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Forner
Wirtschaft
und Sprache
Zusammenhänge und Einflüsse in
Deutschland
Wirtschaft und Sprache
Andreas Forner
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Dieses Buch verbindet zwei für sich genommen in großer Vielfalt beschriebene Themen.
Der Brückenschlag zwischen beiden, der interdisziplinäre Ansatz, fehlt bisher nicht
völlig, aber er findet sich selten – zum Beispiel bei Coulmas 1992. In den vorliegenden
Versuch, weitgehend Neuland zu beschreiten, fließen auf der einen Seite die Erfahrungen
eines Berufslebens in der Wirtschaft – Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft, Wissen-
schaft und Praxis – ein. Und zum anderen die Beschäftigung mit der und die Liebe zur
deutschen Sprache.
Der Buchtitel heißt „Wirtschaft und Sprache“ und nicht „Sprache und Wirtschaft“.
Das ist kein Zufall, sondern Ausdruck von inhaltlichem Ausgangspunkt, Struktur und
rotem Faden. Der Leser des Buches beginnt mit dem Blick auf traditionelle Themen
um Wirtschaft und Sprache und auf eine Bestandsaufnahme der uns nicht über-
schwemmenden Ansätze, beide Seiten miteinander zu verbinden. Von diesem Sockel
gelangt er auf weniger beschrittene Wege, an deren Rande Korrelation zwischen beiden
Seiten sichtbar wird. Dabei spielt auch eine Rolle, ob und wie die Entwicklung der Wirt-
schaft Entwicklung und Verbreitung der Sprache beeinflusst. Ebenso stellt sich die Frage,
ob und wie die Sprache Stärke und Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft fördern oder
hemmen kann. Und was möglicherweise dafür zu tun oder zu lassen ist.
Gegenstand des Buches sind die deutsche Wirtschaft und die deutsche Sprache. Das
macht sein Untertitel deutlich. Gleichwohl schließt das ein, dass an geeigneten Stellen
ein Blick über den Tellerrand hinaus erfolgt und auf Verallgemeinerungsfähiges hin-
gewiesen wird.
„Wirtschaft und Sprache“ richtet sich an einen Leserkreis, der ein natürliches
Interesse an einer der beiden Komponenten oder idealerweise sogar an beiden hat. Das
betrifft angehende Wirtschaftswissenschaftler und Sprachwissenschaftler oder auch
Führungskräfte mit Personalverantwortung in großen, länder- und sprachraumüber-
greifenden Unternehmen. Von da kommen auch Gesprächspartner, für deren Unter-
stützung bei meinen Recherchen ich mich herzlich bedanken möchte. Und nicht zuletzt
soll das Buch auch interessant für Menschen sein, die im Sinne des Wilhelm von
Humboldt zugeschriebenen Bildungsideals ein Buch aus Freude am Wissenserwerb
lesen. Aus der Neugier darauf, bisher nicht oder kaum gedachte Gedanken aufzunehmen,
V
VI Vorwort
fortzusetzen oder zu verwerfen. Auch dazu möchte ich mit den folgenden Kapiteln ein-
laden.
Zu den prägenden Inhalten dieses Fachbuches gehören solche wie „Einfluss der Wirt-
schaft und ihrer Geschichte auf die deutsche Sprache“, „Sprache und Wettbewerbsfähig-
keit“ und „Globalisierung von Wirtschaft und Sprache“. Natürlich sollen dabei dort, wo
es inhaltliche Berührungspunkte mit der Wirtschaft gibt, aktuell erschöpfend diskutierte
Sprachthemen wie „Anglizismen“ oder „Genderisierung“ nicht umkurvt werden. Und
zwar in dem Maße, wie sie dem Buch helfen, mit seinem Anliegen voranzukommen.
Beispielsweise im Zusammenhang mit Vereinfachung oder Verkomplizierung einer
Sprache als Wettbewerbskriterium für die Wirtschaft und damit wiederum für sich
selbst. Einschätzungen zur deutschen Sprache, darunter ihrer Attraktivität und Erlern-
barkeit, werden im dritten Kapitel durch Befragungen von Teilnehmern an Deutsch-
sprachkursen auf der einen Seite und ausländischen Master-Studenten in Berlin auf der
anderen im Rahmen der Entstehung dieses Buches empirisch untermauert. Oder haben
ihre Wurzeln in der Auswertung deren Ergebnisse. In einem abschließenden Exkurs
werden aktuelle Rahmenbedingungen wie Pandemie, Krieg und Sanktionen sowie ihre
Wirkungen auf Lieferketten und Weltwirtschaft in eine Diskussion zu Globalisierung
oder Deglobalisierung der Wirtschaft überführt. Und damit am Ende auch von Sprache.
VII
VIII Inhaltsverzeichnis
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
Abbildungsverzeichnis
XI
Tabellenverzeichnis
XIII
Deutsche Wirtschaft und deutsche
Sprache: eine thematische 1
Bestandsaufnahme
Zusammenfassung
Ziel dieses Buches ist es, Verbindungen zwischen Wirtschaft und Sprache herzu-
stellen. Ein interdisziplinäres Thema, das nicht nur, aber viel freies Feld vorfindet.
Das erste Kapitel legt für spätere Bemühungen, zu dessen Bestellung beizutragen,
den Grundstein. Zunächst, indem es sprachrelevante Wirtschaftsthemen und wirt-
schaftsrelevante Sprachthemen eigenständig und aus sich selbst heraus vorstellt. Dazu
gehören auf der einen Seite Arbeitsteilung und technischer Fortschritt, Globalisierung,
Arbeitsmarkt und Fachkräftesicherung, Wettbewerb und Geld. Auf der anderen sind
das deutsche Sprachgeschichte, Anglizismen und Gender-Sprache. In einem dritten
Abschnitt sucht das erste Kapitel für das Ziel dieses Buches nutzbare Ansätze eines
Brückenbaus. Solche finden sich vor allem bei Coulmas’ „Die Wirtschaft mit der
Sprache“ und bei Richters „Wirtschaft in Literatur“ und „Mensch und Markt“.
Irgendwo auf der Welt und im Leben hat alles miteinander zu tun. Das eine mehr,
das andere weniger, das dritte kaum wahrnehmbar. So wichtig, wie es ist, jedes Ding
zunächst für sich selbst zu erkennen und zu verstehen, so wichtig ist es weiter, seine Iso-
lation aufzubrechen. Und Zusammenhänge dort zu suchen, wo sie geeignet sind, das Ver-
ständnis zu erweitern. In der Wissenschaft heißt das „interdisziplinär“. Die Ansätze sind
vielfältig. Sie finden sich bei Naturwissenschaften, technischen Wissenschaften, Sozial-
wissenschaften oder Geisteswissenschaften – untereinander und zwischen einander.
Wissenschaften, deren Gegenstände einen besonders weiten Wirkungsradius haben,
und deren potenzielle Berührungspunkte mit anderen Gegenständen daher vielfältig sind,
erscheinen dafür besonders prädestiniert. Das betrifft die Wirtschaftswissenschaften mit
ihrem Gegenstand Wirtschaft ebenso wie die Sprachwissenschaften mit ihrem Gegen-
stand Sprache. Wirtschaft schließt immer das Verhältnis eines Nutzens zu dem für seine
Erzielung notwendigen Aufwand ein. Ein Verhältnis, das in unterschiedlicher Form die
Wirtschaswissenschaen
Betriebswirtschaslehre Volkswirtschaslehre
Mikroökonomie Makroökonomie
• Wettbewerb
• Geld
1 Die
deutsche Sprache ist Amtssprache neben Deutschland in Österreich, der Schweiz, Belgien,
Luxemburg und Liechtenstein.
4 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
Es kann in diesem Zusammenhang die Frage entstehen, was denn dann aber mit
Themen wie „Verhandlungssprache“, „Marketing-Sprache“ oder „Management-
sprache“ ist. Ob hier auf der anderen, der Wirtschaftsseite, nicht an die Betriebswirt-
schaftslehre und die Betriebswirtschaft angedockt werden muss. Dass das nicht so ist,
soll hier bereits vorausgeschickt und unter Abschn. 1.3 weiter vertieft werden. Themen
wie die genannten werden oft unter der Überschrift „Wirtschaftssprache“ zusammen-
gefasst. Zur ihr zählt im weiteren Sinne auch „Wirtschaftsdeutsch“, verstanden als wirt-
schaftsbezogene Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache. Abschn. 1.3 wird hierauf
eingehen, aber auch verdeutlichen, dass der Gegenstand dieses Buches, wenn es um
Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Sprache geht, ein anderer ist. Einer der sich
aus den oben genannten und im Folgenden näher vorgestellten wirtschaftlichen Kate-
gorien ergibt. Und damit den im zweiten Schritt skizzierten Sprachthemen aus vor-
wiegend volkswirtschaftlicher Sicht entgegentritt.
dem sein Vorsprung am größten oder sein Nachteil am geringsten ist. Das klingt sehr
einfach und elementar, ist aber eine Grundlage für das Zusammenwirken von welt-
weit verflochtenen Millionen von Wirtschaftsakteuren. Und für die Entwicklung von
Wirtschaften in deren Geschichte.
Es ist kein Zufall, dass Adam SMITH seinen „Wohlstand der Nationen“ mit dem Kapitel
„Von der Teilung der Arbeit“ beginnt (Smith 2009). Er erhebt diese zum Hauptfaktor für
Produktivität und Wachstum im Verlaufe der menschlichen Entwicklung. Mit der Ver-
tiefung der Arbeitsteilung, mit ihrer Erweiterung von der zwischen Menschen über die
zwischen Betrieben bis hin zur internationalen Arbeitsteilung zwischen Volkswirtschaften
geht eine Intensivierung der Tauschbeziehungen, des Handels und der Märkte einher.
Mit seinem „Wohlstand der Nationen“ hat Adam SMITH, bekannt als Vater der
klassischen Nationalökonomie, vor rund 250 Jahren die Brücke von Arbeitsteilung
und Entwicklung des Marktes über Produktivität und technischen Fortschritt bis zu
Wachstum und Wohlstand von Nationen und Menschen geschlagen. Eine positive
Brücke. Ernsthaft bestritten wurden Unvermeidbarkeit und Nutzen des technischen Fort-
schritts nie. Aber von jeher wurden auch ungewollte Folgen beklagt und diskutiert. Ver-
lust von Arbeitsplätzen, Umweltbelastung, moralische Vertretbarkeit von Gentechnologie
oder Verselbstständigung der Maschine gegenüber dem Menschen. Und die Frage, ob
Wachstum von Produktion und Einkommen wirklich das wichtigste Kriterium für Wohl-
stand ist. Und ob der Wandel der Generationen hier Prioritäten verändert. Das Original
von SMITH´ Hauptwerk heißt „Wealth of Nations“. Im deutschen Titel finden wir ein-
mal „Reichtum der Nationen“ und ein andermal „Wohlstand der Nationen“. Genau aber
das ist der Januskopf. Ist Wohlstand gleich Reichtum, oder kann er auch oder besser
aus der Work-Life-Balance abgelesen werden? So unterschiedlich Wohlstand ver-
standen wird, so verschiedene Definitionen finden wir auch für den ihn verursachenden
technischen Fortschritt. Die einen beziehen sich auf die Produktionstechnologie, die
anderen auf die Produktqualität, wieder andere rücken wirtschaftliche oder sogar kultur-
historische Aspekte in den Mittelpunkt.
Wir wollen uns auf das Anliegen dieses Kapitels besinnen und im technischen Fort-
schritt vor allem die Komponenten, Wirtschaft, Arbeit und Bildung suchen.
Mit dem Bezug zur Sprache halten wir uns aus Disziplin zum methodischen Aufbau
dieses Buches noch zurück. Aber bereits der Bezug zu Arbeit und Bildung und damit
zum Menschen verneint das Science Fiction Szenarium einer maschinengesteuerten
Welt. Auch unter den aktuellen Rahmenbedingungen von Digitalisierung und Künst-
licher Intelligenz. Innovation braucht menschliche Intelligenz und Qualifikation.
Wirtschaftliche Entwicklung unterliegt Schwankungen verschiedenen Zeithorizonts
und verschiedener Ursachen. Mittelfristige, immer wiederkehrende und einer Markt-
wirtschaft innewohnende Schwankungen werden im Konjunkturzyklus sichtbar. Diese
wollen wir hier ebenso ausschließen, wie saisonale Schwankungen oder einmalige
Abschwünge, wie sie in Finanz- oder Pandemie-Krisen (Corona) ihren Ausdruck finden.
Worum es an dieser Stelle gehen soll, sind langfristige wiederkehrende Schwankungen
im wirtschaftlichen Wachstumstrend. Langfristige Wachstumswellen oder „Wirtschafts-
zyklen“, die ihre Ursachen in bahnbrechenden technischen Neuerungen und daraus
folgenden Innovationsimpulsen haben. Solche Schwankungen, die zunächst eine über-
durchschnittlich hohe Wachstumswelle hervorrufen, werden auch „Kondratieff-Zyklen“
genannt. Sie stehen in direktem Zusammenhang mit Schüben des technischen Fort-
schritts und dem, was wir heute „industrielle Revolutionen“ nennen.
Adam SMITH hat von 1723 bis 1790 gelebt. Den Beginn der ersten industriellen
Revolution wird etwa mit dem Jahr 1800 verbunden. Das heißt, SMITH hat nicht eine
der nunmehr vier industriellen Revolutionen miterlebt. Dennoch ist sein „Wohlstand der
Nationen“ auch heute noch die Bibel des klassischen Liberalismus, mit grundlegenden
Aussagen zu Markt, Produktivität, technischem, wirtschaftlichem und gesellschaftlichem
Fortschritt. Zunächst zur Begrifflichkeit. Den Rahmen bilden die großen Revolutionen in
der Geschichte der Industrie. In der gebotenen Kürze zusammengefasst, sind das:
„Die Politik kam auf die Idee, die 4. Revolution der industriellen Entwicklung in Kurzform
Industrie 4.0 zu nennen. Vorab sei gesagt, dass man sich vor mehreren hundert Jahren keine
Agenda gemacht hat, auf der Industrie 1.0, Industrie 2.0, Industrie 3.0 und Industrie 4.0
abzuhaken ist.“ (Frick 2017)
Indem wir Digitalisierung definieren, wollen wir gleichzeitig ihr Verhältnis zu Industrie
4.0 bestimmen. Wir schicken dabei voraus, dass es neben der hier im Folgenden ver-
wandten auch eine technische Definitionsvariante gibt, nach der Digitalisierung die
Umwandlung analoger Werte in digitale Formate ist.
1.1 Sprachrelevante Wirtschaftsthemen 7
1.1.2 Globalisierung
Um zum Begriff der Globalisierung zu gelangen, muss man die Brücke von der Volks-
wirtschaft zur Weltwirtschaft schlagen. Aus Gründen der Einfachheit soll dabei die für
Deutschland bestehende Meta-Ebene der europäischen Integration ausgeklammert
werden. Zwischen Volkswirtschaft und Weltwirtschaft bestehen im Zuge der Globali-
sierung zunehmend enge Verbindungen. Dabei steht die Volkswirtschaft nicht neben oder
unter der Weltwirtschaft, sondern ist Teil von ihr. Je nach Stärke prägt eine Volkswirt-
schaft die Weltwirtschaft mit und unterliegt andererseits ihren Einflüssen.
Wichtig
Die Weltwirtschaft umfasst alle zwischen den Volkswirtschaften bestehenden
internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Dazu gehören der Verkehr von Waren,
Dienstleistungen, Kapital und Arbeit. Ergebnis ist die internationale Verflechtung
zwischen den Volkswirtschaften und ihren Akteuren.
Globalisierung (in ihrer wirtschaftlichen Komponente) ist der langfristige
Trend der Zunahme solcher Verflechtungen. Rahmen dieses Prozesses ist Globali-
sierung im weiteren Sinne – die internationale Verflechtung in allen Bereichen der
Gesellschaft.
Endziel die völlige Auflösung der Teile im gemeinsamen Ganzen beinhalten. Das ist bei
der Globalisierung, sieht man von der sehr theoretischen Variante einer Weltregierung
mit einheitlicher Weltpolitik ab, praktisch ausgeschlossen.
Soweit wir von Volkswirtschaften sprechen, hat die Globalisierung eine starke makro-
ökonomische Komponente. Blicken wir auf die handelnden Akteure, wird auch die
Mikroökonomie berührt. Wesentliche mikroökonomische Komponente der Globalisierung
ist die zunehmende weltweite Integration verschiedener regionaler Teilmärkte zum Welt-
markt. So, wie mit dem allgemeine Marktbegriff ist es auch mit dem Weltmarkt. Er
bezieht sich immer auf Nachfrage und Angebot in Bezug auf ein bestimmtes Gut.
Der Weltmarkt ist das Zusammentreffen von internationaler Nachfrage und inter-
nationalem Angebot in Bezug auf Welthandelsgüter. Er bringt volkswirtschaftliche
Binnenmärkte in Verflechtung und Abhängigkeit zueinander.
Die Preise, die aus dem Zusammentreffen von internationaler Nachfrage und inter-
nationalem Angebot hervorgehen, sind Weltmarktpreise. Wie beim Binnenmarkt ist auch
(oder erst recht) beim Weltmarkt das körperliche oder räumliche Zusammentreffen von
Nachfragern und Anbietern keine Voraussetzung.
Gegenstand der Volkswirtschaftslehre ist der Gesamtmechanismus einer Volkswirt-
schaft. Solange es Volkswirtschaften gibt, ist damit die Weltwirtschaft (im Gegensatz zur
Außenwirtschaft) kein Gegenstand der Volkswirtschaftslehre. Gleichwohl strahlen über
die volkswirtschaftliche Kategorie der Außenwirtschaft weltwirtschaftliche Einflüsse auf
die Volkswirtschaft aus – und das bei zunehmender Globalisierung immer stärker. Liefer-
kettenprobleme, Rohstoffpreise, inländische Versorgungslücken und Inflation im Gefolge
der Corona-Krise machen diesen Zusammenhang sehr deutlich.
Tab. 1.1 vermittelt einen Überblick über wichtige Proportionen der Weltwirtschaft.
Welche Erkenntnisse ergeben sich aus Tab. 1.1?
1. Die Weltwirtschaft stützt sich auf drei wirtschaftliche Machtzentren: die USA, die
EU und China. Diese sind auch regional über die Welt verteilt. Was die Ost-West-
Komponente betrifft. Nicht in Bezug auf Nord-Süd.
2. An der Spitze der Weltwirtschaft stehen nach wie vor die USA. Die größte Ent-
wicklung in diese Gruppe hinein weist China auf. Das vor allem im BIP und im
Export. Eine Anerkennung dieser Position im Anteil der eigenen Währung an den
Weltdevisenreserven ist stark von Erwartungshaltungen und Vertrauen abhängig und
erfolgt offensichtlich zeitverzögert.
3. Die EU weist weltweit den höchsten Export in Drittländer auf und liegt in der
Bruttowertschöpfung vor China auf Platz 2. Sie nimmt diese Position allein durch
das gebündelte Potenzial ihrer Mitglieder ein. Ein Verbleib in dieser Position oder
deren Stärkung ist, das wird deutlich, stark vom Erfolg des künftigen europäischen
1.1 Sprachrelevante Wirtschaftsthemen 9
Was ist heute das Neue an der Weltwirtschaft und ihrer Wirkung auf die Volkswirt-
schaften? Was sind in diesem Zusammenhang aktuelle Chancen und Herausforderungen?
Zunächst soll die Antwort damit beginnen, dass die Weltwirtschaft und ihre immer
engere Verflechtung – die Globalisierung – nicht nur und nicht zuerst Drohpotenzial
für Volkswirtschaften wie die deutsche, sondern vor allem Chancen beinhalten. Dazu
gehören u. a.:
Bleibt der Blick auf die aktuellen, die neuen, „Herausforderungen“. Genau betrachtet,
bestehen Bedrohungen aus der Weltwirtschaft für die Volkswirtschaften weniger aus
ihrer weiteren Verstärkung, sondern aus Faktoren, die sie gegenwärtig hemmen und
damit die genannten Vorzüge infrage stellen. Studien belegen einen Rückgang des welt-
weiten Exportbooms, ein Nachlassen internationaler Investitionen und Produktionsver-
flechtungen. Die volkswirtschaftlichen Chancen bestehen nicht in der Abschottung vor
weltwirtschaftlichen Entwicklungen, sondern im Erkennen und Beseitigen dessen, was
sie gegenwärtig hemmt.
Würden solche Risiken im Ergebnis zu Bestrebungen nach Autarkie und weniger inter-
nationaler Abhängigkeit führen, stünden im Gegenzug alle oben genannten Vorzüge von
internationaler Verflechtung und Globalisierung auf dem Spiel.
Ein fünftes restriktives Merkmal der aktuellen Weltwirtschaft besteht in Folgendem:
Innerhalb der Volkswirtschaften, verstärkt im Zuge der Digitalisierung, nehmen der
1.1 Sprachrelevante Wirtschaftsthemen 11
Beschäigte
Fachkräe Hilfskräe
Beruf kein Beruf
Ausbildungsberuf Hochschulberuf
Berufsausbildungsabschluss (Akademischer)
(Facharbeiterabschluss) Hochschulabschluss
Berufsausbildung Hochschulbildung
ergibt, dass die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter schneller zu sinken droht,
als die Zahl der Gesamtbevölkerung. Auch wenn bereits gegenwärtig Fachkräftemangel
besteht, ist diese Entwicklung in der Vergangenheit statistisch kaum nachweisbar – dafür
aber umso deutlicher in den Prognosen für das kommende und die nächsten Jahrzehnte.
Finden sich für eine Entwicklung wie die aufgezeigte keine Gegenmittel, so stünde
einer geringer gewordenen Bevölkerung ein noch geringer gewordenes Bruttoinlands-
produkt für die Verteilung zur Verfügung. Konsequenz wäre unter sonst gleichen
Umständen ein Rückgang von pro-Kopf-Einkommen, Wohlstand und Wettbewerbsfähig-
keit. Von dieser Erkenntnis lässt sich die deutsche Wirtschaftspolitik leiten.
„Wie auch der Sachverständigenrat betont, ist die Sicherung der Fachkräftebasis eine der
zentralen Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Der Fachkräfte-
mangel ist – nicht zuletzt aufgrund der demographischen Entwicklung – ein strukturelles
Problem der deutschen Wirtschaft, das in zahlreichen Branchen und Regionen ein
Wachstumshemmnis darstellt.“ (Deutsche Bundesregierung 2021a, b)
Beim genauen Hinschauen wird deutlich, dass wir bei den Quellen der Fachkräfte-
sicherung nicht auf ein Füllhorn von Optionen treffen, aus denen es viele Auswahlmög-
lichkeiten gibt. Sondern um eine Handvoll, von denen man keine ausschließen darf, und
denen mittelfristig konzertiert zur Wirksamkeit verholfen werden muss. Dabei handelt
es sich zunächst um interne Quellen, die unterschiedlich diskutiert werden aber alle auf
ein Ziel gerichtet sind: das begrenzte volkswirtschaftliche Arbeitspotenzial Deutschlands
besser und effektiver zu nutzen, weniger liegen zu lassen – und das aus quantitativer wie
aus qualitativer Sicht.
Zu den internen Faktoren, dem Fachkräftemangel entgegenzutreten gehören
In dem Maße, wie diese internen Quellen allein nicht in der Lage sind, die Fachkräfte-
lücke zu schließen, bedarf es des Blickes nach draußen – über die Grenzen hinaus. Bei
Schätzungen, nach denen die Fachkräftelücke bis 2030 auf 6 Mio., bis 2040 auf 8 Mio.
und bis 2050 auf 10 Mio. anzuwachsen droht, werden Wirtschaft und Politik nicht um
diesen erweiterten Blick herum kommen. Damit sind wir bei den externen Quellen der
Fachkräftesicherung. Bei Menschen, die zusätzlich zu denen, die hier bereits leben, ins
Land kommen und die beschriebenen Lücken schließen. Wenn wir eng am Begriff des
Fachkräftebedarfs bleiben, in dreierlei Hinsicht: a) zahlenmäßig, b) altersmäßig und c)
qualifizierungsseitig.
deutschen Fachkräftemarkt. 5 % von 15 Mio. wären 300 Tausend – knapp ein Drittel des
aktuell in Deutschland beklagten Fachkräftemangels. Hinzu kommen positive Alters-
effekte, die der zunehmenden Überalterung der deutschen Bevölkerung entgegenwirken
sowie potenzielle Entlastungen der Sozialsysteme zur Folge haben können. Demgegen-
über steht der Aufwand eines vergleichsweisen langen Weges von der Einreise über
Integration bis hin zur Fachkraft. Ein Aufwand, der aber auch ohne eine gezielte Fach-
kräfteorientierung zum einem großen Teil anfallen würde. Die Abschnitte 3.3 und 3.4
werden an das Thema externer Quellen der Fachkräftesicherung anknüpfen.
1.1.4 Wettbewerb
Unter den Bedingungen einer Marktwirtschaft, in der Käufermärkte (Angebot ist größer
als Nachfrage) die Regel sind, wird der Wettbewerbsbegriff in aller Regel auf die Markt-
partei der Anbieter bezogen. Kriterium ist in diesem Falle, die Nachfrage mit möglichst
hohem Ergebnis und mit möglichst niedrigem Aufwand zu befriedigen. Wettbewerb ist
nicht letztliches Ziel der Marktwirtschaft, sondern Mittel zum Zweck. Er ist aus volks-
wirtschaftlicher Sicht der Weg zum Ziel einer hohen Wirtschaftsleistung und zu daraus
erwachsendem Wohlstand. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Wettbewerb drei
Grundfunktionen erfüllen, die in Abb. 1.3 gezeigt werden.
1.1 Sprachrelevante Wirtschaftsthemen 17
Abb. 1.3 Wettbewerbsfunktionen
Verteilungsfunktion Sie wird vielfach als dritte Funktion des Wettbewerbs genannt.
Indem Wettbewerb die sonst drohende Marktmacht einzelner Anbieter in Grenzen hält,
verhindert er Preisdiktate zu Lasten der Nachfrager. Wettbewerb ist in seiner Verteilungs-
funktion Garant – oder zumindest Grundlage – für eine gerechte Einkommensverteilung.
Es muss darauf verwiesen werden, dass die Volkswirtschaftslehre sehr wohl
zwischen den theoretischen Wettbewerbsmodellen und einer Praxis unterscheidet, in der
unbegrenzter Wettbewerb, unbegrenzter Markt und dessen „Selbstheilungskräfte“ durch-
aus auch zu – zum Beispiel sozial oder ökologisch – ungewollten Ergebnissen führen
können. Hieraus folgt die immerwährende Debatte, ob und wenn ja, wieviel und wobei
der Staat korrigierend eingreifen soll. Eine ökonomische und politische Debatte zum
Verhältnis von Markt und Staat, die so alt ist, wie die Volkswirtschaftslehre selbst.
18 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
Doch gehen wir hier zunächst den Schritt von „Wettbewerb“ zu „Wettbewerbsfähig-
keit“. Einem unserer späteren Brückenköpfe zu den Sprachthemen. Was müssen die
Wettbewerber (Anbieter an einem Markt) aufbieten, damit sie in einem Wettbewerb, der
diese seine Funktionen erfüllt, bestehen können? Was sind die Kriterien dafür, dass ein
Unternehmen wettbewerbsfähig ist?
Kriterien für eine solche Wettbewerbsfähigkeit sind für ein Unternehmen unter anderem
An anderer Stelle in diesem Buch, wenn die Brücke zur Sprache geschlagen wird, rückt
in den Mittelpunkt die Wettbewerbsfähigkeit einer ganzen Region oder „der (deutschen)
Wirtschaft“. Mit der damit verbundenen Betrachtung der Unternehmen in ihrer Summe,
als Ganzes, vollziehen wir den Schritt von der mikroökonomischen auf die makroöko-
nomische Ebene und werden sehen, dass dort weitere Kriterien wirken, die Wettbewerbs-
fähigkeit beeinflussen. Aber nicht auf einzelne Produkte heruntergebrochen werden
können.
1.1.5 Geld
Kaum ein Mensch wird mit dem Schicksal darüber hadern, dass er zu viel Geld besitzt.
Für eine Volkswirtschaft ist die Lage anders. Zu viel Geld kann ihr Gleichgewicht stören
und dazu führen, dass gesamtwirtschaftliche Ziele infrage gestellt und Stabilität gestört
werden. Dieser allgemeine Leitsatz wurde durch die Praxis selten so drastisch bestätigt,
wie durch die Inflationsentwicklung im Jahr 2022.
Wodurch aber wird bestimmt, wieviel Geld die Volkswirtschaft braucht? Wie kann
man dieses Maß, wenn man es kennt, schützen und steuern? Und welche Wirkungen
kann man damit erzielen? Wie vor allem in unserer Welt, macht Digitalisierung auch
vor der guten alten Geldwirtschaft nicht halt. Diskussionen um Bitcoin, digitalen Euro
und Abschaffung von Bargeld machen die Runde. Hängen diese Dinge zusammen oder
nicht? Wie konservativ oder innovativ ist hier die Geldpolitik? Was sind die Ursachen
1.1 Sprachrelevante Wirtschaftsthemen 19
hoher Inflationsraten, wann ist Inflation überhaupt zu hoch, und wer kann was dagegen
tun? Solche Fragen beschäftigen Geldtheorie und Geldpolitik in der makroöko-
nomischen Volkswirtschaftslehre.
Die elementare Form der Vermittlung von Arbeitsteilung in der Geschichte ist der geld-
lose Tauschhandel. Auch hier muss es Preise gegeben haben. Aber nicht in allgemein
vergleichbaren Geldeinheiten, sondern in Einheiten des jeweiligen Tauschgutes. In den
alten Kulturen Ägyptens und Mesopotamiens des 3. Jahrtausends vor Christi war Geld
bereits als allgemeines Tauschäquivalent bekannt. Aber noch nicht als Münzen, sondern als
Recheneinheiten („Shat“). Ihr Wert besaß Deckung durch Gold oder Silber. Ein großer Vor-
teil der Geldwirtschaft war aber damit schon gegeben: die Praktikabilität des Tauschs. Die
Möglichkeit des Verzichts auf aufwendiges Zählen, Messen oder Abwiegen. Wer Münzen
sammelt und tief in die Vergangenheit greift, der wird im Internet die ältesten Angebote
aus dem Mittelmeerraum des 1. Jahrtausends vor Christi – vor allem aus Griechenland
(Drachme) - finden. Gefolgt vom Denar aus dem antiken Rom ab 200 vor Christi.
Falsch wäre die Annahme, dass das Geldwesen den geldlosen Tauschhandel mit
einem Urknall über Nacht abgelöst hätte. Die Position des Geldes als allgemeines
Tauschmittel ist langsam, schrittweise aber beständig über Jahrtausende gewachsen und
hat den Tauschhandel auch bis heute noch nicht überall und vollständig abgelöst. Immer
noch erzählt man von abgelegenen pazifischen Inseln, auf denen sich die Menschen an
Stelle von Geld selten vorkommender Steine oder Muscheln bedienen.
Vom Münzgeld zum Papiergeld hat es dann noch einmal mehr als zweitausend Jahre
gedauert. Die ersten Geldscheine wurden 1660 in Schweden gedruckt. Manch einer sieht
in den heutigen Aktivitäten Schwedens (neben oder nach China) bei der Digitalisierung
seiner Währung eine Fortsetzung dieser Vorreiterrolle.
In einer modernen arbeitsteiligen Wirtschaft spielt Geld eine zentrale Rolle. Viel-
fältige wirtschaftliche Verflechtungen, Globalisierung von Märkten und Handel, werden
durch Geld nicht nur erleichtert, sondern überhaupt erst möglich.
Was macht ein Ding zu Geld? Oder konkreter gefragt: Welche Funktionen muss es
wahrnehmen können, um als Geld anerkannt zu werden und zu wirken können? Abb. 1.4
zeigt die wichtigsten Funktionen des Geldes.
Tauschmittel Die Funktion als Tauschmittel erfüllt Geld dann, wenn mit ihm ein
Anspruch auf beliebige Güter beliebiger Art erhoben werden kann. Deshalb wird Geld
in seiner Funktion als Tauschmittel auch als Zahlungsmittel oder generalisierte Kaufkraft
bezeichnet.
Geldfunkonen
Abb. 1.4 Geldfunktionen
20 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
„Aber wo habt Ihr die schöne Gans gekauft? Die hab ich nicht gekauft, sondern für mein
Schwein eingetauscht. Und das Schwein? Das hab ich für eine Kuh gekriegt. Und die Kuh?
Die hab ich für ein Pferd bekommen. Und das Pferd? Dafür hab ich einen Klumpen Gold so
groß als mein Kopf gegeben.“ (Gebrüder Grimm, Das Märchen vom Hans im Glück)
Wer das Märchen kennt, weiß, am Ende der Tauschkette steht der Wetzstein. Wären
anstelle Tauschhandel Geldpreise in der Vermittlerrolle gewesen, hätte es für den Hans
ein besseres Ende nehmen können.
Rechenmittel Als Rechenmittel macht Geld Ungleiches gleich. Eine Geldeinheit ist
Bezugsgröße der Preise für alle Güter. Würde der Preis eines Gutes in Mengeneinheiten
eines anderen Gutes ausgedrückt (Opportunitätskosten), so besäße jedes Gut Millionen
von Preisen. Der Preis eines IPhones wäre vielleicht gleich 300 Stück Butter, einem
dreißigstel Auto, einem zweihundertstel Haus, einer hundertstel CNC-Maschine oder
4000 Kiwis. Erst die Geldeinheit als alleinig anerkannter Maßstab all dieser Tausch-
preise macht Marktprozesse überschaubar. Kosten oder Erlöse unterschiedlicher Her-
kunft können mit Hilfe des Geldes zusammengerechnet werden.
Exkurs
Bis 2004 war die Türkei Weltrekordhalter, was die nominell höchste Banknote
betraf. Es war ein Schein, auf dem der Betrag von 20 Mio. türkischer Lira zu lesen
war. 30 Jahre Inflation waren vorausgegangen. Mit Beginn des Jahres 2005 machte
die Türkei den Schnitt und strich hinter Währung und Preisen 6 Nullen weg. Aus
1.000.000 alter türkischer Lire wurde 1 neue türkische Lira. (Kurs 24.01.2022:
1 EUR = 15,16 TRY). Der Effekt solcher Aktionen ist die Einsparung von Rechen-
aufwand. Die Inflation wird damit optisch gestoppt, aber nicht in ihrer Substanz.
22 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
Letzteres zeigt sich beim Blick auf den Vergleichskurs von vor einem Jahr. Im
Monatsdurchschnitt Januar 2021 betrug der o. g. Kurs noch 1 EUR = 9,01 TRY.
Ein weiteres Beispiel für die nominelle Neubewertung einer Währungseinheit ist
die Streichung von drei Nullen bei der italienischen Lira („Lira Nuova“) vor ihrem
Übergang in das Euro-System.
Kommen wir zurück auf den bereits angesprochenen Begriff der Inflation und damit
zum Bezug auf die eigene Währung. Als Sockel bedarf es dazu zunächst der Erklärung
des Geldwertes. Dieser wird nur sehr indirekt über den bereits betrachteten Wechsel-
kurs (dieser ist die Folge, die Resultante), aber dafür sein Verhältnis zum inländischen
Preisniveau ausgedrückt. Der Geldwert entspricht der Menge an Gütern, die mit einer
Geldeinheit erworben werden kann. Deshalb ist der Geldwert identisch mit der Kaufkraft
des Geldes. Es gibt nur einen einzigen Anlass dafür, dass sich die Menge an Gütern pro
Geldeinheit und damit der Geldwert verringert: das Steigen des Preisniveaus. Je höher
das Preisniveau, desto niedriger der Geldwert.
1
Geldwert =
Preisniveau
Bleibt das Preisniveau stabil, bleibt es notwendigerweise auch der Geldwert. Preis-
niveaustabilität und Geldwertstabilität sind verschiedene Begriffe für den gleichen Sach-
verhalt.
Soll die Inflation gemessen werden, muss das Preisniveau eines Zeitraumes mit dem
Preisniveau eines zurückliegenden Zeitraumes verglichen werden. Setzen wir dabei das
Preisniveau des zurückliegenden Zeitraumes (Basisjahr) gleich 100, so ist der Wert für
den betrachteten Zeitraum (Berichtsjahr) der Preisindex. Basisjahr kann ein beliebig
zurückliegendes Jahr sein. Oft wird aber als Basisjahr das Vorjahr gewählt. In diesem
Falle ergibt der Preisindex die Inflationsrate.
Wichtig
Preisniveau Jahr x-1 100
Preisniveau Jahr x 102
Inflationsrate 2 %
Die Entwicklung des Preisniveaus, der theoretisch die Entwicklung aller Millionen in
einer Wirtschaft vorhandenen Preise zugrunde liegen müsste, wird praktisch anhand aus-
gewählter, repräsentativer und gewichtet einbezogener Güterpreise (Warenkorb) ermittelt.
Das Ziel der Geldwertstabilität oder Inflationsvermeidung wird verständlich beim
Blick auf einige ausgewählte negative Inflationswirkungen. Gerade in Deutsch-
land ist die geschichtliche Erinnerung an die Folgen der großen Inflationen in der Folge
zweier Weltkriege noch wach, die nur durch den jeweils schmerzlichen Einschnitt einer
Währungsreform beseitigt werden konnten. Allgemein zählen zu den Inflationswirkungen:
• Zinslücke
Die Nominalzinsen folgen, wenn überhaupt, nur verzögert und abgeschwächt der
Preisniveauentwicklung. Gläubiger, vor allem Kontensparer, verlieren, Schuldner
gewinnen.
Exkurs
Realer Wertverlust von Ersparnissen zeigt sich unter den Bedingungen der Inflation
Ende 2021/Anfang 2022 sehr deutlich. Im Dezember 2021 lag die Inflationsrate bei
5,3 %. Das heißt, im Vergleich zu Dezember 2021 hatte der Wert einer angelegten
Summe (Waren, die dafür gekauft werden können) um 5 % abgenommen, oder:
Die Waren sind bei gleicher Geldsumme um 5 % teurer geworden. Aufgrund der
anhaltend restriktiven Zinspolitik wird dieser Verlust zum betrachteten Zeitpunkt
auch nicht teilweise durch Zinsen oder gar deren Anstieg kompensiert. Noch deut-
lich stärker haben sich diese Disproportionen im Verlauf des Jahres 2022 entwickelt.
• Flucht in Sachwerte
Als Gegenreaktion auf Geldentwertung erfolgt die Umschichtung von Geldver-
mögen in Sachwerte wie Immobilien oder Edelmetalle. Das führt zum einen zu einem
Rückgang von Ersparnissen als Voraussetzung für Investitionen und Wachstum der
24 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
irtschaft. Zum anderen sind zu einem solchen Schritt weniger begüterte Menschen
W
mit kleinen Sparkonten am wenigsten in der Lage.
• Lohnlücke
Folgen die Löhne nur verzögert der Preisniveauentwicklung, können sich die Lohn-
empfänger dafür bei gleicher Arbeit weniger kaufen. Es sinken die Reallöhne. Gerade
deshalb wurden für 2022 hohe Anstrengungen der Gewerkschaften erwartet, in den
Tarifverhandlungen diese Lücke möglichst weit auszugleichen. Dies führt wiederum
zu höheren Personalkosten, die die Unternehmen versuchen, durch höhere Verkaufs-
preise auszugleichen. Es wird die „Lohn-Preis-Spirale“ angekurbelt. Die „konzertierte
Aktion“ von Regierung, Arbeitgebervertretern und Arbeitnehmervertretern ist, wie
Mitte 2022, ein Instrument für Ausnahmesituationen, um diesen Teufelskreis zu
durchbrechen oder zumindest abzuschwächen.
• Rentenlücke
Folgen auch die Renten mit Verzögerung und abgeschwächt dem Preisniveau, sinkt
ebenso wie bei den Zinsen oder den Löhnen die Kaufkraft auch bei den Einkommen
aus Rente. Rentenempfänger gehören deshalb ebenso zu den Inflationsverlierern wie
kleine Sparer oder angestellte Beschäftigte.
Wenn wir über Inflationsgefahren und Inflationsvermeidung sprechen, dann muss eines
angemerkt werden. Es ist damit keine Inflations-Zielrate von 0 % gemeint. Mit 1–2 %
sind, davon geht die Wirtschaftspolitik aus, die Kriterien für „Preisniveaustabilität“
erfüllt. Und es gibt einen Puffer zur Gefahr einer Deflation, bei der sich das Preisniveau
rückläufig entwickelt. In einer Deflation würden tendenziell Konsumenten in Erwartung
weiterer Preissenkungen ihre Käufe und die Unternehmen wegen sinkender Gewinnaus-
sichten ihre Produktion drosseln.
Die Normalität des Korridors von 1–2 % ist mit den im Dezember 2021 erreichten
5,3 % und erst recht mit den 10 % vom September 2022 weit überschritten. Die oben
aufgezeigten negativen Folgewirkungen von Inflation treten real ein und bestimmen
zu einem großen Teil die wirtschaftspolitische Diskussion. Für 2023 wird für Deutsch-
land eine Inflationsrate zwischen 8 und 9 Prozent prognostiziert. Was keine weitere
Erhöhung darstellt, aber noch immer deutlich über dem anstrebenswerten Korridor
liegt, der für wirtschaftliche und soziale Folgen unschädlich ist. Zumal es sich ja nur um
eine abgeschwächte Erhöhung handelt und nicht um den Abbau des bereits hohen, als
Vergleichsmaßstab dienenden Sockels.
Sprachwissenschaen
Linguisk
Eine Reihe von Quellen zur Struktur der Sprachwissenschaften zeigt auch Ver-
bindungen zu bzw. Überschneidungen mit benachbarten Wissenschaften auf. Dazu
gehören Mathematik, Biologie, Neurologie, Psychologie, Soziologie, Ethnologie oder
Geschichtswissenschaften. Verbindungen zu Wirtschaftswissenschaften, Gegenstand
dieses Buches, sind in solchen Übersichten so gut wie nicht anzutreffen.
Die strukturungebundene Wahl von Themen in diesem Abschnitt erfolgt ähnlich
komprimiert wie bei den Wirtschaftswissenschaften und richtet sich vor allem an ihrem
Potenzial für eine spätere Berührung mit wirtschaftlichen Fragestellungen aus.
Ein Vergleich dieser Themen mit der Strukturübersicht der Sprachwissenschaften zeigt,
dass sie in unterschiedlichem Maße einem Bereich zuzuordnen sind oder verschiedene
von ihnen tangieren. So ist die in der Literatur vielfältig vertretene Geschichte der
deutschen Sprache ein klar dem Bereich der Historiolinguistik zuzuordnendes Thema.
Mit nachgeordneten Verbindungen zu anderen Bereichen. Anglizismen, verstanden
als ins Deutsche integrierte Entlehnungen englischer oder pseudoenglischer Wörter,
berühren gleichzeitig Phonologie (Lautlehre), Morphologie (Sprachlehre) und Wort-
semantik. Die Gender-Sprache ihrerseits ist ein Thema, das in der Grammatik und
dort in der Morphologie angesiedelt ist. Gleichzeitig wäre aber mit der Abschaffung
grammatikalischer Formen wie dem generischen Maskulinum („die Fußgänger“) eine
Reduzierung des deutschen Wortschatzes verbunden. Der sich an anderer Stelle durch
bisher nicht gebrauchte Neuschöpfungen im Bereich der partizipialen Substantive -
oder substantivierten Partizipien - („die Fußgehenden“) um neue Wörter aufbaut. Das
wiederum ist ein Feld der Lexikologie. Ein Thema der Lexikologie sind auch neue
Wortschöpfungen vorwiegend aus dem Verwaltungsdeutsch, die mit dem Bezug auf
Sprachkorrektheit alte, in der Regel einfachere Vorgängerwörter ablösen. „Drehkreuz“
geht und „Personenverteilungsanlage“ kommt. Auf dieses spezielle Thema werden wir
aber erst wieder in Kap. 3 treffen.
26 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
Heute sprechen auf der Welt 121 Mio. Menschen Deutsch als Muttersprache. Das sind
knapp 2 % der Weltbevölkerung, womit Deutsch auf Platz 10 der meistgesprochenen
Sprachen rangiert. An der Spitze liegen Mandarin (9 %), Englisch (5 %), Spanisch
(3 %), Hindi (2 %) und Arabisch (2 %). Insgesamt werden nach Angaben des Max-
Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig auf der Welt 6500 bis 7000
verschiedene Sprachen gesprochen (Haspelmath 2021, eigene Berechnungen). In der
Europäischen Union ist Deutsch die meistgesprochene Muttersprache. Amtssprache ist
es in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Belgien, Luxemburg und Liechtenstein.
Unser heutiges Deutsch lässt sich, ähnlich wie ein Familienstammbaum, über viele
Etappen zu seinen Wurzeln zurückverfolgen. Und wie jeder Baum wird auch der Stamm-
baum der deutschen bzw. der germanischen Sprachfamilie von unten nach oben immer
breiter. Das erkennen wir in Abb. 1.6. Dort wird deutlich, dass die heutige deutsche
Sprache auf eine Geschichte von 5000 bis 7000 Jahren zurückblickt. Sie hat eine Reihe
von Etappen zurückgelegt und ist Teil der Baumkrone über einem Stamm, der auch
das spätere Griechisch, Italienisch oder Iranisch mit Nährstoffen versorgt hat. Die
heute als „romanisch“ bekannten Sprachen gehören zum italienischen Zweig der indo-
germanischen Sprachfamilie.
Abb. 1.6 vereint komplex die Wurzeln, Verzweigungen und Entwicklung der
deutschen Sprache mit der dazugehörigen Zeitachse. In diese eingebaut sind auch
die beiden großen Lautverschiebungen. Im Rahmen der Verzweigungen verfolgt die
Grafik ausschließlich die am Ende zu unserem heutigen Neuhochdeutsch führende
Entwicklungslinie. Die Übersicht ist Grundlage und Rahmen der nachfolgenden
Erörterungen.
Zweitens Abb. 1.6 zeigt 7000 Jahre deutscher Sprachgeschichte. Erst vor etwas mehr
als 1000 Jahren, zum Ende der zweiten Lautverschiebung, trennte sich das Hochdeutsche
vom Niederdeutschen. Zu diesem Zeitpunkt war eine deutsche Sprache entstanden, die
heute selbstverständlich kaum einer mehr verstehen würde. Es war aber die Basis für
die im oberen Teil von Abb. 1.6 fortgeführte und allgemein bekannte Staffelung der
hochdeutschen Sprache in Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch, das teilweise zwischen-
geschaltete Frühhochdeutsch und das seit Mitte des 17. Jahrhunderts gesprochene Neu-
hochdeutsch. Erst mit diesem gelangen wir zu einer Sprache, die sich seither zwar auch
weiter verändert hat, aber auch für das ungeübte Ohr bereits verständlich ist.
1.2 Wirtschaftsrelevante Sprachthemen 27
Neuhochdeutsch
Seit 1650
Frühneuhochdeutsch
1350–1650
Mielhochdeutsch
1050–1350
Althochdeutsch
750–1050
Niederdeutsch Hochdeutsch
Niedersächsisch, Niederfränkisch Mieldeutsch (Thüringisch, Sächsisch)
(Niederländisch, Flämisch) Oberdeutsch (Schwäbisch, Bayerisch)
Westnordisch Ostnordisch
Norwegisch Schwedisch Englisch Deutsch Friesisch
Isländisch Dänisch
Ostgermanisch
Go sch (ausgestorben) Nordgermanisch Westgermanisch
450 v. Chr. – 750 n. Chr. 450 v. Chr. – 750 n. Chr. 450 v. Chr. – 750 n. Chr.
Kentum-Sprachen Satem-Sprachen
Griechisch, Lateinisch, Persisch Albanisch, Armenisch, Balsch
Kelsch, Thrakisch, Tochanisch Illyrisch, Slawisch, Indo-Arisch
1000 – 450 v.Chr. 1000 – 450 v.Chr.
Indogermanisch
Hypothsche Vorläufersprache
Ursprache der germanischen Sprachfamilien
5000–1000 v.Chr.
etwa mit der Trennung des Indogermanischen in die Kentum- und Satem-Sprachen
zusammen. Vorrangig wird die erste (wie später auch die zweite) Lautverschiebung
mit betonungsseitigen Veränderungen beschrieben. Hier geht es um eine Akzentver-
schiebung beim Übergang vom Indogermanischen in den germanischen Sprachzweig,
beim Übergang vom indogermanischen in das germanische Konsonantensystem.
Während in der indogermanischen Sprache der Akzent nicht auf eine bestimmte
Silbe festgelegt ist, konzentriert sich die Betonung in den germanischen Sprachen
auf eine Wurzel- oder Stammsilbe. In den meisten Fällen – und das hat sich wohl bis
in das heutige Deutsch erhalten – ist das die erste Silbe. Verdient gemacht haben sich
um den sprachwissenschaftlichen Nachweis der ersten Lautverschiebung im 19. Jahr-
hundert Friedrich SCHLEGEL, Rasmus Christian RASK und Jacob GRIMM. Die
zweiteLautverschiebung fand in der Zeit von 500 bis 750 statt, kennzeichnete die
Trennung des Hochdeutschen vom Niederdeutschen und damit den Übergang zum Alt-
hochdeutschen. Es handelt sich um eine Konsonantenverschiebung und wird als eine der
am tiefsten greifenden Veränderungen in der deutschen Sprache bezeichnet. Verbunden
mit Sprachforschungen zur zweiten Lautverschiebung sind Namen wie (wiederum)
Jacob GRIMM oder Johannes FEIST. Den sprachlichen Kern der Konsonantenver-
schiebung bilden A) die stimmlosen Verschlusslaute im Anlaut und in der Verdopplung,
B) die stimmlosen Verschlusslaute nach einem Vokal, C) der stimmhafte Verschlusslaut d
und D) das germanische th.
Exkurs
Beispiele für die Veränderungen werden gern durch den Vergleich eines hoch-
deutschen Wortes mit seinen vorherigen germanischen Wurzeln, teilweise mit dem
im Niederdeutschen abgespalteten Niederländisch, am meisten aber mit dem im
Germanischen mit dem Deutsch noch vereinten und in diesen Punkten unverändert
gebliebenen Englisch gewählt.
Viertens Mit dem Althochdeutsch (750–1050) beginnt die Phase des Hochdeutsch
und damit die Geschichte der deutschen Sprache im engeren Sinne. Beide Lautver-
schiebungen sind hierin bereits enthalten. Dennoch kann erst mit dem Neuhochdeutsch
von einer durch uns Heutige verständlichen Sprache die Rede sein. Gern wird deren Ein-
zug mit der Bibelübersetzung durch Martin LUTHER bis 1534 in Verbindung gebracht.
Möglicherweise ist auch das ein Grund dafür, dass in manchen Zeitachsen der Beginn
des Neuhochdeutschen von 1650 auf 1500 vorverlegt wird.
Um den Begriff der Literatur in die deutsche Sprachgeschichte einzuordnen, wenn
auch nur exemplarisch, müssen wir uns um dessen Verständnis bemühen. Das ist nicht
einfach, weil sowohl Definitionen als auch Zeitbezüge sehr stark streuen. Literatur-
geschichte wird überwiegend mit moderner Literaturgeschichte verbunden und auf den
Beginn des 16. Jahrhunderts verlegt. Offensichtlich spielen dabei die Erfindung des
Buchdrucks und die Entstehungen von Bibliotheken in größerem Maße eine Rolle. Aber
auch Bibelübersetzung und Entstehung der neuhochdeutschen Sprache fallen in diese
Zeit. Was das Definitorische betrifft, so gibt es bei Literatur ebenfalls ein buntes Feld von
Ansätzen. Offensichtlich auch nicht unabhängig von jeweils damit verfolgten Zielen. Sie
reichen von „alle mündlich und schriftlich fixierten sprachlichen Zeugnisse“, „Gesamt-
heit aller schriftlichen Aufzeichnungen“ oder „Bestand an Schriftwerken jeder Art“ über
„Gesamtheit aller Sprachkunstwerke“ bis hin zur Verbindung des Literaturbegriffs mit
dem Hervorrufen menschlicher Empfindungen.
„Literatur muss Spaß machen. Sie soll den Menschen Freude und Spaß bereiten und sogar
Glück“ (Reich-Ranicki 2001)
Auch die Literatur-Definition dieses Buches folgt dessen Anliegen und bringt Literatur
und Sprache miteinander in Verbindung:
Je kürzer eine Definition und deshalb verständlicher, umso größer die Notwendigkeit, sie
mit einigen Gedanken zu kommentieren.
Erstens Ein so charakterisierter Literaturbegriff setzt mit seinem Zeitbezug nicht wie
die meisten mit dem 16. Jahrhundert und damit in der Nähe des Entstehens des Neu-
deutschen an. Mit ihrer Bindung an die Sprache gibt es Literatur so lange, wie es
Sprache gibt, auch wenn die Voraussetzung „dokumentiert“ hier Grenzen setzt. Auf
jeden Fall können wir damit die Ilias von Homer oder die Minnelieder Walters von der
Vogelweide als Beispiele in das Verständnis von Literatur einbeziehen.
30 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
Drittens Der Bezug auf eine Sprache, das Vermögen deren Ausdruck zu einer
jeweiligen Zeit zu sein, ist eine Besonderheit der hier gewählten Literatur-Definition.
Darauf muss hingewiesen werden. Zwar gibt es die deutsche, die russische oder die
französische Literatur, deren Originale sich in der Regel auf die jeweilige Sprache
beziehen. Aber Karl May wurde in 29 Sprachen übersetzt und der Weltliteratur-Roman
Tom Sawer von Mark Twain erschien 1886 neben dem Amerikanischen zugleich in
deutscher Übersetzung. Bleiben wir bei unserer Definition, dann ist diese deutsche Über-
setzung nicht Zeitzeugnis der amerikanischen, sondern der deutschen Sprache.
Werfen wir nun vor diesem Hintergrund den Blick auf einige wenige Beispiele des
Ausdrucks deutscher Sprache durch ihre Literatur.
Althochdeutsch Übersetzung
Eiris sazun idisi, sazun hera duoder Einst setzten sich Idisen, setzten sich hierher
Suma hapt heptidum, suma heri lezidun, Manche hefteten Haft, manche hemmten das
Heer,
Suma clubodun umbi cuoniouuidi: Einige zerrten an den Fesseln
Insprinc haptbandum, inuar uigandun! Entspring den Haftbanden, entfahr den
Feinden!
Phol ende Uuodan uuorun zi holza Phol und Wodan ritten ins Holz
Du uuart demo Balderes uolon sin uuoz birenkit Da ward dem Fohlen Balders der Fuß verrenkt
Thu biguol en Sinthgunt, Sunna era suister, Da besprach ihn Sinthgunt (und) Sunna, ihre
Schwester
Thu biguol en Friia, Uolla era suister: Da besprach ihn Frija (und) Volla, ihre
Schwester
Thu biguol en Uuodan so he uuola conda: Da besprach ihn Wodan, wie (nur) er es ver-
stand:
1.2 Wirtschaftsrelevante Sprachthemen 31
Althochdeutsch Übersetzung
Sose benrenki sose blutrenki, sose lidirenki: So Knochenrenke wie Blutrenke
Ben zi bena, bluot zi bluoda, Wie Gliederrenke: Bein zu Bein, Blut zu Blut,
Lid zi geliden, sose gelimida sin! Glied zu Gliedern, als ob geleimt sie seien!
Bei einigen Wörtern erkennbar sind im Original bereits Ähnlichkeiten mit unserer
heutigen Sprache: ben und Bein, sozun und setzten, heri und Heer, holza und Holz. Bei
bluod und Blut haben wir sogar ein spätes Beispiel für die zweiten Lautverschiebung –
den Wechsel vom stimmhaften d im Germanischen zum stimmlosen t im Hochdeutschen.
Der ungeübte Leser wird dennoch aus dem Originaltext kaum und bei der Vergleichs-
hilfe mit der Übersetzung lediglich stellenweise für ihn verständliche Inhalte herauslesen
können. Wie wir später sehen, ist das beim Mittelhochdeutschen bereits anders. Selbst
über die sprachliche und mythische Deutung der Übersetzung gibt es in der Literatur
vielfältige und unterschiedliche Ansätze.
Ein Gedanke erscheint, auch mit Bezug auf nachfolgende Literaturbeispiele, von
Interesse. Zu der Zeit, als die Merseburger Zaubersprüche entstanden, war in Westeuropa
die Christianisierung in vollem Gange oder bereits abgeschlossen. Dennoch finden wir
in den bekannten Quellen nahezu ausschließlich heidnische Themen und germanische
Mythologie. Im späteren Mittelhochdeutschen werden wir christliches Gedankengut
eher, aber auch nicht vordergründig finden. Der Grund ist der bekannte Umstand, dass
bis weit in das Mittelalter hinein die Kirchensprache Latein war. Eine Sprache, die, wie
wir aus Abb. 1.6 wissen, zwar mit dem Deutschen im Indogermanischen die gleichen
Wurzeln hat, sich aber zu diesem hier betrachteten Zeitpunkt bereits lange abgespalten,
ins Italienische weiterentwickelt oder seine umgangssprachliche Bedeutung eingestellt
hatte. Im Zusammenhang mit Luthers Bibelübersetzung soll hierauf zurückgekommen
werden.
Mittelhochdeutsch Übersetzung
Ich saz uf eime steine Ich saß auf einem (Felsen) Stein
Ich saz u feime steine, Ich saß auf einem Stein
Und dahte bein mit beine; Und schlug ein Bein über das andere Bein
32 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
Mittelhochdeutsch Übersetzung
Dar uf satzt ich den ellenbogen; Drauf stützte ich den Ellebogen,
Ich hete in mine hant gesmogen In meine Hand hatt´ ich geschmiegt
Daz kinne und ein min wange Mein Kinn und meine Wange
Do dahte ich mir vil ange, So dachte ich darüber nach,
Wie man zer werlte sollte leben: Wie man auf dieser Welt wohl leben sollte –
Derheinen rat kond ich gegegeben, Doch keine Antwort wusste ich darauf,
Wie man driu dinc erwurbe, Wie man drei Dinge so erwürbe und
beisammenhielt’,
Der dereinez niht verdurbe Dass keines wiederum verloren ginge:
Diu zwei sint ere und varnde guot, Die ersten zwei sind Ansehen und Besitz,
Der ietwederz dem andern schaden tuot, Welche sich oft schon gegenseitig stören,
Daz dritte ist gotes hulde, Das dritte ist Gottes Gnade,
Der zweier übergulde Von noch viel höherem Wert
Die wollte ich gerne in einen schrin Die würde ich gern in ein Gefäß tun –
Ja leider desn mac niht gesin, Doch leider, nein, es kann nicht sein,
Daz guot und werltlich ere Besitz und irdisches Ansehen
Und gotes hulde mere Und Gottes Gnade noch dazu,
Zesamene in ein herze komen Dass sie in einem herzen zueinander kommen
Stig unde wege sint in benommen Weg und Steg sind ihnen genommen,
Untriuwe ist in der saze, Verrat lauert im Hinterhalt,
Gewalt vert uf der straze; Gewalt zieht auf der Straße,
Fride unde reht sint sere wunt Frieden und Gerechtigkeit sind wund bis auf den Tod
–
Diu driu enhabent geleites niht, Haben die drei Dinge keinen Schutz,
Diu zwei enwerden e gesunt Eh diese beiden nicht wieder gesunden
Vergleichen wir diesen Text mit den Merseburger Zaubersprüchen, so werden einige, in
dem Zeitsprung von 300 bis 400 Jahren erfolgte Veränderungen in Sprache und Inhalt
deutlich. Auf zwei von ihnen sei hier hingewiesen.
Halten wir die Übersetzung auf der rechten Seite mit der Hand zu, fällt beim Lesen
des Originaltextes das Nachverfolgen des Inhaltes immer noch schwer. Aber es bleiben
in dieser mittelhochdeutschen Textprobe bedeutend mehr Stellen verständlich als im
vorangegangenen Beispiel der Merseburger Zaubersprüche. Und bei einer Reihe von
Worten finden wir nicht nur Ähnlichkeiten, sondern bereits vollständige Überein-
stimmung: Stein, Bein, Ellenbogen, zwei, leider, in, gerne, leben, wie, man, ich, wollte,
sollte.
Zur Zeit Walthers war die Kirchensprache, wie bereits angesprochen, nach wie vor
Latein. Aber es wird im vorgestellten Text wie auch in anderen seiner Lieder eine Ver-
1.2 Wirtschaftsrelevante Sprachthemen 33
änderung des Glaubensbezugs zum Christlichen deutlich. Gottes Gnade (gotes hulde)
tritt an Stelle von Wotans Künsten beim Knochenrenken in den Merseburger Zauber-
sprüchen.
Beispiel 3: Martin Luther – Übersetzung der Bibel vom Lateinischen ins Deutsche
Ein Hinweis vorab. Über Martin LUTHER, sein Leben, die Umstände seiner Bibelüber-
setzung und deren Bedeutung für die deutsche Sprache und den christlichen Glauben
existiert Literatur in wissenschaftlicher und künstlerischer Vielfalt und in einer Menge,
dass sie allein Bibliotheken füllt. Wenn wir uns hier streng an den Rahmen unserer Bei-
spiele halten, so nehmen wir von dem Anspruch Abstand, zu Weiterem und Neuem
beizutragen.
Martin LUTHER übersetzt das Neue Testament 1522. Die Gesamtbibel aus Altem
und Neuem Testament entsteht bis 1534. Für Protestanten Grundbuch ihres Glaubens,
für Deutsche ein Quell ihrer Sprache. Zwischen beidem besteht ein Zusammenhang.
Es glaubt sich besser und vor allem fundierter, wenn man die Schrift lesen und ver-
stehen kann, die diesem Glauben zugrunde liegt. Und das betraf, abgesehen von einer
des lateinischen mächtigen Kirchenelite weite Kreise des deutschen Volkes. Erstmals,
so lesen wir, gab es eine Bibelsprache, die auch durch Mägde und Knechte verstanden
wurde. Der LUTHER zugeschriebene Leitsatz „Man muss dem Volk aufs Maul schauen“
ist wohl auch in diesem Zusammenhang zu sehen. Auf ihn kommen wir später noch ein-
mal zurück.
Zunächst jedoch zur Einordnung der Bibelübersetzung in die deutsche Sprach-
chronik. Abb. 1.6 setzt den Beginn des Neuhochdeutschen auf 1650, wird aber durch
die Bemerkung ergänzt, dass teilweise dafür auch der Zeitraum um 1500 zu finden ist.
Beides wird richtig sein, da es sich bei der Entwicklung einer Sprachetappe hinein in
die nächste immer um einen längeren Korridor des Übergangs handelt, durch den Zeit-
tabellen lediglich künstliche Grenzen ziehen. LUTHERS Bibelübersetzung fällt zeitlich
in den Übergangsbereich hin zum Neuhochdeutschen. Er hat, so ist man sich einig, die
deutsche Sprache nicht neu erfunden, sie aber entscheidend mitgeprägt (vgl. Günther
2017). Konkretisiert man das auf das Neuhochdeutsche, so hat LUTHER diesem durch
seine Bibelübersetzung zur Durchsetzung verholfen. Dennoch hat die Entstehung
des Neudeutschen schon vor ihr begonnen, und seine Entwicklung dauert fort. Jacob
GRIMM bewertet diese „Entwicklungshilfe“ für die Entstehung des Neuhochdeutschen
sehr hoch, wenn er 1822 schreibt:
„Luthers Sprache muss in ihrer edlen, fast wunderbaren Reinheit, für Kern und Grundlage
der neuhochdeutschen Sprachniedersetzung gehalten werden.“ (Grimm, zitiert in Günther
2017)
Zur Zeit LUTHERs gab es in Deutschland drei große Sprachgebiete, die eine Vielzahl
verschiedene Einzelsprachen und Dialekte in sich vereinten: Das Oberdeutsch (u. a.
mit Bayerisch, Schwäbisch oder Fränkisch), das Mitteldeutsch (u. a. mit Pfälzisch,
34 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
Thüringisch, Sächsisch oder Erzgebirgisch) und das Niederdeutsch (u. a. mit Friesisch,
Schleswisch, Holsteinisch, Mecklenburg-Vorpommersch oder Niederpreußisch).
