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Die Containerriesen der Zukunft fahren mit

Ammoniak
Ein großes Containerschiff verbraucht pro Jahr so viel Sprit wie 100.000 Autos. Viel zu
langsam steigen die Reeder auf neue Treibstoffe um – dabei gibt es die längst.
Von Alexander Jung
09.03.2021, 18.22 Uhr

Umweltverschmutzer Containerschiff: Vier Milliarden Dollar jährlich für


konventionellen Treibstoff
Foto: Maersk

Zwei Autostunden von Shanghai entfernt liegt die 600.000-Einwohner-Stadt


Jingjiang, ein Zentrum des chinesischen Schiffbaus. In den Werften an der
Jangtse-Mündung werden die Giganten der Weltmeere
zusammengeschweißt.
Im Dock von New Times Shipbuilding fertigen die Monteure derzeit ein
besonderes Exemplar: den weltweit ersten Riesentanker, der sich mit
Ammoniak betreiben lässt. Das 274-Meter-Schiff der Suezmax-Klasse – es
passt gerade so durch den Suezkanal – hat die griechische Reederei Avin
International in Auftrag gegeben. Ammoniak deshalb, so ein Manager, weil
es »der vielversprechendste CO2-neutrale Treibstoff für die Zukunft« sei.

Ammoniak, chemische Formel: NH3, ist ein übel riechendes Gas, bekannt
aus dem Kuhstall, höher konzentriert sticht es giftig in der Nase.
Üblicherweise wird es für die Düngemittelproduktion verwendet und aus
Erdgas hergestellt. Es lässt sich aber auch aus Wasserstoff gewinnen, der
mittels Wind- oder Sonnenstrom klimaneutral erzeugt werden kann. Diese
Möglichkeit macht Ammoniak für die globale Schifffahrt zum Treibstoff der
Hoffnung. Ansonsten hätte sie ein Problem.

»Das Rennen um den Treibstoff der Zukunft ist noch nicht entschieden«
Alexander Dyck, Institut für Maritime Energiesysteme

So viel Sprit wie 100.000 Autos

Die maritime Industrie muss dringend etwas für ihre Umweltbilanz tun. Ein
großes Containerschiff verbraucht jährlich so viel Sprit wie 100 000 Autos.
Rund 2,5 Prozent aller CO2-Emissionen weltweit gehen auf das Konto des
internationalen Seeverkehrs, das ist mehr, als ganz Deutschland ausstößt.
Geschieht nichts, könnte der Anteil bis 2040 auf 7 Prozent wachsen,
prognostiziert die Internationale Energieagentur.

Üblicherweise werden die Ozeanriesen von Motoren angetrieben, die


Schweröl verbrennen, dabei jagen sie enorme Mengen CO2, Stickoxide und
Ruß durch den Schornstein. Jüngere Modelle sind bisweilen mit Erdgas oder
verflüssigtem Erdgas unterwegs, sogenanntem LNG (»Liquefied Natural
Gas«), was weniger umweltschädlich, aber längst nicht sauber ist. Der
Einsatz von grünem Ammoniak würde einen Weg aus der Klimafalle weisen.

Die Mitgliedsländer der International Maritime Organization (IMO), einer


Einrichtung der Vereinten Nationen, haben Reduktionsziele vereinbart, die
allerdings wenig ambitioniert sind: Bis 2030 soll die Schifffahrt ihre
Emissionen um 40 Prozent gegenüber 2008 verringert haben, bis 2050 um 70
Prozent – weit entfernt von den 100 Prozent, die andere Sektoren ansteuern.
Mehr Dringlichkeit geht von den Beschlüssen aus, die Brüssel getroffen hat.

»Keiner will sich zu früh festlegen.«


Die EU will die Schifffahrt bereits im kommenden Jahr in den
Emissionshandel einbeziehen – und damit den CO2-Ausstoß erstmals mit
einem Preisschild versehen. Es geht um erhebliche Summen, wenn die
jährliche Emission von 138 Millionen Tonnen CO2 in Europas Gewässern
zertifikatpflichtig wird. Beim aktuellen Preis von gut 37 Euro pro Tonne
wären es mehr als 5 Milliarden Euro. Im Juni will die Kommission ihre
Vorstellungen präzisieren.

