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HYPOMNEMATA 95

V&R
HYPOMNEMATA
UNTERSUCHUNGEN ZUR ANTIKE
UND ZU IHREM NACHLEBEN

Herausgegeben von
Albrecht Dihle/Siegmar Döpp/Christian Habicht
Hugh Lloyd-Jones/Günther Patzig

HEFT 95

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN


THEODOR EBERT

Dialektiker und frühe Stoiker


bei Sextus Empiricus
Untersuchungen zur Entstehung
der Aussagenlogik

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN


Verantwortlicher Herausgeber:
Günther Patzig

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme


Ehert, Theodor:
Dialektiker und frühe Stoiker bei Sextus Empiricus:
Untersuchungen zur Entstehung der Aussagenlogik / Theodor Ebert. -
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1991
(Hypomnemata; H. 95)
ISBN 3-525-25194-7
NE: GT

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds


Wissenschaft der VG Wort

©Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1991


Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile
ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb
der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne
Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,
Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung
in elektronischen Systemen.
Satz: Dörlemann-Satz, Lemförde
Druck: Hubert & Co., Göttingen
Meiner Frau
und meinen beiden Töchtern
Vorwort

Das vorliegende Buch ist in einem Zeitraum von etwas über einem
Jahrzehnt entstanden, und ein Vorteil (neben manchen Nachteilen)
einer so langen Entstehungszeit ist die Möglichkeit, Rat und Kritik
vieler Kollegen für die eigene Arbeit zu nutzen. Ich möchte daher hier
allen herzlich danken, die zu Vorstufen oder zu Teilen dieser Unter-
suchung kritische Anmerkungen oder Verbesserungsvorschläge ge-
macht haben. Myles Burnyeat und David Sedley sind hier an (nicht
nur chronologisch) erster Stelle zu nennen,· beide haben eine erste,
Anfang der achtziger Jahre fertiggestellte Fassung ausführlich und
kritisch kommentiert, und David Sedley hat auch spätere Phasen
dieser Arbeit mit wohlwollender Kritik begleitet; wenn die vorlie-
gende Untersuchung weniger unvollkommen ist als dieser erste Ver-
such, dann ist das nicht zuletzt den Anregungen und der Kritik dieser
beiden britischen Kollegen zu danken. Zu dieser ersten Fassung ha-
ben mir dankenswerterweise auch Gisela Striker sowie Karlheinz
Hülser eine Reihe von hilfreichen Hinweisen gegeben. Daß Hülsers
neue Sammlung der Fragmente zur Dialektik der Stoiker (die er mir
freundlicherweise auch bereits in der Fassung von 1982 zur Verfügung
stellte) beim Schreiben des Buches ein unentbehrliches Arbeitsmittel
war, wird sich von selbst verstehen.
Was die jetzt vorliegende Fassung der Arbeit angeht, so konnte ich
den Teil I (in etwas gekürzter Form) auf englisch im März 1985 an der
Princeton University, auf deutsch im Januar 1986 an der Universität
Würzburg zur Diskussion stellen,· beiden Auditorien danke ich für
Anregungen und Kritik. Die endgültige, auf engÜsch in den Oxford
Studies in Ancient Philosophy 1987 vorveröffentlichte Fassung dieses
Teils konnte noch von einer Reihe von Vorschlägen von Julia Annas
und Jacques Brunschwig profitieren. Ihnen sei auch an dieser Stelle
herzlich gedankt. Ganz besonders aber möchte ich Susanne Bobzien
sowie Klaus Döring danken, die beide zu der jetzt vorliegenden Fas-
sung der Arbeit zahlreiche detaillierte Verbesserungsvorschläge ge-
macht haben.
Schließlich gilt ein Wort des Dankes auch Larry Schrenk, der zu
einer Zeit, als Computer an deutschen geisteswissenschafdichen Fa-
kultäten noch eine Seltenheit waren, mit Hilfe des Ibycus-Programms
einen Großteil der griechischen philosophischen Literatur außerhalb
8 Vorwort

von Sextus Empiricus für mich nach den διαλεκτικοί durchforscht hat;
seine Ausdrucke haben mich nicht nur davon überzeugt, daß Sextus
eine für die Dialektische Schule seltene Goldader ist, sie haben mir
auch sehr viel mühevolle Such- und Nachschlagearbeit erspart.
Dieses Buch wäre vermutlich niemals geschrieben worden ohne die
vielfachen Anregungen, die ich gerade für das Studium der hellenisti-
schen Philosophie bei einem Aufenthalt als Visiting Fellow des Uni-
versity College London im Jahre 1977/78 erhalten habe. Der Lever-
hulme Foundation, die diesen Aufenthalt finanziert hat, sei dafür an
dieser Stelle ebenso gedankt wie den Londoner Kollegen - Myles
Bumyeat, Hid6 Ishiguro und Richard Sorabji seien hier stellvertretend
genannt -, die mich für diese Fellowship vorgeschlagen haben und
denen es zu danken ist, daß dieses Londoner Jahr so fruchtbar und
anregend wurde.

Erlangen, im September 1990 Theodor Ebert


Inhalt

Einleitung 13

I. TEIL:
DER URSPRUNG DER STOISCHEN THEORIE DES ZEICHENS

Erstes Kapitel: Die stoische Theorie des Zeichens bei Sextus


Empiricus 29
a) Die Definition des Zeichens in den PH 2.104-106 29
b) Die Definition des Zeichens in AM 8.244-256 38
c) Die Unterscheidung von endeiktischem und hypomnestischem
Zeichen: PH 2.99-101; AM 8.149-155 45
d) Zusammenfassung 51
Zweites Kapitel: Die stoische Theorie des Zeichens vor dem
Hintergrund der Berichte bei Diogenes Laertius 54
a) Der Bericht über die stoische Logik bei Diogenes Laertius 54
b) Mitteilungen über frühe stoische Logiker bei Diogenes Laertius 58
cj Eine Schrift Philons Übei Zeichen 60
Drittes Kapitel: Dialektiker und frühe Stoiker zur Theorie des
Zeichens 66
a) Ein Text Pseudo-Galens als Quelle für Philons Theorie des Zei-
chens 66
b) Philons Theorie des Zeichens und ihre Umbildung bei den frühen
Stoikern 72

II. TEIL:
DIE DIALEKTIKER BEI SEXTUS EMPIRICUS

Viertes Kapitel: Die Dialektische Klassifikation der Aussagen


bei Sextus Empiricus 83
a) Der systematische Unterschied zwischen Diogenes und Sextus:
die einfachen Aussagen 84
b) Der systematische Unterschied zwischen Diogenes und Sextus:
die nicht-einfachen Aussagen 89
c) Der Dialektische Charakter der Aussagenklassifikation bei Sex-
tus (AM 8.93-129) 103
Fünftes Kapitel: Die Dialektische Klassifikation der Aussagen
als Vorstufe der stoischen 108
a) Dialektiker und Stoiker über einfache und nicht-einfache Aus-
sagen 109
10 Inhalt

b) Die nicht-einfachen Aussagen bei Dialektikern und Stoikern . . . 112


c) Die neue Klassifikation der einfachen Aussagen bei den Stoikern 116
d) Ist die stoische Einteilung der einfachen Aussagen wechselweise
ausschließend? 124
e) Soll die stoische Einteilung der einfachen Aussagen vollständig
sein? 127
Sechstes Kapitel: Die Dialektische u n d die stoische Klassifika-
tion der Fehlschlüsse bei Sextus Empiricus 131
a) Die Unterschiede zwischen PH 2.146-150 und AM 8.429-434 . . 133
b) Eine Schwierigkeit: Sextus' Gebrauch von ,Dialektiker' PH 2.166 143
c) Die Dialektische Einteilung der nicht-schlüssigen Argumente:
PH 2.146-150 146
d) Die stoische Revision der Dialektischen Fehlschlußklassifikation:
AM 8.429-434 161
e) Das durch Zusammenhanglosigkeit nicht-schlüssige Argument 167
f) Über welche Stufe der stoischen Logik berichtet Sextus in AM
8.429-434? 173
Siebtes Kapitel: Die Dialektiker über Trugschlüsse u n d ihre
Auflösung 176
a) Die Dialektiker' in den PH 2.229-259 - Logiker oder Mitglieder
der Dialektischen Schule? 177
b) Die Dialektische Theorie der Trugschlüsse: PH 2.229-235 183
c) Die Dialektiker über die Dialektik: PH 2.247-255 194
d) Sextus über die Auflösung von Mehrdeutigkeiten und deren
Nutzlosigkeit: PH 2.256-258 206
A n h a n g I z u m II. Teil: Diodor und die ,Dialektiker' in A M 10.111 209
A n h a n g II z u m II. Teil: Dialektiker u n d Stoiker bei Apuleius . . 213

III. T E I L :
D E R U R S P R U N G DER STOISCHEN THEORIE DES BEWEISES

Achtes Kapitel: Der frühstoische Charakter der Theorie des


Beweises bei Sextus Empiricus 219
a) Kein Einfluß Chrysipps in Sextus' Referaten zur Beweistheorie . . . 221
b) Die frühe Stoa als Quelle der von Sextus Empiricus referierten
Beweistheorie 227

Neuntes Kapitel: Übereinstimmungen u n d Unterschiede in den


Referaten des Sextus zur stoischen Beweistheorie u n d das
genetische Verhältnis ihrer Q u e l l e n 232
a) Der Beweis - Argument oder Zeichen? 234
b) Das Argument und seine Teile: AM 8.301-302; PH 2.135-136 . . 236
c) Die Einteilung der Argumente in schlüssige und nicht-schlüssige:
AM 8.303-305; PH 2.137 241
Inhalt 11

d) Wahre und nicht-wahre Argumente im PH-Referat: 2.138-139 . . 245


e) Argumente mit offenkundigen und mit nicht-offenkundigen
Konklusionen und ein merkwürdiges Beispiel im AM-Referat:
AM 8.305-306; PH 2.140 246
f) Die Einteilung der Argumente mit nicht-offenkundiger Konklu-
sion: AM 8.307-309; PH 2.141-142 255
g) Die Definitionen des Beweises AM 8.310-314 266
h) Die Beweisdefinition PH 2.143 271
i) Die Arten der Argumente im Referat AM 8.411-423 280

Zehntes Kapitel: Von den Dialektikern zu Chrysipp - der Weg


einer Theorie in der Alten Stoa 287
a) Strukturelle Parallelen in den bei Sextus referierten Fassungen der
stoischen Zeichen- und der stoischen Beweistheorie 288
b) Zenon als Autor der Quelle von AM 8.301-314 291
c) Die stoischen Autoren der Quellen von PH 2.135-143 und AM
8.411-423: Kleanthes und Sphairos 297
d) Von den Dialektikern zu Chrysipp 299

Schlußbemerkung 303

ANHANG:

Texte aus Sextus Empiricus zu den Dialektikern und den Stoikern 311
(a) Die frühen Stoiker über das Zeichen 311
(i) (PH 2.97-101; 104-106) 311
(ii) (AM 8.141-155; 245-256) 312
(b) Die Dialektiker über die Arten der Aussagen (AM 8.93-98; 108-
117; 124-128) 316
(c) Dialektiker und Stoiker über das Kriterium der richtigen Kondi-
tionalaussage (PH 2.110-111) 319
(d) Die Dialektiker über die Arten der Fehlschlüsse (PH 2.146-150) 319
(e) Die Stoiker über die Arten der Fehlschlüsse (AM 8.429-435) . . 320
(f) Die Dialektiker über die Arten der Trugschlüsse (PH 2.229-235) 321
(g) Die frühen Stoiker über den Beweis 322
(i) (AM 8.301-314) 322
(ii) (PH 2.135-143) 324
(h) Die frühen Stoiker über die Arten der Argumente (AM 8.411-
425) 326
Literaturverzeichnis 329
I. Quellentexte 329
II. Moderne Autoren 333
Register 337
I. Stellenregister 337
II. Personenregister 345
Abkürzungsverzeichnis

(Angegeben werden Name des Autors bzw. Herausgebers und Titel; vollständige
bibliographische Angaben im Literaturverzeichnis)

AM Sextus Empiricus, Adversus Mathematicos


DL Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen
DK Hermann Diels/Walther Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker
FDS Karlheinz Hülser, Die Fragmente zur Dialektik der Stoiker
LSJ Henry George Liddell/Robert Scott/Henry Stuart Jones, A Greek-English
Lexicon
PH Sextus Empiricus, Pyrrhonische Hypotyposen
SR Gabriele Giannantoni, Socraticorum Reliquiae
SVF Johannes v. Arnim, Stoicorum Veterum Fragmenta
Us. Hermann Usener, Epicurea

Namen moderner Autoren ohne zugefügte Jahreszahl verweisen bei Literaturan-


gaben auf Fragmentsammlungen (s. Literaturverzeichnis Abt. I.b)
Einleitung

Zu den grundlegenden Einsichten, die wir den Arbeiten von Jan Luka-
siewicz zur Geschichte der Logik verdanken, gehört die Erkenntnis
der Eigenständigkeit und des wissenschaftlichen Wertes der stoischen
Logik. 1 Im Unterschied zu früheren Logikhistorikern verfügte Luka-
siewicz über eine Kenntnis der modernen mathematischen Logik, was
ihm ein sachlich sehr viel angemesseneres Verständnis der antiken
Logik erlaubte als es seinen Vorgängern möglich war. So konnte Luka-
siewicz nicht nur die Überlegenheit der logischen Theorie des Aristo-
teles über die vermeintlich ,aristotelische' Logik der Tradition deut-
lich machen 2 , er konnte vor allem auch zeigen, daß es neben der
aristotelischen Termlogik eine andere, davon gänzlich unabhängige
logische Theorie gegeben hatte, nämlich die der Stoiker, die eine
Aussagenlogik war. Dabei erwies sich gerade jener formalistische Zug,
auf den frühere Autoren ihr Urteil über eine angebliche Minderwer-
tigkeit der stoischen Logik gegründet hatten 3 , als besondere Tugend

1 Vgl. Lukasiewicz (1930) und Lukasiewicz (1935). (Ich zitiere häufiger benutzte

Sekundärliteratur im folgenden mit Verfassernamen und Erscheinungsjahr; voll-


ständige Angaben im Literaturverzeichnis.) Lukasiewicz (1930) ist jetzt in engli-
scher Übersetzung leichter zugänglich in Storrs McCall (Hg.), Polish Logic (Oxford
1967), 40-65. Auf polnisch hatte Lukasiewicz seine Deutung der stoischen Logik
bereits in den zwanziger Jahren vorgetragen. In Deutschland hat, angeregt durch die
Untersuchungen von Lukasiewicz, als erster Heinrich Scholz auf den Charakter
und den eigenständigen Rang der stoischen Logik hingewiesen, in Scholz (1931),
31-35.
2 Vgl. Jan Lukasiewicz, Anstotle's Syllogistic from the Standpoint of Modern

Formal Logic (Oxford H951, 21957).


3 So etwa Carl Prantl in seiner Geschichte der Logik im Abendlande (Leipzig

1855-1870) und Eduard Zeller in seiner Darstellung Die Philosophie der Griechen
in ihrer geschichtlichen Entwicklung (Leipzig 1859-1868). Eine Zusammenstel-
lung und Kritik einiger Fehlurteile von Prantl und Zeller in Mates (1953), 86-90. In
den verfehlten und häufig polemischen Urteilen von Prantl und Zeller wirkt ein aus
der Romantik stammendes und durch Hegel in der Philosophie verbreitetes Vorur-
teil gegen die formale Logik nach. Hegels Ausführungen zur Schlußtheorie der Stoa
nehmen gerade eine Seite in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philoso-
phie ein. Das einzige Beispiel, das Hegel dabei für einen - angeblich - chrysippei-
schen Schluß anführt, lautet: „Wenn's Tag ist, so ist's hell: nun aber ist's Nacht, also
nicht hell." (G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte derPhßosophie, 2. Bd.,
Jubiläumsausgabe Bd. 18 [Stuttgart 1959], 451). Statt eines Beispiels für einen
Schluß des Chrysipp bedient uns Hegel hier also mit einem Fehlschluß der negatio
antecedentis.
14 Einleitung

dieser Logik. Der Formalismus der stoischen Logik verlieh ihr etwas
von der Strenge eines modernen Kalküls, der ja, um mit Gottlob Frege
zu reden, „eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des
reinen Denkens" sein will.4 Seit Lukasiewicz steht die Leistung der
stoischen Logiker gleichberechtigt neben der des Aristoteles.
Seine sehr berechtigte Korrektur einer irrigen Meinung über den
systematischen Wert der stoischen Logik verknüpfte Lukasiewicz mit
einem Urteil über die historische Herkunft der Aussagenlogik. Die
stoischen Logiker waren in ihren Augen nicht nur bedeutende Theo-
retiker auf diesem Gebiet der Logik, sondern zugleich auch deren
Begründer. Sie kamen damit dem Aristoteles nicht nur an logischem
Scharfsinn, sondern auch an logischer Originalität gleich. Lukasie-
wicz' Neubewertung der griechischen Logik verband sich so mit
einem Bild der Entstehung der Logik bei den Griechen: Auf der einen
Seite steht Aristoteles, der mit seiner Syllogistik erstmals einen be-
grenzten, aber fundamentalen Teil der Prädikatenlogik bearbeitet hat,
auf der anderen Seite stehen die Logiker der Stoa, die mit ihren Unter-
suchungen zur Aussagenlogik „die Grundlagen zu dieser herrlichen
Theorie gelegt haben."5 Aussagenlogik und Prädikatenlogik, die bei-
den fundamentalen Kalküle der modernen formalen Logik, scheinen
somit in den Vertretern von zwei der bedeutendsten Philosophenschu-
len des Altertums auch ihre wissenschaftlichen Ahnherrn gefunden
zu haben.
Die klare und einprägsame Symmetrie dieses Bildes wird nun aller-
dings durch zwei Umstände gestört: Einmal sind wir bekanntlich, was
die Quellen unserer Kenntnis der stoischen Logik angeht, in einer
ziemlich mißlichen Lage. Im Unterschied zu den Schriften des Aristo-
teles, dessen logische Abhandlungen auch wir noch lesen können, ist
kein einziges Werk eines stoischen Logikers erhalten geblieben; so gut
wie alles, was wir über die stoische Dialektik wissen oder zu wissen
glauben, ist aus den summarischen und häufig polemischen Darstel-
lungen von späteren Autoren geschöpft, von Autoren, die ihre Kennt-
nisse oft aus zweiter Hand beziehen, aus Philosophiegeschichten oder
Handbüchern. So geht etwa das Referat der stoischen Logik bei Dio-
genes Laertius (DL 7.42-83), immerhin eine unserer Hauptquellen,
zumindest in einem wichtigen Abschnitt auf ein Werk des Diokles
von Magnesia zurück, der ein älterer Zeitgenosse Ciceros gewesen

4
So Gottlob Frege im Untertitel seiner Begriffsschrift (Halle 1879).
5
Lukasiewicz (1935), 121, ähnlich Scholz (1931), 31 und Barnes (1983), 281f.
Einleitung 15

sein dürfte.6 Aus dem Umstand, daß spätere Autoren aussagenlogi-


sche Theorien ausschließlich oder doch primär mit der Stoa in Verbin-
dung bringen, läßt sich jedoch keineswegs schließen, daß die stoi-
schen Logiker zu ihrer Zeit die einzigen oder daß sie gar die ersten
Logiker waren, die sich um die Grundlegung dieses Teils der Logik
bemüht haben. Diese Behandlung der stoischen Logiker bei späteren
Autoren läßt sich plausibel auch damit erklären, daß zur Zeit dieser
Autoren die Aussagenlogik eine ausschließliche Domäne der Stoa
geworden war.
Überdies werden - und damit komme ich zu dem zweiten oben
angedeuteten Umstand - in unseren Quellen gelegentlich auch Philo-
sophen, die der Stoa voraufgehen, mit der Aussagenlogik in Verbin-
dung gebracht. So gibt es bei Alexander von Aphrodisias, bei Johannes
Philoponos und bei Boethius die Behauptung, peripatetische Philoso-
phen, genannt werden Theophrast und Eudemos, hätten aussagenlo-
gische Schlußformen untersucht.7 Am weitesten geht dabei Philo-
ponos, für den die Unterschiede zwischen Stoa und Peripatos auf
diesem Gebiet lediglich terminologischer Natur sind.8 Hierher gehört
aber vor allem die bei Sextus Empiricus und Cicero bezeugte Ausein-
andersetzung zwischen Philon und Diodor über die Wahrheitsbedin-
gungen der Konditionalaussage.9 Da Zenon von Kition, der Gründer
der Stoa, nach dem Bericht des Diogenes Laertius bei Philon und bei
Diodor Dialektik studiert hat (vgl. DL 7.16 und 25), muß ihre Logik
jedenfalls älter sein als die stoische Aussagenlogik. Wenn diese Zeug-
nisse verläßlich sind, dann beginnt die Geschichte der Aussagenlogik
nicht erst mit der Stoa.
Wenn diese Zeugnisse das Bild von der Grundlegung der Aussagen-
logik durch die Stoiker trotzdem nicht entscheidend verändert haben,
so liegt das zum Teil daran, daß diese Berichte entweder nicht glaub-
würdig sind oder doch bei näherem Hinsehen nicht das in ihnen zu
finden ist, was prima facie dort zu stehen scheint, zum Teil aber auch
an der Dürftigkeit ihrer Mitteilungen. Was zunächst die Angaben
über aussagenlogische Interessen peripatetischer Philosophen angeht,

6
Die communis opinio, daß die Darstellung der stoischen Logik bei Diogenes
Laertius von 7.48 bis zum £nde des Logikreferates (7.83) aus Diokles stammt, ist
durch Mansfeld (1986), 351ff. begründeten Zweifeln ausgesetzt worden. Nach
Mansfeld ist nur DL 7.49-53 aus Diokles entnommen (a.a.O., 362).
7
S. Alexander, In An. Pr. 389,32-390,9 Wallies = Graeser fr. 29 = Repici fr. 33c;
Philoponos, In An. Pr. 242,14-243,1 Wallies = Graeser fr. 29 = Repici fr. 33b;
Boethius, De Syll. Hyp. 83 ID Migne = Graeser fr. 29 = Repici fr. 33a.
8
Vgl. Philoponos, In An. Pr. 243,1-10 Wallies (nicht in Graeser oder Repici).
ο Sextus Empiricus, AM 8.113-117; AM 8.265; PH 2.110; Cicero, Acad. 2.143.
16 Einleitung

so wird der oben erwähnte Bericht des Philoponos heute so gut wie
allgemein für eine verfälschende Erweiterung einer Stelle bei Alexan-
der von Aphrodisias gehalten, den Philoponos hier ausschreibt.10
Gegen die Behauptung des Philoponos, Theophrast und Eudemos
hätten zum Thema der ,hypothetischen' Syllogismen (d.h. der
Schlüsse, in denen wenigstens eine Prämisse eine komplexe, nicht
notwendig eine konditionale Aussage ist) „viel" geschrieben11; spricht
zweierlei: Einmal der Umstand, daß Alexander das in keiner Weise
bestätigt und daß auch Boethius nur von einer eher skizzenhaften und
ansatzweisen Behandlung dieser Schlüsse durch die beiden Peripateti-
ker weiß.12 Zum anderen die Tatsache, daß das bei Diogenes Laertius
(DL 5.42-50) erhaltene Verzeichnis der Schriften des Theophrast kei-
nen Titel aufweist, der zu einer Behandlung aussagenlogischer
Schlußformen passen würde. Für Eudemos besitzen wir zwar kein
Schriftenverzeichnis, aber die Übereinstimmung zwischen ihm und
Theophrast (unsere Quellen erwähnen seinen Namen fast immer
zusammen mit dem des Theophrast) macht es äußerst unwahrschein-
lich, daß er hier über Theophrast in entscheidender Weise hinausge-
gangen ist.
Mit Sicherheit lassen sich dem Theophrast nur die sogenannten
durchgängig hypothetischen Syllogismen' zuschreiben.13 Die fünf

10
So etwa Bochenski (1947), 110: „Notre passage semble etre done une simple
exagdration du texte d'Alexandre." Gemeint ist der oben Anm. 7 erwähnte Text aus
Alexander.
11
So Philoponos, In An. Pr. 242,18-21 Wallies = Graeser fr. 29 = Repici fr. 33b.
Übrigens scheint der Ausdruck ,hypothetische Syllogismen' erst bei Galen belegt
linst. Log. 17,10 und 19; 36,6; 38,3 Kalbfleisch).
12
Vgl. Alexander, In An. Pr. 389,32-390,9 Wallies = Graeser fr. 29 = Repici fr.
33bc; Boethius, De Syll. Hyp. 83 ID Migne = Graeser fr. 29 = Repici fr. 33a.
Alexander sagt, daß Theophrast in seinen Analytiken auf solche (hypothetischen)
Argumente „Bezug nimmt" (μνημονεύει 390,2), ein Ausdruck, der jedenfalls kaum
eine gründliche Behandlung nahelegt. Boethius stellt ausdrücklich fest, daß Theo-
phrast nur die Grundzüge ausgeführt habe {rerum tantum summas exsequitur)
und daß Eudemos zwar einen „breiteren Weg der Gelehrsamkeit eingeschlagen"
habe (latioiem docendi graditui viam), daß er aber auch gleichsam nur eine Saat
ausgebracht, nicht aber die Ernte eingefahren habe {seminaria sparsisse, nullum
tarnen frugis videatui extulisse proventum).
13
Alexander, In An. Pr. 326,20-328,5 Wallies = Graeser fr. 30 = Repici fr. 34b. Es
handelt sich dabei um folgende fünf Schlußformen:
(A —B) a ( B - C ) I- A - C
(Α - Β) α (Β - C) I- -C — -A
(Α - Β) a (-A - C)l·- - B - C
(Α - Β) a (-A - CJI— -C - Β
( A - C ) a ( B - - C ) l - A-*-B
Einleitung 17

Schlußformen, die Alexander unter diesem Titel aufzählt, beruhen


alle auf der Transitivität des Wenn-So-Operators, und prima facie
scheinen wir es hier mit Schlußregeln der Aussagenlogik zu tun zu
haben. In erster Linie sind es diese fünf Schlußformen gewesen, die
dazu geführt haben, daß Logikhistoriker dem Theophrast eine Rolle
in der Entwicklung der Aussagenlogik zusprechen wollen. 1 4 Zuletzt
hat Jonathan Barnes in mehreren Aufsätzen den Versuch unternom-
men, eine Behandlung aussagenlogischer Schlußformen bei Theo-
phrast nachzuweisen. 1 5 Bei genauerem Zusehen erweist sich aller-
dings, daß Theophrast selber seine durchgängig hypothetischen
Syllogismen' offenbar keineswegs als aossagenlogische Schlußformen
verstanden hat. Alexander von Aphrodisias gibt nämlich an einer
Stelle für diese Schlußregeln eine Einsetzung, die zeigt, daß die Varia-
blen in diesen Formen als (durch ein έστί zu ergänzende) Termvaria-
blen, nicht als Aussagevariablen zu verstehen sind. 1 6 Mit diesem

,Durchgängig hypothetisch' heißen diese Schlüsse, weil alle in ihnen vorkommen-


den Aussagen,hypothetische' (d.h. zusammengesetzte) Aussagen sind.
1 4 Vgl. etwa Scholz (1931), 32, Mau (1957), 156, Bochenski (1947), 114f. Bo-

chenski erkennt zwar an, daß Theophrast selber diese Formeln als termlogische
Formeln verstanden hat, meint aber: „Ceci ne change naturellement rien aux regies
en elles-memes, mais jette une lumiere interessante sur la mentalite de Th6ophra-
ste: tout en inaugurant une logique des propositions, il croyait continuer la syllogi-
stique aristotdlicienne." Logische Regeln in symbolischer Form gibt es aber nicht
losgelöst von ihrer Interpretation. Etwas vorsichtiger ist dann die Formulierung in
Bochenski (1970), 119f. Richtig Graeser, 98f.
15 Barnes (1983), (1985a), (1985b) - die beiden Aufsätze aus dem Jahr 1985

enthalten denselben Text.


1 6 Alexander, In An. Pr. 326,24-25; 327,12-13, 19-20 Wallies (enthalten in

Graeser fr. 30, Repici fr. 34b). Barnes (1983) versucht zu zeigen, daß die Buchstaben,
die Alexander benutzt, Aussagevariablen sind. Seine Argumente scheinen mir aber
nicht überzeugend; insbesondere unterschätzt Barnes die Schwierigkeiten, die sich
für seine Deutung aufgrund der gerade erwähnten Stellen ergeben. So argumentiert
Bames, die Grammatik von In An. Pr. 326,23 verlange die Deutung der dort
gebrauchten Buchstaben als Aussagevariablen (a.a.O., 290). Das wäre wohl nur
dann zwingend, wenn elliptische Formulierungen grundsätzlich ungrammatisch
wären. Wenn Barnes sich weiter darauf stützen will, daß Alexander in der folgen-
den Illustration dieser Schlußform (326,24-25) die Buchstaben durch vollständige
Aussagen ersetzt (ebd.), so steht dem entgegen, daß Alexander an den beiden
anderen Stellen (327,12-13 und 19-20), auf die Barnes nicht eingeht, die Buchsta-
ben in den illustrierenden Beispielen durch Terme ersetzt, nicht durch Aussagen.
Damit ist zumindest soviel klar, daß der Gebrauch der Kopula an der Stelle 326,24-
25 nicht für eine aussagenlogische Deutung der Variablen sprechen muß. Barnes
führt für seine Interpretation der Schlußformen bei Alexander noch zwei weitere
Argumente an: „First, when the Peripatetics discussed,mixed' hypothetical syllo-
gisms, such as modus ponens, they did not restrict themselves to specific forms. In
other words, they discussed:
18 Einleitung

Lehrstück läßt sich daher ein Beitrag Theophrasts zur Begründung der
Aussagenlogik nicht belegen.
A u c h zwei Texte in Galens Institutio logica, die eine Behandlung
aussagenlogischer Fragen durch Theophrast wahrscheinlich m a c h e n
sollen, scheinen mir dazu nicht geeignet. 1 7 Galen berichtet an diesen
beiden Stellen, daß die,Alten' für die disjunktiven und für die kondi-
tionalen Aussagen die Termini ύποϋετικαι κατά διαίρεσιν und ύποθετικαί
κατά συνέχειαν resp. gebraucht haben, während die,Neueren' dafür die
Ausdrücke διεζευγμένα und συνημμένα resp. benutzen. Die Termino-
logie der ,Neueren' ist die der Stoiker zumindest seit Chrysipp (vgl.
DL 7 . 7 1 - 7 2 ) . Obwohl Galen an diesen Stellen keinen N a m e n eines
Philosophen oder einer Schule erwähnt, glaubt etwa Bochenski, die
hier apostrophierten,Alten' mit Theophrast und Eudem gleichsetzen

If Ρ, then Q
Ρ
Q
rather than
If a is F, then a is G
a is F
a is G
or
If anything is F, it is G
a is F
a is G." (a.a.O., 293f.)
Barnes führt keine Stellen an, die das belegen würden. Ich habe bei Alexander keine
Darstellung des Modus ponens mit Hilfe von Buchstaben gefunden, und ein Bei-
spiel, das Alexander für einen solchen gemischten hypothetischen Syllogismus gibt
(In An. Pr. 262,30-34 Wallies) entspricht der ersten der beiden Formen, von denen
Barnes sagt, daß sie den Peripatetikern bei der Behandlung des Modus ponens nicht
vor Augen gestanden hätten. - Als zweites Argument führt Bames an, daß zumin-
dest eine peripatetische Illustration eines durchgängig hypothetischen Syllogismus
existiert, die nicht zu einer termlogischen Deutung der bei Alexander benutzten
Buchstaben paßt (a.a.O., 294), nämlich der im sog. documentum Ammonianum als
Beispiel für einen durchgängig hypothetischen Syllogismus angegebene Schluß:
„Wenn die Sonne über der Erde steht, ist es Tag. Wenn es Tag ist, ist es hell. Also:
Wenn die Sonne über der Erde steht, ist es hell." ([Ammonios] In An. Pr. XI,2-3) Im
Kontext dieses Beispiels für einen durchgängig hypothetischen Syllogismus spielen
aber, anders als bei Alexander, Buchstaben als Variable keine Rolle. Der Umstand,
daß ein anonymer Autor der peripatetischen Tradition ein Beispiel für einen sol-
chen Schluß unter Benutzung des Standardbeispiels der Stoiker für eine Kondi-
tionalaussage gebildet hat, erlaubt keinen Rückschluß auf die Deutung der bei
Alexander als Variablen benutzten Buchstaben. - Übrigens geht Barnes in der
Veröffentlichung des Jahres 1985 auf die oben aus Alexander angeführten Stellen
(326,24-25; 327,12-13, 19-20) nicht mehr ein.
1 7 Galen, Inst. log. 8,6-9, 16; 32,11-17 Kalbfleisch
Einleitung 19

zu können. 18 Denn, so seine Überlegung, da die Terminologie der


,Alten' nicht aristotelisch ist, muß sie Logikern von Rang in der Zeit
zwischen Aristoteles und Chrysipp gehören, und, wie er schreibt,
„nous n'en connaissons pas d'autres que Theophraste et Eudeme", die
dieser Beschreibung Genüge tun. 19
Die letzte Prämisse in Bochenskis Räsonnement scheint mir nun
schlechterdings falsch zu sein. Denn es gibt in dem fraglichen Zeit-
raum zweifellos Logiker außerhalb des Peripatos, die sich mit Theo-
phrast messen können: Erinnert sei nur an Philon und Diodor (mit
dem Namen des letzteren ist nicht nur eine bestimmte Interpretation
der Konditionalaussage, sondern auch eines der berühmtesten mo-
dallogischen Argumente der Antike verknüpft), an die Logiker der
Schule von Megara oder auch an einen stoischen Philosophen aus der
Zeit vor Chrysipp wie Kleanthes. Aber selbst wenn man zugibt, daß
die von Galen den ,Alten' zugeschriebene Terminologie von Theo-
phrastund Eudem benutzt worden ist, so folgt daraus noch nicht, daß
sie aussagenlogische Aussagen- oder Schlußformen untersucht ha-
ben. Denn es ist sehr wohl denkbar, daß sie den konditionalen und
den disjunktiven Operator lediglich im Rahmen einer Termlogik be-
handelt haben, und durch zwei Umstände würde das sogar wahr-
scheinlich gemacht. Einmal durch den Umstand, daß bei den oben
erörterten durchgängig hypothetischen Syllogismen' der Wenn-So-
Operator Variable verbindet, die Terme, nicht Aussagen vertreten.
Zum zweiten durch die Bezeichnung für die ,disjunktive' Aussage:
Der Ausdruck ,Dihairesis' weist nämlich auf ein Verfahren der Eintei-
lung von Klassen hin, das etwa aus dem platonischen Sophistes und
Politikos bekannt ist und in dem Aussagen eine Rolle spielen, deren
Prädikate disjunktiv getrennt werden, ohne daß diese Aussagen des-
halb komplexe disjunktive Aussagen wären. ,Alle Künste sind entwe-
der erwerbend oder hervorbringend' (vgl. Soph. 219d) ist nicht äquiva-
lent mit (oder impliziert auch nur) ,Alle Künste sind erwerbend oder
alle Künste sind hervorbringend.'
Wir haben daher keinen Grund, aus diesen Galenstellen eine aussa-
genlogische Terminologie des Peripatos herauszulesen, sofern wir
diese Termini überhaupt für peripatetisch halten. Es scheint, daß
unsere Quellen uns ganz allgemein bei hinreichend kritischer Prü-
fung nicht erlauben, der Schule des Aristoteles einen wirklichen Bei-
trag zur Entwicklung der Aussagenlogik zuzubilligen.20

!8 Bochenski (1947), 108; ähnlich auch Kneale (1962), 106.


« Bochenski (1947), 108.
20
So etwa auch Repici, 29.
20 Einleitung

Wir befinden uns dagegen, was die Quellenlage angeht, auf einem
sehr viel sichereren Boden, wenn wir zu den oben erwähnten Mittei-
lungen über Diodoros Kronos und Philon kommen. Daß beide Logi-
ker unterschiedliche Deutungen der Konditionalaussage vertreten
haben, wird durch zwei zuverlässige und voneinander unabhängige
Quellen bezeugt, von Cicero und von Sextus Empiricus, und Sextus
informiert uns außerdem über den Inhalt ihrer unterschiedlichen
Positionen (AM 8.113-117). Die Mitteilungen des Sextus über die
Kontroverse zwischen Philon und Diodor machen vor allem auch
klar, daß diese beiden Logiker den Wenn-So-Operator tatsächlich als
aussagenlogischen Operator untersucht haben. Höchst bemerkens-
wert ist dabei, daß Philon eine wahrheitsfunktionale Deutung der
Konditionalaussage vertreten hat, eine Deutung, wie sie erst wieder in
der modernen mathematischen Logik vorliegt. Umso mehr ist es zu
bedauern, daß wir über die aussagenlogischen Theorien dieser beiden
Logiker sonst nichts erfahren. Sextus beschränkt sich auf ein bloßes
Referat ihrer unterschiedlichen Ansichten über die Wahrheitsbedin-
gungen der Konditionalaussage. Weder bei ihm noch bei einem ande-
ren Autor lesen wir etwas über die Gründe, die Philon und Diodor für
ihre Interpretationen der Konditionalaussage hatten. Ebensowenig
erfahren wir, ob die von Sextus referierten Positionen des Philon und
des Diodor innerhalb umfassenderer Theorien aussagenlogischer
Operatoren gestanden haben.
Dennoch ist das Wenige, was Sextus uns über die unterschiedliche
Deutung der Konditionalaussage durch Philon und Diodor mitteilt,
für den Nachweis ausreichend, daß die Geschichte der Aussagenlogik
nicht erst mit den Logikern der Stoa beginnt. Es ist das Verdienst von
Martha Hurst, der späteren Martha Kneale, auf diesen Umstand und
auf die Bedeutung der bei Sextus referierten Diskussion hingewiesen
zu haben, in einem Aufsatz, der übrigens im selben Jahr erschienen ist
wie Lukasiewicz' bahnbrechende Abhandlung ,Zur Geschichte der
Aussagenlogik'.21 Daher wird in der neueren Literatur mit der Exi-
stenz einer vorstoischen Aussagenlogik heute so gut wie allgemein
auch ein Einfluß dieser Logik auf die Stoa angenommen; dabei wird
diese vorstoische Aussagenlogik im allgemeinen in der megarischen
Schule lokalisiert, zu der dann auch Diodor und Philon gezählt wer-
den. So hebt etwa Benson Mates die Bedeutung der Theorien des
Philon und Diodor für die Entwicklung der stoischen Logik mehrfach
hervor.22 Bochenski spricht in seiner Logikgeschichte sogar von einer

21 Hurst (1935).
μ Mates (1953), 5f., 36, 43ff.
Einleitung 21

„megarisch-stoischen Schule" und behandelt unter diesem Titel auch


die Logik Chrysipps.23 Und in der großen Darstellung der Geschichte
der Logik, die William und Martha Kneale verfaßt haben, heißt es von
der stoischen Logik lapidar: „(it) was developed by Chrysippus from
the teaching of the Megarians."24 Allerdings beklagen die Kneales
sofort auch, „that tradition has preserved so little of the work of these
latter philosophers (.. .)."25 In der Tat mußte bei dem geringen Um-
fang dessen, was uns für die zur megarischen Schule gerechneten
Logiker bezeugt ist, der tatsächliche Einfluß einer vorstoischen Aussa-
genlogik auf die Stoa weitgehend im dunkeln bleiben. Diesem Um-
stand ist es dann wohl auch zuzuschreiben, daß die Kneales im weite-
ren Verlauf ihrer Darstellung gleichwohl zu der Feststellung kommen:
„The Stoics were the first to work out in detail a theory of arguments
involving the conditional and other forms of complex propositions."26
Mit der Frage eines Einflusses der Megariker auf die stoische Logik
hat sich ausführlich auch Michael Frede in seiner gründlichen Unter-
suchung zur stoischen Logik auseinandergesetzt.27 Frede kritisiert
dabei die Meinung Bochenskis, „daß die Stoiker mehr oder minder
dieselben Ansichten in der Logik vertreten haben, daß diese Ansich-
ten im Wesentlichen auf die megarische Schule zurückgehen und daß
man deshalb von einer stoisch-megarischen, bzw. einer megarisch-
stoischen, Logik reden sollte."28 Er macht dagegen geltend, daß die
stoische Logik ihre definitive Gestalt durch Chrysipp erhalten hat,
daß es keinerlei Belege für ein Logikstudium des Chrysipp selber bei
Diodor und/oder Phüon gibt und daß die Selbständigkeit Chrysipps
gegenüber seinen stoischen Vorgängern, für die auch Frede einen
Einfluß der Megariker annimmt, im Altertum notorisch war. Man
dürfe daher, so Frede, „allenfalls bei der vorchrysippeischen stoischen
Logik von einer megarisch-stoischen Logik sprechen."29 Verglichen
mit dem, was wir von der logischen Leistung Chrysipps wissen,
nehme sich „die megarische Logik allenfalls wie ein bescheidener
Vorläufer der stoischen Logik aus."30
Man kann der Kritik Fredes an Bochenski sicher weitgehend zu-
stimmen. Der Umstand, daß wir für beide Schulen, für die stoische
wie für die megarische, nur eine sehr fragmentarische Überlieferung
besitzen, sollte nicht dazu führen, die Unterscheidungen, die auf-
grund der Quellen gleichwohl zwischen ihnen möglich sind, zu über-

" Bochenski (1970), 121ff. 27Frede (1974), 19-23.


Μ Kneale (1962), 113. μ Frede (1974), 19.
Μ Kneale (1962), 113. » Frede (1974), 23.
™ Kneale (1962), 113. μ Frede (1974), 22.
22 Einleitung

sehen oder gar zu verwischen. Das Gleiche gilt natürlich auch für die
Unterscheidung innerhalb der Stoa zwischen einer stoischen Logik
vor Chrysipp auf der einen und der Logik Chrysipps und seiner Nach-
folger auf der anderen Seite. Das Zusammenrechnen bruchstückhaf-
ter Kenntnisse, die wir über unterschiedliche Gruppen haben, zu einer
einheitlichen Lehre bringt gewöhnlich keinen Gewinn, sondern eher
einen Verlust an historischer Erkenntnis. Schließlich birgt gerade dort,
wo unsere Kenntnisse begrenzt sind, die Aufdeckung von Unterschie-
den wichtige zusätzliche Erkenntnismöglichkeiten, weil ein Kontrast
auf einem Gebiet häufig auch Licht auf Fragestellungen, Lehrmeinun-
gen, Distinktionen und Terminologien in anderen Bereichen werfen
kann.
Im Unterschied zu seiner berechtigten Kritik an Bochenski scheint
mir jedoch Fredes eigene Charakterisierung der megarischen Logik
(und das heißt für ihn der logischen Theorie jener Gruppe, zu der
auch Philon und Diodor gehören) als „bescheidener Vorläufer der
stoischen Logik" nicht gerechtfertigt.31 Zwar räumt Frede ein, daß
dieser Eindruck zu einem Teil auch unserer mangelhaften Kenntnis
dieser vorstoischen Logik zuzuschreiben ist. Aber wenn er trotzdem
aus diesem Umstand nicht den Schluß ziehen will, daß ein gesichertes
Urteil über die Logik der Megariker bei der von ihm als gegeben
unterstellten Quellenlage nicht möglich ist, so deshalb, weil er den
Einwand für triftig hält, „daß bisher kein Grund angegeben worden
ist, weshalb wir von den Megarikern viel mehr als das erwarten soll-
ten, was uns über sie berichtet wird."32
Das scheint mir kein gutes Argument zu sein, denn es beruht auf
einer, wie ich denke, unberechtigten Verschiebung der Beweislast.
Klarerweise hat jedoch jemand, der auf der Basis einer dürftigen
Sekundärüberlieferung eine Behauptung des Inhalts aufstellt, daß
diese Überlieferung uns ein im wesentlichen vollständiges Bild dessen
gibt, wovon in ihr berichtet wird, einen Beweis für seine These anzu-
treten, nicht aber hat umgekehrt derjenige, der bei einer derartigen
Überlieferung die Unvollständigkeit ihres Referates für möglich oder
wahrscheinlich hält, dafür im jeweiligen Einzelfall ein Argument zu
Hefern. Denn daß gerade die antiken Berichte über Lehren antiker
Philosophen ungemein verkürzend und oft verzerrend sind, das läßt
sich leicht durch einen Vergleich der Darstellung etwa der Philosophie
des Piaton oder des Aristoteles bei Diogenes Laertius mit den erhalte-

31 Frede (1974), 22.


32 Frede (1974), 23.
Einleitung 23

nen Schriften dieser Philosophen zeigen.33 Stellt man das in Rech-


nung, dann gibt uns die Quellenlage, so wie sie in der bisherigen
Forschung vorausgesetzt wird, sicherlich kein Recht, die Rolle etwa
Diodors oder Philons für die Herausbildung der stoischen Logik auf
die bescheidene Rolle bloßer Vorläufer zu verkürzen 3 4
Allerdings verbieten uns die kargen Mitteilungen unserer Quellen
über diese Philosophen ebenso, ihnen mit Bestimmtheit mehr logi-
sche Thesen oder umfassendere Lehrstücke zuzusprechen als die, von
denen wir ausdrücklich hören. Wir können vermuten, daß Philons
und Diodors Lehrmeinungen über die Wahrheitsbedingungen der
Konditionalaussage im Kontext einer umfassenderen Theorie der
Wahrheitsbedingungen aussagenlogischer Junktoren gestanden ha-
ben, aber solange wir nicht die quellenmäßige Basis unserer Kenntnis
der vorstoischen Logik verbreitern können, solange müssen solche
Vermutungen bloße Vermutungen bleiben.
Die Absicht der folgenden Untersuchung ist es, einen Beitrag zu
einer solchen Erweiterung jenes Materials zu leisten, auf das sich
unsere Kenntnis der vorstoischen und auch der vorchrysippeischen
stoischen Aussagenlogik gründet. Dabei werde ich nicht bisher unbe-
kanntes Quellenmaterial in die Diskussion einführen, sondern zu
zeigen versuchen, daß Texte, die man bislang als Referate der stoi-
schen (und d.h. üblicherweise der durch Chrysipp und seine Nachfol-
ger geschaffenen) Logik gelesen hat, entweder nicht den Stoikern oder
doch nicht der stoischen Logik des Chrysipp zuzuordnen sind. Mit
Ausnahme von zwei Textabschnitten aus Pseudo-Galen und Apuleius
stammen alle diese Texte aus Sextus Empiricus und wurden bislang so
gut wie allgemein als Referate logischer Lehrstücke der Stoa (im ge-
rade spezifizierten Sinn) verstanden.35
Die Erweiterung des Quellenmaterials für die vorstoische und die
vorchrysippeische Aussagenlogik, die ich im folgenden vornehmen
möchte, wird also mit einer Verkürzung der Quellen für die stoische
Logik im engeren Sinne erkauft. Aber diese veränderte Bewertung
von Texten, die bislang als Quellen für die im engeren Sinne stoische
(= chrysippeische) Logik galten, führt auch zu einer verbesserten

33
DL 3 und 5.1-35
34
Sedley (1978), 102 hält es sogar für wahrscheinlich, daß Diodor „was already
working on propositional inference schemata, perhaps the forerunners of the Stoic
anapodeiktoi."
35
Zu den wenigen Ausnahmen zählen Sedley (1982), 241, der die verbreitete
Meinung in Frage stellt, daß Sextus in AM 8.141-298 und in PH 2.97-133 über-
haupt stoische Lehren behandelt, sowie Brunschwig (1980), der das Sextus-Referat
zur stoischen Beweistheorie AM 8.301-314 dem Kleanthes zuordnen will.
24 Einleitung

Kenntnis dieser, der chrysippeischen Logik. Denn durch die genauere


Unterscheidung zwischen Theoriestücken, die Logikern aus der Zeit
vor Chrysipp zuzuweisen sind, und Lehren des Chrysipp und seiner
Nachfolger wird auch die im engeren Sinne stoische Logik eine schär-
fere Kontur erhalten; unsere Vorstellung von ihr kann dadurch präzi-
ser werden.
Um einen bequemen Terminus zu haben, werde ich im folgenden
von den vorchrysippeischen Stoikern und der vorchrysippeischen
Stoa als von den ,frühen' Stoikern und der ,frühen' Stoa (im Unter-
schied zur Alten Stoa) sprechen.36 Neben den frühen Stoikern wird in
den folgenden Argumentationen eine zweite Gruppe von Philoso-
phen eine Rolle spielen, nämlich die im Titel dieser Arbeit erwähnten
,Dialektiker', und es ist aus verschiedenen Gründen zweckmäßig, sie
hier mit einigen Bemerkungen vorweg vorzustellen.
Diogenes Laertius erwähnt im Proömium seines Werkes unter den
dort aufgezählten philosophischen Schulen (oder Sekten, αιρέσεις)
mehrmals auch eine,Dialektische' Schule (vgl. DL 1.17-20). Obwohl
sie an diesen Stellen neben der megarischen Schule genannt ist, wurde
sie bis vor kurzem mit dieser gleichgesetzt.37 Der Grund für diese
Gleichsetzung von Dialektikern und Megarikern ist die Mitteilung
bei Diogenes, daß die Schüler des Euklid von Megara „Megariker
genannt wurden, danach Eristiker, später Dialektiker, wie sie zuerst
Dionysios von Chalkedon nannte, weil sie ihre Argumente in Frage-
Antwort-Form vorbrachten". (DL 2.106)
Nun hat aber vor einiger Zeit David Sedley nachweisen können,
daß die Dialektiker gleichwohl eine eigene, von den Megarikern un-
terschiedene Schule bilden 38 Sedley macht nämlich darauf aufmerk-

36
Die traditionelle chronologische Einteilung der Stoa faßt die stoischen Vorläu-
fer des Chrysipp und diesen selbst (sowie seine unmittelbaren Schüler) zur Alten
Stoa zusammen und unterscheidet sie von der mit Panaitios beginnenden Mittleren
Stoa. Diese Einteilung ist offenbar an der Entwicklung der stoischen Ethik orien-
tiert, und das aus guten Gründen, denn es war die Moralphilosophie der Stoiker, die
diese Schule über die Antike hinaus so ungeheuer einflußreich machte. Auf diesem
Gebiet ist die Affinität zwischen Chrysipp und Zenon in der Tat größer als die
zwischen Chrysipp und Panaitios. Dagegen gibt es im Gebiet der (formalen) Logik
und der Erkenntnistheorie keine entsprechende Übereinstimmung zwischen Chry-
sipp und seinen Vorgängern. Hier stellt Chrysipp einen großen Bruch gegenüber
früheren Stoikern dar, und das gibt uns das Recht, seine Vorgänger zu einer Gruppe
zusammenzufassen.
37
So etwa in der Sammlung der Megarikertestimonien von Döring (91 f., 96,
100 f.) und in Frede (1974), 20 f.
38
Sedley (1977). Gegen Sedleys Argumente hat neuerdings Klaus Döring die
Existenz einer eigenen Dialektischen Schule bestritten, Döring (1989). Döring
Einleitung 25

sam, daß bei DL 2.113 ein wörtliches Zitat des Megarikers Philippos
erhalten ist, der von Stilpon, dem dritten Schulhaupt, berichtet, dieser
habe „von den Dialektikern" mehrere, namentlich erwähnte Personen
zur megarischen Lehre herübergezogen. Durch dieses bislang in sei-
ner Bedeutung übersehene Zeugnis wird die Existenz einer von der
megarischen unterschiedenen Dialektischen Schule gesichert. Die
oben angeführte Stelle aus DL 2.106 berichtet, so Sedley, offenbar
nicht über eine Schule im Sinne einer αίρεσις, sondern über eine
διαδοχή, einen in der späteren Doxographie konstruierten Stamm-
baum von Lehrer-Schüler-Verhältnissen.39
Daß die Mitglieder dieser Gruppe schon relativ früh ,Dialektiker'
genannt wurden, geht aus der Mitteilung bei DL 2.106 über die erst-
malige Verwendung dieses Titels durch Dionysios von Chalkedon
hervor, der (selbst ein Schulmitglied, vgl. DL 2.98) mit Sicherheit noch
ins vierte Jahrhundert gehört.40 Daß dieser Name im dritten Jahrhun-
dert das offizielle Etikett der Schule war, zeigen die Streitschriften
Gegen die Dialektiker, die im Schriftenverzeichnis des Epikureers
Metrodor (vgl. DL 10.24) und in dem des heterodoxen Stoikers Ari-
ston von Chios (vgl. DL 7.163) aufgeführt sind. Über einzelne Philoso-
phen, die zu dieser Gruppe gehören, insbesondere über ihren wichtig-
sten Vertreter Diodoros Kronos, hat David Sedley in dem erwähnten
Aufsatz so gründlich und erhellend geschrieben, daß ich hier auf
Bemerkungen zu einzelnen Dialektikern verzichten kann. Erwähnt
sei nur, daß neben Diodor auch Philon einer der Dialektiker war.
Hervorhebenswert ist für die folgende Untersuchung allerdings noch
eine Feststellung Sedleys, die diese Schule insgesamt betrifft: Die
Dialektiker scheinen eher durch gemeinsame wissenschaftliche Inter-

scheint mir allerdings zu stark das Moment einer institutionellen Bindung und das
der gemeinsamen Grundüberzeugungen im Begriff einer Schule zu betonen. Sedley
jedenfalls hatte sich nicht auf einen derart engen Begriff festgelegt, vgl. Sedley
(1977), 76. Auch trifft das Merkmal institutioneller Bindungen auf die Mehrzahl
der doch bei DL so genannten Sokratischen Schulen nicht zu. Obwohl ich trotz
Dörings Einrede von der Richtigkeit von Sedleys Deutung überzeugt bin, möchte
ich doch darauf hinweisen, daß die Annahme einer eigenen Dialektischen Schule,
die von der megarischen zu unterscheiden ist, für meine folgenden Argumentatio-
nen nicht notwendig ist Denn im folgenden geht es immer um den Nachweis, daß
wir unter den bei Sextus erwähnten Dialektikern (mit wenigen Ausnahmen) nicht
stoische Logiker, sondern eine von der Stoa verschiedene Gruppe zu verstehen
haben. Meine Argumente behalten auch dann ihre Gültigkeit, wenn wir die Dialek-
tische Schule mit der megarischen gleichsetzen.
äs» Sedley (1977), 75.
40
Döring, 100.
26 Einleitung

essen, vor allem an Fragen der Logik, nicht aber durch die Festlegung
auf eine Schulorthodoxie verbunden gewesen zu sein.41
Für die folgende Untersuchung spielt nun aber auch in erster Linie
der Schulname als solcher eine Rolle, weniger einzelne Mitglieder
dieser Gruppe. Der Ausdruck ,Dialektiker' kann nämlich nicht nur
die Vertreter der Dialektischen Schule, sondern auch ganz allgemein
diejenigen bezeichnen, die sich mit Dialektik befassen, die Logiker
also. Das ist der Sprachgebrauch etwa bei Aristoteles (vgl. Top. VIII2,
157al8; Soph. El. 11, 171b7). Da von ,Dialektikern' außer bei Dio-
genes Laertius auch in anderen, für die hellenistische Philosophie
wichtigen Quellen, insbesondere bei Cicero und bei Sextus Empiricus,
die Rede ist, würde der Nachweis, daß unter den in diesen Texten
genannten ,Dialektikern' Mitglieder der Dialektischen Schule und
nicht, wie heute allgemein angenommen, Logiker oder doch stoische
Logiker zu verstehen sind, eine wichtige zusätzliche Quelle für unsere
Kenntnis der vorstoischen Logik erschließen, selbst dann, wenn wir
diesen Sinn des Wortes nicht durchgängig, sondern nur in bestimm-
ten Fällen unterstellen dürften.
In welchem Sinn ist also diese Bezeichnung bei Cicero einerseits
und bei Sextus andererseits gebraucht? Für Cicero läßt sich diese Frage
verhältnismäßig schnell beantworten: Wenn er von dialectici redet,
meint er Logiker ganz allgemein. So werden etwa Acad. 2.143 Diodor,
Philon und Chrysipp (!) alle als dialectici bezeichnet.42 Wie aber steht
es mit Sextus Empiricus? In der Sekundärliteratur werden die bei ihm
erwähnten ,Dialektiker' allgemein für stoische Logiker gehalten, die

41
Sedley (1977), 76. - Daher ist auch die Rede von einer,Schule' der Dialektiker
in gewissem Sinne irreführend. Wenn ich im folgenden dennoch von der dialekti-
schen Schule' rede, so in erster Linie deshalb, um einen handlichen Ausdruck zur
Bezeichnung dieser Gruppe zur Verfügung zu haben. Eine Behauptung über eine
Schulorganisation und gemeinsame Überzeugungen in Analogie zu Stoa und Peri-
patos ist darin nicht impliziert.
42
Vgl. a. De pan. or. 139, Acad. 2.97. Auch Sedley (1977), 107 A r n . 23 sieht bei
Cicero diesen Sinn vorliegen. Was von Cicero gilt, scheint für die ihm folgenden
lateinischen Autoren im allgemeinen ebenso zu gelten. Aufschlußreich ist in die-
sem Zusammenhang die Mitteilung über die Töchter Diodors, die in einer griechi-
schen Version bei Clemens (Döring test. 101) und in einer lateinischen bei Hiero-
nymus (Döring test. 102) erhalten ist. Bei dem griechischen Autor Clemens wird
aus dem Zusammenhang, der Erwähnung des „Dialektikers Philon" als Quelle,
deutlich, daß die Bemerkung, alle Töchter Diodors seien διαλεκτικοί geworden, ihre
Zugehörigkeit zur Dialektischen Schule meint. Bei Hieronymus wird daraus: „Dio-
dorus Socraticus quinque filia dialecticas (...) habuisse narratur." Er hat den Sinn
dieser Charakterisierung offenbar nicht mehr verstanden.
Einleitung 27

entsprechenden Texte als Quellen für die Stoa benutzt.43 Ohne einer
detaillierten Analyse der einzelnen Texte vorgreifen zu wollen, in der
allein eine definitive Klärung dieser Frage möglich ist, lassen sich
doch auch hier schon zwei allgemeine Beobachtungen anführen, die
diese opinio communis problematisch erscheinen lassen.
Zum einen ist der substantivische Gebrauch von διαλεκτικός bzw.
διαλεκτικοί (im Unterschied zum adjektivischen Gebrauch, in dem das
Wort einfach zur Charakterisierung dessen dient, was zur Dialektik
gehört) bei Sextus, von einer Ausnahme abgesehen, auf drei relativ
kurze Textabschnitte konzentriert, die jeweils einen in sich ge-
schlossenen Gedankengang bilden: AM 8.93-126, PH 2.145-167 und
PH 2.229-259. Die Ausnahme ist ein vereinzeltes Vorkommen in
AM 10.111, übrigens im Kontext einer Auseinandersetzung mit Dio-
dor. Rein quantitativ machen die drei Textstücke in den PH 2 und in
AM 8 weniger als ein Zehntel des Textes der drei mit der Logik
befaßten Bücher im Werk des Sextus aus.
Die zweite Beobachtung ist die folgende: In den Teilen dieser drei
Textabschnitte, in denen die Dialektiker referiert werden, tritt nir-
gends der Name eines stoischen Philosophen oder eine der bei Sextus
üblichen Bezeichnungen für die Stoa auf. Dagegen werden an einer
Stelle in einem dieser Abschnitte die Positionen des Philon und des
Diodor zum Kriterium der richtigen Konditionalaussage mitgeteilt,
unter ausdrücklicher Nennung ihrer Namen (vgl. AM 8.112-117).
Beide Beobachtungen zusammengenommen stellen zumindest prima
facie ein starkes Argument gegen die Meinung dar, der Terminus
,Dialektiker' bezeichne in diesen Texten des Sextus die Logiker im
allgemeinen oder die stoischen Logiker im besonderen.
Ich werde daher, im zweiten Teil dieser Arbeit, nachzuweisen ver-
suchen, daß die drei Textabschnitte AM 8.93-126, PH 2.145-167 und
PH 2.229-259, soweit in ihnen Lehren der Dialektiker referiert wer-
den, über Theorien der Dialektischen Schule berichten. Dabei werden
zwei der hier mitgeteilten Dialektischen Theoriestücke, die Klassifi-
kation der Aussagen (AM 8.93-126) und die Einteilung der Fehl-
schlüsse (PH 2.145-167) mit den systematisch entsprechenden Leh-
ren der Stoiker verglichen, wie sie teils bei Diogenes Laertius, teils bei

43
So etwa Döring, 96 Anm. 3. So wird, um nur ein Beispiel zu geben, die Stelle
AM 8.93 ff., an der von einer Klassifikation der Aussagen bei den ,Dialektikern'
berichtet wird, von v. Arnim fast vollständig unter die logischen Fragmente der
Alten Stoa aufgenommen (S VF II fr. 205,211,216) ; sie wird von Mates (1973), 29-31
ebenso wie von Frede (1974), 49,51,53-67 ohne Umstände als Quelle der stoischen
Logik behandelt.
28 Einleitung

Sextus selber vorliegen. Dieser Vergleich soll in historischer Absicht


die Zuweisung der bei Sextus für die Dialektiker bezeugten Theorien
an die Dialektische Schule absichern, soll aber gleichzeitig den syste-
matischen Sinn der Unterschiede zwischen Dialektischer und stoi-
scher Behandlung eines Problembereichs klären helfen.
Zunächst werde ich aber, im ersten Teil dieser Abhandlung, zu
zeigen versuchen, daß die bei Sextus überlieferte und von ihm den
Stoikern zugewiesene Theorie des Zeichens (PH 2.99-106; AM
8.149-155; AM 8.244-256) den frühen Stoikern zuzuordnen ist, daß
diese Theorie aber ihren Ursprung in der Dialektischen Schule hat
und vermutlich auf Philon zurückgeht. Der dritte Teil der Arbeit gilt
dann dem Nachweis, daß die stoische Theorie des Beweises, die
Sextus in unterschiedlichen Fassungen referiert (PH 2.135-143;
AM 8.301-314; AM 8.411-423), ebenfalls Lehrgut der frühen Stoa ist,
daß aber auch in diesem Fall eine Abhängigkeit von der Dialektischen
Schule vorliegt. Darüber hinaus wird im ersten und im dritten Teil
dafür argumentiert, daß die Referate des Sextus zur stoischen Zei-
chen- und zur stoischen Beweistheorie, die in den PH vorliegen, letzt-
lich auf Kleanthes zurückgehen, daß dagegen die Berichte zu diesen
beiden Lehrstücken in AM, mit Ausnahme von AM 8.411-423, das
vermudich aus einer Schrift des Sphairos stammt, über Lehren des
Schulgründers Zenon von Kition informieren.44

44
Da von den beiden Werken des Sextus nur die PH in deutscher Übersetzung
vorliegen, AM jedoch nicht ins Deutsche übertragen ist, gebe ich im Anhang eine
Übersetzung der im Text der Arbeit diskutierten Referate des Sextus.
I. T E I L :
D E R U R S P R U N G DER STOISCHEN T H E O R I E DES Z E I C H E N S

Erstes Kapitel:
Die stoische Theorie des Zeichens
bei Sextus Empiricus

In seiner kritischen Auseinandersetzung mit den dogmatischen' Phi-


losophen stellt Sextus an mehreren Stellen seines Werkes eine er-
kenntnistheoretische Lehre dar, für die der Ausdruck /Theorie des
Zeichens' üblich geworden ist. In einem dieser Texte wird diese Theo-
rie explizit den Stoikern zugeschrieben (vgl. PH 2.104). Die Mitteilun-
gen des Sextus gelten der Angabe und Erläuterung der Definition des
Zeichens (PH 2 . 1 0 4 - 1 0 6 ; A M 8 . 2 4 4 - 2 5 6 ) sowie der Einteilung der
Zeichen in zwei Klassen (PH 2 . 9 9 - 1 0 1 ; A M 8 . 1 4 9 - 1 5 5 ) . 1

a) Die Definition des Zeichens in den PH 2.104-106

A n beiden Textstellen, die die Definition des Zeichens (σημεϊον) be-


handeln, wird, sieht m a n von einem kleinen terminologischen Unter-

1 Bei der Diskussion der stoischen Theorie des Zeichens beschränke ich mich

im folgenden auf das bei Sextus Empiricus sowie bei Pseudo-Galen erhaltene
Material, lasse also die vermutlich ebenfalls stoische Zeichentheorie, die bei Philo-
dem, De signis kritisiert wird, außer acht. Dazu vgl. jetzt Burnyeat (1982a), Sedley
(1982) sowie J. Barnes und A. A. Long in Oxford Studies, Suppl. Vol. 1988 (91-134;
135-144). Was die bei Sextus überlieferte stoische Lehre angeht, so hält Sedley
(a.a.O., 256) es immerhin für möglich, daß diese Theorie „an early Stoic account of
signs" darstellt, im Unterschied zu der bei Philodem vorausgesetzten Lehre, die
späteren Stoikern gehört. Zur stoischen Theorie des Zeichens bei Sextus ist neben
den beiden erwähnten Aufsätzen von Burnyeat und Sedley noch Verbeke (1978)
sowie Glidden (1983) heranzuziehen. Aus der älteren Literatur ist einschlägig
Philippson (1881), 57-70, Weltring (1910), 28-45 sowie Preti (1956). Das Fortwirken
der stoischen Zeichenlehre bei Augustinus untersucht Baratin (1981): Augustinus
scheint der erste zu sein, der den Begriff des Zeichens auf Worte anwendet (a.a.O.,
266).
30 Die stoische Theorie des Zeichens bei Sextus Empiricus

schied ab, eine gleichlautende Formulierung für diese Definition be-


nutzt. In den PH wird sie wie folgt eingeführt:
Das Zeichen ist nun nach dem, was von den Dogmatikern darüber gesagt wird,
undenkbar. Die Stoiker beispielsweise, die, da sie den Begriff des Zeichens
festsetzen wollen, es streng definiert zu haben scheinen, erklären, daß ein Zei-
chen ,eine Aussage ist, die das Prä-Antecedens in einer richtigen Konditionalaus-
sage bildet und die das Succedens aufdeckt'. PH 2.104
Der erwähnte Unterschied zu der in AM auftretenden Definitionsfor-
mulierung besteht darin, daß der griechische Ausdruck, den ich mit
,Prä-Antecedens' übersetzt habe, dort καύηγούμενον lautet (vgl. AM
8.245); in den PH steht προκαθηγούμενον.
Da dies der einzige Text ist, in dem die Theorie des Zeichens den
Stoikern ausdrücklich zugeschrieben wird, sollten wir beachten, wie
Sextus sie hier mit dieser Theorie in Verbindung bringt. Die Stoiker
werden hier nämlich als ein stellvertretendes Beispiel angeführt; das
ist der Sinn des griechischen αύτίκα am Anfang des zweiten Satzes.2
Die Stoiker werden hier also als Vertreter einer größeren Gruppe von,
es versteht sich, dogmatischen Philosophen vorgestellt, die sich alle
mit dem Zeichen befaßt haben.
Nun erfahren wir in AM 8.177, daß die Epikureer ebenfalls mit
Ansichten über das Zeichen hervorgetreten sind: Sie haben die Mei-
nungvertreten, daß ein Zeichen etwas Wahrnehmbares (αίσθητόν) sei,
im Gegensatz zu den stoischen Philosophen, die es für etwas Denk-
bares (νοητόν) halten. Sollen die Stoiker hier also eine Gruppe reprä-
sentieren, die aus ihnen und (u. a.) den Epikureern besteht? Das läßt
sich nicht mit Sicherheit ausschließen, aber es dürfte doch einigerma-
ßen unwahrscheinlich sein. Denn das erklärte Argumentationsziel
der polemischen Kritik des Sextus in dem Abschnitt PH 2.107-123 ist
der Nachweis, daß das Zeichen „undenkbar" (άνεπινόητον) ist (vgl.
2.104,118,123). Das aber macht in erster Linie einen Angriff auf eine
Position interessant, die das Zeichen für etwas Denkbares hält. Das
war aber, wie gesagt, die Ansicht der Stoiker im Unterschied zu der der
Epikureer.3
Obendrein spricht gegen diese Annahme ganz allgemein der Um-
stand, daß Sextus damit die Stoiker zu Vertretern einer Gruppe ge-

2
Vgl. LSJ s. ν. αύτίκα II. Weitere Belege für diesen Gebrauch bei Sextus selbst: AM
8.70, 8.251, 9.30. PH 2.159.
3
Man beachte, daß in dem Abschnitt AM 8.177-243, der eine Kritik an den
epikureischen Ansichten zum Zeichen enthält, der Ausdruck άνεπινόητον nirgends
gebraucht wird. Zwar werden die Epikureer einmal im Kontext unserer Stelle
erwähnt (PH 2.107), aber lediglich als Gegner des stoischen λεκτόν, nicht aber als
Vertreter einer Theorie des Zeichens.
Die Definition des Zeichens in den PH 2.104-106 31

macht hätte, die auch ihre größten Rivalen unter den dogmatischen
Philosophen mit einschließt. Für eine solche Gruppe würde man doch
eher eine gewisse Homogenität erwarten. Es scheint also nicht eben
plausibel, daß Sextus, wenn er die Stoiker als Repräsentanten einer
größeren Gruppe einführt, hierbei auch die Epikureer vor Augen hat.
Eher, so scheint es, könnte Sextus an Philosophen des Peripatos
denken. Die Peripatetiker erkannten, jedenfalls nach Meinung des
Sextus (vgl. AM 7.217), sowohl intelligible als auch wahrnehmbare
Dinge an. Aristoteles widmet ein Kapitel seiner Ersten Analytiken (II
27) einer Diskussion des Zeichens. Theophrast hat, wie das Ver-
zeichnis seiner Schriften bei Diogenes Laertius (5.45) ausweist, eine
Abhandlung Über Zeichen geschrieben. Dennoch spricht einiges
auch gegen eine Aufnahme peripatetischer Philosophen in die hier
von den Stoikern repräsentierte Gruppe. Die eher kursorische Be-
handlung des Zeichens im Schlußkapitel (II 27) der Ersten Analytiken
zeigt, daß das Thema des Zeichens für die aristotelische Erkenntnis-
theorie von untergeordneter Bedeutung war; es interessiert Aristoteles
als ein Fall der Anwendung seiner syllogistischen Theorie, nicht in
eigenem Recht.
Was Theophrast angeht, so spielt er bei Sextus eine auffallend
unbedeutende Rolle. Sein Name kommt in den erhaltenen Schriften
des Sextus überhaupt nur dreimal vor, und nur ein einziges Mal wird
Theophrast dabei einer von ihm vertretenen Lehrmeinung wegen
erwähnt, nämlich in AM 7.218. (An der Stelle AM 7.217 bezieht sich
Sextus auf „die Schule des Aristoteles und Theophrast und die Peripa-
tetiker im allgemeinen"; in AM 1.258 schließlich wird Theophrast als
Lehrer eines Enkels des Aristoteles erwähnt.) Beide Umstände - das
geringe Interesse des Aristoteles an einer Theorie des Zeichens und
das geringe Interesse des Sextus an Theophrast - machen es zweifel-
haft, daß Sextus, wenn er als Repräsentanten einer Gruppe von dog-
matischen Philosophen, die eine Theorie des Zeichens vertreten ha-
ben, die Stoiker anführt, dabei auch an Philosophen des Peripatos als
weitere Mitglieder dieser Gruppe gedacht hat.
Zwar reichen die angeführten Überlegungen nicht aus, um die
Peripatetiker hier mit demselben Grad an Wahrscheinlichkeit auszu-
schließen wie die Epikureer. Es könnte immer noch sein, daß Philoso-
phen des Peripatos zu der Gruppe dogmatischer Philosophen gehören,
als deren Repräsentanten Sextus die Stoiker in den PH 2.104 ausge-
wählt hat. Aber selbst in diesem Fall tun wir gut daran, mit der
Möglichkeit zu rechnen, daß es darüber hinaus noch weitere Philoso-
phen gegeben hat, die eine der hier dargestellten stoischen ähnliche
Theorie des Zeichens vertreten haben.
32 Die stoische Theorie des Zeichens bei Sextus Empiricus

Was nun die von Sextus referierte Definition des Zeichens selber
angeht, so wird sie dem modernen Leser sicher einigermaßen merk-
würdig vorkommen: Wir können mit der Erklärung, ein Zeichen sei
ein Antecedens in einer Konditionalaussage bestimmten Typs, zu-
nächst einmal recht wenig anfangen. Unter einem Zeichen würden
wir bestimmte Dinge oder Vorgänge wie die Spur eines Tieres, ein
Verkehrszeichen oder eine Handbewegung verstehen, nicht aber Aus-
sagen über derartige Dinge oder Vorgänge.
Wenn man verstehen will, welchen Grund die von Sextus referier-
ten Philosophen für ihre merkwürdige Definition des Zeichens gehabt
haben könnten, dann macht man sich zweckmäßigerweise zunächst
eine Schwierigkeit klar, die dem eben charakterisierten, uns geläufi-
gen Verständnis eines Zeichens notwendig anhängt. Wir können da-
bei von einer Bemerkung des Sextus ausgehen, der nämlich diese uns
geläufige Auffassung dessen, was ein Zeichen ist, durchaus kennt.
Sextus spricht an einer Stelle (AM 8.204) davon, daß „eine Rötung und
Schwellung der Gefäße und Durst" Zeichen für Krankheiten sind,
weist aber sofort auch auf eine Schwierigkeit hin, die diese Gleich-
setzung von körperlichen Vorgängen mit Krankheitssymptomen im-
pliziert: Häufig ist nämlich nur der Arzt in der Lage, die jeweilige
Krankheit aus den körperlichen Symptomen zu diagnostizieren, aus
Symptomen, „die jemand, der keine Unterweisung erhalten hat, nicht
als Zeichen erkennt" (AM 8.204).4
Damit etwas ein Zeichen ist, muß es als Zeichen erkannt werden.
Daher scheint es auch irreführend zu sagen, der medizinische Laie
habe die Zeichen einer Krankheit wahrgenommen, wenn er zwar die
entsprechenden körperlichen Vorgänge beobachtet hat, aber gar nicht
in der Lage war, in diesen Vorgängen die Symptome einer Krankheit
zu erkennen. Das Problematische einer unmittelbaren Gleichsetzung
etwa eines körperlichen Vorgangs mit dem Zeichen für eine Krank-
heit liegt eben darin, daß damit die Interpretationsleistung ausgeblen-
det wird, die aus einem körperlichen Vorgang oder aus einem Ding
erst ein Zeichen macht.5

4
Die Folgerung, die Sextus aus dieser Beobachtung ziehen will („Das Zeichen ist
daher nicht wahrnehmbar" AM 8.205), ist ein schönes Beispiel für seine gelegent-
lich unsachliche Polemik: Zwar geht ein Zeichen nicht darin auf, ein Wahrneh-
mungsgegenstand zu sein, aber damit verliert es nicht den Charakter der Wahr-
nehmbarkeit.
5
Daß die Interpretationsleistung, die ein Phänomen erst zum Zeichen macht,
auch in modernen philosophischen Theorien des Zeichens nicht immer ausrei-
chend berücksichtigt wird, zeigt sich etwa in den Bemerkungen E. Husserls, Logi-
sche Untersuchungen, Bd. II, i, (Halle 1901, 21913), 24 f. - Anders dagegen die
Die Definition des Zeichens in den PH 2.104-106 33

Der Ausdruck ,Zeichen' hat, wie eine Reihe anderer Wörter (ζ. B.
Werkzeug', /Material',,Prämisse'), die Aufgabe, eine bestimmte Funk-
tion dessen anzuzeigen, von dem er prädiziert wird.,Zeichen' kann
(ebenso wie,Werkzeug',,Material' oder,Prämisse') sinnvoll eingesetzt
werden in den Prädikatsausdruck ,gebraucht werden als ...'. Dieser
funktionsanzeigende oder funktionale Charakter des Begriffs Zei-
chen ist der Grund dafür, daß ein und derselbe Gegenstand für die
eine Person ein Zeichen sein kann, für eine andere dagegen nicht.
Darum kann auch etwa entdeckt werden, daß ein bereits bekanntes
Phänomen ein Zeichen für etwas ist. Funktionen können entdeckt
werden.
Obwohl dieser funktionale Charakter, in dem die Unmöglichkeit
einer Gleichsetzung von Zeichen mit körperlichen Dingen oder Vor-
gängen ihren Grund hat, ein wesentliches Merkmal aller Zeichen ist,
so wird er doch leicht übersehen, und dies insbesondere bei künstli-
chen (auf Konvention beruhenden) Zeichen, d. h. Dingen oder Vor-
gängen, die Zeichen sein sollen und zu diesem Zweck gemacht oder
ausgeführt werden. Ihr Gebrauch ist normalerweise auf Situationen
beschränkt, in denen der aktive und der passive Benutzer (ζ. B. Spre-
cher und Hörer, Autor und Leser) über eine gemeinsame Kenntnis der
benutzten Zeichen verfügen. Bei künstlichen Zeichen ist überdies fast
immer klar, daß es Zeichen sind. Der Gebrauch künstlicher Zeichen
stärkt daher die Tendenz, Zeichen gleichzusetzen mit jenen Dingen
und Vorgängen, die durch interpretierende Deutung erst ihren Cha-
rakter als Zeichen erhalten.
Mir scheint nun, daß die uns zunächst so merkwürdig vorkom-
mende Definition des Zeichens, die Sextus den Stoikern zuschreibt,
ihren Grund darin hat, daß mit dieser Definition der Versuch gemacht
ist, dem funktionalen Charakter des Zeichens Rechnung zu tragen
und damit der Tendenz einer Gleichsetzung von Zeichen mit körper-
lichen Dingen und Vorgängen entgegenzuwirken. Indem die von
Sextus referierten Philosophen das Zeichen als Antecedens einer Kon-
ditionalaussage an das Succedens dieser Aussage binden, haben sie
den Umstand, daß ein Zeichen ein interpretiertes Phänomen ist, zu
einer notwendigen Bedingung der Anwendung dieses Begriffs ge-
macht.6

pragmatischen Zeichentheorien von Peirce und Morris. Vgl. Ch. S. Peirce, Collected
Papers Bd. II (ed. Hartshorne/Weiss, 1931), 134,156 sowie Ch. W. Morris, Founda-
tions of the Theory of Signs (Chicago 1951), 5 f., 29 ff.
6
Mit dieser Erläuterung soll nicht bestritten werden, daß die Auffassung des
Zeichens als Antecedens einer Konditionalaussage schwerwiegende Mängel hat,
34 Die stoische Theorie des Zeichens bei Sextus Empiricus

Kommen wir zurück zum Text des Sextus. Nach dem Zitat der
stoischen Definition des Zeichens gibt Sextus Erläuterungen zu vier
Begriffen, die in dieser Definition eine Rolle spielen: Aussage (αξίωμα),
richtige Konditionalaussage (ύγιές συνημμένον), Prä-Antecedens (προ-
καΟηγούμενον) und ,das Succedens aufdeckend' (έκκαλυπτικον τοΰ λήγον-
τος) (vgl. PH 2.104-106). Es sind diese Erläuterungen, die den Text für
unsere Fragestellung nun in erster Linie interessant machen. Die Ab-
sicht des Sextus Empiricus bei der Mitteilung dieser Erläuterungen ist
es nun jedoch nicht, den Lesern zu einem besseren Verständnis der
zitierten Definition zu verhelfen, sondern sich selbst eine Grundlage
für seine skeptische Kritik am Begriff des Zeichens zu verschaffen.
Alle vier Begriffserklärungen werden im folgenden der Reihe nach als
Ausgangspunkte der kritischen Attacken des Sextus benutzt (Aus-
sage: PH 2.107-109; richtige Konditionalaussage: 110-115; Prä-Ante-
cedens: 115-116; das Succedens aufdeckend: 117-118). Wir sollten
daher diese vier Erläuterungen vor dem polemischen Hintergrund der
Strategie des Sextus insgesamt lesen.
Als erstes erklärt Sextus, was die Vertreter der zitierten Definition
unter einer Aussage verstehen: „ein λεκτόν, das in sich selbst vollstän-
dig ist und das, soweit es an ihm liegt, ausgesagt werden kann" (PH
2.104). Der genaue Sinn dieser Definition und der in ihr vorkommen-
den Termini muß uns hier nicht interessieren.7 Aber zwei Bemerkun-
gen zu dieser Definition sind zum Verständnis ihres Auftretens an
dieser Stelle hilfreich. Die erste betrifft ihre Herkunft: Diogenes Laer-
tius, der sie (mit geringen Abweichungen) ebenfalls anführt (7.65),
schreibt sie ausdrücklich dem Chrysipp zu. Und Aulus Gellius zitiert
sie in einer wortgleichen Fassung, für die er sich übrigens weigert, eine
lateinische Übersetzung zu geben, offenbar als eine Art Standarddefi-
nition von αξίωμα ( N o c t . Att. XVI, viii, 4). Das weist ebenfalls auf
Chrysipp zurück, denn zur Zeit des Aulus Gellius war die stoische
Logik identisch mit der Logik des Chrysipp und seiner Nachfolger.
Die zweite Bemerkung bezieht sich auf die Parallelstelle in AM
8.245-256: Dort kommt diese Definition der Aussage nicht vor, und
ihr Fehlen an jener Stelle ist deshalb bemerkenswert, weil alle anderen
Worterklärungen, die Sextus an unserer Stelle gibt, dort eine Parallele
haben. Es scheint daher, daß Sextus, der uns in den PH 2.104 gerade

insbesondere den, daß mit dieser Deutung die Unterscheidung von Antecedens
(einer Konditionalaussage) und Prämisse (eines Schlusses) verwischt wird. Es geht
hiermit nur darum, das Problem klarzumachen, für das diese Definition eine (wenn
auch unzulängliche) Antwort sein könnte.
7 Vgl. dazu Frede (1974), 32-37 und Bobzien (1986), 12 f., 20 f.
Die Definition des Zeichens in den PH 2.104-106 35

eine, in seinen Augen uneingeschränkt stoische Definition des Zei-


chens mitgeteilt hat, sich möglicherweise erlaubt hat, anderes stoi-
sches Material zur Erklärung beizuziehen, auch wenn davon in seiner
Quelle vielleicht nichts zu finden war. Ein Motiv dafür hat er allemal:
Da die angeführte Definition der Aussage diese als λεκτόν klassifiziert,
kann Sextus alle seine Standardargumente gegen das stoische λεκτόν
auch gegen das Zeichen anführen, und genau das tut er in der nachfol-
genden kritischen Diskussion (vgl. PH 2.107-108).
Als nächstes erläutert Sextus den Ausdruck,richtige Konditional-
aussage' (ύγιές συνημμένον). Die Erklärung, die er dafür gibt, ist auf die
wahrheitsfunktionale Deutung des Konditionals gegründet, wie sie
von dem Dialektiker Philon vertreten wurde. Eine richtige Konditio-
nalaussage ist die, „die nicht mit etwas Wahrem beginnt und mit
Falschem endet" (το μή άρχόμενον άπό άληθοϋς και λήγον έπι ψεϋδος
2.104). Zur Begründung werden die vier möglichen Wahrheitswert-
kombinationen in der Reihenfolge WW, FF, WF, FW durch je ein
Beispiel illustriert, und es wird festgehalten, daß sich nur für den Fall
der Kombination eines wahren Antecedens mit einem falschen Succe-
dens eine unrichtige (μοχθηρός) Konditionalaussage ergibt (PH 2.105).
Die hier benutzte Erklärung der richtigen Konditionalaussage wird
nur wenig später im Text wortwörtlich dem Philon zugeschrieben (vgl.
PH 2.110). Sie wird Philon ebenfalls in AM 8.113-114 beigelegt, eine
Textstelle, an der sich überdies genau dieselben Beispiele für alle Fälle,
die den Wahrheitswert wahr ergeben (WW, FF, FW), verwendet finden
wie an unserer Stelle. Nun hat zwar, wie wir aus Diogenes Laertius
(7.16) wissen, Zenon von Kition, der Begründer der Stoa, bei Philon
Logik studiert, aber Philon selber war kein Stoiker, sondern ein Dia-
lektiker. Warum also bringt Sextus, der hier schließlich eine den
Stoikern zugeschriebene Definition des Zeichens erläutern will, an
dieser Stelle das philonische Kriterium der richtigen Konditionalaus-
sage in seine Darstellung ein? Warum greift er nicht auf das Kriterium
des Zusammenhangs (συνάρτησις) zurück, das ebenfalls nur wenig
später im Text erwähnt wird (vgl. PH 2.111) und das, nach allem, was
wir wissen, das von Chrysipp zugrunde gelegte Kriterium war (vgl.
DL 7.73) ? Schließlich hat er doch auch gerade eine Definition der Aus-
sage benutzt, die dem Chrysipp zu gehören scheint.
Eine Antwort auf diese Frage finden wir, wenn wir zu dem dritten
von Sextus erläuterten Ausdruck kommen: Prä-Antecedens (προκαϋη-
γούμενον). Dieses Wort dürfte für griechische Ohren ähnlich unge-
wöhnlich geklungen haben wir der Ausdruck, den ich als Überset-
zung gewählt habe, für uns. Als terminus technicus der Logik kommt
προκαθηγοΰμενον nur bei Sextus vor, und bei Sextus wird dieses Wort
36 Die stoische Theorie des Zeichens bei Sextus Empiricus

nur in der Definition des Zeichens an unserer Stelle und den darauf
bezüglichen Erläuterungen (PH 2.106 und 115) sowie in der Defini-
tion des Zeichens PH 2.101 benutzt, eine Definition, die sich von der
in den PH 2.104 nur durch die Zufügung von ένδεικτικόν zu αξίωμα
unterscheidet.8 Der Terminus προκαθηγούμενον scheint also ganz ein-
deutig an diese Definition des Zeichens gebunden zu sein. Dieser
Begriff wird nun bei Sextus umschrieben als „das Antecedens (ήγούμε-
vov) in einer Konditionalaussage, die mit Wahrem beginnt und mit
Wahrem endet" (PH 2.106). Es liegt auf der Hand, daß diese Erklärung
die philonische, wahrheitsfunktionale Interpretation des Konditio-
nals voraussetzt. In der Tat stimmt der Wortlaut der Erklärung, soweit
sie auf die Konditionalaussage Bezug nimmt, genau mit der Beschrei-
bung des WW-Falles in der voraufgehenden Darstellung der Wahr-
heitsbedingungen des Konditionals überein.
Damit haben wir nun eine Erklärung dafür, warum Sextus bei seiner
Erläuterung der richtigen Konditionalaussage die philonische Deu-
tung der Implikation benutzt. Er kann gar nicht anders. Nur die
wahrheitsfunktionale Deutung der Implikation paßt zu dem, was
Sextus zu dem Ausdruck προκαΟηγούμενον in seiner Quelle gefunden
hat.
Zugleich gibt uns das einen wichtigen Hinweis auf die Art der von
Sextus benutzten Quelle. Die bloße Tatsache, daß Sextus den Stoikern
in diesem Text die philonische Deutung der Konditionalaussage zu-
schreibt, ist für sich genommen nicht ausreichend, um die Folgerung
zu rechtfertigen, die hier referierte Theorie gehöre den frühen Stoi-
kern. Denn Sextus hat im selben Kontext auch von einer Definition
der Aussage Gebrauch gemacht, die offenbar von Chrysipp stammt.
Diese beiden Befunde würden uns daher zusammen nur zu einer
skeptischen Unentschiedenheit zwischen gleich starken Argumenten
führen. Der Umstand jedoch, daß die Erklärung des Ausdrucks προ-
καϋηγούμενον, der ausschließlich im Zusammenhang der hier behan-
delten Definition des Zeichens auftritt, nur mit der philonischen

8
Diese letztere Definition scheint eine in den Text eingedrungene Glosse zu
sein; so Burnyeat (1982a), 216 Anm. 57 im Anschluß an Natorp (1884), 142-144,
Heintz (1932), 46-51 und J. Mau in der überarbeiteten Teubnerausgabe (Leipzig
1958). - Das Auftreten des Ausdrucks προκαΟηγοΰμενον im Text von Pseudo-Galen,
Hist, philos. 605,11 Diels, Dox. Gl. ist keine Gegeninstanz zu der oben gemachten
Behauptung: das Vorkommen dieses Terminus an dieser Stelle ist, worauf Burnyeat
(1982a), 222 Anm. 70 aufmerksam macht, auf eine Konjektur zurückzuführen,· die
Hss. haben και ήγουμενον, und dafür scheint Burnyeats Vorschlag καΟηγοΰμενον eine
einleuchtendere Verbesserung, weil er die Anzahl der Buchstaben nicht vermehrt.
Die Definition des Zeichens in den PH 2.104-106 37

Deutung der Konditionalaussage zusammenpaßt, spricht eindeutig


für eine vorchrysippeische Herkunft der Theorie des Zeichens, die
Sextus hier referiert.9

9 Ein möglicher Einwand gegen die Zuweisung dieser Theorie an die vorchrysip-

peische Stoa könnte noch in dem Umstand gesehen werden, daß Chrysipp neben
seinem Kriterium (der συνάρτησις) für die Wahrheit der Konditionalaussage auch
das wahrheitsfunktionale philonische Kriterium zuzulassen scheint; nach dem
Zeugnis Ciceros (Defato 15) schlage Chrysipp vor, die„Chaldäer", d. h. die Wahrsa-
ger, sollten an Stelle der Konditionalaussage „Wenn jemand bei Aufgang des Sirius
geboren ist, so wird er nicht auf See sterben" eine verneinte Konjunktion gebrau-
chen, nämlich „Nicht beides: Jemand ist bei Aufgang des Sirius geboren und er wird
auf See sterben." Aus dieser Bemerkung Ciceros eine Folgerung der Art zu ziehen,
daß Chrysipp ganz allgemein oder für den Fall des Zeichens auch das wahrheits-
funktionale Kriterium Philons zulasse, scheint mir jedoch aus folgenden Gründen
nicht möglich: (1) der Kontext der Stelle in De fato zeigt, daß Cicero hier eine
Auskunft Chrysipps referiert, die in seinen (Ciceros) Augen ein Notbehelf für einen
Sonderfall ist; (2) Daß Chrysipp in der von Cicero benutzten Quelle nicht von
einem Kriterium Gebrauch machen will, das eine allgemeine Deutung der Kondi-
tionalaussage, in Konkurrenz zu dem chrysippeischen Kriterium der συνάρτησις,
geben will, daß er insbesondere nicht eine Deutung geben will, die auch auf den Fall
des Zeichens anwendbar wäre, das zeigt der Fortgang der Argumentation Ciceros.
Cicero hält Chrysipp nämlich entgegen, daß dann doch auch Konditionalaussagen
in Medizin und Geometrie in diese Form zu bringen wären - eine Konsequenz, die
Chrysipp offenbar nach der Meinung Ciceros nicht wollen kann. Das erste, medizi-
nische Beispiel lautet: „Wenn jemandes Adern so und so schlagen, dann hat er
Fieber", und das Antecedens dieser Aussage wäre wohl auch ein Zeichen im Sinne
der bei Sextus referierten Theorie. (Übrigens wird im Florilegium von Mates (1973),
124 durch die Weglassung eines Textstückes der Sinn dieses und des folgenden
Beispiels innerhalb der ciceronianischen Argumentation verunklärt.) - Warum
aber will Chrysipp diese Konditionalaussagen der Wahrsager in der angegebenen
Art und Weise umformulieren? Wie mir scheint, aus folgendem Grunde: Als
Stoiker (die Stoa hält die Mantik für eine Wissenschaft) kann er die Wahrheit
solcher Aussagen nicht generell bestreiten. Sie stellen aber in ihrer konditionalen
Formulierung für Chrysipp eine Schwierigkeit dar, weil bei ihnen ein Widerstreit
(μάχη) zwischen dem kontradiktorischen Gegenteil des Succedens und dem Ante-
cedens gar nicht einsichtig ist, im Unterschied zu Folgeverhältnissen auf Grund
logischer bzw. semantischer Beziehungen oder empirischer Gesetze (Fredes Rede
von „empirischem Gesetz" mit Bezug auf das Sirius-Beispiel - in Frede [1974], 88 -
scheint mir zumindest irreführend). Dieser Widerstreit ist aber gerade das Merkmal
des chrysippeischen Kriteriums der συνάρτησις (vgl. DL 7.73; PH 2.111). Ihm scheint
das Sirius-Beispiel ebensowenig zu genügen wie die Aussage „Wenn es Tag ist, geht
Dion spazieren", die bei DL 7.73 ausdrücklich als durch das Kriterium des Wider-
streits von verneintem Succedens und Antecedens nicht abgedeckt erwähnt wird.
Chrysipps Vorschlag scheint also darauf hinauszulaufen, daß für die Fälle solcher
,Folgebeziehungen' an die Stelle der Feststellung des Widerstreits von Antecedens
und verneintem Succedens die schwächere Feststellung der faktischen Falschheit
der Konjunktion dieser beiden Aussagen treten soll. Ein mögliches und durchaus
plausibles Motiv für dieses Vorgehen Chrysipps erörtern Bumyeat (1982b) und
Sedley (1984) mit Blick auf das Sorites-Argument.
38 Die stoische Theorie des Zeichens bei Sextus Empiricus

Kommen wir zum vierten und letzten Ausdruck, den Sextus erläu-
tert: das Succedens aufdeckend (έκκαλυπτικον τοΰ λήγοντος PH 2.106).
Hier gibt uns Sextus nicht, wie in den voraufgehenden Fällen, eine als
Zitat angeführte Umschreibung, sondern lediglich eine Erklärung
anhand eines Beispiels. In der Konditionalaussage „Wenn diese Frau
Milch hat, dann hat sie empfangen" kann man von dem (wahren)
Antecedens sagen, daß es das Succedens aufdeckt, weil es das Succe-
dens offenbar zu machen scheint; der griechische Terminus ist δηλωτι-
κόν. Man versteht besser, warum Sextus (oder auch seine Quelle) den
Gebrauch des Ausdrucks δηλωτικόν an Stelle von έκκαλυπτικον für
erhellend hält, wenn man das hier erläuterte Definitionsmerkmal mit
einer fundamentalen Unterscheidung jener Erkenntnistheorie in Ver-
bindung bringt, die Sextus den Dogmatikern zuschreibt; ich meine die
Unterscheidung zwischen den offenkundigen (πρόδηλα) und den
nicht-offenkundigen Dingen (άδηλα vgl. PH 2.97-99). In der von
Sextus benutzten stoischen Terminologie wird die erkenntnistheoreti-
sche Funktion der Zeichen auch so dargestellt: Zeichen verschaffen
uns eine Erkenntnis (κατάληψις) jener Dinge, die nicht, wie die offen-
kundigen, von sich aus erkannt werden können, noch auch, wie die
gänzlich nicht-offenkundigen, von der Erkenntnis ein für allemal
ausgeschlossen sind (vgl. PH 2.99). Mit Zeichen schlagen wir sozusa-
gen Brücken vom Bereich des Offenkundigen zu dem des Nicht-
Offenkundigen. Diese Funktion der Zeichen kommt in dem hier
erläuterten Definitionsmerkmal zum Ausdruck, und es ist verständ-
lich, daß Sextus (oder seine Quelle) zur Erläuterung einen Ausdruck
wählt, der schon von seiner Wortgestalt her die Verbindung zu dieser
erkenntnistheoretischen Aufgabe der Zeichen sichtbar macht.

b) Die Definition des Zeichens in AM 8.244-256

Wir finden, was die Definition des Zeichens angeht, in AM im wesent-


lichen dieselbe Lehre wie in den PH. Der Wortlaut der beiden Defini-
tionsformeln unterscheidet sich, wie oben (S. 30) gesagt, nur darin,
daß in AM statt προκαθηγοΰμενον der Ausdruck καϋηγούμενον verwen-
det wird (vgl. AM 8.245). Gerade wegen der weitgehenden Überein-
stimmung im Inhalt der Darstellung fallen die Unterschiede in der Art
der Darstellung umso mehr in die Augen. Ein Vergleich unter diesem
Gesichtspunkt bestätigt die schon von anderen Autoren gemachte
Beobachtung, daß Sextus sich für seine Referate stoischer Lehren in
Die Definition des Zeichens in AM 8.244-256 39

AM auf schlechtere Quellen stützt als für seine Mitteilung stoischer


Theorien in den PH.10
Dinge, die in den Erläuterungen zu dieser Definition in den PH
knapp und klar dargelegt sind, werden hier umständlich und unsyste-
matisch auseinandergesetzt. So braucht die Darstellung der PH bei-
spielsweise für die Erklärung der richtigen Konditionalaussage 11
Zeilen in der Ausgabe von Mutschmann/Mau, AM benötigt dafür 19
Zeilen. Während wir in den PH zuerst eine präzise Formulierung des
Kriteriums der richtigen Konditionalaussage erhalten („eine richtige
Konditionalaussage ist die, welche nicht mit Wahrem beginnt und mit
Falschem endet" PH 2.104), gibt AM uns zunächst einmal eine Liste
der vier möglichen Kombinationen von Wahrheitswerten, von denen
jede durch ein Beispiel illustriert wird, dann werden die vier mögli-
chen Wahrheitswertkombinationen noch einmal aufgezählt und erst
danach - wir haben inzwischen 13 Zeilen des Textes hinter uns
gebracht - wird dem Leser mitgeteilt, daß die ersten drei dieser Kom-
binationen, die dann in den folgenden Zeilen abermals aufgelistet
werden, die Konditionalaussage wahr (άληϋής) machen und daß die
WF-Kombination diese Aussage falsch (ψεϋδος) macht (AM 8.245-
247). Während wir also in den PH eine knappe allgemeine Charakteri-
sierung der richtigen Konditionalaussage finden, liefert uns AM nur
eine Liste. Man beachte überdies, daß die Darstellung in AM ,wahr'
und,richtig' (und entsprechend,falsch' und,unrichtig') promiscue für
die Konditionalaussage gebraucht, während die PH konsequent die
Termini,richtig'/,unrichtig' für die zusammengesetzte Aussage, die
Ausdrücke,wahr'/,falsch' dagegen für deren Teilaussagen reservieren.
Die Feststellung, daß das Zeichen ein wahres Antecedens in einer
richtigen Konditionalaussage sein muß, wird in den PH mit einer
knappen Definition eines terminus technicus (προκαΟηγούμενον) in
drei Zeilen erledigt (vgl. PH 2.106). In AM wird eine entsprechende
Feststellung erst nach einer Darlegung von ermüdender Umständlich-
keit (19 Zeilen) erreicht (vgl. AM 8.248-250). Obendrein ist dabei
bemerkenswert, daß der Autor der Quelle, die Sextus hier ausschreibt,
es nicht nur unterläßt, den Ausdruck καύηγούμενον so zu definieren,
daß er das wahre Antecedens in einer richtigen Konditionalaussage
bezeichnet, sondern ihn im Gegenteil am Ende seiner Darlegungen
sogar so benutzt, als ob er mit dem Ausdruck,Antecedens' (ήγούμενον)
gleichbedeutend wäre. Er resümiert dort seine Erklärung wie folgt:

10
Vgl. hierzu die treffenden Beobachtungen in Brunschwig (1980), 127 f., 134 f.
sowie Long (1978), 299.
40 Die stoische Theorie des Zeichens bei Sextus Empiricus

Wenn also gesagt wird, das Zeichen sei eine Aussage, die das καΟηγούμενον in
einer richtigen Konditionalaussage bildet, so ist darunter einzig das καθηγούμενον
in einer Konditionalaussage zu verstehen, die mit Wahrem beginnt und mit
Wahrem endet. AM 8.250
Offenbar soll in der Erläuterung des Nachsatzes eine Spezifikation
vorgenommen werden, durch die der Sinn von καθηγούμενον im Vor-
dersatz erklärt wird; das heißt aber, daß der Ausdruck καθηγούμενον
bei seinem zweiten Auftreten als Genus gebraucht wird, an dem diese
Spezifikation vorgenommen wird. Hier müßte also eigentlich ήγούμε-
vov stehen11, jedenfalls dann, wenn man unterstellt, daß καθηγούμενον
in der Definition einen technischen Sinn hat, nämlich den, das wahre
Antecedens in einer richtigen Konditionalaussage zu bezeichnen.
Daß der Ausdruck καθηγούμενον in der Definition des Zeichens aber
tatsächlich denselben technischen Sinn haben soll wie der Ausdruck
προκαθηγούμενον in der parallelen Definition in den PH, geht schon
daraus hervor, daß die definitorische Formel sonst ein wichtiges Defi-
nitionsmerkmal, die Wahrheit des Antecedens, nicht festgelegt hätte.
Es hat paradoxerweise den Anschein, daß der Erklärer, den Sextus hier
referiert, nicht wirklich auf der Höhe dessen ist, was er erklären will.12
Die Erläuterung der letzten Klausel in der referierten Definition,
nämlich der Bestimmung, daß das Zeichen ,das Succedens aufdek-
kend' sein muß, nimmt in AM zwanzig Zeilen in Anspruch (AM
8.250-253); in den PH reichten dafür vier Zeilen aus. Auch hier ist
wieder eine Ungeschicklichkeit in der Darstellung der logischen Ver-
hältnisse zu beobachten. Nachdem nämlich der hier von Sextus refe-
rierte Erklärer erläutert hat, daß die bisher behandelten Definitionsbe-
stimmungen nicht ausreichen, weil sie auch etwa Fälle wie „Wenn es
Tag ist, ist es hell" als Verbindung eines Zeichens mit einem Bezeich-
neten zulassen würden, Fälle also, in denen der Sachverhalt im Ante-
cedens und der im Succedens von gleicher Evidenz sind, resümiert er
wie folgt:

11
Diesen Terminus gebraucht die Erläuterung in den PH 2.106 als Genus; daß
ihn auch der Erklärer kennt, den Sextus in AM ausschreibt, zeigt sich etwa in AM
8.251, 252.
12
Was oben (S. 35f.) hinsichtlich des Ausdrucks προκαθηγούμενον bemerkt wor-
den ist, daß er nämlich an die Definition des Zeichens, in der er auftritt, gebunden
zu sein scheint, gilt auch für καθηγούμενον,· der Index von Janacek weist aus, worauf
Burnyeat (1982a), 221 aufmerksam gemacht hat, daß dieser Terminus bei Sextus
ausschließlich dann vorkommt, wenn die Definition des Zeichens aus AM 8.245
referiert oder wenn auf sie Bezug genommen wird (AM 8.248, 250, 256, 265, 268,
269, 271, 272).
Die Definition des Zeichens in AM 8.244-256 41

Das Zeichen muß also nicht nur ein Antecedens (ήγούμενον) in einer richtigen
Konditionalaussage sein, d. h. (τουτέστι) in derjenigen, die mit Wahrem beginnt
und mit Wahrem endet, sondern auch eine das Succedens aufdeckende Natur
haben. AM 8.252

Hier wird nun plötzlich der Begriff der richtigen Konditionalaussage


gleichgesetzt mit einer der drei Wahrheitswertkombinationen, die
(unter der Voraussetzung des philonischen Kriteriums) eine richtige
Konditionalaussage ergeben. Das ist umso bemerkenswerter, als sich
diese mißverständliche, um nicht zu sagen fehlerhafte Formulierung
leicht hätte vermeiden lassen; es hätte vollauf genügt zu sagen: Das
Zeichen muß also nicht nur ein Antecedens in einer Konditionalaus-
sage sein, die mit Wahrem beginnt und mit Wahrem endet, usw. Wenn
oben eine Definition des καΰηγούμενον gegeben worden wäre, die
diesen Terminus analog der Umschreibung in den PH als das Antece-
dens einer Konditionalaussage, die mit Wahrem beginnt und mit
Wahrem endet, charakterisiert hätte, dann hätte sich hier die Formu-
lierung angeboten: Das Zeichen muß nicht nur ein καϋηγουμενον sein,
sondern auch usw.
Im folgenden (AM 8.252-253) gibt uns der Autor, den Sextus hier
benutzt hat, zwei Beispiele von Konditionalaussagen, deren Antece-
dens nun jeweils auch der Forderung genügt, das Succedens aufzu-
decken. Das erste Beispiel ist übrigens eine etwas erweiterte Fassung
des entsprechenden Beispiels der PH (vgl. 2.106). Aber im Unterschied
zu den PH wird hier nicht versucht, eine erläuternde Umschreibung
für den Terminus έκκαλυπτικόν selber zu geben, sondern mit Bezie-
hung auf das Verhältnis von Zeichen zu Bezeichnetem insgesamt wird
erklärt: „Denn wenn wir auf jenes (sc. das Zeichen) achten, verschaf-
fen wir uns eine Erkenntnis von diesem (sc. vom Bezeichneten)." (AM
8.253) Auch dieser Erklärung kann man den Vorwurf nicht ersparen,
daß sie die Sache, die sie klarer machen will, eher verunklärt. Denn
was durch die Forderung, ein Zeichen müsse das Succedens aufdek-
ken, zum Ausdruck gebracht werden soll, ist der Umstand, daß ein
Zeichen entweder überhaupt oder doch unter den gegebenen Um-
ständen der einzige Weg zur Erkenntnis des Bezeichneten ist; anders
gesagt, daß das, wovon das Zeichen ein Zeichen ist, in den Bereich des
Nicht-Offenkundigen fällt. Das aber wird durch die angebotene Er-
klärung gerade nicht zum Ausdruck gebracht. Denn man kann sich
leicht einen Fall ausdenken, bei dem wir uns von einer Sache eine
Erkenntnis verschaffen, indem wir auf eine andere achten, ohne daß
damit bereits ein Fall einer Relation von einem Zeichen zu einem
Bezeichneten gegeben wäre. Wenn ich etwa eine Person, die ich auch
42 Die stoische Theorie des Zeichens bei Sextus Empiricus

direkt beobachten könnte (sie hält sich im selben Raum auf wie ich),
in einem Spiegel beobachte.
Im Anschluß an diese Erläuterungen findet sich nun im Text von
AM (8.254-256) ein Passus, der nicht nur ohne Parallele in den Erläu-
terungen der Zeichendefinition in den PH ist, sondern der auch plötz-
lich etwas einführt, was offenbar, wie das Resümee in AM 8.256 zeigt,
ein weiteres Definitionsmerkmal sein soll, was aber in der definitori-
schen Formel in 8.245, auf die sich die bisherigen Darlegungen bezo-
gen haben, überhaupt nicht vorkommt. Ein Zeichen, so wird erklärt,
müsse ein „gegenwärtiges Zeichen von etwas Gegenwärtigem" sein
(AM 8.254). Daß das auch in seiner Quelle den Charakter einer
zusätzlichen Ausführung hat, macht die Art und Weise klar, mit der
Sextus diese Bemerkungen einführt: „Weiterhin, so sagen sie, ..."
(Έτι, φασί,...).
Gegen den naheliegenden Einwand, daß es doch Zeichen für Ver-
gangenes („Wenn dieser Mann eine Narbe hat, dann hatte er eine
Wunde") und für Zukünftiges („Wenn dieser Mann am Herzen ver-
letzt ist, wird er sterben") gibt (vgl. AM 8.254), verteidigt sich der von
Sextus benutzte Autor damit, daß er erklärt, zwar gehöre die Wunde,
deren Narbe man sieht, der Vergangenheit an, und der Tod werde erst
in der Zukunft eintreten, aber die Aussagen, in denen von der Wunde
und vom Tod die Rede ist, seien doch etwas Gegenwärtiges (AM
8.255). Damit scheint dem von Sextus referierten Autor ein ausrei-
chendes Argument für seine These gegeben zu sein.
Einer kritischen Prüfung hält diese Argumentation kaum stand. Die
zusätzliche Bestimmung ist zunächst einmal ungeeignet, als weiteres
Merkmal in der Definition des Zeichens zu fungieren, denn sie wird
zumindest bereits von allen Konditionalaussagen mit wahrem Ante-
cedens und wahrem Succedens erfüllt, also auch von den Beispielen,
von denen gerade vorher (8.251) gezeigt worden ist, daß sie keine
Zeichen sind. Als Definitionsmerkmal ist diese Bestimmung damit
überflüssig. Sie ist aber nicht nur überflüssig, sondern steht auch im
Widerspruch zu der letzten Klausel der in AM 8.245 referierten Defi-
nition: zu der Forderung, daß das Zeichen „das Succedens aufdecken"
soll. Denn mit der Auskunft, das Zeichen sei deshalb stets ein gegen-
wärtiges Zeichen von etwas Gegenwärtigem, weil das Succedens eben
immer gegenwärtig sei, wird der Unterschied nivelliert, den die Forde-
rung, das Zeichen müsse das Succedens „aufdecken", zwischen Ante-
cedens und Succedens etablieren will. Wäre mit dem Ausdruck,Suc-
cedens' hier tatsächlich die im Succedens gemachte Aussage gemeint,
und nicht der in der Aussage dargestellte Sachverhalt, dann würde die
Forderung des Aufdeckend-Seins sinnlos. Denn die Aussage selber,
Die Definition des Zeichens in AM 8.244-256 43

die ja gegenwärtig ist, bedarf keineswegs der Aufdeckung, wohl aber


das, wovon in ihr die Rede ist. Nicht die gegenwärtig vorliegende
Aussage des Succedens gehört dem Bereich des Nicht-Offenkundigen
an, sondern der Sachverhalt, den sie darstellt. Gegen diese einzig
sinnvolle Interpretation der Aufdeckungs-Klausel verstößt aber eine
Forderung, die unter dem Succedens die aktuell vorliegende Aussage
des Succedens verstehen muß, wie es die in AM 8.254 aufgestellte
Forderung tut.
Fassen wir unsere Beobachtungen zur Definition des Zeichens in
den PH und in AM kurz zusammen: Während wir in den PH eine
knappe und klare Erläuterung der in dieser Definition benutzten
Begriffe finden, bedient uns AM mit umständlichen und wenig syste-
matischen Erklärungen,· bemerkenswert ist, daß wir in AM für keinen
der Termini, die erläutert werden, eine definierende Umschreibung
erhalten, daß dem hier benutzten Autor beim Gebrauch der logischen
Terminologie auffällige Ungeschicklichkeiten unterlaufen und daß er
mit der zusätzlichen Forderung, ein Zeichen müsse ein gegenwärtiges
Zeichen von etwas Gegenwärtigem sein, eine Verschlimmbesserung
vornimmt. Es gibt wohl kaum einen Zweifel daran, daß Sextus in AM
aus einer Quelle schöpft, die bedeutend schlechter ist als seine Quelle
in den PH.
Was läßt sich über den historischen Ort dieser Quelle herausbrin-
gen? Myles Bumyeat hat richtig beobachtet, daß die Ausführungen,
die Sextus in AM zur Definition des Zeichens referiert, auf einer
Quelle beruhen, die früher sein muß als die in den PH benutzte
Quelle; denn der in der Definition des Zeichens in den PH benutzte
Terminus προκαϋηγούμενον setzt offenbar den in AM an entsprechen-
der Stelle verwendeten Ausdruck καϋηγούμενον voraus.13 Der Autor,
den Sextus in AM ausschreibt, ist also früher als die in den PH be-
nutzte Quelle, deren stoischer Charakter von Sextus ausdrücklich
bezeugt ist. Referiert Sextus in AM ebenfalls einen Stoiker?
Es gibt in AM 8.244-256 keine Erwähnung eines stoischen Philoso-
phen oder der Stoa als Schule, aber es scheint, daß wir trotzdem
keinen Grund haben, an dem stoischen Charakter des hier von Sextus
benutzten Materials zu zweifeln. AM 8.244-256 wird durch eine Be-
merkung eingeleitet, die klar macht, daß die im folgenden dargestellte
und diskutierte Lehre Philosophen gehört, die das Zeichen für etwas
Denkbares (νοητόν) halten, im Unterschied zu jenen, die das Zeichen
als etwas Wahrnehmbares (αίσϋητόν) betrachten und deren Ansichten

13 Vgl. Burnyeat (1982a), 222.


44 Die stoische Theorie des Zeichens bei Sextus Empiricus

in AM 8.177-243 behandelt worden sind (vgl. AM 8.244). Beide Grup-


pen hat Sextus schon AM 8.177 einander gegenüber gestellt, und dort
sind sie als Stoiker und Epikureer resp. identifiziert worden. Das allein
würde schon als Beleg dafür ausreichen, daß wir es hier mit einem
Referat stoischer Lehre zu tun haben.
Aber wir finden auch im Text von AM 8.244-256 selbst Hinweise
auf den stoischen Charakter der hier ausgeschriebenen Quelle. So
wird in AM 8.253 der Terminus κατάληψις benutzt, um die Erkenntnis
zu charakterisieren, die das Zeichen uns vermittelt. Dieser Ausdruck
ist nun eindeutig stoisch. Cicero [Acad. 2.145 vgl. 1.41) berichtet uns,
daß Zenon von Kition diesen Terminus als terminus technicus der
Erkenntnistheorie eingeführt hat. Und auch der Gebrauch des Verbs
προσβάλλειν, das im selben Satz benutzt wird, deutet auf die Stoa hin.
Dieser technische Gebrauch des Wortes als Terminus der Erkenntnis-
theorie ist ebenfalls für die Stoiker bezeugt (vgl. AM 7.252), scheint
aber vor ihnen nicht belegt.14
Schließlich gibt es unter den Beispielen, mit denen hier die wahr-
heitsfunktionale Interpretation der Konditionalaussage erläutert
wird, einen für die Frage der stoischen Herkunft dieser Darlegungen
höchst aufschlußreichen Fall. Während die Beispiele für die FF- und
FW-Kombination identisch sind mit den von Philon benutzten (vgl.
AM 8.246 mit 8.113-114), hat der hier von Sextus benutzte Autor für
die Fälle der WW- und WF-Kombinationen eigene Beispiele konstru-
iert, und gibt für den WW-Fall die folgende, eher erbauliche Illustra-
tion: „Wenn es Götter gibt, dann wird die Welt von der göttlichen
Vorsehung regiert." Die Lehre von der göttlichen Vorsehung ist seit
Zenon ein fester Bestandteil der stoischen Schuldoktrin (vgl. DL
7.133, 138; Cicero, De nat. deor. 2.74; für eine Zuweisung an Zenon
vgl. Cicero, De nat. deor. 2.58).
Ziehen wir aus all dem ein vorläufiges Fazit: Der stoische Charakter
der Quelle, auf die sich Sextus in AM 8.244-256 stützt, dürfte außer
Frage stehen. Da wir diese Quelle aber gleichzeitig für früher halten
müssen als die in den entsprechenden Partien der PH benutzte, für
welche sich wiederum eine Herkunft aus der vorchrysippeischen Stoa
so gut wie sicher machen ließ, ist a fortiori auch die in AM verwendete
Quelle der frühen Stoa zuzuweisen.

