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47|2023

20.11.2023 | 78. Jg.


Recht ... Wirtschaft ... Steuern ... Recht ... Wirtschaft ... Steuern ... Recht ... Wirtschaft ... Seiten 2689–2752

DIE ERSTE SEITE


Dipl.-Kfm. Jens Berger, CPA
25 %-Challenge der Europischen Kommission: weg mit dem Reporting-Speck?

WIRTSCHAFTSRECHT
Dr. Florian von Schreitter, RA, und Dr. Martin Sura, RA
Ein berblick zur 11. GWB-Novelle – Zwischen „Viel Lrm um Nichts?“ und
„Paradigmenwechsel“ | 2691
Can Degistirici und Nikos Ioannidis
Das durch das MoPeG reformierte Beschlussverfahren und Beschlussmngelrecht
der Personenhandelsgesellschaften | 2698

STEUERRECHT
Dr. Florian Oppel, LL.M., RA/StB/FAStR/FBIStR, Julian Solowjeff, StB/FBIStR, und
Maximilian Trappmann, RA
Entwurf des „neuen“ Umwandlungssteuererlasses: Im Zweifel fr den Fiskus! – Teil II | 2711

BILANZRECHT UND BETRIEBSWIRTSCHAFT


Verena Glutting, WP, und Dr. Marco Meyer, WP/StB
Pillar 2 – Anwendungsfragen und Herausforderungen aus Accounting-Perspektive | 2729

ARBEITSRECHT
Dr. Rdiger Werner, RA
Ausschluss des Urkundenprozesses im Geschftsfhrerdienstvertrag? | 2740

Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am


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und die aktuelle Novelle der §§ 5, 5a der Dienstordnung für Notarinnen und Notare
zur Anonymisierung personenbezogener Angaben in den Anmeldungen enthalten.

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Die Erste Seite

Dipl.-Kfm. Jens Berger, CPA, ist Partner bei der Deloitte GmbH WPG in Frankfurt a. M. und Leiter des IFRS and Corporate Reporting
Centre of Excellence. Er ist Mitglied des Global IFRS Leadership Team von Deloitte sowie des Beirats im Betriebs-Berater und wirkt in
diversen Arbeitskreisen und -gruppen bei der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), Accountancy Europe, dem Insti-
tut der Wirtschaftsprüfer (IDW) und dem Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC). Er gibt in diesem Beitrag seine
persönliche Meinung wieder.

25%-Challenge der Europäischen Kommission:


weg mit dem Reporting-Speck?
Ab dem 1.1.2024 müssen Unternehmen schrittweise die Corporate Sus- sierung ist nun erst für spätestens Mitte 2026 vorgesehen – zum jetzigen
tainability Reporting Directive (CSRD) unter Berücksichtigung der neu ent- Zeitpunkt eine formale Notwendigkeit, da der zuvor festgelegte, vielleicht
wickelten European Sustainability Reporting Standards (ESRS) anwenden, überambitionierte Zeitplan durch EU-Kommission und EFRAG ohnehin nicht
um über ihre wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekte zu berichten. Das deut- mehr zu halten war. Jedoch stellt dies keine Reduzierung des Umfangs der
sche Umsetzungsgesetz zur CSRD bzw. zumindest entsprechende Legisla- Berichtsanforderungen dar, sondern nur eine zeitliche Streckung.
tiventwürfe liegen gut einen Monat vor dem Beginn des ersten Berichts- Auch sollen die in der Bilanzrichtlinie festgeschriebenen Größenkriterien
zeitraums immer noch nicht vor. Was wie eine einfache Ergänzung des um- angehoben werden, um u. a. Unternehmen vom Anwendungsbereich der
fangreichen Regulierungsrahmens in der EU daherkommt, gleicht einer Re- CSRD auszunehmen. Für Bilanzsumme und Umsatzerlöse bedeutet dies ei-
volution in der Unternehmensberichterstattung: Die ESRS, welche den nen Anstieg um rund 25 %, passend zum ausgerufenen Ziel der EU-Kom-
Inhalt der Berichterstattung definieren, um- missionspräsidentin. Allerdings dient diese
fassen mehr als 1000 Datenpunkte über das Änderung primär der inflationsbedingten
gesamte Spektrum der Environmental, So- Die Vorschläge zum Arbeitspro- Anpassung der Kriterien – ein Vorgehen,
cial and Governance-(ESG-)Themen hin- gramm 2024 der Europäischen das die Bilanzrichtlinie ohnehin vorsieht,
weg. Entwickelt werden die ESRS von der Kommission stellen zunächst nur das aber bislang aufgrund der niedrigen In-
EFRAG, bislang im Wesentlichen der Berater flationsraten in den letzten Jahren nicht zur
der EU-Kommission in Sachen Übernahme
geringfügige Erleichterungen für Anwendung kam. Anstelle einer tatsäch-
von IFRS. Die Nachhaltigkeitsinformationen die Nachhaltigkeitsberichterstat- lichen Reduktion der Berichtspflichten zeigt
sind dabei in einen eigenen Abschnitt des tung in Aussicht. sich diese Maßnahme mithin eher als ein
Lageberichts aufzunehmen. Hinzu gesellen Zurückversetzen in den ursprünglich an-
sich eine externe Prüfungspflicht sowie die elektronische Auszeichnung gestrebten Umfang der berichtspflichtigen Unternehmen zu Beginn der
(tagging). Zusätzlich müssen auch die Vorschriften der EU-Taxonomie-Ver- Überlegungen zur CSRD.
ordnung beachtet werden. Immerhin: Mittels Ergänzung eines durch die EU-Kommission publizierten
Betroffen sind in Deutschland nach bisherigen Schätzungen ca. 15 000 Frequently-Asked-Questions-(FAQ-)Dokuments wurde ein längst überfälli-
Unternehmen, EU-weit sollen knapp 50 000 Unternehmen betroffen sein. ges Wesentlichkeitskonzept für die EU-Taxonomie eingeführt. Vor allem für
Die Anwendung der neuen Berichtspflichten wird viele Unternehmen vor Erstanwender im Zusammenhang mit der Ausweitung des CSRD-Anwen-
enorme Herausforderungen stellen, zumal in den Anwendungsbereich dungsbereichs ist dies eine willkommene Erleichterung. Dass die FAQ nur
der CSRD Unternehmen gelangen, die sich bislang eher auf die erforder- klarstellenden Charakter haben und grundsätzlich (eigentlich) nicht über
liche Finanzberichterstattung konzentriert haben. die Bestimmungen in der Verordnung bzw. den Delegierten Rechtsakten,
Im Oktober 2023 gab es dann eine Kehrtwende der EU-Kommission: Un- die ein Wesentlichkeitskonzept explizit nur für Betriebsausgaben (OpEx)
ternehmen sollen entlastet werden, auch bei den Berichterstattungs- vorsehen, hinausgehen können, scheint offensichtlich unerheblich.
pflichten – und zwar um (wenig konkretisierte) 25 %. Dem Arbeitsprogramm ist zudem ein öffentlicher „Call for Evidence“ beige-
Wie kam es zu diesem Sinneswandel? Schon im März 2023 stellte die fügt. Bis zum 28.11.2023 können Vorschläge eingereicht werden, welche
Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, in einer Rede im Berichtspflichten abgeschafft oder erleichtert werden könnten.
EU-Parlament in Aussicht, die Berichtspflichten für EU-Unternehmen um Die EU-Parlamentarier haben sich offenbar unbeeindruckt von den tags zu-
25 % zu reduzieren, um deren Wettbewerbsfähigkeit und die des EU-Bin- vor unterbreiteten Vorschlägen gezeigt. Am 18.10.2023 wurde ein Antrag
nenmarkts zu verbessern. Konkrete Vorschläge dieses Vorstoßes wurden auf Ablehnung der ESRS im EU-Parlament zwar zurückgewiesen, die ableh-
dabei nicht unterbreitet. Die EU-Kommission stand daher vor der ver- nenden 261 Stimmen gegen die ESRS repräsentieren aber 37 % der stimm-
zwickten Aufgabe: wo also kürzen – und dann gleich um 25 %? berechtigten Mitglieder – ein klares Signal in Richtung EU-Kommission.
Das am 17.10.2023 veröffentlichte Arbeitsprogramm 2024 der EU-Kom- Die EU-Kommission wird sich am ausgerufenen Verschlankungsziel von
mission gibt darüber zumindest etwas Aufschluss. Es enthält ein ganzes 25 % messen lassen müssen, obgleich eine exakte Quantifizierung der
Bündel an Reduktionsmaßnahmen, für die Nachhaltigkeitsberichterstat- Reduktion von 25 % im Sinne einer Zielerreichung ohnehin kaum mög-
tung ist jedoch festzuhalten: Beeindruckend ist es nicht. lich sein wird; insofern ist Zielerreichung hier wohl auch eine Definitions-
Zunächst sollen die Zeitschienen für die Erstellung und Verabschiedung von und Kommunikationsfrage. Jedenfalls ist allen interessierten Stakehol-
sektorspezifischen ESRS sowie von spezifischen ESRS für Drittstaatenunter- dern anzuraten, die Möglichkeit zur Stellungnahme zum „Call for Evi-
nehmen um jeweils zwei Jahre nach hinten geschoben werden, eine Finali- dence“ zu nutzen, um weiteres Erleichterungspotenzial aufzuzeigen.

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 I


Inhalt

Wirtschaftsrecht Steuerrecht
Die Woche im Blick 2689 Die Woche im Blick 2709
Entscheidungen Entscheidungen
EuGH: DSGVO-konforme Pflicht der Fahrzeughersteller zur Bereit- EuGH-Schlussantrge: Besonderer Steuerfreibetrag fr Arbeit-
stellung der FIN (9.11.2023 – C-319/22) nehmer des Bausektors – Niederlassungsfreiheit
EuGH: Google, Meta, Tik Tok – Keine Auferlegung generell-abstrak- (19.11.2023 – C-387/22)
ter Maßnahmen (9.11.2023 – C-376/22) EuGH-Schlussantrge: Urteil des Gerichts ber die Steuervorbe-
EuGH: Verbraucherdarlehensvertrag – Missbruchliche Klausel scheide (tax rulings) Irlands gegenber Apple ist aufzuheben
(9.11.2023 – C-598/21) (9.11.2023 – C-465/20 P)
BGH: Flaschenpfand IV (26.10.2023 – I ZR 135/20) BFH: Vermietung und Verpachtung: berprfung der Einknfteer-
BGH: energycollect.de (26.10.2023 – I ZR 107/22) zielungsabsicht bei Objekten mit mehr als 250 qm Wohnflche
BGH: Dieselverfahren – Kein Anspruch auf Ersatz weiterer mgli- (20.6.2023 – IX R 17/21)
cher Vermgensnachteile (16.10.2023 – VIa ZR 37/21) BFH: Erstattung von Lohnkirchensteuer an den Arbeitgeber
BGH: Dieselverfahren – Sorgfaltspflichten eines Fahrzeugherstel- (23.8.2023 – X R 16/21)
lers (9.10.2023 – VIa ZR 26/21) BFH: Zu den Voraussetzungen der Haftung eines Geschftsfhrers
BGH: Prmiensparvertrag – Zum Ausschluss der ordentlichen Kn- fr Biersteuer (29.8.2023 – VII R 47/20)
digung (17.10.2023 – XI ZR 72/22) BFH: Zu den Voraussetzungen einer mittelbaren verdeckten Ge-
BGH: Verbraucherdarlehensvertrag – Zur Auslegung von § 357 winnausschttung (5.9.2023 – VIII R 2/20)
Abs. 1 Satz 1 BGB a. F. und § 312d Abs. 6 BGB a. F. BFH: Aufhebung eines FG-Urteils gegen die falsche Beklagte
(17.10.2023 – XI ZR 160/22) (17.8.2023 – III R 11/22)
BGH: Glaubhaftmachung durch Screenshot-Vorlage BFH: Voraussetzungen fr die Zuordnung von Maßnahmen zur
(10.10.2023 – XI ZB 1/23) Aufbereitung von Brennstoff zur begnstigten Stromerzeugung
(25.10.2023 – VII B 103/22)
Gesetzgebung
BFH: Nichtzulassungsbeschwerde – zu den Folgen einer unterlas-
EP: Data Act – Datengesetz
senen elektronischen bermittlung der Beschwerdebegrndungs-
BT/Rechtsausschuss: Videokonferenztechnik in der Zivilgerichts-
schrift (31.10.2023 – IV B 77/22)
barkeit
FG Hamburg: Klage im „cum/ex-Verfahren“ abgewiesen
BT/Wirtschaftsausschuss: Gendertes UBRegG angenommen
(9.11.2023 – 6 K 228/20)
Verwaltung
Aufstze
BMF: Ausbau der Transparenz im Steuerbereich
Dr. Florian von Schreitter, RA, und Dr. Martin Sura, RA 2691
Ein berblick zur 11. GWB-Novelle – Zwischen „Viel Aufsatz
Lrm um Nichts?“ und „Paradigmenwechsel“
Dr. Florian Oppel, LL.M., RA/StB/FAStR/FBIStR, 2711
In seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause am 29.9.2023 hat Julian Solowjeff, StB/FBIStR, und Maximilian Trappmann, RA
der Bundesrat den Weg fr die 11. GWB-Novelle freigemacht, ver-
kndet im BGBl. am 6.11.2023 und damit in Kraft seit dem Entwurf des „neuen“ Umwandlungssteuererlasses:
7.11.2023. Es ist ein kontroverses Gesetz: Was seitens des federfh- Im Zweifel fr den Fiskus! – Teil II
renden BMWK als (Ad-hoc-)Reaktion auf die extremen Preissteige- berblick ber die wichtigsten nderungen mit kritischer
rungen in der Energiekrise 2022 konzipiert war, sah sich schnell Einordnung
dem Vorwurf eines „Paradigmenwechsels“ ausgesetzt, der ohne Kaum ein anderes BMF-Schreiben ist fr die Rechtsanwendung so
Not mit Grundprinzipien des deutschen Kartellrechts breche. Dieser bedeutsam wie der Umwandlungssteuererlass. Die Komplexitt
Beitrag stellt die wesentlichen Reforminhalte dar und ordnet sie ein. der Materie gebietet es nmlich, die Beratung in Umwandlungsfl-
len in besonderer Weise an der Sichtweise der Finanzverwaltung
Can Degistirici und Nikos Ioannidis 2698 auszurichten. Diese hatte das BMF zuletzt in dem aus 2011 stam-
Das durch das MoPeG reformierte Beschlussverfahren menden, aktuell geltenden Umwandlungssteuererlass zum Aus-
und Beschlussmngelrecht der Personenhandels- druck gebracht. Seither ist viel passiert. Am 11.10.2023 hat das
gesellschaften BMF nun den Entwurf der lang erwarteten berarbeitung vorge-
legt. Grundlegende nderungen bleiben aus. Vielmehr handelt es
Mit dem MoPeG, welches am 1.1.2024 in Kraft treten wird, sich um eine behutsame berarbeitung des Umwandlungssteuer-
wurden das Beschlussverfahren der Personenhandelsgesellschaf- erlasses aus 2011, die insbesondere seither ergangene Rechtspre-
ten und der Rechtsschutz gegen fehlerhafte Gesellschafterbe- chung und Gesetzesnderungen in das umfangreiche BMF-Schrei-
schlsse umfassend reformiert. Die neue Rechtslage hat Rechts- ben einpflegt. Der zweiteilige Beitrag stellt die wichtigsten nde-
fragen hinsichtlich der Einberufung von Gesellschafterversamm- rungen vor und ordnet sie kritisch ein. Teil I ist in Heft 46
lungen, der Feststellung von Gesellschafterbeschlssen sowie (S. 2647 ff.) erschienen.
der Durchfhrung von Beschlussmngelklagen aufgeworfen. Der
Beitrag setzt sich vertieft mit den aufgeworfenen Fragestellun-
gen auseinander und stellt dar, auf welche nderungen sich die Entscheidungen
Gesellschafter einer Personengesellschaft zuknftig einzustellen BFH: Zulssigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten im 2717
haben. Besteuerungsverfahren gemß § 29b AO
(5.9.2023 – IX R 32/21)
Entscheidungen BFH: Nachtrgliche Bercksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten 2724
(26.7.2023 – II R 5/21)
BGH: Vereinigung von Sparkassen – Eintragung ins Handelsregister 2704
(19.9.2023 – II ZB 15/22)
OLG Karlsruhe: Dieselverfahren – Zur Haftung eines Pkw-Herstellers 2707
(22.8.2023 – 8 U 86/21 – dazu BB-Kommentar von Prof. Dr. Sabine Otte,
LL.M. [Bristol])

II Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Inhalt

Bilanzrecht und Betriebswirtschaft Arbeitsrecht


Die Woche im Blick 2727 Die Woche im Blick 2739
Rechnungslegung Entscheidungen
IFRSF: nderungsentwurf IFRS-Taxonomie 2023 BAG: Tarifliche Zuschlge fr Nachtarbeit – unterschiedliche Hhe
IPSASB: Leitlinien zu Altersversorgungsplnen bei regelmßiger und unregelmßiger Nachtarbeit – Gleichheits-
EU: bernahme von nderungen an IAS 12 satz – Sachgrund – Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit
Europisches Parlament: Annahme von ESAP (23.8.2023 – 10 AZR 108/21)
DRSC: Ergebnisse der 21. Sitzung des FA Finanzberichterstattung BAG: Verlngerung eines nach WissZeitVG befristeten Arbeitsver-
DRSC: Mitschnitt der 22. Sitzung des FA Nachhaltigkeitsbericht- trags – Anhrung des Personalrats (21.6.2023 – 7 AZR 88/22)
erstattung BAG: Eingruppierung – berleitung in die neue Entgeltordnung –
Antragserfordernis – Frist fr Hhergruppierungsantrag – Verein-
Wirtschaftsprfung
barkeit mit dem Gleichheitssatz (5.7.2023 – 4 AZR 289/22)
IFAC/CA ANZ: Weitere Untersttzung fr kleine Praxen bei der Um-
setzung der neuen Quality Management Standards
WPK: Stellungnahme zum Entwurf des ISSA 5000 Aufsatz
WPK: Stellungnahme zum RefE FinmadiG
Dr. Rdiger Werner, RA 2740
WPK: Aktualisierung der bersicht der Listen der Lnder mit
hohem Geldwscherisiko Ausschluss des Urkundenprozesses im
KfQK: Bericht ber die Sitzung am 7.11.2023 Geschftsfhrerdienstvertrag?
IDW: Stellungnahme zum RegE eines Kreditzweitmarktfrderungs- Der Geschftsfhrer kann nach § 38 Abs. 1 GmbHG jederzeit aus
gesetzes seiner Organposition abberufen werden. Die außerordentliche
IDW: Stellungnahme zur Finanzierung der Wasserstoff-Kernnetze Kndigung seines Dienstverhltnisses erfordert jedoch einen wich-
IDW: Ttigkeitsbericht 2022/2023 tigen Grund. Liegt ein solcher nicht vor, hat der abberufene Ge-
schftsfhrer Anspruch auf Fortzahlung seiner Vergtung. Dieser
Aufsatz Anspruch kann im Urkundenverfahren nach den §§ 592 ff. ZPO
schnell und effektiv durchgesetzt werden. Da die Gesellschaft
Verena Glutting, WP, und Dr. Marco Meyer, WP/StB 2729 regelmßig nicht in der Lage sein wird, das Vorliegen eines die
Pillar 2 – Anwendungsfragen und Herausforderungen Kndigung rechtfertigenden wichtigen Grundes durch Urkunden
aus Accounting-Perspektive nachzuweisen, kann auf diese Weise schnell ein vollstreckbarer Teil
erstritten werden. Es stellt sich die Frage, ob die Mglichkeit der
Am 17.8.2023 wurde der Regierungsentwurf zur Umsetzung der
Durchsetzung des Vergtungsanspruchs des Geschftsfhrers im
Regelungen zur globalen Mindestbesteuerung verffentlicht. Die
Urkundenprozess nicht durch eine entsprechende Regelung im Ge-
Beschlussfassung ber das Mindeststeuergesetz durch den Bun-
schftsfhrerdienstvertrag ausgeschlossen werden kann.
destag ist am 10.11.2023 erfolgt. Der Beitrag widmet sich schwer-
punktmßig der Ableitung des Mindeststeuer-Ergebnisses aus den
Rechnungslegungsdaten eines Unternehmens als zentrale Aus- Entscheidungen
gangsgrße fr die weitere Berechnungssystematik.
LAG Hamburg: Bswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs – 2744
Kenntnis von Erwerbsmglichkeiten – zumutbarer Hinweis durch
Entscheidung Arbeitgeber – Sozialgeheimnis
(6.4.2023 – 8 Sa 51/22 – dazu BB-Kommentar von
BFH: Verlustabzugsverbot gemß § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006 2734 Dr. Stefan Schmidt-Lauber, RA, und Anna Katharina Tisch, RAin)
bei Verschmelzung mit steuerlicher Rckwirkung
(17.8.2023 – III R 37/20 – dazu BB-Kommentar von BAG: Kndigung – GmbH Geschftsfhrer – Geltung des § 14 2748
Christian Roth, LL.M., RA/FAStR/StB) Abs. 1 Nr. 1 KSchG – Betriebsbergang – Niederlegung
(20.7.2023 – 6 AZR 228/22)

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BetrVG – Betriebsverfassungsgesetz
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Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 III
28. November 2023 | Marriott Frankfurt am Main

» Überblick über die kommende Hinzurechnungsbesteuerung


» Aktuelle Fragen aus Sicht der Finanzverwaltung
» Der „neue“ Substanztest des § 8 Abs. 2 AStG
» Aktivitätskatalog I - Banken, Versicherungen, Fonds
» Aktivitätskatalog II - Handel, Dienstleistungen, Holdings und IP
» Hinzurechnungsbetrag, Kürzungsbetrag, Steueranrechnung
» Das neue Beherrschungskonzept und seine praktischen Folgen

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Die Woche im Blick | Wirtschaftsrecht

Im Rahmen des G7 Joint Competition Policy Makers & Enforcers Summit diskutierten am 8.11.2023 Vertreter der G7-Mit-
gliedstaaten und der Europäischen Kommission Kartellrechtsdurchsetzung im Digitalbereich und rechtliche Reformen (vgl.
PM Bundeskartellamt – BKartA vom gleichen Tag). In einer gemeinsamen Erklärung betonten Wettbewerbsbehörden und
Politik die Bedeutung des Wettbewerbs im Digitalbereich und ihre Entschlossenheit, freien Wettbewerb zu schützen und zu
fördern, gerade auch im Bereich sich schnell entwickelnder Technologien wie generativer künstlicher Intelligenz (KI), Block-
chain und Metaverse. Andreas Mundt, Präsident des BKartA: „Wir können gerade im Digitalbereich nicht nur von interdiszi-
plinärem, sondern auch von internationalem Austausch erheblich profitieren. Wir sehen, dass Wettbewerbsbehörden auf der
ganzen Welt mit neuen Instrumenten ausgestattet werden, die sich gegenseitig bestmöglich inspirieren und schließlich er-
gänzen sollen. Dabei können wir zunehmend auf einer erfolgreichen Durchsetzungspraxis aufbauen. Beim G7-Wettbewerbs- Uta Wichering,
gipfel kommen auch dieses Jahr Wettbewerbshüterinnen und -hüter sowie Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik zu- Ressortleiterin
sammen, um einander zu informieren, Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam zu diskutieren, wie unsere Instrumente Wirtschaftsrecht
auch in Zukunft zu offenen Märkten und fairem Wettbewerb in der Digitalwirtschaft beitragen können, insbesondere im
Lichte sich weiter entwickelnder Technologien. Ein Schwerpunkt des Austauschs liegt dabei auf künstlicher Intelligenz. Zwar
sind hier auch vielversprechende Modelle kleinerer Startups zu beobachten, doch große Digitalkonzerne könnten bei und
mit der Entwicklung derartiger Modelle verstärkt von bereits bestehenden Vorsprüngen etwa im Zusammenhang mit Zu-
gang zu Daten und Rechenleistung profitieren. Umso wichtiger ist es, bei einer Schlüsseltechnologie wie KI wachsam zu
bleiben und den internationalen Austausch gerade diesbezüglich zu pflegen.“ Während des Gipfeltreffens wurden neben
dem Digital Competition Communiqué zwei weitere Dokumente vorgestellt: Das „Policy Makers Inventory“ wurde mit Unter-
stützung der OECD überarbeitet und bietet eine Übersicht über gesetzgeberische Ansätze zum Wettbewerb in Digitalmärk-
ten innerhalb der G7, um das gegenseitige Verständnis zu verbessern und die Zusammenarbeit zu fördern. Das „Compen-
dium“ hebt die wesentlichen Aspekte der Arbeit der einzelnen G7-Wettbewerbsbehörden im Digitalbereich hervor und führt
das bereits im Rahmen der britischen G7-Präsidentschaft im Jahr 2021 von der britischen Wettbewerbsbehörde Competition
and Markets Authority ins Leben gerufene Format fort.

Entscheidungen teuren in Dateien bereitzustellen, deren For- EuGH: Google, Meta, Tik Tok – Keine Auf-
mat der unmittelbaren elektronischen Weiter- erlegung generell-abstrakter Maßnahmen
EuGH: DSGVO-konforme Pflicht der Fahr-
verarbeitung der in diesen Dateien enthalte- Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2000/31/EG des Euro-
zeughersteller zur Bereitstellung der FIN
nen Datensätze dient. päischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni
an unabhängige Wirtschaftsakteure
– Die Fahrzeughersteller sind in Verbindung mit 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der
1. Art. 61 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EU)
Art. 61 Abs. 4 und Anhang X Nr. 6.1 Abs. 3 der Dienste der Informationsgesellschaft, insbeson-
2018/858 des Europäischen Parlaments und des
Verordnung verpflichtet, eine Datenbank ein- dere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im
Rates vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung
zurichten, die ermöglicht, nicht nur anhand Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass gene-
und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeu-
der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN), rell-abstrakte Maßnahmen, die sich auf eine all-
gen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Sys-
sondern auch anhand zusätzlicher in der letzt- gemein umschriebene Kategorie bestimmter
temen, Bauteilen und selbstständigen techni-
genannten Bestimmung vorgesehenen Merk- Dienste der Informationsgesellschaft beziehen
schen Einheiten für diese Fahrzeuge, zur Ände-
male nach allen Teilen zu suchen, mit denen und unterschiedslos für alle Anbieter dieser Ka-
rung der Verordnungen (EG) Nr. 715/2007 und
das Fahrzeug vom Hersteller ausgerüstet ist. tegorie von Diensten gelten, nicht unter den Be-
(EG) Nr. 595/2009 und zur Aufhebung der Richt-
3. Art. 61 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 61 griff „Maßnahmen … betreffen[d] einen be-
linie 2007/46/EG ist wie folgt auszulegen:
Abs. 4 und Anhang X Nr. 6.1 der Verordnung stimmten Dienst der Informationsgesellschaft“
Die Verpflichtung, die in diesem Absatz genann-
2018/858 ist wie folgt auszulegen: im Sinne dieser Bestimmung fallen.
ten Angaben leicht zugänglich in Form von ma-
Er begründet für die Fahrzeughersteller eine EuGH, Urteil vom 9.11.2023 – C-376/22
schinenlesbaren und elektronisch verarbeitbaren
(Tenor)
Datensätzen darzubieten, gilt für alle „Reparatur- „rechtliche Verpflichtung“ im Sinne von Art. 6
Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2689-2
und Wartungsinformationen“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EU) 2016/679
unter www.betriebs-berater.de
Nr. 48 der Verordnung und nicht nur für Ersatz- des Europäischen Parlaments und des Rates
teilinformationen nach Anhang X Nr. 6.1 der Ver- vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Per- EuGH: Verbraucherdarlehensvertrag – Miss-
ordnung. sonen bei der Verarbeitung personenbezogener bräuchliche Klausel
2. Art. 61 Abs. 1 Satz 2 und Art. 61 Abs. 2 Unter- Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhe- Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7
abs. 2 der Verordnung 2018/858 sind wie folgt bung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz- Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom
auszulegen: Grundverordnung), die FIN der von ihnen herge- 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in
– Die Fahrzeughersteller sind nicht verpflichtet, stellten Fahrzeuge unabhängigen Wirtschaftsak- Verbraucherverträgen sind im Licht der Art. 7
Fahrzeugreparatur- und Wartungsinformatio- teuren als „Verantwortlichen“ im Sinne von und 38 der Charta der Grundrechte der Europä-
nen über eine Datenbankschnittstelle zugäng- Art. 4 Nr. 7 der Verordnung bereitzustellen. ischen Union dahin auszulegen, dass sie einer na-
lich zu machen, die eine maschinengesteuerte EuGH, Urteil vom 9.11.2023 – C-319/22 tionalen Regelung entgegenstehen, wonach bei
Abfrage und den Download der Ergebnisse er- (Tenor) der gerichtlichen Kontrolle der Missbräuchlich-
möglicht. Sie sind jedoch verpflichtet, diese Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2689-1 keit einer in einem Verbraucherkreditvertrag ent-
Informationen unabhängigen Wirtschaftsak- unter www.betriebs-berater.de haltenen Klausel über die vorzeitige Fälligstellung

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2689


Wirtschaftsrecht | Die Woche im Blick

nicht berücksichtigt wird, ob die dem Gewerbe- Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2690-3 Senatsurteil vom 4. Juli 2023 – XI ZR 77/22, WM
treibenden eingeräumte Möglichkeit, das ihm unter www.betriebs-berater.de 2023, 1463 ff. [BB 2023, 2050, Ls.]).
aus dieser Klausel erwachsende Recht auszu- BGH: Dieselverfahren – Kein Anspruch auf Er- BGH, Urteil vom 17.10.2023 – XI ZR 160/22
üben, im Hinblick auf Kriterien verhältnismäßig (Amtlicher Leitsatz)
satz weiterer möglicher Vermögensnachteile
Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2690-7
ist, die insbesondere mit der Schwere des Versto- § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1,
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ßes des Verbrauchers gegen seine Vertragspflich- § 27 Abs. 1 EG-FGV gewähren dem Käufer eines
ten, wie dem Betrag der Raten, die im Verhältnis vom sogenannten Dieselskandal betroffenen BGH: Glaubhaftmachung durch Screenshot-
zu dem Gesamtbetrag des Kredits und der Lauf- Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller neben Vorlage
zeit des Vertrags nicht gezahlt wurden, sowie mit dem der Höhe nach auf 15 % des gezahlten Kauf- Zur Glaubhaftmachung der vorübergehenden
der Möglichkeit zusammenhängen, dass die An- preises begrenzten Anspruch auf Ersatz des Diffe- technischen Unmöglichkeit gemäß § 130d
wendung dieser Klausel dazu führt, dass der Ge- renzschadens keinen Anspruch auf Ersatz weite- Satz 3 ZPO durch Vorlage eines Screenshots.
werbetreibende die aufgrund der Klausel ge- rer möglicher Vermögensnachteile. Für einen auf BGH, Beschluss vom 10.10.2023 – XI ZB 1/23
(Amtlicher Leitsatz)
schuldeten Beträge durch den Verkauf der Fami- die Pflicht zum Ersatz solcher Vermögensnach- Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2690-8
lienwohnung des Verbrauchers ohne jegliches teile gerichteten Feststellungsantrag besteht kein unter www.betriebs-berater.de
gerichtliches Verfahren einziehen kann. Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO.
EuGH, Urteil vom 9.11.2023 – C-598/21 BGH, Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 37/21 Gesetzgebung
(Tenor) (Amtliche Leitsätze) EP: Data Act – Datengesetz
Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2690-1 Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2690-4 Das Gesetz wurde mit 481 zu 31 Stimmen bei 71
unter www.betriebs-berater.de unter www.betriebs-berater.de Enthaltungen am 9.11.2023 angenommen. Es
BGH: Flaschenpfand IV
BGH: Dieselverfahren – Sorgfaltspflichten bedarf nun der formellen Zustimmung des Ra-
Der Gesamtpreis gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV aF
eines Fahrzeugherstellers tes, um in Kraft treten zu können.
(§ 3 Abs. 1, § 2 Nr. 3 PAngV nF) enthält nicht den (Europäisches Parlament, PM vom 9.11.2023)
Einem Fahrzeughersteller, der für die Konstrukti-
Pfandbetrag, den der Verbraucher beim Kauf von
on des von ihm hergestellten Fahrzeugs Moto- BT/Rechtsausschuss: Videokonferenztech-
Waren in Pfandbehältern zu entrichten hat (An-
ren fremder Hersteller verwendet, obliegen auch nik in der Zivilgerichtsbarkeit
schluss an EuGH, Urteil vom 29. Juni 2023 – C-543/
insoweit die Sorgfaltspflichten eines Herstellers Der Rechtsausschuss hat am 15.11.2023 den
21, GRUR 2023, 1115 [juris Rn. 29] = WRP 2023, 916
(Anschluss an BGH, Urteil vom 5. Juli 1960 – Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz „zur
[BB 2023, 1665] – Verband Sozialer Wettbewerb;
VI ZR 130/59, VersR 1960, 855, 856; Urteil vom Förderung des Einsatzes von Videokonferenz-
vgl. auch § 1 Abs. 4 PAngV aF bzw. § 7 Satz 1 PAngV
3. Juni 1975 – VI ZR 192/73, NJW 1975, 1827, technik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fach-
nF; Aufgabe von BGH, Urteil vom 14. Oktober
1828 [BB 1975, 1031]; Urteil vom 14. Juni 1977 – gerichtsbarkeiten“ (20/8095) beschlossen. Im
1993 – I ZR 218/91, GRUR 1994, 222 [juris Rn. 16 f.]
VI ZR 247/75, VersR 1977, 839 [BB 1977, 1117]). parlamentarischen Verfahren wurden auf Antrag
= WRP 1994, 101 [BB 1994, 26] – Flaschenpfand I).
BGH, Urteil vom 9.10.2023 – VIa ZR 26/21 der Koalitionsfraktionen noch diverse Änderun-
BGH, Urteil vom 26.10.2023 – I ZR 135/20 (Amtlicher Leitsatz)
(Amtlicher Leitsatz) gen vorgenommen. Angepasst wurden u. a. Re-
Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2690-5
Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2690-2 gelungen zur Erprobung von vollvirtuellen Ge-
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unter www.betriebs-berater.de richtsverhandlungen an Bundes- und Landesge-
BGH: energycollect.de BGH: Prämiensparvertrag – Zum Ausschluss richten. Demnach soll es auch möglich sein, der
Bei der Prüfung einer unberechtigten Namensan- der ordentlichen Kündigung Öffentlichkeit auch eine unmittelbare Teilnahme
maßung (§ 12 Satz 1 Fall 2 BGB) durch die Auf- Bei einem Prämiensparvertrag, bei dem die Prä- an der Videokonferenz zu ermöglichen.
mien auf die Sparbeiträge stufenweise bis zu ei- (hib-Meldung Nr. 855 vom 15.11.2023)
rechterhaltung einer vor Entstehung des Na-
mensrechts registrierten Internetdomain sind im nem bestimmten Sparjahr steigen, ist das Recht BT/Wirtschaftsausschuss: Geändertes
Rahmen der Interessenabwägung auf Seiten des der Sparkasse zur ordentlichen Kündigung nach UBRegG angenommen
Domaininhabers nicht nur spezifisch namens- Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen auch dann (nur) Mit der Annahme eines Gesetzentwurfs (20/
oder kennzeichenrechtliche, sondern sämtliche bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe 8866) der Bundesregierung in geänderter Fas-
Interessen an der Aufrechterhaltung der Domain- ausgeschlossen, wenn in der Vertragsurkunde sung hat der Wirtschaftsausschuss in seiner Sit-
registrierung zu berücksichtigen, deren Geltend- die Sparprämie auch für Folgejahre ausdrücklich zung am 15.11.2023 einer Änderung des UBRegG
machung nicht rechtsmissbräuchlich ist. Hierzu aufgeführt ist (Fortführung Senatsurteil vom einstimmig zugestimmt. Ein Änderungsantrag
zählt auch ein wirtschaftliches Interesse an der 14. Mai 2019 – XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74). der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
Fortführung eines Weiterleitungsgebrauchs, um BGH, Urteil vom 17.10.2023 – XI ZR 72/22 und FDP, der im Ausschuss einstimmig angenom-
(Amtlicher Leitsatz)
durch eine Verbesserung der Trefferquote und men wurde, sieht eine Ergänzung per Verord-
Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2690-6
des Rankings der Zielseite in Suchmaschinen das nungsermächtigung vor. Diese schaffe laut Ände-
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Besucheraufkommen zu erhöhen (Fortführung rungsantrag die Voraussetzung zur Anbindung
von BGH, Urteil vom 24. April 2008 – I ZR 159/05, BGH: Verbraucherdarlehensvertrag – Zur weiterer Quellregister und von weiteren nut-
GRUR 2008, 1099 [juris Rn. 30 bis 34] = WRP Auslegung von § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a. F. zungsberechtigten öffentlichen Stellen an das
2008, 1520 – afilias.de; Abgrenzung zu BGH, Ur- und § 312d Abs. 6 BGB a. F. Unternehmensbasisdatenregister. Mit dem Ent-
teil vom 6. November 2013 – I ZR 153/12, GRUR Zur Auslegung von § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in wurf soll das UBRegG an das durch das MoPeG ab
2014, 506 [juris Rn. 30] = WRP 2014, 584 – sr.de). der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung dem 1.1.2024 gültige Gesellschaftsregister ange-
BGH, Urteil vom 26.10.2023 – I ZR 107/22 und von § 312d Abs. 6 BGB in der bis zum 3. Au- passt werden.
(Amtliche Leitsätze) gust 2009 geltenden Fassung (Fortführung von (hib-Meldung Nr. 859 vom 15.11.2023)

2690 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Aufsätze | Wirtschaftsrecht

Dr. Florian von Schreitter, RA, und Dr. Martin Sura, RA

Ein Überblick zur 11. GWB-Novelle –


Zwischen „Viel Lärm um Nichts?“ und
„Paradigmenwechsel“
In seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause am 29.9.2023 hat bei der EU Kommission aufgehängte Durchsetzung des DMA effek-
der Bundesrat den Weg für die 11. GWB-Novelle freigemacht, verkün- tiviert werden, insbesondere durch die Ermittlungsarbeit der Brüs-
det im BGBl. am 6.11.2023 und damit in Kraft seit dem 7.11.2023. Es seler Behörde unterstützende nationale Ermittlungsverfahren
ist ein kontroverses Gesetz: Was seitens des federführenden Bundes- (§§ 32g, 50, 50f, 90a GWB). Zudem wird die private Durchsetzung
ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) als (Ad-hoc-) des DMA erleichtert, der dieses sog. Private Enforcement voraus-
Reaktion auf die extremen Preissteigerungen in der Energiekrise setzt (vgl. Art. 39, 42 DMA). Dazu werden die bestehenden Regeln
2022 konzipiert war, sah sich schnell dem Vorwurf eines „Paradig- zum Kartellschadensersatz auf die relevanten DMA-Vorschriften er-
menwechsels“ ausgesetzt, der ohne Not mit Grundprinzipien des streckt, sodass auch für auf den DMA gestützte Zivilklagen künftig
deutschen Kartellrechts breche. Dieser Beitrag stellt die wesentlichen einige klägerfreundliche Regelungen gelten, einschließlich der
Reforminhalte dar und ordnet sie ein. Dabei zeigt sich: Die Reform ist Rechtswegkonzentration bei den Kartellgerichten (vgl. insbesondere
konzeptionell durchaus einschneidend. Der Praxiseinsatz ihres so um- §§ 33, 87, 89 GWB).9 Da diese letzte Säule eher technische Ände-
strittenen Kernstücks – die Möglichkeit kartellbehördlicher Eingriffs- rungen bereithält und im Gesetzgebungsprozess ohne Kontroversen
maßnahmen unabhängig von nachgewiesenem Fehlverhalten – wird blieb, sollen die DMA-bezogenen Regelungen hier nicht weiter ver-
aber Seltenheitswert haben. tieft werden.
Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt vielmehr auf der Neufassung
I. Einleitung der Vorteilsabschöpfung (Abschnitt II.) und den Änderungen, die die
Gestaltungsmöglichkeiten des BKartA im Anschluss an Sektorunter-
Mit der Billigung durch den Bundesrat wurde, fast auf den Tag ge- suchungen betreffen. Dabei ist zwischen den ganz neu eingeführten
nau ein Jahr nach Veröffentlichung des grundlegenden Referenten- sog. Abhilfemaßnahmen (Abschnitt III.) und der dem Grunde nach
entwurfs des BMWK (RefE),1 die nächste Reform des deutschen schon zuvor bestehenden Möglichkeit sog. Anmeldeverfügungen (Ab-
Kartellrechts Realität. Das Gesetz wurde am 6.11.2023 im BGBl. ver- schnitt IV.) zu unterscheiden. Der Fokus liegt dabei auf den Abhilfe-
kündet und ist damit seit dem 7.11.2023 in Kraft.2 Es beruht dabei maßnahmen – ein Ansatz, der zwar international nicht ohne Vorbild
zwar im Kern auf dem RefE. Dieser wurde aber im Regierungsent- ist, der dem GWB nun jedoch ein völlig neues Element hinzufügt und
wurf vom 5.4.2023 (RegE) mit umfassenden Nachjustierungen ver- deshalb seit Beginn des Reformprozesses vom Schlagwort „Paradig-
sehen3 und vor der Verabschiedung durch den Bundestag am menwechsel“ begleitet wurde.10 Ein zusammenfassender Ausblick
6.7.2023 auf Empfehlung des Wirtschaftsausschusses nochmals mo- (Abschnitt V.) beschließt den Beitrag.
difiziert.4 Diese Nacharbeiten sind Resultat der massiven Kritik vor
allem von Seiten der Anwaltschaft5 und der deutschen Unterneh-
mensverbände.6 1 Vgl. die entsprechende PM vom 20.9.2022, unter https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/
Meldung/2022/20220920-bmwk-legt-entwurf-zur-verscharfung-des-wettbewerbsrechts-
Der größte „Zankapfel“ war dabei der aus Sicht vieler Beobachter we- vor.html (Abruf: 6.11.2023).
sentliche Bestandteil der Reform: Die Einführung eines neuen Ein- 2 BGBl. I 2023, Nr. 294 vom 6.11.2023.
3 Dazu Wagner-von Papp, WuW 2023, 301 f.; von Schreitter/Sura, DB 2023, 1268.
griffsinstruments, mit dem das Bundeskartellamt (BKartA) die Mög- 4 Einen Kurzüberblick zum Gesetzgebungsprozess m. w. N. liefert Rohner, WuW 2023, 386 f.
lichkeit erhält, im Anschluss an eine Sektoruntersuchung festgestellte 5 BRAK, Stellungnahme Nr. 39 zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wettbe-
werbsstrukturen und zur Abschöpfung von Vorteilen aus Wettbewerbsverstößen (Wett-
„Störungen des Wettbewerbs“ abzustellen – und zwar auch gegenüber bewerbsdurchsetzungsgesetz/11. GWB-Novelle), Oktober 2022, unter https://www.brak.
de/fileadmin/05_zur_rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/
und mit Wirkung für Unternehmen, denen ein individueller Kartell- 2022/stellungnahme-der-brak-2022-39.pdf (Abruf: 6.11.2023).
rechtsverstoß nicht nachgewiesen werden kann.7 Bedenken wurden 6 Vgl. nur BDI, Stellungnahme zur 11. GWB-Novelle – Referentenentwurf des BMWK eines
Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsstrukturen und zur Abschöpfung von Vortei-
teils auch gegen die „zweite Säule“ der Reform geäußert, nämlich die len aus Wettbewerbsverstößen, 12.10.2022, unter https://bdi.eu/publikation/news/11-
Neufassung der Regelungen zur sog. Vorteilsabschöpfung. Diese soll gwb-novelle (Abruf: 6.11.2023).
7 Vgl. hierzu Hahn, Die Erste Seite, BB Heft 45/2023.
es dem BKartA erlauben, durch Kartellrechtsverstöße erlangte wirt- 8 VO (EU) 2022/1925 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.9.2022 über be-
schaftliche Vorteile unter erleichterten Bedingungen bei den „Täter- streitbare und faire Märkte im digitalen Sektor und zur Änderung der RL (EU) 2019/1937
und (EU) 2020/1828. Dieser ist im Grundsatz seit dem 2.5.2023 anwendbar und regelt
unternehmen“ abzuschöpfen. das Verhalten sog. Gatekeeper. Dies sind Unternehmen, die aufgrund ihrer Marktmacht
Außerdem schafft die Novelle die rechtlichen Grundlagen dafür, und Netzwerkeffekten überragende Bedeutung für das Marktgeschehen auf Digitalmärk-
ten haben und den Marktzugang für andere kontrollieren. Näher dazu Rudowicz/Schwe-
dass das BKartA die EU Kommission bei der Durchsetzung ihres da, DB 2022, 2526.
9 Näher dazu Haus/Steinseifer, ZWeR 2023, 105, 124 f.
Digital Markets Act (DMA),8 konkret der Art. 5, 6 und 7 DMA, 10 Dazu auch Bartsch/Käseberg/Weber, WuW 2023, 245, 246; Hahn, Die Erste Seite, BB Heft
unterstützen kann. Mit dieser dritten Reformsäule soll die zentral 45/2023.

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2691


Wirtschaftsrecht | Aufsätze
von Schreitter/Sura · Ein Überblick zur 11. GWB-Novelle – Zwischen „Viel Lärm um Nichts?“ und „Paradigmenwechsel“

II. Adé, Papiertiger – Die Vorteilsabschöpfung Eine Widerlegung der Vermutung ist zwar rein rechtlich möglich,
wird kraftvoll praktisch jedoch nahezu ausgeschlossen. Insbesondere kann gegen die
Vermutung nicht vorgebracht werden, „dass kein wirtschaftlicher
Das Instrument der Vorteilsabschöpfung ist bereits seit längerer Zeit in Vorteil oder ein Vorteil in nur geringer Höhe angefallen ist“ (§ 34
§ 34 GWB geregelt und dient dazu, Unternehmen, die Kartell- Abs. 4 S. 6 GWB). Der Vermutungswirkung können sich Unterneh-
rechtsverstöße begehen, die daraus entstandenen wirtschaftlichen Vor- men vielmehr nur entziehen, wenn „die Erlangung eines Vorteils auf-
teile wieder zu entziehen. Die 11. GWB-Novelle will diesen Mechanis- grund der besonderen Natur des Verstoßes ausgeschlossen ist“ (§ 34
mus nun vitalisieren, denn bislang ist die Vorteilsabschöpfung die Kar- Abs. 4 S. 9 GWB)13 oder aber nachgewiesen wird, dass weder die am
teileiche in der Liste der kartellbehördlichen Eingriffsbefugnisse. Wohl Verstoß unmittelbar beteiligte juristische Person noch das Unterneh-
vor allem angesichts der zuvor hohen Nachweisanforderungen bei der men insgesamt im relevanten Zeitraum einen Gewinn in entsprechen-
Bestimmung des abzuschöpfenden Vorteils kam das Instrument beim der Höhe erzielt hat (§ 34 Abs. 4 S. 7 GWB). Die Crux: Für diesen
BKartA bislang praktisch nicht zum Einsatz.11 Die 11. GWB-Novelle än- „vermutungswiderlegenden Vergleichsgewinn“ wird auf die weltwei-
dert das, was jedenfalls für Verfahren zum Missbrauch einer marktbe- ten Gewinne der gesamten Unternehmensgruppe abgestellt (§ 34
herrschenden Stellung von größerer praktischer Bedeutung sein wird. Abs. 4 S. 8 GWB). Da jedoch weltweite Konzerngewinne regelmäßig
Denn dort entspricht es der bisherigen Übung des BKartA, bei festgestell- bei mindestens 1 % (nur) der deutschen Umsätze (nur) mit kartellier-
ten Verstößen lediglich im Verfügungswege eine Verhaltensänderung zu ten Produkten liegen werden, kommt eine Vermutungswiderlegung
erzwingen (§§ 32, 32b GWB), nicht aber ein Bußgeld zu verhängen. jedenfalls für produktseitig diversifizierte und/oder international auf-
gestellte Unternehmen praktisch nicht in Betracht.14
1. Beibehaltung des Verschuldenserfordernisses Erfolgversprechender dürfte daher eher der Rekurs auf die Vermu-
Anders als noch im RefE angedacht, bleibt die Reform der bisherigen tungswiderlegung wegen der „Natur des Verstoßes“ sein. Nach der
Tatbestandsstruktur des § 34 GWB verhaftet: Am Verschuldenserfor- Begründung des RegE geht es hier jedoch um sehr seltene Ausnahme-
dernis wird festgehalten, sodass sich eine Abschöpfungsanordnung fälle, sodass mit einer restriktiven Handhabung durch das BKartA zu
weiterhin nur auf solche Kartellrechtsverstöße beziehen kann, die rechnen ist. Erfasst werden sollen (nur) solche Konstellationen, in de-
„vorsätzlich oder fahrlässig“ begangen wurden. Der RefE wollte dieses nen offenkundig ist, dass aus dem Kartellverstoß entweder gar kein
subjektive Erfordernis abschaffen. Rein praktisch betrachtet hätte dies wirtschaftlicher Vorteil erwachsen ist (z. B. bei Submissionsabspra-
gegenüber der nun verabschiedeten Fassung voraussichtlich wenig chen, die bei dem betroffenen Kartellanten nicht zum Auftragszu-
Unterschied gemacht, da die Erfahrungen aus den Bußgeldverfahren schlag geführt haben), oder aber, dass ein solcher Vorteil nur bei Drit-
des BKartA zeigen, dass dann, wenn ein Kartellrechtsverstoß objektiv ten, nicht aber bei dem möglichen Adressaten der Abschöpfungsan-
nachgewiesen werden kann, der Behörde auch der Nachweis des sub- ordnung entstanden sein kann (z. B. bei missbräuchlichen Konzessi-
jektiven Tatbestandselements regelmäßig keine Probleme bereitet; das onsvergaben durch Kommunen, die nicht die Kommune selbst, son-
gilt jedenfalls bei „klassischen“ Kartellverstößen, bei denen praktisch dern außenstehende Unternehmen begünstigen).15
stets ein (Eventual-)Vorsatz angenommen wird. Die Abkehr vom RefE Insgesamt müssen sich Unternehmen jetzt daher darauf einstellen,
ist trotzdem positiv zu sehen, zumal durchaus Fälle denkbar gewesen dass die Abschöpfung von Geldbeträgen i. H. v. mindestens 1 % der
wären, in denen der Verzicht auf das Verschuldenserfordernis einen im Abschöpfungszeitraum erzielten kartellbefangenen Inlandsumsätze
Unterschied gemacht hätte.12 eine reale Gefahr darstellt, der sie sich kaum werden entziehen kön-
nen. Der tatsächlich an das BKartA abzuführende Geldbetrag darf je-
2. Vermutung eines Mindest-Abschöpfungsbetrages doch 10 % des in dem der Behördenentscheidung vorausgegangenen
Die Abschöpfungsvoraussetzungen dem Grunde nach nicht weiter Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes des betroffenen Unterneh-
abzusenken erscheint dabei auch deshalb angemessen, weil die mens nicht übersteigen (§ 34 Abs. 4 S. 10 GWB). Insoweit besteht hö-
11. GWB-Novelle für die Abschöpfung der Höhe nach einschneidende henmäßig ein Gleichlauf mit der für Kartellgeldbußen geltenden
Veränderungen enthält, deren praktische Auswirkungen nicht zu un- Obergrenze.
terschätzen sind.
So wird nun vermutet, dass (1) ein Kartellrechtsverstoß einen ab- 3. Fristen und Abschöpfungszeitraum
schöpfbaren wirtschaftlichen Vorteil verursacht hat und (2) dass die- Nicht unerwähnt bleiben soll, dass neben dem bereits erwähnten Ab-
ser Vorteil bei mindestens 1 % der Umsätze liegt, die das Unterneh- schöpfungszeitraum auch die Frist für die Abschöpfungsanordnung
men im Inland mit den Produkten oder Dienstleistungen erzielt hat, unverändert bei sieben Jahren seit Beendigung des Kartellrechtsver-
die mit seinem Kartellrechtsverstoß in Zusammenhang stehen (§ 34 stoßes liegt. Danach kann die Abschöpfung nicht mehr angeordnet
Abs. 4 S. 1 u. 4 GWB). In zeitlicher Hinsicht bezieht sich diese Ver- werden – aus Unternehmenssicht eine Verbesserung gegenüber dem
mutung auf eine als „Abschöpfungszeitraum“ legaldefinierte Zeit- RefE, der diese Frist auf zehn Jahre verlängern wollte. Allerdings ist
spanne von fünf Jahren (§ 34 Abs. 4 S. 5, Abs. 5 S. 1 GWB). Für län-
ger andauernde Verstoßzeiträume kann die Vermutung des Mindest-
vorteils also nicht in Anspruch genommen werden. Insoweit muss – 11 Dazu Körber, ZRP 2023, 5 f., der § 34 GWB insgesamt kritisch gegenüber steht. Landes-
kartellbehörden haben jedoch – wenn auch sehr vereinzelt – durchaus bereits die An-
wie auch für einen über die „1 %-Regel“ hinausgehenden Vorteil – wendung dieses Instruments gewagt, vgl. BGH, 14.2.2023 – KVZ 38/20, BB 2023, 1794.
das BKartA in entsprechender Anwendung von § 287 ZPO eine 12 Dazu näher von Schreitter/Sura, DB 2022, 2715, 2720 f.
13 In diesem Fall gilt nach dem Wortlaut der Norm bereits die Vermutung nicht.
Schätzung der Vorteilshöhe vornehmen, wobei der abgesenkte Wahr- 14 von Schreitter/Sura, DB 2022, 2715, 2719.
scheinlichkeitsmaßstab der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ gilt 15 von Schreitter/Sura, DB 2023, 1268, 1273 unter Verweis auf BT-Drs. 20/6824, 46 f. Danach
geht es um Fälle, „in denen die Erlangung eines Vorteils aufgrund der besonderen Natur
(§ 34 Abs. 4 S. 2 u. 3 GWB). des Verstoßes denklogisch ausgeschlossen ist“.

2692 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Aufsätze | Wirtschaftsrecht
von Schreitter/Sura · Ein Überblick zur 11. GWB-Novelle – Zwischen „Viel Lärm um Nichts?“ und „Paradigmenwechsel“

die Frist noch immer außerordentlich lang und wird die oben be- GWB entnehmen, der einige Regelbeispiele nennt. Danach kann eine
schriebene „Abschöpfungsgefahr“ in der Praxis nicht mindern. Wettbewerbsstörung „insbesondere“ bei einseitiger Angebots- oder
Nachfragemacht, Beschränkungen des Marktzutritts oder gleichförmi-
III. Viel Lärm um Nichts? Abhilfemaßnahmen gem Verhalten von Marktteilnehmern vorliegen (um hier nur drei der
nach Sektoruntersuchungen Regelbeispiele exemplarisch zu nennen). Das Gesetz schlägt damit den
Bogen zu in der Kartellrechtspraxis etablierten Schadenstheorien, die in
Das Herzstück der 11. GWB-Novelle ist der ganz neu eingeführte der Vergangenheit vor allem auf monopolistisch oder oligopolistisch
§ 32f GWB. Das gilt nicht nur mit Blick auf die schiere Länge der geprägten Märkten eine Rolle gespielt haben.
Vorschrift, sondern auch und vor allem hinsichtlich der (medialen) Allerdings stellen diese Beispiele keine „Blaupausen“ für eine manifes-
Aufmerksamkeit, mit der diese „ordnungsrechtliche Generalklausel“16 te Wettbewerbsstörung dar. Vielmehr verdeutlicht das Gesetz, dass
über den gesamten Gesetzgebungsprozess hinweg begleitet wurde. das BKartA in eine qualitative Prüfung eintreten muss, um eine rele-
vante Wettbewerbsstörung zu bejahen. Dabei „soll“ es nach § 32f
1. Zweck der Norm Abs. 5 S. 2 GWB diverse, wiederum nur exemplarisch aufgezählte,
Die Überschrift der Norm – „Maßnahmen nach einer Sektoruntersu- wirtschaftliche Zusammenhänge berücksichtigen, z. B. Anzahl, Größe,
chung“ – klingt zunächst neutral-harmlos, auch da es sich bei Sekto- Finanzkraft und Umsätze der maßgeblichen Unternehmen, die
runtersuchungen17 um ein seit langem bekanntes Instrument des Marktanteilsverhältnisse und den Grad der Unternehmenskonzentra-
BKartA handelt. Dieses kommt zum Einsatz, wenn „Umstände ver- tion oder die Transparenz und Homogenität der Güter auf den be-
muten [lassen], dass der Wettbewerb im Inland möglicherweise ein- troffenen Märkten. Auch sollen der Grad der Dynamik auf diesen
geschränkt oder verfälscht ist“ (§ 32e Abs. 1 GWB).18 Bislang diente Märkten sowie von den Unternehmen dargelegte Effizienzvorteile,
es der Behörde jedoch einzig und allein dazu, bestimmte Branchen in insbesondere Kosteneinsparungen oder Innovationen (bei angemesse-
ganzer Breite näher zu untersuchen und dabei etwaige Wettbewerbs- ner Beteiligung der Verbraucher), berücksichtigt werden. Mit den bei-
probleme zu identifizieren. Unmittelbare (Rechts-)Folgen konnte das den letztgenannten Faktoren unterstreicht das Gesetz Möglichkeit
Amt daraus nicht ableiten, sondern lediglich auf Basis der gewonne- und Notwendigkeit einer Gesamtschau der Marktverhältnisse. Damit
nen Erkenntnisse Verfahren einleiten. Konsequenzen für das Wettbe- wird anerkannt, dass Gewinnvorsprünge durch Innovationskraft ge-
werbsgeschehen hatte dies aber stets nur, wenn es am Ende dieser rade Ausdruck eines funktionierenden (und nicht gestörten) Wettbe-
Verfahren – im Rahmen der entsprechenden Verfahrens- und Beweis- werbs sein können.23
regeln – zum Nachweis eines individuellen kartellrechtlichen Fehlver- Selbst wenn danach insgesamt eine „erhebliche“ Wettbewerbsstörung
haltens durch bestimmte Unternehmen kam. festgestellt wird, so muss diese auch „fortwährend“ sein. Hier kom-
Das ändert sich nun. Vereinfacht zusammengefasst gilt, dass das biniert das Gesetz Rückschau und Prognose. Zum einen nämlich
BKartA immer dann, wenn es durch eine Sektoruntersuchung die muss die Störung über einen Zeitraum von drei Jahren dauerhaft
Marktverhältnisse in einem bestimmten Wirtschaftsbereich unter- vorgelegen haben oder wiederholt aufgetreten sein. Zum anderen
sucht hat, dort eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wett- dürfen zum Zeitpunkt der vom BKartA auszusprechenden Verfügung
bewerbs“ feststellen kann (§ 32f Abs. 3 GWB). Diese Feststellung er- keine Anhaltspunkte bestehen, dass die Störung innerhalb von zwei
laubt ihm dann die Bestimmung diverser „Abhilfemaßnahmen“,19 die Jahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wieder entfallen wird
einem oder auch mehreren Unternehmen aus der betreffenden Bran- (§ 32f Abs. 5 S. 3 GWB). Zeichnet sich also ab, dass die in der Ver-
che auferlegt werden können. Dieses Konzept war – neben verfas- gangenheit identifizierte Wettbewerbsstörung ohne behördliches Zu-
sungs- und europarechtlichen Bedenken20 – Anlass der bereits ein- tun wahrscheinlich überwunden werden wird, darf das Amt nicht
gangs dieses Beitrags erwähnten massiven Kritik an der Novelle. Vor- einschreiten.24 Die Handhabung dieses Wahrscheinlichkeitsmaßstabs
gebracht wurde insbesondere, dass das neue Eingriffsinstrumentari- wird in der Praxis von großer Bedeutung sein und kann zu einem
um dem BKartA eine kartellrechtsferne Marktregulierung ermögliche. zentralen Punkt in der Verteidigungslinie potenzieller Normadressa-
Die Bundesregierung aber sieht die Norm als notwendig zur Schlie- ten werden.
ßung einer Regelungslücke; es sei nicht effektiv, behördliche Eingriffe Das gilt auch für die neben den Merkmalen „erheblich“ und „fort-
allein auf Fälle nachgewiesener Wettbewerbsbeschränkungen durch während“ dritte tatbestandliche Vorgabe, nämlich die eines Bezugs zu
einzelne Marktteilnehmer zu beschränken.21 Märkten von gewisser (Mindest-)Bedeutung. Die „erhebliche und
fortwährende“ Wettbewerbsstörung muss nämlich auf mindestens
2. Tatbestandliche Voraussetzungen
16 Weck, NZKart 2023, 392, 393.
a) Erhebliche und fortwährende Störung des 17 Hier und im Weiteren bezieht sich dieser Begriff ausschließlich auf kartellrechtliche
Wettbewerbs Sektoruntersuchungen. Die in § 32e Abs. 5 GWB a. F. (nun Abs. 6) vorgesehenen Sektor-
untersuchungen wegen Verstößen gegen verbraucherrechtliche Vorschriften erlauben
Das für § 32f GWB zentrale Tatbestandselement ist der Begriff der auch künftig keine daran anschließenden Eingriffsmaßnahmen durch das BKartA (§ 32f
„erheblichen und fortwährenden Störung des Wettbewerbs“, der im Abs. 1 GWB).
18 Diese Voraussetzung besteht im Wesentlichen unverändert fort.
Vergleich zum RefE durch eine Vielzahl von Konkretisierungen näher 19 Im Weiteren werden alle durch § 32f Abs. 3 S. 6 und Abs. 4 GWB ermöglichten Eingriffe
konturiert wird. als „Abhilfemaßnahmen“ bezeichnet. Hiervon ist die in Abschnitt IV. besprochene „An-
meldeverfügung“ nach § 32f Abs. 2 GWB zu trennen.
„Erheblich“ ist eine Wettbewerbsstörung nach der Begründung des Re- 20 Darauf kann hier nicht näher eingegangen werden, vgl. aber Suchsland/Schröder, NZKart
gE schon dann, wenn sie „mehr als nur geringfügig negative Effekte auf 2023, 300. Gegen solche Bedenken Stratmann, NZKart 2023, 532 ff., Weck, NZKart 2023,
392, 394 ff.
den Wettbewerb“ hat.22 Das bedingt eine im Ansatz niedrige Eingriffs- 21 Bartsch/Käseberg/Weber, WuW 2023, 245, 246 f.
22 BT-Drs. 20/6824, 31.
schwelle für das BKartA. Dass es sich gleichwohl um Beeinträchtigun- 23 Dazu Bartsch/Käseberg/Weber, WuW 2023, 245 f.
gen von gewisser Qualität handeln muss, lässt sich § 32f Abs. 5 S. 1 24 BT-Drs. 20/6824, 40.

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2693


Wirtschaftsrecht | Aufsätze
von Schreitter/Sura · Ein Überblick zur 11. GWB-Novelle – Zwischen „Viel Lärm um Nichts?“ und „Paradigmenwechsel“

(1) einem mindestens bundesweit abzugrenzenden Markt, (2) mehre- Mit § 32f Abs. 3 S. 3 GWB wurde schon im RegE bezweckt, Unter-
ren einzelnen Märkten oder (3) marktübergreifend festgestellt werden nehmen aus dem Adressatenkreis auszuklammern, die „offensichtlich
(§ 32f Abs. 3 S. 1 GWB). Damit wird bezweckt, dass das BKartA Ab- keinen oder nur einen ganz entfernten oder geringfügigen Beitrag zu
hilfemaßnahmen nur auf Wettbewerbsgeschehen anwendet, das mit der Wettbewerbsstörung geleistet haben“.29 Die durch den Wirt-
Blick auf seine nationale Bedeutung von gewisser Erheblichkeit ist. schaftsausschuss eingefügte Ergänzung beschränkt den Adressaten-
kreis jedoch noch weiter und knüpft darin an das gesetzgeberische
b) Keine anderen Eingriffsmaßnahmen ausreichend Bestreben an, Abhilfemaßnahmen auf die für die Wettbewerbsstörung
Anders als im RefE vorgesehen, sind auf § 32f GWB gestützte Abhilfe- „Hauptverantwortlichen“ zu fokussieren – und zwar in allen Fällen
maßnahmen subsidiär. Nach § 32f Abs. 3 S. 1 GWB kommt schon die der Normanwendung. So sieht § 32f Abs. 3 S. 5 GWB zwar vor, dass
Feststellung einer Wettbewerbsstörung nur in Betracht, „soweit die das BKartA seine Verfügung zu einem späteren Zeitpunkt auf weitere
Anwendung der sonstigen Befugnisse nach Teil 1 nach den im Zeit- Unternehmen ausdehnen kann. Auch dies aber gilt, wie eine weitere
punkt der Entscheidung beim Bundeskartellamt vorliegenden Er- Ergänzung durch den Wirtschaftsausschuss nun explizit klarstellt, nur
kenntnissen voraussichtlich nicht ausreichend erscheint, um die Stö- in Bezug auf „Unternehmen im Sinne der Sätze 2 und 3“. Auch bei
rung des Wettbewerbs wirksam und dauerhaft zu beseitigen“. „Teil 1“ einem abgeschichteten Vorgehen, bei dem sich das BKartA zunächst
bezeichnet dabei alle in den §§ 1–47l GWB genannten Vorschriften auf die marktwichtigsten und/oder verhaltensseitig besonders bedeut-
und knüpft insoweit insbesondere an den „klassischen“ Instrumen- samen Akteure beschränkt, kann es Verfügungen also durchgängig
tenkasten des BKartA in Gestalt von (einstweiligen) Verfahren nach nur an solche Unternehmen richten, „die durch ihr Verhalten und ih-
§§ 32 ff. GWB i. V. m. §§ 1, 19 und 20 GWB und die Fusionskontroll- re Bedeutung für die Marktstruktur zur Störung des Wettbewerbs we-
vorschriften der §§ 35 ff. GWB an, beinhaltet aber auch die noch jun- sentlich beitragen“. Die Normanwendung wird somit von objektiven
ge spezielle Missbrauchsvorschrift des § 19a GWB. Zuordnungskriterien abhängig gemacht, die verhindern sollen, dass
Die Formulierung „um die Störung des Wettbewerbs wirksam und ihrem Verhaltensbeitrag oder ihrer Marktstellung nach unbedeutende
dauerhaft zu beseitigen“ hat dabei erst durch die Beschlussempfeh- Unternehmen für die Beseitigung einer Wettbewerbsstörung in die
lung des Wirtschaftsausschusses ihren Weg ins Gesetz gefunden.25 Zu- Pflicht genommen werden.
vor war hier davon die Rede, dass die alternativen Möglichkeiten des
BKartA nicht ausreichen, um der Wettbewerbsstörung „angemessen 3. Rechtsfolgen
entgegenzuwirken“. Hierdurch wurde die Subsidiarität von § 32f Wie die obigen Ausführungen zeigen, liegt den Abhilfemaßnahmen
GWB bewusst aufgeweicht. Der Wirtschaftsausschuss erläutert hierzu, ein zweistufiges Regelungskonzept zu Grunde: Das BKartA muss zu-
dass es sich um die „zentrale Änderung des Prüfungsmaßstabs“ han- nächst eine erhebliche und fortwährende Wettbewerbsstörung kon-
dele, und zwar in dem der „Zielzustand, der mit der Anwendung der kret gegenüber einzelnen möglichen Adressaten feststellen. Erst auf
sonstigen Befugnisse mindestens erreicht werden muss“, angepasst dieser Basis kann es, in einem zweiten Schritt, auch tatsächlich „alle
wird.26 Dieser Standard, an dessen Erreichung sich alternative Ein- Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art“ ver-
griffe des BKartA messen lassen müssen, ist nun strenger formuliert, hängen (§ 32f Abs. 3 S. 6 GWB).
sodass im Ergebnis der Rekurs auf Abhilfemaßnahmen – zumindest
im Vergleich zu früheren Entwurfsfassungen des Gesetzes – erleichtert a) Regelbeispiele für Abhilfemaßnahmen
wird.27 In der Praxis wird allerdings zu klären sein, wie sich dieser auf § 32f Abs. 3 S. 7 GWB konkretisiert die in Betracht kommenden Ab-
der Zielgeraden des Gesetzgebungsprozesses erdachte „Zielzustand“ hilfemaßnahmen und greift hierfür erneut auf Regelbeispiele zurück,
einer wirksamen und dauerhaften „Beseitigung“ mit der unverändert z. B. die Gewährung des Zugangs zu Daten oder Schnittstellen, Vor-
gebliebenen Formulierung in § 32f Abs. 3 S. 6 und Abs. 4 S. 1 GWB gaben zu den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den
verträgt, wonach das Amt im weiteren alle Maßnahmen verhängen untersuchten Märkten und auf verschiedenen Marktstufen, das Ver-
kann, die auch nur zur bloßen „Verringerung“ bzw. (im Fall der Ent- bot der einseitigen Offenlegung von Informationen, die ein Parallel-
flechtungsanordnung) der „erheblichen Verringerung“ der Wettbe- verhalten von Unternehmen begünstigen oder die buchhalterische
werbsstörung erforderlich sind.28 oder organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäfts-
bereichen.30 Angesichts der nicht-abschließenden Aufzählung in § 32f
c) Begrenzung des Adressatenkreises Abs. 3 S. 7 GWB können Abhilfemaßnahmen überaus vielgestaltig
Angesichts des danach wohl eher formalen Vorrangs der sonstigen sein und insbesondere über die dort explizit genannten Eingriffe hin-
Eingriffsmöglichkeiten des BKartA dürfte der gesetzlich vorgeschrie- ausgehen. So ist beispielsweise nicht ausgeschlossen, dass das BKartA
benen Beschränkung des Adressatenkreises eine größere Lenkungs- einem hinreichend „wettbewerbsstörenden“ Unternehmen gewisse
wirkung bei der Anwendung von Abhilfemaßnahmen zukommen. Belieferungspflichten auferlegt, obwohl diese im RefE noch enthaltene
Denn nach § 32f Abs. 3 S. 3 GWB können Verfügungen nach § 32f
GWB nur gegenüber solchen Unternehmen ergehen, „die durch ihr
25 BT-Drs. 20/7625, 7.
Verhalten und ihre Bedeutung für die Marktstruktur zur Störung des 26 Vgl. BT-Drs. 20/7625, 27.
Wettbewerbs wesentlich beitragen“. Diese Restriktion wurde durch 27 In diesem Sinne auch der Wirtschaftsausschuss in BT-Drs. 20/7625, 27: „Deshalb werden
Maßnahmen nach Satz 6 oder Absatz 4 nur dann nicht möglich sein, wenn die Anwen-
den Wirtschaftsausschuss noch einmal nachgeschärft, indem das zu- dung des bisherigen Kartellrechts für eine wirksame und dauerhafte Beseitigung der Stö-
sätzliche Kriterium der Marktstrukturbedeutung ergänzt wurde. Dem rung des Wettbewerbs ausreicht.“
28 Es sei hier ergänzt, dass wohl auch nach der früheren Entwurfsfassung keine besonders
schon im RegE vorgesehenen subjektiven Element eines eigenen Ver- strenge Subsidiarität geherrscht hätte. Dazu näher von Schreitter/Sura, DB 2023, 1268,
1270.
haltensbeitrags wird nun also kumulativ ein verhaltensunabhängiges 29 BT-Drs. 20/6824, 32.
objektives Merkmal zur Seite gestellt. 30 Näher dazu von Schreitter/Sura, DB 2023, 1268, 1270 f.

