Schriftliche Auseinandersetzung zum Thema „Ist Bullying normaler Bestandteil des
Aufwachsens?“
Seminar Pädagogische Psychologie (Kurs B)
01. September 2021 Schriftliche Auseinandersetzung zum Thema „Ist Bullying normaler Bestandteil des Aufwachsens?“ Obwohl Bullying größtenteils nicht mehr als normaler Bestandteil beim Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen wahrgenommen wird, scheint in der Gesellschaft Bullying immer noch nicht als ein schwerwiegendes Problem erkannt worden zu sein, das dringenden Handlungsbedarf erfordert. So gaben in einer Studie von Bradshaw und Kollegen (2007) mehr als die Hälfte der befragten Schülerinnen und Schüler an, dass Lehrkräfte eine Bullying- Situation zwar beobachtet, aber gar nicht interveniert haben. Neben zahlreichen Merkmalen der Schulklasse und der Schule selbst haben auch die Merkmale der Lehrperson an sich einen großen Einfluss sowohl auf die Interventionsbereitschaft als auch auf ihr -handeln in Bullying-Situationen (Wettstein et al., 2020). Dabei spielt vor allem das Wissen der Lehrkraft über Mobbing eine große Rolle, welches jedoch oft spärlich ausfällt (Byers et al., 2011). Im Folgenden soll sich mit dem Phänomen Bullying näher auseinandergesetzt und vor allem auf die Folgen von Bullying eingegangen werden. Das Phänomen Bullying Als Bullying wird jede Form von unerwünschtem aggressiven Verhalten definiert, das wiederholt von einer gleichaltrigen Gruppe oder Person ausgeführt wird, welche weder Geschwister noch romantische Partner sind (Gladden et al., 2014). Bullying beinhaltet eine beobachtbare oder wahrgenommene Machtasymmetrie und kann körperliche, psychische oder soziale Konsequenzen zur Folge haben oder sich negativ auf die schulischen Leistungen des Opfers auswirken (Gladden et al., 2014). Dabei können zwei Modi des Bullying unterschieden werden: Direktes Bullying findet in der persönlichen Gegenwart des Opfers statt, beispielsweise indem das Opfer geschlagen oder beschimpft wird (Wolke, 2019). Beim indirekten Bullying dahingegen wird das aggressive Verhalten nicht direkt am Opfer ausgeführt, wie zum Beispiel die Verbreitung falscher Gerüchte über soziale Medien (Wolke, 2019). Aggressives Verhalten kann körperlich, verbal, relational oder in Form von Eigentumsbeschädigung auftreten (Wolke, 2019). Körperliches Bullying ist dem Gebrauch von körperlicher Gewalt wie Spucken, Bein stellen oder Schubsen gleichgestellt, während verbales Bullying der mündlichen oder elektronischen Kommunikation mit der Intention entspricht, dem Opfer durch beispielsweise Beschimpfungen, Drohungen oder unangebrachte sexuelle Kommentare Leiden zuzufügen oder in Verlegenheit zu bringen (Wolke, 2019). Aggressive Verhaltensweisen wie das Verbreiten von Gerüchten oder das soziale Ausschließen des Opfers, die mit einer Schädigungsabsicht bezüglich dem Ansehen oder den Beziehungen des Opfers ausgeführt werden, gehören zum relationalen Bullying (Wolke, 2019). Zuletzt wird auch die Eigentumsbeschädigung als eine Art von Bullying verstanden, wie beispielsweise das Stehlen, Verstecken oder eben die Beschädigung von Eigentum, um dem Opfer Schaden zuzufügen (Wolke, 2019). Bullying tritt vor allem dort auf, wo Personen wenig Einfluss darauf haben können, mit welchen Mitmenschen sie sich umgeben (Wolke & Lereya, 2015). Dazu gehören Kontexte wie beispielsweise die Kindergartengruppe, die Schulklasse oder auch der Arbeitsplatz. Wichtig hierbei zu erwähnen ist also, dass Bullying auch weiterhin im Erwachsenenalter und nicht nur ausschließlich zwischen Kindern und Jugendlichen auftreten kann (Forssell, 2016). Die Prävalenzraten