14
Das Auftreten des Wortes bei Epikur, Ep. I, 51 (= Us. S. 12, Z. 18) beruht auf
einer Konjektur Useners, der neuere Herausgeber nicht gefolgt sind. Zwar hat
v. Arnim AM 7.242-52 in seine Fragmentsammlung aufgenommen (SVF II fr. 65),
aber das Verbum προσβάλλειν, im Unterschied zum Substantiv προσβολή, ist im
Index von Adler nicht verzeichnet.
Endeiktisches und hypomnestisches Zeichen 45

c) Die Unterscheidung von endeiktischem und hypomnestischem


Zeichen: PH 2.99-101; AM 8.149-155

Sextus berichtet uns nicht nur über die Definition des Zeichens und
die zugehörigen Erläuterungen, sondern auch über die Einteilung der
Zeichen in zwei Klassen: in die endeiktischen und in die hypomnesti-
schen Zeichen. Auch dieses Theoriestück wird sowohl in den PH
(2.99-101) als auch in AM (8.149-155) referiert und ist an beiden
Stellen unmittelbar an eine erkenntnistheoretische Klassifizierung
offenkundiger (πρόδηλα) und nicht-offenkundiger Dinge (άδηλα πράγ-
ματα) angeschlossen (vgl. PH 2.97-98; AM 8.141-148). Es ist zweck-
mäßig, zunächst diese letztere Klassifikation in ihren Grundzügen
vorzustellen, da sie in den Ausführungen zur Unterscheidung der
Zeichen in endeiktische und hypomnestische vorausgesetzt wird.15
Der Bericht, den die PH über diese Einteilung geben, ist auch hier im
Vergleich zu der parallelen Darstellung in AM der knappere und
klarere. Sachlich ist die Darstellung an einer dihairetischen Auftei-
lung der „Dinge" (πράγματα) orientiert: Zunächst werden die πράγματα
eingeteilt in offenkundige (πρόδηλα) und nicht-offenkundige (άδηλα),
dann werden die letzteren unterteilt in die gänzlich nicht-offenkundi-
gen (καϋάπαξ άδηλα), die zeitweilig nicht-offenkundigen (προς καιρόν
άδηλα) und die von Natur aus nicht-offenkundigen (φύσει άδηλα) (PH
2.97). Diese den Dogmatikern zugeschriebene Einteilung wird dann
wie folgt erläutert, immer in den Worten der dogmatischen Philoso-
phen: Die offenkundigen Dinge sind diejenigen, die uns von sich aus
zur Kenntnis kommen (τά έξ εαυτών εις γνώσιν ήμϊν ερχόμενα), wie etwa,
daß es Tag ist. Die gänzlich nicht-offenkundigen sind diejenigen, die
ihrer Natur nach nicht in unsere Erkenntnis fallen können (ά μή
πέφυκεν εις την ήμετέραν πίπτειν κατάληψιν), wie etwa, daß die Anzahl
der Sterne gerade ist (vgl. PH 2.97). Zeitweilig nicht-offenkundig sind

15
Im Unterschied zu der bei Sextus überlieferten Definition des Zeichens wird
die dort mitgeteilte Einteilung in endeiktische und hypomnestische Zeichen von
mehreren Autoren nicht für stoisch gehalten: So von Philippson (1881), 66, Welt-
ring (1910), 39 ff., Preti (1956), 10, zuletzt von Sedley (1982), 241 Anm. 8, Glidden
(1983), 218 passim und Baldassarri I, 209. Ich werde im folgenden nachzuweisen
versuchen, daß Definition wie Einteilung des Zeichens auf die Dialektische Schule
zurückgehen, aber von den frühen Stoikern übernommen worden sind. - Zu dem
Problem, das mit der Kritik des Sextus an der Theorie des Zeichens verbunden ist -
gilt diese Kritik, wie Sextus ausdrücklich behauptet (vgl. PH 2.102; AM 8.156-158),
nur dem endeiktischen Zeichen oder trifft sie, was die faktisch gebrauchten Argu-
mente nahelegen, das Zeichen allgemein - werde ich im folgenden nicht Stellung
nehmen.
46 Die stoische Theorie des Zeichens bei Sextus Empiricus

jene Dinge, die, obwohl sie ihrer Natur nach der Erkenntnis zugäng-
lich sind, uns aufgrund äußerer Umstände zeitweilig verborgen sind
(άπερ την φύσιν έχοντα εναργή παρά τινας έξωθεν περιστάσεις κατά καιρόν
ή μιν άδηλεϊται), „wie mir jetzt die Stadt Athen"; die von Natur aus
nicht-offenkundigen schließlich sind die, die ihrer Natur nach nicht
der Wahrnehmungsevidenz zugänglich sind (τά μή έχοντα φύσιν ύπο την
ήμετέραν πίπτειν ένάργειαν), wie die Poren in der Haut, denn die sind
nicht von sich aus wahrnehmbar, sondern werden auf Grund anderer
Tatsachen, ζ. B. der Schweißabsonderung, erkannt (vgl. PH 2.98).
Die Beispiele machen nicht vollkommen klar, wie der Ausdruck
,Dinge' (πράγματα) zu verstehen ist: In den ersten beiden Beispielen
handelt es sich bei den angeführten ,Dingen' um Sachverhalte (dem
Daß-Satz im deutschen Referat entspricht eine Infinitivkonstruktion
im Griechischen), in den letzten beiden Beispielen scheint es sich
dagegen um Gegenstände zu handeln. Aber eine Reflexion auf das
letzte Beispiel zeigt meines Erachtens, daß auch in diesen Fällen die
Gegenstandsnamen sozusagen abkürzungsweise für Sachverhalte
stehen, in denen die entsprechenden Gegenstände eine Rolle spielen.
Denn aus der Schweißabsonderung erkennen wir ja nicht die Poren in
der Haut (die kann uns nur ein Mikroskop erkennbar machen), son-
dern den Sachverhalt, daß es solche Poren gibt, die Tatsache ihrer
Existenz. Allerdings sollten wir aus dieser Beobachtung über das letzte
Beispiel vielleicht noch nicht schließen, daß der Unterschied von
Sachverhalt und Gegenstand den hier von Sextus referierten Philoso-
phen wirklich klar vor Augen gestanden hat.
An diese Einteilung der πράγματα schließt sich nun bei Sextus die
Einteilung der Zeichen in die beiden eingangs erwähnten Klassen an.
Zunächst wird festgestellt, daß die offenkundigen Dinge keines Zei-
chens bedürfen; sie sind von sich aus erkennbar. Bei den gänzlich
nicht-offenkundigen ist kein Zeichen möglich, da sie unserer Er-
kenntnis prinzipiell entzogen sind.
Aber die zeitweilig nicht-offenkundigen und die von Natur aus nicht-offenkun-
digen Dinge werden mit Hilfe von Zeichen erkannt, allerdings nicht mit Hilfe
derselben, sondern die zeitweilig nicht-offenkundigen mit Hilfe der hypomnesti-
schen, die von Natur aus nicht-offenkundigen mit Hilfe der endeiktischen Zei-
chen. PH 2.99
Das scheint ein recht klares Bild zu sein. Jeder der beiden Arten des
Zeichens ist eine Klasse der nicht-offenkundigen Dinge zugeteilt, und
da es außerhalb dieser beiden Klassen nicht-offenkundiger Dinge
nichts geben kann, was als Kandidat einer Erkenntnis vermittels eines
Zeichens gelten könnte (das ist durch die Vollständigkeit der dihaire-
tischen Einteilung gesichert), kann jeder der beiden Zeichentypen
Endeiktisches und hypomnestisches Zeichen 47

seine Erkenntnisgegenstände auch nur in der ihm zugewiesenen


Klasse von Dingen finden.
Man sollte also erwarten, daß von dieser klaren Entsprechung zwi-
schen Zeichenart und Erkenntnisgegenständen bei den Definitionen
der beiden Arten des Zeichens Gebrauch gemacht wird. Überraschen-
derweise werden jedoch in dem Text, der nun im unmittelbaren
Anschluß an das gerade ausgehobene Zitat Definitionen des hypo-
mnestischen und des endeiktischen Zeichens gibt, die vorher unter-
schiedenen Arten der Erkenntnisgegenstände überhaupt nicht er-
wähnt. Die Definition des hypomnestischen Zeichens lautet wie folgt:
Sie nennen das ein hypomnestisches Zeichen, was, da es zusammen mit dem,
wofür es ein Zeichen ist, in evidenter Wahrnehmung beobachtet worden ist,
dieses mit ihm zusammen Beobachtete in Erinnerung rufen kann, wenn letzte-
res verborgen und im Moment evidenter Wahrnehmung nicht zugänglich ist.
PH 2.100

Die hier benutzte Definitionsformel findet sich wörtlich in der De-


finition des hypomnestischen Zeichens an der Parallelstelle in
AM (8.152) wieder. An beiden Stellen wird die Definition durch das
Beispiel des Rauchs als Zeichen für Feuer erläutert.
Für das endeiktische Zeichen wird in den PH folgende Definition
referiert:
Endeiktisch ist, wie sie sagen, ein Zeichen, das nicht mit dem, wofür es Zeichen
ist, in evidenter Wahrnehmung zusammen beobachtet worden ist, sondern auf
Grund seiner eigenen Natur und Zurichtung das anzeigt, wofür es ein Zeichen
ist. PH 2.101

Das Beispiel, mit dem diese Definition illustriert wird, sind die körper-
lichen Bewegungen als Zeichen für die Seele (PH 2.101 vgl. AM 8.155).
In AM findet sich keine eigentliche Definition des endeiktischen
Zeichens,· wir erhalten an Stelle einer Umschreibung vielmehr eine
Erläuterung dieses Zeichentyps durch Gegenüberstellung mit dem
hypomnestischen Zeichen (vgl. AM 8.154). Im Unterschied zu dem
letzteren läßt das endeiktische Zeichen
keine gleichzeitige Beobachtung mit dem zu, wofür es Zeichen ist (denn das von
Natur aus nicht-offenkundige Ding ist prinzipiell nicht wahrnehmbar und kann
deshalb nicht mit einem der erscheinenden Dinge zusammen beobachtet wer-
den), sondern lediglich auf Grund seiner eigenen Natur und Zurichtung, als ob
es mit lauter Stimmeriefe,zeigt es, wie man sagt, das an, wofür es endeiktisch ist.
AM 8.154

Halten wir als erstes fest, daß diese Erklärung in AM sich in einer
wichtigen Hinsicht von der in den PH referierten unterscheidet. Wäh-
rend es in den PH heißt, daß das endeiktische Zeichen nicht mit dem,
48 Die stoische Theorie des Zeichens bei Sextus Empiricus

wofür es Zeichen ist, zusammen beobachtet worden ist, finden wir in


AM eine schärfere Formulierung: das endeiktische Zeichen läßt eine
Beobachtung zusammen mit dem, wofür es Zeichen ist, nicht zu. Und
dafür hat der Bericht in AM auch eine Erklärung parat: Das von Natur
aus Nicht-offenkundige ist prinzipiell nicht wahrnehmbar und kann
daher a fortioti nicht zusammen mit einem anderen wahrnehmbaren
Ding wahrgenommen werden. Damit ist aber in AM auch eine Bezie-
hung zwischen dem endeiktischen Zeichen und der Klasse der von
Natur aus nicht-offenkundigen Dinge hergestellt. Aber, und das soll-
ten wir als zweite wichtige Beobachtung festhalten, diese Beziehung
kommt nur in einer Erklärung vor, die (vgl. das einleitende άρχήϋεν
γάρ) einer der Forderungen hinzugefügt ist, aus denen die hier voraus-
gesetzte Definition des endeiktischen Zeichens bestand. Weder in
AM noch in den PH wird irgendwo versucht, die Klassifikation der
nicht-offenkundigen Dinge für die Klauseln der Definitionen (des
endeiktischen oder des hypomnestischen Zeichens) selber zu nutzen.
Wir können noch einen Schritt weiter gehen: Weder die PH noch AM
machen für diese Definitionen selber von einem Terminus Gebrauch,
der eindeutig stoisch wäre. Insbesondere fällt die Abwesenheit der
stoischen Ausdrücke für ,Erkenntnis' (κατάληψις) bzw.,erkennen' (κα-
ταλαμβάνειν) in diesen Texten ins Auge. Beide Ausdrücke sind im
unmittelbar voraufgehenden Abschnitt der PH, in dem die Dreitei-
lung der Klasse nicht-offenkundiger Dinge vorgenommen wird (PH
2.97-99), benutzt worden (das Substantiv einmal, das Verbum vier-
mal), und κατάληψις findet sich im gleichen Kontext von AM zweimal
verwendet (vgl. AM 8.147 und 149).
Als vorläufiges Ergebnis unserer Analyse der Texte, in denen Sextus
die Einteilung der Zeichen in endeiktische und hypomnestische refe-
riert, müssen wir also eine Ungereimtheit festhalten. An beiden Stel-
len, an denen Sextus diese Einteilung referiert, wird ihr eine Unter-
scheidung der nicht-offenkundigen Dinge vorausgeschickt, die, wie
die Stelle PH 2.99 zeigt, offenbar als erkenntnistheoretischer Hinter-
grund zu der Unterscheidung der Zeichen in endeiktische und hy-
pomnestische gemeint ist. Aber von dieser Klassifikation nicht-offen-
kundiger Dinge ist merkwürdigerweise in den Definitionen der beiden
Zeichenarten selber keinerlei Gebrauch gemacht. Selbst in einer ge-
genüber den PH schärferen Definitionsbestimmimg des endeiktischen
Zeichens in AM (8.154), die sachlich eine Definition dieses Zeichen-
typs durch die Beziehung auf die Klasse der von Natur aus nicht-
offenkundigen Dinge möglich machen würde, wird diese Beziehung
nur in einer dieser Definitionsklausel beigegebenen erläuternden Er-
klärung herangezogen.
Endeiktisches und hypomnestisches Zeichen 49

Diese Ungereimtheit wird noch dadurch akzentuiert, daß in dem


Textmaterial, in dem uns die Begriffsbestimmungen der beiden Zei-
chenarten überliefert sind, ein Einfluß stoischer Terminologie nicht
festzustellen ist, wohl aber in den Ausführungen zur Klassifikation
der nicht-offenkundigen Dinge. Der stoische (und schon für Zenon
bezeugte) Gebrauch von κατάληψις und καταλαμβάνειν als Termini der
Erkenntnistheorie in den einschlägigen Texten der PH ebenso wie in
AM ist der handgreiflichste Beleg dafür. Wir können ihn durch eine
weitere Beobachtung ergänzen: Der Ausdruck περίστασις, der bis zu
Epikur ausschließlich in räumlichem Sinn verwendet worden ist,16
wird bei der Erklärung der zeitweilig nicht-offenkundigen Dinge im
Sinne von,Umstand' gebraucht (vgl. PH 2.98; AM 8.145,150). Dieses
Wort wird im selben Sinn auch von zwei Schülern Zenons verwendet:
von Herillos (vgl. DL 7.165) und dem heterodoxen Stoiker Ariston
(vgl. AM 11.65). Es Hegt nahe, anzunehmen, daß auch der Lehrer der
beiden diesen Terminus benutzt hat. In jedem Fall ist aber das Auftre-
ten dieses Ausdrucks in der Bedeutung,Umstände' ein weiteres Indiz
für die stoische Herkunft der von Sextus referierten Einteilung der
nicht-offenkundigen Dinge.
Die systematischen und terminologischen Differenzen zwischen
der Einteilung der πράγματα in offenkundige und nicht-offenkundige
sowie der weiteren Unterteilung der letzteren einerseits und den Defi-
nitionen des endeiktischen und des hypomnestischen Zeichens ande-
rerseits legen den Verdacht nahe, daß diese beiden Theoriestücke
letztlich auf unterschiedliche Quellen zurückgehen. Wir werden die
mit diesem Verdacht aufgeworfene Frage aber erst beantworten kön-
nen, wenn wir zusätzlich auch Material außerhalb der Schriften des
Sextus heranziehen und analysieren.
Wenn wir abschließend noch kurz das Referat, das AM uns von der
erkenntnistheoretischen Einteilung der πράγματα gibt (AM 8.141-148),
mit der Parallele in den PH (2.97-98) vergleichen, so bestätigt sich
auch hier wieder der Eindruck, den der entsprechende Vergleich hin-
sichtlich der Definition des Zeichens ergeben hatte: Die in AM be-
nutzte Quelle ist systematisch minderwertiger als die der Darstellung
in den PH zugrunde Hegende.
Im Unterschied zu den PH, die keine aügemeine Charakterisierung
der nicht-offenkundigen Dinge insgesamt geben, sondern gleich de-
ren dreifache Unterteilung erläutern, will die in AM benutzte Queüe
auch eine Definition der Klasse der nicht-offenkundigen Dinge als
solcher geben. An zwei Stellen finden wir hier eine Gegenüberstellung

16 Vgl. LSJ s. V.; zu Epikur, DL 10.106 u. 109.


50 Die stoische Theorie des Zeichens bei Sextus Empiricus

und Charakterisierung der offenkundigen und nicht-offenkundigen


Dinge: 8.141 und 144. An der letzteren Stelle werden die offenkundi-
gen Dinge mit derselben Formulierung umschrieben wie in den PH
(vgl. PH 2.97): es sind diejenigen, „die uns von sich aus zur Kenntnis
kommen". Die nicht-offenkundigen sind die, „bei denen es sich nicht
so verhält" (τά μή ούτως έχοντα). Das ist keine wirkliche Definition,
sondern nur eine negative Charakterisierung. Die entsprechende
Charakterisierung an der vorhergehenden Stelle (8.141) lautet: „die
nicht von sich aus erfaßt (ληπτά) werden" - eine irreführende, um
nicht zu sagen falsche Formel. Denn da sich die Verneinung hier nur
auf das „von sich aus" bezieht, läßt diese Umschreibung keinen Platz
für die gänzlich nicht-offenkundigen Dinge, die überhaupt nicht er-
faßt werden können.
Für die Charakterisierung der offenkundigen Dinge gibt uns die-
selbe Stelle nun eine Definitionsformulierung, die von der eben zitier-
ten abweicht; die offenkundigen Dinge, so heißt es hier, sind diejeni-
gen, „die von sich aus in unsere Sinne und in unseren Verstand
kommen" (AM 8.141). Diese Formulierung hat den Mangel, daß sie
unklar läßt, ob die beiden durch „und" verbundenen Bestimmungen
jeweils für sich oder nur zusammengenommen eine hinreichende
Bedingung dafür darstellen, daß etwas ein offenkundiges Ding ist.
Eine Unklarheit, die in einer Definition jedenfalls vermieden sein
sollte.
Einen ähnlichen Mangel müssen wir auch in der Umschreibung der
von Natur aus nicht-offenkundigen Dinge in AM 8.146 notieren. Sie
werden charakterisiert als diejenigen, „die von Beginn der Zeiten an
verborgen sind (τά δι' αιώνος άποκεκρυμμένα) und nicht der Wahrneh-
mungsevidenz zugänglich sind". Für die Zwecke der definierenden
Umschreibung ist die erste dieser beiden Charakterisierungen über-
flüssig. In der parallelen Definition der PH (2.98) ist sie dann auch
stillschweigend weggelassen. Dafür wird in den PH das μή δυνάμενα
präzisiert zu μή έχοντα φύσιν: Es wird klar gemacht, daß die Unzugäng-
lichkeit dieser Dinge für die Wahrnehmung etwas mit ihrer Natur zu
tun hat.
Wo sich also Unterschiede in den definierenden Umschreibungen
zwischen den PH und AM feststellen lassen, sprechen sie gegen die
philosophische Qualität der in AM benutzten Quelle. Andere Beob-
achtungen verstärken diesen Eindruck. Die Behandlung der vier Grup-
pen von πράγματα ist von jener Umständlichkeit, die wir schon in der
Exposition der Zeichendefinition bemerkt haben. Die wiederholende
Zusammenfassung AM 8.148 könnte ohne Schaden für den Gedan-
kengang entfallen. Mit Ausnahme der zeitweilig nicht-offenkundigen
Zusammenfassung 51

Dinge wird jede dieser Gruppen durch zwei Beispiele illustriert; der in
den PH ausgeschriebene Autor hat jeweils eines davon weggelassen.
Zu dem Beispiel der Stadt Athen als eines zeitweilig nicht-offenkundi-
gen Dinges hält der in AM referierte Philosoph eine erläuternde Er-
klärung für nötig; in den PH spricht dieses Beispiel für sich selber.
Umgekehrt verzichtet AM auf eine Erläuterung, wo sie vielleicht an-
gebracht wäre und wo wir in den PH auch eine finden: bei den Beispie-
len für die von Natur aus nicht-offenkundigen Dinge (AM 8.146 vgl.
PH 2.98).
Eine letzte Beobachtung in systematischer Hinsicht: Der etwas sorg-
lose Umgang mit der Terminologie, den wir auch an der Stelle AM
8.245-256 in der wechselweisen Verwendung von,richtig' und ,wahr'
(bzw. ,unrichtig' und ,falsch') für die Konditionalaussage bemerkt
hatten, findet sich auch an unserer Stelle wieder: Während die PH
ausschließlich von ,uns' und ,unserer' reden, wenn sie die menschli-
che Wahrnehmung oder Erkenntnis charakterisieren wollen, benutzt
AM promiscue das Possessivpronomen und das Adjektiv mensch-
lich'.
Ein Vergleich zwischen den beiden Texten AM 8.141-148 und PH
2.97-98 macht aber nicht nur den Unterschied in der systematischen
Qualität, sondern zugleich auch eine chronologische Abfolge zwi-
schen ihren Quellen sichtbar: Die der PH ist offenbar durch, wenn
man so will, chirurgische Operationen aus der in AM benutzten
hervorgegangen, gelegentlich auch durch kleine Verbesserungen; zwei
haben wir notiert: Die Verbesserung in der Definition der von Natur
aus nicht-offenkundigen Dinge und die Ergänzung einer Erläuterung
bei dem Beispiel für die von Natur aus nicht-offenkundigen Dinge.
Damit wird also auch im Punkt der Chronologie die Parallelität der
von Sextus in den PH resp. in AM benutzten Quellen bestätigt.

d) Zusammenfassung

Ziehen wir ein Resümee aus den Beobachtungen, die wir am Text des
Sextus gemacht haben. Die in den PH und in AM fast gleichlautend
referierte Definition des Zeichens und die im Zusammenhang damit
von Sextus mitgeteilten Erläuterungen gehören mit Sicherheit stoi-
schen Philosophen. Dafür spricht die explizite Zuweisung an die
Stoiker an der Stelle PH 2.104 und die Identifizierung der Phi-
losophen, deren Zeichentheorie in AM 8.245-256 dargestellt wird,
52 Die stoische Theorie des Zeichens bei Sextus Empiricus

als Stoiker in AM 8.177. Der stoische Charakter dieses Materials


ließ sich für die in AM ausgeschriebene Quelle weiter durch den
Gebrauch technischer Termini der stoischen Erkenntnistheorie
(κατάληψις, προσβάλλειν) sowie ein aus der Theologie der Stoa stam-
mendes Beispiel bestätigen.
Dagegen bietet die Einteilung der Zeichen in endeiktische und
hypomnestische, was die Zuschreibung zu den Stoikern anlangt, kein
ebenso klares Bild. Die erkenntnistheoretischen Unterscheidungen,
die den eigentlichen Definitionen des endeiktischen und des hypo-
mnestischen Zeichens sowohl in den PH wie in AM vorangestellt
sind, insbesondere die Dreiteilung der nicht-offenkundigen Dinge,
lassen sich eindeutig der Stoa zuordnen: Das wird durch den Ge-
brauch stoischer Termini (κατάληψις, καταλαμβάνειν, περίστασις) in der
Darstellung der PH ebenso wie in der von AM gesichert. Die eigent-
lichen Definitionen der beiden Zeichenarten dagegen zeigen nicht
nur keinen Gebrauch spezifisch stoischer Terminologie, sondern las-
sen insbesondere auch eine Benutzung der vorher getroffenen Unter-
scheidung von zeitweilig nicht-offenkundigen und von Natur aus
nicht-offenkundigen Dingen vermissen. Wir müssen mit der Mög-
lichkeit rechnen, daß hier auch Material aus einer nicht-stoischen
Quelle eingeflossen ist.
Weiterhin scheint festzustehen, daß die in diesen Referaten des
Sextus benutzten stoischen Philosophen der vorchrysippeischen Stoa
angehören. Denn die Erklärung eines technischen Terminus, der in
der Definition des Zeichens in den PH vorkommt und der nur an
Textstellen auftritt, die es mit dieser Definition zu tun haben, setzt die
philonische Deutung der Konditionalaussage voraus, eine Deutung,
die in der späteren stoischen Logik durch Chrysipps Kriterium des
Zusammenhangs' (συνάρτησις) abgelöst wurde.
In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß, mit einer
Ausnahme, alles spezifisch stoische Material in diesen Textstellen
bereits für die frühe, d. h. vorchrysippeische Stoa bezeugt ist. Die
Ausnahme ist die Definition der Aussage (αξίωμα) in dem Text PH
2.104, die auf Chrysipp zurückzuweisen scheint. Aber es ist äußerst
unwahrscheinlich, daß dieses Stück aus der semantischen Theorie
Chrysipps in einem Kontext aufgetreten ist, in dem die philonische
Deutung der Konditionalaussage zur Erklärung der Zeichenbeziehung
benutzt wird. Da diese Definition an der Parallelstelle AM 8.245-256
fehlt und da Sextus überdies ein Motiv hat, diese Definition hier
hereinzubringen (sie erlaubt ihm, seine Standardargumente gegen das
stoische λεκτόν auch zur Kritik der Definition des Zeichens zu nut-
zen), sind wir, wie ich denke, berechtigt, diese Definition der Aussage
Zusammenfassung 53

als einen Fremdkörper im Referat der hier dargestellten Theorie anzu-


sehen.17
Innerhalb dieses der frühen Stoa gehörenden Quellenmaterials ha-
ben wir eine weitere Differenzierung vornehmen können. Die stoi-
sche Quelle, die Sextus in seinen Referaten in AM ausschreibt, ist in
systematischer Hinsicht schlechter als die in den PH zugrunde ge-
legte. Zugleich fanden wir aber Anzeichen dafür, daß sie dem in den
PH referierten Material zeitlich vorangeht. Läßt sich eine dieser Quel-
len, lassen sich möglicherweise sogar beide stoischen Logikern aus
der Zeit vor Chrysipp zuordnen? Wir müssen für die Untersuchung
dieser Frage Sextus zunächst verlassen.

17
Eine mögliche Alternative zu der im Text vertretenen Auffassung wäre es,
diese Definition des αξίωμα als vorchrysippeisch anzusehen: Kleanthes käme dann
vielleicht als ihr Autor in Betracht.
Zweites Kapitel:
Die stoische Theorie des Zeichens
vor dem Hintergrund der Berichte
bei Diogenes Laertius

Der umfangreichste zusammenhängende Bericht über die Logik der


Stoiker ist bekanntlich bei Diogenes Laertius (DL 7.42-83) erhalten.
Darüber hinaus liefert dieser Text eine Fülle von Informationen zu
einzelnen stoischen Philosophen. Wir sollten daher die Ergebnisse
unserer bisherigen Analysen zunächst an den Mitteilungen des Dio-
genes überprüfen.

a) Der Bencht über die stoische Logik bei Diogenes Laertius

Die Darstellung der stoischen Logik eröffnet die Referate der drei
großen Systemteile der stoischen Philosophie, die Diogenes innerhalb
der Vita Zenons gibt. Auf die Logik (7.42-83) folgt die Darstellung der
stoischen Moralphilosophie (7.84-131) und der Physik (7.132-159).
Was nun die Mitteilungen über die Logik der Stoa angeht, so ist
zunächst festzuhalten, daß das Gebiet der Logik (λογικόν μέρος) für die
Stoiker sehr viel mehr umfaßt als für uns. Zum λογικόν μέρος gehört
neben der Dialektik auch noch die Rhetorik (vgl. DL 7.41); und zur
Logik im engeren Sinn, d. h. zur Dialektik (διαλεκτική) gehört neben
der Schlußtheorie u. a. auch die Erkenntnistheorie, jedenfalls soweit
sie sich mit der Unterscheidung der Vorstellungen der (φαντασίαι)
befaßt (vgl. DL 7.43). Die Hauptunterscheidung zwischen den Vorstel-
lungen ist aber die zwischen den erkennbaren (καταληπτικά) und nicht
erkennbaren (ακατάληπτα), wobei zur Gruppe der letzteren auch dieje-
nigen gehören, die „nicht klar (τρανής) oder deutlich (έκτυπος) sind"
(vgl. DL 7.46).
Auch wenn in dieser Einteilung der Vorstellungen eine andere Ter-
minologie benutzt wird als in der Unterscheidung der offenkundigen
von den nicht-offenkundigen Dingen (πράγματα), so Hegt doch die
Parallelität in den beiden Differenzierungen auf der Hand. Umso
erstaunlicher ist es daher, daß wir in dem Bericht über die stoische
Der Bericht über die stoische Logik bei Diogenes 55

Logik bei Diogenes keinerlei Hinweis auf eine stoische Theorie des
Zeichens finden. Das scheint zunächst eher enttäuschend zu sein.
Aber dieser Umstand kann uns trotzdem in einem Punkt eine
wichtige Bestätigung unserer bisherigen Ergebnisse hefern, vorausge-
setzt wir achten auf die Herkunft des Materials, das Diogenes Laertius
in seiner Darstellung benutzt hat.
Diogenes scheint sich nämlich in seiner Exposition der stoischen
Logik so gut wie ausschließlich auf Chrysipp und seine Schule zu
stützen. Unter den neun Autoritäten, die in diesem Bericht unter
Nennung ihres Namens zitiert oder erwähnt werden, findet sich kein
einziger vorchrysippeischer Logiker.1 Bemerkenswert ist auch, daß
die mittlere Stoa nur eine untergeordnete Rolle spielt. Panaitios ist
überhaupt nicht erwähnt, und Poseidonios, dessen Name an drei
Stellen vorkommt (7.54, 60, 62), wird nur an einer Stelle mit einer
Angabe zu einem Lehrstück genannt, das mit der Dialektik zu tun hat:
mit seiner Definition der Dialektik, die sich offenbar von der Chry-
sipps unterscheidet (7.62). An der Stelle 7.60 wird auf die Definition
des Gedichts, die Poseidonios gegeben hat, Bezug genommen, und im
Text von 7.54 ist er im Bericht des Diogenes Laertius als Quelle für
eine Ansicht der älteren Stoiker über das Kriterium benutzt, ein Um-
stand, der darauf hinweisen könnte, daß für Diogenes oder seine
Quelle erkenntnistheoretische Schriften der vorchrysippeischen Stoa
nicht mehr ohne weiteres zugänglich waren.2
Diese Beschränkung auf die logischen Theorien des Chrysipp und
seiner Anhänger, die wir im Referat der stoischen Logik praktiziert
finden, ist in der Tat bemerkenswert. Sie steht in auffälligem Kontrast
zu der Benutzung früher Stoiker in den beiden anderen Referaten. In
diesen beiden Darstellungen wird insbesondere Zenon, nächst ihm
dann auch Kleanthes, häufig als Autorität angeführt.3 Diese Be-
schränkung ist aber insbesondere auch deshalb bemerkenswert, weil
1
Hier ist eine Liste der Namen, die DL in seinem Logik-Referat erwähnt, zusam-
men mit.der Häufigkeit ihres Auftretens: Chrysipp 11, Diogenes 6, Antipater 5,
Krinis 4, Poseidonios 3, Apollodoros 2, Archedemos 2, Boethos 1, Athenodoros
(? 7.68 zu diesem Namen vgl. Egli [1974], 37) 1. Auffallend sind auch die Überein-
stimmungen zwischen der im Referat des DL benutzten Terminologie und den
Termini, die in Titeln des Schriftenverzeichnisses Chrysipps benutzt werden.
2
R. D. Hicks hat an dieser Stelle den griechischen Text in der Loeb-Ausgabe
leider falsch übersetzt: aus dem Hinweis auf die Quelle („as Posidonius says in his
treatise On the Standard" wie es richtig heißen müßte für ώς ό Ποσειδώννος έν τφ Περί
κριτηρίου φησν) wird bei ihm ein weiteres Zeugnis: „so also does Posidonius in his
treatise On the Standard".
3
Hier ist eine Liste der Namen früher Stoiker im Ethik-Referat und Physik-
Referat resp.: Zenon 8, Kleanthes 5, Persaios 1; Zenon 11, Kleanthes 4, Sphairos 2.
56 Die Theorie des Zeichens u. das Stoiker-Referat bei Diogenes

Chrysipp keineswegs der erste Stoiker war, der sich mit Problemen der
Logik befaßt hat.4 Es war schließlich das Interesse an der Logik, das die
Gründer der Stoa zur Trennung von der kynischen Schule brachte
und das umgekehrt einen Schüler des Zenon wie Ariston von Chios,
der die Logik für nutzlos hielt (vgl. DL 7.160-161), zur Lösung von der
orthodoxen Schultradition veranlaßte. Das Interesse der ersten Stoi-
ker an der Logik wird von Diogenes ausdrücklich bezeugt (vgl. 7.16,
24-25), und dem entspricht es, daß Zenon ebenso wie Kleanthes (vgl.
DL 7.39 und 41 resp.) die Logik zu einem Systemteil der Philosophie
gemacht hat.
Wenn wir daher in dem bei Diogenes Laertius erhaltenen Referat
der stoischen Logik keinen einzigen der frühen Stoiker erwähnt fin-
den, dann müssen wir daraus schließen, daß die Logik des Chrysipp
die seiner stoischen Vorgänger auf grundsätzliche und definitive
Weise ersetzt hat. Das wird durch die antiken Urteile über seine Logik
bestätigt (vgl. ζ. B. DL 7.180).5 Erst mit der Logik Chrysipps hatte die
Stoa tatsächlich ihre eigene und für die Folgezeit maßgebende Logik
gefunden. Wenn irgendwo, dann gilt auf diesem Gebiet der bei Dio-
genes zitierte Vers, nach dem es ohne Chrysipp keine Stoa gegeben
hätte (vgl. DL 7.183). Das macht es aber nun umgekehrt verständlich,
daß die vorchrysippeische stoische Logik in einem Bericht wie dem,
der bei Diogenes Laertius erhalten ist, keine Spuren hinterlassen hat.
Damit ist aber das völlige Fehlen eines Hinweises auf die stoische
Theorie des Zeichens in dem bei Diogenes erhaltenen Bericht ein
argumentum e silentio dafür, daß diese Theorie, die wir bei Sextus so
ausführlich dargestellt gefunden haben, tatsächlich den frühen Stoi-
kern gehört.
Dieser Befund läßt sich nun noch durch eine weitere Beobachtung
ergänzen, die sich auf die Erklärung bezieht, die wir bei DL 7.45 für
den stoischen Begriff des Beweises (άπόδειξις) finden. Um die Bedeu-
tung dieser Begriffsexplikation für unsere Fragestellung zu sehen,
müssen wir zunächst noch einmal zu Sextus zurückkehren. Der Be-
weis, so wird uns in den Referaten des Sextus zu wiederholten Malen
mitgeteilt, ist eine Art des Zeichens (vgl. AM 8.180,277,299; PH 2.96,
122,131,134). Die Explikation des Beweises, die Sextus referiert (vgl.
AM 8.314, 385, 422-423; PH 2.135, 143, 170), macht es zu einer
Definitionsbedingung, daß ein Beweis eine nicht-offenkundige (άδη-

4
Dem steht nicht entgegen, daß es eine im engeren Sinne stoische Logik erst seit
Chrysipp gegeben hat, worauf insbesondere M. Frede hingewiesen hat (in Frede
(1974),26).
5
Weitere Nachweise in Frede (1974), 27 f.
Der Bericht über die stoische Logik bei Diogenes 57

λον) Konklusion aufdeckt. Das Verhältnis zwischen den Prämissen


eines Beweises und seiner Konklusion wird hier also mit demselben
Ausdruck charakterisiert, der auch benutzt wird zur Beschreibung des
Verhältnisses eines Antecedens, das ein Zeichen ist, zu seinem Succe-
dens. Daher finden wir auch das Beispiel des Milch-Habens nicht nur
für ein Zeichen (AM 8.252; PH 2.106), sondern auch für einen Beweis
gebraucht (AM 8.423). Und AM 8.140 wird gesagt, daß der Beweis
dank seiner Teilhabe am (Begriff des) Zeichen(s) seine Konklusion
aufdeckt.
Die Klassifizierung des Beweises (der ein Argument ist, vgl. AM
8.301,314; PH 2.135) als Zeichen (das Antecedens einer Konditional-
aussage ist) scheint sicher einigermaßen problematisch, verunklärt sie
doch die Unterscheidung zwischen behaupteten und nicht behaupte-
ten Aussagen.6 Aber dieses Problem können wir hier auf sich beruhen
lassen. Für uns ist entscheidend, daß in den Referaten des Sextus
sowohl Zeichen als auch Beweis auf der Unterscheidung zwischen
offenkundigen und nicht-offenkundigen Dingen beruhen. Denn ge-
nau diese Unterscheidung wird, wenn wir nun wieder zum Bericht des
Diogenes zurückgehen, für den Fall des Beweises durch einen bloß
graduellen Gegensatz ersetzt: „Der Beweis ist ein Argument (λόγος),
das aus dem besser Erkannten (δια των μάλλον καταλαμβα-
νόμενων) das weniger gut Erkannte (το ήττον καταλαμβανόμενον) er-
schließt." (7.45) Wer immer diese Erklärung des Beweises gegeben hat,
er kann nicht gleichzeitig auch den Beweis zu einer Art des Zeichens
und das Zeichen zu einem Antecedens gemacht haben, das ein nicht-
offenkundiges Succedens aufdeckt. Denn der Begriff des weniger gut
Erkannten ist weiter als der des nicht-offenkundigen Dinges.
Es ist natürlich nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, daß der
Autor der bei Diogenes Laertius erhaltenen Definition des Beweises
lediglich die Art-Gattung-Beziehung zwischen Beweis und Zeichen
aufgelöst hat. Aber sehr viel wahrscheinlicher ist es doch wohl, daß
die Überlegungen, die zu der Beweisdefinition bei Diogenes geführt
haben, auch für das erkenntnistheoretische Pendant des Beweises, für
das Zeichen, nicht ohne Folgen gebheben sind. Das aber heißt, daß
jedenfalls die bei Sextus referierte Theorie des Zeichens kaum einen
Platz in jener, dem Chrysipp und seiner Schule gehörenden logischen
Theorie gehabt haben kann, die im Referat des Diogenes dargestellt
wird.7

6
Vgl. dazu Burnyeat (1982a), 227.
7
O. Rieth hat in einem Exkurs („Die stoische σημεΐον-Lehre") seines ausgezeich-
neten Buches über Die Grundbegriffe der stoischen Ethik (Berlin 1933) zu zeigen
58 Die Theorie des Zeichens u. das Stoiker-Referat bei Diogenes

Damit können wir nicht nur aus dem Umstand, daß von einer
Theorie des Zeichens im Bericht des Diogenes Laertius über die stoi-
sche Logik nirgends die Rede ist, sondern auch aus einem bestimm-
ten, bei Diogenes referierten Theoriestück eine Unterstützung für ein
wichtiges Resultat unserer bisherigen Interpretation gewinnen: Die
stoische Theorie des Zeichens, von der uns bei Sextus berichtet wird,
ist ein Lehrstück der frühen Stoa.

b) Mitteilungen über frühe stoische Logiker bei Diogenes Laertius

Der bei Diogenes erhaltene Bericht über die stoische Logik (7.42-83)
konnte, auf Grund des darin benutzten Materials, nur in negativer
Hinsicht eine Bestätigung unserer bisherigen Untersuchung liefern.
Schließlich wird in diesem Bericht kein einziger Stoiker vor Chrysipp
erwähnt. Aber wir finden außerhalb dieses Berichtes eine Reihe von
Mitteilungen des Diogenes über stoische Logiker, die dem Chrysipp
vorangehen, und auch wenn wir an keiner Stelle etwas über Lehrmei-
nungen dieser Stoiker auf dem Gebiet der Logik erfahren, so erhalten
wir doch wertvolle Informationen über Themen, denen ihr Interesse
galt. Denn in der Mehrzahl sind diese Informationen Mitteilungen
von Titeln in Schriftenverzeichnissen.8
An erster Stelle ist hier die Tatsache zu erwähnen, daß Zenon eine
Abhandlung Über Zeichen (περί σημείων vgl. DL 7.4) verfaßt hat.
Diogenes Laertius teilt uns lediglich diesen Titel mit, als einen von
insgesamt neunzehn in einem, allerdings unvollständigen, Schriften-
verzeichnis.9 Über den Inhalt dieses Werkes erfahren wir nichts, aber

versucht, daß die stoische Zeichentheorie Chrysipp gehört. Er stützt sich dabei auf
zwei Stellen (Cicero, De nat. deoi. 2.16; Alexander, De mixt. 216 f. Bruns), an denen
Chrysipp Argumente zugeschrieben werden, die im Ausgang von beobachteten
Phänomenen Dinge erschließen wollen, die der Beobachtung entzogen sind. Aber
selbst wenn diese Argumente (oder bestimmte, in ihnen benutzte Prämissen) als
Zeichen im Sinne der bei Sextus überlieferten Theorie gelten können, so folgt doch
aus der Benutzung solcher Argumente keineswegs, daß Chrysipp sich auch die
Interpretation der in diesen Argumenten auftretenden Zeichen zu eigen gemacht
hat, die in der bei Sextus dargestellten Theorie gegeben wird. Sein Gebrauch solcher
Zeichen legt ihn ebensowenig auf diese Theorie fest wie der Gebrauch eines
Argumentes des Modus Barbara einen Argumentierenden auf die syllogistische
Theorie des Aristoteles festlegt.
8
DL teilt uns Schriftenverzeichnisse folgender Stoiker mit: Zenon (7.4), Persaios
(7.36), Ariston (7.163), Herillos (7.166), Dionysios (7.167), Kleanthes (7.174-175),
Sphairos (7.178) und Chrysipp (7.189-202).
9
Vgl. dazu v. Fritz (1972), Sp. 90; v. Fritz wirft die Frage auf: „Handelte die Schrift
περί σημείων von den σημεία, die später in der stoischen Erkenntnistheorie und Logik
Mitteilungen über frühe stoische Logiker bei Diogenes 59

es ist wohl keine ganz abwegige Vermutung, daß eine der von Sextus
benutzten Quellen letztlich auf dieses Werk des Zenon zurückgeht.
Daß Zenon seine Logik bei Mitgliedern der Dialektischen Schule, bei
Philon (DL 7.16) und Diodor (DL 7.25), gelernt hat, haben wir bereits
mehrfach erwähnt. Aber die Informationen des Diogenes machen es
wahrscheinlich, daß ein Einfluß der Logik der Dialektiker nicht auf
Zenon beschränkt gewesen ist. Unter den Titeln logischer Werke, die
den frühen Stoikern zugeschrieben werden, finden sich nämlich vier,
die Gegenstücke in Titeln oder Themen von Schriften der Dialektiker
haben.
So wird von Kleinomachos, der offenbar der Gründer der Dialekti-
schen Schule gewesen ist, bei Diogenes Laertius berichtet, er habe als
erster „über Aussagen, Prädikate und dergleichen" geschrieben (DL
2.112).10 Selbst wenn die Erwähnung der „Prädikate" (κατηγορήματα)
in dieser Aufzählung nur das Thema, nicht den Titel einer Schrift
anzeigt, so ist doch höchst aufschlußreich, daß sich sowohl im Ver-
zeichnis der Schriften des Kleanthes (vgl. DL 7.175) wie in dem seines
Schülers Sphairos (vgl. DL 7.178) eine Schrift mit dem Titel Über
Prädikate (περί κατηγορημάτων) findet.11 Das Werk des Kleanthes Über
Schlußweisen (περι τρόπων DL 7.175) hat eine Parallele in einer Schrift
Philons mit dem gleichen Titel, gegen die Chrysipp eine Abhandlung
verfaßt hat (vgl. DL 7.194). Ähnliches gilt von einer Schrift des
Sphairos mit dem Titel Über Mehrdeutigkeiten (περί αμφιβολιών vgl.
DL 7.178). Auch hier wird durch einen im Schriftenverzeichnis des
Chrysipp erhaltenen Titel die Existenz einer Abhandlung des Dialek-

eine beträchtliche Rolle spielen, aber für Z. sonst nicht ausdrücklich bezeugt sind,
oder um σημεία der Zukunft, die innerhalb der Physik behandelt werden würden?
Die Stellung der Schrift im Katalog scheint für die letztere Annahme zu sprechen."
(ibid.) Die Stellung im Schriftenkatalog scheint mir für die Antwort auf diese Frage
nichts herzugeben: Zwar geht eine Schrift kosmologisch-physikalischen Inhalts
vorher (περι τοΰ όλου), aber der folgende Titel (ΠυΟαγορικά) paßt kaum zu einer
physikalischen Abhandlung. Gegen die von v. Fritz geäußerte Vermutung spricht
aber der Umstand, daß das im Titel gebrauchte Substantiv schon bei Aristoteles als
logisch-erkenntnistheoretischer Terminus auftritt: in An. Prior. II 27. Die Art und
Weise, wie Sextus die den Stoikern zugeschriebene Theorie des Zeichens darstellt,
gibt im übrigen keinen Grund für die Meinung v. Fritz', daß die Zeichen „später in
der stoischen Erkenntnistheorie und Logik eine beträchtliche Rolle spielen" wer-
den. Da wir oben Gründe gefunden haben, diese Theorie den Stoikern vor Chry-
sipp zuzuweisen, scheint es plausibel, daß Zenons Schrift Über Zeichen ebenfalls
erkenntnistheoretischen Inhalts gewesen ist
10
Zu Kleinomachos vgl. Döring test. 32A, 34,35.
11
In der deutschen Übersetzung des DL von Apelt/Reich (Hamburg 1967) ist
dieser Titel an beiden Stellen fälschlich mit „Über Aussagen" wiedergegeben.
60 Die Theorie des Zeichens u. das Stoiker-Referat bei Diogenes

tikers Panthoides Über Mehrdeutigkeiten belegt (vgl. DL 7.193).12


Wenn man bedenkt, daß unter den Titeln, die sich für die frühen
Stoiker nachweisen lassen, insgesamt nicht mehr als ein Dutzend
sind, die überhaupt auf eine logische Thematik hinweisen, wenn man
ferner bedenkt, daß über Schriften der Dialektiker nur äußerst spärli-
che Angaben erhalten sind, dann ist die Liste dieser Übereinstimmun-
gen eindrucksvoller als sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Sie
zeigt, daß sich die stoische Logik vor Chrysipp in Bahnen bewegt, die
ihr durch die Untersuchungen der Dialektiker vorgezeichnet sind.13
Es hegt nahe zu vermuten, daß die Abhängigkeit der frühen Stoiker
von der Dialektischen Schule auch für die Theorie des Zeichens gilt.
Ein Hinweis in diese Richtung ist sicherlich der Gebrauch der philoni-
schen Deutung der Konditionalaussage in dieser Theorie. Ich möchte
im folgenden zeigen, daß es für diese Vermutung weitere Hinweise
gibt, Hinweise, die diese Vermutung zu einer Gewißheit machen.

c) Eine Schüft Philons Über Zeichen

Im Verzeichnis der Schriften Chrysipps, das, wenn auch unvollstän-


dig, bei Diogenes Laertius (7.189-202) erhalten ist, findet sich der
folgende Titel: προς τό περί σημασιών Φίλωνος Gegen Philons Schüft
,Über σημασίαι' (7.191). Der griechische Ausdruck, den ich unüber-
setzt gelassen habe, wird von den Übersetzern allgemein mit Bedeu-
tung' wiedergegeben,· Philon hätte demnach also eine Abhandlung
,Über Bedeutungen' geschrieben.14 Ich werde zu zeigen versuchen,
daß sich hinter diesem Titel in Wirklichkeit eine Schrift des Philon
Über Zeichen verbirgt.
Das Wort σημασία ist im Sinn,Bedeutung' vor allem bei dem Gram-
matiker Apollonios Dyskolos (2. Jh. n. Chr.) belegt, bei anderen Gram-
matikern dagegen nicht.15 Der früheste Beleg für die Verwendung von
12
Für Panthoides als Mitglied der Dialektischen Schule vgl. DL 5.68.
13
Frede hat auf diese Abhängigkeit der stoischen Logiker vor Chrysipp von den
im Text erwähnten vorstoischen Logikern hingewiesen (vgl. Frede (1974), 22), er
unterscheidet allerdings noch nicht zwischen den Dialektikern und den Megari-
kern und sieht hier einen Einfluß der megarischen Logik. Ähnlich Rist (1978), 389-
391.
14
So R. D. Hicks („On Meanings") in der Loeb-Ausgabe und Apelt/Reich („Von
den Bedeutungen") in der deutschen Übersetzung des DL (Hamburg 1967).
!s Vgl. Apollonios Dyskolos, De pronominibus 14,3; 39,21; 44,16; 56,13; 62,13;
161,13; 171,22; 178,5 Schneider; De adveibns 154,2 und 4 ; 205,14 Schneider.
Weitere Belege für diesen Gebrauch: Jamblich, Protrepticus 4 Pistelli; Ailianos,
Tactica 24,4 Köchly/Rüstow.
Eine Schrift Philons Über Zeichen 61

σημασία in diesem Sinn scheint eine Stelle in der Schrift des Epikureers
Philodem von Gadara De signis zu sein (XXXIV 2). Sie dürfte um die
Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts oder etwas später ent-
standen sein.16 In allen früheren Belegen für ein Vorkommen dieses
Ausdrucks hat es die Bedeutung ,Zeichen' oder ,Anzeichen'. In dieser
Bedeutung wird σημασία in der Septuaginta gebraucht, der griechi-
schen Übersetzung des Alten Testamentes, die etwa zwischen 300 und
150 v. Chr. entstanden sein dürfte. 17 Ebenso wird das Wort dann auch
bei Diodoros Sikulos (2.54) und bei Strabon (8.6.5) verwendet, die
beide ins erste vorchristliche Jahrhundert gehören. Aber auch in den
pseudo-aristotelischen Problemata, die nach 250 v. Chr. verfaßt sein
dürften, 18 tritt uns dieser Ausdruck an der einzigen Stelle seines
Auftretens im Corpus Aristotelicum in der Bedeutung,Zeichen' ent-
gegen: Es heißt dort, daß Handlungen ein Zeichen des Charakters
sind (αί δε πράξεις ήθους σημασία έστίν XIX 27, 919b36 f.). Fazit aus
diesen Beobachtungen: Zur Zeit Philons ist das Wort σημασία aus-
schließlich in der Bedeutung,Zeichen' belegt; der Sinn,Bedeutung' ist
erst über zwei Jahrhunderte später nachweisbar. Wir haben daher
allen Grund, den Titel in der Schriftenliste Chrysipps mit Gegen
Philons Schüft ,Üher Zeichen' zu übersetzen.
Daß die Schrift Philons περί σημασιών kaum ein Traktat über Wort-
bedeutungen gewesen sein kann, wird nun aber auch durch den
Kontext bestätigt, in dem dieser Titel erwähnt ist. Chrysipps Titel
Gegen Philons Schuft ,Über Zeichen' steht nämlich in einer Gruppe
von insgesamt acht Werktiteln, der sog. „Zweiten Zusammenstellung"
(σύνταξις δευτέρα) in einer größeren Gruppe innerhalb der logischen
16
Vgl. dazu P. H. und Ε. A. de Lacy (Hg.), Philodemus: On Methods of Inference
(2Neapel 1978), 163 f.
17
Das Wort ist in der Septuaginta 25mal belegt, davon lOmal im 3. Buch Mose,
8mal im 4. Buch Mose, je 2mal in der Chronik, im 2. Buch Esra und im 1. Buch der
Makkabäer, einmal im 11. Psalm. (Die Nachweise stellte mir dankenswerterweise
Dr. Larry Schrenk mit Hilfe des Ibycus-Programms der University of Texas in
Austin zur Verfügung.) Allerdings tritt σημασία in der Septuaginta als Übersetzung
für hebräische Ausdrücke mit vergleichsweise speziellem Sinn auf: Ausschlag,
Grind (3. Mose 13.2,6, 7,8; 14.56); Trompetensignal (4. Mose 10.5,6, 7; 29.1; 31.6;
1. Chron. 15.28; 2. Chron. 13.12; 2. Buch Esra 2.12, 13); Signal für das Jubeljahr
(3. Mose 25.10,11,12,13). - Weitere Belege bei anderen Autoren in LSJ s. ν. σημασία.
Zu ergänzen sind Belege für das Auftreten bei Galen, Opera XIX, ed. C. G. Kühn
(Leipzig 1830), 205, 539, 551, 561, 571. Hier hat das Wort den Sinn,Anfall' (einer
Krankheit).
18
Zur Datierung dieser pseudo-aristotelischen Schrift ist zu vergleichen: H.
Flashar (Hg.), Atistoteies: Problemata physica, übers, v. H. Flashar (Berlin 1962,
2
1975),357. Nach Flashar ist „die Grundschicht der Problemata kaum vor Mitte des
3. Jahrhunderts entstanden" (ibid.).
62 Die Theorie des Zeichens u. das Stoiker-Referat bei Diogenes

Schriften Chrysipps (vgl. DL 7.190-193). Die „Zusammenstellungen"


dieser Titelgruppe scheinen nach inhaltlichen Gesichtspunkten vor-
genommen zu sein. Die „Erste Zusammenstellung" versammelt Titel
von Werken, die über Aussagen allgemein, über die Konjunktion und
über bestimmte Arten einfacher (nicht-zusammengesetzter) Aussa-
gen handeln (vgl. DL 7.190); vier der Arten einfacher Aussagen, die an
der Stelle DL 7.69 aufgezählt sind, haben hier ein Pendant. Die „Dritte
Zusammenstellung" gibt eine Aufzählung der Titel von Schriften, deren
Gegenstände offenbar Satzarten sind, die nicht den Charakter einer
Aussage haben: Imperative, Fragen, Erkundigungen, Antworten (vgl.
DL 7.191).
Die „Zweite Zusammenstellung" nennt Schrifttitel, die auf die Be-
handlung von zusammengesetzten Aussagen hinweisen: Die ersten
beiden thematisieren die wahre disjunktive und die wahre konditio-
nale Aussage resp. (vgl. DL 7.190 ad. fin.). Die Schrift, deren Titel an
vierter Stelle in dieser Gruppe aufgeführt ist, hat sich mit dem Thema
der ακόλουθα befaßt, d. h. mit den Nachsätzen in Aussagen, die durch
,da' (έπεί) oder durch ,weil' (δίοτι) eingeleitet werden (vgl. dazu DL
7.74). Dieser Titel scheint allerdings verstümmelt zu sein: Die An-
fangsformel des Titels zeigt an, daß hier eine Schrift Chrysipps gegen
ein fremdes Werk mit dem Titel περί ακολούθων aufgeführt ist; man
vermißt die Angabe eines Verfassers, die in den vier anderen Titeln
dieses Schriftenverzeichnisses, welche die gleiche Anfangsformel auf-
weisen, nirgends fehlt.19 Der Text ist also wohl, vielleicht auf Grund
einer Beschädigung des Manuskriptes, an dieser Stelle lückenhaft.
Diese Beobachtung zur Textüberlieferung kann nun auch eine Hilfe
sein bei der Lösung des Problems, das mit dem voraufgehenden dritten
Titel dieser Liste gestellt ist: αίρεσις (7.191). Aus mehreren Gründen
scheint dieses Wort verdächtig. Zum einen paßt keine der möglichen
Bedeutungen des griechischen Wortes zum Titel eines logischen
Werkes. Weder der Sinn ,Partei, Sekte' noch die Bedeutung ,Wahl'
geben uns einen in diese Liste passenden Titel. Zweitens aber sind in
den wenigen Fällen, in denen Chrysipp nicht eine Überschrift gewählt
hat, die mit einer Präposition beginnt, die benutzten Substantiva so gut
wie immer Ausdrücke, die den Charakter der jeweiligen Schrift ange-
ben, wie /Zusammenfassung' (έπιτομή),,Abhandlung' (τέχνη), ,Grund-
riß' (ύπογραφή) oder,Gegenüberstellung' (σΰγκρισις). Substantiva, die
den Inhalt einer Schrift angeben, stehen immer im Plural. Schließlich
macht auch der Adressat dieser Schrift, Gorgippides, der an unserer
19
Nämlich 7.193, 194, 196 sowie der Titel an unserer Stelle, in dem Philons
Schrift erwähnt ist.
Eine Schrift Philons Über Zeichen 63

Stelle und an den anderen, an denen sein Name vorkommt (7.198;


7.200), stets ein Empfänger von Schriften logischen oder erkenntnis-
theoretischen Inhalts ist, es ganz unwahrscheinlich, daß wir es hier
etwa mit einem ethischen Traktat des Chrysipp zu tun haben. Auch
die Variante διαίρεσις in einer der Handschriften gibt keinen besseren
Sinn. Der Text ist auch hier offenbar verderbt.
Die Möglichkeit, daß wir es hier mit einem korrupten und vielleicht
auch verstümmelten Text zu tun haben,20 gewinnt an Wahrschein-
lichkeit, wenn man, wie oben gezeigt, auch für die folgende Zeile eine
Lücke annehmen muß, die möglicherweise auf der mechanischen
Beschädigung eines Manuskriptes beruht.
Von den folgenden Titeln Nummer fünf, sechs und acht (sieben ist
der Titel, in dem Philons Schrift erwähnt ist) hat es der letzte Titel, der
über die Frage der Falschheit handelt, ganz offensichtlich mit Aussa-
gen zu tun, denn nur diese können Träger von (Wahrheit und) Falsch-
heit sein (vgl. DL 7.65). Auch das an sechster Stelle genannte Werk
περί δυνατών behandelt eine Klasse von Aussagen: Die möglichen
Aussagen sind, wie im Referat des Diogenes (7.75) erläutert wird, jene,
die wahr sein können, sofern keiner der äußeren Umstände das Wahr-
sein verhindert. Unklar ist, was sich hinter dem fünften Titel verbirgt:
περί τοϋ δια τριών πάλιν προς Γοργιππίδην α'. Apelt hat übersetzt: „Von
dem Dreigliedrigen, wieder an Gorgippides 1 Buch". Hicks gibt diesen
Titel wieder mit: „On the Argument which employs three Terms, also
addressed to Gorgippides, one book". Leider ist nicht auszumachen,
welches Substantiv hinter dem Ausdruck δια τριών zu ergänzen ist.
Eine Möglichkeit ist die, hier τροπικών einzufügen: Aus einer Stelle bei
Galen ergibt sich, daß die Stoiker neben Syllogismen, die δια δύο
τροπικών genannt wurden, auch solche δια τριών kannten. 21 In diesem
Fall hätten wir es hier also mit einer Schrift Chrysipps über einen
bestimmten Schlußtyp zu tun,· allerdings wäre dann nicht, wie Hicks
meint, von drei Ausdrücken (terms), sondern von drei Prämissen die
Rede. Gegen diese Interpretation spricht der Umstand, daß die Schrif-

20
Die Übersetzer behelfen sich denn auch mit Vorschlägen, die wenig plausibel
klingen: „Choosing from Alternatives" (R. D. Hicks), „Wahl (?)" (Apelt/Reich). Eine
mögliche Konjektur wäre vielleicht: περί αιτιώδους. Darunter wird in der stoischen
Logik die Kausalaussage verstanden (vgl. DL 7.74). Sie muß nach den Stoikern (1)
dem Kriterium der Konditionalaussage genügen, also wohl eine Folgebeziehung im
Sinne der συνάρτησις aufweisen, (2) einen wahren Antecedens haben, und (3) darf
die Folgebeziehung nicht umkehrbar sein.
21
Vgl. Galen, De placitis Hipp, et Plat. 182 Mueller; die Lesart (ή) τριών ist
allerdings unsicher und vom neuesten Herausgeber nicht übernommen worden,
vgl. De placitis Hipp, et Plat. I, S. 114 de Lacy.
64 Die Theorie des Zeichens u. das Stoiker-Referat bei Diogenes

ten Chrysipps zur Schlußtheorie in einem anderen Teil dieses Titel-


verzeichnisses versammelt sind (vgl. DL 7.194-198).22 Wir können
diese Frage hier nicht abschließend entscheiden, müssen es aber für
unser Problem auch nicht.
Wir hatten diese Gruppe von acht Schrifttiteln des Chrysipp, von
denen uns einer den Titel von Philons Schrift περί σημασιών konser-
viert hat, in der Absicht untersucht, eine zusätzliche Bestätigung dafür
zu finden, daß der fragliche Traktat Philons nicht über (Wort-)Bedeu-
tungen gehandelt hat. Dieses negative Resultat wird durch unsere
Beobachtungen zur Genüge bestätigt. Soweit sich von den Titeln
überhaupt mit einiger Sicherheit auf das Thema der jeweiligen Ab-
handlung schließen läßt, haben sich diese Schriften des Chrysipp mit
Aussagen befaßt. Eine Schrift über Bedeutungen wäre in diesem Kon-
text ganz fehl am Platze. Umgekehrt paßt aber eine (vermutlich kriti-
sche) Behandlung der Zeichen, nach allem, was wir darüber bisher
(aus stoischer Quelle) gehört haben, sehr gut in die Thematik dieser
Schriftengruppe. Denn ein Zeichen ist als Antecedens einer bestimm-
ten Konditionalaussage eine Teilaussage in einer zusammengesetzten
Aussage, und auf die Behandlung zusammengesetzter Aussagen ver-
weisen die ersten beiden Titel dieser Gruppe, auf die Behandlung
einer Teilaussage in bestimmten (nicht wahrheitsfunktionalen) zu-
sammengesetzten Aussagen der vierte Titel.23
Um ein Fazit aus den Ausführungen dieses Abschnittes zu ziehen:
Wir können die Existenz einer Abhandlung Philons zum Thema der

22
Merkwürdig ist auch das Auftreten von πάλιν („wiederum") in diesem Titel,
das in mehreren Hss. auch fehlt. An keiner anderen Stelle dieses Verzeichnisses
steht vor einem Namen eines Adressaten ein πάλιν oder ein äquivalenter Ausdruck,
obwohl sich diese Namen oft wiederholen (ζ. B. Zenon 5mal 7.195; Aristokreon
3mal 7.197; Metrodoros 4mal hintereinander 7.199). Zusammen mit dem schwer
erklärbaren Titel selbst könnte dieser Befund ein Indiz dafür sein, daß auch hier
eine Korruptel vorliegt. Möglicherweise ist für περί τοϋ δια τριών πάλιν zu konjizie-
ren: περί τοϋ διασαφοϋντος (zu diesem Typ zusammengesetzter Aussage vgl. DL
7.72-73).
23
Auch hinter dem sechsten Titel dieser Gruppe (περί δυνατών) verbirgt sich eine
Abhandlung über Aussagen: Die Definitionen und die Beispiele, die bei DL 7.75 für
die Modalbegriffe (möglich, unmöglich, notwendig, nicht-notwendig) gegeben
werden, zeigen sehr klar, daß diese Begriffe Aussagen charakterisieren sollen. Was
den Begriff des Möglichen angeht, so erklärt sich sein Auftreten in einer Titel-
sammlung, die es offenbar in erster Linie mit Schriften über zusammengesetzte
Aussagen und Teilaussagen zu tun hat, vielleicht daraus, daß es Sinn macht, für
Teilaussagen bestimmter komplexer Aussagen zu fordern, daß sie (zwar nicht
wahr, aber doch) „wahrheitsfähig" (έπιδεκτικόν τοϋ αληθές είναι) sein müssen: etwa
Antecedens-Aussagen bestimmter, nicht-irrealer Konditionalaussagen. Durch den
Begriff der Wahrheitsfähigkeit aber wird der des Möglichen definiert (vgl. DL 7.75).
Eine Schrift Philons Über Zeichen 65

Zeichen als gesichert ansehen.24 Nach allem, was wir über das Ver-
hältnis Zenons (und anderer stoischer Logiker aus der Zeit vor Chry-
sipp) zu Philon wissen, ist es sehr wahrscheinlich, daß die Theorie des
Zeichens, die Philon in seiner Schrift Über Zeichen entwickelt hat, auf
Zenon Einfluß gehabt hat und daß Zenons Schrift Über Zeichen in
der philonischen Abhandlung einen Vorläufer gehabt hat. Läßt sich
auf Grund der erhaltenen Quellen über den Inhalt der Theorien des
Zeichens, die Philon einerseits und Zenon andererseits entwickelt
haben, mehr herausbringen als die (gut begründete) Vermutung einer
Abhängigkeit Zenons von der philonischen Lehre über diesen Gegen-
stand?

24
Merkwürdig erscheint allerdings, daß Philon mit dem in seinem Titel benutz-
ten Ausdruck σημασία ein Wort zum terminus technicus macht, das offenbar auch
zu seiner Zeit noch wenig gebraucht war (faktisch wäre dieser Titel Philons wohl
der früheste Beleg), obwohl es für die gemeinte Sache seit Aristoteles einen einge-
führten Terminus gibt, den auch die bei Sextus ausgeschriebenen stoischen Quel-
len benutzt haben: eben σημεϊον. Daß für Philon ebenso wie für Aristoteles (vgl. An.
Prior. II 27, 70a6-7) und die stoischen Autoren, aus denen Sextus schöpft, der
Begriff des Zeichens mit dem der Aussage verknüpft war, wird durch den Kontext,
in dem der Titel der philonischen Schrift vorkommt, so gut wie sicher gemacht. Die
thematische Kontinuität, in der Philon steht, macht den Bruch in der Terminologie,
den sein Titel dokumentiert, um so auffälliger. Dieser Umstand und die Beobach-
tungen, die im vorstehenden zum überlieferten Text des Titelverzeichnisses an
dieser Stelle gemacht worden sind, lassen es immerhin erwägenswert erscheinen,
auch im Fall dieses Titels eine Textverderbnis anzunehmen und statt des überliefer-
ten philonischen Titels περί σημασιών (der ohne Zweifel die lectio difficilioi ist) den
Standardausdruck περί σημείων zu lesen.
Drittes Kapitel:
Dialektiker und frühe Stoiker
zur Theorie des Zeichens

a) Ein Text Pseudo-Galens als Quelle für Philons Theorie des Zeichens

In der fälschlich unter dem Namen Galens überlieferten Historia


philosopha gibt das neunte Kapitel unter der Überschrift „Über das
Zeichen" (περί σημείου) ein knappes Referat der Definition des Zei-
chens und der Einteilung der Zeichen in endeiktische und hypomne-
stische. Die hier referierte Theorie wird im allgemeinen für stoisch
gehalten.1 Ich werde im folgenden nachzuweisen versuchen, daß
dieses Textstück eine Lehre nicht der stoischen, sondern der Dialekti-
schen Schule enthält und daß sein Inhalt mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit auf Philon zurückgeht.
Hier zunächst der griechische Text dieses Kapitels zusammen mit
einer Übersetzung:
Σημεΐον τοίνυν oi μεν διαλεκτικοί φασιν αξίωμα έν ύγιεϊ συνημμένη καθηγουμενον
έκκαλυπτικόν τοΰ λήγοντος, των δέ σημείων τά μεν έστιν ένδεικτικά τά δέ ύπομνηστικά-
ύπομνηστικόν μεν ούν έστιν, δπερ συμπαρατηρηθέν τφ σημειωτφ αμα (τφ) φανήναι το
σημεΐον και του σημειωτοϋ εις γνώσιν ή μας άγει, όποΐόν έστιν έπι τοΰ καπνού- τοϋτον γαρ
ίδόντες εύθυς γινώσκομεν, ότι έκ πυρός γεγονώς έστιν. ένδεικτικον δέ έστι σημεΐον το μη
πρότερον συμπαρατηρηθέν τφ σημειωτφ, ού δέ φανέντος εις γνώσιν άφικόμεθα τοΰ
σημειωτοϋ, ώσπερ έπί της γάλα έχουσης εύθυς γινώσκομεν, ότι τετοκυΐά έστιν.2
Die Dialektiker nun erklären, daß ein Zeichen eine Aussage ist, die das Prä-
Antecedens in einer richtigen Konditionalaussage bildet und die das Succedens
aufdeckt. Die Zeichen sind teils endeiktisch, teils hypomnestisch. Hypomne-
stisch ist ein Zeichen, das zusammen mit dem, wofür es Zeichen ist, beobachtet
worden ist und uns zugleich mit dem Erscheinen des Zeichens auch zur Kenntnis
dessen führt, wofür es Zeichen ist, wie etwa beim Rauch; denn wenn wir den
sehen, erkennen wir sofort, daß er aus Feuer entstanden ist. - Endeiktisch ist ein

1 So Diels, Dox. Gr. 246, Burnyeat (1982a), 212 Anm. 47; allerdings hat v. Arnim

diesen Text nicht in seine Sammlung der Stoikerfragmente aufgenommen.


2 Ich gebe den Text nach FDS 1027, wobei ich mit Burnyeat (1982a), 222 Anm. 70

das προκαθηγουμενον, welches Hülser und Diels nach dem Vorgang von Prantl für
das και ήγούμενον der Handschriften konjizieren, durch καθηγουμενον ersetze.
Burnyeats Vorschlag hat gegenüber der Konjektur von Prantl den Vorzug, daß sie
die Anzahl der Buchstaben nicht vermehrt. Daß der Ausdruck sachlich paßt, wird
durch seinen Gebrauch in der Formel bei Sextus AM 8.245 gesichert.
Pseudo-Galen als Quelle für Philons Theorie des Zeichens 67

Zeichen, das nicht zuvor zusammen mit dem, wofür es Zeichen ist, beobachtet
worden ist, durch dessen Erscheinen wir aber gleichwohl zur Kenntnis dessen
kommen, wofür es Zeichen ist, wie wir im Fall einer Frau, die Milch hat, erken-
nen, daß sie geboren hat. (Hist, philos. cap. 9, Diels, Dox. Gr. 605,10-18=FDS 1027)
Wer sind die „Dialektiker", die hier referiert werden? Sind es (stoische)
Logiker oder Mitglieder der Dialektischen Schule? Beachten wir zu-
nächst, daß der Verfasser der Histona von der Existenz der Dialekti-
schen Schule weiß. Im vierten Kapitel, in dem er die Benennungen
verschiedener philosophischer Schulen erklärt, ist die Dialektische
Schule - in der Ausgabe von Kühn - zweimal erwähnt.3 Diels hat
jedoch die erste Erwähnung eingeklammert und die zweite zusam-
men mit dem Satz, in dem sie in der Ausgabe von Kühn erscheint,
ausgelassen.4 Zwar wird die Dialektische Schule im siebten Kapitel
(περί αιρέσεων), das eine Einteilung der philosophischen Schulen gibt,
nicht erwähnt, aber das scheint seinen Grund in dem dort gewählten
Einteilungsgesichtspunkt zu haben: der Dreiteilung in Dogmatiker,
Skeptiker und Eristiker, wobei für die Unterabteilungen jeweils nur
einige prominente Vertreter genannt sind. So fehlen auch andere der
in Kapitel 4 angeführten Schulen, wie die Kyniker oder die Peripateti-
ker. Bemerkenswert ist immerhin, daß unter den Philosophen, die hier
als Vertreter der Eristiker genannt werden, neben Euklid und Mene-
demos auch Kleinomachos angeführt wird, der Begründer der Dialek-
tischen Schule (vgl. DL 1.19).
Aber auch wenn der Verfasser der Historie, philosopha (oder seine
Quelle) die Dialektische Schule kennt, so reicht das doch keineswegs
aus, um den Schluß zu rechtfertigen, daß die in Kapitel 9 erwähnten
„Dialektiker" (die) Mitglieder der Dialektischen Schule sind. Es zeigt
bestenfalls, daß es Mitglieder der Dialektischen Schule sein können.
Für den Nachweis, daß diese „Dialektiker" tatsächlich Mitglieder der
Schule sind, brauchen wir also ein besseres Argument.
Ich gehe nun für meine folgenden Überlegungen davon aus, daß die
von Pseudo-Galen erwähnten „Dialektiker" entweder stoische Logi-
ker oder Mitglieder der Dialektischen Schule sind, daß es also keine
weiteren Anwärter gibt. Wenn sich also zeigen läßt, daß die von

3
Vgl. Galen, Opera XIX 230 Kühn.
4
Nach dem Text bei Diels, Dox. Gr. 602, 5 hat Kühn folgenden Text: ή
δ'άπο μέρους φιλοσοφίας ό μάλιστ' έπετήδευσαν, ώς διαλεκτική. Unklar ist, ob Kühn sich
für diesen Text auf die Autorität einer Handschrift stützt oder ob es sich um eine
Konjektur handelt. Diels erwähnt diesen Text in seinem Apparat nicht. Allerdings
zeigt der textkritische Apparat von Diels, daß in der besten Handschrift (Lauren-
tianus A, vgl. Diels, Dox. Gr., Proleg. 241) die διαλεκτική (sc. αϊρεσις) erwähnt ist.
68 Dialektiker und frühe Stoiker zur Theorie des Zeichens

Pseudo-Galen referierte Theorie nicht den Stoikern gehört; dann müs-


sen wir sie den Dialektikern zuschreiben.
Zunächst läßt sich feststellen, daß die Terminologie dieses Kapitels
keinerlei spezifisch stoischen Einfluß verrät. Die Ausdrücke, die hier
Erkenntnisleistungen bezeichnen, sind γνώσις (Diels, Dox. Gr. 605,
Z. 14 und 16) und γιγνώσκειν (Ζ. 15 und 17); der stoische Terminus
κατάληψις, der im (stoischen) Kontext von AM 8.253 mit Beziehung
auf das gebraucht wird, was durch das Zeichen erkannt wird, fehlt hier
ebenso wie das Verbum καταλαμβάνειν. Ebensowenig findet sich eine
Erwähnung der nicht-offenkundigen Dinge und der Einteilung dieser
Dinge, die sowohl in den PH 2.97-99 als auch in AM 8.145-150 mit
Hilfe eben des Begriffs der κατάληψις bzw. des καταλαμβάνειν vorge-
nommen wird. An beiden Stellen bildet die Einteilung der nicht-
offenkundigen Dinge den Hintergrund für die Unterscheidung des
endeiktischen vom hypomnestischen Zeichen (vgl. PH 2.99,· AM
8.148-151). Das Fehlen spezifisch stoischer Terminologie und die
Abwesenheit eines Lehrstücks, das für die von Sextus als stoisch
referierte Theorie des Zeichens charakteristisch ist, machen es im-
merhin wahrscheinlich, daß das Kapitel 9 der Histona über eine nicht-
stoische Form der Theorie des Zeichens berichtet.
Ein weitaus stärkeres Argument gegen die stoische Herkunft der
von Pseudo-Galen referierten Theorie gibt uns nun aber eine Beobach-
tung zum endeiktischen Zeichen an die Hand. Sowohl die in der
Histona gegebene Erklärung des endeiktischen Zeichens als auch das
erläuternde Beispiel sind unvereinbar mit dem, was wir im Referat des
Sextus zu dieser Klasse der Zeichen finden. In AM 8.154 heißt es vom
endeiktischen Zeichen, daß es
keine gleichzeitige Beobachtung mit dem zuläßt, wofür es ein Zeichen ist (denn
das von Natur aus nicht-offenkundige Ding ist prinzipiell nicht wahrnehmbar
und kann deshalb nicht mit einem der erscheinenden Dinge zusammen beob-
achtet werden).
Nun ist das Beispiel, das in der Histona für das endeiktische Zeichen
benutzt wird („Wenn diese Frau Milch hat, so hat sie geboren"), mit
der im Referat des Sextus erhobenen Forderung schlechterdings nicht
zu vereinbaren. Eine Geburt ist ein Ereignis, das beobachtet werden
kann, und daher hat sie keinen Platz unter den von Natur aus nicht-
offenkundigen Dingen.5 Auch ist keineswegs ausgeschlossen, daß
das Milchhaben zugleich mit der Geburt beobachtet wird. Das erläu-

5
Das hat schon Philippson (1881), 60 bemerkt, der aber leider das bei Sextus
überlieferte stoische Beispiel εί γάλα εχει αύτη, κεκυηκεν αΰτη dahingehend mißver-
steht, daß im Succedens von Geburt (statt von Empfängnis) die Rede ist
Pseudo-Galen als Quelle für Philons Theorie des Zeichens 69

ternde Beispiel, das im Referat der Historia für das endeiktische Zei-
chen gegeben wird, steht also im Widerspruch zu einer Definitionsbe-
stimmung des endeiktischen Zeichens, die Sextus referiert.
Eine entsprechende Feststellung gilt nun auch von der Erklärung
des endeiktischen Zeichens selbst, denn im Referat bei Pseudo-Galen
ist lediglich verlangt, daß das endeiktische Zeichen „nicht zuvor zu-
sammen mit dem, wofür es Zeichen ist, beobachtet worden ist", wäh-
rend die von Sextus in A M referierte Quelle eine gleichzeitige Beob-
achtung des Zeichens und dessen, wofür es Zeichen ist, ausschließen
will. Das Beispiel, das in der Histotia für das endeiktische Zeichen
angeführt wird, m a c h t klar, daß hier nur ein faktischer Mangel der
Beobachtung, nicht ihre Unmöglichkeit gemeint ist. 6 Fazit: Die Theo-

6 Hier scheint noch der Einwand möglich, daß das Beispiel gleichwohl schlecht

gewählt ist, denn gerade der Arzt, der aus dem Milchhaben auf die vorausgegan-
gene Geburt schließt, kann eine Geburt und das Milchhaben der Mutter zusam-
men beobachtet haben. Aber dieser Einwand geht von der unzutreffenden An-
nahme aus, daß dieses Beispiel seinen Ursprung im ärztlichen Sprechzimmer hat.
In Wahrheit gehört dieses Beispiel nicht in einen medizinischen, sondern in einen
forensischen Kontext. Das wird sofort klar, wenn wir zu dem ersten Text kommen,
in dem das Milch-Beispiel gebraucht wird, nämlich zum platonischen Menexenos
237e, eine Stelle, die in den neueren Diskussionen der Theorie des Zeichens
merkwürdigerweise gänzlich unberücksichtigt geblieben ist Dort sagt Sokrates
folgendes: „Jedes Gebärende nämlich hat angemessene Nahrung für das Geborene;
woran auch jede Frau zu erkennen ist, ob sie in der Tat geboren hat oder nicht,
sondern das Kind sich nur unterschiebt, wenn sie nicht Quellen der Nahrung hat
für das Erzeugte." [Menex. 237e2-5, übers, v. Schleiermacher) Die Frage, ob eine
Frau nur vorgibt, ein Kind geboren zu haben, oder dies zu Recht behauptet, gehört
in einen rechtlichen, nicht in einen medizinischen Zusammenhang. (Egert Pöhl-
mann hat mich dankenswerterweise darauf hingewiesen, daß das Beispiel des
Milchhabens als Beweis für eine voraufgegangene Geburt in ganz analogem Zu-
sammenhang in der Neuen Komödie gebraucht wird: in Menanders Samia; vgl. v.
276, 536, 540).
Dieser Test ergibt für die Frage der Mutterschaft bei einem bestimmten Kind nur
bei negativem Ausgang einen beweiskräftigen Schluß (vom Nicht-Milchhaben auf
das Nicht-Geborenhaben), und darauf ist auch in dem Menexenos-Zitat abgestellt.
Bei positivem Befund erlaubt der Test nur den Schluß, daß eine Frau überhaupt,
nicht daß sie ein bestimmtes Kind geboren hat; aber ein starkes prima-facie-
Argument für eine behauptete Mutterschaft dürfte er auch in diesem Fall sein. In
dem (chronologisch) nächsten Beleg für einen Gebrauch dieses Beispiels ist dann
auch das Milchhaben bereits ein Zeichen für das Geborenhaben überhaupt: „Sie
hat geboren, weil sie Milch hat." (Aristoteles, Rhet. 12,1357bl4-16).
An dem Gebrauch im Menexenos ist weiter zu beachten, daß hier im Ausgang
von einer ganz generellen teleologischen Prämisse argumentiert wird und daß
damit eine vorausgehende gleichzeitige Beobachtung von Milchhaben und Geburt
nicht vorausgesetzt ist; das erleichtert den späteren Gebrauch dieses Beispiels als
Fall eines endeiktischen Zeichens.
70 Dialektiker und frühe Stoiker zur Theorie des Zeichens

rie des Zeichens, die wir bei Pseudo-Galen referiert finden, ist eine
andere als die, von der Sextus in AM berichtet.
Wie verhält es sich mit der Quelle, die Sextus in den PH 2.97-101
ausschreibt? Hier scheint zunächst kein derart expliziter Widerspruch
zum Referat Pseudo-Galens vorzuliegen, denn das endeiktische Zei-
chen wird hier definiert als eines,
das nicht mit dem, wofür es Zeichen ist, in evidenter Wahrnehmung (δι' έναρ-
γείας) zusammen beobachtet worden ist, sondern auf Grund seiner eigenen
Natur und Zurichtung das anzeigt, wofür es ein Zeichen ist. PH 2.101

Diese Bestimmung ist mit der Erklärung des endeiktischen Zeichens


in der Historia durchaus verträglich. Was jedoch auch das Referat in
den PH mit der von Pseudo-Galen referierten Theorie unverträglich
(und die PH-Stelle selbst inkonsistent) macht, ist die unmittelbar
voraufgehende Zuweisung des hypomnestischen Zeichens an den
Bereich der zeitweilig nicht-offenkundigen Dinge, der endeiktischen
Zeichen an die von Natur aus nicht-offenkundigen Dinge (PH 2.99).
Da all das, was durch ein Zeichen erkannt werden kann, in den
Bereich der zeitweilig oder von Natur aus nicht-offenkundigen Dinge
gehört und da die zeitweilig nicht-offenkundigen Dinge durch hy-
pomnestische Zeichen erkannt werden, können endeiktische Zei-
chen sich nur auf von Natur aus nicht-offenkundige Dinge richten.
Das aber paßt nicht zu der Erklärung des endeiktischen Zeichens und
dem dafür gegebenen Beispiel im Referat Pseudo-Galens.
Hinzu kommt nun aber auch, daß das Beispiel der PH für ein
endeiktisches Zeichen - die körperlichen Bewegungen als Zeichen
der Seele - dasselbe ist wie das in AM benutzte (vgl. PH 2.101 und
AM 8.155). Dort aber war ausdrücklich erklärt worden, daß die Seele
zu den von Natur aus nicht-offenkundigen Dingen gehört. Auch
wenn die in den PH benutzte Quelle also in der Charakterisierung
des endeiktischen Zeichens 2.101 von der in AM zugrunde gelegten
Quelle abweicht, so stimmt sie doch mit ihr überein in der Wahl des
Beispiels und in der unmittelbar vorher vorgenommenen Zuordnung
der beiden Zeichenklassen zu den zeitweilig und den von Natur aus
nicht-offenkundigen Dingen, und d. h. gerade in den Stücken, die
eindeutig stoisch geprägt sind.
Es hegt auf der Hand, daß die unterschiedliche Bestimmung des
endeiktischen Zeichens in den stoischen Quellen, aus denen Sextus
schöpft, auf der einen und in der von Pseudo-Galen benutzten Quelle
auf der anderen Seite auch unmittelbar Konsequenzen hat für das
Verständnis des hypomnestischen Zeichens. Wird das endeiktische
Zeichen in der Weise eingeschränkt, daß es sich nur noch auf von
Pseudo-Galen als Quelle für Philons Theorie des Zeichens 71

Natur aus nicht-offenkundige Dinge bezieht, dann muß ein hypo-


mnestisches Zeichen, wenn anders die Disjunktion endeiktisch/hy-
pomnestisch vollständig sein soll, überall dort vorliegen, wo von
einem Zeichen aus auf etwas geschlossen wird, was im Prinzip der
Wahrnehmung offensteht, auch wenn ich es noch nie wahrgenom-
men habe und also von einem Vorgang des Emmerns gar nicht die
Rede sein kann.
Umgekehrt ist klar, daß die Distinktion der beiden Zeichenarten,
wie wir sie in der Histona referiert finden, von der Unterscheidung der
zeitweilig und der von Natur aus nicht-offenkundigen Dinge gar
keinen Gebrauch machen kann; sie fehlt dort also nicht zufällig,
sondern hätte dort aus systematischen Gründen gar keinen Platz.
Denn dort ist die Klasse der hypomnestischen Zeichen eingeschränkt
auf jene, bei denen das Zeichen und das, wofür es Zeichen ist, zusam-
men beobachtet worden sind und bei denen daher das Zeichen tat-
sächlich einen Vorgang des Ennnerns auslöst. Damit kann nun ande-
rerseits Gegenstand eines endeiktischen Zeichens sehr viel mehr sein
als nur das, was von Natur aus nicht-offenkundig ist. Die Unterschei-
dungshinsicht in der Quelle, die dem Referat Pseudo-Galens zu-
grunde liegt, ist offenbar an einer ganz anderen Trennungslinie orien-
tiert als an der, die durch den Gegensatz der zeitweilig und der von
Natur aus nicht-offenkundigen Dinge markiert wird.
Eine letzte Beobachtung zu dem diskutierten Quellenmaterial: Die
Rede von einem ,hypomnestischen', d. h. eine Erinnerung auslösen-
den Zeichen ist im Fall der Unterscheidung der beiden Zeichenarten,
wie sie von Pseudo-Galen referiert wird, durchaus passend. Denn in
der von Pseudo-Galen referierten Quelle sind die hypomnestischen
Zeichen tatsächlich solche, die uns etwas in Erinnerung rufen; dafür
sorgt die Forderung, daß sie zusammen mit dem, dessen Zeichen sie
sind, beobachtet worden sein müssen. Unpassend und eher irrefüh-
rend wird aber dieser Terminus dann, wenn er, wie in den bei Sextus
benutzten Quellen, all jene Zeichen charakterisieren soll, die sich auf
zeitweilig nicht-offenkundige Dinge beziehen, denn darunter können
ganz wohl solche sein, die zuvor noch nicht beobachtet worden sind
und die daher auch nicht in Erinnerung gerufen werden können.
Diese Beobachtung gibt uns nun einen wichtigen Hinweis für die
chronologische Ordnung der Quellen, die bei Pseudo-Galen und bei
Sextus benutzt werden. Es spricht nämlich alles dafür, daß die Quelle,
in der ein terminus technicus seinem Wortsinn nach gebraucht wird,
früher ist als die Quelle, in der er in einer von seinem Wortsinn
abweichenden Bedeutung benutzt ist. Da wir oben (S. 51) gesehen
haben, daß die von Sextus in AM benutzte Quelle früher sein dürfte
72 Dialektiker und frühe Stoiker zur Theorie des Zeichens

als die in den PH ausgeschriebene, erhalten wir hinsichtlich der zeitli-


chen Abfolge der unseren drei Texten zugrunde hegenden Quellen
folgendes Bild: Histona philosopha, AM, PH.
Damit können wir zu einer abschließenden Folgerung hinsichtlich
der Frage kommen, ob die von Pseudo-Galen referierte Theorie des
Zeichens stoisch ist oder nicht. Diese Frage läßt sich auf Grund der
oben dargestellten Befunde im negativen Sinn beantworten. Wird eine
stoische Herkunft der hier referierten Theorie schon durch das Fehlen
spezifisch stoischer Terminologie unwahrscheinlich gemacht, so wird
sie positiv ausgeschlossen durch die systematische Unvereinbarkeit,
die sich im Fall des endeiktischen Zeichens zwischen der Quelle der
Histona und den stoischen Quellen des Sextus nachweisen ließ. Eine
Beobachtung zu einer Bedeutungsverschiebung im Gebrauch der
Rede vom ,hypomnestischen' Zeichen zeigte überdies, daß die Quelle,
aus der die Theorie des Zeichens in der Histona geschöpft ist, zeitlich
vor die stoischen Quellen gehört, die Sextus benutzt.
Da die von Pseudo-Galen referierte Theorie also nicht stoisch ist,
müssen wir sie den Mitgliedern der Dialektischen Schule zuweisen.
Die ,Dialektiker', denen diese Theorie zugeschrieben wird, sind also
tatsächlich Dialektiker im Sinne des Schulnamens. Da sich zeigen
Heß, daß der Dialektiker Philon eine Abhandlung Über Zeichen ge-
schrieben hat, und da überdies in den stoischen Quellen des Sextus
die Erklärung des Zeichens von der philonischen (wahrheitsfunk-
tionalen) Interpretation der Konditionalaussage Gebrauch macht,
spricht einiges dafür, daß die bei Pseudo-Galen erhaltene Theorie des
Zeichens letztlich auf Philons Schrift Über Zeichen zurückgeht.

b) Philons Theone des Zeichens und ihre Umbildung bei den


frühen Stoikern

Versuchen wir abschließend, die Stücke dieses Puzzles so zusammen-


zusetzen, daß daraus eine verstehbare Geschichte wird.
Philon, der Dialektiker, ist offenbar derjenige, der die erkenntnis-
theoretische Diskussion der hellenistischen Philosophen über das
Zeichen in Gang setzt. Er stellt eine Definition des Zeichens auf, die in
der nachfolgenden Diskussion kanonisch werden sollte. Obwohl Phi-
lon nicht der erste ist, der den Zeichen einen propositionalen Charak-
ter zuschreibt, der sie als Aussagen ansieht - in dieser Hinsicht ist ihm
Aristoteles vorausgegangen7 -, so scheint er doch der erste gewesen zu

1 Vgl. An. Prior. II 27, 70a6-7.


Philons Theorie des Zeichens bei den frühen Stoikern 73

sein, der es zu einer Definitionsbestimmung des Zeichens macht, daß


es etwas Nicht-Offenkundiges aufdeckt. Der Sache nach ist dieses
Moment des Zeichens zwar auch schon im Gebrauch des Milch-
Beispiels im platonischen Menexenos (237e) und in der aristoteli-
schen Rhetonk (II 2, 1357b 14-16) enthalten, aber erst Philon macht
daraus ein Definitionsmerkmal, ein wesentliches Charakteristikum
des Zeichens. Und erst diese Auszeichnung des aufdeckenden Cha-
rakters gibt dem Begriff des Zeichens seine herausragende Stellung in
der Erkenntnistheorie.8
Darüber hinaus scheint Philon als erster eine Unterscheidung ein-
geführt zu haben, die die Zeichen in zwei große Gruppen zerlegt: in
die hypomnestischen und die endeiktischen. Im Unterschied zu der
späteren Bestimmung dieser beiden Zeichenarten bei den Stoikern ist
diese Distinktion bei Philon jedoch nicht an eine Unterscheidung im
Bereich dessen geknüpft, was durch Zeichen aufgedeckt werden
kann. Vielmehr scheint sie an dem Charakter der Verbindung zwi-
schen dem Zeichen und dem, was es aufdeckt, orientiert zu sein. Im
Fall des hypomnestischen Zeichens beruht diese Verbindung primär
auf einer Leistung des Erinnerungsvermögens, im Fall des endeikti-
schen Zeichens auf einer Leistung des Folgerungsvermögens, im
ersten Fall ist sie assoziativer, im zweiten Fall logischer Natur.
Bei der von Philon gewählten Unterscheidungshinsicht ist es also
keineswegs ausgeschlossen, daß das, was als endeiktisches Zeichen
für die eine Person fungiert, für eine andere ein hypomnestisches
Zeichen ist. Das Symptom des Milchhabens dürfte für den Geburts-
helfer in der Tat ein hypomnestisches Zeichen sein, kein endeikti-
sches. Aber das spricht nur für die erkenntnistheoretische Plausibilität
dieser Unterscheidung. Denn zu welcher Art von Zeichen ein kon-

8
Bemerkenswert ist, daß Aristoteles diesem aufdeckenden Charakter des Zei-
chens keinerlei Beachtung schenkt: „Wenn beim Vorliegen einer Sache eine andere
der Fall ist oder wenn beim Vorgefallensein einer Sache eine andere früher oder
später eintritt, dann ist diese letztere ein Zeichen des Vorgefallenseins oder Vorlie-
gens der ersteren." (An. Prior. II 27, 70a7-9). Aristoteles' Gebrauch des Milch-
Zeichens als Anzeichen für eine Schwangerschaft scheint diese Beobachtung zu
bestätigen (vgl. An. Ptior. II 27, 70al3-16), denn Milch (oder auch Colostrum)
bildet sich erst in den letzten Monaten der Schwangerschaft. Im übrigen scheint der
Gebrauch des Milch-Zeichens für einen gleichzeitigen Zustand sonst nicht belegt.
Möglicherweise wollte Aristoteles dieses Beispiel in Übereinstimmung mit seinen
anderen beiden Beispielen bringen, die ebenfalls mit dem, wofür sie Zeichen sind,
gleichzeitig sind. - Man beachte, daß es einen unbekannten Faktor in der Ge-
schichte der Theorie des Zeichens gibt, nämlich Theophrasts Schrift Über Zeichen
(περί σημείων vgl. DL 5.45).
74 Dialektiker und frühe Stoiker zur Theorie des Zeichens

kretes Zeichen jeweils gehört, das hängt ab von dem Informationshin-


tergrund der Person, die dieses Zeichen als Zeichen nutzt.
Nach Philon betritt Zenon die Bühne. Ich gehe davon aus, daß das
in AM benutzte Material (8.141-155; 245-256) letztlich auf Zenons
Schrift Über Zeichen zurückgeht. In AM 8.245-256 können wir beob-
achten, wie er sich mit der neuen Logik abmüht, die er bei Philon
gelernt hat. Zenon ist ein kühner Stoiker und kein guter Logiker, wenn
wir dem Urteil Ciceros (vgl. De fin. 4.9) glauben dürfen, und die
Kombination beider Eigenschaften bringt ihn zu der Meinung, der
WW-Fall in Philons Wahrheitstafel für die Konditionalaussage eigne
sich dazu, etwas Propaganda für seine stoische Weltanschauung zu
machen (AM 8.246). So bedient er uns für diesen Fall mit dem erbauli-
chen Beispiel: „Wenn es Götter gibt, dann wird die Welt von der
göttlichen Vorsehung regiert", anstatt zur Illustration ein Beispiel zu
wählen, das trivialerweise wahr ist.
Aber als Zenon bei Philon seine Logik lernt, verfügt er bereits über
den Schlüsselbegriff der stoischen Erkenntnistheorie, den Begriff der
κατάληψις, und er benutzt diesen Begriff, um die terra incognita der
nicht-offenkundigen Dinge aufzuteilen (vgl. AM 8.145-150). Alles,
was von der Erkenntnis (κατάληψις) gänzlich ausgeschlossen ist, bildet
die Klasse der gänzlich nicht-offenkundigen Dinge (vgl. 8.147, 149).
Dinge, die prinzipiell von der Wahrnehmung ausgeschlossen sind,
aber nicht von der Erkenntnis (κατάληψις), finden sich in der Klasse der
von Natur aus nicht-offenkundigen Dinge (vgl. 8.146), und Dinge
schließlich, die von der Wahrnehmung nur zeitweilig ausgeschlossen
sind, gehören in die Klasse der zeitweilig nicht-offenkundigen Dinge
(vgl. 8.145). Nur die Mitglieder der letzten beiden Klassen können
überhaupt durch ein Zeichen aufgedeckt werden (vgl. AM 8.149-150).
Soviel wird man leicht zugestehen können.
Aber Zenon will nun die Unterscheidung zwischen hypomnesti-
schem und endeiktischem Zeichen an die Unterscheidung dieser
beiden Klassen von nicht-offenkundigen, aber der Erkenntnis zugäng-
lichen Dingen binden:
Da es nun zwei Gruppen von Dingen gibt, die eines Zeichens bedürfen, so gibt es
auch zweierlei Zeichen, einmal das hypomnestische, welches hauptsächlich bei
den zeitweilig nicht-offenkundigen Dingen von Nutzen zu sein scheint, zum
anderen das endeiktische, welches als bei den von Natur aus nicht-offenkundi-
gen Dingen brauchbar angesehen wird. AM 8.151

Ist dieser Gedanke Zenons ein Fortschritt in der Ausarbeitung einer


angemessenen erkenntnistheoretischen Begrifflichkeit oder nicht?
Um diese Frage zu klären, sollten wir zunächst untersuchen, welche
Philons Theorie des Zeichens bei den frühen Stoikern 75

Änderungen Zenon in der Lehre Philons, von der er ausgeht, vorneh-


men muß.
Damit das endeiktische Zeichen tatsächlich der Klasse der von
Natur aus nicht-offenkundigen Dinge korrespondiert, muß er das
philonische Definitionsmerkmal so verschärfen, daß eine (vorherge-
hende) gleichzeitige Beobachtung von Zeichen und dem, wofür es
Zeichen ist, ausgeschlossen ist (AM 8.154). Obwohl Zenon sich dabei
der philonischen Terminologie bedient - er spricht wie Philon von der
συμπαρατήρησις -, ist die zugrunde liegende Idee eine radikal andere.
Hatte Philon den Charakter der Beziehung zwischen dem Zeichen
und dem, wofür es Zeichen ist, zum Unterscheidungsgesichtspunkt
seiner Einteilung der Zeichen gemacht, so nimmt Zenon den Charak-
ter eines der Fundamente dieser Beziehung, dessen nämlich, worauf
das Zeichen verweist, als leitenden Gesichtspunkt seiner Klassifika-
tion der Zeichen.
Wenn es berechtigt ist, aus dem von Philon für das endeiktische
Zeichen gegebenen Beispiel zu schließen, daß für ihn nicht jedes
Phänomen, das uns etwas anzeigt, ein für allemal zu einer der beiden
Zeichenklassen gehört, sondern daß diese Zuordnung abhängen
kann vom Informationshintergrund einer Person (weil das Zeichen
des Milchhabens für die Hebamme eben kein endeiktisches, sondern
ein hypomnestisches Zeichen ist), dann ist dieser Wechsel des Klassi-
fikationsgesichtspunktes durch Zenon eine folgenreiche Weichen-
stellung in der Geschichte der Erkenntnistheorie. Mit diesem Wechsel
ist dann nämlich die Berücksichtigung des je unterschiedlichen Wis-
senshintergrundes einer Person aus der Theorie des Zeichens elimi-
niert worden. Zu dieser Annahme paßt in der Tat sehr gut der Um-
stand, daß Zenon nun das Phänomen, das als endeiktisches Zeichen
fungiert, in einer Weise zusätzlich charakterisiert, die auszuschließen
scheint, daß ein Phänomen für eine Person ein endeiktisches, für eine
andere aber überhaupt kein Zeichen ist.9 Das endeiktische Zeichen,
so Zenon,
zeigt ganz und gar nur aufgrund seiner eigenen Natur und Zurichtung (έκ της
ίδιας φύσεως και κατασκευής), als ob es mit lauter Stimme riefe, das an, wofür es
endeiktisch ist. AM 8.154

9
So wie etwa der Arzt im Unterschied zum medizinischen Laien ein Symptom
tatsächlich als Symptom erkennen kann, vgl. AM 8.204. Daß von einem Zeichen,
das seine Zeichenfunktion erfüllt, stets nur im Hinblick auf einen durch einen
Wissenshintergrund charakterisierten Interpreten gesprochen werden kann, das
wurde erst durch die Zeichentheorie des Pragmatismus im Anschluß an Ch. S.
Peirce wieder zu Bewußtsein gebracht.
76 Dialektiker und frühe Stoiker zur Theorie des Zeichens

Ein Zeichen, das mit lauter Stimme ruft, muß von jedem gehört und
zur Kenntnis genommen werden.10 Es kann nicht zum einen sprechen
und zum anderen nicht.
Philons Beispiel für ein endeiktisches Zeichen (Milchhaben als
Zeichen des Geborenhabens) kann für Zenon kein Beispiel eines
endeiktischen Zeichens mehr sein. Er ersetzt es daher durch das
Beispiel der körperlichen Bewegungen, die ein Zeichen für die Seele
sind (AM 8.155), und er versäumt nicht, daraufhinzuweisen, daß die
Seele zu den „von Natur aus nicht-offenkundigen Dingen gehört"
(ibid.). Noch aufschlußreicher ist allerdings eine Änderung, die in den
stoischen Quellen des Sextus am Beispiel des Milchhabens vorgenom-
men wird. Zwar kommt an der diskutierten Stelle (AM 8.145-155)
dieses Beispiel nirgends vor, aber an der anderen „zenonischen" Stelle
(AM 8.245-256) tritt es auf. Sowohl hier (AM 8.252) wie an den
anderen beiden Stellen seines Auftretens (AM 8.423; PH 2.106) ist das
Prädikat der den Succedens bildenden Aussage stets: κεκύηκεν, „ sie hat
empfangen". Empfängnis ist an die Stelle der Geburt getreten, ein
tatsächlich von Natur aus nicht-offenkundiger Vorgang an die Stelle
eines wahrnehmbaren Ereignisses. Mit dieser Änderung paßt das Bei-
spiel nun tatsächlich auch in die stoische Theorie des endeiktischen
Zeichens.
Ich hatte oben die Frage aufgeworfen, ob der Gedanke Zenons, die
beiden Arten der Zeichen durch Anbindung an zwei Arten der nicht-
offenkundigen Dinge zu bestimmen, ein Fortschritt in der Ausarbei-
tung einer angemessenen erkenntnistheoretischen Begrifflichkeit ist
oder nicht. Es scheint, daß wir diese Frage im negativen Sinn beant-
worten müssen. Um zu sehen, daß Zenons Vorschlag keine Verbesse-
rung gegenüber seinem philonischen Ausgangsmaterial bedeutet,
sollten wir zunächst beachten, daß die engere Fassung des endeikti-
schen Zeichens ihn in ein Dilemma bringt: Wenn er annehmen will,
daß seine Einteilung die Zeichen erschöpfend klassifiziert, dann muß
er die Klasse der hypomnestischen Zeichen so ausweiten, daß sie auch
jene Fälle umfaßt, bei denen wir durch ein Zeichen etwas im Prinzip
Wahrnehmbares erkennen, ohne daß wir dabei von unserem Erinne-
rungsvermögen Gebrauch machen. Philons Beispiel für ein endeikti-

1 0 Die ausdrucksstarke Metapher, die hier gebraucht ist, paßt im übrigen gut zu

dem Mann, von dem Cicero uns berichtet (vgl. Acad. 2.145), daß er den Begriff der
κατάληψις durch Zusammenballen der Faust illustriert habe. Man beachte auch,
daß ein Wort wie κατασκευή, das zwar auch bei Piaton und Aristoteles vorkommt,
von Zenon als terminus technicus in seiner Erklärung des καθήκον benutzt wird (DL
7.108) und daß die Verknüpfung von φύσις und κατασκευή in zwei anderen stoischen
Texten belegt ist (vgl. SVF III fr. 366 und 368).
Philons Theorie des Zeichens bei den frühen Stoikern 77

sches Zeichen (das Milchhaben als Zeichen für Geborenhaben) wäre


dann ein Fall eines hypomnestischen Zeichens. Wenn er jedoch die
Klasse seiner hypomnestischen Zeichen auf jene Fälle beschränken
will, bei denen wir uns auf eine vorhergehende Wahrnehmung analo-
ger Fälle stützen, dann ist seine Einteilung nicht länger erschöpfend.
Philons Beispiel eines endeiktischen Zeichens hätte dann keinen Platz
in einer der beiden Zeichenklassen Zenons.
Aus dem, was Zenon über das hypomnestische Zeichen sagt, läßt
sich nicht mit letzter Sicherheit entnehmen, für welche Seite des
Dilemmas er sich entschieden hat. Er charakterisiert das hypomnesti-
sche Zeichen mit derselben Formel, die auch in der Histona gebraucht
ist (συμπαρατηρηϋέν τψ σημειωτφ AM 8.152 vgl. Diels, Dox. Gr. 605,
12-13). Man könnte also vermuten, daß Zenon das definiens der
philonischen Definition hier nur zur Beschreibung des klarsten Falles
eines hypomnestischen Zeichens benutzt hat. Dagegen spricht aller-
dings, daß er sofort im Anschluß an die zitierte Erklärung und deren
Erläuterung und Illustration durch das Rauch/Feuer-Beispiel fest-
stellt, daß sich auch zwei weitere Fälle - die Narbe, die ein Zeichen für
eine frühere Wunde ist, und die Verletzung des Herzens, die ein
Zeichen des bevorstehenden Todes ist - auf Grund derselben Erklä-
rung verstehen lassen (vgl. 8.153).11 Das spricht nun in der Tat dafür,
daß er die Klasse der hypomnestischen Zeichen nicht weiter fassen
will als Philon und daß damit seine Klassifikation der Zeichen in
endeiktische und hypomnestische nicht mehr erschöpfend ist.
Wie immer aber auch diese Frage der Entscheidung Zenons gegen-
über dem beschriebenen Dilemma zu beantworten sein mag, die
Tatsache dieses Dilemmas allein reicht aus, um zu zeigen, daß der
neue Gesichtspunkt, den Zenon mit der Unterscheidung der zeitwei-
lig und der von Natur aus nicht-offenkundigen Dinge in die erkennt-
nistheoretische Diskussion des Wissenserwerbs durch Zeichen ein-
bringt, kein Fortschritt gegenüber Philon ist. Systematisch ist an dieser
Position Zenons zu bemängeln, daß sie eine Berücksichtigung des
Wissens einer Person für die Frage, ob etwas für sie ein Zeichen ist und

11
Wenn Zenon in seiner Formel, statt von ,Erkenntnis' und,erkennen' (γνώσις
und γιγνώσκειν vgl. Diels, Dox. Gl. 605, 14, 16 bzw. 15, 17), von,Erinnerung' und
,erinnern' spricht (ύπόμνησις bzw. άνανεοϋσθαι AM 8.152, 153), so bringt er damit
eine unnötige Zweideutigkeit in seine Aussagen. Denn wir erinnern uns beim
Anblick des Rauchs nicht an das (nicht sichtbare, und daher erschlossene) Feuer -
denn dieses Feuer haben wir noch nie gesehen - sondern wir erinnern uns, daß wir
bei früheren Gelegenheiten Rauch stets nur als von Feuer hervorgebracht gesehen
haben und daraus schließen wir, daß der Rauch, den wir jetzt sehen, ebenfalls von
Feuer hervorgebracht ist.
78 Dialektiker und frühe Stoiker zur Theorie des Zeichens

was für ein Zeichen es ist, nicht zuläßt. Wenn Cicero uns [De fin. 4.9)
sagt, daß Zenons Arbeiten auf dem Gebiet der Logik in einigen Teilen
keine Verbesserungen gegenüber seinen Vorgängern darstellen (quae-
dam non melius quam veteres), dann haben wir hier, so scheint es, ein
Beispiel dafür.
Wenn das Material zur Theorie des Zeichens in AM letztlich auf
Zenon zurückgeht, was läßt sich dann über eine mögliche Quelle der
entsprechenden Texte in den PH sagen? Unsere Analysen dieser Texte
haben zu dem Ergebnis geführt, daß die Quelle, die Sextus in den PH
zugrunde legt, später ist als die in AM benutzte Quelle, daß sie aber
ebenfalls der frühen Stoa angehört. Ich vermute, daß es sich bei dem
hier ausgeschriebenen Stoiker um Kleanthes oder Sphairos handelt.
Beide haben logische Werke geschrieben (vgl. DL 7.175 und 178resp.),
wenngleich für keinen von ihnen eine Schrift Über Zeichen bezeugt
ist. Kleanthes scheint in die Diskussion über den κυριεύων λόγος Dio-
dors eingegriffen zu haben (vgl. Epiktet, Diss. II, 19,2 und 9). Wenn das
zutrifft, dürfte er einer der führenden Logiker seiner Zeit gewesen
sein.12 So könnte er also durchaus als Autor der in den PH benutzten
Quelle in Frage kommen.
Prüfen wir, wie sich der Autor dieser Quelle (Kleanthes oder
Sphairos) zu der Frage der Einteilung der Zeichen in hypomnestische
und endeiktische verhält, zu der Frage also, in der sich Zenon von
Philon abgesetzt hatte. Wie in AM (vgl. 8.145-151) ist auch in den PH
die Klassifikation nicht-offenkundiger Dinge der Unterscheidung der
beiden Zeichenklassen vorangestellt. Die Darstellung in den PH ist,
wie wir oben (S. 49 ff.) schon gesehen haben, konziser und klarer als die
in AM: Jede Klasse der nicht-offenkundigen Dinge wird hier nur durch
ein Beispiel illustriert. Wie in AM führt der Gedankengang zur Her-
stellung einer Verbindung zwischen den zeitweilig nicht-offenkundi-
gen Dingen und der Klasse der hypomnestischen Zeichen einerseits,
zwischen den von Natur aus nicht-offenkundigen Dingen und den
endeiktischen Zeichen andererseits (vgl. PH 2.99).
Die Definition des hypomnestischen Zeichens (PH 2.100) benutzt
wörtlich die Formel aus AM 8.152 (die auch die der Historia ist),
erläutert sie durch das Beispiel von Rauch und Feuer, läßt aber die
Erläuterungen (Zenons) zu diesem Beispiel weg. Daß der Autor der in
den PH benutzten Quelle hier tatsächlich die in AM von Sextus

12
M. Frede hat argumentiert, daß Kleanthes als Logiker im Vergleich zu Zenon
eine bessere Behandlung verdient als sie ihm normalerweise zugestanden wird, vgl.
Frede (1974), 23.- In Kapitel zehn (unten S. 287 ff.) wird aufgrund weiteren Mate-
rials die Zuweisung des PH-Referates an Kleanthes so gut wie sicher gemacht.
Philons Theorie des Zeichens bei den frühen Stoikern 79

benutzte Quelle vor Augen hat, d. h. Zenons und nicht etwa Philons
Abhandlung Über Zeichen, zeigt sich nun bei der Definition des
endeiktischen Zeichens PH 2.101: Er übernimmt Zenons Wendung
(vgl. AM 8.154), daß das endeiktische Zeichen „auf Grund seiner
eigenen Natur und Zurichtung" auf das verweist, dessen Zeichen es
ist. Er benutzt ebenfalls das von Zenon neu eingeführte Beispiel für
dieses Zeichen (die körperlichen Bewegungen als Zeichen für die
Seele), läßt aber wiederum die Kommentare Zenons zu diesem Bei-
spiel aus.
Aber in einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich nun der Au-
tor der in den PH benutzten Quelle von Zenon: Das endeiktische
Zeichen wird nicht länger bestimmt als das Zeichen, das „keine
gleichzeitige Beobachtung mit dem zuläßt, wofür es Zeichen ist", wie
es in AM 8.154 geheißen hatte, sondern als das Zeichen, „das nicht
mit dem, wofür es Zeichen ist, zusammen beobachtet worden ist" (PH
2.101). Damit macht also dieser Autor die Änderung rückgängig, die
Zenon gegenüber der philonischen Definition des endeiktischen Zei-
chens eingeführt hatte. Wir sind wieder bei der dialektischen Unter-
scheidung angekommen.
Der Vorteil dieser Retraktation liegt darin, daß die Definitionen des
endeiktischen und des hypomnestischen Zeichens nun wieder eine
erschöpfende Klassifikation der Zeichen liefern.13 Aber der Preis, den
der Autor der in den PH benutzten Quelle dafür zahlt, ist sehr hoch:
Denn das Referat in den PH 2.97-101 bietet nun zwei Erklärungen der
Unterscheidung hypomnestischer von endeiktischen Zeichen, die
zwar jede für sich eine erschöpfende Klassifizierung der Zeichen
erlauben, die aber untereinander nicht länger übereinstimmen. Phi-
lons Beispiel des Milchhabens als Zeichen des Geborenhabens ist ein
hypomnestisches Zeichen, wenn man die in PH 2.99 gegebene Erklä-
rung zugrunde legt, es ist ein endeiktisches Zeichen, wenn man die in
PH 2.101 festgesetzte Bestimmung des endeiktischen Zeichens zur
Basis der Klassifizierung macht.

13
Warum hält der Autor der Definition in den PH (2.101) an der Forderung fest,
daß das endeiktische Zeichen „auf Grund seiner eigenen Natur und Zurichtung"
auf das verweist, wofür es ein Zeichen ist? Hat diese Bestimmung den Sinn, Philons
Beispiel eines endeiktischen Zeichens (Milchhaben als Zeichen des Geborenha-
bens) aus der Klasse der endeiktischen Zeichen auszuschließen? In der Tat ist das
Milchhaben auf Grund der „eigenen Natur und Zurichtung" dieses Zeichens ein
Indiz für eine voraufgegangene Konzeption, für eine voraufgegangene Geburt aber
nur bei Nicht- Vorliegen einer Schwangerschaft. Das könnte also der Grund gewe-
sen sein, aber die Frage läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden.
80 Dialektiker und frühe Stoiker zur Theorie des Zeichens

Man könnte natürlich versuchen, die Inkonsistenz dieser Stelle der


PH so zu erklären, daß das in 2.97-99 auf der einen und in 2.100-101
auf der anderen Seite von Sextus benutzte Material auf unterschiedli-
che stoische Quellen zurückgeht. Der Text der Stelle PH 2.97-101
scheint nicht einen kontinuierlichen Argumentationsgang zu referie-
ren, wie es die Parallelstelle AM 8.245-253 tut. Aber der stoische
Autor, der für die Definitionen des hypomnestischen und des endeik-
tischen Zeichens an der Stelle PH 2.100-101 verantwortlich ist und
der, wie die Übereinstimmung in bestimmten Formulierungen und in
den Beispielen zeigt, das in AM verwertete Quellenmaterial, d. h.
Zenons Über Zeichen vor Augen gehabt hat, hätte dann die in seinem
Ausgangsmaterial enthaltene Unterscheidung der zeitweilig und der
von Natur aus nicht-offenkundigen Dinge ignoriert, seine Illustration
des endeiktischen Zeichens aber im Anschluß an Zenon und d. h. so
gewählt, daß es zu der Bestimmung der endeiktischen Zeichen als der
den von Natur aus nicht-offenkundigen Dingen zugeordneten paßt.
Das macht den Vorschlag der Zuweisung des Materials in den PH an
zwei unterschiedliche Quellen nicht wirklich überzeugend. Wenn wir
daher das in den PH 2.97-101 benutzte Material einer einzigen Quelle
zuschreiben wollen, so müssen wir wohl sagen, daß hier Kleanthes
(oder Sphairos) das von seinem Vorgänger Zenon auf diesem Gebiet
angerichtete Durcheinander nach besten Kräften auszubessern ge-
sucht hat.14
Chrysipp ist, so scheint es, der letzte in der Reihe derer, die an dieser
Diskussion über das Zeichen teilgenommen haben. Aber von ihm
haben wir nur einen Titel, der anzeigt, daß er sich kritisch mit der
Zeichentheorie Philons auseinandergesetzt hat. Es charakterisiert ihn
als loyales Mitglied der stoischen Schule, daß er als Ziel seiner Kritik
Philon und nicht etwa Zenon ausgewählt hat. Aber wir können nur
vermuten, was Motiv und was Inhalt seiner Kritik war. Möglicher-

1 4 Eines sollte jedoch klar sein: Der Vorwurf, den R. Philippson, W. Heintz und

jüngst wieder D. Glidden (vgl. Philippson (1881), 65 f., Heintz (1932), 48 Anm. 1,
Glidden (1983), 228 f., 237 f.) gegen Sextus erhoben haben, daß erst Sextus die
Unterscheidung von hypomnestischem und endeiktischem Zeichen in (stoisches)
Quellenmaterial hereinbringt, das diese Unterscheidung gar nicht enthielt, ist
unhaltbar. Aber es ist jetzt auch verstandlich, wie dieser Eindruck entstehen
konnte: Weil die Stoiker selber versucht haben, eine Unterscheidung, deren Ur-
sprung vorstoisch ist, in Übereinstimmung mit ihrer (stoischen) Erkenntnistheorie
zu bringen. - Der Umstand, daß diese Distinktion vorstoisch ist, kann dann auch
erklären, daß in der späteren medizinischen Literatur, worauf Glidden hingewiesen
hat (a.a.O., 229), diese Klassifikation nicht auf die Unterscheidung verschiedener
Arten nicht-offenkundiger Dinge gegründet ist. Die Ärzte dürften die Distinktion
hypomnestisch/endeiktisch direkt von den Dialektikern bezogen haben.
Philons Theorie des Zeichens bei den frühen Stoikern 81

weise hat Chrysipp den Fehler erkannt, der in der Definition des
Zeichens als Antecedens einer Konditionalaussage steckt: die Ver-
wechslung des Folgeverhältnisses, das in einer Konditionalaussage
vorliegt, mit dem Folgeverhältnis, das in einem Schluß vorliegt.15 Aber
auch wenn das Zeichen den Status einer Prämisse in einem Argument
erhält und nicht länger den des Antecedens in einer Konditionalaus-
sage, so wird es doch immer noch als Aussage, wenn auch als behaup-
tete, behandelt. Ein Zeichen als Aussage aufzufassen heißt aber, den
funktionalen Aspekt eines Dinges oder eines Ereignisses mit dem zu
verwechseln, was über dieses Ding oder dieses Ereignis hinsichtlich
dieses funktionalen Aspektes zutreffend gesagt werden kann. Auch
das könnte Chrysipp klar geworden sein.
Vor allem aber wird durch die Auffassung des Zeichens als Aussage
der Umfang des Zeichenbegriffs unzulässig eingeschränkt, denn all
jene Zeichen, die zu einem bestimmten Verhalten auffordern und uns
nicht über einen bestimmten Sachverhalt informieren wollen, sind
nun keine Zeichen mehr. Ein militärisches Signal oder eine rote Ver-
kehrsampel decken aber nicht einen verborgenen Sachverhalt auf,
sondern sind eher wie Befehle. Chrysipps Interesse an Sätzen, die
keinen propositionalen Inhalt ausdrücken (vgl. DL 7.191), könnte es
wahrscheinlich machen, daß er die Affinität zwischen Befehlen oder
Imperativen und einer Klasse der Zeichen gesehen hat.
Aber damit nähern wir uns dem Bereich der Spekulation. Wir wis-
sen nicht, welche Argumente Chrysipp gegen Philon gebraucht hat.
Ob er selber eine eigene Theorie des Zeichens entwickelt hat oder ob
er sich auf die Destruktion einer kritisierten Theorie beschränkt hat,
das entzieht sich unserer Kenntnis. Was Chrysipp angeht, so müssen
wir schließlich doch bekennen: ignoramus et ignorabimus.

15
Es ist immerhin bemerkenswert, daß die Stoiker, die in Philodem De signis
kritisiert werden, ,Da p, q' als die Standardformulierung eines Schlusses auf Grund
eines Zeichens zu benutzen scheinen, eine Formulierung, für die Krinis (vgl. DL
7.71) festgestellt hat, daß sie genau dann wahr ist, wenn (1), Wenn p, so q' wahr ist
und (2) ,p' wahr ist. Vgl. dazu a. Burnyeat 11982a), 218 Anm. 60.
II. TEIL:
DIE DIALEKTIKER BEI SEXTUS EMPIRICUS

Viertes Kapitel:
Die Dialektische Klassifikation der Aussagen
bei Sextus Empiricus

In den Darstellungen der stoischen Logik werden für die Klassifika-


tion der Aussagen, wie sie den Stoikern zugeschrieben wird, zwei
Quellen zugrunde gelegt: Diogenes Laertius 7.68-76 und Sextus Em-
piricus AM 8.93-129. Beide Autoren referieren eine Einteilung der
Aussagen in einfache und zusammengesetzte (nicht-einfache) sowie
weitere Unterteilungen dieser beiden Hauptgruppen. Beide Autoren
geben für einen Teil der erwähnten Aussagearten auch Wahrheitsbe-
dingungen an.
Der Textabschnitt des Diogenes enthält klarerweise ein Referat
stoischer Logik, genauer gesagt, ein Referat der stoischen Logik, wie
sie von Chrysipp und seinen Nachfolgern geschaffen worden ist. Was,
wie oben (S. 55) gezeigt, für das Logikreferat des Diogenes insgesamt
gilt, daß es nämlich unter Auslassung der frühen Stoiker über die
logische Theorie des Chrysipp und späterer stoischer Logiker berich-
tet, das gilt auch von diesem Abschnitt: An zwei Stellen wird hier
Chrysipp (neben weiteren, ihm zeitlich folgenden stoischen Logikern)
ausdrücklich als Autorität angeführt (7.68 und 7.71). In der von Dio-
genes mitgeteilten Klassifikation der Aussagen haben wir also ein
Stück der logischen Theorie des Chrysipp und seiner Schule vor uns.
Mehr als zweifelhaft erscheint jedoch die Annahme, daß auch die
Darstellung des Sextus ein Referat stoischer Lehre ist.1 Im Unter-

1
Daß die referierenden Partien des Textstückes AM 8.93-129 (mit Ausnahme
der Mitteilungen über die Positionen Philons und Diodors zum Kriterium der
Konditionalaussage 8.113-117) eine Darstellung stoischer Lehre geben, ist eine
communis opinio der Forschung. So hat v. Arnim diese Abschnitte (mit einigen
Auslassungen) unter die logischen Fragmente Chrysipps gesetzt (SVF II fr. 205,211,
216). In der Sekundärliteratur werden sie ohne Umstände neben dem Bericht bei
DL als eine Quelle der stoischen Aussagenklassifikation behandelt, vgl. Mates
(1973), 30 f., 54, Kneale (1962), 146,148 f., Mignucci (1965), 131, Egli (1967), 37 f.,
Mueller (1969), 185, Frede (1974), 49-62 u. ö., Brunschwig (1984), 9 ff.
84 Die Dialektische Klassifikation der Aussagen bei Sextus

schied zu dem Bericht des Diogenes Laertius, in dem ausdrücklich


mehrere stoische Philosophen (und nur stoische Philosophen) ange-
führt werden, erwähnt Sextus in AM 8 . 9 3 - 1 2 9 nirgends den Namen
eines Stoikers oder den Namen der stoischen Schule. Er schreibt die
von ihm referierten Lehren den ,Dialektikern' zu (vgl. 8.93, 99, 108,
1 1 2 , 1 1 8 , 1 1 9 ) . Die einzigen namentlich erwähnten Logiker sind Phi-
lon und Diodor (vgl. 8.113-117), die beide zur Dialektischen Schule
gehören. Dieser Befund spricht jedenfalls prima facie gegen eine Zu-
schreibung der bei Sextus überlieferten Einteilung der Aussagen an
die Stoa.
Im folgenden soll gezeigt werden, daß die Gründe für die communis
opinio, dieser Textabschnitt des Sextus berichte über stoische Theo-
rien, nicht stichhaltig sind und daß wir in AM 8 . 9 3 - 1 2 9 eine Quelle
für die Lehre nicht der stoischen, sondern der Dialektischen Schule
besitzen. Zunächst wird gezeigt, daß sich die von Sextus referierte
Aussagenklassifikation in systematischer Hinsicht wesentlich von
der bei Diogenes überlieferten unterscheidet. Der Bericht des Sextus
muß also auf einer anderen Quelle fußen als der des Diogenes. Dann
wird nachgewiesen, daß es sich bei dieser Quelle trotz des stoischen
Kontextes von AM 8 um ein Lehrstück der Dialektischen Schule
handelt. Im anschließenden fünften Kapitel werden die Dialektische
und die stoische Klassifikation der Aussagen als unterschiedliche
Stufen der Entwicklung einer logisch-semantischen Theorie mitein-
ander verglichen.

a) Der systematische Unterschied zwischen Diogenes und Sextus:


die einfachen Aussagen

Terminologisch und systematisch weicht die in AM dargestellte


Theorie in wichtigen Punkten von der bei Diogenes referierten ab. Am
augenfälligsten sind dabei die Unterschiede in der Einteilung der
einfachen Aussagen. Die von Sextus referierten Philosophen wollen
die einfachen (d. h. junktorenfreien) Aussagen in drei Klassen eintei-
len (vgl. AM 8.96); die stoischen Logiker im Bericht des Diogenes
unterscheiden sechs Arten der einfachen Aussage (vgl. DL 7.69). Es ist
zweckmäßig, zunächst die beiden Listen der Arten einfacher Aussa-
gen zusammen mit den erläuternden Beispielen einander gegenüber-
zustellen.
Die einfachen Aussagen bei DL und Sextus 85

Sextus Empiricus:
definite Aussage (ώρισμένον)
„dieser geht umher, dieser sitzt"
indefinite Aussage (αόριστον)
„irgendeiner geht umher"
mittlere Aussage (μέσον)
„ein Mensch sitzt, Sokrates geht umher"
(vgl. AM 8.96-97)

Diogenes Laertius:
verneinende Aussage (άποφατικόν)
„nicht: es ist Tag"
bestreitende Aussage (άρνητικόν)
„niemand geht umher"
privative Aussage (στερητικόν)
„unfreundlich ist dieser"
kategorische Aussage (κατηγορικόν)
„Dion geht umher"2
prädikative Aussage (καταγορευτικόν)3
„dieser geht umher"
indefinite Aussage (αόριστον)
„irgendeiner geht umher, jener bewegt sich"
(vgl. DL 7.69-70)

2
Das Beispiel Δίων περιπατεί für die kategorische Aussage beruht auf einer
Konjektur der editio princeps. Die Handschriften lesen οΰτος περιπατεί, womit die
kategorische und die folgende prädikative Aussage durch dasselbe Beispiel illu-
striertwürden. Egli hat in seiner Edition des Dioklesfragments einen sehr einleuch-
tenden Konjekturvorschlag gemacht. Er hält die falsche Lesart der Handschriften
für das Ergebnis einer Lücke und einer Majuskelverlesung: Das Beispiel lautete
ursprünglich άνθρωπος περιπατεί; die ersten vier Buchstaben von άνθρωπος sind
ausgefallen und dann hat ein Abschreiber ΟΥΤΟΣ statt ΩΠΟΣ gelesen (Egli (1981),
5)·3
Die üblichen Übersetzungen für καταγορευτικόν, etwa ,bestimmt' (Apelt) oder
definitive' (Hicks), orientieren sich nicht am Wortsinn des griechischen Verbs
καταγορεύειν, sondern übertragen einfach den Ausdruck für die Klasse der ώρισμενα
bei Sextus in die stoische Klassifikation, die Diogenes referiert. Das Verb καταγο-
ρεύειν hat den Sinn,anzeigen', Unterbringen' (vgl. etwa Thukydides IV, 68; VI, 54)
oder auch,denunzieren' (vgl. Aristoteles, Politik V 11,1314a22). In einem techni-
schen Gebrauch scheint es soviel zu heißen wie ,prädizieren': Dexippos (in Cat.
6,27 Busse) kann sagen, daß die Kategorien nach dem καταγορεύεσθαι genannt sind.
Daher scheint als Ubersetzung von καταγορευτικόν am ehesten noch ,prädikative
Aussage' in Frage zu kommen.
86 Die Dialektische Klassifikation der Aussagen bei Sextus

Auf den ersten Blick scheinen die drei Klassen in der Aufzählung des
Sextus den letzten drei Abteilungen bei Diogenes zu entsprechen. Die
indefinite Aussage ist (übrigens als einziger Titel) beiden Listen ge-
meinsam, und für die beiden übrigen Arten einfacher Aussagen bei
Sextus legen die erläuternden Beispiele eine Entsprechung nahe: Der
definiten und der mittleren Aussage bei Sextus korrespondieren, so
scheint es, die prädikative resp. die kategorische Aussage in der Liste
des Diogenes.
Dagegen haben die drei Arten einfacher Aussagen, die am Anfang
der Klassifikation des Diogenes stehen und die alle in irgendeinem
Sinn negative Aussagen sind, kein Pendant bei Sextus. Das aber heißt
wiederum, daß jene Klassen, die sich bei Sextus und bei Diogenes zu
entsprechen scheinen, nur dann jeweils dieselben Aussagen enthal-
ten, wenn die Liste des Sextus unvollständig ist und der Teil, der eine
entsprechende Klassifikation der negativen Aussagen gegeben hätte,
aus irgendeinem Grunde weggefallen ist. Andernfalls müssen näm-
lich die Aussagen, die von den Stoikern des Diogenes in den Gruppen
der verneinenden, bestreitenden und privativen Aussage unterge-
bracht werden, auch einen Platz in den drei Klassen des Sextus erhal-
ten.
In der Tat ist die Meinung, die Einteilung bei Sextus sei eine Klassifi-
kation nur der affirmativen einfachen Aussagen, von M. Frede vertre-
ten worden.4 Zur Stützung seiner These macht Frede zunächst geltend,
daß die Formulierung, mit der Sextus die Arten einfacher Aussagen
einführt (των άπλών τινά μεν . . . τινά δέ . . . τινά δέ . . . AM 8.96), die
Möglichkeit anderer Arten von einfachen Aussagen offenläßt.5 Zwar
ist richtig (und Frede könnte sich darauf berufen), daß Sextus, wenn
er bei einer solchen Einteilung die Möglichkeit weiterer Fälle aus-
schließen will, statt des Indefinitpronomens den bestimmten Artikel
verwendet, nämlich bei der Diskussion der vollständigen Einteilung
(τέλειος διαίρεσις) in AM 11.10—II.6 Trotzdem läßt sich aus dem Um-
stand, daß Sextus mit seiner in AM 8.96 gewählten Formulierung die
Möglichkeit weiterer Arten einfacher Aussagen offenläßt, nicht schlie-
ßen (was Frede auch keineswegs tun will), daß Sextus weitere Arten
dieser Aussagen neben den von Sextus erwähnten für gegeben hält.

4 Vgl. Frede (1974), 66 f.


s Frede (1974), 66.
6
„Denn", so Sextus, „wer in folgender Weise einteilt: ,Von den Menschen sind
die einen (oi μεν) Griechen, die anderen (oi δέ) Barbaren', sagt ebensoviel wie ,Wenn
irgendwelche (τινές) Menschen sind, dann sind jene entweder Griechen oder Barba-
ren'." (AM 11.10)
Die einfachen Aussagen bei DL und Sextus 87

Sextus mag Gründe für eine Formulierung gehabt haben, mit der er
sich in der Frage der Vollständigkeit dieser Klassifikation nicht fest-
legt, Gründe, die etwa in seiner Kenntnis differenzierterer Klassifika-
tionen zu suchen sein könnten. Für die Frage der Vollständigkeit der
von Sextus referierten Klassifikation ist also diese Formulierung we-
der in der einen noch in der anderen Richtung entscheidend.7
Weiter macht Frede darauf aufmerksam, daß Sextus in AM 8.99 von
den drei diskutierten Arten einfacher Aussagen sagt, „es handele sich
bei ihnen gleichsam um die Elemente der einfachen Aussagen über-
haupt. Wenn es diese Arten von einfachen Aussagen nicht gäbe, dann
gäbe es überhaupt keine einfachen Aussagen. " 8 Nach Meinung Fredes
legt diese Bemerkung des Sextus „die Vermutung nahe, daß es sich bei
diesen drei Klassen von einfachen Aussagen nur um eine Untermenge
der einfachen Aussagen handelt."9 Nicht minder plausibel ist aber die
Vermutung, daß diese drei Arten einfacher Aussagen deswegen die
Elemente aller einfachen Aussagen sind, weil alle Einteilungen von
(einfachen) Aussagen nach anderen Gesichtspunkten dieser ersteren
nur parasitär sind. Daß auch die von Sextus hier referierten Philoso-
phen Klassifikationsprinzipien kannten, die eine andere Ordnung
desselben Materials erlaubten, ergibt sich aus der Bemerkung zu Be-
ginn seines Referates, daß „die Dialektiker als ersten und wohl wich-
tigsten Unterschied der Aussagen den herausstellen, nach dem die
Aussagen teils einfach, teils nicht-einfach sind" (AM 8.93). Wer einen
Unterschied als den wichtigsten herausstellt, muß wohl auch noch
einen weniger wichtigen kennen. 10
Schließlich will Frede die von ihm vorgebrachte Vermutung durch
das Argument stützen, daß die von Sextus referierte Wahrheitsbedin-
gung für indefinite Aussagen - die jeweils entsprechende definite

7
Durch die Vollständigkeit der von Sextus mitgeteilten Klassifikation einfa-
cher Aussagen ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß sich durch Anwendung
eines anderen Einteilungsgesichtspunktes die Menge der einfachen Aussagen in
andere Arten aufteilen läßt. In diesem Zusammenhang ist die Beobachtung hervor-
hebenswert, daß im Referat des Diogenes Laertius nach der Behandlung der Arten
einfacher und nicht-einfacher Aussagen noch eine Unterscheidung von Aussagen
unter modalen Gesichtspunkten referiert wird (vgl. DL 7.75). Alle Beispiele, die hier
für die mögliche, unmögliche, notwendige bzw. nicht notwendige Aussage ange-
führt werden, sind (modaloperatorenfreie!) Aussagesätze, die in die Klasse der
mittleren Aussagen der bei Sextus bzw. in die der kategorischen Aussagen der bei
Diogenes mitgeteilten Klassifikation einzuordnen sind.
» Frede (1974), 67.
9 Frede (1974), 67.
10
So auch Egli (1967), 37 f., der allerdings irrtümlich den oben zitierten Text
nach AM 8.87 verweist. Siehe dazu a. oben Anm. 7.
88 Die Dialektische Klassifikation der Aussagen bei Sextus

muß sich (für wenigstens einen Fall) als wahr herausstellen (vgl. AM
8.98) - auf eine Aussage wie „es ist nicht der Fall, daß jemand in Athen
ist" nicht zutreffen kann. Denn, so Frede, in diesem Fall ist vielmehr
„die indefinite Aussage nur dann wahr, wenn es keine entsprechende
definite Aussage gibt, die falsch ist."11 Aber dieses Argument Fredes
beruht auf der ganz unbewiesenen Voraussetzung, daß das von ihm
konstruierte Beispiel tatsächlich ein Fall einer indefiniten Aussage ist.
Das aber scheint mehr als zweifelhaft.
Der Wendung „es ist nicht der Fall, daß..." würde im Griechischen
wohl die vorangestellte Negationspartikel ούχί entsprechen. Zunächst
müßte Frede, der ja bei Sextus dieselbe stoische Theorie der einfachen
Aussagen referiert sieht wie bei Diogenes, sich fragen lassen, ob sein
Beispiel nicht vielmehr in die Klasse der verneinenden Aussagen (des
Diogenes) gehört und schon damit von der Zugehörigkeit zur Gruppe
der indefiniten Aussagen ausgeschlossen ist. Aber neben diesem, auf
einem Einwand ad hominem beruhenden Argument gibt es ein wei-
teres, in seiner Anwendung nicht eingeschränktes Bedenken. Auch
die bei Sextus angeführte Definition der indefiniten Aussage als „von
einer Indefinitpartikel regiert" (AM 8.97) zwingt nämlich keineswegs
dazu, das von Frede konstruierte Beispiel als Fall einer indefiniten
Aussage anzusehen. Eher, so könnte man argumentieren, wird diese
Aussage von der vorangestellten Negationspartikel „regiert".12 Fredes
Argumentation beruht jedenfalls in diesem letzten und für ihn wich-
tigsten Punkt auf einer fragwürdigen und durch kein Argument ge-
stützten Annahme. Seine Überlegungen insgesamt machen es nicht
plausibel, daß bei Sextus die Klassifikation nur einer Untermenge der
einfachen Aussagen, der affirmativen nämlich, referiert wird.
Dagegen läßt sich durch eine Beobachtung zur bei Sextus referier-
ten Terminologie zeigen, daß die Klassifikation der einfachen Aussa-
gen, wie sie von Sextus den,Dialektikern' zugeschrieben wird, einen
Anspruch auf Vollständigkeit erhebt: Die letzte der drei Klassen ent-
hält die ,mittleren' Aussagen. Bei nicht-räumlichen Gegenständen
setzt die Rede von einem ,Mitderen' so gut wie immer eine triadische
Ordnung voraus; sie macht nur bei genau drei Elementen Sinn.13
11 Frede (1974), 67.
12
Im (allerdings stoischen) Kontext von AM 8.90 wird etwa das Prädikat κυριεύει
von der einer Aussage vorangestellten Verneinungspartikel ausgesagt.
ι 3 So dient der griechische Ausdruck μέσον beispielsweise zur Bezeichnung des
grammatischen Mediums und der mittleren Proportionale. Aristoteles charakteri-
siert mit diesem Ausdruck sowohl den Mittelterm seiner syllogistischen Termtripel
als auch die zweite der syllogistischen Figuren (ζ. B. An. Prior. I 7, 2 9 b l 5 , 1 8 u. ö.)(
ein Sprachgebrauch, der deshalb möglich ist, weil Aristoteles bekanntlich unsere
4. Figur nicht als eigene Figur anerkennt.
Die nicht-einfachen Aussagen bei DL und Sextus 89

Wir müssen also davon ausgehen, daß die von Sextus überlieferte
Einteilung der einfachen Aussagen diese vollständig einteilen und
nicht die Klassifikation nur eines Teils der einfachen Aussagen sein
will. Das aber heißt, daß die oben notierte Entsprechung zwischen den
bei Sextus aufgeführten Arten einfacher Aussagen und den drei
letzten Gruppen in der stoischen Klassifikation im Diogenes-Referat
keine Äquivalenz zwischen diesen Klassen ist.14 Der Umfang der drei
für die Stoiker bezeugten Klassen dürfte kleiner sein als die Extension
der jeweils entsprechenden Aussageart im Referat des Sextus. Das
mag übrigens erklären, warum die Stoiker des Diogenes hier in zwei
Fällen auch andere Bezeichnungen gewählt haben.
Damit sind aber die bisher festgestellten Unterschiede zwischen
den beiden Listen zugleich ein Indiz für eine tiefer hegende, systemati-
sche Differenz: Den beiden Klassifikationen müssen nämlich unter-
schiedliche Einteilungsprinzipien zugrunde liegen. Darauf soll im
vierten Abschnitt dieses Kapitels näher eingegangen werden. Für das
Beweisziel der jetzigen Überlegungen mag die Feststellung ausrei-
chen, daß die Listen der einfachen Aussagen bei Sextus und bei
Diogenes auf unterschiedlichen Einteilungsgesichtspunkten fußen.
Sextus und Diogenes müssen also aus Quellen schöpfen, die sich
auch in systematischer Hinsicht unterscheiden.

b) Der systematische Unterschied, zwischen Diogenes und Sextus:


die nicht-einfachen Aussagen

Für die Arten der zusammengesetzten oder, wie Sextus und Diogenes
übereinstimmend sagen, der ,nicht-einfachen' Aussagen gibt uns nur
das Referat des Diogenes eine Auflistung (vgl. 7.69). Diese Liste um-
faßt sieben Titel. Nach der Erwähnung des letzten folgt in den Hand-
schriften eine Lücke im Text.
Dennoch scheint der Text dieser Aufzählung nicht verstümmelt zu
sein. Bei der folgenden Erörterung der nicht-einfachen Aussagen (7.71-
74) werden alle und nur die in dieser Liste aufgeführten Arten disku-
tiert. Die Textlücke betrifft offensichtlich nur den nachfolgenden
Satz, in dem eine Definition der verneinenden Aussage gegeben wor-

14
Von einer solchen Äquivalenzbeziehung zwischen diesen Klassen scheint
Goulet (1978), 172 auszugehen, der allerdings diese These in einer Fußnote etwas
abschwächt.
90 Die Dialektische Klassifikation der Aussagen bei Sextus

den sein muß. 15 Ob die bei Diogenes erhaltene Auflistung nicht-


einfacher Aussagen ein vollständiges Verzeichnis aller Arten dieser
Aussagen sein will, läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. Im
einzelnen umfaßt die Liste des Diogenes folgende Aussagearten (mit
Beispielen aus dem folgenden Referat):

konditionale Aussage (συνημμένον)


„wenn es Tag ist, ist es hell"
subkonditionale Aussage (παρασυνημμένον)
„da es Tag ist, ist es hell"
konjunktive Aussage (συμπεπλεγμένον)
„es ist Tag und es ist hell"
disjunktive Aussage (διεζευγμένον)
„entweder ist es Tag oder es ist Nacht"
kausale Aussage (αιτιώδες)
„weil es Tag ist, ist es hell"
dissertive ,Mehr-als'-Aussage (διασαφούν το μάλλον)
„es ist mehr Tag, als es Nacht ist"
dissertive ,Weniger-als'-Aussage (διασαφούν το ήττον)
„es ist weniger Nacht, als es Tag ist"
(vgl. DL 7.71-73)

Im Unterschied zum Verfahren des Diogenes Laertius und im Unter-


schied auch zu seinem eigenen Vorgehen bei der Diskussion der
einfachen Aussagen stellt Sextus seiner Behandlung der nicht-einfa-
chen Aussagen keine Aufzählung der Arten dieser Aussagen voran
(vgl. AM 8.108-109). Er wiederholt lediglich die in AM 8.95 referierte
Definition der nicht-einfachen Aussage und wendet sich danach so-
fort der Konditionalaussage (συνημμένον) zu. Nach der Darstellung
und der skeptischen Diskussion der widersprüchlichen Ansichten
des Philon und Diodor über das Wahrheitskriterium für diese Aus-
sage heißt es dann:
Von diesen Überlegungen aus können wir übergehen zu den Konjunktionen
(συμπεπλεγμενα), den Disjunktionen (διεζευγμενα) und überhaupt zu den übrigen
Arten nicht-einfacher Aussagen. AM 8.124
Weder die Disjunktion noch eine der „übrigen Arten nicht-einfacher
Aussagen", deren Erörterung Sextus hier ankündigt, werden aller-

15
Vgl. die von Egli (1967), 38 und Goulet (1978), 180 vorgeschlagenen Ergänzun-
gen des Textes.
Die nicht-einfachen Aussagen bei DL und Sextus 91

dings im folgenden behandelt. Sextus gibt lediglich eine Darstellung


und Kritik der konjunktiven Aussage und ihres Wahrheitskriteriums
(AM 8.125-129). Es wird nicht einmal klar, an welche Arten nicht-
einfacher Aussagen er denkt, wenn er von den „übrigen Arten"
spricht. Kein weiterer Titel wird genannt. Nur soviel ist klar, daß die
von ihm genannten drei Typen nicht-einfacher Aussagen j edenfalls in
seinen Augen keine erschöpfende Liste bilden.
Da alle bei Sextus belegten Titel auch in der Liste nicht-einfacher
Aussagen im Referat des Diogenes vorkommen, liegt zunächst die
Vermutung nahe, daß die Fortsetzung der unvollständigen Aufzäh-
lung des Sextus eben die bei Diogenes zusätzlich erwähnten Arten
nicht-einfacher Aussagen enthält. Bei eingehender Prüfung dessen,
was beide Autoren über nicht-einfache Aussagen referieren, verliert
diese Vermutung allerdings ihre anfängliche Plausibilität.
Zwar scheint zwischen dem, was Sextus und was Diogenes über die
Theorie der konjunktiven Aussage mitteilen, systematisch keine Dif-
ferenz zu bestehen,16 dafür zeigen aber die Berichte über die Konditio-
nalaussage deutliche Unterschiede. Diese sind auch für die Frage von
Belang, ob die nur bei Diogenes angeführten Arten nicht-einfacher
Aussagen in der Liste des Sextus einen Platz haben könnten, denn
zwei dieser Aussagen - die subkonditionale und die kausale - setzen
die Definition der konditionalen voraus (vgl. DL 7.74).
Im Referat des Sextus wird zunächst eine syntaktische Charakteri-
sierung der Konditionalaussage gegeben: Es ist die aus zwei Aussagen
(oder dem zweimaligen Vorkommen derselben Aussage) mit Hilfe
des Ausdrucks ,wenn' (gr. ει oder είπερ) gebildete Verknüpfung (AM
8.109-110). Nach der Einführung und Erläuterung der Ausdrücke
,Antecedens' (ήγούμενον) und ,Succedens' (λήγον) (AM 8.110) referiert
Sextus eine semantische Charakterisierung der Konditionalaussage:
Sie enthält die,Ankündigung' (επαγγελία), daß das Succedens aus dem
Antecedens folge (AM 8.111-112). Der Rest des Referates gibt eine
Darstellung der einander widersprechenden Deutungen dieser Folge-
beziehung bei Philon einerseits und Diodor andererseits.
Zuerst wird Philons wahrheitsfunktionale Deutung angeführt:
Nach ihm ist die Konditionalaussage wahr, „wenn sie nicht mit Wah-
rem beginnt und mit Falschem endet" (AM 8.113). Die drei Wahrheits-
16
Während Sextus eine wahrheitsfunktionale Definition der konjunktiven
Aussage referiert (AM 8.125), fehlt eine entsprechende Angabe im Bericht des
Diogenes Laertius (vgl. 7.72). Daß aber auch die Stoiker diese Aussagenverknüp-
fung wahrheitsfunktional definiert haben, wird durch die Angaben bei Gellius,
Noct. Att XVI, viii, 10-11 und bei Epiktet, Diss. II, 9, 8 so gut wie sicher gemacht.
Vgl. dazu auch unten S. 112.
92 Die Dialektische Klassifikation der Aussagen bei Sextus

Wertkombinationen, für die eine Konditionalaussage nach Philon


wahr wird (WW, FF, FW), und die eine Kombination, die sie falsch
macht (WF), werden durch Beispiele erläutert (AM 8.113-114). Daran
anschließend wird Diodors Interpretation der Konditionalaussage re-
feriert: Ihm zufolge ist eine Konditionalaussage genau dann wahr,
wenn „es weder möglich war noch möglich ist, daß sie mit Wahrem
beginnt und mit Falschem endet" (AM 8.115). Danach führt Sextus für
die drei Kombinationen, die nach Philon eine Konditionalaussage
wahr machen, Beispiele an, die alle bei Zugrundelegung des diodori-
schen Kriteriums falsch sind (AM 8.115-117).
Bei Diogenes wird die Konditionalaussage, unter Berufung auf
Chrysipp und Diogenes von Babylon, als die mit dem Ausdruck
,wenn' (gr. εί) gebildete Satzverknüpfung charakterisiert, die ankün-
digt, daß das Succedens aus dem Antecedens folgt (DL 7.71). Insoweit
besteht zwischen den Theorien des Philon und Diodor auf der einen
und des Chrysipp und Diogenes von Babylon auf der anderen Seite
sachlich kein Unterschied. Aber für die Beziehung der Folge, in der
das Succedens zum Antecedens steht, findet sich im Referat des Dio-
genes nun eine neue Deutung, nämlich die des Zusammenhangs'
(συνάρτησις); das Wort selber tritt an dieser Stelle allerdings nicht auf.
„Wahr", so wird erklärt, „ist die Konditionalaussage, bei welcher der
kontradiktorische Gegensatz des Succedens mit dem Antecedens un-
verträglich ist (μάχεται)" (DL 7.73).
Da Sextus sich für seinen Bericht über die Theorie der Konditional-
aussage ausschließlich auf die Dialektiker Philon und Diodor bezieht
und da Diogenes Laertius in seinen Bemerkungen zu dieser Aussage
sogar ausdrücklich stoische Philosophen erwähnt, so ist klar, daß
beide Referate jedenfalls für diesen Teil aus unterschiedlichen Quel-
len gearbeitet sind und daß Sextus hier aus einer nicht-stoischen
Quelle schöpft. Gleichwohl ist es sinnvoll, den systematischen Unter-
schied der hier referierten Lehren eigens herauszuarbeiten, denn da-
durch läßt sich teilweise auch die oben (S. 91) aufgeworfene Frage
klären, ob die nur bei Diogenes, nicht auch bei Sextus erwähnten
Arten nicht-einfacher Aussagen in der von Sextus referierten Theorie
möglicherweise einen Platz beanspruchen könnten.
Daß das stoische Kriterium der wahren Konditionalaussage mit
dem wahrheitsfunktionalen Kriterium Philons in Widerspruch steht,
hegt auf der Hand. Schwieriger scheint die Abgrenzung der diodori-
schen Deutung des Konditionals von der bei Diogenes referierten
stoischen. In der Tat haben zwei neuere Autoren, Urs Egli und Josiah
B. Gould, unabhängig voneinander die Ansicht vertreten, daß diese
beiden Interpretationen der Konditionalaussage nur unterschiedliche
Die nicht-einfachen Aussagen bei DL und Sextus 93

Formulierungen desselben Prinzips sind. 17 Diese Meinung hat aller-


dings das ausdrückliche Zeugnis des Sextus (vgl. PH 2 . 1 1 0 - 1 1 1 ) gegen
sich. Da das von Diogenes referierte stoische Kriterium mit einiger
Sicherheit das des Chrysipp war 1 8 , spricht gegen diese These auch
der Bericht Ciceros [Acad. 2.143), daß Diodor, Philon und Chrysipp
jeweils eine andere Auffassung der Konditionalaussage vertreten
haben.
Egli will die bei Diogenes belegte stoische Interpretation von ,wenn
p, dann q' so deuten, daß diese Aussage genau dann wahr ist, „wenn
nie sowohl ρ als auch das Gegenteil von q zugleich wahr sind". 1 9 Er
macht also das Nie-zugleich-wahr-Sein von ρ und -q (von Antecedens
und kontradiktorischem Gegenteil des Succedens) zu einer hinrei-
chenden, nicht bloß zu einer notwendigen Bedingung der Unverträg-
lichkeit dieser beiden Aussagen. Die Folge davon ist, daß sich die so
verstandene stoische Deutung der Konditionalaussage nicht mehr
von der des Diodor unterscheidet. Denn die Konditionalaussage, bei
der es „weder möglich war noch möglich ist, daß sie mit Wahrem

Vgl. Egli (1967), 39 ff., Gould (1967), 160 f. bzw. (1970), 81. Nur Egli argumen-
tiert explizit für diese These. Gould ist der Ansicht, daß sich eine (ihm übrigens
unwillkommene) Übereinstimmung zwischen dem Kriterium Diodors und dem
bei DL 7.71 für die Stoiker (für Chrysipp) bezeugten Kriterium deshalb ergibt,
„because we take Chrysippean conditionals to be expressive of natural laws"
(Gould [1967], 160) und weil er zugleich meint, daß diodorische Konditionale
identisch seien mit Konditionalaussagen, die ein Naturgesetz ausdrücken (ibid.) -
eine Meinung, für die er sich (a.a.O., 160 Anm. 37) auf Mates (1973), 48 beruft.
Diese Berufung auf Mates ist unberechtigt. Alles was Mates sagt, ist dies, daß wenn
das Beispiel für eine (nach dem stoischen Kriterium bei DL 7.71 jrichtigeKonditio-
nalaussage, wenn es Tag ist, ist es hell' nicht als analytisch angesehen worden ist, es
auch als Ausdruck eines Naturgesetzes betrachtet worden sein kann: „In this case
Diogenes' source would perhaps have reference to Diodorean implication." (Mates
a.a.O., 48) Mates erklärt nicht, warum er diese Folgerung zieht. Aber sie erlaubt
jedenfalls nicht, wie Gould es tut, hier auf Seiten Mates' „an implicit identification
of Diodorean implication with a conditional which expresses a natural law" (Gould
a.a.O., 160 Anm. 37) zu finden. Wie Mates richtig erkennt, hat auch Diodors
Definition eine spezifische Form der Paradoxien der materialen Implikation zur
Folge: „a proposition which is,always false' implies any proposition, even its own
negation" (Mates a.a.O., 48) - was das bei Sextus PH 2.111 angeführte Beispiel
illustriert. Damit aber ist die These nicht verträglich, jede diodorische Konditional-
aussage sei ein Naturgesetz. Goulds Befürchtung, daß seine Deutung der stoischen
συνάρτησις diese vom diodorischen Kriterium der wahren Konditionalaussage un-
unterscheidbar macht, beruht also auf einem Mißverständnis der diodorischen
Definition. - Ich werde mich daher im folgenden auf eine Auseinandersetzung mit
der Argumentation Eglis beschränken.
18 Für die Zuweisung des Kriteriums der συνάρτησις an Chrysipp vgl. Gould

(1967), 154 ff., Gould (1970), 74 ff., Frede (1974), 82 f.