2694 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Aufsätze | Wirtschaftsrecht
von Schreitter/Sura · Ein Überblick zur 11. GWB-Novelle – Zwischen „Viel Lärm um Nichts?“ und „Paradigmenwechsel“

Maßnahme aus der Liste der Regelbeispiele entfernt wurde.31 Die Pflicht genommen, sodass das betroffene Unternehmen im Falle der
Maßnahmen müssen jedoch stets verhältnismäßig sein. Als Faustregel Veräußerungspflicht mindestens 75 % des Unternehmenswertes er-
gilt insoweit: je geringer die vom BKartA festgestellte „Störung des hält.35
Wettbewerbs“, desto weniger einschneidend bzw. „schwächer“ muss Schließlich ist, fünftens, noch eine weitere Einschränkung zu beach-
die von der Behörde gewählte Abhilfemaßnahme ausfallen.32 ten. Denn aus § 32f Abs. 4 S. 10 GWB ergibt sich je nach Lage des
Einzelfalls ein Ausschluss der Entflechtungsanordnung aufgrund des
b) Die Entflechtungsanordnung als umstrittene Zusammenspiels mit der deutschen und europäischen Fusionskon-
ultima ratio trolle. Für Vermögensteile, die das adressierte Unternehmen zuvor
Schon der RefE sah, als ultima ratio, eine Abhilfemaßnahme vor, die erst erworben und für die es bestandskräftig „grünes Licht“ erhalten
aufgrund ihrer besonderen Eingriffsintensität von zusätzlichen An- hatte (entweder durch fusionskontrollrechtliche Freigabeentschei-
wendungsvoraussetzungen abhängig war: die sog. Entflechtungsan- dungen oder durch eine Ministererlaubnis nach § 42 GWB), kann
ordnung (§ 32f Abs. 4 GWB). Damit wird dem Adressaten die Pflicht die Entflechtung erst nach Ablauf eines ganz erheblichen Zeitraums
zur Veräußerung von Unternehmensteilen oder Vermögen auferlegt, angeordnet werden. Konkret müssen zwischen der Zustellung der
sodass es zu einem Eingriff in die für die Wirtschaftsordnung zentrale Fusionsgenehmigung und der Zustellung der Entflechtungsanord-
und verfassungsrechtlich garantierte Eigentumsfreiheit kommt. Die nung mindestens zehn Jahre vergangen sein. Damit ist – aus Ver-
daran früh entzündete Kritik hat im Verlauf des Gesetzgebungspro- trauensschutzgründen – eine Frist bestimmt, deren Ende weit jen-
zesses zu immer restriktiveren Anwendungsvoraussetzungen für die seits des in der Fusionskontrolle üblichen Prognosezeitraums von
Entflechtungsanordnung geführt. Diese sind vom BKartA zusätzlich drei bis fünf Jahren liegt. In der sehr langen Frist drückt sich das
zu den o. g. Tatbestandsvoraussetzungen (Abschnitt III. 2.) zu beach- Bestreben aus, nur dann Raum für Entflechtungsanordnungen zu
ten. lassen, wenn sich die der früheren Fusionskontrollprüfung zugrun-
Erstens darf eine Entflechtungsanordnung nur ergehen, wenn sie die deliegenden Rahmenbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit we-
von der Behörde festgestellte Wettbewerbsstörung mindestens erhe- sentlich geändert haben.36
blich verringert (§ 32f Abs. 4 S. 1 GWB) – bei den anderen Abhilfe-
maßnahmen genügt jegliche Verringerung. Zweitens setzen Entflech- c) Verpflichtungszusagen und Bußgelder
tungsanordnungen voraus, dass andere Abhilfemaßnahmen nicht Mit Ausnahme der Anmeldeverfügung (dazu unten Abschnitt IV.)
möglich, nicht von gleicher Wirksamkeit oder ausnahmsweise mit ei- können Unternehmen, die von möglichen Anordnungen nach § 32f
ner größeren Belastung für das betroffene Unternehmen verbunden GWB betroffen sind, eine Verfahrensbeendigung proaktiv herbeifüh-
sind (§ 32f Abs. 4 S. 2 GWB). Drittens wurde mit dem RegE eine über ren, indem sie sich zur Einhaltung von durch sie selbst angebotenen
Abs. 3 noch hinausgehende Beschränkung des Adressatenkreises im- Verpflichtungszusagen, sog. „Remedies“, verpflichten (§ 32f Abs. 6
plementiert. So darf die Entflechtungsanordnung nur gegenüber sol- GWB i. V. m. § 32b GWB). Die Befolgung dieser Pflichten ist, wie
chen Unternehmen angeordnet werden, die entweder marktbeherr- auch bei den rein behördlich verfügten Abhilfemaßnahmen, bußgeld-
schend sind oder für die bereits eine überragende marktübergreifende bewehrt. Die Unternehmen müssen also den in der behördlichen Ent-
Bedeutung nach § 19a GWB festgestellt worden ist (§ 32f Abs. 4 S. 1 scheidung enthaltenen Verfügungen entsprechen. Kommen sie diesen
GWB). Dies ist eine hohe Zusatzhürde für das BKartA, denn die Ent- Compliance-Pflichten nicht nach, ergeben sich Bußgeldrisiken, die je-
flechtung setzt damit eine gesicherte Kenntnis über die Marktposition denfalls hinsichtlich ihrer theoretischen Obergrenze ebenso ein-
des Adressaten voraus. Im Fall der überragenden marktübergreifen- schneidend sein können wie Kartellgeldbußen. Die Bußgeldobergren-
den Bedeutung kann diese sogar nur aus einem früheren, seinerseits ze liegt nämlich auch hier bei 10 % des weltweiten Konzernumsatzes
mit viel Aufwand betriebenen Verfahren folgen, das mit einer auf fünf des betroffenen Unternehmens (§ 81 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) GWB i. V. m.
Jahre befristeten eigenständigen Entscheidung endet (§ 19a Abs. 1 § 81c Abs. 2 GWB).
GWB).
Viertens hängt die Durchführbarkeit der Entflechtungsanordnung 4. Verfahrensvorgaben und Rechtsbehelfe
(seit dem RefE) von einer vorherigen Wertbestimmung des zu ver- Während naturgemäß noch keine Einzelheiten zu möglichen prakti-
äußernden Unternehmensteils ab. Ein Unternehmen muss danach schen Fallstricken innerhalb nach § 32f GWB zu führender Verfahren
nur dann Vermögensteile veräußern, wenn der Erlös hieraus min- genannt werden können, lassen sich doch einige Verfahrensbesonder-
destens 50 % des Werts beträgt, den ein Wirtschaftsprüfer für den heiten hervorheben, die auf die praktische Nutzbarkeit dieses neuen
Zeitpunkt des der Entflechtungsanordnung vorangegangenen Jahres- Instruments teils sehr großen Einfluss haben werden.
abschlusses festgestellt hat; dieser Wirtschaftsprüfer ist vom BKartA
zu beauftragen, sodass der Bund die Kosten für das zu erstellende
31 Vgl. insoweit auch BT-Drs. 20/6824, 32 f.: „Abhilfemaßnahmen i. S. d. Absatzes 3 können
Wertgutachten trägt (§ 32f Abs. 4 S. 8 GWB). Erstellt werden soll sowohl durch Lieferverpflichtungen als auch durch Verpflichtungen zur Etablierung of-
dieses Gutachten „auf der Grundlage allgemein üblicher, etablierter fener, transparenter und nichtdiskriminierender Normen und Standards effektiven Wett-
bewerb fördern.“
und für den Einzelfall geeigneter Bewertungsmethoden.“33 Über- 32 Kühling/Engelbracht/Welsch, WuW 2023, 250, 252.
schreitet der tatsächliche Verkaufserlös zwar die 50 % Schwelle, liegt 33 BT-Drs. 20/7625, 27.
34 Der nur partiellen Kompensation liegt die Annahme zugrunde, „dass künftige Erträge
er aber unterhalb des Wertes, den der bestellte Wirtschaftsprüfer aus der wettbewerbsarmen Stellung des Unternehmens diskontiert in den Unterneh-
festgestellt hat, so erhält das Unternehmen den Differenzbetrag zwi- menswert eingepreist sind“. Aus Sicht der Bundesregierung würde die vollständige Kom-
pensation daher „auch die Erträge aus der Störung des Wettbewerbs dem entflochtenen
schen festgestelltem Wert und tatsächlichem Verkaufserlös zur Hälfte Unternehmen vollumfänglich zufallen“ lassen. Dieses Ergebnis will man vermeiden, vgl.
Bartsch/Käseberg/Weber, WuW 2023, 245, 248.
erstattet34 (§ 32f Abs. 4 S. 9 GWB). Der Staat wird also für durch 35 BT-Drs. 20/6824, 31.
(Notfall-)Zwangsveräußerungen entstehende Wertverluste in die 36 Vgl. Bartsch/Käseberg/Weber, WuW 2023, 245, 248.

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Wirtschaftsrecht | Aufsätze
von Schreitter/Sura · Ein Überblick zur 11. GWB-Novelle – Zwischen „Viel Lärm um Nichts?“ und „Paradigmenwechsel“

a) Struktur der Verfahren c) Weitere Verfahrensbesonderheiten für


Insgesamt muss sich das BKartA in ein mehrstufiges Prozedere bege- Abhilfemaßnahmen
ben. Den Ausgangspunkt bildet dabei die Sektoruntersuchung, die Zudem sind zwei weitere verfahrensrechtliche Regelungen hervorzu-
künftig binnen 18 Monaten nach ihrer Einleitung auch abgeschlossen heben, welche die Komplexität der Verfahren zu Abhilfemaßnahmen
werden soll (§ 32e Abs. 3 GWB). Nach § 32e Abs. 4 S. 1 GWB veröf- weiter erhöhen.
fentlicht das BKartA hierzu dann einen Abschlussbericht. Soweit im So bedarf das BKartA für Eingriffe in regulierte Industrien des Einver-
Anschluss hieran Anmeldeverfügungen nach § 32f Abs. 2 GWB (zu nehmens der Bundesnetzagentur („BNetzA“). Dies betrifft die Bereiche
diesen sogleich in Abschnitt IV.) oder Abhilfemaßnahmen ergehen Eisenbahn, Post und Telekommunikation sowie die nach dem EnWG
sollen, soll dies binnen 18 Monaten nach der Veröffentlichung des regulierten Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze. In diesen Fällen
Abschlussberichts geschehen (§ 32f Abs. 7 GWB). Innerhalb dieser muss die BNetzA zudem eine Stellungnahme zu den vom BKartA erwo-
„Soll“-Frist muss das BKartA dann die jeweiligen Normvoraussetzun- genen Maßnahmen veröffentlichen (§ 32f Abs. 8 S. 1 u. 2 GWB). Die
gen prüfen.37 Im Fall der Abhilfemaßnahmen bedeutet dies: Das Regelung konkretisiert zwar nicht, was eigentlich der Maßstab für die
BKartA muss zunächst die erhebliche und fortwährende Wettbe- Erteilung des Einvernehmens der BNetzA sein soll. Man wird die Vor-
werbsstörung konkret gegenüber einzelnen Unternehmen feststellen. gabe aber jedenfalls so verstehen dürfen, dass Abhilfemaßnahmen des
Erst auf dieser Basis kann es diesen gegenüber dann auch tatsächliche BKartA die regulierungsrechtlichen Vorgaben nicht abändern oder
Abhilfemaßnahmen verhängen. konterkarieren, sondern nur zielentsprechend ergänzen dürfen.42
Ergänzt sei an dieser Stelle, dass Anmeldeverfügungen dem Grunde Außerdem muss das BKartA nach Einleitung eines Verfahrens zu Abhil-
nach auch an bereits in der Vergangenheit abgeschlossene Sektorun- femaßnahmen zwingend eine öffentliche mündliche Verhandlung
tersuchungen anknüpfen können. Nach § 187 Abs. 11 S. 1 GWB kann durchführen. Hierauf kann nur mit Einverständnis der Beteiligten ver-
das BKartA eine Anmeldeverfügung auch auf Grundlage einer Sektor- zichtet werden (§ 56 Abs. 7 S. 3 und 5 GWB). Diese Systematik ist an
untersuchung erlassen, die zwar am Tag des Inkrafttretens der Novelle das bisherige Verfahren der Ministererlaubnis nach § 42 GWB ange-
(also am 7.11.2023) bereits abgeschlossen war, bei der die Veröffentli- lehnt, im Zuge dessen das BMWK ebenfalls eine öffentliche mündliche
chung des Abschlussberichts nach § 32e Abs. 4 GWB zu diesem Zeit- Verhandlung durchführen muss, bevor es eine solche Erlaubnis er-
punkt aber erst weniger als ein Jahr zurücklag. Das trifft auf die be- teilt.43 Das schafft eine besondere Publizität, zumal in dieser Verhand-
reits abgeschlossene Sektoruntersuchung zur Online-Werbung zu lung auch die Monopolkommission, also das die Bundesregierung zu
(Abschlussbericht aus Mai 2023). Außerdem könnte an die zur Zeit Wettbewerbsfragen beratende Gremium, das Recht hat, gehört zu wer-
noch laufenden Sektoruntersuchungen „Raffinerien und Kraftstoff- den (§ 56 Abs. 7 S. 6 GWB). Mit alledem wird sowohl der Bedeutsam-
großhandel„, „Haushaltsabfälle“ und „Ladeinfrastruktur für Elektro- keit der dem BKartA ermöglichten Markteingriffe als auch dem Stellen-
fahrzeuge“ angeknüpft werden. Die Verfügung soll dann binnen wert des Wettbewerbs für die marktwirtschaftliche Ordnung und dem
18 Monaten ab dem Tag des Inkrafttretens der GWB-Novelle ergehen damit verbundenen öffentlichen Interesse Rechnung getragen.44
(§ 187 Abs. 11 S. 2 GWB). Für Abhilfemaßnahmen fehlt eine solche
intertemporale Regelung allerdings,38 sodass davon auszugehen ist, IV. Facelift für einen alten Bekannten – Reform
dass diese Eingriffe nur auf nach Inkrafttreten der 11. GWB-Novelle der Anmeldeverfügung
eingeleitete Sektoruntersuchungen gestützt werden dürfen.
In tatbestandlicher Hinsicht unabhängig von den bisher genannten
b) Rechtsbehelfe und aufschiebende Wirkung bei Abhilfemaßnahmen steht die Anmeldeverfügung nach § 32f Abs. 2
Abhilfemaßnahmen GWB. Danach kann das BKartA Unternehmen im Anschluss an eine
Der Ansatz, vom BKartA zunächst eine gesonderte Prüfung des Vor- Sektoruntersuchung dazu verpflichten, auch ungeachtet der sonst gel-
liegens einer Wettbewerbsstörung und einer hiervon abgeleiteten tenden fusionskontrollrechtlichen Anmeldeschwellen ihre M&A-Akti-
Adressatenstellung zu verlangen, bezweckt, betroffenen Unternehmen vitäten zur Freigabe beim BKartA anzumelden, sofern diese mindes-
eine von der Verhängung konkreter Abhilfemaßnahmen unabhängige tens einen der in § 37 GWB genannten Zusammenschlusstatbestände
gerichtliche Überprüfung der Frage zu ermöglichen, ob überhaupt verwirklichen. Hierfür sind dann alle auch sonst geltenden Fusions-
eine Wettbewerbsstörung vorliegt.39 Beschwerden nach § 73 Abs. 1 kontrollvorschriften, insbesondere die in § 39 GWB genannten, zu
S. 1 GWB haben insoweit allerdings keine aufschiebende Wirkung, beachten (§ 32f Abs. 2 S. 1 u. 4 GWB).45
um das Verfahren nicht zum Erliegen zu bringen.40 Damit wird der Regelungsansatz des bisherigen § 39a GWB – der mit
Für Rechtsbehelfe gegen die Anordnung von Abhilfemaßnahmen ist der 11. GWB-Novelle gestrichen wird – in die Systematik des neuen
eine solche aufschiebende Wirkung dagegen sehr wohl vorgesehen. § 32f GWB überführt. Wie auch bisher hat der Erlass einer Anmelde-
Das wird durch § 66 Abs. 1 Nr. 1 GWB bestimmt. Anders als noch im
37 Zur Kritik an diesem recht engen Zeitrahmen Kühling/Engelbracht/Welsch, WuW 2023,
RegE vorgesehen gilt dieser Suspensiveffekt aber nicht mehr allein für 250, 252. Es sind jedoch keinerlei Rechtsfolgen für den Fall vorgesehen, dass das BKartA
das (besonders) scharfe Schwert der Entflechtungsanordnung, son- diese Soll-Vorgabe missachtet, von Schreitter/Sura, DB 2022, 2715, 2716.
38 Gaßner, jurisPR-Compl 3/2023, Anm. 5.
dern für alle Abhilfemaßnahmen. Damit wurde noch auf der Zielge- 39 Vgl. auch BT-Drs. 20/6824, 32.
raden des Gesetzgebungsprozesses eine erhebliche verfahrensrechtli- 40 Dazu Bartsch/Käseberg/Weber, WuW 2023, 245, 247; Rohner, WuW 2023, 386, 387.
41 BT-Drs. 20/7625, 28.
che Absicherung der künftigen Normadressaten erreicht. Dies wurde 42 Vgl. Mundt, WuW 2023, 521, 522.
vom Wirtschaftsausschuss angesichts „des gestaltenden Charakters 43 § 56 Abs. 7 S. 3 GWB a. F., nunmehr § 56 Abs. 7 S. 4 GWB.
44 Vgl. BT-Drs. 20/6824, 49.
und der möglichen Tiefe der Eingriffe, welche die Adressaten in Ein- 45 Eine Ausnahme bildet nach § 32f Abs. 2 S. 3 lediglich die Bagatellmarktklausel des § 36
zelfällen zu irreversiblen Eingriffen in ihr Geschäftsmodell zwingen Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB. Das ist sinnvoll, da die Anmeldeverfügung gerade auf die Kon-
trolle etablierter (und durch Zusammenschlüsse ggf. verfestigter) kleinerer lokaler und
können“, als sachgerecht erachtet.41 regionaler Märkte abzielt.

2696 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Aufsätze | Wirtschaftsrecht
von Schreitter/Sura · Ein Überblick zur 11. GWB-Novelle – Zwischen „Viel Lärm um Nichts?“ und „Paradigmenwechsel“

verfügung dabei drei Voraussetzungen: Sie muss sich erstens auf Zu- genheit, die angesichts der Natur des DMA einen eher überschaubaren
sammenschlüsse in mindestens einem Wirtschaftszweig beziehen, der Kreis von Unternehmen betreffen wird. Im Übrigen werden ihre Aus-
im Abschlussbericht einer Sektoruntersuchung genannt ist. Zweitens wirkungen davon abhängen, inwieweit die EU Kommission den natio-
müssen objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass nalen Behörden tatsächlich Raum für die integrierte Ermittlung zu den
durch künftige Zusammenschlüsse der wirksame Wettbewerb im In- DMA-Regelungen lässt und – im Private Enforcement – davon, wie
land in eben diesem bzw. diesen Wirtschaftszweig(en) erheblich be- konfrontativ private Kläger agieren und wie die Gerichte mit diesen
hindert werden könnte. Schließlich müssen drittens bestimmte Um- (hinsichtlich der betroffenen Märkte und Geschäftspraktiken vermut-
satzschwellen gewahrt sein. lich äußerst komplexen) Rechtsstreitigkeiten umgehen werden.
Konkret können Anmeldeverfügungen nur für solche Zusammen- b) Das Kernstück der Reform, die Maßnahmen nach § 32f GWB, hat
schlüsse eine Anmeldepflicht auslösen, bei denen der (von der Verfü- dem Wortlaut nach zwar durchaus „Klauen und Zähne“ – diese wur-
gung adressierte) Erwerber einen inländischen Umsatz von mindes- den im Gesetzgebungsprozess jedoch gehörig geschliffen.53
tens 50 Mio. Euro und das Zielunternehmen der Transaktion einen aa) Während die schon bisher bekannte Anmeldeverfügung in § 32f
inländischen Umsatz von mehr als 1 Mio. Euro aufweisen (§ 32f Abs. 2 GWB nun einen größeren Anwendungsbereich und damit ten-
Abs. 2 S. 2 GWB). Auf Initiative des Wirtschaftsausschusses wurde denziell auch größere praktische Bedeutung erhält, werden bei den
die letztgenannte Schwelle im Vergleich zum RegE verdoppelt, „um Abhilfemaßnahmen nach § 32f Abs. 3 und 4 GWB (ursprünglicher)
die Balance zwischen dem Schutz des Wettbewerbs und dem bei den Anspruch und (heutige) Wirklichkeit wahrscheinlich stark kollidie-
betroffenen Unternehmen sowie dem Bundeskartellamt entstehenden ren. Vor allem bei der Entflechtungsanordnung nach § 32f Abs. 4
Aufwand zu wahren“.46 GWB sind die Voraussetzungen so streng gefasst, dass sie in der Praxis
Insgesamt werden die Umsatzschwellen im Vergleich zum alten § 39a kaum je zum Einsatz kommen dürfte.
GWB jedoch abgesenkt und der Anwendungsbereich der Vorschrift da- bb) Doch auch für die sonstigen Abhilfemaßnahmen dürfte eher
durch erweitert: So sinkt die Umsatzschwelle für den Erwerber auf ein nicht mit übermäßiger „Einsatzfreude“ des BKartA zu rechnen sein.
Zehntel des bisherigen Werts;47 für das Zielunternehmen halbiert sie Die materiellen Anforderungen sind zwar erheblich niedriger als bei
sich. Außerdem entfällt der nach § 39a Abs. 1 Nr. 3 GWB nötige Min- der Entflechtung. Sie sind allerdings immer noch sehr streng. Vor al-
destanteil des Erwerbers von 15 % am betroffenen Wirtschaftszweig. lem aber wird die vermeintlich harmlose Anordnung der aufschie-
Die Anmeldeverfügung muss (wie schon früher in § 39a Abs. 4 S. 1 benden Wirkung von Rechtsbehelfen einen erheblichen Effekt auf
GWB) auf einen Zeitraum von drei Jahren ab ihrer Zustellung befristet die Rechtsdurchsetzung haben. Denn im Ergebnis muss die Behörde
sein. Sofern die o. g. Voraussetzungen auch nach Ablauf dieses Zeit- damit rechnen, dass sie zwar für die vorgeschalteten Verfahren und
raums noch vorliegen, kann sie für drei Jahre verlängert werden. Anders die diesen zwingend vorangehende Sektoruntersuchung zunächst ei-
als noch im RegE vorgesehen sind wiederholte Verlängerungen aber nen ganz erheblichen zeitlichen und personellen Aufwand betreiben
nur noch bis zu dreimal zulässig. Für den hierüber hinausgehenden muss, dabei aber sogar mit Blick auf ein und dieselbe Wettbewerbs-
Zeitraum muss das BKartA somit auf andere Maßnahmen ausweichen, störung mehrere Rechtsstreitigkeiten sowohl um die Adressatenstel-
um fortbestehende Wettbewerbsprobleme zu bekämpfen (insbeson- lungen als auch um die Abhilfemaßnahmen riskiert. Letztere führen
dere die Abhilfemaßnahmen nach § 32f Abs. 3 und 4 GWB).48 dazu, dass die konkreten Maßnahmen – d. h. das eigentliche Endziel
des gesamten behördlichen Aufwands – über die komplette Verfah-
V. Ausblick rensdauer der Rechtsmittelinstanz(en) praktisch wirkungslos werden.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass mangels einer den Instanzen-
Wagt man auf Basis dieser Zusammenhänge einen Ausblick, so ergibt zug begrenzenden Regelung (wie sie nach § 73 Abs. 5 GWB für auf
sich folgendes Bild: § 19a GWB gestützte Verfügungen gilt) ein gegen die Abhilfemaß-
1. Aus Sicht des federführenden BMWK dürfte das Gesetz ein Erfolg nahmen eingelegter Rechtsbehelf in eine zweistufige Rechtsmittelprü-
sein. Auch wenn die erstmals im Juni 2022 angekündigte Reform fung durch OLG und BGH führen kann. Angesichts der danach –
deutlich länger auf sich warten ließ als ursprünglich avisiert – zwi- gerade im uncharted territory des neuen § 32f GWB – zu erwarten-
schen der 10. und der 11. GWB-Novelle haben nun doch fast drei den Verfahrensdauer werden daher alle etwaigen Abhilfemaßnahmen
Jahre gelegen –, wurde das Grundgerüst des Vorhabens erhalten und des BKartA voraussichtlich lange Zeit auf Eis liegen.54
gegen massiven Widerstand von vielen Seiten verteidigt.
2. Ob das Gesetz aber der auf allen Seiten recht forschen Rhetorik49 ge-
46 BT-Drs. 20/7625, 27.
recht wird, muss bezweifelt werden. Das Wort vom „Paradigmenwech- 47 Freilich mit dem Unterschied, dass im alten § 39a Abs. 1 Nr. 1 GWB weltweite Umsatzer-
löse in Bezug genommen wurden, während die neue Schwelle von 50 Mio. Euro auf In-
sel“ war und ist zu groß.50 Die grundlegenden Rahmenbedingungen des landsumsätze bezogen ist.
deutschen Kartellrechts bleiben gleich – und insbesondere dem Schutz 48 Zu weiteren Einzelheiten der Anmeldeverfügung s. von Schreitter/Sura, DB 2022, 2715,
2717 f.
des Wettbewerbs verhaftet. Ebenso überspitzt scheinen jedoch die von 49 Zum durchaus kritikwürdigen (politischen) Kommunikationsprozess und -stil rund um
der Regierung gewählten Formulierungen wie z. B. das fast schon sprich- die Novelle vgl. Lübbig, WuW 2023, 193, 194 f., 196; Wagner-von Papp, WuW 2023, 301.
50 In diesem Sinne schon Mundt, NZKart 2023, 1, 2 f.; kürzlich Stratmann, NZKart 2023, 532,
wörtliche „Kartellrecht mit Klauen und Zähnen“51 oder die „größte Re- 537.
form des Wettbewerbsrechts seit Ludwig Erhard“.52 51 Vgl. von Schreitter/Sura, DB 2022, 2715, 2722.
52 BMWK, PM v. 5.4.2023, Bundeskabinett beschließt Verschärfung des Gesetzes gegen
3. Also viel Lärm um Nichts? Auch das wäre zu plakativ. Die 11. GWB- Wettbewerbsbeschränkungen, unter https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemittei
Novelle sollte aber anhand ihrer realistischerweise zu erwartenden Wir- lungen/2023/04/20230405-bundeskabinett-beschliesst-verschaerfung-des-gesetzes-gegen-
wettbewerbsbeschraenkungen.html (Abruf: 6.11.2023).
kungen auf die Rechtspraxis bewertet werden. Hier ist zu differenzieren. 53 Dabei wurde vieles an der sachlichen Kritik insbesondere am Referentenentwurf aufge-
nommen, was insbesondere bei einem Vergleich der finalen Fassung mit den von
a) Die in diesem Beitrag nur kursorisch gestreifte Ermöglichung der Ackermann, ZWeR 2023, 1, gemachten Vorschlägen auffällt.
DMA-Durchsetzung ist zunächst eine rein gesetzestechnische Angele- 54 S. auch Mundt, WuW 2023, 521 f.

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2697


Wirtschaftsrecht | Aufsätze
Degistirici/Ioannidis · Das durch das MoPeG reformierte Beschlussverfahren und Beschlussmängelrecht der Personenhandelsgesellschaften

cc) Aus Behördensicht ist das alles andere als attraktiv. Dementspre- praktischen Risiko finanzieller Einbußen wegen kartellrechtlicher Ver-
chend meldete BKartA-Präsident Andreas Mundt schon unmittelbar stöße konfrontiert. In „klassischen“ Kartellverfahren, z. B. wegen
nach Bekanntwerden des RegE Zweifel an der Praktikabilität des § 32f Preisabsprachen unter Wettbewerbern, will das BKartA jedoch auch
GWB an55 und fasste diese kürzlich nochmals bündig zusammen: künftig weiterhin auf Kartellgeldbußen zurückgreifen und von (er-
„Ein Verfahren mit noch mehr Prüfpunkten, Zwischenschritten, Be- gänzenden) Abschöpfungsmaßnahmen absehen.58
teiligungsrechten und gerichtlicher Überprüfung ist kaum noch vor-
stellbar.“56 Thorsten Käseberg, Leiter des BMWK-Referats für wettbe-
werbspolitische Grundsatzfragen und federführend an der Reform be- Dr. Florian von Schreitter, RA, ist Counsel Knowledge Law-
teiligt, bestätigte dies kürzlich auch unter Verweis auf die verbleiben- yer in der Sozietät Hogan Lovells in Düsseldorf. Sein Tätig-
keitsschwerpunkt liegt im deutschen und europäischen
den „many legal hurdles“.57
Kartellrecht.
dd) Es ist angesichts dessen sowohl aus parlamentarischer als auch aus
behördlicher und aus Unternehmenssicht zu begrüßen, dass das
BMWK „den gesetzgebenden Körperschaften“ zehn Jahre nach Inkraft-
treten des § 32f GWB „über die Erfahrungen mit der Vorschrift“ berich- Dr. Martin Sura, RA, ist Partner der Sozietät Hogan Lovells
ten muss (§ 32f Abs. 9 GWB). in Düsseldorf. Er berät umfassend in allen Bereichen des
c) Dies alles macht die Vorteilsabschöpfung zum „heimlichen Star“ deutschen und europäischen Kartellrechts.
der Reform. Sie wird aller Voraussicht nach greifbare praktische Aus-
wirkungen auf allen Märkten haben. Denn die praktisch so gut wie
gar nicht zu widerlegende Vermutung eines abschöpfbaren wirtschaft-
lichen Vorteils dürfte § 34 GWB die lang ersehnte „Geländegängig-
keit“ verleihen. Namentlich in vom BKartA geführten Missbrauchs-
58 So Mundt im Interview mit der FAZ v. 1.11.2022, „Für die Big Techs kann es teuer wer-
verfahren nach §§ 19 und 20 GWB (möglicherweise auch nach § 19a den“, unter https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Interviews/DE/2022/221101_
FAZ.html (Abruf: 6.11.2023): „In der Kartellverfolgung, also zum Beispiel bei Preisabspra-
GWB) werden Unternehmen dadurch erstmals überhaupt mit dem chen, bleibt es bei den Bußgeldern. Da ist eine zusätzliche Abschöpfung aus meiner
Sicht auch künftig keine sinnvoll Ergänzung. … Es geht in erster Linie um den verbote-
55 Binder, Bundesregierung beschließt umstrittene Kartellrechtsreform, LTO vom 5.4.2023, nen Missbrauch von Marktmacht sowie Verstöße gegen das Kartellverbot unterhalb von
unter https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bundesregierung-habeck-buschmann-gwb- Hardcore-Verstößen. In solchen Fällen führen wir Verwaltungsverfahren und verhängen
novelle-bundeskartellamt-sektoruntersuchung-wettbewerbsstoerung/ (Abruf: 6.11.2023). keine Bußgelder.“ Kritisch zu dieser – rechtlich nicht zwingenden – Beschränkung aber
56 Mundt, WuW 2023, 521, 522. Rohner, WuW 2023, 386, 388. Allerdings schließen sich an Bußgeldentscheidungen
57 Masson, „New market inquiry powers will be used sparingly, German official says“, GCR, wegen Hardcore-Verstößen regelmäßig private Kartellschadensersatzklagen an. Da
28.9.2023, unter https://globalcompetitionreview.com/article/new-market-inquiry-pow Schadensersatzleistungen nach § 34 Abs. 2 S. 2 GWB (wie schon bisher) nachträglich mit
ers-will-be-used-sparingly-german-official-says?utm_source=Novel%2BEU%2Bcartel%2B der behördlichen Vorteilsabschöpfung zu verrechnen sind, sind aber auch aus Sicht des
decision%2Bincoming%252C%2BJaspers%2Bsays&utm_medium=email&utm_campaign= Gesetzgebers Abschöpfungsverfahren „mit Blick auf die Effektivität der Verwaltung im
GCR%2BAlerts (Abruf: 6.11.2023). Regelfall nicht geboten“ (BT-Drs. 20/6824, 39).

Can Degistirici und Nikos Ioannidis*

Das durch das MoPeG reformierte Beschluss-


verfahren und Beschlussmängelrecht der
Personenhandelsgesellschaften
Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts I. Einleitung
(MoPeG), welches am 1.1.2024 in Kraft treten wird, wurden das Bislang ist die Unwirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen in Perso-
Beschlussverfahren der Personenhandelsgesellschaften und der Rechts- nenhandelsgesellschaften mangels spezialgesetzlicher Regelungen und
schutz gegen fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse umfassend refor- vorbehaltlich anderweitiger gesellschaftsvertraglicher Festsetzungen
miert. Die neue Rechtslage hat Rechtsfragen hinsichtlich der Einberufung im Wege einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geltend zu
von Gesellschafterversammlungen, der Feststellung von Gesellschafter- machen (sog. Feststellungsmodell).1 In der Folge sind rechtsfehler-
beschlüssen sowie der Durchführung von Beschlussmängelklagen auf-
geworfen. Der folgende Beitrag setzt sich vertieft mit den aufgeworfenen * Die Verfasser danken Frau Jun.-Prof. Dr. Lisa Guntermann und Herrn Prof. Dr. Ulrich Noack
für ihre wertvollen Hinweise.
Fragestellungen auseinander und stellt dar, auf welche Änderungen sich 1 RG, 5.11.1928 – IV 16/28, RGZ 122, 266, 269; BGH, 20.12,1989 – VIII ZR 139/89, NJW-RR
die Gesellschafter einer Personengesellschaft zukünftig einzustellen ha- 1990, 474, 475, BB 1990, 873; BGH, 21.10.1991 – II ZR 211/90, BB 1992, 595; Schäfer, in:
MüKo-BGB, 8. Aufl. 2020, § 709, Rn. 118; Enzinger, in: MüKo-HGB, 5. Aufl. 2022, § 119,
ben. Rn. 101.

2698 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


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Degistirici/Ioannidis · Das durch das MoPeG reformierte Beschlussverfahren und Beschlussmängelrecht der Personenhandelsgesellschaften

hafte Beschlüsse der Gesellschafterversammlung regelmäßig nichtig, Inwiefern ein solches Selbsthilferecht vor dem Hintergrund der
sodass der Streit über die Wirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses partiellen Abweichung des nun verabschiedeten Gesetzes von dem
zu einer gewissen Rechtsunsicherheit führt.2 Dies hat sich aus Sicht Regierungsentwurf Bestand haben soll, ist zweifelhaft. Dogmatisch
des Gesetzgebers „als wenig praxistauglich“3 erwiesen. Durch das Ge- begründen ließe sich das Einberufungsrecht eines nicht geschäftsfüh-
setz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG)4 rungsbefugten Gesellschafters durch eine analoge Anwendung von
wird daher ein am Aktienrecht orientiertes Beschlussmängelrecht ein- § 50 Abs. 3 GmbHG.12
geführt, welches weitgehende Veränderungen im Vergleich zur bishe- Gegen die erforderliche Regelungslücke könnte allerdings sprechen,
rigen Rechtslage mit sich bringt.5 dass der Gesetzgeber sich mit § 715a S. 1 BGB-MoPeG, der auch auf
die OHG und KG Anwendung findet (vgl. §§ 105 Abs. 2, 161 Abs. 2
II. Zustandekommen eines Gesellschafter- HGB-MoPeG), für ein ausdrücklich geregeltes Notgeschäftsführungs-
beschlusses recht nicht geschäftsführungsbefugter Gesellschafter entschieden hat.
Die Geschäftsführungsbefugnis des Notgeschäftsführers umfasst auch
§ 109 HGB-MoPeG6 regelt, ergänzt durch § 112 Abs. 2 HGB-MoPeG, das Recht zur Einberufung der Gesellschafterversammlung nach
die Beschlussfassung der Personenhandelsgesellschaften. Anders als § 109 Abs. 2 HGB-MoPeG. Zu beachten sind allerdings die bewusst
§ 709 BGB-MoPeG erschöpft sich die Vorschrift nicht in der bloßen restriktiv gehaltenen Grenzen des § 715a S. 1 BGB-MoPeG.13 Erfor-
Zulassung von Mehrheitsbeschlüssen. Dadurch sollen Unsicherheiten derlich ist hiernach unter anderem, dass mit dem Aufschub der Ge-
über das Zustandekommen und das Ergebnis des Beschlusses vermie- schäftsführung durch Verhinderung der Geschäftsführer Gefahr für
den werden.7 die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen verbunden ist. Das
ist der Fall, wenn der Gesellschaft ohne sofortiges und alleiniges Han-
1. Beschlussfassung in Versammlungen deln ein Schaden droht.14 Hieraus ergibt sich, dass die Notgeschäfts-
Gemäß § 109 Abs. 1 HGB-MoPeG sind Beschlüsse der Gesellschafter führung das Wohl der Gesellschaft schützen und nicht den nicht ge-
in Versammlungen zu fassen. Die Versammlung definiert der Gesetz- schäftsführungsbefugten Gesellschafter bei der Durchsetzung seiner
geber in der Gesetzesbegründung als das Zusammenkommen mehre- Interessen unterstützen möchte. Zudem fehlen die tatbestandlichen
rer Personen zu einem bestimmten Zweck, aber nicht notwendiger- Voraussetzungen des § 715a S. 1 BGB-MoPeG gerade in solchen Kon-
weise an einem bestimmten Ort.8 Somit können Gesellschafter von stellationen, in denen die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter
Personenhandelsgesellschaften ihre Beschlüsse auch im Rahmen von nicht verhindert sind, sondern sich bewusst gegen die Einberufung ei-
virtuellen Gesellschafterversammlungen fassen. Mit diesem Verständ- ner Gesellschafterversammlung entscheiden.15 In einem solchen Fall
nis schafft der MoPeG-Gesetzgeber für die Personenhandelsgesell- verblieben den nicht geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern keine
schaften einen zu begrüßenden Gleichlauf zu den virtuellen Gesell- Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer berechtigten Interessen in der
schafterversammlungen der AG und GmbH (vgl. § 48 Abs. 1 S. 2 Gesellschafterversammlung. Aus diesem Grund steht § 715a S. 1 BGB
GmbHG, § 118a AktG). einer Regelungslücke zum Schutz nicht geschäftsführungsbefugter
Gesellschafter nicht entgegen.
2. Einberufung der Gesellschafterversammlung Auch die erforderliche Vergleichbarkeit der Interessenlage ist zu beja-
Die Modalitäten der Einberufung der Gesellschafterversammlung hen. Die Gesellschafterstellung bei Personengesellschaften ist hin-
werden durch § 109 Abs. 2 HGB-MoPeG geregelt. Nach § 109 sichtlich der Verantwortlichkeiten und Treuepflichten enger mit der
Abs. 2 S. 2 HGB-MoPeG sind die nicht einberufenden Gesellschafter Gesellschaft verbunden als bei Kapitalgesellschaften, bei denen die
unter Ankündigung des Versammlungszwecks und unter Einhal- Kapitalbeteiligung im Vordergrund steht.16 Wenn den Gesellschaftern
tung einer für die Vorbereitung der Versammlung angemessenen einer Kapitalgesellschaft das Selbsthilferecht zugeschrieben wird, ist
Frist formlos zu laden. Demnach bedarf es der Angabe einer Tages- dieses daher erst recht in der Personengesellschaft anzuerkennen. Zu
ordnung. Der Detaillierungsgrad der Tagesordnung sowie die Frist- berücksichtigen ist zudem, dass die Begründung zum Regierungsent-
dauer hängen im Einzelfall von den Beschlussgegenständen ab und wurf die nicht geschäftsführungsbefugten Gesellschafter als schutz-
variieren.9 Fraglich ist dagegen, wer zur Einberufung der Gesell- würdig anerkennt, wenn deren Einberufungsrecht privatautonom ab-
schafterversammlung berechtigt ist. Während nach dem Regie-
rungsentwurf des MoPeG noch jedem Gesellschafter ein Einberu- 2 OLG Hamm, 4.2.2013 – 8 U 21/12, BeckRS 2014, 14203; Haas, in: Röhricht/von Westpha-
len/Haas, HGB, 5. Aufl. 2019, § 119, Rn. 8; BGH, 21.10.1991 – II ZR 211/90, BB 1992, 595;
fungsrecht zugebilligt wurde,10 steht die Einberufung nach § 109 BGH, 9.4.2013 – II ZR 3/12, BB 2013, 1426 m. BB-Komm. Käppler, NZG 2013, 664, Rn. 10.
Abs. 2 S. 1 HGB-MoPeG nun lediglich den geschäftsführungsbefug- 3 BT-Drs. 19/27635, 3.
4 BGBl. I 2021, 3482.
ten Gesellschaftern zu. 5 BT-Drs. 19/27635, 3.
6 Vorschriften, die ab dem 1.1.2024 durch das MoPeG neu sind und/oder eine neue For-
mulierung erhalten, sind im Folgenden mit dem Zusatz „MoPeG“ gekennzeichnet.
a) Die Einberufungsberechtigung nicht 7 BT-Drs. 19/27635, 226.
geschäftsführungsbefugter Gesellschafter 8 BT-Drs. 19/27635, 226.
9 BT-Drs. 19/27635, 226.
Fraglich ist aber, ob diese Änderung bedeutet, dass die nicht ge- 10 BT-Drs. 19/27635, 52.
schäftsführungsbefugten Gesellschafter in keinem Fall mehr zur Ein- 11 BT-Drs. 19/27635, 226.
12 So auch Grunewald, in: C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5,
berufung berechtigt sein sollen. Für den Fall einer gesellschaftsver- Rn. 30; C. Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1529; vgl. Liebscher, in: MüKo-GmbHG, 4. Aufl. 2023,
traglich festgelegten Beschränkung der Einberufungsbefugnis auf ge- § 50, Rn. 89.
13 BT-Drs. 19/27635, 153.
schäftsführende Gesellschafter sieht die Begründung zum Regierungs- 14 BT-Drs. 19/27635, 153.
15 Grunewald, in: C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5, Rn. 30.
entwurf jedenfalls bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ein Selbst- 16 Plückelmann, in: Münchener Anwaltshandbuch zum Personengesellschaftsrecht, 3. Aufl.
hilferecht der nicht geschäftsführungsbefugten Gesellschafter vor.11 2019, § 8, Rn. 101.

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Degistirici/Ioannidis · Das durch das MoPeG reformierte Beschlussverfahren und Beschlussmängelrecht der Personenhandelsgesellschaften

bedungen wird. Dann muss ihnen ein Noteinberufungsrecht ebenso lung eines bestimmten Beschlussergebnisses voraus, die vorläufig
für den Fall des gesetzlichen Ausschlusses ihres Einberufungsrechts wirksam ist und erst durch Klage für nichtig erklärt wird.25 Soweit
zugebilligt werden, auf welchen die nicht geschäftsführungsbefugten keine Beschlussfeststellung erfolgt, kann lediglich die nicht fristge-
Gesellschafter keinen Einfluss haben. bundene Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO) erhoben werden.26
Wegen der regelmäßig eng verflochtenen Gesellschafterkreise bei Per- Die Beschlussfeststellung ist daher der archimedische Punkt, der zwi-
sonengesellschaften sollte das Einberufungsrecht nicht geschäftsfüh- schen Anfechtungs- und Feststellungsmodell entscheidet.27 Welchen
rungsbefugter Gesellschafter hingegen anders als im Rahmen von Anforderungen die Feststellung des Beschlusses unterliegt, wird von
§ 50 Abs. 3 GmbHG nicht an eine bestimmte quotale Beteiligung des dem MoPeG-Gesetzgeber nicht geregelt. Diesbezüglich gewährt er der
Gesellschafters geknüpft sein. Vielmehr ist erforderlich, dass der je- Rechtsprechung Raum zur Konkretisierung.28
weilige Gesellschafter einen wichtigen Grund zur Einberufung geltend
macht. III. Rechtsschutz gegen den
Gesellschafterbeschluss
b) Zeit und Ort der Versammlung
Das MoPeG regelt weder Ort noch Zeit der Versammlung, sodass §§ 110 ff. HGB-MoPeG regeln das Beschlussmängelrecht der Perso-
diese von dem Einberufenden im Grundsatz frei bestimmbar wären. nenhandelsgesellschaften nach dem Anfechtungsmodell, welches zwi-
Wegen der Schutzwürdigkeit der nicht einberufenden Gesellschafter schen der Anfechtbarkeit und der Nichtigkeit eines Beschlusses unter-
müssen die Modalitäten allerdings allen Gesellschaftern die Teilnahme scheidet (vgl. § 110 HGB-MoPeG). Als Regelungsvorbild dienten die
an der Versammlung ermöglichen und eine Überrumpelung aus- verschiedenen Mängelkategorien im Aktienrecht. Die §§ 241 ff. AktG
schließen.17 Im Aktienrecht hat die Hauptversammlung im Grundsatz unterscheiden zwischen Mängeln, die aus sich heraus zu der Nichtig-
am Sitz der Gesellschaft (§ 121 Abs. 5 S. 1 AktG) oder bei Börsenno- keit des Beschlusses führen, und mangelbehafteten Beschlüssen, die
tierung am Sitz der Börse stattzufinden (§ 121 Abs. 5 S. 2 AktG). durch eine befristete Anfechtungsklage vernichtet werden können.29
Möglich, aber an strenge Voraussetzungen gebunden, ist die Bestim- Die Personenhandelsgesellschaften sind an das Anfechtungsmodell je-
mung des Ortes in der Satzung. Der vorgesehene Ort darf das Teil- doch nicht gebunden und können weiterhin für das Feststellungsmo-
nahmerecht der Aktionäre dabei nicht faktisch beeinträchtigen.18 Or- dell optieren (vgl. § 108 HGB-MoPeG). Der „Mauracher Entwurf“30
te im Inland sind grundsätzlich als geeignet anzusehen.19 Eine Haupt- sah das Anfechtungsmodell in den §§ 714a–714d BGB-E auch für die
versammlung im Ausland ist ebenfalls zulässig, soweit sie eine im In- GbR vor. Infolge von ausführlichen Diskussionen hinsichtlich der
land vergleichbare Erreichbarkeit hat.20 Passfähigkeit des Anfechtungsmodells für die GbR wurde dieses nur
Fraglich ist nur, inwieweit diese Grundsätze auch auf die Personen- für die Personenhandelsgesellschaften eingeführt.31 Für die GbR und
handelsgesellschaften übertragen werden können. Bei der personali- die PartG (vgl. § 1 Abs. 4 PartGG) bleibt es damit auch nach dem
stischen Personenhandelsgesellschaft wäre es für den kleinen Kreis an MoPeG bei dem Feststellungsmodell. Durch die von § 708 BGB-Mo-
Gesellschaftern kaum tragbar, dass der Einberufende einen beliebigen PeG gewährte Gestaltungsfreiheit kann jedoch für das Anfechtungs-
Ort in der Bundesrepublik auswählt, der im Aktienrecht ein zulässiger modell optiert werden.
Versammlungsort wäre, aber nicht im Gesellschaftsvertrag festgesetzt
werden müsste. Bei Publikumsgesellschaften kann dagegen ein mit 1. Anfechtungsgründe
der AG vergleichbarer Maßstab angenommen werden. Um dem gro- Ein Beschluss der Gesellschafter kann wegen Verletzung von Rechts-
ßen Gesellschafterkreis Planungssicherheit zu ermöglichen, sind ge- vorschriften angefochten werden, § 110 Abs. 1 HGB-MoPeG. Was die
sellschaftsvertragliche Regelungen zum Ort der Gesellschafterver- Anfechtbarkeit eines Beschlusses begründet, kann nur negativ von der
sammlung empfehlenswert. Nichtigkeit abgegrenzt werden.32 Indem der Gesetzgeber das Be-
In zeitlicher Hinsicht können Hauptversammlungen nicht an Sonnta- schlussmängelrecht der Personenhandelsgesellschaften dem aktien-
gen oder bundeseinheitlichen Feiertagen stattfinden.21 An diesem rechtlichen Anfechtungsmodell nachgebildet hat, könnten auch die
Grundsatz sollte bei Publikumsgesellschaften festgehalten werden.
17 BT-Drs. 19/27635, 226.
Nicht ersichtlich erscheint jedoch, weshalb eine personalistische Per- 18 Kubis, in: MüKo-AktG, 5. Aufl. 2022, § 121, Rn. 93.
sonengesellschaft, die sich üblicherweise sonntags trifft, von dieser 19 Linnerz, NZG 2006, 208, 209; Kubis, in: MüKo-AktG, 5. Aufl. 2022, § 121, Rn. 93.
20 BGH, 21.10.2014 – II ZR 330/13, BGHZ 203, 68; Koch, in: Koch, AktG, 17. Aufl. 2023,
Praxis abweichen sollte. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes, § 121, Rn. 14 ff.; Kubis, in: MüKo-AktG, 5. Aufl. 2022, § 121, Rn. 93.
21 Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, 4. Aufl. 2020, § 121, Rn. 34; Kubis, in: MüKo-
dass allen Gesellschaftern die Teilnahme an der Gesellschafterver- AktG, 5. Aufl. 2022, § 121, Rn. 36.
sammlung ermöglicht werden soll, kann die Gesellschafterversamm- 22 Schmidt/Nachtwey, in: Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Handbuch der GmbH, 2021, § 4,
Rn. 33; Liebscher, in: MüKo-GmbHG, 4. Aufl. 2023, § 48, Rn. 112 ff.
lung daher – wie im Recht der GmbH22 – auch an Sonn- oder Feier- 23 BGH, 28.1.1980 – II ZR 84/79, BGHZ 76, 154; BGH, 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88,
tagen stattfinden. 320, 329, BB 1984, 88, 91; Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 47,
Rn. 27; Römermann, in: Michalski u. a., GmbH-Gesetz, 4. Aufl. 2023, § 47, Rn. 583; a. A.
Altmeppen, NZG 2022, 1563; W. Ernst, in: Liber Amicorum für Detlef Leenen, 2012, 12 f.
3. Feststellung des Gesellschafterbeschlusses 24 BT-Drs. 19/27635, 226.
25 BGH, 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 317, 318.
Der Gesellschafterbeschluss ist bereits ohne formelle Feststellung 26 BGH, 28.1.1980 – II ZR 84/79, BGHZ 76, 154, 156 f.
durch den Versammlungsleiter wirksam.23 Nichtsdestotrotz ist die 27 Noack, in: Bayer/Koch, Gesellschafterversammlung und Beschlussfassung bei GmbH und
GmbH & Co. KG, 2018, S. 57.
Beschlussfeststellung nicht irrelevant. Sie entscheidet, ob der Rechts- 28 BT-Drs. 19/27635, 226.
schutz der Gesellschafter im Wege der Anfechtungs- und Nichtig- 29 BT-Drs. 19/27653, 227.
30 BMJ, abrufbar unter https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/Do
keitsklage (§§ 110 ff. HGB-MoPeG) oder der Feststellungsklage (§ 256 kumente/MauracherEntwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (Abruf: 6.11.2023).
31 Vgl. Claußen/Pieroncyk, NZG 2021, 620, 620; Habersack, ZGR 2020, 539, 559 ff.; Bach-
Abs. 1 ZPO) erfolgt.24 So setzt nach der Rechtsprechung die sich nach mann, NZG 2020, 612, 613; Lieder, ZRP 2021, 34, 35.
dem Beschlussmängelrecht richtende Anfechtungsklage die Feststel- 32 BT-Drs. 19/27635, 228.

2700 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


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Degistirici/Ioannidis · Das durch das MoPeG reformierte Beschlussverfahren und Beschlussmängelrecht der Personenhandelsgesellschaften

aktienrechtlichen Ausnahmeregelungen für die Anfechtbarkeit eines sich entweder ausdrücklich aus der verletzten Rechtsvorschrift oder
Beschlusses greifen. Dort wird der Grundsatz des § 243 Abs. 1 AktG, aus dem Normzweck der verletzten Rechtsvorschrift.42 Eine Vorschrift
wonach jeder Hauptversammlungsbeschluss, der das Gesetz oder die ist jedenfalls dann zwingend, wenn sie schutzwürdige Belange der Ge-
Satzung verletzt, zur Anfechtbarkeit des Beschlusses führt, durch sellschaftsgläubiger oder den unverzichtbaren Kernbereich der Mit-
§ 243 Abs. 2 bis Abs. 4 AktG eingeschränkt. In der Gesetzesbegrün- gliedschaft jedes Gesellschafters berührt (sog. absolut unentziehbares
dung wird sich jedoch klar gegen eine Orientierung an § 243 Abs. 2 Recht).43 Absolut unentziehbare Rechte von Gesellschaftern sind bei-
bis Abs. 4 AktG ausgesprochen.33 spielsweise das Teilnahmerecht an Gesellschafterversammlungen samt
Rede- und Antragsrecht,44 das (außerordentliche) Kontrollrecht45
2. Nichtigkeitsgründe oder das Kündigungsrecht.46
Nach § 110 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB-MoPeG ist ein Gesellschafterbe-
schluss von Anfang an nichtig, wenn er durch seinen Inhalt Rechts- 3. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage
vorschriften verletzt, auf deren Einhaltung die Gesellschafter nicht Besonders deutlich werden die Parallelen zum aktienrechtlichen Be-
verzichten können. Eine derart offene Formulierung hat der Gesetz- schlussmängelrecht in den Regelungen zur gerichtlichen Geltendma-
geber bewusst gewählt, um Rechtsprechung und Schrifttum den nöti- chung eines Beschlussmangels. §§ 111 bis 113 HGB-MoPeG regeln
gen Spielraum zur Konkretisierung zu geben.34 hierbei die Anfechtungsklage. Nach § 114 S. 1 HGB-MoPeG finden
§§ 111 und 113 HGB-MoPeG aber entsprechende Anwendung auf die
a) Orientierung an §§ 241ff. AktG Nichtigkeitsklage.
Denkbar wäre zunächst eine Orientierung an den Nichtigkeitsgrün-
den gemäß § 241 AktG. Während Verfahrensmängel im Aktienrecht a) Zuständiges Gericht
die Nichtigkeit eines Beschlusses zur Folge haben können (vgl. Nach §§ 114 S. 1, 113 Abs. 1 HGB-MoPeG ist das für die Anfech-
§ 241 Nr. 1, 2 AktG), führen sie im Personengesellschaftsrecht im Re- tungs- und Nichtigkeitsklage zuständige Gericht das Landgericht, in
gelfall nur zur Anfechtbarkeit.35 Dies wird mit dem weitgehend form- dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (vgl. § 246 Abs. 3
los ausgestalteten Beschlussverfahren der Personengesellschaften be- S. 1 AktG). Während im Feststellungsmodell die Klage gegen die Ge-
gründet.36 Nach § 110 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB-MoPeG ist zur Annah- sellschafter zu erheben ist, welche hinsichtlich der Wirksamkeit des
me eines Nichtigkeitsgrundes ausdrücklich ein inhaltlicher Gesetzes- Beschlusses die dem Kläger gegenteilige Position einnehmen, ist Kla-
verstoß erforderlich. Dem eindeutigen Wortlaut folgend, würde ein gegegner nach § 113 Abs. 2 S. 1 HGB-MoPeG die Gesellschaft (vgl.
Verfahrensfehler demnach keine Beschlussnichtigkeit begründen kön- § 246 Abs. 2 S. 1 AktG).
nen. Gleichwohl ist die Bedeutung von Verfahrensfehlern vor dem
Hintergrund der höheren gesetzlichen Formalisierung des Beschluss- b) Mitteilung an die Gesellschafter
verfahrens in Personenhandelsgesellschaften durch das MoPeG nicht Eine Besonderheit stellen §§ 114 S. 1, 113 Abs. 3 S. 1 HGB-MoPeG
zu unterschätzen. Der Gesetzgeber überlässt die Behandlung der Ver- dar. Danach hat die Gesellschaft die Gesellschafter unverzüglich über
fahrensfehler als Anfechtungs- oder Nichtigkeitsgrund deshalb, entge- die Klageerhebung und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten
gen dem klaren Wortlaut, größtenteils der Rechtsprechung. Es obliegt (vgl. § 246 Abs. 4 S. 1 AktG). Damit soll es den anderen Gesellschaf-
dieser, in Fällen, in denen besonders gewichtige Einberufungsmängel tern ermöglicht werden, sich als streitgenössische Nebenintervenien-
das Teilnahmerecht des Gesellschafters tangieren, doch einen Nichtig- ten (§ 69 ZPO) am Verfahren zu beteiligen.47 Wegen der Vergleich-
keitsgrund anzunehmen.37 Zu beachten ist, sollte die Rechtsprechung barkeit der Rechtslage in der GmbH soll zudem ein Rückgriff auf die
einen solchen schwerwiegenden Verfahrensmangel gleichwohl als An- dort entwickelten Grundsätze möglich sein.48 Die Geschäftsführer der
fechtungsgrund qualifizieren, dass hier mangels Bekanntgabe des Be- GmbH haben alle Gesellschafter analog § 246 Abs. 4 S. 1 AktG unver-
schlusses gegenüber dem anfechtungsbefugten Gesellschafter (§ 112 züglich über die Klageerhebung zu unterrichten.49 Eine Verletzung
Abs. 2 HGB-MoPeG) die Anfechtungsfrist nicht zu laufen beginnt.38
Dadurch wird die Rechtsstellung des fehlerhaft nicht geladenen Ge- 33 BT-Drs. 19/27635, 228.
34 BT-Drs. 19/27635, 111.
sellschafters gestärkt. Im Falle der Qualifizierung als Nichtigkeits- 35 BT-Drs. 19/27635, 228.
grund würde die Frist des § 112 Abs. 1 S. 1 HGB-MoPeG nämlich 36 BT-Drs. 19/27635, 228.
37 BT-Drs. 19/27635, 228.
ebenso keine Anwendung finden. Im Übrigen bleibt es der Rechtspre- 38 BT-Drs. 19/27635, 228.
chung überlassen, weitergehende Anforderungen an die Rüge von 39 BT-Drs. 19/27635, 228.
40 Vgl. BGH, 11.3.2014 – II ZR 24/13, BB 2014, 1363 Ls., NZG 2014, 621, Rn. 14; vgl. Schäfer,
Verfahrensmängeln zu stellen.39 So fordert diese bisher die Kausalität in: MüKo-BGB, 8. Aufl. 2020, § 709, Rn. 111; vgl. Klimke, in: Häublein/Hoffmann-Theinert,
Beck’scher Online-Kommentar zum HGB, 39. Ed., Stand: 15.1.2023, § 119, Rn. 78; Schöne,
eines Verfahrensmangels für das Beschlussergebnis.40 in: BeckOK BGB, Hau/Poseck, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 709, Rn. 70.
Im Gegensatz zu dem aktienrechtlichen Grundsatz der Satzungsstren- 41 BT-Drs. 19/27635, 229.
42 BT-Drs. 19/27635, 229.
ge nach § 23 Abs. 5 AktG besteht in der Personengesellschaft eine 43 BT-Drs. 19/27635, 229.
umfassende Gestaltungsfreiheit, sodass auch der Nichtigkeitsgrund 44 Enzinger, in: MüKo-HGB, 5. Aufl. 2022, § 119, Rn. 49; Klimke, in: Häublein/Hoffmann-Thei-
nert, Beck’scher Online-Kommentar zum HGB, 39. Ed., Stand: 15.1.2023, § 119, Rn. 69;
nach § 241 Nr. 3 AktG nicht indiziell herangezogen werden kann. Da- Lieder, in: Oetker HGB, 7. Aufl. 2021, § 119, Rn. 56.
gegen ist ein Beschluss, der gegen die guten Sitten verstößt, bereits 45 Enzinger, in: MüKo-HGB, 5. Aufl. 2022, § 118, Rn. 1; Drescher, in: Ebenroth u. a., HGB,
4. Aufl. 2020, § 118, Rn. 1.
ohne Rückgriff auf § 241 Nr. 4 AktG gemäß § 138 BGB nichtig.41 46 Lieder, in: Oetker, HGB, 7. Aufl. § 119, Rn. 56; Klimke, in: Häublein/Hoffmann-Theinert,
Beck’scher Online-Kommentar zum HGB, 39. Ed., Stand: 15.1.2023, § 119, Rn. 49.
47 BT-Drs. 19/27635, 233.
b) Selbstständige Ermittlung zwingenden Rechts 48 BT-Drs. 19/27635, 233.
49 BGH, 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 31, BB 1986, 619, 620; Noack, in: Noack/Ser-
Ob ein Gesellschafterbeschluss gegen Rechtsvorschriften verstößt, auf vatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, Anh. § 47, Rn. 170; Wertenbruch, in: MüKo-GmbHG,
deren Einhaltung die Gesellschafter nicht verzichten können, ergibt 4. Aufl. 2023, Anh. § 47, Rn. 340.

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


2701
Wirtschaftsrecht | Aufsätze
Degistirici/Ioannidis · Das durch das MoPeG reformierte Beschlussverfahren und Beschlussmängelrecht der Personenhandelsgesellschaften

der Unterrichtungspflicht kann einen Schadensersatzanspruch des Dem Recht der Personengesellschaften liegt dagegen das Leitbild eines
nicht eingeladenen Gesellschafters (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 246 kleineren Gesellschafterkreises zugrunde, in dem die Gesellschafter per-
Abs. 4 S. 1 AktG) begründen.50 sönlich miteinander verbunden sind. Mithin ist die Breitenwirkung des
Beschlusses geringer.56 Der Gesetzgeber ist jedoch nicht vollständig von
c) Anfechtungsbefugnis der im Aktienrecht festgesetzten Monatsfrist für die Erhebung einer
Anfechtungsbefugt ist nach § 111 Abs. 1 HGB-MoPeG jeder Gesell- Anfechtungsklage abgerückt. Nach § 112 Abs. 1 S. 2 HGB-MoPeG ist
schafter, der oder dessen Rechtsvorgänger im Zeitpunkt der Beschluss- eine gesellschaftsvertragliche Regelung, die eine kürzere Frist als einen
fassung der Gesellschaft angehört hat. Im Gegensatz zum Aktienrecht Monat vorsieht, unwirksam.
ist die Anfechtungsbefugnis deutlich weiter gefasst. So sind Aktionäre Die Anfechtungsfrist beginnt gemäß § 112 Abs. 2 HGB-MoPeG mit
grundsätzlich nur dann zur Anfechtung eines Beschlusses befugt, wenn dem Tag der Bekanntgabe des Beschlusses gegenüber dem anfech-
sie in der Hauptversammlung Widerspruch zur Niederschrift erklärt tungsbefugten Gesellschafter zu laufen und nicht mit der Beschluss-
haben, zu Unrecht zu der Hauptversammlung nicht zugelassen worden fassung als solcher (§ 246 Abs. 1 AktG). Diese Abweichung lässt sich
sind oder der Gegenstand der Beschlussfassung nicht ordnungsgemäß damit erklären, dass bei Personenhandelsgesellschaften unsicher sein
bekanntgemacht worden ist (§ 245 S. 1 Nr. 1, 2 AktG). kann, wann ein Beschluss überhaupt gefasst ist. Im Gegensatz dazu
Im Beschlussmängelrecht nach MoPeG ist dagegen bereits die Gesell- sind Hauptversammlungsbeschlüsse der börsennotierten AG und die
schafterstellung für die Begründung einer Anfechtungsbefugnis aus- Beschlüsse zur Satzungsänderung der nichtbörsennotierten AG stets
reichend. Dies ist auf das weniger formalisierte Beschlussverfahren durch notariell aufgenommene Niederschrift zu beurkunden (§ 130
der Personenhandelsgesellschaften zurückzuführen.51 Möglich ist, Abs. 1 S. 1 AktG). Die Beurkundung dient der rechtssicheren Doku-
dass der Rechtsvorgänger eines Gesellschafters im Zeitpunkt der Be- mentation der Willensbildung der Hauptversammlung.57 Dagegen ist
schlussfassung der Gesellschaft angehört hat. Während damit die An- die Beschlussfassung und die Feststellung des Beschlusses im Perso-
fechtungsbefugnis eines Gesellschafters, der aus der Gesellschaft aus- nengesellschaftsrecht ungeregelt. Somit erscheint es konsequent, die
tritt, auf den eintretenden Gesellschafter übergeht, hat ein Gesell- Anfechtungsfrist an die zeitlich rechtssicher bestimmbare Bekannt-
schafter, der nicht im Wege der Rechtsnachfolge der Gesellschaft bei- gabe des Beschlusses gegenüber dem Gesellschafter anzuknüpfen.
tritt, keine Anfechtungsbefugnis.52 Nach § 111 Abs. 2 HGB-MoPeG Der Gesetzgeber erhofft sich mit der Anknüpfung des Fristbeginns an
lässt ein Verlust der Mitgliedschaft nach dem Zeitpunkt der Be- die Bekanntgabe des Beschlusses, dass die Gesellschafter zu einer ge-
schlussfassung das Rechtsschutzbedürfnis des Rechtsvorgängers unbe- wissen Formalisierung des Beschlussverfahrens angehalten werden.
rührt, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Führung des Rechts- Doch birgt die Anknüpfung an die Bekanntmachung gegenüber dem
streits hat. Hier zeigen sich ebenfalls Unterschiede zum aktienrechtli- Gesellschafter das Risiko, dass die Bekanntgabe an unterschiedlichen
chen Beschlussmängelrecht. Obwohl der Kläger im Aktienrecht nicht Zeitpunkten erfolgt. In diesem Fall würde die Anfechtungsfrist zu un-
durch den geltend gemachten Gesetzes- oder Satzungsverstoß persön- terschiedlichen Zeitpunkten beginnen, was der intendierten Rechtssi-
lich betroffen sein muss,53 muss er bei Eintritt der Rechtshängigkeit cherheit58 zuwiderlaufen würde.
(§ 261 ZPO) zumindest Aktionär sein.54 Auch § 111 HGB-MoPeG
findet ausdrücklich nach § 114 S. 1 HGB-MoPeG entsprechende An- bb) Hemmung der Klagefrist
wendung auf die Nichtigkeitsklage. Das Leitbild der Personengesellschaft mit einem kleinen Gesellschaf-
terkreis wird auch durch § 112 Abs. 3 S. 1 HGB-MoPeG verdeutlicht.
d) Frist Danach wird für die Dauer von Vergleichsverhandlungen über den
aa) Klageerhebung binnen drei Monaten nach Gegenstand des Beschlusses oder die ihm zugrundeliegenden Um-
Bekanntgabe stände zwischen dem anfechtungsbefugten Gesellschafter und der Ge-
Im Gegensatz zum Aktienrecht ist die Anfechtungsklage nach § 112 sellschaft die Klagefrist gehemmt. Durch die Aussetzung der Frist zur
Abs. 1 S. 1 HGB-MoPeG nicht binnen Monatsfrist (vgl. § 246 Abs. 1 Klageerhebung wird der Anreiz geschaffen, dass die Gesellschafter auf
AktG), sondern innerhalb von drei Monaten ab Beschluss-Bekanntga- eine außergerichtliche Lösung hinwirken. So beginnt die Hemmung
be zu erheben. Im Aktienrecht lässt sich die vergleichsweise kurze bereits mit „jedem Meinungsaustausch zwischen dem anfechtungsbe-
Monatsfrist mit der erheblichen Breitenwirkung des Hauptversamm- fugten Gesellschafter und der Gesellschaft über den Gegenstand des
lungsbeschlusses erklären. So kann sich der Gesellschafterkreis einer Beschlusses.“59 Diese Regelung ist jedenfalls für personalistische Ge-
Publikumsgesellschaft aus einer Vielzahl von Aktionären zusammen- sellschaften zu begrüßen, in welchen die Harmonie der Gesellschafter
setzen, die alle vom Hauptversammlungsbeschluss betroffen sind. Das
Interesse an Rechtssicherheit ist aufgrund der breit gestreuten Betrof- 50 Rensen, NZG 2011, 569, 572; Wertenbruch, in: MüKo-GmbHG, 4. Aufl. 2023, Anh. § 47,
fenheit also höher. Ferner steht allen Aktionären das Recht zur Teil- Rn. 341.
51 BT-Drs. 19/27635, 230.
nahme an der Hauptversammlung und damit auch die Möglichkeit 52 BT-Drs. 19/27635, 230.
zu, Anfechtungsklage zu erheben, sofern sie die Voraussetzungen nach 53 RG, 28.2.1941 – II 89/49, RGZ 166, 175, 188; BGH, 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43,
261, 265 f., NJW 1965, 1378; BGH, 19.12.1977 – II ZR 136/76, BGHZ 70, 117, 118, NJW
§ 245 AktG erfüllen. Regelmäßig kennen die Aktionäre sich nicht per- 1978, 540; Koch, in: Koch, AktG, 17. Aufl. 2023, § 246, Rn. 9; Schäfer, in: MüKo-AktG,
sönlich und sind demnach nicht um eine außergerichtliche Streitbei- 5. Aufl. 2021, § 246, Rn. 17.
54 BT-Drs. 19/27635, 230; BGHZ 189, 32; Schäfer, in: MüKo-AktG, 5. Aufl. 2021, § 245,
legung bemüht, sodass präferiert auf das Instrument der Anfech- Rn. 26.
tungsklage zurückgegriffen wird. Die kurze Anfechtungsfrist soll zu- 55 Vgl. BT-Drs. 19/27635, 231.
56 BT-Drs. 19/27635, 231.
dem verhindern, dass beschlossene Maßnahmen, welche die Sat- 57 BGH, 19.9.1994 – II ZR 248/92, BGHZ 127, 107, 113, BB 1994, 2091, 2092; Krieger, NZG
2003, 366; Kubis, in: MüKo-AktG, 5. Aufl. 2022, § 130, Rn. 1.
zungsänderung betreffen, über einen längeren Zeitraum nicht einge- 58 BT-Drs. 19/27635, 231.
tragen und dementsprechend auch nicht umgesetzt werden können.55 59 BT-Drs. 19/27635, 232.

