w w w.jungefreiheit.de Nr. 6/15 | 30. Jahrgang | 30.

Januar 2015 | EUR 4,10 (D)

W O C H E N Z E I T U N G F Ü R D E B AT T E

Die Gesetze

Wohin Kein Staat kann ohne Regeln funk-

tionieren. Das gilt insbesondere,
wenn es um die Auswahl für hohe
Regierungsämter geht. Wurde
dabei in Thüringen gemauschelt?

steuert POLITIK, Seite 5

die AfD?
Parteitag der Superlative: 3.000 Mitglieder
wollen in Bremen über die Ausrichtung Der Staat
der eurokritischen Partei diskutieren Schon Platon wußte, daß die –
auch demographische – Stabilität
des Gemeinwesens bewahrt wer-
den muß. Was er wohl zu unseren
Seiten 3 und 7 heutigen „Wächtern“ sagen würde?
POLITIK, Seite 6

Brüssel wurstelt weiter

Die Griechen haben einen Rebellen gewählt / An der teuren Euro-Rettung wird das nichts ändern
Die Verteidigung
MARKUS BRANDSTETTER ter. Mit den falschen Zahlen und den richtigen braucht. Aber Tsipras ist auch jemand, der seinen len voran Deutschland, Tsipras in manchen Punk- Wer gegen Sitten und Traditionen
Powerpoint-Präsentationen hat man sich in die Sohn „Ernesto“ – nach Che Guevara – genannt ten entgegenkommen müssen, weil in Wahrheit verstößt, Gott lästert und die Ju-
große Euro-Familie geschwindelt, und wie das hat; der zwanzig Jahre in trotzkistischen und mao- kaum einer in den EU-Nordländern den Austritt gend verdirbt, dem droht drakoni-
so geht: der ärmste Teil der Familie bringt, wenn istischen Jugendorganisationen, Sektierergruppen der Griechen aus dem Euro will – auch wenn alle sche Strafe. Wäre es Sokrates in Riad

G
riechenland hat gewählt, und die Tra-
gödie kann ihren Lauf nehmen. Der
bereits inthronisierte neue Ministerprä-
sident Alexis Tsipras hat einen vollkom-
men negativen Wahlkampf geführt. Nicht einmal
hat er eingestanden, daß die Griechen durch Vet-
ternwirtschaft, Korruption, Steuerhinterziehungen
und eine vollkommen unproduktive Wirtschaft
bereits vor Jahrzehnten die Grundlage verspielt
haben, eine moderne Gesellschaft mit einem Le-
bensstandard zu werden, der dem anderer kleinerer
EU-Länder (Belgien, Holland, Dänemark) gliche.
Da die Griechen aber trotzdem auf die Ein-
kommen, Renten und Pensionen, Autos, Fernse-
her, Handys und Häuser der Holländer und Dä-
nen nicht verzichten wollten, wurde das, was die
Menschen nicht erarbeiteten, geborgt. Und weil
die immer gleichen Köpfe der immer gleichen
Parteien immer weiter regieren wollten und die
Wähler ja bei der Stange gehalten werden mußten,
wurde jeder, egal ob qualifiziert oder nicht, in den
Staatsdienst übernommen. Mit leichten Aufgaben
bedacht, großzügigen Sozialleistungen verwöhnt,
üppig bezahlt und früh pensioniert, war ein Drittel
aller Griechen verbeamtet.
Irgendwann jedoch haben die Excel-Tabellen
der Planer im griechischen Finanzministerium
gezeigt, daß es so nicht mehr lange weitergehen
konnte. Aber dann kam genau im richtigen Mo-
ment die EU – und es ging doch wieder wei-
er es nur richtig macht, den ganzen Clan an den und Splitterparteien hinter sich und vor allem ei- plötzlich kühl das Gegenteil behaupten und so- ähnlich wie in Athen ergangen?
Rand des Abgrundes. nen unbedingten Willen zur Macht hat. Früher gar Angela Merkel sich so etwas vorstellen kann. AUSLAND, Seite 8
Als die reichen Verwandten im Norden vor als andere merkte er, daß das unbestreitbare Leid Im Endeffekt wird die ganze Situation auf eine
drei Jahren vom griechischen Schlendrian genug der Griechen einen mächtigen Ansatzpunkt für Serie fauler Kompromisse hinauslaufen, die darin
hatten, ein bißchen pampig wurden und sagten: einen großen Hebel bietet, mit dem er eine Wahl gipfeln werden, daß die Konditionen der griechi-
jetzt wird gespart, gearbeitet und renoviert, da- gewinnen kann. schen Staatsschulden, die heute schon bei 16 Jah-
für gibt’s weiter Kohle, Kredite und Karenz – da Das hat er getan. Und jetzt? Wäh- ren und 2,4 Prozent liegen, nochmals
haben die Griechen das nicht als harsche, aber rend des Wahlkampfs hatte Tsipras so weit aufgeweicht werden, bis die
gutgemeinte Auflagen empfunden, sondern als nur einen Spruch: Die Troika fliegt
Die EU ist Griechen ihre Kredite fast geschenkt
Zumutung und Beleidigung der großen griechi- raus, die Schulden werden uns weit- längst eine erhalten. Diese Zeche zahlt der deut-
schen Seele gegeißelt. gehend erlassen – der Rest ergibt sich Schuldenge- sche Steuerzahler mit, der die Grie-
Dabei haben die von EZB, EU und Interna- von selbst. Intern hat er angekündigt, chen bereits mit 14 Milliarden Euro
tionalem Währungsfonds (Troika) verlangten den Mindestlohn zu erhöhen, entlas- meinschaft, in unterstützt hat. Aber es ist längst zu
Reformen viel gebracht. Gewiß: Ein Drittel der sene Beamte wieder einzustellen und der die reichen spät, daran noch etwas zu ändern. Das Gastmahl
Griechen ist arbeitslos, viele Menschen haben den Armen Nahrungsmittel, Strom Länder für die Griechenland wird jeden Ansporn,
ihr Vermögen verloren – aber ein bescheidenes und Krankenversicherung zu schen- Wirtschaft und Gesellschaft weiter Alkohol und Erotik schätzten
Wachstum ist zurückgekehrt, die Neuverschul- ken. armen haften. zu reformieren, verlieren, andere schon die alten Griechen, der Islam
dung gesunken, ein ausgeglichener Primärhaus- Keine dieser Versprechungen wird Schuldnerländer wie Portugal, Ita- ist da deutlich reservierter. Gehört
halt wurde erreicht. Darauf hätten die Griechen Tsipras halten können. Erhöht er Staatsausgaben lien und Spanien werden komfortable Lehren er trotzdem zu uns?
stolz sein können, hier war ein Silberstreifen am und Steuern, schmiert ihm die Wirtschaft wie- daraus ziehen. Durchwursteln statt Erneuern wird KULTUR, Seite 13
Horizont zu sehen, hier wäre eine Chance gewe- der ab. Wirft er die Troika raus oder verweigert zukünftig die Parole der EU werden. In Wahrheit KULTUR, Seite 16
sen, nochmal neu zu beginnen. Daraus hätte ein ihre Auflagen, kann er bereits im Februar nicht ist die EU längst zu einer Schuldengemeinschaft
anderes, ökonomisch fitteres Griechenland und mehr die Staatsschulden bezahlen und riskiert, verkommen, in der die reichen Länder für die
ein würdiges EU-Mitglied entstehen können. daß Griechenland die nächste Kredittranche nicht armen unbegrenzt haften.
Aber jetzt ist Alexis Tsipras Ministerpräsident, ausbezahlt bekommt und irgendwann wirklich Der Beschluß der Europäischen Zentralbank,
und damit alles anders. Tsipras ist jung, intelligent aus der Eurozone fliegt. Das will die Mehrheit der für Unsummen Staatsanleihen der Mitgliedslän-
und clever. Er kann reden, denken und verfügt Griechen nicht, und Tsipras will es in Wahrheit der zu kaufen, eine Entscheidung, die paßgenau
über den populären Touch, den ein politischer auch nicht. Er tut nur so. nur Tage vor der Wahl in Griechenland verkün-
Neuling ohne Geld, ohne Beziehungen und ohne Auf der anderen Seite werden die Vertreter der det wurde, hat das lange Vermutete nur endgül-
alte Männer mit dicken Brieftaschen hinter sich EU und die Regierungschefs der Geberländer, al- tig bestätigt.

Bundesparteitag der AfD Meinung .............................................. 2

Im Gespräch ....................................... 3

Aufbruch oder Desaster

Politik ............................................... 4–6
Thema ................................................... 7
Ausland ........................................... 8–9
Wirtschaft .................................. 10–11

E
s ist eine Tagung der Superlative. Am kommenden
Wochenende trifft sich in Bremen die eurokritische
Partei Alternative für Deutschland (AfD) zu einem
Bundesparteitag. Über 3.000 Mitglieder wollen kommen.
Neben einem Saal, in dem zweitausend Leute Platz finden
sollen, muß deshalb in mehreren Hallen gleichzeitig getagt
werden. Eine organisatorische und logistische Kraftprobe
für die junge Partei. Seit zehn Monaten ist es das erste Mal,
daß sich die Parteispitze den eigenen Anhängern vor diesem
Forum stellen muß. Ein Stimmungstest, der in einem Auf-
bruch oder völligen Desaster enden könnte.
Zwischen dem jüngsten Parteitag in Erfurt Ende März
2014 und heute hat die AfD sich stark verändert: Im Mai
zog sie mit sieben Abgeordneten (7,1 Prozent) in das EU-
Parlament ein, im August eroberte sie den Landtag von
Sachsen (9,7 Prozent), im September Thüringen (10,6 Pro-
zent) und Brandenburg (12,2 Prozent). Vom permanenten
Wahlkampfmodus mußte die AfD auf eine Phase der Kon-
solidierung umschalten. Im EU-Parlament und in den drei
Landtagsfraktionen entstanden Strukturen mit Dutzenden
»Die AfD steht in ihrer
Wachstumsphase unter
extremen Spannungen.«
KOLUMNE VON DIETER STEIN
hauptamtlichen Mitarbeitern. Aus einer bürgerlichen Sponti-
Bewegung von rein Ehrenamtlichen soll eine Organisation
mit professionellem Apparat wachsen.
Es ist wenig überraschend, daß die AfD in dieser Wachs-
tumsphase unter extremen Spannungen steht. In den ver-
gangenen Monaten eskalierten deshalb mehrfach Auseinan-
dersetzungen um Führung, Gestalt und Inhalte der Partei.
Die Führungsspitze aus Bernd Lucke, Frauke Petry, Konrad
Adam, Alexander Gauland wurde im April 2013 gewählt, als
die Partei erst 7.000 Mitglieder hatte. Zwei Jahre später sind Hintergrund ..................................... 12
es dreimal soviel. Zwar wird sich der Vorstand in Bremen Pankraz .............................................. 13
nicht einer Wiederwahl stellen müssen, doch es werden die Kultur .......................................... 13–16
Weichen zu einer neuen Struktur gestellt. Die eigentliche
Medien .............................................. 17
Neuwahl steht im April an. Es wird sich jedoch schon jetzt
zeigen, wie geschlossen die AfD noch ist oder ob die Flügel Forum ................................................ 18
stärker auseinanderdriften. Hat das Mitgliederwachstum eher Geschichte & Wissen ............. 19–20
die konservative oder die liberale Fraktion gestärkt? Sorgt die Literatur ............................................ 21
Pegida-Bewegung für einen „Rechtsruck“? Natur & Technik .............................. 22
Die Wahlen in Griechenland haben bestätigt, welche tief-
Leserforum........................................ 23
greifenden politischen Verwerfungen die europäische Wäh-
rungsunion und die „Euro-Rettung“ auslösen. Deutschland Impressum ........................................ 23
wird in den kommenden Wochen unter noch größeren Druck Sein & Zeit ........................................ 24
geraten, den Marsch in eine Transferunion mitzutragen. Die FOTO TITELOPTIK: JF-MONTAGE
AfD hat das Verdienst, als Stimme der marktwirtschaftlich-
staatsrechtlichen Vernunft eine große demokratische Reprä-
sentationslücke in Deutschland geschlossen zu haben. Sie
muß jetzt zeigen, daß sie mit der gleichen Vernunft auch
ihren Ausbau und ihre Etablierung vorantreibt und nicht
wie die Piraten am eigenen Wachstum scheitert.

Österreich EUR 4,50

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2|MEINUNG JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015

Zitate
W O CW HO EC N
H EZNEZI ET I U
T N
U NGG FFÜÜ R
R D
D EE BBAAT TT T
E E

„Die Meinungsfreiheit fragt nicht

danach, ob die Meinungen, die sie
schützt, gut oder böse, klug oder
Von Mitbewohner ermordeter Asylbewerber in Dresden dumm, verantwortungsbewußt
oder verantwortungslos, integrati-
Zu feige onsförderlich oder -schädlich sind.
Die Meinungsfreiheit erteilt keine
Von Michael Paulwitz moralischen, intellektuellen oder po-
litischen Gütesiegel. Sie gewährleistet
lediglich allen Äußerungen, die unter
D er Meutenjournalismus ist nicht tot, trotz Sebnitz, Mügeln und
all der anderen Blamagen. Wenn es gilt, das Propagandakonstrukt
vom „Rassismus“ aus der „Mitte der Gesellschaft“ zu füttern, sind viele
ihren Tatbestand fallen, den staatli-
chen Schutz.“
deutsche Redaktionen so skrupellos wie eh und je. „Meutenfeiglinge“ Josef Isensee, Staatsrechtler, in der
nennt der Aphoristiker Michael Klonovsky die heuchlerischen An- „FAZ“ vom 22. Januar 2015
schwärzer, die aus der sicheren Deckung des Chors der Wohlmeinenden „Es klingelt. Die Mutter öffnet die
heraus Andersdenkende wie Verbrecher hinstellen. Tür, an ihr vorbei drängen Leute
Wenn in Dresden ein Asylbewerber erstochen wird, ist für den ins Haus, die man dort nicht haben
Meutenfeigling klar: Das muß „der erste Pegida-Tote“ sein. Daß Gewalt möchte: Nazis, Pädophile, Mörder.
unter den meist jungen männlichen Bewohnern in vielen Asylunter- Der Fernsehspot warnt vor den
künften zum Alltag gehört, hat in seiner mühsam in Konjunktive Gefahren des Internets für Kinder.
verpackten Unterstellung keinen Platz. Eifrig transportiert man, egal Ebenso könnte er für die wahllose
ob in FAZ, Bild oder in der „Tagesschau“, die Horrorgemälde ein- Flüchtlings-, Asyl- und Einwande-
schlägiger Lobbyisten und geht dabei sogar dem Täter selbst auf den rungspolitik stehen. Deutsche Will-
Leim. Der hat nämlich auch schon gelernt, daß man die Einheimischen kommenskultur. Die deutsche Will-
beschimpfen muß, um selber sauber dazustehen. kommenskultur ist das Grundgesetz.
Von Reue über diesen Reinfall keine Spur. Für eine Entschuldigung Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
gegenüber den zu Unrecht Verunglimpften, die diese selbstreferentielle Griechisches Vorbild: „Sparen ist nicht mehr. Rückt mal das Taschengeld raus!“ Niemand ist verpflichtet zum Hel-
Denunziationsmaschinerie über Zwangsabgaben und „Kampf gegen denplatzjubel, wenn Fremde vor
Rechts“-Subventionen auch noch selbst mitfinanzieren dürfen, ist der der Tür stehen. Was manche Will-
Meutenfeigling nämlich auch zu feige. kommenskultur nennen, ist oftmals
die Aufgabe der eigenen Werte und
damit die Absage an dieses Land.

Kämpfe im Osten der Ukraine

Die wahren Gewinner

Und nun? Offenbaren tut sich dies auch im
‘Deutschland verrecke!’, auf den De-
monstrationen gegen Pegida immer
wieder zu hören. Willkommenskul-
tur als deutscher Selbsthaß.“
Von Ronald Gläser
Pegida: Die Organisatoren werden sich um Entscheidungen nicht drücken können Nicolaus Fest, ehemaliger Vize-Chef-
redakteur der „Bild am Sonntag“, in
seinem Blog am 22. Januar 2015
Z E
iehen wir die Kriegsrhetorik von Russen, Ukrainern und westlichen ines wird niemand mehr behaup- und behaupten: Seht her, dies ist das wahre Natürlich kann sich Pegida totlaufen.
Politikern ab, so bleiben zwei große Gewinner des Konflikts um ten können: Pegida habe nichts Gesicht hinter der harmlosen Fassade ...! Irgendwann haben wahrscheinlich auch „Tatsache ist, daß durch die globale
„Neurußland“: Wladimir Putin und Petro Poroschenko. Der Kremlchef bewirkt. Das Rauschen im Blätter- Denn die Forderungen und Reden auf die demonstrationsmunteren Sachsen, Umverteilung der Macht eine Situa-
kann wunderbar von den Problemen seines Landes ablenken. Rußland wald, das Grollen und Grummeln in den den Pegida-Kundgebungen sind „softer“ wenn der Frühling naht, keine Lust mehr, tion entstanden ist, in der die USA
steht vor enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten – wegen seiner Parteien zeugen davon, daß da ein Phäno- als manches, was bei CDU und CSU in sich zu politischen Spaziergängen aufzuraf- nicht mehr der alleinige Hegemon
veralteten Industrie und seiner Abhängigkeit vom Rohstoffexport, der men wahrgenommen wurde – mögen die den siebziger Jahren noch zum guten Ton fen. Vielleicht gehen die Aufreger-Themen sind. Die USA müssen zur Kennt-
zur Zeit nicht so großartig läuft. Jetzt kann Putin alles auf die Sanktio- Reaktionen auch noch so undifferenziert gehörte. Daß Bachmann und seine Mitor- aus, oder aber die unabwendbare Kon- nis nehmen, daß die Welt heute
nen schieben und antiwestliche Ressentiments schüren, was ihm die oder unangemessen sein. Aufmerksamkeit ganisatoren so viele demonstrierende Bür- kretisierung und Spezialisierung ist nicht viel komplexer ist. Die Ausweitung
Herzen der Russen zutreibt. Und er kommt aus dieser Nummer nicht ist eine Währung. Sie ist Voraussetzung, ger – friedlich – auf die Straße brachten, mehr massentauglich. Denn die Dresdner von Konflikten im gesamten Nahen
mehr heraus, denn: Wenn die Separatisten morgen aufgäben, dann wenn politische Anliegen Gehör finden lag ja gerade auch an der stets betonten Veranstaltungen beeindruckten (Freund Osten wird gegenwärtig eher durch
wäre dies mit einem enormen Gesichtsverlust für Putin verbunden. sollen – Garantie dafür freilich noch nicht. Distanz zu Extremisten und politischen wie Feind) qua Teilnehmerzahl. Ein paar religiösen Fanatismus als durch ame-
Auf der anderen Seite der ukrainische Präsident Poroschenko. Nie- Von einem nahenden Ende der Pegida Radaubrüdern. hundert Demonstranten im Polizeikor- rikanischen Interventionismus beför-
mand wagt es, ihn als den Oligarchen anzuprangern, der er ist. Alles zu sprechen, weil sich am vergangenen Wie sensibel solche Abgrenzungen don, eingekeilt und eingeschüchtert von dert. In dieser brisanten Situation
schaut auf die Kämpfe in der Ostukraine, die aufzugeben unpatriotisch Sonntag in Dresden nicht mehr 25.000, sind, zeigen die zahlreichen übers Land lautstarker „Zivilgesellschaft“ sowie ge- muß den nationalen Interessen von
wäre. Also schart sich alles hinter dem Mann, der nicht weniger korrupt sondern „nur“ knapp 20.000 Demonstran- verteilten Ableger, die sich in ihrer Na- walttätigen Linksextremisten – das gerät Ländern wie der Türkei, Iran, Saudi-
Arabien, Ägypten und Israel größere
ist als Viktor Janukowitsch. Auch für ihn ist der Konflikt Gold wert. ten versammelten, erscheint mit Verlaub mensgebung am prominenten Kürzel der zur Randnotiz.
Aufmerksamkeit gewidmet werden.
„Wer von Politik vernünftige Entscheidungen erwartet, hat nicht etwas voreilig. Bei manchem aus der schrei- Dresdner anlehnen, auf deren inhaltliche Natürlich kann sich Pegida auch ra-
Umgekehrt darf nicht zugelassen
begriffen, daß der Wille zur Macht stärker ist als jede Vernunft“, benden oder sendenden Zunft war da wohl Ausgestaltung sowie personelle Zusam- dikalisieren. Möglich, daß unter den werden, daß eine dieser Interessen
lehrte uns Roland Baader. Das hätte auf diesen Konflikt gemünzt sein der Wunsch Vater des Gedankens. Doch mensetzung diese jedoch keinen Einfluß Organisatoren oder Teilnehmern gerade alleiniges Interesse der USA wird.“
können. Die Leidtragenden sind die vielen Kriegsopfer. Sie sind Kolla- angesichts der jüngsten Entwicklungen die bei nachlassendem öffentlichen Interesse
Zbigniew Brzezinski, ehemaliger
teralschäden eines Schachspiels zweier Politiker mit übergroßem Ego. Frage „Wie soll es nun weitergehen?“ zu diejenigen die Oberhand gewinnen, die Nationaler Sicherheitsberater des US-
stellen, ist indes nicht ehrenrührig, und die VON gerne eine Schippe drauflegen, zurück-
CHRISTIAN VOLLRADT Präsidenten, im „IPG Journal“ 23.
Organisatoren sollten zügig eine Antwort haltenden Ballast abwerfen würden; die Januar 2015
darauf finden. – Stichwort: Systemkritik – jetzt das ganz
Ärzte und Krankenkassen für vorgeburtlichen Bluttest Da ist der Rücktritt von Gründer Lutz »Gerade rechts der große Rad drehen wollen. Das Potential „Für die linksliberale Intelligenzija
Bachmann. Dieser Schritt war notwendig Mitte sind politische derer, die zwar politisch gescheitert, aber ist stets nur einer schuld: der We-
Verlust der Barmherzigkeit und konsequent – aber auch überfällig.
Mit seinen schon länger zurückliegenden
Hygiene und Seriosität
unabdingbar.«
noch immer tatendurstig sind, ist vorhan-
den. Dann werden die Gemäßigten ab-
sten, die westliche Gesellschaft oder
kurz: wir. Wenn die Argumentati-
Von Kristijan Aufiero verbalen Entgleisungen, die nun bekannt geschreckt und bleiben fern, dann ziehen onsmuster nicht so alt wären (und
wurden, hat Bachmann dem Anliegen sei- die Radikaleren die Radikalen an. Solche so langweilig), man wäre fassungslos.

S eit 2012 kann ein einfacher Bluttest („Praena-Test“) Auskunft über

mögliche Behinderungen eines ungeborenen Kindes geben. Nun soll
laut Zeitungsberichten der Test in den Leistungskatalog der gesetzlichen
nes Vereins und der Zehntausenden Mit-
demonstranten zweifelsohne geschadet.
Wer Asylbewerber als „Viehzeug“, „Ge-
haben. So ist auch das Hin und Her zu
erklären, bei dem erst mit Unterlassung
in Richtung Leipzig („Legida“) gedroht,
selbsterfüllenden Prophezeiungen sind
nicht unbekannt.
Und schließlich kann Pegida eine Art
Über den Unwillen, sich der Realität
zu stellen. Über die Borniertheit, mit
der stets aufs neue die gleiche ideolo-
Krankenkassen übernommen werden. Besonders in den USA finden lumpe“ und „Dreckspack“ beschimpft, dann mit einem Grußwort die Einigkeit vorpolitischen Raum bilden; nicht iden- gische Litanei vorgetragen wird. Über
derartige Tests schon heute reißenden Absatz. Die weit überwiegende landet zu Recht im politischen Aus. Es beschworen wurde (siehe Seite 4). In Nie- tisch, aber ähnlich der AfD-Wählerschaft. die Einfalt von Leuten, die meinen,
Zahl der Eltern wählt nach Diagnose einer voraussichtlichen Behinde- ist verwunderlich, warum Bachmann dersachsen beteuerte jüngst eine Demo- Ein Sammelbecken derer, die sich von den besonders differenziert zu denken.
rung die Abtreibung ihres ungeborenen Kindes. die Konsequenzen erst in letzter Minute, Anmelderin in der Presse, man werde die etablierten Parteien nicht mehr vertreten, Doch nirgendwo pflegt man seine
Vorurteile und gefühlten Gewißhei-
Damit eilen wir schnellen Schrittes in Richtung einer Gesellschaft, nach dem Ertapptwerden, gezogen hat. Ordner besonders dazu anhalten, Rechts- nicht verstanden fühlen; eine Art deutsche
ten so ausgiebig wie im linksliberalen
in der es über kurz oder lang so gut wie keine Menschen mit angebo- Bereits seine Ausfälle gegen die Grünen- extreme und Gewaltbereite abzuweisen. „Tea Party“, die mit ihrem agenda setting
Soziotop derjenigen, die vorgeben,
rener Behinderung mehr geben wird. Jedesmal, wenn wir aus Liebe für Politikerin Claudia Roth, von denen er Ihr „Wir wollen die nicht!“ klang fast ein durchaus politisch Einfluß zu nehmen vorurteilfrei und kritisch zu sein.“
schwächere, kranke, gebrechliche oder behinderte Menschen eintreten, sich distanzieren mußte (JF 51/14), hätten bißchen hilflos. vermag. Wählerverachtung werden sich
Alexander Grau, Kultur- und Wis-
auf sie Rücksicht nehmen, sie beschützen und pflegen, macht dies unsere ihm Warnung genug sein sollen: da wird Zu klären sind freilich nicht allein orga- auch die im Bundestag vertretenen Partei-
senschaftsjournalist, bei „Cicero Onli-
Welt zu einem besseren, lebenswerteren und wärmeren Ort. Aus einer noch Schlimmeres ans Licht kommen. nisatorische Fragen, sondern vor allem auch en nicht unendlich lange leisten können; ne“ am 24. Januar 2015
Gesellschaft der Auswählenden wird eine Gesellschaft der Ausgewählten Gerade weil hierzulande alles rechts der inhaltliche. Worum geht es? Was sind die Sigmar Gabriels tastende Fühlungnahme
werden. Mit dem Verlust der Behinderten wird ein ebenso großer Verlust Mitte unter besonders kritischer medialer Kernanliegen, wenn die 19 Pegida-Thesen hat es gezeigt. „Auch bei uns wird im Wahlkampf
an Barmherzigkeit einhergehen. Und viele, die sich heute noch auf der Beobachtung steht, sind politische Hygie- nur noch eine untergeordnete Rolle spielen Die Aufmerksamkeit ist – noch – da. Sie viel dummes Zeug gesagt, nicht nur
sicheren Seite der Auswählenden wähnen, könnten sich schon morgen ne und Seriosität unabdingbar. Bachmanns und nicht mehr auf den Demonstrationen glaubwürdig zu nutzen, erfordert Realitäts- von meiner Partei – auch vom poli-
auf der anderen Seite wiederfinden. Pöbel-Kommentare dienen um so leichter verlesen werden? Wenn viele der zu Studi- sinn und Integrität. Und es bedeutet vor tischen Mitbewerber.“
denen als Bestätigung, die Pegida schon enzwecken befragten Teilnehmer die Furcht allem: Den – wenig freundlich gesonnenen Wolfgang Schäuble, Bundesfinanz-
Kristijan Aufiero ist Vorsitzender der Lebensschutzinitiative 1000plus immer im „braunen Sumpf“ verorteten. vor oder Kritik an einer zunehmenden Isla- – Beobachtern darf kein Anlaß geboten minister (CDU), im „ZDF Heute-
www.1000plus.de Sie können auftrumpfend darauf verweisen misierung gar nicht so sehr antreibt? werden, Skandale zu wittern. Journal“ am 26. Januar 2015

Aufgeschnappt Bild der Woche Lesereinspruch

Fehlende Häuslichkeit Volksparkstimmung Der Geist ist noch drin

MATTHIAS BÄKERMANN hude fürs erste vom Tisch. Anfang Zu: „Bürgerrechte auf der Kippe“ von ländischen und religiösen Gruppen ha-
2014 laut werdende Pläne des zu- Michael Paulwitz (JF 5/15) ben ihre Räte und Zentralräte, die über
ständigen Bezirksamtes Eimsbüttel
verzögerten einige Anwohner des D em Fazit Ihres Leitartikels kann ich
nicht zustimmen: „Der Geist des
die Richtungen der Politik bestimmen.
Die Meinungen der deutschen Bevöl-

D as Urteil der Richter am Ham-

burger Verwaltungsgericht
dürfte die Anwohner zufrieden-
stellen: Ihr „besonders geschütztes
Villenviertels umgehend und ganz
diskret auf dem Klageweg, zuletzt
durch den vor einer Woche statt-
Aufbegehrens ist aus der Flasche. Schnell
bekommt man ihn dahin nicht zurück.“
Das ist schlicht falsch. Dazu müßte das
kerung haben sich dem unterzuordnen,
weil sie sonst – siehe Pegida – das Allge-
meinwesen „in Angst und Schrecken“
gegebenen Eilantrag. deutsche Volk einig und untereinander versetzen. Da wäre es doch gleich das
FOTO: FLICKR / STADIONPANORAMA / CLAAS KLAR