Eine Bedeutung der Bibelübersetzung lag darin, dass Luther nicht eine dieser
Sprachen und Dialekte privilegierte, sondern die verschiedenen Sprachdestinationen aus-
gewogen ansprach und so mit dem Wortschatz seiner Bibel maßgeblich zu ihrer Einung
beitrug.
Trotz einiger sprachlicher Überarbeitungen und Anpassungen trägt die heutige offizielle
Bibel-Ausgabe nach wie vor in hohem Maße die Handschrift LUTHERs. Da sich die
Sprache, auch die neudeutsche, in den letzten 500 Jahren natürlich weiterentwickelt hat,
ermöglicht ein Blick in die Bibel einen Einblick in Art und Umfang dieser Veränderungen.
„Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da
kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene
König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzu-
beten.“ (Bibel 2017)
„Gut drauf ist, wer Bock hat, rauszufinden, was Gott von ihm will, täglich, 24 Stunden.
Wer in seinen Verträgen liest Tag und Nacht und sich darüber voll den Kopf macht“ (Günter
2017; in: Zitat einer Volxbibel-Übersetzung von Psalm 1, Vers 2 (2014).
GÜNTHER stellt fest, dass die Volxbibel problematisch vereinfacht ist und mit der Mode
geht.
1.2 Wirtschaftsrelevante Sprachthemen 35
„Luther wollte, dass einfache Leute die Worte verstehen. Aber nicht, dass deren Unwissen-
heit das Niveau der Sprache bestimmt. Um etwas Wichtiges wie die christliche Botschaft zu
transportieren, braucht es eine niveauvolle, universelle Sprache, die nicht beliebig veränder-
bar ist. Sonst geht das Wesentliche kaputt.“ (Günther 2017)
Dem ist nichts hinzu zu fügen. Außer, dass die Erkenntnis dieses Zitats neben Bibel-
Übersetzungen auch für andere Bereiche unserer heutigen Sprache gilt. Worauf zurück-
zukommen sein wird.
Exkurs
Die Weimarer Klassik wird zeitlich meist an die Zeit von GOETHEs Italienreise
1786 bis zu seinem Tod 1832 gebunden. Personell fällt in diese Zeit die Freund-
schaft und Zusammenarbeit GOETHES mit WIELAND, HERDER und vor allem
mit SCHILLER. Die Sprache der Weimarer Klassik geht mit einer Zeit einher, in
der Deutschland politisch ein Flickenteppich war. Diese Kleinstaaterei spiegelte
sich auch in Zöllen, Gesetzen, Zahlungsmittel und Sprachnormen wieder. Die
Weimarer Klassik folgte vor diesem Hintergrund dem Ziel, Einheitlichkeit,
Regelung und formale Ordnung in der deutschen Sprache zu stärken. Inhaltliche
Werte der Weimarer Klassik sind Humanismus, Toleranz, Selbstbestimmung,
Ästhetik sowie das Zusammengehen von Kunst und Wissenschaft.
Faust I enthält die Geschichte des Dr. Faust, dessen geschichtliches Original in der Zeit
von 1480 bis 1538, also der Grenze vom Mittelalter zur Neuzeit lebte. Dort ist auch die
Handlung angesiedelt. Faust II wurde 1832, kurz nach GOETHEs Tod veröffentlicht.
Das Werk setzt Faust I mit einer weltgeschichtlichen Sichtweise fort, wird als gehalt-
voll und schwierig gleichermaßen bezeichnet und gilt gleichwohl als späte Krönung des
künstlerischen Schaffens GOETHEs.
Die Sprache im Faust markiert einen Höhepunkt der Weimarer Klassik. Sie ist
nicht einförmig, sondern angepasst an die Ausdrucksweise der sprechenden Personen.
Faust: komplex, zweifelnd und fordernd zugleich; Margarethe: naiv und einfach;
Mephistopholes: weltgewandt, sarkastisch, pointiert. Der Faust ist (bis auf Ausnahmen)
in Versform geschrieben. Wobei GOETHE zwischen verschiedenen Versformen und
Versmaßen mit virtuoser Leichtigkeit, wohl aber mit Berechnung in Bezug auf Personen
und Situationen, wechselt. Schauen wir uns das Beispiel des Osterspaziergangs mit
Illustration des umschaltenden Versmaßes durch eingefügte Großbuchstaben an:
36 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
6RPDQFKHQOXVWLJHQ1DFKHQEHZHJW 2 &
8QGELV]XP6LQNHQ¾EHUODGHQ 3 $
(QWIHUQWVLFKGLHVHUOHW]WH.DKQ 4 %
6HOEVWYRQGHV%HUJHVIHUQHQ3IDGHQ 3 $
%OLQNHQXQVIDUELJH.OHLGHUDQ 4 %
,FKK¸UHVFKRQGHV'RUIV*HW¾PPHO 5 $
+LHULVWGHV9RONHVZDKUHU+LPPHO 5 $
=XIULHGHQMDXFK]HQJUR¡XQGNOHLQ 6 %
+LHUELQLFK0HQVFKKLHUGDUILFKvVVHLQ 6 %
Die erste Großbuchstabenspalte kennzeichnet die Endungen und ihre Wiederkehr fort-
laufend. Die zweite portioniert den Text in Bündel wiederkehrender Endungen und
beginnt bei einem neuen Bündel wiederkehrend mit A. Zur besseren Visualisierung
dieser für unseren Zweck eingängigeren Variante wurden diese Bündel im Text optisch
getrennt.
In beiden Fällen aber sehen wir den gewandten Wechsel der Reimformen. Beginnen wir
mit dem vierzeiligen Knittelvers, dem Paarreim „AABB“, den wir am Ende des Oster-
spaziergangs mit den Endungen „Getümmel, Himmel sowie klein und sein“ finden. Auch
weiter oben treffen wir diese Formel an. Demgegenüber weist das zweite Textbündel
die Reimform ABAB (Kreuzreim) auf. Auf eigenständige Kombinationen, die wieder-
kehrende Endungen auch über mehr als vier Zeilen folgen lassen, trifft man im ersten,
vierten und fünften Textbündel.
Neben der im Faust gewählten Art und Form der Sprache hat GOETHE auch mit
seinen Inhalten die nachfolgende Sprache bis heute beeinflusst und bereichert. Heute
benutzen wir viele Alltagswendungen („Geflügelte Worte oder Sätze“), von denen wir
oft nicht in allen Fällen wissen, dass sie aus dem Faust stammen. Wohl kein anderes
literarisches Werk lebt in der heutigen deutschen Sprache in so vielen Redewendungen.
Das macht es wert, einige von ihnen festzuhalten.
38 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
Die zurückliegenden vier Beispiele sollen die Entwicklung der deutschen Sprache
flankieren und illustrieren. Exemplarisch. Und nicht im Sinne eines repräsentativen
Überblicks über die deutsche Literaturgeschichte. Aus diesem Grunde verzichten
wir auch auf eine sonst durchaus mögliche Weiterführung der Beispielkette über das
20. Jahrhundert in die Gegenwart hinein. Thomas Mann, Stephan Zweig, Günter Grass
oder der Georg-Büchner-Preis-Träger 2021, Clemens J. Setz, unterscheiden sich in ihren
Werken von denen der Weimarer Klassik und untereinander selbstverständlich in Stil und
Themen, nicht aber in der ihnen zugrunde liegenden Sprache, in ihren Worten und nur in
Ausnahmen in deren Schreibweise.
1.2.2 Anglizismen
Ein aktuelles, die deutsche Sprache – aber nicht nur diese – betreffendes und kontrovers
diskutiertes Thema sind die Anglizismen. Wir haben bereits an anderer Stelle darauf ver-
wiesen, dass es sich, was die Zuordnung betrifft, vor allem um den morphologischen Teil
1.2 Wirtschaftsrelevante Sprachthemen 39
Zunächst müssen wir das Thema der Anglizismen in einen breiteren Rahmen stellen.
Einflüsse von Sprachen untereinander, egal in welchem Verhältnis, sind nichts Neues
und in der Geschichte von Beginn an der Tagesordnung. Es ist die natürliche Folge von
Mobilität und Globalisierung. Seit Menschen in der Welt aufeinander treffen und mit-
einander umgehen – ob kriegerisch oder friedlich – durchmischen sich ihre Kulturen,
ihre Verhaltens- und Denkweisen. Und damit ihre Sprachen.
Wie wir aus Abschn. 1.1 wissen, trennen sich im Zuge der ersten Lautverschiebung
im 1. Jahrtausend vor Christi das Urgermanische, das Griechische und das Lateinische
voneinander. Und berühren sich dabei weiter. Römische Legionen und germanische
Stämme bekämpften sich, Germanen dienten als römische Söldner oder in römischen
Haushalten. Es gab Handel, und in Fremdenlegionen trafen vielfältige Kulturen auf-
einander. Auf diesem Wege kam es nachweislich sowohl zum Eindringen römischer
40 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
„Wie also wäre es, wenn wir uns aufrafften abzuwägen, zu unterscheiden zwischen schönen,
praktischen Importen, vor allem den knackigen Einsilbern wie Job, Start, Team, Sex – und
solchen, die ein pseudo-kosmopolitisches Imponiergefasel sind?“ ….Einer der Gründe
für die besondere Öffnung der Deutschen gegenüber Anglizismen ist, „weil Manager,
1.2 Wirtschaftsrelevante Sprachthemen 41
Wir haben die Zitate in ihrem Umfang, ihrer Drastik und ihrer kritischen Einseitig-
keit an den Anfang gestellt, um zunächst eines festzustellen: Im Gegensatz zu anderen
sprachlichen Minenfeldern sind die Anglizismen keines, das die öffentliche Meinung
in Befürworter und Gegner polarisiert. Äußerungen wie die oben zitierten, dominieren
und sind tendenziell repräsentativ. Zumindest in der Polemik. Freunde des „Denglisch“
schreiben keine Bücher oder Artikel, sie sprechen es einfach. Der Staat wird, im Unter-
schied zum Gendern nicht für sein Vorpreschen kritisiert, sondern aufgefordert, Riegel
vorzuschieben.
Während Abb. 1.6 in Abschn. 1.1 zeigt, dass sich der deutsche Sprachzweig von
dem griechischen oder lateinischen bereits 500 Jahre vor Christi abzweigte, erfolgte im
Rahmen des Westgermanischen die Trennung vom Englischen erst rund tausend Jahre
später.
Das mag einer der Gründe sein, warum im Gegensatz zum seit dem Mittelalter
beobachteten Einfluss anderer Sprachen (Lateinisch, Griechisch, Französisch) auf
den deutschen Wortschatz (und umgekehrt) erste Anleihen aus dem Englischen im
19. Jahrhundert registriert werden. Industrielle Revolution, Frühkapitalismus und Frei-
handel waren ein neuer Rahmen, in dem neue Begriffe entstehen mussten und natürlich
von dorther kamen, wo sie zuerst gebraucht wurden. Inzwischen fest in der deutschen
Sprache verwurzelte Wörter, sogenannte „Lehnwörter“, aus Industrie und Handel
wie Kartell, Partner, Standard, aus dem Verkehrswesen wie Lokomotive, Tunnel,
Waggon oder aus der Medienwirtschaft wie Essay, Reporter, Interview, werden dieser
42 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
vergleichsweise frühen Phase zugeordnet. Deutlich verstärkt hat sich der Einfluss
von Anglizismen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Neben dem sprachlichen
Mutterland England verstärkte sich dabei der sprachliche Einfluss aus Amerika. Die
Stationierung der Alliierten, die politische, wirtschaftliche, technische und militärische
Dominanz der USA wurde begleitet davon, dass die in Nachkriegsdeutschland zer-
rütteten Wertvorstellungen einen fruchtbaren Boden für den „American way of life“
abgaben. Und für die ihn begleitende Sprache. Um zu weiteren Erkenntnissen zu
gelangen, ist es sinnvoll, sich konkrete Wortbeispiele anzuschauen und zu versuchen, sie
zu strukturieren.
Aus verschiedenen Strukturoptionen soll hier die der verschiedenen Anwendungs-
welten gewählt werden, wobei der Einfachheit halber eine Beschränkung auf Substantive
erfolgt (s. Tab. 1.4).
Natürlich ist die Strukturierung willkürlich. Aber weitaus breiter und vielfältiger, als
Nationalitätengerichte und Redewendungen der Alltagssprache (sackgasse, kindergarten,
A. Lebensentwurf
Mit Globalisierung und Generationenwandel treten für einen größeren Teil der Weltbe-
völkerung – und mit Sicherheit auch der Deutschen – in stärkerem Maße hedonistische
Werte wie Freizeitgenuss, Abenteuer, Reiselust, Erfolg, Schönheit und Trendbewusst-
sein an die Stelle von Arbeitseifer, Disziplin und Strukturierung. Dem entspricht die
englische Sprache im Empfinden vieler Deutscher eher als die eigene. „Body“ hat mehr
Muskeln als „Körper“, „Spirit“ mehr Elan als „Schwung“ und „Team“ mehr Geist
als „Mannschaft“. Hierzu passen aus unserem Tableau Bereiche wie Kultur/Sport,
Jugend, Tourismus oder Medien. Und es erwächst bei den Anwendern von Anglizismen,
unabhängig davon, ob sie ihre (teilweise auch abweichende) Bedeutung verstehen, oder
nicht, der Drang, sich „cool“, „sexy“ und zeitgemäß zu geben. Mit vielen englischen
Wörtern verbinden sich auch im Deutschen Modernität, Dynamik, Weltoffenheit und
Jugendlichkeit. In der Arbeitswelt oft dazu noch Professionalität. Der Anglizismus als
Statussymbol.
Exkurs
Von einem „Blockbuster“ wird heute gerne gesprochen, wenn es sich um einen
Renner, einen Kassenschlager oder einfach um einen besonders erfolgreichen Film
handelt. Der eigentliche Ursprung des englischen Wortes stammt aus dem 2. Welt-
krieg und bezeichnet eine Fliegerbombe mit der Wirkung, ganze Wohnblöcke und
die darin lebenden Menschen zu zerstören. Wörtlicher Übersetzung: „Wohnblock-
knacker“.
44 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
B. Verkäuflichkeit
Eng mit dem Status-Grund hängen wiederum Marketing und Verkauf ab. Moderner Zeit-
geist, Jugend, Bildung und damit in der Regel Zahlungsfähigkeit suchen und finden
Anbieter in Zielgruppen mit Affinität zu Anglizismen eher als in anderen. Verkauft
werden im Marketing oft nicht Produkte, sondern Lebensentwürfe. Insofern kann es in
manchen Fällen, vor allem bei weltweitem Vertrieb, wirtschaftlich nachvollziehbar sein,
wenn in der Werbung Slogans (auf Deutsch am ehesten Motto, Wahlspruch, Parole) dem
Kunden auch in Deutschland englisch ansprechen. Gern werden dabei aber auch Bei-
spiele genannt, die bei den meisten Kunden in Deutschland missverständlich ankommen.
Der Douglas-Slogan „Come in and find out“ verleitet zum Verständnis hereinzukommen
und wieder zum Ausgang zu finden. Mitsubishis „Drive alive“ weckt weniger den
Gedanken an lebendiges Fahren als die Hoffnung, die Fahrt zu überleben. Und Sat 1
hat sich wohl auch deshalb von seinem „Powered by emotions“ getrennt, weil mancher
damit „Kraft durch Freude“ aus dem dritten Reich assoziierte. Heute heißt es „Sat 1
zeigt’s allen.“ Dass man mit Anglizismen punktuell und dosiert umgehen muss, und
in Zeiten von Übersättigung oft eine deutsche Ansprache mehr bewirkt, wissen kluge
Marketing-Profis. Beispiele sind bekannte Slogans für große Marken:
„Denglisch hat heute die Sprachschicht gewechselt…. Denglisch ist eindeutig zur Sprache
der Billigprodukte, der Billigunternehmen, der niedrigen Qualität geworden. Das heißt, wenn
Sie heute in eine Stadt kommen, dann sehen Sie deutschsprachig ein Volkswagenzentrum, das
ist fast in jeder Stadt so und wenn Sie dann aufs Dorf fahren, dann sehen Sie einen kleinen
Gebrauchtwagenhändler, der heißt ‚city cars‘.“ (Deutschlandfunk 2007)
1.2 Wirtschaftsrelevante Sprachthemen 45
E. Sprachökonomie
Schließlich, und dieses Querschnittsthema zieht sich über alle Anwendungsbereiche,
spielt in unserer schnelllebigen und wettbewerbsorientierten Zeit die Sprachökonomie
eine zunehmende Rolle. Das wollen wir wie folgt verstehen:
In der Wirtschaft würden wir von Produktivität als Verhältnis von Produktionsergeb-
nis und dafür erforderlichem Aufwand sprechen. Und offensichtlich hat das Englische
46 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
neben anderen Faktoren hier eine gute Position. Vergleichen wir aus den vielen bereits
genannten Anglizismen-Beispielen eine Auswahl mit ihren deutschsprachigen Anti-
poden. Und zwar nach dem Kriterium der Silbenzahl für ein gleichmeinendes Wort (s.
Tab. 1.5).
Von 20 ausgewählten Wörtern ist das englische in 14 Fällen kürzer, in 5 Fällen
gleichlang und in einem Fall länger als das deutsche. Es pegelt sich ein Durchschnitt
ein, der auf eine Silbe weniger für das dem deutschen gleichbedeutende englische Wort
hinausläuft. Das erscheint nach dem Gefühl repräsentativ für den Sprachvergleich.
Bei angenommenen zwei Silben pro deutschem Wort würde man für das englische die
Hälfte der Sprechzeit oder des Schreibplatzes benötigen. Bei drei Silben betrüge die Ein-
sparung immer noch ein Drittel. Bei aller Bedeutung der anderen genannten Faktoren:
Schneller das Gleiche sagen zu können, ist ein nicht unbedeutendes Motiv, Anglizismen
der deutschen Variante vorzuziehen. Denn in der eingesparten Zeit kann man Weiteres
sagen, oder etwas anderes zustande bringen. Dass das mehrheitlich als ein Grund für
die Popularität von Anglizismen gesehen wird, bestätigen die Ergebnisse einschlägiger
Umfragen. Auch hier sind wir aber bereits bei einem Berührungspunkt zur Wirtschaft
angekommen, zu dem wir in diesem Falle auf Kap. 3. dieses Buches verweisen. Nur ein
Gedanke sei im Vorgriff darauf und mit Blick auf den nachfolgenden Abschnitt erlaubt:
Von der Länge ihrer Wörter und damit (bei gleichem Inhalt) ihrer Texte ist die
deutsche Sprache aufwendiger als die englische. Das ist hinzunehmen, weil beide
Sprachen historisch so gewachsen sind. Ebenso, wie die im praktischen Sprachge-
brauch entstandene priorisierte Benutzung von Anglizismen. Dessen bewusst, sollten
hausgemachte Bemühungen, die deutsche Sprache wie durch Gendern weiter, und zwar
künstlich, zu verkomplizieren, doppelt gut überlegt werden. Aus sprachlichen und – wie
wir später sehen werden – auch aus wirtschaftlichen Gründen. Halten Anglizismen auch
aus dem Grund ihrer Einfachheit Einzug in die deutsche Sprache, dann werden sie das
umso mehr tun, je komplizierter letztere für ihre Sprecher wird. Das betrifft, wie schon
erklärt, auch das sogenannte Verwaltungsdeutsch, von dessen Ergründung wir hier
absehen und auf das wir später zurückkommen. In ihm werden die letzten Meter einer
vermeintlichen Sprachkorrektheit um den Preis von Einfachheit und Verständlichkeit
gewonnen.
Viele Gegner einer Flutung der deutschen Sprache mit Anglizismen haben lange den
französischen Staat der deutschen Politik als Musterbeispiel dafür vorgehalten, wie man
sich mit allen zu Gebote stehenden Mitteln dagegen wehrt.
Exkurs
Mit dem Ziel, die französischen Menschen und ihre Sprache zu schützen und Viel-
sprachigkeit in der Welt zu erhalten, hat die französische Regierung am 04.08.1994
das Loi relative a´ l’emploi de la langue francaise (Gesetz über den Gebrauch
der französischen Sprache) in Kraft gesetzt. In Verbindung mit dem Namen des
damaligen französischen Kulturministers Jaques Toubon ist es auch als Loi
Toubon bekannt. Vor allem im öffentlichen Französisch wurden englische Lehn-
wörter durch französische Alternativen ersetzt. Das betraf zum Beispiel Produkt-
bezeichnungen, Arbeitsverträge oder Werbetexte. In den meisten Fällen ist der
Versuch der nachträglichen Implementierung französischer Alternativen für sich
bereits im Sprachgebrauch befindende Anglizismen fehlgeschlagen. 2015 – rund
20 Jahre danach – hat sich die französische Regierung offiziell, aber geräuschlos,
von einem staatsgetragenen Sprachschutz verabschiedet. Dazu erklärte die damals
amtierende französische Kulturministerin Fleur Pellerin:
„Französisch ist nicht in Gefahr, und meine Aufgabe als Ministerin ist es nicht, nutzlose
Dämme gegen andere Sprachen zu errichten, sondern allen unseren Staatsbürgern die Mittel
zu geben, Französisch lebendig zu erhalten.“ (Die Welt 2015)
48 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
Wie stellt sich die deutsche Politik zu Anglizismen? Wohl auch mit Seitenblick auf das
sich damals in Umsetzung befindende französische Loi Toubon äußert sich der Deutsche
Bundestag 2007 zu Sprachwandel und Sprachpolitik in Deutschland. Dort heißt es:
„Es ist ungewiss, ob sich eine Sprachpolitik, wie sie in Frankreich praktiziert wird, auf
Deutschland übertragen ließe. Im europäischen Vergleich gehört Deutschland derzeit zu den
Staaten, die nur sehr gering auf die nationalen sprachlichen Verhältnisse Einfluss nehmen.
So enthält das Grundgesetz beispielsweise keinen Sprachartikel. Des Weiteren existiert
aufgrund der föderalistischen Struktur Deutschlands keine zentrale Steuerung des Sprach-
unterrichts an deutschen Schulen, sondern eine Kooperation der 16 Bundesländer (Kultus-
ministerkonferenz).“ (Deutscher Bundestag 2007)
In der Folge wird auf Vereine, Institutionen und Stiftungen verwiesen, deren Ziel es ist,
die deutsche Sprache zu schützen, zu pflegen und zu fördern. Damit sei jedoch keine
zentrale öffentliche Autorisierung verbunden, wie sie die Academie francaise innehabe.
Und es wird auf die durchwachsenen Erfahrungen mit der Einführung der deutschen
Rechtschreibereform von 1996 bis 1998 Bezug genommen.
Eine wichtige Rolle bei der Umsetzung jeglicher Sprachpolitik, auch bei den
Anglizismen, kommt mit Sicherheit den Schulen zu – staatlichen oder unter staatlicher
Schulaufsicht arbeitenden privaten. Hier haben wir aber bereits in der Positionierung
des deutschen Bundestages mit dem Verweis auf den Föderalismus zur Kenntnis
genommen, dass es auch in Bezug auf das Erlernen der deutschen Sprache eine nur ein-
geschränkt einheitliche Schulpolitik in Deutschland gibt. Damit stehen Länder, Schulen
und Lehrer vor eigenständigen Entscheidungen auch bei der Positionierung zu Anglizis-
men. Als Rahmenbedingung ist dabei neben nicht vorhandenen zentralen Vorgaben eine
Zielgruppe gesetzt, die mit ihrer Jugend grundsätzlich Anglizismen gegenüber auf-
geschlossener ist, und der selbst mit Verboten sowieso nicht beizukommen wäre. Im
Rahmen seiner Rede anlässlich des UNESCO-Tages der Muttersprache am 21.02.2007
übt der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Josef Kraus massive Kritik am
aktuellen Deutschunterricht.
Entgegen dem zunehmenden Gebrauch von Anglizismen „müssten die Schulen bei den
Heranwachsenden das Gefühl für die deutsche Sprache stärken und deren sprachliche
Kreativität fördern. Eine von vielen Möglichkeiten dazu sei es, mit den Schülern regelmäßig
um Wortschöpfungen zur Eindeutschung überflüssiger Anglizismen zu ringen.“ (Deutscher
Lehrerverband DL 2007)
Zusammenfassend bleibt, bei allen Nuancen, eines festzustellen: Staatliche Politik kann
ihre Meinung und bestenfalls Empfehlungen äußern, wie die Menschen sprechen sollen.
Sie wird (zurzeit) in Deutschland nicht als probates Mittel gesehen, dirigistisch und per
Gesetz in die Entwicklung der Sprache einzugreifen. Weder im Falle der Anglizismen
dagegen noch in anderen Fällen dafür. Das wird im folgenden Abschnitt zur Gender-
Debatte deutlich werden.
1.2 Wirtschaftsrelevante Sprachthemen 49
Aus dem Blick auf die Geschichte der deutschen Sprache unter Abschn. 1.2.1 ergeben
sich bereits einige interessante Erkenntnisse für das nachfolgend diskutierte aktuelle
Sprachthema der Genderisierung. Wir wollen drei davon festhalten.
1. Die Geschichte der deutschen Sprache geht nach heutigen Erkenntnissen auf etwa
7000 Jahre zurück. Entwicklungen und Veränderungen haben sich über Zeiträume von
Jahrhunderten vollzogen.
2. Es ist nichts davon bekannt, dass Staatswesen oder einzelne ihrer Vertreter Prozesse
wie die erste oder die zweite Lautverschiebung erfunden, initiiert oder beeinflusst
hätten. Was sich bei der Länge solcher Prozesse auch ausschließt. Sprache entwickelt
sich aus sich selbst heraus.
3. Die öffentliche Diskussion um die Genderisierung der deutschen Sprache gibt es in
ihren Anfängen seit knapp 40, verstärkt seit zehn Jahren.
Derart mit Demut ausgestattet, wollen wir uns diesem neuen Thema zuwenden.
Bevor wir zur grammatikalischen und argumentativ-polemischen Seite der Gender-
Debatte kommen, soll die Frage vorangehen, wo die Quellen für die Befürwortung
einer Gender-Sprache liegen, welche Rolle dabei der sehr viel länger währende Kampf
um Gleichberechtigung der Geschlechter spielt, und ob beides dasselbe ist. Oder
zugespitzter gefragt: Ist die Gender-Sprache das einzige oder das wichtigste Instrument
im Kampf um Geschlechtergleichheit? Ist Ablehnung der Gendersprache identisch mit
Gleichberechtigungsgegnerschaft?
Übereinstimmung besteht zweifellos darin, dass das Ziel der Gleichheit zwischen
Männern und Frauen, oder der Gleichheit zwischen den Geschlechtern, was ein noch
breiteres Spektrum impliziert, das Übergreifende und Unstrittige ist, und deshalb am
Anfang aller Überlegungen stehen muss.
Erstens – Frauenwahlrecht Der Kampf um das Frauenwahlrecht bestimmte die Ziele der
deutschen Frauenbewegung in der zweiten Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts.
Sein Erfolg war die Einführung dieses Rechts durch den Rat der Volkskommissare 1918.
Viertens – „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ Dieses Prinzip geht auf ein Urteil des
Bundesarbeitsgerichts 1955 zurück, in dem der Gleichberechtigungsgrundsatz der Ver-
fassung auch auf das Prinzip der Lohngleichheit von Mann und Frau bei gleicher Arbeit
anzuwenden ist. Gleichwohl hat es seitdem und bis heute keine nennenswerten Ver-
besserungen gegeben. Frauen verdienen nach wie vor deutlich weniger als Männer. Die
Lücke („Gender Pay Gap“) betrug 2020 18 % (Statistisches Bundesamt 2021).
„Der Rat für deutsche Rechtschreibung bekräftigt in seiner Sitzung am 26.03.2021 seine
Auffassung, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll
und sie sensibel angesprochen werden sollten. Das ist aber eine gesellschaftliche und gesell-
schaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen in
der Rechtschreibung gelöst werden kann.“ (Rat für deutsche Rechtschreibung 2021)
Das ist unbestritten richtig, ändert aber nichts daran, dass es sich um eine Empfehlung
mit dazu noch einem großen Handlungskorridor handelt, in dem die einen vorpreschen,
andere auf die Bremse treten und beide streiten. In dieser aktuellen Situation befinden
wir uns. Auch wenn der Rat seine Empfehlungen durch eine erweiterte Fassung von
Kriterien einer geschlechtersensiblen Schreibung untersetzt:
• sachlich korrekt
• verständlich und lesbar
• vorlesbar
• rechtssicher und eindeutig
• übertragbar (im Hinblick auf deutschsprachige Länder)
• konzentrierbar auf das Wesentliche
• erlernbar
Und an dem zu großen Streitkorridor ändert auch nichts, wenn der Rat in den letzten
Jahren in einzelnen öffentlichen Bereichen verfügten Vorgaben wie „Asterisk
(Gendersternchen), Unterstrich, Doppelpunkt und anderen verkürzten Zeichen“ die
Fähigkeit, diese Kriterien zu erfüllen, abspricht. Oder wenn er erklärt, dass deshalb diese
Zeichen „zum jetzigen Zeitpunkt nicht ins amtliche Regelwerk aufgenommen werden“
(Rat für deutsche Rechtschreibung 2021).
1. Er ist älter und breiter als seine Ausrichtung auf generisches Maskulinum partizipale
Substantive, Sterne, Punkte oder Striche. Die Dominanz letzterer in den Medien und
der öffentlichen Diskussion ist kopflastig und drängt andere Aspekte zur Seite.
2. Der noch weite Weg zur Gleichstellung von Mann und Frau bezieht sich vor allem auf
gleiche Verteilung von Arbeit (Beschäftigtenquote, Teilzeitquote), gleiche Einkommen
für gleiche Arbeit (Gender-Pay-Gap), Anteil an Führungspositionen, familienfreund-
liche Arbeits- und Lebensbedingungen oder Schutz vor häuslicher Gewalt.
3. Gendern in der Sprache ist nicht das einzige und nicht das wichtigste Kriterium
dafür, wie ernst die Gleichstellung der Geschlechter genommen wird. Es lässt
sich womöglich leichter administrieren als Fortschritte in den anderen genannten
Bereichen. Man darf den Sack nicht schlagen, wenn man den Esel meint.
Bisher haben wir der Gendersprache einen Platz im großen Rahmen der Kriterien von
Gleichberechtigung und des Kampfes um sie zugeordnet. Oder genauer: Nicht der
Gender-Sprache, sondern einer geschlechtergerechten Sprache – was nicht dasselbe ist,
und zu der im Unterschied zur Gender-Sprache allgemeiner Konsens besteht. Allerdings
eben auch Unklarheit, was konkret darunter zu verstehen ist, und was nicht.
Was ist nun eigentlich die grammatikalische Seite dessen, was als Gender-Sprache
diskutiert wird? Im Mittelpunkt der Kritik der Gender-Befürworter steht das im bis-
herigen Neuhochdeutsch gesprochene und geschriebene generische Maskulinum.
Einzelperson auch als unter die Bezeichnung fallende Personen aller Geschlechter
gleichermaßen verstanden und benutzt wird.
Zweitens Verdeutlichen wir das an einem Beispiel. Auf eine männliche Person aus-
gerichteter Bezug: „Mein Bruder hat sein Auto in der Werkstatt und ist heute Fußgänger.“
Geschlechtsneutral ausgerichteter Bezug(Singular): „Bei einem Zusammenstoß ist der
Fußgänger gegenüber dem Autofahrer immer der zweite Sieger.“ Geschlechtsneutral aus-
gerichteter Bezug (Plural): „Die Fußgänger waren während des Gewitters alle von der
Straße verschwunden.“ An den Plural-Bezug sind auch zusammengesetzte Wörter wie
„Fußgängerampel“, „Fußgängerüberweg“ oder „Fußgängerbrücke“ gekoppelt.
Drittens Häufig verwendete generische Maskulina sind weiter unter anderem Student,
Arzt, Lehrer, Mitarbeiter, Steuerzahler, Zuschauer, Ansprechpartner, Radfahrer, Bürger.
• „Doch deine Boten, Herr, verehren das sanfte Wandeln deines Tags.“ (265/66)
• „Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt, Dass Blüt’ und Frucht die künft’
gen Jahre zieren.“ (310/11)
• „Es irrt der Mensch, so lang er strebt.“ (317) (Goethe 2021)
Alternativen wären, wie wir später sehen wären, „Boten und Botinnen“ oder „Garten-
arbeit Verrichtende“.
Zu den Quellen von Literatur, in denen wir auch heute in überwiegender Mehrzahl
auf das geschlechtsneutral verstandene generische Maskulinum treffen gehören unter
anderem:
A. Belletristik
Weil die Quellenangabe in diesem Falle nicht begleitende Formalität, sondern Gegen-
stand ist, durchbrechen wir bei den folgenden stichprobenartigen Beispielen die Form
des Buches und ziehen sie aus dem Literaturverzeichnis in den Text selbst vor.
Erstes Beispiel ist die Gewinnerin des deutschen Buchpreises 2021, Antje Ravik
Strubel, mit ihrem Buch „Blaue Frau“.
„Es gibt die Kinder der Touristen, die den ganzen Tag mit Snowboards auf der
Piste sind…“ „Abends herrscht viel Betrieb vor der Bude. Skifahrer mit roten
Irokesenkämmen und Hasenohren auf den Helmen, Spaziergänger und Snow-
boarder.“ (Strubel 2021, S. 12, 24).
54 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
Es schließen sich mit Julie Zeh (Über Menschen) und Jessica Winter (Das Gewicht von
Seifenblasen) eine deutsche bzw. österreichische Erfolgsautorin der letzten Jahre an.
Wichtig
„Wenn sie einen Landhausgarten besitzt, werden Freunde aus Berlin am
Wochenende zu Besuch kommen….“ „Dora wusste gar nicht, dass sie zu einem
Publikum gehört. Wer sind die Schauspieler?“ (Zeh 2021, S. 8, 11).
„Eigentlich dachte ich bisher, ich hätte viele Freunde…“. „‚Mit diesem Arzt-
blick.‘ ‚Haben Ärzte denn einen bestimmten Blick?‘“ „Junge Medizintechniker,
die manchmal Gefahr laufen, nur die Technik zu sehen…“ (Winter 2020, S. 135,
140, 177).
Mit „Der Zorn des Oktopus“ schließt ein aktueller Klima-Thriller über Kraken und
Quantencomputer zweier älterer Autoren mit auch anderen beruflichen Profilierungen an:
Dirk Roßmann (Unternehmer) und Ralf Hoppe (Journalist).
Auch in der Fachliteratur ist die Benutzung und damit Befürwortung des generischen
Maskulinums die Regel. Exemplarisch zwei Beispiele aus dem Vorwort der 2017er Auf-
lage der VWL-Legende Paul A. SAMUELSON.
B. Zeitungen/Zeitschriften
Regel ist das generische Maskulinum auch in den deutschen Zeitungen und Zeitschriften.
Hier beschränken wir uns auf drei aktuelle Beispiele. Ebenfalls mit direkter Quellenangabe.
Wichtig
„Der Berliner Bürger ist leidgeprüft.“ „Abstand zu anderen Passagieren zu halten,
…ist unmöglich.“ „Den einzelnen Bahnmitarbeiter oder Verwaltungsbeamten
trifft keine Schuld…“ „Während die Pflichten des Bürgers und privater
Unternehmen immerwährend anwachsen, sinkt gleichzeitig die Leistungsfähigkeit
des Staates beständig.“ „Bis 2029 erreicht jeder dritte Beschäftigte des öffentlichen
Dienstes in Berlin das 65. Lebensjahr.“ (Both 2021, S. 23).
1.2 Wirtschaftsrelevante Sprachthemen 55
Das hier wiedergegebene Bild ist Ausdruck einer freiwilligen Nichtanwendung der
Gender-Sprache in der (recherchierten und hier daraus exemplarisch ausgewählten)
Literatur und Presse. Weil davon auszugehen ist, dass Nicht-Gendern kein Ausdruck von
Freude am Diskriminieren und an Ungerechtigkeit ist, muss es andere Gründe geben.
Und diese liegen zweifellos in dem, was anderenfalls mit der Sprache in den betreffenden
Texten geschähe. Sie würde länger, komplizierter und unleserlicher werden. Was im
Interesse keines privatwirtschaftlich am Markt agierenden Mediums oder Autors sein kann.
Ziehen wir zunächst den Strich unter das vorgestellte generische Maskulinum – das
zentrale Ziel der Kritik von Befürwortern der Gender-Sprache. Und rufen wir, bevor
dafür präferierte grammatikalischer Alternativen ins Spiel kommen, ein grafisches
Gesamtbild auf, das alle Varianten optionaler Personenbezeichnungen in einem über-
sichtlichen System erfasst (Abb. 1.7).
Zu Abb. 1.7 zunächst drei Kommentierungen.
Erstens Personen generisch bezeichnend, das sagt uns unsere Erfahrung, sind in der
Mehrzahl Maskulina, aber nicht nur. Bekannte generische Feminina sind neben der in
Abb. 1.7 gewählten „Koryphäe“ unter anderem „Person“, „Waise“ oder „Geisel“. Es ist
nicht bekannt, dass bei Sätzen wie „Personen ohne Fahrausweis müssen Strafe zahlen“
oder „Robin Hood ist der Rächer der Enterbten und der Beschützer von Witwen und
Waisen“ nur jeweils weibliche Vertreter gemeint sind. Deshalb setzt Abb. 1.7 in diesen
Spalten nicht fort, sondern nur beim angefochtenen generischen Maskulinum.
Zweitens Die Alternativen zum Generischen Maskulinum und damit die Alternativen
einer Gender-Sprache teilen sich erstens in solche, die den Kriterien des Rates für Recht-
schreibung (z. B. Lesbarkeit, Verständlichkeit, Vorlesbarkeit) nicht widersprechen,
aber die Sprache verlängern, verkomplizieren oder, wie viele meinen, ihrer Ästhetik
berauben. Das betrifft die noch zu erklärenden partizipialen Substantive, das Splitting
und auch die Vermeidung üblicher Wörter (Mitarbeiter) und die Flucht in Alternativen
(Belegschaft, Personal, Kollegium). Und sie teilen sich zweitens in Formen, die zwar die
Sprache nicht bemerkenswert länger machen, aber mit Blick auf die genannten Kriterien
vom Rat für Rechtschreibung in Zweifel gezogen werden. Und darüber hinaus bisherige
56 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
Grenzen deutscher Grammatik überschreiten. Das sind die in Abb. 1.7 gezeigten Gender-
Zeichen in ihrer geschriebenen und gesprochenen Vielfalt (letzte Zeile).
Drittens Die deutsche Sprache befindet sich aktuell in einer Situation, in der sich
– unabgestimmt, unkoordiniert und ungesteuert – Sprachpraxis quer durch alle in
Abb. 1.7 zusammengefasste Felder bewegt. Von der bereits an konkreten Fällen
gezeigten Fortbenutzung des generischen Maskulinums (hierzu wurden bereits Bei-
spiele aus Literatur und Presse zitiert) über ausnahmslos alle Formen des Genderns.
Von den grammatikalisch unbedenklichen aber komplizierten partizipialen Substantiven
oder Splittings bis zum Vorpreschen zu den durch den Rat für Rechtschreibung nicht
empfohlenen Gender-Zeichen. Beispiele hierzu folgen an anderer Stelle. Dort werden
wir sehen, dass die Impulse vor allem aus Verwaltung, Institutionen und dem uni-
versitären Bereich kommen. Und dass Anwendungen oft nicht durchgängig Texte
prägen, sondern sich dort, wo sie in ihrer Fülle nicht durchzuhalten sind, mit generischen
Maskulina mischen.
So, wie zurückliegend das generische Maskulinum aus grammatikalischer Sicht
erklärt wurde, soll es nun die im Gendern alternative Form des partizipalen Substantivs
erfahren.
Oder des substantivierten Partizips. Was dasselbe ist. Beginnen wir von vorn. Es gibt
Verben. Auf Deutsch Tätigkeitswörter. Wählen wir zur Weiterverfolgung vier aus.
Befürwortung Ablehnung +
Alternaven
Das ist grammatikalisch nachvollziehbar. In den meisten Fällen bleibt der ursprüng-
liche sachliche Gehalt des Verbs erhalten. Bei spielen und spielend ist es schon etwas
anders. Das Verb „spielen“ kann sich auf Kinder im Sandkasten ebenso beziehen wie
den Pianisten auf der Bühne. „Spielend“ ist im Textzusammenhang schwerpunktmäßig
anders festgelegt. Auf „leicht machbar“: „Das kriegt der doch spielend hin“.
Hier kommen wir zum Kern. Für das partizipale Substantiv spricht im Rahmen der Gender-
Optionen, dass es nicht durch diverse Zeichen das Textbild verstümmelt oder durch
geschlechterbedingte Mehrfachnennung aufbläht. Dagegen spricht, dass es a) für viele
die deutsche Sprache beschädigt, b) bei der unüberblickbar großen Vielzahl generischer
Maskulina einer erklären muss, wo die Aktion anfängt, und ob oder wo sie Grenzen hat, c)
sichtbarer als bei Schritt C wird, wie die Transformation nicht nur zu einer anderen Sprach-
ästhetik, sondern auch zu in vielen Fällen veränderten inhaltlichen Aussagen führen.
„Studenten“ ist ein fester personeller Status. „Studierende“ sind auch Personen. Aber
solche, die gerade eben studieren. Gerade eben, weil die Form aus dem Partizip (dem
Präsenspartizip) entlehnt ist. Das können aber auch vier ältere Damen sein, die gerade
die Speisekarte eines Kaffeehauses studieren. „Spielende“ können alle möglichen
Akteure sein, die gerade eben mit der Sandschaufel, der Geige oder der eigenen Gesund-
heit spielen. Das Wort „Spieler“ ist in der Regel auf Menschen festgelegt, die in ver-
schiedenen Lebenssituation leichtfertig und auf glücklichen Zufall setzend entscheiden.
Als „Versager“ im Sinne von Verlierer oder „Looser“ wird wiederum eine besondere
Menschengruppe bezeichnet. Und nicht fünf von zehn Prüflingen (müsste im Gender
heißen: „Geprüft Werdende“), die bei einer Multiple-Choice-Aufgabe nicht wissen,
für welchen Buchstaben sie sich entscheiden sollen. Und Radfahrer sind Menschen,
die dauerhaft und nachhaltig das Verkehrsmittel Fahrrad benutzen. Und nicht als „Rad-
fahrende“ solche, die man gerade vorbeiradeln sieht.
Die vier bisher betrachteten generischen Maskulina haben noch eines gemeinsam.
Sie lassen sich durch ein partizipiales Substantiv ersetzen, das wenigstens noch aus
einem Wort besteht. Anders ist das bei „Schülern“, „Winzern“ oder „Astronauten“. Da
brauchen wir schon zwei oder mehr Worte. „Beschult Werdende“ – bei den anderen
wird´s noch komplizierter. Ist aber für manchen Sprachpionier keine Hemmschwelle,
sich daran zu versuchen.
Schließlich gilt es noch auf einige partizipale Substantive hinzuweisen, die es in die
deutschen Sprache geschafft haben. Aber seit langem und von allein. Die dazu gehören
und nicht erfunden wurden. Es sind allerdings bei Durchsicht des Dudens nicht viele:
Zum Beispiel „Vorsitzende“. Da hat noch nie jemand „Vorsitzer“ gesagt. „Ratsuchende“
hat sich in der deutschen Sprache etabliert und nicht „Ratsucher“. „Wissende“ und
nicht „Wisser“. Aber dann schon wieder „Besserwisser“…. Ein Beispiel, wie ein
partizipalisches Substantiv den Weg in die deutsche Sprache auch durch staatliche Unter-
stützung gefunden hat, ist die Ablösung von „Lehrlinge“ durch „Auszubildende“ im
Berufsbildungsgesetz (BBiG) bereits 1969.
So, wie es die bereits vorgestellten Beispiele zur aktuellen Anwendung des
generischen Maskulinums sollen im Folgenden auch einige Quellen und Beispiele für
die Nutzung alternativer Formen der Gender-Sprache gezeigt werden.
1. Oft wird als ein Pilotprojekt für genderisiertes Amtsdeutsch die Straßenverkehrs
ordnung von 2013 genannt. Schauen wir in den Text, so finden wir sowohl das eine
als auch das andere. § 23 ist mit „Sonstige Pflichten von Fahrzeugführenden“ über-
schrieben, § 25 mit „Fußgänger“ und § 26 mit „Fußgängerüberwege“.
2. Ein Beispiel aus letzter Zeit ist die Einführung einer an Gender angepassten Rechts-
sprache durch das sächsische Justizministerium. Dazu heißt es in einer Medien-
information vom 07.07.2020:
„Die Sächsische Staatsregierung hat heute im Kabinett beschlossen, dass Gesetze und
Rechtsverordnungen im Freistaat Sachsen künftig in einer geschlechtergerechten Sprache
formuliert werden. …. Bisher wurde in Normtexten durchweg das sogenannte generische
Maskulinum verwendet. So ist zum Beispiel in sächsischen Gesetzen ausschließlich vom
Staatsminister und nicht von der Staatsministerin oder von Schüler und nicht von Schülerin
die Rede. Sie waren immer mitgemeint, wurden aber nicht immer mit gedacht. Künftig sollen
Frauen und Männer in Gesetzen gleichberechtigt sichtbar werden.“ (Freistaat Sachsen 2020)
Gremien zur deutschen Sprache Es gibt für die Bewahrung und Entwicklung der
deutschen Sprache zahlreiche Gremien. Mehrheitlich bekennen sie sich zum Gendern,
wenngleich in unterschiedlicher Art und Entschiedenheit. Der Rat für deutsche Recht-
schreibung mit einer ausgewogenen-moderierenden Rolle, die Gesellschaft für deutsche
Sprache, das Goethe-Institut und der Duden mit einer deutlichen Befürwortung. Der Ver-
ein Deutsche Sprache und die Stiftung Deutsche Sprache ihrerseits distanzieren sich von
einer Gender-Sprache, der Verein mit teils vehementer Ablehnung.
Parteien Deutsche Parteien im Bundestag bekennen sich allesamt zur die Gleich-
stellung der Geschlechter, sehen aber die Gender-Sprache in unterschiedlichem Maße
als geeignet, dieser zu dienen. Das zeigt sich beispielhaft an ihren Wahlprogrammen
für die Bundestagswahl 2021. SPD, Grüne und Linke benutzen in ihren Texten durch-
gängig den Gender-Stern, die FDP gendert ebenfalls durchgängig, aber mit der Paar-
form. Die CDU schreibt unter Verzicht auf Gender-Sprache nahezu ausschließlich im
generischen Maskulinum. An wenigen Stellen, zum Beispiel bei „Soldatinnen und
Soldaten“ erscheint die gendernde Paarform. Die AfD verzichtet bekennend vollständig
auf Gender-Sprache.
60 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
Kirche Bemerkenswert und dabei in eigenen Kreisen nicht unumstritten ist die
betont zustimmende Haltung der Kirche in Deutschland zu einer praktizierten Sprach-
veränderung hin zum Gendern. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD) beschloss im Juni 2020 die Einführung der „geschlechtergerechten“ Sprache
für ihre öffentliche Kommunikation und lässt dabei die Wahl der Formen offen. Ein
Jahr später, im April 2021, stimmt das Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) der Ein-
führung des Gendersterns zu. Die katholische Jugend (Katholische junge Gemeinde/
KjG, Katholische Studierende Jugend/KSJ) geht noch weiter. Sie erwägt oder praktiziert
bereits die Ergänzung des Gottesbegriffs um den Genderstern.
Universitäten Ihnen wird eine besonders aktive Rolle als Quellen und Initiatoren
einer gegenderten deutschen Sprache zugeschrieben. In einem Leitfaden der Ludwig-
Maximilian-Universität München (LMU) stellt deren Universitätsfrauenbeauftragte
fest, dass trotz angestrebter sprachlicher Gleichbehandlung der Geschlechter in der uni-
versitären Sprache nach wie vor das generische Maskulinum auftaucht. Demgegenüber
müssten Frauen in der Sprache explizit sichtbar gemacht werden. Nach vorangestellten
Hinweisen, beispielsweise zur Vermeidung von Rollenklischees wie „Milchmädchen-
rechnung“ kommt der Leitfaden zu einer klaren Orientierung zu entweder Paar-
formen (Studentinnen und Studenten) oder genderneutralen Personenbezeichnungen
(Studierende). Auch durch veränderte Wortwahl könne Geschlechterneutralität her-
gestellt werden: Statt „Alle Mitarbeiter“ „Alle Beschäftigten“. Statt „Es gab 20 Teil-
nehmer“ „Teilgenommen haben 20 Personen“. Statt „Lehrer“ „Lehrkräfte“. Statt
„Studentenvertretung“ „Vertretung der Studierendenschaft“.
„Eine geschlechtergerechte Sprache ist dabei weder umständlich noch unnötig lang, wenn
die richtigen sprachlichen Strategien verfolgt werden. Natürlich bedarf es aber der Bereit-
schaft, sich von ein paar bestehenden Formulierungsgewohnheiten zu verabschieden und
mit der Sprache bewusst und kreativ umzugehen. Das fängt bereits bei der Konzeption eines
Textes an.“ (LMU 2011)
„‚Wir sind ein Freistaat und kein Umerziehungsstaat, bei uns zählt der gesunde Menschen-
verstand.‘ Er wolle zwar Sensibilität und Respekt bei der Sprache, ‚aber das muss doch
am Ende jeder selber entscheiden, was er sagt.‘….. Tatsächlich wurde der Wissenschafts-
minister bereits aktiv in dieser Sache. Auf BR-Anfrage stellte Sibler dar, die Inhalte der
Gender-Leitfäden dürften grundsätzlich nicht zu einer Benachteiligung der Studentinnen
und Studenten bei der Bewertung von Prüfungen oder bei Auswahlentscheidungen führen.“
(Bayerischer Rundfunk 2021)
Hier wird interessanterweise und beim Gender-Thema eher unüblich nicht etwas von
„oben“ nach „unten“ durchgedrückt, sondern einem Druck aus der „Mitte“ nach „unten“
von „oben“ gegengesteuert.
Fassen wir hier zunächst noch einmal die Grundpositionen von Gender-Befürwortern
und Anhängern der bisherigen Sprachpraxis zusammen und illustrieren diese durch aus-
gewählte Argumentation im Meinungsstreit.
„Der Band will Leserinnen und Lesern den Einfluss von Sprache auf die Wahrnehmung
von Geschlechtsrollen bewusst machen und sie für das Problem sprachlicher Stereotype
sensibilisieren, um Verbesserungsmöglichkeiten erkennen zu können, Kindern und Jugend-
lichen Chancengleichheit zu ermöglichen und Diskriminierung zu begegnen.“ (Elsen 2019)
a. Eine gegenderte deutsche Sprache bringt die von allen gewollte Geschlechterge-
rechtigkeit und Nichtdiskriminierung nicht voran, sondern verlagert die notwendige
Kraft auf Nebenschauplätze.
b. Das generische Maskulinum ist sehr wohl in der Lage, beim Sprechen und Hören den
Bezug auf alle Geschlechter gleichermaßen zu assoziieren.
c. Das Gender-Deutsch deformiert die über Jahrhunderte gewachsene deutsche Sprache.
d. Das Argument, Sprache sei immer Veränderungen unterworfen, gilt in diesem Falle
nicht. Da ging es immer um eine Entwicklung aus sich selbst heraus und nicht um
eine aprupte, konstruierte, von oben administrierte, erzwungene Neuschöpfung.
Zu den renommierten Vertretern einer klaren Sprache gegen Gendern in der deutschen
Sprache gehört Peter EISENBERG – emeritierter Professor für deutsche Sprache der Gegen-
wart, Inhaber zahlreicher Auslandsprofessuren, Träger des Deutschen Sprachpreises, des
Konrad-Duden-Preises und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
„Wenn in der Zeitung steht: ‚Die deutschen Steuerzahler und besonders die Autofahrer
werden wieder einmal zur Kasse gebeten‘, dann versteht jeder, dass Personen bestimmter
Art bezeichnet sind, unabhängig vom natürlichen Geschlecht: Heterosexuelle, Homo-
sexuelle, Transsexuelle, Intersexuelle sowie Personen mit überhaupt keiner sexuellen
Orientierung sind in gleicher Weise Steuerzahler. Niemand ist sprachlich diskriminiert.
Statt zu akzeptieren, dass unsere Sprache alles hat, was man zur Vermeidung von Dis-
kriminierung durch das Geschlecht braucht, wird von Ideolog*innen in Machtposition ein
Stellvertreterkrieg entfacht, der die Sprache verhunzt.“
„Wenn wir dafür sorgen, dass es in Zukunft mehr Dirigentinnen, Richterinnen,
Pfarrerinnen und Filmemacherinnen gibt als jetzt, tun wir etwas für die Gleichstellung aller
in der Gesellschaft. Das soziale Geschlecht vieler Personengruppen wird sich dann ver-
ändern, und falsch bewertete Assoziationstests werden überflüssig. Über einen Krieg gegen
das generische Maskulinum erreichen wir das mit Sicherheit nicht.“ (Eisenberg 2018a, b)
Unterstützung findet eine solche grundsätzliche Position aus einer journalistischen Ecke,
aus der man sie womöglich nicht vermutet. Von der taz – einer als grün links und system-
1.2 Wirtschaftsrelevante Sprachthemen 63
„Es hat in der Geschichte sowohl fiktive als auch reale Versuche gegeben, Sprache von
oben zu manipulieren, um dadurch Menschen zu beeinflussen und ihre Eigenständigkeit zu
unterdrücken. … Die Sprachentwicklung in Deutschland ist partizipativ, sie vollzieht sich
unkontrolliert im lebendigen Dialog der Sprachgemeinschaft. Das ist ein hoher freiheit-
licher Wert. … Der Widerstand gegen das Gendern richtet sich gegen die aufgezwungene
Sprachpolitik und ist nicht gleichzusetzen mit der Ablehnung von Diversität, Gleich-
stellung und Diskriminierungsfreiheit. Diese Werte sind mittlerweile konsensfähig… Die
Gender-Befürworter vertreten sie nicht exklusiv … Doch die zunehmende Verdrängung des
generischen Maskulinums durch die geschlechtergerechte Sprache zwingt zur Präzisierung
und stellt das Geschlecht in den Vordergrund – auch da, wo es eigentlich keine Rolle spielen
sollte. Die generische Form ist demgegenüber nicht nur praktischer, sondern auch weniger
sexistisch.“ (taz 2021)
Genau bei diesem letzten der breitgefächert aufgeführten Aspekte wollen wir noch ver-
weilen und ihn an eine Autorin weiterreichen, die diesen Gedanken in ihrem Gastbeitrag
für den Tagesspiegel in den Mittelpunkt stellt: Nele POLLATSCHEK, promovierte junge
deutsche Literaturwissenschaftlerin und Philosophin mit jüdischer Identität und Autorin
preisgekrönter Bücher. In dem Beitrag liefert sie zunächst Munition gegen gängige Argu-
mente der Gender-Gegner, um am Ende ihre eingangs erwähnte spezielle Position zu
erklären, mit der sie sich denen selbst zurechnet.
„Ich gendere nicht, ich möchte nicht gegendert werden, gerade weil ich weiß, wie Dis-
kriminierung sich anfühlt. Und ich weiß, dass die allermeisten Argumente gegen das
Gendern falsch sind. Falsch ist es zum Beispiel, zu behaupten, dass sich Wörter wie
„Student*innen nicht aussprechen ließen. Wer „Theater“ korrekt aussprechen kann, mit
einem glottalen Verschlusslaut, also „The – kurze Pause – ater“ und nicht von „Thejater“
spricht, kann auch „Student-kurze Pause-innen“ aussprechen. Auch ist falsch, dass das
Gendern nicht schön sei. Wer denkt, dass bei der zwischenmenschlichen Kommunikation
Schönheit wichtiger sei als Gerechtigkeit, der rettet auch einen Ertrinkenden nicht, weil das
ganz hässliche Wasserflecken auf dem Jachtdeck gibt. Am falschesten, dass die deutsche
Sprache irgendwie vor Wandel geschützt werden müsse. Alle Argumente dieser Art bitte nur
auf Althochdeutsch verfassen. Im Grunde gibt es nur ein einzig wirklich gutes Argument
gegen das Gendern: Es ist leider sexistisch. … Gendern ist eine sexistische Praxis, deren
Ziel es ist, Sexismus zu bekämpfen. Die Durchsetzung ‚geschlechtergerechter‘ Sprache
scheint hierzulande manchmal als die eigentliche Kernaufgabe des Feminismus. Zumindest
verzeichnet der moderne deutsche Feminismus hier seine größten Erfolge: mag sein, dass
die Gender-Pay-Gap seit 25 Jahren ziemlich konstant bei 20 Prozent liegt – Deutschland ist
Europavizemeister im Frauen-schlechter-bezahlen, nur Estland ist noch schlimmer. Immer-
hin wird im sächsischen Justizministerium jetzt gegendert.“ (Pollatschek 2020)
6%
Sehr wichg
15%
18% Eher wichg
Eher unwichg
34%
27% Sehr unwichg
Erstens Die Gesamtbefragung ergibt in Tab. 1.6 mit 65:26 (9 % keine Angabe) ein deut-
liches Übergewicht der Ablehnung von Gendern gegenüber Zustimmung zum Gendern.
Bemerkenswert ist, dass dieses Übergewicht – in welchen Proportionen auch immer –
alle Kategorien der Befragung in jeder ihrer Untergruppe aufweisen. Selbst bei den
Parteianhängern der Grünen ist es, wenn auch nur hauchdünn, vorhanden.
1.2 Wirtschaftsrelevante Sprachthemen 65
Viertens Befragte mit niedriger und mittlerer Bildung weisen nahezu gleiche Anteile
von Befürwortung (24/23 %) auf. Mit dem Kriterium „hohe Bildung“ steigt der
66 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
vPro-Gender-Anteil auf 32 %. Wir hatten an anderer Stelle schon verbal auf die
besondere Rolle von Akademikern (vor allem jungen) bei der Gender-Diskussion hin-
gewiesen. Wenn in Tab. 1.6 demgegenüber der Anteil Befragter mit hoher Bildung an den
Ablehnern ähnlich hoch ausgewiesen ist wie bei den anderen Bildungsniveaus, so liegt
das rein rechnerisch an der in dieser Gruppe geringeren Zahl ohne Antwort (nur 5 %).
a. Sprache ist nicht nur Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklung, sondern sie kann und
muss diese auch beeinflussen.
b. Gendersprache führt so zur Sensibilisierung der Gesellschaft für Defizite in der
Gleichstellung der Geschlechter.
c. Sensibilisierung führt zu verändertem Denken.
d. Verändertes Denken führt zu verändertem Handeln. In der Personal- und Lohnpolitik
wie in der Familie.
1.2 Wirtschaftsrelevante Sprachthemen 67
Im Grunde läuft der Streit darauf hinaus, ob dieser Stromkreis funktioniert, und wenn ja,
ob der Anstoß dazu nicht aus der Sprache selbst, sondern durch externe Impulse erfolgen
kann. Wenn das so wäre, könnte man mit solchen Impulsen über die Sprache auf der
Welt noch vieles Gute mehr stiften.
Verlassen wir noch einmal die Ebene der Frage, was sprachliche Vorgaben in der Gesell-
schaft verändern können. Und kommen zur konkreten sprachtechnischen Umsetzbarkeit
dessen, was gegenwärtig dafür vorgeschlagen wird. Dann sind wir bei der Frage nach den
Grenzen einer gegenderten, einer konsequent gegenderten, deutschen Sprache.
Schauen wir auf die weiter vorn angesprochenen Parteiprogramme oder ein Lehrbuch
der Geologie, dann sind die Fälle alternativer Formen, den Inhalten geschuldet, meist
überschaubar. Stellen wir uns Texte zum Arbeitsmarkt, zur Personalpolitik oder zum
Bildungssystem vor, noch dazu solche mit vielen Berufsbezeichnungen auf einer Seite,
so werden gegenderte Wortkonstruktionen von der Ausnahme zur Regel und sind auf
einer Seite zwanzig- oder mehr Mal zu finden. Ob als Sternchen, Unterstrich, Schräg-
strich oder Paarwort (Splitting). Die Kriterien des Rechtschreiberates (Verständlich-
keit, Vorlesbarkeit etc.) haben nicht nur eine qualitative, sondern auch eine quantitative
Komponente. Bei der es aber keine willkürlich zu setzenden Stopp-Schilder gibt.
Das betrifft auch die Zahl der zu ersetzenden generischen Maskulina. Wie viele
davon gibt es in unserer bis heute gesprochenen Sprache? Wohl annähernd so viel, wie
Personen bezeichnende Substantive. Zehntausend? Zwanzigtausend? Nach Schätzungen
der Duden-Redaktion kennt die deutsche Sprache zwischen 300.000 und 500.000
Wörter. Und ein personenbezogenes Substantiv kann man nahezu aus jedem Verb
machen. Und daraus wieder ein partizipales Substantiv: „teilnehmen – Teilnehmer –
Teilnehmende“, „schreiben – Schreiber – Schreibende“, „singen – Sänger – Singende“,
„zuschauen – Zuschauer – Zuschauende“, „spannen – Spanner – Spannende“….
Kommentierung Bleiben wir bei den letzten beiden. Und der Pro-Gender-These, dass
das generische Maskulin eben im Kopf nicht alle Geschlechter gleichermaßen, sondern
doch vorrangig das männliche assoziiert. Worin letztlich die Diskriminierung bestehe.
Beim genaueren Hinschauen wird aber deutlich, dass das wort- und situationsspezifisch
völlig unterschiedlich ist. Natürlich sehe ich bei „Spanner“ hinterm Baumstamm mit
Fernglas eher einen Mann als eine Frau. Weil der Hang zum Spannen, biologisch bedingt,
wohl eben mehr bei den Männern liegt. Kaum zu erwarten, dass sich eine Frau dadurch
diskriminiert fühlt. Ganz anders bei „Zuschauer“. Da habe ich jubelnde Menschen unter-
schiedlichen Geschlechts auf der Gegentribüne der Alten Försterei bei einem Tor von
Union Berlin im Auge. Vielleicht sogar eine Familie aus Mann, Frau und Kind. Ein
zweiter denkt vielleicht an etwas anderes und ein dritter an etwas wieder anderes. Darf es
für die Vorstellungswelt der Menschen Korrektive oder Lehrmeister geben?