2702 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Aufsätze | Wirtschaftsrecht
Degistirici/Ioannidis · Das durch das MoPeG reformierte Beschlussverfahren und Beschlussmängelrecht der Personenhandelsgesellschaften

untereinander eine übergeordnete Rolle spielt. Es stellt sich jedoch bei ursprünglicher Annahme des abgelehnten Beschlussvorschlags
die Frage, wie praktikabel eine derartige Regelung bei Publikumsge- rechtmäßig gefasst worden wäre. Den Beschluss könnten die Gesell-
sellschaften ist. schafter zwar durch die isolierte Erhebung einer Anfechtungsklage be-
seitigen und daraufhin einen neuen Beschluss fassen. Dies birgt je-
cc) Auswirkungen auf das Umwandlungsrecht? doch das Risiko, dass sich in der Zwischenzeit die Mehrheitsverhält-
Fraglich ist, ob die neugeregelte dreimonatige Anfechtungsfrist auch nisse im Kreis der Gesellschafter geändert haben und der begehrte Be-
eine Verlängerung der in §§ 14 Abs. 1, 195 Abs. 1 UmwG vorgesehe- schluss daher nicht mehr zustande kommt.65 Regelmäßig wird es au-
nen einmonatigen Klagefrist erforderlich macht. Insofern käme eine ßerdem bei der isolierten Erhebung einer Anfechtungsklage ohne
Anlehnung der Regelungen nicht mehr an § 246 Abs. 1 AktG, son- Feststellungsantrag am Rechtsschutzbedürfnis der Gesellschafter feh-
dern an § 112 Abs. 1 S. 1 HGB-MoPeG in Betracht. Dagegen spricht len. Gleiches gilt bei der isolierten Feststellungsklage ohne Anfech-
jedoch zum einen der Zweck der §§ 14 Abs. 1, 195 Abs. 1 UmwG. Die tungsantrag.66 Dabei finden auf die Feststellungsklage die für die An-
kurze Klagefrist soll bewirken, dass die Eintragung und damit das fechtungsklage geltenden Vorschriften nach § 115 S. 2 HGB-MoPeG
Wirksamwerden der Umwandlungsmaßnahme nicht auf einen unbe- entsprechende Anwendung.
stimmten Zeitraum verzögert werden.60 Auch wenn die Frist von drei
Monaten dem Grunde nach keinen unbestimmten Zeitraum betrifft, IV. Fazit
hat eine derart lange Frist erhebliches Potenzial zur Verzögerung der
gesamten mitunter für die betroffene Gesellschaft relevanten Um- Im Großen und Ganzen sind die durch das MoPeG initiierten Ände-
wandlungsmaßnahme. Das gilt umso mehr in Anbetracht des § 112 rungen zu begrüßen. So gilt nun für Personenhandelsgesellschaften
Abs. 3 S. 1 HGB-MoPeG. Zum anderen spricht die Regelungssystema- das Anfechtungsmodell nach §§ 110 ff. HGB-MoPeG. Die Beibehal-
tik der §§ 14 Abs. 1, 195 Abs. 1 UmwG klar gegen eine Verlängerung tung des Feststellungsmodells für die GbR mit der Optionsmöglich-
der Klagefrist durch das MoPeG, da die insoweit spezialgesetzliche keit hinsichtlich des Anfechtungsmodells nach § 708 BGB-MoPeG
Monatsfrist unabhängig von den Regelungen des jeweiligen Fach- trägt den Unterschieden von Personen- und Personenhandelsgesell-
rechts Anwendung findet.61 schaften hinreichend Rechnung. Dennoch bleibt es auch den Perso-
nenhandelsgesellschaften frei, sich weiterhin für das Feststellungsmo-
4. Klagewirkung dell zu entscheiden (vgl. § 108 HGB-MoPeG). Das eingefügte Anfech-
Ähnlich wie § 248 Abs. 1 S. 1 AktG bestimmt § 113 Abs. 6 HGB-Mo- tungsmodell ist daher als ein Angebot des Gesetzgebers zu verstehen.
PeG, dass das Urteil nicht nur zwischen dem Kläger und der Gesell- Bei weniger erheblichen Beschlussmängeln können durch die bloße
schaft, sondern erga omnes, also auch gegenüber den Mitgesellschaf- Anfechtbarkeit innerhalb einer festgelegten Frist im Einzelfall interes-
tern, wirkt. Aus diesem Grund hat die Gesellschaft auch nach § 113 sengerechtere Lösungen erzielt werden, wohingegen die Nichtigkeits-
Abs. 3 S. 1 HGB-MoPeG die Gesellschafter unverzüglich über die Er- gründe restriktiv zu handhaben sind, dafür aber mangels kodifizierter
hebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten, so- Klagefrist (ausgenommen Umwandlungsbeschlüsse) den einzelnen
dass die Mitgesellschafter sich als streitgenössische Nebenintervenien- Gesellschafter hinreichend schützen. Im Übrigen hat der Gesetzgeber
ten an dem Rechtsstreit beteiligen können. Die Gesellschafter sind da- für die Klageerhebung bedeutsame Fragen wie den Gerichtsstand,
mit fortan wegen der Passivlegitimation der Gesellschaft nach § 113 § 113 Abs. 1 HGB-MoPeG, die Passivlegitimation der Gesellschaft
Abs. 2 S. 1 HGB-MoPeG nicht mehr Partei des Rechtsstreits, ihnen nach § 113 Abs. 2 HGB-MoPeG oder die materielle Rechtskraftwir-
steht aber weiterhin ein eigenes Recht zur Prozessführung zu kung nach § 113 Abs. 6 HGB-MoPeG geregelt sowie den bisher durch
(§§ 69, 61 ZPO). Lehnt die Rechtsprechung bisweilen eine notwendi- die Rechtsprechung abgelehnten Eintritt der nicht klagenden Gesell-
ge Streitgenossenschaft der verklagten Gesellschafter ab, wodurch ein- schafter als streitgenössische Nebenintervenienten gemäß § 69 ZPO
ander widersprechende Urteile ergehen können, wird nun in der in § 113 Abs. 3 HGB-MoPeG angedeutet. Die Erhebung einer positi-
Regel von einer notwendigen Streitgenossenschaft i. S. d. § 62 ZPO ven Beschlussfeststellungsklage hat eine ausdrückliche Kodifizierung
auszugehen sein, soweit der Nebenintervenient als Streitgenosse gilt.62 gefunden. Auch das Beschlussverfahren wurde in seinen Grundzügen
Ein Gesellschafterbeschluss ist nichtig, wenn er nach einer Anfech- durch § 109 HGB-MoPeG geregelt. Erwähnenswert ist auch die Hem-
tungsklage durch Urteil rechtskräftig für nichtig erklärt worden ist, mung der Klagefrist nach § 112 Abs. 3 S. 1 HGB-MoPeG für die Dau-
§ 110 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB-MoPeG. Hierdurch kommt es zu einem er von Vergleichsverhandlungen. Der Anreiz, eine außergerichtliche
Gleichlauf mit § 241 Nr. 5 AktG, womit die materielle Gestaltungs- Lösung zu finden, kann die Beziehungen der Gesellschafter fördern
wirkung geregelt wird. Dahingegen bestimmt § 113 Abs. 6 HGB-Mo- und ist daher zu begrüßen.
PeG die materielle Rechtskraftwirkung.63
60 RegEBegr. BR-Drs. 75/94, 87.
61 RegEBegr. BR-Drs. 75/94, 87; Gehling, in: Semmler/Stengel/Leonard, Umwandlungsge-
5. Positive Beschlussfeststellungsklage setz, 5. Aufl. 2021, § 14, Rn. 1; vgl. Winter, in: Schmitt/Hörtnagl, Umwandlungsgesetz,
Nach § 115 HGB-MoPeG können Anfechtungs- und Feststellungskla- 9. Aufl. 2020, § 14, Rn. 1.
62 Dressler, in: Vorwerk/Wolf, Beck’scher Online-Kommentar zur ZPO, 48. Ed., Stand:
ge miteinander verbunden werden. Wurde ein Beschlussvorschlag 1.3.2023, § 69, Rn. 7.
durch Beschluss der Gesellschafterversammlung abgelehnt, der aber 63 BT-Drs. 19/27635, 230.
64 Vgl. Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, AktG § 246, Rn. 50;
richtigerweise bei korrekter Stimmenzählung oder Stimmrechtsaus- vgl. Vatter, in: Spindler/Stilz, beck-online.Grosskommentar, Stand: 1.1.2023, AktG § 246,
übung hätte gefasst werden müssen,64 kann ein Gesellschafter nach Rn. 64; BT-Drs. 19/27635, 236.
65 BT-Drs. 19/27635, 236.
§ 115 S. 1 HGB-MoPeG gegen diesen ablehnenden Beschluss Anfech- 66 BT-Drs. 19/27635, 236; BGH, 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 197 ff.; Leinekugel, in:
Ziemons/Jaeger/Pöschke, Beck’scher Online-Kommentar zum GmbHG, 56. Ed., Stand:
tungsklage erheben und diese mit einer Feststellungsklage verbinden. 1.6.2023, § 47, Anh., Rn. 267; Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl.
Durch die Feststellungsklage soll der Beschluss festgestellt werden, der 2021, AktG § 246, Rn. 50.

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2703


Wirtschaftsrecht | Entscheidungen
BGH · 19.9.2023 – II ZB 15/22

Durch die umfangreichen Kodifizierungen wird das Beschlussmängel- Bezug auf das Selbsthilferecht des nicht geschäftsführungsbefugten
recht insgesamt auch für die Gesellschafter übersichtlicher und Gesellschafters.
rechtssicherer gestaltet. So wies dieses bisweilen tiefgreifende Rege- Der Gesetzgeber hätte zudem stärker zwischen Publikumsgesellschaf-
lungslücken auf. Andererseits ist zu beachten, dass eine vollumfängli- ten und personalistischen Personengesellschaften unterscheiden kön-
che, starre Kodifizierung des Beschlussmängelrechts mit dessen erheb- nen. Publikumsgesellschaften hätten dabei näher an die AG gerückt
licher praktischer Bedeutung und dessen vielfältiger Kasuistik schwer werden können. Der breite Spielraum, den der Gesetzgeber der
vereinbar wäre. Das hat der Gesetzgeber erkannt und insbesondere Rechtsprechung überlässt, könnte dahingehend genutzt werden, dass
der Rechtsprechung einen breiten Spielraum hinsichtlich der Unter- dieser Unterschied konkretisiert wird, so beispielweise bei der Zeit
scheidung von Nichtigkeits- und Anfechtungsgründen und der ge- und dem Ort der Gesellschafterversammlung.
nauen Kriterien, nach denen ein Beschlussmangel tatsächlich zur be-
gründeten Beschlussanfechtung führen kann, belassen. Can Degistirici, arbeitet am Lehrstuhl für Bürgerliches
Die Anknüpfung der weiten dreimonatigen Anfechtungsfrist an die Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht von
Bekanntgabe des Beschlusses, § 112 Abs. 1 HGB-MoPeG, welche zu Prof. Dr. Rupprecht Podszun an der Heinrich-Heine-Universi-
unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgen kann, begründet die Gefahr, tät Düsseldorf.
dass ein Gesellschafterbeschluss nicht zwingend einer einheitlichen
Anfechtungsfrist unterliegt. Wenngleich hierdurch der Schutz nicht
geladener Gesellschafter gestärkt wird, droht die Regelung die durch Nikos Ioannidis, arbeitet an der Juniorprofessur für Wirt-
die Frist angestrebte Rechtssicherheit zu untergraben. Eine Orientie- schaftsrecht von Jun.-Prof. Dr. Jannik Otto an der Heinrich-
rung am Aktienrecht, in dem die Anfechtungsfrist mit der (im Heine-Universität Düsseldorf.
Grundsatz notariell beurkundeten) Beschlussfassung beginnt, wäre
vorzugswürdig gewesen. Bedauerlich ist auch, dass Regelungslücken
unter Verweis auf Möglichkeiten der entsprechenden Anwendung an-
derer Normen sehenden Auges aufrechterhalten wurden, so etwa in

BGH: Vereinigung von Sparkassen – Eintragung ins


Handelsregister
BGH, Beschluss vom 19.9.2023 – II ZB 15/22 Die Rechtsbeschwerde ist begründet
ECLI:DE:BGH:2023:190923BIIZB15.22.0 3. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie hat schon deshalb Erfolg, weil 8
Volltext des Beschlusses: BB-ONLINE BBL2023-2562-3 die Voraussetzungen für die angefochtene Zwischenverfügung nicht vor-
unter www.betriebs-berater.de liegen und sie auch keinen zulässigen Inhalt hat.

AMTLICHER LEITSATZ Voraussetzungen des Erlasses einer Zwischenverfügung


Eine nach landesrechtlichen Vorschriften erfolgte Vereinigung von nach § 382 Abs. 4 S. 1 FamFG
Sparkassen (hier: nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SpkG M-V) ist analog a) Der Erlass einer Zwischenverfügung setzt nach § 382 Abs. 4 Satz 1 9
§§ 33, 34 Abs. 1 HGB in das Handelsregister sowohl der aufgenomme- FamFG das Vorliegen einer unvollständigen Registeranmeldung oder ein
nen als auch der aufnehmenden Sparkasse einzutragen. anderes durch den Antragsteller behebbares Eintragungshindernis voraus
HGB §§ 33, 34 Abs. 1; SpkG M-V § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2021 – II ZB 25/17, ZIP 2021, 1488 Rn. 11
[BB 2021, 2128]; Beschluss vom 28. März 2023 – II ZB 11/22, ZIP 2023,
AUS DEN GRÜNDEN 1179 Rn. 35 [BB 2023, 1409 Ls.]). Die Zwischenverfügung ermöglicht dem
4 II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Entschei- Registergericht, den Antragsteller vor Zurückweisung seiner Anmeldung
dungen der Vorinstanzen und zur Rückgabe der Sache an das Amtsge- auf behebbare Mängel oder Fehler hinzuweisen und ihm eine Frist zur
richt Schwerin – Registergericht – zur Entscheidung über den Eintra- Beseitigung des Eintragungshindernisses zu setzen. Liegt aus Sicht des
gungsantrag. Registergerichts dagegen ein unbehebbares Hindernis vor, kann der mit
5–7 1. … 2. Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist einer Zwischenverfügung verfolgte Zweck nicht erreicht werden und der
statthaft und auch im Übrigen zulässig gemäß § 70 Abs. 1, § 382 Abs. 4 Eintragungsantrag muss durch Beschluss nach § 382 Abs. 3 FamFG abge-
Satz 2, §§ 71, 72 FamFG. Die Beschwerdebefugnis der Antragstellerin für lehnt werden (OLG Stuttgart, NZG 2018, 1264, 1265; OLG Düsseldorf, NZG
die Rechtsbeschwerde folgt aus der Zurückweisung ihrer Beschwerde ge- 2019, 151, 152; KG, ZIP 2021, 2486; Sternal/Eickelberg, FamFG, 21. Aufl.,
gen den Beschluss des Amtsgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni § 382 Rn. 29; Harders in Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 13. Aufl.,
2021 – II ZB 25/17, ZIP 2021, 1488 Rn. 9 [BB 2021, 2128] mwN). § 382 Rn. 16; MünchKommFamFG/Krafka, 3. Aufl., § 382 Rn. 19).

2704 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Entscheidungen | Wirtschaftsrecht
BGH · 19.9.2023 – II ZB 15/22

Danach: Registergericht durfte nicht durch Zwischen- getragen werden, dass derartige Eintragungen auf die Fälle der Ausle-
verfügung entscheiden gung gesetzlicher Vorschriften, der Analogiebildung sowie der richterli-
10 b) Gemessen hieran durfte das Registergericht nicht durch Zwischenver- chen Rechtsfortbildung beschränkt werden (BGH, Beschluss vom 30. Ja-
fügung entscheiden. nuar 1992 – II ZB 15/91, ZIP 1992, 395, 397 [BB 1992, 662]; Beschluss
11 Nach der insoweit maßgeblichen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober vom 31. Januar 2023 – II ZB 10/22, BGHZ 236, 123 Rn. 12 [BB 2023, 911]).
2020 – V ZB 51/20, WM 2021, 1773 Rn. 8 mwN) Rechtsauffassung des Das Handelsregister darf allerdings nicht unübersichtlich werden oder zu
Registergerichts wäre die Anmeldung wegen fehlender Eintragungs- Missverständnissen Anlass geben (BGH, Beschluss vom 10. November
grundlage, wie es selbst feststellt, nach § 382 Abs. 3 FamFG „sofort zu- 1997 – II ZB 6/97, ZIP 1998, 152 [BB 1998, 337]; Beschluss vom 31. Januar
rückzuweisen“ gewesen, weil es die angemeldete Eintragung aus 2023 – II ZB 10/22, BGHZ 236, 123 Rn. 12 [BB 2023, 911]).
Rechtsgründen endgültig nicht vornehmen wollte. Die Zwischenverfü-
gung hat auch keinen nach § 382 Abs. 4 Satz 1 FamFG zulässigen In- Hier: Keine gesetzliche Regelung zur Eintragung
halt. Mit ihr zeigt das Registergericht einen aus seiner Sicht unbehebba- der Vereinigung von Sparkassen ins Handelsregister
ren Mangel auf und stellt dem Antragsteller nur die Rücknahme seiner 2. Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass gesetz- 16
Anmeldung anheim, was kein tauglicher Gegenstand einer Zwischenver- liche Vorschriften die Eintragung einer Vereinigung von Sparkassen nicht
fügung sein kann. ausdrücklich regeln.
Das Sparkassengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern enthält 17
Aufhebung des Beschlusses des Beschwerdegerichts keine Regelung zur Eintragung der Vereinigung von Sparkassen ins Han-
nach § 74 Abs. 5 FamFG – Rückgabe an Registergericht delsregister. Ob der Landesgesetzgeber im Rahmen seiner Kompetenz zur
zur Entscheidung über Eintragungsantrag Regelung des Sparkassenverfassungs- bzw. organisationsrechts (vgl. hier-
12 III. Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist nach § 74 Abs. 5 FamFG auf- zu BVerwGE 75, 292, 299 f.; OLG Köln, WM 2009, 1885, 1887; Uhle in Dü-
zuheben. Da die Sache hinsichtlich der Zwischenverfügung zur End- rig/Herzog/Scholz, Stand September 2022, Art. 74 Rn. 251) im Hinblick
entscheidung reif ist, kann der Senat gemäß § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG die auf die konkurrierende Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers aus Art. 74
Zwischenverfügung des Amtsgerichts Schwerin – Registergericht – vom Abs. 1 Nr. 11 GG überhaupt regelungsbefugt wäre, bedarf ungeachtet der
20. September 2021 aufheben. Die Sache ist an das Amtsgericht Schwerin – von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Bedenken daher keiner Ent-
Registergericht – zur Entscheidung über den Eintragungsantrag zurück- scheidung. Die Eintragung kann auch nicht auf § 16 Abs. 1 UmwG ge-
zugeben. stützt werden, weil die an der Vereinigung beteiligten Sparkassen als
rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 1 SpkG M-V)
Hinweise des Senats für das weitere Verfahren nicht zu den verschmelzungsfähigen Rechtsträgern nach § 3 Abs. 1 und
13 IV. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Abs. 2 UmwG gehören. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin führt
14 Der Eintragungsantrag kann nicht aus den von Register- und Beschwerde- die Vereinigung ferner nicht zu einem eintragungspflichtigen Inhaber-
gericht angeführten Gründen zurückgewiesen werden. wechsel i. S. v. § 31 Abs. 1 Var. 2 HGB, weil die Antragstellerin ihren Na-
men behalten hat. Eine Eintragungspflicht ergibt sich schließlich auch
Grundsätzlich nur Eintragung von Tatsachen und nicht unmittelbar aus §§ 33, 34 Abs. 1 HGB, weil mit der Vereinigung der
Rechtsverhältnissen im Handelsregister, deren beiden Sparkassen weder eine Satzungsänderung, Auflösung oder Ände-
Eintragung gesetzlich, entweder als eintragungs- rung von nach § 33 Abs. 2 Satz 2 und 3 HGB einzutragenden Tatsachen
pflichtig oder als eintragungsfähig, vorgesehen ist zur Eintragung ins Handelsregister der Antragstellerin angemeldet wor-
Ausnahmsweise wegen Publizitätsfunktion des den ist.
Handelsregisters auch gesetzlich nicht vorgesehene
Eintragungen bei erheblichem Bedürfnis an Aber: Eintragung einer nach landesrechtlichen
entsprechender Information möglich Vorschriften erfolgten Vereinigung von Sparkassen
15 1. Im Handelsregister werden grundsätzlich nur Tatsachen und Rechtsver- analog §§ 33, 34 Abs. 1 HGB ins Handelsregister der
hältnisse eingetragen, deren Eintragung gesetzlich, entweder als eintra- aufgenommenen und der aufnehmenden Sparkasse
gungspflichtig oder als eintragungsfähig, vorgesehen ist. Aufgrund der 3. Eine nach landesrechtlichen Vorschriften erfolgte Vereinigung von 18
dem Handelsregister zukommenden Publizitätsfunktion, der Öffentlichkeit Sparkassen ist aber analog §§ 33, 34 Abs. 1 HGB in das Handelsregister
zu ermöglichen, sich über die Rechtsverhältnisse von Kaufleuten und Ge- der aufgenommenen und der aufnehmenden Sparkasse einzutragen.
sellschaften zu unterrichten, und Umstände zu verlautbaren, die für den
Rechtsverkehr von erheblicher Bedeutung sind, lässt die Rechtsprechung Voraussetzungen einer Analogie
außerdem auch gesetzlich nicht vorgesehene Eintragungen zu, wenn ein a) Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Re- 19
erhebliches Bedürfnis an der entsprechenden Information besteht. Mit gelungslücke aufweist und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtli-
Rücksicht auf die strenge Formalisierung des Registerrechts ist aber mit cher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt
gesetzlich nicht vorgesehenen Eintragungen Zurückhaltung geboten hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber
(BGH, Beschluss vom 30. Januar 1992 – II ZB 15/91, ZIP 1992, 395, 397 wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen
[BB 1992, 662]; Beschluss vom 10. November 1997 – II ZB 6/97, ZIP 1998, Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen
152 [BB 1998, 337]; Beschluss vom 14. Februar 2012 – II ZB 15/11, ZIP Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st.
2012, 623 Rn. 16 [BB 2012, 781 Ls.]; Beschluss vom 4. April 2017 – II ZB Rspr.; BGH, Urteil vom 18. September 2018 – II ZR 312/16, BGHZ 219,
10/16, ZIP 2017, 1067 Rn. 14; Beschluss vom 31. Januar 2023 – II ZB 10/ 327 Rn. 58 [BB 2018, 2893]; Urteil vom 8. Januar 2019 – II ZR 364/18,
22, BGHZ 236, 123 Rn. 12 [BB 2023, 911]). Dem kann dadurch Rechnung BGHZ 220, 354 Rn. 14 [BB 2019, 1100]; Urteil vom 19. November 2019 –

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


2705
Wirtschaftsrecht | Entscheidungen
BGH · 19.9.2023 – II ZB 15/22

II ZR 233/18, ZIP 2020, 318 Rn. 19 [BB 2020, 395]; Urteil vom 17. März Verschmelzung im Register des Sitzes der übertragenden Rechtsträger
2022 – III ZR 79/21, ZIP 2022, 845 Rn. 38; jeweils mwN). Die Lücke muss eingetragen wurde (§ 19 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Die Wirksamkeit der
sich aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von sei- Verschmelzung ist dabei an die Eintragung im Register des überneh-
nem – dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrunde liegenden – menden Rechtsträgers geknüpft (§ 20 Abs. 1 UmwG). Diese Regelungen
Regelungsplan ergeben, wie er sich aus dem Gesetz selbst im Wege der gelten nach § 3 Abs. 1 UmwG u. a. für Verschmelzungen von Personen-
historischen und teleologischen Auslegung ergibt und aufgrund konkre- handelsgesellschaften und Kapitalgesellschaften, aber auch für den vom
ter Umstände positiv festgestellt werden kann (BGH, Urteil vom 14. De- Anwendungsbereich der §§ 33, 34 HGB erfassten eingetragenen Verein
zember 2006 – IX ZR 92/05, BGHZ 170, 187 Rn. 15; Urteil vom 18. Janu- i. S. v. § 21 BGB (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 UmwG) und – soweit als übertragender
ar 2017 – VIII ZR 278/15, NVwZ-RR 2017, 372 Rn. 32 [ZNER 2017, 109]). Rechtsträger beteiligt – für den wirtschaftlichen Verein i. S. v. § 22 BGB
(§ 3 Abs. 2 Nr. 1 UmwG).
Danach: Analoge Anwendung von §§ 33, 34 Abs. 1 HGB Die spezialgesetzlichen Regelungen im Umwandlungsgesetz gehen auf 25
hier geboten das Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (UmwBerG) zurück,
20 b) Nach diesen Grundsätzen ist eine analoge Anwendung von §§ 33, 34 mit dem die bis dahin nur unzulänglich, unübersichtlich und unvollstän-
Abs. 1 HGB für die Eintragung einer nach landesrechtlichen Vorschriften dig geregelten Möglichkeiten für Unternehmen, sich in erleichterter Form
wirksam zustande gekommenen Vereinigung von Sparkassen geboten. umzustrukturieren, in einem Gesetz zusammengefasst, systematisiert und
erweitert werden sollten (BT-Drucks. 12/6699, S. 1). Der Gesetzgeber
Planwidrige Regelungslücke: Mit Aufhebung des § 36 wollte gleichzeitig bereits bestehende Methoden, die Struktur eines Un-
HGB a.F. sind Regelungen in §§ 33, 34 Abs. 1 HGB in ternehmensträgers zu verändern wie die „Verschmelzung“ von Sparkassen
Bezug auf die Eintragung der Vereinigung von als aufgrund Landesrechts, erhalten (vgl. § 1 Abs. 2 UmwG; BT-Drucks. 12/
Anstalten des öffentlichen Rechts betriebenen 6699, S. 80). Die analoge Heranziehung verfahrensrechtlicher Vorschriften
Sparkassen planwidrig lückenhaft des UmwG bei der Vereinigung von Sparkassen kommt deswegen grund-
21 aa) Eine planwidrige Regelungslücke ist gegeben. sätzlich nicht in Betracht (vgl. Koost/Geerling, BKR 2003, 690, 691; Rüm-
22 (1) Mit Aufhebung des früheren § 36 HGB durch Art. 3 des Gesetzes zur ker, Festschrift Steindorff, 1990, S. 449, 462 ff.). Mit einer Pflicht zur – nur
Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung an- deklaratorischen – Eintragung der „Verschmelzungen“ von Sparkassen ins
derer handels- und gesellschaftsrechtlicher Vorschriften (Handelsrechts- Handelsregister nach § 34 HGB hat sich der Gesetzgeber in diesem Zu-
reformgesetz – HRefG) vom 22. Juni 1998 (BGBl. I S. 1474) sind juris- sammenhang aber schon deswegen nicht auseinandersetzen müssen,
tische Personen des öffentlichen Rechts, deren Eintragung in das Han- weil diese zum damaligen Zeitpunkt nach § 36 HGB aF von der Eintra-
delsregister mit Rücksicht auf den Gegenstand oder auf die Art und gung in das Handelsregister befreit waren. Im Rahmen der späteren Auf-
den Umfang ihres Gewerbebetriebes zu erfolgen hat, nach § 33 Abs. 1 hebung des § 36 HGB aF hat er dann dem erklärten Zweck der Abschaf-
Satz 1 HGB im Handelsregister ebenso anzumelden, wie nach § 34 fung der Vorschrift zuwider nicht mehr in den Blick genommen, ob die
Abs. 1 HGB bei ihnen eintretende Änderungen (so für Sparkassen etwa Verpflichtung zur Eintragung juristischer Personen des öffentlichen Rechts
BayObLG, NJW-RR 2001, 26, 27; BayObLGZ 2001, 69, 71; Münch- ins Handelsregister nach § 33 Abs. 1 HGB es auch gebietet, ihre Vereini-
KommHGB/Krafka, 5. Aufl., § 33 Rn. 2; BeckOGK HGB/Maierhofer, Stand gung, die nicht in den Anwendungsbereich von § 3 Abs. 1 und Abs. 2
15.9.2021, § 33 Rn. 14; Oetker/Schlingloff, HGB, 7. Aufl., § 33 Rn. 1). Die UmwG fällt, sondern gemäß § 1 Abs. 2 UmwG u. a. aufgrund Landesgeset-
gewerblich tätige öffentliche Hand soll grundsätzlich denselben han- zes möglich blieb, im Handelsregister als zentralem und einheitlichem Pu-
delsrechtlichen Pflichten unterliegen wie jedes andere Rechtssubjekt. Ih- blizitäts- und Informationsinstrument einzutragen.
re Eintragung in das Handelsregister dient dem Bedürfnis des Ge-
schäftsverkehrs, sich über die Rechts- und Vertretungsverhältnisse von Vergleichbare Interessenlage
Unternehmen der öffentlichen Hand wie bei jedem anderen kaufmänni- bb) Die planwidrige Regelungslücke ist wegen vergleichbarer Interessen- 26
schen Betrieb schnell und einfach zu informieren. Durch die Publizität lage in der Weise zu schließen, dass eine nach Landesrecht erfolgte Verei-
des Handelsregisters sind die Rechtsverhältnisse in Bezug auf diese Un- nigung von Sparkassen analog §§ 33, 34 Abs. 1 HGB im Handelsregister
ternehmen für den Rechtsverkehr einfacher und deutlicher erkennbar sowohl der aufgenommenen als auch der aufnehmenden Sparkasse ein-
als durch Studium der einschlägigen Gesetzes- und Amtsblätter. Ihre zutragen ist.
Eintragung dient auch dazu, das Handelsregister zu dem zentralen und
einheitlichen Publizitäts- und Informationsinstrument auszubauen, das Handelsregister soll auch in Bezug auf juristische
über alle kaufmännischen Betriebe und ihre vertretungsbefugten Or- Personen des öffentlichen Rechts und namentlich
gane und Personen unabhängig von ihrer jeweiligen Organisationsform Sparkassen zentrales Publizitäts- und Informations-
Auskunft gibt (BT-Drucks. 13/8444, S. 34). instrument sein
23 (2) Vor dem Hintergrund dieses mit der Aufhebung des § 36 HGB aF ver- (1) Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das Handelsregister auch 27
folgten gesetzgeberischen Zwecks sind die Regelungen in §§ 33, 34 in Bezug auf juristische Personen des öffentlichen Rechts und namentlich
Abs. 1 HGB in Bezug auf die Eintragung der Vereinigung von als Anstalten Sparkassen zentrales Publizitäts- und Informationsinstrument sein (BT-
des öffentlichen Rechts betriebenen Sparkassen planwidrig lückenhaft. Drucks. 13/8444, S. 34).
24 Verschmelzungen nach § 2 ff. UmwG sind von den Vertretungsorganen Das Handelsregister hat die Aufgabe, als technisches Medium für die Ver- 28
jedes an einer Verschmelzung beteiligten Rechtsträgers zur Eintragung lautbarung der für den Rechtsverkehr wesentlichen Tatsachen und Rechts-
in das Handelsregister des Sitzes ihres Rechtsträgers anzumelden (§ 16 verhältnisse zu sorgen. Es ist das Publizitätsmittel, das die offenzulegenden
Abs. 1 Satz 1 UmwG), wobei die Verschmelzung im Register des über- Informationen zu den zentralen Unternehmensdaten für den Rechtsverkehr
nehmenden Rechtsträgers erst eingetragen werden darf, nachdem die bereithält und ihm zugänglich macht, sog. Informations- und Publizitäts-

2706 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Entscheidungen | Wirtschaftsrecht
OLG Karlsruhe · 22.8.2023 – 8 U 86/21

funktion. Die einzutragenden Angaben müssen deshalb zuverlässig, voll- II ZB 15/11, ZIP 2012, 623 Rn. 16 [BB 2012, 781 Ls.]), über die Gesamt-
ständig und lückenlos beurkundet werden (BGH, Beschluss vom 3. Februar rechtsnachfolge im Dunkeln lassen und zur Geltendmachung von Forde-
2015 – II ZB 12/14, ZIP 2015, 1064 Rn. 18; Beschluss vom 26. November rungen wesentliche Informationen vorenthalten.
2019 – II ZB 21/17, ZIP 2020, 255 Rn. 32 [BB 2020, 257 Ls.]). Als öffentliches (b) Wegen der Publizitäts- und Informationsfunktion des Handelsregisters 33
Register nimmt das Handelsregister für sich in Anspruch, den darin enthal- ist die Vereinigung darüber hinaus auch in das Handelsregister der auf-
tenen Eintragungen eine solche Bedeutung und Gewähr beizumessen, dass nehmenden Sparkasse einzutragen.
in gewissem Umfang materiell-rechtliche Wirkungen an das darin gesetzte Der Gesetzgeber hat durch die Regelung in § 16 Abs. 1 Satz 1 UmwG klar- 34
Vertrauen anknüpfen (§ 15 HGB; BGH, Beschluss vom 3. Februar 2015 – II ZB gestellt, dass die Verschmelzung zweier Rechtsträger zu den zentralen
12/14, ZIP 2015, 1064 Rn. 18). Unternehmensdaten eines übernehmenden – auch vom Anwendungsbe-
29 Vor diesem Hintergrund bezweckt § 33 HGB, eine vollständige Auskunft reich des § 33 Abs. 1 HGB erfassten – Rechtsträgers zählt. Es entspricht
des Handelsregisters über alle Rechtsträger zu bewirken, die ein Handels- deswegen seinem mit der Aufhebung von § 36 HGB aF verfolgten Rege-
gewerbe betreiben, weswegen die Vorschrift juristische Personen mit ei- lungskonzept, Sparkassen als Anstalten des öffentlichen Rechts mit einer
ner Anmeldepflicht belegt, die ein Handelsgewerbe betreiben und deren Pflicht zur – deklaratorischen – Eintragung der Vereinigung zu belegen,
Eintragung nicht bereits durch spezielle Vorschriften gesichert ist (allg. wenn er in speziellen Gesetzen für juristische Personen des Privatrechts
Ansicht, z. B. Staub/Burgard, HGB, 6. Aufl., § 33 Rn. 3; MünchKommHGB/ eine – konstitutive – Eintragungspflicht begründet hat. Hierdurch wird
Krafka, 5. Aufl., § 33 Rn. 1; BeckOGK HGB/Maierhofer, Stand 15.9.2021, auch dem Grundsatz entsprochen, dass das Informationsangebot des
§ 33 Rn. 1; Reuschle in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., Handelsregisters übersichtlich und vergleichbar sein muss (Staub/Koch/
§ 33 Rn. 1; Oetker/Schlingloff, HGB, 7. Aufl., § 33 Rn. 1). In Ergänzung hier- Harnos, HGB, 6. Aufl., § 8 Rn. 31); denn für den Rechtsverkehr ist nicht
zu stellt § 34 HGB sicher, dass das Handelsregister auch zuverlässige Infor- ohne weiteres ersichtlich, aus welchem Grund Vereinigungen von Spar-
mationen über den gegenwärtigen Stand der wesentlichen Rechtsverhält- kassen anders als Verschmelzungen nach §§ 2 ff. UmwG nicht ins Han-
nisse des Rechtsträgers bietet (allg. Ansicht, z. B. Staub/Burgard, HGB, delsregister einzutragen sein sollten. Darüber hinaus erleichtert die Eintra-
6. Aufl., § 34 Rn. 3; BeckOGK HGB/Maierhofer,Stand 15.9.2021, § 34 Rn. 2; gung den Nachweis der Rechtsnachfolge für die Sparkassen im Rechtsver-
Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 34 Rn. 1; Oet- kehr, da der Nachweis mittels eines Handelsregisterauszugs geführt wer-
ker/Schlingloff, HGB, 7. Aufl., § 34 Rn. 1). den kann (etwa § 32 GBO). Es widerspräche dem Zweck des
Handelsregisters, den Nachweis zentraler Unternehmensdaten alleine
Zu wesentlichen Tatsachen und Rechtsverhältnissen über Originalunterlagen bzw. Abschriften führen zu müssen.
einer Sparkasse zählt ihre nach Landesrecht erfolgte
Vereinigung Durch diese Eintragung wird Handelsregister auch nicht
30 (2) Zu den wesentlichen Tatsachen und Rechtsverhältnissen einer Spar- unübersichtlich oder missverständlich, da nach § 43
kasse zählt ihre nach Landesrecht erfolgte Vereinigung. Mit Wirksamwer- Nr. 6 b) ee) HRV vorgesehen
den der Vereinigung durch Aufnahme geht das Vermögen der aufgenom- cc) Durch die Eintragung der Vereinigung der Sparkassen im Handelsre- 35
menen Sparkasse auf die aufnehmende als ganzes im Wege der Gesamt- gister der aufnehmenden wird das Handelsregister nicht unübersichtlich
rechtsnachfolge über (vgl. OLG Brandenburg, WM 2009, 2034, 2035 zu oder missverständlich, da entsprechende Eintragungen in das Handelsre-
§ 28 BbgSpkG; Kost/Geerling, BKR 2003, 690, 691; Niggemeyer, Zulässig- gister nach § 43 Nr. 6 b) ee) HRV vorgesehen sind.
keit und Grenzen von Sparkassenfusionen, 2005, S. 346 ff.). Da die aufge-
nommene Sparkasse in ihrer Rechtspersönlichkeit untergeht, fallen auch
ihre Organe weg (Berger, Niedersächsisches Sparkassengesetz, 2. Aufl.,
§ 2 Rn. 22; Biesok, Sparkassenrecht, 2021, B. Sparkassen und ihre Kommu-
nen, Rn. 117; Rümker, Festschrift Steindorff, 1990, S. 449, 453).
OLG Karlsruhe: Dieselverfahren – Zur
Wegen erheblicher Rechtsfolgen der Vereinigung: Haftung eines Pkw-Herstellers und zu
Verpflichtende Eintragung entsprechend §§ 33, 34 Anforderungen an Darlegung eines
Abs. 1 HGB im Handelsregister der an ihr beteiligten unvermeidbaren Verbotsirrtums
Sparkassen
31 (3) Angesichts dieser erheblichen Rechtsfolgen der Vereinigung ist sie OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.8.2023 – 8 U 86/21
entsprechend §§ 33, 34 Abs. 1 HGB verpflichtend im Handelsregister der Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2023-2242-4
an ihr beteiligten Sparkassen einzutragen. unter www.betriebs-berater.de
32 (a) Dies folgt für die aufgenommene Sparkasse schon daraus, dass der Be-
schluss über die Vereinigung mit der aufnehmenden Sparkasse einem AMTLICHER LEITSATZ
Auflösungsbeschluss bzw. jedenfalls einer Satzungsänderung vergleichbar Zur Haftung eines Pkw-Herstellers für ein Dieselfahrzeug mit Thermo-
ist (gegen eine Eintragungspflicht Biesok, Sparkassenrecht, 2021, B. Spar- fenster gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV,
kassen und ihre Kommunen, Rn. 115; Biesok, Kommentar zum Sparkas- und zu den Anforderungen an die Darlegung eines unvermeidbaren
sengesetz, § 28 Rn. 654). Auch die dem Handelsregister zukommende Pu- Verbotsirrtums durch den Fahrzeughersteller, insbesondere zu der An-
blizitätsfunktion gebietet die Eintragung: Ihr Ausbleiben würde die Öf- forderung, nicht nur eine etwaige Unvermeidbarkeit, sondern auch
fentlichkeit, insbesondere Arbeitnehmer, sowie künftige oder gegenwärti- konkret einen Irrtum verantwortlich handelnder Personen des Herstel-
ge Gläubiger (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 1988 – II ZB 7/88, lers darzulegen.
BGHZ 105, 324, 344 [BB 1989, 19 Ls.]; Beschluss vom 14. Februar 2012 – BGB §§ 31, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2707


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Otte | BB-Kommentar zu OLG Karlsruhe · 22.8.2023 – 8 U 86/21

BB-Kommentar Die Höhe des Differenzschadens sei gemäß § 287 ZPO unter Berücksichti-
gung aller Umstände des Einzelfalls innerhalb des unionsrechtlich vorge-
Vereinzelte Bejahung eines Differenzschadensersatz- gebenen Rahmens zwischen 5 % und 15 % nach tatrichterlichem Ermes-
anspruchs beim Einsatz eines Thermofensters, aber im sen zu schätzen. Da es sich sowohl in Bezug auf die Art als auch die mög-
Ergebnis wenig Hoffnung für geschädigte Käufer lichen Folgen des Verstoßes um einen mittelschweren Fall handele, stehe
dem Kläger ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 10 % des gezahlten
PROBLEM Kaufpreises, also von 5 865 Euro zu. Auf den Schaden seien weder Nut-
Jüngst hat der BGH in einer wegweisenden Entscheidung (BGH, 26.6.2023 – zungsvorteile noch der Restwert des Kfz im Wege der Vorteilsausglei-
VIa ZR 335/21, BB 2023, 1737 m. Komm. Otte) die Haftung des Herstellers chung anzurechnen, da sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Ab-
eines Kfz für das Inverkehrbringen eines Kfz mit einem sog. Thermofen- schluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden)
ster unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, nicht überstiegen.
27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens bejaht. Bei einem
Thermofenster handelt es sich um eine Steuerung des Emissionskontroll- PRAXISFOLGEN
systems, die insbesondere bei niedrigen Außentemperaturen – sowohl Mit seiner Entscheidung setzt das OLG Karlsruhe die jüngst vom BGH
auf dem Prüfstand als auch im Straßenverkehr – aus Gründen der Motor- aufgestellten Vorgaben (BGH, 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, BB 2023,
sicherheit oder -schonung die Abgasreinigung einschränkt oder abschal- 1737 m. Komm. Otte) zur Haftung des Herstellers wegen Inverkehrbrin-
tet. Eine solche Haftung setzt ein Verschulden des Herstellers voraus. gens eines Kfz mit einem Thermofenster um. Soweit ersichtlich, ist das
Sofern sich der Hersteller im Hinblick darauf, dass die Rechtslage zur Zu- OLG Karlsruhe das erste Obergericht, das auf der Basis der jüngsten
lässigkeit von Thermofenstern nicht geklärt war, entlasten will, muss er Rechtsprechung des BGH eine Haftung des Herstellers beim Einsatz ei-
einen unvermeidbaren Verbotsirrtum darlegen und beweisen. Der Nach- nes Thermofensters gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27
weis einer solchen Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums setzt jedenfalls Abs. 1 EG-FGV wegen fahrlässiger Erteilung einer unzutreffenden Über-
eine hypothetische Genehmigung der konkret verwendeten Abschaltein- einstimmungsbescheinigung bejaht. Bislang haben andere Oberlandes-
richtungen in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) gerichte auf breiter Front einen solchen Anspruch insbesondere man-
Nr. 715/2007 maßgeblichen Einzelheiten durch das Kraftfahrtbundesamt gels Verschuldens des Herstellers abgelehnt: Der Hersteller könne sich
(KBA) voraus. Mit der Rechtsfrage, ob und unter welchen Vorausset- auf eine hypothetische EG-Typgenehmigung des Thermofensters durch
zungen ein das Verschulden ausschließender unvermeidbarer Verbotsirr- das zuständige KBA stützen, das bei dem Thermofenster keine unzuläs-
tum des Herstellers vorlag, hatte sich das OLG Karlsruhe zu beschäftigen. sige Abschalteinrichtung festgestellt hätte. Damit könne sich der Her-
steller durch einen unvermeidbaren Verbotsirrtum im Zeitpunkt des
ZUSAMMENFASSUNG Vertragsschlusses entlasten (vgl. nur OLG Köln, 26.7.2023 – 3 U 96/22,
Der Kläger erwarb 2014 von einer Fahrzeughändlerin einen von der Be- BeckRS 2023, 19531; OLG Koblenz, 14.7.2023 – 16 U 21/23, BeckRS
klagten hergestellten gebrauchten Pkw A. Cabriolet 3.0 TDI zu einem 2023, 19535).
Preis von 58 650 Euro, der mit einem Thermofenster ausgestattet war. Der Angesichts der zahlreichen Entscheidungen, die eine Haftung des Herstel-
Kläger machte gegen die beklagte Herstellerin u. a. einen Anspruch auf lers aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV beim Ein-
Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung satz eines Thermofensters wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums
Zug um Zug gegen Rückgabe des Kfz geltend, hilfsweise auf Zahlung ei- des Herstellers ablehnen, verbleibt ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit.
nes Differenzschadensersatzes. Die Berufung des Klägers gegen das kla- Auch die Begrenzung auf den „kleinen“ Differenzschaden und dessen
geabweisende Urteil des LG Baden-Baden hatte teilweise Erfolg. Pauschalierung auf einen Rahmen zwischen 5 % und 15 % des gezahlten
Nach Auffassung des OLG Karlsruhe steht dem Kläger als Käufer eines mit ei- Kaufpreises verbessern die Aussichten für die geschädigten Käufer nicht.
ner unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kfz ein Anspruch gegen Hinzu kommt die schadensmindernde Anrechnung der gezogenen Nut-
die Beklagte auf Ersatz des Differenzschadens in Höhe von 5 865 Euro aus zungen und des Restwerts, soweit sie den tatsächlichen Wert des Kfz bei
§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Die Beklagte habe Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzscha-
fahrlässig eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung erteilt. Ihr den von 5 % bis 15 %) übersteigen (vgl. auch bereits BGH, 24.1.2022 – VIa
Verschulden entfalle auch nicht durch einen unvermeidbaren Verbotsirrtum. ZR 100/21, BB 2022, 658). Diese führt dazu, dass der „kleine“ Schadenser-
Als Fahrzeugherstellerin müsse sie sowohl den Verbotsirrtum als solchen als satzanspruch des geschädigten Käufers – jedenfalls bei Mittelklassewagen
auch dessen Unvermeidbarkeit konkret darlegen und beweisen. Ein Verbots- – ab einer tatsächlichen Gesamtlaufleistung des Kfz von ca. 250 000 km
irrtum könne vorliegen, wenn der Schädiger die Rechtslage unter Einbezie- vollständig aufgezehrt sein kann (Otte, Die Erste Seite, BB Heft 37/2020;
hung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft habe und dies., BB 2023, 1747, 1748).
er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen
Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauche. Die Beklagte habe
bereits einen Verbotsirrtum als solchen nicht konkret dargelegt, so dass des- Prof. Dr. Sabine Otte, LL.M. (Bristol), ist seit 2015 Professo-
sen Unvermeidbarkeit dahinstehen könne. Sie habe insbesondere nicht vor- rin für Zivil-, Handels- und Gesellschaftsrecht an der Hoch-
getragen, dass und ob sich einzelne Mitglieder des Vorstands konkrete Vor- schule Düsseldorf. Zuvor war sie Rechtsanwältin in interna-
stellungen über die Zulässigkeit des Thermofensters machten, die Grundlage tional tätigen großen Wirtschaftskanzleien. Seit 2020 ist sie
für einen Irrtum sein könnten. Auch zu den Entscheidungsprozessen bei der Of Counsel in der Sozietät Berner Fleck Wettich, Düsseldorf,
Beklagten im Zusammenhang mit dem Thermofenster finde sich nichts. und seit 2021 zudem Mitglied des Beirats im Ressort Wirt-
schaftsrecht des Betriebs-Berater.
Der Kläger könne im Falle einer bloß fahrlässigen Schutzgesetzverletzung
Ersatz des Schadens nach Maßgabe der Differenzhypothese verlangen.

2708 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Die Woche im Blick | Steuerrecht

Die Bundesregierung hat mit BT-Drs. 20/9000 über eine bessere Rechtsetzung und Maßnahmen zum Bürokratieabbau
in der 20. Legislaturperiode unterrichtet. Unter der Rubrik „Finanzen“ finden sich Ausführungen zur Modernisierung
des Besteuerungsverfahrens. In Zukunft soll die gesamte Interaktion zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung
digital möglich werden. Zum Einsatz kommen soll in Zukunft auch verstärkt die vorausgefüllte Steuererklärung, sog.
„Easy Tax“. Über ELSTER stünde den Steuerpflichtigen schon jetzt eine „effiziente, zeitgemäße, medienbruchfreie und
hochsichere elektronische Übertragung von Steuerdaten“ zur Verfügung. Die neue „MeinELSTER“-App könne mit der
Kamera eines Smartphones fotografierte Belege in der „ELSTER-Beleg-Cloud“ sammeln. In Zukunft werde die APP als
mobiles Cockpit für ELSTER ausgebaut. Darüber hinaus werde an der Umsetzung digitaler Verwaltungsakte gearbeitet.
Alle Steuerpflichtigen, Berater und Beraterinnen sollen Bescheide oder sonstige Schreiben auf digitalem Wege erhalten. Prof. Dr. Michael
Am Ende aller Bemühungen stünde die durchgehend papierlose Bearbeitung eines Steuerfalles. Mit zwei Programmen Stahlschmidt,
„KISS“ und „ANSWER“ werde der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bei der Steuerverwaltung des Bundes vorange- Ressortleiter Steuerrecht
trieben. Die Folge sei die Digitalisierung von Steuergesetzen, KI-gestützte Gesetzesfolgenabschätzung und KI-gestützte
Verwaltungsvollzugsverfahren. So solle mehr „globale Steuergerechtigkeit“ erreicht und eine Datenmanagement-Platt-
form aufgebaut werden. Die Steuerverwaltung leiste einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung des sog. „Once-Only“-
Prinzips mit der Steuer-Identifikationsnummer (St-IdNr.) und der Wirtschafts-Identifikationsnummer (W-IdNr.) Die Umset-
zung des Registermodernisierungsgesetzes vollziehe sich auf Basis der St-IdNr. nach § 139b AO für ein Identitätsma-
nagement bei den vom Onlinezugangsgesetz erfassten Leistungen; beim Unternehmensbasisdatenregister mit der be-
schleunigt umzusetzenden W-IdNr. nach § 139c AO. Sie wird die Rolle der bundeseinheitlichen Wirtschaftsnummer
übernehmen. Unternehmensstammdaten sollen so zentral vorgehalten und Mehrfachmeldungen an verschiedene Regis-
ter überflüssig werden.

Entscheidungen ligt, die ASI und AOE zur Bestimmung der in Ir- ten außerhalb der USA erzielt worden seien, zu
land aus der Tätigkeit ihrer irischen Zweignie- steuerlichen Zwecken den irischen Zweignieder-
EuGH-Schlussanträge: Besonderer Steuer-
derlassungen zu versteuernden Gewinne vorge- lassungen zugewiesen werden müssten. Ferner
freibetrag für Arbeitnehmer des Bausektors
schlagen hatten. 2016 kam die Europäische habe das Gericht das Vorliegen und die Folgen
– Niederlassungsfreiheit
Kommission zu dem Ergebnis, dass die „tax rul- einiger methodischer Fehler, die die „tax rulings“
Die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV)
ings“ dadurch, dass sie von dem zu versteuern- dem Beschluss der Kommission zufolge aufge-
steht einer nationalen Regelung wie hier nicht
den Ergebnis die Gewinne aus der Nutzung der wiesen haben, unzutreffend gewürdigt. Daher
entgegen, die im Inland steuerpflichtigen Ar-
von ASI und AOE gehaltenen Lizenzen des geis- sei eine erneute Würdigung durch das Gericht
beitnehmern, die bei einem Arbeitgeber, der im
tigen Eigentums ausgeschlossen hätten, diesen erforderlich.
Inland gewinnorientierte Tätigkeiten im Bausek- (Quelle: PM EuGH Nr. 171/23 vom 9.11.2023)
Gesellschaften zwischen 1991 und 2014 eine
tor ausübt, angestellt sind und die nicht in das
rechtswidrige und mit dem Binnenmarkt unver-
Ausland entsandt wurden, einkommensteuer- BFH: Vermietung und Verpachtung: Über-
einbare staatliche Beihilfe gewährt hätten, die
rechtlich einen speziellen Steuerfreibetrag ge- prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht bei
dem Apple-Konzern als Ganzes zugutegekom-
währt, um die Abwanderung von Arbeitskräften Objekten mit mehr als 250 qm Wohnfläche
men sei, und ordnete gegenüber Irland deren
des inländischen Bausektors aufgrund eines uni- 1. Bei der Vermietung eines Objekts mit einer
Rückforderung an. 2020 hat das Gericht auf eine
onsrechtlich unterdurchschnittlichen Mindest- Wohnfläche von mehr als 250 qm besteht eine
von ASI und AOE erhobene Klage hin den Be-
lohns zu verringern. Ausnahme von der typisierten Annahme der Ein-
schluss der Kommission für nichtig erklärt, da
GAin Kokott, Schlussanträge vom 19.11.2023 – künfteerzielungsabsicht bei einer auf Dauer an-
die Kommission nicht dargetan habe, dass ein
C-387/22 gelegten Vermietungstätigkeit, die Anlass zu de-
Vorteil vorliege, der sich aus dem Erlass der „tax
Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2709-1 ren Überprüfung mittels einer Totalüberschuss-
rulings“ ergebe. Die Kommission beantragt beim
unter www.betriebs-berater.de prognose gibt.
Gerichtshof die Aufhebung des Urteils des Ge-
2. An den von der Rechtsprechung entwickelten
EuGH-Schlussanträge: Urteil des Gerichts richts.
Grundsätzen zur typisierten Annahme der Ein-
über die Steuervorbescheide (tax rulings) In seinen Schlussanträgen vom 9.11.2023 – C-
künfteerzielungsabsicht bei einer auf Dauer an-
Irlands gegenüber Apple ist aufzuheben 465/20 P schlägt Generalanwalt Giovanni Pitruz-
gelegten Vermietungstätigkeit und den diesbe-
Durch ein „tax ruling“ können Unternehmen bei zella dem Gerichtshof vor, das Urteil aufzuheben
züglichen Ausnahmen, insbesondere bei der
der Steuerverwaltung einen Vorbescheid über und den Fall an das Gericht zur erneuten Ent-
Vermietung eines Objekts mit mehr als 250 qm
die bei ihnen anzuwendende steuerliche Be- scheidung in der Sache zurückzuverweisen.
Wohnfläche, hält der Senat auch nach der Einfü-
handlung erhalten. 1991 und 2007 erließ Irland Nach Ansicht des Generalanwalts sind dem Ge-
gung von § 21 Abs. 2 Satz 2 des Einkommen-
zwei „tax rulings“ in Bezug auf zwei Gesellschaf- richt eine Reihe von Rechtsfehlern insoweit un-
steuergesetzes durch das Steuervereinfachungs-
ten des Apple-Konzerns (Apple Sales Internatio- terlaufen, als es befunden habe, dass die Kom-
gesetz 2011 fest.
nal – ASI und Apple Operations Europe – AOE), mission nicht hinreichend dargetan habe, dass
BFH, Urteil vom 20.6.2023 – IX R 17/21
die nach irischem Recht gegründet worden wa- die von ASI und AOE gehaltenen Lizenzen des (Amtliche Leitsätze)
ren, jedoch nicht in Irland steueransässig sind. geistigen Eigentums und die zugehörigen Ge- Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2709-2
Mit den „tax rulings“ wurde die Methode gebil- winne, die durch den Verkauf von Apple-Produk- unter www.betriebs-berater.de

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2709


Steuerrecht | Die Woche im Blick

BFH: Erstattung von Lohnkirchensteuer an Nutzen zieht (vgl. BFH-Urteil vom 30.11.2010 – (Amtliche Leitsätze)
den Arbeitgeber VIII R 19/07, BFH/NV 2011, 449). Daran fehlt es, Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2710-6
1. Erstattet der Arbeitnehmer seinem Arbeitge- wenn die Kapitalgesellschaft für den der nahe- unter www.betriebs-berater.de
ber im Rahmen eines Gesamtschuldneraus- stehenden Person gewährten Vermögensvorteil FG Hamburg: Klage im „cum/ex-Verfahren“
gleichs die für ihn an das Finanzamt im Rahmen eine angemessene Gegenleistung erhält. abgewiesen
der Haftung nach § 42d des Einkommensteuer- BFH, Beschluss vom 5.9.2023 – VIII R 2/20 Der 6. Senat des FG Hamburg hat am 9.11.2023,
gesetzes (EStG) gezahlten Lohnkirchensteuern, (Amtliche Leitsätze)
in einem sog. „cum/ex-Verfahren“ entschieden
Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2710-3
handelt es sich nicht um Werbungskosten bei und die Klage abgewiesen (6 K 228/20). Die Re-
unter www.betriebs-berater.de
den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, vision wurde nicht zugelassen. Es besteht aber
da der hierfür erforderliche objektive Zusam- BFH: Aufhebung eines FG-Urteils gegen die
die Möglichkeit der Einlegung einer Nichtzulas-
menhang mit dem Beruf fehlt. falsche Beklagte
sungsbeschwerde zum BFH.
2. Die an den Arbeitgeber geleistete Erstattung NV: Ein infolge fehlender passiver Prozessfüh-
Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor.
ist jedoch als Sonderausgabe (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 rungsbefugnis gegen die falsche Beklagte er- (Quelle: PM FG Hamburg Nr. 3/2023 vom 13.11.2023)
EStG) abziehbar, weil sie als Zahlung auf die ei- gangenes Urteil des Finanzgerichts beinhaltet
gene Kirchensteuerschuld des Arbeitnehmers einen im Revisionsverfahren von Amts wegen zu Verwaltung
anzusehen ist. berücksichtigenden Verfahrensmangel und ist
BMF: Ausbau der Transparenz im Steuer-
BFH, Urteil vom 23.8.2023 – X R 16/21 deshalb ohne Sachprüfung aufzuheben.
bereich
(Amtliche Leitsätze) BFH, Urteil vom 17.8.2023 – III R 11/22
(Amtlicher Leitsatz) In Reaktion auf die Verbreitung moderner Zah-
Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2710-1
Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2710-4 lungs- und Investmentmethoden, insbesondere
unter www.betriebs-berater.de
unter www.betriebs-berater.de der wachsenden Bedeutung von Kryptowerten,
BFH: Zu den Voraussetzungen der Haftung BFH: Voraussetzungen für die Zuordnung hat die OECD im Auftrag der G20 den gemeinsa-
eines Geschäftsführers für Biersteuer von Maßnahmen zur Aufbereitung von men Meldestandard (Common Reporting Stan-
1. Die Entnahme von Bier aus einem Steuerlager Brennstoff zur begünstigten Stromer- dard – CRS) aktualisiert. Dieser ist seit 2017
mit der Folge der Entstehung der Biersteuer zeugung Grundlage für den weltweiten automatischen Fi-
nach § 14 Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 2 Nr. 1 des NV: Die Gewährung einer Steuerbefreiung nach nanzkonteninformationsaustausch.
Biersteuergesetzes stellt für sich betrachtet noch Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96/ Mit dem sogenannten Crypto-Asset Reporting
keine objektive Pflichtverletzung dar, auf die EG des Rates vom 27.10.2003 zur Restrukturie- Framework (CARF) wurden daneben neue, stan-
eine Haftungsinanspruchnahme des Geschäfts- rung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschrif- dardisierte Sorgfalts- und Meldepflichten für
führers einer GmbH nach § 69 Satz 1 der Abga- ten zur Besteuerung von Energieerzeugnissen Kryptowerte-Dienstleister entwickelt. Der aktua-
benordnung gestützt werden kann. und elektrischem Strom bzw. § 9 Abs. 1 Nr. 2 lisierte CRS und das CARF dienen gemeinsam
2. Der Geschäftsführer hat dafür zu sorgen, dass des Stromsteuergesetzes für Strom, der zum Bei- dem Ziel, die erforderliche Transparenz im Steu-
die Biersteuer bei Fälligkeit aus den von ihm ver- spiel für den Betrieb von Gebläsen und Pumpen erbereich herzustellen, um Steuerhinterziehung
walteten Mitteln entrichtet wird, wobei ihm auf- für die Aufbereitung von Brennstoff verbraucht zu verhindern und das Steueraufkommen sicher-
grund des auf Abwälzung ausgerichteten Ver- wird, hängt davon ab, ob diese Verwendung in zustellen.
brauchsteuersystems die Möglichkeit einge- einem unmittelbaren Zusammenhang zum tech- Finanzinstitute beziehungsweise Kryptowerte-
räumt wird, das Bier in Ausübung seiner unter- nologischen Prozess der Stromerzeugung steht. Dienstleister sollen an die nationalen Steuerbe-
nehmerischen Freiheit zu verkaufen und damit BFH, Beschluss vom 25.10.2023 – VII B 103/22 hörden jährlich Informationen zu im Ausland
Einnahmen zu erzielen. (Amtlicher Leitsatz) steuerlich ansässigen Personen melden, für die
3. Sofern jedoch bereits bei der Entnahme des Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2710-5 sie Finanzkonten führen beziehungsweise für
Bieres aus dem Steuerlager für den Geschäfts- unter www.betriebs-berater.de die sie Transaktionen mit Kryptowerten durch-
führer klar erkennbar ist, dass im Zeitpunkt der BFH: Nichtzulassungsbeschwerde – zu den geführt haben. Die Informationen werden auto-
Fälligkeit der Biersteuer keine Mittel für deren Folgen einer unterlassenen elektronischen matisch mit den Steuerbehörden der jeweiligen
Begleichung vorhanden sein werden, liegt in der Übermittlung der Beschwerdebegrün- Ansässigkeitsstaaten ausgetauscht. Die als DAC
Entnahme ein Verstoß gegen die Mittelvorsorge- dungsschrift 8 bezeichnete Aktualisierung der EU-Amtshilfe-
pflicht vor. 1. NV: Für Steuerberater steht seit dem richtlinie (Richtlinie (EU) 2023/2226 vom
BFH, Urteil vom 29.8.2023 – VII R 47/20 01.01.2023 ein sicherer Übermittlungsweg im 17.10.2023) sieht bereits die Umsetzung beider
(Amtliche Leitsätze) Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Finanzge- Regelwerke und den automatischen Informati-
Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2710-2
richtsordnung (FGO) zur Verfügung, zu dessen onsaustausch unter den EU-Mitgliedstaaten vor.
unter www.betriebs-berater.de
Nutzung sie gemäß § 52d Satz 2 FGO verpflich- Der nachfolgenden gemeinsamen, staatenüber-
BFH: Zu den Voraussetzungen einer mittel- tet sind. greifenden Erklärung hat sich Deutschland an-
baren verdeckten Gewinnausschüttung 2. NV: Eine beim Bundesfinanzhof nach dem geschlossen mit der Absicht, das Crypto-Asset
NV: Eine verdeckte Gewinnausschüttung kann 31.12.2022 fristgemäß als Telefaxschreiben ein- Reporting Framework und den geänderten
auch ohne Zufluss beim Gesellschafter anzuneh- gegangene Begründung der Nichtzulassungsbe- Common Reporting Standard umzusetzen und
men sein, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem schwerde, die durch eine Steuerberaterin einge- mit dem zwischenstaatlichen Informationsaus-
Gesellschafter den Vorteil mittelbar in der Weise reicht wurde, entspricht diesen Anforderungen tausch auf Grundlage beider OECD-Regelwerke
zuwendet, dass eine dem Gesellschafter nahe- nicht und ist unwirksam. nach Möglichkeit in 2027 zu beginnen.
stehende Person aus der Vermögensverlagerung BFH, Beschluss vom 31.10.2023 – IV B 77/22 (Quelle: PM BMF vom 10.11.2023)

2710 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Aufsatz | Steuerrecht

Dr. Florian Oppel, LL.M., RA/StB/FAStR/FBIStR, Julian Solowjeff, StB/FBIStR, und


Maximilian Trappmann, RA

Entwurf des „neuen“ Umwandlungssteuer-


erlasses: Im Zweifel für den Fiskus! – Teil II
Überblick über die wichtigsten Änderungen mit kritischer Einordnung

Kaum ein anderes BMF-Schreiben ist für die Rechtsanwendung so be- schiebungen zwischen beteiligten Kapitalgesellschaften und deren An-
deutsam wie der Umwandlungssteuererlass. Die Komplexität der Mate- teilseignern kommt (Rn. 13.03 S. 4 und 5). Zudem können Schen-
rie gebietet es nämlich, die Beratung in Umwandlungsfällen in beson- kungsteuerfolgen aus § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 8 ErbStG resultieren
derer Weise an der Sichtweise der Finanzverwaltung auszurichten. Diese (Rn. 13.03 S. 6).
hatte das BMF zuletzt in dem aus 2011 stammenden, aktuell geltenden
Umwandlungssteuererlass zum Ausdruck gebracht. Seither ist viel pas- 2. Anwendung der Fusionsrichtlinie
siert. Am 11.10.2023 hat das BMF nun den Entwurf der lang erwarteten Die Fortführung der Anschaffungskosten bzw. Buchwerte setzt gemäß
Überarbeitung vorgelegt. Grundlegende Änderungen bleiben aus. Viel- § 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UmwStG voraus, dass das Besteuerungsrecht
mehr handelt es sich um eine behutsame Überarbeitung des Umwand- hinsichtlich der Veräußerung der Anteile an der übernehmenden Kör-
lungssteuererlasses aus 2011, die insbesondere seither ergangene perschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Dessen unge-
Rechtsprechung und Gesetzesänderungen in das umfangreiche BMF- achtet können die Anschaffungskosten bzw. die Buchwerte bei Ver-
Schreiben einpflegt. Der zweiteilige Beitrag stellt die wichtigsten Ände- schmelzungen fortgeführt werden, die in den Anwendungsbereich des
rungen vor und ordnet sie kritisch ein. Teil I ist in Heft 46 (S. 2647ff.) Art. 8 FRL fallen (§ 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UmwStG).
erschienen. In Bezug auf § 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UmwStG hat die Finanzverwaltung
ein Beispiel ergänzt. In Rn. 13.07 behandelt sie den Fall der Ver-
IX. § 13 UmwStG schmelzung einer deutschen GmbH mit deutschen Anteilseignern auf
eine tschechische – einer GmbH entsprechenden – s.r.o. Der Clou des
Bei Verschmelzung einer Körperschaft auf eine andere Körperschaft Falls liegt darin, dass Art. 13 Abs. 3 DBA-Tschechoslowakei – anders
ergeben sich die Rechtsfolgen auf Anteilseignerebene aus § 13 als die meisten anderen deutschen DBA – eine sog. Sitzklausel vor-
UmwStG. Die Vorschrift erfasst Beteiligungen in einem steuerlichen sieht.53 Damit steht nicht nur Deutschland als Ansässigkeitsstaat des
Betriebsvermögen, wesentliche Beteiligungen i. S. v. § 17 UmwStG so- Gesellschafters ein Besteuerungsrecht zu, sondern auch Tschechien als
wie einbringungsgeborene Anteile (Rn. 13.01 S. 1). Sitzstaat der übernehmenden Körperschaft. Eine Steuer auf den Ver-
Die antragsgebundene Fortführung der Anschaffungskosten bzw. äußerungsgewinn im Sitzstaat ist dann auf die deutsche Einkommen-
Buchwerte gemäß § 13 Abs. 2 UmwStG ist isoliert von den Steuerfol- oder Körperschaftsteuer anzurechnen (Art. 23 Abs. 1 Buchst. b Nr. 3
gen auf Ebene der übertragenden und übernehmenden Körperschaft DBA-Tschechoslowakei).
zu prüfen. Die Finanzverwaltung schließt sich der Rechtsprechung In der Lösung zum Beispiel in Rn. 13.07 legt die Finanzverwaltung
des BFH an, wonach auf Ebene der Anteilseigner ein Gewinn – auch zutreffend dar, dass bei Sitzklauseln die Voraussetzung des § 13 Abs. 2
aus einem Spitzenausgleich – nach allgemeinen Grundsätzen und S. 1 Nr. 1 UmwStG nicht erfüllt ist. Allerdings ergibt sich die Mög-
nicht unter Anwendung der Rückwirkungsfiktion entsteht (Rn. 13.02 lichkeit der Fortführung der Anschaffungskosten bzw. Buchwerte aus
S. 4).50 § 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UmwStG. Im Fall einer späteren Veräußerung
kommt es dann im Rahmen eines sog. Treaty-Override zur Besteue-
1. Nicht wertwahrende Verschmelzung rung des Veräußerungsgewinns in Deutschland (Art. 8 Abs. 6 FRL).
Bisher vertrat die Finanzverwaltung die Ansicht, dass eine nicht wert- Dieser erfasst nach dem Wortlaut auch die Wertsteigerungen nach
wahrende Verschmelzung (sowie Spaltung, Rn. 15.44) nicht von § 13 der Umwandlung.54
UmwStG erfasst ist und damit zwingend die stillen Reserven realisiert.
Dem folgte der BFH nicht.51 Vor diesem Hintergrund lässt die Fi-
nanzverwaltung nun auch bei wertverschiebenden Vorgängen die
Fortführung der Anschaffungskosten bzw. Buchwerte auf Grundlage
des § 13 Abs. 2 UmwStG zu (Rn. 13.03 S. 1).52 Wertverschiebung sind 50 BFH, 17.1.2018 – I R 27/16, BStBl. II 2018, 449, BB 2018, 1328 m. BB-Komm. Kubik.
51 BFH, 28.5.2020 – IV R 17/17, BStBl. II 2023, 607, BB 2020, 2671 m. BB-Komm. Bünning.
auf Anteilseignerebene allerdings zusätzlich anhand der allgemeinen 52 BFH, 17.1.2018 – I R 27/16, BStBl. II 2018, 419, BB 2018, 1328 m. BB-Komm. Kubik.
Grundsätze zu beurteilen (Rn. 13.03 S. 3). So können sich u. a. Ent- 53 Nitzschke, in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Stand: November 2020, § 13
UmwStG, Rn. 37; Neumann, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019,
nahme- und Einlagehandlungen ergeben, wenn die Anteile in einem § 13, Rn. 75; Schießl, in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Stand: Dezember 2018,
steuerlichen Betriebsvermögen gehalten werden, sowie verdeckte Ge- § 13 UmwStG, Rn. 15.68.
54 Zum unionsrechtlichen Hintergrund Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuer-
winnausschüttungen oder verdeckte Einlagen, wenn es zu Wertver- recht, 2. Aufl. 2022, Art. 8 FRL, Rn. 20.

