: Natalie Binczek/
Cornelia Epping-Jäger (Hg.): Das Hörbuch. Praktiken audioliteralen Schreibens und Ver-
stehens. München 2014, S. 117–136, hier S. 117.
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
168 Eva Fauner
dennoch hauptsächlich Analysen, die sich entweder mit dem Lesetext oder
mit dem Hörtext auseinandersetzen. Solche Analysen müssen als fragmen-
tarisch gewertet werden, weil dadurch der »bimedialen Verfasstheit«21 als
zentrales Charakteristikum Akustischer Literatur nicht Rechnung getragen
wird.
Die Aufgabe einer genregerechten Analyse besteht darin, die sich unter-
schiedlicher Instrumentarien bedienenden Einzelanalysen miteinander zu
verknüpfen und ineinandergreifen zu lassen. Eine erfolgreiche Durchfüh-
rung dieser analytischen Verknüpfung soll gleichzeitig die Tragfähigkeit der
erläuterten theoretischen Konzepte verifizieren, die von jener intrinsischen
Verbindung zwischen Stimme und Schrift ausgehen. Den Ausgangspunkt für
diese Verbindung bildet die paramediale Rahmung.22 Uwe Wirth erläutert den
Begriff der »Paramedialität« als »ein Ensemble von Rahmungsverfahren für
Prozesse medialer transkriptiver Bearbeitung […], die von einem schriftlichen
oder mündlichen textuellen Rahmen aus protokolliert, kommentiert und re-
flektiert werden«.23 Bei der Analyse gilt es zu beachten, dass bei aller Medien-
koexistenz gerade die Medienkonkurrenz ein produktives Spannungsfeld für
die Genese Akustischer Literatur induziert. Wenngleich Begriffe wie Inter- und
Transmedialität dem theoretischen Gattungsprinzip Rechnung tragen, bedarf
es in analytischer Hinsicht einer Mediendifferenz, die – wie auch Sybille Krä-
mer ausführt – kategorial trennt, was phänomenal zusammenhängt.24 Die
materiell wahrnehmbare Basis der bimedialen Verfasstheit selbst basiert para-
doxerweise auf dem mediendifferenzierenden (Ideal der) bimedialen Edition.
Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich diese Publikations-
form, deren prominenteste Variante jene des ›Buch+CD‹ ist, dem produktiven
Vorgang akustisch-visueller Texttransformationen verdankt. In diesen beiden
materiell greifbaren Medien manifestiert sich ein prozessuales Textkontinu-
um, das auf permanenten Verweismechanismen basiert.
21 Binczek: Einen Text ›zu umschneiden und von seiner Unterlage abzupräparieren‹, S. 172–
173 und S. 177.
22 Zur Entwicklung des Analysetools der ›paramedialen Rahmung‹ siehe den instruktiven
Aufsatz von Wirth: Akustische Paratextualität, akustische Paramedialität.
23 Ebd., S. 222.
24 Zum methodischen Umgang mit Mediendifferenz bei gleichzeitiger Medieninterferenz
vgl. Sybille Krämer: Sprache, Stimme, Schrift. Zur impliziten Bildlichkeit sprachlicher
Medien. In: Arnulf Deppermann/Angelika Linke (Hg.): Sprache intermedial. Stimme und
Schrift, Bild und Ton. Berlin, New York 2010, S. 13–28, hier S. 13.
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
Wenn die Schrift gehört gehört 169
25 Mieze Medusa/Markus Köhle (Hg.): Ping Pong Poetry. Die neuen besten Slamtexte. Mit
CD. Wien 2013.
26 Markus Köhle: Markus Köhle – Sprachinstallateur. http://www.autohr.at/ [Stand:
2.6.2017].
27 Zu den folgenden Zitaten siehe Christa Eder: Markus Köhle über Poesie. Die Sogwirkung
der Wörter. 17.2.2012. http://oe1.orf.at/artikel/298126 [Stand: 2.6.2017].