Übrigens: Nicht ausnahmslos alle generischen Maskulina lassen sich als partizipiale
Substantive ausdrücken. Vergleichsweise leicht und gebräuchlich – wenn auch inhaltlich
nicht dasselbe – erscheint das in Fällen wie „Studenten“ und „Studierende“. Möglich, wenn
68 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
auch von vielen als Einschnitt in die Sprach-Ästhetik empfunden, sind „Fußgänger“ und
„Fußgehende“ oder „Mitarbeiter“ und „Mitarbeitende“. Und gar nicht geht es bei „Bürger“.
Da wäre „Bürgender“ etwas ganz anderes. Hier läge die Sternenform „Bürger*innen“
oder die Paarform „Bürger und Bürgerinnen“ nahe. Viele Empfehlungen laufen auch
darauf hinaus, generische Maskulina nicht durch alternative Gender-Konstrukte, sondern
durch andere Wörter zu umschiffen. Um aus „Mitarbeiter“ nicht „Mitarbeiter und Mit-
arbeiterinnen“ machen zu müssen, wird „Personal“ empfohlen. Statt „Ärzte und Ärztinnen“
„Ärzteschaft“. Hier würden nicht nur die generischen Maskulina, sondern auch ihre
Gender-Alternativen von der sprachlichen Landkarte verschwinden. Die deutsche Sprache
würde an Wörtern ärmer werden.
Und schließlich ein weiterer Aspekt zu beachtender Grenzen: Nehmen wir verein-
fachend die Möglichkeit, ein generisches Maskulinum durch ein partizipiales Substantiv
zu ersetzen, in jedem Falle als gegeben an. Dann taucht als nächstes die Frage auf, wie
mit den zusammengesetzten Wörtern aus jedem der generischen Maskulinum zu ver-
fahren ist. Mit der Multiplikatorwirkung. Akzeptiert man den Wechsel von „Studenten“
auf „Studierende“, kann man sich konsequenterweise dem Schritt zu „Studierenden-
parlament“, „Studierendenwohnheim“, „Studierendenwerk“ bis hin zu „Studierenden-
blume“ oder „Studierendenfutter“ schwer verweigern. Aus „Fußgängerbrücke“ wird
„Fußgehendenbrücke“ und aus „Bittstellerbrief“ „Bittstellendenbrief“. Wo sind die
Grenzen? Wo gibt es ein „Halt“?
Wer aktiv Einfluss auf eine gewachsene Sprache nimmt, muss sich bei seinem Tun
wie ein guter Schachspieler verhalten. Er muss die Konsequenzen seines Zuges nicht nur
im nächsten, sondern möglichst viele Züge im Voraus bedenken und erkennen. Und er
muss wissen, dass ein Zug, hat man diese Konsequenzen zu spät erkannt, nicht wieder
zurückzunehmen ist. Vermieden werden muss, dass wir irgendwann vor einer sprach-
lichen Investruine stehen, die weder fertiggestellt noch ohne Folgen zurückgebaut oder
gesprengt werden kann.
Wenn wir zunächst nach in der Literatur Vorhandenem schauen, dann soll unter-
schieden werden zwischen Beiträgen, bei denen aus dem Lager der Wirtschafts-
wissenschaften und der Wirtschaft die Fühler ausgestreckt werden in das der
Sprachwissenschaften und Sprache und zwischen Beiträgen, deren Weg von Sprache zu
Wirtschaft führt. Auch wenn die Grenzen teilweise fließend sind.
„Flüssig ist das Geld, das in Umlauf ist, wie der Strom der Rede“. Worte und Geld „sind
konventionell und erfüllen ihre Aufgaben dank ihrer Abstraktheit: das eine als Mittel des
Austauschs ideeller, das andere als ein solches materieller Güter.“ (Coulmas 1992)
Das ist mehr als das Bemühen um ein Gleichnis. Schauen wir zurück zu den Funktionen
des Geldes (Abschn. 1.1.5), dann bietet sich das Messen der Sprache (sein Verständ-
nis wie im Zitat als Gut vorausgesetzt) an den drei Geldfunktionen an: Tauschmittel,
Rechenmittel, Wertaufbewahrungsmittel. Mit Phantasie und Mut zur Abstraktion
können wir feststellen: So wie Geld als Tauschmittel verschiedene materielle Güter mit-
einander vergleichbar macht, vermag das die Sprache mit den unzähligen Empfindungen
und Gedanken der Menschen. So, wie Geld als Recheneinheit Maßstab der Preise ist,
bringt die Wortfolge einer Sprache verschieden einzelne Empfindungen und Gedanken
in einen logischen Zusammenhang. Und ihren Wert bewahrt die Sprache dann, wenn sie
verschriftlicht, dokumentiert und erhalten wird. Eine Bibliothek als Tresor … Und wir
setzen noch eins drauf: So wie es auf der Welt nicht nur ein Geld, eine Währung, gibt,
gibt es auch nicht nur eine Sprache. Damit liegt der Vergleich einer Wechselkurstabelle
mit einem übersetzenden Wörterbuch nahe (vgl. Abschn. 1.1.5).
„Dass die meisten reichen Industriestaaten eine hohe Kongruenz von Sprachgemeinschaft
und Bevölkerung aufweisen, bedeutet, dass eine Sprache gänzlich dominant ist, während
die anderen … auf die Funktion folkloristischer Accessoires … reduziert sind …“ (Coulmas
1992)
Der Gedanke wird weiter geführt in Richtung Entwicklung von Wirtschaftsräumen und
Globalisierung. Die oben illustrierte Tendenz der Zunahme von Wohlstand bei Abnahme
der Zahl gesprochener Sprachen resultiert, so COULMAS, aus der einer Globalisierung
von Märkten und Sprachen gleichermaßen.
„Es ist kein Zufall, dass die Ausdehnung der Wirtschaftsräume historisch mit der
Standardisierung der Sprachen parallel läuft.“ (Coulmas 1992)
1.3 Vorhandene Ansätze von Brückenbau 71
Hier befinden wir uns in einem Themenbereich, der im weiteren Verlauf dieses Buches
wieder aufgegriffen werden wird.
Je mehr Menschen eine Sprache lernen, desto nützlicher wird sie, und je nützlicher sie ist,
desto mehr Menschen wollen sie lernen. Die überragende Stellung, die dem Englischen in
diesem Jahrhundert (dem 20., A.F.) zugewachsen ist, illustriert diesen Zusammenhang.“
(Coulmas 1992)
Trifft das zu, haben wir neben den vorwiegend sprachlichen, psychologischen und sozialen
Gründen für den Vormarsch der Anglizismen hier schon mal einen ersten ökonomischen
hinzuzufügen. Bei COULMAS folgen Ausführungen zur Kostenseite einer Sprache. Zu
Kosten öffentlicher Haushalte (Lehre, Erziehung, Sprachpflege, Sprachexport) und im
privaten Sektor (Marketing, Unternehmenskommunikation, Produktanleitungen).
Aus der Kosten-Nutzen-Betrachtung leitet COULMAS die „Karrieren“ von Sprachen
ab. Ob sie im Verlauf ihrer Geschichte zum Aufblühen oder zum Sterben verurteilt sind.
So wie in der Ökologie überlebensfähige oder nicht überlebensfähige Tierarten.
„Wie die Laufbahn einer Sprache beginnt und zu Ende geht, ob sie zu einem multi-
nationalen Konzern mit Filialen in vielen Teilen der Welt wird oder den Gipfel ihrer
Karriere in der Führung eines lokalen Kramladens erreicht, ob und wie sie für die Nachwelt
bewahrt wird, hängt zum Teil davon ab, wie wir mit ihr wirtschaften.“ (Coulmas 1992)
Auf die Debatte zum Gendern der deutschen Sprache (Abschn. 1.2.3) sei in diesem
Zusammenhang ebenso verwiesen wie auf den Fortgang bei COULMAS. Bei dem zur
wettbewerbsbeeinflussenden Ökonomie einer Sprache Eigenschaften wie Sparsamkeit,
Einfachheit und Eleganz sowie Wortlänge gezählt werden. Diese Begriffe erinnern stark
an die Kriterien des Rates für deutsche Rechtschreibung.
Eine Reihe von Inhalten der vorgestellten Quelle – darunter der Vergleich von Geld
und Sprache, die Relation von Aufwand und Nutzen einer Sprache oder Gründe für ihr
Werden und Vergehen wird uns in diesem Buch nicht weiter beschäftigen. Anders ist das
bei den Brücken von Wettbewerb (Kap. 3) und Globalisierung der Wirtschaft (Kap. 4)
zur Sprache. Hier gibt es Gemeinsamkeiten im Gegenstand.
72 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
Ähnlich wie bei Wirtschaftswissenschaften enthält die Literatur zu Sprache und Sprach-
wissenschaften eine Reihe interdisziplinäre Ansätze. Hier zu Literaturwissenschaften,
Geschichtswissenschaften, Kulturwissenschaften, ja sogar zur Biologie („Biolinguistik“)
und zur Medizin („Klinische Linguistik“). Fehlanzeige bei Wirtschaftswissenschaften.
Da landen wir wieder bei Studiengängen wie „Wirtschaft und Sprachen“.
Es wurde bereits in Abschn. 1.3.1 darauf verwiesen, dass wir aus dem darauf-
folgenden Verlauf dieses Buches zwei Zweige ausschließen, die auf den ersten Blick
dazugehören. Weil sie die beiden Wörter „Wirtschaft“ und „Sprache“ vordergründig mit-
einander verbinden:
a) Wirtschaftsdeutsch
im Sinne von „Deutsch als Fremdsprache mit Schwerpunkt Wirtschaft“. Hierzu gibt
es sowohl umfangreiche Lernliteratur als auch Lehrinstitute.
b) Wirtschaftssprache
als der Bereich der (deutschen) Sprache, der spezifische Anwendung in der Wirtschaft
findet (Verhandlung, Kommunikation, Marketing, Management).
Wirtschaftssprache ist der Teil einer Sprache, mit Hilfe dessen die verbale Kommunikation
im Bereich der Wirtschaft vollzogen wird. Dazu gehören vor allem die Lexik, aber auch die
Grammatik und Semantik.
Als Basis wird die Anwendung des generischen Maskulinums nicht auf sein traditionelles
Geschlechterneutrales Verständnis (dieses wird bestritten) zurückgeführt, sondern auf
1.3 Vorhandene Ansätze von Brückenbau 73
vordergründige Effekte der besseren Lesbarkeit und das Sparen von „Druckerschwärze
und Papier“ reduziert. In der Folge werden umfangreiche linguistische und psycho-
logische Quellen zitiert, um die These zu begründen: Die Verwendung des generischen
Maskulinums weckt eher die Assoziationen von Männlichkeit, während andere Formen
wie das Binnen-I eher geschlechtsneutral verstanden werden. Die sich daraus ergebende
zweite These des Beitrags ist: Eine Assoziation von eher Männlichkeit als Neutrali-
tät beim generischen Maskulinum hat eine Bremswirkung für die Erreichung realer Ziele
der Gleichberechtigung wie die Beseitigung ungleicher Bezahlung oder mehr Frauen in
Führungspositionen. Hier stützt sich eine zweite gewagte These auf eine erste gewagte
These. Die zur Begründung hinzugezogenen Quellen würden bei einer breiteren Auswahl
auch auf Widerrede stoßen. Hierzu sei auf Abschn. 1.2.3 dieses Buches verwiesen. Dort
werden beide Positionen gegenüber- und im Ergebnis infrage gestellt, ob a) das generische
Maskulinum (z. B. „der Steuerzahler“) immer vorwiegend männliche Assoziationen
weckt. Und ob b) selbst, wenn es das täte, an Gesellschaft, Wirtschaft und Personalpolitik
beteiligte Systeme und Akteure bei real für die Gleichberechtigung relevanten Themen
anders funktionieren oder handeln würden als wenn ihnen ein mahnendes Binnen-I gegen-
überstünde. Hier endet der zitierte Beitrag mit dem Verweis, dass es weiterer Forschung
bedürfe, um verwertbare Aussagen zur Ökonomie des Genderns oder des Nichtgenderns
gegenüberzustellen.
Die Fortführung dieses Ansatzes soll hier nicht Thema und Aufgabe sein. Es sei ledig-
lich an die im Gender-Abschn. 1.2.3 zusammengefasste Pro-Gender-Philosophie erinnert.
An die Kausalkette Gendern – Sensibilisieren – Denken – Handeln. An deren Ende
gender-induzierte Erfolge in realen Gleichstellungsfeldern wie Löhne, Positionen, Familie,
Gewalt stehen. Bei BEBLO wird aus dem Funktionieren der Kette bei Gendern oder aus
ihrem Nichtfunktionieren bei Nicht-Gendern der Schritt zur Ökonomie (Nutzen zu Auf-
wand) vollzogen. Und zur These, dass das generische Maskulinum zu gesellschaftlichem
und (nicht quantifiziertem) wirtschaftlichen Schaden aus gebremster Gleichberechtigung
führe. Dem der bescheidene Einsparungseffekt aus Druckerschwärze und Papier gegen-
überstünde. Da es hier um den Versuch einer ökonomischen Ableitung aus dem Sprach-
und Gleichstellungsthema „Gendern“ geht, wollen wir dem Pfad kurz folgen.
Indem wir über Aufwand und Nutzen einer „begleiteten“ Veränderung der
deutschen Sprache durch Gendern, durch den Ersatz von generischen Maskulina durch
grammatikalische Alternativformen, nachdenken. „Aufwand“ verstanden dabei nicht nur
als sein geldmäßiger Ausdruck. Beginnen wir aber mit der Seite des Nutzens. Auch dieser
lässt sich, wenn er eintritt, nicht quantifizieren. Unter Beachtung der oben beschriebenen
Einflusskette und der Akzeptanz, dass neue Sprach-Konstrukte Nutzen nicht aus sich
selbst heraus, sondern nur über die beschriebene Kettenwirkung stiften können, ergibt
sich: Der Nutzen des Genderns der deutschen Sprache besteht in dem Maß, in dem dieses
in der Lage ist, über Sensibilisierung, Denken und Handeln Erfolge in realen Feldern der
Geschlechtergerechtigkeit wie wirtschaftliche Chancengleichheit, Selbstbestimmung oder
Schutz vor Gewalt zu bewirken oder zu beschleunigen. Wird die Kausalkette geleugnet,
74 1 Deutsche Wirtschaft und deutsche …
erfolgen initiierte Sprachveränderungen um ihrer selbst willen. Der Nutzen ist Null. Geht
man von einem Funktionieren der Kette aus, so muss sich innerhalb eines mittelfristigen
Zeitraumes zeigen, in welchem Maße sich nachweisliche Auswirkungen auf die Ver-
besserung der Position von Frauen (und LSBTIQ) in der Gesellschaft ergeben.
Gehen wir vom potenziellen Eintreten eines solchen Nutzens aus, macht es Sinn, auf
der anderen Seite nach dem Aufwand zu fragen. Nach dem numerischen und verbalen
Preis, der auf der anderen Seite für einen solchen, tritt er ein, hoch zu schätzenden
Effekt zu zahlen ist. Eine erste Komponente des Aufwandes, möglicherweise nicht die
bedeutendste, ist sein quantifizierbarer Teil. Eine in öffentlichen Verwaltungen initiierte
Sprachveränderung kostet Geld.
Beispiel
Wir erinnern auch an die anderen Orts zitierte Einführung einer „geschlechtergerechten
Rechtssprache“ im Freistaat Sachsen und verzichten auf eine bundesweite Hoch-
rechnung. Nennen wir diese erste Komponente einfach „finanzieller Verwaltungs-
aufwand“. Weniger quantifizierbar ist eine zweite Komponente: die Auswirkungen,
die dann entstehen, wenn durch Überschreitung von Grenzen, die z. B. durch Kriterien
des Rates für deutsche Rechtschreibung, gesetzt sind, negative Auswirkungen auf Ver-
ständlichkeit, Vorlesbarkeit oder Erlernbarkeit der deutschen Sprache eintreten. Mit
Berufung auf diese Kriterien nimmt der Rat bisher von der Empfehlung von Gender-
Zeichen wie dem Stern Abstand. In manchen Wahlprogrammen von Parteien, mit großer
Signalwirkung für Teile der Gesellschaft, finden wir sie aber schon. Abschn. 1.2.3 ver-
weist unter „Grenzen der Gender-Sprache“ auf die Folgen einer unaufhaltsamen Aus-
breitung. Potenzielle Auswirkungen können Irritationen besonders bei lernschwächeren
Menschen, veränderte Chancen auf Schulabschlüsse und Ausbildungsfähigkeit oder auf
die Bereitschaft, ausländischer Fachkräfte sein, sich für eine Destination im deutsch-
sprachigen Raum zu entscheiden (vgl. Kap. 3). Eine dritte Komponente betrifft die
nachhaltigen Veränderungen in der deutschen Sprache selbst. Auf der einen Seite neue
1.3 Vorhandene Ansätze von Brückenbau 75
und so noch nicht geschriebene oder gesprochene Formen wie Genderzeichen oder
gewöhnungsbedürftige bzw. inhaltlich vom Gemeinten abweichende Partizipien wie
„Fußgehende“ oder „Mietende“. Auf der anderen Seite in gleicher Zahl entfallende, bis-
her fest in der deutschen Sprache verwurzelte generische Maskulina – in diesem Falle
„Fußgänger“ oder „Mieter“.
Hiermit soll die Besprechung von „Ökonomie und Sprachlichkeit“ abschließen.
Literatur wurde in Abschn. 1.2 im weiten Sinne als Gesamtbestand dokumentierter
Zeitzeugnisse einer Sprache definiert. Was liegt also für ein Buch, das sich mit Wirt-
schaft und Sprache befasst, näher, als nach wirtschaftlichen Komponenten in der
deutschen Literatur zu fragen. Abschn. 2.2 wird dieser Frage nachgehen.
Bemerkenswerterweise gibt es gerade auf diesem Gebiet einige interessante Quellen.
Sie sollen hier vorgestellt und später als Grundlage einbezogen werden. Maßgebende
Autorin ist die Germanistin und Literaturwissenschaftlerin Sandra RICHTER. In ihren
beiden Publikationen „Wirtschaft in Literatur“ und „Wirtschaftliches Wissen in der
Literatur um 1900“ stellt die Autorin eingangs fest, dass es trotz des vorhandenen Mediums
„Wirtschaftsroman“ eine Schwachstelle der literaturwissenschaftlichen Forschung ist, sich
mit Zusammenhängen zwischen Wirtschaft und Literatur zu beschäftigen.
„Das Forschungsfeld `Wirtschaft und Literatur` gehört …zu den wenig erforschten Gebieten
der neueren deutschen Literaturwissenschaft.“ Und: Trotz vieler literarischer Beispiele
von Hauptfiguren mit ökonomischem Hintergrund „vernachlässigte die Forschung dieses
Gebiet.“ (Richter 2004, 2011)
Hier verlassen wir „Wirtschaft in Literatur“ und kommen auf das aktuelle Unter-
nehmerbild in der deutschen Literatur und (fügen wir hinzu) im deutschen Film und
in deutschen Serien im Allgemeinen zurück. Als positive Helden finden wir hier eher
Ärzte, Polizisten und Reitlehrer. Was im Übrigen auch das Berufswahlverhalten junger
Menschen prägt. Erfolgreiche, selbstständige Unternehmer wollen weniger werden.
Vielleicht auch deshalb, weil Vertreter aus diesem Bereich oft und gern als über Leichen
gehend und mit dem Gesetz auf Kriegsfuß stehend geformt werden. Der Präsident der
Arbeitgeberverbände, Dr. Rainer DULGER, antwortet auf die Frage, wie es um das
Ansehen der Arbeitgeber in Deutschland bestellt ist:
„Wir beobachten in Deutschland eine fast schon wirtschaftsfeindliche Kultur. Das sieht man
leider häufig auch in den Medien, beispielsweise im Tatort: Keine andere Berufsgruppe
muss so oft für den Bösewicht herhalten wie die der Unternehmer und Manager. Ich sage:
Raus mit diesen falschen Bildern aus den Köpfen! Wenn wir weiter ein Volk von Unter-
nehmern und erfolgreichen Mittelständlern sein wollen, können wir uns das nicht länger
leisten. ….Der Unternehmer gehört in die Klassenzimmer und Schulbücher.“ (Dulger 2021)
„Wirtschaftsfeindlich“ geht über „ambivalente Wertung der Wirtschaft“ hinaus. Und die
Lösung zum Besseren liegt nicht allein in Appellen an Buchautoren und Filmemacher.
Es ist eine Aufgabe für Gesellschaft und Politik.
Dass das nicht immer so war, zeigt RICHTERs zweiter Beitrag „Wirtschaftliches
Wissen in der Literatur um 1900“. Hier wird einer an Wettbewerb ausgerichteten Ana-
lyse der Romane „Im Schlaraffenland“ (Mann 1900), „The Jungle“ (Sinclair 1906) und
Tono-Bungay (Wells 1909) vorangestellt:
Wenn der Zusammenhang von Wirtschaft und Literatur, wie oben zitiert, zu den wenig
erforschten Gebieten der Literaturwissenschaft gehört, so heißt das nicht, dass es in der
Literaturgeschichte nicht genügend Beispiele gäbe, um Medium für eine solche Forschung
zu sein. Das zeigt spätestens Sandra Richters Buch „Mensch und Markt“. Hier ver-
folgt der interessante Ansatz den Gedanken des Wettbewerbs quer durch die Literatur-
geschichte. Gegenüber der Brücke „Wirtschaft und Literatur“ ist das Einschränkung
und Erweiterung zugleich. Zum einen ist Wettbewerb nur eine, wenngleich eine zentrale
Komponente der Wirtschaft. Aber man könnte den Versuch des Brückenschlags auch mit
„Geld“, „Handel“ oder „Arbeit“ unternehmen. Zum anderen aber ist Wettbewerb, und so
fasst ihn RICHTER auf, im weiteren Sinne mehr als Wirtschaft. Er ist eine Erscheinung in
allen Bereichen, in denen Menschen mit unterschiedlichen Mitteln und Voraussetzungen
gleiche oder ähnliche Ziele anstreben. Im Sport, bei DSDS, in der Schule, bei der Partner-
1.3 Vorhandene Ansätze von Brückenbau 77
suche oder eben in der Wirtschaft. Als Leistungskampf zwischen Vertretern einer Markt-
partei. In „Mensch und Markt“ beginnt der Wettbewerb zwischen Kain und Abel im
Konkurrieren um die größere Gottgefälligkeit. Und damit am Anfang aller Geschichte und
mit dem Alten Testament auch ziemlich früh in der Literatur.
Luthers Bibelübersetzung mit Seligpreisung der Armen und den Letzten, die die
Ersten sein werden, beeinflusst die Literatur bis ins 18. Jahrhundert hinein nachhaltig.
Christliche Barmherzigkeit und darwinistisch verstandener Wettbewerb erscheinen nicht
vereinbar. Wettbewerb war eher negativ besetzt und mit Wucher, Krämerei, Betrug und
Übervorteilung verbunden. Erst mit dem Industriekapitalismus und der „unsichtbaren
Hand“ bei Adam SMITH zieht auch ein differenzierteres Bild zum Wettbewerb in die
Literatur ein, dass Richter in einer großen Breite beleuchtet und untersucht.
„Von der Antike bis ins 18. Jahrhundert bemerkt man einen erstaunlichen, doch langsamen
Wandel der Wahrnehmung Darstellung und praktischen Umsetzung von Wettbewerb. Die
Spannbreite reicht von Ausschluss des Wettbewerbs in religiösen Paradieserzählungen über
die moraltheologische Entdeckung des Wettbewerbs in der Scholastik, seine Verurteilung
bei Luther bis hin zu seiner relativen Akzeptanz bei Calvin.“ (Richter 2012)
Da das Thema Wirtschaft und Literatur zu denjenigen Quellen gehört, die im weiteren
Verlauf dieses Buches weiter verfolgt werden (Abschn. 2.2), soll es hier damit zunächst
belassen werden.
In der Mehrzahl sind wir auf Quellen gestoßen, die sich aus der Position der Sprach-
wissenschaften einen Blick in die Wirtschaft gönnen. Ganz selten positionieren sich
Wirtschaftswissenschaftler zu Zusammenhängen ihres Gegenstandes mit der Sprache.
Wie bereits gesagt – einer der Gründe für die Entstehung dieses Buches.
Ebenso ungleichgewichtig erscheint der bereits vorliegende Stoff zu den einzel-
nen der folgenden Kapitel. Während die Kap. 2 (Einfluss von Wirtschaft auf Sprache),
Abschn. 2.3 (Berufe und Sprache) und Kap. 4 (Globalisierung von Wirtschaft und
Sprache) zumindest teilweise auf Vorhandenes und hier Vorgestelltes zurückgreifen
können, ist das umgekehrte Feld nur spärlich bestellt. Wirkt Sprache auf Wirtschaft
zurück und wenn ja, wie? Diese Frage wird mit Kap. 3 zu „Sprache und Wettbewerbs-
fähigkeit“ dieses Buch abschließen.
Literatur
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Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche
Sprache 2
Zusammenfassung
Arbeitsteilung und technischer Fortschritt bedürfen der Sprache und sind zugleich ein
wirtschaftlicher Ausgangspunkt für ihre Entwicklung. Dieser Zusammenhang zeigt
sich auch empirisch im Vergleich der Entwicklung und Vertiefung des Handels auf der
einen und des Wortschatzes der deutschen Sprache auf der anderen Seite. In Zeiten
langfristiger wirtschaftlicher Aufschwungswellen lassen sich verstärkte Impulse für
den Wortschatz nachweisen. Mit der Digitalisierung erweitert und verändert sich die
Struktur der Kommunikationsformen. Ein zunehmender Anteil der Digitalsprache
(E-Mails, Messenger-Dienste) gegenüber klassischer Sprache (Direktkontakt, Tele-
fonie, Video, Brief) führt zu mehr Abkürzungen und einem tendenziellen Rückgang
der Bedeutung von Rechtschreibung und Grammatik. Das zeigen auch Erfahrungen
aus der Berufsorientierung von Schulabgängern. Im Unterschied zu anderen Genres
ist Wirtschaft in der Literatur kein vordergründiges Thema. Möglicherweise auch des-
halb, weil Autoren meist anderen als wirtschaftlichen Bildungs- oder Berufshinter-
grund haben. Zu den wirtschaftlichen Faktoren für Bedeutung und Verbreitung einer
Sprache gehören solche, die Nachfrage eines Sprachraumes bestimmen (z. B. Zahl
der Muttersprachler) und solche, die Bedeutung für die Exportkraft eines Sprach-
raumes haben (z. B. BIP, Rohstoffe, Tourismus).
Dieser Logik folgt die Struktur dieses zweiten und des dritten Kapitels. Im dritten
Kapitel wird es darum gehen, ob und wie die Sprache die Wirtschaft beeinflussen kann,
und das vor allem unter dem Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit beider. Hier soll zunächst
die andere Wirkungsrichtung im Mittelpunkt stehen. Welche Rolle spielt die Wirtschaft
bei der Entstehung und Entwicklung von Sprache?
Die Abschnitte dieses Kapitels zeigen, dass dieser Frage dabei aus verschiedenen
Blickwinkeln nachgegangen wird. Vom Einfluss von Arbeitsteilung und technischem
Fortschritt über die Rolle der Wirtschaft in der (deutschen) Literatur und die Bedeutung
von Berufen in der Sprache. Bis hin zu einer Systematisierung von Kriterien für die
Bedeutung und Verbreitung einer Sprache und der Faktoren, die auf diese Kriterien
wirken. Es liegt im Sinne dieses Buches, dass dabei der Faktor „Wirtschaft“ eine
besondere Rolle spielen wird.
Technischer Fortschritt ist ein dem menschlichen Schaffen von Beginn an inne-
wohnender Prozess. Da liegt der Blick auf die Wirtschaftsgeschichte und – im
Sinne dieses Buches, die Sprachgeschichte – nahe. Zum Ende des ersten Kapitels
wurde deutlich, dass von Wirtschaftswissenschaften und Sprachwissenschaften viele
interdisziplinäre Signale ausgehen, wenige davon aber zueinander selbst. Nahezu
folgerichtig zeigt sich das Bild bei einem Blick auf Wirtschaftsgeschichte und Sprach-
geschichte. Die Fachliteratur stellt von beiden Seiten aus Beziehungen zu Zeitgeschichte,
Politikgeschichte, Kulturgeschichte oder Rechtsgeschichte – im Falle der Sprach-
geschichte auch zu Literaturgeschichte – her. Einen komplexen Überblick aus dem
interdisziplinären Blickwinkel von Sprachgeschichte bieten BESCH und i von POLENZ
2.1 Arbeitsteilung, Technischer Fortschritt und Sprache 85
(Besch 1998; von Polenz 2000). Die Partnerschaft Wirtschaftsgeschichte und Sprach-
geschichte ist in den meisten Quellen rar. Ansätze, aber auch hier vornehmlich aus Sicht
der Sprachwissenschaften, finden wir bei BOLTEN, VON POLENZ und WENGELER
(Bolten 1998, 2015; von Polenz 1998; Wengeler 2015). Dabei geht es zu einem Teil
um Themen, die wir in Kap. 1 der „Wirtschaftssprache“ zugeordnet haben. Um inter-
kulturelle Wirtschaftskommunikation oder um Wirtschaftsthemen wie Geld, Börse,
Wirtschaftskrisen oder Kundenansprache im Deutschunterricht. Als einer der Klassiker
zur Wirtschaftssprache und ihrem geschichtlichen Kontext gilt „Der Sprach- und Wirt-
schaftsverkehr“ von Alfred SCHIRMER aus dem Jahr 1950 (Schirmer 1950).
Zweifellos übt die Wirtschaft über die „Wirtschaftssprache“ einen Einfluss auf die
deutsche Sprache im Sinne dieses Kapitels aus. Wie aber bereits angekündigt, werden
sich dieses Buch und dieses Kapitel nicht komplex mit dem ausführlich publizierten
Thema „Wirtschaftssprache“ (im Sinne von Managementsprache, Marketingsprache,
Verhandlungssprache, Geschäftskommunikation etc.) befassen. Sondern sich nur aus-
gewählter Beispiele an geeigneten Stellen bedienen.
Zurück zu technischem Fortschritt, Sprache und Geschichte. Welche Verbindung
besteht zwischen ihnen? Im ersten Kapitel wurde der technische Fortschritt aus der
Arbeitsteilung als einer seiner Quellen abgeleitet. Die Vorteile der Arbeitsteilung wurden
dabei durch den stark theoretisierten Vergleich mit dem Zustand völliger Autarkie
illustriert. Einem Zustand, in dem jeder Mensch durch seiner eigenen Hände Arbeit
alle seine Bedürfnisse befriedigt. Und mit der Feststellung, dass jeglicher Handel auf
Arbeitsteilung beruht, und im Falle totaler Autarkie gleich Null ist, wurde vorerst noch
allein das Feld der Wirtschaft überlassen.
Nun wollen wir den Schritt darüber hinausgehen. Wenn Menschen alles allein tun,
müssen sie nicht zusammen in Kontakt treten, um Handel zu treiben. Treten Menschen
nicht miteinander in Kontakt, kommunizieren sie nicht. Damit kommt die Sprache
ins Spiel. Sprache entsteht nicht und entwickelt sich nicht aus Selbstgesprächen. Ein
wichtiger Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Sprache, zwischen Wirtschafts-
geschichte und Sprachgeschichte besteht in der Notwendigkeit und Chance, arbeits-
teiliges Zusammenwirken in der Gesellschaft durch sprachliche Kommunikation
zu begleiten. Das führt zu einer grundlegenden These, die es im Folgenden zu
kommentieren und, wenn möglich, zu untermauern gilt.
Wir haben zu dieser zunächst sehr abstrakten Aussage aus volkswirtschaftlicher, aus
wirtschaftsgeschichtlicher, Position gefunden. Und wir vollziehen den Brückenschlag zu
Sprache und Sprachwissenschaften analog über die Sprachgeschichte.
Reduziert man „Arbeitsteilung“ auf „Arbeit“, dann ist die Verbindung nicht neu.
Arbeit ist als Quelle und Entwicklungsfaktor von Sprache anerkannt. Neben natürlichen
Voraussetzungen von Sprache und Sprachentwicklung (Anatomie) zählt Arbeit zu einem
der wichtigsten aus der Gruppe sozialer und kultureller Faktoren.
„Die Sprache ist das wichtigste Werkzeug, das wir Menschen besitzen, seitdem wir weitest-
gehend aufgehört haben, uns gegenseitig mit Keulen zu erschlagen. Manche Autor*innen
gehen so weit zu sagen, dass Arbeit der meisten Organisationen ausschließlich aus Sprache
besteht: Die Menschen sitzen in Meetings, in denen gesprochen wird, sie kommunizieren
über E-Mails, Präsentationen, neuerdings auch über digitale Tools wie Slack. Mit Maschinen
kommunizieren sie über Code, also Programmiersprache.“ (New Work Glossar 2022)
Vor weiteren Kommentierungen soll die Frage nach Erkenntnissen und Fakten stehen,
die imstande sind, den allgemein hergestellten Zusammenhang zwischen Arbeitsteilung,
technischem Fortschritt und Sprache empirisch zu untersetzen. Vorangestellt sei, dass wir
bei der Suche nach empirischen Zusammenhängen selten punktgenaues Zahlenmaterial
vorfinden und mit Schätzungen, Tendenzen und Kompromissen werden leben müssen.
Beginnen wir mit der Arbeitsteilung und ihrem quantifizierbaren Ausdruck, dem
Handel. Unter der Annahme gleichbleibend zu befriedigender Bedürfnisse steigt mit
zunehmender Arbeitsteilung und Spezialisierung die Notwendigkeit, nicht selbst Her-
gestelltes im Tausch gegen über den Eigenbedarf hinaus Produziertes (ggf. vermittelt
über Geld) zu erwerben. Und damit die Bedeutung des Handels. Für einen Blick in die
Geschichte finden wir dafür wenig zahlenmäßig Verwertbares, aber verbale Zeugnisse,
dass in der Wirtschaftsgeschichte mit zunehmender Spezialisierung und erhöhter
Produktion auch der Handel einen Zuwachs erfährt. Und das in langfristigen Zyklen der
industriellen Revolutionen sprunghafter als dazwischen.
Exkurs
Die erste industrielle Revolution (Dampfmaschine, mechanischer Webstuhl)
nahm ihren Anfang um 1800. In Deutschland setzt dieser Prozess verzögert in den
1830er Jahren ein. Ein Grund ist die politische und wirtschaftliche Zersplitterung.
Mit ihrer Überwindung kommt es neben der Industrialisierung, einem Aufschwung
der zuliefernden Rohstoffindustrie (z. B. Kohleförderung), der Infrastruktur (Eisen-
bahn, Schienennetze), des Banken- und Finanzsystems (Aktiengesellschaften)
auch zu einem Abbau der innerdeutschen Handelsschranken und Binnenzölle.
Und damit zu einem stark anwachsenden Handel. Vervollständigt werden muss die
Liste der Erscheinungsbilder um die Entstehung eines Industrieproletariats, soziale
Verelendung und Ausbeutung. Das Feld für den kritischen Ansatz der MARXschen
Wirtschafts- und Revolutionstheorie.
2.1 Arbeitsteilung, Technischer Fortschritt und Sprache 87
Kommen wir zurück zu den Zahlen, blicken auf die letzten dreißig Jahre, und wählen
den deutschen Außenhandel als einen Ausdruck der Einbeziehung unseres Landes in die
internationale Arbeitsteilung. Tab. 2.1 vermittelt dazu einen Überblick.
Vor dem Sprung hinüber zur Sprache eine Kommentierung der Werte.
Erstens Es gibt im deutschen Außenhandel (als Summe von Export und Import) einen
mittelfristigen Wachstumstrend. Durch die Wahl eines Zeitrhythmus von fünf Jahren ver-
schwinden vereinzelte Rückgänge gegenüber dem Vorjahr. Diese betreffen nicht zufällig
die Krisenjahre 2009 (Finanz- und Wirtschaftskrise) und 2020 (Corona-Krise).
Zweitens Die fünfjährigen Steigerungsraten liegen zwischen 8 % und 57 % – im Fünf-
Jahresdurchschnitt bei 27 %. Das deutsche Außenhandelsvolumen wächst in den letzten
rund dreißig Jahren um 233 %, also auf mehr als das Dreifache.
Drittens Will man daraus auch nur verbale Rückschlüsse auf vertiefte Arbeitsteilung
ziehen, so müssen relativierende Faktoren Beachtung finden. Das sind unter anderem
a) die in der ausgewiesenen Volumens-Erhöhung (bei laufenden Preisen) enthaltene
Preiskomponente und b) ein den Güteraustausch unabhängig von der Arbeitsteilung
förderndes wachsendes Volumen von Produktion (und Konsum). Betrachten wir die Ent-
wicklung des deutschen Bruttoinlandsprodukts für den gleichen Zeitraum, so schließen
wir bei dessen ebenfalls laufenden Preisen beide Komponenten ein. Und wir erhalten
eine Erhöhung von 2020 gegenüber 1991 um 112 % oder etwas mehr als das Doppelte
(Statista 2022c).
Viertens Eliminiert man den Produktions- und den Preisfaktor, so verbleiben für die
betrachteten letzten 30 Jahre rund 100 % Erhöhung des deutschen Außenhandelsvolumens,
die nichts mit Produktions- und Preisentwicklung zu tun haben. Es wäre zu einfach und
leichtfertig, diese allein einer vertieften Arbeitsteilung zuzuschreiben. Würde man deren
dann bewertbares Tempo in die Geschichte rückwärts projizieren, ergäbe sich eine vor 100
oder 200 Jahren kaum noch messbare Arbeitsteilung. Das spricht für ein unterschiedliches
Wirkungstempo und das Vorhandensein weiterer Faktoren auf die Entwicklung des
Außenhandels. In jedem Falle verbleibt genug wertmäßiger Raum für die Bestätigung der
verbalen Aussage, dass vertiefte Arbeitsteilung zu mehr Handel führt oder umgekehrt: Dass
ein Zuwachs des Handels (auch) Ausdruck vertiefter Arbeitsteilung ist.
Fünftens Im Exkurs wurde die ersten Industriellen Revolution, beginnend um 1800, mit
einem beschleunigten Wachstum des Handels verbunden. Der mit der Digitalisierung
in Verbindung stehende Beginn der vierten Industriellen Revolution („Industrie 4.0“)
wird um das Jahr 1990 datiert. Der Zeitraum von da bis heute ist Analyse-Fenster von
Tab. 2.1. Offensichtlich haben wir es damit auch mit einem zum Teil „4.0 – revolutions-
induziertem“, besonders hohem Handelszuwachs zu tun.
Beispiel
„Die Produktion des iPod ist ein höchst interessantes Beispiel für die globalisierte Öko-
nomie. Wer stellt den iPod eigentlich her? Sie meinen vielleicht, das sei Apple, aber wenn
Sie auf der Rückseite des iPod nachsehen, steht dort `Made in China`. Was stimmt hier
also? Der iPod ist in Wirklichkeit ein kleiner, tragbarer Computer, der Musik abspielt. Er
besteht aus mindestens 451 Teilen, die über die ganze Welt verteilt hergestellt werden.
Apple entwirft die Software, kontrolliert den Produktionsprozess und macht bei einem Ver-
kaufspreis von 299 USD ca. 80 USD Gewinn. Chinas Hauptaufgabe ist, die einzelnen Teile
(unter einem taiwanesischen Zulieferervertrag) zu montieren“
Und SAMUELSON fährt unter Zitierung des Chefökonomen von Google, Hal Varian,
an anderer Stelle fort.
„Die cleveren Jungs bei Apple haben herausgefunden, wie man 451 meist generische Teile
zu einem wertvollen Produkt zusammenbaut. Sie stellen den iPod vielleicht nicht her, aber
sie haben ihn geschaffen. Und das ist es, worum es letztendlich geht.“ (Samuelson 2017) ◄
Mit diesen wirtschaftlichen Erkenntnissen im Gepäck bewegen wir uns auf die Seite
der Sprache. Nachdem hinreichend belegt wurde, dass vertiefte Arbeitsteilung und
technischer Fortschritt wirtschaftsgeschichtlich zu steigendem Umfang des Handels
führen, soll nach der Reaktion der Sprache auf diese Prozesse gefragt werden.
Dazu erscheint es zunächst bedeutsam, zu bestimmen, was das Entwicklungsstadium
einer Sprache ausmacht. Was die Kriterien dafür sind, ob eine Sprache wenig oder ob sie
hoch entwickelt ist. Hierzu finden sich in der Literatur verschiedene und nicht immer ein-
heitliche Darstellungen. Von Sprachökonomie, Innovation und Variabilität über Sprach-
ästhetik bis hin zu Angleichung von Ausnahmen an die Regel und Wortschatz. Die
2.1 Arbeitsteilung, Technischer Fortschritt und Sprache 89
meisten dieser Faktoren sind verbaler Natur, hier nicht Gegenstand und in geeigneter
Form in Kapitel 3 beim Thema „Wettbewerbsfähigkeit“ wieder anzutreffen. Bleiben
wollen wir beim Wortschatz. Weil allein zu ihm – wie eingeschränkt und relativiert auch
immer – eine quantifizierbare Brücke vonseiten Arbeitsteilung und technischem Fort-
schritt zu schlagen ist.
Im Unterschied zum Handel, der statistisch ebenfalls nicht grenzenlos in die
Geschichte zurückzuverfolgen ist, gibt es zum Wortschatz, was Zahlenangaben betrifft,
selbst für die Gegenwart und jüngere Vergangenheit keine einzig und alleinig autorisierte
Wahrheit. Auch, wenn es zum Begriff Wortschatz als „Gesamtheit der Wörter einer
Sprache“ zumindest definitorische Übereinstimmung gibt. Die Frage
„‘Wie viele lexikalische Wörter hat die deutsche Sprache?‘ erlaubt als Antwort keine
Zahlenangabe. Sicher ist nur, dass ein vollständiges Verzeichnis deutscher Wörter nicht zu
finden ist. Der neueste deutsche Rechtschreibduden enthält etwa 145.000 Wörter (Duden
2017: Vorwort – In der Ausgabe 2020 sind es bereits 148.000 Wörter, A.F.). … Wörter-
buchredaktionen wie die des Duden nehmen für den Gesamtwortschatz des Deutschen etwa
300.000 bis 500.000 Wörter an, lassen dabei aber viele nur Experten bekannte Spezial-
wörter… beiseite.“ (Stickel 2019)
Unter Einbeziehung weiterer Quellen gelangt STICKEL über die Zahl 700.000 bis hin
zu 5,3 Mio., die Forscher aus der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissen-
schaften anhand großer Mengen computergespeicherter Texte aus den Jahren 1994 bis
2004 ermittelt haben. (Stickel 2019). Die Quelle selbst verweist auf Unschärfen im
computergestützten Zählverfahren, Mitzählung von Namen, Fehlschreibungen oder
Einmalverwendungen. Dennoch soll uns die genannte Zahl von 5,3 Mio. hier aber aus
einem Grund besonders interessieren: Weil sie als eine der ohnehin schon wenigen Bei-
spiele in der Literatur auch noch mit dem vergleichbaren Wert eines vorangegangenen
Zeitraumes gekoppelt wird. Nach dem gleichen Verfahren wurde für den Zeitraum von
1905–1914 eine Zahl deutscher Wörter von 3,7 Mio. ermittelt (Stickel 2019). Daraus
ergibt sich, dass der nach gleichen Kriterien ermittelte Wortschatz der deutschen Sprache
innerhalb von hundert Jahren um 1,6 Mio. und damit 43 % erhöht hat. Veraltete Worte
sind ausgeschieden, neue Worte, vor allem Fachwörter aus Spezialisierung, technischem
Fortschritt und per Saldo in der Überzahl sind hinzugekommen. 43 % in 100 Jahren
korrespondieren auch bei Synchronisation des Zeitraumes nicht mit 100 % Entwicklung
des Außenhandelsvolumens in 30 Jahren. Aber beide Entwicklungen folgen, zumindest
in der betrachteten jüngeren Zeitspanne, einem gleichen Trend. Handelsvolumen (Wirt-
schaft) und Wortschatz (Sprache) vergrößern sich im Ergebnis von Arbeitsteilung und
technischem Fortschritt. Das bestätigt sich bei einem Blick auf die Entwicklung der im
Duden enthaltenen Zahl von Stichwörtern. In der aktuellen 28. Auflage von 2020 hat
diese sich gegenüber der ersten Auflage im Jahr 1880 von 27.000 auf 148.000 erhöht und
damit mehr als verfünffacht. (Duden 2020) Der Vergleich dieser Erhöhung mit der o.g.
Rechnung bei STICKEL zeigt die Unterschiede in Basis und Ergebnissen der Ermittlung
konkreter Steigerungswerte – aber Übereinstimmung im Trend.
90 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
120,00
99,1
100,00
Milliarden Euro 83,3
80,00
60,00
46,9
40,00
18,3
20,00
7,4
1,0
0,00
2000
1 2005
2 2010
3 2015
4 2020
5 2021
6
fristige Wellen wirtschaftlichen Aufschwungs, zwischen denen eine Zeitspanne von etwa
50 Jahren liegt. Ausgangspunkt sind technische Neuerungen, wie wir sie aus der Dar-
stellung der vier industriellen Revolutionen in Kap. 1 kennen. Industrielle Revolutionen
beziehen sich auf dieselben Prozesse wie die KONTRATIEFF-Zyklen, sind
gewissermaßen deren Auslöser. Zeitspannen und signifikante technische Neuerungen
sind vergleichbar. Die Terminierung der Zyklen weichen teilweise ab. Während wir in
Kap. 1 vier industrielle Revolutionen (ab 1800 Dampfmaschine, mechanischer Webstuhl,
ab 1890 Verbrennungsmotor, Elektrifizierung, Fließband, ab 1970 Elektronik, PC und ab
1990 Internet, Digitalisierung) unterscheiden, werden fünf KONTRATIEFF-Zyklen aus-
gewiesen. Mit ihren Wachstumsspitzen um 1800 (Dampfmaschine, mechanischer Web-
stuhl), um 1850 (Eisenbahn, Dampfschifffahrt, Telegraphie), um 1900 (Elektrifizierung,
Verbrennungsmotor, Chemie), um 1950 (Auto, Luft- und Raumfahrt, Plastik) und um
1990 (Internet, Digitalisierung). Das sei der guten Ordnung halber dokumentiert. Solche
Einteilungen sind immer auch willkürlich, ihre Unterschiede für unser Thema wenig
relevant und im Folgenden zu vernachlässigen.
Wichtiger ist hier die Wirkungskette. Industrielle Revolutionen und KONTRATIEFF-
Zyklen sind jeweils geprägt durch einen Innovationsschub, der sich in der Technik voll-
zieht, sich in der Wirtschaft (Investition, Wachstum) fortsetzt und sich schließlich in
allen gesellschaftlichen Bereichen – sozialen, politischen, kulturellen – niederschlägt.
Damit auch in Kunst, Wissenschaft und Literatur. Und in der Sprache. Wir haben bereits
in Abschn. 2.1.1 vor empirischem Hintergrund auf den Zusammenhang zwischen der
Entwicklung von Handel und Wortschatz auf der einen und industriellen Revolutionen
auf der anderen Seite hingewiesen. Wir wollen diesen Gedanken an dieser Stelle nicht
mit der (ohnehin schwer möglichen) Zuordnung von Wortzahl-Zuwächsen in lang-
fristigen wirtschaftlichen Auf- und Abschwüngen, sondern an ausgewählten Beispielen
einzelner Wörter fortsetzen.
„Ausbeutung“ Das Wort wird im weiteren Sinne vielfältig verwendet. Von „Kriegs-
beute machen“ im späten Mittelalter bis zur Gewinnung von Bodenschätzen. Seine
Kernbedeutung hat das Wort jedoch im Ergebnis der 1. Industriellen Revolution im
19. Jahrhundert gewonnen. Durch die Entstehung des Industriekapitalismus und des
Industrieproletariats bildeten sich neue Verhältnisse von Menschen im Produktionsprozess
zueinander und neue gesellschaftliche Strukturen heraus. Die „Ausbeutung des Menschen
durch den Menschen“ erklärt Karl MARX im ersten Band von „Das Kapital“ daraus, dass
Mehrwert nicht aus Tauschgeschäften, also aus der „Zirkulation“ von Geld und Ware,
sondern nur in der Produktion entstehen kann. Durch die besondere Fähigkeit der „Ware
Arbeitskraft“, ihn zu schaffen und damit mehr Wert zu erwirtschaften als sie selbst besitzt.
„Um aus dem Verbrauch einer Ware Wert herauszuziehen müsste unser Geldbesitzer so
glücklich sein, innerhalb der Zirkulationssphäre, auf dem Markt, eine Ware zu entdecken,
deren Gebrauchswert selbst die eigentümliche Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu
sein… Und der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche spezifische Ware vor – das
Arbeitsvermögen oder die Arbeitskraft.“ (Marx 1972)
2.1 Arbeitsteilung, Technischer Fortschritt und Sprache 93
Der Einsatz von Geld zum Zwecke der Erwirtschaftung von Mehrwert macht nach
MARX Geld zu Kapital, den Geldbesitzer zum Kapitalisten und den Verkäufer der
Ware Arbeitskraft, den Proletarier, zum Ausgebeuteten. All diese Wörter um „Aus-
beutung“ wurden in ihrer Bedeutung durch die Wirtschaftstheorie, die Politische Öko-
nomie, von MARX transportiert. Ihre Quelle haben sie in der Wirtschaft. Konkret im
Industriekapitalismus in England und ihren sozialen Folgen – dem Hauptgegenstand
der MARXschen Kapitalismuskritik. Im „Kapital“ finden wir auch zuweilen für „Aus-
beutung“ „Exploitation“ – das englische Lehenswort (Marx 1972).
„Lokomotive“ Das Wort ist ein Beispiel, dass neue Wörter Einzug in eine Sprache
von dorther halten, wo ihre gegenständliche Quelle zu finden ist. Bleiben wir bei den
großen Wirtschaftszyklen und an jenen Orten, wo große Erfindungen und Innovationen
ihren Ursprung haben. Dass das in vielen Fällen der englischsprachige Raum ist, ist einer
der Gründe für den Eingang früher englischer Lehensworte in die deutsche Sprache.
Anglizismen, die bereits so gebräuchlich sind, dass man sie gar nicht mehr als solche
wahrnimmt. Nicht so, wie Shop, Team oder Wellness. „Lokomotive“ gehört dazu. Im
Gefolge der 1. Industriellen Revolution und der Erfindung der Dampfmaschine waren es
die Engländer Richard TREVITHICK, der eine Lokomotive 1804 erstmals konstruierte
und George STEVENSON, der sie 1825 erstmals aus ihrem Einsatz in Berg- und Eisen-
werken heraus auf die freie Schienenstrecke brachte. Die Distanz der Jungfernstrecke
von Stockton nach Darlington betrug 40 km. Interessant ist der Weg, den das Wort
„Lokomotive“ in die deutsche Sprache genommen hat. Das englische Wort „locomotive“
aus dem 19. Jahrhundert ist nur Überträger, Zwischenstation. Seinen Ursprung hat
es, wie später das deutsche, im Lateinischen. „locus“ steht dort für „Ort“, „Platz“ oder
„Stelle“. „motivus“ für „beweglich“. Eine Lokomotive ist von ihrem Platz beweglich.
Das englische Wort „locomotion“ entspricht dem deutschen Wort „Fortbewegung“.
„Telefon“ Die Erfindung des damaligen „Telephons“ geht nach Deutschland zurück.
Zu Philipp REIS und das Jahr 1861. Zum Patent in den USA wurde es 1876 durch
Alexander Graham BELL angemeldet. Das Wort „Telefon“ ist Kind der 2. Industriellen
Revolution oder der Zeit zwischen der zweiten und dritten KONTRATJEFF-Spitze.
„Tele“ ist ein Lehenswort aus dem Griechischen und bedeutet „fern“ oder „weit“.
„Phon“ kommt ebenfalls aus dem Griechischen und steht für „Laut“ oder „Ton“. Mithilfe
des Telefons konnte man erstmals menschliche Sprache mithilfe elektrischen Stroms
über große Entfernungen übertragen. Seine Erfindung hat damit für die Sprache eine
doppelte Bedeutung. Zum ersten ist das „Wort „Telefon“ Ergebnis einer wirtschaftlichen
Innovations- und Aufschwungsphase – der 2. Industriellen Revolution. In der Folge
taucht es in einer Vielzahl von Wortverbindungen wie Telefonnetz, Telefonleitung, Tele-
fonmast, Telefonhörer oder Mobiltelefon auf. Einige von ihnen, die erstgenannten, sind
im Begriff, aufgrund der technischen Entwicklung wieder in Vergessenheit zu geraten.
Auch Geschwisterwörter wie Telegraphie, Television, oder Telekommunikation basieren
auf „tele = fern“. Zum zweiten, und das ist speziell, eröffnet das mit dem Wort „Tele-
94 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
fon“ bezeichnete Gerät eine völlig neue Möglichkeit für die gesprochene Sprache als
Ganzes. Sie kann über die direkte Nähe von Sprechendem und Hörendem hinaus über
weitgehend beliebige Entfernungen erfolgen. Damit ist für die Sprache als Mittel der
Kommunikation eine erweiterte Basis für ihre Ausdehnung und Entwicklung geschaffen.
„Auto“ Die Geburtsstunde des modernen Autos mit Verbrennungsmotor datiert aus dem
Jahr 1886, als Carl BENZ das erste Patent dazu beim deutschen kaiserlichen Patentamt
in Berlin einreichte. Damit stehen Verbrennungsmotor und Auto für die 2. Industrielle
Revolution. Das Auto entstand damit im deutschen Sprachraum und entlehnt seinen
Wortstamm damit nicht wie „Lokomotive“ einer englischen Zwischenstation. Die Lang-
fassung „Automobil“ stützt sich auf die Lateinischen Wörter „Auto“ für „selbst“ und
„mobilis“ (auch) für „beweglich“. Mit der weltweiten Verbreitung des Autos nach dem
Zweiten Weltkrieg, flankiert von weiteren Fortbewegungsformen wie der Luft- und
Raumfahrt, prägt das Wort „Auto“ mit einer Vielzahl zusammengesetzter Wörter die
deutschen Sprache: „Autobahn“, „Autotelefon“, „Autofahrer“, Lastauto, Krankenauto,
Autotunnel, Spielzeugauto, Autoreifen, Rennauto, Autokino.
Auf ein Beispiel aus der 4. Industriellen Revolution, aus Internet und Digitalisierung,
wird an dieser Stelle verzichtet, weil diesem Thema der folgende, eigenständige Punkt
gewidmet ist.
Indem wir Digitalisierung definieren, setzen wir diesen Prozess auch ins Verhältnis zu
Industrie 4.0, zu Automatisierung und künstlicher Intelligenz und Internet. Des besseren
Einstiegs wegen wiederholen wir hier noch einmal unsere Definition vom Anfang des
ersten Kapitels.
Wie bei allem in einer Marktwirtschaft kann man auch Digitalisierung nicht anordnen.
Der Staat kann und muss Rahmenbedingungen schaffen, dass Möglichkeiten und
Motivation der Unternehmen zu Digitalisierung verstärkt werden. Dazu gehören auch
selbstverständlich Investitionen in die Förderung technischer und forschungsseitiger
Rahmenbedingungen. Dieses Prinzip gilt im Übrigen auch auf betrieblicher Ebene. Von
der Unternehmensführung müssen klare Signale, Leitlinien und Strategien kommen.
Die Erfahrung zeigt, dass aber der Erfolg der betrieblichen Digitalisierung auch davon
abhängt, ob daraus eine Eigendynamik entsteht – sozusagen der Motor anspringt.
„Bis 2030 werden zwar 490.000 Stellen in der Industrie wegfallen. Aber dafür werden auch
430.000 neue Stellen geschaffen: Jobs, die nur in Zusammenarbeit mit neuen Robotern
möglich sind. Gabelstapler-Fahrer werden zum Beispiel IT-Fachleuten weichen, die in den
Warenlagern intelligente Flurförderfahrzeuge programmieren. […] Allerdings: Vor allem
gering qualifizierte Jobs sind in Gefahr, die neuen Jobs sind vor allem für Fachkräfte.“
(Menn 2016)
Genau der letzte Teil des Zitats ist der springende Punkt. Dort liegt der Hase im Pfeffer.
Nehmen wir des klareren Blickes wegen kurz an, die Prognose ist völlig ausgeglichen.
490.000 Stellen entfallen und 490.000 werden neu geschaffen. Es werden 490.000
2.1 Arbeitsteilung, Technischer Fortschritt und Sprache 97
Gabelstapelfahrer weniger gebraucht und 490.000 Programmierer mehr. Die einen ver-
schwinden aber nicht im Boden oder jenseits der Grenze, und die anderen tauchen nicht
von dort auf. Bedeutsamer als Zahlenspiele über Stellenzahlen plus und minus sind die
neuen Stellenprofile und die dafür erforderlichen Kompetenzprofile. Selbst wenn alle
qualifizierungsseitigen Voraussetzungen geschaffen sind: Lassen sich, um im Bild zu
bleiben, Gabelstapelfahrer zu Programmierern umschulen? Sind alle Schulabgänger in der
Lage, den Anforderungen neuer Berufsbilder und -profile zu genügen? Ist das alles durch
kluge Qualifizierung überbrückbar, oder gibt es objektive Grenzen? Darin, diese so weit
wie möglich hinauszuschieben, liegt die große Aufgabe für die Aus- und Weiterbildung.
In dem qualitativen Aspekt des Kompetenzprofils liegt die eigentliche Heraus-
forderung von Digitalisierung für Beschäftigung. Weniger im quantitativen, in der
Gefahr einer per Saldo zahlenmäßigen Hoch- und Runterrechnungen. Moderate Ein-
schätzungen beschäftigungspolitischer Konsequenzen werden durch einen Blick auf
die langfristige Entwicklung der Arbeitslosenquoten im Zusammenhang mit den beiden
letzten industriellen Revolutionen mehr gestärkt als in Frage gestellt. Zu Beginn von
Industrie 3.0 Anfang der 1970er gingen die Arbeitslosenquoten gegenüber den 1960ern
(bei nahezu Null) auf 5 % und bis 1985 auf knapp 10 % nach oben. Als Begründung hier-
für finden wir aber ausschließlich den Verweis auf die Ölkrisen und die Energie- und
Rohstoffverknappung. Der Anstieg der gesamtdeutschen Arbeitsquote in den 1990er
Jahren stand im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung. Und von 2006
bis 2019 ist sie von 13 % auf fast 5 % stetig gesunken. Die seit 2020 wieder gestiegene
Arbeitslosigkeit ist Ergebnis der Corona-Eindämmungsmaßnahmen. Arbeitsplatzverluste
infolge von Industrie 3.0 und Industrie 4.0 werden in der Arbeitslosenstatistik nicht durch
andere Faktoren überlagert, sie finden überhaupt keine Erwähnung. Ein Erklärungsan-
satz aus quantitativer Sicht ist offensichtlich, dass Produktivitätserhöhung nicht nur darin
besteht, Bisheriges mit weniger Aufwand herzustellen, sondern ein Mehr mit möglicher-
weise dem gleichen eingesetzten Potenzial (auch an Arbeitskraft) zu produzieren. In dem
Maße, wie Digitalisierung zu Wachstum führt, gefährdet sie nicht die Beschäftigung.
Vorausgesetzt, die veränderten qualitativen und strukturellen Anforderungen an das
Beschäftigungspotenzial finden Beachtung und sind zu beherrschen.
Branchenstruktur
Bei der Beantwortung der Frage, welche Effekt der Digitalisierung für die Branchen der
Wirtschaft entstehen, und welche Unterschiede es dabei gibt, wählen wir zwei Ansätze:
Beispiel
Aus Abb. 2.1 kennen wir den steilen Anstieg der Online-Handelsumsätze in den
letzten 20 Jahren. Ihr Anteil am deutschen Einzelhandel liegt inzwischen bei
knapp 20 %, wo-bei die Corona-Einschränkungen 2020/2021 für eine nochmalige
Beschleunigung gesorgt haben. Die Anbieterkonzentration ist sehr hoch. Ein Viertel
des gesamten deutschen Online-Handels realisiert Amazon. Gefolgt von Akteuren wie
Otto, Zalando oder auf Unterhaltungselektronik spezialisierten Ketten wie Media-
markt oder Saturn. ◄
• 62 % der befragten Experten sehen einen großen Einfluss der Digitalisierung auf die
Sprache.
• Die Meinung zum Einfluss digitaler Medien auf die Schreib- und Lesefähigkeit ist
ausgeglichen (29 % „verbessert“, 27 % „verschlechtert“, 34 % „kein Einfluss“).
• Nach Einschätzung der meisten befragten Experten (44 %) macht die Nutzung
digitaler Medien den Wortschatz reicher (8 % „ärmer“, 39 % „kein Einfluss).
• Eine große Mehrheit von 69 % sieht im Ergebnis digitaler Kommunikation, dass der
schriftliche Umgangston im beruflichen Umfeld informeller wird.
• Zum Einfluss der Digitalisierung auf Ausdrucksfähigkeit und Schreibkompetenz von
Kindern und Jugendlichen ist die Meinung (positiv/negativ) ausgeglichen.
• Tendenziell sehen jüngere Befragte das Verhältnis von Chancen und Gefahren
optimistischer als ältere (forsa 2014).
100 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
Tab. 2.3 zeigt die Einschätzung der Wirkung der digitalen Kommunikation auf die
deutsche Sprache oder einzelne ihrer Komponenten in einer zusammengefassten Über-
sicht.
Der Anteil der Nennung schließt die Befragten aus, die unter dem jeweiligen
Kriterium keinen Einfluss sehen.
Viele Beiträge zu Digitalisierung und deutscher Sprache setzen in den letzten Jahren
an der zitierten Umfrage an, bewerten und erweitern diese in verschiedene Richtungen.
Wir wollen mit der nachfolgend gewählten Strukturierung daran anknüpfen:
• Neue Kommunikationsformen
• Erweiterter Wortschatz
• Anglizismen
• Sprachverfall oder Bereicherung
• Wirtschaft und Beruf
Neue Kommunikationsformen
Klassische Kommunikationsformen der Sprache sind die gesprochene und die
geschriebene Sprache. Die gesprochene Sprache, zunächst direkt, später ergänzt durch
Telefonie und Videotelefonie. Die geschriebene Sprache, zunächst auf beschriebenem
oder bedrucktem Papier, später ergänzt durch die formale Sprache der Telegrafie oder
später das Telefax.
Mit der digitalen Informations- und Kommunikationstechnologie kommen eine
Vielzahl neuer Kommunikationsmedien hinzu. SMS, Websites soziale Netzwerke wie
WhatsApp, Facebook, Twitter Instagram oder Xing. Gestützt auf PC, Laptop, Tablet,
Smartphone oder E-Book. In der überwiegenden Mehrzahl bedeutet die massenhafte
Nutzung dieser Medien eine Erweiterung der Schriftsprache. Auch wenn die Wirkung
der Digitalisierung auf die deutsche Sprache von „bereichernd“ bis „verkümmernd“
sehr unterschiedlich bewertet wird, erscheint eines unbestritten: Eine neue, überwiegend
verschriftliche digitalisierte Sprache setzt sich nicht additiv auf den bisherigen Sprach-
sockel auf. Sie ersetzt, zumindest teilweise, die bisherige Schriftsprache und wohl auch
einen Teil der gesprochenen Sprache. Welcher Teenie schickt seiner Freundin Briefe
oder seinen Eltern Postkarten aus dem Urlaub? Und sowohl im privaten und beruflichen
Bereich wie auch in der Behördenkommunikation ersetzen vielfach SMS, E-Mails oder
WhatsApps bisherige Telefonate. Halten wir fest: Es erfolgt durch digitale Medien eine
Verschiebung innerhalb des gesamten Sprachvolumens, setzen wie es gleich hundert, von
mündlicher zu schriftlicher Sprache. Dabei sprechen wir zunächst nur von einem rein
quantitativen Verhältnis, noch nicht von Qualität.