Egli (1967), 40.
94 Die Dialektische Klassifikation der Aussagen bei Sextus

beginnt und mit Falschem endet", wie Diodor definiert hatte (PH
2.110), ist immer auch eine Konditionalaussage, bei der nie zugleich
das Antecedens und das kontradiktorische Gegenteil des Succedens
wahr sind, und umgekehrt.
Für seine Deutung der Unverträglichkeit (μάχη) will sich Egli auf
eine Stelle bei Galen [Inst. log. 33,19 ff. Kalbfleisch) stützen, aus der
sich, so Egli, ergibt, daß „zwei Sätze unverträglich sind, wenn sie nie
gleichzeitig wahr sind."20 Nach dieser Auffassung der Unverträglich-
keit wäre eine Aussage, die immer falsch ist, etwa die Verneinung
einer logisch wahren Aussage, mit jeder anderen Aussage unverträg-
lich. Wäre das die Auffassung der Unverträglichkeit, die für die stoi-
sche Erklärung der συνάρτησις zu unterstellen ist, dann ergibt sich in
der Tat kein Unterschied zur diodorischen Interpretation der Kondi-
tionalaussage.
Bei Galen ist aber an der von Egli angeführten Textstelle gar nicht
von Verhältnissen zwischen Aussagen (oder Sätzen), sondern von
Verhältnissen zwischen Sachverhalten (πράγματα) die Rede. Der erste
der drei Unterschiede, die Galen hier explizieren will, ist der „gemäß
der Unverträglichkeit" (κατά την μάχην): Er besteht zwischen Sachver-
halten, die nie zugleich vorhegen (συνυπάρχειν). Die beiden anderen
Differenzen betreffen Sachverhalte, die immer zugleich, und solche,
die manchmal, aber nicht immer zugleich vorhegen.
Nun ist aber keineswegs gesagt, daß zwischen dem Vorliegen (bzw.
Nicht-Vorhegen) von Sachverhalten und dem Wahrsein (bzw. Falsch-
sein) von Aussagen eine strikte Parallelität besteht. Es ist durchaus
denkbar, daß etwas, was niemals der Fall ist, nicht als Sachverhalt im
Sinne des griechischen πράγμα gilt, daß also der Begriff πράγμα eine Art
,existential import' mit sich führt: Es muß jedenfalls zu irgendeinem
Zeitpunkt einmal vorliegen. Dann würde es zwar Sinn machen, von
einem πράγμα zu sagen, daß es niemals zugleich mit einem anderen
Sachverhalt vorliegt, aber nicht, daß es niemals vorhegt. Dann aber
gäbe es zu einer Aussage, die immer falsch ist, kein Pendant im
Bereich der Sachverhalte (πράγματα), und die Extrapolation, die Egh in
seinem Gebrauch dieser Galenstelle stillschweigend vorgenommen
hat, wäre nicht gerechtfertigt.21 In jedem Fall aber müßte Egh für diese

μ Egli (1967), 39.


21
J. Mau spricht in seiner Übersetzung zwar richtig von (Sachverhalten', hat aber
für συνυπάρχειν die irreführende Wiedergabe ,zugleich wahr sein' gewählt, womit er
den Unterschied von Aussage und Sachverhalt nivelliert. Vgl. Mau (1960) Übers.
19. Kieffer hat in seiner englischen Übersetzung πράγματα mit,facts' und συνυπ-
άρχειν mit,occur together' wiedergegeben (vgl. Kieffer [1964], 47), spricht in seinem
Kommentar allerdings von „three kinds of logical combination of clauses in a
Die nicht-einfachen Aussagen bei DL und Sextus 95

Extrapolation von Sachverhalten auf Aussagen ein Argument anbie-


ten. 22
Aber selbst wenn man annehmen will, daß Galen auch von einem
Sachverhalt, der niemals vorliegt, als von einem πραγμα sprechen
kann, so lassen sich doch die Ansichten Calens nicht ohne weiteres
auch für die stoische Logik etwa des Chrysipp unterstellen. Denn die
diskutierte Stelle steht gerade im Kontext einer Kritik an Chrysipp:
Galen tadelt ihn hier dafür, daß er im dritten Anapodeiktos eine
verneinte Konjunktion als Prämisse benutzt, wo dort doch nur die
Formulierung einer unvollständigen Unverträglichkeit' stehen dürfe
(vgl. Inst. log. 34,26-35,2 Kalbfleisch). Im Verhältnis der unvollständi-
gen Unverträglichkeit stehen nach Galen Aussagen, die nicht zu-
gleich wahr, wohl aber zugleich falsch sein können, im Unterschied
zur,vollkommenen Unverträglichkeit', die im Fall des kontradiktori-
schen Gegensatzes vorliegt (vgl. Inst. log. 33,5-11 Kalbfleisch). Daß
Galen hierbei durchaus von seinen eigenen Theorien und Festsetzun-
gen Gebrauch macht, zeigt sich ζ. B. daran, daß er für die Disjunktion
kurz vorher auf eine von ihm stipulierte Definition zurückgreift (vgl.
das ,ich habe verlangt' - ήξίωκα Inst. log. 33,13 Kalbfleisch), und dieser
Umstand allein reicht jedenfalls aus, um klar zu machen, daß man
eine Auffassung Galens nicht ohne weiteres für die stoische Logik des
Chrysipp unterstellen kann.
Gegen den Gebrauch, den Egli von dieser Galenstelle machen will,
spricht also einmal der Umstand, daß eine Extrapolation von Verhält-
nissen zwischen Sachverhalten, und nur von denen ist hier die Rede,
auf Verhältnisse zwischen Aussagen eine Annahme voraussetzt, die
möglicherweise falsch ist und für die Egli jedenfalls kein Argument
liefert; zum andern spricht gegen Eglis Gebrauch dieser Stelle der
Umstand, daß Galens Auffassungen auf dem Gebiet der Logik nicht
einfach auf die Logik der Stoiker, von denen Diogenes berichtet,
übertragen werden können. Da aber aus dem Gebrauch, den Egli von
dieser Stelle für seine Interpretation der stoischen συνάρτησις machen
will, ein Zusammenfallen des stoischen und des diodorischen Krite-

proposition" und prädiziert, ähnlich wie Mau, Wahrheit von ,facts': „conflict ex-
presses relations between facts that are never true together", vgl. Kieffer (1964), 112.
2 2 Die Tatsache, daß Galen die erwähnten drei Unterscheidungen einführt, um

zu einer Bestimmung der konjunktiven Aussage zu kommen (vgl. Inst. log. 3 4 , 1 - 2


Kalbfleisch), ist kein Einwand gegen die vorgetragene Kritik an Egli. Denn Galen
macht sich hier nur den Umstand zunutze, daß allen Beziehungen zwischen Sach-
verhalten immer auch Beziehungen zwischen Aussagen entsprechen. Aber daraus
folgt eben nicht, daß jeder Aussage auch ein Sachverhalt im Sinne des griechischen
πραγμα entsprechen muß.
96 Die Dialektische Klassifikation der Aussagen bei Sextus

riums für die Wahrheit der Konditionalaussage folgt und da gegen


diese Übereinstimmung die erwähnten Zeugnisse des Cicero und des
Sextus sprechen, haben wir allen Grund, Eglis Argumentation in
diesem Punkte nicht zu folgen.
Egli verweist zur Stützung seiner Ansicht noch auf AM 8.416.23
Dort wird von einer Konditionalaussage, die einem schlüssigen Argu-
ment entspricht, gesagt, daß sie wahr ist, „weil sie niemals (μηδέποτε)
mit Wahrem beginnt und mit Falschem endet" - eine Formulierung,
die offenbar das diodorische Kriterium der Wahrheit einer Konditio-
nalaussage voraussetzt. Obwohl hier offenkundig eine Lehre stoischer
Philosophen referiert wird, zwingt uns nichts zu der Annahme, daß
hier dieselben stoischen Logiker dargestellt werden wie im Referat des
Diogenes Laertius. Da es stoische Philosophen gegeben hat, die das
philonische, wahrheitsfunktionale Kriterium für die Konditionalaus-
sage zugrunde gelegt haben (vgl. PH 2.104), ein Kriterium, das ganz
offensichtlich mit dem der συνάρτησις nicht vereinbar ist, ist durchaus
auch die Möglichkeit gegeben, daß andere Stoiker die diodorische
Definition der wahren Konditionalaussage übernommen haben, ohne
daß diese Stoiker mit denen des Diogenes Laertius identisch sein
müssen.24
Die hauptsächliche Schwierigkeit für seine These bietet, was Egli
auch einräumt, der Bericht des Sextus in PH 2.110-112. Sextus berich-
tet dort über vier Theorien der Konditionalaussage; sein Referat ist so
aufgebaut, daß die Beispiele, die jeweils für eine der unterschiedlichen
Wahrheitsbedingungen angeführt werden, von der bzw. den nachfol-
gend formulierten Bedingungen für die Wahrheit einer Konditional-
aussage falsifiziert werden. An zweiter Stelle wird die Position Dio-
dors, an dritter, allerdings ohne Erwähnung des Schulnamens, die
stoische Definition des Zusammenhangs' (συνάρτησις) aufgeführt (PH
2.111). Das Beispiel, welches nach dem diodorischen Kriterium wahr,
nach dem stoischen aber falsch wird, lautet folgendermaßen: „Wenn
es teillose Elemente des Seienden nicht gibt, dann gibt es teillose
Elemente des Seienden." Da Diodor Atomist ist (vgl. PH 3.32; AM
9.363), muß für ihn (κατ' αυτόν PH 2.111) das Succedens wahr sein, und
da es eine Wahrheit über die Beschaffenheit des Universums enthält,
ist es auch immer wahr, das Antecedens entsprechend immer falsch.
Weil diese Konditionalaussage also immer (άεί) mit Falschem beginnt

23
Egli (1967), 40.
24
Im dritten Teil dieser Arbeit (vgl. unten S. 227-30) wird gezeigt werden, daß
die Stelle AM 8.416 in einem Kontext steht (AM 8.411-423), der über stoische
Logiker aus der Zeit vor Chrysipp berichtet.
Die nicht-einfachen Aussagen bei DL und Sextus 97

und mit Wahrem endet, ist sie bei Anlegung des diodorischen Krite-
riums wahr. Legt man aber das Kriterium des /Zusammenhangs' zu-
grunde, nach dem eine Konditionalaussage genau dann wahr ist,
wenn das kontradiktorische Gegenteil des Succedens mit dem Ante-
cedens unverträglich ist, dann kann diese Aussage nicht mehr als
wahr gelten, denn das kontradiktorische Gegenteil des Succedens ist
eben das Antecedens selbst.
Sextus beläßt es in seinem Referat bei der Feststellung, daß nach
dem zitierten Kriterium der συνάρτησις die bisher angeführten Kondi-
tionalaussagen (neben dem diodorischen Beispiel war das noch das
philonische „Wenn es Tag ist, diskutiere ich") als unrichtig zu gelten
haben. Er erläutert nicht, warum das so ist; in der Tat scheint das
Beispiel auch für sich selbst zu sprechen.25
Egli sieht durch diese Mitteilungen des Sextus die These eines
Zusammenfallens von diodorischem und stoischem (= συνάρτησις)
Kriterium für die Wahrheit der Konditionalaussage nicht widerlegt.
Seiner Meinung nach hat die Verwerfung der als Diodor-Beispiel
angeführten Konditionalaussage „Wenn es teillose Elemente des Seien-
den nicht gibt, dann gibt es teillose Elemente des Seienden" durch die
Stoiker darin ihren Grund, daß sie, im Unterschied zu Diodor, keine
Atomisten waren (vgl. Plutarch, De comm. not. 1079a-c), „so daß der
Vordersatz des Beispiels für sie immer wahr, der Nachsatz immer
falsch war, das Beispiel also falsch".26 Die unterschiedliche Bewertung
dieses Beispiels durch Diodor einerseits und die Stoiker andererseits
hätte also gar nichts mit unterschiedlichen logischen, sondern mit
unterschiedlichen physikalischen Theorien zu tun.
Diese Auskunft, mit der Egli die Stelle PH 2.111 mit seiner These
verträglich zu machen sucht, ist aber so wenig plausibel, daß wir guten
Grund haben, sie abzulehnen. Zunächst würde die Argumentation
des Sextus, der doch in den PH 2.110-112 unterschiedliche logische
Deutungen der Konditionalaussage darstellen will (ähnlich auch AM
8.265), in diesem Punkt auf einer bloßen Spiegelfechterei beruhen.
Der von Sextus behauptete Gegensatz zwischen Diodor und den
Stoikern hätte gar nichts mit den jeweils referierten Kriterien für die
wahre Konditionalaussage zu tun. Weiterhin müßten die Stoiker,
wenn Egli recht hätte, die Konditionalaussage „Wenn es teillose Ele-
mente des Seienden gibt, dann ist es nicht der Fall, daß es teillose

25
Ganz entsprechend lautet das Beispiel für eine nach den Stoikern falsche
Konditionalaussage bei Diogenes: „Wenn es Tag ist, geht Dion umher" (vgl.
DL 7.73).
26
Egli (1967), 40.
98 Die Dialektische Klassifikation der Aussagen bei Sextus

Elemente des Seienden gibt" (also die Umkehrung des obigen Bei-
spiels) für wahr halten, denn bei Ablehnung des Atomismus beginnt
sie immer mit Falschem und endet immer mit Wahrem. Das heißt aber
zugleich, daß die Stoiker behaupten müßten, das kontradiktorische
Gegenteil des Succedens und das Antecedens dieser Aussage seien
unverträglich, die Aussagen also: „Es ist nicht der Fall, daß es nicht der
Fall ist, daß es teillose Elemente des Seienden gibt" und „Es gibt teillose
Elemente des Seienden", zwei Aussagen also, die nach denselben bei
Diogenes referierten Stoikern äquivalent sind (vgl. DL 7.69).
Schließlich spricht gegen die Erklärung, die Egli für die Stelle PH
2.111 geben will, auch der Umstand, daß Sextus die Vertreter der auf
Diodor folgenden dritten Position in seinem Referat gar nicht als
Stoiker kenntlich macht; sie werden als diejenigen, „welche den,Zu-
sammenhang' (sc. als Wahrheitskriterium für die Konditionalaus-
sage) einführen" (oi την συνάρτησιν είσάγοντες) vorgestellt, und es wird
ihre Definition des Zusammenhangs zitiert. Gerade weil die Vertreter
dieser dritten Position ausschließlich durch eine bestimmte logische
These charakterisiert werden, kann sich die Falschheit des zuvor für
die diodorische Wahrheitsbedingung angeführten Beispiels plausi-
blerweise nur aufgrund dieser logischen These ergeben, nicht dagegen
aufgrund einer physikalischen Theorie, für deren Zuschreibung an
die Vertreter dieser Position der Text des Sextus gar keine Handhabe
bietet.
Damit dürfte die Ansicht Eglis, das diodorische und das stoische
Kriterium des Chrysipp für die Wahrheit der Konditionalaussage He-
fen auf dasselbe hinaus, widerlegt sein. Die Stoiker, von denen Dio-
genes berichtet, scheinen vielmehr ihr Kriterium im Gegensatz zu
dem des Diodor formuliert zu haben. Ein möglicher Grund dafür liegt
in den spezifischen Paradoxien, die sich, analog denen der materialen
Implikation, mit Hilfe des diodorischen Kriteriums erzeugen lassen.
So muß Diodor jede Konditionalaussage, deren Antecedens immer
falsch ist oder deren Succedens immer wahr ist, als wahr anerkennen,
ganz unabhängig vom Inhalt der jeweils anderen Teilaussage.27 Diese

27
B. Mates hat die diodorisch wahre Konditionalaussage als eine zu allen Zeit-
punkten philonisch wahre Konditionalaussage interpretiert (vgl. Mates [1973], 45).
D. Sedley will aus der (für Diodor möglicherweise redundanten) Formulierung des
diodorischen Kriteriums in PH 2.111 schließen, daß Diodor seine Formel mit
Absicht so flexibel halten wollte, um sie auch für andere als seine eigene Auffas-
sung der Möglichkeit offenzuhalten (vgl. Sedley [1977], 101 f.). Aber auch in diesem
Fall bleibt die von Mates gegebene Deutung eine hinreichende Bedingung für das
Die nicht-einfachen Aussagen bei DL und Sextus 99

Konsequenz der diodorischen Definition ist paradox, weil sie dem


intuitiven Verständnis eines logischen' Folgens (des Succedens aus
dem Antecedens) widerspricht.
Daß hier für die Stoiker des Diogenes tatsächlich ein wichtiges
Motiv für ihren Vorschlag zur Definition der wahren Konditionalaus-
sage gelegen haben kann, wird durch den Umstand wahrscheinlich
gemacht, daß sie ein entsprechendes Kriterium auch in ihrer Schluß-
lehre benutzen. Die nicht-schlüssigen Argumente, so referiert Dio-
genes, sind diejenigen, „bei denen der kontradiktorische Gegensatz
der Konklusion nicht mit der Konjunktion aus den Prämissen unver-
träglich ist" (DL 7.77). Daraus ergibt sich übrigens durch Kontraposi-
tion, daß alle Argumente, bei denen der kontradiktorische Gegensatz
der Konklusion mit der Konjunktion der Prämissen unverträglich ist,
schlüssige Argumente sind. Ein Argument würde niemand als schlüs-
sig gelten lassen, nur weil seine Konklusion eine zu allen Zeitpunkten
wahre Aussage oder weil die Konjunktion seiner Prämissen eine zu
allen Zeitpunkten falsche Aussage ist. Mit ihrer Definition der wah-
ren Konditionalaussage, die nicht mehr mit den Paradoxien des diodo-
rischen (oder auch des philonischen) Kriteriums behaftet ist, erreichen
die Stoiker eine Angleichung des Folgeverhältnisses zwischen Succe-
dens und Antecedens einer wahren Konditionalaussage an das Ver-
hältnis zwischen Konklusion und Prämissen eines schlüssigen Argu-
mentes.28
Wir können damit wieder zum Vergleich der beiden Listen nicht-
einfacher Aussagen bei Sextus Empiricus und Diogenes Laertius zu-
rückkommen. Die vorstehenden Darlegungen haben deutlich ge-
macht, daß zwischen den Auffassungen der Konditionalaussage, wie
sie einerseits Sextus für Diodor und andererseits Diogenes für die bei
ihm referierten Stoiker bezeugen, eine wesentliche systematische Dif-
ferenz besteht. Auf Grund dieser Differenz lassen sich aber noch

Vorliegen einer diodorisch wahren Konditionalaussage. Das wird im übrigen auch


durch das von Sextus als Fall einer nach Diodor wahren Konditionalaussage ange-
führte Beispiel bestätigt: „Wenn es nicht teillose Elemente des Seienden gibt, dann
gibt es teillose Elemente des Seienden." (PH 2.111) Damit aber bleibt die diodori-
sche Deutung der Konditionalaussage in jedem Fall den oben erwähnten Parado-
xien der materialen Implikation ausgesetzt.
28
Wenn für die Wahrheit einer Konditionalaussage und für die Gültigkeit eines
Schlusses ein ganz analoges Kriterium gilt, dann scheinen sich für die stoische
Schlußlehre unwillkommene Konsequenzen zu ergeben. Dann müßte nämlich
auch etwa ,Es ist Tag, also ist es hell' ein gültiger Schluß sein. Hat möglicherweise
Chrysipps Forderung nach dem Ausschluß von Argumenten mit nur einer Prä-
misse hier ihren Grund? (Vgl. dazu AM 8.441-443)
100 Die Dialektische Klassifikation der Aussagen bei Sextus

weitere Feststellungen über die Unterschiede zwischen den beiden


Listen treffen. Die stoischen Philosophen des Diogenes haben näm-
lich den Begriff der Folge, den sie durch das Kriterium der συνάρτησνς
neu definiert haben, auch in der semantischen Charakterisierung
einer nicht-einfachen Aussage (der subkonditionalen) sowie in der
Wahrheitsbedingung für diese und für noch eine weitere nicht-einfa-
che Aussage, die Kausalaussage, verwendet (vgl. DL 7.71, 74).
Die subkonditionale Aussage (παρασυνημμένον) wird, unter Beru-
fung auf ein Werk des Krinis, zunächst syntaktisch als die Verknüp-
fung zweier Aussagen durch die Verknüpfungspartikel „da" (έπεί)
erklärt. Bei der semantischen Charakterisierung dieser Aussage tritt
nun wieder der Begriff des Folgens (άκολουϋεΓν) auf: Die (in dieser
Aussage benutzte) Verknüpfungspartikel „kündigt an (επαγγέλλεται),
daß das Zweite dem Ersten folgt und das Erste der Fall ist" (DL 7.71).
Die hier referierte stoische Erklärung des Krinis will also die subkon-
ditionale Aussage im engen Anschluß an die konditionale erklären;
darauf deuten im übrigen auch schon die gewählte Bezeichnung und
das erläuternde Beispiel hin. Diese Aussage beansprucht, eine nach
dem stoischen Kriterium des Zusammenhangs wahre Konditional-
aussage mit wahrem Antecedens zu sein.
Für die Kausalaussage (αιτιώδες) wird in der Liste der sieben Arten
nicht-einfacher Aussagen bei Diogenes nur eine syntaktische, keine
semantische Charakterisierung (keine επαγγελία) angeführt. Darum
tritt auch der Begriff des Folgens bei den Bemerkungen über diese
Aussage hier noch nicht auf. Sie wird erklärt als die Aussage, die
durch den Ausdruck „weil" (διότι) zusammengefügt ist. Als erläu-
terndes Beispiel dient wieder die Verknüpfung von „Es ist Tag" und
„Es ist hell", die auch schon die konditionale und die subkonditionale
Aussage illustriert hatte. Die abschließende Bemerkung soll offenbar
die Bezeichnung dieser Aussage erklären: Bei ihr ist „das Erste gleich-
sam die Ursache (αίτιον) des Zweiten" (DL 7.72).
Der Begriff des Folgens spielt aber sowohl für die kausale wie für die
subkonditionale Aussage eine zentrale Rolle, wenn wir zu den Anga-
ben über die Bedingungen kommen, unter denen diese beiden Aussa-
gen wahr bzw. falsch werden (vgl. DL 7.74). Eine Formulierung, die in
wörtlicher Übereinstimmung für jede dieser beiden Aussageverknüp-
fungen angegeben wird, setzt als (notwendige) Bedingung für die
Wahrheit der jeweiligen Aussage fest, daß sie „mit Wahrem beginnt
und mit etwas Folgendem endet" (άρχόμενον άπ' άληΟοϋς εις άκόλουϋον
λήγει DL 7.74). Die weitgehende Ähnlichkeit dieser Formulierung mit
den Wendungen, die etwa in dem (zenonischen) Kontext von AM
8.245, 247 zur Charakterisierung der WW-Kombination in der wahr-
Die nicht-einfachen Aussagen bei DL und Sextus 101

heitsfunktionalen Interpretation der Konditionalaussage benutzt wer-


den (vgl. άπο άληϋοϋς άρχόμενον είς αληθές λήγει AM 8.245 vgl. a. PH
2.105), läßt den Unterschied in der Sache nur umso deutlicher hervor-
treten. Die bloße Wahrheit des Succedens ist nicht mehr hinreichend
(sondern bei vorausgesetzter Wahrheit des Antecedens nur noch not-
wendig), um die Wahrheit einer konditionalen Verknüpfung zu ga-
rantieren. Das Succedens muß vielmehr aus dem Antecedens folgen
und zwar in einem durch das Kriterium des Zusammenhangs' defi-
nierten Sinn. Das wird nun bestätigt durch die Angaben, die hinsicht-
lich der Bedingungen ihrer Wahrheit und Falschheit spezifisch für die
beiden Aussageverknüpfungen gemacht werden.
Der Konjunktion von zwei (notwendigen) Bedingungen für die
Wahrheit einer subkonditionalen Aussage zu einer hinreichenden -
der Vordersatz muß wahr sein, der Nachsatz aus dem Vordersatz
folgen - entspricht eine Adjunktion zweier hinreichender Bedingun-
gen für ihre Falschheit: Falsch ist eine subkonditionale Aussage näm-
lich dann, wenn sie einen falschen Vordersatz hat oder wenn sie „nicht
mit etwas Folgendem endet" (DL 7.74). Die bloße Falschheit des Nach-
satzes ist bei vorausgesetzter Wahrheit des Vordersatzes sowenig eine
notwendige Bedingung für die Falschheit dieser Aussageverknüpfung
wie die Wahrheit des Succedens eine hinreichende Bedingung für die
Wahrheit der hier vorausgesetzten konditionalen Verknüpfung ist.
Das Beispiel, das den Fall einer falschen subkonditionalen Aussage
illustriert, bezieht sich, wie es scheint, nur auf die erste Möglichkeit in
der Adjunktion der hinreichenden Bedingungen für die Falschheit
(falscher Vordersatz): „ ,Da es Nacht ist, geht Dion spazieren' - bei
Tage geäußert" (7.74). Daß aber dieses Beispiel auch nach dem zwei-
ten Kriterium, also auch wenn es zwölf Stunden später geäußert wird,
falsch bleibt, geht schon daraus hervor, daß „Wenn es Tag ist, geht
Dion spazieren" unmittelbar vorher als Beispiel einer falschen, näm-
lich das Kriterium des Zusammenhangs' verletzenden Konditional-
aussage angeführt worden ist (vgl. 7.73). Wenn Dions Promenaden
aber keine Folge der Tageshelle sind, so folgen sie erst recht nicht aus
dem Umstand, daß es Nacht ist. Das angeführte Beispiel soll also
offenbar beide Möglichkeiten für die Falschheit einer subkonditiona-
len Aussage illustrieren.
Die kausale Aussage muß zusätzlich zu der Wahrheitsbedingung,
die für die subkonditionale Aussage angeführt wurde, noch die wei-
tere Bedingung erfüllen, daß der Vordersatz nicht aus dem Nachsatz
folgt. M.a.W. die Folgebeziehung darf hier nur in einer Richtung, vom
Vordersatz auf den Nachsatz, möglich sein. Als Beispiel einer solchen
nicht-umkehrbaren Folgebeziehung in einer Kausalaussage wird die
102 Die Dialektische Klassifikation der Aussagen bei Sextus

Aussage zitiert: „Weil es Tag ist, ist es hell" (DL 7.74).29 Der Konjunk-
tion von drei notwendigen Bedingungen zu einer hinreichenden Be-
dingung für die Wahrheit dieser Aussagenverknüpfung entspricht
auch hier wieder eine Adjunktion hinreichender Bedingungen für
ihre Falschheit. Eine Kausalaussage ist falsch, wenn sie mit Falschem
beginnt oder nicht mit etwas Folgendem endet oder wenn der Vorder-
satz aus dem Nachsatz folgt.30 An diesen Definitionen der Wahrheit
bzw. der Falschheit einer Kausalaussage wird die Distanz deutlich, die
mit der stoischen (chrysippeischen) Deutung der ακολουθία als Zu-
sammenhang' von der wahrheitsfunktionalen Interpretation der Fol-
gebeziehung erreicht worden ist. Denn da die wahre Kausalaussage
per definitionem einen wahren Vordersatz hat, ergibt sich, wenn man
diesen Vordersatz zum Succedens einer Konditionalaussage macht,
stets eine nach der wahrheitsfunktionalen Deutung des Wenn-So-
Operators wahre Konditionalaussage, d. h. eine Folgebeziehung vom
Antecedens dieser Aussage (dem Nachsatz der Kausalaussage) auf
das Succedens (den Vordersatz der Kausalaussage). Nach der wahr-
heitsfunktionalen Auffassung der Folgebeziehung wäre also das Kri-
terium für die wahre Kausalaussage widersprüchlich.31
Damit ergibt sich eine abschließende Folgerung für das Verhältnis
zwischen den Listen nicht-einfacher Aussagen bei Diogenes und Sextus
resp. Die bei Diogenes referierten stoischen Definitionen der (Wahr-
heit der) subkonditionalen und der kausalen Aussage setzen die hier
den Stoikern zugeschriebene Deutung der Konditionalaussage voraus.
Da diese Deutung weder mit dem philonischen noch mit dem diodo-
rischen Kriterium der wahren Konditionalaussage zu vereinbaren ist,
können diese beiden Arten nicht-einfacher Aussagen, so wie wir sie
bei Diogenes definiert finden (und von anderen Definitionen hören

29
Das Beispiel entspricht dem für die subkonditionale Aussage in 7.71. Nach
den Definitionen, die für die subkonditionale und für die kausale Aussage angege-
ben werden, muß jede kausale Aussage die entsprechende subkonditionale impli-
zieren.
30
Die Ausgaben von R. D. Hicks und von H. S. Long halten bei der Aufzählung
der drei hinreichenden Bedingungen für die Falschheit einer Kausalaussage in 7.74
ad fin. an der unsinnigen Lesart der Hss. άνακόλουΟον fest. Aus der vorhergehenden
Aufzählung der drei notwendigen Bedingungen für die Wahrheit dieser Aussage
ergibt sich, daß hier die letzte dieser drei notwendigen Bedingungen verneint
werden soll und es also nur άκόλουϋον heißen kann. Die Korrektur (nach der Suda
s. ν. αιτιώδες) schon bei v. Arnim (SVF II, 70 Z. 34) und jetzt bei Egli (1967), 8 bzw. 21.
31
Das gilt für die philonische Auffassung dieser Beziehung, nicht aber auch für
die von Diodor vertretene. Denn daß die wahre Kausalaussage immer einen Vorder-
satz haben muß, der wahr ist, heißt nicht, daß sie einen Vordersatz haben muß, der
immer wahr ist.
Der Dialektische Charakter der Aussagenklassifikation in AM 103

wir nichts), nicht in eine Fortsetzung der Liste nicht-einfacher Aussa-


gen gehören, wie sie Sextus möglicherweise vor Augen hatte. Diese
Beobachtung bestätigt also ebenso wie die oben gemachten mit der
systematischen Differenz des bei Diogenes und Sextus resp. referier-
ten Materials auch die Unterschiedlichkeit ihrer Quellen.

c) Der Dialektische Charakter der Aussagenklassifikation bei Sextus:


AM 8.93-129

Die bisher herausgearbeiteten systematischen Unterschiede zwischen


dem, was Diogenes, und dem, was Sextus über die Einteilung der
Aussagen berichtet, rechtfertigen die Folgerung, daß das Referat des
Sextus kein Material aus der stoischen Logik des Chrysipp und seiner
Nachfolger enthält. Aber damit ist nicht schon gesichert, daß Sextus
hier Theorien der Dialektischen Schule überliefert. Die,Dialektiker'
im Referat des Sextus könnten immer noch Logiker der frühen Stoa
sein oder doch diese mit einschließen. Dafür scheint auch der vorauf-
gehende Kontext von AM 8 ein Argument zu liefern.
Wenn man bisher den Abschnitt AM 8.93-129 so umstandslos für
eine Quelle stoischer Lehre gehalten hat, so hat das seinen Grund in
der Tat (neben der Existenz der stoischen Parallelstelle bei Diogenes)
im größeren Kontext dieses Buches. Thema von AM 8 ist die Kritik an
der von allen dogmatischen Philosophen geteilten Meinung, es gebe
irgendetwas Wahres (vgl. AM 8.1). Diese Kritik des Sextus richtet sich
dabei zwar nicht ausschließlich gegen die Stoiker, sondern auch gegen
andere Dogmatiker (Demokrit, Piaton und Epikur werden mehrmals
erwähnt), aber der Hauptgegner ist doch die Stoa. Von AM 8.67 an will
Sextus in einer Auseinandersetzung mit der stoischen Logik (im weiten
Sinne dieses Wortes, der auch Erkenntnistheorie und Semantik mit
einschließt) Schwierigkeiten der stoischen Ansichten über das Wahre
aufweisen. Entsprechend häufig tritt hier der Schulname auf (vgl. AM
8.67, 68, 70, 75, 76, 77, 80, 87, 88).
Ab AM 8.73 wird dann die Kritik der stoischen Auffassung des
Wahren auf die Kritik ihrer These eingeschränkt, wahr seien Aussa-
gen (αξιώματα). Sextus attackiert zunächst die Möglichkeit eines Be-
weises für die Existenz von Aussagen (vgl. 8.75-77), dann die Mög-
lichkeit der Existenz von Aussagen (vgl. 8.78-84). Schließlich wird
argumentiert, daß, selbst wenn die Existenz von Aussagen zugestan-
den wird (8.85), doch keine wahren oder falschen Aussagen existieren
würden (8.85 ff.). Dieses Argumentationsziel beherrscht auch noch
104 Die Dialektische Klassifikation der Aussagen bei Sextus

den Abschnitt 8.93-129. Die Klassifikation der Aussagen, die in die-


sem Abschnitt diskutiert wird, schließt nämlich unmittelbar an eine
Konditionalaussage an, die so lautet:
Wenn das Wahre eine Aussage ist, dann ist es jedenfalls entweder eine einfache
Aussage oder eine nicht-einfache oder eine, die einfach und nicht-einfach ist.
AM 8.93
In unmittelbarem Anschluß daran heißt es:
Denn die Dialektiker stellen als ersten und wohl wichtigsten Unterschied der
Aussagen den heraus, nach dem die Aussagen teils einfach, teils nicht-einfach
sind. Einfach sind diejenigen Aussagen usw.. AM 8.93
Kein Zweifel also, die Ausführungen des Sextus über die,Dialektiker'
in unserem Textabschnitt gehören in den Kontext der Kritik einer
stoischen These. Macht dieser Umstand die Verwendung von Mate-
rial, das einer ganz anderen als der stoischen Schule gehören soll,
nicht doch einigermaßen unwahrscheinlich? Schließlich wird dieses
Material nicht unmittelbar gegen eine kritisierte These der Stoiker
eingesetzt, wie vorher (vgl. AM 8.91-92) das Argument aus dem plato-
nischen Phaidon 100e-101b zu einer (ziemlich rabulistischen) Kritik
an der stoischen Regel für den Gebrauch des Negators, sondern in der
Weise, daß erst die kritische Destruktion der hier referierten Theorie
zu einer Aufhebung der letztlich kritisierten These der stoischen
Erkenntnistheorie führen soll. Die Argumentation des Sextus beruht
auf einem Schluß der Form des Modus tollendo tollens, und das
scheint vorauszusetzen, daß die hier von Sextus kritisierte Theorie
den Stoikern gehört.
Aber der Schluß auf diese Voraussetzung trügt. Gegen diese Folge-
rung spricht zunächst einmal der Umstand, daß ein wichtiger Teil der
von Sextus dargestellten Lehre, die unterschiedlichen Definitionen
der wahren Konditionalaussage nämlich, ausdrücklich dem Philon
bzw. dem Diodor zugeschrieben werden (vgl. AM 8.113-117). Beide
waren Dialektiker im Sinne des Schulnamens, keine Stoiker. Wenn
Sextus aber in seiner Darstellung einer Theorie, aus deren Verwerfung
die Ablehnung einer stoischen These folgen soll, auch Positionen
schildern kann, die explizit als nicht stoisch gekennzeichnet sind,
dann ist die oben gezogene Folgerung, das innerhalb von AM 8.93-129
referierte Material müsse den Stoikern gehören, nicht zu halten. Ist
aber ein Teil dieses Materials klarerweise nicht stoisch, dann ist auch
nicht auszuschließen, daß hier insgesamt eine nicht den Stoikern
gehörende Theorie überliefert ist.
Daß dies der Fall ist, daß hier also tatsächlich insgesamt und nicht
nur im Abschnitt über die unterschiedlichen Interpretationen der
Konditionalaussage über eine nicht-stoische Einteilung der Aussagen,
Der Dialektische Charakter der Aussagenklassifikation in AM 105

nämlich über die der Dialektiker, berichtet wird, das läßt sich nun
durch mehrere Beobachtungen erhärten. Zunächst einmal fällt
auf, daß Sextus, der doch in den vorhergehenden Abschnitten (vgl.
AM 8.67-90) die Stoiker häufig - insgesamt achtmal - unter ihrem
Schulnamen (oi στοικοί, οί άπό της στοάς) erwähnt hat, die Vertreter der
in AM 8.93-129 dargestellten und kritisierten Theorie nirgends als
Stoiker, sondern ausschließlich - insgesamt sechsmal - als,Dialekti-
ker' bezeichnet. Dieser Ausdruck wiederum ist in AM 8.67-90 nir-
gends benutzt, obwohl dort doch Ansichten von (stoischen) Logikern
referiert werden. Dieser Befund allein würde schon ein sehr starkes
Argument dafür liefern, daß von ,Dialektikern' hier im Sinne des
Schulnamens, nicht als Logikern die Rede ist.
Daß die ,Dialektiker' in AM 8.93-129 Vertreter der Dialektischen
Schule sind, wird weiter dadurch bestätigt, daß Philon und Diodor von
Sextus implizit als,Dialektiker' bezeichnet werden: Ihre Kontroverse
soll den Streit der ,Dialektiker' (vgl. AM 8.112, 118, 119) über die
Folgebeziehung in einer wahren Konditionalaussage illustrieren. Daß
aber unter den ,Dialektikern' an dieser Stelle nicht etwa Logiker
ganz allgemein zu verstehen sind, wird gerade durch das Fehlen der
spezifisch stoischen Position in dieser Kontroverse, der Position des
,Zusammenhangs' als Wahrheitsbedingung, plausibel gemacht. Wo
Sextus sonst von dem Streit über das Kriterium der wahren Konditio-
nalaussage berichtet (PH 2.110-112, AM 8.265), ist immer auch diese
Position berücksichtigt. Daß sie hier, in einer Argumentation, die
primär auf die Widerlegung einer stoischen These abzielt, mit keinem
Wort erwähnt wird, wäre kaum verständlich, wenn die in AM 8.112-
119 behandelten ,Dialektiker' lediglich Logiker ganz allgemein wä-
ren. An dieser Stelle kann dieses Wort eigentlich nur die Angehörigen
der Dialektischen Schule bezeichnen. Da aber ein Wechsel der Wort-
bedeutung von διαλεκτικοί innerhalb von AM 8.93-129 ganz unwahr-
scheinlich ist, lassen auch diese Beobachtungen nur eine Schlußfolge-
rung zu: Die von Sextus in diesem Textstück referierte Einteilung der
Aussagen gehört den Dialektikern im Sinne des Schulnamens, nicht
den Stoikern.
Die Folgerung, die sich oben (S. 104) aus der Funktion des Text-
stückes AM 8.93-129 innerhalb der umfassenderen und gegen eine
stoische These gerichteten Argumentation des Sextus zu ergeben
schien, hat also keinen Bestand. Da aber die Prämissen, aus denen
diese Konklusion zu folgen schien, kaum zu bestreiten sind, muß
geprüft werden, was sich aus diesen Prämissen tatsächlich ergibt und
ob die Zuschreibung der von Sextus referierten Klassifikation der
Aussagen an die Dialektische Schule damit verträglich ist.
106 Die Dialektische Klassifikation der Aussagen bei Sextus

Die Argumentation des Sextus, von der AM 8.93-129 ein Teil ist,
folgt, wie oben gesagt, dem Schema eines Modus-tollendo-tollens-
Schlusses. Die Darstellung der Aussagenklassifikation gehört in das
(in die Explikation des) Succedens der Konditionalaussage, welche die
erste Prämisse bildet; die Kritik des Sextus an dieser Klassifikation
liefert mit der Bestreitung des Succedens die zweite Prämisse (stoisch
gesagt: die Proslepsis) dieses Argumentes. Wenn dieses Argument den
Stoikern gegenüber stichhaltig sein soll, dann müssen sie den Über-
gang vom Antecedens dieser Konditionalaussage („Wenn das Wahre
eine Aussage ist,...") auf das Succedens für zwingend halten, d. h. sie
müssen jedenfalls die Falschheit dieses Succedens und der in seiner
Explikation dargestellten Theorie für unverträglich halten mit dem
Antecedens dieser Konditionalaussage, und das ist eine von den Stoi-
kern vertretene These. Die Stoiker müssen also die bei Sextus refe-
rierte Einteilung der Aussagen für wahr halten.
Daß die Stoiker, um deren Kritik es Sextus im größeren Kontext
seiner Argumentation zu tun ist, die Klassifikation der Aussagen in
AM 8.93-129 für wahr halten, impliziert aber nicht, daß diese Theorie
ihnen gehört, daß sie eine spezifisch stoische Lehre ist. Diese Bedin-
gung (des Fürwahrhaltens dieser Lehre) ist auch dann erfüllt, wenn die
Stoiker diese Theorie nur übernommen, nicht selber entwickelt ha-
ben. Diese zweite Möglichkeit ist aber mit der Zuschreibung der bei
Sextus überlieferten Klassifikation an die Dialektiker (im Sinne des
Schulnamens) verträglich. Mehr noch: Sie wird durch das bestätigt,
was wir über die Abhängigkeit der frühen Stoiker von den Dialekti-
kern wissen. Für die Stoiker in der Zeit vor Chrysipp ist offenbar die
Logik der Dialektischen Schule vorbildlich und weitgehend verbind-
lich gewesen. Zenon hat bei den Dialektikern Philon und Diodor
Logik studiert (vgl. DL 7.16 und 25). Das philonische wahrheitsfunk-
tionale Kriterium für die Wahrheit der Konditionalaussage ist in der
von Sextus referierten Zeichentheorie der frühen Stoa vorausgesetzt
(s. oben S. 35 f.). Auf die Übereinstimmung, die zwischen Schriftenti-
teln der Dialektiker einerseits und der frühen Stoiker andererseits
besteht und die ein weiteres Indiz für die Abhängigkeit der frühen
stoischen Logiker von den Dialektikern darstellt, ist oben (S. 59 f.)
hingewiesen worden. Zu diesem Bilde paßt es durchaus, daß Sextus
(oder seine Quelle) hier ohne weitere Umstände eine Doktrin der
Dialektiker als für die Stoiker verbindlich voraussetzen kann: die
Dialektische Klassifikation der Aussagen.
Daß wir damit die Stoiker, die Sextus in AM 8.67 ff. referiert und
kritisiert, zumindest in Teilen der frühen Stoa zurechnen müssen,
wird jedenfalls durch das Referat des Sextus nicht ausgeschlossen. Er
Der Dialektische Charakter der Aussagenklassifikation in AM 107

gebraucht durchgängig nur den Schulnamen, nirgends aber den Na-


men eines einzelnen stoischen Philosophen.32

32
Ich möchte deshalb nicht das gesamte vorhergehende Referat stoischen Mate-
rials der frühen Stoa zurechnen, weil die Theorie des Negators, die in AM 8.87-92
referiert wird, aus systematischen Gründen (vgl. unten S. 118) zur chrysippeischen
Stoa zu gehören scheint. Vom Aufbau der Argumentation her ist dieses Textstück
ein Einschub. Sextus selber macht den Charakter eines zusätzlich eingefügten
Argumentes durch die Wendung έπνσυνάπτοντες... τοις προκειμενοις im unmittelbar
anschließenden Text (AM 8.93) deutlich.
Fünftes Kapitel:
Die Dialektische Klassifikation der Aussagen
als Vorstufe der stoischen

Die Überlegungen des vorigen Kapitels dienten in erster Linie dem


Nachweis, daß die von Sextus Empiricus in AM 8.93-129 referierte
und kritisierte Einteilung der Aussagen auf die Dialektiker, nicht auf
stoische Philosophen zurückgeht. Dabei standen naturgemäß die Un-
terschiede zwischen der bei Sextus und der bei Diogenes überlieferten
Klassifikation im Vordergrund. Aber trotz der Differenzen zwischen
der Dialektischen Aussagenklassifikation im Referat des Sextus und
der stoischen bei Diogenes läßt sich doch die Verwandtschaft zwi-
schen beiden nicht übersehen. Die häufigen Übereinstimmungen in
der Terminologie und vor allem in den illustrierenden Beispielen
zeigen, daß die referierten Theorien nicht unabhängig voneinander
entstanden sind.
Aufgabe dieses Kapitels soll daher die Klärung der Beziehung zwi-
schen dem von Sextus und dem von Diogenes überlieferten Material
zur Einteilung der Aussagen sein. Dabei soll einmal der Nachweis
geführt werden, daß die stoische Klassifikation bei Diogenes im Aus-
gang von der Dialektischen entwickelt worden ist. Chrysipp und seine
Schüler bauen auf Fundamenten weiter, die von den Dialektikern
gelegt worden sind. Zum anderen soll untersucht werden, welche
Motive systematischer Art die bei Diogenes referierten Stoiker für ihre
Änderungen gegenüber dem Dialektischen Material gehabt haben
könnten. Unsere Erkenntnis, daß eine Theorie, die bislang irrtümlich
für stoisch gehalten und mit der bei Diogenes referierten zusammen-
geworfen wurde, in Wirklichkeit den Dialektikern, den Vorgängern
der Stoiker auf dem Gebiet der Logik gehört, gibt uns nun umgekehrt
die Möglichkeit, diese ältere Theorie gewissermaßen als Kontrastmit-
tel einzusetzen und spezifische Züge der im engeren Sinne stoischen
Logik sichtbar und in ihrem theoretischen Zusammenhang verständ-
lich zu machen.
Dialektiker u. Stoiker über einfache/nicht-einfache Aussagen 109

a) Dialektiker und Stoiker über einfache und


nicht-einfache Aussagen

Daß die Stoiker des Diogenes in der Tat die Unterscheidungen der
Dialektiker voraussetzen, zeigt sich bereits an der grundlegenden
Differenzierung in einfache und nicht-einfache Aussagen. Diese Di-
stinktion wird bei Sextus mit einer gewissen Ausführlichkeit referiert:
Einfach sind diejenigen Aussagen, die nicht aus einer zweimal angeführten
Aussage (έξ ένος αξιώματος δις λαμβανομένου) und auch nicht aus unterschiedli-
chen, durch eine oder mehrere Konjunktionen (σύνδεσμοι) verknüpften Aussa-
gen bestehen, ζ. B. „Es ist Tag", „Es ist Nacht", „Sokrates diskutiert", und jede
Aussage ähnlicher Form. AM 8.93

Diese Verwendung von,einfach' (άπλοϋς) wird dann durch einen Ver-


gleich erläutert und gerechtfertigt:
Denn so wie wir den Faden, obwohl er aus Haaren besteht,,einfach' nennen, weil
er nicht aus Fäden, die gleichartig sind, gesponnen ist, ebenso nennen wir Aussa-
gen ,einfach', weil sie nicht aus Aussagen bestehen, sondern aus anderen Be-
standteilen. AM 8.94

Das wird am Beispiel der ersten oben angeführten Aussage präzisiert:


Ihre Bestandteile sind keine Aussagen, sondern Worte. Überdies, so
wird hinzugefügt, enthalte sie keine Konjunktion (AM 8.94).
Die Charakterisierung der nicht-einfachen Aussagen schließt sich
unmittelbar daran an:
Nicht-einfach sind die gleichsam doppelten, d. h. diejenigen Aussagen, die ent-
weder aus einer zweimal angeführten Aussage oder aus unterschiedlichen, durch
eine oder mehrere Konjunktionen verknüpften Aussagen bestehen, ζ. B. „Wenn
es Tag ist, ist es Tag", „Wenn es Tag ist, ist es hell", „Wenn es Nacht ist, ist
es dunkel", „Es ist Tag und es ist hell", „Entweder es ist Tag oder es ist
Nacht". AM 8.95

Damit ist die Unterscheidung einfacher und nicht-einfacher Aussa-


gen bei Sextus abgeschlossen. Wenn man einmal unterstellt, daß mit
einer „zweimal angeführten Aussage" soviel gemeint ist wie „minde-
stens zweimal angeführte Aussage", dann ist diese Einteilung als voll-
ständig (und natürlich wechselweise ausschließend) anzusehen.
Ein Punkt, der Hervorhebung verdient, betrifft das Prinzip dieser
Unterscheidung. Der Fall, daß eine und dieselbe Aussage zweimal,
durch Konjunktionen verbunden, auftritt, wird ausdrücklich erwähnt
und den nicht-einfachen Aussagen zugewiesen. Die Autoren dieser
Unterscheidung haben also erkannt, daß für die Zusammengesetzt-
heit (Nicht-Einfachheit) einer Aussage ausschließlich das Auftreten
von Konjunktionen, modern gesagt, von Junktoren entscheidend ist,
nicht etwa das Vorliegen inhaltlich unterschiedener Aussagen. Das
110 Die Dialektische Klassifikation als Vorstufe der stoischen

Prinzip dieser Unterscheidung ist also auf die logische Form von
Aussagen gegründet.
Das Referat dieser Distinktion bei Diogenes (vgl. 7.68-69) unter-
scheidet sich sachlich nicht von dem, was bei Sextus steht. Diogenes
referiert allerdings viel knapper als Sextus1, aber seine Darstellung
zeigt auch, daß den stoischen Logikern, über die er hier berichtet, die
Dialektiker als Vorlage gedient haben. So ist das Diogenesreferat zwar
sparsamer im Gebrauch erläuternder Beispiele - es führt nur eine
Aussage als Fall einer einfachen, zwei als Fälle nicht-einfacher Aussa-
gen an -, aber diese Beispiele stimmen jeweils mit den ersten in den
Aufzählungen bei Sextus überein. Auch für die Stoiker ist das Auftre-
ten von Junktoren das entscheidende Kriterium für die Unterschei-
dung der nicht-einfachen von den einfachen Aussagen: Aussagever-
knüpfungen, in denen nur eine und dieselbe Aussage als Teilaussage
vorkommt, gehören zu den nicht-einfachen Aussagen (vgl. DL 7.69).
Aber während die Dialektiker für diesen Fall noch einen umschrei-
benden Ausdruck gewählt hatten („zweimal angeführte Aussage" vgl.
AM 8.93,94,95), verfügen die Stoiker über einen terminus technicus:
διφορούμενον.2 Die Prägung eines solchen terminologischen Kunst-
ausdrucks ist eher charakteristisch für eine Theorie, die sich bereits
durchgesetzt hat, nicht für die erste Formulierung einer Theorie.3

1
In der Ausgabe von Mutschmann ist das entsprechende Referat des Sextus
17 Zeilen lang, das des Diogenes Laertius in der Ausgabe von H. S. Long umfaßt
8 Zeilen. Zum Text des Diogenes Laertius, insbesondere zur Definition der einfa-
chen Aussage vgl. Egli (1967), 37.
2
Die Manuskripttradition, der die Herausgeber des Diogenes gefolgt sind, hat
hier allerdings διαφοροΰμενον. Gegen diesen Ausdruck hat aber schon Prantl (1855),
445 Anm. 122 geltend gemacht, daß der Wortsinn von διαφορέω (zerreißen, verzet-
teln, verdauen) die Wahl des Partizips zur Bezeichnung der hier gemeinten Aussa-
geverknüpfungen ganz unwahrscheinlich macht. Dem haben sich Steinthal (1890),
Bd. 1,318 Anm., Kochalsky (1911), 78, Mates (1973), 133 sowie Kneale (1962), 145
Anm. 9 angeschlossen. Auch Frede (1974), 50 Anm. 5 ist der Meinung, daß Aussa-
geverknüpfungen, in denen dieselbe Aussage zweimal vorkommt, zumindest auch
διφορούμενα genannt worden sein müssen. Fredes Vermutung, der Terminus δια-
φοροΰμενον könne gewählt worden sein, weil er, anders als διφορούμενον, das auf
Verknüpfungen von nur zwei Teilaussagen (wenn p, so p ; ρ oder p) beschränkt sei,
auch Aussageverknüpfungen, in denen dieselbe Aussage mehr als zweimal vor-
kommt, bezeichnen könne, scheint mir angesichts des kaum passenden Wortsinns
von διαφορέω nicht plausibel. Dagegen wird διφορέω bei den Grammatikern, wie
Prantl ebenfalls bereits hervorgehoben hat (a.a.O.), des öfteren im Sinne von das-
selbe auf zweierlei Weise sagen' gebraucht, vgl. LSJ s. v.
3
Gegen die Behauptung, daß erst die (chrysippeischen) Stoiker diesen Ausdruck
als terminus technicus geprägt haben, scheint prima facie der Umstand zu spre-
chen, daß sich dieses Wort dreimal auch im Text des Sextus findet, nämlich
AM 8.108-109 (allerdings wieder in der Form διαφοροΰμενον). An dieser Stelle geht
Dialektiker u. Stoiker über einfache/nicht-einfache Aussagen 111

Dafür, daß die Dialektiker tatsächlich die Pioniere auf dem Gebiet
der Aussagenlogik waren und die Stoiker auf den von ihnen gelegten
Fundamenten weiterbauen konnten, dafür liefert der Vergleich von
AM 8.93-95 und DL 7.68-69 noch ein weiteres Indiz. Bei Diogenes
scheint nämlich die Rede von ,einfachen' Aussagen ganz unproble-
matisch zu sein. Die Dialektiker des Sextus hatten für diese Bezeich-
nung noch eine rechtfertigende Erläuterung am Beispiel des Fadens
für notwendig gehalten und damit klar gemacht, daß nicht alles, was
Teile hat, darum schon von einer Klassifizierung als ,einfach' ausge-
schlossen ist (AM 8.94). So verfährt jemand, der eine terminologische
Unterscheidung erstmals einführen will. Solche Erläuterungen sind
überflüssig, wenn man eine etablierte Terminologie nur übernimmt.4
Eine ganz analoge Beobachtung zu einem anderen Teil der bei
Sextus mitgeteilten Dialektischen Aussagenklassifikation bestätigt
diesen Befund. Die Dialektiker haben nämlich auch ihre wahrheits-
funktionale Definition der konjunktiven Aussage mit einer erläutern-
den Analogie zu rechtfertigen gesucht. Daß eine Aussage, die aus der
konjunktiven Verknüpfung mehrerer Teilaussagen besteht, schon
dann falsch ist, wenn nur eine ihrer Teilaussagen falsch ist, das erläu-
tern sie, wie Sextus berichtet, folgendermaßen:
Aber, so sagen sie, wie wir auch im täglichen Leben ein Kleidungsstück, das an
den meisten Stellen heil (ύγιές), aber an einer kleinen Stelle zerrissen ist, nicht
nach der Mehrzahl der heilen Stellen heil nennen, sondern aufgrund der kleinen
zerrissenen Stelle zerrissen, so muß man auch die Konjunktion, auch wenn sie
nur eine falsche Teilaussage bei einer Mehrzahl von wahren enthält, nach der
einen falschen benennen. AM 8.128
Die Analogie dieser Redeweise von ,heil' und ,zerrissen' dient zwar
nicht zur Rechtfertigung einer terminologischen Neuerung, aber sie

Sextus von der Diskussion der einfachen zu der der nicht-einfachen Aussagen über
und dabei rekapituliert er (8.108) noch einmal die 8.95 referierte Erklärung der
nicht-einfachen Aussagen. In dieser Rekapitulation, die nicht eine wörtliche, son-
dern nur eine sinngemäße Wiedergabe sein will, kann er an die Stelle der umständ-
licheren Formulierung des Referates von 8.95 (δις λαμβανόμενον) den inzwischen
geläufigeren Terminus der stoischen Logik setzen. Nachdem der Ausdruck
δι(α)φορούμενον einmal zur Bezeichnung der Aussageverknüpfungen, in denen
dieselbe Aussage wiederholt wird, benutzt worden ist, mußte es für Sextus nahelie-
gen, ihn dann auch bei der anschließend referierten Charakterisierung der Kondi-
tionalaussage (8.109) zu gebrauchen. Entscheidend ist, daß im Kontext von 8.93-95,
d. h. bei der Einführung des Unterschiedes von einfachen und nicht-einfachen
Aussagen, auf den sich Sextus 8.108 ausdrücklich zurückbezieht (vgl. τά άνώτερον
προειρημενα), der fragliche Ausdruck nirgends auftritt.
4
Man vergleiche in dieser Hinsicht die Schriften Freges, der sehr häufig zu
plastischen Vergleichen greift, um seine Distinktionen plausibel zu machen, mit
den Schriften späterer Logiker.
112 Die Dialektische Klassifikation als Vorstufe der stoischen

soll doch die Ausweitung einer Anwendung von falsch' auf Fälle
begründen, für die jedenfalls der hier stipulierte Gebrauch bisher
nicht üblich gewesen sein kann.5 Insoweit ist diese Analogie der des
Fadens für die einfache Aussage durchaus parallel. Jeder dieser beiden
bildlichen Vergleiche soll für die Plausibilität neuer Ausdrucksweisen
und der dahinter stehenden neuen logischen Theorie werben. Daß es
bei diesen Analogien um elementare (und für uns heute fast triviale)
Erkenntnisse geht - um die Unterscheidung einfacher und zusam-
mengesetzter Aussagen sowie um die wahrheitsfunktionale Defini-
tion der konjunktiven Aussage, das unterstreicht nur den historischen
Wert des Sextusreferates: Gerade wegen dieser Erläuterungen zu einer
sehr elementaren Unterscheidung und zu einer relativ unproblemati-
schen Festlegung in der Aussagenlogik können wir annehmen, daß
uns dieser Text sehr nahe an den Ursprungsort dieser neuen Logik
heranführt.
Im Referat des Diogenes Laertius (vgl. 7.72) fehlt übrigens die An-
gabe einer Wahrheitsbedingung für die konjunktive Aussage und
damit natürlich auch eine erläuternde Rechtfertigung für ein solches
Kriterium. Aber durch zwei andere Zeugnisse (Epiktet, Diss. II, 9, 8;
Gellius, Noct. Att. XVI, viii, 10-11) wird so gut wie sicher gemacht,
daß auch die Stoiker der Chrysippschule (wie ihre Dialektischen
Vorgänger) für die Wahrheit einer Konjunktion die Wahrheit aller
ihrer Teilaussagen verlangt haben. Wenn sich also im Logikreferat des
Diogenes keine semantische Charakterisierung der konjunktiven Aus-
sage findet, so dürfte das seinen Grund wohl darin haben, daß die
Wahrheitsbedingung dieser Aussage schon den von Diogenes refe-
rierten Stoikern als unproblematisch galt.

b) Die nicht-einfachen Aussagen bei den Dialektikern und


bei den Stoikern

Daß die stoischen Logiker, über die Diogenes berichtet, in der Aussa-
genlogik auf den von der Dialektischen Schule gelegten Fundamenten
weitergebaut haben, das zeigt sich aber insbesondere in der Behand-
5
Vgl. zu diesem Bilde a. Brunschwig (1978), 65. Diese Arbeit von Brunschwig ist
die bislang gründlichste Diskussion der Stelle AM 8.125-129. Brunschwig teilt die
communis opinio der Interpreten und sieht in diesem Text ein Referat stoischer
Theorie. Der Wert der zahlreichen treffenden Beobachtungen zum Text des Sextus
wird aber durch die, wie ich denke, falsche Zuweisung der hier referierten logi-
schen Theorie an die Stoa (und die darauf gegründeten weitergehenden Folgerun-
gen Brunschwigs für die stoische Ethik) nicht berührt.
Nicht-einfache Aussagen bei Dialektikern und bei Stoikern 113

lung der nicht-einfachen Aussagen. Die Bezeichnungen aller drei bei


Sextus erwähnten Arten nicht-einfacher Aussagen (Konditionalaus-
sage, Konjunktion und Disjunktion) sind von den Stoikern übernom-
men worden, ebenso die Termini für die Teile der Konditionalaussage:
Antecedens (ήγούμενον) und Succedens (λήγον) (vgl. AM 8.110-112
und DL 7.73).6 Auch der technische Gebrauch von ,ankündigen'
(έπαγγέλλεσϋαι) und ,Ankündigung' (επαγγελία) zur semantischen
Charakterisierung zusammengesetzter Aussagen bei den Stoikern (vgl.
DL 7.71-72; Epiktet, Diss. II, 9, 8) geht offenbar auf die Dialektiker
zurück (vgl. AM 8.111-112 und 7.396, wo dieser Terminus vom Zei-
chen prädiziert wird).
Die stoische Behandlung zusammengesetzter Aussagen im Dioge-
nesreferat zeigt allerdings auch einen charakteristischen Unterschied

6
An dem Referat, das Sextus über die Kontroverse zwischen Philon und Diodor
hinsichtlich der Konditionalaussage in AM 8.113-117 und an der Parallelstelle
PH 2.110-111 gibt, läßt sich sehr schön ablesen, wie sich hier eine terminologische
Fixierung aus einer vorterminologischen Redeweise entwickelt hat. In diesen Tex-
ten werden nämlich die Partizipialformen άρχόμενον und λήγον ebenso wie die
Verben, von denen sie abgeleitet sind, nur zur Charakterisierung der Konditional-
aussage selber, nicht als Bezeichnungen für ihre Teilaussagen benutzt. Darum sind
diese Partizipien hier auch noch nicht substantiviert; wo sie in Verbindung mit dem
Artikel auftreten (ζ. B. PH 2.110; AM 8.114), da ist immer ein συνημμενον zu ergän-
zen. Dagegen wird in den beiden anderen Deutungen der Konditionalaussage, die
in PH 2.111-112 referiert werden und von denen die erste allgemein Chrysipp
zugeschrieben wird, von substantivierten Partizipialformen zur Bezeichnung des
Antecedens und des Succedens resp. Gebrauch gemacht, wobei ήγούμενον an die
Stelle von άρχόμενον tritt. Es entspricht diesem Befund, daß auch bei der wahrheits-
funktionalen (philonischen) Definition der ftonditionalaussage und den daran
geknüpften Erläuterungen, die sich im Zusammenhang der Theorie des Zeichens
finden (vgl. AM 8.245-250,252,253, PH 2.104-105), die Partizipien άρχόμενον und
λήγον nur als grammatische Attribute der Konditionalaussage vorkommen und daß
die substantivierten Formen το ήγούμενον und το λήγον dabei nirgends auftreten.
Gleichwohl wäre es falsch, aus diesen Beobachtungen zu schließen, daß die Dialek-
tiker die substantivierten Partizipien als Termini für Antecedens und Succedens
resp. noch nicht benutzt hätten. Denn daß diese Termini von den Dialektikern
tatsächlich gebraucht worden sind, das wird durch ihr Auftreten in der dialekti-
schen bzw. in der frühstoischen Definition des Zeichens und den dazu gehörenden
Erläuterungen gesichert: vgl. Pseudo-Galen, Hist, philos. cap. 9 Diels, Dox. Gr.
605,11 sowie Sextus AM 8.245, 251, 252, PH 2.101, 104, 106. Es erscheint aber
immerhin denkbar, daß erst die Anwendung der neuen (Aussagen-)Logik auf die
Theorie des Zeichens mit ihrer Zuweisung eines erkenntnistheoretisch unter-
schiedlichen Status an Vordersatz und Nachsatz einer Konditionalaussage dazu
nötigte, für diese Teilaussagen eigene Termini einzuführen. Diese terminologi-
schen Ausdrücke standen dann natürlich wieder für die allgemeine Theorie der
Konditionalaussage bei den Dialektikern zur Verfügung, wie sie uns von Sextus
unter Benutzung dieser Termini in AM 8.110-112 referiert wird.
114 Die Dialektische Klassifikation als Vorstufe der stoischen

zum Verfahren ihrer Dialektischen Vorläufer. Wo die Dialektiker sich,


wie es scheint, am faktischen Gebrauch aussagenlogischer Junktoren
orientieren, wollen die Stoiker eine sprachliche Normierung errei-
chen. So wird in dem Dialektischen Material des Sextus die Konditio-
nalaussage als die mit einer der beiden griechischen Partikeln für
,wenn', εί oder είπερ, gebildete Aussagenverknüpfung charakterisiert
(AM 8.109), und in den folgenden beiden Beispielen für Konditional-
aussagen sind beide griechischen Ausdrücke benutzt (AM 8.110). Die
Stoiker dagegen lassen nur einen dieser beiden Ausdrücke zu, näm-
lich ει (vgl. DL 7.71), und auch alle ihre Beispiele sind mit dieser
Verknüpfungspartikel gebildet. Eine ähnliche Beobachtung läßt sich
beim Gebrauch der konjunktiven Verknüpfungspartikel machen.
Das Dialektische Beispiel für diese Aussagenverknüpfung benutzt
das einfache καί, entsprechend dem deutschen ,und' (ήμερα έστι και
φως έστιν AM 8.125). Das Beispiel im Referat des Diogenes unterschei-
det sich nur durch die Verwendung des doppelten καί (vgl. 7.72), und
das scheint die Normalform der konjunktiven Aussage bei den Stoi-
kern zu sein.7 Hier ist es die Festlegung auf eine umständlichere und

7
Die Stellen, die uns Beispiele für konjunktive Aussagen der stoischen Logik
liefern, gehören in ihrer überwiegenden Mehrzahl in den Kontext von Diskussio-
nen des 3. Anapodeiktos (bzw. von Schlüssen, die ebenfalls in ihrer ersten Prämisse
eine verneinte Konjunktion aufweisen). Wir finden die Formulierung ούχι καί...
κ α ί . . . an folgenden Stellen: AM 8.226, 227; Pseudo-Galen, Hist, philos. cap. 15
Diels, Dox. Gr. 607,16 f.; Galen, Inst. log. 34,4 Kalbfleisch; Scholia in Amm. In An.
Pi. XI,31 f. Wallies. An den folgenden beiden Stellen (dort sollen Beispiele für den 3.
Anapodeiktos formuliert werden) wird die Wendung, mit der die Stoiker die Ver-
neinung einer Konjunktion ausdrücken, zur Verneinung einer Prädikatverknüp-
fung bei identischem Subjekt benutzt - den Aristoteles-Kommentatoren mangelt
es hier am Verständnis für den spezifisch aussagenlogischen Charakter der stoi-
schen Logik: Ammonios, In An. Pr. 68,29 Wallies; Philoponos, In An. Pi. 245,20 f.
Wallies. - In der lateinischen Tradition wird entsprechend non et ... et . . . ge-
braucht: Martianus Capella, De nuptiis Phil, et Mere. 4.420 S. 144,7 Willis; Boe-
thius, In Top. Cie. 1135C Migne; Isidor, Etymologiae Bd. II, 28,23-25 Lindsay;
Cassiodor, Institationes II 3,13 S. 118 Mynors. Außerhalb einer Diskussion des
3. Anapodeiktos und verwandter Schlußformen finden sich Beispiele für konjunk-
tive Aussagen mit vorangestelltem καί: Apollonios Dyskolos, De coniunctionibus
218,18 f. Schneider; bei lateinischen Autoren in entsprechender Formulierung:
Cicero, De fato 15; Gellius, Noct. Att. XVI, viii, 10 (wobei Gellius allerdings das et
zu einer Verknüpfung von Prädikaten benutzt). Zwar finden sich auch Stellen, an
denen in Referaten stoischer Logik eine konjunktive Aussage nur mit einem einfa-
chen καί formuliert wird; Sextus etwa benutzt dreimal als Beispiel einer verneinten
Konjunktion (unter den Prämissen des 3. Anapodeiktos) eine Aussage mit nur
einem καί (vgl. PH 2.158, 201). Aber derartige Textstellen sind selten; gelegentlich
zeigen auch andere Formulierungen an derselben Stelle, daß der referierende Autor
Nicht-einfache Aussagen bei Dialektikern und bei Stoikern 115

im normalen griechischen Sprachgebrauch seltenere Formulierung,


die gegenüber der im Beispiel der Dialektiker benutzten auffällt.
Das Motiv, welches die stoischen Logiker für diese Festlegung hat-
ten, wird erkennbar, wenn wir beachten, daß in der griechischen
Formulierung, anders als bei der im Deutschen meist gewählten Über-
setzung ,sowohl... als auch...', das erste κοα stets vor das ganze erste
Konjunkt tritt, und wenn wir weiter beachten, daß die Stoiker auch für
den zweiten Junktor, der normalsprachlich gewöhnlich nur durch
eine zwischen zwei Aussagen stehende Verknüpfungspartikel ausge-
drückt wird, nämlich für das ,oder' (gr. ή), ebenfalls eine Ausdrucks-
weise festgelegt haben, nämlich ήτοι... ή..., die vor das erste Disjunkt
einen die Disjunktion anzeigenden Ausdruck setzt (vgl. DL 7.72). Die
Stilisierungen, die von den bei Diogenes Laertius referierten Stoikern
hier vorgenommen werden, haben offenbar den Zweck, die logische
Form einer zusammengesetzten Aussage am ersten Ausdruck dieser
Aussage ablesbar zu machen. Dem entspricht es, daß in den Beispie-
len für die übrigen Arten nicht-einfacher Aussagen (inklusive der
beiden dissertiven Aussagen) die Verknüpfungspartikel stets am An-
fang steht, obwohl doch grammatisch die Umstellung von Hauptsatz
und Nebensatz im Fall der konditionalen, der subkonditionalen und
der kausalen Aussage ohne Umstände möglich ist.8
Die Stoiker des Diogenes haben also in doppelter Hinsicht eine
Normierung der normalen Sprache vorgenommen. Sie lassen für einen
aussagenlogischen Operator einen und nur einen normalsprachli-
chen Ausdruck zu und sie wählen diese normalsprachlichen Aus-
drücke so bzw. sie ordnen die normalsprachlichen Satzgefüge so, daß
jeweils das erste Wort einer Aussagenverknüpfung die logische Form
der Gesamtaussage erkennen läßt. Da die Stoiker auch für den Nega-
tor verlangen, daß er vor die verneinte Aussage gesetzt wird (vgl. DL

sich nicht streng an die formalistischen Ausdrucksweisen der Stoiker halten will;
das gilt ζ. B. für Plutarch, De comm. not. 45,1084C-D.
Wir haben also allen Grund für die Annahme, daß die bei Diogenes Laertius 7.72
für die (chrysippeische) stoische Logik bezeugte Formulierung der konjunktiven
Aussage die kanonische Formulierung für Aussagen konjunktiver Form war. Ab-
weichungen von dieser Normalform sind wohl am ehesten dadurch zu erklären,
daß das logische Lehrgut der Stoiker weitgehend von Autoren überliefert worden
ist, die für den formalistischen Charakter der stoischen Logik kein Verständnis
hatten.
8
Auch in diesem Punkt unterscheidet sich die Stoa des Chrysipp von den
Vorgängern in der Dialektischen Schule: Die Dialektiker nehmen ausdrücklich
Rücksicht auf die Möglichkeit der Umstellung von Antecedens und Succedens im
normalsprachlichen Satzgefüge, vgl. AM 8.110.
116 Die Dialektische Klassifikation als Vorstufe der stoischen

7.69), führt diese Regelung der Position aussagenlogischer Operatoren


zu einer großen Durchsichtigkeit der formalen Struktur auch sehr
komplexer Aussagen; der Grundgedanke ist derselbe wie in der von
L. Chwistek und J. Lukasiewicz entwickelten polnischen Notation,
die auch den Bereich eines aussagenlogischen Operators allein durch
seine Position kenntlich macht und dadurch auf die Klammersetzung
verzichten kann. 9
Auch wenn das Material, das für unsere vergleichende Gegenüber-
stellung der Dialektischen und der stoischen (chrysippeischen) Logik
zur Verfügung steht, eher schmal ist, so scheinen doch die gerade
gemachten Beobachtungen - bei aller gebotenen Vorsicht - eine erste
und vorläufige allgemeinere Charakterisierung dieser beiden Logiken
zu erlauben. Es scheint, daß die Intentionen der Dialektiker eher auf
eine Analyse und Klärung logischer Strukturen des faktischen
Sprachgebrauchs gingen. Sie stellen jedenfalls unterschiedliche For-
muherungsmöglichkeiten der normalen Sprache in Rechnung. Die
(chrysippeischen) Stoiker dagegen ignorieren bewußt die Vielfalt
möglicher Ausdrucksweisen der normalen Sprache und machen sich
an die Konstruktion einer formalisierten, logisch durchsichtigen
Idealsprache, in der die sprachliche Form unmittelbar Ausdruck der
logischen Form ist. Die Dialektiker scheinen eher Vertreter einer argu-
mentationstheoretischen, die Stoiker dagegen Repräsentanten einer
idealsprachlichen Konzeption der Logik zu sein. Wir werden diese
These bei den folgenden Untersuchungen im Auge behalten und
kritisch prüfen.

c) Die neue Klassifikation der einfachen Aussagen bei den Stoikern

Für die formalistische Ausdrucksweise der (chrysippeischen) Stoa bei


der Formulierung nicht-einfacher Aussagen haben wir so eine Erklä-
rung gefunden, die zugleich ein mögliches Motiv für die Abweichung
liefert, welche sich hier auf dem Hintergrund der Dialektischen Be-
handlung dieser Aussagen für die Stoiker zu ergeben scheint. Was den

9
I. Muellers Behauptung, die Stoiker hätten kein der Klammersetzung entspre-
chendes Verfahren für die Angabe des Bereichs aussagenlogischer Operatoren
gehabt - „they relied on context to indicate the scope of a given logical connective"
(Mueller [1978], 10) - scheint mir daher falsch. Gerade weil die stoische Aussagen-
logik, wie Mueller [ibid.] richtig hervorhebt, „places no bounds on the potential
complexity of a proposition", wäre das Fehlen eines Verfahrens, mit dem der
Bereich eines aussagenlogischen Operators eindeutig festgelegt werden kann, ein
schwerwiegender Mangel dieser Logik gewesen.
Die neue Klassifikation einfacher Aussagen bei den Stoikern 117

wichtigsten Unterschied in der semantischen Deutung zusammenge-


setzter Aussagen betrifft, die neue stoische Definition der wahren
Konditionalaussage, so ist das Wesentliche zum Motiv für diese
Neuerung schon im Abschnitt b) des vierten Kapitels gesagt worden
(vgl. oben S. 99): Die Stoa war offenbar bemüht, einen einheitlichen
Begriff der Folge sowohl für das Verhältnis des Succedens zum Ante-
cedens innerhalb einer Konditionalaussage wie auch für das Ver-
hältnis von Konklusion zu den Prämissen innerhalb eines Schlusses
zu entwickeln und mußte deshalb von den Wahrheitskriterien des
Philon und des Diodor Abstand nehmen, von Kriterien, die beide auf
je spezifische Weise mit den Paradoxien der materialen Implikation
behaftet sind. Erklärungsbedürftig sind aber noch die erheblichen
Unterschiede, die zwischen der Klassifikation einfacher Aussagen bei
den Dialektikern einerseits und den (chrysippeischen) Stoikern ande-
rerseits auftreten. Oben (S. 86-89) ist gezeigt worden, daß die Dialekti-
sche Dreiteilung der einfachen Aussagen offenbar vollständig sein
will und ihre drei Klassen jedenfalls nicht in eine Äquivalenzbezie-
hung zu drei Klassen innerhalb der stoischen Einteilung (zur kategori-
schen, prädikativen und indefiniten Aussage resp.) gesetzt werden
können. Läßt sich ein Motiv erkennen, das die Stoiker zu den von
ihnen vorgenommenen Änderungen an der Dialektischen Liste ein-
facher Aussagen veranlaßt hat?
Wir können bei der Suche nach einem Grund, den die Stoiker des
Diogenes für diese Änderungen hatten, von folgender Überlegung
ausgehen: Wenn die Dialektische Klassifikation der einfachen Aussa-
gen vollständig sein will, dann müssen auch Aussagen wie,dieser sitzt
nicht', ,Sokrates sitzt nicht' oder ,irgendeiner sitzt nicht' in dieser
Einteilung einen Platz finden. Nun scheint mir nicht zweifelhaft, daß
eine Aussage wie,dieser sitzt nicht' genau so gut wie ihr bejahendes
Pendant „hinweisend geäußert" wird (vgl. AM 8.96). Denn in der bei
Sextus referierten Charakterisierung der definiten Aussage ist nur
verlangt, daß sie „hinweisend" (κατά δεϊξιν AM 8.96) geäußert wird,
also offenbar ein Demonstrativpronomen als Subjekt hat. Nichts in
den Mitteilungen des Sextus zwingt dazu, nur bej ahende Aussagen als
Beispiele definiter Aussagen zuzulassen. Fazit:,Dieser sitzt nicht' ist
für die Dialektiker eine definite Aussage.
Ganz analoge Überlegungen machen es plausibel, eine Aussage wie
irgendeiner sitzt nicht' als indefinit zu klassifizieren (sie wird von
einer Indefinitpartikel regiert vgl. AM 8.97), ebenso aber auch ,So-
krates sitzt nicht' als mittlere Aussage, denn sie ist weder definit noch
indefinit (vgl. AM 8.97). Überhaupt fällt auf, daß die Charakterisie-
rungen, die im Referat des Sextus für die drei Arten einfacher Aussa-
118 Die Dialektische Klassifikation als Vorstufe der stoischen

gen gegeben werden, sich ausschließlich am Subjektausdruck dieser


Aussagen orientieren.
Diese Orientierung am Subjektausdruck kann solange als Klassifi-
kationsprinzip für die einfachen Aussagen dienen, wie man zwischen
,dieser sitzt nicht' und ,es ist nicht der Fall, daß dieser sitzt' (und
entsprechend im Fall der mittleren Aussagen) keinen Unterschied
machen will. Anders gesagt, solange man,dieser sitzt' und,dieser sitzt
nicht' (bezogen auf dieselbe Person) für ein Paar kontradiktorisch
entgegengesetzter Aussagen hält (und entsprechend bei den mittleren
Aussagen). Nun ergibt sich aber aus einem Bericht des Alexander von
Aphrodisias [In An. Pr. 402,3 ff. Wallies=FDS 921), auf dessen Bedeu-
tung als Quelle der stoischen Logik A. C. Lloyd hingewiesen hat 10 ,
daß nach den Stoikern hier kein Verhältnis der Kontradiktion vorhegt;
vielmehr sei, so die von Alexander referierten stoischen Logiker, ,Kal-
lias geht umher' zugleich mit ,Kallias geht nicht umher' falsch, wenn
nämlich Kallias gar nicht existiert (vgl. In An. Pr. 402,15-16 Wallies).
Denn, so lautet die Begründung, in beiden Fällen sei der Sinn: ,Es gibt
einen gewissen Kallias, diesem kommt entweder das Umhergehen
oder dasNicht-Umhergehenzu' [ibid. 402,16-18). Die hier referierten
Stoiker haben also Aussagen mit einem Eigennamen in Subjektposi-
tion als verkappte Existenzbehauptungen interpretiert. Ebenso seien
auch,dieser geht umher' und,dieser geht nicht umher' (bezogen auf
dieselbe Person) beide falsch, wenn die Person, auf die man zeigt,
weiblichen Geschlechtes ist [ibid. 402, 21-23). 1 1 Für diese Logiker
1 0 Lloyd (1978), 289. Übrigens redet Alexander nicht explizit von Stoikern,

sondern schreibt diese Ansichten nur unbestimmt „einigen" zu. Aber Lloyd vermu-
tet hinter dieser Position wohl zu Recht Chrysipp. Vgl. dazu a. FDS 920 u. 922.
1 1 Daraus ergibt sich übrigens, daß ούτος,,dieser' kein logischer Eigenname im

Sinne Russells ist, vergleichbar dem englischen ,this', das in der Tat gänzlich frei von
Konnotationen ist. Insoweit ist übrigens auch Lloyd (1978), 288 im Unrecht, wenn
er zur Erläuterung der stoischen Vorhebe für Demonstrativpronomina schreibt: „If
I believe 'this is white' I can be mistaken only about the predicate." Im Griechischen
ließe sich dieses englische Beispiel nicht mit nur einem Demonstrativpronomen
nachbilden. Man beachte übrigens, daß sich die Suppositionen, die sich nach
stoischer Auffassung für Eigennamen und (griechische) Demonstrativpronomina
ergeben, bei Satzsubjekten, die keine Referenz haben, wie τίς und ουδείς, nicht
ergeben, auch wenn sie mehrere grammatische Genera haben. - In diesem Zusam-
menhang scheint es sinnvoll, auch auf einen erkenntnistheoretisch wichtigen Unter-
schied zwischen Aussagen mit einem deiktisch gebrauchten Demonstrativprono-
men als Subjektausdruck und Aussagen mit Personalpronomina als Satzsubjekten
hinzuweisen. Aussagen mit deiktisch gebrauchten Demonstrativpronomina sind
nur in Kontexten sinnvoll, in denen der Adressat der Aussage den gleichen Zugang
zu dem durch das Demonstrativpronomen bezeichneten Gegenstand und dessen
unmittelbar wahrnehmbaren Eigenschaften hat wie der Sprecher. Darum sind
Aussagen mit einem solchen Demonstrativpronomen und mit einem Prädikat, das
Die neue Klassifikation einfacher Aussagen bei den Stoikern 119

besteht also zwischen Aussagen wie ,dieser sitzt' und ;dieser sitzt
nicht' bzw. ,Sokrates sitzt' und ,Sokrates sitzt nicht' - für die Dialekti-
ker Paare kontradiktorisch entgegengesetzter definiter bzw. mittlerer
Aussagen - kein Verhältnis der Kontradiktion, sondern wohl nur
eines der Kontrarietät.
Die Stoiker, von denen Alexander berichtet, besaßen also eine se-
mantische Theorie, die sie zur Unterscheidung nötigte von ,dieser
sitzt nicht' und ,es ist nicht der Fall, daß dieser sitzt' bzw. ,Sokrates sitzt
nicht' und ,es ist nicht der Fall, daß Sokrates sitzt'. Wenn die Stoiker
also verlangen, daß die Verneinung einer Aussage ausschließlich
durch eine vorangestellte Verneinungspartikel (ούχί) ausgedrückt wird
(vgl. AM 8.89-90), so haben sie für diese Forderung neben dem Grund
der formalen Durchsichtigkeit zusammengesetzter Aussagen auch
einen Grund, der mit ihrer Semantik zu tun hat: Die Stoiker sehen mit
dem Gebrauch von Eigennamen bzw. von Demonstrativpronomina
bestimmte Suppositionen verbunden, die es in ihren Augen unmög-
lich machen, Aussagen mit derartigen Ausdrücken in Sub j ektposition
durch eine Verneinung des Prädikates zu verneinen.12 Da die Vernei-
nungspartikel vor die ganze Aussage tritt und diese „regiert" (κυριεύει
AM 8.90), kann die Orientierung am Subjektbegriff, der in solchen
Aussagen dem Negator untergeordnet ist, kein Klassifikationsprinzip
für alle einfachen Aussagen mehr abgeben. Darum also waren die
Stoiker genötigt, für die verneinenden einfachen Aussagen eine ei-
gene Klasse einzurichten, die,verneinenden Aussagen' (άποφατικά).13

eine unmittelbar wahrnehmbare Eigenschaft des durch dieses Pronomen bezeich-


neten Gegenstandes angibt, für den Adressaten immer unmittelbar verifizierbar.
Das gilt nicht für Berichte, in denen Personalpronomina auftreten: „Ich" und „du"
etwa können sinnvoll auch in Kontexten gebraucht werden, in denen der Adressat
eine solche Verifikationsmöglichkeit nicht hat; ich kann auch jemandem, der sich
mit verbundenen Augen durch ein Zimmer bewegt, sinnvoll sagen: „Du stehst jetzt
in der Mitte des Zimmers." Darum ist bei Aussagen mit einem Demonstrativprono-
men als Subjekt, soweit sie Ereignisse oder Zustände des unmittelbaren Wahrneh-
mungsfeldes referieren, eine Irreführung durch eine einfache Lüge nicht möglich.
So ist es vielleicht kein Zufall, daß die Diskussion um die stoische φαντασία κα-
ταληπτική, wie es scheint, so gut wie ausschließlich mit Aussagen dieses Typs
bestritten worden ist.
Vgl. Lloyd (1978), 290 f.
13
Der Text, der die Definition der verneinenden Aussage (7.69) enthält, ist
verstümmelt; die vermutlich richtige Lesart hat Goulet (1978), 180 wiederherge-
stellt: άποφατικον μεν έστιν το συνεστός έξ άποφατικοϋ μορίου και αξιώματος. Ähnlich
schon Egli (1967), 38. Dabei muß αξίωμα hier verstanden werden als ,einfache
Aussage', weil anderenfalls auch die Verneinung einer zusammengesetzten Aus-
sage als verneinende Aussage im Sinne der hier vorgenommenen Einteilung, die ja
eine Einteilung einfacher Aussagen sein will, angesehen werden müßte.
120 Die Dialektische Klassifikation als Vorstufe der stoischen

Der Grund, den die Stoiker (Chrysipp und seine Nachfolger) für die
Einführung einer eigenen Klasse der verneinenden Aussagen' hatten,
kann uns nun aber auch eine mögliche Erklärung dafür liefern, daß
die Stoiker für zwei der drei Klassen einfacher Aussagen, die in ihrer
Einteilung den drei Klassen einfacher Aussagen der Dialektiker in
gewissem Sinn entsprechen, neue Termini eingeführt haben, nicht
aber für die Klasse der indefiniten Aussagen. Wir hatten oben (S. 117)
gesehen, daß die Dialektiker die Aussage ,dieser sitzt nicht' ebenso
wie ,dieser sitzt' zur Klasse der definiten Aussagen, daß sie entspre-
chend das Paar ,Sokrates geht umher'/,Sokrates geht nicht umher' zur
Gruppe der mittleren Aussagen gezählt haben dürften. Nun ist es aber
keineswegs so, daß die den Dialektikern gegenüber unterschiedliche
Auffassung, welche die Stoiker (Chrysipp und seine Nachfolger) von
der Negation haben, sie nötigt, die Glieder der oben angeführten
Aussagenpaare jeweils in unterschiedliche Aussagenklassen ein-
zuordnen. Es ist vielmehr durchaus denkbar und sogar wahrschein-
lich, daß das erste Paar in die Klasse der stoischen prädikativen Aussa-
gen (καταγορευτικά) gehört, das zweite in die der kategorischen
Aussagen (κατηγορικά).14 Der Unterschied zu den korrespondieren-
den Klassen der Dialektiker besteht dann nicht darin, daß in diesen
beiden stoischen Klassen Aussagen zusammengefaßt sind, die sich
ihrer Form nach von den Aussagen in den entsprechenden Dialekti-
schen Klassen unterscheiden, sondern darin, daß von den Aussagen,
die jeweils die Negationspartikel enthalten, eine unterschiedliche se-
mantische Deutung gegeben wird. Wo die Dialektiker ein kontradik-
torisches Gegenteil sehen, erkennen die Stoiker nur eine konträr
entgegengesetzte Aussage. Gerade dieser Umstand mußte es dann
aber für die Stoiker vordringlich machen, für jede dieser Klassen einen
eigenen Terminus festzusetzen. Eine Übernahme der Dialektischen
Terminologie hätte unter diesen Umständen nur verwirrend wirken

14
Das wird durch die Mitteilung bei Apuleius, De int. Y77,22 ff. Thomas bestä-
tigt, daß nach den Stoikern „voluptas non est bonum" eine affirmative (dedicativa),
keine verneinende Aussage (abdicativa) ist. Daß der lateinische Terminus des
Apuleius die Übersetzung des griechischen άποφατικόν ist, macht die weitere Mit-
teilung des Apuleius deutlich: solum autem abdicativum vocant, cui negativa
particula piaeponitui. - M. Frede wirft die Frage auf, wo dieses Beispiel des Apu-
leius einzuordnen ist (vgl. Frede [1974], 72 f.), und will aus dem Umstand, daß es
sich in keiner der drei Arten von „irgendwie negativen einfachen Aussagen" unter-
bringen läßt, die Folgerung ziehen, daß die bei Diogenes Laertius gegebene Eintei-
lung dieser Aussagen „kaum vollständig sein soll" (Frede a.a.O.). Dieses Problem
verschwindet, wenn man die (von Frede nicht herangezogene) oben diskutierte
Alexander-Stelle berücksichtigt. Aussagen wie „voluptas non est bonum" gehören
in die Klasse der κατηγορικά.
Die neue Klassifikation einfacher Aussagen bei den Stoikern 121

können; sie wäre ohnehin allenfalls bei den ,definiten' Aussagen der
Dialektiker möglich gewesen, denn in der erweiterten stoischen Liste
macht die Rede von einer Gruppe der ,mittleren' Aussagen keinen
Sinn mehr.15
Warum aber können die Stoiker, warum kann Chrysipp, der zwei
Abhandlungen über diese Aussagen geschrieben hat (vgl. DL 7.190),
für die indefiniten Aussagen den Dialektischen Titel übernehmen?
Sie können dies, wie mir scheint, deshalb tun, weil die Schwierigkeit,
die im Fall der beiden oben diskutierten Klassen im Verhältnis zu den
korrespondierenden Klassen der Dialektischen Einteilung auftritt, im
Fall der indefiniten Aussagen wegfällt. Niemand würde nämlich ir-
gendeiner sitzt nicht' für das kontradiktorische (oder auch nur für das
konträre) Gegenteil von irgendeiner sitzt' halten. Aussagenpaare die-
ser Form sind stets miteinander verträglich, und die Formalisierung
mit Hilfe des Existenzquantors macht auch sofort den Grund dafür
deutlich: Der grammatische Subjektausdruck irgendeiner' erfüllt
hier gar nicht eine der Aufgaben, die sonst von Subjektausdrücken
erfüllt werden - er hat weder die Funktion eines Nominators noch die
eines Prädikators, sondern dient der Mitteilung, daß es überhaupt
(wenigstens) einen Gegenstand gibt, dem das nachfolgende Prädikat
zukommt. Da zwischen Aussagenpaaren dieser Form also gar kein
Gegensatzverhältnis besteht, gibt es auch nicht, wie im Fall der gram-
matisch analogen Aussagenpaare bei den definiten/prädikativenbzw.
den mittleren/kategorischen Aussagen, die Möglichkeit unterschied-
licher semantischer Deutung und daher auch keine Notwendigkeit
auf Seiten der Stoiker, den Terminus der Dialektischen Logiker durch
einen eigenen zu ersetzen.16
15
Das Auftreten eines neuen Titels, nämlich κατηγορικά, unter den die mittle-
ren' Aussagen der Dialektiker fallen, ist also insoweit unproblematisch. Aufschluß-
reich ist, daß die Stoiker, über die Diogenes Laertius berichtet, auch für die von den
Dialektikern als definit klassifizierten Aussagen, für die ώρισμενα, einen neuen
Terminus eingeführt haben: καταγορευτικά. Daß diese Nomenklatur dem Chrysipp
bekannt war und vermutlich auch auf ihn zurückgeht, wird durch einen Titel in
seinem Schriftenverzeichnis (DL 7.190) belegt.
16
Das zweite der beiden für die indefinite Aussage angeführten Beispiele - εκεί-
νος κινείται,,jener bewegt sich' - scheint zunächst schwer zu erklären, denn prima
facie scheint diese Aussage doch in die Gruppe der καταγορευτικά zu gehören. Daß
die Stoiker diese Aussage gleichwohl als indefinit klassifizieren wollen, hat, worauf
schon in Kneale (1962), 146 hingewiesen ist, höchstwahrscheinlich damit zu tun,
daß die Stoiker generalisierte Konditionalaussagen mit einem Indefinitpronomen
im Vordersatz und einer entsprechenden Form von έκεΐνος im Nachsatz formulie-
ren (vgl. AM 11.8-11 - dort wird Chrysipp eine solche Formulierung zugesprochen
- und AM 1.86). Grammatisch gesehen bezieht sich das Pronomen εκείνος im
Nachsatz solcher Konditionalaussagen auf das Indefinitpronomen des Vorder-
122 Die Dialektische Klassifikation als Vorstufe der stoischen

Für die Einführung der Klasse der verneinenden Aussagen in der


stoischen Logik läßt sich also ein plausibles Motiv angeben, ein Motiv,
das überdies noch Licht auf die von den Stoikern für die letzten drei
Klassen ihrer Liste gewählte Terminologie werfen kann. Die Spärlich-
keit des überlieferten Materials macht es aber schwierig, für die Ein-
führung der beiden Klassen der bestreitenden und der privativen
Aussagen mehr als (bestenfalls plausible) Vermutungen vorzubrin-
gen. Offenbar ist in beiden Fällen eine Reflexion auf die logische Rolle
unterschiedlicher negierender Ausdrücke maßgebend gewesen. Wir
kommen vielleicht am ehesten zu wahrscheinlichen Erklärungen für
die Einführung dieser beiden Aussagearten, wenn wir jeweils fragen,
warum die entsprechenden Aussagen nicht in eine jeweils nahelie-
gende andere Klasse einfacher Aussagen eingeordnet werden.
So läßt sich bei dem Beispiel für eine bestreitende Aussage ^nie-
mand geht umher') fragen, warum diese Aussage nicht als kategori-
sche Aussage gelten soll. Schließlich scheint sie doch, wie in der
Definition der kategorischen Aussage verlangt (vgl. DL 7.70), aus
einem Nominativ und einem Prädikat zu bestehen. Ich vermute, der
Grund hat auch hier wieder mit der semantischen Theorie der Stoa zu
tun: Anders als Subjektausdrücke wie ,dieser', ,Kaüias' oder ,dieser
Athener', die nach den Stoikern eine Existenzbehauptung implizie-
ren, sind Ausdrücke wie ,niemand' oder ,keiner' von solch einer
Supposition frei. Darum sind Verneinungen von Aussagen wie j e -
mand geht umher' auch einer anderen einfachen Aussage äquivalent
(,irgendeiner geht umher'), während die Verneinung einer kategori-
schen (oder einer prädikativen) Aussage auf dem Boden der stoischen
Semantik immer nur einer disjunktiven Aussagenverknüpfung äqui-
valent sein kann. Das mag für formalistische Logiker wie die Stoiker
durchaus ein Grund gewesen sein, die bestreitenden Aussagen zu
einer eigenen Klasse zusammenzufassen.

satzes zurück (logisch gesehen vertreten beide Ausdrücke eine durch einen Quan-
tor gebundene Variable). So mußte es für die Stoiker naheliegen, das Pronomen
εκείνος in solchen Sätzen ebenfalls als Indefinitpronomen aufzufassen und die
Sätze selber als indefinit zu klassifizieren. Daß wir auch im Fall der bei Diogenes
angeführten Beispiele für indefinite Aussagen (,irgendeiner geht umher', ,jener
bewegt sich') offenbar beide als Teilaussagen einer (nicht formulierten) Konditio-
nalaussage [d τις περιπατεί, εκείνος κινείται) verstehen sollen, wird durch ein Beispiel
bei Aulus Gellius (Noct. Att. XVI, viii, 9) noch unterstützt: si Plato ambulat, Plato
movetui. Daher scheint mir auch die neuerdings von Egli (1981), 20 an dieser Stelle
des Diogenestextes vorgeschlagene Konjektur („τις (περιπατεί", ,,εϊ τις) περιπατεί,
εκείνος κινείται") unnötig. Sie würde überdies eine (für die Stoiker) nicht-einfache
Aussage zur Illustration einer Art der einfachen Aussagen heranziehen.
Die neue Klassifikation einfacher Aussagen bei den Stoikern 123

Das Beispiel für eine privative Aussage lautet: unfreundlich ist


dieser' (άφιλάνϋρωπός έστιν ούτος DL 7.70). Auch hier liegt, wegen des
Demonstrativpronomens, die Frage nahe, weshalb dieses Beispiel
nicht in die Klasse der prädikativen Aussagen (καταγορευτικά) ein-
zuordnen ist. Denn es besteht wie in der Charakterisierung der prädi-
kativen Aussage (7.70) gefordert, aus einem deiktischen Nominativ
und einem Prädikat.17 In der Klasse der prädikativen Aussagen befin-
den sich doch, wenn die oben angestellten Überlegungen richtig sind,
auch die einfachen Aussagen mit verneintem Prädikat, wie ,dieser
sitzt nicht', warum also nicht auch die Aussagen mit privativem Prädi-
kat?
Eine Erklärung dafür, warum die stoischen Logiker des Diogenes
Laertius für diese Aussagen gleichwohl eine eigene Klasse eingerich-
tet haben, scheint nun durch die Formulierung der als Beispiel gewähl-
ten Aussage nahegelegt. In dieser Aussage ist nämlich das privative
Prädikat an den Satzanfang gerückt. Diese Vorziehung des Prädikates
an den Satzanfang ist kaum ein Zufall. Denn wir hatten schon bei den
nicht-einfachen Aussagen gesehen, daß die Stoiker die logische Form
einer Aussage durch Ausdrücke am Anfang des Satzes kenntlich
machen. Und auch in den stoischen Beispielen einfacher Aussagen
stehen die Ausdrücke, die den Charakter der jeweiligen Aussage
spezifisch bestimmen, ausnahmslos am Satzanfang. Der Vorteil dieser
Regelung hegt auf der Hand: Die logische Form bzw. die Art jeder
Aussage ist stets an ihrem ersten Wort abzulesen. Es wäre also eher
erstaunlich gewesen, wenn in dem Beispiel einer privativen Aussage
das Prädikat nicht am Anfang des Satzes gestanden hätte.
Nun ist weiterhin zu beachten, daß diese Vorziehung des Prädikates
bei Aussagen mit verneintem Prädikat (,dieser sitzt nicht') wegen der
stoischen Theorie des Negators nicht möglich ist. Denn hier würde
die an den Anfang gerückte Negationspartikel, die innerhalb des
Satzes das Prädikat verneint, als Negation der gesamten Aussage er-
scheinen; aus einem konträren wäre ein kontradiktorisches Gegenteil

17
Egli (1967), 37 meint denn auch: „in der Tat müßte das Beispiel für eine
privative Aussage wohl auch ein katagoreutikön sein, so daß diese beiden Katego-
rien nicht in einer Einteilung einander gegenübergestellt werden dürfen." Mit
demselben Argument würden dann aber auch die καταγορευτικά selbst als eine
Untergruppe der kategorischen Aussagen gezählt werden müssen, denn Aussagen,
die aus einem deiktischen Nominativ und einem Prädikat zusammengesetzt sind,
sind jedenfalls auch aus einem Nominativ und einem Prädikat zusammengesetzt,
wie in der Definition der kategorischen Aussagen verlangt. Wir sollten also nicht
ohne Not von der Annahme abgehen, daß hier eine wechselweise ausschließende
Einteilung vorgestellt werden soll.
124 Die Dialektische Klassifikation als Vorstufe der stoischen

geworden.18 Dies einfach deshalb, weil auf die Negationspartikel eine


explizite, vollständige Aussage folgt. Die privative Partikel dagegen
bleibt Teil des Prädikates. Sie ist nicht, wie die Negationspartikel, mit
einer expliziten Aussage zu einer neuen Aussage zusammengesetzt,
sondern mit einer nicht explizit formulierten oder, um nun den Ter-
minus aus der stoischen Definition der privativen Aussage zu benut-
zen, mit einer potentiellen' Aussage (αξίωμα κατά δύναμιν DL 7.70).
Daß in der Charakterisierung der privativen Aussage in der Tat auf
eine Eigenschaft dieser Aussage abgestellt wird, die gerade im Ver-
gleich zur Aussage mit verneintem Prädikat sichtbar wird, das stützt
unsere Vermutung über das Motiv, das die Stoiker für die Einführung
einer eigenen Klasse der privativen Aussagen gehabt haben. Offenbar,
so scheint es, kam es den stoischen Logikern darauf an, die Möglich-
keit zu einer weiteren Differenzierung einfacher Aussagen zu nutzen,
einer Differenzierung, die bei den privativen Aussagen in Überein-
stimmung mit der generell befolgten Regel, daß der jeweils erste
Ausdruck eines Aussagesatzes die Art dieses Satzes anzeigen soll,
möglich war, nicht dagegen bei Aussagen mit negiertem Prädikat.19

d) 1st die stoische Einteilung der einfachen Aussagen


wechselweise ausschließendl

Für die Erweiterungen, welche die stoischen Logiker (Chrysipp und


seine Nachfolger) gegenüber der Dialektischen Aussagenklassifika-
tion vornehmen, haben wir damit jedenfalls die Möglichkeit plausi-
bler Erklärungen gezeigt. Eine Frage, die damit aber noch nicht geklärt
ist und die sich gerade im Vergleich mit der Dialektischen Einteilung
aufdrängt, ist die, ob sich die Klassen der stoischen Liste einfacher
Aussagen wechselweise ausschließen oder nicht. Denn die Dialekti-
sche Dreiteilung der einfachen Aussagen will ganz offensichtlich
wechselweise ausschließend sein; ihre drei Gruppen sind zueinander
konträr. Dagegen scheinen die Klassen der einfachen Aussagen in der
stoischen Einteilung jedenfalls prima facie keineswegs wechselweise
ausschließend zu sein.
18
Daher scheint mir Fredes Vermutung, daß zu den Privativpartikeln möglicher-
weise „auch ,ού' und ,μή' gehören, wenn sie zur Verneinung eines Terms verwendet
werden" (Frede [1974], 72), wenig wahrscheinlich.
19
Wenn die Stoiker an dieser formalen Eigenschaft privativer Aussagen orien-
tiert waren, dann dürften Ausdrücke mit privativem Sinn wie,blind' oder,verstüm-
melt' nicht als Prädikate privativer Aussagen gegolten haben.
Ist die stoische Einteilung wechselweise ausschließend? 125

Warum soll - die Frage war oben schon aufgeworfen worden - das
Beispiel einer privativen Aussage (Subjektausdruck ,dieser') nicht
auch als prädikative Aussage (καταγορευτικόν) gelten? Entsprechend
läßt sich fragen, ob die Verbindung eines privativen Prädikates mit
Subjektausdrücken wie /niemand', irgendeiner' oder ,Dion' nicht
auch eine bestreitende, eine indefinite oder kategorische Aussage
resp. ergibt. Auch scheint doch die prädikative Aussage der stoischen
Klassifikation (καταγορευτικόν) immer auch eine kategorische Aus-
sage zu sein. Denn eine Aussage, die aus einem deiktischen Nomina-
tiv und einem Prädikat besteht, wie in der Definition der prädikativen
Aussage gefordert (vgl. DL 7.70), besteht jedenfalls auch aus einem
Nominativ und einem Prädikat und erfüllt damit die Voraussetzung,
die für die Klassifizierung als kategorische Aussage (vgl. DL 7.70)
verlangt ist.
Trotzdem sollten wir den stoischen Logikern, die Diogenes Laertius
hier referiert, nur dann unterstellen, daß ihre Einteilung der einfachen
Aussagen nicht wechselweise ausschließend ist, wenn sich kein ande-
rer Ausweg bietet. Denn eine der Minimalbedingungen, die an eine
brauchbare Klassifikation gestellt werden, ist eben die der wechsel-
weisen Ausschließung der Klassen gleicher Stufe. Es wäre in der Tat
erstaunlich, wenn Logiker vom Format eines Chrysipp diese Forde-
rung an eine Klassifikation nicht beachtet hätten.20
Wenn diese stoischen Logiker sicherstellen wollten, daß es zwi-
schen ihren Klassen einfacher Aussagen keine Überschneidungen
gibt, dann bot auch die vorliegende Klassifikation durchaus die Mög-
lichkeit dazu. Die Stoiker konnten nämlich zunächst einmal den
Charakter des ersten Ausdrucks, der in einer einfachen Aussage auf-
tritt, zum Kriterium ihrer Klassifizierung machen. Eine Aussage, die
mit einem privativen Prädikat beginnt, würde dann immer eine priva-
tive Aussage, eine Aussage dagegen, die mit,niemand' oder mit f i e -
ser' beginnt, würde dann immer eine bestreitende resp. eine prädika-
tive Aussage sein.
Allerdings würde eine solche Festsetzung für sich allein noch nicht
ausreichen. Denn sie würde zulassen, daß eine und dieselbe Aussage

20
Daß die bei Diogenes Laertius aufgeführte Liste nicht ein bloßes Konglomerat
von Titeln ist, die von verschiedenen Stoikern zu unterschiedlichen Klassifika-
tionszwecken benutzt worden sind, wird schon durch die Systematik, die das
Logikreferat des Diogenes auszeichnet, wahrscheinlich gemacht. Überdies sind im
Schriftenverzeichnis Chrysipps (DL 7.190) fünf Titel von Schriften erhalten, die
sich mit vier dieser Arten einfacher Aussagen befassen: mit den verneinenden, den
prädikativen, den privativen und den indefiniten. Das spricht dafür, daß die bei
Diogenes Laertius überlieferte Liste schon auf Chrysipp zurückgeht.
126 Die Dialektische Klassifikation als Vorstufe der stoischen

nur auf Grund einer Wortumstellung, die am Sinn der Aussage nichts
ändert, jeweils unterschiedlichen Klassen zuzurechnen wäre: ,Un-
freundlich ist dieser' würde eine privative Aussage, ,dieser ist un-
freundlich' eine prädikative Aussage sein. Überdies wäre dann eine
Aussage wie freundlich ist dieser' in der stoischen Klassifikation
nicht unterzubringen.
Die letzte dieser beiden Schwierigkeiten ließe sich aber ausräumen,
wenn wir annehmen, daß die Stoiker weiter für jede Art der einfachen
Aussagen eine kanonische Formulierung vorgeschrieben haben. Hin-
weise darauf, daß die Stoiker für die Aussagen ihrer Logik kanonische
Formulierungen verlangt haben und daß sie dabei darum bemüht
waren, den Ausdruck, der für die Klassifizierung einer Aussage re-
levant ist, an den Anfang dieser Aussage zu rücken, haben wir oben
(S. 115,123 f.) bereits erörtert. Für diese beiden Annahmen stehen wir
also auf einigermaßen sicherem Grund. Wir benötigen aber, wenn die
stoische Einteilung der einfachen Aussagen tatsächlich ausschlie-
ßend sein soll, noch eine dritte Annahme.
Die Stoiker müßten nämlich, um die erste der beiden oben ange-
führten Schwierigkeiten auszuräumen, auch eine bestimmte Rang-
folge festgelegt haben, in der die Kriterien für die Klassifikation einer
einfachen Aussage Berücksichtigung finden. Andernfalls wäre nicht
klar, was etwa die kanonische Formulierung einer Aussage mit einem
Demonstrativpronomen als Subjekt und einem privativen Adjektiv
als Prädikat sein soll. Wenn man einmal unterstellt, daß die Stoiker
(Chrysipp und seine Nachfolger) für ihre Klassen einfacher Aussagen
das wechselweise Sich-Ausschließen garantieren wollten, wenn man
weiter annimmt, daß es in ihren Augen für eine Aussage nur eine
kanonische Formulierung geben kann, dann ist das bei Diogenes
erwähnte Beispiel einer privativen Aussage (,unfreundlich ist dieser'
DL 7.70) jedenfalls nur ein Fall einer privativen Aussage und damit
trotz des Demonstrativpronomens an der Subjektstelle nicht auch ein
Fall einer prädikativen Aussage (καταγορευτικόν). Das heißt aber, daß
in der dieser Klassifikation zugrunde Hegenden Theorie das Merkmal
einer privativen Aussage Vorrang hat vor dem Merkmal einer prädika-
tiven, eines καταγορευτικόν. Es scheint plausibel anzunehmen, daß ein
ähnlicher Vorrang des Merkmals privativer Aussagen auch gegenüber
dem der kategorischen Aussage gilt.
Damit ist jedenfalls soviel gezeigt, daß wir nicht nur nicht gezwun-
gen sind, Überschneidungen zwischen den stoischen Klassen einfa-
cher Aussagen anzunehmen, sondern daß es für die drei erwähnten
Annahmen, die für diese Klassen den Charakter wechselweiser Aus-
schließung sichern würden, gute Gründe gibt, auch wenn wir nicht
Soll die stoische Einteilung vollständig sein? 127

wissen, welche Rangfolge die Stoiker im einzelnen für die Merkmale


dieser Aussagen festgelegt haben. Denkbar wäre etwa, daß die beiden
Merkmale für die verneinende resp. die privative Aussage, Merkmale,
die in der stoischen Theorie, wie es scheint, als Operatoren, die voll-
ständige Aussagen modifizieren, aufgefaßt worden sind, Vorrang hät-
ten vor denen der anderen einfachen Aussagen, und daß der Negator,
der eine explizit formulierte Aussage in ihrem Wahrheitswert verän-
dert, Vorrang hat vor dem alpha privativum, das eine „potentielle"
(vgl. DL 7.70) Aussage modifiziert. Aber bei der Spärlichkeit dessen,
was uns die Überlieferung zur stoischen Logik erhalten hat, müssen
diese weitergehenden Überlegungen Spekulation bleiben. Für die üb-
rigen vier Klassen einfacher Aussagen (bestreitende, prädikative, kate-
gorische und indefinite Aussage) läßt sich eine wechselweise Aus-
schließung relativ leicht sicherstellen, ist doch in all diesen Fällen der
Charakter des Subjektausdrucks das Kriterium ihrer Klassifizierung.
Unklar ist hier lediglich das Verhältnis von prädikativer zu kategori-
scher Aussage: Soll die erste eine Unterklasse der zweiten sein (was
durch die Definitionen dieser beiden Arten nahegelegt wird) oder
nicht? Selbst im ersteren Fall hätten wir damit allerdings nicht eine
Überschneidung zwischen zwei Klassen vorliegen, sondern eine Un-
terordnung einer Klasse unter eine andere. Eine solche weitere Ausdif-
ferenzierung einer dieser Klassen (der der kategorischen Aussage)
wäre zwar innerhalb dieser Einteilung ungewöhnlich, aber doch kein
Verstoß gegen den Grundsatz der wechselweisen Ausschließung von
Klassen gleicher Stufe. Wahrscheinlicher ist aber wohl, daß von dem
Nominativ, der in der Definition der kategorischen Aussage gemeint
ist, Demonstrativpronomina ebenso ausgeschlossen sind wie Indefi-
nitpronomina oder Ausdrücke wie,niemand'.

e) Soll die stoische Einteilung der einfachen Aussagen


vollständig seinl

Wenn die Klassifikation einfacher Aussagen, die bei Diogenes Laer-


tius referiert wird, wechselweise ausschließend ist, so ist damit noch
nicht entschieden, ob sie auch dem Anspruch der Vollständigkeit
genügt. In der Tat ist es auffallend, daß in keinem der Beispiele einfa-
cher Aussagen, die für die Stoiker bezeugt sind (eine entsprechende
Feststellung gilt übrigens auch für die Dialektiker), zusammenge-
setzte Ausdrücke wie ,irgendein Mensch', ,dieser Mensch', ,kein
Mensch' oder jeder Mensch' als Subjektausdrücke vorkommen. Die
128 Die Dialektische Klassifikation als Vorstufe der stoischen

kategorischen Aussagen der aristotelischen Syllogistik scheinen kei-


nen Platz in der stoischen Klassifikation einfacher Aussagen zu ha-
ben.21
Wenn das so ist, dann ist die stoische Einteilung der einfachen
Aussagen offenbar nicht vollständig. Trotzdem könnten aber die stoi-
schen Logiker, über die Diogenes uns berichtet, diese Einteilung für
vollständig gehalten haben. Sie könnten nämlich eine Aussage wie
etwa „Jeder Mensch ist ein Lebewesen" als eine nicht kanonische
Formulierung der Aussage „Wenn etwas ein Mensch ist, so ist jenes
ein Lebewesen" interpretiert haben und diese letztere Aussage wegen
der der darin auftretenden Verknüpfungspartikel ,wenn' als zusam-
mengesetzte Aussage verstanden haben. Daß eine solche „zusam-
mengesetzte" Aussage in Wirklichkeit keine echte Aussagenverknüp-
fung ist, sondern - mit Frege gesagt - nur einen Gedanken enthält,
konnte vor der Aufstellung einer Theorie der Quantoren schwerlich
gesehen werden.
Nun gibt es in der Tat bei Sextus Empiricus eine Mitteilung, die es
sehr wahrscheinlich macht, daß Chrysipp eine solche Deutung der
allgemein bejahenden Aussage gegeben hat. In AM 11.8 berichtet
Sextus, daß die τεχνογράφοι, also wohl die Verfasser von Logiklehrbü-
chern (τέχναι), der Ansicht sind, die Definition (δρος) unterscheide
sich nur in der Formulierung von der allgemeinen Aussage,· zur Erläu-
terung führt er die beiden Aussagen an: „Der Mensch ist ein vernunft-
begabtes sterbliches Lebewesen" (als Beispiel einer Definition) und
„Wenn etwas ein Mensch ist, dann ist jenes ein vernunftbegabtes
sterbliches Lebewesen". Unter einer allgemeinen Aussage (καϋολικόν)
ist hier also eine generalisierte Konditionalaussage verstanden. Dann
diskutiert Sextus zwei Beispiele, bei denen sich im Nachsatz des
generalisierten Konditionals eine Disjunktion von Prädikaten ergibt.
Das erste Beispiel bildet das Aussagenpaar: „Von den Menschen sind
die einen Griechen, die anderen Barbaren" und „Wenn irgendwelche
(τινές) Menschen sind, so sind jene entweder Griechen oder Barbaren"

Vgl. dazu Mates (1973), 32, Kneale (1962) 146, Mueller (1969), 186 f. sowie
Frede (1974) 67. M. Kneale ist der Meinung, daß die Stoiker allgemein bejahende
Aussagen als generalisierte Konditionalaussagen aufgefaßt haben und stützt sich
dabei auf die (weiter unten noch diskutierte) Stelle AM 11.11, an der Chrysipp eine
entsprechende Analyse zugeschrieben wird. I. Mueller (a.a.O) hat daran Kritik
geübt; nach seiner Meinung war die kanonische Formulierung allgemein bejahen-
der Aussagen von der Form: „The A is Β". Mueller geht allerdings auf AM 11.8-11
nicht ein, und sein Hinweis auf ein Beispiel Alexanders (in Top. 14,21-27 Wallies)
sticht deshalb nicht, weil der bestimmte Artikel in diesem Beispiel („das Α ist dem Β
gleich") eben keine generalisierende Kraft hat.
Soll die stoische Einteilung vollständig sein? 129

(AM 11.10). Das zweite Beispiel für eine solche Umformulierung wird
nun explizit dem Chrysipp zugeschrieben: „nach Chrysipp" (κατά τον
Χρΰσιππον) sei die Aussage „Von den Seienden sind die einen gut, die
anderen schlecht, die dritten zwischen diesen beiden" der allgemei-
nen Aussage äquivalent „Wenn irgendwelche (τινά) Seiende sind, so
sind j ene entweder gut oder schlecht oder indifferent." (AM 11.11 vgl.
a. AM 1.86).
Es scheint mir kaum ein Zweifel möglich, daß jemand, der eine
Aussage, in welcher der den Quantor vertretende Artikel bei einem
partitiven Genitiv steht, auf diese Weise in einen generalisierten Kon-
ditional überführt, bei Aussagen, in denen die den Quantor vertreten-
den Ausdrücke beim nominativischen Satzsubjekt stehen, in ganz
analoger Weise verfahren ist. Die chrysippeische Stoa scheint also
Aussagen der Form „Jedes S ist P" als Aussagen der Form „Wenn etwas
ein S ist, so ist es P" aufgefaßt zu haben. Daß Aussagen der Form „Kein
S ist P" entsprechend als „Wenn etwas ein S ist, so ist es Nicht-P"
interpretiert worden sind, wird durch ein Argument bei Epiktet [Diss.
II, 20, 2-3) wahrscheinlich gemacht. Zwar läßt sich eine Aussage wie
„Jeder geht umher" nicht analog in eine generalisierte Konditional-
aussage umformulieren; aber warum sollten die Stoiker diese Aussage
nicht unter die prädikativen Aussagen (καταγορευτικά) gezählt haben?
Schließlich haben sie für Aussagen der Form „Keiner ist P", die eben-
falls nicht auf analoge Weise in einen generalisierten Konditional
umformuliert werden können, eine eigene Gruppe, die der bestreiten-
den Aussagen, eingerichtet.
In den erhaltenen Texten finden wir keinen Hinweis darauf, wie die
stoischen Logiker Aussagen der Form „Irgendein S ist P" und „Dieses S
ist P" analysiert und klassifiziert haben. Man kann vermuten, daß sie
Aussagen dieser Form als Konjunktionen aufgefaßt haben, also etwa
als: „Irgendetwas ist S und dieses ist P" bzw. „Dieses ist S und es ist
p" 22 Wenn die Stoiker (Chrysipp und seine Nachfolger) Aussagen der
vier diskutierten Formen als (grammatisch) zusammengesetzte Aus-
sagen aufgefaßt haben, dann scheint die Annahme plausibel, daß ihre
Klassifikation einfacher Aussagen in ihren Augen auch eine vollstän-
dige Klassifikation war.

