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Dossier 797

Importierte Erkrankungen

Gerd Burchard

Immer mehr Menschen reisen in die Tropen und Subtropen, um dort ihren Urlaub zu verbringen.
Zudem kommen aus diesen Regionen Menschen nach Europa, um hier zu arbeiten oder Asyl zu
suchen. Jeder Arzt muss daher damit rechnen, in der Klinik oder Praxis Patienten mit importierten
Erkrankungen zu begegnen. Dieser Beitrag zeigt, was hinter den Symtomen stecken kann.

Surveillance-Netzwerke | In den letzten Jahren Monosymptomatisches Fieber


haben sich internationale Surveillance-Netzwer-
ke für importierte Erkrankungen etabliert. Die Häufigste Ursachen | Malaria ist eine häufige Ur-
weltweit wichtigsten sind sache für Fieber bei Tropenreisenden, besonders

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▶▶ das GeoSentinel-Netzwerk [35] sowie bei Reisen nach Afrika. Ebenfalls häufig bei Afri-
▶▶ das EuroTravNet [47, 53]. kareisenden mit Fieber sind Rickettsiosen und
Ins Leben gerufen wurde das GeoSentinel-Netz- Katayama-Fieber (akute Schistosomiasis). Den-
werk von der International Society for Travel Me- gue-Fieber ist die häufigste Fieberursache bei
dicine (ISTM) und dem Center for Disease Control Südostasien-Reisenden [4, 54], auch Typhus und
(CDC). Ziel dieser Netzwerke ist es, geographische Paratyphus werden oft aus Asien importiert. Die
und zeitliche Trends der Infektionskrankheiten Abklärung des Fiebers erfolgt stufenweise [30]:
bei Reisenden und Migranten aufzuzeigen [36].
Durch die große Anzahl von beteiligten Zentren Anamnese | Die Anamnese berücksichtigt
weltweit sind inzwischen Daten von etwa 250 000 ▶▶ Reiseverlauf und Reisedauer,
Patienten generiert worden. ▶▶ Impfstatus
▶▶ Malariaprophylaxe sowie
Eigenschaften importierter Krankheiten | Reise- ▶▶ spezifische Risikofaktoren (▶ Tab. 1).
rückkehrer – sowohl Erwachsene [35, 38] als
auch Kinder [23, 25] – bringen vorwiegend fie-
Tab. 1 Wichtige anamnestische Angaben bei Patienten mit importierten Erkrankungen.
berhafte, gastrointestinale und dermatologische
Erkrankungen mit. Unter den Laborbefunden Anamnese Hinweis auf:
ist die Eosinophilie eine häufige Differenzialdia- Süßwasserkontakt Leptospirose
gnose.
Süßwasserkontakt in Schistosomiasis- Schistosomiasis
Gebiet*
Einige der importierten Erkrankungen können
lebensbedrohlich sein: von der Malaria tropica Tierkontakte Tollwut, Q-Fieber, Leptospirose, Pest,
über Leptospirose, Typhus, Melioidose bis hin zu Tularämie, Brucellose, Ornithose, Milzbrand
viralen hämorrhagischen Fiebern [28]. Genuss nicht-pasteurisierter Milch Brucellose, Salmonellose, Tuberkulose
Genuss roher Fische, Krabben oder chinesischer Leberegel, Lungenegel
Krebse
Immigranten können bei Einreise spezifische Er-
Genuss von Schwein, Wildschwein, Trichinose
krankungen mitbringen; eine wichtige Gruppe
Bär, Pferd, Walross u. a.
sind aber auch diejenigen Migranten, die bereits
hier leben und zu Besuch in ihre Heimatländer rei- Genuss von Fisch, Fröschen, Gnathostomiasis
sen (sog. VFR = visiting friends and relatives). Das Schlangen u. ä.
Krankheitsspektrum ist in diesen Fällen anders Ungeschützte Sexualkontakte HIV, Hepatitis B, Lues
als bei Touristen: Häufiger importiert werden Tu- Injektionen oder Transfusionen HIV, Hepatitis B und C, Malaria,
berkulose, Malaria, Hepatitis und HIV-Infektion ­Chagas-Krankheit
[34, 42, 44] sowie Darmparasiten (62).
Besuche in Höhlen Histoplasmose, Ebola, Marburg-Fieber
Manche Infektionskrankheiten weisen chronische Kontakt mit Zecken oder Milben Krim-Kongo-hämorrhagisches Fieber,
Verläufe auf und werden erst Monate oder Jahre Rickettsiosen, Rückfallfieber,
nach Einwanderung manifest. Eine frühzeitige ­Lyme-Borreliose, Babesiose, Tularämie
Diagnose kann hier die Prognose verbessern, *Schistososomiasis kommt vor in: Afrika, östliches Brasilien, Venezuela, Yemen,
z. B. bei Schistosomiasis oder Strongyloidiasis Saudi-Arabien, Oman, Irak, Syrien, Iran, China, Laos, Kambodscha, Philippinen,
[9, 14]. Sulawesi

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798 Dossier

Hinweise zur Basisdiagnostik Daher müssen diese Erkrankungen – obwohl sie


Nach Aufenthalt in Malaria-Endemiegebieten: sehr selten importiert werden – differenzial­
▶▶ immer zunächst eine Malaria ausschließen! diagnostisch bei Fieber nach Tropenaufenthalt
immer in Betracht gezogen werden [2].
Nach Ausschluss einer Malaria und nach klinischer Untersuchung:
▶▶ Blutbild mit Thrombozyten, CRP
An ein VHF (insbesondere Ebola, Marburg-Fieber,
▶▶ Transaminasen, y-GT, Kreatinin, Glukose, Elektrolyte
Lassa-Fieber und Krim-Kongo-hämorrhagisches
▶▶ Blut-, Stuhl- und Urinkulturen Fieber) muss man denken
▶▶ Rö-Thorax, EKG, Sonographie, evtl. Echokardiographie ▶▶ bei einem febrilen Patienten mit hämorrhagi-

▶▶ Urinstatus
scher Diathese oder ungeklärten Schock und
▶▶ bei jedem Patienten mit Fieber und passenden
▶▶ Serologische Untersuchungen gehören nicht zur Basisdiagnostik, allerdings ist es
epidemiologischen Hinweisen (▶ Tab. 3).
oft sinnvoll, eine Serumprobe für spätere Untersuchungen einzufrieren.

Tab. 2 Basisdiagnostik bei monosymptomatischem Fieber. Bei Verdachtsfällen muss der Patient soweit
möglich vor Ort isoliert und das zuständige
Gesundheitsamt informiert werden.
Wichtig sind Fragen nach Medikamenteneinnah-
me und zu vorbestehenden Krankheiten.
Malaria | Die Malaria tropica wird häufig impor-

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Körperliche Untersuchung | Bei der körperlichen tiert; sie eine lebensbedrohliche Erkrankung, die
Untersuchung ist zu achten auf: aber bei frühzeitiger Diagnosestellung stets ge-
▶▶ Hauterscheinungen: z. B. Roseolen, Exantheme, heilt werden kann. Sie muss differenzialdiagnos-
Petechien, Urtikaria, Eschar etc. tisch bei einer Vielzahl von Symptomen bedacht
▶▶ Veränderungen der Schleimhäute: z. B. Kon- werden [40]. Nur die rasch einsetzende und kor-
junktivitis rekt durchgeführte Therapie kann bei einer Mala-
▶▶ Lymphknotenschwellungen ria tropica schwerwiegende Komplikationen auf-
▶▶ Auskultationsbefund über Herz und Lunge halten und das Leben des Patienten retten [3, 6].
▶▶ Splenomegalie, Schmerzen im Abdomen Symptome sind:
▶▶ Gelenkschwellungen ▶▶ plötzlich auftretendes Fieber
▶▶ neurologische Symptome, z. B. Nackensteifig- ▶▶ Schüttelfrost
keit ▶▶ Kopf- und Gliederschmerzen
▶▶ manchmal auch Diarrhö
Basis-Labordiagnostik | Sie zeigt die Schwere des Die Inkubationszeit liegt meist zwischen 7 und 30
Krankheitsbildes und bestimmt die weitere Tagen, selten bis zu etwa 120 Tage
Richtung der Diagnostik – gleichzeitig sind aber
schon diejenigen Krankheiten differenzialdiag- Bei Migranten aus Malariagebieten kann die
nostisch zu erwägen, die potenziell bedrohlich Inkubationszeit auch 120 Tage überschreiten.
sind, auch wenn sie selten sind [16] (▶ Tab. 2).

Die weitere Abklärung orientiert sich Lebensbedrohlich: Malaria tropica | Wenn die
­einerseits an zusätzlichen Leitsymptomen, Diagnose nicht schnell genug gestellt wird,
andererseits an den Häufigkeiten der importierten nimmt die Parasitenzahl rasch zu und es treten
­Erkrankungen. Komplikationen auf:
▶▶ zerebrale Ausfälle
▶▶ akutes Nierenversagen
Darüber hinaus ist eine Kenntnis der Prävalen- ▶▶ ARDS
zen wichtig, um aus den Ergebnissen der diag- Typische Laborbefunde sind Thrombozytopenie,
nostischen Tests den positiven prädiktiven Bilirubinerhöhung und hohe LDH. Diagnostisch
Wert (PPV) abzuleiten. Das sollte auch dazu entscheidend ist der direkte mikroskopische
führen, dass ungezielte diagnostische Unter­ Nachweis der Plasmodien im Blutausstrich
suchungen nach der „Schrotschussmethode“ und / oder im Dicken Tropfen oder ein immuno-
unterbleiben: Der PPV einer Chagas-Serologie logischer Antigennachweis.
bei Fieber nach Südamerika-Aufenthalt ist z. B.
praktisch Null. Cave Bei Hinweisen auf Organkomplikationen ist
eine Malaria tropica als lebensbedrohlich
Virale hämorrhagische Fieber (VHF) | Sie kön- anzusehen, und der Patient muss sofort auf eine
nen lebensbedrohliche Verläufe nehmen, einige Intensivstation verlegt werden [8].
sind hochkontagiös und somit eine Gefahr für
das medizinische Personal und die weitere
­Umwelt – wie die Ebola-Epidemie 2014 gezeigt Ämobenleberabszess | Bei unklarem Fieber müs-
hat. sen Sie immer einen Amöbenleberabszess mit

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Dossier 799

Lassa
▶▶ Patient hat in Westafrika gewohnt oder gearbeitet in Behausungen, zu denen Ratten Zugang hatten
▶▶ Patient hat Lebensmittel gegessen, die möglicherweise durch Rattenkot oder -urin kontaminert waren
▶▶ Patient hat Kontakt mit möglichen Lassa-Patienten gehabt (also insbesondere medizinisches Personal in
Krankenhäusern in Westafrika)
Ebola / Marburg
▶▶ Patient hatte in Zentral- oder Westafrika Kontakt mit toten Menschenaffen
▶▶ Patient war in Höhlen oder Behausungen, in denen Fledermäuse nisten
▶▶ Patient hatte Kontakt mit möglichen Ebola-Patienten (insbesondere medizinisches Personal in Kranken-
häusern in Zentral- oder Westafrika)
Krim-Kongo hämorrhagisches Fieber (CCHF)
▶▶ Kontakt mit Zecken im Endemiegebiet (Südost-Europa, Afrika, Mittlerer Osten, Zentralasien)
▶▶ Teilnahme an Tierschlachtungen im Endemiegebiet
▶▶ Kontakt zu möglichen CCHF-Patienten im Endemiegebiet

Tab. 3 Epidemiologische Risikofaktoren für virale hämorrhagische Fieber.

bildgebenden Verfahren (am einfachsten sono- Bakterielle Infektionen | Auch bakterielle Infekti-

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grafisch) ausschließen: Dieser kann – selten – onen kommen in Frage:
ohne Schmerzen einhergehen kann und ist eben- ▶▶ Typhus abdominalis und Paratyphus [48]
falls lebensbedrohlich. ▶▶ bei schweren Krankheitsbildern auch Leptospi-
rosen [26].
▶▶ Rickettsiosen werden häufig importiert, insbe-
Fieber mit Exanthem sondere aus Afrika, daran ist zu denken wenn
gleichzeitig ein Exanthem (und evtl. ein Eschar)
Was liegt zugrunde? | Wichtige Differenzialdiag- vorliegt [27].
nosen sind (▶ Tab. 4): ▶▶ Bei eher länger anhaltenden subfebrilen Tem-
▶▶ Denguefieber, peraturen und bei einer zusätzlichen Spleno-
▶▶ akute HIV-Infektion, megalie ist eine viszerale Leishmaniasis, also
▶▶ Masern, eine Kala-Azar, auszuschließen [1] – diese kann
▶▶ Rickettsiosen, auch aus Südeuropa importiert werden [17].
▶▶ akute Schistosomiasis und
▶▶ selten: virale hämorrhagische Fieber (s. o.). Schistosomiasis | Selten kann auch bei Wurm-
Insbesondere das Afrikanische Zeckenbissfieber krankheiten eine Transaminasenerhöhung auftre-
(African tick bite fever, Erreger: Rickettsia africae) ten. So ist bei Fieber und gleichzeitig vorhandener
wird relativ häufig importiert. Eosinophilie in erster Linie an ein Katayama-­
Syndrom zu denken [13, 51]. Bei dieser akuten
Ddifferenzialdiagnostisch müssen immer Schistosomiasis sind weiterhin typisch Abge­
Arzneimittelreaktionen bedacht werden. schlagenheit, Kopf-, Nacken- und Gliederschmer-
zen, trockener Husten, Oberbauchschmerzen,
Übelkeit und breiige Durchfälle, manchmal Urti-
karia, die Leber ist oft vergrößert und druckdolent.
Fieber mit Hepatopathie
Seltene Differenzialdiagnosen | Dazu gehören
Malaria oder Hepatitis? | Bei unklaren Transami- Rift-Valley-Fieber, Chikungunya, Coxsackie-Infek- Tab. 4 Wichtige Differenzial­
nasenerhöhungen mit Fieber muss immer eine diagnosen bei Fieber und
Malaria ausgeschlossen werden – Transamina- Hautveränderungen.

senanstiege bis zum 10-Fachen des Normalwertes Phänomen Erkrankung


und Hyperbilirubinämie können Folge der direk- Makulös oder Dengue, Chikungunya, EBV, CMV, Masern, Zika-Virus,
ten Leberschädigung durch die Plasmodien sein. makulopapulös akute HIV-Infektion, Enteroviren, Masern, Rickettsiosen,
Ansonsten wird man zunächst Virushepatitiden Rückfallfieber, Leptospirose, Syphilis
ausschließen [29] (▶ Tab. 5).
Eschar Zeckenbissfieber, Tsutsugamushifieber
▶▶ Hepatitiden durch Infektionen mit Epstein-
Barr- oder Zytomegalieviren treten weltweit Vesikulär Disseminierter Herpes simplex, Windpocken, Affenpocken
auf und werden auch bei Reisenden häufig Roseolen Typhus abdominalis
nachgewiesen [5].
Urticaria Katayama-Syndrom
▶▶ Denguefieber ist nicht selten die Ursache einer
Hautblutungen Virale hämorrhagische Fieber, Meningokokken-Sepsis,
fieberhaften Hepatopathie und kann in Einzel-
Rocky Mountain Spotted Fever, hämorrhagischer Herpes
fällen mit Hepatitis-typischen Transaminasen
zoster, Verbrauchskoagulopathie
einhergehen.

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800 Dossier

Befund Diagnostik / Ursachen auch eine Leberegel-Infektion (Fasciola hepatica)


möglich [32].
Hohe Transaminasen ▶▶ Basisdiagnostik incl. Dicker Tropfen
▶▶ HAV-IgM, HBsAg und anti-HBc
Leberegel-Infektion | Bei Erkrankungen der Gal-
▶▶ Serologie oder PCR: Hepatitis C, Hepatitis E
lenwege, die nach einem Tropenaufenthalt mit
Leichte Transaminasen- Serologie: Zytomegalie, EBV, HIV, Dengue, Riftvalley, Ikterus oder Cholangitis einhergehen, ist in selte-
Erhöhung* Adenoviren, HSV, Coxsackie, Chlamydiosen, nen Fällen auch zu denken an
­Rickettsiosen, Q-Fieber, Brucellose, Legionellose, ▶▶ eine Leberegel-Infektion durch Fasciola hepa-
Leptospirose, Rückfallfieber, Lues (typisch: hohe AP), tica,
Toxoplasmose ▶▶ bei Herkunft aus Südostasien an den chinesi-
Granulomatöse Hepatitis Tuberkulose, Schistosomiasis, Toxocariasis, Brucellose, schen Leberegel Clonorchis sinensis und
Histoplasmose, Q-Fieber, Kala-Azar ▶▶ bei Herkunft aus Zentraleuropa und Nordasien
auch an den Katzenleberegel Opisthorchis
▶▶ Zusätzlich Splenomega- ▶▶ Knochenmark mikroskopisch und mittels PCR auf
Die Diagnose ergibt sich durch den Ei-Nachweis
lie und Panzytopenie Leishmanien
im Stuhl oder Gallensaft [32]. Bei Immigranten ist
▶▶ Histoplasmose-Serologie
auch ein durch Leberegel induziertes Cholangio-
▶▶ Zusätzlich Nieren­ ▶▶ Serologie, PCR: Leptospirose, Hantan
karzinom zu beachten.
funktionsstörung
Rezidivierendes Fieber Mikroskopie, ggf. PCR auf Rückfallfieber-Borrelien Adulte Spulwürmer können aus dem Intestinal-
▶▶ Zusätzlich Hämor­ an VHF denken (s. o.) trakt in die Gallenwege oder in den Pankreasgang

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rhagien einwandern, sie sind häufig in den bildgebenden
Verfahren darstellbar.
*evtl. stufenweise Abklärung, geographische Anamnese beachten

Tab. 5 Abklärung bei Fieber


und Hepatopathie.

tion, HSV-Infektion, Brucellose, Q-Fieber, Rück- Fieber mit pulmonalen Infiltraten


fallfieber, Listeriose, Tuberkulose, Histoplasmo-
se, Toxoplasmose; bei gleichzeitiger Hämolyse: Differenzialdiagnosen | Natürlich muss – ins­
­Bartonellose, Malaria, Mycoplasma-pneumoniae-­ besondere bei Migranten – immer an eine Tuber-
Infektion; und sehr selten die o. g. viralen hämor­ kulose gedacht werden. Tropenspezifische In­
rhagischen Fieber. Bei einer Leberfibrose ist bei fektionen sind in folgenden Situationen möglich
Immigranten an eine hepatolienale Schistosomi- [22, 33]:
asis zu denken, das typische sonographische Zei- ▶▶ Es ist immer an eine pulmonale Beteiligung bei
chen ist die periportale Fibrose. Malaria tropica zu denken!
▶▶ Bei Fieber, Pneumonie und Hepatitis auch an
Intrahepatische Abszesse | Weist ein Patienten ­Q-Fieber denken.
mit Fieber eine intrahepatische Raumforderung ▶▶ Pneumonie nach Besuch von Fledermaushöh-
auf, ist von len in Amerika oder chronische Verläufe mit
▶▶ einem bakteriellen Abszess oder Tbc-ähnlichen Bildern: systemische Mykosen,
▶▶ einem Amöbenleberabszess insbesondere Histoplasmose [7].
auszugehen. Der Amöbenleberabszess kann sich ▶▶ Pneumonie nach Besuch der Südstaaten der
während einer Amöbenkolitis oder auch zeitlich USA: Coccidioidomykose.
getrennt davon entwickeln, allerdings geht dem ▶▶ Pulmonale Symptome nach Süßwasserkontakt
Abszess nur in 10–20 % eine manifeste Kolitis vo- in Schistosomiasis-Gebieten (s. ▶ Tab. 1): pul-
raus. Es kommt meist zu akutem Erkrankungs­ monale Schistosomiasis [50].
beginn mit ▶▶ Pneumonie nach Aufenthalt in ländlichen Ge-
▶▶ Fieber, bieten SO-Asiens: Melioidose.
▶▶ Hepatomegalie und ▶▶ Flüchtige pulmonale Infiltrate mit Eosinophilie:
▶▶ Schmerzen im rechten Oberbauch. Larvenwanderung intestinaler Nematoden.
Erhöhte Akute-Phase-Proteine und Leukozyose ▶▶ Unklare respiratorische Symptome nach Auf-
sind fast immer nachweisbar. enthalt auf der arabischen Halbnsel: MERS

In den letzten Jahren wurden häufig bakterielle


Leberabszesse durch einen hochvirulenten Fieber und Lymphknotenschwellungen
Klebsiella-pneumoniae-Stamm in Südostasien oder Splenomegalie
beschrieben [56].
Lymphadenopathie | Generalisierte Lymphkno-
tenschwellungen mit Fieber treten bei einer Viel-
Bei vielen kleinen Leberabszessen (und oft zahl viraler, bakterieller und parasitärer Infekti-
gleichzeitig auch Milzabszessen) ist bei Rück- onen auf – am häufigsten bei
kehr aus Südostasien auch an eine Melioidose ▶▶ Mononukleose,
durch Burkholderia pseudomallei zu denken ▶▶ Zytomegalie,
[41]. Findet sich gleichzeitig eine Eosinophilie, ist ▶▶ Denguefieber.

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Dossier 801

Seltener sind Bei akuter Reisediarrhö


▶▶ Chikungunya,
Bakteriologische Stuhluntersuchung auf
▶▶ akute HIV-Infektion,
▶▶ Salmonellen, Shigellen, Campylobacter
▶▶ Rickettsiosen,
▶▶ Typhus, Zusätzlich bei blutig-schleimigen Diarrhöen
▶▶ Leptospirose, ▶▶ Parasitologische Stuhluntersuchung auf Entamoeba histolytica
▶▶ Brucellose,
▶▶ Bakteriologische Untersuchung auf EHEC (z. B. mit PCR auf die Gene stx-1 und
▶▶ Kala-Azar,
stx-2)
▶▶ Toxoplasmose.
Zusätzlich bei Diarrhö und Fieber
Nuchale Lymphknotenschwellungen bei Fieber
nach Afrika-Aufenthalt sind pathognomonisch für ▶▶ Blutbild, Entzündungsparameter
die sehr selten importierte Schlafkrankheit (Win- ▶▶ Ausschluss einer Malaria (bei Herkunft aus Endemiegebiet)
terbottom-Zeichen).
▶▶ eventuell Calprotectin im Stuhl

Die wichtigste Differenzialdiagnose bei Migranten Tab. 6 Diagnostik bei akuter Reisediarrhö.
ist die Lymphknoten-Tuberkulose.

tis-Gürtel in Afrika denken. Die Differenzialdiag-


Splenomegalie | Sie ist häufig bei infektiösen Sys- nose bei lymphozytärer Meningitis umfasst u. a. :
temerkrankungen: ▶▶ akute HIV-Infektion

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▶▶ Typhus, ▶▶ Tuberkulose
▶▶ Leptospirose, ▶▶ Syphilis
▶▶ Brucellose, ▶▶ Arbovirosen
▶▶ Dengue. ▶▶ Lyme-Krankheit
▶▶ Leptospirose
Wichtig ist es, bei jedem Patienten mit Fieber, ▶▶ Brucellose
(Hepato-)Splenomeaglie und Panzytopenie an die ▶▶ Q-Fieber
viszerale Leishmaniasis (Kala-Azar) zu denken (s. o.). ▶▶ Rückfallfieber
▶▶ Tsutsugamushi-Fieber
▶▶ Kryptokokkose
Bei der akuten Malaria des Nicht-Immunen ist die
Splenomegalie kein Frühsymptom, erst nach 1–3 Enzephalitis | Die Differenzialdiagnose bei Enze-
Wochen kommt es zur Milzvergrößerung. Bei lang phalitis ist umfangreich und umfasst natürlich
anhaltendem Fieber unklarer Ursache ist auch die auch die hier vorkommenden Erreger:
Tuberkulose eine wichtige Differenzialdiagnose. ▶▶ Herpes simplex
▶▶ Varizella zoster
▶▶ Tuberkulose
Fieber mit Gelenkschmerzen ▶▶ Enteroviren

Typisch: Chikungunya-Fieber | Zunächst sollte Wichtige Ursachen einer Enzephalitis, an die man
eine pyogene Arthritis ausgeschlossen werden. immer denken muss, sind
Fieber und häufig lang anhaltende Gelenkschmer- ▶▶ Tollwut [11] und
zen sind charakteristisch bei Chikungunya-Fieber, ▶▶ zerebrale Malaria.
das neuerdings nicht nur in den Ländern um dem
Indischen Ozean herum auftritt, sondern auch in
der Karibik und in Zentralamerika sowie im Pazi- Ferner kommen folgende Ursachen in Betracht:
fik [52]. ▶▶ bei Herkunft aus Afrika
▶▶ Bei Einreise aus Australien, Neuseeland oder ▶▶West-Nil-Fieber
Ozeanien ist auch an Ross-River-Fieber zu den- ▶▶Schlafkrankheit
ken ▶▶ bei Herkunft aus Australien
▶▶ Fieber und Gelenkschmerzen sind auch Symp- ▶▶Murray-Valley-Enzephalitis
tome der Zikavirus-Infektion, die in Afrika, ▶▶ bei Herkunft aus SO-Asien und China:
Asien und im Pazifik vorkommt. ▶▶Japanische Enzephalitis
▶▶Hand-Fuß-Mund-Krankheit (Enterovirus 71)
▶▶Nipah-Viren und
Meningitis und Enzephalitis ▶▶enzephalitische Verläufe bei Dengue oder
Chikungunya.
Diagnostik | Bei Meningitis sollte die übliche
­Diagnostik mittels Bildgebung und Liquorpunk-
tion durchgeführt werden. Reisediarrhö

Meningitis | Mit einer Meningokokkenmeningitis Intestinale Flora | Während des Aufenthaltes in


ist insbesondere nach Aufenthalten im Meningi- tropischen oder subtropischen Ländern ändert

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802 Dossier

▶▶ virale Infektionen häufiger zu Übelkeit und Er-


Bei chronischer Diarrhö nach Reise
brechen,
Bakteriologische Stuhluntersuchung auf Salmonellen, Shigellen, Campylobacter
▶▶ Shigellen und Entamoeba histolytica häufiger
Parasitologische Stuhluntersuchung auf Giardia lamblia: zu blutigen Diarrhöen,
▶▶ zwei- bis dreimal Stuhlmikroskopie nach Anreicherung, wenn negativ: PCR ▶▶ Giardia lamblia und Blastocystis hominis eher

Parasitologische Stuhluntersuchung auf Cyclospora cayetanensis und


zu Diarrhöen mit Meteorismus,
­Kryptosporidien:
im Einzelfall ist ein Rückschluss auf den zugrun-
deliegenden Erreger aber nicht möglich.
▶▶ zwei- bis dreimal Stuhlmikroskopie nach Kinyoun-Färbung, wenn negativ: PCR

Parasitologische Stuhluntersuchung auf Dientamoeba fragilis und Blastocystis Eine Abklärung ist erforderlich bei Diarrhö mit
hominis: Fieber, bei schweren Verläufen mit Dehydratation,
▶▶ zwei- bis dreimal Stuhlmikroskopie nach Anreicherung, wenn positiv: bei Blut oder Schleim im Stuhl (▶ Tab. 6) und bei
­Therapieversuch (da diese Erreger nicht obligat pathogen sind) persistierenden oder rezidivierenden Diarrhöen
(▶ Tab. 7).
Koloskopie
Zusätzlich bei bekanntem Immundefekt:
Cave Auch eine Malaria kann mit einer gastro­
▶▶ Parasitologische Stuhluntersuchung auf Isopora belli
intestinalen Symptomatik einhergehen!
▶▶ PCR-Untersuchung des Stuhls auf Mikrosporidien

Bei zusätzlicher Eosinophilie


Ebenfalls sollte stets bedacht werden, dass es sich

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▶▶ Stuhluntersuchung auf Nematodenlarven (Strongyloides stercoralis)
bei einer anhaltenden Reisediarrhö um die erste
Tab. 7 Diagnostik bei chronischer Diarrhö nach Reise. Manifestation einer Colitis ulcerosa oder eines
Morbus Crohn handeln kann. Bei unklaren Diar-
rhöen sollte nach einer vorbestehenden HIV-In-
sich die intestinale Flora bei den Reisenden fektion gefragt werden.
plötzlich; unter den neuerworbenen Mikroorga-
nismen ist auch eine Vielzahl potenziell pathoge- Vergiftungen | Differenzialdiagnostische Proble-
ner Keime [58]. Das Erregerspektrum variiert je me können manchmal Vergiftungen nach dem
nach geographischer Herkunft [10]. Verzehr von Meerestieren bereiten. Am wichtigs-
ten ist Ciguatera, eine Vergiftung mit einem Toxin,
Die Reisediarrhö ist in den meisten Fällen das von Dinoflagellaten gebildet wird und sich in
eine selbstlimitierende Erkrankung, eine Raubfischen anreichert.
­antibiotische Therapie ist also meist nicht ▶▶ Zunächst bestehen gastrointestinale Symptome.
erforderlich und erhöht das Risiko einer ▶▶ Sie werden im weiteren Verlauf durch neurolo-
­Besiedlung mit ESBL [31]. gische Symptome ersetzt:
▶▶Parästhesien
▶▶Umkehrung des Temperaturempfindens
Ursachen | Eine Differenzialdiagnose anhand ▶▶Schwindel etc.
der Symptomatik ist nicht möglich [43]. Zwar
führen
Importierte Hautkrankheiten
Abb. 1 Kutane Leishmaniasis.
Ursache: tropisches Klima | Nach Fieber und
Durchfallerkrankungen stehen in der Reisemedi-
zin dermatologische Krankheitsbilder an dritter
Stelle [19, 24, 37]. Oberflächliche bakterielle und
mykotische Infektionen können sich unter tropi-
schen Klimabedingungen bei hoher Luftfeuch-
tigkeit und verstärkter Transpiration auch beim
Immunkompetenten und Nicht-Diabetiker be-
deutend schneller und ausgeprägter entwickeln
als unter gemäßigten Klimabedingungen [45,
57]. Die im Folgenden dargestellten Hauterkran-
kungen sollte man auch als Nicht-Dermatologe
kennen, wenn man Reiserückkehrer betreut.

Bakterielle Infektionen | Insektenstiche, die für


sich allein schon hartnäckig persistieren und er-
heblichen Juckreiz auslösen können, sind häufig
Eintrittspforte für schwere bakterielle Infektio-
nen. Klinisch äußern sie sich als
▶▶ Erysipele,
▶▶ Furunkel,

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Dossier 803

▶▶ Karbunkel,
Symptome / Befunde Ursachen
▶▶ Phlegmone und
▶▶ Abszesse.
Fieber Katayama-Syndrom, akute Fasciola
hepatica-Infektion, Trichinose
Kutane Leishmaniasis | Bei der Orientbeule bildet Abdominelle Beschwerden Verschiedene Darmnematoden, intestinale
sich nach langer Inkubationszeit von mehreren Bandwürmer, intestinale Egel, Toxocariasis,
Monaten an der Stichstelle ein Hautknoten mit Echinokokken
erythematöser Umgebung, der später ulzeriert Muskelschmerzen Trichinose, Gnathostomiasis*
(▶ Abb. 1).
Periorbitales Ödem Trichinose
▶▶ Die unkomplizierte Orientbeule der Alten Welt
heilt meist spontan innerhalb weniger Monate Urtikaria Schistosomiasis, Strongyloidiasis, Filariasis
unter Narbenbildung ab. Pruritus Onchocerciasis
▶▶ Bei einer kutanen Leishmaniasis aus der Neuen Wandernde subkutane Schwellungen Gnathostomiasis, Loiasis, Strongyloidiasis,
Welt sollte eine Spezies-Differenzierung erfol- Paragonimiasis
gen: Infektionen mit L. braziliensis und L. pana-
Wandernder Wurm subkonjunktival Loiasis
mensis müssen systemisch behandelt werden,
um eine spätere mukokutane Leishmaniasis Pulmonale Infiltrate Ascariasis, Hakenwurmbefall, Strongyloi-
mit Destruktionen z. B. der Nasenscheidewand diasis, Toxocariasis, Paragonimiasis
zu verhindern [49, 63]. Eosinophilie im Liquor (eosinophile Gnathostomiasis, Schistosomiasis,
Meningitis) Zystizerkose, Angiostrongylus cantonensis-

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Kutane Larva migrans | Sie entsteht meist durch Infektion
Infektion mit Larven tierpathogener Haken- *eine Differenzialdiagnose ist eine Erkrankung durch Protozoen, die in Malaysia
würmer, z. B. Ancylostoma braziliense [60]. (Insel Tioman) vorkommt, die sog Sarkozystose [20, 55]
Diese sterben nach einiger Zeit ab, da eine Rei-
Tab. 8 Wichtige Wurmerkrankungen als Differenzialdiagnose bei Eosinophilie.
fung zum adulten Wurm im Menschen nicht
möglich ist.

