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Mechatronik Trinational

T3TRI1040.1
Analysis 2

Frühlingssemester 2021

Ausgearbeitet von Prof. Dr. Thomas Heim


c T. Heim, 2021

Inhalt i

Inhaltsverzeichnis

1 Ergänzungen zu den elementaren Funktionen 1


1.1 Zyklometrische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Hyperbelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.3 Areafunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.4 Polynome und rationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

Tabelle der Grundintegrale 21

2 Anwendungen der Differenzialrechnung 23


2.1 Differenzierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.2 Uneigentliche Grenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.3 Kurvendiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.4 Extremwertprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
2.5 Krümmungsradius und -kreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2.6 Ergänzung: Numerische Lösung von Gleichungen . . . . . . . . . . . . 42

3 Anwendungen der Integralrechnung 47


3.1 Bogenlänge einer Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
3.2 Volumen eines Rotationskörpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
3.3 Mantelfläche eines Rotationskörpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
3.4 Lösung von Bewegungsgleichungen durch Integration . . . . . . . . . . 53

4 Integrationsmethoden 59
4.1 Integration durch Substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
4.2 Partielle Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
4.3 Ergänzung: Integration nach Partialbruchzerlegung . . . . . . . . . . . 75
4.4 Ergänzung: Numerische Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

5 Unendliche Reihen 89
5.1 Folgen und Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
5.2 Konvergenzkriterien für Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
5.3 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
5.4 Potenzreihenentwicklung einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
5.5 Substitution und Anwendung des Hauptsatzes . . . . . . . . . . . . . . 107
ii T. Heim: Analysis 2
1. Ergänzungen zu den elementaren Funktionen 1

1 Ergänzungen zu den elementaren Funktionen

1.1 Zyklometrische Funktionen

Wir wollen die Umkehrfunktionen der trigonometrischen Funktionen bestimmen. Mit


ihnen lässt sich das Problem lösen, zu einem gegebenen Wert einer Kreisfunktion
den zugehörigen Winkel (im Bogenmass) zu finden. Diese Umkehrfunktionen heissen
zyklometrische Funktionen oder auch Arcusfunktionen (arcus: lateinisch für Bogen“).

Die trigonometrischen Funktionen (Kreisfunktionen) sind periodisch und damit sicher
nicht streng monoton. Zur Umkehrung müssen wir uns deshalb auf einzelne Monoto-
niebereiche beschränken. Man wählt solche, die möglichst um Null herum liegen.

1. Umkehrfunktion zu y = f (x) = sin x.


y
1 y = sin x

− π2 π π 3π 2π x
2 2
−1

Der Sinus ist streng monoton z.B. im Intervall [− π2 , π


2 ]. Wir bezeichnen die
Umkehrfunktion in diesem Bereich mit Arcussinus,
y = f −1 (x) = arcsin x oder y = f −1 (x) = sin−1 x.
Die zweite Schreibweise ist insbesondere in der englischsprachigen Literatur ver-
breitet. Genau wie bei der Schreibweise f −1 für eine allgemeine Umkehrfunktion
darf dies hier nicht mit dem Kehrwert des Sinus verwechselt werden,
1
arcsin x 6= .
sin x
Für Definitions- und Wertebereich finden wir
π π
Df −1 = [−1, 1], Wf −1 = [− , ].
2 2
y ist also das Bogenmass des Winkels (bzw. der Bogen im Einheitskreis), des-
sen Sinus gleich x ist. Der y-Wert im Intervall [− π2 , π2 ] wird als Hauptwert be-
zeichnet. Weitere Werte von arcsin x unterscheiden sich um 2π n, n ∈ Z, vom
Hauptwert. Wegen der Symmetrie des Sinus ist auch π − arcsin x eine mögliche
Umkehrfunktion des Sinus.
y y = arcsin x
π
2
1 y = sin x

− π2 −1 1 π x
2
−1
y=x − π2
2 T. Heim: Analysis 2

2. Umkehrfunktion zu y = f (x) = cos x.


Der Cosinus ist streng monoton in [0, π]. Die Umkehrfunktion in diesem Bereich
bezeichnen wir mit Arcuscosinus,
y = f −1 (x) = arccos x = cos−1 x, Df −1 = [−1, 1], Wf −1 = [0, π].
y ist der Bogen (Arcus) des Winkels im Einheitskreis, dessen Cosinus gleich x ist.
Der y-Wert im Intervall [0, π] ist der Hauptwert. Weitere Werte von arccos x un-
terscheiden sich um 2π n, n ∈ Z, vom Hauptwert. Ausserdem ist auch − arccos x
eine mögliche Umkehrfunktion des Cosinus.
y
y = arccos x π y=x

π
2
1

−1 1 π π x
2
−1 y = cos x

3. Umkehrfunktion zu y = f (x) = tan x.


Der Tangens ist streng monoton in (− π2 , π
2 ). Die Umkehrfunktion in diesem
Bereich bezeichnen wir mit Arcustangens,
π π
y = f −1 (x) = arctan x = tan−1 x, Df −1 = R, Wf −1 = (− , ).
2 2
y ist der Bogen des Winkels im Einheitskreis, dessen Tangens gleich x ist. Der
Wert im Intervall (− π2 , π2 ) wird Hauptwert genannt. Weitere Werte von arctan x
unterscheiden sich um π n, n ∈ Z, vom Hauptwert.
y y = tan x
y=x

π
2 y = arctan x
1

− π2 −1 1 π x
2
−1
− π2
1. Ergänzungen zu den elementaren Funktionen 3

4. Umkehrfunktion zu y = f (x) = cot x.


Der Cotangens ist streng monoton in (0, π). Die Umkehrfunktion in diesem
Bereich bezeichnet man mit Arcuscotangens,
y = f −1 (x) = arccot x = cot−1 x, Df −1 = R, Wf −1 = (0, π).
y ist der Bogen des Winkels im Einheitskreis, dessen Cotangens gleich x ist. Der
y-Wert im Intervall (0, π) wird Hauptwert genannt. Weitere Werte von arccot x
unterscheiden sich um π n, n ∈ Z, vom Hauptwert.
y
y = cot x
π y=x

π
2
1
y = arccot x
−1 1 π π x
2
−1

Beziehungen zwischen den zyklometrischen Funktionen

Aus der Definition der Umkehrfunktion ergeben sich wichtige Eigenschaften und Be-
ziehungen zwischen den trigonometrischen und den zyklometrischen Funktionen:
Es ist f (f −1 (x)) = x und f −1 (f (x)) = x,
also sin(arcsin x) = x, arcsin(sin x) = x,
cos(arccos x) = x, arccos(cos x) = x,
tan(arctan x) = x, arctan(tan x) = x,
cot(arccot x) = x, arccot(cot x) = x.
Die Beziehungen in der rechten Spalte gelten aber nur im Bereich der Hauptwerte!
Aus den Graphen der Arcusfunktionen lesen wir ausserdem die folgenden Symmetrien
der zyklomentrischen Funktionen ab:
arcsin(−x) = − arcsin x,
arccos(−x) = π − arccos x,
arctan(−x) = − arctan x,
arccot(−x) = π − arccot x.
4 T. Heim: Analysis 2

Die Hauptwerte der Arcusfunktionen sind miteinander durch die folgenden Beziehun-
gen verknüpft:
π
arcsin x + arccos x = , (1)
2
π
arctan x + arccot x = . (2)
2
Zum Beweis von (1) setzen wir z = arcsin x. Dann ist
π
x = sin z = cos( − z),
2
und damit
π π
− z = − arcsin x.
arccos x = 
2 2
Beweis von (2): Mit z = arctan x folgt
π
x = tan z = cot( − z),
2
also
π π
arccot x = − z = − arctan x. 
2 2

Übungen

Bestimmen Sie die folgenden Funktionswerte:

1. arcsin √12 ] π4 [ 2. arccos 0.6 ]729.0[


√ 4. arccot 1 ] π4 [
3. arctan 3 ] π3 [

5. arccos(− 21 ) ] π 23 [

Beweisen Sie die folgenden Beziehungen:

√ √
6. arccos x = arcsin 1 − x2 7. arcsin x = arccos 1 − x2
1 1
8. arctan x = arccot 9. arccot x = arctan
x x

10. Drücken Sie durch x aus: arccos(sin x) ]x − π2 [



1 − 2x
 
1
11. Drücken Sie durch x aus: sin arccos ] [
x x
1. Ergänzungen zu den elementaren Funktionen 5

Ableitung der zyklometrischen Funktionen

Der Arcussinus ist stetig in seinem Definitionsbereich Df = [−1, 1]. Aus

y = f (x) = arcsin x

erhalten wir
sin y = x.
Wir differenzieren implizit nach x und lösen nach y ′ auf:
d d
(sin y) = x,
dx dx
cos y · y ′ = 1,
1 1 1
y′ = =p =√ .
cos y 2
1 − sin y 1 − x2

1
⇒ [arcsin x]′ = √
1 − x2
Ganz analog gehen wir bei
y = f (x) = arctan x
vor. Die Funktion ist stetig in Df = R. Wir differenzieren

tan y = x

implizit nach x und finden


d d
(tan y) = x,
dx dx
(1 + tan2 y) · y ′ = 1,
1 1
y′ = 2 = .
1 + tan y 1 + x2

1
⇒ [arctan x]′ =
1 + x2

Damit haben wir auch zwei sehr wichtige zusätzliche Grundintegrale kennen gelernt:

1
Z
√ dx = arcsin x + c
1 − x 2

1
Z
dx = arctan x + c
1 + x2
6 T. Heim: Analysis 2

Beispiele:

1. Gesucht ist der Flächeninhalt zwischen 0 und 1 unter der Kurve


1
y = f (x) = .
1 + x2
Wir finden
1
1 π
Z
A= dx = arctan x|10 = arctan 1 − arctan 0 = .
0 1 + x2 4

y
1

f (x)

−1 0 1 2 3 x

Die Fläche bleibt sogar endlich, wenn wir die Obergrenze auf der x-Achse gegen
∞ streben lassen (siehe Übungen).

2. Wir bestimmen den Flächeninhalt unter der Kurve


1
y = f (x) = √
1 − x2
1 √1 .
zwischen 2 und 2

1/ 2 √
1 1 1 π π π
Z
1/ 2
√ dx = arcsin x|1/2 = arcsin √ − arcsin = − = .
1/2 1−x 2 2 2 4 6 12
y
f (x)

1
1
2

x
−1 − 1 0 1 1
2 2

Übungen

1. Bestimmen Sie durch implizites Differenzieren die Ableitung von


1
(a) y = f (x) = arccos x ] √ −[
2x
−1
1
(b) y = f (x) = arccot x ]2 −[
x+1
1. Ergänzungen zu den elementaren Funktionen 7

2. Bestimmen Sie die erste Ableitung von

(a) f (ξ) = (1 + ξ 2 ) arctan ξ ]1 + ξ natcra ξ2[


x4
(b) f (x) = x arcsin(4x) ] √ + )x4(niscra[
2x61 − 1

(c) f (z) = arcsin z + arccos z ]0[


x 1
(d) f (x) = arcsin √ ]2 [
1 + x2 x+1

(e) f (x) = x arctan x − ln 1 + x2 ]x natcra[
x √ x
(f) f (x) = x arcsin + a2 − x2 ] niscra[
a a
Z y  
π 1 π5 π
3. +√ dα ] − y niscra + y [
1/2 2 1 − α2 21 2

4. Berechnen Sie den gesamten Flächeninhalt zwischen der x-Achse und der Kurve
mit der Gleichung
1
y = f (x) = .
1 + x2
Hinweis: Uneigentliches Integral! ] π[

5. An der Stelle x0 werden die Tangenten an die Hauptzweige der Bildkurven von
y = f (x) = arctan x und y = g(x) = arccot x gelegt. Welche x-Koordinate xs
hat der Schnittpunkt der beiden Tangenten? ]) 0x natcra − π4 () 20x + 1( + 0x[
y

tg π
2 y = f (x)
bc

bc

tf bc

y = g(x)
xs x0 x
8 T. Heim: Analysis 2

1.2 Hyperbelfunktionen

Die Hyperbelfunktionen bilden eine Gruppe von Funktionen analog zu den Kreisfunk-
tionen. Sie sind eng mit diesen verwandt. Der Zusammenhang zwischen trigonome-
trischen und hyperbolischen Funktionen wird offensichtlich, wenn man die komplexen
Zahlen zugrunde legt. Im Bereich der reellen Zahlen lassen sich die Hyperbelfunktio-
nen als Kombinationen von Exponentialfunktionen schreiben. Sie besitzen Additions-
theoreme ganz analog zu denen der Kreisfunktionen. In der hyperbolischen Geometrie
spielen sie die gleiche Rolle wie die trigonometrischen Funktionen in der elliptischen
Geometrie.

1. Hyperbelsinus (Sinus hyperbolicus)

ex − e−x
y = f (x) = sinh x = .
2
Aus den Eigenschaften der Exponentialfunktion ergibt sich

Df = R, Wf = R.

Die Symmetrie lässt sich leicht feststellen:

e−x − ex
sinh(−x) = = − sinh x.
2
Der Sinus hyperbolicus ist eine ungerade Funktion.
y
sinh x

1
1 x
2e 1
x
− 12 e−x

2. Hyperbelcosinus (Cosinus hyperbolicus)

ex + e−x
y = f (x) = cosh x = .
2
1. Ergänzungen zu den elementaren Funktionen 9

Es ist
Df = R, Wf = [1, ∞).
Für die Symmetrie finden wir

e−x + ex
cosh(−x) = = cosh x.
2
Der Cosinus hyperbolicus ist eine gerade Funktion.
y
cosh x

1
1 x 1 −x
2e 2e

1 x

Der Cosinus hyperbolicus heisst auch Kettenlinie, weil eine durchhängende Kette
genau die Form des Graphen von y = cosh x hat.

3. Hyperbeltangens (Tangens hyperbolicus)

sinh x ex − e−x
y = f (x) = tanh x = = x ,
cosh x e + e−x
Df = R, Wf = (−1, 1).
Wegen
e−x − ex
tanh(−x) = = − tanh x
e−x + ex
ist der Tangens hyperbolicus eine ungerade Funktion.
y
1 tanh x

1 x

4. Hyperbelcotangens (Cotangens hyperbolicus)

cosh x ex + e−x
y = f (x) = coth x = = x ,
sinh x e − e−x
Df = R \ {0}, Wf = (−∞, −1) ∪ (1, ∞).
10 T. Heim: Analysis 2

Wegen
e−x + ex
coth(−x) = = − coth x
e−x − ex
ist der Cotangens hyperbolicus eine ungerade Funktion.
y

1 coth x

1 x

In den Diagrammen sind jeweils auch die Asymptoten eingezeichnet. Besonders wich-
tig unter diesen vier Funktionen sind der sinh x und der cosh x.
Durch Einsetzen der jeweiligen Definition in Form von Exponentialfunktionen lassen
sich viele Beziehungen zwischen den Hyperbelfunktionen einfach nachweisen. Einige
Beispiele:

1. cosh x + sinh x = ex .
ex + e−x ex − e−x
Beweis: + = ex 
2 2

2. Additionstheoreme:

sinh(x ± y) = sinh x cosh y ± cosh x sinh y,


cosh(x ± y) = cosh x cosh y ± sinh x sinh y.

3. Verdoppelte Argumente:

sinh(2x) = 2 sinh x cosh x,


cosh(2x) = cosh2 x + sinh2 x.

4. Hyperbolischer Pythagoras: cosh2 x − sinh2 x = 1


2  x 2
ex + e−x e − e−x

2 2
Beweis: cosh x − sinh x = −
2 2
2x
e +2+e −2x 2x
e − 2 + e−2x
= − =1 
4 4
1. Ergänzungen zu den elementaren Funktionen 11

Geometrische Interpretation

Der folgende Vergleich von hyperbolischer und elliptischer Geometrie verdeutlicht


die Parallelen zwischen den trigonometrischen Funktionen (Kreisfunktionen) und den
Hyperbelfunktionen.

Einheitshyperbel Einheitskreis
Mittelpunktsgleichung Mittelpunktsgleichung

x2 − y 2 = 1. x2 + y 2 = 1.

Parameterdarstellung für P (x, y) auf Parameterdarstellung für P (x, y) auf


dem rechten Hyperbelast: dem ganzen Kreis:

x(t) = cosh t, y(t) = sinh t, x(t) = cos t, y(t) = sin t,


− ∞ < t < ∞, 0 ≤ t ≤ 2π,
→ x2 − y 2 = cosh2 t − sinh2 t = 1. → x2 + y 2 = cos2 t + sin2 t = 1.
y y

1 S
bc

y(t) bc
S bc
P
1
bc
P R bc

R bc y(t) bc bc

A t A
bc bc

−1 O 1 x(t) x −1 O x(t) 1 x

Die Koordinaten der Punkte R und S Die Koordinaten der Punkte R und S
auf dem Fahrstrahl durch OP lauten auf dem Fahrstrahl durch OP lauten

R(1, tanh t) und S(coth t, 1). R(1, tan t) und S(cot t, 1).

Der Parameter t ist mit dem Inhalt der Der Parameter t ist mit dem Inhalt
von der x-Achse, der Einheitshyper- der von der x-Achse, dem Einheits-
bel und dem Fahrstrahl OP begrenzten kreis und dem Fahrstrahl OP begrenz-
Sektorfläche verknüpft: ten Sektorfläche verknüpft:
1 1 1
A = t, A= r b = t,
2 2 2
was wir mit den uns bisher bekannten weil der Radius r = 1 ist (Einheits-
Integralen allerdings noch nicht nach- kreis) und der Winkel t deshalb auch
weisen können. der Bogenlänge b = r t entspricht.
12 T. Heim: Analysis 2

Ableitungen der Hyperbelfunktionen

Die Ableitungen der Hyperbelfunktionen ergeben sich direkt aus den definierenden
Ausdrücken mit der Exponentialfunktion.
 x ′
′ e − e−x ex + e−x
[sinh x] = = = cosh x
2 2
 x ′
′ e + e−x ex − e−x
[cosh x] = = = sinh x
2 2
sinh x ′ cosh2 x − sinh2 x
 
1

[tanh x] = = 2 = = 1 − tanh2 x
cosh x cosh x cosh2 x
cosh x ′ sinh2 x − cosh2 x
 
1

[coth x] = = 2 =− = 1 − coth2 x
sinh x sinh x sinh2 x
Dementsprechend erhalten wir vier weitere Grundintegrale:
Z Z
sinh x dx = cosh x + c, cosh x dx = sinh x + c,
1 1
Z Z
2 dx = tanh x + c, dx = − coth x + c.
cosh x sinh2 x

Übungen

Bestimmen Sie die erste Ableitung von:


x 1
1. f (x) = tanh ]x 2 [
2 2 hsoc 2
2 2
2. f (t) = cosh t + sinh t ])t2(hnis 2[
3. ψ(α) = ln cosh(2α) ])α2(hnat 2[
1
4. φ(u) = arcsin(tanh u) ] [
u hsoc
5. Freier Fall mit Luftwiderstand: Ein Körper mit Masse m fällt unter dem Einfluss
der Schwerkraft m g und wird dabei von der Reibungskraft FL = 12 ρL A cw v 2
(Luftwiderstand) abgebremst, wo ρL die Dichte der Luft, A die der Luftströmung
ausgesetzte Querschnittsfläche, cw der Luftwiderstandsbeiwert und v die Ge-
schwindigkeit des Körpers relativ zur Luft ist. Für den zurückgelegten Weg (als
Funktion der Zeit) gilt dann:
r !
2m g ρL cw A
s(t) = ln cosh t .
ρL cw A 2m
 q q
A wc Lρ g
Berechnen Sie die Geschwindigkeit v(t). ] t m2 hnat Agwmc 2Lρ [

6. Beweisen Sie die Additionstheoreme und die Formeln für verdoppelte Argumente
von Hyperbelsinus und -cosinus auf Seite 10.
1. Ergänzungen zu den elementaren Funktionen 13

1.3 Areafunktionen

Die Umkehrfunktionen der Hyperbelfunktionen heissen Areafunktionen (area: lat.


Fläche), weil sich die Funktionswerte geometrisch als Inhalt der Sektorfläche an der
Einheitshyperbel interpretieren lassen, wie wir auf Seite 11 gesehen haben. Aus ana-
logem Grund werden die Umkehrfunktionen der Kreisfunktionen als Arcusfunktionen
bezeichnet, da sie den zum Funktionswert der trigonometrischen Funktionen gehören-
den Bogen (arcus) liefern.
Mit Ausnahme des Cosinus hyperbolicus sind alle Hyperbelfunktionen streng monoton
über dem ganzen Definitionsbereich und können daher ohne Weiteres gebildet werden.
Beim cosh x müssen wir für die beiden Monotoniebereiche x ≤ 0 und x ≥ 0 separate
Umkehrfunktionen einführen. Allerdings werden beide Varianten unter dem gleichen
Namen zusammengefasst.

f (x) → f −1 (x) Df −1 Wf −1
sinh x arsinh x R R
cosh x ± arcosh x [1, ∞) [0, ∞) oder (−∞, 0]
tanh x artanh x (−1, 1) R
coth x arcoth x (−∞, −1) ∪ (1, ∞) R \ {0}

Der Name der Funktion arsinh x lautet Areasinus hyperbolicus (nicht Arcussinus hy-
perbolicus, da es ja nichts mit einem Bogen zu tun hat), und entsprechend für die
übrigen Umkehrfunktionen.

y = arcosh x
1

−1 1 x

y = − arcosh x
y = arsinh x

y y
y = artanh x y = arcoth x

1 1

−1 1 x −1 1 x

y = arcoth x
14 T. Heim: Analysis 2

Beziehungen zwischen den Areafunktionen

Als Umkehrfunktionen der Hyperbelfunktionen erfüllen die Areafunktionen die Be-


ziehungen
f (f −1 (x)) = x und f −1 (f (x)) = x,
sinh(arsinh x) = x, arsinh(sinh x) = x,
cosh(arcosh x) = x, arcosh(cosh x) = x,
tanh(artanh x) = x, artanh(tanh x) = x,
coth(arcoth x) = x, arcoth(coth x) = x.
Aus den Graphen der Areafunktionen ergeben sich ausserdem die folgenden Symme-
trien:
arsinh(−x) = − arsinh x,
artanh(−x) = − artanh x,
arcoth(−x) = − arcoth x.
Die Areafunktionen lassen sich als Logarithmen schreiben,
p
arsinh x = ln(x + x2 + 1),
p
arcosh x = ln(x + x2 − 1),
1 1+x
artanh x = ln ,
2 1−x
1 x+1
arcoth x = ln .
2 x−1
Die Beweise ergeben sich aus der Darstellung der Hyperbelfunktionen als Kombina-
tionen von Exponentialfunktionen, zum Beispiel:
y = f (x) = arcosh x
ey + e−y
→ x = cosh y =
2
1
2x = ey + e−y = ey + y
e
e2y − 2x ey + 1 = 0, quadratische Gleichung für ey
p
→ ey = x ± x2 − 1.
Mit der positiven Wurzel ergibt sich
p p
ey = x + x2 − 1 → y = ln(x + x2 − 1) = arcosh x.
Das ist die eine mögliche Umkehrfunktion, mit positiven Funktionswerten. Das andere
Vorzeichen vor der Wurzel führt auf
p p
ey = x − x2 − 1 → y = ln(x − x2 − 1),
was sich weiter umformen lässt zu
p x2 − (x2 − 1) p
y = ln(x − x2 − 1) = ln √ = − ln(x + x2 − 1) = − arcosh x.
x + x2 − 1
Das ist die Umkehrfunktion mit negativen Funktionswerten. 
1. Ergänzungen zu den elementaren Funktionen 15

Übungen

1. Berechnen Sie arsinh(1) ]188.0[

2. Berechnen Sie arcosh(2.6) ]906.1[

3. Berechnen Sie artanh(−0.5) ]945.0−[

4. Beweisen Sie die Logarithmusdarstellungen für arsinh x, artanh x und arcoth x.

Bestimmen Sie durch implizites Differenzieren:

1
5. [arsinh x]′ ] √[
1 + 2x
1
6. [arcosh x]′ ] √[
1 − 2x
1
7. [artanh x]′ ]1 < |x| ,2 [
x−1
1
8. [arcoth x]′ ]1 > |x| ,2 [
x−1

Bilden Sie die erste Ableitung von:

2x 2
9. f (x) = artanh ]2 [
1 + x2 x−1
10. f (x) = x artanh x + 12 ln(1 − x2 ) ]x hnatra[

11. f (x) = x arsinh x − x2 + 1 ]x hnisra[
Z 0.5
1
12. dγ ]3945.0[
0 1 − γ2
Z 4
1
13. 2
dt ]9392.0−[
2 1−t
Z 5
1
14. √ dz ]213.2[
2
z +1
0

15. Berechnen Sie den Inhalt der Fläche, die von den folgenden Kurven begrenzt
wird:
1
y=√ , y = 0, x = −a, x = a.
2
x +1
(Skizze erstellen!) ]a hnisra 2[
16 T. Heim: Analysis 2

1.4 Polynome und rationale Funktionen

Polynome (oder ganzrationale Funktionen) sind vom Typ


n
X
p(x) = an xn + an−1 xn−1 + . . . + a1 x + a0 = ak xk , n ∈ N,
k=0

d.h. sie sind Summen von endlich vielen Potenzfunktionen xk , die je nach Expo-
nent mit verschiedenen Konstanten ak multipliziert sind. Sind die n + 1 Koeffizienten
a0 , . . . , an bekannt, so ist das Polynom eindeutig bestimmt.
Die höchste vorkommende Potenz n heisst Grad des Polynoms. Sie bestimmt das
asymptotische Verhalten der Funktion für x → ±∞.
Ein Polynom vom Grad n kann (im Komplexen) immer als Produkt von n Linear-

faktoren“ geschrieben werden,

p(x) = an (x − x1 ) · (x − x2 ) · . . . · (x − xn ),

aus dem sich die Nullstellen x1 , x2 , . . . , xn , also die x-Werte mit p(x) = 0, besonders
leicht ablesen lassen. Im Komplexen hat jedes Polynom vom Grad n genau n Nullstel-
len. Dabei können mehrere Nullstellen zusammen fallen (mehrfache Nullstellen). Sind
alle Polynomkoeffizienten reell, ak ∈ R für k = 0, . . . , n, so treten allfällige komplexe
Nullstellen immer in konjugiert komplexen Paaren auf. In diesem Fall lässt sich das
Polynom reell in der folgenden Art faktorisieren:

p(x) = an (x − x1 ) · (x − x2 ) · . . . · (x − xm ) · (x2 + α1 x + β1 ) · . . . · (x2 + αr x + βr ),

wobei x1 , . . . , xm reelle Nullstellen sind und die übrigen Faktoren keine reellen Null-
stellen besitzen, also α2j − 4βj < 0 für j = 1, . . . , r = 21 (n − m).
Summe, Differenz und Produkt von Polynomen sind wieder Polynome. Werden jedoch
zwei Polynome durcheinander dividiert, so ergibt sich eine rationale Funktion

an xn + an−1 xn−1 + . . . + a1 x + a0
r(x) = .
bm xm + bm−1 xm−1 + . . . + b1 x + b0

Ist der Grad n des Zählerpolynoms kleiner als der des Nennerpolynoms, n < m, so
heisst die Funktion echt gebrochenrational“, andernfalls unecht gebrochenrational“.
” ”
Im letzteren Fall kann immer der ganzrationale Teil abdividiert werden.
Die Nullstellen des Nennerpolynoms sind Definitionslücken der Funktion. Falls dort
nicht auch der Zähler Null ist, bezeichnet man diese Stellen als Pole von r(x). Diese
Unendlichkeitsstellen sind nicht behebbare Definitionslücken.
1. Ergänzungen zu den elementaren Funktionen 17

Interpolationspolynome

Zur eindeutigen Festlegung eines Polynoms n-ten Grades reicht die Angabe von n + 1
Punkten, durch die der Graph der Funktion gehen soll. Umgekehrt kann durch n + 1
vorgegebene Punkte ein eindeutig bestimmbares Polynom vom Grad kleiner gleich n
gelegt werden. Damit lassen sich dann Funktionswerte auch zwischen den vorgegebe-
nen Punkten berechnen, was man als Interpolation bezeichnet. Das Interpolationspo-
lynom schreibt man am besten in der Newtonschen Form

p(x) = c0 + c1 (x − x0 ) + c2 (x − x0 ) · (x − x1 ) + . . . + cn (x − x0 ) · . . . · (x − xn−1 ),

wo x0 , . . . , xn die vorgegebenen x-Werte sind. Fordert man, dass dieses Polynom durch
die vorgegebenen Punkte P0 (x0 , y0 ), P1 (x1 , y1 ), . . . , Pn (xn , yn ) gehen soll, ergeben
sich n + 1 Gleichungen:

y0 = c0 aus p(x0 ) = y0
y1 = c0 + c1 (x1 − x0 ) aus p(x1 ) = y1
y2 = c0 + c1 (x2 − x0 ) + c2 (x2 − x0 )(x2 − x1 ) aus p(x2 ) = y2
..
.
yn = c0 + c1 (xn − x0 ) + c2 (xn − x0 )(xn − x1 ) + . . . + cn (x − x0 ) · . . . · (x − xn−1 )

Das Gleichungssystem für die Unbekannten ck hat Dreiecksgestalt und kann sehr
einfach durch Vorwärtseinsetzen gelöst werden.
Beispiel: Interpolationspolynom (3. Grades) durch die vier Punkte

P0 (−1, −14), P1 (2, 16), P2 (5, 28), P3 (7, −54).