22
Daß die stoischen Logiker partikuläre Aussagen als indefinite konjunktive
Aussagen aufgefaßt haben könnten, vermutet auch Frede (1974), 67. Unklar ist
allerdings, wie die Stoiker Impersonalia wie ,es regnet' oder auch Aussagen wie ,wir
diskutieren', ,er hat gewonnen' etc. klassifizieren wollen. Im Griechischen sind
diese Aussagen als flektierte Verbformen und damit als Ein-Wort-Sätze darstellbar.
130 Die Dialektische Klassifikation als Vorstufe der stoischen

Ziehen wir aus den Beobachtungen und Überlegungen dieses Kapi-


tels ein Fazit: Die Stoiker, von denen Diogenes Laertius in seinem
Logikreferat berichtet, knüpfen bei ihrer Klassifikation der Aussagen
ganz offenbar an die Distinktionen der Dialektischen Schule an. Das
Bemühen der Dialektiker, ihre aussagenlogische Theorie durch plasti-
sche Vergleiche einleuchtend zu machen, macht es wahrscheinlich,
daß die Logiker der Dialektischen Schule tatsächlich die Begründer
der Aussagenlogik sind. Aber die Stoiker (Chrysipp und seine Nach-
folger), auch wenn sie in der Schuld der Dialektiker stehen, waren
doch nicht einfach bloße Schüler ihrer Vorgänger, sondern haben die
Einteilung der Aussagen in durchaus eigenständiger Weise umgestal-
tet und weiterentwickelt.
Für die Abweichungen der stoischen von der Dialektischen Be-
handlung der Aussagen ließen sich Motive nachweisen oder doch
plausibel machen, die sich teils aus der semantischen Deutung be-
stimmter Aussagen (Konditionalaussage, Negation) erklären, welche
für die Stoa bezeugt ist, teils auch aus dem Bestreben der stoischen
Logiker, durch Festsetzung von Standardformulierungen für einfache
wie zusammengesetzte Aussagen die Grundlagen für eine logisch
möglichst durchsichtige Sprache zu schaffen. Gerade in diesem
letzten Punkt können die Logiker der Stoa (im engeren Sinne) auch
gegenüber den Dialektikern wissenschaftliche Originalität beanspru-
chen. Hervorheb ens wert an diesem formalistischen Zug der stoischen
Logik (der als solcher natürlich immer bemerkt worden ist) scheint
insbesondere der Umstand, daß die Stoiker nicht nur - wie vor ihnen
schon Aristoteles - die Vielfalt der normalsprachlich üblichen Aus-
drücke für logische Operatoren auf jeweils einen Ausdruck ein-
schränken, sondern daß sie die Standardformulierungen aller (jeden-
falls aller bei Diogenes Laertius erwähnten) Aussagen so wählen, daß
jeweils der erste Ausdruck eines Satzes dessen Form bzw. Art sichtbar
macht. Durch dieses Verfahren wird (wie bei der polnischen Notation)
erreicht, daß beim Auftreten mehrerer Operatoren in komplexen Aus-
sagen der Bereich eines Operators nur durch seine Position im Satz
eindeutig festgelegt ist.
Sechstes Kapitel:
Die Dialektische und die stoische Klassifikation
der Fehlschlüsse bei Sextus Empiricus

Im zweiten Buch der PH referiert Sextus Empiricus eine Klassifikation


der Fehlschlüsse, der „nicht-schlüssigen Argumente" (άσυνακτοι λόγοι)
(PH 2.146-150). Dieses Referat gehört in den größeren Kontext der
skeptischen Auseinandersetzung mit dem Begriff des Beweises (άπό-
δειξις), der für die Erkenntnistheorie der von Sextus kritisierten Dog-
matiker eine zentrale Rolle spielt (vgl. PH 2.134-203). Sextus, der
zunächst eine Darstellung der,dogmatischen' Definition des Beweises
gegeben hat (PH 2.134-143), will den dogmatischen Philosophen de-
monstrieren, daß es auf Grund ihrer eigenen Annahmen einen Beweis
nicht geben kann (vgl. PH 2.144) .Dabei geht er so vor, daß er „ j ede der
in dem Begriff (sc. des Beweises) enthaltenen Bestimmungen" (2.144)
widerlegt, d. h. die in der ,dogmatischen' Definition des Beweises
angeführten Merkmale zurückweist.
Eine dieser Definitionsbestimmungen, eine der notwendigen Be-
dingungen für das Vorliegen eines Beweises ist die, daß ein Beweis ein
schlüssiges Argument (συνακτικδς λόγος) sein muß (vgl. 2.143), und
dieser Bestimmung gilt die Kritik des Sextus in dem Textabschnitt PH
2.145-167, an dessen Anfang nun das Referat der Klassifikation nicht-
schlüssiger Argumente steht. Sextus will in diesem Abschnitt zeigen,
daß der schlüssige Beweis unerkennbar (ακατάληπτος) ist (vgl. 2.145,
151 ähnlich a. 2.167), und er will, wie er ausdrücklich darlegt, dieses
Argumentationsziel durch den Nachweis erreichen, daß sich nach
den von ihm kritisierten Dogmatikern (κατ' αύτους) kein Unterschied
zwischen nicht-schlüssigen und schlüssigen Argumenten finden läßt
(2.151). Darum also das Referat einer Klassifikation von nicht-schlüs-
sigen Argumenten im Kontext einer Kritik des Beweises und des
schlüssigen Argumentes.
Sextus schreibt diese Klassifikation den,Dialektikern' zu (2.146). In
dem Referat, das er von dieser Einteilung gibt (vgl. 2.146-150), findet
sich weder der Name eines Philosophen noch der einer philosophi-
schen Schule. Zwar kommen in der anschließenden Argumentation
des Sextus die Stoiker relativ ausführlich mit ihren unbeweisbaren'
Schlußschemata, mit den Axiomen ihres logischen Systems zu Wort
132 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

(vgl. 2.156-162). Ebenso sind die Peripatetiker mit zwei Beispielen


eines kategorischen Syllogismus des Modus Barbara vertreten (vgl.
(2.163-166). Aber das sind alles Fälle schlüssiger Argumente (jeden-
falls im Verständnis der Dogmatiker), und die Erwähnung der stoi-
schen und der peripatetischen Schule bietet deshalb keine Handhabe,
die in 2.146-150 referierten ,Dialektiker' mit einer dieser beiden Schu-
len gleichzusetzen.
Gleichwohl wird die hier von Sextus referierte Einteilung der
nicht-schlüssigen Argumente allgemein für stoisch gehalten.1 Die
/Dialektiker', denen Sextus diese Klassifikation zuschreibt, wären
also einfach (stoische) Logiker. Diese Auffassung scheint deshalb
naheliegend und plausibel, weil es zu diesem Text der PH bei Sextus
selbst eine Parallelstelle gibt (AM 8.429-434), an der dieselbe Eintei-
lung der nichtschlüssigen Argumente vorgetragen, diese aber dann
in der anschließenden Diskussion ausdrücklich den Stoikern zuge-
wiesen wird (vgl. AM 8.435, 447). Das mußte in der Tat den Schluß
nahelegen, daß Sextus an beiden Stellen ein und dasselbe Lehrstück
mitteilt und die Vertreter dieser Lehre einmal unter einer systemati-
schen Bezeichnung als ,Dialektiker', an der anderen Stelle dagegen
unter ihrem Schulnamen als ,Stoiker' einführt. 2
Ich möchte im folgenden zunächst zeigen, daß die ,Dialektiker',
über deren Klassifikation nicht-schlüssiger Argumente Sextus in den
PH 2.146-150 berichtet, keine Stoiker, sondern Dialektiker im Sinne
des Schulnamens sind. Eine genaue Gegenüberstellung der beiden
parallelen Texte wird ergeben, daß es sich hier um Material aus unter-
schiedlichen Quellen handelt, daß die Quelle des PH-Referates früher
ist als die der Parallelstelle in AM und daß sich für den Text in den PH
eine stoische Herkunft ausschließen läßt. Da aus anderen Gründen
eine Zuordnung zum Peripatos ebenfalls nicht in Frage kommt, haben
wir allen Grund, unter den,Dialektikern', über die in den PH 2.146-
150 berichtet wird, ebenso die Vertreter der Dialektischen Schule zu

ι So etwa Mates (1973), 82 f., Hambün (1970), 91 f., Kneale (1962), 168, Baldas-
sarri I, 269 f. R. G. Bury, der Herausgeber und Übersetzer des Sextus in der Loeb-
Library, setzt in einer Anmerkung zu PH 2.146 die dort erwähnten,Dialektiker' mit
den Stoikern gleich. J. Barnes, der sich in Barnes (1980), 166 noch nicht festgelegt
hatte, macht in einer späteren Publikation (vgl. Barnes [1982], 48) die in den PH
2.146 erwähnten (Dialektiker' zu Stoikern. Im Unterschied zu v. Arnim, der PH
2.146-150 nicht in seine Fragmentsammlung aufgenommen hat, setzt Hülser die-
sen Text unter die Fragmente der stoischen Logiker (s. FDS 1111), weist aber in
seiner Einleitung (S. LXVI Anm. 10) auf die abweichende Auffassung der vorliegen-
den Abhandlung hin.
2
Ausdrücklich etwa Barnes (1982), 48 und 65.
Die Unterschiede zwischen PH 2.146-150 und AM 8.429-434 133

verstehen wie unter den Dialektikern' an der bereits behandelten


Stelle AM 8.93-129.
Nach der Ausräumung einer Schwierigkeit im zweiten Abschnitt
dieses Kapitels - es geht dabei um den Gebrauch, den Sextus an der
Stelle PH 2.166 von dem Wort ,Dialektiker' macht - wird dann im
dritten Abschnitt der systematische Gehalt der Dialektischen Lehre
von den Fehlschlüssen dargestellt und diskutiert. In den folgenden
Abschnitten wird schließlich noch einmal eine Gegenüberstellung
der beiden Texte PH 2.146-150 und AM 8.429-434 unternommen,
dieses Mal in der Absicht, aus den Änderungen, welche die stoischen
Bearbeiter in dem Dialektischen Material vorgenommen haben, Er-
kenntnisse über den systematischen Charakter der stoischen Behand-
lung der Fehlschlüsse und der stoischen Logik allgemein zu gewin-
nen. Abschließend soll dann die Frage diskutiert werden, über welche
stoischen Logiker uns Sextus in AM 8.429-434 berichtet: über die
frühen Stoiker oder über Logiker aus dem Umkreis des Chrysipp?

a) Die Unterschiede zwischen PH 2.146-150 und AM 8.429-434

Die auffälligste Differenz zwischen den beiden Texten, in denen Sex-


tus die vierfache Einteilung der nicht-schlüssigen Argumente referiert,
ist ohne Zweifel die unterschiedliche Nomenklatur für die schlüssigen
und die nicht-schlüssigen Argumente selber. Der Terminus für ein
nicht-schlüssiges Argument im Referat der PH ist άσυνακτος λόγος
(vgl. 2.146, 147, 149); neben άσύνακτος werden noch μοχθηρός und
φαϋλος (2.150) gebraucht; der erste dieser beiden Ausdrücke dient
auch bei einem der vier Typen nicht-schlüssiger Argumente zur Cha-
rakterisierung einer ungültigen Schlußform (σχήμα 2.146, 147).
Der dem Adjektiv άσύνακτος korrespondierende Ausdruck zur Be-
zeichnung des schlüssigen Argumentes, nämlich συνακτικός, wird
zwar im Referat 2.146-150 nur einmal benutzt und dort als Prädikat
einer gültigen Schluß/orm (2.147), nicht eines Schlusses; zur Charak-
terisierung schlüssiger Argumente wird innerhalb dieses Referates an
einer Stelle συλλογιστικός gebraucht (2.149),3 an einer anderen υγιής
3
Das Auftreten von συλλογιστικών (2.147) im Text von Mutschmann/Mau und
FDS (fr. 1111) beruht auf einer Konjektur der Herausgeber; alle Hss. lesen dort
συλλογισμών. Für dieses Wort dürfte aber συνακτικών eine plausiblere Verbesserung
sein: Es hat mit 10 Buchstaben etwa die gleiche Länge wie das συλλογισμών der Hss.
(11 Buchstaben), während das von den Herausgebern konjizierte συλλογιστικών
13 Buchstaben zählt. Für die vorgeschlagene Textverbesserung spricht auch der
134 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

(2.150). Aber daß die hier referierten,Dialektiker' den Terminus συνακ-


τικός zur Bezeichnung des schlüssigen Argumentes verwendet haben,
geht aus einer Bemerkung des Sextus am Ende seiner Diskussion des
schlüssigen Argumentes hervor: Dort ist die Rede von dem „bei den
Dialektikern schlüssig (συνακτικός) genannten Argument" (2.167).
Sextus selber benutzt in seiner Diskussion (2.151-167) für das schlüs-
sige Argument ausschließlich den Terminus συνακτικός; für das nicht-
schlüssige Argument tritt bei ihm drei Mal auch der Ausdruck μοχθη-
ρός auf (2.153,154,156); φαύλος ist hier nur einmal (für eine ungültige
Schlußform) benutzt (2.154).
Die von Sextus referierten,Dialektiker' haben also mit dem Begriffs-
paar συνακτνκός/άσύνακτος terminologisch den Unterschied zwischen
schlüssigen und nicht-schlüssigen Argumenten markiert oder, in un-
serer Terminologie, den Unterschied zwischen gültigen und ungülti-
gen Schlüssen.
Im Unterschied zu den Ausdrücken, die mit ihnen an der Stelle
PH 2.145-167 in der Bezeichnung schlüssiger bzw. nicht-schlüssiger
Argumente/Schlußformen konkurrieren, sind συνακτικός/άσυνακτος
sprachliche Neubildungen der hellenistischen Logik, die offenbar von
vorneherein mit einer bestimmten technischen Bedeutung geschaffen
worden sind. Bei Aristoteles sind beide Ausdrücke noch nicht belegt,
obwohl sie, was gleichfalls Hervorhebung verdient, einem Wortfeld
angehören, das bereits bei Aristoteles zur Beschreibung von Folge-
rungsbeziehungen Verwendung findet.4
Das Motiv für die Prägung dieser neuen Termini wird klar, wenn wir
sie mit den Ausdrücken vergleichen, die noch neben ihnen im Ge-

Umstand, daß dieser Ausdruck hier als Gegenbegriff zu (λόγος) άσΰνακτος auftritt. -
Vermutlich ist aber auch an der Stelle 2.149, wo συλλογιστικός überliefert ist, dafür
συνακτικός zu lesen, denn der Gegenbegriff ist auch hier άσΰνακτος. Als Gegenbegriff
zu άσΰνακτος ist συλλογιστικός aber bei Sextus (und soweit ich sehen kann auch
sonst) nirgends belegt. An keiner der Stellen, an denen συλλογιστικός bei Sextus
auftritt, hat es überhaupt den Sinn,schlüssig'. Es heißt entweder soviel wie ,schluß-
folgernd': von der Wissenschaft (PH 2.213) oder von einer Fähigkeit (PH 2.235)
gebraucht; oder es wird in einer engen technischen Bedeutung benutzt, die der bei
DL 7.78 entspricht, eine Stelle, an der die ,syllogistischen' Argumente eine Unterart
der schlüssigen sind. Dieser Gebrauch bei Sextus AM 8.223 (in der Behandlung von
Chrysipps Anapodeiktoi) und ähnlich PH 2.244.
* Vgl. etwaRhet. 12,1357a8 ; II 22,1395b25,1396a2,b27 f.; II 25,1402bl5 ; Soph.
El. 22, 178a33; 24, 179b21, 25 (συνάγειν); Rhet. III 9, 1410a22 (συναγωγή). Weitere
Belege für diesen Gebrauch von συνάγειν finden sich in der Metaphysik (991al8,
1079b22), in De caelo (299b 12) und in De generatione animalium (764a28). Bemer-
kenswert ist jedoch, daß nach Ausweis des Index von Bonitz weder συνάγειν noch
συναγωγή in den Analytiken vorkommen. An Stelle von συνάγειν ist dort περαίνειν
gebraucht.
Die Unterschiede zwischen PH 2.146-150 und AM 8.429-434 135

brauch sind, aber doch offenbar von diesen Neubildungen abgelöst


werden sollen, also φαΰλος (,schlecht') oder μοχθηρός (,schlecht',,un-
brauchbar') für ungültige und ύγιής (,gesund') für gültige Schlüsse. Mit
diesen, in der vorwissenschaftlichen Sprache bereitliegenden Aus-
drücken läßt sich ein Argument als fehlerhaft oder als fehlerfrei cha-
rakterisieren, aber mit der Charakterisierung eines Argumentes etwa
als λόγος φαϋλος wird der Grund für seine Fehlerhaftigkeit nicht spezi-
fiziert.5 Daher mußte diese Ausdrucksweise als ungenügend empfun-
den werden, sobald erkannt war, daß ein Argument nicht bloß auf
Grund falscher Prämissen fehlerhaft sein kann, daß also die Wahrheit
der Prämissen nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedin-
gung für die Fehlerlosigkeit eines Schlusses ist. In der Einführung
technischer Termini für das nicht-schlüssige und das schlüssige Argu-
ment spiegelt sich also die Erkenntnis, daß zur Fehlerlosigkeit eines
Argumentes neben der Wahrheit von Prämissen und Konklusion
noch die weitere Eigenschaft der Gültigkeit des Schlusses erfordert ist,
eine Eigenschaft, die im voraufgegangenen Referat (über den Beweis)
durch die Richtigkeit der Konditionalaussage mit der Konjunktion
der Prämissen im Antecedens und der Konklusion im Succedens
charakterisiert wurde (vgl. PH 2.137).
Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang noch der Umstand,
daß die offenbar ältere und zur Charakterisierung von Schlüssen nicht
hinreichend präzise Redeweise von φαΰλος bzw. μοχθηρός auf der
einen, von ύγιής auf der anderen Seite im Kontext der beiden Stellen
PH 2.145-167 und AM 8.429-447 vorzugsweise von Schlußformen,
nur gelegentlich von Schlüssen gebraucht wird.6 In Verbindung mit
5
Charakteristischerweise bleibt der Ausdruck λόγος φαϋλος, der an mehreren
Stellen von Top. VIII vorkommt (11, 161b7, bl5 ; 12, 162b28; 14, 164b9), in dieser
Hinsicht unbestimmt: Er charakterisiert Argumente, die gegen die Regeln der
dialektisch-topischen Argumentation verstoßen, ohne daß damit entschieden ist,
ob dieser Verstoß etwas mit einer ungültigen Form des Argumentes oder mit
falschen Prämissen zu tun hat.
6
Im Referat der PH werden alle drei Ausdrücke an nur einer Stelle (2.150) zur
Charakterisierung von Argumenten benutzt. In der anschließenden Kritik des
Sextus tritt lediglich μοχθηρός noch dreimal in dieser Verwendung auf (153, 154,
156). Im AM-Referat wird μοχθηρός einmal von Argumenten gebraucht (8.433),
analog einmal ύγιής (8.434). In der folgenden skeptischen Kritik des Sextus wird nur
einer dieser Ausdrücke (ύγιής) an einer einzigen Stelle, dort allerdings mehrmals,
von Argumenten ausgesagt. Der Grund dafür hat mit dem Argumentationsziel des
Sextus an dieser Textstelle zu tun: Der gleichzeitige Gebrauch von ύγιής für Schluß-
formen wie für Argumente soll den Vorwurf der Zirkelhaftigkeit unterstreichen,
den Sextus hier gegen die Stoiker erhebt. Im Referat wie in der kritischen Auseinan-
dersetzung des Sextus mit der referierten Theorie überwiegt in beiden Texten die
schlüssig/nicht-schlüssig-Terminologie bei der Charakterisierung von Argumen-
136 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

Schlußformen ist die mangelnde Bestimmheit dieser Ausdrücke un-


schädlich: Schlußformen können, im Unterschied zu Schlüssen, nur
auf eine Weise fehlerhaft bzw. fehlerfrei sein.
In der Parallelstelle in AM 8.429-447 heißt das schlüssige Argu-
ment nicht συνακτικός, sondern περαίνων (8.429,447), das nicht-schlüs-
sige statt άσύνακτος nunmehr απέραντος (8.429, 431, 432, 433 und
passim). Der Wechsel von der einen zur anderen Terminologie ist
konsequent durchgeführt, es handelt sich also nicht etwa darum, daß
hier zwei Paare von Ausdrücken promiscue gebraucht würden. Neben
der weitgehenden systematischen Parallelität der beiden Texte ma-
chen zwei Umstände diesen Wechsel in der benutzten Terminologie
besonders bemerkenswert: Zum einen die Benutzung der älteren,
nicht-technischen Terminologie (μοχϋηρός/ύγιής) in beiden Texten,
zum anderen der Umstand, daß der Wechsel in der Bezeichnung für
die schlüssigen/nicht-schlüssigen Argumente, im Unterschied zum
Übergang von der älteren Bezeichnungsweise zur Terminologie von
schlüssig/nicht-schlüssig, jedenfalls prima facie nicht mit einer syste-
matischen Präzisierung verbunden ist.
Anders als die Termini der PH-Stelle (συνακτικός/άσΰνακτος) sind
zwar ihre terminologischen Pendants im AM keine sprachlichen
Neuschöpfungen - sowohl das Verbum περαίνω, von dem das Partizip
περαίνων abgeleitet ist, als auch das Adjektiv απέραντος sind bei Auto-
ren vor der Zeit des Hellenismus häufig belegt,7 - aber es sind gleich-
wohl terminologische Neubildungen der hellenistischen Logik. Ein
Gebrauch von περαίνων/άπέραντος (λόγος) als terminologisch verwen-
dete Ausdrücke zur Charakterisierung bestimmter Arten von Argu-
menten oder Schlüssen ist bei Aristoteles noch nicht belegt, obwohl
bei ihm erstmals das Zeitwort περαίνω zur Bezeichnung von Folge-
rungsbeziehungen auftritt.8

ten. Für Schlußformen (σχήματα) ergibt sich dagegen ein anderes Bild (ich gebe nur
den jeweiligen Ausdruck an und dahinter die Textstelle, an der er von der Form
eines Argumentes gebraucht wird): φαΰλος PH 2.154; μοχθηρός PH 2.147, 153; AM
8.432, 444 (zweimal), 445 (dreimal); ύγιής AM 8.432 (zweimal), 445 (viermal).
Hervorhebenswert ist, das erst im Kontext von AM von einer ,richtigen Form'
(σχήμα ύγιές) die Rede ist. Die Terminologie der PH scheint also weniger differen-
ziert zu sein als die von AM. Außerhalb der angeführten Textstellen wird von einer
,richtigen Schlußform' bei Sextus nur noch in AM 8.413-414 geredet.
7
Das Zeitwort περαίνω ist schon bei Homer belegt (Od. 12.37) und ist bei den
Tragikern und auch bei Piaton häufig (s. LSJ s. v.). Es scheint allerdings erst bei
Aristoteles auch im Sinne von ,erschließen' benutzt zu werden (vgl. An. Prior. I 7,
29a32, a34 u. ö.). Zu απέραντος vgl. LSJ s. v. Allerdings ist der Gebrauch im Sinne
von ,nicht-schlüssig' vor den Stoikern nicht belegt.
8
Belege im Index von Bonitz 577b 16-25.
Die Unterschiede zwischen PH 2.146-150 und AM 8.429-434 137

Diese Beobachtungen zur unterschiedlichen Nomenklatur für die


schlüssigen/nicht-schlüssigen Argumente in den PH und in AM las-
sen daher nur den Schluß zu, daß hier ein Autor ganz bewußt eine
vorliegende Terminologie durch eine für den gleichen Zweck neu
eingeführte Ausdrucksweise ersetzt hat. Ohne daß wir schon zu der
Frage, welches der beiden Begriffspaare das zeitlich frühere ist, Stel-
lung nehmen müssen, läßt sich auf Grund dieses Befundes jedenfalls
ausschließen, daß den Berichten des Sextus über die Klassifikation
der nicht-schlüssigen Argumente dieselbe Quelle zugrunde liegt.
Dieses Fazit läßt sich nun noch durch weitere Beobachtungen zur
Terminologie der beiden parallelen Texte stützen. So wird in der
Aufzählung der Titel für die vier Arten der nicht-schlüssigen Argu-
mente an der Stelle PH 2.146 bei den drei ersten die Präposition παρά c.
acc. benutzt: παρά διάρτησιν (durch Zusammenhanglosigkeit), παρά
έλλενψιν (durch Auslassung), παρά τό κατά μοχϋηρόν ήρωτησ&αι σχήμα
(durch Folgern nach einer unrichtigen Schlußform sc. nicht-schlüs-
sig). Der vierte Fall wird in dieser Aufzählung zwar als κατά παρολκήν
(durch Überschuß) nicht-schlüssig rubriziert (vielleicht, um den un-
eleganten Gleichklang von παρά παρολκήν zu vermeiden ?). Aber bei
der anschließend referierten Erläuterung wird auch diese Art mit dem
Titel παρά δέ παρολκήν eingeführt (vgl. 2.147). Dagegen wird bei der
Auflistung der Bezeichnungen für die vier Typen nicht-schlüssiger
Argumente im Referat der Parallelstelle ausschließlich κατά c. acc.
gebraucht (vgl. AM 8.429), eine Ausdrucksweise, die auch Sextus
selber in seiner eigenen Diskussion an beiden Stellen deutlich bevor-
zugt.9
Das durch Zusammenhanglosigkeit (διάρτησις) nicht-schlüssige Ar-
gument, die erste Art der nicht-schlüssigen Argumente, wird im Refe-
rat beider Stellen durch den Mangel eines logischen Zusammenhangs

9
Bei der Erläuterung des zweiten Typs nicht-schlüssiger Argumente wird im
Referat der PH allerdings ebenfalls von κατά c. acc. zur Bezeichnung einer Fehl-
schlußart Gebrauch gemacht (vgl. 2.150). Aber die hier auftretende Wendung κατά
παράλειψιν scheint aus mehreren Gründen verdächtig. Zunächst ist nicht zu sehen,
aus welchem Grund Sextus (oder der Autor, den er ausschreibt) einen gerade
vorher eingeführten technischen Terminus für diese Fehlschlußklasse (vgl. παρά
έλλειψιν 2.146) hier durch einen neuen Ausdruck ersetzen sollte. Zum zweiten ist
das Wort παράλειψις, den Nachweisen in LSJ zufolge, in der Zeit, aus der die Quelle
des Sextus stammt (4./3. Jh.), nur als technischer Terminus der Rhetorik für die
piaetentio belegt: Pseudo-Aristoteles, Rhet ad Alex. 22,1434a25; 31,1438b6. Alle
anderen Belege stammen von nachchrisdichen Autoren. Schließlich gibt es für eine
Textverderbnis eine einfache Erklärung: Vermudich wurde παρά έλλειψιν bzw. παρ'
έλλειψιν zu παράλειψιν verlesen und dann durch ein κατά ergänzt.
138 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

innerhalb der Prämissen und zwischen Prämissen und Konklusion


erklärt (vgl. PH 2.146 und AM 8.430). Aber während die stoische
Quelle, die dem Bericht in AM zugrunde liegt, dabei vom Mangel der
,Gemeinschaft' (κοινωνία) und des Zusammenhangs' (συνάρτησις)
spricht, ist im Referat der PH vom Mangel einer,Folge' (ακολουθία) die
Rede (PH 2.146). Zusammenhang', συνάρτησις, das ist der Terminus,
mit dem Sextus (PH 2.111) jene von ihm referierte Deutung der Kondi-
tionalaussage bezeichnet, die bei Diogenes Laertius (7.73) dann aus-
drücklich als den Stoikern gehörend charakterisiert wird. Würde das
Referat der nicht-schlüssigen Argumente in den PH auf der gleichen,
stoischen Quelle fußen wie der AM-Bericht, so wäre schwer erklär-
lich, warum dieser stoische Terminus dort fehlen sollte, da er doch
schon von der Wortbildung her den Gegensatz zu διάρτησις besonders
klar ausdrückt.
Die bis jetzt zusammengetragenen Beobachtungen zeigen, daß die
beiden Berichte des Sextus über die Klassifikation nicht-schlüssiger
Argumente in den PH und in AM resp. auf unterschiedliche Quellen
zurückgehen, aber sie erlauben noch keinen Rückschluß auf die zeit-
liche Priorität einer dieser Quellen. Durch eine Reihe von Indizien
wird jedoch gesichert, daß das Quellenmaterial des PH-Referates der
in AM zugrunde hegenden stoischen Quelle zeitlich vorangeht. So
wird etwa in den PH das durch Auslassung (sc. einer Prämisse) nicht-
schlüssige Argument als jenes definiert, „in dem etwas von dem, was
zur Ableitung der Konklusion dienlich ist (χι των προς την συναγωγήν
τοϋ συμπεράσματος χρησιμευόντων), ausgelassen ist" (2.150). Die ent-
sprechende Definition im AM-Referat stipuliert: „wenn eine der er-
schließenden Prämissen (τι των συνακτικών λημμάτων) ausgelassen ist"
(8.434). Hier ist nicht nur eine umständliche Umschreibung durch
einen knappen terminus technicus ersetzt: λήμμα συνακτικόν; für die-
sen neuen Terminus ist darüberhinaus auch einer der beiden Aus-
drücke benutzt worden, die im Text der PH die Argumente in die
schlüssigen und nicht-schlüssigen einteilen und an deren Stelle in
dieser Gebrauchsweise die stoische Quelle des AM-Referates die Di-
stinktion περαίνων/άπέραντος verwendet.10 Beide Beobachtungen zu-

10
In analoger Verwendung begegnet συνακτικός in Formulierungen der stoischen
Themata bzw. des dialektischen Theorems (vgl. AM 8.231,236; Alexander, In An.
Pi. 274, 21-24; 278, 8-11 Wallies). Daß λόγος συνακτικός im Logik-Referat bei
Diogenes Laertius (7.82) eine Korruptel ist und mit einer der Handschriften (B) in
λόγος συναπτικός verbessert werden sollte, hat Frede (1974), 57 Anm. 10 plausibel
gemacht. - Zur Bezeichnung von gültigen/ungültigen Schlüssen finden die Aus-
drücke συνακτικός/άσΰνακτος in mit Sicherheit stoischem Kontext nach Chrysipp
erst bei Epiktet (Ench. 44) Verwendung.
Die Unterschiede zwischen PH 2.146-150 und AM 8.429-434 139

sammengenommen lassen nur den Schluß zu, daß dem Autor der
stoischen Quelle, auf die das Referat in AM zurückgeht, das Quellen-
material, aus dem der Bericht über die Einteilung nicht-schlüssiger
Argumente in den PH geschöpft ist, als Vorlage zur Verfügung stand.
Damit muß dieses Material das ältere sein.
Diese Folgerung läßt sich durch andere Beobachtungen bestätigen.
In den Definitionen von zwei der vier nicht-schlüssigen Argumente
finden sich Abweichungen zwischen den PH und AM, die darauf
hinweisen, daß der stoische Autor der AM-Quelle bemüht war, die
Formulierungen seiner Vorlage zu verbessern. So hegt nach dem Refe-
rat der PH ein durch Überschuß (παρολκή) nicht-schlüssiges Argu-
ment dann vor, „wenn sich eine zur Ableitung des Argumentes über-
schüssige Prämisse (λήμμα παρέλκον) findet" (2.147). In AM lautet die
entsprechende Definition: „wenn zu den Prämissen etwas von außer-
halb und überflüssigerweise (εξωθέν τι και περισσώς) hinzugenommen
wird" (8.431).
Hier liegen also zwei unterschiedliche Formulierungen des Defini-
tionsmerkmals vor, wobei die zweite (die des AM-Referates) gegen-
über der ersten eine Verbesserung darstellt: Einmal vermeidet sie es,
das dem Substantiv παρολκή im Definiendum zugehörige Zeitwort
παρέλκειν in einer Partizipialform für das Definiens zu gebrauchen
und damit die Definition zumindest dem Anschein nach zirkelhaft zu
machen. Zum anderen ist sie so formuliert, daß sie die für die Nicht-
Schlüssigkeit verantwortliche überflüssige Aussage nicht als Prämisse
bezeichnet. Schließlich scheint die Definition in AM auch in dem
Sinne präziser zu sein, daß sie durch die Forderung, die überflüssige
Aussage müsse „etwas von außerhalb" sein, die bloße Wiederholung
einer Prämisse nicht zur Ursache der Nicht-Schlüssigkeit eines Argu-
mentes werden läßt. Das Beispiel, das diesen Fall eines nicht-schlüssi-
gen Argumentes im Anschluß an die Definition illustriert, ist dagegen
nur in einem unwesentlichen Punkt verändert: Als überflüssige Aus-
sage hat der stoische Autor der AM-Quelle den Satz „die Tugend
nützt" gewählt (PH: „Dion geht umher"). Das Argument, das durch
die Hinzunahme dieser Aussage nicht-schlüssig werden soll, ist in
beiden Texten wörtlich dasselbe (vgl. AM 8.431 u. PH 2.147). Die
Änderungen, die das Referat in AM in diesem Punkt gegenüber den
Formulierungen der PH aufweist, lassen nur den Schluß zu, daß hier
absichtsvoll und gezielt eine ältere Theorie revidiert worden ist.
Nach dem Referat der PH hegt ein „durch Folgern nach einer un-
richtigen Schlußform" nicht-schlüssiges Argument dann vor, „wenn
die Form (σχήμα) des Argumentes nicht schlüssig (συνακτικός) ist"
(2.147). AM formuliert das Definitionskriterium dieses Argument-
140 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

typs wie folgt: „wenn es in einer Form schließt, die außerhalb der
richtigen Formen behandelt worden ist" (όταν έν τινι των παρά τά ύγιή
σχήματα θεωρουμένων έρωτηϋη σχήματν 8.432). Hier ist zwar die PH-
Definition knapper als die Formulierung des Definiens in AM, aber
diese größere Knappheit ist mit zwei entscheidenden Mängeln er-
kauft: zum einen ist das Definitionskriterium der PH negativ, zum
anderen benutzt diese Definitionsformulierung den (verneinten) Ge-
genbegriff zu άσύνακτος, obwohl hier doch eine Art des άσυνακτος λόγος
definiert werden soll. Zwar wird in dieser Definition ,schlüssig' (συνακ-
τικός) in einem anderen Sinn, nämlich in Anwendung auf eine Schluß-
form, nicht auf einen Schluß gebraucht, aber der Schein einer zirkelhaf-
ten Definition stellt sich durch diese Ungeschicklichkeit gleichwohl
ein. Beide Fehler hat der stoische Autor der AM-Quelle vermieden:
Er charakterisiert die gültige Schlußform nicht mit dem Pendant zu
συνακτικός, nämlich περαίνων, sondern mit dem Ausdruck ύγιής (die
Termini περαίνων/άπέραντος sind in AM 4.429-447 ausschließlich von
Argumenten gebraucht) und er umgeht den Gebrauch einer Nega-
tionspartikel durch die Rede von den Schlußformen, die „außerhalb
der richtigen Formen behandelt worden" sind. Auch die Unterschiede
in den Formulierungen dieser Definition zeigen also, daß die Quelle
des PH-Referates älter ist als die in AM zugrunde hegende.
Schließlich liefert auch eine terminologische Eigentümlichkeit des
PH-Referates, die bereits oben (S. 137) für den Nachweis herangezo-
gen wurde, daß die Referate in den PH und in AM auf unterschiedli-
che Quellen zurückgehen, einen Hinweis auf die zeitliche Priorität der
dem PH-Bericht zugrunde liegenden Quelle, die Eigentümlichkeit
nämlich, daß in den PH die Titel der vier Arten nicht-schlüssiger
Argumente mit der Präposition παρά c. acc. gebildet sind. Dieser eigen-
tümliche Gebrauch von παρά zur Bezeichnung von Fehlschlußtypen
ist häufig im zweiten Buch der Rhetohk und in den Sophistischen
Widerlegungen des Aristoteles,11 scheint aber sonst nicht vorzukom-
men. Dieser für die frühen logischen Schriften des Aristoteles charak-
teristische Sprachgebrauch rückt dann aber die Quelle des PH-Refe-
rates eher in die Nähe des Aristoteles als in die Nachbarschaft der
stoischen Logiker, deren Theorie in AM 8.429-434 referiert wird.

ii Vgl. Soph. El. 4,165b30,166a6, a23, a33, bl, bl0 ; 5,166 b28, b32,167a21, a36,
bl,b21,b37u. ö.;RhetII24,1401a7,al3,b2,b20(b30,b34-35; 1402a3,a8,al2-13,
a 16. Einer der Titel, die Sextus aufzählt, hat einen Vorläufer bei Aristoteles: παρά την
έλλειψιν. Aber bei Aristoteles ist damit noch nicht die Auslassung einer Prämisse
gemeint; in den beiden Fällen des Auftretens dieser Wendung wird jeweils angege-
ben, was ausgelassen ist: το ύπο τίνος (1401bl-2), τό πότε και πώς (1401b34—35).
Die Unterschiede zwischen PH 2.146-150 und AM 8.429-434 141

Diese Beobachtungen und Überlegungen mögen für den Nachweis


genügen, daß die in den PH 2.146-150 referierte Lehre früher ist als die
den Stoikern zugeschriebene Klassifikation an der parallelen Stelle in
AM. Aber dieser Nachweis erlaubt uns noch keineswegs den Schluß,
daß im Bericht der PH ein Theoriestück der Dialektiker im Sinne des
Schulnamens erhalten ist. Daß die PH-Quelle älter ist als die der
Parallelstelle in AM zugrunde liegende Quelle, schließt nicht aus, daß
auch ihr Material stoisch ist. Es könnte ζ. B. den frühen Stoikern
gehören, während die in AM mitgeteilte Theorie in den Umkreis des
Chrysipp gehören könnte.
Nun läßt sich aber glücklicherweise durch ein im PH-Referat auftre-
tendes Schlußbeispiel ausschließen, daß wir es in diesem Text mit
dem Bericht über ein stoisches Lehrstück zu tun haben. Bei der Erläu-
terung des durch Auslassung nicht-schlüssigen Argumentes (vgl.
PH 2.150) wird zunächst als Fall eines schlüssigen Argumentes fol-
gendes Schlußbeispiel angeführt: „Entweder ist der Reichtum gut oder
schlecht oder indifferent (αδιάφορος). Er ist aber weder schlecht noch
indifferent. Also ist er gut." Durch Weglassen der Alternative „oder
indifferent" in beiden Prämissen wird daraus dann das Beispiel eines
,durch Auslassung' nicht-schlüssigen Argumentes (2.150). Nun ist die
Lehre, daß der Reichtum nicht zu den Gütern, sondern zu den indiffe-
renten Dingen, den Adiaphora, zählt, seit Zenon eine Grundüberzeu-
gung der gesamten Alten Stoa.12 Daher ist denn auch an der stoischen
Parallelstelle in AM das entsprechende Beispiel eines schlüssigen Ar-
gumentes durch eine Korrektur in der zweiten Prämisse und die sich

12
Daß bereits Zenon diese Auffassung vertreten hat, zeigt Stobaios, Eel. II, 57,18
Wachsmuth (= SVF1190). Für Chrysipp (ebenso wie für Apollodor und Hekaton)
belegt DL 7.102 diese Ansicht. Erst Poseidonios scheint von dieser Lehre abgewi-
chen zu sein (vgl. DL 7.103). - Allerdings ist das Wort αδιάφορος auch schon vor
Zenon in ethischem Kontext gebraucht worden: Aristoteles verwendet es zur Cha-
rakterisierung der indifferenten' Einstellung von Personen gegenüber Glück und
Unglück {Anal. Post. II 13, 97b21 f.). In diesem Sinn wird das Wort auch vom
epikureischen Weisen gebraucht (DL 10.120 ad in. = Us. 588). Von dieser Verwen-
dung zur Bezeichnung eines Verhaltens lag dann der Übergang zur Bezeichnung
jener Dinge nahe, denen gegenüber dieses Verhalten angemessen ist. In dieser, bei
den Stoikern dann terminologisch gewordenen Gebrauchsweise tritt der Ausdruck
ebenfalls im Referat des Diogenes Laertius zu Epikur auf (vgl. DL 10.120 ad. fin. =
Us. 428): Dort wird von der Gesundheit gesagt, daß sie „einigen (Epikureern) als
Gut, anderen als άδιάφορον" gelte. Für Epikur selbst scheint das Wort in diesem Sinn
auf einem der herkulanensischen Papyri belegt (34,15,2 Arrighetti). Das Auftreten
dieses Begriffs in einem Schlußbeispiel der Dialektiker paßt jedenfalls zu seinem
Gebrauch auch außerhalb der Stoa, wie ihn die Diskussion um den Status der
Gesundheit bei den Epikureern belegt.
142 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

daraus ergebende Ersetzung der Konklusion so geändert, daß es mit


der Moralphilosophie der Alten Stoa in Übereinstimmung ist (vgl. AM
8.434). Für ein Mitglied der Alten Stoa mußte die Folgerung, auf die
das Schlußbeispiel an dieser Stelle des PH-Referates hinausläuft, die
reine Häresie sein. Daraus läßt sich nur folgern, daß die Klassifikation
nicht-schlüssiger Argumente, über die Sextus in den PH 2.146-150
berichtet, jedenfalls nicht stoisch sein kann.
Eine Zuweisung an die Logiker des Peripatos kommt aus einleuch-
tenden Gründen ebenso wenig in Frage. Dagegen spricht einfach die
Orientierung an aussagenlogischen Schlußbeispielen (etwa PH 2.147)
und die Benutzung einer aussagenlogischen Terminologie (etwa PH
2.148-149), die für peripatetische Logiker nirgends nachweisbar ist.
Wenn damit aber die Logiker der beiden auf diesem Gebiet einfluß-
reichsten hellenistischen Schulen als Urheber der in PH 2.146-150
referierten Theorie ausscheiden, dann scheint es mehr als fragwürdig,
daß der Ausdruck ,Dialektiker' im Bericht des Sextus überhaupt als
Bezeichnung für Logiker ganz allgemein gebraucht ist. Wir haben
vielmehr allen Grund, unter den,Dialektikern' in diesem Referat die
Dialektiker im Sinne des Schulnamens zu verstehen.
Diese Folgerung läßt sich nun noch durch den Umstand stützen,
daß zwischen dem Text des PH-Berichtes über die nicht-schlüssigen
Argumente und dem Dialektischen Material der oben bereits behan-
delten Stelle AM 8.93-129 eine Reihe von terminologischen Überein-
stimmungen nachweisbar sind. So sind nicht nur die Termini für die
Konditionalaussage und ihre Teilaussagen dieselben (vgl. PH 2.148-
149 und AM 8.112-117), sondern es wird auch derselbe Ausdruck in
der semantischen Charakterisierung der Konditionalaussage benutzt:
έπαγγέλλεσθαι (vgl. PH 2.148 und AM 8.111-112). Die Formulierun-
gen, die in beiden Texten zur Beschreibung des logischen Verhält-
nisses zwischen Antecedens und Succedens gebraucht werden, stim-
men fast wörtlich überein: όντος τοϋ έν αύτφ ηγουμένου είναι και το λήγον
(ΡΗ 2.148), δντος τοϋ ηγουμένου έσεσ&αι τό λήγον (AM 8.111).
Besonders bemerkenswert ist aber in diesem Zusammenhang, daß
Sextus in der Diskussion der widerstreitenden Kriterien für die wahre
Konditionalaussage (Philonvs.Diodor) in AM8.118-123 das Begriffs-
paar λόγος συνακτικός/λόγος άσυνακτος verwendet, jene Termini also,
mit denen, wie wir oben gesehen haben, das PH-Referat im Unter-
schied zum parallelen Text in AM das schlüssige und das nicht-
schlüssige Argument bezeichnet (vgl. AM 8.120-121,123). Zwar tritt
an derselben Stelle auch die (stoische) Terminologie περαίνων/άπέ-
ραντος auf, aber hier sind gleichwohl nicht etwa die beiden Begriffs-
paare promiscue gebraucht. Sextus benutzt nämlich die bekannteren
Sextus' Gebrauch von,Dialektiker' PH 2.166 143

stoischen Ausdrücke, um mit ihrer Hilfe die offenbar weniger be-


kannten Termini συνακτικός/άσύνακτος bei ihrem ersten Auftreten zu
erläutern: ήτοι ούτος ό λόγος άσυνακτός τ' έστί και απέραντος ή συνακτικός
και περαίνων (AM 8.120 - die Rede ist von dem Argument, das die
Richtigkeit eines der Kriterien für die Konditionalaussage beweisen
soll). Das καί, mit dem die stoischen Begriffe an ihre jeweiligen Pen-
dants angeschlossen sind, hat erläuternden Sinn; es entspricht dem
lateinischen sive. Im folgenden Satz (8.121) wird απέραντος noch ein-
mal auf die gleiche Weise gebraucht; darüber hinaus kommen die
stoischen Termini an dieser Stelle nicht mehr vor. Dagegen ist συνακτι-
κός im folgenden noch vier Mal vertreten (8.121 u. 123). Offenbar will
Sextus hier also die Dialektiker - und Philon und Diodor, um deren
Kontroverse es im Kontext dieser Stelle geht, sind klarerweise Ange-
hörige der Dialektischen Schule - in ihrer eigenen Begrifflichkeit
kritisieren, zieht aber zur Erläuterung die wohl geläufigere stoische
Ausdrucksweise heran.
Der Gebrauch, den Sextus an dieser Stelle von den beiden Varianten
der Terminologie für das schlüssige und das nicht-schlüssige Argu-
ment macht, ist also ein Indiz dafür, daß die Ausdrücke λόγος συνακτι-
κός und λόγος άσυνακτος zum terminologischen Arsenal der Dialekti-
ker im Sinne des Schulnamens gehören. Damit ist aber nun umge-
kehrt das Auftreten der συνακτικός/άσυνακτος-Terminologie an der
Stelle PH 2.145-167 ein gewichtiger Hinweis darauf, daß Sextus in
seinem Referat PH 2.146-150 über eine Theorie der Dialektiker be-
richtet.

b) Eine Schwierigkeit: Sextus' Gebrauch von ,Dialektiker' PH 2.166

Zusammen mit den Ergebnissen, die der Vergleich der Stelle PH


2.146-150 mit AM 8.429-434 erbracht hat - Verschiedenheit ihrer
Quellen, zeitliche Priorität der PH-Quelle, Ausschluß einer stoischen
Herkunft für das in den PH referierte Lehrstück -, zusammen mit
diesen Ergebnissen lassen die zuletzt gemachten Beobachtungen zu
terminologischen Übereinstimmungen zwischen dem uns interessie-
renden Textstück der PH und einem Text, der mit Sicherheit Dialekti-
sche Lehren referiert und diskutiert, nur den Schluß zu, daß wir in
dem Abschnitt PH 2.146-150 einen Bericht vor uns haben, der letzt-
lich auf die logische Theorie der Dialektischen Schule zurückgeht.
Gleichwohl ist diese wohlbegründete Folgerung einem Einwand aus-
gesetzt, den wir vor einer weiteren Diskussion des Inhaltes dieser
144 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

Stelle erst diskutieren und ausräumen müssen. Sextus selber benutzt


nämlich am Ende seiner eigenen kritischen Auseinandersetzung mit
diesem Theoriestück (2.166) den Ausdruck ,Dialektiker' in einer
Weise, die schwerlich mit der Annahme zusammenpaßt, er benutze
dieses Wort als Eigennamen einer bestimmten historischen Gruppe.
Läßt sich angesichts dieses Befundes die These aufrecht halten, in den
PH 2.146-150 liege ein Referat über ein Lehrstück der Dialektischen
Schule vor?
Der Kontext der Stelle PH 2.166 läßt in der Tat nur die Deutung zu,
daß Sextus hier, wenn er von ,Dialektikern' redet, ganz allgemein
(peripatetische und stoische) Logiker meint. Sextus hat das in den PH
2.146-150 referierte Theoriestück deshalb angeführt, weil er seine
These, daß das schlüssige Argument unerkennbar (ακατάληπτος) ist
(vgl. PH 2.145), durch den Nachweis begründen will, daß man die
nicht-schlüssigen Argumente nach den Vertretern dieser Theorie auf
keine Weise von den schlüssigen unterscheiden kann (vgl. 2.151).
Diese Unmöglichkeit versucht er dann für jede der vier Arten nicht-
schlüssiger Argumente zu zeigen: für den Fall der Zusammenhanglo-
sigkeit (2.152-153), für das Folgern nach einer unrichtigen Form
(2.154) und für den Fall der Auslassung (2.155). Die Argumente, die
Sextus in diesen drei Fällen beibringt, müssen uns hier nicht interes-
sieren.
Den größten Raum in der Argumentation des Sextus nimmt nun
aber die Behandlung des vierten Falles ein: Sextus will zeigen, daß alle
nach den Dogmatikern schlüssigen Argumente an dem Fehler des
„Überschusses", an einer redundanten Prämisse kranken (PH 2.156-
167). Er will diesen Nachweis in der Weise führen, daß er für die
logischen Axiome der stoischen Aussagenlogik des Chrysipp (2.156-
162) bzw. für den Modus Barbara der peripatetischen Syllogistik
(2.163-165) jeweils die Überflüssigkeit einer Prämisse zeigt. Am Ende
dieser Argumentation steht dann die Bemerkung, die in unserem
Zusammenhang interessiert:
Außerdem: Da diese Argumente, in welche die Dialektiker das Fundament der
Syllogismen legen, überschießen, so wird, was den Überschuß angeht, die Dia-
lektik insgesamt über den Haufen geworfen. Denn wir sind nicht in der Lage, die
überschüssigen und deswegen nicht-schlüssigen Argumente von den sogenann-
ten schlüssigen Syllogismen zu unterscheiden. PH 2.166
Die Argumente, von denen hier die Rede ist, sind ganz offenbar die
vorher aufgeführten fünf Anapodeiktoi des Chrysipp und der Modus
Barbara der aristotelischen Logik. Damit sind aber die hier erwähnten
,Dialektiker' nicht Mitglieder der Dialektischen Schule, sondern Logi-
ker ganz allgemein.
Sextus' Gebrauch von ,Dialektiker' PH 2.166 145

Welche Konsequenz hat dieser Sprachgebrauch des Sextus für die


zu Beginn des Referates PH 2.146-150 erwähnten ,Dialektiker'? Muß
nicht auch an jener früheren Stelle ,Dialektiker' eine systematische,
nicht die historische Bedeutung haben? Es scheint so, denn Sextus will
hier doch ganz offenbar die von ihm kritisierten Logiker mit ihren
eigenen Waffen schlagen; diese Strategie setzt aber voraus, daß das in
den PH 2.146-150 referierte Lehrstück den Logikern, die Sextus an der
Stelle PH 2.166 im Auge hat, d.h. den Logikern der Stoa und des
Peripatos zugeschrieben werden kann.
Dieser Überlegung steht nun aber andererseits der kaum bestreit-
bare Befund gegenüber, daß die an der früheren Stelle dargestellte
Lehre weder dem Peripatos noch der Stoa gehören kann: Nicht dem
Peripatos, wegen der Orientierung an aussagenlogischen Schlüssen,
nicht der Stoa, wegen des mit der stoischen Ethik unverträglichen
Beispiels für das durch Auslassung nicht-schlüssige Argument (PH
2.150). Da die Termini für das schlüssige bzw. nicht-schlüssige Argu-
ment mit den Ausdrücken übereinstimmen, die an anderer Stelle für
zwei Dialektiker im Sinne des Schulnamens, für Philon und für Dio-
dor bezeugt sind, dürften die an der Stelle PH 2.146 genannten Dialek-
tiker eben jene Gruppe sein, der auch Philon und Diodor zugezählt
wurden.
Zwischen dem gerade dargelegten Befund, der für ein Referat eines
Lehrstücks der Dialektischen Schule an der Stelle PH 2.146-150
spricht, und den Folgerungen, die sich aus Sextus' Verwendung von
,Dialektiker' am Ende seiner kritischen Erörterung (PH 2.166) zu
ergeben scheinen, besteht offenbar ein Widerspruch. Läßt er sich
auflösen? Eine hinsichtlich der benötigten Annahmen ökonomische
und zugleich plausible Lösung dieser Schwierigkeit scheint mir auf
folgendem Wege möglich: Sextus dürfte für seine Darstellung kriti-
sierter Positionen nur in den seltensten Fällen auf Originalschriften
von Autoren zurückgegriffen haben, die als Vertreter der kritisierten
Positionen gelten können. Vielmehr scheint er in den allermeisten
Fällen aus einer sekundären Tradition zu schöpfen, in der über Lehr-
meinungen von Philosophen referierend berichtet wurde. Dafür
spricht in erster Linie die Art der bei Sextus vorfindlichen Referate, die
nur selten einzelne Philosophen benennen oder gar wörtlich zitieren,
sondern im allgemeinen die Lehren von Schulen, also von bestimmten
Gruppen wiedergeben wollen. Denkbar ist, daß es sich dabei um
Referate handelt, die Sextus bei Autoren der (akademischen oder
pyrrhonischen) Skepsis fand. Schließlich dürfte auch ein großer Teil
der Autoren, über deren Ansichten Sextus uns berichtet, zu seiner Zeit
kaum noch zugänglich gewesen sein.
146 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß Sextus das, was er in den


PH 2.146-150 als Lehre der ,Dialektiker' referiert, aus einer Quelle
schöpft, die ihrerseits ein Referat der Dialektiker enthielt. Wenn man
annimmt, daß er dabei Quellen der skeptischen Tradition benutzt, so
dürfte dieses von Sextus ausgeschriebene Referat letzten Endes auf die
skeptische Akademie des Arkesilaos zurückgehen; später war die
Dialektische Schule kein aktueller Gegner der Skepsis mehr.
Weil die Dialektische Schule spätestens seit Chrysipp zu existieren
aufgehört hatte, konnte sich ein späterer Autor über den Sinn des
Ausdrucks,Dialektiker' durchaus täuschen und das in einem Referat
einmal historisch verstandene Wort in jenem systematischen Sinn
verstehen, den es im allgemeinen Sprachgebrauch ohnehin hatte. Wir
können nicht, müssen aber auch nicht entscheiden, ob das bei Sextus
oder in einer von ihm benutzten Quelle geschehen ist, oder ob hier
möglicherweise auch nicht ein Irrtum, sondern eine Irreführung des
Lesers unter Ausnutzung eines Doppelsinnes vorliegt.13 Entschei-
dend ist für unsere Untersuchung des Referates PH 2.146-150, daß
sich der Wortgebrauch von ,Dialektiker' an der Stelle PH 2.166 auf
eine Weise erklären läßt, die nicht zur Verwerfung der Annahme eines
Referates über die Dialektische Schule an der früheren Stelle zwingt.

c) Die Dialektische Einteilung der nicht-schlüssigen Argumente:


PH 2.146-150

Die vier Arten nicht-schlüssiger Argumente, welche die Dialektiker


laut Sextus unterschieden haben, sind, in der Reihenfolge ihrer Be-
handlung im Referat und mit dem jeweils beigegebenen erläuternden
Beispiel, die folgenden:
das durch Zusammenhanglosigkeit (διάρτησις) nicht-schlüssige Ar-
gument

is Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, daß Sextus selber stets nur von
Dialektikern', nie aber von einer ,Dialektischen Schule' (αϊρεσις) redet, obwohl
diese Bezeichnung, wie etwa DL 1.17-20 zeigt, durchaus gebräuchlich war. Sextus
selber gebraucht den Begriff der Schule für die Stoa (AM 7.331,8.443), die Epikureer
(AM 2.25, 8.177, 348), die Sokratiker (AM 2.25) und die Kyrenaiker (AM 7.190).
Daß Sextus bei den Vertretern der Dialektischen Schule nur von ,Dialektikern'
spricht, kann natürlich einerseits als Indiz dafür angesehen werden, daß Sextus sich
über den historischen (im Unterschied zum systematischen) Sinn von,Dialektiker'
nicht im klaren war. Andererseits erleichtert ein solcher Sprachgebrauch auch
einen (vom zeitgenössischen Leser) unbemerkten Übergang vom historischen zum
systematischen Gebrauch dieses Ausdrucks.
Die Dialektische Einteilung der nicht-schlüssigen Argumente 147

„Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun wird Weizen auf dem Markt
verkauft. Also geht Dion umher." (2.146)
das durch Überschuß (παρολκή) nicht-schlüssige Argument
„Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es Tag und Dion geht umher.
Also ist es hell." (2.147)
das durch Folgern nach einer unrichtigen Form (παρά τό έν μοχθηρφ
ήρωτησϋαι σχήματι) nicht-schlüssige Argument
„Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es aber hell. Also ist es Tag."
(2.147)
das durch Auslassung (έλλειψις) nicht-schlüssige Argument
„Der Reichtum ist entweder gut oder schlecht. Nun ist er aber nicht
schlecht. Also ist er gut." (2.150)
(Zur Erklärung des letzten Beispiels ist vorher das entsprechende
schlüssige Argument angeführt worden, in dem in den Prädikaten
beider Prämissen noch die Alternative „oder indifferent" enthalten
ist.)
Sextus erwähnt in seinem Referat keine Begriffsbestimmung des
nicht-schlüssigen Argumentes selber, des Genus dieser vier Arten
von Fehlschlüssen. Für den Zweck seiner Diskussion, in der diese
Einteilung nicht Gegenstand, sondern lediglich Mittel der skepti-
schen Kritik ist, scheint das auch nicht notwendig. Aber er hat in dem
unmittelbar voraufgehenden Bericht über die Theorie des Beweises
(2.135-143) ein Unterscheidungskriterium für die schlüssigen und
nicht-schlüssigen Argumente mitgeteilt (2.137), und obwohl Sextus
die von ihm referierte Theorie des Beweises an dieser Stelle weder
einer bestimmten Schule noch einem bestimmten Philosophen zu-
schreibt, so werden wir doch gut daran tun, zunächst diese Unter-
scheidung zu explizieren und von dieser Explikation aus an die Dis-
kussion der vier Klassen nicht-schlüssiger Argumente zu gehen.
Übrigens wird im Text von PH 2.135-143 wie auch an den Parallelstel-
len AM 8.301-314 und 411-423 für das schlüssige/nicht-schlüssige
Argument ausschließlich λόγος συνακτικός/άσύνακτος gebraucht.
Das Textstück, in dem Sextus in den PH die Unterscheidung der
schlüssigen von den nicht-schlüssigen Argumenten referiert, lautet
wie folgt:
Von den Argumenten sind die einen schlüssig, die anderen nicht-schlüssig.
Schlüssig sind sie, wenn die Konditionalaussage richtig ist, die mit der aus den
Prämissen des Argumentes gebildeten Konjunktion beginnt und mit der Konklu-
sion des Argumentes endet; so ist beispielsweise das gerade angeführte Argu-
ment schlüssig, da der aus seinen Prämissen gebildeten Konjunktion ,Es ist Tag,
und wenn es Tag ist, ist es hell' die Aussage ,Es ist hell' in dieser Konditionalaus-
148 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

sage folgt: ; Wenn es Tag ist und es gilt: wenn es Tag ist, ist es hell, so ist es hell'.
Nicht-schlüssig dagegen sind die Argumente, bei denen es sich nicht so verhält.
PH 2.137
Wegen der Ähnlichkeit, die dieses Kriterium für die Schlüssigkeit von
Argumenten mit dem sog. Konditionalisierungsprinzip der modernen
Logik hat, sah Benson Mates in diesem Text der PH und in der
Parallelstelle AM 8.415-416 „virtually statements of a principle of
conditionalization", wobei er allerdings vier wichtige Einschränkun-
gen macht, die aber wiederum nicht die, so Mates, „interesting simila-
rity" zwischen dem antiken und dem modernen Prinzip verdunkeln
sollten.14
Die Frage ist aber eher, ob nicht die Betonung dieser „interessanten
Ähnlichkeit" die Unterschiede verdunkelt, die zwischen diesem Kri-
terium antiker Logiker für die Gültigkeit von Schlüssen und dem
Konditionalisierungsprinzip bestehen. Jedenfalls findet sich weder
bei Mates noch, soweit ich sehen kann, bei den anderen Autoren, die
die Stellen PH 2.137 und AM 8.415-416 unter demselben Gesichts-
punkt diskutiert haben, ein Hinweis auf eine wichtige Folgerung, die
sich aus diesen Unterschieden ergibt: Als Kriterium für die Gültigkeit
von Schlüssen oder, um wieder die Terminologie der von Sextus
referierten Logiker zu benutzen, der Schlüssigkeit von Argumenten ist
das antike Prinzip untauglich.
Zunächst: Während das Konditionalisierungsprinzip den Übergang
von einem gültigen Schluß zu einer logisch wahren Konditionalaus-
sage erlaubt, formulieren die antiken Logiker, die Sextus an der oben
zitierten Stelle PH 2.137 referiert (ebenso AM 8.415-416), eine Impli-
kation von einer, wie sie sich ausdrücken,,richtigen' Konditionalaus-
sage (ύγιές συνημμένον) auf ein schlüssiges Argument.15 Selbst wenn

w Mates (1973), 74. Vgl. a. Lukasiewicz (1935), 115 sowie Geach (1955), 145,
Kneale (1962), 170 und Brunschwig (1980), 131. - Das Konditionalisierungsprinzip
besagt, daß jedem gültigen Schluß eine logisch wahre Konditionalaussage ent-
spricht, deren Antecedens aus der Konjunktion der Prämissen dieses Schlusses
besteht und deren Succedens die Konklusion enthält.
15
Da die von Sextus referierten Logiker an der Stelle PH 2.137 nicht nur die
Richtigkeit der einem Argument korrespondierenden Konditionalaussage als hin-
reichende Bedingung für die Schlüssigkeit dieses Argumentes behaupten, sondern
auch aus der mangelnden Richtigkeit der korrespondierenden Konditionalaussage
die Nicht-Schlüssigkeit des Argumentes folgern, kann man in der Tat sagen, daß
diese Logiker implizit eine Äquivalenzbeziehung zwischen Richtigkeit (der Kondi-
tionalaussage) und Schlüssigkeit (des Argumentes) aufstellen. Denn aufgrund der
Kontrapositionsregel läßt sich diese weitere These so umformulieren, daß die
Richtigkeit der korrespondierenden Konditionalaussage zu einer notwendigen Be-
dingung der Schlüssigkeit des Argumentes wird. Die Formulierung von Mates: „the
Die Dialektische Einteilung der nicht-schlüssigen Argumente 149

man diese Behauptung als strikte Umkehrung des Konditionalisie-


runsprinzips auffassen, d. h.,richtig' als ,logisch wahr' interpretieren
würde, so kämen wir damit doch zu einer kaum akzeptablen Kon-
sequenz: Jeder Schluß mit einer Kontradiktion unter den Prämissen
und jeder Schluß mit einer logisch wahren Aussage als Konklusion,
gleichgültig, was im ersten Fall als Konklusion, im zweiten als Prä-
missein) angegeben wird, hätte dann als gültiger Schluß zu gelten.
Nun haben aber die Logiker, deren Theorie des Beweises Sextus in
den PH und in AM referiert, die richtige Konditionalaussage nicht als
logisch wahre Aussage interpretiert; an der Stelle AM 8.415-416 liegt
vielmehr, wie sich aus AM 8.416 ergibt („denn diese Konditionalaus-
sage ist wahr, weil sie niemals mit Wahrem beginnen und mit Fal-
schem enden kann"), das diodorische Kriterium für die richtige Kon-
ditionalaussage zugrunde (vgl. AM 8.115-117; PH 2.110-111).16 Da
das diodorische Wahrheitskriterium stärker ist als das Kriterium der
logischen Wahrheit, würden nach dem in AM 8.415-416 zugrunde
Hegenden Kriterium für die Gültigkeit eines Schlusses zusätzlich zu
den oben erwähnten Typen paradoxerweise ,gültiger' Schlüsse auch
noch Schlüsse als gültig angesehen werden müssen, in deren Prämis-
sen etwa eine mathematisch falsche oder sonst eine immer falsche
Aussage enthalten ist, oder Schlüsse, die eine immer wahre Aussage
als Konklusion haben. Gültig wäre demnach etwa der Schluß, der der
diodorisch wahren Konditionalaussage PH 2.111 entspricht: „Es gibt
keine teillosen Elemente des Seienden. Also gibt es teillose Elemente
des Seienden." Oder auch der Schluß: „Dion geht umher. Also gibt es
teillose Elemente des Seienden." (Wobei die atomistische Physik Dio-
dors vorausgesetzt ist.)
Welches Kriterium für die richtige Konditionalaussage ist nun in
dem oben zitierten Text PH 2.137 vorausgesetzt? Leider wird in dem
ganzen Abschnitt PH 2.134-143 nirgends erläutert, wann eine Kondi-
tionalaussage richtig ist, und deshalb gibt es hier keinen klaren Hin-

Stoics always state the principle as an equivalence instead of as a conditional"


(Mates [1973], 74) ist daher in gewissem Sinne irreführend. Lediglich die These, daß
aus der fehlenden Richtigkeit der einem Argument korrespondierenden Konditio-
nalaussage die Nicht-Schlüssigkeit dieses Argumentes folgt, erlaubt es überhaupt,
diesen Logikern das Konditionalisierungsprinzip zuzusprechen. Die Umkehrung
des Konditionalisierungsprinzips (und um die ist es diesen Logikern in erster Linie
zu tun) ist dagegen eine sehr viel problematischere These.
16
Mates (1973), 74 schreibt, daß die Stoiker, wenn es um das Konditionalisie-
rungsprinzip geht,,logisch wahr' „gewöhnlich" (usually) durch ,diodorisch wahr'
ersetzen. Faktisch wird aber eine solche Interpretation nur an der Stelle AM 8.416
vorgenommen.
150 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

weis für eine Antwort auf die gestellte Frage. Aber es gibt möglicher-
weise einen indirekten Hinweis darauf, daß hier das - philonische,
wahrheitsfunktionale Kriterium vorausgesetzt ist. Im Anschluß an
den oben ausgehobenen Text referiert Sextus nämlich die Einteilung
der schlüssigen Argumente in die wahren und die nicht-wahren und
gibt folgende Definition der wahren Argumente:
Wahr sind sie, wenn nicht nur, wie gerade gesagt, die aus der Konjunktion der
Prämissen und der Konklusion gebildete Konditionalaussage richtig ist, sondern
auch die Konklusion und die Konjunktion ihrer Prämissen wahr sind.
PH 2.138
Hier wird die Wahrheit der Konklusion zu einer Bedingung der Wahr-
heit des Argumentes gemacht, obwohl sich doch, wie man denken
sollte, aus der Richtigkeit der dem Argument entsprechenden Kondi-
tionalaussage und der Wahrheit der Prämissen die Wahrheit der Kon-
klusion ableiten läßt und ihre Wahrheit somit keine zusätzliche Be-
dingung sein kann. Daher haben einige Autoren hier eine Änderung
des Textes durch Streichung von και τό συμπέρασμα vorgeschlagen.17
Gegen diese Streichung spricht allerdings der Umstand, daß dann das
folgende αυτοί) beziehungslos wird. Überdies wird, worauf Brun-
schwig hingewiesen hat 18 , in der Definition des wahren Argumentes
nur wenige Zeilen weiter (2.139) ebenfalls die Wahrheit der Konklu-
sion neben der Wahrheit der Prämissen erwähnt.
Die Aufnahme der Wahrheit der Konklusion unter die Definitions-
bestimmungen des wahren Argumentes macht aber möglicherweise
dann Sinn, wenn der Autor der hier zugrunde liegenden Quelle das
wahrheitsfunktionale Kriterium Philons als das der richtigen Kondi-
tionalaussage vor Augen gehabt hat. Auch diese Deutung ist nicht
ohne Schwierigkeiten. Sie macht insbesondere die Erwähnung der
richtigen Konditionalaussage aus der Konjunktion der Prämissen als
Antecedens und der Konklusion als Succedens in dieser Definition
redundant. Aber es fällt immerhin auf, daß genau dieses Definitions-
merkmal in der zweiten Definitionsformulierung an dieser Textstelle
fehlt: „Daher sagen sie auch, ein Argument sei wahr, wenn es aus
wahren Prämissen eine wahre Konklusion ableitet." (2.139)
Es läßt sich daher nicht mit Sicherheit entscheiden, welches Krite-
rium für die Richtigkeit der Konditionalaussage in dem Referat PH
2.134-143 vorausgesetzt ist. Aber der Umstand, daß der Begriff der
richtigen Konditionalaussage hier ohne irgendeine Explikation ge-

So Mates (1973), 111 Anm. 29. Heintz (1932), 63 ff. ist ebenfalls geneigt, diese
Worte (zusammen mit dem αύτοϋ) zu streichen.
18
Brunschwig (1980), 150 Anm. 43.
Die Dialektische Einteilung der nicht-schlüssigen Argumente 151

braucht wird, scheint zumindest darauf hinzuweisen, daß der Autor


der hier referierten Theorie nicht gerade an das Ende der Diskussion
zwischen Philon; Diodor, Chrysipp und anderen über die richtige
Konditionalaussage gehört. Denn dann hätte ihn die Vielfalt der dis-
kutierten Deutungsmöglichkeiten wohl zu einer Mitteilung über die
von ihm favorisierte Interpretation der Konditionalaussage genötigt.
Insbesondere kann man daher wohl ausschließen, daß hier etwa das
Kriterium der συνάρτησις, das Kriterium Chrysipps für die Wahrheit
der Konditionalaussage zugrunde liegt. Dagegen spricht auch die
Redeweise von συνακτικός/άσυνακτος λόγος in diesem Referat wie auch
an den beiden Parallelstellen AM 8.301-314 und 411-423. In den
Texten, in denen der Titel συνάρτησις auftritt (wie in der stoischen
Parallelstelle zur Einteilung der nicht-schlüssigen Argumente AM
8.429-434) oder in denen das mit diesem Titel sonst bezeichnete
Kriterium der wahren Konditionalaussage der Sache nach erwähnt
ist (wie in DL 7.73), in diesen Texten ist die Terminologie für die
schlüssig/nicht-schlüssig Unterscheidung ausschließlich περαίνων
bzw. περαντικός/άπέραντος (vgl. AM 8.429-434; DL 7.77-78). Daß
Chrysipp selber diese Terminologie gebraucht hat, geht aus einem
Titel seines Schriftenkatalogs hervor (DL 7.195).19
Wenn wir aber das Kriterium Chrysipps für die wahre Konditional-
aussage an der Stelle PH 2.137-139 ausschließen können, dann bleibt
praktisch nur noch das philonische (wahrheitsfunktionale) oder das
an der Parallelstelle AM 8.415-416 zugrunde liegende diodorische
Kriterium für die Richtigkeit der Konditionalaussage. Nun sind Kon-
ditionalaussagen, die nach einem dieser beiden Kriterien richtig sind,
nicht geeignet, ihrerseits ein Kriterium für die Schlüssigkeit von Argu-
menten abzugeben. Daß die Konditionalaussage, die sich aus der
Konjunktion der Prämissen eines Argumentes als Antecedens und
seiner Konklusion als Succedens bilden läßt, nach dem Kriterium
Philons oder nach dem des Diodor richtig ist, stellt in beiden Fällen
jeweils nur eine notwendige, nicht aber auch eine hinreichende Bedin-

19
Es ist in diesem Zusammenhang hervorhebenswert, daß im Logik-Referat des
Diogenes Laertius Aussagen, auch nicht-einfache Aussagen, immer nur als ,wahr'
(αληθής], nicht als,richtig' (ύγιής) charakterisiert werden (vgl. DL 7.73-74), während
an der Stelle PH 2.137-139 ebenso wie im Text der PH 2.104-106, ein Abschnitt, in
dem, wie oben (S. 35 f.) gezeigt worden ist, das philonische Kriterium der Konditio-
nalaussage in einer Theorie der frühen Stoiker referiert wird, von einer,richtigen
Konditionalaussage' (ύγιές συνημμένον) die Rede ist. Da Diogenes Laertius die logi-
sche Theorie des Chrysipp und seiner Nachfolger referiert (vgl. oben S. 55), ist auch
diese terminologische Beobachtung ein Grund, in der Stelle PH 2.134-143 kein
Referat von Lehren Chrysipps zu sehen.
152 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

gung für die Schlüssigkeit des Argumentes dar. Denn die je spezifi-
schen Paradoxien der materialen Implikation, die diesen beiden Inter-
pretationen der Konditionalaussage anhängen, würden uns, wenn die
Richtigkeit der Konditionalaussage nach Philon oder Diodor auch
eine hinreichende Bedingung für die Schlüssigkeit eines Argumentes
wäre, dazu nötigen, unter Umständen Argumente wie die folgenden
als schlüssig anzuerkennen: „Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun wird
aber auf dem Markt Weizen verkauft. Also geht Dion umher." Die
Wahrheit der Konklusion vorausgesetzt, ist das bei Zugrundelegung
des philonischen Kriteriums ein nach PH 2.137 schlüssiges Argu-
ment. Ober bei Anwendung von Diodors Kriterium (und seiner ato-
mistischen Physik): „Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun wird auf dem
Marktweizen verkauft. Also gibt es teillose Elemente des Seienden."
Dieses Ergebnis ist nun im Hinblick auf die Dialektische Einteilung
der Fehlschlüsse ebenso paradox wie bedeutsam. Es dürfte ja keinem
Zweifel unterliegen, daß auch das zweite gerade formulierte Schluß-
beispiel für die Dialektiker ein Fall des durch Zusammenhanglosig-
keit nicht-schlüssigen Argumentes ist - das erste Beispiel ist das Bei-
spiel der Dialektiker für diese Art nicht-schlüssiger Argumente (vgl.
2.146). Analoge Beispiele für den Fall der Auslassung ließen sich
leicht konstruieren. Aber selbst bestimmte Argumente, die durch
Folgern nach einer unrichtigen Schlußform nicht-schlüssig sind, wür-
den zu schlüssigen Argumenten, wenn man die Richtigkeit der korre-
spondierenden Konditionalaussage nach dem Kriterium Diodors zu
einer hinreichenden Bedingung für die Schlüssigkeit macht, etwa das
folgende: „Wenn es teillose Elemente des Seienden gibt, so gibt es
Elemente des Seienden. Nun gibt es aber Elemente des Seienden. Also
gibt es teillose Elemente des Seienden." Da die Aussagen „Es gibt
teillose Elemente des Seienden" und „Es gibt Elemente des Seienden"
jedenfalls für Diodor immer wahr sind, kann die diesem Argument
entsprechende Konditionalaussage niemals von Wahrem zu Falschem
führen.
Aus diesem Ergebnis läßt sich nur die Folgerung ziehen, daß die
Dialektiker, deren Fehlschlußeinteilung Sextus in den PH 2.146-150
referiert, die Unterscheidung von schlüssigen und nicht-schlüssigen
Argumenten nicht mit Hilfe des philonischen oder diodorischen Kri-
teriums für die Richtigkeit der einem Argument jeweils korrespondie-
renden Konditionalaussage getroffen haben. Das ist deshalb paradox,
weil Texte wie PH 2.134-143 oder AM 8.411-423, in denen die Rich-
tigkeit der einem Argument korrespondierenden Konditionalaussage
als hinreichende Bedingung für die Gültigkeit des Argumentes gilt, so
deutliche Spuren eines Einflusses der Dialektiker zeigen: Nicht nur,
Die Dialektische Einteilung der nicht-schlüssigen Argumente 153

daß sie sich der Dialektischen Terminologie für die schlüssigen und
nicht-schlüssigen Argumente bedienen; an der Stelle AM 8.415-416
wird auch das diodorische Kriterium für die wahre Konditionalaus-
sage zu einem Kriterium für die Schlüssigkeit von Argumenten, und
für die Stelle PH 2.137-139 haben wir wahrscheinlich machen kön-
nen, daß dort entweder das philonische oder das diodorische Krite-
rium zugrunde liegt.
Aber auch wenn in diesen Texten die Terminologie der Dialektiker
benutzt und ein Dialektisches Kriterium für die Richtigkeit der Kon-
ditionalaussage zugrunde gelegt ist, so muß die dort referierte Lehre
deshalb nicht auch den Dialektikern zugeschrieben werden. Oben-
drein scheint Sextus die in AM 8.411-423 mitgeteilte Theorie der Stoa
zuzuweisen (vgl. AM 8.425).20 Allerdings zeigen diese Textstellen
gleichwohl, daß im Umkreis der Dialektischen Schule der - aussichts-
lose - Versuch unternommen worden ist, die von Dialektischen Logi-
kern aufgestellten Kriterien der richtigen Konditionalaussage zur Un-
terscheidung der schlüssigen von den nicht-schlüssigen Argumenten
zu nutzen. Und das ist nun für ein Verständnis der Dialektischen
Lehre von den nicht-schlüssigen Argumenten höchst bedeutsam.
Denn dieses Lehrstück ist, wie es scheint, eine Reaktion auf das
notwendige Scheitern eines solchen Versuchs.
Ein solcher Versuch muß scheitern, weil die Paradoxien, die der
philonisch oder diodorisch wahrheitsfunktionalen Interpretation der
Konditionalaussage anhängen, dazu führen, daß Argumente nur auf
Grund einer bestimmten Wahrheitswertverteilung zwischen Prämis-
sen und Konklusion ,schlüssig' werden, ohne daß Prämissen und
Konklusion in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen. Wir müß-
ten Argumente als schlüssig anerkennen, deren Prämissen für die
Konklusison ohne Relevanz wären. Das aber verletzt eine der elemen-
taren Forderungen, die in jeder Argumentationspraxis an die Prämis-
sen eines Argumentes gestellt werden.
Charakteristischerweise ist nun aber die Dialektische Einteilung
der nicht-schlüssigen Argumente primär an eben diesem Gesichts-
punkt der Relevanz orientiert, und nicht in erster Linie am Gesichts-
punkt der logischen Form eines Argumentes.21 Das wird sofort deut-

20
Im dritten Teil dieser Arbeit soll gezeigt werden, daß die drei Textstellen PH
2.134-143, AM 8.301-314 und 411-423 über Lehrtraditionen der frühen Stoiker
berichten.
21
Vgl. dazu a. Barnes (1980), 172 f., der allerdings in dieser Hinsicht zwischen
PH 2.146-150 und AM 8.429-434 nicht unterscheidet und sowohl Aristoteles als
auch die Stoiker als Theoretiker einer,logic of relevance' sieht.
154 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

lieh, wenn man gewisse Eigentümlichkeiten dieser Einteilung be-


trachtet, die vom Standpunkt der formalen Analyse von Schlüssen aus
einigermaßen befremdlich scheinen. Zum einen ist es nach Auffas-
sung der Dialektiker möglich, aus einem schlüssigen Argument durch
Hinzufügen einer überflüssigen Prämisse ein nicht-schlüssiges Argu-
ment zu machen. Das ist der Fall des durch Überschuß (παρολκή)
nicht-schlüssigen Argumentes (vgl. 2.147). Vom Standpunkt der for-
malen Logik aus würde die Aufnahme einer irrelevanten Aussage
unter die Prämissen eines Schlusses diesen wohl unelegant, aber doch
keineswegs ungültig machen.
Aber auch das Beispiel, welches die Dialektiker für das durch Aus-
lassung nicht-schlüssige Argument anführen, ist formal gültig. Es
enthält lediglich eine falsche, weil sachlich unvollständige, erste Prä-
misse.22 Dieser Fall ist insofern besonders aufschlußreich, als sich, im
Unterschied zum Fall des durch Überschuß nicht-schlüssigen Argu-
mentes, ein auch formal ungültiges Schlußbeispiel, das dem Titel
dieser Klasse Genüge tun würde, leicht hätte konstruieren lassen.
Diese Ungeschicklichkeit ist ein Hinweis darauf, daß die hier referier-
ten Dialektiker offenbar zwischen einer Prämisse, von deren Vorhe-
gen und Form die formale Gültigkeit eines Schlusses abhängt, und
den in einer Prämisse angeführten Umständen, die für die Relevanz
der Gründe einer Folgerung entscheidend sind, nicht klar unterschie-
den haben.
Erst recht muß es unter dem Gesichtspunkt der formalen Logik
befremdlich erscheinen, daß das Folgern nach einer unrichtigen
Schlußform (κατά μοχΟηρον σχήμα) in dieser Einteilung als eine weitere
Art der Fehlschlüsse eingeführt wird (2.147-149), wo doch der Ge-
brauch einer unrichtigen Schlußform ebenso dem durch Zusammen-
hanglosigkeit nicht-schlüssigen Argument zugrunde liegt und sich
für das durch Auslassung nicht-schlüssige Argument, wie gerade
schon gesagt, leicht ein auch formal ungültiges Beispiel finden läßt.
Diese Eigentümlichkeiten werden aber verständlich und darüber-
hinaus zeigt sich ein Prinzip dieser Einteilung, wenn wir davon ausge-
hen, daß für die Dialektiker ein schlüssiges Argument jedenfalls pri-
mär dadurch charakterisiert ist, daß es alle und nur die für die
Konklusion relevanten Umstände anführt 2 3 Diese Forderung kann
auf dreierlei Weise verletzt werden: Es können zwar nur relevante,

μ So schon Hamblin (1970), 93.


23
Aus Gründen, die mit den Bemerkungen zusammenhängen, die gerade mit
Bezug auf das Beispiel für das durch Auslassung nicht-schlüssige Argument ge-
macht worden sind, vermeide ich hier die Rede von relevanten,Prämissen'.
Die Dialektische Einteilung der nicht-schlüssigen Argumente 155

aber nicht alle relevanten Umstände angeführt sein; das ist der Fall der
Auslassung. Es können weiter zwar alle relevanten, aber nicht nur
relevante Umstände in den Prämissen erwähnt sein; das ist der Fall des
Überschusses. Und es können schließlich nicht alle und nicht nur
relevante Umstände angeführt sein; das ist der Fall der Zusammen-
hanglosigkeit.24
Nun ist aber die Verletzung der Relevanzforderung jedenfalls offen-
bar keine notwendige Bedingung für die Nicht-Schlüssigkeit eines
Argumentes. Denn ein Argument wie
Wenn es Tag ist, ist es hell.
Nun ist es aber hell.
Also ist es Tag.
scheint nicht gegen die Relevanzforderung zu verstoßen, jedenfalls
dann nicht, wenn man nicht schon den Begriff der Schlußform selber
als ein Mittel zur Entscheidung über die Relevanz von Aussagen in
einem Argument heranzieht. Schließlich ist dieses Beispiel eines
nicht-schlüssigen Argumentes von dem schlüssigen Argument
Wenn es Tag ist, ist es hell.
Nun ist es aber Tag.
Also ist es hell.
nur durch die Vertauschung von unterer Prämisse und Konklusion
unterschieden (vgl. 2.147).
Das kann nun erklären, warum die Dialektiker das Folgern nach
einer unrichtigen Schlußform als eine Art des nicht-schlüssigen Argu-
mentes neben anderen aufgefaßt haben: Räumt man nämlich der
Relevanz der in den Prämissen angeführten Umstände die Priorität bei
der Beurteilung der Schlüssigkeit eines Argumentes ein, dann erhält
die Schlüssigkeit auf Grund einer unrichtigen Schlußform eine Art
Lückenbüßerfunktion; sie kommt erst zum Zuge, wenn ein offenba-
rer Verstoß gegen die Forderung der Relevanz nicht zu entdecken ist.
Unter argumentationspraktischen Gesichtspunkten macht das im
übrigen sehr wohl Sinn: Verstöße gegen die Forderung eines inhaltli-
chen Zusammenhangs und einer Erwähnung aller und nur der für die
Konklusion relevanten Umstände sind einfach leichter aufzudecken

24
Wenn man nach einem Begriff sucht, der unserem Begriff der Relevanz in
dieser Theorie der Dialektiker entspricht, so scheint dem am ehesten die Wendung
„etwas zur Ableitung der Konklusion Geeignetes" (τι των προς την συναγωγήν τοϋ
συμπεράσματος χρησιμευόντων ΡΗ 2.150) zu genügen.
156 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

als ein Verstoß gegen die Forderung der Benutzung richtiger Schluß-
formen.
Die Art und Weise, in der die Dialektiker diesen Typ nicht-schlüssi-
ger Argumente illustrieren, bestätigt diese Deutung. Sie formulieren
nämlich zunächst (vgl. 2.147) zwei Schlußbeispiele, die den Modus
ponens und den Modus tollens, also zwei aufgrund des Wenn-so-
Operators mögliche gültige Schlußformen illustrieren, und bilden
dann mit dem Aussagenmaterial des Modus-ponens-Schlusses das
Beispiel für einen Fehlschluß der affirmatio succedentis. Die Bedeu-
tung der logischen Form eines Argumentes für seine Schlüssigkeit
und Nicht-Schlüssigkeit dürfte gerade an jenen Fällen erkannt wor-
den sein, in denen nicht die Wegnahme relevanter oder die Hinzufü-
gung irrelevanter Prämissen oder beides, sondern bloß formale Verän-
derungen wie eine Umstellung von Prämisse und Konklusion aus
einem schlüssigen Argument ein nicht-schlüssiges machen.
Die Einordnung des Folgerns nach einer unrichtigen Schlußform
als eine Art unrichtigen Schließens neben anderen wird also verständ-
lich vor dem Hintergrund einer Orientierung am Kriterium der Rele-
vanz. Mit der Hinzunahme des durch Folgern nach einer unrichtigen
Schlußform nicht-schlüssigen Argumentes zu den drei anderen Arten
wird die Einteilung der nicht-schlüssigen Argumente dann sowohl
vollständig als auch wechselweise ausschließend, immer vorausge-
setzt, daß diese letztere Art des nicht-schlüssigen Argumentes nur für
jene Fälle gedacht ist, die nicht schon durch die drei anderen Arten
nicht-schlüssiger Argumente erfaßt sind.
Dennoch hat diese Klassifikation einen entscheidenden Mangel:
Sie teilt eine Gattung ein, für die sie über kein einheitliches Defini-
tionskriterium verfügt; ihr fehlt daher auch ein einheitliches funda-
mentum divisionis. In dieser Einteilung der nicht-schlüssigen Argu-
mente wird von zwei heterogenen Gesichtspunkten Gebrauch
gemacht, vom Mangel an Relevanz und vom Fehlen einer gültigen
Schlußform. Gibt es eine Erklärung für dieses Nebeneinander zweier
Klassifikationsgesichtspunkte? Es spricht einiges dafür, daß der Ge-
sichtspunkt der unrichtigen Schlußform nachträgjich zu den drei
anderen hinzugenommen worden ist. Anders als die anderen drei
Arten nicht-schlüssiger Argumente, von denen jede mit einem knap-
pen Terminus charakterisiert wird, ist der Titel dieser Art eine um-
ständliche Umschreibung. Insbesondere aber fällt der Umfang auf,
den die Erläuterung dieses Falles einnimmt: Mehr als die Hälfte des
Textes im Referat des Sextus gilt dem durch Folgern nach einer un-
richtigen Schlußform nicht-schlüssigen Argument. Neben diesen bei-
den Beobachtungen, die eher äußerliche Eigentümlichkeiten betref-
Die Dialektische Einteilung der nicht-schlüssigen Argumente 157

fen, ist es dann aber vor allem auch der Inhalt dieser Erläuterung, der
ein Indiz dafür ist, daß hier ein neuer Gesichtspunkt Berücksichti-
gung gefunden hat.
Dieser Inhalt ist in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich. Zum einen
wird in diesen Darlegungen, die doch einer durch den Begriff der
Schlußform charakterisierten Klasse nicht-schlüssiger Argumente
gelten, nirgends die Form eines Argumentes dargestellt. Zum zweiten
wird von den Dialektischen Logikern versucht, die Nicht-Schlüssig-
keit des als Beispiel gewählten Argumentes (Wenn es Tag ist, ist es
hell. Nun ist es aber hell. Also ist es Tag. vgl. PH 2.147) unter Berufung
auf die semanüsche Deutung der Konditionalaussage nachzuweisen
(vgl. 2.148-149).
Die Dialektiker wollen zunächst zeigen, daß aus der semantischen
Deutung der Konditionalaussage die Schlußweisen des Modus po-
nens und des Modus tollens folgen:
Da die Konditionalaussage zum Ausdruck bringt (επαγγέλλεται), daß, wenn ihr
Antecedens der Fall ist, auch das Succedens der Fall ist, so wird ganz natürlich
(είκότως) nach der zusätzlichen Annahme des Antecedens (τοϋ ηγουμένου προσ-
λαμβανομένου) auch das Succedens abgeleitet, und bei der Aufhebung des Succe-
dens auch das Antecedens aufgehoben. 2.148
Ebenso soll die Ungültigkeit der affirmatio succedentis aus dieser
Deutung folgen:
Mit der zusätzlichen Annahme des Succedens (τοϋ δέ λήγοντος προσλαμβανομένου)
wird dagegen nicht allgemein (ού πάντως) auch das Antecedens gesetzt. Denn die
Konditionalaussage stellte nicht in Aussicht, daß das Antecedens aus dem Succe-
dens folgt, sondern daß nur das Succedens aus dem Antecedens folgt. 2.148
Das Problematische dieser letzteren Begründung zeigt sich nun in der
Ambiguität der griechischen Formulierung des Denn-Satzes, eine
Ambiguität, die in der Übersetzung verloren geht. Der griechische
Satz lautet wie folgt:
ούδέ γαρ ύπισχνεΐτο το συνημμένον τφ λήγοντι άκολουθεΐν τό ήγούμενον, άλλα τφ
ήγουμένψ το λήγον μόνον.
Das αλλά ... μόνον („sondern . . . nur") kann sich nämlich sowohl auf
den abhängigen Infinitiv wie auf das Hauptverb beziehen.25 Für die
erste Alternative habe ich mich mit der oben gegebenen Übersetzung
entschieden. Aber der griechische Satz ließe sich ebenso auch wie
folgt wiedergeben:

25
Auch die Übersetzungen von Bury („... that the antecedent should follow the
consequent, but only the consequent the antecedent") und von Hossenfelder
(„... daß der Vordersatz aus dem Nachsatz folge, sondern nur der Nachsatz aus
dem Vordersatz") scheinen mir in analoger Weise an einer Ambiguität zu leiden.
158 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

Denn die Konditionalaussage stellte nicht in Aussicht, daß das Antecedens aus
dem Succedens folgt, sondern nur, daß das Succedens aus dem Antecedens folgt.
Wird der Satz im Sinne der zweiten Alternative, d. h. im Sinne der
gerade angeführten Übersetzung verstanden, dann weist er auf den
eingeschränkten Charakter der έπαγγελλία der Konditionalaussage
hin, versteht man ihn jedoch im Sinne der ersten Alternative, dann
macht er die έπαγγελλία der Konditionalaussage zur έπαγγελλία einer
Einschränkung.26
Aus der in 2.148 angeführten semantischen Deutung der Konditio-
nalaussage ergibt sich aber nur, daß das Succedens aus dem Antece-
dens folgt. Denn von mehr ist in dieser Erklärung der Konditionalaus-
sage nicht die Rede. Auf Grund dieser Deutung der Konditionalaus-
sage müssen wir uns also für die zweite Alternative im Verständnis des
diskutierten Satzes entscheiden. Nur: dieses Verständnis des Satzes
liefert nicht die Konklusion, daß die affirmatio succedentis eine un-
gültige Schlußart ist. Denn mit der Feststellung, daß die Deutung der
Konditionalaussage nur in Aussicht stellt, daß das Succedens aus dem
Antecedens folgt, ist die Feststellung verträglich, daß auch das Antece-
dens aus dem Succedens folgt. Schließlich gibt es eine Reihe gültiger
Schlußformen, in denen der Wenn-So-Operator eine Rolle spielt und
bei denen schwer zu erkennen ist, wie ihre Gültigkeit aus der semanti-
schen Deutung der Konditionalaussage abgeleitet werden kann. 27
Umgekehrt ergibt sich aus dem diskutierten Satz, wenn man die erste
Alternative als richtig unterstellt, zwar die Folgerung, daß die affirma-
tio succedentis ungültig ist, aber diese Deutungsmöglichkeit des dis-
kutierten Satzes behauptet mehr, als mit der vorher (2.148 ad init.)
angeführten semantischen Deutung der Konditionalaussage tatsäch-
lich gesagt war.
Die von den Dialektikern gegebene Begründung für die Nicht-
Schlüssigkeit der affirmatio succedentis ist also fehlerhaft; der Fehler
wird allerdings durch die Ambiguität in der Formulierung dieser Be-
gründung verdeckt. Aber selbst wenn diese Begründung fehlerfrei
wäre, so bliebe sie doch aus einem anderen Grunde mangelhaft. Der
von den Dialektikern versuchte Nachweis der Nicht-Schlüssigkeit
eines Argumentes vom Typ der affirmatio succedentis ist beschränkt

26
Vgl. die beiden Aussagen Ά hat nur versprochen, den Β mitzubringen' und
Ά hat versprochen, nur den Β mitzubringen'. Im ersten Fall steht es Α frei, weitere
Personen mitzubringen, im zweiten dagegen nicht.
27
So ließe sich der Schluß von Ρ — (Q — R) auf Q — (P — R) kaum durch Hinweis
auf die semantische Deutung der Konditionalaussage plausibel machen.
Die Dialektische Einteilung der nicht-schlüssigen Argumente 159

auf Fehlschlüsse dieses einen Typs; allenfalls für die Ungültigkeit der
negatio antecedentis ließe sich mit einer analogen Überlegung argu-
mentieren.
Diese Beschränktheit ist deshalb bemerkenswert, weil den Dialekti-
kern durchaus bekannt ist, daß für ein auf Grund seiner Form nicht-
schlüssiges Argument das Fehlen einer Garantie für die Wahrheit der
Konklusion bei gegebener Wahrheit der Prämissen charakteristisch
ist, aber sie machen von dieser Eigenschaft gerade keinen Gebrauch
als allgemeines Kriterium für die Nicht-Schlüssigkeit formal ungülti-
ger Argumente. Diese Eigenschaft wird vielmehr als eine Folge (vgl.
παρό 2.149) der Nicht-Schlüssigkeit des diskutierten Fehlschlußbei-
spiels vorgestellt, nicht aber dient sie dazu, dessen Nicht-Schlüssigkeit
zu begründen.
Aufschlußreich ist weiterhin, daß der Nachweis des Mangels dieser
Wahrheitsgarantie für die Konklusion, der doch allein von der Form
des Argumentes abhängt, nicht in der Weise geführt wird, daß ein
analoges Schlußbeispiel gleicher Form gebildet wird, bei dem die
Prämissen wahr, die Konklusion falsch ist, sondern so, daß die Um-
stände der Äußerung des gegebenen Schlußbeispiels in der Weise
spezifiziert werden, daß sich diese Wahrheitswertverteilung zwischen
Prämissen und Konklusion ergibt (vgl. 2.149). Mit diesem Verfahren
der Variation der Wahrheitswerte gegebener Aussagen 28 lassen sich
(in bestimmten Fällen) Feststellungen über die Form eines Argu-
mentes treffen, ohne daß es dazu einer Unterscheidung der formrele-
vanten von den inhaltsbezogenen Ausdrücken eines Argumentes und
erst recht nicht einer Darstellung dieser Form mit Hilfe von Variablen
bedarf. Klarerweise ist aber dieses Verfahren von sehr begrenztem
Wert, denn es läßt sich erstens nur anwenden, wenn der Wahrheits-
wert der Aussagen eines Schlusses tatsächlich,variabel' ist, und zwei-
tens läßt sich damit die Form eines Argumentes nicht einmal indirekt,
wie bei der Angabe eines formal analogen Beispiels, sichtbar machen.
Die hier von Sextus referierten Dialektiker scheinen also nicht über
die Möglichkeit verfügt zu haben, die Form eines Argumentes tatsäch-
lich allgemein, ζ. B. mit Hilfe von Variablen, darzustellen. Das könnte
auch erklären, warum sie von der Eigenschaft ungültiger Schlußfor-
men, keine Wahrheitsgarantie für die Konklusion zu geben, keinen

28
Die Vorstellung, daß ein und dieselbe Aussage zu unterschiedlichen Zeiten
unterschiedliche Wahrheitswerte haben kann, ist in der Antike durchaus geläufig
(vgl. Aristoteles Cat. 5, 4a23-bl ; für die Stoiker: DL 7.76, Cicero, De fato 14). Vgl.
zur stoischen Ansicht Frede (1974), 44-48.
160 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

Gebrauch als allgemeines Kriterium für die Nicht-Schlüssigkeit for-


mal ungültiger Argumente machen.
All diese Beobachtungen zum Inhalt der Erläuterungen, die im
Referat des Sextus auf den Fall des durch Folgern nach einer unrichti-
gen Schlußform nicht-schlüssigen Argumentes Bezug nehmen, ma-
chen es in der Tat sehr wahrscheinlich, daß der Gesichtspunkt der
Nicht-Schlüssigkeit auf Grund einer unrichtigen Schlußform ein
nachträglich und neu hinzugenommener Gesichtspunkt in dieser
Einteilung ist.
Da wir den Abschnitt PH 2.146-150 der Dialektischen Schule zu-
schreiben müssen, stellt das Referat dieses Textes offenbar eine Quelle
für das erste nachweisbare Auftreten des Begriffs einer aussagenlogi-
schen Schlußform dar. Der in mancherlei Hinsicht ungeschickte Ge-
brauch, den die hier referierte Theorie von diesem Begriff macht,
könnte ein Indiz dafür sein, daß wir es hier mit einem begrifflichen
Mittel gewissermaßen in statu nascendi zu tun haben. Die Logiker der
Dialektischen Schule sind, so scheint es, auf einen Begriff gestoßen,
dessen wirkliche systematische Bedeutung für die Logik im Sinne
einer Theorie des Schließens ihnen selbst noch nicht klar war.29

29
Hier scheint der Einwand naheliegend, daß doch bereits Aristoteles in den
Eisten Analytiken zur Darstellung der Form syllogistischer Schlüsse, wenn auch
meist als Konditionalaussagen formuliert, Buchstaben als Variable benutzt. Aber
zunächst müssen die Logiker der Dialektischen Schule, über deren Fehlschlußklas-
sifikätion Sextus hier berichtet, nicht notwendig Kenntnis von den Untersuchun-
gen der aristotelischen Analytiken gehabt haben,· sie können unabhängig von
Aristoteles die Entdeckung der logischen Form gemacht haben. Es fällt auf, daß die
Terminologie der Dialektischen Logiker sich zwar häufig mit der Terminologie der
aristotelischen Topik und der Sophistischen Widerlegungen überschneidet, aber
einen für die Analytiken spezifischen terminus technicus wie περαίνειν nicht kennt.
Entscheidender aber ist der systematische Unterschied der Schlüsse, von deren
Formen Aristoteles einerseits, die Dialektiker (und später die Stoiker) andererseits
handeln: In der aristotelischen Termlogik sind die Variablen Stellvertreter für
Prädikate. Daher stellt sich hier das Problem der materialen Implikation nicht, ein
Problem, das mit einer wahrheitsfunktionalen Interpretation aussagenlogischer
Schlußformen, sowohl in der philonischen wie in der diodorischen Variante, im-
mer gegeben ist. Zum anderen hat Aristoteles es in der (kategorischen) Syllogistik
mit einer begrenzten Anzahl (256) von Schlußformen zu tun, während die Anzahl
aussagenlogischer Schlußformen unendlich groß ist. Darum kann Aristoteles auch
auf eine allgemeine Definition der gültigen und der ungültigen Schlußform ver-
zichten, obwohl er für sein Widerlegungsverfahren von der Eigenschaft der Form
ungültiger Schlüsse Gebrauch macht, eine Kombination wahrer Prämissen und
falscher Konklusion zuzulassen.
Die stoische Revision der Dialektischen Klassifikation 161

d) Die stoische Revision der Dialektischen Fehlschlußklassifikation:


AM 8.429-434

Die Unterschiede zwischen den beiden Theoriestücken, die in den


PH 2.146-150 und in AM 8.429-434 resp. referiert werden, sind zum
Teil schon im ersten Abschnitt dieses Kapitels dargestellt worden. Der
quellenkritischen Intention jenes Abschnitts entsprechend ging es
dabei allerdings nur um den Nachweis, daß zwischen diesen beiden
Referaten Differenzen bestehen, die ausschließen, daß es sich hier
lediglich um zwei Fassungen derselben Theorie handelt; eine syste-
matische Erörterung dieser Unterschiede selber sollte damals noch
nicht gegeben werden. Das soll im folgenden geschehen, wobei vor
dem Hintergrund der Dialektischen Einteilung nicht-schlüssiger Ar-
gumente und der darin inkorporierten logischen Theorie der Dialekti-
schen Schule die stoische Bearbeitung dieses Lehrstücks untersucht
werden soll.
Daß dem stoischen Autor der in AM 8.429-434 referierten Klassifi-
kation sein Dialektischer Vorgänger bekannt gewesen sein dürfte,
wurde ebenfalls oben (S. 139 ff.) schon gezeigt. Was läßt sich über die
systematische Absicht der Veränderungen sagen, die dieser stoische
Logiker an seinem Dialektischen Ausgangsmaterial vorgenommen
hat? Was läßt sich daraus wiederum für das Bild der stoischen Logik
entnehmen? Schließlich: Um welche ,stoische Logik' handelt es sich
dabei, um die der frühen Stoiker oder um die des (Kreises um) Chry-
sipp?
Vor einer Analyse der Änderungen, die der stoische Autor in dem
Dialektischen Lehrstück vorgenommen hat, muß beachtet werden,
daß die Aufteilung in die vier Gruppen nicht-schlüssiger Argumente
selbst nicht geändert worden ist. Von der Änderung der Bezeichnung
für das nicht-schlüssige Argument (απέραντος statt άσΰνακτος) abgese-
hen, sind alle Abweichungen, die sich zwischen den beiden von
Sextus referierten Theorien feststellen lassen, solche innerhalb dieser
vier Klassen. Hier werden Definitionen präzisiert, Beispiele verändert
und Begründungen ergänzt, aber eine andere Einteilung selbst ist
dabei nirgends intendiert. Dieser Umstand dürfte im übrigen auch in
erster Linie dafür verantwortlich sein, daß die beiden Referate des
Sextus bisher als Darstellungen eines und desselben Lehrstücks ver-
standen worden sind.
Da der stoische Autor, der in AM 8.429-434 referiert wird, die
Dialektische Fehlschlußklassifikation als solche übernommen hat, ist
er auch der Kritik ausgesetzt, die an dieser Einteilung zu üben ist:
Auch er verfügt über kein einheitliches Definitionskriterium der Gat-
162 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

tung, die mit seiner Klassifikation eingeteilt wird, und auch seine
Einteilung ist auf zwei heterogene Gesichtspunkte gegründet: auf den
der (Verletzung der) Relevanz und auf den der (Verletzung der) forma-
len Gültigkeit. Warum innerhalb der stoischen Logik, die jedenfalls
über den Begriff der Schlußform, wie wir gleich sehen werden, zu
größerer Klarheit gekommen ist als die von Sextus in den PH 2.146-
150 referierten Dialektiker, an dieser in mehrfacher Hinsicht mangel-
haften Einteilung festgehalten worden ist, läßt sich nur vermuten.
Denkbar ist, daß eine bereits eingeführte und in der Argumenta-
tionspraxis eingeübte Klassifikation nicht umgestoßen werden sollte.
Denkbar ist auch, daß sich die Stoiker faute de mieux an diese Eintei-
lung gehalten haben. Denn jeder ungültige Schluß, der zu einer dieser
vier Klassen gezählt wird, ist zwar auf Grund seiner Form ungültig,
aber eine vollständige und wechselseitig ausschließende Klassifika-
tion ungültiger Schlüsse, die vom Gesichtspunkt der formalen Ungül-
tigkeit ausgeht, ist auch bis heute von keinem Logiker geliefert wor-
den, und es gibt Logiker, die eine solche Einteilung für nicht möglich
halten.30 Es könnte also durchaus sein, daß jene Stoiker, denen wir die
bei Sextus überlieferte Fehlschlußklassifikation verdanken, mangels
einer besseren Einteilung und aus Gründen der argumentationsprak-
tischen Brauchbarkeit der Dialektischen Klassifikation an dieser fest-
gehalten haben.
Vergleicht man die vier Gruppen der stoischen Fehlschlußklassifi-
kation mit den entsprechenden Klassen der Dialektischen, so zeigt
sich der wohl auffälligste und klarste Unterschied zwischen beiden
Theorien in der Behandlung der aufgrund einer fehlerhaften Form
nicht-schlüssigen Argumente. Wo die Dialektiker lediglich Beispiele
von Argumenten angeführt hatten, ohne je die Form eines dieser
Argumente darzustellen, geben die stoischen Logiker Beispiele von
Formen schlüssiger bzw. nicht-schlüssiger Argumente unter Benut-
zung der bei den Stoikern üblichen Formulierung mit Ordinalzahlen
als Variablen (vgl. AM 8.432-433). Die hier referierten stoischen Logi-
ker verfügen also über technische Mittel der Darstellung aussagenlo-
gischer Schlußformen, die ihren Dialektischen Vorgängern, wie es
scheint, noch nicht zur Verfügung standen.
Weiterhin verzichtet der stoische Autor im Unterschied zu seinem
Dialektischen Vorgänger darauf, eine Begründung für die Gültigkeit
des Modus ponens und des Modus tollens zu versuchen, jener beiden
Schlußformen, die er anstelle der Argumente dieser Formen in der

so So Cohen/Nagel (1944), 382, Hamblin (1970), 205.


Die stoische Revision der Dialektischen Klassifikation 163

Dialektischen Darstellung der PH anführt. Dagegen gibt er eine ge-


genüber der Dialektischen Vorlage verbesserte Begründung dafür,
daß ein Argument der Form „Wenn das Erste, dann das Zweite. Nun
aber nicht das Erste. Also nicht das Zweite." nicht-schlüssig ist. Diese
Schlußform ist nicht etwa, wie durch ein Beispiel illustriert wird,
deshalb zu verwerfen, weil es unmöglich wäre, mit ihr von wahren
Prämissen zu einer wahren Konklusion zu kommen, sondern weil es
möglich ist, Argumente dieser Form zu formulieren, die unrichtig
sind; das wird dann durch ein Schlußbeispiel dieser Form mit wahren
Prämissen und falscher Konklusion belegt (8.433).
Der stoische Logiker, über dessen Lehre Sextus in AM 8.429-434
berichtet, hat also offenbar ein Bewußtsein davon, daß ein formal
ungültiger Schluß immer dann vorliegt, wenn sich (mindestens) ein
Beispiel dieser Form mit wahren Prämissen und falscher Konklusion
bilden läßt. Was bei dem Dialektischen Autor des PH-Referates noch
als Folge der Ungültigkeit eines formal fehlerhaften Schlusses durch
Variation der Wahrheitswerte gegebener Aussagen dargestellt wurde
(vgl. PH 2.149), wird hier als ein allgemeines Kriterium ungültiger
Schlußformen behandelt. Der stoische Autor, der hier als Quelle
zugrunde hegt, verfügt also nicht nur über Mittel, aussagenlogische
Schlußformen als solche darzustellen, sondern er weiß offenbar auch,
welches Instrument er mit dem Begriff der Schlußform für die logi-
sche Analyse in Händen hält. Bemerkenswert ist in diesem Zusam-
menhang auch der ökonomische Einsatz konkreter Schlußbeispiele:
Von konkreten Argumentbeispielen wird dort und nur dort Gebrauch
gemacht, wo Existenzbehauptungen über Wahrheitswertverteilungen
in einer bestimmten (ungültigen) Schlußform bewiesen werden sol-
len.
Man sollte erwarten, daß die größere Klarheit, zu der der stoische
Autor über Begriff und Leistungsfähigkeit der (aussagenlogischen)
Schlußform gekommen ist, ihre Spuren auch an anderer Stelle seiner
Klassifikation, etwa in der Behandlung des durch Auslassung nicht-
schlüssigen Argumentes, hinterlassen hat. Das Beispiel, das die Dialek-
tiker für diesen Fall anbieten, ist, wie oben (S. 154) schon gesagt, formal
gültig, es hat lediglich eine falsche erste Prämisse (vgl. PH 2.150); aller-
dings ließe sich ein auch formal ungültiges Schlußbeispiel leicht durch
Auslassung einer der für eine Schlußfolgerung notwendigen Prämissen
bilden. Hat der stoische Logiker, der in AM 8.429-434 referiert wird,
hier eine entsprechende Korrektur vorgenommen?
Eine Analyse des Textes von AM 8.434 unter dem Gesichtspunkt
dieser Frage bringt zunächst ein paradoxes Ergebnis hervor. In dem
stoischen Referat in AM wird nämlich die Definition dieses Fehl-
164 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

schlußtyps tatsächlich in der Weise verbessert, daß die Auslassung


von „einer der erschließenden Prämissen" (τι των συνακτικών
λημμάτων) zum Definitionsmerkmal gemacht wird (8.434). Aber in
dem Beispiel, das die so definierte Art des nicht-schlüssigen Argu-
mentes illustrieren soll, fehlt keineswegs eine Prämisse. Von einigen,
eher grammatisch-stilistischen Änderungen abgesehen,31 entspricht
dieses Beispiel demjenigen, das auch im Dialektischen Referat (vgl.
PH 2.150) diesen (angeblichen) Fehlschluß erläutert: „Entweder ist der
Reichtum schlecht oder der Reichtum ist gut; nun ist es aber nicht
der Fall, daß der Reichtum schlecht ist; also ist der Reichtum gut."
(AM 8.434). Ebensowenig wie das Schlußbeispiel der Dialektiker ist
auch dieses Argument daher formal fehlerhaft. Es ist vielmehr ein Fall
des fünften Anapodeiktos Chrysipps (des Modus tollendo ponens),
also ein Schluß, den ein stoischer Logiker wohl für formal korrekt
halten muß. Nach den definitorischen Festsetzungen, die im Logik-
Referat bei Diogenes Laertius 7.78 mitgeteilt werden, ist dieses Argu-
ment als schlüssiges Argument (λόγος περαντικός) anzusehen, denn als
eine Klasse der schlüssigen Argumente werden dort die syllogisti-
schen Argumente bezeichnet, zu denen auch die Anapodeiktoi gehö-
ren.
Wie rechtfertigt der stoische Autor der in AM 8.429-434 benutzten
Quelle dann aber die Eingruppierung dieses Argumentes als nicht-
schlüssig? Er führt zur Begründung an (vgl. 8.434), daß in der disjunk-
tiven Aussage, d. h. in der ersten Prämisse, die Aussage fehlt, daß der
Reichtum zu den indifferenten Dingen gehört (ελλείπει γαρ έν τψ
διεζευγμενψ τό άδιάφορον είναι τον πλοΰτον); im Anschluß an diese
Feststellung gibt er dann die korrigierte Fassung dieses Argumentes,
die allerdings, wie oben (S. 141 f.) schon erwähnt, gegenüber dem
Dialektischen Beispiel so geändert ist, daß sich die (im Sinne der
altstoischen Ethik einzig richtige) Folgerung ergibt, daß der Reichtum
zu den indifferenten Dingen gehört (vgl. PH 2.150 und AM 8.434).
Will man dem hier referierten stoischen Logiker nicht eine offenbare

31
So ersetzen die Stoiker die deklinierte Form des prädikativen Adjektivs
(αγαθός, κακός) durch das prädikative Adjektiv in der Neutralform des Singulars,
was den generellen Sinn dieser Aussagen unterstreicht (vgl. dazu Kühner/Gerth II,
S. 58f. § 360). Überdies wird in der stoischen Formulierung durch die Wiederho-
lung von Subjekt und Kopula in beiden Prämissen deutlicher, daß wir es hier mit
einer disjunktiven Verknüpfung von Aussagen zu tun haben. Die Dialektiker
hatten sich mit der Verknüpfung der Prädikatsausdrücke durch eine disjunktive
Partikel begnügt. Diese Ausdrucksweise, die der Umgangssprache näher ist, ist
zwar der von den Stoikern gewählten logisch äquivalent, aber sie ist weniger
geeignet, die logische Struktur des Argumentes durchsichtig zu machen.
Die stoische Revision der Dialektischen Klassifikation 165

Inkonsistenz innerhalb eines zusammenhängenden Argumentations-


ganges unterstellen, so bleibt als Ausweg nur die Annahme, daß er das
fehlende Disjunktionsglied für eine der erschließenden Prämissen
hält. Nun ist die Aussage „Der Reichtum ist indifferent" zwar nur Teil
einer Prämisse, nicht selber eine Prämisse, aber dies zu erkennen, setzt
eine Distinktion voraus, über die die antike Logik offenbar nicht
verfügt hat, die Distinktion nämlich von Aussage und Behauptung
(einer Aussage). Eine Prämisse ist nicht einfach eine Aussage, die zur
Ableitung der Konklusion erforderlich ist, sondern eine Aussage,
deren Behauptung zur Ableitung der Konklusion erforderlich ist.
Unter der Voraussetzung, daß der von Sextus referierte stoische
Autor als erschließende Prämissen jene Aussagen ansieht, die zur
Ableitung der Konklusion erforderlich sind, unabhängig davon, ob sie
behauptet sind oder nicht, unter dieser Voraussetzung wird verständ-
lich, warum er glaubt, seine neue Definition dieser Art des nicht-
schlüssigen Argumentes mit einem Beispiel illustrieren zu können,
das nach unserem Verständnis von ,Prämisse' dazu ungeeignet ist.
Diese Voraussetzung ist wegen der mangelnden Unterscheidung von
Aussage und Behauptung in der antiken Logik - und nicht nur in ihr -
durchaus plausibel.32
Aber der Mangel dieser Distinktion ist eben auch der Grund für die
mangelnde Einsicht darin, daß die richtige logische Form eines Argu-
mentes eine notwendige und hinreichende Bedingung für die Schlüs-
sigkeit des Argumentes ist. Daß der stoische Autor der hier benutzten
Quelle die Gültigkeit der logischen Form als notwendige Bedingung
der Schlüssigkeit eines Argumentes kennt, das zeigt seine Behandlung
des auf Grund einer unrichtigen Schlußform nicht-schlüssigen Argu-
mentes. Denn daß alle Argumente, die keine gültige Schlußform
haben (vgl. 8.432), nicht-schlüssige Argumente sind, heißt umge-
kehrt, daß nur Argumente, die eine gültige Form haben, schlüssig sein
können. Seine Behandlung des durch Auslassung nicht-schlüssigen
Argumentes macht deutlich, daß er die Gültigkeit der logischen Form
nicht auch als hinreichende Bedingung der Schlüssigkeit eines Argu-
mentes anerkennt.
Angesichts dieses Umstandes ist es dann auch weniger erstaunlich,
daß auch der zweite Fall eines nach den Logikern der Dialektischen
Schule nicht-schlüssigen Argumentes, das formal gültig ist, sich in
der stoischen Einteilung wiederfindet: das durch Überschuß nicht-

32
Bekanntlich hat erst G. Frege die Wichtigkeit dieser Unterscheidung in der
Logik klar erkannt. Vgl. G. Frege (1918/19), 35.
166 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

schlüssige Argument (vgl. 8.431). Aber auch hier versucht die stoische
Version eine Präzisierung ihrer Dialektischen Vorlage: Hatte diese ein
durch Überschuß nicht-schlüssiges Argument dann vorhegen gese-
hen, „wenn sich eine zur Ableitung des Argumentes überschüssige
Prämisse findet" (PH 2.147), so heißt es in der stoischen Definition:
„wenn zu den Prämissen etwas von außerhalb und überflüssigerweise
(έξωθεν τι και περισσώς) hinzugenommen wird" (AM 8.431).
Wir haben oben (S. 139) schon notiert, daß in der stoischen Defini-
tion nicht nur der Anschein der Zirkelhaftigkeit vermieden ist, wel-
cher der Dialektischen Erklärung noch anhängt, sondern daß durch
die Forderung, die zusätzliche Prämisse müsse nicht bloß überflüssig,
sondern auch „etwas von außerhalb" sein, die bloße Wiederholung
einer Prämisse als Grund der Nicht-Schlüssigkeit des Argumentes
ausgeschlossen ist.33 Wir können jetzt eine Beobachtung hinzufügen,
die für den Unterschied von Dialektischer und stoischer Logik allge-
mein wichtig ist: Während die stoische Definition bei diesem Typ des
nicht-schlüssigen Argumentes auf sein Zustandekommen abstellt
(„wenn zu den Prämissen (...) etwas hinzugenommen wird"), ist die
Dialektische Definition an der Aufdeckung des Fehlers orientiert
(„wenn sich eine (...) überschüssige Prämisse findet"). Wer so defi-
niert, der hat die Situation einer Argumentationspraxis vor Augen,
wie sie etwa auch in der aristotelischen Topik vorausgesetzt ist. Wer
dagegen vom,Hinzunehmen' einer Aussage zu den Prämissen redet,
der spricht aus der Perspektive dessen, der Argumente konstruiert.
In dem Beispiel, welches das durch Überschuß nicht-schlüssige
Argument illustriert, haben die Stoiker lediglich die überflüssige Prä-
misse des Dialektischen Schlusses („Dion geht umher") durch eine
erbaulichere Aussage („Die Tugend nützt") ersetzt (vgl. PH 2.147 und
AM 8.431). Im Unterschied zu dem Referat der Dialektischen Klassi-
fikation in den PH gibt die stoische Fassung in AM auch noch eine

33
In diesem Zusammenhang ist der Umstand wichtig, daß die Verfahren, mit
denen die stoischen Logiker aussagenlogische Schlüsse auf die Axiome der stoi-
schen Aussagenlogik, auf die Anapodeiktoi, reduzierten, jedenfalls nach den Bei-
spielen, die Frede (1974), 186-190 für solche Reduktionen rekonstruiert hat, gele-
gentlich das zweifache Auftreten einer und derselben Prämisse (das Wort jetzt in
unserem Sinn verstanden) notwendig machten. Wenn diese Rekonstruktionen
Fredes dem tatsächlich von den stoischen Logikern praktizierten Verfahren ent-
sprechen, dann könnte der stoische Logiker, dessen Lehre Sextus hier referiert, also
auch durch eine systematische Eigentümlichkeit der stoischen Logik zu der vorge-
nommenen Präzisierung der Definition veranlaßt worden sein.
Das durch Zusammenhanglosigkeit nicht-schlüssige Argument 167

etwas umständliche Begründung für die Entbehrlichkeit der überflüs-


sigen Prämisse (vgl. AM 8.431).

e) Das durch Zusammenhanglosigkeit nicht-schlüssige Argument

Die größten Schwierigkeiten für eine konsistente Deutung bietet der


Fall des durch Zusammenhanglosigkeit (διάρτησις) nicht-schlüssigen
Argumentes. Ein erstes Problem stellt sich mit der Definition dieser
Fehlschlußart in beiden Referaten. Nach den Dialektikern Hegt dieser
Typ des nicht-schlüssigen Argumentes dann vor, „wenn die Prämissen
kein Folgeverhältnis (ακολουθία) untereinander und zur Konklusion
haben" (PH 2.146). Bei den Stoikern in AM heißt es entsprechend:
„wenn die Prämissen keine Gemeinschaft (κοινωνία) und keinen Zu-
sammenhang (συνάρτησις) weder untereinander noch mit der Konklu-
sion haben" (AM 8.430). Mit dem Ausdruck ;Folge(verhältnis)' bei den
Dialektikern bzw. /Zusammenhang' bei den Stoikern wird das Ver-
hältnis von Antecedens zu Succedens in einer richtigen Konditional-
aussage charakterisiert; da bei einem schlüssigen Argument die korre-
spondierende Konditionalaussage (mit der Konjunktion der Prämissen
im Antecedens und der Konklusion als Succedens) richtig sein muß, ist
das Fehlen dieses Verhältnisses zwischen den Prämissen auf der einen
und der Konklusion auf der anderen Seite eine hinreichende Bedingung
für das Vorliegen eines Fehlschlusses. Aber welchen Sinn soll es haben,
dieses Verhältnis zwischen den Prämissen selber auszuschließen?
Möglicherweise haben die von Sextus referierten Dialektischen und
stoischen Logiker mit dieser Forderung jene Fälle ausschließen wol-
len, in denen die Konklusion nicht unmittelbar aus den Prämissen zu
folgen scheint, sondern über Zwischenkonklusionen erschlossen
wird. Ein Beispiel wäre etwa: „Wenn es Tag ist, ist es hell. Wenn auf
dem Markt Weizen verkauft wird, ist es Tag. Auf dem Markt wird
Weizen verkauft. Also ist es hell." Hier gibt es ein Verhältnis der
Implikation zwischen der zweiten und dritten Prämisse einerseits und
dem Antecedens der ersten Prämisse andererseits und in diesem Sinn
gibt es hier auch ein Folgeverhältnis bzw. einen Zusammenhang
(συνάρτησις) der Prämissen untereinander. Aber auch in derartigen
Fällen hält ein Implikationsverhältnis zwischen der Konjunktion der
Prämissen und der Konklusion; das Ziehen der Zwischenkonklusio-
nen macht solch einen Schluß übersichtlicher, aber ist auf seine Gül-
tigkeit ohne Einfluß. Daher scheint die Forderung, bei den durch
Zusammenhanglosigkeit nicht-schlüssigen Argumenten dürfe es
168 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

kein Folgeverhältnis bzw. keinen Zusammenhang geben, in beiden


Definitionen überflüssig.
Die in den PH referierten Dialektiker illustrieren diese Art des
nicht-schlüssigen Argumentes durch das Beispiel: „Wenn es Tag ist,
ist es hell. Nun wird aber auf dem Markt Weizen verkauft. Also geht
Dion umher." (PH 2.146) In der stoischen Version ist nur die Konklu-
sion des Beispiels eine andere: „Also ist es hell." (AM 8.430) Die
Schlußbeispiele beider Fassungen sind auch nach unseren Standards
Fehlschlüsse, Schlüsse nämlich mit einer ungültigen Form.
Warum hat dann der stoische Autor der AM-Version dieses Theo-
riestücks, dem doch offenbar eine klarere Einsicht in die Rolle der
logischen Form zuzusprechen ist, diesen Fehlschluß nicht in die Ru-
brik der durch Folgern nach einer unrichtigen Form nicht-schlüssigen
Argumente aufgenommen? Konnte dieser stoische Logiker mögli-
cherweise einen Grund haben, das in AM 8.430 angeführte Beispiel
nicht für einen auf Grund seiner Form ungültigen Schluß zu halten?
Beachten wir zunächst die unscheinbare Änderung, die er an diesem
Beispiel vorgenommen hat: Mit der geänderten Konklusion ent-
spricht dieser Schluß dem stoischen Standardbeispiel für den Modus
ponens, für den ersten Anapodeiktos Chrysipps, in dem die zweite
Prämisse, die Proslepsis, unkorrekterweise durch eine andere einfache
Aussage ersetzt ist. Das könnte ein Hinweis darauf sein, daß die hier
zugrunde hegende stoische Theorie diesen Fehlschluß nicht als einen
Schluß mit ungültiger Form analysiert hat, sondern als einen Schluß,
in dessen gültige Form an einer Stelle eine falsche Einsetzung vorge-
nommen worden ist. Das würde in der Tat erklären, daß dieser Autor
das durch Zusammenhanglosigkeit nicht-schlüssige Argument nicht
unter die formal ungültigen Argumente aufgenommen hat. Läßt sich
diese Deutung durch andere Beobachtungen und Überlegungen absi-
chern? Können die Stoiker ein Motiv für diese Analyse solcher Fehl-
schlüsse gehabt haben?
Eine bei Diogenes Laertius für die Stoa bezeugte Einteilung der
schlüssigen Argumente kann uns hier möglicherweise weiterhelfen.
Die Stoiker haben, so berichtet Diogenes Laertius (7.78), die schlüssi-
gen Argumente (περαντικοΐ λόγοι) in die syllogistischen und in die im
engeren Sinne schlüssigen Argumente eingeteilt. Unter die ersteren
fallen j ene Argumente, deren Form entweder einem der Anapodeiktoi
oder einer aus den Anapodeiktoi mit Hilfe der stoischen Themata
abgeleiteten Schlußform entspricht. Es sind also die Schlüsse, deren
Form den Axiomen oder den Theoremen des stoischen Systems der
Aussagenlogik entspricht. Als Beispiel dient ein Argument nach dem
ersten Anapodeiktos.34
Das durch Zusammenhanglosigkeit nicht-schlüssige Argument 169

Als im engeren Sinne schlüssig (ειδικώς περαντικοί) werden die nicht


syllogistisch schließenden Argumente angesehen. Hier macht erst das
Beispiel klar, was gemeint ist: „Es ist falsch, daß es Tag ist und daß es
Nacht ist. Es ist aber Tag. Also ist es nicht Nacht." Das ist eine nicht-
kanonische Formulierung des dritten Anapodeiktos. Die kanonische
Formulierung (mit der Negation anstelle von „es ist falsch, daß")
illustriert im Referat des Sextus in den PH 2.158 dieses Axiom der
stoischen Logik.
Offenbar haben also die von Diogenes Laertius referierten Stoiker
schlüssige Argumente, die, was das Auftreten logischer Operatoren
angeht, nicht exakt den Formen der Axiome und Theoreme ihres
logischen Systems entsprechen, als eine eigene Klasse von Argumen-
ten behandelt und sie nicht als normalsprachlich laxere Formulierun-
gen eines syllogistischen Schlusses angesehen.35 Wir wissen nicht,
welche Analyse diese Logiker von derartigen Schlüssen gegeben ha-
ben. Aber wenn wir diesen Stoikern einerseits die Einsicht zutrauen,
daß ein schlüssiges Argument kraft seiner Form schlüssig ist, und
wenn wir weiter annehmen, daß sie für diese nicht-normierten Argu-
mente nicht jedesmal eine neue Schlußform postuliert haben, dann
scheint es plausibel, daß sie solche Schlüsse als Fälle von nicht form-
gerechten Einsetzungen in (im Sinne der stoischen Terminologie)
syllogistische Schlußformen aufgefaßt haben. Dann aber ergab sich
für sie auch die Notwendigkeit, die Fälle, in denen die nicht formge-

3 4 Die offenbar korrupte Lesart der Handschriften: εί περιπατεί Δίων, κινείται άρα

Δίων ist von ν. Arnim durch eine entsprechende Emendation zu einem Argument
in der Form des Modus ponens ergänzt worden (SVF II fr. 238). Die Ausgabe
von H. S. Long gibt den korrupten Text der Handschriften und weist den im Ap-
parat angeführten Verbesserungsvorschlag dem Herausgeber des Textes in
der Loeb-Library, R. D. Hicks, zu, der ihn jedoch nur von v. Arnim übernommen
hat.
3 5 Die Textverbesserungen, die Egli zu Galen, Inst. log. 49,1 ff. Kalbfleisch vorge-

schlagen und die Hülser in den Text des entsprechenden Fragmentes seiner Aus-
gabe übernommen hat (FDS 1086), gehen ebenfalls davon aus, daß die im engeren
Sinn schlüssigen Argumente der Stoiker nicht-kanonisch formulierte Schlüsse
sind. Diese Galenstelle ist in diesem Zusammenhang auch deshalb wichtig, weil sie
zeigt, daß die im engeren Sinne schlüssigen Argumente nicht auch die unmetho-
disch schlüssigen umfaßt. - Zu den im engeren Sinn schlüssigen Argumenten vgl.
jetzt a. Barnes (1990) 67i. Barnes will allerdings nur eine Unterart der im engeren
Sinne schlüssigen Argumente als „linguistic variants on syllogisms" verstehen. Die
von ihm zitierte Stelle aus Alexander (in An. Pi. 373, 29-35 Wallies) spricht aber
eher dafür, daß das eine Eigenschaft aller im engeren Sinne schlüssigen Argumente
ist.
170 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

rechte Einsetzung auf die Gültigkeit des Argumentes keinen Einfluß


hat, von jenen zu unterscheiden, in denen eine solche nicht formge-
rechte Einsetzung die Gültigkeit aufhebt.36
Wenn diese Überlegung auf richtigen Voraussetzungen beruht,
dann liefert uns die bei Diogenes Laertius bezeugte stoische Eintei-
lung der schlüssigen Argumente eine Bestätigung für unsere Vermu-
tung, der von Sextus in AM 8.430 referierte stoische Logiker hätte das
durch Zusammenhanglosigkeit nicht-schlüssige Argument deshalb
nicht in die Gruppe der formal fehlerhaften Argumente aufgenom-
men, weil er es als ein Argument ansieht, in dessen gültige Form eine
falsche Einsetzung vorgenommen worden ist. Die stoische Annahme
von schlüssigen Argumenten, die sich von den formgerechten syllogi-
stischen Argumenten durch nicht formgerechte Einsetzungen unter-
scheiden, nötigte zu einer entsprechenden Annahme nicht-schlüssi-
gei Argumente, die sich ebenfalls an die Form eines syllogistischen
Argumentes anlehnen, bei denen aber die nicht formgerechte Einset-
zung zur Aufhebung der Gültigkeit des Schlusses führt. Das Beispiel
in AM 8.430 üeße sich dann ohne Schwierigkeit als ein Fall dieser
zweiten Gruppe verstehen.
Die Einrichtung einer eigenen Klasse für das durch Zusammen-
hanglosigkeit nicht-schlüssige Argument läßt sich also möglicher-
weise auf dem Boden einer eigentümlichen Theorie der stoischen
Logik erklären. Die weiteren Bestimmungen der stoischen Definition
dieses Fehlschlußtyps bieten aber der Interpretation Schwierigkeiten,
die sich auf Grund des vorliegenden Materials nicht durch eine konsi-
stente Deutung ausräumen lassen. In der von Sextus referierten For-
mel wird nicht nur das Fehlen eines Zusammenhangs' (συνάρτησις)
zwischen Prämissen und Konklusion sowie innerhalb der Prämissen
verlangt, sondern es sollen überdies „die Prämissen keine Gemein-
schaft (κοινωνία) (...) weder untereinander noch mit der Konklusion
haben" (8.430).
Es scheint mir nicht möglich, für diese Klausel der Definition eine
Deutung zu finden, die mit dem angegebenen Beispiel verträglich

36
Aus einem Titel im Schriftenverzeichnis Chrysipps geht hervor, daß nach den
Stoikern dasselbe Argument einmal in syllogistischer, einmal in nicht-syllogisti-
scher Art und Weise formuliert werden konnte und daß die Stoa sich wegen dieser
Auffassung der Kritik ausgesetzt sah: Erwiderung auf die Einwände gegen die
Formulierung desselben Argumentes in syllogistischer und nicht-syllogistischer
Art und Weise, 2 Bücher (προς τά άντειρημενα τφ τον αύτον λόγον έν συλλογιστική) και
άσυλλογίστορ τετάχθαι τρόπψ β' DL 7.194). Dieser Titel ist aber noch aus einem
anderen Grunde aufschlußreich: Es scheint, daß τρόπος der gegenüber σχήμα wei-
tere Begriff ist.
Das durch Zusammenhanglosigkeit nicht-schlüssige Argument 171

wäre. Es ist zunächst naheliegend, diese Relation der Gemeinschaft'


wie folgt zu verstehen: Die Aussagen Ρ und Q stehen dann in der
Relation der Gemeinschaft, wenn es eine Aussage R gibt, so daß R
eine Teilaussage sowohl von Ρ wie von Q ist, oder wenn Ρ oder Q selber
als Teilaussage in der jeweils anderen Aussage vorkommt. Nach die-
sem Verständnis der,Gemeinschaft' zwischen Aussagen besteht aber
zwischen der ersten Prämisse des bei Sextus angeführten Beispiels
(„Wenn es Tag ist, ist es hell") und der Konklusion („Es ist hell") genau
das Verhältnis der Gemeinschaft. 37
Nun könnte man versucht sein, das hier von den Stoikern als
κοινωνία bezeichnete Verhältnis zwischen Aussagen ausgehend von
den oben angestellten Überlegungen zu den im engeren Sinne schlüs-
sigen Argumenten zu deuten, nämlich als ein Verhältnis zwischen
äquivalenten Aussagen, von denen aber wenigstens eine, etwa inner-
halb eines bestimmten Schlußschemas, nicht formgerecht formuliert
ist. Die,Gemeinschaft' wäre dann ein Unterfall der Äquivalenzbezie-
hung.
Ein Argument wie „Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es aber wahr,
daß es Tag ist. Also ist es hell." wäre offenbar ein Beispiel für ein im
engeren Sinn schlüssiges Argument, weil bei ihm die zweite Prämisse
nicht formgerecht (dem Schema des Modus ponens entsprechend)
formuliert ist, weil aber zugleich das Antecedens der ersten Prämisse
und die. zweite Prämisse die gleiche Bedeutung haben: Beide sind
genau dann wahr, wenn es Tag ist. Es könnte also sein, daß die von
Sextus referierten Stoiker zwischen Aussagen, die sich so unterschei-
den wie das Antecedens und die zweite Prämisse in diesem Beispiel,
das Verhältnis der Gemeinschaft' angenommen haben. Aber im Hin-
blick auf das in AM 8.430 angeführte Schlußbeispiel bleibt auch diese

37
So schon Barnes (1980), 171 Anm. 15. Barnes hält das Beispiel, das diesen
Fehlschlußtyp im Referat der PH (2.146) erläutert, für besser, weil dort „each
proposition plainly lacks κοινωνία with each of the other two" (a.a.O. Hervorh. im
Text). Eine Emendation des Textes in AM 8.430 nach dem Vorbild der PH 2.146
(beide Texte hält Barnes für Referate stoischer Lehren) weist Barnes allerdings
richtig mit dem Hinweis zurück, daß das stoische Beispiel, das in AM 8.430 auftritt,
in der folgenden Diskussion des Sextus (8.435) wiederholt wird. - Aber auch wenn
das an der PH-Stelle zur Illustration angeführte Beispiel zu der Definition in
AM 8.430 besser paßt, so muß es darum doch nicht das bessere Beispiel sein. Denn
das in AM gegebene Schlußbeispiel versucht offenbar mit der geringfügigsten
Veränderung gegenüber einem gültigen Schluß auszukommen; nun könnte dieses
Beispiel aber kaum zu einer anderen Gruppe der hier vorliegenden Klassifikation
gezählt werden; es dürfte daher in jedem Fall nicht in Widerspruch zu der in
AM 8.430 referierten Definition stehen. Mangelhaft erscheint daher nicht dieses
Beispiel, sondern die Definition, die es erläutern soll.
172 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

Deutung der κοινωνία äußerst problematisch. Denn zum einen müs-


sen wir offenbar annehmen, daß zwei in ihrer Formulierung genau
übereinstimmende formgerechte Aussagen nicht im Verhältnis der
Gemeinschaft stehen, wenn anders das Schlußbeispiel den Defini-
tionsbedingungen genügen soll: Das Succedens der ersten Prämisse
dieses Schlusses und die Konklusion stimmen wörtlich überein.
Ist schon diese Annahme einigermaßen unplausibel, so hegt eine
weitere, m. E. unüberwindliche Schwierigkeit in dem Umstand, daß
eine Veränderung einer der beiden, in der jetzigen Fassung des Argu-
mentbeispiels AM 8.430 wörtlich übereinstimmenden Aussagen zu
einer nicht-kanonischen Formulierung zwischen ihnen doch offenbar
das Verhältnis der Gemeinschaft begründen würde; gleichwohl bliebe
aber dieses Argument, das nun den Anforderungen der Definition
nicht mehr genügt, ein nicht-schlüssiges Argument; es ist nicht zu
sehen, in welche andere Klasse als die der durch Zusammenhanglo-
sigkeit nicht-schlüssigen Argumente es aufgenommen werden sollte.
Auch die erklärenden Bemerkungen, die im Referat des Sextus auf
Definition und erläuterndes Beispiel folgen, machen die Sache nicht
klarer. Sie lauten:
Denn wir sehen, daß in diesem Fall weder die Aussage „Wenn es Tag ist, (ist es
hell)" zu der Aussage „Auf dem Markt wird Weizen verkauft" in irgendeiner
Übereinstimmung und Verknüpfung (σύμπνοια και συμπλοκή) steht noch auch
eine dieser beiden zu der Aussage „Also ist es hell", sondern daß jede zusammen-
hanglos neben den anderen steht.38 AM 8.430
Die in der Definition benutzten Termini,Gemeinschaft' und /Zusam-
menhang' treten in dieser Erläuterung, die doch darlegen soll, warum
das angeführte Beispiel der Definition entspricht, überhaupt nicht
mehr auf. Stattdessen erscheinen zwei neue Ausdrücke, ,Überein-
stimmung' und /Verknüpfung'.
Das erste dieser beiden Wörter, σύμπνοια (wörtlich: das Zusammen-
Atmen), bezeichnet in der stoischen Physik die Übereinstimmung
zwischen Weltall und Erde, die verhindert, daß es im Kosmos leeren
Raum gibt (vgl. DL 7.140). Für einen Gebrauch in der stoischen Dia-

38
Die Handschriften lesen an dieser Stelle alle εί ήμερα εστίν, ohne das Succe-
dens. Die Ergänzung des Nachsatzes ist von Kochalsky (1911), 92 vorgeschlagen
worden, und diesem Vorschlag haben sich Barnes (1980), 171 Anm. 15 sowie
Hülser (FDS 1110) angeschlossen. Diese Ergänzung scheint deshalb plausibel, weil
hier von den Prämissen (und der Konklusion) dieses Argumentes die Rede ist.
Allerdings müßte diese Überlegung nicht zu der Emendation zwingen, denn bei der
Erörterung des durch Auslassung nicht-schlüssigen Argumentes hat sich gezeigt,
daß der stoische Autor, den Sextus hier ausschreibt, auch Teilaussagen als Prämis-
sen ansehen kann (vgl. S. 164 f.).
Welche Stufe der stoischen Logik in AM 8.429-434? 173

lektik gibt es sonst kein Beispiel. Dagegen ist συμπλοκή der technische
Terminus der stoischen Logik für die aussagenlogische Konjunktion,
die ,und'-Verknüpfung (vgl. FDS 966 = Dexippos, In Cat. 22, 18 f.
Busse). Aber welchen Sinn soll die Forderung, daß zwischen den
Aussagen in einem durch Zusammenhanglosigkeit nicht-schlüssigen
Argument eine solche konjunktive Verknüpfung nicht bestehen soll,
tatsächlich haben? Möglicherweise hat dieser Ausdruck in unserem
Text gar nicht den sonst in der stoischen Logik üblichen Sinn. Aber die
Spärlichkeit der Überlieferung läßt hier weitergehende Schlußfolge-
rungen nicht zu.
Ein Fazit aus den Beobachtungen zur stoischen Behandlung dieses
Fehlschlußtyps ist notwendigerweise eher unbefriedigend. Es spricht
eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß der stoische Autor, den
Sextus hier ausschreibt, auf der Grundlage einer an anderer Stelle für
die Stoa belegten Theorie, der Lehre von den im engeren Sinne schlüs-
sigen Argumenten, diese Fehlschlüsse nicht unter die formal falschen
Schlüsse zählen wollte. Aber die Definition selbst und die Erläute-
rung, die er seinem Schlußbeispiel anfügt, ließen eine konsistente
Deutung nicht zu.

f) Über welche Stufe der stoischen Logik betichtet Sextus


in AM 8.429-4341

Prüfen wir abschließend die Frage, welcher Entwicklungsstufe der


stoischen Logik die von Sextus referierte Fehlschlußklassifikation
angehört. Ist sie eher den von der Dialektischen Schule beeinflußten
frühen Stoikern zuzurechnen oder der von Chrysipp und seinen
Nachfolgern geschaffenen stoischen Logik?
Der Bericht des Sextus in AM 8.429-434 enthält eine Reihe von
Indizien dafür, daß die referierte Theorie von einem stoischen Logiker
stammt, der, wenn er nicht mit Chrysipp identisch ist, so doch von der
Logik Chrysipps zumindest beeinflußt ist. Gerade in dem Punkt, an
dem sich die Differenz zu der korrespondierenden Klassifikation der
Dialektiker am deutlichsten zeigt, nämlich in der neuen Terminologie
für die schlüssigen und nicht-schlüssigen Argumente, ist eine Über-
einstimmung dieser stoischen Theorie mit Chrysipp festzustellen: Im
Schriftenverzeichnis Chrysipps gibt es einen Titel Über die schlüssi-
gen Argumente an Zenon, 1 Buch (περί των περαινόντων λόγων προς
Ζήνωνα α' DL 7.195). Chrysipp dürfte also offenbar für die schlüssig/
nicht-schlüssig Unterscheidung dieselben Ausdrücke verwendet ha-
174 Dialektische und stoische Klassifikation der Fehlschlüsse

ben wie der Autor der in AM 8.429-434 dargestellten stoischen Theo-


rie. Diese Übereinstimmung ist umso bemerkenswerter, als im Logik-
Referat des Diogenes Laertius die schlüssigen Argumente durchgän-
gig mit dem Adjektiv περαντικός (vgl. 7.77-79) bezeichnet werden,
nicht mit dem Partizip περοανων wie in der diskutierten stoischen
Klassifikation und in dem erwähnten Buchtitel des Chrysipp.
Ein weiterer Titel in diesem Schriftenverzeichnis Chrysipps zeigt,
daß er auch eine Klasse dieser stoischen Fehlschlußeinteilung zum
Gegenstand einer eigenen Abhandlung gemacht hat: die durch Über-
schuß nicht-schlüssigen Argumente. Der Titel lautet: Über die über-
schießenden Argumente an Pasylos, 2 Bücher (περι των παρελκόντων
λόγων προς Πασυλον β' DL 7.195). Bemerkenswert ist daran insbeson-
dere, daß Chrysipp gerade jene Art der Fehlschlüsse aus dieser Klassi-
fikation untersucht, die wir allenfalls als unelegant, aber nicht als
ungültig anerkennen würden. Wie es scheint, hatte Chrysipp ebenso
wie der stoische Autor der in AM 8.429-434 referierten Einteilung
keine Bedenken, ein Argument, das eine überflüssige Prämisse ent-
hält, schon allein auf Grund dieses Umstandes für nicht-schlüssig zu
halten.
In derselben Gruppe dieses Schriftenverzeichnisses findet sich ein
Titel, der möglicherweise auf eine Behandlung der dritten Klasse
nicht-schlüssiger Argumente (der durch Folgern nach einer unrichti-
gen Schlußform ungültigen) hindeutet: Über Schlüsse nach falschen
Schlußformen, 5 Bücher (περί των κατά ψευδή σχήματα συλλογισμών ε'
DL 7.195). Allerdings ist in diesem Titel nicht, wie in den beiden
anderen, von ,Argumenten' (λόγοι), sondern von ,Schlüssen' (συλλο-
γισμοί) die Rede; außerdem hätte Chrysipp die umständliche For-
mulierung, mit der im Referat des Sextus diese Klasse nicht-schlüs-
siger Argumente charakterisiert wird, durch eine knappe Formel
(κατά ψευδή σχήματα) wiedergegeben. Diese beiden terminologischen
Differenzen machen eine eindeutige Zuordnung dieses Titels zu
der fraglichen Klasse bei Sextus doch in gewissem Sinn problema-
tisch.
Ein letztes und vergleichsweise eindeutiges Indiz dafür, daß die von
Sextus in AM 8.429-434 überlieferte stoische Theorie die logische
Lehre des Chrysipp voraussetzt, ist schließlich der Gebrauch des Ter-
minus /Zusammenhang' (συνάρτησις) für das Verhältnis der Folge zwi-
schen Prämissen und Konklusion eines Schlusses (AM 8.430). Dieser
Ausdruck tritt in logischem Zusammenhang überhaupt nur zur Be-
zeichnung des im Sinne Chrysipps und seiner Nachfolger richtigen
Folgeverhältnisses zwischen Antecedens und Succedens einer Kondi-
tionalaussage (vgl. PH 2.111 und DL 7.73) und offenbar auch zwi-
Welche Stufe der stoischen Logik in AM 8.429-434? 175

sehen Prämissen und Konklusion eines schlüssigen Argumentes auf


(vgl. DL 7.77).39
Auf Grund dieser Beobachtungen läßt sich jedenfalls mit einiger
Sicherheit ausschließen, daß die in AM 8.429-434 überlieferte Klassi-
fikation der nicht-schlüssigen Argumente den frühen Stoikern gehört.
Hier liegt also allem Anschein nach die Bearbeitung eines Lehrstücks
der Dialektischen Schule durch einen Stoiker vor, dem die logische
Theorie des Chrysipp vertraut war. Es erscheint verlockend, gerade
auch angesichts der oben notierten terminologischen Übereinstim-
mung mit zwei Titeln im Schriftenverzeichnis des Chrysipp, hier eine
Theorie des großen stoischen Logikers selber zu sehen. Aber für eine
definitive Zuschreibung ist die Textbasis einfach zu schmal; und
gegen eine solche Zuschreibung spricht zumindest prima facie doch
die Tatsache, daß Chrysipp nach Ausweis seines Schriftenverzeich-
nisses mehrmals die Theorien Dialektischer Vorgänger kritisiert hat:
Zwei seiner logischen Schriften sind gegen Philon (vgl. DL 7.191,194),
eine ist gegen den Dialektiker Panthoides gerichtet (vgl. DL 7.193). Da
erscheint es nicht eben plausibel, daß Chrysipp eine doch mit logischen
Mängeln behaftete Fehlschlußklassifikation der Dialektischen Logi-
ker als Einteilung übernommen und lediglich innerhalb der einzelnen
Klassen Verbesserungen vorgenommen haben soll. Möglicherweise
stammt diese stoische Fehlschlußeinteilung daher auch nicht aus dem
unmittelbaren Schülerkreis des Chrysipp, sondern von einem späte-
ren Stoiker, der mit den Mitteln der chrysippeischen Logik die Repri-
stination einer älteren Theorie versucht hat. Aber über Vermutungen
kommen wir hier nicht hinaus. Festzustehen scheint lediglich die
negative Folgerung, daß dieser Textabschnitt von AM nicht über die
frühen Stoiker berichtet.