Ursache ist ein direkter Hautkontakt mit Weiterhin kann man Infektionen durch erwach-
­larvenkontaminierten Böden, z. B. beim sene Würmer und durch Wurmlarven unter-
­Barfußlaufen. scheiden.

Rasche Abklärung | Ausgeprägte Eosinophilien


Es findet sich zunächst eine juckende Papel, die entstehen durch
bei weiterer Migration der Larve in einzelne oder ▶▶ Freisetzung von Wurmeiern im Gewebe,
multiple erythematöse, serpiginös gewundene ▶▶ Gewebewanderung invasiver Larven, aber auch
Gänge mit starkem Juckreiz übergeht (▶ Abb. 2). ▶▶ Absterben adulter Würmer.

Myiasis | Dabei handelt es sich um Furunkel-ähn- Bis zu 5 % der asymptomatischen


liche Hautläsionen, die durch Fliegenmaden aus- ­Tropenrückkehrer haben eine
gelöst werden [21]. Die bei weitem wichtigsten ­abklärungsbedürftige Eosinophilie.
Erreger einer Myiasis sind
▶▶ die Tumbufliege Cordylobia anthropophaga, die
sich hauptsächlich in Afrika findet, und Bei Immigranten mit Eosinophilie wurden, ab-
▶▶ die Dasselfliege Dermatobia hominis, die pri- hängig von deren Herkunft, in bis zu über 50 %
mär in Zentral- und Südamerika vorkommt. Helminthen gesichert. Andererseits sind die Sen-
Infektionen durch die Tumbufliege werden durch
direkten Hautkontakt zu kontaminierten Böden Abb. 2 Larva migrans cutanea.
oder durch verschmutzte Kleidung erworben.
Die Dasselfliegen deponieren ihr Eipaket an ei-
nem blutsaugenden Insekt. Wenn dieses mit
Haut in Kontakt kommt, lösen sich die Eier ab
und bleiben an der Haut oder in Haaren haften,
und die Larve bohrt sich dann in die Haut ein.

Eosinophilie

Meist Wurminfektion | Eine Eosinophilie bei Tro-


penrückkehrern wird häufig durch Wurminfekti-
onen ausgelöst [61]. Man unterscheidet
▶▶ Bandwümer (Cestoden),
▶▶ Saugwürmer (Trematoden) und
▶▶ Fadenwürmer (Nematoden).

Burchard G. Importierte Erkrankungen Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 797–804


804 Dossier

sitivität und Spezifität einer Eosinophilie zur ­einem l­ebensgefährlichen Hyperinfektionssyn-


­Diagnose einer Helminthose niedrig. und der po- drom kommen.
sitive prädiktive Wert ist gering [39].
Cave Bei Migranten aus Tropen und Subtropen
Infektionen durch Helminthen können einerseits ist vor einer Immunsuppression immer eine
ernste gesundheitliche Schäden nach sich ziehen Strongyloidiasis auszuschließen.
andererseits kann eine Eosinophilie auf ein
Prof. Dr. med. Gerd Burchard
ist am Ifi-Institut für Interdiszip- Malignom hinweisen. Daher ist eine rasche
linäre Medizin, Hamburg, tätig. Abklärung unerlässlich Unklare urogenitale Symptome | Bei Herkunft aus
Sein Schwerpunkt ist die ▶▶ durch direkten Parasitennachweis oder einen Schistosomiasis-Gebiet ist an eine urogeni-
Klinische Tropenmedizin. ▶▶ Immundiagnostik (▶ Tab. 8). tale Schistosomiasis zu denken. Diese ist auch bei
burchard@ifi-medizin.de
Touristen nicht selten [15, 46]. Zum diagnosti-
schen Vorgehen sei auf die AWMF-Leitlinie
Bei der Antikörperdiagnostik muss beachtet (und „­Schistosomiasis (Bilharziose), Diagnose und The-
kann ausgenutzt) werden, dass Kreuzreaktionen rapie“ verwiesen [65].
innerhalb der drei Gruppen der Cestoden, Nema-
toden und Trematoden häufig sind. Bei asympto- Bei unklaren kardialen Symptomen bei Migranten
matischer Eosinophilie empfiehlt sich aus Lateinamerika ist eine chronische Chagas-
▶▶ zunächst eine dreifache Stuhluntersuchung auf Krankheit zu bedenken [59]. Typisch sind eine
Wurmeier, dilatative Kardiomyopathie, apikale Aneurysmen

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▶▶ ist diese negativ, eine serologische Untersu- mit Thromben und Rhythmusstörungen [64].
chung auf Cestoden, Trematoden und Nemato-
den sowie Konsequenz für Klinik und Praxis
▶▶ eine Stuhluntersuchung auf Strongyloides-Lar-
▶▶ Bei Fieber nach Aufenthalt in Tropen und
ven [12, 18].
Subtropen immer zunächst eine Malaria tropica
ausschließen.
Interne Autoinfektion | Bei der Strongyloidiasis ▶▶ Bei Fieber und hämorrhagischer Diathese an
ist die sog. interne Autoinfektion wichtig: Die
Ebola und andere virale hämorrhagische Fieber
­bereits im Darm geschlüpften Larven dringen
denken.
durch die Mukosa ein, erreichen über Lymph-
▶▶ Bei Fieber mit hohen Entzündungszeichen und
und Blutgefäße die Lunge und dann erneut den
Oberbauchschmerzen an einen Amöbenleber-
Dünndarm, um hier wieder zu Adulten heran­
abszess denken und Sonographie veranlassen.
zureifen. Dieser interne Autoinfektionszyklus
▶▶ Die weitere Abklärung des Fiebers erfolgt nach
läuft bei den meisten Infizierten auf niedrigem
den Begleitsymptomen.
Niveau kontinuierlich ab und ist für die lange
▶▶ Eine Reisediarrhö sollte abgeklärt werden bei
Persistenz der Infektion verantwortlich. Wenn
▶▶ Fieber,
dieser durch spezifische und unspezifische
▶▶ schweren Verläufen mit Dehydratation,
­Abwehrmechanismen kontrollierte Zyklus z. B.
▶▶ Blut oder Schleim im Stuhl und
bei Immunsuppression außer Kontrolle gerät,
▶▶ persistierenden Diarrhöen.
kann es zu einer massiven Autoinfektion mit

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Burchard G. Importierte Erkrankungen Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 797–804


Dossier 805

Reiseimpfungen und Malariaprophylaxe

Martin Alberer, Thomas Löscher

Fernreisen und Migration nehmen kontinuierlich zu. Das Ziel sind immer häufiger auch Regionen, in
denen Infektionskrankheiten verbreitet sind, die in Europa selten oder gar nicht vorkommen. Durch
gezielte Präventionsmaßnahmen lassen sich zahlreiche Gesundheits­risiken vermeiden – oder
zumindest erheblich reduzieren. Genau das ist die Aufgabe der reisemedizinischen Beratung, die
rechtzeitig vor Aufenthalten in Risikogebieten erfolgen sollte.

Gefährdeter Personenkreis | Besonders stark ge- Expositionsprophylaxe Infektionen (Beispiele)


fährdet für infektiöse Reisekrankheiten sind
Nahrungsmittel- / Wasserhygiene Enteritiserreger, Typhus / Para­typhus,
▶▶ Rucksack- und Abenteuerreisende (sog. „Low-

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Giardiasis, Amöbiasis, Helminthiasen,
budget-travelers“) und
Hepatitis A / E, Polio
▶▶ Menschen mit Migrationshintergrund, die ihre
Herkunftsländer besuchen (sog. „Visiting- Schutz vor Insekten und blutsaugenden Malaria, Denguefieber und andere
friends-and-relatives“ [VFR]). Arthropoden Arbovirosen, Rickettsiosen, Borreliosen,
Dennoch reisen gerade sie häufig ohne adäquate Leishmaniosen, Filariosen, Ektoparasitosen
Beratung und Prävention [10]. Nicht barfuß laufen Hakenwurminfektion, Strongyloidiasis,
kutane Larva migrans
Reiseberatung | Die Prävention übertragbarer Er-
Süßwasserkontakt vermeiden Schistosomiasis, Leptospirose
krankungen spielt bei der Reiseberatung eine be-
sonders wichtige Rolle. Hierzu gehören neben der Keine ungeschützten Sexualkontakte HIV, Lues, Gonorrhoe und andere STDs,
Expositionsprophylaxe (▶ Tab. 1) vor allem Imp- Herpesvirus-Infektionen, Hepatitis B / C,
fungen und der Schutz vor Malaria. Eine adä­quate Ektoparasitosen
Beratung umfasst jedoch auch Informationen
Tierkontakte und Tier­bisse vermeiden Tollwut, Brucellose, Leptospirose,
über nicht-infektiöse Gesundheitsrisiken, z. B.
Lassafieber, Ebola/Marburgfieber,
▶▶ Klima,
Echinokokkose
▶▶ UV-Schutz,
▶▶ Unfälle, Vermeiden von Injektionen, medizini- HIV, Hepatitis B / C
▶▶ Gewalt, schen Eingriffen, Piercings und Tätowie-
▶▶ Gifttiere, rungen unter unsterilen Bedingungen
▶▶ Reisen mit chronischen Krankheiten Tab. 1 Übersicht über
▶▶ sowie über den Inhalt der Reiseapotheke. Expositionsprophylaxen bei
Reiseimpfungen zumindest teilweise als freiwilli- unterschiedlicher infektiöser
Gefährdung.
Bei beruflich veranlassten Reisen ist die Beratung ge Leistung.
ein wichtiger Teil der arbeitsmedizinischen
Vorsorge. Die Kosten, auch für Impfungen, trägt Vorgeschriebene Impfungen | Nach den Interna-
der Arbeitgeber [3]. tionalen Gesundheitsvorschriften ([27], zuletzt
überarbeitet 2005) kann jeder Staat Impfungen
bei Einreise oder Transit über bestimmte Länder
vorschreiben. Dies betrifft vor allem die Gelbfie-
Impfungen berimpfung. Saudi-Arabien verlangt bei bestimm-
ten Personen einen aktuellen Impfschutz gegen
Rechtsgrundlage | In Deutschland regeln die Zu- Meningokokken und Poliomyelitis. Hierzu gehö-
lassungsunterlagen (Fachinformation) und Emp- ren z. B. Pilger und Personen, die zwecks Arbeits-
fehlungen der Ständigen Impfkomission (STIKO) aufenthalt in das Land reisen [2]. Eine Reihe wei-
des Robert-Koch-Instituts die Indikation und terer Staaten verlangt derzeit bei Einreise aus
Durchführung von Impfungen [19]. Nach der ­Endemiegebieten ebenfalls den Nachweis einer
Schutzimpfungs-Richtlinie des Gemeinsamen aktuellen Polioimpfung.
Bundesausschusses (G-BA) sind Reiseimpfungen
keine Kassenleistungen. Ausnahme sind Stan- Da sich die Einreisevorschriften kurzfristig ändern
dard- oder Indikationsimpfungen, die auch un­ können und das Auswärtige Amt nicht immer
abhängig von einer Reise empfohlen werden. informiert wird, sollten sich Reisende im Vorfeld
Zahlreiche gesetzliche wie private Krankenver­ ggf. bei der Botschaft bzw. dem Konsulat des
sicherungen übernehmen jedoch die Kosten von Reiselandes erkundigen [2].

Alberer M, Löscher T. Reiseimpfungen und Malariaprophylaxe Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 805–814
806 Dossier

Indikationsimpfungen | Neben vorgeschriebenen möglichst bald nach Ankunft vor Ort geeimpft
Impfungen können zudem bestimmte Indikations- werden.
impfungen angezeigt sein. Diese richten sich nach
▶▶ Ziel, Art und Dauer der Reise, Auf der Nord- und Südhalbkugel tritt die
▶▶ Expositionsrisiken und Influenza im jeweiligen Winter auf, in den Tropen
▶▶ Vorerkrankungen des Reisenden. hingegen ganzjährig.
Aktuelle Hinweise dazu finden sich u. a. in den
„Hinweisen und Empfehlungen zu Reiseimpfun-
gen“ der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedi- Personalisierte Empfehlungen | Bei bestimm-
zin und Internationale Gesundheit (DTG e. V.), die ten Personen und Risikogruppen sollten auch
jährlich aktualisiert werden [6]. weitere in Deutschland indizierte Impfungen
besprochen und ggf. durchgeführt werden [19],
z. B. gegen
Standardimpfungen ▶▶ Varizellen,
▶▶ Hepatitis B,
Tetanus und Diphterie | Grundsätzlich wird ein ▶▶ humane Papillomviren (HPV).
aktueller Schutz gegen Tetanus und Diphtherie Eine Impfung gegen die Frühsommer-Menin-
empfohlen. Eine fehlende oder unvollständige goenzephalitis (FSME) schützt auch gegen die
Grundimmunisierung ist nachzuholen bzw. zu fernöstliche und sibirische Virusvariante. Deshalb
komplettieren. Liegt die letzte Impfung bei voll- kann eine FSME-Impfung auch für Reisende nach

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ständiger Grundimmunisierung länger als 10 Asien sinnvoll sein (z. B. Russland, Mongolei,
Jahre zurück, sollte der Impfschutz aufgefrischt Nordchina und Japan).
werden mit einem
▶▶ Td-Impfstoff (ab dem Alter von 5–6 Jahren, je Bei jeder reisemedizinischen Beratung sollten
nach Herstellerangaben) bzw. auch die von der STIKO empfohlenen Standard­
▶▶ TD-Impfstoff (Kinder unter 5–6 Jahre, s. o.). impfungen überprüft und ggf. ­nachgeholt bzw.
Das TD-Präparat enthält eine höhere Dosis des aufgefrischt werden.
Diphterietoxins.

Pertussis | Im Erwachsenenalter sollte bei der


Robert Koch-Institut
nächsten fälligen Td-Auffrischung einmalig gegen Poliomyelitis
(www.rki.de)
Keuchhusten geimpft werden (Tdap-Kombinati-
▶▶ STIKO-Empfehlungen
onspräparat). Ein monovalenter Impfstoff ist in Endemiegebiete | Trotz der globalen Anstren-
▶▶ Migration und Impfen
Deutschland zurzeit nicht verfügbar [19]. gungen, Polio zu auszurotten, kommt es in Afrika
▶▶ Epidemiologisches
(Nigeria) und in Südasien (Pakistan, Afghanistan)
Bulletin
Masern | Insbesondere in Ländern mit einer nied- immer noch zu neuen Fällen. Dabei können Polio-
rigen Durchimpfungsrate (z. B. viele Entwick- viren auch in Nachbarländer übertragen werden
Deutsche Gesellschaft für
lungsländer) besteht ein erhöhtes Masern-Risiko. und dort zu Ausbrüchen führen, z. B. in Somalia,
Tropenmedizin und
Eine einmalige Impfung – möglichst als Kombina- Kenia, Äthiopien, Südsudan, Kamerun. Auch in
Internationale Gesund-
tion Masern-Mumps-Röteln – ist bei allen Perso- Syrien kam es 2013 / 14 zu einem Polio-Ausbruch.
heit (www.dtg.org)
nen indiziert, die In Ägypten und Israel wurden Wildvirusisolate in
▶▶ Hinweise & Empfehlun-
▶▶ nach 1970 geboren sind und Abwässern nachgewiesen.
gen zu Reiseimpfungen
▶▶ in der Kindheit nicht bzw. nur einmal gegen
▶▶ Empfehlungen zur
Masern geimpft wurden. Für Reisen nach Afrika und Asien einschließlich
Malariavorbeugung dem Nahen Osten wird ein aktueller Polioschutz
▶▶ Leitlinie zur Diagnostik
Pneumokokken und Influenza | Alle Reisenden empfohlen.
& Therapie der Malaria
ab dem 60. Lebensjahr sollten einmalig gegen
▶▶ Reisemedizinische
Pneumokokken sowie jährlich gegen Influenza
Kurse & Fortbildungen
geimpft werden. Die Influenza zählt zu den am Impfschema | Nach abgeschlossener Grundim-
▶▶ Arztsuche: Reisemedi-
häufigsten bei Fernreisen erworbenen Infektio- munisierung werden in Deutschland derzeit kei-
zin, Gelbfieberimpfstel-
nen [22]. Eine Impfung sollte deshalb bei allen ne weiteren Auffrischimpfungen empfohlen. Für
len, Tropenmedizin
Fernreisenden erwogen werden, insbesondere einen aktuellen Impfschutz ist eine Auffrischimp-
▶▶ Tropenmedizinische
bei fung mit dem inaktivierten trivalenten Polio­
Einrichtungen
▶▶ Besuch von Massenveranstaltungen (z. B. Mek- impfstoff (IPV) erforderlich, wenn die letzte Imp-
kapilger) oder fung länger als 10 Jahre zurückliegt. Ggf. können
Weltgesundheitsorgani-
▶▶ regelmäßiger Benutzung von öffentlichen Ver- Kombinationspräparate angewendet werden
sation (www.who.int)
kehrsmitteln. (▶ Tab. 2). Eine fehlende Grundimmunisierung
▶▶ International travel and
muss nachgeholt werden – auch unabhängig von
health
In manchen Jahren unterscheidet sich die WHO- einem Auslandsaufenthalt. Dabei sollten vor
▶▶ Weekly epidemiological
Empfehlung zur Zusammensetzung des aktuellen ­Reiseantritt möglichst 2 Dosen IPV im Abstand
Record
saisonalen Impfstoffes für die Nord- und Süd- von ≥ 4 Wochen verabreicht werden. Der orale
▶▶ International Health
halbkugel. Bei Beschaffungsproblemen (z. B. Süd- ­Lebendimpfstoff (OPV) steht in Deutschland nicht
Regulations (IHR)
halbkugel-Impfstoff) sollte der Reisende ggf. mehr zur Verfügung.

Alberer M, Löscher T. Reiseimpfungen und Malariaprophylaxe Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 805–814
Dossier 807

Wer sollte geimpft werden? | Alle Reisenden Hepatitis B | Die STIKO rät, grundsätzlich alle
nach Afrika und Asien sollten einen aktuellen Kinder und Jugendliche gegen Hepatitis B zu
Schutz aufweisen. Dies gilt auch für Asylbewer- impfen. Hierfür sind gut verträgliche rekom­
ber und Flüchtlinge aus diesen Gebieten sowie für binante Totimpfstoffe verfügbar. Jugendliche
betreuendes Personal in Deutschland [19]. Bei und Erwachsene werden mit drei Impfungen (0,
Einreise aus Gebieten mit Poliofällen oder Wild- ≥ 1 und ≥ 6 Monate) grundimmunisiert. Bei Anti-
virusnachweis wird von einzelnen Ländern (der- HBs-Werten ≥ 100 IE / l ist nach den aktuellen
zeit Saudi-Arabien und Indien) sogar eine Imp- STIKO-Empfehlungen keine Auffrischung erfor-
fung bei ­Einreise verlangt, die nicht länger als 1 derlich. Ausnahmen hierfür sind:
Jahr zurückliegt und mind. 6 Wochen vorher er- ▶▶ Patienten mit humoraler Immundefizienz
folgt sein muss [2]. ▶▶ Personen mit hohem individuellen Expositi-
onsrisiko

Virushepatitis Reicht die Zeit vor der Ausreise nicht aus, ist eine
Schnellimmunisierung mit einem Hepatitis-B- oder
Hepatitis A | Von der Impfung profitieren viele Hepatitis-A / B-Impfstoff möglich (Impfung an Tag
Reisende, auch bei Zielen im Mittelmeerraum 0, 7, 21 sowie zusätzlich nach 12 Monaten).
oder Osteuropa [13, 22]. Daher sollten alle nicht-
immunen Personen vor Reisen in Endemiege­
biete geimpft werden. Eine einmalige Immuni- Hepatitis-B-Indikationsimpfung | Geimpft wer-

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sierung mit dem gut verträglichen und hoch den sollten Personen
wirksamen Totimpfstoff schützt für mindestens ▶▶ mit erhöhtem privaten oder beruflichen Infek-
ein Jahr vor einer Infektion. Eine Wiederholung tionsrisiko,
nach frühestens 6 Monaten führt zu einem Lang- ▶▶ in Gemeinschaftseinrichtungen,
zeitschutz von mindestens 25 Jahren, möglicher- ▶▶ mit bestimmten Grunderkrankungen
weise sogar lebenslang. Kombinationspräparate (z. B. HIV- / HCV-Infektion, Dialysepatienten),
(mit Hepatitis B oder Typhus) sind erhältlich ▶▶ vor Reisen in Endemiegebiete (v. a. Langzeitauf-
(▶ Tab. 2). enthalte).

Tab. 2 Impfstoffe in der


Erkrankung bzw. Erreger Handelspräparate
Reisemedizin.
Cholera Dukoral®
Diphtherie Diphtherie-Adsorbat-Impfstoff Behring® NF
Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) Encepur®, FSME-Immun®
Gelbfieber Stamaril®
Hepatitis A HAVpur®, Havrix®, VAQTA®
Hepatitis B Engerix®, HBVAXPRO®
Erhöhte Dosis HBVAXPRO® 40 µg
MPL-Adjuvans (AS04) Fendrix®
Influenza Verschiedene Präparate
tetravalent Influsplit tetra®, Fluenz® tetra
Japanische Enzephalitis IXIARO®
Meningokokken ACWY (Konjugat) Menveo®, Nimenrix®
Meningokokken B Bexsero®
Pneumokokken, Pneumokokken-Konjugat Pneumovax 23®, Prevenar 13®
Polio (IPV) IPV Merieux®
Tetanus Tetanol® pur, Tetanus-Impfstoff Mérieux®
Tollwut Rabipur®, Tollwut-HDC®
Typhus oral Typhoral®
Typhus parenteral Typherix®, Typhim Vi®
Kombinationsimpfstoffe
▶▶ Tetanus-Diphtherie (TD, Td) verschiedene Präparate
▶▶ Tetanus-Diphtherie-Pertussis (Tdap) Boostrix®, Covaxis®, TdaP-IMMUN®
▶▶ Tetanus-Diphtherie-Polio (TdIPV) Revaxis®
▶▶ Tetanus-Diphtherie-Pertussis-Polio (Tdap-IPV) Boostrix® Polio, Repevax®
▶▶ Masern-Mumps-Röteln M-M-R-vaxPro®, Priorix®
▶▶ Hepatitis A/B Twinrix®
▶▶ Hepatitis A-Typhus Hepatyrix®, ViATIM®

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Bei Fernreisen können zudem zusätzliche, nicht grund des zoonotischen Reservoirs ist eine voll-
immer vorhersehbare Risiken vorkommen, wie ständige Eradikation in den Endemiegebieten
▶▶ ungeschützte Sexualkontakte oder unwahrscheinlich. So kann es auch Jahrzehnte
▶▶ medizinische Eingriffe bei ungenügenden nach dem letzten menschlichen Gelbfieberfall
hygie­nischen Bedingungen [13, 22]. erneut zu Ausbrüchen kommen. In Asien sind
zwar geeignete Vektoren vorhanden, dennoch
Kontrolle des Impferfolgs | Bei Indikationsimp- traten bislang keine autochthonen Gelbfieber­
fungen sollte der Impferfolg serologisch 4–8 Wo- fälle auf.
chen nach der Grundimmunisierung kontrolliert
werden. Hierbei muss das individuelle Exposi­ Bei einem Teil der Patienten kommt es im
tionsrisiko bzw. das Risiko eines Impfversagens Krank­heitsverlauf zu hämorrhagischem Fieber
berücksichtigt werden, z. B. bei mit Multiorganversagen (Letalität stationär
▶▶ älteren Reisenden, behandelter Fälle 5–10 %).
▶▶ Personen mit Grunderkrankungen.
Bei unzureichendem Ansprechen sollten weitere
Impfungen und Kontrollen entsprechend den Immunisierung | In Deutschland ist ein Lebend­
STIKO-Empfehlungen erfolgen [19]. Für Non-Re- impfstoff verfügbar, der auf dem attenuierten
sponder und Personen mit bekannt schlechtem 17D-Impfvirusstamm basiert (▶ Tab. 2). Pflicht ist
Ansprechen (z. B. Dialysepatienten) sind Hepati- eine im internationalen Impfpass dokumentierte
tis-B-Impfstoffe mit besonders wirksamen Adju- Immunisierung

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vanzien (AS04) oder erhöhtem Antigengehalt ▶▶ in Teilen Südamerikas und des subsaharischen
­erhältlich (▶ Tab. 2). Afrikas bei Einreise oder Rückkehr aus einem
Endemiegebiet. Die Impfung muss dabei min-
Eine Hepatitis-B-Impfung sollte bei jeder destens 10 Tage vor Einreise erfolgt sein.
reisemedizinischen Beratung besprochen werden. ▶▶ in einigen Ländern Asiens, wenn 10 Tage zuvor
eine Endemieregion bereist wurde.
Die WHO geht nach einmaliger Impfung von
­einem lebenslangen Impfschutz aus. Diese Er-
Gelbfieber kenntnis wurde allerdings noch nicht in den
­Internationalen Gesundheitsvorschriften und in
Risikogebiete Afrika und Südamerika | Gelbfie- den Einreisevorschriften der Länder umgesetzt.
ber wird durch Aedes-Moskitos übertragen. Die So muss in einigen Staaten bei Einreise noch im-
Virusinfektion ist in einigen tropischen Regionen mer nachgewiesen werden, dass die letzte Gelb-
Südamerikas und des subsaharischen Afrikas fieberimpfung maximal 10 Jahre zurückliegt.
zoonotisch bei Affen verbreitet. Beim Menschen
kann es neben Einzelerkrankungen auch zu epi- Impfrisiken | Das Gelbfieberimpfvirus hat eine
demischen Ausbrüchen kommen (▶ Abb. 1). Auf- ­relativ hohe Restvirulenz. Die Erstimpfung kann

Abb. 1 Verbreitungsgebiete des Gelbfiebers in Afrika (A) und Südamerika (B). Quelle: WHO [29].
Bei Reisen in die rot markierten Gebiete wird die Gelbfieberimpfung empfohlen. Bei Reisen in
die rot schraffierten Gebiete, in denen die Gefahr einer Gelbfieber-Exposition eher gering ist,
B
wird die Impfung nicht allgemein empfohlen, aber es gibt eine kleine Gruppe von Reisenden,
bei denen das Expositionsrisiko erhöht ist: insbesondere bei längeren Reisen, bei ausgeprägter
Exposition gegenüber Stechmücken oder wenn Mückenstiche nicht vermieden werden können.
Die Entscheidung für oder gegen eine Gelbfieberimpfung muss das Infektionsrisiko, die
Einreisebestimmungen und das individuelle Risiko schwerer Nebenwirkungen einbeziehen.
A

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Dossier 809

insbesondere bei immunkompromittierten Pa­


tienten und Säuglingen seltene, aber schwer­
wiegende Nebenwirkungen verursachen, bis
hin zu
▶▶ Impfgelbfieber (Letalität bis zu 50 %),
▶▶ Impfvirus-Enzephalitis.
Letzteres tritt v. a. bei Impflingen unter 7 Monaten
auf [16, 24]. Es gibt zudem Berichte, wonach das
Impfvirus durch Stillen übertragen wird [5, 9]. In
einigen Untersuchungen war das Risiko für schwe-
re Nebenwirkungen auch mit zunehmendem
­Alter erhöht [17]. Einer gründlichen Risiko-Nut-
zen-Abwägung bedarf die Impfung folglich bei
▶▶ Kindern der Altersgruppe 6–9 Monate,
▶▶ Personen > 60 Jahren,
▶▶ schwangeren Frauen (obwohl bislang keine
­negativen Auswirkungen bekannt sind),
▶▶ stillenden Frauen.

Kontraindikationen | Nicht gegen Gelbfieber ge-

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impft werden dürfen
▶▶ Personen mit Hühnereiweißallergie, Abb. 2 Gebiete mit epidemischem Auftreten der Meningokokken-Meningitis.
▶▶ Säuglinge < 6 Monaten Quelle: WHO [29]. Rot: Meningitis-Gürtel: Gebiete mit hohem Epidemie-Risiko.
Orange: Länder mit hohem Epidemie-Risiko
▶▶ Personen mit angeborener oder erworbener
Immundefizienz, z. B. bei
▶▶Behandlung mit Immunsuppressiva,
▶▶Einnahme von systemischen Steroiden (Er- Impfstoffe | In Deutschland sollten alle Kinder ab
wachsene: > 20 mg Prednisonäquivalent / d), 12 Monaten einmalig gegen die Serogruppe C ge-
▶▶Strahlentherapie, impft werden [19]. Es handelt sich dabei um einen
▶▶Dysfunktion des Thymus in der Anamnese Meningokokken-Konjugat-Impfstoff. Für die Se-
(einschließlich Thymom und Thymektomie), rogruppen A, C, W und Y besteht ebenfalls die
▶▶symptomatischer HIV-Infektion bzw. mit Möglichkeit einer Impfprävention. Reisende soll-
verminderter Immunfunktion. ten bevorzugt mit einem 4-valenten Konju­
Liegen Kontraindikation vor bzw. gehört der Rei- gatimpfstoff (ACWY) immunisiert werden. In
sende einer Risikogruppen für Impfnebenwir- Deutschland sind zwei wirksame und verträg­
kungen an, kann eine Ausnahmebescheinigung liche Impfstoffe verfügbar (▶ Tab. 2). Sie können
ausgestellt werden, wenn die Ansteckungsgefahr ab dem 2. bzw. 3. Lebensjahr verabreicht werden
gering ist. Die Zielländer sind jedoch rechtlich (in den USA bereits ab dem 3. Lebensmonat). Zur
nicht verpflichtet, diese Bescheinigung bei der Schutzdauer und zu Auffrischimpfungen gibt es
Einreise anzuerkennen. bislang noch keine Empfehlungen.

Ist eine Gelbfieberimpfung aus medizinischen Indikationsimpfung | In einigen Ländern (z. B.