Wohngebiet“ könne sich auf einen
„Gebietserhaltungsanspruch beru-
fen“. Bei der „Unterbringung von
Wohnungslosen und Flüchtlingen
handele es sich zudem nicht um
Wohnnutzung im engeren Sinne“,
weil es „an der auf Dauer ange-
legten Häuslichkeit“ fehle. Damit
ist der Umbau des leerstehen-
den Kreiswehrersatzamtes in ein
Heim für 220 Asylbewerber an der
schnieken Sophienterrasse im fei-
nen Hamburger Stadtteil Harveste-
Vor allem die Kritik der Grünen solidarisch sein. Da es dies aber nicht ist, beste, den Staat neu zu definieren – als
fiel überraschend verhalten aus. hat der Geist nur mal kurz aus der Flasche Bunte Räterepublik Demutsland.
Mit „bitter für die gesamte Stadt“ geguckt. Mit dem Trick der „Anschlags- HANS SCHREIBER, ZWICKAU
und „schlechtes Signal“ zitierte die gefahr“ wurde zunächst die Kontinuität
Hamburg-Ausgabe der Welt am 23. unterbrochen. Mit Gegenkonzerten be-
Januar deren Spitzenkandidaten kannter Künstler und Palaver-Veranstal-
für die Bürgerschaft, Katharina tungen versucht die Politik, dem Bürger-
Fegebank und Jens Kerstan. Viel- protest die Spitze zu nehmen. Ihre Leserbriefe senden Sie an:
JUNGE FREIHEIT Leserforum
leicht wollen sie in Harvestehude Die Systematik ist klar: Da Deutsch- Hohenzollerndamm 27 a,
auch nicht zuviel Staub aufwirbeln. land nach dem Prinzip der alten Römer 10713 Berlin
Immerhin gab es im zuständigen
Zurück in die Zukunft: Wer kann sich all die wechselnden „Teile und herrsche“ regiert wird, ist es leserbriefe@jungefreiheit.de
Wahlbezirk zuletzt zwischen 20 Sponsor-Arena-Namen merken? In Hamburg hat ein Geldge- hier sehr leicht, einen gegen den anderen Fax 030 / 86 49 53 - 14
und 36 Prozent Grünen-Wähler. ber nun bezahlt – um zu verzichten. Bald klingt’s wie früher. aufzuhetzen und auszuspielen. Alle aus-
JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015
FOTO: FLICR/BLU-NEWS.ORG
AfD-Politiker Gauland: „Scheitert das Projekt, wird es auf Jahre, vielleicht Jahrzehnte, keinen erfolgversprechenden Versuch mehr geben, eine bürgerliche Partei rechts der CDU zu schaffen“
Herr Dr. Gauland, erklären Sie uns bitte
den Kompromiß im AfD-Führungsstreit.
Gauland: Statt bisher drei gleichberech-
tigte Vorsitzende – Bernd Lucke, Frauke
Petry und Konrad Adam – wird die AfD
ab April eine Doppelspitze und ab No-
vember nur einen Vorsitzenden haben.
Wozu die Interimsregelung einer Doppel-
spitze?
Gauland: Die AfD hat immer noch kein
Programm, das werden wir erst im No-
vember beschließen. Ein alleiniger Vor-
sitzender könnte bis dahin in Sachfragen
einfach irgendeine Position verkünden,
die dann die der Partei wäre. Dagegen
soll diese Konstruktion absichern. Im
Grunde ist dies der Kompromiß.
Warum nicht einfach die jetzige Dreier-
konstellation bis November beibehalten?
Gauland: Das hätte man auch machen
können. Aber die Zweierspitze ist Teil des
Kompromisses, und sie bildet deutlicher
die beiden Flügel in der Partei ab.
Im Klartext: Das Duo sollen Lucke als Ver-
treter der Mitte und Frauke Petry als Ver-
treterin des konservativen Flügels bilden?
Gauland: Ich halte nichts davon, vor
einer Wahl zu verkünden, wer ein Amt
bekommt. Warten wir die Wahl auf dem
übernächsten Parteitag im April ab.
Werden Sie – ebenfalls Repräsentant der
Konservativen – kandidieren?
Gauland: Nicht wenn Frau Petry kan-
didiert, deren Wahl ich begrüßen würde.
Bernd Lucke fordert seit geraumer Zeit den
alleinigen Vorsitz der Partei. Petry, Adam
und Sie wollten statt dessen die alte Füh-
rungskonstruktion beibehalten.
Gauland: Ja, der Kompromiß versucht
etwas zu finden, was zwischen diesen
zwei nicht zu vereinbarenden Positio-
nen liegt und uns dennoch voranbringt.
„Wir haben die
größere Kröte geschluckt“
Hat sich nicht vielmehr Lucke durchgesetzt?
Gauland: Nein, das kann man nicht
sagen.
Lucke wird – so der Parteitag im November
ihn wählt – in nur neun Monaten doch
alleiniger Vorsitzender.
Gauland: Harold Wilson sagte einmal,
schon drei Tage sind in der Politik eine
lange Zeit. Bernd Lucke wollte den Vor-
sitz sofort und ohne Kompromiß – doch
den hat er nun geschlossen.
Bemänteln Sie nicht, daß Adam, Petry und
Sie eine Niederlage erlitten haben?
Gauland: Wären Sie bei den Verhand-
lungen dabeigewesen, wüßten Sie, daß es
auch für Lucke ein weiter Weg war. Aber
Sie haben vielleicht insofern recht, als
wir die größere Kröte geschluckt haben.
Warum haben Sie nachgegeben?
Gauland: Weil der Führungsstreit be-
endet werden mußte. Er hat der Partei
geschadet. Wenn wir das Projekt AfD
vor die Wand fahren, wird voraussicht-
lich auf Jahre – vielleicht sogar Jahrzehn-
Dr. Alexander Gauland
ist Mitgründer und Vize-Vorsitzender der Alternative
für Deutschland sowie Landes- und Fraktionschef der
Partei in Brandenburg. Der ehemalige Staatssekretär im
Bundesumweltministerium und Leiter der hessischen
te – kein erfolgversprechender Versuch
mehr möglich sein, eine bürgerliche Par-
tei rechts der CDU zu schaffen.
Wird das neue Konzept auf dem Parteitag
am Wochenende in Bremen akzeptiert oder
erwarten Sie Probleme?
Gauland: Ich hoffe nicht, wage aber
keine Voraussagen zu treffen.
Hat durch den Streit das Verhältnis zwi-
schen Ihnen, Adam, Petry einerseits und
Lucke andererseits Schaden genommen?
Gauland: Natürlich hinterläßt so et-
was immer Spuren. Wirklich unerfreu-
lich war vor allem das Verhalten Hans-
Olaf Henkels gegenüber Konrad Adam.
Herrn Henkels wüste E-Mail an ihn wur-
de ja vom Spiegel veröffentlicht. Hans-
Olaf Henkel hat sich dann entschuldigt,
also betrachte ich das Verhältnis als re-
pariert. Allerdings komme ich eben aus
der Sitzung des Landtages. Dort hat Herr
Ness von der SPD mir mit Zitaten von
Henkel zugesetzt. Es ist nicht schön,
wenn man anhand von Äußerungen des
eigenen Parteifreundes vom politischen
Gegner vorgeführt wird. Aber ich sehe
dennoch die Grundlage, im Bundesvor-
stand zusammenzuarbeiten.
Wie hat sich Lucke eigentlich „durchge-
setzt“? Indem er mit Rücktritt gedroht hat?
Gauland: Nun, wir sehen ja, daß die
Partei hin und her gerissen ist zwischen
„Ohne Lucke geht es nicht“ und „In der
Sache hat er eigentlich nicht recht“.
Und dieser Meinung sind Sie nach wie vor?
Gauland: Ja, ich meine, er hat nicht
recht, und ich bin mit dem Kompromiß
nicht glücklich. Aber ich stehe dennoch
zu dieser Lösung. Denn es geht um die
Zukunft der Partei. Da sollte man der
Sache zuliebe sein Ego zurückstellen,
übrigens auf allen Seiten.
Aber ist Luckes Anspruch nicht berechtigt?
Andere Parteien haben auch nur einen Vor-
sitzenden.
Gauland: Stimmt, und was dabei her-
auskommt, sehen Sie etwa in der CDU.
Dort gibt es Frau Merkel, aber keine po-
litischen Inhalte mehr.
Das befürchten Sie nun auch für die AfD?
Gauland: Nein, das will ich Bernd Luk-
ke nicht unterstellen. Mein Problem ist
ein anderes: Wir – ich meine, die Lan-
desverbände Thüringen, Sachsen und
Brandenburg – haben in den Landtags-
wahlkämpfen des letzten Jahres das The-
menspektrum der AfD erheblich ver-
breitert, nämlich um Inhalte, mit denen
die Bürger auf uns zugekommen sind:
Zuwanderung, Asyl, Multikulti, offene
Grenzen, Politische Korrektheit, inne-
re Sicherheit, Rußlandpolitik, Freihan-
delsabkommen, etc. Und nun frage ich
mich: Warum müssen wir die Spitze eben
in jenem Moment verengen, da wir un-
sere thematische Basis verbreitern? Die
bisherige Dreierlösung ist doch viel bes-
ser geeignet, diese Vielfalt abzubilden.
Wie argumentierte Lucke dagegen?
Gauland: Der ständige Abstimmungs-
bedarf mit den beiden anderen Spre-
chern sei zu kompliziert.
Staatskanzlei (1986 bis 1991) war zuvor fast fünfzig Jahre
CDU-Mitglied. Von 1991 bis 2006 war er Herausgeber der
Märkischen Allgemeinen Zeitung in Potsdam und bis 2012
Kolumnist des Berliner Tagesspiegel. Er veröffentlichte
zudem zahlreiche Bücher, darunter: „Das Haus Windsor“
(2000), „Anleitung zum Konservativsein“ (2002), „Die Deut-
„Es geht um die
Zukunft der Partei“
Rechtzeitig zum Parteitag am Wochenende hat die AfD den Streit
um ihre Führung scheinbar beigelegt. Alexander Gauland, Partei-
Vize und einer der Protagonisten in der Auseinandersetzung,
warnt allerdings, der Konflikt habe viel tiefere Ursachen
Wer das politische Geschäft kennt, weiß:
da ist etwas dran.
Gauland: Bitte? Ich möchte das nicht
kommentieren.
„Kein Streit von Personen,
sondern zwischen Flügeln“
Ist der Konflikt der letzten Monate nicht
der beste Beweis dafür, daß man nur einen
Vorsitzenden braucht. Denn hat man drei,
gibt es offenbar Streit.
Gauland: Nein. Denn den Streit hat es
eigentlich nicht zwischen den drei Per-
sonen – Lucke, Adam, Petry – gegeben,
sondern zwischen den Flügeln, für die sie
stehen. Dieses Problem verschwindet mit
der neuen Führungskonstruktion nicht.
Das heißt?
Gauland: Zu diesem Kompromiß ge-
hört nicht nur das Interimsduo bis zum
Programmparteitag im November, son-
dern auch die Pflicht, danach als allei-
niger Vorsitzender alle Strömungen der
Partei gleichberechtigt zu repräsentieren.
Sie sprechen vom derzeitigen Hauptpro-
blem, dem unterschwelligen Konflikt zwi-
schen der liberalen Minderheit und der
konservativen Mehrheit in der Partei.
Gauland: Ja, wobei ich nicht Minder-
heit und Mehrheit sagen würde, da ich
nicht zu sagen vermag, ob das eine tat-
sächlich die Minderheit, das andere tat-
sächlich die Mehrheit ist.
Lucke warnt, der liberale Flügel schrumpfe.
Gauland: Ich beobachte das nicht.
Der Augenschein gibt ihm recht, immer
wieder treten Liberale aus. Jüngst etwa
die stellvertretende Landesvorsitzende von
Rheinland-Pfalz, Beatrix Klingel.
Gauland: Erstens gibt es ebenso Kon-
servative, die die Partei verlassen. Zwei-
tens treten in einer jungen Partei wie der
unsrigen auch etliche Leute aus, weil sie
einfach nicht zum Zuge kommen, etwa
bei der Postenvergabe, und verbrämen
das dann politisch.
Frau Klingel war ja nun schon Vize-Lan-
desvorsitzende, glauben Sie ernsthaft, ihr
ging es um unerfüllte Ambitionen?
Gauland: Ich kenne Frau Klingel nicht
und kann es daher nicht beurteilen.
Die Partei hat drei Sprecher: zwei Konser-
vative – Petry und Adam – und einen Ver-
treter der Mitte – Lucke. Sie hat außerdem
drei Landtagsfraktionen. Alle drei werden
von Konservativen geführt: Petry, Björn
Höcke und Sie. Liberale? Fehlanzeige!
Gauland: So können Sie nicht rech-
nen, denn neben den drei Sprechern gibt
es auch noch einen Bundesvorstand, in
dem sich etliche Liberale finden. Und
in der AfD-Europafraktion sitzen kaum
Konservative. Und auch in den Ländern
sind längst nicht alle konservativ. Ich bin
mir sicher, daß mir da etwa Landesvorsit-
zende wie Markus Pretzell in Nordrhein-
Westfalen, Andre Wächter in Bayern,
Bernd Kölmel in Baden-Württemberg
oder Ulrike Trebesius in Schleswig-Hol-
stein recht geben würden. Zieht die AfD
auch in diesen Ländern in die Landtage
ein, sieht die Lage anders aus.
Verrät die AfD mit dem neuen Strategiepa-
pier „Der Weg zum Parteiprogramm“ ihr
liberales Erbe, wie Kritiker sagen?
Gauland: Das ist Unsinn. Die AfD
hat als eurokritische Partei begonnen,
und das ist sie immer noch. Aber es gibt
auch noch andere Themen, um die wir
uns kümmern müssen. Zuletzt war die
Eurokrise im öffentlichen Bewußtsein
zurückgetreten. Das können wir nicht
ignorieren. Wir müssen auch zu aktuel-
len Fragen Stellung nehmen, das erwar-
ten die Bürger, wie Rußland, Einwande-
rung, Islamismus, Pegida. Und es ist kein
Wunder, daß da die Konservativen in
der Partei stärker wahrgenommen wer-
den. Es werden aber auch wieder Zeiten
kommen, da steht die Eurokrise auf der
Tagesordnung. Dann werden statt der
Konservativen die Wirtschaftsliberalen
stärker in Erscheinung treten.
Sie sehen also kein Übergewicht des konser-
vativen Flügels. Aber ist der Streit nun mit
der Führungslösung vom Tisch oder nicht?
Gauland: Das werden wir sehen.
Das klingt nicht wirklich zuversichtlich.
Gauland: Das kommt auf die Klugheit
Bernd Luckes an.
Sie meinen, falls Lucke seine Position als
alleiniger Vorsitzender dazu nutzt, die the-
matische Breite der AfD wieder zu ver-
schlanken, sprich vor allem wirtschafts-
liberale Themen in den Vordergrund zu
stellen, wird der Streit erneut aufbrechen.
Nur wenn er lernt, künftig auch die The-
men zu repräsentieren, für die bisher die
anderen Sprecher gestanden haben, wird
das Konzept funktionieren.
Gauland: So sehe ich das.
Wird Lucke dem gerecht werden?
Gauland: Sie dürfen mir nicht zu
schwierige Fragen stellen.
Konkret?
Gauland: Geben wir ihm eine Chance,
vielleicht klappt es.
Klingt nach Pfeifen im Wald.
Gauland: Es kann gutgehen, es kann
schiefgehen, keiner kann das vorhersagen.
Sie sagten eben, es komme auf die Klugheit
Luckes an. Kommt es nicht auch auf die
Klugheit Alexander Gaulands an? Immer-
hin haben Sie Lucke mehrfach brüskiert.
Gauland: Nein, ich habe ihn nur ein-
mal öffentlich einen „Kontrollfreak“ ge-
nannt. Das ist zwar zutreffend, aber ich
hätte das nicht öffentlich sagen sollen.
Ich habe mich entschuldigt, und er hat
die Entschuldigung angenommen.
Sie haben zudem, ob seines Abstimmungs-
verhaltens als Europaabgeordneter, mit
Parteiaustritt gedroht.
Gauland: Nein, ich habe im Sommer
2014 gesagt, daß ich mir einen Moment
lang überlegt habe, die Spitzenkandida-
tur in Brandenburg niederzulegen, weil
mehrere AfD-Abgeordneten in Brüssel,
darunter auch Lucke, entgegen dem
Beschluß des Parteitages von Erfurt der
Rußland-Resolution des EU-Parlaments
schen und ihre Geschichte“
(2009), „Fürst Eulenburg. Ein
preußischer Edelmann. Die konservative Alternative zur
imperialen Weltpolitik Wilhelms II.“ (2010). Geboren wurde
der Jurist 1941 als Sohn eines durch die Nationalsoziali-
sten frühpensionierten Polizeiobersts in Chemnitz.
IM GESPRÄCH|3
zugestimmt haben. Das war aber keine
Brüskierung Luckes. Nein, ich habe im-
mer betont, daß die Partei ihn braucht!
Und Sie meinen nicht, daß Sie ihn in Sa-
chen Pegida, wo er als Vorsitzender sehr
viel verhaltener war, mit Ihrem Vorpre-
schen – die Bewegung sei der „natürliche
Verbündete“ der AfD – brüskiert haben?
Gauland: Nein, wenn Bürger inhaltlich
so viel mit uns gemein haben, dann sind
wir doch „natürliche Verbündete“.
Ist es nicht leichtfertig, sich an eine Bewe-
gung zu binden, deren Herkunft Sie nicht
durchschauen, deren Entwicklung Sie nicht
kontrollieren können.
Gauland: Dann will ich gleich klarstel-
len: Wenn ich von Pegida spreche, mei-
ne ich allein Pegida Dresden. Außerdem
haben sich meine Äußerungen nie auf
den Gründer, Herrn Bachmann, bezo-
gen, mit dem ich nicht einmal Kontakt
hatte, sondern auf die 19 Punkte – das
Manifest der Pegida – und die Bürger,
die die Bewegung tragen. Es kann nicht
sein, daß wir mit Bürgern, die ihre Sor-
gen artikulieren, nicht mal reden. Wenn
ich etwa höre, daß sich die Leiterin der
brandenburgischen Landeszentrale für
politische Bildung schämt, weil ihr Kol-
lege in Sachsen mit Pegida spricht, dann
sage ich nur: Die Frau soll sich für sich
selbst schämen!
„Nicht der parlamentarische
Arm der Pegida-Bewegung“
Frauke Petry hat mit Pegida gesprochen,
ohne sie gleich zu adoptieren.
Gauland: Ich habe mir auch erst mal
eine Pegida-Demonstration persönlich
angeschaut, bevor ich das dann – übri-
gens auf eine Frage hin – gesagt habe.
Und natürlich sind wir nicht etwa der
parlamentarische Arm der Pegida.
Haben Sie aber nicht durch Ihren medi-
enwirksamen Besuch dort leichtfertig eben
diesen Eindruck erweckt?
Gauland: Nein, wir waren lediglich als
Beobachter dort, um uns einen Eindruck
zu verschaffen. Und siehe da, es waren
keine „Nazis in Nadelstreifen“ und „Ras-
sisten“ und auch nicht lauter „Islamfein-
de“ zu entdecken oder welcher Quatsch
sonst zuvor über Pegida verbreitet wor-
den ist. Sondern vor allem Bürger, die
sich wünschen, daß man ihnen endlich
zuhört, daß man nicht mehr über ihre
Köpfe hinweg entscheidet, ganz egal ob
es um die Zuwanderung und den Islam
oder den Euro und die Politische Kor-
rektheit geht. Inzwischen haben ja so-
gar Innenminister de Maizière und Jens
Spahn von der CDU erklärt, mit den
Pegida-Bürgern reden zu wollen. Das ist
natürlich typisch CDU, immer erst weg-
ducken und dann auftauchen, wenn es
opportun erscheint.
Und wie soll es weitergehen zwischen der
AfD und Pegida?
Gauland: Warten wir erstmal ab, wie
sich Pegida entwickelt. Das kann jetzt
noch niemand voraussagen.
MORITZ SCHWARZ / MARCUS SCHMIDT
Bernhard Falk. Der ehemalige
Linksterrorist ist heute Expo-
nent der salafistischen Szene
Der
Revolutionär
FABIAN SCHMIDT-AHMAD
E s gibt Menschen, die kon-
vertieren zum Islam, und
es gibt Menschen, die werden
zu Terroristen – nicht selten in
dieser Reihenfolge. Bernhard Falk
jedoch ist den umgekehrten Weg
gegangen: Zuerst ein Linker, der
im Namen eines „antiimperia-
listischen Kampfes“ Anschläge
verübte und dafür zu dreizehn
Jahren Gefängnis verurteilt
wurde, legte Falk dort das isla-
mische Glaubensbekenntnis ab.
Heute ist „Muntasir bi-llah“ ei-
ner der bekanntesten deutschen
Salafisten und gilt als eine Art
deutsches Büro von al-Qaida.
Geboren 1967 in Hamburg,
katholischer Meßdiener, begab-
ter Physikstudent, ist Falks Bio-
graphie schließlich die eines ge-
wöhnlichen Linksextremisten.
Immer weiter driftet er in die
linke Szene ab. Das Ende der
DDR und die Auflösung der RAF
stürzen ihn in eine Sinnkrise. Mit
dem ehemaligen Schulkameraden
Michael Steinau gründet er die
„Antiimperialistischen Zellen“
(AIZ), die bis zu ihrer Zerschla-
gung 1996 deutschlandweit neun
Brand- und Sprengstoffanschläge
verübt haben.
Bereits damals kündigte sich
sein Weg in den Islam an: „Wir
haben diesen als revolutionä-
re Waffe in voller Schärfe und
Schönheit kennenlernen dür-
fen“, heißt es im letzten AIZ-
Bekennerschreiben von 1996
bewundernd über die Iranische
Revolution. Daß unter Ajatollah
Khomeini Sozialisten härter ver-
folgt wurden als je zuvor, und daß
in der Gegenwart der schiitische
Iran erbitterter Feind der sunni-
tischen Terrororganisationen Is-
lamischer Staat sowie al-Qaidas
ist – für solche Feinheiten ist in
Falks Weltbild kein Platz.
Inzwischen arbeitet Falk am
Aufbau eines Gefangenenhilfs-
werk für inhaftierte Moslems.
Unschwer sind Erfahrungen mit
der linksextremen „Roten Hilfe“
zu erkennen, die „politische Ge-
fangene der BRD“ unterstützt.
Das Publikum hat gewechselt, die
Rhetorik ist gleich: „Wer gehört
eigentlich auf die Anklagebank?
Die Unterdrücker oder etwa die-
jenigen, die Widerstand leisten?“,
heißt es bei Falk. „Die Kuffar, die
den Islam verspotten, oder etwa
die Muslime, die den Islam ver-
teidigen?“ Der Islam habe „eine
revolutionäre Natur, die die Men-
schen massenweise dazu bringt,
sich gegen die Tyrannei zu erhe-
ben und zur Verwirklichung einer
sozialen Gerechtigkeit zu gelan-
gen“, sagte er 1997 der taz. Die
Ideologie ist austauschbar, RAF
oder al-Qaida – was bleibt, ist die
Erotik des Terrors.
Davon profitiert auch Falk.
Nach der Haft auf den ersten
Blick nichts weiter als ein kor-
pulenter, bärtiger Sozialhilfeemp-
fänger, genießt er nicht zuletzt
aufgrund seiner Vergangenheit
beachtliches Ansehen in der
salafistischen Szene. Neben sei-
nen Auftritten als Beobachter in
Terrorprozessen pendelt er zwi-
schen seinen beiden Hauptfrau-
en in Ludwigshafen und Dort-
mund, mit denen er drei Kinder
hat: Shahida, Muhammad Usama
und Ayman Falk. Die Ankunft
eines linken Utopisten im Islam.
So darf man sich wohl die Islami-
sierung Deutschlands vorstellen.
4|POLITIK
Gegendemonstranten
wählen Grüne
GÖTTINGEN. Demonstranten,
die sich an Gegenkundgebungen
zu Pegida beteiligen, sind meist
alleinstehend und Grünen-Wäh-
ler. Das geht aus einer nicht re-
präsentativen Studie des Göttin-
ger Politikwissenschaftlers Franz
Walter hervor. Für die Studie
wurden 5.000 Demonstranten
in Braunschweig und Duisburg
sowie in Leipzig befragt. Davon
beantworteten 628 die Fragen.
„Trotz methodischer Einschrän-
kungen erhält man einen präzise-
ren Einblick in Zusammensetzung
und Einstellungsmuster eines be-
trächtlichen Teils“ der Gegende-
monstranten, zeigte sich Walter
überzeugt. „58 Prozent der von
uns befragten Gegner von Pegida
haben keinen Nachwuchs (bei ih-
ren Kontrahenten sind es lediglich
29 Prozent).“ Die überwiegende
Mehrheit der Gegendemonstran-
ten habe bei der Bundestagswahl
Grüne (41,6 Prozent), SPD (28,2
Prozent) oder Linkspartei (16,8
Prozent) gewählt. Bei der Union
hätten 5,8 Prozent ihr Kreuz ge-
macht. Auf die Frage, welche The-
men im politischen System eine
größere Bedeutung haben sollten,
sprachen sich 68,8 Prozent für „So-
lidarität“ vor „Gleichstellung“ und
„Umverteilung“ aus. (ho)
Strobl kritisiert
Abschiebeverbot
BERLIN. Der stellvertretende
CDU-Bundesvorsitzende Tho-
mas Strobl hat mehreren Bun-
desländern vorgeworfen, abge-
lehnte Asylbewerber nicht abzu-
schieben. „Wenn manche Länder
kaum noch abschieben, grenzt das
an eine Kapitulation des Rechts-
staates“, sagte er der Rheinischen
Post. Angesichts des Zulaufs für
die Pegida-Demonstrationen sei es
die Pflicht der Politik, die Debatte
über Einwanderung und Asylbe-
werber zu befriedigen. „Bestimmte
Probleme müssen wir als Politi-
ker lösen.“ Hintergrund der Kritik
sind die von mehreren Bundes-
ländern verhängten sogenannten
„Winterabschiebeverbote“. (ho)
De Maizière lehnt
Einwanderungsgesetz ab
BERLIN. Innenminister Thomas
de Maizière (CDU hat die Forde-
rung nach einem Einwanderungs-
gesetz für Deutschland zurückge-
wiesen. Bei der Vorstellung des
Migrationsberichtes für 2013 in
Berlin verwies der Minister statt-
dessen auf Paragraph 1 des Auf-
enthaltsrechts. „Dieser enthält ex-
akt das, was jetzt gefordert wird“,
sagte de Maizière. Das Gesetz er-
mögliche schon heute eine Aus-
richtung der Zuwanderung „unter
Berücksichtigung der Aufnahme-
und Integrationsfähigkeit sowie
der wirtschaftlichen und arbeits-
marktpolitischen Interessen der
Bundesrepublik Deutschland“, zi-
tierte der Minister mit Verweis auf
den entsprechenden Paragraphen
1. Dem Migrationsbericht zufolge
wanderten 2013 so viele Personen
nach Deutschland ein wie seit über
zwanzig Jahren nicht mehr. Dem-
nach zogen in dem Zeitraum offi-
ziell 1,23 Millionen Ausländer in
die Bundesrepublik. 2012 waren es
1,08 Millionen Personen. (ms/FA)
Parteien, Verbände, Personen
AfD Mittelstandsforum
Am vergangenen Wochenen-
de wurde in Kassel das Mittel-
standsforum der AfD gegründet.
„Im Gegensatz zur CDU-Mit-
telstandsvereinigung wird unser
Forum sehr ernst genommen und
nicht zu einem Papiertiger ver-
kommen“, sagte AfD-Sprecherin
Frauke Petry. Zum Vorsitzenden
gewählt wurde der nordrhein-
westfälische Unternehmer Ulrich
Wlecke. Zu seinen Stellvertre-
tern wurden Hansjörg Müller
und Hans Hermann Schreier
bestimmt. In der Präambel der
Vereinssatzung heißt es über die
Ziele: „Wir bekennen uns dabei
zur freiheitlich-demokratischen
Grundordnung und zur Sozialen
Marktwirtschaft.“
Bitkom
Deutschland muß angesichts des
seit Jahren unverändert hohen
Fachkräftemangels noch attrak-
tiver für Hochqualifizierte aus
dem Ausland werden, fordert der
Digitalverband Bitkom anläßlich
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA
Pegida-Demonstranten vor der Semperoper: Grußworte von Legida-Organisator Silvio Rösler
Ein Montag am Sonntag
Dresden I: Trotz Turbulenzen nehmen wieder Tausende an Pegida-Demonstration teil
FELIX KRAUTKRÄMER
D
ie Erleichterung bei vielen
Medien war nicht zu überle-
sen. „Zahl der Pegida-Demon-
stranten sinkt“, titelte die Welt. „Pegida
schrumpft“, schrieb Spiegel Online und
die Nachrichtenagentur dpa meldete:
„Erstmals weniger Teilnehmer bei Pe-
gida-Demonstration“.
Doch der mediale Abgesang dürfte
verfrüht sein. Denn auch bei seiner 13.
Veranstaltung hatte das islamkritische
Bündnis am vergangenen Sonntag Tau-
sende Demonstranten auf die Straße ge-
bracht, 17.300 laut Polizei. Pegida sprach
von über 20.000 Teilnehmern. Und das
trotz einer turbulenten Woche, die hin-
ter der Dresdner Bewegung lag. Zum
einen hatte Pegida seine montägliche De-
monstration kurzfristig auf den Sonntag
vorverlegt. Grund war die Anti-Pegida-
Veranstaltung vor der Frauenkirche, bei
der am Montag unter anderem Herbert
Grönemeyer auftrat. „Stürmische Zeiten
verlangen flexible Reaktionen“, hieß es
daher am Freitag in einer Mitteilung von
Pegida. „Damit unsere Spaziergänger mit
ihren Familien sich dieses kostenlose kul-
turelle Großerlebnis nicht entgehen las-
sen müssen, haben wir uns entschlossen,
unsere Veranstaltung auf den Sonntag
zu verlegen.“ Somit blieben Pegida nur
zwei Tage, um für die eigene Veranstal-
tung auf dem Theaterplatz in Dresden
zu mobilisieren und die Ungewißheit, ob
die Anhänger dem Aufruf auch an einem
Sonntagnachmittag folgen würden.
Weitaus schwerwiegender als die Ter-
minänderung war jedoch der Rücktritt
des Pegida-Initiators Lutz Bachmann.
Der Kopf der Bewegung war wegen sei-
ner kriminellen Vergangenheit bereits
mehrfach in die Kritik geraten, was ihm
in dem Bündnis aber nicht geschadet
hatte. Doch als nun frühere Einträge
auf Facebook bekannt wurden, in de-
nen Bachmann Ausländer unter ande-
rem als „Viehzeug“ und „Dreckspack“
der Veröffentlichung des Migrati- Deutscher
onsberichts der Bundesregierung. Reservistenverband
Laut dem Branchenverband der Dem Appell des Generalinspek-
digitalen Wirtschaft fehlen der- teurs zur Unterstützung ehema-
zeit in Deutschland 41.000 IT- liger afghanischer Ortskräfte hat
Spezialisten, vor allem Software- sich das Präsidium des Reservi-
Entwickler. Interessenten aus dem stenverbandes angeschlossen. Die
Ausland müßten sich Reservisten werden dazu
deswegen willkommen aufgerufen, afghanische
fühlen, meint Bitkom- Familien zu unterstüt-
Hauptgeschäftsführer zen, die in Deutschland
Bernhard Rohleder. aufgenommen werden.
www.bitkom.org Dies sei „ein wichtiges
Signal für die Men-
Heinz Buschkowsky schen im Land: Auch
Der Bezirksbürgermei- wenn deutsche Sol-
ster von Berlin-Neu- daten gehen, bleiben
kölln, Heinz Busch- wir als Freunde und
kowsky, tritt zurück. Klingler Partner an der Seite der
Der 66 Jahre alte SPD- afghanischen Ortskräf-
Politiker gab gesundheitliche te“, betonte Verbandspräsident
Gründe an. In der kommenden Roderich Kiesewetter. In einem
Woche ist sein letzter Arbeitstag. Brief an Soldaten sowie Angehörige
Buschkowsky hatte sich in der der Bundeswehr hatte Generalin-
Vergangenheit immer wieder spekteur Volker Wieker gebeten,
provokant über den Zustand des Afghanen, die die Bundeswehr bei-
Sozialstaates und zur Einwande- spielsweise als Dolmetscher unter-
rung („Multikulti ist gescheitert“) stützt hatten, bei ihrem Neuanfang
geäußert. in Deutschland zu helfen.
bezeichnet hatte und zudem auch noch
ein Foto Bachmanns im Internet auf-
tauchte, auf dem er mit Scheitel und
Schnauzbart als Hitler posierte, war
dies einigen im Organisationsteam von
Pegida wohl zuviel. Nach einer Sitzung
der Pegida-Verantwortlichen gab Bach-
mann am Mittwoch seinen Rückzug be-
kannt. Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel
ergänzte, man weise dessen Äußerungen
aufs schärfste zurück. „Sie tragen nicht
dazu bei, Vertrauen zu den Zielen und
Protagonisten von Pegida zu entwickeln.“
Kurz zuvor hatte bereits die sächsi-
sche AfD ebenfalls Bachmanns Face-
book-Einträge in einer Mitteilung „aufs
schärfste“ verurteilt. Bachmann habe den
„mühsam erreichten Diskurs zwischen
Pegida-Teilnehmern und Politik beschä-
digt. Politische Glaubwürdigkeit ist ohne
persönliche Integrität unmöglich“, kri-
tisierte AfD-Landeschefin Frauke Petry.
Innenminister spricht
mit Organisationsteam
Nachdem Fragen über den Zeitpunkt
der AfD-Mitteilung sowie über ähnlich
klingende Passagen mit der Stellung-
nahme von Pegida aufkamen, zog die
Partei die Erklärung jedoch wieder
zurück. Bei deren Versenden habe es
sich um ein Versehen gehandelt, hieß
es von der AfD. Hatte Petry in der
Bachmann-Affäre Druck auf Pegida
ausgeübt? Spiegel Online zitierte die
sächsische AfD-Chefin mit den Wor-
ten, sie habe Oertel gesagt, „daß Bach-
mann nicht mehr zu halten ist“. Doch
Petry widersprach der Darstellung. Sie
habe Oertel zu keinem Zeitpunkt etwas
geraten oder empfohlen. Dennoch sah
sich die Pegida-Sprecherin am Sonntag
offenbar gezwungen, klarzustellen, daß
Petry in der Frage keinen Einfluß auf
sie ausgeübt habe. „Ich habe mich von
ihr definitiv nicht beraten lassen, als es
um den Rücktritt von Lutz Bachmann
ging“, versicherte sie. Pegida sei und
bleibe überparteilich, betonte Oertel
und ging damit auf Distanz zur AfD.
FDP Stuttgart
Durch den Übertritt ihres ehema- Spaltung der Gesellschaft“ wirft
ligen Fraktionsvorsitzenden Bernd der Bundesvorsitzende der Freien
Klingler zur AfD verliert die FDP Wähler, Hubert Aiwanger, der
im Stuttgarter Gemeinderat den AfD vor: „Durch die zunehmende
Status als Fraktion. Umgekehrt Radikalisierung der AfD bestätigt
erhält die bisher dreiköpfige AfD- sich jetzt genau das, wovor wir
Gruppe mit dem Neuzugang den immer gewarnt haben: Kritik an
Fraktionsstatus. Der 46jährige einer falschen Euro-Politik wird als
Klingler wird zudem neuer Ko- politisch unkorrekt abgestempelt“,
vorsitzender der AfD-
Fraktion. Er betonte
jedoch, der Wechsel sei
ihm nicht leichtgefallen,
er sei „durch und durch
ein Liberaler“. Klingler
war im November als
Chef der FDP-Fraktion
zurückgetreten, nach-
dem seine Ratskollegen
ihm Unregelmäßigkei- Röckert
ten beim Umgang mit
Fraktionsgeldern vorgeworfen
hatten.
www.bernd-klingler.de
Freie Wähler
Einen Rechtsruck samt „teils of- losigkeit und Toleranz hat der
fener Hetze gegen Bevölkerungs- Bundesvorsitzende der CDU-
JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015
Am Ende war
alles ganz anders
Dresden II: Kein Rechtsextremist, sondern ein Mitbewohner
hat den Asylbewerber Khaled Idris Bahray erstochen
PAUL LEONHARD treuern. Denn nur einer der sieben
spricht etwas Englisch, die anderen
lediglich Tigrinya und Arabisch. Es
D er Tod des 20 Jahre alten Khaled
Idris Bahray ist neun Tage nach
Auffinden seiner Leiche aufgeklärt.
wurde von Klingelterror und Haken-
kreuzen berichtet, die Unbekannte
an die Tür der acht Asylbewerber
Der Asylbewerber aus Eritrea wurde geschmiert hätten. Warum die Ar-
von einem Landsmann erstochen. beiterwohlfahrt, die die Flüchtlinge
Das Motiv war nach Angaben der betreut, diese Schmierereien nicht
Staatsanwaltschaft ein „Streit über die dokumentiert und den Staatsschutz
Haushaltsführung“ in der Vierraum- eingeschaltet hat, ist unklar.
wohnung in Dresden. Zeitungen Auf den in Dresden, Berlin,
berichten dagegen von einer Tat aus Potsdam und Leipzig veranstalteten
Eifersucht. Im Hof des Plattenbaus Gedenkveranstaltungen für den Er-
soll der geständige 26jährige seinen mordeten wurde offen behauptet,
Mitbewohner mit Messerstichen in daß dessen Tod rassistische Hin-
den Hals getötet haben. Die Tatwaffe tergründe habe. Pegida habe dem
ist sichergestellt. Nach Berichten von Rassismus öffentlichen Raum gege-
Spiegel Online wurden im Körper des ben, sagte Ali Moradi, Vorsitzender
Toten erhebliche Mengen Drogen des Sächsischen Flüchtlingsrates.
gefunden. Die sächsische Landeshauptstadt
Damit sind viele Medien wieder sei zum „Kristallisationspunkt von
einmal blamiert. Diese hatten wie Fremdenfeindlichkeit“ geworden.
einst im Fall der sächsischen Kom- Später stellte sich heraus, daß un-
mune Sebnitz, wo angeblich Neona- ter den 2.700 Demonstranten, die
zis ein irakisches Kind im Schwimm- sich am Trauermarsch in Dresden
bad ertränkten, für den gewaltsamen
Tod des Afrikaners eine ganze Stadt
in Haftung genommen. „Wir sehen
unter dem Motto „Im Gedenken
an Khaled I. – das Problem heißt
Rassismus“ beteiligten und mehr
den Haß in den Augen der Menschen Sicherheit für Migranten forderten,
hier“, titelte am 16. Januar die Süd- auch der Mörder war.
deutsche Zeitung mit Blick auf Dres-
Der Sonntag brachte aber noch eine den. „Für Dresden ist der Mordfall Volker Beck beklagt
weitere Wendung. Am Mittwoch davor Khaled I. ein Worst-Case-Szenario“, „Ermittlungspannen“
hatte es auch in Leipzig eine Demonstra- schrieb das Blatt weiter. Unverhohlen
tion gegen die Islamisierung des Abend- wurde auf die mehr als 25.000 Men- Speziell im Mittelpunkt der me-
landes gegeben. Dem Aufruf von Legida schen verwiesen, die im Stadtzentrum dialen Verunglimpfungen steht noch
waren nach Polizeiangaben etwa 15.000 gegen die „Islamisierung des Abend- immer die Polizei. Obwohl diese,
Menschen gefolgt. Als Redner waren der landes“ demonstrierten. wie auch die Staatsanwaltschaft,
Publizist Jürgen Elsässer sowie der Ver- Ein paar Tage später veröffent- detailliert über jeden einzelnen, seit
leger Götz Kubitschek aufgetreten. Von lichte die Dresdner Morgenpost einen Auffinden des toten Afrikaners un-
den Medien waren Legida und deren offenen Brief der Mitbewohner des ternommenen Schritt berichtet hat
Verantwortliche als radikaler und weiter Toten an die Verantwortlichen von und auch nachvollziehbar erläuterte,
rechts stehend bezeichnet worden, was Stadt, Polizei und Politik, in dem warum der alarmierte Notarzt bei der
dazu führte, daß sich Pegida kurz vor Be- es unter anderem hieß: „Wir sind Untersuchung der Leiche die Stich-
ginn der Demonstration in Leipzig von freundlich, friedlich und offenherzig. wunde für einen Schlüsselbeinbruch
dem dortigen Ableger distanzierte. Was Würdet ihr Kontakt zu uns suchen, gehalten hatte, wird den Beamten
in Leipzig gesagt und gefordert werde, würdet ihr das merken. Aber ihr gebt „komplettes Versagen“ vorgeworfen.
sei nicht mit Pegida abgesprochen und euch keine Mühe. Wir wollen nicht Während Volker Beck, innenpoli-
könne sich für die einheitliche Wahrneh- mehr wie Tiere behandelt werden. tischer Sprecher der Grünen-Frakti-
mung der Bewegung als kontraproduktiv Wir brauchen Frieden.“ Täglich habe on im Bundestag, wegen angeblicher
erweisen, hieß es in einer Mitteilung. man es mit Anfeindungen, Aggres- Ermittlungspannen eine Strafanzeige
Pegida prüfe deswegen eine Unterlas- sionen und tätlichen Angriffen zu gegen die Polizei stellte, lobte der Ge-
sungsklage. tun. Die Leser des Boulevardblattes neralsekretär der sächsischen AfD,
Am Sonntag hielt dann aber über- dürften sich verwundert die Augen Uwe Wurlitzer, die Beamten, die
raschend Legida-Organisator Silvio gerieben haben: In ihrer Stadt werden „diese abscheuliche Tat ohne poli-
Rösler in Dresden ein kurzes Grußwort Asylbewerber wie Tiere behandelt? tische Scheuklappen so schnell auf-
und erläuterte, die früheren Differen- Außerdem zitierte die Zeitung ei- geklärt“ haben, ausdrücklich. Einige
zen seien ausgeräumt. Künftig würden nen Mitbewohner des Ermordeten. Politiker täten gut daran, in sich zu
Pegida und Legida „Schulter an Schul- „Dresden ist eine aggressive Stadt“, gehen und nachzudenken, so Wur-
ter“ demonstrieren. Pegida-Sprecherin soll der 27 Jahre alte Tesfalem den litzer, „ob es sinnvoll ist, der hiesigen
Oertel bestätigte der jungen freiheit Reportern gesagt haben. Unklar ist, Bevölkerung indirekt die Bereitschaft
die Entwicklung. „Wenn Legida keinen wieviel in dem Schreiben von den zu unterstellen, hier lebende Asylbe-
rechtsextremistischen Strömungen ein Asylbewerbern so formuliert wurde werber heimtückisch zu ermorden.“
Forum bietet und das Programm von Pe- und wieviel von ihren deutschen Be- Kommentar Seite 2
gida aufnimmt, ist eine Zusammenarbeit
möglich.“ Dies sei momentan der Fall,
da sich die Leipziger von umstrittenen
Personen getrennt hätten. Pegida werde
die Demonstrationen in Leipzig daher
unterstützen. „Gemeinsam können wir
den Druck auf die Politik erhöhen“, sagte
FOTO: PICTURE ALLIANCE / BERND VON JUTRCZENKA
Oertel.
Unterdessen wurde am Montag be-
kannt, daß sich der sächsische Innen-
minister Markus Ulbig (CDU) mit
Oertel und weiteren Mitgliedern des
Organisationsteams getroffen hat. „Der
Dialog kann auf der Straße beginnen,
kann aber dort nicht als verständiger
Austausch von Meinungen und Argu-
menten geführt werden“, sagte Ulbig
am Montag. Beisetzung von Khaled Idris Bahray: „Abscheuliche Tat“
gruppen und Mitwirkung an einer Senioren-Union (SU), nabbrechern hat sich Patrick Sensburg
Otto Wulff, eingefor- der unionsnahe Ring Der Vorsitzende des NSA-Unter-
dert: Wenn der Islam Christlich-Demo- suchungsausschusses im Bundes-
zu Deutschland gehören kratischer Studenten tag, Patrick Sensburg (CDU) ist
wolle, „müsse dieser sich (RCDS) ausgespro- von seinem Amt an der Spitze der
einer nachhaltigen hi- chen. Da etwa ein CDU Hochsauerlandkreis zurück-
storisch-kritischen Auf- Viertel der Studenten getreten. Der Politiker begründete
arbeitung stellen und die Hochschulen ohne diesen Schritt mit den Ermittlun-
seinen Absolutheitsan- Abschluß verlassen, sei gen wegen häuslicher Gewalt, die
spruch aufgeben“. Eine es „ungemein wichtig, die Staatsanwaltschaft Berlin gegen
kritisiert der bayerische „Paralleljustiz“ im Sinne Sensburg diesen jungen Men- ihn eingeleitet hat. Ihm wird vorge-
Landtagsabgeordnete. der islamischen Scharia schen Perspektiven zu worfen, er habe Ende vergangenen
Damit spiele die Partei schloß der Politiker kategorisch eröffnen, auf ihren Vorkennt- Jahres seine jetzige Verlobte attak-
der derzeitigen Euro- aus. Wenn sich die Imame noch nissen aufbauend sie in Ausbil- kiert. Sensburg hatte eingeräumt,
Politik von EZB-Chef „dazu verstehen könnten, die Ver- dungen zu vermitteln und damit im Streit mit der Frau „etwas ra-
Draghi in die Hände. folgung von Christen in vielen is- neue Berufsaussichten zu eröff- biat“ vorgegangen zu sein.
Dieses Manöver sei lamischen Ländern zu verurteilen nen“, fordert der RCDS-Bun- www.patrick-sensburg.de
„von den Strippenzie- und zu deren Beendigung beizu- desvorsitzende Martin Röckert.
hern, welche die AfD tragen, wird sich die Frage, ob Sein Verband lobt daher das mit
groß gemacht haben, so der Islam als Religion wirklich zu 7,2 Millionen Euro geförderte
beabsichtigt“ worden, Deutschland gehört, sicher leich- Programm „Jobstarter plus“ des
behauptet Aiwanger. ter beantworten lassen“, meinte Bundesministeriums für Bildung Mitteilungen für diese
www.freiewaehler.eu Wulff. und Forschung. Das sehe unter Rubrik senden Sie bitte
www.seniorenunion.de anderem spezielle Klassen aus an die Politikredaktion,
Senioren Union Studienabbrechern vor, die we- Hohenzollerndamm 27 a,
Ein klares Bekenntnis der islami- Ring Christlich- gen ihrer Vorkenntnisse eine um 10713 Berlin,
schen Geistlichkeit zu Gewalt- Demokratischer Studenten die Hälfte verkürzte Ausbildung Fax 030 / 86 49 53 - 14,
Für eine berufliche Integrati- absolvieren können. redaktion@jungefreiheit.de
on und Förderung von Studie- www.rcds.de
JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015
Das System Merkel beginnt zu bröckeln
CDU/CSU: Mit dem Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ bringt die Bundeskanzlerin ihre Partei gegen sich auf
PAUL ROSEN
E
s ist 14 Jahre her, daß der damals
frischgebackene CDU-Generalse-
kretär Laurenz Meyer über seine
Parteivorsitzende Angela Merkel einen
bezeichnenden Satz losließ: „Noch ei-
nen Fehler kann sie sich nicht erlauben.“
Merkel stand in der Kritik: Ihr vorhe-
riger Generalsekretär Ruprecht Polenz
hatte sich als unfähig erwiesen. Meyer
brachte mit seiner Bemerkung zum Aus-
druck, daß die Summe der Fehler, die
sich ein Politiker leisten kann, begrenzt
und das Maß schneller voll ist, als man
gemeinhin glaubt. Dieser Zustand wird
bei Merkel, nachdem sie ein Jahrzehnt
beinahe ungefährdet regieren konnte,
bald erreicht sein.
Politiker in Deutschland können
sicher sein, vom Funktionärskader un-
terstützt zu werden, solange sie Wah-
len gewinnen. Da sieht es für Merkel
schlecht aus. Zuletzt ging für die CDU
in Thüringen die Regierung verloren; in
Thüringen, Brandenburg und Sachsen
ist mit der AfD eine bürgerliche Forma-
tion in die Parlamente eingerückt, im
Europaparlament ebenso. Bei den bei-
den Wahlen in diesem Jahr in Hamburg
und Bremen dürfte die CDU keinen
Stich machen. Das kostete und kostet
gut bezahlte Mandatsträger ihre Diä-
ten und Privilegien. Dadurch steigt die
Unzufriedenheit, mögen die Umfragen
noch so gut sein. Aber Umfragen garan-
tieren keine Abgeordnetensitze.
Risse im Fundament
der Bundesrepublik
Die Fehler häufen sich. Merkels Aus-
sage, die Euro-Rettung sei „alternativ-
los“, dürfte ein schicksalhafter Lang-
zeitfehler gewesen sein, der das Gebälk
des deutschen Parteiensystem bereits
bersten ließ. In der Wirtschaftspolitik
wirft die von Merkel verordnete Ener-
giewende das Industrieland Deutschland
Thüringen: Die Staatsanwaltschaft ermittelt, ob die CDU versucht hat, durch Bestechung Einfluß auf die Wahl des Ministerpräsidenten zu nehmen
PAUL LEONHARD
T hüringens Ministerpräsident Bodo
Ramelow (Linkspartei) hat seine
Immunität verloren. Drei weitere Land-
tagsabgeordnete, darunter Oppositions-
führer Mike Mohring (CDU), könnten
sie noch verlieren. Und dann steht da
noch der Vorwurf im Raum, „hochran-
gige“ Christdemokraten hätten vor der
Ministerpräsidentenwahl versucht, zwei
SPD-Landtagsabgeordnete zu bestechen.
Über mangelnde Arbeit können
sich die Mitglieder des Justizausschus-
ses des Landtages also nicht beschweren.
Klar ist der Fall Ramelow, in dem das
Amtsgericht Dresden Aufhebung der
Immunität beantragt hatte. Es geht um
die Beteiligung des Linkenpolitikers an
einer Blockade einer Demonstration in
Dresden. Da dieser sich geweigert hat,
die Gerichtskosten zu übernehmen, läuft
das Verfahren, das Ramelow als „eine
CHRISTIAN SCHREIBER
I m Mai wird eine der letzten Karrieren
der untergegangenen schwarz-gelben
Koalition in die Geschichte eingehen.
Helmut Könighaus, verbliebener FDP-
Mohikaner in der Regierungszentrale,
wird als Wehrbeauftragter des Bundes
seine Koffer packen.
Laut Selbstbezeichnung ist diese
Funktion „ein wichtiges Hilfsorgan
des Parlamentes bei der Kontrolle der
Bundeswehr“. Jeder Soldat könne sich
an den Wehrbeauftragten des Deutschen
Bundestages wenden, um Mißstände
innerhalb der Bundeswehr zu vermel-
den. Zu dessen Rechten gehört, daß er
POLITIK|5
Hamburger AfD beklagt
Angriffe im Wahlkampf
HAMBURG. Die AfD in Ham-
burg hat Anschläge durch mut-
maßliche Linksextremisten im
Wahlkampf scharf kritisiert.
zu Deutschland.“ Dies brachte die bisher „Diese Angriffe sind eine weitere
lammfromme CDU/CSU-Bundestags- Steigerung der Gewalt gegen den
fraktion am Dienstag der letzten Woche Wahlkampf der Hamburger AfD
auf die Barrikaden. Statt wie üblich in zur anstehenden Bürgerschafts-
die Sitzung zu rauschen, mürrisch um wahl“, sagte Spitzenkandidat Jörn
sich zu blicken und nach kurzer Zeit Kruse. Hintergrund sind mehre-
wortlos zum nächsten Termin zu eilen, re Farbanschläge auf Wohnungen
mußte sich Merkel einer Debatte mit von AfD-Kandidaten. So wurde
den Abgeordneten stellen. So etwas hat- das Haus des ehemaligen Innen-
te es nicht einmal gegeben, als sie 2003 senators Dirk Nockemann in der
den Abgeordneten Martin Hohmann Nacht zum Montag mit Farbe be-
rauswerfen ließ, den sie wegen seiner schmiert. In einem Selbstbezichti-
konservativen Haltung als Hemmnis gungsschreiben beschimpften die
auf dem Weg in die Regierung empfand. mutmaßlich linksextremistischen
Droht ein Sturz der Kanzlerin? Täter den AfD-Politiker als „Ras-
In der Folge erlebten Beobachter Un- sisten“, dessen Haus „markiert“
gewohntes, ja Sensationelles im Bun- worden sei. „Wir werden uns von
destag. Als Merkel vergangene Woche diesen Angriffen nicht in unserem
dort ihr Islam-Bekenntnis wiederhol- Wahlkampf wie auch in unserer
te, rührte sich in der ersten Reihe der politischen Argumentation ein-
CDU/CSU-Fraktion keine Hand. Die schüchtern lassen“, betonte Spit-
Claquere hielten still. Und nicht nur zenkandidat Kruse. Er berichtete
das. Es gab offizielle Gegendarstellun- zudem von zahlreichen zerstör-
FOTO: PICTURE ALLIANCE / LUKAS SCHULZE
gen. So erklärte Bundestagspräsident ten AfD-Wahlkampfplakaten.In
Norbert Lammert (CDU) unmittelbar Hamburg wird am 15. Februar
vor Merkels Rede: „Die gut gemeinte eine neue Bürgerschaft gewählt.
Erklärung, man dürfe den Islam nicht Umfragen sehen die AfD derzeit
mit dem Islamismus verwechseln, reicht bei fünf bis sechs Prozent. (ho)
nicht aus – und sie ist auch nicht wahr,
ebensowenig wie die beschwichtigende Steinbach warnt vor
Behauptung, die Kreuzzüge hätten nichts Linksextremismus
Bundeskanzlerin Merkel mit Fraktionschef Kauder: Noch einen Fehler kann sie sich nicht erlauben mit dem Christentum zu tun und die
Inquisition auch nicht oder die Hexen- BERLIN. Die CDU-Bundes-
auf den Status eines Schwellenlandes nen, die dazu aufrufen.“ Das kam einem heißt nichts anderes, als daß die CDU- verbrennungen.“ Das ging direkt gegen tagsabgeordnete Erika Steinbach
zurück. Außenpolitisch richtete Merkel amtlichen Aufruf gegen das Demon- Vorsitzende Merkel den Dialog mit den Merkel. hat vor der zunehmenden Ge-
mit ihrer Haltung gegenüber Rußland strationsrecht gleich. Eine starrsinnige Bürgern versäumt hat. Und auch der CDU/CSU-Frakti- walt durch Linksextremisten ge-
einen diplomatischen Scherbenhaufen Haltung gegen enttäuschte und verär- Der jüngste schwere Fehler unter- onsvorsitzende Volker Kauder, bisher warnt. „Schwarz uniformierte,
an. Ohne jeden Zwang attackierte sie gerte Bürger ist wohl die ungeschickteste lief Merkel mit ihrer Islam-Bemerkung. ein fanatischer Merkel-Anhänger, setzte vermummte Banden rotten sich
den russischen Präsidenten Wladimir Position, die eine Regierung einnahmen Schon 2010 hatte sie das einwande- sich ab. Die Muslime gehörten zwar zu zusammen, und die Täter verüben
Putin direkt: „Das Vorgehen Rußlands kann. Selbst Innenminister Thomas rungskritische Buch des Bundesbank- Deutschland, der Islam sei in Deutsch- in kurzer Zeit ihren Angriff mit
stellt die europäische Friedensordnung de Maizière (CDU), einen Vertrauten Vorstandsmitglieds Thilo Sarrazin land aber keine kulturprägende Kraft. der Brachialgewalt einer Hooli-
in Frage und bricht internationales Merkels, beschleicht die Ahnung, daß („Deutschland schafft sich ab“) als „ab- Die CDU-Abgeordnete Erika Steinbach gangruppe“, kritisierte Steinbach.
Recht.“ Solche Brüskierung eines an- hier nicht nur ein spontaner Protest solut nicht hilfreich“ abgekanzelt, ohne wurde in der Welt mit dem Hinweis zi- Sie spielte damit auf Angriffe von
deren Staatsoberhauptes wäre weder im Gange ist, vielmehr sei „da etwas es gelesen zu haben, Sarrazin wurde tiert, Merkels Islam-Bekenntnis werde Linksextremisten auf einen Poli-
Gerhard Schröder noch Helmut Kohl aufgebrochen“. In der Tat sind Pegida entlassen. Wie in der Wirtschafts- und von zwei Drittel der Unionsabgeordne- zeiposten im Leipziger Stadtteil
oder Helmut Schmidt passiert. und andere erste Risse im Fundament Sozialpolitik versuchte Merkel in der ten nicht geteilt. Connewitz sowie auf das Rathaus
Nach ersten Pegida-Demonstrationen der Bundesrepublik Deutschland. Die Zuwanderungsfrage, der linken Kon- Die Stimmung verschlechtert sich von Neukölln in Berlin an. Die-
in Dresden kam die Kanzlerin in ihrer Frage ist, ob die Politik das Fundament kurrenz das Thema abzujagen und griff rapide in Fraktion und Partei. Merkels se trügen „die altbekannte Hand-
in früheren Jahren an Langeweile kaum noch stabilisieren kann oder ob die Ris- nach den Terroranschlägen von Paris ein Kanzlerkandidatur 2017 ist alles andere schrift der antidemokratischen
noch zu übertreffenden Neujahrsbot- se breiter werden. De Maizerès Aussa- Wort des früheren Bundespräsidenten als sicher. Noch einen Fehler kann sie Antifa“. Diese zeigten, daß der
schaft zur Sache: „Folgen Sie nicht de- ge, der Gesprächsfaden sei abgerissen, Christian Wulff auf: „Der Islam gehört sich nicht erlauben. „Kampf gegen Rechts“ längst zum
Feigenblatt verkommen und der
Staat das eigentliche Ziel sei. (ho)
Die Juristen haben das Wort 600.000 abgelehnte
Asylbewerber
BERLIN. In Deutschland halten
sich mehr als 600.000 Ausländer
auf, deren Asylantrag abgelehnt
Form von politischer Belästigung“ be- vor. Ob die Ausschußmitglieder diesem In der sogenannten Bestechungsaffäre dem von der CDU ein Amt angeboten wurde oder deren Flüchtlings-
zeichnet hat, noch immer. folgen, ist unklar. Einige sind der An- hat die CDU inzwischen Anzeige wegen worden sei. schutz abgelaufen ist. Das geht
Im Fall von Oppositionsführer sicht, daß es sich hier allein um eine übler Nachrede gegen zwei Thüringer Die beiden der üblen Nachrede be- dem Cicero zufolge aus der Ant-
Mohring will die Staatsanwaltschaft
Erfurt prüfen, ob dieser als Vorsitzen-
der des CDU-Kreisverbandes Weima-
Angelegenheit der CDU handle.
Mohring soll auf der nächsten Sit-
zung am 20. Februar noch einmal ge-
Sozialdemokraten erstattet. CDU-Frak-
tionsgeschäftsführer Volker Emde wirft
dem Parlamentarischen Geschäftsführer
zichtigten SPD-Funktionäre haben jetzt
ihrerseits die Generalstaatsanwaltschaft
aufgefordert, zu prüfen, ob durch die
wort des Bundesinnenministeri-
ums auf eine Anfrage des Bun-
destagsvizepräsidenten Johannes
rer Land Mitgliederlisten manipuliert hört werden. An diesem Tag können sich der SPD, René Lindenberg, und dem Strafanzeige nicht eine „juristisch fal- Singhammer (CSU) hervor. Das
hat. In einer anonymen Anzeige vom auch die beiden Linken-Abgeordneten SPD-Fraktionsvorsitzenden Matthias sche Verdächtigung erhoben wurde“, Ministerium beruft sich dabei auf
Spätherbst 2014 war das behauptet Frank Kuschel und Rainer Kräuter äu- Hey vor, sie hätten seine Fraktion in der berichtete die Nachrichtenagentur dpa. Zahlen des Ausländerzentralregi-
worden. Flankierend hatte der Spiegel ßern, deren Immunität auf Verlangen öffentlichen Meinung herabwürdigen Außerdem zitiert diese Hey mit den sters. Wie es in dem Brief an Sing-
berichtet, daß der Kreisverband wenig- der Staatsanwaltschaft ebenfalls aufge- wollen, indem sie behaupteten, es hätte Worten: „Es lag weder im Interesse der hammer heißt, wurden im Jahr
stens 119 „Scheinmitglieder“ geführt hoben werden soll. seitens der CDU Bestechungsversuche betroffenen Abgeordneten noch mei- 2013 knapp 15.000 Menschen
habe, darunter 19 schon Verstorbene, im Zusammenhang mit der Minister- ner Fraktion, die Vorfälle in der Öffent- aus Deutschland ab- oder zurück-
um höhere finanzielle Zuschüsse zu „Die ersten 40 Tage präsidentenwahl gegeben. lichkeit auszutragen.“ Ob die Vorwürfe, geschoben. Weitere etwa 10.000
erhalten. Mohring wies die Manipu- sind verkorkst“ Gegenüber mehreren Zeitungen hat- selbst wenn sie sich als wahr herausstel- ausreisepflichtige Ausländer seien
lationsvorwürfe zurück. Auch eine im ten zwei SPD-Abgeordnete, die anonym len sollten, strafrechtlich relevant sind, freiwillig ausgereist. „Wer einen
Dezember von der damaligen Landes- Kuschel wird vorgeworfen, im Herbst blieben, ausgesagt, ihnen seien von der bezweifeln selbst Juristen. Denn selbst Zugang nach Deutschland gefun-
vorsitzenden Christine Lieberknecht 2010 Aufrufe zum „Schottern“ von CDU Ministerposten angeboten wor- wenn es zu einer schwarz-roten Koalition den hat, insbesondere auch durch
eingesetzte Kommission konnte keine Gleisen unterschrieben zu haben, um den, wenn sie gegen Ramelow stimmten. gekommen wäre, hätten die Christdemo- eine erfolgreiche Schleusung, hat
Unstimmigkeiten entdecken. Die Sache einen Castor-Transport zu verhindern. Emde forderte die Sozialdemokraten auf, kraten keinen Einfluß darauf gehabt, wer mit einer erheblichen Wahrschein-
galt parteiintern als erledigt. Allerdings Gegen den früheren Polizisten Kräuter „Roß und Reiter zu nennen“, ansonsten die der SPD überlassenen Ministerien lichkeit einen längeren oder fak-
liegt dem Justizausschuß noch immer liegt nach Angaben der Thüringer Lan- aber zu schweigen. Auch Ramelow hatte führt. Kein Wunder, daß Mohring im tisch dauerhaften Aufenthalt“,
der Immunitätsaufhebungsantrag der deszeitung eine Anzeige eines ehemaligen Anfang Dezember der Bild am Sonn- sozialen Netzwerk postet: „Die ersten sagte Singhammer mit Blick auf
Staatsanwaltschaft vom 8. Dezember Kollegen vor. tag von einem Abgeordneten erzählt, 40 Tage von Ramelow sind verkorkst.“ die geringe Rückkehrerquote. (ms)
http://jungefreiheit.de/umfrage-der-woche
Zwischen Reichstag und Kanzleramt
„Lügenpresse“-Vorwurf: Berichten die Medien in
Auf zum letzten Gefecht Deutschland zu einseitig?
Nein, die deutsche Presse-
0% 1% landschaft ist weltweit eine
Nein, die Medien der vielfältigsten.
jede Bundeswehrdienststelle ohne An- Soldaten mit Problemen in Laufbahn-, „seine FDP“ nicht mehr in Regierungs- berichten ausgewogen
meldung besuchen darf, Auskunft und Fürsorge- oder Statusfragen. verantwortung steht. So forderte er von und fair.
Akteneinsicht fordern kann und daß Königshaus wurde nicht nur in Berlin, Verteidigungsministerin Ursula von der
er – außer gegenüber dem Bundestag sondern auch bei der Truppe ein ausge- Leyen (CDU), die Bundeswehr müsse
und dem Verteidigungsausschuß – nicht prägter Hang zur Eitelkeit nachgesagt. noch attraktiver und marode Stuben auf
weisungsgebunden ist. Königshaus ist Im Sommer 2012 suchte er den juristi- Vordermann gebracht werden.
bei der Truppe nicht unbeliebt, was auch schen Schlagabtausch mit dem Deutsch- Die Beschwerden über mangelnden
daran gelegen haben dürfte, daß er der
bislang einzige Wehrbeauftragte war, der
selbst „gedient“ hat. Sein unmittelbarer
landradio, weil dort ein Kommentator
gesagt hatte, der Wehrbeauftragte nehme
„weniger die Truppe, als vielmehr sich
Komfort in den Kasernen seien seit der
Bundeswehrreform hin zu einer Berufs-
armee noch gestiegen. Rost- und Schim- 47 % 52 %
Vorgänger, Reinhold Robbe, war Zivil- selbst wichtig“. Auch ein Amtsträger melbefall, Kloakengeruch und im Winter
dienstleistender, in den neunziger Jahren müsse sich nicht alles bieten „und sich defekte Heizkörper in Sanitärbereichen
wurde das Amt von Claire Marienfeld von jedem Dahergelaufenen beleidigen seinen exemplarisch „für die an vielen Ja, bestimmte Fakten
ausgeübt, die den Ruf genoß, „Mutter lassen“, so sein zorniger Einwurf. Standorten seit Jahren vernachlässigte werden aus Gründen der Ja, die meisten Medien
der Kompanie“ zu sein. Die Zahl der Beschwerden bei Kö- Infrastruktur“, heißt es im Jahresbericht. politischen Korrektheit berichten aus einer eher
nicht erwähnt. linken Perspektive.
Im Laufe der Jahre hat sich das Auf- nigshaus und seinen rund 50 Mitarbei- Die Beschwerden über rechtsextreme
gabenfeld des Wehrbeauftragten verän- tern pendelt seit Jahren bei rund 5.000. Vorfälle in der Truppe seien dagegen
dert. Standen in den Jahrzehnten der Die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbe- vergleichsweise gering, sagte Königs- abgegebene Stimmen gesamt: 681
alten Bundesrepublik Beschwerden von dingungen sei hoch, sagte Königshaus haus. Sein Nachfolger wird im Mai der
Wehrdienstleistenden über Schikanen am Dienstag, als er seinen letzten Jahres- Sozialdemokrat Hans-Peter Bartels. Der Aktuelle Umfrage: Zurückgehende Teilnehmerzahlen: Ist Pegida am Ende?
von Vorgesetzten im Mittelpunkt, so bericht präsentierte. Auffallend ist, daß 53jährige legt dabei Wert auf die Feststel-
melden sich heute fast ausnahmslos der 64jährige den Ton verschärfte, seit lung, er habe ebenfalls gedient. Stimmen Sie ab unter www.jungefreiheit.de
6|POLITIK
Lebensschützer warnen
vor Kostenübernahme
BERLIN/UNNA. Lebensschützer
haben die möglicherweise bevor-
stehende Kostenübernahme des
sogenannten Praena-Tests durch
die gesetzlichen Krankenkassen
scharf kritisiert. Bei diesem Test
kann im Blut der Schwangeren
festgestellt werden, ob ihr unge-
borenes Kind möglicherweise ei-
nen Gendefekt (Trisomie 21 be-
ziehungsweise Down-Syndrom)
aufweist. Dieser Bluttest „dient
keiner Therapie, sondern der Se-
lektion von Menschen mit Triso-
mie 21“, stellte der Bundestags-
abgeordnete und stellvertretende
Bundesvorsitzende der Christde-
mokraten für das Leben, Hubert
Hüppe (CDU), fest. Damit, so
der frühere Behindertenbeauftrag-
te der Bundesregierung, würden
Menschen mit Down-Syndrom
diskriminiert. Hüppe verweist in
diesem Zusammenhang darauf,
daß in Ländern, in denen dieser
Bluttest bereits eingeführt wurde,
bei über 90 Prozent der identi-
fizierten Kinder mit Down-Syn-
drom eine Abtreibung stattfinde.
Aus diesem Grund dürfe der Test
weder von Krankenkassen noch
aus öffentlichen Mitteln gefördert
werden, fordert Hüppe. Recher-
chen der Zeit zufolge soll noch in
diesem Jahr eine Studie zur Über-
prüfung der Bluttest-Methode be-
ginnen. Sie könnte die bisherige,
wesentlich risikoreichere Frucht-
wasseruntersuchung ablösen und
dann von den gesetzlichen Kran-
kenkassen bezahlt werden. Le-
bensschützer und Kirchenvertre-
ter befürchten, daß mehr Frauen
diesen Test machen lassen und
sich danach bei entsprechendem
Ergebnis für eine Abtreibung ent-
scheiden. (vo)
Kommentar Seite 2
Comeback der Woche
Christian Wulff
ist wieder da
Von Marcus Schmidt
P lötzlich steht
Christian Wulff
wieder in der ersten
Reihe. Als sich Mitte
Januar die deutschen Spitzenpo-
litiker vor dem Brandenburger
Tor versammelten, um der Opfer
der Terroranschläge von Paris zu
gedenken, war auch der vor drei
Jahren zurückgetretene Altbundes-
präsident dabei.
Juristisch ist der 55 Jahre alte
CDU-Politiker, dem unter ande-
rem Vorteilsnahme im Amt vor-
geworfen worden war, voll reha-
bilitiert. Nun kehrt er mit großen
Schritten auf die politische Bühne
zurück. Das wurde am vergange-
nen Wochenende besonders deut-
lich: Als Vertreter Deutschlands
nahm Wulff an der Trauerfeier für
den verstorbenen König Abdullah
von Saudi-Arabien teil – neben
Staats- und Regierungschefs aus
aller Welt. Wulff, so scheint es, ist
noch lange nicht am Ende seines
politischen Weges angekommen.
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Der Mann, den
die Politik hofiert
Islam: Der eloquente Medienberater
Aiman Mazyek hat aus dem Zentralrat der Muslime
einen einflußreichen Verband geformt
FOTO: PICTURE-ALLIANCE / RAINER JENSEN
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek: Die Scharia als „vollständiges Rechtssystem“ gepriesen
GERNOT FACIUS sein als die Selbstdarstellungsshow eines
Mannes, den die Politik hofiert. Der von
dem eloquenten Medienberater geführte
Zentralrat der Muslime in Deutschland
D
as Bild von der Mahnwache (ZMD), mit Abstand der kleinste der
der Muslime für die Mordop- Islamverbände, trägt schwer an einer
fer von Paris dominierte die Hypothek aus dem Jahr 2002, an der
Fernsehnachrichten: Der Zentralrats- Mazyek nicht unschuldig ist.
vorsitzende Aiman Mazyek mit staats- Unter Mazyeks Assistenz inszenierte
männischer Mimik zwischen Joachim der ZMD, damals von dem Saudi Nade-
Gauck und Angela Merkel. „Demut em Elyas geleitet, eine „Islamische Char-
und Trauer war aus seinen Worten zu ta“. Sie sollte ein öffentliches Bekennt-
hören. Es klang anders als die übliche nis zur demokratischen Grundordnung
Beteuerung, der Terror habe, nichts mit sein. In Wirklichkeit wurde mit ihr eher
dem Islam zu tun“, kommentierte Necla ein Propagandastück auf die politische
Kelek die Szene. Bühne gestellt, um die seit langem
So ganz scheint aber die aus Istan- geforderte „Gleichberechtigung“ mit
bul stammende kritische Soziologin der anderen Glaubensbekenntnissen zu
Stimmung vor der französischen Bot- erreichen. Der Islam eine gewalttäti-
schaft am Brandenburger Tor noch nicht ge Religion? Nein, eine kämpferische.
zu trauen. Nun sei es an der Zeit, daß Diese „Differenzierung“ zieht sich
dieselben Funktionäre in ihren Verbän- wie ein roter Faden durch alle ZMD-
den und Moscheen dafür sorgten, den Stellungnahmen. Die ominöse Charta
Gedanken der Freiheit und Verantwor- definiert Islam als „Frieden“. Sprachlich
tung ernst zu nehmen und eine Ausein- und sinngemäß falsch, antwortete der
andersetzung über Islam und Gewalt zu bekannte Islamwissenschaftler Tilman
beginnen, schrieb Kelek in der Welt. Da- Nagel, das Wort meine Unterwerfung.
mit hat sie das Problem auf den Punkt Auf den „selbsternannten Ober-Mus-
gebracht. Auch Mazyek muß sich ihm lim“ (Zeit Online) machen solche Klar-
stellen, soll sein Berliner Auftritt mehr stellungen wenig Eindruck. Der Islam
„Überall war Blut“
NSU-Prozeß: Im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße gerät die Ermittlungsarbeit der Polizei in die Kritik
HINRICH ROHBOHM, MÜNCHEN Ein lauter Knall. Glas zersplittert. Der
Zeuge rennt instinktiv zum Innenhof
des Gebäudes. „Überall war schwarzer
S eine Worte klingen vorwurfsvoll.
Es ist eine Anklage an die Polizei.
„Die haben mich wie einen Verdäch-
Rauch“, erinnert er sich. Leute sprechen
ihn an. Er kann sie nicht verstehen. Seine
Ohren sind taub von der Detonation.
tigen behandelt“, erzählt der als Zeuge Erst als er nach einiger Zeit die Straße
zum NSU-Prozeß vor dem Münchner betritt, kann er wieder Worte wahrneh-
Oberlandesgericht geladene Atila Ö. men. Wie es ihm gehe, ob mit ihm alles
Der breitschultrige Mann mit Stoppel- in Ordnung sei, will jemand von ihm
bart und kurz geschnittenem dunklen wissen. Ja, er sei okay, entgegnet er re-
Haar hatte sich am 4. Juni 2004 in der flexartig. Doch Atila Ö. ist nicht okay.
Kölner Keupstraße aufgehalten, als eine Sein Arm blutet. Einige aus der Bombe
Nagelbombe vor einem Friseurgeschäft stammende zehn Zentimeter lange Zim-
explodierte. Die Täter hatten ein Fahr- mermannsnägel und Glassplitter haben
rad vor dem Laden abgestellt. Beladen sich in seinen Schädel gebohrt. „Das war
mit der Bombe. Einer der Kunden des mir aber überhaupt nicht bewußt“, schil-
Ladens war Atila Ö. dert er die damalige Situation.
Buchhalter/in
Sachbearbeiter/in Leserdienst
Redakteur/in Alle
ionen
Informat rnet
Ausbildung im Inte
Redaktionsvolontär/in
Kaufmann/Kauffrau Digital und Print
sei friedfertig und werde von „Mördern“
und „Hooligans“ gekapert, verkündete
er in Berlin. Bezeichnungen wie „poli-
tischer Islam“ oder „Islamismus“ seien
Kampfbegriffe und das Werk von Propa-
gandisten und Ideologen, die Muslime
erlebten einen „medialen Supergau“.
Mazyeks ZMD möchte sich liberal ge-
ben, der umtriebige Vorsitzende verweist
dabei gern auf seine politische Soziali-
sation in der FDP. Die Charta spiegelt
freilich einen traditionalistischen, wenn
nicht fundamentalistischen Anspruch
wider.
Er spielt auf dem Klavier
der öffentlichen Meinung
Da heißt es, der Koran sei das unver-
fälschte Wort Gottes und die Muslime
glaubten, „daß der Koran die ursprüng-
liche Wahrheit, den reinen Monothe-
ismus nicht nur Abrahams, sondern
aller Gesandten Gottes wiederherge-
stellt und bestätigt“ habe. Im Klartext:
Mit Mohammed wurden alle anderen
Religionen überwunden. „Ein Dialog
auf gleicher Augenhöhe ist auf dieser
Basis nicht möglich“, hieß es in einer
Dokumentation der Bundeszentrale für
Zu schockierend wirkt das Bild auf
ihn, dasß sich ihm in der Keupstraße
bietet. „Überall war Blut.“ Ein Passant
habe ihm schließlich dabei geholfen, die
Nägel aus seinem Kopf herauszuziehen.
Noch am Abend wird Atila Ö. von der
Polizei verhört. Ö. ist „in Kölle“ gebo-
ren, wie er auf Nachfrage seines bei ihm
sitzenden Rechtsbeistands sagt. Eine
Frage, die gezielt gestellt wurde. Die
Antwort soll dem Gericht klarmachen:
Ich, Atila Ö., bin in Deutschland gut
integriert, spreche die deutsche Sprache
fließend, bin ein Kölscher Jung. Und
ausgerechnet ihn habe die Polizei mit
Schutzgelderpressung und dem Rot-
lichtmilieu in Zusammenhang bringen
wollen?
Die Empörung darüber ist dem Zeu-
gen in jedem seiner Sätze anzumerken.
Auf der Polizeiwache habe er sich bis
auf die Unterwäsche ausziehen müssen,
sei dann befragt worden. Stundenlang.
Über Leute aus der Rotlichtszene und
inwieweit er in Kontakt mit ihnen stehe.
Über mögliche Verbindungen zur Mafia.
„Ich wurde von 18 Uhr bis nachts um 1
Uhr verhört, dabei bin ich ein Opfer“,
klagt der Zeuge. „Im Polizeiprotokoll
steht, daß Ihre Vernehmung von 20.30
bis 21.30 Uhr erfolgte“, verliest der Vor-
sitzende Richter Manfred Götzl aus den
Akten. „Ich kenne das Protokoll, es ent-
spricht nicht der Wahrheit“, behauptet
der Zeuge.
Bei dem Anschlag in der Keupstra-
ße war die Polizei jahrelang von einer
FOTO: JF/ROHBOHM
Demonstranten vor dem Münchner Oberlandesgericht: „Dann hätte man den Inhaber abgeknallt“
politische Bildung. Artikel 13 lautet:
„Zwischen den im Koran verankerten,
von Gott gewährten Individualrechten
und dem Kernbestand der westlichen
Menschenrechtserklärung besteht kein
Widerspruch.“ Nur dem „Kernbestand“?
Und handelt es sich bei den einschlä-
gigen internationalen Pakten über die
unveräußerlichen Rechte von Menschen
nicht um universale Erklärungen der
Vereinten Nationen?
Geradezu entlarvend die Stellung-
nahme zum Thema Mann und Frau:
Beide hätten die gleiche Lebensaufga-
be, nämlich Gott zu erkennen, ihm zu
dienen und seinen Geboten zu folgen.
Von gleichen Rechten ist nicht die Rede.
Wie denn auch? Ist doch im Koran
festgelegt, daß die Männer über den
Frauen stehen, was auch das Recht auf
körperliche Züchtigung der Frauen ein-
schließt. Das Thema Scharia wird so gut
es geht umgangen. Alle ZMD-Chefs,
auch Mazyek, haben sie allerdings als
„vollständiges Rechtssystem“ gepriesen.
Das provoziert nachgerade die Frage:
Wozu dann noch die Anerkennung des
Grundgesetzes? Wie ernst ist es mit den
Bekenntnissen zum politischen und
religiösen Pluralismus? Der Charta-
Milieutat aus der Rotlichtszene ausge-
gangen, vermutete die Täter daher vor
allem unter den Türken. Das änderte
sich erst, als sich im November 2011
Verbindungen zum mutmaßlichen
NSU-Terror-Trio aus Uwe Mundlos,
Uwe Böhnhardt und der in München
vor Gericht stehenden Beate Zschäpe
verdichteten.
Opfer mußten
Fingerabdrücke abgeben
Ein Umstand, der nun vor allem
von der politischen Linken den Ermitt-
lungsbehörden vorgeworfen wird. Eng
mit ihnen verflochten ist die Initiative
„Keupstraße ist überall“. Sie ist mit rund
150 Personen nach München angereist,
hat mehrere Busse organisiert, um den
Prozeß zu verfolgen. Einige von ihnen
haben sich in einer Reihe vor dem Ein-
gang des Oberlandesgerichts postiert.
Sie halten Plakate mit Buchstaben in
der Hand, die zusammen ihren Slogan
„Keupstraße ist überall“ ergeben. Ge-
meinsam mit der linksextremen Szene
sind sie durch die Münchner Innenstadt
gezogen. Ein Pavillon vor dem Gericht
dient ihnen als Informationsstand.
Bei den Vernehmungen zum Keup-
straßen-Anschlag kommen gleich eine
ganze Reihe von Opfern vor Gericht
zu Wort. Unter anderem Atilas Freund
Abdullah Ö. Zum Zeitpunkt des An-
schlags sitzt er ebenfalls im Friseurla-
den. Als es plötzlich knallt, denkt der
JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015
Inspirator Nadeem Elyas hat sich zur
Pflicht der Muslime bekannt, einen
islamischen Staat anzusteuern. Und
auch Mazyek, der das Spiel auf dem
Klavier der veröffentlichten Meinung
wie kein zweiter aus seinem Netzwerk
beherrscht, könnte, selbst wenn er es
wollte, dieses Ziel nicht aufgeben. Da
käme er mit vom wahhabitischen Islam
in Saudi-Arabien verbandelten ZMD-
Mitgliedern in Konflikt.
Es ist nicht vergessen, daß Mazyek
neben dem Haßprediger Pierre Vogel zu
den schärfsten Kritikern des Islam-Pro-
fessors Mohammed Korchide (Münster)
zählte, der wegen seiner aufklärerischen
Gedanken als häretisch eingestuft wird.
„Der ZMD“, so die Islamwissenschaft-
lerin Khadija Katja Wöhler-Khalfallah,
„ist nichts anderes als ein ideologischer
Vertreter eben jener neosalafistischen
Muslimbruderschaft in Deutschland,
die sich in ihrem Gedankengut von
den radikalen Salafisten lediglich darin
unterscheidet, einer strategisch durch-
dachteren Vorgehensweise zu folgen,
die pluralistische Demokratie zu un-
terminieren und die Muslime zurück
in Bevormundung und Sklaverei kata-
pultieren zu wollen.“
gelernte Elektriker jedoch zunächst an
eine Gasexplosion. Als sich ihm dann
das Bild der Verwüstung bietet, ist auch
er entsetzt. „Da dachte ich, jetzt bin ich
in der Hölle.“ Was er damit meint, ver-
deutlichen die Aussagen von Sandro D.,
den es besonders übel erwischt hatte.
Ein Nagel hatte sich in seinen Ober-
schenkel gebohrt und seinen Knochen
aufgerissen. Aus seinem Daumen rag-
te der Knochen heraus. Hinzu kamen
schwere Verbrennungen.
Melih K. hatte über hundert Glas-
splitter im Gesicht, seine Haare brann-
ten, ein Trommelfell wurde zerstört.
Auch er wurde verdächtigt, mußte
DNS-Proben und Fingerabdrücke
abgeben. Daß es sich bei der Tat um
Schutzgelderpressung gehandelt haben
soll, habe er schon damals nicht glauben
wollen. „Dann hätte man doch den In-
haber abgeknallt und nicht eine Bombe
explodieren lassen.“ Für ihn sei schon
damals klar gewesen: Der Täter müsse
aus der rechten Szene stammen. „Dafür
muß man kein Ermittler sein“, macht
er der Polizei Vorwürfe.
Auch der Asylbewerber Kemal G.
beklagt: „Was ich in der Türkei nicht er-
litten habe, wurde mir nun in Deutsch-
land angetan.“ Zahlreiche Opfer würden
bis heute unter Angstzuständen leiden.
Das Gericht wird sich noch mehrere
Wochen mit dem Bombenanschlag in
der Keupstraße beschäftigen. Zahlreiche
weitere Opfer und Zeugen sollen hierzu
noch vernommen werden.
 THEMA
W WIRTSCHAFT, Seite 11 HINTERGRUND, Seite 12