Und innerhalb neuer Formen von Schriftsprache werden Besonderheiten festgestellt.
„[Es] kündigt sich eine Technologiegeneration an, die dem Menschen aufs Wort gehorcht
und ihn durch Kenntnis seiner Sprache besser in Information und Kommunikation unter-
stützt. Vorboten dieser Entwicklung sind der Übersetzungsdienst Google Translate,
der zwischen 57 Sprachen übersetzt … und Apples mobiler Assistent Siri, der auf dem
iPhone Fragen beantwortet. Die nächste IT-Generation wird die menschliche Sprache
beherrschen…“ (META 2022)
Erweiterter Wortschatz
Unstrittig ist in der zitierten forsa-Umfrage und überhaupt, dass sich der deutsche Wort-
schatz durch die Digitalisierung erhöht. Diese Gewissheit muss von einer umstrittenen
„Bereicherung“ oder „Verarmung“ der deutschen Sprache unterschieden werden. Hier
geht es darum, ob die deutsche Sprache durch die Digitalisierung mehr Wörter erhält,
und wenn ja, was für welche.
Die letzte, die 28. Auflage des Dudens umfasst 148.000 Wörter. Das sind 3.000
Wörter mehr als im Vorgänger von 2017. Unter den neu hinzugekommenen Wörtern
dominieren Herkunftsbereiche wie Corona-Pandemie, Klimawandel, Gendersprache,
Digitalisierung und Anglizismen. Wobei die beiden letztgenannten über eine große
Schnittmenge verfügen. Zu den bereits in bisherigen Duden-Auflagen in Vielfalt ent-
haltenen Wörtern aus der Digitalisierungs-Sprache sind solche hinzugekommen wie
• Chatgruppe
• cloudbasiert
• doodeln
• Dating-Plattform
• Onlinevoting
• Uploadfilter
(Duden 2020)
Anglizismen
Die genannten Wortbeispiele aus der Digitalisierungs-Sprache weisen auf einen hohen
Anteil von Anglizismen unter ihnen hin. Oder aus dem Englischen und dem Deutschen
zusammengesetzte Wörter wie „Chatgruppe“ oder „Uploadfilter“. Dass Anglizismen den
deutschen Wortschatz durch die Digitalisierung noch stärker als bisher prägen, wird in
einigen Quellen zum Anlass für grundsätzliche Überlegungen genommen. So stellt die
bereits zitierte Multilingual Europe Technology Alliance zunächst eine Entwarnung
voran. Indem sie empfiehlt, dem Opfern schöner Wörter und Wendungen des Deutschen
am besten durch deren häufige Verwendung und nicht durch Polemik und Verordnungen
entgegenzutreten. Und indem sie feststellt, dass alle wesentlichen internationalen Soft-
wareprodukte in deutschen Versionen verfügbar sind und die deutsche Wikipedia die
zweitgrößte nach der englischen ist. Um an anderer Stelle anzumerken, dass die auto-
matische Analyse des Englischen viel besser entwickelt ist als die für das Deutsche.
2.1 Arbeitsteilung, Technischer Fortschritt und Sprache 103
Viele Wissenschaftler schreiben diese Entwicklung dem Umstand zu, dass sich die
Computerlinguistik und die Sprachtechnologieforschung seit Jahrzehnten mit all ihren
Anwendungen hauptsächlich und zuallererst am Englischen versuchen. … Andere Wissen-
schaftler glauben, dass sich das Englische inhärent besser für die digitale Verarbeitung
eignet. … Derzeit ist die deutsche Sprache entgegen aller Unkenrufe nicht in Gefahr. Auch
im digitalen Raum und im Umgang mit der Technologie wird sie derzeit noch nicht vom
Englischen verdrängt. Aber das kann sich sehr schnell ändern, wenn die Technologie in
Kürze die menschliche Sprache beherrscht.“ (META 2022)
Damit wird der Kreis zu dem geschlossen, was bereits unter „Neue Kommunikations-
formen“ aus der gleichen Quelle zitiert wurde. Zur Zukunftsvision eines Wandels
von der Computersprache als formale Sprache (oder über diese als Brücke) zur natür-
lichen Sprache zwischen Mensch und Maschine. Und zu den damit verbundenen wenig
erforschten Konsequenzen für die Welt der Sprachen, wie wir sie heute kennen.
zwölf Rechtschreibfehler pro hundert Wörter fast verdoppelt. Was u. a. auf den Zeit-
druck in der digitalen Kommunikation (schnell und kurz) und die damit verbundene
Vernachlässigung von Orthographie, Interpunktion und Grammatik zurückzuführen sei.
(Niehage 2014).
Eine andere Studie der Linguistin Christa DÜRSCHEID vergleicht 1000 Deutschauf-
sätze mit 1100 Nachrichten in sozialen Netzwerken, geschrieben durch dieselben 16- bis
18-jährigen Schüler. Hier sind die digitalen Nachrichten zwar sprachlich fehlerhaft, was
jedoch keinen Einfluss auf die Deutschaufsätze hat. Die Schlussfolgerung lautet, dass
Schüler sehr wohl in der Lage seien, beide Schreibwelten zu trennen (Niehage 2014).
Die zweite Interpretation ist eine wichtige, aber nicht pauschal gesicherte. Die Fähig-
keit, sich kurz und knapp und zur Not auch fehlerhaft in den sozialen Medien zu ver-
ständigen, vom durch digitale Sprache erweiterten kreativen Wortschatz zu profitieren
und gleichzeitig die deutsche Sprache in ihrer Breite, Schönheit und Richtigkeit zu
beherrschen, ist nicht jedem in die Wiege gelegt und von Schüler zu Schüler zumindest
unterschiedlich. Dass sich daraus kein „entweder – oder“, kein „magisches Dreieck“
entwickelt, ist auch, wenngleich nicht nur, eine Herausforderung für die Schule. Dort,
wo Langzeitwirkungen zeigen, dass diese Harmonie Lücken aufweist, muss eines in
Rechnung gestellt werden: In den Fällen, in denen die Verständigung über digitale
Medien zu kürzerem und fehlerhafterem Schreiben führt, ist das nur ein erster Schritt.
Es gibt einen zweiten. Die Schriftsprache ihrerseits korreliert mit dem Denken von
Menschen, mit ihrem Horizont. Denken beeinflusst Schreiben und Schreiben beeinflusst
Denken.
Erstens Schüler zehnter Klassen aus den genannten Schulbereichen stehen zu einem
nicht unbeträchtlichen Teil mit Defiziten in ihrer mündlichen Sprache an der Schwelle
in das Berufsleben. Defizite, die sich beim Umsetzen von gesprochener in geschriebene
Sprache noch verstärkt zeigen. Schwer fällt es oft schon, die Begriffe von Berufen zu
verstehen, weil für diese bereits der Wortstamm sehr erklärungsbedürftig ist: Kaufmann/
frau für Bürokommunikation, Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte(r), Betriebswirt/
in im Außenhandel etc. Auch beim sprachlichen Verstehen von Profilanforderungen von
2.1 Arbeitsteilung, Technischer Fortschritt und Sprache 105
Zweitens Bevor die Aufgaben der Schule Thema sind, soll zunächst die Rolle des
Elternhauses genannt werden. Zweifellos vermittelt ein familiärer Rahmen, in dem
vorgelesen, gelesen, Kinderlieder gesungen werden und man offen miteinander
kommuniziert, bessere Voraussetzungen für die Fähigkeit, digitale Sprache mit gutem
Deutsch in Wort und Schrift zu vereinen, als wenn jemand frühzeitig mit den sozialen
Medien allein gelassen wird. Später kommt die Verantwortung der Schule dazu, diese
Ziel-Harmonie zu verstärken.
Drittens Aber, und das ist kein Widerspruch, geht es in den Schulen gleichzeitig darum,
die digitale Qualifizierung von Schülern (und Lehrern) zu verstärken. Weil die hier ver-
arbeiteten Erfahrungen aus der Berufsorientierung besagen, dass Jugendliche, die in
hohem Maße über SMS, WhatsApp oder Twitter kommunizieren, gleichzeitig über
wenig oder keine Fähigkeiten verfügen, wenn es um andere Aktivitäten im Netz, zum
Beispiel das Recherchieren von Ausbildungsplätzen, geht.
Viertens Die Beobachtung zeigt, dass viele Schüler zehnter Klassen, wenn sie sich
schriftlich ausdrücken, vielfach in Druckbuchstaben schreiben. Was oft damit erklärt
wird, dass man durch die digitalen Medien ohnehin bald nur noch die Tastatur-
schreibweise benötigt. Tatsächlich steht das Schreiben in Druckbuchstaben zwischen
der Schreibschrift und der Tastenschrift. Wohnt letzterer eine Komponente von
Minimalismus und der Schreibschrift eine Komponente von Sorgfalt inne, dann liegt die
Druckschrift bezüglich beider in der Mitte. Schreibschrift wird in den Schulen vermittelt.
Was richtig ist, beibehalten und durch die Bildungspolitik nicht infrage gestellt werden
sollte. Vielleicht noch mit mehr Nachdruck auf ihre Verwendung jenseits des Klassen-
raumes. Auf die Diskussion zu methodischen Fragen – ob in den ersten Klassen lieber
zunächst Schreibschrift anstatt Druckschrift gelernt werden sollte, oder ob nach Schulen
unterschiedlich zunächst nach der mündlichen Sprache geschrieben wird, selbst um den
Preis der Fehlerhaftigkeit – sei hier lediglich hingewiesen.
Fünftens Kommen wir zur Wirtschaft selbst. Fachkräftemangel führt dazu, dass der
Run von Betrieben auf Berufsorientierungsprojekte wie das BNA groß ist. Die Latte für
die Einstellung von Schulabgängern liegt dabei zum Teil niedriger als noch vor Jahren,
aber sie liegt. Und die meisten Unternehmen nennen unter ihren Entscheidungskriterien
bemerkenswerterweise folgende Rangfolge. 1. Beherrschen der deutschen Sprache, 2.
Soziale Kompetenzen, 3. Fachliche Kompetenzen. Dessen muss man sich bewusst sein.
Im Interesse der Schulabgänger und ihres Berufslebens wie auch im Interesse der Wirt-
schaft. Wenn bei einem Nachfrageüberhang nach geeigneten Auszubildenden nicht noch
zusätzlich potenzielle Bewerber durch Mismatch, durch eine unüberbrückbare Lücke
106 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
„Das klassische Versenden der Bewerbungsunterlagen mit der Post ist meist besser als ein
Versenden per E-Mail – zumindest wenn die Empfänger kleinere Unternehmen sind. …
Denn deren Personalverantwortliche bevorzugen meist schriftliche Bewerbungen. … Allein
schon die gewählte Mappe und das gewählte Papier sagen etwas über den Bewerber aus. …
Fazit: Schriftliche Bewerbung ist vorteilhafter.“ (Winter 2018)
„Die Bewerbung per Papier ist tot. Fast alle Unternehmen wollen digitale Unterlagen, viele
haben dafür eigene Portale. … neun von zehn Personalern erwarten digitale Bewerbungs-
unterlagen, zeigt eine Umfrage des Digitalverbandes Bitkom aus dem vergangenen Jahr. …
Im Jahr 2015 sprachen sich nur knapp zwei Drittel der Personaler für digitale Unterlagen
aus… Die Online-Bewerbung wird dabei immer einfacher und knapper. .. das Anschreiben
ist nicht mehr bei allen Unternehmen Pflicht. … Wichtig sei das Dokument nach wie vor
im Marketing … Denn Personaler können daraus lesen, wie gut sich die Kandidaten aus-
drücken können. (Trimborn 2022)
Die beiden Positionen wurden ausgewählt, weil sie sich scheinbar diametral gegen-
über stehen. Beim genaueren Hinschauen treten aber neben die Erklärung, es
2.1 Arbeitsteilung, Technischer Fortschritt und Sprache 107
handele sich einfach um die übliche Meinungsvielfalt, zwei weitere. Erstens. Die
Unternehmensgröße. Die erste Position spricht von „kleineren“ Unternehmen. Die
zweite verweist an hier nicht zitierter Stelle auf einen Bezug der Bitkom-Umfrage
auf Unternehmen ab 50 Mitarbeitern. Zweitens. Der Zeitbezug. Die erste Quelle
stammt aus dem Jahr 2018, die zweite aus dem Jahr 2022. Ein Trend zur Online-
Bewerbung ist unverkennbar. Und damit zu einer Ökonomisierung, Formalisierung
und Standardisierung – insbesondere in zunehmend von Unternehmen eingesetzten
Bewerbungsportalen. Damit wird das, was das Unternehmen interessiert, in einem festen
Rahmen vorgegeben, und verhindert, dass der Bewerber in Inhalt und Umfang „daran
vorbeischreibt“. Gerade deshalb empfehlen Personalberater und Karriere-Coaches den
Bewerbern, ihre individuellen Geschichten (Storytellings) und alles Geeignete, um von
sich zu überzeugen, in den zur Verfügung stehenden Textfeldern unterzubringen und
keines unausgefüllt zu lassen (Trimborn 2022).
Zweitens Es muss darauf verwiesen werden, dass sich der Vergleich von „Präsenz im
Betrieb“ und „Homeoffice“ auf den gleichen aktuellen Zeitpunkt bezieht. Und nicht auf
„Präsenz im Betrieb vor Corona“ und „Homeoffice während und nach Corona“. Das ist
wichtig. Befragte weisen darauf hin, dass sich in ihren Betrieben auch bei Präsenz die
Struktur der in Tab. 2.4 genannten Medien geändert hat. So haben sich zum Beispiel
Video-Calls und Videokonferenzen von einem sehr niedrigen Sockel vor Corona auf die
in Tab. 2.4 ausgewiesenen 24 % bewegt.
Drittens Die Spanne der Angaben pro Medium ist groß. Sie reicht zum Beispiel bei
E-Mail im Homeoffice von 40 % bis 85 % oder bei Videokommunikation von 5 % bis
40 %.
Sechstens Sprache kann interaktiv oder (zumindest für den Moment) eine Einbahn-
straße sein. Unmittelbare Rede und Gegenrede, Nachfragen und Richtigstellen ermög-
licht am stärksten die traditionelle Sprache und dort wiederum die gesprochene
Sprache. Darunter fallen neben dem Direktkontakt auch die Telefon- und die Video-
kommunikation. Digitale Sprache, darunter zum Beispiel die E-Mail – aber im
traditionellen Bereich auch der Brief – ermöglichen zwar auch eine Antwort, aber zeit-
verzögert. Das schließt grundsätzlich eher die Gefahr von unaufgeklärten Missverständ-
nissen ein, die gerade in der Geschäftskommunikation Quelle wirtschaftlichen Schadens
sein können. Dieser Umstand ist in der Literatur bisher unbelichtet. Hier dazu ein Bei-
spiel aus der Unterhaltungsindustrie.
Beispiel
Einem großen Label ist dort eine internationale Werbefläche durch missverständ-
lichen E-Mail-Verkehr entgangen. Im konkreten Fall wurden Verantwortlichkeiten für
die Buchung einer wichtigen Werbefläche unzureichend, u. a. mit der Formulierung
„wir müssen…“ angegeben. Vorausgesetzt, aber nicht direkt angesprochen wurde die
dabei vorhandene Zuständigkeit der im E-Mail-Verteiler enthaltenen Person. Durch
den Glauben, einerseits alles geklärt zu haben, und andererseits die ausbleibende
Rückfrage wurde die einmalige Chance verpasst, eine bekannte deutsche Rockband
zur Veröffentlichung ihres neuen Albums auf dem New Yorker Times Square zu
präsentieren. ◄
Siebtens. Was heißt das alles für die Sprache? Dazu lassen sich die Medien in zwei
Gruppen teilen. Eine erste Gruppe sind solche, über die trotz technischer Unterschiede
die traditionelle deutsche Sprache gesprochen oder geschrieben wird. Und deren
Gewichtung von betrieblicher Präsenz hin zu Homeoffice sich nur verändert. Dazu
gehören direkter Sprachkontakt, Telefonkommunikation, Videokommunikation und
Schreiben per Post. (Unabhängig von kosmetischen Unterschieden wie im Video-Knigge
vermittelt) Ihr Gesamtanteil beträgt bei betrieblicher Präsenz 63 % und bei Homeoffice
39 %. Eine zweite Gruppe bilden Medien, über die die bereits beschriebene Digital-
Sprache vermittelt wird. Das sind E-Mail und Messenger-Dienste. Ihr Gesamtanteil ver-
ändert sich von 37 % bei Präsenz auf 61 % im Homeoffice. Gerundet ergibt sich (aus
den zur Verfügung stehenden Informationen) die Aussage: Die Sprache in Wirtschaft
und Arbeitswelt wandelt ihr Verhältnis „traditionell“ zu „digital“ von zwei Drittel zu
ein Drittel im Betrieb auf ein Drittel zu zwei Drittel im Homeoffice. Damit ist die beruf-
liche Kommunikation im Homeoffice tendenziell all das mehr, was digitale Sprache aus-
110 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
macht – kürzer, ökonomischer, fehleranfälliger und informeller. Das ist eine Aussage,
die durch weitere Forschung präzisiert werden kann. Sie soll hier nicht dahin gehend
bewertet werden, ob sprachliche Veränderungen in der Arbeitswelt ein akzeptabler Preis
für soziale Vorteile aus Homeoffice sind.
Eine ganz andere Frage ist eine, die nichts mit Homeoffice und Sprache, sondern
mit Homeoffice, wenn es Grenzen nach oben überschreitet, und Wettbewerbsfähigkeit
zu tun hat. Dabei geht es weniger um die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern
eines Unternehmens untereinander, sondern um die Kommunikation mit dessen Kunden.
Es gibt in der Wirtschaft unterschiedliche Meinungen dazu, ob Onlinekommunikation
und Videoschalte den direkten persönlichen Kundenkontakt und vertrauensbildende
Gespräche an demselben Tisch in der Lage sind, vollständig zu ersetzen. Da die Wirt-
schaft aber durch den Markt und Wettbewerb reguliert wird, werden diese ohne not-
wendige Verordnungen zu einem optimalen Verhältnis führen.
Exkurs
Ein Beispiel aus der Arbeitswelt, hier aus dem Bereich öffentlicher Verwaltungen,
sind die Kontaktbeschränkungen in den Agenturen für Arbeit und Jobcentern
während der Corona Pandemie 2020 und 2021. Von März 2020 an konzentrierte
sich deren Arbeit stark auf die Bearbeitung und Bewilligung von Geldleistungen.
Kundenkontakte wurden minimiert, um damit einen Beitrag zum Gesundheits-
schutz und zur Eindämmung der Pandemie zu leisten. Viele Mitarbeiter arbeiteten
aus dem Homeoffice im telefonischen oder digitalen Kontakt zu ihren arbeit-
suchenden Kunden. Das betraf die Entgegennahme von Meldungen zur Arbeits-
losigkeit, aber auch die Beratung über Aktivitäten zur Wiederaufnahme einer
Arbeit oder dazu erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen. Unabhängig von
den Grenzen technischer und systemischer Voraussetzungen und einer möglicher-
weise gesundheitsseitigen Alternativlosigkeit zeigte sich in der Erfahrung von
Beteiligten, dass die Ergebnisse der Kundenkontakte auf Distanz oft geringer
waren als im direkten persönlichen Gespräch.
Bereits in Kap. 1 dieses Buches wird die Literatur in ihrem weit gefassten Sinne als
Gesamtbestand dokumentierter Zeitzeugnisse einer Sprache verstanden. Anderer Stellen
weisen auf Quellen hin, die der Verbindung von Wirtschaft und Literatur – hier verstanden
als Belletristik (Unterhaltungsliteratur) – nachgehen. Einige der wenigen Quellen zum
Thema „Wirtschaft und Sprache“ überhaupt. Erinnert sei an die Rolle des Wettbewerbs,
verstanden über die Wirtschaft hinaus, in der Literaturgeschichte bei RICHTER („Mensch
und Markt“). Wir wollen das Thema „Wirtschaft in Literatur“ hier wieder aufgreifen.
2.2 Wirtschaft in Literatur 111
Vorausgeschickt sei aber zunächst, dass die wirtschaftliche Komponente in den Literatur-
epochen vielfach keine dominierende Rolle spielt. Aus der Zeit des Mittelalters finden
wir unter den in Kap. 1 zitierten Beispielen weder unter den Merseburger Zauber-
sprüchen noch bei Walther von der VOGELWEIDE vordergründig wirtschaftliche
Themen. Schauen wir auf Merkmale, die für einzelne Epochen der deutschen Literatur
stehen:
Die Bibel selbst vermittelt als ihre wichtigsten Botschaften andere als wirtschaftliche:
das Reich Gottes auf Erden, die Liebe Gottes zu den Menschen und die christliche
Nächstenliebe der Menschen untereinander. Dennoch finden wir in den Bibeltexten eine
Reihe wirtschaftlicher Bezüge. Und zwar nicht allein in neutraler Darstellung, sondern
mit klaren Wertungen. Wir stellen hier einige solcher Bezüge vor und strukturieren sie.
Exodus des Volkes Israel aus Ägypten Die Herausführung des Volkes Israel aus
ägyptischer Knechtschaft, Sklaverei und Armut in ein Land, „darin Milch und Honig
fließt“ (Bibel 2017a), ist die bildhafte Umschreibung dafür, dass Gott das israelische
Volk in den Wohlstand führt. Und wenn wir uns an die Diskussion um das Bruttoinlands-
produkt und alternative Kriterien erinnern, zu einem hier sehr materiell interpretierten
Wohlstand.
LOHFINK führt diesen Gedanken in einem Einleitungsvortrag vor Wirtschaftlern und
Theologen fort, in dem er im Buch „Exodus“ (Mose 2) unterschiedliche Arbeitswelten in
Ägypten und im „gelobten Land“ ausmacht.
„Der ägyptische Staat überführt die vor einigen Generationen ins Nildelta eingewanderten
und dort als selbständige Viehzüchter lebenden Israeliten in Staatsfron und benutzt sie als
Arbeitskräfte, um zwei neue Vorratsstädte zu bauen und die Staatsplantagen im Delta in
Gang zu halten.“
Im Kontrast dazu steht die neue Arbeitswelt, in der die Israeliten in der Wüste ihr neues
Heiligtum (die Stiftshütte, A.F.) bauen.
„Betont werden die Freiwilligkeit der Arbeit, die Verwendung des einzelnen nach
seiner besonderen Begabung und die Freude an der Zusammenarbeit. … Das, was Israel
‚Erlösung‘ nannte, war konkret vor allem ein von seinem Gott bewirkter Wechsel des Wirt-
schaftssystems.“ (Lohfink 1985)
Lob der Armut Ziel des Wirtschaftens ist, mit möglichst wenig Einsatz an Ressourcen
(Aufwand) eine möglichst hohe Menge an Bedürfnissen zu befriedigen. Ein Mensch,
2.2 Wirtschaft in Literatur 113
oder ein Land mit dieser Fähigkeit ist potenziell „reich“ und anderenfalls „arm“. Der
Weg zu Reichtum führt (sprechen wir von volkswirtschaftlichen Modellen) über Arbeit.
In der Bibel finden wir zu Arm und Reich viele Stellen. Und alle mit prononcierter
Parteinahme für Arm und gegen Reich. Bekannt ist die Stelle vom reichen Mann, der
in die Hölle und vom armen Lazarus, der in den Himmel kommt (Bibel 2017b). Zu
den Seligpreisungen gehört der Trost der Armen und Hungrigen mit einer Besserung in
Gottes Reich.
„Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist Euer. Selig seid ihr, die ihr jetzt hungert,
denn ihr sollt satt werden.“ (Bibel 2017b)
In der Geschichte vom reichen Jüngling fragt dieser Jesus, was er neben der Einhaltung
von Gottes Geboten noch Gutes tun könne. Die Antwort ist, der Jüngling solle ver-
kaufen, was er habe und es den Armen geben. So werde er einen Schatz im Himmel
haben. Und es heißt weiter:
„Jesus aber sprach zu seinen Jüngern: Wahrlich, ich sage euch: Ein Reicher wird schwer ins
Himmelreich kommen. Und weiter sage ich euch: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein
Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.“ (Bibel 2017b)
In der Geschichte von der Arbeit im Weinberg finden wir ein Beispiel für das sehr soziale
Prinzip gleicher Verteilung bei ungleicher Leistung. Die, die am längsten gearbeitet
haben, bekommen ebenso einen Silbergroschen wie die, die erst um die elfte Stunde
angeworben wurden. Als die ersten darüber murren, ist die Entgegnung des Hausherrn:
„So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.“ (Bibel 2017b)
Geld Eng an der Bewertung von Arm und Reich liegt die von Geld und seinem Besitz.
„Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den anderen
lieben, oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott
dienen und dem Mammon.“ (Bibel 2017b)
Exkurs
Interessant ist die Ähnlichkeit dieser Alternative „Gott oder Geld“ in der Bibel
mit dem unter Abschn. 1.2.1 zitierten „Ich saz uf einem steine“ von Walther VON
DER VOGELWEIDE. Hier wünscht sich der Erzähler drei Dinge zusammenzu-
bekommen: Ansehen, Besitz und, was am höchsten zählt, Gottes Gnade. Und er
erkennt gleichzeitig, dass alles zusammen wohl nicht zu haben ist. „Weg und Steg
sind ihnen genommen, dass sie in einem Herzen zueinander kommen.“
114 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
Eine andere Stelle in der Bibel scheint zu alldem in einem Widerspruch zu stehen. In der
Geschichte von den anvertrauten Talenten ruft ein Herr vor einer Reise seine Knechte
und vertraut ihnen sein Vermögen an. Je nach Vertrauenswürdigkeit dem ersten fünf
Zentner Silber, dem zweiten zwei und dem dritten einen. Der erste handelt mit seinen
fünf Zentnern und gewinnt weitere fünf dazu. Der zweite tut das gleiche und gewinnt
zwei weitere Zentner dazu. Der dritte vergräbt seinen Anteil vom Geld seines Herrn in
der Erde. Nach seiner Rückkehr lobt der Herr die ersten beiden und schilt den dritten
einen bösen und faulen Knecht. Und spricht:
„Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht aus-
gestreut habe? Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich
gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen.“ (Bibel 2017b)
Auf den ersten Blick wird man an MARX‘ Mehrwert und Verwertung von Kapital erinnert.
Einige Interpretationen dieser Geschichte sehen in ihr aber lediglich ein Gleichnis, das
eigentlich meint, dass jeder seine eigenen Talente nutzen und etwas daraus machen soll.
Händler Handel und Wirtschaft tragende Personen wie Händler spielen in der Bibel
eine kleine Rolle. Und wenn, dann eine gering bewertete, krämerische und lästige. Das
wird deutlich am Bild der Tempelreinigung im neuen Testament (Buch Matthäus).
„Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb hinaus alle Verkäufer und Käufer im
Tempel und stieß die Tische der Geldwechsler um und die Stände der Taubenhändler und
sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: `Mein Haus soll ein Bethaus heißen`; ihr aber macht
eine Räuberhöhle daraus.“ (Bibel 2017b)
Diese grundsätzlich geringe Bewertung Wirtschaft, Wettbewerb und Handel, das haben
wir an anderer Stelle betont, prägt maßgeblich die Literatur zu LUTHERs Zeiten. Was
erklärlicherweise ein Ergebnis des großen Einflusses seiner Bibelübersetzung auf die
gesamte Gesellschaft dieser Zeit ist.
Machen wir einen Sprung in die Anfänge des 19. Jahrhunderts und zu GOETHEs
Faust. Bereits in Kap. 1 wurde das Werk als literarisches Zeugnis deutscher Sprach-
geschichte vorgestellt. Hier soll es um die wirtschaftliche Sichtweise gehen. Gibt es im
Faust wirtschaftliche Themen? Die Antwort ist, wie in anderen Beispielen der Literatur:
Ja, aber nicht vordergründig, sondern begleitend. Der Faust ist keine wirtschaftliche
Tragödie, sondern eine menschliche. Eine Parabel über eine sich beschleunigende Welt,
in der der von Unzufriedenheit und Ungeduld getriebene Mensch versucht, die Zukunft
zu überholen.
Es gibt einige Quellen, die der Frage nach dem ökonomischen Gehalt in GOETHEs
Faust nachgehen und diesen in guter Absicht auch überhöhen. Dazu wird hier die Arbeit
2.2 Wirtschaft in Literatur 115
„Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach wir Armen.“ (Goethe 2021)
Bekannter für seinen wirtschaftlichen Bezug ist der zweite Teil des „Faust“. In ihm
wird der Drang von Faust zu Erkenntnis und Selbstverwirklichung in einem Streifzug
durch Welt und Geschichte fortgesetzt. Der wohl stärkste Bezug zur Wirtschaft findet
sich gleich im ersten Akt am Kaiserhof. Der Staatsschatz ist leer, der Kaiser braucht
Geld. Faust soll Gold herstellen. Aber mit Hilfe von Mephisto, der als Hofnarr fungiert,
präsentiert er als Rettung Papiergeld. Das wurde in der wirklichen Welt erstmals im
17. Jahrhundert in Schweden verwendet. Goethe war außer Dichterfürst auch Finanz-
minister des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. Als solcher hatte er eine Beziehung
zum Geld und bringt diese in die Dialoge am Kaiserhof ein.
SCHATZMEISTER ….
Die Goldespforten sind verrammelt,
4850 Ein jeder kratzt und scharrt und sammelt,
Und unsre Kassen bleiben leer.
MARSCHALK. Welch Unheil muss auch ich erfahren!
Wir wollen alle Tage sparen
Und brauchen alle Tage mehr
4855 Und täglich wächst mir neue Pein.
MEPHISTO: Wo fehlt´ s nicht irgendwo auf dieser Welt?
4890 Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld.
MEPHISTO: Daran erkenn ich den gelehrten Herrn!
Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,
Was ihr nicht fasst, das fehlt euch ganz und gar,
4920 Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt, das meint ihr, gelte nicht.
KAISER: Dadurch sind unsre Mängel nicht erledigt,
Was willst du jetzt mit deiner Fastenpredigt?
4925 Ich habe satt das ewige Wie und Wenn;
Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn.
MARSCHALK: Durchlauchtigster, ich dacht´ s in meinem Leben
Vom schönsten Glück Verkündung nicht gegeben
Als diese, die mich hoch beglückt,
6040 In deiner Gegenwart entzückt:
Rechnung für Rechnung ist berichtigt,
Die Wucherklauen sind beschwichtigt,
Los bin ich solcher Höllenpein;
Im Himmel kann´s nicht heitrer sein.
116 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
KANZLER: ….
6055 So hört und schaut das schicksalschwere Blatt,
Das alles Weh in Wohl verwandelt hat.
Er liest. „Zu wissen sei es jedem, der´s begehrt:
Der Zettel hier ist tausend Kronen wert.
Ihm liegt gesichert, als gewisses Pfand,
6060 Unzahl vergrabnen Guts in Kaiserland.
Nun ist gesorgt, damit der reiche Schatz,
Sogleich gehoben, diene zum Ersatz.“
SCHATZMEISTER…..
Damit die Wohltat allen gleich gedeihe,
So stempelten wir gleich die ganze Reihe,
6075 Zehn, Dreißig, Fünfzig, Hundert sind parat.
Ihr denkt euch nicht, wie wohl´ s dem Volke tat.
MEPHISTO….
Man wird sich nicht mit Börs´ und Beutel plagen,
Ein Blättchen ist im Busen leicht zu tragen,
6105 Mit Liebesbrieflein paart ´s bequem sich hier.
FAUST….
6115 Die Phantasie in ihrem höchsten Flug,
Sie strengt sich an und tut sich nie genug.
Doch fassen Geister, würdig, tief zu schauen,
Zum Grenzenlosen grenzenlos Vertrauen.
MEPHISTO: Ein solch Papier, an Gold und Perlen statt,
6120 Ist so bequem, man weiß doch, was man hat;
Man braucht nicht erst zu markten, noch zu tauschen,
Kann sich nach Lust in Lieb´ und Wein berauschen.
Wirtschaftlich bietet sich zunächst der Bezug auf die Funktion des Geldes als all-
gemeines Tauschmittel an. Seine einfache und praktische Handhabung, die beim Papier-
geld noch stärker gegeben ist, als wenn man sich mit „Börs und Beutel plagen“ muss.
Gleichzeitig schwingt die Skepsis mit, wie bei einem ausufernden Gelddrucken ohne
dessen Deckung mit Gold oder Waren Inflation heraufbeschworen werden kann. Der
aktuelle Vergleich des Anleihen-Kaufs durch die Europäische Zentralbank in der ersten
Hälfte des Jahres 2022 und die zunehmende Zahl an finanziellen Schutzschirmen in
der zweiten sowie der Anstieg der Inflationsrate mit dem GOETHEschen Kaiserhof
drängt sich auf. Wobei sich im Faust die Gefahr der Geldentwertung vordergründig
auf das einfach übermütige Drucken von Papiergeld bezieht und Inflationsgefahr durch
Giralgeldschöpfung bei maßloser Kreditaufnahme, insbesondere des Staates, noch außer
Acht bleibt.
Auf die Weimarer Klassik folgt die Epoche der Romantik. Von 1795 bis 1880 genau
genommen der Zeitraum, in den die Fertigstellung beider Teile des Faust fällt. Das
betrifft aber auch die Herausgabe der meisten Märchen der Gebrüder GRIMM.
2.2 Wirtschaft in Literatur 117
Hans im Glück Ein erstes Zitat kennen wir bereits aus Kap. 1, in dem einige sprach-
relevante wirtschaftliche Themen vorgestellt werden. Das unglückliche Sich-Herunter-
tauschen von Ware zu Ware wird dort zur Erklärung der Zweckmäßigkeit des Geldes als
allgemeines Tauschmittel benutzt:
„Aber wo habt Ihr die schöne Gans gekauft? Die hab ich nicht gekauft, sondern für mein
Schwein eingetauscht. Und das Schwein? Das hab ich für eine Kuh gekriegt. Und die Kuh?
Die hab ich für ein Pferd bekommen. Und das Pferd? Dafür hab ich einen Klumpen Gold so
groß als mein Kopf gegeben.“ (Grimm 2000)
„Das könnt ihr glauben, dass die Vögel dort gebraten in der Luft herumfliegen, Gänse und
Truthähne, Tauben und Kapaunen, Lerchen und Krammetsvögel, und wem es zu viel Mühe
macht, die Hand danach auszustrecken, dem fliegen sie schnurstracks ins Maul hinein.“
(Grimm 2000)
Schlaraffenland in der Sprache des Volkswirtes heißt: Alle Bedürfnisse der Menschen
bestehen, stellvertretend, ausschließlich aus Essen, und es gibt unbegrenzte Möglich-
keiten, sie zu befriedigen. Unter diesen Umständen brauchte niemand zu wirtschaften.
Hänsel und Gretel Märchen bewegen sich nicht im örtlichen und zeitlichen Vakuum.
Konkrete Bezüge in Zeit und Raum sind trotzdem rar. Ortsangaben finden wir bei-
spielsweise bei den Bremer Stadtmusikanten oder der Buxtehuder Heide als Kulisse
des Märchens vom Hasen und Igel. Zeitbezüge lassen sich meist nur indirekt, beispiels-
weise über historische Rahmenbedingungen herstellen. Wenn man an Hänsel und Gretel
denkt, hat am ehesten das Bild von Pfefferkuchenhaus und Hexe vor Augen. Und nicht
Inflation. Die macht hier aber den Anfang.
„Vor einem großen Walde wohnten ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei
Kindern; das Bübchen hieß Hänsel und das Mädchen Gretel. Er hatte wenig zu beißen und
zu brechen, und einmal, als große Teuerung über das Land kam, konnte er das tägliche Brot
nicht mehr schaffen.“ (Grimm 2000)
Nicht jeder, der von Armut bedroht ist, wird seine Kinder gleich in den Wald schicken.
Aber „Teuerung“ heißt „Inflation“. Der Ausflug zeigt, dass Geldentwertung nicht
nur ein Phänomen der Neuzeit ist, und er malt auf drastische Weise das Bild sozialer
Konsequenzen.
118 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
Das beste Argument dafür, dass die Geldwertstabilität zum engsten Kreis der gesamt-
wirtschaftlichen Ziele gehört, sind die Erfahrungen unserer Großeltern, Urgroßeltern
und noch früherer Generationen mit zwei großen Inflationen in Deutschland. Beide
Inflationen waren Folge der Rüstungsfinanzierung im ersten und im zweiten Weltkrieg
und hinterließen 1923 und 1948 eine zerrüttete Währung. Im Jahre 1923 war das Preis-
niveau auf das 1,25 Billionenfache gestiegen. Der sozial verheerende Charakter großer
Inflationen besteht darin, dass nicht nur Geld, sondern auch dafür erbrachte Leistungen
entwertet werden. Die sozialen Folgen für große Teile Bevölkerung sind große Verluste,
Arbeitslosigkeit und Armut. Zunehmend treffen wir auf solche Ängste bei schon seit
langem unbekannten Inflationsraten zwischen 7 und 10 Prozent im Jahr 2022.
Es sei schließlich auf eine der sehr wenigen Quellen verwiesen, in denen aus Märchen
ebenfalls wirtschaftliche Aussagen herausgelesen werden. Der katholische Theologe
und Psychotherapeut Eugen DREWERMANN verbindet unter dem Titel von Märchen
wie „Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter“ oder „Frau Holle“ auf dem Cover
den Bezug „Grimms Märchen tiefenpsychologisch gedeutet“. Hinzuzufügen ist: Auch
politisch. Pauschalität und Intensität, mit denen DREWERMANN Aussagen von über
200 Jahre alten Märchen ungefiltert in die Gegenwart überträgt, sind nicht unumstritten.
So schreibt die Frankfurter Allgemeine dazu:
„Er (Drewermann, A.F.) will nachweisen, dass diesen jahrhundertealten Märchen eigent-
lich schon alles Wesentliche über das heutige Wirtschafts- und Arbeitsleben und dessen
Schattenseiten gesagt wurde. Dies gilt beispielsweise für Forderung des Königs an die
Müllerstochter im `Rumpelstilzchen`, binnen einer Nacht eine Kammer voll Stroh zu Gold
zu spinnen. Sie symbolisiere den gnadenlosen Leistungsdruck und die vollkommene Aus-
beutung der Arbeitskraft. … Einzig in den `Bremer Stadtmusikanten` erkennt Drewermann
(viel) Positives. Die Tiere, allesamt von ihren Haltern ausgemustert, verweigern sich den
Systemzwängen – und werden damit im Märchen reich belohnt. … Darin bestehe die ein-
zige Lösung, nämlich Solidarität unter den Schwachen und eine gerechte Güterverteilung,
auch wenn diese erzwungen werden müsse. Drewermann zitiert in diesem Zusammenhang
Passagen aus dem Kommunistischen Manifest…“ (Christiansen 2007)
„Mehr noch als vor der Politik versagt die zeitgenössische Literatur vor der Ökonomie.
Dabei kann gerade der Roman den Einzelnen nicht glaubhaft in ein Weltgeschehen betten,
ohne ihn explizit in wirtschaftliche Zusammenhänge zu stellen. Seltsames Fluchtverhalten:
Unter dem Diktat der Ökonomie geht die Literatur in die Disko, spiegelt Mägen und singt
Liebeslieder.“ (Freund 2003)
und ihren beiden Beispielen folgen, ausgewählte Rezensionen einbeziehen und uns am
Ende mit Blick auf „Wirtschaft in Literatur“ unseren eigenen Reim machen.
Ernst-Wilhelm Händler Wenn wir sterben (2002) HÄNDLER ist 1953 geboren und
hat unter anderem Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre studiert. Mit der
Geschäftsführung eines familieneigenen Metallbetriebes ist er praktizierender Unter-
nehmer. Liegt hier womöglich das notwendige kompetenzseitige Hinterland für einen
Wirtschaftsroman? Haben in der Literaturgeschichte vergleichsweise wenige Autoren
ein solches? Braucht man das aber, um Wirtschaftsromane zu schreiben? Gehören des-
halb, wie an anderer Stelle bemerkt, wirtschaftliche Themen in der deutschen Literatur
nicht zu den dominierenden? Wir wollen auf diese in Fragen gekleidete These an einer
anderen Stelle und unter einem anderen Aspekt noch einmal zurückkommen.
„Ein Huhn schlägt einem Schwein ein Joint venture vor. Das Schwein fragt das Huhn, was
sie denn gemeinsam produzieren wollen. Das Huhn antwortet: ham and eggs. Vom Markt
beeindruckt, verfällt das Schwein in ein langes Nachdenken. Bis es endlich einen wichtigen
Gedanken faßt: Aber das würde doch bedeuten, daß ich geschlachtet werde, und dir geht es
besser als zuvor! Das Huhn erwidert ungerührt, was meinst du denn, worin sonst der Sinn
eines Joint ventures besteht?“ (Händler 2002)
„Sie treffen sich in jenem kreativen und ökonomisch aktiven ‚wir‘, der Interessen- und
Körperwelt, aus der sich Milla vorläufig durch Selbstdistanz und Ergebnisfixierung lösen
kann. Handlers Figuren sind … – ‚subjectus‘, einer Wirtschaft hörig, die der Erzähler als
`neue Wirtschaft` beschreibt.“ (Richter 2004)
Eine andere Rezension, im Deutschlandfunk, beginnt mit dem Verweis auf KAFKA,
nach dem einem Menschen, der leben will, die Logik nicht standhält. Die Ordnung der
Ökonomie, die sie aufrechterhalten soll, schließe gerade das Lebensnotwendige, die
Leidenschaft, aus. Und fährt dann fort:
„Das Kalkül bezieht nun, ganz entgegen der Prognose Kafkas, die ehemals ungezügelte
Leidenschaft des Menschen mit ein. Produziert wird ein Verlangen, das nie gestillt wird.
Nichts weniger stellt Händler in seinem Roman als Motto voran, wenn er den Wirtschafts-
theoretiker Schumpeter zitiert, der das Interesse an sozialer Unrast für die zivilisatorische
Logik der kapitalistischen Gesellschaft erklärt.“ (Graf 2003)
ahlenkolonnen und dem Ergebnis ihrer maschinellen Verarbeitung treffen. Und weniger
Z
nach Intention, positiv verstandenem Bauchgefühl und unternehmerischem Abwägen
zwischen Chance und Risiko.
Ungeachtet der differenzierten Bewertung von Inhalt des Buches und kooperativer Art
seines Zustandekommens soll hier mit Blick auf das Thema dieses Kapitels und die
These zum Zusammenhang von Wirtschaftskompetenz und Wirtschaftsliteratur fest-
gestellt werden: In einer nicht von Wirtschaftsthemen überfluteten Literaturwelt ist
es ein förderlicher Umstand, wenn es zum Zusammengehen beider sich selten über-
schneidender Kompetenzen kommt. Im Fall „Der schwarze Grat“ geht das Zusammen-
gehen weiter als gewöhnlich. Indem der „Koautor“ SPINNEN nicht nur die Geschichte
seines Protagonisten, sondern auch seine eigene, zumindest, soweit sie die Entstehung
des Buches betrifft, erzählt. Aber der „Normalfall“, dass sich ein zeitlich beanspruchter
und nicht zum Bücher-Schreiben geborener Wirtschaftskapitän einen Co-Autor sucht,
ist nicht ungewöhnlich. Besonders in Amerika sind solche „with“-Bücher üblich und
erfolgreich. Ein bekanntes Beispiel ist die Autobiographie des 1924 geborenen Lee
122 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
IACOCCA, der nach seiner Karriere bis zum Präsidenten von Ford den angeschlagenen
Chrysler-Konzern aus der Krise führte. Koautor, „Kollaborateur“, bei diesem 1984 ent-
standenen Buch war der damals 36-jährige William NOVAK.
Zurück zum Inhalt des autobiographischen Wirtschaftsromans „Der schwarze Grat“.
Lindenmaier ist im Buch und wohl auch in seinem Unternehmerleben impulsiv, bauch-
gesteuert und umtriebig. Ein „Hasardeur“ der alten Schule, der Chancen wittert und
Risiken nicht scheut. Er ist ein Mensch und nicht das abstrakte, modellhafte Bild des
Homo oeconomicus. RICHTER formuliert das so:
Und mit Blick auf den Vergleich der Hauptfiguren der beiden vorgestellten Quellen:
„Händler und Spinnen, so meine These, schreiben gegen genau dieses Unternehmer-Bild
an, wie es die Kaufmanns- und Unternehmerromane darstellen und wie Schumpeter es
formuliert. Den mittelständischen Unternehmer stellen sie nurmehr als ‚ökonomisches
Subjekt‘ dar, und zwar in ganz unterschiedlicher Weise. … Händlers und Spinners Figuren
handeln nicht nur eigenständig, sondern sind – mit Foucault – immer auch ‚subiectus‘, der
Ordnung der Dinge ‚unterlegen‘, abhängig, und zwar in diesem Fall vom `Diapositiv` der
Wirtschaft. Zur Unternehmer-Herrlichkeit des frühen Schumpeter stehen Händlers und
Spinners Figuren im Gegensatz.“ (Richter 2004)
Zweitens Sowohl die vier Managerinnen in „Wenn wir sterben“ als auch Lindenmaier
in „Der schwarze Grat“ sind Unternehmerfiguren, die im oben zitierten Verständnis dem
erweiterten Bild des wirtschaftlich handelnden wollenden und dabei von der Wirtschaft
getriebenen Homo oeconomicus entsprechen. Und damit dem SCHUMPERTschen
Unternehmerbild widersprechen. Und sie bringen die mittelständische Wirtschaft in die
Literatur, die dort, obwohl immer wieder als Motor der Wirtschaft angespornt, sonst
nicht selbstverständlich zu Hause ist. Dabei stellen Lindenmaier auf der einen Seite und
Stine oder Milla auf der anderen Seite unterschiedliche Unternehmertypen dar. Was nicht
vor allem unterschiedlichen Unternehmergenerationen geschuldet ist. Lindenmaier ist
Jahrgang 1944. Subtrahieren wir bei den Damen HÄNDLERs vom Erscheinungsjahr
2002 45 Lebensjahre, so sind wir bei 1957. Das sind nur 13 Jahre Unterschied. Aber
Lindenmaier ist der alte Familienunternehmertyp. Der bei einem Kredit noch mit dem
Bankdirektor plaudert, weil sich ihre Väter schon gekannt haben. Oder beim Staats-
sekretär der Hessischen Landesregierung um Unterstützung bei drohender Zahlungsun-
fähigkeit bittet. Ein Unternehmer, der, im Strom der Wirtschaft, „sein“ Leben für „sein“
Unternehmen lebt. Stine oder Milla, nutzen „ihr“ Unternehmen, ebenfalls vom Strom der
Wirtschaft mitgerissen, für „ihr“ Leben.
Berufe entstehen durch Arbeit und damit in der Wirtschaft. Sie prägen sich aus und ver-
erben sich durch Bildung. Und sie reflektieren sich in der Sprache. Als Teil ihres Wort-
schatzes, als eine Quelle der Entstehung von Namen in der deutschen Sprachgeschichte.
Und als eines der ersten Beispiele für Gendern beim Sprechen und Schrieben. Damit
sind Berufe relevant, wenn es um den Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
geht.
und „Sammeln“ von Wurzeln und Früchten und ergänzt durch das Hüten der Feuerstelle
führen eine der ersten Spezialisierungen schon im heutigen Namen.
Ein Sprung in die Antike führt zum griechischen Philosophen PLATON. In seinem
Werk „Politeia“ (Der Staat) diskutiert er im fiktiven Dialog, unter anderem mit seinem
Lehrer Sokrates, die Gerechtigkeit und ihre Verwirklichung in einem idealen Staat.
PLATON entwirft in diesem Zusammenhang das Modell einer ständischen Ordnung.
Diese teilt die Bevölkerung in drei Gruppen – in die der Bauern und Handwerker (Ver-
sorgung), in die der Krieger und Wächter (Schutz und Sicherheit) und in die der „Philo-
sophenherrscher“ (Politik und Management). Die Klammerausdrücke sind der Versuch
der Übersetzung in unsere heutige Berufssprache. Bemerkenswert ist, dass PLATON in
der dritten Gruppe Wissenschaft und Bildung mit Führungsanspruch verbindet. Das zeigt
die Bedeutung, die man der Mehrung, Entwicklung und Weitergabe von Wissen (hier
verkörpert in der Philosophie) in der Antike beimaß.
Das Mittelalter liegt in der Zeitphase zwischen der Antike und der Neuzeit – vom
6. bis zum 15. Jahrhundert. Das Aufblühen einer Berufswelt in Tiefe und Breite wird
mit dem Spätmittelalter, mit der Zeit von 1250 bis 1500, in Verbindung gebracht. Mit
dem Entstehen großer Städte, mit vermehrtem Reichtum und Anspruch an produzierte
Güter. Für die Herstellung jeder größeren Gruppe dieser Güter gab es eine eigene,
zumeist handwerkliche Berufsbezeichnung. Es gab Barbiere, Bäcker, Bierbrauer,
Büchsenmacher, Glasmacher, Hufschmiede, Metzger, Müller, Sattler, Seiler, Schneider,
Schreiner, Weber oder Zimmerleute. Handwerksstände schlossen sich zu Zünften
zusammen, die es bis ins 19. Jahrhundert hinein gab. Im Handel entsprachen dem die
Gilden. Die bekannteste ist die Hanse, die Mitte des 14. Jahrhunderts als mächtiger Bund
von Handelsstädten entstand. In den Zeitraum des Spätmittelalters fällt mit 1440 auch
die Erfindung des Buchdrucks. Damit entstehen auch die für diese Zeit neuen Berufe des
Buchbinders, des Buchdruckers und des Schriftgießers.
Interessant ist hier schon der Bezug zur Sprache: Das Spätmittelalter fällt mit dem
Übergang des Mittelhochdeutschen (1050–1350) zum Frühneuhochdeutschen (1350–
1650) zusammen. Dazu hatte Kap. 1 Literaturproben vorgestellt, die sich vom heutigen
Neuhochdeutsch unterscheiden, aber durchaus bereits verständlich sind. In den meisten
Fällen entsprechen die Berufsnamen und sogar deren Schreibweise der heutigen
Sprache. Das bestätigt sich in gereimten Texten, die sich unter zeitgenössischen Bildern
(Stichen) zur Ausübung verschiedener Berufe finden. Hier dazu zwei Beispiele:
Schneider
„Ich bin ein Schneider/mach ins Feld/
Den KriegesFürsten ire Zelt/
Mach rendeck zu Stechn und Thurnier/
Auff Welsch und Frantzösisch Manier/
Kleid ich sie gantz höfflicher art/
Ir Hofgsind und die Frauwen zart/
Kleid ich in samet Seiden rein/
126 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
Ein Gedanke noch zur Sprache des Textes. Im Abschn. 1.2 ist der Text von „ich saz uf
einem Steine“ von Walther von der VOGELWEIDE wiedergegeben. Walther lebte von
1170 bis 1230. Es handelt sich um Mittelhochdeutsch. Der Inhalt ist ohne Übersetzung
stellenweise zu erahnen, nicht vollständig zu verstehen. Die obenstehenden Quellen sind
mit zeitlichem Bezug auf die Berufe wahrscheinlich dem 15., spätestens dem frühen
16. Jahrhundert zuzuordnen. Der Unterschied von 300 Jahren ist in der deutlich größeren
Verständlichkeit der hier zitierten Sprache, ihrer schon größeren Nähe zu unserer
heutigen, anzumerken.
Die Lebenszeit Martin LUTHERS (1483–1546) fällt auf die Schwelle des Spätmittel-
alters (1250–1500) zur Neuzeit. Und damit in die Zeit des beschriebenen Aufblühens der
Berufe. Auf ihn wird auch das deutsche Wort „Beruf“ im engeren Sinne zurückgeführt.
Das lateinische „vocatio“ wird ins Deutsche mit „Ruf“, „Anruf“, „Einladung“ oder aber
mit „Berufung“ verbunden. Im neuen Testament seiner Bibelübersetzung heißt es im
ersten Brief des Apostel Paulus an die Korinther:
„Ein jeder bleibe in der Berufung, in der er berufen wurde. Bist du als Knecht berufen, so
sorge dich nicht…“ (Die Bibel 2017c)
Der Bezug auf die Berufung durch Gott, verleiht dem Berufsbegriff eine hohe Bedeutung
und wird gleichzeitig als Ansatz gewertet, einfache Berufsstände nicht gering zu
schätzen. Es ist dabei gleichzeitig eine statische Berufsbetrachtung, auf die sich heutige
Karriereratgeber nicht berufen können.
Als vierte Epoche in der Entwicklung von Berufen und ihren Bezeichnungen kann die
erste industrielle Revolution im 19. Jahrhundert gelten. Mit der Industrialisierung wurde
die Zahl der Berufe größer. Weil mehr neue entstanden, als alte verschwanden. Von den
bisherigen Berufen gab es eher wenige, die aufgrund ihrer technischen Überlebtheit nicht
mehr benötigt wurden. Weber, Köhler, Flößer oder Pferdekutscher sind wohl Beispiele
dafür. Andere wie Schmied, Schneider, Schuster, Sattler oder Bauer wurden durch neue
Berufe nicht verdrängt, sondern in ein Nischendasein verbannt und ergänzt. Und wieder
andere, denken wir an Bäcker oder Koch, haben bis heute in ihrer Bedeutung nicht ver-
loren, sondern eher gewonnen. Neu waren vor allem die Berufe in Industrie und Infra-
2.3 Berufe in der deutschen Sprache 127
Abschließend zur Geschichte der Berufe und ihrer Namen noch drei Gedanken – auch
mit Bezug auf nachfolgende Kapitel dieses Buches.
Der Duden umfasst, worauf an anderer Stelle hingewiesen wurde, in seiner letzten Auf-
lage von 2020 rund 148.000 Stichwörter – bei steigender Tendenz (Duden 2020). Gleich-
zeitig gab es in Deutschland 2020 324 anerkannte Ausbildungsberufe. Das sind, gemessen
an der Zahl der Duden-Wörter 0,2 %. Nehmen wir die nichtdualen (staatlichen) Berufs-
2.3 Berufe in der deutschen Sprache 129
• Fischerbach (77716)
• Schmiedefeld (98711)
• Schmiedehausen (99518)
• Seifersdorf (Ortsteil von Jahnsdorf/Erzgebirge)
• Seilershof (Ortsteil von Gransee/Brandenburg)
Öfter anzutreffen sind kirchliche Berufe bzw. Titel – zum Beispiel in Namen wie Abts-
gmünd, Abtsweiler, Bischofrode oder Bischofswerda.
Insgesamt aber kommen in deutschen Ortsnamen Berufe eher selten vor. Die Ortsnamen-
kunde verweist auf eine ganze Reihe anderer Entstehungsquellen, die hier nicht Gegen-
stand sind. Was Berufe betrifft, so ist der zeitgeschichtliche Aspekt wohl der entscheidende.
Wenige deutsche Städte blicken mit ihrem Gründungsdatum bis in die Antike zurück. Köln
auf 39 v. Chr., Trier auf 17 v. Chr. Die meisten deutschen Städte und Gemeinden aber ent-
standen zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert. Und haben ihre „Geburtsnamen“ seitdem in
aller Regel nicht oder nur kaum verändert. Die Entstehungszeit der Berufe und ihrer Namen
hatten wir an anderer Stelle mit der Zeit zwischen 1250 und 1500 in Verbindung gebracht.
Berufsnamen, auch die alten, sind damit, wenn auch nicht viel, jünger als die meisten Orts-
namen. Und haben somit bei deren Bildung selten Pate gestanden.
Anders ist das bei Straßennamen. Hier sollen, nur stichprobenartig, Beispiele aus
ausgewählten Berliner Stadtbezirken genannt werden. Darunter renommierte.
• Schiffbauerdamm (Mitte)
• Weinmeisterstraße (Mitte)
• Zimmermannstraße (Marzahn)
Gemessen daran, dass ein Großteil von Straßennamen an Personennamen (in die auch
wiederum Berufe eingehen können) vergeben sind und in vielen Fällen Ortsnamen Pate
stehen („Leipziger Straße“), gehören Berufe zu den größeren danach rangierenden Her-
kunftsquellen von Straßennamen.
„Müller – Meier – Schulze“ ist eine Redewendung, die für häufig auftauchende Aller-
weltsnamen steht. Es ist kein Zufall, dass sich hinter allen dreien Berufe verbergen.
Gehen wir die Liste der Beispiele weiter durch, so finden wir teilweise Berufe aus den
oben genannten Straßennamen wieder, teilweise aber auch darüber hinausgehende.
• Bäcker/Becker
• Bauer
• Fischer
• Gerber
• Karrenbauer
• Krämer
• Maler/Mahler
• Schmied/Schmidt
• Schneider
• Schuhmacher/Schuster
• Weber
• Zimmermann
Blicken wir wieder auf die Zeittafel, so sehen wir: Während die Berufsnamen aufgrund
ihrer Entstehungszeit nur vereinzelt in Ortsnamen eingehen konnten, weist ihr stärkeres
Vorkommen in Namen (Familiennamen) darauf hin, dass diese jünger sein müssen als
Ortsnamen und auch als Berufsnamen. Ein Mensch kann nur „Schneider“ heißen, wenn
es den Beruf „Schneider“ bei der Entstehung seines Namens schon gab. Familiennamen,
zumindest solche mit Bezug auf einen Beruf, können, folgt man dieser Logik, nicht älter
als 700 bis 900 Jahre sein.
Folglich haben aber nach 1500 entstandene Berufe keinen oder nur geringeren Anteil
an der heutigen Namenswelt. Dennoch finden wir zum Beispiel mit „Dreher“ Aus-
nahmen, die auf die Zeit der ersten Industriellen Revolution zurückgehen. Damit sind
wir aber auch am zeitlichen Limit. „Fertigungsmechaniker“ oder „Steuerfachange-
stellter“ wird, sollte und möchte wohl auch in der Zukunft niemand heißen.
2.3 Berufe in der deutschen Sprache 131
„Die Vertragsniederschrift „ist von dem Ausbildenden, dem Auszubildenden und dessen
gesetzlichem Vertreter zu unterzeichnen.“ (Deutsche Bundesregierung 1969)
Mit „dem Auszubildenden“ haben wir ein sehr frühes Beispiel des partizipialen
Substantivs. Aber wohl noch nicht in der Absicht, aus Gleichberechtigungsgründen das
generische Maskulinum abzulösen, sondern einen Gegenbegriff zum „Ausbildenden“ zu
schaffen. Anderenfalls hätten im oben zitierten Singular konsequenterweise „dem/der
Auszubildenden“ und statt „dessen ….Vertreter“ (klassisches generisches Maskulinum)
„dessen …. Vertretenden/Vertretender“ stehen müssen. Aber ein erstes Zeichen. Und
gegenüber dem „Lehrling“ ein Signal für die wachsende Bedeutung von Bildung.
Die Berufsbezeichnungen gehören heute, zumindest in offiziellen Dokumenten
wie Ausbildungsordnungen, Rahmenlehrplänen oder Stellenausschreibungen, zu den
Sprachbereichen, in denen die Berücksichtigung von männlicher und weiblicher Form
gleichermaßen die Regel ist. Dabei finden wir nach Berufen unterschiedliche Formen. Es
sollen hier aus einer Vielzahl nur die wichtigsten und bekanntesten vorgestellt werden.
A. Elementarform
Eine einfache Form von Berufsbezeichnungen finden wir bei traditionellen, seit langem
erhaltenen Berufsnamen wie „Bäcker“, „Fleischer“ oder „Maurer“. Begleitet werden
sie von einigen neuen Berufsnamen, die aber ähnlich elementare Formen aufweisen.
Ein Beispiel ist „Mechatroniker“. Hier ist der Sprung auf die kombiniert männliche
und weibliche Form vergleichsweise einfach. Dennoch stoßen wir bereits bei genauem
Blick auf mehrere parallel verwendete Formen. Formen, die sich in der Strenge und
132 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
Korrektheit und damit auch der Länge des Namens abstufen. Die genaueste Form ist in
Ausbildungsordnungen, Ausbildungsrahmenplänen und Rahmenlehrplänen auf Gesetzes-
basis zu finden. Die Berufsbezeichnungen in der männlichen und in der weiblichen Form
werden ungekürzt, verbunden durch ein „und“ oder einen Schrägstrich hintereinander-
geschrieben.
• Bäcker/Bäckerin
• Fleischer/Fleischerin
• Maurer/Maurerin
• Mechatroniker/Mechatronikerin
Da sich eine solche Form in Texten mit vielen Berufsbezeichnungen nicht ohne
Abstriche an der Lesbarkeit durchhalten lässt, besteht eine erste Stufe der Vereinfachung
in einer verkürzten Dopplung:
• Bäcker/-in
• Fleischer/-in
• Maurer/-in
• Mechatroniker/-in
Eine zweite und letzte Vereinfachungsstufe ist die Nennung ausschließlich der männlichen
Form stellvertretend für beide Geschlechter. Beispiel: „Eine Ausbildung zum ‚Bäcker‘
findet derzeit weniger Interessenten, als für den Erhalt vieler Betriebe notwendig wäre.“
B. „Mann-Frau-Form“
Hier handelt es sich bereits um längere Berufsnamen, die im maskulinen Fall zum Bei-
spiel mit „Kaufmann“ oder „Fachmann“ beginnen oder enden. Hier folgt die doppelte
Geschlechtsform im Berufsnamen dem gleichen Prinzip wie unter Buchstaben A). Wir
finden
• Bankkaufmann/Bankkauffrau
• Kaufmann für Versicherungen und Finanzen/Kauffrau für Versicherungen und
Finanzen
• Kaufmann im Einzelhandel/Kauffrau im Einzelhandel
• Automatenfachmann/Automatenfachfrau
Bei Einbau einer Spezialisierung in den Berufsnamen wird auch diese in die Dopplung
einbezogen:
Auch hier gibt es in Texten die zweite Vereinfachung mit der allein männlichen Form als
Repräsentant für alle Geschlechter: „Die Bankkaufmanns-Ausbildung trifft derzeit auf
einen eingeschränkten Arbeitsmarkt.“ Oft finden wir die pragmatische Kurzform auch
auf Websites.
Beispiel
C. „Fachangestellten-Form“
Diese und weitere Formen folgen in ihren Regeln den beiden bereits genannten und
sollen kurz durch je zwei Beispiele illustriert werden:
Erste Vereinfachungsstufe:
Zweite Vereinfachungsstufe:
D. „Wirte-Form“
• Fischwirt/Fischwirtin
• Forstwirt/Forstwirtin
Erste Vereinfachungsstufe:
• Fischwirt/-in
• Forstwirt/-in
134 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
Zweite Vereinfachungsstufe:
• Fischwirt
• Forstwirt
E. „Beamten-Form“
• Beamter/Beamtin im mittleren Archivdienst
• Beamter/Beamtin – Feuerwehr (mittlerer technischer Dienst)
Erste Vereinfachungsstufe:
Zweite Vereinfachungsstufe:
• Beamter Archivdienst
• Beamter Feuerwehr
F. Zusammengesetzte Namensform
• Elektroniker für Betriebstechnik/Elektronikerin für Betriebstechnik
• Verfahrensmechaniker Glastechnik/Verfahrensmechanikerin Glastechnik
Erste Vereinfachungsstufe:
Zweite Vereinfachungsstufe:
G. Geschlechtsneutrale Form
Eine Ausnahme bilden Berufsbezeichnungen mit von Hause aus geschlechtsneutralem
Namen. Bei ihnen entfallen die Stufen der Vereinfachung, weil sie bereits einfach sind.
