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Privatrecht II

Obligationenrecht
Besonderer Teil
Innominatverträge

Prof. Koller/Krauskopf
Zivilistisches Seminar

HS 2017
Innominatverträge - Grundlagen

Definition:
Gesetzlich – also weder im OR noch in Spezialgesetzen – nicht
besonders geregelte Verträge

Rechtliche Einordnung:
Gemische Verträge
Verträge sui generis

Beispiele:
Leasing-, Factoring-, Franchise-, Kreditkarten-, Sponsoring-,
Alleinvertriebs-, Lizenz-, Joint-Venture- und Konzernvertrag

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Vertragsrecht – von der Praxis bis zum Gesetz

Vertragspraxis (Vertragsgestaltung und Beratung)

Wissenschaft (Induktion und Deduktion)

Zivilgerichte (Rückgriff auf die Wissenschaft)

Gesetzgeber (Rückgriff auf Wissenschaft und Rechtsprechung)

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Zur Illustration: Konsumkreditvertrag

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Innominatverträge und anwendbares Recht

Parteivereinbarung (Vertragsfreiheit)
in den Schranken des zwingenden Rechts

Gesetzesrecht
Zwingende Gesetzesnormen des OR AT
Zwingende Gesetzesnormen im besonderen Vertragsrecht?
Dispositives Gesetzesrecht

Handelsbräuche/Verkehrssitte

Gewohnheitsrecht (sehr selten)

Richerliche Vertragsergänzung
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Innominatverträge und anwendbares Recht

Theorien (nicht abschliessend):


Absorbtionstheorie
Kombinationstheorie
Theorie der Übernahme gesetzlicher Einzelanordnungen
Kreationstheorie
Diskurstheorie

Praxis:
Theorienpluralismus bzw. Pragmatismus

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Innominatverträge und anwendbares Recht

Illustrativ:

«Das anwendbare Recht muss deshalb in jedem Einzelfall aufgrund des


konkreten Vertrages ermittelt werden. Dabei wird der Vertrag selten
einheitlich einem bestimmten gesetzlichen Vertragstypus zugeordnet
werden können, herrscht doch bei Franchiseverträgen gewöhnlich nicht
die Natur eines einzigen gesetzlichen Vertragstypus derart vor, dass
typenfremde Elemente ohne weiteres darin aufgingen (Absorptions-
prinzip). In der Regel muss vielmehr für jede sich stellende Rechtsfrage
gesondert geprüft werden, nach welchen gesetzlichen Bestimmungen oder
nach welchen Rechtsgrundsätzen sie zu beurteilen ist.»

(BGer Urteil 4A_148/2011 vom 8. September 2011, E. 4.1, betr. Fran-


chiseverträge)

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Der Leasingvertrag
Leasingvertrag – Grundlagen

Definition:
Vertrag, in welchem eine Partei (Leasinggeberin) der ande-ren
Partei (Leasingnehmerin) auf eine fest bestimmte Zeit hin
gegen Entgelt ein wirtschaftliches Gut (Leasingobjekt) zum
Gebrauch und zur Nutzung überlässt.

Rechtliche Einordnung:
Vertrag eigener Art mit Berührungspunkten zur Miete, zum
Kauf (auf Kredit) und zum Darlehen.

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Leasingvertrag – Verwendungszweck

Konsumgüterleasing:
Das Leasingobjekt dient dem Konsum, also dem privaten
Gebrauch oder Verbrauch durch den Leasingnehmer.

Beispiel: Autoleasing, wenn das Auto überwiegend oder nur privat genutzt
wird

Investitionsgüterleasing:
Das Leasingobjekt ist ein Investitionsgut, also ein Gut, das
beruflich oder gewerblich verwendet wird.

Beispiel: Leasing einer Baustelleneinrichtung für ein Bauunternehmen.

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Leasingvertrag – Erscheinungsformen

Leasing im Zweiparteienverhältnis (direktes Leasing):


Die Leasinggeberin ist gleichzeitig auch die Herstellerin oder
Verkäuferin des Leasingobjekts und wendet sich direkt an den
Leasingnehmer.

Leasing im Dreiparteienverhältnis (indirektes Leasing;


Finanzierungsleasing):
Der Leasingvertrag wird twischen dem Leasingnehmer und
einer unabhängigen Leasinggeberin (z.B. eine Bank) abge-
schlossen. Diese erwirbt das Leasingobjekt bei einem Dritten
(Hersteller, Händler) und übergibt es dem Leasingnehmer.