W
Der Mindeslohn erweist Boliviens Präsident Evo
sich als Bürokratiemonster, Morales bedient die Erwar-
das die Wirtschaft gängelt tungen der Bevölkerung
|7
J U N G E F R E I H E I T | Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015
FOTO: PICTURE-ALLIANCE / HANNIBAL HANSCHKE

Nervennahrung auf einer Wahlkampfveranstaltung der AfD: „Davon steht nichts in der Satzung“

Der Ball liegt bei der Basis

AfD: Vor dem Satzungsparteitag in Bremen kämpfen die Euro-Kritiker mit den organisatorischen Herausforderungen eines Mitgliederparteitages
MARCUS SCHMIDT führt werden, wie AfD-Pressesprecher Hansestadt erzwungen hatte, nichts. Zur war in weiten Teilen der Partei mit Er- Nach Ansicht von Markus Wegner, gegeben. Nach Ansicht Klingels wer-
Christian Lüth erklärt. Wichtig für das Willensbildung auf einem Parteitag ge- leichterung aufgenommen worden. Auch der sich mit rund 100 AfD-Mitgliedern de das Euro-Thema zusehends an den
Gelingen sei dabei, daß Bild und Ton höre es auch, sich mit anderen Partei- von denen, die sich eigentlich ein ande- in einer Satzungsinitative zusammen- Rand gedrängt.
völlig synchron und ohne Zeitverzöge- mitgliedern im Gespräch auszutauschen. res Ergebnis gewünscht hatten. Doch geschlossen hat, gewinnen insgesamt Während Gauland darauf verweist,

I
m Bremer Musical-Theater läuft rung übermittelt würden. Eine technisch Das sei bei einer räumlichen Trennung am Ende ging es allen Beteiligten vor durch den Entwurf die Funktionäre der daß es auch Konservative gebe, die die
gerade „Stomp“. Die Macher des und vor allem auch rechtlich anspruchs- nicht möglich. Doch sein wichtigster allem darum, „das Projekt AfD“ nicht Partei tendenziell Einfluß auf Kosten Partei verließen, sieht Kölmel durchaus
Stücks versprechen den Zuschau- volle Konstruktion. Um auf Nummer Einwand gegen mehrere Tagungsorte: zu gefährden, wie AfD-Vize Alexander der Basis. Auf Kritik stößt zudem das die Gefahr, daß der liberale Flügel brök-
ern, sie mit der „hohen Kunst des Sicher zu gehen, hat die Partei nach „Davon steht nichts in der Satzung.“ Gauland im Interview mit der jungen in der neuen Satzung vorgesehene Amt kelt. Von einer Blockbildung innerhalb
Fingerschnipsens, Besenschwingens und Angaben von Lüth daher juristischen Wegner plädierte daher Anfang der freiheit eingestand (siehe Seite 3). des Generalsekretärs. der AfD will er aber nicht sprechen. „Es
Mülltonnenschepperns in phantastische Rat eingeholt. Denn in einem ist sich Woche dafür, die Abstimmung über Eine Leistung, vor der in Bremen nun gibt keine zwei unterschiedlichen Ideo-
Klangwelten“ zu entführen. Auch beim die Parteispitze einig: Bremen darf nicht die neue Satzung von der Tagesordnung auch die Mitglieder der Partei stehen. Diskussion über logien in der Partei“, bekräftigt Kölmel.
Bundesparteitag der AfD in Bremen, auf scheitern. Schon im April steht die Neu- zu streichen und zu verschieben. Das „Der Parteitag ist nicht nur eine logisti- angeblichen „Rechtsruck“ Die Parteispitze verweist zudem auf das
dem es ab Freitag um die Zukunft der wahl des Bundesvorstandes an, und im Treffen in Bremen könne genutzt wer- sche und technische Herausforderung, Ergebnis einer zum Jahresanfang abge-
Euro-Kritiker geht, könnte es hoch her- November soll endlich das immer noch den, um ein Meinungsbild zu erstellen. sondern auch eine Herausforderung an Mit Spannung wird zu beobachten schlossenen Urabstimmung unter den
gehen. Nach wochenlangem Streit über ausstehende Parteiprogramm beschlossen „Total absagen muß man den Parteitag die Mitglieder“, formuliert der baden- sein, ob die inhaltlichen Differenzen AfD-Mitgliedern zur Euro-Politik. Von
die künftige Führungsstruktur der Partei werden. Ein ambitionierter Zeitplan. ja nicht“, sagte er. württembergische Landeschef Bernd zwischen dem konservativ ausgerich- den mittlerweile rund 22.000 Parteimit-
steht nun die Satzung zur Abstimmung. Doch davon lassen sich in der dis- Das hat die Parteispitze auch nicht Kölmel seine Erwartungen. Ihm sei klar, teten Parteiflügel um die AfD-Frakti- gliedern hätten sich 4.000 Mitglieder
Und noch etwas verbindet die Euro- kussionsfreudigen Partei nicht alle be- vor, denn sie sieht sich juristisch auf daß sich in Bremen auch die Zukunft onschefs Gauland, Frauke Petry, Björn an der Abstimmung beteiligt. Ergebnis:
Kritiker der AfD mit den Musikern von eindrucken. Schon Wochen vor dem der sicheren Seite und verweist unter der Mitgliederparteitage entscheide. Höcke sowie Parteisprecher Konrad 97,7 Prozent stimmten der Aussage zu,
„Stomp“. Weil das Interesse der Mitglie- Parteitag murrten zahlreiche Mitglieder anderem auf ein entsprechendes Gut- „Wir müssen zeigen, daß die von uns in Adam und dem eher wirtschaftsliberal daß die Eurokrise ohne eine Auflösung
der sämtliche Planungen der Berliner über die für den Parteitag angesetzten achten des Wissenschaftlichen Dienstes der Partei hochgehaltene Basisdemokra- orientierten Flügel um Bernd Lucke des Euro, ohne eine Wiedereinführung
AfD-Zentrale über den Haufen geworfen wissenschaftlichen Fachvorträge unter des Bundestags. Die AfD-Führung hat tie vernünftig angewendet funktioniert.“ und Hans-Olaf Henkel in Bremen die nationaler Währungen oder eine Auf-
hat, mußte die Partei neben mehreren anderem zur Sozial- und Gesundheits- aber auch gar keine andere Wahl: Der Wenn es nicht klappe, würde die Partei Diskussion bestimmen werden. spaltung des Euro in kleinere Währungs-
Sälen im Tagungshotel Maritim kurz- politik sowie angeblich fehlende Tische Verlauf des Parteitages entscheidet über ihre eigenen Prinzipien ad absurdum In den vergangenen Wochen war verbünde nicht lösbar sei. „Das Ergebnis
fristig auch noch das knapp anderthalb im Tagungssaal. das weitere Schicksal der erst vor knapp führen, warnt der Europaabgeordnete. wiederholt von Mitgliedern, die vor straft alle anderslautenden Meldungen
Kilometer entfernte Bremer Musical- zwei Jahren gegründeten Partei. Gelingt Daran, was er von dem Parteitag, den er allem die Kritik am Euro in die AfD von einem ‘Politik-Schwenk’, einer Ak-
Theater als Ausweichquartier anmieten. Der Wirbel kommt der es den Euro-Kritikern, sich einigerma- nach dem Willen des Bundesvorstandes geführt hatte, vor einem „Rechtsruck“ zentverschiebung oder gar einem ‘Stra-
Der Parteitag, zu dem am Sonnabend, Parteispitze gerade recht ßen unfallfrei eine neue Satzung und als Tagungspräsident leiten soll, erhofft, der Partei gewarnt worden. So beklag- tegiewechsel’ Lügen“, heißt es dazu aus
wenn über die Satzung abgestimmt wer- damit eine dauerhafte Struktur zu geben, läßt Kölmel keinen Zweifel: „Wir müs- te sich unlängst ein AfD-Landeschef der Parteizentrale. Kernthema der AfD
den soll, rund 3.000 Mitglieder erwartet Auf den Plan gerufen hat der Par- kann die Partei, die mittlerweile in vier sen eine Satzung verabschieden.“ darüber, daß sich ein großer Teil der sei und bleibe die Kritik am Euro. Das
werden, wird sozusagen zeitgleich auf teitag auch den einstigen Gründer der Parlamenten vertreten ist und Hunder- Daß der 32seitige Entwurf jede von der Bundespartei verbreiteten habe die Urabstimmung mit absoluter
zwei Bühnen aufgeführt. Das bedeutet: Hamburger Stattpartei, Markus Wegner, te Mandatsträger in den Kommunen Menge Konfliktstoff enthält, hat schon Pressemitteilungen um die Themen Mehrheit deutlich untermauert.
zwei Parteitagspräsidien, und eine Auf- der mittlerweile AfD-Mitglied ist. In der stellt, ihre turbulente Gründungsphase die monatelange und konfliktreiche Asyl- und Ausländerpolitik drehe. Wenn es stimmt, daß Druck von
teilung des Bundesvorstandes auf beide Parteiführung hat sich Wegner im ver- abschließen. Mißlingt Bremen, steht Arbeit der Satzungskomission gezeigt, „Da müssen wir uns nicht wundern, außen eine Partei zusammenschweißt,
Veranstaltungsorte. Eine Premiere in der gangenen Jahr auf dem Erfurter Parteitag alles auf dem Spiel. die zeitweise auch die Parteigerichte wenn wir in die rechte Ecke geschoben sieht es für die AfD in Bremen gut aus.
deutschen Parteiengeschichte und eine mit zahlreichen Anträgen zur Geschäfts- Der Wirbel im Vorfeld des Parteitages beschäftigte. Neben dem Streit um die werden.“ Unbestritten ist, daß die AfD Für Sonnabend haben sich Linksextre-
Herausforderung für jede Parteitagsregie. ordnung einen Namen gemacht. Von dürfte der Parteispitze um AfD-Sprecher Ausgestaltung der Führungsspitze dürfte inhaltlich in den vergangenen Wochen misten und Gewerkschafter zu einem
Überhaupt erst möglich wird dieses aus der Idee, mittels Übertragungstechnik Bernd Lucke indes gar nicht so ungele- insbesondere der im Satzungsentwurf vor allem mit dem Thema „Pegida“ in „Bündnis gegen Rechtspopulismus und
der Not geborene Experiment durch eine alle Tagungsräume miteinander zu ver- gen kommen. Denn dadurch rückt der vorgesehene und als „Konvent“ bezeich- Zusammenhang gebracht worden ist. Rassismus“ zusammengeschlossen und
kostspielige Video- und Tontechnik. Mit binden, hält der Jurist, der 1991 mit wochenlange Streit um die Führungs- nete kleine Parteitag für Diskussionen Zuletzt hatte der Parteiaustritt der zu einer gemeinsamen Demonstration
deren Hilfe sollen die unterschiedlichen einer Klage vor dem Hamburger Verfas- struktur in den Hintergrund. Der über- sorgen. Vor allem die Frage nach der Zu- stellvertretenden Landesvorsitzenden gegen den AfD-Parteitag aufgerufen, zu
Tagungssäle zu einem einzigen „virtuel- sungsgericht erstmals in der Geschichte raschende Kompromißvorschlag, den die sammensetzung und den Kompetenzen von Rheinland-Pfalz, Beatrix Klingel, der bis zu 5.000 Teilnehmer erwartet
len Veranstaltungsraum“ zusammenge- der Bundesrepublik Neuwahlen in der Parteispitze Mitte Januar präsentierte, des Gremiums ist umstritten. solchen Spekulationen neue Nahrung werden.

Mitgliederentwicklung Die AfD in den Parlamenten

Mitgliederzahlen der AfD von März 2013 bis Dezember 2014
25.000

20.000
Dezember 2014 Europa- Landtag Landtag Landtag
GRAFIK

15.000 21.785 Mitglieder parlament Thüringen Brandenburg Sachsen

Brüssel
QUELLE: AFD

11 Sitze 11 Sitze* 14 Sitze

10.000 7 Sitze

5.000 März 2013

GRAFIK

4.589 Mitglieder
0
Februar
November

Januar

März

Mai

Juli

November
März
April
Mai
Juni

August
September
Oktober

Dezember

April

Juni

August
September
Oktober

Dezember
Juli

*ein Mitglied gehört

nicht der Fraktion an
2013 2014
8|AUSLAND JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015

SPÖ großer Verlierer Grüße aus Rom

bei Gemeinderatswahl
Ciao, Anita,
ST. PÖLTEN. Bei den Gemein- ruhe sanft!
deratswahlen in Niederösterreich
(NÖ) konnte sich die konserva-
tiv-liberale ÖVP am vergangenen Von Paola Bernardi
Sonntag als stärkste Kraft behaup-
ten. Mit einem Stimmenanteil von
51 Prozent (plus 74 Gemeinde-
ratssitze) lag sie weit vor den So-
Ü ber der Fontana di Trevi, dem
Trevi-Brunnen, weht dieser
Tage ein weißes Banner mit der
zialdemokraten (SPÖ), die mit Aufschrift „Ciao Anita“ im Wind.
30,9 Prozent 263 Sitze einbüßten. Die Massen der jungen Touristen,
Dagegen erhöhte die FPÖ ihren die den schönsten, größten und
Stimmenanteil um 1,7 Prozent- populärsten Brunnen Roms wie
punkte (7,8 Prozent) sowie die besessen fotografieren, können
Anzahl der Gemeinderäte von sich keinen Reim darauf ma-
477 (2010) auf 678. Parteichef chen. Nur diejenigen unter den
Heinz-Christian Strache gratu- Besuchern, die bereits drei Tage
lierte der FPÖ-Niederösterreich über achtzehn sind, nicken wis-
zum zweitbesten Gemeinderats- send und denken mit Wehmut
wahlergebnis in ihrer Geschichte. an „ La dolce vita“ zurück, als die
Neben der FPÖ konnten auch die strahlend-schöne, blonde Schwe-
Grünen um 1,1 Prozentpunkte auf din Anita Ekberg in schulterfreiem
FOTO: PICTURE ALLIANCE / AP PHOTO

4,5 Prozent (plus 97 Gemeinde- schwarzen Abendkleid des Nachts

ratsmitglieder) zulegen. Die erst-
mals angetretenen linksliberalen
Neos erreichten mit 0,6 Prozent
Stimmenanteil 36 Mandate. (ctw)
Österreicher für
ein vereintes Tirol
BOZEN. 89 Prozent der Öster-
reicher sind für die Selbstbestim-
mung der Südtiroler und für die
Wiedervereinigung Südtirols mit
Österreich. Das ist das Ergebnis
einer repräsentativen Umfrage,
die vom Linzer Institut Spectra
im Auftrag des Südtiroler Hei-
matbundes (SHB) im Herbst
2014 durchgeführt und nun vor-
gestellt wurde. Befragt wurden
1.000 Personen, repräsentativ für
die österreichische Bevölkerung ab
Prinz Nayef, Kronprinz Muqrin und König Salman (v.l.) empfangen Kondolenzbesuche : Alle drei wollen die wahhabitische Staatsräson fortsetzen
Reformen sind nicht in Sicht
Saudi-Arabien: Nach dem Tod von König Abdullah setzt dessen Nachfolger Salman auf Kontinuität
MARC ZOELLNER 1.000 Stockschlägen verurteilt worden
war, sorgt wieder medial für Aufregung.
Bis zu 30.000 politische Häftlinge sol-
len in den Gefängnissen des ölreichen
zur Trauerfeier beordert. Für Berlin
galt es, den schmalen Grat zwischen
öffentlicher Meinung und wirtschafts-
lobbyistischer Interessenlage blessurlos
Ernennung des 1959 geborenen Prinzen
Mohammed bin Nayef bin Abdulaziz al
Saud zum ersten Thronfolger der dritten
Generation bleiben, einem innen- wie
ihrem Filmpartner Marcello Ma-
stroianni, im spätbarocken Brun-
nen badend, verlangend die Arme
entgegenstreckte. Generationen
von Rom-Hungrigen fühlten
sich immer wieder versucht, diese
Szene in Farbe nachzuahmen; die
Carabinieri mußten einschreiten
und sie aus dem Bassin ziehen.
Kein Glamour beim Ab-
schied – auch bekannte
Gesichter aus der
Filmwelt fehlten.
Regisseur Federico Fellini dreh-
te 1959 dieses Meisterwerk der
Filmgeschichte in der legendären
Cinecittà. Sie wurde 1937 gegrün-
det unter dem lichtspielbegeister-
ten Mussolini und ist heute die

K
15 Jahren. Bereits im März 2014
hatte eine vom Institut Demetra
Italien durchgeführte Umfrage ein
ähnliches Ergebnis erbracht. Von
1.012 befragten Italienern hatten
sich 71,8 Prozent für das Selbstbe-
stimmungsrecht der Südtiroler aus-
gesprochen. Die große Akzeptanz
widerlege Befürchtungen, wonach
ein Selbstbestimmungsreferendum
zu gefährlichen Spannungen füh-
ren würde, erklärte der Sprecher
des Heimatbundes, Hartmuth
Staffler. (ctw)
Türkei: Zehntausende
drohen „Charlie Hebdo“
DIYARBAKIR. Knapp 100.000
Menschen haben am vergangenen
Wochenende in der kurdisch do-
minierten Metropole Diyarbakir
gegen die Mohammed-Karikatu-
ren der französischen Satirezeitung
Charlie Hebdo demonstriert. Anga-
ben der Doğan News Agency zufol-
ge forderten Anhänger der radikal-
sunnitischen Hür Dava Partisi und
der Plattform der Prophetenfreun-
de (Peygamber Sevdalıları Platfor-
mu) „Respekt für den Propheten“.
In Anlehnung an das Motto „Je
suis Charlie“ hielten die Protestler
Banner mit der Aufschrift „Ich bin
Hisbollah in Kurdistan,“ „Ich bin
Hamas in Palästina“ in die Höhe.
Parallel dazu skandierte Mullah
Osman Teyfur mit Blick auf die
westliche Welt: „Solange ihr die
Feinde Allahs“ seid, werden „wir
eure Feinde sein. Es gibt heute
Tausende Muhammads, die für
ihn sterben würden.“ (ctw)
aum waren die Fahnen an der
Westminster Abbey gestrichen,
meldete sich Glenn Greenwald
zu Wort. „Großbritannien verfügt, für
heute seine Flaggen für König Abdullah
auf Halbmast zu hängen“, schrieb der
US-amerikanische Journalist, der insbe-
sondere aufgrund seiner Enthüllungen
zu Edward Snowden zu internationaler
Bekanntheit gelangte, auf Twitter. „Ab
morgen möchte man jedoch damit fort-
fahren, der Welt Demokratie zu lehren.“
Doch nicht nur Westminster Abbey,
die Begräbnisstätte unzähliger englischer
Monarchen, steht mit ihrer Entschei-
dung zur Kondolenzbekundung für den
vergangenen Freitag verstorbenen saudi-
arabischen Regenten Abdullah ibn Abd
al-Aziz al Saud in öffentlicher Kritik.
Auch die Anreise von François Hollande
aus Frankreich, Prinz Charles aus Eng-
land sowie des US-Präsidenten Barack
Obama, der zuletzt aufgrund seines Feh-
lens beim Gedenken an die Opfer des
Anschlags auf die Satirezeitung Charlie
Hebdo negativ in die Schlagzeilen rutsch-
te, betrachtet das Gros der Journalisten
und Menschenrechtler mit Argwohn.
Kaum ein Herrscher polarisierte in
öffentlichen Debatten derart intensiv
wie Saudi-Arabiens König Abdullah. Auf
der einen Seite stand er als Garant für
Stabilität und Wohlstand, für rasanten
Wirtschaftswachstum und intensiven
Güteraustausch gerade mit dem Westen.
Die Schattenseite seiner Regentschaft
offenbarte jedoch ein absolutistisches
System mit drakonischen Strafen für
politische Oppositionelle und religiöse
Abweichler: Der Fall des Bloggers Raif
Badawi, der im vergangenen Mai auf-
grund seiner Beiträge zum interkulturel-
len Verständnis zu zehn Jahren Haft und
Wüstenstaats inhaftiert sein. Körperliche
wie seelische Folter, Auspeitschungen,
Verstümmelungen sowie öffentliche
Hinrichtungen, zumeist Enthauptungen
mit dem Schwert, sind an der Tagesord-
nung. 2012 wurden über 79 Todesurteile
vollstreckt – zumeist ohne Anspruch auf
internationale Kontrolle der Prozesse.
Doch Saudi-Arabien stellt auch einen
wichtigen strategischen Verbündeten
des Westens dar: Mit Hilfe seiner Petro-
Dollar und westlicher Technologie rüstet
der Ölstaat nicht nur moderate Milizen
im Bürgerkriegsland Libyen aus. Neben
der Türkei und Katar dient die saudische
Wüste als Trainingslager für syrische, ge-
gen Baschar al-Assad sowie islamistische
Gruppierungen kämpfende Rebellen.
Die dritte Saud-Generation
steht in den Startlöchern
Im Krieg gegen den Islamischen Staat
(IS), welcher durch Selbstmordkomman-
dos immer wieder versucht, auf saudi-
schen Boden vorzudringen, und zuletzt
Anfang Januar mit Odah al-Balawi gar
einen hochrangigen saudischen General
ermordete, zieht die saudische Königs-
familie persönlich zu Felde: namentlich
mit Khaled bin Salman, dem Sohn des
von Abdullah designierten Thronfolgers
Salman ibn Abd al-Aziz, als von der ein-
heimischen Presse gefeierten tapfersten
Kampfpiloten der Monarchie.
Diesbezüglich stand die Bundesre-
gierung auch vor der klammen Frage,
wen sie zur staatsmännischen Kondo-
lenz nach Riad entsenden sollte. An-
gela Merkel schob ihre Wintergrippe
vor; Bundespräsident Gauck seinen 75.
Geburtstag. Lediglich Christian Wulff,
seines Zeichens Präsident a.D., wurde
zu überwinden. Denn nach China und
den USA ist Deutschland nicht nur in
Rüstungsexporten drittwichtigster Han-
delspartner der autokratischen Monar-
chie. Bei einem Handelsvolumen von elf
Milliarden Euro verdiente die deutsche
Wirtschaft 2013 gut 7,5 Milliarden Euro
am Austausch mit Saudi-Arabien; pro-
zentual betrachtet so viel wie mit keiner
zweiten Nation dieser Welt.
Mit dem Tod des saudischen Re-
genten neigt sich keine Ära dem Ende
entgegen. Nur einen Tag benötigte der
Leitindex sämtlicher an Riads Tawadul-
Börse gelisteter Aktienkurse, um sich
von seiner anfänglichen Schockstarre
zu lösen. Die Ankündigung Salmans,
des 79jährigen Bruders des verstorbenen
Abdullah, auch weiterhin am Vorhaben
seines Vorgängers festzuhalten, noch
in dieser Jahreshälfte den umgerechnet
rund 370 Milliarden Euro werten sau-
dischen Aktienmarkt für Ausländer zu
öffnen, beruhigte die Investoren rasch.
Auch sozialpolitisch wird die Wü-
stenmonarchie weiter auf Kontinuität
setzen. Der neue König Salman gilt als
pragmatischer Technokrat ohne refor-
mistische Ambitionen. Bewährt hatte
er sich insbesondere in der Planung der
Hauptstadt Riad, deren Bürgermeister
und späterer Gouverneur er seit seinem
19. Lebensjahr an war und welche unter
seiner Ägide vom verschlafenen Einhun-
derttausend-Seelen-Ort zur pulsierenden
Metropole mit knapp fünf Millionen
Einwohnern gewachsen ist.
Doch die Zeit zog nicht spurlos
an Salman vorüber: Mehrere Schlag-
anfälle lähmen die linke Hälfte seines
Körpers, überdies soll er mittlerweile
an fortgeschrittener Demenz leiden. Sei-
ne wichtigste Reform könnte daher die
außenpolitischen Hardliner, der seit ei-
nem Attentat der Terrorgruppe al-Qaida
auf sein Leben rigoros gegen Dissidenten
und Islamisten agiert.
König Salmans Regentschaft wird nur
einen Übergang darstellen; dessen sind
sich viele Analysten bewußt. Doch bis
zur Beantwortung der Frage, wie und
unter wem die Macht im Königreich
neu zu verteilen ist, dürften Monate ins
Land ziehen. Bis dahin ergeht man sich
in Staatstrauer – zumindest außerhalb
Saudi-Arabiens. Denn die wahhabitische
Auslegung des Islam verbietet dem sau-
dischen Staat die Personenhuldigung.
Golfmonarchien bekunden
ihre Anteilnahme
Dafür bekunden die umliegenden
arabischen Nationen ihre Kondolenz.
Selbst das kleine Katar, der geopolitisch
eifrigste Kontrahent König Abdullahs,
unterbricht drei Tage lang das Rund-
funkprogramm, um Koranverse zu
rezitieren. In Ägypten herrscht sogar
eine ganze Woche lang Totenruhe. Abd
al-Fattah as-Sisi, der im Juli 2013 mit
saudischer Hilfe gegen die Muslimbru-
derschaft putschte und von Abdullah
anschließend zehn Milliarden Euro
Soforthilfe überwiesen bekam, sagte
überdies alle Feierlichkeiten zum vierjäh-
rigen Jubiläum des Aufstands gegen den
damaligen Diktator Hosni Mubarak ab.
Nur Bahrain zeigt sich noch dankba-
rer: Vierzig Tage lang hängen die Flaggen
auf Halbmast. Immerhin war es König
Abdullah, dessen im Inselstaat einmar-
schierende Panzer verhindert hatten, daß
die manamaische Königsfamilie vom
Arabischen Frühling im März 2011 bei-
nahe hinfortgefegt worden wäre.
größte Filmstadt Europas. Doch
Rom ist fast pleite. Die Monu-
mente bröckeln, die Kürzungen
werden immer drastischer und
dramatischer. Immer wieder gab
es Appelle. Doch die Lichter des
legendären Hollywood am Tiber
drohten jetzt endgültig auszuge-
hen. Da sprang der Genfer Ju-
welier Chopard als Sponsor ein.
Auf drei Jahre ist das Sponsoring
angelegt.
Welch grausame Ironie des
Schicksals: Während sich in der
Cinecittà Stars und Starlets ein
üppiges Fest mit Sponsorengeldern
gönnten, die großen Filmszenen
Revue passieren ließen und wieder
die magische Szene aus „La dolce
vita“ mit der herrlichen Schwedin
die Besucher in den Bann zog –
da starb fast zu gleicher Zeit Ani-
ta Ekberg im Alter von 83 Jahren
vergessen und verarmt in einem
Krankenhaus unweit von Rom.
Fellini ist längst tot, und auch
Marcello Mastroianni starb 1996
in Paris an Krebs. Damals trauer-
te und schluchzte Rom über den
Verlust dieses Schauspielers auf
eigene Weise: Der Trevi-Brunnen
wurde verhüllt, und weiße Rosen
schwammen im Becken. Nun
nahmen Freunde und Verwand-
te in der deutschen lutherischen
Christuskirche Abschied von der
Filmdiva. Kein Glamour – und
bekannte Gesichter aus der Film-
welt fehlten. Nur die weiße Fahne
über dem Trevi-Brunnen erinnert
noch an die große Ekberg. Kino-
fans hängen eben an der Illusion,
Wirklichkeit brauchen sie nicht.

JF-Krisenreporter

Billy Six

Marsch ins
Ungewisse
Gefangen im Syrienkrieg
Im August 2012 überquert Billy Six von der Türkei aus die Grenze nach Syrien – mitten hinein in das von islamistischen Aufständischen und 246 Seiten, Abb., Klappenbroschüre
Regierungstruppen umkämpfte Kriegsgebiet. Als Reporter der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT will er von dort in die Heimat berichten. Dann ISBN: 9783929886474, Best.-Nr.: 92367
wird er kurz vor Weihnachten entführt und festgesetzt. Es vergehen zweieinhalb zermürbende Monate voller Ungewißheit über sein Schicksal. EUR 17,80
Deutsche Sicherheitsbehörden schalten sich ein, im Auswärtigen Amt wird ein Krisenstab gebildet. Erst Anfang März 2013 kommt er mit Hilfe
der russischen Botschaft in Syrien wieder frei. In diesem bewegenden Buch schildert er erstmals seine erschütternden Erlebnisse: Er berichtet Bestellen Sie telefonisch: 030 / 86 49 53 - 25,
von Vergewaltigungen, Folterungen, dem allgegenwärtigen Sterben und Tod sowie der dramatischen Zeit seiner Gefangenschaft. per Fax: 030 / 86 49 53 - 40
Mit einem Geleitwort von Peter Scholl-Latour oder einfach online: www.jf-buchdienst.de EDITION
JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015 AUSLAND|9

Ohrfeige für die Etablierten Belgien verliert Kampf

gegen Antisemitismus
BRÜSSEL. Belgiens Premier-
Griechenland: Linke und Rechte bilden EU-kritische Regierung / Teure Wahlversprechen / Einstige Große Koalition auf ein Drittel reduziert minister Charles Michel hat den
Kampf gegen den Antisemitismus
für gescheitert erklärt. Angaben
PANAJOTIS DOUMAS des Internetportals deredactie.be
zufolge verwies er auf einer Ge-
denkfeier zum 70. Jahrestag der
Befreiung des Konzentrationslagers

D
ie Linke in der EU jubelte. „Dies Auschwitz in der Großen Synago-
ist der erste Schritt, um die Ver- ge in Brüssel darauf, daß sich der
armungspolitik der politischen Antisemitismus in Belgien in ei-
Eliten zu beenden“, teilte die Fraktion ner „dramatischen Spirale“ befin-
der Vereinigten Europäischen Linken im de. Der liberale Politiker verwies
EU-Parlament mit. „Dear Alexis, Con- in diesem Zusammenhang nicht
gratulations from Germany!“ gratulierte nur auf die Terroranschläge gegen
auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Charlie Hebdo und den jüdischen
Ramelow am Sonntag abend via Facebook Supermarkt in Paris, sondern auch
dem Wahlsieger Alexis Tsipras. „Als Linke auf den Anschlag auf das Jüdische
haben wir unsere Schwesterpartei Syriza Museum in Brüssel im Mai 2014,
im Wahlkampf unterstützt und freuen uns bei dem drei Menschen ums Leben
mit ihr über den Erfolg“, verlautbarten kamen, und auf die Ereignisse im
wenig später die Parteichefs Katja Kipping Brüsseler Stadtteil Laken, wo eine
und Bernd Riexinger. jüdische Schülerin nach Drohun-
Schon Montag mittag war die Euphorie gen die Schule wechselte. (ctw)
für „einen grundlegenden Richtungswech-
sel“ verflogen. Tsipras hatte angekündigt, Kurden feiern Befreiung
mit den rechtspopulistischen Unabhän- der Grenzstadt Kobane
gigen Griechen zu koalieren. Daß Tsi-
pras als erste Amtshandlung nicht das ERBIL. Masud Barzani, Präsident
FOTO: IMAGO / INVISION / 63578121

Monument des unbekannten Soldaten der Autonomen Region Kurdistan

am Parlament, sondern den „Platz der
200 Patrioten“ – ein Mahnmal für den
Widerstand gegen die Wehrmacht –
besuchte, ging in der Aufregung unter.
Rechtsextreme festigen
Platz als dritte Kraft
Die EU-Kommission respektierte
hingegen „die souveräne und demokra-
tische Wahl des griechischen Volkes“
– und was sollten die europäischen Re-
gierungen auch sonst tun? Die bisheri-
ge Große Koalition aus Konservativen
(ND) und Sozialisten (Pasok) dezimier-
ten die griechischen Wähler auf unter
ein Drittel der Stimmen. Die mit der
NPD befreundete Goldene Morgenröte
(XA) wurde mit 6,3 Prozent drittstärkste
Kraft. Die Kommunisten (KKE) liegen
mit 5,5 Prozent knapp hinter den euro-
philen Neoliberalen (Potami/6 Prozent)
des früheren TV-Journalisten Stavros
Theodorakis.
Tsipras’ rot-grüne Koalition der Ra-
dikalen Linken (Syriza) verpaßte – trotz
des 50-Sitze-Bonus für den jeweiligen
Wahlsieger – mit 36,3 Prozent die abso-
im Nordirak hat die Verdrängung
der Kämpfer des Islamischen Staa-
tes (IS) aus der Grenzstadt Koba-
ne als „Sieg der Menschheit über
die Grausamkeit der Terroristen“
gewürdigt. Deren Befreiung mar-
Alexis Tsipras grüßt mit der gewohnten Faust: Als erstes besuchte der neue Präsident das Mahnmal für den Widerstand gegen die Wehrmacht kiere den Anfang vom Ende für
den IS. Einem Bericht des kur-
dischen Senders Rudaw zufolge
lute Mehrheit im Parlament. Die KKE milliardenschwere Reparationszahlun- hob Barzani den „tapferen Wider-
lehnt Euro, EU und Nato konsequent gen wegen des Zweiten Weltkriegs zu Parlamentswahl Goldene Morgenröte stand“ der kurdischen Volksver-
ab. So blieb dem 40jähigen früheren bezahlen, ist keine Marotte von Anel- in Griechenland ultrarechts To Potami teidigungseinheiten (YPG) her-
Jungkommunisten keine andere Mög- Chef Panos Kammenos, sondern wird Wahlbeteiligung: 63,9 % (62,5 %) 6,3 % / -0,6 pro-europäisch vor. Parallel dazu dankte er der
lichkeit, als mit den Unabhängigen Grie- von fast allen Parteien in Griechenland 6,1 % / 0 türkischen Regierung dafür, daß
chen (Anel; 4,8 Prozent) zu koalieren, vertreten. Mehr Staat, weniger Markt Nea Dimokratia / Konservative KKE– sie den Peschmerga-Truppen aus
will er auch nur einen Bruchteil seiner – das ist Konsens zwischen rechts und 27,8 % Kommunistische Partei Erbil auf ihrem Weg zum Einsatz
sozialen und finanziellen Versprechen links wie die Wiederherstellung der Syriza – Bündnis -1,9 5,5 % / +1 in Kobane erlaubt hatte, die Tür-
einhalten. „nationalen Souveränität und Würde“. der radikalen Linken kei zu passieren. Lobend verwies er
17 (-1) Unabhängige
Die Anel formierte sich 2012 aus Daß Kammenos mit einer Tochter 36,3 % 76 (-53) auf die westlichen Koalitionstrup-
Griechen
ausgeschlossenen Abgeordneten der aus der Joghurt-Dynastie von Athanas- +9,5 pen, deren „kontinuierliche Luft-
17 (+17) rechtspopulistisch
konservativen ND. Wie Syriza lehnt sios Filippou (FAGE-Konzern) verhei- 4,8 % unterstützung“ den kurdischen
die Anel den Sparkurs vehement ab. ratet war und daß Kammenos’ Vater 149 (+78) 15 (+3) Widerstand erst ermöglichten.
/ -2,8
Schon während ihrer Oppositionszeit durch den Autoimport aus dem einsti- 13 (-7) Pasok
Die Demokratische Partei Kur-
machten sie gemeinsam Front gegen die gen Ostblock reich wurde, mag Anlaß Sozialdemokraten distans (DPK) wertete das Ereignis
Auflagen der Troika aus Europäischer für Spekulationen sein. Schon 1989 Sitze gesamt: 13 (-20) als „stolze Seite in der Geschichte
4,7 % / -7,6
Zentralbank, Internationalem Wäh- bildete die ND eine Koalition mit den 300 0 des kurdischen Kampfes.“ (ctw)
rungsfonds und EU-Kommission. Die Kommunisten, um so die korrupte so- Wahlergebnis 2015 (2012)
Sonstige
lautstarke Forderung an Deutschland, zialistische Pasok-Regierung abzulösen. 4,3 % TTIP: USA fordern
mehr Mitspracherechte
WASHINGTON. Das geplante

Für Beweise interessiert sich niemand Freihandelsabkommen zwischen

der EU und den Vereinigten Staa-
ten sorgt für neuen Wirbel. Laut
Ostukraine: Die Rebellen zeigen sich kompromiß- und rücksichtsloser denn je / Anschläge auf Zivilisten verdeutlichen Eskalation der Gewalt aktuell veröffentlichten Papieren
sollen neue Gesetze von EU, Na-
tionalstaaten und Bundesländern
BILLY SIX, DONEZK Sprecherin gegenüber der JF. „Warum hatte zuvor eine „Großoffensive“ an- ellen aus Moskau, trat er öffentlich gar des Pkw-transportierten Mörsers auf künftig vorab den USA übermit-
sollten wir sie angreifen, die Donezker gekündigt. Er zeigte sich in den ver- nicht in Erscheinung. Das war Ende maximal zehn Kilometer. Die nächste telt werden, um zu verhindern, daß
Volksrepublik (DNR) hat keine techni- gangenen Tagen in Militäruniform und Dezember, Anfang Januar. Es folgten ukrainische Stellung lag 15 Kilometer der Handel dadurch beeinträchtigt

D ie Amateuraufnahmen zeigen
Schreckliches: eine Explosion nach
der anderen, mitten in einem Platten-
bau-Wohnviertel der ostukrainischen
Küstenstadt Mariupol. Überraschte Zi-
vilisten rennen um ihr Leben. Von 30
Toten und fast 100 Verletzten sprechen
die Kiewer Behörden, welche die Ha-
fenmetropole mit einer halben Million
Einwohnern kontrollieren. Staatstrauer.
Und wieder einmal weisen sich die
Kriegsparteien gegenseitig die Schuld zu.
„Anders als noch im April ist das
Pressezentrum der Rebellen in Donezk
zunehmend wortkarg geworden. „Die
Ukrainer sind Terroristen“, erklärt die
schen Möglichkeiten dafür.“ Doch wer
sich länger in der „Hauptstadt der Volks-
republik“ aufhält, sieht sie ab und an:
die mobilen Batterien der Raketenwer-
fer vom Typ Grad (russ. Hagel). Ihren
Einsatz vermutet die OSZE, vermutlich
um einen 400 Meter entfernten Posten
der ukrainischen Armee zu vernichten.
Gerade mal zehn Kilometer östlich von
Mariupol verläuft die Front. Die diver-
sen Grad-Modelle sowjetischer Produk-
tion, in der Lage 40 Raketen innerhalb
von 20 Sekunden zu verschießen, reichen
maximal 13 bis 40 Kilometer weit.
Alexander Sachartschenko (38), seit
August DNR-„Ministerpräsident“,
bewaff net am ehemaligen Flughafen
von Donezk, der von der ukrainischen
Armee geräumt wurde – Ergebnis einer
katastrophalen Niederlage, für manche
Beobachter in Kiew auch überflüssig, da
im völlig zerschossenen neuen Terminal
nur eine symbolische, jedoch keine stra-
tegische Position verteidigt worden sei.
Sachartschenko zeigt sich in jüngster
Vergangenheit verstärkt als kompromiß-
und rücksichtslos. Gut zwanzig ukrai-
nische Kriegsgefangene trieb er unter
Hohn und Spott durch die Kuprina-
Straße im Donezker Leninskij-Distrikt.
Bei den friedlichen Soldatenrotationen
am Flughafen, überwacht von Offizi-
Angriffe der Rebellen mit mobilen Ein-
heiten – vor allem aus dem Wohngebiet
Oktjaberskij.
Die zivilen Opfer der Gegenschläge
markierten den Beginn der jüngsten
Eskalation. Den entscheidenden Schub
zur Aufgabe sämtlicher diplomatischer
Bemühungen bildete der Granatenan-
griff auf den 17er Bus in Donezk. Neun
bis 13 Menschen sollen dabei am 22.
Januar umgekommen sein. Ein Ereignis,
das viele Fragen aufwirft: Das Presse-
zentrum verkündet auf JF-Anfrage, die
Täter seien verhaftet worden. Details
gebe es jedoch nicht. Militärexperte
Carsten Bothe schätzt die Reichweite
entfernt. Hinzu kommt, daß Augen-
zeugen vor Ort berichten, Abschuß
und Anflug des Geschosses von der
Seite gehört zu haben – einige hun-
dert Meter entfernt. „Mörserschießen
ist ein Teamspiel“, sagt Bothe, früher
Bundeswehr-Ausbilder. Das Gelände
müsse ausgetestet werden, um das ge-
wünschte Objekt zu treffen. Scheinbar
kannten sich die Täter gut aus – nach
dem Einzelschuß verschwanden sie.
Die Rebellen sprechen von Terror,
Ablenkung und Zersetzungsbemühun-
gen durch ukrainische Geheimagenten.
Für Beweise interessiert sich niemand
mehr.
wird. Nach Angaben der Frankfur-
ter Allgemeinen Zeitung soll künftig
einmal im Jahr eine Liste mit ge-
planten Gesetzesinitiativen an die
US-Regierung übersandt werden.
Inhaltlich gehe es darum den „Zu-
schnitt und Ziele des Vorstoßes“ zu
nennen sowie einen „Zeitplan und
Angaben zu den Folgen“ vorzule-
gen, berichtet die Zeitung weiter.
Die USA sollen sich dann dazu
äußern und etwaige Änderungen
anmerken können. Im Gegenzug
soll auch die EU über Gesetze in
den Vereinigten Staaten informiert
werden. (ho)

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10 | W I R T S C H A F T JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015

Optimistisch ohne Euro

Der Kapitalismus ist besser als sein Ruf
Konjunkturerwartungen
Oxfam lügt Wie wird sich Ihrer Einschätzung nach die allgemeine Wirtschaftslage
Deutsche Mittelständler im Europavergleich skeptisch in Deutschland entwickeln?