• Fachkraft im Gastgewerbe
• Fachkraft für Lagerlogistik
• Fachkraft für Hafenlogistik
• Fachkraft für Wasserwirtschaft
2.3 Berufe in der deutschen Sprache 135
„Im Bereich ‚Werken und Gestalten‘ hielten unter den Berufswünschen der männlichen
Ratsuchenden die beiden Berufe Koch sowie Maler, Lackierer die Spitze. … Bei den
zu besetzenden Berufsausbildungsstellen hatten die beiden zum Bereich `Konstruieren,
Montieren, Reparieren` gehörenden Berufe Kraftfahrzeughandwerker und Elektro-
installateur ebenfalls die höchsten Zahlen aufweisen.“ (BA 1970)
„Berufsorientierung soll Mädchen und Jungen gleichermaßen ein breites Spektrum beruf-
licher Tätigkeiten nahebringen. Nur so können sie all ihre Talente erfahren und weiter-
entwickeln. Die Begrenzungen von ‚Männer-‘ bzw. ‚Frauen-‘Berufen müssen bei der
Berufsorientierung bewusst aufgehoben werden. Interessen junger Frauen im MINT-Bereich
(Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik, A.F.) und Interessen junger
Männer im Sozialen und im Dienstleistungsbereich soll mehr Aufmerksamkeit zuteil-
werden.“ (BiBB 2022)
Zurück zur Gendersprache in Berufsnamen. Sie selbst gibt es offenbar schon sehr lange.
Im Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westphalen vom 10.07.1969 steht der Erlass
des Arbeits- und Sozialministeriums über die „Ausbildung, Prüfung und staatliche
Anerkennung von Altenpflegerinnen und Altenpflegern.“ (Altenpflege Online 2019).
Geht man auf der Suche nach der Quelle weitere rund zehn Jahre zurück, trifft
man auf einen Vorgänger des oben zitierten Berufsberatungsberichts von 1970. In
einem Bericht der damaligen Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosen-
versicherung für das Jahr 1958/59 heißt es in der Vorbemerkung:
Diesem Prinzip folgen die in der Quelle nachfolgenden Darstellungen, u. a. zu den
häufigsten Berufswünschen bei Mädchen und Jungen 1958/59:
Erstens Die parallele männliche und weibliche Form in Berufsbezeichnungen ist nicht
über Nacht, sondern über einen längeren Zeitraum entstanden. Sie war Ende der 1950er
Jahre noch nicht vorhanden und Anfang der 1970er Jahre weitgehend abgeschlossen. Ihr
Entstehungszeitraum fällt damit zeitlich mit der Frauenbewegung in den1960er Jahren
zusammen.
2.4 Stärke der Wirtschaft und Verbreitung der Sprache 137
Am Ende von Kap. 1 wurden fachliterarische Ansätze gesucht und vorgestellt, die für
einen Brückenschlag zwischen Wirtschaft und Sprache stehen. Eines der wenigen Bei-
spiele dafür, wie das von wirtschaftswissenschaftlicher Seite aus erfolgt, ist das bereits
zitierte Buch „Die Wirtschaft mit der Sprache“ von Florian COULMAS. Hier finden sich
auch Hinweise darauf, dass nicht nur Sprache auf Wirtschaft, sondern auch Wirtschaft
auf Sprache wirkt. Was ja Thema dieses Kapitels ist.
„Je mehr Menschen eine Sprache lernen, desto nützlicher wird sie, und je nützlicher sie
ist, desto mehr Menschen wollen sie lernen. Die überragende Stellung, die dem Englischen
in diesem Jahrhundert (dem 20., A.F.) zugewachsen ist, illustriert diesen Zusammenhang.
Es sind nicht primär dieser Sprache inhärente Eigenschaften, die für ihre Verbreitung ver-
antwortlich sind, sondern ihr durch zunehmende Verbreitung stetig steigender Gebrauchs-
wert. Damit soll nicht nahegelegt werden, dass Englisch seine beherrschende Position quasi
naturwüchsig ohne marktsteuernde Investitionsmaßnahmen erlangt habe. Das wäre so,
wie anzunehmen, dass multinationale Großkonzerne von selbst entstehen. Die allgemeine
Bedeutung für die Verbreitung einer Sprache werden auch für das Englische zutreffend
durch Toynbees Bemerkung charakterisiert, ‚daß eine Sprache, die einen derartigen Sieg
über ihre Rivalen erringt, ihren Erfolg dem sozialen Vorteil verdankt, einer Gemeinschaft
gedient zu haben, die im Krieg oder im Handel stark war.‘“ (Coulmas 1992)
Beschränken wir uns hier auf Handel und nehmen diesen als Repräsentant für „Wirt-
schaft“, so sind wir beim Thema dieses Abschnitts. Während das nachfolgende Kap. 3
der Frage nachgeht, wie eine Sprache und ihre Entwicklung auch Stärke und Wett-
bewerbsfähigkeit der Wirtschaft beeinflussen kann, geht es hier um den Einfluss der
Wirtschaft auf die Sprache und ihre Verbreitung. Wirkung und Rückwirkung, wie sie
COULMAS am Anfang seines Zitats beschreibt. Und die sich, das kann man neutral
hinzufügen, als Multiplikator-Prozess im positiven Falle nach vorn, im negativen Fall
aber auch zurück vollziehen kann.
Hier wollen wir den Faden aufnehmen.
In Abschn. 1.2 wurde mit Bezug auf HASPELMATH die deutsche Sprache auf Platz
10 der am meisten gesprochenen Sprachen auf der Welt eingestuft. Bereits bei Zahlen-
angaben hierzu variieren die Ergebnisse je nachdem, ob es sich auf Muttersprachler
138 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
bezieht, ob die Rolle als Zweitsprache hinzugerechnet wird und ob man die Messlatte
fünf Jahre früher oder später ansetzt. Das soll hier nicht Thema sein. Sondern zuerst
die Frage, ob sich die Verbreitung einer Sprache allein an der Zahl der sie sprechenden
Menschen festmachen lässt. Die Antwort ist: Nein, nicht allein. Bleiben wir bei „Mutter-
sprache“, so ist diese natürlich ein wichtiges Kriterium, aber es gibt noch mehr. Wir
wollen einige wichtige von ihnen in einer Übersicht darstellen.
Mit Verweis auf das nächste Kap. 3 sollen hier diejenigen Faktoren für die Verbreitung
einer Sprache ausgenommen werden, die aus ihr selbst heraus, aus ihrer Fähigkeit, neuen
Entwicklungen im Anwendungsumfeld Rechnung zu tragen, aus ihrer eigenen Wett-
bewerbsfähigkeit erwachsen.
Damit liegt Muttersprache nahe an Umgangssprache. Was naturgemäß die Relevanz der
anderen genannten Kriterien unterstreicht.
Abb. 2.2 zeigt einen Überblick über die Sprachen mit den weltweit meisten Mutter-
sprachlern. Die Abweichungen zu den Werten bei HASPELMATH in Kap. 1 resultieren
auf dem hier alleinigen Bezug auf Muttersprachler.
Rolle der Sprache im Internet Unter Abschn. 2.1.4 wird die digitale Kommunikation
als eine Sprache beschrieben, die die klassische gesprochene und vor allem geschriebene
Sprache zum Teil ersetzt, zum Teil ergänzt sowie sich von ihr in einer Reihe von
Merkmalen unterscheidet. Digitale Kommunikation, zum Beispiel im Internet, ist nur zu
einem Teil Umgangssprache.
Bleiben wir beim Ranking führender Sprachen, so ergibt dieses bei der Zahl der Inter-
net-Nutzer, die eine Sprache verwenden, ein anderes Bild als bei Muttersprachlern. Ein
Blick auf die Sprachen im Internet nach ihrem Anteil an den Websites zu Beginn des
2.4 Stärke der Wirtschaft und Verbreitung der Sprache 139
1.400
1.197
1.200
in Millionen
1.000
800
600
414
400 335
260 237 203 193 167
200 122 84 83 78
0
Abb. 2.2 Sprachen mit den 12 weltweit meisten Muttersprachlern. (Quelle der Daten: Statista
2014)
Jahres 2022 sieht Englisch mit 64 % mit großem Abstand an der Spitze. Gefolgt von
Russisch (7 %), Türkisch (4 %), Spanisch (4 %), Persisch (4 %) Französisch (3 %) und
Deutsch (2 %) (Statista 2022e).
Und wieder ganz anders ist das Bild, wenn der Analyse nicht die Zahl der Web-
sites („Anbieter“), sondern die Zahl der Nutzer („Nachfrager“) zugrunde liegt. Da führt
Englisch immer noch, aber „nur“ mit 26 %. Chinesisch liegt, ganz klar im Zusammen-
hang mit der Zahl der Muttersprachler, mit 19 % an zweiter Stelle. Mit Abstand folgen
hier Spanisch (8 %), Arabisch (5 %), Portugiesisch (4 %), Indonesisch/Malayisch (4 %),
Französisch (3 %), Japanisch (3 %), Russisch (3 %) und Deutsch (2 %) (Statista 2021a).
Das Verhältnis zwischen der „Anbieterseite“ (Websites) und der stärker mit der Zahl der
Muttersprachler damit mit Bevölkerungszahlen zusammenhängenden „Nachfrageseite“
(Nutzer) wollen wir im Gedächtnis behalten. Dafür, wenn es mit „Export“ und „Import“
um die wirtschaftlichen Einflüsse auf die Bedeutung und Verbreitung der Sprache geht.
in nichtdeutschsprachigen Ländern. Die Zahl dieser Länder ist von 88 im Jahr 1983 über
114 im Jahr 2005 auf 119 im Jahr 2010 gestiegen (Ammon 2012). Hier wird kein Vergleich
zu anderen Ländern, sondern ein Trend deutlich. Eine mit zunehmender Globalisierung
wachsende Bedeutung des Erlernens von Fremdsprachen. Die sich nicht nur auf Deutsch
bezieht.
1. Produktionsländer sind bei „Der Pate“ USA, „Grand Prix“ USA, „Herr der Ringe“
USA und Neuseeland, „Troja“ USA, England, Malta. Das bedeutet: Alle vier Filme
kommen ausnahmslos aus dem englischsprachigen Raum (in Malta: Englisch und
Maltesisch). Zusammen mit in Deutschland vertriebenen Tonträgern als Basis
erklären sich daraus zunächst die durchgängige Präsenz von Deutsch und Englisch in
allen vier Fällen.
2. Unter der verbleibenden Sprachkonkurrenz dominieren Spanisch und Italienisch.
3. Die Verteilung von „Synchronisation und Untertiteln“ wird stark von der nach
Ländern unterschiedlichen Praxis von „Synchronisieren“ oder „Original-
sprache mit Untertiteln“ geprägt. In Spanien und Italien (3 mal bzw. 2 mal unter
2.4 Stärke der Wirtschaft und Verbreitung der Sprache 141
Schauen wir noch auf die belletristische Literatur. 2020 erschienen in Deutschland
69.180 Bücher. (Statista 2021b). Darunter befanden sich 9.164 Übersetzungen aus
anderen Sprachen. Das sind 13 %. Unter den Sprachen, aus denen 2020 ins Deutsche
übersetzt wurde, nimmt Englisch mit 5.784 und damit knapp zwei Dritteln aller Über-
setzungen die dominierende Position ein. Es folgen Französisch (975), Japanisch (222),
Schwedisch (211), Holländisch (178) und Spanisch (166) (Statista 2021c).
142 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
Rolle der Sprache in Wissenschaft und Technik Mit der Bedeutung einer Sprache für
die Wissenschaft ist es, wie bei Kunst und Kultur. Sie richtet sich danach, welche Bei-
träge aus dem jeweiligen Sprachraum kommen. Dabei handelt es sich hier weniger um
eine Momentaufnahme, sondern um längere Zeiträume. Die heutige Bedeutung einer
Sprache für Wissenschaft und Technik bezieht zurückliegende Zeiträume ein, ist aber
nicht statisch. So wie sich im Verlaufe der Geschichte Qualität und Intensität der Bei-
träge aus einzelnen Sprachgebieten verändern, verändert sich, zeitlich verzögert, auch
die Bedeutung von Sprachen in diesem Bereich. Und da Wissenschaft und Technik aus
vielen spezialisierten Bereichen bestehen, ergeben sich im Verlaufe der Geschichte auch
Verschiebungen in den Sprachstrukturen innerhalb dieser Bereiche und zwischen ihnen.
Diese Bewegung wird mit Bezug auf die deutsche Sprache intensiv diskutiert. Und
diese Diskussion betrifft zum überwiegenden Teil die sprachliche Konkurrenz zum
Englischen. Wenn man so will, eine Fortsetzung der sich auf Wörter beziehenden
Anglizismus -Diskussion in einem Bereich, in dem es um ein ganzes Sprachsegment
geht. Wir wollen das Thema in folgenden Kernaussagen strukturieren.
1. Nach Griechisch, Latein und Arabisch als Wissenschaftssprachen der Antike und des
Mittelalters gewann Deutsch im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Bedeutung
und wurde zu einer, wenn nicht der, führenden Wissenschaftssprache weltweit.
Die Glühbirne, (GÖBEL, 1854), das Telefon (REIS, 1859), die Straßenbahn
(SIEMENS, 1866), die Ausgrabung Trojas (SCHLIEMANN, 1871), Entdeckung des
Tuberkuloseerregers (KOCH, 1882) das erste Auto (DAIMLER und BENZ, 1885),
das erste Gleitflugzeug (LILIENTHAL, 1894), Röntgenstrahlung (RÖNTGEN, 1895)
und die Relativitätstheorie (EINSTEIN 1915) sind Beispiele für bahnbrechende Ent-
deckungen und Erfindungen aus dem deutschsprachigen Raum innerhalb weniger
Jahrzehnte. In den Geisteswissenschaften setzt sich das wissenschaftliche Renommee
der deutschen Originalsprache in Werken von MARX, KANT, HEGEL, FREUD oder
NIETZSCHE fort.
2. Gegen Mitte des 20. Jahrhunderts ist eine Verlagerung deutschsprachiger Dominanz
in Wissenschaft und Technik in andere Richtungen zu registrieren. Diese wird nicht
allein, aber auch, auf die Entwicklung der geschichtlichen Rahmenbedingungen
zurückgeführt.
„Der nationalistische Eifer des Ersten Weltkrieges und der Exodus der weithin jüdischen
Intelligenz im Zweiten Weltkrieg haben das Deutsche seinen Rang gekostet. Die
gesellschaftliche Aufarbeitung der Epoche hat zudem gegen einige Forschungsgebiete ein
Misstrauen geweckt, das in den Debatten über Chancen und Risiken von Biotechnologie
oder Medizin offensichtlich wird.“ (Vitzthum 2013)
3. Die Rolle des Deutschen als führende Sprache in Wissenschaft und Technik hat sich
nicht auf eine Vielzahl anderer Sprachen verteilt, sondern ist auf eine übergegangen –
das Englische. Das hat mit den Naturwissenschaften begonnen.
2.4 Stärke der Wirtschaft und Verbreitung der Sprache 143
Auch wenn die zitierten Meinungen etwas zu absolut anmuten, so stimmt doch die
Tendenz.
4. Unterschiedlicher wird der beschriebe Trend bei den Geisteswissenschaften bewertet.
Auf der einen Seite besteht die Meinung, dass man aufgrund der nicht auszu-
löschenden Wissenschaftsgeschichte die deutsche Sprache möglicherweise in ihrer
Bedeutung etwas schmälern, aber nicht auslöschen könne. Während, wie oben zitiert,
der internationale Publikationsanteil des Deutschen in den Naturwissenschaften bei
einem Prozent liegt, betrage er beispielsweise in den Sozialwissenschaften rund
sieben Prozent. Womit Deutsch, gleichauf mit Französisch, ebenfalls hinter Englisch,
auf Platz zwei liegt.
5. Der beschriebene Trend vom Deutschen zum Englischen erhält eine multiplikative
Eigendynamik dadurch, dass wissenschaftliches Renommee und wissenschaftliche
Karriere mit dem Gebrauch des Englischen beim Lesen, Schreiben und Sprechen
besser zu haben sind.
144 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
„Letztlich geht es aber auch dem Philosophen (Hans Rott, A.F.) darum, an einem inter-
national geführten Diskurs direkt und ohne Zeitverzögerung teilnehmen zu können. ‚Wenn
ich ein großes Publikum erreichen will und wirklich was zu sagen habe, dann muss ich in
Englisch veröffentlichen.‘ Schriebe er auf Deutsch, würde er wohl übersehen. ‚Mit Englisch
spiele ich in einer anderen Liga. … Lehrstühle werden oft jenen überantwortet, die die
meisten Publikationen und Referenzen nachweisen können. Die wichtigsten Zitationsver-
zeichnisse listen jedoch vornehmlich englischsprachige Bücher und Zeitschriften.‘ … ‚Es
gibt einen objektiven Sog, auf Englisch zu publizieren‘, sagt der Direktor des Instituts für
Deutsche Sprache in Mannheim, Ludwig Eichinger.“ (Vitzthum 2013)
6. Es mehren sich Stimmen, die vor einem Verschwinden der deutschen Sprache aus der
Wissenschaftslandschaft warnen und auf Nachteile einer sprachlichen Monokultur
hinweisen. Mit dem Thema der immer stärkeren Dominanz der Wissenschaften durch
die Weltsprache Englisch und ihre Folgen hat sich 2018 eine Tagung der Akademie
für politische Bildung in Tutzingen bei München befasst. In einem Bericht darüber
heißt es:
„Tatsächlich verschwinden außer Englisch mehr oder weniger alle anderen Sprachen
aus dem Wissenschaftsbetrieb. Doch die Wissenschaft profitiert davon, wenn sie in ver-
schiedenen Sprachen denken und sich äußern kann, betont Winfried Thielmann von der Uni-
versität Chemnitz: ‚Diese Vielfalt ist ein Gewinn für die wissenschaftliche Erkenntnis. …
Und jetzt zu glauben, der Monolingualismus sei eine Antwort auf die Bedürfnisse moderner
Wissenschaft, die noch sehr viel stärker auf Diversität angewiesen ist, das ist ein Irrweg und
das ist ein Irrtum.‘“ (Brack 2018)
Rolle der Sprache als internationale Geschäftssprache Ob eine Sprache wichtig als
internationale Geschäftssprache ist, richtet sich nach ihrer Attraktivität für Unternehmer
und Kaufleute, insbesondere, wenn sie für große, internationale agierende Konzerne
und Betriebe arbeiten. Wie nahezu bei jedem der hier betrachteten Kriterien finden sich
auch bei der Rolle als internationale Geschäftssprache Ranking-Angebote. Diese sind
nicht immer identisch untereinander oder mit Rankings zu anderen Kriterien. Trotzdem
sind darin, in welchen Rangfolgen auch immer, die gleichen Sprachen anzutreffen. Als
wichtigste Geschäftssprachen gelten 1. Englisch, 2. Mandarin-Chinesisch, 3. Spanisch, 4.
Arabisch, 5. Russisch, 6. Französisch, 7. Deutsch, 8. Portugiesisch, 9. Japanisch, 10. Hindi.
Interessant wird es bei einem Blick auf die Gründe der Einstufungen. Gründe, die in
jedem der Fälle an den geschäftlichen Vorteilen gemessen werden, die ein betreffendes
Unternehmen sich von Beherrschung und Gebrauch der jeweiligen Sprache verspricht.
Beim Mandarin-Chinesisch werden der mit einer Milliarde Menschen potenziell große
Absatzmarkt, der hohe Produktionsumfang Chinas sowie mit Thailand, Malaysia oder
Singapur aufstrebende Wirtschaftsnationen genannt, in denen die Sprache ebenfalls
gesprochen wird. Für Arabisch wird mit Saudi-Arabien die stärkste Wirtschaft im Nahen
Osten sowie dessen Ölvorkommen ins Feld geführt. Für Deutsch sprechen Deutsch-
lands führende Position beim Export von Maschinenbauerzeugnissen und sein 4. Platz in
2.4 Stärke der Wirtschaft und Verbreitung der Sprache 145
der Weltrangliste der Bruttoinlandsprodukte oder die Schweiz als attraktives „Land für
Geschäftsleute“ und ihr hochentwickelter Dienstleistungssektor (Multilingual, Office 2017).
Wir wollen es hier damit aus folgendem Grund bewenden lassen. Die genannten
Argumente, warum eine Sprache bedeutend und verbreitet als Geschäftssprache ist,
führen, wie wir sehen, direkt in die Wirtschaft selbst hinein. Und diesen soll weiter und
tiefer nachgegangen werden, wenn es unter Abschn. 2.3.4 um die Wirkung wirtschaft-
licher Faktoren selbst auf die Sprache geht.
Welthandelsorganisation (WHO/WTO)
• Gegründet: 1945
• Mitgliedsstaaten: 190 (2022)
• Sitz: Washington
• Amts- und Arbeitssprache: Englisch
• Gegründet: 1894
• Stimmberechtigte Mitglieder: 103 (2022)
• Sitz: Lausanne
• Amts- und Arbeitssprachen: Französisch, Englisch
Weltfußballverband (FIFA)
• Gegründet: 1904
• Mitgliedsverbände: 211 (2022)
• Sitz: Zürich
• Amts- und Arbeitssprachen: Arabisch, Deutsch, Englisch, Französisch,
Spanisch
Interpol
• Gegründet: 1923
• Mitgliedsstaaten: 194 (2018)
• Sitz: Lyon
• Amts- und Arbeitssprachen: Arabisch, Englisch, Französisch, Spanisch
zumindest für die meisten, nach dem Zweiten Weltkrieg geründeten, Organisationen die
eher untergeordnete Rolle der deutschen Sprache.
„Im weiten Handlungsfeld der Diplomatie und der internationalen Politik hat die unheilvolle
deutsche Geschichte in der Zeit von 1933 bis 1945 auch auf die deutsche Sprache gewirkt:
Deutsch ist keine der sechs Amtssprachen der Vereinten Nationen… Die schwache Stellung
in den Vereinten Nationen hat dazu beigetragen, dass Deutsch auch im Europarat keine
prominente Stellung erlangt hat. Es ist nur „Arbeitssprache“, zusammen mit Italienisch und
Russisch, was hier eine untergeordnete Stellung bedeutet. ‚Amtssprachen‘ sind Englisch
und Französisch.“ (Ammon 2012)
Exkurs
Die Entstehung dieses Buches fällt in die Zeit des Ukraine-Krieges. Ohne dass
dazu derzeit Keiner definitiv die Folgen für das künftige internationale Zusammen-
leben voraussagen kann, wird auf vielen Gebieten von nachhaltigen Veränderungen
ausgegangen. Ob es, was die Weltwirtschaft betrifft, um eine Isolation Russlands,
einer Bildung neuer Blöcke oder einer zwischenzeitlichen De-Globalisierung ins-
gesamt kommt, ist noch schwer absehbar. Wenn aber die Position eines Landes
in der internationalen Politik und Wirtschaft zu den Kriterien für die Bedeutung
und Verbreitung seiner Sprache ist, so werden die derzeitigen Veränderungen mög-
licherweise nicht ohne Wirkung für die russische Sprache sein. Vergleiche hierzu
auch Exkurs unter Abschn. 4.4.
Insgesamt lässt sich aus den zurückliegend näher betrachteten sieben Kriterien der
Bedeutung und Verbreitung einer Sprache folgendes Fazit ziehen.
Erstens Es handelt sich um Kriterien, die über die originäre Zahl der Muttersprachler
hinausgehen, nur teilweise mit dieser zusammenhängen, deren Aussagen ergänzen und
verändern. Und die, jedes für sich betrachtet, auch zu unterschiedlichen Einschätzungen
über die Bedeutung von Sprachen führen.
Zweitens Insgesamt lassen sich aus dem Komplex aller Kriterien Aussagen über
die Bedeutung von Sprachen ableiten. Und aus dynamischer Sichtweise gilt: Die Ver-
änderung der Bedeutung von Sprachen im positiven ist deren „Verbreitung“. Verringert
sich die Bedeutung von Sprachen im Ergebnis des Kriterien-Komplexes, so handelt es
sich um „Rückgang“ oder „Schrumpfung“ ihrer Einflusssphäre.
Drittens Englisch liegt bei den Muttersprachlern auf Platz 3 und dominiert die
Bewertung der Sprachen weltweit bei nahezu allen anderen Kriterien. Diese Dominanz
148 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
wächst in den letzten Jahrzehnten. Besonders tragen dazu die Bedeutungs-Schübe von
Englisch in der internationalen Wissenschaftssprache und Geschäftssprache bei. Englisch
geht damit aus sprachlicher Sicht als ein Gewinner aus der Globalisierung hervor.
Viertens Die Deutsche Sprache liegt im Muttersprachenranking auf einem 12. Platz.
Auch wenn sie vor allem in Wissenschaft und Technik an Boden verloren hat, führt die
Gesamtbewertung aller Kriterien zu einer Position unter den Sprachen der Welt, die über
der liegt, die sie allein als Muttersprache einnimmt. Es kann davon ausgegangen werden,
dass sich an dieser Position in überschaubarer Zukunft nichts ändern wird und Deutsch
eine wichtige Sprache in der Welt bleiben wird.
Fünftens Bei dieser Einschätzung beziehen wir uns auf die hier vorgestellten Kriterien
und verweisen bezüglich der der deutschen Sprache selbst innewohnenden Wirkungen
auf das Thema „Wettbewerbsfähigkeit von Sprache und Wirtschaft“ in Kap. 3. Ein
Thema, das vor allem dann von Bedeutung ist, wenn eine Sprache den Anspruch hat,
über ihre Rolle als Muttersprache hinauszuwachsen und Bedeutung in der inter-
nationalen Kommunikation zu erlangen oder zu erhalten.
2.4.2 Wirkungsfaktoren
Zurückliegend wurde eine Zahl wichtiger Kriterien für Bedeutung und Verbreitung
einer Sprache vorgestellt. Und dabei verdeutlicht, dass es hier um mehr als allein die
Zahl der Menschen geht, die diese Sprache als Muttersprache sprechen. Jetzt geht es um
„Faktoren“. Um der Frage nach dem Unterschied zwischen diesen und den vorgenannten
„Kriterien“ zuvor zu kommen, soll sie hier vorab beantwortet werden. An den Kriterien
wurde erklärt, welche Umstände über Wichtigkeit oder Unwichtigkeit einer Sprache ent-
scheiden. Und woran sie sich messen. Bei den Faktoren lautet die Frage, warum diese
Umstände so sind, wie sie sind. Wodurch die Kriterien bestimmt werden, was auf sie ein-
wirkt. Wir wollen drei von ihnen auswählen:
• Demographie
• Politik
• Wirtschaft
Es wird sich zeigen, dass nicht alle Faktoren auf alle Kriterien und in gleicher Stärke
wirken. Deshalb soll es im Folgenden um einige besonders deutliche Zusammenhänge
gehen.
Demographie Der Faktor Demographie wirkt nicht nur, aber vor allem auf das Kriterium
„Zahl der Muttersprachler“. Und zwar nicht aus statischer, sondern aus dynamischer
2.4 Stärke der Wirtschaft und Verbreitung der Sprache 149
Sicht. Wie immer, wenn mehrere Faktoren auf verschiedene Kriterien wirken, erklärt sich
die Wirkung im Einzelfall am besten, wenn wir alle anderen Wirkungen ausklammern
oder sie gleich Null setzen. Diese Methode ist aus der Wirtschaftstheorie als „Ceteris
paribus – Klausel“ bekannt und beinhaltet bei der Darstellung eines Zusammenhangs
die Konzentration auf eine Variable bei Annahme der Konstanz aller anderen. „Ceteris
paribus“ heißt dabei im Lateinischen „unter sonst gleichen Umständen“.
Zu Demographie und Zahl der Muttersprachler. Hier gehen wir „ceteris paribus“
davon aus, dass a) kein anderer Faktor die Zahl der Muttersprachler beeinflusst und b)
die Demographie ohne Wirkung auf eines der anderen genannten Kriterien (z. B. Rolle
der Sprache im Internet oder unter den erlernten Fremdsprachen) bleibt. Dann gilt: Je
stärker die Bevölkerung eines Sprachgebietes wächst, desto größer die Zahl der eine
Sprache sprechenden Muttersprachler und desto größer somit deren Bedeutung und
Verbreitung. Geht dagegen die Bevölkerungszahl in einem Sprachraum zurück, ver-
ringert sich die Zahl der Muttersprachler und mit ihr ceteris paribus die Verbreitung der
Sprache. Der Zusammenhang soll an einem Beispiel deutlich gemacht werden.
Beispiel
Wie vorher betont wurde, misst sich die Aussage am Ende des Beispiels streng und
ausschließlich an dem im Focus stehenden Zusammenhang. Ob sie durch andere Ein-
flüsse verstärkt oder relativiert wird, ist nicht Gegenstand.
Politik Nicht alle Zusammenhänge lassen sich so quantifizieren wie der Einfluss der
Demographie auf die Zahl der Muttersprachler. Beim Faktor „Politik“ liegt das auf
der Hand. Ebenso aber, dass der Faktor Politik in vielfältiger Weise auf Kriterien der
Bedeutung und Verbreitung einer Sprache Einfluss nehmen kann.
Gehen wir auf der Suche nach Wegen und Beispielen in die Geschichte zurück und
beginnen wir mit Kriegen und Eroberungen. Krieg ist, wie auch immer im Verlauf der
Geschichte bewertet, ein Ausdruck politischen Willens. Zumindest vonseiten dessen, der
ihn beginnt. Auf von CLAUSEWITZ geht 1832 die Definition des Krieges als „Fort-
150 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
setzung der Politik mit anderen Mitteln“ zurück (Clausewitz 2021). Das vielgedeutete
und unterschiedlich bewertete Zitat von CLAUSEWITZ muss zunächst in einen Kontext
gestellt werden, der folgende Kommentierungen erfordert:
1. Die Worte von CLAUSEWITZ von 1832 sind eine Feststellung von Tatsachen
im Rückblick auf die Geschichte seiner Zeit. Ohne Kenntnis der nie gekannten
katastrophalen Folgen zweier Weltkriege hundert Jahre später. Als Rückblick auf die
Geschichte vor CLAUSEWITZ verstehen sich auch die nachfolgenden Beispiele.
2. CLAUSEWITZ selbst verbindet seinen Vergleich mit der Warnung vor einem
absoluten Krieg, der alle Mäßigung und Diplomatie verschlingt und als Aufforderung
an diese, die Diplomatie, das Ziel des Friedens auch im Krieg zu verfolgen.
3. Nach Jahrzehnten des kalten Krieges, und nach inzwischen Jahrzehnten von Trans-
formation in Europa zeigen sich zum Beginn der 2020er Jahre und drastisch seit 2022
neue Zeichen einer Eskalation, die die Gesamtbotschaft von CLAUSEWITZ wieder
auf den Plan rufen.
„Bücher haben ihre Schicksale. Das gilt auch für den General von Clausewitz und seine
Abhandlung `Vom Kriege`. Sie mag an die 200 Jahre alt sein. Indem sie die Politik für den
Frieden in Haftung nimmt, kann sie aktueller nicht sein.“ (Stürmer 2015)
In diesen Hintergrund sind Beispiele aus der älteren Geschichte zur Wirkung von
Kriegen und Eroberungen auf die Ausdehnung von Sprachen zu stellen.
Beispiele
In den von Rom eroberten Provinzen wurde Latein während der jahrhunderte-
langen Herrschaft zur Volkssprache. Nach dem Ende der römischen Herrschaft ent-
wickelten sich aus den lateinischen Dialekten romanische Sprachen wie Französisch,
Italienisch, Portugiesisch oder Rumänisch.
Nach er Eroberung Amerikas durch Europäische Kolonialmächte setzten sich in
den Ländern Süd- und Mittelamerika Spanisch und Portugiesisch und in Nordamerika
Englisch und Französisch als Amtssprachen durch.
Anders ist die Rolle des Niederländischen in ehemaligen von Holland dominierten
Gebieten in Übersee zu bewerten. In Indonesien oder Südafrika war die Sprache
der Eroberer schon ab dem 16. Jahrhundert den eingewanderten Eliten vorbehalten
und wurden durch diese auch nicht aktiv versucht, zur Volkssprache zu machen. In
Indonesien wurde nach dessen Unabhängigkeit Basra (eine Form von Malaiisch)
zur offiziellen Sprache. In Südafrika ist Afrikaans, das seine Wurzeln im Nieder-
ländischen hat, eine Minderheitssprache. ◄
Beispiele wie die genannten belegen vor allem den Zusammenhang von Kriegen und
Eroberungen in der Vergangenheit mit dem Kriterium der Zahl an Muttersprachlern. Das
liegt auf der Hand, wenn man die heutige Verteilung von Portugiesisch oder Spanisch auf
der Welt vergleicht.
2.4 Stärke der Wirtschaft und Verbreitung der Sprache 151
Beispiele
Dass Krieg und Aggression in der Geschichte der Sprache des Aggressors in ihrer Ent-
wicklung in Epochen-Dimension im Wege stehen kann, zeigt Abschn. 2.4.1. Dort wird
aus der unheilvollen Geschichte Deutschlands von 1933 bis 1945 auf nachhaltig negative
Folgen für ihre Rolle in der internationalen Politik und Wirtschaft sowie in deren
geschaffenen Institutionen geschlossen. Umgekehrt profitieren Sprachen, deren Träger
eine aktive, vermittelnde und deeskalierende Rolle in der internationalen Politik spielen
tendenziell in ihrer Präsenz in der internationalen Politik und ihren Organisationen.
Eine solche Rolle hat zum Beispiel immer die Schweiz gespielt. Zumindest, was sich
zum Beispiel auf ihren französischen Sprachanteil bezieht. Bei ihrer deutschen Sprach-
komponente überlagern sich die Wirkungen eher mit den bereits beschriebenen.
Wirtschaft Schon bei den Kriterien von Bedeutung und Verbreitung einer Sprache in
Abschn. 2.4.1 sind wir an vielen Stellen mit Aspekten der Wirtschaft in Berührung
gekommen. Tatsächlich ist der wirtschaftliche Faktor sowohl ein besonders starker als
auch einer, dessen Wirkung sich nicht nur auf ein, sondern auf nahezu alle Kriterien der
Stärke einer Sprache erstreckt.
Bei den unter Abschn. 2.4.1 betrachteten Kriterien betrifft das vordergründig natür-
lich solche wie Rolle als internationale Geschäftssprache, Rolle in internationalen
Organisationen oder Rolle in Wissenschaft und Technik. Bleiben wir beim Letzten, so sind
neue wissenschaftliche und technische Errungenschaften nicht allein durch Geniestreiche
im Hinterstübchen zu haben, sondern erfordern Wirtschafts- und Investitionskraft. Private
wie staatliche. Die Anforderungen der Digitalisierung sind ein Beispiel dafür.
Weil der Faktor „Wirtschaft“ neben der Stärke und Komplexität seiner Wirkung auch
die Kernfrage dieses Kap. 2 „Wie beeinflusst die Wirtschaft die deutsche Sprache?“
trifft, soll er im nachfolgenden Abschn. 2.4.3 einen eigenständigen Platz finden und
gesondert untersucht werden.
Mit den bisher vorgestellten Faktoren und ihrer Wirkung auf verschiedene Kriterien der
Bedeutung und Verbreitung einer Sprache wurde ein Rahmen geschaffen. Ein Rahmen,
in dem es jetzt möglich ist, den eigentlichen Gegenstand dieses Kapitels, die Wirkung des
152 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
Faktors auf die Sprache, Wirtschaft einzuordnen. In Kap. 1 wurde im Zusammenhang mit
dem Wettbewerb eine zentrale Kategorie der Wirtschaft – der Markt – vorgestellt. Von
seiner Beschaffenheit wollen wir uns hier beim weiteren Vorgehen leiten lassen.
Der Markt wird allgemein als das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage
verstanden. In den zurückliegenden Punkten haben wir gesehen, dass sich die meisten
wirtschaftlichen Zusammenhänge mit Bedeutung und Entwicklung von Sprache einer
der beiden Seiten zuordnen lassen. Und zwar aus der Sicht der Volkswirtschaft eines
Landes. Oder besser und genauer: Aus der Sicht eines Sprachraumes. Was oft ähnlich,
aber nicht dasselbe ist.
Treffen wir auf Rankings der Sprachen nach ihrer Bedeutung, dann werden dort in
den Begründungen wirtschaftliche Argumente oft unsortiert vermengt. Für die führende
Sprache Englisch sprechen ihre weite Verbreitung unter den Muttersprachen und der
hohe Anteil seines Sprachraumes an modernen Innovationen in Wissenschaft und
Technik. Für Mandarin-Chinesisch spricht ebenfalls die Zahl der Muttersprachler und
die zum Sprachraum gehörenden „aufstrebenden“ oder wachsenden Wirtschaften. Bei
Spanisch begegnet uns neben der großen Zahl an Muttersprachlern unter anderem die
regionale Nähe und die zunehmenden Handelsbeziehungen Mexikos zu den USA. Mit
Arabisch wird die Bedeutung des Ölexports aus Saudi-Arabien in Verbindung gebracht.
Rohstoffexporte sind auch ein Argument für Russisch oder für Portugiesisch. Letzteres
mit Blick auf Brasilien und seine Bodenschätze und Landwirtschaftsprodukte. Während
bei Französisch wieder die große Zahl der Muttersprachler sowie seine Stärke im Touris-
mus genannt werden. Für Deutsch sprechen aus wirtschaftlicher Sicht das hohe Brutto-
inlandsprodukt Deutschlands sowie dessen starke Exportposition im Maschinen- und
Fahrzeugbau, der Chemie und bei Haushaltsgeräten (Multilingual Office 2017).
Wir haben die wirtschaftlichen Argumente in ihrer Fülle und Unterschiedlichkeit aus-
gebreitet, um sie als Grundlage einer nachfolgenden Strukturierung wirtschaftlicher
Faktoren auf Bedeutung und Verbreitung von Sprache zu machen. Es geht um die Frage,
wie ein wirtschaftlicher Faktor darauf Einfluss nimmt, ob eine Sprache mehr oder weniger
gesprochen wird. Wir bleiben dabei auf gesamtwirtschaftlicher Ebene von Sprachräumen
und kommen zurück auf das gewählte Hauptunterscheidungskriterium „Angebotsseite“
oder „Nachfrageseite“. Jeder Sprachraum ist, ähnlich wie eine Volkswirtschaft, ein Raum,
in den wirtschaftliche Güter eingehen (Input, Import) und aus dem wirtschaftliche Güter
herauskommen (Output, Export). Die Volkswirtschaftslehre würde sagen: Als Ausdruck
„internationaler Arbeitsteilung“. Hier müssen wir exakter Weise formulieren: Als Aus-
druck „interlingualer Arbeitsteilung“ – der Arbeitsteilung zwischen Sprachräumen.
Im Falle des Imports gibt es andere wirtschaftliche Argumente, die Sprache des
importierenden Sprachraumes zu sprechen, als im Falle des Exports in Bezug auf den
Sprachraum, aus dem die exportierten Güter kommen. Importiert ein Sprachraum, sind
Faktoren wichtig, die dessen Nachfrage bestimmen. Exportiert ein Sprachraum, geht es
um Faktoren, die dessen Angebot bestimmen. Haben wir diese beiden großen „Schub-
laden“ geschaffen, sollte es leichter fallen, den oben genannten Argumenten und Faktoren
eine Struktur zu verleihen. Und auf dieser Basis besser ihr Wesen als wirtschaftliche
Faktoren für die Bedeutung und Verbreitung Sprachen verstehen und erklären zu können.
2.4 Stärke der Wirtschaft und Verbreitung der Sprache 153
Nachfrageseite
Beginnen wir mit den Faktoren, die die wirtschaftliche Nachfrage eines Sprachraumes
bestimmen. Hier spielt eine originäre und bei Wirkung aller anderen Faktoren bleibend
wichtige Rolle die Zahl der eine Sprache sprechenden Muttersprachler. Wir haben
diese Zahl bereits als Kriterium für die Bedeutung einer Sprache kennengelernt. Das ist
kein Widerspruch. Da ging es um die Muttersprachler selbst. Bei einer Million Mutter-
sprachlern sprechen eine Million Menschen die Sprache. bei zehn Millionen die zehn-
fache Zahl. Hier ist der Ansatz ein anderer: Wie reagieren Wirtschaftspartner aus anderen
Sprachräumen darauf, ob es im eigenen Sprachraum viele oder wenige Muttersprachler
gibt? Hier wird diese Zahl vom Bedeutungskriterium zum wirtschaftlichen Faktor
für andere, eine Sprache zu sprechen. Die meisten Märkte – auch international – sind
Käufermärte. Das heißt, dass auf ihnen das Angebot größer ist als die Nachfrage. Dass
die Nachfrager (Käufer) in der stärkeren Position sind und die Anbieter um deren Gunst
konkurrieren. Wenn in einer solchen Konstellation ein Exporteur aus dem englisch-
sprachigen Raum seine Waren in einem anderen Sprachraum absetzen möchte, dann
entscheidet die Zahl der dort lebenden Muttersprachler unter sonst gleichen Umständen
über die Höhe der potenziellen Nachfrage und Verkaufsmöglichkeit. Der fremdsprachige
Anbieter wird, um vom Kunden wahrgenommen zu werden, sich ihm in dessen eigener
Sprache nähern. Und das umso intensiver, je größer die Zahl der Muttersprachler ist. Er
wird Bücher oder Gebrauchsanleitungen in größerer Zahl ins spanische übersetzen, wenn
er nach Mexiko liefern möchte, als ins Ungarische, wenn die Ware für den ungarischen
Markt vorgesehen ist. Ähnlich ist es beim quantitativen Verhältnis von Plakat-,
Fernseh- oder Internetwerbung. Und im Sprachraum der Muttersprache agierende
Geschäftspartner und Verkäufer werden in größerer oder kleinerer Zahl angehalten
sein, die Muttersprache der Kunden als Zweitsprache zu erlernen. Eine größere Zahl
von Muttersprachlern führt so dazu, dass sie um eine größere Zahl in ihrer Sprache
kommunizierender Anderssprechender erweitert wird, als im Falle einer kleineren. Damit
ist die Zahl an Muttersprachlern als Basis der Nachfrage ein wirtschaftlicher Faktor für
die Bedeutung und Verbreitung einer Sprache.
Beispiel
Die Erfahrung besagt, dass Englisch, obwohl Weltsprache, auf Barrieren stößt, wenn
Anbieter aus dem Vereinigten Königreich glauben, ihre Produkte im E-Commerce
Kunden in anderssprachigen Ländern erfolgreich in englischer Sprache anbieten zu
können.
„Nur 54 Prozent aller Europäer sind in der Lage, eine Konversation in einer Fremdsprache
zu führen. Das bedeutet, dass fast die Hälfte der europäischen Bevölkerung nur eine
Sprache spricht. Laut einer Untersuchung von Eurobarometer, an der 13.700 Leute aus
27 EU-Staaten teilgenommen haben, haben 42 Prozent der Teilnehmer noch nie in einer
anderen Sprache online eingekauft. 56,2 Prozent der Konsumenten gaben an, dass ihnen die
Informationsbeschaffung in der eigenen Sprache wichtiger als der Preis ist. Es stimmt zwar,
dass Englisch die meistverwendete Zweitsprache ist, aber viele Internetnutzer haben beim
Onlinekauf keine Lust, ihre Fremdsprachenkenntnisse zu testen.“ (Kulach 2021) ◄
154 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
Von den Wirtschaftsfaktoren auf der Nachfragseite bezieht sich die eben untersuchte
„Zahl der Muttersprachler“ stark auf den Teil der Nachfrage, die auf Konsumgüter
gerichtet ist. Die Nachfrage nach Produktionsgütern wie Rohstoffen, Zulieferungen,
Maschinen und Anlagen ist eher an gesamtwirtschaftlichen Produktionsgrößen zu
messen. Wir erinnern uns, dass die Bedeutung der deutschen Sprache unter anderem
an dem hohen Bruttoinlandsprodukt Deutschlands festgemacht wurde. Setzen wir ein
Maß internationaler Arbeitsteilung als gegeben voraus, dann ist die Nachfrage nach
Produktionsgütern in einem Sprachraum mit einer starken Wirtschaft (mit einem hohen
Bruttoinlandsprodukt) größer als in einer schwachen. Nun sind Einkäufer von großen
Unternehmen vermutlich mit anderen Fremdsprachenpotenzialen ausgestattet als Online-
Käufer von Haarspray. Sie können aber auf einem Käufermarkt davon ausgehen, dass
der ausländische Anbieter in ihrer Sprache auf sie zutritt. Obwohl es, wie an anderer
Stelle betont, Ausnahmen gerade bei deutschen Standorten von Großkonzernen aus dem
englischsprachigen Raum gibt, wird das durch Umfragen in der Wirtschaft bestätigt
(Huck 2005).
Angebotsseite
Was kann die Wirtschaft eines Sprachraumes – und damit dessen Sprache – neben seiner
Aufnahmefähigkeit als Binnenmarkt noch attraktiv über seine Grenzen hinaus machen?
Die Antwort ist: das, was sie an produzierten Gütern zu bieten hat. In Menge, Qualität
und technischem Entwicklungsstand. Die Angebotsseite.
Der Aspekt „Menge“ führt zurück zum Faktor „Bruttoinlandsprodukt“. Auf ihn
treffen wir doppelt. Neben der Nachfrageseite auch auf der Angebotsseite. Eine große,
starke und leistungsfähige Wirtschaft ist einerseits aufnahmefähig für Importe und hat
andererseits Potenzial für Exporte.
Gehen wir in den oben zitierten Argumenten für bestimmte Sprachen weiter, so teilt
sich das Exportpotenzial in zwei große Gruppen. Eine erste Gruppe basiert auf den
natürlichen Bedingungen eines Sprachgebietes. Diese finden ihren Ausdruck in Roh-
stoffen wie Erdöl, Eisen und Stahl, Aluminium, Edelmetallen wie Gold und Silber oder
in landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Weizen, Kaffee, Zucker oder Baumwolle.
Über das Angebot an Rohstoffen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen entscheidet die
wissenschaftlich-technische Entwicklung in einem Sprachgebiet nur in geringem Maße.
Hier handelt es sich vielmehr um die Gegebenheiten der Natur. Was im Übrigen auch
den Tourismus betrifft. Natürlich hängt die Attraktivität als Tourismusland vom Klima,
der Nähe zum Meer und landschaftlichen Bedingungen (z. B. Berge) ab. An diesen
Voraussetzungen mag es liegen, dass die Dominikanische Republik mit einem jährlichen
Pro-Kopf-Einkommen von 7.554 $ (2020) mehr Touristen anzieht als die Mongolei mit
einem nicht viel höherem Pro-Kopf-Einkommen von 10.930 € (2020). Und die Sprache
des Gebietes, wohin man eine Reise plant, ist man im Vorfeld möglicherweise bestrebt,
zumindest in Ansätzen zu lernen. Auch einmalige Anziehungspunkte internationalen
Besucherverkehrs (im weitesten Sinne auch Tourismus) können der Landessprache einen
Schub verleihen.
2.4 Stärke der Wirtschaft und Verbreitung der Sprache 155
Beispiel
Vor und während der Fußballweltmeisterschaft 2014 und der Olympischen Spiele
2016 in Brasilien erfuhr das Portugiesische eine weltweit gewachsene Aufmerksam-
keit (Multilingual Office 2017). ◄
Tourismus ist zu einem großen Teil ein Geschenk der Natur, aber das nicht allein.
Um ein Sprachgebiet und seine Sprache attraktiv für den Tourismus, zumindest den
kommerziellen Massentourismus, zu machen, bedarf es einer funktionierenden Infra-
struktur (Hotels, Verkehr, Gastronomie, Handel, Umweltmanagement) und damit
wirtschaftlichen Potenzials.
Beispiele
Diejenigen, die aus dienstlichen oder privaten Gründen schon einmal in Albanien
waren, schwärmen von der Natur dieses Landes. Von wunderschönen Stränden an der
rund 200 km langen Adriaküste, Berglandschaften, Seen und unberührten National-
parks. Dennoch gilt Albanien bisher noch nicht als Tourismusland wie andere
mediterrane Länder – wie Italien oder Griechenland. Eher als Geheimtipp. Was auch
an der in der Vergangenheit zurückgebliebenen Infrastruktur lag. Inzwischen gibt es
aber zunehmende Aktivitäten, Albanien zu einem Tourismusland zu entwickeln. Und
damit der nicht stark verbreiteten albanischen Sprache – als Nebeneffekt – einen
kleinen Schub zu verleihen.
Eine ähnliche Tourismusgeschichte hat an einer anderen Stelle der Erde Vietnam.
Hier bieten eine Küste zum Pazifik von über 3.400 km, Gebirgslandschaften, sub-
tropisches Klima im Norden und tropisches im Süden eine ausgezeichnete Grundlage
für Tourismus. Und die touristische Erschließung ist bereits weiter.
Eine entsprechend wachsende Zahl von Menschen kommt mit der vietnamesischen
Sprache in Berührung. ◄
Neben den natürlichen Bedingungen haben auch die Qualität sowie der technische
Standard produzierter und international angebotener Erzeugnisse eines Sprachraumes
Einfluss auf Größe und Struktur seiner Ausfuhr. In diesem Falle von Fertigerzeug-
nissen. Für den Export Deutschlands sind zum Beispiel Autos ein Markenzeichen. Sie
haben mit rund 200 Mrd. Euro einen Anteil von 17 % am Gesamtexport und machen
mit 64 % mehr als die Hälfte der Produktion aus. IPads, zum Beispiel von Apple, ent-
stehen in einem international großen Netzwerk an Zulieferern, werden aber durch die
USA und damit aus dem englischsprachigen Raum exportiert. China hat im Export von
156 2 Einfluss der Wirtschaft auf die deutsche Sprache
lektrotechnik und Elektrogeräten Deutschland von Platz 1 in der Welt verdrängt. Mit
E
knapp 700 Mrd. US-$ macht diese Warengruppe 27 % des chinesischen Exports aus.
Wie beeinflusst der Export von Rohstoffen und Fertigprodukten die Verbreitung der
Sprache des Sprachraumes, aus dem diese Exporte kommen? Wir haben an anderer
Stelle darauf verwiesen, dass Märkte, auch internationale, mehrheitlich Käufermärkte
sind. Märkte, auf denen ein Angebotsüberschuss über die Nachfrage herrscht, auf denen
der Nachfrager (Käufer) die stärkere Position gegenüber dem Anbieter (Verkäufer) hat.
Und damit wohl auch seine Sprache bei der zum Handel erforderlichen Kommunikation.
Wir haben mit Blick auf die Nachfrageseite gesehen und betont, dass für Lieferer die im
Zielgebiet gesprochene Sprache in der Regel Vorrang vor der eigenen hat. Damit lässt
sich, zumindest als Tendenz, festhalten: Die Bedeutung und Verbreitung einer Sprache
wird durch Export aus dem Sprachraum weniger beeinflusst als beim Import in den
Sprachraum. Das schließt ein, dass ein Einfluss, wenn auch geringer, dennoch vorhanden
ist. Und es schließt Ausnahmen in den Fällen ein, bei denen es weniger Wahlmöglich-
keiten gibt und der Käufermarkt-Status eingeschränkt ist. Das betrifft zum Beispiel die
genannten Rohstoffe oder den Tourismus.
Das weiter oben zitierte Beispiel, nach dem die spanische Sprache dadurch an
Bedeutung gewinnt, dass Mexiko in regionaler Nähe der großen US-amerikanischen
Wirtschaft liegt, stellt im eigentlichen Sinne keinen eigenständischen Faktor dar,
sondern nimmt eine Brückenfunktion zur Wirkung der anderen genannten Faktoren
dar. Der Vollständigkeit halber soll er in der Reihe der genannten und in ihrer Wirkung
beschriebenen Faktoren dennoch seinen Platz finden. Tab. 2.6 fasst zum Abschluss dieses
Punktes die wirtschaftlichen Faktoren zusammen, die neben anderen (Demographie und
Politik) über die davor genannten Kriterien Bedeutung und Verbreitung einer Sprache
beeinflussen und bestimmen.
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Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Wirtschaft 3
Zusammenfassung
Die Erlernbarkeit einer Sprache innerhalb und außerhalb ihres Sprachraumes wirkt
über das Arbeitspotenzial auf die Wirtschaft. Dabei sind auch beim Deutschen
objektive, langfristig gewachsene Sprachmerkmale wie Groß- und Kleinschreibung,
Konjugation oder Deklination zu unterscheiden von subjektiven, hausgemachten.
Dazu zählt eine Verkomplizierung durch Verwaltungssprache und Gender-Sprache
sowie eine zunehmende Zahl an Abkürzungen. Diese Tendenz wirkt einer im Wett-
bewerb geborenen Ökonomisierung der Sprache entgegen, die sich aus digitaler
Kommunikation, den Anglizismen und Migration ergeben. Migranten und Flüchtlinge
finden in erster Linie aus humanitären Gründen Aufnahme in Deutschland. Sie sind
ihrerseits aber auch ein zahlenmäßig großes Potenzial für die Gewinnung bzw. Ent-
wicklung von Fachkräften. Grundvoraussetzung und nicht selten Hindernis hierfür
ist das Beherrschen der deutschen Sprache. Anders befindet sich die deutsche Wirt-
schaft bei der Gewinnung von Fachkräften und Spezialisten im internationalen Wett-
bewerb mit anderen Industrienationen. Hier zeigt eine Befragung im Rahmen dieses
Kapitels, welchen Stellenwert Attraktivität und Erlernbarkeit von Deutsch im Rahmen
der Entscheidung ausländischer Studenten und junger Fachkräfte über ihren künftigen
Lebens- und Arbeitsmittelpunkt haben.
Im zurückliegenden zweiten Kapitel ging es vor allem um die Einflüsse, die von Seiten
der Wirtschaft auf eine Sprache und ihre Entwicklung ausgehen. Hier nun wollen wir
uns der Gegenbewegung zuwenden. Kann eine Sprache, vor allem in ihrer Entwicklung,
damit, wie sie in der Lage ist, veränderten Anforderungen zu entsprechen, ihrerseits
auch die Wirtschaft beeinflussen? Deren Wettbewerbsfähigkeit und damit ihre eigene als
Sprache selbst? Diese Kernfrage des folgenden dritten Kapitels soll aus verschiedenen
Blickwinkeln gestellt und beantwortet werden.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 163
Teil von Springer Nature 2022
A. Forner, Wirtschaft und Sprache, https://doi.org/10.1007/978-3-658-38734-1_3
164 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Wenn wir hier über die Erlernbarkeit von Sprachen sprechen, stützen wir uns zunächst
auf Erkenntnisse und Quellen, die sich auf objektive Kriterien konzentrieren. Auf
Gegebenheiten, die einer Sprache aus sich selbst heraus innewohnen, und die – soll es
noch dieselbe Sprache bleiben – auch nicht nennenswert durch subjektive Gestaltungs-
versuche zu beeinflussen sind. Das muss betont werden, weil spätere Abschnitte auch
subjektive, „hausgemachte“ Entwicklungen einbeziehen, auf die es durchaus Zugriffs-
möglichkeiten in Richtung Les- und Sprechbarkeit, Erlernbarkeit und Ökonomie gibt.
Die aber ihres Erkennens und der Einigkeit über die zu wählende Richtung bedürfen.
Natürlich wird zu Recht betont, dass die Leichtigkeit oder Schwere, mit der man eine
Sprache erlernt, auch davon abhängt, wie motiviert man ist, genau diese Sprache zu
erlernen. Welche familiären, beruflichen oder anderen Gründe es dafür gibt. Und richtig
ist auch, dass sich eine verwandte Sprache, zum Beispiel Italienisch für Franzosen,
Deutsch für Holländer, Englisch für Deutsche oder Polnisch für Tschechen, leichter
lernt, als eine Sprache, die sich sehr stark von der eigenen unterscheidet. Darum soll es
aber hier weniger gehen.
Zu den objektiven Kriterien, an der die Erlernbarkeit einer Sprache gemessen
werden kann, sind solche zu rechnen, die aus der Sprache selbst – vor allem aus ihrer
Grammatik, Lexik oder Rechtschreibung heraus – erwachsen. „Angeborene“ Eigen-
schaften also. Wir wollen auf einige von ihnen, hier zunächst aus sprachneutraler Sicht
(oder verschiedene Sprachen als Beispiele nutzend) verweisen.
Deklination (Grammatik) ist eine Form der Beugung (Flexion) von nominalen Wort-
arten – von Substantiven (Hauptwörtern), Adjektiven (Eigenschaftswörtern), Pronomen
(Fürwörtern) oder Artikeln (Geschlechtswörtern). Dimensionen, in denen dekliniert
wird, können der Kasus (Fall), der Numerus (Zahl) oder der Genus (Geschlecht) sein.
Verschiedene Sprachen verfügen beispielsweise über unterschiedlich viele Fälle oder
Geschlechter, die man sich beim Lernen merken muss. Bleiben wir hier zunächst bei der
Zahl der Fälle. Im Deutschen kennen wir vier: Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ.
„Der grüne Pullover“, „des grünen Pullovers“, „dem grünen Pullover“, „den grünen
Pullover“. Das Englisch kennt die vier Fälle auch. Hier gleichen Dativ und Akkusativ
dem Nominativ: „The green sweater“, „the green sweater’s“, „the green sweater“, „the
green sweater“. Im Französischen, Italienischen oder Spanischen gibt es für Substantive
gar keine Fälle. Dafür im Russischen 6, im Estnischen 14 oder im Ungarischen 18.
Konjugation (Grammatik) ist die zweite Form der Beugung (Flexion) – in diesem
Falle von Verben. Merkmale der Beugung können nach Sprachen unterschiedliche
sein. Als Beispiele werden gern die Person, Ein- oder Mehrzahl (Numerus) oder die
Zeit (Tempus) benutzt. Ausgangspunkt ist der Infinitiv, der im Deutschen meist mit
3.1 Erlernbarkeit von Sprachen 165
Beispiele
Im Besteckkasten finden wir „den Löffel“, „die Gabel“ und „das Messer“. Im
Spanischen ist mit „la cuchara“ der Löffel weiblich und die Gabel mit „el tenedor“
männlich. (TranslateMedia 2013) Die Tierwelt bietet „den Elefanten“, „das Nilpferd“
und „die Maus“. Und versucht man die Unterscheidung mit Größe oder Kraft in Ver-
bindung zu bringen, so wird man spätestens bei „die Giraffe“ und „der Floh“ eines
Besseren belehrt. Bei der Kleidung hat „der Rock“ einer Frau nichts Männlicheres
als „die Hose“ eines Mannes. Den meisten großen Sprachen der Welt werden Logik
und Systematik in der Zuordnung grammatikalischer Geschlechter abgesprochen.
166 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
„Logische Geschlechter“ könne man zum Beispiel beim unter anderem in Indien
gesprochenen Tamil finden. Dort gibt es wie im Deutschen drei grammatikalische
Genera: männlich, weiblich und sächlich. Männer (und männliche Götter) werden
dort mit dem männlichen Geschlecht bezeichnet, Frauen (und weibliche Götter) mit
dem weiblichen und alles Übrige (einschließlich Tiere und Gegenstände) mit dem
sächlichen (ebd.). ◄
Groß- und Kleinschreibung (Orthographie) ist ein Sprachmerkmal, das sich in den ver-
gangenen Jahrhunderten zugunsten der Kleinschreibung verändert hat. Seit Mitte des
letzten Jahrhunderts ist Deutsch noch die einzige bedeutende Sprache, in der Substantive
groß geschrieben werden. Nach dem Duden gilt auch im Deutschen die Kleinschreibung
grundsätzlich als „Normalfall“. Zu den Ausnahmen zählen wie in den meisten anderen
Sprachen Satzanfänge, Eigennamen, geographische Bezeichnungen, Anreden oder Titel.
Dazu kommen aber, und das ist das Besondere am Deutschen, die Substantive. (Duden
2020). Diese Besonderheit ist deshalb gravierend, weil nahezu drei Viertel (74,9 %) aller
148.000 Stichworte im aktuellen Rechtschreibduden Substantive sind. (ebd.) Dieses
Bild vermitteln auch die meisten Texte in Belletristik, Fachliteratur, Zeitungen oder
Zeitschriften. Dagegen wirkt weniger gewichtig, dass es im Deutschen nicht die Praxis
wie zum Beispiel im Englischen gibt, Wörter in Titelüberschriften – außer Artikel, Prä-
positionen etc. – groß zu schreiben.
Übereinstimmung von Sprechen und Schreiben (Phonetik, Orthographie) gibt
es in keiner Sprache in völliger Ausprägung. Aber in manchen Sprachen sind beide
dichter beieinander als in anderen. So steht im Deutschen, Spanischen, Italienischen
oder Türkischen die Schrift näher an der Sprache als beispielsweise im Französischen
oder gar im Englischen. In „Zebra“, „Fenster“, „Haus“ oder „Erde“ steht in der Regel
für einen gesprochenen Laut ein Buchstabe. Aber auch hier gibt es Abweichungen.
Verwiesen sei nur um die Diskussion um Regeln, warum „Chemnitz“ „Kemnitz“ und
„Chlor“ „Klor“ aber „Chef“ „Schef“, „China“ „Schina“ oder „Chemie“ „Schemie“
gesprochen wird. Obwohl zumindest in den letzten beiden Fällen Wahlmöglich-
keiten bescheinigt werden. Nähe in der Reihenfolge der Sprachlaute mit der der Buch-
staben findet sich auch beim spanischen „Buenas noches“ (gute Nacht) und „Muchos
saludos“ (viele Grüße). Oder beim italienischen „come va“ (Wie geht es dir?) Nehmen
wir dagegen das französische „Eau de Cologne“ (Kölnisch Wasser): Da finden sich im
ersten Wort drei Buchstaben, die Vokale „e“, „a“ „u“ für einen Laut „o“. Und im letzten
stehen die Buchstaben „g“, „n“, „e“ für die Laute „n“ und „sch“. Das englische Wort
„language“ (Sprache) wird mit den Lauten „laengwidz“ beschrieben. Oder „size“
(Größe) mit „sais“. Ohne Zweifel ist das Erlernen einer Sprache, insbesondere, wenn
es sich um die Zweitsprache handelt, einfacher bei hoher Übereinstimmung zwischen
Wort und Schrift. Warum es hier zwischen den Sprachen deutliche Unterschiede gibt,
wird, auch damit begründet, dass die Lautsprache historisch vor die Schriftsprache
gesetzt wird. Und dass eine Schere zwischen beiden umso größer wird, je älter die
3.1 Erlernbarkeit von Sprachen 167
chriftsprache ist. Je mehr also die variablere Lautsprache von der stabileren Schrift-
S
sprache Zeit hatte, sich zu entfernen.
„Die Türkei hat die lateinische Schrift ja erst 1928 eingeführt, ist deshalb noch ziem-
lich nah an der Sprache, wie sie heute gesprochen wird“... Das Altfranzösisch hin-
gegen wird mit seiner Entstehung in das 9. Jahrhundert datiert. Es war im romanischen
Sprachraum etwas Neues, aber doch noch nahe am lateinischen. „Seitdem hat sich das
Französisch nochmal deutlich verändert…. Die Schreibformen dagegen blieben ziemlich
konservativ.“ (Paal 2019).
