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María Angélica Aguirre Sarmiento

In welchem Verhältnis befinden sich die antike und die moderne Auffassung der
Schuld und des Schicksals in Schillers Tragödie „die Braut von Messina“?

Im Jahre 1803 veröffentlichte Schiller ein Werk, das er selbst, als ersten Versuch einer
Tragödie in strenger Form bezeichnet; nämlich „Die Braut von Messina“.
Eine Tragödie in strenger Form hieß für Schiller, die Wiedereinführung des Chors nach
der Vorlage der griechischen Tragödie. Dabei hat er sich manche Freiheiten erlaubt und
ließ manche Merkmale aus, die auch zu den formalen Strukturen der griechischen
Tragödie gehören würden bzw. müssten, z.B. die Aktaufteilung oder eine direkte
(offensichtliche) Rolle der Götter in der Handlung. Jedoch behält Schiller die typischen
adligen Figuren und Helden, deren Handlungen und Situationen Mitleid in dem Publikum
hervorrufen sollen. In seinen Versuch stößt Schiller unvermeidlich auf Motive
(Prinzipien) wie das Schicksal und die Schuld, die die griechische Tragödie auszeichnen.
So stellt sich die Frage, wie sich Schiller mit Motiven (Prinzipien) der Antike in dem
Zeitalter der Aufklärung auseinandergesetzt hat? Wie können Schuld und Schicksal daher
verstanden werden?
Es ist ungewöhnlich, dass in der Zeit der Vernunft und des Verstands, Handlungen und
Figuren dargestellt werden, die keine Macht über ihre Taten haben und so weniger
Verantwortung dafür übernehmen. Denn genau diesen Eindruck hinterlassen die Figuren
wie Donna Isabella (V. 2506-2508)1 und ihre zwei Söhne Don Cesar und Don Manuel
(V. 486-496 und V. 1902)2. Sie erkennen keine Schuld in dem Ausgang der Handlung.
Stattdessen beschuldigen sie irgendeinen Gott oder das Schicksal. Der Chor seinerseits,
der eine etwas objektivere Ansicht des Ganzen bietet (oder bieten sollte), wendet sich
auch an das Schicksal, um die Taten zu rechtfertigen (V. 2378-2379)3.
Die Diskussion, ob das Schicksal in den Händen der Götter oder denen der Menschen
liegt wird von Schiller überraschend und zutreffend dargestellt, in dem er zwei
Möglichkeiten für den Ausgang der Handlung zur Auswahl bereitstellt. Zum einen, wird
der Traum von dem König durch ein Orakel, als Botschaft des Untergangs der Familie

1
Vgl. Friedrich Schiller. Die Braut von Messina oder Die feindlichen Brüder. Ein Trauerspiel mit
Chören, Stuttgart 2015
2
Ebd.
3
Ebd.

1
auf Grund der Geburt einer Tochter angenommen. In der Hoffnung dieser Botschaft
(Schicksal) aufzulösen, beschließt der König seine Tochter später ermorden zu lassen.
Zum anderen hat die Königin auch einen Traum, der durch einen Mönch interpretiert
wurde und die Aussöhnung ihrer Kinder wahrsagte. Die Königin lässt, voller Vertrauen
in der Interpretation des Traumes, ihre Tochter verbergen, um ihr Leben zu retten.
Dadurch, dass es zwei Träume gibt, die zwei verschiedene Ausgänge andeuten, bietet sich
eine Auswahlmöglichkeit, die durch den menschlichen Willen bestimmt werden soll. Der
Mensch hat also die Macht aus eigener Verantwortung Entscheidungen zu treffen. Doch
die Konsequenzen deren Taten folgen ebenfalls externen Faktoren, die der Mensch nicht
beeinflussen kann, so verweist Reinhardt auf Herder (1877-1913) „«so nennen man’s
Schickung, Begegniß, Ereignis, Verknüpfung der Begebenheiten und Umstände;
unentweichlich stehen wir unter der Macht dieses Schicksals»“4 . Wodran auch immer es
liegen soll, wie auch immer wir es nennen mögen, sei es bei der griechischen Auffassung
oder in der Aufklärung, lässt sich feststellen, dass der Mensch zum großen Teil
selbstbestimmend ist, bis er an die Grenzen des natürlichen Verlaufs des Lebens stößt.
Andererseits sollte der Begriff von Schuld ebenso verstanden werden, wie die Griechen
es aufgefasst haben, als der Aufstand der Menschen gegen die Bestimmung der Götter
bzw. des Schicksals.
Diese Definition von Schuld ist für die griechische Tragödie besonders wichtig,
weil in ihr immer wieder die Frage auftaucht, ob nicht die Götter, ein Gott, oder
das Schicksal, was immer dieses sein mag, die Schuld haben und damit
verantwortlich für Tun und Leiden der Mensch sind.5

Demzufolge, sind sowohl die Königin als auch der König daran schuld, gegen die
Vorhersagung etwas unternommen zu haben und nicht wegen der Untreue oder des
Inzests beispielweise. Die Schuld, die ab dem Mittelalter mit der moralischen Kultur in
Zusammenhang steht, kommt in der griechischen Tragödie nicht vor. In der griechischen
Tragödie wird der unschuldige Mensch von dem übermächtigen Schicksal in das Unglück
getrieben6 und die Götter ehren die menschliche Freiheit dadurch, dass sie ihren Helden
gegen die Übermacht des Schicksals kämpfen lassen7 .