S ind Reiche deshalb reich, weil Arme Geschichte wurden in so kurzer Zeit so
arm sind? Sind die Reichen der Welt viele Menschen aus Armut und Elend
nur durch die Unterdrückung, Ausbeu- befreit. Darüber jedoch reden Oxfam RONALD GLÄSER Die Zahlen sagen etwas über die
9

35
4
14 32
48
59 61
45
31
11
28 35
49
30
19

Quelle: Ernst & Young

44
tung und Übervorteilung der Armen und andere Hilfsorganisation nie, weil wirtschaftliche Lage, die sich bei uns 48
reich geworden? Besteht also zwischen diese Zahlen den selbsternannten Hel- verschlechtert, aber in vielen gebeutel- 41 45 49
82 31 53 59
reichen und armen Menschen, Ländern fern das Geschäft verderben würden. ten Staaten nach jahrelanger Rezession 47 43

I
56 31
und Erdteilen ein kausaler und voll- Wie konnte es nun in so kurzer Zeit n Deutschland gibt es etwa 4.000 wieder verbessert. Und sie offenbaren 33 45
33

GRAFIK
27 21 24
kommen einseitiger Zusammenhang? gelingen, so viele Menschen wohlhaben- Busunternehmen mit 76.000 Bus- eine deutsche Besonderheit. Denn die 10 8
23
12 8 11
6
Wer den jüngsten Bericht der Hilfsor- der, besser ernährt, gekleidet und sozial sen. Jetzt sehen sie ihre Geschäfts- „German Angst“ grassiert mit einigen Jul 08 Jan 09 Jul 09 Jan 10 Jul 10 Jan 11 Jul 11 Jan 12 Jul 12 Jan 13 Jul 13 Jan 14 Jul 14 Jan 15
ganisation Oxfam liest, der könnte zu abgesichert zu machen? Eins ist klar: grundlage in Gefahr. Der ohnehin schon Abstrichen auch in unseren mehr oder
Verschlechtern Gleich bleiben Verbessern
diesem Schluß kommen. Oxfam und ähnliche Organisationen harte Wettbewerbsdruck wird durch ei- weniger deutschsprachigen Anrainerstaa-
Die 1948 gegründete britische Orga- sind nicht der Grund dafür. Der wahre nen neuen Konkurrenten mit staatlicher ten Schweiz, Österreich und Luxemburg.
nisation ist ein Verbund verschiedener Grund liegt in moderner Technologie, Beteiligung verschärft: Die Deutsche In diesen vier Staaten (zusammen mit Türkei, Irland und Großbritannien derzeit mit bestem Geschäftsklima
Hilfs- und Entwicklungsorganisatio- die immer mehr Länder erreicht, dort Post hat im Dezember mitgeteilt, daß sie Deutschland) tritt außergewöhnlicher – Griechenland mit roter Laterne
nen, der behauptet, sich für die Produktivität erhöht nach dem Fernbus-Markt nun gemein- Pessimismus zutage. Besonders deutlich
eine gerechtere Welt ohne und zu Wirtschaftswachs- sam mit dem Marktführer Österreichs, wird diese übereinstimmende Haltung bei Türkei 65
Armut einzusetzen. Vor tum führt. Zwischen 1990 der Firma Eurotours, ins Bustouristik- der Einschätzung der Sparpolitik. Nur in Irland 63
einigen Tagen hat Oxfam und 2010 ist das Brutto- geschäft einsteigen will. diesen vier Staaten gibt es unter Firmen- Großbritannien 63
mit viel publizistischem inlandsprodukt in den Eurotours kooperiert im Vertrieb chefs eine Mehrheit für die Politik der Dänemark 58

GRAFIK
Tamtam behauptet, daß Schwellenländern jährlich unter anderem mit Tschibo. Deswe- schwäbischen Hausfrau. In allen anderen Niederlande 56
das reichste eine Prozent um durchschnittlich 6,1 gen befürchtet der Präsident des In- Ländern setzten Firmen eher auf Wachs- Portugal 55
der Menschheit mehr als Prozent gestiegen – und ternationalen Bustourismusverbandes tum auf Pump, selbst in als vergleichsweise
Spanien 51
50 Prozent der Reichtümer das, obwohl die Welt in die- (IBV) Richard Eberhardt einen heftigen solide geltenden Ländern wie Dänemark
Schweden 50
dieser Welt besäße und daß VON ser Zeit durch die schwerste Verdrängungsdruck, der dem „Begriff und den Niederlanden. „Zwei Drittel aller
die zwischen Reichen und MARKUS Finanzkrise seit den 1930er Kaffeefahrt neue Bedeutung verleihe“. Mittelständler in Europa treten für eine Luxemburg 50
Armen klaffende Lücke sich BRANDSTETTER Jahren ging. Weiter: „Die Zahl der Busreiseveranstal- Abkehr von der Austeritätspolitik ein“, so Belgien 49
stetig vergrößere. Natürlich ist Wachstum ter hat sich in den vergangenen Jahren Ernst & Young-Experte Peter Englisch. Norwegen 49
Geben die Zahlen das » Wachstum ist nicht alles, eine gerechte bereits um rund ein Fünftel verringert“, Deutschland und Anrainer als Pessis- Frankreich 48
tatsächlich her? Rechnen die Grundlage Verteilung unter allen Be- sagt Eberhardt. „Betriebsaufgaben und misten und Sparfüchse – auf der anderen Schweiz -5* 45
wir doch mal kurz nach: für Fortschritt völkerungsschichten spielt Fusionen gehen auf Kosten der bunten Seite die Opimisten: Das beste Geschäfts- Tschechei 45
Heute leben auf der Welt und Erhöhung auch eine Rolle, und in Vielfalt in der Bustouristik.“ Darunter klima herrscht in der Türkei, Irland und Finnland 44
sieben Milliarden Men- des Lebensstan- puncto Umverteilung ist leide auch der Verbraucher. Großbritannien. Die drei Länder und Österreich +2* 43
schen. Von denen muß dards. « noch einiges zu tun – aber Die Stimmung ist also verhalten. Portugal führen auch bei anderen Fra- Rußland 43
eine Milliarde, die wirk- Wachstum ist die Grundla- Und das ist typisch für den deutschen gen die Liste der Zuversichtlichen an. Deutschland -5* 40
lich Ärmsten der Armen, mit 1,25 ge für jeden weiteren Fortschritt und Mittelstand. So wie den Busunterneh- Es fällt auf, daß mit Großbritannien und Italien 37
US-Dollar am Tag auskommen. Eine jede weitere Erhöhung des Lebensstan- mern geht es vielen Mittelständlern in der Türkei zwei Staaten besonders op-
Polen 19
Milliarde ist viel zu hoch, und wir alle dards. Wer die Oxfam-Berichte und die Deutschland, bei denen sich die Zu- timistisch sind, die nicht zur Eurozone
-21 Griechenland
sollten etwas dafür tun, daß es diesen Reaktion der meisten Medien darauf versicht der letzten Jahre eingetrübt gehören. In Staaten der Eurozone ist das
Menschen bald besser geht. Aber noch liest, der gewinnt den Eindruck: Oxfam hat. Ernst & Young prognostiziert so- Klima hingegen schlecht. Wäre die Stim-
1990 waren es zwei Milliarden Men- benutzt das Elend der Armen, um da- gar die Rückkehr von Zukunftsangst. mung nicht in Polen und Rußland wegen „Spüren Sie irgendwelche negativen Auswirkungen der aktuellen
schen gewesen, die von einem Dol- mit einen publizistischen Klassenkampf „German Angst erfaßt den deutschen des Ukrainekonflikts ebenfalls eingetrübt, Spannungen zwischen Rußland und der EU bzw. den USA auf Ihr
lar am Tag leben mußten. Im selben zu inszenierten. Oxfam geht es nicht Mittelstand“, warnt die Wirtschafts- so würden fast alle Pessimisten aus der Geschäft?“
Zeitraum ist die Anzahl der Armen in mehr darum, den Armen zu geben, prüfungsgesellschaft in ihrem neuesten Eurozone kommen.
Schwellenländern von 49 Prozent auf sondern von den Reichen zu nehmen. Mittelstandmonitor. Der Konflikt zwischen Rußland und Anteil „Ja“
5
21 Prozent gesunken. Die Anzahl der Für die Studie, die vor einer Wo- dem Westen verhagelt bereits jetzt 26
Armen auf der Welt hat sich also in Oxfam-Bericht: „Besser gleich!“: che in Berlin vorgestellt worden ist, Prozent der deutschen Mittelständler 17 Branche
25 Jahren halbiert. Nie zuvor in der www.oxfam.de/node/21348 wurden 6.000 Unternehmen aus 21 mehr oder weniger das Geschäft. Im Rest Industrie 25
europäischen Ländern (inklusive Tür- von Europa sind es 22 Prozent. Je grö- Handel 23
Dienstleistung 19
kei und Rußland) befragt. Die meisten ßer, desto härter wirkt sich der Konflikt Bau/Energie 19
Deutsche Post plant Ausgliederung von Paketboten der befragten deutschen Firmen ma- aus. Industrie und Handel sind stärker
chen zwischen 30 und 100 Millionen betroffen als andere Branchen. Umsatzklasse
78
Radikale Einbußen Euro Umsatz pro Jahr und stammen
aus der Industrie (42 Prozent), gefolgt Fast niemand schreit
< 30 Mio. €
30 bis 100 Mio. €
19
22
von Dienstleistungen (26), Handel (18) nach Subventionen > 100 Mio. € 27
Von Jörg Fischer Ja, erhebliche Ja, geringfügige Nein
und Bau/Energie (14).
Gerade noch 19 Prozent der befragten Zu den Folgen gehört ein Abschwung

B enchmarking Production 5000 x

5000“, so hieß 1999 das Lohn-
senkungskonzept des damaligen VW-
herigen Postlern mit 2.000 bis 2.200
Euro Monatslohn plus Zulagen. Die
Post begründet ihr Ausgliederungspro-
600 deutschen Unternehmen glauben an
eine Verbesserung der wirtschaftlichen
Lage, 33 Prozent hingegen an eine Ver-
am Arbeitsmarkt. In keinem Land gibt
es mehr Firmen, die von einer sinkenden
Beschäftigung ausgehen, als in Deutsch-
„Welchen der beiden Politikansätze sollten die europäischen Regie-
rungen Ihrer Ansicht nach in den kommenden Monaten verfolgen?“

Arbeitsdirektors Peter Hartz. Danach gramm mit dem verschärften Wett- schlechterung. Vor dem Hintergrund land (16 Prozent). Ursache Mindestlohn? Irland 81 19
sollten 5.000 neue Stellen bei Volks- bewerb – was nur zum Teil stimmt. der Entwicklung der letzten Jahre und Die Gutachter von Ernst & Young sind Griechenland 80 20
wagen entstehen – für jeweils 5.000 D- Dank Amazon, Otto & Co. wächst im internationalen Vergleich wird deut- nicht ganz sicher: „Das kann damit Norwegen 79 21
Mark Bruttolohn. Um die Produktion das Paketgeschäft zweistellig, der Post- lich: Die Stimmung war lange nicht so zusammenhängen, aber da muß nach
an deutschen Standorten zu sichern, Vorsteuergewinn stieg 2014 auf weit schlecht. Branchen differenziert werden.“ Niederlande 78 22
stimmte die IG Metall dem Plan des über eine Milliarde Euro. Auch der Zum einen ist der Trend in Deutsch- Busunternehmer Eberhardt redet in Rußland 75 25
späteren „Hartz IV“-Namensgebers US-Konkurrent UPS bezahlt ähnlich land klar: Noch vor einem Jahr rechne- dieser Frage Klartext: „Der Mittelstand, Dänemark 74 26
letztlich zu, der Tarifeinbußen von 15 wie die Post. Und daß Hermes, DPD ten 49 Prozent der Unternehmen mit dem bürokratische Monster wie die Um- Polen 72 28
bis 20 Prozent festschrieb. Anderthalb oder GLS auf selbstausbeutende Sub- einer Verbesserung der Lage, und nur weltzonen und seit diesem Jahr die Min- Italien 71 29
Jahrzehnte später entsprechen den unternehmer setzten können, ist nicht acht Prozent waren skeptisch. Jetzt hat destlohnmeldeverordnung aufgebürdet Spanien 70 30
5.000 D-Mark inflationsbereinigt nur der Bundespolitik seit Rot-Grün sich dies ins Gegenteil verdreht. Was werden, muß von Wettbewerbsdiskri- Portugal 68 32
etwa 3.200 Euro. Ein Einkommen, zu verdanken, sondern auch dem völ- das Geschäftaftsklima angeht, so liegt minierungen entlastet werden.“
Finnland 67 33
von dem viele Zeit- und Werksver- ligen Versagen der Gewerkschaften. Deutschland auf einem der letzten Plät- Hier sind sich die Mittelständler aus
tragsarbeiter in der deutschen Au- „Das ist der Einstieg in den Aus- ze. Dahinter kommen nur noch Italien, Europa einig: Kaum einer wünscht sich Schweden 65 35
tobranche heute nur träumen können. stieg aus der Sozialpartnerschaft“, Polen und Griechenland. mehr Subventionen. Die meisten wol- Frankreich 62 38
Nun kündigte ein weiterer Dax- klagt nun Verdi-Vize Andrea Kocsis. Wer nach den unternehmensspezifi- len Entbürokratisierung und Steuerer- Türkei 60 40
Konzern mit staatlicher Beteiligung Doch den „sozialpolitischen Skandal schen Einschätzungen der Firmen fragt, leichterungen. Das ist auch die Haupt- Großbritannien 59 41
an, daß es noch radikaler geht: Die ersten Ranges“ wird die stellvertreten- bekommt noch schwächere Zahlen – aus forderung von Richard Eberhardt: Er Belgien 58 42
Deutsche Post will künftig bis zu de Post-Aufsichtsratschefin kaum ver- deutscher Sicht: So rechnen nur fünf hätte am liebsten eine „Reduzierung der Tschechei 52 48
20.000 Zusteller zu neugegründeten hindern: Dafür ist die DGB-Gewerk- Prozent der deutschen Mittelständler Mehrwertsteuer für die Beförderung mit Österreich 49 51
Billig-GmbHs namens DHL Delive- schaft viel zu sehr mit Themen wie mit einer Verbesserung der eigenen Ge- Reisebussen“.
ry abschieben – für knapp über zehn „Antidiskriminierung“, „Antirassisti- schäftslage in den kommenden sechs Deutschland 44 56
Euro pro Stunde. Der Verdi-Tariflohn scher Bildungsarbeit“, „Demos gegen Monaten. Sogar in Griechenland sind Luxemburg 41 59
Ernst & Young. Mittelstandsbarometer
der Logistikbranche bedeutet 20 bis 30 Rechts“, „Genderpolitik“ oder „Lärm mit acht Prozent mehr Unternehmer Deutschland und Europa, Januar 2015 Schweiz 39 61
Prozent weniger im Vergleich zu bis- im Großraumbüro“ beschäftigt. optimistisch als bei uns. www.ey.com/DE/de/Home Angaben in Prozent Wachstumsförderung Haushaltskonsolidierung

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Die Schulden
Ulrich Horstmann
Zurück zur sozialen
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JF-Buchdienst · Hohenzollerndamm 27a · 10713 Berlin im 21. Jahrhundert Marktwirtschaft! Wie ein Traum an der Gier Weltmacht IWF
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Bitte in Druckbuchstaben ausfüllen! Pikettys „Das Kapital im Die biologische Evoluti - Subventionspolitik der EU ent-
21. Jahrhundert“ on und die soziale Entwick- steht eine staatliche Planwirt-
Expl. Bestell-Nr. Autor/Kurztitel Euro
Nur wer die Dynamik von Ver- lung führten zur Ausbildung schaft, die sämtliche Lebens-
schuldung und Entschuldung immer höherer Freiheitsgrade bereiche jedes Bürgers klein-
versteht, kann Vermögens- der Individuen. Wir stehen teilig erfasst. Carlos A. Gebau-
verteilung und Wirtschafts- heute am Scheideweg: Gera- er entlarvt das politische und
krise verstehen und Lösungen de Freiheit und Individualis- bürokratische Monster aus
erarbeiten. „Die Schulden im mus drohen in neuen Totali- Brüssel und plädiert für eine
21. Jahrundert“ liefert über- tarismus umzuschlagen. Ein Rückbesinnung zur Selbst-
zeugende Lösungsvorschläge Neurobiologe plädiert für ein verantwortung.
für die aktuelle Krise. Umdenken. 200 S., Pb.
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Vorname/Name Bruno Bandulet, Peter Boehrin- Walther Seinsch Frank Schäffler

ger, Marc Faber, Thorsten Verbrecher-Kartei Nicht mit unserem Geld!
Schulte, Dimitri Speck Er erpreßt Staaten, plündert Kontinente
Straße/Nr. (Kein Postfach) Über Banker, Manager und Die Überwindung der
Insiderwissen: Gold Politiker Überschuldungskrise von und hat Generationen von Menschen die
Profitieren Sie von dem Insi- Der Autor greift die groteske Staaten und Banken Hoffnung auf eine bessere Zukunft genom-
PLZ/Ort
d e r w i s s e n d e r Au to r e n ,
JF-BD-6/2015

Inkonsequenz und Verlogen- Ein finanzpolitisches Expe-

die teilweise seit drei Jahr- heit selbst ernannter Exper- riment, das es so noch nicht men. Der IWF ist die mächtigste globale
zehnten auf den Edelme- ten, wie auch Ökonomen an. gegeben hat, wird immer
Telefon E-Post
tall- und Devisenmärkten zu Finanzorganisation, seine Geschichte ein
Er erhofft sich mit seinen Fest- absurder. Der FDP-Politiker
Hause sind. Mit diesen Infor- stellungen eine öffentliche Frank Schäffler war einer der moderner Kreuzzug gegen die arbeitende
Datum/Unterschrift mationen sind Sie optimal vor Diskussion über diese miss- wenigen Bundestagsabgeord-
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JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015 W I R T S C H A F T | 11

Papierkrieg pur Parallelwährung statt

Euro für Griechenland?
FRANKFURT. Der frühere Chef-
Mindestlohn: Alles sollte gerechter werden, doch heraus kam ein Bürokratiemonster, mit dem die deutsche Wirtschaft gegängelt wird volkswirt der Deutschen Bank,
Thomas Mayer, glaubt nicht, daß
eine erneute Umschuldung Grie-
MARKUS BRANDSTETTER chenlands zur Staatsfinanzierung
ausreicht. Eine alternative Geld-
quelle wäre, „staatliche Schuld-
titel nicht zum Erwerb von Eu-

E
in Maschinenbauer in Baden- ros auszugeben, mit denen dann
Württemberg. Ein Familienun- staatliche Rechnungen beglichen
ternehmen, das erstklassige He- werden, sondern diese Schuldtitel
bebühnen, Laufkatzen und Winden für unmittelbar als Zahlungsmittel zur
den industriellen Einsatz produziert. Weil Finanzierung der versprochenen
die Produkte der Firma technisch so gut Wohltaten einzusetzen“, schlug
sind, verkauft sie sie in die ganze EU und Mayer in der FAS vor. „Wenn
in die USA, ja bis nach Brasilien. diese Schuldtitel mit unendlicher
Weil die Leitung in Deutschland kei- Laufzeit versehen werden, dann
nen Angestellten einfach entlassen kann wäre der Staat nicht zur Einlösung
– und sei er noch so schlecht –, weil also in Euro verpflichtet“, erklärte der
Mitarbeiter den ohnehin schon hohen Gründungsdirektor des Flossbach
Fixkostenblock immer weiter aufblähen von Storch Research Institutes. So
und in Nachfrageflauten nicht abgebaut könnte beispielsweise der verspro-
werden können, arbeitet sie mit Subunter- chene Mindestlohn in den neuen
nehmern zusammen, die eine Vielzahl von Schuldtiteln ausgezahlt werden.
Aufgaben für die Schwarzwälder Firma „Auf diese Weise könnte eine na-
übernehmen. 20 Jahre lang hat das bestens tionale Parallelwährung zum Eu-
funktioniert, eine Vielzahl kleinerer An- ro entstehen, die es der Regierung
bieter, viele davon direkt vor der Haustür, erlauben würde, die gesamte aus
hat von dem umtriebigen Familienunter- Euro und Parallelwährung beste-
nehmen im Hochschwarzwald profitiert hende griechische Geldmenge un-
und gutes Geld erhalten. Bis jetzt, denn abhängig von der Geldpolitik der
seit diesem Monat ist alles anderes, denn EZB zu erhöhen“, erläuterte May-
jetzt gibt es den Mindestlohn. er. Die neue Währung würde zwar
FOTO: RONALD GLÄSER

abwerten, aber die aus Euro und

Lückenlose Dokumentation
der Arbeitszeit ist gefordert
Für die Schwarzwälder bedeutet dies
Papierkrieg pur, denn ab sofort müssen
sie darüber wachen, daß die eigenen Mit-
arbeiter – ebenso wie die ihrer Subunter-
nehmer – auf jeden Fall den Mindestlohn
erhalten. Für das Unternehmen bedeutet
dies, daß seitenlange Listen mit Personal-
daten aufgestellt, ausgefüllt und überprüft
werden müssen – Listen, in denen auch
die Mitarbeiter der Subunternehmer er-
faßt werden, die das Unternehmen über-
haupt nicht kontrollieren kann. Für die
Buchhaltung bedeutet dies seit Jahresbe-
ginn Streß und Chaos in Reinkultur.
Noch ein Beispiel für die Segnungen
des großkoalitionären Mindestlohnes ge-
fällig? Da hätten wir den „Circus Probst“,
eine der ältesten zircensischen Dynastien
im deutschsprachigen Raum. Es ist kein
strategisch wichtiges Unternehmen, für
das sich Politiker einsetzen, einfach nur
ein Zirkus mit Sitz in Staßfurt, der im-
merhin 80 Mitarbeiter hat, die mit Herz-
blut anspruchsvolle Vorstellungen bieten.
Werbeplakat von Verdi in Berlin: Die Polizeikelle, ein Symbol des Obrigkeitsstaates, als Zeichen für das neue Bürokratiemonster
Noch nie wurde eine Tournee abgesagt,
aber jetzt ist es soweit: „Mit den elf bis 26
Euro, die wir pro Karte einnehmen“, sagt
Andreas Bleßmann, der Geschäftsführer
des Unternehmens, „können wir einfach
keine Mindestlöhne bezahlen.“
Der Arbeitstag im Zirkus beginnt um
sieben Uhr morgens und endet gegen zehn
Uhr abends; am Samstag wären ab sofort
50 Prozent Überstundenzuschläge und
am Sonntag gleich 100 Prozent davon zu
bezahlen – das sind Zahlen, die ein Schau-
stellerunternehmen nicht erwirtschaften
kann. Von der zusätzlichen Bürokratie,
daß nämlich ab sofort jede gearbeitete
Stunde für jeden Mitarbeiter und jeden
Tag der Woche schriftlich zu dokumen-
tieren ist, ganz zu schweigen.
Nicht besser sieht es in der Gastrono-
mie aus. Seit Januar müssen auch Wirte
8,50 Euro bezahlen, was viele Gastrono-
men bereits seit Jahren tun. In struktur-
schwachen Gegenden wie Sachsen-Anhalt
schafft das aber echte Existenzprobleme:
„Wir schätzen, daß 20 Prozent der Betrie-
be aufgeben werden, besonders kleine im
ländlichen Raum“, klagt Michael Pirl, Vi-
zechef der Landessektion des Hotel- und
Gaststättenverbandes Dehoga.
Beraterbranche reibt
sich schon die Hände
Bundesweit ist das Problem hingegen
vor allem die damit verbundene Lohnbü-
rokratie. Jede einzelne Arbeitsstunde für
jeden Mitarbeiter bis zur letzten Aushilfe
muß nun lückenlos aufgezeichnet werden.
Viele Unternehmen müssen einen Mit-
arbeiter nur für die Bürokratie abstellen,
und der bringt dann jeden Tag eine Stunde
damit zu, lange Listen auszufüllen. Dies
mag bei Großbetrieben in der Hotellerie,
die auf professionelle Steuerberater und
Softwareprogramme zurückgreifen kön-
nen, noch angehen. Aber kleine Wirte und
Kneipenbetreiber bleiben dabei voll auf
der Strecke, denn wer den Mindestlohn
nicht flächendeckend bezahlt und akri-
bisch dokumentiert, der muß mit saftigen
Bußgeldern rechnen.
Wer allerdings profitiert richtig von
Mindestlohngesetz und Bürokratie? Das
sind die in Wahrheit vollkommen über-
flüssigen Industrie- und Handelskammern
Steuerberater, Seminarveranstalter sowie
Hersteller von Software für Personalbuch-
haltung und Zeiterfassungssysteme. Die
haben seit Monaten volle Auftragsbücher
und bauchige Terminkalender. Denn
ab sofort muß informiert und geschult
werden, flimmern wieder die ewigen
Powerpoint-Präsentationen mit den vie-
len bunten Bildern aus Tausenden von
Beamern, um Unternehmern die vielen
Fallstricke und Fußangeln kostenpflichtig
aufzuzeigen, die man in das neue schwarz-
rote Gesetz eingebaut hat.
Ebenfalls begeistert sein dürften alle
Rechtsanwälte mit der Spezialisierung
auf Arbeitsrecht, denn schon in einigen
Monaten wird eine Klagewelle durch
Deutschland rollen, werden Mitarbeiter
Mindestlöhne gerichtlich einfordern, jede
kleine Abweichung auf dem Klageweg
ahnden lassen und Unternehmer sich da-
gegen wehren müssen. Richtig interessant
wird die Geschichte aber erst dann, wenn
nicht nur Linkspartei und Verdi, sondern
alle DGB-Gewerkschaften damit anfan-
gen, einen Mindestlohn von zehn Euro
durchzusetzen. Langfristig wird das nicht
zu verhindern sein, denn im Januar wurde
die Büchse der Pandora geöffnet.
Parallelwährung zusammengesetz-
ten Lohnstückkosten würden sin-
ken und „die Wettbewerbsfähig-
keit der griechischen Wirtschaft
steigen“, so Mayer. (fis)
www.fvs-ri.com
Billiges Öl schadet
Bosch und der Umwelt
GERLINGEN. Bosch-Aufsichts-
ratschef Franz Fehrenbach beklagt
die massiv gesunkenen Ölpreise.
Dies werde „den Dampf aus der
Entwicklung regenerativer Energi-
en nehmen. Für die Umwelt ist das
mit Sicherheit nicht gut “, erklärte
der frühere Konzernmanager der
Süddeutschen Zeitung. Kurzfristig
sei der Ölpreisverfall „ein kleines
Konjunkturprogramm. Langfri-
stig ist das eher schlecht“, so der
65jährige Wirtschaftsingenieur.
Der Bosch-Konzern habe in den
vergangenen Jahren jeweils 400
Millionen Euro jährlich in die
Elektromobilität investiert. „Wir
rechnen nach 2020 mit deutlich
sinkenden Preisen für Batteriespei-
cher. Aber nur, sofern die Indu-

Deutschland verärgert Polen und Tschechen strie jetzt nicht wegen des nied-
rigen Ölpreises nachläßt bei der
Batterie-Forschung“, erläuterte
Logistikgewerbe: Mindestlohn für ausländische Lkw-Fahrer fraglich / Brüssel pocht auf Entsenderichtlinie / Droht deutschen Spediteuren der „Super-Gau“? Fehrenbach (fis)

PAUL LEONHARD
D ie Einführung des Mindestlohns
in Deutschland belastet zur Zeit
das Verhältnis zwischen Berlin und
mehreren mittel-osteuropäischen Län-
dern. Insbesondere Polen, Tschechien,
Litauen und die Ukraine befürchten
gravierende Nachteile für ihre Trans-
portunternehmen. Denn der zu Jah-
resbeginn gesetzlich festgeschriebene
Stundenlohn von mindestens 8,50
Euro gilt auch für Angestellte auslän-
discher Firmen, wenn diese auf deut-
schen Straßen unterwegs sind.
Vor allem daß es keine Übergangsre-
gelungen gibt, empört die Betriebe in
den Nachbarländern. In der Tschechei
etwa beträgt der Stundenlohn eines Fah-
rers zwischen zwei und vier Euro.
„Das Gesetz steht nicht im
Einklang mit EU-Recht“
„Solch ein Tarif verringert drastisch
die Konkurrenzfähigkeit der Firmen aus
Ost- und Mitteleuropa, wo die Löhne
bedeutend niedriger sind“, schreibt die
polnische Zeitung Gazeta Wyborcza
und warnt: Wenn sich die polnischen
Firmen deswegen aus Deutschland zu-
rückziehen müßten, würde in nur we-
nigen Monaten die Transportbranche
zusammenbrechen. Diese ist aber für
die Gesamtwirtschaft Polens genauso
wichtig wie der Bergbau. Von „feind-
lichem Handeln gegen die polnische
Wirtschaft“ spricht gar der Breslauer
Transportunternehmer und Ex-Sejm-
Abgeordnete Władysław Frasyniuk.
Auch Prag droht. „Unserer Ein-
schätzung nach ist das deutsche Ge-
setz nicht im Einklang mit europä-
ischem Recht“, sagte ein Sprecher des
Verkehrsministeriums. Man werde
Deutschland um Klärung bitten, wie
der Mindestlohn umgesetzt werde.
Warschau hat die Antwort bereits
vorliegen: „Wer hier in Deutschland
arbeitet, und sei es nur temporär, der
bekommt den Mindestlohn“, ließ
Abeitsministerin Andrea Nahles (SPD)
der polnischen Botschaft mitteilen.
Inzwischen sind fünf polnische
Europaabgeordnete bei der EU-Kom-
mission vorstellig geworden. Die Be-
hörde sieht indes auf Grundlage ihr
„vorliegender Informationen“, daß
die Mindestlohnvorschriften nicht im
Einklang mit der EU-Entsendericht-
linie stünden. Beklagt wird auch der
zusätzliche Bürokratieaufwand. Die
ausländischen Spediteure müssen exakt
auflisten, wann welcher ihrer Fahrer
auf deutschen Straßen unterwegs ist.
Zahl der Woche
Die deutschen Spediteure warnen
Mit gut 77 Prozent hat
schon vor einem „Super-Gau“. Das
Arbeitsministerium müsse angesichts
der Brüsseler Drohung „unterlassene
Deutschland nach Schwe-
den (80 Prozent) die
Hausarbeiten nachholen, um Schlim- zweithöchste Erwerbstä-
meres zu verhindern“, so der Bundes- tigenquote in der EU. Die
verband Güterkraftverkehr (BGL). wöchentliche Vollarbeitszeit
Notwendig seien auch wirksame
liegt im Schnitt bei 41,9
Kontrollen, um einen „fairen Wett-
bewerb“ zu gewährleisten. Dafür fehlt Stunden. Der Anteil der Teil-
dem deutschen Zoll aber das Personal. zeiterwerbstätigen beträgt
25 Prozent.
Bundesverband Güterkraftverkehr (Quelle: IMK Report 103/2015)
www.bgl-ev.de

Michel Houellebecq
NEUt
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Unterwerfung
Roman
Wir sind alle schockiert über die Nachricht aus Paris: Bei einem islamistischen Terror-
anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ wurden mindestens
12 Menschen getötet und mehrere verletzt. Wahrscheinlich passierte das Attentat
nicht zufällig an dem Tag, an dem in Paris der neue Roman von Michel Houellebecq
FOTO: PICTURE-ALLIANCE- WOLFGANG SCHMIDT

erschienen ist. Houellebecq schildert hier den Wandel Frankreichs zu einem islami-
schen Staat und wie sich die politische Klasse dieser Entwicklung unterwirft.
Brutaler könnten sich die vor der Gefahr des Islamismus warnenden Stimmen wie die
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12 | H I N T E R G R U N D
FOTO: PICTURE ALLIANCE
Der „Teleférico“, die Seilbahn zwischen La Paz und der 4.050 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Vorstadt El Alto: Die rasend schnell
wachsende Armenmetropole El Alto wird ganz überwiegend von indigenen Völkerschaften besiedelt – die Cholitas tragen stolz ihre Gewänder (r.)
LUKAS NOLL, COPACABANA / LA PAZ
N
ur noch schnell ein wenig
Paceña über den Spielzeug-
minibus, der im Blumenbeet
geparkt ist. Dann werden die
Hände vor dem Bauch aufgehalten, als
würde das Vaterunser gebetet. Wie gut,
daß der Prediger nicht die ganze Bier-
flasche über der kleinen Gedenkstätte
ausgeschüttet hat. So bleibt noch ein
wenig übrig für alle Beteiligten. Nicht
nur die Männer, auch die Cholita geneh-
migt sich einen Schluck von Boliviens
nationaler Biermarke. Ihre beiden lan-
gen Zöpfe hängen bis zum traditionellen
Rock herunter, dort sind sie nochmals
zusammengebunden. Hinter der Familie
baut sich ein See auf, bei dem nur schwer
das andere Ufer auszumachen ist. Doch
die drei Erwachsenen schauen so kon-
zentriert auf das Spielzeugauto, daß sie
die Schönheit der Umgebung gar nicht
wahrzunehmen scheinen.
Die indigene Kultur
durchzieht den Alltag
Warum auch, sind sie doch hier zu
Hause am Titicacasee, der mehr ein
kleiner Ozean ist als ein See. Und der
manchen Besucher deshalb nicht nur
mit der für den Andenstaat typischen
Höhenkrankheit, sondern auch mit
Seekrankheit überrascht. Kein Wunder,
daß das durch den Salpeterkrieg zum
Binnenland geschrumpfte Bolivien noch
immer in skurrilem Stolz seine Marine
über die Wellen des 3.810 Meter hoch
gelegenen Gewässers schickt. Keine
wirkliche Flotte, nur noch kleine Mo-
torboote sind es, die an großen Solda-
tenstatuen anlegen, die Geschichten von
Boliviens „maritimer Macht“ erzählen,
die nicht nur dem Gefühl nach aus ei-
nem anderen Jahrhundert stammt.
JF-Buchdienst
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10713 Berlin
Präsident Evo Morales bedient geschickt die Erwartungen
der erzkonservativen Bevölkerung des Anden-Staates
Der Cerro Calvario, auf dem der ei-
genartige Wallfahrtsort seinen Platz hat,
liegt weitere zweihundert Meter höher
und läßt jeden einzelnen seiner Pilger
wegen der dünnen Luft schwere Buße
tun. Bevor die katholische Kirche die
Marienverehrung hinaufbrachte, ver-
ehrten schon die Qulla hier oben den
Katzenkopf Titicaca.
Es folgten die Inka, die den Heiligen
See zum Zentrum ihrer Sonnenanbe-
tung machten. Heute mischen sich die
Riten der verschiedenen Kulte auf dem
Cerro Calvario, der über der putzigen
Seestadt Copacabana thront. Und wer
auch im neuen Jahr beschützt Bus und
Auto fahren will, der kauft sich an einem
der Stände hier oben ein Spielzeugauto.
Die Auswahl an Spielzeugdevotionalien
ist riesig. Statt Weihwasser muß es da
auch mal Bier tun. Besser als die gelb-
lich-süße Inkacola, die es aus Peru über
den Titicacasee geschafft hat, schmeckt
Paceña allemal.
Copacabana ist nicht nur Namensge-
ber des weltweit berühmtesten Strandes,
den die meisten Bolivianer wohl niemals
sehen werden. Das Städtchen ist auch ein
FOTO: LUKAS NOLL
Präsident Morales in Tracht:
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Späte Rache
der Indios
Reportage aus Bolivien: Der sozialistische
Wallfahrtsort, wie zugeschnitten auf ein
Volk, das sich seine indigene Kultur wie
kein anderes in Lateinamerika bewahrt
hat und die Sonntagsmesse ganz bequem
mit vermeintlich glückbringenden Lama-
föten und Hexenmärkten vereinbaren
kann.
Sein indianisches Herz versteckt das
arme Bolivien nicht, sondern feiert es. Es
prostituiert seine Aymara- und Quechua-
Identität nicht zum Tourismusschlager,
sondern lebt sie. Indios, die sich für ein
paar Münzen kurz die indianische Tracht
über Polohemd und Nikes werfen, sucht
man im Gegensatz zum Rest des Kon-
tinents vergebens. Im Gegenteil: Wer
dabei erwischt wird, eine der Cholitas
von vorne zu fotografieren, riskiert in
Bolivien großen Ärger. Fotos, so raunt
es, rauben einer Cholita die Seele.
So prägen die traditionell gekleideten,
oftmals kugelrund wirkenden Bolivia-
nerinnen das Straßenbild. In Boliviens
heimlicher Hauptstadt, dem Regie-
rungssitz La Paz, zählt man mehr Cho-
litas als „westlich“ gekleidete Frauen. So
indianisch, wie die vom Hochlandleben
rauhen, indigenen Gesichtszüge dies
Der Plurinationale Staat Bolivien
PERU
Titicacasee
Copacabana
La Paz
Südpazifik
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Der »häßliche Deutsche« wurde 1914 erfunden. Er war und ist
das Ergebnis einer skrupellosen Propaganda, die die Gegner
Deutschlands während des Ersten Weltkriegs in Umlauf
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ISBN 978-3-929886-45-0
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glauben machen wollen, ist die Tracht
dabei gar nicht. Die „Pollera“, wie der
Überrock heißt, unter dem bis zu zehn
Unterröcke getragen werden, kam durch
die spanischen Kolonialherren nach Bo-
livien. Die merkwürdige Herrenmelone,
welche die meisten Cholitas über ihrer
Zopfpracht tragen, wurde versehentlich
in so großer Stückzahl aus Italien im-
portiert, daß sie kurzerhand zur bolivia-
nischen Hutmode avancierte – jedoch
nur bei der Damenwelt.
In einer Nacht wie dieser muß der
steife Filzhut als Mütze dienen, so kalt
ist es auf den Straßen von La Paz. Auf
Decken hat es sich ein ganzes Dutzend
Cholitas an der Hauptstraße in der Nähe
des Busbahnhofs notdürftig bequem ge-
macht. Vor dem Schlafengehen werden
noch einmal die Hände gewaschen, in
einer schlammigen Pfütze zwischen Stra-
ße und Bürgersteig. Vor Denguefieber
schützen die Frauen hier nur die das gan-
ze Jahr über kühlen Temperaturen. Die
Kinder kuscheln sich an ihre Mütter,
auch die Kleinsten, die tagsüber in eine
Decke gewickelt auf den mütterlichen
Rücken geschnallt sind. Dann nämlich
BRASILIEN
BOLIVIEN
Sucre
PARAGUAY
ARGENTINIEN
Die Erfindung des
häßlichen Deutschen
Karlheinz Weißmann
FOTO: WIKIMEDIA
müssen die Cholitas das wenige Geld
verdienen, das mit dem Verkauf von Sü-
ßigkeiten und anderen Leckereien auf
den Straßen der Großstadt zu machen
ist. Wenn es irgendwann einmal ein we-
nig mehr ist, reicht es vielleicht für ei-
nen kleinen Stand. Die Konkurrenz von
Supermärkten brauchen sie in Bolivien
nicht zu fürchten. Vom Haarshampoo
über den ungekühlten Fleischspieß bis
zum USB-Speicherstäbchen: alles wird
auf der Straße gehandelt.
Ein Sozialismus mit
ethnischer Attitüde
Doch so schnell wird es nicht dafür
reichen, von der Straße wegzukom-
men oder auch nur hinter einen Stand.
Auch morgen nicht. Geschuftet wird
weiter, daran besteht kein Zweifel. Dar-
auf stimmt an jedem noch so kühlen
Morgen wieder der Schriftzug ein, der
Besucher schon beim Verlassen des Bus-
bahnhofs empfängt: „La Paz – nada nos
detiene“, prangt da, wo billige Taxen und
verspätete Busse durch den braunnassen
Schlamm donnern, den der Regen aller-
orten aus den Löchern zaubert. „Nichts
kann uns aufhalten.“
Die verrosteten Lettern mögen ihre
besten Tage hinter sich haben. Für Bo-
livien gilt das nicht. Seit Jahren ist das
Land in Aufbruchstimmung, wie ver-
zaubert durch den Wahlsieg des Sozia-
listen Evo Morales im Jahre 2006. Die
Euphorie hat nicht nur eine politische
Komponente: Ist Morales doch das erste
indianische Staatsoberhaupt Boliviens
– in einem Land, in dem Aymara und
Quechua zusammen fast 40 Prozent
der Bevölkerung stellen, weitergefaßten
Definitionen zufolge sogar 68 Prozent
indigenen Völkern angehören.
Mit autoritären Methoden hat der
stets in Pullover und Lederjacke, wenn
nicht im indigenen Janker auftreten-
de Morales das Land umgeformt, die
„República“ zum „Estado Plurinacional“
gemacht und die lange Zeit marginali-
sierte Indio-Mehrheit zur angesehenen
Schicht erhoben. Kritiker werfen dem
vergangenen Herbst zum zweiten Mal
wiedergewählten Präsidenten Amtsmiß-
brauch und teils sogar Rassismus vor, der
herkömmliche Mestizen ohne indiani-
sches Blut nicht mehr in den diploma-
tischen Dienst aufsteigen läßt. „Einen
Sozialismus mit ethnischen Mitteln“
JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015
will ein ungenannt bleibender Mestize
in Morales’ plurinationalem Staat ausge-
macht haben. „Dafür gibt es auch ganz
andere Worte.“
Viele Bolivianer scheinen allerdings
nur noch auf ein Wort zu schwören, drei
in der Parteifarbe blau gesprühte Let-
tern: EVO. Touristen wird der oberste
Indio auf T-Shirts und auf Postkarten
verkauft, er lächelt von Werbetafeln
und alten Wahlplakaten, die von der
verarmten Bevölkerung wie Kunstwer-
ke hängengelassen werden. „Con Evo
vamos bien“, ziert im Armutsviertel El
Alto, das die eigentliche Stadt La Paz an
Bevölkerungszahl mittlerweile überholt
hat, beinahe jede zweite Häuserwand.
„Mit Evo geht es voran.“
Der Zorn über die Politik vergange-
ner Jahrzehnte, die dem verarmten Volk
2002 sogar das Grundwasser wegpriva-
tisieren wollte, ist einer einschüchtern-
den Siegesgewißheit gewichen. In der
reichen Ostprovinz Santa Cruz, die sich
vor wenigen Jahren noch mit Autono-
miebestrebungen rechtzeitig vom Sozia-
lismus verabschieden wollte, votierten
die Wähler im Herbst mehrheitlich für
den starken Aymara-Mann. Der erklärte
Mao-Bewunderer bezeichnete die Kir-
che als „Feind des Friedens“, den man
„auswechseln“ müsse. Seinen Gegnern
verweigerte er vor heiklen Abstimmun-
gen schon den Zutritt ins Parlament.
Doch seine Rezeptur scheint zu wir-
ken, trotz Enteignungspolitik und ver-
ängstigten Investoren. Im Gegensatz zu
den erfolglosen Gesinnungsgenossen in
Venezuela und auf Kuba schreibt Morales
schwarze Zahlen, ein Wirtschaftswachs-
tum von stabilen fünf Prozent finanziert
die Sozialgeschenke ans „Pueblo“, das
Pro-Kopf-Einkommen hat sich inner-
halb der letzten zehn Jahre mehr als
verdoppelt.
Kein Wunder, hat Morales doch
kein an sich schon entwickeltes Land
kurzerhand in den Sozialismus gestürzt,
wie es Hugo Chávez „Bolivarianische
Revolution“ mit Venezuela anstellte.
Nein, Morales weiß die sozialistische
Agenda geschickt mit dem alternativen
Nachhaltigkeitsdenken indianischen
Wirtschaftens und einer erzkonserva-
tiven Bevölkerung zu verknüpfen, die
Konkurrenzdenken verschmäht. Auch
Boliviens starker Mann weiß, daß er
mit der streikfreudigen und politisch
aufmerksamen Bevölkerung so schnell
fallen kann, wie er aufgestiegen ist.
Da kommt es gut, wenn der Präsident
nicht nur in Bauhelm und Arbeitsklei-
dung posiert, sondern auch Ernst macht.
Seit Sommer fährt die erste Gondelbahn
von La Paz nach El Alto, noch im selben
Jahre folgten zwei weitere Linien aus
österreichischer Qualitätsproduktion.
3.000 Passagiere transportiert der Telefé-
rico pro Stunde, er soll La Paz’ Talkessel
von Smog und Verkehrschaos entlasten
und den Armen das Pendeln erleichtern.
Die nächsten fünf Linien in der Stadt für
tausend Meter Höhenunterschied sind
angekündigt. Dann kann sich die „Stadt
des Friedens“ des größten städtischen
Seilbahnnetzes der Welt rühmen.
Und wer weiß: Vielleicht bringen die
Gondeln eines Tages auch zwei Nationen
zusammen, die sowohl ein rücksichtsloser
Kapitalismus als auch Morales’ ethnisch
angehauchter Sozialismus mit Anlauf
auseinanderdividiert haben. Die Seile, sie
hängen schon. Und die Gondeln gleiten
unentwegt von den Reichenvierteln im
Tal hinauf und von den Elendsvierteln
im Hochland hinab. Bis sich Bolivien
eines Tages in der Mitte trifft, bis aus
dem „Estado Plurinacional“ eine Nation
wird, ist es noch ein langer Weg.
EDITION