Zweifellos ist die Wortlänge (Morphologie) ein Kriterium für die Erlernbarkeit einer
Sprache. Unter sonst gleichen Umständen lernt sich ein kurzes Wort leichter als ein
langes. Was Vergleiche oder Rankings betrifft, muss man auf Einschränkungen in den
Aussagen hinweisen. Deren Ergebnisse können differieren, je nachdem, ob Buchstaben,
Laute oder Silben gezählt werden und welche Auswahl an Wörtern der Untersuchung
zugrunde liegt. Tab. 3.1 bildet die durchschnittliche Zahl an Buchstaben pro Wort für
sieben ausgewählte Sprachen in zwei ausgewählten Quellenbereichen ab.
Einige Kommentierungen zu Tab. 3.1.
von rund 20 % aus, die ein englisches Wort im Durchschnitt weniger Buchstaben hat,
als ein deutsches, dann sind das pro Seite 750 Buchstaben oder über den gerundeten
Schlüssel von 6 Buchstaben pro Wort ungerechnet 125 Wörter. Schätzungsweise
ein bis zwei Minuten längeren Lesens oder Sprechens. Um auf die Ausgangsfrage
zurückzukommen: eher viel.
c) Die Quelle von Tab. 3.1 ist eine Momentaufnahme. Sie kann keine Aussage über
Trends, über Entschlackung oder Verkomplizierung von Sprachen oder ihren Wörtern
liefern. Wohl aber durch Einbeziehung weiterer als der in Tab. 3.1 gezeigten Länder
Parallelen innerhalb von Sprachräumen. So haben romanische Sprachen in der Mehr-
zahl weniger Buchstaben pro Wort als slawische Sprachen. Auf eine noch höhere Zahl
bringen es die auf finno-ugrische Wurzeln zurückgehenden Sprachen Finnisch und
Ungarisch.
Abkürzungen sind ein Merkmal einer Sprache, das sein Gewicht tendenziell in dem
Maße verstärkt, wie die Wörter länger werden – oder zusammengesetzte Wörter
häufiger. Sie sind ein Signal des Gegensteuerns, um aus dem Ruder laufende Wort-
ungetüme wieder einfangen zu können. In jedem Fall aber auch ein Umstand, der das
Erlernen einer Sprache erschwert. Das Thema zählt im engeren Sinne nicht zu den
objektiven Kriterien der Erlernbarkeit einer Sprache. Es soll deshalb, bezogen auf die
deutsche Sprache, näher beleuchtet werden, wenn es unter Abschn. 3.2 bei um Aspekte
der Verkomplizierung und Wettbewerbsfähigkeit von Sprache geht.
Am Anfang muss die Frage stehen, was die Erlernbarkeit einer Sprache mit deren
Wettbewerbsfähigkeit oder gar mit der der Wirtschaft ihres Sprachraumes zu tun hat.
Dabei ist zunächst zwischen dem Erlernen einer Sprache als Muttersprache oder ihrem
Erlernen als Zweitsprache zu unterscheiden.
Sicherlich ist es, wir haben an anderer Stelle in Bezug auf Deutsch darauf ver-
wiesen, für Schüler oder Auszubildende nicht ohne Belang, ob ihre Muttersprache
leicht oder schwer zu erlernen ist. In Zeiten des Fachkräftemangels hängt der mög-
lichst hoch anzustrebende Anteil an ausbildungsfähigen Jugendlichen davon ab, wie sie
deutsch lesen, schreiben und sprechen können. Es ist bekannt, dass die Wirtschaft vor
die sozialen und fachlichen Kompetenzen bei Ausbildungsplatzbewerbern ihre sprach-
lichen setzt. Aber einen großen Unterschied, vor allem zu Fachkräften aus dem Ausland,
gibt es: Junge Menschen mit Deutsch als Muttersprache stehen weniger vor der Wahl,
ob sie sich für diese Sprache und deren Sprachraum in ihrer beruflichen Perspektive
entscheiden. Oder für eine andere. Und angesichts eines nicht allein aus inländischen
Quellen zu sichernden Fachkräftebedarfs liegt, unter sonst gleichen Umständen, der
Zusammenhang zwischen Erlernbarkeit einer Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der
Wirtschaft auf der Hand. Abschn. 3.2 wird sich näher mit diesem Thema befassen, und
3.1 Erlernbarkeit von Sprachen 169
dabei auch aktuelle Tendenzen in der deutschen Sprache auf Konsequenzen für ihre
Attraktivität oder weitere Verkomplizierung hin prüfen.
Hier soll zunächst der Grundstein dafür gelegt werden, indem die als objektive
Kriterien der Erlernbarkeit vorgestellten Sprachmerkmale, bezogen auf die deutsche
Sprache, resümiert werden.
Die deutsche Sprache kennt drei grammatikalische Geschlechter, ähnlich wie die
slawischen Sprachen und im Unterschied zu den romanischen Sprachen, bei denen es
mit männlich und weiblich nur zwei gibt. Im Englischen steht vor Substantiven einheit-
lich der Artikel „the“. Sie ist damit geschlechterneutral und in dieser Hinsicht besonders
einfach.
Die Zahl von drei Geschlechtern im Deutschen hat Auswirkungen auf die Viel-
falt in der Konjugation und vor allem der Deklination, von der eine ihrer Dimensionen
das Genus (das Geschlecht) ist. Das Neutrum „Pferd“ dekliniert sich: „das Pferd“, „des
Pferdes“, „dem Pferd“, „das Pferd“. Das Maskulinum „Herd“ hingegen, zumindest im
4. Fall (Akkusativ) anders: „der Herd“, „des Herdes“, „dem Herd“, „den Herd“. Und
Femina sowieso: „die Herde“, „der Herde“, „der Herde“, „die Herde“. Auch in der
Wortlänge ist Deutsch gegenüber den meisten romanische Sprachen und erst recht dem
Englischen und gleichauf mit einigen slawischen Sprachen auf keiner Top-Position.
Das betrifft auch die durchgängige Großschreibung von Substantiven, bei der Deutsch
inzwischen ein Einzelfall ist.
Bleibt die weitgehende Übereinstimmung von Schreiben und Sprechen – das einzige
der vorgestellten Erlernbarkeits-Kriterien, bei denen Deutsch zum Beispiel Englisch oder
Französisch überflügelt. Insgesamt und verbal eingeschätzt, ein hinterer Mittelfeldplatz
unter den Weltsprachen, wenn es darum geht, wie leicht sie zu lernen sind.
Diese Position unter den objektiven Kriterien der Erlernbarkeit, den Merkmalen, die
eine Sprache unveränderlich im Erbgut trägt, ist für die deutsche Sprache kein Bonus-
punkt, aber auch noch kein Dilemma, wenn es unter diesem Aspekt um ihre Wettbewerbs-
fähigkeit und die der Wirtschaft ihres Sprachraumes geht. Aber sie ist ein statisches
Bild. Eine Momentaufnahme. Der Frage, ob diese Aussage noch genauso zu treffen ist,
wenn aktuelle Trends in der Sprachentwicklung einbezogen und bewertet werden, soll im
folgenden Abschn. 3.2 nachgegangen werden.
Zuvor, da es sich hier ebenfalls noch um den Bereich der objektiven Kriterien für
Erlernbarkeit, Gebrauch und Effizienz von Sprachen handelt, noch ein kurzer Abstecher
zu ausgewählten Forschungsgegenständen hierzu.
Exkurs
Sprachwissenschaftler verweisen auf Studien, in denen verschiedene Sprachen
auf ihre „Effizienz“ analysiert werden, und die je nach Prämissen und Kriterien
zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. So hat ein französisches Team der Uni-
versität Lyon herausgefunden, dass der gleiche Textinhalt in Japanisch mit 8,00
170 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Silben pro Sekunde am schnellsten verlesen wird – gefolgt von Spanisch mit
7,82 Silben pro Sekunde. Deutsch liegt an hinterer Stelle bei knapp 6 Silben pro
Sekunde. Am langsamsten geht es im Chinesischen mit rund 5 Silben pro Sekunde.
Interessant ist der Grund: Nicht ein schnelleres oder langsameres Mundwerk der
Sprecher – hier wurde auf Vergleichbarkeit geachtet. Sondern ein Ergebnis, zu
dem eine österreichische Studie aus Klagenfurt führt. Diese gelangt zu ähnlichen
Rangfolgen der Sprachen, verweist aber auf die unterschiedliche Silbenstruktur
der Sprachen. Je komplexer die Silben, desto langsamer die Sprache. Deutsch liegt
in der Komplexität mit drei Lauten pro Silbe dabei erwartungsgemäß deutlich vor
Japanisch. Dann kommt wieder die Entwarnung: „Schnellere Sprachen“ brauchen
dagegen eine höhere Anzahl von Silben, um einen bestimmten Inhalt zu trans-
portieren. Und ein weiterer Punkt wird von einer langjährigen japanisch-deutschen
Dolmetscherin angesprochen: Die japanische Sprache ist eine „Niedrig-content-
Sprache“, die Sachverhalte oft nur andeutet, während Deutsch im Gegensatz dazu
„viel inhaltsschwerer“ ist. Oder anders ausgedrückt „langsamer und behäbiger“ (zu
Knyphausen / WELT 2011). So vielschichtig ist Sprachwissenschaft.
Auch dieser Abschnitt hat, wie das ganze Kap. 3, den Einfluss von Sprache auf Wirt-
schaft zum Gegenstand. Im Unterschied zum vorangegangenen Abschn. 3.1 aber
aus dynamischer Sicht. Mit Blick auf aktuelle Tendenzen und Veränderungen in der
deutschen Sprache und deren Vergleich zu anderen Sprachen. Wettbewerbsfähigkeit
einer Sprache und ihre Wirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ist nichts,
das ein Sprachraum über Jahrhunderte gepachtet oder verloren hat. Sie muss durch
Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen ständig neu erworben werden. Und sie
kann ohne diese oder bei Aufbrüchen in falsche Hemisphären auch gemindert werden
oder verlustig gehen.
Beginnen wir mit einem allgemein beachteten Trend der Entwicklung von Sprachen
weltweit: ihrer Ökonomisierung. Die Verweise darauf sind nicht neu, und wir finden sie
1992 mit verschiedenen Ausgangspunkten bei dem bereits im ersten Kapitel als Quelle
genannten Florian COULMAS. Es steht die Frage,
„warum sich bestimmte Eigenschaften von Sprachen erhalten bzw. gegenüber anderen
durchgesetzt haben, warum also eine Sprache so ist, wie sie ist. Die (Über-)Lebensfähigkeit
eines Systems kann als ein Spezialfall der Effizienzmaximierung aufgefasst werden, was die
3.2 Sprache: Ökonomisierung oder Verkomplizierung 171
Frage nach ihren Bedingungen wiederum zu einer ökonomischen macht. Schließlich werden
die Karrieren der Einzelsprachen … auf vielfältige Weise von wirtschaftlichen Prozessen
beeinflusst und wirken auf sie zurück.“ (Coulmas 1992)
Hat sich der Trend der Ökonomisierung von Sprachen seither verstärkt? Wenn ja,
warum? Und was ist hier eigentlich darunter zu verstehen? Eine Begriffsdefinition soll
voranstehen, damit wir uns beim Verfolgen der anderen Fragen nicht im Dschungel
unterschiedlicher Verständnisse und Bewertungen verirren.
Mit dieser Definition, die später weiter zu untersetzen sein wird, grenzen wir uns
zunächst von einem Begriffsverständnis gleicher Berechtigung ab, das an die im Kap. 1
vorgenommene Ausklammerung des Gegenstandes „Wirtschaftssprache“ anknüpft. Der
zunehmende Einfluss der Wirtschaft und ihres Wortschatzes auf die gesamte Sprache ist
eine Tatsache, die im weiteren Sinne eine Verbindung zwischen Wirtschaft und Sprache
herstellt. Aber auf vorwiegend lexikalischem Gebiet und weniger geeignet, den Einfluss
der Sprache auf die Stärke der Wirtschaft zu belegen. Vielmehr wird die sprachliche
Ökonomisierung als „Ausbreitung von marktwirtschaftlichem Jargon in gesellschaftliche
Bereiche, in denen bisher nicht-ökonomische Prinzipien eine dominante Rolle spielten“,
verstanden. (Meier 2013). Dieser Umstand wird in der Quelle als gewisse geistige Ver-
armung bewertet und mit Beispielen wie der Einstufung von Studenten an Universitäten
als „Kunden“ belegt. Wir wollen diese mit „Kunde“ ungeeignet heraufbeschworene
Dienstleisterrolle des Gegenübers um einen anderen Kundenbegriff ergänzen, der für
Arbeitslose mit der Reform der Arbeitsmarktpolitik und der Bundesagentur für Arbeit
Einzug hielt. Um die Bemühung, mit der internen Ökonomisierung einer Institution
mit arbeitsmarkt- und sozialpolitischem Auftrag den Dienstleistungsgedanken der dort
Beschäftigten zu stärken. Hier sollten die Wirtschaft betreffende Bezeichnungen weiter
der Wirtschaft überlassen werden. Mit in öffentlichen Verwaltungen wie den Bundes-
agenturen für Arbeit oder den Jobcentern verstärkt anzutreffenden Titulierungen wie
„Kundencenter“, „Teamleiter“, „Geschäftsführer“ oder „Kundenberater“ kann und sollte
nicht dasselbe gemeint sein, wie in wirtschaftenden Unternehmen. Und wirtschaftliches
Denken hält mit der Benennung von Struktureinheiten und Personen nicht automatisch
Einzug.
Kommen wir aber zurück auf die hier gewählte Definition und untersetzen sie mit
einigen notwendigen Kommentierungen. Wir stützen uns dabei auch (aber nicht nur) auf
Aussagen einer bemerkenswerten Quelle der Österreichischen Presseagentur APA, die
zur Ökonomisierung im Sprachgebrauch, zu „Verknappung, Verkürzung und Effizienz-
steigerung“, kompetente Vertreter der österreichischen Wirtschaft und Linguistik befragt.
172 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Und die unter der Überschrift steht „Wir sollten einfach mehr Gedichte lesen“. Was
provozieren soll und den Tenor der Antworten nur bedingt wiederspiegelt (APA 2018).
Erstens – Vielfalt
Die Erscheinungsformen, an denen sich aktuell Ökonomisierung von Sprache zeigt, und
ihre Quellen sind vielfältig und komplex. Zu Ihnen zählen die folgenden:
1. Kosten-Nutzen-Prinzip
Wenn es stimmt, dass in unserer heutigen Welt Zeitdruck, Arbeitsdruck, Wettbewerbs-
druck und damit Stress tendenziell zunehmen – was unter „Work-Life-Balance“ zu
Gegentendenzen führt - dann gilt: Ist es möglich, in der Sprache ohne Nachteile einzu-
sparen, so wird der Sprecher oder Schreiber bestrebt sein, das zu tun. Bei Kindern und
Jugendlichen hören wir oft die Redewendung, zum Beispiel am Frühstückstisch: „Kann
ich (bitte) mal die Butter?“ Das Prädikat des Satzes „haben“ oder „bekommen“, ent-
fällt. Bei der Kombination eines Hilfsverbs (Modalverbs) mit einem Verb fehlt das Verb.
Soweit ohne Konsequenz für den gesicherten Brotaufstrich, eine Einsparung, die sich
bewährt. Oder als Beispiel aus dem öffentlichen Leben der Slogan „Wie soll Arbeit?“.
Eine erfolgreiche Initiative der österreichischen Arbeitskammer zum Dialog über die
Zukunft der Arbeitswelt. (Arbeitskammer 2018) Die ausführliche Botschaft könnte
lauten: „Wie soll Arbeit für die Zukunft neu gestaltet werden?“ Wenngleich hier wohl
weniger der Einsparungseffekt als der Marketing-Aspekt der Aktion eine Rolle spielen
mag. Ähnlich gelagert ist die reduzierte Wortwahl im Titel der Berliner Bildungs-
bewegung „Schule muss anders“ (Berliner Bildungsbewegung 2022). Auch hier fehlt
für das Prädikat zumindest das Verb. „Die Schule muss, will sie künftigen Heraus-
forderungen neuer Arbeitswelten gewachsen sein, anders organisiert werden.“ Wäre
eine Ausdrucksvariante in herkömmlicher Sprache. Aber wir treffen in allen drei Bei-
spielen auf eine Tendenz, die an den Exkurs unter Abschn. 3.1.2 erinnert. Dort wurde
die Ökonomie und Schnelligkeit der japanischen gegenüber einer schwergewichtigen
und behäbigen deutschen Sprache damit begründet, dass im Japanischen manche Inhalte
nur angedeutet sind und der Sprecher/Schreiber voraussetzt, dass der Hörer/Leser den
Rest selbst dazu denken kann. Die oben geschilderten Beispiele scheinen darauf hin
zu deuten, dass sich die deutsche Sprache unter dem Druck der Ökonomisierung auf
Merkmale zubewegt, die bisher Sprachen wie der japanischen zugeordnet wurden.
Alle drei hier gewählten Beispiele sind real, klingen ungewohnt unvollständig, manche
würden sagen unschön. Aber sie erreichen mit ihrem Inhalt uneingeschränkt den
Adressaten.
2. Digitale Kommunikation
Unter Abschn. 2.1, auch im Ergebnis von Experten-Befragungen, wurde festgestellt,
dass die zunehmende digitale Kommunikation die deutsche Sprache tendenziell unter
Zeitdruck setzt, kürzer macht und sparsamer. Das zeigt sich etwa in vereinfachten Satz-
strukturen, Akronymen (Wortkürzungen) oder Abkürzungen. Und es bestätigt die bereits
3.2 Sprache: Ökonomisierung oder Verkomplizierung 173
„Bei der Kommunikation im Netz oder im Chatroom werden die Verwendung von
Abkürzungen (OMG – O mein Gott, Oh, my God, A.F.), das Spiel mit Wörtern (Gute N8)
und typographische Symbole (Smiley) zum Ausdruck emotionaler Inhalte immer üblicher.
Der Trend zu höherer Geschwindigkeit zeigt sich auch in der Mailkommunikation beispiels-
weise bei der durchgängigen Kleinschreibung aus praktischen und zeitsparenden Gründen.
Beim Texten von Messages ist eine Wortsparsamkeit zu erkennen, bemerkbar durch den
Wegfall von Artikeln und Präpositionen...“ (APA 2018)
Anzumerken ist hier wie bei den anderen Ökonomisierungsquellen, dass auch die
durch die Netzsprache induzierten Veränderungen nicht dem Vorsatz der Schreiber ent-
springen, ihre Sprache kürzer, effizienter und wettbewerbsfähiger zu machen, und schon
gar nicht irgendwelcher Administration hierzu. Es sind Erscheinungen, die – oft von den
Sprechern selbst so nicht wahrgenommen – die Sprache aus sich selbst heraus verändert.
Wir werden auf diesen wichtigen Aspekt und seinen Unterschied zu anderen später
zurückkommen.
3. Anglizismen
Als Quelle der Ökonomisierung der deutschen Sprache ist hier unter einem Aspekt
das Gleiche gemeint, wie bei digitaler Kommunikation. Der Umstand, dass mit dieser
eine Vielzahl neuer englischer Wortschöpfungen der Computersprache einfließen
(Web, Net, Cloud, Chip), die ihrerseits von Natur aus kurz sind. Der andere, der über
die digitale Kommunikation hinausgehende, Aspekt ist der, dass Anglizismen, deren
englische Mutterwörter durchschnittlich kürzer sind als die deutschen Alternativen, auch
in anderen, klassischen Bereichen der Kommunikation Einzug halten und die gleiche
Wirkung haben. In Abschn. 1.2 wurde das an Beispielen wie Kultur, Sport, Medien,
Management, Marketing oder Tourismus demonstriert. Und es zeigt Wirkung, wenn ein
objektiver Trend auch der deutschen Sprache zur Verkürzung und Ökonomisierung auf
englische Wörter trifft, die mit im Durchschnitt geringerer Länge locken.
4. Migration
Es ist unter Linguisten diskutiert, ob, aber in Mehrzahl anerkannt, dass Migration die
deutsche Sprache in ihrer Entwicklung beeinflusst. Und zwar überwiegend in Richtung
ihrer Vereinfachung. Das zeigt sich vor allem in den Wortbildungen (Morphologie) und
im Satzbau (Syntax).
Es ist jedoch erforderlich, den Bogen dazu weiter zu spannen, um dem Eindruck
entgegenzutreten, Einfluss von Migration auf die Muttersprache des Migrations-
landes Deutschland sei etwas regional oder historisch einmaliges. Hierauf verweist der
Linguistik-Professor von der Universität Leipzig Uwe HINRICHS, indem er den Ein-
fluss von Migration auf die Sprache in den großen Rahmen immer und überall in der
174 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
„Sprachkontakt war und ist der Normalfall weltweit. Sprachkontakte bewirken immer
Änderungen in allen beteiligten Sprachen. Je intensiver der Kontakt ist, desto intensiver die
Änderungen. … Dass auch das Deutsche seine Sprachkontakte auf vielen Ebenen wider-
spiegelt, ist also zu erwarten (und nicht erst zu postulieren).“ (Hinrichs 2013)
Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Verweis auf die im Ergebnis von
Kolonialisierung und Handel ab etwa 1500 in Übersee entstandenen Pidginsprachen und
Kreolsprachen.
Kommentierung
Pidginsprachen entstehen aus der auf das Nötigste reduzierten Verständigung von
Sprechern verschiedener Sprache als neue Sprache, die für alle ihrer Sprecher eine
Fremdsprache darstellt. Kreolsprachen entstehen dann, wenn Pidginsprachen in den
nächsten Generationen zur Muttersprache werden. ◄
Migrantensprache ist ein weltweites Phänomen und verbindet sich vor allem in multi-
kulturellen Ballungsgebieten mit Jugendsprache zur sogenannten Kiez-Sprache.
Autorisierte Definitionen zu den drei Begriffen und ihrer exakten Beziehung zueinander
bestehen nicht und sollen hier auch nicht Gegenstand sein. Als Beispiele in Deutschland
gelten städtische Bereiche wie Berlin-Neukölln, Hamburg-Billbrook oder Köln-Finken-
burg.
Sprachliche Beispiele für ein solches durch Migration und Generation befördertes
Kiez-Deutsch finden sich sowohl in – meist verkürzenden – Wortkreationen (Morpho-
logie) als auch in vereinfachenden und sinn-modifizierenden Satzgefügen (Semantik).
Beispiele
das liegt auf der Hand. Und voll krass steht für in besonderer oder begeisternder
Weise überraschend oder schön.
In Bezug auf Satzkonstruktionen wird auf mehrere Varianten hingewiesen. Ein
Beispiel das Weglassen von Präposition und Artikel vor Ortsangaben: „Morgen
Nachmittag habe isch misch Mucki-Bude verabredet.“ Ein zweites Beispiel ist die
Erhöhung der Bedeutung oder die Betonung des Wahrheitsgehalts von Aussagen
durch Aufhebung der Trennung von Wörtern: „Musstu bei näschstes mal besser auf-
passen.“ Oder „Ischwör, isch hab für den Aufsatz geübt.“ ◄
„Die größten Veränderungen, mit denen unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren
konfrontiert sein wird, liegen in den Bereichen Robotisierung und Automatisierung. … Die
Kommunikation mit diesen Maschinen wird keine Zwischentöne, keine Ironie, keinen Witz,
erlauben. Eine dahingehende Tendenz ist aber bereits jetzt fühlbar. Es herrscht der Wunsch
nach Eindeutigkeit, Effizienz und rascher Wirksamkeit, auch im sprachlich-kommunikativen
Bereich. Ein allgemeines Abhandenkommen der Fähigkeit, Zwischentöne zu verwenden
und zu verstehen, ist festzustellen. Ebenso, wie es in Filmen üblich geworden ist, das,
was früher ausgespart und der Phantasie des Zuschauers überantwortet wurde, besonders
explizit zu zeigen, so drängt auch im Sprachlichen das Plakative in den Vordergrund. Kritik
weicht der rein quantifizierenden Evaluierung, konstruktiver Dissens der bloßen Ablehnung,
Zustimmung und Lob dem Superlativ.“ (APA 2018)
Bei nicht allen der zurückliegend gezeigten Erscheinungsformen einer Sprach- Öko-
nomisierung und deren Quellen schwingt eine so ausgeprägt sorgenvolle Bewertung mit,
wie in diesem letzten Zitat. Ziel der bisherigen Erörterung war eine solche Bewertung
von Folgen und Konsequenzen der Ökonomisierung auch nicht. Weil diese aber wichtig
sind, soll ihnen der nächste Punkt vorbehalten sein.
In beiden Fällen wird eine Begleitung angefragt. Im ersten fragt Faust Gretchen bei ihrer
ersten Begegnung. Der zweite ist ein an die Jugendsprache angelehntes konstruiertes
Beispiel. Ökonomischer, nüchterner. Weniger ästhetisch? Wir bewegen uns auf dünnem
Eis, weil zumindest beim Begriff der Ästhetik ein starker Hauch von Subjektivität mit-
schwingt. Was ist unter Ästhetik und was unter Ästhetik der Sprache zu verstehen?
176 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Ästhetik ist die Lehre von der sinnlichen Wahrnehmung. Das unterstreicht erstens
den bereits angenommenen individuell-subjektiven Charakter des Begriffs. Jeder
empfindet beim Wahrnehmen anders. Und damit ist „ästhetisch“ im weiteren Sinne
alles, was unsere Sinne bei seiner Wahrnehmung bewegt. Schönes wie Hässliches. Im
engeren Sinne wird Ästhetik aber in die eine Richtung verstanden. In die von „schön“,
„harmonisch“, „geschmackvoll“. Wenn wir Ästhetik mit Sprache in Verbindung bringen,
soll dieses zweite, engere Verständnis zugrunde gelegt werden. Damit findet ein Hörer
oder Leser Sprachästhetik dann vor, wenn er die sprachliche Äußerung als schön
empfindet. Dazu gehört neben vielen in der Literatur genannten Kriterien die Grammatik
(„Schön ist, was richtig ist“) und die Situativität („Schön ist, was angemessen ist“)
(Pangloss 2022). Die dabei angelegten Maßstäbe wandeln sich von Kulturepoche zu
Kulturepoche und sind auch heute von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Das alles wissend und voraussetzend, erscheint aus den zurückliegenden
Betrachtungen und Quellen dennoch die These berechtigt zu sein, dass mit einem Trend
der Ökonomisierung der deutschen Sprache ein Verlust an Ästhetik verbunden ist. Und
zwar nicht vor allem, weil diese von den ökonomischer Sprechenden anders empfunden
wird als von ihren Vorgängern, sondern weil sie in ihrer Bedeutung zurücktritt.
Kürzer, schneller und nüchterner zu sprechen wird nicht als schöner und harmonischer
empfunden, sondern als praktischer. Und um des Ökonomischen und Praktischen willen,
wird der notwendige Preis, die Abnahme von Schönheit, akzeptiert.
Da sind wir wieder bei der Expertenbefragung der Österreichischen Presseagentur
(APA) und ihrem Titel. Dort platziert sich die Generalsekretärin der Österreichischen
Universitätenkonferenz (uniko), Elisabeth FIORIOLI, sehr deutlich:
„Auf diese Weise überlasse ich einem Computerprogramm meine Sprache und damit genau
genommen die Auslegung meiner Welt. Eine beunruhigende Vorstellung? Ich weiß es nicht.
… Wenn wir sprechen, verständigen wir uns permanent über unsere Welt. Die Frage ist, wie
sich mit dem Wandel der Sprache unser Horizont verschiebt, erweitert oder verengt. …. Wir
sollten einfach mehr Gedichte lesen, sagt ein Freund. Das finde ich auch.“ (APA 2018)
Der Einfluss der Ökonomisierung von Sprache auf Abstriche an ihrer Ästhetik wird in
seinem Maß unterschiedlich bewertet, selten aber geleugnet. Und noch weniger trifft
man auf Überzeugungen, dass mit der Ökonomie der Sprache ihre Ästhetik zunimmt.
Stark vereinfacht heißt das: Sprach-Ökonomie und Sprach-Ästhetik verhalten sich
umgekehrt proportional. Diese Aussage ist wichtig, weil wir auf sie an anderer Stelle
dieses Kapitels zurückkommen werden.
sie durch die Sprecher unbewusst transportiert werden, sind sie objektiv. Das heißt, man
kann sie gut oder schlecht finden, aber nicht ändern oder verhindern. Weder die Lautver-
schiebungen in der der germanischen Ursprache noch die Entwicklung des Lateinischen
zur romanischen Sprachfamilie erfolgte im Ergebnis von Willensbildung. Von königlichen
Erlassen oder Volksentscheiden. Die Einflussfaktoren auf die Entwicklung der Sprache
wirken frei und unabhängig – vergleichbar mit den Kräften des Marktes in der Wirtschaft.
Zu betonen ist, dass sich diese Aussagen auf die Entwicklung der Sprache ins-
gesamt, auf die Gesamtheit ihrer Sprecher beziehen. Nur das gehört zum Gegenstand
dieses Kapitels. Etwas ganz anderes und in der Literatur überwiegend unter „Sprachent-
wicklung“ verstandenes ist die Beeinflussbarkeit der Sprachentwicklung von Individuen,
vor allem von Kindern. Hier steht außer Frage, dass vor allem Eltern und Lehrer einen
großen Einfluss auf die Entwicklung von Sprechen und Denken besitzen.
Damit sind Ökonomisierung und Uniformierung zwei Tendenzen, die weltweit Sprachen
und ihre Entwicklung prägen. Uniformierung im Sinne von „Gleichschaltung“ findet
in den wichtigen Sprachen der Welt mit dem Zielfenster „Ökonomisierung“ statt. Oder
anders ausgedrückt: Sprachen schalten sich auf einem gegenüber der Vergangenheit ein-
facheren, kürzerem und nüchternem Level tendenziell gleich.
Bisher standen Ökonomisierung und Vereinfachung von Sprache als ein allgemeiner
Trend im Mittelpunkt. Nun soll in den folgenden Punkten der Frage nachgegangen
178 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
werden, ob es auch gegenläufige Tendenzen gibt. Solche, die ihrerseits zu einer Ver-
komplizierung führen. Auch wenn es hier ebenfalls Tendenzen zu internationaler
Uniformierung gibt, soll es dabei in Inhalt und Beispielen vornehmlich um die deutsche
Sprache gehen.
Ein erster Bereich, aus dem Gegentendenzen zu Verkürzung und Ökonomisierung
der deutschen Sprache erwachsen, ist die sogenannte Verwaltungssprache. Synonyme
sind „Behördensprache“ oder „Beamtendeutsch“. Unter Verwaltungssprache wird all-
gemein derjenige Teil der deutschen Sprache verstanden, der aus der Quelle öffentlicher
Verwaltungen (Behörden von Bund, Ländern und Gemeinden) gespeist wird. Wir
wollen „Verwaltungssprache“ hier noch etwas breiter fassen, weil durch die vielfältigen
Verbindungen anderer Bereiche der Gesellschaft (zum Beispiel der Wirtschaft) mit
öffentlichen Verwaltungen Wortanleihen, zum Beispiel bei Produktbezeichnungen, auch
dort zu finden sind. Einflüsse von Verwaltungsdeutsch berühren die Grammatik, aber
vor allem die Lexik, den Wortschatz – die Kreation neuer, in der Regel längerer und
komplizierterer Wörter. Dazu zunächst einige Beispiele, die das plausibel machen.
„Die unerlaubte Nutzung einer Rettungsgasse wird jetzt genauso verfolgt und geahndet wie
das Nichtbilden einer Rettungsgasse. Es drohen Bußgelder zwischen 200 und 320 € sowie
ein Monat Fahrverbot. Als Folge dieser Sanktion ist die Eintragung von zwei Punkten im
Fahreignungsregister vorgesehen.“ (BMDV 2021)
Substantivierungen und Passivform sind kursiv hervorgehoben. Daneben findet sich mit
„Fahreignungsregister“ eine geeignete Ergänzung der oben aufgeführten Wortschöpfungsbei-
spiele. Gemeint ist die umgangssprachlich bekanntere „Verkehrssünderkartei“ in Flensburg.
Gern zitiert wird auch § 49 der ehemaligen Allgemeinen Dienstanordnung der Bundespost.
3.2 Sprache: Ökonomisierung oder Verkomplizierung 179
„Der Wertsack ist ein Beutel, der auf Grund seiner besonderen Verwendung im Post-
beförderungsdienst nicht Wertbeutel, sondern Wertsack genannt wird, weil sein Inhalt
aus mehreren Wertbeuteln besteht, die in den Wertsack nicht verbeutelt, sondern versackt
werden.“ (Kilian 1987)
Woher kommt eine solche Sprache? Was sind die Triebkräfte, die sie entstehen lassen?
Allem voran sind sie in dem Ziel einer absoluten Korrektheit, Perfektion und damit
Unangreifbarkeit zu finden. KILIAN ergänzt sein Wertbeutel-Zitat mit der Bemerkung:
„Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun.“ Gerade öffentliche
Verwaltungen agieren in einem dichten Gespinst an Rahmenvorgaben, Verboten,
Bestimmungen (Datenschutz), Sensibilisierung (Geschlechtergerechtigkeit, Nichtdis-
kriminierung). Jedes einzelne Anliegen ist in angemessener Weise eine berechtigte Leit-
planke für Sprache. In ihrer Gesamtheit und bei dem überzogenen Bestreben vorsorglich
120-%iger Berücksichtigung bleibt aber am Ende wenig Raum für verständliche Sprache.
Jedes einfache Wort wird zur Tretmine. Natürlich ist „Restmüllbeseitigungsbehälterent-
leerung“ inhaltsreicher und aussageschwerer als „Müllabholung“. Sie schließt die sonst
potenziell mögliche Annahme aus, Müll würde vor der Tür weggeschaufelt und nicht aus
einer Tonne entleert. Und indem „Müll“ durch „Restmüll“ präzisiert wird, schließt das
Wort auch die Belehrung darüber ein, dass es sich um den Rest handelt, der nicht getrennt
gesammelt werden muss – wie Elektrogeräte oder Bauschutt. Und „Personenverein-
zelungsanlage“ sagt sowohl etwas über die Zielgruppe (Personen) aus als auch über das
Ziel, nämlich sie möglichst ohne Körperkontakt von Areal A nach Areal B gelangen zu
lassen. „Drehkreuz“ schließt die wenn auch geringe Gefahr der Verwechselung mit einem
„Luftdrehkreuz“ wie dem Flughafen Frankfurt (Main) ein. Umstritten von „Unzuläng-
lich“ bis „Auswüchse sprachlicher Korrektheit“ war 2020 ein Diversity-Leitfaden des
Berliner Senats, der „Mitarbeitende der Berliner Verwaltung zum diversitysensiblen
Sprachgebrauch“ anhält. Das Papier beschäftigt sich auch mit der Bedeutung einzelner
Wörter und bietet alternative Lösungen an. Wohl am bekanntesten geworden ist daraus
die Diskussion ums „Schwarzfahren“, die im „Tagesspiegel“ reflektiert wurde.
„Worte wie ‚farbig‘ oder ‚dunkelhäutig‘ gelten als diskriminierend aufgrund ihrer
kolonialistischen Vergangenheit. Der Leitfaden geht dabei soweit, lieber vom ‚Fahren ohne
gültigen Fahrschein‘ zu sprechen als von ‚schwarzfahren‘ – ohne die Gründe hierfür näher
zu erläutern.“ (Volknant 2020)
Dass die Gefahr eines Entfernens der Verwaltungssprache von der Umgangssprache auch
seitens der Verwaltung gesehen wird, zeigt ein Arbeitshandbuch des Bundesverwaltungs-
amtes für die „bürgernahe Kommunikation“.
„Das Ziel des Arbeitshandbuches ‚Bürgernahe Verwaltungssprache‘ ist es, das gegen-
seitige Verständnis und die Zusammenarbeit von Behörden und Privatpersonen zu fördern.
Jede behördliche Entscheidung oder andere Mitteilung muss sprachlich, inhaltlich und in
der Art der Begründung so gestaltet sein dass die Bürgerin oder der Bürger sie verstehen
und akzeptieren kann. ... Eine Sprache, die Bürgerinnen und Bürger nicht verstehen, verliert
ihren Sinn.“ (Bundesverwaltungsamt 2002)
180 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Die gleiche Quelle verweist an anderer Stelle auf in ihr verwendete unterschiedliche
Alternativen zum generischen Maskulinum. Entweder Paarformen wie „Bürgerinnen
und Bürger“, oder geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen (z. B. Personen, die
Angeschriebenen, die Betroffenen). Da es geschlechtsneutrale Alternativen nicht für
jedes generische Maskulinum gibt, wird zum Beispiel „Bürger“ durch „Privatpersonen
ersetzt oder eine Personenbezeichnung ganz umgangen (Bundesverwaltungsamt 2002).
Es ist ein schmaler Grat zwischen gebotener Korrektheit auf der einen Seite und
Übervorsicht, ungebremstem Übereifer mit dem Ergebnis von Schwerfällig-
keit und Handlungsblockade auf der anderen. Wir geraten hier in einen größeren
Zusammenhang – den der Forderung nach mehr Beweglichkeit, Schnelligkeit
und Entbürokratisierung in unserer Gesellschaft. Auch nach einem vertretbaren
Mut zum Risiko, irgendwo einmal nur „fast perfekt“ zu sein, wenn es das damit
insgesamt erzielte Ergebnis der Wettbewerbsfähigkeit rechtfertigt. Dieses not-
wendige Denken und Handeln geht weit über Gestaltungsvorgaben und Vorleben
von Sprache hinaus. Aber letzteres gehört dazu. Und ein Verwaltungsbegriff muss
keine alles erfassende, in ein einziges Wort gegossene Definition dessen sein, was
gemeint ist.
Bleibt der Blick auf die Auswirkungen des Einflusses der Verwaltungssprache auf die
deutsche Sprache und ihre Trends insgesamt: In der Länge und Kompliziertheit ist es
per Saldo eine der Ökonomisierung entgegengesetzte Tendenz. Eine, die durch Öko-
nomisierung erzielte Praktikabilitätseffekte ganz oder teilweise kompensiert. In der
Ästhetik gibt es diese gegenläufige Tendenz leider nicht. Hier findet keine Kompensation
von durch Ökonomisierung verloren gegangener Schönheit, sondern die zusätzliche Ver-
stärkung dieses Prozesses statt.
Wir hatten die Ökonomisierung der Sprache als einen objektiven, nicht zu beein-
flussenden Prozess beschrieben, an dem die Sprecher unbewusst beteiligt sind und bei
dem sie keinen Vorgaben folgen. Im Unterschied dazu ist die Verwaltungssprache eine
Erscheinung, die sehenden Auges, gewollt und zielgerichtet vorgegeben und vorgelebt
wird. Und die, wollte man die Auswirkungen und Folgen anders haben als sie sind, auch
verändert werden kann.
Die deutsche Sprache ist nicht nur für ihre langen Wörter sondern auch für ihre vielen
Abkürzungen bekannt. Es soll hier gezeigt werden, dass beides zusammenhängt.
Zuvor aber ein Blick darauf, was hier weniger gemeint ist. Liest man über
Abkürzungen in der deutschen Sprache, dann stößt man zuerst auf eine Vielzahl all-
gemeinsprachlich üblicher: „ca.“ (circa), „d. h.“ (das heißt), „ggf.“ (gegebenenfalls),
„inkl.“ (inklusive), „insb.“ (insbesondere), „m. E.“ (meines Erachtens). „u. a.“ (unter
3.2 Sprache: Ökonomisierung oder Verkomplizierung 181
anderem), „usw.“ (und so weiter), „z. B.“ (zum Beispiel), „z. Hd.“ (zu Händen), „z. T.“
(zum Teil) oder „zzgl.“ (zuzüglich). Die Liste ist beliebig verlängerbar. Wir nehmen sie
zur Kenntnis, wollen hier aber auf etwas anderes hinaus. Die Masse an Abkürzungen, der
breite Teil des Eisberges unter Wasser, steckt nicht in solchen Abkürzungen, sondern in
Abkürzungen, die sich aus langen, i. d. R. zusammengesetzten oder mehreren Wörtern
für eine Sache ergeben und oft unabdingbar machen. Das liegt zum einen an dem bereits
erwähnten Bemühen um absolute Korrektheit und Perfektion und zum anderen aus einem
verstärkten Einfluss verschiedener Fachsprachen auf die deutsche Sprache. Fachsprachen,
von denen jede einzelne ihre eigene Terminologie entwickelt, die so lang und kompliziert
ist, dass ihr ohne Abkürzungen nicht mehr beizukommen ist. Das wirkt einer weiteren
Verlängerung von Wörtern und Sprache entgegen, nicht aber einer Verkomplizierung
und schweren Verständlichkeit. Insbesondere in Fachtexten finden sich auf einer Seite
oft so viele Abkürzungen, dass selbst ein Leser, der als Muttersprachler Deutsch perfekt
beherrscht, nichts versteht, wenn er nicht fachlicher Insider ist. Wir wollen das an einem
ausgewählten Beispiel, dem Bereich der Aus- und Weiterbildung und der Arbeitsmarkt-
politik, verdeutlichen. Der Übersicht halber in alphabetischer Reihenfolge:
Mancher Branchenvertreter gibt zu, dass er bei der Geburt eines neuen Projekts für einen
marktgängigen Namen zuerst eine Abkürzung mit Symbolkraft (Beispiel „JET“) findet
und danach die passenden Wörter für die Anfangsbuchstaben sucht. Ähnliche Listen
wie die oben abgebildete können für beliebige andere Fachbereiche – von Medizin über
Informations- und Kommunikationstechnologie, Kraftfahrzeugtechnik oder Chemie bis
hin zu Wirtschaft, Steuern und Finanzen oder Recht – abgebildet werden.
182 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Es bieten sich Vergleiche mit dem Verwaltungsdeutsch an. Am Anfang stehen lange,
alles erfassen wollende Wörter. Deren Länge wird durch Abkürzungen begegnet. Auch
„Personenverteilungsanlage“ reduziert sich mit „PVA“ auf drei Buchstaben. Das macht
das ganze ökonomisch. Aber nicht ästhetisch. Ein Wald an Abkürzungen senkt wie lange
Wortungetüme die Attraktivität der Sprache – nur auf eine andere Weise. Und er macht
es, ähnlich wie komplizierte Verwaltungssprache, Menschen aus anderen Sprachräumen
schwerer, Deutsch zu lernen und zu sprechen.
Die Gender-Sprache und die dazu geführte öffentliche Debatte wurde in Kap. 1
umfassend thematisiert. Hier geht es nicht um eine Wiederholung, sondern
ausschließlich um die Rolle des Genderns im Rahmen von Ökonomisierungs- und Ver-
komplizierungstendenzen in der deutschen Sprache. Dieser ausschließliche Bezug
erfolgt ceteris paribus – unter Ausschluss aller anderen Faktoren und Umstände.
Darunter auch der bereits ausführlich wiedergegebenen Argumentation darüber, ob durch
eine gegenderte Sprache Geschlechtergerechtigkeit bewirkt wird oder nicht. Es geht
hier, aus quantitativer Sicht, um die Frage: Bedarf es zur Wiedergabe ein und desselben
Inhalts in Gendersprache eines größeren Raums beim Schreiben oder einer längeren Zeit
beim Sprechen als ohne? Und wie ist es mit Kompliziertheit und Ästhetik?
Im Kap. 1 sind aus Abb. 1.7 alle Optionen ersichtlich, die zur Ersetzung des
generischen Maskulinums gebräuchlich sind und keiner Regel folgend wechselweise
eingesetzt werden. Ihr Einfluss auf Länge, Kompliziertheit und Ästhetik der Sprache ist
unterschiedlich. Auch je nachdem, ob sie geschrieben oder gesprochen werden. Gehen
wir sie für „Mitarbeiter“ am Beispiel des Plural durch.
Splittung Bei der Splittung „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“ ist die Sache ein-
fach. Sie ist in jedem Falle sprachlich korrekt. Sie verlängert den gewünschten Begriff
auf mehr als das Doppelte. Und eine Splittung nimmt der geschriebenen wie der
gesprochenen Sprache dann einen Teil ihrer Ästhetik, wenn sie in einem Text sehr häufig
vorkommt. Die Freien Demokraten, obwohl ein generisches Maskulinum in ihrem
Parteinamen führend, hatten sich zur Bundestagswahl entschlossen, ihr Wahlprogramm
zu gendern. Und im Unterschied zu Grünen oder Linken, die den Gender-Stern wählten,
war es bei der FDP das Splitting. Deshalb soll ein Zitat aus dem Teil zum Thema
„Bildung“ die Aussage zu Sprachästhetik bei Häufung im Text belegen.
Ein solcher Satz liest sich ebenso unschön, wie er sich anhört. Und was die Länge
betrifft, so wollen wir genau sein. Statt herkömmlicher 105 Satzzeichen in der Form des
generischen Maskulinums sind es im Zitat 157. Ganze 50 % mehr. Oder: Der sprachliche
Aufwand, das gleiche auszudrücken, hat sich um die Hälfte vergrößert.
Exkurs
Welche Blüten der unerschütterliche Wille zum Splitting treiben kann, zeigen zwei Bei-
spiele aus Kommentaren des Fernsehsenders ntv. Ein erstes Beispiel schließt an einen
Begriff aus dem „Denglisch“ mit dessen anschließendem Gendern an. Indem von
„Userinnen und Usern“ gesprochen wird. Hier wird das englische Substantiv „User“,
das wie die meisten englischen Substantive geschlechtsneutral ist, nach seinem „Ein-
deutschen“ sicherheitshalber noch dem Gendern unterworfen und bekommt damit eine
Mehrgeschlechtlichkeit verliehen. Ein zweites Beispiel zeigt eine doppelte Absicherung,
indem von „Nutzer*innen und Nutzern“ gesprochen wird. Der hier geschrieben
Genderstern steht für die deutlich vorgenommene Sprechpause. Hier überlagern sich
durch die Kombination von Stern und Splitting zwei Gender-Formen (ntv 2022).
184 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
„Das Argument dafür deckt sich mit einer Empfehlung der Acadẻmie Franḉaise aus dem
Jahr 2017, die die gendergerechte Sprache als schwer lesbar und unverständlich und damit
lernerschwerend bezeichnete.“ (oneword 2021)
Ökonomisierung
Verkomplizierung
Verwaltungsdeutsch
Gender-Deutsch
Lange dominierte die Überzeugung, dass beide, natürliche Sprachen wie Deutsch,
Englisch oder Französisch, und Computersprachen nicht oder nicht sinnvoll miteinander
verbunden werden können. Dass eine Programmierung in natürlicher Sprache mit ent-
sprechenden Übersetzungssystemen nicht (ohne weiteres) möglich sei. Die Ursachen
lägen dabei u. a. darin, dass Computersprache eine präzise, eindeutig definierte Auf-
gabendefinition verlange, während natürliche Sprachen die bereits erwähnten Zwei-
deutigkeiten sowie Wertungen nicht abstreifen könnten.
„Die pauschale Behauptung, dass ein Sprachübersetzer existiere, der natürliche Sprache
in formale Sprache übersetzt, kann niemand, der sich mit dieser Problematik beschäftigt
hat, unwidersprochen hinnehmen. … Es ist eine weitverbreitete Meinung, daß die natür-
liche Sprache als Dialogsprache zwischen Mensch und Maschine ein Allheilmittel sei,
mit dem jeder Laie beliebig mit dem Rechner kommunizieren und vor allen Dingen ihn
programmieren kann. Allein die Tatsache, daß der Programmierung und dem Information-
Retrieval bei der natürlichen Sprache der gleiche Stellenwert eingeräumt wird, stimmt
bedenklich, da dies nicht nur aus EDV-orientierter sondern auch aus kommunikationsspezi-
fischer Sicht zwei recht verschiedene Gebiete sind.“ (Wittig 1977)
Bereits in Kap. 2 sind wir unter „Digitalisierung in Wirtschaft und Sprache“ auf
jüngere Quellen mit der Vision gestoßen, dass die nächste IT-Generation die mensch-
liche Sprache beherrschen wird. Und es wurde auf erste Vorboten wie Apples mobilen
Assistenten Siri zur Fragenbeantwortung oder auf den Aufstieg von IBMs Computer
Watson zum Quizchampion verwiesen.
a) Welche natürliche Sprache hat für die in Abb. 3.2 genannte Kompatibilität mit
Präzision und Eindeutigkeit die besten Voraussetzungen?
b) Welche natürliche Sprache (und welche Wirtschaft) gewinnt deshalb bei einem
Siegeszug der Computerlinguistik am meisten?
Im Zusammenhang mit der Beantwortung dieser Fragen wird festgestellt, dass in Folge
eines Rückgangs der Sprachtechnologieforschung im deutschsprachigen Raum viele
Computerlinguisk
Mensch zu Maschine in „Mensch-zu-Mensch-Sprache“
Kompabilität von Gefühl und Wertung mit Präzision und Eindeugkeit
Linguisk Informak/Linguisk
(Teil: natürliche Sprachen) (Teil: formale Sprachen)
Ergebnis interner Entwicklung Ergebnis externer Kreaon
Mensch zu Mensch Mensch zu Maschine
Gefühl, Wertung, Mehrdeugkeit Logik, Präzision, Eindeugkeit
Abb. 3.2 Computerlinguistik
190 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Experten in die USA abgewandert sind. Und dass die deutsche Sprachtechnologie an
großen internationalen Projekten nur marginal beteiligt ist, was zur Dominanz der
englischen Sprache bei der Demonstration von Ergebnissen führt.
„Bei allen internationalen Technologievergleichen zeigt sich, dass die Ergebnisse für
die automatische Analyse des Englischen viel besser sind als die für das Deutsche, auch
wenn – oder vielleicht gerade weil – die Methoden ähnliche sind. Viele Wissenschaftler
schreiben diese Entwicklung dem Umstand zu, dass sich die Computerlinguistik und die
Sprachtechnologieforschung seit Jahrzehnten mit all ihren Anwendungen hauptsächlich und
zuallererst am Englischen versuchen. So wurden die Methoden und Algorithmen seit über
fünfzig Jahren stetig dem Englischen angepasst. …. Andere Wissenschaftler glauben, dass
sich das Englische inhärent besser für die digitale Verarbeitung eignet. Auch Sprachen wie
das Spanische und das Französische lassen sich mit den heutigen Methoden leichter ver-
arbeiten als das Deutsche. In jedem Fall ist eine dezitierte, konsequente und nachhaltige
Forschung nötig, wenn wir die nächste Generation der IT auch in Lebens- und Arbeits-
bereichen nutzen wollen, in denen wir Deutsch sprechen und schreiben.“ (META 2022)
Erstens Vorauszuschicken ist mit Bezug auf das Thema „Demographischer Wandel
und Fachkräftemangel“: Im Unterschied zu anderen Megatrends wie Klimawandel
oder Digitalisierung ist der demographische Wandel, so wie er hier für Deutschland
beschrieben wird, kein globaler, weltumfassender Trend. Die Weltbevölkerung hat von
1950 (2,5 Mrd.) bis 2015 (7,3 Mrd.) deutlich zugenommen und wird das nach Prognosen
bis 2050 (9,8 Mrd.) weiter tun. (UN 2015). Hinter dieser weltweiten Entwicklung
stecken sehr unterschiedliche regionale Komponenten: eine Bevölkerungsexplosion in
afrikanischen Ländern mit wirtschaftlichen, sozialen und Migrationsfolgen, eine sich
192 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
auf hohem Niveau verlangsamende Entwicklung in Asien und eine relative Stagnation in
Europa.
Zweitens Demographischer Wandel ist kein Phänomen, mit dem wir heute leben,
sondern eines von morgen, auf das wir uns heute vorbereiten müssen. Tab. 3.2 bestätigt
die bereits getroffene Aussage, dass die eigentliche Öffnung der Schere zwischen Fach-
kräftenachfrage und Fachkräfteangebot aus demographischer Sicht erst noch bevorsteht.
In den zehn Jahren von 2011 bis 2020 haben sich die Zahlen der Bevölkerung (+3,6 %)
und der Erwerbspersonen (+5,9 %) sogar leicht erhöht. Das Durchschnittsalter der
deutschen Bevölkerung ist von 43,9 auf 44,6 Jahre gestiegen. Das ist in zehn Jahren eine
moderate Erhöhung (1,6 %) – zugegeben allerdings auf einem vergleichsweise bereits
sehr hohen Niveau. In Frankreich sind es zur gleichen Zeit 42,3, in China 38,4, in den
USA 38,3, in der Türkei 31,5 und in Indien 28,4.
Drittens Das Blatt wendet sich mit Blick nach vorn. Tab. 3.2 bestätigt das eingangs
beschriebene Szenarium eines sich schneller als der Bevölkerungsrückgang voll-
ziehenden Rückgangs der Zahl an Erwerbspersonen. Nach den Annahmen in Tab. 3.2
wird sich von 2020 bis 2060.
verringern.
Viertens Wenn man alle anderen Rahmenbedingungen als konstant annehmen, Arbeits-
losigkeit und Migration außer Acht lassen und bei all dem ein Nullwachstum unter-
stellen würde, hätten wir 2030 eine Fachkräftelücke von 6,5 Mio., 2040 von 8,8 Mio.,
2050 von 10,7 Mio. und 2060 von 13,2 Mio. Selbst wenn man für konstantes Pro-Kopf-
Einkommen und lineare Fortsetzung des Wohlstandes den Bevölkerungsrückgang von
8,8 Mio. gegenrechnet, verbleibt eine Schere von 4,4 Mio.
Finden sich für eine Entwicklung wie die aufgezeigte keine Gegenmittel, so stünde
einer geringer gewordenen Bevölkerung ein noch geringer gewordenes Bruttoinlands-
produkt für die Verteilung zur Verfügung. Konsequenz wäre unter sonst gleichen
Umständen ein Rückgang von pro-Kopf-Einkommen, Wohlstand und Wettbewerbs-
fähigkeit. Selbst noch bei Außerachtlassen der globalen wirtschaftlichen Folgen
von Ukraine-Krieg und gestörten Lieferketten müssten wir allein aus Gründen der
Bevölkerungsentwicklung den Gürtel enger schnallen.
Um durch die Politik gegenzusteuern, ist es wichtig, die Möglichkeiten hierfür zu
kennen, zu benennen und die Wege zu ihnen zu ebnen. Dabei wird deutlich, dass wir bei
den Quellen der Fachkräftesicherung nicht auf ein Füllhorn von Optionen treffen, aus
denen es viele Auswahlmöglichkeiten gibt. Sondern um eine Handvoll, von denen man
keine ausschließen darf, und denen mittelfristig konzertiert zur Wirksamkeit verholfen
werden muss.
Dass das oben beschriebene Szenarium sich verstärkenden Fachkräftemangels auch
im Blickfeld der deutschen Wirtschaft selbst ist, zeigt die Einschätzung des ehemaligen
deutschen Arbeitgeberpräsidenten Ingo Kramer.
„Gelingt es uns nicht, die dramatische Entwicklung zumindest abzubremsen und Fach-
kräftelücken zu schließen, sind unser Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirt-
schaftsstandortes Deutschland bedroht. Viele Investitionen und Innovationen werden
ausbleiben, wenn nicht genügend motivierte Fachkräfte zur Verfügung stehen. Besonders
ein rohstoffarmes Land wie Deutschland ist jedoch auf die Innovationskraft seiner
Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Wir leben von den Erfindungen und der Tatkraft der
Menschen.“ (BDA / Kramer 2015)
194 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
positiv beschieden, haben Flüchtlinge den Status von Asylanten. Eine zweite hier
relevante Gruppe, die wir von Flüchtlingen unterscheiden, sind Migranten im engeren
Sinne. Hierbei handelt es sich um Menschen, die aus demographischen und/oder
wirtschaftlichen Gründen mit der Auswanderung aus ihren Heimatländern versuchen,
ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch
von Wirtschaftsflüchtlingen. Es ist selbstverständlich, dass all diese Menschen (oder ein
Teil von ihnen) aus Sorge um Leib und Leben und nicht mit dem Vorsatz nach Deutsch-
land kommen, Fachkräftequelle zu sein. Und dass genauso Deutschland wie andere Ein-
wanderungsländer Aufnahme entsprechend ihrer Möglichkeiten gewähren.
Hier soll aber gerade die Frage interessieren, ob aus den zunächst mit anderen
Motiven als einer Bereicherung des Arbeitsmarktes ins Land gekommenen Menschen
auch ein wirtschaftlicher Effekt erzielt werden kann. Hätte Deutschland eine wachsende
Überbevölkerung mit zunehmender Beschäftigungslosigkeit, stünde diese Frage nicht.
Aber dann hätte Deutschland auch nicht die Attraktivität als Einwanderungsland, die es
hat. Präzisieren wir also unsere Frage: Lässt sich den entstehenden Kosten für Unter-
bringung, soziale Leistungen, Qualifizierung und Integration kurz-, mittel- oder
langfristig ein Effekt entgegensetzen, der den Aufwand kompensieren, teil- oder über-
kompensieren kann. Bei all den Unbekannten kann dabei niemand als Antwort auf eine
nach Jahren gegliederte Aufwand-Nutzen-Tabelle hoffen. Das betrifft im Übrigen alle
externen (und internen) Fachkräftequellen gleichermaßen. Und klar ist dabei: Formal
schlagen alle (potenziellen) Fachkräftequellen in dieselbe Kerbe. Länger Arbeitende,
weniger Ausbildungsabbrecher, mehr Vollzeitbeschäftigte, stärker am ersten Arbeits-
markt beteiligte Rehabilitanden oder Zuwanderer- sie alle münden im Erfolgsfall nicht
auf gruppenspezifischen Arbeitsmärkten sondern auf einem, großen und für alle dem-
selben, ein. Ist dessen Aufnahmefähigkeit groß genug, so wie es die Prognosen zum
perspektivischen Fachkräftemangel erwarten lassen (die Rede ist von 6 bis 8 Mio.), so
werden sich alle aufgezeigten Quellen eher ergänzen als miteinander konkurrieren. Ohne
dass das im Einzelfall auszuschließen ist. Es ist wichtig, das zu kommunizieren.
Der Migrationsanteil der deutschen Bevölkerung liegt bei etwa einem Viertel und die
Zuwanderung in den letzten 10 Jahren bei rund 15 Mio. Menschen. Bei einer aktuell mit
einer Million dargestellten und bis 2030 auf 6 Mio. wachsenden Fachkräftelücke sind
das durchaus relevante Proportionen. Zuwanderung, betrachten wir sie zunächst rein
quantitativ, kann und muss eine für Demographie, Wachstum und Wohlstand in Deutsch-
land wichtige Quelle sein. Wie sich die Effekte zum Aufwand, auch im Zeitverlauf, wirk-
lich stellen, ist nur bei genauerem Blick auf Strukturen und Profile zu beantworten.
Beginnen wir mit der Altersstruktur. Tab. 3.3 vergleicht die Altersstruktur der
deutschen Gesamtbevölkerung mit dem Teil, der einen Migrationshintergrund hat.
Aus Tab. 3.3 geht hervor, dass 2020 mit 49 % weniger als die Hälfte der deutschen
Bevölkerung ein Alter bis 45 Jahre hat. Bei dem Teil mit Migrationshintergrund sind
das mit 66 % genau zwei Drittel. Im Alter über 65 Jahren befinden sich mit 10 % bei
Migrationshintergrund weniger als die Hälfte des Anteils dieser Altersgruppe an der
deutschen Gesamtbevölkerung. Neben der arbeitsmarktrelevanten Gesamtzahl von
196 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Zuwanderung ist also auch deren Altersstruktur ein Faktor, der negativen Tendenzen der
demographischen Entwicklung in Deutschland, in diesem Falle der Überalterung, ent-
gegenwirkt. Der Teil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist deutlich jünger als
die Gesamtbevölkerung und hebt damit den Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter.
Im Dezember 2020 lag die Arbeitslosenquote in Deutschland insgesamt bei 5,9 %,
beim Teil der ausländischen Bevölkerung betrug sie mit 14,6 % weit mehr als das
Doppelte. Die Arbeitslosenquote ist signifikant für das Verhältnis von Beitrag zur Wert-
schöpfung und sozialer Teilhabe. Zu den Gründen für das Delta zählen unter anderem:
Zweitens Viele ohne (anerkannten) Beruf Zugewanderte verfolgen nach ihren Sprach-
kursen das Ziel einer schnellen Arbeitsaufnahme, um für ihren Lebensunterhalt
sorgen zu können. Eine zum Beruf führende dreijährige Ausbildung oder zweijährige
Umschulung ist da in vielen Fällen zu lang. In der Folge ist die Gefahr erneuter Arbeits-
losigkeit größer.
In den 2010er Jahren betrug die Zahl von Zuwanderern nach Deutschland rund 15 Mio.,
und ihre Struktur sowie das Tempo ihrer Integration, so zeigt die Erfahrung, sind
differenziert. Allein die zurückliegende Betrachtung von Altersstruktur und Position auf
dem Arbeitsmarkt bekräftigt die Annahme, dass Menschen mit Migrationshintergrund in
ihrer Gesamtheit sowohl Merkmale aufweisen, die Fachkräfteeffekten für die Wirtschaft
dienlich sind als auch solche, die diese einschränken.
Gegen schnelle Wirksamkeit von Migranten und Flüchtlingen als Fachkräfte
sprechen:
• Der Anteil ohne Berufsabschluss wie auch an der Arbeitslosigkeit (was zusammen-
hängt) liegt bei Migranten und Flüchtlingen auf etwa dem Doppelten gegenüber der
Gesamtbevölkerung in Deutschland.
• Das Beherrschen der deutschen Sprache gehört zu den wichtigsten Einstellungs-
kriterien in den Unternehmen. Viele Zugewanderte weisen hier auch nach
Integrations- und Berufssprachkursen Defizite auf. Dieser Umstand wird Gegenstand
der nachfolgenden Punkte sein.
198 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
• Eine Reihe ohne Beruf zugewanderter Menschen zieht einen schnellen Einstieg
in eine Hilfstätigkeit aus Erwerbsgründen einer langen Berufsausbildung oder
Umschulung vor. Aus diesem Grund gehören diese Menschen, wenn sie über 25 Jahre
alt sind, übrigens zu den Kernzielgruppen des Bildungsformats „Teilqualifizierung“.
• Entscheiden sich jugendliche Zuwanderer für eine Ausbildung oder ältere für eine
Umschulung, so zeigt die Erfahrung, dass ihr Berufswahlverhalten dem deutscher
Bewerber ähnelt. Und da liegen die Schwerpunkte nicht bei den Berufsfeldern, für die
wir zurückliegend besonders gravierenden Fachkräftemangel beklagt haben.
• Allein die große Zahl an Zuwanderern verspricht selbst bei einer geringen Erfolgs-
quote einen in absoluten Zahlen nennenswerten Effekt für den deutschen Fachkräfte-
markt. 5 % von 15 Mio. wären 300.000 – knapp ein Drittel des aktuell in Deutschland
beklagten Fachkräftemangels.
• Aus der Tab. 3.3 zur Altersstruktur geht hervor, dass im Jahr 2020 mehr als die Hälfte
der deutschen Bevölkerung älter als 45 Jahre ist. Bei Migranten beträgt dieser Wert
nur rund ein Drittel. Unabhängig vom derzeitigen Qualifizierungsgrad ein Umstand,
der die deutsche Alterspyramide bereichert, und der auch zeitlich aufwendigere
Qualifizierungs- und Integrationsaktivitäten aus Sicht des noch möglichen Berufs-
fähigkeitszeitraums als sinnvoll erscheinen lässt.