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2711


Steuerrecht | Aufsatz
Oppel/Solowjeff/Trappmann · Entwurf des „neuen“ Umwandlungssteuererlasses: Im Zweifel für den Fiskus! – Teil II

3. Fazit Bisher war im UmwStE 2011 keine Aussage für die Behandlung von
Die Änderungen in den Rn. 13.01 bis 13.11 betreffen im Wesentlichen Wirtschaftsgütern vorgesehen, die nach wirtschaftlichen Zusammen-
eine Anpassung der Verwaltungsansicht an die zwischenzeitlich er- hängen zuordenbar sind. Werden diese nicht aufgeteilt, müssen sie
gangene Rechtsprechung und sind zu begrüßen. einheitlich dem Teilbetrieb zugeordnet werden, in dem sie überwie-
gend genutzt werden (Rn. 15.08). U. E. lässt der Wortlaut des Umw-
X. § 15 UmwStG StE 2024-E eine solche Zuordnung auch zu, wenn eine Aufteilung
möglich, aber nicht vorgenommen wird. Insbesondere ist – anders als
1. Spaltung zu Null bei wesentlichen Betriebsgrundlagen – nicht die Voraussetzung der
Im Zuge der Spaltung können gesellschaftsrechtlich die Beteiligungs- Unzumutbarkeit der Teilung notwendig.
verhältnisse völlig neu geordnet werden. Es ist auch möglich, dass ein Weiterhin werden die Anforderungen an eine Zuordnung nach wirt-
oder mehrere Gesellschafter an der abgespaltenen Gesellschaft gar schaftlichem Zusammenhang nicht konturiert.
nicht mehr beteiligt sind (sog. Spaltung zu null). Solche nicht verhält-
niswahrenden Spaltungen fallen nach h. M. in den Anwendungsbe- 4. Nachspaltungsveräußerungssperre
reich des § 15 UmwStG.55 Dem folgt die Finanzverwaltung nun auch § 15 Abs. 2 S. 3 und 4 UmwStG suspendieren die Buchwertfortfüh-
ausdrücklich (Rn. 01.15 und 15.43). rung auf Ebene der übertragenden Gesellschaft, wenn dadurch die
Voraussetzungen einer Veräußerung geschaffen werden. Dies ist nur
2. Ausschließlichkeitsgebot dann der Fall, wenn mehr als 20 % der Anteile der vor Wirksamwer-
Nach § 15 Abs. 1 S. 2 UmwStG 1998 war erforderlich, dass das nach den der Spaltung bestehenden Anteile veräußert werden. Bereits vor
der Abspaltung verbleibende Vermögen „ebenfalls zu einem Teilbe- Überarbeitung des UmwStE 2011 betrachtete die Finanzverwaltung
trieb gehört“. Obgleich sich das Erfordernis in dieser Form nicht in Umwandlungen und Einbringungen ebenfalls als Veräußerung. Die
der aktuellen Gesetzesfassung wiederfindet, ging die Finanzverwal- diesbezügliche Aussage in Rn. 15.24 wird nun präzisiert. Schädlich ist
tung bereits im UmwStE 2011 vom sog. Ausschließlichkeitsgebot aus sowohl die Folgeumwandlung der unmittelbar an der Umwandlung
und wiederholte § 15 Abs. 1 S. 2 UmwStG 1998 in Rn. 15.01 statt den beteiligten Rechtsträger (übertragender und übernehmender Rechts-
neuen Wortlaut aufzugreifen.56 Dieser Sichtweise verleiht die Finanz- träger) wie auch die Umwandlung der Gesellschafter. Die Veräuße-
verwaltung im UmwStE 2024-E noch einmal Nachdruck. Sie stellt rung der Muttergesellschaft ist dagegen unschädlich.
klar, dass nach ihrer Auffassung für die Anwendung des § 15 Abs. 1 Die Finanzverwaltung nennt das Urteil des BFH vom 11.8.2021 – I R
S. 2 UmwStG alle Wirtschaftsgüter einem Teilbetrieb zugeordnet wer- 39/18 nicht. Danach stellen § 15 Abs. 2 S. 3 und 4 UmwStG einen ein-
den können müssen. heitlichen Missbrauchstatbestand dar. Eine gesetzliche Nichtanwen-
Diese Aussage ist im Zusammenhang mit der im Wesentlichen unver- dungsregelung ist bereits mit dem sog. Wachstumschancengesetz in
änderten Rn. 15.11 zu lesen. Danach können fiktiven Teilbetrieben Vorbereitung.59
nur die Wirtschaftsgüter einschließlich Schulden zugeordnet werden,
die im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Betei- XI. § 20 UmwStG
ligung bzw. dem Mitunternehmeranteil stehen. Neutrales Vermögen
(zum Begriff Rn. 15.09) kann danach fiktiven Teilbetrieben nicht zu- Der sachliche Anwendungsbereich des § 20 UmwStG umfasst die Ein-
geordnet werden. Insbesondere bei Holdinggesellschaften begründet bringung von Sachgesamtheiten (Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunter-
dies nicht selten ein unsachgemäßes Spaltungshindernis.57 nehmeranteil) in Kapitalgesellschaften. Dieser setzt neben der Sachge-
samtheit voraus, dass der Einbringende für die Einbringung neue An-
3. Spaltungshindernde Wirtschaftsgüter teile erhält (§ 20 Abs. 1 UmwStG).
Die Übertragung eines Teilbetriebs verlangt grundsätzlich, dass alle Gemäß § 25 S. 1 UmwStG wird auch der heterogene Formwechsel ei-
funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen sowie nach wirtschaftli- ner (gewerblichen) Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft als
chem Zusammenhang zuordenbare Wirtschaftsgüter übertragen wer- Einbringung behandelt. In Rn. 20.05 S. 2 nimmt das BMF die Klar-
den (Rn. 15.07). Wird eine wesentliche Betriebsgrundlage von mehre- stellung auf, dass der heterogene Formwechsel einer Mitunternehmer-
ren Teilbetrieben genutzt, liegt grundsätzlich ein Spaltungshindernis schaft in eine Kapitalgesellschaft zu einer fiktiven Einbringung der
vor (Rn. 15.08). Für Grundstücke bedeutet dies, dass sie real geteilt Mitunternehmeranteile in die Kapitalgesellschaft führt. Es kommt da-
werden müssen. Bei Unzumutbarkeit der realen Teilung ließ die Fi- mit nicht zu einer fiktiven Einbringung eines Betriebs durch die Mit-
nanzverwaltung aus Billigkeitsgründen im Einzelfall auch eine ideelle unternehmerschaft.
Teilung zu. Die Einschränkung „aus Billigkeitsgründen“ ist entfallen.
Die für eine Billigkeit notwendigen Voraussetzungen (sachliche oder
55 Nitzschke, in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Stand: Oktober 2021, § 15 UmwStG,
persönliche Unbilligkeit) müssen demnach nicht mehr geprüft wer- Rn. 128; Dötsch/Stimpel, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Stand:
den. Dies dürfte allerdings kaum praktische Auswirkungen haben, September 2023, § 15 UmwStG, Rn. 417 ff.; Asmus, in: Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG,
5. Aufl. 2019, § 15, Rn. 208; Winkler, kösdi 2021, 22253.
denn die ideelle Teilung kommt nach dem UmwStE 2024-E nur bei 56 Kritisch bspw. Schumacher/Bier, in: FGS/BDI, UmwStE 2011, 2012, Anm. zu Rn. 15.01
Unzumutbarkeit der realen Teilung zur Anwendung. Wie bisher ist UmwStE 2011, S. 270; Schießl, Der neue Umwandlungssteuer-Erlass, 2012, S. 265.
57 Zu diesem Verständnis seitens verwaltungsnaher Autoren vgl. Dötsch/Stimpel, in:
die Möglichkeit der ideellen Teilung auf Grundstücke beschränkt.58 Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Stand: September 2023, § 15
Dies ist angesichts der immer größeren Bedeutung von immateriellen UmwStG, Rn. 150; Neumann, GmbHR 2012, S. 142; kritisch auch Beutel, in: Schneider/
Ruoff/Sistermann, UmwStE 2011, 2012, Rn. 15.33.
Wirtschaftsgütern unverständlich und nicht gerechtfertigt. Die Rege- 58 Vergleich zur vorherigen Rechtslage Schießl, Der neue Umwandlungssteuer-Erlass, 2012,
S. 274
lung sollte auf andere unteilbare Wirtschaftsgüter ausgeweitet wer-
59 Zutreffend kritisch bspw. Hägeböke/Witfeld, DStR 2023, 1745 ff.; Klein/Stegmaier, DStR
den. 2023, 2045 ff.

2712 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Aufsatz | Steuerrecht
Oppel/Solowjeff/Trappmann · Entwurf des „neuen“ Umwandlungssteuererlasses: Im Zweifel für den Fiskus! – Teil II

Hintergrund ist, dass die Mitunternehmer und nicht die Mitunter- Anteilen an der übernehmenden Gesellschaft aus Vereinfachungs-
nehmerschaft selbst die Anteile an der Kapitalgesellschaft erhalten. gründen unterbleiben kann. Die Zurückbehaltung der Anteile an der
Daher gelten die Mitunternehmer zwingend als Einbringende.60 Fol- übernehmenden Gesellschaft steht damit der Buchwertfortführung
gerichtig sind somit für jeden einzelnen Mitunternehmer die Voraus- nicht entgegen.
setzungen des § 25 S. 1 i. V. m. § 20 UmwStG zu prüfen.61 Die Klar- Nach Ansicht der Finanzverwaltung setzt dies hingegen eine antrags-
stellung in Rn. 20.05 S. 2 entspricht daher der überwiegenden An- gebundene Billigkeitsmaßnahme voraus (Rn. 20.09 UmwStE 2011).
sicht. Der umstrittene Billigkeitsantrag der Rn. 20.09 UmwStE 2011 erfährt
im Rahmen der Überarbeitung nur zwei Anpassungen.71
1. Einheitlicher Einbringungsvorgang – Der ersten Ergänzung in Rn. 20.09 Abs. 2 S. 5 ist die Aussage zu
Eine begünstigte Einbringung setzt die Übertragung sämtlicher funk- entnehmen, dass § 20 UmwStG die Gewährung neuer Anteile vo-
tional wesentlicher Betriebsgrundlagen voraus. Bei Einbringung eines raussetzt, auch wenn die bereit gehaltenen Anteile zurückbehalten
Mitunternehmeranteils ist damit nicht nur die gesamthänderische werden. Diese Ergänzung ist u. E. als eine Wiederholung des allge-
Mitberechtigung zu übertragen, sondern auch das funktional wesent- meinen Verständnisses anzusehen, das sich bereits aus Rn. E 20.09
liche Sonderbetriebsvermögen.62 Trotz des Vorliegens mehrere zivil- ergibt. Denn Rn. 20.09 betrifft ausschließlich das Vorliegen einer
rechtlicher Übertragungsvorgänge wird sich ertragsteuerlich gewöhn- Sachgesamtheit, nicht jedoch das Tatbestandsmerkmal der Gewäh-
lich ein einheitlicher Einbringungsvorgang ergeben. Die Einbringung rung neuer Anteile.
wird dann insgesamt von § 20 UmwStG erfasst.63 – Die zweite Ergänzung betrifft die Nichtanwendung des § 17 Abs. 2a
Rn. 20.05 S. 3 enthält nun die klarstellende Aussage, dass die Übertra- S. 5 EStG bei Zurückbehaltung der Anteile an der übernehmenden
gung des Gesamthandsvermögens und Sonderbetriebsvermögen in ei- Gesellschaft (Rn. 20.09 Abs. 2 S. 7 Halbs. 2). Das geleistete Aufgeld
nem zeitlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang einen einheitli- ist damit ausschließlich den neu erhaltenen Anteilen zuzuordnen.
chen Einbringungsvorgang darstellt. Die Ausführungen in Rn. 20.05 Diese Aussage lässt sich u. E. auf das Rn. 20.09 zugrundliegenden
S. 3 sind hierbei jedoch nicht nur auf das funktional wesentliche Son- Verständnis zurückführen. Denn nach Verwaltungssicht stellt die
derbetriebsvermögen beschränkt. Vielmehr muss die vorgenannte Zurückbehaltung der bereits gehaltenen Anteile lediglich eine abge-
Rn. damit auch das funktional unwesentliche Sonderbetriebsvermö- kürzte Sacheinlage dar. Zumindest gedanklich wären die zurückbe-
gen umfassen. Dieses kann, muss aber nicht übertragen werden. haltenen Anteile dann zu behandeln als wären sie mit eingebracht
Der UmwStE 2024-E behandelt jedoch weiterhin nicht die Einbrin- worden.
gung von neutralem Vermögen. Die Einbringung neutralen Vermö- Wünschenswert wäre eine Klarstellung, dass ein Billigkeitsantrag
gens wird u. E. ebenfalls von § 20 UmwStG erfasst.64 Eine Klarstellung nicht notwendig ist, wenn die Anteile an der übernehmenden Gesell-
im UmwStE 2024-E wäre wünschenswert. schaft funktional unwesentlich sind. Dieses Verständnis ergibt sich
u. E. aus Rn. 20.08. Denn die Zurückbehaltung funktional wesentli-
2. Anwendung der Gesamtplanrechtsprechung cher Betriebsgrundlagen ist für die Buchwertfortführung nicht schäd-
Ohne Einbringung einer begünstigten Sachgesamtheit kommt es stets lich. Die Wirtschaftsgüter gelten vielmehr als am steuerlichen Ein-
zur Aufdeckung der stillen Reserven (Rn. 20.07 S. 1 UmwStE 2011). bringungsstichtag entnommen. Eine Prüfung der Rn. 20.09 erübrigt
Die Finanzverwaltung betrachtet die als Ausgliederungsmodell be-
kannte „Herrichtung“ begünstigter Sachgesamtheiten kritisch. Unter 60 Patt, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Stand: September 2022, § 25
Rückgriff auf die zu den §§ 16, 34 EStG ergangenen Gesamtplan- UmwStG, Rn. 27; Schmitt, in: Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG, 9. Aufl. 2020, § 25
UmwStG, Rn. 18; Bilitewski, in: Haritz/Menner/Bilitewski, Umwandlungssteuergesetz,
rechtsprechung65 ist die Buchwertfortführung ausgeschlossen, wenn 5. Aufl. 2019, § 25, Rn. 23; Arjes, in: Haase/Hofacker, UmwStG, 3. Aufl. 2021, § 25, Rn. 25.
61 BFH, 13.9.2018 – I R 19/16. BStBl. II 2019, 385; Nitzschke, in: Brandis/Heuermann, Ertrags-
funktional wesentliche Betriebsgrundlagen in einem sachlichen Zu- teuerrecht, 154. EL (7.2020), § 25 UmwStG, Rn. 33c; Weggenmann, in: Dürrschmidt/
sammenhang mit der Einbringung in ein anderes Betriebsvermögen Mückl/Weggenmann, BeckOK UmwStG, 26. Ed. (9.2023), § 25, Rn. 355.
62 BFH, 25.11.2009 – I R 72/08, BStBl. II 2010, 471, BB 2010, 562 m. BB-Komm. Koch; BFH,
übertragen oder überführt werden (Rn. 20.07 S. 2 UmwStE 2011).66 16.12.2009 – I R 97/08, BStBl. II 2010, 808, BB 2010, 1144 m. BB-Komm. Bünning; Patt, in:
Unverändert ist Rn. 20.07. Die Finanzverwaltung möchte weiterhin Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Stand: April 2012, § 20 UmwStG,
Rn. 135; Herlinghaus, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, § 20,
die Gesamtplanrechtsprechung bei vorheriger Übertragung oder Rn. 181; Schmitt, in: Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG, 9. Aufl. 2020, § 20 UmwStG,
Überführung von funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen in ein Rn. 70.
63 Vgl. hierzu nur Schmitt, in: Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG, 9. Aufl. 2020, § 20
anderes Betriebsvermögen (bspw. unter Anwendung von § 6 Abs. 5 UmwStG, Rn. 26; Patt, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Stand: Ja-
S. 3 ff. EStG) prüfen (Rn. 20.07 S. 2). Das Festhalten an der Gesamt- nuar 2017, § 20 UmwStG, Rn. 127.
64 Herlinghaus, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, § 20, Rn. 80;
planrechtsprechung steht aber im Widerspruch zur jüngeren Rechts- Schmitt, in: Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG, 9. Aufl. 2020, § 20 UmwStG, Rn. 24a und
95.
entwicklung betreffend das Verhältnis von § 6 Abs. 3 EStG zu § 6 65 BFH, 11.12.2001 – VIII R 23/01, BStBl. II 2004, 474, BB 2002, 2262; BFH, 25.2.2010 –
Abs. 5 EStG.67 Danach ist es unschädlich, wenn wesentliche Betriebs- IV R 49/08, BStBl. II 2010, 726.
66 Zur Nichtanwendung der Gesamtplanrechtsprechung bei Einbringungsvorgängen vgl.
grundlagen kurz vor der Übertragung in ein anders Betriebsvermögen Herlinghaus, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, § 20, Rn. 106 ff.;
„ausgegliedert“ werden. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass die Schmitt, in: Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG, 9. Aufl. 2020, § 20 UmwStG, Rn. 92; Her-
linghaus, FR 2014, S. 441, 441 ff.; Brandenberg, DB 2013, S. 17, 17 ff.
Rechtsprechung der Auffassung der Finanzverwaltung folgen wird.68 67 BFH, 2.8.2012 – IV R 41/11, BStBl. II 2019, 715, BB 2012, 2811 m. BB-Komm. Bünning;
BFH, 12.5.2016 – IV R 12/15, BStBl. II 2019, 726, BB 2016, 1775 m. BB-Komm. Bünning;
BMF, 20.11.2019 – IV C 6 – S 2241/15/10003, BStBl. I 2019, 1291, Rn. 10.
3. Zurückbehaltung der Anteile an der 68 BFH, 11.12.2001 – VIII R 23/01, BStBl. II 2004, 47, BB 2002, 22624; BFH, 25.2.2010 –
übernehmenden Gesellschaft IV R 49/08, BStBl. II 2010, 726.
69 BFH, 24.10.2000 – VIII R 25/98, BStBl. II 2001, 321, BB 2001, 863.
Zwar umfasst die Sachgesamtheit sämtliche funktional wesentlichen 70 BFH, 11.12.2001 – VIII R 23/01, BStBl. II 2004, 474, BB 2002, 2262.
71 Zur Kritik am Billigkeitsantrag der Rn. 20.09 UmwStE 2011 vgl. nur Rode/Teufel, in:
Betriebsgrundlagen. Gleichwohl hat der BFH mit den Urteilen VIII R Schneider/Ruoff/Sistermann, UmwStE 2011, 2012, S. 401; Schießl, Der neue Umwand-
25/9869 und VIII R 23/0170 entschieden, dass die Einbringung von lungssteuer-Erlass, 2012, S. 323 ff.

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Oppel/Solowjeff/Trappmann · Entwurf des „neuen“ Umwandlungssteuererlasses: Im Zweifel für den Fiskus! – Teil II

sich dann. Weiterhin stellt auch die Lösung des Beispiels in Rn. 20.09 heit auszugehen (Rn. 22.07). Der BFH folgte dem nicht.77 Es kommt
auf funktional wesentliche Betriebsgrundlagen ab. Allerdings wider- nach der Rechtsprechung allein drauf an, ob der Einbringungsgewinn
sprechen verwaltungsnahe Autoren jüngst dieser Ansicht und möch- bei der Einbringung gewerbesteuerpflichtig gewesen wäre. Die Urteile
ten die Grundsätze der Rn. 20.09 auf sämtliche Anteile an der über- sind bereits im Bundessteuerblatt veröffentlicht. Die Anpassung des
nehmenden Gesellschaft anwenden.72 UmwStE 2011 in den Rn. 22.07 und 22.13 ist konsequent.
Ferner sollte das BMF in Rn. 20.09 aufnehmen, dass die Zuordnung
der erhaltenen Anteile zum steuerlichen Privatvermögen nicht zu ei- 2. Löschung der Sperrfrist nur bei Aufdeckung
ner Entnahmebesteuerung mit dem Teilwert führt (§ 4 Abs. 1 S. 2, § 6 der stillen Reserven
Abs. 1 Nr. 4 EStG). Zwar kann dieses Ergebnis ebenfalls der Lösung Nach § 22 Abs. 2 S. 5 UmwStG ist kein Einbringungsgewinn II zu ver-
zum Beispiel in Rn. 20.09 entnommen werden. Denn insoweit stellen steuern, wenn der Einbringende die erhaltenen Anteile veräußert. Die
die Alt- und Neuanteile eine wesentliche Beteiligung i. S. v. § 17 EStG Finanzverwaltung sieht alle Formen von Umwandlungen und Ein-
und damit zwingend Privatvermögen dar. Gleichwohl ist auch hier bringungen als Veräußerungen an.78 Dies gilt unabhängig davon, ob
eine Klarstellung im UmwStE 2024-E wünschenswert. diese unter Aufdeckung stiller Reserven erfolgen oder nicht. So sus-
pendiert bspw. die ertragsteuerneutrale Folgeeinbringung in eine wei-
4. Einbringung eines Teils eines Mitunternehmer- tere Kapitalgesellschaft (§ 20 Abs. 2 S. 2, § 21 Abs. 1 S. 2 UmwStG)
anteils oder in eine Mitunternehmerschaft (§ 6 Abs. 5 S. 3 EStG, § 24 Abs. 2
Sachgesamtheiten i. S. v. § 20 Abs. 1 UmwStG sind neben Betrieben, S. 2 UmwStG) von zuvor im Rahmen eines qualifizierten Anteilstau-
Teilbetrieben und Mitunternehmerteilen auch Teile eines Mitunter- sches i. S. d. § 21 UmwStG erhaltenen Anteilen die Sperrfrist an den
nehmeranteils. Bei der Übertragung von Teilen eines Mitunterneh- ursprünglich eingebrachten Anteilen (§ 22 Abs. 2 S. 5 UmwStG).79
meranteils stellt sich jedoch stets die Frage, in welchem Umfang das Der Wortlaut der vorgenannten Norm verlangt nämlich nicht, dass
funktional wesentliche Sonderbetriebsvermögen zu übertragen ist die Veräußerung unter Aufdeckung der stillen Reserven erfolgte.80
bzw. übertragen werden kann. Dies verlangt die Finanzverwaltung nun jedoch mit Blick auf Sinn
Rn. 20.11 S. 2 enthält nun die Ergänzung, dass bei der Übertragung und Zweck der Vorschrift (Rn. 22.17). Offenbar geht es darum, be-
eines Teils eines Mitunternehmeranteils das funktional wesentliche stimmten Gestaltungen so die Grundlage zu entziehen. Die Aussage
Sonderbetriebsvermögen „mindestens“ anteilig mit eingebracht wer- kommt nicht unerwartet. So haben in der jüngeren Vergangenheit
den muss. Diese entspricht der h. M.73 Damit muss auch die über- vermehrt verwaltungsnahe Autoren der suspendierenden Wirkung
quotale Einbringung von funktional wesentlichem Sonderbetriebsver- des § 22 Abs. 2 S. 5 UmwStG bei steuerneutralen Vorgängen wider-
mögen insgesamt unter § 20 UmwStG fallen. Dies entspricht u. E. der sprochen.81 Das Vorgehen der Finanzverwaltung ist jedoch nicht mit
überzeugenderen im steuerlichen Schrifttum vertretenen Auffas- dem Wortlaut des § 22 Abs. 2 S. 5 UmwStG vereinbar und damit un-
sung.74 zulässig. Soll als zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung die Aufde-
ckung der stillen Reserven in § 22 Abs. 2 S. 5 UmwStG aufgenommen
5. Gewährung sonstiger Gegenleistungen werden, erfordert dies eine für die Zukunft wirkende Gesetzesände-
§ 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 UmwStG ermöglicht in gewissem Umfang die rung.
Gewährung sonstiger Gegenleistungen. Im Rahmen der relativen und
absoluten Grenzen steht dann die Gewährung sonstiger Gegenleistun- 3. Billigkeitslösung bei Folgeumwandlungen
gen der Buchwertfortführung nicht entgegen. 2015 wurde in § 20 Der weite Veräußerungsbegriff der Finanzverwaltung hat zur Konse-
Abs. 2 S. 4 UmwStG eine „Verhältnisrechnung“ ergänzt. 75 quenz, dass in § 22 Abs. 1 S. 6 UmwStG nicht besonders geregelte
Die Berechnungssystematik des § 20 Abs. 2 S. 4 UmwStG hat das Folgeumwandlungen die Besteuerung des Einbringungsgewinns I
BMF umfassend in Rn. 20.19a dargestellt. Hierbei wird weitgehend oder II auslösen. Dies führt oft zu unsachgemäßen Ergebnissen. Da-
auf die aus der Gesetzesbegründung bekannte Systematik zurückge- rum ist in Rn. 22.23 eine Billigkeitsregel enthalten, die ein Absehen
griffen.76 von der Besteuerung des Einbringungsgewinns ermöglicht. Die Rege-
lung ist unbefriedigend. Insbesondere ist nicht klar, ob die in
6. Fazit
72 Stimpel/Bernhagen, GmbHR 2023, 209, 210.
Mit den Änderungen in den Rn. 20.01 bis 20.41 hat das BMF leider 73 Herlinghaus, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, § 20, Rn. 181;
verpasst, von der Gesamtplanrechtsprechung nun auch im Verhältnis Schmitt, in: Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG, 9. Aufl. 2020, § 20 UmwStG, Rn. 291; Höt-
zel/Kaeser, in: FGS/BDI, UmwStE 2011, 2012, S. 331.
von § 20 UmwStG zu § 6 Abs. 5 UmwStG Abstand zu nehmen 74 So auch Herlinghaus, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, § 20,
Rn. 184; Hötzel/Kaeser, in: FGS/BDI, UmwStE 2011, 2012, S. 333; Schießl, Der neue Um-
(Rn. 20.07). Ferner führen die bloß redaktionellen Anpassung in wandlungssteuer-Erlass, 2012, S. 326; a. A. Patt, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Kör-
Rn. 20.09 weiterhin zu Auslegungsproblemen der Verwaltungsansicht. perschaftsteuer, 74. EL (4.2012), § 20 UmwStG, Rn. 144; Schmitt, in: Schmitt/Hörtnagl,
UmwG/UmwStG, 9. Aufl. 2020, § 20 UmwStG, Rn. 156.
75 Art. 6 Nr. 1 Steueränderungsgesetz 2015, BGBl. I 2015, 1835.
XII. § 22 UmwStG 76 BT-Drs. 18/4902, 49 f.
77 BFH, 11.7.2019 – I R 26/18, BStBl. II 2022, 93; BFH, 11.7.2019 – I R 13/18, BStBl. II 2022,
91.
1. Keine Gewerbesteuer auf Einbringungsgewinn 78 BMF, UmwStE 2024-E, Rn. 00.02 und 00.03.
79 Da die im Rahmen eines qualifizierten Anteilstauschs erhaltenen Anteile nicht einer
Ob der Einbringungsgewinn I bzw. II der Gewerbesteuer unterliegt, Sperrfrist unterliegen, führt die Folgeeinbringung auch nicht zu einem Sperrfristverstoß
richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Bisher verlangte die Finanz- hinsichtlich der erhaltenen Anteile (§ 22 Abs. 1 UmwStG).
80 Stangl, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, § 22, Rn. 485; Nitzsch-
verwaltung für die Anwendung des § 7 S. 2 GewStG allerdings, dass ke, in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Stand: Juni 2020, § 22 UmwStG, Rn. 83;
a. A. Stimpel/Bernhagen, GmbHR 2020, 301, 304; Kowanda, DStR 2023, 1681, 1682 f.
sämtliche erhaltenen Anteile veräußert werden. Anderenfalls sei nicht 81 Vgl. hierzu z. B. Stimpel/Bernhagen, GmbHR 2020, 301, 301 ff.; Kowanda, DStR 2023, 1681,
mehr von der Veräußerung einer erfassten qualifizierten Sachgesamt- 1681 ff.

2714 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


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Rn. 22.23 Abs. 2 genannten Voraussetzungen abschließend sind („zu- gangene Rechtsprechung. Die vorgenannten Änderungen sind damit
mindest“). Darum haben die in der Rn. genannten Beispiele zu Ein- zu begrüßen.
bringungen und Verschmelzungen große praktische Bedeutung. Der
UmwStE ergänzt ein Beispiel 4 zu einer Abspaltung. Dieses war bisher XIV. Umwandlungen und Organschaft
in einer Verfügung der OFD Niedersachen enthalten.82
Im Teil A des Besonderen Teils des UmwStE 2024-E geht die Finanz-
4. Einlagelösung und schädliche Einlagenrückgewähr verwaltung auf die Besonderheiten von Umwandlungen bei Organ-
Nach § 22 Abs. 1 S. 6 Nr. 3 UmwStG führt die Rückzahlung von schaften ein. Im Vergleich zum UmwStE 2011 sind die Rn. Org. 01
Beträgen aus dem steuerlichen Einlagekonto zu einer Sperrfristver- bis Org. 33 umfassend überarbeitet. Die Änderungen sind im Wesent-
letzung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung setzt dies aber – lichen auf den Übergang von der Ausgleichspostenmethode zur Ein-
weiterhin – voraus, dass der aus dem steuerlichen Einlagekonto lagelösung i.R.d. KöMoG zurückzuführen. Für Ausgleichsposten, die
ausgekehrte Betrag den Buchwert bzw. die Anschaffungskosten noch nach altem Recht gebildet wurden, sind jedoch weiterhin die
übersteigt (Rn. 22.24). Rn. Org. 01 bis Org. 34 UmwStE 2011 anzuwenden.
Mit Übergang zur Einlagelösung erhöhen aktive Ausgleichsposten
bzw. vermindern passive Ausgleichsposten als Resultat von Mehr- 1. Umwandlung und wichtiger Grund
und Minderabführungen den Beteiligungsbuchwert. Insoweit verweist Ferner wird der Wortlaut der Rn. Org. 26 S. 1 angepasst. So „kann“
Rn. 22.24 Abs. 3 S. 2 auf das BMF-Schreiben vom 29.9.2022.83 die Umwandlung der Organgesellschaft einen wichtigen Grund i. S. v.
§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 2 KStG darstellen. Die Umwandlung ist damit
XIII. § 24 UmwStG nicht mehr zwingend ein wichtiger Grund. Die Anpassung steht hier-
bei im Einklang mit der in R 14.5 Abs. 6 S. 2 KStR 2022 dargelegten
1. Übergang zum Betriebsvermögensvergleich Verwaltungsansicht. Die vorzeitige Beendigung eines Gewinnabfüh-
Umstritten war, ob und inwiefern die Einbringung einer Sachgesamt- rungsvertrags bedarf daher weiterhin einer Einzelfallbetrachtung.
heit den Übergang von der Einnahmen-Überschuss-Rechnung zum Während der fünfjährigen Mindestlaufzeit wird eine Rechtssicherheit
Betriebsvermögensvergleich erfordert.84 Durch das Entstehen eines nur auf Grundlage einer verbindlichen Auskunft zu erreichen sein.89
Übergangsgewinns oder Übergangsverlusts können sich nämlich
selbst bei Fortführung der Buchwerte Ertragsteuerfolgen ergeben. 2. Finanzielle Eingliederung bei Rückwirkung bzw.
Der BFH hatte bereits im Jahr 2001 entschieden, dass bei Fortführung Rückbeziehung
der steuerlichen Buchwerte kein Übergang zum Betriebsvermögens- Bei Ausgliederung einer Beteiligung einer Organgesellschaft möchte die
vergleich i. S. v. § 4 Abs. 1 EStG notwendig sei.85 Dieser Ansicht Finanzverwaltung eine finanzielle Eingliederung der übernehmenden
schließt sich nun das BMF in Rn. 24.03 Abs. 3 S. 1 an.86 Der Buch- Gesellschaft zum steuerlichen Einbringungsstichtag zurechnen
wertantrag ist dann bis zur erstmaligen Abgabe der Einnahmen-Über- (Rn. Org. 08 S. 1 und Rn. Org. 15 S. 1 UmwStE 2011). Beim qualifizier-
schuss-Rechnung zu stellen (Rn. 24.03 Abs. 3 S. 2). ten Anteilstausch besteht die Besonderheit, dass dieser nicht rückbezo-
gen werden kann (Rn. 21.17 UmwStE 2011). Daher kann bei einer un-
2. Gewährung neuer Anteile terjährigen Anteilseinbringung – so zumindest nach Verwaltungsan-
§ 24 Abs. 1 UmwStG setzt zum einen voraus, dass eine begünstigte sicht – erst im darauffolgenden Wirtschaftsjahr eine ertragsteuerliche
Sachgesamtheit eingebracht wird. Zum anderen muss der Einbringen- Organschaft begründet werden (Rn. Org. 15 S. 2 UmwStE 2011).
de Mitunternehmer werden. Die h. A. versteht seit jeher das Tatbe- Diese Interpretation verwundert. So hat der BFH doch die Rechts-
standsmerkmal „Mitunternehmer werden“ so, dass neue Anteile dem grundlage der Zurechnung der finanziellen Eingliederung nicht in der
Einbringenden – auch wenn bereits eine Mitunternehmerstellung be- steuerlichen Rückwirkung bzw. Rückbeziehung verortet, sondern in
steht – zu gewähren sind.87 der steuerlichen Gesamtrechtsnachfolge i. S. v. § 12 Abs. 3 UmwStG
Die Finanzverwaltung teilte in Rn. 24.07 Abs. 1 S. 4 UmwStE 2011 1995.90 Damit muss auch eine finanzielle Eingliederung der überneh-
noch die Ansicht, dass die Einbringung durch einen Mitunternehmer
mit einer Vermögensbeteiligung von 100 % auch dann unter § 24 82 OFD Niedersachsen, 22.8.2014 – S 1978c – 136 – St 243, DStR 2014, 2397.
83 BMF, 29.9.2022 – IV C 2 – S 2770/19/10004 :007, BStBl. I 2021, 1412.
UmwStG fällt, wenn die Einbringung auf einem variablen Kapitalkon- 84 Vgl. hierzu nur Fuhrmann, in: Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Stand: April 2022,
to oder einem gesamthänderisch gebundenen Rücklagenkonto er- § 24 UmwStG, Rn. 1039 ff.; Schmitt, in: Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG, 9. Aufl. 2020,
§ 24 UmwStG, Rn. 243; Fuhrmann/Müller, DStR 2013, 848, 848 ff.; Urban, DStR 2017,
folgt. Bereits mit BMF-Schreiben vom 26.7.201688 hat die Finanzver- 1248, 1248 ff.
85 BFH, 13.9.2001 – IV R 13/01, BStBl. II 2002, 287, BB 2002, 136 Ls. BFH, 14.11.2007 –
waltung jedoch diese Rechtsansicht für Einbringungen nach dem XI R 32/06, BFH/NV 2008, 385; a. A. OFD Karlsruhe, 8.10.2007 – S 1978/20 – St 11,
31.12.2016 aufgegeben. DStR 2007, 2326.
86 Ablehnend noch OFD Karlsruhe, 8.10.2007 – S 1978/20 – St 111, DStR 2007, 2326.
Die Anwendung des § 24 UmwStG setzte damit auch bei Einbringun- 87 Nitzschke, in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Stand: Juli 2020, § 24 UmwStG,
gen durch einen Mitunternehmer mit einer Vermögensbeteiligung Rn. 57; Rasche, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, § 24, Rn. 85;
Patt, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Stand: August 2016, § 24
von 100 % die Ausgabe neuer Anteile voraus. Diesem Verständnis UmwStG, Rn. 109; Bär/Merkle, in: Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG, 5. Aufl. 2019, § 24,
liegt nun auch Rn. 24.07 Abs. 1 S. 4 zugrunde. Die Änderungen in Rn. 76; Haase, in: Haase/Hofacker, UmwStG, 3. Aufl. 2021, § 24, Rn. 39.
88 BMF, 26.7.2016 – IV C 6 – S 2178/09/10001, BStBl. I 2016, 684.
Rn. 24.07 Abs. 1 S. 4 sind damit von deklaratorischer Natur. 89 So z. B. auch Walter, in: Bott/Walter, KStG, Stand: Mai 2023, § 14, Rn. 781; Lange,
GmbHR 2011, 806, 812.
90 Zur Anwendung dieser Rechtsprechung auf das UmwStG 2006 vgl. Widmann, in: Wid-
3. Fazit mann/Mayer, Umwandlungsrecht, Stand: Mai 2011, § 23 UmwStG, Rn. 46; Patt, in:
Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Stand: Oktober 2020, § 23 UmwStG,
Die Änderungen in den Rn. 24.01 bis 24.33 betreffen im Wesentlichen Rn. 81 „Organschaft“; Schmitt, in: Schmitt/Hörtnagl, UmwG/UmwStG, 9. Aufl. 2020, § 23
eine Anpassung der Verwaltungsansicht an die zwischenzeitlich er- UmwStG, Rn. 33; Walter, in: Bott/Walter, KStG, Stand: Januar 2023, § 14, Rn. 354.

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2715
Steuerrecht | Aufsatz
Oppel/Solowjeff/Trappmann · Entwurf des „neuen“ Umwandlungssteuererlasses: Im Zweifel für den Fiskus! – Teil II

menden Gesellschaft zuzurechnen sein, insbesondere wenn der quali- Die Ausführungen in Rn. Org. 33 beschränken sich allerdings nicht
fizierte Anteilstausch zu steuerlichen Buchwerten oder Zwischenwer- nur auf die Abgrenzungsfrage in § 14 Abs. 3 und 4 KStG 2008, son-
ten erfolgt (§ 23 Abs. 1 i. V. m. § 12 Abs. 3 Halbs. 1 UmwStG).91 Be- dern sind in sämtlichen offenen Fällen anzuwenden. Damit erfolgt
sonders erstaunlich ist, dass die vorgenannte Entscheidung des BFH die Abgrenzung in § 14 Abs. 3 und 4 KStG i. d. F. des JStG 2022 eben-
sowohl im Bundessteuerblatt veröffentlicht ist als auch explizit in falls bloß in zeitlicher Hinsicht.98
Rn. Org. 13 Abs. 1 S. 2 genannt wird. Hieraus ergeben sich unglückli-
cherweise Widersprüche innerhalb des UmwStE 2011. 5. Fazit
Die betreffenden Rn. Org. 08 und Org. 15 bleiben insoweit unverän- Zu begrüßen ist die Überarbeitung der Rn. Org. 27 und Org. 33, die
dert. Damit setzt die Finanzverwaltung die Entscheidung I R 89/09 in einem offensichtlichen Widerspruch zur BFH-Rechtsprechung
weiterhin unzutreffend um. Insbesondere Rn. Org. 15 S. 2 muss somit standen. An einer ausreichenden Umsetzung der Entscheidung I R
als Nichtanwendungserlass verstanden werden. Eine Überarbeitung 89/09 fehlt es unverändert in den Rn. Org. 08 und Rn. Org. 15. Eine
der Rn. Org. 08 und Org. 15 ist geboten. entsprechende Anpassung wäre wünschenswert.
Die Überarbeitung des BMF beschränkt sich jedoch nicht nur auf die
beiden vorgenannten Punkte, sondern umfasst ebenfalls die Rn. Org. XV. Gesamtfazit und Ausblick
27 und Org. 33. Diese hatte der BFH verworfen.92
Insgesamt enthält das Update des UmwStE wenig Überraschungen.
3. Behandlung verschmelzungs- und aufspaltungs- An vielen Stellen arbeitet das BMF die schon im BStBl. veröffentlichte
bedingter Übertragungsgewinne einer Rechtsprechung des BFH ein. An anderen Stellen kommt allerdings
Organgesellschaft ein ausgesprochen profiskalischer Ansatz zum Ausdruck. Es ist unver-
Die Finanzverwaltung will bisher verschmelzungs- und aufspaltungs- ständlich, warum die Finanzverwaltungen Umstrukturierungen so er-
bedingte Übertragungsgewinne einer Organgesellschaft auf Ebene der schwert. Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Transformations-
Organgesellschaft der Besteuerung unterwerfen (Rn. Org. 27 S. 1 phase. Da sollte das Steuerrecht keine zusätzlichen Hürden aufstellen.
UmwStE 2011). Der Übertragungsgewinn ist damit – anders als bei Ab-
spaltungen und Ausgliederungen – nicht dem Organträger zuzurech-
nen.
Der BFH erteilte dem mit der Entscheidung I R 27/18 eine Absage.93 So- Dr. Florian Oppel, LL.M., RA/StB/FAStR/FBIStR, ist Partner
bei YPOG PartG mbB in Köln. Er berät zum Unternehmens-
wohl bei Verschmelzungen und Aufspaltungen wie auch bei Abspaltun-
steuerrecht (einschließlich Umstrukturierungen und M&A),
gen und Ausgliederungen ist ein Übertragungsgewinn dem Organträger internationalen Steuerrecht sowie ausgewählten zivil- und
zuzurechnen. Es ist hierbei ohne Relevanz, ob der übertragende Rechts- gesellschaftsrechtlichen Fragen.
träger infolge der Umwandlung erlischt. Die Finanzverwaltung schließt
sich in Rn. Org. 27 S. 1 und 4 nun der Rechtsaufassung des BFH an.
Rn. Org. 27 S. 2 verweist auf das BMF-Schreiben vom 10. Februar Julian Solowjeff, StB/FBIStR, ist Senior Associate bei YPOG
2023.94 Vorvertragliche Verluste können damit nicht mit einem Über- PartG mbB in Köln. Er ist dort im nationalen und internatio-
nalen Unternehmenssteuerrecht (einschließlich Umstruktu-
tragungsgewinn der Organgesellschaft verrechnet werden. Dieses Er-
rierungen) tätig.
gebnis ergibt sich u. E. allerdings bereits aus § 15 Abs. 1 Nr. 1 KStG,
§ 10a S. 3 GewStG.95

4. Außerorganschaftliche Mehrabführung bei Maximilian Trappmann, RA, ist Senior Associate bei YPOG
Verschmelzung auf Organgesellschaft PartG mbB in Köln. Er berät zum Unternehmenssteuerrecht
In Rn. Org. 33 UmwStE 2011 vertritt die Finanzverwaltung noch die und internationalen Steuerrecht sowie zu ausgewählten zi-
vil- und gesellschaftsrechtlichen Fragen.
Ansicht, dass die Umwandlung auf und die Einbringung in eine Or-
gangesellschaft durch einen Rechtsträger außerhalb des Organkreises
zu vororganschaftlichen Abweichungen führt. Setzt damit die über-
nehmende Organgesellschaft in der Steuerbilanz die Buchwerte und
in der Handelsbilanz die Zeitwerte an, so führen die Bewertungsun-
terschiede als außerorganschaftliche Mehrabführung zu einer voror-
ganschaftlichen Mehrabführung i. S. d. § 14 Abs. 3 S. 1 KStG 2008. 91 Prinz/Solowjeff, DB 2023, 1433, 1438.
Dieser Ansicht widersprach der BFH in seiner Entscheidung I R 51/19 92 Zum Überarbeitungsbedarf der Rn. Org. 08, Org. 15, Org. 27 und Org. 33 UmwStE 2011
vgl. nur Prinz/Solowjeff, DB 2023, 1433, 1433 ff.
explizit.96 Der BFH legt dar, dass die Abgrenzung ausschließlich in zeit- 93 BFH, 11.8.2021 – I R 27/18, BStBl. II 2023, 195, BB 2021, 3056 m. BB-Komm. Park.
licher Hinsicht zu erfolgen hat. Eine sachliche Komponente – wie sie 94 BMF, 10.2.2023 – IV C 2 – S 2770/19/10006 :008, BStBl. I 2023, 250; zur Einordnung des
vorgenannten BMF-Schreibens als eine Art Nichtanwendungserlass vgl. Prinz/Solowjeff,
Rn. Org. 33 UmwStE 2011 fordert – ist § 14 Abs. 3 S. 1 KStG 2008 DB 2023, 1433, 1437.
fremd. Außerorganschaftliche Mehrabführungen sind damit nicht stets 95 So auch Prinz/Solowjeff, DB 2023, 1433, 1437.
96 BFH, 21.2.2022 – I R 51/19, BStBl. II 2023, 725, BB 2022, 1584 m. BB-Komm. von Gla-
als vororganschaftlich anzusehen.97 Das BMF schließt sich nun mit der senapp.
überarbeiteten Rn. Org. 33 S. 1 UmwStE 2024-E der Ansicht des BFH 97 Zu den zeitlich abgeschichteten Folgewirkungen zwischen Mehr- und Minderabführun-
gen vgl. Prinz/Solowjeff, DB 2023, 1433, 1435 f.
an. Damit ist nun auch nach Ansicht der Finanzverwaltung dem Termi- 98 Kolbe, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Stand: Februar 2022, § 14 KStG, Rn. 311
„Außerorganschaftliche Sphäre“; Ebber, in: Micker/Pohl, BeckOK KStG, 18. Ed., Stand: Sep-
nus „vororganschaftlich“ ausschließlich eine zeitliche Komponente zu tember 2023, § 14, Rn. 642; Walter, in: Bott/Walter, KStG, Stand: Mai 2023, § 14, Rn. 978;
entnehmen. Prinz/Solowjeff, DB 2023, 1433, 1435.

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Entscheidungen | Steuerrecht
BFH · 5.9.2023 – IX R 32/21

BFH: Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten


im Besteuerungsverfahren gemäß § 29b AO
BFH, Urteil vom 5.9.2023 – IX R 32/21 Der Kläger hält mit seiner Revision daran fest, dass die Vorschrift des § 97
ECLI:DE:BFH:2023:U.050923.IXR32.21.0 Abs. 1 Satz 1 AO, auf die das FA sein Vorlageersuchen an G gestützt habe,
Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2023-2582-3 nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Buchst. b DSGVO genü-
unter www.betriebs-berater.de ge und somit nicht die Verarbeitung von personenbezogenen Daten ge-
statte. Auch § 29b AO sei keine mit den Vorgaben der Datenschutz-
AMTLICHE LEITSÄTZE Grundverordnung vereinbare Rechtsgrundlage. Im Gegensatz zu § 97
1. § 29b der Abgabenordnung (AO) legitimiert die Finanzbehörde, un- Abs. 1 Satz 1 AO nenne § 29b AO noch nicht einmal diejenigen Unterla-
ter den dort genannten Voraussetzungen für sämtliche das Steuerver- gen, die der Finanzbehörde auf Verlangen vorzulegen seien. Darüber hi-
fahrensrecht betreffende Maßnahmen personenbezogene Daten zu naus gebe § 29b AO lediglich den Inhalt des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. e
verarbeiten. DSGVO wieder.
2. § 29b AO genügt den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 der Datenschutz- Schließlich rügt der Kläger Verfahrensfehler.
Grundverordnung und verletzt nicht das unionsrechtliche Normwie- Der Kläger beantragt,
derholungsverbot. das angefochtene Urteil aufzuheben und alle im Zusammenhang mit den
3. § 29b AO verstößt weder gegen das Grundrecht auf informationelle Kontoauszügen für den Zeitraum von Januar 2017 bis Dezember 2019 für
Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgeset- das Konto Nummer … bei der … (G) stehenden personenbezogenen Da-
zes) noch gegen das Recht auf Schutz personenbezogener Daten ten des Klägers zu löschen;
gemäß Art. 8 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen hilfsweise das angefochtene Urteil aufzuheben und alle im Zusammen-
Union. hang mit den Kontoauszügen für den Zeitraum von Januar 2017 bis De-
AO §§ 29b, 32f Abs. 5, 32i Abs. 2, Abs. 9, 93 Abs. 1 S. 3, 97 Abs. 1 S. 3, 193, 200 zember 2019 für das Konto Nummer … bei G stehenden personenbezo-
Abs. 1 S. 2; EUV 2016/679 Art. 4 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 7; 6 Abs. 1 S. 1 Buchst. e, genen Daten des Klägers nicht mehr zu verarbeiten.
Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Buchst. b, S. 2, S. 3, S. 4; 9 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g; 17 Das FA beantragt,
Abs. 1 Buchst. d, Abs. 3 Buchst. b, 21 Abs. 1 S. 1, 23 Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1, die Revision zurückzuweisen.
2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 101 Abs. 1 S. 2, 103 Abs. 1; EUGrdRCh Art. 8 Abs. 1, Abs. 2 Es sieht die Verarbeitung der den Kläger betreffenden personenbezoge-
S. 1; AEUV Art. 267 Abs. 2, Abs. 3, 288 Abs. 2 S. 2; FGO §§ 74, 85, 96 Abs. 2 nen Daten im Zuge des an G gerichteten und erfüllten Vorlageersuchens
von § 29b AO gedeckt.
SACHVERHALT
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt – FA –) ordnete beim Klä- AUS DEN GRÜNDEN
ger und Revisionskläger (Kläger), einem Rechtsanwalt, eine Außenprüfung Die Revision ist erfolglos
zur Einkommen- und Umsatzsteuer für die Jahre 2017 bis 2019 an. Zu- II. Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Fi- 11
gleich forderte das FA den Kläger auf, bis zum Prüfungsbeginn die Aus- nanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
züge seines betrieblichen Bankkontos zu übersenden. Das FG hat die Klage, für die der Finanzrechtsweg eröffnet ist (dazu unten 12
Nachdem der Kläger dieser Aufforderung nicht nachgekommen war, er- 1.), zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Löschung
suchte das FA mit Schreiben vom 15.02.2021 unter Hinweis auf § 97 Abs. 1 seiner personenbezogenen Daten (unten 2.). Ihm steht auch kein Wider-
Satz 1 und 3 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung (AO) das konto- spruchsrecht gegen die Datenverarbeitung zu (unten 3.). Die geltend ge-
führende Geldinstitut (G) um Vorlage der Kontoauszüge. Diesem Ersuchen machten Verfahrensmängel des vorinstanzlichen Verfahrens liegen nicht
kam G nach. vor (unten 4.). Von einer Aussetzung des Revisionsverfahrens zum Zweck
Der Kläger wandte sich gegen das Vorlageersuchen und machte geltend, eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen
§ 97 AO genüge nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 der Daten- Union (EuGH) konnte der Senat absehen (unten 5.).
schutz-Grundverordnung (DSGVO). Es fehle daher an einer rechtmäßigen
Verarbeitung der ihn betreffenden persönlichen Daten. Der Hauptantrag betrifft die Löschung der
Das FA wies die Eingabe des Klägers, die es als Widerspruch gegen die personenbezogenen Daten
Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Art. 21 Abs. 1 DSGVO 1. Das FG hat die Klage zutreffend dahin ausgelegt, dass der Kläger im 13
wertete, zurück. Die Datenverarbeitung sei nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Hauptantrag eine Löschung der ihn betreffenden personenbezogenen
Buchst. e, Abs. 3 Satz 1 Buchst. b DSGVO i. V. m. § 29b Abs. 1 AO rechtmä- Daten gemäß Art. 17 Abs. 1 DSGVO und hilfsweise ein Recht auf Wider-
ßig. Die Verarbeitung der Daten diene der Ermittlung der Besteuerungs- spruch gemäß Art. 21 Abs. 1 DSGVO verfolgt. Das Auskunftsersuchen ge-
grundlagen im Rahmen einer Außenprüfung. mäß § 97 Abs. 1 Satz 1 AO, dessen Regelungsgehalt sich mit der Übersen-
Die Klage zum Finanzgericht (FG), mit der der Kläger ein Recht auf Lö- dung der Kontoauszüge durch G im Übrigen erledigt hat, hat der Kläger
schung seiner personenbezogenen Daten gemäß Art. 17 Abs. 1 Buchst. d nach Lage der Akten nicht angefochten.
DSGVO beanspruchte und hilfsweise seinen Widerspruch gemäß Art. 21 Das FA hat sowohl die beanspruchte Löschung der Daten als auch den 14
Abs. 1 DSGVO weiterverfolgte, hatte keinen Erfolg. Das FG wies die Klage Widerspruch gegen die Datenverarbeitung zurückgewiesen. Für die ge-
mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2022, 1 veröffentlichtem richtliche Überprüfung dieser Entscheidungen ist – ohne dass dies der Se-
Urteil im Haupt- und Hilfsantrag ab. nat im Revisionsverfahren in Frage stellen könnte (§ 17a Abs. 5 des Ge-

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2717
Steuerrecht | Entscheidungen
BFH · 5.9.2023 – IX R 32/21

richtsverfassungsgesetzes) – der Finanzrechtsweg eröffnet (§ 33 Abs. 1 der Mitgliedstaaten müssen ferner ein im öffentlichen Interesse liegendes
Nr. 4 FGO i. V. m. § 32i Abs. 2 Satz 1 AO). Eines außergerichtlichen Vorver- Ziel verfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten
fahrens bedurfte es gemäß § 32i Abs. 9 Satz 1 AO nicht. legitimen Zweck stehen (Art. 6 Abs. 3 Satz 4 DSGVO).
Ergänzend zu den Regelungen in Art. 6 DSGVO bestimmt Art. 9 Abs. 1 20
Ein Anspruch auf Löschung personenbezogener Daten DSGVO, dass unter anderem die Verarbeitung personenbezogener Daten,
besteht nicht aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen,
15 2. Das FG hat frei von Rechtsfehlern entschieden, dass der Kläger keinen religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschafts-
Anspruch auf Löschung der vom FA verarbeiteten personenbezogenen zugehörigkeit hervorgehen, grundsätzlich untersagt ist. Hiervon lässt die
Daten hat. Verordnung unter anderem dann eine Ausnahme zu, wenn die Verarbei-
16 Die Voraussetzungen der insoweit einzig in Betracht kommenden Rechts- tung auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitglied-
grundlage des Art. 17 Abs. 1 Buchst. d DSGVO, die nach Art. 288 Abs. 2 staats, das in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, den
Satz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahrt und angemessene und
ohne Umsetzungsakt in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der
gilt, sind nicht erfüllt. betroffenen Person vorsieht, aus Gründen eines erheblichen öffentlichen
Interesses erforderlich ist (Art. 9 Abs. 2 Buchst. g DSGVO).
Grundsätzlich besteht das Recht zur Löschung
personenbezogener Daten, wenn diese unrechtmäßig Für das Steuerrecht besteht eine besondere gesetzliche
verarbeitet wurden Regelung
17 a) Nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. d DSGVO hat die betroffene Person das cc) Der deutsche Gesetzgeber hat für das Verwaltungsverfahren in Steuer- 21
Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende per- sachen durch das Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes
sonenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, sofern jene Daten und anderer Vorschriften vom 17.07.2017 (BGBl I 2017, 2541) mit § 29b
unrechtmäßig verarbeitet wurden. AO eine bereichspezifische Rechtsgrundlage sowohl zur Verarbeitung per-
sonenbezogener Daten im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. e DSGVO
Personenbezogene Daten sind alle Informationen, die als auch solcher gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. g DSGVO geschaffen.
sich auf eine identifizierte oder identifizierbare Nach § 29b Abs. 1 AO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten durch 22
natürliche Person beziehen eine Finanzbehörde zulässig, wenn sie zur Erfüllung der ihr obliegenden Auf-
18 aa) Personenbezogene Daten sind alle Informationen, die sich auf eine gabe oder in Ausübung öffentlicher Gewalt, die ihr übertragen wurde, erfor-
identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen (Art. 4 Nr. 1 derlich ist. Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift regelt, dass die Verarbeitung der in Art. 9
Halbsatz 1 DSGVO). Unter einer „Verarbeitung“ im datenschutzrechtlichen Abs. 1 DSGVO genannten– besonderen(sensiblen) – personenbezogenen Da-
Sinne wird jeder mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführte ten durch eine Finanzbehörde zulässig ist, soweit die Verarbeitung aus Grün-
Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personen- den eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich ist und soweit die
bezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ord- Interessen des Verantwortlichen an der Datenverarbeitung die Interessen der
nen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das betroffenen Person überwiegen. In diesem Fall hat die Finanzbehörde ange-
Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbrei- messene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Interessen der betrof-
tung oder eine andere Form der Bereitstellung, der Abgleich oder die Ver- fenen Person vorzusehen, wobei § 22 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzge-
knüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung verstan- setzes (BDSG) entsprechend anzuwenden ist (§ 29b Abs. 2 Satz 2 AO).
den (Art. 4 Nr. 2 DSGVO). Die Norm ist von einem weiten Verständnis des Die Vorschrift des § 29b AO legitimiert die Finanzbehörden unter den 23
Begriffs „Verarbeitung“ geprägt (EuGH-Urteil „SS“ SIA gegen Valsts ienemu- dort genannten Voraussetzungen für sämtliche das Steuerverfahrensrecht
mu dienests vom 24.02.2022 – C-175/20, EU:C:2022:124, Rz 35 [K&R 2022, betreffende Maßnahmen zur Verarbeitung personenbezogener Daten. Es
260, RIW 2022, 640 Tenor]). Als Verantwortlicher im Sinne von Art. 17 Abs. 1 handelt sich um die „Kopfnorm“ des Vierten Abschnitts des Ersten Teils
DSGVO gilt unter anderem die Behörde, die allein oder gemeinsam mit an- der Abgabenordnung (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, § 29b AO Rz 1), durch
deren über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezoge- die die Finanzbehörde berechtigt wird, zum Zweck der Erfüllung ihrer
nen Daten entscheidet (Art. 4 Nr. 7 Halbsatz 1 DSGVO). Aufgaben personenbezogene Daten zu verarbeiten (Krumm, Der Betrieb
– DB – 2017, 2182, 2189). Die Norm ist damit getragen von den verfas-
Die rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener sungsrechtlichen Geboten der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3
Daten verlangt eine der Bedingungen der DSGVO Abs. 1 des Grundgesetzes – GG –) und der Gesetzmäßigkeit der Verwal-
19 bb) Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist nur rechtmäßig, wenn tung (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie der diese Gebote im Steuerverfahrensrecht
mindestens eine der in Art. 6 Abs. 1 DSGVO genannten Bedingungen erfüllt umsetzenden Vorschrift des § 85 AO (BTDrucks 18/12611, S. 76 f.). Aller-
ist (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt; statt vieler Wackerbeck in Hübschmann/ dings beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 29b AO auf solche
Hepp/Spitaler – HHSp – , § 29b AO Rz 9, m. w. N.). Dies ist unter anderem Datenverarbeitungen, die bereits bei ihrer Einführung Gegenstand steuer-
nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. e DSGVO der Fall, wenn die Verarbeitung verfahrensrechtlicher Verwaltungs- und Eingriffsbefugnisse waren. Die
für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen In- Vorschrift bietet keine Grundlage für die Schaffung neuer Formen der Da-
teresse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verant- tenerhebung (Ehrke-Rabel, Finanz-Rundschau – FR – 2019, 45, 49).
wortlichen übertragen wurde. Hierfür bedarf es gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 1
DSGVO einer Rechtsgrundlage, die entweder durch das Unionsrecht Die Verarbeitung durch das FA war rechtmäßig
(Buchst. a) oder durch das Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortli- b) Nach diesen Rechtsgrundlagen hat das FA als Verantwortlicher im 24
che unterliegt (Buchst. b), festgelegt wird. Das Unionsrecht oder das Recht Sinne von § 2a Abs. 3 AO i. V. m. Art. 4 Nr. 7 DSGVO zwar den Kläger be-

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BFH · 5.9.2023 – IX R 32/21

treffende personenbezogene Daten verarbeitet (dazu unten aa). Diese nungen erforderlichen Erläuterungen zu geben und die Finanzbehörde
Verarbeitung war aber rechtmäßig, da das an G gerichtete und auch er- bei Ausübung ihrer Befugnisse nach § 147 Abs. 6 AO zu unterstützen hat.
füllte Vorlageersuchen von § 29b AO gedeckt war (unten bb) und jene Die Beteiligten und andere Personen haben der Finanzbehörde die zur 31
Norm den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung genügt (unten Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforder-
cc). Die einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Einwendungen des lichen Auskünfte zu erteilen (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AO). Auf Verlangen der
Klägers greifen nicht durch (unten dd und ee). Finanzbehörde haben die Beteiligten und andere Personen gemäß § 97
Abs. 1 Satz 1 AO Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere
Das FA hat die Daten des Klägers verarbeitet Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen. § 93 Abs. 1 Satz 3 und
25 aa) Das FA hat den Kläger betreffende Daten verarbeitet, indem es die § 97 Abs. 1 Satz 3 AO regeln, dass andere Personen als die Beteiligten erst
von G auf Anforderung übersandten Kontoauszüge zu den Akten genom- dann zur Auskunft beziehungsweise zur Vorlage von Urkunden angehal-
men hat. Hiermit hat es Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DSGVO erhoben, ten werden sollen, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten
abgefragt und geordnet. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten zu nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht.
Recht ebenso wenig Streit wie über den Umstand, dass die auf den Kon-
toauszügen enthaltenen Daten personenbezogenen Charakter gemäß Die Auszüge des betrieblichen Kontos waren für die
Art. 4 Nr. 1 DSGVO haben. Steuerfestsetzung notwendig
26 Sollte sich aus den verakteten Kontoauszügen – was das FG nicht festge- (2) Im Streitfall war das FA zur Erfüllung seiner Aufgabe gehalten, die Aus- 32
stellt hat – ergeben, dass der Kläger Beiträge an den Verein „… e. V.“ züge des für betriebliche Zwecke genutzten Kontos bei G anzufordern.
überwiesen hat und wäre dieser Verein politisch aktiv, hätte das FA inso- Der Kläger ist seiner insofern gegenüber der Inanspruchnahme von G vor-
weit zudem besondere personenbezogene Daten im Sinne von Art. 9 rangigen Pflicht, die Auszüge zu Beginn der Außenprüfung vorzulegen,
Abs. 1 DSGVO („politische Meinungen“) verarbeitet. nicht nachgekommen. Zur Überprüfung der Richtigkeit und Vollständig-
keit der vom Kläger erklärten Betriebseinnahmen und -ausgaben war es
Die Datenverarbeitung ist durch die gesetzliche erforderlich, die Kontoauszüge von G anzufordern und zu sichten. Das FA
Grundlage gedeckt konnte seine Aufgabe, den besteuerungsrelevanten Sachverhalt zu ermit-
27 bb) Diese Datenverarbeitung war durch § 29b AO gedeckt. teln und zu überprüfen, ohne die Verarbeitung personenbezogener Daten
nicht erfüllen. Dies stellt auch der Kläger nicht in Abrede.
Das FA verarbeitet die Daten zur Erfüllung einer ihr
obliegenden Aufgabe Die enthaltenen personenbezogenen Daten wurden
28 aaa) Die mit dem Vorlageersuchen an G einhergehende Verarbeitung per- rechtmäßig verarbeitet
sonenbezogener Daten durch das FA, einer Finanzbehörde gemäß § 6 bbb) Sollten die angeforderten und vorgelegten Kontoauszüge besonde- 33
Abs. 2 Nr. 5 AO, war zur Erfüllung einer ihr obliegenden Aufgabe erforder- re personenbezogene Daten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO beinhal-
lich (§ 29b Abs. 1 Alternative 1 AO). ten (siehe oben), wäre deren Verarbeitung nach § 29b Abs. 2 AO recht-
mäßig.
Die Finanzbehörden haben die Steuern gleichmäßig
festzusetzen und zu erheben Das erhebliche öffentliche Interesse ist gegeben
29 (1) Kernaufgabe der Finanzbehörden ist die gleichmäßige Festsetzung (1) Das hierfür nach § 29b Abs. 2 Satz 1 AO zum einen erforderliche er- 34
und Erhebung der Steuern nach Maßgabe der Gesetze (§ 85 Satz 1 AO). hebliche öffentliche Interesse liegt vor.
Die Behörden haben nach Satz 2 der Vorschrift insbesondere sicherzustel- Ausreichend ist nicht irgendein – der Allgemeinheit dienendes – öffentli- 35
len, dass Steuern nicht verkürzt, zu Unrecht erhoben oder Steuererstat- ches Interesse; vielmehr muss die Erheblichkeitsschwelle überschritten
tungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt werden, das heißt, das öffentliche Interesse muss besonders bedeutend
werden. Den Besteuerungssachverhalt ermittelt die Finanzbehörde von sein. Mit Blick auf die verfassungsrechtlich verbürgten Grundsätze der Ge-
Amts wegen, wobei sie Art und Umfang der Ermittlungen nach den Um- setzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist diese Qualifikati-
ständen des Einzelfalls sowie nach den Grundsätzen der Gleichmäßigkeit, on bei der Verarbeitung von Daten im steuerlichen Verfahrensrecht nach
Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit bestimmt (§ 88 Abs. 1 Satz 1 allgemeiner Ansicht erreicht (Drüen in Tipke/Kruse, § 29b AO Rz 15; Mues
und Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 AO). Zuständig hierfür sind die Finanzämter in Gosch, AO § 29b Rz 30 ff., 47; Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl., § 29b Rz 29;
als örtliche Landesbehörden (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 17 Abs. 2 Satz 1 des Tormöhlen, AO-Steuerberater – AOStB – 2019, 248, 249).
Finanzverwaltungsgesetzes – FVG –).
30 Die Beteiligten – und hierbei insbesondere die Steuerpflichtigen – sind Die Interessen des FA an der Datenverarbeitung
zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet (§ 90 überwiegen das Interesse des Klägers
Abs. 1 Satz 1 AO). Sie kommen nach Satz 2 der Vorschrift der Mitwir- (2) Zum anderen überwiegen die Interessen des FA an der Datenverarbeitung 36
kungspflicht insbesondere dadurch nach, dass sie die für die Besteuerung die Interessen des Klägers an einer Untersagung der Verarbeitung. Dies ergibt
erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen und sich bereits daraus, dass das Vorlageersuchen des FA nicht gezielt zum Ge-
die ihnen bekannten Beweismittel angeben. Mitwirkungspflichten im genstand hatte, besondere personenbezogene Daten im Sinne von Art. 9
Speziellen bestehen im Rahmen einer beim Steuerpflichtigen durchzufüh- Abs. 1 DSGVO zu verarbeiten. Die Prüfungsanordnung verdeutlicht vielmehr,
renden Außenprüfung (§ 193 AO). § 200 Abs. 1 Satz 2 AO regelt in diesem dass diejenigen Vorgänge, die betriebliche Veranlassung hatten beziehungs-
Zusammenhang, dass der Steuerpflichtige insbesondere Auskünfte zu er- weise hätten haben können und über das angefragte Konto abgewickelt wur-
teilen, Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden den (insbesondere der Zufluss von Honoraren aus rechtsanwaltlicher Tätig-
zur Einsicht und Prüfung vorzulegen, die zum Verständnis der Aufzeich- keit), überprüft werden sollten. Die Verarbeitung nicht-betrieblicher Daten