Ansatz p(x) = c0 + c1 (x − x0 ) + c2 (x − x0 )(x − x1 ) + c3 (x − x0 )(x − x1 )(x − x2 ), also

p(x) = c0 + c1 (x + 1) + c2 (x + 1)(x − 2) + c3 (x + 1)(x − 2)(x − 5).

Koordinaten der vier Punkte eingesetzt liefert

−14 = p(−1) = c0
16 = p( 2) = c0 + c1 (2 + 1)
28 = p( 5) = c0 + c1 (5 + 1) + c2 (5 + 1)(5 − 2)
−54 = p( 7) = c0 + c1 (7 + 1) + c2 (7 + 1)(7 − 2) + c3 (7 + 1)(7 − 2)(7 − 5)

Die Auflösung von oben nach unten ergibt

−14 = c0 → c0 = −14
16 + 14
16 = c0 + 3c1 → c1 = = 10
3
28 + 14 − 60
28 = c0 + 6c1 + 18c2 → c2 = = −1
18
−54 + 14 − 80 + 40
−54 = c0 + 8c1 + 40c2 + 80c3 → c3 = = −1
80
18 T. Heim: Analysis 2

und somit

p(x) = −14 + 10(x + 1) − (x + 1)(x − 2) − (x + 1)(x − 2)(x − 5)


= −x3 + 5x2 + 8x − 12

durch Ausmultiplizieren.
Soll das Polynom nun noch durch einen zusätzlichen Punkt gehen, z.B. P4 (4, 66), so
muss zum bestehenden Polynom nur der Summand

s(x) = c4 (x − x0 )(x − x1 )(x − x2 )(x − x3 ) = c4 (x + 1)(x − 2)(x − 5)(x − 7)

addiert werden, der ein Polynom 4. Grades ergibt. Aus p̃(4) = p(4) + s(4) = 66 wird
c4 bestimmt. Mit obigem p(x) ist p(4) = 36, also

66 = 36 + c4 (4 + 1)(4 − 2)(4 − 5)(4 − 7)


66 = 36 + 30c4 → c4 = 1.

Der zusätzliche Teil erfüllt nach Konstruktion s(−1) = s(2) = s(5) = s(7) = 0. Daher
geht auch das neue Polynom

p̃(x) = p(x) + s(x) = −x3 + 5x2 + 8x − 12 + (x + 1)(x − 2)(x − 5)(x − 7)


= x4 − 14x3 + 50x2 − 3x − 82

durch die vorherigen Punkte, und zusätzlich durch den neuen Punkt P4 .
y
70 b
P4
60
50
40
30 b
P2

20 P1 p̃(x)
b

10

−3 −2 −1 1 2 3 4 5 6 7 8 x
−10
b

P0 −20
−30
−40
−50 b
P3
−60
−70
−80 p(x)
1. Ergänzungen zu den elementaren Funktionen 19

Dieses Beispiel zeigt auch, wie drastisch sich das Interpolationspolynom ändert, wenn
andere oder zusätzliche Punkte vorgegeben werden. Interpolationen über grosse In-
tervalle sind meistens unzuverlässig.
Sind viele Punkte gegeben (n gross), so ist eine globale Interpolation mit einem ein-
zigen Polynom von hohem Grad meistens nicht sinnvoll. Häufig ergeben sich so
nämlich unerwünschte Oszillationen und insbesondere in der Nähe der äussersten
Stützstellen starke Ausschläge der interpolierenden Funktion. In solchen Fällen ist
es oft besser, abschnittweise verschiedene interpolierende Polynome von jeweils nur
niedrigem Grad durch die Punkte zu legen. Beispiele für dieses Vorgehen sind Interpo-
lationen mit so genannten B-Splines“. Insbesondere kubische B-Splines erlauben es,

abschnittweise durch Polynome 3. Grades zu interpolieren, wobei die verschiedenen
Teilintervalle glatt (ohne Knicke oder Unregelmässigkeiten in der Kurvenkrümmung)
aneinander anschliessen.

Übungen
1
1. Interpolation einer vorgegebenen Funktion: Die Funktion y = f (x) =
1 + x2
geht durch die Punkte

P1 (0, 1), P2 (1, 0.5), P3 (−1, 0.5), P4 (2, 0.2), P5 (−2, 0.2).

(a) Wie lautet das Interpolationspolynom 3. Grades, das durch die vier Punkte
P1 , P2 , P3 , P4 geht? ]1 + x2.0 − 2x5.0 − 3x2.0[
(b) Wie lautet das Interpolationspolynom 4. Grades, das durch alle 5 Punkte
P1 , P2 , P3 , P4 , P5 geht? ]1 + 2x6.0 − 4x1.0[

Vergleichen Sie die Interpolationspolynome mit der Funktion f (x) !

y
(b) (a)
2

b
P1
P3 P2
P5 b b
P4 f (x)
b b

−3 −2 −1 1 2 3 x
−1

Die Interpolation ist meistens nur in der Nähe der inneren“ Punkte brauchbar, nicht

bei den äussersten der vorgegebenen Punkte und auf keinen Fall ausserhalb des In-
tervalls, das die gegebenen Punkte enthält (sonst spricht man von Extrapolation).
Abschnittweise Interpolation mit Geraden- oder Parabelstücken ist oft zuverlässiger.
20

Multiple choice Fragen: Kreuzen Sie alle zutreffenden Antworten an (keine, eine oder mehrere Antworten möglich)

Nr. Frage Antwort A Antwort B Antwort C Antwort D


Welche der folgenden
Klammerausdrücke
1. sind Faktoren des (x + 1) (x + 3) (x − 2) (x − 5)
Polynoms
x4 −4x3 −3x2 −8x−10 ?

Welche der folgenden


Gleichungen besitzen
2. die Lösungen 1 oder x5 − 2x4 + x − 20 = 0 −2x4 − 6x2 − 4 = 0 x14 + 7 = 0 x−2=0
−3 ?

Welche der folgenden


3. Polynome besitzen (x + 7)5 x2 − 6x + 9 x4 + 8 x6
mehrfache Nullstellen?

Welche der folgenden


rationalen Funktionen 1 2x
4.
x2 − 2x + 3 x3 + x − 1
sind in ganz R defi- 5 3
x −x −x−1 x4 + 2 3
x − 17 x2 + 16x + 100
niert?

Welche der folgenden


rationalen Funktionen 1 2x
5.
x2 − 2x + 3 x3 + x − 1
besitzen reelle Null- 5 3
x −x −x−1 x4 + 2 3
x − 17 x2 + 16x + 100
stellen?
T. Heim: Analysis 2

]DC5,DB4,DBA3,–2,DA1[
Grundintegrale 21

Tabelle der Grundintegrale

Die Stammfunktionen sind immer nur bis auf eine beliebige additive Konstante c
eindeutig.

Ableitung Integral
Z
[c]′ =0 0 dx = c
Z
[x]′ = 1 1 dx = x + c

1
Z
[xn+1 ]′ = (n + 1) xn , n 6= −1 xn dx = xn+1 + c, n 6= −1
n+1
1 1
Z
[ln x]′
= , x>0 dx = ln |x| + c
x x
−1 1 1
Z
[ln(−x)]′ = = , x<0 dx = ln |x| + c
−x x x
Z
[ex ]′ = ex ex dx = ex + c

1 x
Z
[ax ]′ = ax ln a ax dx = a + c, a 6= 1
ln a
Z
[sin x]′ = cos x cos x dx = sin x + c
Z
[cos x]′ = − sin x sin x dx = − cos x + c

1 1
Z
[tan x]′ = = 1 + tan2 x dx = tan x + c
cos2 x cos2 x
Z
tan2 x dx = tan x − x + c

1 1
Z
[cot x]′ = − = −1 − cot2 x dx = − cot x + c
sin2 x sin2 x
Z
cot2 x dx = − cot x − x + c

1 1
Z
[arcsin x]′ =√ √ dx = arcsin x + c1
1 − x2 1 − x2
1 1
Z
[arccos x]′ = − √ √ dx = − arccos x + c2
1 − x2 1 − x2
1 1
Z
[arctan x]′ = dx = arctan x + c1
1 + x2 1 + x2
1 1
Z
[arccot x]′ = − dx = − arccot x + c2
1 + x2 1 + x2
22 T. Heim: Differenzial- und Integralrechnung

Ableitung Integral
Z
[sinh x]′ = cosh x cosh x dx = sinh x + c
Z
[cosh x]′ = sinh x sinh x dx = cosh x + c

1 1
Z
[tanh x]′ = = 1 − tanh2 x dx = tanh x + c
cosh2 x cosh2 x
Z
tanh2 x dx = x − tanh x + c

1 1
Z
[coth x]′ =− = 1 − coth2 x dx = − coth x + c
sinh2 x sinh2 x
Z
coth2 x dx = x − coth x + c

1 1
Z
[arsinh x]′ =√ √ dx = arsinh x + c
x2 +1 2
x +1

= ln(x + x2 + 1) + c
1 1
Z
[arcosh x]′ =√ √ dx = arcosh x + c
x2 − 1 x2 − 1

= ln(x + x2 − 1) + c, x > 1
1 1
Z
[artanh x]′ = , |x| < 1 dx = artanh x + c
1 − x2 1 − x2
1 1+x
= ln + c, |x| < 1
2 1−x
1 1
Z
[arcoth x]′ = , |x| > 1 dx = arcoth x + c
1 − x2 1 − x2
1 x+1
= ln + c, |x| > 1
2 x−1

Integrationsmethoden:
Z b Z u(b)

Substitution f [u(x)] u (x) dx = f (z) dz mit z = u(x)
a u(a)
Z b Z b
partielle Integration u(x) v ′ (x) dx = u(x) v(x)|ba − u′ (x) v(x) dx
a a
2. Anwendungen der Differenzialrechnung 23

2 Anwendungen der Differenzialrechnung

2.1 Differenzierbarkeit

Die Steigung der Tangente lässt sich nicht bei jeder Funktion in jedem Punkt eindeutig
bestimmen. Für die Differenzierbarkeit einer Funktion gilt die

Eine Funktion y = f (x) heisst differenzierbar an der


Stelle x ihres Definitionsbereichs, x ∈ Df , wenn der
allgemeine Grenzwert
Definition:
∆y f (x + ∆x) − f (x)
lim = lim
∆x→0 ∆x ∆x→0 ∆x
existiert und gleich einer endlichen Zahl ist.

Die Funktion y = f (x) heisst differenzierbar im Intervall (a, b) ⊆ Df , wenn sie in


jedem Punkt des Intervalls differenzierbar ist.
Die Existenz des allgemeinen Grenzwerts des Differenzialquotienten erfordert, dass
die Steigung sowohl von links wie von rechts zur Stelle x kommend gleich sein muss.
Damit ist auch klar, dass eine Funktion in den Randpunkten ihres Definitionsbereichs
nicht differenzierbar ist, wenn Df ein abgeschlossenes Intervall [a, b] ist.
Falls f (x) an einer Stelle zwar definiert, dort aber nicht stetig ist, weil die Funktion
etwa eine Sprungunstetigkeit aufweist, so kann sicher nicht von beiden Seiten eine
eindeutige Tangentensteigung gefunden werden.
y

x
x0

Die folgenden Anforderungen an f (x) für Differenzierbarkeit bei x = x0 sind notwen-


dig, aber nicht hinreichend:

1. die Funktion f muss definiert sein im Punkt x = x0 ;

2. die Funktion f muss stetig sein im Punkt x = x0 .

Wenn die Tangentensteigung an einer Stelle x des Definitionsbereichs von f eindeutig


bestimmt ist, dann muss dort sicher auch der Funktionswert von links und von rechts
kommend übereinstimmen. Es gilt also der

Ist eine Funktion bei x = x0 differenzierbar, so ist sie


Satz: dort auch stetig. Differenzierbarkeit impliziert Stetig-
keit.
24 T. Heim: Analysis 2

Die Umkehrung dieses Satzes ist jedoch nicht richtig. Nicht jede stetige Funktion ist
auch differenzierbar. Bei einem Knick sind z.B. linksseitige und rechtsseitige Tangen-
tensteigung verschieden. Somit existiert dort der allgemeine Grenzwert des Differen-
zialquotienten nicht.
y

x
x0
Hier müssen wir separat eine rechts- und eine linksseitige Ableitung bilden,
f (x + ∆x) − f (x) f (x) − f (x − ∆x)
lim und lim ,
∆x↓0 ∆x ∆x↓0 ∆x
die bei x = x0 zwei verschiedene Werte annehmen.
Beispiel:
y = f (x) = x2 − |x − 1| − 2
Wie immer bei Betragsfunktionen schreiben wir die Funktion mit abschnittweise gülti-
gen Definitionen:
(
x2 − (x − 1) − 2 = (x − 12 )2 − 54 für x ≥ 1,
y = f (x) =
x2 − (1 − x) − 2 = (x + 21 )2 − 13
4 für x ≤ 1.

Die Ableitung ist demnach


(
′ ′ 2x − 1 für x > 1,
y = f (x) =
2x + 1 für x < 1.

Für x = 1 ist die Ableitung nicht definiert. Erstaunlicherweise kann man sogar Funk-
tionen finden, die für alle x ∈ R stetig, aber in keinem einzigen Punkt differenzierbar
sind! Das wurde zuerst von Karl Weierstrass (1815–1897) gezeigt. Ausserdem ist es
möglich, dass die Ableitung an einer Stelle zwar existiert, aber dort nicht stetig ist.

Übungen

Untersuchen Sie die Funktion f auf Differenzierbarkeit. Ist f an einer Stelle nicht
differenzierbar, so sollen die links- und rechtsseitige Ableitung (f−′ und f+′ ) an dieser
Stelle bestimmt werden.

1. f (x) = |x2 − 4| ]4 = +′ f =6 4− = −′ f : 2± = x[

2. f (x) = |x2 − 2x − 3| ]4 = +′ f =6 4− = −′ f : 2 ± 1 = x[

3. f (x) = (x − 2) |x + 3| ]5− = +′ f =6 5 = −′ f : 3− = x[
p
4. f (u) = |u| |u| ]rab.ffid ,0 = +′ f = −′ f : 0 = u[
2. Anwendungen der Differenzialrechnung 25

2.2 Uneigentliche Grenzwerte

In Analysis 1 haben wir gesehen, dass Grenzwerte von Summen, Produkten und Quo-
tienten von Funktionen gliedweise berechnet werden können:

lim [f (x) + g(x)] = lim f (x) + lim g(x),


x→a x→a x→a
lim [f (x) g(x)] = lim f (x) lim g(x),
x→a x→a x→a
f (x) limx→a f (x)
lim = für lim g(x) 6= 0.
x→a g(x) limx→a g(x) x→a

Bei der Grenzwertberechnung können aber auch Schwierigkeiten auftreten, die auf
uneigentliche Grenzwerte führen. Zum Beispiel müsste man bei
?
lim (x4 − x3 ) = ∞ − ∞
x→∞

zuerste x4 ausklammern,
1
lim (x4 − x3 ) = lim x4 (1 − ) = lim x4 · 1 = ∞.
x→∞ x→∞ x x→∞

Weil das Zeichen ∞ keine wirkliche Zahl darstellt, müssen wir beim Umgang mit die-
sem Symbol vorsichtig sein. Wir geben hier eine Zusammenstellung der Rechenregeln
mit dem Zeichen ∞. Dabei ist a eine endliche Konstante.

bestimmt unbestimmt
Summen, a ± ∞ = ±∞
Differenzen ±∞ ± ∞ = ±∞ ∞−∞
Produkte ±∞ · (±∞) = ∞
∓∞ · (±∞) = −∞
a · ∞ = ∞ · sgn(a) für a 6= 0 0 · (±∞)
a ±∞
Quotienten =0
±∞ ∞
a ±∞ 0
= ∞, =∞

0 0 0
Potenzen a∞ = ∞, a−∞ = 0 für a > 1
a∞ = 0, a−∞ = ∞ für 0 < a < 1 1±∞
∞a = ∞ für a > 0
∞a = 0 für a < 0 ∞0
0∞ = 0 00
∞∞ = ∞, ∞−∞ = 0

a
Bei ±∞
0 und 0 ist keine eindeutige Aussage möglich, da rechtsseitiger und linksseitiger
Grenzwert verschieden sein können.
Im Folgenden stellen wir nun Regeln zur Berechnung von uneigentlichen Grenzwerten
der Form
0 ±∞
∞ − ∞, 0 · (±∞), , , 1∞ , 00 , ∞0
0 ∞
auf.
26 T. Heim: Analysis 2

Regel von Bernoulli und de l’Hôpital

Voraussetzung: f (x) und g(x) seien in einer Umgebung von x = a differenzierbar


und
f (a) = g(a) = 0.
Behauptung:
f (x) f ′ (x)
lim = lim ′
x→a g(x) x→a g (x)

Dabei kann a auch im Unendlichen liegen, a = ±∞.


Den Beweis kann man mit Hilfe von Reihenentwicklungen führen; wir verzichten aber
darauf.
Bemerkungen:

1. Diese Regel ist klar zu unterscheiden von der Quotientenregel!

2. Ergibt sich für das Verhältnis der Ableitungen f ′ /g ′ wieder ein unbestimmter
Ausdruck der Form 00 , so wird die Regel erneut angewendet, bis ein bestimmbarer
Grenzwert erscheint.

3. Nach jedem solchen Schritt muss geprüft werden, ob der Grenzwert nun be-
stimmt werden kann. Wenn der Grenzwert existiert, darf die Regel nicht noch
einmal angewendet werden!

4. Die Regel darf nur angewendet werden, wenn ein Grenzwert unbestimmter Form
vorliegt.

5. Die Regel funktioniert auch für Quotienten der Form , denn es ist

∞ f (x) 1/g(x) 0
= lim = lim = .
∞ x→a g(x) x→a 1/f (x) 0
Eine Zusammenstellung weiterer Umformungen für andere uneigentliche Grenz-
werte folgt nach ersten Beispielen.

Beispiele

sin x cos x
1. lim = lim = 1.
x→0 x x→0 1
x2 − 2 + 2 cos x 2x − 2 sin x 2 − 2 cos x
2. lim = lim = lim
x→0 x4 x→0 4x3 x→0 12x2
2 sin x 2 cos x 1
= lim = lim = .
x→0 24x x→0 24 12
xn n xn−1 n!
3. lim x = lim x
= . . . = lim x = 0 nach n-maliger Anwendung.
x→∞ e x→∞ e x→∞ e
ln x 1 1
4. lim = lim = lim =0 für n > 0.
x→∞ xn x→∞ x n xn−1 x→∞ n xn
2. Anwendungen der Differenzialrechnung 27

Die letzten beiden Beispiele zeigen einmal mehr, dass die Exponentialfunktion schnel-
ler wächst als jede Potenz, und dass jede Potenz mit positivem Exponent schneller
wächst als der Logarithmus.
0
Die übrigen unbestimmten Formen von Grenzwerten können wir auf die Form 0
zurückführen:
Form f (a) g(a) Umformung

f (x) 0
0·∞ 0 ∞ f (x) g(x) = →
1/g(x) 0
1 1 g(x) − f (x) 0
∞−∞ 0 0 − = →
f (x) g(x) f (x) g(x) 0
1/g(x) − 1/f (x) 0
∞−∞ ∞ ∞ f (x) − g(x) = →
(1/f (x)) (1/g(x)) 0
1∞ ; 00 ; ∞0 1; 0; ∞ ∞; 0; 0 [f (x)]g(x) = eg(x) ln(f (x)) → e0·∞

Im letzten Fall muss dann zunächst der Grenzwert des Exponenten g(x) ln(f (x))
bestimmt werden.

Beispiele

 
1 1 sin x − x cos x − 1
1. lim − = lim = lim
x→0 x sin x x→0 x sin x x→0 sin x + x cos x
− sin x 0
= lim = = 0.
x→0 2 cos x − x sin x 2

2. lim xx = lim ex ln x =?
x→0 x→0
ln x 1/x
Im Exponent: lim x ln x = lim = lim = lim (−x) = 0,
x→0 x→0 1/x x→0 −1/x2 x→0

also lim xx = e0 = 1.
x→0

Übungen

Bestimmen Sie die folgenden Grenzwerte:



10x12 − 11x11 + x 3− x+1
1. lim ]55[ 2. lim ] 619 −[
x→1 (1 − x)2 x→8 x2 − 64

sin ϕ − ϕ x − sin x
3. lim ]1[ 4. lim ]0[
ϕ→0 esin ϕ − eϕ x→0 x cos x

ln t a + bx
5. lim √ ]0[ 6. lim ]b[
t→∞ t2 − 1 x→∞ ln(1 + ex )
7. lim(ex − 1) ln(3x) ]0[ 8. lim (sin x)x ]1[
x↓0 x→0
28 T. Heim: Analysis 2

1 x
 
1/z
9. lim z ]1[ 10. lim 1 + ]e[
z→∞ x→∞ x
cosh x − 1 sin x − arsinh x
11. lim ] 21 [ 12. lim ] 511 −[
x→0 x2 x→0 x5

2.3 Kurvendiskussion

Eine wichtige Anwendung der Analysis besteht darin, den Verlauf einer Kurve zu
untersuchen. Bisher haben wir direkt die Funktion y = f (x) betrachtet und so folgende
Informationen finden können:

• Definitions- und Wertebereich

• Symmetrien

• Verhalten im Unendlichen

• Unstetigkeitsstellen und behebbare Definitionslücken


• Achsenschnittpunkte

Um ein verbessertes qualitatives Bild der Kurve zu erhalten, wollen wir nun noch
Informationen aus den Ableitungen der Funktion extrahieren.

Monotoniebereiche und Extremstellen

Monotoniebereiche sind Intervalle, in denen die Kurve monoton steigt oder monoton
fällt. Um diese Bereiche zu identifizieren, müssen wir die erste Ableitung y ′ = f ′ (x)
untersuchen. Wir setzen also voraus, dass f (x) im Intervall I differenzierbar ist. Dann
ist f (x) sicher auch stetig in I und es gilt:

f ′ (x) > 0 für alle x ∈ I+ ⊆ I ⇔ f (x) streng monoton wachsend in I+ ,



f (x) < 0 für alle x ∈ I− ⊆ I ⇔ f (x) streng monoton fallend in I− .

Mit diesem Kriterium wird die Kurve in Monotoniebögen aufgeteilt. Besonders inter-
essant und geometrisch sehr leicht zu interpretieren sind die Punkte, wo das Monoto-
nieverhalten ändert: Diese Punkte heissen Extremstellen. Es sind die Punkte, die
zwei verschiedene Monotoniebögen der Kurve trennen.
y
b

b
f (x)

x
f′ > 0 f′ < 0 f′ > 0 f′ < 0
2. Anwendungen der Differenzialrechnung 29

Die Extremstellen können folgendermassen definiert werden:

• Die Stelle x0 ∈ Df heisst Maximumstelle von f (x), wenn es eine Umgebung


U von x0 gibt, in der für alle x ∈ U gilt: f (x) ≤ f (x0 ). Der Funktionswert
y = f (x0 ) heisst relatives Maximum von f (x).

• Die Stelle x0 ∈ Df heisst Minimumstelle von f (x), wenn es eine Umgebung


U von x0 gibt, in der für alle x ∈ U gilt: f (x) ≥ f (x0 ). Der Funktionswert
y = f (x0 ) heisst relatives Minimum von f (x).

Anstatt dieser offensichtlichen Definition von Maximum und Minimum als (lokal)
grösster bzw. kleinster Funktionswert können wir auch die Monotoniebögen betrach-
ten:

• Ändert das Monotonieverhalten an der Stelle x0 von steigend“ zu fallend“, so


” ”
ist x0 eine Maximumstelle.

• Ändert das Monotonieverhalten an der Stelle x0 von fallend“ zu steigend“, so


” ”
ist x0 eine Minimumstelle.