Gründen nicht vertretbar, sollte vorab der USA, Großbritannien) kann von Schülern und Stu-
Reiseveranstalter oder die zuständige Botschaft denten der Nachweis einer Meningokokken-Imp-
kontaktiert werden. fung (C oder ACWY) verlangt werden. Dies gilt
insbesondere bei Unterbringung in Gemein-
schaftseinrichtungen wie Studentenwohnhei-
men. Reisende nach Saudi-Arabien (v. a. Pilger zur
Meningokokken Hadsch und Umrah) müssen ab einem Alter von
2 Jahren immunisiert sein (ACWY). Die Impfung
Risikogebiet Afrika | Insbesondere im sogenannten muss mind. 10 Tage vor Einreise erfolgt sein und
Meningitisgürtel der subsaharischen Staaten Afri- darf nicht länger als 3 Jahre her sein [2, 29]. 2013
kas (▶ Abb. 2) kommt es in mehrjährigen Abstän- wurde ein neuer Impfstoff gegen die Serogruppe
den zu Epidemien – v. a. während der ­Trockenzeit B zugelassen, der ab einem Alter von 2 Monaten
(Januar – Mai). Die Krankheitswellen fordern regel- verabreicht werden kann (▶ Tab. 2). Nach Anga-
mäßig tausende Tote. Die Ansteckungsgefahr ist für ben der STIKO kann eine Impfung sinnvoll sein bei
Reisende insgesamt jedoch niedrig. In Europa und ▶▶ Personen mit erhöhter Infektionsgefahr (z. B.
Nordamerika treten vorwiegend sporadische Er- Kontakte zu Erkrankten, Asplenie, Komple-
krankungen auf. Weltweit kommen verschiedene mentdefekte [20]),
Serogruppen vor [1]: ▶▶ Kindern
▶▶ Afrika: meist A; seltener C, X, W-135 ▶▶ Reisende in Europa, Neuseeland, Nord- und
▶▶ Europa, Nordamerika, Brasilien: meist B, C ­Lateinamerika
▶▶ China, Indien: meist A, C ▶▶ Impfempfehlung des Ziellandes [6].

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▶▶ Affen,
Grundsätzlich gegen Meningokokken-Meningitis
▶▶ Fledermäuse und
geimpft werden sollten:
▶▶ andere Säugetiere.
▶▶ Reisende in Endemie- / Epidemiegebiete
Die reisemedizinische Beratung vor Aufenthalten
▶▶ medizinisches Personal
in Risikogebieten sollte folgende Punkte umfassen:
▶▶ Personen mit intensivem Kontakt zur
▶▶ Hinweis auf das Tollwutrisiko bei Tierkontakten
Bevölkerung (z. B. soziale Berufe, Entwicklungs-
▶▶Tierkontakte möglichst vermeiden!
helfer)
▶▶ Präventionsmöglichkeiten
▶▶ Postexpositionelle Behandlung (PEP) nach Risi-
kokontakten
Typhus abdominalis
Impfstoffe | In Deutschlang gibt es zwei moderne
Risikogebiet Südasien | Die Typhus-Erkrankung ist Zellkulturimpfstoffe zur prä- und postexpositio-
v. a. in Ländern mit schlechten hygienischen und sa- nellen Impfung (▶ Tab. 2). Sie können gegeneinan-
nitären Verhältnissen endemisch. Insbesondere in der ausgetauscht werden und unterliegen keiner
Indien und Nepal ist das Risiko erhöht. Die Erkran- Altersbeschränkung. Rabipur® ist bei Hühnerei-
kung wird durch Salmonella enterica Serovar Typhi weißallergie kontraindiziert. Alternativ kann Toll-
(S. typhi) hervorgerufen und fäkal-oral oder durch wut HDC® (gezüchtet auf humanen diploiden
kontaminierte Lebensmittel übertragen. Im Gegen- Zellkulturen) verwendet werden. Die Indikation
satz zu Salmonellosen reicht bereits eine Keimzahl für eine präventive Impfung ist abhängig von

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von 105 Bakterien für eine Infektion aus [26]. ▶▶ Art, Dauer und Stil der Reise,
▶▶ Verfügbarkeit von modernen Tollwut-Impfstof-
Impfstoffe | In Deutschland sind zwei Impfstoffe fen und Tollwut-Immunglobulin im Reiseland.
(oral und parenteral) erhältlich (▶ Tab. 2):
▶▶ Der orale attenuierte Lebendimpfstoff (S. typhi Cave Nervengewebsimpfstoffe sind unzuverlässig
Stamm Ty21a) ist ab dem 2. Lebensjahr zugelas- und können gefährliche Nebenwirkungen haben.
sen. Er wird als Kapsel in drei Dosen jeden zwei- Sie sollten nicht mehr eingesetzt werden.
ten Tag eingenommen. Die Schutzdauer beträgt
mindestens ein Jahr. Der Impfstoff ist kontra­
indiziert bei Patienten mit Immundeffizienz. Präexpositionelle Prophylaxe | Die präventive Im-
▶▶ Der parenterale Polysaccharid-Totimpfstoff (auf munisierung basiert auf folgendem Schema:
Basis des S. typhi Vi-Antigens) ist ab dem 3. Le- ▶▶ dreimalige Impfung als Grundimmunisierung
bensjahr zugelassen. Er wird einmalig i. m. ver- (Tag 0, 7, 21 bzw. 28),
abreicht und bietet einen Schutz über ca. 3 Jahre. ▶▶ Auffrischung nach 1–2 Jahren (je nach Impf-
stoff), danach alle 5 Jahre,
Begrenzte Wirksamkeit | Die kumulativen 3-Jah- ▶▶ bei Risikokontakt: unverzügliche Wundreini-
res-Schutzraten beider Impfstoffe lagen in einer gung und möglichst bald zwei weitere Impfun-
Metaanalyse bei 51 % bzw. 55 % [8]. Zu empfehlen gen (Tag 0 und 3 nach Exposition).
ist die Impfung bei Risikoreisen unter schlechten
hygienischen Bedingungen, z. B. Rucksackreisen Postexpositionelle Immunisierung | Bei nicht-im-
oder Hilfseinsätzen in Endemiegebieten. Ein neu- munen Patienten muss nach einer Risikoexpositi-
er, besser wirksamer Vi-Konjugatimpfstoff wird on möglichst rasch mit einer PEP begonnen wer-
derzeit entwickelt [23]. Eine Impfung gegen S. pa- den. Neben einer unverzüglichen Wundreinigung,
ratyphi A / B steht bislang nicht zur Verfügung, Desinfektion und ggf. Tetanusprophylaxe erfolgt
wird aber ebenfalls in Studien geprüft [15]. eine aktive Immunisierung an den Tagen 0, 3, 7,
14 und 28. Bei Exposition Grad III [19] wird zudem
Eine Typhusimpfung kann hygienische mit der ersten Impfung einmalig ein Tollwut-Im-
­Vorsichtsmaßnahmen nicht ersetzen. munglobulin (TIG) verabreicht. TIG ist allerdings
in vielen Entwicklungsländern nicht verfügbar.

Tollwut Japanische Enzephalitis

Risiko nicht zu unterschätzen | Die Tollwut verläuft Risikogebiet Asien | Die Japanische Enzephalitis
immer letal und ist eine oft vernachlässigte Gefahr ist eine in weiten Teilen Asiens endemische Flavi-
für Reisende. In Deutschland gibt es seit 2008 keine virus-Erkrankung (▶ Abb. 3). Sie wird durch
terrestrische Wildtollwut mehr, eine Ansteckung ist Stechmücken übertragen (z. B. Culex tritaenio-
aber weiterhin über Fledermäuse und importierte rhynchus und C. vishnui), Virusreservoir sind v. a.
infizierte Tiere möglich [18]. Man infiziert sich Wasservögel und Schweine. Deshalb ist das Infek-
über Bisse, Kratzer und Speichel­kontakt mit Wun- tionsrisiko bei Reisen in ländliche Regionen er-
den / Schleimhäuten. Überträger sind weltweit höht, insbesondere während und nach der Mon-
▶▶ hauptsächlich Hunde, sunzeit. In Endemiegebieten sind hauptsächlich
▶▶ seltener Katzen, Kinder betroffen.

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Dossier 811

Das Infektionsrisiko für Reisende ist insgesamt


gering. Allerdings wurde auch über schwere Fälle
nach Kurzreisen berichtet [4].

Meist bleibt die Erkrankung asymptomatisch


oder es zeigen sich lediglich unspezifische grip-
pale Symptome. Nur bei etwa einem von 50–200
Infizierten entwickelt sich ein schwerer neurolo-
gischer Verlauf (Letalität 5–30 %). 30–50 % der
Überlebenden haben bleibende neurologische
Schäden. Eine kausale Therapie gibt es nicht.

Impfstoff | Seit 2009 ist ein gut verträglicher Zell-


kultur-Totimpfstoff erhältlich (▶ Tab. 2), der ab
dem 3. Lebensmonat zugelassen ist. Die Impfung
erfolgt zweimal im Abstand von mindestens 4
Wochen. Kinder bis zum vollendeten 3. Lebens-
jahr erhalten die halbe Dosis. Es ist noch unklar,
wie lange der Impfschutz anhält. Vom Hersteller

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wird derzeit bei anhaltender bzw. erneuter Expo- Abb. 3 Verbreitungsgebiete der Japanischen Enzephalitis. Quelle: WHO [29].
sition eine einmalige Auffrischung nach 12–24
Monaten empfohlen.
Die Krankheit kommt in zahlreichen tropischen
Indikation | Alle Personen mit längeren oder und subtropischen Länder vor (▶ Abb. 4). Nach
wiederholten – auch kurzen – Aufenthalten in Schätzungen der WHO erkrankten 2013 198 Milli-
Risikogebieten sollten geimpft werden. Dies gilt onen Menschen, 584 000 Millionen starben [28].
insbesondere, wenn zusätzliche Risikofaktoren Die meisten ­Erkrankungen (ca. 80 %) und Todesfäl-
vorliegen, wie le (ca. 90 %) treten im subsaharischen Afrika auf –
▶▶ Aufenthalt in einem Endemiegebiet während insbesondere bei Kindern unter 5 Jahren (ca. 78 %
der Hauptübertragungszeit, aller T
­ odesfälle). 2013 wurden in Deutschland 637
▶▶ Alter > 50 Jahre, Malaria-Erkrankungen gemeldet, davon 81 % der
▶▶ Z. n. Transplantation eines soliden Organs, Malaria-tropica-Form [21]. Der größte Teil der
▶▶ Störungen der Blut-Hirn-Schranke, z. B. ­Erkrankungen (95 %) wurde aus Afrika und hier
▶▶ventrikulo-peritonealer Shunt, insbesondere aus Westafrika importiert.
▶▶Cochlea-Implantat,
▶▶ Immunsuppression, Malaria tropica | Fast 80 % aller Malaria-Fälle sind
▶▶ arterieller Hypertonie, heute auf Plasmodium falciparum zurückzufüh-
▶▶ Diabetes mellitus, ren, dem Erreger der gefährlichen Malaria tropica
▶▶ chronische Nierenerkrankungen, (Falciparum-Malaria). Sie kann schwere Kompli-
▶▶ Homozygotie für CCR5Δ32, kationen verursachen (s. Beitrag „Affenmalaria“
▶▶ vermehrte Aufenthalte im Freien [4, 6]. auf Seite 815) und unbehandelt rasch letal verlau-
fen. Besonders gefährdet sind
▶▶ Reisende aus Malaria-freien Gebieten,
Malaria ▶▶ Kleinkinder und
▶▶ Schwangere (v. a. Erstgebärende) in den Ver-
Risikogebiete Tropen und Subtropen | Malaria breitungsgebieten.
wird durch weibliche Stechmücken der Gattung
Anopheles übertragen. Erreger sind 5 verschie­dene Malaria tertiana und quartana | Beide Formen
Protozoenarten der Gattung Plasmodium (▶ Tab. 3). verlaufen meist nicht bedrohlich und führen sel-

Tab. 3 Malariaerreger und


Erkrankung Inkubation Dauer der Parasitämie Fieber, Klinik
Krankheitsformen.
(Erreger) Blutschizogonie (% befallene Erythrozyten) *bei P. vivax auch tägliches
Malaria tropica 7–30 Tage, ca. 48 h unbegrenzt irregulär, Fieber möglich (bei mind. 2
verschiedenen Parasitengene-
(P. falciparum) ev. länger (asynchron) Komplikationen
rationen)
Malaria tertiana 12 Tage bis 1 Jahr ca. 48 h maximal jeden
(P. vivax, P. ovale) (Spätrezidive) (synchron) 1–3 % 2. Tag*
Malaria quartana 30–50 Tage ca. 72 h maximal jeden
(P. malariae) (synchron) 1–2 % 3. Tag
P. knowlesi-Malaria > 1 Woche ca. 24 h bis über 10 % täglich,
(„Affen-Malaria“) Komplikationen

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ten zu Todesfällen. Bei der Malaria tertiana (Erre- ser kann das Risiko um bis zu 90 % reduzieren und
ger: P. vivax und P. ovale) sind Spätrezidive durch auch vor zahlreichen anderen Vektor-übertrage-
in der Leber persistierende Erregerformen (Hyp- nen Infektionen schützen (z. B. Denguefieber). Zur
nozoiten) möglich. Malaria quartana wird hin­ Expositionsprophylaxe gehören:
gegen durch P. malariae verursacht. In einigen ▶▶ Einreiben unbedeckter Hautstellen mit mü-
­Gebieten Südostasiens wird bei Malariakranken ckenabweisenden Mitteln (Repellents),
zunehmend auch P. knowlesi nachgewiesen. Der ▶▶ Tragen von hautbedeckender, heller Kleidung
Erreger kommt üblicherweise bei Makaken vor, ▶▶ Schlafen unter Moskitonetzen
kann beim Menschen aber – ähnlich wie Malaria ▶▶ Aufenthalt in mückensicheren Räumen (Klima-
tropica – zu lebensbedrohlichen Verläufen führen anlage, Fliegengitter).
(s. Beitrag „Affenmalaria“ auf Seite 815). Als Repellents kommen vor allem DEET oder Ica-
ridin in Frage. Die zusätzlichen Verwendung von
Wesentlichen Schutzmaßnahmen vor Malaria sind Insektiziden (z. B. Pyrethroide) bietet weiteren
▶▶ Vermeidung von Stichen der Überträgermü- Schutz, z. B.
cken (Expositionsprophylaxe) ▶▶ als Spray,
▶▶ Prophylaktische Einnahme von Medikamenten ▶▶ in Verdampfern,
(Chemoprophylaxe) ▶▶ als Räucherspiralen („mosquito coils“),
▶▶ Mitnahme von Medikamenten für eine ▶▶ zur Imprägnierung von Moskitonetzen und
notfallmäßige Selbsttherapie (NST) Kleidungsstücken.

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Die Kombination von imprägnierter Kleidung
Symptome der Malaria | Anhand der Symptome und einem Repellent bietet den höchstmöglichen
▶▶ Fieber, Schutz gegen Moskitos und andere blutsaugende
▶▶ schweres Krankheitsgefühl, Arthropoden, einschließlich Zecken.
▶▶ Kopf- und Gliederschmerzen,
▶▶ Schüttelfrost.
kann die Diagnose weder sicher gestellt noch aus- Angesichts der zunehmenden Resistenz der Er-
geschlossen werden. Dies ist nur durch den Nach- reger gegen vorbeugende Medikamente ist die
weis von Parasiten oder Parasitenbestandteilen Expositionsprophylaxe besonders wichtig. Bei
im Blut möglich. Säuglingen und Kleinkindern ist sie sehr effektiv
durchführbar (z. B. Moskitonetz über dem Bett).
Jedes unklare Fieber in den Tropen ab dem
6. Tag nach erstmaligem Betreten eines Chemoprophylaxe | Eine regelmäßige Chemopro-
­Endemiegebietes ist so lange verdächtig auf phylaxe kann das Erkrankungsrisiko erheblich re-
Malaria, bis das Gegenteil erwiesen ist. Dies gilt duzieren und ist bei Reisen und Aufenthalten in
auch längere Zeit nach Rückkehr. Malariagebieten mit hohem Risiko grundsätzlich
empfehlenswert. Dies sind vor allem
▶▶ das subsaharische Afrika
Expositionsprophylaxe | Basis der Malariapro- ▶▶ einige Gebiete in Südostasien / Ozeanien
phylaxe ist ein konsequenter Mückenschutz. Die- ▶▶ sowie einige Gebiete in Südamerika (▶ Abb. 4).

Abb. 4 Verbreitung der Malaria


und Empfehlungen zur
Prophylaxe [7].

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Dossier 813

Chemoprophylaxe Notfallmäßige Selbsttherapie


(Erwachsenendosis)* (Erwachsenendosis)*
Artemether / Lumefantrin Nicht geeignet initial: 80 / 480 mg (= 4 Tbl.),
(Riamet®) nach 8 h: weitere 4 Tbl.
Tage 2 und 3: zweimal täglich je 4 Tbl.
Atovaquon / Proguanil 250 / 100 mg (= 1 Tbl.) pro Tag 1000 / 400 mg (= 4 Tbl.) als Einmaldosis an 3
(Malarone®, versch. Generika) 1–2 Tage vor bis 7 Tage nach Aufenthalt aufeinanderfolgenden Tagen
Chloroquin 300 mg Chloroquin-Base (= 2 Tbl. Resochin®), bei initial: 600 mg Base (= 4 Tbl. Resochin) nach 6, 24,
(Resochin® u. a. ) Patienten > 75 kg: 450 mg (3 Tbl.) pro Woche 48 h: je 300 mg (= 2 Tbl. Resochin®)
1 Woche vor bis 4 Wochen nach Aufenthalt
Doxycyclin** 100 mg pro Tag nicht geeignet
(versch. Handelspräparate) 1–2 Tage vor bis 4 Wochen nach Aufenthalt
Mefloquin*** 250 mg (= 1 Tbl.) pro Woche initial 750 mg (= 3 Tbl.)
(Lariam®) 1 Woche vor bis 4 Wochen nach Aufenthalt nach 6–8 h: weitere 500 mg
Patienten > 60 kg: weitere 250 mg nach 6–8 h
Tab. 4 Für die Chemoprophylaxe und notfallmäßige Selbsttherapie zugelassene Antimalariamedikamente [7].
* Dosis für normalgewichtige Erwachsene, Dosierung für Kinder siehe [7]
** In Deutschland für diese Indikation nicht zugelassen („off-label-use“), aber von der DTG und WHO empfohlen.
*** Besondere Vorsichtsmaßnahmen beachten (s. Text)

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Resistenzen gegen Medikamente wie Chloroquin Nach einer NST ist so rasch wie möglich ein Arzt
oder Sulfadoxin / Pyrimethamin sind weit ver- aufzusuchen, um die Wirkung der NST zu über-
breitet. Aus diesem Grund werden derzeit Ato- prüfen und eine evtl. bestehende, anderweitige
vaquon / Proguanil oder Doxycyclin bevorzugt febrile Erkrankung nicht zu übersehen!
(▶ Tab. 4). Mefloquin wird aufgrund seines neu-
ropsychiatrischen Nebenwirkungspotenzials nur Beratungspraxis | Über die konkrete Art der Ma-
noch als Reservemedikament eingesetzt, z. B. bei lariavorbeugung muss individuell entschieden
▶▶ Kontraindikationen bzw. Unverträglichkeiten werden anhand
anderer Chemoprophylaktika, ▶▶ des Reiseziels,
▶▶ Schwangeren, ▶▶ der Reisezeit,
▶▶ Kindern, ▶▶ der Reisedauer,
▶▶ Langzeitaufenthalten. ▶▶ des Reisestils und
Nach den geänderten Zulassungsunterlagen (Rote ▶▶ unter Berücksichtigung von
Hand-Brief vom September 2013) muss der ver- ▶▶Vorerkrankungen,
schreibende Arzt ▶▶Unverträglichkeiten,
▶▶ ausführlich über mögliche Nebenwirkungen ▶▶Medikamenteneinnahme
aufklären, ▶▶und anderen Faktoren.
▶▶ einen speziellen Fragebogen ausfüllen und
▶▶ einen Medikamentenausweis zur Mitnahme Die DTG-Empfehlungen zur Malariavorbeugung
für den Reisenden ausstellen. enthalten Angaben für die wichtigsten Reise­
gebiete mit Malariavorkommen [7]. Sie orientieren
Cave Keine Chemoprophylaxe wirkt absolut sich an reisemedizinischen Erfahrungen und Daten
zuverlässig. Bei febrilen Erkrankungen während und gelten für den „Regelfall“ eines organisiert
oder nach einem Aufenthalt ist – trotz regelmäßi- reisenden Touristen.
ger Einnahme – zeitnah eine Malaria abzuklären.

Ermessensspielraum | Der beratende Arzt kann


Notfallmäßige Selbsttherapie (NST) | Wenn keine sich aus fachlichen Gründen jedoch auch für ein
regelmäßige Chemoprophylaxe erfolgt ist – etwa in anderes Vorgehen entscheiden, wenn das indivi-
Gebieten mit niedrigem oder mittlerem Malaria­ duelle Malaria-Risiko höher oder geringer ist, z. B.
risiko – sollte eine therapeutische Dosis eines durch
­geeigneten Malaria-Medikaments mitgeführt wer- ▶▶ Reisestil,
den. Treten malariaverdächtige Symptome auf und ▶▶ Aufenthaltsdauer,
ist kein Arzt erreichbar, kann dieses im Notfall ▶▶ Zielregion,
selbstständig eingenommen werden. Für die NST ▶▶ Saison oder
geeignet sind (▶ Tab. 4): ▶▶ aktuelle Ereignisse
▶▶ Atovaquon / Proguanil Der Reisende sollte in diesem Fall über alle Alter-
▶▶ Artemether / Lumefantrin nativen im Rahmen des Ermessensspielraums
▶▶ Mefloquin bei Schwangeren aufgeklärt und an der Entscheidung beteiligt
▶▶ Chloroquin (in Teilen Mittelamerikas und der werden. Die Empfehlung sollte am besten schrift-
Karibik). lich dokumentiert werden. Bei speziellen Fragen

Alberer M, Löscher T. Reiseimpfungen und Malariaprophylaxe Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 805–814
814 Dossier

sollte einen Arzt mit Zusatzbezeichnung Tropen- 3 Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Verordnung
medizin bzw. eine tropenmedizinische Einrich- zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) Bonn
2014
tung hinzugezogen werden. 4 Burchard GD, Caumes E, Connor BA et al. Expert
opinion on vaccination of travelers against Japanese
Bei nicht standardmäßigem Vorgehen müssen encephalitis. J Travel Med 2009; 16: 204–216
die WHO-Richtlinien und deutschen Zulassungs- 5 Centers of Disease Control and Prevention (CDC):
Transmission of yellow fever vaccine virus through
bedingungen beachtet werden.
Dr. med. Martin Alberer breast-feeding – Brazil, 2009. Morb Mortal Wkly Rep
ist Facharzt für Kinder- und 2010; 59: 130–132
Jugendmedizin in der Abteilung 6 Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und
für Infektions- und Tropen­ Internationale Gesundheit (DTG): Hinweise und
medizin Ludwig-Maximilians- Empfehlungen zu Reiseimpfungen. http://www.dtg.
Malaria- und Dengue-Impfstoffe org/impfungen.html
Universität, München.
Martin.Alberer@ letzter Zugriff 4.5.2015
lrz.uni-­muenchen.de Malaria | In den letzten Jahren wurden vor allem 7 Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und
Internationale Gesundheit (DTG): Empfehlungen zur
Fortschritte bei der Entwicklung von Impfstoffen
Malariavorbeugung. http://www.dtg.org/malaria.html;
gegen Dengue-Fieber und Malaria erzielt. Der ers- letzter Zugriff 4.5.2015
te in grossen kontrollierten Feldstudien wirksame 8 Fraser A, Goldberg E, Acosta CJ et al. Vaccines for
Malaria-Impfstoff RTS,S zeigte Schutzraten von preventing typhoid fever. Cochrane Database Syst Rev
2007: CD001261
durchschnittlich 46 % [14]. Dies könnte in den
9 Kuhn S, Twele-Montecinos L, Macdonald J et al. Case
Hochendemiegbieten die Sterblichkeit bei Klein- report: probable transmission of vaccine strain of
kindern reduzieren und sie Malaria-Morbidität yellow fever virus to an infant via breast milk.

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in der Bevölkerung verringern. Die bisherigen CMAJ 2011; 183: E243–224
10 Leder K, Torresi J, Libman MD et al. GeoSentinel
Prof. Dr. med. Schutzmaßnahmen bei Reisenden wird der Impf-
Surveillance Network. GeoSentinel surveillance of
Thomas Löscher stoff nach jetzigem Stand allerdings nicht ersetzen illness in returned travelers, 2007–2011.
ist Facharzt für Innere Medizin, können. ­Ann ­Intern Med 2013; 158: 456–468
Infektiologie und Tropenmedi- 11 Löscher T, Horstmann R, Krüger A et al. Malaria. In:
zin und Direktor der Abteilung Löscher T, Burchard GD, Hrsg. Tropenmedizin in Klinik
für Infektions- und Tropen­
Dengue-Fieber | Das Dengue-Fieber hat sich über
und Praxis. 4. Aufl. Stuttgart, New York: Georg Thieme
medizin Ludwig-Maximilians- weite Bereiche von Asien und Lateinamerika aus- Verlag; 2010
Universität , München. gebreitet. Derzeit werden mehrere tetravalente 12 Murrell S, Wu SC, Butler M. Review of dengue virus and
Loescher@lrz.uni-muenchen.de Impfstoffe präklinische und klinische erprobt [12, the development of a vaccine. Biotechnol Adv 2011; 29:
239–247
25]. Diese sind auch für die Reisemedizin von In- 13 Nothdurft HD, Dahlgren AL, Gallagher EA et al. The risk
teresse, da das Denguefieber mittlerweile zu den of acquiring hepatitis A and B among travelers in
häufigsten auf Fernreisen erworbenen Erkran- selected Eastern and Southern Europe and non-Euro-
kungen zählt [10]. pean Mediterranean countries: review and consensus
statement on hepatitis A and B vaccination. J Travel
Med 2007; 14: 181–187
Konsequenz für Klinik und Praxis 14 Ouattara A, Laurens MB. Vaccines Against Malaria. Clin
▶▶ Zu einer reisemedizinischen Beratung gehören Infect Dis 2014 [Epub ahead of print]
Informationen zu Reiseimpfungen, Expositions- 15 Pakkanen SH, Kantele JM, Kantele A. Cross-reactive
gut-directed immune response against Salmonella
prophylaxe und nicht-infektiösen Gesundheits-
enterica serovar Paratyphi A and B in typhoid fever and
risiken. after oral Ty21a typhoid vaccination. Vaccine 2012; 30:
▶▶ Ebenfalls überprüft werden sollte der aktuelle 6047–6053
Impfstatus von Standardimpfungen. 16 Plotkin SA, Orenstein WA. Vaccines. 4th. Aufl.
Philadelphia, Saunders; 2004
▶▶ Neben vorgeschriebenen Impfungen des 17 Rafferty E, Duclos P, Yactayo S, Schuster M. Risk of
Ziellandes können u. U. auch bestimmte yellow fever vaccine-associated viscerotropic disease
Indikationsimpfungen sinnvoll sein. among the elderly: a systematic review. Vaccine. 2013;
▶▶ RKI, DTG und WHO veröffentlichen regelmäßig 31: 5798–5805
18 Robert Koch-Institut: Tollwut in Deutschland – Gelöstes
aktuelle Informationen. Problem oder versteckte Gefahr? Epidem Bull 2011; 8:
▶▶ Grundlage der Malariaprophylaxe ist ein 57–61
Interessenkonflikt konsequenter Mückenschutz. 19 Robert Koch-Institut: Empfehlungen der Ständigen
T. L. hat Vortrags­honorare und Impfkommission (STIKO). Stand: August 2014. Epidem
▶▶ Eine zusätzliche Chemoprophylaxe ist bei
Forschungsunterstützung von Bull 2014; 34: 305–340
Reisen in Hochrisikogebieten indiziert. 20 Robert Koch-Institut: Aktualisierte Stellungnahme zum
folgenden Unternehmen
erhalten, die im Artikel ▶▶ Ggf. können Medikamente für eine notfall­ Stand der Bewertung des neuen Meningokokken-B-
erwähnte Impfstoffe und mäßige Selbsttherapie (NST) der Malaria Impfstoffs. Epidem Bull 2014; 36: 356–360
Medikamente herstellen: GSK, 21 Robert Koch-Institut: Infektionsepidemiologisches
empfohlen werden.
Novartis, Sanofi Pasteur, Sigma Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2013. RKI
Berlin 2014
tau und MSD.
22 Steffen R, Banos A, deBernardis C. Vaccination
M. A. hat als Subinvestigator
Literatur priorities. Int J Antimicrob Agents 2003; 21: 175–180
Impfstudien für Novartis
23 Szu SC. Development of Vi conjugate – a new
Vaccines durchgeführt. 1 Al-Tawfiq JA, Clark TA, Memish ZA. Meningococcal
generation of typhoid vaccine. Expert review of
disease: the organism, clinical presentation, and
vaccines 2013; 12: 1273–1286
DOI 10.1055/s-0041-102193 worldwide epidemiology. J Travel Med 2010; 17 Suppl:
Dtsch Med Wochenschr 2015; 3–8
2 Auswärtiges Amt: Reise- und Sicherheitshinweise.
140: 805–814
http://www.auswaertiges-amt.de
© Georg Thieme Verlag KG ·
letzter Zugriff 4.5.2015
Stuttgart · New York · Vollständiges Literaturverzeichnis unter
ISSN 0012-0472 http://dx.doi.org/10.1055/s-0041-102193

Alberer M, Löscher T. Reiseimpfungen und Malariaprophylaxe Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 805–814
Dossier

24 Thomas RE, Spragins W, Lorenzetti DL. How many 28 World Health Organization: World Malaria Report 2014.
published cases of serious adverse events after yellow WHO, Geneva 2015. http://www.who.int/malaria/
fever vaccination meet Brighton Collaboration publications/world_malaria_report_2014/en/
diagnostic criteria? Vaccine 2013; 31: 6201–6209 letzter Zugriff 4.5.2015
25 Villar L, Dayan GH, Arredondo-García JL et al. CYD15 29 World Health Organization: International travel and
Study Group. Efficacy of a tetravalent dengue vaccine in health, 2014 update. WHO, Geneva 2015. http://www.
children in Latin America. N Engl J Med. 2015; 372: who.int/ith/en
113–123 letzter Zugriff 4.5.2015
26 Wain J, Hendriksen RS, Mikoleit ML et al. Typhoid fever.
Lancet. 2014 [Epub ahead of print]
27 World Health Organization: International Health
Regulations (2005) 2nd ed. WHO Geneva 2008.http://
www.who.int/ihr/publications/9789241596664/en/
letzter Zugriff 4.5.2015

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Alberer M, Löscher T. Reiseimpfungen und Malariaprophylaxe Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 805–814
Endokrinologie 161

Hormontherapie im Wandel der Zeit

Miriam Reuter, Martin Fassnacht

Stand der Dinge Was ist neu?