Bei den Reedern sind außer Ammoniak weitere Treibstoffe im Gespräch,


Methanol etwa oder Methan, aus Wasserstoff erzeugt. Oder solche, die aus
Biomasse hergestellt werden: vom Acker in den Tank. Wasserstoff gilt als
unpraktikabel, da es sich nur unter extrem hohem Druck speichern lässt.
»Das Rennen um den Treibstoff der Zukunft ist noch nicht entschieden«,
sagt Alexander Dyck, kommissarischer Leiter des 2020 gegründeten Instituts
für Maritime Energiesysteme in Geesthacht, die Reeder müssten vorsichtig
sein. »Keiner will sich zu früh festlegen.«

Die Wahl des Treibstoffs ist von enormer Tragweite. Ein Schiff, das die
Industrie jetzt in Auftrag gibt, dürfte noch Mitte des Jahrhunderts im Einsatz
sein. »Auf die falsche Lösung zu setzen, kann zu einem bedeutsamen
Wettbewerbsnachteil führen«, warnen die Experten des Schiffszertifizierers
DNV. Sie kommen auf 16 Treibstoffarten und 10 Antriebssysteme, jede
Variante hat Vor- und Nachteile. Klar ist nur: Elektroantriebe kommen
schon wegen des Batteriegewichts kaum infrage, jedenfalls nicht auf hoher
See.

Nur noch halb so viele Bestellungen

Die Zurückhaltung der Reeder schlägt sich in den Orderbüchern der


Werften nieder. Die Zahl der Bestellungen hat sich 2020 halbiert, was nicht
nur mit der Pandemie zu tun hat, schon 2019 war sie um zehn Prozent
zurückgegangen. Kaum ein Unternehmen wagt sich aus der Deckung.

Hapag-Lloyd, fünftgrößte Containerreederei der Welt, sieht in der


Handhabung von Ammoniak »noch einige Hürden zu bewältigen«, so
Flottenchef Richard von Berlepsch. Der Stoff sei auch mit Blick auf seine
toxischen Eigenschaften »äußerst schwierig zu handhaben«.

Das Unternehmen setzt auf verflüssigtes Erdgas als mittelfristige Lösung. Ein
Containerriese wird gerade auf LNG umgerüstet, sechs weitere LNG-Schiffe
sind bestellt. LNG ist laut Berlepsch »derzeit der am besten geeignete
Brennstoff auf dem Weg zur Emissionsfreiheit«. Verflüssigtes Erdgas kann
den CO2-Ausstoß allerdings nur um 15 bis 25 Prozent senken; das ist auch
dem Manager bewusst. Es stellt somit eher eine Lösung für Jahre dar als für
Jahrzehnte.

Solarkraftwerk in Marokko: Sprit aus Strom


Foto: Xinhua / Eyevine / laif
Auch die Mediterranean Shipping Company, kurz MSC, Nummer zwei
weltweit mit Sitz in Genf, befindet sich in der Sondierungsphase. Bei grünem
Ammoniak seien noch »erhebliche Herausforderungen« zu meistern, stellt
MSC fest. Immerhin erkennen die Schweizer darin »Potenzial für unseren
künftigen Treibstoffmix«.

Am weitesten fortgeschritten sind die Überlegungen beim dänischen


Weltmarktführer Maersk. In Kopenhagen hat der Vorstand ein eigenes
Dekarbonisierungsteam zusammengestellt, in dieser Woche hat es die Arbeit
aufgenommen. Es soll klimaneutrale Konzepte auf der Basis von Methanol,
Ammoniak und Alkohol-Lignin-Mischungen entwickeln.

Konzernchef Søren Skou hat angekündigt, bereits in zwei Jahren ein


Containerschiff in Dienst zu stellen, das neben herkömmlichem Schiffsdiesel
auch grünes Methanol vertragen wird. Bis 2050 soll die gesamte Maersk-
Flotte CO2-neutral sein, für Skou »ein herausforderndes, aber erreichbares
Ziel«.

Ist genügend grüner Treibstoff verfügbar?