Der Wechsel des Monotonieverhaltens stellt also auch eine (notwendige und hinrei-
chende) Bedingung für das Vorliegen einer Extremstelle dar.
In den Anwendungen verwenden wir oft ein anderes Kriterium, das aber nur dann gilt,
wenn die Funktion f (x) an einer Extremstelle auch differenzierbar ist. In diesem Fall
muss die Steigung dort notwendig durch Null gehen, um das Vorzeichen zu ändern:

Wenn y = f (x) an der Stelle x0 differenzierbar ist und x0 eine Extremstelle ist,
so ist f ′ (x0 ) = 0.

Die Umkehrung ist aber falsch! Aus f ′ (x0 ) = 0 folgt nicht notwendigerweise, dass x0
eine Extremstelle ist, wie wir noch sehen werden. Ausserdem muss f bei x0 ja nicht
unbedingt differenzierbar sein, damit ein Extremum vorliegt. Trotzdem werden wir
den Test, ob f ′ (x0 ) = 0 ist, in der Praxis oft anwenden.
30 T. Heim: Analysis 2

Krümmungsverhalten und Wendepunkte

Die Kenntnis der Monotoniebereiche und Extremstellen ermöglicht schon eine ziem-
lich gute Übersicht über den Kurvenverlauf. Zusätzliche Information gewinnen wir
aus der zweiten Ableitung. Wir nehmen im Folgenden an, dass y = f (x) zweimal
differenzierbar ist im Intervall I.

konvex konkav
y y
bc

bc bc bc

bc

x x

• Die Kurve von y = f (x) heisst konvex oder linksgekrümmt in I, wenn die
Tangente in jedem Punkt x0 ∈ I unterhalb der Kurve liegt.

• Die Kurve von y = f (x) heisst konkav oder rechtsgekrümmt in I, wenn die
Tangente in jedem Punkt x0 ∈ I oberhalb der Kurve liegt.
(Kavität = Hohlraum, Höhle, also ∩)

Nach diesen Kriterien kann der Definitionsbereich in Intervalle aufgeteilt werden, in


denen die Kurve durch einen Konvexbogen bzw. durch einen Konkavbogen beschrieben
wird.
Das Krümmungsverhalten wird durch die zweite Ableitung bestimmt:

• In einem Konvexbogen nimmt die Steigung zu, im obigen Diagramm z.B. von
fallend“ (negativ) zu steigend“ (positiv). Die Änderung der Steigung ist die
” ”
zweite Ableitung. Diese ist hier also positiv.

• In einem Konkavbogen nimmt die Steigung ab, in unserem Diagramm z.B. von
steigend“ (positiv) zu fallend“ (negativ). Die zweite Ableitung ist hier negativ.
” ”

f ′′ (x) > 0 für alle x ∈ I ⇒ f (x) konvex (linksgekrümmt) in I,


′′
f (x) < 0 für alle x ∈ I ⇒ f (x) konkav (rechtsgekrümmt) in I.
2. Anwendungen der Differenzialrechnung 31

Damit erhalten wir den effektivsten Test auf Extremstellen:

Es sei f (x) zweimal differenzierbar. Dann gilt

f ′ (x0 ) = 0 und f ′′ (x0 ) > 0 ⇒ x0 ist eine relative Minimumstelle.


′ ′′
f (x0 ) = 0 und f (x0 ) < 0 ⇒ x0 ist eine relative Maximumstelle.

Wenn wir die Extremwerte einer differenzierbaren Funktion f (x) suchen, bestimmen
wir also zuerst die Nullstellen der ersten Ableitung f ′ (x). Dann prüfen wir bei diesen
x-Werten das Vorzeichen der zweiten Ableitung f ′′ (x).

f ′′ > 0 f ′′ < 0
y y
bc

bc

x0 x x0 x
f′ < 0 f′ > 0 f′ > 0 f′ < 0
f′ = 0 f′ = 0
Minimum Maximum

Falls die zweite Ableitung auch verschwindet, f ′′ (x0 ) = 0, so muss man weitere Ab-
leitungen testen: Sei

f ′ (x0 ) = f ′′ (x0 ) = . . . = f (n−1) (x0 ) = 0, aber f (n) (x0 ) 6= 0.

Dann ist x0 eine Extremstelle, falls n gerade ist.


Es sei aber daran erinnert, dass mit dieser Methode nur die Extremstellen gefunden
werden können, an denen f (x) differenzierbar ist. Weitere Extremwerte können bei
Spitzen liegen, oder in den Randpunkten des Definitionsbereichs. Dieser Fall tritt in
der Praxis oft auf!
Bei Extremstellen einer differenzierbaren Funktion muss die erste nicht verschwin-
dende Ableitung von gerader Ordnung sein. Was passiert aber an den Stellen, wo
die zweite (vierte, sechste, usw.) Ableitung Null ist, aber die nächstfolgende (also die
dritte, fünfte, siebte, usw.) nicht? Dies sind die Wendepunkte:

• Ändert das Krümmungsverhalten an der Stelle x0 , so ist x0 ein Wendepunkt.

Wendepunkte trennen verschiedenartige Krümmungsbogen. Die notwendige und hin-


reichende Bedingung für einen Wendepunkt ist die Änderung des Vorzeichens von
f ′′ (x). Das impliziert auch, dass an dieser Stelle die dritte Ableitung nicht Null ist,

f ′′ (x0 ) = 0 und f ′′′ (x0 ) 6= 0 ⇒ x0 ist ein Wendepunkt.


32 T. Heim: Analysis 2

Ist bei einem Wendepunkt die Tangente horizontal, so spricht man von einem Terras-
senpunkt,

f ′ (x0 ) = f ′′ (x0 ) = 0 und f ′′′ (x0 ) 6= 0 ⇒ x0 ist ein Terrassenpunkt.

Das einfachste Beispiel dafür ist der Nullpunkt bei y = f (x) = x3 :

f (x) = x3 , f ′ (x) = 3x2 , f ′′ (x) = 6x, f ′′′ (x) = 6


f (0) = 0, f ′ (0) = 0, f ′′ (0) = 0, f ′′′ (0) 6= 0.

Somit ist x0 = 0 ein Wendepunkt, und wegen der horizontalen Tangente auch ein
Terrassenpunkt. Hingegen ist x0 = 0 keine Extremstelle, wie ja auch die Zeichnung
zeigt.
y y = x3

bc

-2 -1 1 2 x

-1

-2

-3

Hingegen hat g(x) = x4 bei x0 = 0 keinen Wendepunkt. Hier verschwindet zwar die
zweite Ableitung schon, aber die dritte ebenfalls,

g′ (0) = g ′′ (0) = g ′′′ (0) = 0.

Dafür ist die vierte Ableitung g(4) (x) = 24 6= 0. Somit ist x0 = 0 eine Extremstelle,
denn die erste dort nicht verschwindende Ableitung ist von gerader Ordnung. Weil
diese zudem positiv ist, handelt es sich um ein Minimum.
Bei h(x) = x5 ergibt sich jedoch wieder die analoge Situation zu f (x) = x3 . Die vierte
Ableitung ist Null bei x0 = 0, aber die fünfte nicht. Also liegt wieder ein Wendepunkt
vor, und wegen der horizontalen Tangente sogar ein Terrassenpunkt.
2. Anwendungen der Differenzialrechnung 33

Beispiel einer Kurvendiskussion

Wir untersuchen die Funktion

y = f (x) = x4 − 8x2 − 9.

• Definitionsbereich: Df = R

• Symmetrie:

f (−x) = (−x)4 − 8 (−x)2 − 9 = x4 − 8x2 − 9 = f (x), gerade Funktion

• Verhalten im Unendlichen:

lim f (x) = +∞
x→±∞

• Unstetigkeitsstellen: keine

• Achsenschnittpunkte:

– mit der y-Achse: x = 0 → y = −9


– mit der x-Achse: y = 0, also

x4 − 8x2 − 9 = (x2 − 9)(x2 + 1) = (x − 3)(x + 3)(x2 + 1) = 0

Reelle Lösungen bei x = 3 und x = −3.

• Monotonieverhalten, Extremwerte:

f ′ (x) = 4x3 − 16x = 4x (x2 − 4) = 4x (x − 2) (x + 2)


f ′ (x) = 0 bei x = 0 und x = ±2
′′ 2
f (x) = 12x − 16
f ′′ (0) = −16 → x = 0, y = −9 Maximum
′′
f (±2) = 32 → x = ±2, y = −25 Minima

• Krümmungsverhalten, Wendepunkte:

f ′′ (x) = 12x2 − 16
4 2
f ′′ (x) = 0 bei x2 = → x = ±√
3 3
f ′′′ (x) = 24x
√ √ 2 161
f ′′′ (±2/ 3) = ±16 3 6= 0 → x = ±√ , y = − Wendepunkte
3 9

⇒ f : R → [−25, ∞); տ; ր; gerade Funktion;


√ NS: (±3, 0); (0, −9);
Max: (0, −9); Min: (±2, −25); WP: (±2/ 3, −161/9)
34 T. Heim: Analysis 2

Übungen

Nr. 1–5: Diskutieren Sie die Kurven der gegebenen Funktionen.


Eine Zusammenfassung der Ergebnisse folgt auf Seite 45.

1. y = f (x) = x3 − 6x2 + 9x − 4 2. v = f (u) = u4 − 16u2

3. y = f (x) = x2 ln x −2t
4. s = f (t) =
2
(t − 1)2
5. y = f (x) = e−x

6. Welche Gleichung hat die Parabel dritter Ordnung,

y = f (x) = x3 + a2 x2 + a1 x + a0 ,

wenn sie bei P (2, 2) einen Terrassenpunkt hat? ]6 − x21 + 2x6 − 3x[

2.4 Extremwertprobleme

Die Bestimmung von Extremstellen durch Nullsetzen der ersten Ableitung ist für die
Praxis besonders wichtig. Wir betrachten zwei Beispiele:
(1) Gegeben sei ein Stück Blech mit der Länge a und der Breite b. Wie weit muss
man den Einschnitt x führen, damit ein offener Behälter mit maximalem Volumen
entsteht? x

a
Das Volumen berechnet sich zu

V (x) = (a − 2x) (b − 2x) x = 4x3 − 2a x2 − 2b x2 + a b x.

Wir bestimmen erste und zweite Ableitung:

V ′ (x) = 12x2 − 4a x − 4b x + a b,
V ′′ (x) = 24x − 4a − 4b.

Nun suchen wir die Nullstellen der ersten Ableitung, V ′ (x) = 0:


r
a+b (a + b)2 − 3a b
x± = ± ,
6 p 36 p
V ′′ (x± ) = 4(a + b) ± 4 (a + b)2 − 3a b − 4(a + b) = ±4 (a + b)2 − 3a b.
2. Anwendungen der Differenzialrechnung 35

Die Lösung x− liefert ein Maximum für das Volumen, denn damit wird die zweite
Ableitung negativ. Das maximale Volumen ergibt sich also für
p
a + b − (a + b)2 − 3a b
x= .
6
Das andere Vorzeichen mit der Lösung x+ führt zu einem Minimum des Volumens.
(2) Viele Naturgesetze beruhen auf Extremalprinzipien. Als Illustration leiten wir die
Reflexions- und Brechungsgesetze der Optik aus einem Minimumprinzip her. Dazu
betrachten wir die folgende Situation:
Zwei Punkte A und B haben von einer Geraden g die Abstände a und b. Die Fuss-
punkte ihrer Lote auf g haben den Abstand c. Für welchen Punkt P auf g wird dann
die Zeit zum Durchlaufen des Weges A → P → B minimal,

(i) wenn A und B auf der gleichen Seite von g liegen und der Weg mit konstanter
Geschwindigkeit v1 = v2 = v durchlaufen wird?

(ii) wenn A und B auf verschiedenen Seiten von g liegen und die Strecke AP mit der
konstanten Geschwindigkeit v1 = v/n1 , die Strecke P B aber mit der konstanten
Geschwindigkeit v2 = v/n2 durchlaufen wird?
(n1 und n2 sind die Brechungsindizes der von g getrennten Medien.)

x x
A b

c−x A b

α b
B α n1
a s1 α′ a s1
s2 b
g b
x b
x
P P
s2
β b n2
c
b
B
c−x
Situation (i) Situation (ii)

Ohne Einschränkung der Allgemeinheit legen wir g auf die x-Achse und wählen den
Punkt A auf der y-Achse. Damit wird A(0, a) und B(c, b). Der gesuchte Punkt hat
dann die Koordinaten P (x, 0).
Die Längen der Wegstrecken AP und P B bezeichnen wir mit s1 und s2 . Die für den
Weg A → P → B benötigte Zeit ist nun
s1 s2 1p 2 1p
t(x) = + = x + a2 + (c − x)2 + b2 .
v1 v2 v1 v2
36 T. Heim: Analysis 2

Diese Grösse ist in Abhängigkeit von x zu minimieren. Wir setzen die Ableitung gleich
Null,

dt x −(c − x)
= √ + p = 0,
dx 2
v1 x + a 2 v2 (c − x)2 + b2
1 x 1 c−x
→ = .
v1 s1 v2 s 2
Die Längenverhältnisse erkennen wir aus der Zeichnung als Sinus der jeweiligen Win-
kel, die hier gegenüber dem Lot in P gemessen sind. Im Fall (i) mit v1 = v2 = v ergibt
sich
1 1
sin α = sin α′ ⇒ α′ = α.
v v
Das ist das Reflexionsgesetz: Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel“. Für die Situation

(ii) mit v1 = v/n1 und v2 = v/n2 finden wir

n1 n2 sin β n1
sin α = sin β ⇒ n1 sin α = n2 sin β bzw. = .
v v sin α n2
Das ist das Brechungsgesetz. Wir sehen also, dass sich diese optischen Gesetze aus
dem Prinzip ableiten lassen, dass der Lichtstrahl den schnellsten“ Weg zurücklegt.

Übungen

1. Eine Schwingung ist gegeben durch

s(t) = esin(ωt) − 1.

Bestimmen Sie die Phasen (ωt) mit extremaler Geschwindigkeit. √


];) 1−25 (niscra = t ω[
]Z ∈ n tim π n2 + 53574.2 = 2t ω dnu π n2 + 932666.0 = 1t ω osla[

2. Die Zahl z soll so in zwei Summanden zerlegt werden, dass deren Produkt ma-
ximal wird. ] z 12 = y = x[

3. Zur Bestimmung einer Grösse liegen n Messwerte x1 , x2 , . . . , xn vor, deren ab-


solute Fehler |x − x1 |, |x − x2 |, . . . , |x − xn | sind. Für welchen Wert von x wird
die Summe der quadrierten Fehler

s(x) = (x − x1 )2 + (x − x2 )2 + . . . + (x − xn )2

minimal? ]trewlettiM ,) nx + . . . + 2x + 1x( n1 = x[

4. Zwei Punkte P1 und P2 bewegen sich auf den beiden Koordinatenachsen gleich-
förmig mit v1 = 0.3m s−1 und v2 = 0.4m s−1 auf den Nullpunkt O zu. Am
Anfang der Bewegung sind sie vom Nullpunkt 12m bzw. 9m entfernt. Nach
wievielen Sekunden haben sie den kleinsten Abstand voneinander? ]s8.82[
2. Anwendungen der Differenzialrechnung 37

5. In eine Kugel mit Radius R ist


q
(a) der Kreiszylinder mit grösstmöglichem Volumen V ]R 32√ ;R 23 [

(b) der Kreiszylinder mit grösstmöglicher Mantelfläche M ]R2 ;R 21√ [
(c) der Kreiszylinder mit grösstmöglicher Oberfläche O
√ q √ q
5 /1−1 5 /1+1
]R 2 2 ;R 2 [

(d) der Kegel mit grösstmöglichem Volumen V ]R 34 ;R 2 3 2 [

einzubeschreiben. Wie gross sind jeweils Radius r und Höhe h ?


[Hinweis: Mit der Nebenbedingung, dass der gesuchte Körper in die Kugel passen
muss, kann entweder r oder (besser) h aus den Formeln für Volumen, Mantel
und Oberfläche eliminiert werden.]

6. Auf einer schiefen Ebene von der Länge l rollt eine Kugel herab und läuft auf
einer waagrechten Ebene aus. Bei welchem Neigungswinkel α rollt sie am wei-
testen?
[Hinweis: Der Energiesatz verknüpft die Gesamtgeschwindigkeit mit ihrer Ver-
tikalkomponente; die Horizontalkomponente ist zu maximieren. Die Form des
Körpers (und damit das Trägheitsmoment) spielt überraschenderweise
√ gar kei-
ne Rolle!] ] ◦62.53 = )2 /1(natcra[

7. Für eine symmetrische Linse mit konstanter Brennweite f ist mit Hilfe der Ab-
bildungsgleichung 1/f = 1/g+1/b die kürzeste Entfernung zwischen Gegenstand
und Bild zu bestimmen.
(Gegenstandsweite g, Bildweite b, jeweils von der Linse aus.) ] f4[

8. Ein Balken auf zwei Stützen mit der Stützweite l hat bei folgenden Belastungen
im Abstand x vom linken Auflager das Biegemoment M (x)

(a) M (x) = 21 q x (l − x) mit 0 ≤ x ≤ l bei gleichmässig verteilter Last q;


] 2l q 18 ;l 12 [
2
(b) M (x) = 16 q l x (1 − xl2 ) mit 0 ≤ x ≤ l bei einseitiger Dreieckslast, die von 0
1
bis zum Wert q linear ansteigt; ] 2 l q 3√ 9
;l 31√ [
(c) M (x) = 2F x (1 − xl − 2l
a
) mit 0 ≤ x ≤ l − a bei zwei gleich grossen
wandernden Lasten F mit konstantem Abstand a ≤ 2l .
] 2) la2 − 1( l F 12 ;a 14 − l 12 [

Bestimmen Sie für jeden Fall das maximale Biegemoment sowie die Stelle, an
der es auftritt (gefährdeter Querschnitt).
38 T. Heim: Analysis 2

2.5 Krümmungsradius und -kreis

Wir haben gesehen, dass die zweite Ableitung einer Funktion mit der Krümmung
ihrer Kurve zusammenhängt. Dies wollen wir noch ein bisschen genauer formulieren.

Q
bc ∆α
f (x) ∆s
P
bc

α
x

Folgt man der Kurve y = f (x) vom Punkt P zum Punkt Q, so ändert der Steigungs-
winkel der Tangente um ∆α. Gleichzeitig hat man sich um das Bogenstück ∆s weiter
bewegt. Der Quotient
∆α
∆s
stellt ein Mass für die mittlere Krümmung dar. Als Krümmung der Kurve im Punkt
P definieren wir den Grenzwert dieses Quotienten, wenn ∆s → 0 geht.
∆α dα
Krümmung: lim = = k.
∆s→0 ∆s ds
Wie erhalten wir die Krümmung k aus der Funktionsgleichung y = f (x) ? Es ist

f ′′ (x)
tan α = f ′ (x), α = arctan(f ′ (x)) → dα = dx,
1 + [f ′ (x)]2
mit einer impliziten Ableitung im letzten Schritt. Andererseits ist
p p
ds ≈ (dx)2 + (dy)2 = 1 + [f ′ (x)]2 dx,

wobei wir das Differenzial dy = f ′ (x) dx verwendet haben (siehe Abschnitt 3.1).
Daraus folgt nun
dα f ′′ (x)
k(x) = = 3/2 .
ds 1 + [f ′ (x)]2

Die Krümmung hat das Vorzeichen der zweiten Ableitung:

k>0 ↔ Linkskrümmung, konvex


k<0 ↔ Rechtskrümmung, konkav

Die Krümmung verschwindet genau dann, wenn f ′′ (x) = 0 ist. Dies ist z.B. in den
Wendepunkten erfüllt.
2. Anwendungen der Differenzialrechnung 39

Beispiel:
Krümmung der Sinuskurve

y = f (x) = sin x, f ′ (x) = cos x, f ′′ (x) = − sin x

− sin x
→ k(x) =
(1 + cos2 x)3/2

y
1 f (x) = sin x

x
− 12 π 1

π 3
2π 2π 5

−1 k(x)

Die Krümmung liefert auch eine von der Orientierung des Koordinatensystems un-
abhängige Definition der Scheitelpunkte.

Definition: Ein Punkt mit extremaler Krümmung heisst Scheitel.

Scheitelpunkte müssen also nicht notwendigerweise bei Extremstellen liegen.


Beispiel:
1
Wo liegen die Scheitel der Hyperbel y = f (x) = ?
x
1 2
f ′ (x) = − , f ′′ (x) =
x2 x3
2 2x3
k(x) = =
x3 (1 + x14 )3/2 (1 + x4 )3/2
6x2 (1 − x4 ) 12x (1 − 7x4 + 2x8 )
k′ (x) = , k′′ (x) =
(1 + x4 )5/2 (1 + x4 )7/2

Als Lösung von k′ = 0 erhalten wir im Definitionsbereich


√ Df = R \ {0} die Stellen
x = ±1. Die zweite Ableitung ist dort k′′ (±1) = ∓3 2 6= 0. Also hat die Krümmung
an beiden Punkten Extremwerte. Im Scheitel S1 (1, 1) ist k′′ < 0 und damit die
Krümmung maximal. Im anderen Scheitel S2 (−1, −1) hat die Krümmung ihren nega-
tivsten Wert. (Die Hyperbel ist konkav für x < 0 und konvex für x > 0.)
√ Dreht man
die Hyperbel um 45◦ im Uhrzeigersinn, so kommen ihre Scheitel bei (± 2, 0) auf die
x-Achse zu liegen. Die Gleichung der gedrehten Hyperbel lautet dann 12 x2 − 12 y 2 = 1.
40 T. Heim: Analysis 2

Ist eine Kurve in Parameterform gegeben,


x = x(t), y = y(t),
so kann auch die Krümmung in Parameterform angegeben werden. Dazu transformie-
ren wir die Ableitungen nach x (Strich) in solche nach t (Punkt).
dy dy dt ẏ dy dx
f ′ (x) = y ′ =
= = mit ẏ = und ẋ = ,
dx dt dx ẋ dt dt
 
′′ ′′ d ′ d ẏ dt ẋ ÿ − ẍ ẏ 1 ẋ ÿ − ẍ ẏ
f (x) = y = y = = 2
= ,
dx dt ẋ dx ẋ ẋ ẋ3
y ′′ ẋ ÿ − ẍ ẏ ẋ ÿ − ẍ ẏ
k(t) = 3/2
= 3 2 2 3/2
= 2 .
′2
(1 + y ) ẋ (1 + ẏ /ẋ ) (ẋ + ẏ 2 )3/2
Für den Kreis mit Radius r und Mittelpunkt im Nullpunkt ergibt sich so zum Beispiel
x(t) = r cos t, ẋ(t) = −r sin t, ẍ(t) = −r cos t,
y(t) = r sin t, ẏ(t) = r cos t, ÿ(t) = −r sin t,
2 2 2 2 2
ẋ ÿ − ẍ ẏ = r sin t + r cos t = r ,
ẋ2 + ẏ 2 = r 2 sin2 t + r 2 cos2 t = r 2 ,
ẋ ÿ − ẍ ẏ r2 1
k(t) = 2 2 3/2
= 2 3/2
= > 0.
(ẋ + ẏ ) (r ) r
Die Krümmung ist hier natürlich konstant (unabhängig von t) und positiv.
Ausgehend von den Krümmungseigenschaften eines Kreises definieren wir nun für
einen beliebigen Punkt P einer Kurve den zugehörigen Krümmungskreis. Dieser Kreis
erfüllt die folgenden Bedingungen:
• Kurve und Kreis berühren sich im Punkt P mit gemeinsamer Tangente,
′ ′
yKreis = yKurve

• Kurve und Kreis haben in P die gleiche Krümmung,


′′ ′′
yKreis = yKurve

y
f (x)
Mbc

bc

P
x

Man sagt, der Kreis berühre die Kurve in zweiter Ordnung. Der Krümmungsmit-
telpunkt M liegt auf der Normalen zur Kurve in P . Der Krümmungsradius r ist
analog zum eben betrachteten Beispiel des Kreises gegeben durch
1
r= .
|k|
2. Anwendungen der Differenzialrechnung 41

Übungen

1. Wie gross ist der Krümmungsradius der Parabel mit der Gleichung y 2 = 2px
im Scheitel? ]p[

2. Wo hat die Kurve des natürlichen √


Logarithmus ihren Scheitel? Wie gross ist
dort der Krümmungsradius? ]3 23 ;)2 nl 21 − , 21√ ([

3. Zeigen Sie, dass die Kurve mit der Parameterdarstellung

x(t) = cos t + t sin t, y(t) = sin t − t cos t

keine Scheitelpunkte besitzt.


].tah nelletslluN eniek saw , 2t/1− = k̇ osla ,t/1 = )t(k driw reiH[

4. Wie gross ist der Krümmungsradius der Hyperbel mit der Gleichung

x2 y 2
− 2 =1
a2 b
in den Scheiteln? ]a/ 2b[
[Hinweis: Parameterdarstellung verwenden.]
42 T. Heim: Analysis 2

2.6 Ergänzung: Numerische Lösung von Gleichungen

Mit Überlegungen aus der Differenzialrechnung lässt sich ein äusserst effizientes Ver-
fahren zur numerischen Lösung von Gleichungen implementieren. Man findet damit
Lösungen x für Probleme der Art

f1 (x) = f2 (x) bzw. f (x) = f1 (x) − f2 (x) = 0 ⇔ x =?

Wir illustrieren das Vorgehen mit einem Diagramm:

y t0

P0 b
t1

P1 b

ξ
b b b b
x
x2 x1 x0
y = f (x)

Ausgehend von einem Startwert x0 wird im Punkt P0 (x0 , y0 ) die Tangente t0 an


die Kurve gelegt. Der Schnittpunkt der Tangente t0 mit der x-Achse dient als erste
Näherungslösung x1 der Gleichung f (x) = 0.
Nun wird das Verfahren iteriert:
Das Ergebnis eines Iterationsschrittes wird als Startwert für den folgenden Schritt
verwendet!
Im zweiten Durchlauf der Schleife wiederholen wir das Vorgehen also mit x1 als neuem
Startwert. Wir legen jetzt im Punkt P1 (x1 , y1 ) die Tangente an die Kurve. Diese
neue Tangente t1 schneidet die x-Achse in x2 . Diese Abszisse stellt nun bereits eine
bessere Näherung der gesuchten Lösung dar und dient als Input für den nächsten
Iterationsschritt. Das Verfahren wird wiederholt, bis man die Nullstelle ξ mit der
gewünschten Genauigkeit gefunden hat.
Wie funktioniert nun dieses Tangentenverfahren rechnerisch? Wir brauchen zunächst
die Gleichung der Tangente im Punkt P0 ,

t0 : y = y0 + f ′ (x0 ) (x − x0 ) = f (x0 ) + f ′ (x0 ) (x − x0 )

in Punkt-Richtungsform. Den Schnittpunkt x1 mit der x-Achse finden wir, indem wir
hier x = x1 und y = 0 setzen und nach x1 auflösen:

f (x0 )
f (x0 ) + f ′ (x0 ) (x1 − x0 ) = 0 ⇒ x1 = x0 − .
f ′ (x0 )
2. Anwendungen der Differenzialrechnung 43

Damit lässt sich der Punkt P1 mit der y-Koordinate y1 = f (x1 ) finden. Dort legen
wir nun die nächste Tangente an die Kurve. Die Gleichung dieser Tangente ist ganz
analog
t1 : y = f (x1 ) + f ′ (x1 ) (x − x1 ),
und ihr Schnittpunkt x2 mit der x-Achse liegt bei

f (x1 )
f (x1 ) + f ′ (x1 ) (x2 − x1 ) = 0 ⇒ x2 = x1 − .
f ′ (x1 )

Das Muster für die weiteren Iterationsschritte wird jetzt offensichtlich. Den n-ten
Näherungswert für die wahre Nullstelle ξ erhalten wir aus dem (n − 1)-ten Wert nach
der Formel
f (xn−1 )
xn = xn−1 − ′ , n = 1, 2, 3, . . .
f (xn−1 )
Das ist das Newtonsche Tangentenverfahren zur Nullstellenbestimmung. Gerade
der iterative Charakter macht das Verfahren aus heutiger Sicht sehr effizient. An-
ders als zu Newtons Zeiten kostet es einen heutigen Computer keinen nennenswerten
Aufwand, die Iterationsschleife allenfalls auch wahnsinnig oft“ durchlaufen zu lassen.