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Illustration: indirektes Leasing

Leasingnehmer Leasingvertrag Leasinggeber

Auswahl des Lea- Kaufvertrag oder


Übergabe singobjekts Werkvertrag
des Leasingobjekts

Lieferant
Leasingvertrag – anwendbares Recht

Zwingendes Recht:

Zwingendes Recht des Allgemeinen Teils des OR

Formvorschriften des Immobilienkaufvertrages (bei Immo-


bilienleasing): Art. 657 Abs. 1 ZGB und Art. 216 Abs. 1 OR?

Umgehung der zwingenden Bestimmungen der Miete/ Pacht:


z.B. Art. 256a OR

Für den Konsumgüterleasing: Anwendbarkeit des Konsum-


kreditgesetzes: Art. 1 Abs. 2 lit. a und Art. 8 Abs. 1 KKG?

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Fokus: Investitionsgüterleasing

Wirtschaftliche Überlegungen

Finanzierung von Investitionen

Ungenügende flüssige Mittel («pay as you earn»)

Sicherung der Finanzierung

Steuerliche Überlegungen

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Rechte und Pflichten der Parteien

Pflichten des Leasinggebers


Übergabe des (mängelfreien) Leasinggegenstandes

Rechte des Leasinggebers


Anspruch auf Leasingentgelt
Anspruch auf ordnungsgemässe Rückgabe des Leasinggegenstandes

Pflichten des Leasingnehmers


Übernahme des Leasinggegenstandes
Bezahlung der Leasingsraten Instandhaltung des Leasinggegenstandes

Rechte des Leasingnehmers


(vertragskonforme) Nutzung des Leasingobjekts
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Leitentscheid BGE 118 II 150 ff.

W. AG A. AG
Leasingvertrag
Leasingnehmerin Leasinggeber

Kauf-
vertrag

Konkursverwaltung Lieferant

Vorlage: Dr. Eylem Demir 16


Abgrenzungen zu anderen Verträge

Kaufvertrag (inkl. Kreditkauf)


Im Unterschied zum Kauf besteht im Leasingvertrag (einstweilen) kein
Pflicht zur Übertragung von Eigentum. Diese entfällt oder ist im Zeitpunkt
des Vertragsabschlusses noch ungewiss.

Mietvertrag
Der Leasingnehmer hat – im Unterschied zum Mieter oder Pächter – ein
vollumfängliches Gebrauchs- und Nutzungsrecht (quasi wie ein Ei-
gentümer)
Abweichend vom Miet- und Pachtvertrag trägt der Leasingnehmer das
volle Erhaltungsrisiko für das Leasingobjekt

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Leasing und sachenrechtliche Sicherungen

Leasing und Fahrnispfand (Faustpfand)

Art. 884 ZGB

Fahrnis kann, wo das Gesetz keine Ausnahme macht, nur dadurch


verpfändet werden, dass dem Pfandgläubiger der Besitz an der Pfandsache
übertragen wird.

Leasing und Verkauf mit Eigentumsvorbehalt

Art. 715 ZGB

Der Vorbehalt des Eigentums an einer dem Erwerber übertragenen


beweglichen Sache ist nur dann wirksam, wenn er an dessen jeweiligem
Wohnort in einem vom Betreibungsbeamten zu führenden öffentlichen
Register eingetragen ist.
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Fokus: Haftung für Sachmängel

Leasingvertrag
Leasingnehmer Freizeichnung der Haftung des Leasinggeber
Leasinggebers
Abtretung der Mängelrechte
gegen den Lieferanten

Kaufvertrag
Geltendmachung der durch
Abtretung erworbene
Mängelrechte

Lieferant

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Fokus: Gewährleistung und Haftung

Besonderheiten im «Dreieckverhältnis»:

Haftung des Lieferanten (i.d.R. aus Kaufvertrag) für Mängel


am Leasingobjekt

Freizeichnung der Haftung des Leasinggebers gegen-über


dem Leasingnehmer
Mietrecht: Art. 256 Abs. 2 lit. a OR (zwingende Bestimmung)
Kaufrecht: Art. 199 OR (zwingende Bestimmung)