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2719
Steuerrecht | Entscheidungen
BFH · 5.9.2023 – IX R 32/21

im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO hatte lediglich unvermeidbare begleitende zeigt, dass der europäische Verordnungsgeber unter anderem den „Steu-
Relevanz. erbereich“ als schützenswertes wichtiges Ziel des allgemeinen öffentli-
chen Interesses erklärt hat (Art. 23 Abs. 1 Buchst. e DSGVO). Dies ent-
Die personenbezogenen Daten waren untrennbar spricht auch der Rechtsprechung des EuGH, der zufolge sowohl die Steu-
vorhanden ererhebung als auch die Bekämpfung von Steuerbetrug als im öffentli-
37 (3) Wegen der fehlenden Trennbarkeit der besonderen personenbezoge- chen Interesse liegende Aufgaben im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1
nen Daten war deren Verarbeitung im Sinne des Zwecks des Vorlageersu- Buchst. e DSGVO anzusehen sind (EuGH-Urteil „SS“ SIA gegen Valsts iene-
chens des FA auch erforderlich. mumu dienests vom 24.02.2022 – C-175/20, EU:C:2022:124, Rz 70,
m. w. N. [K&R 2022, 260, RIW 2022, 640 Tenor]).
Die gesetzliche Grundlage genügt den Anforderungen
der DSGVO Die Nennung des gesetzlichen Zwecks der
38 cc) § 29b AO genügt den Anforderungen, die die Datenschutz-Grundver- Datenverarbeitung ist erfolgt
ordnung an die Gestattung für die Verarbeitung von einfachen personen- (3) Unabhängig von Vorgenanntem hat der Gesetzgeber in § 29b Abs. 1 42
bezogenen Daten gemäß Art. 6 Abs. 3 DSGVO (dazu unten aaa) sowie an AO den Zweck der Verarbeitung personenbezogener Daten im steuerli-
die Verarbeitung von besonderen personenbezogenen Daten im Sinne chen Verfahrensrecht festgelegt und damit auch die Anforderungen des
von Art. 9 Abs. 2 DSGVO (unten bbb) stellt. Art. 6 Abs. 3 Satz 2 Alternative 1 DSGVO erfüllt.
§ 29b Abs. 1 AO benennt zwar nicht konkret einen Verarbeitungszweck, 43
Der Verarbeitungszweck muss nicht ausdrücklich knüpft aber an die den Finanzbehörden obliegenden Aufgaben an und
gesetzlich bestimmt werden, sondern kann sich ebenso rechtfertigt für deren Erfüllung die Verarbeitung personenbezogener Da-
aus dem Kontext einer zu erfüllenden bestimmten ten. Der insoweit zumindest konkludent gefasste Verweis auf die Aufga-
Aufgabe ergeben ben und Zuständigkeiten der Finanzbehörden sowohl in der Abgabenord-
39 aaa) (1) Art. 6 Abs. 3 Satz 2 DSGVO gibt vor, dass in der für Verarbeitun- nung (hier insbesondere § 85 Satz 1 AO) als auch im Finanzverwaltungs-
gen gemäß Abs. 1 Buchst. e der Vorschrift erforderlichen Rechtsgrundlage gesetz (hier insbesondere § 17 Abs. 2 FVG) genügt, um anzunehmen,
entweder der Zweck der Verarbeitung festgelegt sein muss (Alternative 1) dass auch der Zweck der Verarbeitung personenbezogener Daten im
oder der Zweck für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öf- Sinne von Art. 6 Abs. 3 Satz 2 Alternative 1 DSGVO gesetzlich festgelegt
fentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, ist (in diesem Sinne ebenso Wackerbeck in HHSp, § 29b AO Rz 12: „mini-
die dem Verantwortlichen übertragen wurde (Alternative 2). Der Verarbei- malistische Umsetzung“; Mues in Gosch, AO § 29b Rz 29; Drüen in Tipke/
tungszweck muss somit nicht ausdrücklich gesetzlich bestimmt werden, Kruse, § 29b AO Rz 1, 10: „nur … sehr moderate Konkretisierungspflicht“;
sondern kann sich ebenso aus dem Kontext einer zu erfüllenden be- BeckOK AO/Steinke, 25. Ed. [01.07.2023], AO § 29b Rz 20; Tormöhlen,
stimmten Aufgabe ergeben (Frenzel in Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 3. Aufl., AOStB 2019, 248, 249; Krumm, DB 2017, 2182, 2190; Ehrke-Rabel, FR
Art. 6 DSGVO Rz 41; Drüen in Tipke/Kruse, § 29b AO Rz 10). Dies korres- 2019, 45, 52; zweifelnd dagegen Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl., § 29b Rz 21).
pondiert mit der Erwägung des Verordnungsgebers, dass nicht für jede Ein darüber hinausgehendes Konkretisierungs- beziehungsweise Präzisie- 44
Verarbeitung ein spezifisches Gesetz verlangt wird (Datenschutz-Grund- rungsgebot ergibt sich weder aus Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 4 DSGVO
verordnung, dort vorangestellter Erwägungsgrund Nummer 45 Satz 2; (beide Normen sind als „Kann“-Bestimmungen verfasst) noch aus dem
vgl. auch BeckOK Datenschutzrecht/Albers/Veit, 45. Ed. [01.08.2023], der Datenschutz-Grundverordnung vorangestellten Erwägungsgrund
DSGVO Art. 6 Rz 80). Vorausgesetzt wird allerdings, dass eine solche Auf- Nummer 45 (der dortige Satz 5 ist ebenfalls als „Kann“-Bestimmung aus-
gabe durch das Recht hinreichend klar und bestimmt beschrieben wird gestaltet). Die Fassung abstrakter Erlaubnistatbestände gewährleistet zu-
(Buchner/Petri in Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 3. Aufl., Art. 6 DSGVO dem ein hinreichendes Maß an Verwaltungsflexibilität und -ermessen
Rz 121). (vgl. insoweit zu § 88 Abs. 2 Satz 1 AO Volquardsen in Schwarz/Pahlke/
Keß, AO/FGO, § 29b AO Rz 6); ferner wird der Gefahr einer „Verrechtli-
Das Steuerfestsetzungs- und -erhebungsverfahren kann chungsfalle“ im Datenschutzrecht entgegengewirkt (BeckOK Datenschutz-
ohne die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht recht/Albers/Veit, 45. Ed. [01.08.2023], DSGVO Art. 6 Rz 80, m. w. N.).
gesetzmäßig und effektiv umgesetzt werden
40 (2) Dementsprechend wird § 29b Abs. 1 AO bereits der Alternative 2 des Das unionsrechtliche Normwiederholungsverbot ist
Art. 6 Abs. 3 Satz 2 DSGVO gerecht. nicht tangiert
41 Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist für die Erfüllung der den (4) § 29b Abs. 1 AO verletzt auch nicht das unionsrechtliche Normwieder- 45
Finanzbehörden obliegenden (Kern-)Aufgabe, nämlich der gleichmäßigen holungsverbot.
Festsetzung und Erhebung von Steuern nach Maßgabe der Gesetze Dieses Verbot soll sicherstellen, dass die Wirkung einer unmittelbaren Gel- 46
(Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. § 85 Satz 1 AO), erforderlich. Mit Blick auf die je- tung von Verordnungen der EU (Art. 288 Abs. 2 AEUV) nicht vereitelt wird
weils weit gefassten Begriffe der Personenbezogenheit von Daten sowie (vgl. EuGH-Urteile Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen
des Verarbeitens von Daten (Art. 4 Nr. 1 und 2 DSGVO) erscheint es unvor- Italienische Republik vom 07.02.1973 – C-39/72, EU:C:1973:13, Rz 17; Fra-
stellbar, dass das Steuerfestsetzungs- und -erhebungsverfahren – insbe- telli Variola S.p.A. gegen Amministrazione italiana delle Finanze vom
sondere vor dem Hintergrund des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 88 10.10.1973 – C-34/73, EU:C:1973:101, Rz 9 ff. sowie Kommission der Euro-
Abs. 1 Satz 1 AO) – ohne die Verarbeitung personenbezogener Daten ge- päischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik vom 28.03.1985 –
setzmäßig und effektiv umzusetzen wäre (in diesem Sinne auch Fisch- C-272/83, EU:C:1985:147, Rz 26; Schaumburg in Schaumburg, Internatio-
bach, EFG 2022, 4, 5). Die Erfüllung dieser in § 85 Satz 1 AO festgelegten nales Steuerrecht – IStR – , 5. Aufl., Rz 3.47; Myßen/Kraus, FR 2019, 58,
Aufgabe liegt evident im öffentlichen Interesse, was sich bereits darin 59). Folge dessen ist, dass die Regelungen der Datenschutz-Grundverord-

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nung in einer nationalen Rechtsgrundlage grundsätzlich nicht schlicht § 29b Abs. 2 Satz 1 AO berücksichtigt das erhöhte Schutzniveau der in 52
wiederholt werden dürfen (Frenzel in Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 3. Aufl., Art. 9 Abs. 1 DSGVO genannten Daten, die nicht bereits zum Zweck eines
Art. 6 DSGVO Rz 33; Taeger in Taeger/Gabel, DSGVO BDSG TTDSG, 4. Aufl., allgemeinen, sondern nur eines erheblichen öffentlichen Interesses verar-
Art. 6 DSGVO Rz 155; vgl. auch Schreiben des Bundesministeriums der Fi- beitet werden dürfen. Darüber hinaus fordert die Norm eine strenge Prü-
nanzen vom 13.01.2020, BStBl I 2020, 143, Rz 1). fung der Verhältnismäßigkeit und wahrt damit die Grundrechte und Inte-
47 Diesen Anforderungen wird § 29b Abs. 1 AO gerecht. Der Wortlaut der ressen der betroffenen Person. Ferner gewährleistet § 29b Abs. 2 Satz 1
Norm ist zwar eng an die Formulierung des Erlaubnistatbestands des AO keine schrankenlose Verarbeitung von Daten im Sinne von Art. 9
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. e DSGVO angelehnt, beschränkt sich allerdings Abs. 1 DSGVO, sondern gestattet dies nur, „soweit“ dies aus Gründen ei-
nicht auf dessen schlichte Wiederholung. § 29b Abs. 1 AO konkretisiert nes erheblichen öffentlichen Interesses „erforderlich“ ist.
zum einen den Berechtigten einer Verarbeitung personenbezogener Da- Mit den in § 29b Abs. 2 Satz 2 AO gesetzlich verbürgten Maßnahmen zur 53
ten, nämlich die Finanzbehörde, und knüpft zum anderen an die ihr ob- Wahrung der Interessen der betroffenen Person und hierbei insbesondere
liegenden und von ihr zu erfüllenden Aufgaben an (vgl. auch Wackerbeck mit dem Verweis auf den Katalog des § 22 Abs. 2 Satz 2 BDSG trägt die
in HHSp, § 29b AO Rz 12). Gestattungsnorm zudem den weiteren Vorgaben des Art. 9 Abs. 2 Buchst.
48 Soweit § 29b Abs. 1 AO die Begrifflichkeiten von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 g DSGVO Rechnung.
Buchst. e DSGVO wörtlich beziehungsweise im Kontext übernimmt (insbe-
sondere „Verarbeitung“, „Erfüllung einer Aufgabe“, „Ausübung öffentli- Die vorgebrachten Einwendungen gegen die
cher Gewalt“), wird das Normwiederholungsverbot nicht verletzt. Der Ver- Verarbeitung der personenbezogenen Daten sind
ordnungsgeber lässt es zu, jedenfalls „Textpassagen“ der Datenschutz- unbegründet
Grundverordnung im nationalen Recht zu wiederholen, wenn – wie hier – dd) Die mit der Revision vorgebrachten Einwendungen des Klägers gegen 54
die Datenschutz-Grundverordnung eine Präzisierung durch mitgliedstaat- die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten sind unbegründet.
liches Recht zulässt und die Wiederholung als erforderlich gilt, um die Ko-
härenz sicherzustellen und um die nationalen Vorschriften verständlicher Der Einwand, eine Rechtfertigung für die Verarbeitung
zu formulieren (Datenschutz-Grundverordnung, dort vorangestellter Erwä- der Daten sei nicht vorhanden, geht bereits im Ansatz
gungsgrund Nummer 8; vgl. zur Ausnahme vom Normwiederholungsver- fehl
bot bereits EuGH-Urteil Kommission der Europäischen Gemeinschaften aaa) Der wesentliche Einwand, § 97 Abs. 1 Satz 1 AO enthalte keine 55
gegen Italienische Republik vom 28.03.1985 – C-272/83, EU:C:1985:147, Rechtfertigung für die Verarbeitung personenbezogener Daten, ist bereits
Rz 27 sowie BeckOK Datenschutzrecht/Albers/Veit, 45. Ed. [01.08.2023], im Ansatz verfehlt. Die Befugnis der Finanzbehörden, mit Vorlageersu-
DSGVO Art. 6 Rz 87). chen entweder bei den Beteiligten (§ 97 Abs. 1 Satz 1 AO) oder bei Drit-
49 Soweit im Schrifttum vereinzelt vertreten wird, dass die § 29b Abs. 1 AO ten (Satz 3 der Vorschrift) personenbezogene Daten zu erheben und zu
weitgehend gleichlautende Ermächtigungsnorm des § 3 BDSG das Norm- verarbeiten, ergibt sich abschließend aus der für das gesamte steuerliche
wiederholungsverbot verletze (Frenzel in Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, Verfahrensrecht geltenden – vorgeschalteten – Norm des § 29b AO (zu-
3. Aufl., § 3 BDSG Rz 1 f.), rechtfertigt dies kein anderes Ergebnis. Weder treffend Fischbach, EFG 2022, 4, 5). Aus diesem Grund sind auch die wei-
setzt sich diese Auffassung mit dem der Datenschutz-Grundverordnung teren gegen § 97 AO gerichteten Einwendungen im vorliegenden Verfah-
vorangestellten Erwägungsgrund Nummer 8 auseinander noch berück- ren ohne Bedeutung.
sichtigt sie, dass Art. 6 Abs. 3 Satz 3 DSGVO – wie oben dargelegt – nur
dazu berechtigt, nicht aber verpflichtet, spezifischere Bestimmungen in Die Schaffung eines abstrakten Erlaubnistatbestands ist
die nationale Rechtsgrundlage aufzunehmen (vgl. auch Starnecker in Go- ausreichend
la/Heckmann, DS-GVO BDSG, 3. Aufl., § 3 BDSG Rz 8 sowie BeckOK Daten- bbb) Soweit der Kläger beanstandet, dass § 29b AO nicht diejenigen Un- 56
schutzrecht/Wolff, 45. Ed. [01.11.2021], BDSG § 3 Rz 31). terlagen benenne, die der Finanzbehörde auf Verlangen vorzulegen seien,
überstrapaziert er den erforderlichen Regelungsgehalt jener Norm. Wie
Die Verarbeitung personenbezogener Daten dient der bereits dargelegt, reicht es aus, dass der Gesetzgeber mit § 29b AO einen
Durchführung des Besteuerungsverfahrens abstrakten Erlaubnistatbestand geschaffen hat, nach dem unter den dort
50 (5) Der Senat hat auch keine Zweifel, dass § 29b Abs. 1 AO ein im öffentli- genannten Voraussetzungen personenbezogene Daten verarbeitet wer-
chen Interesse liegendes Ziel verfolgt und in einem angemessenen Verhält- den dürfen.
nis zu dem verfolgten legitimen Zweck steht (vgl. Art. 6 Abs. 3 Satz 4
DSGVO). Die Verarbeitung personenbezogener Daten dient der Durchfüh- Verfassungsverstöße sind nicht ersichtlich
rung des Besteuerungsverfahrens (§ 85 AO). Die Vorschrift schließt eine un- ee) Die vom Kläger gerügten materiellen Verfassungsverstöße liegen nicht 57
beschränkte Datenbevorratung aus; sie macht die Verarbeitung davon ab- vor.
hängig, dass diese final im Zusammenhang mit den Aufgaben der Verwal-
tung steht („zur Erfüllung“) und darüber hinaus insoweit auch erforderlich Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
ist, das heißt auf das für den Zweck der Verarbeitung notwendige Maß be- ist nicht berührt
schränkt wird („Datenminimierung“, vgl. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c DSGVO). aaa) Dies gilt zunächst für das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ab- 58
geleitete Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
Das erhöhte Schutzniveau der DSGVO ist beachtet (1) Dieses Grundrecht gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grund- 59
51 bbb) Schließlich sind auch die speziellen Regelungen in § 29b Abs. 2 AO sätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen
zur Gestattung der Verarbeitung besonderer personenbezogener Daten Daten zu bestimmen. Es umfasst den Schutz gegen die unbegrenzte Er-
mit den Vorgaben in Art. 9 Abs. 2 Buchst. g DSGVO vereinbar. hebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe persönlicher Daten.

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Die Gewährleistung greift insbesondere, wenn die Entfaltung der Persön- Eine Regelung, die unter anderem einen Eingriff in das durch Art. 8 65
lichkeit dadurch gefährdet wird, dass personenbezogene Informationen EUGrdRCh garantierte Grundrecht auf Schutz der personenbezogenen Da-
von staatlichen Behörden in einer Art und Weise genutzt und verknüpft ten enthält, muss dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit genügen. Dies
werden, die Betroffene weder überschauen noch beherrschen können verlangt, dass die Handlungen der Unionsorgane (beziehungsweise der
(Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 27.05.2020 – Mitgliedstaaten) geeignet sind, die mit der fraglichen Regelung zulässi-
1 BvR 1873/13, 1 BvR 2618/13, BVerfGE 155, 119, Rz 92, m. w. N. [CB 2020, gerweise verfolgten Ziele zu erreichen, und nicht die Grenzen dessen
343, K&R 2020, 604]). überschreiten, was zur Erreichung dieser Ziele geeignet und erforderlich
60 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird aber nicht schran- ist (vgl. EuGH-Urteil Digital Rights Ireland Ltd gegen Minister for Commu-
kenlos gewährleistet. Eingriffe in dieses Grundrecht bedürfen – wie jede nications, Marine and Natural Resources u. a. und Kärntner Landesregie-
Grundrechtsbeschränkung – einer gesetzlichen Ermächtigung, die einen rung u. a. vom 08.04.2014 – C-293/12, C-594/12, EU:C:2014:238, Rz 46,
legitimen Gemeinwohlzweck verfolgt und im Übrigen den Grundsatz der m. w. N. [BB 2014, 1100 m. BB-Komm. Härting, K&R 2014, 405 m. K&R-
Verhältnismäßigkeit wahrt (statt vieler BVerfG-Beschluss vom 10.11.2020 Komm. Westphal]). Die Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf
– 1 BvR 3214/15, BVerfGE 156, 11, Rz 84). Sie müssen daher zur Errei- den Schutz personenbezogener Daten müssen sich auf das absolut Not-
chung des legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und verhältnismäßig wendige beschränken. Die den Eingriff enthaltende Regelung muss zu-
im engeren Sinne sein. Dabei bedürfen sie einer gesetzlichen Grundlage, dem klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung einer
welche die Datenverarbeitung auf spezifische Zwecke hinreichend be- Maßnahme vorsehen und Mindestanforderungen aufstellen, so dass die
grenzt. Alle angegriffenen Befugnisse sind zudem am Grundsatz der Nor- Personen, deren personenbezogene Daten betroffen sind, über ausrei-
menklarheit und Bestimmtheit zu messen, der der Vorhersehbarkeit von chende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz ihrer Daten vor
Eingriffen für die Bürgerinnen und Bürger, einer wirksamen Begrenzung Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang zu diesen
der Befugnisse gegenüber der Verwaltung sowie der Ermöglichung einer Daten und jeder unberechtigten Nutzung ermöglichen (EuGH-Urteil Digi-
effektiven Kontrolle durch die Gerichte dient (vgl. Urteil des Bundessozial- tal Rights Ireland Ltd gegen Minister for Communications, Marine and Na-
gerichts – BSG – vom 20.01.2021 – B 1 KR 7/20 R, BSGE 131, 169, Rz 93, tural Resources u. a. und Kärntner Landesregierung u. a. vom 08.04.2014 –
m. w. N.). C-293/12, C-594/12, EU:C:2014:238, Rz 54 [BB 2014, 1100 m. BB-Komm.
61 (2) Diesen Anforderungen wird die das Grundrecht auf informationelle Härting, K&R 2014, 405 m. K&R-Komm. Westphal]; BSG-Urteil vom
Selbstbestimmung einschränkende Norm des § 29b AO gerecht. Sie dient 20.01.2021 – B 1 KR 7/20 R, BSGE 131, 169, Rz 109, jeweils m. w. N.).
den Finanzbehörden bei der Erfüllung ihrer Aufgabe einer gesetzesgemä- Zweifel daran, dass § 29b AO diesen Anforderungen, die im Wesentlichen 66
ßen, gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung von Steuern und verfolgt denen für die Rechtfertigung eines Eingriffs in das Grundrecht auf infor-
demnach ein legitimes Gemeinwohlziel. Zweifel an einer dem Verhältnis- mationelle Selbstbestimmung entsprechen, genügt, bestehen aus den
mäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Ausgestaltung der Norm bestehen oben dargelegten Erwägungen nicht.
nicht, zumal § 29b Abs. 1 AO die Verarbeitung personenbezogener Daten
nur soweit gestattet, als sie zur Erfüllung der der Finanzbehörde oblie- Ob das FA seinen Transparenz- und
genden Aufgabe erforderlich ist; eine Datenbevorratung ist somit – wie Informationspflichten gegenüber dem Kläger
oben dargelegt – ausgeschlossen. Darüber hinaus sieht § 29b Abs. 2 nachgekommen ist, bedarf keiner Entscheidung
Satz 2 Halbsatz 1 AO bei der Verarbeitung besonderer persönlicher Daten c) Es bedarf keiner Entscheidung des Senats, ob das FA als Verantwortli- 67
im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO spezifische Maßnahmen zur Wahrung cher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO seinen Transparenz- und Informati-
der Datenschutzrechte des Betroffenen vor. Infolge der in § 29b Abs. 1 onspflichten gegenüber dem Kläger (Art. 12, Art. 14 DSGVO) hinreichend
AO geregelten Verbindung zwischen der Aufgabe einer Finanzbehörde nachgekommen ist. Selbst wenn dies – abweichend von der Auffassung
und der (nur) hierzu zulässigen Verarbeitung personenbezogener Daten des FG – nicht der Fall gewesen sein sollte, könnte der Kläger allein des-
ist diese Gestattungsnorm – im Übrigen ebenso wie Absatz 2 der Vor- halb keine Löschung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten ge-
schrift – hinreichend klar ausgestaltet. mäß Art. 17 Abs. 1 Buchst. d DSGVO verlangen. Etwaige Verstöße gegen
Transparenzpflichten führen für sich betrachtet nicht dazu, dass die Da-
Eine Verletzung der Charta der Grundrechte der tenverarbeitung – wie von Art. 17 Abs. 1 Buchst. d DSGVO verlangt – „un-
Europäischen Union ist nicht ersichtlich rechtmäßig“ war. Dies ergibt sich aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. a DSGVO, der
62 bbb) Auch eine Verletzung von Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 der Charta klar zwischen Rechtmäßigkeit, Treu und Glauben sowie Transparenz diffe-
der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdRCh) ist ausgeschlossen. renziert (vgl. auch Herbst in Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 3. Aufl.,
63 Unbeschadet der Frage, ob der sachliche Anwendungsbereich der Charta Art. 5 DSGVO Rz 10 f.: „enges Verständnis“ des Begriffs der Rechtmäßig-
der Grundrechte der Europäischen Union im Hinblick auf deren Art. 51 keit).
Abs. 1 Satz 1 überhaupt eröffnet ist (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs
– BFH – vom 30.08.2022 – X R 17/21, BFHE 278, 327, BStBl II 2023, 396, Ein Anspruch auf Löschung der verarbeiteten
Rz 50 sowie BSG-Urteil vom 20.01.2021 – B 1 KR 7/20 R, BSGE 131, 169, Rz personenbezogenen Daten besteht nicht
91), wäre ein Eingriff in Art. 8 Abs. 1 und 2 Satz 1 EUGrdRCh gerechtfertigt. d) Aus alledem ergibt sich, dass der Kläger keinen Anspruch auf Löschung 68
64 Nach Art. 8 Abs. 1 EUGrdRCh hat jede Person das Recht auf Schutz der sie seiner verarbeiteten personenbezogenen Daten gemäß Art. 17 Abs. 1
betreffenden personenbezogenen Daten. Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift Buchst. d DSGVO hat.
legt fest, dass diese Daten nur nach Treu und Glauben für festgelegte e) Dasselbe Ergebnis bestimmt Art. 17 Abs. 3 Buchst. b Variante 2 DSGVO. 69
Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sons- Hiernach besteht kein Löschungsanspruch, soweit die Verarbeitung per- 70
tigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden dür- sonenbezogener Daten erforderlich ist zur Wahrnehmung einer Aufgabe,
fen. die im öffentlichen Interesse liegt. Auch insofern bedarf es allerdings ei-

2722 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


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BFH · 5.9.2023 – IX R 32/21

ner rechtlichen Grundlage im Unions- oder nationalen Recht (vgl. Nolte/ 11.11.2022 – VIII B 97/21, Rz 9, m. w. N. [BB 2023, 293]). Ebenso wenig be-
Werkmeister in Gola/Heckmann, DS-GVO BDSG, 3. Aufl., Art. 17 DSGVO steht die Pflicht, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen
Rz 46), die der nationale Gesetzgeber mit § 29b AO geschaffen hat. ausdrücklich zu befassen. Der Gehörsanspruch ist erst verletzt, wenn das
Gericht Vorbringen, auf das es ankommen kann, nicht nur nicht ausdrück-
Das weiterverfolgte Widerspruchsrecht ist nicht lich bescheidet, sondern bei seiner Entscheidung überhaupt nicht berück-
gegeben sichtigt (BFH-Beschlüsse vom 26.02.2019 – VIII B 133/18, Rz 4; vom
71 3. Das im Hilfsantrag vom Kläger weiterverfolgte Widerspruchsrecht ge- 13.03.2015 – X B 138/14, Rz 24).
mäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 DSGVO besteht nicht. Nach diesen Maßstäben ist dem FG keine Gehörsverletzung vorzuhalten. 80
72 a) Nach dieser Vorschrift hat die betroffene Person das Recht, aus Grün- Das wesentliche Vorbringen des Klägers, § 97 Abs. 1 AO genüge nicht
den, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben, jederzeit gegen die den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. e, Abs. 3 Satz 1
Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten, die aufgrund Buchst. b sowie Satz 2 ff. DSGVO, war aus den oben genannten Gründen
von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. e oder f DSGVO erfolgt, Widerspruch ein- nicht entscheidungserheblich. Mit dem Kern seiner Rüge wendet sich der
zulegen. Kläger insoweit gegen die materielle Rechtmäßigkeit der angefochtenen
73 Art. 23 Abs. 1 DSGVO gestattet den Mitgliedstaaten der EU allerdings, un- Entscheidung und macht keinen Verfahrensfehler geltend. Er beanstandet
ter anderem das vorgenannte Widerspruchsrecht im Wege von Gesetzge- letztlich, vom FG nicht „erhört“ worden zu sein, da sich dieses nicht sei-
bungsmaßnahmen zu beschränken, sofern eine solche Beschränkung den nen rechtlichen Ansichten angeschlossen hat; dies wird vom Gehörsan-
Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten achtet und in einer spruch nicht umfasst (BFH-Beschluss vom 14.11.2022 – XI B 106/21,
demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Rz 16, m. w. N.).
Maßnahme darstellt, die die in Buchstaben a bis j geregelten Schutzgüter
sicherstellt. Als Schutzgut im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Buchst. e DSGVO Der Verzicht auf eine Vorlage verletzt nicht den
benennt der Verordnungsgeber sonstige wichtige Ziele des allgemeinen Anspruch auf den gesetzlichen Richter
öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats, wobei er bei- b) Die Entscheidung der Vorinstanz, das Klageverfahren nicht nach § 74 81
spielhaft den Währungs-, Haushalts- und Steuerbereich der Union oder FGO auszusetzen und keine Vorabentscheidung des EuGH zu den vom
eines Mitgliedstaats anführt. Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen einzuholen, verletzt ihn nicht in sei-
74 Von einer solchen Beschränkungsmöglichkeit hat der nationale Gesetzge- nem Anspruch auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2
ber mit § 32f Abs. 5 AO Gebrauch gemacht. Hiernach besteht das Recht GG. Das FG ist als erstinstanzliches Gericht nach Art. 267 Abs. 2 AEUV nur
auf Widerspruch gemäß Art. 21 Abs. 1 DSGVO gegenüber einer Finanzbe- berechtigt, nicht aber verpflichtet, den EuGH um eine Vorabentscheidung
hörde nicht, soweit an der Verarbeitung ein zwingendes öffentliches Inte- zu ersuchen (BFH-Beschluss vom 26.06.2021 – VIII B 46/20, Rz 29,
resse besteht, das die Interessen der betroffenen Person überwiegt (Alter- m. w. N.).
native 1), oder eine Rechtsvorschrift zur Verarbeitung verpflichtet (Alter-
native 2). Ein Vorabentscheidungsersuchen ist nicht notwendig
75 b) Jedenfalls die Voraussetzungen der Alternative 1 liegen vor. 5. Ein Vorabentscheidungsersuchen des erkennenden Senats an den 82
76 Der Kläger ist seinen Mitwirkungspflichten im Rahmen der bei ihm ange- EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht geboten.
ordneten Außenprüfung (§ 193, § 200 AO) nicht nachgekommen. Zum
Zweck der Überprüfung der Einkünfte und Umsätze des Klägers aus selb- Eine Vorlagepflicht besteht nicht, wenn eine gesicherte
ständiger Arbeit auf Richtigkeit und Vollständigkeit war es dem FA gestat- Rechtsprechung des EuGH vorliegt
tet, von G die Vorlage der Kontoauszüge zu verlangen. Die hiermit unwei- a) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz enthält der Streitfall zwar ent- 83
gerlich einhergehende Verarbeitung personenbezogener Daten war mit scheidungserhebliche Fragen zur Auslegung des Unionsrechts. Dieser
Blick auf die in einem zwingenden öffentlichen Interesse liegende Aufga- Umstand verpflichtet den Senat aber nicht, eine Vorabentscheidung des
be des FA, Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen EuGH einzuholen. Denn eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV be-
(§ 85 Satz 1 AO) und hierbei den Besteuerungssachverhalt von Amts we- steht nicht, wenn zu der entscheidungserheblichen Frage nach der Ausle-
gen zu ermitteln (§ 88 Abs. 1 Satz 1 AO), vom Kläger hinzunehmen. gung oder Gültigkeit des Unionsrechts bereits eine gesicherte Rechtspre-
chung des EuGH existiert („acte éclairé“) oder die richtige Anwendung
Verfahrensmängel sind nicht ersichtlich des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen
77 4. Die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel greifen nicht durch. vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt, so-
genannte „acte clair“ (EuGH-Urteil Srl CILFIT und Lanificio di Gavardo SpA
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt gegen Ministero della Sanità vom 06.10.1982 – C-283/81, EU:C:1982:335,
78 a) Weder liegt ein Begründungsausfall im Sinne von § 119 Nr. 6 FGO vor Rz 13 ff.; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 04.03.2021 – 2 BvR 1161/19, Rz
noch kann der Kläger mit Erfolg eine Verletzung seines Anspruchs auf Ge- 55 [BB 2021, 990]; Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl.,
währung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO Art. 267 AEUV Rz 33; Schönfeld, IStR 2022, 617, 623).
geltend machen.
79 Der Gehörsanspruch verpflichtet das Gericht nur, die Ausführungen der Der Streitfall lässt keinen Raum für ein
Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit Vorabentscheidungsersuchen
dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzuset- b) Nach diesen Maßstäben bedarf es im Streitfall keines Vorabentschei- 84
zen (sogenannte Beachtenspflicht). Jener Anspruch verpflichtet aber dungsersuchens.
nicht, sich mit Ausführungen der Beteiligten auseinanderzusetzen, auf die Durch die Rechtsprechung des EuGH ist bereits geklärt, dass die Steuerer- 85
es für die Entscheidung nicht ankommt (statt vieler BFH-Beschluss vom hebung – neben der Bekämpfung des Steuerbetrugs – als eine im öffent-

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2723


Steuerrecht | Entscheidungen
BFH · 26.7.2023 – II R 5/21

lichen Interesse liegende Aufgabe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 in ihr nationales Recht aufnehmen, besteht nach Ansicht des erkennenden
Buchst. e DSGVO ist (EuGH-Urteil „SS“ SIA gegen Valsts ienemumu die- Senats auch keinerlei Raum für vernünftige Zweifel, dass § 29b AO insoweit
nests vom 24.02.2022 – C-175/20, EU:C:2022:124, Rz 70 [K&R 2022, 260, unionsrechtskonform ist.
RIW 2022, 640 Tenor]). Hieran anknüpfend kann es keinem vernünftigen Schließlich bieten sowohl die sprachlichen Fassungen von Art. 6 Abs. 2 87
Zweifel unterliegen, dass § 29b AO den besonderen unionsrechtlichen und Abs. 3 Satz 3 DSGVO als auch der der Datenschutz-Grundverordnung
Anforderungen, die Art. 6 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 3 Satz 4 DSGVO für die vorangestellte und insoweit maßgebliche Erwägungsgrund Nummer 45
Legitimation der Verarbeitung personenbezogener Daten vorgibt, genügt. für den Senat hinreichend Anlass, zweifelsfrei annehmen zu können, dass
Beide Normen knüpfen an ein im „öffentlichen Interesse“ liegendes Ziel der nationale Gesetzgeber unionsrechtlich befugt war, § 29b AO als abs-
an. trakten Erlaubnistatbestand für die Verarbeitung personenbezogener Da-
86 Ebenso geklärt sind der unionsrechtliche Grundsatz des Normwiederho- ten auszugestalten. Präzisierungen zu den unionsrechtlichen Erlaubnistat-
lungsverbots und die hiervon bestehenden Ausnahmen (EuGH-Urteile beständen sind hiernach ausdrücklich ins Ermessen der nationalen Ge-
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik setzgeber gestellt. Zudem gestattet Satz 3 des der Datenschutz-Grundver-
vom 07.02.1973 – C-39/72, EU:C:1973:13, Rz 17; Fratelli Variola S.p.A. gegen ordnung vorangestellten Erwägungsgrunds Nummer 45 ausdrücklich,
Amministrazione italiana delle Finanze vom 10.10.1973 – C-34/73, dass ein (nationales) Gesetz – vorliegend § 29b AO – „Grundlage für meh-
EU:C:1973:101, Rz 9 ff. sowie Kommission der Europäischen Gemeinschaf- rere Verarbeitungsvorgänge“ sein kann, wenn die Verarbeitung zur Wahr-
ten gegen Italienische Republik vom 28.03.1985 – C-272/83, EU:C:1985:147, nehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse erforderlich ist.
Rz 26 f.). Da der der Datenschutz-Grundverordnung vorangestellte Erwä-
gungsgrund Nummer 8 es ausdrücklich zulässt, dass die Mitgliedstaaten Die Kostenentscheidung fußt auf § 135 Abs. 2 FGO
unter den dort genannten Voraussetzungen Teile der Verordnung wörtlich 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. 88

BFH: Nachträgliche Berücksichtigung von


Nachlassverbindlichkeiten
BFH, Urteil vom 26.7.2023 – II R 5/21 gesamten Stiftungsvermögens und -einkommens sein sollte, was insbeson-
ECLI:DE:BFH:2023:U.260723.IIR5.21.0 dere das freie Verfügungsrecht über das ganze Vermögen und jegliche Ein-
Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2023-2581-4 künfte der Stiftung umfasste. In Bezug auf den Betrag sowie den Zeitpunkt
unter www.betriebs-berater.de jeglicher Zahlung oder Zuweisung von Stiftungsvermögen hatte der Stif-
tungsrat ausschließlich gemäß den Weisungen des Erblassers zu handeln.
AMTLICHE LEITSÄTZE Der Erblasser hatte testamentarisch seinen Sohn, den Vater der Klägerin,
1. Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 8 der Abgabenordnung (AO) zum alleinigen Vorerben eingesetzt und die Klägerin zur alleinigen Nach-
wird auch dann beendet, wenn der Vorläufigkeitsvermerk vom Finanz- erbin. Der Vater der Klägerin schlug die Erbschaft aus. Im Hinblick auf die
amt aufgehoben wird. Auf den Wegfall der Ungewissheit und die Vermögensausstattung der Liechtensteiner Stiftung machte er gegenüber
Kenntnis des Finanzamts von den Tatsachen, wegen derer die Steuer- der Stiftung Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2329 des Bürgerli-
festsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO vorläufig erging, kommt es chen Gesetzbuches geltend. In einem nachfolgenden Rechtsstreit durch
dann für die Beendigung der Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist sämtliche Liechtensteiner Gerichtsinstanzen wurde die Stiftung vom
nicht mehr an. Liechtensteiner Fürstlichen Obersten Gerichtshof am 05.07.2013 verurteilt,
2. Vor der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks dem Grunde nach einen Betrag in Höhe von X e zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozent-
entstandene Nachlassverbindlichkeiten, die erst danach beziffert und punkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.10.2006 an den Vater der
konkretisiert werden, führen nicht zu einer Änderung der Steuerfest- Klägerin zu zahlen sowie über die Instanzen hinweg entstandene Verfah-
setzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Das gilt auch dann, wenn renskosten zu erstatten. Ein unmittelbar nachfolgendes im Jahr 2013 ab-
das Finanzamt erst nach Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks geschlossenes Beschwerdeverfahren der Stiftung vor dem Liechtensteiner
Kenntnis von den Nachlassverbindlichkeiten erlangt. Staatsgerichtshof hatte keinen Erfolg. Es erfolgte im Nachgang eine
AO §§ 165 Abs. 1 S. 1; 169 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2; 170 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Zwangsvollstreckung in das bei einer Schweizer Bank befindliche Konto
Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1; 171 Abs. 8; 173 Abs. 1 Nr. 2; 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; ErbStG der Stiftung. Der Vater der Klägerin erhielt hieraus rund Y e. Dieser Betrag
§ 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 1 entsprach dem verbliebenen Stiftungsvermögen.
Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt – FA –) setzte mit Bescheid
SACHVERHALT vom 05.11.2010 Erbschaftsteuer gegen die Klägerin fest. Dabei erfasste
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Alleinerbin ihres 2005 das FA die Liechtensteiner Stiftung als sonstigen Vermögenswert des
verstorbenen Großvaters (Erblasser). Sie gab am 31.05.2007 eine Erb- Nachlasses und den Pflichtteilsergänzungsanspruch des Vaters der Kläge-
schaftsteuererklärung ab. rin als Erbfallschuld. Der Bescheid ließ einen bereits durch einen früheren
Der Erblasser hatte zu seinen Lebzeiten eine Liechtensteiner Stiftung errich- Bescheid angeordneten Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 der Ab-
tet und dieser Vermögen übertragen. In einem Reglement betreffend die gabenordnung (AO) wegen der Höhe des Pflichtteilsanspruchs bestehen.
Begünstigungen aus dem Stiftungsvermögen wurde unter anderem festge- Mit Schreiben vom 16.05.2014 fragte das FA bei der Klägerin nach, ob
legt, dass der Erblasser zu seinen Lebzeiten Erstbegünstigter bezüglich des sich unter anderem die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs des Va-

2724 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


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BFH · 26.7.2023 – II R 5/21

ters geändert habe. Da von Seiten der Klägerin keine Reaktion auf diese Erwerber unmittelbar im Zusammenhang mit der Abwicklung, Regelung
Nachfrage erfolgte, erklärte das FA mit Bescheid vom 04.08.2014 den Erb- oder Verteilung des Nachlasses oder mit der Erlangung des Erwerbs entste-
schaftsteuerbescheid vom 05.11.2010 für endgültig. hen. Der Begriff „Kosten der Regelung des Nachlasses“ ist weit auszulegen.
Mit Schreiben vom 29.07.2015 informierte die Klägerin das FA über die Be- Er umfasst die Kosten der tatsächlichen und rechtlichen Feststellung des
endigung der Rechtsstreitigkeiten in Liechtenstein bezüglich des Pflicht- Nachlasses einschließlich von Bewertungskosten, aber auch alle Kosten, die
teilsergänzungsanspruchs des Vaters und beantragte eine Korrektur des aufgewendet werden müssen, um die Erben in den Besitz der ihnen aus der
Erbschaftsteuerbescheids dahingehend, den von den Liechtensteiner Ge- Erbschaft zukommenden Güter zu setzen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs
richten dem Vater der Klägerin zuerkannten Betrag und die Prozesskosten – BFH – vom 14.10.2020 – II R 30/19, BFHE 272, 93, BStBl II 2022, 216, Rz 13,
in voller Höhe als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen. m. w. N. [BB 2021, 789 Ls.]). Die Kosten müssen in einem engen zeitlichen
Mit Bescheid vom 09.11.2015 lehnte das FA einen Antrag auf Änderung und sachlichen Zusammenhang mit dem Erwerb von Todes wegen stehen
des Erbschaftsteuerbescheids mit der Begründung ab, dass die Festset- und dürfen nicht erst durch die spätere Verwaltung des Nachlasses (§ 10
zungsfrist abgelaufen sei. Den dagegen eingelegten Einspruch wies das Abs. 5 Nr. 3 Satz 3 ErbStG) anfallen (vgl. BFH-Urteil vom 14.10.2020 – II R
FA als unbegründet zurück. 30/19, BFHE 272, 93, BStBl II 2022, 216, Rz 15, m. w. N. [BB 2021, 789 Ls.]).
Die nachfolgende Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) b) Kosten von Gerichtsverfahren oder behördlichen Verfahren können 16
kam zu dem Ergebnis, dass das FA zwar nicht verpflichtet sei, eine Ände- Nachlassregelungskosten sein, wenn sie dazu dienen, das Bestehen wirk-
rung der Erbschaftsteuerfestsetzung im Hinblick auf den Pflichtteilsergän- lich oder vermeintlich zum Nachlass gehörender Verbindlichkeiten des
zungsanspruch des Vaters der Klägerin vorzunehmen, weil die Festset- Erblassers und damit den Umfang des Nachlasses zu klären oder Ansprü-
zungsfrist insoweit im Zeitpunkt der Beantragung der Änderung bereits che Dritter abzuwehren. Herrscht hingegen Gewissheit über Umfang und
abgelaufen gewesen sei. Etwas anderes gelte jedoch für die Prozesszinsen Zusammensetzung des Nachlasses einschließlich des Umfangs der Ver-
und Gerichtskosten, die bei den Rechtsstreitigkeiten der Stiftung mit dem bindlichkeiten, endet der sachliche Zusammenhang mit dem Erwerb. Kos-
Vater der Klägerin angefallen seien, da insoweit ein rückwirkendes Ereig- ten, die dem Erben in der Folgezeit zum Zwecke der Tilgung der Verbind-
nis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorliege. Die Aufhebung des lichkeiten entstehen, sind ihrerseits keine Nachlassverbindlichkeiten (vgl.
Vorläufigkeitsvermerks stehe dem nicht entgegen. Das Urteil ist veröffent- BFH-Urteil vom 14.10.2020 – II R 30/19, BFHE 272, 93, BStBl II 2022, 216,
licht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 775. Rz 20 [BB 2021, 789 Ls.]).
Dagegen richtet sich die Revision des FA. c) Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei den von der Klägerin gel- 17
tend gemachten Aufwendungen für die Prozessführung in Liechtenstein
AUS DEN GRÜNDEN (Kosten und Zinsen) um berücksichtigungsfähige Nachlassregelungskosten
Die Revision ist erfolgreich der Klägerin im Sinne des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG. Sie sind unmittel-
13 II. Die Revision ist begründet (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichts- bar im Zusammenhang mit der Regelung des Nachlasses entstanden. Das
ordnung – FGO –). Zwar ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass es FG hat die Stiftung zutreffend als transparente Stiftung behandelt, deren
sich bei den Kosten der Liechtensteiner Gerichtsverfahren und Zinsen um Vermögen erbschaftsteuerrechtlich unmittelbar dem Nachlass zuzuordnen
Nachlassverbindlichkeiten im Sinne des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 des Erb- ist. Danach sind die von der Stiftung getragenen Aufwendungen für die Pro-
schaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) handelt, auch wenn zessführung wegen der Pflichtteilsergänzungsansprüche des Vaters grund-
die Gerichtskosten und Zinsen nicht unmittelbar von der Klägerin, son- sätzlich als Nachlassverbindlichkeiten der Klägerin als Erbin zuzurechnen.
dern von der Stiftung getragen worden sind. Die Kosten konnten jedoch
bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer nicht mehr berücksichtigt wer- Den reklamierten höheren Aufwendungen steht die
den, weil aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung eine Ände- Festsetzungsverjährung entgegen
rung der Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO gemäß § 169 2. Der Berücksichtigung dieser von der Klägerin mit Schreiben vom 18
Abs. 1 Satz 1 AO ausgeschlossen war und die Voraussetzungen des § 175 29.07.2015 geltend gemachten höheren Aufwendungen durch eine Kor-
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt waren. rektur der Festsetzung der Erbschafsteuer nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
steht jedoch die Festsetzungsverjährung entgegen.
Erwerbe durch Erbanfall als Erwerb von Todes wegen
unterliegen der Erbschaftsteuer Nach Ablauf der Festsetzungsfrist ist eine Steuerfest-
14 1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt der Er- setzung oder ihre Aufhebung bzw. Änderung nicht mehr
werb durch Erbanfall als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer. Als möglich
steuerpflichtiger Erwerb gilt die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie a) Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nach 19
nicht steuerfrei ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 § 169 Abs. 1 Satz 1 AO nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist
ErbStG gilt in den Fällen des § 3 ErbStG unbeschadet § 10 Abs. 10 ErbStG abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt für die Erbschaft- und Schen-
als Bereicherung der Betrag, der sich ergibt, wenn von dem nach § 12 kungsteuer nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO grundsätzlich vier Jahre
ErbStG zu ermittelnden Wert des gesamten Vermögensanfalls, soweit er und beginnt nach § 170 Abs. 1 AO in dem Kalenderjahr, in dem die Steuer
der Besteuerung nach diesem Gesetz unterliegt, die nach § 10 Abs. 3 bis entstanden ist, oder nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Ka-
9 ErbStG abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten mit ihrem nach § 12 lenderjahrs, in dem die Steuererklärung oder Anzeige eingereicht wird, je-
ErbStG zu ermittelnden Wert abgezogen werden. doch nach § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO bei einem Erwerb von Todes wegen
nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Erwerber Kenntnis von
Kosten können Nachlassverbindlichkeiten sein dem Erwerb erlangt hat. Die Klägerin hat die Erbschaftsteuererklärung
15 a) § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG sieht vor, dass von dem Erwerb unter an- am 31.05.2007 abgegeben. Damit endete die Festsetzungsfrist für die
derem die Kosten als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig sind, die dem Erbschaftsteuererklärung regulär mit Ablauf des 31.12.2011.

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2725


Steuerrecht | Entscheidungen
BFH · 26.7.2023 – II R 5/21

Der Ablauf der Festsetzungsfrist war zunächst gehemmt kung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). In diesem Fall be-
20 b) Der Ablauf der Festsetzungsfrist war jedoch zunächst nach § 171 ginnt die Festsetzungsfrist nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO mit Ablauf des Ka-
Abs. 8 Satz 1 AO gehemmt, da die Erbschaftsteuer mit Bescheid vom lenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt. Zu den rückwirkenden Ereignissen
05.11.2010, das heißt vor Ablauf der Frist, in Bezug auf den Pflichtteilser- zählen alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge, aber auch tatsächliche Le-
gänzungsanspruch des Vaters der Klägerin weiterhin vorläufig festgesetzt bensvorgänge, die steuerrechtlich – ungeachtet der zivilrechtlichen Wir-
worden ist. Ist die Festsetzung einer Steuer nach § 165 AO vorläufig fest- kungen – in der Weise Rückwirkung entfalten, dass nunmehr der verän-
gesetzt, endet die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 8 Satz 1 AO nicht vor derte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zu-
dem Ablauf eines Jahres, nachdem die Ungewissheit beseitigt ist und die grunde zu legen ist. Ein nachträgliches Ereignis mit steuerrechtlicher Rück-
Finanzbehörde hiervon Kenntnis erhalten hat. wirkung muss demgemäß zu einer Änderung des Sachverhalts führen, den
die Finanzbehörde bei der Steuerfestsetzung zugrunde gelegt hat, und
Die Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks beendet die nicht nur zu einer veränderten (rechtlichen) Beurteilung des nämlichen
Ablaufhemmung Sachverhalts (vgl. BFH-Urteil vom 22.07.2020 – II R 15/18, BFHE 270, 262,
21 c) Die Ablaufhemmung wird jedoch auch dann beendet, wenn der Vor- BStBl II 2021, 165, Rz 11, m. w. N. [BB 2020, 2645 Ls.]).
läufigkeitsvermerk vom FA aufgehoben wird (vgl. Drüen in Tipke/Kruse,
§ 171 AO Rz 81a; Paetsch in Gosch, AO § 171 Rz 139). Unabhängig von Die Frage richtet sich allein nach materiellem Recht
der Frage, ob in der Endgültigkeitserklärung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO b) Ob einer nachträglichen Änderung eines Sachverhalts rückwirkende 26
ein Steuerbescheid (§ 155 AO) zu sehen ist (vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 165 steuerrechtliche Bedeutung zukommt, ob mithin eine solche Änderung
AO Rz 44; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 165 AO Rz 147; dazu führt, dass bereits eingetretene steuerrechtliche Rechtsfolgen mit
a. A. Oellerich in Gosch, AO § 165 Rz 158), handelt es sich bei der Aufhe- Wirkung für die Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen, be-
bung des Vorläufigkeitsvermerks jedenfalls um einen Verwaltungsakt, stimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht.
dem eine nochmalige Prüfung der Steuerfestsetzung durch das FA zu- Nach diesem ist zu beurteilen, ob eine Änderung des ursprünglich gege-
grunde liegt. Auf den Wegfall der Ungewissheit und die Kenntnis des FA benen Sachverhalts den Steuertatbestand überhaupt betrifft und ob da-
von den Tatsachen, wegen derer die Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 rüber hinaus der nach § 38 AO bereits entstandene materielle Steueran-
Satz 1 AO vorläufig erging, kommt es in diesem Fall für die Beendigung spruch mit steuerrechtlicher Rückwirkung noch geändert werden oder
der Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist nicht an. entfallen kann (vgl. BFH-Urteil vom 22.07.2020 – II R 15/18, BFHE 270,
262, BStBl II 2021, 165, Rz 13, m. w. N. [BB 2020, 2645 Ls.]).
Der Vorläufigkeitsvermerk wurde aufgehoben
22 d) Das FA hat im vorliegenden Fall den Vorläufigkeitsvermerk in Bezug auf Es muss sich ein Vorgang ereignen, nachdem der
die Pflichtteilsergänzungsansprüche des Vaters der Klägerin mit Bescheid Steueranspruch entstanden ist
vom 04.08.2014 aufgehoben. Zu diesem Zeitpunkt war die Festsetzungsfrist c) Aus der sprachlichen Bedeutung des Begriffs „eintritt“ und aus dem Be- 27
abgelaufen und somit die Festsetzungsverjährung eingetreten. Der Streitfall deutungszusammenhang mit § 173 Abs. 1 AO folgt, dass sich der Vor-
unterscheidet sich daher von dem Fall, in dem die Bestandskraft der Steuer- gang ereignen muss, nachdem der Steueranspruch entstanden ist und
festsetzung durch Ablauf der Frist nach § 171 Abs. 8 Satz 1 AO eintritt. bei Änderung eines Steuerbescheids, nachdem dieser Steuerbescheid er-
gangen ist. Die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liegen
Über eine Korrektur wegen nachträglich bekannt dagegen nicht vor, wenn das Finanzamt – wie im Fall des § 173 Abs. 1
gewordener Tatsachen muss nicht entschieden werden AO – lediglich nachträglich Kenntnis von einem im Zeitpunkt der Steuer-
23 e) Eine Änderung des Erbschaftsteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 festsetzung des zu ändernden Bescheids bereits gegebenen Sachverhalt
AO aufgrund des Schreibens der Klägerin vom 29.07.2015 war danach erlangt (ständige Rechtsprechung seit Beschluss des Großen Senats des
aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 1 Satz BFH vom 19.07.1993 – GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter
1 AO nicht möglich. Es kann somit dahinstehen, ob im Streitfall die Vo- C.II.1.a [BB 1993, 2426]).
raussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO für eine Korrektur des Steuerbe-
scheids aufgrund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen, die zu ei- Die Verfahrenskosten waren dem Grunde nach nicht
ner niedrigeren Steuer führen, überhaupt vorlagen. nachträglich eingetreten
d) Die Voraussetzungen einer Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 28
Ein rückwirkendes Ereignis liegt nicht vor AO lagen danach nicht vor. Das FA erlangte zwar erst nachträglich Kennt-
24 3. Auch die Voraussetzungen einer Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 nis von der Höhe der Verfahrenskosten und Prozesszinsen, die bei den
AO sind nicht erfüllt. Die Höhe der aufgrund der Geltendmachung der Rechtsstreitigkeiten der Stiftung mit dem Vater der Klägerin angefallen
Pflichtteilsergänzungsansprüche durch den Vater der Klägerin verursachten waren. Diese waren aber nicht nachträglich eingetreten. Maßgeblicher
Nachlassverbindlichkeiten im Sinne des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG Zeitpunkt hierfür ist – entgegen der Ansicht des FG – nicht der Erlass des
stand bereits mit der Beendigung der Liechtensteiner Prozesse im Jahr in Bezug auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch für vorläufig erklärten
2013 fest, somit vor der endgültigen Festsetzung der Erbschaftsteuer mit Erbschaftsteuerbescheids vom 05.11.2010, sondern die Aufhebung des
Bescheid vom 04.08.2014, sodass kein rückwirkendes Ereignis vorliegt. Vorläufigkeitsvermerks im Bescheid vom 04.08.2014. Zu diesem Zeitpunkt
waren die Zinsen und Kosten des im Jahr 2013 beendeten Rechtsstreits
Das nachträgliche Ereignis muss zu einer Änderung des bereits entstanden, sodass kein rückwirkendes Ereignis vorliegt, das nach
Sachverhalts führen § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zur Änderung des Bescheids vom 04.08.2014
25 a) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, auf- führen kann.
zuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wir- … 29

2726 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Die Woche im Blick | Bilanzrecht und Betriebswirtschaft

„Der Standort Deutschland verliert an Attraktivität. Viele Unternehmen reagieren darauf mit einer Verschiebung wichtiger Teile
ihrer Wertschöpfung“, heißt es in einer PM der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte vom 14.11.2023. Eine aktu-
elle Deloitte-Umfrage zeige, dass bereits mehr als zwei Drittel der Firmen (67 %) verlagert hätten – in moderatem bis sehr starkem
Umfang. Stärker ausgeprägt sei diese Entwicklung in den für die deutsche Wirtschaft wichtigen Branchen Maschinenbau/Industrie-
güter und Automobil. Hier gäben 69 % an, in moderatem bis sehr starkem Umfang verlagert zu haben. Die Befragung „Supply

i Thomas Fedra
Chain Pulse Check“ von Deloitte und dem Bundesverband der deutschen Industrie sei im September zum zweiten Mal durchgeführt
worden, gemeinsam mit dem Verband Your Service Leaders Network. Für den Survey seien 108 Lieferketten-Verantwortliche von
Großunternehmen sowie von kleinen und mittelgroßen Unternehmen in Deutschland befragt worden. Sie seien vorwiegend in den
Branchen Maschinenbau/Industriegüter, Automobil, Chemie, Bauwesen sowie Transport und Logistik tätig. Derzeit verschöben die Gabriele Bourgon,
Unternehmen v. a. wenig komplexe Bereiche wie die Bauteilfertigung in das Ausland. „Hier findet die Deindustrialisierung bereits in Ressortleiterin
erheblichem Umfang statt. Wenn die Rahmenbedingungen so bleiben, werden sehr wahrscheinlich mehr Unternehmen folgen Bilanzrecht und
und zunehmend wichtigere Teile der Wertschöpfung abwandern“, sage Florian Ploner, Partner bei Deloitte und zuständig für den Betriebswirtschaft
Industrie-Sektor. Denn auf die Frage nach geplanten Verlagerungen verweise jeweils ein Drittel der Befragten auf hochwertige
Wertschöpfungsteile wie die Produktion im Allgemeinen (33 %) oder die Vormontage (34 %). Im Moment ziehe es die Unternehmen
in etwa gleichenTeilen in andere EU-Länder, nach Asien und in die USA. Der Standort China verliere nur geringfügig an Attraktivität.
Ihn zugunsten anderer asiatischer Länder zu verlassen, plane lediglich ein Zehntel der Firmen; eine Rückkehr aus Asien nach Europa
sähen 8 % vor. Die vollständige Befragung finden Sie unter https://www2.deloitte.com.

Rechnungslegung 9.11.2023 durch das Europäische Parlament in Toolkit und die dazugehörige illustrative Risiko-
erster Lesung angenommen. Die vorläufige poli- matrix enthalten u. a. eine Reihe von Dokumen-
IFRSF: Änderungsentwurf IFRS-Taxonomie
tische Einigung muss noch vom Rat der Europä- ten, Checklisten und Formularen, die KMP dabei
2023
ischen Union angenommen werden, bevor die helfen sollen, ihre Qualitätsziele festzulegen,
-tb- Die International Financial Reporting Stan-
ESAP-Vorschriften offiziell im EU-Amtsblatt ver- Qualitätsrisiken zu identifizieren und zu bewer-
dards Foundation (IFRSF) hat einen Änderungs-
kündet werden können. Das Deutsche Rech- ten sowie Maßnahmen zur Behebung der fest-
entwurf für ihre IFRS-Taxonomie 2023 veröffent-
nungslegungs Standards Committee (DRSC) hat gestellten Qualitätsrisiken zu entwickeln und
licht. Darin wird insbesondere die Qualität von umzusetzen. Die Arbeitshilfe ist so konzipiert,
zum Legislativvorschlag ein Briefing Paper veröf-
Verknüpfungen in digitalen Finanzberichten von dass jede Praxis den Inhalt an ihre Besonderhei-
fentlicht. Weitere Informationen finden sich auf
Bankeninstitutionen thematisiert. Die PM ist un- ten und ihre Aufträge anpassen muss – ein ent-
der DRSC-Projektseite.
ter https://www.ifrs.org abrufbar. Kommentare (www.drsc.de) scheidendes Element, da jede Praxis ihren
werden bis zum 5.1.2024 erbeten. DRSC: Ergebnisse der 21. Sitzung des FA eigenen Prozess zur Entwicklung eines Qualitäts-
IPSASB: Leitlinien zu Altersversorgungsplänen Finanzberichterstattung managementsystems durchläuft.
-tb- Der International Public Sector Accounting Der Ergebnisbericht der 21. Sitzung des Fachaus- (Neu auf WPK.de vom 9.11.2023)
Standards Board (IPSASB) hat seinen neuen Stan- schusses (FA) Finanzberichterstattung des DRSC WPK: Stellungnahme zum Entwurf des
dard IPSAS 49 „Altersversorgungspläne“ veröf- vom 12./13.10.2023 sowie weitere Informationen ISSA 5000
fentlicht. Dieser basiert auf IAS 26 „Bilanzierung sind unter www.drsc.de abrufbar. Am 13.11.2023 hat die Wirtschaftsprüferkammer
und Berichterstattung von Altersversorgungsplä- DRSC: Mitschnitt der 22. Sitzung des FA (WPK) zum Entwurf des International Standard on
nen“ und soll dessen Regelungen für den öffent- Nachhaltigkeitsberichterstattung Sustainability Assurance (ISSA) 5000 des Inter-
lichen Sektor anwendbar machen. Die PM ist un- Der Mitschnitt des Tagesordnungspunkts der 22. national Auditing and Assurance Standards Board
ter https://www.ipsasb.org abrufbar. Sitzung des FA Nachhaltigkeitsberichterstattung (IAASB) Stellung genommen. Die WPK begrüßt den
EU: Übernahme von Änderungen an IAS 12 des DRSC vom 14.11.2023 ist unter www.drsc.de vorliegenden Entwurf des IAASB ausdrücklich. Der-
-tb- Die Europäische Union (EU) hat die mit der abrufbar. zeit veröffentlichen zahlreiche Organisationen Re-
internationalen Steuerreform verbundenen Än- gelwerke, die sich mit der Prüfung von Nachhaltig-
derungen an IAS 12 zur Anwendung in der EU Wirtschaftsprüfung keitsinformationen befassen. Aus Sicht des Berufs-
übernommen. Damit werden die Vorschriften IFAC/CA ANZ: Weitere Unterstützung für stands der Wirtschaftsprüfer und vereidigten Buch-
um die Säule-2-Modellregelungen ergänzt. Die kleine Praxen bei der Umsetzung der neuen prüfer sollte angestrebt werden, dass die fachlichen
PM ist unter https://eur-lex.europa.eu abrufbar. Quality Management Standards Verlautbarungen des International Auditing and
Weitere Informationen dazu auch unter Die International Federation of Accountants (IFAC) Assurance Standards Board (IAASB) Grundlage der
www.drsc.de. hat gemeinsam mit der Berufsorganisation aus Prüfung der künftigen Nachhaltigkeitsberichter-
Europäisches Parlament: Annahme von ESAP Australien und Neuseeland (Chartered Accoun- stattung werden, zumal der vorliegende Entwurf
Nachdem die Vertreter des Europäischen Minis- tants Australia and New Zealand – CA ANZ) ein alle einschlägigen und relevanten Anforderungen
terrats und des Europäischen Parlaments im Mai unter www.wpk.de abrufbares Qualitätsma- enthält. Um den Erbringern von Prüfungsleistun-
2023 im Trilog eine politische Einigung über die nagement-Toolkit veröffentlicht, das kleinen und gen die Erfüllung der festgelegten Anforderungen
Einrichtung eines einheitlichen Zugangspunkts mittleren Praxen (KMP) helfen soll, die Qualitäts- zu erleichtern, empfiehlt die WPK zusätzliche An-
für finanz- und nachhaltigkeitsbezogene Unter- managementstandards des International Audi- wendungshinweise, insbesondere zur
nehmensinformationen (European Single Access ting and Assurance Standards Board (IAASB) um- – Abgrenzung des „internal expert“ bzw. „exter-
Point – ESAP) erzielt hatten, wurde ESAP am zusetzen (ISQM 1, ISQM 2, ISA 220 Revised). Das nal expert“ vom „other practitioner“,

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2727


Bilanzrecht und Betriebswirtschaft | Die Woche im Blick

– Trennung der Anforderungen zu „Schätzungen“ werden regelmäßig auch mit dem für die Ab- bestellten Abschlussprüfers die Kompetenzen der
von denen zu „zukunftsbezogenen Angaben“ schlussprüfung verantwortlichen WP/vBP zu Berufsaufsicht untergraben würde und nach Ein-
und diskutieren sein. Dies ist ohne entsprechende schätzung des IDW nicht mit rechtsstaatlichen
– „Materiality“. Erfahrungen – wie sie i. d. R. nur in Abschluss- Grundsätzen vereinbar ist. Zudem kritisiert das IDW
(Neu auf WPK.de vom 14.11.2023) prüfungen erfahrene Berufsangehörige haben – die vorgesehenen Regelungen zur Einführung von
WPK: Stellungnahme zum RefE FinmadiG nicht angemessen möglich. Die KfQK vertritt externen Rotationspflichten bei kleinen und mittle-
Die WPK hat mit Schreiben vom 10.11.2023 ge- daher unverändert die Auffassung, dass die ren Wertpapierinstituten.
Prüfung einzelner Aufträge i. d. R. nur durch (IDW Aktuell vom 13.11.2023)
genüber dem Bundesministerium der Finanzen
zum Referentenentwurf (RefE) eines Finanz- WP/vBP erfolgen kann. Im Einzelfall sind Aus- IDW: Stellungnahme zur Finanzierung der
marktdigitalisierungsgesetzes (FinmadiG) Stel- nahmen denkbar, wenn der Einsatz von Spezia- Wasserstoff-Kernnetze
lung genommen und gefordert, dass die ge- listen (bspw. IT-Prüfer) erforderlich ist. In diesen Für den schnellen Ausbau des Wasserstoffmarkts
plante Einführung einer Pflicht zur externen Ro- Fällen ist deren Einsatz im Qualitätskontrollbe- sind nicht nur regionale Netzstrukturen erforder-
tation für Abschlussprüfer der richt darzustellen und zu begründen. lich, sondern es bedarf auch eines Wasserstoff-
– Institute nach § 2 Abs. 1 KMAG-E (§ 38 Abs. 1 In einem Fall hat die Kommission für Qualitäts- Kernnetzes, das grundsätzlich über Netzentgelte
KMAG-E, Art. 1), kontrolle beschlossen, ergänzende Erläuterun- zu finanzieren ist. Würden die (anfänglich hohen)
– Schwarmfinanzierungsdienstleister (§ 32f Abs. 4 gen beim Prüfer für Qualitätskontrolle einzuho- Investitionskosten sowie Betriebskosten vollstän-
S. 3 WpHG-E, Art. 4 Nr. 8 d)bb))sowie len. Die Beratung wird fortgesetzt. dig auf die noch wenigen Netznutzer in der Hoch-
– Wertpapierdienstleistungsunternehmen (§ 89 In drei Fällen wurde über die Qualitätskontrolle laufphase umgelegt, hätte dies prohibitive Wir-
Abs. 3 S. 3 WpHG-E, Art. 4 Nr. 16) von gemischten Praxen (Abschlussprüfer von Un- kungen für den schnellen Ausbau dieser Netze.
gestrichen wird. ternehmen von öffentlichem Interesse) beraten, Daher hat das Bundesministerium für Wirtschaft
(Neu auf WPK.de vom 13.11.2023) die ohne weitere Maßnahmen abgeschlossen wur- und Klimaschutz (BMWK) Ergänzungen von Rege-
WPK: Aktualisierung der Übersicht der Lis- den. lungen zur Finanzierung des Wasserstoff-Kern-
ten der Länder mit hohem Geldwäscherisiko Des Weiteren wurde über eine Qualitätskontrolle netzes vorgelegt, die im Rahmen eines Dritten
Die Financial Action Task Force (FATF) hat mit beraten, die mit einem versagten Prüfungsurteil Gesetzes zur Änderung des EnWG umgesetzt wer-
Mitteilung vom 27.10.2023 die Liste der Länder endete. Aufgrund der wesentlichen Mängel des den sollen. In seiner unter www.idw.de abrufba-
aktualisiert, die unter FATF-Beobachtung stehen Qualitätssicherungssystems wurde die Löschung ren Stellungnahme zu dem Entwurf des BMWK
(„Graue Liste“). Bulgarien wurde neu gelistet. Al- aus dem Berufsregister beschlossen. Der Vor- weist das IDW darauf hin, dass der geplante Me-
banien, Jordanien, die Kaimaninseln und Panama stand wird über die wesentlichen Mängel des chanismus zur Finanzierung in dem Gesetzent-
wurden hingegen von der Liste gestrichen. Mit Qualitätssicherungssystems informiert. wurf nicht klar wird, insbesondere fehlen Erläute-
Mitteilung von demselben Tag hat die FATF eine In drei Fällen wurden die Widersprüche gegen rungen, wie die Liquiditätslücke gedeckt werden
Liste mit den Ländern veröffentlicht, die von der die Löschung als gesetzlicher Abschlussprüfer im soll, die durch die Mindererlöse in der ersten
FATF eine Aufforderung zum Handeln erhalten Berufsregister als unbegründet zurückgewiesen. Phase des Hochlaufs entsteht. Der Gesetzentwurf
(Neu auf WPK.de vom 10.11.2023)
haben („Schwarze Liste“). Neuerungen gab es je- sieht auch vor, dass Wasserstoff-Kernnetzbetrei-
doch nicht. Die WPK hat ihre Übersicht der Listen ber getrennte Konten zu führen haben und einen
zuletzt am 14.11.2023 aktualisiert und diese in- IDW: Stellungnahme zum RegE eines Tätigkeitsabschluss für den Betrieb des Kernnet-
formationshalber unter www.wpk.de im Mitglie- Kreditzweitmarktförderungsgesetzes zes aufstellen müssen, sofern sie neben dem Was-
derbereich „Meine WPK“ bereitgestellt. In einem unter www.idw.de abrufbaren Schreiben serstoff-Kernnetz weitere Wasserstoffnetze be-
(Neu auf WPK.de vom 14.11.2023) an den Finanzausschuss des Bundestags hat das treiben. Die Einhaltung dieser Vorgaben ist vom
KfQK: Bericht über die Sitzung am Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) zum Regie- Abschlussprüfer zu prüfen. Hierzu regt das IDW
7.11.2023 rungsentwurf (RegE) eines Gesetzes zur Förderung Klarstellungen an.
Die Kommission für Qualitätskontrolle (KfQK) un- geordneter Kreditzweitmärkte und zur Umsetzung (IDW Aktuell vom 9.11.2023)

terrichtet regelmäßig über ihre Tätigkeit. Im Fol- der Richtlinie (EU) 2021/2167 über Kreditdienst- IDW: Tätigkeitsbericht 2022/2023
genden sind die wichtigsten Beratungsergebnis- leister und Kreditkäufer sowie zur Änderung weite- Das IDW hat den Wirtschaftsprüfertag zum Anlass
se aus der Sitzung am 7.11.2023 zusammenge- rer finanzmarktrechtlicher Bestimmungen (Kredit- genommen, um seinen neuen Tätigkeitsbericht zu
fasst. Die KfQK hat sich erneut mit dem Einsatz zweitmarktförderungsgesetz) Stellung genom- veröffentlichen. Der unter www.idw.de abrufbare
von Nichtberufsträgern bei der Durchführung men. Im Vergleich zum Referentenentwurf wurden Bericht bezieht sich auf den Zeitraum von Juli 2021
von Qualitätskontrollen befasst. Bei der Einfüh- zwar einige Anmerkungen des IDW berücksichtigt, bis Juni 2023 und umfasst u. a. die Schwerpunkt-
rung des Qualitätskontrollverfahrens ging der allerdings besteht aus Sicht des IDW weiterhin themen IDW-Wertekodex, Rechnungslegung und
Gesetzgeber davon aus, dass Qualitätskontrollen Handlungsbedarf. Das IDW weist hierzu erneut da- Prüfung im Lichte des Ukraine-Kriegs, Nachhaltig-
nur von bei der WPK registrierten Prüfern für rauf hin, dass in dem Regierungsentwurf einige Än- keitsberichterstattung und deren Prüfung, Digitali-
Qualitätskontrolle durchgeführt werden. derungen in Finanzaufsichtsgesetzen vorgeschla- zation und Advisory sowie die Kernthemen des
Bei der Prüfung einzelner Aufträge hat sich der gen werden, die vor allem kleine Finanzdienst- IDW, bspw. Prüfung, Rechnungslegung, Nach-
Prüfer für Qualitätskontrolle insbes. mit der leistungsunternehmen belasten, größere Unsicher- wuchsgewinnung oder kleine und mittelständi-
Identifikation und Beurteilung der bedeutsa- heiten aufwerfen und ggf. negative Folgen für den sche Praxen. Die Berichterstattung wird durch Zah-
men Risiken sowie mit der Reaktion auf die be- deutschen Finanzmarkt haben könnten. Besonders len und Fakten rund um das IDW und die Wirt-
deutsamen Risiken durch die zu prüfende Pra- wird betont, dass die vorgeschlagene Möglichkeit schaftsprüfungsbranche ergänzt.
xis zu befassen. Die Ergebnisse der Prüfung der BaFin zur Bekanntgabe einer Ablehnung eines (IDW Aktuell vom 10.11.2023)