Die bei der Lösung erreichbare Genauigkeit ist daher fast unbegrenzt. Im Allgemeinen
wird die Anzahl der gültigen Dezimalstellen der Näherungslösung mit jedem Iterati-
onsschritt verdoppelt.
Wie wir aus der Iterationsformel sofort sehen können, kann die Methode nicht funk-
tionieren, wenn die Ableitung f ′ (xn−1 ) an einer der Iterationsstellen Null wird. In
diesem Fall ist die Tangente horizontal und es gibt keinen nächsten Schnittpunkt mit
der x-Achse mehr. Das Verfahren wird schon problematisch, wenn f ′ zwar nicht Null,
aber zu klein“ wird, die Tangente also zu flach verläuft. Einen Test, ob die Folge von

Näherungslösungen x0 , x1 , x2 , . . . auch tatsächlich gegen ξ konvergiert, erhält man
aus der Konvergenzbedingung
f (xn ) f ′′ (xn )

[f ′ (xn )]2 < 1,
bzw. |f (xn ) f ′′ (xn )| < [f ′ (xn )]2 .

Wenn diese Bedingung für jeden Näherungswert xn , n = 0, 1, 2, . . ., erfüllt ist, so


strebt mit Sicherheit xn → ξ mit zunehmendem n. Um auf der sicheren Seite zu sein
wird man also diese Bedingung in jedem Iterationsschritt überprüfen.
Falls das Verfahren nicht konvergiert, muss ein anderer Startwert x0 gewählt werden.
Einen geeigneten Startwert findet man oft schon aus einer groben Skizze von y = f (x),
oder durch geschicktes Aufteilen der Funktion f (x) = f1 (x) − f2 (x), wobei man nun
die Schnittpunkte der Kurven y = f1 (x) und y = f2 (x) sucht.
Wenn die gegebene Gleichung mehrere Lösungen besitzt, so müssen wir zu jeder ge-
suchten Lösung einen geeigneten Startwert bestimmen und das Newtonsche Verfahren
separat für jeden einzelnen Startwert anwenden. Bei nicht optimaler Wahl der Start-
werte kann es dabei durchaus passieren, dass verschiedene Startwerte zu derselben
Lösung konvergieren und dafür eine andere Lösung übersehen wird.
44 T. Heim: Analysis 2

Beispiel

Wir bestimmen die Lösung der transzendenten Gleichung

x = esin x , bzw. f (x) = x − esin x = 0.

y
y=x
3
y = f (x) = x − esin x
2

1 y = esin x

0
x
−4 −3 −2 −1 0 1 2 3 4 5
−1

Die Kurven y = x und y = esin x schneiden sich offensichtlich nur einmal. Also hat
f (x) nur eine einzige Nullstelle. Für das Tangentenverfahren benötigen wir

f (x) = x − esin x → f ′ (x) = 1 − cos x esin x .

Zur Kontrolle der Konvergenz brauchen wir zudem

f ′′ (x) = (sin x − cos2 x) esin x .

y = f (x) verläuft ziemlich flach um Null herum, aber recht steil zwischen x = 2 und
x = 3.5. Ein vernünftiger Startwert müsste also in diesem Bereich liegen. Die folgende
Tabelle zeigt den Gang der Rechnung für verschiedene Startwerte.

n xn |f (xn ) f ′′ (xn )| [f ′ (xn )]2 ist |f (xn ) f ′′ (xn )| < [f ′ (xn )]2 ?
0 1.0000000 0.3344 0.0642 nein; x0 ungeeignet
0 2.0000000 0.9811 4.1336 ja
1 2.2373586 0.1010 5.5546 2 Stellen korrekt
2 2.2191715 0.0004 5.4758 mind. 4 Stellen korrekt
3 2.2191072 0.0000 5.4755 mind. 8 Stellen korrekt
0 3.0000000 3.9557 4.5798 ja
1 2.1362598 0.4273 5.0469 1 Stelle korrekt
2 2.2209163 0.0099 5.4836 mind. 2 Stellen korrekt
3 2.2191079 0.0000 5.4755 mind. 4 Stellen korrekt
4 2.2191072 0.0000 5.4755 mind. 8 Stellen korrekt
0 4.0000000 4.6136 1.7074 nein; x0 ungeeignet
2. Anwendungen der Differenzialrechnung 45

Übungen

Bestimmen Sie mit dem Newtonschen Tangentenverfahren sämtliche (reellen) Lösun-


gen der folgenden Gleichungen auf sechs gültige Stellen:

1. sin x = 2 − x2 ]8945160.1 ;4664827.1−[



2. ln x = 4 e−0.3x ]4748642.5[

3. x e−x = −0.5 oder x = −0.5 ex ]rellenhcs noisreV .2 ,7337153.0−[

4. x2 = 2x ]0000000.4 ;0000000.2 ;7466667.0−[

Ergebnisse der Kurvendiskussionsaufgaben

1. f : R → R; ւ; ր; keine Symmetrie; NS: (1, 0); (4, 0); (0, −4);


Min: (3, −4); Max: (1, 0); WP: (2, −2)

2. f : R → [−64, ∞); տ;√ ր; gerade Funktion;


p NS: (0, 0); (±4, 0);
Max: (0, 0); Min: (± 8, −64); WP: (± 8/3, −320/9)
1
3. f : (0, ∞) → [− 2e , ∞); limx→0 f (x) = 0; ր; keine Symmetrie;
1
NS: (1, 0); Min: ( √1e , − 2e ); WP: (e−3/2 , − 32 e−3 )

4. f : R \ {1} → (−∞, 12 ]; limt→±∞ f (t) = ∓0; Pol: limt→1 f (t) = −∞;


keine Symmetrie; NS: (0, 0); Max: (−1, 21 ); WP: (−2, 49 )

5. f : R → (0, 1]; limx→±∞ f (x) = 0; gerade Funktion;


NS: (0, 1); Max: (0, 1); WP: (± √12 , e−1/2 )
46 T. Heim: Analysis 2
3. Anwendungen der Integralrechnung 47

3 Anwendungen der Integralrechnung

Für gewisse Anwendungen ist es nützlich, die Integration als kontinuierliche Summa-

tion“ noch etwas flexibler zu betrachten. Hier wollen wir einige Beispiele besprechen,
bei denen Integrale nicht zur Berechnung von Flächeninhalten eingesetzt werden, son-
dern im Zusammenhang mit einer verallgemeinerten Summation.

3.1 Bogenlänge einer Kurve

B
y bc

f (x)
∆si
Pi bc
∆yi
∆xi

A
bc

x
a b

Zur Berechnung der Bogenlänge der Kurve zwischen den Punkten A und B zerlegen
wir das Intervall [a, b] in n Teilintervalle. Die Bogenlänge erhalten wir näherungsweise
durch Summation der (geraden) Wegstücke in allen Teilintervallen
n
X
s≈ ∆si
i=1

mit p
∆si = (∆xi )2 + (∆yi )2 .
Verfeinern wir die Zerlegung durch Unterteilung in immer mehr Teilintervalle, so
strebt ∆x → dx und ∆y → dy, und wir erhalten als Grenzwert von ∆s
s  2
p
2 2
dy p
ds = lim (∆x) + (∆y) = dx 1 + = dx 1 + (y ′ )2 .
∆x→0 dx

Die Summe geht dabei in ein Integral über:


Z B Z bp Z bp
s= ds = 1+ (y ′ )2 dx = 1 + [f ′ (x)]2 dx.
A a a
p
Der Ausdruck ds = 1 + [f ′ (x)]2 dx gibt an, wie sich eine Änderung dx in der Bo-
genlänge auswirkt.
48 T. Heim: Analysis 2

Beispiel

Wir berechnen die Bogenlänge der Kettenlinie y = f (x) = cosh x zwischen x = −a


und x = a. Es ist

f ′ (x) = sinh x, → 1 + [f ′ (x)]2 = 1 + sinh2 x = cosh2 x,


Z ap Z a
→s= 1 + [f ′ (x)]2 dx = cosh x dx = sinh a − sinh(−a) = 2 sinh a.
−a −a

Übung

Bestimmen Sie die Bogenlänge eines Halbkreises mit Radius r = 1:


p
y = 1 − x2 , −1 ≤ x ≤ 1.

3.2 Volumen eines Rotationskörpers

Die Volumenberechnung bei einem Rotationskörper wird ähnlich durchgeführt wie die
Berechnung der Fläche zwischen einer Kurve und der x-Achse.

y y = f (x)
f (xi )

a xi x
b

y = −f (x)
∆xi

Der Rotationskörper wird gebildet durch Rotation der Kurve y = f (x) um die x-
Achse. Das Volumen zwischen x = a ( Boden“) und x = b ( Deckel“) erhalten wir,
” ”
indem wir das Intervall [a, b] in Teilintervalle zerlegen und den Körper in jedem Teil-
intervall näherungsweise durch eine Scheibe (Zylinder) der Höhe ∆xi und mit Grund-
fläche π [f (xi )]2 ersetzen,
n
X n
X
Vx ≈ ∆Vi = π [f (xi )]2 ∆xi .
i=1 i=1

Mit zunehmender Verfeinerung der Zerlegung wird diese Näherung genauer, und im
Grenzübergang n → ∞ geht die Summe über in das Integral
Z b
Vx = π [f (x)]2 dx.
a
3. Anwendungen der Integralrechnung 49

Dies ist das Volumen des Körpers, der bei Rotation um die x-Achse entsteht. Falls
f (x) umkehrbar ist, kann auch das Volumen bei Rotation um die y-Achse bestimmt
werden: Z d
Vy = π [f −1 (y)]2 dy,
c
wobei c und d die begrenzenden y-Werte sind, analog zu a und b in der x-Richtung.

Beispiel

Wir berechnen das Volumen des Rotationskörpers, der bei Rotation der Kurve
1
y = f (x) =
x
um die x- bzw. um die y-Achse erzeugt wird. Die Begrenzungen in x-Richtung sollen
bei x = 1 und x = 4 liegen.

y
1
y=
x

1 x
4

y 1
1 x=
y
1
4
x

4 4
1 4 3
 
1
Z Z
2
Vx = π [f (x)] dx = π 2
dx = π − = π,
1 1 x x 1 4
1 1
Z 1 Z 1  
−1 2 1
Vy = π [f (y)] dy = π 2
dy = π − = 3π.
1/4 1/4 y y 1/4

Übungen

Bestimmen Sie das Volumen der Rotationskörper mit folgender Begrenzungskurve:



1. Vx für y = x, x ∈ [0, 3] ] π 92 [
50 T. Heim: Analysis 2

√ √
2. Vy für y = x, x ∈ [0, 3] ]3 π 95 [

3. Vx für y = x(2 − x), x ∈ [0, 2] ] π 6511 [


r
4. Vx für y = x, x ∈ [0, h] ]h 2 r π 31 [
h
1 π
5. Vx für y = , x ∈ [0, 4] ] π[
cos x
1
6. Vx für y = , x ∈ [−2, 2] ]750.6 = )2(hnat π2[
cosh x
1
7. Vy für y = , y ∈ [1, 9] ]309.6 = )9(nl π[
x2
8. Berechnen Sie das Volumen des Körpers, der durch Rotation der Fläche zwischen
den Kurven mit den Gleichungen

y = 8x, (x − 5)2 + y 2 = 9, y = 0, x=5

um die x-Achse entsteht. ]6.752 = π28[

9. Berechnen Sie das Volumen des Körpers, der durch Rotation der Fläche zwischen
den Kurven mit den Gleichungen

x2 + y 2 = 25,
p
y = 2(x + 5), y=0

um die x-Achse entsteht. ]5.552 = π 4342 [

10. Die von y = 2− 21 x2 und der x-Achse begrenzte Fläche rotiere um die x- bzw. um
die y-Achse. Berechnen Sie Vx und Vy . ]75.21 = π4 ;18.62 = π 85211 [

Verallgemeinerung

Wenn der Flächeninhalt des Querschnitts Q(x) eines Körpers als Funktion der Ab-
szisse x berechnet werden kann, so lässt sich mit der obigen Methode das Volumen
des Körpers bestimmen, auch wenn dieser kein Rotationskörper ist.

z
y Q(ξ)

a x
ξ b

Das Volumen ergibt sich zu Z b


V = Q(x) dx.
a
3. Anwendungen der Integralrechnung 51

Beispiel

Wir berechnen das Volumen eines keilförmigen Zylinderabschnitts. Der Zylinderradius


sei r, der Winkel an der Keilspitze sei α mit tan α = h/r. Wir legen die gerade
Kante des Keils auf die x-Achse, so dass der Mittelpunkt in den Ursprung fällt. Die
Bodenfläche des Keils liegt dann in der xy-Ebene, und seine gebogene Begrenzung
verläuft parallel zur z-Achse.
z

Q(x) y
h
r
−r x
r

Die Querschnittsfläche bei der Abszisse x ist in diesem Fall


1
Q(x) = y(x) z(x)
2
mit
p
y(x) = r 2 − x2 ,
h
z(x) = y(x) tan α = y(x) .
r
Also wird
h 2
Q(x) = (r − x2 ),
2r
und für das Volumen erhalten wir
Z r
V = Q(x) dx
−r
Z r
h h 2
= (r 2 − x2 ) dx = (2r 3 − r 3 )
2r −r 2r 3
2 2
= hr .
3

Übung

Berechnen Sie das Volumen einer Pyramide der Höhe h, deren Grundfläche ein√re-
gelmässiges Sechseck mit Seitenlänge a ist. ] 2a h 3 12 [
52 T. Heim: Analysis 2

3.3 Mantelfläche eines Rotationskörpers

Der Rotationskörper wird senkrecht zur Rotationsachse in Scheiben zerlegt. Jede


Scheibe wird als Kegelstumpf aufgefasst. Eine Näherung durch Zylinder dürfen wir
hier nicht verwenden, da dann dx schon in erster Potenz nur unvollständig berück-
sichtigt würde.

y ∆s
y = f (x)

a x x + ∆x x
b

∆x

Für die Mantelfläche eines geraden Kreiskegelstumpfs mit den Radien r1 , r2 und mit
der Höhe h gilt
p
M = π h2 + (r1 − r2 )2 (r1 + r2 ) = π s (r1 + r2 ).

Der Wurzelausdruck ist die Seitenlänge s des Längsschnitts des Kegelstumpfs. Die
Radien sind gegeben durch f (x) und f (x + ∆x), also

∆M = π ∆s (f (x) + f (x + ∆x)) ≈ π ds (f (x) + f (x) + dy) = 2π f (x) ds + π ds dy.

Der letzte Term enthält mit ds dy ein Differenzial 2. Ordnung, denn in

ds dy = 1 + [f ′ (x)]2 dx f ′ (x) dx = f ′ (x) 1 + [f ′ (x)]2 (dx)2


p p

kommt dx bereits quadratisch vor. Das (linearisierte) Differenzial der Mantelfläche ist
deshalb allein durch
p
dM = 2π f (x) ds = 2π f (x) 1 + [f ′ (x)]2 dx

gegeben. Die Mantelfläche erhalten wir somit als Integral


Z b p
M = 2π f (x) 1 + [f ′ (x)]2 dx.
a

Hätten wir statt des Ansatzes mit dem Kegelstumpf einen Zylinder betrachtet, so wäre
die Mantelfläche durch M = 2π r h gegeben. Damit ergäbe sich jedoch das Differenzial
zu dM = 2π f (x) dx. Offensichtlich würde so der Wurzelausdruck nicht richtig erfasst.
3. Anwendungen der Integralrechnung 53

Beispiel

Mantelfläche einer Kugelzone der Dicke h = x2 − x1 mit −r ≤ x1 < x2 ≤ r.

x1 x2 x

h
Die Kugeloberfläche entsteht durch Rotation der Kurve
p
y = f (x) = r 2 − x2

um die x-Achse. Damit wird


−x
f ′ (x) = √ ,
r − x2
2
Z x2 p r Z x2 r 2
x 2 (r − x2 )(r 2 − x2 + x2 )
M = 2π r 2 − x2 1 + 2 dx = 2π dx
r − x2 r 2 − x2
Zxx1 2 x1

= 2π r dx = 2π r (x2 − x1 ) = 2π r h.
x1

Interessanterweise hängt die Mantelfläche hier nur von der Dicke der Kugelzone ab,
nicht aber davon, aus welchem Bereich (z.B. Äquator- oder Polzone) der Kugel sie
herausgeschnitten wird!

Übung

Berechnen Sie die Oberfläche des durch Rotation der Kurve


1√
y = f (x) = x (3 − x), x ∈ [0, 3]
3
erzeugten Körpers. ] π3[

3.4 Lösung von Bewegungsgleichungen durch Integration

Kinematik und Dynamik

Die Kinematik stellt eine Beziehung her zwischen der momentanen Position s(t),
der momentanen Geschwindigkeit v(t) und der momentanen Beschleunigung a(t) als
Funktion der Zeit t:
ds dv d2 s
v = ṡ = ; a = v̇ = = s̈ = 2 .
dt dt dt
54 T. Heim: Analysis 2

Das zweite Newtonsche Gesetz der Dynamik besagt, dass die gesamthaft resultierende
Kraft für die zeitliche Änderung des Impulses verantwortlich ist:
d~p
F~res = .
dt
Ist die Masse m konstant, so ist der Impuls direkt proportional zur Geschwindigkeit
und wir erhalten im Fall einer eindimensionalen Bewegung
Fres = m v̇ = m a.
Kennen wir also alle wirkenden Kräfte, so erhalten wir einen Ausdruck für die total
wirkende Beschleunigung. Diese Beziehung ist die Bewegungsgleichung. Durch In-
tegration über die Zeit erhalten wir aus der Beschleunigung die Geschwindigkeit, und
durch nochmalige Integration schliesslich die momentane Position.

Gleichmässig beschleunigte Bewegung

Wirkt auf einen Körper der Masse m die konstante Gewichtskraft F = m g, so lautet
die Bewegungsgleichung
F = m g = m a = m v̇.
Integration über die Zeit ergibt
Z
v(t) = g dt = g t + v0

mit der Integrationskonstanten v0 , die über die Anfangsbedingung v(0) = v0 bestimmt


werden kann. Nochmalige Integration von v(t) = ṡ(t) liefert
1
Z Z
s(t) = v(t) dt = (g t + v0 ) dt = g t2 + v0 t + s0
2
mit einer zweiten Integrationskonstante s0 = s(0), die über die Anfangsposition s(0)
zu bestimmen ist.
Die geniale Einsicht von Newton, die eine Verbindung zwischen Kinematik und Dy-
namik herstellt, erlaubt es im Prinzip, aus den bekannten Kräften die Bewegung, also
s(t), zu berechnen. Allerdings erfordert dies, dass die auftretenden Integrale gelöst
werden können. Die folgenden Beispiele zeigen, dass das nicht immer so einfach ist,
wie beim freien Fall ohne Luftwiderstand.

Freier Fall mit Luftwiderstand: Fallschirmspringer

Ein Fallschirmspringer fällt unter dem Einfluss seines Gewichts, gebremst durch Luft-
widerstand.

FL
m

FG
s
3. Anwendungen der Integralrechnung 55

In der Skizze wurde die Fallrichtung ( abwärts“) als positive Richtung gewählt. Dann

wirken die beiden Kräfte
FG = m g Gewichtskraft,
FL = − 12 cw ρL A v 2 Luftwiderstand,
wobei m die Masse des Fallschirmspringers, g die Erdbeschleunigung, cw den Luftwi-
derstandsbeiwert, ρL die Dichte der Luft, A die der Luftströmung ausgesetzte Quer-
schnittsfläche und v die (zu bestimmende) Fallgeschwindigkeit bedeuten. Vernünftige
Werte für die Parameter sind zum Beispiel
m = 75 kg
g = 9.81 m/s2
cw = 0.68 (ohne offenen Fallschirm)
cw = 1.17 (mit offenem Fallschirm)
ρL = 1.29 kg/m 3
A = 0.6 m2 (Fallschirm geschlossen, ca. 1.75 m × 35 cm)
2
A = 30 m (Fallschirm offen, Durchmesser ca. 6 m)
Aus dem 2. Gesetz von Newton erhalten wir
m a = Fres = FG + FL = m g − 12 cw ρL A v 2 .
Somit ergibt sich die Bewegungsgleichung
dv
m = m g − 12 cw ρL A v 2 .
dt
Division durch m und Multiplikation mit dem Differenzial dt liefert
 
cw ρL A 2
dv = g − v dt.
2m
Bevor wir diese Differenzialgleichung für die Funktion v(t) lösen, wollen wir das asym-
ptotische Verhalten untersuchen. Die Fallbeschleunigung erhöht die Geschwindigkeit,
aber dadurch nimmt auch der Luftwiderstand zu. Wenn sich die beiden Kräfte kom-
pensieren, wird die resultierende Kraft Null und es erfolgt keine weitere Beschleu-
nigung mehr. Damit verschwindet auch die zeitliche Änderung der Geschwindigkeit,
v̇ = 0, oder anders ausgedrückt bleibt dann die Geschwindigkeit konstant. Diese asym-
ptotische Geschwindigkeit ergibt sich aus
2
0 = m g − 12 cw ρL A vas
r
2m g
→ vas = .
cw ρL A
Bringen wir die Klammer durch Division der Differenzialgleichung auf die linke Seite,
so haben wir die Variablen v und t separiert:
dv
cw ρL A
= dt.
g− 2m v2
56 T. Heim: Analysis 2

Jetzt können wir auf beiden Seiten integrieren (links über v und rechts über t):
dv
Z Z
= dt.
g − cw2m
ρL A 2
v
R
Das Integral rechts ist sehr einfach, dt = t − t0 , mit einer Integrationskonstante t0 ,
die wir zur Auswertung einer Anfangsbedingung benutzen werden.
Beim Integral auf der linken Seite steuern wir auf ein Integral vom Typ
1
Z
dx
1 − x2
zu. Wir klammern deshalb g im Nenner aus
1 dv
Z

g cw ρL A 2
1 − 2m g v
und substituieren nun
s r
cw ρL A 1 2m g
z= v= v, → dv = dv = vas dz
2m g vas cw ρL A
und erhalten
dv 1 1
Z Z
cw ρL A 2
= vas dz = t − t0 ,
g − 2m v g 1 − z2
wo wir die bereits berechnete Integration über t eingesetzt haben. Je nach Anfangsbe-
dingung müssen wir nun eine geeignete Stammfunktion für das letzte Integral wählen.
Betrachten wir zunächst den Beginn der Bewegung des Springers. Zur Zeit t = 0 soll
die Geschwindigkeit v(0) = 0 sein. Weil dann der Luftwiderstand noch nicht bremst,
wird die Geschwindigkeit durch die Fallbeschleunigung zunehmen, theoretisch bis zum
asymptotischen Wert vas . Dieses Verhalten zeigt die Stammfunktion
1 g (t − t0 )
Z
2
dz = artanh(z) = .
1−z vas
Auflösung nach z und Rücksubstitution liefert uns nun v(t), die Fallgeschwindigkeit
als Funktion der Zeit:
 
v g (t − t0 )
z= = tanh
vas vas
 
gt
v(t) = vas tanh
vas
mit t0 = 0, damit beide Seiten der Gleichung bei t = 0 gleichzeitig 0 werden.
Die Fallstrecke bestimmen wir daraus durch eine Zeit-Integration der Geschwindigkeit,
2 Z
 
gt vas
Z Z
s(t) = v(t) dt = vas tanh dt = tanh(u) du
vas g
2 Z sinh(u) 2
  
vas vas gt
= du = ln cosh + s0 .
g cosh(u) g vas
Soll der Fall bei t = 0 starten, so ist s(0) = 0, was für die Integrationskonstante s0 = 0
ergibt. Dieses Ergebnis kennen Sie bereits von der Übungsaufgabe 5 von Seite 12.
3. Anwendungen der Integralrechnung 57

Weiterführende Übungen

Angenommen, der Fallschirmspringer springt aus 1 500 m Höhe ab und öffnet seinen
Fallschirm nach 12 Sekunden.

1. Bestimmen Sie die asymptotischen Geschwindigkeiten mit und ohne Fallschirm.


])h/mk 25.02( s/m 07.5 .wzb ,)h/mk 53.091( s/m 88.25[

2. Welche Fallgeschwindigkeit hat der Springer beim Öffnen des Fallschirms?


])h/mk 79.581( s/m 66.15[

3. Welche Fallstrecke hat er bis dahin zurückgelegt? ]m 62.044[

4. Beim Fall mit offenem Fallschirm müssen Sie eine andere Stammfunktion wählen,
weil zu Beginn dieser Bewegungsphase bereits mehr als die asymptotische R 1 Ge-
schwindigkeit erreicht ist. Welche andere Stammfunktion kommt für 1−z 2 dz
auch infrage? Diese Funktion sollte nicht zunehmen, sondern abnehmen!
] s/m )07.5/) 1t − t( g( htoc 07.5 = )t( v[

5. Wählen Sie die Integrationskonstanten so, dass die zweite Stammfunktion für
t = 12 s die korrekte Geschwindigkeit liefert, und berechnen Sie durch erneute
Integration die Zeitabhängigkeit der Fallstrecke.
]m )45.744 + ))07.5/) 1t − t( g(hnis(nl 13.3( = )t(s ;s 6539.11 = 1t[

6. Nach welcher Gesamtzeit und mit welcher Geschwindigkeit setzt der Fallschirm-
springer am Boden auf? Achtung: Diese Zeit ist asymptotisch gross, sodass Sie
den sinh(x) durch 12 ex ersetzen dürfen! ]s/m 07.5 ;s 659.691[

7. Aus welcher Höhe müsste er ohne Fallschirm und ohne Luftwiderstand springen,
um mit der gleichen Geschwindigkeit aufzusetzen? ]m 66.1[

8. Erstellen Sie Diagramme für s(t), v(t), a(t), v(s), a(s).

9. Untersuchen Sie in der gleichen Weise, wie eine laminar umströmte Kugel (Radi-
us r, Dichte ρ) in einer Flüssigkeit (Dichte ρF , Viskosität η) unter dem Einfluss
von Gewichtskraft FG = m g, Auftrieb FA = −m g ρF /ρ und Stokes’scher Rei-
bung FR = −6π η r v absinkt.