▶▶ Hormontherapie und kardiovaskuläre Risiken: Die 2013 veröffentlichen
Für die einen Fluch, für die anderen Segen: Kaum Langzeitergebnisse der Women’s Health Initiave Studie und weitere
ein anderes Thema wird kontroverser und emoti- Studien bestätigen, dass eine peri- und postmenopausale Hormontherapie
onaler diskutiert als die peri- und postmeno­ zur Primärprävention von Erkrankungen wie koronare Herzerkrankung,
pausale Hormon(ersatz)therapie. Da der Begriff Osteoporose oder Depression weiterhin nicht zu empfehlen ist. Das Risiko
„Ersatztherapie“ suggeriert, dass ein Mangel aus- für Thrombosen, Lungenembolien und Schlaganfälle ist insbesondere
geglichen werden sollte, hat sich zunehmend durch eine orale Hormontherapie erhöht. Bei jüngeren, frühmenopausalen
„Hormontherapie“ durchgesetzt. Sie ist das effek- Frauen ergibt sich allerdings ein deutlich günstigeres Nutzen-Risiko-Profil.
tivste Mittel, um Wechseljahresbeschwerden wie ▶▶ Auswahl des Präparats und des Applikationswegs: Unterschiedliche
Hitzewallungen und Nachtschweiß zu lindern Östrogene und Gestagene haben unterschiedliche Risiken. Die Auswahl

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und wurde lange großzügig eingesetzt. Ein des Präparats erfolgt nach genauer Risikostratifizierung, in Abhängigkeit
­Umdenken fand nach Veröffentlichung der der Symptome und Vorliebe der Patientin. Eine transdermale Östrogen-
„Women’s Health Initiative Study“ (WHI) 2002 Applikation – bei Frauen mit intaktem Uterus in Verbindung mit „natürli-
statt. Diese große öffentlich geförderte Studie mit chem“ Progesteron – erscheint die beste Therapieoption bei erhöhtem
über 27 000 Patientinnen sollte klären, ob eine kardiovaskulären Risikoprofil.
postmenopausale Hormontherapie auch zur Pri- ▶▶ Neues Medikament: Für Frauen, die Gestagene nicht vertragen, ver-
märprävention altersassoziierter Erkrankungen – spricht das neu zugelassene Kombinationspräparat aus konjugiertem
insbesondere kardiovaskulärer Art – geeignet ist. Östrogen und Bazedoxifen (selektiver Östrogenrezeptormodulator) eine
Die orale Hormontherapie im Behandlungsarm Alternative. Allerdings ist es bislang nur in der Schweiz verfügbar und
erfolgte entweder als Langzeitdaten liegen noch nicht vor.
▶▶ Kombination von konjugierten equinen Östro-
genen mit dem Gestagen Medroxyprogestero-
nacetat (MPA) oder
▶▶ als Östrogenmonotherapie bei Frauen nach Hormontherapie und kardiovaskuläre
Hysterektomie. Risiken
Die Studie wurde wegen des vermehrten Auftre-
tens von Brustkrebs und kardiovaskulären Ereig- Nachdem die WHI-Studie weiterhin die wichtigs-
nissen frühzeitig abgebrochen. te Studie zur Hormontherapie ist, sind die 2013
publizierten Langzeitergebnisse mit umfassen-
Seitdem wurde deutlich restriktiver verordnet – den Auswertungen nach nun 13 Jahren Nachbe-
oft herrscht Unsicherheit, sowohl bei Ärzten als obachtung von besonderer Bedeutung [2]. Die In-
auch bei Patientinnen. Der Angst vor tervention im Östrogen- / Gestagenarm erfolgte
▶▶ thrombembolischen Ereignissen, im Median für 5,6 Jahre, die Behandlung mit ei-
▶▶ Brustkrebs und ner Östrogenmonotherapie im Median für 7,2
▶▶ kardiovaskulären Erkrankungen Jahre. Die primären Wirksamkeits- und Sicher-
steht das subjektive Leiden der Patientinnen ge- heitsparameter waren die koronare Herzerkran-
genüber, die oft über längere Zeit deutlich beein- kung und das invasive Mammakarzinom. Ein glo-
trächtigt sind. Bis zu 80 % aller Frauen leiden un- baler Index umfasste außerdem
ter klimakterischen Beschwerden, wobei der ▶▶ Schlaganfall,
Grad der Beeinträchtigung sehr variabel ist. Aktu- ▶▶ Lungenembolie,
elle Analysen von fast 1500 Frauen mit regel­ ▶▶ kolorektales Karzinom,
mäßigen klimakterischen Beschwerden (> 6 Tage ▶▶ Endometriumkarzinom,
innerhalb von 2 Wochen) ergaben, dass vasomo- ▶▶ Schenkelhalsfraktur und
torische Symptome wie Hitzewallungen und ▶▶ Tod.
nächtliche Schweißausbrüche im Median 7,4 Jah-
re anhalten, im Schnitt 4,5 Jahre nach der letzten Das Gesamtergebnis ist außerordentlich kom-
beobachteten Menstruationsblutung. Dies ist plex. Die kombinierte Hormontherapie zeigte für
deutlich länger bei frühzeitigem Beginn prä- oder die koronare Herzerkrankung eine nicht signifi-
perimenopausal [1]. kante Risikoerhöhung mit einer Hazard Ratio
(HR) von 1,2 (95 %-Konfidenzintervall (KI), 0,95–
1,45) und eine signifikante Risikoerhöhung für
das invasive Mammakarzinom (HR 1,2; 95 %-KI
1,0–1,5). Zudem fand sich

Reuter M, Fassnacht M. Hormontherapie im Wandel ... Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 161–164
162 Endokrinologie

Gruppe/­ Präparat übliche Dosis Anmerkung


Applikationsweg
Östrogene
oral ▶▶ mikronisiertes Estradiol ▶▶ 0,5, 1,0, 2,0 mg / d

▶▶ Estradiol valerat ▶▶ 1,0, 2,0 mg / d


▶▶ konjugierte equine Östrogene ▶▶ 0,3, 0,45, 0,625 mg / d ▶▶ Präparat aus der WHI-Studie

transdermal ▶▶ Estradiol-Patch ▶▶ 0,015–0,1 mg / d ▶▶ entspricht 0,3–2,0 mg Estradiol


1–2 × /Woche p. o., Wechsel 1–2 × / Woche
▶▶ Estradiol-Gel (auch als Spray) ▶▶ 0,25–1,5 mg/d ▶▶ entspricht 0,2–2,0 mg Estradiol
p. o.; Übertragung durch
Hautkontakt möglich!
Vaginalring Estradiolacetat ▶▶ 0,05–0,1 mg / d systemische Wirkung;
90 Tage / Ring
Gestagene
orale synthethische ▶▶ Medroxyprogesteronacetat ▶▶ 2,5, 5, 10 mg / d ▶▶ Präparat aus der WHI-Studie

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Gestagene
▶▶ weitere z. B. Norethindron ▶▶ 0,35 mg / d
Progesteronkapsel mikronisiertes „natürliches“ ▶▶ 100, 200 mg / d in Erdnussöl (CAVE bei Allergie)
Progesteron
Intrauterinsysteme Levonorgestrel ▶▶ 6 µg / d bzw. 20 µg / d IUD für 3- bzw. 5-jährigen Gebrauch
Vaginalgel Progesteron ▶▶ 4 % bzw. 8 % 45 bzw. 90 mg je Applikation
Kombinationspräparate
konjugierte equine Östrogene + MPA ▶▶ 0,3–0,625 mg zyklisch oder kontinuierlich
+ 1,5–5 mg / d
Estradiol + synthetische Gestagene in zyklisch oder kontinuierlich je nach
verschiedenen Kombinationen Präparat, auch transdermal
verfügbar
konjugiertes Estrogen + Bazedoxifen 0,45 mg + 20 mg / d neu, in Deutschland nicht verfüg-
bar; bei Gestagen-Unverträglichkeit

Tab. 1 Mögliche Präparate


und Dosierungen zur
systemischen Hormonthera-
pie. ▶▶ eine leicht erhöhte Schlaganfallinzidenz, Wichtig ist, die altersbezogenen Untergruppen
▶▶ ein erhöhtes Risiko für Lungenembolien und zu betrachten: Bei Frauen zwischen 50–59 Jahren
▶▶ bei älteren Frauen etwas mehr Demenz, beeinflusste eine Östrogenmonotherapie die
­ allenblasenerkrankungen und Harninkonti-
G Mortalität und die Inzidenz von Myokardinfark-
nenz [2]. ten und auch den globalen Index sogar günstig.
Als positive Ergebnisse zeigten sich Auch für die kombinierte Gestagen- / Östrogen-
▶▶ eine verminderte Rate an Schenkelhalsfraktu- therapie sind die Ergebnisse bei jüngeren Frauen
ren und Diabetes mellitus sowie zwischen 50–59 Jahren insgesamt eher günstig
▶▶ eine deutliche Verbesserung der vasomotori- mit einer niedrigeren Gesamtmortalität. Bei al-
schen Symptome (Hitzewallungen etc.). leiniger Östrogentherapie ist sogar ein Trend zu
Nach Beendigung der Hormontherapie waren die niedrigerem Brustkrebsrisiko erkennbar, der im
negativen und positiven Effekte jeweils rückläu- Gesamtverlauf signifikant wird. Der Anstieg von
fig, obwohl eine gewisse Erhöhung des Brust- Schlaganfallereignissen war in der jüngeren Al-
krebsrisikos im Langzeitverlauf persistierte. Die tersgruppe unter alleiniger Östrogentherapie
alleinige Östrogentherapie zeigte ein deutlich nicht nachweisbar. Bei Älteren und unter der
günstigeres Verhältnis von Nutzen zu Risiken. Für kombinierten Therapie ist die Risikoerhöhung
die koronare Herzerkrankung war die HR 0,9 von Schlaganfall und insbesondere Lungenembo-
(95 %-KI 0,8–1,1). Es war keinerlei Erhöhung der lien aber weiterhin evident [2].
Inzidenz des invasiven Mammakarzinoms er-
kennbar (HR 0,8; 95 %-KI 0,6–1,0). Bei beiden Be- Eine dänische Studie untersuchte den Langzeitef-
handlungsformen fand sich kein Einfluss auf die fekt einer Hormontherapie bei 1000 gesunden
Mortalität [2]. frühmenopausalen Frauen mit einem Durch-

Reuter M, Fassnacht M. Hormontherapie im Wandel ... Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 161–164
Endokrinologie 163

Welche Patientinnen? ▶▶ vasomotorische Symptome mit Therapiewunsch


▶▶ Alter < 60 Jahre, < 10 Jahre nach Menopause
Was sind (relative) ▶▶ unerklärte vaginale Blutung
Kontraindikationen? ▶▶ Schlaganfall, TIA, Myokardinfarkt, Lungenembolie, tiefe Beinvenenthrombose bzw. deutlich
erhöhtes Risiko
▶▶ Brust- oder Endometriumskarzinom
▶▶ aktive Lebererkrankung

Bei welchen Erkrankungen ▶▶ Diabetes mellitus


ist zusätzlich Vorsicht ▶▶ Hypertriglyceridämie (Triglyceride > 400 mg / dl)
geboten? ▶▶ aktuelle Gallenblasenerkrankung
▶▶ bereits erhöhtes Risiko für Brustkrebs oder kardiovaskuläre Erkrankung
▶▶ Migräne mit Aura

Welches Präparat? ▶▶ nach Hysterektomie: Östrogen-Monotherapie


▶▶ bei intaktem Uterus: Kombinationstherapie Östrogen-Gestagen oder neu: Östrogen-Bazedoxifen
in Abhängigkeit vom Risikoprofil
Welche Dosis, wie lange? ▶▶ niedrigste zur Symptomkontrolle nötige Dosis
▶▶ möglichst kurze Dauer (jährliche Re-Evaluation!)

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Welche Alternativen ▶▶ Lebensstilmodifikationen (z. B. angepasste Kleidung, Vermeiden von Stress, Alkohol und scharfen
gibt es? Gewürzen, Gewichtsreduktion)
▶▶ nicht-hormonelle Präparate: SSRI / SNRI (Paroxetin, Venlafaxin, Citalopram) oder Gabapentin,
Pregabalin, ggf. Clonidin
▶▶ keine Empfehlung für „over-the-counter“-Präparate (inkl. pflanzlicher Produkte)
▶▶ bei primär uro-genitalen Symptomen bevorzugt Lokaltherapie

Tab. 2 Klinische Überlegun-


gen zur peri- und postmeno-
schnittsalter zu Beginn von 50 Jahren (vgl. WHI: Klinische Relevanz pausalen Hormontherapie
63 Jahre) [3]. In der Behandlungsgruppe erhielten (in Anlehnung an die
Das Thromboserisiko ist unter einer
die Frauen orales Östradiol, bei intaktem Uterus aktuellen Leitlinien der
­klassischen Hormontherapie fast Endocrine Society [8]).
in Kombination mit Norethisteronacetat. Dabei verdoppelt. Wichtig zur Risikoabwägung
fand sich ein signifikant reduziertes Risiko für scheint der Zeitpunkt, an dem eine
Mortalität, Herzinsuffizienz und Myokardinfarkt, ­Hormontherapie gestartet wird: Bei jungen
ohne dass Krebserkrankungen, venöse Thrombo- Frauen (< 60 Jahre), die früh nach der
sen oder Schlaganfälle gehäuft auftraten. ­Menopause (< 10 Jahre nach letzter Blutung)
mit einer Hormontherapie starten, spricht
Eine aktuell überarbeitete Übersicht der Cochra- aktuell Vieles für eine relativ günstige
ne Collaboration fasst 19 randomisiert kon­ Nutzen-Risiko-Konstellation.
trollierte Studien mit insgesamt über 40 000 Pati-
entinnen unter Hormontherapie zusammen [4].
Auch hier kommen die Autoren zu dem Schluss,
dass eine Hormontherapie sowohl in der Primär- Auswahl des Präparats und des
als auch in der Sekundärpräventation weder bei Applikationswegs
gesunden noch bei Frauen mit bekannter Herzer-
krankung einen Benefit bietet in Hinblick auf Die Vielzahl der therapeutischen Optionen hat in
▶▶ Gesamtüberleben, den letzten Jahren deutlich zugenommen
▶▶ kardiovaskulären Tod, (▶ Tab. 1). Ein wesentliches Problem ist, dass die
▶▶ Myokardinfarkt, meisten großen Studien orale Östrogenpräparate
▶▶ Angina pectoris oder angewandt haben. Die aktuelle Datenlage spricht
▶▶ Revaskularisation. klar dafür, dass insbesondere das Thromboserisi-
Es fand sich insbesondere bei älteren Frauen (< 10 ko von den verwendeten Hormon-Präparaten ab-
Jahre seit Menopause) ein erhöhtes Risiko für hängt. In einer großen englischen Studie wurden
▶▶ Schlaganfälle (Relatives Risiko [RR] 1,2; 95 %-KI über eine Million postmenopausaler Frauen
1,1–1,4), nachverfolgt [5]. Das relative Risiko für das Auf-
▶▶ venöse Thrombembolien (RR 1,9; 95 %-KI 1,4– treten eines venösen thrombembolischen Ereig-
2,7) und nisses war für eine Östrogen-Gestagen-Therapie
▶▶ Lungenembolien (RR 1,8; 95 %-KI 1,3–2,5). signifikant höher als für eine alleinige Östrogen-
Therapie (RR 2,1 [95 %-KI 1,9–2,3] vs. RR 1,4 [1,2–
1,7]). Eine alleinige transdermale Östrogengabe
erhöhte das Risiko nicht (0,8 [0,6–1,1]). Insbeson-
dere Medroxyprogesteronacetat – das Gestagen

Reuter M, Fassnacht M. Hormontherapie im Wandel ... Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 161–164
164 Endokrinologie

in der WHI-Studie – führte zu einem besonders rolle im Vergleich zu Placebo. Die unter
hohen Risiko (RR 2,7 [2,3–3,2] vs. RR 1,9 [1,7–2,2] Hormontherapie gefürchteten thrombemboli-
bei anderen Gestagenen). sche Komplikationen waren seltene Ereignisse
(weniger als 1 pro 1000 Patientinnen). Auch die
Die transdermale Applikation von Estradiol, unter einer Östrogen- / Gestagentherapie be-
durch die der First-Pass-Effekt in der Leber um- kannte mammografisch sichtbare Verdichtung
gangen wird, verspricht ein geringeres Thrombo- des Brustgewebes wurde nicht beobachtet. Die
Miriam Reuter
ist Assistenzärztin an der serisiko als eine klassisch orale Hormontherapie Nachbeobachtungszeit in den SMART-Trials be-
Medizinischen Klinik und [6]. Hohe Erwartungen wurden in die KEEPS-Stu- trug allerdings maximal 2 Jahre, als Monothera-
Poliklinik I des Universitäts- die gesetzt [7]. Hier erhielten kardiovaskulär ge- pie bei Osteoporose 7 Jahre.
klinikums Würzburg. sunde frühmenopausale Frauen (6–36 Monate
reuter_m1@ukw.de nach der letzten Periodenblutung) randomisiert Klinische Relevanz
entweder niedrigdosiert konjugiertes Östrogen Mit dem neuen Medikament gibt es nun eine
oral, transdermales Estradiol oder Placebo. Pri- Alternative für Frauen mit intaktem Uterus, die
märer Endpunkt war die jährliche Veränderung keine Gestagen-Therapie wünschen oder diese
der Intima-Media-Dicke an der Carotis als kar- schlecht vertragen. Die bislang veröffentlichen
diovaskulärer Risikomarker. Während der vier- Daten zeigen ein akzeptables Nebenwirkungs-
jährigen Intervention fanden sich aber weder Un- profil – allerdings fehlen Langzeitdaten und es
terschiede in der Arterioskleroseprogression ist bislang nur über die internationale
noch in der Häufigkeit von Nebenwirkungen. Le- Apotheke aus der Schweiz zu beziehen.

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Prof. Dr. med. Martin diglich manche Risikomarker wie Insulinresis-
­Fassnacht tenz (bei transdermalem Östradiol) verbesserten
ist Schwerpunktleiter für sich unter Hormontherapie. Letztlich war wohl Literatur
Endokrinologie und
Diabetologie an der Medizini-
die Power zu gering und die Studienpopulation 1 Avis NE, Crawford SL, Greendale G et al. Duration of
schen Klinik und Poliklinik I ungeeignet (zu gesund), um signifikante Ergeb- menopausal vasomotor symptoms over the
des Universitätsklinikums nisse zu erzielen. menopause transition. JAMA Intern Med 2015; 175:
531–539
Würzburg.
2 Manson JE, Chlebowski RT, Stefanick ML et al.
fassnacht_m@ukw.de
Menopausal hormone therapy and health
Klinische Relevanz outcomes during the intervention and extended
Das Risiko insbesondere von thrombemboli- poststopping phases of the Women’s Health
Initiative randomized trials. JAMA 2013; 310:
schen Komplikationen ist unter oraler 1353–1368
Östrogeneinnahme deutlich erhöht. Auch 3 Schierbeck LL, Rejnmark L, Tofteng CL et al. Effect
das verwendete Gestagen spielt hierbei eine of hormone replacement therapy on cardiovascular
wesentliche Rolle. Insbesondere bei events in recently postmenopausal women:
randomised trial. BMJ 2012; 345: e6409
mittelgradig erhöhtem kardiovaskulärem
4 Boardman HM, Hartley L, Eisinga A et al. Hormone
und Thromboserisiko, empfiehlt sich die therapy for preventing cardiovascular disease in
Gabe von transdermalem Östradiol, bei post-menopausal women. Cochrane Database Syst
nicht-hysterektomierten Frauen in Kombina- Rev 2015; 3: CD002229
tion mit mikronisiertem („natürlichem“) 5 Sweetland S, Beral V, Balkwill A et al. Venous
thromboembolism risk in relation to use of
Progesteron. Jedoch fehlen Langzeitstudien,
different types of postmenopausal hormone
die dies belegen. Eine gute Zusammenfas- therapy in a large prospective study. J Thromb
sung der therapeutischen Überlegungen Haemost 2012; 10: 2277–2286
geben die neuen Leitlinien der amerikani- 6 Canonico M. Hormone therapy and risk of venous
schen Endocrine Society [8] (▶ Tab. 2). thromboembolism among postmenopausal
women. Maturitas 2015; 82: 304–307
7 Harman SM, Black DM, Naftolin F et al. Arterial
imaging outcomes and cardiovascular risk factors
Neues Medikament in recently menopausal women: a randomized trial.
Ann Intern Med 2014; 161: 249–260
Bei Frauen mit intaktem Uterus wird üblicher- 8 Stuenkel CA, Davis SR, Gompel A et al. Treatment of
symptoms of the menopause: an endocrine society
weise eine Östrogen- / Gestagen-Kombination clinical practice guideline. J Clin Endocrinol Metab
empfohlen, um eine Endometriumshyperplasie 2015; 100: 3975–4011
zu vermeiden. In diesem Jahr wurde nun ein 9 Pinkerton JV, Abraham L, Bushmakin AG et al. Evalu-
Kombinationspräparat aus Östrogen und Baze- ation of the efficacy and safety of bazedoxife-
ne / conjugated estrogens for secondary outcomes
Interessenkonflikt doxifen (Duavive®), einem selektiven Östrogenre-
including vasomotor symptoms in postmenopausal
Die Autoren geben an, dass zeptormodulator, für die Indikation postmeno- women by years since menopause in the Selective
kein Interessenkonflikt pausale Hormonersatztherapie zugelassen. estrogens, Menopause and Response to Therapy
besteht.
Bazedoxifen wirkt an Brust und Endometrium (SMART) trials. J Womens Health (Larchmt) 2014;
antagonistisch zu Östrogen, während die positi- 23: 18–28
DOI 10.1055/s-0041-109320 10 Pinkerton JV, Harvey JA, Lindsay R et al. Effects of
ven Effekte auf Skelett, vasomotorische Sympto-
Dtsch Med Wochenschr bazedoxifene / conjugated estrogens on the
me und Lipidmetabolismus erhalten bleiben. endometrium and bone: a randomized trial. J Clin
2016; 141: 161–164
© Georg Thieme Verlag KG · Grundlage für die Zulassung bei Postmenopau- Endocrinol Metab 2014; 99: E189–198
Stuttgart · New York · sen-Beschwerden bilden die 5 SMART-Trials [9–
ISSN 0012-0472 10]. Hier zeigte sich eine effektive Symptomkont-

Reuter M, Fassnacht M. Hormontherapie im Wandel ... Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 161–164
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Aortenklappenendokarditis: ­Diagnostik und Therapie

Cornelia Piper, Lothar Faber, Dieter Horstkotte

Fast alle Mikroorganismen können eine Endokarditis verursachen – besonders


grampositive Bakterienspezies wie Streptokokken, Enterokokken und Staphylokokken.
Wenn diese im Zuge einer Bakteriämie das Endokard besiedeln, entsteht eine infektiöse
Endokarditis. Erfahren Sie hier mehr über die Pathogenese, Diagnostik und Therapie
dieser Erkrankung.

Der konkrete Fall Behandlung zuverlegt – es besteht der Verdacht


einer Aortenklappenendokarditis mit konsekuti-
Ein 53-jähriger Mann wird wegen eines akuten ver zerebraler Embolie. Bei Aufnahme ist er tachy-

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zerebralen Insults mit armbetonter Hemiparese kard (HF 105–138 / min) und hypoton (Blutdruck
rechts und Fieber bis 39° C in eine neurologische 95 / 50 mmHg). Unter Infusion mit 4 µg / min / kg
Klinik aufgenommen. Er berichtet über KG Dobutamin gelingt es uns, seinen Kreislauf zu
▶▶ rezidivierende Fieberschübe bis 39° C, stabilisieren. Periphere Stigmata (Osler Knötchen,
▶▶ seit 10 Tagen neu aufgetretene Rückenschmer- Janeway Effloreszenzen) finden sich nicht. In der
zen im Lendenwirbelbereich, TTE bestätigt sich der Befund einer kleinen, ca.
▶▶ Abgeschlagenheit und 5 mm großen vegetationsverdächtigen Struktur
▶▶ zunehmende Luftnot beim Treppensteigen. an der akoronaren Tasche und einer höhergradi-
Bekannt sind ein metabolisches Syndrom (BMI gen Aortenklappeninsuffizienz bei bikuspider
32 kg / m2) bei bisher nicht mit Insulin behandel- Klappe. Der linke Ventrikel ist enddiastolisch auf
tem Diabetes mellitus Typ 2 (HbA1c 9,2 %) und 65 mm dilatiert, die linksventrikuläre Ejektions-
eine medikamentös befriedigend eingestellte ar- fraktion mit 50 % angesichts der LV-Volumenbe-
terielle Hypertonie. lastung deutlich eingeschränkt (▶ Abb. 1).

Amoxicillin und Moxifloxacin | Aufgrund des un- Transösophageale Echokardiografie | Die transö-
klaren Fiebers behandelte die Hausärztin den Pa- sophageale Echokardiografie (TEE) zeigt, dass die
tienten 5 Tage lang mit 2 × 1000 mg Amoxicillin. Vegetation mit 12 mm Durchmesser erheblich grö-
Nach Entfieberung trat 3 Tage nach Absetzen des
Antibiotikums erneut Fieber auf. Es folgte eine Abb. 1 Transthorakale Echokardiografie (TTE): Die bikuspide Aortenklappe ist eine für eine
zweite antibiotische Behandlung mit 1 × 400 mg infektiöse Endokarditis prädisponierende Klappenläsion (A: Querschnitt, B: vergrößerter
Moxifloxacin über 5 Tage. Wieder entfieberte der Längsschnitt). An der dorsal gelegenen Tasche findet sich eine von transthorakal ca. 5 mm
Patient, fühlte sich aber schlapp und litt zuneh- messende, flottierende, knötchenförmige Läsion (Pfeile in A und B). Die Mitralklappe erscheint
per TTE nicht betroffen (Pfeilspitzen in B, D: Längsachse und in C: Vierkammerblick).
mend unter Luftnot. 3 Tage später erlitt er einen
LA, RA = linker bzw. rechter Vorhof; LV, RV = linker bzw. rechter Ventrikel; Ao = Aorta
Insult.

Aufnahmeuntersuchung | In der neurologischen


Klinik fällt bei der Auskultation ein Diastolikum
auf. Außerdem besteht eine Sinustachykardie
mit 100 Schlägen / min. Der Blutdruck beträgt
120 / 50 mmHg. Der pulmonale und abdominelle
Untersuchungsbefund ist unauffällig. Im krania-
len CT zeigt sich eine kleine hypodense Raum­
forderung im Stromgebiet der linken A. cerebri
media. Laborchemisch bestehen:
▶▶ eine Leukozytose: 14 500 / µl
▶▶ CRP: 8 mg / dl
▶▶ Fibrinogen: 480 mg / dl

Transthorakale Echokardiografie | Die transtho-


rakale Echokardiografie (TTE) zeigt eine höher-
gradige Aortenklappeninsuffizienz und eine klei-
ne flottierende Auflagerung an der akoronaren Ta-
schenklappe. Der Patient wird uns zur weiteren

Piper C, Faber L, Horstkotte D. Aortenklappenendokarditis Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 353–362
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zeigt sich zudem ein Aortenwurzelabszess – die-


ser war auch bei retrospektiver Nachbefundung
im präoperativen TEE nicht erkennbar. Zur Sanie-
rung der Endokarditis müssen neben der Aorten-
klappe Teile der Aortenwurzel reseziert werden.
Nach Aortenwurzelrekonstruktion wird eine me-
chanische Doppelflügelprothese (SJM A 29 mm)
implantiert. Die Abklatschvegetation am vorde-
ren Mitralklappensegel kann mechanisch ent-
fernt werden.

Weiterer Verlauf | Der Keim (Staphylococcus au-


reus) erweist sich als oxacillinempfindlich
­(MHKOxa < 1 mg / L), sodass wir die intravenöse
Antibiotikatherapie auf 3 × 4 g Oxacillin und
­
3 × 1 mg / kg KG Gentamicin umstellen. Gentami-
cin verabreichen wir über 3 Tage und Oxacillin
über 4 Wochen intravenös. 5 Tage nach dem Aor-
tenklappenersatz entwickelt der Patient einen
AV-Block III. Grades. Dadurch wird eine Vorhof-
Abb. 2 Transösophageale Echokardiografie (TEE): Die Aortenklappen-Vegetation wird deutlich

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größer dargestellt (Pfeil in B). Man erkennt auch die kleine Abklatschvegetation im proximalen und Ventrikelstimulation über die epikardialen
Bereich des anterioren Mitralsegels (Pfeil in A). Die Pfeilspitzen in C weisen auf den breiten, Schrittmacherdrähte erforderlich, die intraopera-
nahezu den gesamten LV-Ausflusstrakt füllenden Regurgitationsjet durch die endokarditisch tiv bei Aortenklappenendokarditis mit Abszess
destruierte Aortenklappe. D: unbehinderter antegrader Fluss durch die Klappe in der Systole. routinemäßig angelegt werden. Der Mann entfie-
bert, Leukozyten und CRP normalisieren sich.
Auch die linksventrikuläre Dilatation ist rückläu-
ßer ist als mittels TTE bestimmt. Zudem weist eine fig und die linksventrikuläre Funktion verbessert
der Taschenklappen eine Perforation auf. Am vor- sich. Eine Woche nach Ende der antibiotischen
deren Mitralklappensegel können wir eine 3 mm Therapie ist der Patient anhaltend fieberfrei und
große Abklatschvegetation nachweisen (▶ Abb. 2). der CRP-Wert liegt weiterhin im Normbereich, so-
dass bei fortbestehendem AV-Block III. Grades
Antiobiotikatherapie | Die präoperative Koronar- jetzt ein DDD-Schrittmacher implantiert wird. Er-
angiografie schließt eine koronare Herzkrankheit freulicherweise hat sich zwischenzeitlich die
aus. Nach Abnahme von 3 × 2 Blutkulturen im Ab- rechtsseitige Hemiparese bis auf eine Sensibili-
stand von je einer Stunde beginnen wir nach zwei tätsstörung des rechten Arms zurückgebildet.
Stunden mit einer kalkulierten antibiotischen Be-
handlung: 2 × 1500 mg Vancomycin und 3 × 100 mg
Gentamicin intravenös, da bei Diabetes mellitus Pathogenese und Prädisposition
häufig auftretende Erreger wie Staphylokokken
und Enterokokken bei der Wahl der Antibiotika zu Nahezu alle Mikroorganismen können eine Endo-
berücksichtigen sind. Angesichts des destruieren- karditis verursachen. Jedoch dominieren grampo-
den Verlaufs der Endokarditis ist eine gramnega- sitive Bakterienspezies wie Streptokokken, Ente-
tive Endokarditis unwahrscheinlich. Deshalb er- rokokken und Staphylokokken. Voraussetzung für
hält der Patient kein Ciprofloxacin – obwohl dies die Entstehung einer infektiösen Endokarditis (IE)
die Leitlinien bei unklaren Endokarditisfällen und ist die Besiedlung des Endokards durch vermeh-
Betalactamunverträglichkeit vorsehen. rungsfähige Mikroorganismen im Zuge einer Bak-
teriämie. Prädisponierende Faktoren sind
Aortenklappenersatz | Nachdem wir mittels er- ▶▶ Diabetes mellitus (Hautläsionen, diabetisches
neuter kranialer CT-Untersuchung eine zerebrale Fußsyndrom),
Reperfusionsblutung ausschließen konnten, wird ▶▶ terminale Niereninsuffizienz (Dialyse),
der Patient notfallmäßig operiert. ▶▶ Leberzirrhose,
▶▶ Virushepatitis,
Ein Aortenklappenersatz ist schnell vorzunehmen: ▶▶ Alkoholabusus,
Der Patient ist bei hochgradiger Aortenklappenin- ▶▶ immunsuppressive Therapie,
suffizienz hämodynamisch instabil und katechola- ▶▶ Bestrahlung,
minpflichtig. ▶▶ angeborene und erworbene Immundefekte,
▶▶ Malignome,
▶▶ Drogenabusus (intravenöse Injektionen),
Zudem hat er aufgrund der 42 h zuvor stattgeha- ▶▶ Verbrennungen,
bten zerebralen Embolie und einer nach wie vor ▶▶ Polytraumata (erhöhte Bakteriämiefrequen-
großen Vegetation (> 10 mm) an der Aortenklappe zen) und
ein deutlich erhöhtes Risiko für eine erneute ▶▶ Klappenveränderungen (wie bikuspide Aorten-
thromboembolische Komplikation. Intraoperativ klappe) [1, 2].