2728 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Aufsatz | Bilanzrecht und Betriebswirtschaft

Verena Glutting, WP, und Dr. Marco Meyer, WP/StB

Pillar 2 – Anwendungsfragen und


Herausforderungen aus Accounting-Perspektive
Am 17.8.2023 wurde der Regierungsentwurf zur Umsetzung der Rege- MinStG übernommen.7 Die Umsetzung der neuen Regelungen erfor-
lungen zur globalen Mindestbesteuerung veröffentlicht. Die Beschluss- dert die Anpassung der bestehenden Systeme und Prozesse. Dies be-
fassung über das Mindeststeuergesetz (MinStG) durch den Bundestag trifft den Konzernabschlussprozess im Hinblick auf die Berechnung
ist am 10.11.2023 erfolgt. Der nachfolgende Beitrag widmet sich schwer- einer sich potenziell ergebenden Steuerrückstellung sowie die Einrich-
punktmäßig der Ableitung des Mindeststeuer-Ergebnisses aus den Rech- tung eines Ermittlungs- und Deklarationsprozesses für die Ergän-
nungslegungsdaten eines Unternehmens als zentrale Ausgangsgröße zungssteuer selbst. Der Implementierungsaufwand darf nicht unter-
für die weitere Berechnungssystematik. schätzt werden,8 da die vorgesehene Berichterstattung in Form eines
Mindeststeuer-Berichts (globe information return) mit sehr detaillier-
I. Hintergrund ten Angabepflichten zu den einzelnen Konzerngesellschaften einer
Gruppe verbunden ist, deren Ableitung und Zusammenführung ent-
Am 10.7.2023 hat das Bundesministerium der Finanzen einen Referen- sprechend ausgerichtete konzernweite Reportingstrukturen voraus-
tenentwurf (RefE MinStG)1 zur Umsetzung der am 14.12.2022 verab- setzt.
schiedeten EU-Richtlinie zur Einführung der weltweiten Regelungen Ihre Implementierung erfordert neben einer fachlichen Analyse die
zur globalen Mindestbesteuerung (MinBest-RL)2 vorgelegt. Beide Re- Eruierung von Datenverfügbarkeiten und die Definition von Daten-
gelwerke gehen maßgeblich auf die am 20.12.2021 seitens der Organisa- punkten, auf deren Grundlage über die erforderlichen Prozess- und
tion for Economic Co-operation and Development (OECD) veröffent- Systemanpassungen entschieden werden kann. Dies kann nur durch
lichten Modellregelungen und die ergänzende Kommentierung zu- eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit der Fachkompetenzen im
rück.3 Am 16.8.2023 wurde schließlich der Regierungsentwurf (RegE Bereich Steuern, Accounting und IT gelingen.
MinStG) durch das Bundeskabinett beschlossen und am Folgetag ver-
öffentlicht.4 Die Verabschiedung des „Gesetzes zur Gewährleistung ei- II. Überblick über die Ermittlungssystematik
ner globalen Mindestbesteuerung für Unternehmensgruppen“5 (Min-
deststeuergesetz) durch den Bundestag ist am 10.11.2023 erfolgt. Die Im Mittelpunkt der neuen Regelungen steht die Erhebung einer Er-
neuen Regelungen sollen für ab dem 31.12.2023 beginnende Geschäfts- gänzungssteuer (sog. Top-up Tax).9 Eine solche Ergänzungssteuer
jahre erstmals Anwendung finden.6 entsteht, sofern die effektive Ertragsteuerbelastung, gemessen durch
Um Unternehmen die nahende erstmalige Anwendung der Regelun- den effektiven Steuersatz einer Unternehmensgruppe für ein Land,10
gen zu erleichtern, wurden die seitens der OECD im Dezember 2022 bei unter 15 % liegt. Zur Ermittlung des effektiven Steuersatzes sieht
vorgeschlagenen befristeten Safe-Harbour-Regelungen in § 84 GesE der Regierungsentwurf umfangreiche Regelungen vor, die auf die Er-
mittlung einer Steuergröße (Zähler) und Ergebnisgröße (Nenner) für
1 BMF, Entwurf eines Gesetzes für die Umsetzung der Richtlinie zur Gewährleistung einer jede Geschäftseinheit einer Unternehmensgruppe ausgerichtet sind.
globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große in-
ländische Gruppen in der Union und die Umsetzung weiterer Begleitmaßnahmen (Min- Durch die Aggregation der ermittelten Werte für alle Geschäftseinhei-
destbesteuerungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz – MinBestRL-UmsG), 7.7.2023, abrufbar ten innerhalb eines Landes errechnet sich der effektive Steuersatz ei-
unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Ge
setzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/20_Legislaturperiode/2023-03-20-MinBestRL- nes Landes.
UmsG/1-Referentenentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (Abruf: 26.10.2023); vgl. Für die Umsetzung der Regelungen sind somit unterschiedliche Be-
hierzu bereits Förster/Dehne, BB 2023, 1707 ff.
2 Richtlinie (EU) 2022/2523 des Rates vom 14. Dezember 2022 zur Gewährleistung einer trachtungsebenen relevant. Die Ermittlungssystematik setzt zunächst
globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große in- an den sog. Geschäftseinheiten an. Dies sind neben den Einzelgesell-
ländische Gruppen in der Union, ABlEU vom 22.12.2022, L 328, 1.
3 OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base schaften einer Gruppe die rechtlich unselbständigen Betriebsstätten.
Erosion Model Rules (Pillar Two), abrufbar unter https://www.oecd.org/tax/beps/tax-
challenges-arising-from-the-digitalisation-of-the-economy-global-anti-base-erosion-mo
Joint Venture werden daneben ab einer Beteiligungshöhe von 50 %
del-rules-pillar-two.htm (Abruf: 26.10.2023). gem. § 67 Abs. 2 GesE MinStG anteilig berücksichtigt, wenn diese at
4 Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2022/2523
des Rates zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung und weiterer Begleit- Equity bilanziert werden. Auf der Ebene der Geschäftseinheiten
maßnahmen, 11.8.2023, abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Con
tent/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/20_Legis
laturperiode/2023-03-20-MinBestRL-UmsG/2-Regierungsentwurf.pdf?__blob=publica 7 OECD, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, Safe Harbours and Penalty Re-
tionFile&v=3 (Abruf: 26.10.2023). lief: Global Anti-Base Erosion Rules (Pillar Two), Inclusive Framework on BEPS, 2022,
5 Diesem Beitrag liegt der Gesetzentwurf (GesE) in der Ausschussfassung zugrunde (BT- 15.12.2022, abrufbar unter https://www.oecd.org/tax/beps/safe-harbours-and-penalty-
Drs. 20/9190 [neu]). relief-global-anti-base-erosion-rules-pillar-two.pdf (Abruf: 26.10.2023).
6 Der vorliegende Beitrag berücksichtigt nicht die am 11.10.2023 durch die OECD veröf- 8 Für eine Kosten/Nutzen-Abwägung vgl. bereits Spengel u. a., DB 2023, Beil. 1/2023 zu
fentlichte New Multilateral Convention, OECD/G20 Inclusive Framework releases new Heft Nr. 1–2.
multilateral convention to address tax challenges of globalisation and digitalisation, 9 Für einen Überblick über die Besteuerungsregelungen vgl. Schnitger/Gebhardt, IStR 2023,
11.10.2023, abrufbar unter https://www.oecd.org/tax/inclusive-framework-releases-new- 113 ff.
multilateral-convention-to-address-tax-challenges-of-globalisation-and-digitalisation. 10 Es bestehen z. T. noch Sonderregelungen für länderinterne „Blending-Kreise“, die hier
htm (Abruf: 6.10.2023). der Einfachheit halber ausgeblendet werden sollen.

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2729


Bilanzrecht und Betriebswirtschaft | Aufsatz
Glutting/Meyer · Pillar 2 – Anwendungsfragen und Herausforderungen aus Accounting-Perspektive

sind auch die ausgehend vom sog. Mindeststeuer-Jahresüberschuss (2) an konzerneinheitliche Ansatz- und Bewertungsregeln angegli-
vorzunehmenden Hinzurechnungen und Kürzungen zu ermitteln. chenen Jahresüberschuss oder Fehlbetrag
Nach welchen Rechnungslegungsgrundsätzen der Mindeststeuer- (3) vor Konsolidierungsanpassungen und Zwischenergebniseliminie-
Jahresüberschuss zu berechnen ist, bestimmt sich wiederum da- rungen,
nach, nach welchen Grundsätzen die oberste Muttergesellschaft ei- (4) korrigiert um die in § 18 GesE MinStG aufgeführten Beträge.
ner Gruppe den Konzernabschluss aufstellt bzw. aufgestellt hätte, Maßgebend sind hierbei – im Grundfall ohne Berücksichtigung
wenn diese verpflichtet gewesen wäre, einen Konzernabschluss auf- jüngster Entwicklungen zur anerkannten nationalen Ergänzungssteu-
zustellen. Schließlich kommt der Zusammenfassung der Geschäfts- er – die Rechnungslegungsgrundsätze, auf deren Grundlage der Kon-
einheiten nach Jurisdiktionen eine große Bedeutung zu, da es hier- zernabschluss seitens des obersten Mutterunternehmens erstellt wird,
durch zu einem Ausgleich von hoch- und niedrigbesteuerten Ge- in den eine Gesellschaft einbezogen wird bzw. werden müsste. Für
schäftseinheiten innerhalb eines Landes kommen kann (jurisdictio- Mutterunternehmen mit Sitz in Deutschland kommen aufgrund der
nal blending). Regelung des § 315e HGB hierfür grundsätzlich HGB und IFRS in
Als Berichterstattung ist gem. § 75 GesE MinStG die jährliche Einrei- Frage. Nur in Ausnahmefällen soll es gem. § 15 Abs. 2 GesE MinStG
chung eines Mindeststeuer-Berichts beim Bundeszentralamt für Steu- zulässig sein, hierbei auf die (von HGB und IFRS abweichenden)
ern vorgesehen, dessen Berichtsinhalte durch § 76 GesE MinStG defi- Rechnungslegungsnormen aufzusetzen, nach denen der Abschluss der
niert werden. ausländischen Gesellschaft erstellt wurde. Voraussetzung hierfür ist,
Ungeklärt ist weiterhin die Frage, welche Rückwirkungen sich aus dass eine Erstellung nach den Bilanzierungsgrundsätzen des obersten
den Regelungen zur Umsetzung der globalen Mindestbesteuerung Mutterunternehmens mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbun-
auf die Bilanzierung von latenten Steuern nach Maßgabe der natio- den wäre und die sich hieraus ergebenden dauerhaften Ergebnisab-
nalen (§§ 274, 306 HGB) und internationalen Normen (IAS 12) er- weichungen einen Betrag von 1 Mio. Euro nicht überschreiten. Der
geben.11 Um über diese durchaus komplexe Frage nicht kurzfristig Gesetzgeber geht davon aus, dass die implementierten Konzernab-
entscheiden zu müssen, hat der IASB am 23.5.2023 die Pillar 2-Re- schlussprozesse im Regelfall eine Ableitung des Mindeststeuer-Ergeb-
gelungen vorübergehend vom Anwendungsbereich des IAS 12 aus- nisses auf der Grundlage der durch den Konzern angewandten Rech-
genommen und dies durch Anhangangaben zu den potentiellen nungslegungsgrundsätze ermöglichen und der Anwendungsbereich
Auswirkungen kompensiert.12 Der RefE sah hierzu für die handels- dieser Regelung daher nur wenige Ausnahmefälle umfasst.15 Als Bei-
rechtliche Rechnungslegung noch keine Regelung vor. Bereits im spiel wird eine kürzlich erfolgte Unternehmensübernahme angeführt.
RegE wurde den Anmerkungen u. a. des Deutschen Rechnungsle- Die Bezugnahme auf das bereits implementierte Rechnungslegungs-
gungs Standards Committee (DRSC) entsprochen13 und in Art. 7 und Reportingsystem soll die Implementierung der neuen Besteue-
eine vergleichbare Regelung aufgenommen. So soll § 274 Abs. 1 rungsregeln vereinfachen und den hiermit verbunden Aufwand für
HGB dahingehend ergänzt werden, dass Differenzen nach Maßgabe die Unternehmen reduzieren.16 Damit wird auch eine größere Konsis-
von Satz 1 u. 2 aus der Umsetzung der Regelungen zur globalen tenz bei der Anwendung der Regelungen im Vergleich zur Verwen-
Mindestbesteuerung nicht bei dem Ansatz latenter Steuern zu be- dung der lokalen Rechnungslegungsstandards verbunden. In der Pra-
rücksichtigen sind. Über eine Verweistechnik findet diese Regelung xis stellt die sachgerechte Ableitung der Mindeststeuer-Ergebnisgröße
auch für den Konzernabschluss (§ 306 HGB) Anwendung. § 285 als Ausgangspunkt für die weitere Berechnung die Reporting-Abtei-
Nr. 30a HGB fordert künftig Anhangangaben zu den zu erwarten- lungen der Unternehmen dennoch vor vielfältige Herausforderungen.
den Auswirkungen aus der Anwendung der nationalstaatlichen Re- Ursächlich hierfür sind regelmäßig die nachfolgend angeführten und
gelungen zur Umsetzung der globalen Mindestbesteuerung. Nach im Weiteren vertieften Problemkreise.
Maßgabe der Begründung soll hierdurch zumindest vorübergehend
eine umfassende Ausnahme von der Bilanzierung latenter Steuern 2. Abhängigkeit von den implementierten Reporting
in Anlehnung an die Regelung des IAS 12.4A erreicht werden. Ob Systemen und Strukturen
dieses Ziel durch den sehr eng gefassten Verweis auf die Nichtan- Der Pillar 2-Berechnungsweise liegt der Gedanke zu Grunde, dass für
wendung von § 274 Abs. 1 S. 1 u. 2 HGB vollständig umgesetzt jede in einen Konzernabschluss einbezogene Konzerngesellschaft ein
wird, ist fraglich. Das DSRC hat am 12.10.2023 zu dem RegE Stel- Berichtspackage als Grundlage für die Konzernabschlusserstellung er-
lung genommen und auf eine Reihe von offenen Punkten hingewie- stellt wird. Obgleich dies der vorherrschenden Erstellungspraxis ent-
sen.14 sprechen dürfte, darf die Heterogenität der eingerichteten Erstellungs-
prozesse nicht übersehen werden, in denen sich zugleich die oftmals
III. Einzelfragen zur Ableitung der Ergebnis- historisch geprägte Organisationsstruktur der Unternehmensgruppen
größe
11 Vgl. Förster/Dehne, BB 2023, 1711.
1. Stand-alone-Ergebnis als Ausgangsgröße 12 IASB, IASB amends tax accounting requirements to help companies respond to interna-
tional tax reform, 23.5.2023, abrufbar unter https://www.ifrs.org/news-and-events/news/
Der GesE orientiert sich am Aufbau der MinBest-RL und den Globe 2023/05/iasb-amends-tax-accounting-requirements/ (Abruf: 26.10.2023). Die Übernah-
Rules, ohne die Begrifflichkeiten vollständig zu übernehmen. Er defi- me durch die EU ist am 8.11.23 erfolgt.
13 DRSC, Stellungnahme zum Referentenentwurf MinBestRL-UmsG, 19.7.2023, abrufbar un-
niert als Ausgangspunkt für die Mindeststeuer-Gewinnermittlung den ter https://www.drsc.de/app/uploads/2023/07/230719_DRSC_BMF_RefE_MinBestRL-
Mindeststeuer-Gewinn oder Mindeststeuer-Verlust in § 15 Abs. 1 GesE UmsG.pdf (Abruf: 26.10.2023).
14 DRSC, Stellungnahme zum Regierungsentwurf MinBestRL, 12.10.2023, abrufbar unter
MinStG als den https://www.drsc.de/app/uploads/2023/10/231012_DRSC-SN_Bundestag_-MinBestRL-
UmsG-RegE.pdf (Abruf: 26.10.2023).
(1) für Konsolidierungszwecke aus den Rechnungslegungsdaten der 15 Vgl. Reg-E MinStG (Fn. 4), Begründung zu § 15 Abs. 2.
jeweiligen Geschäftseinheit abgeleiteten, 16 Vgl. OECD (Fn. 3), Kommentierung zu Art. 3.1.2 Nr. 7.

2730 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Aufsatz | Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
Glutting/Meyer · Pillar 2 – Anwendungsfragen und Herausforderungen aus Accounting-Perspektive

widerspiegelt. So ergeben sich Unterschiede dahingehend, ob für alle erfolgen. Betrifft die Anpassung hingegen eine große Zahl von Ver-
Konzerngesellschaften Einzelpackages erstellt oder ob eine Zusammen- mögenswerten, was für Unternehmen mit einem umfangreichen
fassung von Teilkonzernen zu aggregierten Teilkonzernpackages erfolgt. Sachanlagevermögen typischerweise der Fall ist, bedingt dies eine
In Teilen ist auch eine Zusammenfassung von Konzerngesellschaften Erfassung der Anpassungsbeträge innerhalb der Anlagenbuchfüh-
nach Landeszugehörigkeit oder Produktsparten zu beobachten. Auch rung auf Gesellschaftsebene. Die sachgerechte Fortführung der neu-
bei weltweit nach Sparten gegliederten Konzernen mit unabhängig en Abschreibungsbemessungsgrundlagen und die Berücksichtigung
agierenden Teilbereichen ist für Pillar 2-Zwecke eine landesbezogene von Anlagenabgängen kann auf andere Weise oftmals nicht hinrei-
Betrachtungsweise aufgrund des Juristictional Blending erforderlich. chend sichergestellt werden. Werden die Anpassungsbeträge auf lo-
Darüber hinaus verfügen durch Zukäufe gewachsene Konzerne häufig kaler Gesellschaftsebene fortgeführt (push-down-accounting), kann
über sich überschneidende Konzernstrukturen und nicht vollständig ihre nachgelagerte Eliminierung mit erheblichen Schwierigkeiten
harmonisierte Reportingsysteme. Diese Umstände machen es in jedem verbunden sein. Aus diesem Grund lässt die OECD-Kommentie-
Einzelfall im Rahmen der Pillar 2-Erstellungsarbeiten erforderlich, zu- rung zu Art. 3.1.2 in solchen Fällen für vor dem 1.12.2021 erfolgte
nächst die vorliegenden Reportingpackages im Hinblick auf den ihnen Unternehmenserwerbe aus Vereinfachungsgründen zu, dass auf eine
zugrunde liegenden Ermittlungsgrundsätzen hin zu würdigen. Eine ge- Eliminierung der Anpassungsbeträge verzichtet werden kann. Die
eignete Grundlage oder zumindest den Ausgangspunkt hierfür bilden Erleichterungsregelung wurde in § 15 Abs. 1 S. 3 GesE MinStG
entsprechende Reporting-Guidelines, die die Einhaltung der konzern- übernommen. Dies bedeutet zugleich, dass Unternehmen künftig
internen Berichtsprozesse flankieren. Auf dieser Grundlage ist auch im Rahmen der Integration neuer Akquisitionen sicherstellen müs-
eine erste Einschätzung hinsichtlich des Umfangs der für Pillar 2 erfor- sen, dass Kaufpreisanpassungen gesondert nachverfolgt und elimi-
derlichen zusätzlichen Datenerhebung möglich. So ist für die Vornah- niert werden können.
me der nach § 18 GesE MinStG vorzunehmenden Hinzurechnungen
und Kürzungen eine Vielzahl von Zusatzinformationen auf Einzelge- 4. Nicht bilanzierte konzerninterne Sachverhalte
sellschaftsebene notwendig, auf deren Erhebung die etablierten Report- Der Mindeststeuer-Gewinn bzw. Mindeststeuer-Verlust stellt eine
ingsysteme nicht ausgerichtet sind. Ergebnisgröße dar, die von einer vollständigen Anwendung der
Rechnungslegungsgrundsätze des Konzernmutterunternehmens aus-
3. Eliminierung von Konsolidierungsbuchungen und geht. Neben einer Eliminierung von ggf. bereits in den Konzern-
Kaufpreisanpassungen packages vorgenommenen Konsolidierungsmaßnahmen bedarf es
Der Gesetzentwurf stellt auf eine Ausgangsgröße vor Durchführung zur Ableitung einer in diesem Sinne verstandenen Stand-alone-Er-
von konzerninternen Eliminierungsbuchungen ab. Dies betrifft ne- gebnisgröße der Nachholung von Anpassungsbuchungen, auf die in
ben der Zwischenergebniseliminierung, die Schuldenkonsolidierung den Konzernpackages aufgrund des nachlaufenden Konsolidierungs-
und die Aufwands- und Ertragseliminierung. Konzerninterne Sach- prozesses bewusst verzichtet wurde. Dies betrifft insbesondere die
verhalte sind daher für die Zwecke der Pillar 2-Ermittlungen wie bilanzielle Abbildung von konzerninternen Geschäftsvorfällen, deren
im Einzelabschluss der Gesellschaft zu erfassen. Dies betrifft bspw. Würdigung nach Maßgabe der anwendbaren Rechnungslegungsnor-
auch konzerninterne Dividenden, obgleich diese ggf. in einem nach- men aufgrund der gebotenen Eliminierung von konzerninternen
gelagerten Ermittlungsschritt § 18 Nr. 2 GesE MinStG wieder zu Sachverhalten im Konzernabschluss im Ergebnis ohne Auswirkun-
kürzen sind. gen bliebe. Beispiele hierfür sind die Bewertung von konzerninter-
Von erheblicher praktischer Relevanz dürfte die Eliminierung von nen Forderungen nach IFRS 9, die Bilanzierung konzerninterner
Zeitwertanpassungen als Folge von vorangegangen Unternehmens- Leasingverhältnisse nach IFRS 16 oder aber die sachgerechte Abbil-
zusammenschlüssen sein (sog. PPA-Adjustments), falls diese auf der dung einer aus Konzernsicht zeitraumbezogenen Umsatzrealisierung
Ebene der erworbenen Gesellschaften fortgeführt werden. Diese Re- nach IFRS 15, soweit hiervon im Produktionsablauf mehrere Gesell-
gelung war bereits der OECD-Kommentierung zu Art. 3.1.2 Nr. 4 schaften und Jurisdiktionen betroffen sind. Es entspricht der vor-
der Modellregelungen zu entnehmen und wurde mit dem Gesetz- herrschenden Bilanzierungspraxis, diese Sachverhalte nicht unter
entwurf explizit in § 15 Abs. 1 S. 2 und 3 GesE MinStG verankert. Stand-alone-Gesichtspunkten im Rahmen des Konzernabschlusspro-
Sie ergibt sich zudem aus § 64 Abs. 2 Nr. 2 GesE MinStG und fin- zesses zu würdigen und abzubilden.
det auf Transaktionen Anwendung, die als Share Deal strukturiert Als Ausgangspunkt für die erforderliche Analyse bieten sich die inner-
wurden. Sie dürfte daher für die meisten Unternehmensübertragun- halb einer Gruppe anwendbaren Reporting Guidelines an. Auf dieser
gen maßgebend sein, die nicht unter gemeinsamer Beherrschung Grundlage lassen sich vielfältige Anhaltspunkte darüber gewinnen,
durchgeführt werden. Allerdings kann auch bei Transaktionen unter welche Rechnungslegungsstandards nicht vollständig für die Aufberei-
gemeinsamer Beherrschung IFRS 3 analog angewendet werden. Die tung der Gruppenreporting angewandt werden. Zu den typischen An-
Erwerbsbilanzierung nach Maßgabe von IFRS 3 bzw. § 301 HGB wendungsfällen gehört die Frage der Periodenabgrenzung bei kon-
beruht auf dem Grundprinzip, alle erworbenen materiellen und im- zerninternen Lieferungen, wo in der Praxis z. T. mit Vereinfachungs-
materiellen Vermögenswerte und Schulden mit ihren beizulegenden regeln gearbeitet wird. Ein anderes Beispiel betrifft konzerninterne
Zeitwerten anzusetzen. Dies führt regelmäßig dazu, dass Zweitwert- Rückstellungen, die sich bspw. im Zusammenhang mit Gewährleis-
anpassungen ausgehend von den bislang bilanzierten Buchwerten tungsverpflichtungen ergeben können.
für die Darstellung im Konzernabschluss des obersten Mutterunter- Konzerninterne Leasingverhältnisse werden oftmals nicht nach Maß-
nehmens erfasst und fortgeführt werden müssen. Sofern diese Zeit- gabe der Regelungen des IFRS 16, sondern nach konzerninternen
wertanpassungen nur wenige Vermögenswerte betreffen, kann eine Vorgaben zur Erleichterung der Konsolidierung abgebildet. Dies führt
Fortführung aus Praktikabilitätsgründen in einer Nebenrechnung dazu, dass aus der Sicht des Leasingnehmers auf die Erfassung eines

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


2731
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft | Aufsatz
Glutting/Meyer · Pillar 2 – Anwendungsfragen und Herausforderungen aus Accounting-Perspektive

Nutzungsrechts verzichtet und an Stelle dessen die Leasingzahlungen erhöhungsbetrag eines Joint Venture zuzurechnen ist. Die Umsetzung
vollständig als Leasingaufwand ausgewiesen werden. Anschließend dieser Regelung kann in der Praxis mit erheblichen Informationspro-
wird der ausgewiesene Leasingaufwand zusammen mit dem seitens blemen verbunden sein, da die Ermittlung des Steuererhöhungsbe-
des konzerninternen Leasinggebers ausgewiesenen Leasingertrag im trags eine Vielzahl an Detailinformationen voraussetzt, die dem Ab-
Rahmen der Aufwands- und Ertragskonsolidierung eliminiert. Bei schluss eines Joint Venture nicht entnommen werden können. Sollte
Anwendung von IFRS 16 würde der durch den Leasingnehmer ausge- es einem Joint-Venture-Partner an einem entsprechenden Informati-
wiesene Leasingaufwand durch die Abschreibungen des Nutzungs- onsrecht auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage fehlen, stößt die
rechts und den auszuweisenden Zinsaufwand ersetzt. Dies kann im praktische Umsetzbarkeit dieser Regelung an seine Grenzen. § 95
Zeitablauf in einzelnen Geschäftsjahren zu deutlich abweichenden Er- Abs. 1 GesE MinStG sieht für Inlandsgesellschaften ein entsprechen-
gebnisauswirkungen führen. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, im des Informationsrecht vor. Zumindest bei Beteiligungen im Ausland
Rahmen der Anwendung der Pillar 2-Regelungen zumindest die we- empfiehlt es sich, die erforderlichen Informationsrechte vertraglich
sentlichen Anmietungsverhältnisse im Hinblick auf potentielle An- zu vereinbaren.
passungseffekte zu analysieren.
8. Betriebsstätten
5. Berücksichtigung von Anpassungsbuchungen auf Obgleich Betriebsstätten rechtlich einer Konzerngesellschaft zuzuord-
Konzernebene nen sind, folgen die Pillar 2-Regelungen in Form der Umsetzung
Aus der grundsätzlich gebotenen Stand-alone-Betrachtung folgt durch den GesE MinStG der steuerlichen Einordnung als unabhängi-
auch, dass nachgelagert auf Konzernebene erfolgte Anpassungsbu- ge Geschäftseinheiten. Dies führt dazu, dass auch für Betriebsstätten
chungen (häufig als Late-Minute-Adjustments bezeichnet) den Ein- gesonderte Abschlüsse nach Maßgabe der für den Konzern anwend-
zelgesellschaften zugeordnet werden müssen, sofern dies sachlich baren Rechnungslegungsgrundsätze zu erstellen sind. Praktische
begründet ist. Da derartige Anpassungsbuchungen regelmäßig nur Schwierigkeiten ergeben sich immer dann, wenn die einer Betriebs-
für Sachverhalte ab Überschreiten einer bestimmten Wesentlich- stätte zuzuordnenden Vermögenswerte und Schulden nicht in einem
keitsschwelle erfolgen, können hiermit wesentliche Ergebnisauswir- gesonderten Buchungskreis geführt werden. In diesen Fällen kann
kungen verbunden sein. In Art. 3.1.2 OCED-Kommentierung wird eine manuelle Aufbereitung der Betriebstätten-Abschlüsse erforder-
als Beispiel die Berücksichtigung von aktienbasierten Vergütungen lich werden.
angeführt. Als weitere praxisrelevante Beispielsfälle können auf Kon-
zernebene gebuchte Rückstellungen oder Wertberichtigungen ange- 9. Arms-Length-Anpassungen
führt werden. § 16 GesE MinStG sieht für konzerninterne Transaktionen und § 65
Ergebniseffekte sind nach der OECD-Kommentierung zu berück- GesE MinStG speziell für konzerninterne Umstrukturierungen Rege-
sichtigen, „to the extent they can be reliably and consistently traced lungen vor.18 Sie wurden gegenüber dem RefE in Teilen modifiziert.
to the relevant Entity“17. Diese Voraussetzung dürfte zumindest § 16 GesE MinStG verlangt eine Anpassung von nicht dem Fremdver-
dann erfüllt sein, wenn die jeweilige Anpassungsbuchung auch im gleichsgrundsatz entsprechenden Transaktion bei grenzüberschreiten-
Einzelabschluss der betroffenen Konzerngesellschaft zu berücksichti- den Sachverhalten. Transaktionen zwischen Gesellschaften mit Sitz in
gen wäre. dem gleichen Land sind hingegen nur anzupassen, sofern sich hieraus
ein Verlust ergibt. Hierbei handelt es sich um eine Regelung zur Ver-
6. Nicht konsolidierte Gesellschaften meidung missbräuchlicher Gestaltungen. Die Regelung der §§ 65, 66
Die Unternehmensgruppe umfasst gem. § 4 Abs. 1 GesE MinStG alle Abs. 2 Nr. 1 GesE MinStG zielt demgegenüber darauf ab, steuerneu-
aus der Sicht des obersten Mutterunternehmens zu konsolidierenden trale Umstrukturierungen nicht nachträglich einer Besteuerung durch
Geschäftseinheiten. Ein Verzicht auf die Einbeziehung von Tochter- die neu eingeführten Regelungen zu unterwerfen.19 Derartige Trans-
unternehmen, die bislang unter Wesentlichkeitsgesichtspunkten aktionen erfolgen unter gemeinsamer Beherrschung, weshalb in die-
nicht in den Konzernabschluss einbezogen wurden, ist ausdrücklich sen Fällen unter Umständen eine Buchwertfortführung zulässig sein
nicht möglich. Für diese Gesellschaften sind daher erstmals Ab- kann.
schlussdaten in Einklang mit den Rechnungslegungsgrundsätzen des
obersten Mutterunternehmens zu ermitteln. Praktisch erfordert dies 10. Berücksichtigung von Wesentlichkeitsgesichts-
eine Überleitung des lokalen Abschlusses der nicht konsolidierten punkten
Einheit auf die seitens des Konzerns angewandten Rechnungsle- Inwieweit auf die angeführten Anpassungen ggf. unter Wesentlich-
gungsgrundsätze und kommt damit einer Accounting-Conversion keitsgesichtspunkten verzichten werden kann, ist derzeit nicht ab-
gleich. schließend geklärt. Der GesE sieht hierzu keine explizite Regelung vor
Um den hiermit verbundenen Aufwand zu begrenzen, wurde in § 78 und bezieht auch in der Begründung zum GesE zu dieser Frage nicht
RegE MinStG ein Wahlrecht für eine vereinfachte Berechnung bei explizit Stellung. Sieht man in dem Verweis in der Begründung zum
unwesentlichen Geschäftseinheiten aufgenommen, welches nach der GesE auf die Musterregelungen der OECD und dem dazugehörigen
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses jedoch wieder gestrichen Kommentar zugleich einen Hinweis darauf, dass beide Werke bei der
wurde. Auslegung der gesetzlichen Regelungen in Deutschland zu berück-

7. Berücksichtigung von Joint Ventures


17 Vgl. OECD (Fn. 3), Kommentierung zu 3.1.2 Nr. 3.
Die Regelung des § 67 Abs. 2 GesE MinStG gibt vor, dass einer Mut- 18 Hierzu bereits vgl. Förster/Dehne, BB 2023, 1707 ff., sowie Geiger/Kurrle, Ubg 2023, 195 ff.
tergesellschaft der ihrer Beteiligung entsprechende Anteil am Steuer- 19 Vgl. im Einzelnen Förster/Dehne, BB 2023, 1709.

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Aufsatz | Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
Glutting/Meyer · Pillar 2 – Anwendungsfragen und Herausforderungen aus Accounting-Perspektive

sichtigen sind, könnte ggf. Art. 3.1.2 Nr. 12 OECD-Kommentierung Die aufgeführten Korrekturposten beinhalten originär steuerrechtli-
auf die Fortgeltung des Wesentlichkeitsgrundsatzes hindeuten. Auch che Korrekturen, knüpfen z. T. aber auch an spezifische Accounting-
der Rückgriff auf die Rechnungslegungsgrundsätze des Konzerns für Regelungen an und greifen mit den Ermittlungsgrundsätzen für die
die Mindeststeuerermittlung wurde u. a. mit der Verwendung einheitli- Herleitung des Mindeststeuer-Ergebnisses ineinander. Entscheidend
cher Wesentlichkeitsschwellen begründet.20 Das DRSC empfiehlt hier- ist hierbei die sachgerechte und damit konsistente Ableitung der Kor-
zu gegenüber dem Gesetzgeber die Verankerung einer mehrstufigen Be- rekturbeträge aus den verfügbaren Datengrundlagen.
trachtungsweise unter Berücksichtigung der Konzern-Wesentlichkeit.21
Dies beinhaltet einen generellen Verzicht auf eine Berücksichtigung von V. Zusammenfassung
Konsolidierungsanpassungen bei unwesentlichen Geschäftseinheiten
und von Konsolidierungsanpassungen, soweit die Anpassungen den 1. Die Umsetzung der Regelungen des Mindeststeuergesetzes schafft
gleichen Jusisdictional-Blending-Kreis betreffen. Alle übrigen Konsoli- vielfältige Schnittstellen zwischen dem Accounting- und dem Steu-
dierungs- und Eliminierungsanpassungen sollen unter Wesentlich- erbereich, was wiederum die Anpassung der implementierten kon-
keitsgesichtspunkten berücksichtigt werden. zernweiten Reportingprozesse und -systeme erfordert.
2. Die Ableitung der Mindeststeuerbemessungsgrundlage knüpft für
IV. Korrekturvorschriften mit Accounting-Bezug die Mindeststeuer-Gewinnermittlung an den Mindeststeuer-Ge-
winn oder Mindeststeuer-Verlust an, der auf der Grundlage der
Der Mindeststeuer-Jahresüberschuss ergibt sich unter Berücksichti- konzernweit angewandten Bilanzierungsgrundsätze unter Stand-
gung der vorstehend dargestellten Ermittlungsgrundsätze. Um den alone-Gesichtspunkten abzuleiten ist. In der Praxis stellt die sach-
Mindeststeuer-Jahresüberschuss in den Mindeststeuer-Gewinn als gerechte Ableitung der Mindeststeuer-Ergebnisgröße Unternehmen
Anknüpfungspunkt für die Berechnung des effektiven Steuersatzes vor vielfältige Herausforderungen.
(§ 53 GesE MinStG) zu überführen, sind in einem nachfolgenden 3. Zu den erforderlichen Anpassungen gehört die Berücksichtigung
Berechnungsschritt die in § 18 GesE MinStG aufgeführten Hinzu- von auf Konzernebene erfolgten Buchungen, die sachgerechte Bi-
rechnungen und Kürzungen zu berücksichtigen. Hierbei handelt es lanzierung von konzerninternen Geschäftsvorfällen sowie die Eli-
sich um einen umfangreichen Katalog von Regelungen, der laut minierung von Konsolidierungsmaßnahmen und von Kaufpreisan-
der Begründung zum RegE auf eine Angleichung der Pillar 2-Er- passungen aufgrund zurückliegender Unternehmenserwerbe. Auf
gebnisermittlung an die in den unterschiedlichen Steuerhoheitsge- einzelne Anpassungen kann ggf. unter Wesentlichkeitsgesichts-
bieten für ertragsteuerliche Zwecke übliche Ergebnisermittlung ab- punkten verzichtet werden.
zielt. Neu eingefügt wurde bereits mit dem RegE § 17 GesE 4. Aus der Berücksichtigung von Betriebsstätten, nicht konsolidierten
MinStG, der eine spiegelbildliche Einstufung von Finanzinstrumen- Gesellschaften und der anteiligen Berücksichtigung von Joint Ven-
ten beim Inhaber und Emittenten als Eigenkapital oder Fremdkapi- tures ergeben sich Abweichungen im Scope im Vergleich zum Kon-
tal vorsieht. zernabschluss des obersten Mutterunternehmens.
§ 18 GesE MinStG verweist auf die umfangreiche Ausführungsvor- 5. Zur Umsetzung der nach Maßgabe des § 18 GesE MinStG erforder-
schriften der nachfolgenden Paragrafen. Folgende Sachverhalte wer- lichen steuerlichen Korrekturen ist die Erhebung einer Vielzahl von
den durch die Anpassungsregelungen erfasst: Detailinformationen notwendig. Die Pillar 2-Einführung bedingt
– § 18 Nr. 1 GesE MinStG: Überführung der auf der Grundlage von folglich die Prüfung der Verfügbarkeit der relevanten Daten auf der
§ 15 GesE MinStG ermittelten Nachsteuerergebnisgröße in eine Grundlage der implementierten Reportingsysteme.
Vorsteuerergebnisgröße;
– § 18 Nr. 2 u. 3 GesE MinStG: Berücksichtigung von Dividendener-
trägen und von Wertänderungen bei Eigenkapitalbeteiligungen;
– § 18 Nr. 4 GesE MinStG: Umgliederung der im OCI erfassten Wert- Verena Glutting, WP, ist Director bei PwC und begleitet
änderungen bei Anwendung der Neubewertungsmethode (IAS 16). eine Vielzahl von Mandaten bei der Umsetzung der Pillar 2-
Anforderungen und der Implementierung eines tragfähigen
Allerdings gewährt § 35 GesE MinStG ein Wahlrecht, im Konzern-
Prozesses. Die Autorin gibt ihre persönliche Auffassung wie-
abschluss zum Zeitwert bilanzierte Vermögenswerte im Rahmen
der.
der Pillar 2-Ermittlung mit dem Buchwert anzusetzen;
– § 18 Nr. 5 GesE MinStG: Anpassung von Fremdwährungseffekten,
die aus einer abweichenden funktionalen Währung (IAS 21) im
Konzernabschluss resultieren; Dr. Marco Meyer, WP/StB, ist Director bei PwC und betreut
– § 18 Nr. 6 u. 7 GesE MinStG: Abzugsverbot von Bestechungs- und Mandaten in Fragen der nationalen und internationalen
Schmiergeldern sowie von Bußgeldern; Rechnungslegung. Der Autor gibt seine persönliche Auffas-
– § 18 Nr. 8 GesE MinStG: Berücksichtigung von Bilanzierungsme- sung wieder.
thodenänderungen und der Berichtigung von Fehlern in der Rech-
nungslegung;
– § 18 Nr. 9 GesE MinStG: Begrenzung des Abzugs von Pensionsauf-
wendungen für auf eine Pensionseinheit ausgelagerte Pensionsver-
pflichtungen auf die Höhe der geleisteten Zahlungen;
– § 18 Nr. 10–15 GesE MinStG: sonstige steuerliche Korrekturvor- 20 Vgl. OECD (Fn. 3), Kommentierung zu 3.1.2 Nr. 7.
schriften. 21 DRSC (Fn. 12).

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2733


Bilanzrecht und Betriebswirtschaft | Entscheidung
BFH · 17.8.2023 – III R 37/20

BFH: Verlustabzugsverbot gemäß § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG


2006 bei Verschmelzung mit steuerlicher Rückwirkung
BFH, Urteil vom 17.8.2023 – III R 37/20 der B-GmbH zum 31.12.2015 mit 719.391 e erheblich höher war (Differenz
ECLI:DE:BFH:2023:U.170823.IIIR37.20.0 476.847 e). Der erkennende Senat ist an die Wertansätze in der Steuerbilanz
Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2023-2734-1 der B-GmbH zum 31.12.2015 gebunden, nachdem diese im FG-Verfahren
unter www.betriebs-berater.de zwischen den Beteiligten unstreitig waren und die Kläger insoweit auch im
Revisionsverfahren keinen zulässigen und begründeten Revisionsgrund vor-
AMTLICHE LEITSÄTZE gebracht haben (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
1. Die Vorschrift des § 4 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 des Umwandlungs-
steuergesetzes in der im Streitjahr 2015 anwendbaren Fassung Übernahmeverlust beläuft sich nach Anwendung des
(UmwStG 2006), nach der ein Übernahmeverlust außer Ansatz bleibt, Teileinkünfteverfahrens auf 189545,32 Euro …
ist für im Privatvermögen und im Betriebsvermögen gehaltene Anteile c) Ebenfalls in zutreffender Weise ging das FG davon aus, dass sich die Frage 23
an der übertragenden Körperschaft anwendbar. der steuerlichen Abzugsfähigkeit des Übernahmeverlusts in dem wegen
2. Ein für den Abzug des Übernahmeverlusts schädlicher Anteilserwerb des steuerlichen Übertragungsstichtags (31.12.2015) maßgeblichen Veran-
innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertragungs- lagungszeitraum 2015 stellt und dass sich der Übernahmeverlust nach An-
stichtag liegt wegen der Fiktion des § 5 Abs. 1 UmwStG 2006 auch dann wendung des Teileinkünfteverfahrens auf 189.545,32 e beläuft.
vor, wenn der übernehmende Rechtsträger die Anteile tatsächlich erst
nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag angeschafft hat. … und ist nach § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG 2006 nicht
3. § 4 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 und § 7 UmwStG 2006 sind weder abzugsfähig, …
teleologisch zu reduzieren noch verfassungswidrig, soweit sich bei der 2. Dieser Übernahmeverlust ist nach § 4 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 24
Ermittlung des Übernahmeverlusts oder der offenen Rücklagen ausge- UmwStG 2006 nicht abzugsfähig.
wirkt hat, dass Pensionsrückstellungen in der Handelsbilanz und in
der Steuerbilanz der übertragenden Körperschaft in unterschiedlicher … soweit die Anteile an der übertragenden Körperschaft
Höhe passiviert waren. innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen
UmwStG §§ 2 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 1 S. 2, 4 Abs. 4, 5, 6, 5 Abs. 1, 7; EStG §§ 6a, Übertragungsstichtag entgeltlich erworben wurden
20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 8; GG Art. 3 Abs. 1 a) Infolge des Vermögensübergangs ergibt sich ein Übernahmegewinn 25
oder Übernahmeverlust (vgl. § 4 Abs. 4 UmwStG 2006). Der Übernahme-
AUS DEN GRÜNDEN gewinn vermindert sich beziehungsweise der Übernahmeverlust erhöht
Steuerliche Folgen der Verschmelzung auf das sich um die Bezüge, die nach § 7 UmwStG 2006 zu den Einkünften aus
Einzelunternehmen des Klägers bestimmen sich nach Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören (§ 4 Abs. 5
den §§ 3ff. UmwStG 2006, und im Streitjahr 2015 steht UmwStG 2006). Soweit ein Übernahmegewinn auf eine natürliche Person
die Abzugsfähigkeit eines Übernahmeverlusts in Höhe entfällt, sind die Vorschriften des Teileinkünfteverfahrens anzuwenden
von 189 545,32 Euro im Streit (§ 4 Abs. 7 UmwStG 2006 i. V. m. § 3 Nr. 40, § 3c EStG). Ein Übernahmever-
19–20 II. […] 1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass sich die steuerlichen lust ist nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 UmwStG
Folgen der Verschmelzung auf das Einzelunternehmen des Klägers nach 2006 abzugsfähig. Bei der Verschmelzung einer GmbH auf eine natürliche
den §§ 3 ff. UmwStG 2006 bestimmen und dass im Streitjahr 2015 die Ab- Person, wie sie im Streitfall vorliegt, kann der Übernahmeverlust in Höhe
zugsfähigkeit eines Übernahmeverlusts in Höhe von 189.545,32 e im von 60 % des Verlustbetrags, höchstens jedoch in Höhe von 60 % der Bezü-
Streit steht. ge im Sinne des § 7 UmwStG 2006 zu berücksichtigen sein (§ 4 Abs. 6 Satz
4 UmwStG 2006). Ganz unberücksichtigt („außer Ansatz“) bleibt ein Über-
Bei Pensionsrückstellungen darf höchstens der Teilwert nahmeverlust nach § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006 abweichend von § 4
gem. § 6a Abs. 3 EStG passiviert werden Abs. 6 Satz 2 bis 5 UmwStG 2006, […] soweit die Anteile an der übertragen-
21 a) Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 2006 sind die übergehenden Wirt- den Körperschaft innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen
schaftsgüter bei einer Verschmelzung auf eine natürliche Person in der Übertragungsstichtag entgeltlich erworben wurden. […]
steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Körperschaft grundsätzlich b) Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht ha- 26
mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 UmwStG ben, bei der Annahme eines etwaigen Verlustabzugsverbots gemäß § 4
2006 gilt für die Bewertung von Pensionsrückstellungen jedoch § 6a EStG, Abs. 6 UmwStG 2006 sei auf das im Streitfall positive Übernahmeergebnis
das heißt, es darf höchstens der Teilwert der Pensionsverpflichtung ge- erster Stufe und nicht auf das im Streitfall negative Übernahmeergebnis
mäß § 6a Abs. 3 EStG passiviert werden. zweiter Stufe abzustellen, steht dies im Widerspruch zur Gesetzessystema-
tik. Nach ihr führt die in § 4 Abs. 5 UmwStG 2006 vorgesehene Kürzung um
Erkennender Senat ist an die Wertansätze in die Kapitaleinkünfte im Sinne des § 7 UmwStG 2006 zu einer Verminderung
der Steuerbilanz gebunden des Übernahmegewinns beziehungsweise zu einer Erhöhung des Übernah-
22 b) Die Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen beliefen meverlusts. Erst im Anschluss daran stellt sich die Frage, ob und inwieweit
sich in der steuerlichen Schlussbilanz der B-GmbH zum 31.12.2015 auf aus § 4 Abs. 6 UmwStG 2006 (und insbesondere aus dessen Satz 6) ein Ver-
242.544 e, wohingegen der entsprechende Wertansatz in der Handelsbilanz lustabzugsverbot folgt. § 4 Abs. 6 UmwStG 2006 setzt daher einen sich aus

2734 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Entscheidung | Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
BFH · 17.8.2023 – III R 37/20

der Anwendung der Absätze 4 und 5 ergebenden Übernahmeverlust voraus, des § 5 UmwStG 2006 zu lesen. Gemäß § 5 Abs. 1 UmwStG 2006 ist der Ge-
das heißt ein negatives Übernahmeergebnis auf der zweiten Stufe. winn des Anteilseigners (übernehmender Rechtsträger), wenn er die Antei-
le an der übertragenden Körperschaft erst nach dem steuerlichen Übertra-
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt gungsstichtag angeschafft hat, so zu ermitteln, als hätte er die Anteile am
27 c) Im Gegensatz zur Alternative 1 sind die Voraussetzungen der Alternati- steuerlichen Übertragungsstichtag angeschafft. Entgegen der von den Klä-
ve 2 des § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006 im Streitfall erfüllt. Dies hat zur gern in der mündlichen Verhandlung dargelegten Auffassung ist die Fiktion
Folge, dass der Übernahmeverlust des Klägers von 189.545,32 e außer des § 5 Abs. 1 UmwStG 2006 im Rahmen des § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG
Ansatz bleibt. Der Kläger hat die Anteile an der übertragenden Körper- 2006 zu beachten, ohne dass es hierfür eines ausdrücklichen Verweises in
schaft (B-GmbH) im Sinne des Tatbestands der Alternative 2 „innerhalb § 4 Abs. 6 UmwStG 2006 bedarf. Denn sowohl § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG
der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag“ ent- 2006 als auch § 5 Abs. 1 UmwStG 2006 beziehen sich auf die Ermittlung des
geltlich erworben. Gewinns des übernehmenden Rechtsträgers.
Ungeachtet des tatsächlichen Erwerbs im … 2016 ist danach im Streitfall 32
§ 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG ist unabhängig davon von einem fiktiven Anteilserwerb des Klägers am 31.12.2015 (dem steuer-
anwendbar, ob die Anteile im Privatvermögen oder im lichen Übertragungsstichtag im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG
Betriebsvermögen gehalten werden, … 2006) auszugehen. Hieraus allein folgt allerdings noch nicht zwingend,
28 aa) Wie das FG zu Recht entschieden hat, bezieht sich § 4 Abs. 6 Satz 6 Al- dass der Anteilserwerb im Sinne des Gesetzes „innerhalb der letzten fünf
ternative 2 UmwStG 2006 auf sämtliche Anteile, die an der Ermittlung des Jahre vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag“ erfolgt ist. Es ließe sich
negativen Übernahmeergebnisses gemäß § 4 Abs. 4 und 5 UmwStG 2006 nämlich auch die Auffassung vertreten, dass ein Erwerb der Anteile an
teilnehmen; die Vorschrift ist unabhängig davon anwendbar, ob die Anteile der übertragenden Körperschaft vor dem steuerlichen Übertragungsstich-
an der Kapitalgesellschaft im Privatvermögen oder – wie nach den Feststel- tag spätestens am Vortag dieses Tages (hier am 30.12.2015) erfolgt sein
lungen des FG im Streitfall – im Betriebsvermögen gehalten werden […]. muss, mit anderen Worten nicht erst am steuerlichen Übertragungsstich-
tag selbst (hier am 31.12.2015) erfolgt sein kann.
… und die Anteilserwerbe am steuerlichen
Übertragungsstichtag erfolgten im Sinne des Gesetzes Für die Einbeziehung des am steuerlichen
innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag erfolgten Anteilserwerbs in den
Übertragungsstichtag Fünfjahreszeitraum spricht die entsprechende
29 bb) Ebenfalls zu Recht hat das FG die weiteren Voraussetzungen der Alterna- Anwendung des bürgerlich-rechtlichen Fristenrechts …
tive 2 des § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006 bejaht. Anteilserwerbe am steuer- (3) Für die Einbeziehung des am steuerlichen Übertragungsstichtag er- 33
lichen Übertragungsstichtag erfolgen im Sinne des Gesetzes innerhalb der folgten Anteilserwerbs in den Fünfjahreszeitraum spricht jedoch die ent-
letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag (vgl. hierzu sprechende Anwendung des bürgerlich-rechtlichen Fristenrechts (vgl.
Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 11.11.2011, sog. Um- § 108 Abs. 1 der Abgabenordnung i. V. m. §§ 187, 188 des Bürgerlichen
wandlungssteuererlass 2011, BStBl I 2011, 1314, Rz 04.43; ähnlich Eberhardt Gesetzbuchs – BGB –). Es handelt sich bei der Fünfjahresfrist des § 4
in Bordewin/Brandt, § 4 UmwStG Rz 56 […]; eher zweifelnd oder die Auffas- Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006 um eine „rückwärtslaufende Frist“ […], das
sung der Finanzverwaltung bzw. der Vorinstanz nur berichtend Bohnhardt in heißt um eine Frist, die von einem späteren Zeitpunkt zu einem früheren
Haritz/Menner/Bilitewski, Umwandlungssteuergesetz, 5. Aufl., § 4 Rz 309; Zeitpunkt und somit zurück in die Vergangenheit läuft […]. Der Tag, an
[…]; a. A. Martini in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 4 UmwStG dem das fristauslösende Geschehen stattfindet, ist trotz des unterschiedli-
Rz 950 und 955). chen Fristbeginns sowohl bei einer sogenannten Ereignisfrist (§ 187
Abs. 1 BGB) als auch bei einer sogenannten Beginnfrist (§ 187 Abs. 2
Nach dem Wortlaut fehlt es zwar bei isolierter BGB) in den Fristlauf einzubeziehen; mit der Annahme einer Ereignisfrist
Betrachtung an einem Anteilserwerb innerhalb wird für die betreffende Frist nämlich lediglich eine im Vergleich zur Be-
der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen ginnfrist verlängernde Berechnungsweise festgelegt […], wonach das
Übertragungsstichtag, … fristauslösende Ereignis auch dann innerhalb der Frist liegt, wenn die
30 (1) Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 UmwStG 2006 nach ganzen Tagen erfolgende Berechnung der Fristdauer erst am Folge-
fehlt es im Fall des Klägers zwar bei isolierter Betrachtung an einem An- tag beginnt). Schon deshalb ist im Streitfall die Einbeziehung des
teilserwerb innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertra- 31.12.2015 unabhängig davon zu bejahen, von welcher Art der Frist im
gungsstichtag. Der Kläger erwarb die Anteile an der B-GmbH erst am Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausgegangen wird […]. Darauf,
xx.xx.2016, während der steuerliche Übertragungsstichtag (§ 2 Abs. 1 Satz wann die Rückwärtsfrist endet beziehungsweise ob wegen der Annahme
1 UmwStG 2006) bereits der 31.12.2015 war. Chronologisch erfolgte der einer Ereignisfrist im Streitfall auch der 31.12.2010 noch als innerhalb des
Anteilserwerb daher erst nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag, so Fünfjahreszeitraums im Sinne des § 4 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 UmwStG
dass der Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 UmwStG 2006 für 2006 liegend anzusehen wäre, kommt es für die das Streitjahr 2015 be-
sich betrachtet nicht erfüllt wäre. treffende Entscheidung nicht an.

… bei systematischer Gesetzesauslegung ist § 4 Abs. 6 … und auch die teleologische Auslegung der Norm
S. 6 Alt. 2 UmwStG 2006 aber im Zusammenhang mit (4) Für die Auffassung, den steuerlichen Übertragungsstichtag in den 34
§ 5 UmwStG 2006 zu lesen Fünfjahreszeitraum der Alternative 2 des § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006
31 (2) Bei systematischer Gesetzesauslegung ist § 4 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 einzubeziehen, spricht auch die teleologische Auslegung der Norm. In der
UmwStG 2006 aber im Zusammenhang mit der nachfolgenden Vorschrift Begründung des Gesetzentwurfs brachte die Bundesregierung zwar nur

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2735


Bilanzrecht und Betriebswirtschaft | Entscheidung
BFH · 17.8.2023 – III R 37/20

knapp zum Ausdruck, dass § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006 der „Verhinde- nahmeverlusts sowie insbesondere zur Rechtfertigung der vom Gesetzge-
rung von Missbräuchen“ diene (vgl. BTDrucks 16/2710, S. 39). […] Gleich- ber gewählten Lösung durch Vereinfachungserfordernisse das BFH-Urteil
wohl besteht nach der Zwecksetzung, Anteilserwerbe „innerhalb der letz- vom 22.10.2015 – IV R 37/13, BFHE 252, 68, BStBl II 2016, 919, Rz 23 ff.
ten fünf Jahre“ mit einer Sonderregelung zur „Missbrauchsverhinderung“ [BB 2016, 814 m. BB-Komm. Kubik]; zur Kritik am Gesetz vgl. Rödder/
zu erfassen, kein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung Schumacher, Der Betrieb 2006, 1525, 1532; Lemaitre/Schönherr, GmbH-
eines Anteilserwerbs am Vortag des steuerlichen Übertragungsstichtags Rundschau 2007, 173, 180; Blöchle/Weggenmann, Internationales Steuer-
einerseits und eines Anteilserwerbs am steuerlichen Übertragungsstichtag recht 2008, 87, 94; Desens, Finanz-Rundschau 2008, 943, 947 ff.; vgl. in
andererseits. Zur Vermeidung einer zweckwidrigen Ungleichbehandlung diesem Zusammenhang auch van Lishaut in Rödder/Herlinghaus/van Lis-
ist die Einbeziehung des steuerlichen Übertragungsstichtags in die Fünf- haut, UmwStG, 3. Aufl., § 4 Rz 184 ff.). Bereits bei der Vorgängervorschrift
jahresfrist vielmehr zu bejahen. Da § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006 der des § 4 Abs. 6 UmwStG 2002 (UmwStG 1995 i. d. F. des Gesetzes zur Sen-
Missbrauchsverhinderung dienen soll und die Missbrauchsgefahr mit grö- kung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung
ßerer zeitlicher Entfernung vom Übertragungsstichtag abnimmt, ent- vom 23.10.2000) hatte der BFH eine teleologische Reduktion verneint
spricht es dem Sinn und Zweck der Norm, den Übertragungsstichtag mit- (vgl. Senatsurteil vom 05.11.2015 – III R 13/13, BFHE 252, 322, BStBl II
einzubeziehen. Denn hier ist die zeitliche Nähe zum Übertragungsstich- 2016, 468, Rz 47 ff.).
tag und damit nach der Wertung des Gesetzgebers die Missbrauchsge-
fahr am größten. § 4 Abs. 6 S. 6 UmwStG 2006 findet vielmehr auch dann
Anwendung, wenn keine missbräuchliche Gestaltung
Danach sind die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 S. 6 vorliegt und das Ergebnis als „überschießend“
Alt. 2 UmwStG 2006 im Streitfall erfüllt verstanden werden könnte
35 (5) Danach sind die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 bb) Das Vorliegen einer missbräuchlichen Gestaltung ist, auch wenn de- 40
UmwStG 2006 im Streitfall erfüllt. Da der tatsächlich erst im Jahr 2016 erfolgte ren Verhinderung den Gesetzgeber zur Normsetzung veranlasst hat, kein
Anteilserwerb auf den steuerlichen Übertragungsstichtag (31.12.2015) Tatbestandsmerkmal des § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006. Die Norm findet
zurückzubeziehen ist (§ 5 Abs. 1 UmwStG 2006), liegt er im Sinne des Geset- vielmehr auch dann Anwendung, wenn eine derartige Gestaltung nicht
zes innerhalb des für den Abzug des Übernahmeverlusts nach § 4 Abs. 6 Satz vorliegt und das Ergebnis als „überschießend“ verstanden werden könnte
6 Alternative 2 UmwStG 2006 schädlichen Fünfjahreszeitraums. […]. Denn ebenso wie vom BFH jüngst zur Vorschrift des § 2 Abs. 4 Satz
3 UmwStG 2006 entschieden (vgl. Urteil vom 12.04.2023 – I R 48/20,
Teleologische Reduktion ist nicht geboten BFH/NV 2023, 1165, Rz 15 [BB 2023, 1775 m. BB-Komm. Fischer]), lässt
36 3. Eine teleologische Reduktion des § 4 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 der eindeutige Normwortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006 eine
UmwStG 2006 ist nicht geboten. Dasselbe gilt für § 7 UmwStG 2006, ins- teleologische Reduktion der Norm nicht zu.
besondere lässt sich die von den Klägern geltend gemachte „punktuelle“
oder „isolierte“ teleologische Reduktion nicht auf das BFH-Urteil vom Bewertung der Pensionsrückstellung in der Steuerbilanz
11.04.2019 – IV R 1/17 (BFHE 264, 13, BStBl II 2019, 501 [BB 2019, 1584 gem. § 6a EStG führt nicht zu einem sinn- oder
m. BB-Komm. Kubik]) stützen. zweckwidrigen Ergebnis
cc) Insbesondere führen auch die von den Klägern im Revisionsverfahren 41
Sie käme nur in Betracht, wenn die Auslegung nach dem in den Vordergrund ihrer Argumentation gestellte Pensionsrückstellung
Wortlaut zu einem sinnwidrigen Ergebnis führte und deren Bewertung in der Steuerbilanz gemäß § 6a EStG nicht zu ei-
37 a) Die teleologische Reduktion einer Gesetzesbestimmung zielt darauf ab, nem sinn- oder zweckwidrigen Ergebnis. Zum einen sind Abweichungen
den Geltungsbereich der Norm mit Rücksicht auf ihren Zweck gegenüber zwischen Handels- und Steuerbilanz nicht nur bei Pensionsrückstellungen
ihrem zu weit gefassten Wortlaut einzuschränken. Sie ist jedoch nicht denkbar. Zum anderen wird der Wertansatz gemäß § 6a EStG durch die
schon dann gerechtfertigt, wenn die vom Gesetzgeber getroffene Ent- Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 2 UmwStG 2006 ausdrücklich angeordnet,
scheidung rechtspolitisch fehlerhaft erscheint. Vielmehr kommt eine te- die Bewertung nach § 6a EStG entspricht also dem Zweck des Gesetzes
leologische Reduktion grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Auslegung (vgl. hierzu auch die Parallelvorschriften in § 11 Abs. 1 Satz 2, § 20 Abs. 2
nach dem Wortlaut zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde […]. Satz 1 Halbsatz 2 und § 24 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 UmwStG 2006).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt Gegen die teleologische Reduktion des § 4 Abs. 6 S. 6
38 b) Diese Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion sind im Streit- Alt. 2 UmwStG 2006 spricht auch ein weiterer Punkt
fall im Hinblick auf § 4 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 UmwStG 2006 nicht er- dd) Gegen die teleologische Reduktion des § 4 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 42
füllt. UmwStG 2006 spricht nicht zuletzt auch, dass der Gesetzgeber seit des-
sen Inkrafttreten keine Veranlassung für dessen Änderung gesehen hat.
Das durch den Gesetzgeber bewusst angeordnete Dass der Gesetzeswortlaut gemessen am Gesetzeszweck zu weit gefasst
„Außer-Ansatz-Bleiben“ des Übernahmeverlusts bewirkt wäre und ein Versehen des Gesetzgebers vorliegen könnte, ist auch inso-
ein dem Zweck des Gesetzes entsprechendes Ergebnis fern nicht ersichtlich.
39 aa) Das durch den Gesetzgeber bewusst angeordnete „Außer-Ansatz-Blei-
ben“ des Übernahmeverlusts bewirkt kein sinnwidriges, sondern ein dem Eine teleologische Reduktion des § 7 UmwStG 2006 ist
Zweck des Gesetzes entsprechendes Ergebnis (vgl. zum Zweck des § 4 ebenfalls nicht geboten
Abs. 6 UmwStG 2006, zur Entstehungsgeschichte, zur Verneinung einer c) Eine teleologische Reduktion des § 7 UmwStG 2006, die – zumindest 43
teleologischen Reduktion mit dem Ziel der Berücksichtigung eines Über- bei isolierter Betrachtung – ebenfalls zu den im Sinne des Klageantrags