von Bullying variieren stark zwischen den Ländern von 5.1% bis 41.4% (Wolke, 2019). Dies liegt neben methodischen Problemen wie uneinheitliche Definitionen von Bullying oder Verzerrungen im Selbstbericht auch an der unterschiedlichen Häufigkeitsrate von Bullying abhängig vom Alter und an sozialen Faktoren wie das Ausmaß der ökonomischen Ungleichheit im Land (Wolke, 2019). So tritt in Ländern mit einer hohen ökonomischen Ungleichheit Bullying deutlich öfter auf als in Ländern mit einer niedrigen ökonomischen Ungleichheit (Due et al., 2009). In der früheren Forschung fand lediglich eine Unterscheidung zwischen Täter-/innen, nachfolgend Bullies, und Opfern statt. Mittlerweile werden weitere Kategorien bzw. Rollen vorgeschlagen, die beim Bullying mehr oder weniger beteiligt sein können. Beispielsweise bezeichnet die Gruppe Täter/Opfer jene Personen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten sowohl Bullies als auch Opfer sind (Wolke, 2019). Täter/Opfer unterscheiden sich von Personen, die ausschließlich Bullies oder Opfer sind, mit Bezug auf Risikofaktoren und die langfristigen Konsequenzen von Bullying (Lereya et al., 2013). Weiterhin schlägt Salmivalli (1999) mit ihrem Participant-Role-Ansatz vor, dass auch Mitmenschen im Umfeld eine Rolle beim Bullying spielen. Dazu gehören beispielsweise Lehrkräfte sowie Zeugen und Zeuginnen, die mit ihrem Verhalten das aggressive Verhalten der Bullies begünstigen oder verstärken (Wettstein et al., 2020). Cyber-Bullying Die rasante Weiterentwicklung von elektronischen Kommunikationstechnologien verhalf soziale Medien wie Facebook oder Twitter dazu, eine weltweit dominante Stellung als zentrale elektronische Kommunikationsmethode einzunehmen (Hsu et al., 2015). Mit etwa 3.5 Milliarden Nutzern und Nutzerinnen verwendet mittlerweile fast die Hälfte der Weltbevölkerung soziale Medien (Pelletier et al., 2020). Dadurch bietet es sich an, Bullying besonders im Kontext der sozialen Medien zu betrachten. Als Cyber-Bullying wird jegliches unerwünschtes aggressives Verhalten bezeichnet, das über elektronische Kommunikationstechnologien stattfindet (Gladden et al., 2014). Dabei ist es in der Forschung umstritten, ob die Übertragung der Kernkriterien Schädigungsabsicht, Wiederholung und Machtasymmetrie vom konventionellen Bullying auf Cyber-Bullying aufgrund einer hohen Ähnlichkeit sinnvoll ist (Pieschl & Porsch, 2014) oder ob es sich bei Cyber-Bullying um eine neue Form von Bullying handelt (Wolke, 2019). Befunde deuten darauf hin, dass Cyber-Bullying kein neues, eigenständiges Phänomen, sondern eine Erweiterung von konventionellem Bullying ist (Olweus, 2012). Dabei dienen elektronische Kommunikationstechnologien als eine weitere Methode zur Schädigung derselben Opfer außerhalb des Schulkontexts, sodass Bullying rund um die Uhr stattfinden kann (Wolke et al., 2017). In einer Studie von Wolke und Kollegen (2017) gaben nur 1% der befragten Jugendlichen an, ausschließlich von Cyber-Bullying betroffen zu sein. Bei ihnen fanden die Autoren im Vergleich zu Opfern von konventionellem direkten oder relationalen Bullying ähnliche psychische Probleme wie Verhaltensschwierigkeiten oder niedrigem Selbstbewusstsein. Weitere Studienbefunde unterstützen die Vermutung, dass es sich häufig um dieselben Personen handelt, die an konventionellem und Cyber-Bullying als Täter-/innen und bzw. oder Opfer beteiligt sind (Katzer et al., 2009). Allerdings erleiden jene Opfer die schwerwiegendsten Konsequenzen, die sowohl von konventionellem als auch von Cyber-Bullying betroffen sind (Wolke et al., 2017), sodass elektronische Kommunikationstechnologien