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Allgemeinsymptomatik Daneben finden sich häufig subunguale Blutun-


gen (Splinter-Blutungen) und Petechien, die je-
Allgemeine Krankheitssymptome wie doch unspezifisch sind.
▶▶ Abgeschlagenheit,
▶▶ Mattigkeit, Krankheitsverlauf | Während der letzten 30 Jahre
▶▶ rezidivierende Schweißausbrüche und hat sich das klinische Erscheinungsbild der Endo-
▶▶ Leistungsknick karditis verändert: Die Zahl von Streptokokken-
bestehen bei nahezu allen Patienten. Etwa 90 % Endokarditiden war rückläufig, gleichzeitig ha-
der Patienten weisen kontinuierliches oder remit- ben Staphylokokken und Enterokokken als Endo-
tierendes Fieber auf. karditiserreger zugenommen. Dies hat wesentlich
zum Anstieg akuter, zum Teil foudroyanter Krank-
Fehlen kann das Fieber bei älteren Patienten mit heitsverläufe beigetragen [2, 3–5].
subakuten Verlaufsformen, bei Patienten mit
terminaler Herzinsuffizienz, zerebralen Blutungen
oder medikamentenbedingt. Anamnese

Ein neu aufgetretenes Geräusch infolge der Herz- Allgemein | Bei der Anamnese fragt man gezielt
klappeninsuffizienz ist diagnostisch verwertbar – nach
man muss es jedoch gegen systolische Geräusche ▶▶ der Dauer und dem Verlauf von Fieber,
bei Patienten mit akuten (erhöhtes Herzminuten- ▶▶ Unwohlsein,

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volumen) oder chronischen Infekten (Anämie) ab- ▶▶ Blässe,
grenzen. ▶▶ Leistungsminderung,
▶▶ Luftnot,
Dringender Verdacht | Folgende Konstellationen ▶▶ Arthralgien und
legen den dringenden Verdacht auf eine Endo­ ▶▶ Hautveränderungen.
karditis nahe [3]: Aus den Antworten lässt sich abschätzen, seit
▶▶ Fieber plus wann die Infektionssymptomatik besteht und ob
▶▶intrakardiales Polymermaterial es bereits Hinweise für die Entwicklung einer
▶▶andere Hochrisiko-Prädisposition Herzinsuffizienz auf dem Boden zunehmender
▶▶neue Arrhythmien oder Überleitungsstörun- Herzklappendestruktionen gibt.
gen
▶▶Erstmanifestation einer Herzinsuffizienz Speziell | Die spezielle Anamnese dient der Erfra-
▶▶positive Blutkultur (mit „typischen“ Endo- gung vorbekannter Herzgeräusche, zur Endokar-
karditiserregern) ditis prädisponierender Herzfehler und von Um-
▶▶Haut- und Retinamanifestationen ständen, die mit einer Bakteriämie einhergegan-
▶▶multifokale / wechselnde Lungeninfiltrate gen sein könnten [1–3, 6].
▶▶periphere Abszesse ungeklärter Ätiologie
▶▶Prädisposition und stattgehabte Interventio-
nen / Diagnostik (Bakteriämie) Laborbefunde
▶▶ „neuer“ Klappenfehler / (Insuffizienz-) Geräusch
▶▶ Embolien ungeklärter Ätiologie Leukozytose, BSG- und CRP-Erhöhungen gehen re-
▶▶ Sepsis ungeklärter Ätiologie gelhaft mit einer akuten IE einher, sind wegen den
▶▶ Hämaturie, Glomerulonephritis, V. a. Nierenin- vielen möglichen Ursachen aber von geringer dif-
farkt ferenzialdiagnostischer Bedeutung. Bei subakuten
Krankheitsverläufen kann eine Leukozytose feh-
len. Leukopenien können durch gramnegative Er-
Manifestationen an Haut und Augen reger oder eine antibiotische Therapie bedingt
sein. Allerdings schließt ein normales CRP eine En-
Klassische Haut- und Augenmanifestationen sind: dokarditis praktisch aus. Bei Verdacht auf Sepsis
▶▶ Osler-Knötchen: druckschmerzhafte, steckna- ist der Procalcitoninspiegel hilfreich [1, 3–5].
delkopf- bis erbsengroße, blau-rote oder bläu-
liche Schwellungen, meist an den Finger- und
Zehenkuppen; sie sind Folge peripherer Mikro- Echokardiografie
embolien und einer konsekutiven Vaskulitis
▶▶ Janeway-Effloreszenzen: schmerzlose, unter Besteht ein dringlicher Verdacht auf eine Endo-
Druck abblassende, makulöse, 1–5 mm große, karditis, muss man leitliniengerecht unverzüglich
unregelmäßig begrenzte, hämorrhagische Ef- eine transthorakale Echokardiografie (TTE) vor-
floreszenzen an Handflächen und Fußsohlen, nehmen [3, 7]. Eine transösophageale Echokar­
gelegentlich auch an Armen, Beinen und Bauch diografie (TEE) ist unverzichtbar bei
▶▶ Roth-Flecken in der Retina: Sie zeigen sich als ▶▶ möglicher Beteiligung intrakardialer Implanta-
Cotton-Wool-Herde, denen perivasale Lympho- te (Herzklappenprothesen, Schrittmacher, De-
zytenaggregate, Ödeme und Blutungen zugrun- fibrillatoren, etc.),
de liegen. ▶▶ unzureichender Bildqualität der TTE,

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Mikrobiologische Befunde
.OLQLVFKHU9HUGDFKWDXI,QIHNWL|VH(QGRNDUGLWLV ,(

Obligate Bestandteile der mikrobiologischen Dia-


77( gnostik sind
▶▶ die Erregeridentifikation bis zur Spezies und
▶▶ die Testung der minimalen inhibitorischen
.ODSSHQSURWKHVH 6FKOHFKWH 77( 77(
,QWUDNDUGLDOHV'HYLFH %LOGTXDOLWlW ÅSRVLWLY´ ÅQHJDWLY´ Konzentration (MHK) der Antibiotika im quan-
titativen Reihenverdünnungstest.
.OLQLVFKHU9HUGDFKW Eine antimikrobielle Therapie aufgrund des Er-
HLQHU,( gebnisses im Agardiffusionstest geht mit erhöhter
Morbidität und Mortalität einher und ist nicht
leitliniengerecht [3].
GULQJHQG YDJH

Erregerspezies | Grampositive Erregerspezies wie


7(( 7(( 6WRS
Streptokokken, Staphylokokken und Enterokok-
ken dominieren, weil sie besonders gut an endo-
,VWGDVSULPlUH7((QHJDWLYXQGGHU,(9HUGDFKWEOHLEWEHVWHKHQ kardständigen Thromben haften. Staphylokokkus
VROOWHGDV7((LQQHUKDOEYRQ²7DJHQZLHGHUKROWZHUGHQ epidermidis verursachen häufig Polymer-assozi-
ierte Endokarditiden (Elektroden, Klappenpro-
Abb. 3 Indikationen zur transthorakalen und transösophagealen Echokardiografie bei vermuteter thesen), da ein Teil dieser Erreger irreversibel an

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IE (gemäß [3]). Polymeroberflächen haften und eine Matrix bil-
IE = infektiöse Endokarditis; TEE = transösophageale Echokardiografie; TTE = transthorakale
den kann [4]. Weitere Verursacher sind grampo-
Echokardiografie
sitive und gramnegative Stäbchenbakterien, ins-
besondere
▶▶ unbestätigtem Endokarditisverdacht oder ▶▶ solche der HACEK-Gruppe (Haemophilus, Acti-
▶▶ Notwendigkeit einer chirurgischen Interventi- nobazillus, Cardiobacterium hominis, Eikenella
on während florider IE [1, 3, 8–11] (▶ Abb. 3). corrodens, Kingella kingae),
▶▶ gramnegative Kokken,
▶▶ Mykobakterien,
Blutkulturen ▶▶ Rikettsien,
▶▶ Chlamydien und
Abnahme und Lagerung | Den Leitlinien entspre- ▶▶ Anaerobier (insbesondere Peptostreptokok-
chend soll man – unabhängig vom Fieberverlauf ken).
– mindestens drei Blutkulturen jeweils aerob und Endokarditiden infolge einer Infektion mit Barto-
anaerob zu unterschiedlichen Zeitpunkten aus nellen, Brucellen und Coxiella spp. lassen sich nur
peripheren Venen abnehmen [3]. Arteriell gewon- mit serologischen Untersuchungen sichern [14].
nene Blutkulturen sind venösen unterlegen. Blut-
kulturen, die in Fieberspitzen abgenommen wur- Der Streptococcus bovis Biotyp I ist regelhaft mit
den, verringern die Erfolgsaussichten [1]. Die Pro- gastrointestinalen Tumoren assoziiert. Bei diesen
ben sollen den Mikrobiologen rasch erreichen – Patienten ist rasch eine Gastro- und Koloskopie
müssen sie zwischengelagert werden, dürfen sie durchzuführen [6].
keiner übermäßigen Wärme (Brutschrank) oder
Kälte (Kühlschrank) ausgesetzt werden. Vielmehr
soll man sie bei Zimmertemperatur lagern. Ist ein
rascher Therapiebeginn zwingend, ist es sinnvoll, Allgemeine Therapieprinzipien
vor Einleitung der antimikrobiellen Therapie drei
Blutkulturpaare im Abstand von je einer Stunde Flüssigkeit und Elektrolyte | Die konservative
abzunehmen. Therapie umfasst den Ausgleich der Flüssigkeits-
und Elektrolytbilanz. Auf Verweilkatheter sollte
Kulturnegative Endokarditiden | Der nach wie man möglichst verzichten – andernfalls sollten sie
vor hohe Anteil kulturnegativer Endokarditiden alle 8 Tage gewechselt werden.
(KNE) belegt diagnostische Mängel: Bei einem
Teil der Patienten bleiben positive Kulturen aus, Gezielte Sanierung | Während der Antibiotikathe-
da ungezielt antibiotische Therapien begonnen rapie soll eine kausale Infektionsquelle (Erreger-
wurden. Diese sind prognostisch ungünstig und übereinstimmung) gezielt saniert werden. Eine
sollten bei allen nicht kritisch kranken Patienten ungezielte Elimination möglicher Infektionsquel-
mit KNE abgesetzt werden. Nach Abklingen der len ist nicht sinnvoll. Die früher gefürchteten en-
antibiotischen Wirkung (3–7 Tage) sind die Er- dogenen Rezidivinfektionen – d. h. neuerliche In-
folgsaussichten für einen Erregernachweis höher. fektionen aus einer Bakteriämiequelle, die bereits
Bei KNE stehen moderne PCR-Methoden zur Ver- die ursprüngliche IE verursachte – ist klinisch
fügung [12, 13]. Eingesetzt werden die 23S rDNA ­bedeutungslos: Ihre Inzidenz ist mit und ohne
real-time PCR oder16S rDNA PCR für Bakterien, systematische Sanierung gleichermaßen niedrig
sowie 28S rDNA PCR für Pilze [12]. (unter 1 %).

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Therapiedauer | Eine unzureichende Therapie­ selbst dann erzielt, wenn der Erreger gegen Ami-
dauer erhöht die Gefahr von Rezidivinfektion. noglykoside allein wenig empfindlich ist.

Man soll deshalb auch bei unkomplizierten Enterokokken | In den letzten Jahren haben Ente-
Krankheitsverläufen eine 4-wöchige intravenöse rokokken (insbesondere E. faecalis) eine Toleranz
Therapie im Regelfall nicht unterschreiten. gegen zahlreiche zellwandaktive Antibiotika
(β-Laktam-Antibiotika und Vancomycin) erwor-
ben. Die MHK und die minimale bakterizide Kon-
Bei Prothesenendokarditiden sind meist 6-wöchi- zentration (MBK) unterscheiden sich meist um
ge Therapien erforderlich. Ist zur Behandlung ei- mehrere Titerstufen. Hohe Penicillindosen ver-
ner floriden Endokarditis ein dringlicher Herz- schlechtern die Bakterizidie oft (Eagle-Effekt).
klappenersatz erforderlich, zählt der Operations-
tag als Tag 1 der Antibiotikabehandlung [3]. Eine synergistisch wirksame Kombination z. B. von
Penicillin mit einem Aminoglykosid potenziert die
Antikoagulation | Antikoagulanzien und Heparin bakterizide Wirkung und verbessert die Heilungs-
haben keinen Einfluss auf die Inzidenz thrombo- aussichten.
embolischer Komplikationen. Klinisch und tierex-
perimentell gehen sie jedoch mit einer erhöhten
Rate von Blutungskomplikationen einher [1, 3]. Für die Auswahl des Aminoglykosids ist wesent-
lich, dass bei bis zu 80 % der E.-faecalis-Stämme

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eine „High Level Resistance (HLR)“ gegen Strepto-
Antibiotische Therapie mycin besteht. Eine HLR gegenüber Gentamicin
liegt in Deutschland dagegen bislang nur selten vor.
Parenterale Applikation | Bei fehlender Vaskula- Bei E.-faecium-Stämmen ist die Therapie mit Gen-
risierung des Endokards und der Vegetation ist ein tamicin nicht sinnvoll, da deren Aminoglykosid-
hoher Diffusionsgradient des Antibiotikums bzw. Azetyltransferase auch Gentamicin inaktiviert.
der Antibiotikakombination notwendig, um den
Expositionsschutz zu überwinden. Es ist deshalb In jedem Fall muss man die synergistische Wirk-
unerlässlich, bakterizid wirksame Antibiotika samkeit verschiedener Aminoglykoside mikro-
auszuwählen und hohe Serumspiegel zu errei- biologisch prüfen. In Kombination mit Gentami-
chen. Dies ist nur mit parenteraler Gabe möglich. cin können prinzipiell Vancomycin oder Ampicil-
Eine Übersicht über die antibiotischen Thera- linderivate eingesetzt werden. Tierexperimentell
pieschemata gibt ▶ Tab. 1. und in vitro besitzt das Ampicillinderivat Mezlo-
cillin die günstigste Aktivität. Die 4-wöchige
Keim identifizieren | Ist der Patient nicht kritisch Kombination von Amoxicillin oder Ampicillin und
krank, soll immer versucht werden, den Keim vor Gentamicin gilt als Therapie der Wahl. Bei kom-
der antibiotischen Therapie zu identifizieren. In plizierten Verläufen ist eine 6-wöchige Therapie
zahlreichen Fällen haben wir bei fehlendem Erre- zu empfehlen.
gernachweis auswärts begonnene antibiotische
Behandlungen bis zu einer Woche pausiert, um Für Patienten mit Penicillinunverträglichkeit sind
danach den Keim aus Blutkulturen zu isolieren Vancomycin, in Einzelfällen und in beschränktem
und den Patienten gezielt antibiotisch zu behan- Umfang auch Daptomycin und Linezolid (cave
deln. Gelingt der Keimnachweis nicht oder ist eine ­Toxizität) erprobt [15, 16]. Bei vanA / vanB-Resis-
unverzügliche Behandlung mit Antibiotika erfor- tenzen (vanA, vanB = Vancomycinresistenz-Gene)
derlich, ist ein Spezialist für Infektionskrankhei- wurde in Einzelfällen mit Erfolg Imipenem plus
ten zu kontaktieren – die Datenlage zu den in den Ampicillin oder Ceftriaxon plus Ampicillin einge-
Leitlinien empfohlenen Antibiotika-Regimen hat setzt [17, 18].
einen niedrigen Evidenzgrad von IIbC [3].
Staphylokokken | Mehr als 80 % der Staphylo­
Monitoring der antibiotischen Therapie | Wäh- kokken produzieren Penicillin-β-Laktamase (Pe-
rend einer Endokarditis-Therapie ist es besonders nicillinresistenz). Staphylococcus-aureus-Stämme
wichtig, die Wirkspiegel zu kontrollieren: Die re- sind jedoch sensibel auf Isoxazolylpenicilline und
nalen und hepatischen Exkretionsmechanismen Cephalosporine (MHKOxa < 1 mg / L). In Tierexperi-
werden auch durch die Begleitmedikation häufig menten resultiert die Kombination mit einem
gestört. Bei IE ist die Nierenfunktion in mehr als Aminoglykosid in einer rascheren Sterilisierung
der Hälfte der Fälle beeinträchtet. Vancomycin- der Vegetation und einer günstigen Prognose. Ist
Talspiegel sollen bei 10–15 mg / l und Gentamicin- die Nephrotoxizität deutlich erhöht und der Über-
Talspiegel unter 1 mg / l liegen. lebensvorteil unsicher, empfiehlt man die zusätz-
liche Therapie einer nativen Herzklappen-IE mit
Penicillinsensible Streptokokken | Die Standard- Gentamicin nur noch optional für 3 Tage – bei Po-
therapie besteht in der Kombination von Penicil- lymer-assoziierter IE jedoch für 14 Tage [3]. Bei
lin G und einem Aminoglykosid – eine synergisti- der Antibiotikawahl muss man zudem berück-
sche Wirkung beider Substanzen wird meist sichtigen, dass die Raten an oxacillinresistenten

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Erreger sonstige Bedingungen Antibiotika, Antimykotika Dosierung Therapiedauer Evidenzgrad


Penicillin-empfindliche Penicillinverträglichkeit Penicillin Ga,b oder 12–18 Mio E / 24 h in 6 ED mindestens 4 IB
Streptokokken Ampicillin 100–200 mg / kg / 24 h in Wochenc,o
(MHKPen < 0,125 mg / L) 4–6 Dosen
nur bei verkürzter 2 Wochen
Therapie: plus
Gentamicinc,d,e 3 mg / kg / 24 h als ED
Penicillinunverträglich- Ceftriaxon 2 g / 24 h als ED 4 Wochen c,o IB
keit und / oder Nierenin- nur bei verkürzter Therapie:
suffizienz (nicht plus
stationäre Patienten) Gentamicinc,d,e 3 mg / kg / 24 h 2 Wochen
Penicillin- und Cephalo- Vancomycinf 2-mal 15 mg / kg / 24 h 4 Wocheno IC
sporinunverträglichkdeit
mäßig empfindliche Penicillinverträglichkeit Penicillin G oder 24 Mio E / 24 h in 6 ED 4 Wocheno IB
Streptokokken Ampicillin 200 mg / kg / 24 h in 4-6 ED 4 Wocheno
(MHKPen 0,125–2 mg / L) plus
Gentamicind 3 mg / kg / 24 h als ED 2 Wochen
Penicillinunverträglich- Vancomycinf plus 2-mal 15 mg / kg / 24 h 4 Wocheno IC
keit Gentamicind 3 mg / kg / 24 h als ED

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Enterokokken und Penicillinverträglichkeit Ampicillin oder 200 mg / kg / 24 h in 4–6 ED 4-6 Wochen IB
Penicillin-resistente Penicillin G plus 24 Mio E / 24 h in 6 ED 4-6 Wocheni
Streptokokken Gentamicind,i 3-mal 1 mg / kg / 24 h 4-6 Wocheni
(MHKPen 2–8 mg / L Penicillinunverträglich- Vancomycinf,i plus 2-mal 15 mg / kg / 24 h 6 Wocheni,k IC
MHKGenta < 500 mg / L) keit Gentamicind,g, i 3-mal 1 mg / kg / 24 h 6 Wocheni,k
Oxacillin-empfindliche Penicillinverträglichkeit Di- oder 12 g / 24 h in 4–6 ED 4–6 Wochenk,o IB
Staphylokokken (MSSA) Flucloxacillina plus
(MHKOxa < 1 mg / L) Gentamicind,g,m 3-mal 1 mg / kg / 24 h 3–5 Tage
Penicillinunverträglich- Vancomycinf,p plus 2-mal 15 mg/kg/24 h 4–6 Wochenk,o IB
keit Gentamicind,g,m 3-mal 1 mg / kg / 24 h 3–5 Tage
Oxacillin-resistente Empfindlichkeitsprüfung Vancomycinf,m,p plus 2-mal 15 mg / kg / 24 h 6 Wochen IB
Staphylokokken in vitro Gentamicind,g,m 3-mal 1 mg / kg / 24 h 3–5 Tage,
(MHKOxa> 1 mg / L) 2 Wochen bei PVE
Pseudomonas Piperacillina plus 3-mal 100 mg / kg / 24 h mind. 6 Wochen
aeruginosa Tobramycind 3 mg / kg / 24 h in 2–3 ED mind. 6 Wochen
E. coli, Klebsiellen, Cefotaxim plus 4-mal 2 g / 24 h 4–6 Wochenk
Serratia, Proteus, Gentamicin 3 mg / kg / 24 h in 2–3 ED 4–6 Wochenk
Enterobakter
Hämophilus, Actinoba- Penicillinempfindlichkeit Ceftriaxon 2 g / 24 h in einer ED 4 Wochen
cillus, Cardiobacterium Ampicillin plus 12 g / 24 h in 3–4 ED 4–6 Wochen
hominis, Eikenella, Gentamicind 3 mg / kg / 24 h in 2–3 ED 4–6 Wochen
Kingella (HACEK)o
Candida und andere Amphotericin B plus 1 mg / kg / 24 h 3-bis 4-mal 6–8 Wochen
Pilze Flucytosin 50 mg / kg / 24 h 6–8 Wochen
Caspofungin 1. Tag 70 mg als ED, ab 2.
Tag 50 mg als ED (> 80 kg
KG 70 mg als ED)
Tab. 1 Empfehlungen zur
Antibiotikatherapie bei
infektiösen Endokarditiden S.-aureus- und S.-epidermidis-Stämmen zuneh- Dies liegt daran, dass Rifampicin auch auf phago-
(nach [4]). men. Hier bietet sich neben Vancomycin nach zytierte Staphylokokken wirkt und in vitro die
Fußnoten s. nächste Seite
Rücksprache mit einem Kompetenzzentrum der Sterilisierung von Abszessen beschleunigt.
Einsatz von hochdosiertem Daptomycin an
(1 × 8–12 mg / kg KG / Tag i. v.) [15, 16, 19]. Gramnegative Erreger und Pilze | Endokarditiden
durch gramnegative Bakterien und Pilze machen
Rifampicin wirkt in Kombination mit Isoxazolyl- in Zentraleuropa weniger als 10 % aller IE aus.
penicillin prinzipiell antagonistisch. Dennoch ist Standardisierte Empfehlungen zur Behandlung
die zusätzliche Behandlung mit Rifampicin rat- sind nicht sinnvoll, da die Sensibilität gegenüber
sam bei Antibiotika / Antimykotika stark differiert. Die
▶▶ Nachweis von Abszessen, Therapiestrategie ist von der Empfindlichkeits-
▶▶ intrakardialen Fisteln oder prüfung in vitro abhängig und sollte mit einem
▶▶ polymerassoziierter infektiöser Endokarditis. Kompetenzzentrum abgesprochen werden.

Piper C, Faber L, Horstkotte D. Aortenklappenendokarditis Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 353–362
CME 359

Kulturnegative Endokarditiden | Die Therapie be- a


Kurzinfusion über 30 min
rücksichtigt die klinische Symptomatik: Bei sub- b
bevorzugt bei Patienten > 65 Jahre oder eingeschränkter Nierenfuntion
akutem Beginn richtet sich die Behandlung pri- c
Bei unkompliziertem Erkrankungsverlauf und kurzer Erkrankungsdauer (< 3
mär gegen penicillinempfindliche Streptokokken. Monate) kann nur bei Nativklappen-IE die Therapiedauer insgesamt auf 2 Wochen
Bei akuten Verläufen empfiehlt sich die Kombina- reduziert werden, wenn Gentamicin zusätzlich gegeben wird.
tionsbehandlung mit Vancomycin und Gentami- d
Kurzinfusion über 30 min nach Applikation des β-Laktam-Antibiotikums. Serum-
cin, die auch gegen oxacillin- und methicillinre- spiegelkontrollen erforderlich: Gentamicinspiegel < 1 mg / L, maximale Tagesge-
sistente Staphylokokken wirksam und bei Penicil- samtdosis für Gentamicin 240 mg, Serumspitzenspiegel für Tobramycin > 12 mg / L
linallergien einsetzbar ist. Kommen gram-negati- e
bei empfindlichen Erregern alternativ Netilmicin (1-mal 4–5 mg / kg / 24 h)
ve Bakterien in Betracht, wird zusätzlich Ciproflo- f
Kurzinfusion über mindestens 60 min; liegt der Vancomycinserumspiegel unter
xacin empfohlen. 25 mg / ml, kann die ED erhöht werden; maximale Tagesgesamtdosis 2 g, Vancomy-
cintalspiegel 15-20 mg / L
g
der klinische Benefit von Gentamicin konnte nicht sicher gezeigt werden, daher
Management typischer optional bei Nativ-IE, empfohlen bei Prothesen-IE
­Komplikationen h
identische Therapiedauer für die Einzelkomponenten einer kombinierten
Antibiotikatherapie, da nur die Kombination mit dem Aminoglykosid bakterizid
Wenn typische Komplikationen auftreten, ver- wirksam ist; bei komplizierten Verläufen, echokardiografischem Nachweis großer
schlechtert sich die Prognose der akuten IE. Vegetationen (> 5 mm), einer mehr als 3-monatigen Erkrankungsdauer und
Prothesen-IE ist eine 6-wöchige Therapie vorzuziehen
Im Fall einer Komplikation ist individuell zu prüfen, i
bei „high-level“ Gentamicin-Resistenz (MHK > 500 mg / L) sofern empfindlich durch

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ob zusätzlich zur medikamentösen Therapie eine Streptomycin 15 mg / kg 24 h in Einzeldosen (I A) oder verlängerte Betalactam-
dringliche chirurgische Intervention indiziert ist. Therapie ersetzen; alternativ Ampicillin plus Ceftriaxon bei E. faecalis (IIa B) bei
Betalactam-Resistenz: durch Betalactamase-Ampicillin-Sulbactam (I C), durch
PBP5-Alteration Vancomycin-Schema bei Multiresistenz gegen Aminoglykoside,
Sowohl mechanische als auch biologische Herz- Betalactam-Therapie und Vancomycin wird alternativ empfohlen: Daptomycin
klappenprothesen sind geeignet – gelegentlich 6 mg / kg / 24 h (ggf. 8–12 mg / kg) als Einmaldosis, Linezolid 2-mal 600 mg / 24 h
können auch Klappenrekonstruktionen erfolgen. (cave: hämatologische Toxizität), Quinupristin-Dalfopristin 3-mal 7,5 mg / kg / 24 h
Bei besonders ausgedehnten Infektionen werden oder Imipinen 3–4-mal 1 g / 24 h plus Ampicillin oder Ceftriaxon plus Ampicillin
Homografts oder klappentragende Conduits ein- jeweils 8 Wochen
gesetzt. Bei zahlreichen Komplikationen führt die k
Lediglich bei unkomplizierten Erkrankungsverläufen ist eine nur 4-wöchige
chirurgische Intervention zu einer deutlichen Therapiedauer vertretbar.
Prognoseverbesserung [2, 3, 5, 20–22] . l
Mehr als die Hälfte der koagulasenegativen Staphylokokken sind Oxacillin-resis-
tent.
Akute Klappeninsuffizienzen | Tritt im Gefolge ei- m
bei Koagulase-negativen Staphylokokken und gezielter Indikation (Abszesse,
ner Endokarditis eine akute Klappeninsuffizienz intrakardiale Fisteln, Implantation prothetischen Materials) zusätzlich 2-mal
auf, ist die Prognose besonders schlecht: Das Myo- 600 mg Rifampicin während der gesamten Therapiedauer
kard ist nicht an die akute Volumenbelastung n
überwiegend Ampicillin-resistent
­adaptiert. Die ansteigenden Wandspannungspara- o
6 Wochen bei Prothesenendokarditis
meter führen schnell zur Erschöpfung der myokar- p
bei intermediärer Vancomycin-Resistenz (MHKVanco 4–16 mg / L) oder „high-level“
dialen Adaptationsmechanismen – insbesondere Vancomycin-Resistenz wird empfohlen: Daptomycin 1-mal 6 mg / kg / 24 h (ggf.
bei akuter Aortenklappeninsuffizienz gibt es kaum 8–12 mg / kg), Quinopristin-Dalfopristin (Synerid) mit / ohne Betalactam-Antibioti-
Möglichkeiten einer medikamentösen Interventi- kum, Betalactam-Antibiotikum plus Oxazolidinone oder plus Vancomycin
on. Bei schwerer Aortenklappeninsuffizienz ist
Erläuterung der Fußnoten zu Tab. 1.
eine Herzfrequenz von 120–125 / min optimal, um
die Diastolendauer zu verkürzen und die Regurgi-
tationsfraktion zu senken. Wird diese Frequenz dokarditis höher als bei einer isolierten Aorten-
spontan deutlich verfehlt – z. B. wegen entzündlich klappenendokarditis und in gewissem Umfang
bedingter AV-Blockierungen – ist die passagere abhängig vom Erreger: Bei Streptokokken ist die
Schrittmachertherapie sinnvoll. Negativ-chrono- Inzidenz geringer als bei Staphylokokken und En-
trope und bradykardisierende Medikamente sind terokokken [1, 3]. Die TTE unterschätzt im Ver-
kontraindiziert. Dobutamin kann kurzfristig zum gleich zur TEE die Vegetationsgröße regelhaft [9,
Anstieg des Herzindex genutzt werden [5]. 20]. Große Vegetationen neigen eher zu thrombo-
embolischen Komplikationen als solche, die klei-
Mitrale Abklatschvegetationen | Abklatschvege- ner als 10 mm sind. Dies gilt insbesondere für Ve-
tationen einer primären Aortenklappen-IE auf getationen, die an den sehr mobilen Segelanteilen
das anteriore Mitralsegel, sog. „Kissing“ Vegetati- der Mitralklappe haften und deshalb hohen Be-
on, sind mit der Gefahr verbunden, dass auch die- schleunigungen ausgesetzt sind.
se Klappe zerstört wird. In der Mehrzahl der Fälle
ist es möglich, die Klappe mit einer frühzeitigen Nach erstmaliger Thromboembolie ist das Rezi-
Operation zu erhalten [23]. divrisiko sowohl bei Mitral- als auch bei Aorten-
klappen-IE beträchtlich, wenn nach Komplikati-
Systemische Thromboembolien | Das Risiko einer onseintritt mit TEE weiterhin flottierende Vegeta-
Thromboembolie ist bei einer Mitralklappenen- tionen oder spontaner Echokontrast nachweisbar

Piper C, Faber L, Horstkotte D. Aortenklappenendokarditis Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 353–362
360 CME

sind [1, 2, 3, 5] . In mehr als der Hälfte dieser Fälle Primär chirurgische Therapie
tritt innerhalb von 30 Tagen ein Embolierezidiv
auf. Bei folgenden Befunden bzw. Komplikationen
empfiehlt sich ein primär kombiniertes chirurgi-
Eine effektive Antikoagulation vermindert das sches und antimikrobielles Management [22]:
Embolierisiko bei florider Endokarditis nicht, ▶▶ progrediente therapierefraktäre Herzinsuffizi-
erhöht aber das Risiko für Blutungen erheblich enz bei schwerer Aortenklappeninsuffizienz
Prof. Dr. med. Cornelia Piper
ist stellvertr. Direktorin der – insbesondere für zerebrale Blutungen. Die ▶▶ progrediente therapierefraktäre Herzinsuffizi-
Klinik für Kardiologie des Antikoagulationsbehandlung ist deshalb bei enz bei schwerer Mitralklappeninsuffizienz
Herz- und Diabeteszentrum allen Patienten obsolet, die nicht aus anderen ▶▶ persistierende Sepsis über > 48 h trotz adäqua-
NRW der Ruhr-Universität Gründen (mechanischer Herzklappenersatz, ter antibiotischer Therapie
Bochum.
Vorhofflimmern, etc.) eine Indikation dazu ▶▶ nach Embolie weiterhin Nachweis einer großen
cpiper@hdz-nrw.de
haben [3]. (> 10 mm) flottierenden Vegetation
▶▶ große flottierende Vegetation (> 10 mm an der
Mitralklappe, > 15–20 mm an der Aortenklappe)
ZNS-Beteiligung bei IE | Sowohl bei Nativklappen- ▶▶ Abklatschvegetation an der Mitralklappe bei
als auch bei Prothesenendokarditiden treten in primärer Aortenklappen-IE
etwa einem Drittel der Krankheitsverläufe neuro- ▶▶ akutes Nierenversagen
logische Komplikationen auf. Dazu gehören z. B.: ▶▶ Polymerinfektion (Kunstklappenprothesen, Ka-
▶▶ intrakranielle, okkludierende Embolien theter, Schrittmacherkabel) durch Staphylokok-

