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Universität Leipzig AG Bürgerlichen Recht I

Juristenfakultät Wiss.-Mit. Milena Wenske & Robert Weber


Wintersemester 2021/22

Trennungs- und Abstraktionsprinzip

Literaturhinweise: Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 43. Auflage (2020), § 5; Medicus/Petersen, Grundwis-
sen zum Bürgerlichen Recht, §§ 2 f., 17 ff.

= Trennungs- und Abstraktionsprinzip als elementare Bestandteile der Rechtsgeschäftslehre und fundamentale
Prinzipien des dt. Zivilrechts ( Ausnahme im Europäischen Rechtsraum)

Gegenteil des Trennungsprinzips: Einheitsprinzip (Geltung etwa in Frankreich, Italien und Portugal), nach wel-
chem es keine Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft gibt, d.h. sich die Rechtsände-
rung bereits mit dem Verpflichtungsgeschäft vollzieht (Bsp.: Eigentumsübergang bereits mit Kaufvertrag)

A. Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte

1. Verpflichtungsgeschäft

a. Definition: Rechtsgeschäft (Vertrag oder einseitiges Rechtsgeschäft), durch das lediglich die
Verpflichtung zu einer Leistung begründet wird – ohne, dass es bereits zu einer tatsächlichen
Rechtsänderung kommt

untechnisch: „Formulierung des Ziels“

Bsp.: Kaufvertrag (§ 433 BGB), mit dessen Abschluss der Verkäufer zur Übergabe und Über-
eignung der Kaufsache verpflichtet wird, ohne dass es bereits zu einer Rechtsänderung (
Übergang des Eigentums an den Käufer) kommt [hierfür: Erfordernis des Verfügungsgeschäfts
in Form der Übereignung der Kaufsache nach §§ 929 ff BGB]

b. Rechtsfolge: Entstehung eines Schuldverhältnisses i. w. S. [im weiteren Sinne]

 Definition (§ 241 BGB): Rechtsverhältnis zwischen mindestens zwei Personen, aufgrund


dessen eine Person (Schuldner) einer anderen Person (Gläubiger) zu einer Leistung (§ 241
I BGB) oder zur Rücksichtnahme (§ 241 II BGB) verpflichtet ist

 Beinhaltung eines Bündels von einzelnen Pflichten des Schuldners, denen auf Seiten des
Gläubigers einzelne schuldrechtliche/ obligatorische Ansprüche (= Forderungen) korres-
pondieren  sog. Schuldverhältnisse i. e. S. [im engeren Sinne]

Bsp.: Kaufvertrag (§ 433 BGB)  Begründung eines komplexen Rechtsverhältnisses zwi-


schen Käufer und Verkäufer (Schuldverhältnis i.w.S.)  Beinhaltung eines Bündels an
Schuldverhältnissen i. e. S. (Bsp.: Pflicht des Käufers zur Kaufpreiszahlung, welcher der
Anspruch des Verkäufers auf Kaufpreiszahlung korrespondiert [§ 433 II BGB] oder Pflicht
des Verkäufers zur Übereignung und Übergabe der Kaufsache, welcher der Anspruch des
Käufers auf Übergabe und Übereignung der Kaufsache korrespondiert [§ 433 I, 1 BGB])

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 Begründung von Schuldverhältnissen i. w. S.: durch Rechtsgeschäft (Verpflichtungsge-


schäft: Vertrag1 [§ 311 BGB] oder einseitiges Rechtsgeschäft) oder durch gesetzliche An-
ordnung (Bsp.: § 823 BGB)

 Relativität der Schuldverhältnisse: Aufgrund des Schuldverhältnisses i.w.S. hat der


Gläubiger ein Forderungsrecht/ Anspruch gegen den Schuldner – und nur gegen den
Schuldner, nicht auch gegenüber außenstehenden (nicht in den Anwendungsbereich des
Schuldverhältnisses einbezogenen) Dritten. Schuldverhältnisse entfalten also Wirkung
grundsätzlich nur zwischen den Parteien des (vertraglichen oder gesetzlichen) Schuldver-
hältnisses (sog. inter-partes-Wirkung).