2736 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Entscheidung | Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
BFH · 17.8.2023 – III R 37/20

geringeren Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb im Streitjahr füh- Abs. 3 des Handelsgesetzbuchs in dessen Fassung vor Inkrafttreten des
ren könnte, ist ebenfalls nicht geboten. Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes vom 25.05.2009 (HGB a. F.) ein Son-
derposten mit Rücklageanteil in der Handels- und Steuerbilanz gebildet
Nach § 7 S. 1 UmwStG anzusetzende Einnahmen stehen werden konnte (vgl. dazu auch § 273 HGB a. F. und Art. 67 Abs. 3 des Ein-
unstreitig fest führungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch). Beträge wie die Ansparrück-
44 aa) Nach § 7 Satz 1 UmwStG 2006 ist dem Anteilseigner der Teil des in lage gemäß § 7g EStG a. F. wurden passiviert und führten so – anders als
der Steuerbilanz ausgewiesenen Eigenkapitals abzüglich des Bestands des der außerbilanzielle Investitionsabzugsbetrag – zu einer Verringerung des
steuerlichen Einlagekontos im Sinne des § 27 des Körperschaftsteuer- steuerlichen Eigenkapitals. Demgegenüber waren Pensionsrückstellungen
gesetzes (KStG), der sich nach Anwendung des § 29 Abs. 1 KStG ergibt, in im Streitjahr nach wie vor in der Handelsbilanz wie auch in der Steuerbi-
dem Verhältnis der Anteile zum Nennkapital der übertragenden Körper- lanz zu passivieren. Lediglich die Bewertung der Pensionsrückstellung ist
schaft als Einnahmen aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 durch § 6a EStG steuerrechtlich besonders geregelt. Ein unterschiedlicher
EStG zuzurechnen. Dies gilt gemäß § 7 Satz 2 UmwStG 2006 unabhängig Wertansatz in der Handels- und Steuerbilanz als solcher rechtfertigt hin-
davon, ob für den Anteilseigner ein Übernahmegewinn oder Übernahme- gegen keine teleologische Reduktion, da auch auf der Ebene des § 7
verlust nach § 4 oder § 5 UmwStG 2006 ermittelt wird. Gegebenenfalls UmwStG 2006 kein sinn- oder zweckwidriges, sondern ein dem Norm-
erfolgt nach § 20 Abs. 8 EStG eine Umqualifizierung der Einnahmen […]. zweck entsprechendes Ergebnis resultiert.
45 Im Streitfall betragen die gemäß § 7 Satz 1 UmwStG 2006 nach dem
Wortlaut anzusetzenden Einnahmen 755.195,26 e (vor Anwendung des „Punktuelle“ bzw. „isolierte“ Normreduktion muss erst
Teileinkünfteverfahrens). Die für die Berechnung relevanten Beträge sind recht ausscheiden
zwischen den Beteiligten ihrer Höhe nach unstreitig und für den Senat dd) Da die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion nicht vorlie- 48
bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO). gen, muss erst recht die von den Klägern erstrebte „punktuelle“ bezie-
hungsweise „isolierte“ Normreduktion ausscheiden. Auf den zutreffenden
Es besteht keine Veranlassung für eine teleologische Einwand des FA, dass sich nach der Argumentation der Kläger ein höherer
Reduktion Konfusionsgewinn ergäbe (vgl. dazu § 6 Abs. 1 UmwStG 2006), muss
46 bb) Der Zweck der Zurechnung nach § 7 UmwStG 2006 durch eine Fiktion nicht mehr eingegangen werden.
der Totalausschüttung besteht neben der Sicherstellung des deutschen
Besteuerungsrechts darin, zu verhindern, dass bisher unbesteuerte Ge- Auch keine Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 6 S. 6
winnrücklagen dadurch endgültig der Besteuerung entzogen werden, Alt. 2 UmwStG 2006 oder des § 7 UmwStG 2006
dass sie nach der Umwandlung in ein Personenunternehmen ohne er- 4. Der erkennende Senat ist mit Blick auf das Streitjahr 2015 schließlich 49
tragsteuerliche Belastung entnommen werden können […]. Soweit die weder von der Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2
steuerliche Bewertungsvorschrift des § 6a EStG dazu führt, dass in der UmwStG 2006 noch von jener des § 7 UmwStG 2006 überzeugt.
Steuerbilanz ein höheres Eigenkapital als in der Handelsbilanz ausgewie- a) In Übereinstimmung mit den einschlägigen bereits ergangenen Entschei- 50
sen wird, besteht gemessen an dem dargelegten Zweck des § 7 UmwStG dungen ist davon auszugehen, dass die Verlustabzugsbeschränkung gemäß
2006 keine Veranlassung für eine teleologische Reduktion. Denn § 7 § 4 Abs. 6 UmwStG 2006 trotz nicht ausgeräumter rechtspolitischer Zweifel
UmwStG 2006 stellt explizit auf das in der Steuerbilanz ausgewiesene Ei- bezüglich ihres weiten Anwendungsbereichs in den für den Streitfall rele-
genkapital ab, und zwar unabhängig davon, ob und gegebenenfalls aus vanten Punkten verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist und insbe-
welchem Grund dieses höher als das in der Handelsbilanz ausgewiesene sondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt (vgl. BFH-Urteil vom
Eigenkapital ist. Eine Sonderstellung der Pensionsrückstellung, deren 22.10.2015 – IV R 37/13, BFHE 252, 68, BStBl II 2016, 919 [BB 2016, 814 m.
steuerliche Bewertung nach § 6a EStG durch § 3 Abs. 1 Satz 2 und weitere BB-Komm. Kubik] und vorgehend FG Nürnberg, Urteil vom 18.09.2013 – 3 K
Vorschriften des UmwStG 2006 ausdrücklich angeordnet wird, ist insoweit 1205/12, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2014, 1035, Rz 32 ff.;
nicht gegeben. vgl. auch Gaffron in UmwStG – eKommentar, § 4 Rz 48, sowie zur Vorinstanz
des vorliegenden Revisionsverfahrens die Anmerkung von Göllner, EFG
Auch aus IV R 1/17 kann eine solche nicht abgeleitet 2020, 1888, m. w. N.; vgl. zur früheren Gesetzesfassung des § 4 Abs. 6
werden UmwStG 2002 ferner die BFH-Urteile vom 24.06.2014 – VIII R 35/10, BFHE
47 cc) Aus der im BFH-Urteil vom 11.04.2019 – IV R 1/17 […] bejahten te- 245, 565, BStBl II 2016, 916, Rz 20 f., 22 ff. [BB 2014, 2158 m. BB-Komm. Heß]
leologischen Reduktion des § 7 UmwStG 2006 kann eine solche für den und vom 28.09.2017 – IV R 51/15, BFH/NV 2018, 246, Rz 24 sowie das Senats-
Streitfall ebenfalls nicht abgeleitet werden. Der IV. Senat des BFH hat den urteil vom 05.11.2015 – III R 13/13, BFHE 252, 322, BStBl II 2016, 468).
Begriff des in der Steuerbilanz ausgewiesenen Eigenkapitals unter Verweis Ein Verfassungs- beziehungsweise Gleichheitsverstoß wegen einer kon- 51
auf den Gesetzeszweck einschränkend dahin ausgelegt, dass ein außerbi- kreten Mehrfach- oder Doppelbesteuerung wird in der Revisionsbegrün-
lanziell gebildeter und dem Gewinn noch nicht nach § 7g Abs. 2 Satz 1 dung im Übrigen zwar behauptet, aber nicht substantiiert nach Maßgabe
EStG hinzugerechneter Investitionsabzugsbetrag das steuerbilanzielle Ei- der verfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstäbe dargelegt (vgl. hierzu Be-
genkapital im Sinne des § 7 Satz 1 UmwStG 2006 mindere (vgl. BFH-Urteil schluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.07.2023 – 2 BvL 22/17,
vom 11.04.2019 – IV R 1/17, BFHE 264, 13, BStBl II 2019, 501, Rz 22 ff. mit Deutsches Steuerrecht 2023, 2051, Rz 43 ff. [BB 2023, 2220 m. BB-Komm.
Nachweisen auch zur Gegenmeinung, Rz 30 [BB 2019, 1584 m. BB-Komm. Meyer]). […]
Kubik]; dem Urteil zustimmend z. B. Reddig in Herrmann/Heuer/Raupach, b) Hinsichtlich der Vorschrift des § 7 UmwStG 2006 […] sieht der Senat 52
§ 7g EStG, Rz 6; zweifelnd z. B. Schmidt/Kulosa, EStG, 42. Aufl., § 7g gleichfalls keine Anhaltspunkte, die für eine Verfassungswidrigkeit spre-
Rz 47). Diese vom BFH bejahte teleologische Reduktion des § 7 Satz 1 chen könnten.
UmwStG 2006 betrifft aber nur diejenigen Beträge, für die nach § 247 5. […] 53

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2737


Bilanzrecht und Betriebswirtschaft | Entscheidung
Roth | BB-Kommentar zu BFH · 17.8.2023 – III R 37/20

BB-Kommentar nahmeverlust außer Ansatz bleibe. Zwar fehle es bei isolierter Betrach-
tung und dem Wortlaut nach an einem Anteilserwerb (Jahr 2016) in-
Bestätigung der Auffassung der Finanzverwaltung nerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertragungsstich-
tag (31.12.2015). Da aber nach der systematischen Gesetzesauslegung
PROBLEM § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG im Zusammenhang mit § 5 UmwStG zu
Bei einer Verschmelzung einer GmbH auf eine natürliche Person kann der lesen sei, werde der Erwerb der Anteile am steuerlichen Übertragungs-
Übernahmeverlust in Höhe von 60 % des Verlustbetrags, höchstens jedoch stichtag fingiert. Mit Hilfe der Regelungen des bürgerlich-rechtlichen
i. H. v. 60 % der Bezüge i. S. d. § 7 UmwStG zu berücksichtigen sein (§ 4 Fristenrechts (§§ 187 f. BGB) und einer teleologischen Auslegung der
Abs. 6 S. 4 UmwStG). Ganz unberücksichtigt bleibt ein Übernahmeverlust Norm nach Sinn und Zweck begründet der BFH sodann dezidiert, dass
nach § 4 Abs. 6 S. 6 UmwStG hingegen u. a. dann, soweit die Anteile an der der steuerliche Übertragungsstichtag an sich in den Fristlauf der Fünf-
übertragenden Körperschaft innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steu- jahresfrist einbezogen werden müsse. Eine vom Kläger geforderte te-
erlichen Übertragungsstichtag entgeltlich erworben wurden (Alt. 2). Im Zu- leologische Reduktion des § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 bzw. § 7 UmwStG ver-
sammenhang mit § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG stellt sich die Frage, ob ein neint der BFH mit den Argumenten, dass der klare Wortlaut der Nor-
schädlicher Beteiligungserwerb innerhalb der Fünfjahresfrist vorliegt, ins- men eine solche nicht zulasse und das bewusst angeordnete „Außer-
besondere, wenn der übernehmende Rechtsträger die Anteile tatsächlich Ansatz-Bleiben“ des Übernahmeverlusts kein sinnwidriges, sondern ein
erst nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag erworben hat. Weiter ist dem Zweck des Gesetzes entsprechendes Ergebnis darstelle. § 7
fraglich, ob Fälle denkbar sind, in denen § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 und § 7 UmwStG stelle mit der Fiktion der Totalausschüttung überdies das
UmwStG teleologisch zu reduzieren bzw. sogar als verfassungswidrig einzu- deutsche Besteuerungsrecht sicher. Dass es im Hinblick auf die Bewer-
stufen sind, weil sich insbesondere bei der Ermittlung des Übernahmever- tung der Pensionsrückstellungen in der Steuerbilanz nach § 6a EStG zu
lusts die in Handels- und Steuerbilanz unterschiedlich passivierte Höhe von einem höheren Eigenkapital komme, führe angesichts des Zwecks von
Pensionsrückstellungen auf das Eigenkapital ausgewirkt haben. Darüber § 7 UmwStG nicht zu einer gebotenen teleologischen Reduktion. An-
hatte nun der BFH im Rahmen der Revision zu urteilen. haltspunkte für die Verfassungswidrigkeit der o. g. Normen sah der
BFH ebenfalls nicht.
ZUSAMMENFASSUNG
Der Kläger als natürliche Person war Mitunternehmer der A-KG, die PRAXISFOLGEN
wiederum alleinige Gesellschafterin der B-GmbH war. Mit Vertrag aus Die Finanzverwaltung vertritt im Umwandlungssteuererlass (Rn. 04.43
dem Jahre 2016 erwarb der Kläger von der A-KG sämtliche Anteile an UmwStE) seit jeher die Auffassung, dass ein Übernahmeverlust nach
der B-GmbH. Anschließend wurde mit Verschmelzungsvertrag aus dem § 4 Abs. 6 S. 6 UmwStG auch insoweit außer Ansatz bleibt, als die An-
Jahr 2016 steuerlich rückwirkend auf den 31.12.2015 die B-GmbH auf teile an dem übertragenden Rechtsträger erst nach dem steuerlichen
den Kläger verschmolzen, wobei in der steuerlichen Schlussbilanz zum Übertragungsstichtag entgeltlich erworben wurden. Insoweit bestätigt
31.12.2015 nach § 3 Abs. 1 S. 1 UmwStG die übergehenden Wirt- der BFH diese Auffassung und begründet dies – wie auch Teile der
schaftsgüter mit dem gemeinen Wert und die vorhandenen Pensions- Literatur – mit dem im Zusammenhang stehenden § 5 UmwStG. Dies
rückstellungen mit dem nach § 6a EStG ermittelten Wert (§ 3 Abs. 1 ist konsequent, da sich auch ohne konkreten Verweis des § 4 Abs. 6
S. 2 UmwStG) angesetzt wurden. Der vom Kläger ermittelte Gewinn S. 6 UmwStG beide Normen auf die Ermittlung des Gewinns des über-
des Einzelunternehmens für das Jahr 2015 bestand aus einem Ver- nehmenden Rechtsträgers beziehen und gesetzessystematisch zusam-
schmelzungsgewinn (§ 7 S. 1 UmwStG), von dem ein Übernahmeverlust men betrachtet werden müssen. § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG wirkt
i. S. des § 4 UmwStG abgezogen wurde. Der geltend gemachte Über- wie eine fünfjährige Umwandlungssperre nach dem Erwerb der Anteile,
nahmeverlust wurde vom zuständigen FA nicht anerkannt. Einspruch wobei in der Praxis auch Erwerbe nach dem steuerlichen Übertra-
und Klage blieben erfolglos. Der Kläger trägt vor, dass er die Anteile gungsstichtag berücksichtigt werden müssen. Dass überdies eine teleo-
erst nach dem steuerlichen Verschmelzungsstichtag und damit entge- logische Reduktion von § 4 Abs. 6 S. 6 und § 7 UmwStG nicht in Be-
gen dem klaren Wortlaut des § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG erworben tracht kommt, ist dem vom Gesetzgeber mutmaßlich angestrebtem le-
habe. Zudem hätten die nach § 7 UmwStG besteuerten offenen Rück- gitimen Ziel der Sicherstellung einer Einmalbesteuerung der stillen Re-
lagen größtenteils aus der Bewertung der Pensionsrückstellungen un- serven geschuldet. Im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des § 4
terhalb des gemeinen Werts resultiert, sodass die Differenz zwischen Abs. 6 UmwStG führt der BFH seine Rechtsprechung konsequent wei-
handels- und steuerbilanzieller Pensionsrückstellung nicht für Ausschüt- ter. Bereits in früheren Entscheidungen hatte dieser die Verlustabzugs-
tungen zur Verfügung gestanden hätte und mithin bei der Ermittlung beschränkung gem. § 4 Abs. 6 UmwStG trotz nicht ausgeräumter
des Verschmelzungsgewinns voll abzugsfähig sein müsste. Insofern sei- rechtspolitischer Zweifel bezüglich des weiten Anwendungsbereichs für
en § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 bzw. § 7 UmwStG verfassungswidrig, in jedem verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet.
Fall aber teleologisch zu reduzieren.
Die Revision ist unbegründet. Der BFH führte zunächst aus, dass nach
§ 3 Abs. 1 UmwStG der Ansatz der Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Christian Roth, LL.M., RA/FAStR/StB, ist Senior Manager bei
Wert zu erfolgen habe und Pensionsrückstellungen höchstens mit dem der BANSBACH GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steu-
Teilwert zu passivieren seien. An den Wert nach § 6a Abs. 3 EStG sei erberatungsgesellschaft in Stuttgart. Er berät umfassend in
man gebunden. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen des § 4 Fragen des Steuerrechts, insbesondere im Zusammenhang
Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG erfüllt, weil der Kläger die Anteile an der mit Umwandlungs- und Nachfolgethemen.
B-GmbH innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertra-
gungsstichtag entgeltlich erworben habe, sodass im Ergebnis der Über-

2738 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Die Woche im Blick | Arbeitsrecht

Der Arbeitnehmer kann gemäß Art. 17 Abs. 1 DSGVO nach Ende des Arbeitsverhältnisses regelmäßig die Entfernung einer Ab-
mahnung aus der Personalakte verlangen, entschied das LAG Baden-Württemberg (28.7.2023 – 9 Sa 73/21, so auch zuvor bereits
das LAG Hamm vom 13.9.2022 – 6 Sa 87/22). Anderer Auffassung ist insofern das Sächsische LAG (31.3.2023 – 4 Sa 117/21). In
der Berufung stritten die Parteien nach einem beendeten Ausbildungsverhältnis u. a. noch über die Entfernung einer Abmah-
nung aus der Personalakte. Der Kläger machte geltend, dass die Abmahnung unbegründet sei, weil die dort aufgeführten Be-
schuldigungen falsch seien. Das erstinstanzliche ArbG Villingen-Schwenningen wies die Klage ab. Die Berufung vor dem LAG
war überwiegend erfolgreich. Die Revision wurde zugelassen. Der Arbeitnehmer kann gemäß Art. 17 Abs. 1 DSGVO auch nach
dem Ende des Arbeitsverhältnisses regelmäßig noch die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte verlangen, so das
LAG Baden-Württemberg. Nach Ende des Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisses seien Abmahnungen für den Zweck, für den Prof. Dr. Christian Pelke,
sie in der Personalakte gespeichert worden sind, grundsätzlich nicht mehr erforderlich. Da das Vertragsverhältnis beendet ist, Ressortleiter Arbeits-
hätten Abmahnungen, die grundsätzlich zur Rüge eines beanstandenden Verhaltens dienen und gegebenenfalls eine Warnfunk- recht
tion im Hinblick auf eine drohende Beendigung des Arbeitsverhältnisses enthalten, keinerlei Bedeutung mehr. Insbesondere
diene die Abmahnung auch nicht mehr der Geltendmachung der Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen der Be-
klagten im Sinne der DSGVO. Nach dem Sächsischen LAG besteht ein Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus einer
Personalakte nach der Vertragsbeendigung hingegen regelmäßig nicht mehr.

Entscheidungen führt dazu, dass der Arbeitgeber auf diesen festge- Arbeitgeber diese aufgrund geänderter Rechts-
BAG: Tarifliche Zuschläge für Nachtarbeit – legt ist. In einer Auseinandersetzung mit der Mitar- auffassung einer anderen Entgeltgruppe zuord-
unterschiedliche Höhe bei regelmäßiger beiterinkannderGrundnichtgegeneinenVerlänge- net. Bei der Korrektur handelt es sich um einen
und unregelmäßiger Nachtarbeit – Gleich- rungsgrund ausgetauscht werden, zu dem der Per- bloßen Akt der Rechtsanwendung, dem keine
heitssatz – Sachgrund – Gebot der Be- sonalrat seineZustimmungnichterteilthat (Rn. 28). rechtsgestaltende Wirkung zukommt (Rn. 22 ff.).
stimmtheit und Normenklarheit 3. Jedenfalls dann, wenn sich der befristete Ar- 4. Die (Ausschluss-)Frist des § 29b Abs. 1 S. 2
1. Ist nach Auslegung nicht erkennbar, welchen beitsvertrag nicht allein auf gesetzlicher Grund- TVÜ-VKA ist von einem Beschäftigten auch dann
Anwendungsbereich eine Tarifnorm hat, verstößt lage nach § 2 Abs. 5 S. 1 WissZeitVG im Einver- einzuhalten, wenn der Arbeitgeber die bereits vor
sie gegen das Gebot der Bestimmtheit und Nor- ständnis mit der Mitarbeiterin verlängert, son- dem 1. Januar 2017 fehlerhaft zu niedrige Ein-
menklarheit und ist daher unwirksam. Aus einer dern die Parteien einvernehmlich ihre Rechtsbe- gruppierung erst nach deren Ablauf korrigiert.
unwirksamen Tarifnorm können keine Ansprüche ziehungen durch den Abschluss eines befristeten Die Überleitungsregelungen sehen für diesen Fall
erwachsen. Sie kann deshalb auch nicht heran- Arbeitsvertrags auf eine neue Grundlage stellen, weder den Wegfall noch den Neubeginn der Frist
gezogen werden, um eine Ungleichbehandlung hat der Personalrat hinsichtlich der Befristung vor. Eine ergänzende Auslegung der tariflichen
zu begründen (Rn. 35 ff.). mitzubestimmen (Rn. 30). Bestimmung kommt mangels Vorliegen einer un-
2. Erhalten Arbeitnehmer, die regelmäßige Nacht- BAG, Urteil vom 21.6.2023 – 7 AZR 88/22 bewussten Tariflücke nicht in Betracht (Rn. 26 ff.).
(Orientierungssätze) 5. Die Fristenregelung in § 29b Abs. 1 S. 2 TVÜ-
arbeit leisten, und Arbeitnehmer, die unregelmä-
Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2739-2
ßige Nachtarbeit versehen, dafür unterschiedlich VKA ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des
unter www.betriebs-berater.de
hohe Zuschläge, sind beide Arbeitnehmergrup- Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Das Antragserfordernis
pen miteinander vergleichbar und werden un- BAG: Eingruppierung – Überleitung in die ist sachlich vertretbar, es dient der Rechtssicher-
gleich behandelt (Rn. 50 ff.). neue Entgeltordnung – Antragserfordernis – heit. Die Gruppen der in die neue Entgeltordnung
3. Eine Ungleichbehandlung durch unterschied- Frist für Höhergruppierungsantrag – Verein- überzuleitenden und der neu eingestellten Be-
lich hohe Zuschläge für Nachtarbeit verstößt dann barkeit mit dem Gleichheitssatz schäftigten werden zwar ungleich behandelt, da
nicht gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 1. Die Überleitung von Beschäftigten in die neue nur die überzuleitenden Beschäftigten für die Gel-
GG, wenn hierfür ein aus dem Tarifvertrag erkenn- Entgeltordnung, derenArbeitsverhältnis bereitsvor tung der §§ 12, 13 TVöD/VKA i. V. m. Anlage 1 –
barer sachlicher Grund besteht. Dieser kann im dem Inkrafttreten der Anlage 1 – Entgeltordnung Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA einen An-
Ausgleich der schlechteren Planbarkeit unregel- (VKA) zum TVöD/VKA am 1. Januar 2017 bestand, trag stellen mussten. Sie sind aber aufgrund der
mäßiger Nachtarbeit liegen (Rn. 57 f., 68 ff.). erfolgte grundsätzlich ohne Überprüfung und unterschiedlichen Ausgangslage nicht miteinan-
BAG, Urteil vom 23.8.2023 – 10 AZR 108/21 Neufeststellung der Eingruppierung unter Beibe- der vergleichbar. Es bedarf keiner differenzierten
(Orientierungssätze) haltung der bisherigen Entgeltgruppe (Rn. 15). Regelung für einen Höhergruppierungsantrag
Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2739-1 2. Bei unveränderter Tätigkeit eines über den von Beschäftigten, für die der Arbeitgeber im
unter www.betriebs-berater.de 31. Dezember 2016 hinaus Beschäftigten kommt Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezem-
BAG: Verlängerung eines nach WissZeitVG eine Eingruppierung nach den §§ 12, 13 TVöD/ ber 2017 eine fehlerhaft zu niedrige Eingruppie-
befristeten Arbeitsvertrags – Anhörung des VKA i. V. m. der Anlage 1 – Entgeltordnung (VKA) rung vorgenommen hat. Diese befinden sich hin-
Personalrats zum TVöD/VKA nur in Betracht, wenn sich für ihn sichtlich der Überleitung in einer vergleichbaren
1. Nach § 63 Abs. 1 Nr. 4 PersVG Brandenburg auf Grundlage der neuen Entgeltordnung eine hö- Situation wie die zutreffend eingruppierten Be-
steht dem Personalrat bei der Vereinbarung be- here als die bisherige Entgeltgruppe ergibt und er schäftigten (Rn. 37 ff.).
fristeter Arbeitsverhältnisse ein Mitbestimmungs- bis zum 31. Dezember 2017 einen diesbezügli- BAG, Urteil vom 5.7.2023 – 4 AZR 289/22
recht zu (Rn. 28). chen Antrag gestellt hat (Rn. 17). (Orientierungssätze)
2. Die konkrete Bezeichnung des Verlängerungs- 3. Die Tätigkeit eines Beschäftigten ändert sich Volltext: BB-ONLINE BBL2023-2739-3
grunds im Rahmen der Personalratsbeteiligung nicht i. S. d. § 29a Abs. 1 S. 1 TVÜ-VKA, wenn der unter www.betriebs-berater.de

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2739


Arbeitsrecht | Aufsatz

Dr. Rüdiger Werner, RA

Ausschluss des Urkundenprozesses


im Geschäftsführerdienstvertrag?
Der Geschäftsführer kann nach § 38 Abs. 1 GmbHG jederzeit aus seiner Bestand des Dienstverhältnisses als solches. Ob der Geschäftsführer
Organposition abberufen werden. Die außerordentliche Kündigung sei- einen Anspruch auf Fortzahlung seines Entgelts hat, hängt somit da-
nes Dienstverhältnisses erfordert jedoch einen wichtigen Grund. Liegt von ab, ob sich die Gesellschaft nach § 615 S. 1 BGB i. V. m. §§ 293 ff.
ein solcher nicht vor, hat der abberufene Geschäftsführer Anspruch auf BGB im Annahmeverzug befindet. Nach § 293 BGB kommt der Gläu-
Fortzahlung seiner Vergütung. Dieser Anspruch kann im Urkundenver- biger in Annahmeverzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht
fahren nach den §§ 592ff. ZPO schnell und effektiv durchgesetzt wer- annimmt. Die Leistung muss nach § 294 BGB tatsächlich oder nach
den. Da die Gesellschaft regelmäßig nicht in der Lage sein wird, das § 295 BGB wörtlich angeboten werden. Auch bei unrechtmäßiger
Vorliegen eines die Kündigung rechtfertigenden wichtigen Grundes Kündigung eines Dienstverhältnisses bedarf es nach § 295 S. 1 BGB
durch Urkunden nachzuweisen, kann auf diese Weise schnell ein voll- grundsätzlich mindestens des wörtlichen Angebots weiterer Dienst-
streckbarer Teil erstritten werden. Es stellt sich die Frage, ob die Mög- leistungen. Der Dienstverpflichtete muss der Kündigung demnach
lichkeit der Durchsetzung des Vergütungsanspruchs des Geschäftsfüh- zumindest eindeutig widersprechen.7 Um die Gesellschaft in Annah-
rers im Urkundenprozess nicht durch eine entsprechende Regelung im meverzug zu setzen, muss der Geschäftsführer seine Arbeitskraft da-
Geschäftsführerdienstvertrag ausgeschlossen werden kann. her grundsätzlich nochmals anbieten.8
Dabei soll es für ein wörtliches Angebot nicht ausreichen, dass der
I. Problemstellung Geschäftsführer vor Ausspruch der Kündigung seine Bereitschaft zur
Weiterarbeit erklärt hat. Vielmehr müssen das Angebot nach der un-
1. Der Vergütungsanspruch des abberufenen aber wirksamen Kündigung wiederholt werden.9 Ein wörtliches Angebot
nicht gekündigten Geschäftsführers soll in der Erhebung einer Klage gegen die Kündigung zu sehen sei,
Im Hinblick auf das Verhältnis des Geschäftsführers zu der von ihm da der Geschäftsführer damit seine Arbeitsbereitschaft zum Ausdruck
geleiteten GmbH ist grundsätzlich zwischen dem organisationsrecht- bringt.10 Ein Angebot soll nur dann entbehrlich sein, wenn die Gesell-
lichen Organ- und dem schuldrechtlichen Dienstverhältnis zu diffe- schaft zu erkennen gibt, den Geschäftsführer unter keinen Umständen
renzieren. Insoweit gilt der sog. Trennungsgrundsatz, d. h. Organ- weiterbeschäftigen zu wollen.11Dies soll nach dem BGH anzunehmen
und Dienstverhältnis stehen grundsätzlich getrennt nebeneinander. sein, wenn nach Kündigung und Abberufung des Geschäftsführers
Das Organverhältnis kann nach § 38 Abs. 1 GmbHG jederzeit von der eine andere Person zum Geschäftsführer bestellt wird.12 Die bloße
Gesellschafterversammlung durch Abberufung beendet werden. Für Tatsache der Kündigung als solche soll die Entbehrlichkeit des Ange-
eine außerordentliche Beendigung des Dienstverhältnisses ist dagegen bots nicht entfallen lassen.13
nach § 626 BGB ein wichtiger Grund erforderlich. Die Beendigung
des Organverhältnisses führt damit nicht automatisch auch zur Been- 2. Die besondere Eignung des Urkundenverfahrens
digung des Dienstverhältnisses.1 Der Dienstvertrag läuft vielmehr im zur Durchsetzung des Vergütungsanspruchs
Normalfall bis zu seiner Beendigung durch außerordentliche Kündi- Nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung14 und Literatur15
gung oder den Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer weiter.2 kann ein auf Annahmeverzug gestützter Vergütungsanspruch aus
Grundsätzlich besteht zwar die Möglichkeit den Bestand des Dienst-
verhältnisses durch die Aufnahme einer sog. Koppelungsklausel in 1 Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, Anh. zu § 6, Rn. 44; Werner,
NZA 2020, 1444; Werner, NZA-RR 2020, 235.
den Geschäftsführerdienstvertrag an den Bestand des Organverhält- 2 Werner, NZA-RR 2020, 235.
3 BGH, 29.5.1989 – II ZR 220/88, BB 1989, 1577, NJW 1989, 2683; OLG Saarbrücken,
nisses zu binden.3 Die Zulässigkeit von Koppelungsklauseln ist aller- 8.5.2013 – 1 U 154/12, ZIP 2013, 1821.
dings in der jüngeren Vergangenheit insbesondere im Hinblick auf 4 v. Westphalen, NZG 2020, 321; v. Westphalen, BB 2017, 2051.
5 v. Westphalen, NZG 2020, 321; dazu Werner, NZA 2020, 1444.
das AGB-Recht infrage gestellt worden.4 So soll die Abbedingung des 6 Werner, NZA-RR 2020, 235; Werner, NZA 2015, 1234, 1235.
in § 38 Abs. 1 GmbHG verankerten Trennungsprinzips dazu führen, 7 BGH, 13.3.1986 – IX ZR 65/85, NJW-RR 1986, 794; OLG München, 24.3.2016 – 23 U 1884/
15, GmbHR 2016, 875, 881.
dass die Koppelungsklausel mit wesentlichen Grundgedanken der ge- 8 OLG München, 24.3.2016 – 23 U 1884/15, GmbHR 2016, 875, 881.
setzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren 9 BGH, 20.1.1988 – IVa ZR 128/86, NJW 1988, 1201; OLG München, 24.3.2016 – 23 U
1884/15, GmbHR 2016, 875, 881.
ist und daher eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 10 BAG, 24.11.1994 – 2 AZR 179/94, NZA 1995, 263, 265.
S. 1 BGB darstellen.5 Auch wenn man Koppelungsklauseln für wirk- 11 BGH, 9.10.2000 – II ZR 75/99, NZA 2001, 36.
12 BGH, 20.1.1988 – IVa ZR 126/86, NJW 1988, 1201; 9.10.2000 – II ZR 75/99, NZA 2001, 36.
sam hält, führt eine solche Klause jedoch nicht zur sofortigen Beendi- 13 BGH, 20.1.1988 – IVa ZR 126/86, NJW 1988, 1201.
gung des Dienstvertrags sondern eröffnet nur die Möglichkeit zur or- 14 BGH, 10.5.1988 – IX ZR 175/87, BB 1988, 1418; OLG München, 21.9.2011 – 7 U 4956/10,
AG 2012, 295, 296; OLG Celle, 11.3.2009 – 9 U 138/08, ZIP 2009, 2172; OLG Schleswig,
dentlichen Kündigung.6 10.10.2006 – 3 U 132/05, MDR 2007, 292; OLGR Rostock 2005, 804; KG, 17.9.1996 – 5 U
3157/96, NJ-RR 1997, 1059
Der Vergütungsanspruch des Geschäftsführers wird daher durch die 15 Gehle, in: Baumbach u. a., ZPO, 79. Aufl. 2021, § 592 ZPO, Rn. 10; Fischer, NJW 2003, 333,
Abberufung aus dem Organverhältnis ebenso wenig berührt wie der 334; Pröpper, BB 2003, 202, 203; Pesch, NZA 2002, 957 ff.

2740 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Aufsatz | Arbeitsrecht
Werner · Ausschluss des Urkundenprozesses im Geschäftsführerdienstvertrag?

§§ 675, 615, 611 BGB im Urkundenprozess geltend gemacht werden. 3. Ausschluss des Urkundenverfahrens im Anstellungs-
Der abberufene Geschäftsführer kann seinen Vergütungsanspruch vertrag des Geschäftsführers als Lösung
problemlos durch Vorlage seines Dienstvertrags urkundsmäßig bewei- Aus Sicht der kündigenden Gesellschaft ist die Einreichung einer Ur-
sen. Umgekehrt ist die Gesellschaft außer Stande die ihrerseits zur kundenklage durch den gekündigten Geschäftsführer aus den ange-
Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung geltend gemachten führten Gründen daher höchst ärgerlich. Will die Gesellschaft vermei-
Pflichtverletzungen des Geschäftsführers mit den Mitteln des Urkun- den, dass der gekündigte Geschäftsführer auf schnellem Wege eine
denprozesses zu beweisen, zumal solche Pflichtverletzungen oftmals vorläufigen Titel erlangt, dann muss sie in seinen Dienstvertrag eine
gar nicht vorliegen werden.16 Der entsprechende Vortrag der Gesell- Regelung aufnehmen, die die Durchsetzung von Ansprüchen aus dem
schaft betrifft eine innere Tatsache, die durch das mit Empfangsquit- Vertrag durch einen Urkundenprozess ausschließt.28 Nur auf diese
tung durch den Geschäftsführer abgezeichnete Kündigungsschreiben Weise kann die Gesellschaft verhindern, dass der Geschäftsführer ei-
nicht nachgewiesen wird.17 Die Vergütungsklage des Geschäftsführers nen vorläufig vollstreckbaren Titel gegen die Gesellschaft erlangt, ob-
wird daher im Urkundenprozess regelmäßig erfolgreich sein. wohl der Gesellschaft hiergegen entsprechende Einwendungen zur
§ 46 Abs. 2 ArbGG, wonach die Vorschriften über den Urkundenpro- Verfügung stehen. Zwar kann die Gesellschaft die Zwangsvollstre-
zess im Verfahren vor den Arbeitsgerichten nicht anwendbar sind, steht ckung nach § 711 ZPO durch Sicherheitsleistung abwenden, was aber
der Führung eines Urkundenprozesses in diesem Fall nicht entgegen, wiederum voraussetzt, dass das Organmitglied nicht seinerseits Si-
da die Norm auf den Vergütungsanspruch eines Organmitglieds nicht cherheit leistet. Hiervon wird aber regelmäßig auszugehen sein.29
anwendbar ist.18 Als Ausnahmeregelung kann diese Ausschlussregelung Die individualvertragliche Vereinbarung eines solchen Ausschlusses
auch im Wege der Analogie nicht über ihre tatbestandlichen Grenzen ist grundsätzlich zulässig. Die Parteien eines Vertrages können sich
hinaus auf Vergütungsklagen aller Art angewendet werden. Der Gesetz- bindend verpflichten, die Einforderung einer vertraglichen Leistung
geber hat das Urkundenverfahren für Verfahren vor den Arbeitsgerich- und ihre Rückforderung nicht im Wege des Urkundenprozesses zu
ten zwar ausgeschlossen, es aber im Übrigen bei der Anwendung der betreiben.30 Eine solche Vereinbarung ist wirksam, da die ZPO dem
Vorschriften der §§ 592 ZPO ff. belassen. Die analoge Anwendung einer Kläger die Wahl zwischen dem ordentlichen Verfahren und dem Ur-
Ausnahmeregelung ist grundsätzlich unzulässig.19 Der Schutzzweck kundenprozess belässt. Der Kläger muss daher auch die Möglichkeit
der Norm oder der Gesetzeszweck gebieten vielmehr eine prozessuale haben, auf die Geltendmachung seiner Ansprüche im Wege des im
Gleichbehandlung des Organmitglieds einer Kapitalgesellschaft mit ei- Urkundenprozesses zu verzichten. Eine solche Vereinbarung hat keine
nem Arbeitnehmer i. S. d. ArbGG nicht.20 unmittelbar verfahrensrechtliche Wirkung und muss daher grund-
Gegen die Anwendung des Urkundenverfahrens kann auch nicht ein- sätzlich durch Einrede im Urkundenprozess geltend gemacht wer-
gewendet werden, der Vergütungsanspruch sei lediglich auf die Aus- den.31 Erhebt der Beklagte diese Einrede, dann ist die Klage als in der
zahlung eines Nettobetrags gerichtet, der nicht beziffert und auch gewählten Prozessart als unstatthaft abzuweisen.32
nicht durch Urkunden nachgewiesen werden könne.21 Vereinbarte Herrscht über die Möglichkeit der Abbedingung des Urkundenpro-
Vergütung ist mangels anderweitiger Vereinbarung die Bruttovergü- zesses durch eine individualvertragliche Vereinbarung Übereinstim-
tung. Die Frage nach der Höhe des sich aus dem Bruttobetrag erge- mung, so ist ihre Vereinbarkeit mit § 305 ff. BGB in Frage gestellt
benden Nettobetrags ist im Vollstreckungsverfahren zu klären.22 worden.33 Gemäß § 305 Abs. 1 S. 1 BGB sind Allgemeine Geschäfts-
Nichts anderes ergibt sich aus der Rechtsprechung des BGH zur bedingungen für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertrags-
Nichtstatthaftigkeit des Urkundenprozesses bei Rückforderungsan-
sprüchen des Bürgen nach erfolgter Zahlung aufgrund einer Bürg- 16 Pesch, NZA 2002, 957.
schaft auf erstes Anfordern.23 Anders als bei einer Bürgschaft auf ers- 17 Pauly, in: FS Heidel, 2021, S. 631, S. 633; Schönhöft, GmbHR 2006, 95; Pröpper, BB 2003,
203, 204.
tes Anfordern besteht bei der Vergütungsklage des Organs keine Si- 18 OLG München, 21.9.2011 – 7 U 4956/10, AG 2012, 295, 296.
tuation die ein erneutes Hin- und Herbewegen der Bürgschaftsvaluta 19 BGH, 19.11.1957 – VIII ZR 409/56, BGHZ 26, 78, 83.
20 OLG München, 21.9.2011 – 7 U 4956/10, AG 2012, 295, 296.
zur Folge hätte, ohne dass für die eigentliche und endgültige Streit- 21 I. d. S. OLG Düsseldorf , 2.3.2005 – I-3 U 3/05, GmbHR 2005, 991.
entscheidung irgendetwas gewonnen würde.24 22 OLG München, 21.9.2011 – 7 U 4956/10, AG 2012, 295, 296.
23 BGH, 12.7.2001 – IX ZR 380/98, NJW 2001, 3549.
Die Gesellschaft kann den Urkundenprozess auch nicht einfach da- 24 OLG München, 21.9.2011 – 7 U 4956/10, AG 2012, 295, 296; LG München I, 7.9.2006 – 6
durch vermeiden, dass sie einfach nach § 148 ZPO die Aussetzung des HK O 22880/55, GmbHR 2007, 45; ebenso zum Arbeitsrecht BAG, 7.3.2001 – GS 1/00,
NJW 2001, 3570; Schönhöft, GmbHR 2008, 95, 96; Lelley, GmbHR 2005, 992.
Urkundenprozesses bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die 25 BGH, 8.1.2004 – III ZR 401/02, NJW-RR 2004, 1000, BB 2004, 576 Ls.; OLG München,
Feststellungsklage zur Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung 22.8.2002 – 14 W 150/02, JurBüro, 154.
26 Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1463; Pauly, in: FS Heidel, 2021, S. 631, S. 649; Dzida, ArbRB
beantragt. Zwar soll eine Aussetzung nach dem BGH im Einzelfall in 2018; 379, 380; Reiserer/Peters, DB 2008, 167, 172; Schönhöft, GmbHR 2005, 1113, 1114;
allg. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 148, Rn. 2; Fritsche, in: MükoZPO,
Betracht kommen, um der Gefahr widersprechender Entscheidungen 6. Aufl. 2020, § 148, Rn. 2.
zu begegnen.25 Bei wörtlicher Anwendung dieser Argumentation, 27 BGH, 9.3.2021 – II ZB 16/20, NJW-RR 2021, 638; Pauly, in: FS Heidel, 2021, S. 631, S. 649.
28 Bartholomä, in: Holthausen/Kurschat, Vertragsgestaltung für Geschäftsführer, Vorstände
könnte tatsächlich jeder Urkundenprozess bei parallel anhängigen Be- und Aufsichtsräte, 2017, C.64, Rn. 2a.
standsschutzverfahren ausgesetzt werden, was dem Zweck des Urkun- 29 Bartholomä, in: Holthausen/Kurschat, Vertragsgestaltung für Geschäftsführer, Vorstände
und Aufsichtsräte, 2017, C.64, Rn. 16.
denprozesses widersprechen würde. Eine Aussetzung kann daher nur 30 Bartholomä, in: Holthausen/Kurschat, Vertragsgestaltung für Geschäftsführer, Vorstände
in absoluten Ausnahmefällen in Betracht kommen, wenn etwa die und Aufsichtsräte, 2017, C.64, Rn. 14; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1994, vor
§ 128, Rn. 305.
Kündigung offenkundig wirksam ist.26 Im Übrigen hat der BGH seine 31 Bartholomä, in: Holthausen/Kurschat, Vertragsgestaltung für Geschäftsführer, Vorstände
Rechtsprechung zwischenzeitlich insoweit eingeschränkt, als allein die und Aufsichtsräte, 2017, C.64, Rn. 14.
32 BGH, 12.7.2001 – IX ZR 380/98, BB 2001, 2133; Greger, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2023, vor
sachlichrechtliche Unrichtigkeit der Entscheidung im Vorverfahren § 592, Rn. 4.
33 Hamdan, ZIP 2023, 1461; dagegen Bartholomä, in: Holthausen/Kurschat, Vertragsgestal-
die Aussetzung nicht rechtfertigen soll, da dies dem Urkundenprozess tung für Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte, 2017, C.64, Rn. 14; Bross, Vertrags-
immanent sei.27 handbuch für GmbH-Geschäftsführer, 2013, Rn. 884; Brugger, NJW-Spezial 2011, 498 f.

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2741
Arbeitsrecht | Aufsatz
Werner · Ausschluss des Urkundenprozesses im Geschäftsführerdienstvertrag?

bedingungen, die eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei bei Weiterhin fordere § 307 Abs. 1 BGB insoweit eine Benachteiligung von
Abschluss eines Vertrages stellt. Die Darlegungs- und Beweislast dafür erheblichem Gewicht.40 Die Regelung diene dem Kundenschutz.41 Es
liegt insoweit bei dem betroffenen Organmitglied. Bei Verträgen zwi- komme daher nicht darauf an, ob die beanstandete Regelung die Ver-
schen eine Unternehmer und einem Verbraucher ist nach § 310 wendergegenseite erheblich belaste,42 sondern vielmehr allein darauf,
Abs. 3 Nr. 2 BGB im Hinblick auf die § 305c Abs. 2 sowie die §§ 306 wie unangemessen der Interessenausgleich sei.43 Das notwendige Ge-
und 307 bis 309 BGB davon auszugehen, dass diese Regelungen auch wicht des Nachteils sei keine statistisch messbare Größe, sondern ab-
dann anwendbar sind, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung hängig von dem Verwenderinteresse an der Klausel. Sei ein solches
bestimmt sind. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung soll da- Verwenderinteresse nicht erkennbar genügten auch geringe Beeinträch-
her sowohl der Geschäftsführer einer GmbH34 als auch ein Mitglied tigungen.44
des Vorstands einer AG35 beim Abschluss seines Dienstvertrags als Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass § 307 Abs. 1 BGB auf Art. 3
Verbraucher einzustufen sein. Klausel-RL. (RL 93/13/EWG)45 und dem dort enthaltenen Gebot von
Treu und Glauben beruhe. Nach Art. 3 Abs. 1 sei eine nicht im Einzel-
II. Vereinbarkeit des Ausschlusses des nen ausgehandelte Vertragsklausel als missbräuchlich anzusehen,
Urkundenverfahrens mit den §§ 305ff. BGB wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil
des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhält-
1. Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 BGB nis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verur-
Insoweit wird zunächst argumentiert, dass eine entsprechende Rege- sache. Art. 3 Abs. 3 der Klausel-RL verweise wiederum auf den Richt-
lung den Geschäftsführer gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB entgegen dem linienanhang, welcher eine als Hinweis dienende und nicht erschöp-
Gebot von Treu und Glauben unangemessen benachteilige, da sie al- fende Liste der Klauseln enthalte, die für missbräuchlich erklärt wer-
lein die Interessen der Gesellschaft berücksichtige. Für den Geschäfts- den könnten. Dieser Anhang zu Art. 3 Abs. 3 der Klausel-RL erfasse
führer sei die Klausel dagegen ausschließlich nachteilig. Auch wenn unter Nr. 1 lit. q Klauseln, die darauf abzielten oder zur Folge hätten,
die Regelung formal für beide Seiten gelte, sei kaum ein Anlass vor- dass dem Verbraucher die Möglichkeit genommen werde, Rechtsbe-
stellbar, in dem die Gesellschaft eine Urkundenklage gegen den Ge- helfe bei Gericht einzulegen oder sonstige Beschwerdemittel zu ergrei-
schäftsführer anstrengen würde, wohingegen der umgekehrte Fall der fen.46
Verfolgung der Dienstentgeltansprüche im Wege des Urkundenver- Der Geschäftsführer wird durch eine entsprechende Klausel nicht un-
fahrens nach fristloser Kündigung und Zahlungseinstellung durch die angemessen benachteiligt, weil die Regelung allein die Interessen der
Gesellschaft den Normalfall darstellen würde. Eine solche anstellungs- Gesellschaft nicht aber die des Geschäftsführers berücksichtigen wür-
vertragliche Klausel wirke daher faktisch einseitig belastend. Weiter- de. Dies ist bereit deshalb falsch, weil die Regelung die Möglichkeit
hin könne der Geschäftsführer dadurch im Fall eines längeren Prozes- der Urkundenklage nicht nur für den Geschäftsführer sondern auch
ses in akute Liquiditätsschwierigkeiten geraten, was eine Rechtsverfol- für die Gesellschaft ausschließt. Das BAG hat allerdings eine einseitige
gung faktisch unterbinden könne. Umgekehrt sei bei Wirksamkeit der Beschränkung der Klagemöglichkeit durch eine nur für den Arbeit-
fristlosen Kündigung ein Liquiditätsproblem nicht zu erwarten.36 nehmer geltende Ausschlussfrist für unzulässig gehalten.47 Diese
Das Risiko, dass man im Nachverfahren zu einem anderen Ergebnis Rechtsprechung soll nach der Literatur auf einseitige prozessuale Ver-
gelange als im Vorverfahren sei systemimmanent. Für den Fall, dass pflichtungsverträge anwendbar sein, die lediglich dem Geschäftsfüh-
sich im Nachverfahren das Nichtbestehen eines Anspruchs ergebe, sä- rer die Möglichkeit der Urkundenklage nehmen.48 Zwar wird es pri-
hen die §§ 600 Abs. 2, 302 Abs. 4 ZPO einen Schadenersatzanspruch mär der Geschäftsführer sein, der ein Interesse daran hat, seinen Ver-
vor. Das Insolvenzrisiko des Geschäftsführers werde über § 711 S. 1, gütungsanspruch im Urkundenverfahren durchsetzen zu können. Es
708 Nr. 4 ZPO abgesichert. Solange der Schuldner (Unternehmer) die erscheint gleichwohl vorstellbar, dass auch die Gesellschaft etwa Scha-
Sicherheit nicht leiste, dürfe der Gläubiger (Geschäftsführer) ohne Si- denersatzansprüche im Urkundenverfahren durchsetzen könnte, was
cherheit vollstrecken. Die Zwangsvollstreckung werde aber zunächst wiederum durch die Klausel beschnitten wird.
unzulässig und sei gemäß §§ 775 Nr. 3, 711 S. 1 ZPO einzustellen, Weiterhin ist ein grundsätzliches Interesse des Klauselverwenders an-
wenn der Schuldner die Sicherheit leiste. Sobald der Geschäftsführer zuerkennen, Arbeitsabläufe durch den Einsatz von allgemeinen Ge-
seinerseits gemäß § 711 S. 1 2. Hs. ZPO Sicherheit leiste, werde die
Vollstreckung wieder zulässig, da der Unternehmer geschützt sei. Der 34 BGH, 10.7.1996 – VIII ZR 213/95, BB 1996, 2006, NJW 1996, 2865; BGH, 5.6.1996 – VIII ZR
151/95, BB 1996, 1522, NJW 1996, 2156; BAG, 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, BB 2010, 2439,
Gesetzgeber habe damit eine ausgewogene Regelung getroffen, die NZA 2010, 939.
dieses Insolvenzrisiko berücksichtige. Dieses System führe dazu, dass 35 BGH, 24.9.2019 – II ZR 192/18, BB 2020, 144, NZA 2020, 244.
36 Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1469.
der Unternehmer den Geschäftsführer zur Sicherheitsleistung zwin- 37 Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1469.
gen, nicht aber die Vollstreckung verhindern könne. Die gesetzliche 38 BGH, 10.1.1996 – XII ZR 271/94, BB 1996, 816, ZIP 1996, 462.
39 Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1469.
Regelung trage sowohl dem Liquiditätsinteresse des Geschäftsführers 40 BGH, 6.11.2013 – KZR 58/11, BGHZ 199, 1 ff.; Wurmnest, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2022,
als auch dem Sicherheitsinteresse der Gesellschaft Rechnung.37 § 307, Rn. 35.
41 Wurmnest, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2022, § 307, Rn. 35.
Die Rechtsprechung erkenne zwar im Rahmen der nach § 307 Abs. 1 42 BGH, 25.10.2016 – XI ZR 9/15, BGHZ 212, 329.
BGB erforderlichen Abwägung grundsätzlich auch ein Rationa- 43 Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1470.
44 Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1470; Wendland, in: Staudinger, BGB, Bearb. 2022, § 307,
lisierungsinteresse des Verwenders als legitim an.38 Für Geschäfts- Rn. 91 f.
führerdienstverträge könne dieser Gedanke jedoch nicht fruchtbar 45 RL 93/13/EWG des Rates v. 5.4.1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträ-
gen, Abl. L 95, 29.
gemacht werden, da es sich bei diesen nicht um Massenverträge han- 46 Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1470.
47 BAG, 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, BB 2006, 443, NZA 2006, 324.
dele, so dass weder ein Rationalisierungsbedarf bestehe noch Kos- 48 Bartholomä, in: Holthausen/Kurschat, Vertragsgestaltung für Geschäftsführer, Vorstände
teneinsparungen und Nutzen für beide Parteien zu erwarten seien.39 und Aufsichtsräte, 2017, C.64, Rn. 20.

2742 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Aufsatz | Arbeitsrecht
Werner · Ausschluss des Urkundenprozesses im Geschäftsführerdienstvertrag?

schäftsbedingungen zu vereinfachen und zu rationalisieren.49 Generell gerade nicht gesetzlich verankert.55 Schließlich ist der Richtlinienan-
können wirtschaftliche Interessen des Verwenders berücksichtigt wer- hang gerade nicht verbindlich sondern enthält lediglich eine unver-
den, wie etwa sein Interesse an der Erhaltung der eigenen Dispositi- bindliche Aufzählung von Klauseln, denen lediglich tendenziell ein
onsfreiheit.50 Diese müssen nur gegenüber höherrangigen Interessen Unwertgehalt innewohnt.56
des Vertragsgegners zurücktreten.51 Worin dieses erforderliche höher- Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der deutsche Gesetzgeber die
rangige Interesse im konkreten Fall bestehen soll, ist nicht ersichtlich. Klausel-RL über den eigentlichen europarechtlichen Verbraucherbe-
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass es im konkreten griff der Klausel-RL hinaus auch auf Sachverhalte erstreckt hat, für
Fall nicht um Massenverträge ging. Faktisch handelt es sich bei Ge- die die Richtlinie selbst keine Anwendung beansprucht. Anders als
schäftsführerdienstverträgen um individuell ausgehandelte Verträge. nach § 310 Abs. 3 BGB, wonach das AGB-Recht auf Verträge zwischen
Die Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB auf diese Verträge ergibt sich einem Unternehmer und einem Verbraucher anwendbar ist, lässt
kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung aus § 310 Abs. 3 Nr. 2 Art. 2 lit. b der Klausel-RL jeden Bezug zu einer beruflichen Tätigkeit
BGB und dem Umstand, dass die Rechtsprechung an den Nachweis ausreichen, um die Verbrauchereigenschaft aufzuheben. Der Vorrang
der individuellen Aushandlung einer Klausel faktisch nur schwer er- des Unionsrechts und der daraus fließende Grundsatz der richtlinien-
füllbare Anforderungen stellt. konformen Auslegung besteht grundsätzlich nur im Geltungsbereich
Handelt es sich bei Geschäftsführerdienstverträgen um AGB, dann der Richtlinie.57 Eine europarechtliche Pflicht zur richtlinienkomfor-
wird man auch ein schutzwürdiges Interesse des Verwenders anerken- men Auslegung der überschießenden Teile ist weder aus der Richtlinie
nen müssen Arbeitsabläufe durch die Verwendung vorformulierter noch aus Art. 4 Abs. 3 EUV zu begründen.
Vertragsmuster zu rationalisieren. Die AGB-Inhaltskontrolle wird
rechtsökonomisch damit gerechtfertigt, dass die Parteien bei unter 2. Unwirksamkeit nach § 305c Abs. 1 BGB
Einbeziehung von AGB geschlossenen Verträgen keine Vertragsver- Fraglich ist weiterhin ob die in Rede stehende Klausel nicht überra-
handlungen führen. Der Kunde nehme die vom Verwender gestellten schend i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB ist. Dazu müsste sie zunächst objek-
AGB in der Regel widerspruchslos hin, da ihm durch die Prüfung des tiv ungewöhnlich sein.58 Soweit die Klausel keine Hauptleistungsver-
genauen Inhalts der ihm gestellten AGB durch die Führung von Ver- pflichtung tangiert – sondern wie im konkreten Fall Nebenabreden in
tragsverhandlungen mit dem Ziel ihrer Abänderung und durch den Gestalt eines Prozessvertrags für den künftigen Streitfall – kann eine
Vergleich der AGB mit den Bedingungswerken anderer Verwender Ungewöhnlichkeit nur unter erschwerten Bedingungen angenommen
Transaktionskosten entstehen, die in der Regel erheblich höher lägen werden, da AGB üblicherweise gerade zur Konkretisierung der Rah-
als der Vorteil, der dem Kunden winke, wenn er denn Vertragsver- menordnung des Vertrags eingesetzt werden.59 Ungewöhnlichkeit
handlungen führen würde.52 Tatsächlich handelt es sich bei Geschäfts- kann zwar auch vorliegen, wenn die Nebenabrede nach Aufmachung
führerdienstverträgen nicht um AGBs im vorgenannten Sinn, sondern Gliederung und Systematik der AGB nicht an der fraglichen Stelle zu
sehr wohl um individuell ausgehandelte Verträge, die lediglich kraft erwarten ist.60 Zwar hat das BAG in Schlussbestimmungen eines Ar-
Anordnung des Gesetzgebers in § 310 Abs. 3 BGB der Anwendbarkeit beitsvertrags enthaltene vertragliche Ausschlussfristklausel als überra-
des AGB-Rechts unterfallen. schend eingestuft. Tatsächlich dürfte der Ausschluss der Urkunden-
Insoweit kann auch nicht argumentiert werden, dass der Geschäfts- klage als prozessuale Regelung thematisch bei den Schlussbestimmun-
führer durch eine Abbedingung der Möglichkeit der Urkundenklage gen in Zusammenhang mit Gerichtsstandsvereinbarung und Schieds-
automatisch in massive Liquiditätsprobleme geraten würde, was eine klausel richtig verortet und nicht überraschend sein.
Rechtsverfolgung faktisch unterbinden könne. Die Möglichkeit der Neben der Ungewöhnlichkeit ist für die Einstufung einer Klausel als
Gerierung von Liquidität durch ein Vorgehen im Wege des Urkun- überraschend ein Überraschungsmoment erforderlich. Es muss das
denverfahrens wird deutlich überschätzt. Tatsächlich steht der Gesell- Überraschungsmoment hinzukommen, welches sich aus der Abwei-
schaft auch bei einem Urteil im Urkundenprozess die Möglichkeit of- chung zwischen der Kundenerwartung und dem ungewöhnlichen
fen, eine Vollstreckung des Urteils durch Sicherheitsleistung gemäß Charakter der Klausel ergibt.61 Maßgeblich ist hier eine objektivierte
§ 711 ZPO zu verhindern. Zwar kann das Organmitglied ein solches Sichtweise, die generalisierend darauf abstellt, was der Kundenkreis
Vorgehen verhindern, in dem es selbst Sicherheit leistet. Aber auch der bei Verträgen der geregelten Art anzutreffen typischerweise an Er-
für eine solche Sicherheitsleistung ist wiederum Liquidität erforder-
lich. Die Sicherheitsleistung muss weiterhin in Höhe der Brutto- und
49 BGH, 24.10.2002 – I ZR 3/00, NJW 2003, 2014, 2016, K&R 2003, 294 Ls.; BGH, 10.1.1996 –
nicht der Nettovergütung erfolgen.53 XII ZR 271/94, NJW 1996, 988, BB 1996, 816; Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl.
Nicht stichhaltig ist schließlich auch der Hinweis auf die in Art. 3 2023, § 306 Rn. 12; Wendland, in: Staudinger, BGB, Bearb. 2022, BGB § 307, Rn. 156.
50 Wendland, in: Staudinger, Bearb. 2022, BGB, § 307, Rn. 156.
Abs. 3 der Klausel-RL enthaltene Verweisung auf Nr. 1 lit. q des 51 BGH, 16.11.1992 – II ZR 184/91, NJW 1993, 2442, 2444; Grüneberg, in: Grüneberg, BGB,
Richtlinienanhangs, wonach Klauseln grundsätzlich missbräuchlich 82. Aufl. 2023, § 306, Rn. 12.
52 Wurmnest, in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 307, Rn. 45.
sind, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass dem Verbraucher 53 Pauly, in: FS Heidel, 2021, S. 631, S. 633; Diller, in: Bauer u. a., Anwaltsformularbuch Ar-
die Möglichkeit genommen wird Rechtsbehelfe bei Gericht einzulegen beitsrecht, 7. Aufl. 2021, M 12.6, Fn. 3.
54 A. A. Pfeiffer, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 7. Aufl. 2020, Anhang RL, Rn. 143.
oder sonstige Beschwerdemittel zu ergreifen. Die entsprechende Rege- 55 Haas, MDR 2017, 853.
lung ist im konkreten Fall schon deshalb nicht anwendbar, da der Be- 56 Stoffels, AGB-Recht, 4. Aufl. 2021, Rn. 581.
57 EuGH, 16.7.1998 – C-264/96, EuZW 1999, 20, 23; Sprau, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl.
troffenen durch die in Rede stehende Klausel keineswegs grundsätz- 2023, Einleitung, Rn. 44; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre,
lich die Möglichkeit der Erlangung von Rechtsschutz genommen 4. Aufl. 2021, S. 277; Büdenbender, ZEuP 2004, 36, 47.
58 Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 305c, Rn. 3.
wird, sondern lediglich die Möglichkeit der Urkundenklage ausge- 59 Schäfer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 13. Aufl. 2022, § 305c, Rn. 16.
60 Schäfer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 13. Aufl. 2022, § 305c, Rn. 16.
schlossen wird.54 Weiterhin wurde ein an Nr. 1 lit. q anknüpfendes 61 BGH, 20.2.1987 – V ZR 249/85, BGHZ 100, 82, BB 1987, 2121; Grüneberg, in: Grüneberg,
spezielle Klauselverbot in Deutschland jenseits des § 309 Nr. 14 BGB BGB, 82. Aufl. 2023, § 305c, Rn. 4.

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2743


Arbeitsrecht | Entscheidungen
LAG Hamburg · 6.4.2023 – 8 Sa 51/22

kenntnis- und Verständnismöglichkeiten mitbringt.62 Tatsächlich Grundgedankens der Ausnahmevorschrift eine Analogie nicht ausge-
handelt es sich bei Geschäftsführern typischerweise um besonders ge- schlossen ist, ist eine solche über diesen Inhalt und Sinn hinaus aus-
schäftserfahrene Personen, die Vertragsentwürfe daher besonders auf- geschlossen.71
merksam lesen.63 Generell kann einer entsprechenden Regelung der
Überraschungscharakter auf einfache Weise dadurch genommen wer- III. Fazit
den, dass die entsprechende Regelung im Schriftbild besonders her-
vorgehoben werden.64 Der Vergütungsanspruch des abberufenen aber nicht gekündigten
GmbH-Geschäftsführers kann im Urkundenprozess sehr effektiv
3. Unwirksamkeit nach §§ 309, 308 BGB, insbes. durchgesetzt werden, da die GmbH das Vorliegen eines wichtigen
§ 309 Nr. 14 BGB Grundes für die Kündigung regelmäßig nicht durch Urkunden belegen
Schließlich stellt sich die Frage, ob eine entsprechende Klausel nicht kann. Die GmbH kann dem vorbeugen, in dem im Anstellungsvertrag
gegen § 309 Nr. 14 BGB verstößt, wonach in allgemeinen Geschäfts- des Geschäftsführers die Erhebung von Ansprüchen im Wege der Ur-
bedingungen eine Bestimmung unwirksam ist gemäß der der andere kundenklage ausgeschlossen wird. Die individualvertragliche Vereinba-
Vertragsteil seine Ansprüche gegen den Verwender nur geltend ma- rung einer solchen Regelung ist zulässig. Wegen § 310 Abs. 3 BGB sind
chen darf, nach dem er eine gütliche Einigung in einem Verfahren zu hier jedoch regelmäßig die §§ 305 ff. BGB anwendbar. Eine entspre-
außergerichtlichen Streitbeilegung versucht hat. Tatsächlich zielt chende Regelung ist mit § 305c Abs. 1 BGB vereinbar, wenn sie sowohl
§ 309 Nr. 14 BGB lediglich darauf ab, den vorläufigen Ausschluss des für den Geschäftsführer als auch für die Gesellschaft gilt. Weiterhin ist
Zugangs zu einem gerichtlichen Verfahren abzuwenden, welcher letzt- eine solche Regelung weder überraschend i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB
lich die Erreichung staatlichen Rechtsschutzes verzögern oder verhin- noch führen spezifische Klauselverbote nach §§ 309, 308 BGB insbe-
dern soll.65 Die Regelung will aber keine spezifische prozessuale Mög- sondere auch nicht § 309 Nr. 14 BGB zu ihrer Unwirksamkeit.
lichkeit der Geltendmachung sicherstellen. Mit dem Ausschluss der
Urkundenklage geht aber weder eine Verhinderung noch eine Verzö-
gerung des Zugangs zu staatlichen Gerichten einher, da es dem Ge- Dr. Rüdiger Werner, Studium der Rechtswissenschaft in Tü-
schäftsführer unbenommen ist ohne jegliche zeitliche Verzögerung bingen. Promotion über ein Thema aus dem Bereich des In-
ternationalen Gesellschaftsrechts. Seit 2004 Rechtsanwalt in
eine normale Zahlungsklage einzureichen.66
Gerlingen.
Durch den Ausschluss des Urkundenprozesses wird zwar dahinge-
hend eine Verzögerung bewirkt, dass die denkbare Beschleunigung
durch Beweismittelbeschränkung im Vorverfahren verhindert wird
und damit der vollstreckbare Vorbehaltstitel nicht so schnell erwirkt
werden kann.67 Bei Urkundenprozess und Nachverfahren handelt es
62 BGH, 8.5.1987 – V ZR 89/86, BGHZ 101, 29, 33; BGH, 30.6.1995 – V ZR 184/94, NJW
sich aber nicht um zwei unterschiedliche Prozesse, sondern um zwei 1995, 2637, 2638, BB 1995, 2186; Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 305c,
Abschnitte desselben Prozesses.68 Verglichen mit diesem Gesamtpro- Rn. 4.
63 Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1466.
zess führt der Ausschluss des Urkundenprozesses nicht zu einer Ver- 64 BGH, 24.9.1980 – VIII ZR 273/79, NJW 1981, 117, 118, BB 1981, 1484; BGH, 20.2.1967 – II
hinderung oder Verzögerung des staatlichen Rechtsschutzes.69 Der ZR 134/65, BGHZ 47, 207, 210; Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 305c,
Rn. 4.
spezielle Zweck des § 309 Nr. 14 BGB besteht darin sicherzustellen, 65 BT-Drs. 18/6904, 74.
dass außergerichtliche Streitbeilegungsmechanismen den Rechts- 66 Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1468.
67 Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1468.
schutz nicht verhindern. Die Norm soll nicht gewährleisten, dass ein 68 BGH, 17.1.1973 – VIII ZR 48/71, NJW 1973, 467; Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1468.
69 Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1468.
vorläufiger Titel schneller erwirkt werden kann.70 Auch eine analoge 70 Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1468.
Anwendung ist ausgeschlossen. Selbst wenn in den Grenzen des 71 Hamdan, ZIP 2023, 1461, 1468; Würdinger, NJW 2023, 189.

LAG Hamburg: Böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs


– Kenntnis von Erwerbsmöglichkeiten – zumutbarer Hinweis
durch Arbeitgeber – Sozialgeheimnis
LAG Hamburg , Urteil vom 6.4.2023 – 8 Sa 51/22, rkr. 2. Der Verweis auf einen für den Arbeitnehmer günstigen Arbeits-
ECLI:DE:LAGHH:2023:0406.8SA51.22.00 markt genügt nicht, da es sich nicht um eine feststellungsfähige Tat-
Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2023-2744-1 sache handelt. (Rn. 31)
unter www.betriebs-berater.de 3. Der Behauptung des Arbeitgebers, bei bestimmten Arbeitgebern sei-
en für den Arbeitnehmer geeignete Stellen zu besetzen gewesen, ge-
AMTLICHE LEITSÄTZE nügt nur, wenn festgestellt werden kann, dass dem Arbeitnehmer diese
1. Ein böswilliges Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes kommt offenen Stellen im fraglichen Zeitraum bekannt gewesen sind. (Rn. 31)
nur in Betracht, wenn es mindestens eine konkrete Erwerbsmöglich- 4. Der Vortrag mindestens einer konkreten Beschäftigungsmöglichkeit
keit gab, die dem Arbeitnehmer in dem Zeitraum bekannt war, für ist dem Arbeitgeber auch zumutbar. (Rn. 33) Er kann dem Arbeitneh-
den er Verzugslohn verlangt. (Rn. 31) mer eine zumutbare Prozessbeschäftigung im eigenen Unternehmen

2744 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Entscheidungen | Arbeitsrecht
LAG Hamburg · 6.4.2023 – 8 Sa 51/22

anbieten oder vortragen, er habe den Arbeitnehmer auf konkrete Stel- Der Kläger beantragt,
lenangebote in anderen Unternehmen hingewiesen. (Rn. 34) 1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den anteiligen Monat Juli
5. Auf einen entsprechenden Sachvortrag des Arbeitgebers hat sich 2021 über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere e
der Arbeitnehmer gemäß § 138 II ZPO zu erklären, welche Aktivitäten 125,61 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Ba-
er zur Erlangung der Beschäftigungsmöglichkeit unternommen hat siszinssatz ab dem 15.10.2021 zu zahlen;
oder weshalb ihm solche Bemühungen oder die Annahme eines Ange- 2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Monat September
bots nicht zumutbar gewesen ist. (Rn. 35) 2021 e 1.632,03 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
6. Das durch § 35 SGB I geschützte Sozialgeheimnis, aufgrund dessen über dem Basiszinssatz ab dem 15.10.2021 abzüglich e 786,00 netto
der Arbeitgeber von der Bundesagentur für Arbeit bzw. dem Jobcen- zu zahlen;
ter keine Auskunft erlangen kann, welche Vermittlungsvorschläge ei- 3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Monat Oktober 2021
nem Arbeitnehmer übermittelt worden sind (vgl. BAG v. 27.05.2020 – e 1.632,03 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
5 AZR 387/19 – Tz 41 [BB 2020, 1779 Ls.]), kann vom Arbeitgeber Basiszinssatz ab dem 15.11.2021 abzüglich e 786,00 netto zu zahlen;
nicht dadurch umgangen werden, dass er für seine Behauptung, der 4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Monat November
Arbeitnehmer habe weitere Vermittlungsvorschläge erhalten, Sachbe- 2021 e 1.782,03 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
arbeiter der Behörde als Zeugen benennt. (Rn. 39) dem Basiszinssatz ab dem 15.12.2021 abzüglich e 786,00 netto zu zahlen;
BGB § 615 S. 2; KSchG § 11 Nr. 2; SGB I§ 35; ZPO§ 138 Abs 2 5. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Monat Dezember
2021 e 1.632,03 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
SACHVERHALT dem Basiszinssatz ab dem 15.01.2022 abzüglich e 786,00 netto zu zahlen;
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche des Klägers und Aus- 6. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Monat Januar 2022
kunftsansprüche der Beklagten. über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere e 1.421,45
Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz wird gemäß § 69 II brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins-
ArbGG die die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil (Bl. 79 – 85 d.A.) satz ab dem 15.02.2022 abzüglich e 366,80 netto zu zahlen.
Bezug genommen. Die Beklagte beantragt,
Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Widerkla- die Berufung des Klägers hinsichtlich der Anträge 2 bis 6 zurückzuweisen
ge abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe (Bl. 85 – 95 d.A.) wird und im Wege der Anschlussberufung,
ebenfalls Bezug genommen. das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 06.10.022 (9 Ca 119/22) teil-
Gegen das dem Kläger am 18.10.2022 zugestellte Urteil hat dieser am weise abzuändern und die Klage in Höhe von weiteren e 2.466,43 brutto
17.11.2022 Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum (Entgelt anteilig für Juli 2021 über e 834,40 und für August 2021 über e
18.01.2023 verlängerten Frist an diesem Tag begründet. 1.632,03) zurückzuweisen.
Der Kläger meint, das Arbeitsgericht habe den Verzugslohn für den Zeit- Der Kläger beantragt,
raum vom 16. bis 31.07.2021 unzutreffend berechnet. Der Kläger habe die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.
Anspruch auf e 960,01 abzüglich des Arbeitslosengeldes in Höhe von e Die Berufung des Klägers sei unzulässig, weil es an einer hinreichenden
419,20. Das Arbeitsgericht habe dem Kläger jedoch lediglich e 834,40 zu- Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Ur-
gestanden abzüglich des Arbeitslosengeldes. Daraus ergebe sich die Dif- teils fehle.
ferenz von e 125,61 die mit dem Antrag zu 1 geltend gemacht werde. Jedenfalls sei die Berufung aus den von der Beklagten bereits in erster
Das Arbeitsgericht habe Verzugslohnansprüche für September 2021 bis Instanz vorgetragenen Gründen zurückzuweisen. Die Beklagte verteidigt
Januar 2022 verneint, weil es dem Kläger ein böswilliges Unterlassen an- die erstinstanzliche Entscheidung, soweit sie die Klage abgewiesen hat.
derweitigen Verdienstes unterstellt hat. Dies sei unzutreffend. Das Ar- Entgegen der Ansicht des Klägers hätte er nicht untätig bleiben dür-
beitsgericht habe keine Tatsachen festgestellt, aus denen sich ergibt, dass fen, bis sich ihm eine realistische Arbeitsmöglichkeit anbot. Nach An-
der Kläger, der keine Ausbildung im Pflegebereich habe, ab dem sicht des BAG könne der Arbeitnehmer auch verpflichtet sein, eigene
01.09.2021 ein Arbeitsverhältnis hätte eingehen können, welches zu ei- Angebote abzugeben, um den Annahmeverzug zu beenden. Eine Tä-
nem Verdienst geführt hätte, den er bei der Beklagten erzielt hat. Der Klä- tigkeit im gleichen Berufsfeld am selbst Ort bei im Wesentlichen iden-
ger habe sich verschiedentlich beworben, könne die Korrespondenz auf- tischen oder sogar besseren Arbeitsbedingungen könne nicht unzu-
grund eines technischen Defekts seiner EDV jedoch nicht vorlegen. Gegen mutbar sein.
die vom Arbeitsgericht unterstellte Böswilligkeit spreche bereits, dass der Ein Verzugslohnanspruch sei auch für die Zeit bis zum 31.08.2021 zu ver-
Kläger sich bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet neinen. Der Kläger sei seit dem 09.06.2021 freigestellt gewesen und hätte
hat. Von dort habe er im fraglichen Zeitraum nur ein Vermittlungsange- unverzüglich Bemühungen aufnehmen können, im Arbeitsmarkt Ham-
bot erhalten. Auf telefonische Rücksprache, habe ihm die Sachbearbeite- burg eine neue Stelle zu finden. Eine sehr große Auswahl an Einrichtun-
rin erklärt, er werde weiterhin Arbeitslosengeld bekommen, auch wenn er gen habe Arbeitskräfte zum sofortigen Einstieg gesucht. Dass der Kläger
sich dort nicht bewerbe. Auf eine Bewerbung habe er aus diesem Grund diese, teilweise als Pflegenotstand bezeichnete Situation nicht wahrge-
verzichtet. Entgegen der Darstellung im angefochtenen Urteil sei es auch nommen haben will, sei ganz und gar unglaubwürdig.
nicht unstreitig, dass im zweiten Halbjahr 2021 zahlreiche für den Kläger Die Beklagte hat für insgesamt 16 Pflegeeinrichtungen Führungskräfte als
geeignete Stellen zu besetzen gewesen sein. Der Kläger habe diese Be- Zeugen für ihre Behauptung benannt, im zweiten Halbjahr 2021 wären
hauptung der Beklagten bestritten. (auch) ungelernte Pflegekräfte zur sofortigen Einstellung gesucht worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung (Bl. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung der
126 – 129 d.A.) und den ergänzenden Schriftsatz vom 23.03.2023 (Bl. 151 – Beklagten (Bl. 133 – 137 d.A.) und den ergänzenden Schriftsatz vom
153 d.A.) Bezug genommen. 30.03.2023 (Bl. 155f d.A.) Bezug genommen.