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▶▶ zerebrale Blutungen bei mykotischem Aneu- ken oder resistente Enterokokken
Univ.-Prof. Dr. med.
Dieter Horstkotte rysma ▶▶ Kunstklappenprothesen-IE mit paraprotheti-
ist Direktor der Klinik für ▶▶ Hirnabszess schen Abszessen
Kardiologie und stellvertreten- ▶▶ Meningitis ▶▶ Infektionen mit antimikrobiell schwer zu be-
der ärztlicher Direktor des
▶▶ Meningoenzephalitis handelnden oder resistenten Mikroorganis-
Herz- und Diabeteszentrum
NRW der Ruhr-Universität Die Mortalität der IE mit ZNS-Beteiligung beträgt men, inkl. Pilze
Bochum. 41 %, ohne neurologische Komplikationen dage-
akleemeyer@hdz-nrw.de gen nur 15 % [24]. Fazit
▶▶ Voraussetzungen für die Entstehung einer
Nach zerebralen Embolien ist bei fortbestehen- infektiösen Endokarditis (IE) ist die Besiedlung
dem Thromboembolierisiko möglichst innerhalb des Endokards durch vermehrungsfähige
der ersten 48 h zu operieren. Die nach Ablauf von Mikroorganismen im Zuge einer Bakteriämie.
etwa 72 h progrediente Störung der Blut-Hirn- ▶▶ Die IE wird zu 90 % von grampositiven Kokken
Schranke verschlechtert die Prognose. Sie ist indi- (Streptokokken, Staphylokokken, Enterokok-
rekt auch dafür verantwortlich, dass eine Opera- ken) verursacht, wobei eine Staphylokokken-IE
tion mehr als 8 Tage nach dem Ereignis – im Ver- häufig einen foudroyanten Verlauf nimmt.
Prof. Dr. med. Lothar Faber gleich zur konservativen Behandlung – nicht mehr ▶▶ Bei IE-Verdacht ist immer eine transthorakale
ist Oberarzt der Klinik für
zu einer Prognoseverbesserung führt. Bei späten und meist eine transösophageale Echokardio-
Kardiologie und Leiter des
Echolabors am Herz- und Operationen nimmt die Rate sekundärer zerebra- grafie unverzüglich erforderlich; auch müssen
Diabeteszentrum NRW der ler Blutungen stark zu. Vor der Operation ist ein mind. 3 Blutkultursets unabhängig vom
Ruhr-Universität Bochum. CCT zum Ausschluss einer zerebralen Reperfusi- Fieberverlauf entnommen werden.
lfaber@hdz-nrw.de onsblutung zwingend [2, 3, 25] ▶▶ Die antibiogrammgerechte antibiotische
Therapie erfolgt in aller Regel als intravenöse
Besonderheiten der Kunstklappenendokarditis Kombinationstherapie über 4–6 Wochen.
| Da die Infektionen ihren Ausgang vom Nah- ▶▶ Treten typische Komplikationen auf, ist meist
tring oder von nahtringnahen Thromben neh- eine dringliche chirurgische Intervention
men, sind periprothetische Dehiszenzen und indiziert.
Abszesse häufig. Prothesenendokarditiden, die ▶▶ Polymerassoziierte IE (Kunstklappe, Elektro-
durch koagulasenegative Staphylokokken oder denkabel etc.) sind komplikationsträchtig und
Enterokokken verursacht werden, sind schwie- erfordern meist die komplette Entfernung des
rig zu sanieren. Trotz höchstdosierter Kombina- gesamten Polymermaterials.
tionstherapien synergistisch oder additiv wirk-
samer Antibiotika gelingt dies selten. Patienten
Interessenkonflikt
mit Kunstklappen-IE sind zusätzlich mit Rifam- Literatur
Die Autoren geben an, dass picin zu behandeln, da Rifampicin aktiv in Gra- 1 Horstkotte D. Mikrobielle verursachte Endokarditis:
kein Interessenkonflikt besteht. nulozyten angereichert wird und die Sterilisati- Klinische und tierexperimentelle Untersuchungen.
Darmstadt: Steinkopff; 1995
on von Abszessen beschleunigt. In den meisten
2 Murdoch DR, Corey GR, Hoen B et al. Clinical
DOI 10.1055/s-0041-100499 Fällen empfiehlt sich ein primär kombiniertes, presentation, etiology, and outcome of infective
VNR 2760512015147121764 chirurgisches und antimikrobielles Manage- endocarditis in the 21st century: the International
Dtsch Med Wochenschr 2015; ment. Die antibiotische Kombinationstherapie Collaboration on Endocarditis-Prospective Cohort
140: 353–362 Study. Arch Intern Med 2009; 169: 463–473
ist in diesen Fällen nach dem operativen Herz-
© Georg Thieme Verlag KG ·
Stuttgart · New York · klappenersatz intravenös für 6 Wochen fortzu- Vollständiges Literaturverzeichnis unter
ISSN 0012-0472 setzen [2, 3, 5, 22]. http://dx.doi.org/10.1055/s-0041-100499

Piper C, Faber L, Horstkotte D. Aortenklappenendokarditis Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 353–362
CME

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Prevention, Diagnosis, and Treatment of Infective 16 Kullar R, Davis SL, Levine DP et al. High-dose daptomy-
Endocarditis of the European Society of Cardiology cin for treatment of complicated gram-positive
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Der Beitrag wurde am 26.06.2015 gemäß folgendem


Erratum korrigiert:
Im Beitrag „Aortenklappenendokarditis: Diagnostik und
Therapie“ (Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 353–362)
muss es auf S. 358, Tab. 1 richtig heißen:
„Oxacillin-empfindliche Staphylokokken (MSSA):
MHKOxa < 1 mg / L“.

Piper C, Faber L, Horstkotte D. Aortenklappenendokarditis Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 353–362
361

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▶▶ Viel Erfolg bei Ihrer CME-Teilnahme unter http://cme.thieme.de
▶▶ Diese Fortbildungseinheit ist 12 Monate online für eine
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▶▶ Sollten Sie Fragen zur Online-Teilnahme haben, unter http://
cme.thieme.de/hilfe finden Sie eine ausführliche Anleitung.

1. Welche Erreger können keine infektiöse Endokarditis 7. Mit welcher antibiotischen Kombinationstherapie wird ein
verursachen? Patient mit penicillinempfindlicher (MHKPen 4 mg / L)
a. Candida albicans Enterococcus faecalis-Aortenklappen-IE über 4–6 Wochen
b. Staphylococcus aureus behandelt?
c. E. coli a. Metronidazol plus Gentamicin
d. Chlamydien b. Ampicillin oder Penicillin G plus Gentamicin
e. Adenoviren c. Imipenem plus Metronidazol
d. Avalox plus Ciprobay
e. Avalox plus Gentamicin

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2. Das Risiko für einen Patienten mit einem angeborenen oder
erworbenen Herzklappenfehler, an einer Endokarditis zu
erkranken, wird nicht begünstigt durch 8. Wie nennt man die Abklatschvegetation am vorderen
a. terminale Niereninsuffizienz Mitralklappensegel bei Aortenklappen-IE?
b. Diabetes mellitus a. „Kissing“ Vegetation
c. arterielle Hypertonie b. „Ablagerung“
d. immunsuppressive Therapie c. „Smile“
e. Alkoholabusus d. Prolaps
e. Flail

3. Bei welchem Endokarditiserreger finden sich gehäuft


gastrointestinale Tumore? 9. Welche Aussage zur antibiotischen Therapie der
a. Streptococcus bovis Endokarditis ist richtig?
b. Chlamydien a. Das Monitoring der Wirkspiegel von Aminoglykosiden und
c. Candida albicans Vancomycin sollte engmaschig durchgeführt werden, um eine
d. Staphylococcus aureus Akkumulation der nephrotoxischen Substanzen zu verhindern.
e. Staphylococcus epidermidis b. Auch kritisch kranke Patienten dürfen nur antibiotisch therapiert
werden, wenn zuvor der Keim eindeutig identifiziert wurde.
c. Die Antibiotikatherapie ist immer mit einem Antimykotikum zu
4. Welches dieser Symptome legt einen dringenden Verdacht kombinieren.
auf eine Endokarditis nahe? d. Die Antibiotika werden bei IE oral verabreicht.
a. Leistungsknick e. „High Level Resistance (HLR)“ gegen Gentamicin gibt es bei
b. Übelkeit und Erbrechen Enterococcus-Stämmen nicht.
c. Abgeschlagenheit und Mattigkeit
d. Fieber plus Haut- und Retinamanifestationen
10. Welche Aussage zu Komplikationen einer Aortenklappenen-
e. anhaltende Kopfschmerzen
dokarditis ist korrekt?
a. Zu chirurgischen Intervention sind nur mechanische Herzklappen
5. Welche Aussage bezüglich der Entnahme von Blutkulturen geeignet.
(BK) bei Verdacht auf Endokarditis ist korrekt? b. Bei Staphylokokken ist die Inzidenz von Thromboembolien
geringer als bei Streptokokken.
a. BK sollten während einer Fieberspitze abgenommen werden.
c. Bei schwerer Aortenklappeninsuffizienz ist eine Herzfrequenz von
b. BK sollten in einem Brutschrank aufbewahrt werden.
120–125 / min optimal.
c. Es sollte arterielles Blut entnommen werden.
d. Eine Antikoagulation erhöht zwar das Risiko für Blutungen, senkt
d. Nur selten sind Endokarditiden kulturnegativ.
aber gleichzeitig das Embolierisiko bei florider Endokarditis.
e. Leitliniengerecht sollten mindestens 3 Blutkultursets abgenommen
e. Nach operativem Herzklappenersatz muss man die antibiotische
werden.
Kombinationstherapie intravenös für 2 Wochen fortsetzen.

6. Wie lange wird ein Patient mit nativer Aortenklappen-IE


mit blutkulturell nachgewiesenen oxazillinempfindlichen
(MHKOxa < 0,1 mg / L) Staphylokokken und einer Vegetations-
größe von 8 mm in aller Regel intravenös behandelt?
a. 1 Woche
b. 2 Wochen
c. 3 Wochen
d. 4 Wochen
e. 8 Wochen

Piper C, Faber L, Horstkotte D. Aortenklappenendokarditis Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 353–362
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Angaben zur Person Fragen zur Zertifizierung


Name, Vorname, Titel: 1. Das Thema des Beitrages kommt in meiner ärztlichen Tätigkeit
häufig vor selten vor regelmäßig vor gar nicht vor

2. Bei diesem Thema habe ich eine feste Gesamtstrategie


Straße, Hausnr.: keine Strategie noch offene Einzelprobleme

PLZ, Ort: 3. In Bezug auf das Thema des Beitrages


fühle ich mich nach dem Studium des Beitrags
in meiner Strategie bestätigt
habe ich meine Strategie verändert:
Anschrift: privat dienstlich

Ich bin Mitglied der Ärztekammer


(bitte Namen der Kammer eintragen): habe ich erstmals eine einheitliche Strategie erarbeitet
habe ich keine einheitliche Strategie ableiten können

4. Wurden aus der Sicht Ihrer täglichen Praxis heraus wichtige


Aspekte des Themas
Jahr meiner Approbation: nicht erwähnt: ja, welche nein
Ich befinde mich in der Weiterbildung zum:

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zu knapp abgehandelt? ja, welche nein
Ich habe eine abgeschlossene Weiterbildung in …
(bitte Fach eintragen):
überbewertet? ja, welche nein

Ich bin tätig als: Assistenzarzt Oberarzt Chefarzt


niedergelassener Arzt Sonstiges
5. Verständlichkeit des Beitrages
Ich bin DMW-Abonnent: ja nein Der Beitrag ist nur für Spezialisten verständlich
Falls nein: ich habe den Fragebogen aus / von: Der Beitrag ist auch für Nicht-Spezialisten verständlich
Thieme-connect Kollegen der Klinik einer Bibliothek
Sonstiges 6. Beantwortung der Fragen
Die Fragen lassen sich aus dem Studium des Beitrags
allein beantworten
Die Fragen lassen sich nur unter Zuhilfenahme zusätzlicher
Literatur beantworten
Lernerfolgskontrolle (Eine Antwort pro Frage ankreuzen)
7. Die Aussagen des Beitrages benötigen eine ausführlichere
  1. A B C D E
Darstellung
  2. A B C D E
zusätzlicher Daten
  3. A B C D E von Befunden bildgebender Verfahren
  4. A B C D E die Darstellung ist ausreichend
  5. A B C D E 8. Wieviel Zeit haben Sie für das Lesen des Beitrages und
  6. A B C D E der Bearbeitung des Quiz benötigt?

  7. A B C D E
  8. A B C D E
  9. A B C D E
10. A B C D E Zertifizierungsfeld (wird durch die DMW ausgefüllt)
Ihr Ergebnis:
Ich versichere, dass ich die Beantwortung der Fragen selbst und ohne
Sie haben von 10 Fragen richtig beantwortet.
fremde Hilfe durchgeführt habe
Sie haben bestanden und 3 Punkte erworben
Ort, Datum:
nicht bestanden ungültig, weil:

Unterschrift:
Stuttgart, den Stempel/Unterschrift

Bitte in dieses Feld Ihre DMW Abonnement-Nummer eintragen:

Für die Teilnahme auf dem Postweg senden Sie den vollständig aus- gefüllten Evaluationsbogen mit dem Eintrag Ihrer Abonnement-Nummer
im Feld D und einen ausreichend frankierten und an Sie selbst adressierten Rückumschlag an:
Georg Thieme Verlag, DMW Stichwort „CME“, Postfach 301120, 70451 Stuttgart, Einsendeschluss: 29.02.2016 VNR 22760512015147121764
42 Kasuistik

Akute Pankreatitis bei Hypertriglyzeridämie – ein unterschätztes


Krankheitsbild?
Wolfgang Wild, Morad Tajjiou, Melanie Ferschke, Fabian Bormann, Pius Dörr, Matthias Schwarzbach

Eine Hypertriglyzeridämie ist die dritthäufigste Ursache einer akuten Pankreatitis. Wir berichten
über zwei Patienten mit Hypertriglyzeridämie, deren klinische, laborchemische und radiologische
Aufnahmebefunde den ernsten Verlauf ihrer akuten Pankreatitis nicht voraussagten.

Prognose | Einige Studien sprechen dafür, dass Patient 1


eine Hyper­triglyzeridämie bei akuter Pankreati-
tis zu einem höheren Schweregrad und vermehr- Anamnese | Patient 1 (47 Jahre) kommt mit star-
ten Komplikationen führt [8, 10, 11]. In anderen ken diffusen Abdominalschmerzen und nach
Publikationen wird die prognostische Bedeu- mehrfachem Erbrechen in unsere Notaufnahme.

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tung erhöhter Blutfette als eher unklar diskutiert Seinen Alkoholkonsum gibt er als regelmäßig,
[4, 12]. aber nicht massiv an.

Empfohlene Scores | Zur Einschätzung der Prog- Laborbefunde | Initial:


nose der akuten Pankreatitis werden nach der ▶▶ Serumlipase: 9924 U / L (73–393 U / l)
Atlanta-Klassifikation verschiedene Scores emp- ▶▶ Amylase: 462 U / l (25–115 U / l)
fohlen [3, 6, 15]: ▶▶ Milchiger Überstand in der Blutprobe
▶▶ Ranson-Score ▶▶ Triglyzeride: 906 mg / dl (< 200 mg / dl)
▶▶ APACHE-II-Score ▶▶ Blutzucker: 205 mg / dl (60–100 mg / dl)
▶▶ Glasgow-Kriterien ▶▶ Laktat-Dehydrogenase: 436 U / L (< 241 U / l)
▶▶ Balthazar-Score Nach 48 Stunden:
Der APACHE-II-Score und die Glasgow-Kriterien ▶▶ Serumkalzium:
fassen klinische und Laborparameter wertend gefallen auf 1,5 mmol / L (2,1–2,5 mmol / l)
zusammen. Der Balthazar-Score hingegen nimmt ▶▶ Harnstoff:
die Computertomografie als Grundlage für die Pro- gestiegen von 6 auf 17 mg / dl (7–18 mg / dl)
gnose der akuten Pankreatitis. In keinem dieser Die übrigen Laborparameter sind nicht relevant
Scores geht die Hypertriglyzeridämie als Faktor ein erhöht, wodurch sich ein Ranson-Score von 4 er-
(▶ Tab. 1). In der Klassifikation der PANCREA- gibt.
Arbeitsgruppe wird die Prognose auf das Zusam-
menwirken der beiden Determinanten Nekrose Einfacher Verlauf vermutet | Aufgrund der starken
(lokal) und Organversagen (systemisch) reduziert. Beschwerden führen wir am Aufnahmetag eine
Andere Faktoren werden als nicht kausal und computertomografische Untersuchung durch.
bedeutungslos, als statistische Interaktionen und Diese ergibt das Bild einer akuten Pankreatitis mit
Artefakte klassifiziert [9]. perifokaler Entzündungsstraße. Eine Pankreas-

Abb. 1 Patient 1 bei Aufnahme und Beschwerdebe- Abb. 2 Patient 1, 19 Tage nach Beginn der Pankreatitis:
ginn: Umschriebene Pankreatitis und Nekrose im Ausgedehnte peripankreatische Flüssigkeitsstraßen. CT
Bereich des Pankreasschwanzes. CT mit Kontrastmittel, mit Kontrastmittel, venöse Phase, 5 mm Schicht,
venöse Phase, 5 mm Schicht, Somatom 64 Fa. Siemens. Somatom 64 Fa. Siemens.

Wild W et al. Akute Pankreatitis bei ... Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 42–45
Kasuistik 43

Glasgow-Kriterien [10] Ransom-Score [9] Balthazar-Score in Graden [11] PANCREA-Klassifikation


Für nicht-biliäre Pankreatitis [12]
▶▶ PaO2 < 8kPa Bei Aufnahme: ▶▶ A: Normales CT: ▶▶ Milde Pankreatitis:
▶▶ Alter > 55 Jahre ▶▶ Alter > 55 Jahre 0 Punkte Keine Nekrose und kein
▶▶ Leukozyten ▶▶ Leukozyten > 16 000 / mm3 ▶▶ B: Fokale oder diffuse Schwellung Organversagen
> 15 × 106 / l ▶▶ Blutzucker > 10 mmol / l des Pankreas:
▶▶ Blutzucker > 10 mmol / l ▶▶ LDH > 350 IU / l 1 Punkt ▶▶ Mäßige Pankreatitis:
▶▶ LDH > 600 IU / l ▶▶ AST > 250 IU / l ▶▶ C: Pankreasabnormalitäten oder Sterile Nekrose und / oder
▶▶ AST > 200 IU / l peripankreatische Inflammation: vorübergehendes
▶▶ Albumin < 32 g / l Nach 48 Stunden: 2 Punkte Organversagen
▶▶ Kalzium < 2 mmol / l ▶▶ Kalzium < 2,0 mmol / l ▶▶ D: Flüssigkeit an einer
▶▶ Harnstoff > 16 mmol / l ▶▶ Hämatokrit-Abfall > 10 % Lokalisation: ▶▶ Ernsthafte Pankreatitis:
▶▶ Hypoxie PO2 < 60 mmHg 3 Punkte Infizierte Nekrose oder
> 3 Kriterien erfüllt: ▶▶ Blut-Harnstoff-Stickstoff ▶▶ E: > eine Flüssigkeitsansammlung persistierendes Organver-
Schwere Pankreatitis > 1,8 mmol / l und / oder Lufteinschlüsse: sagen
▶▶ Base excess > 4 mmol / l 4 Punkte
▶▶ Sequestration > 6 l ▶▶ Kritische Pankreatitis:
Nekrose: Infizierte Nekrose und
Mortalität bei erfüllten Kriterien: ▶▶ keine: 0 Punkte persistierendes Organver-

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▶▶ 0–2: minimal (1 %) ▶▶ bis 30 %: 2 Punkte sagen
▶▶ 3–5: 10–20 % ▶▶ 30–50 %: 4 Punkte
▶▶ 5–6: 40–50 % ▶▶ mehr als 50 %: 6 Punkte
▶▶ > 6: 100 %
Morbidität und Mortalität bei
erfüllten Kriterien:
▶▶ 0–3: Morb. 8 %, Mort. 3 %
▶▶ 4–6: 35 % bzw. 6 %
▶▶ 7–10: 92 % bzw. 17 %

Tab. 1 Prognoseparameter
von Pankreatitis-Scores
schwanzhypodensität von 2,7 × 2,9 cm werten wir Verschlechterung und steigendem intraabdo­
als beginnende Nekrose (▶ Abb. 1). Der Balthazar- minellem Druck intubiert. Bei zunehmender
Score beträgt damit 5 Punkte. Da das als Nekrose Besserung kann er am 12. Tag wieder extubiert
angesehene Areal im Pankreasschwanz weniger werden, benötigt aber am 19. Tag wegen eines
als 20 % des Organs ausmacht und der Balthazar- Pleura­ergusses eine Thorax­drainage (▶ Abb. 2).
Score erst ab einer Nekrose von 30 % des Pankreas 62 Tage nach der stationären Aufnahme wird der
ernsthafte Komplikationen vorhersagt, erwarten Patient entlassen.
wir einen einfachen Verlauf.
Wiederaufnahme | Im weiteren Verlauf wird der
Therapie | Der Patient wird auf unserer Inter­ Patient aufgrund von Schmerzen und nahrungs-
mediate Care Station aufgenommen und konserva- abhängigen Schwellungszuständen im Bereich
tiv therapiert (zentralvenöser Katheter, Volumen- der linken Flanke wieder stationär aufgenommen.
management, Hämodilution, Harndauerkatheter). Ikteruszeichen bestehen nicht. Während sonogra-
Wegen des vom Patienten angegebenen mehrfa- fisch eine Zyste oder ein Abszess ausgeschlossen
chen Erbrechens legen wir eine Magensonde. werden können, diagnostizieren wir endosko-
pisch eine Fistelöffnung im Magen. Diese behan-
Zustand verschlechtert sich | Das CRP war am deln wir konservativ und antibiotisch. Dadurch
Aufnahmetag mit einem Wert von 2,39 mg / dl heilt sie aus.
(Norm < 3) nicht relevant erhöht. Am 2. Tag steigt
es auf 26,7 und am 3. Tag auf 35,5. Wegen zuneh- Nach einem halben Jahr beschwerdefrei | 6 Mona-
mender klinischer Verschlechterung und neu te nach der intensivmedizinischen Behandlung ist
einsetzenden supraventrikulären Tachykardien der Patient unter der Pankreasenzymsubstitution
wird der Patient auf die interdisziplinäre mit Kreon® und der Lipidsenkungsbehandlung mit
Intensiv­station verlegt. Am 4. Tag nach seiner Simvastatin beschwerdefrei. Bei normwertigem
Auf­nahme klagt er über zunehmende Schmerzen HbA1c ist eine antidiabetische Behandlung nicht
im linken Arm, der stark angeschwollen war. notwendig. Das Gewicht ist stabil. Der Patient gibt
Sonografisch weisen wir eine Thrombose der V. keine Schmerzen, Fettstühle oder Flatulenz an
subclavia sowie der V. jugularis interna links und geht seiner Arbeit nach. Seine Ernährung hat
nach. Deshalb be­ ginnen wir mit einer thera­ er angepasst. Dabei achtet er auf eine fettmodi­
peutischen Heparinisierung und umwickeln fizierte Nahrung. Zur ausreichenden Vitamin­
den Arm mit einem Kompressionsverband. Am versorgung wird ihm ein Multivitaminpräparat
6. Tag wird der Patient bei respiratorischer gegeben.

Wild W et al. Akute Pankreatitis bei ... Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 42–45
44 Kasuistik

Patient 2 liegt eine klinische Verschlechterung einschließ-


lich Tachykardie und Hypotonie vor und wir
Anamnese | Patient 2 (33 Jahre) kommt mit beobachten eine gummiartige Resistenz des
unklaren epigastrischen und gürtelförmigen Abdomens mit ubiquitärer Abwehrspannung. Erst
Beschwerden im Oberbauch in unsere Notauf- dann macht sich ein Anstieg des CRP-Wertes von
nahme. Seinen Alkoholkonsum gibt er als un­ initial 0,25 mg / dl (Norm < 3) auf 24,8 bemerkbar.
regelmäßig an. Trotz continuous positive airway pressure / assis-
ted spontaneous breathing, intermittierendem
Laborbefunde | Bei Aufnahme: Absaugen und Inhalation muss der Patient am
▶▶ Serumlipase: 1650 U / l 2. Tag nach Aufnahme intubiert werden. Inner-
▶▶ Amylase: 115 U / l (noch im Normbereich). halb von 24 h verschlechtert sich der pulmonale
Nach 48 Stunden: Befund weiter. Am 3. Tag wird der Patient zur kon-
▶▶ Kalzium: 1,7 mmol / l tinuierlichen lateralen Lagerungstherapie in ein
▶▶ Base Excess: 4,9 mmol / l (– 2,0–3,0 mmol / l). Rotorestbett umgebettet. Hierunter bessert sich
Anhand des Serumlipase-Wertes wird eine akute die pulmonale Situation nur kurzfristig, sodass er
Pankreatitis diagnostiziert. Eine biliäre Genese am 4. Tag nach Aufnahme zur extrakorporalen
wird sonografisch ausgeschlossen. Die übrigen Membranoxygenierung verlegt werden muss
Laborparameter sind nicht relevant erhöht, so- (▶ Abb. 4). Diese führen wir 7 Tage lang durch,
dass Patient 2 auf lediglich 2 Punkte im Ranson- bis der Patient am 12. Tag nach Aufnahme wieder
Score kommt. Dies entspricht einer minimalen extubiert werden kann. Am 44. Tag kann der Pati-

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Letalität (1 %). Auffällig ist auch bei ihm ein trü- ent in die weitere ambulante Behandlung entlas-
ber Überstand in der Blutprobe. In unserem La- sen werden.
bor können die Triglyzeride erst nach einer
automatischen Verdünnung der Probe bei der Im weiteren Verlauf nur noch Analgesie | 19 Mo-
dritten Abnahme bestimmt werden. Sie betragen nate nach der Entlassung aus der stationären
1225 mg / dl. Behandlung beklagt der Patient noch tägliche
Schmerzen. Deshalb muss er regelmäßig Anal­
Computertomografie | Wegen der ausgeprägten getika einnehmen. Die Ernährungsanamnese
Beschwerden und zum sicheren Ausschluss einer ergibt, dass eine angepasste Pankreasenzym­
Dr. med. Wolfgang Wild
Hohlorganperforation bei bekanntem Ulcus ven- substitution notwendig ist. Aufgrund der er­
ist leitender Oberarzt in der
Klinik für Chirurgie in triculi et duodeni wird eine CT des Abdomens bei niedrigten Elastase im Stuhl therapieren wir den
Frankfurt Höchst. Aufnahme durchgeführt, welche eine ödematöse Patienten mit Kreon®. Daraufhin hat er keine
wolfgang.wild@ Pankreatitis des Pankreasschwanzes mit perifo- klinischen Zeichen einer exokrinen Pankreas­
KlinikumFrankfurt.de kaler Flüssigkeitsimbibierung sowie eine Flüssig- insuffizienz wie Flatulenz und Fettstühle mehr.
keitsstraße entlang der Gerotafaszie zeigt. Eine Stattdessen normalisiert sich sein Stuhlgang und
Nekrose stellt sich hier nicht dar (▶ Abb. 3). Der sein Gewicht nimmt zu. Ein Diabetes entwickelt
Balthazar-Score beträgt 3. Nach dieser Klassifizie- sich im weiteren Verlauf nicht. Eine Intervention
rung wird die Mortalität mit 0 %, die Morbidität wird nicht notwendig. Das Ernährungsteam emp-
mit 6 % erwartet. fielt dem Patienten eine Alkoholkarenz und eine
bedarfsgerechte Energiezufuhr mit erhöhter
Rapide Beeinträchtigung der Lungenfunktion | Mahlzeitenfrequenz. Zudem werden eine Niko-
Am Aufnahmetag wird der Patient auf unsere tinabstinenz und die Einnahme hochkonzen­
Morad Tajjiou Intermediate Care Station übernommen. Im Laufe trierter Omega-3-Fettsäuren geraten. Darüber hi-
ist Assistenzarzt in der Klinik des Tages erschöpft er sich respiratorisch und naus wird eine Normalisierung des Vitamin­status
für Chirurgie in Frankfurt
wird auf unsere Intensivstation verlegt. Am 2. Tag angestrebt.
Höchst.
morad.tajjiou@
KlinikumFrankfurt.de

Dr. rer. nat.


Melanie Ferschke
ist Oecotrophologin und
leitet die Ernährungswissen-
schaftliche Sprechstunde der
Klinik für Chirurgie in Abb. 3 Patient 2 bei Aufnahme. Ödematöse Abb. 4 Patient 2: Kontroll-CT venöse Phase 5 Tage
Frankfurt Höchst. Pankreatitis des Pankreasschwanzes ohne Nekrose. CT später. Nekrotisch zerfallender Schwanzbereich und
Melanie.Ferschke@ mit Kontrastmittel, venöse Phase, 5 mm Schicht, Flüssigkeitsstraßen v. a. entlang der linken Flanke
KlinikumFrankfurt.de Somatom 64 Fa. Siemens. (5 mm Schichten, Somatom 64 Fa. Siemens).

Wild W et al. Akute Pankreatitis bei ... Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 42–45
Kasuistik 45

Diskussion cheldrüse. Er wäre in der Einteilung der PANCREA-


Klassifikation in der Gruppe mit der besten Prog-
Hypertriglyzeridämie als Ursache | Im Zusam- nose geführt worden. Dennoch entwickelte sich
menhang mit der akuten Pankreatitis ist die ein dramatischer Verlauf einschließlich eines
Bedeutung der Hypertriglyzeridämie schon lange schweren acute respiratory distress syndrome mit
bekannt [17]. Oft trägt sie zu einer ethyltoxischen der Notwendigkeit einer extrakorporalen Oxyge-
Genese bei. Die Serumwerte der Pankreas­enzyme nierung. Dabei wird von der PANCREA-Arbeits-
Dr. med. Pius Dörr
können bei der Pankreatitis in Verbindung mit gruppe gefordert, dass die Prognose der Erkran- ist Oberarzt am Institut für
Triglyzeridämie normal oder nur gering erhöht kung durch die Klassifika­tion zu jedem Zeitpunkt Radiologie des Klinikums
sein [7]. Die Hypertriglyzeridämie ist ätiologi- der Erkrankung eingeschätzt werden kann [9]. Frankfurt Höchst.
scher Ko-Fakor bei der akuten Pankreatitis. Dies pius.doerr@
wird unter anderem auf einen toxischen Schaden Hypertriglyzeridämie als Prognosefaktor | Wir KlinikumFrankfurt.de
der azinären Zellen und des kapillären Endothels sind daher der Meinung, dass die Rolle der Hyper-
zurückgeführt [5, 14]. Neben weiteren Erklärun- triglyzeridämie im Hinblick auf die Prognose der
gen vermutet man, dass der Zellschaden des akuten Pankreatitis weiter geprüft werden sollte.
Pankreas durch Lipidperoxydation der Zellmem­ Ein Einbringen der Hypertriglyzeridämie als un-
branen aufgrund freier Fettsäuren entsteht [1]. abhängiger Faktor für die Prognose der akuten
Erhöhte Cholesterinspiegel sind hingegen nicht Pankreatitis in neue Scores scheint sinnvoll und
mit einer Pankreatitis assoziiert [16]. sollte in weiteren Studien untersucht werden.