W MEDIEN, Seite 17
Der Fall Khaled und die
Auflagenverluste der
tonangebenden Zeitungen
Pankraz,
die Trümmerfrau und
die verlorene Zeit
J eder blamiert sich, so gut er
kann. Seit Jahren nun schon
kämpft die Partei der Grü-
nen in München gegen den klei-
nen Gedenkstein für die sprich-
wörtlichen „Trümmerfrauen
von 1945“, den die Stadt im
Dezember 2013 am Marstall-
platz aufstellen ließ. Vor kurzem
war es wieder einmal soweit.
Landtagsabgeordnete der Grü-
nen erschienen auf dem Platz
und verhüllten den Stein mit
einem „Nazi-Überzieher“. Da-
zu grölten sie: „Kein Denkmal
für Altnazis!“ Und: „Spaenle,
du betreibst Geschichtsklitte-
rung!“ Ludwig Spaenle ist der
bayerische Kultusminister, der
die Aufstellung des Steins ver-
anlaßt hatte.
Daß es je in nennenswer-
tem Umfang Trümmerfrauen
in München und anderen zer-
störten deutschen Städten gege-
ben habe, sei eine „Mär“, eine
schlichte Lüge, behaupten die
Grünen. Es habe sich bei den
Schuttwegräumern der ersten
Nachkriegsmonate und -jahre
vielmehr um „Nazis und Nazis-
sen“ gehandelt, die von den alli-
ierten Siegern zwangsrekrutiert
worden seien. Denen sei also
nur verdiente Strafe widerfah-
ren, es gebe nicht den geringsten
Grund, ihrer in Dankbarkeit zu
gedenken oder ihnen gar Denk-
male zu errichten.
Eine solche Behauptung ist
derart dummdreist und wider-
lich, daß man sie nicht einmal
als Geschichtsklitterung be-
zeichnen mag. Allein in Mün-
chen wurde durch die Bomben-
angriffe jedes zweite Gebäude
schwer beschädigt oder zerstört.
Über fünf Millionen Kubikme-
ter Schutt galt es wegzuräumen.
Dazu brauchte es wahrhaftig
mehr als einige frontbefreite
NSDAP-Mitglieder. Weiteste
Kreise der Bevölkerung mußten
herangezogen werden, natürlich
überwiegend Frauen, denn die
meisten einsatzfähigen Männer
waren abwesend, im Krieg gefal-
len oder in Gefangenenlagern.
D
ie „Trümmerfrau“ war
also keineswegs eine
bloße Symbolgestalt,
ein nachträglich verklärendes
„Narrativ“, wie man heute sa-
gen würde. Sondern sie war
nach 1945 härteste Realität, in
München ebenso wie in Dres-
den oder Hamburg, Berlin oder
Köln. Und es ging dabei nicht
nur um das Beiseiteräumen von
Schutt, es ging buchstäblich ums
nackte Überleben und die völ-
lige Neuorganisation elemen-
tarster Lebensumstände. In der
„Trümmerfrau“ verkörperte sich
ein Frauentyp, dem man zumin-
dest solidarische Anteilnahme
und hohen Respekt entgegen-
bringen sollte.
„Unsere verlorenen Jahre“
hieß denn auch ein voluminö-
ser Dokumentenband aus der
Sammlung Luchterhand, in dem
das schwere Schicksal der Trüm-
merfrauen in größter Ausführ-
lichkeit beklagt wurde und der
reißenden Absatz fand. Nichts,
so liest man dort, hätten die-
se Frauen vom Leben gehabt,
nichts als körperliche Schwer-
arbeit, Sorge um den Mann an
der Front oder in der Gefangen-
schaft, Sorge um die Kinder mit
ihren hungrigen Mäulern, keine
schönen Kleider, keine schicken
Lokale zum Ausgehen, keinen
Trost in einsamen Nächten.
Der Tatbestand ist präzise ge-
schildert, dennoch wehrt sich
Pankraz spontan gegen den Ti-
tel „Verlorene Jahre“. Haben die
Trümmerfrauen wirklich „Zeit
verloren“? Was ist das denn,
„verlorene Zeit“? Soll damit
gesagt sein, daß die betreffende
Zeit für die Erinnerung verloren
ist, so daß man sich im Alter
nicht mehr an ihr wärmen kann?
Oder handelt es sich um einen
Verlust an Lebensintensität wäh-
rend der verbrachten Zeit selbst,
um ein bitteres Verfehlen des ge-
lebten Augenblicks?
Beides ist nicht identisch,
nicht einmal kongruent. Zei-
ten der Erfüllung haben einen
geringeren Erinnerungswert als
Zeiten der Entbehrung und der
Not. Gerade an seine schwersten
Jahre erinnert man sich nach ei-
nigem Abstand am intensivsten,
und zwar nicht nur deshalb, weil
man dabei den Triumph und das
Glück der schließlichen Über-
windung nachschmecken kann,
sondern auch und vor allem weil
schwere Zeiten die Menschen
viel enger zusammenschwei-
ßen und weil sie Tugenden und
Überlebenskräfte mobilisieren,
von denen man sich sonst nicht
träumen läßt.
S
o kommt es, daß Vergnü-
gungsreisen in friedlichen
Zeiten in der Regel allen-
falls oberflächliche Urlaubs-
bekanntschaften begründen,
Kriegs- und Nachkriegserleb-
nisse hingegen Freundschaften
und Soldidargemeinschaften,
die weit in Friedenszeiten hin-
einreichen und ein Leben lang
halten. Sogar äußerlich ganz er-
eignis- und tatenlose Jahre der
Gefangenschaft stiften enge Ge-
meinschaft, und für den Einzel-
häftling gewinnen sie nach der
Befreiung oft ein eigentümlich
bedeutsames, manchmal sogar
verführerisches Leuchten, das
den aus der Fülle schöpfenden
„Normalalltag“ ohne weiteres
verdunkeln mag.
Was aber das Erlebnisniveau
der von Luchterhand so aus-
führlich bedauerten Trümmer-
frauen betrifft, so lag es ohne
Zweifel hoch. Jeder Tag war für
diese Frauen eine gewaltige Her-
ausforderung all ihrer körperli-
chen und seelischen Energien,
ihrer Phantasie, ihres Witzes,
ihres Überlebenswillens. Hin-
zu kam das Bewußtsein, die
fehlenden Männer vertreten zu
müssen, und hinzu kam bald die
spürbare Genugtuung des Sie-
ges über Sisyphus. Zumindest
in Westdeutschland sahen die
Trümmerfrauen nach 1945, daß
es dank ihrer Arbeit tatsächlich
aufwärtsging. Sie sahen, daß sie
keine Zeit zu verlieren hatten –
und sie verloren keine.
Wenn heute etablierte Po-
litiker das Andenken an die
Trümmerfrauen bewußt in
den Schmutz ziehen und da-
bei nicht einmal vor dümm-
lichster Denkmalschändung
zurückschrecken, so scheint als
Antrieb mehr als nur das übli-
che Hecheln nach öffentlicher
Aufmerksamkeit und wohlfeile
Antifa-Rhetorik dahinterzustek-
ken. Hinzu tritt ein tiefer Neid,
den diese Kräfte gegenüber ih-
ren Schmäh-Objekten empfin-
den. Während sie, die Neider,
ihre beste Zeit verplempern mit
sinnlosem Herumgezappel und
eitler Wichtigtuerei, haben die
Beneideten ihre Zeit in glorioser
Weise genutzt! So etwas macht
kleine Geister wütend, treibt sie
in den Haß.
Aber wie spricht schon Kly-
tämnestra bei Äschylos? „Wer
unbeneidet wandelt, ist nicht
beneidenswert.“ Die Trümmer-
frauen vom Marstallplatz haben
also keinen Grund, sich irgend-
wie zu beklagen.
KULTUR
FORUM, Seite 18
W
Wir wollen die eine Freiheit:
Konrad Adam über Rede-
verbote im heutigen Europa
| 13
J U N G E F R E I H E I T | Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015
FOTO: PICTURE ALLIANCE / DPA
Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundespräsident Joachim Gauck, der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland,
Aiman Mazyek, und Bundeskanzlerin Angela Merkel am 13. Januar 2015 vor dem Brandenburger Tor in Berlin: Augenblickseffekt
Die Verfassung sprengen
Gehört der Islam zu Deutschland? Zu den Tonlagen und Feinheiten einer Debatte
THORSTEN HINZ dem in der Welt, und islamische Inter- nalist Hans-Ulrich Jörges traf einen aus erkannt. Flaig: „Der Zentralrat der Mus-
essenverbände und Staatsmänner werden Afghanistan stammenden Kollegen, der lime erklärt den blutigen Angriff auf die
ihn als politischen Hebel benutzen. sich von den Thesen Thilo Sarrazins „als Ordnungskräfte der liberalen Demokra-
Zwei Probleme verknüpfen sich hier Deutscher und Muslim verletzt“ fühlte tie zu einem ungerechtfertigten Akt, der
D
er Islam gehört zu Deutsch- miteinander: der Stil und das Politik- und den dringenden Wunsch äußerte, Gerechtigkeit herstellen sollte.“ Die Mit-
land!“ verkündete Angela verständnis der Kanzlerin sowie die zu- „der Bundespräsident müsse sagen, daß glieder des Zentralrats sind eben nicht
Merkel auf einer Pressekon- nehmende Bedeutung des Islam. Über der Islam zu uns gehört“. Jörges, der ein nur Taktiker, sie sind auch Strategen.
ferenz, während der türki- Angela Merkel ist schon alles gesagt: enges Verhältnis zu Wulff unterhielt, gab Das strategische Ziel zeichnet sich
sche Ministerpräsident lächelnd neben über ihren Machterhaltungsinstinkt, die Bitte an dessen Pressesprecher Olaf in Äußerungen des Islam-Funktionärs
ihr stand. Die Kanzlerin besitzt das Ta- ihre hohe Intelligenz bei gleichzeitiger Glaeseker weiter. Wulff be- Aiman Mazyek ab, wonach
lent, große Worte gelassen auszuspre- Unbedarftheit in geistesgeschichtlichen, riet darüber mit Bild-Chef die Scharia und das Grund-
chen. Das könnte eine sympathische kulturellen und historischen Fragen. Der Kai Diekmann und dessen
Der Islam gesetz vereinbar seien. Er
Eigenschaft sein, wenn dahinter große Spiegel-Redakteur Dirk Kurbjuweit un- Frau, die zum Frühstück ins hat Ausfor- begründet das damit, daß
Gedanken und Erkenntnisse stünden. ternimmt in dem Buch „Alternativlos. Schloß Bellevue gekommen mungen und die Scharia nichts Starres
Doch Merkels Rhetorik ist nur eine Merkel, die Deutschen und das Ende waren. Bettina Wulff und sei, woraus der naive Bür-
taktische Scheingröße, die auf den Au- der Politik“ (2014) den interessanten Glaeseker gehörten eben- politische ger schließt, daß ihre Aus-
genblickseffekt, auf die aktuelle Mehr- Versuch, die Kanzlerin als repräsenta- falls zu dem erlauchten Ansprüche, legung sich stillschweigend
heitsfähigkeit abzielt. Von diesem Kon- tiven deutschen Phänotyp beziehungs- Kreis, der über die Neude- die mit dem den in Deutschland gel-
text abgelöst, fallen ihre Sätze in sich weise – im Sinne von Ernst Kantoro- finition der deutschen Iden- tenden Normen anpassen
zusammen. Leider geht das nicht ohne wicz’ „Zwei Körper des Königs“ – als tität entschied. säkularen würde. Aber Mazyek erklär-
strategische Kollateralschäden ab. Verkörperung ihres Staatsvolks zu be- In seinem Buch „Ge- Staat te ebenfalls: „Das europä-
Etwa als sie 2011 im Bundestag er- schreiben, das im 20. Jahrhundert ein gen den Strom. Für eine kollidieren. ische Abendland steht ganz
klärte: „Scheitert der Euro, dann schei- Übermaß an Geschichte durchlebt hat, säkulare Republik Euro- klar auch auf muslimisch-
tert Europa.“ Der Spruch erfüllte den das gealtert und jedem Abenteuer ab- pa“ (2013), das sich mit morgenländischen Beinen.
beabsichtigten Zweck, die Abgeordne- geneigt ist – das sich nach Schonung dem Verhältnis des Islams zum Konti- Wer das leugnet, betreibt Geschichts-
ten auf die Euro-Rettungspolitik einzu- sehnt. Die Schonung gewährt Merkel nent beschäftigt, vertritt der inzwischen fälschung.“ Er zeigt damit, daß er sich
schwören. Als unvermeid- ihm durch ihr Bemühen um emeritierte Althistoriker Egon Flaig die das Vokabular der bundesdeutschen Ge-
liche Nebenwirkung aber
konnten die Schuldnerlän-
Die Erklärung größtmögliche Konfliktver-
meidung. Da Politik aber
Auffassung, daß „Journalisten und Po- schichtsdidaktik perfekt angeeignet hat
litiker zu einer bildungsfernen Schicht und für seine Zwecke nutzt.
der ihm entnehmen, daß der Bundes- ohne Konflikte nicht zu ha- geworden“ seien. Die Frage, ob der Islam Flaig stellt klar, daß dort, wo der Is-
Deutschland für ihre Schul- kanzlerin zum ben ist, heißt das zugleich, zu Deutschland gehören könne, beant- lam als herrschende Religion Platz griff,
den einstehen würde. Da- daß „Deutschland sich un- wortet er dennoch mit einem Zitat des es bald keine Volksversammlungen und
mit war der Reformdruck Islam gehört ter Merkel als ökonomische Grünen-Chefs Cem Özdemir: Ja, wenn sich selbstverwaltende Bürgerschaft
von ihnen genommen und zu ihrem Nation, nicht als politische“ er „unter dem Grundgesetz gelebt wird“! mehr gab und das öffentliche Leben
Deutschland erpreßbarer Schonungs- präsentiert. Dafür gibt es viele individuelle Bei- zum Erliegen kam. Von einem islami-
denn je. Dem Autor fehlt das Vo- spiele, die so selbstverständlich sind, schen Anteil an der Entstehung des mo-
2010 sagte sie auf dem programm kabular, um die Konsequen- daß man sie kaum wahrnimmt. Diese dernen Europa könne keine Rede sein,
Deutschlandtag der Jun- der Politik- zen der politischen Regres- Menschen gehören zweifelsfrei „dazu“. seine zitierten Leistungen beruhten auf
gen Union: „Der Ansatz vermeidung. sion zu erfassen: Die Politik Ob ein organisierter, von demographi- antiken Grundlagen. Den islamischen
für Multikulti ist geschei- hört ja nicht auf, bloß weil scher Dynamik und Zuwanderungsschü- Wortführern gehe es darum, durch die
tert, absolut gescheitert!“ ein Teilnehmer sich aus ihr ben getragener Islam, wenn er eine be- Okkupierung der europäischen Vergan-
Jetzt erklärt die überzeugungsfreie Tak- zurückzieht. Er wird vom Subjekt zu stimmte Größe erreicht hat, die Verfas- genheit die Definitionshoheit über die
tikerin faktisch das Gegenteil. Ihre Belie- einem Objekt der anderen. Wie wenig sung tatsächlich noch respektieren wird, Errungenschaften der Kultur und der
bigkeit in einer zentralen Frage kritisie- die Wirtschaftskraft eines Landes sei- ist dagegen zweifelhaft. Es liegt näher, Zukunft Europas zu gewinnen. Dann
ren inzwischen auch hohe Parteifreunde nen politischen Willen ersetzen kann, daß er sie als Gefängnis empfindet und würde nicht die Scharia gemäß dem
öffentlich. Selbst ein treuer Knappe wie sieht man gerade an der Unfähigkeit der zu sprengen versucht, denn er hat Aus- Grundgesetz, sondern die Verfassung
Fraktionschef Volker Kauder ging auf Bundesregierung, die deutschen Sparer formungen und politische Ansprüche, nach der Scharia ausgelegt werden.
Distanz und erklärte, die Muslime ge- und Steuerzahler vor der Ausplünderung die mit dem säkularen Staat kollidieren. Es wäre die Aufgabe des säkularen
hörten zwar zu Deutschland, der Islam durch die EZB zu schützen. Merkel re- Ihm pauschal seine Zugehörigkeit zu Staates, solchen Bestrebungen unmiß-
sei hier aber keine kulturprägende Kraft. präsentiert die politische Neutralisierung bestätigen heißt also, die destruktiven verständlich entgegenzutreten. Dazu
Die Kanzlerin schob in einem Zei- beziehungsweise Selbstneutralisierung Tendenzen zu legitimieren. aber ist die politisch-mediale Klasse
tungsinterview die Begründung nach, Deutschlands. Im Mai 2012 kam es in Bonn zu bür- außerstande. Ihr Denken, Reden und
daß „sehr viele Muslime hier in Deutsch- Das gilt nach außen wie nach innen. gerkriegsähnlichen Szenen, als Salafisten Handeln bewegt sich in den Bahnen des
land leben, insgesamt rund vier Millio- Die Erklärung der Kanzlerin zum Islam gegen eine islamkritische Pro-NRW-De- Politisch-Korrekten, einer Verbindung
nen Menschen (...) Sie sind ein Teil von gehört ebenfalls zu ihrem Schonungs- monstration mobil machten und 29 Po- aus moralischem Rigorismus, histori-
Deutschland, und der Glaube, der ihnen programm der Politikvermeidung. Sie lizisten verwundeten. Der Zentralrat der scher Amnesie und Unwissen. Sie konn-
wichtig ist, ist es inzwischen auch.“ hofft offenbar, gesellschaftliche Harmo- Muslime verurteilte „die Gewaltanwen- te sich auch deswegen ausbreiten, weil
Das ist erneut eine andere Tonlage, nie durch Entgegenkommen zu errei- dung“ und distanzierte sich „von gewalt- die ältere Geschichte zur Vorgeschichte
ein halber Rückzieher, denn die Feststel- chen. Die genannten Wissensdefizite bereiten Muslimen, die zur Selbstjustiz des Nationalsozialismus und damit zur
lung, daß in Deutschland viele Musli- hindern sie, die strategischen Risiken anstacheln und die Polizei angreifen“. Nicht- beziehungsweise Ungeschichte
me wohnen, die ihren Glauben pflegen, ihres Taktierens zu erkennen. Die Feinheiten dieser Formulierung geworden ist. In dieses Vakuum stößt
ist etwas ganz anderes, als den Islam, Merkel berief sich auf Ex-Bundes- haben die deutschen Politiker und Me- der Islam. Das ist die geistig-kulturelle
der keine geschichtliche Verankerung präsident Christian Wulff, der den Satz dien überhört. Als „Unrecht“ hatte der Komponente der durch Merkel reprä-
in Deutschland hat, zu seinem konsti- 2010 in seiner Rede zum „Tag der Deut- Zentralrat lediglich die Selbstermächti- sentierten Neutralisierung. Diese Kom-
tutiven Teil zu erklären und ihn damit schen Einheit“ geprägt hatte. Inzwischen gung zum Handeln bezeichnet, die da- bination aus politischer Schwäche und
einzuladen, die Fundamente des Landes hat ein FAZ-Artikel enthüllt, wie er zu- hinterstehende Absicht mit dem Begriff Kulturbarbarei kann für Deutschland
mitzudefinieren. Der Satz bleibt trotz- stande gekommen ist. Der Stern-Jour- „Selbstjustiz“ hingegen als „gerecht“ an- und Europa tödlich enden.
14 | K U L T U R JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015

Islamisten: Schwarzer
gegen „falsche Toleranz“ Stinknormale Leute von nebenan Thalers
FRANKFURT/MAIN. Ein Ende Streifzüge
der „falschen Toleranz“ gegenüber
Gehaßt, verdammt, vergöttert: Wie die Böhsen Onkelz mit ihrer Außenseiterrolle auf der
Islamisten hat die Publizistin und Erfolgsspur fahren / Hockenheim-Konzert 2014 auf DVD erschienen Von Thorsten Thaler
Feministin Alice Schwarzer (72)
gefordert. Die Politik habe ihnen
nach dem Mund geredet und es
zugelassen, „daß leichtfertig einem
HEIKO URBANZYK N ach einer aktuellen Studie der
Keyfacts Onlineforschung
GmbH im Auftrag des Internet-
Kulturrelativismus das Wort gere- Reiseportals Travel24.com haben
det wurde, bei dem die Menschen- rund 4,5 Millionen Deutsche in

rechte zwar für uns gelten – aber
nicht für muslimische Männer und
schon gar nicht für muslimische
Frauen“, schreibt Schwarzer in der
Frankfurter Allgemeinen Sonntags-
zeitung. Die Gründerin und Her-
ausgeberin der Frauenzeitschrift
Emma fordert eine konsequente
Trennung von Staat und Religion.
Es dürfe in den staatlichen Schu-
len keine Extraregelungen wegen
Glaubenszugehörigkeit geben.
Deutsch müsse Sprache für alle
sein. In ihrem Beitrag unter der
Überschrift „Hier irrt die Kanz-
lerin“ kritisierte Alice Schwarzer
auch, daß Bundeskanzlerin An-
gela Merkel „Arm in Arm“ mit
dem Vorsitzenden des Zentralra-
tes der Muslime, Aiman Mazyek,
nach den Terroranschlägen von
Paris gegen islamistische Gewalt
demonstriert habe. Der Zentralrat
W
ir haben noch lange nicht den vergangenen zwei Jahren in
genug“, einer der unsterbli- Hotels im In- und Ausland Gegen-
chen Klassiker der Böhsen stände geklaut. Der Gesamtscha-
Onkelz, ist wie manch anderer ihrer Titel den beläuft sich auf mindestens 37
Programm. Nach neunjähriger Auszeit Millionen Euro. Für die Umfrage
feierten die Frankfurter am 20./21. Juni wurden 5.800
2014 mit 200.000 „Fanz“ am Hocken- deutsche Ur- Müßig nun
heimring ihre Rückkehr. Es war, als wäre lauber befragt. von mir,
die Gruppe, die ihr letztes Studioalbum Mitgenommen über eine
2004 veröffentlichte, nie weggewesen. wird alles, was diebische
Ausverkauft nach nur 40 Minuten. Die nicht niet- und Elster zu
nun veröffentlichte Hockenheim-Dop- nagelfest ist. Auf
spekulieren.
pel-DVD „Nichts ist für die Ewigkeit Platz eins liegen
– Konzert und Dokumentation“ ist ein Hygieneartikel
240minütiges Lehrstück über das Phä- (Shampoo, Duschgel, Seife), ge-
nomen Böhse Onkelz. folgt von Schreibutensilien und
Sie sind gehaßt, verdammt und vor Handtüchern. Gern entwendet
allem vergöttert und würden lieber ste- werden außerdem Flaschenöffner,
hend sterben, als auf Knien zu leben: Gläser, Bademäntel, Aschenbecher
Kevin Russell (Gesang), Stephan Weid- Kleiderbügel, Kissen, Decken,
ner (Baß, Gesang), Peter „Pe“ Schorows- Fernbedienungen; sogar Zim-
ky (Schlagzeug) und Matthias „Gonzo“ mertelefone und Fernseher werden
Röhr (Gitarre). Ihr Erfolgsrezept konn- abtransportiert. Besonders klepto-
FOTO: ALEX LALJAK/BO2014

sei „eng verbandelt“ mit den ägyp-
tischen Muslimbrüdern, die die hi-
storische Keimzelle des Islamismus
seien. Der Rat repräsentiere nach
Schätzungen von Experten nicht
einmal ein Prozent der in Deutsch-
land lebenden Muslime. (JF/idea)
Filmerbe: Grütters
fördert Digitalisierung
BERLIN. Für die „kulturhistorisch
wichtige“ Digitalisierung des na-
tionalen Filmerbes stellt Kultur-
staatsministerin Monika Grütters
2015 – wie schon jeweils in den
beiden Vorjahren – erneut eine
Million Euro zur Verfügung. Die
historischen Filme seien „ebenso
verletzliche wie wertvolle Zeitzeu-
gen, die wir in unsere Gegenwart
retten und für die Zukunft sichern
müssen“, erklärte die CDU-Poli-
tikerin. „Welche Filme hätten ei-
nige Regisseure der Gegenwart
gedreht ohne große Vorbilder wie
Fritz Lang oder F. W. Murnau?“
fragte die Staatsministerin. „Um
dem Verschwinden der Klassiker
auch auf den Kinoleinwänden ent-
gegenzuwirken und diese legendäre
Filmschule dem Publikum weiter
zugänglich zu machen“, habe sie
das Geld für die „dringend anste-
hende“ Digitalisierung analoger
Filmmaterialien zur Verfügung ge-
stellt. Empfänger sind die Stiftung
Deutsche Kinemathek, das Deut-
sche Filminstitut e.V., die Fried-
rich-Wilhelm-Murnau-Stiftung
und die Defa-Stiftung. (tha)
Sprachpranger
Back 4 HAIR
Name eines neueröffneten
Friseurladens in der Schön-
hauser Allee in Berlin
te bisher keine zweite Rockgruppe ent-
schlüsseln. Dabei klingt es so einfach:
Eine geläuterte „Nazi-Band“ macht
nichts anderes, als sich selbst zu feiern.
Die selbstgeschaffene Außenseiterrol-
le ist ihr Markenzeichen. Was genauer
betrachtet weinerliches Selbstmitleid ist,
schweißt die Anhängerschar fest zusam-
men. Die Lieder über Freundschaft und
Zusammenhalt kommen gut an. Die
schwersttätowierten Frankfurter sind
authentisch: Eine seit mehr als dreißig
Jahren stabile Besetzung, die Namens-
kontinuität sowie durch und durch mit-
singbare deutsche Texte stehen für einen
sicheren Heimathafen in einer verrück-
ten Welt.
Ben Becker hält
eine Schrei-Predigt
In dieser Welt – das wissen Onkelz-
Fanz – gehen die veröffentlichte und
die öffentliche Meinung auseinander.
Während die Böhsen Onkelz – erstmals
traten sie unter diesen Namen 1980 auf
– bis heute nicht im Radio zu hören
sind, obwohl die Verkaufszahlen eine
andere Sprache sprechen, sind sie längst
ein kulturelles Allgemeingut. Der Schau-
spieler Ben Becker eröffnete das Konzert
mit einer Bühnenansage: „Es gibt ein
paar Leute da draußen, die werden mich
verfluchen, weil ich hier stehe“, brüllt er,
als sei die Tontechnik ausgefallen, und
fügt hinzu, er stehe dort, weil er noch
„keinen Bock habe umzufallen“ und weil
ihn der Gedanke am Leben halte, „daß
ich nicht alleine bin“.
Dann schreit Becker mit ebenso qua-
si-religiöser Inbrunst wie verschwurbelt
weiter: „Es ist nicht gut, daß der Mensch
alleine sei. Nichts ist für die Ewigkeit.
Wer sein Leben findet, der wird’s verlie-
ren, und wer es verliert um ihretwillen,
der wird’s finden. Nichts ist für die Ewig-
keit. Sie werden auferstehen und fliegen
wie die Engel, und ich sage euch, hier
wird nicht ein Stein auf dem anderen
bleiben.“ Schließlich zitiert er aus der
Kreuzigungsszene des Matthäus-Evan-
geliums: „Und siehe, der Vorhang im
Tempel zerriss in zwei Stücke, und die
Erde erbebte und die Felsen zerrissen
und die Gräber taten sich auf“, heizt
der 50jährige das Publikum weiter an,
„denn Nichts ist für die Ewigkeit. Aber
Böhse Onkelz Peter Schorowsky, Stephan Weidner, Kevin Russell und Matthias Röhr (v.l.n.r.): „Wir kön-
nen es uns leisten, euch als unsere Feinde zu haben“, heißt es in einem Liedtext der Band
sie werden bei uns sein alle Tage bis an
der Welt Ende.“
Nach Beckers Schrei-Predigt leitet die
Neue Philharmonie Frankfurt das Rock-
Spektakel bombastisch ein und begleitet
es bis zum Finale. Warum auch nicht?
Der tiefergelegte Polo/Golf/Corsa mit
frakturgesetztem Onkelz-Aufkleber in
der Heckscheibe gehört zum täglichen
Erscheinungsbild auf deutschen Straßen.
Hunderttausende Fans mußten früher
oder später etwas beim Establishment
bewegen – und sei es nur des Geldes
wegen. So gaben Musikmagazine sowie
Media Markt und World of Music ihre
Boykotthaltung in den 1990er Jahren
nach und nach auf.
Boykott? War den Onkelz immer
egal. „Keine Amnestie für [die fleißig
die Charts zensierenden] MTV“ keiften
Kevin und Stephan der Musikindustrie
2002 auf dem Album „Dopamin“ rotz-
frech entgegen. „Wir können es uns lei-
sten, euch als unsere Feinde zu haben“,
lautet eine Zeile. Keine Übertreibung für
das Album, das direkt auf Platz eins in
den deutschen Albumcharts einstieg. Als
eines von vier Platz-eins-Alben in Folge
zwischen 1998 und 2004.
Die Onkelz boten gute Gründe, die
üblichen Beißreflexe der Medien zuk-
ken zu lassen. Bereits in der Zeit als
Punks lieferte das Quartett mit „Tür-
ken raus!“ seine übelste Haßtirade ab.
Später werden sie sich rechtfertigen, es
sei jugendliche Wut über den Streß zwi-
schen Türken und Punks gewesen. Ab
1981 leisteten sie als Skinheadgruppe
einen der wichtigsten Beiträge zur Po-
litisierung der Skinheadszene. Die Texte
DVD/Blu-ray:
Böhse Onkelz.
Nichts ist für die
Ewigkeit – Konzert
und Dokumenta-
tion. tonpool
Medien GmbH,
Burgwedel 2014
waren dabei fern jeglicher NS-Ideologie.
In „Deutschland“ (1984) wurden die
Farben Schwarz-Rot-Gold besungen,
das Dritte Reich als „zwölf dunkle Jah-
re“ bezeichnet.
Es folgte die Phase, in der die Ex-
Punks darüber sangen, daß sie totale
Metaller „mit Haaren bis zum Arsch“
seien. Ein Konzert im Jahr 2001 galt
der Sammlung von Spenden für „Opfer
rechter Gewalt“. Boykotte, Sendeverbo-
te und Absagen von anderen Musikern
auf Festivals bestimmten trotzdem wei-
ter das Tagesgeschehen. So weit außen
standen sie allerdings nicht mehr. Sogar
im „roten Dany“ Cohn-Bendit und Ali-
ce Schwarzer fanden die „Aussteiger“
Fürsprecher.
Für den Konzertmitschnitt „Vaya con
Tioz“ (2007) gab es im Jahr 2008 den
renommierten Musikpreis Echo, für den
sie seit 1999 mehrfach nominiert waren.
In der Echo-Übertragung auf RTL fiel
der Name der trotzig abwesenden Preis-
träger nicht. Diese verkündeten auf ih-
rer Netzseite einen Dank an alle, „die
die Eier hatten, einen Fettfleck auf ihrer
weißen Weste zu riskieren. An alle an-
deren: Danke für nichts!“
Selbstinszenierung
und Personenkult
2005 beendeten die Drogenproble-
me von Kevin Russell die Karriere der
Böhsen Onkelz, wie Stephan Weidner
erst Jahre nach der Auflösung verriet.
Bei einem spektakulären Autounfall von
Russell mit über 230 Stundenkilometern
an Silvester 2009 werden zwei andere
Verkehrsteilnehmer lebensgefährlich ver-
letzt. Russell, zur Tatzeit unter Drogen-
einfluß, saß dafür 27 Monate im Knast.
Heute ist er „clean“, sagt er und sagen
seine Bandkollegen.
Da der seit Beginn lädierte Ruf zum
Erfolgsrezept der Böhsen Onkelz ge-
hört, litt die Sympathie ihrer Fans unter
den Eskapaden kein bißchen, wie die
Hockenheim-Euphorie zeigt. Es wäre
müßig, ausrastende Fans, die an Gigan-
tomanie grenzende, größte Rock-Bühne
Europas mit Anleihen an die Frankfurter
Skyline oder die perfekte Produktion
in Worte zu fassen. Das wirkt nur im
Heimkino. Gänsehautgarantie! Nach
dem Opener„Hier sind die Onkelz“
spielt die Band viele (längst nicht alle)
ihrer Klassiker, darunter „Nur die Besten
sterben jung“ und „Wieder mal ’nen
Tag verschenkt“ oder den WM-Kracher
„Mexiko“ vom gleichnamigen 1985er
Album. Während die Onkelz 2014 al-
les auf der Bühne gaben, stolperte bei
der Weltmeisterschaft in Brasilien die
deutsche Elf mit einem 2:2 gegen Ghana
dem vierten Stern entgegen.
Eindrucksvoll sind die für Rockkon-
zerte unüblichen Bühnenansprachen
und die kurzweilige, superlativschwan-
gere Dokumentations-DVD, die tief in
die Selbstinszenierung und den Perso-
nenkult um die Onkelz blicken lassen.
Kevin („Er hätte zehn Tode sterben müs-
sen!“) ist der tragische Held, der seine
Drogensucht überwand und sich auf der
Bühne für zwei drogenfreie Jahre feiern
läßt. Vielleicht ist dies das offene Ge-
heimnis der Onkelz, das sie so einmalig
macht: Sie sind wie stinknormale Leute
von nebenan mit Erfolgen, Fehlern, Nie-
derlagen. „Proletarisch unverlogen“, lobt
Ben Becker. „Sie wissen nicht, wie man
lügt“, schwärmt die Vorgruppe Limp
Bizkit. Wenn sie Mist bauen, gehen sie
in den Knast wie jeder einfache Bürger.
Kein einziger Skandal ist aus Rockstar-
Allüren geboren. Jeder von uns könnte
Kevin sein, den die Onkelz genau des-
wegen als Vorbild feiern.
In Hockenheim werden die Böhsen
Onkelz Ende Juni dieses Jahres wieder
E.I.N.S. und böhse fürs Leben sein.
„Das größte Familientreffen der Welt
geht weiter“ verkünden sie. Es ist frei-
lich längst ausverkauft. Inzwischen gibt
es indes Spekulationen, daß 2016 ein
neues Album von ihnen erscheint.
manisch veranlagt sind übrigens
der Studie zufolge Menschen mit
einem höheren Bildungsniveau.
Über die Hälfte der geständigen
Hoteldiebe gab an, sie hätten ei-
nen (Fach-)Hochschulabschluß.
„Wenn die Regierung die Rech-
te des Volkes verletzt, ist für das
Volk und jeden Teil des Volkes
der Aufstand das heiligste seiner
Rechte und die unerläßlichste sei-
ner Pflichten.“ (Artikel 35 der Er-
klärung der Menschen- und Bür-
gerrechte, die der französischen
Verfassung von 1793 vorangestellt
war, aber nie in Kraft trat)
In Hotels werden aber nicht nur
Sachen geklaut, umgekehrt lassen
Urlauber alles mögliche dort zu-
rück, sei es absichtlich oder aus
Schusseligkeit. Die Liste der Fund-
stücke ist lang, sie reicht von Be-
kleidung, Kosmetik- und Pflege-
artikeln, Büchern bis zu Elektro-
nikgeräten, Schmuck und Bargeld.
Aufgefundene Gegenstände wer-
den in den Hotels zumeist eine
Zeitlang aufbewahrt; meldet sich
der vergeßliche Gast nicht, wer-
den die Sachen versteigert oder
für wohltätige Zwecke gespen-
det. Ein Anspruch auf Nachsen-
dung besteht nicht. Mein schwar-
zes Lederarmband mit silbernem
Magnetverschluß, das ich vorige
Woche – Schuld eigene – in einem
Hotelzimmer liegengelassen habe,
ist allerdings ohnehin nicht wie-
der aufgetaucht. Eine telefonische
Nachfrage am nächsten Vormittag
bei der Hotelrezeption blieb er-
folglos. Müßig nun von mir, über
eine diebische Elster in den Reihen
des Zimmerpersonals zu speku-
lieren. Die immense Verärgerung
über den Verlust bleibt.
„Man kann einen Teil des Vol-
kes die ganze Zeit täuschen und
das ganze Volk einen Teil der Zeit,
aber man kann nicht das ganze
Volk die ganze Zeit täuschen.“
(Abraham Lincoln, US-Präsident,
zitiert nach: Milwaukee Daily Jour-
nal, 29. Oktober 1886)

Zeitschriftenkritik: Lebenslauf CD-Kritik: Battle Beast

Impulse für die nächste Wegstrecke Finnische Röhre

WERNER OLLES nahestehen, außer bewegenden Lebens- und Famili- während ein anderer Autor „liebgewordene Vorstel- THORSTEN THALER Hammer zum Album des Monats gekürt,
engeschichten natürlich auch das Thema „Gott und lungen“ über den Dienst von Frauen in der Gemeinde enthält es zwölf traditionelle Titel ir-
Mensch“ von verschiedenen Seiten beleuchten. über den Haufen wirft. Zwar habe der Apostel Pau- gendwo zwischen Achtziger-Jahre-Metal

Z u den erfolgreichsten Periodika auf dem Zeit-

schriftenmarkt gehören sogenannte „Lebenshilfe“-
Magazine. Sie bieten in der Regel neben Erfahrungen
und Anregungen aus dem eigenen Leserkreis, Erin-
nerungen und persönlichen Einsichten oft Tips und
Ratschläge, wie der Lebenslauf auch für die nächste
Wegstrecke gelingen kann, wie neue Herausforderun-
gen anzunehmen sind und wie aus Verzweiflung und
Ängsten wieder Hoffnung und neuer Mut entsteht.
Dieser Aufgabe widmet sich auch die sechsmal im
Jahr erscheinende Zeitschrift Lebenslauf (Untertitel:
„Das christliche Magazin mit Lebenserfahrung“).
Doch möchte die Zeitschrift es nicht bei unverbind-
lichen Anregungen und Informationen belassen, son-
dern gemäß ihrer christlichen Orientierung bewußt
tiefgehende und glaubensstärkende Impulse geben,
wobei Redaktion und Herausgeberbeirat, die vor allem
Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden (EFG), dem
Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband und
der Vereinigung Freier Missionsgemeinden (VFMG)
In der aktuellen Ausgabe (1/2015) weist Chefre-
dakteurin Agnes Wedell in ihrem Editorial auf den
Wert des Menschen und seine unverlierbare Würde
lus klare Regelungen bezüglich der Irrlehren im Zu-
sammenhang mit dem Dienst von Frauen getroffen
(„Einer Frau gestatte ich nicht, daß sie lehre, auch
S ängerwechsel sind für eine Band im-
mer mit einem Risiko verbunden,
zumal wenn es sich um eine bereits er-
– Kritiker sprechen von old school – und
Hardrock-Nummern. Den Unterschied
hier macht freilich Sängerin Noora Lou-
als Gottes Ebenbild hin, die trotz aller menschlichen nicht, daß sie über den Mann Herr sei, sondern sie folgreiche oder zumindest aufstrebende himo. Die 26jährige Blondine röhrt,
Schwächen niemals zur Disposition stehen dürfe. sei still“, 1. Timotheus 2,12), doch sei dies auf eine Gruppe handelt. Ungleich häufiger als was die Stimme hergibt, und weiß da-
Diese Erkenntnis bezeugt auch das Künstlerehepaar bestimmte Situation in Ephesus zurückzuführen. in anderen Musikgenres kommen sie bei in jeder Nummer zu überzeugen.
Cae und Eddie Gauntt. Die beiden, er ein berühmter Dort wurde die griechische Göttin Artemis angebe- im Metalsektor vor, so auch bei der Oberamtlich schwermetallisch geht die
Kammersänger und sie eine erfolgreiche Pop- und tet, die Lieblingstochter von Zeus. Sie hatte von ihm finnischen Band Battle Beast. 2008 in Post ab bei „I Want the World … And
Musical-Sängerin, führen seit 36 Jahren eine glückli- erbeten, daß er ihre Jungfräulichkeit bewahre – auch Helsinki gegründet, gewann das Sex- Everything In It“, „Madness“, „Far Far
che Ehe, die zwar Krisen und Verletzungen durchaus mit Gewalt. Wegen des Artemiskults erhoben sich tett zwei Jahre später mit der damali- Away“, hardrockiger bis balladesk geht
einschließt, aber dank ihres christlichen Glaubens und viele Frauen über die Männer, gen Frontfrau Nitte „Valo“ Vänskä den es zu bei „Speed and Danger“, „Touch
der tiefen Überzeugung, daß Aufgeben keine Option für Paulus ein wichtiger Grund, Metal Battle Contest des Wacken-Fe- In the Night“, „The Black Swordsman“
ist, allen Stürmen und Schwankungen zum Trotz ge- ein Lehrverbot für Frauen aus- stivals. 2011 erschien das Debütalbum, und „Angel Cry“. Ein gelungener Mix.
halten hat. So arbeiten sie inzwischen, nachdem sie zusprechen. dann stieg Sängerin Valo aus familiären
lange Jahre musikalisch getrennte Wege gegangen Gründen aus. Ihre Nachfolgerin wurde
sind, häufiger zusammen. Für beide ist klar: Sie wol- Noora Louhimo. Mit ihr am Mikrofon
Kontakt: Bundes-Verlag, Boden- Battle Beast
len zusammen alt werden, freuen sich auf ihre Enkel- born 53, 58452 Witten, Tel.: 0 23 02
veröffentlichte die Band 2013 ein viel-
Unholy Savior
kinder und lassen alles weitere auf sich zukommen. / 9 30 93-0. Das Einzelheft kostet beachtetes zweites Album, dem nun in Nuclear Blast (Warner),
Über ihre ganz persönliche Art, Gott zu begegnen, 4,60 Euro, ein Jahresabo 22,80 Euro. diesem Januar mit „Unholy Savior“ ihr Donzdorf 2015
berichtet Tamara Hinz in dem Beitrag „Herzwissen“, www.bundes-verlag.net drittes folgt. Von der Zeitschrift Metal www.nuclearblast.de
JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015 K U L T U R | 15

GegenAufklärung DVD: Banshee Chapter

Illegale
KOLUMNE VON KARLHEINZ WEISSMANN Experimente

Von Werner Olles

»Das Anspucken eines anderen ist
nicht nur Ausdruck von Verachtung,
sondern hat magische Ursprünge.« A uf der Suche nach ihrem
vermißten Studienfreund Ja-
mes Hirsch (Michael McMillian)
kommt die junge Online-Journa-

D ie Statue für George Orwell

soll 2016 tatsächlich vor dem
Hauptgebäude der BBC in London
errichtet werden. Die Entscheidung
war umstritten, da Orwell angeblich
als „zu links“ galt – merkwürdige Idee
im Hinblick auf einen Mann, der den
islamistischen Terrors gegen den ima-
ginierten der Gegenseite.
listin Anne Roland (Katia Winter)
illegalen Drogenexperimenten der
˜
Bildungsbericht in loser Folge
LXX: „Es gibt eine Realität, in der
CIA auf die Spur. Diese hatten
eine Bewußtseinkontrolle zum
Ziel; durch halluzinogene Drogen
Eltern glauben, Lehrer zu jeder Zeit und einen chemischen Katalysator
belästigen und sie für alles verant- sollte das Gehirn in einen Emp-

FOTO: YVETTE CRUZ / © WEYDEMANN BROS.

schönen Begriff „tory anarchist“ als wortlich machen zu können, und in fänger verwandelt werden. Die
Selbstbezeichnung wählte. der Lehrer tatsächlich nur Erfüllungs- Chemikalie Dimethyltriptamin

˜
Am Wochenende seit langem wie-
der einmal die taz gekauft; vorherr-
schender Eindruck: ein Blatt für alte
Leute.
gehilfen für fehlgeleitete Vorstellun-
gen von ihren Kindern sein sollen.
(DMT 90) wurde in den 1970er
Jahren vom US-amerikanischen
Nicht selten haben die Eltern damit Geheimdienst an Zivilisten gete-
Erfolg, weil sie Druck ausüben. Um stet und hatte verheerende Aus-
dieses immer größer werdende Pro- wirkungen auf die Probanden. Bei

˜
Laurent Joffrin, Chefredakteur
der Wochenzeitung Libération, äu-
ßerte in einem Interview, daß sich
in Frankreich eine „diffuse Beun-
ruhigung“ breitmache und deshalb
die „Identitätsdebatte“ immer mehr
Raum einnehme – „leider“, fügte
er hinzu. Die Aversion Joffrins ist
auf der Linken sehr verbreitet, weil
man dort die ganze Beschäftigung
mit „Identität“ – nationaler, kultu-
reller, religiöser – für eine „rechte“
hält. Das ist sachlich falsch. Denn
die Linke hat das Thema „Identität“
überhaupt erst entdeckt, weil es in
blem zu thematisieren, ist auch das
Mittel der Überzeichnung recht. Mit
anderen Worten: Es ist Payback-Zeit
im Klassenzimmer. Es ist Zeit, daß
der Respekt vor den Lehrern wieder-
hergestellt wird, und zwar jener der
Eltern.“ (Jan Wiele zu Sönke Wort-
manns Film „Frau Müller muß weg“)
˜
Die Erwägung, einen „Spuck-
schutz“ für Polizeibeamte einzufüh-
ren, hat natürlich in erster Linie hy-
gienische Gründe. Aber es ist nicht zu
verkennen, daß das Anspucken eines
anderen nicht nur ein Gesundheits-
problem darstellt und nicht nur als
Gangmitglieder Mateo (Mateo Bautista Matías), Danny (Daniel Bautista): Vergeltung der Kumpane
ihren Nachforschungen lernt Anne
den hartgesottenen Schriftsteller
Thomas Blackburn (Ted Levine)
kennen, der für seinen exzessiven
Drogenkonsum bekannt ist und
Die Engel der Verführung in die unheimlichen Gescheh-
nisse verwickelt zu sein scheint.
Gemeinsam kommen die beiden
Von Laien gespielt: Zur deutsch-mexikanischen Koproduktion „Los Ángeles“ der Wahrheit und einem geheim-
nisvollen Radiosignal unbekannter
Herkunft auf die Spur …
Blair Ericksons „Banshee Chap-
SEBASTIAN HENNIG „Du mußt noch zwei Jobs erledigen.“ Als fügt die Frau des Hauses: „Keine Mütze ter – Illegale Experimente der CIA“
nächstes raubt er die Gemeindekasse aus bei Tisch.“ Sie hält auch den Banditen (USA 2013) ist eine bizarre Mi-
der Sakristei. Die Tat wird einer Gang im eine kräftige Standpauke: „Vor euch hat schung aus einem Verschwörungs-
Nachbardorf in die Schuhe geschoben. keine von uns Angst.“ thriller und einem unausgegorenen

den 1970er Jahren eine Chance bot,
irgendwelche Ersatzproletariate in
Gestalt von Drittweltvölkern oder
regionalen Minderheiten zu schaffen,
oder die unterhaltsame Möglichkeit,
gestörte Identitäten zu behandeln;
letzteres begeistert immer noch, er-
steres möchte man am liebsten verges-
sen, weil irgendwann gar nicht mehr
zu leugnen war, daß ein „Recht auf
Identität“ den Europäern kaum vor-
enthalten werden konnte, wenn man
es jedem Exoten zugestand. Im übri-
gen muß die gesamte Propaganda für
den Multikulturalismus dauernd auf
Identität Bezug nehmen und gleich-
zeitig jede Rechenschaft darüber mei-
den, was es bedeutet, bedeuten muß,
daß menschliche Identität immer auf
soziale Einheiten Bezug nimmt, die
Bastelangebote der „Vielfalt“ das le-
diglich verschleiern, bestenfalls un-
ter den komfortablen Bedingungen
der letzten eineinhalb Jahrzehnte eine
gewisse Plausibilität gewannen und
nun ihre ganze Dürftigkeit enthüllen.
Ausdruck von Verachtung zu werten
ist, sondern ältere, magische Ursprün-
ge hat. Die sind in unserem Kultur-
kreis bloß als zarte Andeutung beim
„Toi, toi, toi“ über die Schulter des
Schauspielers zu erkennen, aber das
Potential der Spucke eines afrikani-
schen Häuptlings galt in jüngster Ver-
gangenheit noch als so groß, daß ein
Höfling mit nichts anderem beauf-
tragt war, als den Spucknapf zu hü-
ten und die Substanz an versteckter
Stelle zu begraben, damit sich kein
Unberufener ihrer bedienen konnte.
˜
„Es ist aber nicht der Staat glück-
lich zu preisen, welcher von allen En-
den her aufs Geratewohl viele Bürger
anhäuft, sondern derjenige, welcher
den Stamm der von Anbeginn ange-
siedelten am besten erhält.“ (Isokra-
tes, Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr.)
˜
Die Kritik, die Gabriel für sein
„privates“ Gespräch mit Pegida-An-
hängern einstecken mußte, erklärt
D
er Film „Los Ángeles“ ist schon Doch den Mord an einem rivalisierenden Der frivole Gegensatz zwischen be- Horrorfilm. Dabei hätte die The-
durch seine Herstellungsbedin- Gangster, der ihm als letzte Initiation ab- drückender Armut und großartigen matik jede Menge interessanten
gungen ein ungewöhnliches verlangt wird, bringt Mateo nicht über Landschaftsbildern, mit dem solche The- und spannenden Stoff für einen
Werk. Der US-amerikanische Absol- sich. Damit zieht er die Vergeltung der men gern vorgeführt werden, verbietet geradlinigen und effektvoll umge-
vent einer bayerischen Filmhochschu- Kumpane auf sich und seinen kleinen sich von selbst. Der Film erzählt von der setzten Thriller geboten. Tatsäch-
le inszeniert eine deutsch-mexikanische Bruder. Langsam dämmert ihm, daß er Ehre und Würde als dem Reichtum eines lich fanden in den siebziger Jahren
Koproduktion mit Indios als Darstellern. statt Sicherheit zu finden nur Schrecken Volkes in seiner angestammten Heimat. derartige Forschungsexperimente
Damian John Harper wurde 1978 in Co- auf Schrecken häuft. Sozialkritik wäre da nur eine Spielart der
DVD/Blu-ray:
lorado geboren, er studierte Anthropo- Eine schwankende Handkamera folgt sentimentalen Sozialromantik. Statt läp- Banshee Chap-
logie, anschließend arbeitete er als Eth- den Darstellern auf den Fersen. Nach pischer Faszination am Fremden hat ein ter – Illegale Ex-
nologe und Höhlentaucher in Mexiko. der Konvention des Kriminal- und Ac- echtes Verständnis die Filmaufnahmen perimente der
2005 entdeckte er die Filmsprache für tionfilms läßt die ständige Verfolgung geleitet. Die trügerischen Träume, zum CIA. Koch Media,
sich und erlernte sie eigens für die Er- der Personen durch das Filmauge den Beispiel ein großer amerikanischer Fern- Planegg 2015,
Laufzeit etwa
zählung seines Langfilmdebüts. Vor drei Einbruch des Schicksals, eine Attacke seher für die Mutter, werden nicht ver- 83 Minuten
Jahren hat er sein Regiestudium in Mün-
chen abgeschlossen. Der Spielfilm „Los
Ángeles“ kann als das Fazit seiner bishe-
von hinten oder von der Seite erwarten.
Hier gehen sie meist einfach still ihres
Wegs, ohne daß der erwartete Überfall
lacht. Dergleichen Sehnsucht ist nicht im
Dorf entstanden. Es sind die chaotischen
Signale der Wohlstandsgesellschaft, die mit illegalen Drogen an teilwei-
rigen Lebensarbeit betrachtet werden. sich ereignet. Und doch drückt sich in überall das menschliche Gleichgewicht se ahnungslosen, teilweise jedoch
Der Filmtitel spielt mit der spanischen dem nahen Abstand ein grundsätzliches verrücken. auch freiwilligen Testpersonen
Bedeutung von „Los Ángeles“ als „die Ausgeliefertsein an die Gefahren des Le- Eine bezeichnende Gestalt ist der statt. Dabei nahmen die Medizi-
Engel“ und dem Namen der riesigen bens aus. schnauzbärtige Marcos. Er ist aus den ner des Geheimdienstes durch be-
Stadt in Kalifornien, von der aus mexi- Der Film wird nie intim. Es werden USA heimgekehrt und findet sich als wußte Überdosierungen schwerste
kanische Einwanderer oder Illegale die
Kinder daheim ernähren. Das Drehbuch
gründet auf über einem Jahrzehnt Beob-
keine Räume inszeniert. Die Arbeit auf
dem Acker, in der Küche und am Web-
stuhl hat nur Bedeutung in bezug auf die
Gemeinderat nicht zurück in die Wirk-
lichkeit seiner Heimat. Letztlich bewahrt
ihn nur die Barmherzigkeit der Kollegen
gesundheitliche Schäden ihrer Pro-
banden in Kauf, wie beispielswei-
se chronische Wahnvorstellungen,
achtungen im zapotekischen Dorf Santa Menschen, die immer ernst dreinblicken. vor den Konsequenzen seiner Irrtümer. die schließlich zu einer halluzina-

˜
Demnächst werden die Überset-
zungen von Orwells „1984“ ins Bre-
tonische, ins Okzitanische und ins
Furlanische fertiggestellt, eine ins
Kurdische ist vorbereitet, genauso wie
eine Neuverfilmung des Buches und
eine erste Adaption von „Die Farm
der Tiere“. In den letzten drei Jahren
sind die mit Büchern von Orwell er-
zielten Umsätze aufgrund steigender
Nachfrage jeweils um zehn Prozent
gestiegen.
sich leicht: das Kommando war
„Flucht nach vorn!“, da wirkt jeder
Ana del Valle, die bald in eine freund-
schaftliche Verbundenheit mit dessen
Es gibt keine Ironie, es sei denn die Iro-
nie des Schicksals. Es ist beeindruckend,
Als er betrunken den Gangsterhäupt-
ling und Schwiegersohn in spe heraus-
torisch-paranoiden Schizophrenie
führten und nicht selten mit dem
Blick zurück oder zur Seite riskant. Bewohnern überging. Die Filmrollen wie sich die Handlung langsam aus dem fordert, schlagen ihn die nachsichtigen Suizid der Geschädigten endeten.
˜
Zu den guten Nachrichten gehö-
werden ausschließlich von den indiani-
schen Dörflern gespielt.
Temperament der Protagonisten heraus
entfaltet. Dieser von Laien gespielte Be-
Kameraden nieder und lassen ihn seinen
Rausch von der neuen Ordnung in der
Von offizieller Seite wurden die-
se Experimente Jahre später bestä-
ren die exorbitanten Preise, die man Die Geschichte ist exemplarisch. Im richt über die ländliche Lebensweise in alten Arrestzelle des Dorfes ausschlafen. tigt, und der ehemalige CIA-Di-
für antiquarische Exemplare einiger Mittelpunkt steht der Teenager Mateo. den Tälern der Region Oaxaca im Sü- Nachsichtig wird er fortan überhört. Die rektor Turner sowie der frühere
Dumont-Kunstreiseführer zahlen Er hat sein Leben auf zwei Ziele aus- den Mexikos ist viel ungekünstelter, als Verletzung durch Häme existiert prak- US-Präsident Bill Clinton ent-
muß. gerichtet. Um sich über die Grenze ein Dokumentarfilm hätte sein können, tisch nicht unter diesen Verhältnissen. schuldigten sich bei den Opfern
˜
„Wenn Freiheit überhaupt irgend
schmuggeln zu lassen, muß er genügend
Geld zusammenbekommen. Zudem will
der die Menschen diskret beim Leben
beobachtet.
Gerade weil die Gewalt immer gegen-
wärtig ist, bedarf sie keiner ästhetischen
und ihren Familien. Diese au-
thentischen Fakten unterschlägt
etwas bedeutet, dann das Recht, den er in eine Gang aufgenommen werden, Matriarchat und Machokultur sind Überhöhung. Die Bilder des Films sind der Film jedoch zugunsten einer
Leuten zu sagen, was sie nicht hören um sich Heimatgefühl und Zugehö- zwei Seiten einer Lebenshaltung. Schüch- zwar überwiegend dunkel. Doch das Bild unglaubwürdigen Geschichte und

˜
Die neueste Volte in der Debatte
um den Pariser Anschlag: Aufrech-
nung der NSU-Morde gegen die Tö-
tung der Redakteure, des faktischen
wollen.“ (George Orwell)
Die nächste „Gegenaufklärung“ des Histo-
rikers Karlheinz Weißmann erscheint am
13. Februar in der JF-Ausgabe 8/15.
rigkeit in der Fremde zu bewahren. In
einem wüsten Prügelexzeß muß er zei-
tern entspinnt sich eine Liebschaft und
gipfelt im verstohlenen Kuß auf die Wan-
von der Gemeinschaft ist nicht düster.
Das Ende bleibt offen. Die Macht des
bereitet stattdessen ein explosives
Gemisch aus Fiktion und Horror
gen, daß er einstecken kann. Darauf be- ge der Liebsten. Im Familienrat spricht Schicksals erfüllt den Horizont. auf, das auch durch das teilweise se-
kommt er einen von drei Punkten auf die der älteste Mann unwiderrufliche Gebo- mi-dokumentarische Format nicht
Hand tätowiert. Ihm wird beschieden: te. Doch beim gemeinsamen Mahl ver- Kinostart ist am 29. Januar 2015 zu überzeugen vermag.