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2745


Arbeitsrecht | Entscheidungen
Schmidt-Lauber/Tisch | BB-Kommentar zu LAG Hamburg · 6.4.2023 – 8 Sa 51/22

AUS DEN GRÜNDEN Grundsätzlich keine Verpflichtung des Arbeitnehmers


Die Berufung ist zulässig und überwiegend begründet von sich aus aktiv zu werden
Die Berufung ist zulässig und überwiegend begründet. Die Anschlussbe- d) Ohne insoweit substantiierten Sachvortrag des Arbeitgebers ist der Ar-
rufung bleibt ohne Erfolg. beitnehmer nicht verpflichtet, von sich aus aktiv zu werden. Zur Abgabe ei-
… gener Angebote ist der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BAG
nur verpflichtet, wenn sich ihm eine realistische Arbeitsmöglichkeit bietet
Der Antrag zu 1 ist nicht in vollem Umfang begründet (BAG v. 22.03.2017 – 5 AZR 337/17 – Tz 27; ebenso BAG v. 11.01.2006 – 5
2. Der Antrag zu 1, welcher den Verzugslohn für Juli 2021 betrifft, ist aller- AZR 98/05 – Tz 19 [BB 2006, 835]). Diese realistische Arbeitsmöglichkeit
dings nicht in vollem Umfang begründet. Wie der Kläger auf einen Diffe- muss aber im konkreten Fall festgestellt werden können.
renzbetrag von e 125,61 kommt, ist seinen Ausführungen nicht zu ent-
nehmen. Ausgehend von dem unstreitigen Monatsgehalt verdiente der Aktivität mit Blick auf eine anderweitige Beschäftigungs-
Kläger in Monaten mit 31 Tagen e 52,65 pro Tag. Für 15 Tage besteht so- möglichkeit unter den vorliegenden Umständen
mit ein Anspruch in Höhe von e 789,69. Zuzüglich der unstreitigen tarif- e) Unter den gegebenen Umständen steht es den Ansprüchen des Klägers
lichen Zulage von e 150,– hatte der Kläger e 939,69 zu bekommen. Ab- nicht entgegen, dass der Kläger keinerlei Aktivitäten entfaltet hat, um
züglich der bereits gezahlten e 419,20 ergibt sich ein vom Kläger noch zu eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit zu erlangen.
beanspruchender Differenzbetrag von e 105,29. Davon geht die Kammer aus, da der Kläger weder zu telefonischen oder per-
sönlichen Kontaktaufnahmen mit potentiellen Arbeitgebern vorgetragen
Kein böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes noch diesbezüglichen Schriftverkehr vorgelegt hat. Bei der nicht näher kon-
3. Ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes kann entgegen kretisieren Behauptung, sein E-Mail-Account sei dauerhaft nicht mehr er-
der Ansicht des Arbeitsgerichts und der Beklagten im vorliegenden Fall reichbar, handelt es sich um eine offensichtliche Schutzbehauptung.
nicht festgestellt werden. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger weitere Vermitt-
lungsangebote der Bundesagentur erhalten hat. Nach der Rechtsprechung
Ständige Rechtsprechung des BAG des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitgeber keinen Auskunftsanspruch
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urt. v. gegen die Bundesagentur wegen des von dieser zu beachtenden Sozialge-
22.02.2000 – 9 AZR 194/99 – Tz 13 [BB 2000, 1410]) liegt das Risiko der heimnisses. Dieses kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass der
Unwirksamkeit einer Kündigung beim Kündigenden. Etwas anderes erge- Arbeitgeber Sachbearbeiter der Bundesagentur als Zeugen benennt.
be sich auch nicht aus § 615 S 2 BGB bzw. aus § 11 Nr. 2 KSchG. Die vom Kläger behauptete Aussage der Sachbearbeiterin der Bundes-
agentur, er müsse sich auf das einzige ihm übermittelte Vermittlungsan-
Böswilliges Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes gebot nicht bewerben, betrifft zwar allenfalls die sozialrechtlichen Ver-
b) Ein böswilliges Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes setzt je- pflichtungen des Klägers, nicht etwaige Obliegenheiten gegenüber der
denfalls voraus, dass es eine konkrete Erwerbsmöglichkeit gab, die dem Beklagten. Das Vermittlungsangebot bezieht sich allerdings auf eine Voll-
Arbeitnehmer bekannt und deren Annahme ihm zumutbar war. Nach zeitstelle. Diese musste der Kläger nicht annehmen, da er eine Teilzeitbe-
Auffassung der Kammer genügt weder der Verweis auf einen für den Ar- schäftigung suchte, die er auch bei der Beklagten innehatte. Die Beklagte
beitnehmer günstigen Arbeitsmarkt noch der konkrete Vortrag von Be- hat nicht vorgetragen, dass der im Vermittlungsangebot der Bundesagen-
schäftigungsmöglichkeiten – wie im Schriftsatz der Beklagten vom tur genannte Arbeitgeber erklärt hat, er wäre seinerzeit auch an der Ein-
30.03.2023 – wenn diese dem Arbeitnehmer im fraglichen Zeitraum nicht stellung von Teilzeitkräften interessiert gewesen.
bekannt gemacht worden sind. …
Ein für den Arbeitnehmer günstiger Arbeitsmarkt ist keine Tatsache, son-
dern eine Bewertung. Sie mag deshalb von einem Gericht geteilt werden,
kann aber nicht gerichtsbekannt sein.
BB-Kommentar
Keine Benachteiligung des Arbeitgebers in
unangemessener Weise Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes: Was
c) Durch das Erfordernis der Feststellung einer konkreten Erwerbsmög- ist zu tun?
lichkeit wird der Arbeitgeber, der Verzugslohnansprüche vermeiden will,
auch nicht in unangemessener Weise benachteiligt. PROBLEM
Er kann zunächst dem Arbeitnehmer eine Prozessbeschäftigung anbieten. Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers auf Annahmeverzugslohn.
Die Ablehnung einer Prozessbeschäftigung trägt regelmäßig die Feststel- Das Arbeitsgericht wies die Klage hinsichtlich des Annahmeverzugslohns
lung eines böswilligen Unterlassens, selbst wenn die angebotene Beschäf- größtenteils ab. Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Berufung
tigung nicht der zuvor vertraglich geschuldeten Leistung entspricht, so- führt der Kläger aus, das Arbeitsgericht habe ihm unzutreffend ein böswilli-
fern sie für den Arbeitnehmer zumutbar ist. ges Unterlassen anderweitigen Verdienstes unterstellt. Er habe sich bei der
Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer auch auf bestimmte Beschäfti- Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet, dort für den fraglichen Zeit-
gungsmöglichkeiten hinweisen. Hätte die Beklagte dem Kläger nur ein- raum aber nur ein Vermittlungsangebot erhalten.
zelne der im Schriftsatz vom 30.03.2023 aufgezeigten Beschäftigungs- Die Beklagte wendet dagegen ein, der Kläger hätte nicht untätig bleiben dür-
möglichkeiten mitgeteilt, hätte sich der Kläger gemäß § 138 II ZPO dazu fen, bis er eine realistische Arbeitsmöglichkeit gefunden habe. Sie nimmt Be-
erklären müssen, wie er auf diese Mitteilungen reagiert hat. Darüber hätte zug auf die Rechtsprechung des BAG, nach der der Arbeitnehmer auch ver-
ggf. Beweis erhoben werden müssen. pflichtet sei, eigene Angebote abzugeben, um den Annahmeverzug zu be-

2746 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Entscheidungen | Arbeitsrecht
Schmidt-Lauber/Tisch | BB-Kommentar zu LAG Hamburg · 6.4.2023 – 8 Sa 51/22

enden, und verweist in diesem Zusammenhang auf die günstige Arbeits- Während das Bundesarbeitsgericht dem Arbeitgeber einen Auskunftsan-
marktsituation im Tätigkeitsbereich des Klägers („Pflegenotstand“) sowie spruch gegen den Arbeitnehmer (nur) bezüglich der Fragen zugespro-
auf die Einstellungsbereitschaft von 16 konkreten Pflegeeinrichtungen. chen hat, ob er von der Bundesagentur für Arbeit Stellenangebote erhal-
ten und ob er sich darauf beworben hat (BAG, Urt. v. 27.5.2020 – 5 AZR
ZUSAMMENFASSUNG 387/19, BB 2020, 1779), hat das LAG Berlin-Brandenburg (Urt. v.
Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Klägers stattgegeben und 30.9.2022 – 6 Sa 280/2) im letzten Jahr festgehalten, dass der Kläger sich
die Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen, da kein böswilli- im Umfang einer Vollzeittätigkeit auch eigeninitiativ auf diese Stellen be-
ges Unterlassen anderweitigen Verdienstes festgestellt werden könne. werben müsse. Auch wenn diese Entscheidung wohl nur einen Einzelfall
Das böswillige Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes setze jeden- betrifft, scheinen einige Gerichte dieses Urteil zum Anlass zu nehmen,
falls voraus, dass es eine konkrete Erwerbsmöglichkeit gegeben habe, die den Anwendungsbereich des böswilligen Unterlassenes nach § 615 S. 2
dem Arbeitnehmer bekannt und deren Annahme ihm zumutbar war. Es BGB in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung deutlich auszuweiten.
genüge weder der Verweis des Arbeitgebers auf einen für den Arbeitneh- Ob ein solcher Richtungswechsel im Einklang mit Wortlaut und Zweck
mer günstigen Arbeitsmarkt noch der konkrete schriftsätzliche Vortrag des § 615 S. 2 BGB steht, ist zu bezweifeln. Das LAG Hamburg folgt dieser
von Beschäftigungsmöglichkeiten, wenn diese dem Arbeitnehmer im Auslegung des § 615 S. 2 BGB nun nicht und sieht gerade keine Pflicht
fraglichen Zeitraum nicht bekannt gemacht worden sind. Das Landesar- des Arbeitnehmers, sich eigeninitiativ auf für ihn unbekannte Stellen zu
beitsgericht stellt in diesem Zusammenhang klar, dass ein für den Arbeit- bewerben.
nehmer günstiger Arbeitsmarkt keine Tatsache, sondern eine Bewertung Offen bleibt, ob sich die Auskunftspflicht der Arbeitnehmer auch auf ei-
sei, die somit auch nicht gerichtsbekannt sein könne. geninitiative Bemühungen außerhalb von Angeboten der Agentur für Ar-
Dem Argument der Beklagten, Arbeitgeber würden unangemessen be- beit erstreckt. Selbst wenn dies der Fall wäre, dürfte der Auskunftsan-
nachteiligt, wenn zur Annahme eines böswilligen Unterlassens die Fest- spruch Arbeitgebern aber nicht entscheidend zum Erfolg verhelfen. Denn
stellung einer konkreten Erwerbsmöglichkeit notwendig sei, erteilte das die Auskunft über Eigenbemühungen wird selten den notwendigen Auf-
Gericht eine Absage. Denn das Gericht sah verschiedene Möglichkeiten schluss darüber geben, ob der Arbeitnehmer Kenntnis von denjenigen
des Arbeitgebers, eine konkrete Erwerbsmöglichkeit festzustellen. Ar- Stellen hatte, auf die er sich nicht beworben hat. Für das Dilemma des Ar-
beitgeber hätten zum einen die Möglichkeit, eine Prozessbeschäftigung beitgebers existiert aber eine Lösung: Nach der Rechtsprechung des BAG
anzubieten, deren Ablehnung regelmäßig die Feststellung eines böswil- (BAG, Urt. v. 16.5.2000 – 9 AZR 203/99) kann der Arbeitgeber den Arbeit-
ligen Unterlassens begründe. Zum anderen könne der Arbeitgeber den nehmer durch die Übersendung von konkreten Stellenanzeigen so unter
Arbeitnehmer auf bestimmte Beschäftigungsmöglichkeiten hinweisen. „Zugzwang“ setzen, dass dieser auch zu diesen – ihm nachweislich be-
Hätte die Beklagte dem Kläger im vorliegenden Fall auch nur einzelne kannten – Stellen vortragen muss. Wie das LAG Hamburg nun festhält, ist
der im späteren Schriftsatz aufgezeigten Beschäftigungsmöglichkeiten dieses Vorgehen auch selbst bei einem bekannten Fachkräftemangel not-
vorab mitgeteilt, hätte sich der Kläger gemäß § 138 Abs. 2 ZPO dazu wendig.
erklären müssen, wie er auf diese Mitteilungen reagiert hat. Das LAG Hamburg bestätigt somit die teilweise schon übliche Prozesstak-
Ohne insoweit substantiierten Sachvortrag des Arbeitgebers sei der Ar- tik für Arbeitgebervertreter, während des Kündigungsschutzprozesses
beitnehmer nicht verpflichtet, von sich aus auf dem Stellenmarkt aktiv zu Auskunftsschreiben mit Stellenangeboten zu versenden. Anderenfalls
werden. Zur Abgabe eigener Angebote sei der Arbeitnehmer nur ver- wird es angesichts der dargestellten Rechtsprechung für Arbeitgeber
pflichtet, wenn sich ihm eine realistische Arbeitsmöglichkeit bietet (mit schwierig, ein böswilliges Unterlassen nachzuweisen. Arbeitnehmer sind
Verweis auf: BAG v. 22.03.2017 – 5 AZR 337/17 – Tz 27; BAG v. 11.01.2006 gehalten diese Stellenangebote genauso ernst zu nehmen wie die Ver-
– 5 AZR 98/05 – Tz 19 [BB 2006, 835]). Diese realistische Arbeitsmöglich- mittlungsangebote der Agentur für Arbeit – sie müssen im Prozess deut-
keit müsse aber im konkreten Fall festgestellt werden können. lich machen können, dass sie sich (bis zum Umfang einer Vollzeittätigkeit)
Insofern stehe es den Ansprüchen des Klägers auch nicht entgegen, wenn auf alle vorgetragenen zumutbaren Stellen einwandfrei beworben haben.
er keinerlei Aktivitäten entfaltet hat, um eine anderweitige Beschäfti- Ansonsten wird das Verfahren zu einem finanziellen Risiko für den gekün-
gungsmöglichkeit zu erlangen. Auf den erhaltenen Vermittlungsvorschlag digten Arbeitnehmer.
habe er sich im Übrigen nicht bewerben müssen, da dieser eine Vollzeit-
stelle betraf, der Kläger bei der Beklagten aber in Teilzeit tätig war.

PRAXISFOLGEN Dr. Stefan Schmidt-Lauber, RA, ist Associate bei NEUWERK,


Das Thema des Annahmeverzugslohns wird nicht erst seit dem Urteil Hamburg.
des Bundesarbeitsgerichts vom 27.5.2020 (5 AZR 387/19, BB 2020, 1779)
für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber in Kündigungsschutzprozessen immer
relevanter. Angesichts der steigenden Verfahrensdauern besteht auf Ar-
beitgeberseite regelmäßig ein steigendes finanzielles Risiko, Annahme-
verzugslohn zahlen zu müssen, das bei Vergleichsverhandlungen einkal- Anna Katharina Tisch, RAin, ist Associate bei NEUWERK,
kuliert werden muss. Dieses Risiko versuchen Arbeitgeberanwälte durch Hamburg.
einen Verweis auf böswilliges Unterlassen von Zwischenverdienst einzu-
dämmen. Unter welchen Voraussetzungen ein solcher Vortrag gelingt, ist
aber weiterhin nicht umfassend entschieden. Die klaren Ausführungen
des LAG Hamburg bilden dabei ein weiteres Puzzle-Teil für eine erfolgrei-
che Beratung.

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2747


Arbeitsrecht | Entscheidungen
BAG · 20.7.2023 – 6 AZR 228/22

BAG: Kündigung – GmbH Geschäftsführer – Geltung des § 14


Abs. 1 Nr. 1 KSchG – Betriebsübergang – Niederlegung
BAG, Urteil vom 20.7.2023 – 6 AZR 228/22 den war, wurde der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin zunächst weiterge-
ECLI:DE:BAG:2023:200723.U.6AZR228.22.0 führt. Sie erbrachte Logistikdienstleistungen für die P S B.V., eine weitere
Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2023-2576-3 Tochtergesellschaft der P Group B.V., und für andere Unternehmen der P-
unter www.betriebs-berater.de Gruppe. In von ihr angemieteten Lagerräumen wurden Materialien für
den Bühnenbau aus der Produktion der P-Gruppe eingelagert, kommissi-
ORIENTIERUNGSSÄTZE oniert und an Kunden ausgeliefert. Ab Mitte Dezember 2019 erbrachte
1. Für die Frage, ob der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 Nr. 1 die Schuldnerin auch die Logistikdienstleistungen für die neu gegründete
KSchG eröffnet ist, kommt es darauf an, ob im Zeitpunkt des Zugangs und in den Niederlanden ansässige P B.V., welche die wesentlichen Be-
der Kündigung die organschaftliche Stellung als Geschäftsführer noch triebsmittel der zwischenzeitlich ebenfalls insolvent gewordenen P Group
bestanden hat. Ist dies der Fall, bedarf die Kündigung keiner sozialen B.V. und der P S B.V. übernahm und deren Geschäfte fortführte. Die P B.V.
Rechtfertigung i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG (Rn. 16). Das gilt auch, wenn gehört wie die Beklagte zu 2. zur A Industries Unternehmensgruppe.
der rechtlichen Beziehung zwischen Organ und Gesellschaft ein Ar- Mit Beschluss vom 15. Januar 2020 wurde über das Vermögen der Schuld-
beitsverhältnis zugrunde liegt (Rn. 24 ff.). nerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zu 1. zum Insol-
2. Bei Organmitgliedern juristischer Personen ist zwischen der Organ- venzverwalter bestellt.
stellung und dem ihr zugrunde liegenden Anstellungsverhältnis zu un- Mit Schreiben vom 15. Januar 2020 kündigte der Beklagte zu 1. das Ar-
terscheiden. Die Bestellung zum Organ einer juristischen Person ist beitsverhältnis des Klägers „sowie ein etwaig bestehendes Geschäftsfüh-
ausschließlich ein körperschaftlicher Rechtsakt. Sie begründet kein reranstellungsverhältnis“ zum 30. April 2020. Das Schreiben ging dem
schuldrechtliches Verhältnis zwischen dem Organmitglied und der Ge- Kläger am Vormittag des 16. Januar 2020 zu.
sellschaft (Rn. 21, 39). Ebenfalls am 16. Januar 2020 erklärte der Kläger in einer an den Ge-
3. Haben Arbeitgeber und Geschäftsführer anstelle eines Dienstver- schäftsführer und den Insolvenzverwalter der P Group B.V. adressierten
trags einen Arbeitsvertrag geschlossen, kommt es für die rechtliche und um 14:56 Uhr gesendeten E-Mail, dass er das Amt als Geschäftsführer
Einordnung ihrer Vertragsbeziehung allein auf die vertragliche Verein- mit sofortiger Wirkung niederlege.
barung, nicht dagegen auf die tatsächliche Vertragsdurchführung an Mit der am 5. Februar 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage
(Rn. 23). hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung ua. nach § 613a Abs. 4
4. § 613a BGB schützt auch Organmitglieder i. S. d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 BGB und den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zu 2.
KSchG, die auf der Grundlage eines Arbeitsverhältnisses tätig sind geltend gemacht. Er hat vorgetragen, die Beklagte zu 2. habe, nachdem
(Rn. 31 ff.). Das Arbeitsverhältnis geht grundsätzlich mit dem beim Be- sie sich bereits eines wesentlichen Teils der Belegschaft bedient hätte,
triebsveräußerer zuletzt innegehabten Inhalt der Beschäftigung und den Geschäftsbetrieb der Schuldnerin zum 28. Januar 2020 übernommen.
deshalb mit Tätigkeiten eines Geschäftsführers über (Rn. 40). An diesem Tag sei die Schlüsselübergabe erfolgt. Zuvor habe sie über die
5. Die Organstellung von Vertretern juristischer Personen geht dage- Geschäftsräume der Schuldnerin mit deren Vermieter einen Mietvertrag
gen nicht im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB auf den mit nur leicht verringerter Lagerfläche geschlossen. Vom Beklagten zu 1.
Erwerber über (Rn. 40). habe sie das Anlage- sowie Umlaufvermögen und damit sämtliche Be-
BGB § 613a Abs. 1;EGRL 23/2001 Art. 2 Abs. 1, 2 UAbs. 1;GmbHG § 38 triebsmittel der Schuldnerin erworben. Mit der Übernahme des Waren-
Abs. 1;KSchG §§ 1 Abs. 2, 14 Abs. 1 wirtschaftssystems habe sie den Geschäftsbetrieb der Schuldnerin sodann
nahtlos fortsetzen können.
SACHVERHALT Die Kündigung sei auch unabhängig von § 613a Abs. 4 BGB sozial unge-
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer vom Beklagten zu 1. er- rechtfertigt. Die Niederlegung seines Amts als Geschäftsführer am 16. Ja-
klärten betriebsbedingten Kündigung und den Fortbestand des Arbeits- nuar 2020 sei wirksam erfolgt. Ungeachtet dessen greife die negative Fik-
verhältnisses mit der Beklagten zu 2. aufgrund eines Betriebsübergangs. tion des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht ein, weil das Arbeitsverhältnis fort-
Der Kläger war seit dem 1. September 2000 bei der P GmbH, der späteren geführt worden sei.
Insolvenzschuldnerin (im Folgenden Schuldnerin), als kaufmännischer An- Der Kläger hat beantragt
gestellter beschäftigt. Im Dezember 2013 wurde er zu deren Geschäfts- 1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der P GmbH
führer bestellt. Ein Geschäftsführerdienstvertrag wurde weder schriftlich durch die Kündigung des Beklagten zu 1. vom 15. Januar 2020 nicht auf-
noch mündlich geschlossen. Mit der „Änderung zum Arbeitsvertrag“ vom gelöst ist;
20. Dezember 2017 vereinbarte der Kläger mit der P Group B.V., der allei- 2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der P GmbH
nigen Gesellschafterin der Schuldnerin, neue Arbeitszeitregelungen. Zu- seit dem 28. Januar 2020 mit der Beklagten zu 2. über den Ablauf des
dem einigten sich beide darauf, dass alle anderen Bestandteile des Ver- 30. April 2020 hinaus fortbesteht.
trags bestehen bleiben. Das durchschnittliche monatliche Entgelt des Klä- Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen und die Auffassung
gers betrug zuletzt 9.482,89 Euro brutto. Die Schuldnerin beschäftigte ne- vertreten, die Kündigung sei gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht am
ben dem Kläger noch elf Arbeitnehmer und zwei Auszubildende. Maßstab des § 1 KSchG zu messen. Der Kläger sei im Zeitpunkt des Zu-
Nachdem am 14. Oktober 2019 das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet gangs der Kündigung noch als Geschäftsführer im Amt gewesen. Dieses
und der Beklagte zu 1. zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt wor- habe er auch nicht rechtswirksam niedergelegt. Maßgeblich sei darauf

2748 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Entscheidungen | Arbeitsrecht
BAG · 20.7.2023 – 6 AZR 228/22

abzustellen, dass der Kläger sowohl zum Zeitpunkt der Kündigung als Anwendbarkeit von § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG
auch im Zeitpunkt des angeblichen Betriebsübergangs noch als Ge- a) § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG enthält eine (negative) Fiktion. Danach gel- 16
schäftsführer im Handelsregister eingetragen war. ten die Vorschriften des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgeset-
Als Geschäftsführer falle er zudem nicht unter den Anwendungsbereich zes nicht in Betrieben einer juristischen Person für die Mitglieder des
des § 613a BGB, denn mit der Organbestellung werde der Arbeitnehmer- Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen
status aufgegeben. Im Übrigen habe auch kein Betriebsübergang stattge- ist. Dies gilt uneingeschränkt jedenfalls dann, wenn die organschaftli-
funden. Der Betrieb der Schuldnerin sei vielmehr stillgelegt worden. Der che Stellung als Geschäftsführer zum Zeitpunkt des Zugangs der Kün-
Beklagte zu 1. habe sämtliche Verträge wirksam gekündigt. Die Beklagte digung (noch) besteht (BAG 27. April 2021 – 2 AZR 540/20 – Rn. 11;
zu 2. habe die Geschäftsräume der Schuldnerin auf der Grundlage neu 21. September 2017 – 2 AZR 865/16 – Rn. 12; 23. Februar 2017 – 6
ausgehandelter Mietverträge angemietet. Die Räume seien nicht iden- AZR 665/15 – Rn. 34, BAGE 158, 214 [BB 2017, 1596 m. BB-Komm.
tisch, da die Lagerfläche erheblich reduziert worden sei. Die Veräußerung Markowski]; 25. Oktober 2007 – 6 AZR 1045/06 – Rn. 22 [BB-Entschei-
der Gegenstände der Schuldnerin an die Beklagte zu 2. sei im Zeitpunkt dungsreport Roesner, BB 2008, 228]). Keine Auswirkungen auf die Be-
der Kündigung noch ungewiss gewesen, weshalb der Beklagte zu 1. den urteilung der Kündigung hat es, wenn der Geschäftsführer sein Amt
Stilllegungsbeschluss gefasst habe. Soweit die Beklagte zu 2. einige Ar- nach Zugang der Kündigung niederlegt, weil für die Kündigung als Ge-
beitnehmer der Schuldnerin eingestellt habe, würden diese in neuen Tä- staltungserklärung die Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kün-
tigkeitsbereichen beschäftigt. digung maßgeblich sind. Das gilt auch für den gesellschaftsrechtlichen
Das Arbeitsgericht hat der Klage insgesamt stattgegeben. Auf die Beru- Status (ausführlich hierzu BAG 21. September 2017 – 2 AZR 865/16 –
fungen der beiden Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage voll- Rn. 13 ff. mwN). Ebenso wenig kommt es – entgegen der Ansicht der
ständig abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wieder- Beklagten – darauf an, ob die Organstellung bei Kündigungszugang
herstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. (bzw. Betriebsübergang) noch im Handelsregister eingetragen ist. Eine
solche Eintragung beeinträchtigt die Wirksamkeit der Niederlegung
AUS DEN GRÜNDEN nicht. Die Amtsniederlegung ist eine formfreie, einseitige empfangsbe-
13 Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Beru- dürftige Willenserklärung, die grundsätzlich jederzeit und fristlos erfol-
fungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO). Allerdings steht derzeit noch nicht fest, ob gen kann. Unbeschadet möglicher abweichender gesellschaftsvertragli-
die zulässige Klage begründet ist. Zwar hat das Landesarbeitsgericht im Er- cher Regelungen genügt es für die Wirksamkeit der Amtsniederle-
gebnis zutreffend das Erfordernis der sozialen Rechtfertigung iSv. § 1 Abs. 2 gungserklärung, wenn diese einem der gesamtvertretungsberechtigten
KSchG für die streitige Kündigung verneint. Der Senat kann aufgrund der bis- Gesellschafter oder einer von diesen bevollmächtigten Person zugeht
herigen Feststellungen jedoch nicht selbst entscheiden, ob die Kündigung (vgl. BGH 17. September 2001 – II ZR 378/99 – zu 1 der Gründe, BGHZ
nach dem – entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts – grund- 149, 28 [BB 2001, 2547]; MüKoGmbHG/Stephan/Tieves 4. Aufl. § 38
sätzlich anwendbaren § 613a Abs. 4 BGB unwirksam und das Arbeitsverhält- Rn. 68 f.). Damit endet das Amt als Geschäftsführer, ohne dass es auf
nis des Klägers im Wege eines Betriebsübergangs auf die Beklagte zu 2. über- die Eintragung ins Handelsregister ankommt. Diese wirkt ebenso wie
gegangen ist. Daher war die Sache zur neuen Verhandlung und Entschei- im Fall der Abberufung nur deklaratorisch (vgl. BAG 3. Dezember 2014
dung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). – 10 AZB 98/14 – Rn. 25 mwN).

Einer Entscheidung zur Anwendbarkeit des Kündigungs- Niederlegung erfolgte erst nach Zugang des
schutzgesetzes gemäß der Feststellungen des LAG Kündigungsschreibens und damit verspätet
bedarf es nicht b) Vorliegend kann dahinstehen, ob der Kläger die Niederlegung seines 17
14 I. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob die Feststellung des Landes- Geschäftsführeramts wirksam angezeigt hat, denn auch in diesem Fall
arbeitsgerichts, die Schuldnerin habe neben dem Kläger zuletzt noch elf Ar- erfolgte die Niederlegung erst nach Zugang des Kündigungsschreibens
beitnehmer beschäftigt, den Senat hinsichtlich der Anwendbarkeit des und damit verspätet. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des
Kündigungsschutzgesetzes für den Kläger als „Altarbeitnehmer“ (dazu BAG Landesarbeitsgerichts hat der Kläger sein Amt als Geschäftsführer mit
21. September 2006 – 2 AZR 840/05 – BAGE 119, 343 [BB 2007, 831]) bindet, E-Mail vom 16. Januar 2020 niedergelegt. Diese ist der P Group B.V.,
obwohl es sich mit den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 der alleinigen Gesellschafterin der Schuldnerin, frühestens um 14:56
KSchG nicht auseinandergesetzt hat. Auch wenn man zugunsten des Klä- Uhr zugegangen. Die streitgegenständliche Kündigung hat der Kläger
gers annimmt, dass die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 KSchG im – unstreitig – jedoch bereits am Vormittag des 16. Januar 2020 und
Zeitpunkt der Kündigung vorlagen, kann er sich nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 damit zu einem früheren Zeitpunkt erhalten. Der Kläger war folglich
KSchG nicht mit Erfolg auf den gesetzlichen Kündigungsschutz des § 1 im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch als Geschäftsführer der
KSchG berufen (vgl. BAG 19. Juli 2007 – 6 AZR 774/06 – Rn. 13, BAGE 123, Schuldnerin im Amt und damit das zur gesetzlichen Vertretung beru-
294 [BB 2008, 390 m. BB-Komm. Lembke]). Das Landesarbeitsgericht hat fene Organ iSd. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG. Eine etwaige Beschränkung
rechtsfehlerfrei erkannt, dass der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 Nr. 1 seiner Vertretungsmacht ändert an der Organstellung iSd. § 14 Abs. 1
KSchG bei Zugang der Kündigung noch eröffnet war. Die Kündigung be- Nr. 1 KSchG nichts (vgl. BAG 21. September 2017 – 2 AZR 865/16 –
durfte deshalb keiner sozialen Rechtfertigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG. Rn. 24 mwN).

Der Kläger war bei Zugang der Kündigung noch Tätigkeit als Geschäftsführer allein auf der Grundlage
Geschäftsführer eines Arbeitsvertrags
15 1. Der Kläger war bei Zugang der Kündigung noch Geschäftsführer der 2. Der Kläger hat seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Schuldnerin auch 18
Schuldnerin. allein auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags erbracht.

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023 2749


Arbeitsrecht | Entscheidungen
BAG · 20.7.2023 – 6 AZR 228/22

Es wurde weder schriftlich noch mündlich ein grund seiner tatsächlichen Durchführung ein Arbeitsvertrag anzunehmen
Dienstvertrag geschlossen ist. Haben die Parteien – wie vorliegend – ein Arbeitsverhältnis vereinbart,
19 a) Zwischen dem Kläger und der Schuldnerin wurde nach den nicht ange- ist es auch regelmäßig als ein solches einzuordnen. Auf die tatsächliche
griffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im Zusammenhang Durchführung kommt es dann nicht an. Dies folgt aus der Vertragsfreiheit
mit der Bestellung zum Geschäftsführer weder schriftlich noch mündlich der Parteien (vgl. BAG 17. Juni 2020 – 7 AZR 398/18 – Rn. 15; 18. März 2014
ein Dienstvertrag geschlossen. – 9 AZR 740/13 – Rn. 21; 25. Januar 2007 – 5 AZB 49/06 – Rn. 12; Mü-
KoBGB/Spinner 9. Aufl. § 611a Rn. 90). Soweit das aus § 106 GewO folgende
Es kam auch nicht konkludent zu einem entsprechenden Direktionsrecht des Arbeitgebers mit der Organstellung unvereinbar ist, ist
Abschluss eines Dienstvertrags es (stillschweigend) für die Dauer der Bestellung beschränkt und lebt mit
20 b) Das Landesarbeitsgericht hat weiter zutreffend erkannt, dass es zwi- dem Ende der Bestellung wieder auf (vgl. BAG 26. Oktober 2012 – 10 AZB
schen den Parteien auch nicht konkludent zu einem entsprechenden Ab- 55/12 – Rn. 19; Reinfelder RdA 2016, 87, 93).
schluss eines Dienstvertrags gekommen ist.
Das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses steht der
Die Bestellung begründet für sich genommen keine Anwendung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht entgegen
schuldrechtliche Beziehung 3. Dass das der Organstellung zugrunde liegende Anstellungsverhältnis 24
21 aa) Die Bestellung begründet für sich genommen keine schuldrechtliche ein Arbeitsverhältnis ist, steht – entgegen der Auffassung des Klägers –
Beziehung zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer (vgl. BAG der Anwendung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht entgegen.
17. Juni 2020 – 7 AZR 398/18 – Rn. 19 mwN; 25. Oktober 2007 – 6 AZR Die Fiktion des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG kommt auch und gerade dann zum 25
1045/06 – Rn. 15 [BB-Entscheidungsreport Roesner, BB 2008, 228]). Es gilt Tragen, wenn das der Organstellung zugrunde liegende schuldrechtliche
der der Regelung des § 38 Abs. 1 GmbHG zu entnehmende Trennungs- Anstellungsverhältnis – wie vorliegend – materiell-rechtlich ein Arbeitsver-
grundsatz, wonach Organ- und Anstellungsverhältnis in ihrem Bestand hältnis ist. Andernfalls wäre die Regelung bedeutungslos. Der Schutz vor
unabhängig voneinander sind (vgl. BAG 17. Juni 2020 – 7 AZR 398/18 – sozial ungerechtfertigten Kündigungen gilt nach § 1 Abs. 1 KSchG nur für
Rn. 19; BGH 11. Oktober 2010 – II ZR 266/08 – Rn. 7 [BB 2011, 334 m. BB- Arbeitnehmer. Insoweit hat § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG für Geschäftsführer, die
Komm. Ege]; 10. Mai 2010 – II ZR 70/09 – Rn. 9 [BB 2010, 2571 m. BB- auf der Grundlage eines Dienstvertrags tätig sind, lediglich klarstellende
Komm. Wahl/Schult]). Wirkung. Die Norm ist jedoch darüber hinaus als negative Fiktion gefasst.
Die in § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG bezeichneten Organvertreter sollen ungeach-
Es hätte weiterer, über die Bestellung hinausgehender tet eines etwaig zugrunde liegenden Arbeitsverhältnisses allein aufgrund
tatsächlicher Anhaltspunkte bedurft ihrer organschaftlichen Stellung aus dem Anwendungsbereich des allge-
22 bb) Für die Annahme, die Parteien hätten zusätzlich zum Arbeitsvertrag ei- meinen Kündigungsschutzes herausgenommen sein (vgl. BAG 21. Septem-
nen Dienstvertrag schließen wollen, bedarf es weiterer, über die Bestellung ber 2017 – 2 AZR 865/16 – Rn. 18 ff. mwN; 25. Oktober 2007 – 6 AZR 1045/
hinausgehender tatsächlicher Anhaltspunkte (Zaumseil NZA 2020, 1448, 06 – Rn. 22 [BB-Entscheidungsreport Roesner, BB 2008, 228]; 17. Januar
1451; Reinfelder RdA 2016, 87, 93). Solche für einen konkludenten Dienst- 2002 – 2 AZR 719/00 – zu II 1 a der Gründe, BAGE 100, 182).
vertragsschluss erforderlichen konkreten Anhaltspunkte sind aber weder Ein anderes Verständnis ist auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten 26
festgestellt noch dargelegt worden. Die „Änderung zum Arbeitsvertrag“ nicht geboten. Der im Ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes
vom 20. Dezember 2017 diente lediglich dazu, den bereits bestehenden Ar- geregelte Schutz vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen fällt nicht in
beitsvertrag an die dem Kläger übertragene Geschäftsführertätigkeit anzu- den Anwendungsbereich des Unionsrechts (BAG 21. September 2017 – 2
passen und den Vertrag im Übrigen unverändert fortbestehen zu lassen. AZR 865/16 – Rn. 20).
Umstände dafür, dass die Parteien zusätzlich zum Arbeitsvertrag einen
Dienstvertrag schließen wollten, worauf zB eine im Zusammenhang mit der § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG ist auch nicht abbedungen
Bestellung erfolgte Anhebung der Vergütung hinweisen könnte, sind eben- 4. Die Parteien haben § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG entgegen der Behauptung 27
falls weder vorgetragen noch festgestellt worden. Die rechtliche Beziehung des Klägers auch nicht abbedungen.
zwischen dem Kläger und der Schuldnerin war daher allein durch den Ar-
beitsvertrag geregelt, der auch der Organstellung zugrunde lag (vgl. BAG Dafür genügt die bloße Beschäftigung als Geschäfts-
26. Oktober 2012 – 10 AZB 55/12 – Rn. 19 f.). führer auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags nicht
a) Zwar kann § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG als nur einseitig zwingendes Recht 28
Dem steht nicht entgegen, dass ein GmbH- – auch konkludent – zugunsten des Arbeitnehmers abbedungen und der
Geschäftsführer regelmäßig auf der Grundlage eines Kündigungsschutz damit auf vertraglicher Grundlage ausgedehnt werden.
Dienstvertrags tätig wird Dafür genügt jedoch die bloße Beschäftigung des Klägers als Geschäfts-
23 cc) Dem steht auch nicht entgegen, dass ein GmbH-Geschäftsführer regel- führer auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags nicht. Dies widerspräche
mäßig auf der Grundlage eines Dienstvertrags tätig wird. Zwar kommt eine der in Rn. 25 dargelegten gesetzlichen Konzeption des § 14 Abs. 1 Nr. 1
Weisungsgebundenheit, die über das übliche unternehmerische Weisungs- KSchG. Für die Annahme, dass die Vertragsparteien hiervon abweichen
recht einer Gesellschaft gegenüber einem Geschäftsführer hinausgeht, und wollten, bedarf es hinreichender Anhaltspunkte (vgl. BAG 16. Oktober
die so stark ist, dass sie auf einen Status des betreffenden Geschäftsführers 2008 – 7 AZR 253/07 (A) – Rn. 29, BAGE 128, 134; 4. Dezember 2002 – 7
als Arbeitnehmer schließen lässt, nur in extremen Ausnahmefällen in Be- AZR 545/01 – zu II 1 a bb der Gründe, BAGE 104, 103; vgl. auch BGH
tracht (vgl. BAG 8. Februar 2022 – 9 AZB 40/21 – Rn. 22; 24. November 2005 10. Mai 2010 – II ZR 70/09 – Rn. 13 f. [BB 2010, 2571 m. BB-Komm. Wahl/
– 2 AZR 614/04 – Rn. 18, BAGE 116, 254). Allerdings betrifft dies nur Fälle, in Schult]). Solche Umstände sind vorliegend weder festgestellt noch vom
denen abweichend von der Bezeichnung des Vertrags als Dienstvertrag auf- Kläger vorgetragen worden.

2750 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


Entscheidungen | Arbeitsrecht
BAG · 20.7.2023 – 6 AZR 228/22

Ein entsprechender Wille kann auch nicht im Wege einer Die Voraussetzungen für eine dem entgegenstehende
ergänzenden Vertragsauslegung angenommen werden teleologische Reduktion liegen nicht vor
29 b) Ein Wille der Parteien zur Abbedingung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG c) Die Voraussetzungen für eine dem entgegenstehende teleologische Re- 34
kann – entgegen der Auffassung des Klägers – auch nicht im Wege einer duktion des § 613a Abs. 4 BGB liegen nicht vor.
ergänzenden Vertragsauslegung angenommen werden. Die Vorausset-
zungen für eine solche Vertragsauslegung liegen offenkundig nicht vor Zweck der teleologischen Reduktion
(vgl. zu diesen Voraussetzungen BAG 9. Mai 2023 – 3 AZR 174/22 – aa) Mit der teleologischen Reduktion, die zu den von Verfassungs wegen 35
Rn. 50 [BB 2023, 2298 m. BB-Komm. Sundermann]; 21. Juli 2021 – 5 AZR anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehört, wird der ausgehend vom Ge-
10/21 – Rn. 32 mwN; BGH 4. Mai 2022 – XII ZR 64/21 – Rn. 27, BGHZ 233, setzeszweck zu weit gefasste Wortlaut einer Norm auf den Anwendungsbe-
266 [BB 2022, 1614 m. BB-Komm. Unseld/Edel]). Gründe, weshalb eine reich reduziert, welcher ihrer ratio legis entspricht (vgl. zB BAG 25. August
planwidrige Regelungslücke vorliegen und eine auf einen beiderseitigen 2022 – 6 AZR 499/21 – Rn. 56; 27. September 2017 – 7 AZR 629/15 – Rn. 31;
Interessenausgleich gerichtete Vervollständigung des Vertrags gerade in 22. Oktober 2015 – 2 AZR 381/14 – Rn. 34, BAGE 153, 102 [BB 2016, 765]).
einer Abbedingung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG liegen sollte, sind weder Sie ist jedoch nur dann zulässig, wenn sich eine planwidrige Regelungslük-
festgestellt noch vom Kläger nachvollziehbar dargelegt worden. ke feststellen lässt. Dies setzt voraus, dass sich die betreffende Vorschrift,
gemessen an ihrer zugrunde liegenden Regelungsabsicht, in dem Sinn als
§ 613a BGB findet Anwendung unvollständig erweisen würde, dass sie einen erforderlichen Ausnahmetat-
30 II. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, bestand nicht aufweist. Ihre Anwendung müsste demnach zu zweckwidri-
§ 613a BGB finde auf den Kläger keine Anwendung, weshalb die Kündi- gen Ergebnissen führen (BAG 29. April 2021 – 8 AZR 276/20 – Rn. 36 mwN,
gung auch nicht nach § 613a Abs. 4 BGB unwirksam sein könne. BAGE 175, 25 [BB 2021, 2744 m. BB-Komm. Ley]).

Der Anwendungsbereich des § 613a BGB ist voliegend Die Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt
eröffnet bb) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. § 613a Abs. 4 36
31 1. Der Kläger unterfällt dem Anwendungsbereich des § 613a BGB. Die BGB weist hinsichtlich der aufgrund von Arbeitsverträgen tätigen Organ-
Annahme des Landesarbeitsgerichts, § 613a Abs. 4 BGB sei dahingehend mitglieder juristischer Personen keine planwidrige Lücke auf.
teleologisch zu reduzieren, dass er auf Organmitglieder juristischer Per-
sonen auch dann nicht anwendbar ist, wenn der Organstellung ein Ar- Wortlaut des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB
beitsvertrag zugrunde liegt, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht (1) Nach dem klaren Wortlaut des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB erstreckt sich sein 37
stand. Schutzbereich auf Arbeitsverhältnisse und damit auf alle Arbeitnehmer. Das
gilt auch für das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB. Konkrete Um-
§ 613a BGB findet auf im Zeitpunkt des Betriebsüber- stände, die auf eine unbeabsichtigte Lücke des Inhalts schließen lassen, dass
gangs bestehende Arbeitsverhältnisse Anwendung einzelne Kategorien von Beschäftigten, die aufgrund von Arbeitsverträgen
32 a) § 613a BGB, der in seiner jetzigen Fassung auf Unionsrecht beruht und tätig sind, aus dem Anwendungsbereich der Norm herausgenommen wer-
deshalb unionskonform anzuwenden und auszulegen ist, findet nach sei- den sollten, sind nicht positiv feststellbar. Das bloße Schweigen des Gesetz-
nem Abs. 1 Satz 1 auf im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehende gebers genügt hierfür nicht (st. Rspr., vgl. zB BAG 27. September 2022 – 2
Arbeitsverhältnisse und damit auf Arbeitnehmer Anwendung. Gemäß AZR 92/22 – Rn. 28 mwN), zumal der durch Gesetz vom 15. Januar 1972
Art. 2 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG (BGBl. I S. 13, 40) eingefügte § 613a BGB in Kenntnis der Rechtsprechung des
(ABl. L 82 S. 16) gilt – anders als im Anwendungsbereich etwa der Mas- Bundesarbeitsgerichts zur Frage, ob die Norm nach ihrem Schutzbereich auf
senentlassungsrichtlinie 98/59/EG (EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Bal- Organe juristischer Personen Anwendung findet (sh. vor allem BAG 13. Feb-
kaya] [BB 2015, 2554 m. BB-Komm. Lelley, RIW 2015, 614]) oder der Mut- ruar 2003 – 8 AZR 654/01 – zu II 1 a bb der Gründe, BAGE 104, 358; 13. Febru-
terschutzrichtlinie 92/85/EWG (EuGH 11. November 2010 – C-232/09 – ar 2003 – 8 AZR 59/02 – zu II 4 der Gründe), mehrfach geändert wurde (vgl.
[Danosa]) – der nationale Arbeitnehmerbegriff. Danach ist im Sinne der hierzu nur BAG 13. Februar 2003 – 8 AZR 654/01 – aaO mwN), ohne dass der
Richtlinie 2001/23/EWG jede Person als Arbeitnehmer anzusehen, die auf- persönliche Anwendungsbereich oder der Wortlaut des § 613a Abs. 1 Satz 1
grund des mitgliedstaatlichen Arbeitsrechts als ein solcher geschützt ist BGB „im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen“ und
(vgl. EuGH 13. Juni 2019 – C-317/18 – [Correia Moreira] Rn. 40 ff.; 20. Juli des 1980 angefügten Abs. 4 (BGBl. I S. 1308, 1309) „Kündigung des Arbeits-
2017 – C-416/16 – [Piscarreta Ricardo] Rn. 48 ff.; 15. September 2010 – C- verhältnisses“ geändert bzw. konkretisiert worden sind.
386/09 – [Briot] Rn. 28; BAG 16. Mai 2012 – 5 AZR 268/11 – Rn. 24, BAGE
141, 348 [BB 2012, 2375 m. BB-Komm. Fuhlrott]). Vorliegend nicht anders für GmbH-Geschäftsführer
(2) Im Streitfall sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die 38
Der Kläger unterfiel im Zeitpunkt des Zugangs der Anwendung des § 613a BGB auf GmbH-Geschäftsführer, die ihre Ge-
Kündigung aufgrund des seiner Geschäftsführertätigkeit schäftsführertätigkeit auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags ausüben,
zugrunde liegenden Arbeitsvertrags dem deutschen zu zweckwidrigen Ergebnissen führt.
Arbeitsrecht
33 b) Der Kläger unterfiel im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung – wie Es ist zwischen der Bestellung zum Organ der
unter Rn. 18 ff. ausgeführt – aufgrund des seiner Geschäftsführertätigkeit Gesellschaft und dem schuldrechtlichen
zugrunde liegenden Arbeitsvertrags dem deutschen Arbeitsrecht. Deshalb Anstellungsverhältnis zu unterscheiden
ist er auch im Anwendungsbereich des § 613a Abs. 4 BGB Arbeitnehmer (a) Wie bereits unter Rn. 21 ausgeführt, ist hinsichtlich der Rechtsverhält- 39
(vgl. bereits BAG 21. September 2017 – 2 AZR 865/16 – Rn. 31 mwN). nisse von GmbH-Geschäftsführern strikt zwischen der Bestellung zum Or-

Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


2751
Arbeitsrecht | Entscheidungen
BAG · 20.7.2023 – 6 AZR 228/22

gan der Gesellschaft und dem zugrunde liegenden schuldrechtlichen An- Dies gilt auch für Geschäftsführer, die ihre Tätigkeit im Rahmen eines Ar-
stellungsverhältnis – vorliegend dem Arbeitsverhältnis – zu unterscheiden. beitsverhältnisses erbringen. Sie unterfallen ebenfalls dem Schutz der
Durch die Bestellung als solche wird noch keine schuldrechtliche Beziehung Richtlinie und somit den Bestimmungen der Art. 3 Abs. 1 und Art. 4
zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer begründet. Die Organ- Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG, weil sie nach dem anzuwendenden na-
stellung des GmbH-Geschäftsführers hat ihren Rechtsgrund folglich nicht tionalen Arbeitnehmerbegriff (Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2001/
im Anstellungsverhältnis, sondern gründet auf einem besonderen (körper- 23/EG; sh. Rn. 32) Arbeitnehmer sind. Da die Organstellung nicht Inhalt
schaftlichen) Bestellungsakt (MüKoGmbHG/Stephan/Tieves 4. Aufl. § 35 des Arbeitsverhältnisses ist (Rn. 21), gehört sie auch nicht zu den überge-
Rn. 41; MüKoGmbHG/Goette § 6 Rn. 57; Altmeppen GmbHG 11. Aufl. § 6 henden Rechten und Pflichten iSd. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie
Rn. 47; Henssler/Strohn/Oetker Gesellschaftsrecht 5. Aufl. GmbHG § 6 2001/23/EG aus dem Arbeitsverhältnis bzw. Arbeitsvertrag.
Rn. 47 ff.; BeckOK GmbHG/Wisskirchen/Zoglowek § 6 Stand 1. Juni 2023
Rn. 35; zu Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften vgl. BSG 15. De- Keine inadäquate kündigungsschutzrechtliche
zember 2020 – B 2 U 4/20 R – Rn. 13 mwN, BSGE 131, 144). Bei der Organ- Begünstigung
stellung und dem Anstellungsverhältnis handelt es sich deshalb um selb- d) Der Kläger erlangt durch die Anwendung von § 613a BGB auch keine 42
ständige, nebeneinanderstehende Rechtsverhältnisse mit einem jeweils ei- inadäquate kündigungsschutzrechtliche Begünstigung. § 613a Abs. 4 Satz
genen rechtlichen Schicksal (Altmeppen aaO). Beide Rechtsverhältnisse 1 BGB schließt entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts keine
werden grundsätzlich unabhängig voneinander nach den jeweiligen für sie Lücke im nationalen Kündigungsschutz. Diese Bestimmung enthält viel-
geltenden Vorschriften beendet (BGH 11. Oktober 2010 – II ZR 266/08 – mehr ein eigenständiges, vom Anwendungsbereich des Kündigungs-
Rn. 7 [BB 2011, 334 m. BB-Komm. Ege]). schutzgesetzes gerade unabhängiges Kündigungsverbot iSv. § 13 Abs. 3
KSchG, § 134 BGB (vgl. BAG 22. Mai 1997 – 8 AZR 101/96 – zu B II 1 der
Die Organstellung geht im Fall des Betriebsübergangs Gründe mwN, BAGE 86, 20 [BB 1997, 2110]; 9. Februar 1989 – 2 AZR 405/
nicht mit über 88 – zu II 1 der Gründe mwN; KR/Treber/Schlünder 13. Aufl. § 613a BGB
40 (b) Da nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nur Rechte und Pflichten aus einem Rn. 102; ErfK/Preis 23. Aufl. BGB § 613a Rn. 153; APS/Steffan 6. Aufl. BGB
Arbeitsverhältnis übergehen, die Organstellung selbst aber ihren Rechts- § 613a Rn. 172; BeckOK ArbR/Gussen BGB § 613a Stand 1. März 2023
grund gerade nicht im zugrunde liegenden Arbeitsverhältnis hat, geht sie Rn. 115; aA Seiter Betriebsinhaberwechsel S. 110 ff.). Es dient allein dem
im Fall des Betriebsübergangs nicht mit über (zum Umwandlungsgesetz Schutz vor Kündigungen, deren Beweggrund der Betriebsübergang ist
vgl. BAG 13. Februar 2003 – 8 AZR 654/01 – zu II 1 a aa und bb der Grün- (st. Rspr., vgl. zB BAG 24. Mai 2005 – 8 AZR 333/04 – zu II 1 b der Gründe
de mwN, BAGE 104, 358; BFH 12. Dezember 2007 – XI B 23/07 – Rn. 6 mwN). An diesem Schutz hat auch der Kläger als Arbeitnehmer teil. Hie-
mwN). Ein Anspruch, beim Erwerber zum Organ bestellt zu werden, kann raus folgt keine zu missbilligende Besserstellung des Klägers, weil ein
aus § 613a BGB deshalb ebenso wenig folgen. Demzufolge wird dem Er- Kündigungsschutz gewährt wird, der ihm aufgrund seiner Stellung als Ge-
werber durch § 613a BGB entgegen einiger Annahmen im Schrifttum schäftsführer nicht zustünde.
(ErfK/Preis 23. Aufl. BGB § 613a Rn. 67; APS/Steffan 6. Aufl. BGB § 613a
Rn. 81, jeweils unter Bezug auf Seiter Betriebsinhaberwechsel S. 56; Er- Ein Verstoß gegen das Kündigungsverbot des § 613a
man/Edenfeld BGB 16. Aufl. § 613a Rn. 42) auch kein Arbeitnehmer auf- Abs. 4 BGB bleibt zu prüfen
gezwungen, der eine mit besonderen Rechten ausgestattete, vom Ver- 2. Ob der Kläger sein Klagebegehren erfolgreich auf einen Verstoß gegen 43
trauen der sie bestellenden Personen abhängige (Organ-)Stellung inne- das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB stützen kann, steht indes
hat. Der Kläger hätte im Fall des Übergangs seines Arbeitsverhältnisses noch nicht fest. Das Landesarbeitsgericht hat – nach seiner Rechtsauffas-
deshalb nur einen Anspruch auf eine Beschäftigung mit den Tätigkeiten, sung konsequent – keine Feststellungen dazu getroffen, ob ein Betriebs-
die er als Geschäftsführer aufgrund seines Arbeitsvertrags ausgeübt hat. übergang iSv. § 613a BGB bzw. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG
Eine andere Tätigkeit könnte ihm ohne Änderung – einvernehmlich oder stattgefunden hat.
durch Änderungskündigung – des Arbeitsvertrags nur übertragen wer-
den, wenn die Parteien vereinbart hätten, dass mit dem Ende der Organ- Weitere Feststellungen zu einem Betriebsübergang
stellung nach Ablauf der Kündigungsfrist wieder die ursprüngliche oder erforderlich
eine im Einzelnen festgelegte anderweitige Tätigkeit zum Vertragsinhalt III. Die Revision ist auch hinsichtlich des Antrags zu 2. begründet. Ein et- 44
wird (vgl. für sog. Koppelungsklauseln BGH 20. August 2019 – II ZR 121/ waiger Fortbestand des Arbeitsverhältnisses des Klägers zur Beklagten zu
16 – Rn. 32 ff. [BB 2019, 2232]). Das behaupten die Beklagten nicht. 2. hängt davon ab, ob ein Betriebsübergang auf diese erfolgt ist. Deshalb
kann der Senat aufgrund mangelnder Feststellungen auch nicht über den
Auch das Unionsrecht gebietet keine teleologische Antrag zu 2. befinden.
Reduktion des § 613a BGB
41 (3) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts gebietet auch das Fortsetzung des Verfahrens vor dem LAG
Unionsrecht keine teleologische Reduktion des § 613a BGB. Nach dem IV. Das Landesarbeitsgericht wird daher im fortgesetzten Berufungsver- 45
dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/23/EG dienen die Bestim- fahren zu prüfen haben, ob ein Betriebsübergang iSd. § 613a BGB vorliegt
mungen dem Schutz der Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel. Insbe- (vgl. hierzu zB BAG 14. Mai 2020 – 6 AZR 235/19 – Rn. 58 mwN, BAGE
sondere soll die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleistet werden. Die Ar- 170, 244; zuletzt BAG 11. Mai 2023 – 6 AZR 121/22 (A) – Rn. 43 ff.) und
beitnehmer sollen ihr Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu ob die streitgegenständliche Kündigung gegebenenfalls wegen eines Ver-
den Bedingungen fortsetzen können, die mit dem Veräußerer vereinbart stoßes gegen das Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 BGB unwirksam
waren (EuGH 6. März 2014 – C-458/12 – [Amatori ua.] Rn. 49; 2. Dezem- ist. Des Weiteren hat es auch über die Kosten der Revision zu entschei-
ber 1999 – C-234/98 – [Allen ua.] Rn. 20 [EWS 2000, 35, RIW 2000, 223]). den.

2752 Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


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schutz-Berater (DSB), Europisches Wirtschafts- und Steuer- und Spendenrecht 2023 – Teil I
RA Dr. K. Jan Schiffer, Bonn; recht (EWS), Geldwsche & Recht (GWuR), Zeitschrift zum
Prof. Dr. Michael Stber, Kiel; Innovations- und Technikrecht (InTeR), Kommunikation & Recht Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
RA Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Lohmar (K&R), Logistik & Recht (LogR), Netzwirtschaften & Recht (N&R),
REDAKTION: Recht Automobil Wirtschaft (RAW), Recht der Dr. Alexander Becker, RA/FAStR/StB,
RAin Uta Wichering (wi) Finanzinstrumente (RdF), Recht der Zahlungsdienste (RdZ), Jacqueline Kotynski, WP/StB, und
(Ressortleiterin), Tel. 069 7595-2742 Recht der Internationalen Wirtschaft (RIW), Sanierungs-Berater Kirsa Krger, RAin
wichering@betriebs-berater.de (SanB), Der Steuerberater (StB), Wettbewerb in Recht und Rechnungslegung und Prfung von Stiftungen
Praxis (WRP), Zeitschrift fr Umweltpolitik & Umweltrecht
RESSORT STEUERRECHT des Privatrechts vor dem Hintergrund der
(ZfU), Zeitschrift fr Wett- und Glcksspielrecht (ZfWG), Zeit-
BEIRAT: schrift fr das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht (ZHR), aktuellen Stiftungsrechtsreform
RA StB Dr. Stefan Behrens, Frankfurt a. M.; Zeitschrift fr das gesamte Lebensmittelrecht (ZLR), Zeitschrift
Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel, Vorsitzende Richterin am Arbeitsrecht
fr Neues Energierecht (ZNER) und Zeitschrift fr
BFH, Mnchen; Vergleichende Rechtswissenschaft (ZVglRWiss). Prof. Dr. Gerrit Horstmeier
Prof. Dr. Matthias Loose, Richter am BFH, Mnchen;
Prof. DDr. Gunter Mayr, Wien; LEITUNG PRODUKTION: Hans Dreier, Tel. 069 7595-2463 Unterliegen Stiftungsvorstnde der
RA/FAStR Dr. Christian von Oertzen, Frankfurt a. M.; Sozialversicherungspflicht? Ein berblick
LEITUNG LOGISTIK: Ilja Sauer, Tel. 069 7595-2201
Prof. Dr. Roman Seer, Bochum;
StB Prof. Dr. Andreas Sffing, Frankfurt a. M.; ANZEIGEN: Matthias Betzler,
Prof. Dr. Roland Wacker, Vorsitzender Richter am BFH a. D., Tel. 069 7595-2785, matthias.betzler@dfv.de
Mnchen; Es gilt Preisliste 66.
Prof. Dr. Lars Zipfel, Ludwigsburg
VERTRIEB: Heike Heinrici,

h
REDAKTION: 069 7595-2713, heike.heinrici@dfv.de
RA StB Prof. Dr. Michael Stahlschmidt, M.R.F., LL.M., MBA (ms)
(Ressortleiter), Tel. 069 7595-2864, ERSCHEINUNGSWEISE: wchentlich. Nicht eingegangene
RIW 11/2023
stahlschmidt@betriebs-berater.de Hefte knnen nur bis zu drei Monaten nach Erscheinen des
reklamierten Heftes kostenlos reklamiert werden.
Die erste Seite
www.betriebs-berater.de

RESSORT BILANZRECHT UND BETRIEBSWIRTSCHAFT 1 | 2013

BEIRAT: BEZUGSPREISE: Jahresvorzugspreis: 859,– Euro inkl. Ver-


sandkosten und MwSt., Sonderpreis fr Studenten und Martin Wolff
Jens Berger, Frankfurt a. M.; Betriebs-Berater International 27.01.2013 | Jhg. 69

Die globale Umsetzung von Pillar 2


Seiten 1665-1728

Prof. Dr. Thomas Berndt (tb), St. Gallen; Referendare: 219,– Euro. Beorderungsgebhr jhrlich (fllt DIE ERSTE SEITE
Dr. Andreas Bartosch, Brüssel
Die „State Aid Modernisation Initiative“ der EU-Kommission | 1

erfordert Ausdauer und Zielstrebig-


AUFSÄTZE

RA/StB Dr. Martin Bnning, Frankfurt a. M.; an bei Fremdzahler): 6 Euro netto. Preis des, Einzelheftes: Prof. Dr. Abbo Junker
Die Rechtsprechung des EuGH zum europäischen Arbeitsrecht im Jahr 2011 | 447
Klaus Vorpeil
Neuere Entwicklungen im englischen Handels- und Wirtschaftsrecht | 2453
Prof. Dr. Gerhard Kraft und Sigrid Zielinski

25,90 Euro. Auslandspreise auf Anfrage. Rechnungslegung


Nachlasssteuerliche Optimierungsansätze bei Investitionen unbeschränkt Steuerpflichtiger

WP Dr. Jens Freiberg, Dsseldorf; keit in US-Grundvermögen nach dem Tax Relief Act 2010 | 2455
Dr. Roland Mörsdorf
Die norwegische GmbH | 2459
Dr. Klaus Schmolke
Whistleblowing-Systeme als Corporate Governance-Instrument transnationaler Unternehmen | 2467

Georg Lanfermann, Berlin; erfolgt jhrlich. Die Abonnementgebhren sind im Voraus INTERNATIONALES WIRTSCHAFTSRECHT
EuGH: Keine aktive Überwachungspflicht eines Hosting-Anbieters zur Abwehr von Urheberrechts-
verletzungen | 2473
EuGH: Urlaubsübertragung wegen Krankheit – Pflicht der nationalen Gerichte zur unionsrechts-

Aufstze
konformen Auslegung | 2479

zahlbar. Der Abonnementvertrag ist auf unbestimmte Zeit


BGH: Verfahrenskosten für einen ausländischen Verkehrsanwalt | 2481

Dr. Norbert Ldenbach, Dsseldorf;


EuGH: Keine aktive Überwachungspflicht eines Hosting-Anbieters zur Abwehr von Urheberrechts-
verletzungen | 2473

INTERNATIONALES STEUERRECHT UND ZOLLRECHT


BFH: Gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Zinsen aus Darlehen einer nierderländischen

geschlossen. Eine Kndigung ist jederzeit bis 3 Monate vor


Muttergesellschaft | 2487

Prof. Dr. Volker H. Peemller, Erlangen-Nrnberg;


BFH: Einkommensteuer: Abziehbarkeit des an eine niederländische Hochschule (Hogeschool)
gezahlten Kolleggeldes | 2490

Ende des Bezugszeitraumes mglich. Liegt dem Verlag zu Prof. Dr. Dr. h.c. Rolf A. Schtze Fachmedien Recht und Wirtschaft | Deutscher Fachverlag GmbH | Frankfurt am Main

Prof. Dr. Jens Wstemann, M. S. G., Mannheim


diesem Zeitpunkt keine Kndigung vor, verlngert sich das und Dr. Thomas R. Kltzel
REDAKTION: Abonnement automatisch um ein weiteres Jahr zum dann Die Prozesskostensicherheit im Verfahren des
Dipl.-k. Gabriele Bourgon (bg) gltigen Jahrespreis, zahlbar im Voraus. Die Zeitschrift und
(Ressortleiterin), Tel. 069 7595-2761,
einstweiligen Rechtsschutzes
alle in ihr enthaltenen Beitrge und Abbildungen sind urhe-
bourgon@betriebs-berater.de berrechtlich geschtzt. Dr. Constantin Frank-Fahle und Marcel Trost
RESSORT ARBEITSRECHT Das neue saudische Zivilgesetzbuch
Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhe-
BEIRAT: berrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzu-
RA/FAArbR Dr. Alexander Bissels, Kln;
Prof. Dr. Reiner Quick und Vincent Haas
lssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigun- Wirtschaftsprfung in Taiwan: Berufszugang und
RA Dr. Anke Freckmann, Kln; gen, Bearbeitungen, bersetzungen, Mikroverfilmungen
RA Prof. Dr. Mark Lembke, Frankfurt a. M.; und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen
Folgen von Berufspflichtverletzungen
RA Dr. Wolfgang Lipinski, Mnchen; Systemen.
RA Dr. Hans-Peter Lw, Frankfurt a. M.; Lnderreporte
Prof. Dr. Dr. h. c. Manfred Lwisch, Freiburg i. Br.; Die Verlagsrechte erstrecken sich auch auf die verffentlichten Dr. Christina Griebeler und Sascha Hurst
RAin/FAinArbR Dr. Kerstin Reiserer, Heidelberg; Gerichtsentscheidungen und deren Leitstze, die urheber-
RA Dr. Oliver Simon, Stuttgart; rechtlichen Schutz genießen, soweit sie vom Einsender oder Lnderreport Schweden
RA Dr. Stefan Simon, Frankfurt a. M.; von der Redaktion redigiert bzw. erarbeitet sind. Miriam Kelly, Dr. Susanne Klbl und
Prof. Dr. Gregor Thsing, Bonn; Keine Haftung fr unverlangt eingesandte Manuskripte. Mit Dr. Susann Sturm
RA Prof. Dr. Hansjrgen Tuengerthal, Mannheim; der Annahme zur Alleinverffentlichung erwirbt der Verlag
RA Tim Wybitul, Frankfurt a. M. alle Rechte, einschließlich der Befugnis zur Einspeisung in Lnderreport USA
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RA Prof. Dr. Christian Pelke, LL.M. (cp) Autorenmerkblatt herunterladbar unter: Lnderreport VR China
(Ressortleiter), Tel. 069 7595-2703, www.betriebs-berater.de/faq/pdfs/bbautorenhinweise.pdf
pelke@betriebs-berater.de Zakaria Korte und Konstantin Wiesmeier
i 2023 Deutscher Fachverlag GmbH, Lnderreport Marokko
REDAKTIONSMANAGEMENT: Frankfurt am Main
Ass. iur. Sonja Baur Internationales Wirtschaftsrecht
(Leitung), Tel. 069 7595-2755 SATZ: Lichtsatz Michael Glaese GmbH,
baur@betriebs-berater.de Hildastraße 4, 69502 Hemsbach EuGH: Gerichtszustndigkeit nach EuGVVO bei
DRUCK: Plump Druck & Medien GmbH, Mitglied der Informations- verbundenen Klagen – Abgrenzung zum
Rolandsecker Weg 33, gemeinschaft zur Feststellung
der Verbreitung von
Unionsmarkengerichtsstand
53619 Rheinbreitbach Werbeträgern e.V. (IVW)
EuGH: Gerichtsstand und kollisionsrechtliche
Bestimmung in Verbrauchersachen
EuGH: Vertragsgerichtsstand nach EuGVVO –
Erfllungsort aus einer vorvertraglichen
Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe

VIII Betriebs-Berater | BB 47.2023 | 20.11.2023


30. November 2023 | Mövenpick Hotel Frankfurt City

Tagungsleitung
Dr. Tanja Schienke-Ohletz | Flick Gocke Schaumburg

» Die Stiftungsrechtsreform im Bund und in den Ländern –


neue Antworten, neue Fragen
» Treuhandstiftung – Traditionsmodell mit Zukunft
» Aktuelle Entwicklungen im Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht
» Aktuelles aus Rechnungslegung und Prüfung vor dem Hintergrund
der Stiftungsrechtsreform
» Angemessene Leistungsbeziehungen bei gemeinnützigen Stiftungen
» Satzungsänderungen von Stiftungen

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