Weitere Beispiele und Übungen können wir erst nach der Diskussion allgemeiner In-
tegrationsmethoden behandeln, da die auftretenden Integrale keine Grundintegrale
sind.
58 T. Heim: Analysis 2
4. Integrationsmethoden 59

4 Integrationsmethoden

Die Formeln für Bogenlänge, Volumen, Mantelfläche usw. führen schnell einmal auf
Integrale, die keine Grundintegrale sind. Ausser der Tabelle mit den Grundintegralen
haben wir bisher aber nur eine Summenregel zur Verfügung, die besagt, dass eine
Summe von Funktionen gliedweise integriert werden darf. Um auch kompliziertere
Integrale berechnen zu können, die in praktischen Anwendungen meistens auftreten,
benötigen wir zusätzliche Regeln. Wir wollen nun drei exakte Methoden kennen lernen,
die es erlauben, gegebene Integrale auf Grundintegrale zurückzuführen. Allerdings
können wir auch mit diesen Methoden nicht jedes Integral lösen, wie aus der folgenden
Bemerkung klar wird.
Aus dem Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung wissen wir, dass die In-
tegration die Umkehrung der Ableitung ist. Für die Ableitung haben wir mit den
Ableitungsregeln, insbesondere mit der Kettenregel, sehr effektive Hilfsmittel zur
Verfügung. Von jeder beliebig verschachtelten Funktion können wir die Ableitung
analytisch bestimmen, sofern sie überhaupt existiert. Es stellt sich heraus, dass Ent-
sprechendes für die Integration nicht immer gilt. Der Grund dafür liegt hauptsächlich
darin, dass die Anforderungen an eine Funktion für Differenzierbarkeit wesentlich
höher sind als für Integrierbarkeit. Das ist einfach einzusehen, denn damit die Tan-
gentensteigung (Ableitung) an jedem Punkt bestimmt werden kann, darf die Funkti-
on sicher keine Sprünge, ja nicht einmal Knicke aufweisen. Hingegen bestehen diese
Einschränkungen nicht, wenn die Fläche unter der Kurve bestimmt werden soll (Inte-
gration). Gerade weil die Anforderungen für Integrierbarkeit nicht hoch sind, gibt es
beliebig viele Integrale, deren Stammfunktion nicht explizit angegeben werden kann,
etwa
sin x
Z Z Z
−x2
e dx, dx, sin(x2 ) dx, usw.
x
Solche Integrale werden mit Näherungsverfahren berechnet, z.B. durch Reihenent-
wicklung oder durch numerische Integration. Im ersten Fall wird der Integrand in
eine Reihe entwickelt, beispielsweise eine Potenzreihe oder eine Fourierreihe, die dann
gliedweise analytisch integriert wird. So erhält man ein analytisches Resultat für ei-
ne approximative (näherungsweise) Stammfunktion. Bei der numerischen Integration
wird im Sinne der Riemannschen Definition mit genügend feiner Zerlegung des Inte-
grationsintervalls die Fläche unter der Kurve angenähert. Das Integral wird also durch
eine endliche Summation ersetzt.

4.1 Integration durch Substitution

Die Substitutionsmethode ist im Grunde die Umkehrung der Kettenregel. Während


die Ableitung einer Funktion mit der Kettenregel von aussen nach innen“ bei jedem

Schritt klar vorgegeben ist, erscheint die umgekehrte Richtung zur Berechnung des
Integrals allerdings nicht immer so offensichtlich.
60 T. Heim: Analysis 2

Zwei einfache Beispiele

dx
Z

3x − 2
Dieses Integral ist kein Grundintegral. Der Integrand setzt sich aus zwei Funktionen
zusammen,
1
f (z) = √ mit z = 3x − 2.
z
Die Funktion f (z) lässt sich leicht nach z integrieren:

1
Z Z
√ dz = z −1/2 dz = 2z 1/2 + c.
z

Also machen wir beim gegebenen Integral eine Variablensubstitution. Wir setzen
dx 1
Z Z
z = 3x − 2 → √ = √ dx.
3x − 2 z

Jetzt müssen wir noch dx ersetzen. Aus z = 3x − 2 erhalten wir durch Differenziation
dz 1
=3 → dz = 3dx und dx = dz
dx 3
als Beziehung zwischen den Differenzialen dx und dz. Somit ist
dx 1 1 1
Z Z
√ = √ dz = · 2z 1/2 + c.
3x − 2 3 z 3

Wenn wir nun z wieder durch x ausdrücken, erhalten wir schliesslich


dx 2√
Z
√ = 3x − 2 + c.
3x − 2 3

Als zweites Beispiel betrachten wir


Z
(5x + 2)5 dx.

Das Integral könnten wir natürlich durch Ausmultiplizieren des Binoms lösen. Mit
der Substitution
1
z = 5x + 2 → dz = 5dx, dx = dz
5
finden wir aber viel einfacher
1 1 1 1
Z Z
5
(5x + 2) dx = z 5 dz = · z 6 + c = (5x + 2)6 + c.
5 5 6 30
4. Integrationsmethoden 61

Übungen

Z
1. 5x + 3 dx ]c + 2/3)3 + x5( 521 [

dt
Z
2. ]c + |3 + t2| nl 12 [
2t + 3
Z
3. 32−z dz ]c + z−23 1 −[
3 nl
Z
4. cos(2ϕ + 0.5) dϕ ]c + )5.0 + ϕ2(nis 12 [

dx
Z
5. √ ]c + )x3(hsocra 13 [
9x2 − 1
5
Z
6. √
6
du ]c + 6/5)7 − u2(3[
2u − 7
3
Z
7. dα ]c + )2 − α4(nat 34 [
cos2 (4α − 2)

Theorie der Substitutionsmethode

Es sei F (z) eine für z ∈ [a, b] differenzierbare Funktion mit F ′ (z) = f (z). Es gilt
somit Z
F (z) + c = f (z) dz.

Nun sei z selber der Funktionswert einer weiteren Funktion φ, also z = φ(x) mit
x ∈ [α, β]. Dann ergibt die Kettenregel
dF (φ(x)) dF dz
= = F ′ (z) φ′ (x).
dx dz dx
Wir integrieren über x und erhalten daraus (ohne Integrationskonstante)
Z Z Z
′ ′ ′
F (φ(x)) = F (φ(x)) φ (x) dx = f (φ(x)) φ (x) dx = f (z) dz = F (z).

Für das bestimmte Integral liefert die Substitutionsmethode demnach


Z β Z b

f (φ(x)) φ (x) dx = f (z) dz mit a = φ(α) und b = φ(β).
α a

Die Existenz der Integrale auf beiden Seiten ist sicher garantiert, wenn sowohl f (z) als
auch φ′ (x) in den jeweiligen Intervallen stetig sind. Das Letztere erfordert natürlich
auch, dass φ(x) im Intervall [α, β] differenzierbar ist. Darüber hinaus muss noch die
folgende wichtige Voraussetzung erfüllt sein:

Die Funktion φ(x) muss das Intervall α ≤ x ≤ β ein-


eindeutig (bijektiv) auf das Intervall a ≤ z ≤ b abbilden,
d.h. φ′ (x) 6= 0 für alle x ∈ [α, β].
62 T. Heim: Analysis 2

Das bedeutet, dass φ streng monoton und damit umkehrbar ist. Nur so ist sicherge-
stellt, dass die Integrationsvariable z tatsächlich alle Werte zwischen a und b genau
einmal annimmt, wenn x das Intervall [α, β] durchläuft.
Die obige Beziehung zwischen den Integralen über z bzw. über x wird auf zwei Arten
angewendet:

1. Von links nach rechts: Das Integral eines Produkts von zwei Funktionen lässt
sich berechnen, wenn der eine Faktor eine mittelbare Funktion f (φ(x)) und der
andere Faktor gerade die innere Ableitung φ′ (x) ist. Dann führt die Substitution
z = φ(x) auf das Integral Z
f (z) dz.

Ist dies ein Grundintegral, so ist das Problem gelöst.

2. Von rechts nach links: Ein beliebiges Integral


Z
f (z) dz

kann durch eine geeignete Substitution z = φ(x) in ein Integral


Z
f (φ(x)) φ′ (x) dx

umgewandelt werden. Ist dies ein Grundintegral, so ist die Aufgabe gelöst.

Meistens wird die erste Variante verwendet. Die Herausforderung besteht darin, den
Integranden so in zwei Faktoren aufzuteilen, dass der eine als innere Ableitung und
der andere als mittelbare Funktion erkannt werden kann.

Wichtige Sonderfälle von Substitutionen

1. Lineare Substitution: φ(x) = a x + b, a, b ∈ R.


1
Die Substitution z = φ(x) = a x + b liefert dz = a dx, bzw. dx = a dz. Daraus
folgt
1
Z Z
f (a x + b) dx = f (z) dz.
a
Weil die innere Ableitung“ φ′ (x) = a einen konstanten Faktor liefert, wird das

Integral dadurch nicht verkompliziert. Nach diesem Prinzip sind die einführen-
den Beispiele und die bisherigen Übungen dieses Abschnitts gelöst worden.

Analoges gilt bei z = a xn + b und dz = n a xn−1 dx:


1
Z Z
n n−1
f (a x + b) x dx = f (z) dz.
na
1
Z
2 2
Beispiel: x e−x dx = − e−x + c mit Hilfe von z = −x2 und dz = −2x dx.
2
4. Integrationsmethoden 63

2. f (z) ist eine Potenzfunktion f (z) = z n mit dem Exponenten n ∈ R, n 6= −1.

Der Integrand hat also die Form

(φ(x))n φ′ (x).

Für negative n muss φ(x) 6= 0 sein, für nicht-ganzzahlige n muss sogar φ(x) > 0
sein. Die Substitution z = φ(x) mit dz = φ′ (x) dx ergibt hier

1 1
Z Z
(φ(x))n φ′ (x) dx = z n dz = z n+1 + c = (φ(x))n+1 + c.
n+1 n+1
Z
Beispiel: sin5 x cos x dx
Mit z = sin x ist dz = cos x dx, also
1 1
Z Z
sin x cos x dx = z 5 dz = z 6 + c = sin6 x + c.
5
6 6
Dieses Verfahren ist besonders nützlich, wenn neben einem einzelnen Faktor
sin x (oder cos x) eine mittelbare Funktion der komplementären Kreisfunktion
cos x (bzw. sin x) steht.
1
3. f (z) = ist eine Potenzfunktion mit dem Exponenten n = −1.
z
Das sind Integrale der Form

φ′ (x)
Z
dx, φ(x) 6= 0.
φ(x)

Die Substitution z = φ(x) mit dz = φ′ (x) dx führt zu


Z ′
φ (x) dz
Z
dx = = ln |z| + c = ln |φ(x)| + c.
φ(x) z

dx
Z
Beispiel:
x ln x
1
Hier setzen wir z = ln x mit dz = dx und finden
x
dx dz
Z Z
= = ln |z| + c = ln | ln x| + c.
x ln x z
Nach diesem Muster erhalten wir auch die Stammfunktion des Tangens:
sin x dz
Z Z Z
tan x dx = dx = − = − ln | cos x| + c.
cos x z
Mit z = cos x ist nämlich dz = − sin x dx, also sin x dx = −dz.
64 T. Heim: Analysis 2

Grenzen bei bestimmten Integralen

Die Grenzen eines bestimmten Integrals beziehen sich auf die Integrationsvariable.
Eine Substitution dieser Variable muss auch bei den Grenzen berücksichtigt werden.
Dafür stehen drei Möglichkeiten zur Auswahl, die wir mit einem Beispiel illustrieren:
π/2
cos α
Z
dα,
0 1 + sin2 α
mit der Substitution z = sin α und dz = cos α dα.

1. Grenzen substituieren: An der Untergrenze α = 0 ist z = sin α = 0, und an der


Obergrenze α = π2 wird z = 1. Somit ist
π/2 1
cos α dz 1 π
Z Z
dα = = arctan z = .
0 1 + sin2 α 0 1 + z2 0 4

Diese Variante wird am meisten verwendet, weil die Rücksubstitution (hier von
z zurück zu α) entfällt.

2. Zuerst die rücksubstituierte Stammfunktion bestimmen,


cos α dz
Z Z
dα = = arctan z + c = arctan(sin α) + c.
1 + sin2 α 1 + z2
Jetzt können wir die ursprünglichen Grenzen einsetzen:
π/2
cos α π/2 π
Z
dα = arctan(sin α) = .
0 1 + sin2 α 0 4

3. Grenzen einklammern:
Z π/2 Z (π/2)
cos α dz (π/2) π/2 π
2 dα = = arctan z = arctan(sin α) = .
0 1 + sin α (0) 1 + z2 (0) 0 4

Diese Variante ist jedoch fehleranfällig, weil bei den Ausdrücken mit den ein-
geklammerten Grenzen nicht ersichtlich ist, wie die richtigen“ Grenzen für z

lauten. Wir werden daher nur die ersten beiden Methoden verwenden.

Übungen
Z 4
1. 2e3y−6 dy ]682.862 = )1 − 6e( 23 [
2

1 2
x 3
Z
73
2. + dx ]380.3 = 21 [
0 2 2
5
dv
Z
3. ] 21 [
4 (v − 3)2
4. Integrationsmethoden 65

Z 2 u 
4. sin + 1 du ]7158.1[
0 5
Z
5. cos3 ϕ sin ϕ dϕ ]c + ϕ 4soc 41 −[
Z
6. (5 sin4 x − 3 sin2 x + 2 sin x + 4) cos x dx
]c + x nis 4 + x 2nis + x 3nis − x 5nis[
−π/2 ω π
Z
7. cos2 − dω ]4582.0 = 1
2 − π4 [
−π 2 4
[Hinweis: cos2 x = 12 (cos(2x) + 1) ]

Die letzte Übung zeigt, wie man die wichtigen Integrale über Quadrate der tri-
gonometrischen bzw. der hyperbolischen Funktionen findet. Es ist

cos(2x) = cos2 x − sin2 x = 2 cos2 x − 1 = 1 − 2 sin2 x,

und damit
1 + cos(2x) 1 − cos(2x)
cos2 x = , sin2 x = .
2 2
Wir erhalten sofort

1 1 1 1 1
Z Z
2
cos x dx = (1 + cos(2x)) dx = x+ sin(2x) = x+ sin x cos x,
2 2 4 2 2
1 1 1 1 1
Z Z
sin2 x dx = (1 − cos(2x)) dx = x− sin(2x) = x− sin x cos x.
2 2 4 2 2

Ganz analog gilt

cosh(2x) = cosh2 x + sinh2 x = 2 cosh2 x − 1 = 1 + 2 sinh2 x,

und damit
cosh(2x) + 1 cosh(2x) − 1
cosh2 x = , sinh2 x = .
2 2
Daraus ergibt sich

1 1 1 1
Z
cosh2 x dx =
sinh(2x) + x= sinh x cosh x + x,
4 2 2 2
1 1 1 1
Z
sinh2 x dx = sinh(2x) − x= sinh x cosh x − x.
4 2 2 2
66 T. Heim: Analysis 2

Weitere Beispiele

Die folgenden Beispiele illustrieren das Vorgehen für typische Fälle.


Z e√
ln x
1. dx
1 x
1
Wir setzen z = ln x, dz = dx und z1 = 0, z2 = 1. Damit wird
x
Z e√
2 3/2 1 2
Z 1


ln x
dx = z dz = z = .
1 x 0 3 0 3
Z
2. cos3 x dx

Wir spalten einen Faktor cos x ab und formen den Rest um, bis darin nur noch
sin x vorkommt. Dann hilft die Substitution z = sin x weiter.
Z Z Z
cos x dx = cos x cos x dx = (1 − sin2 x) cos x dx
3 2

Z Z
= cos x dx − sin2 x cos x dx
1
Z
= sin x − z 2 dz = sin x − z 3 + c
3
1
= sin x − sin3 x + c
3

Z
3. x 3x + 1 dx

Der Term unter der Wurzel muss substituiert werden,


z−1 1
z = 3x + 1, → x= , dx = dz.
3 3
Damit erhalten wir
√ z − 1√ 1 1
Z Z Z
x 3x + 1 dx = z dz = (z 3/2 − z 1/2 ) dz
3 3 9
 
1 2 5/2 2 3/2
= z − z +c
9 5 3
2 2
= (3x + 1)5/2 − (3x + 1)3/2 + c.
45 27
dx
Z
4. √
a − x2
2

Zunächst klammern wir a2 aus.


dx 1 dx
Z Z
√ = p .
2
a −x 2 a 1 − (x/a)2
x 1
Die Substitution z = liefert dz = dx, also dx = a dz. Wir finden so
a a
dx 1 dx a dz x
Z Z Z
√ = p = √ = arcsin + c.
a2 − x 2 a 1 − (x/a)2 a 1 − z2 a
4. Integrationsmethoden 67

Übungen

Meistens enthält der Integrand eine elementare Funktion mit einem komplizierteren“

Argument. Tritt ausserdem noch die Ableitung dieses komplizierten Arguments auf,
so kann das Integral gelöst werden, indem für das zusammengesetzte Argument eine
neue Variable substituiert wird.
Z p
1. x2 6x3 − 5 dx ]c + 2/3)5 − 3x6( 712 [

e1/x
Z
2. dx ]c + x/1e−[
x2
Z
3. esin z cos z dz ]c + z nise[

2 √
x
Z
4. √ dx ]8585.0 = 2 − 2[
0 2 + x2
π 2 /9 √
sin x
Z
5. √ dx ]1[
0 x
xn−1 1
Z
6. dx ]c + | nx b + a| nl [
a + b xn bn
dy 1
Z
7. ]c + −[
y (ln y)2 y nl
8. In welchem Abstand von der y-Achse ist die Parallele zu ziehen, die mit der
positiven x-Achse und der Kurve der Funktion y = tan x die Fläche begrenzt,
die den Inhalt 1 hat? ]1491.1 = )e/1(soccra[

9. Die Sinuskurve rotiere im Intervall [0, π] um die x-Achse. Berechnen Sie das
Volumen des entstehenden Rotationskörpers. ]539.4 = 2 π 12 [

10. Berechnen Sie die Bogenlänge eines Teils der Neilschen Parabel mit der Glei-
chung
2
y = f (x) = x3/2 , x ∈ [0, 3].
3
]3/41[

11. Berechnen Sie die Bogenlänge der Kurve


2 π π
y = f (x) = , x ∈ [ , ].
sin x 4 2
]6412.1 = π 41 − 2[

12. Der Kreis x2 + (y − a)2 = r 2 mit a ≥ r rotiere um die x-Achse. Bestimmen


Sie ohne Guldinsche Regel die Mantelfläche des entstehenden Rotationskörpers
(Torus). ] r a 2 π4[
68 T. Heim: Analysis 2

Substitution mit Kreis- und Hyperbelfunktionen

Integrale der Form


Z p Z p
f (x, a2 − x2 ) dx, z.B. x2 1 − x2 dx
Z √
4 + x2
Z p
f (x, a2 + x2 ) dx, z.B. dx
x

x2 − 1
Z p Z
f (x, x2 − a2 ) dx, z.B. dx
x2
werden mit Hilfe trigonometrischer, bzw. hyperbolischer Funktionen substituiert. Das
gleiche Vorgehen funktioniert ebenso in allen Fällen, wo unter der Wurzel ein allge-
meiner quadratischer Ausdruck a x2 + b x + c steht. Durch quadratisches Ergänzen
lassen sich diese Fälle auf den Fall ohne lineares Glied (also mit b = 0) zurückführen.
Zur Substitution benützen wir die Pythagoras“-Beziehungen

sin2 x + cos2 x = 1, cosh2 x − sinh2 x = 1,

mit denen wir Summen und Differenzen unter der Quadratwurzel wegbringen können:
√ p p
a2 − x2 = pa2 − a2 sin2 z = a p1 − sin2 z = a cos z, x = a sin z
√ 2 2
x2 − a2 = pa2 cosh z − a2 = a pcosh z − 1 = a sinh z, x = a cosh z

a2 + x2 = a2 + a2 sinh2 z = a 1 + sinh2 z = a cosh z, x = a sinh z.

Die folgende Übersicht zeigt die bei den verschiedenen Integranden anzuwendenden
Substitutionen und die zugehörigen Umrechnungsformeln:

Integraltyp Substitution Wurzel wird zu


Z p p
f (x, a2 − x2 ) dx x = a sin z a2 − x2 = a cos z
Z p p
f (x, a2 + x2 ) dx x = a sinh z a2 + x2 = a cosh z
Z p p
f (x, x2 − a2 ) dx x = a cosh z x2 − a2 = a sinh z

Bei bestimmten Integralen müssen wir dabei unbedingt beachten, dass die Grenzen
des x-Intervalls im Wertebereich der zur Substitution verwendeten Funktion liegen.
Ausserdem muss für das z-Intervall ein einheitlicher Monotoniebereich gewählt wer-
den, damit der Zusammenhang zwischen x und z eineindeutig ist.
4. Integrationsmethoden 69

Beispiele

Im Integral Z p
5 + x2 dx

substituieren wir √ √
x= 5 sinh z, dx = 5 cosh z dz
und erhalten so
Z p √ Z √ Z
5+ x2 dx = 5 5 cosh z cosh z dz = 5 cosh2 z dz.

Aus dem Additionstheorem cosh(2z) = 2 cosh2 z − 1 ergibt sich

1 + cosh(2z)
cosh2 z = ,
2
und damit
5 5 1
Z Z
5 cosh2 z dz = (1 + cosh(2z)) dz = (z + sinh(2z)) + c
2 2 2
5
= (z + sinh z cosh z) + c.
2
Jetzt müssen wir noch die Rücksubstitution durchführen:
√ x
x = 5 sinh z → z = arsinh √ ,
5
also
    
5 x x x
Z p
5 + x2 dx
= arsinh √ + sinh arsinh √ cosh arsinh √ + c.
2 5 5 5
p
Nun ist cosh z = 1 + sinh2 z, und wir erhalten
s  !
5 x x x
Z p
5 + x2 dx = arsinh √ + √ 1 + sinh2 arsinh √ +c
2 5 5 5
s
x 2
 
5 x 5x
= arsinh √ + √ 1+ √ +c
2 5 2 5 5
5 x 1 p
= arsinh √ + x 5 + x2 + c.
2 5 2
Der Areasinus kann auch als Logarithmus geschrieben werden.
70 T. Heim: Analysis 2

Als weiteres Beispiel, bei dem zuerst quadratisch ergänzt werden muss, betrachten
wir
dx
Z
√ .
2
9x − 6x − 3
Quadratisches Ergänzen

9x2 − 6x − 3 = (9x2 − 6x + 1) − 4 = (3x − 1)2 − 4

bringt den linearen Term unter der Wurzel zum Verschwinden, wenn wir t = 3x − 1
substituieren, also dx = 31 dt:

dx 1 dt
Z Z
√ = √ .
2
9x − 6x − 3 3 2
t −4
Im nächsten Schritt substituieren wir t = 2 cosh z, dt = 2 sinh z dz:
1 dt 1 2 sinh z dz 1 2 sinh z dz 1 1
Z Z Z Z
√ = p = = dz = z + c.
3 t2 − 4 3 4 cosh2 z − 4 3 2 sinh z 3 3

Die Rücksubstitution z = arcosh 2t = arcosh 3x−1


2 liefert schliesslich

dx 1 3x − 1
Z
√ = arcosh + c.
2
9x − 6x − 3 3 2

Der Areacosinus kann wiederum als Logarithmus geschrieben werden.


Bei diesen Substitutionen werden ständig die Formeln für verdoppelte Argumente
der Kreis- und Hyperbelfunktionen verwendet, sowie die jeweiligen Pythagoras“-

Beziehungen. Auf diese sollten Sie deshalb jederzeit zurückgreifen können.

Übungen

z √z
Z p
1. 4 + z 2 dz ]c + hnisra 2 + 2 z + 4 [
2 2
1 √u
Z p
2. u2 − 1 du ]c + u hsocra − 1 − 2u [
2 2
3. Berechnen Sie die Bogenlänge der Parabel mit der Gleichung y = x 2
1
√ − 2x − 15
zwischen den beiden Nullstellen. ]736.33 = )8(hnisra 2 + 56 4[
√ √
4. Berechnen Sie die Bogenlänge der Kurve y = f (x) = ln x für x ∈ [ 3, 8].
[Hinweis: Substitution 1/x = sinh z] √ √
] 23 nl 12 + 1 = )3 /1(hnisra + )8 /1(hnisra − 1[
4. Integrationsmethoden 71

4.2 Partielle Integration

Die Substitutionsmethode basiert auf der Umkehrung der Kettenregel der Ableitung.
Damit lassen sich viele Integrale exakt lösen. Für Integrale wie
Z
x sin x dx

funktioniert die Substitutionsmethode aber nicht. Hier bietet sich die partielle Inte-
gration an. Sie hängt mit der Produktregel der Differenzialrechnung zusammen.
Seien u(x) und v(x) zwei stetig differenzierbare Funktionen. Nach der Produktregel
gilt dann für die Ableitung
(u v)′ = u′ v + u v ′ .
Wenn wir auf beiden Seiten über x integrieren, ergibt sich
Z Z Z
(u v) dx = u v dx + u v ′ dx.
′ ′

Das Integral auf der linken Seite ist natürlich einfach u v (plus Integrationskonstante),
also Z Z
u v + c = u v dx + u v ′ dx.

Durch Umstellen der Terme finden wir


Z Z
u v ′ dx = u v + c − u′ v dx.

Da auf der rechten Seite noch ein unbestimmtes Integral steht, kann die Integrations-
konstante c mit der Integrationskonstante dieses letzteren Integrals zusammengezogen
werden. Wir erhalten schliesslich
Z Z
u v dx = u v − u′ v dx.

Dies ist die Formel für die partielle Integration. Damit diese Methode zum Erfolg
führt, muss das verbleibende Integral auf der rechten Seite einfacher“ zu lösen sein

als das ursprüngliche auf der linken Seite. Wir müssen also den Integranden so in zwei
Faktoren u und v ′ zerlegen, dass wir erstens vom einen Faktor v ′ die Stammfunkti-
on schon kennen oder leicht bestimmen können, und dass zweitens das verbleibende
Integral über (u′ v) auch lösbar ist.
Die partielle Integration ist ideal für Integranden der Typen x-Potenz mal elementare

Funktion“ oder Potenzen elementarer Funktionen“,

xn sin x, xn ex , xn ln x, sinn x, . . . ,

aber auch für


ex sin x, arcsin x, arctan x, ln x, . . .
72 T. Heim: Analysis 2

Beispiele
Z
1. Im Integral x ex dx wählen wir

u = x, v ′ = ex ,
→ u′ = 1, v = ex + cv .