TERMINE
BADEN-BADEN
Bis 01.03.2015: Krieg spielen.
Kunst und Propaganda vor dem
Ersten Weltkrieg. Ausstellung im
Museum LA8 – Museum für Kunst
und Technik des 19. Jahrhunderts,
Lichtentaler Allee 8. Täglich außer
montags 11 bis 18 Uhr. Info:
072 21 / 50 07 96 - 0, www.la8.de
BASEL
Bis 15.02.2015: 14/18 – Die
Schweiz und der Große Krieg.
Ausstellung im Museum für
Geschichte, Barfüsserplatz.
Täglich 10 bis 17 Uhr. Info:
00 41 / (0)61 / 205 86 02,
www.hmb.ch
BERLIN
Uhr. Info: 030 / 80 58 59 00,
www.liebermann-villa.de
Bis 28.06.2015: West:Berlin. Eine
Insel auf der Suche nach Festland.
Ausstellung im Stadtmuseum,
Poststraße 16. Täglich außer
montags 10 bis 18 Uhr, Mi. 12 bis
20 Uhr. Info: 030 / 240 02 - 162,
www.stadtmuseum.de
BERNRIED
Bis 01.02.2015: Lothar-Günther
Buchheim – Feldafinger Bilder
1945–1996. Ausstellung im Buch-
heim-Museum, Am Hirschgarten
1. Täglich außer montags 10 bis 17
Uhr. Info: 08158 / 99 70 20,
www.buchheimmuseum.de
Geschichte, Museumsmeile, Willy-
Brandt-Allee 14. Täglich außer
montags 9 bis 19 Uhr, Sa./So. 10
bis 18 Uhr. Info: 02 28 / 91 65 - 0,
www.hdg.de
– Le Petit Prince. Ausstellung
DRESDEN
Bis 19.04.2015: Blicke! Körper!
Sensationen! Ein Anatomisches
Wachskabinett und die Kunst.
Ausstellung (JF 45/14) im Deut-
schen Hygiene-Museum, Lingner-
platz 1. Täglich außer montags 10
bis 18 Uhr. Info: 03 51 / 48 46 - 400
ESSEN
Bis 01.02.2015: Monet, Gauguin,
van Gogh ... Inspiration Japan.
Ausstellung im Museum Folkwang,
Museumsplatz 1, außer montags
Info: 040 / 42 81 34 - 880, Ersten Weltkrieg. Ausstellung im
www.mkg-hamburg.de Schloß Strünkede, Karl-Brandt-
Weg 5. Täglich außer montags 10
HERNE bis 13 u. 14 bis 17 Uhr, Sa. 14 bis
Bis 08.02.2015: Der kleine Prinz 17 Uhr, So. 11 bis 17 Uhr. Info: 0 23
23 / 16 10 72, www.herne.de
mit 20 Lithographien im Schloß
Strünkede, Karl-Brandt-Weg 5. INGOLSTADT
Täglich außer montags 10 bis 13 u. Bis 03.08.2015: „Dieser Stellungs-
14 bis 17 Uhr, Sa. 14 bis 17 Uhr, So. und Festungskrieg ist fürchterlich“.
11 bis 17 Uhr. Info: 0 23 23 / 16 10 Kriegsbeginn 1914. Ausstellung
72, www.herne.de des Bayerischen Armeemuseums
im Reduit Tilly, Klenzepark. Täglich
Bis 08.02.2015: An der „Heimat- außer montags 9 bis 17.30 Uhr, Sa./
front“ – Westfalen und Lippe im So. ab 10 Uhr. Info: 08 41 / 93 77 - 0,
FOTO: SAIJÔ KAKICHI / © JAPAN PROFESSIONAL PHOTOGRAPHERS SOCIETY (JPS) 2012
www.armeemuseum.de
KARLSRUHE
Bis 15.02.2015: Degas. Klassik und
Experiment. Ausstellung in der
Staatlichen Kunsthalle, Hans-
Thoma-Str. 2-6. Täglich außer
montags 10 bis 18 Uhr, Do. bis 21
Uhr. Info: 07 21 / 9 26 33 59,
www.kunsthalle-karlsruhe.de
LEIPZIG
Bis 15.02.2015: Freiheit – Einheit
– Denkmal. Politische Denkmale
in Leipzig. Ausstellung mit Fotos,
Dokumenten und Modellen im
Alten Rathaus, Markt 1. Täglich
außer montags 10 bis 18 Uhr.
Info: 03 41 / 965 13 20,
www.stadtgeschichtliches-
museum-leipzig.de
Bis 09.08.2015: Unter Druck!
Medien und Politik. Ausstellung
(JF 51/14) im Zeitgeschichtlichen
Forum, Grimmaische Str. 6. Täglich
außer montags 9 bis 18 Uhr, Sa./
So. ab 10 Uhr. Info: 03 41/ 22 20-0,
www.hdg.de/leipzig/
MANNHEIM
Bis 01.03.2015: Von Atlantis
bis heute – Mensch. Natur.
Katastrophe. Ausstellung in
den Reiss-Engelhorn-Museen,
OBERHAUSEN
Bis 03.05.2015: Herlinde Koelbl.
Das deutsche Wohnzimmer, Spu-
ren der Macht, Haare und andere
menschliche Dinge – Fotografien
von 1980 bis heute. Ausstellung in
der Ludwiggalerie, Großes Schloß,
Konrad-Adenauer-Allee 46. Info:
02 08 / 412 49 28,
www.ludwiggalerie.de
SCHWEINFURT
Bis 08.03.2015: Geliebte Tyrannin.
Mode in Bildern des 19. Jahrhun-
derts. Ausstellung im Museum
Georg Schäfer, Brückenstraße
20. Täglich außer montags 10
bis 17 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Info:
097 21 / 51 48 20, www.museum-
georgschaefer.de
Leben und Werk von Charles Bu-
kowski (1920–1994). Ausstellung
im Literaturarchiv /Literaturhaus
Oberpfalz, Rosenberger Straße
9. Täglich außer montags und
samstags 9 bis 17 Uhr, So. ab 14
Uhr. Info: 0 96 61 / 815 959-0,
http://literaturarchiv.de
ULM
Bis 03.05.2015: Gyula das Tausch-
kind. Kindheit und Jugend bei
den Donauschwaben. Ausstellung
im Donauschwäbischen Zentral-
museum, Schillerstraße 1. Täglich
außer montags 11 bis 17 Uhr.
Info: 0731 / 9 62 54-0,
www.dzm-museum.de
WIEN

03.02.2015: „Treffpunkt´89. Von
der Gegenwart einer Epochen-
zäsur“. Marko Martin liest aus
seinem Buch in der Gedenkbiblio-
thek zu Ehren der Opfer des Kom-
munismus e.V., Nikolaikirchplatz
5-7. 18 Uhr. Info: 030 / 2 83 43 27,
www.gedenkbibliothek.de
Bis 22.02.2015: Fotografie im
Ersten Weltkrieg. Ausstellung im
Museum für Fotografie, Jebensstr.
2. Täglich außer montags 10 bis
18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, Sa./So. ab
11 Uhr. Info: 030 / 2 66 42 42 42,
www.smb.museum/mf
Bis 08.03.2015: RAF – Terrori-
stische Gewalt. Ausstellung im
Deutschen Historischen Museum,
Unter den Linden 2. Täglich 10 bis
18 Uhr. Info: 030 / 20 30 40,
www.dhm.de
Bis 09.03.2015: Im Banne der Ver-
wüstung. Max Liebermann, Max
Slevogt und der Erste Weltkrieg.
Ausstellung in der Liebermann-
Villa am Wannsee, Colomierstr. 3.
Täglich außer dienstags 11 bis 17
BONN
Bis 06.04.2015: Festakt oder Pick-
nick? Deutsche Gedenktage. Aus-
stellung im Haus der Geschichte,
Museumsmeile, Willy-Brandt-Allee
14. Täglich außer montags 9 bis
19 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr. Info:
02 28 / 91 65 - 0, www.hdg.de
Bis 22.02.2015: Outer space.
Faszination Weltraum. Ausstel-
lung in der Bundeskunsthalle,
Museumsmeile, Friedrich-Ebert-
Allee 4. Täglich außer montags 10
bis 19 Uhr, Di./Mi. bis 21 Uhr. Info:
02 28 / 91 71 - 200, www.bundes-
kunsthalle.de
Bis 25.05.2015: Der Göttliche.
Hommage an Michelangelo. Aus-
stellung in der Bundeskunsthalle,
Museumsmeile, Friedrich-Ebert-
Allee 4. Täglich außer montags 10
bis 19 Uhr, Di./Mi. bis 21 Uhr. Info:
02 28 / 91 71 - 200, www.bundes-
kunsthalle.de
Bis 09.08.2015: Immer bunter.
Einwanderungsland Deutschland.
Ausstellung (JF 3/15) im Haus der
10 bis 18 Uhr, Fr. bis 22 Uhr. Info: Museum Zeughaus C5. Täglich Bis 15.02.2015: Velázquez. Aus-
02 01 / 88 45 - 000, www.museum- außer montags 11 bis 18 Uhr. SCHWERIN stellung in der Gemäldegalerie
folkwang.de Info: 06 21 / 293 31 50, Bis 01.02.2015: Kunstraub/Raub- des Kunsthistorischen Museums,
www.rem-mannheim.de kunst. Ausstellung in der Galerie Maria-Theresien-Platz. Täglich au-
FRANKFURT AM MAIN Alte & Neue Meister, Alter Garten ßer montags 10 bis 18 Uhr, Do. bis
Bis 01.03.2015: Die große Illusion. MÜNCHEN 3. Täglich außer montags 10 bis 21 Uhr. Info: 00 43 / 1 / 525 24 - 0,
Veristische Skulpturen und ihre Bis 08.02.2015: Canaletto. Bernar- 17 Uhr. Info: 03 85 / 59 58 - 0, www.khm.at
Techniken. Ausstellung (JF 5/15) do Bellotto malt Europa. Aus- www.museum-schwerin.de
im Liebieghaus, Schaumainkai 71. stellung in der Alten Pinakothek, WUSTRAU
Täglich außer montags 10 bis 18 Barer Straße 27. Täglich außer SPEYER Bis 22.02.2015: Kindheit auf dem
Uhr, Do. bis 21 Uhr. Info: 069 / 60 montags 10 bis 18 Uhr, Di. bis Bis 28.06.2015: Titanic – Die Gut. Ausstellung im Brandenburg-
50 98-200, www.liebieghaus.de 20 Uhr. Info: 089 / 238 05 - 216, Ausstellung. Echte Funde, Preußen Museum, Eichenallee 7a.
www.pinakothek.de wahre Schicksale. Ausstellung im Täglich außer montags 10 bis 16
FRITZLAR Historischen Museum der Pfalz, Uhr. Info: 03 39 25 / 707 98,
07.02.2015: Tagung des Arbeits- Bis 01.02.2015: Georg Baselitz — Domplatz. Täglich 10 bis 18 Uhr. www.brandenburg-preussen-
kreises Christlicher Publizisten Damals, dazwischen und heute. Info: 062 32 / 62 02 22, museum.de
(ACP) unter anderem mit Staats- Ausstellung (JF 2/15) im Haus www.museum.speyer.de
minister a.D. Jens Goebel, Patrick der Kunst, Prinzregentenstraße 1.
Sensburg, CDU-Bundestagsabge- Täglich 10 bis 20 Uhr, Do. bis 22 STUTTGART
ordneter, und Paul Wilhelm Prinz Uhr. Info: 089 / 21127 113, Bis 01.03.2015: „Fastnacht der ***
von Preußen im Offiziersheim, www.hausderkunst.de Hölle“. Der Erste Weltkrieg und
Berliner Str. 100. Info und Anmel- die Sinne. Ausstellung im Haus Alle Angaben ohne Gewähr!
dung: 056 24 / 52 59 NÜRNBERG der Geschichte, Konrad-Ade-
Bis 22.02.2015: Von oben gesehen. nauer-Straße 16. Täglich außer Fehlt hier Ihr Veranstaltungshin-
HAMBURG Folgen des Großen Ostjapanischen Erdbebens vom 11. März 2011 Die Vogelperspektive. Ausstellung montags 10 bis 18 Uhr, Do. bis weis? Ankündigungen schicken
Bis 08.02.2015: Fette Beute – im Germanischen Nationalmu- 21 Uhr. Info: 07 11 / 212 39 89, Sie bitte per Fax (030 / 86 49 53 14),
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16 | K U L T U R JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015

Alle ringen mit

der profanen Not Widerstand gibt es nicht
Erster Weltkrieg: Ein fast lautloser Vorgang: Michel Houellebecq entwirft die Dystopie einer islamischen Machtübernahme in Frankreich
Geschichte in Infinitiven

SEBASTIAN HENNIG KARLHEINZ WEISSMANN neuen Führung gelten sie bestenfalls als
nützliche Idioten, um den Druck von
Fall zu Fall zu erhöhen, sonst aber als

D er Erste Weltkrieg hinter- Quertreiber, die nicht verstanden ha-

S
ließ mehr Nachrichten als elten hat ein belletristisches Buch
die nachfolgenden Generationen schon vor Erscheinen so heftige
sogleich entziffern wollten und Diskussionen ausgelöst und noch
konnten. Die künstlerische For- seltener gab es eine derartige Koinzidenz
mung entlastete von der Unge- zwischen Fiktion und Realität wie im
heuerlichkeit des Erlebten. Über- Fall von Michel Houellebecqs „Unter-
lieferte Rohdokumente lassen uns werfung“. Was die Diskussionen angeht,
nun wieder auf jenes besondere löste die das Szenario einer islamischen
Ereignis zurückblicken, das der Machtübernahme im Frankreich des Jah-
Krieg für jeden einzelnen zunächst res 2022 aus, möglich gemacht durch das
darstellte. Der umfassende Band Patt zwischen Marine Le Pen und dem
„Es ist Frühling, und ich lebe Präsidentschaftsbewerber Mohammed
noch“ versammelt Zeugnisse aus Ben Abbès, hinter dessen „Bruderschaft
der Handschriftensammlung der der Muslime“ sich zuletzt „die erweiter-
Wienbibliothek. Unter fünfzehn te republikanische Front“ aus Soziali-
Infinitiven von Aufzeichnen bis sten und bürgerlicher UMP versammeln
Zensieren sind alle Aspekte auf- würde. Die Koinzidenz folgte aus der
gefächert. Zeitgleichheit von Buchveröffentlichung
und dem Anschlag auf die Pariser Sati-
Der Krieg als rezeitung Charlie Hébdo, die übrigens
großer Gleichmacher gerade ihren Spott über Houellebecq
ben, welche Möglichkeiten die „offene
Gesellschaft“ bietet, wenn man die Ge-
duld und die Demographie auf seiner
Seite hat, den Materialismus und den
Opportunismus „in unseren noch west-
lichen und sozialdemokratischen“ Län-
dern ebenso zu nutzen weiß wie deren
Lebensmüdigkeit.
Daß die Ereignisse, die in „Unterwer-
fung“ geschildert werden, ihren Gang
nur nehmen können, weil „Europa (…)
bereits an sich selbst zugrunde gegangen“
war, steht außer Frage. Der Ich-Erzähler,
ein Literaturdozent an der Sorbonne, ist
kaum zufällig Spezialist für Joris-Karl
Huysmans, einen der wichtigsten Au-
toren der décadence am Ende des 19.
Jahrhunderts. Für Huysmans gab es al-
lerdings noch die Rückwendung zum
christlichen Glauben, in einer sehr äs-
thetisierenden und sehr katholischen

FOTO: REUTERS / YOUSSEF BOUDLAL

Der Anspruch, eine privatime
Kriegsgeschichte en detail zu ge-
ben, erfüllt das Buch sehr eindring-
lich. Fotografien, Briefe und Post-
karten lassen die Atmosphäre der
Wahrnehmung jener Jahre leben-
dig werden. Die Kommentare von
Marcel Atze und Kyra Waldner die-
nen der weiteren Erläuterung der
Umstände. Ihre Betrachtung ord-
net sich der jeweiligen Blickweise
der Dokumente unter. Neben den
Rubriken „Dichten“, „Malen“ und
„Komponieren“ mit berühmten
Protagonisten stehen „Mustern“,
„Pflegen“ und „Verweigern“.
Entsprechend sind Autoren von
Weltrang unter Namen ohne be-
sonderen Klang gemischt, deren
Erzählungen kaum weniger bemer-
kenswert sind. Alle ringen mit der-
selben profanen Not. Franz Blei
will sein Klavier in Brot verwan-
deln, während die Kriegsgefange-
nen in Sibirien in einem Puppen-
spiel den Kaspar von Liebe und
Apfelstrudel träumen lassen. Der
Krieg war der große Gleichmacher.
Generalstabschef von Hötzen-
dorf verlor seinen Sohn in den er-
sten Kriegswochen in Galizien. So
hatte er es lange zuvor befürchtet
und geahnt. Egon Poetzl hat vor
dem ersten tödlichen Einsatz noch
eine Reihe von Postkarten nach
Hause auf Tage vordatiert, die er
nicht mehr erleben sollte. Sie ge-
langten dann zusammen mit den
Habseligkeiten eines Toten nach
Hause. In feiner Kalligraphie
schreibt Josef Luitpold der Verlob-
ten als Erasmus an seine Königin
von Navarra maskierte Briefe. Der
Krieg findet darin auch zwischen
den Zeilen keinen Platz.
Marcel Atze /
Kyra Waldner
(Hrsg.): „Es ist
Frühling, und
ich lebe noch“.
Eine Geschichte
des Ersten Welt-
kriegs in Infini-
tiven. Residenz
Verlag 2014,
geb., 440 Seiten,
29,90 Euro
ausgegossen hatte.
Obwohl die Ereignisse des 15. Januar
ein besonderes Licht auf die Darstellung
des Buches fallen lassen, bleibt zu beto-
nen, daß die „Unterwerfung“ bei Hou-
ellebecq ein fast lautloser Vorgang ist.
Sie hatte sich längst angekündigt in der
ständig wachsenden Zahl der Muslime,
deren Präsenz im öffentlichen Leben,
der Gewöhnung einer alternden auto-
chthonen Bevölkerung an das, was eben
noch fremd war, der stillschweigenden
Aufgabe jeder Forderung nach Integra-
tion, einer schleichenden Akzeptanz der
Forderungen, die die islamischen Lob-
bygruppen stellen.
Intime Kenntnis der
politischen Kleinfamilien
All das hat bei Houellebecq dem
Sieg von Ben Abbès vorgearbeitet und
der Möglichkeit, die neue Ordnung so
rasch und effizient durchzusetzen. Es ver-
schwinden die Bettler und die Kleinkri-
minellen von den Straßen genauso wie
die koschere Abteilung im Supermarkt,
die Schulpflicht wird auf sechs Jahre re-
duziert und der Staatshaushalt ausgegli-
chen. Das gelingt durch ein ganzes Bün-
del von Maßnahmen: die Kürzung der
Sozialleistungen wie der Subventionen
für die Großindustrie, das Arbeitsverbot
für Frauen und den Verweis jeder Für-
sorge an die Familien.
Widerstand gegen die Regierungs-
maßnahmen gibt es nicht. Das libera-
le Establishment tut alles, um den Ein-
druck von „Islamophobie“ zu vermeiden,
die plötzlich reichlich fließenden Mittel
aus den Erdölstaaten des Nahen Ostens
einzustreichen und die braune Gefahr
zu beschwören. Die Kirche darf erstaunt
bemerken, daß man sie im Namen des
Antisäkularismus hofiert, und die Intel-
lektuellen stehen unter dem „hypnoti-
schen Zauber“, den Ben Abbès mit sei-
nem Entwurf eines neuen lateinischen
Imperiums unter Einschluß Europas und
der nordafrikanischen Staaten verbreitet.
Probleme gibt es im Grunde nur mit
jenen Extremisten, die Ben Abbès Kon-
zept der „Minderheitsscharia“ nicht ak-
zeptieren und in Frankreich immer noch
eine Region im „Haus des Krieges“ se-
hen, deren ungläubige Bewohner mit
allen Mitteln zu bekämpfen sind. Der
Fassung zwar, aber immerhin. Dagegen
konvertiert der Protagonist Houelle-
becqs schließlich zum Islam ohne Hoff-
nung auf Erlösung – „eine spirituelle
Neigung konnte ich an mir so gut wie
nicht erkennen“ – nur aufgrund prak-
tischer, mithin pekuniärer, Gründe und
um die Vorzüge der Polygamie zu ge-
nießen.
Houellebecqs „Unterwerfung“ ist als
Dystopie gemeint, ohne daß damit un-
mittelbar auf die Position des Autors zu
schließen wäre. Immerhin fällt dessen
intime Kenntnis der politischen Klein-
familien Frankreichs auf. Es beginnt mit
den „katholisch-royalistisch linken Krei-
sen“, die an einer Stelle erwähnt werden
und von deren Existenz diesseits Rheins
kaum einer, jenseits nur sehr wenige wis-
sen dürften, denn die Abspaltung der
Nouvelle Action Royaliste (NAR) von
der ehrwürdigen Action Française (AF)
liegt mehr als vierzig Jahre zurück. Und
wenn schon dem klassischen Monarchis-
mus im heutigen Frankreich lediglich ein
Schattendasein zukommt, so gilt das erst
recht für diese Gruppe von Schismati-
kern und deren ebenso notorische wie
unerhebliche Sympathie für sozialistische
Kandidaten.
Michel
Houellebecq:
Unterwerfung.
DuMont Buchver-
lag, Köln 2014,
gebunden,
280 Seiten,
22,99 Euro
Auf den ersten Blick könnten die Tra-
ditionalisten noch marginaler erschei-
nen als die Anhängerschaft der NAR,
aber deren Schulhaupt René Guénon
übt in Frankreich bis dato einen wenn-
gleich unterirdischen Einfluß aus. Bei
Houellebecq gehört zu den unerwarteten
Wendungen des Geschehens, daß der
Präsident der „Neuen Universität Sor-
bonne – Paris III“, ein Konvertit, seine
Dissertation über Guénon geschrieben
hatte und auch durch dessen Übertritt
zum Islam beeinflußt worden war.
Sehr breiten Raum nehmen dann die
Identitären ein, Anhänger jener nationa-
listischen Basisbewegung, die seit einiger
Zeit auch in mitteleuropäischen Staaten
Muslime in Paris: Schleichende Akzeptanz von Forderungen, die islamische Lobbygruppen stellen
von sich reden macht, aber ihre Wurzeln der unnötigen Schärfe befreiten Slogans sein, aber kaum in so naher Zukunft wie
in Frankreich hat. Bei Houellebecq erle- wie „Wir sind das französische Volk!“ Houellebecq sich vorstellt. Selbst eine
ben die Identitären nicht nur einen dra- und „Das ist unsere Heimat!“ demon- „von ihrem grundsätzlichen Antirassis-
matischen Bedeutungszuwachs, sie spal- strieren, dann erscheint der FN tatsäch- mus gelähmte Linke“ dürfte kaum den
ten sich nach dem Muster von IRA und lich von allen faschistischen Schlacken gesellschaftlichen Umbaumaßnahmen
ETA auch in einen bewaffneten Arm, der befreit, eine Art FRAGIDA auf den zustimmen, die Ben Abbès in Angriff
mit der eigenen Analyse des kommenden Champs-Elysées. nimmt. Daran könnte auch die im Buch
Rassenkrieges in Europa ernst macht, in Man liest das alles und die atmosphä- mehrfach als „Rückkehr zur Religion“
den Untergrund geht und die Konfron- risch dichten Passagen des Romans mit apostrophierte Tendenz wenig ändern,
tation mit den Dschihadisten sucht, und Interesse und darf sich auch an den solange es dabei nur um das Phänomen
einen zivilen, der – ohne Abstriche an mehr oder weniger witzigen Anspielun- geht, daß die Eingewanderten an ihrer
den eigenen Überzeugungen – die An- gen Houellebecqs erfreuen. Da ist zum Überlieferung festhalten und sie den In-
näherung an den Front National (FN) Beispiel Robert Rediker, der erwähnte digenen aufnötigen, der Islam aber keine
vollzieht. Rektor der Sorbonne, dessen Name nicht echte Ausstrahlung auf die Ungläubi-
Als „graue Eminenz“ dieser zweiten zufällig an den des in den Untergrund gen gewinnt. Und schließlich bleibt da
Gruppe fungiert ein junger Kollege des abgetauchten Islamkritikers Robert Re- noch der schlecht motivierte Handlungs-
Erzählers, ein „Rechtsintellektueller“ deker erinnert, oder Godefroy Empereur, strang, in dem es um die halbherzige
neuen Typs, der sich zwar gemäßigt gibt, der Chefdenker der Identitären, dessen und rasch wieder abgebrochene Flucht
aber auf die Zuspitzung der Entwick- Name die Erinnerung an den Kreuzzugs- der Hauptfigur in den Südwesten geht,
lung wartet. Die Basis der Identitären führer Gottfried von Bouillon (eine Iko- als alle Anzeichen doch auf den Beginn
– „Royalisten, Nostalgiker, im Grunde ne der klassischen Rechten) mit der Re- eines Bürgerkriegs hindeuten, der dann
Romantiker“ – behandelt er mit einer miniszenz an Napoleon (den Helden der nicht kommt, obwohl im Vorfeld so aus-
gewissen Verachtung und erklärt, daß Bonapartisten) kombiniert. führlich die Stärke und die Militanz des
erst deren Selbstverständnis als „Urein- rechten Lagers dargestellt wurde.
wohner Europas“ jene Dynamik entfaltet Unmut über die Wenn ausgerechnet an diesem Punkt
habe, das den Sektencharakter sprengen Ignoranz der Medien vieles im Ungefähren bleibt, hängt das
konnte. damit zusammen, daß Houellebecq
Eine ähnliche Mutation hat auch der Trotzdem bleibt ein gewisses Un- seiner eigenen Einschätzung nach mit
FN durchlaufen, dessen Anhängerschaft genügen. Das hat nicht nur mit den „Unterwerfung“ „nicht weit genug“
unter Marine Le Pen kaum noch etwas pornographischen Passagen zu tun, gegangen ist. Vielleicht kommen seine
mit der in der Zeit ihres Vaters zu tun mehr noch mit den Schwächen und Haltungen in den wegwerfenden Äuße-
hat. Jean-Marie Le Pen konnte zwar mit Widersprüchlichkeiten der Handlung. rungen über sein eigenes als ein „Volk der
den Besiegten von 1944, Nationalisten Denn der Hinweis auf den „sich seit Königsmörder“ zum Ausdruck, oder in
der alten Schule, Algerienfranzosen und Jahren verbreiternde[n], inzwischen der Überzeugung, daß „das Patriarchat
katholischen Ultras einen Kern formie- bodenlose[n] Graben zwischen dem (…) zumindest den Vorzug zu existie-
ren, aber jetzt ist die Zeit gekommen, Volk und jenen, die in seinem Namen ren“ hatte, oder in den schwärmerischen
um sich aller Illusionen über die Bünd- sprachen“ einerseits, die Allmacht ei- Passagen über das noch halbbarbarische
nisbereitschaft des nach links driftenden ner linken Oligarchie „in einem immer aber vitale Frühmittelalter, oder in der
Klerus oder die „douce France“ zu ent- unverhohlener rechts denkenden Land“ offenkundigen Sympathie für Liberti-
schlagen, und dem „white trash“ und den andererseits bleibt genauso folgenlos für nage und elitäres Selbstverständnis, das
verstörten und verängstigten laizistischen das Geschehen wie der Unmut über die in der französischen Rechten Tradition
Mittelschichten ein Angebot zu machen. Ignoranz der Medien, die die Warnung hat, aber sicher ist das nicht. Es kann
Wenn Marine Le Pen sich also nicht der „Kassandren“ vor dem kommenden sich durchaus um Vexierspiele handeln,
mehr auf das Frankreich der Vergangen- Kulturkampf stets abgetan haben, so lan- etwas, das angesichts der von Houelle-
heit beruft, sondern die Deklaration der ge, bis es zu spät ist. becq skizzierten kulturellen Machtver-
Menschen- und Bürgerrechte von 1793 Oder auch nicht. Denn der schlei- hältnisse schlau sein mag, aber der Ge-
zitiert, in der vom Revolutionsrecht die chende Übergang in ein „Eurabia“ mag staltungskraft eines Autors offenbar auch
Rede ist, und ihre Anhänger mit von je- vielleicht die Zukunft des Kontinents Grenzen setzt.

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JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015
Blick in die Medien
Bauer sucht
Aufklärung
Von Tobias Dahlbrügge
D as Landwirtschaftliche Wochen-
blatt aus dem Hiltruper Land-
wirtschaftsverlag, der auch Landlust
herausgibt, kritisiert die Berichter-
stattung der Süddeutschen Zeitung.
Die SZ hatte auf ihrer Kinderseite
die Haltung von Haustieren mit
der von Nutztieren verglichen und
resümiert, daß Haustiere geliebt,
aber Nutztiere „wie Maschinen“
behandelt würden. Fazit: „Erklä-
ren kann man das nicht, denn süß
sind sie alle.“
Urheber des Übels sind „die
Menschen“, denn diese „trinken
ihre Milch, essen ihre Eier und ihr
Fleisch.“ Dann zitiert der Beitrag
das Tierschutzgesetz („Niemand
darf einem Tier ohne vernünf-
tigen Grund Leiden zufügen“)
und fragt: „Was ein vernünftiger
Grund ist, ist nicht geklärt. Ist es
vernünftig, wenn ein Bauer mehr
Geld verdienen will?“ Die SZ hat
die Antwort parat: „Tierschützer
sagen, daß die Leute lieber mehr
Geld ausgeben sollten.“
„Ist es vernünftig,
wenn ein Bauer
mehr Geld verdienen
will?“
Das Wochenblatt kritisiert: „Ge-
nau das wünschen sich die Bauern
auch, aber das sagt die Autorin
nicht.“ In der Tat setzen Handel
und EU-Agrarpolitik die Bauern
unter immer größeren Preisdruck.
Außerdem verschweigt die SZ
den Lesern, daß Fleisch nur noch
sonntags auf den Tisch käme und
das neue iPad gestrichen wäre, wenn
Eltern mit Durchschnittsjob nur
noch im Bioladen kaufen dürften.
Solche Klischeeartikel sind kein
Einzelfall. Auch Geolino, die Kin-
derausgabe von Geo, berichtete über
einen konventionellen Schweine-
mastbetrieb und kam zu dem
Schluß: „Das ist die pure Qual!“
Der Verein „Stadt und Land
e.V.“ wendet ein, daß Bauernhöfe
in der Kinderliteratur nur als Bil-
derbuch-Idylle dargestellt würden.
Mit der Realität konfrontiert, seien
die Kinder dann schockiert. Dar-
um appelliert der Verein an Bau-
ern, die Darstellung der Landwirt-
schaft nicht den Medien zu über-
lassen, sondern sich selbst aktiv an
Schulen zu wenden: „Auf den Hö-
fen können sich Kinder dann ihre
eigene Meinung bilden. Besser als
die aus den Kinderzeitschriften.“
TV-Tip
Sonntag, 1. Februar,
23.30 Uhr, ZDF
Tätern auf der Spur
Heutzutage werden Morde
öfter als früher aufgeklärt,
weil es eine neue Ermitt-
lungsmethode gibt: die
DNS-Analyse. Eine Doku
über die moderne Forensik.
Eintritt nur nach Anmeldung unter
E-Mail: veranstaltungen@fkbf.de oder
Fax:
Bibliothek des Konservatismus
Der Abwärtstrend ist unaufhaltsam
„Lügenpresse“: Der Fall Khaled offenbart die „freiwillige Gleichschaltung“, die zum Auflagenschwund beiträgt
RONALD BERTHOLD
D
ie etablierten Medien sind ih-
rer Chronistenpflicht nachge-
kommen. Sie haben vermeldet,
daß ein Landsmann den eritreischen
Asylbewerber Khaled B. in Dresden
getötet hat. Doch reicht das, um dem
Unbehagen, das immer mehr Leser und
Zuschauer beschleicht, zu begegnen?
Jeder zweite Deutsche sagt laut einer
Insa-Umfrage für Focus, Journalisten be-
richteten „nicht objektiv“ über Pegida.
Der Fall Khaled B. paßt genau in die-
ses Muster. Bevor die Polizei den Mord
aufgeklärt hatte, rückten viele Journali-
sten ihn in einen Zusammenhang mit
den Montagsdemonstrationen. Flücht-
linge wurden gefragt, ob sie sich nach
dem Mord und wegen der angeblichen
Fremdenfeindlichkeit in Dresden noch
aus dem Haus trauten. Diese verneinten
herzzerreißend und dienten den Medi-
en dazu, eine Pogromstimmung her-
beizuphantasieren, die nicht existiert.
Besonders perfide kam ein Text der
Nachrichtenagentur dpa daher: „Mehr
als 2000 Teilnehmer demonstrieren am
18.01. in Berlin, um an den erstoche-
nen Asylbewerber Khaled Idris Bahray
zu erinnern. Der Flüchtling aus Eri-
trea war in der Nacht von Montag auf
Dienstag nach einer Pegida-Demo in
Dresden tot aufgefunden worden.“
Pogromstimmung
herbeihalluziniert
Dieser Text enthält keine Lüge, aber
er stellt Verknüpfungen her, die mit fai-
rem Journalismus nichts zu tun haben.
Insofern bedeutet der Schlachtruf „Lü-
genpresse“ viel mehr als das Anprangern
von Unwahrheiten. Es sind die Verdre-
hungen, Weglassungen und Spekulatio-
nen, mit denen eine Einseitigkeit her-
gestellt wird, die viele Leser auf Distanz
zu Journalisten gehen läßt und die sie
als „Lüge“ empfinden.
Als der tatsächliche Tatablauf zu
Khaled B. ans Licht kam, konnten ihn
die meisten Journalisten nicht überge-
hen. Ob das nur dem Druck der immer
kritischer werdenden Leserschaft, die
sich in vielen Forum-Beiträgen zeigt,
geschuldet war, bleibt unklar. Was bei
den meisten Berichten allerdings völlig
fehlte, war die Nachricht, daß Medien
und Politik zunächst massiv über einen
Der letzte macht das Licht aus
Jugendzeitschriften: Für „Bravo“ und Co. hat offenbar das geschäftliche und publizistische Endspiel begonnen
LION EDLER
W ird 2015 das letzte Lebensjahr
für Bravo und Co? Der Bran-
chendienst meedia.de schlägt bereits
Alarm: Für Meedia wäre es ein „großes
Wunder“, wenn alle fünf führenden Ju-
gendzeitschriften in einem Jahr noch
vorhanden wären.
Der Grund: Weil immer mehr Ju-
gendliche sich die Informationen über
030-315 17 37 21
rassistischen Hintergrund spekuliert
hatten. Ohne diese Konstruktion hätte
der Todesfall von Dresden niemals eine
bundesweite journalistische Relevanz
erhalten, und auch die Nachricht von
der Aufklärung wäre keine gewesen.
Um die tief erschütterte Glaubwür-
digkeit zurückzugewinnen, ist inzwi-
schen weit mehr nötig als das Vermel-
den des wirklichen Täters. Wo waren
die Leitartikel, die sich kritisch mit der
Vorverurteilung und der Stimmungs-
mache der eigenen Branche auseinan-
dergesetzt haben? Wo sind die Kom-
mentare, die mit Scharfmachern wie
den Grünen Volker Beck und Özcan
Mutlu sowie der Naturfreundejugend
abrechnen? Beck hatte Anzeige gegen
die Dresdner Polizei erstattet, Mutlu
sogar einen Zusammenhang zu den
NSU-Morden hergestellt und die Na-
turfreundejugend zu der Demo aufge-
rufen sowie angeprangert, daß „die Po-
lizei die Mitbewohner des Ermordeten
überhaupt vernommen hatte, anstatt
sich auf Nazis zu konzentrieren“, wie
die taz berichtet.
Leserstreik und freiwillige
Gleichschaltung
Der frühere Chefredakteur der Wirt-
schaftswoche, Roland Tichy, hat die
Gefahr, die sich für die Zunft ergibt,
benannt. Er sagt: „Um vorgeführt zu
werden, werden Menschen von Journa-
listen bewußt mißverstanden, werden
ihre Aussagen verkürzt und aus dem
Zusammenhang gerissen.“
Daher sei es kein Wunder, daß kaum
noch Demonstranten Interviews geben
wollten. Tichy kritisiert auch die Auf-
hebung der einst klassischen Trennung
von Kommentar und Bericht. Die Ten-
denz der Berichterstattung gäben linke
Trendsetter vor: Politiker oder „aggressive
Minderheiten“, denen die „Journalisten
folgen, weil die Sichtweise als fortschritt-
lich oder modern gilt“.
Diese „freiwillige Gleichschaltung“ –
wie es Evelyn Roll, eine frühere Redakteu-
rin der Süddeutschen Zeitung (SZ), nennt
– führt zur Höchststrafe: Die Leser treten
in einen Kaufstreik. Im vierten Quartal
2014 verloren erneut alle überregionalen
Tageszeitungen massiv an Auflage. Auffäl-
lig: Besonders Blätter mit einer bürgerli-
chen Leserschaft sind die Leidtragenden:
Bild und Welt verloren rund zehn Prozent,
die FAZ 7,4. Offenbar ist der Frust, täg-
lich die eigene Auffassung verunglimpft
ihre Idole aus dem Internet ziehen, be-
findet sich die verkaufte Auflage der
Jugendzeitschriften im freien Fall. Im
vierten Quartal 2014 verkaufte die Bravo
nur noch 124.265 Exemplare, was einem
Fünf-Jahres-Minus von 75,7 Prozent
entspricht. Ende der neunziger Jahre
lagen die Auflagezahlen noch oberhalb
der Eine-Million-Marke! Allein im Ver-
gleich zwischen den vierten Quartalen
2014 und 2013 verlor die Bravo binnen
eines Jahres 35,1 Prozent ihrer Auflage.
Die Veranstaltungen der nächsten Wochen:
Friedhelm Appel
Verfolgte Christen
weltweit
Berichte, Hintergründe,
Auflagenrückgang der gesamten Tagespresse in Deutsch-
land im 4. Quartal 2014 im Vergleich zum 4. Quartal 2013
20,1
Millionen
Exemplare
–5 %
4. Quartal
2013
Verkaufte Auflage im 4. Quartal 2014 im Vergleich zum
4. Quartal 2013
Süddeutsche
Zeitung Stern
–4,7 %
–6,1 %
–7,4 %
FOTO: JF
IVW-Zahlen: Die Auflagenverluste der Tagespresse sind schmerzhaft
zu sehen, hier besonders groß. Aber auch
der Süddeutschen (-4,7 Prozent) und der
taz (-7,4) laufen die Kunden davon.
Niemand hat die Größe,
Fehler einzugestehen
Der Abwärtstrend der Printmedi-
en scheint unaufhaltsam, die Verluste
werden immer größer. Und die Hoff-
nungslosigkeit in den Chefetagen of-
fenbar ebenfalls. Denn der Umgang mit
der immer lauter werdenden Kritik wirkt
fast schon grotesk. Ob die Süddeutsche
die richtige Anwort auf diese Probleme
gefunden hat? Sie schafft im Online-Be-
reich die Kommentarfunktion für ihrer
Leser ab. Tagesschau.de erwägt den glei-
chen Schritt. Wo es kein Forum mehr
Bei der Konkurrenz und den Able-
gern sieht es nicht besser aus: In den
vergangenen fünf Jahren sank die Auf-
lage der Bravo Girl um 64,4 Prozent; bei
der hey! waren es 71,2 Prozent, bei der
Popcorn 77,9 Prozent und bei der Yeah!
76,7 Prozent. Die Zahlen sind eindeutig.
Hoffnung sehen manche dagegen in
der Zeitschrift Mädchen, die zwar im
Fünf-Jahres-Vergleich ebenfalls 27,4
Prozent einbüßte, im Vergleich zum Vor-
jahr jedoch 8,6 Prozent gewann. Aller-
Billy Six
Marsch ins Ungewisse
Gefangen im Syrien-Krieg
19,1
Millionen
Exemplare
4. Quartal
2014
FAZ BILD WELT
–9,0 %
–9,8 %
gibt, kann es auch keinen Gegenwind
mehr geben. Vielleicht wäre es Zeit für
eine ehrlichere Lösung. Doch kein füh-
render Kopf in der Medienbranche, die
Menschen mit hohem Maß an Eitelkeit
anzieht wie kaum eine zweite, stellt das
eigene Tun infrage.
Die USA sind da schon weiter. Der
Chefredakteur der ebenso gebeutelten
wie angesehenen New York Times, Dean
Baquet, hat in dieser Woche Fehler sei-
ner Branche und seiner Zeitung nach
dem 11. September eingestanden. In
einem Interview mit dem Spiegel räum-
te er ein, „der Mainstream“ habe unter
anderem im Zusammenhang mit dem
Irak-Krieg versagt. Über seine Zeitung,
sagte er voller Selbstkritik: „Wir waren
zu arrogant.“
dings relativiert sich dieser Erfolg, wenn
bedacht wird, daß das Magazin erst seit
kurzem nicht mehr zweiwöchentlich,
sondern nur noch monatlich erscheint.
Und dennoch wird es auch für Mäd-
chen eng: Bereits im November erklärte
der Verlag, daß er das Blatt aus Kosten-
gründen künftig von einem externen
Dienstleister erstellen läßt. Auch für die
Zukunft erwartet der Verlag, daß „die
Potentiale der Anzeigenvermarktung“
weiter sinken werden.
Klaus Kelle
Political Correctness
Können wir unseren
Medien noch vertrauen?
M E D I E N | 17
Michael Miersch verläßt
die „Achse des Guten“
BERLIN. Michael Miersch ver-
läßt die Achse des Guten. Der Pu-
blizist hat sich von dem Autoren-
Blog verabschiedet. Der Grund:
Die Stimmung unter den Auto-
ren und Lesern sei nicht mehr so
„weltoffen, liberal und aufgeklärt“
wie früher. Der Gründer des Blogs
kritisiert den wachsenden Einfluß
des „AfD-Pegida-Umfelds“, das
sich bei achgut.com breitmache
und unter anderem Autoren we-
gen ihrer „nicht deutsch klin-
genden Namen“ verhöhne. Al-
lerdings sei die neue Linie auch
erfolgreich, räumt er ein, denn:
„Die rapide steigenden Besucher-
zahlen der vergangenen Wochen
zeigen: Wutjournalismus hat ei-
ne weitaus größere Leserschaft als
Nachdenklichkeit.“ Die beiden
anderen Mitbegründer der Ach-
se des Guten, Henryk M. Broder
und Dirk Maxeiner, haben sich
nicht öffentlich zu dem Rückzug
Mierschs geäußert. (rg)
WDR startet neuen
Kurznachrichtendienst
KÖLN. Der Westdeutsche Rund-
funk hat am 19. Januar einen neu-
en Nachrichtenkanal aufgemacht:
Über die sozialen Netzwerke You-
tube und Instagram werden Kurz-
filme mit Nachrichtencharakter
verbreitet. Titel: WDR #3sech-
zich. Das Motto: „Unabhängig,
meinungsfreudig, relevant.“ In
einem der ersten Filme wurde die
gewalttätige Antifademo gegen
Legida mit den Worten: „Leipzig
bietet dem Aufmarsch die Stirn“
kommentiert. (rg)
Hushed: App vergibt
neue Rufnummer
BERLIN. Ohne Rufnummernan-
zeige anzurufen – das macht heu-
te kaum noch jemand. Wer seine
Identität eigentlich unterdrücken,
aber trotzdem eine Rufnummer
anzeigen will, wenn er jemanden
anruft, für den ist Hushed (dt.
vertuscht) die richtige App. Das
Programm ist schnell installiert.
Nutzer können sich eine Tele-
fonnumer in Ländern wie den
USA, Österreich oder der Schweiz
wählen – Deutschland ist (noch)
nicht dabei. Für drei Dollar erhält
der Hushed-Kunde beispielswei-
se eine österreichische Nummer
zugewiesen, mit der er 30 Tage
lang telefonieren kann. Wird die
Nummer dann nicht mehr benö-
tigt, wird sie einfach vom Handy
gelöscht. Rückrufer, die die Num-
mer wählen, werden auf das eige-
ne Handy umgeleitet. (rg)
Allerdings müßte
ich der „taz“
für den Verlust
an Lebenszeit
500 Euro in
Rechnung stellen.
Christopher Lauer (ehe-
mals Piratenpartei) soll
eine Interviewanfrage
so beantwortet haben
Björn Schumacher
Der Luftkrieg als Tribunal
Das alliierte Morale




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29. Januar 2015, 19 Uhr 12. Februar 2015, 19 Uhr 5. März 2015, 19 Uhr 26. März 2015, 19 Uhr
18 | F O R U M
Adler im Flug als
Symbol der Freiheit:
Wir dürfen kaufen,
was wir wollen; arbei-
ten, wo wir wollen; ge-
hen, wohin wir wollen;
spekulieren, mit was wir
wollen – nur ausspre-
chen, was wir wollen,
das dürfen wir nicht.
Das sollten wir uns
nicht gefallen lassen.
Die ganze Freiheit soll es sein
F
reiheit hieß die Parole,
unter der sich die Franzo-
sen gegen ihre Feudalher-
ren empört hatten. Ihre
Nachbarn folgten demsel-
ben Ruf, als sie versuchten,
ihre von Gottes, nicht von Volkes Gna-
den regierenden Herrscher loszuwerden.
Mit dieser einfachen Devise wollen sich
die Berufseuropäer von heute aber nicht
zufriedengeben, sie bieten und verspre-
chen mehr: statt der Freiheit im Singular
vier Freiheiten im Plural, den freien Ver-
kehr von Waren und von Kapital, von
Arbeitskräften und von Dienstleistungen
– vier Freiheiten statt einer.
Das sieht nach einem guten Handel
aus; ist allerdings ein schlechter. Das
zu begreifen, tun sich die Fachleute für
Wirtschafts- und Währungsfragen je-
doch schwer; sie kennen den Preis von
allem, aber den Wert von nichts. Und
weil es diese Leute sind, die in Europa
den Ton angeben, verstehen sie nicht,
wie schlecht es heute um die Freiheit
steht.
Der Wiener Johann Nestroy, erfah-
ren im Umgang mit der politischen
Zensur, wußte es noch besser. Freiheit,
heißt es in einer seiner hintersinnigen
Possen, Freiheit sei zwar ein schönes
Wort, „aber nur in der einfachen Zahl
unendlich groß. Drum hat man sie uns
auch immer nur in der wertlosen viel-
fachen Zahl gegeben.“ Sogar Gedan-
kenfreiheit hätten die Wiener genossen
– „insofern wir die Gedanken bei uns
behalten haben“. Für die Gesinnung
habe es eine Art Hundsverordnung ge-
geben, „man hat’s haben dürfen, aber
am Schnürl führen; wie man’s loslassen
hat, haben’s ein’ erschlagen. Mit einem
Wort“, resümiert Nestroy, „wir haben
eine Menge Freiheiten g’habt, aber von
Freiheit keine Spur.“
Gut hundertfünfzig Jahre ist das her,
und immer noch so aktuell wie damals.
Und nirgends aktueller als in der Euro-
päischen Union, die mittlerweile jenes
Machtgebilde verkörpert, das zu Ne-
stroys Zeiten die Geheimpolizei des
allmächtigen Fürsten Metternich war.
Heute sind Legionen von hochbezahlten
Leuten in Brüssel und anderswo unter-
wegs, um alle möglichen Freiheiten zu
verkünden, zu befördern und durch-
zusetzen; nur eben jene eine nicht, die
Freiheit im Singular, die darin besteht,
alles zu denken, zu sagen und zu tun,
was einem anderen nicht schadet – so
die schöne Formulierung aus der Erklä-
rung der Menschen- und Bürgerrechte.
Wir dürfen kaufen, was wir wollen;
arbeiten, wo wir wollen; gehen, wohin
wir wollen; spekulieren, mit was wir wol-
len – nur aussprechen, was wir wollen,
das dürfen wir nicht. Das verwehrt uns
eine allmächtige und allgegenwärtige
Gedankenpolizei, die mit sanfter, aber
unerbittlicher Gewalt die Grenzen über-
wacht, innerhalb derer wir denken und
Redeverbote und Politische Korrektheit
reden sollen. Sie bestimmt, was politisch
korrekt ist und was nicht. Und wie die
Bürger, die diese Grenzen überschreiten,
zu bestrafen sind, bestimmt sie selbst-
verständlich auch.
Der moderne Zensor geht mit der
Zeit. Er macht ein freundliches Gesicht
(sofern man ein Gesicht wie das von
Martin Schulz denn freundlich nennen
will). Aber das täuscht. Schulz selbst hat
die Katze aus dem Sack gelassen, als es
um die Bestätigung eines Kandidaten
ging, der über die Homosexualität nicht
genauso denken wollte wie er selbst. Es
half dem armen Kandidaten nichts, daß
er zwischen seinen amtlichen Verpflich-
tungen und seiner privaten Meinung
deutlich unterschied und klarmachte,
daß er als Kommissar die europäischen
Richtlinien und Vorschriften gewissen-
haft beachten werde. Schulz ließ nicht
locker, fragte nach, verlangte Zustim-
mung zu seiner Ansicht; und als der
Kandidat die nicht geben wollte und
bei seiner Ansicht blieb, ließ Schulz ihn
durchfallen.
Offenbar versteht sich
die EU als eine Glau-
bensgemeinschaft, die
ihre Dogmen im Wege
von Sprachregelung
und Gesinnungsdruck
durchsetzt. Der ganze
Kontinent soll mit nur
einer Stimme spre-
chen, der Stimme der
Kommission und ihrer
Koryphäen.
Offenbar versteht sich die Europä-
ische Union als eine Glaubensgemein-
schaft, die ihre Dogmen im Wege von
Sprachregelung und Gesinnungsdruck
durchsetzt. Der ganze Kontinent soll mit
nur einer Stimme sprechen, der Stimme
der Kommission und ihrer Koryphäen.
Wer anders denkt und fühlt, muß ein-
lenken, sich bekehren oder den Mund
halten.
Erfindungen wie die Quote, die
Inklusion, die Genderei, die Homo-,
Trans- und Islamophobie sind nur die
bekanntesten unter den Glaubensarti-
keln, die von Brüssel aus europaweit ver-
trieben werden. Die Älteren unter uns
werden sich noch an die Zeit erinnern,
in der für gleiche Chancen, gleiches
Recht und gleiche Stellung öffentlich
geworben werden mußte; doch diese
Zeit ist längst vorbei. Als ich vergange-
nes Jahr wieder einmal in Berlin war,
feierte man dort den Christopher Street
Day. Auf der Potsdamer Straße kam mir
eine Art Karnevalszug entgegen, dessen
Teilnehmer in der Öffentlichkeit Kunst-
Von Konrad Adam
stücke zeigten, für die unsereiner die
Öffentlichkeit eher meiden als suchen
würde. Neben mir stand ein Gemüse-
händler, der seinen Laden kurz verlassen
hatte, um dem bunten Treiben zuzuse-
hen. Nach kurzer Zeit schüttelte er den
Kopf und ging mit den Worten: „Und
die wollen unterdrückt sein!“ zurück in
seinen Laden.
Der Mann hatte den Nagel auf den
Kopf getroffen. Ähnlich wie das Kind
in Andersens bekanntem Märchen, das
als einziges den nackten Kaiser nackt zu
nennen wagt, hatte er ausgesprochen,
was viele von uns denken, angesichts
des öffentlichen Meinungsdrucks aber
lieber bei sich behalten: daß die Diskri-
minierten von gestern die Privilegierten
von heute sind. Und daß sie ihren Op-
ferstatus um so wütender verteidigen,
je weniger von ihm noch übrig ist. Sie
wollen beides, die Rolle des Opfers und
die Pose des Siegers, und machen ge-
gen jeden mobil, der sie daran erinnert,
daß sich das eine mit dem anderen nur
schlecht verträgt.
Wie man das anstellt, hat Klaus Wo-
wereit vorgemacht. In seiner Autobio-
graphie berichtet er voller Stolz von der
gewaltigen Resonanz auf sein öffentlich
vorgetragenes Bekenntnis, „schwul“ zu
sein. Ein einziger Satz habe ihn in den
Himmel der öffentlichen Aufmerk-
samkeit geschossen; tags darauf habe
er sich vor Anfragen und Einladungen
kaum noch retten können; Talkmaster
aus dem ganzen Land hätten um sei-
nen Auftritt regelrecht gebuhlt; einer
von ihnen habe sogar ein Privatflugzeug
geschickt, um ihn am Abend mit dabei
zu haben; und so weiter.
Für ihn hat sich die Sache also aus-
gezahlt. Und das läßt fragen, was denn
an einem Schritt so mutig sein soll, der
sich so glänzend rentiert. Wowereit ist
nicht das einzige Beispiel dafür, daß die
Erzählung vom unterdrückten Schwu-
len, der seine Neigung bei Strafe öffent-
licher Ächtung verstecken muß, nicht
mehr stimmt. Statt verfolgt oder ver-
femt zu werden, bringt das Bekenntnis
mittlerweile etwas ein; denn ohne den
berühmten Satz „Ich bin schwul, und
das ist auch gut so“ hätte Wowereit wohl
doch noch etwas länger auf den Bürger-
meistertitel warten müssen.
Daß sein Auftritt gut für ihn selbst
gewesen ist, steht außer Frage; ob er
auch gut war für die Stadt, dürfte nach
der Flughafen-Pleite, die Wowereit in
seiner Eigenschaft als Vorsitzender des
Aufsichtsrats mit zu verantworten hat,
nicht ganz so sicher sein. Sind fünf Mil-
liarden öffentlicher Mittel als Preis für
ein privates coming out nicht doch et-
was zuviel?
So wird man immer weiter fragen
können. Wer dem Zeitgeist folgt, er-
lebt eine Überraschung nach der an-
deren. Wenn Kindern, die aus dem na-
türlichsten von allen Gründen weni-
ger leistungsfähig sind als andere, die
besondere Förderung, auf die sie doch
Anspruch hätten, vorenthalten wird,
sprechen die Progressiven von gelun-
gener Inklusion. Wenn die forcierte
Gleichstellungspolitik dazu führt, daß
begabte Nachwuchskräfte bei der Be-
werbung um eine aussichtsreiche Stelle
nur deshalb nicht zum Zuge kommen,
weil sie das falsche, nämlich männli-
che Geschlecht haben, behaupten sie,
den Auftrag der Verfassung zu erfüllen.
Wir wissen, was auf
dem Spiel steht, wenn
die Regierung von uns
Bürgern politische
Glaubensbekenntnisse
gleich welcher Art
verlangt. Wir wollen
nicht zurück in eine
Welt, in der die Kritik
verdächtig, der Zweifel
gefährlich und der Wi-
derspruch verboten ist.
Wenn Leuten, die gar nicht daran
denken, die Gesetze des Landes, das ih-
nen Zuflucht geboten hat, zu befolgen,
das Gastrecht entzogen werden soll, wird
das als Angriff auf die Menschlichkeit
bekämpft. Wo der Zeitgeist weht, reiht
sich eine politisch korrekt verpackte Lü-
ge an die andere. Unwillkürlich denkt
man an den Kommissionspräsidenten
Jean-Claude Juncker, der seine politische
Erfahrung in den Satz zusammenfaßte:
„Wenn es ernst wird, muß man lügen.“
Die Kunst der Wortkosmetik ist
uralt. Thukydides, der Historiker des
Peloponnesischen Krieges, hat von ihr
berichtet. Er deutet es als Zeichen der
Verrohung, daß seine Zeitgenossen dazu
übergingen, Verwegenheit als Mut, Be-
sonnenheit als Feigheit und anständiges
Verhalten als Dummheit zu bezeichnen.
Inzwischen sind wir zweieinhalbtausend
Jahre und einige Lektionen weiter. Wir
haben die Lüge selbst zum Gegenstand
der Schönfärberei gemacht und sprechen
statt von Täuschung lieber von Werbung
und Kommunikation, von Expertise,
Analyse und Beratung.
Heerscharen von Spezialisten sind da-
mit beschäftigt, alte Wahrheiten durch
neue Lügen zu ersetzen: Opportunis-
mus heißt jetzt Zivilcourage, Dogma-
tik wird als Toleranz verkauft, der Krieg
mutiert zur humanitären Intervention,
wer Aufklärung sagt, will den Leuten
über den Mund fahren, und Pädophile
geben sich als Pädagogen aus. Tagtäg-
lich werden uns diese politisch korrekt
verpackten Lügen vorgekaut; und wenn
das oft genug geschehen ist, werden sie
von uns geschluckt. Einer Zensur bedarf
JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015
FOTO: FOTOLIA / ELENARTS
es dann nicht mehr; der Eingriff, das
Verbot, die Strafe werden überflüssig,
weil die Zuwiderhandlung nicht mehr
möglich ist. Die Sprache hat die Wahr-
nehmung, die Wahrnehmung die Wirk-
lichkeit verändert.
Auf diesen Mechanismus verlassen
sich die Herrschenden, wenn sie uns
alle möglichen Freiheiten garantieren,
die Redefreiheit aber nicht. Sie wissen
schon, warum. Wenn sie die Sprache
politisch korrekt zugerichtet haben, läuft
die Gedanken-, die Meinungs- und die
Pressefreiheit leer. In seinem düsteren
Zukunftsroman „1984“ läßt George Or-
well den Großen Bruder behaupten, daß
es Realität als etwas außerhalb und un-
abhängig von der menschlichen Vorstel-
lungskraft Bestehendes gar nicht gebe.
Die Wirklichkeit, doziert er, existiere im
menschlichen Denken „und nirgendwo
sonst“. Er zieht daraus auch gleich die
fällige Konsequenz, indem er eine zweite
Wirklichkeit entwirft, in der
zwei mal zwei nicht mehr vier,
sondern fünf ergibt. Wenn
das nur oft genug wiederholt
wird, glauben es die Leute.
Die Grenzen meiner Spra-
che, hat ein kluger Mann ein-
mal gesagt, sind die Grenzen
meiner Welt. Sollte das rich-
tig sein, versperrt man uns die
Welt, indem man die Sprache
entstellt, verkrüppelt und be-
schneidet. Das sollten wir uns
nicht gefallen lassen. Wir wol- Dr. Konrad Adam,
len nicht zurück in eine Welt, Jahrgang 1942, Pu-
in der die Kritik verdächtig, blizist, war Feuille-
der Zweifel gefährlich und tonredakteur der
der Widerspruch verboten FAZ und bis 2007
ist. Glaubensgemeinschaften Chefkorrespon-
neigen zu Glaubenskriegen, dent der Welt. Adam
für die ein Preis zu zahlen ist, ist einer von drei
der mir auch dann zu hoch gleichberechtig-
erscheint, wenn er nicht mehr ten Sprechern der
mit Feuer und Schwert, son- AfD. Auf dem Forum
dern mit den Methoden einer schrieb er zuletzt
wildgewordenen Sprachpoli- über die „Angst
zei eingetrieben wird. vor dem Volk“
Wir haben aus der Ge- (JF 31-32/14).
schichte gelernt und wissen,
was auf dem Spiel steht, wenn
die Regierung von uns Bürgern politi-
sche Glaubensbekenntnisse gleich wel-
cher Art verlangt. Das müssen wir nicht
hinnehmen. Wir wollen keine Obrig-
keit, die Vielfalt durch Einfalt ersetzt
und unter dem Vorwand der Harmo-
nisierung Gleichmacherei betreibt. Mit
einem Wort: Wir wollen Freiheit, Frei-
heit im Singular statt Freiheiten im Plu-
ral. Wir wissen ja, wie es dann weiter-
geht: zunächst ist das erlaubt, was nicht
verboten ist; dann das verboten, was
nicht erlaubt ist; schließlich auch das
verboten, was früher einmal erlaubt war.
So geht es, wenn man die Freiheit zer-
teilt und als Stückwerk unter die Leute
bringt. So wollen wir sie aber nicht, wir
wollen die ganze.
 WISSEN
W LITERATUR, Seite 21 NATUR & TECHNIK, Seite 22

W
Antje Schmelcher über die Unverstellter Blick, freie Aus-
gesellschaftliche Diskrimi- sicht: Warum wir Windräder-
nierung der Mutterrolle spargel als häßlich empfinden
| 19
J U N G E F R E I H E I T | Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015

Der Menschenhandel
zwischen den Systemen
Eine erhellende Dissertation über den jahrzehntelangen
DDR-Häftlingsfreikauf der Bundesrepublik

DETLEF KÜHN zur Reisepolitik der Bundesrepublik,

die ähnliche Auswirkungen gehabt ha-
be – eine Folgerung, die der Rezensent
aus eigner Erfahrung bestätigen kann.