Resümierend ist festzustellen, dass Migranten und Flüchtlinge, obwohl primär aus
anderen Gründen eingewandert und aufgenommen, als „Sekundäreffekt“ ein Faktor sind,
der langfristig zur Schließung der wachsenden Fachkräftelücke beitragen kann.
Kommentierung Die komprimierte Darstellung von Abb. 3.3 schließt ein, dass es neben
den vor allem in Zuständigkeit des BAMF liegenden Sprachkursen in der Vergangenheit
auch punktuelle Aktivitäten der Agenturen für Arbeit und Jobcenter oder Programme
mit europäischer- Bundes- oder Landesförderung gibt. Zu letzteren gehört das Förder-
programm „Integration durch Qualifizierung“ (IQ), das durch den Europäischen Sozial-
fonds (ESF) und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) initiiert wird.
Hierin sind auch fachbezogene Sprachkomponenten enthalten.
Zu den in Tab. 3.3 zusammengefassten wichtigsten Komponenten der Unterstützung
von Migranten und Flüchtlingen sollen einige Erklärungen und Kommentierungen
anschließen.
Integraonskurs
Integraon in Arbeit
Berufssprachkurs
Basiskurs
Berufssprachkurs
Spezialkurs
Berufliche
Weiterbildung
C – Berufssprachkurse Auf dem Weg von der Sprache über den Beruf zu Integration
sind die Berufssprachkurse in punkto Wirtschaftsorientierung die nächste Stufe.
Wie Abb. 3.3 zeigt, gibt es von jeder Stufe, auch schon von der des erfolgreichen
Integrationskurses die potenzielle Möglichkeit, den Weg abzuschließen und seinen
Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Mit einem Sprachniveau „B1“ und wenig beruf-
licher Qualifizierung wird das aber in der Regel nicht mehr als eine Hilfsarbeit mit wenig
Nachhaltigkeit für das weitere Berufsleben sein.
Berufssprachkurse bestehen in ihrem Sockel aus Basiskursen. Spezialkurse sind
berufsspezifisch ergänzende Komponenten. Aufbauend auf den Integrationskursen ver-
mitteln die Basiskurse vertiefte und stärker auf das Berufsleben ausgerichtete Deutsch-
kenntnisse. Diese bleiben hier aber noch berufsübergreifend, sind auf allgemeine Inhalte
aus der Arbeitswelt ausgerichtet. Zu den Handlungsfeldern gehören „Arbeitssuche und
Bewerbung“, „Arbeitsalltag“, „Berufliche Aus- und Weiterbildung“, „Soziale Kontakte
am Arbeitsplatz“, „Umgang mit Konflikten“ und „Unternehmen in Deutschland“ (BAMF
2021b).
Ein Basiskurs hat einen Umfang von 400 UE á 45 min und damit eine Gesamtdauer
von 3 bis 4 Monaten. Zielsprachniveau von Basiskursen sind in der Regel „B2“ oder
„C1“. Damit, welchen Wert diese Sprachniveaus für die deutsche Wirtschaft haben,
wird sich der nachfolgende Abschn. 3.2.4 näher beschäftigen. In der Abschlussprüfung
geht es um den Nachweis des Vermögens und die Zuordnung zum Sprachzielniveau des
jeweiligen Kurses. Zum Einsatz kommen muss dabei der Prüfungsstandard eines durch
202 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
gesamte Bildungsweg von Migranten und Flüchtlingen institutionell in einer Hand liegen
würde. Diese Frage mündet ihrerseits in einem noch größeren Thema: Dem der Effizienz
und Transparenz des Systems der beruflichen Weiterbildung in Deutschland insgesamt.
Beispiel Pflege
Unter Nutzung ihrer Erfahrungen bei der beruflichen Integration hat die Deutsche
Bahn innerhalb kurzer Zeit ein Paket aus Beratung, Qualifizierung und Jobangeboten
geschnürt, das speziell auf die Voraussetzungen und Bedürfnisse von Geflüchteten aus
der Ukraine zugeschnitten ist. Bestandteil des Pakets sind auch Orientierungskurse
und „sprachliche Impulse“, die in Kombination dem Anliegen der o. g. Integrations-
kurse entsprechen. (Deutsche Bahn 2022) ◄
Befragung, die im Rahmen der Entstehung dieses Buches unter 132 Teilnehmern von
Berufssprachkursen auf Sprachniveau B1, B2 und C1 durchgeführt wurde. Der Umfang
der Befragung erlaubt keine repräsentativen Verallgemeinerungen. Er ist aber, u. a. mit
Blick auf die Vielzahl an Herkunftsländern und Muttersprachräumen, hinreichend, um
einer Reihe interessanter Aussagen ableiten zu können. Diese werden in Abschn. 3.4
durch Ergebnisse einer ähnlichen Befragung unter ausländischen Masterstudenten in
Deutschland ergänzt und mit ihnen verglichen.
Die 132 befragten Deutschsprachkursteilnehmer geben als Muttersprache 32 ver-
schiedene Sprachen an. Mit Abstand am stärksten vertreten sind Rumänisch mit 19
Nennungen (14 %), Arabisch mit 16 Nennungen (12 %) und Russisch mit 15 Nennungen
(11 %). Zwischen 1 und 11 Nennungen liegen die übrigen Sprachen. Darunter 15
europäische – Bulgarisch, Deutsch Englisch, Französisch, Griechisch, Italienisch,
Kroatisch, Lettisch, Litauisch, Polnisch, Portugiesisch, Serbisch, Spanisch, Türkisch,
Ukrainisch -, 10 asiatische – Dari-Persisch, Hebräisch, Jesidisch (Irak, Syrien, Türkei),
Kurdisch, Nepali, Persisch, Punjabi (Pakistan), Urdu (Pakistan) Tschetschenisch,
Vietnamesisch – und 4 afrikanische – Temne (Sierra Leone), Twi (Ghana). Tigrinya
(Äthiopien, Eritrea), Yoruba (Nigeria).
Auf 15 angegebene Gründe der Wahl Deutschlands zum gegenwärtigen Aufent-
haltsort entfallen (bei der Möglichkeit der Mehrfachnennung) insgesamt 298 Antworten.
An erster Stelle steht mit 70 (23 %) „Ich möchte einmal in Deutschland arbeiten und
leben“. Dieses Motiv wird von mehr als der Hälfte aller Befragten genannt. Drei eben-
falls oft genannte Gründe bilden gewissermaßen die logische Treppe zu diesem Haupt-
motiv und weisen auf das Ziel einer verbesserten Lebensqualität hin: „In Deutschland
gibt es gute Lebensbedingungen“ (48 Nennungen/16 %) „Deutschland hat eine starke
Wirtschaft“ (44 Nennungen/15 %), „Berlin ist ein attraktiver Ort“ (42 Nennungen/14 %).
Unter „weitere Gründe“ wurde auch „Gute Zukunft für Kinder und Familie“ hinzu-
gefügt. Das Antwortverhalten bei den Gründen der Wahl Deutschlands und seines
Sprachraumes weist auf eine voraussichtlich hohe Verbleibs-Quote hin und bekräftigt die
an anderer Stelle vorgenommene Ableitung der Bedeutung von Migranten und Flücht-
lingen als künftige Fachkräftequelle. Wenngleich zunächst vor allem aus quantitativer
Sicht. Wir werden bei der Befragung der Master-Studenten sehen, dass es hier wichtige
Unterschiede gibt.
Noch deutlicher wird die Bleibeabsicht bei der Antwort auf die Frage „Wollen Sie
nach ihrem Sprachkurs in Deutschland arbeiten und leben?“ Hier antworten von den 132
Befragten 127 mit „ja“. Bei einmal „nein“ und viermal „weiß noch nicht“ sind das 96 %.
Das deckt sich mit der Tendenz der Antworten auf die nachfolgende Frage: „Wäre die
deutsche Sprache ein Grund, nicht in Deutschland zu bleiben?“. Hier antworten 100 der
Befragten (76 %) mit „nein“.
„Ich finde die deutsche Sprache leicht erlernbar“ ist unter den Gründen der Wahl
Deutschlands ebenfalls ein Antwortangebot. Mit 4 Nennungen (1 %) aber eher eine
Option für Außenseiter. Und ein Hinweis, dass sich Migranten und Flüchtlinge weniger
wegen der deutschen Sprache für deren Sprachraum entscheiden, sondern trotz ihrer. Das
3.3 Deutsch für Migranten: Integration und Fachkräftesicherung 205
wird auch durch die Antworten auf eine andere Frage bekräftigt. Bei „Wie ist Deutsch
im Vergleich zu anderen Sprachen erlernbar?“ gibt es die Antwortmodelle „sehr leicht“,
„leicht“, „mittelmäßig, durchschnittlich“, „schwer“ und „sehr schwer“. Hier liegt die
Option „schwer“ mit 75 mit Nennungen (57 %) an der Spitze. Nimmt man noch „sehr
schwer“ (31 Nennungen/23 %) hinzu, schätzen mit 80 % deutlich mehr als drei Viertel
der Befragten Deutsch als eine schwer oder sehr schwer zu erlernende Sprache ein.
An die Frage nach der Erlernbarkeit schließt sich die nach den „Störfaktoren“ an.
Nach den genaueren Gründen, warum die Erlernbarkeit überwiegend als schwer ein-
geschätzt wird. Unter den 274 Antworten (auch hier sind Mehrfachnennungen mög-
lich) steht mit 110 Nennungen (40 %) eine komplizierte Grammatik an der Spitze.
Gefolgt von „zu lange Wörter“ mit 49 Nennungen (18 %), einer „komplizierten Büro-
kratensprache“ (38 Nennungen/14 %), einer „komplizierten Gender-Sprache“ (27
Nennungen/10 %) „vielen Anglizismen“ – unerwartet bei Fremdsprachlern – (17
Nennungen/6 %), Groß- und Kleinschreibung (13 Nennungen/5 %), und „zu vielen
Abkürzungen“ (12 Nennungen/4 %).
Dass sich die Mehrzahl der befragten Migranten und Flüchtlinge auf eine Zukunft
in Deutschland einrichtet, zeigt ihre Haltung zu Deutsch. Zur Notwendigkeit, diese
Sprache zu lernen. Auch das, werden wir sehen, ist ein Unterschied zu den Befragungs-
ergebnissen bei den Studenten, die sich für englischsprachige Masterstudiengänge in
Berlin entschieden haben. Unter den 28 Sprachen (197 Nennungen), die die Befragten
als weitere Sprachen angeben, die sie neben ihrer Muttersprache beherrschen, liegt
Deutsch mit 79 (40 %) vor Englisch (43/22 %) und Russisch (19/10 %) an der Spitze.
Diese Proportionen sind nicht repräsentativ, sondern basieren auf der Spezifik des
Kreises der Befragten als Teilnehmer von Berufssprachkursen „Deutsch“. Interessant
beim Verfolgen von Antworten auf verschiedene Fragen innerhalb eines Fragebogens
sind darüber hinaus Zusammenhänge zwischen Muttersprache und beherrschten Zweit-
sprachen. Befragte mit der Muttersprache Kurdisch beispielsweise sprechen oft auch
Arabisch. Ein ähnlicher Zusammenhang zeigt sich u. a. auch zwischen Rumänisch und
Russisch, Ukrainisch und Russisch oder Spanisch und Portugiesisch.
Unter den 18 Sprachen, die die Befragten in ihrem Berufsleben einmal sprechen
möchten liegen (bei Mehrfachnennung – insgesamt 232) Deutsch mit 105 mal (45 %)
und Englisch mit 57 mal (25 %) an der Spitze. Als dritte Sprache wird meist die Mutter-
sprache oder eine dieser verwandte Sprache genannt. Die Spitzenposition von Deutsch
ist hier eindeutig auf den hohen Anteil des Wunsches zurückzuführen, in Deutschland
zu bleiben. Und der zweite Platz von Englisch ist eher ein Indiz für seine Rolle als Welt-
sprache. Egal auf welchem Flecken des Globus.
Das Beherrschen der deutschen Sprache ist eine wichtige Voraussetzung für Migranten
und Flüchtlinge für eine Integration in Arbeit. Und damit neben dem Lebenserwerb für
206 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Exkurs
Ein besonderes Thema ist im Gegenzug der juristische Umgang mit potenziellen
Klagen gegen Nichteinstellung wegen mangelnder sprachlicher Eignung. Hier gilt
der Bezug auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14.08.2006.
Dort sind zunächst in § 1 die Benachteiligungsgründe aufgeführt, die es gilt, mit
dem Gesetz zu verhindern oder zu beseitigen. Diese betreffen Rasse, ethnische
Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, eine Behinderung, Alter
oder sexuelle Identität. Demgegenüber schränkt § 8 AGG ein, dass eine unter-
schiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes dann zulässig ist,
wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit eine wesentliche
Rolle für die Ausübung der Tätigkeit darstellt. Nichteinstellung wegen mangelnden
Beherrschens der deutschen Sprache ist kein Benachteiligungskriterium nach
§ 1 AGG und würde, wäre er das, in aller Regel unter die Einschränkungen des
§ 8 AGG fallen. Damit ist Nichtberücksichtigung eines ausländischen Stellen-
bewerbers wegen unzureichender Deutschkenntnisse keine Benachteiligung nach
dem AGG und in den meisten Fällen arbeitsseitig begründbar.
„dass ‚fortgeschrittene Deutschkenntnisse‘ für sie bei der Einstellung der jungen Drittstaat-
ler die mit Abstand wichtigste Grundvoraussetzung sind. ‚Deutsche Sprachkenntnisse sind
unabdingbar, um hierzulande eine Ausbildung erfolgreich zu absolvieren – das sagen mehr
als 90 Prozent der ausbildenden Unternehmen‘ ….“ (Siems / WELT 2019)
„Dabei ist das Unterrichtsfach Deutsch – noch vor Mathematik – für die Familienunter-
nehmer das wichtigste Schulfach überhaupt, wie eine Mitgliederumfrage ergab. … Wer
es nach der Schulzeit nicht einmal vermag, annähernd fehlerfrei eine einfache Bewerbung
für einen Ausbildungsplatz zu schreiben oder sich in einem wohlwollenden Bewerbungs-
gespräch zu artikulieren, dem werden für den Einstieg ins Berufsleben nur mehr wenige
Optionen bleiben.“ (Siems / WELT 2019)
1. Es gibt keine bundesweit einheitliche, gar gesetzliche, Vorgabe. Die Richtwerte unter-
scheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Für Erzieher schwanken sie zwischen
B2 in Bayern oder Bremen und C1 in Baden-Württemberg, Hamburg oder Nieder-
sachsen. Bei Lehrern zwischen C1 in Sachsen oder Niedersachsen und C2 in Bayern,
Brandenburg, Saarland oder Thüringen (IQ 2021).
2. Vielfach gibt es seitens der Wirtschaftspraxis und aus ihrer Erfahrung heraus
Forderungen nach besseren Sprachkenntnissen, als die, die allgemeine Vorgaben und
Orientierungen für ausreichend halten. Das betrifft verschiedene Arbeitsbereiche und
Sprachebenen.
208 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Beispiel Gebäudereinigung
Für die Ausübung des Berufs „Gebäudereiniger/in“ gilt allgemein die Voraussetzung
eines Sprachniveaus „B1“. Dass das ausreicht, wird zum Teil mit dem vergleichs-
weise geringen Kommunikationsbedarf bei der Berufsausübung in Verbindung
gebracht. Personalleiter von Gebäudereinigungsfirmen verweisen aber darauf, dass
die Anforderungen an die Deutschsprachkenntnisse in der Branche nicht unterschätzt
werden dürfen. Das betrifft in der mündlichen Kommunikation die Verständigung mit
Vertretern des Auftraggebers (operative Sachklärungen) oder im verstehenden Lesen
Aufschriften auf Reinigungschemikalien oder Hinweise zum Arbeitsschutz. Und wird
eher mit dem Sprachniveau „B2“ in Verbindung gebracht. ◄
Beispiel Pflegeberufe
Für Pflegeberufe gilt in der Regel ein Sprachniveau von B2, in manchen Bundes-
ländern auch nur von B1. Hiergegen argumentiert die Gesellschaft für Qualitäts-
management in der Gesundheitsversorgung (GQMG). In einem Positionspapier von
2020 erklärt sie Level B für unzureichend und fordert „fachkundige Sprachkennt-
nisse“ auf dem Niveau C1. Das sei für ausländisches Pflegefachpersonal erforderlich,
um sich in ihrem Arbeitsumfeld integrieren und die Patienten sicher und eigenständig
versorgen zu können. Das wiederum wird in den Rahmen der Forderung gestellt,
bei zur Minderung von Personalmangel rekrutiertem ausländischem Pflegepersonal
Qualität vor Quantität zu stellen (Pflege-Online 2020). ◄
Beispiel Ärzte
Es ist ein für den deutschen Arbeitsmarkt nicht unproblematischer Umstand, dass es
einen Auswanderungstrend deutscher Ärzte gibt. Bevorzugte Länder sind die Schweiz,
das vereinigte Königreich oder die USA. Andererseits hat die in den 2010er Jahren
wachsende Zuwanderung von Ärzten geholfen und hilft, einem in Deutschland
beklagten Ärztemangel zu begegnen. Der größte Zustrom an ausländischen Ärzten
kam zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts aus südosteuropäischen Ländern wie
Rumänien, Ungarn oder Griechenland – mittlerweile auch aus Syrien. Das Deutsche
Ärzteblatt verweist darauf, dass entsprechend europäischem Referenzrahmen Ärzte,
um ihren Beruf ausüben zu können, das Sprachniveau B2 nachweisen müssen. Und
auf die Meinung vieler Mediziner, dass das im Klinik-Alltag nicht ausreiche. Des-
halb laufe eine Forderung des Marburger Bundes auf einen Level von mindestens
C1. Deren Merkmal einer kompetenten Sprachverwendung sei eine Voraussetzung,
die in Patientengesprächen von enormer Bedeutung ist. (Protschka /Ärzteblatt 2012)
Inzwischen setzt die Erteilung einer Approbation ein allgemeinsprachliches Prüfungs-
zertifikat B2 (GER) und eine Fachprüfung C1 (medizinische Fachsprache) voraus. Die
Berufserlaubnis in den meisten Bundesländern stellt die gleichen Anforderungen wie
die Approbationserteilung (Bundesärztekammer 2017). ◄
3.4 Gewinnung ausländischer Fachkräfte und Spezialisten 209
a) Migranten und Flüchtlinge können eine Quelle der Fachkräftesicherung sein und
damit potenziell zur Stärkung und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
beitragen.
b) Der Weg zu diesem Beitrag führt ausnahmslos über die Brücke des Beherrschens der
deutschen Sprache. Dies ist nach Branchen und Einsatzebenen unterschiedlich, wird
aber grundsätzlich durch die Vertreter der Wirtschaft hervorgehoben.
c) Der Erfolg beim Erwerb einer Sprache, auch der deutschen, hängt von ihrer Erlern-
barkeit selbst sowie von der Eignung des Systems ab, sie zu vermitteln.
Um der Korrektheit willen soll am Anfang die Klärung von Begriffen und ihres Verhält-
nisses zueinander stehen. Von Begriffen, die im Zusammenhang mit externen Fachkräfte-
quellen unterschiedlich und nicht immer abgestimmt gebraucht werden.
Kommentierung
Der Basisbegriff ist der einer Fachkraft. Hier ist die Definition klar an einen vor-
handenen Berufsabschluss oder Studienabschluss gebunden. Fachkräfte sind Arbeits-
kräfte mit einem qualifizierten fachlichen Abschluss im Ergebnis einer (mindestens
2-jährigen) Berufsausbildung oder eines Hochschulstudiums. Fachkräfte ergänzen sich
mit Geringqualifizierten und Arbeitslosen zur Gruppe der Erwerbspersonen. Spezialisten
sind Fachkräfte mit einem besonderen Profil an Kenntnissen und Fähigkeiten auf einem
bestimmten Gebiet. Der Begriff „Experten“ wird teils mit dem Spezialisten-Begriff
gleichgesetzt, teils auch durch eine besondere Gewichtung theoretischen Wissens von
ihm abgehoben. In einem Arbeitspapier des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) von 2007 tauchen mit „Hoch Qualifizierte“ und „Hochrangig Beschäftigte“
zwei weitere Begriffe auf. Die Abgrenzung zwischen beiden führt die Quelle auf die in
der englischen Literatur „gebräuchlichen Unterscheidung zwischen ‚highly qualified‘
und ‚highly skilled‘ (zurück), wobei sich ‚hoch qualifiziert‘ bzw. ‚highly qualified‘ auf
die erworbene fachliche Qualifikation bezieht, der Ausdruck ‚hochrangig beschäftig‘
bzw. ‚highly skilled‘ dagegen auf die ausgeübte Tätigkeit.“ (BAMF 2007). Bleibt der
Begriff der Talente, auf den man vor allem beim internationalen Ranking im „Wettbewerb
um die besten Köpfe“ trifft. Die englische Formulierung „War for Talents“ steigert die
Härte des Wettbewerbsbegriffs zum „Krieg um Talente“. Als Talente werden dabei mit
Blick auf ihr Alter Nachwuchskräfte verstanden, die bereits nachweislich über besondere
Potenziale verfügen, Fachkräfte und Spezialisten zu werden oder es bereits zu sein. ◄
210 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Wir wollen uns hier auf die beiden erklärten Begriffe „Fachkräfte“ und „Spezialisten“
konzentrieren. Beide bilden die zweite externe Quelle zur Fachkräftesicherung – die
Gewinnung von Ausländern mit anerkannter und sofort einsetzbarer Qualifikation. Diese
darf nicht, ganz oder teilweise, mit der ersten, nennen wir sie „Zuwanderung aus Not“,
in einen Topf geworfen werden. Politik und Wirtschaft trennen beide konsequent. Unter-
schiedlich sind die Ursachen ihres Kommens, unterschiedlich sind die Motive für ihre
Aufnahme – oder in diesem Falle Anwerbung – und unterschiedlich sind aus wirtschaft-
licher Sicht die Kosten-Nutzen-Relationen. Auch wenn es, wie bereits betont, zweifellos
Schnittmengen im Einzelfall gibt.
Während bei der Zuwanderung von Migranten und Flüchtlinge, gerade in der Flücht-
lingskrise fehlende Harmonisierung und Koordinierung in der EU bei der Aufnahme
und Verteilung beklagt wurde, ist bei der Gewinnung von Fachkräften und Spezialisten
(„Arbeitsmigration“) freier Wettbewerb, der „Wettbewerb um die besten Köpfe“
zwischen den Industrienationen unstrittig. In diesem muss sich Deutschland mit einem
zunehmenden Altersdurchschnitt seiner abnehmenden Bevölkerung bei durchaus vor-
handenem Erfolgsdruck behaupten. Dieser erhöht sich mit Blick auf Abwanderung von
Akademikern in andere Länder, einen Prozess, der gegenüber der Zuwanderung weniger
statistisch erfasst und analysiert ist.
Ein Indikator für die Attraktivität von Ländern für den globalen Wettbewerb um
Talente ist der jährlich durch die französische Wirtschaftshochschule INSEAD ver-
öffentlichte Studie „The Global Talent Competitiveness Index“. Für 2021 stehen hier
im Ranking auf den ersten 15 Plätzen in dieser Reihenfolge die Schweiz, Singapur, die
USA, Dänemark, Schweden, die Niederlande, Finnland, Luxemburg, Norwegen, Island,
Australien, Großbritannien, Kanada und Deutschland (INSEAD 2021). Unter den Argu-
menten für den Spitzenplatz der Schweiz zählen unter anderem ein starkes, transparentes
und wirtschaftsnahes Bildungssystem, eine innovative Wirtschaft und eine hohe Lebens-
qualität. Deutschland nimmt keinen Spitzenplatz, wohl aber einen im Vorderfeld ein.
Bemerkenswert – und das wollen wir mit Blick auf den Gegenstand dieses Buches als
Zwischenerkenntnis festhalten – ist, dass sich unter den 15 für junge Talente weltweit
attraktivsten Ländern mit der Schweiz, Luxemburg und Deutschland (Österreich folgt
auf Rang 18) drei Länder liegen in der Deutsch die Amtssprache oder eine der Amts-
sprachen ist.
Der internationale Wettbewerb entwickelter Länder und ihrer Unternehmen um Fach-
kräfte und Spezialisten wächst mit Globalisierung und Mobilität. Wie sehen die aktuellen
Fakten für Deutschland aus? Wir wollen auf das Vor-Corona-Jahr 2019 schauen.
1. Das gesamte Arbeitsangebot, die Zahl der Erwerbspersonen in Deutschland, liegt bei
rund 46 Mio. (Statista 2022d).
2. 2019 kamen insgesamt 1.558.612 Zuwanderer nach Deutschland (Statista 2022e).
3. Die Erwerbszuwanderung aus Drittstaaten (Nicht-EU-Mitglieder) mit Aufenthalts-
titel wird für 2019 mit 166.342 beziffert. Davon sind 97.519 zugewanderte Fachkräfte
(BAMF 2020).
3.4 Gewinnung ausländischer Fachkräfte und Spezialisten 211
4. An den Gesamtzuzügen aus Drittstaaten von 2019 rund 1.417.187 hat die Erwerbs-
zuwanderung einen Anteil von 12 %, davon die Fachkräftezuwanderung von 7 %.
5. Berechnet auf das Gesamtarbeitsangebot in Deutschland hat die Fachkräfte-
zuwanderung aus Drittstaaten 2019 einen Anteil von 0,2 %.
Erstens Die zweite externe Fachkräftequelle, die „Gewinnung von Fachkräften und
Spezialisten“ hat im Gegensatz zur ersten „Zuwanderung von Migranten und Flücht-
lingen“ die weitaus höhere weil nahezu hundertprozentige Trefferquote, basiert aber auf
einer ungleich kleineren Bezugsgröße: Die Fachkräftezuwanderung aus Drittstaaten hat
einen Anteil an den Gesamtzuzügen von lediglich 7 %. und steht damit einer größeren
Zahl von Zuzügen im Zusammenhang mit der ersten externen Fachkräftequelle – der
Zuwanderung von Migranten und Flüchtlingen mit erklärtermaßen geringerer Treffer-
quote – gegenüber.
Zweitens Das unterstützt die weiter oben getroffene Feststellung, dass beide Fachkräfte-
quellen in ihren unterschiedlichen quantitativen und qualitativen Proportionen unver-
zichtbar und es wert sind, mit unterschiedlichen Strategien und Instrumenten erschlossen
zu werden.
Drittens Natürlich ist die Sicherung des Fachkräftebedarfs, bei internen wie bei
externen Quellen, nicht allein eine Sache von Zahlen. Wie überall am Arbeitsmarkt geht
es neben der quantitativen auch um die qualitative, die strukturelle Komponente. Es geht
um Kompetenzprofile von Bewerbern und Anforderungsprofile von Unternehmen. Um
die Minimierung von Missmatch, bei dem im Einzelfall beide nicht zueinander finden.
Wenn es also um die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte und Spezialisten; darunter
aus Drittländern, geht, dann geht es vor allem um die Profile und Berufsfelder, die in der
deutschen Wirtschaft besonders dringend gebraucht werden. Dazu gehören Ingenieure,
IT-Spezialisten, Naturwissenschaftler, Pädagogen und zunehmend auch Ärzte.
Erstens Von den 115 befragten Studenten (100) und jungen Beschäftigten (15) geben
74 eine in Indien beheimatete Muttersprache an. Davon ist Hindi mit 31 am stärksten
vertreten. Die 43 anderen Nennungen verteilen sich auf 10 weitere in Indien gesprochene
Sprachen. Mit Chinesisch (1x), Arabisch (4x), Indonesisch (1x) Türkisch (4x) Farsi
(2x), Vietnamesisch (1x) und Thai (1x) erhöht sich die Zahl der Befragten mit einer
asiatischen Muttersprachen auf 88 (77 %). Die verbleibenden 27 Befragten geben als
Muttersprache Französisch (15x), Englisch (7x) Spanisch (1x), Portugiesisch (1x),
Russisch (1x), Rumänisch (1x) und Yoruba (1x) an.
Zweitens Die 157 Angaben zur Zweitsprache (hier ist Mehrfachnennung möglich)
verteilen sich auf 13 Sprachen. Hier dominiert Englisch mit 98 Nennungen (62 %) vor
Deutsch mit 22 (14 %) und Hindi mit 16 (10 %).
Drittens Von 115 Befragten schätzen 65 (57 %) das Lernen von Deutsch als schwer
oder sehr schwer ein. Das sind viele, aber dennoch 10 % weniger als unter den
Migranten und Flüchtlingen unter Abschn. 3.3. Obwohl unter diesen als Deutschsprach-
kursteilnehmer ein bedeutend größerer Teil (41 %) Deutsch als eine Zweitsprache
angibt, als unter den Studenten und jungen Spezialisten (14 %). Nur 8 (7 %) von diesen
bezeichnen das Erlernen von Deutsch als leicht. Niemand als sehr leicht.
Viertens Im Zusammenhang mit der Beurteilung, wie leicht oder schwer Deutsch zu
erlernen ist, steht wie schon bei den Migranten und Flüchtlingen die Antwort darauf, was
die Befragten an der deutschen Sprache stört. Hier liegen an der Spitze ebenfalls „eine
komplizierte Grammatik“ mit 58 von 117 Nennungen (50 %). Danach hier aber schon
die „komplizierte Gender-Sprache“ mit 29 von 117 Nennungen (25 %). Beide Faktoren
zusammen machen 87 Nennungen und dabei genau drei Viertel aller Antworten aus.
Und beide sprechen (wenn auch verschiedene) Komponenten der Kompliziertheit an.
Der Unterschied: Bei der Grammatik handelt es sich um eine in der Sprachgeschichte/
Sprachpraxis objektiv gewachsene und nicht zu beeinflussende Komponente. Bei der
Gendersprache gibt es subjektive Einflussquellen. Und damit Entscheidungsmöglichkeiten
in die eine oder andere Richtung. Zu den verbleibenden 25 % an „Störfaktoren“ gehören
„zu lange Wörter“, „komplizierte Bürokratensprache, „zu viele Abkürzungen“ oder „Groß-
und Kleinschreibung“. Lediglich ein einziges Mal genannt wird „zu viele Anglizismen“.
Fünftens Die Einschätzung einer eher schweren Erlernbarkeit der deutschen Sprache
geht nicht im gleichen Maße einher mit einer Entscheidung gegen Deutschland als
Studien- oder Arbeitsort Deutschland. In Frage 8 wird dieser Zusammenhang durch
41 von 115 Befragten (36 %), in der ähnlich lautenden Frage 10 durch 43 von 115
Befragten (37 %) bejaht. Das ist dennoch immerhin mehr als ein Drittel aller Befragten,
für die die deutsche Sprache ein Grund sein kann, sich bei der Wahl des (späteren)
Arbeitsortes gegen Deutschland zu entscheiden.
214 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Sechstens Wichtig vor allem aus der Sicht des Beitrags von Hochschulstudiengängen
zur Fachkräftesicherung in der deutschen Wirtschaft sind die Verbleibs-Absichten der
Befragten. In Frage 7 sprechen sich 54 Befragte (47 %) für eine Wahl Deutschlands als
Arbeits- und Lebensort aus. In 15 Fällen wird eine Arbeit in Deutschland (Frage 3) sogar
als Grund für die Wahl des Studien- oder Arbeitsortes angegeben. Fast noch wichtiger
sind in Frage 7 die 44 Befragten (38 %) die sich diesbezüglich noch nicht entschieden
haben. Hier kann es eine Herausforderung für Hochschulen sein, diese noch Unent-
schlossenen durch Begleitung studienbegleitender Sprachvermittlung für eine Arbeits-
aufnahme in Deutschland zu gewinnen.
Siebtens Interessant ist in diesem Zusammenhang die Bemerkung eines oder einer
Befragten zu Frage 3, dass es für ihn oder sie schwer ist, im praktischen Leben Deutsch
zu vertiefen, da es keine deutschen Mitstudenten, WG-Partner oder Freunde gäbe.
Unter diesem Aspekt kann und sollte die Zusammensetzung von Studiengruppen mit
ausschließlich oder vorwiegend ausländischen Studenten geprüft werden.
Migranten und Flüchtlinge als Fachkräftequelle zu gewinnen, ist ihre Integration. Die
größte Herausforderung, ausländische Studenten und Spezialisten als Fachkräfte-
quelle zu gewinnen, ist, sie im globalen Wettbewerb der Wirtschaften und Unternehmen
zum Bleiben oder Kommen zu bewegen. Dabei ist die Sprache nur ein und womöglich
nicht der wichtigste Faktor. Die Befragungen zeigen aber, dass sie, unter sonst gleichen
Umständen, das Zünglein an der Waage sein kann.
Die Politik ist sich der Bedeutung des globalen „Wettbewerbs um die besten Köpfe“
bewusst. Unter Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie
bemüht sie sich um eine wirksame Strategie, Deutschland zu einem attraktiven Ein-
wanderungsland für qualifizierte Fachkräfte aus Drittländern zu machen.
„Die Bundesregierung hat unter Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Energie eine Strategie zur gezielten Gewinnung von Fachkräften aus Drittsaaten erarbeitet.
Sie definiert erstmalig einen kohärenten Ansatz zur Förderung der Fachkräftegewinnung
und positioniert Deutschland damit als attraktives Einwanderungsland im internationalen
Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte.“ (BMWi 2020)
Zu Schritten bei der Umsetzung dieser Strategie zählen das seit 01.03.2020 geltende
„Fachkräfteentwicklungsgesetzt“ (FEG) – darin unter anderem der Entfall von
Vorrangsprüfungen sowie die Anpassungen des „Gesetzes zur verbesserten Feststellung
und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen“.
Wie überall in der Wirtschaft kann und muss der Staat auch im internationalen Wett-
bewerb um Fachkräfte und Spezialisten geeignete Rahmenbedingungen setzten. Die
Rolle der Unternehmen übernehmen kann und darf er nicht. So, wie für ein Zueinander-
finden von Talenten aus Drittländern und deutscher Wirtschaft die Entscheidung der
ersten (vgl. zu den Kriterien Abschn. 3.1.1) notwendig ist, ist es auch die Initiative der
zweiten – der Unternehmen, die mit Fachkräftemangel konfrontiert sind. Hier zeigt
die Erfahrung, dass die Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland bei deutschen
Unternehmen noch immer kein Standard ist. Mit Bezug auf eine civey-Umfrage
der Bertelsmann-Stiftung von 2020 wird resümiert, dass nur knapp ein Fünftel der
befragten Unternehmen angibt, bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte aktiv zu
sein. Obwohl die Hälfte der deutschen Unternehmen einen Fachkräftemangel beklagt
(Bertelsmann Stiftung 2021). Zu den Hürden bei der Rekrutierung werden auch sprach-
216 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
„Qualifizierte Fachkräfte sind weltweit gesucht. Um den Wettbewerb um die besten Köpfe
zu gewinnen, braucht Deutschland einen gemeinschaftlichen Ansatz von Bundesregierung
und Wirtschaft, der noch einmal weit über gesetzliche Änderungen wie die im Fachkräfte-
einwanderungsgesetz hinausgeht. Die Bundesregierung hat daher begleitend zum Fach-
kräfteeinwanderungsgesetz intensiv an weiteren Maßnahmen gearbeitet. Dazu gehören:
(BMI 2021)
Wichtig für das Thema dieses Kapitels ist das zitierte Ziel der verstärkten Förderung
der deutschen Sprache im Ausland. Erinnert sei hierbei an Abschn. 2.4.1, in dem die
Rolle einer Sprache unter den weltweit gelernten Fremdsprachen als ein Kriterium für
ihre Verbreitung über die Grenzen ihres Sprachraums hinaus genannt wird. Und an den
Umstand, dass Ästhetik, Unkompliziertheit und Erlernbarkeit der Entscheidung, eine
Sprache als Zweitsprache zu lernen eher förderlich als hinderlich sind.
In Bezug auf die o. g. Maßnahmen der Bundesregierung erscheint es aber wichtig
zu vertiefen, was mit einer „verstärkten Förderung der deutschen Sprache im Aus-
land“ gemeint ist. Hier muss zunächst auf die „AKBP“ als Rahmen verwiesen werden.
AKBP steht für „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“, die in Federführung des
Auswärtigen Amtes und in Koordinierung mit den verschiedenen Ressorts wie Kultur,
Bildung oder Wirtschaft das Ziel verfolgt, die Rolle Deutschlands in den internationalen
Beziehungen zu stärken und gleichzeitig das Interesse für die deutsche Kultur, die
deutsche Sprache und die deutsche Wirtschaft zu wecken.
Eine wichtige Komponente der AKBP ist die Förderung von Deutsch als Fremd-
sprache im Ausland. Zu den hierbei in verschiedenen Bereichen agierenden
Institutionen gehören
• Deutsche Welle
Auslandsrundfunk Deutschlands, Programme zur Förderung der deutschen Sprache
• Goethe-Institut
Netzwerk von Sprach- und Prüfungszentren mit 158 Instituten in 98 Ländern
Verankerung der deutschen Sprache in Bildungssystemen der Gastländer
• TestDAF-Institut
Entwicklung und Durchführung von Deutschsprachtests für den Hochschulzugang
Sprachtestforschung, Lehre und Fortbildung
• Deutsche Auslandsschulen (DAS)
Schulen im Ausland, die in deutscher Sprache unterrichten und deutsche oder inter-
nationale Abschlüsse verleihen. Schüler sind Kinder aus deutschen Familien, die sich
beruflich vorübergehend im Ausland befinden sowie (und das inzwischen mehrheit-
lich) Kinder aus dem Gastland. Die Schulaufsicht für Auslandsschulen wird durch die
Zentralstelle für Auslandsschulwesen (ZfA) wahrgenommen.
Mit Initiativen wie den genannten werden – vor allem aus dem Etat des Auswärtigen
Amtes – erhebliche Mittel investiert. Allein die Förderung Deutscher Auslandsschulen
hat sich von 291 Mio. Euro 2020 auf 296 Mio € 2021 erhöht (WDA 2020). Anderer-
seits wurde in der Vergangenheit in Zweifel gestellt, dass die Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Sprache allein durch die finanzielle Komponente beeinflusst werden kann.
218 3 Sprache und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Das zurückliegende Kapitel hat gezeigt, dass die Stärke und Wettbewerbsfähigkeit einer
Wirtschaft von einer Reihe ihrer Faktoren abhängig ist. Darunter auch, wenngleich
sicher nicht an erster Stelle, von der Sprache. Es wurde deutlich, dass die Sprache eines
Wirtschaftsraumes durchaus dazu beitragen kann, wirtschaftliche Herausforderungen zu
meistern. In Deutschland gehören dazu demographischer Wandel und Fachkräftemangel.
Und es muss bei der Bewertung von Einflüssen der Sprache auf die Wirtschaft unter-
schieden werden zwischen angeborenen, langfristig gewachsenen Merkmalen und neu
angeeigneten. Die einen sind nicht beeinflussbar, die anderen sind es. Das soll in dem
folgenden dieses Kapitel abschließenden Fazit zusammengefasst werden.
Erstens Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Sprache ist nicht dasselbe wie die der
deutschen Wirtschaft. Aber es gibt Schnittmengen und somit Wechselwirkungen. Zu
ihnen gehören im weiteren Sinne die Akzeptanz und Nutzung der deutschen Sprache
über ihren originären Sprachraum hinaus. Das betrifft auch und im engeren Sinne, im
Kern, den Einfluss der Attraktivität und Erlernbarkeit der deutschen Sprache auf aus-
ländische Fachkräfte bei ihrer Entscheidung über die Destination für ihre berufliche
Lebensperspektive.
Zweitens Die deutsche Sprache ist aus sich selbst heraus, mit ihren sprachhistorisch ent-
wickelten Merkmalen gegenüber anderen Weltsprachen, was Praktikabilität und Erlern-
barkeit betrifft, nicht übermächtig, aber wettbewerbsfähig. Das belegt nicht zuletzt die
unter Abschn. 3.4.1 vorgestellte INSEAT-Umfrage 2021 mit dem Ranking der für inter-
nationale Talente beliebtesten Länder. Bei ihr liegen vier deutschsprachige Länder auf
den ersten 18 Plätzen. Ob diese Augenhöhe und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Sprache künftig ohne Abstriche weiter besteht, darüber entscheidet der Umgang ihres
Hinterlandes mit in der eigenen Hand liegenden Optionen zu ihrer Verkomplizierung.
Drittens Die deutsche Sprache folgt, wie andere Sprachen auch, aus sich selbst heraus
einem Wettbewerbstrend zur Ökonomisierung. Dieser ist verbunden mit einem Trend
zur „Ent-Ästhetizierung“ (vgl. Abschn. 3.2.1). Der für viele bedauerlich, aber objektiv
und nicht zu ändern ist. Es wäre töricht, einen um diesen Preis erzielten Effekt der Öko-
nomisierung ohne Not durch einen Gegeneffekt der Verkomplizierung und erschwerten
Erlernbarkeit wieder herzuschenken. Nicht zuletzt im Interesse der Wirtschaft. Das ist
auch bei einem ungebremsten Korrektheitsübereifer in der Verwaltungssprache und bei
einer Sprachdeformierung durch Gendern zu bedenken.
Literatur 219
Literatur
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Beratungs-und-Jobprogramm-fuer-Gefluechtete-aus-der-Ukraine-7523352 (zuletzt geöffnet:
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Literatur 221
Weitere Literaturempfehlungen
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www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2015/Deutschfoerderung_im_Ausland_2.pdf
(zuletzt geöffnet: 01.06.2022).
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BAMF (2015). Konzept für einen bundesweiten Alpha-
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ik-mit-alphabet.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt geöffnet: 01.06.2022).
Bundesregierung (2019). Was wir tun. 22. Bericht der Bundesregierung zur auswärtigen Kultur-
und Bildungspolitik für das Jahr 2018. https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2232572/0b260a
d27d3cb1619279a3355abe7e47/akbp-bericht2018-data.pdf (zuletzt geöffnet: 01.06.2022).
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Berlin: Erich Schmidt Verlag.
Geis-Thöne, W. (2021). Zur Fachkräftesicherung braucht die Migrationspolitik drei Säulen.
Institut der Deutschen Wirtschaft. IW-Kurzbericht 89/2021. https://www.iwkoeln.de/studien/
wido-geis-thoene-zur-fachkraeftesicherung-braucht-die-migrationspolitik-drei-saeulen.html
(zuletzt geöffnet: 01.06.2022)
Literatur 223
Zusammenfassung
Globalisierung der Wirtschaft geht einher mit einer Globalisierung von Sprache.
Diese wird verstanden als ihre Standardisierung und Vereinheitlichung, ver-
bunden mit der Abnahme ihrer Vielfalt. Dabei geht es weniger um das Zusammen-
wachsen einer Vielzahl von Sprachen auf „Augenhöhe“, sondern um das Durchsetzen
weniger Sprachen (nicht einer) in einem Wettbewerb nach objektiven Kriterien. Um
zwischen den verbleibenden Sprachen zunehmend international kommunizieren zu
können, ist gleichwohl eine Erhöhung der Sprachkompetenz, das Beherrschen von
mehr Fremdsprachen als früher, erforderlich. Die Geschichte der Wirtschaft und der
Sprache lässt erkennen, dass eine Veränderung, eine Globalisierung der Sprache der
Globalisierung der Wirtschaft folgt – aber zeitlich verzögert und abgeschwächt. Der
Umstand, dass viele multinationale Konzerne ihren Hauptsitz im englischsprachigen
(oder im chinesisch-sprachigen) Raum haben und die Sprache ihres Hauptsitzes welt-
weit zur Unternehmenssprache machen, erhöht die Herausforderungen für Deutsch
im Kampf um den Platz auf einer künftigen Arche Noah der Weltsprachen. Globali-
sierung ist ein gesetzmäßiger Prozess, der sich langfristig im Einklang mit Arbeits-
teilung und technischem Fortschritt vollzieht. Ereignisse wie Krisen, Pandemien und
Kriege führen nicht zu seiner Umkehr, können ihn aber durch eine Priorität politischer
Entscheidungskriterien in Art und Richtung verändern. An seinem Einfluss auf die
Sprache ändert das nichts.
Aufgabe des Kap. 1 war es, mit der Vorstellung wichtiger Themen von Wirtschaft
und Sprache den Weg in dieses Buch zu ebnen. Den Weg zum Verständnis über die
Beziehungen, in denen ausgewählte Themen von Sprache und von Wirtschaft, sozusagen
über Kreuz, miteinander stehen. Zu den „sprachrelevanten Wirtschaftsthemen“ gehörte
dabei auch die Globalisierung. In ihrer wirtschaftlichen Komponente wird unter
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 225
Teil von Springer Nature 2022
A. Forner, Wirtschaft und Sprache, https://doi.org/10.1007/978-3-658-38734-1_4
226 4 Globalisierung von Wirtschaft und Sprache
Es wird in diesem Kapitel vor allem um die Frage gehen, ob ein langfristiger Trend
der internationalen Verflechtung und damit Annäherung in der Wirtschaft auch Aus-
wirkungen auf die internationale Verflechtung und damit Annäherung von Sprachen hat.1
Gibt es einen Trend von Sprachenvielfalt zur Sprachenvereinheitlichung? Bei dieser
Frage ist es natürlich reizvoll, sich die Geschichte vom gegensätzlichen Trend vor Augen
zu führen. Die Geschichte des Turmbaus zu Babel. In ihr führt der Weg von der Ein-
sprachigkeit zu Mehrsprachigkeit. Und es soll geprüft werden, ob geschilderte Begleit-
erscheinungen dieses Weges sich ins Gegenteil verwandeln, wenn dieser umgekehrt
verläuft. Wenn, um es einfach zu beschreiben, nicht aus einer Sprache viele würden
sondern aus vielen Sprachen eine.
Die Geschichte vom Turmbau zu Babel finden wir in der Bibel – im 1. Buch Mose/
Genesis). Und dort wird gleich eingangs auf Einsprachigkeit als Ausgangspunkt der
Handlung hingewiesen.
„Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache.“ (Die Bibel 2017)
„Alle Welt“ wird vorher in der „Völkertafel“ erklärt. Es handelt sich um das Geschlecht
der Söhne Noahs – Sem, Ham und Jafet – das nach der Sintflut die Erde bevölkerte.
Nachdem sich einige von ihnen nach ihrem Aufbruch von Osten im Lande Schinar
niederließen, beschlossen sie ein Großprojekt. Sie wollten eine Stadt und einen Turm
bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reichte. Um sich in der Welt einen Namen zu
machen. Dieses selbstüberhebende Ansinnen erzürnte Gott, sodass er herniederfuhr und
die Akteure mit Mehrsprachigkeit bestrafte.
1
Ob der bisher allgemein angenommenen Gesetzmäßigkeit eines Globalisierungstrends ange-
sichts der mit dem Ukraine-Krieg entstandenen neuen Weltlage abgeschworen werden muss, soll
in einem Exkurs am Ende dieses Kapitels (Abschn. 4.4) thematisiert werden.
4.1 Der Turmbau zu Babel 227
„Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang
ihres Tuns, … Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass
keiner des anderen Sprache verstehe! So zerstreute sie der Herr von dort über die ganze
Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen.“ (ebd.)
Kommen wir zurück auf die wirtschaftliche Seite des Turmbaus. Natürlich ist nicht
Mehrsprachigkeit wie in der Bibel-Geschichte gleichbedeutend mit Unmöglichkeit, sich
zu verständigen, und mit wirtschaftlichem Fiasko. Aber sie führt womöglich zu zusätz-
lichen Kosten.
Diesen Kostenansatz – „Kosten von Mehrsprachigkeit“ oder „Sprache als Kosten-
faktor“ – wählt COULMAS. Er bezeichnet den Turm von Babel als die erste Bauruine
der Weltgeschichte.
„Spätestens seit dieser Zeit weiß man, daß Sprachen uns nicht nur wert und teuer sind,
sondern uns oft auch teuer zu stehen kommen. Sprachen für wertvoll zu erachten, impliziert
offenkundig, dass ihre Sprecher und Hüter bereit sind, sie sich etwas kosten zu lassen.“
(Coulmas 1992)
„Für modernes Wirtschaften … ist die Sprache ebenso wichtig wie das Geld. Sie ist von
zentraler Bedeutung, denn Wirtschaften besteht zu einem großen Teil in Kommunikation,
und zentrale Teile der wirtschaftlichen Kommunikation sind sprachlich.“ Diese
Kommunikation „verursacht Kosten, die zum Teil durch die Vielsprachigkeit der Welt ent-
stehen.“ (ebd.)
Das führt zu dem verständlichen Schluss, dass eine internationale Organisation mit 10
Amtssprachen etwa doppelt so viele Kosten für Dolmetscher und Übersetzungen aus-
geben muss als eine mit 5. Oder dass ein Waschmaschinenhersteller mit Export in 40
Sprachräume mehr Geld für Gebrauchsanleitungen ausgeben muss als einer mit Export
in 10. Und das führt zu dem weiteren Schluss: Kostengründe werden zwar nicht zu einer
Vereinheitlichung von Sprachen führen. Eine Vereinheitlichung von Sprachen in Folge
von Globalisierung der Wirtschaft könnte aber, sozusagen als Nebeneffekt, zu einer Öko-
nomisierung des weltweiten Sprachverkehrs führen. Vorausgesetzt, Globalisierung der
Wirtschaft geht tatsächlich mit einer solchen Vereinheitlichung von Sprachen einher. Das
herauszufinden, soll Ziel des nachfolgenden Abschnitts sein.
Setzen wir als gegeben die Globalisierung der Märkte voraus. Und stellen die Frage, ob
dem mit Notwendigkeit eine Globalisierung – im Sinne einer Vereinheitlichung – von
Sprachen folgt. Oder ob eine globale Welt bei Fortbestand der Sprachenvielfalt denkbar
ist. COULMAS spricht sich für die erste Variante aus.
„Es ist kein Zufall, dass die Ausdehnung der Wirtschaftsräume historisch mit der
Standardisierung der Sprachen parallel verläuft.“ (Coulmas 1992)
Das erscheint nachvollziehbar. Selbst aber zu dieser Grundfrage gibt es auch andere
Prognosen. So bejaht das Zukunftsinstitut in Frankfurt (Main) zwar eine Globalisierung
der Sprache, verbindet diese aber nicht mit einer Konzentration in der Sprachenvielfalt.
„Die Globalisierung, die seit Mitte der 90er Jahre, verstärkt dann im neuen Millennium,
über den zunehmenden Handel und Warenaustausch ganz neue Dynamik zwischen der
nunmehr multipolaren Weltordnung ermöglichte, wurde lange als zusätzliche Gefahr für
die Sprache gesehen, bewirkt aber auf der anderen Seite eine erstaunliche Renaissance der
Vielfalt….“ (Zukunftsinstitut 2013)
das „Wiederaufleben von Mundarten“ oder auf die Entwicklung von Kiezsprachen zu
eigenen Dialekten. Der hier verfolgte Ansatz versteht aber die Globalisierung – ob von
Wirtschaft oder von Sprache – als einen Prozess in der Welt, auf dem Globus.
Dass Globalisierung zu einer „Vereinheitlichung“ von Sprachen oder, was wohl
nicht ganz dasselbe ist, zu einfach „weniger Sprachen“ führt, ist verbal wie auch
empirisch belegt. In Kap. 1 wird unter den „sprachrelevanten Wirtschaftsthemen die
Globalisierung als langfristiger Trend „weltweiter Verflechtungen in allen Bereichen
der Gesellschaft“ vorgestellt. Zu diesen Bereichen gehören neben der Wirtschaft auch
Wissenschaft, Technologie und Kultur. Sprache ihrerseits ist ein wesentlicher und
historisch gewachsener Teil der Kultur eines Landes. Folglich wird sie von der Globali-
sierung ebenso erfasst wie die Wirtschaft. Ob im gleichen Maße und im gleichen Tempo,
wird unter Abschn. 4.2.6 näher betrachtet. Da Globalisierung mit Vereinheitlichung und
Standardisierung zusammengeht, bedeutet das für die Sprachwelt eine Verringerung ihrer
Vielfalt. Das ist auch empirisch belegt.
Mit Bezug auf Daten des Endangered Languages Projects wird darauf verwiesen,
dass aktuell weltweit 2450 Sprachen vom Aussterben bedroht sind (Statista 2022a, b).
Tab. 4.1 zeigt die Aufteilung dieser als bedroht oder gefährdet eingestuften Sprachen auf
Kontinente.
Andere Quellen sprechen unter Berufung auf Experten davon, dass von den zu Beginn
des 21. Jahrhunderts noch 6000 gesprochenen Sprachen an dessen Ende noch 20 % übrig-
bleiben. Was einen noch größeren Einschnitt bedeuten würde. Dabei sei die Verringerung
der Sprachvielfalt Teil eines „großen Kultursterbens“, einer weltweiten Uniformierung.
„Ob in Bangkok, Tokio oder Berlin, überall gibt es einen ‚Starbucks Coffee‘ an der einen
Ecke oder einen Benetton-Laden an der anderen. Wer eine Filiale von McDonalds oder
den Duty Free Shop eines Flughafens betritt, kann daraus überhaupt nicht entnehmen, an
welchem Ort der Welt er sich befindet.“ (Borrmann 2020)
Angesichts dieses Trends wäre nur dann nicht von einem Schrumpfen der Sprachvielfalt
zu sprechen, wenn auf der anderen Seite und zeitgleich ebenso viele Sprachen neu ent-
stünden. Das aber ist nicht der Fall.
Als Beispiel für Gefährdete unter den europäischen Sprachen gilt das Isländische.
Island hat knapp 370.000 Einwohner. Isländisch ist die Amtssprache und geht noch auf
die Wikingerzeit zurück. Viele Einwohner ziehen heute vor, englisch zu sprechen, mit-
unter auch dänisch. Hieraus wird teilweise die Prognose abgeleitet, „dass, wenn der
Gebrauch des Isländischen weiter zurückgeht, es schließlich ganz verschwindet, wie es
mit anderen Sprachen bereits passiert ist.“ (Transword 2020).
Legen wir uns auf die Position fest, dass eine Globalisierung in Wirtschaft und
anderen Bereichen der Gesellschaft nicht ohne Einfluss an der Welt der Sprachen erfolgt.
Dabei handelt es sich nicht um Deckungsgleiches, und es schließt verschiedene und auch
gegenläufige Prozesse ein. Die per Saldo und wohl auch unterschiedlich nach Sprach-
bereichen (Wirtschaftssprache, Verwaltungssprache etc.) zu einem Trend der Vereinheit-
lichung und Standardisierung führen.
Eine solche Platzierung ist eine wichtige Basis, lässt aber einige Fragen offen:
1. Wird sich eine Globalisierung von Sprachen aus Anleihen verschiedener Sprachen auf
der Welt, „auf Augenhöhe“, entwickeln?
2. Werden sich eher wenige Sprachen – oder nur eine – im Wettbewerb um die globale
Dominanz durchsetzen?
3. Wird die Verstärkung globaler Wirtschaft und globaler Kommunikation nicht zur Not-
wendigkeit einer letztlichen Weltsprache sondern zum höheren Stellenwert von Mehr-
sprachigkeit (zumindest Zweisprachigkeit) führen?
4. Verlaufen Globalisierung der Wirtschaft und Globalisierung der Sprache in annähernd
gleicher Stärke und Tempo oder unterschiedlich?
Diese Fragen werden im Folgenden erörtert und die Struktur dieses Abschnitts
bestimmen.
Der erste Modellansatz geht davon aus, dass eine Weltsprache oder zumindest eine stark
komprimierte Sprachenwelt auf dem ebenbürtigen Zusammenwachsen einer Vielzahl
von Sprachen entsteht. Dem liegt die Logik zugrunde: Globalisierung ist verbunden mit
Mobilität. Ergänzt durch deren besondere Form, die Migration. Das führt zu verstärktem
Zusammentreffen verschiedener Sprachen und der Notwendigkeit der Verständigung
zwischen ihren Sprechern. Bei der Entwicklung dieser Logik ist man schnell bei den
Begriffen der „Pidginsprachen“ und der „Kreolsprachen“, die unter Abschn. 3.2.1 im
Zusammenhang mit der Ökonomisierung von Sprache vorgestellt wurden. Die Pidgin-
sprache entsteht aus der Notwendigkeit für Sprecher verschiedener Muttersprachen,
sich im gegenseitigen Kontakt in einer aus diesen gemixten und auf das Notwendigste
4.2 Eine globale Welt bei Bestandskraft von Sprachen? 231
reduzierten Behelfssprache zu verständigen. Da die Ausdehnung der Märkte auch mit der
Erweiterung des Handels verbunden war, sind Pidginsprachen auch unter dem Namen
„Handelssprachen“ bekannt.
Exkurs
Der Begriff „Lingua franca“ ist italienisch und heißt „fränkische Sprache“.
Lingua franca ist eine Pidginsprache romanischen (insbesondere italienischen)
Ursprungs, in die sich vor allem Elemente des Arabischen, aber auch des
Persischen und Griechischen mengen. Ihre Entstehung ist auf die Ausdehnung
von Handel und Seefahrt im östlichen und südlichen Mittelmeerraum des Mittel-
alters zurückzuführen. Bis in das 19. Jahrhundert hinein wurde sie dort auch
weiter als Verkehrssprache genutzt. So gilt „Lingua franca“ im erweiterten Sinne
auch heute als Synonym für eine Verkehrssprache. Entweder mit der Möglich-
keit für Menschen verschiedener Sprachräume, sich auf einem bestimmten Fach-
gebiet (Handel, Diplomatie, Sport, Wissenschaft) zu verständigen. Oder in der
Eingrenzung des Begriffs „Verkehrssprache“ auf wenige oder eine dominierende
Sprache, in der Regel auf Englisch.
Werfen wir noch einen Blick auf Tab. 4.2. Genauere Angaben zu den in den Mix
eingegangenen Sprachen der Urbevölkerung oder eingeschleppter Sklaven findet man
selten. Sie haben bei der Herausbildung der Kreolsprachen eine ergänzende Rolle
gespielt, und oft gibt es sie gar nicht mehr.
Daraus wird eines deutlich – und hierin unterscheidet sich die Zielstellung unserer
Beschäftigung mit Pidgin- und Kreolsprache an dieser Stelle von der Ökonomisierungs-
thematik unter Abschn. 3.2.1:
Kreolsprachen sind nicht als Vereinigung mehrerer Sprache, zu verstehen, die sich
als Komponenten zu etwa gleichen Anteilen, sozusagen „auf Augenhöhe“ in eine
neue Sprache eingebracht haben. In ihr aufgegangen sind. Vielmehr dominiert die
Basissprache, die der ehemaligen Kolonialmacht, die auch heute noch als Welt-
sprache fungiert.
Daraus ergibt sich wiederum eine erste Erkenntnis für unsere Ausgangsfrage.
Das Modell der Pidgin- und Kreolsprachen erscheint daher also wenig geeignet, als
Erklärung einer künftigen Vereinigung von Sprachen zu dienen. Auch, weil sie dem
Rahmen der Kolonialisierung entspringen, der seinerseits eine einmalige und mit Unter-
werfung von Völkern verbundene spezifische Form der Globalisierung ist.
Wir haben in diesem Buch an verschiedenen Stellen (vor allem in Abschn. 2.4) die
führenden Sprachen auf dieser Welt kennengelernt. Auch Abweichungen in Ihrem
Ranking, je nachdem, welche Kriterien ihm zugrunde liegen. Und je nachdem, ob der
Blick in die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft gerichtet ist. Unabhängig von
Nuancen erweist sich Englisch dabei per Saldo in den meisten Einschätzungen seit dem
19. Jahrhundert als Marktführer unter den Sprachen. Und das seit Ende des Zweiten
Weltkrieges Mitte des 20. Jahrhundert mit Tendenz nach oben.
Wäre die Fortsetzung einer solchen Entwicklung eher eine Antwort auf die Frage
nach einem Zusammenhang von Globalisierung der Wirtschaft und Globalisierung
der Sprache als die Verschmelzung vieler Sprache auf gleicher Ebene? Oder auf
4.2 Eine globale Welt bei Bestandskraft von Sprachen? 233
v erschiedenen Ebenen wie im Kreol-Fall? Ist Englisch – allein oder in Begleitung einer
kleinen Gruppe elitärer Sprachen -dabei, auf der Arche-Noah die Globalisierung zu über-
leben? Während dieser viele kleinere Sprachen zum Opfer fallen?
Antworten hierauf fallen unterschiedlich aus. Bezüglich des „ob“, bezüglich des
„wie“ und bezüglich des „warum“. Beginnen wir mit dem letzten – der Frage, warum
sich das Englisch in die Position gebracht hat, in der es ist. Der bisherige Verlauf dieses
Buches (vgl. Abschn. 1.2.2 und 3.1.1) erklärt, dass es sich dabei um eine Vielzahl
objektiver und subjektiver Gründe handelt. Vom Lebensentwurf der jungen Generation
oder der Verkäuflichkeit am Markt über die Entwicklung von Wirtschaft, Wissenschaft
und Technik bis hin zu Sprachökonomie und Erlernbarkeit. Bei aller Vielfalt haben
aber diese Gründe eines gemeinsam: Sie entspringen ohne Zwang dem freien Willen
der Sprecher, so zu sprechen wie sie sprechen. Der freien Entwicklung am Markt der
Sprachen und keinen gesetzlichen Vorgaben oder politischen Zwängen. Das ist allgemein
anerkannt. Da es hiervon, wenngleich wenige, so doch mitunter extreme Abweichungen
gibt, soll der guten Ordnung halber eine davon vorgestellt werden. Sie entspringt einem
Vortrag des Politikwissenschaftlers Fritz VILMAR aus dem Jahr 2003 mit dem Titel
„Sprachimperialismus“.
„Die Naivität der gegenwärtigen deutschen Diskussion über die Amerikanisierung der
deutschen Sprache besteht in der Annahme, Sprache stehe außerhalb der gesellschaft-
lichen Herrschaftsstrukturen … In Wahrheit ist Sprache in höchstem Maße ein Instrument
gesellschaftlicher Organisation. … Wer die offizielle EU-Sprache dominiert, wird auch
Europa dominieren. … Den globalen Siegeszug verdankt Englisch dem Aufstieg der USA
zur Supermacht. … Ebenso stammtischflach ist die Unterstellung, die Befürworter eines
deutschen Sprachgesetzes zielten auf eine Bevormundung der Bürger …“ (Vilmar 2003)
Nach einer solchen Meinung wird der Wettbewerb zwischen Sprachen nicht durch deren
Wettbewerbsfähigkeit entschieden, die einer Vielzahl in diesem Buch vorgestellter
Kriterien folgt (vgl. Abschn. 2.4.1 und 2.4.2). Sondern durch staatlich-institutionelle
Machtkämpfe um die sprachliche Vorherrschaft. Vergleichen wir das mit der Wirtschaft,
wäre das nicht das freie Spiel von Angebot und Nachfrage am Markt, sondern Staats-
dirigismus in einer Zentralverwaltungswirtschaft. Der angebliche sprachliche Überfall
des einen Landes auf andere und deren Verteidigungskampf durch gesetzliche Verbote.
Die staatliche Förderung von Deutschen Auslandsschulen, wie wir sie unter Abschn.