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Behandlung | Eine konsequente medikamentöse Dr. med. Fabian Bormann
Konsequenz für Klinik und Praxis
ist Assistenzarzt in der Klinik
und diätetische Therapie kann auch nach einer ▶▶ Eine Hypertriglyzeridämie kann trotz initial
für Chirurgie in Frankfurt
Hypertriglyzeridämie-assoziierten Pankreatitis geringer klinischer und bildgebender Höchst.
ein Rezidiv verhindern. Athyros et al. berichten Befunde mit einem schweren Verlauf einer fabian.bormann@
über 17 Patienten mit einem Nachbeobachtungs- Pankreatitis einhergehen. KlinikumFrankfurt.de
zeitraum von 42 Monaten, von denen lediglich ein ▶▶ Eine bereits bei Aufnahme des Patienten
Patient ein Rezidiv erlitt. Dieser Patient hatte Diät erkannte Hypertriglyzeridämie sollte als
und Medikation nicht eingehalten [13]. In der Warnsignal aufgefasst und notwendige
akuten Situation kann die Behandlung eine Plas- intensivmedizinische Maßnahmen
mapherese notwendig machen [2]. frühzeitig eingeleitet werden.
▶▶ Zur Rezidivprophylaxe sollte eine medika-
Unauffällige Laborbefunde | In den beiden von mentöse Senkung der Hypertriglyzeridämie
uns vorgestellten Fällen waren die Laborwerte bei ebenso erfolgen wie eine Ernährungsbera-
Aufnahme der Patienten – außer der Erhöhung tung und eine Langzeitkontrolle der Prof. Dr. med.
der Serumlipase – wenig auffällig. Dies spiegelt Patienten. Matthias Schwarzbach
sich auch in einem Ranson-Score von 4 bzw. 2 ist Leiter des Darmzentrums
wider. Auch der Balthazar-Score war bei beiden und Chefarzt der Klinik für
gering und bei Patient 2 sogar nur 2. Auffällig wa- Literatur Chirurgie in Frankfurt Höchst.
matthias.schwarzbach@
ren bei Aufnahme bei beiden Patienten lediglich 1 Athyros VG, Giouleme OI, Nikolaidis NL et al. KlinikumFrankfurt.de
der hohe Triglyzeridgehalt des Blutes, der den Long-term follow-up of patients with acute
Blutproben bereits ohne weitere Untersuchung hypertriglyceridemia – induced pancreatitis. J Clin
Gastroenterol 2002; 34: 472–475
durch den Überstand an Fett anzusehen war sowie 2 Balthazar EJ, Robinson DL, Megibow AJ et al. Acute
die umschriebene Lokalisation der Pankreatitis im pancreatitis: value of CT in establishing prognosis.
Schwanzbereich des Organs. Radiology 1990; 174: 331–336
3 Castro FS, Nascimento AM, Coutinho IA et al.
Plasmapheresis as a therapeutic approach for
Klassifikation anhand von nur 2 Parametern |
hypertriglyceridemia-induced acute pancreatitis.
Nach den Einteilungen des Ranson-Score, des Bal- Rev Bras Ter Intensiva 2012; 24: 302–307
thazar-Scores und auch der neuen PANCREA- 4 Corfield AP, Williamson RCN, Williamson RC et al.
Klassifikation [9] war initial bei beiden Pa- Prediction of severity in acute pancreatitis:
tienten ein unkomplizierter Verlauf zu erwarten prospective comparision of three prognostic
indices. Lancet 1985; 2: 403–407
(▶ Tab. 1). Die PANCREA-Klassifikation reduziert
5 Dellinger EP, Forsmark CE, Layer P et al. Pancreati-
die Parameter für die Evaluierung der Schwere der tis Across Nations Clinical Research and Education
Pankreatitis auf zwei Determinaten: Nekrosen Alliance (PANCREA). Determinant-based classifica-
und Organversagen. Damit wird der Schweregrad tion of acute pancreatitis severity: an international
multidisciplinary consultation. Ann Surg 2012; Interessenkonflikt
ausschließlich durch die beiden lokalen und Die Autoren geben an, dass
256: 875–880
systemischen Faktoren definiert, die allein pa­ 6 Ewald N, Kloer HU. Treatment options for severe kein Interessenkonflikt
thogenetische und prognostische Bedeutung hypertriglyceridemia (SHTG): the role of apheresis. besteht.
hätten. Clin Res Cardiol Suppl 2012; 7: 31–35
DOI 10.1055/s-0041-106459
Dtsch Med Wochenschr
Gute Prognose nach PANCREA-Klassifikation |
2016; 141: 42–45
Patient 2 hatte initial keine Nekrose in der bildge- © Georg Thieme Verlag KG ·
benden CT-Diagnostik und nur eine umschriebene Vollständiges Literaturverzeichnis unter Stuttgart · New York ·
Pankreatitis im Schwanzbereich der Bauchspei- http://dx.doi.org/10.1055/s-0041-106459 ISSN 0012-0472

Wild W et al. Akute Pankreatitis bei ... Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 42–45
Kasuistik

7 Kimura W, Mössner J. Role of hypertriglyceridemia 12 Ranson JH, Rifkind KM, Roses DF et al. Prognostic
in the pathogenesis of experimental acute signs and the role of operative management in
pancreatitis in rats. Int J Pancreatol 1996; 20: acute pancreatitis. Surg Gynecol Obstet 1974;
177–184 139: 69–81
8 Deng LH, Xue P, Xia Q et al. Effect of admission 13 Saharia P, Margolis S. Acute pancreatitis with
hypertriglyceridemia on the episodes of severe hyperlipemia: studies with an isolated perfused
acute pancreatitis. World J Gastroenterol 2008; 14: canine pancreas. Surgery 1977; 82: 60–67
4558–4561 14 Scherer J, Singh VP. Zuidema GD et al. Issues in
9 Lloret Linares C, Pelletier AL Czernichow S et al. hypertriglyceridemic pancreatitis: an update. J Clin
Acute pancreatitis in a cohort of 129 patients Gastroenterol 2014; 48: 195–203
referred for severe hypertriglyceridemia. Pancreas 15 Speck L. A case of lipidemia. Arch Verin Wiss
2008; 37: 13–22 Heilkd 1865; 1: 232
10 Miller A, Lees RS, McCluskey MA et al. The natural 16 Toskes PP. Hyperlipidemic pancreatitis. Gastroen-
history and surgical significance of hyperlipemic terol Clin North Am 1990; 19: 783–791
abdominal crisis. Ann Surg 1979; 190: 401–408 17 Yadav D, Pitchumoni CS. Issues in hyperlipidemic
11 Morita Y1, Yoshikawa T, Takeda S et al. Involve- pancreatitis. J Clin Gastroenterol 2003; 36: 54–62
ment of lipid peroxidation in free fatty acid-indu-
ced isolated rat pancreatic acinar cell injury.
Pancreas 1998; 17: 383–389

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Wild W et al. Akute Pankreatitis bei ... Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 42–45
1606 So wirdʼs gemacht

Notfallsonografie – Patient mit Bauchschmerzen

Tanja Kaneko, Wolfgang Heinz

Bei Patienten mit akuten Bauchschmerzen sind die Anforderungen an den Notfall-Ultraschall
hoch: Der Untersucher muss rasch die Anzahl möglicher Differenzialdiagnosen reduzieren und im
Idealfall die richtige Diagnose stellen. Der Beitrag stellt die häufigsten Krankheits­bilder in der
Notfallsonografie vor und gibt praktische Tipps, die den Einstieg erleichtern.

Voraussetzungen nach kaudal bis zum Ileozökalpol im Längsschnitt


nähern, oder man beginnt am Punctum maxi­
Geräteeinstellungen | Der Untersucher muss sein mum des Schmerzes.
Ultraschallgerät so gut kennen, dass er ggf. not­

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wendige Einstellungen zur Geräteoptimierung Pathologie | Durch die Entzündung (▶ Abb. 2)
vornehmen kann. Dazu gehört kommt es zur Wandverdickung der Appendix. Ein
▶▶ die sichere Wahl des geeigneten Schallkopfs Querdurchmesser (Gesamtdurchmesser) von über
und der Untersuchungsvoreinstellungen und 6 mm gilt dabei als Grenzwert. Legt man den Cut­
▶▶ die permanente Anpassung der Eindringtiefe, off bei über 8 mm, dann steigt dadurch die Spezi­
der Verstärkung und die Fokusoptimierung. fität bei niedriger Sensitivität. Weitere hilfreiche
Zusatzkriterien sind
Lagerung | Abseits der Technik kann die Führung ▶▶ die sogenannte echoreiche Netzkappe (die Re­
des Patienten (z. B. Umlagerung oder Atemmanö­ gion um die entzündete Appendix ist echorei­
ver) die Untersuchungsqualität essenziell verbes­ cher) sowie
sern. ▶▶ eine schmerzhafte Sonopalpation (umschrie­
bener Druckschmerz als Ausdruck einer loka­
len Peritonitis).
Rechter Unterbauch Auch bei retrozökaler Lage gelingt der sonografi­
sche Nachweis häufig. Bei der Ultraschalluntersu­
Appendizitis | Bei akuten Schmerzen im rechten chung wird der Schallkopf nie ausschließlich von
Unterbauch muss man differenzialdiagnostisch ventral aufgesetzt, sondern auch nach lateral (am
stets an die akute Appendizitis denken. Da die Ap­ Zökum vorbei) geführt.
pendix normalerweise direkt unterhalb der
Bauchdecke liegt, sollte für eine bessere Detail­ Dass eine entzündete Appendix sonografisch
auflösung ein hochauflösender, höherfrequenter nicht detektiert wird, liegt meist daran, dass
Schallkopf mit mindestens 5 MHz eingesetzt wer­ nicht auf den Nahfeldbereich fokussiert wird.
den. Bei nicht allzu adipösen Patienten liegt der
Wurmfortsatz meist in 3–4 cm Tiefe (▶ Abb. 1). Als Korrelat für die Entzündung lässt sich mittels
Der Appendixloge kann man sich entweder über Farbdoppler eine verstärkte Durchblutung nach­
das Verfolgen des Colon ascendens von kranial weisen. Die Sonografie erreicht bei akuter Appen­

Abb. 2 Kokarde im Querschnitt mit echoreicher Netz-


Abb. 1 Normale Appendix im Längsschnitt. kappe.

Kaneko T, Heinz W. Notfallsonografie - Patient mit... Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1606–1609
So wirdʼs gemacht 1607

A B C

Abb. 3 Aufsuchen der


Gallenblase. (A) longitudinal
dizitis einen positiv prädiktiven Wert von 86 % Pathologie | Pathognomonische Zeichen der aku­ entlang des Rippenbogens,
(B) Subkostalschnitt, (C) von

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und einen negativ prädiktiven Wert von 91 % [1]. ten Cholezystitis sind
lateral / interkostal.
▶▶ eine ödematöse Wandverdickung über 3 mm
Differenzialdiagnose | Außerdem sollten in Be­ mit Aufsplitterung der Wandschichten („Drei­
tracht gezogen werden: schichtenphänomen“),
▶▶ bakterielle Ileozökitis (v. a. bei Yersinien-Infek­ ▶▶ gegebenenfalls ein echoarmer Saum im Gallen­
tion) blasenbett zur angrenzenden Leber („Pericho­
▶▶ M. Crohn lezystitis“) sowie
▶▶ Adnexitis oder andere gynäkologische Ursachen ▶▶ der Nachweis von Steinen oder Sludge (▶ Abb. 5).
▶▶ Harnleiterkonkrement
▶▶ Meckel-Divertikel Eine akalkulöse Cholezystitis ist selten,
▶▶ Neoplasie kommt aber vor, sodass ein Steinnachweis
keine Conditio sine qua non ist.

Rechter Oberbauch
Freie Flüssigkeit kann Folge einer (seltenen)
Akute Cholezystitis | Der Klassiker bei akuten ­freien Perforation sein. Das wichtigste sonogra­
rechtsseitigen Oberbauchschmerzen ist die akute fisch-klinische Zeichen ist das sogenannte Mur­
Cholezystitis. Es gibt verschiedene Möglichkei­ phy-Zeichen: Unter sonografischer Sicht wird
ten, die Gallenblase darzustellen (▶ Abb. 3). Beim der Schallkopf direkt über der Gallenblase posi­
Aufsuchen der Gallenblase ist es hilfreich, den Pa­ tioniert, um gezielt zu komprimieren. Führt dies
tienten tief einatmen zu lassen. So kann man den nicht zu Schmerzen, ist eine akute Cholezystitis
Schallkopf z. B. gut am Leberunterrand entlang unwahrscheinlich. Der Nachweis von Konkre­
im Longitudinalschnitt von epigastrisch kom­ menten bei gleichzeitig sonografischem Mur­
mend in Richtung Medioklavikularlinie verschie­ phy-Zeichen hat einen positiv prädiktiven Wert
ben, bis die Gallenblase in ca. 4–7 cm Tiefe er­ von 92,2 % für die Diagnose akute Cholezystitis
scheint (▶ Abb. 4). [2].

Abb. 5 Akute Cholezystitis mit typischen Zeichen


Abb. 4 Normale Gallenblase mit Solitärstein. (Pfeile: Konkremente).

Kaneko T, Heinz W. Notfallsonografie - Patient mit... Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1606–1609
1608 So wirdʼs gemacht

Abb. 6 Normales Sigmadivertikel gefüllt mit Luft. Abb. 7 Sigmadivertikulitits.

Differenzialdiagnose | Schmerzen im rechten ▶▶ inkarzerierte Hernien


Oberbauch können u. a. auch Ausdruck sein für: ▶▶ chronisch entzündliche Darmerkrankungen
▶▶ Gallengangsaffektion ▶▶ Harnleitersteine

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▶▶ Duodenalulkus ▶▶ bei Frauen: gynäkologische Ursachen
▶▶ Hepatitis
▶▶ Pyelonephritis
▶▶ Appendizitis Linker Oberbauch
▶▶ Pneumonie
Urolithiasis | Bei starken, krampfartigen Flanken­
schmerzen drängt sich der Verdacht auf eine
Linker Unterbauch Nephro- bzw. Urolithiasis auf. Insbesondere die
linke Niere lässt sich meist nur von lateral bis zur
Sigmadivertikulitis | Die Sigmadivertikulitis zeigt hinteren Axillarlinie, gelegentlich nur von dorso­
viele Parallelen zur Appendizitis. Der Patient kann lateral nach Umlagern schallen.
üblicherweise oft punktgenau den Entzündungs­
herd lokalisieren. Auch hier spielt sich das Gesche­ Harnstau | Die sonografische Fragestellung lautet
hen direkt unterhalb der Bauchdecke ab (▶ Abb. 6). dabei: Harnstau? Wenn ja, wo steckt das Abfluss­
Somit eignet sich zur besseren Auflösung ein hö­ hindernis? Entwickelt sich die Abflussstörung
herfrequenter Schallkopf. akut, staut es sich zunächst in das Nierenbecken.
Der sonst sehr echoreiche Sinusreflex wird durch
Pathologie | Die Kolonwand ist um mehr als 5 mm echofreie Flüssigkeit ersetzt (Harnstau 1. Gra­
verdickt, die Wandschichtung ist – typisch für ei­ des). Bei zunehmendem Druck staut sich der Urin
nen entzündlichen Prozess – akzentuiert (diffe­ bis in das Kelchsystem zurück, ohne dabei das
nenzialdiagnostisch führt ein maligner Prozess Parenchym zu verschmälern (Harnstau 2. Gra­
zur Zerstörung der Wandarchitektur). Die entzün­ des). Höhergradige Staus (3. Grad mit Paren­
deten Divertikel sind echoarm und ähnlich wie bei chymverschmälerung, 4. Grad „hydronephroti­
der Appenditizis kommt es zu einer echoreichen sche Sackniere“) entstehen fast ausschließlich
Umgebungsreaktion (Peridivertikulitis), manch­ durch chronische Obstruktionen.
mal mit kleinem Flüssigkeitssaum (▶ Abb. 7). Bei
Abszessbildung kann man sonografisch größere Differenzialdiagnose | Differenzialdiagnostisch
echoarme / echofreie Bezirke erkennen. Nachteilig abzugrenzen sind:
ist, dass Komplikationen, die sich an der schall­ ▶▶ ampulläre Nierenbecken
kopffernen Kolonwand entwickeln, bei Luftüber­ ▶▶ Sinuslipomatose
lagerung nicht erkannt werden. Hier bleibt der ▶▶ zystische Raumforderungen
Einsatz der Computertomografie unverzichtbar. ▶▶ weite Nierenvenen
Auch eine verstärkte Diurese kann auf physiologi­
Bei Stenose mit eingeengtem Lumen und sche Art eine Harnstauung 1. Grades kurzfristig
prästenotischer Dilatation ist eine Nahrungs- imitieren. Hinter linksseitigen Oberbauchschmer­
karenz sinnvoll. Bei Abszessen, die größer als zen können sich u. a. auch verbergen:
3 bis 5 cm sind, sollte zeitnah eine Drainage ▶▶ Niereninfarkt
angelegt werden. ▶▶ Pyelitis oder Pyelonephritis
▶▶ Magenulkus
▶▶ Milzruptur oder Milzinfarkt
Differenzialdiagnose | Bei fehlendem Hinweis auf ▶▶ subphrenischer Abszess
eine Divertikulitis kommen in Betracht: ▶▶ Pneumonie bzw. Pleuritis

Kaneko T, Heinz W. Notfallsonografie - Patient mit... Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1606–1609
So wirdʼs gemacht 1609

Dr. med. Tanja Kaneko


ist Assistenzärztin für Innere
Medizin in den Ruppiner
Kliniken, Medizinische Klinik
B in Neuruppin.
tanjapil@gmx.de

Abb. 8 Normales Pankreas im Längsschnitt. Abb. 9 Ödematöse Pankreaskopfpankreatitis.

Mittelbauch Pleuraerguss durch Fistelbildung gehört zu den


klassischen Komplikationen.
Akute Pankreatitis | Eine Herausforderung für

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den unerfahrenen Ultraschaller ist die akute Pan­ Differenzialdiagnose | Akute Schmerzen im obe­ Dr. med. Wolfgang Heinz
kreatitis. Die Schwierigkeit besteht darin, die ren Mittelbauch und periumbilikal werden au­ ist Chefarzt der Inneren
Bauchspeicheldrüse (▶ Abb. 8) im entzündeten ßerdem verursacht durch: Klinik I, Karl-Olga Kranken-
haus in Stuttgart.
Zustand entlang der anatomischen Leitstruktur ▶▶ abdominelles Aortenaneurysma
wolfgang.heinz@sana.de
darzustellen: Denn der Patient ist in diesem Be­ ▶▶ Magen- oder Duodenalulkus
reich sehr druckempfindlich und durch die Para­ ▶▶ beginnende Appendizitis
lyse des Darms bilden sich vemehrt Darmgase. ▶▶ Nabelhernie

Die anatomische Leitstruktur für das Pankreas Wichtiges in Kürze


ist die Vena lienalis. ▶▶ Atemmanöver und Umlagerung sind oft
notwendig, um Organe / Regionen besser
schallbar zu machen.
Pathologie | Führendes Ultraschall-Zeichen der ▶▶ Sendefrequenz, Fokus, Eindringtiefe und
milden Pankreatitis (▶ Abb. 9) ist – als Korrelat für Verstärkung (gain) müssen immer
das entzündliche Ödem – eine Volumenzunahme optimiert werden.
mit schlechter Organabgrenzung zur Umgebung. ▶▶ Die Sonopalpation ist eine hervorragende
Dem entsprechend wird die Organtextur echoär­ Methode zur Lokalisation einer umschrie-
mer und inhomogener. Leider bietet die Bauch­ benen peritonealen Reizung.
speicheldrüse eine große interindividuelle For­ ▶▶ Entzündliche Prozesse im Abdomen führen
menvarianz und unterschiedliche Echogenität. häufig zu einer Umgebungsreaktion
Somit fällt die Interpretation eines Pankreasbe­ (echoreiche Netzkappe).
funds schwer, wenn man den „individuellen Nor­ ▶▶ Akute Harnabflussbehinderungen führen
malbefund“ nicht kennt. „nur“ zu einem Harnaufstau 1. oder 2.
Grades.
Ein gutes sonografisches Kriterium ist der
sogenannte Trauerrand – ein Flüssigkeitssaum
um das Pankreas, insbesondere in der Bursa Literatur
omentalis. 1 van Randen A, Laméris W, van Es HW et al. A
comparison of the Accuracy of Ultrasound and
Computed Tomography in common diagnoses
causing acute abdominal pain. Eur Radiol 2011;
Wenn sich Nekrosestraßen entwickeln, lässt sich 21: 1535–1545
die Diagnose mittels Ultraschall leichter stellen. 2 Ralls PW, Colletti PM, Lapin SA et al. Real-time
Die Abgrenzung zur hämorrhagisch-nekrotisie­ sonography in suspected acute cholecystitis.
renden Pankreatitis ist mittels Kontrastmittel­ Prospective evaluation of primary and secondary
signs. Radiology 1985; 155: 767–771
sonografie einfach möglich (Nekrosen nehmen
kein Ultraschallkontrastmittel auf). Nativsono­
grafisch können Einblutungen und Nekrosen in­
nerhalb der Bauchspeicheldrüse ein unruhiges Interessenkonflikt DOI 10.1055/s-0041-106448
Muster erzeugen. Besonderes Augenmerk sollte WH gibt an, Vortragshonorare von GE erhalten zu Dtsch Med Wochenschr 2015;
auch auf die benachbarten Gefäße gelegt werden, haben. TK gibt an, dass kein Interessenkonflikt 140: 1606–1609
denn Thrombosen im Bereich der V. lienalis oder besteht. © Georg Thieme Verlag KG ·
V. portae sind nicht selten. Auch der linksseitige Stuttgart · New York ·
ISSN 0012-0472

Kaneko T, Heinz W. Notfallsonografie - Patient mit... Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1606–1609
Standpunkt 1543

Das neue Präventionsgesetz: ein Schritt in die richtige Richtung?

Dietrich Garlichs

Am 18. Juni 2015 hat der Bundestag das „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der
Prävention“ verabschiedet – nach über 10 Jahren parlamentarischer Debatte und mehrfachen
Versuchen unterschiedlicher Bundesregierungen gibt es nun also endlich ein Präventionsgesetz.
Ist dies tatsächlich der lang ersehnte erste Schritt zur erfolgreichen Eindämmung chronischer
Erkrankungen? Oder sind die Gesetzgeber „zu kurz gesprungen“?

Chronische Krankheiten auf dem Vormarsch | ▶▶ Ärzte sollen die Patienten verstärkt zur gesund-
Hintergrund für das „Präventionsgesetz – PrävG“ heitlichen Vorbeugung anhalten.
(BGBI. I S. 1368–1379) ist die erhebliche Zunahme Alles in allem ist dies ein Appell an die Vernunft

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nicht übertragbarer Krankheiten: Zwei Drittel al- des Einzelnen, seinen Lebensstil zu ändern.
ler Männer und mehr als die Hälfte der Frauen in
Deutschland sind übergewichtig, fast ein Viertel Angebot erreicht Gesundheitsbewusste | Dieser
sogar adipös. Mehr als 6 Millionen Menschen in verhaltenspräventive Ansatz ist der klassische An-
Deutschland haben Diabetes – ein Anstieg um un- satz der bisherigen Gesundheitspolitik. Es gibt be-
gefähr 40 % seit 1998 – und auch Krebs, Herz- reits heute Tausende von Präventionsangeboten
Kreislauf- und Atemwegserkrankungen nehmen und vielfältige Informationen. Angesichts der in
weiter zu. den letzten Jahrzehnten dramatisch angestiege-
nen Zahl der nichtübertragbaren Krankheiten
Westlicher Lebensstil | Ähnliche Entwicklungen muss man diese Strategie als gescheitert ansehen.
finden sich in allen Ländern, die einen westlichen Vor allem haben diese Angebote im Wesentlichen
Lebensstil angenommen haben. nur diejenigen erreicht, die sich ohnehin gesund-
heitsbewusst verhalten, aber nicht bildungsferne
In Europa entfallen nach WHO-Angaben 86 % Schichten oder Menschen mit Migrationshinter-
der vorzeitigen Todesfälle und 77 % der grund und andere schwer erreichbare Gruppen,
Krankheitslast auf chronische Krankheiten. die von den chronischen Krankheiten überpro-
Infektionskrankheiten spielen demgegenüber portional betroffen sind.
eine untergeordnete Rolle.
Veränderte Umweltbedingungen | Das starke An-
wachsen der nichtübertragbaren Krankheiten
Seit vielen Jahren weist die WHO auf die vier we- hängt zusammen mit der dramatischen Verände-
sentlichen Risikofaktoren für die nichtübertrag- rung unserer Umweltbedingungen in den letzten
baren Krankheiten hin: Jahrzehnten:
▶▶ schlechte und zu kalorienreiche Ernährung ▶▶ Hochkalorische Nahrung, Fastfood und Snacks
▶▶ zu wenig Bewegung sind rund um die Uhr und an jeder Ecke erhält- Tab. 1 Gesundheitsziele, die
mithilfe des Präventionsge-
▶▶ Rauchen lich und werden massiv beworben.
setzes realisiert werden
▶▶ übermäßiger Alkoholgenuss sollen.

Gesundheitsziele
Präventionsgesetz: Diabetes mellitus Typ 2: Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen
Paradigmen­wechsel notwendig und behandeln

Apell an die Vernunft des Einzelnen | Das jetzt ver- Brustkrebs: Mortalität vermindern, Lebensqualität erhöhen
abschiedete Gesetz versucht diesen dramatischen Tabakkonsum reduzieren
Entwicklungen mit verstärkten Präventionsange-
boten entgegenzutreten. Gesund Aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung, Ernährung
▶▶ Die Krankenkassen sollen ihre jährlichen Aus- Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Souveränität der Patientinnen und
gaben hierfür auf 7 € je Versicherten erhöhen, Patienten stärken
um damit Gesundheitskurse in den sogenann-
Depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln
ten Lebenswelten wie Kitas, Schulen und Be-
trieben anzubieten. Gesund älter werden
▶▶ Die Arbeit der Bundeszentrale für gesundheit-
Alkoholkonsum reduzieren
liche Aufklärung soll erweitert werden.

Garlichs D. Das neue Präventionsgesetz Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1543–1546
1544 Standpunkt

▶▶ Gleichzeitig schränken Urbanisierung und Mo- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung


torisierung unsere Bewegung ein und vielfälti- hat für ihre bisherige Arbeit nicht mal 1 % des Bud-
ge Angebote helfen uns, körperliche Anstren- gets allein der Süßwarenwerbung. Dieses völlige
gung zu vermeiden. Missverhältnis zwischen Verbraucherinformation
und Werbung wird auch mit den erhöhten Mitteln
Daher fordert die WHO einen Paradigmen- für die BZgA in keiner Weise korrigiert.
wechsel von der Verhaltens- hin zur Verhält-
nisprävention: Das heißt für alle Menschen
sollte eine Umwelt geschaffen werden, die Vorschlag für eine bevölkerungsweite
einen gesunden Lebensstil erleichtert, „to Strategie der Primärprävention
make the healthy choice the easier choice“.
Im Zusammenhang mit der Diskussion über ein
Präventionsgesetz hat die „Deutsche Allianz
Nichts Neues | Der Gesetzentwurf verfolgt im We- Nichtübertragbare Krankheiten“ (DANK), eine
sentlichen einen verhaltens­präventiven Projekt­ Vereinigung von 17 medizinischen Fachgesell-
ansatz, wie er bisher schon praktiziert wurde. Dies schaften und Forschungseinrichtungen, vier
hat zu einer unübersehbaren „Projektitis“ ohne Maßnahmen vorgeschlagen, die als besonders
jede Nachhaltigkeit geführt. Die nun nach dem Ge- wirksam gelten [1]:
setz erhöhten Gelder aus der gesetzlichen Kran-
kenversicherung sollen Präventionsprojekte in 1. Täglich mindestens eine Stunde Bewegung

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verschiedenen Lebenswelten fördern. Wie nach- (Sport) in Kita und Schule | Der Lebensstil wird
haltig diese Projekte sind, ist völlig ungeklärt. An- in jungen Jahren geprägt. Kinder bewegen sich
gesichts der relativ geringen Finanzmittel werden heute viel zu wenig. Nur 17 % der Mädchen und
die Lebenswelten auch nur zu einem kleinen Teil 28 % der Jungen im Alter von 11 bis 17 Jahren sind
von diesen Einzelprojekten erreicht werden kön- jeden Tag körperlich aktiv (KiGGS Studie des
nen (▶ Tab. 1). Robert-Koch-Instituts). Dabei ist Bewegung für
ein ausgewogenes Verhältnis von Energieaufnah-
Finanzierung unzureichend | Das Gesetz möchte me und Energieverbrauch sehr wichtig:
die Mittel der Krankenkassen für Prävention und ▶▶ Täglich 60–90 min moderate Aktivität steigern
Gesundheitsförderung in Deutschland um etwa den Energieverbrauch um rund 10 %,
250 Millionen € auf 500 Millionen € jährlich stei- ▶▶ sie verhindern dadurch eine Gewichtszunahme
gern (7 € pro Versicherten). Das ist ein Betrag, den und
wir für die Krankheitsbehandlung an einem Tag ▶▶ reduzieren das Risiko für Folgeerkrankungen
ausgeben. Angesichts der Dimension des Prob- und psychische Erkrankungen.
lems, erscheinen diese Finanzmittel für Präventi- Deshalb gehört eine Stunde Sport täglich auf den
on und Gesundheitsförderung vollkommen unzu- Stundenplan für Schulen und Kitas, da nur dort
reichend, zumal sie über viele Lebenswelten und alle Kinder und Jugendlichen erreicht werden.
viele Einzelmaßnahmen verstreut werden sollen.
2. Ungesundes belasten, Gesundes entlasten | Der
Aufklärung vs. Werbung | Nur ein Beispiel: Die Lebensmittelpreis kann das Verbraucherverhal-
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ten stark beeinflussen. Wir essen heute doppelt so
(BzGA) soll 35 Miollionen € für Aufklärungsmaß- viel Zucker, Fett und Salz als uns gut täte.
nahmen erhalten. Dem gegenüber steht die Wer- ▶▶ Wenn in Lebensmitteln ein bestimmter Anteil
bung der Lebensmittelindustrie – vorrangig für an Fett, Zucker oder Salz überschritten wird,
ungesunde Nahrungsmittel mit viel Zucker, Fett sollten sie durch eine Steuer verteuert werden.
und Salz. Da wir keine einfache und verständliche ▶▶ Entsprechend könnten gesunde Lebensmittel
Lebensmittelkennzeichnung haben, hat die große verbilligt werden.
Mehrzahl der Menschen kaum eine Chance, sich Länder wie Dänemark, Ungarn, Finnland und
ein Bild davon zu machen, welchen der Werbeaus- Frankreich haben bereits differenzierte Lebens-
sagen sie Glauben schenken kann und welchen mittelsteuern eingeführt. Selbst die nach kurzer
nicht. Zeit in Dänemark aus koalitionspolitischen Grün-
den wieder abgeschaffte Fettsteuer senkte den
Auch vor Kindern und Jugendlichen machen Konsum stark fetthaltiger Produkte um 10–20 %
die Marketingexperten nicht halt – im [2]. Eine Zucker- / Fettsteuer wäre außerdem ein
Gegenteil: Diese leicht zu beeinflussende wichtiger Anreiz für die Lebensmittelindustrie,
Zielgruppe wird besonders angesprochen und ihre Produktrezepturen zu verändern.
mit Werbeversprechen gelockt.
Die Hersteller sind dazu sehr wohl in der Lage,
werden dieses aber erst tun, wenn für alle die
Sich diesem Umfeld zu entziehen, ist für viele Men- gleichen Bedingungen existieren und der
schen extrem schwierig. Für Süßwaren stehen einzelne Hersteller keine Wettbewerbsnach-
hundertmal so viele finanzielle Mittel für Werbung teile befürchten muss.
zur Verfügung wie für Obst und Gemüse. Und die