das Bullying-Problem verstärkt zu haben scheinen. Obwohl eine Übertragung der Kernkriterien von konventionellem Bullying als sinnvoll erscheint, argumentieren Pieschl und Porsch (2014) für eine Erweiterung der Definition von Cyber- Bullying um zusätzliche Kriterien, wie beispielsweise der Grad der Öffentlichkeit. Neben den bisherigen drei Kernkriterien hat der Grad der Öffentlichkeit den stärksten Einfluss auf die empfundene Belastung von Cyber-Bullying (Pieschl & Porsch, 2014). Nichtsdestotrotz konnten bisherige Befunde mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen konventionellem und Cyber-Bullying aufzeigen, sodass eine gänzliche Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen hier wenig sinnvoll erscheint. Motive und Risikofaktoren Selbst mit einer konservativen Interpretation der Prävalenzraten von Bullying liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei Bullying um ein weitverbreitetes Problem handelt. Ein möglicher Erklärungsansatz für Bullying ist die evolutionäre Sichtweise: Bullying wird betrieben, um einen hohen Status in der sozialen Hierarchie einer Gruppe zu erlangen und gleichzeitig Stress abzubauen (Wolke, 2019). Dabei wird die Attraktivität möglicher konkurrierender Personen mit Blick auf potenzielle romantische Partner-/innen herabgesetzt (Lereya et al., 2014). Neben Motiven der Machtausübung oder der Gruppenzugehörigkeit werden bei Befragungen vor allem die Motive der Rache oder des Spaßes angegeben (Pieschl & Porsch, 2014). Besonders Täter/Opfer nutzen den Onlinekontext, um sich als Opfer von konventionellem Mobbing an den Bullies zu rächen (Pieschl & Porsch, 2014). Ob eine Person Bullying betreibt oder selbst Opfer ist, ist ein Zusammenspiel aus vielen individuellen, familiären, schulischen, kontextuellen, kulturellen und medialen Faktoren (Pieschl & Porsch, 2014). Dabei können lediglich korrelative Aussagen getroffen werden, denn eine Überprüfung von kausalen Zusammenhängen mithilfe von Experimenten ist ethisch schwer umsetzbar. Demzufolge ist eine Trennung zwischen Vorläuferbedingungen und Konsequenzen von Bullying oft nicht möglich. So geben Bullies im Vergleich zu Personen, die von keinen Aktivitäten in Form von Bullying berichtet haben, eine höhere Aggressivität, eine positivere Einstellung zur Gewalt und mehr persönliche Erfahrungen mit Gewalt an (Pieschl & Porsch, 2014; Wolke, 2019). Außerdem verfügen sie über weniger Empathie, legen mehr Wert auf Macht, haben häufig eine negative Beziehung zu ihren Eltern und bekommen weniger Unterstützung durch Gleichaltrige (Pieschl & Porsch, 2014; Wolke, 2019). Hinsichtlich den Opfern von Bullying konnten Zusammenhänge mit vermehrten Problemen mit Gleichaltrigen und Familienmitgliedern, einer Außenseiterstellung innerhalb der sozialen Gruppe und einem niedrigerem Selbstvertrauen gefunden werden (Pieschl & Porsch, 2014). Außerdem weisen Opfer im Vergleich zu Personen, die keine Erfahrungen mit Bullying angaben, mehr depressive und psychosomatische Symptome und öfter eine nicht- heterosexuelle Orientierung auf, zudem werden sie von ihren Eltern als häufig ängstlich und bemüht beschrieben (Pieschl & Porsch, 2014; Wolke, 2019). Forscher vermuten, dass besonders diejenigen Personen als Opfer ausgewählt werden, die schnell emotional reagieren und über wenig soziale Unterstützungen verfügen, da sie über wenige soziale Ressourcen verfügen und damit die Machtasymmetrie begünstigen (Wolke, 2019). Folgen von Bullying für Täter und Opfer Obwohl viele Personen im Laufe ihres Lebens an Bullying als Bullies, Opfer oder Beistehende beteiligt sind, soll Bullying als