Die partielle Integration ergibt dann


Z Z
x e dx = x (e +cv )− 1 (ex +cv ) dx = x ex +cv x−ex −cv x+c = x ex −ex +c.
x x

Wir sehen, dass sich die Integrationskonstante cv der Stammfunktion von v ′


tatsächlich weghebt. Das gilt bei sämtlichen partiellen Integrationen. Wir wer-
den dieses cv daher im Folgenden weglassen.

Der andere Ansatz mit

u = ex , v ′ = x,
1
→ u′ = ex , v = x2
2
führt nicht zum Ziel. Auf der rechten Seite taucht jetzt nämlich nicht ein einfa-
cheres, sondern im Gegenteil ein komplizierteres Integral auf:
1 1 2 x
Z Z
x ex dx = x2 ex − x e dx.
2 2

2. Mit der partiellen Integration erhalten wir auch die Stammfunktion des Lo-
grithmus. Dazu verwenden wir einen cleveren Trick. In
Z
ln x dx

schmuggeln wir einen unsichtbaren zweiten Faktor hinein. Wir wählen

u = ln x, v ′ = 1, ← (!)
1
→ u′ = , v = x.
x
Damit ergibt sich
1
Z Z
ln x dx = x ln x − x dx = x ln x − x + c.
x

Der Trick, den Faktor v ′ = 1 zu wählen, funktioniert besonders gut, wenn u′ eine
Funktion von x2 ist (statt von x), wie das beispielsweise für die Ableitungen der
Arcus- und Areafunktionen der Fall ist. Dann kann das Integral auf der rechten
Seite nämlich mit der Substitution z = x2 gelöst werden, da v dx = x dx = 12 dz
wird.
4. Integrationsmethoden 73

3. Auch ein Integral wie Z


ex cos x dx

ist mit partieller Integration lösbar. Mit


u = ex , v ′ = cos x,
→ u′ = ex , v = sin x

ist zunächst Z Z
x x
e cos x dx = e sin x − ex sin x dx.

Nochmalige partielle Integration mit

u = ex , v ′ = sin x,
→ u′ = ex , v = − cos x
liefert nämlich
Z  Z 
x x x x
e cos x dx = e sin x − −e cos x − e (− cos x) dx
Z
= ex sin x + ex cos x − ex cos x dx.

Auf der rechten Seite taucht wieder das ursprüngliche Integral auf, allerdings
mit umgekehrtem Vorzeichen! Wir nehmen diesen Term auf die linke Seite und
dividieren durch 2:
Z Z
e cos x dx = e sin x + e cos x − ex cos x dx,
x x x

Z
2 ex cos x dx = ex sin x + ex cos x + c1 ,
1
Z
ex cos x dx = ex (sin x + cos x) + c.
2
Bei diesem Vorgehen muss man darauf achten, die Zerlegung des Integranden
in u und v ′ jeweils nach dem gleichen Muster zu wählen, sonst erhält man
eine triviale Identität (wenn die zweite partielle Integration einfach die erste
rückgängig macht).
4. Mit einmaliger partieller Integration und mit dem trigonometrischen Pythago-
ras können wir auch das bereits bekannte Integral (siehe Seite 65) über cos2 x
bestimmen. Mit u = cos x und v ′ = cos x wird u′ = − sin x und v = sin x, also
Z Z Z
cos2 x dx = sin x cos x + sin2 x dx = sin x cos x + (1 − cos2 x) dx
Z
= sin x cos x + x − cos2 x dx,

was nach dem gesuchten Integral aufgelöst werden kann. Zweimaliges partielles
Integrieren würde hingegen rechts das Ausgangsintegral mit einem Pluszeichen
ergeben und könnte daher nicht aufgelöst werden.
74 T. Heim: Analysis 2

Übungen
Z
1. x2 sin x dx ]c + x soc 2x − x soc 2 + x nis x2[
Z
2. x sin2 x dx ]c + x 2nis 14 + x soc x nis x 21 − 2x 14 [

Z π/2
3. x (cos x + 1) dx ]5408.1 = 1 − π 21 + 2 π 81 [
0
Z 3
4. u eu−3 du ]2[
1

sin x
Z
5. dx ]c + )x nis + x soc( x−e 12 −[
ex
Z
6. u3 e−4u du ]c + ) 233 + u 83 + 2u 34 + 3u( u4−e 41 −[
Z x
7. x2 cosh dx ]c + x
a hsoc x 2a2 − x
a hnis ) 2x + 2a2(a[
a
Z
8. arctan v dv ]c + ) 2 v + 1(nl 12 − v natcra v[
Z
9. x (ln x + 1) dx ]c + 2x 14 + x nl 2x 12 [

Zusammenfassung

Die partielle Integration wird eingesetzt um ein gegebenes Integral durch ein anderes,
hoffentlich leichter lösbares zu ersetzen. Dabei treten verschiedene Arten von Anwen-
dungen auf:

1. Direkt: Einmalige oder mehrmalige partielle Integration, bis ein einfaches, al-
lenfalls durch Substitution lösbares Integral entsteht.

2. Mit impliziter Gleichung: Einmalige oder mehrmalige partielle Integration ver-


bunden mit algebraischer Umformung des Integranden, bis auf der rechten Seite
(allenfalls zusammen mit anderen, lösbaren Integralen) wieder das Ausgangsin-
tegral mit anderem Vorfaktor auftritt, ohne dass sich die restlichen Ausdrücke
wegheben. Auflösen der impliziten Gleichung nach dem gesuchten Integral.
4. Integrationsmethoden 75

4.3 Ergänzung: Integration nach Partialbruchzerlegung

Als dritte exakte Methode wollen wir das Verfahren vorstellen, mit dem jede rationale
Funktion integriert werden kann. Unter einer rationalen Funktion versteht man den
Quotienten von zwei Polynomen,

an xn + an−1 xn−1 + . . . + a1 x + a0
f (x) = , an , bm 6= 0, n, m ∈ N0 .
bm xm + bm−1 xm−1 + . . . + b1 x + b0

Wir betrachten nur rationale Funktionen mit reellen Koeffizienten

ai ∈ R, bi ∈ R für alle i.

Ist der Grad des Zählerpolynoms grösser oder gleich dem Grad des Nennerpolynoms,
n ≥ m, so spricht man von einer unecht gebrochenrationalen Funktion, für n < m von
einer echt gebrochenrationalen Funktion. Bei unecht gebrochenrationalen Funktionen
spalten wir zuerst den ganzrationalen Teil durch Ausdividieren ab; der Rest ist dann
eine echt gebrochenrationale Funktion.
Beispiel:
x4 + 2x − 1
f (x) = , n = 4, m = 2, n>m
x2 + 3
2x + 8
(x4 + 2x − 1) : (x2 + 3) = x2 − 3 + = f (x)
x2 + 3
x4 + 3x2 subtrahieren

0 − 3x2 + 2x − 1
− 3x2 − 9 subtrahieren

0 + 2x + 8 nicht mehr teilbar durch x2


Dabei wird der erste Summand des Zählers durch den ersten Summanden des Nenners
dividiert, das Ergebnis mit dem ganzen Nenner zurück multipliziert und vom Zähler
subrahiert. Mit dem so erhaltenen neuen Zähler wird wiederum gleich verfahren, bis
schon der erste Zählersummand nicht mehr durch den ersten Nennersummanden teil-
bar ist und ein echt gebrochenrationaler Rest übrig bleibt.
Die Integration über den ganzrationalen Anteil x2 − 3 ist trivial. Wir betrachten im
Folgenden deshalb nur noch Integrale über echt gebrochenrationale Funktionen wie
den Rest (2x + 8)/(x2 + 3) bei f (x) in unserem Beispiel.
76 T. Heim: Analysis 2

Grundlage für das Weitere ist der Fundamentalsatz der Algebra von C.F. Gauss
(1799): Jedes Polynom vom Grad n ≥ 1 besitzt in C mindestens eine Nullstelle.
Daraus ergibt sich nämlich der folgende wichtige Satz:

Jedes Polynom Pn (x) (ganzrationale Funktion) vom Grad n ≥ 1


besitzt (im Komplexen) genau n Nullstellen und ist in ein Produkt
von n Linearfaktoren zerlegbar,

Pn (x) = an xn + an−1 xn−1 + . . . + a1 x + a0


= an (x − x1 )(x − x2 ) · · · (x − xn ).

Dabei sind xi die (im Allgemeinen komplexen) Nullstellen von


Pn (x), also Pn (xi ) = 0 für i = 1, . . . , n.

Sind alle Koeffizienten des Polynoms reell, ai ∈ R für i = 1, . . . , n, so sind eventuell


auftretende komplexe Wurzeln (Nullstellen) stets paarweise konjugiert komplex.
Beispiel:

P4 (x) = 2x4 + 6x3 + 4x2 − 4x − 8


= 2(x − 1)(x + 2)(x2 + 2x + 2) Zerlegung im Reellen,
= 2(x − 1)(x + 2)(x + 1 + i)(x + 1 − i) Zerlegung im Komplexen.

Was hat das eigentlich mit unserem Problem, der Integration echt gebrochenratio-
naler Funktionen, zu tun? Nun, wenn wir in der echt gebrochenrationalen Funktion
f (x) im Nenner den Koeffizienten bm der höchsten Potenz ausklammern und so das
Nennerpolynom normieren, können wir die Funktion schreiben als

Z(x) an xn + an−1 xn−1 + . . . + a1 x + a0


f (x) = = m , n < m.
N (x) x + bm−1 xm−1 + . . . + b1 x + b0

Zur Integration gebrochenrationaler Funktionen benützen wir nun genau diese Zerle-
gung des Nennerpolynoms in Faktoren. Im Komplexen könnten wir uns dabei immer
auf Linear faktoren beschränken. Wenn wir jedoch mit rein reellen Integralen auskom-
men wollen, müssen wir auch Faktoren wie x2 + 2x + 2 (quadratisch in x, aber ohne
reelle Nullstellen) zulassen.
Je nach Nennerpolynom sind für die weitere Zerlegung vier verschiedene Fälle zu
unterscheiden:

(1) Ein bestimmter Linearfaktor (x − xi ) kommt in N (x) nur einmal vor, d.h. xi ist
eine einfache Nullstelle.

(2) Der gleiche Linearfaktor (x − xi ) kommt in N (x) mehrfach vor, d.h. xi ist eine
mehrfache Nullstelle.

(3) Zwei konjugiert komplexe Nullstellen kommen je einmal vor. N (x) enthält dann
den reellen Faktor x2 + β x + γ einmal, wobei β 2 − 4γ < 0.

(4) Zwei konjugiert komplexe Nullstellen kommen je k-mal vor. N (x) enthält dann
k-mal den reellen Faktor x2 + β x + γ, wobei β 2 − 4γ < 0.
4. Integrationsmethoden 77

Diesen vier Situationen entsprechend wird nun die Funktion f (x) in Partialbrüche
zerlegt. Dabei handelt es sich gewissermassen um die Umkehrung des Vorgangs, mit
dem eine Summe von Brüchen gleichnamig gemacht und so zusammengezogen wird.
Zur einfacheren Integration geht es hier darum, einen Bruch mit komplizierterem
Nenner in eine Summe von Brüchen, so genannte Partialbrüche, auseinander zu ziehen,
die einzeln sehr einfache Nenner haben. Zum Beispiel fassen wir
2 3 2(x + 3) + 3(x − 1) 5x + 3
+ = = 2
x−1 x+3 (x − 1)(x + 3) x + 2x − 3
mit dem gemeinsamen Nenner (x−1)(x+3) zusammen. Bei der Partialbruchzerlegung
geht man umgekehrt von der rechten Seite aus und will die linke Seite konstruieren,
welche mit den einfachen Nennern leicht zu integrieren ist.
Wir wollen nun untersuchen, wie die Zerlegung in Partialbrüche vor sich geht, also
im obigen Beispiel die Konstruktion der linken Seite ausgehend von der rechten. Wir
beschränken uns dabei auf die ersten zwei Fälle, mit einfachen bzw. mehrfachen reellen
Nullstellen des Nennerpolynoms. Für den dritten und vierten Fall, siehe Literatur (z.B.
L. Papula, Formelsammlung, V.3.3).

(1) Einfache Nullstellen des Nennerpolynoms

Für jede einfache Nullstelle xi des Nennerpolynoms führen wir einen Summanden
Ai
x − xi
ein. Dies ist ein Partialbruch erster Art. Die Koeffizienten Ai bestimmen wir aus der
Bedingung, dass beim Gleichnamigmachen der Summe von Partialbrüchen im Zähler
das Zählerpolynom der gegebenen Funktion f (x) herauskommen muss.

Beispiele

1. Der Nenner von


3x + 2
f (x) =
x2 + x − 2
hat die Linearfaktoren (x − 1)(x + 2), also zwei verschiedene Faktoren, die je einmal
auftreten. Der Ansatz für die Partialbruchzerlegung ist demnach
3x + 2 3x + 2 A B
= = + ,
x2 + x − 2 (x − 1)(x + 2) x−1 x+2

wo wir statt A1 und A2 der Übersicht halber A und B schreiben wollen. Wir fassen
die rechte Seite zusammen,
3x + 2 A(x + 2) + B(x − 1)
= .
(x − 1)(x + 2) (x − 1)(x + 2)
Die Zähler dieser Brüche müssen für alle Werte von x gleich sein, insbesondere auch
für die beiden Nennernullstellen x1 = 1 und x2 = −2. Setzen wir im Zähler x = 1 ein,
78 T. Heim: Analysis 2

so fällt rechts der Term mit B weg, setzen wir hingegen x = −2 ein, so fällt rechts
das A heraus:

5 = 3A für x = 1,
−4 = −3B für x = −2.

Damit erhalten wir


5 4 3x + 2 5/3 4/3
A= , B= → = + .
3 3 x2+x−2 x−1 x+2
Die Integration von Partialbrüchen erster Art ergibt
Ai
Z
dx = Ai ln |x − xi | + c.
x − xi
In unserem Beispiel wird deshalb
3x + 2 5 4
Z
2
dx = ln |x − 1| + ln |x + 2| + c.
x +x−2 3 3
2. Wir wollen
4x − 17
f (x) =
x2+ 2x − 8
integrieren. Der Nenner hat die Faktoren x2 + 2x − 8 = (x + 4)(x − 2), also setzen wir

4x − 17 A B A(x − 2) + B(x + 4)
= + = .
x2+ 2x − 8 x+4 x−2 (x + 4)(x − 2)

Wir setzen wieder rechts und links im Zähler die Nennernullstellen ein

−33 = −6A für x = −4,


−9 = 6B für x = 2,

mit der Lösung


11 3
A= , B=− .
2 2
Das gesuchte Integral ergibt sich somit zu
4x − 17 11 3
Z
2
dx = ln |x + 4| − ln |x − 2| + c.
x + 2x − 8 2 2

(2) Mehrfache Nullstelle des Nennerpolynoms

Ist xi eine mi -fache Nullstelle, tritt also (x − xi )mi mit mi > 1 im Nennerpolynom
auf, so führen wir für diese Nullstelle mi Partialbrüche
Ai, 1 Ai, 2 Ai, 3 Ai, mi
+ + + ... +
x − xi (x − xi )2 (x − xi )3 (x − xi )mi
4. Integrationsmethoden 79

ein, also je einen eigenen Koeffizienten Ai, k für jede Potenz (x − xi )k im Nenner, mit
k = 1, . . . , mi . Die Summanden mit höheren Potenzen des Nennerfaktors,
Ai, k
, k ≥ 2,
(x − xi )k
sind Partialbrüche zweiter Art.
Die Koeffizienten Ai, k bestimmen wir wieder aus der Bedingung, dass beim Gleich-
namigmachen der Summe von Partialbrüchen im Zähler das Zählerpolynom der ge-
gebenen Funktion f (x) herauskommen muss.
Die Integrale der Partialbrüche zweiter Art können wir mit der Substitution z = x−xi ,
dz = dx, lösen:
Ai, k Ai, k −k+1
Z Z
k
dx = Ai, k z −k dz = z +c
(x − xi ) −k + 1
Ai, k 1
=− + c, k > 1.
(k − 1) (x − xi )k−1

Beispiele

1. Wir bestimmen die Partialbruchzerlegung von

2x2 − 9x + 13 2x2 − 9x + 13
f (x) = = .
x3 − 6x2 + 12x − 8 (x − 2)3
Der Nenner hat eine dreifache Nullstelle bei x = 2. Also lautet der Ansatz
2x2 − 9x + 13 A B C A(x − 2)2 + B(x − 2) + C
= + + = .
(x − 2)3 x − 2 (x − 2)2 (x − 2)3 (x − 2)3
Durch Einsetzen der Nennernullstelle x = 2 können wir nur einen der drei Parameter
auf der rechten Seite bestimmen. Eine systematische Alternative zum Einsetzen von
beliebigen x-Werten gründet auf der folgenden Überlegung. Zunächst wird der Zähler
auf der rechten Seite ausmultipliziert und nach Potenzen von x geordnet:

2x2 − 9x + 13 A(x − 2)2 + B(x − 2) + C


=
(x − 2)3 (x − 2)3
A x2 + (−4A + B) x + 4A − 2B + C
= .
(x − 2)3
Damit diese Gleichung für alle Werte von x gilt, müssen die Vorfaktoren der einzelnen
x-Potenzen im Zähler auf beiden Seiten übereinstimmen. Aus diesem so genannten
Koeffizientenvergleich erhalten wir genügend Bedingungen, um A, B und C zu be-
stimmen: Der Koeffizientenvergleich liefert

2=A Koeffizient von x2 ,


−9 = −4A + B Koeffizient von x1 , → B = −1
13 = 4A − 2B + C Koeffizient von x0 , → C = 3.
80 T. Heim: Analysis 2

Dass C = 3 ist, hätten wir auch durch Einsetzen von x = 2 direkt ablesen können.
Somit ist
2x2 − 9x + 13 −1 1 3 1
Z
3 2
dx = 2 ln |x − 2| − − +c
x − 6x + 12x − 8 1 (x − 2) 2 (x − 2)2
1 3
= 2 ln |x − 2| + − + c.
x − 2 2(x − 2)2

2. Treten verschiedene Nennernullstellen auf, so lohnt sich die Kombination von Ko-
effizientenvergleich und Einsetzen der Nullstellen. Bei

x2 + 2x − 1 A B C D
2 2
= + 2
+ +
(x + 1) (x + 2) x + 1 (x + 1) x + 2 (x + 2)2
A(x + 1)(x + 2)2 + B(x + 2)2 + C(x + 1)2 (x + 2) + D(x + 1)2
=
(x + 1)2 (x + 2)2

setzen wir zunächst im Zähler auf beiden Seiten die zwei Nennernullstellen ein. Auf
der rechten Seite bleibt dabei für x = −1 nur der Term mit B stehen, und für x = −2
nur jener mit D:

−2 = B für x = −1,
−1 = D für x = −2.

Somit bleiben nur noch A und C zu bestimmen aus

x2 + 2x − 1 = A(x + 1)(x + 2)2 − 2(x + 2)2 + C(x + 1)2 (x + 2) − (x + 1)2 .

Schon vor dem Ausmultiplizieren können wir erkennen, dass rechts dritte Potenzen
von x auftauchen, links aber nicht. Ausserdem ist x = 0 meistens ein praktischer Wert
zum Einsetzen, also schreiben wir

0=A+C Koeffizient von x3 ,


−1 = 4A − 8 + 2C − 1 für x = 0.

Mit C = −A aus der ersten Gleichung liefert die zweite sofort A = 4, und somit
C = −4. Wir finden

x2 + 2x − 1 4 2 4 1
2 2
= − 2
− − ,
(x + 1) (x + 2) x + 1 (x + 1) x + 2 (x + 2)2
x2 + 2x − 1 2 1
Z
2 2
dx = 4 ln |x + 1| + − 4 ln |x + 2| + .
(x + 1) (x + 2) x+1 x+2
4. Integrationsmethoden 81

Zusammenfassung

Eine beliebige rationale Funktion mit reellen Koeffizienten kann mit einer Partial-
bruchzerlegung integriert werden. Dabei geht man folgendermassen vor:

1. Durch Polynomdivision wird zunächst der ganzrationale Teil abgespalten. Seine


Integration erfolgt mit der Potenz- und der Summenregel.

2. Beim echt gebrochenrationalen Rest wird der Nenner normiert und in Linear-
faktoren (x−xi ) zerlegt. Im Falle einer rein reellen Zerlegung können dabei auch
quadratische Faktoren (x2 + βi x + γi ) mit βi2 − 4γi < 0 vorkommen. Sie gehören
zu Paaren konjugiert komplexer Nullstellen. Sie führen auf Partialbrüche dritter
oder vierter Art, die hier nicht besprochen werden.

3. Je nach Faktorisierung des Nennerpolynoms wird nun eine Partialbruchzerle-


gung vorgenommen:

(a) Für jede einfache Nullstelle xi wird ein Partialbruch erster Art

Ai
x − xi
addiert.
(b) Für jede mi -fache Nullstelle xi , mit mi > 1, werden mi Partialbrüche

Ai, 1 Ai, 2 Ai, mi


+ 2
+ ... +
x − xi (x − xi ) (x − xi )mi

addiert. Die Brüche mit Nennerpotenz grösser als 1 sind Partialbrüche


zweiter Art.

4. Die Summe aller Partialbrüche wird gleichnamig gemacht. Durch Vergleich des
resultierenden Zählerpolynoms mit demjenigen des Integranden werden die Par-
tialbruchkoeffizienten bestimmt. Die dazu notwendigen Bestimmungsgleichun-
gen erhält man z.B. durch Koeffizientenvergleich der Vorfaktoren der einzelnen
x-Potenzen, oder durch Einsetzen geschickt gewählter Werte für x.

5. Sind alle Parameter der Partialbruchzerlegung bestimmt, so wird die Summe


von Partialbrüchen gliedweise integriert. Die Integrale sind

(a) für Partialbrüche erster Art

Ai
Z
dx = Ai ln |x − xi | + c,
x − xi

(b) für Partialbrüche zweiter Art

Ai, k Ai, k 1
Z
k
dx = − + c, k ≥ 2.
(x − xi ) (k − 1) (x − xi )k−1
82 T. Heim: Analysis 2

Übungen

Partialbrüche erster Art


−x + 4
Z
1. 2
dx ]c + |1 + x| nl 35 − |2 − x| nl 23 [
x −x−2
2w2 − w + 2
Z
2. dw ]c + |1 + w| nl 65 − |3 + w| nl 3021 + |2 − w| nl 581 [
w3 + 2w2 − 5w − 6
Z 0
5x3 − 2x2 + x − 1 91
3. dx ]53095.1 = 2 − 2 nl 61[
−1 x2 + x − 2
Partialbrüche zweiter Art
2x + 1 11
Z
4. dx ]c + |5 − x| nl 2 + −[
x2 − 10x + 25 5−x
s+2 3
Z
5. ds ]c + |1 − s| nl − [
(s − 1)(1 − s) 1−s
dx 1
Z
6. ]c + |2 + x| nl 91 − |1 − x| nl 19 + [
(x − 1)(x + 2)2 )2 + x(3
4. Integrationsmethoden 83

4.4 Ergänzung: Numerische Integration

In diesem Kapitel haben wir bisher drei Integrationsverfahren besprochen, die es


ermöglichen, ein gegebenes Integral exakt zu berechnen, indem die Stammfunktion des
Integranden bestimmt wird. In der Praxis ist dieser an sich wünschenswerte Lösungs-
weg nicht immer erfolgreich. In vielen Situationen ist eine exakte Integration gar nicht
sinnvoll, zum Beispiel:

• wenn die Stammfunktion nicht als Kombination von endlich vielen elementaren
Funktionen (Potenzen, Exponentialfunktionen, Logarithmen, Kreis- und Arcus-
funktionen, usw.) geschrieben werden kann;

• wenn die Stammfunktion unverhältnismässig“ kompliziert wird;



• wenn der Integrand nur punktweise bekannt ist (in der Praxis oft der Fall).