3.4.3 vorgestellt haben, ist etwas anderes. Hier schafft ein Staat (Deutschland)
Rahmenbedingungen dafür, dass sich das Interesse, deutsch zu sprechen, aus freier Ent-
scheidung erhöht. Um wieder die Brücke zur Wirtschaft zu schlagen: Es geht um eine
„soziale Marktwirtschaft“ mit „Globalsteuerung“ im Wettbewerb und am Markt der
Sprachen.
Die meisten Quellen stimmen damit überein, dass sich die heutige Dominanz von
Englisch in Begleitung der Globalisierung weiter verstärken wird. Aber nicht in einem
durch Staaten geführten „Krieg der Sprachen“, deren Waffen die Infiltrierung fremder
Sprachräume mit eigenen Vokabeln oder Verbote zum Schutz davor sind, sondern in
einem funktionsfähigen Wettbewerb. Einem Wettbewerb, in dem diejenige Sprache die
234 4 Globalisierung von Wirtschaft und Sprache
Nase vorn hat, von der sich ihre Sprecher den größtmöglichen Nutzen erwarten. Zu
solchen Quellen gehört ein Beitrag aus der Süddeutschen Zeitung.
„Im Zuge der Globalisierung und der zunehmenden Technisierung hat sich Englisch über-
all durchgesetzt. Es gibt kaum einen Winkel auf der Erde, in dem man niemand findet, der
diese Sprache spricht. .. Es wird vermutet, dass ein Fünftel der Weltbevölkerung mehr oder
weniger gut auf Englisch kommunizieren kann. In fast allen Bereichen wird es inzwischen
verwendet – egal ob es um die internationalen Geldmärkte, den Luftverkehr oder gar den
islamischen Dschihad geht.“ (Meyer 2010)
Der Artikel kokettiert im Anschluss noch ein wenig mit dem Gedanken, dass ein
Ende der Dominanz der englischen Sprache nicht in Sicht sei, dass man das aber vor
600 Jahren vom Lateinischen auch schon gedacht habe. Relativiert das aber gleich darauf
mit Verweisen auf Wissenschaftler, nach deren Meinung die Vergangenheit hier als Ver-
gleich nicht tauge.
Wenn es also einen gemeinsamen Nenner der meisten Meinungen zu Globalisierung
von Wirtschaft und Sprache gibt, so besteht dieser in folgenden Punkten: Erstens: Die
Globalisierung der Wirtschaft führt zur zunehmenden Notwendigkeit, sich weltweit
miteinander zu verständigen. Zweitens. Das hat, in welchem Tempo auch immer, einen
Trend zur Komprimierung der weltweiten Sprachlandschaft zur Folge, aus der stark ver-
breitete Sprachen als Sieger und weniger stark verbreitete, noch dazu, wenn sie nicht
den aktuellen Anforderungen an sie folgen, als Verlierer hervorgehen. Drittens. Dieser
Prozess vollzieht sich – wie auch die Globalisierung der Wirtschaft – in einem Wett-
bewerb und nicht durch Administration.
In den seltensten Fällen finden sich unter den diese Punkte einschließenden Meinungen
solche, die am Ende von der Durchsetzung einer und nur einer Sprache ausgehen. Ein
Beispiel für die Prognose eines Kopf-an-Kopf-Rennens zwischen zwei Sprachen:
„Aufgrund der globalen Präsenz der Weltsprachen sind immer mehr regionale Minderheits-
sprachen vom Aussterben bedroht und die weltweite Sprachvielfalt nimmt stetig ab. …
Langfristig wird die Sprachvielfalt daher aufgrund der Globalisierung abnehmen. Es wird
erwartet, dass Englisch und Chinesisch in den nächsten Dekaden beide weiter wachsen…“
(Korz 2019)
Welche Rolle Deutsch auf der Arche Noah der Weltsprachen spielen wird, wird mit
unterschiedlichem Optimismus bewertet.
„Die Lebenskraft und Schönheit der deutschen Sprache ist die eine Frage, deren Status in
Europa und der Welt ist eine andere. Diese bereitet uns Sorgen. Wohl wird die deutsche
Sprache nach wie vor weltweit gelehrt und gelernt. Doch zweierlei deutet sich bereits an:
Im Zuge der Globalisierung verstärkt sich nicht nur der Druck zu Gunsten weniger Welt-
sprachen. Auch der wirtschaftliche Aufstieg Chinas macht sich mehr und mehr zum Nach-
teil der deutschen Sprache bemerkbar.“ (Limbach 2008)
Bereits das Vorhandensein von zwei statt nur von einer Sprache macht aber das Thema
von Übersetzung und Mehrsprachigkeit weiter relevant. Bei drei Sprachen mehr und
4.2 Eine globale Welt bei Bestandskraft von Sprachen? 235
bei vier Sprachen noch mehr. Draus schöpft der Inhalt des nachfolgenden Punktes seine
Berechtigung und Bedeutung.
In der Überschrift dieses Punktes steht „Mehr Sprachkompetenz für weniger Sprachen“
und nicht „Mehr Sprachkompetenz anstatt weniger Sprachen“. Diese Nuance ist wichtig.
Es gibt hier kein Alles oder Nichts. Keine Gegenüberstellung der alternativen Extrem-
Prognosen: Prognose A: „Wir werden am Ende auf der Welt nur noch eine Sprache
haben und Sprach- bzw. Übersetzungskompetenz entfällt.“ Prognose B: „Globalisierung
der Wirtschaft wird im Sprachbereich nicht durch eine Abnahme der Sprachenfülle
reflektiert sondern dadurch, dass die im globalen Kontakt stehenden Menschen mehr und
besser Sprachen sprechen als in der Vergangenheit und heute.“ Die Überschrift räumt
beides ein. Das unterstützt zum einen den Inhalt der vorangegangenen Punkte („weniger
Sprachen“). Und es lässt trotzdem Raum für die folgenden Überlegungen dieses Punktes
(„mehr Sprachkompetenz“).
Nimmt mit der Globalisierung, mit der vermehrten internationalen Kommunikation –
beruflich wie persönlich – notwendigerweise die Sprachkompetenz zu? Gegenwärtig
sprechen weltweit 60 bis 75 % der Menschen mindestens zwei Sprachen (Vince 2017).
„Und nahezu überall gilt es mittlerweile als üblich, einer `Supersprache` wie Englisch,
Chinesisch, Hindi, Spanisch oder Arabisch fähig zu sein. Monolingual aufzuwachsen, wie
so viele nativ Englisch sprechende Menschen, ist die Ausnahme – und womöglich ein Nach-
teil.“ (ebd.)
Dabei hat sich, so die Bundeszentrale für Politische Bildung, die Zahl der Menschen,
die mindestens zwei Sprachen sprechen, durch die Globalisierung deutlich erhöht (bpb
2017). Wir wollen in Folgenden weiter bei diesem Zusammenhang bleiben. Aber nicht
ohne darauf hinzuweisen, dass es über das Bestehen in einer globalisierten Welt hinaus
weitere Vorteile gibt, auf die im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit (Multilingualität)
verwiesen wird.
Exkurs
Vorteile der Mehrsprachigkeit werden auch auf die individuelle Entwicklung
bezogen und äußern sich nach entsprechenden Quellen in Flexibilität, gesteigerter
Gehirn-Effektivität, besserer Fähigkeit, weitere Fremdsprachen zu erlernen oder
erhöhtem persönlichen Wohlbefinden. „Multilingualität hat zahlreiche soziale und
psychologische Vorteile. Von der Lebensqualität mal ganz abgesehen. Manchen
Studien zufolge profitiert sogar die Gesundheit davon: Wer mehrere Sprachen
spricht, erhole sich schneller von einem Hirnschlag, und erste Anzeichen von
Demenz zeigten sich später, heißt es.“ (Vince 2017).
236 4 Globalisierung von Wirtschaft und Sprache
Das soll hier nicht weiter Gegenstand sein. Wir wollen zurückkehren zur Mehrsprachig-
keit, deren Bedeutung durch vermehrte internationale Kommunikation im Rahmen einer
globalisierten Wirtschaft wächst. Hierzu ein sehr konkretes Beispiel aus der Offerte
studienbegleitender Sprachangebote der Universität Mainz:
„In Zeiten der Globalisierung müssen junge Juristinnen und Juristen zunehmend über
nationale Grenzen hinweg international einsetzbar sein. Eine fremdsprachige Zusatzaus-
bildung ist daher wichtiger denn je. In Mainz ist die Ausbildung in englischer und vor allem
französischer Rechtssprache schon immer integraler Bestandteil des Jurastudiums. Daneben
gibt es viele Angebote aus anderen Ländern und in anderen Sprachen.“ (Uni Mainz 2019)
„Im Rahmen ihrer Bemühungen zur Förderung der Mobilität und interkulturellen Ver-
ständigung hat die EU den Sprachenerwerb zu einer wichtigen Priorität erklärt und
finanziert zahlreiche Programme und Projekte in diesem Bereich. Die EU betrachtet die
Mehrsprachigkeit als ein wichtiges Element der Wettbewerbsfähigkeit Europas. Zu den
Zielen der EU-Sprachenpolitik gehört deshalb, dass jeder europäische Bürger zusätzlich zu
seiner Muttersprache zwei weitere Sprachen beherrschen sollte.“ (EU-Parlament 2021)
Kommentierung
Der Vertrag über die Europäische Union (EUV) in seiner Fassung von 2009
(Lissabon) erklärt unter Artikel 3: Die Union „wahrt den Reichtum ihrer kulturellen
und sprachlichen Vielfalt.“ Im Beitrag der Europäischen Kommission zum Gipfel-
treffen in Göteborg am 17. November 2017 wird das Konzept eines „Europäischen
Bildungsraumes“ vorgestellt. Dort wird als einer der nächsten Schritte bei der
„Investition in Menschen und ihre Bildung“ der Anspruch auf dem Gebiet der Mehr-
sprachigkeit formuliert: „Ausarbeitung einer Empfehlung des Rates zur Verbesserung
des Sprachunterrichts in Europa, in der als Benchmark vorgegeben wird, das alle
jungen Europäerinnen und Europäer bis 2025 bei Abschluss der Sekundarstufe II
zusätzlich zu ihrer/ihren Muttersprache(n) zwei Fremdsprachen gut beherrschen
sollten;“ ◄
Es wird deutlich, dass sich die Politik, zumindest die europäische, vor dem Hintergrund
der Globalisierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen den Durchbruch einer Sprache
4.2 Eine globale Welt bei Bestandskraft von Sprachen? 237
zur Weltsprache und für eine angemessene Sprachenvielfalt einsetzt. Dem schließen sich
auch eine Reihe von Sprachinstitutionen an. Der Übersetzungsdienst Transword translation
zitiert zunächst Umberto ECO, der in der Globalisierung die große Gefahr sieht, „dass sie
uns in eine gemeinsame Megasprache drängt“. Um aber im Anschluss zu fordern:
„Die Globalisierung sollte ein Anlass für die Ausbreitung und das Unterrichten von
Sprachen sein, keine Ursache für ihr Verschwinden.“ (Transword 2020)
Halten wir fest: Die Globalisierung führt über Vereinheitlichung und Standardisierung
zu einer Verringerung der Sprachenvielfalt. Um zwischen den verbleibenden Sprachen
zunehmend international kommunizieren zu können, ist gleichwohl eine Erhöhung der
Sprachkompetenz, das Beherrschen von mehr Fremdsprachen als früher, erforderlich.
Dort, wo sich aus dem Erfordernis von Fremdsprachenkompetenz und deren realem Ist-
Zustand eine Schere auftut, ergibt sich der Raum für ein ausgleichendes Hilfsmittel: das
Übersetzung oder Dolmetschen. Handelt es sich hierbei um einen aussterbenden Not-
nagel oder ein dauerhaftes Instrument, grenzüberschreitende Brücken im Berufsleben zu
schlagen? Diese Frage soll Gegenstand des folgenden Punktes sein.
Zunächst soll auf die Unterscheidung der beiden Begriffe „Übersetzen“ und
„Dolmetschen“ hingewiesen werden. Um eine Übersetzung handelt es sich, wenn ein
schriftlicher Text von einer Sprache in eine andere übertragen wird. Dolmetschen ist die
Übertragung mündlicher Rede von einer Sprache in eine andere. Diese Unterscheidung
ist eine rein sprachlogistische und ändert nichts daran, dass die folgenden Überlegungen
für Übersetzung und Dolmetschen gleichermaßen gelten.
Beginnen wir mit einer Grundüberlegung. Wenn im gleichen Maße, wie die Not-
wendigkeit internationaler Kommunikation steigt, sich auch die Fremdsprachkompetenz
der daran beteiligten Menschen erhöht, bleibt die Differenz, der Bedarf an Übersetzen
und Dolmetschen in gleicher Höhe bestehen. Steigt die Sprachkompetenz schneller
als die internationale Kommunikation, verringert sich der Bedarf an Übersetzen und
Dolmetschen. Steigt sie langsamer, erhöht er sich.
Letztlich findet die eine oder andere der genannten Alternativen ihren Ausdruck in
Zahlen. Der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer BDÜ geht unter Berufung
auf das US-Marktforschungsinstitut Common Sense Advisory (2018) davon aus, dass
sich das Marktvolumen für Sprachdienstleistungen bis zum Jahr 2021 weltweit auf
56 Mrd. US$ erhöhen wird (BDÜ 2019). Das heißt zunächst: Der Markt für Übersetzen
und Dolmetschen wird nicht kleiner, er wird größer. Diese Tatsache ist wichtig, lässt aber
Fragen offen, von denen hier zweien nachgegangen werden soll.
238 4 Globalisierung von Wirtschaft und Sprache
Beispiel
Das bbw Bildungswerk der Wirtschaft in Berlin und Brandenburg setzt seit 2013
ein Ausbildungsprojekt an verschiedenen Standorten ich China um (bbw 2022). In
seinem Rahmen findet fachpraktische Ausbildung in technischen Berufsbildern nach
deutschen Ausbildungsstandards statt. Bis zur Corona-Pandemie 2020 war es eine
Prämisse der chinesischen Seite, dass die Ausbildung durch deutsche Ausbilder vor
Ort stattfindet. Entsprechende Fachkräfte mit Bereitschaft eines längeren Einsatzes
in China zu gewinnen, war ohnehin ein Engpass des Projektes. Hätte man noch das
Kriterium „Chinesische Sprachkenntnisse“ angelegt, wäre es das Aus für das Projekt
gewesen. So hat man sich für den Einsatz von Dolmetschern in der praktischen Aus-
bildung an den Maschinen entschieden. Oft junge chinesische Studienabsolventen an
einer deutschen Hochschule. Die Erfahrungen waren außerordentlich positiv. Und die
Dolmetscher verfügten nach wenigen Ausbildungsgängen über ein berufspraktisches
Fachwissen, wie es in der stark theoretischen chinesischen Berufsausbildung kaum
erworben werden kann. Die zusätzlichen Dolmetscherkosten im Projekt sind Bestand-
teil des kalkulierten Preises, den die chinesische Seite für die Ausbildung an die
deutsche bezahlt (hat). ◄
Bleiben wir zunächst beim zusätzlichen Aufwand durch das Dolmetschen. In unserem
Beispiel ist er für den deutschen Bildungsexporteur ein Faktor, der über den Preis auf
den Partner umgelegt wird. Oder in diesem Falle auch von einem Land auf das andere.
Global gesehen, sieht die Sache anders aus. Ein durch Sprachenvielfalt weltweit
erforderlicher Übersetzungs- und Dolmetscher – Aufwand kann nicht ins Universum
umgelegt werden. Er bleibt gegenüber dem theoretischen Modell der Einsprachigkeit ein
zusätzlicher Aufwandsfaktor für die Weltwirtschaft.
Neben dem Kostenfaktor „Übersetzen und Dolmetschen“ gibt es auch den Zeit-
faktor. Natürlich wird mit Dolmetschen ein etwa das Doppelte betragender Zeit-
aufwand für die Übermittlung derselben Menge an Information benötigt als ohne.
Und was die qualitative Seite betrifft, so unterbricht gerade bei Frage und Antwort,
4.2 Eine globale Welt bei Bestandskraft von Sprachen? 239
Rede und Gegenrede ein zwischenzeitliches Dolmetschen Fluss und Spontanität der
Kommunikation. Aber wie bereits gesagt, es ist die zweitbeste Lösung und besser als
die drittbeste, gar nicht zu kommunizieren. Und gutes Dolmetschen ist auch besser, als
eine schlechte Verständigung durch Nutzung eigener Fremdsprachkenntnisse. Natürlich
gibt es hier eine Grauzone. Eine, die sich auch verschiebt, je nachdem, ob es um einen
geschäftsbegleitenden Smalltalk handelt, oder ob ein Vertrag ausgehandelt wird, bei dem
es um die Bedeutung jedes einzelnen Wortes geht.
d) Ein wichtiger Aspekt ist die Ethik. Algorithmen agieren mit eigener Logik, sind
manipulierbar und unterliegen keiner ethischen Kontrolle. Gerade in sensiblen
Bereichen wie Justiz, Gesundheit oder Migration bietet Integrität qualifizierter
humaner Übersetzer und Dolmetscher nachhaltige Sicherheit. Auch gegen Cyber-
attacken und Manipulationsversuche.
(BDÜ 2019).
Der Verband, dessen Mission natürlich die Wahrung des Berufsstandes und die Suche
nach Wegen in die Zukunft ist, wendet sich mit diesen Argumenten auch gegen einzelne
Stimmen aus der Politik, die die Sprachdienstleistungen zu den Branchen zählen, die
im Laufe der Digitalisierung überflüssig werden und verschwinden. Und für deren
Beschäftigte es rechtzeitig Unterstützung auf alternativen Wegen brauche.
Wir haben im bisherigen Verlauf dieses Abschnitts festgestellt, dass die Globalisierung
der Wirtschaft Auswirkungen auf die Globalisierung von Sprache hat. Und dabei noch
bewusst offen gelassen, ob die Wirkung dieselbe Stärke hat, wie die Ursache – und
dasselbe Tempo. Darum soll es hier gehen.
Der Frage, wie stark (in der Sprache der Volkswirtschaft: wie „elastisch“) die Globali-
sierung der Sprache auf die Globalisierung der Wirtschaft reagiert, kann man sich aus
verschiedenen Richtungen nähern.
Beginnen wir mit einem weiten Blick in die Geschichte – in das 17. Jahrhundert. Um
1650 hatte Deutschland mit der wirtschaftlichen Auswirkung des 30-jährigen Krieges
(1618–1648) zu tun. Mit der bis dahin schlimmsten Inflation, die später nur durch die
Hyperinflation 1923 übertroffen wurde. Mit einer Schwächung der frühkapitalistischen
Manufakturbetriebe und mit Wettbewerbsnachteilen des deutschen Kaufmannsstandes
gegenüber der holländischen oder englischen Konkurrenz. Die Weltwirtschaft war
vom sogenannten „Dreieckshandel“, der ökonomischen Vernetzung zwischen Europa,
Afrika und Amerika, gekennzeichnet. Von Europa gelangten Fertigprodukte, darunter
Waffen oder Textilien, nach Afrika. Von Afrika gelangten Sklaven über den Atlantik
nach Amerika. Und Amerika lieferte Produkte der dortigen Sklavenplantagen wie
Zucker, Baumwolle oder Kaffee nach Europa. In Europa verschob sich der wirtschaft-
liche Schwerpunkt vom Mittelmeerraum zu den Atlantik-Anrainern. Zur selben Zeit
entstand unsere heutige neuhochdeutsche Sprache. Wir haben diesen Zeitpunkt in
Kap. 1 mit 1650 terminiert. Während die heutige Weltwirtschaft mit den für damals
geschilderten wirtschaftlichen Verhältnissen kaum noch vergleichbar ist, hat sich an der
deutschen Sprache – wie auch an den meisten anderen – in derselben Zeit nichts Wesent-
liches geändert. Die noch 100 Jahre vor dem betrachteten Zeitraum entstandene Luther-
bibel wird noch heute aufgelegt und ist für den Leser – auch bei ihrer „gehobenen“
4.2 Eine globale Welt bei Bestandskraft von Sprachen? 241
usdrucksweise – immer noch klar verständlich. Und an der Struktur der Sprachwelt
A
(Spanisch, Portugiesisch, Englisch, Deutsch, Holländisch, Italienisch, Arabisch oder
Chinesisch) hat sich ebenfalls nur wenig geändert.
Ein nächster Blick soll mittelfristiger Natur sein. Betrachten wir den weltweiten
Handel (hier: Export) als einen von mehreren Indikatoren internationaler Arbeitsteilung
und Globalisierung, so können wir seine Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg als eine
Vergleichsbasis zur Entwicklung der Sprache gebrauchen. Der Weltexport hatte 1948 ein
Volumen von 58,61 Mrd. US$. 2020 betrug dieses Volumen 17.582,99 Mrd. US$. Oder
in Worten: Siebzehneinhalb Billionen US-Dollar. Das ist eine Steigerung auf das Drei-
hundertfache (Statista 2022b). Die Sprache, bleiben wir beim Beispiel von Deutsch, hat
sich in dieser Zeit nur marginal verändert. In der Größenordnung stärkeren Einflusses
von Anglizismen, neuen Wörtern (z. B. aus der Digitalisierung) im Duden oder der teil-
weisen Einkehr des Genderns.
Gehen wir schließlich noch eine Stufe tiefer. Von der Sprache zu den Dialekten. Zu
deren Entstehungszeit gibt es unterschiedliche Erklärungen, die teilweise bis auf das
Alt- oder Mittelhochdeutsch, bzw. auf das Alt- oder Mittelniederdeutsch zurückgehen.
Auf jeden Fall bestanden die sächsische, die bayerische, die Berliner oder die mecklen-
burgische Mundart zu dem Zeitpunkt, dessen Wirtschaft wir als so viel anders als die
gegenwärtige Weltwirtschaft beschrieben haben, im 17. Jahrhundert, bereits in ihrer
heutigen Ausprägung. Und es ist auch persönlich beeindruckend, wenn man heute, zu
einer Zeit gewachsener internationaler Mobilität gerade der jungen Generation, mit dem
Zug oder dem Auto durch Deutschland fährt. Und beim Zwischenausstieg am Bahn-
hof oder an der Tankstelle auf die unverrückbaren Grenzen der Dialekte stößt. Fährt
man von Königs-Wusterhausen in Richtung Süden, so startet man in einem Umfeld, das
klar berlinert. Nur 130 km weiter, in Elsterwerda, wird, ob durch den Bahnhofssprecher
oder die Tankstellenverkäuferin, gesächselt. Wendet man dann die Fahrt in Richtung
Westen, ist man nach 160 km in Halle/Saale und hört einen anhaltischen Dialekt. Und
nur 40 km südlicher liegt Leipzig mit einer besonders lässigen Variante des Sächsischen.
Diese Dialekt-Landkarte hat sich trotz Globalisierung, gravierender wirtschaftlicher
Veränderungen und deutlich gewachsener regionaler und internationaler Mobilität seit
Jahrhundert kaum verändert. Ein Wanderbursche auf der Suche nach einer Tischlerlehre
mag vor vierhundert Jahren auf derselben Route dieselben Sprach- oder besser Dialekt-
grenzen erlebt haben.
Die ausgewählten Beispiele ändern nichts an dem zuvor aufgezeigten Zusammenhang
zwischen Globalisierung der Wirtschaft und Globalisierung der Sprache. Aber sie führen
zu dem Schluss, dass eine Veränderung, eine Globalisierung der Sprache der Globali-
sierung der Wirtschaft nur zeitlich verzögert und abgeschwächt folgt. Da die Sprache
eine Komponente der Kultur eines Landes ist, lässt sich diese Feststellung zur Sprache
im weiteren Sinne auch auf die Kultur übertragen. Sprachräume und Kulturräume ent-
wickeln sich nicht unabhängig von Wirtschaftsräumen. Aber sie haben mehr Bestands-
und Verharrungsvermögen als diese.
242 4 Globalisierung von Wirtschaft und Sprache
Die Regel ist, dass innerhalb eines Sprachraumes auch dessen Sprache gesprochen
wird. Eine Ausnahme bilden unter anderem multinationale Konzerne – vor allem solche
mit Hauptsitz im angloamerikanischen Raum. Sie sind gewissermaßen Enklaven der
englischen Sprache in nichtenglischen Sprachräumen. Eine einheitliche, die englische,
Unternehmenssprache bei Weltkonzernen an allen ihren internationalen Standorten liegt
im Interesse der länderübergreifenden internen Kommunikation, Logistik und Personal-
politik. Sie hat auch Vorteile aus Sicht der Wirtschaftlichkeit und der Unternehmens-
identifikation. Und sie ermöglicht es ungleich besser, leistungsstarke ausländische
Führungskräfte zu rekrutieren.
Multinationale Unternehmen sind eine treibende Kraft der Globalisierung.2 Deshalb
gehört dieses Thema hierher. Betrachten wir etwas genauer Deutschland und hier in
Tab. 4.3 vier namhafte Großunternehmen, die in ihrer jeweiligen Branche weltweit in der
ersten Reihe unter den Marktführern stehen:
Wenn Tab. 4.3 in den vier Beispielen als Firmensprache „Englisch“ nennt, so
bedarf das in zwei Punkten einer relativierenden Kommentierung. Erstens. Bei großen
Industrieunternehmen wie Alstom (ehemals Bombardier) oder Tesla gilt Englisch als die
Geschäftssprache im Management („white collar“). In der Produktion („blue collar“) ist
das nicht durchgängig so. Trotzdem sind Englischkenntnisse für Bewerber auch hier von
Vorteil. Auch im neuen französischen Mutterhaus der ehemaligen Bombardier-Stand-
orte, Alstom, hat sich daran nichts geändert. Die Website findet man in Englisch und in
Deutsch. Zweitens. Bei den beiden Global Playern der Unterhaltungs- und Medienwirt-
schaft gibt es keine offizielle Festlegung zu einer englischen Unternehmenssprache. Ein
Teil der internen Kommunikation findet hier auch in Deutsch statt. In Online-Meetings,
an denen Vertreter anderer Sprachräume ohne Deutschkenntnisse teilnehmen, gibt es
keine Übersetzung, sondern die gesamte Kommunikation schaltet auf Englisch um.
Komplett in englischer Sprache sind auch geteilte Studien und Präsentationen, Financial
Reports oder internationale Verträge. Das heißt: Hier ist Unternehmenssprache formal
Deutsch. Praktisch wird aber fließendes Englisch in Wort und Schrift für alle Mitarbeiter
vorausgesetzt.
Es ist in multinationalen Konzernen also mehrheitlich üblich, an ihren Standorten
weltweit englisch zu sprechen. Das ist in den vorgestellten Beispielen in Deutschland so
und wird sich in anderen Teilen der Welt kaum davon unterscheiden. Englischsprachig-
2 Es gibt hierzu vielfältige Literatur, die hier nicht weiter Gegenstand sein soll.
4.3 Sprachregelungen ausländischer Großkonzerne in Deutschland 243
keit ist mindestens für Positionen mit Personalverantwortung notwendig und wird in
Stellenausschreibungen als selbstverständlich vorausgesetzt. Oft wird darum gebeten,
Bewerbungsunterlagen gleich in englischer Sprache einzureichen. In vielen Fällen ist das
kein Problem für die Zahl benötigter Bewerber. Vor allem in Metropolen wie Berlin, wo
große internationale Unternehmen ohnehin auf eine Mitarbeiterschaft mit einer Vielzahl
an Nationalitäten und Muttersprachen verweisen. Bei Bombardier waren es beispiels-
weise 70 (Human Ressources 2014).
Dennoch ist eine solche Praxis nicht unumstritten und bringt, wie die folgenden Jet-
Beispiele aus dem Netz zu Tesla belegen, die deutschsprachige Volksseele in Wallung:
„Habe gerade mal die Stellenausschreibungen überflogen. Alles was höher als Schichtleiter
ist, wird flüssiges Englisch vorausgesetzt … Ich habe das noch nie nachvollziehen können.
Da haben gut ausgebildete Menschen keine Chance, nur weil ihnen das flüssige Englisch
fehlt. Immerhin ist der Standort Deutschland, dann sollte deutsch auch die Unternehmens-
sprache sein.“ (forum golem. ohinrichs 2020)
„Wer heutzutage kein flüssiges Englisch spricht, ist sicherlich nicht gut ausgebildet. …
Und bei Tesla werden Dir ab dem mittleren Management ständig Leute begegnen, die kein
deutsch sprechen, und sei es, weil sie aus den Werken in den USA oder China kommen.
Englisch ist dann natürlich wichtiger als deutsch.“ (forum golem. Datalog 2020)
244 4 Globalisierung von Wirtschaft und Sprache
„Wie soll man jemanden ernst nehmen, der sich bei einer amerikanischen Firma bewirbt
und kein Englisch kann? Hallo Internationalisierung“ (forum golem. mimimi 2020)
Dass es solche Debatten gibt, ist wohl auch Grundlage für die im Folgenden zitierte
klare und unmissverständliche Positionierung. Vorangestellt wird darin die Beschreibung
des Frusts ausländischer Fachkräfte, wenn sie an Meetings nur bruchstückhaft teil-
nehmen können und sich „sprachlich ausgesperrt“ fühlen. Um dann fortzusetzen:
„An dieser Stelle kann jemand hitzig einwenden, dass es den Deutschen, die nicht genug
Englisch sprechen, doch auch nicht anders ginge. Der Einwand ist nicht völlig unberechtigt,
übersieht aber, dass es hier nicht um Gerechtigkeit geht, sondern um Zweckmäßigkeit. Es
gibt genügend Deutsche (Schweizer, Österreicher …), die brauchbar Englisch sprechen,
aber nicht genügend Amerikaner, Engländer, Franzosen, Japaner, Chinesen, die ausreichend
Deutsch sprechen.“ (Berner 2015)
Das letzte Beispiel im vorher zitierten Jet endet mit „Hallo Internationalisierung“. Damit
schlägt es die Brücke zwischen Internationalisierung oder Globalisierung und dem Vor-
marsch des Englischen. Und öffnet die Tür zum folgenden Punkt.
zum Beispiel bei großen deutschen Autoherstellern, ist die englische Unternehmens-
sprache ein Thema. Nicht immer aber ohne Stolpersteine. Als VW ankündigte, Englisch
als Konzernsprache einzuführen, verkaufte die Stiftung Deutsche Sprache aus Protest
ihre VW-Aktien. Und Daimler wechselte nach der verlustreichen Fusion mit und nach-
folgenden Trennung von Chrysler von Englisch als Firmensprache wieder zurück zum
Deutschen. Weil interne Betriebsabläufe durch angebliche Missverständnisse gelitten
hätten (Wassink 2020).
„Das Ziel dahinter ist klar. Eine unternehmensweit einheitliche Sprache soll die inter-
nationale Kommunikation vereinfachen und beschleunigen, Geld und Zeit für Über-
setzungen und Dolmetscher sparen… Denn mit der zunehmenden Globalisierung des
Geschäfts und der Arbeitswelt wächst der Druck in Unternehmen, über Länder- und Sprach-
grenzen hinweg effizient zu kommunizieren.“ (ebd.)
Erstens Abschn. 2.4 hat sich intensiv mit der Untersuchung befasst, wie die Stärke der
Wirtschaft eines Sprachraumes auf die Verbreitung der Sprache wirkt. Und die Aus-
wahl der vier weltweit starken Konzerne in Tab. 4.3 und die (überwiegende) Nähe ihrer
Mutter-Standorte zur englischen Sprache ist kein Zufall. Unter den zehn größten Unter-
nehmen der Welt befinden sich 2021 5 US-amerikanische. Daneben bemerkenswerter-
weise vier Chinesische (Wirtschaftswoche 2021). Was übrigens auch einer der Gründe
ist, warum viele Experten der chinesischen Sprache für die Zukunft eine weltweit
dynamische Entwicklung vorhersagen.
sie ein Faktor ist, der zu anderen bereits vorhandenen und vorgestellten hinzukommt und
die führende Position von Englisch unter den Sprachen auf der Welt weiter stärkt.
„Die Corona-Krise ist auch eine Krise der Globalisierung. … Die Schwächen des
globalisierten Kapitalismus sind offensichtlich geworden: In der Corona-Krise mussten
deutsche Industriebetriebe die Produktion einstellen, weil Lieferungen aus dem Aus-
land ausblieben. … Das zeigt, wie verletzlich moderne Volkswirtschaften durch die Inter-
nationalisierung von Lieferketten und die Auslagerung der Produktion systemrelevanter
Güter geworden sind. In den kommenden Jahren dürfte eine Gegenbewegung einsetzen
…Übliche Lehrbuchmodelle zum internationalen Handel kämen (Hier wird Bezug auf
eine Quelle von Dullien genommen. A.F.) zu dem Ergebnis, dass von Liberalisierung und
Globalisierung alle beteiligten Länder profitieren. Diese Überzeugung habe die Handels-
politik lange geprägt.“ (Böckler Stiftung 2021)
Drittens Nehmen wir die Behauptung, die Corona-Krise sei der Auslöser einer nun
folgenden Kehrtwendung zur Deglobalisierung, einen Moment lang als richtig an.
Und stellen daneben den dauerhaft wahren Zusammenhang von Globalisierung, inter-
nationaler Arbeitsteilung, technischem Fortschritt und Produktivitätserhöhung. Dann
muss mit Logik der Umkehrschluss folgen: Deglobalisierung bremst den technischen
Fortschritt, verringert Arbeitsteilung und Produktivität und gefährdet – neben einer Reihe
schon vorhandener anderer Megatrends – unseren Wohlstand. Wollen wir, anstatt uns um
letztere zu kümmern, auch noch gegen hausgemachte Gefahren kämpfen?
Viertens Bereits das erste Zitat und seine Auseinandersetzung damit machen deutlich,
dass bei der Globalisierung – oder Deglobalisierung – zwischen objektiven wirtschaft-
lichen Prozessen am Markt, Handeln nach ökonomischen Gesichtspunkten auf der einen
Seite und politischen Zielen und steuernden Eingriffen in diese Prozesse auf der anderen
Seite unterschieden werden muss. Dieses Thema soll an dieser Stelle nur angesprochen
und unter Abschn. 4.4.3 weitergeführt werden.
Hier folgen zunächst einige Quellen zur Deglobalisierung im Zusammenhang mit
Ukrainekrieg, Embargos und Sanktionen. Dabei zeigt sich zunächst und im Unter-
schied zum Corona-Deglobalisierungs-Zitat der Böckler-Stiftung, dass es in der Regel
nicht um die fundamentalistische Prognostizierung einer grundsätzlichen Umkehr des
Globalisierungsprozesses geht. Vielmehr geht es um den Zerfall der Weltwirtschaft in
248 4 Globalisierung von Wirtschaft und Sprache
(mindestens zwei) Blöcke und die Fortsetzung einer veränderten Globalisierung inner-
halb dieser.
„Ein oft zerstrittenes Europa rückt zusammen und an die USA heran. Und wo umgekehrt
China steht, ist längst klar. Eng an der Seite mit Russland. Diese Blockbildung ist keine
Kleinigkeit. Sie zeigt eine Verschiebung der Weltordnung, einen Epocheneinschnitt, wie wir
i(h)n zuletzt beim Fall der Berliner Mauer erlebt haben.“ (Reichart 2022)
An anderer Stelle wird in derselben Quelle aber bereits vor dem Cut bisheriger inter-
nationaler wirtschaftlicher Verflechtungen in zwei Teile als nachteilig für die deutsche
Wirtschaft gewarnt.
„Deutschlands Abhängigkeit von Russlands fossilen Energieträgern ist schwer, aber irgend-
wie doch zu lösen. Die Abhängigkeit deutscher Unternehmen vom chinesischen Markt, von
Lieferketten, High-Tech – die ist noch schwerer zu kappen. China ist, das zeigt diese Zeiten-
wende, am Ende das eigentliche Problem.“(ebd.)
„Ein Fehler sei „der Glaube, die durch die Globalisierung stark zunehmende gegenseitige
Abhängigkeit würde Kriege, wie wir ihn nun in der Ukraine erleben, unmöglich machen.
Viele sehen daher die Globalisierung als gescheitert an und sprechen von einer kommenden
Deglobalisierung, bei der Nationalstaaten ihre wirtschaftliche Aktivität wieder stärker nach
Hause verlagern, sich abschotten und auf ein möglichst großes Maß an Autonomie hin-
arbeiten. … Die richtige wirtschaftspolitische Antwort auf den Krieg sollte daher nicht
der Rückzug ins nationale und in den Protektionismus sein, sondern die Umgestaltung der
Globalisierung. Sie muss sozialer und gleichzeitig klüger ausgestaltet werden.“ (Fratzscher
2022)
Dem ist in vielem zuzustimmen. Auch wenn hier nicht gefragt werden soll, was mit
„sozialer“ und „klüger“ gemeint ist. Interessant aber ist die Weiterverfolgung eines
anderen Gedanken. Wenn die gegenseitige wirtschaftliche Verflechtung und Abhängig-
keit im Falle des Ukraine-Krieges und in einer Reihe anderer Konflikte auf der Welt
nicht ausgereicht hat, diese zu verhindern, dann sollten sich daraus erwachsene
Propheten einer Deglobalisierung eine Frage stellen: Wie viele Kriege und Konflikte,
die wir nicht kennen, haben internationale Verflechtung und Abhängigkeit verhindert?
Denken wir nur an eines der politischen Hauptargumente für die europäische wirtschaft-
liche Integration. Sie hat dazu beigetragen, dass zwischen ihren Mitgliedsstaaten, die
sich jahrhundertelang, darunter in zwei Weltkriegen, militärisch bekämpft haben, seit
mehr als 70 Jahren Frieden herrscht.
4.4 Globalisierung und Deglobalisierung. Wirtschaft … 249
Ökonomisch rationales Handeln, so eine andere Quelle, führe dazu, dass kriegerische
Konflikte unter den Bedingungen wirtschaftlicher Verflechtungen und Abhängig-
keiten („Interdependenz“) so kostspielig werden, „dass kein Akteur auf die Idee
kommen dürfte, zu diesem Mittel zu greifen“ (heise online 2022). Und diese friedens-
stiftende Wirkung von „Independenz“, von gegenseitiger Abhängigkeit, so die Quelle
weiter, dürfe nicht durch Sanktionen und Embargos zu einer einseitigen Verletzbarkeit
gewandelt werden.
Es hat sich gezeigt, dass die Sichtweisen und Argumente zu Globalisierung und
Deglobalisierung infolge von Pandemie auf der einen Seite und von Krieg, Embargos
und Sanktionen auf der anderen in einigem übereinstimmen, sich in vielem aber nicht
gleichen. Auf zwei ausgewählte Fragen, die sich durch beide Themen ziehen – die nach
Gesetzmäßigkeiten in der Wirtschaft, die sich nicht überlisten lassen, und die nach dem
Verhältnis von Wirtschaft und Politik generell soll in den folgenden beiden Punkten
näher eingegangen werden.
Hälfte 2022 und die unter anderem dadurch induzierte Inflation sichtbar bestätigt und
nicht widerlegt werden.
Ob die Gesetze dabei in der Wirtschaftswissenschaft genauso wirken wie in den
Naturwissenschaften, soll uns später noch weiter interessieren. Hier geht es zunächst
darum, auch auf Meinungen hinzuweisen, die das Wirken gesetzmäßiger Zusammen-
hänge in der Wirtschaft grundsätzlich infrage stellen. Und das nicht zufällig verstärkt in
einer Zeit, nachdem die Finanz- und Wirtschaftskrise (2007–2009) vieles als gesichert
geglaubtes wirtschaftliches Wissen ins Wanken gebracht hat. So schreibt 2012 der Öko-
nom Thomas STRAUBHAAR:
„Der feste Glaube des ökonomischen Mainstreams an die Effizienz von Finanzmärkten hat
Heerscharen von Studierenden in die Irre geführt. … Gibt es überhaupt so etwas wie eiserne
Gesetze in der Ökonomik?“ (Straubhaar 2012)
Die Relativierung dieser Frage folgt wenige Zeilen später, indem der Mikroökonomie
(aus der unsere oben genannten beiden Gesetzesbeispiele stammen) durchaus zugebilligt
wird, allgemeine Gesetzmäßigkeiten menschlichen Tuns abzuleiten und zum Verständ-
nis individueller Verhaltensweisen und Entscheidungen wirtschaftlicher Akteure beizu-
tragen. Der entscheidende Punkt kommt aber mit der Verneinung der Möglichkeit, diese
Verhaltensweisen wirtschaftlicher Einzelakteure (Anbieter, Nachfrager) auf gesamtwirt-
schaftlicher Ebene – in der Makroökonomie – aggregieren zu können.
Weniger differenziert geht ein Beitrag ein Jahr später vor. In ihm werden
Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaftswissenschaft – auch der Mikroökonomie – generell
abgesprochen. Dazu bemüht der Autor das oben vorgestellte GOSSENsche Gesetz vom
abnehmenden Grenznutzen mit dem Verweis auf das Beispiel des Biergenusses. Einem
Mann munde das erste Glas sehr gut, das zweite schon weniger und so weiter. Und leitet
aus der Tatsache, dass manche Menschen ja auch nach dem Sättigungspunkt trotzdem
weitertrinken, die Untauglichkeit von Gesetzmäßigkeiten in der Wirtschaft ab. (Weinert
2013) Demgegenüber titelt der Wirtschaftswissenschaftler Antony P. MUELLER
einen seiner Beiträge mit „Zehn fundamentale ökonomische Gesetze“. Darin sind
neben mikroökonomischen Zusammenhängen wie „Produktion kostet“ oder „Wert ist
subjektiv“ auch makroökonomische vertreten: „Produktivität determiniert Löhne“ oder
„Geld ist nicht Wohlstand“ (Mueller 2017).
Nach der zurückliegenden Vorstellung dieser verschiedenen Meinungen zu
gesetzmäßigen Zusammenhängen in der Wirtschaft soll die Position dieses Buches mög-
lichst klar und strukturiert entwickelt werden.
4.4 Globalisierung und Deglobalisierung. Wirtschaft … 251
Erstens – der menschliche Faktor Zunächst ist es unstrittig, dass Gesetze in der Wirt-
schaft anders wirken als in der Natur. Das liegt daran, dass die in der Wirtschaft erkenn-
baren Regeln sich nicht über das Verhalten von Körpern, Stoffen, Kräften oder Strömen
durchsetzen, sondern über Menschen. Damit kommt die subjektive Komponente ins
Spiel. Ein Apfel fällt immer nach unten. Das Gesetz der Nachfrage, nach dem diese
steigt, wenn der Preis sinkt, ist die Regel, aber es kennt Ausnahmen. Zum Beispiel den
sogenannten „Snob-Effekt“ bei anomaler Nachfrage.
Beispiel
Ein Ehemann möchte seiner Frau einen Ring zum Hochzeitstag schenken. Es ist ein
rundes Jubiläum, was durch die Art des Geschenkes unterstrichen werden soll. Ein
Ring in der Auslage gefällt dem Mann, der Preis ist ihm aber für seine Absicht zu
gering. Wäre derselbe Ring doppelt so teuer gewesen, hätte der Mann ihn gekauft.
Oder: Die Wahl des Weines beim Geschäftsessen mit einem wichtigen Kunden oder
die Wahl des Autos eines hochdotierten Fußballprofis können ähnlichen Motivationen
unterliegen. ◄
Solche Fälle repräsentieren jedoch kein Regelverhalten und schränken die Gültigkeit des
Gesetzes der Nachfrage am Markt nicht ein.
Exkurs
Der Einsatz der Leitzinspolitik gegen Inflationsgefahr wurde gerade Mitte des
Jahres 2022, vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges und steigender Rohstoff-
preise, ein sehr aktuelles Thema. Der Leitzinssatz der US-Notenbank (Fed)
lag viele Jahre lang mit 0,25 % auf einem Tiefpunkt. Bei der EZB waren es seit
16.03.2016 sogar 0,00 %. Mit der bekannten Wirkung, dass die sich bei den Noten-
banken refinanzierenden Geschäftsbanken darauf sogar mit Negativzinsen für ihre
Kunden antworteten. Langezeit wurde diese nicht unumstrittene Geldpolitik damit
begründet, dass eine reale Inflationsgefahr nicht oder nur vorübergehend bestünde.
Als „normal“ gilt eine Inflationsrate von um die 2 %. Inzwischen hat sich, vor
allem getrieben durch Erhöhungen der Rohstoff- und Lebensmittelpreise die Lage
geändert. Im April 2022 lag die Inflationsrate in Deutschland über 7 %, in den USA
gar über 8 %. Bis September 2022 hat die Rate in Deutschland mit 10 % die in
den USA inzwischen überholt. Am 17.03.2022 hatte die US Notenbank bereits mit
254 4 Globalisierung von Wirtschaft und Sprache
einer Leitzinserhöhung auf 1,00 % in einem ersten Schritt reagiert. Per 22.09.2022
liegt der US Leitzins bei 3,25 %. Auch die EZB hat verzögert nachgezogen. Im
Euro-Raum beträgt der Leitzins zum 14.09.2022 1,25 %. Ökonomen halten das für
überfällig, weisen anderseits aber auf den Drahtseilakt hin, mit einer überzogenen
Zinserhöhung das aktuell ohnehin gebeutelte Wirtschaftswachstum nicht völlig
abzuwürgen.
Sechstens – Politik Einer der Gründe, aus denen heraus auf eine angebliche Nicht-
übertragbarkeit wirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten von mikroökonomischer auf
makroökonomische Ebene geschlossen wird, ist eine missverständliche Vermengung
makroökonomischer wirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten mit Aktivitäten und Wirkungen
der Politik – in diesem Falle der Wirtschaftspolitik.
„Die Politik aber kann sich nicht am Einzelfall orientieren, sondern muss sich an gesamt-
gesellschaftlichen Kriterien ausrichten. In der Makroökonomik und damit in der Wirtschafts-
politik geht es ums große Ganze, nicht um das Schicksal Einzelner.“ (Straubhaar 2012)
1. Das alleinige Wirken der Marktprozesse kann partiell wirtschaftlich wie sozial zu
unerwünschten Ergebnissen führen. Sie sind durch sinnvolle staatliche Aktivitäten zu
regulieren oder zu korrigieren.
2. Wirtschaftliche Aktivitäten des Staates dienen der Stabilisierung der Marktprozesse
und stehen ihnen nicht alternativ gegenüber. Der Staat hat sich bei der Wahl seiner
Mittel im Rahmen des marktwirtschaftlichen Systems zu bewegen. Direkte Eingriffe
wie die in den Marktpreismechanismus (Preisobergrenzen oder Preisuntergrenzen)
gelten als Ausnahmen.
256 4 Globalisierung von Wirtschaft und Sprache
Diese Aufgaben sind in der sozialen Marktwirtschaft Deutschlands klar bestimmt und als
„Globalsteuerung“ gesetzlich verankert. Sie werden – mit unterschiedlicher Ausprägung
– durch die staatliche Wirtschaftspolitik jeder entwickelten Industrienation der Welt
wahrgenommen. Es gibt keine ernstzunehmenden Zweifel an dem notwendigen Mit-
einander von Markt und Staat in einer funktionierenden Marktwirtschaft. SAMUELSON
bezeichnet das Ansinnen, eine Volkswirtschaft ohne Staat oder ohne Markt zu betreiben
als den Versuch, mit nur einen Hand zu klatschen.
Bei seinen wirtschaftlichen Aktivitäten in der sozialen Marktwirtschaft lässt sich
der Staat von zwei gleichwertigen Zielen leiten. Vom Schutz der marktwirtschaftlichen
Grundprinzipien (darunter des Wettbewerbs) und von der Sicherung sozialer Stabilität.
Kommentierung
Wie vorsichtig der Staat mit direkten, sozial motivierten Preisdeckelungen wegen
wiederum unerwünschter Folgeerscheinungen ist, zeigen Beispiele wie Mietendeckel
oder die aktuellen Reaktionen auf sprunghaft steigende Rohstoffpreise. Entlastungs-
pakete, Kostenausgleiche, „Klimageld“ werden in der Regel Eingriffen in den Preis-
mechanismus vorgezogen. Gaspreisdeckel (anstatt Gasumlage), Energiepreisbremse,
„Doppel-Wumms“ Ende September / Anfang Oktober 2022 sind dagegen ein solcher
Eingriff. Die Entscheidung für ihn entwertet nicht das vorher Gesagte sondern ist
Ausdruck des Druckes der Situation und der Folgen möglicher Alternativen. ◄
Beispiel
das anders aussehen. Ihr Umfang kann sich schnell erhöhen aber auch reduzieren –
je nach Veränderung des förderpolitischen Rahmens. Oder er kann zwischenzeitlich
wegen eines Haushaltsstopps ganz auf Null gehen. Weil sich infolge der längeren
Dauer zur Regierungsbildung nach einer Wahl die Verabschiedung des Bundeshaus-
halts bis in den März des neuen Jahres hinein verzögert. Und für die finanzierenden
staatlichen Institutionen (zumindest für die Arbeitsagenturen) keine gültigen Haus-
haltstitel vorliegen. ◄
Es bietet sich an, grundsätzlich auf das Verhältnis von Ökonomie und Politik zu
schauen. Und auf die seit jeher rege Diskussion darüber. Die beginnt in der Antike.
Bei ARISTOTELES stehen beide Kategorien noch relativ getrennt nebeneinander und
kämpfen nicht um ein Primat. Er unterscheidet zwischen drei Kategorien von Gütern.
Die erste Kategorie ist die „Glückseligkeit“ als das höchste aller Güter. An zweiter Stelle
stehen mit Bereichen wie Haushalt, Feldernte und Handel die der eigentlichen Ökonomie
zuzuordnenden sogenannten „äußeren Güter“. Und als dritte Kategorie werden die
seelischen – die „inneren Güter“ unterschieden. Zu ihnen gehören Ethik und … Politik.
Blicken wir auf die Neuzeit, so wird die Frage nach dem Primat von Ökonomie
oder Politik meist auf LENIN zurückgeführt. In Auseinandersetzung mit Trotzki und
Bucharin, die angeblich vorwiegend wirtschaftlich denken, bezeichnet LENIN 1921 die
Politik als den „konzentrierten Ausdruck der Ökonomik“ und fährt fort:
„Die Politik hat notwendigerweise das Primat gegenüber der Ökonomik. Anders
argumentieren heißt das Abc des Marxismus vergessen.“ (Lenin 1982)
In den späteren Staaten Osteuropas wie auch in der DDR setzte sich diese Priori-
tätensetzung fort. Die Verstaatlichung auch kleinerer privater Betriebe oder die
Kollektivierung der Landwirtschaft werden als Beispiele dafür genannt. Aus stark
vereinfachter Sicht erscheint das in einer Marktwirtschaft, auch in einer sozialen,
umgekehrt. Hier hat die Wirtschaft, ein funktionierender Markt bei funktionierendem
Wettbewerb erste Priorität. Während der Staat in diesen Mechanismus eingreifen kann
– aber nicht so viel wie möglich, sondern nicht mehr als unbedingt nötig. Auf den ersten
Blick ein Primat der Ökonomie gegenüber der Politik. Beim genaueren Hinschauen
ist die Interpretation des Verhältnisses von Ökonomie und Politik, oder von Markt und
Staat, aber auch hier differenzierter. Und sie unterscheidet sich nach politischen Lagern
und verändert sich in der Zeit. Schauen wir auf einen Beitrag von Marcel Fratzscher
unter dem bezeichnenden Titel „Der blinde Glaube an das Primat des Marktes hat
katastrophale Folgen“.
Mit Blick auf Corona „entzündet sich eine hitzige Debatte an der Frage, ob es ein Staats-
versagen oder nicht doch ein Marktversagen war, das den Schaden der Pandemie nicht
hat abwenden können oder gar vergrößert hat. … Gibt es mittlerweile eine zu starke Rolle
des Staates oder Neodirigismus, mit schädlichen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft?
Oder gibt es eine schädliche Dominanz von Märkten über den Staat in einer Weltordnung
geprägt von Neoliberalismus? Diese Gegenüberstellung ist ein falscher Widerspruch. …
(Es) erfordert keine Beschneidung des Marktes und per se keinen größeren Staat mit mehr
258 4 Globalisierung von Wirtschaft und Sprache
Umverteilung, sondern einen besseren Staat und eine neue Balance zwischen Staat und
Markt …“ (Fratzscher 2021)
Während hier noch Nuancen des Miteinander von Wirtschaft und Staat abgewogen
werden, gibt es auch für eine Marktwirtschaft Situationen und Beispiele, in denen der
Politik eindeutig das Primat gegenüber der Ökonomie eingeräumt wird. Ein Paradebei-
spiel hierfür ist der gewählte Weg in die deutsche Einheit.
„Das von Bundeskanzler Kohl im Febr(uar) 1990 unterbreitete Angebot einer schnellen
Währungs- und Wirtschaftsunion noch vor der staatlichen Einheit war Ausdruck des Primats
der Politik, da die ökonomisch geprägten Akteure (z. B. Bundesbank, Sachverständigen-
rat) Stufenpläne präferierten. Unter dem doppelten Druck außenpolitischer Unsicherheit
über den Kurs der UdSSR und anschwellender Übersiedlerzahlen mit der Gefahr sozialen
Sprengstoffs in der BRD und ökonomischer Ausblutung der DDR erscheint es aber auch im
Rückblick als Politik ohne realistische Alternative.“ (Andersen 2021)
Letzteres sei dahingestellt, aber die Deutsche Wirtschafts-, Währungs- und Sozial-
union war eine historische Ausnahmesituation, in der politische und strategische Ent-
scheidungsaspekte klar den Vorrang vor ökonomischen hatten. In noch größerer
Dimension finden wir diese Diskussion am Beispiel der Pipeline Nordstream 2 wieder,
wo der zwischenzeitliche Rückzug auf ökonomische Interessen sogar auf starke Kritik
und Empörung in Politik und Medien stieß. Mit Verweis auf eine Untergrabung der
Außen- und Sicherheitspolitik. Und erst recht bei allen den Ukraine-Krieg begleitenden
Embargos und Sanktionen. Bei denen wirtschaftliche Lasten auch für Deutschland und
andere Länder der Welt als der Preis für außenpolitische, sicherheitspolitische, werte-
politische und militärische Ziele betrachtet werden. Auf die daraus erwachsenden
Veränderung für Weltwirtschaft und Globalisierung – die nicht dasselbe sind wie
Deglobalisierung - wurde bereits hingewiesen.
Ziehen wir mit Blick auf Pandemien, Kriege, Globalisierung und Politik ein
Zwischenfazit.
Zweitens Marktkräfte sind für wirtschaftliche Akteure oft berechenbarer als Ver-
änderungen unterworfene politische Rahmenbedingungen.
Viertens In diesem widersprüchlichen Prozess zeigt sich das Verhältnis von Wirt-
schaft und Politik. Beim Wirken von ausschließlich durch wirtschaftliche Erwägungen
bestimmten Marktkräften zeigen sich ökonomische Gesetzmäßigkeiten wie Globali-
sierung klarer als bei ihrer Steuerung durch politische Entscheidungen. Das meist
Zentralverwaltungswirtschaften zugeschriebene Primat der Politik über die Wirtschaft ist
in extremen Situationen wie der deutschen Einheit oder in der Reaktion auf den Ukraine-
Krieg auch in Marktwirtschaften anzutreffen. Bei aller Vielschichtigkeit der Diskussion
von Neoliberalismus und Neodirigismus im Allgemeinen bleibt die Frage: Ist das Primat
der Ökonomie etwas für Schönwetterwanderungen durch die Ebene und das Primat der
Politik die Ausrüstungen für das Bezwingen steiler Gebirgspfade? Und was, wenn das
Gelände insgesamt immer unwegsamer wird?
Politik kann wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten in ihre Wirkung einschränken oder
deren Richtung beeinflussen Sie kann sie aber nicht überlisten oder außer Kraft setzten.
Exkurs
Das Preissystem der DDR war durch staatliche Festpreise gekennzeichnet,
die sich – für gleiche Produkte – über einen längeren Zeitraum wenig änderten.
Dafür wurde dem Marktpreis-Mechanismus, dem Gesetz von Angebot und
Nachfrage, die Wirkung genommen. Und durch politische Willensbildung ein
dafür notwendiger Anstieg von Subventionen in Kauf genommen. Zwischen den
Jahren 1971 und 1987 stiegen in der DDR die Preissubventionen für Waren des
Grundbedarfs, Dienstleistungen und Mieten von 9 Mrd. Mark auf 57 Mrd. Mark.
Sie hatten damit Ender der 80er Jahre einen Anteil von knapp einem Viertel des
produzierten Nationaleinkommens erreicht. Dadurch nicht aus der Welt geschaffte
wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten schafften sich im Ergebnis durch andere Ventile
Luft. Gesamtwirtschaftliche wie auch einzelwirtschaftliche Konsequenzen sind in
einem solchen Falle:
1. Der Preis fällt als Regulator zwischen Angebot und Nachfrage aus.
2. Ein Nachfragestau löst sich nicht durch Preisreaktion – es entsteht „verdeckte
Inflation“.
3. Die Warendecke kann der Nachfrageentwicklung (Geldmenge) nicht folgen.
4. Ergebnis ist ein Trend zum Naturaltausch, wie wir ihn aus der DDR kennen.
Zurück zur Globalisierung. Bei ihr handelt es sich um einen Prozess, der sich – wie
betont – notwendigerweise, „gesetzmäßig“, aus Vertiefung der Arbeitsteilung und
technischem Fortschritt ergibt. Alle drei Komponenten können durch politische Ent-
scheidungen beeinflusst, aufgehalten oder unterbrochen, aber nicht dauerhaft zurück-
gedreht werden.
260 4 Globalisierung von Wirtschaft und Sprache
Literatur
Weitere Literaturempfehlungen
Bundesverband der Übersetzer und Dolmetscher BDÜ (2018). Berufe mit Zukunft: Übersetzen
und Dolmetschen in Zeiten des digitalen Wandels. https://bdue.de/fuer-presse-medien/presse-
informationen/pm-detail/berufe-mit-zukunft-uebersetzen-und-dolmetschen-in-zeiten-des-
digitalen-wandels/#:~:text=Das%20US%2DMarktforschungsunternehmen%20Common%20
Sense,%C3%9Cbersetzungen%20in%20absehbarer%20Zeit%20bzw (zuletzt geöffnet: 01.06.2022).
Dokuwerk (2020). Neue Perspektiven für Übersetzer und Dolmetscher. https://www.dokuwerk.
de/blog/blogdetailseite/neue-perspektiven-fuer-uebersetzer-und-dolmetscher (zuletzt geöffnet:
01.06.2022).
Literatur 263
Eco, U. (2016). Die Sprache ist eine permanente Revolution. In: Philosophie-Magazin 2016
https://www.philomag.de/artikel/umberto-eco-im-gespraech-die-sprache-ist-eine-permanente-
revolution (zuletzt geöffnet: 01.06.2022).
Europäische Union. Politik der Mehrsprachigkeit. European Education Area https://education.
ec.europa.eu/de/politik-der-mehrsprachigkeit (zuletzt geöffnet: 01.06.2022).
Klose, A., Merk, G. (1983). Das Verhältnis von Wirtschaft zu Politik. Berlin: Duncker & Humlot,
S. 11–33 https://www.wiwi.uni-siegen.de/merk/downloads/aufsaetze_oekonomik/wirtschaft_
und_politik.pdf (zuletzt geöffnet: 01.06.2022).
Quartapelle, F., Sudhoff, J., Wolff, D. (2018). Mehrsprachig werden in der globalisierten Welt.
(https://www.goethe.de/resources/files/pdf173/mehrsprachig-werden.pdf (zuletzt geöffnet:
01.06.2022).
Sandrini, P. (2004). Globalisierung und Mehrsprachigkeit. Translation im Wandel. https://www.
researchgate.net/publication/258106406_Globalisierung_und_Mehrsprachigkeit_Translation_
im_Wandel (zuletzt geöffnet: 01.06.2022).
Universität Hamburg (2018). Mehrsprachigkeit im Zeitverlauf. Ausgewählte Daten und Ergebnisse.
https://www.mez.uni-hamburg.de/bilder/pdf/mez-broschuere-12-2018.pdf (zuletzt geöffnet:
07.02.2022).
Stichwortverzeichnis
A Dolmetschen, 237
Abkürzung, 168, 172, 180, 181 Duden, 59, 102, 128
Anglizismen, 38, 39, 41, 43, 45, 47, 48, 102,
173
Arbeitsmarkt, 2, 11, 12, 96, 207 E
Arbeitsteilung, 2, 4, 5, 84, 86, 258 Embargo, 247, 249, 258
Arbeitswelt, 106, 107, 127 Englisch, 45, 139–141, 148, 185, 231, 233,
Außenhandel, 7, 87 234, 242, 246, 260
Erlernbarkeit von Sprache, 164, 169
Export, 8, 87, 88
B
Babel (Turmbau), 226, 227
Beruf, 124, 126, 129, 130 F
Berufsorientierung, 104, 105, 136, 207 Fachkräfte, 13, 191, 194, 209, 215, 218, 244
Berufssprachkurs, 201 Faust, 35, 37, 114
Betriebswirtschaftslehre, 2, 4, 69 Fortschritt
Bibel, 33, 34, 112, 114, 227 technischer, 5
Bildung, 96, 201 Französisch, 139, 185, 231
Bruttoinlandsprodukt (BIP), 8, 154 Fremdsprache, 69, 138, 139, 235, 237
C G
Chinesisch, 139, 234, 260 Gegenwartsliteratur, 118
Computerlinguistik, 103, 187, 189 Geld, 3, 18–20, 70
Corona-Krise, 246 Gender-Debatte, 49
Corona-Pandemie, 10 Gendern, 41, 49, 50, 52, 55, 60, 72, 131,
182–184, 218
Gendersprache, 49, 52, 66, 128, 131, 136, 182,
D 213
Deglobalisierung, 246–248, 258 Gendersternchen, 51, 184
Deutsch, 26, 139, 140, 168–170, 191, 200, 205, generisches Maskulinum, 52, 55, 68, 183
260 Geschäftssprache, 144
Dialekt, 241 Geschichte, 6, 26, 124, 247, 251
digitale Kommunikation, 172 Gesetzmäßigkeit, 249, 250, 253, 259
Digitalisierung, 7, 17, 95, 96, 106, 127
J P
Japanisch, 169, 170 Pandemie, 249
partizipales Substantiv, 56–58, 182
Pidginsprache, 174, 230
K Politik, 149, 215, 249, 254, 255, 257, 258
Keynes, J. M., 251 Portugiesisch, 231
Kiezsprache, 174 Preis, 22, 249, 251, 259
Kommunikation, 90, 99, 106, 175, 235, 237,
239
digitale, 172 R
Kreolsprache, 174, 231, 232 Rat für deutsche Rechtschreibung, 51, 59
Krieg, 149, 151, 246, 248, 249, 260 Russisch, 260
Künstliche Intelligenz, 6, 7, 239
S
L Samuelson, P. A., 88, 256
Lateinisch, 33, 34, 142, 234 Sanktion, 247, 249, 256, 258, 260
Lautverschiebung, 26, 28 Smith, A., 5, 6, 251
Lenin, W. I., 257 Spanisch, 139, 170, 185, 231
Lieferkette, 10, 246, 247 Spezialist, 191, 194, 209, 211, 215
Lingua franca, 231 Sprachästhetik, 68, 176
Linguistik, 24 Sprache, 29, 49, 52, 55, 85, 90, 99, 106, 137,
Literatur, 29, 53, 75, 110, 141 225, 227, 260
Literaturepoche, 111 Erlernbarkeit, 164
Luther, M., 29, 33, 34, 126 formale, 188
Stichwortverzeichnis 267
V
Verkomplizierung der Sprache, 170, 177, 187