4
Hartmut Reinhardt. Das »Schicksal« als Schicksalsfrage.,
http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/schiller/reinhardt_schicksal.pdf.
5
Hans-Joachim Newiger. Drama und Theater. Ausgewählte Schriften zum griechischen Drama, Stuttgart
1996, S. 189.
6
Vgl. Michael Lurje. Die Suche nach der Schuld. Sophokles' Oedipus Rex, Aristoteles' Poetik und das
Tragödienverständnis der Neuzeit, Berlin 2004, S. 229.
7
Vgl. ebd.

2
Schillers Werk stellt dementsprechend ein Menschenbild dar, das keine
Selbstbestimmung übt. Diese These steht gegenüber den Prinzipen der Aufklärung
(Vernunft, Selbstbestimmung, Freiheit, usw.), für welcher Schiller ein Vertreter war.
Reinhardt weist beispielweise auf Schillers Worte hin: „[…], dass der Mensch in sich
selbst Halt und Ausgleich finde, folglich keiner Ideen von «Gottheit» und Unsterblichkeit
mehr bedürfe“8. So ist seine Auffassung zustimmend, wenn er sagt, dass sich die
Prinzipien der antiken und romantischen modernen Tragödie widersprechen9.
Obgleich “die Tragödie die Aufgabe hat, diese moralische Kultur einzuüben, sei es, dass
sie das schwere Werk inhaltlich vorführt, […], sei es, dass sie dem Zuschauer ein
negatives Exempel bietet, das er für sich richtig zuwenden hat.“10 scheint „die Braut von
Messina“ ein negatives Beispiel von moralischer Kultur zu sein. Im Gegenteil dazu,
verweis Lurje, dass die Tragödie, bezüglich ihres moralischen Nutzens und Zweck nicht
betrachtet werden soll, sondern als Ausdruck des Antagonismus der Freiheit respektive
des Schicksals begriffen werden sollte11 .
Hinsichtlich der Auffassung des Schicksals und des Schuld Begriffs lässt sich, bei
Schillers „die Braut von Messina“, eine Doppeldeutigkeit feststellen. Die Handlungen
und das Verhalten der Figuren gestalten eine sehr unnatürliche Konstellation und
hinterlassen, darüber hinaus, den Eindruck ein Patchwork von vielen Sitten, Motiven und
Strukturen zu sein. Es ist daher sehr schwierig dieses Werk entweder als typisch für die
antike Tragödie oder als eine moderne Tragödie zu bezeichnen.

8
Hartmut Reinhardt, Das »Schicksal« als Schicksalsfrage., S. 1.
9
Vgl. ebd., S. 8.
10
Ebd., S. 13.
11
Vgl. Lurje, Die Suche nach der Schuld, S. 227.

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LITERATURVERZEICHNIS

Primär Literatur
Schiller, Friedrich (2015): Die Braut von Messina oder Die feindlichen Brüder. Ein
Trauerspiel mit Chören. [Veränderte Ausgabe]. Hg. v. Matthias Luserke-Jaqui. Stuttgart:
Reclam (Reclams Universal-Bibliothek, Nr. 60)

Sekundär Literatur
Hartmut Reinhardt (2004): Das »Schicksal« als Schicksalsfrage. Schillers Dramatik in
romantischer Sicht: Kritik und Nachfolge. Online verfügbar unter
http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/schiller/reinhardt_schicksal.pdf.

Lurje, Michael (2004): Die Suche nach der Schuld. Sophokles' Oedipus Rex,
Aristoteles' Poetik und das Tragödienverständnis der Neuzeit. Gigantisches Schicksal
und klassizistische Moralphilologie. Berlin: De Gruyter (Beiträge zur Altertumskunde,
209). Online verfügbar unter
http://www.degruyter.com/search?f_0=isbnissn&q_0=9783110944419&searchTitles=tr
ue.

Newiger, Hans-Joachim (1996): Drama und Theater. Ausgewählte Schriften zum


griechischen Drama. Schuld und Verantwortlichkeit in der griechischen Tragödie.
Stuttgart: M und P Verl. für Wiss. und Forschung (Drama Beiheft, 2).

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