Ein besonders wichtiges Beispiel für die erste Situation ist die Fläche Φ(x) unter der
Gauss’schen Glockenkurve,
Z x
1 1 2
Φ(x) = √ e− 2 t dt,
2π −∞
die in der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik eine bedeutende Rolle spielt.
Dieses Integral kann nicht als elementare Stammfunktion dargestellt werden.
Führen die exakten Integrationsmethoden nicht oder nur sehr mühsam zum Ziel,
so kann ein Integral alternativ auch numerisch berechnet werden. Nach der Rie-
mannschen Definition des Integrals handelt es sich dabei ja um eine Summation von
Flächenstücken der Höhe f (x) und der Breite dx. Das exakte Integral ergibt sich da-
bei erst im Grenzfall einer unendlich feinen Zerlegung des Integrationsintervalls. Aber
wir dürfen annehmen, dass eine endlich feine Zerlegung, also eine endliche Summe
von geschickt gewählten Flächenstücken, einen Näherungswert für das Integral lie-
fert. Ein bestimmtes Integral über einem endlichen Intervall sollte sich so beliebig
genau berechnen lassen.
Soll ein unbestimmtes Integral numerisch gelöst werden, so müssten praktisch die
numerischen Werte der Flächenfunktion für verschiedene Obergrenzen x tabelliert
werden. Für jede einzelne Obergrenze wird die Fläche als endliche Summe angenähert.
Auf diese Weise erhalten wir zum Beispiel Tabellen der Standard-Normalverteilung
Φ(x). Als Alternative zu diesem Vorgehen können unbestimmte Integrale auch durch
Reihenentwicklung des Integranden berechnet werden. Dieses Verfahren werden wir
am Ende des vierten Semesters genauer kennen lernen.
Numerische Integration kann je nach Integrand und Integrationsintervall eine äusserst
anspruchsvolle Aufgabe sein. Wir wollen hier nur die einfachsten Verfahren präsen-
tieren, die für endliche Intervalle und für gutartige“ Integranden sehr schnell zum

Ergebnis führen.
84 T. Heim: Analysis 2

Trapezregel

Die Berechnung des Integrals Z b


f (x) dx
a
wird als Flächenberechnung betrachtet. Als primitivste Näherung könnten wir einfach
die Fläche eines Rechtecks mit Breite (b − a) und Höhe f (a) oder f (b) ansetzen,
Z b Z b
f (x) dx ≈ (b − a) f (a) oder f (x) dx ≈ (b − a) f (b).
a a

Diese extrem grobe Näherung wird natürlich verbessert, wenn wir das Intervall [a, b]
in n Teilintervalle zerlegen. Aus Gründen der Einfachheit wählen wir die Teilintervalle
gleich breit, also äquidistante Stützstellen

xi = a + i h, i = 0, 1, 2, . . . , n

mit
b−a
. h=
n
Dabei ist x0 = a und xn = b. Das gesuchte Integral erhalten wir dann als Summe der
n Rechtecksflächen aller Teilintervalle,
b n b n
b−a X b−a X
Z Z
f (x) dx ≈ f (xi−1 ) oder f (x) dx ≈ f (xi ),
a n a n
i=1 i=1

je nachdem, ob wir die Höhe der Rechtecke jeweils am linken oder am rechten Rand
der Teilintervalle festlegen. Diese Methode ist allerdings sehr grob und liefert nur mit
sehr vielen Teilintervallen (n sehr gross) vernünftige Näherungen.
Fast das gleiche Ergebnis erhalten wir, wenn wir statt eines Rechtecks ein Trapez als
Näherung verwenden. Durch die zwei Punkte bei x = a, y = f (a) und x = b, y = f (b)
lässt sich eine Gerade legen, die mit der x-Achse zwischen a und b ein Trapez mit
dem Flächeninhalt Z b
f (a) + f (b)
f (x) dx ≈ (b − a)
a 2
einschliesst. Der zweite Faktor ist dabei der Mittelwert der Höhen bei x = a und bei
x = b. Zur Verbesserung dieser Näherung können wir das Intervall [a, b] wiederum
in n Teilintervalle der Breite h zerlegen und in jedem Teilintervall eine Trapezfläche
berechnen.
y b

b
f (x)
b
b

...

x
a = x0 x1 x2 xn−1 xn = b

h
4. Integrationsmethoden 85

Summation über die n Teilintervalle ergibt


Z b n
b − a X f (xi−1 ) + f (xi )
f (x) dx ≈ .
a n 2
i=1

Hier kommen die n − 1 inneren Stützstellen (also alle ausser a und b) zweimal vor,
einmal als rechter und einmal als linker Rand. Somit können wir einfacher schreiben
n−1
Z b !
b − a f (a) + f (b) X b−a
f (x) dx ≈ + f (xi ) mit xi = a + i .
a n 2 n
i=1

Dies ist die so genannte Trapezregel. Im Hinblick auf die Kurve y = f (x) können
wir sie so interpretieren, dass die Kurve abschnittweise in jedem Teilintervall durch
ein Geradenstück ersetzt wird. Bis auf die falsche Gewichtung der Randpunkte erhält
man mit der gröbsten Rechtecknäherung das gleiche Ergebnis. Anders ausgedrückt
ist also auch die Trapezregel nur eine sehr grobe Näherung. Keine Kurve ausser der
Geraden wird damit exakt integriert, nicht einmal eine Parabel.

Simpsonsche Regel

Wesentlich besser wird die Näherung, wenn wir statt einer Geraden durch zwei Punkte
eine Parabel durch drei Punkte legen. Dazu müssen wir jedoch das Intervall [a, b]
mindestens einmal halbieren. Durch die drei Stützstellen bei x = a, x = 12 (a + b) und
x = b passt genau eine Parabel

y = g(x) = r x2 + s x + t

mit
g(a) = f (a), g( a+b a+b
2 ) = f ( 2 ), g(b) = f (b).
Integrieren wir über g(x) von a bis b, so ergibt sich
Z b
1 1
g(x) dx = r (b3 − a3 ) + s (b2 − a2 ) + t (b − a)
a 3 2
 
1 2 2 1
= (b − a) r (a + a b + b ) + s (a + b) + t
3 2
b−a
= {2 r (a2 + a b + b2 ) + 3 s (a + b) + 6 t}
6 
(a2 + 2 a b + b2 )
 
b−a 2 (a + b)
= (r a + s a + t) + 4 r + 4s + 4t
6 4 2

2
+ (r b + s b + t)

b−a
= {g(a) + 4 g( a+b
2 ) + g(b)}.
6
Als Näherung für das entsprechende Integral über f (x) verwenden wir deshalb
Z b
b−a
f (x) dx ≈ {f (a) + 4 f ( a+b
2 ) + f (b)}.
a 6
86 T. Heim: Analysis 2

Die mittlere Stützstelle erhält hier also vierfaches Gewicht, die Randpunkte zählen
je einfach. Jetzt verbessern wir die Näherung wiederum durch Zerlegung in mehrere
Teilintervalle. Damit diese parabolische Näherung anwendbar ist, müssen wir das
gesamte Intervall [a b] in eine gerade Anzahl n = 2k Teilintervalle zerlegen, bzw. in k
Doppelintervalle“.

y b

b
f (x)
b
b
b
b b

...

x
a = x0 x2 x4 xn−2 xn = b
x1 x3 xn−1

Die Stützstellen sind nun


b−a b−a
xi = a + i h, i = 0, 1, . . . , n = 2k, mit h = = .
n 2k
In jedem Doppelintervall nähern wir die Kurve von f (x) abschnittweise durch ein
Parabelstück. Bei der Summation über die k Doppelintervalle kommen die ungeraden
Stützstellen, die ja in der Mitte des jeweiligen Doppelintervalls liegen, mit Gewicht 4
vor. Insgesamt gibt es genau k ungerade Stützstellen (eine pro Doppelintervall). Aus-
ser den beiden äussersten Randpunkten a und b kommt jede Stützstelle mit geradem
Index in zwei Doppelintervallen vor, einmal als rechter und einmal als linker Rand-
punkt. Es gibt genau k − 1 solche innere“ Kontaktstellen zweier Doppelintervalle.

Also erhalten wir die folgende Näherung für das Integral
k k−1
Z b ( )
b−a X X
f (x) dx ≈ f (a) + f (b) + 4 f (x2i−1 ) + 2 f (x2i ) , n = 2k.
a 3n
i=1 i=1

Dies ist die Simpsonsche Regel (auch Keplersche Regel). Sie ist für die Praxis
sehr gut brauchbar. Auf Grund der hohen Symmetrie der Parabel stellt sich nämlich
heraus, dass mit dieser abschnittweise parabolischen Näherung des Integranden nicht
nur eine Parabel exakt integriert wird, sondern sogar ein Polynom 3. Grades!
Das Vorgehen lässt sich auf Polynome höheren Grades erweitern. Es führt allgemein
auf die so genannten Newton-Cotes-Formeln. Eine Approximation des Integranden
durch Polynome hohen Grades ist jedoch im Allgemeinen nicht sinnvoll, da solche
Polynome tendenziell unrealistische Oszillationen des Integranden bewirken. Ist ei-
nem Integral mit der Simpsonschen Regel und mit vernünftig vielen Stützstellen
nicht beizukommen, so sollte man nicht Newton-Cotes-Formeln höherer Ordnung
verwenden, sondern besser den Integranden abschnittweise durch kubische spline-
Interpolation nähern und die spline-Polynome integrieren. Diese haben den wesentli-
chen Vorteil, dass sie nebst den Funktionswerten an den Stützstellen auch die Steigung
und Krümmung der Kurve berücksichtigen.
4. Integrationsmethoden 87

Fehlerabschätzung

Für den Fehler der numerischen Integration mit der Trapez- oder mit der Simpson-
schen Regel gilt
n−1
Z b ( )
b − a f (a) + f (b) X (b − a)h2 ′′
f (x) dx = + f (xi ) − f (ξ),
a n 2 12
i=1
k k−1
Z b ( )
b−a X X (b − a)h4 (4)
f (x) dx = f (a) + f (b) + 4 f (x2i−1 ) + 2 f (x2i ) − f (ξ)
a 3n 180
i=1 i=1

mit k = n/2. Dabei ist a < ξ < b. Zur Abschätzung des Fehlers kann man den
maximalen Betrag der zweiten (Trapez) bzw. der vierten Ableitung (Simpson) von
f (x) im Intervall [a, b] einsetzen. Der Restterm auf der rechten Seite gibt dann sicher
eine obere Grenze für die Differenz zwischen Integral und Näherungssumme.

Übungen

1. Berechnen Sie Z π
sin x dx = − cos(π) + cos(0) = 2
0
mit der Trapezregel und mit der Simpsonregel (bei gerader Anzahl Intervalle)
für n = 1 bis 10 und n = 20 Teilintervalle (1–5 bzw. 10 Doppelintervalle).
Vergleichen Sie mit dem exakten Wert.

Ergebnis:

Anz. Intervalle Trapez Simpson


1 0 —
2 1.57079633 2.09439510
3 1.81379936 —
4 1.89611890 2.00455975
5 1.93376560 —
6 1.95409723 2.00086319
7 1.96631668 —
8 1.97423160 2.00026917
9 1.97965081 —
10 1.98352354 2.00010952
20 1.99588597 2.00000678

2. Berechnen Sie die Bogenlänge der Sinuskurve im Intervall [0, π]. Variieren Sie
die Anzahl Intervalle, bis der Wert auf sieben Stellen stabil bleibt. ]987791028.3[
88 T. Heim: Analysis 2

3. Integrieren Sie numerisch mit Trapez- und Simpsonregel


Z 10
(x3 − 3x2 + 4x − 1) dx = 1688.
2

Die Simpsonregel gibt das Ergebnis schon mit 1 Doppelintervall (3 Stützstel-


len) exakt. Die Trapezregel braucht fast 9 000 Stützstellen, um das Integral auf
8 Stellen genau zu bestimmen.

4. Berechnen Sie Z π
sin x ln x dx ≈ 0.641182
0
mit Trapez- und Simpsonregel für n = 2; 10; 20 und n = 100 Teilintervalle.
[Hinweis: lim sin x ln x = 0]
x→0

y
1

0.5

1 π x
−0.5

−1 y = sin x ln x

Ergebnis:

Anz. Intervalle Trapez Simpson


2 0.709344 0.945793
10 0.657621 0.648815
20 0.646717 0.643082
100 0.641536 0.641258

Selbst mit 101 Stützstellen liefern beide Methoden nur drei korrekte Ziffern! Erst
mit rund 1500 Teilintervallen (750 Doppelintervallen) erreicht die Simpsonsche
Regel 6 korrekte Ziffern. Die Trapezformel gibt das Ergebnis selbst dann nur
auf 5 Stellen genau. Auch das Integral
Z 10
ln x dx = 10 ln(10) − 9
1

erhält man mit der Simpsonschen Regel erst bei rund 100 Stützstellen auf 8 Stel-
len genau, und mit der Trapezregel sogar nur auf 5 Stellen.
Logarithmen lassen sich notorisch schlecht durch Polynome approximieren!
5. Unendliche Reihen 89

5 Unendliche Reihen

5.1 Folgen und Reihen

Eine (unendliche) Zahlenfolge


{u1 , u2 , u3 , . . .}
ist eine durchnummerierte Zahlenmenge“, oder etwas genauer formuliert:

Eine Zahlenfolge ist eine Funktion φ mit Definitionsbereich N und be-
liebigem Wertebereich W ,

φ : N→W ⊆R (oder C)
n 7→ un .

Ist das Abbildungsgesetz φ(n) = un bekannt, so kann auch der Grenzwert

lim un
n→∞

mit den Methoden aus Analysis 1 untersucht werden. Falls der Grenzwert existiert,
heisst die Folge konvergent, andernfalls divergiert sie.
Beispiele:
 
1 1 1 1
φ(n) = , 1, , , , . . . , lim φ(n) = 0,
n 2 3 4 n→∞
 
1 1 1 1
φ(n) = n−1 , 1, , , , . . . , lim φ(n) = 0,
2 2 4 8 n→∞

φ(n) = (−1)n+1 , {1, −1, 1, −1, . . .}, lim φ(n) existiert nicht.
n→∞

Eine Reihe ist eine aufsummierte Zahlenfolge,



X
u1 + u2 + u3 + . . . = un .
n=1

Hier stossen wir sofort auf die zentrale Frage: Stellt die Reihe eine endliche Zahl dar,
obwohl unendlich viele Summanden addiert werden?
Um diese Frage zu untersuchen betrachten wir die Partialsummen
n
X
sn = uk , n ≥ 1,
k=1

also
s 1 = u1 , s2 = u1 + u2 , s3 = u1 + u2 + u3 , ...
Diese bilden eine Zahlenfolge
{s1 , s2 , s3 , . . .},
90 T. Heim: Analysis 2

deren Grenzwert wir mit den Methoden für Zahlenfolgen bestimmen können, sofern
er existiert.

Eine unendliche Reihe heisst konvergent genau dann, wenn die Folge ih-
rer Partialsummen konvergiert. Der Grenzwert der Partialsummenfolge
heisst Summenwert der unendlichen Reihe.

X ∞
X
lim sn existiert ⇔ un existiert, un = lim sn = s.
n→∞ n→∞
n=1 n=1

Bevor wir allgemeine Konvergenzkriterien für unendliche Reihen aufstellen, wollen


wir Konvergenzaussagen für ein paar besonders wichtige Standardreihen herleiten.

Geometrische Reihe

X ∞
X
2 3 4 k
1 + q + q + q + q + ... = q = q k−1
k=0 k=1

Zur Untersuchung ihrer Konvergenz betrachten wir die Partialsumme sn :

sn = 1 + q + q 2 + q 3 + . . . + q n−2 + q n−1 , | ·q
2 3 4 n−1 n
q sn = q + q + q + q + . . . + q +q , | +1
2 3 4 n−1 n n
1 + q sn = 1 + q + q + q + q + . . . + q + q = sn + q ,
n
1 − q = (1 − q) sn ,

und somit
1 − qn
sn = für q 6= 1.
1−q
Für q = 1 ist sn = n und die Reihe kann unmöglich konvergieren. Weil q n mit n → ∞
betragsmässig divergiert für |q| > 1 und gegen Null strebt für |q| < 1, ergibt sich das
folgende Konvergenzverhalten für sn und damit für die geometrische Reihe:

∞ ∞
X X 1
qk konvergiert für |q| < 1, → Summenwert qk =
1−q
k=0 k=0
X∞
qk divergiert für |q| ≥ 1.
k=0

Für q = −1 alternieren die Partialsummen sn zwischen 1 und 0, je nachdem ob n


ungerade oder gerade ist. Somit existiert auch in dem Fall kein Grenzwert.
5. Unendliche Reihen 91

Harmonische Reihe

1 1 1 1 X 1
1+ + + + + ... =
2 3 4 5 n=1
n
Ihr n-ter Summand ist das harmonische Mittel h seiner benachbarten Terme. Für h
gilt: Kehrwert des Mittelwerts gleich Mittelwert der Kehrwerte“,

 
1 1 1 1
= + ,
h 2 a b

also hier
 
1 1 1 1 1
+ = (n − 1 + n + 1) = n = .
2 1/(n − 1) 1/(n + 1) 2 1/n

Zur Konvergenzuntersuchung betrachten wir Partialsummen mit 2n Summanden:


1 3
s21 = 1 + = ,
2 2
1 1 1 1 1 1 4
s22 =1+ + + >1+ + + = ,
2 3 4 2 4 4 2
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 5
s23 =1+ + + + + + + >1+ + + + + + + = ,
2 3 4 5 6 7 8 2 4 4 8 8 8 8 2
usw. Allgemein finden wir so, dass für n > 1
n+2
s2n >
2
ist. Die Partialsummen mit jeweils 2n Summanden bilden also eine Zahlenfolge, deren
n-tes Element grösser ist als un = 12 (n + 2). Weil die Folge {un } = { 21 (n + 2)}
divergiert,
n+2
lim → ∞,
n→∞ 2
muss die harmonische Reihe (die ja einen noch grösseren Wert“ ergibt) erst recht

divergieren.

X 1
Die harmonische Reihe divergiert.
n=1
n

Hyperharmonische Reihe

Eine modifizierte harmonische Reihe ist die hyperharmonische Reihe



1 1 1 X 1
1 + α + α + α + ... = , α > 0.
2 3 4 n=1

Für α ≤ 0 kann die Reihe sicher nicht konvergieren.


92 T. Heim: Analysis 2

Aber für positives α > 0 ist



X 1 1 1 1 1 1 1 1
0≤ = 1 + α + α + α + α + α + α + α + ...
nα 2 3 4 5 6 7 8
n=1
1 1 1 1 1 1 1
<1+ α
+ α + α + α + α + α + α + ...
2 2 4 4 4 4 8
2 4 8
= 1 + α + α + α + ...
2 4 8
1 1 1
= 1 + α−1 + α−1 + α−1 + . . .
2 4 8
1 1 1
= 1 + α−1 + α−1 2 + α−1 3 + . . .
2 (2 ) (2 )

Die letzte Reihe ist jedoch eine geometrische Reihe mit


1
q= .
2α−1
Diese Reihe ist eine Majorante der gesuchten hyperharmonischen Reihe. Falls die
hyperharmonische Reihe konvergiert, muss ihr Summenwert zwischen Null und dem
Summenwert der geometrischen Reihe liegen. Die geometrische Reihe konvergiert aber
zum endlichen Wert 1/(1 − q), falls |q| < 1, also falls hier
1
<1 → 2α−1 > 1 → 2α > 2 ⇒ α > 1.
2α−1
Mit der konvergenten geometrischen Reihe konvergiert dann auch die hyperharmoni-
sche Reihe:

X 1
α
konvergiert für α > 1.
n=1
n

5.2 Konvergenzkriterien für Reihen

Eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Konvergenz der Reihe
X∞
un ist
n=1
lim un = 0,
n→∞

das heisst, die einzelnen Summanden müssen letztlich gegen Null streben. Das allein
reicht aber nicht für Konvergenz der Reihe, vergleiche die (divergente) harmonische
Reihe, wo un = n1 → 0 mit n → ∞. Umgekehrt gilt jedoch:


X
Ist lim un 6= 0, dann divergiert un .
n→∞
n=1

Klarerweise ist Konvergenz, also ein endlicher Zahlenwert für die unendliche Reihe,
einfacher“ zu erhalten, wenn die Vorzeichen der Summanden ständig wechseln. Eine

5. Unendliche Reihen 93

solche Reihe,

X ∞
X
(−1)n un oder (−1)n+1 un mit un > 0
n=1 n=1

heisst alternierend.

Konvergenz alternierender Reihen

Für ihre Konvergenz genügt das

Eine alternierende Reihe ist genau dann konver-


Kriterium von Leibniz: gent, wenn die absoluten Beträge ihrer Glieder
monoton gegen Null streben.

X
(−1)n un konvergiert ⇔ un −−−→ 0 monoton.
n→∞
n=1
Beispiele:

X (−1)n+1 1 1 1
(1) =1− + − ± ...,
n 2 3 4
n=1
(−1)n+1 1

= −−−→ 0, Reihe konvergiert
n n n→∞

X (−1)n 1 1 1
(2) √ = −1 + √ − √ + √ ∓ . . . ,
n=1
n 2 3 4
(−1)n

√ = √1 −−−→ 0, Reihe konvergiert
n n n→∞
∞ √
X
n+1 π 1 3 π
(3) (−1) cos =0− √ + − cos ± . . . ,
n=1
2n 2 2 8
π π
(−1)n+1 cos = cos −−−→ 1, Reihe divergiert

2n 2n n→∞

Absolute Konvergenz

Liegt keine streng alternierende Reihe vor, so muss praktisch direkt auf absolute Kon-
vergenz getestet werden, d.h. es muss die Reihe

X
|un |
n=1

untersucht werden.
Eine Reihe heisst absolut konvergent, wenn die
Absolute Konvergenz: Reihe der absoluten Beträge ihrer Glieder kon-
vergiert.
94 T. Heim: Analysis 2

Wenn die Reihe der Beträge konvergiert, dann konvergiert natürlich auch die Reihe
mit allenfalls teilweise negativen Vorzeichen,

X ∞
X
|un | konvergiert ⇒ un konvergiert.
n=1 n=1
Die Umkehrung gilt aber nicht. So ist

X (−1)n
konvergent nach Leibniz,
n
n=1

X 1
aber divergiert (harmonische Reihe).
n=1
n
Konvergiert eine Reihe nur dank alternierender Vorzeichen, wäre ohne diese Vorzei-
chen aber absolut divergent, so bezeichnet man die Reihe als bedingt konvergent. Für
bedingt konvergente Reihen gilt die etwas exotisch anmutende Feststellung, dass ih-
re Summanden nicht beliebig umgestellt werden dürfen, was bei endlichen Summen
natürlich keinen Einfluss auf den Summenwert hätte! Durch Umordnung der Sum-
manden lässt sich eine bedingt konvergente Reihe zu jedem beliebigen Summenwert
abändern, oder sogar in eine divergente Reihe verwandeln!

Direkte Tests auf absolute Konvergenz

Sehr handlich ist das



un+1 < 1
 → Reihe konvergiert absolut
Quotientenkriterium: lim =1 → keine Aussage
n→∞ un 
>1 → Reihe divergiert

Als Alternative gibt es das


p < 1
 → Reihe konvergiert absolut
n
Wurzelkriterium: lim |un | =1 → keine Aussage
n→∞ 
>1 → Reihe divergiert

Das Wurzelkriterium ist aussagekräftiger, liefert also oft eine Entscheidung in Fällen,
wo das Quotientenkriterium keine Aussage erlaubt.

Beispiele

X n2
1. Das Quotientenkriterium liefert
n=1
n!
un+1 (n + 1)2 n!

n+1
un = (n + 1)! n2 = n2 −−−→ 0, die Reihe konvergiert.

n→∞
5. Unendliche Reihen 95


X 1
2.
n=1
n
r
un+1 n p
n n 1
un = n + 1 −−−→ 1, |un | = −−−→ 1.

n→∞ n n→∞
Weder mit Quotientenkriterium noch mit dem Wurzelkriterium ist eine Aussage
möglich. Die harmonische Reihe divergiert aber, wie wir schon wissen.

X (−1)n
3.
n=1
n

un+1 n
un = n + 1 −−−→ 1.

n→∞

Der Test auf absolute Konvergenz mit dem Quotientenkriterium bringt nichts.
Aber die Reihe konvergiert nach Leibniz.

X 3n
4.
2n n
n=1
3n+1 2n n

un+1 3n 3
un 2n+1 (n + 1) 3n = 2(n + 1) −
= −−→ .
n→∞ 2

Die Reihe divergiert bestimmt.



X 1
5. Das Wurzelkriterium ergibt
n=1
nn
r
p
n n 1 1
|un | = n
= −−−→ 0. Die Reihe konvergiert.
n n n→∞

X 2 + (−1)n
6. Mit dem Wurzelkriterium finden wir
2n
n=1
r
p
n n 2 + (−1)n
|un | = .
2n
Den Zähler können wir eingrenzen:
r r r
1 n
n n 2 + (−1) n 3
n
≤ n
≤ ,
2 2 2n
und wegen r r
n 1 1 n 3 1
−−−→ , −−−→
2n n→∞ 2 2n n→∞ 2
1
p
folgt die Konvergenz der Reihe, weil lim n |un | = 2 < 1.
n→∞
Das Quotientenkriterium versagt hier: Wegen
(
1
un+1 (2 + (−1)n+1 ) 2n 2 + (−1)n+1 6 für n gerade
= n+1 = =
un 2 (2 + (−1)n ) 2 (2 + (−1)n ) 3
2 für n ungerade
ist kein Entscheid möglich.
96 T. Heim: Analysis 2

Übungen

Bestimmen Sie, ob die folgenden Reihen konvergieren (k) oder divergieren (d). Geben
Sie an, nach welchem Kriterium Sie entscheiden (L, Q, W).
∞ ∞
X 6n X n3
1. ]Q ,k[ 2. ]Q ,k[
n! 2n
n=1 n=1
∞ ∞
X n! X 1
3. ]Q ,k[ 4. cos ]0 =6 nu mil ,d[
nn n ∞ →n
n=1 n=1
∞ ∞
X (−1)n+1 X log n
5. √ ]L ,k[ 6. ]W ,k[
n=1
3
n n=1
2n
∞ ∞
X n! X √
(−1)n ( 2 − 1)
n
7. ]Q ,d[ 8. ]L ,k[
100n
n=1 n=1
∞ ∞
X (n − 1)! (n + 3)! 3n X (arctan n)n
9. ]Q ,k[ 10. ]W ,k[
(2n)! 2n
n=1 n=1

5.3 Potenzreihen

Eine Potenzreihe ist eine Funktion P (x), die als unendliche Reihe geschrieben wird
mit Summanden
u n = an x n .
Es ist also

X
P (x) = an xn = a0 + a1 x + a2 x2 + . . .
n=0

Konvergiert die Potenzreihe, so stellt ihr Summenwert eine Funktion von x dar. Um-
gekehrt stellt die Potenzreihe für jedes feste x eine Reihe im bisherigen Sinn dar.
Beispielsweise ergibt a0 = a1 = a2 = . . . = an = 1 (für alle n) die geometrische Reihe
1 + x + x2 + x3 + . . ., und es ist
1
P (x) = 1 + x + x2 + x3 + . . . = für |x| < 1.
1−x
Für |x| ≥ 1 konvergiert die Reihe nicht und stellt deshalb auch nicht mehr die Funktion
1
f (x) =
1−x
dar, die natürlich auch für |x| ≥ 1 definiert ist (ausser für x = 1).
Jede Potenzreihe konvergiert“ für x = 0,

P (0) = a0 + a1 · 0 + a2 · 0 + a3 · 0 + · · · = a0 .
5. Unendliche Reihen 97

Es gilt der folgende Konvergenzsatz für Potenzreihen:

Konvergiert die Potenzreihe



X
P (x) = an x n
n=0

für x = x0 > 0, so konvergiert sie für alle x-Werte mit −x0 ≤ x ≤ x0 sogar
absolut.

Diese P
Überlegung führt zur Frage: Wie gross darf |x| höchstens werden, damit die
Reihe ∞ n
n=0 an x noch konvergiert? Der maximale Wert von |x| bildet den Konver-
genzradius r der Reihe. Er kann aus den Konvergenzkriterien bestimmt werden.

Konvergenzradius aus dem Quotientenkriterium

Damit die Potenzreihe nach dem Quotientenkriterium absolut konvergiert, muss gel-
ten
an+1 xn+1

un+1 an+1
lim = lim
= lim · |x| < 1.
n→∞ un n→∞ an xn n→∞ an
Aufgelöst nach |x| ergibt sich

1 an
|x| <
= n→∞
lim
.
limn→∞ an+1
an+1

an

Der Konvergenzradius ist also



an
r = lim
nach Quotientenkriterium.
n→∞ an+1

Konvergenzradius aus dem Wurzelkriterium

Damit die Potenzreihe nach dem Wurzelkriterium absolut konvergiert, muss gelten
p p p
lim n |un | = lim n |an xn | = lim n |an | · |x| < 1.
n→∞ n→∞ n→∞

Daraus folgt
1
|x| < lim p
n→∞ n
|an |
und
1
r = lim p nach Wurzelkriterium.
n→∞ n |a |
n

Die Konvergenzkriterien besagen mit Sicherheit, dass die Potenzreihe konvergiert für
|x| < r, und dass sie divergiert für |x| > r. Die Konvergenz in den Randpunkten (für
x = ±r) muss immer separat untersucht werden.
98 T. Heim: Analysis 2

Beispiele

1. Für die Reihe


X xn 1
, an = ,
n n
n=1

wird mit dem Quotientenkriterium



an
r = lim = lim n + 1 = 1.
n→∞ an+1 n→∞ n

In den Randpunkten finden wir weiter:



X 1
x=1: divergiert (harmonische Reihe)
n
n=1

X (−1)n
x = −1 : konvergiert nach Leibniz
n
n=1

Der Konvergenzbereich ist demnach −1 ≤ x < 1.