D
er Verkauf von Menschen Große Aufmerksamkeit widmet

Ein expandierendes Versteck

durch das SED-Regime an
den „Klassenfeind“ im Westen
Deutschlands, vertreten durch die je-
weiligen Bundesregierungen, bewegt
nicht nur die Historiker, sondern im-
Die Geschichte des BND-Sitzes im bayerischen Pullach mer noch die Freigekauften und ihre
und seine vielen Geheimnisse Angehörigen. Die Ursache für das an-
haltende Interesse liegt daran, daß die
Beteiligten an dem Geschäft seinerzeit
in Ost und West verzweifelt, aber letzt-
lich vergeblich versuchten, die Vor-
gänge geheimzuhalten. Außerdem sind
FOTO: AUS DEM BESPROCHENEM BUCH
Koch den Verhandlungsführern, den
Rechtsanwälten Wolfgang Vogel auf
der DDR-Seite und Jürgen Stange im
Westen. Beide wurden von den Bun-
desregierungen bezahlt. Vogel, der von
Gesprächspartnern und Mandanten
meist geschätzt wurde, war trotz Voll-
macht des DDR-Generalstaatsanwalts
eindeutig ein Mann des Ministeriums
für Staatssicherheit (MfS), dem er aus-
führlich über seine Gespräche im We-
sten berichtete. Die Rolle von Stange,

Pullach als US-Stützpunkt für die Organisation Gehlen um 1955: Beschaffung und Auswertung der Informationen unter einem Dach
FRIEDRICH-WILHELM durfte einer Genehmigung. Telefon-
SCHLOMANN kontakte und Empfang von Besuchen
waren streng untersagt.
Im Gegensatz zu anderen Nach-
richtendiensten erfolgten Beschaf-
auch heute, fast 25 Jahre nach dem Un-
tergang der DDR, noch immer nicht
alle diesbezüglich erhalten gebliebenen
Akten für die Forschung zugänglich.
Nicht zuletzt diese Geheimniskrämerei
sorgt dafür, daß das Interesse nicht er-
lahmt und Spekulationen um Ausmaß
und Folgen des Menschenhandels im-
mer wieder neue Nahrung erhalten.
In dieses Dickicht schlägt Alexan-
der Koch mit seiner Heidelberger Dis-
sertation breite Schneisen. Er kann
sich dabei auf Aktenbestände aus dem
Bundesarchiv stützen, die vor allem
für die sechziger Jahre aufschlußreich
sind. Allerdings sind noch nicht al-
dem viele wegen seiner zu nachgiebi-
gen Verhandlungsführung mißtrau-
ten, wird von Koch untersucht. Das
Ergebnis ist niederschmetternd: Die
DDR hatte aus ihrer Sicht gute Grün-
de, auf Stange als Verhandlungsführer
des Westens zu bestehen und für den
Fall seiner Abberufung mit Abbruch
der Gespräche zu drohen. Dennoch
wurde das Mandat Stanges erst 1982,
nach dem Regierungswechsel, beendet.
Paradox genug: Zwei Rechtsanwälte,
die der Osten schätzte, wurden vom
Westen großzügig honoriert. Insgesamt
wurden knapp 32.000 Häftlinge und
weitere 250.000 Familienangehörige

V
or dem Ersten Welt- fung und Auswertung unter einem le Verschlußsachen freigegeben, und für 3,4 Milliarden D-Mark freigekauft.
krieg war Pullach ein Dach, auch kannte man keine Tren- auch der Datenschutz behindert For-
unbekanntes Straßen- nung zwischen militärischen und schungen zu Einzelfällen. Immerhin Bonner Ministerium
dorf mit 20 Häusern, sonstigen Erkenntnissen. 1956 wur- stehen die Akten der beteiligten kirch- erwies sich als inkompetent
später kamen erste Villen hinzu. de schließlich in Pullach die US- lichen Stellen zur Verfügung, ebenso
An Bedeutung gewann dieser Ort Flagge eingezogen und die deutsche wie veröffentlichte Erinnerungen der Zwischen 1963 und 1989 trugen
erst in den Jahren nach 1936, als Fahne gehißt: Die „Org“ ging in beteiligten Politiker, Beamten, Rechts- sieben Bundesminister für gesamtdeut-
hier unter Leitung von Martin Bor- deutsche Dienste als Bundesnach- anwälte und Kirchenvertreter. Koch sche Fragen (ab 1969: innerdeutsche
mann für die NS-Elite aus dem be- richtendienst (BND) über. konnte auch zahlreiche nur am Rande Beziehungen, BMB) politische Verant-
nachbarten München eine „Reichs- beteiligte Zeitzeugen befragen. wortung für den Freikauf. Die längste
siedlung Rudolf Heß“ entstand. Die Kohl zeigte wenig Für die DDR finden sich beim Bun- Zeit – 13 Jahre, von 1969 bis 1982
anfängliche Begeisterung der Ge- Interesse am BND desbeauftragten für die Unterlagen des – amtierte Egon Franke (SPD). Fran-
meinde schwand bald, als die Bevöl- Staatssicherheitsdienstes der ehemali- ke verdankte seine Berufung seiner
kerung zu Verkäufen ihrer Flächen Bedauerlicherweise verschweigt gen DDR wichtige und aussagekräfti- Position als „Chef der Kanalarbeiter“,
unter dem Marktpreis gezwungen das Buch die vielen Erfolge des ge Akten. Sicherlich ist hier Material des rechten Flügels der SPD-Bundes-
wurde. Propagandistisches Ziel war Dienstes. Umstritten ist, ob er den tagsfraktion. Diese Parteigruppierung
der Bau einer mustergültigen NS- exakt genauen Tag der Absperrun- Alexander Koch: war sowohl für Bundeskanzler Willy
Der Häftlingsfrei-
Lebensgemeinschaft mit ernährungs- gen in Berlin 1961 voraussagte. kauf. Eine deutsch-
Brandt als auch Helmut Schmidt po-
politischer Autarkie. Nutzgärten und Erschüttert wurde sein Prestige litisch überlebensnotwendig.
FOTO: SZ PHOTO

deutsche Bezie-
der Besitz von Ziegen, Enten und Ka- jedenfalls durch den KGB-Spi- hungsgeschich- Franke, ein gelernter Tischler, war
ninchen sollten unabhängig machen. on Heinz Felfe: Der einstige SS- te. Alitera Verlag, aber rückwirkend betrachtet mit der
Einfahrt zum Bundes- Obersturmführer ließ sich nach 1945 München 2014, Führung des Ministeriums überfordert
gebunden, 453
Bis 1956 war Pullach der mythischen Alpenfestung und nachrichtendienst (BND), von der Sowjetspionage ködern, arbeitete Seiten, 39 Euro
gewesen. Auch in der Auswahl tüchti-
unter US-Kontrolle sei bevölkert von zum Selbstmord be- Pullach 1990: „Spiegel“-Affäre in deren Auftrag ab 1951 für Gehlen, ger Mitarbeiter war er nachlässig, zu-
reiten „Werwölfen“ – was indes bloße 1962 führte zu Vertrauenskrise stieg dann in Pullach zum Leiter der Ge- mal das Bundeskanzleramt ohnehin
Die Autoren Susanne Meinl und Phantasie war. zwischen Bundesregierung genspionage Sowjetunion auf und ver- in der Endphase der DDR vernichtet wichtige Kompetenzen an sich zog.
Bodo Hechelhammer verschaffen ei- Nach dem Einmarsch der US-Trup- und Nachrichtendienst riet bis zur Verhaftung 1961 wenigstens worden. Zu berücksichtigen ist auch, Für den Freikauf blieb die Zustän-
nen tiefen Einblick in diese Welt hinter pen in Pullach Anfang Mai 1945 wur- einhundert Agenten im Osten. daß im Osten wie auch in der Bun- digkeit beim BMB. Franke übertrug
hohen Mauern, die sehr wohl im Le- de aus der NS-Mustersiedlung ein Ge- und ließ ihn mit einigen Getreuen be- Die damalige Spiegel-Affäre führte desrepublik oft in besonders heiklen die Verantwortung auf seinen eben-
ben ihrer Bewohner große Unterschiede fangenlager und andererseits eine US- reits im August 1945 in die USA flie- zu einer Vertrauenskrise zwischen Bun- Fällen bewußt auf eine ins Detail ge- so inkompetenten Ministerialdirektor
machte. Als damaliger Stabsleiter des Zensurstelle. Erst Ende Mai hatte sich gen. desregierung und Nachrichtendienst: hende Aktenführung verzichtet wurde. Edgar Hirt und verließ sich völlig auf
Amtes Heß plante Bormann seine ei- der Wehrmachts-Generalmajor Rein- Beide Seiten kamen überein, daß Nur wenig Interesse am BND hatten Dennoch gelingen Koch in sei- dessen Sachkunde und Integrität. Das
gene Villa, bei deren Bau Geld keine hardt Gehlen den Amerikanern erge- Gehlen seine bisherige Spionage ge- die folgenden Bundeskanzler Erhardt, ner gut lesbaren, informativen Stu- führte zur Katastrophe.
Rolle spielte, als großzügigen Bespre- ben, er war ab 1942 Leiter der Abtei- gen die Sowjetunion fortsetzen solle. Kiesinger und Schmidt (bei letzterem die einleuchtende Schlußfolgerungen. Edgar Hirt wurde 1986 wegen Un-
chungs- und Repräsentationsort. lung „Fremde Heere Ost“ und bald als Angangs unter Schutzherrschaft der war wohl die eigentliche Ursache sein Zu begrüßen ist, daß er die einzel- treue und Betrug zu dreieinhalb Jahren
Für Hitlers Sicherheit bei seinen Organisator und ebenso guter Analyst US-Armee, dann der CIA, zog die neue auf dem BND-Gelände verursachter Au- nen Aktionen jeweils in das politische Gefängnis verurteilt. Sechs Millionen
Aufenthalten in München gab es bald bekannt. In Washington, wo man er- „Organisation Gehlen“ (kurz „Org“) tounfall). Das Buch zeigt auch ein Foto Umfeld einordnet und besonders die D-Mark, die er in seinen Besitz ge-
ein eigenes Führerhauptquartier (Deck- ste Anzeichen eines Gegensatzes zum Dezember 1947 in Pullach ein. Arbei- Bundeskanzler Kohls mit dem BND- Auswirkungen auf das innere Gefüge bracht hatte, blieben verschwunden.
name: „Siegfried“). Chamberlain war sowjetischen Alliierten spürte, wurde teten in der früheren Siedlung 1949 Präsidenten Hans-Georg Wieck. Daß der DDR, auf die Stimmungslage von Der mitangeklagte Egon Franke wurde
dort ebenso Gast wie die Generalfeld- man auf Gehlen schnell aufmerksam nur 269 Männer und Frauen, verviel- Kohl wenig Interesse an BND-Erkennt- Anhängern und Gegnern des SED-Re- freigesprochen, weil er von Hirts Ma-
marschälle Keitel und Rommel, aber fachte sich ihre Zahl bis 1960 auf so- nissen und allzu oft Differenzen mit dem gimes untersucht. Dabei kommt er zu chenschaften nichts gewußt habe. Über
Susanne Meinl,
ebenso Canaris und sogar Mussolini Bodo Hechelham-
gar 1.150. Bezahlt wurden sie und ihre BND-Chef hatte, wird indes mit keinem dem Ergebnis, daß der Freikauf – trotz Franke, den alle, die ihn kannten, für
sah man hier. Kurz vor Kriegsende be- mer: Geheimobjekt Spionageaktivitäten in US-Dollar, was Wort erwähnt. der unbestreitbaren kurzfristigen wirt- eine „ehrliche Haut“ hielten, kursierte
zog Luftmarschall Alfred Kesselring Pullach. Von der NS- damals äußerst attraktiv war. Natürlich Nicht zuletzt unter dem Eindruck schaftlichen Vorteile für die notorisch danach der traurige Witz, er sei der erste
hier sein Quartier, um gleichzeitig Mustersiedlung zur mußte sich alle Tätigkeit unter größter des Anschlags in New York 2001 be- klamme Führung in Ost-Berlin – mit Bundesminister, der wegen erwiesener
Möglichkeiten zur Teilkapitulation mit Zentrale des BND. Geheimhaltung vollziehen: Oft wuß- schloß man den Gesamtumzug des seinen langfristigen Auswirkungen auf Dämlichkeit freigesprochen worden sei.
Ch. Links Verlag, Ber-
der US-Botschaft in Bern zu sondieren. lin 2014, gebunden,
ten selbst die Ehefrauen der Gehlen- BND nach Berlin-Mitte. In Pullach Psyche und Ideologie der Menschen
Einige Zeit glaubte die US-Armee, Pul- 288 Seiten, Abbil- Mitarbeiter nicht die Wahrheit, jeder selbst ist längst ein Streit über die Zu- eher destabilisierend auf die DDR ge- Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsi-
lach sei das administrative Zentrum dungen, 34,90 Euro Aufenthalt außerhalb der Siedlung be- kunft des Areals entfacht. wirkt hat. Er sieht darin eine Parallele dent des Gesamtdeutschen Instituts

Feminisierung der Öffentlichkeit und omnipräsente Angela Merkel: Alles zwecklos Warnung vor der Kyrillisierung Europas: Völlig unberechtigt

Nach wie vor nur männliche Regeln
A ufgrund der verstärkten Präsenz von Frauen
auf Fernsehbildschirmen, in Redaktions-
stuben, am Kabinettstisch sowie im Parlament
wird mittlerweile von einer „Feminisierung der
Öffentlichkeit“ gesprochen. Dies veranlaßte
die Expertinnen für „Gender Media Studies“
Margreth Lünenborg und Tanja Maier zu einer
Analyse der „aktuellen Geschlechterordnun-
gen in Journalismus und Politik“ (Feministische
Studien, 2/2014). Dabei kamen sie zu der Er-
kenntnis, daß „die Beziehungsstruktur zwischen
politischen und journalistischen Eliten nach
wie vor nach männlichen Regeln“ funktionie-
re. Die Folge hiervon sei eine Abwertung der
Journalistinnen, indem die „Boulevardisierung
und Trivialisierung“ der Berichterstattung mit
dem steigenden Frauenanteil in der Branche
begründet werde. Darüber hinaus führe nicht
einmal die „omnipräsente Sichtbarkeit von An-
gela Merkel als Kanzlerin“ zum Durchbrechen
der „dualen Geschlechterordnung des journa-
listischen Diskursfeldes“: Beobachten ließe sich
vielmehr ein „Fortschreiben von männlich-hege-
monialen Deutungsmustern und Repräsentati-
onsformen“. Nach dieser Logik müßten Quoten
und Gleichstellungsmaßnahmen also vollkom-
men zwecklos sein: „Frau“ wird offenbar erst
dann nicht mehr unterdrückt, wenn der letzte
Rest von Männlichkeit aus der Öffentlichkeit
verschwunden ist. (wk)
www.feministische-studien.de
Eher droht globaler Einheitsbrei
M it dem EU-Beitritt Bulgariens hielt ne-
ben dem griechischen auch das kyrilli-
sche Alphabet in der Union Einzug – für den
Normalbürger am ehesten an der Aufschrift
auf den neuen Fünf- und Zehn-Euro-Schei-
nen ersichtlich. Dies bezeichnete man in Sofia
als „einen spezifisch bulgarischen Beitrag zur
sprachlichen und kulturellen Vielfalt“ der Ge-
meinschaft. Dagegen fabulierten einige deut-
sche Medien vom Beginn der „Kyrillisierung
Europas“, was den renommierten Leipziger
Slawisten Hilmar Walter zu einer Replik auf
derartige Verdachtsmomente veranlaßte, in der
er darauf hinwies, daß die Integration von Län-
dern wie Bulgarien nur gelingen könne, wenn
man deren durchaus beachtliches, christlich-
Historisches
orthodoxes Kulturerbe nicht als Zumutung
empfinde (Kultursoziologie, 3/2014). Außerdem
bemühe sich Bulgarien auch um eine Anpas-
Kalenderblatt
sung an die sprachlichen Gegebenheiten Mit-
tel- und Westeuropas, zum Beispiel durch den 2. Februar 1925:
verstärkten Gebrauch des Englischen, womit es Der Völkerbund rügt die Re-
de facto schon den Weg zu einer „bilingualen gierung in Warschau offiziell,
Nation“ eingeschlagen habe, dessen Richtig- daß der polnische Postdienst
keit allerdings höchst fraglich sei. Jedenfalls im Freistaat Danzig laut
drohe keine „Kyrillisierung“ der EU, sondern Versailler Vertrag ausschließ-
das Untergehen der bulgarischen Kultur im
Brei einer globalisierten Einheitskultur, welche
lich für den Hafen gilt und
weniger den Menschen nütze als den Interessen nicht zu der praktizierten
von Politik und Wirtschaft. (wk) Aufstellung von Briefkästen
in Danzig berechtigt.
www.welttrends.de/kultursoziologie
20 | L I T E R A T U R
Frisch gepreßt
Richard J. Evans:
Veränderte Vergan-
genheiten. Über
kontrafaktisches
Erzählen in der Ge-
schichte. Deutsche
Verlags-Anstalt,
München 2014,
gebunden, 220 Sei-
ten, 19,99 Euro
Fiktive Geschichte. Kontrafak-
tische Geschichtsschreibung nach
dem Prinzip „Was wäre wenn…“ ist
besonders unter angelsächsischen
Historikern zum Volkssport ge-
worden. Schon 2011 zählte eine
Liste 116 alternative Geschichten
des Nationalsozialismus auf, die,
von einem deutschen Sieg im Zwei-
ten Weltkrieg ausgehend, den Lauf
des Weltgeschehens umschreiben.
Der britische Historiker Richard
J. Evans sieht in diesem munteren
Treiben viel geschäftliche Speku-
lation, die beim Lesepublikum er-
folgreich auf den Reiz des Nerven-
kitzels setzt. Für weniger harmlos
hält er den in solch fiktiven Ge-
schichten sich ausdrückenden mo-
dischen Hang zum „Dekonstruie-
ren“, der geschichtliche Realitäten
als „Erzählungen“ und „Erfindun-
gen“ abwertet. In der Konsequenz
öffne diese Relativierung des Fak-
tischen nämlich auch „der Leug-
nung des Holocaust Tor und Tür“.
Evans tritt in seinem ausladenden
Essay daher für die Rückbesin-
nung auf historische Gesetzmä-
ßigkeiten ein, für die durch keine
Fiktion aufzulösenden Determi-
nanten des Politischen wie die geo-
graphische Lage von Staaten, ihre
Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft
und Militärmacht. (wm)
Hans-Peter Ran-
ge, Clemens Ran-
ge: Ausbruch der
Festungsbesatzung
Thorn. Dokumen-
tation eines Kriegs-
dramas 1945. Verlag
Translimes Media,
Müllheim 2014, ge-
bunden, 179 Seiten,
Abb., 28,90 Euro
Festung Thorn. Als die sowjeti-
sche Großoffensive im Januar 1945
Ostdeutschland überrollte, laste-
te eine verzweifelte Hoffnung der
Wehrmachtsführung auf den zu
Festungen erklärten Städten zwi-
schen Ostsee und Riesengebirge.
Eine dieser „Festungen“, die der ge-
waltigen Übermacht trotzen sollte,
war die Weichselstadt Thorn. An-
ders als Posen oder Graudenz, die
sprichwörtlich bis zur letzten Pa-
trone verteidigt wurden, bekam die
32.000 Mann starke Besatzung je-
doch noch Ende Januar den Befehl
zum Ausbruch. Die ebenso detail-
lierte wie packende Darstellung des
damaligen Fahnenjunkers Hans-
Peter Range stellt den erbitterten
und verlustreichen Rückzugskampf
des „wandernden Kessels“ gegen die
Rote Armee durch das Kulmerland
dar, aus dem nur knapp ein Drittel
der Soldaten die deutsche Auffang-
stellung in der Tucheler Heide er-
reichen sollte. Die erste Auflage von
1988 hat nach dem Tod des Autors
jetzt sein Sohn mit einer Fülle von
neuen Fotos und historischen Ma-
terials neu herausgegeben. (bä)
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„Oft zerspringe ich vor Gier und Sexualität“
Nicht für Voyeure: Die Tagebücher des Staatsrechtlers Carl Schmitt aus seinen ersten Bonner Jahren 1921 bis 1924
FOTO: AUS BESPROCHENEN BUCH
Duška Todorović und Carl Schmitt im Englischen Garten, Mün-
chen 1923/1924: Kräftezehrendes Gefühlschaos
Wenn alles auf eine Erlösung hinarbeitet
Lorenz Jägers pikante Annäherung an die politische Theologie jüdischer Intellektueller von Ferdinand Lassalle bis Richard Perle
THORSTEN HINZ Holocaust. Trotzdem liegt die Frage
nahe, denn der jüdische Beitrag zu den
politischen, gesellschaftlichen und gei-
stig-kulturellen Entwicklungen im 19.
D ie Frage nach der aktiven Rolle von
Juden in Politik und Gesellschaft
zu stellen, ist fast gleichbedeutend mit
und 20. Jahrhundert ist signifikant. Das
Buch des FAZ-Journalisten Lorenz Jä-
ger zur „politischen Theologie jüdischer
einer öffentlichen Selbstauslöschung. Intellektueller“ entspringt also einem
Das hat seinen furchtbaren Grund im zwingenden Erkenntnisinteresse.
Der Terminus „politische Theologie“
unterstellt, daß politische Begriffe sich
auf einen religiösen Ursprung zurück-
1(8(5 führen lassen. Gibt es also eine politische
6&+(,1 Haltung und Begrifflichkeit, die eine
81* relevante Zahl jüdischer Intellektueller
miteinander teilen und die ihre Wurzeln
in der jüdischen Religion haben?
Für Max Weber lag das auf der
Hand. Für die Juden sei „die Sozial-
ordnung der Welt (...) in das Gegenteil
dessen verkehrt, was für die Zukunft
MANFRED HOFMANN
M
it dem militärischen Sieg
über die Mittelmächte hat-
te Frankreich das Hauptziel
seiner „Revanche“-Politik erreicht: die
Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens.
So schlug im November 1918 auch der
Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg
die letzte Stunde. Weltberühmte Gelehrte
verloren über Nacht ebenso wie die Ko-
horten des akademischen Fußvolks ihre
Wirkungsstätte. Unter ihnen der 30jähri-
ge Privatdozent Carl Schmitt, der jedoch
in München beim Generalkommando als
Zensor diente, was ihm die demütigen-
den Umstände der Ausweisung ersparte.
Überhaupt schien sich Schmitts
Schicksal ungleich günstiger zu entwik-
keln als das der meisten seiner exmittier-
ten, an den Hochschulen des Reiches
schwer unterzubringenden Straßburger
Kollegen. Denn schon nach zweijähri-
ger Dozentur an der Münchner Han-
delshochschule erfolgte zum Winter-
semester 1921/22 die Berufung auf ein
staatsrechtliches Ordinariat nach Greifs-
wald, und von dort, aus dem „elenden
pomeranischen Nebelwinkel“, durfte
der Sauerländer zum Frühjahr 1922 ins
nahezu heimatliche Bonn wechseln. Für
den Kleinbürgersohn Schmitt ein traum-
hafter Aufstieg, der den von Depressio-
nen geplagten, zu Weltekel, Selbstzweifel
und Vanitas-Klagen neigenden jungen
Professor seelisch allerdings kaum festig-
te, wie die Edition seiner in den ersten
Bonner Jahren entstandenen Tagebücher
minutiös belegt.
Wieder verdrängt in diesen Blättern,
wie in den 2010 herausgegebenen Dia-
rien der politisch ähnlich brisanten Zeit
von 1930 bis 1934 (JF 13/11), das Priva-
te das Öffentliche, das kleine Ich die gro-
ße Welt, die Erotik die Politik. Obwohl
unter den Augen der Franzosen lehrend,
die aufgrund des Versailler Diktats im
Linksrheinischen als Besatzungsmacht
herrschten und die im Januar 1923 über-
dies ins Ruhrgebiet einmarschierten,
hielt der regelmäßig Völkerrecht anbie-
tende Schmitt es für wichtiger, penibel zu
notieren, wann er aufstand, wo er seinen
Mokka, Wein, Likör trank, welche der
lieben Kollegen „ekelhaft“ seien, wohin
ihn Ausflüge führten, wie er als Jungge-
selle die Abende „vertrödelte“.
Und selbstverständlich, als einschlä-
fernder Basso ostinato, wird das Bulle-
tin zur hormonell disponierten Tages-
form selten vergessen: „Furchtbare Geil-
heit. Zittern“, „Oft zerspringe ich vor
hätten Marx, Lassalle, Rosa Luxemburg,
Leo Trotzki auf die „Erlösung“ und die
„messianische Zukunft“ hingearbeitet.
Karl Marx entstammte väterlicher-
seits einer Rabbinerfamilie. Im „Kom-
munistischen Manifest“ hob er lobend
die geschichtliche Rolle der Bourgeoisie
hervor, die „sämtliche gesellschaftlichen
Verhältnisse fortwährend“ revolutio-
niere. Ein vergleichbares Beschwören
der universellen Dynamik macht Jäger
heute bei den Neokonservativen aus-
findig. Er deutet das als Beleg für den
„Umschlag einer linken in eine rech-
te oder manchmal auch ultraliberale
Revolutionsideologie“, der unsere Zeit
kennzeichne.
Lorenz Jäger:
Unterschied.
Widerspruch. Krieg.
Zur politischen
Gier und Sexualität“, „Gestöhnt und
geschrieen [so im Text!] vor Gier und
Verlangen“, „traurig, gierig, geil, wüste
Erektionen die ganze Nacht bis ½ 3,
schauderhaft, aber keine Ejakulation“.
So genau will der Leser vielleicht gar
nicht kennenlernen, was die Herausge-
ber die „seelischen und erotischen Ob-
sessionen“ eines Mannes nennen, der
sich 1921 endlich aus der Ehe mit einer
Hochstaplerin gelöst hatte, um mit mehr
oder weniger schlechtem katholischen
Gewissen der sexuellen Libertinage zu
frönen. Und als er sich 1923 in die 15
Jahre jüngere serbische Studentin Duška
(Duschka) Todorović verliebte, die er
1926 heiratete, war das kein Grund,
solchen „erotomanischen“ Ausschwei-
fungen zu entsagen, wie ja nicht zuletzt
Jagdnotizen vom Straßenstrich aus den
Berliner Tagebüchern bezeugen. Man
solle dies, wie es einführend unter An-
spielung auf Schmitts Liaison mit dem
Nationalsozialismus heißt, als Teil ei-
ner Intellektuellenbiographie verstehen,
„die bekanntlich nicht nur im privaten
Bereich vom moralischen Versagen ge-
kennzeichnet ist“.
Schmitt als antibürgerlich-
gebrochene Figur
Eine solche Dominanz des Privaten
mag bei einem Autor, den die Herausge-
ber zu Recht als einen „der einflußreich-
sten deutschen Gelehrten des 20. Jahr-
hunderts“ rühmen, enttäuschen oder er-
schrecken. Zumal man stets geneigt ist,
darüber zu spekulieren, welchen hohen
Preis Schmitt seiner Libido entrichtet
haben muß, wenn er sich ungeachtet
des hier ausgefächerten kräftezehrenden
Gefühlschaos binnen kurzem so fulmi-
nante Texte wie die „Politische Theo-
logie“ (1922), die unverändert aktuelle
Demokratiekritik „Die geistesgeschicht-
liche Lage des heutigen Parlamentaris-
mus“ (1923) sowie die gleichfalls unver-
altete Zeitanalyse „Römischer Katho-
lizismus und politische Form“ (1923)
abringen konnte.
Auch wenn diese von Schmitt nur
marginal erwähnten Arbeiten in der
Masse des banal Alltäglichen fast ver-
schwinden und tiefere Einblicke in die
Ideenwelt, der sie entstammen, erst ein
ergänzendes Gedankentagebuch mit
dem Titel „Der Schatten Gottes“ ver-
mittelt, rechtfertigen die Editoren den
enormen Aufwand ihres Unternehmens
damit, daß das üppig wuchernde Private
eben doch nicht nur Privates und allen-
falls für Voyeure interessant sei. Viel-
mehr verkörpere die „Gestalt Schmitt“,
Die aktuelle Geschichtsmetaphysik
bestimmt den Mord an den europä-
ischen Juden zu einem archimedischen
Punkt der Weltgeschichte und versieht
ihn mit religiösen Weihen. Einen ande-
ren großen Genozid, den von Türken
an den Armenien verübten, aber weigert
Israel sich an seinen Schulen zu thema-
tisieren. Das hat einerseits realpoliti-
sche, eben weltliche Gründe. Darüber
hinaus gibt es eine religiös begründe-
te Abneigung gegen die Armenier, die
als Abkömmlinge der Amalekiter gel-
ten. Amalek wird in der Bibel als Enkel
Esaus vorgestellt, der eine kanaanäische
Frau genommen haben und damit sei-
ne Nachkommen zu einem Mischvolk
gemacht haben soll. Seitdem steht der
Name „Amalek“ für Feinde des Volkes
Israel, deren Andenken laut der Bibel
ausgelöscht werden soll.
JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015
gerade mit ihren „peinlichen Seiten“,
einen „Fall der modernen Kulturge-
schichte“, die exemplarische Existenz
des Künstlers und Intellektuellen im En-
de des 19. Jahrhunderts anbrechenden
„nervösen Zeitalter“.
Schärfer formuliert Schmitt selbst
sein Dilemma: „große Sehnsucht nach
Bürgerlichkeit“ und „gleichzeitig ra-
sende Wut gegen die Bürgerlichkeit“.
Kaum erstaunlich darum die Vorliebe
für antibürgerliche Poeten wie Charles
Baudelaire oder für Kritiker der Verbür-
gerlichung des Christentums, von Sören
Kierkegaard bis Léon Bloy. Sofort nach
Erscheinen vertieft sich Schmitt deshalb
auch in Georg Lukács’ „Geschichte und
Klassenbewußtsein“ (1923), weil dessen
marxistische Entfremdungskritik den
eigenen „Haß gegen eine merkantili-
stische, ökonomisierte Welt“ bestätigt.
Bürgerlichkeit, zumal bürgerliche
Existenzformen wie Ehe und Familie
im alles Hergebrachte zerdrückenden,
intimste zwischenmenschliche Bezie-
hungen revolutionierenden und das Pri-
vate auf Triviales reduzierenden Hoch-
kapitalismus zu behaupten, ist nicht nur
Schmitt ziemlich mißlungen.
Denn neben den in den 1920ern
weiterhin vorherrschenden akademi-
schen „Normaltypen“ wie etwa dem Hi-
storiker Friedrich Meinecke oder dem
Neurologen Karl Bonhoeffer, die sich an
skandalfreien monogamen Ehen mit rei-
chem Kindersegen erfreuten, tauchten,
im Fahrwasser des Paralytikers Friedrich
Nietzsche, in der Bildungselite vermehrt
antibürgerlich-gebrochene Figuren auf,
die wie Carl Schmitt ihr theoretisch
fi xiertes Unbehagen an der Moderne
praktisch auslebten. So der dreimal ver-
heiratete Philosoph Max Scheler oder
der von gleich zwei Geliebten verwöhn-
te, masochistisch genießende Soziologe
Max Weber. Vor dem Hintergrund sol-
cher Krisenphänomene betrachtet, hilft
das reiche, auch mit den jetzt vorliegen-
den vier dicken Tagebuch-Bänden noch
nicht ausgeschöpfte autobiographische
Material tatsächlich, den zeit- und kul-
turhistorischen Kontext von Schmitts
Werk besser zu verstehen.
Gerd Giesler, Ernst
Hüsmert, Wolfgang
H. Spindler (Hrsg.):
Carl Schmitt. Der
Schatten Gottes. In-
trospektionen, Ta-
gebücher und Briefe
1921 bis 1924. Verlag
Duncker & Humblot,
Berlin 2014, gebun-
den, 601 Seiten, Ab-
bildungen, 69,90 Euro
Widerspruch gegen ihre Vollmitglied-
schaft in der EU durch den Hinweis
auf den Nationalsozialismus und seine
vermeintliche Verankerung im Chri-
stentum unmöglich zu machen. Erst
nachdem im Bundestag eine entspre-
chende Anfrage gestellt wurde, löschte
das türkische Außenministerium 2003
das Pamphlet. Eine antiislamische Inter-
essenidentität von Europa und Israel, die
beispielsweise auf der Internet-„Achse
des Guten“ suggeriert wird, existiert
folglich nicht.
US-Neocons als Speerspitze
des neuen Interventionismus
Unter dem Begriff „Krieg“ werden
insbesondere die internationalistisch
und interventionistisch eingestellten
US-Neocons abgehandelt, die sich

 # 
 *

 (! verheißen war und sollte künftig wieder Theologie jüdischer Darin liegt auch ein „Widerspruch“ zum Teil aus ehemaligen Linken und
/0 12
0 30 4+50 67 
 umgestürzt werden, so, daß dem Juden- Intellektueller. gegen das Christliche, der Israel partiell Trotzkisten rekrutieren und in den USA
Karolinger Verlag,
1


 
 
 #
0 tum seine Stellung als Herrenvolk der mit der muslimischen Türkei verbindet. schon „als jüdisches Familienunterneh-
Wien/Leipzig 2013,

8  %

 
 2 ( Erde wieder zufallen würde“. Und wei- gebunden, 142 Sei- Auf der Netzsite des Außenministeri- men“ bespöttelt wurden. Zu ihnen zäh-
7-9:
 *

   ter: „Das ganze Verhalten der antiken ten, 22 Euro ums in Ankara fand Jäger vor Jahren len die Publizisten Irving Kristol und
$8 
 #
80  
0  Juden zum Leben wurde durch diese einen Aufsatz der jüdischen Psychoana- William Safire oder die Politiker Lewis
;8&
 Vorstellung einer künftigen gottgelei- Der im Titel aufgeworfene „Unter- lytikerin Janine Chasseguet-Smirgel, in Libby und Richard Perle. In Frankreich
8  
 1: 2 teten politischen und Sozialrevolution schied“ ist eine Melange aus geistig-reli- dem die Einheit, welche die Gemeinde gesellen sich ihnen André Glucksmann
+

0<2

7= bestimmt.“ giöser und ethnischer Exklusivität. Der mit Christus in der Eucharistie voll- und Bernard-Henri Levy zu, die eine
* ( 2 

! 9 „Antisemitismus-Forschung“, die gegen zieht, als eine narzißtische Verschmel- „intellektuelle Russophobie“ nach Eu-
*

 $ %2-
0
 
80 Das Judentum als Ort solche Feststellungen zuverlässig Protest zung beschrieben wird, bei der sich ropa hineintragen.
(*2; revolutionärer Apokalyptik einlegt, attestiert der Autor mangeln- unter dem „Banner der Einheit“ ein Das Buch ist in sieben Kapitel ge-


9(0(
# des Wissen. Die „Vorurteilsbekämpfer“ „ungeteiltes Ganzes“ bilde. Die deut- gliedert, die jeweils aus Skizzen und
$#
$
! Der jüdische Religionsphilosoph Ja- würden den eigenen Vorurteilen folgen. sche Reichsgründung 1871 sei die sä- Notaten bestehen. Die meisten davon
cob Taubes, den Jäger ebenfalls zitiert, Als Kenner auch entlegener Texte und kularisierte Form dieser Verschmelzung waren schon in der FAZ erschienen, wo
>8
0?@A+!0/?B0CC bestätigt Webers Analyse. In dem 1947 unter Berufung etwa auf den Religions- gewesen, die letztlich zum Holocaust ihr assoziativer Stil ein esoterisch inter-
D+#4?EFGBEBGEE@HEII veröffentlichten Buch „Israel“ nannte er historiker Gershom Scholem legt er dar, geführt habe. Der Artikel verbindet die essiertes Publikum für sich einnahm.
das Judentum den „geschichtlichen Ort daß die Kabbala, die jüdische Geheim- antideutsche mit einer antichristlichen Zwischen zwei Buchdeckeln versam-
*;

 der revolutionären Apokalyptik“, und lehre, mehr ist als eine fixe Idee. Jäger Tendenz und warnt vor der Wiederent- melt, fügen sie sich zu einem Mosaik.
'J#+