39
Daß wir es in dem Logik-Referat des Diogenes Laertius mit der Theorie
Chrysipps und seiner Nachfolger und jedenfalls nicht mit Lehren der frühen
Stoiker zu tun haben, ist oben (S. 55) gezeigt worden.
Siebtes Kapitel:
Die Dialektiker über Trugschlüsse
und ihre Auflösung

Im abschließenden Kapitel 22 des zweiten Buches der PH (229-259)


will Sextus Empiricus die Nutzlosigkeit der Dialektik auf einem Ge-
biet zeigen, das ihre Lobredner (oi σεμνυνοντες αύτήν 229) zum Nach-
weis ihrer Nützlichkeit offenbar für besonders geeignet halten, die
Auflösung von Trugschlüssen nämlich (229 vgl. 236, 241). Im Unter-
schied zu den bloßen Fehlschlüssen, den nicht-schlüssigen Argumen-
ten, deren Klassifikation in 2.146-167 eine Rolle spielte, sind die
Trugschlüsse, die Sophismen durch eine Täuschungsabsicht charak-
terisiert; das bringt die von Sextus angeführte Definition des So-
phisma (229 ad. fin.) deutlich zum Ausdruck. Das Kapitel 22 zerfällt in
drei ungleiche, aber klar voneinander abgegrenzte Teile: 229-246,
247-255, 256-259.
Im ersten Teil will Sextus nachweisen, daß dort, wo die Auflösung
von Sophismen einen Nutzen hat, diese Auflösung nicht vom Dialek-
tiker, sondern vom Kenner des jeweiligen Sachgebietes geleistet wird;
wo aber der Dialektiker einen Trugschluß auflösen kann, da handelt
es sich um Sophismen, durch die, so Sextus, ohnehin niemand ge-
täuscht wird (vgl. 236, 241). Sextus referiert in diesem Textstück zu-
nächst die Position der,Dialektiker' (229-235) und trägt anschließend
seine Kritik dieser Position vor (235-246); in diese Kritik sind aller-
dings noch einmal Beispiele der von den ,Dialektikern' analysierten
Sophismen aufgenommen (241-244).
Im zweiten Teil dieses Kapitels (247-255) soll die Überflüssigkeit
der die Trugschlüsse betreffenden Kunstregeln der ,Dialektiker' (τά
περί των σοφισμάτων τεχνσλογούμενα 247, vgl. ή περί των σοφισμάτων
τεχνολογία 255) zusätzlich in der Weise gezeigt werden, daß von ihren
eigenen Thesen ausgegangen wird (και άπ' αύτών δέ των παρά τοις
διαλεκτικοις λεγομένων ορμώμενος τις 247). Dieses Programm einer Kri-
tik der ,Dialektiker' auf dem Boden ihrer eigenen Voraussetzungen
hat zur Folge, daß in diesem Teil referierende Mitteilungen über die
kritisierte Position anders als im vorhergehenden Abschnitt in den
eigenen Gedankengang des Sextus integriert sind: So sind nicht nur
die Mitteilungen in 247, sondern auch der begründende Nebensatz zu
Die,Dialektiker' in den PH 2.229-259? 177

Beginn von 248 und ebenso der erste Satz von 251 referierender
Natur.
Das letzte und kürzeste Teilstück (256-259) hat korollarischen
Charakter. Es gehört nicht eigentlich zum Thema der Sophismen,
sondern behandelt einen verwandten Gegenstand: die Bedeutungsdif-
ferenzierung mehrdeutiger Ausdrücke (διαστολή των αμφιβολιών 256).
Ähnlich wie in seiner Kritik im ersten Teil des Kapitels argumentiert
Sextus auch hier, daß solche Bedeutungsunterscheidungen, wo sie im
praktischen Leben sinnvoll und notwendig sind, auch ohne Hilfe der
Dialektik gemacht werden (256-257). Wenn sie aber in theoretischen
Zusammenhängen auftreten, dann ist der Dialektiker, so Sextus, zur
Urteilsenthaltung gezwungen (258).

a) Die,Dialektiker' in den PH 2.229-259 - Logiker oder Mitglieder der


Dialektischen Schule}

Wer sind die ,Dialektiker', von denen in diesem Kapitel der PH die
Rede ist? Hier ist vorab eine Beobachtung zum Sprachgebrauch des
Sextus in diesem Kapitel hilfreich. Sextus benutzt nämlich in den
referierenden Abschnitten dieses Kapitels (229-235, 247-255) aus-
schließlich die Pluralform oi διαλεκτικοί. Der Singular ό διαλεκτικός ist
auf die nicht referierenden, sondern kritischen Argumente des Sextus
beschränkt (vgl. 236, 237, 240, 241, 256, 258).
Diese Differenzierung zwischen dem Gebrauch des Singulars und
des Plurals, zwischen ,die Dialektiker' und ,der Dialektiker', macht es
nun möglich, dasselbe Wort sowohl zur histonschen Charakterisie-
rung innerhalb der Referate (durch den Pluralgebrauch) als auch in
einem typisierenden und systematischen Sinn (durch den Singularge-
brauch) in der Kritik zu benutzen.
Daß Sextus mit dem Gebrauch des Singulars, der ja auch sonst im
normalen Sprachgebrauch oft die Funktion der Typisierung hat, tat-
sächlich den systematischen Sinn von ,Dialektiker' (= Logiker) ver-
binden will, zeigt sich beim ersten Auftreten der Singularform in 236:
Was die Trugschlüsse angeht, für deren Widerlegung die Dialektik besonders
geeignet scheint, so ist ihre Auflösung nutzlos. Was aber diejenigen angeht, deren
Auflösung von Nutzen ist, so dürfte diese nicht der Dialektiker auflösen, sondern
die Personen, die in der jeweiligen Kunst über Sachverstand verfügen.
PH 2.236
Zum einen korrespondiert dem,Dialektiker' hier die Dialektik. Man
könnte beide Ausdrücke vertauschen, ohne daß sich dadurch am
178 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

Sinn dieser beiden Sätze etwas ändern würde. Zum anderen ist der
Singular hier offenbar mit Absicht an Stelle des Plurals gesetzt, denn
der Gegensatz zu „der Dialektiker" ist hier ein Plural (ebenso 2.256).
Andere Stellen bestätigen diesen systematischen und typisierenden
Sinn des Singulars, vor allem der Gebrauch in dem Gegensatzpaar
Dialektiker/Arzt (237-238,240). Sextus kann schließlich die mit dem
Singular vorgenommene Typisierung sogar dazu benutzen, uns den
Dialektiker mit seiner theatralischen Mimik anschaulich vor Augen
zu stellen (244, wo als Subjekt ό διαλεκτικός aus 241 zu ergänzen ist).
Gleichwohl ist dieser Repräsentant der Dialektik nicht gewisserma-
ßen historisch farblos. Er trägt vielmehr durchaus auch Züge eines
Mitgliedes der Dialektischen Schule: Von den vier Trugschlußbei-
spielen, die Sextus ihm 2.241-244 in den Mund legt, ist das zweite ein
Argument Diodors (vgl. AM 1.311). Das erste, eine Formulierung des
sog.,Gehörnten', dürfte, wie weiter unten gezeigt wird (S. 193), eben-
falls Diodor gehören. Das dritte Beispiel wird an anderer Stelle Gor-
gias (vgl. AM 7.71), das vierte Anaxagoras zugewiesen (vgl. PH 1.33),
aber es ist durchaus denkbar, daß Logiker der Dialektischen Schule
aus diesen beiden Autoren Beispiele für Sophismen übernommen
haben. Jedenfalls geben diese Beispiele keinen Anlaß, hier etwa an
stoische oder peripatetische Logiker zu denken. In einer der beiden
Anekdoten, mit denen Sextus die Nutzlosigkeit der Dialektik illu-
strieren will, ist Diodor die Zielscheibe des Spottes: Er muß sich, als er
mit einer verrenkten Schulter zum Arzt geht, von diesem mit Hilfe
eines seiner eigenen Argumente gegen die Bewegung (vgl. AM 10.87)
erklären lassen, daß seine Schulter gar nicht verrenkt sein kann (245).
Gibt es nun Indizien dafür, daß die referierenden Mitteilungen
dieses Kapitels über Lehren der ,Dialektiker' tatsächlich über Theo-
rien der Dialektischen Schule berichten? Dafür sprechen vorläufig
zumindest zwei Indizien. Das erste betrifft die Terminologie: Der
Terminus, mit dem in diesem Text ein Argument (oder dessen Form)
als gültig bezeichnet wird, ist ausnahmslos συνακτικός (vgl. 2.248-250,
254-255). Das Wort tritt insgesamt siebenmal auf. Wir hatten oben
(S. 142f.) gesehen, daß die συνακτικός/άσΰνακτος-Terminologie für die
Dialektische Schule charakteristisch ist und daß die stoischen Logiker
seit Chrysipp für die entsprechende Unterscheidung eine neue No-
menklatur eingeführt haben.
Ein zweites Indiz für die Herkunft des hier referierten Materials aus
der Dialektischen Schule ergibt sich aus einer Eigentümlichkeit der
von Sextus dargestellten Trugschlußtheorie. In dieser Theorie spielen
nämlich bemerkenswerterweise Äquivokationen überhaupt keine
Rolle. Das ist nicht nur deshalb auffällig, weil Trugschlüsse ja in der
Die ,Dialektiker' in den PH 2.229-259? 179

Tat häufig auf dem Gebrauch mehrdeutiger Ausdrücke beruhen, son-


dern insbesondere auch deshalb, weil in den Sophistischen Widerle-
gungen des Aristoteles Äquivokationen als eine Hauptursache für
Sophismen analysiert werden.1
Nun wissen wir aus einem bei Aulus Gellius erhaltenen Zeugnis,
daß Diodor die Möglichkeit äquivoker Ausdrücke bestritten hat
[Noct. Att. XI, xii, 1-3 = FDS 636). Jedes Wort, so Diodor, habe nur die
Bedeutung, die ein Sprecher ihm gebe; wenn es zu Mißverständnissen
komme, dann deshalb, weil jemand den Sinn seiner Worte nicht
hinreichend klar gemacht hat. An derselben Stelle berichtet Aulus
Gellius ebenfalls, daß Chrysipp dieser These Diodors scharf wider-
sprochen hat. Damit dürfte Diodor in der Geschichte der Logik zwi-
schen Aristoteles und Chrysipp eine vergleichsweise singuläre Posi-
tion vertreten. Es spricht daher einiges dafür, die von Sextus referierte
Theorie der Trugschlüsse, in denen von Äquivokationen keinerlei
Gebrauch gemacht wird, in den Umkreis des Diodor zu verweisen,
des wohl bedeutendsten Vertreters der Dialektischen Schule.
Dagegen scheint prima facie der Einwand möglich, daß Sextus doch
am Ende dieses Kapitels (2.256-258) auch eine Kritik an Logikern
vorbringt, die über Äquivokationen (άμφιβολίαι) gehandelt haben. Sol-
len das etwa nicht die Dialektiker (im Sinne des Schulnamens) sein?
Denkbar wäre das schon, denn in diesem Textstück (256-258) ist von
den,Dialektikern' (im Plural) nirgends die Rede. Andererseits gibt es
durchaus Gründe, auch hinter der hier kritisierten Position die Dia-
lektische Schule zu vermuten. Einer der Dialektiker, Panthoides, hat
eine Abhandlung Über Äquivokationen (περί αμφιβολιών) verfaßt,
gegen die Chrysipp eine Schrift gerichtet hat (vgl. DL 7.193); nur aus
diesem Titel des Chrysippeischen Schriftenverzeichnisses wissen wir
von der Existenz dieser Abhandlung des Panthoides. Es ist aber
durchaus denkbar, daß Diodor und Panthoides in der Frage der Mög-
lichkeit von Äquivokationen unterschiedliche Auffassungen vertre-
ten haben, so daß die Kritik des Sextus an einer Doktrin, die Äquivo-
kationen für möglich hält, nicht impliziert, daß diese Position von der

1
Aristoteles unterscheidet zwei Hauptgruppen von fehlerhaften Widerlegun-
gen, einmal die, welche von der Ausdrucksweise (λέξις) abhängig sind, dann die,
welche das nicht sind (vgl. Soph. El. 4,165b23-24). Alle Fehlschlußtypen der ersten
Hauptgruppe sind dadurch charakterisiert, daß „wir mit denselben Worten und
Wendungen nicht dasselbe zum Ausdruck bringen" (τοις αύτοΐς όνόμασι και λόγοις μή
ταύτό δηλώσαιμεν Soph. El. 4, 165b29-30). Es sind also alles Fälle von Mehrdeutig-
keit, wobei Aristoteles aber auch Äquivokationen berücksichtigt, die nur in der
gesprochenen Rede auftreten, auf Grund unterschiedlicher Phrasierung nämlich
(σΰνϋεσις, διαίρεσις vgl. Soph. El. 4,166a22-33).
180 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

Schule insgesamt geteilt worden ist. Aber in jedem Fall läßt sich auf
dieses Textstück kein Argument gegen die gut bezeugte Existenz einer
These Diodors gründen, daß Äquivokationen nicht möglich seien.
Damit aber dürfte auch die Abwesenheit von Trugschlußbeispielen,
die sich auf mehrdeutige Worte gründen, in dem von Sextus referier-
ten Theoriematerial ein Indiz von einigem Gewicht für die Zuweisung
dieser Lehre an die Dialektiker im Sinne des Schulnamens sein.
Diese beiden positiven Anhaltspunkte für eine Zuweisung der in
diesem Kapitel referierten Lehren an die Dialektische Schule lassen
sich noch durch den Hinweis stützen, daß es jedenfalls in den referie-
renden Partien keinerlei Indizien dafür gibt, daß Sextus etwa über
stoische Logiker berichtet. Darüberhinaus ist bemerkenswert, daß die
einzige namentliche Erwähnung stoischer Philosophen in diesem Ka-
pitel, nämlich die Erwähnung der „Dogmatiker der Chrysippschule"
(2.253), diese gerade als Instanz gegen die Dialektiker anführt: Diese
Stoiker fordern zur Urteilsenthaltung beim sog. Sorites, dem Haufen-
schluß, auf und nehmen damit, wie Sextus betont, eine Forderung der
Skeptiker vorweg.2
Gleichwohl läßt sich aus den bisher gemachten Beobachtungen
nicht die Folgerung ziehen, immer wenn Sextus in diesem Kapitel von
den ,Dialektikern' spricht, seien damit (die) Mitglieder der Dialekti-
schen Schule gemeint. Zwar scheint das für die referierenden Ab-
schnitte dieses Kapitels gesichert zu sein,· wie oben gezeigt, benutzt
Sextus dort, wo er lediglich fremde Lehren darstellt, ausschließlich die
Pluralform ,die Dialektiker'. Aber er benutzt diesen Plural nicht aus-
schließlich in den referierenden Partien, sondern einmal auch außer-
halb, und an dieser Stelle wird der Ausdruck - ganz so wie schon an
der oben (S. 143-46) diskutierten Stelle 2.166 - im Sinne von ,Logiker'
benutzt. Es handelt sich um den Text, in dem Sextus von der Darstel-
lung der Dialektischen Trugschlußtheorie zu seiner Kritik überleitet:
Derartige Lehren über die Trugschlüsse vertreten einige Dialektiker (andere
nämlich lehren anderes). Die Ohren der weniger Urteilsfähigen mag das viel-
leicht kitzeln, es ist aber überflüssig und ihre Anstrengungen sind vergeblich.
Das läßt sich vielleicht auch schon aus den bisherigen Ausführungen entneh-
men. Denn wir haben nachgewiesen, daß sich nach den Dialektikern das Wahre
und das Falsche nicht erkennen läßt, und dies auf vielerlei Weise, insbesondere
aber durch die Verwerfung ihrer Belege für die Fähigkeit logischen Schließens:
des Beweises und der unbeweisbaren Argumente. PH 2.235
Auffällig ist hier zunächst, daß Sextus im ersten Satz des zitierten
Textes die referierte Theorie ausdrücklich als Lehre nur einiger Dia-
2
Vgl. dazu a. Cicero, Acad. 2.93. Zum Sorites vgl. jetzt Barnes (1982) und
Burnyeat (1982b).
Die,Dialektiker' in den PH 2.229-259? 181

lektiker bezeichnet; vorher (229) war sie ganz allgemein den Dialekti-
kern zugesprochen worden. Diese Einschränkung könnte als
Anhaltspunkt für einen Gebrauch von ,Dialektiker' im systemati-
schen Sinn genommen werden: Einige Logiker, so wäre zu verstehen,
vertreten die referierte Trugschlußtheorie, andere (ζ. B. die Stoiker
oder die Peripatetiker) eine andere.
Aber dieses Verständnis ist nicht zwingend. Denn innerhalb der
Dialektischen Schule scheint es durchaus unterschiedliche Richtun-
gen gegeben zu haben; unmittelbar vorher wird noch innerhalb des
Referates die Erklärung der solökistischen Trugschlüsse als auf einem
Verstoß gegen den Sprachgebrauch beruhend ebenfalls ausdrücklich
nur „einigen" zugewiesen (235 ad in.). Der Streit zwischen Philon und
Diodor über die richtige Deutung der Konditionalaussage ist noto-
risch.3 Es läßt sich also jedenfalls hier nicht mit Sicherheit der syste-
matische Sinn (,Logiker') unterstellen.
Anders ist das nun jedoch beim zweiten Auftreten des Ausdrucks
im zitierten Text. Hier gibt Sextus einen Rückverweis auf seine frühe-
ren Darlegungen, beginnend mit 2.80. Seine ausdrückliche Erwäh-
nung der,unbeweisbaren Argumente' ist ein Hinweis auf die Textab-
schnitte 2.157-162, in denen Sextus die fünf Anapodeiktoi des
Chrysipp behandelt hat, die dann 2.166 - zusammen mit dem Modus
Barbara der peripatetischen Logik - als die „Argumente, in welche die
Dialektiker das Fundament der Syllogismen legen", vorgestellt wor-
den sind. Klarerweise können mit dem Ausdruck ,Dialektiker' an
dieser Stelle in 2.245 daher nur wiederum - wie in 2.166 - Logiker
allgemein gemeint sein, nicht Vertreter der Dialektischen Schule.
Wir stehen damit wieder vor der Frage, wie sich dieser Bedeutungs-
wechsel erklären läßt. Hier könnte man vermuten, daß Sextus diesen
Wechsel im Gebrauch von,Dialektiker' bewußt vornimmt, um seine
Kritik an einer historischen Position als Kritik am systematischen
Anspruch der Logik ausgeben zu können. Allerdings wäre, wenn man
dieses Motiv unterstellt, die vorhergehende Bemerkung, daß die dar-
gestellte Trugschlußtheorie die Lehre nur einiger ,Dialektiker' sei -
ganz gleichgültig, wie man dieses Wort hier versteht, ob historisch
oder systematisch - zweifellos einigermaßen kontraproduktiv. Denn
je begrenzter die Gruppe ist, deren Theorie dann im Hinblick auf eine
Kritik der Logik als Ausgangspunkt genommen wird, desto einge-

3 Vgl. AM 8.112-117; PH 2.110-111. Auch Sedley (1977), 76 hält es für wahr-


scheinlich, daß die Dialektische Schule eher durch gemeinsame Interessen als
durch eine gemeinsame Lehre zusammengehalten wurde.
182 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

schränkter muß auch die Kritik an der angegriffenen Disziplin aus-


fallen.
Daher scheint diese Stelle die Erklärung nahezulegen, daß Sextus
Empiricus selber der Sinn des Ausdrucks ,Dialektiker' als Bezeich-
nung einer bestimmten Schule nicht deutlich war, daß er etwa mit
Quellen gearbeitet hat, in denen von den ,Dialektikern' berichtet
wurde und die Dialektische Schule gemeint war, er selber aber darin
einen Bericht über Vertreter der Logik gesehen hat. Diese Vermutung
wird bestätigt durch eine Wendung im oben zitierten Text, eine Wen-
dung, die zeigt, daß Sextus bei dem Gebrauch des Ausdrucks /Dialek-
tiker' im Sinne von,Logiker' sich seiner Sache nicht ganz sicher ist. Er
sagt nämlich, daß der Nachweis der Falschheit und Überflüssigkeit
der von ihm dargestellten Trugschlußtheorie „sich vielleicht (ίσως)
auch schon aus den bisherigen Ausführungen entnehmen" (2.235)
läßt (Hervorhebung von mir. - Th. E.) und verweist zur Begründung
dann auf die in Buch 2.80 ff. vorgetragene Kritik an logischen Theo-
rien.
Dieses „vielleicht" verrät eine Unsicherheit, die jedenfalls dann fehl
am Platze wäre, wenn Sextus keinen Zeifel daran hätte, daß die im
folgenden Satz genannten,Dialektiker' ohne Umstände mit den Dia-
lektikern', über deren Lehre er in 2.229-235 berichtet hat, gleichzuset-
zen sind. Ebenso spricht das aber gegen die Vermutung, Sextus gehe
hier bewußt von einer Bedeutung von,Dialektiker' zu einer anderen
über. Denn bei einem absichtlichen Übergang von einer Bedeutung
zur anderen, wobei der Leser diesen Übergang gerade nicht als sol-
chen erkennen soll, wäre ein solches Sichtbarwerdenlassen einer Un-
sicherheit nur störend. Die wahrscheinlichste Erklärung für die hier
von Sextus gezeigte Unsicherheit dürfte die sein, daß er selber darüber
im Zweifel war, ob ein Bericht über ,die Dialektiker', der ihm als
Vorlage diente, tatsächlich als Bericht über die Vertreter der Logik als
Disziplin gemeint war.
Für unsere Hauptfrage nach der Zuschreibung der von Sextus refe-
rierten Trugschlußtheorie bleibt aber festzuhalten, daß auch dieser
gelegentliche Gebrauch des Ausdrucks ,Dialektiker' im Sinne von
Logiker, ein Gebrauch, der übrigens immer nur in kommentierenden
Bemerkungen des Sextus, nicht aber in seinen Referaten nachweisbar
ist, die sehr spezifischen Theorien, die Sextus jeweils als den /Dialekti-
kern' gehörend referiert, nicht zum Eigentum einer anderen Schule
machen kann. Allerdings heißt das auch, daß der Nachweis für eine
Herkunft von (bei Sextus dargestellten) Theorien der,Dialektiker' aus
der Dialektischen Schule für jeden Fall jeweils durch immanente Kri-
terien (Wortgebrauch, bestimmte Lehren) neu geführt werden muß.
Die Dialektische Theorie der Trugschlüsse: PH 2.229-235 183

b) Die Dialektische Theorie dei Trugschlüsse: PH 2.229-235

Das Referat des Sextus PH 2.229-235 ist klar gegliedert, und die
Gliederungsgesichtspunkte hat Sextus sich mit dem Satz vorgegeben,
der dieses Referat einleitet:
Daher kommen die Dialektiker gleichsam dem wankenden Leben zu Hilfe und
versuchen mit allem Eifer, uns Begriff, Unterschiede und Auflösungen der Trug-
schlüsse beizubringen. PH 2.229
Nacheinander referiert Sextus nun den Begriff (έννοια), d. h. die Defi-
nition des Sophisma (229), die Unterschiede, d. h. die Arten der So-
phismen (230-231) und die Vorschläge der Dialektiker zur Auflösung
der Sophismen (232-235).
Die Dialektische Definition des Trugschlusses gibt Sextus mit fol-
genden Worten wieder:
Sie erklären, ein Trugschluß sei ein Argument, das plausibel und trügerisch
(πιϋανον και δεδολιευμένον) ist, so daß es zur Annahme der Konklusion führt, die
entweder falsch oder einer falschen ähnlich oder nicht-offenkundig oder sonst
nicht annehmbar ist PH 2.229
Vergleichen wir diese Definition zunächst mit dem, was Aristoteles
über das Sophisma sagt. Er gibt keine eigentliche Definition, sondern
umschreibt es (im Kontext einer Abgrenzung von anderen Schlußty-
pen) als „eristischen Schluß" (Top. VIII11, 162al6 f.). Der eristische
Schluß wird im folgenden Kapitel dahingehend charakterisiert, daß er
„eine Schlußfolgerung abzuleiten scheint, ohne es doch zu tun" (Top.
VIII 12, 162b4-5). Er ist an dieser Stelle einer von vier Typen des
falschen Argumentes (λόγος ψευδής vgl. 162b3). Man beachte, daß
diese Charakterisierung lediglich eine notwendige, keine hinrei-
chende Bedingung dafür angibt, daß ein Argument ein Trugschluß ist.
Denn auch ein bloßer Fehlschluß, der jemandem unterläuft, der also
gar nicht mit einer Täuschungsabsicht geäußert wird, würde unter
diese Beschreibung fallen.
Dieser im achten Buch der Topik angegebenen Charakterisierung
entspricht in den Sophistischen Widerlegungen die Umschreibung
der „eristischen Argumente" als derjenigen, die „aus nur scheinbar,
nicht wirklich wahrscheinlichen Ansichten (ένδοξα) logisch korrekt
oder nur scheinbar logisch korrekt" folgern [Soph. El. 2, 165b7-8).
Auch hier würde ein bloß fehlerhaftes, nicht notwendig mit der Ab-
sicht zu täuschen geäußertes Argument, sofern es die anderen Bedin-
gungen erfüllt, als Fall eines eristischen Argumentes und damit eines
Trugschlusses gelten können. Damit aber scheint ein wesentliches
Merkmal von Sophismen in dieser Umschreibung nicht berücksich-
tigt. Überdies werden durch die Einführung des bloßen Scheins der
184 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

Wahrscheinlichkeit als Definitionsmerkmal jene Argumente von der


Klasse der eristischen Argumente und damit auch von der Klasse der
Sophismen ausgeschlossen, bei denen aus Prämissen, die wirklich
und nicht bloß scheinbar wahrscheinlich sind, durch ein logisch
unkorrektes Räsonnement eine Konklusion erschlichen wird. Es ist
aber nicht einzusehen, warum solche Argumente von den Trug-
schlüssen ausgeschlossen sein sollen. Damit aber liefert diese Um-
schreibung der Sophistischen Widerlegungen nicht einmal eine not-
wendige Bedingung dafür, daß ein Argument ein Sophisma ist.
Allerdings hat Aristoteles den Gesichtspunkt der (aktiven) Täu-
schung bei Sophismen nicht völlig außer acht gelassen. Aber er will
den Charakter der (aktiven) Täuschung aus der Eigenschaft des bloß
scheinbaren Schließens ableiten, eine Ableitung, die unerlaubt ist. Im
elften Kapitel der Sophistischen Widerlegungen wird gesagt, daß ein
eine Sache betreffender scheinbarer Schluß, auch wenn es wirklich
ein Schluß ist, als eristisches Argument anzusehen ist,
denn er ist in Betreff der Sache nur scheinbar, so daß (ώστε) er täuschend und
ungerecht (άπατητικος και άδικος) ist. (Soph. El. 11, 171b20-22)
Nun enthält aber der Begriff der (aktiven) Täuschung und erst recht
der der Ungerechtigkeit mehr, nämlich die Vorstellung absichtlichen
Tuns oder Verhaltens, als im Begriff eines bloß scheinbar gültigen
Räsonnements gedacht ist. Nur vom Begriff der aktiven Täuschung
kann auf den Begriff des Scheins geschlossen werden (denn aktive
Täuschung ist absichtliche Erzeugung eines Scheins), nicht aber um-
gekehrt. Aristoteles, so müssen wir abschließend feststellen, hat das
Moment der bewußten Täuschung, die mit einem Sophisma vorge-
nommen werden soll, in seiner Theorie nicht angemessen berück-
sichtig.
Vor dieser Folie der aristotelischen Behandlung des Trugschlusses
gewinnt nun die Begriffsbestimmung des Sophisma durch die Dialek-
tiker schärfere Konturen. Anders als Aristoteles stellen sie den Cha-
rakter der bewußten Täuschung in ihrer definierenden Formel aus-
drücklich heraus. Ein Trugschluß ist ein „plausibles und trügerisches
Argument" (λόγος πιθανός και δεδολιευμένος 2.229). Das Verbum δο-
λιεύομαι, dessen Partizip Perfekt hier benutzt wird, wird zwar in LSJ nur
noch an einer weiteren Stelle nachgewiesen, aber die zahlreichen
Wortformen vom selben Stamm belegen sehr klar den Sinn der be-
wußten, absichtlichen Täuschung zum Nachteil des Getäuschten.4

4 Das Substantiv δόλος heißt ursprünglich,Köder (für einen Fisch)' (Homer, Od.

12.252), dann auch jede Falle im übertragenen Sinn, so das trojanische Pferd [Od.
8.494) und das Netz, in dem Ares von Hephaistos gefangen wird [Od. 8.276),
Die Dialektische Theorie der Trugschlüsse: PH 2.229-235 185

Wo Aristoteles also auf den bloßen Schein einer Schlußfolgerung


abhebt, den Trugschlüsse gerade mit bloßen Fehlschlüssen teilen,
stellen die Dialektiker positiv auf den betrügerischen Zweck der So-
phismen ab, der sie von bloßen Fehlschlüssen unterscheidet.
Es entspricht dieser Hervorhebung einer bewußten Täuschung in
der Dialektischen Definition des Sophisma, daß dann auch der
Zweck dieser Täuschung, nämlich eine bestimmte Einstellung gegen-
über der als Konklusion vorgestellten Aussage, ins Blickfeld rückt.
Dagegen ist von den Prämissen, und damit von den Mitteln, mit denen
der Täuschungszweck erreicht wird, in der Dialektischen Begriffsbe-
stimmung nicht die Rede, auch dies ein Unterschied zur aristoteli-
schen Erklärung des eristischen Argumentes (Soph. El. 11, 165b7-8),
die auf den nur scheinbar, aber nicht wirklich wahrscheinlichen Cha-
rakter der Prämissen abstellt.
Die Rolle der Konklusion in dieser Begriffsbestimmung wird nun
insbesondere dadurch unterstrichen, daß innerhalb der Definitions-
formel vier Typen von Trugschlußkonklusionen unterschieden wer-
den und daß diese Unterscheidung dann die Grundlage für die
folgende Einteilung der Sophismen abgibt. Um den Sinn dieser Unter-
scheidung zu verstehen, muß man die folgenden Beispiele für Sophis-
men mit heranziehen. Sie erst machen klar, was damit gemeint ist, daß
eine Trugschlußkonklusion „entweder falsch oder einer falschen ähn-
lich oder nicht-offenkundig oder sonst nicht annehmbar ist" (2.229).
Durch einen Trugschluß, das machen die Beispiele klar, kann jemand
dahin gebracht werden, eine falsche Aussage für wahr, eine wahre für
zweifelhaft, eine Aussage, über deren Wahrheit oder Falschheit sich
gar nicht entscheiden läßt, für wahr zu halten oder schließlich eine
aus einem anderen Grunde nicht annehmbare Aussage anzunehmen.
Die Formulierung für den vierten Fall soll offenbar alle durch die
drei anderen Kriterien nicht abgedeckten Fälle auffangen. Die beiden
Beispiele (2.231) führen zu einer auf Grund ihrer sprachlichen Form
nicht annehmbaren Konklusion. Ob im dritten Fall (der nicht-offen-
kundigen Konklusion) nur an gänzlich nicht-offenkundige Sachver-
halte zu denken ist - das angeführte Beispiel, die Frage, ob die Zahl der
Sterne gerade oder ungerade ist (2.231), illustriert an anderen Stellen
(PH 2.97; AM 8.147) einen gänzlich nicht-offenkundigen Sachverhalt

schließlich einfach ,List' (Aischylos, Prometheus 215). Die beiden Adjektive δολε-
ρός und δόλιος haben den Sinn ,trügerisch', ;täuschend', von Personen wie von
Dingen oder Worten gebraucht: vgl. Herodot 2.151, 3.22, Xenophon, Kyiopädie
1.6.27 (δολερός); Od. 9.282, 4.455, Pindar, 2. Pyth. Ode 82, Aischylos, Prometheus
569 (δόλιος).
186 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

(καΰάπαξ άδηλο ν) - kann dahingestellt bleiben. Über die diesem Bei-


spiel zugrundeliegende Frage läßt sich jedenfalls nicht mit Gründen
entscheiden, und der Irrtum, den derjenige begeht, der diese Konklu-
sion annimmt, besteht darin, eine Frage für entschieden zu halten,
über die eine Entscheidung nicht möglich ist.5 Besonderes Interesse
verdient das Beispiel für den zweiten Fall (2.230), denn hier wird, wie
die spätere Auflösung (vgl. 2.233) klar macht, aus wahren Aussagen
eine wahre Konklusion logisch korrekt abgeleitet, aber die Ableitung
läßt den Schlußsatz wegen seiner paradoxen Formulierung zweifel-
haft erscheinen, gibt ihm damit den Schein der Falschheit. Dieser
Thxgschluß ist also gar kein Fehlschluß, er beruht nicht auf einem
logischen Mangel des Räsonnements selber, sondern erzielt seine
Täuschung vielmehr aufgrund des mangelnden logisch- semanti-
schen Wissens derer, die durch ihn getäuscht werden. Bei der Auflö-
sung dieses Trugschlusses heißt es daher auch, daß er die „Unwissen-
den" (άνεπίστατοι) mit der Zustimmung zur Konklusion zögern läßt
(vgl. 2.233).6
Was diese Klassifikation der Trugschlüsse nun im Vergleich zu
analogen Einteilungsversuchen so bemerkenswert macht, ist der
Umstand, daß sie ein erkenntnistheoretisches, nicht ein logisch-se-
mantisches Interesse verrät. Was in der Oberflächenstruktur als eine
Einteilung nach Konklusionen erscheint, erweist sich in der Tiefen-
struktur als eine Einteilung nach den Arten des Irrtums, der durch die
Täuschung eines Sophisma bewirkt wird. Die Orientierung dieser
Klassifikation an der durch ein Sophisma bewirkten Irrtumsart läßt
einen anderen Einteilungsgesichtspunkt obsolet werden, nämlich den
Gesichtspunkt des logischen Fehlers, auf dem der Trugschluß mögli-
cherweise beruht; möglicherweise, denn wie das gerade erwähnte
Beispiel für den zweiten Fall (den der nur scheinbar falschen Konklu-

5
Natürlich könnten auch die anderen Typen nicht-offenkundiger Dinge zu
einem analogen Trugschluß Anlaß geben, sobald sich nämlich aus den jeweils
vorliegenden Informationen die entsprechende Frage nicht entscheiden läßt. Wir
können also aus dem vorliegenden Beispiel nicht schließen, daß ein Trugschluß
dieses Typs nach den Dialektikern nur für den Fall der gänzlich nicht-offenkundi-
gen Dinge möglich sein soll.
6
Gleichwohl paßt dieses Beispiel nicht sonderlich gut zu der Stipulation, die in
der Definition des Sophisma für diesen Fall getroffen ist: Danach haben wir es hier
nämlich mit einem Trugschluß zu tun, der „zur Annahme einer Konklusion führt,
die . . . einer falschen ähnlich . . . ist" (PH 2.229). Denn im Unterschied zu den
anderen Trugschlußtypen ist es hier nicht die Annahme, sondern die Zurückwei-
sung der Konklusion, die dieses Beispiel überhaupt in die Reihe der Trugschlüsse
treten läßt.
Die Dialektische Theorie der Tragschlüsse: PH 2.229-235 187

sion) zeigt, kann ein Irrtum über die Annehmbarkeit einer Konklu-
sion auch durch einen logisch fehlerfreien Schluß erzeugt werden.
Man muß sich nur die Typen eristischer Argumente vergegenwärti-
gen, die Aristoteles in den Sophistischen Widerlegungen unterschei-
det, um zu sehen, welch radikalen Bruch gegenüber der voraufgehen-
den Tradition die Dialektische Klassifikation der Sophismen darstellt.
Sowohl bei der Unterscheidung in zwei Hauptgruppen eristischer
Argumente, der Argumente, die abhängig, und derer, die unabhän-
gig von der Ausdrucksweise (λέξις) sind, als auch bei den weiteren
Unterteilungen dieser beiden Gruppen (vgl. Soph. El. 4, 165b23-27,
166b21-27), ist Aristoteles ausschließlich an den logischen Fehlern
orientiert, die diesen Sophismen zugrundeliegen.7 Eine Einteilung der
Sophismen unter dem Gesichtspunkt ihrer logischen Fehler ist des-
halb so naheliegend, weil sie dem diagnostischen Interesse dessen
entgegenkommt, der die Täuschung durch solche Fehler vermeiden
will; die Klassifikation nach Fehlern ist immer auch eine Klassifika-
tion nach Korrekturmöglichkeiten.
Haben die Logiker der Dialektischen Schule, über deren Trug-
schlußtheorie Sextus uns hier berichtet, mit dem Verzicht auf dieses
Ordnungsprinzip auch auf das Interesse an der Aufdeckung und
Vermeidung solcher Fehler Verzicht getan? Es scheint, daß dieses
argumentationspraktische Interesse zumindest nicht mehr das aus-
schließliche oder auch nur das primäre Motiv ihrer Behandlung der
Trugschlüsse ist. Das zeigt sich, wenn wir die Trugschlußbeispiele
und die vorgeschlagenen Auflösungen im einzelnen analysieren.
Das erste Beispiel soll den Fall einer falschen Konklusion illustrie-
ren und lautet wie folgt: „Niemand gibt jemandem ein Prädikat zu
trinken. Wermut zu trinken ist ein Prädikat. Also gibt niemand jeman-
dem Wermut zu trinken." (2.230) Für uns ist hier die Verwechslung
von Gebrauch und Erwähnung eines Ausdrucks leicht zu erkennen.
Im Griechischen wird die bloße Erwähnung eines Ausdrucks, sein
Vorkommen in suppositio matenahs, durch den Artikel des Neutrums
vor dem Ausdruck angezeigt, und da ist in der zweiten Prämisse
(κατηγόρημα δέ έστι τό άψίνθιον πιεΐν) nicht ohne weiteres klar, daß der
Artikel τό die Funktion hat, die suppositio matenalis anzuzeigen, und
nicht einfach zu dem Wort άψίνϋιον gehört, das ein Neutrum ist. Die

7
Dasselbe gilt im übrigen auch von der aristotelischen Behandlung der Paralo-
gismen in den Eisten Analytiken (II 16-21), wo Aristoteles allerdings, wie Hamblin
(1970), 66-69 gezeigt hat, keineswegs eine gegenüber den Sophistischen Widerle-
gungen neue oder bessere Theorie entwickelt, sowie von dem Sophisma-Kapitel der
Rhetorik (II 24).
188 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

Dialektiker weisen in der bei Sextus referierten Auflösung darauf hin,


daß dieser Schluß korrekt wird, wenn der in der zweiten Prämisse in
suppositio matenalis vorkommende Ausdruck in der Konklusion
ebenfalls so auftritt: „Also trinkt niemand das Wermut zu trinken."
(232)8
Man fragt sich natürlich, in welchem Sinn (und ob überhaupt)
durch einen derartigen Schluß eine Täuschung bewirkt werden soll.
Die abgeleitete falsche Konklusion ist doch zu paradox, um ernsthaft
Aussicht auf Annahme durch einen Adressaten dieses Argumentes zu
haben. Nun müßte allerdings die offenkundige Paradoxie seiner Kon-
klusion einen Trugschluß keineswegs von einer Rolle in einer konkre-
ten Argumentation ausschließen. Auch ein Sophisma wie das in Pia-
tons Euthydemos (298d-e) angeführte - „dieser Hund ist dein, dieser
Hund ist ein Väter, also ist dieser Hund dein Väter" - hat einen
paradoxen Schlußsatz. Aber Martha Kneale hat darauf aufmerksam
gemacht, daß solche Trugschlüsse wohl eher die Funktion hatten, die
Gültigkeit logisch korrekter Schlüsse von grammatisch analoger Form
in Zweifel zu ziehen, daß sie aber nicht einen Scheinbeweis für die
Wahrheit ihres Schlußsatzes führen wollen.9 Es sind, wenn man so
will, Trugschlüsse zweiter Stufe. Könnte das bei Sextus referierte Bei-
spiel nicht genau dieselbe Funktion haben? Dagegen spricht zweierlei.
Einmal der Umstand, daß die Folgerung dieses Sophisma durch einen
Wechsel zwischen Objekt- und Metasprache erreicht wird; ein meta-
sprachlicher Begriff (,Prädikat') spielt eine zentrale Rolle bei der Ablei-
tung der Konklusion. Hier dürften sich analoge Beispiele, anders als
beim Sophisma des Euthydemos, nur schwer finden lassen. Zweitens
spricht gegen eine solche Deutung dieses Trugschlusses die vorherge-
hende Definition des Sophisma, die ausdrücklich auf Konklusionen
als Täuschungsziele abstellt.
Daraus läßt sich wohl nur folgern, daß dieses Sophisma in einer
aktuellen Argumentation kaum eine Funktion gehabt haben kann. Es
8
Auffallend ist die Unbekümmertheit, mit der bei der Auflösung des ersten
Beispiels vom Wortlaut der Schlußformulierung abgewichen wird: Während in
dem Trugschlußbeispiel 2.230 vom „Zu-Trinken-Geben" die Rede ist, unterstellt
die Auflösung 2.232 eine Konklusion, in der nur vom „Trinken" gesprochen wird.
Die semantische Differenzierung, die hier erläutert werden soll, ließe sich an der
einen wie der anderen Formulierung verdeutlichen; es handelt sich also nicht um
einen logischen Fehler, sondern lediglich um einen Mangel an Konsistenz in der
Darstellung. Aber dieser Wechsel von der einen zur anderen Formulierung könnte
auch ein Indiz dafür sein, daß der faktische Wortlaut eines Trugschlusses gegen-
über seiner Rolle als Illustrationsmaterial für logische und semantische Unter-
scheidungen zurücktritt.
9 Vgl. Kneale (1962), 12.
Die Dialektische Theorie der Trugschlüsse: PH 2.229-235 189

scheint sich vielmehr um ein konstruiertes Beispiel zu handeln, an


dem die Unterscheidung von Erwähnung und Gebrauch eines Aus-
drucks illustriert und eingeübt werden soll.
Im zweiten Beispiel wird eine wahre Konklusion aus wahren Prä-
missen logisch korrekt abgeleitet, es scheint aber etwas Falsches er-
schlossen zu sein:
Was weder möglich war noch möglich ist, das ist nicht absurd. Nun war weder
möglich noch ist möglich ,Der Arzt, insofern er Arzt ist, tötet'. Also ist ,Der Arzt,
insofern er Arzt ist, tötet' nicht absurd. PH 2.230
(Die Konklusion ist in den Handschriften nicht überliefert, aber
schon von Bekker richtig aus 2.233 ergänzt worden.) Zum Verständnis
dieses Beispiels muß man sich zunächst daran erinnern, daß Diodor
die Modalausdrücke so definiert hat, daß sie nur Aussagen zukom-
men. 10 Sie werden durch Wahrheitswerte in Kombination mit Zeitbe-
stimmungen erklärt, und Wahrheitswerte sind bei den Dialektikern
primär Attribute von Aussagen, in abgeleitetem Sinn (wie noch ge-
zeigt werden wird) dann auch von Argumenten. Dagegen ist,absurd'
(άτοπον), wie dieser Text zeigt, kein Attribut von Aussagen; das wird
bei der Auflösung auch ausdrücklich gesagt (ούδέν γαρ αξίωμα άτοπον
έστιν 2.233). Die Konklusion ist deshalb, dem Anschein zum Trotz,
wahr, weil die Aussage ,Der Arzt, insofern er Arzt ist, tötet' hier in
suppositio matenalis auftritt, hier nur erwähnt, nicht gebraucht wird.
Der Gebrauch des Artikels des Neutrums vor jedem Auftreten des
fraglichen Satzes in 2.233 macht klar, daß hier über diese Aussage
geredet, nicht mit dieser Aussage eine Feststellung getroffen werden
soll.
Das dritte Beispiel ist der einzige überlieferte Fall eines μεταπίπτων
λόγος, eines Argumentes, in dem eine Prämisse ihren Wahrheitswert
innerhalb des Argumentes selber ändert; mit diesem Trugschluß soll
der Fall der nicht-offenkundigen Konklusion illustriert werden:
Es ist nicht der Fall, daß ich dir zuerst eine Frage gestellt habe und daß die Zahl
der Sterne nicht gerade ist. Nun habe ich dir zuerst eine Frage gestellt. Also ist die
Zahl der Sterne gerade. PH 2.231
Es handelt sich also um einen Schluß der Form ,-(P und -Q), P, also Q'.
Das Beispiel ist auf die Situation der dialektischen Unterredung bezo-
gen, in der Prämissen durch Fragen an den Diskussionspartner gewon-
nen werden.

10
S. Boethius, In De int. ed. secunda 234,10-235,9 Meiser (= Döring test. 138). -
Dieser Text macht es wahrscheinlich, daß auch Philon die Modaloperatoren ähn-
lich verstanden hat.
190 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

Die Dialektiker erklären dieses Sophisma nun nicht in der Weise,


daß hier mit demselben Satz verschiedene Aussagen gemacht werden,
daß hier also derselben Satzformulierung unterschiedliche, durch
abweichende Wahrheitsbedingungen bestimmte Aussagen zugewie-
sen werden. Sie lassen diese Aussage ihren Wahrheitswert wechseln -
eine Auffassung, die sich übrigens auch bei Aristoteles findet (vgl. Cat.
5, 4a22-26). u Die fragliche Aussage („Ich habe dir zuerst eine Frage
gestellt.") ist, in der vorausgesetzten Situation der Gesprächseröff-
nung, bei ihrem ersten Auftreten falsch, und deshalb ist die Konjunk-
tion in der ersten Prämisse falsch, diese selbst als verneinte Konjunk-
tion daher wahr, ganz unabhängig vom Wahrheitswert des zweiten
Konjunktes. In der zweiten Prämisse ist die fragliche Aussage, so die
Dialektiker, dagegen wahr, weil gerade vorher eine Frage - nämlich die
nach der Wahrheit der ersten Prämisse - gestellt worden ist (vgl.
2.234).
Der Fehler, auf dem dieser Trugschluß beruht, kommt nun dadurch
zustande, daß man die erste Prämisse weiterhin als wahr gelten läßt
und aus ihr und der (wahren) zweiten Prämisse nach dem Schema des
Modus ponendo tollens die Folgerung zieht. Tatsächlich aber, so die
Dialektiker, hat dieser Wechsel im Wahrheitswert der Aussage „Ich
habe dir zuerst eine Frage gestellt" eine Folge für den Wahrheitswert
der ersten Prämisse; diese, „die Prämisse mit der Verneinung der
Konjunktion wird falsch, weil das in der Konjunktion enthaltene
falsche Konjunkt nunmehr wahr ist." (2.234) Und die Dialektiker
analysieren richtig weiter, daß die Konklusion sich nicht erschließen
läßt, „da die Verneinung der Konjunktion und die zweite Prämisse
nicht zusammen wahr sein können." (2.234)
Für die letzte Gruppe der Sophismen, in der sich alle übrigen Fälle
nicht-annehmbarer Konklusionen befinden, gibt Sextus zwei Beispiele;
beide sind ,solözistische' Argumente, d. h. solche, die auf Verstöße gegen
die Grammatik hinauslaufen (vgl. Aristoteles Soph. El. 3,165b20-22; 14,
173bl7-174all ; 32,182a7-b5). Im ersten Beispiel läßt sich der gram-
matische Verstoß in der Übersetzung folgendermaßen nachbilden:
„Was du ansiehst, existiert. Du siehst einen Wahnsinnigen an. Also
existiert einen Wahnsinnigen." (PH 2.231) Eine eigentliche Auflösung
wird von Sextus nicht referiert. Er erwähnt lediglich, daß diese Sophis-

11
Vgl. zum Problem der Aussagen, die ihren Wahrheitswert wechseln, mit Bezug
auf die stoische Logik jetzt Bobzien (1986), 31-34; ich vermute, daß die von Frau
Bobzien für die stoische Behandlung dieses Lehrstücks getroffenen Feststellungen
auch für die Dialektiker Gültigkeit haben.
Die Dialektische Theorie der Trugschlüsse: PH 2.229-235 191

men „nach einigen" auf einem Verstoß gegen den Sprachgebrauch


(συνήθεια) beruhen (2.235).
Interessant für eine Bewertung der Theorien der Dialektischen Schule
sind nun die Auflösungen, die Sextus zu den zitierten Beispielen für
die ersten drei Trugschlußarten referiert. Diese Auflösungen bestäti-
gen die Beobachtungen zu der hier vorgenommenen Klassifikation
der Sophismen: Die logisch-semantische Therapie dieser Trugschlüsse
steht in keinem Zusammenhang mit ihrer Einteilung. Es ist durchaus
denkbar, daß ein Sophisma des ersten Typs eine Auflösung erfährt,
wie sie hier für die Sophismen der anderen Typen angeboten wird,
und umgekehrt.
Diese drei Beispiele zusammen mit ihren Auflösungen machen
deutlich, daß derartige Trugschlüsse für die Dialektiker offenbar Mit-
tel waren, auf logisch und semantisch wichtige Distinktionen und
Sachverhalte hinzuführen. Wird mit dem ersten Beispiel und seiner
Auflösung, wie oben schon gesagt, die Unterscheidung von Erwäh-
nung und Gebrauch eines Ausdrucks eingeübt, so wird mit der Auflö-
sung des zweiten Beispiels auf die Notwendigkeit der genauen Beach-
tung des Anwendungsbereichs von Prädikaten aufmerksam gemacht.
Das dritte Beispiel schließlich macht klar, daß eine Aussage, obwohl
sie ihren Wahrheitswert wechseln kann, doch niemals zugleich wahr
und falsch sein kann. Diese Beispiele sind offensichtlich um ihrer
Auflösungen willen formuliert.
Daß der Zweck der Beschäftigung mit Sophismen für die Dialekti-
ker, deren Lehre Sextus hier referiert, tatsächlich die Einschärfung
logisch-semantischer Distinktionen und Sachverhalte ist, läßt sich
noch durch eine andere Beobachtung stützen. Unter den vier Beispie-
len für Trugschlüsse, die Sextus etwas später (2.241-244) anführt und
durch die, wie er sagt, ohnehin niemand getäuscht werden könne,
findet sich auch eine Formulierung des sogenannten ,Gehörnten'.
Bemerkenswert an dieser Formulierung ist, daß sie sich von der bei
mehreren Autoren überlieferten und offenbar verbreiteten Fassung
dieses Trugschlusses in charakteristischer Weise unterscheidet. Die
offenbar übliche Fassung dieses Schlusses lautet:
Wenn du etwas niemals verloren hast, dann hast du es. Du hast niemals Hörner
verloren. Also hast du Hörner. DL 7.187

Dieselbe Formulierung findet sich auch in der Suda s. v. Chrysipp


(FDS 1206), ihre lateinische Version bei Aulus Gellius (Noct. Att.
XVIII, ii, 9 = FDS 1209; vgl. XVI, ii, 9-10 = FDS 1246) sowie bei Seneca
(Epist. moi. 49, 8). Diogenes führt dieses Sophisma in einer Reihe von
Trugschlüssen an, die Chrysipp benutzt haben soll, erwähnt aber
192 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

sofort, daß es auch dem Eubulides zugeschrieben wird; das wird durch
ein von Diogenes zitiertes Komikerfragment bestätigt, das Eubulides
ausdrücklich als Erfinder des Gehörnten nennt (DL 2.108).
Dagegen überliefert Sextus eine Formulierung, die sonst in ihrer
vollständigen Form nicht belegt ist; lediglich in einer Erwähnung des
Gehörnten bei Michael Psellos [Stoici paralogismi, ed. S. Ebbesen 7 =
FDS 1238 Β ad in.) scheint diese Formulierung ebenfalls vorausgesetzt.
Sie lautet wie folgt:
Wenn du nicht schöne Hörner hast und Hörner hast, dann hast du Hörner. Nun
ist es nicht so, daß du schöne Hörner hast und Hörner hast. Also hast du Hörner.
PH 2.241
Sextus sagt uns nichts über die Auflösung dieses Trugschlusses. Aber
der Fehler liegt, wie Oskar Becker gezeigt hat, offenbar darin, daß der
Bereich des Negators in beiden Prämissen unterschiedlich weit ange-
nommen wird, obwohl die Formulierungen des griechischen Textes
(anders als die deutsche Übersetzung) für das Antecedens der ersten
Prämisse und die zweite Prämisse wörtlich übereinstimmen.12 Die
erste Prämisse wird man nur dann als wahr annehmen, wenn das
„nicht" sich lediglich auf die erste der beiden Aussagen bezieht, deren
Konjunktion das Antecedens bildet. Die zweite Prämisse ist aber nur
dann plausibel, wenn sich der Negator auf die Konjunktion insgesamt
bezieht, nicht nur auf das erste Konjunkt.
Dieses Sophisma soll also offenbar darauf aufmerksam machen,
daß der Bereich eines Operators - hier des Negators - für den Sinn
einer Aussage entscheidend ist. Obwohl diese Formulierung des
,Gehörnten' gegenüber derjenigen, die dem Eubulides zugeschrieben
wird, prima fade umständlicher scheint,13 so ist sie logisch doch ohne

12
Becker (1957), 54 f. Becker streicht das erste καί, um die für den Trugschluß
benötigte Doppeldeutigkeit zu erreichen. Mit dieser Textverbesserung zeigt sich an
diesem Trugschluß, daß er von einem Logiker formuliert ist, für den die strengen
syntaktischen Regeln der chrysippeischen Logik (noch) keine Gültigkeit hatten.
Wendet man nämlich die Bildungsregeln an, die, wie oben (S. 115 f.) gezeigt, von
den Stoikern der Chrysippschule zugrunde gelegt wurden, dann verschwindet im
vorliegenden Fall die Unklarheit über den Bereich des Negators: Das ούχί steht bei
Verneinung einer Konjunktion immer vor einem καί, bei Verneinung eines Kon-
junktes immer nach einem καί. Vermutlich geht also die von Becker getilgte Einfü-
gung eines καί auf einen Einfluß der stoischen Logik zurück. Diese Formulierung
zeigt damit auch noch einmal das primär argumentationstheoretische Interesse der
Dialektiker an logischen Unterscheidungen; in normalsprachlichen Argumenten,
nicht in den kanonischen Formulierungen einer logischen Idealsprache treten
derartige Unklarheiten über den Bereich eines logischen Operators auf.
13
Bury in seiner Übersetzung in der Loeb-Ausgabe nennt die bei Sextus überlie-
ferte Formulierung „more clumsy" (Anm. zu PH 2.241).
Die Dialektische Theorie der Trugschlüsse: PH 2.229-235 193

Zweifel subtiler. Während der Gehörnte des Eubulides einfach auf


dem Fehler einer unausdrücklichen und ungerechtfertigten Unter-
stellung beruht,14 liegt dem Gehörnten in der Formulierung, die
Sextus referiert, ein Fehler der logischen Syntax zugrunde. Was an
diesem Trugschluß illustriert werden kann, ist weitaus allgemeiner als
das, was sich an der für Eubulides bezeugten Fassung demonstrieren
ließe.
Aber dürfen wir dieses Sophisma, das bei Sextus nicht innerhalb der
referierenden Partien steht, einfach für die Dialektiker in Anspruch
nehmen? Ich denke, daß es gute Gründe gibt, als Urheber dieser
Formulierung des Gehörnten Diodor zu vermuten. Zunächst ist das
unmittelbar folgende Trugschlußbeispiel des Sextus an anderer Stelle
ausdrücklich als ein Argument Diodors bezeugt (AM 1.311).15 Vor
allem aber wissen wir aus einem Zeugnis des Diogenes Laertius, daß
Diodor „nach einigen" als Erfinder des Gehörnten galt (DL 2.111).
Nun wird, wie wir oben gesehen haben, die bekanntere Fassung dieses
Trugschlusses von Diogenes ausdrücklich mit Eubulides in Ver-
bindung gebracht. Was hegt da näher, als die bei Sextus überlieferte
Formulierung dem Diodor zu geben, sodaß sich der Widerspruch der
gegensätzlichen Zuweisungen, einmal an Eubulides (DL 2.108;
7.187), einmal an Diodor (DL 2.111), dadurch auflöst, daß Eubulides
und Diodor Autoren von jeweils unterschiedlichen Formulierungen
des Gehörnten sind.
Diodor ist jünger als Eubulides.16 Man wird davon ausgehen dür-
fen, daß er den Trugschluß des Gehörnten in der Fassung, die auf

14
Vgl. zu der für Eubulides bezeugten Fassung des Gehörnten die instruktive
Diskussion in Künne (1982); nach Künne sollte dieses paradoxe Argument mögli-
cherweise die Allgemeingültigkeit des Bivalenzprinzips in Zweifel ziehen.
15
Allerdings ist dieser Schluß für Diodor keineswegs ein Trugschluß. Nur muß
das wiederum für einen Kritiker Diodors wie Sextus (oder eine Quelle des Sextus)
kein Grund gewesen sein, dieses Argument Diodors nicht in eine Reihe von
Trugschlüssen aufzunehmen.
16
Zwei Angaben bei Diogenes Laertius haben in der älteren Literatur (vgl. etwa
Zeller, Philos. d. Gr. II 1, [5Leipzig 1922], 247 Anm. 7) zu der Annahme geführt,
Diodor sei um 307 gestorben: Die Mitteilung, Stilpon habe sich geweigert, nach der
Eroberung von Megara durch Ptolemaios Soter im Jahre 307 diesem nach Ägypten
zu folgen (DL 2.115 = Döring test. 150), und die Anekdote, Diodor sei, bald
nachdem er ein ihm von Stilpon in Gegenwart des Ptolemaios gestelltes logisches
Problem nicht hatte lösen können, aus Gram über diese Niederlage gestorben (DL
2.111 = Döring test. 99). Zwar wurde dieses Todesjahr aufgrund anderer Mitteilun-
gen über Diodor, seiner Beziehung zu dem alexandrinischen Arzt Herophilos (PH
2.245 = Döring test. 127) und der offenbar doch gegen einen Lebenden gerichteten
Verse des Kallimachos (DL 2.111 = Döring test. 96; AM 1.309 = Döring test 128),
immer wieder in Zweifel gezogen (vgl. Natorp [1903], 705; Furley [1967], 131;
194 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

Eubulides zurückgeht, gekannt hat. Seine eigene Formulierung für


dieses Sophisma ist dann also eine absichtsvolle Änderung eines
älteren Beispiels. Der Vergleich beider Fassungen läßt mit der Tendenz
der Änderung etwas über die logischen Interessen Diodors erkennen:
Ihm geht es offenbar darum, aus einem logisch vergleichsweise unin-
teressanten Sophisma ein Beispiel zu machen, an dem sich eine
wichtige allgemeine Einsicht über die Funktion des Bereiches eines
logischen Operators gewinnen läßt.
Damit liefert dieses Sophisma also in der Tat eine schöne Bestäti-
gung für die Folgerung, die sich oben aus der Analyse der Trugschluß-
beispiele und ihrer Auflösungen ergeben hat: Für die Dialektiker, über
die Sextus in diesem Kapitel der PH berichtet, war der Zweck der
Beschäftigung mit Sophismen die Klärung logisch-semantischer Sach-
verhalte und die Einschärfung von Unterscheidungen und Regeln.
Dabei weisen die Sachverhalte, um die es in diesen Beispielen konkret
jeweils geht - die Unterscheidung von Erwähnung und Gebrauch
eines Ausdrucks, die MögÜchkeit des Wechsels von Wahrheitswerten
unter Beibehaltung des Bivalenzprinzips, die Erkenntnis der Bedeu-
tung des Bereichs eines logischen Operators - auf eine sehr entwik-
kelte Logik und Semantik hin. Das Interesse dieser Dialektiker an
Sophismen steht jedenfalls dem Interesse moderner Logiker an Para-
doxien viel näher als einem naiven Interesse an der Verbannung
fehlerhafter Schlüsse.

c) Die Dialektiker über die Dialektik: PH 2.247-255

Im zweiten Abschnitt des Kapitels 22 (PH 2.247-255) will Sextus


einen weiteren Nachweis für die Überflüssigkeit der bei den Dialekti-
kern gebräuchlichen Kunstregeln (τεχνολογοΰμενα 247) zur Behand-
lung von Sophismen geben. Dabei will er so verfahren, daß er „von den
Thesen der Dialektiker selber ausgeht" (247). Er will die hier kritisier-

Döring, 124 f.), aber erst Sedley hat darauf aufmerksam gemacht, daß die bei DL
2.115 überlieferte Weigerung Stdlpons, Ptolemaios nach Ägypten zu begleiten, mit
einem Aufenthalt Stilpons in Alexandria zu einem späteren Zeitpunkt durchaus
verträglich ist; das Zusammentreffen von Diodor und Stilpon könne also ganz wohl
am Hofe des Ptolemaios in Alexandria stattgefunden haben (vgl. Sedley [1977], 109
Anm. 37). Sedley (1977), 80 setzt daher das Todesjahr Diodors zwischen 285 und
282 an. Vgl. dazu jetzt a. die ausführliche Diskussion bei Giannantoni, SR III, 69 f.
Dagegen dürfte Eubulides ein (jüngerer?) Zeitgenosse des Aristoteles gewesen sein
(vgl. Döring, 102).
Die Dialektiker über die Dialektik: PH 2.247-255 195

ten Gegner also mit ihren eigenen Waffen schlagen. Da Sextus dabei
von Distinktionen in der Schluß- und Beweistheorie der kritisierten
Gegner Gebrauch macht, erhalten wir hier also möglicherweise Infor-
mationen über ein Theoriestück der Dialektischen Schule, das zwar
mit der Trugschlußtheorie nicht unmittelbar zusammenhängt, das
aber für jede logische Theorie von fundamentaler Bedeutung ist.
Sextus läßt seine Gegner relativ ausführlich zu Wort kommen:
Die Dialektiker erklären, daß sie sich der Dialektik nicht nur zugewandt haben,
um zu erkennen, was woraus gefolgert wird (τί έκ τίνος συνάγεται), sondern in
erster Linie, um durch beweisende Argumente (δι' αποδεικτικών λόγων) Wahres
und Falsches unterscheiden zu können. Sie sagen nun (ich lese mit den Mss
λέγουσιν ουν), die Dialektik sei die Wissenschaft vom Wahren und Falschen und
dem, was keines von beiden ist. Da sie ferner selbst sagen, daß das wahre
Argument (λόγος αληθής) dasjenige ist, welches aus wahren Prämissen eine wahre
Konklusion folgert, so werden wir, sobald wir auf ein Argument mit einer fal-
schen Konklusion stoßen, wissen, daß es falsch ist, und ihm nicht zustimmen.
Denn notwendig ist auch dieses Argument entweder nicht schlüssig (συνακτικός)
oder es hat keine wahren Prämissen. Das ergibt sich aus folgendem: Entweder
folgt die falsche Konklusion dieses Argumentes aus der Konjunktion seiner
Prämissen oder sie folgt nicht. Wenn sie aber nicht folgt, dann kann es kein
schlüssiges Argument sein. Denn sie sagen, daß ein schlüssiges Argument dann
zustande kommt, wenn aus der Konjunktion seiner Prämissen seine Konklusion
folgt. Folgt sie aber, so muß nach ihrem Regelsystem (τεχνολογία) auch die Kon-
junktion der Prämissen falsch sein. Denn sie sagen, daß das Falsche aus dem
Falschen folgt, niemals aber aus Wahrem. Daß das Argument, welches nicht
schlüssig oder nicht wahr ist, nach ihnen auch nicht beweisend ist, ergibt sich aus
dem oben Ausgeführten. PH 2.247-250
Mit dem letzten Satz weist Sextus auf sein Referat PH 2.135-143
zurück. Dort war der Beweis als eine Unterart der wahren Argumente
bestimmt worden, diese wiederum als schlüssige Argumente mit wah-
ren Prämissen (vgl. 2.138-140). Schlüssigkeit und Wahrheit (in dem
spezifizierten Sinn) sind also in der Tat notwendige Bedingungen
dafür, daß ein Argument ein Beweis ist, das Fehlen einer dieser Bedin-
gungen ist daher hinreichend für den Ausschluß eines Argumentes
aus der Klasse der Beweise.
Trotzdem müssen wir uns fragen, warum Sextus am Ende seines
Referates auf eine vorhergehende Darlegung zurückweist. Denn für
zwei andere Erklärungen, die er in seinem Referat an unserer Stelle
gibt, bietet der Textabschnitt 2.135-143 parallele, wenn auch keines-
wegs äquivalente Umschreibungen: für die Erklärung des wahren
Argumentes (vgl. 2.138) und für die des schlüssigen Argumentes (vgl.
2.137). Sextus hätte sich also auch für die Explikation dieser Begriffe
auf das vorhergehende Referat berufen können. Daß Sextus sich erst
für eine Feststellung über das beweisende Argument auf sein früheres
Referat stützt, ist ein starkes Indiz dafür, daß er sein Referat in den
196 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

PH 2.247-249 aus einer Quelle schöpft, die jedenfalls zum Begriff des
beweisenden Argumentes keine Erläuterung enthielt. Hier mußte er
seinen Bericht aus einer anderen Quelle komplettieren.
Wir sollten daher auch die Gleichsetzung, die Sextus zwischen den
,Dialektikern' an unserer Stelle und jenen Logikern vornimmt, über
deren Argumentklassifikation er in den PH 2.135-143 berichtet, mit
einer gewissen Vorsicht betrachten. Denn die an der früheren Stelle
behandelten Philosophen werden dort nirgends als ,Dialektiker' be-
zeichnet; als Subjekt für die Verben, mit denen Sextus dort die Vertre-
ter der referierten Lehre zitiert, ist aus 2.133 ,die Dogmatiker' zu
ergänzen. In dem Abschnitt PH 2.104-133 war die Theorie des Zei-
chens dargestellt und kritisiert worden, eine Theorie, die Sextus selber
den Stoikern zuschreibt (2.104) und von der im ersten Kapitel unserer
Untersuchung gezeigt worden ist, daß sie den frühen (vorchrysippei-
schen) Stoikern gehört. Damit dürften aber die ,Dogmatiker', über
deren Lehre in den PH 2.135-143 berichtet wird, dieselben sein, von
denen auch in den voraufgehenden Abschnitten gehandelt wurde,
nämlich die frühen Stoiker. Für die frühen Stoiker läßt sich zwar auf
dem Gebiet der Logik eine weitgehende Abhängigkeit von der Dialek-
tischen Schule nachweisen (vgl. oben S. 59 f.), aber das kann kein
Grund sein, diese beiden Gruppen gleichzusetzen. Schließlich haben
die frühen Stoiker die von den Dialektikern übernommene Theorie
des Zeichens aufgrund erkenntnistheoretischer Annahmen in ihrem
Sinn um- und weitergebildet (vgl. oben S. 72 ff.).17

17
Gleichwohl kann die Abhängigkeit der frühen Stoiker von den Dialektikern
verständlich machen, warum Sextus (oder seine Quelle) zwischen beiden Gruppen
keinen Unterschied gesehen hat. - In diesem Zusammenhang ist eine Beobachtung
hervorhebenswert, die mir freundlicherweise von Hayden Ausland mitgeteilt wor-
den ist: In einem Prolegomenon zu der Schrift De Statibus des Rhetors Hermogenes
(ca. 160 bis 225 n. Chr.), das vermutlich aus byzantinischer Zeit stammt, findet sich
folgende Bemerkung: τοϋτον δέ τον δρον της κοινής τέχνης ώρίσαντο οί διαλεκτικοί,
καθώς ανωτέρω εϊπομεν, οΰτως 'τέχνη έστι σύστημα έκ καταλήψεων καθολικών και εμπειρία
γεγυμνασμένων πρός τι τέλος εΰχρηστον τών εν τφ βίο/. (Η. Rabe, Prolegomenon sylloge.
Leipzig 1931, 295, 21-24) Da hier eine sehr spezifische Definition der Techne
wörtlich zitiert wird, kann es sich bei den Dialektikern, denen sie zugeschrieben
wird, kaum einfach um Logiker handeln; es kann sich nur um den Eigennamen
einer Gruppe handeln, und damit kommen wohl nur die Dialektiker im Sinne des
Schulnamens in Betracht. Andererseits ist der Gebrauch des Ausdrucks κατάληψις,
der eine Schlüsselrolle in dieser Definition spielt, in der hier vorliegenden Bedeu-
tung für die Stoiker charakteristisch; die von Cicero [Acad. 2.145) berichtete Anek-
dote, nach der Zenon den Sinn dieses Ausdrucks mit dem Zusammenballen der
Hand zur Faust erläutert hat, macht es wahrscheinlich, daß der Gründer der
stoischen Schule diesen Ausdruck als Terminus der Erkenntnistheorie eingeführt
hat. Überdies aber wird den Stoikern von Sextus Empiricus eine Definition der
Die Dialektiker über die Dialektik: PH 2.247-255 197

Aber daß die Philosophen, über die Sextus in den PH 2.135-143


berichtet, keine Vertreter der Dialektischen Schule sind, liefert noch kein
durchschlagendes Argument gegen ihre von Sextus implizit behauptete
Identität mit den ,Dialektikern' des Textabschnittes PH 2.247-249.
Schließlich könnten diese ,Dialektiker' doch ebenfalls Logiker der
frühen Stoa sein, und auch das würde die von Sextus vorgenommene
Gleichsetzung rechtfertigen.
Gegen diese Vermutung sprechen jedoch zwei Gesichtspunkte. Ein-
mal sind die Ausführungen der beiden Textreferate in jenen Teilen, in
denen sie sich sachlich überschneiden, keineswegs deckungsgleich.
Beide Referate liefern Umschreibungen des schlüssigen und des wah-
ren Argumentes, die aber durchaus nicht äquivalent sind. Schlüssig
sei ein Argument, so heißt es in den PH 2.137, „wenn die Konditional-
aussage richtig ist, die mit der aus den Prämissen des Argumentes
gebildeten Konjunktion beginnt und mit der Konklusion des Argu-
mentes endet." Die im Trugschlußkapitel referierten,Dialektiker' nen-
nen ein Argument dann schlüssig, „wenn aus der Konjunktion seiner
Prämissen seine Konklusion folgt." (2.249) Wer wie die an der Stelle
PH 2.135-143 referierten Logiker die Richtigkeit der einem Argument
korrespondierenden Konditionalaussage zur hinreichenden Bedin-
gung für die Schlüssigkeit dieses Argumentes macht, der setzt sich,
wie oben (S. 149) mit Bezug auf diese Textstelle gezeigt, in seiner Schluß-
theorie den Einwänden aus, die sich aus den Paradoxien der materialen
Implikation ergeben. Diesen Einwänden ist aber nicht ausgesetzt, wer

Techne zugeschrieben, die eine verkürzte Form der oben zitierten zu sein scheint:
τέχνη έστι σύστημα έκ καταλήψεων (AM 11.182; PH 3.241). Daß Sextus an diesen
beiden Stellen eine verkürzte Definition der Techne zitiert, wird durch zwei Um-
stände wahrscheinlich gemacht: Zum einen ist die von Sextus angeführte Defini-
tionsformel zu weit; auch auf eine theoretische Wissenschaft (Episteme) würde sie
zutreffen. Zum anderen geht es Sextus in beiden Kontexten um den Nachweis, daß
es eine Techne nicht geben könne, dies deshalb, weil es eine Katalepsis nicht geben
könne; darum muß Sextus diese Definition nur bis zu jenem Ausdruck zitieren,
den er zum Ausgangspunkt seiner Kritik wählen will. - Wie läßt sich angesichts
dieser stoischen Ingredienzien die Zuweisung der Definition in dem oben zitierten
Prolegomenon an die Dialektiker erklären? Daß diese Definition ursprünglich auf
die Dialektiker zurückgeht und von den Stoikern übernommen worden ist, scheint
mir angesichts des genuin stoischen Terminus κατάληψις ziemlich unwahrschein-
lich. Ebenso auch, daß die Dialektiker den stoischen Terminus κατάληψις oder diese
Definition der Techne insgesamt von den Stoikern übernommen haben. Die plausi-
belste Erklärung scheint mir die, daß diese Definition auf Zenon zurückgeht und
daß Zenon, der bei den Dialektikern Philon und Diodor Logik studiert hat, in der
Quelle, auf die diese Mitteilung des Scholiasten zurückgeht, zu den Dialektikern
gerechnet wurde. Wir hätten hier demnach eine Definition aus der frühen Stoa vor
uns, die irrtümlich der Dialektischen Schule zugerechnet worden ist.
198 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

sich, wie die in 2.247-249 erwähnten Dialektiker, mit der Forderung


begnügt, die Konklusion müsse aus den Prämissen folgen, damit dem
Argument der Charakter der Schlüssigkeit zugesprochen werden kann.
Daß diese Differenz der beiden Texte keine zufällige Abweichung
ist, wird nun auch noch dadurch bestätigt, daß in den Definitionen
des wahren Argumentes in beiden Texten jeweils die Erklärung des
schlüssigen Argumentes vorausgesetzt wird und dabei wiederum das
Kriterium der Richtigkeit der korrespondierenden Konditionalaus-
sage (PH 2.138) mit dem der Folgerungsbeziehung zwischen Prämis-
sen und Konklusion (PH 2.248) kontrastiert. Anders als die im Ab-
schnitt PH 2.135-143 referierten Logiker scheinen die,Dialektiker' an
der Stelle PH 2.247-249 von dem Kriterium der Richtigkeit der korre-
spondierenden Konditionalaussage für die Erklärung der Schlüssig-
keit eines Argumentes keinen Gebrauch gemacht zu haben.
Der zweite Gesichtspunkt, der gegen die Vermutung spricht, daß
sich hinter den an unserer Stelle erwähnten,Dialektikern' Logiker der
frühen Stoa verbergen, ergibt sich aus dem Umstand der Benennung
als „die Dialektiker" in Verbindung mit der Zuschreibung sehr spezi-
fischer Doktrinen. Für eine Gruppe wie die frühen Stoiker scheint eine
Apostrophierung als „die Dialektiker" kaum passend, denn schließ-
lich war die erste Generation der (orthodoxen) Stoa zwar an Logik
interessiert, aber mit Sicherheit waren diese Philosophen nicht die
einzigen Logiker ihrer Zeit. Dieser Titel kann hier aber ohnehin kaum
den Sinn ,Logiker' haben, denn dafür sind die Theoriestücke, die
diesen ,Dialektikern' zugesprochen werden, zu spezifisch. Daß der
Zweck der Beschäftigung mit der Dialektik nicht nur darin bestehe,
„zu erkennen, was woraus gefolgert wird, sondern in erster Linie
darin, durch beweisende Argumente Wahres und Falsches unterschei-
den zu können" (2.247), das wird kaum als allgemeine Ansicht der
Logiker angesehen werden können. Auch die hier den,Dialektikern'
zugeschriebene Definition der Dialektik als „Wissenschaft vom Wah-
ren und Falschen und dem, was keines von beiden ist", (2.247) ist keine
in der Antike allgemein akzeptierte Erklärung der Dialektik; Aristo-
teles gibt in der Topik zwar keine explizite Umschreibung der Dialek-
tik, aber die von ihm hergestellte Verbindung zwischen Dialektik und
dem /Wahrscheinlichen' (ένδοξα vgl. Top. I 1, 100a 18-20; ähnlich
Soph. El. 2, 165b3-4, Met. III 1, 995b23-24) zeigt jedenfalls, daß sein
Begriff von Dialektik enger ist als der in dieser Definition explizierte.18

1 8 Alexander von Aphrodisias hebt im Eingang seines Kommentars zur Topik

die unterschiedlichen Bedeutungen, die verschiedene Philosophenschulen dem


Wort,Dialektik' geben, ausdrücklich hervor: In Top. 1,8 ff. Wallies.
Die Dialektiker über die Dialektik: PH 2.247-255 199

Als Fazit aus diesen Beobachtungen läßt sich festhalten, daß mit
dem Titel ,die Dialektiker' an der Stelle PH 2.247-249 nicht die Logi-
ker allgemein, sondern nur eine bestimmte Gruppe von Logikern
gemeint sein kann, m.a.W. daß dieser Ausdruck hier als Eigenname
einer Schule gebraucht ist. Dafür kommt dann nur die Dialektische
Schule in Betracht. Diese Zuweisung an die Dialektische Schule wird
schließlich auch durch die Terminologie für das schlüssige Argument
gestützt, die in dem Textabschnitt 2.247-250 sowie in den kritischen
Einwänden des Sextus dazu gebraucht wird (2.254-255); der Ter-
minus für,schlüssig' ist ausnahmslos συνακτικός. Diese Terminologie
aber verweist uns, wie oben schon gesagt (S. 178), in den Umkreis der
Dialektischen Schule.
Wenn wir es in dem Textstück 2.247-249 also mit einem Bericht
über Vertreter der Dialektischen Schule zu tun haben, was erfahren
wir dann hier über ihre Lehren? Der letzte Paragraph, in dem Sextus
noch die Dialektiker zitiert (249), zeigt ein klares Bewußtsein von den
Implikationen, die mit dem Begriff des logischen Folgens in einem
Schluß gegeben sind: Mit dem Begriff des Folgens ist eine Wahrheits-
garantie von der Konjunktion der Prämissen auf die Konklusion ver-
bunden, sodaß in einem folgerichtigen, in einem,schlüssigen' Argu-
ment eine falsche Konklusion immer anzeigt, daß die Konjunktion
der Prämissen falsch ist. Daß Falsches nur aus Falschem logisch folgen
kann, ist schon eine Erkenntnis der aristotelischen Topik (VIII 12,
162b 13-14). Über die Formulierung des Aristoteles gehen die Dialek-
tiker aber dadurch hinaus, daß sie von der Falschheit der Konjunktion
der Prämissen sprechen. Denn das setzt eine wahrheitsfunktionale
Deutung der Konjunktion voraus, wie sie für die Dialektiker in
AM 8.125-128 bezeugt ist (vgl. dazu oben S. 111 f.), für die wir aber bei
Aristoteles noch keinen Hinweis haben.
Aufschlußreich sind aber insbesondere die Mitteilungen des Sextus
über das, was die Dialektiker als Zweck ihrer Beschäftigung mit der
Dialektik angeben, und über die Definition der Dialektik bei den
Dialektikern (247). Die hier referierten Vertreter der Dialektischen
Schule wollen also den Zweck der Beschäftigung mit der Dialektik
nicht lediglich in der Untersuchung von Folgerungsbeziehungen se-
hen, sondern in der Unterscheidung des Wahren vom Falschen mit
Hilfe beweisender Argumente. Ihnen geht es also, modern gesagt,
nicht lediglich um die formale Wahrheit von Tautologien bzw. um die
formale Gültigkeit von Schlüssen, sondern um die materiale Wahr-
heit von Aussagen, die durch Beweise erschlossen werden können.
Obwohl diese Mitteilung über den von den Dialektikern angegebenen
Zweck ihrer Beschäftigung mit der Dialektik keinen unmittelbaren
200 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

Zusammenhang mit der oben diskutierten Trugschlußtheorie auf-


weist, so unterstreicht sie doch in einem wichtigen Punkt eine oben
(S. 186 f.) gemachte Beobachtung zur Klassifikation der Sophismen:
An dieser Zweckbestimmung wird nämlich wiederum jener Vorrang
eines erkenntnistheoretischen Interesses über logisch-semantische
Interessen sichtbar, den wir schon hinter der Einteilung der Trug-
schlüsse nach Typen möglicher Irrtümer erkannt haben.
Die von Sextus den Dialektikern zugeschriebene Definition der
Dialektik als „Wissenschaft vom Wahren und Falschen und dem, was
keines von beiden ist", (247) nötigt uns, gerade im Hinblick auf ihren
sachlichen Sinn, zunächst zur Klärung eines textphilologischen Pro-
blems. In den Ausgaben der neueren Herausgeber seit Bekker wird
diese Definition durch ein λέγουσι γοϋν, „sie sagen jedenfalls", zu einer
Begründung der vorangehenden Aussage über den Zweck der Be-
schäftigung mit der Dialektik. Die griechischen Handschriften lesen
dagegen alle λέγουσιν οΰν, „sie sagen nun", und geben damit diesem
Satz die Funktion der Einführung eines neuen Gedankens in einer
Argumentationskette.19 Bekkers Konjektur wird lediglich von der
(vermutlich aus dem 13. Jahrhundert stammenden) lateinischen Über-
setzung gestützt. Ich möchte zunächst dafür argumentieren, die Text-
änderung von Bekker zu verwerfen und die Lesart der Handschriften
beizubehalten.
Bekkers Vorschlag macht, wie gesagt, aus dem Zitat der Definition
der Dialektik eine Begründung für die vorangehende Aussage über
den Zweck, den nach den Dialektikern eine Beschäftigung mit der
Logik hat. Es ist aber durchaus nicht klar, wieso der voraufgegangene
Satz, der ebenfalls als Zitat mit vergleichsweise spezifischem Inhalt
vorgestellt wird, durch eine so allgemeine Definition der Dialektik
begründet werden könnte, ja wieso dieses Zitat überhaupt einer Be-
gründung bedarf. Schließlich ist seine Wahrheit durch Berufung auf
die Quelle, eben die Dialektiker, verbürgt. Jedenfalls könnte die Be-
gründung kaum Anspruch auf größere Plausibilität erheben als das,
was sie begründen soll, denn auch sie würde sich in derselben unbe-
stimmten Weise auf die Dialektiker als Quelle berufen. Die Begrün-
dung eines Zitats durch Anführung eines weiteren Zitates (wohl zu
unterscheiden vom Zitieren einer These mit ihrer Begründung, ein
Fall, der hier nicht vorliegt) ist jedenfalls alles andere als logisch.

19
Zum Sinn der beiden Partikeln vgl. Denniston, Greek Particles 451 („Much the
commonest use of γοϋν is to introduce a statement which is, pro tanto, evidence for a
preceding statement.") und 426.
Die Dialektiker über die Dialektik: PH 2.247-255 201

Neben diesen Bedenken aus methodisch-formalen Gründen läßt


sich weiterhin geltend machen, daß auch inhaltlich das Begründete
und die Begründung kaum zusammenpassen. Denn wie soll sich aus
der Aussage, daß die Dialektik die Wissenschaft vom Wahren und
Falschen und dem ist, was keines von beiden ist, die andere Aus-
sage ableiten lassen, daß der Zweck der Beschäftigung mit ihr die
Unterscheidung des Wahren und Falschen aufgrund beweisender Ar-
gumente ist? Hier würde denn doch zuviel an inhaltlichen Vorausset-
zungen in unterdrückte Prämissen zu stecken sein.
Schließlich aber wird durch die begründende Bindung der Dialek-
tik-Definition an den vorangegangenen Satz dieser Definition selbst
ein Sinn gegeben, den sie schwerlich haben kann. Denn die Aus-
drücke ,wahr' und ,falsch' könnten in dieser Definition wohl kaum
einen anderen Sinn haben als im vorausgehenden Satz, den diese
Definition begründen soll. Dort aber charakterisieren diese Aus-
drücke Konklusionen von Argumenten, oder doch Kandidaten für
solche Konklusionen, jedenfalls Aussagen. Ergänzt man aber in der
Definition bei den Genitiven (die im Griechischen im Plural stehen)
ebenfalls, Aussagen', dann ist man gezwungen, den Dialektikern eine
logische Theorie zu unterstellen, nach der es auch Aussagen geben
kann, die weder wahr noch falsch sind. Wir müßten also den Dialekti-
kern eine Leugnung des Bivalenzprinzips unterstellen, eine Leugnung
der These, daß jede Aussage entweder wahr oder falsch ist. Dieses
Prinzip ist etwa von Chrysipp ausdrücklich vertreten worden (vgl.
Cicero, De fato 20-21, 38), und es spricht alles dafür, daß auch die
Dialektiker dieses Prinzip anerkannt haben. 20 Jedenfalls sollten wir
eine Konjektur, in deren Konsequenz wir den Dialektikern eine Be-
streitung des Bivalenzprinzips unterstellen müßten, nicht einem gut
bezeugten Text vorziehen, der uns nicht zu einer solchen Konsequenz
nötigt.
In der Tat verschwinden die dargelegten Schwierigkeiten, die mit
der Konjektur Bekkers verbunden sind, wenn an der überlieferten
Lesart der Handschriften festgehalten wird. Diese Lesart nimmt, wie
oben gesagt, der Aussage, in der die Definition zitiert wird, den Status
einer Begründung und läßt sie einen neuen Gedanken einführen.
Damit ist aber über den Sinn, den in dieser Definition die Ausdrücke
,wahr' und,falsch' haben, nicht schon durch den voraufgehenden Satz
entschieden. Zugleich rückt dadurch das Zitat der Dialektik-Defini-

20
So auch Sedley (1977), 100. Die für Epikur bezeugte Bestreitung des Bivalenz-
prinzips (Cicero, De fato 21) hält Sedley für eine direkte Erwiderung auf Diodor.
202 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

tion näher an den folgenden, durch έπεΐ τοίνυν („da . . . ferner") einge-
leiteten Satz heran. In diesem Satz ist ,wahr' nun aber bei seinem
ersten Auftreten Attribut von ,Argument' - hier werden die Dialekti-
ker mit ihrer Erklärung des wahren Argumentes zitiert (2.248). Daher
ist es zumindest naheliegend, in der zitierten Dialektik-Definition als
Substantiv ebenfalls ,Argumente' (λόγοι) zu ergänzen; diese Ergän-
zung wird gleichfalls nahegelegt durch die zu Beginn des Kapitels
(2.229) gegebene Charakterisierung der Dialektik als „zur Unterschei-
dung wahrer und falscher Argumente fähig".21

21
Die Definition der Dialektik, die hier den Dialektikern zugeschrieben wird,
ist nicht auf den Kreis der Dialektischen Schule begrenzt geblieben. Sie findet sich,
ohne mit den Dialektikern in Verbindung gebracht zu werden, noch an einer
Anzahl anderer Stellen: bei Sextus Empiricus (PH 2.94; AM 11.187), bei Diogenes
Laertius (7.42; 7.62), bei Cicero [Acad. 2.91) und in der Suda s.v. διαλεκτική
(=FDS 64). Obwohl diese Belege zeigen, daß diese Definition auch von Stoikern
vertreten worden ist, so spricht das doch nicht gegen ihre Dialektische Herkunft.
Insbesondere aber scheint Chrysipp diese Definition nicht benutzt zu haben. Die
beiden Stellen bei Sextus gehören zwar in den Kontext einer Auseinandersetzung
mit der Stoa, aber es spricht an beiden Stellen nichts dafür, daß Sextus hier die Logik
der Chrysippschule im Auge hat; und der Kontext der PH-Stelle (2.94), die unmit-
telbar anschließende Diskussion des Zeichens, deren Herkunft aus der frühen Stoa
oben (S. 52) nachgewiesen wurde, macht es wahrscheinlich, daß diese Definition
von den frühen Stoikern benutzt wurde. Für die Logiker der frühen Stoa ist aber
eine Abhängigkeit von der Dialektischen Schule nachweisbar. - Bei Diogenes
Laertius wird diese Definition einmal ganz unspezifisch der Stoa (7.42), an der
zweiten Stelle (7.62) wird sie Poseidonios zugeschrieben. Poseidonios könnte hier
aber durchaus eine ältere Lehre wieder aufgegriffen haben; er wird an einer anderen
Stelle von DL als Quelle einer Lehre der „älteren Stoiker" zitiert (7.54). Interesse
verdient die Textstelle DL 7.62 vor allem aber auch deshalb, weil Diogenes im
unmittelbaren Anschluß an die Zuweisung dieser Definition an Poseidonios be-
merkt, daß Chrysipp der Dialektik den Bereich des Bezeichnenden und Bezeichne-
ten zugewiesen hat; daß diese Formel ebenfalls als Definition gemeint ist, zeigt
Sextus PH 2.214 ad. fin. Wenn dieses aber offenbar Chrysipps Definition der Dialek-
tik war, dann dürften die Stoiker, die von der anderen Definition Gebrauch ge-
macht haben, jedenfalls nicht im Umkreis des Chrysipp zu suchen sein. - Daß die
Definition der Dialektik als Wissenschaft vom Wahren und Falschen und dem, was
keines von beiden ist, jedenfalls nicht chrysippeisch ist und eher, was ihren Ge-
brauch in der Stoa angeht, auf stoische Logiker vor Chrysipp zurückweist, das läßt
sich auch durch eine Beobachtung wahrscheinlich machen, die mit der Form dieser
Definition zu tun hat. Formal steht sie nämlich in einer Reihe von Definitionen, die
alle Wissen(schaft) oder Unwissen (επιστήμη bzw. άγνοια) als Gattung benutzen und
den als spezifische Differenz fungierenden Gegenstandsbereich stets in der Form „a
und b und keines von beiden" anführen, wobei ,a' und ,b' konträre Begriffe bezeich-
nen. Dazu gehören neben einer Definition der Medizin (vgl. AM 11.186) Definitio-
nen der Tugenden, vor allem der vier Kardinaltugenden, und ihrer Gegenteile (die
Texte in SVF III, 63-67). Für Chrysipp ist nun nirgends eine Definition dieses Typs
Die Dialektiker über die Dialektik: PH 2.247-255 203

Die hier den Dialektikern zugeschriebene Definition der Dialek-


tik erklärt diese also als Wissenschaft von den wahren und falschen
Argumenten und von denen, die keines von beiden sind. Was ein
wahres Argument ist, wird im unmittelbar anschließenden Text er-
klärt: ein Argument, „das aus wahren Prämissen eine wahre Konklu-
sion folgert" (2.248). Was aber sind falsche Argumente und welche
Argumente sind weder wahr noch falsch? Eine Antwort auf diese Frage
wird zunächst dadurch erschwert, daß Sextus in 2.248 das Vorliegen
einer falschen Konklusion als hinreichende Bedingung dafür ansieht,
daß das zu dieser Konklusion gehörende Argument falsch ist. Damit
aber scheint die Klasse der falschen Argumente sowohl die schlüssi-
gen Argumente mit falscher Prämissenkonjunktion als auch die
nicht-schlüssigen Argumente zu umfassen. Da aber die Unterschei-
dung der schlüssigen von den nicht-schlüssigen Argumenten eine
vollständige Disjunktion zu sein scheint und da, wenn man sich auf
die schlüssigen Argumente beschränkt, auch hier die wahr/falsch-
Unterscheidung eine vollständige Disjunktion abgibt, sofern man als
falsche Argumente unter den schlüssigen diejenigen mit falscher Prä-
missenkonjunktion ansieht, so ist schwer zu sehen, wo sich noch
weitere Arten von Argumenten finden lassen sollen, die weder wahr
noch falsch sind und damit, wenn man Sextus' Verständnis eines
falschen Argumentes voraussetzt, in keine der unterschiedenen Klas-
sen fallen können.
Nun benutzt Sextus im Verlauf seiner anschließenden kritischen
Argumentation aber zweimal Wendungen, die mit der Annahme,
falsche Argumente seien sowohl schlüssige mit falschen Prämissen
als auch nicht-schlüssige, nicht gut zusammenstimmen. Er redet näm-
lich in 2.250 davon, daß „das nicht-schlüssige oder nicht-wahre Argu-
ment nach ihnen nicht beweisend ist", und bei der Wiederholung
seiner eigentlichen These, daß die Falschheit der Konklusion eines
Argumentes hinreicht, um dieses Argument zu verwerfen, heißt es
etwas weiter in demselben Paragraphen:

bezeugt, wohl aber umgekehrt Definitionen der Kardinaltugenden, die nicht von
diesem Typ sind. Er scheint also Definitionen, die den Gegenstandsbereich eines
Wissens in dieser formelhaften Weise charakterisierten, vermieden zu haben. Da
dieser Definitionstyp sich außer für die vier Kardinaltugenden nur noch für die
Selbstbeherrschung (καρτερία) angewendet findet (DL 7.93) und da Chrysipp neben
den Kardinaltugenden noch eine Reihe weiterer Tugenden definiert hat (vgl.
SVF III, 65,40-66,21), spricht einiges dafür, daß diese formelhaften Definitionen zu
einer Stufe der stoischen Ethik gehören, die Chrysipp voraufgeht.
204 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

Wenn wir es mit einem Argument zu tun haben, in dem die Konklusion falsch ist;
so erkennen wir aus dem Vorhegen der falschen Konklusion sofort, daß es nicht
wahr oder nicht schlüssig ist. 22 (PH 2.250 - Hervorhebung v. mir. - Th. E.)
Würden die nicht-wahren Argumente (und dazu müssen jedenfalls
die falschen gehören) tatsächlich die nicht-schlüssigen mit umfassen,
dann hätte Sextus es hier mit der bloßen Erwähnung der nicht-wah-
ren bewenden lassen können. Aber gerade der Umstand, daß er an
der zweiten Stelle seine Bemerkung aus 2.248 wiederholt und daß
in dieser Wiederholung der Zusatz „oder nicht schlüssig" erscheint,
macht es wahrscheinlich, daß an dieser Stelle entweder eine Präzisie-
rung durch Sextus vorhegt oder daß wir im Text von 248 eine Textver-
derbnis vermuten müssen. Die Unterscheidung der beiden Möglich-
keiten, auf die eine falsche Konklusion hinweist, nämlich mangelnde
Schlüssigkeit und mangelnde Wahrheit, zeigt aber mit genügender
Deutlichkeit, daß falsche Argumente offenbar jene sind, in denen
zwar logisch korrekt, aber aus falschen Prämissen gefolgert wird.
Somit sind die Argumente, die weder wahr noch falsch sind, offenbar
die nicht-schlüssigen Argumente.23
Das Bemerkenswerte an dieser Definition der Dialektik ist, daß sie
sich nicht auf eine Unterscheidung der schlüssigen von den nicht-
schlüssigen Argumenten als Leistung der Dialektik beschränkt, son-
dern ausdrücklich die Unterscheidung der wahren von den falschen
Argumenten als spezifische Differenzierungsleistung der Dialektik in
den Vordergrund rückt. Daß diese Distinktion die Unterscheidung
der schlüssigen von den nicht-schlüssigen Argumenten in den Hinter-
grund treten läßt, zeigt sich insbesondere daran, daß die nicht-schlüs-
sigen Argumente nur unter dem Titel der weder wahren noch falschen
Argumente erscheinen. Der Unterscheidung wahrer und falscher Ar-
gumente gilt offenkundig das Hauptinteresse der Dialektiker. Damit
bestätigt diese Definition der Dialektik nur wieder den Vorrang er-
kenntnistheoretischer vor logisch-semantischen Interessen bei den
Vertretern der Dialektischen Schule, wofür uns schon die Klassifika-
tion der Trugschlüsse und die Mitteilung über den Zweck der Be-
schäftigung mit der Dialektik Zeugnisse geliefert hatten.

22
Die Lesart ή ού συνακτικός ist von Mau an Stelle des sachlich unsinnigen ούδε
συνακτικός der Handschriften vorgeschlagen worden.
23
Man vgl. in diesem Zusammenhang auch die Unterscheidung der Bedeutun-
gen von λόγος ψευδής, die Aristoteles in Top. VIII 12, 162b3-15 vornimmt. Eine
Bedeutung ist dort die des nur scheinbar, aber nicht wirklich gültigen Argumentes,
eine andere die des zwar formal gültigen, aber aus falschen Prämissen folgernden
Argumentes. Aristoteles hat also schon Fehlschlüsse und gültige Argumente mit
falschen Prämissen in unterschiedlichem Sinn,falsch' genannt.
Die Dialektiker über die Dialektik: PH 2.247-255 205

Der Abschnitt PH 2.247-249 mit seinen Mitteilungen zur Schluß-


theorie der Dialektiker verdient noch aus einem anderen Grund als
dem der darin mitgeteilten Lehrstücke unser Interesse. Die in diesem
Textabschnitt benutzte Terminologie zeigt nämlich eine bemerkens-
werte Nähe zur aristotelischen Topik und anderen Schriften des Ari-
stoteles, die seine ;vor-analytische' Logik repräsentieren, wie die So-
phistischen Widerlegungen oder die Rhetorik. So ist λόγος auch der
aristotelische Terminus für ,Argument' (vgl. Top. VIII 4, 159al9; 5,
159b23,161al u. ö. Soph. El. 1,165a32; 2,165a38 u. ö.); συνάγειν - ein
Ausdruck, der in den Analytiken nicht mehr vorkommt - ist ein Wort
für,folgern', schließen' (vgl. Rhet. 12,1357a8; II 22,1395b25,1396a2
u. ö.; Soph. El. 22,178a33; 24,179b21,25); συμπέρασμα ist auch schon
vor den Analytiken der aristotelische Ausdruck für,Konklusion' (vgl.
Top. VIII 10, 161al5; 12, 162bl; Soph. El. 6, 168a22) und ebenso ist,
entgegen einer verbreiteten Meinung, λήμμα bereits ein aristotelischer
(und nicht erst stoischer) Terminus für ,Prämisse' (vgl. Top. I 1,
101al4; VIII1,156a21; Soph. El. 33,183al5). 24 Wo sich eine termino-
logische Neubildung findet, nämlich bei dem Ausdruck für,schlüs-
sig' (συνακτικός), da handelt es sich um eine Ableitung von dem bei
Aristoteles belegten συνάγειν.
Diese Übereinstimmung in der Terminologie dürfte allerdings kein
Indiz einer sachlichen Abhängigkeit der Dialektischen Schule von
Aristoteles sein, denn für inhaltliche Abweichungen der Dialektiker
von aristotelischen Lehren haben gerade auch die in diesem Kapitel
der PH referierten Theoriestücke der Dialektischen Schule hinrei-
chend Belege geliefert. Dieser Befund zum Gebrauch wichtiger Ter-
mini der Schlußtheorie scheint vielmehr ein Anhaltspunkt dafür zu
sein, daß die Dialektiker und der Aristoteles der Topik und Rhetorik
aus einem gemeinsamen terminologischen Fundus schöpfen. Dabei
ist die Abwesenheit spezifisch stoischer Termini in dem Text PH
2.247-249 besonders hervorhebenswert: Obwohl dieser Text vier-
mal den Ausdruck ,Konklusion' gebraucht, ist dafür ausschließlich
der aristotelische Terminus συμπέρασμα benutzt, nicht das stoische
έπιφορά. Diese Beobachtungen zur Terminologie bestätigen damit

24
Der Ausdruck πρότασις wird nur in der aristotelischen Rhetorik im Sinne von
Prämisse ganz allgemein gebraucht (vgl. Rhet. I 3, 1359a7-10, 15, 24, 27; II 1,
1377b 18, 1378a29; II 22, 1396b30); in der Topik bezeichnet πρότασις eine Frage
bestimmten Typs (vgl. Ibp. I4,101b28-36 ; 110,104a8-ll), in den Analytiken eine
Aussage bestimmten Typs (vgl. An. Prior. I 1, 24al6-22), wobei allerdings die
Prämissen der aristotelischen Syllogismen immer von Aussagen dieses Typs gebil-
det werden.
206 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

noch einmal; daß die Dialektiker, von denen hier die Rede ist, zeitlich
in die Nähe des Aristoteles und nicht etwa in die Nachfolge Chrysipps
gehören.

d) Sextus über die Auflösung von Mehrdeutigkeiten und


deren Nutzlosigkeit: PH 2.256-258

Die letzten Paragraphen des Kapitels 22 sind dem Thema der Mehr-
deutigkeiten und dem Anspruch der von Sextus hier bekämpften
Philosophen gewidmet, durch die Auflösung von Mehrdeutigkeiten
etwas Nützliches zu leisten. Diese Ausführungen umfassen praktisch
nur drei Paragraphen (256-258), der letzte Paragraph (259) des Kapi-
tels ist eine allgemeine Bemerkung zum Abschluß des gesamten Bu-
ches. Entsprechend knapp fallen die Informationen und die kritischen
Kommentare des Sextus hier aus.
Der sehr allgemeine Sinn, in dem hiervon,Mehrdeutigkeit' (αμφιβο-
λία) geredet wird, macht es wahrscheinlich, daß damit, anders als bei
Aristoteles,25 nicht eine spezielle Form der Äquivokation, etwa unter-
schieden von der Homonymie, gemeint ist, sondern j ede Form sprach-
licher Ausdrücke, die in mehr als einem Sinn verstanden werden
können. Das einzige Beispiel des Sextus, das allerdings als Gegenbei-
spiel gegen die Anmaßung seiner Gegner dienen soll, da es nur vom
Fachmann, hier dem Arzt, richtig aufgelöst werden könne, beruht auf
dem Doppelsinn des griechischen Wortes παρακμή (257).26
Über wessen These informiert uns Sextus hier? Der Ausdruck ,die
Dialektiker' kommt in diesem Abschnitt nirgends vor. Auch fehlt eine
zitierende Verbform, die auf die vorher behandelten Dialektiker als
Subjekt zurückzubeziehen wäre. Sextus redet lediglich zweimal von
„dem Dialektiker" (im Singular), aber das auch nur im Zusammen-

25
Bei Aristoteles wird αμφιβολία für jene Fälle mehrdeutiger Ausdrücke ge-
braucht, bei denen die Mehrdeutigkeit durch die grammatische Konstruktion be-
wirkt ist (vgl. Soph. El. 4, 166a6-14), im Unterschied zur ομωνυμία, die sich auf
mehrdeutige (Einzel-(Worte bezieht (vgl. Soph. El. 4,165b30-166a6 ; Cat. 1, l a l - 6 ) .
26
Zum Verständnis dieses Beispiels an dieser Stelle ist PH 2.237 heranzuziehen,
wo der zitierte Satz als erste Prämisse in einem Sophisma benutzt wird. An beiden
Stellen haben wir es mit einem von Sextus gegen seine Gegner verwendeten Beispiel
zu tun,· daher ist das Auftreten eines mehrdeutigen Wortes innerhalb eines Trug-
schlusses auch keine Instanz gegen die These, daß die hier den Dialektikern
zugeschriebenen Sophismen in den Umkreis des Diodor gehören, der die Möglich-
keit mehrdeutiger Ausdrücke bekanntlich geleugnet hat.
Sextus über die Auflösung von Mehrdeutigkeiten: PH 2.256-258 207

hang mit Feststellungen, wozu der Dialektiker nicht in der Lage ist
bzw. wozu er durch die Attacken der Skeptiker gezwungen ist {256,
258). Wir können also allenfalls aus dem, was Sextus inhaltlich refe-
riert, auf diese Frage eine Antwort erhalten.
Sextus stützt seine Argumentation auf zwei Voraussetzungen, und
es scheint plausibel anzunehmen, daß er sie von seinen Gegnern
übernommen hat. Einmal darauf, daß eine Mehrdeutigkeit „eine Aus-
drucksweise (λέξις) ist, die zweierlei oder mehreres bedeutet" und daß
„die Ausdrucksweisen durch Setzung (θέσει) etwas bedeuten" (256). Es
ist die zweite dieser beiden Voraussetzungen, die für unsere Frage
aufschlußreich ist. Denn die Stoiker scheinen einen natürlichen Ur-
sprung der Worte anzunehmen.27 Dagegen wissen wir von Diodor,
daß er ein Vertreter eines radikalen Konventionalismus war: Eine
berühmte Anekdote berichtet uns, daß Diodor zum Beweis seiner
These von der Konventionalität der Wortbedeutungen zwei seiner
Sklaven auf die Partikeln μεν und δέ getauft habe.28 Damit dürften also
zumindest die Stoiker als Kandidaten für die Vertreter der hier refe-
rierten Lehre nicht in Frage kommen. Aber auch Aristoteles ist ein
Vertreter der konventionalistischen Bedeutungstheorie, sodaß mit
dem Ausschluß der Stoiker noch nicht die Zuschreibung an die Dia-
lektische Schule gesichert ist.29
Schließlich aber läßt sich auch unsere Voraussetzung in Zweifel
ziehen, daß Sextus an der oben zitierten Stelle 2.256 tatsächlich An-
nahmen der von ihm kritisierten Position benennen will. Denn die
These des Ursprungs der Wortbedeutungen aus bloßer Konvention
scheint Sextus selbst zu vertreten: Er benutzt sie PH 2.214 gegen die für
Chrysipp bezeugte Definition der Dialektik („Wissenschaft der be-
zeichnenden und bezeichneten Dinge" vgl. für die Zuschreibung an
Chrysipp DL 7.62), also gegen einen Gegner, der die These des bloß
konventionellen Bedeutungsursprungs nicht geteilt zu haben scheint.
Selbst wenn wir in Rechnung stellen, daß für einen der Dialektiker,
für Panthoides, ein Traktat Über Mehrdeutigkeiten durch einen Titel
des Chrysipp bezeugt ist (vgl. DL 7.193), so reichen die Beobachtun-
gen, die sich zu den Paragraphen 256-258 machen ließen, allenfalls
aus, um der Vermutung, daß auch in diesen Paragraphen über eine
Lehre der Dialektischen Schule berichtet wird, eine gewisse Wahr-
scheinlichkeit zu verleihen. Die Frage nach der hier letztlich zugrunde

27
Vgl. Augustin, De dialectica VI, 92-98 Pinborg (= FDS 644); Origines, Contra
Celsum I 24, S. 74 Koetschau (= FDS 643).
28
Stephanos, In De int. 9,20-24 Hayduck (= Döring test. 114).
29
Vgl. Aristoteles, De int. 2,16al9-20,26-28.
208 Die Dialektiker über Trugschlüsse und ihre Auflösung

liegenden Quelle läßt sich also nicht mit Sicherheit beantworten.