28 Ebd.
29 Ebd.
30 Ebd.
31 Ebd.
32 Köhle: Sprachinstallateur (Homepage).
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
170 Eva Fauner
entstehen Texte, denen ihre Analyse partiell eingeschrieben ist, der wiederum
das Literarische innewohnt.
Ping-Pong-Poetry ist ein Sammelband, in dem Markus Köhle und Doris Mit-
terbacher alias Mieze Medusa ihre – wie der Untertitel verlautet – neuen besten
Slamtexte als Buch mit CD veröffentlichen. Köhles Text Anstelle eines Vorwor-
tes33 ist ein Beispiel für die soeben skizzierte selbstreferenzielle Schreibpra-
xis. In der für Slam Poetry spezifischen Form und Ausdrucksweise werden auf
Inhaltsebene genretypische Merkmale vermittelt: Slam Poetry »klopft die
Sprache auf ihren Rhythmus ab«, »baut auf Wiederholungen«, »spielt mit
Worten«, »experimentiert mit Formen«, »horcht tief ins Wortinnere« und
erzeugt dadurch »einen eigenen Sound« (AeV 17–18). Diese hybride Textform
»ist nicht Lyrik, nicht Prosa, nicht Theater« (AeV 17) und entzieht sich insofern
einer klassischen Gattungszuordnung und dem dazugehörigen Analyseinstru-
mentarium. Sie enthält metrische und rhetorische Figuren, wie sie für Lyrik
charakteristisch sind, zählt aber auch zur Erzählprosa in ungebundener Spra-
che, die »[…] vom Vortrag [lebt; EF]« (AeV 17). Daraus folgt: »Slam Poetry muss
gehört werden. Slam Poetry muss gelesen werden« (AeV 17).34
Wie weiter oben erwähnt ist Rhythmus das konstitutive Merkmal der Slam
Poetry. Ausgangspunkte für eine sprachrhythmische Analyse sind die Mittel
der Repetition und der Variation. Im Folgenden wird der Slamtext Sprecht!35
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
Wenn die Schrift gehört gehört 171
Ähnlich verhält es sich mit dem Wort »Satz«, das im Satz »Ich bin ein Satz-
Satz-Satz-Satz-Repetier-Repetier.« (Spr. 14; Min. 00:51–00:55) vier Mal hin-
tereinander in steigernder Schriftgröße wiederholt wird.37 Form und Inhalt
dieses Satzes stehen selbstreferenziell und performativ für die Programma-
tik des Textes und exponieren die Eindringlichkeit der Wiederholung und/
als Rhythmisierung. Die semantische Ebene dieses Satzes findet sein Pendant
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
172 Eva Fauner
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
Wenn die Schrift gehört gehört 173
Die erklingende Stimme als »so etwas wie der archimedische Punkt«42 von
Akustischer Literatur im Allgemeinen und Slam Poetry im Besonderen bedient
semiotisch betrachtet drei Zeichenkategorien: Als verbales Zeichen korreliert
die Stimme mit dem Zeichensystem ›Sprache‹; als paraverbales Zeichen kann
sie dieses durch Idiolekt, Dialekt und Intonation affirmieren, unterminieren
oder auch konterkarieren; als nonverbales Zeichen in Form von Schluchzen,
41 Dieser Ausgangspunkt rekurriert auf ein Diktum Paul Zumthors, das er in seinem pro-
grammatischen Aufsatz Körper und Performanz formuliert: »Wenn der geschriebene Text
Stimme wird, wandelt er sich grundlegend.« Siehe Paul Zumthor: Körper und Perfor-
manz. In: Hans Ulrich Gumbrecht/K. Ludwig Pfeiffer (Hg.): Materialität der Kommunika-
tion. Frankfurt am Main 1988, S. 703–713, hier S. 708–709.