Abtretung von Gewährleistungsansprüchen des Leasing-


gebers gegen den Lieferanten an den Leasingnehmer

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Abtretung von Gewährleistungsansprüchen

Nachbesserung, Ersatzlieferung und Herstellergarantie


Gemäss BGer und h.L. abtretbar (nach Art. 164 ff. OR)

Wandelung und Minderung


Gestaltungsrecht sind grundsätzlich nicht abtretbar
Lösungsvorschlag: Bei Abtretung «im Bündel» Annahme einer Ein-
zelermächtigung

Problem: Schadenersatz
Leasinggeber hat keinen eigenen Schaden
Fehlende Widerrechtlichkeit
Lösungsansätze: Drittschadensliquidation oder Vertrag mit
Schutzwirkung zugunsten Dritter
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Beendigung des Leasingvertrages

Ordentliche Beendigung nach fester Vertragsdauer


Vollamortisationsleasing mit/ohne Kaufoption
Vollamortisationsleasing mit Mietverlängerungsoption
Teilamortisationsleasing mit/ohne Kaufoption

Vereinbarte Kündigungsmöglichkeiten (selten)

Ausserordentliche Beendigung
Kündigung aus wichtigen Gründen
Vertragsrücktritt (z.B. wegen Schuldnerverzugs)

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Der Franchisevertrag
Franchisevertrag – Grundlagen

Definition:

«Franchiseverträge dienen dem Vertrieb von Waren und Dienstleistungen


über selbständige Händler oder Unternehmer, aber nach einer einheitli-
chen Vertriebskonzeption. Der Franchisenehmer vertreibt die vom Fran-
chisegeber hergestellten bzw. organisierten Waren und Dienstleistungen
zwar auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko, befolgt dabei aber das
einheitliche Absatz- und Werbekonzept, das ihm der Franchisegeber zur
Verfügung stellt, erhält dessen Beistand, Rat und Schulung und verwendet
dessen Namen, Marken, Ausstattungen oder sonstige Schutzrechte. Der
Franchisegeber behält sich in der Regel das Recht vor, Weisungen zu er-
teilen und eine Kontrolle über die Geschäftstätigkeit auszuüben.»
(BGer Urteil 4A_148/2011 vom 8. September 2011, E. 4.1)

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Franchisevertrag – Grundlagen

Rechtliche Einordnung:

Gemischter Vertrag mit Elementen aus Auftrag, Miet- und


Pachtvertrag, Kauf-vertrag, Werkvertrag, Leasingvertrag, Lizenz-
und Know-how-Vertrag, sowie Arbeitsvertrag (insbesondere bei
ausgeprägtem Subordinationsverhältnis).

Je nach konkreter Ausgestaltung kann es sich auch um einen


Vertrag sui generis oder um einen zusammengesetzten Vertrag
handeln.

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Franchisevertrag – Verwendungszweck

Wirtschaftliche Zwecke:

Für den Franchisegeber: Abwälzung des unmittelbaren Ver-


triebsrisikos, aber gleichzeitige Durchsetzung der eigenen
Vertriebskonzeption

Für den Franchisenehmer: Rechtliche Selbständigkeit, aber


gleichzeitiger Schutz einer bereits «durchdachten Konzep-
tion».

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Franchiseverträge – Erscheinungsformen

Unterscheidung nach Leistungsinhalt:


Produktfranchising (z.B. Coca Cola, Pepsi)
Betriebsfranchising (z.B. Hilton, Ibis, McDonalds)

Unterscheidung nach Macht- und Interessen-


konstellation:
Subordinationsfranchising (BGE 118 II 157)
Partnerschaftsfranchising (4A_148/2011)

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Franchisevertrag – anwendbares Recht

«Franchiseverträge werden meist von mehreren verschiedenartigen Kom-


ponenten entscheidend geprägt, so namentlich von Elementen eines Über-
lassungsvertrages (Überlassung des Franchisepackage durch den Franchise-
geber) und eines Arbeitsleistungsvertrages (Absatzförderungspflicht des
Franchisenehmers). Häufig finden sich auch Elemente des Warenlieferungs-
vertrages. Im gemeinsamen Ziel der Maximierung des Umsatzes kann […]
zudem ein gesellschaftsvertraglicher Einschlag erblickt werden. Das recht-
fertigt die Heranziehung von Normen des Gesellschaftsrechts insbesondere
dann, wenn zwischen den Parteien nicht ein Unterordnungs-, sondern ein
partnerschaftliches Verhältnis besteht (sog. Partnerschaftsfranchising). Ist
hingegen der Franchisenehmer, wie dies typischerweise der Fall ist, dem
Franchisegeber untergeordnet (sog. Subordinationsfranchising), tritt die
Frage einer analogen Anwendung arbeitsvertrags- oder agenturvertrags-
rechtlicher Schutzvorschriften in den Vordergrund.»

