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3 pflege bei neurologischen Erkrankungen

Multiple Sklerose

Definition
Multiple Sklerose
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Autoimmunerkrankung des zentralen
Nervensystems, die an mehreren Stellen gleichzeitig auftreten kann. Dabei kommt es zu
Entzündungen des Myelins (Markscheiden) im ZNS, wodurch es zu Demyelinisierungen der
Nerven und entsprechenden klinischen Symptomen kommt.

Ursachen
Die Ursachen sind nicht eindeutig geklärt. Es erkranken doppelt so häufig Frauen wie
Männer. Seit einigen Jahren wird an einem Zusammenhang zwischen dem
Blutgerinnungsfaktor XII und der Erkrankung geforscht (siehe Medizin Unterlagen).

Symptome
Die Symptome sind vielfältig, da die Entzündungen im gesamten Nervensystem auftreten
können. Bestimmte Symptome treten aber häufiger auf, insbesondere zu Beginn der
Erkrankung:

Frühsymptome:
• Sensibilitätsstörungen mit „Ameisenlaufen“ oder einem „pelzigen“ Gefühl“ an
bestimmten Hautarealen
• Sehstörungen: „verschwommenes Sehen“ durch die Entzündung des Sehnervs
motorische Störungen: spastische Lähmungen der Extremitäten Kleinhirnsymptome:
Bewegungsstörungen, Nystagmus, Sprechstörungen vegetatives Nervensystem:
• Blasenentleerungsstörung
• Beeinträchtigung der Sexualfunktion

Psyche:
• depressive oder euphorische Stimmung möglich.
• Im Verlauf ist die Entwicklung einer Demenz möglich.

Die Erkrankung verläuft sehr variabel. Oft treten die Symptome in Schüben auf und bilden
sich im Verlauf vollständig oder unvollständig zurück. Nach 20–25 Jahren Krankheitsverlauf
können allerdings ca. 50% der Betroffenen nicht mehr gehen. Wenige Patienten sind auch
nach langem Verlauf nur leicht körperlich eingeschränkt.

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Pflege

Wahrnehmen und Beobachten


• körperliche Veränderungen beobachten, um Schübe frühzeitig zu erkennen
• Medikamentennebenwirkungen beobachten und ggf. dem Arzt rückmelden

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Kommunikation.
• Häufig entwickeln die Patienten eine verwaschene undeutliche Sprache. Pflegende
sollten den Patienten motivieren, aktiv zu kommunizieren.
• Zusammen mit Logopäden werden Sprachübungen durchgeführt.

Mobilisation, Positionierung und Schlaf.


• Zur Behandlung von Schmerzen wie Rücken- oder Muskelschmerzen verabreichen
Pflegende auf Anordnung Analgetika.
• Durch die Kraftlosigkeit, schnelle Ermüdung und eine mögliche Fußheberparese ist der
Patient sturzgefährdet. Pflegende sollten auf geeignetes Schuhwerk achten, Hilfsmittel
wie Gehwagen oder Rollator einsetzen und die Körperwahrnehmung des Patienten
fördern, z. B. durch aktivierende Maßnahmen nach dem Bobath- Konzept. Gemeinsam
mit Physiotherapeuten führen Pflegende Geh- und Stehübungen durch.
• Der Rollstuhl sollte nur eingesetzt werden, wenn er die einzige
Fortbewegungsmöglichkeit darstellt.

Körperpflege und Bekleidung.


• Pflegende erhalten die Ressourcen und fördern die Selbstständigkeit. Dabei können
das Konzept der Basalen Stimulation und das Bobath-Konzept angewendet sein.
• Auch Hilfsmittel können eingesetzt werden, z. B. eine elektrische Zahnbürste beim
Zähneputzen. Bei Patienten, deren Oberflächen- und Tiefensensibilität gestört ist,
sollten Pflegende auf Wunden und beim Waschen insbesondere auf die Temperatur
des Waschwassers achten.
• Feinmotorische Störungen beim Ankleiden können durch entsprechende Kleidung
ausgeglichen werden, z. B. Reißverschlüsse statt Knöpfe oder Schuhe mit
Klettverschluss statt Schuhbänder.
• Pflegende sollten den Pflegeempfänger anleiten, beim Anziehen der Kleidungsstücke
mit der motorisch stärker eingeschränkten Körperseite zu beginnen.