 Regelung der Schuldverhältnisse:


 §§ 241-432 BGB: Allgemeiner Teil des Schuldrechts ( Beinhaltung allgemeiner Re-
geln, welche für sämtliche vertraglich oder gesetzlich begründete Schuldverhältnisse
gelten, insbesondere Begründung, Inhalt und Erlöschen von Schuldverhältnissen)
 §§ 433-853 BGB: Besonderer Teil des Schuldrechts ( Auflistung einzelner vertragli-
cher und gesetzlicher Schuldverhältnisse nebst ihren Voraussetzungen und Besonder-
heiten, bspw. Kaufvertrag, Werkvertrag, Dienstvertrag, unerlaubte Handlung)

Hinweis: Kein Typenzwang im Schuldrecht (anders: Sachenrecht), d.h. Möglichkeit der


Kreation gemischter oder gänzlich neuer Verträge (§ 311 I BGB)! Bsp.: Leasing

2. Verfügungsgeschäft

a. Definition: Rechtsgeschäft, durch das auf ein bereits bestehendes Recht (schuldrechtlicher oder
dinglicher Art) unmittelbar eingewirkt wird – sei es, dass es übertragen, belastet, geändert oder
aufgehoben wird

untechnisch: „Umsetzung der Zielvorstellung“

Beispiele: a) sachenrechtliche Verfügungsgeschäfte: bspw. Übertragung von Eigentum (= Über-


eignung) einer Mobilie (§§ 929 ff BGB) oder einer Immobilie (§§ 873,925 BGB); Bestellung
eines Pfandrechts und b) schuldrechtliche Verfügungsgeschäfte: Übertragung (= Abtretung) ei-
ner Forderung (§§ 398 ff BGB)

 dingliches Recht: Recht einer Person zur unmittelbaren Herrschaft über eine Sache, das
die Befugnis gewährt, andere von der Einwirkung auf die Sache auszuschließen

Bsp.: Eigentum als das umfassendste und grds. unbeschränkte dingliche Recht [§ 903
BGB]; Pfandrecht, Grunddienstbarkeit

1
Voraussetzung: Vorliegen zweier inhaltlich übereinstimmender, mit Bezug aufeinander abgegebener
Willenserklärungen; Angebot und Annahme (§§ 145, 147 BGB)

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dingliche Rechte als Unterart der absoluten Rechte: Rechte, die gegenüber jedem belie-
bigen Dritten [jedermann] wirken und von jedermann zu beachten sind (sog. inter-om-
nes-Wirkung)  weitere absolute Rechte: familienrechtliche Befugnisse der Eltern, all-
gemeines Persönlichkeitsrecht

Arten von dinglichen Rechten:

 Vollrecht (= Eigentum): umfassendes Herrschaftsrecht über die Sache (Beinhaltung


von Nutzungs-, Verwertungs- und Erwerbsrechten)

Arten des Eigentums: Alleineigentum, Gesamthandseigentum, Miteigentum

 beschränkte dingliche Rechte: Rechtsinhaber hat keine umfängliche Herrschafts-


macht über die Sache, sondern ihm ist nur hinsichtlich eines bestimmten Teilbereichs
die unmittelbare Herrschaftsmacht über die Sache – unter Ausschluss des Vollrechts-
inhabers (Eigentümers) – eingeräumt ( quasi Ausschnitt aus dem Vollrecht Ei-
gentum, d.h. Rechtsinhaber hat lediglich bestimmte inhaltlich beschränkte Eigentü-
merbefugnisse, ohne Eigentümer zu sein)

Arten beschränkter dinglicher Rechte:

o Nutzungsrechte: Grunddienstbarkeit, Nießbrauch, beschränkte persönliche Dienst-


barkeit, Wohnungsrecht
o Verwertungsrechte: Reallast, Pfandrechte an beweglichen Sachen, Pfandrechte an
unbeweglichen Sachen (Grundpfandrechte)
o Erwerbsrechte: dingliches Vorkaufsrecht, Vormerkung, Anwartschaftsrecht

 dingliche Ansprüche: Mittel zum Schutz und Verwirklichung der dinglichen Rechtsposi-
tion, welche dem Anspruchsinhaber gegenüber jedermann zustehen ( Ableitung aus dem
betreffenden dinglichen Recht)

Unterteilung:

- Herausgabeansprüche (bspw. §§ 861, 985, 1007 BGB)


- Abwehransprüche gegen Störungen Dritter (bspw. §§ 1004, 862, 888, 894 BGB)
- Ansprüche auf Verwertung einer Pfandsache (bspw. §§ 1113, 1204 BGB)

Achtung !