Diese Lücke in unserer Erkenntnis dürfte allerdings umso leichter zu
verschmerzen sein, als Sextus' Bericht über die hier attackierte Posi-
tion eigentlich nicht mehr hergibt als die sehr allgemeine These, daß
Bedeutungsdifferenzierungen bei mehrdeutigen Ausdrücken wichtig
und eine Aufgabe der Logik sind.
Anhang I zum II. Teil:
Diodor und die,Dialektiker' in AM 10.111
Der Text AM 10.111 ist im erhaltenen Werk des Sextus die einzige
Stelle, an der außerhalb der mit der Logik befaßten Bücher von den
,Dialektikern' die Rede ist. Sie werden hier eher beiläufig erwähnt,
aber der Umstand, daß die hier erwähnten,Dialektiker' zu den Kriti-
kern Diodors zu zählen scheinen, der doch selber ein Dialektiker im
Sinne des Schulnamens ist, macht diese Erwähnung für unsere Unter-
suchung diskutierenswert. In welchem Sinn wird an dieser Stelle von
,Dialektikern' gesprochen? Ergeben sich aus der Verwendung dieses
Wortes Konsequenzen für die bisherigen Ergebnisse der vorliegenden
Arbeit, und wenn ja, welche?
Die Stelle AM 10.111 steht im Kontext einer Diskussion der These
Diodors, daß es nichts gibt, was sich aktuell bewegt, sondern nur
etwas, was sich bewegt hat (vgl. 10.85).1 In dieser Diskussion referiert
Sextus relativ ausführlich die Argumente der Gegner Diodors sowie
die Erwiderungen Diodors auf diese Einwände und schließt daran
häufig seine Bewertung dieser Einwände und Erwiderungen an. Für
den negativen Teil der diodorischen These, die Bestreitung aktueller
Bewegung, führt Sextus das folgende Argument an:
Wenn etwas sich bewegt, so entweder an der Stelle, wo es ist, oder an der Stelle,
wo es nicht ist. Aber es bewegt sich nicht an der Stelle, wo es ist (denn es verharrt
ja in ihr), noch an der, an der es nicht ist (denn es existiert dort ja gar nicht).
Deshalb bewegt sich nichts. AM 10.87
Unter den Einwänden, die Sextus dann (10.91-96) gegen dieses Argu-
ment referiert, findet sich als letzter der folgende:
Einige haben auch angenommen, daß das Argument Diodors nicht-schlüssig
(απέραντος) sei, da es mit einer Disjunktion beginnt und diese mittels der folgen-
den Aussagen widerlegt, indem es jedes der beiden Disjunkte als falsch nach-
weist, daß etwas sich an der Stelle bewegt, an der es ist, wie auch an der, an der es
nicht ist. AM 10.96
Den hier referierten Kritikern Diodors hält Sextus weiter unten dann
entgegen:
1
Zur Diskussion dieser These und der diodorischen Argumente sowie der
Herkunft dieser Argumente und ihrer möglichen Bezugnahme auf Aristoteles vgl.
Döring, 129-131, Sedley (1977), 84-89, Denyer (1981), SR III 72-76, Sorabji (1983)
17-21, Muller (1985), 138-141.
210 Diodor und die,Dialektiker' in AM 10.111

Es ist völlig lächerlich zu behaupten, das Argument sei falsch (μοχθηρός), weil es
mit einer Disjunktion beginne und diese widerlege. Denn die Schritte dieser
Argumentation kamen ganz folgerichtig zustande und haben die folgende Be-
weiskraft: „Wenn etwas sich bewegt, dann muß es sich auf eine der beiden oben
erwähnten Weisen bewegen. Nicht das Zweite. Also nicht das Erste." Denn wenn
bei Gegebenheit des Ersten das Zweite der Fall ist, dann kann, wenn das Zweite
nicht gegeben ist, auch das Erste nicht der Fall sein. Das ist auch nach den
Annahmen der Dialektiker selber richtig (ύγιής). AM 10.110-111
Die abschließende Bemerkung der zuletzt zitierten Textstelle impli-
ziert, daß die Kritiker, deren Einwand Sextus hier zurückweisen will,
in einer der beiden Bedeutungen dieses Wortes selber ,Dialektiker'
sind. Es ist ganz unwahrscheinlich, daß Sextus hier sagen will, die von
ihm zur Verteidigung Diodors angeführte Überlegung müsse auch
von diesem als einem Mitglied der Dialektiker (im Sinne des Schulna-
mens) akzeptiert werden. Denn eine solche Berufung darauf, daß
auch derjenige, den Sextus hier in Schutz nehmen will, dieser Vertei-
digung zustimmen könnte, wäre an dieser Stelle doch einigermaßen
funktionslos. Überdies ist es eine der häufigsten Argumentationsstra-
tegien des Sextus, Gegner mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Fazit
also: Der von Sextus an der Stelle AM 10.96 referierte Einwand gehört
Kritikern des Diodor, die in den Augen des Sextus,Dialektiker' sind.
Die Frage ist dann allerdings, in welchem Sinn dieses Ausdrucks
Sextus hier von,Dialektikern' spricht.
Ptima facie spricht einiges dafür, daß hier die Dialektiker im Sinne
des Schulnamens gemeint sind. Denn da Sextus uns bei einer Reihe
von Einwänden gegen das diodorische Argument auch die Repliken
Diodors gegen die referierten Kritiker mitteilt, müssen jedenfalls diese
Kritiker Zeitgenossen Diodors gewesen sein. Da gerade die Einwände,
auf die Diodor antwortet, von einigem Scharfsinn seiner Kritiker
zeugen, ist es wahrscheinlich, wenngleich keineswegs zwingend, daß
es sich bei diesen Kritikern um Philosophen aus der Dialektischen
Schule handelt. Der Umstand, daß die Kritiker Diodors damit zur
selben Schule gehören wie er selber, ist kein unwiderlegliches Gegen-
argument; schließlich waren die Dialektiker auch in anderen Fragen
uneins - der Streit zwischen Philon und Diodor über die Wahrheitsbe-
dingungen der Konditionalaussage ist dafür ein Beleg.
Gegen dieses Verständnis von,Dialektiker' an der Stelle AM 10.111
sprechen allerdings gewichtige Argumente. Zunächst wird von Sextus
gerade zu dem 10.96 referierten Einwand gegen Diodors Argument
keine Erwiderung Diodors mitgeteilt. Damit können wir also nicht
mehr davon ausgehen, daß es sich hier ebenfalls um zeitgenössische
Kritiker handelt. Da Sextus zu allen übrigen auf logisch-semantischen
Gesichtspunkten beruhenden Einwänden eine Erwiderung Diodors
Diodor und die ,Dialektiker' in AM 10.111 211

referiert, ist zu vermuten, daß er es auch für diesen, die formale


Gültigkeit des Argumentes betreffenden Einwand getan hätte, wenn
ihm eine derartige Erwiderung bekannt gewesen wäre.
Gegen eine Zuweisung des in AM 10.96 referierten Einwandes an
Vertreter der Dialektischen Schule spricht aber vor allem ein Um-
stand: Die in diesem Einwand formulierte Kritik an der formalen
Gültigkeit des diodorischen Argumentes geht völlig ins Leere. Wer
immer dieses Gegenargument vorgebracht hat, muß sich den Vorwurf
gefallen lassen, daß er einen einfachen aussagenlogischen Sachver-
halt mißverstanden hat. Sextus beschränkt sich bei seiner Zurückwei-
sung dieses Einwandes konsequenterweise darauf, die logische Form
des diodorischen Argumentes zu skizzieren und an das logische Prin-
zip der Kontraposition zu erinnern, das die Gültigkeit dieses Schlusses
garantiert. Sollen wir bei dieser Sachlage tatsächlich Vertreter einer
Gruppe, die gerade für ihre Leistungen auf dem Gebiet der Logik
bekannt war, zu den Autoren dieses fehlerhaften Räsonnements ma-
chen? Hier ist doch wohl jede halbwegs plausible Alternative vorzu-
ziehen.
Da mit ,Dialektiker' nur entweder Vertreter der Dialektischen
Schule oder Logiker gemeint sein können, zwingen uns also die vor-
stehenden Überlegungen dazu, unter den von Sextus an der Stelle
AM 10.111 erwähnten ,Dialektikern' einfach Logiker zu verstehen.
Sextus kann die Autoren des von ihm AM 10.96 referierten Einwandes
deshalb als Logiker bezeichnen, weil ihre Kritik an Diodor tatsächlich
logisch-formaler Natur ist: Sie bestreiten die Schlüssigkeit des diodo-
rischen Argumentes.2
Hat dieses Ergebnis Konsequenzen für die bisherigen Ergebnisse
dieser Untersuchung? Soweit ich sehen kann jedenfalls keine, die zu
Modifikationen unserer bisherigen Resultate nötigen würden. Daß
Diodor einer der Dialektiker im Sinne des Schulnamens war, ist ein
durch zahlreiche Quellen zu gut verbürgtes Faktum als daß es durch
eine Stelle, an der Kritiker Diodors als ,Dialektiker' bezeichnet wer-

2
Wer könnte hinter diesem Einwand stehen? Ein idealer Kandidat wäre j emand,
der ein Zeitgenosse Diodors, ein schlechter Logiker (gleichwohl mit Ambitionen
auf diesem Gebiet) und zugleich so prominent war, daß diese Einrede gegen Diodor
trotz ihrer Mangelhaftigkeit tradiert worden ist. Ein Name, der sich hier anbietet, ist
der Zenons von Kition. Er hatte Kontakt zu Diodor, war um Kenntnisse auf dem
Gebiet der Logik bemüht, gleichwohl waren seine eigenen Beiträge zur Dialektik,
wenn unsere weiter oben gemachten Beobachtungen (S. 74 ff.) richtig sind, oft eher
verworren,· zugleich sicherte ihm seine Prominenz als Schulgründer der Stoa die
Tradierung seiner Argumente. Zenon könnte der Autor dieses Einwandes sein,
aber zu mehr als einer solchen Vermutung reicht unser Material nicht aus.
212 Diodor und die ,Dialektiker' in AM 10.111

den, in Zweifel gezogen werden könnte, selbst wenn wir die hier
erwähnten /Dialektiker' gegen alle Plausibilität als Vertreter der Schule
auffassen würden. Daß Sextus aber außerhalb von Referaten den
Ausdruck ;Dialektiker' so verwendet, daß man annehmen muß, er
habe darunter einfach Logiker verstanden, ist schon durch Beobach-
tungen zu anderen Stellen belegt (vgl. oben S. 144 f., 182). Was für
diesen Sprachgebrauch des Sextus an jenen anderen Stellen galt, gilt
aber auch hier: Diese Verwendung von ,Dialektiker' im systemati-
schen Sinn kann den Quellenwert der Referate des Sextus, in denen
über Lehren der,Dialektiker' berichtet wird, angesichts der immanen-
ten Gründe, die für eine Zuschreibung dieser Lehren an die Dialekti-
sche Schule sprechen, nicht mindern, zumal da sich der Gegensatz
zwischen dem Wortgebrauch innerhalb und dem außerhalb der sex-
tianischen Referate plausibel dadurch erklären ließ, daß Sextus sich
für seine Referate der Darstellungen von Quellen bedient haben kann,
in denen über die Lehren der Dialektischen Schule berichtet wurde.
Anhang II zum II. Teil:
Dialektiker und Stoiker bei Apuleius

Mitteilungen über Lehren der Dialektischen Schule außerhalb der


Darstellungen des Sextus sind äußerst selten. Daher mag es berechtigt
sein, hier einen Text zu behandeln, der es wahrscheinlich macht, daß
die Stoiker, auch was ihre Ableitungsregeln angeht, von den Dialekti-
kern gelernt haben können. Es handelt sich dabei um eine Stelle aus
Apuleius' De inteipretatione:

Es gibt noch einen zweiten allgemeinen Beweis für alle (Schlußformen) ein-
schließlich der Anapodeiktoi (indemonstiabiliaer wird als Beweis per impossi-
bile bezeichnet und von den Stoikern erste Anordnung [constitutio) oder erste
Darlegung (expositum) genannt. Sie geben davon folgende Definition: „Wenn
aus zwei (Aussagen) eine dritte folgt, dann folgt aus einer der beiden zusammen
mit dem Gegenteil der Konklusion das Gegenteil der anderen." Die Alten dage-
gen haben folgende Definition gegeben: „Für jeden Schluß gilt, daß, wenn seine
Konklusion verneint wird, dann bei Annahme von einer der beiden Prämissen
(assumpta alterutia piopositione) die andere verneint wird." Auf diesen Sachver-
halt ist man in der Auseinandersetzung mit j enen gestoßen, die, nachdem sie die
Annahmen zugestanden haben, das, was aus diesen folgt, dreisterweise ableh-
nen. Dadurch werden sie nämlich zu unmöglichen Thesen genötigt, sobald aus
dem, was sie ablehnen, ein Gegenteil dessen erschlossen wird, was sie zuvor
zugestanden hatten. Außerdem ist es unmöglich, daß Gegenteile (contraria)
zugleich wahr sind. Daher werden sie durch das Unmögliche {per impossibile) zu
der Folgerung genötigt. Nicht umsonst haben die Dialektiker den Satz aufgestellt,
daß dasjenige Schlußschema (modus) wahr ist, bei dem der Gegensatz der Kon-
klusion zusammen mit einer der Annahmen zur Verneinung der anderen führt.
Dagegen sind die Stoiker der Meinung, daß nur durch eine vorangestellte Vernei-
nungspartikel sowohl die Konklusion bestritten als auch eine der Prämissen
verneint wird, beispielsweise: „Jeder - nicht jeder"; „Einige - nicht einige". Die
Alten allerdings erlauben, daß die Verneinung auch durch eine von zwei mögli-
chen Formulierungen ausgedrückt wird, lassen also eine zweifache Verneinung
zu, beispielsweise: „Jeder - nicht jeder / einige".
Apuleius, De int. 191,5-25 Thomas (= FDS 1161)

Es scheint mir außer Zweifel zu stehen, daß die hier erwähnten


Dialektiker (die) Mitglieder der Dialektischen Schule sind. Das wird
einerseits durch den Gegensatz gesichert, in dem hier die Dialektiker
zu den Stoikern stehen. Hätten wir es mit der Bedeutung,Logiker' zu
tun, dann wäre der folgende, adversativ anknüpfende Satz („Dagegen
sind die Stoiker . . . " , at Stoici) unverständlich, da hier doch gerade
214 Dialektiker und Stoiker bei Apuleius

auch eine Theorie der stoischen Logiker erörtert wird.1 Zum anderen
fallen die sprachlichen Übereinstimmungen auf, die zwischen der
Formulierung, welche die ,Alten' dem hier diskutierten logischen
Prinzip gegeben haben, und den Wendungen bestehen, die im Referat
des Apuleius diesen,Dialektikern' zugesprochen werden, wobei beide,
die Alten wie die Dialektiker, sich von den Stoikern unterscheiden. So
reden die,Alten' (veteres) wie die Dialektiker übereinstimmend vom
,Aufheben' (tollere, sublatus esse) einer Aussage, wo die Stoiker vom
Gegensatz (contrarium) einer Aussage sprechen. Während die Stoiker
also auf ein formallogisches Verhältnis abstellen, sind die Dialektiker
und die ,Alten' an der Situation des dialektischen Gesprächs orien-
tiert. Auch die Erläuterung, die sich im Text des Apuleius unmittelbar
nach der Definition der ,Alten' findet, unterstreicht diese Beobach-
tung: Sie lokalisiert den Ursprung dieser, den, Alten' zugeschriebenen
logischen Regel in der agonalen Argumentationspraxis der dialekti-
schen Unterredung, wie sie uns etwa aus der aristotelischen Topik
bekannt ist.2
Diese Beobachtungen lassen nur den Schluß zu, daß die hier von
Apuleius erwähnten dialectici eine bestimmte historische Gruppe,
unterschieden von den Stoikern sind, und dafür kommen dann nur
die Dialektiker im Sinne der Dialektischen Schule in Betracht. Die
logische Regel, die Apuleius hier als pnma constitutio vel primum
exposition der Stoiker bezeichnet, ist natürlich das erste Thema der
stoischen Aussagenlogik.3 Der Sache nach wird dieses logische Prin-

1
Long/Sedley geben den ersten Teil dieses Textes in ihrer Sammlung (fr. 36 I,
Bd. 2, 221), brechen aber vor dieser adversativ anknüpfenden Bemerkung über die
Stoiker ab. Damit ist dann auch nicht erkennbar, daß die im vorhergehenden Satz
(dem letzten des bei Long/Sedley ausgehobenen Zitates) erwähnten dialectici eine
eigene, von den Stoikern unterschiedene Gruppe darstellen.
2
Es hegt nahe, die hier erwähnten veteres mit den dialectici gleichzusetzen.
Denkbar ist aber auch, daß sich hinter den,Alten' die frühen Stoiker verbergen oder
daß es sich um einen Sammeltitel für die frühen Stoiker und die Dialektiker
handelt, sodaß der Titel Stoici in diesem Text nur die Vertreter der gewissermaßen
offiziellen stoischen Logik (nämlich der des Chrysipp) bezeichnen würde. Für die
Zwecke unserer Untersuchung muß die Frage nach der genauen Zuordnung dieser
, Alten' nicht geklärt werden; klar ist j edenfalls, daß sie zumindest den Dialektikern
sehr nahe stehen müssen. - Nach Long/Sedley Bd. 2,221 sind hier die Peripatetiker
gemeint, was mir eben wegen der sachlichen Nähe von dialectici und veteres nicht
plausibel erscheint. Überhaupt könnten mit den ,Alten' auch an anderen Stellen
nicht die Peripatetiker, sondern Dialektiker und/oder frühe Stoiker gemeint sein.
Im Lichte der gerade diskutierten Stelle ist jedenfalls gegenüber der üblichen
Deutung als Peripatetiker Skepsis angebracht.
3
Hervorhebung verdient die Bemerkung des Apuleius, daß diese Regel auch
zum Beweis {probaüo) der Unbeweisbaren, also offenbar der stoischen Anapodeik-
Dialektiker und Stoiker bei Apuleius 215

zip bereits von Aristoteles benutzt, und der Titel, den Apuleius diesem
Prinzip gibt, nämlich per impossibile (Beweis), ist die lateinische Über-
setzung des aristotelischen δια τοϋ αδυνάτου.4 Aristoteles setzt die per
impossibile Reduktion nur dort ein, wo eine direkte Reduktion (durch
Konversion von Prämissen) auf die Modi der ersten Figur nicht
möglich ist, nämlich bei Baroco der zweiten und Bocaido der dritten
Figur, obwohl sich jeder Modus der zweiten und der dritten Figur (und
der von Aristoteles nicht als eigene Figur behandelten vierten Figur)
mit Hilfe dieses Verfahrens aus den Modi der ersten Figur ableiten
läßt.
Aber Aristoteles scheint sich über die universelle Anwendbarkeit
dieses Ableitungsverfahrens durchaus im klaren gewesen zu sein: Er
erwähnt bei der Behandlung von Camestres der zweiten Figur, daß es
neben der direkten Reduktion auf die erste Figur für diesen Modus
auch die Möglichkeit des Beweises „durch das Unmögliche" gibt
(An. Ρήοτ. I 5, 2 7 a l 4 - 1 5 ) . Wichtig ist für unseren Zusammenhang
jedenfalls, daß diese logische Regel bei Aristoteles den Status eines
Ableitungsverfahrens hat, eines Verfahrens, mit dem sich aus den

toi tauge. Tatsächlich lassen sich bestimmte Axiome der stoischen Aussagenlogik
aus anderen Schlußformen ableiten, wobei das teilweise andere Anapodeiktoi sind:
So ist etwa das dritte Axiom des Chrysipp, nämlich,—(P A Q), Ρ also —Q' mit Hilfe
des ersten Themas aus der intuitiv eigentlich klareren Sequenz ,P, Q also Ρ A Q' zu
gewinnen. Das zweite Axiom, der Modus tollens, ist durch Anwendung des ersten
Themas aus dem ersten Axiom, dem Modus ponens, abzuleiten; darauf scheint
übrigens bereits Galen aufmerksam geworden zu sein, denn er verlangt für den
Modus tollens einen Beweis {Inst. log. 19,22-20,1 Kalbfleisch = FDS 1098). Umge-
kehrt läßt sich, bei Annahme der Äquivalenz von ,P' und ,—P', die für die Stoa
durch DL 7.69 gesichert ist, aus dem Modus tollens mit dem ersten Thema auch der
Modus ponens gewinnen. Apuleius will also offenbar nicht sagen, daß alle Anapo-
deiktoi aus Schlußformen abgeleitet werden können, die ihrerseits keine Anapo-
deiktoi sind, sondern nur, daß sich für einige dieser Schlußformen eine andere
finden läßt, aus der sie mit Hilfe des ersten Themas deduziert werden kann, und
daß die Eigenschaft, derartige Deduktionen zu ermöglichen, ein Charakteristikum
des ersten Themas ist. - Die Axiome der stoischen Aussagenlogik sind also keine
Axiome im Sinne eines modernen Axiomensystems, denn das erste und das zweite
,Axiom' dieser Logik sind voneinander nicht logisch unabhängig. Aber dieser
Mangel (jedenfalls in unseren Augen) scheint in der antiken Logik nicht als solcher
empfunden worden zu sein. Bekanntlich sagt auch Aristoteles am Ende seiner
Behandlung der kategorischen Syllogistik, in der die vier Syllogismen der ersten
Figur als Axiome benutzt worden sind, daß die beiden partikulären Syllogismen
der ersten Figur, nämlich Darii und Ferio, auf die allgemeinen Syllogismen dieser
Figur (Barbara, Celarent) zurückgeführt werden können, und er gibt auch den
Beweisweg an (An.Pnor. I 7, 29bl-19).
4 Zu den Beweisen per impossibile des Aristoteles vgl. Patzig (1969), 153-166.
216 Dialektiker und Stoiker bei Apuleius

Axiomen eines logischen Systems weitere gültige Modi gewinnen


lassen.5
Wenn aber sowohl bei Aristoteles als auch bei den Stoikern diese
logische Regel der Ableitung gültiger Schlußformen aus anderen
dient, die ihrerseits keiner Ableitung bedürfen, dann spricht viel da-
für, daß diese Regel auch bei den Dialektikern dieselbe Funktion
hatte. Zwar erscheint sie im Referat des Apuleius als eine Prü/regel für
die Gültigkeit (oder, wie Apuleius sagt, Wahrheit) eines Schluß-
schemas, aber bei dieser Prüfung ist vorausgesetzt, daß der Schluß, der
von der Verneinung der Konklusion des zu prüfenden Schlusses zu-
sammen mit einer der Prämissen zur Verneinung der anderen Prä-
misse führt, seinerseits ein gültiger und d. h. keiner Prüfung hinsicht-
lich seiner Gültigkeit mehr bedürftiger Schluß ist. Faktisch haben wir
es hier also mit einer Ableitungsregel zu tun.
Klarerweise wäre aber die Ableitung gültiger Schlußformen aus
anderen sehr begrenzt, wenn dafür lediglich diese eine Regel zur
Verfügung stände. Denn aus einer Schlußform mit η Prämissen lassen
sich mit Hilfe dieser Regel lediglich η neue Schlußformen ableiten. So
ergeben sich etwa aus dem Modus ponens (P - Q, Ρ also Q) bei
Anwendung dieser Regel nur die beiden Schlußformen ,P Q, -Q also
-P' und ,P, -Q also -(P - Q)', wobei ,P' äquivalent,- -P' sein soll. Wir
würden also mit dieser einen Regel noch eine sehr große Zahl von
Schlußformen erhalten, die als nicht beweisbedürftig zu gelten hätten.
Damit aber wäre der Vorteil eines axiomatischen Systems, die Ablei-
tung aus wenigen Axiomen, gerade nicht zu erreichen. Daher ist es
wahrscheinlich, daß diese Ableitungsregel nicht allein stand. Mögli-
cherweise ist das „dialektische Theorem", von dem Sextus Empiricus
berichtet (AM 8.231), eine solche weitere Ableitungsregel der Dia-
lektiker gewesen. Sie erlaubt die Ersetzung einer Prämisse durch Aus-
sagen, aus denen diese Prämisse folgt. Zwar wird diese Ableitungsre-
gel von Sextus bei einer Analyse stoischer Argumente benutzt; nur
wenig später wird mit Bezug auf das analysierte Argument gesagt, daß
es sich aus zwei ersten Anapodeiktoi zusammensetzt (AM 8.233).
Aber die Terminologie, die Rede von einem Theorema, nicht von
einem Thema, ist jedenfalls nicht stoisch. Das macht eine Herkunft

5
Die Formulierungen, die Aristoteles in An. Prior. II 8,59b3-5 für diese Regel
gebraucht, haben Entsprechungen in den Wendungen, die Apuleius für die,Alten'
überliefert: das aristotelische άναιρεΐσΰαι entspricht dem lateinischen tolli, την
λοιπην bei Aristoteles korrespondiert reliquam bei Apuleius.
Dialektiker und Stoiker bei Apuleius 217

dieses Prinzips aus der Dialektischen Schule immerhin wahrschein-


lich.6
Überdies wird im Schriftenkatalog des Chrysipp (DL 7.194) ein
Werk erwähnt mit dem Titel: προς το περί τρόπων Φίλωνος προς Τιμό-
στρατον α . Offenbar hat also Philon eine Abhandlung über Schluß-
modi geschrieben. Bemerkenswert ist weiterhin, daß die Nennung der
gegen Philon gerichteten Schrift des Chrysipp unmittelbar auf den
Titel eines Werkes folgt, das Einwände gegen die Analysen der Syllo-
gismen behandelt (vgl. DL 7.194); unter der Analyse eines Syllo-
gismus aber ist, wie die Textstelle AM 8.230-238 beweist, die Ablei-
tung einer Schlußform aus anderen, als nicht beweisbedürftig
geltenden Schlußformen mit Hilfe bestimmter Ableitungsregeln zu
verstehen. Der Kontext, in dem dieser Titel des Philon genannt wird,
könnte somit ein Anhaltspunkt dafür sein, daß Philon in seiner, von
Chrysipp kritisierten Schrift Über Schlußmodi über die Herleitung
von Schlußformen aus als axiomatisch angesehenen anderen Schluß-
formen gehandelt hat.
Wir können jedenfalls davon ausgehen, daß den Dialektikern eine
Ableitungssregel zur Verfügung stand, die dem ersten Thema der
stoischen Aussagenlogik entspricht, daß sie vermutlich über eine
weitere Ableitungsregel, das bei Sextus erwähnte ,dialektische Theo-
rem', verfügten und daß schließlich Philon eine Abhandlung Über
Schlußmodi verfaßt hat; der Kontext, in dem diese Schrift des Philon
erwähnt ist, läßt vermuten, daß in ihr Schlußmodi aus als axiomatisch
angenommenen anderen Schlußmodi abgeleitet worden sind. Nimmt
man diese drei Umstände zusammen, so bilden sie ein relativ starkes
Indiz dafür, daß die Dialektische Schule jedenfalls in der Generation
des Philon und Diodor über eine (Aussagen-(Logik verfügte bzw. eine
solche Logik ausarbeitete, in der bestimmte Schlußmodi die Rolle von
Axiomen einnahmen.

6
Vgl. auch Hülser in der Einleitung zu FDS LXVL Faktisch ist eine entspre-
chende Ableitungsregel von Aristoteles dort vorausgesetzt, wo er Syllogismen der
zweiten und dritten Figur durch direkte Reduktion auf die der ersten zurückführt.
III. TEIL:
DER URSPRUNG DER STOISCHEN THEORIE DES BEWEISES

Achtes Kapitel:
Der frühstoische Charakter der Theorie
des Beweises bei Sextus Empiricus

An drei Stellen seines Werkes überliefert Sextus Empiricus ein Lehr-


stück, bei dem es um eine Klassifizierung von Argumenten geht; dabei
gilt das Hauptinteresse der referierten Klassifikationen dem Beweis
(άπόδειξις), der hier als eine Unterart der Argumente behandelt wird.
Zwei dieser drei Texte (AM 8.301-314; PH 2.135-143) sind explizit
auf eine Definition des Beweises ausgerichtet; an der dritten Stelle
(AM 8.411-423) haben wir es nicht mit einer dihairetischen Eintei-
lung zu tun, die auf eine Definition von Beweis zuläuft, aber faktisch
liefert auch dieses Referat eine solche Definition, und Sextus gibt
seine Darstellung hier ausdrücklich in der Absicht, die dogmatische
Definition des Beweises kritisch zu prüfen (vgl. AM 8.411).
Diese drei Referate des Sextus weichen in einer Reihe von Einzelhei-
ten voneinander ab, aber in einem zentralen und wissenschaftsge-
schichtlich bedeutsamen Punkt stimmen sie zusammen: Damit ein
Argument ein Beweis ist, so erklären diese drei Textstellen überein-
stimmend, genügt es nicht, daß dieses Argument nach einer gültigen
Schlußform und aus wahren Prämissen folgert; vielmehr muß dar-
überhinaus die Konklusion „aufdeckend" sein, d. h. einen Sachver-
halt zum Inhalt haben, der „nicht-offenkundig" (άδηλον) ist (vgl. AM
8.310; PH 2,135 und 142 f.; AM 8.422). Für den Begriff des Beweises
wird damit also eine spezifische Leistung der Erkenntniserweiterung
zum Charakteristikum gemacht. Mit dieser Auffassung von Beweis
wird daher eine Brücke von der formalen Logik zur Erkenntnistheorie
geschlagen.1

1 Die Forderung einer erkenntniserweiternden Leistung des Beweises unter-

scheidet diesen Beweisbegriff von einer historisch wohl unmittelbar vorhergehen-


den (und dem modernen Verständnis entsprechenden) Auffassung des Beweises als
eines „schlüssigen und wahren Argumentes" in den pseudo-platonischen Defini-
tionen (λόγος συλλογιστικός αληθής 414e). Allerdings findet sich der Gedanke einer
220 Der frühstoische Charakter der Beweistheorie bei Sextus

Über wessen Theorie(n) wird in diesen Referaten des Sextus berich-


tet? Die beiden AM-Texte hat v. Arnim (mit größeren Auslassungen)
unter die Chrysippfragmente gesetzt (SVF II fr. 239 und 266); die
Textstelle aus den PH hat er in seine Sammlung nicht aufgenommen.
Benson Mates und ebenso auch Michael Frede behandeln alle drei
Referate als Quellentexte der stoischen und d. h. für beide Autoren
der durch Chrysipp geprägten Logik; Urs Egli hält den Text AM 8.411-
423 für ein (seiner Meinung nach aus einem Werk des Kleitomachos
übernommenes) Referat einer altstoischen Theorie; dagegen werde
mit der fünfteiligen Definition des Beweises, wie sie in AM 8.310
sowie in den PH 2.135 und 143 angeführt sei, eine Begriffserklärung
referiert, die nicht ursprünglich stoisch sei.2 Egli begründet diese
These unter Hinweis auf die bei DL 7.45 gegebene altstoische Defini-
tion von Beweis, die er offenbar mit der in AM 8.422-423 formulierten
für äquivalent hält. Zur Herkunft der von ihm als nicht ursprünglich
stoisch bezeichneten Definitionen äußert Egli sich nicht.
Die bislang ausführlichste und gründlichste Diskussion von zweien
dieser drei Texte, nämlich AM 8.301-314 und PH 2.135-143, hat
Jacques Brunschwig vorgelegt. Brunschwig will drei Definitionen des
Beweises, die er in diesen Texten unterscheidet (eine vierte soll von
Sextus kompiliert worden sein), den drei ersten Schulhäuptern der
Stoa, Zenon, Kleanthes und Chrysipp resp. zuschreiben.3
Zenon soll der Autor der Definitionsformel sein, die wortgleich an
den Stellen AM 8.314, PH 2.135 und 2.143 überliefert ist, Kleanthes
soll eine nicht explizit formulierte, aber implizit in AM 8.301-309
enthaltene Beweisdefinition vertreten haben und Chrysipp schließ-
lich hat nach Brunschwig die in AM 8.314 an erster Stelle gegebene
Definition des Beweises aufgestellt, eine Definition, die, so Brun-
schwig, ebenfalls in AM 8.411-424 und implizit in den Dichotomien
der Stelle PH 2.137-140 sowie in einem von Brunschwig vorgeschlage-
nen verbesserten Text in den PH 2.143 zu lesen sei.4
Bei allen Unterschieden in der Einschätzung des Quellenwertes
dieser drei Texte stimmen die erwähnten Autoren doch darin überein,
daß die kanonische, durch Chrysipp repräsentierte Form der stoi-
schen Logik, wenn nicht hinter all diesen Texten, so doch hinter

erkenntniserweitemden Leistung, beschränkt auf eine Art der Beweise, ebenfalls


schon in dieser Sammlung: Das Zeugnis (τεκμήριον) wird definiert als „Beweis von
Verborgenem" (άπόδειξις άφανοϋς Def. 414e).
2
Mates (1973), 58-63, 106-108; Frede (1974), 55, 118,120; Egli (1967), 61 f.
3
Vgl. Brunschwig (1980), 159 f.
4
Vgl. Brunschwig (1980), 154 ff.
Kein Einfluß Chrysipps in den Referaten zur Beweistheorie 221

einem Teil von ihnen steht. Chrysipp hätte demnach den Grundge-
danken dieser Auffassung von Beweis geteilt den Gedanken nämlich,
daß ein Beweis erkenntniserweiternd ist, indem er ausgehend von
Offenkundigem zu Nicht-Offenkundigem führt.
Im folgenden soll zunächst gezeigt werden, daß Chrysipp sich die
Auffassung des Beweises in diesen drei Referaten des Sextus kaum zu
eigen gemacht haben kann. Des weiteren möchte ich nachweisen, daß
das bei Sextus erhaltene Material in die Zeit vor Chrysipp gehört, daß
wir aber Gründe haben, dieses Material trotz eines erkennbaren Ein-
flusses der Dialektischen Schule der frühen Stoa zuzuschreiben. Im
folgenden Kapitel soll dann auf Grund einer systematischen Analyse
dieser drei Referate das genetische Verhältnis ihrer Quellen geklärt
werden. Im abschließenden Kapitel 10 werde ich versuchen, die vor-
her herausgearbeiteten Positionen einzelnen Stoikern zuzuweisen.

a) Kein Einfluß Chrysipps in Sextus' Referaten zui Beweistheotie

Zur Klärung der Frage, ob wir in den drei Referaten des Sextus AM
8.301-314, AM 8.411-423 und PH 2.135-143 einen Bericht (auch)
über eine Theorie Chrysipps vor uns haben oder ob sich ein Einfluß
Chrysipps hier nicht belegen oder sogar ausschließen läßt, ist in erster
Linie ein Vergleich mit dem Referat zur stoischen Logik bei Diogenes
Laertius aufschlußreich. Denn wie wir oben bereits festgestellt haben
(vgl. S. 55), unterrichtet uns die Darstellung des Diogenes über die
stoische Logik in der Gestalt, die ihr von Chrysipp und seinen Nach-
folgern gegeben worden ist.
Nun ist die erste Unterscheidung der Gattung Argument, die in
allen drei Referaten des Sextus vorgenommen wird, die Differenzie-
rung in schlüssige und nicht-schlüssige Argumente. Für diese Klassifi-
kation ist nun aber nicht die Nomenklatur des Diogenes-Referates,
nämlich περαντικός/άπέραντος (DL 7.77) bzw. der durch einen Titel
Chrysipps belegte Terminus περαίνων λόγος (DL 7.195) benutzt, son-
dern das Wortpaar συνακτικός/άσύνακτος. Da die vom Verbum περαίνω
gebildeten Formen auch bei späteren Autoren als die stoische Termi-
nologie für die schlüssig/nicht-schlüssig-Unterscheidung gelten,5 ist
das Fehlen dieser Ausdrucksweise in den Referaten des Sextus ein
erstes beweiskräftiges Indiz dafür, daß hier kein Einfluß der durch

s Vgl. Galen, Inst. log. XIX 6, S. 49 Kalbfleisch = FDS 1086; Clemens Alex.,
Strom. VIII3 § 8,2, S. 84 Früchtel = FDS 1040.
222 Der frühstoische Charakter der Beweistheorie bei Sextus

Chrysipp repräsentierten stoischen Logik vorliegt. Diese Abweichung


von der für die chrysippeische Logik belegten Terminologie ist auch
deshalb besonders bemerkenswert, weil Sextus selber unmittelbar
nach einer dieser drei Stellen, bei der Diskussion der stoischen Theo-
rie der nicht-schlüssigen Argumente, ebenfalls ausschließlich von
den Termini λόγος περαίνων/άπέραντος Gebrauch macht (vgl. AM
8.428-447).
In allen drei Referaten des Sextus werden die Argumente zunächst
in die schlüssigen und nicht-schlüssigen, die ersteren dann in die
wahren und falschen eingeteilt (vgl. AM 8.310; 8.422-423; PH 2.140).
Durch einen (AM 8.411-423) oder durch zwei weitere Spezifikations-
schritte (so AM 8.301-314; PH 2.135-143) wird dann die Definition
des Beweises erreicht. Eine dichotomische Einteilung der Argumente
in schlüssige und nicht-schlüssige sowie in wahre und falsche findet
sich auch im Referat des Diogenes Laertius (7.77 und 7.79). Aber bei
Diogenes läuft diese Klassifikation nicht auf eine Umschreibung des
Beweises zu. Nach Einführung und Erläuterung des Unterschieds der
wahren und falschen Argumente - wahre Argumente schließen aus
wahren Prämissen, falsche haben (wenigstens) eine falsche Prämisse
oder sind nicht-schlüssig (DL 7.79) - heißt es bei Diogenes weiter: „Es
gibt auch mögliche und unmögliche Argumente sowie notwendige
und nicht notwendige." Im unmittelbaren Anschluß werden dann die
Anapodeiktoi Chrysipps vorgestellt.
Es scheint also, daß die Unterscheidung beweisender und nicht
beweisender Argumente in der Klassifikation der Argumente, über
die Diogenes berichtet, keinen Platz hatte. Auch das ist eine Differenz,
die gerade wegen der Übereinstimmung bei den ersten beiden Dicho-
tomien in der Klassifikation der Argumente dagegen spricht, daß die
vermutlich chrysippeische Lehre, über die Diogenes berichtet, auch
den Referaten des Sextus zugrunde Hegt.
Das entscheidende Argument gegen die Annahme, Chrysipp könne
auch hinter der bei Sextus referierten Theorie stehen, liefert nun aber
eine Definition des Beweises, die Diogenes Laertius an einer früheren
Stelle seines Berichtes über die stoische Logik referiert. Auch an dieser
Stelle wird der Beweis als Argument bestimmt, aber diese Begriffsbe-
stimmung ist offenbar nicht durch eine dichotomische Einteilung
gewonnen worden. Der Text der Stelle lautet wie folgt:
Das Argument (λόγος) selbst sei ein System aus Prämissen (λήμματα) und Konklu-
sion (έπιφορά). Der Syllogismus sei ein syllogistisches Argument aus diesen
Bestandteilen. Der Beweis sei ein Argument, das aus dem besser Erkannten (δια
των μάλλον καταλαμβανόμενων) das weniger gut Erkannte (το ήττον καταλαμβανόμε-
vov) erschließt. DL 7.45
Kein Einfluß Chrysipps in den Referaten zur Beweistheorie 223

Man könnte zunächst versucht sein, diese Definition für laxer zu


halten als die bei Sextus überlieferten. Denn zwei der notwendigen
Bedingungen für das Vorliegen eines Beweises, die bei Sextus erwähnt
sind, nämlich die Schlüssigkeit des Argumentes und die Wahrheit der
Prämissen, scheinen hier unter den Definitionsmerkmalen nicht be-
rücksichtigt. Aber dieser Eindruck erweist sich bei näherem Zusehen
als unrichtig. Die Schlüssigkeit ist durch die Formulierung „ein Argu-
ment, das ... erschließt" (λόγον . . . περαίνοντα) garantiert; λόγος πε-
ραίνων ist durch einen Titel Chrysipps (DL 7.195) als Terminus für das
schlüssige Argument belegt. Die Wahrheit der Prämissen oder stoisch,
die Wahrheit des Argumentes, wird durch die Rede von den Prämissen
als „Erkannte" (καταλαμβανόμενα) gesichert; denn das stoische καταλαμ-
βάνεσϋαι impliziert ebenso wie das deutsche,erkennen' die Wahrheit
des Erkannten. Die erkennende Vorstellung (φαντασία καταληπτική)
wird im unmittelbar anschließenden Text bei Diogenes als jene Vor-
stellung charakterisiert, die stets nur Wirkliches wiedergibt, also nur
wahr sein kann (7.46 vgl. a. Sextus Empiricus AM 7.151-152).
Der für unsere Frage entscheidende Punkt in der von Diogenes
referierten Beweisdefinition hat nun aber mit dem Teil des Definiens
zu tun, der jenem Spezifikationsschritt in den bei Sextus erhaltenen
Definitionsformeln entspricht, mit dem der Beweis durch eine eigen-
tümliche Erkenntnisleistung gekennzeichnet wird: mit der Bestim-
mung, daß ein Beweis uns vom „besser Erkannten" zu „weniger gut
Erkanntem" führt. Offenbar sieht also auch der von Diogenes refe-
rierte Autor das Charakteristikum des Beweises in einer spezifischen
Erkenntnisleistung. Aber seine Charakterisierung dieser Erkenntnis-
leistung weicht von der bei Sextus referierten in entscheidender Weise
ab.
Bei Sextus werden im Text der PH als beweisende Argumente sol-
che beschrieben, „die auf Grund offenkundiger Prämissen etwas
Nicht-Offenkundiges erschließen" (δια προδήλων άδηλόν τι συνάγοντες
PH 2.140). Im Text von AM 8.411-423 wird die entsprechende Bestim-
mung im Anschluß an die des wahren Argumentes vorgenommen; sie
lautet:
Das beweisende Argument unterscheidet sich nun dadurch vom wahren, daß
beim wahren alle Teile evident (εναργή) sein können, ich meine die Prämissen
und die Konklusion, das beweisende beansprucht darüber hinaus noch etwas,
ich meine die Aufdeckung einer nicht-offenkundigen Konklusion auf Grund der
Prämissen. AM 8.422

Durch den Wortlaut dieser Formulierung ist zwar nicht ausgeschlos-


sen, daß auch ein wahres Argument, das von nicht-offenkundigen
Prämissen aus eine nicht-offenkundige Konklusion erschließt, als
224 Der frühstoische Charakter der Beweistheorie bei Sextus

Beweis gelten soll, aber daß auch der an dieser Stelle referierte Autor
für einen Beweis offenkundige oder, wie er sich ausdrückt, evidente
Prämissen verlangt, das wird durch mehrere Umstände wahrschein-
lich gemacht. Einmal durch das anschließend zur Erläuterung ange-
führte Beispiel, ein Modus-ponens-Argument mit der Konditionalaus-
sage „Wenn diese Frau Milch in ihren Brüsten hat, dann hat sie
empfangen." als erster Prämisse (423). Dann durch die Rede vom
„Aufdecken" (έκκαλΰπτειν) der Konklusion durch die Prämissen; die-
ser Terminus charakterisierte auch das Verhältnis von Antecedens
zum Succedens in der Theorie des Zeichens (vgl. PH 2.104 und 106;
AM 8.245 und 252). Das Milchhaben als Zeichen für Empfängnis tritt
in den PH wie in AM als Beispiel auf. Von einem Zeichen wird aber
verlangt, daß es im Unterschied zu dem, wofür es Zeichen ist, offen-
kundig ist (vgl. a. AM 8.172-173).
Auch an der dritten Stelle, an der Sextus eine Darstellung der Theo-
rie des Beweises gibt, nämlich AM 8.301-314, wird nicht ausdrücklich
verlangt, daß ein Beweis zusätzlich zur nicht-offenkundigen Konklu-
sion auch über offenkundige Prämissen verfügen muß (vgl. AM 8.306,
8.310,8.314). Im Unterschied zu den beiden anderen Stellen wird hier
allerdings der Begriff des Aufdeckens so gebraucht, daß nicht jede
durch ein wahres Argument erschlossene nicht-offenkundige Kon-
klusion auch durch die Prämissen aufgedeckt wird; von ,aufdecken'
will der hier referierte Autor nur bei einem Unterfall des Erschließens
einer nicht-offenkundigen Prämisse reden, eben beim Beweis (8.309).
Aber damit nimmt auch dieser Autor für den Begriff des Beweises
die Leistung einer Aufdeckung (der nicht-offenkundigen Konklusion
durch die Prämissen) als wesentlich an. Wir können dann aber die
Folgerung, die wir oben aus der Parallelität der dort referierten Theorie
mit der Theorie des Zeichens ziehen konnten, die Folgerung nämlich,
daß bei einem Vorgang des Aufdeckens immer von offenkundigen
Sachverhalten ausgegangen wird, auch für die hier dargestellte Be-
weisdefinition in Anspruch nehmen.
Daß die in den PH referierte Definition des Beweises, in der die
Offenkundigkeit der Prämissen ausdrücklich als Definitionsmerk-
mal genannt wird (PH 2.140), in der Tat die vollständige Beweisdefini-
tion ist und daß daher auch an den anderen beiden Stellen die Offen-
kundigkeit der Prämissen als Definitionsmerkmal mitzuverstehen ist,
läßt sich auch noch durch eine Stelle bei Cicero stützen. Cicero führt
in den Academica folgende Definition des Beweises an (wobei er den
griechischen Ausdruck άπόδειξις gebraucht): „ratio quae ex rebus per-
ceptis ad id quod non percipiebatur adducit." (Acad. 2.26) Das lateini-
sche ,ratio' gibt natürlich λόγος wieder; nicht ebenso klar ist, was
Kein Einfluß Chrysipps in den Referaten zur Beweistheorie 225

Cicero mit ,percipi' übersetzen will.6 Aber diese Frage können wir für
unser Problem auf sich beruhen lassen, denn jedenfalls etabliert diese
Definition, ganz wie die in PH 2.140 angeführte, einen Gegensatz
zwischen den Prämissen und der Konklusion eines Beweises, einen
Gegensatz, der es unmöglich macht, daß die Konklusion eines Be-
weises jemals den Status einer Prämisse in einem anderen Beweis
erhalten kann.7
Nun hat Jonathan Barnes auf eine wichtige Konsequenz aufmerk-
sam gemacht, die sich aus diesem Gegensatz im erkenntnistheoreti-
schen Status von Prämissen und Konklusion eines Beweises ergibt.
Die Folge dieser Auffassung von Beweis ist nämlich, daß es keine
Verkettungen von Beweisen geben kann, daß sich auf einem Beweisre-
sultat niemals ein weiterer Beweis aufbauen läßt.8 Damit aber ist ein
Gebrauch deduktiver Schlußketten, wie sie die formale Logik der Stoa
zumindest seit Chrysipp oder auch die Syllogistik des Aristoteles zur
Verfügung stellen, für die Konstruktion demonstrativer Wissenschaf-
ten ausgeschlossen. Der Gedanke des deduktiven Aufbaus einer Wis-
senschaft mit Hilfe von Schlußreihen, wie ihn die Wissenschaftstheo-
rie der Zweiten Analytiken des Aristoteles entwickelt, ist mit dieser
Konzeption von Beweis nicht vereinbar.
Vor dem Hintergrund dieser paradoxen wissenschaftstheoretischen
Konsequenz der bei Sextus erhaltenen Beweistheorie läßt sich nun die
6
Cicero übersetzt άδηλον mit incertum (vgl. Acad. 2.54), aber an der Stelle Acad.
2.32 erwähnt er eine Lehre, nach der es einen Unterschied gebe zwischen incertum
und id qaodpercipi non possit. Im nächsten Satz distanziert er sich dann von denen,
die alle Dinge für so incerta halten wie die Frage, ob die Zahl der Sterne gerade oder
ungerade sei. Dieses Beispiel illustrierte in der bei Sextus referierten Einteilung der
nicht-offenkundigen Dinge die gänzlich nicht-offenkundigen (vgl. PH 2.97; AM
8.147). Es scheint also möglich, daß die von Cicero benutzte Formulierung id quod
non percipiebatui die Gruppe der von Natur aus nicht-offenkundigen Dinge be-
zeichnen soll, jene also, die nur denkender, nicht aber wahrnehmender Erkenntnis
zugänglich sind. Dann wäre peicipi die Entsprechung zu καταλαμβάνεσύαι.
7
Die bei Cicero erhaltene Beweisdefinition spricht daher auch gegen Brun-
schwigs Vorschlag (Brunschwig [1980], 152), das δια προδήλων an der Stelle PH 2.140
zu streichen.
8
Barnes (1980), 180 f. Gegen diese Beobachtung von Barnes hat Brunschwig
(1980), 152 Anm. 45 eingewandt, daß die Stoiker, wie ihr drittes Thema zeige,
„allow that the premisses of an argument can be proved by means of another
argument" - ein Einwand, der jedoch nicht sticht. Denn in dieser Metaregel (vgl.
Alexander, In An. Pi. 278,6 ff. Wallies = FDS 1167) wird nur vom,ableiten' (συνά-
γειν) gesprochen, nicht aber von,beweisen'. Theoretisch wäre es denkbar, in einer
Logik solche Kettenschlüsse zuzulassen, in einer darauf gegründeten Wissen-
schaftstheorie aber eine Verkettung von Beweisen auszuschließen. Faktisch löst
sich dieser Gegensatz, wie wir noch sehen werden, in der Weise auf, daß es nicht
dieselben Stoiker sind, die diese Beweistheorie und die diese Logik vertreten.
226 Der frühstoische Charakter der Beweistheorie bei Sextus

Differenz der von Diogenes Laertius referierten Beweisdefinition zu


den Definitionen des Sextus in ihrer ganzen Bedeutung erkennen. Der
entscheidende Unterschied hegt in der Abschwächung des absoluten
Gegensatzes von offenkundig/nicht-offenkundig zu der nur graduel-
len Differenz von besser erkannt/weniger gut erkannt. Da mit diesen
Komparativen eine Relativierung vorgenommen wird, ist es jetzt mög-
lich, daß die Konklusion eines Beweises, die per deßnitionem weniger
gut erkannt ist als ihre Prämissen, im Verhältnis zu einer Aussage, die
sich (zusammen mit einer anderen Aussage) aus ihr folgern läßt, den
Status einer besser erkannten Aussage hat. Die bei Diogenes erhaltene
Beweisdefinition erlaubt es also, Konklusionen von Beweisen wie-
derum als Prämissen anderer Beweise einzusetzen und somit Beweis-
ketten zu bilden. Der Autor dieser Definition hat dem Begriff des
Beweises im Gegensatz zu den sextianischen Definitionen die Pro-
gressivität belassen (oder wohl eher: zurückgegeben), bei gleichzeiti-
ger Wahrung des Charakteristikums der Erkenntniserweiterung.9
Mit Sicherheit gehen also die Referate der Beweistheorien bei Sextus
einerseits und bei Diogenes andererseits auf unterschiedliche Quellen
zurück. Da wir aber im Referat der stoischen Logik bei Diogenes eine
Darstellung der Logik Chrysipps und seiner Nachfolger vor uns ha-
ben, können wir somit für die Referate der Beweisdefinitionen bei
Sextus jedenfalls Chrysipp als Quelle ausschließen. Daß wir für die
bei Diogenes Laertius überlieferte stoische Beweisdefinition in der Tat
Chrysipp selber als Autor vermuten können, wird nicht nur durch den
für Chrysipp bezeugten Ausdruck λόγος περαίνων wahrscheinlich ge-
macht, sondern auch durch die Art der Änderung, die in der Defini-
tion bei Diogenes gegenüber den (wie sogleich gezeigt werden wird)
früheren Definitionen des Sextus vorgenommen ist: Die Lösung, mit
der hier ein gravierender Mangel der früheren Definitionen behoben
wird, besticht durch ihre geniale Einfachheit. Sie verrät die Hand eines
Meisters auf dem Gebiet der Logik, wie es Chrysipp war.10

9
„Zurückgegeben" deshalb, weil auch Aristoteles Prämissen und Konklusion
eines Beweises durch eine analog komparative Formulierung unterscheidet (vgl.
An. Post. 12, 71b21,29,34). Barnes (1980), 180 f. hat die Definition bei DL 7.45 mit
ihrer komparativischen Formulierung nicht berücksichtigt und hält daher fälsch-
lich den nicht-progressiven Beweisbegriff, der für die bei Sextus referierten Defini-
tionen charakteristisch ist, für ein Charakteristikum der stoischen Beweistheorie
allgemein.
10
Eine Schwierigkeit, die die Stelle DL 7.45 für die Zuschreibung der dort
angeführten Definition des Beweises an Chrysipp bietet, ist die in diesem Text
enthaltene und von DL 7.76 abweichende Definition von Argument. Während es
an der späteren Stelle heißt: „Ein Argument ist das, was aus einem Maior (λήμμα),
Die frühe Stoa als Quelle der Referate zur Beweistheorie 227

b) Die frühe Stoa als Quelle der von Sextus Empmcus


refenerten Beweistheone

Wenn wir Chrysipp als Quelle der bei Sextus erhaltenen Definitionen
des Beweises ausschließen können, auf wen gehen sie dann zurück?
Sind sie überhaupt stoisch?
Zunächst scheint jedenfalls klar zu sein, daß diese Beweisdefinitio-
nen aus der Zeit vor Chrysipp stammen. Dafür spricht insbesondere
der Gebrauch der Ausdrücke συνακτικός und άσύνακτος zur Bezeich-
nung des schlüssigen und des nicht-schlüssigen Argumentes. Diese
Terminologie läßt sich, wie im vorstehenden gezeigt worden ist, auf
den Sprachgebrauch der Dialektischen Schule zurückführen.11 Mit
Chrysipp hat sich aber, wie gerade auch das Referat des Diogenes
Laertius zeigt, für diese Distinktion bei den Stoikern eine andere
Terminologie durchgesetzt.
Für die Herkunft der von Sextus referierten Beweistheorie(n) aus der
Zeit vor Chrysipp spricht ferner, daß die spezifisch logischen Termini,
die in den Referaten des Sextus benutzt werden, zum großen Teil auch
in der ,vor-analytischen' Logik des Aristoteles vorkommen. Das gilt
etwa für einen Ausdruck wie κατασκευάζειν im Sinne von,begründen',
,ableiten' einer Konklusion (AM 8.302; PH 2.136 vgl. Top. 15,102al5 ;
II 2, 109b26 u. ö.), für die Rede von αξιώματα λαμβάνειν (PH 2.136 vgl.
Top. VIII 1, 156a23f.; Soph. El. 24, 179bl4). Auch die in allen drei
Referaten (neben έπιφορά) häufige Verwendung des aristotelischen
und schon in der Topik gebrauchten συμπέρασμα als Terminus für

einem Minor (πρόσληψις) und einer Konklusion besteht" (7.76), wird an der Stelle
DL 7.45 das Argument ganz so wie in den PH 2.135 als „System aus Prämissen und
Konklusion" definiert, der Terminus λήμμα ist hier nicht auf den Maior beschränkt.
Aber die in 7.76 referierte Definition wird dort ausdrücklich dem Krinis und seinen
Anhängern zugeschrieben, und nichts hindert, daß Chrysipp die bei DL 7.45
bezeugte Definition des Argumentes sich zu eigen gemacht hat, auch wenn sie
bereits vorher vertreten worden ist. Umgekehrt ist die ausdrückliche Zuweisung
der 7.76 angeführten Definition des Argumentes an Krinis ein Indiz dafür, daß sie
erst von Krinis, also nach Chrysipp aufgestellt wurde. Für die Zuschreibung der DL
7.45 erwähnten Beweisdefinition an Chrysipp spricht schließlich der Gebrauch des
Ausdrucks περαίνειν (statt συνάγειν) für,folgern', der für Chrysipp bezeugt ist. Gegen
eine Zuschreibung der bei Sextus erhaltenen Beweisdefinitionen an Chrysipp
spricht schließlich noch ein Umstand, auf den mich David Sedley freundlicher-
weise hingewiesen hat: Die Definitionen des Beweises bei Sextus werden in zwei
Texten (AM 8.301-314; PH 2.134-143) auf dem Weg der dihairetischen Einteilung
einer Gattung erreicht. Offenbar ist aber, so Sedley, keine der für Chrysipp bezeug-
ten Definitionen auf dem Wege einer dihairetischen Einteilung gewonnen worden.
11
Vgl. oben S. 133-137, 142 f..
228 Der frühstoische Charakter der Beweistheorie bei Sextus

/Konklusion' rückt diese Texte in die vorchrysippeische Logik.12 Daß


λόγος im Sinne von ,Argument' und λήμμα im Sinne von ,Prämisse'
bereits von Aristoteles in der Topik benutzt werden, wurde bereits
oben (S. 205) bei der Diskussion der Stelle PH 2.247-249 festgestellt.
Ebenso ist das Verbum συγκατατίϋεσδαι, ,zustimmen' (PH 2.141) schon
bei Aristoteles belegt [Top. III 1, 116all). Aber während diese drei
Ausdrücke auch zur Standardterminologie der späteren, chrysippei-
schen Stoa gehören, scheint der Terminus συνάγειν für ,folgern',
,schließen' (AM 8.305, 307, 311; AM 8.413, 415; PH 2.139-141 vgl.
Rhet. 12,1357a8; II 22,1395b25,1396a2u. ö.; Soph. El. 22,178a33; 24,
179b21, b25) bei Chrysipp und seinen Nachfolgern durch περαίνειν
ersetzt worden zu sein. Auch das zugehörige Substantiv συναγωγή im
Sinne von,Folgerung', das in einer dieser Beweisdefinitionen benutzt
wird (PH 2.135, 143; AM 8.314), tritt in dieser Bedeutung schon bei
Aristoteles auf (vgl. Rhet. II 23,1400b26; III 9,1410a22).
Aber es sind nicht nur die Übereinstimmungen in der Terminolo-
gie, die diese Referate des Sextus in Beziehung setzen zu einer Stufe
der Logikentwicklung, die auch durch die ,vor-analytische' Logik des
Aristoteles dokumentiert wird. Charakteristisch für diese Stufe der
Logikentwicklung ist die Bindung an eine dialogische Situation, an
ein Frage-Antwort-Spiel zwischen zwei Dialogpartnern mit den Rol-
len des Fragers und des Antwortenden; zahlreiche Partien platoni-
scher Dialoge können diese Situation illustrieren. Diese Situation
eines Gesprächs zweier Dialogpartner mit festgelegten Rollen spiegelt
sich auch in bestimmten Wendungen bei Sextus. So werden die Prä-
missen an einer Stelle als „die übereinstimmend angenommenen Aussa-
gen" (συμφώνως λαμβανόμενα αξιώματα PH 2.136) bestimmt; die Rede
von einer Übereinstimmung' setzt eine Situation voraus, in der zwei
(oder mehr) Partner sich erst einigen müssen. Noch deutlicher kommt
diese Orientierung am Modell der dialogischen Diskussion in der
Umschreibung der Prämissen in AM 8.302 zum Ausdruck: Dort sind
die Prämissen „nicht irgendwelche Thesen, die wir uns zusammen-
stehlen, sondern solche, die der Dialogpartner (προσδιαλεγόμενος) we-
gen ihres einleuchtenden Charakters zugibt und einräumt."
Derartige Wendungen und die terminologischen Übereinstimmun-
gen mit der ,vor-analytischen' Logik des Aristoteles zeigen, daß Sextus
an den drei Textstellen, die wir diskutieren, Lehren referiert, die in die
Zeit vor Chrysipp gehören. Dieser Befund läßt sich durch andere
Beobachtungen stützen. So wird der Ausdruck θέμα, der in der von
12
Das Verhältnis des Ausdrucks συμπέρασμα zu έπιφορά ist in den drei Texten wie
folgt: AM 8.301-314 7:8; AM 8.411-423 7:3; PH 2.134-143 10:6.
Die frühe Stoa als Quelle der Referate zur Beweistheorie 229

Chrysipp geprägten, kanonischen Gestalt der stoischen Logik be-


kanntlich als technischer Terminus im Sinne von ,Ableitungsregel'
gebraucht wird, hier einmal (AM 8.302) in einem ganz untechnischen
und weiten Sinn mit der Bedeutung,These' benutzt. Das dürfte nach
der Fixierung als terminus technicus in einem logischen Text der Stoa
jedenfalls kaum noch möglich gewesen sein.
Schließlich wird die Datierung auf die Zeit vor Chrysipp auch durch
die Formulierung der bei Diogenes Laertius erhaltenen und jedenfalls
in den Umkreis Chrysipps gehörenden Beweisdefinition (DL 7.45)
gestützt. Denn der Autor dieser Definition will offenbar einen Mangel
der bei Sextus referierten Beweisdefinitionen korrigieren, bei gleich-
zeitiger Wahrung des Gedankens, daß ein Beweis erkenntniserwei-
ternd sein soll. Er setzt also diese Definitionen voraus.
Können wir die Referate des Sextus zur Beweistheorie dann über-
haupt als Zeugnisse für die Stoa in Anspruch nehmen? Die bisher
zusammengetragenen Beobachtungen würden doch auch die Vermu-
tung stützen, daß wir es hier mit Theorien der Dialektischen Schule
zu tun haben. Die in diesen Texten ausnahmslos benutzten Termini
für das schlüssige/nicht-schlüssige Argument sind auch die von den
Dialektikern verwendeten, die Nähe zur ,vor-analytischen' Logik des
Aristoteles war auch ein Charakteristikum der Lehren dieser Gruppe
(vgl. oben S. 205).13
Wenn diese Texte des Sextus uns über Lehren der Stoa unterrichten,
dann können es jedenfalls nur Lehren der frühen Stoa sein. Für diese
Phase der Stoa ist aber auf dem Gebiet der Logik ein Einfluß der
Dialektischen Schule durch eine Reihe von Zeugnissen gesichert (vgl.
a. oben S. 58 f.). Die Benutzung /Dialektischer' Terminologie paßt zu
diesen Befunden und kann deshalb für sich genommen kein Grund
sein, die Referate des Sextus als Berichte über Lehren der Dialektiker
zu deuten. Gibt es darüber hinaus Indizien dafür, daß hier stoische
Theorien referiert werden?
Das stärkste Indiz für die stoische Herkunft dieses Lehrstücks ist
der Umstand, daß durch den Kontext eines dieser Berichte die refe-
rierte Theorie explizit mit der Stoa in Verbindung gebracht wird,

13
In einer früheren Fassung dieser Untersuchung hatte ich argumentiert, daß die
AM 8.411-423 referierte Theorie der Dialektischen Schule gehöre, und aus der
Übereinstimmung mit den in AM 8.301-314 bzw. PH 2.134-143 dargestellten
Lehren geschlossen, daß hier ebenfalls dasselbe Lehrstück der Dialektiker die
Quelle der sextianischen Berichte sei. Auf diese frühere Fassung meiner Arbeit geht
es zurück, daß mir in Long/Sedley Bd. 2, S. 215 f. die These zugeschrieben wird,
diese drei Texte berichteten über eine Lehre der Dialektischen Schule.
230 Der frühstoische Charakter der Beweistheorie bei Sextus

nämlich an der Stelle A M 8.411-423. D i e Dogmatiker, die Sextus hier


referiert, sind A M 8.396 als Stoiker vorgestellt worden. Im unmittelba-
ren A n s c h l u ß an dieses Referat werden die Stoiker ebenfalls zweimal
ausdrücklich genannt (8.425 und 428). 1 4
Für den stoischen Charakter dieser Stelle spricht aber auch das
Argument, das an der Stelle A M 8.423 als Beispiel für einen Beweis
angeführt wird. Es schließt nämlich v o m Faktum des Milchhabens auf
die vorausgegangene Empfängnis. Dasselbe Beispiel, genauer gesagt,
die Konditionalaussage der ersten Prämisse dieses Argumentes, dient
an anderen Stellen, an denen unstreitig stoische Lehre referiert wird
(PH 2.106; A M 8.252), zur Illustration des stoischen Zeichenbegriffs.
Wir hatten oben (S. 76) überdies gesehen, daß die in diesem Beispiel
vorliegende Verbindung v o n Milchhaben und Empfängnis, statt wie
bei anderen Autoren Geburt (Piaton, Menex. 237e; Aristoteles, Rhet. I
2, 1 3 5 7 b l 4 - 1 6 ; Pseudo-Galen, Hist, philos. cap. 9) oder Schwanger-
schaft (Aristoteles, An. Prior. II 2 7 , 7 0 a l 2 - 1 6 ) , offenbar dieses Beispiel

14
Eine gewisse Schwierigkeit hegt in der das Referat einleitenden Bemerkung,
jetzt solle geprüft werden, ob sich die stoische Beweislehre „auch unter Zugrunde-
legung der dialektischen Theorie" (και κατά την διαλεκτικήν ϋεωρίαν) aufrechterhal-
ten lasse (8.411). Sextus benutzt nämlich, wenn er mit ύεωρία plus spezifizierendem
Adjektiv die Logik bezeichnet, an einer anderen Stelle zweimal λογική ύεωρία (AM
7.12,14). Daher könnte man annehmen, daß Sextus hier mit διαλεκτική ύεωρία die
Theorie der Dialektiker bezeichnen will. Aber es erscheint andererseits durchaus
möglich, daß Sextus hier keinen einheitlichen Sprachgebrauch hat oder auch, daß
seine Quelle mit διαλεκτική ύεωρία die Dialektik bezeichnet. Daß ,dialektisch' bei
Sextus häufig im Sinne von,logisch' gebraucht wird, zeigen Stellen wie AM 8.269:
διαλεκτικαι τέχναι AM 8.270: διαλεκτικά ύεωρήματα. Eine weitere Schwierigkeit der
einleitenden Bemerkung des Sextus liegt in folgendem: Sextus will hier, wie das
„auch" (καί) zeigt, mit der dialektischen Theorie' einen neuen Gesichtspunkt der
Kritik einführen; d. h. aber umgekehrt, daß jedenfalls bisher die Dialektik (=
dialektische Theorie) noch nicht zur Kritik herangezogen worden ist. Nun hat
Sextus aber bereits seit 8.396 die stoische Beweistheorie im Ausgang von erkennt-
nistheoretischen Voraussetzungen der Stoa kritisiert, im Ausgang nämlich von
ihrer Definition der Erkenntnis (κατάληψις) als „Zustimmung zu einer erkenntnis-
haften Vorstellung" (καταληπτικής φαντασίας συνκατάύεσις AM 8.397). Die Erkennt-
nistheorie und insbesondere die Lehre von den Vorstellungen ist aber nach stoi-
scher Schuldoktrin ein Teil der Dialektik (vgl. DL 7.43). Wir müssen also, wenn wir
an dem systematischen Sinn von ,dialektischer Theorie' als Dialektik festhalten
wollen, entweder annehmen, daß diese bei Diogenes Laertius für die Stoa bezeugte
Auffassung bei den frühen Stoikern noch keine Geltung hatte, daß bei ihnen
erkenntnistheoretische Erörterungen nicht als dialektisch galten (was angesichts
der Unterscheidung von Dialektik und Erkenntnistheorie bei Epikur immerhin
denkbar erscheint). Oder wir müssen für διαλεκτική ύεωρία an der Stelle AM 8.411
allgemein einen in der Stoa üblichen engeren Sinn gegenüber der bei Diogenes
(7.43) erwähnten Dialektik annehmen. Die erste Alternative dürfte plausibler sein.
Die frühe Stoa als Quelle der Referate zur Beweistheorie 231

mit der stoischen Theorie des endeiktischen Zeichens, das einen von
Natur aus nicht-offenkundigen Sachverhalt aufdeckt, in Übereinstim-
mung bringen soll.
Von den anderen beiden Texten gehört die PH-Stelle (2.135-143)
ebenfalls in einen Zusammenhang, der für eine Kritik an einer stoi-
schen Lehre spricht: Der voraufgehende Abschnitt 2.104-133 galt der
Darstellung und Kritik der Theorie des Zeichens bei den (frühen)
Stoikern. Zwar sind im voraufgehenden Text auch einmal Philon und
Diodor erwähnt worden, jedoch nur zu einem speziellen Lehrstück,
der Deutung des Konditionals (vgl. PH 2.110-111), und nur deshalb,
weil sich damit ein Element in der den Stoikern (PH 2.104) zugeschrie-
benen Definition des Zeichens kritisieren läßt.
Was schließlich den Text AM 8.301-314 angeht, so schließt auch er
an die ausgedehnte Diskussion der in AM 8.245-256 referierten und
anschließend (8.257-298) kritisierten stoischen (vermutlich zenoni-
schen) Theorie des Zeichens an. Die Stoiker sind hier zuletzt 8.261
erwähnt, danach erscheinen sie nur noch als ,die Dogmatiker' (8.285).
Die Diskussion des Beweises, die mit dem Referat 8.301-314 beginnt,
wird von Sextus, wie er ausdrücklich sagt (AM 8.299), wegen des
systematischen Zusammenhangs mit der Theorie des Zeichens an
dieser Stelle angefügt. Auch in diesem, dem Referat des Beweises
voraufgehenden Kontext sind einmal Philon und Diodor erwähnt
(8.265), aber wiederum lediglich, um aus ihrem Streit über die Deu-
tung der Konditionalaussage ein Argument gegen ein Definitions-
merkmal der stoischen Zeichendefinition zu gewinnen. Die Paralleli-
tät des Kontextes, in dem die beiden Stellen PH 2.135-143 und AM
8.301-314 stehen, der stoische Charakter dieser Kontexte sowie die
systematische Übereinstimmung mit der Stelle AM 8.411-423, für
deren stoische Herkunft sich auch direkte Hinweise finden ließen,
sind Indizien dafür, daß wir es an allen drei Textstellen mit Berichten
über stoische Lehrstücke zu tun haben, über Lehrstücke allerdings,
die sich in wichtigen Punkten auch unterscheiden.
Neuntes Kapitel:
Übereinstimmungen und Unterschiede
in den Referaten des Sextus
zur stoischen Beweistheorie
und das genetische Verhältnis ihrer Quellen

Von den drei uns hier interessierenden Texten gehören zwei, nämlich
AM 8.301-314 und PH 2.135-143, offensichtlich näher zusammen.
Anders als die dritte Textstelle (AM 8.411-423), an der es um die
Unterscheidung von Argumentarten geht, sind diese beiden Text-
stücke explizit auf eine definierende Umschreibung von,Beweis' aus.
Beide Texte weisen außerdem, bei weitgehenden Parallelen im Auf-
bau, in den einzelnen Schritten ihrer Argumentation eine Reihe von
Abweichungen auf, und es erscheint schon deshalb sinnvoll, die ver-
gleichende Erörterung dieser drei Referate mit diesen beiden zu begin-
nen. Dabei kann ich mich auf die gründliche Untersuchung dieser
beiden Texte stützen, die Jacques Brunschwig vorgelegt hat,1 auch
wenn ich, was die quellenmäßige Zuweisung dieser Texte und ihrer
Definitionsformeln angeht, andere Folgerungen aus Brunschwigs Be-
obachtungen ziehen werde als dieser selbst.
Für das Verhältnis dieser beiden Texte ist nun vorab noch folgende
Beobachtung wichtig: Alle Beispiele, mit denen in dem Textabschnitt
der PH bestimmte Arten von Argumenten erläutert werden, treten
auch im Paralleltext in AM auf; das Umgekehrte gilt allerdings nicht.
Überdies illustrieren die beiden Texten gemeinsamen Beispiele auch
jeweils genau denselben Fall.2 Das legt die Vermutung nahe, daß die

1
Brunschwig (1980).
2
Die Schlußbeispiele sind - jeweils mit Angabe dessen, was sie illustrieren
sollen - die folgenden (soweit es Modus-ponens-Schlüsse sind, führe ich nur die
jeweils erste Prämisse an): „Wenn es Tag ist, ist es hell": Argument allgemein (PH
2.136; AM 8.302); schlüssiges Argument (PH 2.137; AM 8.303-305); wahres Argu-
ment (PH 2.138; AM 8.312); wegen Offenkundigkeit der Konklusion nicht-bewei-
sendes Argument (PH 2.140; AM 8.307). „Wenn es Nacht ist, ist es dunkel": falsches
Argument (PH 2.139; AM 8.311). „Wenn Schweiß durch die Körperoberfläche
austritt, dann gibt es im Fleisch unsichtbare Poren": Beweis (PH 2.142; AM 8.306).
„Wenn einer der Götter dir gesagt hat, daß dieser reich sein wird, so wird dieser
Die Gliederung von AM 8.301-314 233

Quellen, auf die diese beiden Referate des Sextus letztlich zurückge-
hen, nicht unabhängig voneinander entstanden sind. Beim Vergleich
dieser beiden Texte wird daher zu prüfen sein, ob sich diese Vermu-
tung bestätigen läßt und ob sich Indizien für die Abhängigkeit einer
der beiden Quellen von der jeweils anderen ergeben.
Brunschwig legt seiner vergleichenden Textanalyse die AM-Stelle
zugrunde und gliedert sie wie folgt:3

(1) Begründung für die Einordnung des Beweises in die Gattung


Argument (AM 8.301)
(2) Definitionen des Argumentes und seiner Teile (Prämissen und
Konklusion) (8.301-302)
(3) Dihairetische Einteilung der Argumente nach folgendem Schema
(8.303-309):
Argumente

schlüssig nicht-schlüssig

mit nicht-offenkundiger "mit offenkundiger


Konklusion Konklusion

untersuchend und aufdeckend "nur untersuchend

(4) Erste Zusammenfassung der Einteilungen in Form einer Defini-


tion von Beweis (8.310)
(5) Ergänzende Erläuterungen dieser Zusammenfassung (8.311-313)
(6) Zweite Zusammenfassung mit zwei neuen Definitionen von Be-
weis (8.314)

Ich werde mich im folgenden an dieser Gliederung orientieren und


Brunschwigs Beobachtungen zu den beiden Textstücken teils referie-
ren, häufig aber auch ergänzen und gelegentlich korrigieren.

reich sein. Nun hat dieser Gott hier dir gesagt, daß dieser reich sein wird. Also wird
dieser reich sein": Argument, das untersuchend, aber nicht aufdeckend ist (PH
2.141; AM 8.308, 313).
3
Brunschwig (1980), 126 f. Aus Gründen, die weiter unten (S. 256) dargelegt
werden, habe ich dabei allerdings die von Brunschwig gewählte Terminologie für
die Einteilung der Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion (progressive
and revelatory/merely progressive) nicht übernommen.
234 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

a) Der Beweis - Argument oder Zeichen}

Sextus' Absicht an der AM-Stelle ist es, den Begriff (έπίνοια) des Be-
weises, wie er von den Dogmatikern vertreten wird, darzustellen
(8.300). Das Referat der dogmatischen Thesen setzt dann mit der
Feststellung ein, der Beweis sei „seiner Gattung nach" (κατά τό γένος)
ein Argument (λόγος, 301). Im Unterschied zur PH-Fassung wird hier
die abzuleitende Definition des Beweises nicht an den Anfang gesetzt.
Diese Klassifizierung des Beweises als Argument scheint nun aller-
dings mit vorhergehenden Mitteilungen des Sextus zum Begriff des
Beweises nicht ohne weiteres in Übereinstimmung zu bringen. Denn
sowohl an der AM-Stelle als auch im parallelen Text der PH wird die
Erörterung des Beweises an dieser Stelle seiner Abhandlung von
Sextus damit begründet, daß der Beweis ein Zeichen sei - an beiden
Stellen geht die Behandlung der Theorie des Zeichens vorher. Nur
wenige Zeilen vor der Mitteilung des Sextus, daß der Beweis der
Gattung nach ein Argument sei (AM 8.301), hatte es geheißen, daß der
Beweis „der Gattung nach ein Zeichen zu sein scheine" (8.299). Ganz
entsprechend heißt es zu Beginn der PH-Stelle, daß der Beweis
„ein(e Art) Zeichen" (σημεϊόν τι) sei (PH 2.134 vgl. a. AM 8.140, 180,
277; PH 2.96, 122, 131).
Nun kann der Beweis aber nicht in beide Gattungen zugleich gehö-
ren, denn dann müßten auch Zeichen - definiert als Antecedens einer
Konditionalaussage, das deren Succedens aufdeckt (vgl. PH 2.104;
AM 8.245) - und Argument - definiert als Schluß (vgl. PH 2.135; AM
8.301) - in einem Art-Gattungs-Verhältnis zueinander stehen. Das
aber ist durch ihre Definitionen ausgeschlossen.
Nun ist allerdings nicht sonderlich schwer zu sehen, in welcher
Beziehung Beweis und Zeichen aufgrund der oben erwähnten Defini-
tionen tatsächlich stehen können: Da jedem Argument und damit
auch jedem Beweis eine Konditionalaussage korrespondiert, in der die
Konjunktion der Prämissen das Antecedens und die Konklusion das
Succedens bilden, so trifft für das Antecedens in der einem Beweis
korrespondierenden Konditionalaussage zu, daß es das Succedens auf-
deckt; die Aufdeckung der Konklusion war schließlich das Charakte-
ristikum des Beweises. Damit genügt dieses Antecedens den Defini-
tionsbedingungen des Zeichens. In der Tat wird die Klassifikation des
Beweises als Zeichen von Sextus an einer Stelle auch damit begründet,
daß der Beweis die Konklusion offenlege und daß die Konjunktion
seiner Prämissen ein Zeichen für das Vorliegen der Konklusion sei
(AM 8.277). Allerdings ist auch an dieser Stelle nicht davon die Rede,
daß von dieser Prämissenkonjunktion erst dann als Zeichen gespro-
Der Beweis - Argument oder Zeichen? 235

chen werden kann, wenn sie Teil der dem Beweis korrespondierenden
Konditionalaussage ist. Nur die Vernachlässigung der Differenz zwi-
schen einer Aussage, deren Teilaussagen nicht behauptet sind, und
einem Schluß, bei dem Prämissen und Konklusion je für sich auch
behauptet sind, macht die gerade aus der Begründung des Sextus in
AM 8.277 angeführte Behauptung scheinbar plausibel. Aber selbst
wenn man die Vernachlässigung dieser Differenz ignoriert, selbst
wenn man also die Behauptung, die hier zur Begründung dienen soll,
als wahr annimmt, so folgt daraus nicht, daß ein Beweis ein Zeichen
ist. Denn was für die Konjunktion der Prämissen, also für einen Teil
des Beweises gilt, müßte nicht auch für den Beweis als ganzen gelten.4
Wir sollten des weiteren beachten, daß Sextus, wenn er den Beweis
in die Gattung des Zeichens stellt, eine fremde These referiert und
somit nicht etwa das Resultat eines eigenen Räsonnements über eine
kritisierte Theorie vorträgt. An der Stelle PH 2.122 heißt es nämlich
ausdrücklich: „Denn da behauptet wird (λέγεται), daß der Beweis der
Gattung nach (τφ γένει) ein Zeichen ist, ...". Und an der schon er-
wähnten Stelle AM 8.277 führt Sextus dieselbe These mit der Wen-
dung ein: „es besteht Übereinstimmung darüber, daß" (άνωμολόγηται).
Da beide Thesen, die Klassifikation des Beweises als Argument
ebenso wie die des Beweises als Zeichen, offenbar von derselben
Gruppe, nämlich von den frühen Stoikern vertreten werden, ist es
auffällig, daß Sextus die Inkonsistenz dieser Thesen nicht gegen ihre
Vertreter ausspielt. Die Folgerung, die aus diesem Umstand zu ziehen
ist, kann, so scheint mir, nur die sein, daß weder Sextus noch erst recht
die Vertreter dieser Theorie selber an dieser Inkonsistenz Anstoß
genommen oder sie auch nur bemerkt haben. Die Parallelität der

4
Allerdings ist auch die Erklärung, daß die Konjunktion der.Prämissen in der
einem Beweis korrespondierenden Konditionalaussage ein Zeichen ist, eine Erklä-
rung, die aufgrund der Definitionen, die Sextus für Beweis und für Zeichen anführt,
korrekt abgeleitet werden kann, nicht ohne Schwierigkeiten. Denn im Antecedens
dieser korrespondierenden Konditionalaussagen ist bei allen von Sextus angeführ-
ten Beispielen wieder eine Konditionalaussage enthalten, deren Antecedens ein
Zeichen ist. Hier wäre also ein Teil eines Zeichens wiederum ein Zeichen und zwar
eines für denselben Sachverhalt: Das Succedens der Konditionalaussage in der
ersten Prämisse ist mit der Konklusion des Beweises und damit auch mit dem
Succedens der gesamten (der korrespondierenden) Konditionalaussage identisch. -
In dieser Schwierigkeit macht sich die mangelnde Unterscheidung zwischen fak-
tisch wahren und logisch wahren Konditionalaussagen störend bemerkbar. Frag-
lich scheint, ob eine erkenntnistheoretische Relation, die zwischen den Teilaus-
sagen einer kontingenterweise wahren Konditionalaussage hält, auch zwischen
Antecedens und Succedens einer logisch wahren Konditionalaussage bestehen
kann.
236 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

erkenntnistheoretischen Funktion von Beweis und Zeichen ließ of-


fenbar die logische Differenz zwischen dem als Argument charakteri-
sierten Beweis und dem als Antecedens einer Konditionalaussage
beschriebenen Zeichen in den Hintergrund treten. Daß es in der Tat
die erkenntniserweiternde Leistung des Beweises ist, die für die Klassi-
fikation des Beweises als Zeichen den Ausschlag gibt, das wird durch
die Begründungen bestätigt, die Sextus für diese Einordnung anführt
und die immer auf den Charakter des Aufdeckens abstellen (vgl. AM
8.140,180, 277; PH 2.134). Die von uns notierte Inkonsistenz in den
Klassifikationen des Beweises als Argument und als Zeichen ist also,
wie es scheint, ein Indiz für den Primat erkenntnistheoretischer Inter-
essen gegenüber formallogischen.

b) Das Argument und seine Teile: AM 8.301-302; PH 2.135-136

Doch damit zurück zur Analyse des AM-Textes. Sextus referiert für
die Klassifikation des Beweises als Argument folgende Begründung:
„Er (sc. der Beweis) ist nämlich gewiß keine wahrnehmbare Sache,
sondern eine Art Bewegung und Zustimmung des Verstandes, und
das sind rationale Dinge (λογικά)." (301)
An dieser Begründung ist mehreres bemerkenswert. Zunächst wird
durch die positive Charakterisierung des Beweises als einer „Art Bewe-
gung und Zustimmung des Verstandes" (διανοίας τις κίνησις και συγκα-
τάϋεσις) dem Ausdruck ,Beweis' von zwei (auch im Griechischen
möglichen) Bedeutungen, nämlich dem Produkt- und dem Prozeß-
sinn, der prozessuale Sinn zugesprochen. Der Begriff des Beweises
wird damit verstanden als Vorgang des Beweisens, nicht als das von
einer Tätigkeit denkender Subjekte abgelöste, objektive Schema des
Beweisgedankens. Mit dieser prozessualen Auffassung von Beweis ist
die Gefahr einer Psychologisierung gegeben, und wir werden noch
sehen, daß der hier von Sextus ausgeschriebene Autor dieser Gefahr
im folgenden nicht immer entgeht.
Des weiteren ist an der Formulierung dieser Begründung eine ge-
wisse Redundanz auffällig. Um zu sagen, daß der Beweis unter die
„rationalen Dinge" fällt, hätte es genügt, ihn entweder als Bewegung
des Verstandes oder als Zustimmung zu charakterisieren. Dies ist kein
isolierter Zug nur dieser Stelle; ganz ähnlich redundant heißt es bei
der Definition der Prämissen, daß es Aussagen sind, „die der Dialog-
partner(.. ,)zugibt und einräumt" (δίδωσι και παραχωρεΐ302). Dieselbe
Tendenz, Dinge zweimal zu sagen, zeigt sich weiter in der Anführung
zweier erläuternder Beispiele, wo eines genügt hätte (305).
Das Argument und seine Teile: AM 8.301-302; PH 2.135-136 237

Schließlich ist festzuhalten, daß diese Begründung, wie Brunschwig


hervorgehoben hat, für den Zweck, die Klassifikation des Beweises als
Argument zu stützen, eigentlich unbrauchbar ist.5 Denn einmal
scheint sie, so Brunschwig, vorauszusetzen, daß alles, was nicht wahr-
nehmbar ist,,rational' ist - eine Ansicht, die nach den Stoikern jeden-
falls durch die Existenz von Zeit, Leere und Raum widerlegt wird;
zweitens ist nicht alles, was,rational' ist, darum schon ein Argument
(λόγος). So ist eine Aussage (αξίωμα) rational in dem hier verwendeten
Sinn, darum aber doch nicht schon ein Argument. Fazit: die Quelle,
die dem Referat des Sextus zugrunde hegt, bedient uns zur Begrün-
dung der These, daß der Beweis ein Argument ist, mit einem bemer-
kenswert schlechten Argument. Dagegen wird in der Parallelstelle der
PH für die Unterordnung des Beweises unter den Gattungsbegriff
Argument keine Begründung geliefert; der Autor, den Sextus dort
referiert, scheint eine Rechtfertigung dieser Klassifikation für über-
flüssig zu halten.
Die Definitionsformeln für ,Argument' unterscheiden sich in den
beiden Fassungen nur unwesentlich: In AM ist ein Argument „das aus
Prämissen und Konklusion Zusammengesetzte" (το συνεστηκος έκ
λημμάτων και έπιφορδς 301). In der PH-Fassung ist das Partizip Perfekt
durch das Substantiv,System' (σύστημα) ersetzt (2.135).6 Zu der Defi-
nition in AM noch zwei Bemerkungen: Zum einen harmoniert diese
Begriffsbestimmung (und zwar gerade wegen des Partizips Perfekt)
nicht sonderlich gut mit der vorher implizit getroffenen Festlegung der
Bedeutung von ,Beweis' auf den Sinn von Beweisvorgang, denn „das
Zusammengesetzte" charakterisiert das Resultat eines Vorgangs, legt
damit,Argument' auf den Produktsinn fest. Zum zweiten fällt auch in
der definierenden Aussage wieder eine gewisse unnötige Umständ-
lichkeit auf, wenn der Autor das „vereinfacht gesagt" (ώ άπλοΰστερον
ειπείν) in seine Definitionsformel einschiebt.
Deutlicher unterscheiden sich nun beide Fassungen in den Defini-
tionen der Teile des Argumentes. In AM werden die Prämissen wie
folgt definiert: „Prämissen nennen wir nicht irgendwelche Thesen, die
wir uns zusammenstehlen, sondern solche, die der Dialogpartner
wegen ihres einleuchtenden Charakters zugibt und einräumt." (302)
5
forunschwig (1980), 127.
6
Brunschwig (1980), 127 hält die PH-Fassung wegen dieses Substantivgebrauchs
für „more particular about the formal accuracy of its definition". Das sollte man
vielleicht nicht überbewerten. Beide Termini, das Partizip wie das Substantiv, treten
auch in den ganz analogen Definitionen des Argumentes bei Diogenes Laertius auf
(System: DL 7.45; Zusammengesetztes: 7.76). Dabei wird das Partizip in einer dem
Krinis zugeschriebenen Definitionsformel gebraucht
238 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

Im PH-Text sind die Prämissen „die zur Aufstellung der Konklusion


übereinstimmend angenommenen Aussagen" (136). Klarerweise sind
beide Formulierungen an der Situation der dialektischen Unterre-
dung orientiert. Aber während die PH-Fassung ihre Umschreibung
der Prämissen ohne Rücksicht auf inhaltliche Eigenschaften der Prä-
missen gibt - sie dürfen nur mit Zustimmung des Gesprächspartners
und zum Zweck der Ableitung der Konklusion angenommen werden
- ist der in AM referierte Autor unvorsichtig genug, für die Zustim-
mung des Dialogpartners eine Eigenschaft der Prämissen zu verlan-
gen, die auf dem Inhalt der Prämissen beruht, nämlich ihren „ein-
leuchtenden Charakter" (εμφανή είναι). Auch fehlt in AM das zweite
inhaltsunabhängige Merkmal der PH-Definition, die Angabe des
Zweckes der Prämissen, ihrer Funktion.
Eine solche Bezugnahme auf inhaltlich bedingte Eigenschaften von
Aussagen kann bei der Untersuchung rein logischer Distinktionen
nur verunklärend wirken. Charakteristischerweise soll die hier zum
Definitionsmerkmal gemachte Eigenschaft des Einleuchtendseins
den (befragten) Dialogpartner mit einem Motiv für die Annahme der
Prämissen ausstatten - dem Einbringen inhaltlicher Gesichtspunkte
auf Seiten des Argumentes korrespondiert eine Psychologisierung auf
Seiten des Argumentierenden. Von alledem ist die PH-Fassung frei. Sie
ist außerdem in ihrer Formulierung insofern präziser, als sie klar
macht, daß es sich bei den Prämissen, wie dann auch bei der Konklu-
sion (2.136), um Aussagen (αξιώματα) handelt. AM macht von diesem
Terminus in beiden Fällen keinen Gebrauch.
Der wohl gravierendste Nachteil, den sich der in AM referierte
Autor mit seiner Definition der Prämissen einhandelt, ist der, daß
damit jedenfalls ein Argumentieren im Ausgang von erkennbar (oder
auch nur vermutlich) falschen und somit j edenfalls nicht einleuchten-
den Prämissen ausgeschlossen ist. Auf diese Konsequenz der Prämis-
sendefinition in AM hat wiederum Brunschwig hingewiesen.7 Diese
Beschränkung aber führt, wie Brunschwig richtig gesehen hat, zur
Vernachlässigung gerade jenes für die Entwicklung der logischen

7
Es scheint mir allerdings nicht notwendig, mit Brunschwig anzunehmen, daß
„einleuchtend" auch „wahr" impliziert (s. Brunschwig [1980], 128 Anm. 8). Es
könnte durchaus sein, daß eine Aussage wie die von Diogenes Laertius 7.75 als
Beispiel einer plausiblen Aussage (πιθανόν αξίωμα), die aber gleichwohl falsch ist,
angeführte auch als Fall einer ,einleuchtenden' Aussage zählt. Für den Gesichts-
punkt, den Brunschwig kritisch geltend machen will, reicht der Umstand aus, daß
die Prämissendefinition in AM jedenfalls nicht-einleuchtende falsche Aussagen als
Ausgangspunkte logischer Räsonnements nicht zuläßt.
Das Argument und seine Teile: AM 8.301-302; PH 2.135-136 239

Theorie interessanten Falles, der uns die klare Unterscheidung zwi-


schen der logischen Frage der Gültigkeit eines Argumentes einerseits
und der außerlogischen Frage des Wahrheitswertes von Prämissen
und Konklusion andererseits ermöglicht. In der Tat scheint der hier
von Sextus referierte Autor mit dieser Unterscheidung zwischen
Wahrheit und Gültigkeit auch seine Schwierigkeiten zu haben, denn
in der dihairetischen Einteilung der Argumente in 8.303-309 fehlt
eine Unterteilung der schlüssigen Argumente in die wahren und fal-
schen, wie sie in der Parallelstelle der PH (vgl. 2.138) vorgenommen
und an unserer Stelle bei den ergänzenden Erläuterungen zur ersten
Zusammenfassung (8.311-313) noch nachgeholt wird. Allerdings
läßt sich das Beispiel eines falschen Argumentes, nämlich der bei Tage
(so 8.311) geäußerte Schluß: „Wenn es Nacht ist, ist es dunkel. Nun ist
aber Nacht. Also ist es dunkel." (8.311), kaum mit der Definition der
Prämissen eines Argumentes in 8.302 in Übereinstimmung bringen;
schließlich ist die falsche zweite Prämisse unter den angenommenen
Umständen ihrer Äußerung mit Sicherheit nicht einleuchtend.
In der Bestimmung der Konklusion gibt es zwischen den beiden
Fassungen sachlich keine Unterschiede; aber die PH-Fassung bemüht
sich hier ebenso wie beim anschließenden illustrierenden Beispiel um
größere Präzision und Knappheit. In AM heißt es: „Eine Konklusion
ist die aufgrund dieser Prämissen aufgestellte Folgerung" (8.302). PH
ergänzt „aufgestellte Folgerung" (im Griechischen nur κατασκευα-
ζόμενον) um die Angabe,Aussage' (αξίωμα), spart sich ein neues Prädi-
kat in diesem Satz durch grammatischen Anschluß an das Prädikat der
Prämissendefinition und streicht vor allem das überflüssige und eher
störende Demonstrativpronomen in der Definitionsformel. Überflüs-
sig ist dieses Pronomen, weil die Unabhängigkeit der Umschreibun-
gen von Prämissen und Konklusion einen Bezug auf die definierenden
Bestimmungen der jeweils anderen Definition unnötig macht; stö-
rend ist diese Redeweise, weil sie suggeriert, daß hier innerhalb der
Prämissen eine Differenzierung vorgenommen wird (,diese und nicht
jene'), für die es keinen Grund gibt. Sowohl AM wie PH charakterisie-
ren die Konklusion mit dem Partizip Passiv des Zeitwortes κατασκευ-
άζειν,,ableiten',,folgern'. Da dieses Verbum im Griechischen ein Er-
folgsverb ist, da es aber auch nicht-schlüssige (also eine Ableitung
nicht garantierende) Argumente gibt, ist dieses Partizip wohl, wie
Brunschwig gesehen hat, in dem Sinn von ,das, was abgeleitet werden
soll', zu verstehen.8

8 Brunschwig (1980), 128 f.


240 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

In beiden Referaten wird zur Erläuterung dessen, was ein Argument


und was Prämissen und Konklusion sind, dasselbe Beispielsmaterial
gewählt; aber auch hier ist das Bemühen der PH-Fassung um Knapp-
heit unverkennbar: Dort ist nicht nur der das Beispiel kommentie-
rende Text kürzer, PH erspart sich insbesondere, nach dem Anführen
des Argumentbeispiels nun auch die Aussagen, die die Konklusion
und die Prämissen bilden, jeweils noch einmal aufzuführen, wie AM
dies tut. PH hebt nur die Konklusion heraus und kann dann durch die
Wendung „die übrigen (sc. Aussagen)" die Prämissen des Schlußbei-
spiels bezeichnen (136). Wo AM fünf Zeilen benötigt, kommt PH mit
dreien aus.
Die detaillierten Vergleiche auch in stilistischer Hinsicht, die wir an
den beiden Texten bisher vorgenommen haben, sind aufschlußreich
für das genetische Verhältnis der Quellen dieser beiden Referate. Wir
haben oben (S. 232) aus der Übereinstimmung in der Wahl der erläu-
ternden Schlußbeispiele - jedes PH-Beispiel kommt auch in AM vor
und zwar zur Erläuterung desselben Falles - den Schluß gezogen, daß
die Quellen dieser Texte wohl nicht unabhängig voneinander entstan-
den sind. Die jetzt gemachten Beobachtungen machen es wahrschein-
lich, daß die dem PH-Referat zugrunde hegende Quelle aus dem Text
der AM-Quelle durch Verbesserungen in systematischer Hinsicht
(Definition der Prämissen) wie auch in der Darstellung (Bemühen um
Präzision und Knappheit) hervorgegangen ist. Es scheint ausgeschlos-
sen, daß ein Autor, der den Text der PH-Quelle vor Augen hatte, die
dort erreichte sachliche Präzision und die Ökonomie in der Darstel-
lung aufgegeben und durch die weniger präzise und oft unnötig um-
ständliche Darstellung, die wir für die Quelle des AM-Referates unter-
stellen müssen, ersetzt hat.9 Der Vergleich der weiteren, einander
korrespondierenden Abschnitte der beiden Referate wird dieses Er-
gebnis bestätigen.
Die folgenden Textabschnitte des AM-Referates (303-309) sind mit
der dihairetischen Zergliederung der Gattung Argument befaßt, wie
sie in dem Schema S. 233 dargestellt ist. Vergleichen wir sie der Reihe
nach mit den entsprechenden Texten der PH (2.137-142)

9
Theoretisch wäre auch die Abhängigkeit von einer gemeinsamen Quelle denk-
bar. Aber da die Autoren beider Quellen der frühen Stoa zuzurechnen sind, scheint
es so gut wie ausgeschlossen, daß der später schreibende Autor von den Auffassun-
gen des früheren keine Kenntnis gehabt haben soll.
Die Einteilung in schlüssige und nicht-schlüssige Argumente 241

c) Die Einteilung der Argumente in schlüssige und nicht-schlüssige:


AM 8.303-305; PH 2.137

Die erste Einteilung gruppiert die Argumente in schlüssige und nicht-


schlüssige (AM 8.303-305). Die Definition der schlüssigen (συνακτι-
κοί) Argumente lautet wie folgt:
Schlüssig sind diejenigen, bei denen, wenn das Zutreffen der Prämissen zuge-
standen ist, aufgrund des Zugeständnisses dieser Aussagen auch die Konklusion
zu folgen scheint, wie es im eben angeführten Beispiel der Fall war. AM 8.303
Als Definition eines schlüssigen Argumentes ist diese Formulierung
unbrauchbar. Wenn es nämlich ausreicht, daß die Konklusion „zu
folgen scheint" (άκολουύεϊν φαίνεται), dann ist auch ein Trugschluß, bei
dem die Konklusion zu folgen scheint, als schlüssiges Argument
anzusehen. Nicht daß die Konklusion zu folgen scheint, sondern daß
sie tatsächlich aus den Prämissen folgt, macht das schlüssige Argu-
ment aus.10 Daß die Konklusion zu folgen scheint, ist also jedenfalls
keine hinreichende Bedingung für das Vorliegen eines schlüssigen
Argumentes. Aber es ist auch keine notwendige Bedingung. Denn wie
das Beispiel eines scheinbar unrichtigen, in Wahrheit aber korrekt
schließenden Argumentes PH 2.230 (Arzt-Beispiel) zeigt, kann eine
folgerichtig erschlossene Konklusion auch nicht zu folgen scheinen.
Was der Fall zu sein scheint, muß jemandem so scheinen. Mit dieser
Redeweise wird psychologisierend auf Einstellungen einer Person Be-
zug genommen. Damit dürfte der Fehler, den der von Sextus hier
referierte Autor bei seinem Versuch einer Definition des schlüssigen
Argumentes begeht, mit der Tendenz dieses Autors zur Psychologisie-
rung logischer Sachverhalte zusammenhängen, eine Tendenz, die
sich, wie oben (S. 238) bemerkt, schon bei der Definition der Prämis-
sen gezeigt hatte.
Der Angabe des eigentlichen Definitionskriteriums folgt innerhalb
des oben zitierten Satzes der erläuternde Hinweis auf das „eben ange-
10
Brunschwig will άκολουύεϊν φαίνεται mit „it clearly follows" wiedergeben, nicht
mit „it seems to follow", obwohl auch er sieht, daß die zweite Formulierung „may be
better favoured by the ordinary rules of grammar" (Brunschwig [1980], 129 Anm. 9).
Sie scheine ihm jedoch „to be excluded by the context, which aims at giving a
definition of a concludent argument" (ibid.). Es scheint aber keineswegs sicher, daß
sich der hier von Sextus referierte Autor tatsächlich darüber im klaren war, was zur
Definition eines schlüssigen Argumentes verlangt wird. Die zahlreichen Schnitzer,
die auch Brunschwig ihm nachweist, sollten eigentlich eher gegen eine derart
wohlwollende Deutung seiner Worte sprechen. Daß der Gebrauch von φαίνεσθαι in
der Tat die Konnotation des jemandem so Vorkommens' und damit auch die des
möglicherweise bloßen Scheins hat, das zeigt etwa der Gebrauch dieses Wortes zu
Beginn der Sophistischen Widerlegungen des Aristoteles (Sopii. El. 1,164a23-b27).
242 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

führte Beispiel", nämlich den zur Erläuterung von Argument und


dessen Teilen 8.302 benutzten Schluß: „Wenn es Tag ist, ist es hell.
Nun ist es aber Tag. Also ist es hell." Der folgende lange Satz (303-304)
soll nun, wie das einleitende ,denn' (γάρ) zeigt, diesen erläuternden
Hinweis aufnehmen und klar machen, wieso dieses Schlußbeispiel
den Charakter der Schlüssigkeit hat. Gerade wegen seiner Länge und
Unübersichtlichkeit ist es sinnvoll, diesen Satz hier insgesamt zu
zitieren:
Denn da es aus der Konditionalaussage „Wenn es Tag ist, ist es hell" besteht - und
die besagt, daß bei Wahrheit des Antecedens (όντος τοΰ έν αύτφ πρώτου) auch das
Succedens (δεύτερον) wahr sein muß - sowie weiter aus „Es ist Tag", was das
Antecedens (ήγοΰμενον) der Konditionalaussage war, so sage ich, daß bei zugege-
bener Wahrheit der Konditionalaussage, womit also das Succedens (λήγον) dieser
Aussage aus ihrem Antecedens (ήγούμενον) folgt, und weiter bei zugegebener
Wahrheit des Antecedens (πρώτον), nämlich „Es ist Tag", aufgrund des Zutreffens
dieser Aussagen notwendigerweise auch das Succedens (δεύτερον) gefolgert wer-
den muß (κατ' ανάγκην συνειοαχϋησεται), d. h. „Es ist hell", und das war die
Konklusion. AM 8.303-304
Prüft man zunächst, wie sich diese Erläuterung zu dem'verhält, was sie
erläutern soll, nämlich zur Definition des schlüssigen Argumentes, so
fällt auf, daß hier die Redeweise von einem ,Zu-folgen-scheinen' der
Konklusion aufgegeben ist. Statt dessen heißt es, daß der Schlußsatz
„notwendigerweise gefolgert werden muß". Es ist nicht klar, ob der
Autor, den Sextus hier referiert, damit jetzt eine Bestimmung nachzu-
tragen sucht, die ihren Ort wohl besser bei der Formulierung des
Definitionskriteriums gefunden hätte, oder ob ihm gar nicht bewußt
ist, daß er mit dieser Rede vom notwendigen Folgen über die Bestim-
mungen der vorher gegebenen Definition hinausgeht. In jedem Fall
aber verstößt dieser Autor gegen den einfachen Grundsatz, daß eine
Erläuterung vorgegebene Bestimmungen des zu erläuternden Gegen-
standes klären soll, ihnen aber keine weiteren hinzufügen darf.
Auf einen weiteren kritikwürdigen Punkt hat Brunschwig hinge-
wiesen.11 Es heißt hier, daß, sobald erst die Prämissen als wahr zuge-
standen sind („bei zugegebener Wahrheit der Konditionalaussage
(...) und weiter bei zugegebener Wahrheit des Antecedens"), notwen-
digerweise die Konklusion gefolgert werden muß - soweit wäre diese
Formulierung für sich genommen korrekt. Aber der hier referierte
Autor hat nun noch hinzugefügt: „auf Grund des Zutreffens dieser
Aussagen" (δια την τούτων ΰπαρξιν). Er ist damit von der hypothetisch
angenommenen Wahrheit der Prämissen zu ihrer tatsächlichen Wahr-

11 Brunschwig (1980), 130 f.


Die Einteilung in schlüssige und nicht-schlüssige Argumente 243

heit übergegangen, vom Zugeständnis der Wahrheit zu aktueller


Wahrheit. Das ist ein Indiz dafür, daß der Autor, der der AM-Fassung
zugrunde hegt, als Prämisse eines schlüssigen Argumentes nur eine
wahre Aussage gelten läßt, und es könnte weiter erklären, warum
dieser Autor eine Scheidung der schlüssigen Argumente in die wah-
ren und falschen unterläßt. Dieser Fehler (des Übergangs von ange-
nommener zu tatsächlicher Wahrheit) hätte sich übrigens leicht ver-
meiden lassen,· der Autor hätte nur die schon in der Definition
gebrauchte Formel vom „Zugeständnis" (συνχώρησις) der Prämissen
anstelle der Rede von ihrem „Zutreffen" (υπαρξις) verwenden müssen.
Der Unsicherheit in sachlicher Hinsicht, wie sie sich an den Fehlern
dieses Autors zeigt, korrespondiert die Umständlichkeit und Unge-
schicklichkeit in den Formulierungen dieses Satzes. So wird etwa der
logische Charakter der Konditionalaussage gleich zweimal hervorge-
hoben,· die zweite Prämisse dieses Argumentes wird bei jeder ihrer
beiden Erwähnungen nicht nur als Antecedens der Konditionalaus-
sage charakterisiert, sondern immer auch wörtlich zitiert. Metho-
disch ungeschickt und für das Verständnis hinderlich ist der zwei-
malige Wechsel in der Bezeichnung von Antecedens und Succedens:
Von πρώτον/δεύτερον zu ήγούμενον/λήγον und wieder zurück zu
πρώτον/δεύτερον. Überdies wird bei jedem Vorkommen dieser Aus-
drücke (was ich in der Übersetzung nicht nachgebildet habe) ein έν τφ
συνημμένψ bzw. έν αύτφ hinzugefügt; die mit dieser Ausdrucksweise
vorgenommene Bezugnahme auf die konkrete Konditionalaussage
dieses Modus-ponens-Schlusses macht deutlich, daß der Autor der
AM-Quelle die mit den Bezeichnungen ήγούμενον/λήγον gegebene
Möglichkeit einer knappen terminologischen Charakterisierung der
Teilaussagen einer Konditionalaussage ebensowenig erkannt hat wie
die Möglichkeit des Gebrauchs der Ordinalzahlen als Aussagenvaria-
ble, wie er in der späteren stoischen Logik üblich ist.
Vergleichen wir mit dieser Darstellung in AM nun die Parallelfas-
sung in den PH, so fällt schon rein äußerlich auf, daß der PH-Text viel
kürzer ist: Er benötigt für die Einführung der Unterscheidung schlüs-
sig/nicht-schlüssig, die Definition des schlüssigen Argumentes und
eine Erläuterung lediglich 9 Zeilen des Teubnertextes; AM ge-
brauchte dafür 18. Aber der deutlichste Unterschied zwischen den
beiden Fassungen liegt in dem gänzlich neuen Kriterium der Schlüs-
sigkeit, das der Autor der PH-Quelle aufgestellt hat. Ein Argument, so
wird in den PH erklärt, ist genau dann schlüssig, „wenn die Konditio-
nalaussage richtig (υγιής) ist, die mit der aus den Prämissen des Argu-
ments gebildeten Konjunktion beginnt und mit der Konklusion des
Argumentes endet." (137)
244 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

Wir haben bereits oben (S. 148 ff.) bei der ausführlichen Diskussion
dieser Stelle dargelegt, daß auch diese Formulierung kein Definitions-
kriterium des schlüssigen Argumentes liefert, gleichgültig, ob man
das philonische oder das diodorische Kriterium für die richtige Kon-
ditionalaussage zugrunde legt. Aber im Vergleich mit der Erklärung,
die sich in AM für die Schlüssigkeit findet, tritt die wissenschaftliche
Überlegenheit des PH-Vorschlages klar zutage. Denn einmal enthält
diese Bestimmung, im Unterschied zu AM, zumindest eine notwen-
dige Bedingung für die Schlüssigkeit eines Argumentes. Zweitens
wird hier ein Problem auf ein klar umgrenztes anderes Problem zu-
rückgeführt, so daß mit der Lösung des letzteren zugleich das erste
gelöst ist;12 die Reduktion des Problembestandes ist aber immer ein
wichtiger wissenschaftlicher Fortschritt. Drittens hat der stoische
Autor, der dem PH-Referat des Sextus zugrunde liegt, damit einen
Weg eingeschlagen, auf dem sich in der Tat eine klare Definition der
Schlüssigkeit finden läßt, auch wenn wir bei den antiken Autoren
eine solche Definition nicht antreffen.13 Schließlich ist seine De-
finition frei von den störenden Psychologisierungen des AM-Refe-
rates.

12
So auch Brunschwig (1980), 131.
13
Eine Definition der Schlüssigkeit eines Argumentes könnte etwa wie folgt
lauten: „Ein Argument ,P 1 ( ..., Pnl— C' ist schlüssig genau dann, wenn die korre-
spondierende Konditionalaussage,(?! A . . . Λ PJ-'-C' aufgrund ihrer Form wahr ist
und wenn sich die formale Wahrheit der Konditionalaussage nicht aufgrund der
formalen Falschheit des Antecedens oder aufgrund der formalen Wahrheit des
Succedens ergibt." Diese Definition setzt also die Unterscheidung kontingenter
Aussagen von solchen voraus, deren Wahrheitswert auf ihrer Form beruht. - Chry-
sipps Kriterium der συνάρτησις besagt bekanntlich, daß eine Konditionalaussage
genau dann wahr ist, wenn die Verneinung des Succedens mit dem Antecedens
unverträglich ist (μάχεται vgl. Sextus Empiricus PH 2.111). Alle Konditionalaussa-
gen, die einem im oben definierten Sinn schlüssigen Argument korrespondieren,
erfüllen zwar die Bedingung des chrysippeischen Kriteriums der συνάρτησις, aber da
dieses Kriterium für Konditionalaussagen ganz allgemein (ebenso wie für Schlüsse
vgl. DL 7.77) gelten soll, so wäre wohl die Wahrheit der Konditionalaussage „Wenn
Dion geht, so bewegt sich Dion" eine hinreichende Bedingung für die Schlüssigkeit
des Argumentes: „Dion geht. Also bewegt sich Dion." - ein Argument, das jedoch
unserer oben formulierten Definition der Schlüssigkeit nicht entspricht, da die
Konditionalaussage, die ihm korrespondiert, nicht auf Grund ihrer Form wahr ist.
Hat sich Chrysipp vor dieser Konsequenz seines Kriteriums dadurch schützen
wollen, daß er Schlüsse mit nur einer Prämisse nicht zuläßt? Sobald man nämlich
die Konditionalaussage „Wenn Dion geht, so bewegt sich Dion" dem eben formu-
lierten Schluß als erste Prämisse hinzufügt, ergibt sich ein schlüssiges (Modus-
ponens-JAigument.
Wahre und nicht-wahre Argumente im PH-Referat 245

Wenn somit weder der Autor der AM- noch der der PH-Quelle ein
wirkliches Definitionskriterium für das schlüssige Argument ange-
ben, so ist doch die Formel des PH-Textes der von AM bei weitem
vorzuziehen. Jenes Diktum der stoischen Moraltheorie, nach dem alle
Fehler gleich sind, auf dem Gebiet der Logik zumindest scheint es
keine Geltung zu haben.

d) Wahre und nicht-wahre Argumente im PH-Referat: 2.138-139

In AM wird im Anschluß an die Differenzierung der Gattung Argu-


ment in die schlüssigen und nicht-schlüssigen die Unterteilung der
schlüssigen in diejenigen vorgenommen, die eine offenkundige, und
die, die eine nicht-offenkundige Konklusion ableiten. Nicht so in den
PH. Hier wird zunächst eine andere Unterscheidung getroffen, näm-
lich die zwischen wahren und nicht-wahren Argumenten (2.138—
139). Dabei legt der hier referierte Autor großen Wert auf die Ein-
schärfung des Unterschieds von Schlüssigkeit und Wahrheit eines
Argumentes.
Wahr, so heißt es in den PH, sind Argumente, „wenn nicht nur, wie
gerade gesagt, die aus der Konjunktion der Prämissen und der Kon-
klusion gebildete Konditionalaussage richtig ist, sondern auch die
Konklusion und die Konjunktion ihrer Prämissen, d. h. das Antece-
dens in der Konditionalaussage, wahr sind." Und weiter: „Wahr aber
ist eine Konjunktion, deren Teilaussagen alle wahr sind." (138)
Man ist zunächst versucht zu fragen, warum der Autor der PH-
Quelle nicht den, wie es scheint, naheliegenderen und einfacheren
Weg gewählt hat, die Wahrheit der Prämissen zur spezifischen Diffe-
renz des wahren Argumentes zu machen, wie es auch etwa die Defini-
tion des wahren Argumentes bei Diogenes Laertius (7.79) tut. Warum
definiert er die Wahrheit eines Argumentes auf dem Umweg über die
Wahrheit der Konjunktion der Prämissen? Der Grund für dieses
Vorgehen scheint mir mit der Absicht zusammenzuhängen, den
Unterschied von Schlüssigkeit und Wahrheit einzuschärfen. Das
wird gerade dadurch besonders wirkungsvoll erreicht, daß diese
Differenz mit Bezug auf eine und dieselbe komplexe Aussage, eben
die korrespondierende Konditionalaussage, auseinandergelegt wird:
Für die Schlüssigkeit ist der Wahrheitswert der gesamten Aussage,
für die Wahrheit des Argumentes der Wahrheitswert der Teilaus-
sagen dieses Konditionals maßgeblich. In dieser Konditionalaus-
246 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

sage treten die Prämissen aber immer nur als Aussagenkonjunktion


auf.1*
Diese Erklärung wird durch die anschließende Erläuterung dieser
Differenzierung bestätigt. Der von Sextus referierte Autor gibt näm-
lich interessanterweise kein Beispiel eines wahren Argumentes, son-
dern zitiert nur als Beispiel einer wahren Konjunktion die Prämissen-
konjunktion des Standardargumentes vom Tag und seiner Helligkeit.
Wohl aber wird ein Beispiel eines falschen Argumentes angeführt, von
dem zunächst festgestellt wird, daß es schlüssig ist, weil die korre-
spondierende Konditionalaussage richtig ist, daß es aber nicht wahr
ist, weil die im Antecedens enthaltene Konjunktion falsch ist, da sie
eine falsche Aussage enthält. Dieser Erläuterung scheint es also weni-
ger darum zu gehen, das wahre Argument an einem Beispiel zu illu-
strieren, als vielmehr darum, dem Leser klarzumachen, daß Schlüssig-
keit keineswegs Wahrheit (des Argumentes) impliziert. Diese
Intention des PH-Autors macht insbesondere dann Sinn, wenn er, wie
ich oben zu zeigen versucht habe (S. 240), seine Ausführungen in
Kenntnis der in AM erhaltenen Behandlung desselben Gegenstandes
durch einen Vorgänger macht, einen Vorgänger, bei dem gerade in der
Frage der Unterscheidung von Schlüssigkeit und Wahrheit einige
Verwirrung herrschte.

e) Argumente mit offenkundiger und mit nicht-offenkundiger


Konklusion und ein merkwürdiges Beispiel im AM-Referat:
AM 8.305-306; PH 2.140

Doch damit zurück zu AM. Hier schließt sich, wie schon gesagt, an
die Unterscheidung der Argumente in schlüssige und nicht-schlüs-
sige eine Einteilung der schlüssigen in diejenigen an, die etwas Offen-

14
Zu der Frage, warum der Autor hier zusätzlich zur Wahrheit der Prämissen-
konjunktion auch noch die Wahrheit der Konklusion in das Kriterium für die
Wahrheit des Argumentes aufnimmt, vgl. oben S. 150. Daß die von Benson Mates
(1973), 111 Anm. 29 vorgeschlagene (und von Mau in die Neuausgabe der PH
übernommene) Tilgung der Erwähnung der Konklusion sachlich nicht gerechtfer-
tigt ist, hat Brunschwig (1980), 150 Anm. 43 gezeigt. - Bei dieser Definition des
wahren Argumentes ist, worauf B. Mates hingewiesen hat, zu beachten, daß ,wahr'
im definiendum und im definiens in unterschiedlichem Sinn gebraucht wird (vgl.
Mates (1973), 132 s. ν. άληΐίής).
Beispiele für Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion 247

kundiges (πρόδηλον), und in jene, die etwas Nicht-Offenkundiges


(άδηλον) erschließen (305). Für beide Fälle werden jeweils zwei Bei-
spiele angeführt. Für den Fall der offenkundigen Konklusion wird
zunächst das Standardbeispiel vom Tag und seiner Helligkeit angege-
ben, als weiteres Beispiel dann: „Wenn Dion umhergeht, bewegt sich
Dion. Dion geht umher. Also bewegt sich Dion." (305)
Bei seinen kommentierenden Bemerkungen zu diesen beiden Bei-
spielen läßt der Autor der AM-Quelle wieder jene Nonchalance ge-
genüber dem Gebrauch festgelegter Termini erkennen, die wir schon
bei seinen Bezeichnungen für die Teilaussagen des Konditionals
(S. 243) beobachtet hatten: Er benutzt nicht den Ausdruck offenkun-
dig' (πρόδηλον), um die Konklusion zu charakterisieren, sondern stellt
beim ersten Beispiel fest, daß „Es ist hell" in gleicher Weise offensicht-
lich (έπ' ίσης φαινόμενον) ist wie „Es ist Tag".15 Beim zweiten Beispiel
wird erklärt, daß die Konklusion „Dion bewegt sich" zu dem gehört,
was auf der Hand liegt (των αύτοφωράτων ύπήρχεν).16 Stilistische Ab-
wechslung scheint ihm wichtiger zu sein als die durch den Gebrauch
fixierter Termini bewirkte Transparenz des Gedankengangs.
Für das Folgende interessanter sind nun die beiden Beispiele für den
Fall der Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion. Das erste
Beispiel lautet: „Wenn Schweiß durch die Körperoberfläche austritt,
dann gibt es im Fleisch unsichtbare (νοητοί) Poren. Nun aber das Erste.
Also das Zweite." (306) Es ist, als λογότροπος (vgl. DL 7.77) formuliert,
ein Argument nach dem Schema des Modus ponens, dem Schema
aller in diesem Text bisher als Beispiele benutzten Argumente. Das ist
hervorhebenswert, weil das zweite Argument-Beispiel diesem aussa-

15
Wenn die Offenkundigkeit der Konklusion dadurch angegeben werden kann,
daß sie mit dem Minor in dieser Hinsicht auf einer Stufe steht, so scheint das ein
weiteres Indiz dafür zu sein, daß der Autor der AM-Quelle von der Offenkundig-
keit der Prämissen ausgeht, daß also jedenfalls in seinen Augen die Prämissen eines
Beweises immer offenkundig sind.
16
Der hier benutzte Ausdruck αύτοφώρατον ist bei Sextus neben dieser Stelle nur
noch dreimal belegt (AM 2.65; 8.173; 8.190) und an allen diesen Stellen erläutert er
das Wort εναργής, also ein Synonym von πρόδηλος: Nur einige Zeilen weiter (8.306)
wird ούκ εναργές als Synonym für άδηλον verwendet. LSJ führt für αύτοφώρατος nur
einen einzigen Beleg an, nämlich AM 8.173. Das Wort scheint also äußerst selten zu
sein. - Brunschwig (1980), 133 will in dem Wechsel des Ausdrucks, von έπ' ίσης
φαινόμενον zu αύτοφώρατον, einen Wechsel in der Bestimmung der hier bezeichne-
ten Eigenschaft der Konklusion sehen: Sie sei „sometimes presented as relative and
sometimes as absolute". Das scheint mir eine Überinterpretation; beweiskräftig
wäre eine Bezugnahme auf die Prämissen für diese Frage nur im Fall der nicht-
offenkundigen Konklusion, aber dort fehlt sie.
248 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

genlogischen Schlußschema nun nicht mehr entspricht: „An wessen


Abscheidung aus dem Körper die Menschen sterben, das ist die Seele.
An der Abscheidung des Blutes aus dem Körper sterben die Menschen.
Das Blut ist also die Seele." (306) Die Form dieses Argumentes läßt
sich mit aussagenlogischen Mitteln nicht mehr darstellen, denn die
zweite Prämisse ist dadurch zustande gekommen, daß in einem Teil
der ersten Prämisse eine gebundene Variable durch einen konkreten
Term ersetzt worden ist. Die formalen Eigenschaften, auf denen die
Schlüssigkeit dieses Argumentes beruht, lassen sich nur mit prädika-
tenlogischen Mitteln ausdrücken.17 Der antiken Logik, der stoischen
wie der aristotelischen, fehlen die technischen Mittel, um die logische
Form dieses Argumentes darzustellen.
Die Wahl dieses Beispiels, dessen Gültigkeit zwar intuitiv einleuch-
tet, dessen formale Struktur aber, im Unterschied zu allen anderen
bisher benutzten Beispielen, für den antiken Leser undurchsichtig
bleiben muß und zu dessen formaler Analyse der hier referierte Autor
über gar keine Mittel verfügt, spricht nun nicht eben für die wissen-
schafdiche Qualität dieses Autors. Bei der Auswahl eines Beispiels
ohne Not auf die logische Durchsichtigkeit von Argumenten aussa-
genlogischer Form zu verzichten, das verrät eher die Hand eines lo-
gisch nicht hinreichend geschulten Dilettanten. Schließlich hätte sich
nicht nur leicht ein anderes Beispiel in Modus-ponens-¥orm für ein
schlüssiges Argument mit nicht-offenkundiger Konklusion finden
lassen (etwa: „Wenn diese Frau Milch hat, dann hat sie empfangen.
Das Erste. Also das Zweite."), sondern der Grundgedanke des ange-
führten Argumentbeispiels selbst läßt sich leicht ebenfalls in diese
Schlußform bringen: „Wenn die Menschen bei Abscheidung des
Blutes aus dem Körper sterben, dann ist das Blut die Seele. Nun
sterben die Menschen bei Abscheidung des Blutes aus dem Körper.
Also ist das Blut die Seele."

17
Wenn wir in diesem Schluß ,Seele' und ,Blut' als singulare Terme auffassen
und mit,s' und ,b' resp. bezeichnen, als Prädikatbuchstaben ,M' für,Mensch', , T für
,stirbt' und ,A' für das zweistellige Prädikat ,wird ausgeschieden aus dem Körper
von' wählen, so läßt sich dieses Argument in prädikatenlogischer Notation wie
folgt formalisieren:

ΑX Λ7(1 (My A xAyj - Ty) - (x = e)|


Λ y( (My A bAy) Ty)
b= s
Das Argument ist formal korrekt.
Beispiele für Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion 249

Der gerade dargestellte Sachverhalt legt die Folgerung nahe, daß es


sich bei diesem Argumentbeispiel nicht einfach um ein zusätzliches,
nämlich zweites Beispiel für einen bereits erläuterten Begriff handelt,
sondern um eine bewußte Zufügimg unseres Autors zu Matenal, das
er vorgefunden hat. Diese Vermutung läßt sich weiter stützen durch
gewisse Eigentümlichkeiten der Formulierung dieses Beispiels sowie
durch seinen Inhalt. An der Formulierung dieses Beispiels fällt näm-
lich auf, daß die zweite Prämisse nicht mit dem formelhaften „nun...
aber" (άλλα μην) eingeleitet wird, das wir nicht nur bei jedem Vorkom-
men des Standardbeispiels vom Tag und seiner Helligkeit antreffen,
sondern auch bei dem ersten Beispiel für den hier erläuterten Argu-
menttyp (Schweiß-Poren-Beispiel). Und im nachfolgenden Text ist die
Illustration des falschen Argumentes (311) ebenso wie die der ab-
schließenden Definition des Beweises (314), beides übrigens Argu-
mente in der Form des Modus ponens, ebenfalls mit einer durch άλλα
μην eingeleiteten zweiten Prämisse versehen. Dagegen fehlt diese for-
melhafte Wendung bei dem zusätzlicheη Beispiel, das uns der Autor
der AM-Quelle für ein schlüssiges Argument mit offenkundiger Kon-
klusion liefert (305), sowie bei dem Beispiel im folgenden Text, mit
dem unser Autor den Fall des Argumentes mit nicht-offenkundiger
Konklusion, das nur untersuchend ist, erläutert (308, 313). Auch
dieses Argumentbeispiel („Wenn einer der Götter dir gesagt hat, daß
dieser reich sein wird, so wird dieser reich sein. Nun hat dieser Gott
hier dir gesagt, daß dieser reich sein wird. Also wird dieser reich sein.")
läßt sich, wie das Blut-Seele-Beispiel, mit Mitteln der Aussagenlogik
nicht analysieren.
Vergleicht man nun das Blut-Seele-Beispiel in inhaltlicher Hinsicht
mit den anderen Beispielen des AM-Referates und zwar zunächst mit
denen, von denen es auf Grund seiner Formulierung den größten
Abstand hat, nämlich mit den Modus-ponens-Argumenten mit άλλα
μήν im Minor, so ergeben sich auch hier eine Reihe von Auffälligkei-
ten, die unsere oben geäußerte Vermutung unterstützen. Die Kondi-
tionalaussagen in den ersten Prämissen der letzteren Argumente sind
nämlich alle entweder trivialerweise wahr, wie im Fall von Tag/Hellig-
keit oder Nacht/Dunkelheit, oder sie bringen eine wohlbegründete
wissenschaftliche Erkenntnis zum Ausdruck, wie im Falle der Folge-
rung vom Schweiß auf die Existenz der Poren oder vom Faktum der
Bewegung auf die Existenz des leeren Raumes. Nicht so unser Bei-
spiel.
Auch bei dem damaligen Stand medizinischer Kenntnis ist es alles
andere als plausibel, die als Lebensprinzip verstandene (und materiell
aufgefaßte) Seele mit einem Stoff zu identifizieren, bei dessen (voll-
250 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

ständigem) Verlust der Tod eintritt. Alles was aus der zugrunde liegen-
den medizinischen Beobachtung für die Natur der Seele folgt, ist dies,
daß das Blut nur eine notwendige, aber eben nicht auch eine hinrei-
chende Bedingung für die Existenz der Seele im Körper ist. Denn der
(vollständige) Blutverlust ist eben nur eine hinreichende Bedingung
für das Eintreten des Todes, nicht aber eine notwendige,· schließlich
kann der Tod eintreten, ohne daß auch nur ein Tropfen Blut verloren
geht. (Will unser Autor für diesen Fall behaupten, daß die Seele noch
dem Körper der Verstorbenen einwohnt?) Das unterscheidet den Blut-
verlust eben von Phänomenen wie dem Aussetzen von Atmung oder
Herzschlag, die (jedenfalls nach damaliger medizinischer Kenntnis)
hinreichende und zugleich notwendige Bedingungen für das Eintre-
ten des Todes sind. Ein materielles Substrat der Seele sollte aber
jedenfalls sowohl eine hinreichende wie eine notwendige Bedingung
für das Leben und damit für die Existenz der Seele im Körper sein, eine
Forderung, der etwa Chrysipps Gleichsetzung von Seele und Atem
(vgl. Calcidius Ad. Timaeum cap. 220 = SVF II fr. 879 = Long/Sedley
53 G) auch nachkommt.
Fazit: Die These, aus dem Eintreten des Todes bei (vollständigem)
Blutverlust folge die Identität von Blut und Seele, war auch zu der Zeit,
in der dieses Beispiel niedergeschrieben wurde, wissenschaftlich un-
haltbar. Auch was seinen Inhalt angeht, steht dieses Beispiel also weit
unter dem Niveau der anderen beiden,wissenschaftlichen' Beispiele
des AM-Referates, die wir zum Vergleich herangezogen haben. Wer
immer dieses Argumentbeispiel formuliert hat, er war nicht nur ein
schlechter Logiker, sondern auch ein dilettantischer Naturwissen-
schaftler. Der Qualitätsunterschied auch in inhaltlicher Hinsicht,
durch den sich dieses Beispiel von anderen Beispielen dieses Referates
abhebt, bestärkt unseren Verdacht, daß hier eine Zufügung zu vorhan-
denem Theoriematerial vorhegt. Das macht natürlich die Frage vor-
dringlich, ob sich über die Herkunft dieser anderen Beispiele etwas
herausbringen läßt. Aber bevor wir zu dieser Frage kommen, sollten
wir das Blut-Seele-Argument noch mit den anderen beiden Argu-
mentbeispielen vergleichen, die wir bisher noch nicht betrachtet ha-
ben.
Von ihnen ist das erste Beispiel „Wenn Dion umhergeht, bewegt
sich Dion, etc." (305) unproblematisch, aber es teilt, wie schon gesagt,
mit dem Blut-Seele-Beispiel die nicht-standardisierte Formulierung
des Minor und die Eigenschaft, ein zusätzlich angeführtes Beispiel zu
sein. Interessanter ist dagegen der Vergleich mit dem Beispiel des
Reichtum prophezeienden Gottes (308), und zwar wegen auffälliger
Übereinstimmungen beider Argumente. Daß auch bei dem theologi-
Beispiele für Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion 251

sehen Beispiel die zweite Prämisse nicht mit der Wendung άλλα μην
formuliert ist und daß auch dieses Argument mit den Mitteln der
Aussagenlogik nicht analysiert werden kann, hatten wir oben (S. 249)
schon festgestellt. Was die Form dieses Argumentes angeht, so kön-
nen wir hinzufügen, daß sein Grundgedanke sich ebenfalls leicht in
die Form eines Modus-ponens-Schlusses bringen läßt: „Wenn dieser
Gott dir gesagt hat, daß dieser Mann reich werden wird, so wird er
reich werden, etc." Vor allem aber: Wie das Blut-Seele-Beispiel ist auch
dieses Argument auf einen Maior gegründet, an dessen Wahrheit
jedenfalls der zeitgenössische Grieche seine Zweifel haben konnte.
Schließlich waren die homerischen Götter keine Musterbilder der
Wahrhaftigkeit, und für Hesiod ist sogar ein eidbrüchiger Gott vor-
stellbar (vgl. Theog. 793 ff.). Hinzu kommt in diesem Fall nun noch die
Unwahrscheinlichkeit der im Minor fingierten Situation. Kurz und
gut: Dieses Beispiel teilt mit dem Blut-Seele-Argument so viele Män-
gel, daß wir es kaum den beiden oben betrachteten /Wissenschaftli-
chen' Beispielen an die Seite stellen können. Es verrät die Handschrift
des Autors, der sich auch das Beispiel vom Blut und der Seele ausge-
dacht hat, auch wenn es nicht wie jenes als ein zusätzliches Beispiel
auftritt.
Da der Autor der AM-Quelle Stoiker ist, dürften die Beispiele, von
denen wir vermuten, daß er sie neu formuliert hat, in den Umkreis der
stoischen Philosophie gehören. In der Tat wird die These, daß das Blut
die Seele ist, von Galen für einen der späteren Stoiker, Diogenes von
Babylon nämlich, bezeugt (De plac. Hipp, et Plat. II 8,47 S. 167 de Lacy=
SVF III Diog. Bab. fr. 30). Und die Vorstellung, daß Zeus nur die
Wahrheit sagen kann, entspricht der philosophisch begründeten Got-
tesvorstellung der Stoa (vgl. etwa Plutarch, De comm. not 1075e=SVF II
fr. 1126 = Long/Sedley 54 K). Was aber läßt sich über die Herkunft
jener Beispiele ausmachen, zu denen diese stoischen in so auffälligem
Gegensatz stehen?
Jenes triviale und ad nauseam angeführte Argument vom Tag und
seiner Helligkeit begegnet uns als Beispiel für ein schlüssiges Argu-
ment in genau derselben grammatischen Formulierung zum ersten
Mal in der den Dialektikern zugeschriebenen Einteilung nicht-schlüs-
siger Argumente in den PH 2.147. Daß es tatsächlich ein Argument-
beispiel der Dialektiker war, wird auch noch dadurch bestätigt, daß
der Konditionalsatz, der die erste Prämisse dieses Argumentes bildet,
als Beispiel des WW-Falles in der Erläuterung der wahrheitsfunktiona-
len und ausdrücklich dem Dialektiker Philon zugeschriebenen Deu-
tung des Konditionals auftritt (AM 8.113). Mit diesem Argumentbei-
spiel dürfte aber auch das korrespondierende „Wenn es Nacht ist, ist
252 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

es dunkel. N u n ist aber N a c h t . Also ist es dunkel." von den Dialekti-


kern s t a m m e n . 1 8
Läßt sich a u c h für die beiden anderen, für die /Wissenschaftlichen'
Argumentbeispiele eine Dialektische Herkunft nachweisen oder zu-
mindest wahrscheinlich m a c h e n ? Das Argumentbeispiel, das v o m
Faktum der Bewegung auf die Existenz des leeren R a u m e s schließt, ist
in einer wörtlich übereinstimmenden Formulierung für Epikur be-
zeugt (AM 8.329). Die zentrale Bedeutung dieses A r g u m e n t e s für die
atomistische Physik Epikurs erhellt aus D L 1 0 . 4 0 u n d Lukrez 1 3 2 9 -
3 4 5 . Die Folgerung v o m Faktum der Bewegung auf die Existenz des
leeren R a u m e s ist aber ein Grundgedanke der griechischen Atomistik
überhaupt. D a ß es o h n e leeren R a u m keine Bewegung geben kann,
hat n a c h Aristoteles bereits Leukipp vertreten (vgl. D e gen. et corr. I 8,
3 2 5 a 2 7 ) . D a die Stoiker keine Atomisten waren, für zumindest einen
der Dialektiker, Diodor nämlich, jedoch atomistische Lehren bezeugt
sind (vgl. SR II F 8 - 1 0 ; Döring test. 1 1 6 - 1 2 0 ) , hegt die Vermutung
nahe, daß der stoische A u t o r der A M - Q u e l l e dieses Beispiel von
einem Dialektischen Vorgänger ü b e r n o m m e n h a t . 1 8 a D a Epikur die

1 8 Zwar wird dieses Beispiel nirgends ausdrücklich für die Dialektiker bezeugt,

und Philon benutzt auch nicht die Konditionalaussage „Wenn es Nacht ist, ist es
dunkel" als Beispiel einer FF-Kombination, sondern gebraucht dafür eine Aussage,
die als FF-Kombination von den Umständen ihrer Äußerung unabhängig ist:
„Wenn die Erde fliegt, dann hat die Erde Flügel" (vgl. AM 8.113). Aber unter den
Beispielen, die nach dem philonischen Kriterium für die Wahrheit der Konditional-
aussage wahr, nach Diodors Kriterium aber falsch sind, findet sich als Fall einer nur
nach Philon wahren (weil WW-)Kombination die Aussage: „Wenn es Tag ist,
diskutiere ich" (AM 8.115) und als Fall einer nur nach Philon wahren (weil - un-
ter entsprechenden Umständen ihrer Äußerung - FF-(Kombinaten die Aussage:
„Wenn es Nacht ist, diskutiere ich" (AM 8.116). Die Parallelität der beiden Beispiele
macht es wahrscheinlich, daß auch die Aussage „Wenn es Nacht ist, ist es dunkel"
als Pendant zu „Wenn es Tag ist, ist es hell" zum Beispielsrepertoire der Dialektiker
gehört hat, und damit dann auch das entsprechende Argument.
1 8 a Gegen Diodor als mögliche Quelle dieses Argumentes scheint der Einwand

möglich, daß in diesem Argument die Bewegung vorausgesetzt ist; Diodor aber
habe die Bewegung geleugnet (s. AM 10.85 = Döring test. 123; AM 10.143 = Döring
test. 125; vgl. a. AM 8.333). Aber die von Sextus referierten Argumente (AM 10.85-
101 = Döring test. 123 = SR II F13-14) zeigen, wie Sedley (1977), 85 richtig erkannt
hat, daß Diodor, anders als Zenon von Elea, nicht die Bewegung als Illusion
erweisen, sondern die zenonischen Argumente dadurch entschärfen wollte, daß er
ein Reden über etwas, das sich bewegt (Präsens), zwar für unmöglich erklärt, nicht
aber ein Reden über etwas, das sich bewegt hat (Perfekt). Daß es ihm mit diesem
Argument ernst war, zeigen seine von Sextus referierten Argumente für die seman-
tische These, daß es Aussagen gibt, die in der Vergangenheitsform wahr sind, ohne
es je in der Präsensform gewesen zu sein (AM 10.97-98 = Döring test. 123). Diodor
war es nicht um die Leugnung des Phänomens der Bewegung zu tun, auch wenn ihn
Beispiele für Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion 253

Dialektik bekanntlich als überflüssig ablehnt (vgl. DL 10.31), kann


dieses Argument bei Epikur jedenfalls kaum im Kontext der Illustra-
tion logischer Sachverhalte aufgetreten sein.19 Daß es sich hier jeden-
falls um ein übernommenes Beispiel handelt, wird durch eine di-
stanzierende Redewendung im anschließenden Kommentar dieses
Autors wahrscheinlich gemacht: Die Konklusion dieses Argumentes
„scheint (δοκεί) aufgrund wahrer Prämissen (...) gemäß einer Schluß-
folgerung) aufgedeckt zu werden." (314) Wer sagt, daß diese Konklu-
sion aufgedeckt zu werden scheint, und nicht, daß sie aufgedeckt
wird, der legt sich nicht auf Thesen fest, die mit diesem Argument
behauptet werden. Ein Stoiker konnte aber der hier behaupteten Exi-
stenz des leeren Raumes innerhalb (und nicht nur außerhalb) des
Kosmos kaum zustimmen (vgl. DL 7.140 und SVFI fr. 95).
Im Fall des Schweiß-Poren-Beispiels findet sich kein wörtlicher Be-
leg für einen vorstoischen Gebrauch, aber daß die Schweißabsonde-
rung durch Poren vor sich geht, das wird schon in einer der ältesten
Schriften des Corpus Hippocraticum vorausgesetzt.20 Obwohl die
Annahme von Poren nicht, wie die des Leeren, eine spezifisch atomi-
stische Doktrin voraussetzt und obwohl die Porenlehre keineswegs
ausschließlich von den Atomisten vertreten wurde21, so war sie doch
ein integrierender Bestandteil der atomistischen Theorie und wurde
nach dem Urteil des Aristoteles (vgl. De gen. et con. I 8, 324b32-
325a2) erst von Leukipp und Demokrit in eine der empedokleischen
überlegene Form gebracht. Die Porenlehre war, wie die einleitenden
Bemerkungen des Aristoteles zu De gen. et corr. I 8 zeigen, für die
Atomisten von zentraler Bedeutung in der Erklärung der Wahrneh-

die doxographische Tradition mit dieser These versieht, sondern um die Möglich-
keit, trotz der eleatischen Einwände logisch konsistent von Bewegung reden zu
können. Auch Bewegung als Sich-bewegt-Haben setzt aber für einen Atomisten die
Existenz des leeren Raumes voraus.
1 9 Der Gebrauch, den der Epikureer Philodem von Gadara in De sigais von dem

Konditional „Wenn es Bewegung gibt, gibt es Leeres" macht (vgl. VIII27, XII 8 ff.,
X X X V I I 3 8 f. S. 4 1 , 4 6 , 81 resp. de Lacy), scheint mir keine Gegeninstanz zu sein.
Philodem muß sich in seiner Methodendiskussion mit der inzwischen herrschend
gewordenen und durch Chrysipp sehr verbesserten stoischen Logik in ganz anderer
Weise auseinandersetzen als Epikur mit der Logik der zeitgenössischen Dialekti-
ker.
2 0 Vgl. De flatibus VIII, 6 S. 114 Jouanna.
2 1 Empedokles, der als erster die Porenlehre vertreten zu haben scheint (vgl.