Ernährung.
• Die Unterstützung des Pflegeempfängers bei der Nahrungsaufnahme ist abhängig von
seinen Einschränkungen. Ziel ist es immer, seine Selbstständigkeit zu fördern.
Hilfsmittel können dabei nützlich sein, wie z.B. verdickte Besteckgriffe oder Anti-
Rutsch-Folie-Becher, sie helfen bei Kraftlosigkeit, Spastik, Koordinationsstörungen und
Intentionstremor.

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Ausscheiden
• Inkontinenz: Viele MS-Patienten leiden unter Blasenentleerungsstörungen wie
Inkontinenz oder Harnverhalt. Bei häufigem Harndrang empfehlen sich ein
Miktionsprotokoll und regelmäßiges Toilettentraining.
• Besteht eine Inkontinenz, sollte auf einen Blasenverweilkatheter (transurethraler
Dauerkatheter) wegen des Risikos chronischer Infektionen verzichtet werden. Bei
Restharn sollte die Restharnmenge regelmäßig mit einer Restharnsonografie
gemessen werden.
• Eventuell verabreichen Pflegende auf ärztliche Anordnung Spasmolytika
(krampflösendes Arzneimittel). Bleiben alle Maßnahmen erfolglos, kann sich der
Patient mithilfe eines sterilen Einmalkatheters selbst katheterisieren. Zur späteren
Versorgung kann ein suprapubischer Katheter gelegt werden.
• Der Urin sollte täglich bezüglich Farbe und Geruch begutachtet werden, wenn eine
Blasenentleerungsstörung vorliegt, denn dann treten Harnwegsinfekte häufig auf. Der
Pflegeempfänger sollte ggf. dazu angeleitet werden. Bei Verdacht auf eine Infektion
sollte eine Urinuntersuchung zum Nachweis von Bakterien im Urin durchgeführt
werden, siehe Uricult-Test.
• Bei Obstipation aufgrund mangelnder Bewegung achten Pflegende auf
ballaststoffreiche Kost und ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Es können natürliche
Abführmittel angewendet werden.
• Bei Stuhlinkontinenz wird ein individuelles Toilettentraining durchgeführt. Wichtig ist
eine sorgfältige Haut- und Intimpflege.

Prophylaxen
• Prophylaxen werden bedarfsgerecht je nach körperlichem Zustand angewendet.
• Die Betroffenen haben ein erhöhtes Sturzrisiko. Ist die Bewegung bereits stark
eingeschränkt, sind individuellen Maßnahmen der Dekubitus-, Kontrakturen- und
Thromboseprophylaxe zu ergreifen.
• Pneumonieprophylaxe: Bei fortschreitender Erkrankung sind die Patienten zum Teil
nicht mehr in der Lage, ausreichend tief durchzuatmen und Bronchialsekret
abzuhusten. Dadurch besteht das Risiko für unbelüftete Abschnitte in der Lunge
(Atelektasen) und Pneumonie. Zur Pneumonieprophylaxe sollte auf ausreichende
Flüssigkeitszufuhr geachtet werden.
o Atemunterstützende Maßnahmen wie Sekretmobilisierung und
atemerleichternde Positionierung erleichtern das Abhusten.

Psychosoziale Begleitung.
• Die Krankheitseinsicht der Patienten kann gering sein und die spätere
Wesensveränderung nehmen häufig nur enge Bezugspersonen wahr. Daher müssen
Angehörige unterstützt und begleitet werden:
o über Ängste, Sorgen und Nöte sprechen
o soziale Kontakte fördern
o Erfolgserlebnisse schaffen, motivieren, sinnvolle Beschäftigung ermöglichen

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Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten.