kein normativ normaler Bestandteil im gesellschaftlichen Umgang miteinander verstanden werden. Viele Studien legen nahe, dass Bullying langfristige, negative Auswirkungen auf die psychische und körperliche Gesundheit von Kindern und Jugendlichen bis ins Erwachsenenalter hat (Wolke & Lereya, 2015). Dabei leiden Opfer von Bullying häufiger unter psychosomatischen Störungen wie Schlaflosigkeit sowie Kopf- und Bauchschmerzen und fangen eher mit dem Rauchen an (Wolke & Lereya, 2014). Sie erkranken häufiger an psychischen Störungen wie Angststörungen oder Depressionen und verinnerlichen eher Probleme (Wolke & Lereya, 2015). Außerdem ist das Selbstverletzungsrisiko bei Bullying-Opfern höher und sie denken im Jugendalter öfter über Suizid nach (Lereya et al., 2013). Besonders nach chronischem Bullying im Kindesalter fallen die Auswirkungen negativ aus (Wolke, 2019) und die Opfer benötigen häufiger psychotherapeutische bzw. -psychiatrische Behandlung bis ins Erwachsenenalter (Evans- Lacko et al., 2016). Auch im Erwachsenenalter setzen sich die langfristigen Auswirkungen vom früheren Bullying fort (Sigurdson et al., 2014). Ehemalige Bullying-Opfer verfügen über eine schlechtere körperliche Gesundheit allgemein und haben eher Schwierigkeiten, sowohl freundschaftliche als auch romantische Beziehungen zu schließen und diese aufrechtzuerhalten (Wolke & Lereya, 2015). Wenngleich wenig über die Auswirkungen von Bullying auf Bullies bekannt ist, deuten bisherige Befunde darauf hin, dass diese unter wenigen bis gar keinen negativen Auswirkungen leiden (Wolke, 2019). So sagt die Rolle als Täter im Cyber-Bullying bei Jungen eine Reduktion von depressiven Symptomen und Einsamkeit vorher, Bullies erleben also sogar positive Konsequenzen (Schultze-Krumbholz et al., 2012). Allgemein weisen sie eine bessere körperliche und psychische Gesundheit im Vergleich zu Opfern und Täter/Opfern von Bullying auf (Copeland et al., 2013). Fazit Trotz des häufigen Auftretens von Bullying lässt sich basierend auf den vorgestellten Befunden aus der Forschung folgender Konsens ableiten, dass Bullying kein normaler Bestandteil beim Heranwachsen eines Kindes bzw. Jugendlichen sein soll. Bullying stärkt die Opfer nicht in mentaler oder körperlicher Resilienz und zieht demnach keine positiven Konsequenzen nach sich. In Anbetracht der hohen Prävalenz von Bullying sind effektive Interventionsansätze von hoher Bedeutung, wobei im Kindes- und Jugendalter neben den Eltern und der Schulleitung besonders den Lehrkräften eine Schlüsselrolle zukommt (Wettstein et al., 2020). Von den drei genannten Rollen verfügen die Lehrkräfte über die meisten Möglichkeiten, Bullying rechtzeitig wahrzunehmen und zu intervenieren. Auch können sie in Kooperation mit weiteren Lehrkräften, der Schulleitung und Eltern präventive Maßnahmen ergreifen, um bereits das Auftreten von Bullying zu verhindern (Wettstein et al., 2020). Ausgehend von der Forschung besteht weiterhin ein großer Bedarf an effektiven und effizienten Präventionsprogrammen in Schulen sowie an Behandlungsmaßnahmen, die den Einfluss von Bullying auf die körperliche und mentale Gesundheit berücksichtigen (Wolke, 2019). Gelegentliche, vorübergehende Gemeinheiten von Gleichaltrigen sind vermutlich Bestandteil des Lebens und tolerierbar bzw. „normal“ – Bullying dagegen ist es angesichts solch schwerwiegenden Konsequenzen eindeutig nicht. Literaturverzeichnis Bradshaw, C. P., Sawyer, A. L. & O’Brennan, L. M. (2007). Bullying and peer victimization at school: Perceptual differences between students and school staff. 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