DK 31 Β 89, A 87), war kein Atomist,· auch Aristoteles, der die atomistische Va-
riante der Porenlehre mit ihrer Implikation des leeren Raumes ablehnt, macht von
diesem Begriff im vierten Buch der Meteorologie Gebrauch (vgl. Meteor. IV 3,
3 8 1 b l - 3 ; 8, 3 8 5 a 2 7 - 3 0 ; 9, 3 8 5 b l 9 - 2 1 u. ö.).
254 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

mung und insbesondere bestimmter optischer Phänomene (Transpa-


renz). Demokrit hat von den Poren ebenso bei der Erklärung der
Träume (vgl. DK 68 A 77) wie bei der Erklärung des Magnetismus
Gebrauch gemacht (vgl. DK 68 A 165). Daß das Phänomen der
Schweißabsonderung ein besonders eindrucksvolles Argument für
die Existenz von unsichtbaren Durchgängen in scheinbar dichten
Körpern liefert, liegt wohl auf der Hand. Noch bei Lukrez (VI 942 ff.)
ist das Schwitzen das Paradebeispiel für den Durchgang der Atome
durch scheinbar dichte Materie. Zur Zeit der frühen Stoa dürfte daher
ein Argument, das vom Phänomen der Schweißabsonderung auf die
Existenz unsichtbarer Poren schließt, in den Umkreis der Atomistik
gehören. Die Stoiker aber waren nicht nur keine Atomisten, sondern
scheinen auch die Porenlehre in keiner Form vertreten zu haben; im
Index von Adler zu SVF ist das Wort πόρος nicht belegt. Da das
Schweiß-Poren-Argument im Referat des Sextus aber eine Distinktion
der Dialektik illustrieren soll, dürfte Epikur, obwohl Atomist, als
Quelle dieses Beispiels nicht in Betracht kommen. Wir haben somit
wiederum gute Gründe, auch für dieses Beispiel eine Herkunft aus der
Dialektischen Schule zu vermuten.
Daß der stoische Verfasser der AM-Quelle sich auf Material der
Dialektischen Schule stützt, das wird weiter wahrscheinlich gemacht
durch die von den Dialektikern übernommenen Termini für das
schlüssige und nicht-schlüssige Argument oder für Antecedens und
Succedens,· diese beiden Termini (ήγούμενον, λήγον) treten im Referat
der philonischen Wahrheitsbedingungen für die Konditionalaussage
(AM 8.114) sowie im Referat der Dialektischen Fehlschlußklassifika-
tion (PH 2.148-149) auf. Als vorläufiges Fazit aus diesen Beobachtun-
gen läßt sich jedenfalls festhalten, daß wir in diesem Referat der Lehre
eines stoischen Philosophen auf der Stufe der illustrierenden Beispiele
eine Gruppe, die auf die Dialektische Schule zurückgehen dürfte, von
einer anderen unterscheiden können, bei der es sich um Zufügungen
unseres stoischen Autors handelt.
Wenn wir wieder die entsprechende Einteilung der Argumente in
solche mit offenkundiger und mit nicht-offenkundiger Konklusion
im Referat der PH vergleichen, so fällt als erstes wiederum die größere
Kürze des PH-Textes auf: Statt der 16 Teubnerzeilen des AM-Refe-
rates kommt dieser Text mit 11 aus. Die zusätzlich angeführten bei-
den Beispiele des AM-Referates sind hier stillschweigend weggefallen.
In seinen Erläuterungen zu diesen Beispielen benutzt der Autor der
PH-Quelle die bei der Einführung der neuen Distinktion gebrauchten
Termini ,offenkundig' und ,nicht-offenkundig',· wo der Autor der
AM-Quelle, wie wir oben gesehen haben (S. 247), auf stilistische
Die Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion 255

Variation durch Wechsel des Ausdrucks Wert legt, macht die PH-
Fassung durch den Gebrauch einmal eingeführter Termini den Ge-
dankengang durchsichtiger.
Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Fassungen ist
jedoch systematischer Natur. Daß die hier eingeführte weitere Di-
stinktion als Unterscheidung innerhalb der Klasse der wahren Ar-
gumente entwickelt wird, einer Stufe, die in den Dichotomien der
AM-Fassung (zunächst) ausgelassen wird, war zu erwarten. Völlig
überraschend aber ist, daß in den PH diese Einteilung der wahren
Argumente hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Konklusionen nun
als Unterscheidung der beweisenden Argumente (αποδεικτικοί λόγοι)
von den nicht-beweisenden vorgestellt wird. Da ein beweisendes Ar-
gument schwerlich etwas anderes sein kann als ein Beweis, und da ein
Beweis, dessen Gattung schließlich das Argument ist, wohl immer ein
beweisendes Argument ist, hat der Autor der PH-Quelle hier eigent-
lich das Ziel seiner auf eine Definition des Beweises gerichteten dihai-
retischen Einteilungen erreicht. Das aber wäre ein klarer Gegensatz
zur AM-Fassung, die zu ihrer Definition des Beweises erst über eine
weitere Distinktion innerhalb der Klasse der Argumente mit nicht-
offenkundiger Konklusion gelangt. Wie wir jedoch im Fortgang noch
sehen werden, ist dieser Gegensatz der beiden Fassungen in diesem
Punkt nicht ganz so klar, wie es zunächst scheint.

f) Die Einteilung der Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion:


AM 8.307-309; PH 2.141-142

An die Unterscheidung der schlüssigen Argumente in solche mit


offenkundiger und mit nicht-offenkundiger Konklusion schließt die
AM-Fassung nun eine weitere Einteilung an:
Von diesen Argumenten, die etwas Nicht-Offenkundiges erschließen, bringen
uns die einen lediglich auf untersuchende Weise (έφοδευτικώς μόνον) von den
Prämissen zur Konklusion, die anderen untersuchend und zugleich aufdeckend
(έφοδευτικώς άμα και έκκαλυπτικώς). AM 8.307
An dieser neuen Einteilung ist zunächst einfach die Nomenklatur
auffällig. Im Unterschied nämlich zu den beiden vorangegangenen
Distinktionen, die die Klasse der Argumente allgemein und die der
schlüssigen Argumente einteilen, und im Unterschied auch zu der
erst AM 8.310-311 erwähnten Unterscheidung der wahren von den
nicht-wahren (schlüssigen) Argumenten wird diese Distinktion nicht
auf den Gegensatz eines Begriffs und seines Komplementes gegrün-
256 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

det. Sie wird nicht in Analogie zur Unterscheidung der schlüssigen


von den nicht-schlüssigen, der wahren von den nicht-wahren und der
Argumente mit offenkundiger Konklusion von denen mit nicht-of-
fenkundiger Konklusion als Unterscheidung der aufdeckenden von
den nicht-aufdeckenden Argumenten eingeführt, was doch den Un-
terschied ebenfalls und dazu konziser bezeichnet hätte, sondern in
der Weise, daß die beiden zu unterscheidenden Klassen durch eine
gemeinsame Eigenschaft charakterisiert werden und dann eine der
beiden durch ein zusätzliches (vgl. άμα κοα) Merkmal.
Methodisch ist dieses Vorgehen innerhalb einer solchen dihaireti-
schen Ableitung eines Definitionskriteriums ungeschickt, um nicht
zu sagen fehlerhaft. Denn die gemeinsame Eigenschaft, die beide
Klassen dieser Dichotomie aufweisen sollen, muß dann zumindest
auch der nächsthöheren Gattung, also den schlüssigen Argumenten
mit nicht-offenkundiger Konklusion zukommen. Dabei bleibt j edoch
ganz unklar, wie sich diese erst jetzt erwähnte Eigenschaft zu dem
Kriterium dieser übergeordneten Klasse verhält - hat sie den gleichen
Umfang oder ist sie weiter? Der Status dieses neuen Merkmals inner-
halb der Hierarchie der bisherigen Spezifikationsmerkmale ist gänz-
lich ungeklärt.
Richtet sich die gerade vorgebrachte Kritik auf den Typ der hier
vorgenommenen Unterscheidung, so betrifft ein weiterer Kritikpunkt
einen spezifischen Sprachgebrauch der hier benutzten Formulierung.
Der Autor der AM-Quelle hat nämlich zur Bezeichnung der gemein-
samen Eigenschaft einen Ausdruck gewählt, der schon von seiner
Wortbedeutung her im vorliegenden Kontext für Unklarheit sorgt.
Das Adjektiv έφοδευτικός ist im Lexikon von LSJ nur in der adverbialen
Form und nur an unserer Stelle und an der Parallelstelle der PH belegt.
Es scheint sich also um eine Neuschöpfung unseres Autors zu han-
deln. Das Verbum έφοδεύειν, von dem das Adjektiv έφοδευτικός abge-
leitet ist, stammt ursprünglich wohl aus dem militärischen Bereich
und hat dort die Bedeutung von ,die Runde (bei den Posten) machen',
inspizieren' (vgl. Xenophon, Hellenica 2.4.24; 5.3.22). Durch Verallge-
meinerung erhält das Wort dann den Sinn von ,untersuchen' ganz
allgemein, eine Bedeutung, die bei Sextus die ausschließlich ge-
brauchte ist (vgl. PH 1.200, 209; 2.1, 198; AM 6.6; 8.222, 283. - Der
Index von Janäcek verzeichnet sämtliche Vorkommen des Wortes).22

22
Das zugehörige Substantiv έφοδος hat zwar ebenfalls ursprünglich militäri-
schen Sinn, der aber von der Grundbedeutung des Verbs so verschieden ist, daß
man ihn für die Bedeutungsklärung des von der verbalen Form abgeleiteten Adjek-
tivs beiseite lassen kann,· έφοδος heißt,Angriff',,Attacke' (etwa Pseudo-Aristoteles,
Die Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion 257

Ein so allgemeiner Begriff wie der des Untersuchens ist aber kaum
geeignet, klar zu machen, welche Eigenschaft von Argumenten eigent-
lich damit thematisiert werden soll.23 Was man an der Einführung
dieses Begriffs des untersuchenden Argumentes aber insbesondere
kritisieren muß, ist der Umstand, daß sie gänzlich überflüssig ist. Es
wäre völlig ausreichend gewesen, wenn der Autor der AM-Quelle die
Unterscheidung, die er hier vornehmen will, durch den Gegensatz
von aufdeckenden und nicht-aufdeckenden Argumenten bezeichnet
hätte.
Auf dem Hintergrund der Unterscheidung verschiedener Schich-
ten, zu der uns die bisherige Analyse dieses Textes geführt hat, legen
die gerade gemachten Beobachtungen zur Einteilung der Argumente
mit nicht-offenkundiger Konklusion klarerweise eine Folgerung
nahe: Diese Distinktion ist ebenfalls eine Zutat des stoischen Autors
der AM-Quelle. Der methodische, Dilettantismus, der sich in der
Einführung dieser Unterscheidung zeigt, verrät die Hand jenes Au-
tors, dessen mangelnde wissenschaftliche Schulung wir schon an
früheren Stellen des AM-Referates notiert haben. Aber während der
Einfluß dieses Autors bisher in den kommentierenden Bemerkungen
zu Klassifikationen und Distinktionen, zuletzt dann auch in der Ein-
fügung zusätzlicher Beispiele für eine klassifizierende Unterschei-
dung nachweisbar war (305-306), haben wir hier zum ersten (und
auch zum einzigen) Mal eine Stelle, an der eine klassifizierende Di-
stinktion selber den Einfluß unseres Autors verrät.
Daß es sich bei dieser neu eingeführten Unterscheidung tatsächlich
um eine Zufügung unseres stoischen Autors handelt, wird weiter
dadurch bestätigt, daß von den beiden durch diese Unterscheidung
neu etablierten Klassen diejenige der Argumente mit nicht-offenkun-
diger Konklusion, die nicht ihre Konklusion aufdecken, durch das
Beispiel des Reichtum prophezeienden Gottes illustriert wird (308),
das wir oben (S. 250 f.) schon diskutiert haben und von dem sich
wahrscheinlich machen Heß, daß es ebenfalls auf den stoischen Autor
der AM-Quelle zurückgeht. Die andere dieser beiden Klassen wird

De mir. ausc. 119,842a3; Sextus Empiricus AM 8.193), dann auch im übertragenen


Sinn wissenschaftlicher Kritik (etwa Piaton, Phaidon 95b; Sextus Empiricus
PH 2.222, 258, AM 1.131). Das Wort scheint aber schon früh auch im Sinn von
,Herangehensweise',,Vorgehen' gebraucht worden zu sein (etwa Aristoteles, Eth.
End. III 1,1230a35) und wird bei Sextus häufig im Sinne von,Methode' verwendet
(PH 1.183; AM 2.2; 5.9,24,26, 75). An der Stelle AM 8.435-436 wird es synonym
mit μέθοδος gebraucht.
23
Die Unklarheit dieser Unterscheidung ist bereits von Mates (1973), 61 be-
merkt und kritisiert worden.
258 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

durch das Schweiß-Poren-Beispiel erläutert (309), das vorher schon


die Klasse der Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion erläu-
tert hatte, die Gattung der hier unterschiedenen Argumentarten.
In den kommentierenden Bemerkungen, die unser Autor zu seiner
Unterscheidung und zu den erläuternden Beispielen macht, setzt sich
die Reihe der bislang schon notierten wissenschaftlichen Unzuläng-
lichkeiten fort. Von den lediglich untersuchenden Argumenten heißt
es, daß sie „von Vertrauen und Gedächtnis (έκ πίστεως και μνήμης)
abzuhängen scheinen" (308); das anschließende erläuternde Beispiel
der göttlichen Prophezeiung wird dann wie folgt kommentiert:
Denn hier nehmen wir die Konklusion, daß dieser reich sein wird, nicht als auf
die Kraft des vorgebrachten Argumentes gegründet an, sondern auf Grund un-
seres Vertrauens in die Äußerung des Gottes (ούκ έκ της τοϋ προταθέντος λόγου
δυνάμεως κατασκευασϋέν, άλλα τφ πιστεύειν τη τοΰ θεοϋ άποφάσει). AM 8.308
Bei dem Schweiß-Poren-Beispiel, das den Fall des untersuchenden
und zugleich aufdeckenden Argumentes illustriert, würden dagegen,
so unser Autor, die Prämissen
uns auf Grund ihrer eigenen Natur zu folgern (lehren) (έκ της αύτών φύσεως
κατασκευάσαι έδίδασκεν ημάς), daß unsichtbare Poren existieren, etwa auf Grund
folgender Methode (έφοδος): „Durch einen dichten, nicht porösen Körper kann
unmöglich etwas Flüssiges austreten. Aber Schweiß tritt durch den Körper aus.
Somit ist der Körper nicht dicht, sondern porös." AM 8.309
Nun hat J. Brunschwig, der gerade zu dieser Stufe der Dichotomien
eine Reihe von treffenden Beobachtungen gemacht hat, ganz richtig
gesehen, daß wenn es einen Unterschied zwischen den beiden Argu-
menttypen gibt, die hier voneinander abgegrenzt werden sollen, er
jedenfalls nicht dort lokalisiert werden kann, wo der hier referierte
Autor ihn lokalisieren will.24 Dieser Autor sieht den Unterschied
der beiden Argumentarten darin, daß wir im einen Fall „die Konklu-
sion ... nicht als auf die Kraft des Argumentes gegründet (κατασκευα-
σϋέν) annehmen" (308), während im anderen Fall die Prämissen „uns
auf Grund ihrer eigenen Natur zu folgern (κατασκευάσαι) lehren" (309),
daß die Konklusion wahr ist. Der Autor lokalisiert also die Differenz
zwischen den beiden Argumentarten bzw. den sie erläuternden Bei-
spielen im logischen Verhältnis der Prämissen zur Konklusion, ein
Verhältnis, zu dessen Bezeichnung jeweils das Verbum κατασκευάζειν
(,ableiten', ,folgern',,begründen') benutzt wird.25 Aber hier kann eben
24
Brunschwig (1980), 136 f.
25
Im übrigen läßt sich, wie Brunschwig (1980), 136 hervorgehoben hat, die
Charakterisierung des lediglich untersuchenden Argumentes, das eine Unterart
des schlüssigen Argumentes ist, nicht mit dem vorher (AM 8.303-304) angegebe-
nen Kriterium der Schlüssigkeit vereinbaren.
Die Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion 259

der Unterschied nicht liegen, denn dieses Verhältnis ist in beiden


Fällen so, daß bei zugegebener Wahrheit der Prämissen die Konklu-
sion notwendig folgt.
Wenn es einen Unterschied zwischen den beiden Argumentarten
bzw. den erläuternden Beispielen gibt, dann nicht wegen einer Diffe-
renz im logischen Verhältnis der Prämissen zur Konklusion, sondern,
wie Brunschwig gesehen hat26, wegen einer Differenz im erkenntnis-
theoretischen Verhältnis zwischen Antecedens und Succedens der
Konditionalaussage im Maior dieser Argumente. In der Tat läßt sich
auf die beiden Konditionalaussagen in den Argumentbeispielen ein
erkenntnistheoretisches Unterscheidungskriterium anwenden, das eben
dieses Verhältnis zwischen Antedecens und Succedens bestimmter
Konditionalaussagen betrifft, die aus der Theorie des Zeichens be-
kannte Unterscheidung von hypomnestischem und endeiktischem
Zeichen nämlich.27 Zeichen waren bekanntlich Antecedentes von
Konditionalaussagen, die in einer bestimmten, erkenntnistheoretisch
charakterisierten Beziehung zum Succedens der jeweiligen Konditio-
nalaussage stehen (vgl. PH 2.104; AM 8.245; Pseudo-Galen, Hist,
philos. cap. 9). Überdies finden sich bestimmte Beispiele in beiden
Theorien: So treten die unsichtbaren Poren innerhalb der Zeichendis-
kussion (AM 8.146) auf, und das Beispiel des Milchhabens illustriert
zweimal den Begriff des Zeichens (PH 2.106; AM 8.252), ist aber auch
als Maior eines Beweises in dem dritten Referat des Sextus (AM 8.423)
gebraucht. All das macht es plausibel, nach einem Zusammenhang
zwischen der erwähnten Distinktion der Zeichentheorie und der hier
vorgenommenen Unterscheidung zweier Argumenttypen zu fragen.
In der Tat scheint der Maior des Schweiß-Poren-Beispiels ein endeikti-
sches Zeichen, der des Beispiels der Prophezeiung ein hypomnesti-
sches Zeichen zu sein.28 Denn im ersten Fall ist die Existenz der
unsichtbaren Poren etwas von Natur aus Nicht-Offenkundiges, im
zweiten Fall ist der prophezeite Reichtum etwas zeitweilig Nicht-
Offenkundiges, und auf diesen Unterschied wird im stoischen Kon-
text der PH (2.99) die Unterscheidung der beiden Zeichenarten ge-
gründet.
Nun haben wir allerdings im ersten Teil dieser Arbeit Gründe
gefunden, von der Zeichentheorie der frühen Stoa diejenige der Dia-
lektiker abzugrenzen, und diese Abgrenzung war in erster Linie von
Bedeutung bei der Unterscheidung des endeiktischen vom hypomne-

Brunschwig (1980), 137.


27
So a. Brunschwig (1980), 139 f.
28
So a. Brunschwig (1980), 140.
260 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

stischen Zeichen (vgl. oben S. 73 ff.). Während nämlich die Stoiker


diese Unterscheidung auf eine Distinktion im Bereich dessen stützen,
was durch Zeichen aufgedeckt werden kann, und sich dadurch, wie
wir gesehen haben (s.o.S. 75), bestimmte Schwierigkeiten für den Fall
der Deutung eines und desselben Zeichens durch Personen mit unter-
schiedlichem Informationshintergrund einhandeln, ist die Dialekti-
sche Unterscheidung der beiden Zeichenarten an dem Charakter der
Verbindung zwischen dem Zeichen und dem, was es aufdeckt, orien-
tiert. Im Fall des hypomnestischen Zeichens, so hatte ich oben (S. 73)
geschrieben, beruht diese Verbindung auf einer Leistung des Erinne-
rungsvermögens, im Fall des endeiktischen Zeichens auf einer Lei-
stung des Folgerungsvermögens.
Da wir es bei dem von Sextus referierten Autor mit einem Stoiker zu
tun haben, der in seiner Darstellung, wie wir beobachten konnten,
auch Dialektisches Material benutzt, sollten wir prüfen, ob sich hier
eher eine Nähe zur stoischen oder zur Dialektischen Theorie des
Zeichens ergibt. Daß das Antecedens der Konditionalaussage des
Schweiß-Poren-Beispiels auch für einen Dialektiker ein endeiktisches
Zeichen ist, hegt auf der Hand. Von der Wahrheit dieser Konditional-
aussage können wir uns nur auf Grund einer folgernden Überlegung
überzeugen. Nicht ganz so eindeutig läßt sich in dieser Hinsicht das
Antecedens im Konditional des anderen Beispiels beurteilen. Schließ-
lich ist es einigermaßen unwahrscheinlich, daß die Erinnerung an die
unausweichliche Erfüllung göttlicher Prophezeiungen uns bei der An-
nahme der Konklusion leitet. Aber das hängt mit der generellen Un-
wahrscheinlichkeit der Situation zusammen, die dieses Beispiel als
gegeben unterstellt. Da wir dieses Beispiel jedoch ohnehin unserem
stoischen Autor zuschreiben, sollten wir einer Unklarheit in dieser
Hinsicht nicht übermäßig viel Gewicht beimessen.
Sehr viel aufschlußreicher für die Fragestellung nach der Nähe zur
stoischen oder zur Dialektischen Theorie des Zeichens ist dagegen
die Charakterisierung, mit der die lediglich untersuchenden Argu-
mente noch vor der Erläuterung durch das Beispiel des Reichtum
prophezeienden Gottes allgemein vorgestellt werden. Es sind diejeni-
gen, „die von Vertrauen und Gedächtnis abzuhängen scheinen" (308).
Brunschwig hat richtig beobachtet, daß die Erwähnung des Gedächt-
nisses für die folgenden Bemerkungen unseres Autors eigentlich
funktionslos ist.29 Auf das Gedächtnis wird nirgends mehr Bezug
genommen. Das könnte ein Indiz dafür sein, daß hier tatsächlich eine

μ Brunschwig (1980), 142 f.


Die Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion 261

Formel übernommen wird, die ursprünglich in einen anderen Zu-


sammenhang gehört. In der Tat würde diese Formel sehr gut zu der
Auffassung der hypomnestischen Zeichen passen, die ich für die
Dialektiker wahrscheinlich gemacht habe. Von den hypomnestischen
Zeichen läßt sich sagen, daß sie von Vertrauen und Gedächtnis ab-
hängen; bei ihnen stützen wir uns auf unsere eigene Erfahrung (Ge-
dächtnis) oder wir verlassen uns auf die Mitteilungen anderer (Ver-
trauen).30
Es scheint also, daß wohl eher die Dialektische als die stoische
Auffassung der Unterscheidung von endeiktischem und hypomnesti-
schem Zeichen den Hintergrund zu der in AM 8.308 vorgenommenen
Einteilung der Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion bil-
det. Das wird auch dadurch gestützt, daß in diesem Text von einer
Unterscheidung innerhalb des Bereichs der nicht-offenkundigen
Dinge, eine Unterscheidung, auf die sich die stoische Trennung der
beiden Zeichenarten stützt, nirgends die Rede ist. Umgekehrt wird
aber das Schweiß-Poren-Argument, dessen Maior offensichtlich als
endeiktisches Zeichen zu klassifizieren wäre, durch eine folgernde
Überlegung, das Argument am Ende von 8.309 gestützt. Hier kommt
unser Folgerungsvermögen, nicht unser Erinnerungsvermögen ins
Spiel.
Welche Folgerung ist aus diesen Beobachtungen zu ziehen? Hat der
von Sextus referierte Autor hier eine Einteilung der Argumente mit
nicht-offenkundiger Konklusion, die er bei einem Dialektischen Vor-
gänger finden konnte, nur in verballhornter Form in seine Dichoto-
mien aufgenommen? Oder hat der stoische Autor, den Sextus hier
benutzt, gewissermaßen auf eigene Faust versucht, eine Distinktion
der Dialektischen Zeichentheorie für seine dihairetische Klassifika-
tion der Argumente in Anwendung zu bringen? Die erste dieser bei-
den Alternativen scheint mir aus einer Reihe von Gründen ausge-
schlossen.
Zum einen spricht gegen die Annahme, daß wir es hier mit einer
von den Dialektikern übernommenen Unterscheidung von Argu-
mentarten zu tun haben, die einfache Tatsache, daß unser stoischer

30
Brunschwig (1980), 142 f. versteht πίστις als „faith that the future would see
them (i. e. past experiences. - Th. E.) repeated in similar fashion" und als,„trust'
which we spontaneously place in the regularity of natural phenomena". Diese
Deutung von πίστις und die darauf gegründete Kritik Brunschwigs an dem religiö-
sen Sinn, in dem der hier referierte stoische Autor diesen Ausdruck verstehe,
scheint mir allerdings zweifelhaft. Die Grundbedeutung von πίστις ist die des
Vertrauens in andere Personen; keine der in LSJ angegebenen Gebrauchsweisen
scheint zu der von Brunschwig angenommenen Bedeutung zu passen.
262 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

Autor, wie wir gesehen haben (S. 258 f.), die dieser Unterscheidung
zugrunde liegende Differenz an einer Stelle lokalisiert, wo sie mit
Sicherheit nicht liegt, nämlich im Verhältnis der Prämissen zur Kon-
klusion, und eben nicht in der erkenntnistheoretischen Beziehung
zwischen Antecedens und Succedens der Konditionalaussagen beider
Argumente. Einem Mitglied der Dialektischen Schule einen solchen
Fehler zuzutrauen, scheint mir angesichts dessen, was wir über die
Leistungen der Dialektiker auf dem Gebiet der Logik wissen, ganz
unangebracht. Zweitens spricht gegen diese Annahme die oben als
methodisch fehlerhaft dargestellte Art der Einführung der hier behan-
delten Distinktion von Argumenten, die im Unterschied zu allen
anderen sonst vorkommenden klassifizierenden Unterscheidungen
nicht auf den Gegensatz eines Begriffs und seines Komplementes
gegründet ist (S. 255 f.). Aus dieser methodisch mangelhaften Formu-
lierung sowie dem Umstand, daß das eine der beiden illustrierenden
Beispiele offenbar ebenfalls von unserem stoischen Autor stammt,
hatten wir oben (S. 257) geschlossen, daß es sich bei dieser dihaireti-
schen Unterscheidung um eine Zutat dieses stoischen Autors handelt.
Schließlich spricht gegen die Annahme, daß wir es hier mit einer
letztlich auf die Dialektiker zurückgehenden Unterscheidung von
Argumentarten zu tun haben, auch folgende Überlegung. Die Dis-
junktion dieser beiden Argumentklassen macht den Begriff des Auf-
deckens zu einem spezifischen Merkmal einer dieser beiden Arten.
Dieser Begriff wird aber in der stoischen wie in der Dialektischen
Theorie des Zeichens zur Bezeichnung einer gemeinsamen Eigen-
schaft aller Zeichen, der endeiktischen wie der hypomnestischen,
gebraucht: Zeichen sind dadurch definiert, daß sie ihr Succedens
aufdecken (vgl. PH 2.104; AM 8.245; Pseudo-Galen, Hist, philos. cap. 9
Diels, Dox. Gr. 605,11). Es ist aber inkonsequent, einen Begriff, der für
das Verhältnis zwischen Antecedens und Succedens der Konditional-
aussagen in beiden unterschiedenen Argumentarten aufgrund der
Definition des Zeichens Anwendung finden kann, dann für das Ver-
hältnis von Prämissen zu Konklusion in den entsprechenden Modus-
ponens-Schlüssen nur für einen dieser beiden Fälle zuzulassen. Eine
solche Inkonsequenz paßt wiederum kaum zu den logisch versierten
Dialektikern, wohl aber zu dem eher dilettantisch verfahrenden Stoi-
ker, dessen Ableitung einer Definition des Beweises wir in diesem
Referat des Sextus lesen können.
Die Folgerung, die wir aus den oben gemachten Beobachtungen zu
AM 8.307-309 ziehen müssen, kann also nur die sein, daß die in
diesem Textabschnitt vorgenommene weitere Einteilung der Argu-
mente eine Distinktion ist, für die unser Autor kein Dialektisches
Die Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion 263

Vorbild hatte, obwohl er möglicherweise für die erstmals von ihm


vorgenommene Differenzierung dieser Argumente auf eine Unter-
scheidung der Dialektiker zurückgreift, die aber in den Zusammen-
hang eines anderen Theoriestücks gehört. Die Anwendung dieser aus
anderem Zusammenhang übernommenen Unterscheidung, immer
unterstellt, eine solche Anwendung hegt hier vor, geschieht dazu auf
eine Art und Weise, die ein Mißverständnis der tatsächlich möglichen
Erklärungsfunktion dieser Distinktion verrät. Statt die Unterschei-
dung von hypomnestischem und endeiktischem Zeichen zu nutzen,
um die beiden Argumentklassen, die hier voneinander abgegrenzt
werden sollen, durch einen Unterschied im Verhältnis von Antece-
dens zu Succedens im Maior dieser Argumente zu differenzieren,
scheint unser Autor diese Unterscheidung unmittelbar auf das logi-
sche Verhältnis von Prämissen zu Konklusion anwenden zu wollen.
Wir werden auf die durch diesen Befund aufgeworfene Frage, war-
um der stoische Autor so verfährt, wie er hier verfährt, warum er eine
Notwendigkeit sieht, die schlüssigen Argumente mit nicht-offenkun-
diger Konklusion (die der Autor der Parallelfassung der PH doch
schon als beweisende Argumente traktiert) abermals in zwei Klassen
einzuteilen, im folgenden noch zurückkommen. Werfen wir jetzt
zunächst wieder einen Blick auf die Parallelstelle der PH.
Bei einem Vergleich von AM 8.307-309 und dem Paralleltext PH
2.141-142 fällt als erstes die weitgehende Übereinstimmung der Text-
formulierungen in die Augen. Nur in der Kommentierung der beiden
Beispielsargumente bietet die PH-Fassung überhaupt wirkliche Neu-
formulierungen; ansonsten beschränken sich die Abweichungen auf
stilistische Änderungen.31 Diese bis in Einzelformulierungen reichen-

31
So ist in der PH-Fassung im ersten Satz das einleitende τούτων ebenso gestri-
chen wie das ώς vor συμπέρασμα. Statt άπό τών λημμάτων heißt es in den PH δια των
λημμάτων, was die logische Rolle des Ausgangs von den Prämissen besser zum
Ausdruck bringt. Das einleitende ών des zweiten Satzes wird im Text der PH zu otov.
Daß in dem Beispiel der göttlichen Prophezeiung in den PH das θεών fehlt, dürfte
dagegen auf einen Fehler in der Überlieferung zurückgehen, denn ohne diesen
Zusatz verliert die erste Prämisse dieses Argumentes ihre Plausibilität. (Das θεών ist
schon von Fabricius wieder richtig in den Text gesetzt, diese Konjektur von
Mutschmann/Mau jedoch verworfen worden.) Bei der Gegenüberstellung von AM
8.309 und PH 2.142 zeigt sich, daß in den PH der Gegensatz der aufdeckenden
Argumente zu den bloß untersuchenden besser herausgearbeitet ist: Die PH ver-
meiden den Wechsel vom Plural des μεν-Satzes (308/141) zu einem Singular im
korrespondierenden δέ-Satz, wie er sich in AM (309) findet (vgl. PH 2.142). Eben-
falls um diesen Gegensatz zu betonen, ist die PH-Fassung einmal sogar wortreicher
als AM: sie ersetzt das έφοδευτικώς δε άμα και έκκαλυπτικώς (309) durch die Wendung
οί δέ ού μόνον έφοδευτικώς άλλα και έκκαλυπτικώς (142).
264 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

de Anlehnung der PH an den parallelen Text von AM kontrastiert mit


dem Unterschied, den die Distinktion der bloß untersuchenden und
der auch aufdeckenden Argumente ihrem systematischen Status nach
in beiden Referaten aufweist. Denn da im Referat der PH die Argu-
mente mit nicht-offenkundiger Konklusion auf der vorhergehenden
Stufe der dihairetischen Einteilung mit den beweisenden Argumenten
gleichgestellt wurden, so ist die j etzt vorgenommene weitere Untertei-
lung der Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion in den PH
eine Unterscheidung innerhalb der Klasse der Beweise32, und somit
eine Klassifikation, die für die dihairetische Ableitung des Beweises
im Grunde überflüssig ist. Das ist ein wesentlicher Unterschied ge-
genüber dem Referat von AM, denn dort soll die Definition des Be-
weises offenbar durch die Gleichsetzung des Beweises mit einer der
beiden hier unterschiedenen Argumentarten erreicht werden. Man
könnte geradezu den Eindruck gewinnen, daß der Autor der PH-
Quelle seine systematische Abweichung von der Theorie eines Vor-
gängers durch möglichst weitgehende Übereinstimmung in der Prä-
sentation der fraglichen Einteilung zu kompensieren sucht.
Wie verhält sich nun der Autor der PH-Quelle zu seinem Vorgänger,
wenn es um die Kommentierung der beiden illustrierenden Beispiele
für die hier unterschiedenen Argumenttypen geht? Im Fall des dermal-
einst reichen Götterlieblings sind sich beide Autoren darin einig, daß
wir die Konklusion dieses Argumentes annehmen (παραδεχόμενα AM
8.308) bzw. ihr zustimmen (συγκατατιϋέμεϋα PH 2.141), weil wir dem
Wort des Gottes vertrauen (τφ πιστεύειν τη τοϋ ΰεοΰ άποφάσει AM 8.308;
ώς πιστεύοντες τη τοϋ ϋεοϋ άποφάσει ΡΗ 2.141). Nicht ebenso einig ist
sich der Autor der PH-Quelle mit seinem Vorgänger bei der Charakte-
risierung dieses Beispiels in negativer Hinsicht. Während es in AM
heißt, daß die Konklusion „nicht als auf die Kraft des vorgebrachten
Argumentes gegründet" (ούκ έκ της τοϋ προταθέντος λόγου δυνάμεως
κατασκευασϋέν 308) angenommen wird, lautet die Formulierung der
PH, daß wir der Konklusion „nicht so sehr wegen der Notwendigkeit
der Prämissen" (ούχ ούτως δια την των λημμάτων ανάγκην 141) zustim-
men, sondern weil wir dem Wort des Gottes vertrauen.
Gerade angesichts dessen, was wir oben (S. 258 f.) über den Grund
des Fehlers in der Kommentierung dieses Beispiels durch den Autor
der AM-Quelle festgestellt haben, scheint es bemerkenswert, daß der
in den PH von Sextus referierte Autor es vermeidet, von der Kraft des
Argumentes zu reden oder eine Form des Verbs κατασκευάζειν zu
gebrauchen, eines Verbs, mit dem das Verhältnis von Prämissen zu
32
So a. Brunschwig (1980), 152.
Die Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion 265

Konklusion charakterisiert wird. Stattdessen ist bei ihm nur von der
„Notwendigkeit der Prämissen" die Rede, von einer Eigenschaft jener
Teile des Argumentes, auf deren Beschaffenheit sich einzig eine Diffe-
renz der hier behandelten Argumentarten gründen ließe. Tatsächlich
hat eine Aussage wie „Wenn Schweiß durch die Körperoberfläche
austritt, dann gibt es im Fleisch unsichtbare Poren" eher den Charak-
ter einer notwendigen Verbindung als die Aussage „Wenn einer der
Götter dir gesagt hat, daß dieser reich sein wird, so wird dieser reich
sein". Im ersten Fall können wir einsehen, daß es unmöglich anders
sein kann, nicht dagegen im zweiten.
Diese Beobachtung über eine Abweichung der PH-Fassung vom
AM-Text erhält zusätzliches Gewicht durch den Umstand, daß der
Autor der PH-Quelle bei der Kommentierung des zweiten Beispiels
ebenfalls eine Ausdrucksweise vermeidet, die ihn auf den im AM-
Referat begangenen Fehler festlegen würde. Dieser Autor führt zu-
nächst das Schweiß-Poren-Beispiel in der Form eines λογότροπος an
(„Wenn Schweiß durch die Körperoberfläche austritt, dann gibt es im
Fleisch unsichtbare Poren. Nun aber das Erste. Also das Zweite."), eine
Formulierung, die naturgemäß die erste, konditionale Prämisse be-
sonders betont. Der dann folgende begründende Satz („Denn das
Austreten des Schweißes deckt die Existenz der Poren auf"), der sei-
nerseits durch den Hinweis auf den Begriff (πρόληψις) des dichten
Körpers gestützt wird (vgl. προειλήφϋαι PH 2.142)33, scheint eher die
Konditionalaussage im Auge zu haben als das Argument insgesamt.
Und jedenfalls hat der hier dem Referat des Sextus zugrunde liegende
Autor die Redeweise der Parallelstelle vermieden, die davon spricht,
daß uns die Prämissen „aufgrund ihrer eigenen Natur zu folgern
lehren, daß unsichtbare Poren existieren" (AM 8.309).
Dieser Autor vermeidet es also, den Unterschied der beiden Argu-
menttypen, die er hier unterscheidet, durch eine Differenz im jeweili-
gen Verhältnis von Prämissen und Konklusion zu markieren. Ein
Motiv dafür hat er allemal. Denn wenn die Konklusion des lediglich
untersuchenden Argumentes, wie es an der Parallelstelle heißt, nicht
als auf die Kraft des vorgebrachten Argumentes gegründet angenom-
men werden muß, was unterscheidet ein solches Argument dann
noch von einem nicht-schlüssigen? Gerade über das, was es für ein
Argument heißt, schlüssig zu sein, war aber unser Autor im Vergleich

33
Vgl. Brunschwig (1980), 153, der richtig feststellt, daß durch den Hinweis auf
die πρόληψις des dichten Körpers der Regreß zu weiteren Begründungen, der im
Vorgehen der Parallelstelle in AM angelegt ist, hier ausgeschlossen wird.
266 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

zu dem der AM-Quelle, wie wir oben (S. 243 ff.) gesehen haben, zu
größerer Klarheit gelangt.

g) Die Definitionen des Beweises AM 8.310-314

In beiden Referaten sind die dihairetischen Einteilungen mit der zu-


letzt diskutierten Unterscheidung eigentlich abgeschlossen, und in
beiden Referaten könnte jetzt als zusammenfassendes Resultat der
vorausgegangenen Erörterungen die Definition des Beweises folgen.
Tatsächlich folgt auch in beiden Referaten eine Umschreibung des
Beweises, aber das Verhältnis dieser Begriffsbestimmungen zu den
vorangegangenen Ausführungen stellt uns in beiden Fällen vor Inter-
pretationsprobleme.
In AM schließt sich an die bislang diskutierten Partien der folgende
Text an:
Da dies so ist, muß der Beweis in erster Linie ein Argument sein, zweitens
schlüssig, drittens auch wahr, viertens muß er auch eine nicht-offenkundige
Konklusion haben, fünftens muß diese auch aufgrund der Kraft der Prämissen
aufgedeckt werden. AM 8.310

Das Überraschende an dieser Umschreibung ist die Aufnahme der


(Argument-) Wahrheit unter die Definitionskriterien. Denn wir hatten
gerade als Mangel der Klassifikation in AM kritisiert, daß diese Stufe
dort, im Unterschied zu den Einteilungen der PH, übersprungen wird,
und wir hatten einen Grund für dieses Vorgehen in der Prämissendefi-
nition des AM-Referates gefunden, durch die eine Unterscheidung
von wahrer Prämisse und Prämisse erschwert wurde.
Überraschend an dieser Definitionsformulierung ist aber nicht le-
diglich die Aufnahme eines Definitionsmerkmals, von dem vorher
noch gar nicht die Rede war, überraschend ist insbesondere der Um-
stand, daß diese Definition und damit auch das zusätzlich aufgenom-
mene Kriterium der (Argument-)Wahrheit als Folgerung (vgl. „Da
dies so ist, muß ein Beweis ..." τούτων δή οΰτως εχόντων ή άπόδειξις ...
οφείλει... είναι) aus den voraufgegangenen Darlegungen präsentiert
wird. Alles, was aus dem vorher Referierten logisch folgt, ist eine
Definition, die man etwa so formulieren könnte: Ein Beweis ist ein
schlüssiges Argument mit einer nicht-offenkundigen Konklusion,
das untersuchend und zugleich aufdeckend ist. Brunschwig hat diese
Definition, die aus dem vorhergehenden Text gefolgert werden kann,
die aber bei Sextus so eben nicht steht, Definition R genannt und sie
Die Definitionen des Beweises AM 8.310-314 2 67

Kleanthes zugewiesen.34 Dagegen soll die in AM 8.310 faktisch vorlie-


gende Begriffsbestimmung, Brunschwigs Definition C, auf Sextus sel-
ber zurückgehen.35
Prüfen wir zunächst die Behauptung Brunschwigs, die Definition in
AM 8.310 stamme von Sextus selber. Die Ausdrucksweise des Sextus
an dieser Stelle, die folgernde Formulierung des οφείλει είναι, zeige
klarerweise, so Brunschwig36, daß Sextus hier in ρτορήα persona spre-
che und ein Fazit aus der vorhergehenden Textparaphrase ziehen
wolle. Das scheint mir jedoch alles andere als klar zu sein. Warum soll
die hier im Text auftretende folgernde Formulierung nur eine Folge-
rung des referierenden, nicht aber auch eine des referierten Autors
anzeigen können? Schließlich benutzt Sextus dieselbe Wendung auch
im Paralleltext der PH, als er die erste der beiden dort erwähnten
Definitionsformeln anführt (143). Nun ist aber die zweite der beiden
PH-Definitionen identisch mit der Definition, die auch im AM-Refe-
rat als letzte erscheint (vgl. AM 8.314) - Brunschwigs Definition S -
und von der Brunschwig ganz richtig beobachtet hat, daß sie offenbar
nicht durch eine Reihe dihairetischer Einteilungen gewonnen wurde,·
ihr fehlt die konjunktive Struktur der anderen Definitionen.37 Sie
stammt offenbar, so auch Brunschwig, aus anderem Kontext.38 Wenn
man nun aber die erste der beiden PH-Definitionen, wie Brunschwig
in der Tat annimmt39, ebenfalls für eine erst von Sextus formulierte
Definition hält, dann hätte der Autor der PH-Quelle darauf verzichtet,
eine eigene Definition des Beweises aufzustellen, auf deren Ableitung
doch seine Klassifikation angelegt war. Das ist, denke ich, doch eini-
germaßen unwahrscheinlich. Daher sollten wir die Wendung οφείλει
είναι in beiden Referaten nicht als Indiz dafür ansehen, daß Sextus hier
selber eine Folgerung zieht.
Gegen die These Brunschwigs spricht weiter, daß die Erläuterun-
gen, die in den anschließenden Paragraphen 311-313 vorgetragen

34
Brunschwig (1980), 143 und 159.
35
Brunschwig (1980), 143 f., 159. Eine Nachlässigkeit in der Formulierung die-
ser Begriffsbestimmung hegt übrigens darin, daß hier dem Wortlaut nach nur eine
Aufzählung von notwendigen Bedingungen erfolgt; daß sie zusammen auch eine
hinreichende Bedingung für das Vorliegen eines Beweises sind, wird durch die
Formulierung auch nicht implicite gesagt. Vgl. auch unten S. 269.
36 Brunschwig (1980), 144.
37
Brunschwig (1980), 148.
38
Vgl. Brunschwig (1980), 159 f. Brunschwig will diese Definition Zenon zuwei-
sen, im Referat AM 8.301-314 sieht er Kleanthes, im PH-Referat Chrysipp para-
phrasiert.
3
9 Brunschwig (1980), 154.
268 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

werden, offenbar in unmittelbarem Zusammenhang mit der 310 auf-


gestellten Definition stehen. Sie beziehen sich auf das dort neu einge-
führte (dritte) Definitionsmerkmal der (Argument-)Wahrheit und die
beiden ihm folgenden Merkmale, indem sie klar machen wollen, daß
Schlüssigkeit nicht (Argument-)Wahrheit, diese nicht die Nicht-Of-
fenkundigkeit der Konklusion und die Nicht-Offenkundigkeit der
Konklusion nicht den aufdeckenden Charakter des Argumentes im-
pliziert. Nur für den ersten Punkt ist das etwas Neues, die beiden
anderen sind im Grunde bloße Wiederholungen von etwas bereits
Gesagtem. Wir müßten aber dieses ganze Textstück wohl ebenfalls
dem Sextus zuschreiben, wenn der Text in 310 seine Formulierung
ist.
Von ihrem Sprachgebrauch her sind aber diese Erläuterungen in
311-313 eng an die 301-309 referierte Theorie angelehnt. Die Rede
vom ,Zugeben' der Prämissen (311, 312) bzw. der Konklusion (312)
nimmt, zum Teil sogar der grammatischen Form nach (Partizip Pas-
siv), eine vorher gebrauchte Wendung wieder auf (vgl. 304). Das
spricht dafür, hier eine Fortführung des Referates, nicht aber eigene
Ausführungen des Sextus zu finden. Eine weitere Ähnlichkeit dieser
Erläuterungen mit dem vorhergehenden Text, eine Ähnlichkeit, die
ein neu formulierender Autor wohl kaum erfinden würde, liegt in der
Umständlichkeit bestimmter Formulierungen: So wird zweimal auf
die Konklusion eines gerade angeführten Argumentes nicht nur, was
völlig ausreichend gewesen wäre, mit dem Wort,Konklusion' zurück-
verwiesen, sondern diese Konklusion wird jeweils auch zitiert (312,
313 vgl. 302, 303-304).
Was aber eine Zuweisung der Definitionsformulierung AM 8.310
an Sextus schließlich vollkommen unplausibel macht, das ist der
Umstand, daß wir damit den logischen Fehler, der in der Behauptung
der Ableitimg dieser Definition aus den voraufgegangenen Erörterun-
gen Uegt, Erörterungen, in denen von dem Definitionskriterium der
(Argument-)Wahrheit gar nicht die Rede war, nun dem Sextus anla-
sten müßten. Warum aber sollte Sextus, der doch im allgemeinen ein
solide argumentierender Autor ist, einen derartigen und so offenkun-
digen Fehler begehen? Mit sehr viel mehr Plausibilität läßt sich für
den Autor der AM-Quelle behaupten, daß er diesen Fehler begeht.
Schließlich hat er schon vorher Beweise seiner mangelnden methodi-
schen Konsequenz geliefert, etwa bei der nachträglichen Verbesse-
rung der Definition des schlüssigen Argumentes 8.305 (vgl. oben
S. 242). Ich gehe daher im folgenden davon aus, daß Sextus auch in
AM 8.310-313 einen fremden Text paraphrasiert, nicht aber eigene
Formulierungen in sein Referat einschaltet.
Die Definitionen des Beweises AM 8.310-314 269

Für diesen stoischen Autor der AM-Quelle macht es auch ganz


wohl Sinn, mit der nachträglichen Aufnahme eines Definitionsmerk-
mals und deren erläuternder Kommentierung eine abermalige Erläu-
terung bereits geklärter Distinktionen zu verknüpfen,· dieses Vorge-
hen trägt dazu bei, die Tatsache zu verschleiern, daß hier nachträglich
eine Definitionsbestimmung, die ihren Platz eigentlich in den vorher-
gehenden Klassifikationen hätte finden müssen, in die Definitionsfor-
mulierung aufgenommen wird.
Nach den Erläuterungen in 8.311-313 liefert der AM-Text abermals
eine Definition des Beweises:
Wenn nun alle diese Dinge zusammenkommen (συνδραμόντων οΰν πάντων
τούτων), das Argument also schlüssig ist und wahr und etwas Nicht-Offenkun-
diges darstellend (άδηλου παραστατικόν), kommt ein Beweis zustande.
8.314

Im Unterschied zu der Definitionsformulierung in AM 8.310, die


genau genommen nur eine Aufzählung notwendiger Bedingungen
war und nicht klar machte, daß die Summe dieser Bedingungen auch
eine hinreichende Bedingung für das Vorliegen eines Beweises ist,
kommt die neue Formulierung dieser Forderung an eine Definition
nach: Der einleitende Genitivus absolutus, in der Übersetzung das
Antecedens einer Konditionalaussage, stellt klar, daß die - in dem
Einschub noch einmal aufgezählten - notwendigen Bedingungen zu-
sammengenommen auch eine hinreichende Bedingung für das Vor-
hegen eines Beweises bilden.
Ist diese Definition in formaler Hinsicht also eine Verbesserung
gegenüber der in 310 aufgestellten, so fällt sie in anderer Hinsicht hin-
ter die frühere zurück. Anstatt nämlich den inzwischen eingeführten
Ausdruck ,aufdecken' (έκκαλύπτενν) in dieser Definition zu verwen-
den, gibt unser Autor der schon an anderen Stellen (vgl. oben S. 247
zu AM 8.305) beobachteten Tendenz nach, stilistische Abwechslung
im Ausdruck höher zu werten als terminologische Klarheit: Statt von
άδηλου έκκαλυπτικόν spricht unser Autor von άδήλου παραστατικόν. Das
Adjektiv παραστατικός hat zwar denselben Sinn wie έκκαλυπτικός (vgl.
etwa den parallelen Gebrauch der beiden Ausdrücke in AM 8.392 und
PH 2.178), aber das zweite der beiden Adjektive ist nicht nur sehr viel
gebräuchlicher (bei Sextus ist es etwa dreimal so oft belegt), es kann
sich auch an ein Verbum anlehnen, das schon lange in Gebrauch ist
und von seiner klaren Bedeutung her den Wortsinn des Adjektivs
stützt. Gleiches gilt nicht von dem zu παραστατικός gehörenden Verb
παρίστημι. Hier ist eine klare Bedeutung, die dem Sinn des Adjektivs
entspricht, nicht zu erkennen.
270 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

Der stoische Autor der AM-Quelle hätte also Grund genug gehabt,
auf einen Wechsel des Ausdrucks in der Formulierung seiner endgül-
tigen Definition zu verzichten. Auffallend ist auch, daß mit der Wen-
dung „Nicht-Offenkundiges darstellend" zwei Definitionsmerkmale,
die in 8.310 noch auseinandergehalten und als viertes und fünftes in
der Reihe der Kriterien aufgezählt wurden, hier der syntaktischen
Formulierung nach zusammengezogen sind.
Mit der in AM 8.314 angeführten Begriffsbestimmung, die unmit-
telbar aus den vorhergehenden Darlegungen abgeleitet wurde, ist der
Abschluß der klassifizierenden Einteilungen in 301-313 eigentlich
erreicht. Sextus hängt aber nun noch eine weitere Definition des
Beweises an, die auch durch die Art ihrer Präsentation als zusätzliche
(vgl. και οϋτως) Umschreibung kenntlich gemacht und die ebenfalls
durch ein eigenes Beispiel illustriert und durch einen an das Beispiel
anschließenden Kommentar erläutert wird. Sie lautet wie folgt:
Ein Beweis ist ein Argument, das aufgrund übereinstimmend angenommener
Prämissen gemäß einer Schlußfolgerung eine nicht-offenkundige Konklusion
aufdeckt. AM 8.314
Das Auftreten dieser neuen Definition ist in der Tat bemerkenswert.
Denn einerseits ist diese Definition nicht aus einer dihairetischen
Einteilung hervorgegangen wie die vor ihr stehende: Ihr fehlt, so hat
Brunschwig richtig gesehen40, die konjunktive Struktur der anderen
Beweisdefinitionen. Neben diesem formalen Charakteristikum spre-
chen auch inhaltliche Gesichtspunkte für die Unabhängigkeit dieser
neuen Umschreibung des Beweises von den spezifischen Einteilun-
gen, die im Text vorhergehen. Die Terminologie der vorhergehenden
Unterscheidungen paßt nämlich an zwei Stellen nicht mit der die-
ser Definition zusammen: Statt der adjektivischen Form ,schlüs-
sig' (συνακτικός) wird hier die Eigenschaft der Schlüssigkeit durch
die adverbiale Bestimmung ,gemäß einer Schlußfolgerung' (κατά
συναγωγήν) ausgedrückt; insbesondere aber wird statt von der (Argu-
ment· (Wahrheit oder von der (Aussagen-)Wahrheit (der Prämissen)
von den übereinstimmend angenommenen Prämissen' geredet; der
dem Beispiel folgende Kommentar interpretiert die,übereinstimmend
angenommenen Prämissen' dann ohne weitere Umstände als wahre
Aussagen (vgl. δι' όμολογουμένων λημμάτων in der Definition und δι'
αληθών im Kommentar 314).
Andererseits scheint aber diese Beweisdefinition nicht in einer äu-
ßerlichen Beziehung zu der in AM 8.301-313 vorliegenden Darstel-

•»o Brunschwig (1980), 148.


Die Beweisdefinition PH 2.143 271

lung zu stehen. Der Definition und Beispiel kommentierende letzte


Satz von 314 versucht in der gerade notierten Interpretation der ,über-
einstimmend angenommenen Prämissen' als ,wahre' (Prämissen) die-
se Definition ganz bewußt an die vorher entwickelte Theorie anzu-
schließen. Insbesondere aber zeigt die Parallelfassung der PH, daß
diese Definition für die beiden Fassungen der stoischen Beweistheo-
rie, die wir in AM 8.301-314 und in den PH 2.135-143 lesen können,
offenbar eine herausragende Bedeutung hat. Im Referat der PH wird
diese Definition am Anfang (135) wie am Ende (143) zitiert, und dort
wird sie sogar als Folgerung aus der (konjunktiv formulierten) spezifi-
schen Beweisdefinition der PH präsentiert (vgl. και δια τοϋτο είναι λέγε-
ται ή άπόδειξις κτλ. 143).
Läßt sich das Auftreten und die herausgehobene Stellung dieser
Definition in den beiden Parallelfassungen der stoischen Beweistheo-
rie einleuchtend erklären? Die plausibelste Deutung ist wohl die, daß
diese Definition als quasi kanonische Begriffsbestimmung den beiden
stoischen Autoren der AM- bzw. der PH-Quelle vorgegeben war und
daß diese Autoren mit ihren klassifizierenden Einteilungen eine Ex-
plikation dieser Begriffserklärung geben wollen. Auch Brunschwig
sieht das genetische Verhältnis dieser Definition zu den beiden paral-
lelen Referaten bzw. ihren Quellen so, wie wir es gerade dargestellt
haben41, er will allerdings diese Definition und die beiden Referate
ausschließlich stoischen Philosophen zuweisen und bei dieser histori-
schen Zuordnung werde ich ihm nicht mehr folgen. Auf die damit
verbundenen Fragen kommen wir im folgenden Kapitel zurück.

h) Die Beweisdefinition PH 2.143

In den PH wird neben der schon aus dem AM-Referat bekannten und
hier zweimal (135, 143) zitierten /kanonischen' Definition des Be-
weises, die in den PH allerdings nicht durch ein Beispiel erläutert und
nicht kommentiert wird, nur eine weitere Definition angeführt. Sie
wird aus den klassifizierenden Einteilungen des PH-Referates abgelei-
tet und wie folgt vorgestellt:
Demnach muß der Beweis ein Argument sein und schlüssig sein und wahr sein
und eine nicht-offenkundige Konklusion haben, die durch die Kraft der Prämis-
sen aufgedeckt wird. PH 2.143

Brunschwig (1980), 156 f.


272 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

Da der griechische Wortlaut uns noch Anlaß zur Diskussion eines


textphilologischen Problems bieten wird, setze ich ihn ebenfalls hier-
her:
ή ουν άπόδειξις και λόγος είναι οφείλει και συνακτικός και άληϋης και άδηλον έχων
συμπέρασμα [και] έκκαλυπτόμενον ύπό της δυνάμεως των λημμάτων.42.
Die erste und wichtigste Frage, die an diese Definition zu stellen ist,
ergibt sich aus einer oben zum Text von PH 2.140 gemachten Beobach-
tung (vgl. S. 255). An dieser PH-Stelle waren nämlich die Argumente,
die (schlüssig und wahr sind und) eine nicht-offenkundige Konklu-
sion haben, als beweisende Argumente bezeichnet worden; ein bewei-
sendes Argument aber kann wohl nur ein Beweis sein. Infolgedessen
ist in der PH-Fassung dieser stoischen Theorie, anders als in AM, die
dann folgende Unterteilung der Argumente mit nicht-offenkundiger
Konklusion in abermals zwei Klassen eine Einteilung innerhalb der
Beweise und zum Zweck der Aufsuchung der Definitionsmerkmale
eigentlich überflüssig. PH könnte sich zur Begriffsbestimmung des
Beweises auf die Merkmale Argument, schlüssig, wahr und nicht-
offenkundige Konklusion beschränken.
Die Frage, die wir an die oben zitierte Definition des Beweises stellen
müssen, ist dann die, ob sie sich auf diese Merkmale beschränkt, und
die Antwort auf diese Frage ist, wie es scheint, ein klares Nein, denn
wir finden in dieser Definition die Bestimmung, daß die Konklusion
„durch die Kraft der Prämissen aufgedeckt wird". Wir müssen also
dem Autor der PH-Quelle, wie es scheint, eine bemerkenswerte In-
konsequenz vorwerfen. Seine Definition scheint nicht auf der Höhe
der Einsicht zu sein, die er doch in seinen klassifizierenden Unter-
scheidungen schon erreicht hatte. Dort trat der Begriff des Aufdek-
kens erst auf, nachdem die Merkmale des beweisenden Argumentes
(= Beweises) schon gefunden waren. Bei den methodischen Qualitä-
ten, die wir bisher an dem Autor der PH-Quelle, im Gegensatz zu
seinem Vorgänger, bewundert hatten, ist das eine nicht leicht erklär-
bare Inkonsequenz. Es Hegt nahe, hier nach einem Ausweg zu suchen,
der unseren Autor von diesem Vorwurf entlasten kann.
Nun hat Brunschwig, der auch als erster auf das mit der Beweisdefi-
nition der PH gestellte Problem aufmerksam gemacht hat, einen Aus-
weg aus dieser Schwierigkeit zu finden versucht. Brunschwig möchte
nämlich den letzten Teil der Definitionsformulierung streichen, jenen

42
Das in Klammern gesetzte καί fehlt in der translatio laüna, und ich habe es aus
Gründen, die unten (vgl. S. 273 f.) ausführlich dargelegt werden, bei der Überset-
zung nicht berücksichtigt.
Die Beweisdefinition PH 2.143 273

Teil also, der in der Übersetzung als Relativsatz wiedergegeben ist, im


Griechischen den Text, der mit dem eingeklammerten καί beginnt.43
Diesen Vorschlag stützt Brunschwig mit folgender Überlegung: Die
dem eingeklammerten καί folgenden Worte seien eine in den Text
eingedrungene Randglosse. Daß dieses καί in einer wichtigen Quelle
für den Text, in der translatio latina, fehlt, sei dafür ein Anzeichen. Der
syntaktische Hiatus, der durch die Interpolation erzeugt wurde, sei bei
einigen Abschreibern stehengeblieben, bei anderen mit einem καί
ausgefüllt worden.
Dieser auf eine ingeniöse Überlegung gegründete Vorschlag Brun-
schwigs würde das mit der Definition des Beweises in den PH gestellte
Problem auf eine einfache Weise lösen. Die Definition enthielte alle
und nur die Merkmale, die im voraufgehenden Text bis zur Ableitung
der beweisenden Argumente zusammengetragen wurden. Nur
scheint mir dieser Vorschlag jedoch auf einer unrichtigen Vorausset-
zung zu beruhen. Der Hiatus, den Brunschwig bei einem Fehlen des
eingeklammerten καί im Text vorliegen sieht, ist dort nämlich nicht
vorhanden. Der Text liest sich ohne diese Konjunktion glatt und ohne
Härte. Das Hegt einfach daran, daß diese Verknüpfungspartikel hier
eine andere syntaktische Aufgabe erfüllt als an den vorhergehenden
Stellen in dieser Definition. Während die Konjunktion καί im vorauf-
gehenden Text der Definition dazu dient, jeweils ein weiteres Prädikat
von άπόδειξις anzuführen, hat dieses letzte καί (immer unterstellt, es
gehört in den Text) die Aufgabe, innerhalb eines solchen Prädikates
zwei abhängige Bestimmungen zu verbinden, die beiden Attribute
von συμπέρασμα nämlich, άδηλον und έκκαλυπτόμενον. Diese unter-
schiedliche Funktion des im Teubnertext eingeklammerten καί hat
Brunschwig nicht beachtet.44
Weil dieses καί nun in der Tat nicht die Aufgabe hat, ein weiteres
Prädikat von άπόδειξις einzuführen, kann es daher auch fehlen, ohne
daß dadurch eine Härte in den Text kommt. Im Gegenteil: bei der
faktisch vorliegenden Wortordnung dieser Stelle wirkt diese Partikel
wegen des weiten Abstandes von dem Wort, an das sie einen An-
schluß herstellen soll (άδηλον), eher unpassend. Griechisches Stilemp-
finden würde, falls dieses καί tatsächlich Teil des Textes wäre, wohl

Brunschwig (1980), 154 f.


44
Brunschwig schreibt: „... the conjunction ,and' {kai) which the recapitulation
regularly places before each component of the definition, is exceptionally missing,
in one of die authorities for the text, before ,ekkaluptomenon'" (a.a.O. 154). Wenn
man jedoch den unterschiedlichen syntaktischen Status von έκκαλυπτόμενον beach-
tet, dann verliert das Fehlen der Konjunktion den Charakter des Ausnahmsweisen.
274 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

eher eine Formulierung verlangen wie:... συμπέρασμα έχων άδηλον και


έκκαλυπτόμενον κτλ. Ich gehe deshalb davon aus, daß diese Konjunk-
tion im Text des Sextus ursprünglich nicht vorhanden war, sondern
von einem späteren Abschreiber stammt, der möglicherweise meinte,
hier eine Parallelisierung mit anderen Definitionsbestimmungen her-
stellen zu müssen.
Die abweichende Textüberlieferung an dieser Stelle der Definition
zwingt uns also keineswegs zu der Deutung Brunschwigs. Damit ist
aber sein Versuch, durch eine Athetese diese Definition mit dem
vorhergehenden Text in Übereinstimmung zu bringen, nicht gelun-
gen. Müssen wir uns also damit abfinden, daß der Autor der PH-
Quelle mit dieser Definition seine Theorie letztlich inkonsistent
macht? Ich möchte im folgenden zeigen, daß der Textbefund noch
eine andere Deutung erlaubt, die zwar den Autor nicht vom Vorwurf
einer mißverständlichen Formulierung entlastet, die aber doch erklä-
ren kann, warum er ganz bewußt eine solche Formulierung gewählt
hat.
Halten wir zunächst zwei Beobachtungen zu dem Teil dieser Defini-
tionsformulierung fest, der die Schwierigkeit verursacht. 45 Gerade
weil in dieser Definition alle ,unproblematischen' Definitionsbe-
standteile gleichlautend durch ein καί eingeführt werden (was für das
erste Prädikat in der deutschen Übersetzung nicht nachzubilden ist),
also λόγος, συνακτικός, αληθής und άδηλον έχων συμπέρασμα, muß es
auffallen, daß der letzte Bestandteil der Definitionsformulierung, der,
wie es scheint, ein weiteres Definitionsmerkmal enthält, nicht in
analoger Weise als Prädikat von άπόδειξις eingeführt wird; dabei ist es
gleichgültig, ob das καί im Text fehlt oder vorhanden ist, denn auch im
zweiten Fall hat es, wie oben gezeigt, eine andere Funktion als die
voraufgehenden Verknüpfungspartikel. Die unterschiedliche syntak-
tische Behandlung des letzten Teils dieser Definitionsformulierung
hätte sich schließlich leicht vermeiden lassen: Der Autor der PH-
Quelle hätte nur die Formulierung der unmittelbar folgenden kano-
nischen' Definition, auf die seine eigene Definition schließlich hin-
führen soll, übernehmen und formulieren müssen: και έκκαλύπτων
τοϋτο (oder: το συμπέρασμα) έκ της των λημμάτων δυνάμεως.46 Daß er
45
Diese Definition ist übrigens wie die in AM 8.310 als Aufzählung notwendi-
ger Bedingungen formuliert; auf eine Feststellung, daß die Summe dieser Bedingun-
gen auch eine hinreichende Bedingung für das Vorliegen eines Beweises ist, wird
hier wie dort verzichtet.
46
Man beachte auch den Unterschied der in den PH vorhegenden Formulierung
von der parallelen Wendung in AM 8.310: τέταρτον και άδηλον έχων συμπέρασμα,
πέμπτον καί έκκαλυπτόμενον τοϋτο έκ της δυνάμεως των λημμάτων. Da έκκαλυπτόμενον
Die Beweisdefinition PH 2.143 275

nicht so verfahren ist, läßt vermuten, daß er Gründe hatte, die tatsäch-
lich gewählte Formulierung anderen vorzuziehen.
Des weiteren fällt an diesem Teil der Definitionsformulierung auf,
daß die Redeweise von der „Kraft der Prämissen", die zwar im AM-
Referat zweimal auftritt (310, 313), im Referat der PH vorher nicht
vorkommt. Sie erscheint einzig in dieser Definition, die damit einen
nicht erläuterten Bestandteil enthält. Aber damit ist diese Wendung,
im Unterschied zu AM, auch nicht auf eine Seite der in beiden Refera-
ten zuletzt vorgenommenen Unterscheidung bloß untersuchender
und zusätzlich auch aufdeckender Argumente festgelegt. Es ist einzig
der Begriff des Aufdeckens selber, der, wenn man diese Definition auf
dem Hintergrund der vorher referierten Distinktionen liest, Anlaß
gibt, in dem letzten Teil dieser Definition ein weiteres konstitutives
Definitionsmerkmal zu sehen, eine die Gattung Argument mit nicht-
offenkundiger Konklusion weiter spezifizierende Klausel. Die metho-
dische Bewußtheit, mit der dieser stoische Autor sonst seine Begriff-
lichkeit wählt, berechtigt uns auch hier zu der Vermutung, daß er für
die Wahl der Redeweise von der „Kraft der Prämissen" als einer, die
nicht vorher erläutert wurde, die aber auch keine Festlegung auf eine
Klasse der zuletzt unterschiedenen Argumente impliziert, einen
Grund gehabt haben könnte. Aber welchen?
Wir kommen der Antwort auf diese Frage durch ein Gedankenex-
periment näher. Ich hatte gerade gesagt, daß es einzig der Begriff des
Aufdeckens ist, der, wenn man diese Definition auf dem Hintergrund
der vorher referierten Distinktionen liest, Anlaß gibt, in dem letzten
Teil dieser Definition ein weiteres konstitutives Definitionsmerkmal
zu sehen. Denken wir uns die in diesem Wenn-Satz formulierte Bedin-
gung einmal weg, abstrahieren wir also einmal von den Einteilungen,
die dieser Definition im Referat der PH voraufgehen, und fragen wir,
wie ein unbefangener Leser diese Definition dann verstehen würde.
Lesen wir diese Definition außerhalb ihres Kontextes, so scheint es
mir nicht zweifelhaft zu sein, daß das naheliegendste Verständnis
dieser Begriffsbestimmung in ihr vier und nur vier Definitionsmerk-
male erkennt, wobei diese Definition dann besagt, daß ein (schlüs-
siges und wahres) Argument mit nicht-offenkundiger Konklusion

hier ein Partizip Passiv Neutrum ist, kann es nicht Prädikat von άπόδειξις sein. Es ist
vielmehr abhängig von τοϋτο. Damit aber ist in der zweiten Hälfte der ausgehobe-
nen Formulierung das έχων aus dem vorhergehenden Teil wieder zu ergänzen, so
daß wir in AM also tatsächlich ein weiteres (fünftes), allerdings elliptisches Prädi-
kat von άπόδειξις vorliegen haben. Anders als in der Definition der PH ist also das
letzte καί in dieser Definitionsformulierung den vorausgehenden syntaktisch
gleichgeordnet.
276 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

eines ist, von dem man ebenfalls sagen kann, daß seine Konklusion
durch die (Kraft der) Prämissen aufgedeckt wird. Anders gesagt, das
Erschließen einer nicht-offenkundigen Konklusion aus wahren Prä-
missen ist immer auch ein Aufdecken einer solchen Konklusion. Die
Rede vom Aufdecken fügt also kein weiteres Definitionsmerkmal zu
den bereits erwähnten hinzu, sondern erläutert nur den Charakter des
Argumentes insgesamt mit Bezug auf die bereits gegebenen. Diese
Auffassung der so aus ihrem Kontext genommenen Definition wird
nicht nur durch den Wortsinn von ,aufdecken' (έκκαλύπτειν) nahege-
legt, sondern auch durch die syntaktische Ungleichbehandlung, die
dieser Definitionsbestimmung, wie oben gesehen, im Vergleich zu
den unbestritten konstitutiven Definitionsmerkmalen widerfährt.
Daß der Begriff des Aufdeckens einen weiten Sinn hat, zeigt seine
Rolle in der Dialektischen wie in der stoischen Zeichentheorie - er
charakterisiert die Relation von Zeichen zu Bezeichnetem ganz allge-
mein, bei endeiktischen wie bei hypomnestischen Zeichen. Schließ-
lich wird eine Differenz zwischen dem Erschließen einer nicht-offen-
kundigen Konklusion im Ausgang von wahren Prämissen und dem
Aufdecken einer nicht-offenkundigen Konklusion nur durch eine
ungemein künstliche und letztlich unklare Distinktion des Autors
der AM-Quelle und ihm folgend unseres Autors erzeugt.
Aber unser Gedankenexperiment ist leider nur ein Gedankenexpe-
riment. Nichts gibt uns schließlich das Recht, diese Definition der PH,
die doch aus den voraufgehenden Distinktionen entwickelt worden
ist, einfach außerhalb ihres Kontextes zu lesen. In der Tat, diese
Definition können wir nicht einfach losgelöst vom Hintergrund der
voraufgehenden Klassifikationen betrachten. Aber eine andere Defi-
nition des Beweises können wir sehr wohl so betrachten, nämlich die
,kanonische' Definition, die wir wortgleich einmal im Text des AM-
Referates und zweimal im PH-Referat lesen können und zu deren
nachträglicher Erläuterung die in den beiden Referaten des Sextus
erhaltenen Darstellungen offenbar geschrieben sind. Und da sie den
Quellen, die diesen Referaten des Sextus letztlich zugrunde liegen,
offenbar vorgegeben war, sollten wir sie sogar so betrachten. Für diese
Definition, nach der ein Beweis ein Argument ist,
das aufgrund übereinstimmend angenommener Prämissen gemäß einer Schluß-
folgerung eine nicht-offenkundige Konklusion aufdeckt (δι' όμολογουμένων
λημμάτων κατά συναγωγήν έπιφοράν έκκαλυπτων άδηλον),

scheint es auf der Hand zu Hegen, daß sie mit der Bestimmung des
Aufdeckens nicht ein weiteres Definitionsmerkmal über die vier un-
zweifelhaft konstitutiven Merkmale (Argument, übereinstimmend
Die Beweisdefinition PH 2.143 277

angenommene Prämissen, Schlüssigkeit, nicht-offenkundige Konklu-


sion) hinaus einführen will, sondern daß sie die erkenntnistheoreti-
sche Leistung eines schlüssigen Argumentes, das im Ausgang von
wahren/übereinstimmend angenommenen Prämissen eine nicht-of-
fenkundige Konklusion erschließt, ausdrücklich als solche hervorhe-
ben will, was mit einem blasseren Ausdruck wie ,folgern' - συνάγων
wäre theoretisch eine Alternative zu έκκαλύπτων - nicht erreicht wird.
Diese Auffassung der kanonischen' Definition liegt nicht nur we-
gen der sich spiegelbildlich entsprechenden Bedeutungen von auf-
decken' und,nicht-offenkundig' nahe, sondern auch wegen der syn-
taktischen Struktur dieser Definitionsformulierung selber: Da die den
Gattungsbegriff,Argument' spezifizierenden Definitionsmerkmale der
Schlüssigkeit und der übereinstimmenden Annahme der Prämissen
hier grammatisch als adverbiale Bestimmungen erscheinen, das Merk-
mal der Nicht-Offenkundigkeit der Konklusion als attributive Bestim-
mung eines Akkusativobjektes auftritt, verlangt die Syntax dieses
Satzes eine auf,Argument' (λόγος) bezogene transitive Verbform, von
der Objekt wie adverbiale Bestimmungen abhängen. Im Unterschied
also zu den drei (adverbialen bzw. attributiven) Bestimmungen, die
jede für sich von der grammatischen Form her auch fehlen könnten,
ist das die Konstruktion tragende Partizip έκκαλύπτων unentbehrlich-
es könnte nur durch eine sinnverwandte Form ersetzt, aber nicht
gestrichen werden. Bei der syntaktisch tragenden Rolle dieses Parti-
zips wäre es einfach eine Überfrachtung, wenn es auch noch zum
Träger eines weiteren konstitutiven Definitionsmerkmals gemacht
würde.
Mit dieser Klärung des Sinnes der /kanonischen' Definition des
Beweises haben wir nun einen wichtigen Schlüssel nicht nur für die
Lösung der Frage, warum die PH-spezifische Beweisdefinition so for-
muliert ist, wie sie formuliert ist, sondern darüber hinaus für das
Verständnis zentraler und bislang nicht hinreichend erklärter Stellen
in beiden Referaten des Sextus. Zunächst lassen sich jetzt die Beob-
achtungen, die wir oben (S. 255-63) zum Text von AM 8.307-309
zusammengetragen haben, überraschend einfach und plausibel erklä-
ren. Der stoische Autor der AM-Quelle hat nämlich die ihm vorlie-
gende /kanonische' Beweisdefinition in eben der Weise mißverstan-
den, daß er in dem Partizip έκκαλύπτων, in der Rede vom,Aufdecken'
die Angabe eines zusätzlichen Definitionsmerkmals gesehen hat.
Dieses Mißverständnis zwingt ihn dazu, innerhalb der Klasse der
Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion eine weitere Unter-
scheidung zu treffen, bei der der Begriff des Aufdeckens nun die Rolle
einer spezifischen Differenz übernehmen kann. Das erklärt nun, war-
278 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

um dieser stoische Autor für diese Distinktion eine neue (und von den
voraufgehenden strukturell abweichende) Nomenklatur einführt (vgl.
oben S. 255 f.), warum er dabei überflüssigerweise einen Unklarheit
stiftenden Ausdruck zur Bezeichnung dieser neuen Unterscheidung
benutzt (vgl. oben S. 256) und warum er für die Klasse der (schlüssigen)
Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion, die nicht den Cha-
rakter des Aufdeckens haben sollen, ein eigenes, nicht eben klares
Beispiel neu erfindet (vgl. oben S. 257 mit 250 f.): Hier konnte er sich
nämlich nicht mehr auf Vorgänger stützen und von dort Terminologie
und ein illustrierendes Beispiel borgen, denn bei dem Autor der /kano-
nischen' Beweisdefinition war eine solche Einteilung der Argumente
mit nicht-offenkundiger Konklusion gar nicht vorgesehen.
Damit scheint aber auch klar zu werden, woher diese /kanonische'
Definition des Beweises stammt. Sie gehört ebenso wie die Distinktio-
nen des AM-Referates, denen Definitionsmerkmale der /kanonischen'
Definition entsprechen, und wie die Beispiele, die diese Distinktionen
erläutern, den Dialektikern. Das wird auch dadurch bestätigt, daß
diese Definition im AM-Referat mit einem illustrierenden Beispiel
verbunden ist, das, wie oben (S. 251) erläutert, mit einiger Wahr-
scheinlichkeit aus der Dialektischen Schule stammt.
Mit der so erreichten Klärung des Sinnes der /kanonischen' (ver-
mutlich Dialektischen) Definition des Beweises wird nun aber auch
verständlich, warum das PH-Referat sich in der Behandlung der Argu-
mente mit nicht-offenkundiger Konklusion systematisch vom Referat
in AM unterscheidet. Der Autor der PH-Quelle hat das Mißverständnis
dieser Definition, das seinem Vorgänger unterlaufen ist, durchschaut
und damit erkannt, daß die Einteilung der Argumente mit nicht-
offenkundiger Konklusion für die Ableitung der Definition des Be-
weises überflüssig ist. Darum erhalten bei ihm die (schlüssigen und
wahren) Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion richtig den
Status beweisender Argumente (== Beweise). Aber aus Gründen, über
die man nur spekulieren kann (Loyalität gegenüber seinem Vorgän-
ger?), läßt er die weitere Einteilung der Argumente mit nicht-offen-
kundiger Konklusion nun nicht einfach unerwähnt, sondern nimmt
auch sie in seine dihairetische Klassifikation auf. Obwohl die Eintei-
lung bei ihm nun in systematischer Hinsicht einen ganz anderen
Status hat als bei dem Autor der AM-Quelle, vermeidet unser Autor
alles, was nach einer Opposition zu seinem Vorgänger aussehen könnte,
insbesondere hält er sich bei der terminologischen Vorstellung dieser
neuen Unterscheidung fast sklavisch an die Formulierungen seines
stoischen Vorläufers, vermeidet es insbesondere, für die hier einge-
teilte Argumentgattung den kurz vorher eingeführten Titel der bewei-
Die Beweisdefinition PH 2.143 279

senden Argumente zu gebrauchen (vgl. PH 2.141). Obwohl er in seiner


Kommentierung dieser neuen Unterscheidung gewisse Fehler des
Autors der AM-Quelle zu vermeiden sucht, ist er mit der Übernahme
von dessen Terminologie doch gezwungen, den Begriff des Aufdek-
kens nun auf eine Unterart der beweisenden Argumente einzuschrän-
ken. Kurz: der Autor der PH-Quelle geht einen Kompromiß ein, den er
vielleicht besser vermieden hätte.
Diese mangelnde Bereitschaft, zu seinem stoischen Vorgänger dort
eine klare Gegenposition zu beziehen, wo es aus Gründen der wissen-
schaftlichen Klarheit angebracht gewesen wäre, die zeigt sich nun
auch bei der Formulierung seiner Beweisdefinition. Zwar übernimmt
unser Autor keineswegs einfach die Definition seines Vorgängers,
aber er wählt doch offenbar mit Bewußtheit eine systematisch ambi-
valente Formulierung für seine Definition: Vor dem Hintergrund sei-
ner vorhergehenden Klassifikationen und insbesondere natürlich vor
dem Hintergrund der Klassifikationen in der Theorie seines Vorgän-
gers muß diese Definition, wegen der vorausgehenden Festlegung des
Begriffs des Aufdeckens auf eine Untergruppe der Argumente mit
nicht-offenkundiger Konklusion, als Pendant zu der Definition seines
Vorgängers (etwa AM 8.310) erscheinen, in der der Begriff des Aufdek-
kens den Status eines eigenen, konstitutiven Definitionsmerkmals
hat. Allerdings zahlt der Autor der PH-Quelle dafür einen hohen Preis:
Seine eigene Darstellung dessen, was für einen Beweis wesentlich ist,
wird dadurch, wie wir (oben S. 272) gesehen haben, inkonsistent. Vor
dem Hintergrund der kanonischen' Definition des Beweises muß
diese Definition dagegen, wegen der syntaktischen Ungleichbehand-
lung des Teils der Definitionsformulierung, der den Begriff des Auf-
deckens enthält, als Pendant der kanonischen' Definition erscheinen,
in der der Begriff des Aufdeckens nicht den Status eines eigenen
Definitionsmerkmals hat.
Das Geschick, mit dem der Autor der PH-Quelle eine Definitions-
formulierung zu wählen verstanden hat, die eine Verbindung zu zwei
miteinander unverträglichen Definitionen herstellt, durch die Wahl
eines Ausdrucks zur einen, durch die syntaktische Konstruktion zur
anderen, kann man durchaus bewundern. Aber man wird doch sagen
müssen, daß dieses Geschick hier falsch eingesetzt ist. Denn, auch
einmal abgesehen von dem Preis der Inkonsistenz seiner eigenen
Darlegungen, unser Autor hat nicht gesehen (und vielleicht auch
nicht voraussehen können), daß er mit seiner auf so geschickte Weise
ambivalent formulierten Begriffsbestimmung des Beweises dazu bei-
getragen hat, die kanonische' Definition mit jenem MißVerständnis
zu infizieren, das dem Autor der AM-Quelle unterlaufen ist.
280 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

i) Die Arten der Argumente im Referat AM 8.411-423

Bevor wir der Frage nachgehen, welche stoischen Philosophen sich


möglicherweise hinter den Autoren der Quellen von AM 8.301-314
einerseits und PH 2.135-143 andererseits verbergen, sollten wir zu-
nächst noch das dritte Referat des Sextus zur stoischen Beweistheorie
untersuchen, den Text AM 8.411-423. Dieses Referat steht ganz offen-
bar nicht in einem so direkten Abhängigkeitsverhältnis zu einem der
beiden anderen Referate, wie wir es zwischen dem PH-Referat und
dem ersten AM-Referat nachweisen konnten. Deshalb müssen wir es
nicht Paragraph für Paragraph einem Paralleltext gegenüberstellen,
sondern können uns hier mit einem eher summarischen Vergleich
begnügen.
Dieses Referat ist nicht, wie die beiden bisher diskutierten, mit der
Intention geschrieben, eine Definition des Beweises abzuleiten. Hier
werden vielmehr drei Arten von Argumenten, das schlüssige, das
wahre und das beweisende, voneinander abgegrenzt. Im eigentlichen
Referat tritt auch der Ausdruck,Beweis' gar nicht auf, es ist nur vom
beweisenden Argument' die Rede. Zwar referiert Sextus auch eine
Umschreibung des beweisenden Argumentes, aber das gilt ebenso für
das schlüssige und das wahre Argument; der Text vermittelt nicht den
Eindruck, daß die Definitionen des schlüssigen und des wahren Argu-
mentes nur Mittel zum Zweck der Definition des beweisenden sind.
Sie scheinen auf der gleichen Stufe zu stehen, und diese Gleichrangig-
keit wird durch die Gleichartigkeit der Bezeichnung unterstrichen.
Diese gleichwertige Behandlung von drei Argumentarten spiegelt
sich im Aufbau des Textes. Zunächst werden die drei Arten schlüs-
siges, wahres und beweisendes Argument als miteinander verbunden
vorgestellt (411) und es wird die Art dieser Verbindung erläutert: Das
beweisende Argument ist eine Unterart des wahren und des schlüssi-
gen, das wahre ist eine Unterart nur des schlüssigen (412). Dann wird
an zwei Argumentbeispielen klar gemacht, daß ein schlüssiges Argu-
ment nicht wahr sein muß (413), daß es aber wahr sein kann (414).
Daran anschließend wird das Kriterium der Schlüssigkeit vorgestellt
und erläutert (415-418), darauf dann das Kriterium der (Argument-)
Wahrheit, das ebenfalls durch Beispiele erläutert wird (419-421). Das
beweisende Argument schließlich wird als letztes behandelt, auch das
für diesen Argumenttyp angegebene Kriterium wird durch ein Bei-
spiel illustriert und kommentierend erläutert (422-423).
Nicht nur die Art, auch der Umfang der Behandlung zeigt, daß dem
beweisenden Argument hier keine besondere Rolle zukommt. 30 Zei-
len des Teubnertextes sind dem wahren Argument gewidmet, 21 Zei-
Die Arten der Argumente im Referat AM 8.411-423 281

len dem Kriterium des schlüssigen Argumentes, aber nur etwas mehr
als 12 Zeilen dem beweisenden.
Trotz der gegenüber den beiden oben behandelten Referaten unter-
schiedlichen Intention dieses Textes ist unverkennbar, daß seine Quelle
nicht unabhängig von den Quellen der beiden anderen Referate ent-
standen ist. Die Übereinstimmung in Terminologie wie im Beispielsge-
brauch sind dafür doch zu auffällig. So ist nicht nur die Nomenklatur für
die drei Argumentarten identisch mit derjenigen der beiden anderen
Referate, sondern auch in der Charakterisierung des beweisenden
Argumentes finden wir alle Ausdrücke wieder, die zur Umschreibung
des Beweises in den Definitionen der anderen Referate Verwendung
gefunden haben: Das beweisende Argument unterscheidet sich vom
wahren durch „das Aufgedecktwerden einer nicht-offenkundigen Kon-
klusion durch die Prämissen" (422).
Die Beispiele, die bei der Behandlung des wahren und des schlüssi-
gen Argumentes herangezogen werden, sind allesamt alte Bekannte -
es sind die Modus-ponens-Schlüsse mit der ersten Prämisse „Wenn es
Tag ist, ist es hell" (414, 418) bzw. „Wenn es Nacht ist, ist es dunkel"
(413,415).Das Argument vom Tag und seiner Helligkeit fungiert auch
noch als Kontrastbeispiel bei der Erläuterung des beweisenden Argu-
mentes (423). Sein Beispielsmaterial weiß der Autor der Quelle dieses
Referates souverän zu handhaben: So wird das Argument „Wenn es
Tag ist, ist es hell. Nun ist es aber Tag. Also ist es hell" bei seinem
zweiten Auftreten (418) dazu benutzt, aufgrund geänderter Umstände
seiner Äußerung den Fall des falschen Argumentes zu illustrieren.
Und aus dem Aussagenmaterial des Argumentbeispiels vom Tag und
seiner Helle wird durch Vertauschung von Konklusion und Minor ein
Beispiel für ein falsches (im Sinne von nicht-schlüssiges) Argument
gebildet (420).
Neu ist gegenüber den beiden anderen Referaten nur ein einziges
Beispiel, und dessen Einführung ist in der Tat signifikant. Neu ist das
Beispiel für das beweisende Argument. Es lautet: „Wenn diese Frau
Milch in ihren Brüsten hat, dann hat sie empfangen. Nun hat aber
diese Frau Milch in ihren Brüsten. Also hat sie empfangen." (423)
Signifikant ist die Einführung dieses neuen Beispiels, weil der Autor
der hier zugrunde liegenden Quelle damit auch das letzte der beiden
aus der atomistischen Tradition stammenden Beispiele, das Schweiß-
Poren-Beispiel, getilgt und durch ein explizit stoisches Beispiel (s. oben
S. 76) ersetzt hat. Das erste dieser beiden Beispiele, der auch bei Epikur
belegte Schluß vom Faktum der Bewegung auf die Existenz des leeren
Raumes, hatte schon der Autor der PH-Quelle stillschweigend gestri-
chen. Da das Milch-Beispiel das erste gegenüber AM 8.301-314 neue
282 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

Beispiel ist (der Autor der PH-Quelle verwendet nur Beispiele, die
auch sein stoischer Vorgänger schon benutzt), verdient der Umstand
Hervorhebung, daß dieses Argument im Minor die Standardformulie-
rung mit den Partikeln άλλα μήν aufweist, genau wie alle anderen
schlüssigen Argumentbeispiele dieses Referates und anders als jene
Beispiele des Textes AM 8.301-314, die dort vermutlich Zutat des
stoischen Autors waren. Daß alle diese Argumentbeispiele des ande-
ren AM-Referates hier unter den Tisch fallen, versteht sich beinahe
von selbst.
Das einzige gegenüber den beiden anderen Referaten tatsächlich
neue Argumentbeispiel erweist sich also als ein Argument, das aus
Gründen, die mitbestimmten Lehren der (früh-)stoischen Erkenntnis-
theorie und Physik zusammenhängen, eine frühere Illustration erset-
zen sollen. Damit spricht dieses Beispiel also nicht nur nicht für eine
Unabhängigkeit der Quelle unseres Referates von den Quellen der
beiden anderen Referate, sondern es liefert uns einen Hinweis auf die
Position, die der Quelle von AM 8.411-423 gegenüber den beiden
anderen Quellen zukommt. Sie steht offenbar an letzter Stelle in einer
Reihe, die mit der Quelle von AM 8.301-314 eröffnet wird.
Daß die stoische Quelle dieses dritten Referates tatsächlich eine
Fortentwicklung der Theorie darstellt, die wir in AM 8.301-314 bzw.
PH 2.135-143 dokumentiert finden, das läßt sich auch noch durch
andere Beobachtungen bestätigen. So treffen wir in diesem Referat
zum ersten Mal auf einen technischen Term für den Minor in den
zweiprämissigen aussagenlogischen Schlüssen vom Typ des Modus
ponens: πρόσληψις (413). Wie der Autor der PH-Quelle (und anders als
der Autor der Quelle des ersten AM-Referates) sieht auch unser Autor
in der Richtigkeit der einem Argument korrespondierenden Konditio-
nalaussage das Kriterium der Schlüssigkeit (vgl. 416-417, 419-421),
aber anders als der Autor der PH-Quelle, der sich nicht zum Kriterium
der Richtigkeit der Konditionalaussage äußert, macht unser Autor
klar, daß er am diodorischen Kriterium für die Wahrheit der Konditio-
nalaussage orientiert ist. Es heißt nämlich von der einem Argument-
beispiel korrespondierenden Konditionalaussage, sie sei wahr,
weil sie niemals mit Wahrem beginnen und mit Falschem enden kann.
AM 8.416
Und etwas weiter im Text heißt es von einer entsprechend gebildeten
Konditionalaussage:
Denn sie wird nie mit Wahrem beginnen und mit Falschem enden. AM 8.419
Daß eine Konditionalaussage nicht nur aktuell nicht mit Wahrem
beginnt und mit Falschem endet, sondern daß sie niemals, unter
Die Arten der Argumente im Referat AM 8.411-423 283

keinen denkbaren Umständen, von einem wahren Antecedens zu


einem falschen Succedens führt, das zeichnet gerade das diodorische
Kriterium vor dem philonischen aus (vgl. AM 8.115-117; PH 2.110-
111). Der Autor der Quelle von AM 8.411-423 setzt also offenbar das
diodorische Kriterium für die Wahrheit der Konditionalaussage
voraus.47 Da der Autor der PH-Quelle, wie oben gezeigt (S. 150),
möglicherweise impÜzit das philonische Kriterium voraussetzt, mög-
licherweise aber auch die hier liegende Problematik und die Deutungs-
alternativen (noch) nicht gesehen hat, dürfte ein Autor, der explizit das
diodorische Kriterium für die Wahrheit der Konditionalaussage be-
nutzt, später sein als der Autor der PH-Quelle. Schließlich wird durch
das diodorische Kriterium jedenfalls die Anzahl der logisch paradoxen
Argumente, deren korrespondierende Konditionalaussagen dem Krite-
rium der wahren Konditionalaussage genügen, gegenüber den Para-
doxien erheblich eingeschränkt, die sich durch das im PH-Referat
formulierte Kriterium erzeugen lassen.
Für das Resultat, das sich am Ende unserer vergleichenden Untersu-
chung der beiden Referate des Sextus zur Definition des Beweises
ergeben hatte, ist an diesem dritten Referat des Sextus natürlich vor
allem die dort formulierte Umschreibung des beweisenden Argu-
mentes interessant. Läßt sich durch die Charakterisierung dieses Ar-
gumenttyps, wie sie AM 8.422 gegeben wird, die These bestätigen, daß
in der Definition des Beweises der Begriff des Aufdeckens ursprüng-
lich nicht die Funktion eines eigenen Definitionsmerkmals hatte,
sondern erst durch eine Umdeutung des stoischen Autors der Quelle
von AM 8.301-314 diesen Status erhalten hat? Gibt es darüber hinaus
noch Hinweise in diesem Referat, die für die Entscheidung dieser
Frage von Belang sind?
Es gibt keine explizite Äußerung unseres Autors zu der Frage, wie
die,kanonische' Definition des Beweises zu verstehen ist; schließlich
wird diese Definition von ihm auch nirgends erwähnt. Eine ausdrück-
liche Kritik an einem stoischen Vorgänger ist vielleicht auch von
einem - vermutlich doch loyalen - Stoiker nicht zu erwarten. Trotz-
dem scheint mir sowohl die Formulierung des Kriteriums für das
beweisende Argument als auch die systematische Stellung dieses Ar-
47
So auch Mates (1949), 294 Anm. 16. Diese Arbeit von Mates hat, ausgehend
von den Vorarbeiten von Kochalsky und Heintz, wichtige Beiträge zur Textverbes-
serung dieses Referates geleistet. Gerade die Formulierung der korrespondierenden
Konditionalaussagen in diesem Referat ist in den Ausgaben von Mutschmann und
Bury häufig bis zur Unkenntlichkeit entstellt, eine Folge mangelnden Verständ-
nisses der logischen Sachverhalte, um die es hier geht. Einen brauchbaren griechi-
schen Text dieses Referates bietet jetzt FDS fr. 1060 und 1065.
284 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

gumentes im Verhältnis zu den beiden anderen Argumenten, die hier


behandelt werden, eine klare Bestätigung unserer gerade erwähnten
These zu liefern.
Das beweisende Argument wird im Anschluß an die Behandlung
des wahren Argumentes mit folgenden Worten vorgestellt:
Das beweisende Argument unterscheidet sich nun vom wahren (τοϋ αληθούς
διαφέρει) dadurch, daß beim wahren alle Teile evident (έναργή) sein können, ich
meine die Prämissen und die Konklusion, das beweisende beansprucht noch
etwas darüber hinaus, ich meine das Aufgedecktwerden einer nicht-offenkundi-
gen Konklusion durch die Prämissen. AM 8.422

Zwei Dinge sind es, die in diesem Text unsere These über den eigent-
lichen Sinn der kanonischen' Beweisdefinition bestätigen. Zum einen
der Umstand, daß unser Autor hier den Ausdruck beweisendes Argu-
ment', der bereits vom Autor der PH-Quelle benutzt und (implizit)
definiert wurde, im Unterschied zu der dort (vgl. PH 2.140-141) vorge-
nommenen Begriffsbestimmung so definiert, daß der Begriff des Auf-
deckens zugleich mit dem Merkmal der nicht-offenkundigen Kon-
klusion erscheint. Im PH-Referat wurde der Begriff des Aufdeckens
dagegen - im Anschluß an AM 8.307-309 - zur weiteren Einteilung
der Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion als spezifizie-
rendes Merkmal herangezogen. Damit ist vom Autor der stoischen
Quelle unseres Textes zunächst jener unsinnige Unterschied zwi-
schen beweisendem Argument und Beweis, welcher die PH-Quelle
letztlich inkonsistent gemacht hatte, zum Verschwinden gebracht,
auch wenn der Ausdruck,Beweis' im Referat seiner Darlegungen gar
nicht auftritt.
Aber der stoische Autor der Quelle dieses Referates hat nun nicht
etwa einfach nur das Definiens des Beweises in der PH-Quelle in die
Definition des beweisenden Argumentes eingesetzt. Er will offenbar
durch seine Art der Behandlung auch klar machen und dies deutli-
cher, als es vom Autor der PH-Quelle durch seine syntaktische Zusam-
menrückung der Bestimmungen ,nicht-offenkundige Konklusion'
und ,aufdecken' gemacht worden ist, daß diese Definitionsbestim-
mung nicht aus zwei Definitionsmerkmalen zusammengesetzt, son-
dern ein einheitliches Kriterium ist. Dies erreicht er nun dadurch -
und das ist der zweite Umstand, den ich oben im Auge hatte -, daß er
explizit das wahre Argument als die nächsthöhere Gattung behandelt,
zu der als artbildende Differenz (gr. διαφορά vgl. τοϋ άληϋοϋς διαφέρει)
die angeführte Definitionsklausel hinzutritt. Das ist ein klarer Unter-
schied zu den beiden anderen Referaten, denn dort war der Beweis
dem Argument mit einer nicht-offenkundigen Konklusion als der
nächsthöheren Gattung untergeordnet.
Die Arten der Argumente im Referat AM 8.411-423 285

Daß unser Autor das wahre Argument zum genus pioximum des
beweisenden Argumentes (= Beweises) macht, heißt aber zugleich,
daß er die vom Autor der Quelle des ersten AM-Referates eingeführte
(und vom Autor der PH-Quelle übernommene) Unterscheidung der
Argumente mit nicht-offenkundiger Konklusion in die beiden Klas-
sen der lediglich untersuchenden und der zugleich aufdeckenden
Argumente völlig ignoriert. Darum auch kann er seine Behandlung
auf drei Arten von Argumenten beschränken, in systematischer Hin-
sicht der augenfälligste Unterschied zu den beiden anderen Referaten,
denen zufolge vier solcher Arten zu unterscheiden wären.
Damit liefert uns dieses Referat des Sextus, in dem die,kanonische'
Definition des Beweises nirgends ausdrücklich vorkommt, parado-
xerweise doch die eindeutigste Bestätigung für unsere Erklärung die-
ser Definition und ihrer Umdeutung durch den stoischen Autor, der
hinter dem Referat AM 8.301-314 steht.48 Der Stoiker, auf den das
Referat des Sextus an unserer Stelle letzten Endes zurückgeht, hat
damit auch den philosophischen Sinn dieser Definition bewahrt; da-
bei ist er zugleich der am meisten stoische Autor unter den drei von
Sextus zur stoischen Beweistheorie referierten Philosophen: Schließ-
lich wird von diesem Autor das letzte ,atomistische' Beispiel, das zur
Erläuterung dieser Theorie bei den früheren Autoren diente, wie oben
(S. 281 und S. 76) gezeigt, durch ein Beispiel ersetzt, das einen nach
stoischer Lehre von Natur aus nicht-offenkundigen Sachverhalt zum
Beweisziel hat.
Die Tatsache, daß dieser Autor dem eigentlichen Sinn der /kanoni-
schen' Definition des Beweises wieder zu seinem Recht verhelfen
wollte, ohne dabei wie der Autor der PH-Quelle einen zweifelhaften
Kompromiß einzugehen, kann nun vielleicht auch erklären, warum
er abweichend von seinen beiden Vorgängern nicht eine dihairetische
Ableitung des Beweises/beweisenden Argumentes versucht, sondern
das beweisende Argument als einen von drei Argumenttypen anschei-
nend gleichberechtigt neben den beiden anderen behandelt. Wäre
unser Autor nämlich anders vorgegangen und hätte, wie der Autor der

48
Daß unser Autor tatsächlich diese Definition kannte und vor Augen hatte,
läßt sich durch eine philologische Beobachtung stützen. Es fällt nämlich auf, daß
der Ausdruck έπιφορά für ,Konklusion', der in dieser Definition vorkommt (im
Unterschied zu der Definition in AM 8.310, wo συμπέρασμα gebraucht wird, oder zu
der ersten Definition AM 8.314, wo kein Ausdruck für ,Konklusion' erscheint),
innerhalb des Referates AM 8.411-423 nur in der dort angeführten Begriffsbe-
stimmung des Beweises und in deren unmittelbarer Nachbarschaft - einmal vor-
her, einmal nachher - vorkommt. Sonst gebraucht dieser Autor ausschließlich
συμπέρασμα.
286 Die Referate zur stoischen Beweistheorie und ihre Quellen

PH-Quelle, abermals in einer dihairetischen Klassifikation seine Defi-


nition des Beweises zu entwickeln versucht, dann hätte er explizit von
den Dichotomien seiner Vorgänger abweichen und seine Kritik an der
überflüssigen Unterscheidung der Argumente mit nicht-offenkundi-
ger Konklusion in die beiden Klassen der nur untersuchenden und
der zugleich aufdeckenden Argumente ausdrücklich offenlegen müs-
sen. Durch das von ihm tatsächlich gewählte Verfahren hat er sich
erspart, seine kritische Distanz zu seinen Vorgängern in unübersehba-
rer Weise deutlich zu machen. Wir können somit an diesem stoischen
Autor vielleicht nicht nur seinen logischen Scharfsinn, sondern auch
ein gewisses diplomatisches Geschick bewundern.
Zehntes Kapitel:
Von den Dialektikern zu Chrysipp -
der Weg einer Theorie in der Alten Stoa

In quellenkritischer Hinsicht haben die Analysen des vorstehenden


Kapitels zwei wichtige Resultate gebracht. Zum einen konnten wir
das genetische Verhältnis der stoischen Quellen klären, die den drei
Referaten des Sextus zur Beweistheorie zugrunde liegen. Die Autoren
dieser drei Quellen schreiben nicht unabhängig voneinander; der
früheste Text ist ganz offenbar die Quelle des Referates AM 8.301-
314, auf ihren Autor folgt der Verfasser der stoischen Quelle des PH-
Referates, auf diesen wiederum derjenige der Quelle von AM 8.411-
423.
Zum andern ließ sich nachweisen, daß diesen stoischen Quellen
und der in ihnen entwickelten Theorie des Beweises eine Definition
des Beweises als Ausgangspunkt dient, die nicht von einem der drei
stoischen Autoren stammt, sondern ihnen vorgegeben war. Ich habe
oben (S. 278) argumentiert, daß diese Definition Dialektischen Ur-
sprungs ist - dafür spricht einerseits der auch sonst im Referat AM
8.301-314 nachweisbare Einfluß Dialektischer Terminologie und Di-
stinktionen, andererseits das ,atomistische' Beispiel, das dieser Defini-
tion im Text von AM 8.314 zur Erläuterung beigegeben ist.
Da wir oben im achten Kapitel gesehen haben, daß die bei Sextus
Empiricus referierte Beweistheorie den frühen Stoikern gehört und
daß die Beweisdefinition, die bei Diogenes Laertius 7.45 erhalten ist,
eine wichtige Verbesserung der frühstoischen Beweistheorie darstellt
und vermutlich auf Chrysipp zurückgeht, ergibt sich das Bild einer
Theorieentwicklung, an deren Anfang die Dialektische Schule und an
deren Ende Chrysipp steht. Unklar ist dabei, wer jene Philosophen der
frühen Stoa sind, über deren Lehren uns die drei Referate des Sextus
unterrichten und denen die Integration einer ursprünglich nicht stoi-
schen Theorie in das Lehrgebäude der Stoa zu verdanken ist. Lassen
sich die Autoren der stoischen Quellen, die den drei Referaten des
Sextus zugrunde liegen, bestimmten historischen Figuren der Stoa
zuordnen oder bleiben wir hier auf bloße Spekulationen angewiesen?
Ich möchte im folgenden den Versuch einer solchen Zuordnung
unternehmen. Zunächst werde ich dabei strukturelle Parallelen in den
288 Der Weg einer Theorie in der Alten Stoa

beiden von Sextus referierten Fassungen der stoischen Zeichentheorie


auf der einen Seite und den beiden, in den Referaten AM 8.301-314
sowie PH 2.135-143 vorliegenden Fassungen der stoischen Theorie
des Beweises auf der anderen Seite herausarbeiten - diese Parallelen
machen es so gut wie sicher, daß die beiden Fassungen der Zeichen-
bzw. Beweistheorie in den erwähnten Texten des Sextus auf jeweils
einen und denselben stoischen Verfasser zurückgehen. In einem zwei-
ten Schritt werde ich dann aufgrund von Mitteilungen im ersten AM-
Referat zur Beweistheorie den Nachweis führen, daß wir es hier mit
einem Bericht über eine Lehre Zenons zu tun haben. Von diesem
Nachweis ausgehend soll dann auch die Frage einer Zuweisung der
Quellen des PH-Referates (2.135-143) und des zweiten AM-Referates
(8.411-423) an Philosophen der frühen Stoa geklärt werden.

a) Strukturelle Parallelen in den bei Sextus referierten Fassungen der


stoischen Zeichen- und der stoischen Beweistheotie

Bei der Diskussion der stoischen Zeichentheorie im ersten Teil dieser


Arbeit hatten wir beobachtet, daß von den beiden Fassungen dieser
Theorie, die Sextus an zwei Stellen in AM (8.141-155; 245-256) und
in zusammenhängender Darstellung in den PH (2.97-106) referiert,
die in AM überlieferte Version wissenschaftlich bedeutend schlechter
ist als die Parallelfassung in den PH (vgl. oben S. 38 ff.; 49 ff.). Wäh-
rend die Darlegungen der PH sich durch Knappheit und Präzision
auszeichnen, sind die parallelen Ausführungen der AM-Fassung
durch eine unnötige Umständlichkeit charakterisiert. Dem Autor der
AM-Quelle unterlaufen logische Schnitzer (etwa 8.250 und 252, vgl.
oben S. 39 ff.). Ausdrücke, die in den PH terminologisch fixiert schei-
nen, werden vom Autor der AM-Quelle promiscue gebraucht (vgl.
oben S. 39). Er erweitert die Definition des Zeichens, von der er
ausgegangen ist, um eine höchst zweifelhafte zusätzliche Bestim-
mung (8.254, s. oben S. 42 f.). Ein zur Illustration eines logischen
Sachverhaltes benötigtes Beispiel wird benutzt, um damit eine theolo-
gische These der Stoa zu propagieren (8.246, s. oben S. 44). Auch der
Vergleich der Textstellen PH 2.97-98 und AM 8.141-148, an denen
jeweils die Klassifikation der nicht-offenkundigen Dinge, die im Kon-
text der Unterscheidung zweier Zeichenarten eine Rolle spielen, be-
handelt wird, hatte diese Diagnose bestätigt (vgl. oben S. 49 ff.).
Die PH-Version bot aber nicht nur einfach die wissenschaftlich bes-
sere Fassung der referierten Theoriestücke; es zeigte sich vielmehr, daß
Parallelen in den Referaten zur Zeichen- und Beweistheorie 289

die Quelle des PH-Referates eine bewußt vorgenommene Verbesserung


der in AM referierten Lehre darstellt (vgl. oben S. 51). Aber noch ein
anderer Zug war an der PH-Fassung bemerkenswert: Bei der Angabe
eines Unterscheidungskriteriums für die beiden Arten des Zeichens,
das endeiktische und das hypomnestische, liefert der Autor der hier
zugrundehegenden Quelle zwei solcher Kriterien - eines (2.99), das mit
dem Kriterium seines stoischen Vorgängers übereinstimmt, ein zweites
(2.100-101), das der Unterscheidungshinsicht zwischen diesen beiden
Zeichenarten, wie wir sie für die Dialektiker wahrscheinlich gemacht
hatten, entspricht (vgl. oben S. 79 f.). Der Preis, den der Autor der PH-
Quelle für diesen Kompromiß zahlt, ist die Inkonsistenz seiner eigenen
Darstellung, denn die beiden Kriterien erlauben eine unterschiedliche
Einordnung desselben Zeichens (ibid.).
Es ist leicht zu sehen, daß diese Strukturmerkmale der beiden Fas-
sungen, die Sextus zur stoischen Theorie des Zeichens referiert, eine
auffallende Entsprechung in strukturellen Eigenschaften der beiden
oben ausführlich behandelten Referate AM 8.301-314 und PH 2.135-
143 besitzen. Wie der Vergleich dieser beiden Referate zur stoischen
Beweistheorie im neunten Kapitel gezeigt hat, ist auch hier der Autor
der AM-Quelle oft von ermüdender Umständlichkeit in der Mittei-
lung einfacher Sachverhalte, ist er unsicher und nicht frei von Fehlern
in der Darstellung logischer Verhältnisse, ist er in Terminologie, Bei-
spielsgebrauch und benutzten Distinktionen weitgehend abhängig
von der Dialektischen Schule. Auch das mangelnde Festhalten an
terminologisch fixierten Ausdrücken hat in AM 8.301-314 Parallelen
(s. oben S. 247, 269). Selbst zu dem Versuch, mit einem Beispiel für
einen logischen Sachverhalt Propaganda für ein stoisches Theologou-
menon zu machen, gibt es hier ein Pendant in dem Beispiel des immer
wahrhaftigen Zeus (8.308 vgl. oben S. 250 f.).
Entsprechende Parallelen zum PH-Referat der stoischen Zei-
chentheorie finden sich in der Fassung der stoischen Theorie des
Beweises, die der Text PH 2.135-143 überliefert. Auch der Autor der
Quelle dieses Textes erweist sich dem Verfasser der Quelle von AM
8.301-314 wissenschaftlich überlegen. Auch er ist damit befaßt, die
Theorie seines Vorgängers zu verbessern, durch Korrektur von Feh-
lern, durch Präzisierung und häufig auch durch Streichung überflüssi-
ger Erläuterungen und Beispiele. Vor allem aber: Auch dieser Autor
nimmt bei seinem Versuch, zwischen einer Position der Dialektischen
Schule einerseits und der seines stoischen Vorgängers andererseits zu
vermitteln, eine Inkonsistenz in Kauf (vgl. oben S. 279).
Die Folgerung, die sich aus diesen Beobachtungen ergibt, hegt auf
der Hand. Die Fassungen der stoischen Theorien des Zeichens und
290 Der Weg einer Theorie in der Alten Stoa

des Beweises, die sich in AM einerseits, in den PH andererseits finden,


haben dort jeweils denselben stoischen Philosophen zum Autor. Es ist
ein und derselbe Autor, der hinter der in AM überlieferten Fassung der
Zeichentheorie und der hinter der in AM 8.301-314 erhaltenen Ver-
sion der Beweistheorie steht, und ebenso ist es ein und derselbe Autor,
auf den die in den PH referierte Theorie des Zeichens und die des
Beweises zurückgehen. Läßt sich etwas darüber ausmachen, wer der
Stoiker ist, der letzten Endes den fraglichen Referaten in AM, und wer
der andere stoische Philosoph ist, der den PH-Referaten zugrunde
liegt?
Bei der Erörterung der stoischen Theorie des Zeichens im ersten
Teil dieser Arbeit hatte ich die in AM überlieferte Fassung dieser
Theorie dem Schulgründer Zenon von Kition zugeordnet (vgl. oben
S. 74). Von Zenon wird der Titel einer Schrift Über Zeichen bezeugt
(DL 7.4) und von ihm wird berichtet, daß er bei Philon (DL 7.16) und
Diodor (DL 7.25) Logik, also wohl die der Dialektischen Schule, stu-
diert hat. Als Urheber der in den PH vorfindlichen Fassung der Zei-
chentheorie schien dann Kleanthes, möglicherweise auch Sphairos, in
Betracht zu kommen (vgl. oben S. 78). Unter den Philosophen der
frühen Stoa werden außer Zenon nur diesen beiden Werke logischen
Inhalts zugeschrieben.
Wenn diese Annahmen begründet sind und wenn unsere Folgerung
aus den strukturellen Parallelen in den Referaten zur Zeichentheo-
rie einerseits und zur Beweistheorie andererseits berechtigt ist, dann
ergibt sich für die Referate zur stoischen Beweistheorie die weitere
Folgerung, daß Zenon der Autor der Quelle ist, auf die AM 8.301-314
letztlich zurückgeht, und daß wir als Verfasser der Quelle des PH-
Referates (2.135-143) Kleanthes oder eben Sphairos ansehen dürfen.
Daß das Referat der Zeichentheorie in AM auf Zenon zurückgeht, ist
plausibel, wird aber durch die Indizien nicht erzwungen. Das Gleiche
gilt dann auch für die Zuordnung der Quelle des PH-Referates zu
Kleanthes/Sphairos, wobei hier zusätzlich der Umstand stört, daß wir
zwischen zwei möglichen Autoren nicht haben entscheiden können,
eine Unklarheit, die im Fall der stoischen Beweistheorie, wo wir es
außer einer vermutlich zenonischen Quelle mit zwei weiteren Quel-
len zu tun haben, besonders unbefriedigend ist.
Es ist daher sinnvoll, auch in den Referaten zur Beweistheorie selbst
nach Hinweisen zu suchen, die für die Zuordnung der Quellen dieser
Texte zu einzelnen stoischen Philosophen sprechen. Wenn sich sol-
che Hinweise finden und wenn sie die vermuteten Zuordnungen be-
stätigen sollten, dann wären damit nun auch umgekehrt, wegen der
strukturellen Parallelen zwischen den Berichten des Sextus über die
Zenon als Autor der Quelle von AM 8.301-314 291

Zeichen- und über die Beweistheorie, unsere Annahmen über die


Autoren der Quellen für die Zeichentheorie durch ein neues Argu-
ment gestützt.

b) Zenon als Autor der Quelle von AM 8.301-314

Der stoische Autor der Quelle von AM 8.301-314 hat gelegentlich, so


haben wir oben gesehen (vgl. S. 249 ff.), in das ihm vorliegende Theo-
riematerial eigene Beispiele eingefügt; eines davon war das Argument,
mit dem gezeigt werden sollte, daß das Blut die Seele ist (8.306). Die
Mangelhaftigkeit dieses Argumentbeispiels in formaler wie in in-
haltlicher Hinsicht ist oben gezeigt worden. Da dieses Beispiel dem
Schweiß-Poren-Beispiel gewissermaßen als stoische Alternative an die
Seite gestellt wird und da das Schweiß-Poren-Beispiel selber später
dann jenen Fall illustriert, der dem Definiens des Beweises entspricht
(vgl. 8.309 und 310), werden wir auch das Blut-Seele-Argument als
Beweis ansehen dürfen. Unser stoischer Autor müßte also Prämissen
und Konklusion dieses Argumentes als wahr anerkennen. Gibt es nun
Indizien dafür, daß Zenon, den wir hier als Autor vermuten, die Seele
als Blut angesehen hat?
Die erhaltenen Fragmente, in denen psychologische Theorien Ze-
nons überliefert sind, scheinen allerdings eine solche Meinung Ze-
nons über die Natur der Seele nicht nur nicht zu bestätigen, sondern
geradezu auszuschließen (vgl. SVFI fr. 134-138). Zenon, so wird von
diesen Texten fast übereinstimmend bezeugt, hat die Seele mit dem
Atem (πνεϋμα, spmtus) gleichgesetzt.1 Dieselbe Auffassung scheinen
auch Kleanthes und Chrysipp vertreten zu haben (vgl. SVF I fr. 140, II
fr. 879). Nur dem Stoiker Diogenes von Babylon, der erst ein Jahrhun-
dert nach den frühen Stoikern tätig ist (er nahm bekanntlich an der
philosophischen Gesandtschaft teil, die im Jahr 156/155 Rom be-
suchte), wird von Galen (Deplac. Hipp, et Plat. II 8,47 S. 167 de Lacy=
SVF III Diog. Bab. fr. 30) die Ansicht zugeschrieben, die Seele sei mit
dem Blut identisch.
Sollen wir also, trotz aller sonstigen Indizien, Diogenes von Babylon
für den Autor der stoischen Quelle von AM 8.301-314 halten? Müß-
ten wir in ihm dann auch den Urheber der stoischen Theorie des

1
Lediglich Cicero (Thsc. disp. 1.19; Acad. 1.39 = SVF I fr. 134) berichtet, daß
Zenon die Seele als Feuer [ignis] angesehen habe. Gemeint ist damit aber wohl
dasselbe, was DL 7.157 als πνεϋμα ένβερμον bezeichnet.
292 Der Weg einer Theorie in der Alten Stoa

Zeichens, wie sie in AM erhalten ist, sehen? Wer soll dann der ihn
korrigierende Autor sein, den wir hinter den Referaten der PH ausge-
macht haben? Wie läßt es sich dann erklären, daß ein Schüler Chry-
sipps wie Diogenes sich in seinen Theorien derart stark an die Termi-
nologie der Dialektiker anlehnt? Die Schwierigkeiten, die mit einer
solchen Hypothese verbunden sind, machen sie nicht eben sonderlich
einladend. Müssen wir also alle Versuche einer Zuweisung der disku-
tierten stoischen Theorien an einzelne Stoiker aufgeben und uns hier
in skeptischer εποχή üben?
Wir müssen das nicht. Glücklicherweise ist nämlich das Argument
überliefert, mit dem Zenon seine Behauptung, daß der Atem die Seele
sei, zu beweisen versucht hat. Der spätantike Piatonkommentator
Calcidius hat es in seinen Erläuterungen zum Timaios erhalten. In der
lateinischen Fassung des Calcidius hat es folgenden Wortlaut:
Quo recedente α corpore moritui animal, hoc certe anima est. natuiali pono
spiritu recedente moritui animal: naturalis igitar spiritus anima est.
Calcidius, In Tim. cap. 220 = SVF I fr. 138
In deutscher Übersetzung:
An wessen Abscheidung aus dem Körper das Lebewesen stirbt, das ist in der Tat
die Seele. Nun stirbt aber das Lebewesen an der Abscheidung des Atems. Der
Atem ist also die Seele.2
Die Ähnlichkeit mit dem Argumentbeispiel in AM 8.306 ist auffällig.
Dort hatte es geheißen:
An wessen Abscheidung aus dem Körper die Menschen sterben, das ist die Seele.
An der Abscheidung des Blutes aus dem Körper sterben die Menschen. Das Blut
ist also die Seele, (οΰ έκκρΛέντος έκ τοϋ σώματος τελευτώσιν οϊ άνθρωποι, ψυχή έστιν
εκείνο· αίματος δέ έκκριθέντος έκ τοϋ σώματος τελευτώσιν <οί> άνθρωποι- ψυχή άρα έστΐ
το αίμα.)
In der lateinischen Wendung quo recedente α corpore erkennt man
leicht die griechische Formulierung οΰ έκκριθέντος έκ τοϋ σώματος wie-
der. Offenbar sind das Argument Zenons, das uns von Calcidius

2
M. Schofield (1983), 39 hält die erste Prämisse dieses Argumentes für eine
Anleihe aus Piatons Phaidon 67d. Das scheint mir unzutreffend. An der Phaidon-
stelle wird der Tod als Trennung der Seele vom Körper definiert. Diese Definitions-
aussage ist weder gleichbedeutend mit der These noch impliziert sie die These, daß
dasjenige, bei dessen Abscheidung vom Körper der Tod eintritt, die Seele ist. Mit
der bei Piaton angeführten Definition ist verträglich, daß sich beim Eintreten des
Todes noch anderes vom Körper trennt (etwa Atem, eine bestimmte Temperatur,
Gehimströme). Mit der ersten Prämisse in Zenons Argument wird dagegen be-
hauptet, daß es genau ein materielles Substrat gibt, bei dessen Trennung vom
Körper der Tod eintritt, und daß dieses materielle Substrat die Seele ist.
Zenon als Autor der Quelle von AM 8.301-314 293

mitgeteilt wird, und der bei Sextus erhaltene Beweis nicht unabhängig
voneinander entstanden.
Die Richtung des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen diesen bei-
den Schlüssen wird klar, wenn man ihre Aussagen im einzelnen
miteinander vergleicht. Die erste Prämisse des von Calcidius dem
Zenon zugeschriebenen Argumentes unterscheidet sich nur in einem
nicht sehr wesentlichen Punkt von ihrem Pendantbei Sextus: Statt von
,die Menschen' ist hier allgemeiner vom ,Lebewesen' (griechisch also
wohl ζφον) die Rede. Derselbe Unterschied besteht dann auch zwi-
schen den zweiten Prämissen der beiden Argumente, aber hier, wie in
den Konklusionen tritt noch ein weiterer Unterschied hinzu, der
dafür verantwortlich ist, daß wir es tatsächlich mit zwei unterschiedli-
chen Argumenten, Schlüssen nämlich mit je verschiedenem Beweis-
ziel, zu tun haben: In der zweiten Prämisse und in der Konklusion hat
in der griechischen Fassung, die dem Calcidius (oder seiner Quelle)
vorgelegen hat, an Stelle des Wortes αίμα (Blut) ein Ausdruck gestan-
den, der dem lateinischen spmtus naturalis entspricht, vermutlich
wohl πνεϋμα σύμφυτον oder πνεϋμα συμφυές.3
Offenbar will das bei Calcidius erhaltene Argument eine Verbesse-
rung des bei Sextus überlieferten sein, aber es ist eine recht zweifel-
hafte Verbesserung.4 Daß die Konklusion des Schlusses bei Calcidius

3
Der Ausdruck συμφυές ήμΐν πνεϋμα wird bei Diogenes (7.156) für die Stoiker
allgemein als Definition der Seele bezeugt. Nach Galen (De plac. Hipp, et Plat. III
1,10 S. 170 de Lacy = SVF II fr. 885) hat Chrysipp von der Seele als einem πνεϋμα
σύμφυτον gesprochen. Nun hat nach Tertullian Zenon die Seele als consitus spiritus
definiert [De anima cap. 5.3 S. 6,12 f. Waszink = SVF I fr. 137); nach Macrobius hat
er sie als concretus corpon spin tos bezeichnet. (In sorrm. Scip. 114, 19 = SVF I fr.
137). Somit ist es wahrscheinlich, daß auch Zenon von der Seele als πνεϋμα
συμφυές/σΰμφυτον gesprochen hat und daß der Ausdruck spintas naturalis die
lateinische Wiedergabe dieser griechischen Wendung ist. Da πνεϋμα jeden Hauch,
nicht nur den des Atems, bezeichnen kann, hat der Zusatz σύμφυτον wohl den
Zweck, den Atem des Lebewesens spezifisch zu charakterisieren. Darum habe ich
in der Übersetzung spmtus naturalis mit ,Atem' wiedergegeben.
4
Ein anderes Verhältnis zwischen diesen beiden Argumenten will hier Schofield
sehen. Er hält es für wahrscheinlich, daß das bei Sextus AM 8.306 erhaltene
Beweisbeispiel eine παραβολή, ein formal analoges, widerlegendes Gegenbeispiel zu
dem bei Calcidius erhaltenen Argument Zenons ist (vgl. Schofield (1983), 39 f.).
Das scheint mir aus mehreren Gründen ausgeschlossen: (1) Der Kontext, in dem
dieses Beispiel bei Sextus auftritt, das Referat eines doch offenbar einheitlichen und
auf einen Stoiker zurückgehenden Gedankenganges zur Ableitung einer Defini-
tion des Beweises, spricht dagegen, daß wir hier plötzlich ein widerlegendes Bei-
spiel gegen ein zenonisches Argument vorhegen haben. (2) Dies gilt natürlich erst
recht (um jetzt ad. hominem zu argumentieren), wenn man mit Brunschwig (1980),
den Schofield (a.a.O., 54) zustimmend zitiert, Kleanthes für den Autor der hier
zugrunde liegenden stoischen Quelle hält. Warum hätte Kleanthes ein Gegenargu-
294 Der Weg einer Theorie in der Alten Stoa

die Seele mit dem Atem, nicht mit dem Blut gleichsetzt, ist in der Tat
eine Verbesserang. Denn anders als das Blut, das nur eine notwendige
Bedingung für das Leben eines (mit einem Blutkreislauf ausgestatte-
ten) Lebewesehs ist, stellt der Atem eine notwendige und hinreichende
Bedingung des Lebendigseins dar. Wer die Seele mit dem Atem gleich-
setzt, ist jedenfalls gegen einen Einwand des Typs gefeit, daß es doch
viele Personen gibt, die sterben, ohne einen Tropfen Blut zu verlieren.
Trotz der Ersetzung einer manifest unzulänglichen These über das
Wesen der Seele durch eine bessere ist das Argument als solches durch
die Änderungen, die Zenon vorgenommen hat, nicht wirklich verbes-
sert worden. Zenon muß sich nämlich auch jetzt noch gefallen lassen,
daß in seine bei Calcidius erhaltene Argumentation doch wieder das
Blut an Stelle des Atems eingesetzt und damit die frühere Konklusion
abgeleitet wird. Denn das Blut erfüllt nun einmal die Bedingung, die in
der ersten Prämisse genannt ist, daß nämlich bei seinem Abscheiden
aus dem Körper der Tod eintritt.
Da das bei Sextus erhaltene Argument nicht nur (seiner Position in
der dort referierten Klassifikation nach) schlüssig sein soll, sondern
auch tatsächlich formal richtig schließt, ist die falsche Konklusion,
die Zenon durch eine in seinen Augen wahre ersetzt hat, ein Indikator
für das Vorliegen wenigstens einer falschen Prämisse. Nun ist aber die
zweite Prämisse dieses Schlusses offensichtlich wahr, denn (vollstän-
diger) Blutverlust führt zum Tode. Also muß der Fehler in der ersten
Prämisse liegen, und dort hegt er in der Tat. Sie ist, wie wir oben
(S. 249 f.) gesehen haben, schon deshalb falsch, weil sie etwas, dessen
Nicht-Vorhandensein eine hinreichende Bedingung für den Tod, das
Nicht-Leben ist, dessen Vorhandensein daher nur eine notwendige,
nicht aber auch eine hinreichende Bedingung für das Leben ist, zum
materiellen Substrat der Seele macht.