 zwar „weil sich die transzendentpoliti- erörtert in dem Zusammenhang den stehung des deutschen Modells im eu- Lorenz Jäger hat ein Buch vorgelegt,
'DV%XFKLVWDXFKLP +?FA@ sche Idee Israels so zwangsläufig auf das Unterschied von Religion und Magie. ropäischen Gewand. dessen immanente Esoterik sich in dem-
-)%XFKGLHQVWHUKlOWOLFK ZZZJHUKDUGKHVVYHUODJGH Weltleben umschaltet, ist Israel in der Magie bediene sich religiöser Formen Die Türken benutzten ihn, um ei- selben Maße steigert, in dem der Leser
revolutionären Bewegung führend“. So zum weltlichen Zweck. nen kulturell und religiös begründeten darin eindringt.
JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015
Schwedischer
Appetithappen
Lennart Svenssons
Ernst-Jünger-Biographie
KARL-HEINZ SCHUCK
W as passiert, wenn ein schwe-
discher Jugendlicher von
der schulischen Pflichtlektüre
nicht überzeugt ist, weil es ihm
zu politisch einseitig erscheint?
Er wendet sich anderer Literatur
zu, beispielweise jener von Ernst
Jünger. So geschah es dem in
Nordschweden geborenen Indo-
logen Lennart Svensson, der schon
verschiedentlich als Schriftsteller
in Erscheinung trat und auch im
identitären, konservativen Think-
tank Motpol Beiträge plazierte.
So war es vielleicht folgerich-
tig, daß aus seiner Feder nun eine
– bislang leider nur englischspra-
chige – Biographie Ernst Jüngers
geflossen ist, die sich dem auch in
Schweden berühmten deutschen
Autor nicht literaturwissenschaft-
lich, sondern aus der analytischen
Betrachtung eines begeisterten Le-
sers nähert. Jünger ist für Svensson
der größte deutsche Schriftsteller
seit Goethe, und diese Bewunde-
rung für ihn zieht sich durch die
fast 300 Seiten des Buches wie ein
roter Faden.
Lennart
Svensson:
Ernst Jünger.
A Portrait.
Manticore Books
2014, broschiert,
288 Seiten,
ca. 26 Euro
Wohltuend ist, daß der objekti-
ve Betrachtungsansatz nicht verlo-
rengeht und auch einige, vielleicht
zum Widerspruch reizende Eigen-
schaften Jüngers seziert werden.
Das in 32 Kapitel gegliederte Werk
beginnt mit einer ausführlichen
Darstellung des Lebenslaufs, ins-
besondere auch seiner Erlebnisse
zur Zeit des Nationalsozialismus.
Einen größeren Raum nehmen
selbstverständlich die Schriften
zum Ersten Weltkrieg ein, vor al-
lem das den schriftstellerischen
Ruhm begründende „In Stahlge-
wittern“. Aber auch Jüngers wei-
tere Werke werden vorgestellt und
in prägnanten Auszügen zitiert,
dabei Bezüge zwischen ihnen und
ihre Bedeutung in Ernst Jüngers
Philosophie hergestellt. Dies weckt
große Lust, sich mit dem Gesamt-
werk vertieft auseinanderzusetzen.
Svensson folgt nicht immer ei-
ner klassischen chronologischen
Abfolge. Er verbindet dabei ge-
schickt Jüngers Schaffen mit dem
anderer Autoren, die ihn inspiriert
haben, und auch mit Autoren, die
ihm in gewissem Maße ähnlich
waren. Verblüff t hat hier der Be-
zug auf Gemeinsames mit dem
amerikanischen Science-fiction-
Autor Robert Heinlein und Ru-
dolf Steiner, dem Begründer der
Anthroposophie. Dies zeigt, wie
breit und tief Ernst Jüngers Den-
ken angelegt war und er somit sei-
nen Ruf eines Jahrhundertschrift-
stellers wohl zu Recht hat.
Herwig Birg
Die alternde Republik und das
Versagen der Politik
Eine demographische Prognose
Die Alterung der Gesellschaft gilt in Deutsch-
land als zentrales Problem. Meist gilt die
steigende Lebenserwartung als Hauptgrund,
tatsächlich liegt es an der niedrigen Gebur-
tenrate. Der renommierte Bevölkerungswis-
senschaftler analysiert das katastrophale
Versagen der Politik.
256 S., geb.
Best.-Nr.: 92561 EUR 34,90
FOTO: IMAGO / CHRIS DARCO
Mutterrolle und Karriere in der Erwerbstätigkeit: Das Diktat der mühelosen Vereinbarkeit geht in doppeltem Sinn zu Lasten der Frauen
Muttersein als Makel
Die Journalistin Antje Schmelchel über gesellschaftliche Anfeindungen und die Fixierung auf die Erwerbsarbeit
FRIEDERIKE HOFFMANN-KLEIN tung hochstilisiert. Sätze wie der einer
rheinland-pfälzischen Staatssekretärin
(„Keine Mutter kann ihrem Kind das
bieten, was eine Krippe bietet“) tragen
N
iemand kann alles gleichzeitig zur Verunsicherung von Eltern bei.
leisten. Genau das wird aber Wenn Schmelcher diese Frauen als
von Müttern erwartet. „Selbst- „die größte Baustelle der Gleichstel-
verständlich soll die Mutter ihrem Be- lungspolitik“ bezeichnet, dann bringt
ruf am besten in Vollzeit nachgehen. In sie das Problem auf den Punkt. Hier
einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft liegt der eigentliche Grund dafür, wa-
muß ausgerechnet sie alles gleichzei- rum man den Frauen die Entscheidung
tig leisten“, faßt die Journalistin Antje nicht überlassen will – sie könnten sich
Schmelcher in ihrem Buch mit dem prä- ja, wie schon Simone de Beauvoir be-
gnanten Titel „Feindbild Mutterglück“ fürchtet hat, dafür entscheiden, bei ihren
die gegenwärtige Situation von Frauen Kindern zu bleiben.
zusammen. Ein Kind zu bekommen kostet Zeit,
Wenn Frauen sich für Kinder ent- die ein Mann nicht „einplanen“ muß.
scheiden sollen, brauchen sie ein Mi- Diese faktische Gegebenheit wird aber
nimum an Zeit, an Spielraum und an nun, indem sie an die Meßlatte der
Anerkennung. Dieser Spielraum wird Gleichstellung angelegt wird, ignoriert
jedoch zunehmend geringer. Den fak- und damit gegen die Frau gerichtet.
tischen Gegebenheiten werden ideolo- Muttersein ist, wie Schmelcher zutref-
gische Vorgaben gegenübergestellt, die fend schreibt, „ein Makel, der so schnell
mit ihnen in Widerstreit geraten. Des- wie möglich ausgeglichen werden muß“.
halb werden die Fakten entweder igno- Deshalb fragt niemand nach dem wirkli-
riert oder verleugnet. Die ideologische chen Willen der Mütter. Dabei geben 70
„Überlagerung“ sieht folgendermaßen
Antje Schmelcher:
aus: Eine Frau muß Karriere machen. Feindbild Mut-
Auch dann, wenn sie Kinder hat. Kinder terglück. Warum
sind Privatsache. Mit einem Jahr sollten Muttersein und
sie ohnehin eine Krippe besuchen, da Emanzipation kein
dies ihrer Bildung und „Chancengleich- Widerspruch sind.
Verlag Orell Füssli,
heit“ dient. Zürich 2014, ge-
Nur wenn „frau“ auch einer Erwerbs- bunden, 208 Sei-
arbeit nachgeht, ist sie emanzipiert, ten, 16,95 Euro
selbständig und selbstbestimmt. Nur
dann leistet sie etwas. Ob sie Kinder Prozent der nicht erwerbstätigen Müt-
hat, zählt hierfür nicht. Das betrifft al- ter mit Kindern unter 15 Jahren in ei-
lein ihr Privatleben. Ebenso könnte man ner Umfrage 2013 an, daß die Betreu-
danach fragen, ob sie einen Hund hat ungssituation keinen Einfluß auf ihre
oder Hobbys. Während mit diesem Ab- Entscheidung zur Erwerbstätigkeit hat.
drängen ins Private die Erziehungsarbeit Nicht nur mangelnde Wertschätzung
bagatellisiert wird, wird auf der anderen kennzeichnet heute die gesellschaftli-
Seite die Krippenerziehung überhöht. che Haltung gegenüber Müttern, son-
Die Krippe wird zur Bildungseinrich- dern offene Feindschaft, wie Schmelcher
Dirk Maxeiner, Michael
Miersch
Walther Seinsch
Verbrecher-Kartei
Alles grün und gut? Über Banker, Manager und
Eine Bilanz des ökologischen
Denkens
Politiker
Der Autor greift die groteske
Alle trennen Müll, fahren Fahrrad Inkonsequenz und Verlogenheit
und wollen die Welt vor Klima- von Politikern, ökonomischen
kollaps und Atomverseuchung Sachverständigen und anderen
retten. Doch wir züchten Mo- sogenannten Experten an. Er
nokulturen für Biosprit, roden stellt skandalöse Mißstände
unsere Wälder für Stromtrassen dar, plädiert für ökonomische
und töten Vögel mit Windrädern. Vernunft und möchte die öffent-
Ist es das, was wir wollen? Wo liche Diskussion anregen.
muß ökologisches Denken 235 S., Abb., Pb.
ansetzen?
384 S., geb.,
Best.-Nr.: 92555 EUR 19,99 Best.-Nr.: 92558
Gerhard Roth, Nicole Strüber Gerhard Wisnewski
Wie das Gehirn die Seele macht ungeklärt unheimlich
unfassbar 2015
Seit der Antike wird das Gehirn Die spektakulärsten
als Organ der Seele angesehen. Kriminalfälle 2014
Wo und wie aber das Psychische Serienmord, Terroranschlag,
im Gehirn entsteht, was unser Amoklauf:
Ich ausmacht, kann mit Hilfe Viele Verbrechen haben sich
moderner Verfahren der Hirn- auch 2014 nicht so zugetragen,
forschung erklärt werden. Sind wie es in der Zeitung steht. Best-
wir unser Gehirn? Gerhard Roth sellerautor Gerhard Wisnewski
klärt eine uralte Frage. folgt verwischten Spuren, stellt
425 S., Abb., geb.
zensierte Fahndungsergebnisse
richtig und deckt zahlreiche
Ungereimtheiten auf.
336 S., geb.
Best.-Nr.: 92552 EUR 22,95 Best.-Nr.: 92544
an Beispielen Berliner Kinderwagen-
verbotsschilder in Restaurants veran-
schaulicht. Ihr mutiges Buch stellt den
diametralen Gegensatz der Interessen
heraus. Auf der einen Seite die Mütter,
die sich Teilzeitarbeit, Homeoffice, An-
erkennung der Erziehungsarbeit wün-
schen, auf der anderen Seite die Allianz
aus Gewerkschaften, Arbeitgeberverbän-
den und Feministen, die genau dies auf
jeden Fall verhindern will und deshalb
vor der „Teilzeitfalle“ warnt und das
Betreuungsgeld zum Feindbild erklärt.
Systemkonformen Feminismus nennt
Schmelcher das.
Feminismus hat die Mütter
aus den Augen verloren
Kann es aber Aufgabe eines demo-
kratischen Staates sein, Vollzeiterwerbs-
quoten oder ein bestimmtes Rollenmo-
dell vorzugeben? So fragt die Autorin
zu Recht. Einen Ausweg aus dem fast
unlösbaren Konflikt, dem Frauen heute
ausgesetzt sind, sieht Schmelcher in dem
Gedanken der Priorität. Die Aussage,
Mutterschaft und Arbeit – beides gehört
heute zu einem selbstbestimmten Frau-
enleben, läßt sich treffen und auch dann
aufrechterhalten, „wenn Frauen sich nur
für eines von beiden entscheiden“.
Daß eine solche Entscheidung ge-
rechtfertigt sein kann, ist nach Schmel-
cher selbstverständlich: „Die Bedürfnis-
se von Kindern, besonders von Klein-
kindern, und die Anforderungen auf
einem globalisierten Arbeitsmarkt liegen
weit auseinander. Sie bedingen einan-
der nicht, sondern sie sind exklusiv, sie
schließen sich gegenseitig aus.“ Denn
sich einem qualifizierten Beruf voll an-
zupassen bedeute, vollständig flexibel
und in Vollzeit verfügbar zu sein. Frauen
werden leider, wie Schmelcher bedau-
Andreas von Bülow
Die deutschen Katastrophen
1914 bis 1918 und 1933 bis
1945 im Großen Spiel der
Mächte
Der frühere Bundesminister
Andreas von Bülow enthüllt
die wahren Schuldigen an den
Weltkriegen. Sie sahen ihre
Macht durch die Konkurrenz
Deutschlands bedroht, be-
schlossen seine Vernichtung und
dekretierten seine Alleinschuld.
Auch Hitlers Aufstieg dienten
ihren Interessen.
416 S., Abb., geb.
EUR 18,90 Best.-Nr.: 92577
Gerry Docherty, Jim
Macgregor
Verborgene Geschichte
Wie eine geheime Elite die
Menschheit in den Ersten
Weltkrieg stürzte
Lange vor 1914 arbeitete eine
geheime britisch-amerikanische
Elite auf die Vernichtung
Deutschlands hin. Die Autoren
weisen nach, dass der Anteil
Großbritanniens am Ausbruch
des Ersten Weltkriegs sehr viel
größer war, als gemeinhin an-
genommen wird. Prof. Dr. Hans
Fenske
494 S., geb.
EUR 7,99 Best.-Nr.: 92583
Abbildungen können vom Original abweichen!
L I T E R A T U R | 21
Frisch gepreßt
Adam Makos,
Larry Alexan-
der: Eine höhere
Pflicht. Riva Verlag,
München 2014,
gebunden, 368
Seiten, Abbildun-
gen, 19,99 Euro
Luftkrieg. Adam Makos, Jahrgang
1971, begeisterte sich von Jugend
an für die Erlebnisse seiner Groß-
väter, die während des Zweiten
Weltkrieges in den US-Streitkräften
dienten. Eine pubertäre Passion,
die ihn bewog, eine Postille her-
auszubringen, die jahrelang die Air-
Force-Veteranen von „The Greatest
Generation“ glorifizierte. Das aus
Hollywood bezogene hausbackene
Weltbild vom Krieg der „Guten“
gegen die bösen „Nazis“ und „Jap-
se“ verbot es dem Hobbyhistoriker
jedoch, bei seinen Recherchen auch
Zeitzeugen der einstigen „Feinde“
zu fragen. Bis ihm der B-17-Pilot
Charlie Brown erzählte, wie er am
20. Dezember 1943 mit dem Le-
ben davonkam, weil der deutsche
Jagdflieger Franz Stiegler seinen
waidwunden, wehrlosen Bomber,
der seine Fracht über Bremen ab-
geladen hatte, nicht abschoß und
sogar half, die Maschine den auf
Ostfrieslands Inseln stationierten
Flakbatterien zu entziehen. Eine
christliche Tat, die Makos zur pene-
trant „menschelnden“ Doppelbio-
graphie beider Piloten ausspinnt. In
der Darstellung des zeithistorischen
Hintergrunds bleibt er zudem den
ert, durch ihr gesellschaftliches Umfeld geschichtsblinden Hollywood-
schnell verunsichert. Schablonen verhaftet, auch wenn
Der tiefen Freude über das Kind und er nun bekennt, dank Stiegler zu
das Leben mit ihm darf man sich nicht wissen, nicht alle Deutschen seien
allzu lange hingeben. Schon heißt es auf „Nazis“ gewesen. (ob)
die Frage: „Wann arbeitest du wieder?“
eine Antwort zu geben. Das Diktat der
Markus Gärtner:
mühelosen Vereinbarkeit geht in dop- Drachensturm. Wie
peltem Sinn zu Lasten der Frauen. Sie China und Co. den
sollen nun, schreibt Schmelcher, zu Si- Westen erobern.
multanwesen werden, die alles gleich- Kopp Verlag, Rot-
zeitig können. Schmelcher kommt zu tenburg 2014, ge-
bunden, 272 Sei-
dem Schluß, daß es für Frauen heute ten, 19,95 Euro
erneut Denkverbote gibt. „Wir können
öffentlich artikulieren, unsere Kinder
abgeben zu wollen. Über den Wunsch,
bei ihnen zu bleiben, ist eine Verstän- Werkbank der Welt. Natürlich
digung kaum möglich.“ ist auch in China nicht alles Gold
Die Stärke von Schmelchers Darstel- was glänzt. Viele Berichte in west-
lung liegt darin, daß sie den Blick auf die lichen Medien weisen immer wie-
Fakten nicht verliert. Daß sie dort wei- der auf die wachsenden Probleme
terfragt, wo feministische Denkverbote im Reich der Mitte hin: Demogra-
strengstens wachen. Der Feminismus phie, Landflucht, Korruption oder
hat jedoch die Frauen aus den Augen Arbeitslosigkeit, insbesondere bei
verloren. „Das alte Korsett aus Kindern, den Uni-Absolventen. Nicht sel-
Küche und Kirche ist durch ein neues ten erinnern diese Berichte aber
Korsett aus Kindern, Kita und Karriere auch an jene Fabel, in welcher der
ersetzt worden. Eine mutter- und kin- Fuchs die hoch hängenden Trau-
derfreundliche Gesellschaft stelle ich mir ben schlechtredet. So dürften wir
anders vor.“ uns wohl regelrecht das chinesische
Frauen ihrer Generation ist es kaum Problem herbeiwünschen, sechs
noch möglich, sich nicht über die Arbeit Millionen gut ausgebildete Aka-
zu definieren. Als die Autorin selbst ih- demiker, davon viele Ingenieure,
res Kindes wegen ihre berufliche Stelle in unseren Arbeitsmarkt integrieren
zunächst aufgibt, kommt ihr das fast zu müssen. Ähnlich beurteilt auch
ungeheuerlich vor. Trotzdem fordert sie, der Wirtschaftsjournalist Markus
daß Frauen genau dieses Recht haben Gärtner das gigantische Potential,
sollen, selbstbestimmt auch diese Ent- das die Volkswirtschaft Chinas auf-
scheidung für ein Leben mit Kindern zu bietet. In seiner sauber gegliederten
treffen. Antje Schmelchers kluges und in Analyse weist er auf das imposante
sprachlicher Hinsicht ganz ausgezeich- Tempo hin, mit dem sich die chi-
netes Buch ist ein erfreuliches Beispiel nesische „Copy Cat“ in einen In-
für eine intellektuelle Selbständigkeit, novationsmotor verwandelt, der
die bereit ist, sich von ideologischen mittelfristig die Industriestaaten
Denkverboten zu befreien. des Westens abhängen wird. (bä)
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22 | N A T U R & T E C H N I K
Evolution des Menschen:
Zerbröselnde Gewißheiten
HEIDELBERG. Mit der Auswer-
tung des Fundes von 1.500 Kno-
chen, die Paläoanthropologen im
Herbst 2013 aus einem Höhlen-
system nahe Johannesburg bar-
gen, werden, so glaubt die Scien-
tific American-Redakteurin Kate
Wong (Spektrum der Wissenschaft,
1/15), alte Gewißheiten über die
Evolution des Menschen zerbrö-
seln. Nie zuvor habe es eine Serie
solcher Entdeckungen gegeben wie
seit 15 Jahren. Sie zwängen dazu,
die Menschheitsentwicklung nicht
in Ostafrika vor 4,4, sondern, wie
Funde aus dem Tschad nahele-
gen, vor sieben Millionen Jahren
in Westafrika beginnen zu lassen.
Revidieren müsse man zudem die
Annahme, hochentwickelte Homi-
ninen, unter ihnen der Neanderta-
ler, hätten vor einer Million Jahren
Eurasien besiedelt und seien dann
vom nachrückenden Homo sapiens
restlos ausgerottet worden. Jüngere
genetische Untersuchungen zeigten
hingegen, daß sich archaische und
moderne Menschen vermischten,
was Rekonstruktionen des mensch-
lichen Stammbaums künftig er-
schwere. (dg)
www.spektrum.de
Pandemie: Nordamerikas
großes Seesternsterben
STUTTGART. Pandemien im
Tierreich bleiben, sofern es sich
nicht um wirtschaftlich relevante
Arten handelt, der Öffentlichkeit
meist verborgen. So auch die seit
Sommer 2013 zu registrierende
Seestern-Schwindsucht an Nord-
amerikas Westküste. Von frühe-
ren Seesternsterben unterscheidet
sich der aktuelle Ausbruch durch
seine Ausdehnung, die sich von
Nordmexiko bis Alaska erstreckt,
wie durch das breite Artspektrum
befallener Seesterne. Biologen der
Cornell University (Ithaca) bestä-
tigten jetzt, daß ein Virus die an-
steckende Krankheit auslöste. Un-
klar ist jedoch, ob eine Mutation
des an Museumsexemplaren von
1942 erstmals nachgewiesenen
Virus oder Umweltfaktoren die
singuläre Wucht des Ausbruchs
bedingten (Naturwissenschaftli-
che Rundschau, 12/14). (ck)
www.naturwissenschaftliche-rund-
schau.de
Artenschutz des Tigers:
Gemischte Bilanz
BERLIN. Von derzeit 3.500 auf
7.000 Großkatzen bis 2022 – so
lautet das Plansoll der Anfang 2014
gestarteten Kampagne von drei-
zehn asiatischen „Tiger-Staaten“
zum Schutz einer aussterbenden
Art (JF 40/14). Zumindest Indien,
so kommentiert der World Wide
Fund for Nature (WWF) die jüng-
ste Statistik zur Tigerpopulation
des Subkontinents, könnte dieses
Ziel erreichen. Denn mit 2.226 Ti-
gern ist die Zahl der Tiere seit 2010
um 30 Prozent gestiegen. Obwohl
sich damit für den WWF eine Fe-
stigung des Dschungelkönigs an-
deutet, sei nicht zu übersehen, daß
in Malaysia und Indonesien ver-
gleichbare Erfolge ausblieben. (km)
www.wwf.de
FOTO: FOTOLIA / ALCE
Durch Windräder entstellter Höhenzug (l.), Baumgruppen in weitem Tal mit Ausblick: Urinstinkte leiten unser Empfinden
Die Schönheit der Landschaft ist meßbar
Windräder allerorten: Unser Mißbehagen wegen der Verspargelung ist keineswegs irrational
HEIKO URBANZYK nicht irrational: Unser Empfinden für
die Schönheit der Landschaft, die uns
umgibt, ist empirisch meßbar und For-
schungsgegenstand von Disziplinen wie
Z
ahlreiche empirisch belegte Nach- der Umweltpsychologie, Natursoziologie,
teile von Windenergieanlagen Geoinformatik und Wanderforschung.
(WEA) werden gegen deren Er- Vieles deutet darauf hin, daß das, was
richtung ins Feld geführt. Eine einzige nachweisbar unter „Landschaftsästhe-
WEA versiegelt durch ihr Betonfunda- tik“ fällt, mit menschlichen Urinstinkten
ment etwa 3.000 Quadratmeter Boden; beziehungsweise evolutionsbiologisch
dies vorwiegend dort, wo die Natur vor bedeutsamen Faktoren zu tun hat. Der
dem Zupflastern gerade bewahrt werden britische Geograph Jay Appleton stellte
soll. Hinzu kommen die Tötungen von diese Theorie bereits Mitte der siebziger
Vögeln und Fledermäusen. Diese lassen Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf.
sich, falls überhaupt, zahlenmäßig nur Vor allem Landschaften, in denen unsere
grob schätzen, weil die zerfetzten Ka- Vorfahren auf der Jagd einerseits Schutz
daver weit gestreut und von Aasfressern finden, andererseits Beutetiere erspähen
umgehend vertilgt werden. Schließlich konnten, würden als schön empfunden:
wirken sich die Geräuschkulisse sowie Hügel, die einen unverstellten Blick über
der Schattenwurf der drehenden Flügel die Ebene ermöglichen, kleine Baum-
meßbar auf die psychische und körper- gruppen und Seen. Neuere Forschungen
liche Gesundheit von Anwohnern der geben Appleton recht.
einbeinigen Giganten aus: Schlaf- und Die Landschaftsökologin Isabel Au-
Konzentrationsstörungen, Unwohlsein genstein stellte in einer Studie aus dem
sowie Bluthochdruck konnten nachge- Jahre 2002 fest: „Hoch in der Präferenz
wiesen werden. stehen gut strukturierte Räume, [...] die
den Betrachter durch verlockende Aus-
Schutz auf der Jagd, und Durchblicke auffordern, weiter in
Erspähen von Beutetieren die Landschaft hineinzugehen.“ Na-
turnähe, Gewässer, offener Bewuchs,
Zu den häufigen Argumenten ge- Abwechslungsreichtum, schöne Aus-
hört die kritisierte Verschandelung und sichten, Stille und frische Luft machen
„Verspargelung“ der Landschaft. Das ist laut Rainer Brämer, dem Mitbegrün-
der des Deutschen Wanderinstituts, die
bevorzugte Landschaft der Bewohner
von europäischen, amerikanischen und
asiatischen Industrieländern gleicher-
maßen aus.
Heimatschutzbewegung
gegen Verschandelung
Jüngste Studien der Geoinformatik aus
Österreich und der Schweiz belegen, daß
das landschaftlich als schön Empfunde-
ne zugleich das ökologisch Wertvolle ist.
Windräder gehören nicht dazu. Frank
Roser vom Institut für Landschaftspla-
nung und Ökologie an der Universität
Stuttgart berichtete in der Zeit (16. Januar
2014) über sein Computerprogramm, das
Schönheit messen und dabei die subjek-
tive Wahrnehmung neutralisieren kön-
ne. Unser Verlangen nach Landschafts-
ästhetik wird demnach „am besten ohne
besonders auffällige Elemente der Indu-
striegesellschaft wie Autobahnen, Hoch-
spannungsleitungen, Gewerbegebiete
oder auch Windkraftwerke“ befriedigt.
Schönheit ist also meßbar, Windener-
gieanlagen sind häßlich, und wer sich
über die Verspargelung seiner Heimat
beklagt, ist kein irrationaler Querulant.
Thomas Büttner gibt in seinem Bei-
trag „Kulturlandschaft in Zeiten der
Energiewende“ allerdings zu bedenken:
JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015
Umwelt
Kostenfalle
E10-Sprit
Von Jörg Fischer
V or 85 Jahren trat die Bezugs-
verordnung von Spiritus zu
Treibstoffzwecken in Kraft. Danach
mußten im Deutschen Reich dem
Benzin zehn Prozent Agraralkohol
beigemischt werden. Äthanol aus
heimischen Agrarrohstoffen sollte
wegen der Weltwirtschaftskrise
teure Erdölimporte ersetzen. Vor
vier Jahren wiederholte sich die
Geschichte – allerdings hieß der
Spiritus nun denglisch „Bioetha-
nol“ und aus Monopolin wurde
„Super E10“. Daß das Projekt ein
Konjunkturprogramm für Ener-
giepflanzen anbauende Landwirte
ist, verriet in den USA schon der
Name des Gesetzes: „Farm Bill“.
In Deutschland waren die Lob-
byisten nicht so ehrlich, hier muß-
te der „Klimaschutz“ herhalten –
und wie 1930 die Weltpolitik: „Die
Einführung von Biokraftstoffen
dient dazu, unsere Abhängigkeit
vom Öl zu reduzieren“, verteidigte
der damalige Umweltminister Nor-
bert Röttgen (CDU) die Zwangs-
beimischung. „Die Bundesregie-
rung hat deshalb mit Zustimmung
der rot-grünen Opposition und al-
FOTO: PIXELIO / CARMEN SCHWARZ
ler Bundesländer die Einführung
von E10 ermöglicht.“
Biosprit ist nicht nur für
die Natur, sondern auch
fürs Portemonnaie ein
Verlustgeschäft.
Doch anders als bei „alterna-
tivlosen“ Entscheidungen wie der
Einführung und Rettung des Euro
≠ kann das Volk beim E10 selbst
abstimmen: Nur 15 Prozent tan-
ken den von Umweltschützern hef-
tig kritisierten Biosprit (JF 50/13),
obwohl mehr als 90 Prozent der
Motoren E10 theoretisch vertra-
gen. Aber inzwischen ist selbst
„Energiegewinnung und -nutzung ha- das vermeintliche Sparargument
ben schon immer die Landschaft verän- entfallen: Kostete bislang ein Liter
dert“ (Heimatpflege in Westfalen, 6/14). E10 vier Cent weniger als Super
Bereits im 19. Jahrhundert habe die 95, so sind es jetzt nur noch zwei
Industrialisierung die Kulturlandschaft Cent Unterschied. Der Weltmarkt-
stark verändert – und die Heimatschutz- preis für Rohbenzin hat sich hal-
bewegung auf den Plan gerufen. Die Er- biert, Äthanol ist anderthalb mal
oberung dieser Landschaft durch Wind- so teuer. Und da Ottomotoren we-
kraft-, Solar- und Biogasanlagen wer- gen des geringeren Energiegehalts
de von den Menschen als schmerzlich von E10 mehr verbrauchen, ist
empfunden. Aber „diese Entwicklung ist nun endgültig klar: Der Biosprit
längst noch nicht abgeschlossen“. Der ist nicht nur für Mensch und Na-
Anteil an „technischen Landschaftsele- tur, sondern auch fürs eigene Porte-
menten“ werde stetig steigen. Vielfach monnaie ein klares Verlustgeschäft.
werde von einer „Energielandschaft“
statt Kulturlandschaft gesprochen. Je-
doch „der Blick zurück zeigt, daß aus
heutiger Sicht ‘Landschaft’ schon im-
Erkenntnis
mer Energielandschaft war“. Wind- und
Wassermühlen seien jedoch allgemein in „Wir waren ehrlich gesagt
alten Ortsbildern akzeptiert gewesen. erstaunt, als wir bereits bei
Diese Erkenntnis ändert nichts daran,
einer der ersten Messungen
daß WEAs heute nicht akzeptiert wer-
den. Offen bleibt, ob unsere Enkelkinder die ersten Buchstaben klar
einmal den Windpark vor ihrer Stadt erkennen konnten.“
genauso idyllisch finden werden, wie wir Der Physiker Vito Mocella vom
die klappernde Mühle am rauschenden Nationalen Forschungsrat (CNR)
Bach. Die Urinstinkte sprechen dagegen. in Rom machte stark verkohlte
Papyrusrollen aus dem antiken
Heimatpflege in Westfalen Nr. 6/14 zum Herculaneum mit einem speziellen
Herunterladen als PDF: Computertomographieverfahren
www.lwl.org/367-download/Heimatpfle- lesbar, ohne sie öffnen zu müssen.
ge/2014/WHB_6_INet.pdf
JUNGE FREIHEIT
Nr. 6/15 | 30. Januar 2015
„Demonstrationsrecht erst nach Verbot“
Zum Schwerpunktthema: „Lügenpresse“,
JF 5/15
Das ist der Gipfel der Heuchelei
Mark Twain sagte einst: Wer keine Zei-
tung liest, ist uninformiert; wer eine
Zeitung liest, ist falsch informiert. Das
Problem ist also schon alt. Die Achtund-
sechziger hatten einen Teil der Medien
als Lügenpresse bezeichnet. Seitdem sie
selbst an den Schaltern der Macht sitzen,
ist das ein Unwort. Ob die Falschmeldun-
gen auf Vorgaben der Verleger, der Chef-
redaktionen, der Schere im Kopf aus Exi-
stenzangst oder nur auf Nachlässigkeiten
beruhen, ist nebensächlich. Das Ergebnis
ist jedenfalls fatal, da die Mehrzahl der
Bevölkerung Meldungen der sogenann-
ten Qualitätsmedien für wahr hält, ins-
besondere wenn diese mit echten oder
gefälschten Bildern untermauert werden.
Wer diese Strategie kritisiert oder gar
dagegen demonstriert, wird mit einem
Vokabular beschimpft, das an über-
wundene oder existierende Diktaturen
erinnert. Es steht die Deutungshoheit
auf dem Spiel, und man läßt die Maske
fallen. Die demokratischen Grundrechte
wurden erst nach dem Demonstrations-
verbot von Dresden wieder beschworen.
Das ist der Gipfel der Heuchelei.
DR. JÜRGEN BECKER, WITTLICH
Ausgelogen – nicht ausgewogen
Als ich nach dem Zweiten Weltkrieg das
Redakteurshandwerk erlernte, wurde uns
angehenden Journalisten eingebleut, daß
bei der Berichterstattung über strittige
Themen beide Seiten zu berücksichtigen
seien und die Meinung des Redakteurs
dabei keine Rolle spielen dürfe. Den
Grundsatz der Ausgewogenheit – im
Gerichtswesen des Altertums sowohl in
Griechenland wie in Rom ein geheiligtes
Prinzip, bekannt unter dem Satz „Audia-
tur et altera pars“ – zu verletzen sei eine
journalistische Todsünde. Was heute in
den Medien veröffentlicht wird, ist in
den allermeisten Fällen aber nicht aus-
gewogen, sondern ausgelogen. Da ist der
Weg zur Lügenpresse nicht mehr weit
– weder sprachlich noch journalistisch.
GERT ZIEGLER, MÜNCHEN
Zu: „Bürgerrechte auf der Kippe“ von Mi-
chael Paulwitz, JF 5/15
Grenzüberschreitung
Wenn unsere Kanzlerin in der Neu-
jahrsansprache die Bürger auf ihren
politischen Kurs festlegen möchte und
vor der Teilnahme an Pegida-Demon-
strationen warnt, dann hat sie damit eine
Grenze überschritten. In einer plurali-
stisch und demokratisch konstituierten
Gemeinschaft steht es der Regierung
nicht an, unter Inanspruchnahme ihrer
Reputation die politische Opposition in
demagogischer Weise zu diskreditieren.
Nach dieser Einschätzung von höchster
Stelle ist diese politische Basisgruppie-
rung zum Abschuß freigegeben.
Alle jetzt in diesem Fahrwasser von
unseren konzertierten Medien zu hören-
den Verunglimpfungen dieser Bewegung
scheinen blanke Unkenntnis oder purer
Opportunismus zu sein. Natürlich ist
die Auseinandersetzung mit einer Op-
position immer unbequem, zumal die
Menschen, die jetzt dort demonstrie-
ren, mehrheitlich keine rechtsradikalen
Dumpfbacken sind, sondern Menschen
mit einer lang angestauten Sorge über
unseren innen- und außenpolitischen
Kurs. Sie verdienen es also, ernst genom-
men zu werden.
Kritik und Häme sind hier einfach
und ungefährlich zu äußern, zumal die
W O CW HO EC N
H EZNEZI ET I U
T N
U NGG FFÜÜ R
GEGRÜNDET 1986 IN FREIBURG I. BR. · WOCHENZEITUNG IN BERLIN SEIT 1994 · ISSN 0932-660X
Herausgeber und Verlag: JUNGE FREIHEIT Verlag
GmbH & Co., Hohenzollerndamm 27 a, 10713 Berlin
REDAKTION
Chefredakteur: Dieter Stein
Stellv. Chefredakteur: Thorsten Thaler
Chef vom Dienst: Matthias Bäkermann
Verantwortliche Redakteure: Titel, Meinung,
Thema: Christian Vollradt; Im Gespräch: Moritz
Schwarz; Politik: Marcus Schmidt (Leitung), Felix
Krautkrämer (Leitender Redakteur Online), Anni
Mursula; Reporter: Hinrich Rohbohm; Außenpolitik,
Hintergrund: Dr. Curd-Torsten Weick; Wirtschaft,
Natur & Technik: Jörg Fischer; Kultur: Thorsten
Thaler; Medien: Ronald Gläser; Forum, Sein & Zeit:
Christian Rudolf; Geschichte, Literatur: Matthias
Bäkermann; Leserforum: Christian Dorn;
Schlußredaktion: Matthias Seegrün
Ständige Korrespondenten: Prof. Dr. Günter Zehm,
Thorsten Hinz, Michael Paulwitz, Alain de Benoist
(Paris), Prof. Elliot Neaman (San Francisco)
Satz und Gestaltung: , Daniela Lemke, Andrea
Müller, Vera Wischnewsky
Die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT hält sich an die
bewährte traditionelle deutsche Rechtschreibung,
wie sie bis zum 1. August 1999 gültig war.
L E S E R F O R U M | 23
Wenn man diesen und weiteren Fra- schen Unterwanderung sah. Diese hat
w w w.jungefreiheit.de Nr. 5/15 | 30. Jahrgang | 23. Januar 2015 | EUR 4,10 (D)
gen ihren Stellenwert gibt, anstatt sie sich ja in weitem Maße bestätigt, die
überhaupt nicht zu stellen oder hinter islamistische ist dazugekommen.
FOTO: DERDEHMEL/URBSCHAT
unwichtigeren zu verstecken, kommt GERHARD BOMBA, KIRCHLINTELN
man zu der Einsicht, daß man den Trin-
ker lieber seinen musischen Fähigkeiten Zu: „Eine Stadt findet ihren Rhythmus“ von
Gute Ansichten
Pegida wird in den Medien meist
überlassen hätte, als ihm verantwortliche Fabian Schmidt-Ahmad, JF 4/15
„islamfeindlich“ und „radikal“
dargestellt. Zu Unrecht, sagt der
Dresdner Politikwissenschaftler
Posten zu geben, die über Millionen von Die echte Instrumentalisierung
Menschenleben entschieden haben. Dadurch, daß die Ereignisse von Paris die
Werner Patzelt.
INTERVIEW, W Seite 3
HANS-BERND SEPPI, VELBERT Pegida-Bewegung bestätigen, werden sie
von ihr noch keineswegs politisch „in- Fragebogen
Sind wertlos Zu: „Pimp die Predigt“ von Bernd Rade- strumentalisiert“. Kommerzielle Instru-
mentalisierung betreiben allerdings die
Die Schweizer haben den Fran-
Trifft sie der Zorn wüt ken vom Euro abgekoppelt. Die
Aufkäufe von Fremdwährungen
waren nicht mehr durchzuhalten.
macher, JF 5/15 Jörg Schüttauf
Erst die Fundamentarbeiten Verantwortlichen der Dreckschleuder
Pech haben deutsche Sparer.
WIRTSCHAFT, T Seite 10
Warum hat die junge freiheit steigende Charlie Hebdo selbst, die über die Lei- Schauspieler
Bürgerrechte auf der Kippe Leserzahlen, während große Zeitungen chen ihrer Mitarbeiter geschäftstüchtig
Das Demonstrationsverbot von Dresden ist ein Offenbarungseid der deutschen Politik
Es kommt darauf an immer weniger gelesen werden? Ich den- ihre Auflage mehr als verhundertfachen.
ke, es liegt am Wahrheitsgehalt! So ist es EBERHARD KOENIG, BAIERN
Wo möchten Sie jetzt am liebsten
auch bei den Kirchen: Die großen Lan- sein?
deskirchen sind leer, die kleinen freien Zu: „Zweifel an der Neutralität“ von Ro- Da, wo ich gerade bin. Zu Hause.
JF-Ausgabe 5/15 vom 23. Januar 2015 Gemeinden haben Zulauf. Die Predigten nald Gläser, JF 3/15 Wofür lassen Sie alles stehen
brauchen vor allem ein Fundament: die Synchrone Demonstrationen und liegen?
Bibel. Dann vermitteln die Predigten Nicht die Pegida, sondern Bundesjustiz-
einen echten, unverrückbaren Stand- minister Maas (SPD) ist eine Schande Ein leichter Trab auf Schusters
breite mediale Akzeptanz durch die Gauland. Man könnte es mit Worten punkt, nämlich Jesus Christus (1. Korin- für Deutschland! Ausgerechnet dieser Rappen durch den Wald.
Deutungshoheit von höchster Stelle aus dem russischen Volksmund sagen: ther 3,11). Er ist der Weg, die Wahrheit diffamiert dieses demokratische Grund- Was bedeutet Heimat für Sie?
sichergestellt ist. Aber: Was unsere Ge- „Alles zu seiner Zeit“ und von mir aus und das Leben (Johannes 14,6), und die recht, bezeichnet es als eine „Schande“ Da, wo ich gehen und lieben ge-
sellschaft, was jedes demokratisches Ge- auch mit Obama: „Yes, we can!“ Versammlung Gottes (Kirche) soll der und „widerlich“. Damit ermuntert er all lernt habe.
meinwesen dringend braucht, sind keine KLAUS GROSS, COTTBUS Pfeiler und die Grundfeste der Wahr- jene, die das Demonstrationsrecht beu-
stromlinienförmigen Auftragsschreiber heit sein (1. Timotheus 3,15). Wir brau- gen wollen, etwa durch Sitzblockaden. Was ist Ihnen wichtig im Leben?
und Cartoonisten. „Sapere aude“ ist das Zu: „Pankraz, St. Charbonnier und der chen Prediger im Stil von Martin Luther, Dabei wäre eine kleine Nachhilfe aus Atmen.
Gebot, und dann seine Meinung, wenn Paragraph 166“ & „Auf Politik wird ver- die die Bibel kennen und kein Blatt vor dem Versammlungsrecht angebracht, § 2
Was haben Ihnen Ihre Eltern
es denn die eigene ist, auch laut zu sagen. zichtet“ von Thorsten Hinz, JF 5/15 den Mund nehmen, wenn es um Got- Abs. 2: „Bei öffentlichen Versammlungen
mitgegeben?
„Je suis Charlie“ ist jetzt in aller Grün ist die Hoffnung tes Wahrheiten geht. Ohne solche Maß- hat jedermann Störungen zu unterlas-
Munde. Doch wo bleibt die wirkliche Die junge freiheit ist auf dem besten stäbe fehlt ihr der Standpunkt, und sie sen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Wenn mich nicht alles täuscht, ha-
Wahrnehmung? Während die sogenann- Weg, zum Chronisten des kulturellen weht wie eine Fahne im Wind mit dem Durchführung zu behindern.“ Oder § be ich ihnen mein Leben zu ver-
te freie Welt jetzt in emphatischen Su- und intellektuellen Niedergangs dieses Zeitgeist, der sie zunehmend überflüs- 21: „Wer in der Absicht, nicht verbotene danken und die mit dem Erbgut
perlativen sich ihrer gemeinsamen Werte Landes zu werden, mit den messerschar- sig macht. Aus biblischer Perspektive ist Versammlungen oder Aufzüge zu verhin- zusammenhängenden Eigenschaf-
versichert, sterben täglich in Kamerun, fen Analysen von Thorsten Hinz und ein „Lust auf Glauben machen“ durch dern (...) Gewalttätigkeiten vornimmt ten wie besonders gutes Aussehen,
in Nigeria und anderswo Tausende. den inhaltsreichen, exzellenten Kolum- einen „Preacher Slam“ allerdings kritisch oder androht oder grobe Störungen ver- außergewöhnliche Intelligenz ...
Sie werden getötet, gefoltert, oder sie nen eines Pankraz quasi als Begleitmusik. zu betrachten, da insbesondere Prediger ursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu um nur einige zu nennen.
verhungern einfach und still. Zählen Wahrscheinlich schon in der näch- mit würdigem Ernst und unverfälscht drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.“ Welches Buch hat Sie nachhal-
Menschenleben so verschieden? sten Generation könnte der Islam reden sollen (Titus 2,7). Nach meinem Rechtsverständnis ist tig beeinflußt?
DR. MED. HORST A. HOFFMANN, KIEL hierzulande zur beherrschenden Reli- JULIAN WÄSCHE, GÖTTINGEN bereits die Gegendemonstration an sich,
Erdkunde Klasse 10.
gionsgemeinschaft aufsteigen. Die von wenn diese zum gleichen Zeitpunkt und
Zu: „AfD klärt Richtungsstreit / Ein Kurs Politikern aller Couleur einschließlich Zu: „Politischer Treibhauseff ekt“ von Paul am gleichen Ort wie die Primärdemon- Welche Musik mögen Sie?
der Vernunft“ von Dieter Stein, JF 5/15 der Kirchenvertreter so lautstark pro- Rosen, JF 4/15 stration erfolgt, eine solche Störung in Alles, was zur Stimmung paßt. Eher
Doppelt hält besser pagierte bunte Multikulti-Gesellschaft Unterwerfung abgeschlossen der Absicht, die eigentliche Demonstra- Harmonien als Experimentelles.
Daß es für die AfD einen „Kurs der Ver- könnte dann sehr schnell zu einer vom Das Bild zum Artikel ist entlarvend. tion zu verhindern. Wie die bisherige
nunft“ bedeutet, mittelfristig auf einen Islam dominierten Monokultur mutie- Zwei in einem totalitären Regime so- Praxis zeigt, dienen Gegendemonstratio- Welches Ereignis ist für die Welt
alleinigen Parteivorsitzenden zu setzen, ren mit der Farbe Grün als der einzig zialisierte Politiker samt eines koranrele- nen in erster Linie dazu, das Recht des das einschneidendste gewesen?
will mir nicht einleuchten. Bundesdeut- bevorzugten Farbe des Propheten. vanten roten Erzengels flankieren einen politischen Gegners auf freie Meinungs- Urknall. Ist immer richtig.
sche Parteien konnten bislang mit Dop- PROF. DR. ROLAND BITSCH, GIESSEN Taqiyya-erfahrenen Muslim-Repräsen- äußerung zu unterbinden, indem dessen Was möchten Sie verändern?
pelspitzen durchaus Erfolge einfahren tanten, daneben etliche orientalische Demonstrationszug behindert oder zum
– ich denke an die vormalige Linken- Zu: „Auf Politik wird verzichtet“ von Thor- Gesichter, Kopftuchfrauen und Imame, Abbruch gezwungen wird und dessen Ich muß mich im Haus um neue
Doppelspitze Lafontaine/Gysi, die eine sten Hinz, JF 5/15 einer am Rednerpult mit erkennbar ori- Demonstranten niedergebrüllt werden. Lampen kümmern.
Ausdehnung der Linkspartei in die alten Sie wird noch einige Jahre zucken entalischer Physiognomie, und diverse Auch wird hier die permanente Gefahr Woran glauben Sie?
Bundesländer erst ermöglicht hat. Aktu- Die Bundesrepublik Deutschland hat Mitläufer vor dem Brandenburger Tor. der Gewaltausübung durch fanatisierte Daß ich das bis Ende nächster
ell stellt diese Partei bekanntlich ihren ihre beste Zeit hinter sich. Sie wird noch Und das wegen eines unsäglichen Er- Anhänger beider Demonstrationszüge Woche noch immer nicht ge-
ersten Ministerpräsidenten. Auch die einige Jahre zucken und sich dann selbst eignisses im Nachbarland, das natürlich befördert, mindestens jedoch durch die schaff t habe.
Grünen leiden mit ihrer traditionellen entsorgen. Als alter Mensch kann ich nichts mit einer Weltreligion zu tun hat. allgegenwärtigen Antifa-Schläger.
Doppelspitze nicht gerade an politischer den jungen Leistungsträgern und Tüch- Zufälligerweise veröffentlicht zeitgleich Das Demonstrationsrecht sollte daher Welche Werte sollen wir unse-
Erfolglosigkeit, stellen ebenfalls einen tigen nur raten, sich hier nicht mehr ein französischer Autor ein Buch namens so geändert werden, daß Gegendemon- ren Kindern weitergeben?
Ministerpräsidenten und sitzen in vielen länger schikanieren und ausbeuten zu „Soumission“ – Unterwerfung. Welch strationen grundsätzlich nicht am glei- Toleranz und Hilfsbereitschaft.
Landesregierungen. lassen und sich nach dem Motto „Rette ein Zufall! Nach der Beschreibung von chen Ort und zur selben Zeit stattfinden
Sollten diese langweiligen, verkruste- sich, wer kann“ so schnell wie möglich Rainer Glagow eines Albtraums 2071 in dürfen. Auch würde die sonst häufig Welche Bedeutung hat der Tod
ten, diskussionsmüden und diskursun- abzusetzen. An dieser Republik ist Hop- „Allahs Weltordnung“ sehen wir die An- als Prellbock zwischen den feindlichen für Sie?
tauglichen Merkel- und Seehofer-Par- fen und Malz verloren. fänge früher als erwartet. Die deutsche Gruppen mißbrauchte Polizei hierdurch Mein eigener wird wohl so oder so
teien mit ihren Ein-Personen-Spitzen DR. KLAUS UHRIG, HEIDELBERG Führung glaubt nicht nur an die Vorse- entlastet. kommen. Wäre wünschenswert,
tatsächlich als Vorbild für eine junge und hung à la Fukushima, sondern ist ihrer HANS WOLFGANG SCHUMACHER, wenn es ohne Fremd- oder gar Ei-
lebendige Partei wie die AfD herhalten? Zu: „Ein Mann des Krieges mit Schreibtalent“ Zeit auch weit voraus. Quelle fortune! DÜSSELDORF genverschulden geschieht. Aber
DR. JÜRGEN PTUCHA, GOTHA von Heinz-Joachim Müllenbrock, JF 5/15 DR. WERNER ODENTHAL, VIERSEN grundsätzlich lebe ich lieber als
Falsche Fragestellung daß ich tot wäre.
Liebe Leser!
Mit Rußland und Amerika Entgegen einem zählebigen Vorurteil Biedermänner und Brandstifter Leider können wir nicht alle Zuschrif-
Wir haben es hier mit einem normalen ist nicht die Frage von Bedeutung, ob Es ist sehr erstaunlich, daß in der ge- ten, die uns täglich erreichen, veröf- Jörg Schüttauf, geboren 1961 im da-
Entwicklungsprozeß zu tun, der jegli- „Hitler den Krieg ohne den hartnäckigen genwärtigen Diskussion über die isla- fentlichen. Auch müssen wir manch- maligen Karl-Marx-Stadt, begann seine
chem Wachstum und Weiterleben im- Widerstand Churchills gewonnen hät- mische Infiltration und ihre sichtbaren mal kürzen. Alle Briefe werden aber Karriere im Pioniertheater. Heute zählt
manent sind. Die Geschichte anderer te“, sondern ob es ohne ihn, Churchill, Folgen mit keinem Wort auf die schon sorgfältig ausgewertet, wenngleich er zu den markantesten Gesichtern des
Parteien, bis hin zur „größten aller Par- diesen Krieg überhaupt gegeben hätte. im Jahre 1958 aufgeführte Tragikomö- wir sie nicht in jedem Fall beantwor- deutschen Films. Schüttauf erhielt zahl-
teien“, der CDU, beweist dies täglich Churchills unheilvolles Wirken hat wie die von Max Frisch „Biedermann und ten können. Ihre Leserbriefredaktion reiche Auszeichnungen, u.a. den Preis
aufs neue. Wer so viel in so kurzer Zeit im Ersten auch im Zweiten Weltkrieg die Brandstifter“ hingewiesen wird. Sie der Deutschen Filmkritik für seine Fi-
JF-Leserbriefredaktion, gur im Drama „Berlin is in Germany“.
erreicht hat, wird immer nachbessern nur dem eigenen Land geschadet. Hat nimmt in beinahe prophetischer Weise Hohenzollerndamm 27 a, Derzeit spielt er im Schloßpark-Theater
müssen. Insofern setze ich auf Intelli- Deutschland England bedroht? Warum die Entwicklung zu den heutigen Zu- 10713 Berlin, Berlin im Thriller „Misery“ die Hauptrol-
genz, Lebenserfahrung, Verantwortungs- ist die Sowjetunion geschont worden, ständen und dem irrationalen Verhalten Fax 030 / 86 49 53 - 14, le. Termine: 12. bis 16. Februar, 25. bis
bewußtsein sowie die soziale Kompetenz auch nachdem sie sich mit Deutschland unserer Politiker vorweg, auch wenn sie E-Post: leserbriefe@jungefreiheit.de 29. März sowie 28. April bis 5. Mai 2015.
unserer Führungskräfte von Lucke bis Polen brüderlich geteilt hatte? damals die Gefahr in der kommunisti- www.schlosspark-theater.de
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24 | S E I N & Z E I T
Der Flaneur
Selbstbewußter
Hund in Hürth
Von Josef Gottfried
S o ein kleines Naherholungs-
gebiet in Hürth, Grünstreifen
zwischen Mehrfamilienhäusern
mit matschigen Wegen und klei-
nen Spielplätzen. Da steht am
späten Nachmittag eine knapp
60jährige mit ihrem Hund, ei-
nem Bastard, etwas klein geraten,
aber doch mit der Schönheit des
Mischlings. Er hat seine Nase am
Wegrand und ermittelt Hunde-
geschichten.
„Na komm weiter“, sagt die
Frau in diesem kölschen Laissez-
faire-Ton zu ihrem Hund. „Du
kleines Schnüffelmonster.“ Das
mit so einer Stimme, die müt-
terlich-freundschaftliche Über-
legenheit ausdrücken soll: Okay,
du gehorchst nicht, und ich kann
nichts dagegen tun, aber trotzdem,
ja, trotzdem läuft es gerade so, wie
ich es will, weil ich will ja keinen
unterdrückten Hund haben, son-
dern einen selbstbewußten, aber
trotzdem wäre es jetzt nett, wenn
du verdammt noch ... ach ... du
kleines Schnüffelmonster ...
Sie spricht nicht
wirklich das Tier an,
denn sie weiß ja, daß er
schon weiß, wie’s läuft.
Monster! Aber sie spricht nicht
wirklich das Tier an, denn sie
weiß ja, daß er schon weiß, wie’s
läuft. Statt dessen soll ich x-be-
liebiger Passant, der ich halbfrei-
willig Zeuge dieses Schauspiels
geworden bin, ihr trotz allem die
Rolle der Souveränen abnehmen.
Sie hat sich mit ihrem Kör-
per schon in die geplante Geh-
richtung gewandt und hält in
der rechten Hand die Leine auf
Spannung, so daß der Hund es
schon spüren muß. Sie zieht aber
nicht wirklich daran. Er schnüf-
felt weiter, während sie ihm zu-
schaut – ihr Schmunzelgesicht
über die rechte Schulter nach
hinten gewandt.
Die Dämmerung kündigt sich
schon an, und dicke, graue Wol-
ken schieben sich tief über das
Rheinland. Es wird etwas win-
diger, und wir würden uns nicht
wundern, wenn es gleich zu reg-
nen begänne. Ich habe Lust, den
Köter am Nackenfell zu packen
und ihm finster blickend „Komm
weiter, hat sie gesagt“ in sein wirk-
lich niedliches Hundegesicht zu
zischen. Aber dazu bin ich ja nun
wirklich nicht in der richtigen Po-
sition.
Pazifismus heißt
meistens: Ich habe
nichts, für das sich
zu kämpfen lohnt,
und mag’s nicht lei-
den, daß anderen
anders zumute ist.
Johannes Gross
(1932–1999)
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JUNGE FREIHEIT
Nr. 6 /15 | 30. Januar 2015
Von Preußen und Elfen
Das Hobby der „Tabletops“ erfreut seit über 200 Jahren die Gemüter seiner Anhänger
CASSIAN HEIDT
D
ie Halle des Feuerwehrhauses
ist in das schummrige Licht der
Neonröhren getaucht. Auch um
halb zwei Uhr nachts ist noch keine Ru-
he in den Raum eingekehrt. Zwischen
Rucksäcken und halbleeren Pizzaschach-
teln ist gerade noch ein Durchkommen
zur Mitte der Halle möglich, wo über
kaum einsehbaren Tischen gebeugt Dut-
zende eifrig diskutierende Männer im
Alter zwischen 14 und 45 stehen. Die
Anzahl der langhaarigen Träger ausge-
blichener schwarzer T-Shirts ist deutlich
über dem Bundesdurchschnitt. Frauen
sucht man bis auf wenige Ausnahmen
vergeblich. Ein Parteitag der Piratenpar-
tei? Mitnichten!
Mischung aus Zinnsoldaten
und Modelleisenbahnbau
FOTO: IMAGO / UIG / 62691232
In der umfunktionierten Halle fin-
det ein Turnier der „Tabletop“-Spiele-
szene statt und bietet die Möglichkeit,
ein uraltes Hobby in neuer Gewandung
zu erblicken. Tabletops sind hochkom-
plexe Strategiespielsysteme, bei denen
ganze Armeen über einen mit kunst- Warhammer-Figürchen im Kampfgetümmel auf einem Spieltisch, dem „Tabletop“: Für die Turniere finden Frauen eher weniger Interesse
vollem Gelände ausgestatteten Spiel-
tisch geschoben werden. Daher auch bahnbau. Liebevoll werden die unbe- der historischen Antike, Kreuzrittern das mittlerweile börsennotierte Unter- Dort entwickelte der Hofkriegsrat Ge-
der Begriff Tabletop, was nichts ande- handelten Zinn- oder Plastikfiguren und Samurai, Wehrmacht gegen Rote nehmen eben auch nach einem ordent- org Leopold von Reiswitz als Reakti-
res als Spielplatte bedeutet. Gespielt stundenlang vor ihrem ersten Auftritt Armee sowie zahlreichen Fantasy- und lichen Profit strebt und regelmäßig an on auf die Niederlage des preußischen
wird mit in der digitalen Welt schon auf dem Spieltisch bemalt. Dabei wer- Science-fiction-Welten entscheiden. der Preisspirale für neue Figuren dreht, Heeres gegen Napoleon ein Simulati-
fast anachronistisch anmutenden Mit- den auf den meist 28 bis 30 Millime- Der Branchenprimus ist das Fantasy- die schon fertig ausgestaltet sind, stößt onsspiel, um das strategische und tak-
teln: einem Zollstab für die Bewegung ter großen Figuren noch die mikrosko- Tabletop „Warhammer“ des englischen dem harten Kern der idealistischen Spie- tische Denkvermögen der Offiziere zu
der kämpfenden Einheiten und Wür- pisch kleinsten Details wie Augäpfel Spieleherstellers Games Workshop, des- lerschaft schon seit Jahren übel auf und steigern. Diese waren als Befehlshaber
feln, um die Kampfkraft zu simulieren. oder Bartschatten hervorgehoben. Die sen Firmenjubiläum sich 2015 zum 40. sorgt für manche Verstimmung. Den- der Truppen eingesetzt und mußten
Stundenlang wälzen die begeisterten Schlachtfelder sind oftmals über zwei Mal jährt. Seit 1983 kämpfen in der noch sind die limitierten Angebote der in verschiedenen komplexen Szenarien
Hobbyisten umfangreiche Regelwer- mal zwei Meter große Dioramen mit magischen Warhammer-Welt diverse Engländer meist innerhalb kürzester ihre Kommandos geben. Der preußi-
ke, allein die Zusammenstellung der selbstgebauten Wäldern, Seen, Burgen Menschenvölker, Elfen und Zwerge ei- Zeit vergriffen. Games Workshop und sche König Friedrich Wilhelm III. und
richtigen Einheitenauswahl vor einem oder ganzen Städten. nen tragischen Kampf gegen die kor- seine Kunden sind so durch eine inni- sein Sohn Wilhelm I. sollen begeisterte
Spiel mag Neulingen als eine taktische Die Produktpalette der unzähligen rumpierenden Kräfte des Chaos. Mit ge Haßliebe verbunden, die vielleicht Spieler gewesen sein. Ihr Spieltisch, eine
Wissenschaft für sich erscheinen. Spieleschmieden ist Legion und bietet einem Umsatz von etwa 200 Millionen gerade deswegen noch für ein langes Kommode genannt taktischer Kriegs-
Auf den zweiten Blick sind Tabletops für jeden Geschmack etwas. Der An- Euro ist der in Nottingham angesiedelte Bestehen der Firma sorgen wird. spielapparat, befindet sich noch heute
aber vor allem eines: eine Mischung fänger steht vor der Qual der Wahl und Tabletop-Entwickler längst mehr als ei- Der Urvater des Tabletops ist das im Erdgeschoß von Schloß Charlot-
aus Zinnsoldaten und Modelleisen- kann sich zwischen Spielsystemen in ne kleine Nischenfirma für Nerds. Daß preußische „Taktische Kriegsspiel“. tenburg.
Haltungsnote Knapp daneben
Ein erstaunlicher Zusammenhang Die Lügenpresse verdient Mitleid
CHRISTIAN RUDOLF kriegszeit die weltweit führende Inter- KARL HEINZEN Smudo (alias Private), Michi Beck herum, die bitteren Wahrheiten des se-
pretin von Wagners Opern. Folglich (Skipper), And.Ypsilon (Rico) und xistischen und gewalttätigen Rap von
schmückt den Entwurf eine Szene aus Thomas D. (Kowalski) für Spaß, wenn heute sind ihnen verschlossen. Dies
S chweden gilt laut dem Economist als Wagners „Walküre“ mit der Nilsson
das demokratischste Land der gan- als Brünhilde.
zen Welt. Das Volk entschied vor lan- Nun haben gute Demokraten die
D ie Pinguine Skipper, Kowalski, Pri-
vate und Rico aus der Trickfilm-
Reihe „Madagascar“ begeistern seit
sie als Fantastische Vier auf der Bühne
herumhopsen und ihren Knüttelvers-
sprechgesang zum besten geben.
macht sie ausrechenbar, so ausrechen-
bar, daß man nicht einmal ihre Kon-
zerte besuchen muß, um zu wissen, was
gem, die eigene Währung zu behalten. richtige Meinung dazu: Opern- und Eu- Jahren jung und alt. Kurz vor Weih- auf diesen geboten wird.
Die Leute wußten, warum: Die Bank- rovision-Sängerin Malena Ernman fin- nachten kamen sie mit einer weiteren Allzu viele Ereignisse sind Den Beweis dafür lieferte jetzt der
noten der Schwedischen Krone zieren det, die Wagner-Szene ginge gar nicht: lustigen Episode in die Kinos, in der einfach nur widerwärtig. Kölner Stadt-Anzeiger. Noch bevor die
statt erfundener Tore und Brücken „Wagner ist einer der einflußreichsten sie ihre Abenteuer erstmals ohne die Auch Journalisten sind sie „Fanta4“ die Bühne in der Domstadt
ins europäische Nirgendwo Antisemiten der Geschich- Kameraden aus dem Central Park Zoo nicht zuzumuten. betreten hatten, stellte er bereits eine
die Portraits berühmter Per- te.“ Es sei „erstaunlich“, „in zu bestehen haben. Ohne zuviel zu ver- enthusiastische Konzertkritik ins Netz.
sönlichkeiten der eigenen der heutigen Situation“ ei- raten: Das Glück ist auf ihrer Seite, und Die Anfänge dieser Band liegen in Vielleicht wollte der Autor tatsächlich
Geschichte: Künstler, Wis- nen Geldschein mit dem nebenbei spielt eine Geheimorganisa- den späten 1980er Jahren, als unter der bloß besonders schnell sein. Vielleicht
senschaftler, Schwedenkönige. Stück eines „kontroversen tion, die allen schwachen Tieren auf der Schreckensherrschaft Helmut Kohls ekelte es ihn aber auch an, den Auftritt
FOTO: IMAGO / SKATA / 63096503
Die Zentralbank gibt in Komponisten zu dekorie- Welt beistehen will, eine wichtige Rolle. Geschmacksverblödung um sich griff. über sich ergehen zu lassen. Dies dürf-
diesem Jahr Banknoten mit ren“. Schließlich verbreite In die Herzen des deutschen Publikums Der Mut der „Fanta4“, ihr mit deutsch- te nämlich der eigentliche Grund für
neuen Motiven heraus und sich der Antisemitismus in konnten sich die vier lässig-chaotischen sprachigem Hip-Hop entrinnen zu wol- das Phänomen der Lügenpresse sein:
widmet den Fünfhunderter Schweden zunehmend. Seevögel im Naturfrack aber nur spie- len, verdient weiterhin Respekt. Leider Allzu viele Ereignisse sind einfach nur
der Opernprimadonna Birgit Ja, ganz erstaunlich, be- len, weil ihnen wesensverwandte Syn- gelang es ihnen aber nie, künstlerisch widerwärtig. Auch Journalisten ist nicht
Nilsson. Die 2005 verstorbene stimmt liegt das an kultur- chronsprecher ihre Stimme liehen. zu reifen. Noch immer blödeln sie auf zuzumuten, sich mit ihnen wirklich
Sopranistin war in der Nach- Malena Ernman begeisterten Wagner-Fans! Auch im wirklichen Leben stehen dem Niveau harmloser Abiturstreiche auseinanderzusetzen.
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