(BGer Urteil 4A_148/2011 vom 8. September 2011, E. 4.1)


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Abgrenzungen zu anderen Verträge

Auftrag (Art. 394 ff. OR): Franchisevertrag ist als Dauerschuldverhältnis


konzipiert
Werkvertrag (Art. 363 ff. OR): Absatzförderungspflicht, kein Erfolg
geschuldet
Agenturvertrag (Art. 418a ff. OR): Franchisenehmer wird im eigenen
Namen und auf eigene Rechnung tätig
Einfache Gesellschaft (Art. 530 OR): Interessengleichrichtung, aber keine
Interessengemeinschaft
Lizenzvertrag: Franchisenehmer ist umfassender in das Absatzsystem
eingebunden; Absatzförderung stärker ausgebildet
Arbeitsvertrag (Art. 319 ff. OR): Keine direkte Einbeziehung des
Franchisenehmers in den Betrieb des Franchisegebers

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Rechte und Pflichten der Parteien

Wichtig:
Der Franchisevertrag weist keine typische Haupt- und Gegen-
leistung auf.

Beide Parteien haben mehrere verschiedene Leistungen zu er-


bringen, die erst zusammen das Franchising ausmachen.

Diese Leistungspflichten werden von Franchisevertrag zu Fran-


chisevertrag verschieden ausgestaltet und gewichtet.

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Rechte und Pflichten der Parteien

Pflichten des Franchisegebers

Lizenzähnliche Pflichten
Einräumung der Nutzungsbefugnis an Namen, Marken, Ausstattung oder
sonstigen Schutzrechten und Schutz dieser Rechte
Gewährleistung für die Brauchbarkeit des Absatz- und Werbekonzeptes
Weiterentwicklung des Werbekonzeptes
Auftragsähnliche Pflichten
Erteilung von Weisungen und Kontrollen
Schulung und Beratung
Treue- und Interessenwahrung (z.B. Gleichbehandlung aller Franchisenehmer)
Pflichten anderer Art
Gewährleistung des Gebietsschutzes (bei Ausschliesslichkeit)
Verschaffen von Waren

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Rechte und Pflichten der Parteien

Pflichten des Franchisenehmers

Lizenzähnliche Pflichten
Eintrittsgebühr («entry fee») und laufende Gebühren («royalties»)
Benutzungspflicht der vom Franchisegeber überlassenen Schutzrechte
Abrechnungspflicht
Geheimhaltungspflicht für Know-how und Marketingkonzeption
Auftragsähnliche Pflichten
Absatzförderungspflicht
Weisungen befolgen und Kontrollen dulden
Treue- und Interessenwahrung (Konkurrenzverbot, Wahrung der
Geschäftsgeheimnisse, Auskunfts- und Informationspflicht)
Pflichten anderer Art
Bezugsbindungen, Kunden- und Gebietsbindungen
Preisbindungen und Beachtung von Preisempfehlungen
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Ausgewählte Problempunkte

(vor-)Vertragliche Aufklärungspflichten
Informationspflichten des Franchisegebers
Informationspflichten des Franchisenehmers

Allgemeine Geschäftsbedingungen

Übermässige Bindung (Art. 27 Abs. 2 ZGB)


Einschränkung der wirtschaftlichen Entfaltung
Auf «Ewigkeit» eingegangene Verpflichtungen
Konkurrenzverbot

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Beendigung des Franchisevertrages

Ordentliche Beendigung
Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer
Bei einem ausgeprägten Subordinationsverhältnis sind u.U. die
arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen anwendbar
Hinweis: Investitionsschutz des Franchisenehmers

Vereinbarte Kündigungsmöglichkeiten (selten)

Ausserordentliche Beendigung
Veränderte Umstände (z.B. Tod, Handlungsunfähigkeit, Konkurs)
Wichtige Gründe (z.B. schwere Vertragsverletzungen)

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