Dingliche Ansprüche sind notwendig mit dem dinglichen Recht verknüpft. Sie stehen aus-
schließlich dem Rechtsinhaber zu und können nicht ohne das zugehörige Recht übertragen
werden2!

b. generelle Voraussetzungen eines Verfügungsgeschäfts (Abweichungen im Einzelnen je nach Art


des zu übertragenden Rechts):

2
Schlagwort: Der Herausgabeanspruch aus § 985 BGB folgt dem Eigentum und nicht umgekehrt [das
Eigentum dem Herausgabeanspruch]!

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1. dingliche Einigung (= dinglicher Vertrag) oder Willenserklärung (einseitiges dingliches


Rechtsgeschäft) betreffend die Übertragung, Belastung, Aufhebung, Veränderung eines
dinglichen Rechts

2. Publizitätsakt:
- bei Übereignung von Mobilien: Übergabe (Besitzverschaffung) oder Übergabesurrogat
(§§ 929, 930, 931 BGB)
- bei Übereignung von Immobilien: Grundbucheintragung (§ 873 BGB)

3. Berechtigung und Verfügungsbefugnis: i.d.R. Rechtsinhaber (aber: § 185 BGB !), ausnahms-
weise Dritte (bspw. § 80 I InsO)

beachte: Möglichkeit der Überwindung einer fehlenden Berechtigung des Verfügenden durch
den gutgläubigen Erwerb (bspw. §§ 932 ff BGB bei der Übereignung von Mobilien)!

4. Einigsein bei Übergabe: Rechtserwerb erst im Zeitpunkt des kumulativen Vorliegens aller
Voraussetzungen für eine wirksame Verfügung (Reihenfolge unerheblich!)

c. Regelungen der dinglichen Rechte, dinglichen Ansprüche und Verfügungsgeschäfte: Sachen-


recht (§§ 854-1296 ff BGB)

3. Beziehung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft

Das Verpflichtungsgeschäft bildet den Rechtsgrund (causa) für das Verfügungsgeschäft!

Konkret: Verfügungsgeschäfte sind abstrakte Rechtsgeschäfte, d.h. Geschäfte, welche vom Rechts-
grund (causa) der durch sie bewirkten Rechtsänderung losgelöst sind ( Der Rechtsgrund ist also
nicht Teil des betreffenden Verfügungsgeschäfts). Trotzdem liegt auch Verfügungsgeschäften regel-
mäßig ein Rechtsgrund zugrunde. Dieser ist in dem einem Verfügungsgeschäft zugrundeliegenden
Verpflichtungsgeschäft zu finden, weshalb letzteres in diesem Zusammenhang [als Rechtsgrund für
Verfügungsgeschäfte] auch Kausalgeschäft genannt wird. Da das Verfügungsgeschäft oft die Erfül-
lung des Kausalgeschäfts ist, wird ersteres auch oftmals [in diesem Zusammenhang] als Erfüllungs-
geschäft bezeichnet.

4. Trennungs- und Abstraktionsprinzip

a. Trennungsprinzip: Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft sind rechtlich strikt voneinander


zu trennen!

Bsp.: Kaufvertrag (§ 433 BGB) = Verpflichtungsgeschäft  Rechtsfolge: Begründung der in §


433 BGB beschriebenen Pflichten für die Vertragsparteien (dem korrespondierend Ansprüche).
Verkäufer wird zur Übereignung und Übergabe der Kaufsache verpflichtet (§ 433 I, 1 BGB).
Käufer wird zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet (§ 433 II BGB). Mit Abschluss des Kauf-
vertrags ändert sich jedoch noch nicht die Rechtslage. Der Verkäufer ist immer noch Eigentümer
der Kaufsache und der Käufer Eigentümer des Geldes. Erst das (getrennt zu betrachtende)
Verfügungsgeschäft (§ 929, Satz 1 BGB) – die Übereignung der Kaufsache (Voraussetzungen:

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dingliche Einigung bzgl. der Übereignung der Kaufsache3, die Übergabe der Kaufsache, Verfü-
gungsmacht des Verkäufers und Einigsein bei Übergabe) – ändert die Rechtslage. Gleiches gilt
für die Übereignung des Geldes. Der Käufer wird Eigentümer der Kaufsache und der Verkäufer
Eigentümer des Geldes. Der Käufer wird also nicht bereits durch den bloßen Abschluss des
Kaufvertrags Eigentümer der Kaufsache! Hierzu bedarf es noch der (hiervon rechtlich getrenn-
ten – in der Lebenswirklichkeit i.d.R. mit dem Verpflichtungsgeschäft zusammenfallenden)
Übereignung der Kaufsache!

b. Abstraktionsprinzip: Die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts ist losgelöst („abstrakt“) von


der Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts zu beurteilen - und umgekehrt.

Erläuterung: Weder führt grundsätzlich die Unwirksamkeit oder das Fehlen des Verpflichtungs-
geschäfts zur Unwirksamkeit des Verfügungsgeschäfts, noch folgt aus der Gültigkeit des Ver-
pflichtungsgeschäfts die Gültigkeit auch des Verfügungsgeschäfts – und jeweils umgekehrt (Ge-
setzgeberischer Grund: Sicherheit im Rechtsverkehr).

Sonderfall Fehleridentität:

Keine echte Durchbrechung des Abstraktionsprinzips! Gemeint sind Fälle, in denen Verpflich-
tungs- und Verfügungsgeschäft an ein und demselben Fehler (Nichtigkeits- oder Anfechtungs-
grund) leiden, bzw. jeweils von unterschiedlichen Fehlern betroffen sind und in der Folge beide
unwirksam sind.

Achtung! Das Verfügungsgeschäft ist nicht deshalb unwirksam, weil auch das Verpflichtungs-
geschäft unwirksam ist (und umgekehrt)! Vielmehr: Erfordernis der getrennten und eigenstän-
digen Prüfung, ob und von welchem Anfechtungs- oder Nichtigkeitsgrund jeweils das Verfü-
gungs- und das Verpflichtungsgeschäft betroffen sind!

Beispiele:

- Mängel der Geschäftsfähigkeit: i.d.R. Betroffenheit von Verfügungs- und Verpflichtungsge-


schäft (Ausnahme: Änderung der Geschäftsfähigkeit zwischen Verpflichtung und Verfügung,
bspw. bei zwischenzeitlicher Volljährigkeit)

- Irrtümer: a) Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaft nach § 119 II BGB: Betroffenheit


von Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäft, b) Erklärungsirrtum: i.d.R. nur Betroffenheit
des Verpflichtungsgeschäfts (Bsp.: versehentliche Nennung eines zu niedrigen Kaufpreises)
oder des Verfügungsgeschäfts (Bsp.: Übergabe einer falschen Sache)

- Täuschung/ Drohung: i.d.R. Betroffenheit von Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäft, so-


weit der täuschungsbedingte Irrtum oder die Zwangslage bei der Verfügung noch fortwirkt

3
Die kaufvertragliche Einigung und die dingliche Einigung sind rechtlich streng voneinander zu unterscheiden,
aber fallen in der Lebenswirklichkeit i. d. R. in einem tatsächlichen Akt zusammen (Ausnahme: bspw. Kauf unter
Eigentumsvorbehalt).

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Rechtsfolgen des Abstraktionsprinzips:

- Unwirksamkeit nur des Verpflichtungsgeschäfts: Rückabwicklung des Verfügungsge-


schäfts nach den Grundsätzen über die ungerechtfertigte Bereicherung (§ 812 I S.1 1.Alt.
BGB – Leistungskondiktion), da die Verfügung ohne Rechtsgrund erfolgte

- Unwirksamkeit nur des Verfügungsgeschäfts: Fortbestehen des Erfüllungsanspruchs


des Anspruchsberechtigten/ Forderungsinhabers aus dem zugrundeliegenden Schuldver-
hältnis i. w. S.  bei Unmöglichkeit der Erfüllung: Schadensersatz / Rücktritt mit der Folge
der Rückgewähr empfangener Leistungen

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