Folgende Themen können in einem Gespräch angesprochen werden:
• Die Patienten sollten übermäßige Wärme z. B. durch heiße Bäder, Sonneneinstrahlung
oder Fieber meiden, da dies zu einer Verschlechterung der Krankheitssymptomatik
führen kann.
• Während einer Glukokortikoidtherapie ist wegen der möglichen Nebenwirkungen eine
salz- und zuckerarme Kost zu empfehlen.
• Teilweise leiden die MS-Patienten an schneller Ermüdung (Fatigue). Sie sollten die
tägliche Belastung anpassen, indem sie z. B. Ruhepausen einlegen. Über-, aber auch
Unterforderung sollte vermieden werden.
• Bei Frauen sind Schwangerschaften möglich, sollten aber geplant werden.
Gegebenenfalls muss die Medikation verändert werden.
• Pflegende sollten auf Hilfsangebote durch Sozialarbeiter und Psychologen hinweisen.
Die DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, www.dmsg.de ) vertritt die
Belange von Menschen, die an Multipler Sklerose erkrankt sind, und bietet
Beratungsangebote in privaten, beruflichen, rechtlichen und medizinischen Fragen.

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Fallbeispiel Frau Gräfe

Frau Gräfe lebte mit ihrem Mann und den gemeinsamen Söhnen in ihrem Einfamilienhaus in
wirtschaftlich gut gesicherter Existenz. Sie hatte die Berufstätigkeit zugunsten der
Familienarbeit aufgegeben.

In ihrer Partnerschaft und der Erziehung der Söhne gab es keine nennenswerten
Schwierigkeiten. Im Alter von 38 Jahren wurde bei Frau Gräfe eine Multiple Sklerose (MS)
diagnostiziert.

Leider entwickelte sich ein schwerer, chronisch-progredienter Verlauf mit zunehmenden


Ausfällen unterschiedlicher Organsysteme. Nach 3 Jahren Erkrankung war die häusliche Pflege
nicht mehr gewährleistet. Frau Gräfe musste ihre Familie und ihr Zuhause verlassen und lebt
seitdem in einem MS-Wohnheim.

Zum Zeitpunkt des Umzugs war sie seh- und sprachbehindert, litt an Schluck- und massiven
Sensibilitätsstörungen, hatte eine komplette Lähmung der unteren Extremitäten mit starker
Spastik und beginnende Ausfälle in den oberen Extremitäten. Seitdem ist sie auf einen
Rollstuhl angewiesen, nur ein paar Schritte kann sie noch laufen nach dem die Lähmung etwas
zurückgegangen ist. An den Rollstuhl hat sie sich schon ziemlich gewöhnt aber sie würde so
gerne wieder weitere Strecken laufen können.

Erschwert wurde diese Symptomatik durch ihre kognitiven Ausfälle und ihre emotionale
Labilität sowie die Müdigkeit. Diese kann sowohl als Krankheitssymptom wie auch als Reaktion
auf den Zusammenbruch ihrer Lebensplanung und den Verlust ihrer sozialen Beziehungen
gewertet werden. Ihre Bekannten und Freunde haben sich seit der Erkrankung weitestgehend
von Ihr distanziert.

Die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme gestaltet sich schwierig, da sie durch ihre Erkrankung
Probleme mit dem Schlucken hat. Außerdem hat sie Probleme mit dem Stuhlgang der
manchmal lange auf sich warten lässt und dann sehr hart und trocken ist. Auch hat sie mit
Schmerzen, vor allem im Gesicht und bei starker Spastik zu kämpfen. Manchmal kann sie
deshalb nachts kein Auge zu tun.

Sie sind als Altenpflegerin in dem Wohnheim tätig und übernehmen die stationäre Pflege von
Frau Gräfe.

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Lernaufgaben

1. Informieren Sie sich über das Krankheitsbild und die verschiedenen Therapiekonzepte
bei Multipler Sklerose. Integrieren Sie diese später in Ihre Pflegeplanung.

2. Schauen Sie sich zur Vertiefung folgendes Video zum Thema Multiple Sklerose an:
https://www.youtube.com/watch?v=6xHOj2CjxZo

3. Entwickeln Sie für Frau Gräfe eine Pflegeplanung mit Zielen und Maßnahmen zu den
ABEDL:
o sich bewegen,
o essen und trinken,
o ausscheiden,
o für eine sichere Umgebung sorgen,
o Soziale Bereiche,
o existenzielle Erfahrungen

4. Frau Gräfe möchte von Ihnen wissen, wo sie weitere Informationen und Unterstützung
zu Ihrer Erkrankung bekommen kann. Informieren Sie sich hierzu im Internet und
machen Sie sich Notizen.

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