Garlichs D. Das neue Präventionsgesetz Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1543–1546
Standpunkt 1545

Wie erfolgreich Preissignale sein können, haben ges Gewicht zuzulegen [3, 4, 5]. Freiwillige Selbst-
auch die Erfahrungen mit den Tabaksteuererhö- verpflichtungen der Industrie haben sich als wir-
hungen in Deutschland gezeigt. Erst durch sie kungslos erwiesen [6, 7].
konnte der Anteil der rauchenden Jugendlichen in
den letzten 10 Jahren halbiert werden. Dagegen Vorteile des Vierpunkte-Programms | Das Pro-
haben die Informations- und Aufklärungspro- gramm der „Deutschen Allianz Nichtübertragbare
gramme an Schulen nach sorgfältiger Analyse des Krankheiten“ (DANK) [1] hat wesentliche Vorteile
Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg gegenüber dem verabschiedeten Gesetz:
kaum einen Effekt gehabt. Und „Alkopops“, die ▶▶ Es erreicht alle Bevölkerungsgruppen (nur in
rasch nach ihrem Aufkommen mit einer Steuer der Schule werden alle Kinder erreicht). Der
belegt wurden, sind vom Markt praktisch ver- Preismechanismus über die Zucker- / Fettsteu-
schwunden. er berücksichtigt, dass sozial schwächere
Gruppen, die von den chronischen Krankheiten
3. Verbindliche Qualitätsstandards für Kita- und übermäßig betroffen sind, besonders preissen-
Schulverpflegung | Das Essen in Kitas und Schu- sibel sind [8, 9].
len ist selten ausgewogen. Kindern wird zu viel ▶▶ Untere Einkommensgruppen werden, entgegen
Fleisch und zu wenig Obst und Gemüse angebo- häufiger Argumentation, durch die Zu-
ten. Eine repräsentative Erhebung der Bertels- cker- / Fettsteuer nicht besonders belastet, denn
mann-Stiftung zeigte: gesunde Lebensmittel würden steuerlich ent-
▶▶ Nur in 12 % der Kitas bekommen die Kinder ge- lastet – wenn politisch gewollt sogar überpro-

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nügend Obst, portional. Auch sind die zu erwartenden posi-
▶▶ nur in 19 % ausreichend Salat oder Rohkost, tiven Wirkungen für diese Gruppen besonders
▶▶ aber in 75 % der Kitas wird zu häufig Fleisch an- ausgeprägt, da der Anteil des Konsums unge-
geboten. sunder Lebensmittel hier vergleichsweise hoch
Ähnlich einseitig ist die Verpflegung in Schulen. ist [10].
Kita und Schule können beim gesunden Aufwach- ▶▶ Die Maßnahmen setzen bereits im frühen Kin-
sen von Kindern eine wichtige Rolle übernehmen, des- und Jugendalter an, dann, wenn der Le-
da sie sich mit zunehmendem Nachmittagsunter- bensstil geprägt wird [11]. Denn alle Erfahrun-
richt und dem steigenden Anteil an Ganztags- gen zeigen, dass eine spätere Lebensstilände-
schulen immer mehr zum zentralen Lebensraum rung im Erwachsenenalter extrem schwierig ist
von Kindern und Jugendlichen entwickeln. Infol- und nur selten gelingt.
gedessen essen Kinder auch immer häufiger in der ▶▶ Außerdem sind diese Maßnahmen nachhaltig,
Schule. da sie in Regelstrukturen (Kita und Schule) ein-
▶▶ Die Zusammensetzung und Qualität des tägli- gebettet sind, und in Regelprozesse (wie Steu-
chen Essens beeinflusst nicht nur die körperli- ern oder Schulverpflegung).
che und geistige Entwicklung der Kinder und
Jugendlichen, Das ist das Gegenteil der heute verbreiteten
▶▶ sondern sie bestimmt auch maßgeblich, wie „Projektitis“.
sich ihr Ernährungsverhalten bis ins Erwachse-
nenalter ausbildet und verfestigt.
Die Schulverpflegung spielt daher nicht nur eine Lebensstil und chronische Krankheiten | Seit den
zentrale Rolle in der Entwicklung von Kindern 1950er Jahren haben sich die Lebensbedingungen
und Jugendlichen, sondern kann auch einen nach- in unserem Land massiv verändert und zu einer
haltigen Beitrag zum Gesundheitsverhalten in der Welle lebensstilbedingter chronischer Erkran-
Bevölkerung insgesamt leisten. kungen geführt. Teilweise hängt die Zunahme der
Lebensstilkrankheiten mit der Alterung der Ge-
Die Landesregierungen sollten Schulen sellschaft zusammen, was aber nicht heißt, dass
und Kitas auf Qualitätsstandards z. B. der wir durch präventive Maßnahmen das Auftreten
Deutschen Gesellschaft für Ernährung der Krankheiten nicht verhindern oder zumindest
verpflichten. hinauszögern könnten. Das Beispiel Diabetes zeigt

4. Verbot von an Kinder gerichteter Lebensmittel- Hoffnung Bio-Lebensmittel?


werbung | Da die Ernährungsgewohnheiten in Der Anteil der Bio-Lebensmittel stagniert im einstelligen Prozentbereich. Der
Kindheit und Jugend geprägt und dann zu einem Begriff „Bio“ bezeichnet nur die Kriterien für den Anbau und die Produktion
hohen Grad im Erwachsenenalter beibehalten von Lebensmitteln. Sie dürfen nicht gentechnisch verändert sein und müssen
werden, versucht die Lebensmittelindustrie, Kin- ohne den Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln
der als Kunden von morgen mit Hilfe spezieller angebaut werden. Tierische Produkte sollen von artgerecht gehaltenen
Kinderprodukte und entsprechender Werbung Tieren stammen. Die Kriterien sagen nichts über den Output, also wie
frühzeitig an Marken und Produkte zu binden. verarbeitete Lebensmittel beschaffen sein sollen. Gerade bei den industriell
Kinder können Werbebotschaften häufig nicht als verarbeiteten Lebensmitteln ist der Biobegriff weitgehend wertlos, weil er
solche erkennen. Untersuchungen zeigen, dass über die Anteile von Fett, Zucker, Salz und anderen Stoffen nichts aussagt.
Kinder-Marketing das Risiko erhöht, überschüssi-

Garlichs D. Das neue Präventionsgesetz Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1543–1546
1546 Standpunkt

auch, dass der Alterungsprozess nicht der ent- Literatur


scheidende Faktor ist: 1 Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten
▶▶ Nach den neuesten RKI-Zahlen hat der Diabetes (DANK). Den Tsunami der chronischen Krankheiten
in Deutschland unter den Erwachsenen von stoppen: vier Maßnahmen für eine wirkungsvolle
und bevölkerungsweite Prävention.
1998–2012 um 38% zugenommen. Strategiepapier der Deutschen Allianz
▶▶ Davon werden nur 14% auf das Älterwerden der Nichtübertragbare Krankehiten (DANK) zur
Bevölkerung zurückgeführt [12]. Primärprävention. Im Internet: http://www.
Dr. Dietrich Garlichs
deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/
ist Geschäftsführer Deutsche
Redakteur/Presse/Pressemitteilungen/150612_
Diabetes Gesellschaft und Mit gut gemeinten Ratschlägen und bunten DANK-Strategiepapier.pdf. Letzter Zugriff:
Sprecher „Deutsche Allianz Informationsblättchen werden wir die Welle 10.9.2015
Nichtübertragbare der chronischen Krankheiten, die auf uns 2 Jensen JD, Smed S. The Danish tax on saturated
Krankheiten (DANK)“. fat: Short run effects on consumption and
zurollt, nicht stoppen.
garlichs@ddg.info consumer prices of fats. http://okonomi.foi.dk/
workingpapers/WPpdf/WP2012/WP_2012_14_
Danish_fat_tax.pdf (letzter Zugriff 27.8.2015)
Die soziale Kluft abbauen | Die vier von der Deut- 3 Effertz T, Adams M. Effektive Prävention von
schen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten Adipositas durch Kindermarketingverbote und
(DANK) vorgeschlagenen Maßnahmen zur ge- Steuerstrukturänderungen. Präv Gesundheitsf
sundheitlichen Verhältnisprävention erfüllen die 2014; doi: 10.1007/s11553-014-0464-z
4 Goris JM, Petersen S, Stamatakis E et al. Television
WHO Forderung „to make the healthy choice the food advertising and the prevalence of childhood
easier choice“. Sie wären eine ideale Ergänzung overweight and obesity: a multicountry compari-

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von Informations- und Aufklärungsmaßnahmen son. Public Health Nutr 2010; 13: 1003–1012
und würden vor allem die bisher weitgehend 5 Veerman JL, Van Beeck EF, Barendregt JJ et al. By
how much would limiting TV food advertising
nicht erreichten bildungsfernen Schichten errei-
reduce childhood obesity? Eur J Public Health
chen. Die Maßnahmen würden damit die extreme 2009; 19: 365–369
gesundheitliche Chancenungleichheit verringern 6 Potvin Kent M, Dubois L, Wanless A. Self-regulati-
und dazu beitragen, dass die Kluft in der Lebens- on by industry of food marketing is having little
erwartung zwischen den sozialen Schichten abge- impact during children‘s preferred television.
Int J Pediatr Obes 2011; 6: 401–408
baut wird. Diese Kluft beträgt zwischen den obe- 7 Foodwatch. Kinderlebensmittel im Test. www.
ren und unteren 20 % ca. 10 Lebensjahre. Das ist foodwatch.org/de/presse/pressemitteilungen/281-
ein gesundheitspolitischer Skandal. Wer hier kinderlebensmittel-im-test-foodwatch-studie-
allein auf den Appell an die Verantwortung des belegt-selbstbeschraenkung-der-
lebensmittelindustrie-bei-kindermarketing-
Einzelnen baut, verkennt die Ursachen oder ist
wirkungslos-medizinische-fachgesellschaften-und-
zynisch. Andere Länder gehen inzwischen mit be- gesundheitsorganisationen-fordern-gesetzliche-
völkerungsweiten Präventionsmaßnahmen wie begrenzung/ (letzter Zugriff 27.8.2015)
einer Zucker- / Fettsteuer voran. 8 Thiele S. Elastizitäten der Nachfrage privater
Haushalte nach Nahrungsmitteln – Schätzung
eines AIDS auf Basis der Einkommens- und
Konsequenz für Klinik und Praxis Verbraucherstichprobe 2003. Agrarwirtschaft
▶▶ Nur wenn es uns gelingt, das Anschwellen 2008; 57: 258–268
der chronischen Krankheiten zu bremsen, 9 Thow AM, Jan S, Leeder S, Swinburn B. The effect
werden wir die Kosten für eine gute Versor- of fiscal policy on diet, obesity and chronic
disease: a systematic review. Bull World Health
gung auch weiterhin aufbringen können.
Organ 2010; 88: 609–614
▶▶ Eine erfolgreiche Präventionspolitik ist 10 Mytton O, Clarke D, Rayner M. Taxing unhealthy
gleichermaßen im Interesse der Gesunden, food and drinks to improve health. Br Med J 2012;
wie auch derjenigen, die auf medizinische 344: e2931
Versorgung angewiesen sind. 11 Müller MJ, Plachta-Danielzik. Prävention von
Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen.
Kinder- und Jugendmedizin 2015; 15: 261–266
12 DEGS: Studie zur Gesundheit Erwachsener in
Deutschland. http://www.rki.de/DE/Content/
Gesundheitsmonitoring/Studien/Degs/degs_node.
html (letzter Zugriff 7.9.2015)

Interessenkonflikt
Der Autor gibt an, dass kein
Interessenkonflikt besteht.

DOI 10.1055/s-0041-104426
Dtsch Med Wochenschr
2015; 140: 1543–1546
© Georg Thieme Verlag KG ·
Stuttgart · New York ·
ISSN 0012-0472

Garlichs D. Das neue Präventionsgesetz Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1543–1546
1780 Kommunikation und Management

Notfallversorgung geriatrischer Patienten



Wann ist genug genug?
„Wenn ein Arzt feststellt, dass die gerade begonnene Therapie eines Patienten
aussichtslos ist, hat er die ethische Verpflichtung einzuschreiten und sicherzustellen,
dass sie nicht fortgeführt wird und dass der Patient so betreut wird, dass er sich
wohlfühlen kann“ [1]. Dieses Zitat von Denis O‘Mahony deutet auf das Dilemma hin,
dass Ärzte bei der Notfallbehandlung von geriatrischen Patienten erwartet: Wann ist
eine Therapie nicht mehr sinnvoll? Und wie lässt sich diese Frage unter Zeitdruck
beantworten?

Klinischer Alltag | Frau Hermine G. ist eine ist als selbstreflektive Moral zu verstehen, die das
87-jährige Patientin, die seit einigen Jahren im Handeln anhand der Beurteilungsalternativen
Pflegeheim lebt und an einer zunehmenden De- von gut und schlecht auf seine Sittlichkeit über-
menz leidet. Ihr Allgemeinzustand hat sich ver- prüft. In dieser Betrachtungsweise müssen die

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schlechert: Sie leidet an Fieber, Exsikkose und ethischen Prinzipien berücksichtigt werden
Atemnot. ­Radiologisch findet sich eine Pneumo- (▶ Tab. 1). Unter diesen Gesichtspunkten ist Me-
nie, die Kreislaufverhältnisse sind eher desolat. dizinethik nicht als Sonderethik definiert, son-
Zudem ist die Patientin sehr desorientiert und dern als Ethik in einer besonderen Situation.
ihre Atemfrequenz liegt bei ca. 25 / min. Ihr Sohn,
der gesetz­liche Betreuer, ist nicht erreichbar; Medizinethik bezieht sich nicht nur auf das
eine Patientenverfügung liegt nicht vor. Klinisch ärztliche Handeln, sondern umfasst auch
geht man von einer septischen Pneumonie aus, ethische Probleme des institutionellen
die eine ­rasches und konsequentes Handeln er- Handelns, also der Verteilungsgerechtigkeit.
fordert. Die geschilderte Situation ist typisch für
die alltägliche Problematik, die Ärzte bei Notfäl-
len antreffen: Sie müssen schnell über ein ande- Medizinische Legitimierung | Für ethisches Han-
res Leben entscheiden, obwohl der Wille des Pa- deln müssen Legitimationsvoraussetzungen ge-
tienten unklar ist und es an wichtigen Informati- geben sein. Es muss z. B. zulässig sein, eine diag-
onen mangelt. nostische oder therapeutische Maßnahme durch-
zuführen. Dabei muss es nicht nur gerechtfertigt
Ethik vs. Moral | In der ethischen Betrachtung sein, diese abzubrechen, sondern auch sie zu ini-
stellt sich immer die Frage: „Wie soll ich handeln, tiieren. Es muss also eine Indikation vorliegen. Für
wenn ein anderer betroffen ist?“ Ethik fragt nach alle medizinischen Maßnahmen sollte gelten:
dem Guten und dem Schlechten und will den ge- ▶▶ Der Nutzen ist größer als der Schaden.
meinsamen Nenner zwischen verschiedenen ▶▶ Nach Aufklärung liegt die Zustimmung des
Weltanschauungen, Religionen und Kulturen fin- ­Patienten vor (Ausnahme: bewusstlos, Gefahr
den. Ziel einer solchen Betrachtung ist es, gemein- im Verzug, etc.).
same Richtlinien vorzuschlagen. Anders die Mo- ▶▶ Die Durchführung muss lege artis verlaufen.
ral: Sie stellt die Verhaltensnorm der gesamten Wenn eine dieser Legitimationsvoraussetzungen
Gesellschaft oder einer Gruppe dar, die aufgrund nicht erfüllt ist, sollte darauf verzichtet werden [3].
von Tradition akzeptiert und stabilisiert ist. Ethik
Sinnlosigkeit einer Behandlung | Ärzte beurteilen
Tab. 1 Ethische Prinzipien [2]. anhand ihrer persönlichen Erfahrungen und Wer-
tevorstellungen, ob eine Maßnahme angemessen
Ethisches Prinzip Erläuterung oder sinnlos ist (futility). Der Patient kann sich da-
Benefizprinzip Verpflichtung, Gutes zu tun bei in seinem Behandlungswunsch missachtet
fühlen – aber auch eine schlechte Kommunikation
Nonmalefizprinzip Verpflichtung, Schlechtes abzuwehren, nicht zu kann zu fehlendem Verständnis führen. Er kann
schaden auch das Gefühl haben, dass seine persönliche Ent-
Autonomie Verpflichtung, die individuelle Persönlichkeit und scheidung oder die des Behandlers dem institu­
deren Recht auf unabhängige Selbstbestimmung tionell geregelten Ablauf widersprechen [4].
zu respektieren
Gerechtigkeit Verpflichtung, Diskriminierung zu vermeiden und
Geriatrie
Ressourcen gleich und nicht willkürlich zu
verteilen, Verteilungsgerechtigkeit, Vertei-
Vulnerable Patienten | Geriatrische Patienten
lungsethik
sind zunehmend in ihrer Selbständigkeit und Au-

Heppner J, Singler K, Gosch M, Doviak P. Wann ist genug ... Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1780–1782
Kommunikation und Management 1781

tonomie eingeschränkt und leben häufig in einem Tab. 2 Spannungsfeld Ethik


Ethik Notfall
Umfeld, das sie nicht freiwillig gewählt haben. Sie und Notfall.
sind sehr vulnerable Menschen. In diesem Fach- ▶▶ wahrnehmen ▶▶ lebensbedrohlich
gebiet kommt dem Umgang mit Menschen am ▶▶ Konflikt ▶▶ Maßnahme
Ende ihres Lebens große Bedeutung zu. adressieren unaufschiebbar
▶▶ Empathie zeigen ▶▶ invasive Maßnahme
Ganzheitliche Sichtweise | Fehlt die Gesamtsicht ▶▶ Angehörige ▶▶ Situation unüber-
auf den geria­trischen Patienten, kann dies zu in- einbeziehen sichtlich
adäquaten Thera­pieentscheidungen führen. Oft ▶▶ Willen benennen ▶▶ Patient einwilli-
steht dabei der Körperbefund im Fokus. ▶▶ Konsens gungsfähig?
erarbeiten ▶▶ keine Angehörigen
Jedoch sollte das psychobiosoziale Umfeld ▶▶ Zeit nehmen! ▶▶ Zeitdruck!
ebenso beachtet werden: Nur so kann man
Einschränkungen der Alltagsaktivitäten
adäquat bewerten.
Dem Benefizprinzip wird strikt gefolgt, da man
über die Triage Patienten identifiziert, die von ei-
Die Gesamtsicht auf den multimorbiden geriatri- ner raschen Behandlung profitieren. Das Malefiz-
schen Patienten kann verloren gehen durch prinzip findet im Rahmen der Triage jedoch keine
▶▶ die Fragmentierung der medizinischen Behand­ Berücksichtigung [7].

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lung,
▶▶ Behandlungsleitlinien für einzelne Körper­ Therapieoptionen prüfen | Auch in der Notfallver-
befunde und sorgung ist das Selbstbestimmungsrecht des Pati-
▶▶ eingegrenzte Krankheitsbereiche. enten zu achten. Wird das Therapieziel geändert,
So werden zwar entsprechende Therapien ergrif- steht die Pflicht der Behandelnden im Vorder-
fen, diese aber können schon zu Beginn vergeblich grund,
sein (futile). Zudem können kulturelle, religiöse ▶▶ Leben zu erhalten,
aber auch forensische Bedenken zu einer Über- ▶▶ Gesundheit wiederherzustellen und
therapie führen [5]. Werden diese Einflüsse nicht ▶▶ Leiden zu lindern.
erkannt, können Patienten und Angehörige Bei den Therapieoptionen muss man prüfen, ob
▶▶ uninformiert bleiben, Behandlungen im Einzelfall nicht nur unangemes-
▶▶ unvorbereitet sein und sen sondern unter Umständen sogar „schlimmer
▶▶ widersprüchliche Informationen erhalten. als der Tod“ erscheinen [8] So wird eine schmerz-
Dies kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass hafte und invasive Therapie, die dem Patienten
der Patient mit schlecht kontrollierten Sympto- keine qualitative Lebenszeit bringt, von ihm eher
men stirbt, der Sterbeprozess belastend und un- als Strafe denn als Hilfe angesehen.
würdig ist und unter Umständen kulturelle, spiri-
tuelle und religiöse Bedürfnisse nicht befriedigt Ist der Patient einwilligungsfähig? | Grundsätz-
werden. Letztendlich resultieren daraus komple- lich muss der Arzt feststellen, ob der Patient zur
xe Schwierigkeiten in der Trauerarbeit – es kommt Einwilligung fähig ist. Aus rechtlicher Sicht ist un-
zu Unmut oder Klagen über die vermeintlich bestritten, dass nur der Patient selbst über sein
schlechte Betreuung. Leben und die Maßnahmen entscheiden kann.

Ist der Patient nicht einwilligungsfähig, rückt


Triage und Ethik die medizinische Indikation deutlich in den
Vordergrund.
Dringlichkeit festlegen | Triagesysteme für die
Notaufnahmen legen fest, wie dringlich eine Be-
handlung ist. Damit sollen lange Wartezeiten bis Der behandelnde Arzt prüft dann sowohl den
zur Behandlung begrenzt und das sogenannte mutmaßlichen Willen als auch die Indikation für
„Crowding“ (Überfüllung der Notaufnahme) ent- eine Behandlung – unter den ethischen Aspekten
zerrt werden. Mit diesem Instrument ist es mög- des Malefiz- und Benefizprinzips.
lich, sogenannte nicht-Notfallpatienten zu identi-
fizieren. Diese werden dann aufgrund ihres gerin-
gen Ressourcenverbrauchs und der nicht lebens- Dilemma in der Notaufnahme
bedrohlichen Erkrankung in der Dringlichkeit
hinten angestellt [6]. Zeitdruck und fehlende Information | Klinische
Ethikberatung ist aus dem Alltag nicht mehr weg-
Unter ethischen Gesichtspunkten – also der zudenken. Dennoch ist man gerade in der Notfall-
Berücksichtigung des Benefiz- oder Malefiz- medizin oft mit ethischen Problemen konfron-
prinzips – stößt man bei der Triage auf tiert, die sich in den klassischen medizinisch-­
Widersprüche. klinischen Settings (z. B. ethische Fallbespre-
chung, ethisches Konsil) nicht lösen lassen. Es feh-

Heppner J, Singler K, Gosch M, Doviak P. Wann ist genug ... Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1780–1782
1782 Kommunikation und Management

len Zeit und Informationen; Angehörige sind oft- Ethisches Handeln in der Notaufnahme | Es muss
mals für ein Gespräch nicht erreichbar (▶ Tab. 2). also zum Ziel werden, ethische Grundsatzfragen
Außerdem trägt ein Gespräch mit Angehörigen und Grundelemente in den Ausbildungsplan für
nicht immer zur Entscheidungsfindung bei, da die Notfall- und Akutversorgung fest zu imple-
diese unter Zeitdruck meist nicht entscheidungs- mentieren. Die Notärzte müssen sich in ihren Ent-
fähig sind [9]. Auch Patientenverfügungen, die auf scheidungen sicher fühlen und Kompetenzen er-
Basis der Patientenautonomie verfasst wurden, langen, die einen Konsens im Behandlungsteam
Prof. Dr. med. Hans Jürgen
Heppner sind in dieser Situation selten hilfreich: Sie liegen herbeiführen. Ethisches Handeln bedeutet in die-
ist Lehrstuhlinhaber der zum einen nur selten vor (s. DMW Heft 22 / 2015, sen Akutsituationen auch, feinfühlig und zielfüh-
Geriatrie an der Universität S. 1679 [17]). Und sie beziehen sich meist auf den rend zu kommunizieren.
Witten / Herdecke und Sterbevorgang und nicht auf eine potenziell rever-
Chefarzt der Klinik für
sible Situation [10].
Geriatrie, HELIOS Klinikum
Schwelm. Konsequenz für Klinik und Praxis
Hans.Heppner@uni-wh.de Schwierige Entscheidungsfindung | Eine Umfrage ▶▶ Der Behandler muss auch in Akutsituatio-
der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre nen erkennen, ob die Behandlung sinnvoll
PD Dr. med. Katrin Singler Notfall- und Akutmedizin (DGINA) in klinischen oder sinnlos ist. Es gilt immer, ein Thera-
ist Hochschullehrerin am Notaufnahmen mit dem Fokus auf Reanimation pieziel festzulegen und zu hinter­fragen, ob
Institut für Biomedizin des
und Patientenverfügung zeigt die Problematik der dieses auch erreichbar ist.
Alterns, Friedrich-Alexander-
Universität Erlangen-Nürn- Entscheidungsfindung [11]: Es wurde deutlich, ▶▶ Alle Legitimationsvoraussetzungen für den
berg und Oberärztin an der dass Entscheidungshilfen nötig sind, aber selten Beginn einer Behandlung müssen erfüllt

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Universitätsklinik für vom Patienten mitgeführt werden [17]. Außer- sein.
Geriatrie, Paracelsus dem besteht ein Defizit hinsichtlich der Vorhal- ▶▶ Willensäußerungen des Patienten sind in
Medizinische Privatuniversi-
tung innerklinischer Strukturen. Ein Ethik-Komi- jedem Fall bindend.
tät, Nürnberg.
Katrin.Singler@klinikum- tee wird zwar für den Bereich der Notaufnahme ▶▶ Es bleiben offene Fragen bei nicht
nuernberg.de als sinnvoll erachtet. Jedoch weiß man, dass ein entscheidungsfähigen Patienten ohne
klinisches Ethik-Konsil in der herkömmlichen Willensverfügung.
Univ.-Prof. Dr. med. univ. Weise in der Notaufnahme weder zeitlich noch si- ▶▶ Es ist unumgänglich, alle Mitarbeiter auf
Markus Gosch tuativ umsetzbar ist. medizinischem, rechtlichem, moralischem
ist Chefarzt der Universitäts-
klinik für Geriatrie, Paracel- aber auch philosophisch-ethischem Gebiet
sus Medizinische Privatuni- PALMA | Es gab bereits Ansätze, die dieses Dilem- auszubilden, um in diesen Situationen
versität, Nürnberg. ma lösen sollten. So etwa das Projekt „Palma“ (Pa- Entscheidungen im Konsens treffen zu
Markus.Gosch@klinikum- tientenanweisung für lebenserhaltende Maßnah- können.
nuernberg.de men), bei dem Patienten – meist in einer Palliativ-
situation – eine vorbereitete Willenserklärung
Prim. Dr. Peter Doviak zur Notfallbehandlung mit sich führen [12]. So
ist Chefarzt der Klinik für sollten sie die ärztliche Entscheidung nach ihren Literatur
Akutgeriatrie, Salzkammer-
Vorstellungen lenken können. Dieses System wur- 1 O’Mahony D, O’Connor MN. Pharmacotherapy at
gut-Klinikum Gmunden,
de von Notfallmedizinern angenommen und die the end-of-life. Age Ageing 2011; 40: 419–422
Lehrkrankenhaus Paracelsus
Patienten akzeptierten die Regelung unter beglei- 2 Beauchamp TL, Childress JF. Principles of biomedi-
Medizinische Privatuniversi-
cal ethics. 6. Aufl. Oxford: Oxford University Press;
tät Salzburg. teten Studienbedingungen. Außerhalb der Studie 2008
Peter.Dovjak@gespag.at fand PALMA jedoch leider keine Anwendung und 3 Marckmann G, Sandberger G, Wiesing U. Limiting
erreichte keine breite Umsetzung. life-prolonging treatments: a practical guidance
reflecting the current legislation in Germany.
Dtsch Med Wochenschr 2010; 135: 570–574
Patientenwillen dokumentieren | Eine bessere Al-
4 Karg O. Grenzen der intensivmedizinischen
ternative wäre eine Dokumentation nach dem Therapie – ist sie immer angemessen? Dtsch Med
Beispiel des Basis-Assessment der spezialisierten Wochenschr 2015; 140: 489–415
ambulanten Palliativversorgung [13, 14]. In die- 5 Ellershaw J, Ward C. Care of the dying patient: the
sem sind neben der Einschätzung der Einwilli- last hours or days of life. BMJ 2003; 326: 30–34
6 Christ M, Grossmann F, Winter D et al. Modern
gungsfähigkeit sowohl eine Willensäußerung
triage in the emergency department. Dtsch
hinsichtlich nicht mehr gewollter und nicht mehr Arztebl Int 2010; 107: 892–898
indizierter Maßnahmen vermerkt sowie eine aus- 7 Aacharya RP, Gastmans C, Denier Y. Emergency
sagekräftige Begründung. So kann man bei der department triage: an ethical analysis. BMC
Abwägung der Behandlung auf die Willensäuße- Emergency Medicine 2011; 11: 16
8 Holzner C. Das Selbstbestimmungsrecht beachten.
Interessenkonflikt rung des Patienten zurückgreifen, die im Konsens Dtsch Arztebl 2015; 112: B941–943
Die Autoren geben an, dass im Vorfeld getroffen wurde [15]. Eine der zentra- 9 Trzeczak S. Ethische Kompetenz und praktische
kein Interessenkonflikt len Forderungen der Deutschen Vereinigung für Erfahrung. Dtsch Arztebl 2013; 110: A706–707
besteht. 10 Pauls M, Leblanc C, Campbell S. Ethics in the
Intensiv und Notfallmedizin lautet [16]:
trenches: preparing for ethical challenges in the
DOI 10.1055/s-0041-107948 emergency department. CJEM 2002; 4: 45–48
Es muss in Notfallsituationen möglich sein,
Dtsch Med Wochenschr
2015; 140: 1780–1782
eine Therapiezieländerung bzw. eine Thera-
© Georg Thieme Verlag KG · piebegrenzung umzusetzen, um das Sterben
Stuttgart · New York · eines Menschen zuzulassen und zu begleiten. Vollständiges Literaturverzeichnis unter
ISSN 0012-0472 http://dx.doi.org/10.1055/s-0041-107948

Heppner J, Singler K, Gosch M, Doviak P. Wann ist genug ... Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1780–1782
Kommunikation und Management

11 Padberg J, Esser A, Lomberg L, Trzeczak S.Ethische 15 Eichner E, Fischer J, Strauß M. Einführung eines
Probleme im Umgang mit Reanimation und ethischen Basis-Assessments in der Spezialisierten
Patientenverfügung in der Notaufnahme. Ambulanten Palliatvversorgung in Augsburg. Ethik
Ergebnisse einer Onlineumfrage unter den Med 2012; 24: 67–76
Mitgliedern der DGINA. Notfall Rettungsmed 16 Janssens U, Burchardi H, Duttge G. Therapiezielän-
2014; 6: 500–506 derung und Therapiebegrenzung in der Intensiv-
12 Laufenberg-Feldmann R, Weber M, Mohr M, Gerth medizin. DIVI 2012; 3: 103–107
M. PALMA (Patientenanweisung für lebenserhal- 17 Christ M, Liebeton J, Breker IM et al. Verfügbarkeit
tende Maßnahmen) – hilfreiches Kurzinstrument von Patientenverfügungen in einer interdisziplinä-
für die Notfallsituation. Palliativmedizin 2012; 13– ren Notaufnahme. Ergebnisse einer Patientenbe-
KT_18 fragung. Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1679
13 Schnell M, Schulz C, Hrsg. Basiswissen Palliativme-
dizin. Heidelberg: Springer; 2014
14 Augsburger Hospiz- und Palliativversorgung.
Ethisches Assessment bei Palliativpatienten. Im
Internet: http://www.ahpv.de/fileadmin/user_up-
load/files/APV_Ethikkonsil-V2012.pdf; letzter
Zugriff: 20.10.2015

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Heppner J, Singler K, Gosch M, Doviak P. Wann ist genug ... Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1780–1782

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