An der Technologie sollte es nicht scheitern. Seit Jahren existierten


Anwendungen mit Methanol oder LNG, an Ammoniak werde gearbeitet, sagt
Gunnar Stiesch, Forschungschef bei MAN Energy Solutions. »Das ist
machbar«, ist der Ingenieur überzeugt.

Das Augsburger Unternehmen ist Weltmarktführer bei Zwei-Takt-


Schiffsmotoren, schätzungsweise zwei Drittel aller Ozeanriesen sind mit
MAN-Maschinen bestückt. Bis 2024 will das Unternehmen einen Antrieb zur
Serienreife bringen, der auch mit Ammoniak läuft.

Doch ist bis dahin überhaupt ausreichend grüner Treibstoff verfügbar? Noch
gibt es keine nennenswerten Produktionskapazitäten. Standorten in sonnen-
oder windreichen Ländern wie Marokko, Chile oder Australien werden gute
Chancen eingeräumt, dort lässt sich Grünstrom billig herstellen. Aber auch
in Europa bieten sich Möglichkeiten.

In der westdänischen Hafenstadt Esbjerg plant ein Konsortium um Maersk


Europas größte Fabrik für grünen Ammoniak zu errichten. Mit dem Strom
aus Offshore-Windanlagen aus der Nordsee sollen dort Dünger und
Treibstoff synthetisch erzeugt werden. Bislang freilich existiert nur eine
Absichtserklärung.

Zwei- bis dreimal teurer als Marinediesel


Und selbst wenn bald genügend CO2-freier Sprit vorhanden wäre, gäbe es
noch ein entscheidendes Hindernis zu überwinden: die deutlich höheren
Kosten. Grüner Ammoniak ist derzeit zwei- bis dreimal teurer als
Marinediesel. Rund vier Milliarden Dollar gibt Maersk jährlich für
konventionelle Treibstoffe aus – mit grünen Varianten würde die Rechnung
doppelt so hoch ausfallen, schätzt Konzernchef Skou.

Von allein werden die Reeder kaum auf die teureren Antriebe wechseln. Was
fehlt, sind verbindliche, globale Regeln, die sie dazu zwingen. Das könnte die
IMO übernehmen. Doch die Vereinigung bremst die Entwicklung eher.

Die IMO werde in erster Linie von sogenannten Flaggenstaaten


wie Panama oder den Bahamas dominiert, kritisiert Sönke Diesener,
Schifffahrtsexperte der Umweltorganisation Nabu. Solche Länder
verhinderten, dass die Organisation eine ambitionierte Klimastrategie
verfolge. »Einige Staaten vertreten bei der IMO eher die Interessen
internationaler Reedereien als die Interessen der eigenen Bevölkerung.«

Die martime Industrie müsste zudem enorme Investitionen stemmen. Die


Branche spricht von Billionen, die nötig wären, um die Flotten auf
klimaneutral zu trimmen und eine Treibstoffinfrastruktur zu schaffen. Das
Henne-Ei-Dilemma: Die Schiffseigner investieren nicht, solange es keine
entsprechend ausgestatteten Hafenanlagen gibt. Und die Häfen investieren
nicht, solange es keine Schiffe mit Alternativantrieb gibt.

In dieser unklaren Situation agiert auch die Branche unentschieden und hält
sich technologisch alle Optionen offen. Sie entwickelt Motoren, die in der
Lage sind, verschiedene Treibstoffe beizumischen (»Drop-in Fuels«) oder die
sich mit unterschiedlichen Kraftstoffen betreiben lassen (»Dual Fuel«), mit
LNG etwa und zugleich mit Ammoniak. »Wir gestalten die Motoren so
flexibel wie möglich«, sagt MAN-Energy-Solutions-Forschungschef Stiesch.
Alle neu bestellten Maersk-Schiffe werden laut Konzern für zweifachen
Betrieb ausgelegt.

Auch das Pionierschiff, das die griechische Reederei in China bestellt hat,
soll nicht nur mit Ammoniak laufen. Der Tanker wird »Ammonia-ready«
sein, also darauf vorbereitet, auf klimaschonenden Betrieb zu wechseln. Bis
dies möglich ist, werden aber einige Jahre vergehen. So lange wird das Schiff
noch tonnenweise konventionellen Treibstoff verbrennen.

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