2. Bei X xn 1
, an = ,
n=1
n2 n2
liefert das Quotientenkriterium
2

an
r = lim = lim (n + 1) = 1.
n→∞ an+1 n→∞ n2

Randpunkte:

X 1
x=1: konvergiert (hyperharmonische Reihe)
n=1
n2

X (−1)n
x = −1 : konvergiert nach Leibniz
n2
n=1

Der Konvergenzbereich ist demnach −1 ≤ x ≤ 1.

3. Bei

X xn 1
, an =
nn nn
n=1

ist das Wurzelkriterium besonders geeignet:


1 1 1
r = lim p = lim p = lim = lim n = ∞
n→∞ n
|an | n→∞ 1/n
n n n→∞ 1/n n→∞

Die Reihe konvergiert für jedes x.


5. Unendliche Reihen 99

4. Für die Reihe



X xn 1
, an = ,
2n 2n
n=0

verwenden wir das Wurzelkriterium:


s
1 √n
r = lim n = lim 2n = 2.
n→∞ |an | n→∞

In den Randpunkten ist


∞ ∞
X 2n X
x=2: = 1 divergent
2n
n=0 n=0
∞ ∞
X (−2)n X
x = −2 : = (−1)n divergent
n=0
2n n=0

Der Konvergenzbereich ist also −2 < x < 2.

Übungen

Bestimmen Sie die Konvergenzradien der folgenden Potenzreihen. Untersuchen Sie


auch das Konvergenzverhalten in den Randpunkten, ausser bei den Aufgaben 10–12.
∞ ∞
X X xn
1. n xn ]d ,d ;1[ 2. ]∞[
n!
n=0 n=0
∞ ∞ 
nn n

X X 1
3. x ]0[ 4. sin xn ]d ,k ;1[
n=1
2n n=1
n
∞ ∞
X X xn
5. (2 + (−1)n ) xn ]d ,d ;1[ 6. √ ]d ,k ;1[
n=0 n=1
n
∞ ∞ √
X 3n X n! n
7. xn ] d ,k ; 13 [ 8. x ]0[
n=0
n + 1 n=0
10n
∞ ∞
X
n
X nn
9. (cos n) x ]d ,d ;1[ 10. xn ] 1e [
n!
n=0 n=1
∞ ∞
X (2n)! X n3 + 5n n
11. xn ] 14 [ 12. x ]2[
(n!)2 n2 + 10n
n=0 n=0


X n! n
13. x , a>1 ]∞[
n=0
an2
100 T. Heim: Analysis 2

5.4 Potenzreihenentwicklung einer Funktion

Ableitung und Stammfunktion einer Potenzreihe

Innerhalb ihres Konvergenzbereichs dürfen Potenzreihen gliedweise (Summand für


Summand) differenziert oder integriert werden, und die so erhaltenen neuen Potenz-
reihen stimmen mit f ′ (x) bzw. mit der Stammfunktion von f (x) überein. Diese neuen
Reihen haben auch den gleichen Konvergenzradius wie die ursprüngliche Reihe von
f (x). Dies formulieren wir im Hauptsatz über Potenzreihen:


X
Ist f (x) = an x n für |x| < r,
n=0
X∞
dann ist auch f ′ (x) = n an xn−1 für |x| < r
n=0

1
Z X
und f (x) dx = an xn+1 für |x| < r.
n=0
n + 1

Die Konvergenz in den Randpunkten muss für die neuen Reihen erneut überprüft
werden. Das Konvergenzverhalten der abgeleiteten oder integrierten Reihe kann für
x = ±r verschieden sein von demjenigen von f (x).

Taylorreihe einer Funktion

Es soll zu einer gegebenen Funktion f (x) eine Potenzreihe bestimmt werden, so dass
innerhalb des Konvergenzbereiches dieser Reihe gilt

X
f (x) = an x n .
n=0

Wir verwenden den Hauptsatz und schreiben

f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 + a3 x3 + . . . , f (0) = a0 , a0 = f (0)


′ 2 3 ′
f (x) = a1 + 2a2 x + 3a3 x + 4a4 x + . . . , f (0) = a1 , a1 = f ′ (0)
f ′′ (x) = 2a2 + 3 · 2a3 x + 4 · 3a4 x2 + . . . , f ′′ (0) = 2a1 , a2 = 1 ′′
2 f (0)
1 ′′′
f ′′′ (x) = 3 · 2a3 + 4 · 3 · 2a4 x + . . . , f ′′′ (0) = 3 · 2a3 , a3 = 3·2 f (0)

und allgemein
1 (n)
f (n) (0) = n! an f (0).
→ an =
n!
Kennen wir also den Wert der Funktion und aller ihrer Ableitungen in einem einzigen
Punkt, dem Nullpunkt, so können wir daraus eine Potenzreihe bilden. Innerhalb des
Konvergenzbereichs dieser Potenzreihe können wir damit den Funktionswert an jeder
Stelle aus dem Verhalten der Funktion im Nullpunkt bestimmen.
5. Unendliche Reihen 101

Die so gebildete Potenzreihe bezeichnet man als MacLaurinsche Reihe:



X f (n) (0) f ′ (0) f ′′ (0) 2 f ′′′ (0) 3
f (x) = xn = f (0) + x+ x + x + ...
n=0
n! 1! 2! 3!

Sie ist eine spezielle Form der Taylorreihe, nämlich die Taylorreihe für die Entwicklung
um x = 0. Sie ist besonders geeignet, um das Verhalten einer Funktion in der Nähe
des Ursprungs zu charakterisieren, weil höhere Potenzen von x in dieser Umgebung
schnell sehr klein werden und unter Umständen vernachlässigt werden dürfen.
Interessieren wir uns nicht für eine Reihenentwicklung bei x = 0, sondern für eine
Entwicklung bei x = a, so setzen wir

f (x) = f (a + ∆x) = g(∆x) mit ∆x = x − a.

Ist x in der Nähe von a, so ist ∆x nahe bei 0. Ausserdem ist

f (a) = g(0)
df dg
= → f ′ (a) = g′ (0)
dx d(∆x)
2
d f d2 g
= → f ′′ (a) = g′′ (0)
dx2 d(∆x)2
usw. Für g ergibt sich also gerade die MacLaurinsche Reihe

g′ (0) g′′ (0)


g(∆x) = g(0) + ∆x + (∆x)2 + . . .
1! 2!
Ersetzen wir nun ∆x durch x − a, so erhalten wir die allgemeine Form der
Taylorreihe

X f (n) (a) f ′ (a) f ′′ (a)
f (x) = (x − a)n = f (a) + (x − a) + (x − a)2 + . . .
n! 1! 2!
n=0

für die Entwicklung um eine beliebige Stelle a.

Beispiele

1. Wir entwickeln f (x) = ex um x = 0.

f (x) = f ′ (x) = f ′′ (x) = . . . = f (n) (x) = ex ,


f (0) = f ′ (0) = f ′′ (0) = . . . = f (n) (0) = 1,

1 1 X xn
→ ex = 1 + x + x2 + x3 + . . . = .
2 6 n=0
n!

Den Konvergenzradius der Potenzreihe haben wir in Aufgabe 2 von Seite 99


bestimmt, r = ∞. Die Reihe konvergiert für jedes noch so grosse x gegen ex .
102 T. Heim: Analysis 2

2. Analog verläuft die Entwicklung für f (x) = e−x um x = 0.

f (n) (x) = (−1)n e−x ,


f (n) (0) = (−1)n ,

X (−1)n xn
1 1
→ e−x
= 1 − x + x2 − x3 ± . . . = .
2 6 n!
n=0

Auch diese Reihe konvergiert für jedes x, also r = ∞.

3. Für die Entwicklung der Sinusfunktion um x = 0 finden wir

f (x) = sin x, f (0) = 0



f (x) = cos x, f ′ (0) = 1
f ′′ (x) = − sin x, f ′′ (0) = 0
f (3) (x) = − cos x, f (3) (0) = −1
f (4) (x) = sin x, f (4) (0) = 0

x3 x5 x7 X (−1)n
→ sin x = x − + − ± ... = x2n+1 .
3! 5! 7! (2n + 1)!
n=0

Offensichtlich ist sin x ≈ x für kleine x. Einmal mehr bestätigt sich der Grenz-
wert
sin x x2 x4
=1− + ∓ . . . −−−→ 1.
x 6 120 x→0

Wir wollen noch den Konvergenzradius dieser Taylorreihe des Sinus bestimmen.
Dazu betrachten wir das Verhältnis zweier aufeinander folgender Glieder, die
beide nicht verschwinden:
2n+3
x2

un+1 x (2n + 1)!
lim = lim
2n+1
= lim = 0.
n→∞ un n→∞ (2n + 3)! x n→∞ (2n + 3)(2n + 2)

Dieser Quotient ist also < 1 für jedes endliche x. Die Reihe konvergiert deshalb
für alle x, r = ∞.

4. Wir entwickeln f (x) = ex in eine Taylorreihe um a = 1. Die Funktion und alle


ihre Ableitungen sind dort

f (x) = f (n) (x) = ex → f (1) = f (n) (1) = e.

Damit lautet die gesuchte Taylorreihe



e e X (x − 1)n
ex = e + (x − 1) + (x − 1)2 + . . . = e .
1! 2! n=0
n!
5. Unendliche Reihen 103

Übungen

Entwickeln Sie die folgenden Funktionen in Potenzreihen. Wenn nicht anders ver-
merkt, soll um den Nullpunkt entwickelt werden. Bestimmen Sie gegebenenfalls auch
den Konvergenzradius r.

n2x n)1−( X
1. cos x, r =? ]∞ ; [
!)n2(
0= n

1+n2x ∞
X
2. sinh x, r =? ]∞ ; [
!)1 + n2(
0= n

n2x ∞
X
3. cosh x, r =? ]∞ ; [
!)n2(
0= n

1+n2x n)1−( i X
4. sinh(ix), r =? ]∞ ;x nis i = [
!)1 + n2( 0= n

n2x n)1−( X
5. cosh(ix), r =? ]∞ ;x soc = [
!)n2( 0= n

2 1
6. tanh x ] . . . ∓ 5x + 3x − x[
51 3

n)1−( X
1
7. um x = 2 entwickeln, r =? ]2 ; n)2 − x( 1+n2
[
x
0= n

Zwei Grundtypen von Potenzreihen

Offensichtlich haben die trigonometrischen und hyperbolischen Sinus- und Cosinus-


Funktionen Taylorreihen mit einer ähnlichen Struktur wie der erste Grundtyp, die


X xn x2 x3
Exponentialreihe ex = =1+x+ + + ...
n=0
n! 2! 3!

Bei den ungeraden Funktionen wie sin x oder sinh x fehlen natürlich die geraden Poten-
zen, und gegebenenfalls treten alternierende Vorzeichen auf. Alle Exponentialreihen
haben Konvergenzradius r = ∞.
Anstatt die Taylorreihe einer gegebenen Funktion aus all ihren Ableitungen zu bestim-
men, werden wir noch eine direktere Methode besprechen, mit der eine Potenzreihe
durch geeignete Substitution auf einen Grundtyp wie die Exponentialreihe zurück-
geführt werden kann.
Der zweite Grundtyp neben der Exponentialreihe ist die Taylorreihe von

f (x) = (1 + x)α , α 6= 0,
104 T. Heim: Analysis 2

entwickelt um x = 0. Die Ableitungen lassen sich systematisch bilden:


f ′ (x) = α (1 + x)α−1 , f ′ (0) = α
f ′′ (x) = α (α − 1) (1 + x)α−2 , f ′′ (0) = α (α − 1)
f ′′′ (x) = α (α − 1) (α − 2) (1 + x)α−3 , f ′′′ (0) = α (α − 1) (α − 2)
..
.
f (n) (x) = α (α − 1) · . . . · (α − n + 1) (1 + x)α−n ,
f (n) (0) = α (α − 1) · . . . · (α − n + 1).
Damit ergibt sich der zweite Grundtyp, die

α (α − 1) 2 α (α − 1) (α − 2) 3
Binomische Reihe (1 + x)α = 1 + α x + x + x + ...
2! 3!
Den Konvergenzradius finden wir mit dem Quotientenkriterium.

an α(α − 1) . . . (α − n + 1) (n + 1)! n +1
lim = lim = lim = 1.
n→∞ an+1 n→∞ n! α(α − 1) . . . (α − (n + 1) + 1) n→∞ α − n

Die binomische Reihe hat den Konvergenzradius r = 1.


Viele Näherungsformeln beruhen auf den ersten Termen der binomischen Reihe:
1
(1 + x)α ≈ 1 + α x (1 + x)α ≈ 1 + α x + α(α − 1) x2 .
oder
2
Als Demonstration entwickeln wir die Funktion
1
f (x) = √ = (1 + x)−1/2 , |x| < 1,
1+x
in eine Reihe um x = 0. Das ist eine binomische Reihe mit α = − 21 . Also wird

1 1 (− 12 )(− 23 ) 2 (− 21 )(− 32 )(− 52 ) 3


√ = 1 + (− ) x + x + x + ...
1+x 2 2! 3!
Etwas systematischer geordnet lautet dies

1 1 1·3 2 1·3·5 3 X (−1)n (2n − 1)!! n
√ =1− x+ 2 x − 3 x + ... = x
1+x 2 2 · 2! 2 · 3! n=0
2n n!

mit der so genannten Doppelfakultät“


” 
1 · 3 . . . (k − 2) · k für k ungerade
k!! =
2 · 4 . . . (k − 2) · k für k gerade
Dabei ist k!! = 1 zu setzen, wenn k ≤ 0 ist.
In der Physik häufig verwendete Näherungen für kleine |x| sind
1 1 1 1 3
√ ≈1− x oder √ ≈ 1 − x + x2 .
1+x 2 1+x 2 8

Wir wollen uns noch grafisch veranschaulichen, wie die Potenzreihenentwicklung einer
Funktion interpretiert werden kann.
5. Unendliche Reihen 105

Geometrische Bedeutung der Reihenentwicklung

Der Zusammenhang zwischen einer Funktion f (x) und ihrer Potenzreihe (um x = 0
entwickelt)

X f (n) (0) n
P (x) = x
n!
n=0

wird deutlich, wenn wir die Partialsummen Pk (x), bestehend aus den k + 1 ersten
Summanden, mit der Funktion f (x) vergleichen:

P0 (x) = f (0)
P1 (x) = f (0) + f ′ (0) x
1 ′′
P2 (x) = f (0) + f ′ (0) x + f (0) x2
2
..
.
k
X f (n) (0) 1 ′′ 1
Pk (x) = xn = f (0) + f ′ (0) x + f (0) x2 + . . . + f (k) (0) xk .
n! 2 k!
n=0

Dies sind die so genannten Taylorpolynome von f (x).


Als Beispiel betrachten wir die Taylorreihe von f (x) = sin x um x = 0,
1 3 1 1
sin(x) = x − x + x5 − x7 ± . . .
3! 5! 7!

P1 (x) = x 1 3 1 5
y P5 (x) = x − 3! x + 5! x

1
0.5
P0 bc
x
−π − π2 π π y = sin x
2
−0.5 1 3 1 5 1 7
P7 (x) = x − 3! x + 5! x − 7! x
−1
1 3
P3 (x) = x − 3! x

Die Grafik können wir so zusammenfassen:

• P0 (x) hat mit f (x) nur den Nullpunkt (Entwicklungspunkt) gemeinsam.

• P1 (x) hat mit f (x) zusätzlich die Tangente im Entwicklungspunkt gemeinsam.

• die höheren Polynome haben ausserdem auch die Krümmung mit f (x) gemein-
sam. Sie schmiegen sich der Kurve y = f (x) immer besser an.
106 T. Heim: Analysis 2

Je weiter man sich vom Entwicklungspunkt entfernt, umso mehr Terme müssen in
der Taylorentwicklung berücksichtigt werden, um die Funktion f (x) genügend genau
wiederzugeben.
Als Beispiel einer Potenzreihe mit endlichem Konvergenzradius vergleichen wir die
geometrische Reihe

X 1
P (x) = xn = 1 + x + x2 + x3 + . . . und f (x) = .
n=0
1−x

Innerhalb des Konvergenzbereichs −1 < x < 1 stellt P (x) die Funktion f (x) dar. Die
Taylorpolynome

P0 (x) = 1, P1 (x) = 1 + x, P2 (x) = 1 + x + x2 , P3 (x) = 1 + x + x2 + x3 , . . .

bilden eine Folge von immer besseren Näherungen für f (x), aber nur innerhalb des
Konvergenzbereichs.
y
P3 f (x) P8
y P3
P2 5 P2
P8

P1 P7

P0 P1
1 bc

f (x)
x
−1 1
bc
P0
f (x) 1

P3 x
P7 0 1

Ausserhalb des Konvergenzbereichs der Potenzreihe, insbesondere für x > 1, wo


f (x) < 0 ist, haben die Taylorpolynome keinerlei Ähnlichkeit mit f (x) mehr.

Taylorreihe mit Restglied

Brechen wir die Taylorreihe nach endlich vielen Termen ab, so erhalten wir mit dem n-
ten Taylorpolynom eine Näherung der gegebenen Funktion f (x). Für die Abweichung
zwischen Pn (x) und f (x) gilt folgende Abschätzung (bei einer Entwicklung um die
5. Unendliche Reihen 107

Stelle x0 ):

f (x) = Pn (x) + Rn (x)


n
X f (k) (x0 )
mit Pn (x) = (x − x0 )k Taylorpolynom vom Grad n
k!
k=0
f (n+1) (ξ)
und Rn (x) = (x − x0 )n+1 Restglied, wobei x0 < ξ < x.
(n + 1)!

Zwischen dem Entwicklungspunkt x0 und der variablen Koordinate x gibt es eine


Stelle ξ, sodass die Differenz zwischen dem exakten f (x) und der Näherung Pn (x)
durch die (n + 1)-te Ableitung von f bei ξ bestimmt wird. Ist diese Ableitung im
Intervall [x0 , x] beschränkt, so können wir damit auch eine Fehlerabschätzung für die
Genauigkeit des Taylorpolynoms erhalten. Zum Beispiel sind für f (x) = sin x alle
Ableitungen Sinus- oder Cosinusfunktionen. Auf jeden Fall ist daher |f (n+1) (ξ)| ≤ 1.
Wollen wir den Sinus im Intervall [−π, π] um x0 = 0 entwickeln und dabei zum
Beispiel auf acht Stellen genau sein, so können wir abschätzen:

f (n+1) (ξ) 1
|Rn (x)| = (x − x0 )n+1 ≤ π n+1

(n + 1)! (n + 1)!
1
|Rn (x)| ≤ 10−8 ↔ π n+1 ≤ 10−8
(n + 1)!
→ n ≥ 19.

Im Intervall −π ≤ x ≤ π wird f (x) = sin x an jeder Stelle durch das Taylorpoly-


nom 19. Grades auf mindestens acht Stellen genau approximiert. Im Intervall [− π2 , π2 ]
genügt dafür bereits das Polynom 13. Grades, denn es ist ( π2 )14 /14! < 10−8 .

5.5 Substitution und Anwendung des Hauptsatzes

Mit Hilfe der beiden Grundtypen von Exponential- und binomischer Reihe lassen
sich viele Funktionen direkt in Potenzreihen entwickeln, ohne dass ihre Ableitungen
explizit bestimmt werden müssen. Insbesondere in Kombination mit dem Hauptsatz
über Potenzreihen — dass diese in ihrem Konvergenzbereich gliedweise differenziert
oder integriert werden dürfen — ergeben sich daraus sehr nützliche Anwendungen
von Potenzreihen

• zur näherungsweisen numerischen Berechnung komplizierter Funktionen

• zur Berechnung von Stammfunktionen und Integralen

• zur Lösung von Differenzialgleichungen, bzw. zur Bestimmung von Startwerten


für numerische Lösungsverfahren von Differenzialgleichungen usw.

Wir demonstrieren die Substitutionsmethode anhand von Beispielen.


108 T. Heim: Analysis 2

1. Es soll die Funktion


1
f (x) = √ , |x| < 1,
1 − x2
in eine Potenzreihe um x = 0 entwickelt werden. Ein solcher Ausdruck mit
x = v/c kommt in der relativistischen Physik immer wieder vor, wobei v die Ge-
schwindigkeit eines Teilchens und c die Vakuumlichtgeschwindigkeit ist. Nicht-
relativistisch ist x ≪ 1.
Anstatt hier Ableitungen von f (x) zu bestimmen, substituieren wir u = −x2
und verwenden direkt die gewöhnliche binomische Reihe mit α = − 21 :

1 1 3!! 5!! X (−1)n (2n − 1)!! n
√ =1− u+ 2 u2 − 3 u3 ± . . . = u .
1+u 2 2 · 2! 2 · 3! 2n · n!
n=0

Die Rücksubstitution ergibt sofort



1 X (2n − 1)!! 1 3 5 6
√ = n · n!
x2n = 1 + x2 + x4 + x + ...
1−x 2 2 2 8 16
n=0

2. Auch die geometrische Reihe erkennen wir als Spezialfall der binomischen Reihe.
Mit u = −x und α = −1 ist
1 −1 (−1)(−2) 2 (−1)(−2)(−3) 3
=1+ u+ u + u + ...
1+u 1! 2! 3!
= 1 − u + u2 − u3 ± . . .
1
→ = 1 + x + x2 + x3 + . . .
1−x

3. Wir bestimmen die Potenzreihe für

f (x) = arcsin x, |x| < 1,

mit möglichst wenigen Ableitungen. Statt f (x) entwickeln wir die Ableitung
1
f ′ (x) = [arcsin x]′ = √ = (1 − x2 )−1/2 .
1−x 2

Wir substituieren u = −x2 und benützen die binomische Reihe mit α = − 21 . Die
gesuchte Reihenentwicklung für f (x) finden wir dann gemäss dem Hauptsatz,
indem wir diese binomische Reihe gliedweise integrieren,
Z  
dx 1 3!! 5!!
Z
arcsin x = √ = 1 + x2 + 2 x4 + 3 x6 + . . . dx
1 − x2 2 2 · 2! 2 · 3!

X (2n − 1)!! 1 3 5 5 7
= n · n! · (2n + 1)
x2n+1 = x + x3 + x + x + ...
n=0
2 6 40 112
5. Unendliche Reihen 109

Übungen

Entwickeln Sie die folgenden Funktionen in Potenzreihen um x = 0. Dabei sollen


möglichst wenig Ableitungen berechnet werden. Stattdessen sollen geeignete Sub-
stitutionen in einer Exponential- oder binomischen Reihen vorgenommen, oder die
Funktion mit dem Hauptsatz als Stammfunktion einer einfacheren Reihe geschrieben
werden. Gegebenenfalls ist auch der Konvergenzradius zu bestimmen.

1 n2 n
X
1. (a) f (x) = , r =? ]1 ; x )1−( [
1 + x2
0= n
n)1−( X∞
(b) f (x) = arctan x ] 1+n2x [
1 + n2 0=n

n)1−( X
2 n2
2. (a) f (x) = e−x , r =? ]∞ ; x [
!n 0= n
Z n)1−( ∞
−x2
X
1+n2
(b) Fehlerintegral: f (x) = e dx ] x [
)1 + n2( !n
0= n

n)a nl( X
n
3. f (x) = ax , a > 0, r =? ]∞ ; x [
!n
0= n
2x
 
)1 − s( s x s
4. f (x) = (a + x)s , s 6= 0, r =? ]a ; . . . + 2 + s+1 a[
a !2 a

nx 1+n)1−( X ∞
1+nx n)1−( X
5. f (x) = ln |1 + x|, r =? ]1 ; = [
n 1+n
1= n 0= n

6. f (x) = x3/2 um x = 1 entwickeln



!!)5 − n2( n)1−( 3 X 3
] n)1 − x( + )1 − x( + 1[
!n · n2 2
2= n
Z p
7. f (x) = 1 + x3 dx, bis x10 ]. . . ∓ 01x 0161 + 7x 615 − 4x 18 + x[

x 1+n2x n)1−( ∞
sin t
Z X
8. Integralsinus: dt ] [
0 t !)1 + n2( )1 + n2( 0=n
x ∞
cos t )1 − n2x( n)1−( X
Z
9. Integralcosinus: dt ] + x nl[
1 t !)n2( n2
1= n

1 1 1
Z
10. dx, bis x2 ] . . . ± 2x − x + x nl −[
1 − ex 42 2
Z π/2
dx
11. φ(k) = p , |k| < 1, bis k 8 (Elliptisches Integral)
0 1 − k2 sin2 x  
8 5221 6 52 4 9 2 1 π
] ... + k + k + k + k +1 [
48361 652 46 4 2
110 T. Heim: Analysis 2

12. Schubkurbelgetriebe: Der Kurbelradius r darf nicht grösser sein als die Länge s
der Pleuelstange, r ≤ s. Der Winkel δ ist durch den Drehwinkel ϕ der Kurbel
auszudrücken.
bc

s
r ϕ
O δ
bc bc
x

(a) Bestimmen Sie die ϕ-Abhängigkeit der (auf s normierten) x-Bewegung,


x r
z≡ = f (ϕ) mit λ = als Parameter.
s s
p q
] 2λ )ϕ 2nis 2 − 1( + ϕ 2
nis 2λ −1 ϕ soc λ2 + 1 = z[
(b) Entwickeln Sie z nach Potenzen von λ bis zur Ordnung λ2 .
]ϕ 4nis 4λ 81 − :mreT retshc ä n ;ϕ 2nis 2λ 21 − ϕ soc λ + 1[

z = x/s
2

exakt
Entwicklung bis λ2
1 Entwicklung bis λ
λ = 0.5

λ = 0.8
λ=1
ϕ
π π 3π 2π
2 2

Für λ ≤ 21 (Pleuelstange mindestens doppelt so lang wie Kurbelradius) ist die Nähe-
rung mit der Entwicklung bis Ordnung λ2 exzellent. Für λ = 12 ist auch die lineare
Näherung z ≈ 1+λ cos ϕ gezeichnet. Diese ist hier offensichtlich noch nicht brauchbar.

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