42 Werner Klippert: Elemente des Hörspiels. Stuttgart 1977, S. 11.
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
174 Eva Fauner
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
Wenn die Schrift gehört gehört 175
50 Gernot Böhme: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt am Main 1995, S. 93.
51 Vgl. Cornelia Epping-Jäger: Stimmwerkzeuge. In: Natalie Binczek/Till Dembeck/Jörgen
Schäfer (Hg.): Handbuch Medien der Literatur. Berlin, Boston 2013, S. 79–98, hier S. 80.
52 Dieser Ansatz greift ein von Ines Bose formuliertes Desiderat auf: »Insbesondere sind die
zahlreichen geisteswissenschaftlichen Perspektiven, aus denen Stimme und stimmlich-
artikulatorischer Ausdruck aktuell thematisiert wird, zu berücksichtigen und miteinan-
der in Beziehung zu bringen«. Ines Bose: Stimmlich-artikulatorischer Ausdruck in der
Sprache. In: Arnulf Deppermann/Angelika Linke (Hg.): Sprache intermedial. Stimme und
Schrift, Bild und Ton. Berlin, New York 2010, S. 29–68, hier S. 60.
53 Vgl. ebd., S. 29 und S. 36 sowie Eva-Maria Krech u.a.: Sprechwirkung. Grundfragen, Metho-
den und Ergebnisse ihrer Erforschung. Berlin 1991. Siehe insbesondere das von Eva-Maria
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
176 Eva Fauner
dem Texttyp und -genre in Verbindung, in dem der Sprechakt artikuliert wird.
Wenngleich Rhetorik, Phonetik, Sprechwissenschaft und ähnliche Diszipli-
nen, die mit einem anatomisch-physiologischen Stimmbegriff operieren, den
stimmlich-artikulatorischen Ausdruck zu beschreiben vermögen, lassen sich
die auditiven Perzeptionsvorgänge empirisch nur sehr schwer fassen. Die
Wahrnehmung des flüchtigen Klangereignisses ist ein komplexer Prozess,
der sich nicht immer in einzelne Komponenten aufschlüsseln lässt, aber trotz
aller Komplexität seiner Genese einen relativ klaren Gesamteindruck bei den
Rezipienten und Rezipientinnen evoziert.54 So sei abschließend noch einmal
auf den akustischen Gesamteindruck verwiesen, den der Sprach- und Sprech-
künstler Markus Köhle hinterlässt: Sein Slam-Poetry-Sprechstil zeichnet sich
durch eine schnelle Sprechgeschwindigkeit, eine starke Akzentuierung und
eine präzise Artikulation aus. Einen zentralen Stellenwert nimmt der Sprech-
rhythmus ein, indem er durch starke Akzentsetzungen hervorgestrichen
wird.55
Zusammenfassung
Am Beispiel des Genres Slam Poetry wurde gezeigt, wie Interferenzen zwi-
schen Mündlichkeit und Schriftlichkeit als poetische Strategien für literarische
Textpraxen fruchtbar gemacht werden können. Sie generieren eine Akustische
Literatur, die auf dem systemhaften Zusammenhang zwischen Sprache und
Klanglichkeit und der thematisch-strukturellen Verarbeitung von Lauter-
eignissen beruht. Es entsteht ein bimediales Geflecht aus Schrifttext und
Hörtext. Der Schrifttext fingiert Stimme und Klang im Medium der Schrift,
die das Klangereignis imitiert, reflektiert und antizipiert. Der Hörtext insze-
niert den Schrifttext und bringt ihn als tatsächliches Klangereignis zur Auf-
führung, die wiederum auf ihre schriftliche Genese verweist. Die Performanz
von Klangstrukturen in literarischen Texten gestaltet sich als Medienreflexion
par excellence. Die spezifische Anordnung von Buchstaben, Worten, Sätzen
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9
Wenn die Schrift gehört gehört 177
/ 7 . B CD A 8B CC 726 18 H8
08B D8B:8 78 -B 6 31
08 B 6 08 8 4 8BC D / 8CC8 7 B9