ment gegen einen Schluß Zenons in seine Darstellung der stoischen Lehre vom
Beweis übernehmen sollen? (3) In der von Sextus AM 8.301-314 referierten Theorie
hat dieses Beispiel offenbar den Status eines Beweises, denn es wird AM 8.306 als
gleichwertige Alternative zu einem Argumentbeispiel angeführt, das etwas weiter
im Text (8.309) zur Illustration des Beweises dient. (4) Schließlich spricht auch die
Übernahme der Konklusion dieses Argumentes durch Diogenes von Babylon (vgl.
Galen, De plac. Hipp, et Plat, II 8, 47 S. 167 de Lacy = SVF III Diog. Bab. fr. 30)
dagegen, daß dieses Argument den Status eines Gegenargumentes gegen einen
Schluß Zenons hatte. Schofield, der richtig das Interesse des Diogenes von Babylon
an Theorien des Schulgründers hervorhebt, will Diogenes' Ansicht, die Seele sei
mit dem Blut identisch, auf ein Argument zurückführen, das nach seiner Ansicht
als Gegenargument gegen eine Folgerung Zenons formuliert wurde (vgl. Schofield
[1983], 40) - kaum eine überzeugende Erklärung.
Zenon als Autor der Quelle von AM 8.301-314 295

Dieser Fehler wird aber durch die Änderung, die Zenon an ihr
vorgenommen hat, durch die Ersetzung von ,die Menschen' durch
,das Lebewesen', keineswegs korrigiert. Darum schützt ihn auch seine
neue Formulierung dieser Prämisse nicht vor der Ableitung der fal-
schen Konklusion des ursprünglichen Argumentes (nämlich nach
Hinzufügung des wahren Minor aus dem alten Argument). Die Kor-
rektur, die Zenon an dieser Prämisse hätte vornehmen müssen, aber
eben leider nicht vorgenommen hat, hätte sicherstellen müssen, daß
jedenfalls nur etwas, dessen Nicht-Vorhandensein eine hinreichende,
aber zugleich notwendige Bedingung für das Eintreten des Todes ist,
mit der Seele gleichgesetzt wird. Also etwa eine Formulierung wie:
Das, bei dessen Abscheiden aus dem Körper die Menschen sterben und was beim
Sterben immer aus dem Körper abgeschieden wird, das ist die Seele.
Weil Zenon bei seinem Versuch, das bei Sextus erhaltene Argument
zu verbessern, den Fehler, der in dessen erster Prämisse liegt, nicht
korrigiert, vermutlich auch, gar nicht erkennt, darum ist seine Korrek-
tur dieses Argumentes, wie gesagt, eine recht zweifelhafte Verbesse-
rung.5
Die Antwort auf die Frage, wessen Argument Zenon hier zu korri-
gieren versucht hat, scheint mir auf der Hand zu liegen: sein eigenes.
Schließlich stammt das im Text von AM 8.301-314 erhaltene und von
Zenon korrigierte Beispiel von einem stoischen Autor, Zenon als
Gründer der Stoa kann aber kaum einen stoischen Vorgänger gehabt

5
Es scheint, daß Zenon auch mit der verbesserten Form dieses Argumentes nicht
sonderlich glücklich geworden ist; es gab schließlich unter seinen athenischen
Zeitgenossen genügend scharfsinnige Köpfe - Alexinos (vgl. Schofield [1983], 37)
wäre ein Beispiel die ihm die Konsequenzen der ersten Prämisse seines Argu-
mentes vor Augen führen konnten. Bei Tertullian (De anima cap. 5.3 S. 6,12 f.
Waszink = SVF I fr. 137) ist nämlich ein Argument Zenons erhalten, das wie der
verzweifelte Versuch anmutet, den Gedanken der ersten Prämisse seines Argu-
mentes doch noch für die Seelenlehre zu nutzen. Es lautet wie folgt: quo digresso
animal emoritur, corpus est: consitu autem spiritu digiesso animal emoritui: ergo
consitus spidtus corpus est: consitus autem spmtas anima est: ergo corpus est
anima. Man beachte, daß das est in der ersten Prämisse (und in der letzten Konklu-
sion dieses Kettenargumentes) nun nicht mehr das ,ist' der Identitätsaussage ist,
sondern das ,ist' der Kopula. In der deutschen Übersetzung macht der unbestimmte
Artikel das sofort deutlich: „Das, bei dessen Abscheiden das Lebewesen stirbt, ist
ein Körper." Durch diese Trivialisierung (jedenfalls für Materialisten wie die Stoi-
ker) kann diese Aussage nun zwar keinen Schaden mehr stiften, aber dafür muß
Zenon die These, daß der Atem die Seele ist, ohne Argument voraussetzen. (Ist das
von Nemesius (vgl. SVF I fr. 137) überlieferte Argument Chrysipps, das auf eine
Aussage über das Wesen der Seele unter seinen Prämissen verzichtet, der Versuch,
für die materialistische Konklusion Zenons eine bessere Begründung zu finden?)
296 Der Weg einer Theorie in der Alten Stoa

haben. Somit kann nur er selber der Verfasser des Seele-Blut-Beispiels


sein. Überdies entspricht sein verunglückter Verbesserungsversuch
dem Dilettantismus, den wir oben an dem Verfasser der stoischen
Quelle von AM 8.301-314 kritisiert haben.6 Damit erlaubt uns der
glückliche Umstand, daß wir Zenons Argument für die Gleichset-
zung von Atem und Seele bei Calcidius noch lesen können, dem
Schulgründer der Stoa eine These über das Wesen der Seele zuzu-
schreiben, die sonst nirgends bezeugt ist und die von Zenon selber

6 Auch andere erhaltene Argumente Zenons scheinen dies Bild eher zu bestäti-
gen (pace Schofield [1983], 51 f.). Bei Seneca wird folgendes Argument Zenons
überliefert: „Kein Übel ist ruhmreich. Der Tod aber ist ruhmreich. Also ist der Tod
kein Übel." (Epist. moi. 82, 7 = SVF I fr. 196) Ein formal gültiger kategorischer
Syllogismus (Cesare der 2. Figur), aber mit offenbar falscher zweiter Prämisse.
Bestenfalls von einigen Todesarten ließe sich (und könnte auch Zenon nur) be-
haupten, daß sie ruhmreich sind, nicht vom Tod schlechthin. Interessant ist, daß
das widerlegende Gegenbeispiel, das etwas später von Seneca zitiert wird, diesen
Fehler keineswegs korrigiert, sondern die falsche Prämisse zur Ableitung einer für
die Stoa nicht akzeptablen Konklusion nutzt: „Nichts Indifferentes ist ruhmreich.
Der Tod aber ist ruhmreich. Also istderTod nicht indifferent." (Epist. mor. 82,10) -
Die Debatte zwischen der Stoa und dem Dialektiker Alexinos über Zenons Argu-
ment für die Vernünftigkeit der Welt (vgl. AM 9.104, 108-110 = SVF I fr. 111 =
Long/Sedley 54 F) zeigt im übrigen, daß Argumente Zenons offenbar schon früh
zum Gegenstand zeitgenössischer Kritik geworden sind. Zenons Argument lau-
tete: „Das Vernunftbegabte ist besser als das Nicht-Vernunftbegabte. Nichts ist aber
besser als die Welt. Also ist die Welt vernunftbegabt." Dagegen setzte Alexinos
folgendes Gegenbeispiel: „Das Poetische ist besser als das Nicht-Poetische. Nichts
ist aber besser als die Welt. Also ist die Welt poetisch." (AM 9.108). Diese Kritik des
Alexinos versuchen die Stoiker (vgl. AM 9.109-110) in der Weise anzugreifen, daß
sie zwischen einem absoluten und einem relativen Sinn von,besser als' unterschei-
den; der erste sei in Zenons Argument, der zweite in dem des Alexinos gebraucht.
Schließlich sei der poetische Archilochos keineswegs besser als der nicht-poetische
Sokrates. Dieser Verteidigungsversuch der Stoiker scheint mir an der Sache vorbei-
zugehen (anders Schofield [1983], 43 f.). Alexinos kann sich darauf berufen, daß er
von ,besser als' ceteris paribus redet, wie auch Zenon. Zweifellos können die
Stoiker nicht bestreiten, daß ein poetischer Sokrates besser ist als ein nicht-poeti-
scher; dann aber müssen sie auch zugeben, daß eine poetische Welt besser ist als
eine nicht-poetische, und aufgrund der zweiten Prämisse des zenonischen Argu-
mentes müssen sie dann auch die Konklusion des Alexinos annehmen. Der Fehler
des zenonischen Argumentes liegt in der zweiten Prämisse, die einen Gegenstand
postuliert, der eine Summe von Vollkommenheiten darstellen soll. Diese Annahme
ist allerdings kein trivialer, sondern ein philosophisch interessanter Fehler; hier ist
ein Gedankengang antizipiert, der sich später im Anselmschen Gottesbeweis wie-
derfindet. Zenon selbst hat offenbar die theologischen Implikationen seines Argu-
mentes gesehen: bei Cicero, De nat. deor. 2.21 heißt es nach dem Referat des bei
Sextus überlieferten Argumentes: ex quo efficietai mundum esse deum. - Ein
weiteres sehr angreifbares (und angegriffenes) Argument Zenons bei Sextus
AM 9.133-136 (SVF I fr. 152).
Die Quellen von PH 2.135-143 und AM 8.411-423 297

auch wieder verworfen worden ist, wie eben dieses bei Calcidius
erhaltene Argument, liest man es vor der Folie des von Sextus überlie-
ferten Beweisbeispiels, deutlich macht.
Somit können wir jetzt aufgrund der vergleichenden Analyse des
bei Sextus und des bei Calcidius erhaltenen Argumentes Zenon als
den stoischen Verfasser der Quelle von AM 8.301-314 identifizieren.
Dieses Ergebnis liefert uns aber zugleich zwei wichtige Folgerungen,
die andere Resultate dieser Untersuchung bestätigen. Daß Zenon der
Verfasser der stoischen Quelle von AM 8.301-314 ist, stellt eine unab-
hängige Stütze für unsere Auffassung dar, daß die diesem Text offen-
bar voraufliegende Definition des Beweises AM 8.314, die wörtlich
PH 2.135 und 143 wiederholt wird, vor-stoisch und d. h. in diesem
Falle Dialektisch ist. Des weiteren wird mit der Zuweisung von
AM 8.301-314 an Zenon gesichert, daß auch die in AM überlieferte
Version der stoischen Zeichenlehre auf Zenon zurückgeht (vgl. oben
S. 288 ff.).
Daß Diogenes von Babylon, wie Galen berichtet (De plac. Hipp, et
Plat. II 8,47 S. 167 de Lacy=SVF III Diog. Bab. fr. 30), im Gegensatz zur
stoischen Schulorthodoxie das Blut, nicht den Atem zum Wesen der
Seele gemacht hat, läßt sich durchaus mit unserem oben erreichten
Resultat in Übereinstimmung bringen. Diogenes von Babylon hat
nämlich offenbar bestimmte Thesen des Schulgründers gegen spätere
Theorien der Stoa zu verteidigen gesucht; so referiert uns Galen eine
Argumentation des Diogenes, nach der das Denken seinen Sitz nicht
im Gehirn hat, eine Argumentation, die auf einen Gedankengang
Zenons zurückgreift.7 Ein analoger Fall könnte auch bei seiner Erklä-
rung des Wesens der Seele vorliegen: Diogenes von Babylon würde
dann nicht eine eigene Theorie gegen die sonst in der Stoa vertretene
Lehre stellen, sondern eine These Zenons wieder aufnehmen.

c) Die stoischen Autoren der Quellen von PH 2.135-143 und


AM 8.411-423: Kleanthes und Sphairos
Wenn Zenon der Autor der stoischen Quelle des ersten AM-Referates
(8.301-314) ist, welche Stoiker stehen dann hinter den Quellen der
beiden anderen Referate des Sextus zur Beweistheorie? Es leuchtet ein,

7
Vgl. Galen, De plac. Hipp, et Plat. II 5, 7 - 1 3 S. 128,130 de Lacy = SVF III Diog.
Bab. fr. 29 und dazu Schofield (1983), 40 f. Vgl. a. den Bericht bei Sextus Empiricus
AM 9.133-134, nach dem Diogenes von Babylon ein theologisches Argument
Zenons gegen ein Gegenbeispiel verteidigt hat.
298 Der Weg einer Theorie in der Alten Stoa

daß wir diese Stoiker in der Generation der Schüler Zenons suchen
müssen. Nun waren wir bei unserer Untersuchung der stoischen
Zeichenlehre zu dem Ergebnis gekommen, daß die in den PH überlie-
ferte Fassung dieser Theorie Kleanthes oder Sphairos gehören dürfte;
von Zenon selbst einmal abgesehen, werden unter den frühen Stoi-
kern nur für diese beiden Schulmitglieder Schrifttitel bezeugt, die auf
Werke mit logischem Inhalt schließen lassen. Von Kleanthes wie von
Sphairos sind außerdem Werke erwähnt, die gegen die Atomisten
gerichtet waren: Im Schriftenverzeichnis des Kleanthes ist ein Titel
Gegen Demoknt (DL 7.174) aufgeführt, vermutlich dieselbe Schrift,
die an anderer Stelle bei Diogenes Laertius als Über die Atome er-
scheint (7.134). Sphairos hat ein Werk Gegen die Atome und die Bilder
(είδωλα) verfaßt (DL 7.178), das also wohl gegen die Atomhypothese
und die atomistische Erklärung der optischen Wahrnehmung gerich-
tet war. Zu der für diese beiden Stoiker bezeugten Kritik an der
Atomtheorie paßt nun gut der Umstand, daß die stoischen Autoren
der Quellen von PH 2.135-143 und AM 8.411-423 die atomistischen
Beispiele in ihrer Fassung der stoischen Beweistheorie tilgen. Wir haben
also gute Gründe, hinter den stoischen Autoren dieser Referate Klean-
thes und Sphairos zu vermuten. Aber wer gehört zu welchem Text?
Nun berichtet uns Cicero, daß Sphairos bei den Stoikern für seine
treffenden Definitionen berühmt war [Tose. disp. 4.53 = SVFI fr. 628).
Zu diesem Bild eines homo in primis bene definiens, um die Worte Ci-
ceros zu gebrauchen, würden aber die beiden miteinander unverträg-
lichen Definitionen von beweisendem Argument und Beweis, die in
der im PH-Referat überlieferten Theorieversion vorhegen, schwerlich
passen. Ganz wohl aber würde einem so charakterisierten Philoso-
phen die Beweisdefinition im zweiten AM-Referat (AM 8.422) gehö-
ren können, eine Definition, die auch in einem wichtigen Punkt den
Sinn der Dialektischen Definition des Beweises restituiert. Sphairos
dürfte somit der Autor der Quelle des Referates AM 8.411-423 sein.
Wenn wir mit unserer Beobachtung recht haben (vgl. oben S. 286), daß
dieser Autor auch ein gewisses diplomatisches Geschick im Umgang
mit der Theorie eines Vorgängers erkennen läßt, dann paßt auch
dieser Zug wohl zu einem Mann, der als Berater hellenistischer
Herrscher von dieser Fähigkeit auch in anderen Bereichen Gebrauch
machen konnte (vgl. SVF I fr. 623, 625).
Wenn wir Sphairos als den Autor der stoischen Quelle von AM
8.411-423 ansehen können, dann ergibt sich aus unseren Voraus-
setzungen, daß die in den PH 2.135-143 formulierte Theorie des Be-
weises (und damit auch die PH-Fassung der stoischen Theorie des
Zeichens) letztlich auf Kleanthes zurückgeht. Der enge Anschluß an
Von den Dialektikern zu Chrysipp 299

einen stoischen Vorgänger, der sich für die Quellen der PH-Referate
zur stoischen Beweis- wie zur Zeichentheorie nachweisen Heß, paßt
im übrigen nur zu gut zu dem, was uns bei Diogenes Laertius über das
Verhältnis des Kleanthes zu Zenon berichtet wird: Charakteristisch
dafür ist etwa die Anekdote, nach der Kleanthes, von seinen Mitschü-
lern als Esel apostrophiert, sich zu Zenons Esel erklärt, da er allein
dessen Bürde tragen könne (DL 7.170).

d) Von den Dialektikern zu Chrysipp

Versuchen wir abschließend, die Ergebnisse dieses Teils unserer


Untersuchung zusammenzufassen, indem wir den Weg der Theorie
des Beweises von der Beweisdefinition der Dialektiker (AM 8.314;
PH 2.135, 143) bis zu der Definition bei DL 7.45, die wir Chrysipp
zugewiesen haben, rekonstruieren. Am Anfang dieses Weges steht der
Gedanke der Dialektiker, daß ein Beweis über das Merkmal der logi-
schen Schlüssigkeit hinaus durch eine Leistung der Erkenntniserwei-
terung charakterisiert ist. Diese erkenntniserweiternde Leistung des
Beweises wird durch den Begriff des Aufdeckens (έκκαλύπτειν) ausge-
drückt; ihm korrespondiert auf der Gegenstandsseite der Begriff des
Nicht-Offenkundigen (άδηλον).8 In der Dialektischen Definition des
Beweises dokumentiert sich damit der Versuch, die von den Eleaten
und Sophisten entwickelte aussagenlogische Dialektik für ein er-
kenntnistheoretisches Programm zu nutzen. Aber es scheint ein durch-
aus empiristisches Programm zu sein; im Unterschied etwa zum ari-
stotelischen Begriff des Beweises scheint kein Gegenstandsbereich als
ontologisch minderwertig vom Beweis ausgeschlossen zu sein (vgl.
Anal. Post. I 8, 75b24).
In der programmatischen Absicht entspricht die Beweistheorie der
Dialektiker ihrer Theorie des Zeichens; nicht zufällig ist der Schlüs-
selbegriff beider Theorien der Begriff des Aufdeckens.
Zenon von Kition übernimmt die Dialektische Definition des Be-
weises und versucht, teils unter Benutzung von Distinktionen der
Dialektiker, eine eigene Interpretation dieser Begriffsbestimmung des
Beweises zu geben,· diese Interpretation der Dialektischen Beweisdefi-

8
Es verdient Hervorhebung, daß beide Begriffe in der aristotelischen Wissen-
schaftstheorie der Zweiten Analytiken keine Rolle spielen. Nur in den zoologi-
schen Schriften des Aristoteles wird άδηλον häufiger benutzt; έκκαλύπτειν ist im
Index Aristotelicus von Bonitz nicht nachgewiesen.
300 Der Weg einer Theorie in der Alten Stoa

nition durch Zenon liegt als (letzte) Quelle dem Referat des Sextus in
AM 8.301-314 zugrunde. Dabei unterläuft Zenon jedoch ein folgenrei-
ches Mißverständnis: Er sieht in der Rede vom Aufdecken innerhalb
der Dialektischen Definition die Angabe eines Definitionsmerkmals,
das zusätzlich zu dem des Erschließens einer nicht-offenkundigen
Konklusion hinzutritt. Damit ist Zenon genötigt, für diesen Begriff
des Aufdeckens eine eigene Funktion als spezifische Differenz zu
finden, und das führt ihn dazu, in der Klasse der Argumente, die
schlüssig eine nicht-offenkundige Konklusion ableiten, eine weitere,
ganz künstliche Einteilung vorzunehmen (vgl. AM 8.307-309), eine
Einteilung, bei der sowohl die Nomenklatur dieser Differenzierung
als auch das Argumentbeispiel, mit dem eine der hier abgeteilten
Klassen erläutert werden soll, die Hand eines methodischen Dilettan-
ten verraten.9
Kleanthes, dessen Fassung der Beweistheorie dem Referat in den
PH 2.135-143 zugrunde Hegt, hat offenbar den Fehler Zenons, mit
dessen Ableitung einer Beweisdefinition er sich kritisch auseinander-
setzt, richtig erkannt. Aber seine Loyalität dem Schulgründer gegen-
über scheint ihn an einer klaren und eindeutigen Korrektur des zeno-
nischen Fehlers zu hindern. Seine beweisenden Argumente' setzen
zwar nicht die künstliche Unterscheidung Zenons innerhalb der Ar-
gumente voraus, die schlüssig eine nicht-offenkundige Konklusion
ableiten, sondern sind mit diesen Argumenten identisch. Aber seine
eigene Definition des Beweises selber entspricht nicht den Merkma-
len des beweisenden Argumentes, sondern versucht durch ihre For-
mulierung einen recht zweifelhaften Kompromiß zwischen der zeno-
nischen und der Dialektischen Beweisdefinition zu finden. 10 Erst

9
So sehr wir den wissenschaftlichen Dilettantismus Zenons, den die vorstehen-
den Analysen sichtbar gemacht haben, als Philosophen kritisieren müssen, so sehr
kann uns als Philosophiehistorikern die mangelnde methodische Geschicklichkeit
Zenons willkommen sein. Gerade sie erlaubte uns erst die Unterscheidung von
Dialektischen und stoischen Elementen in Zenons Beweistheorie. Wäre Zenon ein
besserer Philosoph gewesen, so würden wir in seiner Theorie kaum den Dialekti-
schen Hintergrund erkennen können.
10
Wenn Zenon, wie ich nachgewiesen habe, hinter den Referaten der stoischen
Beweistheorie in AM 8.301-314 sowie der Zeichentheorie im selben Werk des
Sextus Empiricus steht und Kleanthes hinter den Referaten dieser Theoriestücke in
den PH, dann scheint sich mit Blick auf Sextus als philosophischen Schriftsteller
eine Schwierigkeit zu ergeben. Durch die Beobachtungen Zellers - vgl. Zeller
(1923), 2. Abt. 51 Anm. 2 - und die stilistischen Untersuchungen von Janacek
(1948) und (1972) ist gesichert, daß AM 7-11 nach den PH verfaßt worden ist.
Sextus hat dann also in dem späteren Werk Theorien in einer Formulierung zu-
grunde gelegt, die schlechter ist als die entsprechende Ausarbeitung dieser Theorie-
Von den Dialektikern zu Chrysipp 301

Sphairos, den Sextus in AM 8.411-423 referiert, ist konsequent genug,


die durch ein Mißverständnis Zenons entstandene Verwirrung in der
stoischen Rezeption der Dialektischen Beweistheorie zu beseitigen,
indem er die zenonische Unterscheidung der schlüssigen Argumente
mit nicht-offenkundiger Konklusion in bloß untersuchende und zu-
gleich aufdeckende Argumente einfach unbeachtet läßt.
Wenn die stoische Beweistheorie somit auch zunächst durch ein
Mißverständnis Zenons verunklärt war, ein Mißverständnis, das erst
bei Sphairos wieder beseitigt ist, so scheint die friihstoische Beweis-
theorie doch in einem anderen Punkt gegenüber der der Dialektischen
Schule einen wichtigen Fortschritt erreicht zu haben. Die Dialektiker
hatten nämlich einen Beweis definiert als ein Argument, „das auf-
grund übereinstimmend angenommener Prämissen (...) eine nicht-
offenkundige Konklusion aufdeckt" (AM 8.314), sie verlangen also
von den Prämissen eines Beweises, daß sie von beiden Partnern eines
Gesprächs akzeptiert worden sind; in dieser Bestimmung zeigt sich
die Bindung der Dialektik an die Situation eines aktuellen Frage-
Antwort-Dialogs, der auch etwa in der aristotelischen Topik stets
vorausgesetzt ist. Damit ist aber keineswegs ausgeschlossen, daß die
Prämissen eines Beweises auch falsch sein können. Denn die überein-
stimmende Annahme einer Aussage durch mehrere Gesprächspart-
ner ist keine Garantie ihrer Wahrheit. In diesem Punkt sind die Stoi-
ker, beginnend mit Zenon (vgl. AM 8.314), der „übereinstimmend
angenommen" als „wahr" interpretiert, von der Dialektischen Beweis-
definition abgewichen und haben die tatsächliche Wahrheit, nicht die
übereinstimmende Annahme der Prämissen zu einem Definitions-
merkmal des Beweises gemacht.
Dennoch bleibt die frühstoische Definition des Beweises mit einem
entscheidenden Mangel behaftet: Wegen des Gegensatzes von Offen-
kundigkeit der Prämissen und Nicht-Offenkundigkeit der Konklu-
sion eines Beweises ist auf der Basis dieser Definition die Nutzung
einmal erzielter Beweisresultate in weiteren Beweisen nicht möglich.
Auf der Grundlage des frühstoischen Beweisbegriffs wäre der Aufbau
einer deduktiven, beweisenden Wissenschaft ausgeschlossen, der Ge-

stücke in dem früher verfaßten Werk. Heißt das, daß sein wissenschaftliches Urteil
in dem späteren Werk schlechter geworden ist? Nicht notwendig. Vielmehr könnte
die wissenschaftlich unzulänglichere Formulierung einer Theorie für die Zwecke
des Sextus als skeptischen Kritikers dogmatischer Positionen gerade die bessere
sein. Ebenso könnte auch die Prominenz des Schulgründers Zenon für Sextus ein
Grund sein, dessen Theorieformulierung und nicht länger die des Zenonschülers
Kleanthes zum Gegenstand der skeptischen Kritik zu machen.
302 Der Weg einer Theorie in der Alten Stoa

brauch von Schlußketten, wie sie die entwickelte Logik der Stoa be-
reitstellt, hätte im Aufbau einer Wissenschaft keinen Platz. Es war erst
Chrysipp, der mit seiner, bei Diogenes Laertius (7.45) erhaltenen Defi-
nition des Beweises diesen Mangel beseitigte, indem er dem Beweisbe-
griff die Progressivität zurückgab und damit tatsächlich eine erkennt-
nistheoretische Nutzung der Logik möglich machte. Erst damit
wurden auch die Schlußketten der Aussagenlogik Chrysipps zu In-
strumenten, mit denen sich unsere Erkenntnis der Wirklichkeit in den
Bereich des Nicht-Offenkundigen hinein erweitern ließ.
Schlußbemerkung

Was wir von den Leistungen der Stoiker auf dem Gebiet der Logik
wissen, beruht in erster Linie auf zwei Hauptquellen: auf DL 7 und auf
den Referaten zur Dialektik, die wir bei Sextus in AM 8 und in den
PH 2 lesen können. Bislang wurden diese Texte als Zeugnisse für eine
einheitliche Logik der Stoa gelesen, eben für die stoische Logik in der
Form, die Chrysipp und seine Nachfolger geprägt haben.
In negativer Hinsicht ist das Hauptresultat der vorstehenden Unter-
suchung der Nachweis, daß Diogenes und Sextus, wo sie über logi-
sche Theorien der Stoa berichten, im allgemeinen unterschiedliche
Phasen der stoischen Logik vor Augen haben und daß Sextus darüber-
hinaus an mehreren Stellen, an denen man bislang ebenfalls Referate
stoischer Lehren zu finden glaubte, in Wirklichkeit nicht die Stoiker,
sondern eine andere Gruppe, eben die Dialektiker referiert. Wo Sextus
in seiner Kritik der Dialektik über „die Stoiker" (ohne weitere Nen-
nung von stoischen Philosophen) berichtet, da handelt es sich im
allgemeinen - Ausnahmen sind etwa PH 2.157-158 oder AM 8.429-
434 - um frühe Stoiker, um Vorgänger Chrysipps. Dagegen gibt Dio-
genes Laertius eine Darstellung der stoischen Logik, wie sie durch
Chrysipp und seine Nachfolger ausgebildet worden ist.
Damit wird Sextus also zu einem wichtigen Zeugen für die Entwick-
lung der Logik in der Zeit zwischen Aristoteles und Chrysipp, für eine
Periode der Logikgeschichte, in der die Aussagenlogik als wissen-
schaftliche Disziplin entstanden ist. Aufgrund der Mitteilungen des
Sextus läßt sich jetzt ein gegenüber dem bisherigen Kenntnisstand
weitaus differenzierteres Bild von den Anfängen dieser für alle ande-
ren Gebiete der Logik fundamentalen Disziplin gewinnen. Zwar war
die Aussagenlogik, wenn man darunter eine Summe aussagenlogi-
scher Schlußregeln versteht, schon seit den Eleaten und dann in der
griechischen Sophistik ein machtvolles und durchaus mit methodi-
schem Bewußtsein angewandtes Instrument der wissenschaftlichen
und wohl auch der außerwissenschaftlichen Argumentationspraxis.
Aber erst die Dialektiker, erst Logiker wie Philon und Diodor haben
dieses Instrument der wissenschaftlichen Diskussionspraxis selber zu
einem Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion gemacht. Erst sie
haben damit die Aussagenlogik als wissenschaftliche Disziplin be-
gründet.
304 Schlußbemerkung

Nun ist der Umstand, daß Mitglieder der Dialektischen Schule (die
allerdings nicht als solche erkannt waren) an Fragen der Aussagenlo-
gik interessiert waren, keineswegs unbekannt gewesen. Daß Philon
und Diodor an den Anfang einer Diskussion über das Wahrheitskrite-
rium der Konditionalaussage gehören, ist in der Forschung zur Logik
der hellenistischen Zeit seit den Arbeiten von Martha Kneale durchaus
bekannt. Aber unsere Kenntnis aussagenlogischer Leistungen helleni-
stischer Logiker aus der Zeit vor Chrysipp war auch auf dieses Detail
beschränkt. Durch den Nachweis, daß die Referate des Sextus über
Lehren der Dialektiker tatsächlich den Mitgliedern der sich Dialekti-
ker' nennenden Gruppe und eben nicht stoischen Logikern gelten,
läßt sich jetzt auf einer sehr viel breiteren Basis eine Vorstellung von
den aussagenlogischen Leistungen der Dialektiker und darüberhinaus
von dem Kontext wissenschaftlicher Interessen gewinnen, in dem
diese Leistungen entstanden sind.
Es sind offenbar die Dialektiker gewesen, die für die Aussagenlogik
die grundlegenden Unterscheidungen und begrifflichen Festlegungen
getroffen haben. Die Nomenklatur für die wichtigsten Arten komple-
xer Aussagen, für Konditional, Konjunktion und Disjunktion, scheint
ebenso auf die Dialektische Schule zurückzugehen wie die Bezeich-
nungen für die Teilaussagen des Konditionals; wenn wir heute von
^Antecedens' und ,Succedens' sprechen, so benutzen wir nur die lateini-
schen Übersetzungen der griechischen Termini ήγούμενον und λήγον,
die von den Dialektikern geprägt worden sind.
Für die Entwicklung der Aussagenlogik als wissenschaftlicher Dis-
ziplin sind zwei Festlegungen der Dialektiker von besonderer Bedeu-
tung gewesen: Die eine dieser Festlegungen ist die Unterscheidung
von einfachen und nicht-einfachen (zusammengesetzten) Aussagen
aufgrund des Kriteriums des Auftretens aussagenverknüpfender Ope-
ratoren. Wie wir oben (S. 109 f.) gesehen haben, wird nicht das Vorlie-
gen von inhaltlich verschiedenen Aussagen in einer Aussagenver-
knüpfung zur notwendigen und hinreichenden Bedingung für das
Vorliegen einer nicht-einfachen Aussage gemacht, sondern das bloße
Auftreten eines aussagenverknüpfenden Operators. Damit haben die
Dialektiker diese in der (Aussagen-)Logik grundlegende Unterschei-
dung auf ein rein formales Kriterium gegründet.
Die zweite wichtige Festlegung, durch welche die Dialektiker die
Gestalt der Aussagenlogik entscheidend beeinflußt haben, war die
wahrheitsfunktionale Definition bestimmter aussagenlogischer Junk-
toren. Daß der Dialektiker Philon die Wenn-so-Verknüpfung wahr-
heitsfunktional definiert hat, ist in der Literatur immer schon bekannt
gewesen, ebenso wie der Widerspruch, den diese philonische Deu-
Schlußbemerkung 305

tung der Konditionalaussage von Seiten des Diodoros Kronos und


dann des Chrysipp erfahren hat. Nicht bekannt war aber, daß die
wahrheitsfunktionale Definition der konjunktiven Aussage, die sich
im Unterschied zur philonischen Deutung der Konditionalaussage
bereits in der nachfolgenden antiken Logik unbestrittene Geltung
verschaffen konnte, ebenfalls bereits auf die Logiker der Dialekti-
schen Schule zurückgeht.
Was den Operator der disjunktiven Aussage, das ausschließende
,oder' angeht, so erfahren wir in dem einschlägigen Referat des Sextus
nichts über eine Interpretation dieses Junktors durch die Dialektiker.
Aber da Sextus unter den Beispielen der von den Dialektikern diskutier-
ten nicht-einfachen Aussagen auch eine Disjunktion anführt (AM 8.95)
und da eine spätere Bemerkung in seinem Referat (AM 8.124) eben-
falls darauf hindeutet, daß die Dialektiker diese Aussage behandelt
haben, da überdies die für die Stoa bezeugte Deutung der Disjunktion
(vgl. DL 7.72) wahrheitsfunktional ist, so scheint es so gut wie sicher,
daß die Dialektische Schule die disjunktive Aussage ebenfalls wahr-
heitsfunktional aufgefaßt hat, in dem Sinne, daß genau eine der so
verknüpften Aussagen wahr ist. Es wäre jedenfalls höchst unwahr-
scheinlich, daß Logiker, die für die konditionale und die konjunktive
Aussagenverknüpfung eine wahrheitsfunktionale Deutung vorge-
schlagen haben, dies für die disjunktive Aussage unterlassen haben
sollten. Die Idee einer wahrheitsfunktionalen Aussagenlogik dürfte
in der Dialektischen Schule entstanden sein.
Leider erlauben es die erhaltenen Zeugnisse nicht, von der Schluß-
theorie der Dialektischen Logiker ein verläßliches Bild zu gewinnen.
Bei Sextus findet sich dazu gar nichts,· lediglich der in Anhang II zum
Teil II diskutierte Text aus Apuleius läßt vermuten, daß die Logiker
der Dialektischen Schule über Ableitungsregeln verfügten, mit denen
sich aus gültigen Schlußformen weitere gültige Schlußformen ablei-
ten lassen. Allerdings scheinen die Dialektiker noch nicht über tech-
nische Mittel zur Darstellung einer Schlußform verfügt zu haben,
obgleich der Begriff einer (aussagenlogischen) Schlußform selbst ih-
nen geläufig war.
Für die Konzeption der Logik überhaupt, wie sie jedenfalls für eine
bestimmte Phase der Schulentwicklung bestimmend gewesen sein
muß, ist die Dialektische (später von den Stoikern aufgenommene)
Unterscheidung der Fehlschlußtypen aufschlußreich: Hier zeigt sich
nämlich eine eher argumentationstheoretische, am Gedanken der
Relevanz von Schlußprämissen orientierte Auffassung von Logik, eine
Auffassung, die von der Vorstellung der Logik als reiner Formalwis-
senschaft noch sehr weit entfernt ist. Charakteristischerweise scheint
306 Schlußbemerkung

der Begriff der Schlußform zunächst nur in einer Art Lückenbüßer-


funktion dort aufgetreten zu sein, wo Relevanzgesichtspunkte bei der
Erklärung der Fehlerhaftigkeit eines Schlusses versagten.
Ein bemerkenswert hohes Niveau logischer Differenzierung zeigte
die Dialektische Theorie der Trugschlüsse, also der mit einer Täu-
schungsabsicht gebrauchten fehlerhaften Schlüsse. Denn in der Auf-
lösung dieser Pseudo-Argumente spielte sowohl die Unterscheidung
von Objekt- und Metasprache als auch die Erkenntnis eine Rolle, daß
ein aussagenlogischer Operator für einen festgelegten Bereich Gel-
tung hat, Einsichten also, die in der Semantik einerseits, in der Syntax
andererseits von fundamentaler Bedeutung sind. An der Einteilung
der Trugschlüsse selber war bemerkenswert, daß sie offenbar nicht
unter einem formal-logischen, sondern unter einem erkenntnistheo-
retischen Gesichtspunkt vorgenommen ist: Sie ist an den Arten des
Irrtums orientiert, der durch die Täuschung eines Sophisma bewirkt
wird.
Daß die logischen Theorien der Dialektiker in den Kontext eines
erkenntnistheoretischen Interesses gehören, das zeigen aber vor allem
die beiden Theoriestücke, die oben unter dem Titel der Theorie des
Zeichens und dem der Theorie des Beweises behandelt worden sind.
In beiden Lehrstücken werden Mittel der Aussagenlogik als Vehikel
der Erkenntniserweiterung eingesetzt, als Werkzeuge, mit denen sich
das Dunkel des Nicht-Offenkundigen ein Stück weit aufhellen läßt.
Mit diesem erkenntnistheoretisch motivierten Interesse an der Dia-
lektik stehen die Dialektiker im übrigen durchaus in der voraufge-
henden Tradition griechischer Logik. Nicht nur, daß bei Parmenides
die Logik (im Sinne eines methodisch gehandhabten Instrumenta-
riums einer Argumentationspraxis) aus dem Geiste der Erkenntnis-
theorie geboren wird, auch die aristotelische Syllogistik wird von
Aristoteles als Teil einer Beweistheorie konzipiert (vgl. An. Prior. 11,
24a 10-11), auch wenn der Beweisbegriff des Aristoteles von dem der
Dialektiker und der ihnen folgenden frühen Stoiker sehr verschie-
den ist.
Es ist wohl keineswegs ein Zufall, daß uns die Berichte des Sextus
eine Aufnahme gerade dieser beiden erkenntnistheoretischen Lehr-
stücke der Dialektischen Schule, ihrer Zeichen- und ihrer Beweistheo-
rie, durch die frühen Stoiker dokumentieren. Zenon und seine ersten
Schüler mußten aus einleuchtenden Gründen vor allem an der er-
kenntnistheoretischen Seite der Dialektischen Logik interessiert sein:
Die skeptische Kritik, die von Seiten der Akademie des Arkesilaos an
den Lehren der Stoa geübt wurde, nötigte die ersten Stoiker dazu, sich
nach Mitteln umzusehen, mit denen der Erkenntnisanspruch ihrer
Schlußbemerkung 307

neuen Philosophie begründet und gegen Arkesilaos verteidigt werden


konnte.1
Mit der Zurückführung der AM-Referate zur Zeichentheorie und
des Referates AM 8.301-314 zur Beweistheorie auf Zenon als stoische
Quelle haben wir erstmals Berichte gewonnen, die uns über Lehr-
stücke des Schulgründers der Stoa ausführlich und nicht nur thesen-
haft informieren; für die Zuweisung der Pendants in den PH an Klean-
thes als stoische Quelle gilt Entsprechendes. Der Wert dieser Berichte
des Sextus als Quellenmaterial für die Entwicklung der frühen Stoa
wird noch dadurch erhöht, daß sie sich als Darstellungen von Positio-
nen eines größeren Diskussionszusammenhangs erweisen, der je-
weils bei den Dialektikern beginnt und im Fall der Zeichentheorie
über Zenon zu Kleanthes, im Fall der Beweistheorie über die beiden
ersten Schulhäupter der Stoa und Sphairos schließlich zu Chrysipp
führt.2
Damit erlauben diese Texte aber auch eine verläßlichere Einschät-
zung der wissenschaftlichen Bedeutung eines Zenon oder eines
Kleanthes, und das erstaunliche, beinahe paradoxe Ergebnis unserer
Untersuchung war in dieser Hinsicht die doch recht negative Bewer-
tung Zenons. Die Berichte des Sextus, die sich auf Zenon als stoische
Quelle zurückführen ließen, zeigen ihn als einen eher dilettantischen
Schüler seiner Dialektischen Lehrer auf logischem Gebiet, zeigen ihn
aber insbesondere als jemanden, der gerade erkenntnistheoretische
Einsichten seiner Dialektischen Vorgänger, man muß wohl sagen,
verschlimmbessert. Das gilt für seinen Versuch, die Unterscheidung
von endeiktischem und hypomnestischem Zeichen mit Hilfe seines
Begriffs der κατάληψις auf eine Differenz der significata zu gründen,
das gilt aber ebenso für sein Mißverständnis der Dialektischen Defini-
tion des Beweises.

1 Vgl. hierzu Ioppolo (1986), 17-87.


2 Eine in diesem Zusammenhang naheliegende Frage ist die nach der Überliefe-
rung, die es möglich macht, daß Sextus uns über Philosophen informiert, deren
Originaltexte zu seiner Zeit wohl kaum noch zugänglich gewesen sein dürften. Ich
halte es für wahrscheinlich, daß Sextus hier aus einer skeptischen Tradition
schöpft, die letzten Endes auf den Umkreis des Arkesilaos zurückgeht. Daß Sextus
Zugang zu Lehren des Arkesilaos hatte und daß er ihnen mit Sympathie entgegen-
trat, das zeigen seine Bemerkungen zu Arkesilaos im ersten Buch der PH (vgl.
PH 1.232-233). Im übrigen ist es einfach wahrscheinlicher, daß Texte aus der
Akademie des Arkesilaos, Texte, in denen Lehren zeitgenössischer Philosophen der
Dialektischen und der stoischen Schule in kritischer Absicht konserviert waren, bis
in die Zeit des Sextus überliefert wurden, als daß Texte der Dialektiker und der
frühen Stoiker selber, deren Lehren inzwischen durch Chrysipp überholt waren, bis
zu Sextus tradiert worden sind.
308 Schlußbemerkung

Für unsere Kenntnis von den frühen Stoikern ist aber die Neubewer-
tung des Kleanthes, die sich aufgrund der PH-Referate zur Zeichen-
und zur Beweistheorie ergeben hat, sicherlich ebenso bedeutsam wie
die neue Einschätzung Zenons. Die Bearbeitungen, die Kleanthes zu
Lehrstücken seines Vorgängers Zenon verfaßt hat, zeigen ihn als
einen weitaus klareren und methodisch präziseren Philosophen. Er
hat den Sinn der Dialektischen Theoriestücke, die Zenon in das
stoische System einzubauen bestrebt war, besser erfaßt als sein Vor-
gänger. Wo gleichwohl Kritik an ihm zu üben war, da waren die zu
kritisierenden Inkonsistenzen offenbar durch eine zu große Loyalität
dem Schulgründer Zenon gegenüber bedingt.
Als Logiker bleibt aber Kleanthes ebenso wie Zenon oder Sphairos
im Fahrwasser der Dialektischen Schule. Seine logische Begrifflich-
keit übernimmt er von den Dialektikern. Für ihn wie für Zenon und
Sphairos ist die Logik Aussagenlogik, und das ist sie auch für die
Logiker der Dialektischen Schule,· die aristotelische Syllogistik scheint
für die frühe Stoa ebensowenig zu existieren wie für die Dialektiker.
Dennoch teilen diese Logiker mit dem Aristoteles der Topik in der
Schlußlehre einen Fundus gemeinsamer Begriffe. Und sie teilen mit Ari-
stoteles offenbar auch ein Verständnis der Logik, das in dieser Disziplin
eher ein Mittel zur argumentationstheoretischen Analyse konkreter
Schlüsse (und Fehlschlüsse) sieht als eine Anleitung zur Konstruktion
einer idealen formalen Sprache. Für Aristoteles hat die Dialektik be-
kanntlich nicht den Status einer eigenen Wissenschaft, sondern nur den
einer Fähigkeit (δύναμις) zur Konstruktion von Argumenten (vgl. Rhet.
12,1356a30-33). Sie ist damitwesentlich Hilfsmittel, Werkzeug (δργανον)
anderer Wissenschaften, ohne selber Wissenschaft zu sein.
Es ist erst Chrysipp, der die Beschränkungen überwindet, die dieser
ersten Stufe in der Entwicklung der Aussagenlogik anhaften. Erst bei
Chrysipp scheint die Bedeutung der Schlußform und damit zusam-
menhängend die Bedeutung von (Ordinalzahlen als) aussagenlogi-
schen Variablen für die formale Darstellung von Argumenten erkannt
worden zu sein. Ihren schon immer bemerkten formalistischen Zug
verdankt die stoische Logik Chrysipp: Er setzt an die Stelle des argu-
mentationstheoretischen Verständnisses der Logik die Idee einer idea-
len formalen Sprache. Auch wenn nach dem Zeugnis des Diogenes
Laertius (7.39) bereits Zenon die Logik als Teil der Philosophie behan-
delt hat, so hat den damit verbundenen Anspruch doch erst Chrysipp
eingelöst; erst bei ihm hat die Dialektik nicht mehr den Status eines
bloßen Organons für andere Wissenschaften.
Obwohl Chrysipp und seine Leistungen auf dem Gebiet der Logik
streng genommen nicht mehr in den Rahmen der vorhegenden Unter-
Schlußbemerkung 309

suchung fallen und obwohl mit der Zuweisung von Texten, die bis-
lang als Zeugnisse für die von Chrysipp geschaffene stoische Logik
galten, an Logiker aus der Zeit vor Chrysipp die Textbasis für den
ohne Zweifel wichtigsten Logiker der Stoa verkürzt worden ist, so
gewinnt durch diese Ergebnisse doch auch die logische Leistung des
Chrysipp ein schärferes Profil. Wie die Trennung archäologischer
Schichten einen Gewinn an Erkenntnis über jede der ihnen zugeord-
neten Siedlungs- oder Bauperioden bedeutet, so gewinnen wir auch
durch die Trennung von Überlieferungsschichten in einem Textmate-
rial größere Klarheit über die Quellen, die diesen Schichten korre-
spondieren. Ein Beispiel für einen derartigen Zugewinn an Wissen
war die Erkenntnis, daß dort, wo wir chrysippeisches Material zur
Klassifikation von Aussagen vorliegen haben, eine Regel in der For-
mulierung dieser Aussagen angewandt ist, derzufolge die erste Parti-
kel einer Aussage den Charakter dieser Aussage erkennen lassen soll:
Darum muß bei einer verneinten Aussage die Verneinungspartikel
am Satzanfang stehen und darum muß bei zusammengesetzten Aus-
sagen eine Partikel, die den Typ der Verknüpfung erkennen läßt, am
Satzanfang auftreten. Diese Regel ist nicht Ausdruck einer formalisti-
schen Marotte des Chrysipp, sondern nimmt, wie oben ausgeführt,
den Grundgedanken der klammerfreien (polnischen) Notation vor-
weg: Beim Auftreten mehrerer aussagenlogischer Operatoren, bei zu-
sammengesetzten Aussagen von größerer Komplexität, läßt sich der
Bereich dieser Operatoren jeweils an der Reihenfolge ihres Auftretens
ablesen. Damit sind nicht nur Mehrdeutigkeiten, die mit dem Ge-
brauch solcher Operatoren in der normalen Sprache häufig verbun-
den sind, von vorneherein ausgeschlossen, damit läßt sich auch die
logische Struktur sehr komplexer zusammengesetzter Aussagen auf
eine einfache Art und Weise durchsichtig machen. Diese Regel war
aber nur dadurch als eine der chrysippeischen Logik zu erkennen, daß
die Texte, in denen sie nicht angewandt ist, Logikern vor Chrysipp
zugesprochen werden konnten.
Aristoteles mußte, als er seine Syllogistik ausarbeitete, dieses Ge-
biet der Logik a pnmis fundamentis begründen. Chrysipp mußte das
auf dem Gebiet der Logik, mit dem sein Name vor allem verknüpft ist,
keineswegs. Er konnte in der Aussagenlogik auf Fundamenten weiter-
bauen, die seine Vorgänger gelegt hatten. Wir haben zeigen können,
daß diese Vorgänger eine Vorarbeit geleistet haben, die beachtlicher
ist als bisher angenommen wurde. Daher kann Chrysipp nicht für sich
in Anspruch nehmen, der Begründer der Aussagenlogik zu sein. Aber
er kann für sich in Anspruch nehmen, ein Gebiet der Logik, das
ausgedehnter und das vor allem fundamentaler ist als die aristoteli-
310 Schlußbemerkung

sehe Termlogik, erstmals nach allen Seiten wissenschaftlich durch-


drungen zu haben. Er kann für sich in Anspruch nehmen, aus Ansät-
zen, die zum Teil bahnbrechend und zukunftsweisend, zum Teil aber
auch unvollkommen und korrekturbedürftig waren - man denke an
den Mangel eines wirklichen Gebrauchs von Schlußformen, an die
nicht geklärte Diskussion über die Wahrheitsbedingungen der Kondi-
tionalaussage -, eine Gestalt der Aussagenlogik geschaffen zu haben,
die für die nächsten Jahrhunderte vorbildlich und verbindlich wurde.
Er kann aber vor allem für sich in Anspruch nehmen, mit dieser Logik
der stoischen Schule ein Fundament verschafft zu haben, ohne das die
Stoa den Angriffen ihrer skeptischen Kritiker kaum standgehalten
hätte. Es ist in erster Linie diese von Chrysipp geschaffene Logik, die
zu dem bei Diogenes Laertius (7.183) erhaltenen Dictum berechtigt:
Wär nicht Chrysipp, so wär die Stoa nicht.
ANHANG

Texte aus Sextus Empiricus zu den Dialektikern


und den Stoikern1

(a) Die frühen Stoiker über das Zeichen

(i) (PH 2 . 9 7 - 1 0 1 ; 1 0 4 - 1 0 6 ) (FDS 1026; 1030)

(97) Nach den Dogmatikern sind nun von den Dingen einige offenkundig, andere
nicht-offenkundig; von den nicht-offenkundigen sind einige gänzlich nicht-offen-
kundig, andere zeitweilig nicht-offenkundig, noch andere von Natur aus nicht-
offenkundig. Offenkundig sind nach ihrer Lehre diejenigen, die uns von sich aus
zur Kenntnis kommen, wie etwa, daß es Tag ist; gänzlich nicht-offenkundig sind
diejenigen, die ihrer Natur nach nicht in unsere Erkenntnis fallen können, wie etwa
daß die Anzahl der Sterne gerade ist; (98) zeitweilig nicht-offenkundig sind jene
Dinge, die, obwohl sie ihrer Natur nach der Erkenntnis zugänglich sind, uns
aufgrund bestimmter äußerer Umstände zeitweilig verborgen sind, wie mir jetzt die
Stadt Athen; von Natur aus nicht-offenkundig sind jene, die ihrer Natur nach nicht
der Wahrnehmungsevidenz zugänglich sind, wie etwa die unsichtbaren Poren.
Denn diese treten niemals von sich aus in Erscheinung, sondern man könnte
allenfalls annehmen, daß sie aufgrund anderer Dinge erkannt werden, beispiels-
weise der Schweißperlen oder von etwas Ähnlichem.
(99) Die offenkundigen Dinge bedürfen nun, wie sie sagen, keines Zeichens; sie
werden nämlich von sich aus erkannt. Ebensowenig aber auch die gänzlich nicht-
offenkundigen Dinge, weil sie grundsätzlich nicht erkannt werden. Aber die zeit-
weilig nicht-offenkundigen und die von Natur aus nicht-offenkundigen Dinge
werden mit Hilfe von Zeichen erkannt, allerdings nicht mit Hilfe derselben, son-
dern die zeitweilig nicht-offenkundigen mit Hilfe der hypomnestischen, die von
Natur aus nicht-offenkundigen mit Hilfe der endeiktischen Zeichen. (100) Von den
Zeichen sind nun nach ihnen die einen hypomnestisch, die anderen endeiktisch.
Sie nennen das ein hypomnestisches Zeichen, was, da es zusammen mit dem,
wofür es ein Zeichen ist, in evidenter Wahrnehmung beobachtet worden ist, dieses
mit ihm zusammen Beobachtete in Erinnerung rufen kann, wenn letzteres verbor-
gen und im Moment evidenter Wahrnehmung nicht zugänglich ist, wie es bei
Rauch und Feuer der Fall ist. (101) Endeiktisch ist, wie sie sagen, ein Zeichen, das
nicht mit dem, wofür es Zeichen ist, in evidenter Wahrnehmung zusammen beob-

1 Den Übersetzungen Hegen mit Ausnahme von AM 8.141-155, das nicht in FDS

aufgenommen ist, die griechischen Texte in FDS zugrunde.


312 Anhang

achtet worden ist, sondern aufgrund seiner eigenen Natur und Zurichtung das
anzeigt, wofür es ein Zeichen ist, so wie etwa die körperlichen Bewegungen Zei-
chen der Seele sind.

(104) Das Zeichen ist nun nach dem, was von den Dogmatikern darüber gesagt
wird, undenkbar. Die Stoiker ζ. B., die, da sie den Begriff des Zeichens festsetzen
wollen, es streng definiert zu haben scheinen, erklären, daß ein Zeichen ,eine
Aussage ist, die das Prä-Antecedens in einer richtigen Konditionalaussage bildet
und die das Succedens aufdeckt'. Eine Aussage ist dabei nach ihrer Lehre ,ein
vollständiges Lekton, das behauptet werden kann, soweit es an ihm hegt'; eine
richtige Konditionalaussage ist die, welche nicht mit Wahrem beginnt und mit
Falschem endet. (105) Denn eine Konditionalaussage beginnt entweder mit Wah-
rem und endet mit Wahrem, beispielsweise „Wenn es Tag ist, ist es hell", oder sie
beginnt mit Falschem und endet mit Falschem, beispielsweise „Wenn die Erde
fliegt, dann hat die Erde Flügel", oder sie beginnt mit Wahrem und endet mit
Falschem, beispielsweise „Wenn die Erde existiert, dann fliegt die Erde", oder sie
beginnt mit Falschem und endet mit Wahrem, beispielsweise „Wenn die Erde fliegt,
dann existiert die Erde". Von diesen Aussagen, so sagen sie, ist nur diejenige
unrichtig, die mit Wahrem beginnt und mit Falschem endet, die anderen sind
richtig. (106) Als Prä-Antecedens bezeichnen sie das Antecedens in einer Konditio-
nalaussage, die mit Wahrem beginnt und mit Wahrem endet. Es deckt das Succe-
dens auf, weil in der folgenden Konditionalaussage „Wenn diese Frau Milch hat,
dann hat sie empfangen" die Aussage „Diese Frau hat Milch" die andere „Sie hat
empfangen" offenbar zu machen scheint.

(ii) (AM 8.141-155 1 ; 245-256) (FDS 1029)

(141) Da es eine ganz allgemeine Zweiteilung der Dinge gibt, nach der die einen
offenkundig, die anderen nicht-offenkundig sind - offenkundig sind die, die von
sich aus in unsere Sinne und unseren Verstand kommen, nicht-offenkundig jene,
die nicht von sich aus erfaßt werden - so ist unsere Argumentation zum Kriterium
mit BÜck auf die Zweifelhaftigkeit der evidenten Dinge an passender Stelle erfolgt.
(142) Denn wenn dieses sich als unsicher herausstellt, so wird es auch bei den
erscheinenden Dingen unmöglich sein zu behaupten, daß sie ihrer Natur nach so
sind, wie sie erscheinen. Da aber die Gruppe der nicht-offenkundigen Dinge immer
noch übrig ist, so gehen wir unserer Meinung nach richtig vor, wenn wir uns auch
zu ihrer Ausschaltung einer knappen Methode bedienen, die Zeichen und Beweis
aufhebt. Denn wenn erst diese aufgehoben sind, dann wird die Erkenntnis des
Wahren aufgrund dieser Dinge ebenfalls unsicher. Doch bevor wir zu den Einzel-
heiten kommen, ist es vielleicht passend, zunächst in Kürze die Natur des Zeichens
zu klären. (143) ,Zeichen' hat zwei Bedeutungen, eine allgemeine und eine spe-

1
Diesen Text hat Hülser nicht in FDS aufgenommen; der Übersetzung hegt der
Text der Ausgabe von Mutschmann zugrunde.
Die frühen Stoiker über das Zeichen 313

zielle,· in allgemeiner Bedeutung ist es das, was etwas offenbar zu machen scheint -
in diesem Sinn sind wir gewohnt, das ein Zeichen zu nennen, was zur Wiedererin-
nerung an eine mit ihm zusammen beobachtete Sache geeignet ist; von speziellem
Zeichen sprechen wir beim endeiktischen, eine verborgene Sache anzeigenden
Zeichen; darüber geht auch die vorhegende Untersuchung. (144) Wenn man aber
seine Natur genauer verstehen will, so muß man sich klarmachen, daß, wie oben
gesagt, die offenkundigen Dinge jene sind, die uns von sich aus zur Kenntnis
kommen, wie ζ. B. jetzt, daß es Tag ist und daß ich diskutiere; nicht-offenkundig
sind dagegen j ene, bei denen es sich nicht so verhält. (145) Von den nicht-offenkun-
digen Dingen sind einige gänzlich nicht-offenkundig, andere von Natur aus nicht-
offenkundig, noch andere zeitweilig nicht-offenkundig. Von diesen heißen zeitwei-
lig nicht-offenkundig jene, die trotz ihrer evidenten Natur uns wegen äußerer
Umstände zeitweilig verborgen sind, wie beispielsweise uns jetzt die Stadt Athen.
Sie ist nämlich ihrer Natur nach evident und offenkundig, wegen der dazwischen
liegenden Entfernung aber verborgen. (146) Von Natur aus nicht-offenkundig sind
die Dinge, die von Beginn der Zeiten an verborgen sind und nicht der Wahrneh-
mungsevidenz zugänglich sind, wie die unsichtbaren Poren und der von einigen
Naturforschern außerhalb des Kosmos angenommene leere Raum. (147) Gänzlich
nicht-offenkundig heißen schließlich jene, die niemals unter die menschliche
Erkenntnis fallen können, ζ. B. daß die Anzahl der Sterne gerade oder ungerade ist
und daß es soundsoviel Sandkörner in Libyen gibt. (148) Da es nun diese vier
Gruppen von Dingen gibt, die erste die der evidenten Dinge, die zweite der gänzlich
nicht-offenkundigen, die dritte der von Natur aus nicht-offenkundigen, die vierte
der zeitweilig nicht-offenkundigen, so sagen wir, daß es nicht für j ede Gruppe eines
Zeichens bedarf, sondern nur für einige. (149) Denn klarerweise lassen weder die
gänzlich nicht-offenkundigen Dinge ein Zeichen zu noch die evidenten, die evi-
denten nicht, weil sie von sich aus auffallen und keines anderen Dinges zur
Anzeige bedürfen, die gänzlich nicht-offenkundigen nicht, weil sie insgesamt au-
ßerhalb des Bereiches jeder Erkenntnis hegen und daher auch die Erkenntnis durch
ein Zeichen nicht zulassen. (150) Dagegen bedürfen die von Natur aus und die
zeitweilig nicht-offenkundigen Dinge der Beobachtung durch ein Zeichen, die
zeitweilig nicht-offenkundigen, weil sie aufgrund bestimmter Umstände der uns
zugänglichen Evidenz entzogen sind, die von Natur aus nicht-offenkundigen, weil
sie grundsätzlich nicht in Erscheinung treten. (151) Da es nun zwei Gruppen von
Dingen gibt, die eines Zeichens bedürfen, so gibt es auch zweierlei Zeichen, einmal
das hypomnestische, welches hauptsächlich bei den zeitweilig nicht-offenkundi-
gen Dingen von Nutzen zu sein scheint, zum anderen das endeiktische, welches als
bei den von Natur aus nicht-offenkundigen Dingen brauchbar angesehen wird.
(152) Hypomnestisch ist nun das Zeichen, welches, da es zusammen mit dem,
wofür es ein Zeichen ist, in evidenter Wahrnehmung beobachtet worden ist, dieses
mit ihm zusammen Beobachtete in Erinnerung rufen kann, wenn letzteres verbor-
gen und im Moment evidenter Wahrnehmung nicht zugänglich ist, wie bei Rauch
und Feuer. Denn da wir diese oft in Verbindung beobachtet haben, erinnern wir
uns, wenn wir das eine sehen, d. h. den Rauch, zugleich an das andere, d. h. das
nicht wahrgenommene Feuer. (153) Dieselbe Erklärung gilt auch für die aus einer
Wunde resultierende Narbe und für die dem Tode vorhergehende Verletzung des
Herzens. Denn wenn wir die Narbe sehen, erinnern wir uns an die vorhergegangene
314 Anhang

Wunde, wenn wir die Verletzung des Herzens zu Gesicht bekommen, erkennen wir
im voraus den bevorstehenden Tod. Das hypomnestische Zeichen hat die beschrie-
bene Eigentümlichkeit; (154) das endeiktische unterscheidet sich von ihm, denn es
läßt keine gleichzeitige Beobachtung mit dem zu, wofür es ein Zeichen ist (denn
das von Natur aus nicht-offenkundige Ding ist prinzipiell nicht wahrnehmbar und
kann deshalb nicht mit einem der erscheinenden Dinge zusammen beobachtet
werden), sondern es zeigt, wie behauptet wird, ganz und gar nur aufgrund seiner
eigenen Natur und Zurichtung, als ob es mit lauter Stimme riefe, das an, wofür es
endeiktisch ist. (155) So zählt ζ. B. die Seele zu den von Natur aus nicht-offenkundi-
gen Dingen, denn sie kann niemals unserer Wahrnehmungsevidenz zugänglich
sein. Bei dieser Beschaffenheit wird sie durch die körperlichen Bewegungen auf
endeiktische Weise angezeigt. Wir schließen nämlich, daß ein dem Körper inne-
wohnendes Vermögen in diesem derartige Bewegungen auslöst.

Wenn sie es durch eine Umschreibung erklären, so sagen sie, (245) daß ein
Zeichen ,eine Aussage ist, die das Prä-Antecedens in einer richtigen Konditional-
aussage bildet und die das Succedens aufdeckt'. Nach ihrer Lehre gibt es viele
verschiedene Entscheidungsgesichtspunkte für eine richtige Konditionalaussage,
aber einen legen sie vor allem zugrunde, allerdings auch diesen nicht übereinstim-
mend, und zwar den im folgenden dargestellten. Jede Konditionalaussage beginnt
nämlich entweder mit Wahrem und endet mit Wahrem, oder sie beginnt mit
Falschem und endet mit Falschem, oder sie führt vom Wahren zum Falschen, oder
vom Falschen zum Wahren. (246) Mit Wahrem beginnt und mit Wahrem endet nun
die folgende Konditionalaussage „Wenn es Götter gibt, dann wird die Welt von der
göttlichen Vorsehung regiert"; von Falschem zu Falschem führt „Wenn die Erde
fliegt, dann hat die Erde Flügel"; von Falschem zu Wahrem führt „Wenn die Erde
fliegt, dann existiert die Erde"; von Wahrem zu Falschem „Wenn dieser sich bewegt,
dann geht dieser umher", vorausgesetzt, dieser bewegt sich zwar, geht aber nicht
umher. (247) Es gibt also bei der Konditionalaussage vier Kombinationen: den Fall,
daß sie mit Wahrem beginnt und mit Wahrem endet, den daß sie von Falschem zu
Falschem führt, den daß sie von Falschem zu Wahrem und den umgekehrten, daß
sie von Wahrem zu Falschem führt. In den ersten drei Fällen ergibt sich, so sagen sie,
eine wahre Konditionalaussage; wenn sie nämlich mit Wahrem beginnt und mit
Wahrem endet, ist sie wahr; wenn sie von Falschem zu Falschem führt, ist sie
wiederum wahr; ebenso, wenn sie von Falschem zu Wahrem führt. Nur in einem
Fall ergibt sich eine falsche Konditionalaussage, wenn sie mit Wahrem beginnt und
mit Falschem endet. (248) Da dies so ist, darf man, wie sie sagen, das Zeichen nicht
in dieser unrichtigen Konditionalaussage suchen, sondern in der richtigen. Denn es
wurde als die Aussage bezeichnet, die das Prä-Antecedens in einer richtigen Kondi-
tionalaussage bildet. Weil es j edoch nicht nur eine richtige Konditionalaussage gab,
sondern deren drei, nämlich diejenige, die mit Wahrem beginnt und mit Wahrem
endet, diejenige, welche von Falschem zu Falschem führt, und schließlich die,
welche von Falschem zu Wahrem führt, so ist zu prüfen, ob das Zeichen in allen
richtigen Konditionalaussagen vorkommen kann oder in einigen oder in einer.
(249) Wenn das Zeichen also wahr sein und zu Wahrem verhelfen muß, dann kann
es weder in der Konditionalaussage vorkommen, die mit Falschem beginnt und mit
Falschem endet, noch in der, die von Falschem zu Wahrem führt. Es bleibt offenbar
Die frühen Stoiker über das Zeichen 315

nur übrig, daß es in der vorkommt, die mit Wahrem beginnt und mit Wahrem
endet, da es selbst existiert und das, wofür es Zeichen ist, mit ihm zusammen
existieren muß. (250) Wenn also gesagt wird, das Zeichen sei eine Aussage, die das
Prä-Antecedens in einer richtigen Konditionalaussage bildet, so ist darunter einzig
das Prä-Antecedens in einer richtigen Konditionalaussage zu verstehen, die mit
Wahrem beginnt und mit Wahrem endet. Freilich ist eine Aussage nicht dann
schon ein Zeichen, wenn sie im Antecedens einer richtigen Konditionalaussage
steht, die mit Wahrem beginnt und mit Wahrem endet. (251) So beginnt nämlich
beispielsweise die folgende Konditionalaussage „Wenn es Tag ist, ist es hell" mit der
wahren Aussage „Es ist Tag" und sie endet mit der wahren Aussage „Es ist hell", sie
enthält aber keine Antecedens-Aussage, die ein Zeichen des Succedens wäre. Denn
die Aussage „Es ist Tag" deckt nicht die Aussage auf „Es ist hell", sondern so wie die
erste von sich aus auffällt, so wird auch die Aussage „Es ist hell" aufgrund ihrer
eigenen Offensichtlichkeit erkannt. (252) Das Zeichen muß also nicht nur ein
Antecedens in einer richtigen Konditionalaussage sein, d. h. in derjenigen, die mit
Wahrem beginnt und mit Wahrem endet, sondern auch eine das Succedens aufdek-
kende Natur haben, wie es beim Antecedens der folgenden Konditionalaussagen
der Fall ist „Wenn diese Frau Milch in ihren Brüsten hat, dann hat sie empfangen"
und „Wenn dieser Mann blutigen Auswurf ausspeit, dann hat er eine Verletzung in
der Lunge". (253) Denn diese Konditionalaussage ist richtig, weil sie mit der wahren
Aussage beginnt „Dieser Mann speit blutigen Auswurf aus" und mit der wahren
Aussage endet „Er hat eine Verletzung in der Lunge", überdies deckt die erste die
zweite auf. Denn wenn wir auf jene achten, verschaffen wir uns eine Kenntnis von
dieser.
(254) Weiterhin, so sagen sie, muß das Zeichen ein gegenwärtiges Zeichen für
etwas Gegenwärtiges sein. Einige wollen nämlich irrtümlicherweise auch ein ge-
genwärtiges Zeichen für Vergangenes einführen, wie im Fall der Aussage „Wenn
dieser eine Narbe hat, dann hatte er eine Wunde". Denn die Aussage „Er hat eine
Narbe" ist gegenwärtig, es Hegt ja vor Augen; daß er eine Wunde hatte, ist dagegen
vergangen, denn die Wunde ist nicht mehr da. Außerdem wollen sie ein gegenwär-
tiges Zeichen für Zukünftiges einführen, wie das in der folgenden Konditionalaus-
sage umschlossene „Wenn dieser Mann am Herzen verletzt ist, dann wird er
sterben". Denn die Verletzung des Herzens, so sagen diese Personen, liegt schon vor,
der Tod dagegen werde erst noch eintreten. (255) Die Vertreter dieser Ansicht
berücksichtigen offenbar nicht, daß Vergangenes und Zukünftiges zwar unter-
schiedlich sind, daß aber freilich das Zeichen und das, wofür es Zeichen ist, auch in
diesen Fällen ein gegenwärtiges Zeichen für etwas Gegenwärtiges ist. Denn im
ersten Fall („Wenn dieser Mann eine Narbe hat, dann hatte er eine Wunde") ist die
Wunde zwar bereits vorbei und vergangen, aber daß dieser Mann eine Wunde hatte,
die aufgestellte Aussage, ist gegenwärtig als Behauptung über etwas Vergangenes.
In dem anderen Fall („Wenn dieser Mann am Herzen verletzt ist, dann wird er
sterben") steht der Tod zwar noch bevor, aber die Aussage, daß dieser Mann sterben
wird, ist gegenwärtig als Behauptung über etwas Zukünftiges, weshalb sie auch
jetzt wahr ist. (256) Folglich ist das Zeichen eine Aussage, weiter ein Prä-Antece-
dens in einer Konditionalaussage, die mit Wahrem beginnt und mit Wahrem endet,
das außerdem das Succedens aufdeckt, und ausnahmslos ist es gegenwärtiges
Zeichen von etwas Gegenwärtigem.
316 Anhang

(b) Die Dialektiker über die Arten der Aussagen (AM 8.93-98;
108-117; 124-128) (FDS 915, 916; 952, 957; 968)
(93) Wenn das Wahre eine Aussage ist, dann ist es j edenfalls entweder eine einfache
Aussage oder eine nicht-einfache oder eine, die einfach und nicht-einfach ist. Denn
die Dialektiker stellen als ersten und wohl wichtigsten Unterschied der Aussagen
den heraus, nach dem die Aussagen teils einfach, teils nicht-einfach sind. Einfach
sind diejenigen Aussagen, die nicht aus einer zweimal angeführten Aussage und
auch nicht aus unterschiedlichen, durch eine oder mehrere Konjunktionen ver-
knüpften Aussagen bestehen, ζ. B. „Es ist Tag", „Es ist Nacht", „Sokrates diskutiert",
und jede Aussage ähnlicher Form. (94) Denn so wie wir den Faden, obwohl er aus
Haaren besteht, einfach nennen, weil er nicht aus Fäden, die gleichartig sind,
gesponnen ist, ebenso nennen wir Aussagen,einfach', weil sie nicht aus Aussagen
bestehen, sondern aus anderen Bestandteilen. Beispielsweise ist „Es ist Tag" ein-
fach, insofern es weder aus derselben zweimal angeführten Aussage noch aus
unterschiedlichen Aussagen besteht, sondern aus anderen Bestandteilen zusam-
mengesetzt ist, etwa aus dem „es ist" und „Tag". Überdies ist darin keine Konjunk-
tion enthalten. (95) Nicht-einfach sind die gleichsam doppelten, d. h. diejenigen
Aussagen, die entweder aus einer zweimal angeführten Aussage oder aus unter-
schiedlichen, durch eine oder mehrere Konjunktionen verknüpften Aussagen be-
stehen, ζ. B. „Wenn es Tag ist, ist es Tag", „Wenn es Tag ist, ist es hell", „Wenn es
Nacht ist, ist es dunkel", „Es ist Tag und es ist hell", „Entweder es ist Tag oder es ist
Nacht". (96) Die einfachen Aussagen unterteilen sich in die definiten, die indefini-
ten und die mittleren. Definit sind diejenigen Aussagen, die entsprechend einem
Zeigevorgang geäußert werden, ζ. B. „Dieser geht", „Dieser sitzt" (denn ich zeige
hiermit auf einen einzelnen Menschen); (97) indefinit sind nach ihnen jene Aussa-
gen, die von einer Indefinitpartikel regiert werden, ζ. B. „Irgendeiner sitzt" mittlere
diejenigen, die folgendermaßen aussehen: „Ein Mensch sitzt" oder „Sokrates geht
umher". „Irgendeiner geht umher" ist nun indefinit, weil es nicht irgendeinen aus
der Menge der gehenden Personen heraushebt. Denn es kann unterschiedslos mit
Bezug auf jeden von ihnen geäußert werden. Dagegen ist „Dieser sitzt" definit, weil
es nämlich die gezeigte Person heraushebt. „Sokrates sitzt" ist dagegen eine mittlere
Aussage, da sie weder indefinit ist (denn sie hebt die Art heraus), noch definit (denn
sie wird nicht mit einem Zeigevorgang geäußert), sondern scheint in der Mitte
zwischen diesen beiden zu hegen, zwischen der indefiniten und der definiten
Aussage. (98) Sie sagen, daß die indefinite Aussage „Irgendeiner geht umher" oder
„Irgendeiner sitzt" dann wahr wird, wenn die definite Aussage sich als wahr er-
weist, „Dieser sitzt" oder „Dieser geht umher". Denn wenn keiner von den einzel-
nen Menschen sitzt, kann die indefinite Aussage „Irgendeiner sitzt" nicht wahr
sein.

(108) Nachdem wir die bei den Dialektikern übliche Reglementierung der einfa-
chen Aussagen in gewissem Umfang untersucht haben, sollten wir auch zu ihrer
Reglementierung der nicht-einfachen weitergehen. Nicht-einfach sind die oben
bereits erwähnten Aussagen, nämlich diejenigen, die aus einer doppelt gesetzten
Aussage oder aus verschiedenen Aussagen bestehen und in denen eine oder meh-
rere Konjunktionen regieren. (109) Aus diesen soll für jetzt die sogenannte Kondi-
Die Dialektiker über die Arten der Aussagen 317

tionalaussage herausgegriffen werden. Sie ist nun durch die Konjunktion ; wenn'
oder ; falls' aus einer doppelt gesetzten oder aus verschiedenen Aussagen zusam-
mengesetzt; so ist ζ. B. folgende Konditionalaussage aus einer doppelt gesetzten
Aussage und der Konjunktion ,wenn' zusammengesetzt: „Wenn es Tag ist, ist es
Tag", (110) aus verschiedenen Aussagen und der Konjunktion ,falls' dagegen die
folgende: „Falls es Tag ist, ist es hell". Von den in der Konditionalaussage enthalte-
nen Aussagen heißt diejenige, die zur Konjunktion ,wenn' oder ,falls' gehört,
,Antecedens' oder ,Erstes', die andere ,Succedens' oder ,Zweites', und zwar auch
dann, wenn die gesamte Konditionalaussage in umgekehrter Ordnung geäußert
wird, etwa „Es ist hell, falls es Tag ist". Denn auch in dieser Konditionalaussage
heißt die Aussage „Es ist hell", obwohl sie als erste geäußert wird, das ,Succedens',
und die Aussage „Es ist Tag", obwohl sie als zweite auftritt,,Antecedens', weil sie
zur Konjunktion,falls' gehört. (111) Solcherart ist also, kurz zusammengefaßt, die
Konstruktion der Konditionalaussage. Eine Aussage dieser Art scheint auszudrük-
ken, daß ihr Zweites aus ihrem Ersten folgt und daß bei Zutreffen des Antecedens
das Succedens der Fall sein muß. Sodaß, wenn der ausgedrückte Sachverhalt der
Fall ist, d. h. wenn das Succedens aus dem Antecedens folgt, die Konditionalaus-
sage wahr ist, wenn der Sachverhalt nicht der Fall ist, dagegen falsch. (112) Nehmen
wir dies also als Ausgangspunkt und untersuchen, ob eine wahre Konditionalaus-
sage, d. h. eine, die den erwähnten Sachverhalt tatsächlich zum Ausdruck bringt,
gefunden werden kann.
Alle Dialektiker behaupten nämlich übereinstimmend, eine Konditionalaussage
sei richtig, wenn ihr Succedens aus ihrem Antecedens folgt. Aber über die Frage,
wann es folgt und auf welche Weise, darüber liegen sie miteinander im Streit und
stellen widersprüchliche Kriterien für dieses Folgen auf. (113) Philon beispielsweise
sagt, daß die Konditionalaussage wahr wird, wenn sie nicht mit Wahrem beginnt
und mit Falschem endet, sodaß nach seiner Ansicht die Konditionalaussage auf
dreierlei Weise wahr wird und auf eine falsch. Denn wenn sie mit Wahrem beginnt
und mit Wahrem endet, ist sie wahr, wie etwa „Wenn es Tag ist, ist es hell". Und
wenn sie mit Falschem beginnt und mit Falschem endet, ist sie abermals wahr, wie
etwa „Wenn die Erde fliegt, dann hat die Erde Flügel". (114) Ebenso ist sie wahr,
wenn sie mit Falschem beginnt und mit Wahrem endet, wie etwa „Wenn die Erde
fliegt, existiert die Erde". Einzig dann wird sie falsch, wenn sie mit Wahrem beginnt
und mit Falschem endet, wie ζ. B. „Wenn es Tag ist, ist es Nacht". Denn bei Tage ist
„Es ist Tag" wahr, das aber war das Antecedens, dagegen ist „Es ist Nacht" falsch, das
aber war das Succedens.
(115) Diodor dagegen sagt, daß die Konditionalaussage wahr ist, bei der es weder
möglich war noch möglich ist, daß sie mit Wahrem beginnt und mit Falschem
endet, was der These Philons widerspricht. Denn folgende Konditionalaussage
„Wenn es Tag ist, diskutiere ich" ist, wenn es gegenwärtig Tag ist und ich diskutiere,
nach Philon wahr, da sie mit der wahren Aussage „Es ist Tag" beginnt und mit der
wahren Aussage „ich diskutiere" endet; nach Diodor ist sie jedoch falsch. Denn es
ist möglich, daß sie irgendwann mit der wahren Aussage „Es ist Tag" beginnt und
mit der falschen Aussage „Ich diskutiere" endet, weil ich aufgehört habe zu disku-
tieren. Und es war möglich, daß sie mit Wahrem beginnt und mit Falschem, der
Aussage „Ich diskutiere", endet, (116) denn bevor ich zu diskutieren begonnen
hatte, begann diese Aussage mit der wahren Aussage „Es ist Tag" und endete mit der
318 Anhang

falschen „Ich diskutiere". Umgekehrt ist folgende Konditionalaussage „Wenn es


Nacht ist, diskutiere ich" für den Fall, daß es Tag ist und ich schweige, nach Philon
ebenfalls wahr, denn sie beginnt mit Falschem und endet mit Falschem, nach
Diodor jedoch falsch. Denn es ist möglich, daß sie mit Wahrem beginnen und mit
Falschem enden wird, sobald es Nacht geworden ist und ich wiederum nicht
diskutiere, sondern aufgehört habe zu diskutieren. (117) Überdies ist sogar die
Konditionalaussage „Wenn es Nacht ist, ist es Tag" nach Philon bei Tage deshalb
wahr, weil sie mit der falschen Aussage „Es ist Nacht" beginnt und mit der wahren
Aussage „Es ist Tag" endet; nach Diodor ist sie deshalb falsch, weil es möglich ist,
nämlich nach Einbruch der Nacht, daß sie mit der wahren Aussage „Es ist Nacht"
beginnt und mit der falschen „Es ist Tag" endet.

(124) Von diesen Überlegungen aus können wir übergehen zu den Konjunktionen,
den Disjunktionen und allgemein zu den übrigen Arten der nicht-einfachen Aus-
sagen. Die Konjunktion muß nämlich entweder aus einfachen oder aus nicht-
einfachen oder aus gemischten Aussagen zusammengesetzt sein; all diese Aussa-
gen sind Zweifeln ausgesetzt, da die einfachen Aussagen vorher schon Zweifeln
ausgesetzt waren. (125) Außerdem, wenn sie sagen, daß eine richtige konjunktive
Aussage diejenige ist, in der alle Teilaussagen wahr sind, ζ. B. „Es ist Tag und es ist
hell", falsch diejenige, in der eine Teilaussage falsch ist, so führen sie abermals eine
Reglementierung nur für sich selber ein. Folgerichtig wäre es nämlich, daß, wenn
die nur aus wahren Teilaussagen bestehende Konjunktion wahr ist, falsch dann
auch die nur aus falschen Teilaussagen bestehende Konjunktion ist, die aus fal-
schen und wahren Teilaussagen bestehende dagegen um nichts mehr wahr wäre als
falsch. (126) Wenn es ihnen nämlich erlaubt ist, nach Beheben Reglementierungen
zu treffen und nach ihren Entschlüssen Anordnungen über die Dinge zu erlassen,
dann müssen wir zwar konzedieren, daß bei ihnen eine Konjunktion mit einer
falschen Teilaussage falsch genannt wird; aber anderen ist es dann ebenso erlaubt,
anderslautende Anordnungen zu erlassen und eine Konjunktion mit mehreren
wahren, aber nur einer falschen Aussage als wahr zu bezeichnen. (127) Wenn man
aber die Natur der Dinge zu beachten hat, dann ist es nur folgerichtig zu sagen, daß
eine Konjunktion, die wahre ebenso wie falsche Teilaussagen enthält, um nichts
mehr wahr wäre als falsch. Denn ganz so wie das aus Weiß und Schwarz Gemischte
nicht mehr weiß ist als schwarz (denn das Weiße war weiß und das Schwarze
schwarz), so ergibt sich auch, daß nur das Wahre wahr und nur das Falsche falsch
ist, das aus beiden Zusammengesetzte ist dagegen um nichts mehr wahr als falsch
zu nennen. (128) Aber, so sagen sie, wie wir auch im täglichen Leben ein Kleidungs-
stück, das an den meisten Stellen heil, aber an einer zerrissen ist, nicht nach der
Mehrzahl der heilen Stellen heil nennen, sondern aufgrund der kleinen zerrissenen
Stelle zerrissen, so muß man auch die Konjunktion, auch wenn sie nur eine falsche
Teilaussage bei einer Mehrzahl von wahren enthält, nach der einen falschen be-
nennen.
Die Dialektiker über die Arten der Fehlschlüsse 319

(c) Dialektiker und Stoiker über das Kntenum der richtigen


Konditionalaussage (PH 2.110-111) (FDS 958)

(110) Philon nämlich erklärt, daß die richtige Konditionalaussage diejenige ist, die
nicht mit Wahrem beginnt und mit Falschem endet, beispielsweise wenn es Tag ist
und ich diskutiere, die Aussage „Wenn es Tag ist, diskutiere ich"; Diodor dagegen
sagt, daß es die ist, bei der es weder möglich war noch möglich ist, daß sie mit
Wahrem beginnt und mit Falschem endet. Nach ihm scheint die angeführte Kondi-
tionalaussage falsch zu sein, da sie, wenn es Tag ist und ich schweige, mit Wahrem
beginnen und mit Falschem enden wird, (111) j ene dagegen wahr „Wenn es teillose
Elemente des Seienden nicht gibt, dann gibt es teillose Elemente des Seienden".
Denn nach Diodor beginnt sie immer mit der falschen Aussage „Teillose Elemente
des Seienden gibt es nicht" und wird mit der wahren Aussage enden: „Es gibt
teillose Elemente des Seienden". Diejenigen, welche den Zusammenhang' einfüh-
ren, erklären dagegen, eine Konditionalaussage sei richtig, wenn das kontradiktori-
sche Gegenteil ihres Succedens mit ihrem Antecedens unverträglich ist. Nach den
Vertretern dieser Theorie werden die angeführten Konditionalaussagen unrichtig
sein, jene dagegen richtig „Wenn es Tag ist, ist es Tag". (...)

(d) Die Dialektiker über die Arten der Fehlschlüsse (PH 2.146-150)
(FDS 1111)

(146) Nun sagen die Dialektiker, daß ein nicht-schlüssiges Argument sich entweder
durch Zusammenhanglosigkeit oder durch Auslassung oder durch Ableitung nach
einer unrichtigen Form oder aufgrund eines Überschusses ergibt. So etwa durch
Zusammenhanglosigkeit, wenn die Prämissen kein Folgeverhältnis untereinander
und zur Konklusion haben, wie das folgende Argument: „Wenn es Tag ist, ist es
hell. Nun wird Weizen auf dem Markt verkauft. Also geht Dion umher." (147)
Durch Uberschuß, wenn sich eine zur Ableitung des Argumentes überschüssige
Prämisse findet, ζ. B. „Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es Tag und Dion geht
umher. Also ist es hell." Durch die Ableitung in einer unrichtigen Form, wenn die
Form des Argumentes nicht schlüssig ist; schlüssig1 sind, wie sie sagen, etwa
folgende Argumente: „Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es Tag. Also ist es hell."
„Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es nicht hell. Also ist es nicht Tag." Nicht-
schlüssig ist dagegen folgendes Argument: „Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es
hell. Also ist es Tag." (148) Denn da die Konditionalaussage zum Ausdruck bringt,
daß, wenn ihr Antecedens der Fall ist, auch das Succedens der Fall ist, so wird ganz
natürlich nach der zusätzlichen Annahme des Antecedens auch das Succedens
abgeleitet, und bei der Aufhebung des Succedens auch das Antecedens aufgeho-

1
Ich lese hier, abweichend vom Text in FDS (fr. 1111) und Mutschmann/Mau,
wo für das συλλογισμών der Hss. συλλογιστικών konjiziert wird, συνακτικών. Vgl. dazu
oben S. 133 Anm. 3.
320 Anhang

ben. Wenn nämlich das Antecedens der Fall wäre, dann wäre auch das Succedens
der Fall. Mit der zusätzlichen Annahme des Succedens wird dagegen nicht allge-
mein auch das Antecedens gesetzt. Denn die Konditionalaussage stellte nicht in
Aussicht, daß das Antecedens aus dem Succedens folgt, sondern daß nur das
Succedens aus dem Antecedens folgt. (149) Deshalb wird also das Argument,
welches aus der Konditionalaussage und dem Antecedens das Succedens ableitet,
schlüssig genannt, und ebenso jenes, welches aus der Konditionalaussage und dem
kontradiktorischen Gegenteil des Succedens das kontradiktorische Gegenteil des
Antecedens ableitet. Das Argument aber, das aus der Konditionalaussage und dem
Succedens das Antecedens ableitet, wie unser obiges Beispiel, heißt nicht-schlüssig,
weshalb es, auch wenn seine Prämissen wahr sind, etwas Falsches ableitet, wenn es
etwa nachts bei Lampenlicht geäußert wird. Denn die Konditionalaussage „Wenn
es Tag ist, ist es hell" ist wahr, und ebenso die zweite Prämisse „Nun ist es hell", doch
die Konklusion „Also ist es Tag" ist falsch. (150) Auf Grund einer Auslassung aber
ist ein Argument unrichtig, in dem etwas von dem, was zur Ableitung der Konklu-
sion dienlich ist, ausgelassen ist. So sind sie der Meinung, daß während beispiels-
weise folgendes Argument richtig sei „Entweder ist der Reichtum gut oder schlecht
oder indifferent. Er ist aber weder schlecht noch indifferent. Also ist er gut.", das
folgende durch Auslassung unrichtig ist: „Entweder ist der Reichtum gut oder
schlecht. Er ist aber nicht schlecht. Also ist er gut."

(e) Die Stoiker über die Arten der Fehlschlüsse (AM 8.429-435)
(FDS 1110)

(429) Sie sagen also, das nicht-schlüssige Argument ergebe sich auf vierfache Art
und Weise, entweder aufgrund der Zusammenhanglosigkeit oder aufgrund eines
Überschusses oder aufgrund der Ableitung nach einer unrichtigen Form oder
aufgrund von Auslassung. (430) Aufgrund der Zusammenhanglosigkeit ergibt es
sich aber, wenn die Prämissen keine Gemeinschaft und keinen Zusammenhang
weder untereinander noch mit der Konklusion haben, wie beispielsweise bei fol-
gendem Argument: „Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun wird Weizen auf dem Markt
verkauft. Also ist es hell." Denn wir sehen, daß in diesem Fall weder die Aussage
„Wenn es Tag ist, ist es hell" zu der Aussage „Auf dem Markt wird Weizen verkauft"
in irgendeiner Übereinstimmung und Verknüpfung steht noch auch eine dieser
beiden zu der Aussage „Also ist es hell", sondern daß jede zusammenhanglos
neben den anderen steht. (431) Ein durch Überschuß nicht-schlüssiges Argument
ergibt sich, wenn zu den Prämissen etwas von außerhalb und überflüssigerweise
hinzugenommen wird, wie etwa bei folgendem Argument: „Wenn es Tag ist, ist es
hell. Nun ist es Tag. Außerdem ist die Tugend nützlich. Also ist es hell." Daß die
Tugend nützlich ist, wird hier nämlich überflüssigerweise zusammen mit den
übrigen Prämissen angenommen, während es doch möglich ist, nach Entfernung
dieser Aussage aus den übrigbleibenden Prämissen, nämlich „Wenn es Tag ist, ist es
hell" und „Nun ist es Tag" die Konklusion, nämlich „Also ist es hell" abzuleiten.
(432) Ein aufgrund der Ableitung nach einer unrichtigen Form nicht-schlüssiges
Die Dialektiker über die Arten der Trugschlüsse 321

Argument ergibt sich, wenn es in einer Form schließt, die außerhalb der richtigen
Formen behandelt worden ist. So ist beispielsweise die folgende Form richtig:
„Wenn das Erste, dann das Zweite. Nun das Erste. Also das Zweite." (433) Weiter ist
eine richtige Form: „Wenn das Erste, dann das Zweite. Nun aber nicht das Zweite.
Also nicht das Erste." Dagegen sagen wir, daß ein Argument, welches folgende
Form benutzt: „Wenn das Erste, dann das Zweite. Nun aber nicht das Erste. Also
nicht das Zweite.", nicht-schlüssig ist, nicht jedoch, weil es unmöglich ist, in dieser
Form ein Argument zu bilden, das aus wahren Aussagen eine wahre ableitet (das ist
nämlich durchaus möglich, wie das folgende Beispiel zeigt: „Wenn 3 = 4 ist, dann ist
6 = 8. Aber es ist nicht 3=4. Also nicht 6 = 8."), sondern weil es möglich ist, in dieser
Form bestimmte unrichtige Argumente zu bilden, etwa auch das folgende: „Wenn
es Tag ist, ist es hell. Nun ist es aber nicht Tag. Also ist es nicht hell." (434) Ein
aufgrund einer Auslassung nicht-schlüssiges Argument ergibt sich, wenn eine der
erschließenden Prämissen ausgelassen ist, etwa „Entweder ist der Reichtum
schlecht oder der Reichtum ist gut. Nun ist es aber nicht der Fall, daß der Reichtum
schlecht ist. Also ist der Reichtum gut." In der Disjunktion ist nämlich der Fall
ausgelassen, daß der Reichtum indifferent ist. Daher hätte die richtige Ableitung
eher wie folgt zu lauten: „Der Reichtum ist entweder gut oder schlecht oder
indifferent. Der Reichtum ist weder gut noch schlecht. Also ist er indifferent." (435)
Von dieser Art ist der bei den Stoikern vorhegende Regelapparat...

(f) Die Dialektiker über die Arten der Trugschlüsse (PH 2.229-235)
(FDS 1200)

(229) Es ist vielleicht nicht unsinnig, auch kurz zu dem Lehrstück über die Trug-
schlüsse etwas zu sagen, weil die Dialektik auch für deren Auflösung, wie jeden-
falls die Lobredner der Dialektik behaupten, notwendig ist. Denn wenn die Dialek-
tik, wie sie sagen, die wahren und falschen Argumente unterscheiden kann, und
auch die Trugschlüsse falsche Argumente sind, dann muß sie wohl auch diese
aussondern können, welche die Wahrheit durch den Anschein von Plausibilität
zunichte machen. Daher kommen die Dialektiker gleichsam dem wankenden
Leben zu Hilfe und versuchen mit allem Eifer, uns Begriff, Unterschiede und
Auflösungen der Trugschlüsse beizubringen. Sie erklären, ein Trugschluß sei ein
Argument, das plausibel und trügerisch ist, sodaß es zur Annahme der Konklusion
führt, die entweder falsch oder einer falschen ähnlich oder nicht-offenkundig oder
sonst nicht annehmbar ist. (230) Falsch ist sie beispielsweise bei folgendem Trug-
schluß: „Niemand gibt jemandem ein Prädikat zu trinken. Wermut zu trinken ist
ein Prädikat. Also gibt niemand jemandem Wermut zu trinken." Einer falschen
ähnlich ist sie in folgendem Fall: „Was weder möglich war noch möglich ist, das ist
nicht absurd. Nun war weder möglich noch ist möglich ,Der Arzt, insofern er Arzt
ist, tötet'. Also ist ,Der Arzt, insofern er Arzt ist, tötet.' nicht absurd." (231) Die
Konklusion ist nicht-offenkundig in folgendem Beispiel: „Es ist nicht der Fall, daß
ich dir zuerst eine Frage gestellt habe und daß die Zahl der Sterne nicht gerade ist.
Nun habe ich dir zuerst eine Frage gestellt. Also ist die Zahl der Sterne gerade."
Weiter ist auf andere Weise unannehmbar die Konklusion ζ. B. bei den sogenann-
322 Anhang

ten solözistischen Argumenten, etwa: „Was du ansiehst, existiert. Du siehst einen


Wahnsinnigen an. Also existiert einen Wahnsinnigen." „Was du siehst, existiert.
Du siehst einen entzündeten Fleck. Also existiert einen entzündeten Fleck." (232)
Des weiteren machen sie sich daran, auch Auflösungen dieser Trugschlüsse zu
geben. Im Fall des ersten Trugschlusses behaupten sie, daß aufgrund der Prämissen
etwas anderes zugestanden wurde als das, was dann als Konklusion gefolgert
wurde. Zugestanden wurde nämlich, daß man ein Prädikat nicht trinken könne
und daß,Wermut zu trinken' ein Prädikat sei, nicht aber der Wermut selbst. Daher
müsse die Konklusion lauten: „Also trinkt niemand das Wermut zu trinken", was
zutreffend ist, gefolgert wurde dagegen „Also trinkt niemand Wermut", was falsch
ist und aus den zugestandenen Prämissen nicht zu erschließen. (233) Im zweiten
Beispiel scheine zwar etwas Falsches abgeleitet zu werden, sodaß die Unwissenden
mit ihrer Zustimmung zögern, gefolgert werde aber etwas Wahres, nämlich „Also
ist ,Der Arzt, insofern er Arzt ist, tötet/ nicht absurd". Denn keine Aussage ist
absurd, ,Der Arzt, insofern er Arzt ist, tötet' ist aber eine Aussage, und auch sie ist
daher nicht absurd. (234) Die Ableitung der nicht-offenkundigen Konklusion sei,
so sagen sie, ein Fall der umschlagenden Argumente. Da nämlich nicht zuerst eine
Frage gestellt worden ist - so die Voraussetzung ist die Verneinung der Konjunk-
tion wahr, weil die Konjunktion wegen der in ihr auftretenden falschen Aussage
,Ich habe dir zuerst eine Frage gestellt' falsch ist. Nachdem aber die Verneinung der
Konjunktion als Frage gestellt worden ist, wird die zweite Prämisse wahr, nämlich
,Ich habe dir zuerst eine Frage gestellt', weil nämlich vor der zweiten Prämisse die
Verneinung der Konklusion als Frage gestellt worden ist. Daraufhin wird die Prä-
misse mit der Verneinung der Konjunktion falsch, weil das in der Konjunktion
enthaltene falsche Konjunkt nunmehr wahr ist. Somit läßt sich die Konklusion
nicht ableiten, da die Verneinung der Konjunktion und die zweite Prämisse nicht
zusammen wahr sein können. (235) Was die letzten Trugschlüsse, die solözisti-
schen Argumente angeht, so sagen einige, daß sie absurderweise im Gegensatz zum
normalen Sprachgebrauch (ihre Konklusion) herleiten. -
Derartige Lehren über die Trugschlüsse vertreten einige Dialektiker (andere
nämlich lehren anderes). Die Ohren der weniger Urteilsfähigen mag das vielleicht
kitzeln, es ist aber überflüssig und ihre Anstrengungen sind vergeblich. Das läßt
sich vielleicht auch schon aus den bisherigen Ausführungen entnehmen. Denn wir
haben nachgewiesen, daß sich nach den Dialektikern das Wahre und das Falsche
nicht erkennen läßt, und dies auf vielerlei Weise, insbesondere aber durch die
Verwerfung ihrer Belege für die Fähigkeit logischen Schließens: des Beweises und
der unbeweisbaren Argumente.

(g) Die frühen Stoiker über den Beweis

(i) (AM 8.301-314) (FDS 1039, 1059, 1066)

(301) Der Beweis ist seiner Gattung nach ein Argument. Er ist nämlich gewiß keine
wahrnehmbare Sache, sondern eine Art Bewegung und Zustimmung des Ver-
standes, und das sind rationale Dinge. Ein Argument ist, vereinfacht gesagt, das aus
Die frühen Stoiker über den Beweis 323

Prämissen und Konklusion Zusammengesetzte. (302) Prämissen nennen wir nicht


irgendwelche Thesen, die wir uns zusammenstehlen, sondern solche, die der Dia-
logpartner wegen ihres einleuchtenden Charakters zugibt und einräumt. Eine Kon-
klusion ist die aufgrund dieser Prämissen aufgestellte Folgerung. So ist ζ. B. der
gesamte folgende Komplex ein Argument: „Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es
aber Tag. Also ist es hell." Seine Prämissen sind: „Wenn es Tag ist, ist es hell" und
„Nun ist es aber Tag", die Konklusion ist „Also ist es hell."
(303) Von den Argumenten sind die einen schlüssig, die anderen nicht; und
schlüssig sind diejenigen, bei denen, wenn das Zutreffen der Prämissen zugestan-
den ist, aufgrund des Zugeständnisses dieser Aussagen auch die Konklusion zu
folgen scheint, wie es im eben angeführten Beispiel der Fall war. Denn da es aus der
Konditionalaussage „Wenn es Tag ist, ist es hell" besteht - und die besagt, daß bei
Wahrheit des Antecedens auch das Succedens wahr sein muß - (304) sowie weiter
aus „Es ist Tag", was das Antecedens der Konditionalaussage war, so sage ich, daß
bei zugegebener Wahrheit der Konditionalaussage, womit also das Succedens
dieser Aussage aus ihrem Antecedens folgt, und weiter bei zugegebener Wahrheit
des Antecedens, nämlich „Es ist Tag", aufgrund des Zutreffens dieser Aussagen
notwendigerweise auch das Succedens gefolgert werden muß, d. h. „Es ist hell", und
das war die Konklusion. (305) Solcherart also sind ihrem Charakter nach die
schlüssigen Argumente, die nicht-schlüssigen sind diejenigen, bei denen es sich
nicht so verhält. - Von den schlüssigen erschließen die einen etwas Offenkundiges,
die anderen etwas Nicht-Offenkundiges, und etwas Offenkundiges, wie etwa das
folgende Argument, das so lautet: „Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es aber Tag.
Also ist es hell." Denn „Es ist hell" ist in gleicher Weise offensichtlich wie „Es ist
Tag". Und ebenso bei folgendem Argument: „Wenn Dion umhergeht, bewegt sich
Dion. Dion geht umher. Also bewegt sich Dion." Denn „Dion bewegt sich", was die
Konklusion darstellt, gehört zu dem, was auf der Hand liegt. (306) Etwas Nicht-
Offenkundiges erschließt das folgende Argument: „Wenn Schweiß durch die Kör-
peroberfläche austritt, dann gibt es im Fleisch unsichtbare Poren. Nun aber das
Erste. Also das Zweite." Denn die Existenz von Poren im Fleisch gehört zu den
nicht-offenkundigen Dingen. Und ebenso folgendes: „An wessen Abscheidung aus
dem Körper die Menschen sterben, das ist die Seele. An der Abscheidung des Blutes
aus dem Körper sterben die Menschen. Das Blut ist also die Seele." Denn es ist nicht
klar, daß die Seele ihre Subsistenz im Blut hat. (307) Von diesen Argumenten, die
etwas Nicht-Offenkundiges erschließen, bringen uns die einen lediglich auf unter-
suchende Weise von den Prämissen zur Konklusion, die anderen untersuchend
und zugleich aufdeckend. (308) Die lediglich untersuchenden Argumente schei-
nen von Vertrauen und Gedächtnis abzuhängen, wie ζ. B. das folgende: „Wenn
einer der Götter dir gesagt hat, daß dieser reich sein wird, so wird dieser reich sein.
Nun hat dieser Gott hier (einmal angenommen, ich zeige auf Zeus) dir gesagt, daß
dieser reich sein wird. Also wird dieser reich sein." Denn hier nehmen wir die
Konklusion, daß dieser reich sein wird, nicht als auf die Kraft des vorgebrachten
Argumentes gegründet an, sondern aufgrund unseres Vertrauens in die Äußerung
des Gottes. (309) Sowohl auf untersuchende wie auf aufdeckende Weise von den
Prämissen zur Konklusion führt uns dagegen ein Argument wie das, welches von
den unsichtbaren Poren handelte. Denn die Prämissen „Wenn Schweiß durch die
Körperoberfläche austritt, dann gibt es im Fleisch unsichtbare Poren" und „Schweiß
324 Anhang

tritt durch die Körperoberfläche aus" lehren uns aufgrund ihrer eigenen Natur zu
folgern, daß unsichtbare Poren existieren, etwa aufgrund folgender Methode:
„Durch einen dichten, nicht porösen Körper kann unmöglich etwas Flüssiges
austreten. Aber Schweiß tritt durch den Körper aus. Somit ist der Körper nicht
dicht, sondern porös."
(310) Da dies so ist, muß der Beweis in erster Linie ein Argument sein, zweitens
schlüssig, drittens auch wahr, viertens muß er auch eine nicht-offenkundige Kon-
klusion haben, fünftens muß diese auch aufgrund der Kraft der Prämissen aufge-
deckt werden. (311) So ist bei Tage das folgende Argument: „Wenn es Nacht ist, ist
es dunkel. Nun ist aber Nacht. Also ist es dunkel." zwar schlüssig (denn wenn seine
Prämissen zugestanden werden, läßt sich auch seine Konklusion als zutreffend
folgern), aber es ist nicht wahr, denn es gab in ihm eine falsche Prämisse: „Es ist
Nacht." Daher ist es auch nicht beweisend. (312) Umgekehrt ist ein Argument wie
das folgende: „Wenn es Tag ist, ist es hell. Es ist Tag. Also ist es hell." über das
Schlüssig-Sein hinaus auch wahr, da, wenn die Prämissen zugestanden werden,
auch die Konklusion zugestanden ist, und da es aufgrund wahrer Prämissen etwas
Wahres zeigt. Ein Argument dieser Art ist wiederum kein Beweis, weil seine Kon-
klusion „Es ist hell" offenkundig ist, nicht aber nicht-offenkundig. (313) Entspre-
chend hat auch folgendes Argument: „Wenn einer der Götter dir gesagt hat, daß
dieser reich sein wird, so wird dieser reich sein. Nun hat dieser Gott hier dir gesagt,
daß dieser reich sein wird. Also wird dieser reich sein." eine nicht-offenkundige
Konklusion, nämlich daß dieser reich sein wird, ist aber nicht beweisend, weil es
nicht aufgrund der Kraft der Prämissen etwas aufdeckt, sondern aufgrund des
Vertrauens auf den Gott angenommen wird. (314) Wenn nun alle diese Dinge
zusammenkommen, das Argument also schlüssig ist und wahr und etwas Nicht-
Offenkundiges darstellend, kommt ein Beweis zustande. Daher umschreiben sie
den Beweis auch so: „Ein Beweis ist ein Argument, das aufgrund übereinstimmend
angenommener Prämissen gemäß einer Schlußfolgerung eine nicht-offenkundige
Konklusion aufdeckt." Wie etwa das folgende „Wenn es Bewegung gibt, dann gibt
es Leeres. Nun gibt es aber Bewegung. Also gibt es Leeres." Denn daß es Leeres gibt,
ist etwas Nicht-Offenkundiges, und es scheint aufgrund wahrer Prämissen, näm-
lich „Wenn es Bewegung gibt, dann gibt es Leeres" und „Es gibt Bewegung", gemäß
einer Schlußfolgerung aufgedeckt zu werden.

(ii) (PH 2.135-143) (FDS 1038, 1058, 1064)

(135) Ein Beweis ist, wie sie erklären, ein Argument, das aufgrund übereinstim-
mend angenommener Prämissen gemäß einer Schlußfolgerung eine nicht-offen-
kundige Konklusion aufdeckt. Was sie meinen, wird durch folgende Erläuterungen
klarer werden: Ein Argument ist ein System aus Prämissen und Konklusion. (136)
Dessen Prämissen, so wird erklärt, sind die zur Aufstellung der Konklusion über-
einstimmend angenommenen Aussagen, die Konklusion ist die aufgrund der Prä-
missen aufgestellte Aussage. So ist ζ. B. in diesem Argument: „Wenn es Tag ist, ist
es hell. Nun ist es aber Tag. Also ist es hell." die Aussage „Also ist es hell" die
Konklusion, die übrigen sind die Prämissen. (137) Von den Argumenten sind die
Die frühen Stoiker über den Beweis 325

einen schlüssig, die anderen nicht-schlüssig. Schlüssig sind sie, wenn die Konditio-
nalaussage richtig ist, die mit der aus den Prämissen des Argumentes gebildeten
Konjunktion beginnt und mit der Konklusion des Argumentes endet; so ist bei-
spielsweise das gerade angeführte Argument schlüssig, da der aus seinen Prämissen
gebildeten Konjunktion „Es ist Tag, und wenn es Tag ist, ist es hell." die Aussage „Es
ist hell." in dieser Konditionalaussage folgt: „Wenn es Tag ist und es gilt: wenn es
Tag ist, ist es hell, so ist es hell." Nicht-schlüssig dagegen sind die Argumente, bei
denen es sich nicht so verhält.
(138) Von den schlüssigen Argumenten sind die einen wahr, die anderen nicht-
wahr. Wahr sind sie, wenn nicht nur, wie gerade gesagt, die aus der Konjunktion der
Prämissen und der Konklusion gebildete Konditionalaussage richtig ist, sondern
auch die Konklusion und die Konjunktion ihrer Prämissen, d. h. das Antecedens in
der Konditionalaussage, wahr ist. Wahr aber ist eine Konjunktion, deren Teilaussa-
gen alle wahr sind, wie „Es ist Tag, und wenn es Tag ist, ist es hell." (139) Nicht-wahr
sind die, bei denen es sich nicht so verhält. Denn ein Argument wie das folgende:
„Wenn es Nacht ist, ist es dunkel. Nun ist es aber Nacht. Also ist es dunkel." ist zwar
schlüssig, weil die Konditionalaussage „Wenn es Nacht ist und: wenn es Nacht ist,
ist es dunkel, so ist es dunkel." richtig ist, wahr ist es aber nicht. Denn die Konjunk-
tion im Antecedens, nämlich „Es ist Nacht, und wenn es Nacht ist, ist es dunkel." ist
falsch, weil sie die falsche Aussage enthält „Es ist Nacht." Denn eine Konjunktion,
die eine falsche Aussage enthält, ist falsch. Daher sagen sie auch, ein Argument sei
wahr, wenn es aus wahren Prämissen eine wahre Konklusion ableitet. (140) Von
den wahren Argumenten sind die einen beweisend, die anderen nicht beweisend.
Und beweisend sind die, welche aus offenkundigen Prämissen etwas Nicht-Offen-
kundiges ableiten. Nicht-beweisend sind die, welche nicht von dieser Art sind. So
ist beispielsweise das folgende Argument „Wenn Schweiß durch die Körperober-
fläche austritt, dann gibt es unsichtbare Poren. Nun tritt aber Schweiß durch die
Körperoberfläche aus. Also gibt es unsichtbare Poren." beweisend; seine Konklu-
sion „Also gibt es unsichtbare Poren." ist nicht-offenkundig. (141) Von den Argu-
menten, die etwas Nicht-Offenkundiges erschließen, bringen uns die einen ledig-
lich auf untersuchende Weise aufgrund der Prämissen zur Konklusion, die anderen
untersuchend und zugleich aufdeckend. Auf untersuchende Weise bringen uns
beispielsweise die Argumente zur Konklusion, die von Vertrauen und Gedächtnis
abzuhängen scheinen; von dieser Art ist etwa das folgende Argument: „Wenn einer
der Götter dir gesagt hat, daß dieser reich sein wird, so wird dieser reich sein. Nun
hat dieser Gott hier (einmal angenommen, ich zeige auf Zeus) dir gesagt, daß dieser
reich sein wird. Also wird dieser reich sein." Denn wir stimmen der Konklusion
nicht so sehr wegen der Notwendigkeit der Prämissen zu, sondern eher, weil wir der
Äußerung des Gottes vertrauen. (142) Die anderen Argumente bringen uns nicht
lediglich untersuchend, sondern auch aufdeckend zur Konklusion, wie das fol-
gende: „Wenn Schweiß durch die Körperoberfläche austritt, dann gibt es unsicht-
bare Poren. Nun aber das Erste. Also das Zweite." Denn das Austreten des
Schweißes deckt die Existenz der Poren auf, da vorweg angenommen ist, daß durch
einen festen Körper eine Flüssigkeit nicht passieren kann.
(143) Demnach muß der Beweis ein Argument sein und schlüssig sein und wahr
sein und eine nicht-offenkundige Konklusion haben, die durch die Kraft der
Prämissen aufgedeckt wird. Und deshalb wird ein Beweis als ein Argument defi-
326 Anhang

niert, das aufgrund übereinstimmend angenommener Prämissen gemäß einer


Schlußfolgerung eine nicht-offenkundige Konklusion aufdeckt. Durch diese Aus-
führungen machen sie also für gewöhnlich den Begriff des Beweises klar.

(h) Die frühen Stoiker über die Arten der Argumente (AM 8.411 -425)
(FDS 1060, 1065, 1062)

(411) Nachdem wir dies bewiesen haben, sollten wir weitergehen zur Prüfung der
Frage, ob sich, wenn wir auch einmal die dialektische Theorie zugrunde legen, ihr
Versprechen hinsichtlich des Beweises aufrechterhalten läßt. Sie nehmen nun an,
daß drei Arten des Argumentes miteinander eine Verbindung eingehen, das schlüs-
sige, das wahre und das beweisende. (412) Davon ist das beweisende immer wahr
und schlüssig, das wahre immer schlüssig, aber nicht notwendig beweisend, das
schlüssige weder immer wahr noch immer beweisend. (413) So ist bei Tage das
folgende Argument „Wenn es Nacht ist, ist es dunkel. Nun ist es aber Nacht. Also
ist es dunkel." zwar schlüssig, weil es in einer richtigen Form vorgebracht wird,
nicht aber wahr, weil die zweite Prämisse etwas Falsches enthält, nämlich den
Minor „Nun ist es aber Nacht." (414) Dagegen ist bei Tage folgendes Argument
„Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es aber Tag. Also ist es hell." zugleich schlüssig
und wahr, weil es sowohl in einer richtigen Form vorgebracht wird als auch von
wahren Aussagen ausgehend etwas Wahres erschließt. (415) Sie sagen nun, die
Entscheidung darüber, daß ein schlüssiges Argument schlüssig ist, läßt sich fällen,
wenn der Konjunktion, die aus seinen Prämissen gebildet wird, die Konklusion
folgt; so ist ζ. B. folgendes Argument „Wenn es Nacht ist, ist es dunkel. Nun ist es
aber Nacht. Also ist es dunkel." bei Tage gebraucht zwar nicht wahr, weil es zu
etwas Falschem führt, wir sagen aber, daß es schlüssig ist. (416) Wenn wir nämlich
seine Prämissen folgendermaßen zu einer Konjunktion verbinden: „Es ist Nacht,
und wenn es Nacht ist, ist es dunkel.", bilden wir eine Konditionalaussage, die mit
dieser Konjunktion beginnt und mit der Konklusion endet, etwa folgende: „Wenn
es Nacht ist, und: wenn es Nacht ist, ist es dunkel, so ist es dunkel." Denn diese
Konditionalaussage ist wahr, weil sie niemals mit Wahrem beginnen und mit
Falschem enden kann. Bei Tage wird sie nämlich mit Falschem beginnen, nämlich
mit „Es ist Nacht, und wenn es Nacht ist, ist es dunkel.", und wird mit Falschem
enden, nämlich mit „Es ist dunkel", und auf diese Weise wird sie wahr sein. Bei
Nacht wird sie mit Wahrem beginnen und mit Wahrem enden und aus diesem
Grunde wahr sein. (417) Das schlüssige Argument ist daher dann richtig, wenn
sich, nachdem wir die Prämissen zu einer Konjunktion verbunden und dann die
Konditionalaussage gebildet haben, die mit der Konjunktion der Prämissen be-
ginnt und mit der Konklusion endet, herausstellt, daß diese Konditionalaussage
wahr ist. (418) Daß das wahre Argument wahr ist, wird nicht allein dadurch
entschieden, daß die Konditionalaussage wahr ist, die mit der Konjunktion der
Prämissen beginnt und mit der Konklusion endet, sondern zusätzlich dadurch, daß
die aus den Prämissen bestehende Konjunktion richtig ist, sodaß, wenn sich eine
der beiden als falsch herausstellt, auch das Argument notwendig falsch wird; so ist
etwa bei Nacht folgendes Argument „Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es aber Tag.
Die frühen Stoiker über die Arten der Argumente 327

Also ist es hell." falsch ist, weil es die falsche Prämisse „Es ist Tag" enthält. (419) Die
aus den Prämissen gebildete Konjunktion, die eine falsche Prämisse, nämlich „Es ist
Tag", enthält, ist falsch, doch die Konditionalaussage, die mit der aus den Prämissen
gebildeten Konjunktion beginnt und mit der Konklusion endet, wird wahr sein.
Denn sie wird nie mit Wahrem beginnen und mit Falschem enden, sondern bei
Nacht wird sie mit der falschen Konjunktion beginnen, bei Tage dagegen wird sie,
wie sie mit Wahrem beginnt, auch mit Wahrem enden. (420) Umgekehrt ist fol-
gendes Argument „Wenn es Tag ist, ist es hell. Es ist hell. Also ist es Tag." falsch, da
es uns von wahren Prämissen aus zu etwas Falschem führen kann. (421) Allerdings
kann, wenn wir es prüfen, die aus den Prämissen gebildete Konjunktion wahr sein,
nämlich bei Tage etwa folgende: „Es ist hell, und wenn es Tag ist, ist es hell", aber die
Konditionalaussage, die mit der aus den Prämissen gebildeten Konklusion beginnt
und mit der Konklusion endet, ist falsch, etwa die folgende: „Wenn es hell ist und:
wenn es Tag ist, ist es hell, so ist Tag." Denn diese Konditionalaussage kann bei
Nacht mit der wahren Konjunktion beginnen und mit der falschen Aussage enden
„Es ist Tag", und deswegen ist sie falsch. Also ergibt sich ein wahres Argument
weder dann, wenn allein die Konjunktion wahr ist noch wenn die Konditionalaus-
sage wahr ist, sondern wenn beide Aussagen wahr sind.
(422) Das beweisende Argument unterscheidet sich nun vom wahren dadurch,
daß beim wahren alle Teile evident sein können, ich meine die Prämissen und die
Konklusion, das beweisende beansprucht noch etwas darüber hinaus, ich meine
das Aufgedecktwerden einer nicht-offenkundigen Konklusion durch die Prämis-
sen. (423) Von daher ergibt sich, daß ein Argument wie das folgende „Wenn es Tag
ist, ist es hell. Nun ist es aber Tag. Also ist es hell.", da sowohl seine Prämissen wie
seine Konklusion evident sind, wahr ist, beweisend jedoch nicht. Dagegen ist das
folgende „Wenn diese Frau Milch in ihren Brüsten hat, dann hat sie empfangen.
Nun hat aber diese Frau Milch in ihren Brüsten. Also hat diese Frau empfangen."
nicht nur wahr, sondern auch beweisend. Denn es hat eine nicht-offenkundige
Konklusion, nämlich „Also hat diese Frau empfangen.", und es deckt diese Konklu-
sion aufgrund der Prämissen auf.
(424) Es gibt also drei Arten des Argumentes, das schlüssige, das wahre und das
beweisende,· wenn ein bestimmtes Argument nun beweisend ist, so ist es längst
vorher schon wahr und schlüssig. Wenn ein bestimmtes Argument wahr ist, so ist es
nicht notwendig beweisend, immer aber schlüssig. Wenn ein bestimmtes Argu-
ment dagegen schlüssig ist, so ist es nicht immer wahr und auch nicht immer
beweisend. (425) Nun muß das Charakteristikum der Schlüssigkeit ihnen allen
gemeinsam zukommen. Wenn wir nachweisen, daß für die Stoiker das schlüssige
Argument nicht auffindbar ist, dann haben wir zugleich nachgewiesen, daß auch
das wahre und das beweisende Argument nicht auffindbar sind.
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des Autors und dem Erscheinungsjahr zitiert, bei mehreren Auflagen, nicht aber
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bei mehreren Publikationen eines Autors im selben Jahr werden diese durch Buch-
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I. Stellenregister

(Kursiv gesetzte Seitenangaben weisen auf eine ausführliche Diskussion der erwähn-
ten Textstelle hin ; auf den so hervorgehobenen Seiten und den zugehörigen Fußnoten
sind einzelne Abschnitte innerhalb dieser Textstelle nicht mehr nachgewiesen. Mehr-
faches Vorkommen einer Stelle auf einer Seite oder in einer Anmerkung wird nicht
verzeichnet.)

a) Stellen aus Werkausgaben


Ailianos Apollonios Dyskolos 29b15: 88nl3
Tactica De adv. 29bl8: 88nl3
24,4: 60nl5 154,2: 60nl5 II 8, 59b3-5: 216n5
154,4: 60nl5 II 27: 31, 58n9
Aischylos 205,14: 60nl5 70a6-7: 65n24, 72
Prometheus De coni. 70a7-9: 73n8
215: 184n4 218,18f.: 114n7 70al2-16: 230
569: 184n4 De pion. 70al3-16: 73n8
Alexander von 14,3: 60nl5 Cat.
Aphrodisias 39,21: 60nl5 1, l a l - 6 : 206n25
De mixt. 44,16: 60nl5 5,4a22-26: 190
216f.: 57n7 56,13: 60nl5 4a23-bl: 159n28
In An. pi. 62,13: 60nl5 De caelo
262,30-34: 17nl6 161,13: 60nl5 III 1, 299b 12: 134n4
274,21-24: 138nl0 171,22: 60nl5 De gen. an.
278,6ff.: 225n8 178,5: 60nl5 IV 1, 764a28: 134n4
278,8-11: 138nl0 Apuleius De gen. et corr.
326,20-328,5: 16nl3 De int. I 8, 324b32-325a2: 253
326,23: 17nl6 177,22ίί.: 120nl4 325a27: 252
326,24-25: 17nl6 191,5-25: 213-217 De in t.
327,12-13: 17nl6
Aristoteles 2, 16al9-20: 207n29
327,19-20: 17nl6
An. post. 16a26-28: 207n29
373,29-35: 169n35
12, 71b21: 226n9 Eth. Eud.
389,32-390,9: 15n7,
71b29: 226n9 III 1, 1230a35: 256n22
16nl2
402,3-23: 118 71b34: 226n9 Metaph.
In Top. I 8, 75b24: 299 19, 991al8: 134n4
l,8ff.: 198nl8 II 13, 97b21f.: 141nl2 III 1, 995b23-24: 198
14,21-27: 128n21 An. prior XIII 5, 1079b22: 134n4
11, 2 4 a l 0 - l l : 306 Meteor.
Ammonios 24al6-22: 205n24 IV 3, 381bl-3: 253n21
In An. pi. I 5, 27al4-15: 215 IV 8, 385a27-30:
XI,2-3: 17nl6 I 7, 29a32: 136n7 253n21
XI,31f.: 114n7 29a34: 136n7 IV 9, 385bl9-21:
68,29: 114n7 29bl-19: 214nl3 253n21
338 Stellenregister

Pol. 166a22-33: 179nl Pseudo-Aristoteles


V l l , 1314a22: 85n3 166a23: 140nll De mir. ausc.
Rhet. 166a33: 140nll 119, 842a3: 256n22
I 2,1356a30-33: 308 166b 1: 140nll Problem.
1357a8: 134n4, 205, 166bl0: 140nll XIX 27, 919b36f.: 61
228 5,166b28: 140nll Rhet. ad Al.
1357bl4-16: 69n6; 166b32: 140nll 22, 1434a25: 137n9
73, 230 167a21: 140nll 31, 1438b6: 137n9
I 3, 1359a7-10: 205n24 167a36: 140nll
1359al5: 205n24 167bl: 140nll Augustinus
1359a24: 205n24 167b21: 140nll De dial.
1359a27: 205n24 167b37: 140nll VI, 92-98: 207n27
II 1, 1377bl8: 205n24 6, 168a22: 205
Boethius:
1378a29: 205n24 11, 171b7: 26
171b20: 184 De syll. hyp.
II 22, 1395b25: 134n4, 831D: 15n7, 16nl2
205, 228 14, 173bl7-174all:
190 In de int.
1396a2: 134n4, 205, 234,10-235,9: 189nl0
228 22,178a33: 134n4,205, In Top. Cie.
1396b 7f.: 134n4 228 1135C: 114n7
1396b30: 205n24 24, 179b 14: 227
II 23, 1400b26: 228 179b21: 134n4, 205, Calcidius
II 24: 187n7 228 Ad Tim.
1401a7: 140nll 179b25: 134n4, 205, 220: 250, 292
1401al3: 140nll 228 Cassiodor
1401bl-2: 140nll 32, 182a 7-b5: 190 Inst.
140 lb2: 140nll 33, 183al5: 205 113,13: 114n7
1401b20: 140nll Ibpica
1401b30: 140nll 11, 100al8-20: 198 Cicero
1401b34-35: 140nll 101al4: 205 Acad.
1402a3: 140nll 14,101b28-36: 205n24 1.39: 291nl
1402a8: 140nll I 5, 102al5: 227 1.41: 44
1402a12-13: 140nll 110, 104a8-ll: 205 2.26: 224
1402al6: 140nll II 2, 109b26: 227 2.32: 225n6
II 25, 1402b 15: 134n4 III 1, 116al: 228 2.54: 225n6
III 9, 1410a22: 134n4, VIII1, 156a21: 205 2.91: 202n21
228 156a23f.: 227 2.93: 180
Soph. El. VIII 2, 157al8: 26 2.97: 26n42
1, 164a23-b27: 241nl0 VIII4, 159al9: 205 2.143: 15n9, 26, 93
165a32: 205 VIII 5, 159b23: 205 2.145: 44, 76nl0,
2, 165a38: 205 VIII10, 161al: 205 196nl7
165b3-4: 198 161al5: 205 De fato
165b7-8: 183, 185 VIII 11, 161b7: 135n5 14: 159n28
3, 165b20-22: 190 161bl5: 135n5 15: 37n9, 114n7
4, 165b23-24: 179nl 162al6f.: 183 20-21: 201
165b23-27: 187 VIII12, 162b 1: 205 21: 201n20
165b29-30: 179nl 162b3: 183 38: 201
165b30: 140nll 162b3-15: 204n23 De fin.
165b30-166a6: 162b4-5: 183 4.9: 74, 78
206n25 162b13-14: 199 De nat. deor.
166a6: 140nll 162b28: 135n5 2.16: 57n7
166a6-14: 206n25 VIII 14, 164b9: 135n5 2.21: 296n6
Stellenregister 339

2.58: 44 54: 55,202n21 174: 298


2.74: 44 60: 55 174-175: 58n8
Depart, or. 62: 55,202n21,207 175: 59, 78
139: 26n42 65: 34, 63 178: 58n8,59,78,298
Disc. disp. 68: 55, 83 180: 56
1.19: 291nl 68-69: 110, 111 183: 56, 310
4.53: 298 68-76: 83 187: 191,193
69: 61, 89, 98, 110, 189-202: 58n8, 60
Clemens Alexandrinus
116,119nl3,214n3 190: 62, 121, 121nl5,
Strom.
69-70: 85 125n20
VIII3 § 8,2: 221n5
70: 122-127 190-193: 62
Dexippos 71: 81nl5, 83, 93nl7 191: 60,62, 81,175
In Cat. 71-72: 18 193: 60, 62nl9, 175,
6,27: 85n3 71-74: 89-92, 99- 179,207
103,113-116 194: 59, 62nl9,
Diodoros Sikulos
72: 91nl6, 112,305 170n36,175, 217
Bibl. hist.
72-73: 64n22 194-198: 64
2.54: 61
73: 35, 37n9, 97n25, 195: 64n22, 151,
Diogenes Laertius 151, 174 173f., 221, 223
Vitae 73-74: 151nl9 196: 62nl9
1.17-20: 24, 146nl3 74: 61, 63n20 197: 64n22
19: 67 75: 63, 64n23, 87n7, 198: 63
2.98: 25 238n7 199: 64n22
106: 24f. 76: 159n28, 226nl0, 200: 63
108: 192f. 237n6 10.24: 25
I l l : 193,193nl6 77: 99,22If., 244nl3, 31: 253
112: 59 277 40: 252
113: 25 77-78: 151, 175 106: 49
115: 193nl6 77-79: 174 109: 49
5.1-35: 23n33 78: 133n3, 164, 168 120: 141nl2
42-50: 16 79: 222, 245
Epiktet
45: 31, 73 82: 138nl0
Diss.
68: 60nl2 83: 15n6
11,9,8: 91nl6,112f.
7.4: 58, 58n8, 290 84-131: 54
19,2: 78
16: 15,35,56,59,106, 93: 202n21
19,9: 78
290 102: 141nl2
20,2-3: 129
24-25: 56 103: 141nl2
Εnch.
25: 15, 59, 106, 290 108: 76nl0
44: 138nl0
36: 58n8 131-159: 54
39: 56, 308 133: 44 Galen
41: 54, 56 134: 298 De plac. Hipp, et Plat.
42: 202n21 138: 44 S. 182(Müller): 63n21
42-83: 14,54,58 140: 172,253 I, S. 114(de Lacy):
43: 54, 230nl4 156: 293n3 63n21
45: 56, 57, 220, 222, 157: 291nl II, S. 167: 251, 291,
226n9, 226nl0, 229, 160-161: 56 293n4, 297
237n6, 287, 299, 163: 25, 58n8 S. 128: 197n7
302 165: 49 S. 130: 197n7
46: 54, 223 166: 58n8 III, S. 170: 193n3
48: 15n6 167: 58n8 Inst. log.
49-53: 15n6 170: 299 8,6-9: 18nl7
340 Stellenregister

8,16: 18nl7 Hesiod 242,18-21: 16nll


17,10: 16nll Theog. 243,1-10: 15n8
17,19: 16nll 793ff.: 251 245,20f.: 114n7
19,22-20,1: 214n3
Hippokrates Pindar
32,11-17: 18nl7
De flat. 2. Pyth.
33,5-11:95
VIII 6: 253n20 82: 184n4
33,13: 95
33,19«.: 94-96 Homer Piaton
34,1-2: 95n22 Od. Euthyd.
34,4: 114n7 4.455: 184n4 298d-e: 188
34,26-35,2: 95 8.276: 184n4 Menex.
36,6: 16nll 8.494: 184n4 237e: 69n6, 73, 230
38,3: 16nll 12.37: 136n7 Phaed.
49: 221n5 12.252: 184n4 67d: 292n2
49,Iff.: 169n35 95b: 256n22
Isidor
Opera XIX 100e-101b: 104
Etym.
205: 61nl7 Soph.
11,28,23-25: 114n7
230: 67n3 219d: 19
539: 61nl7 Jamblich
Pseudo-Platon
551: 61nl7 Protr.
Def.
561: 61nl7 4: 60nl5
414e: 219nl
571: 61nl7 Lukrez Plutarch
Pseudo-Galen De rer. nat. De comm. not
Hist, philos. 1329-345: 252 1075e: 251
605,2: 67n4 VI 942ff.: 254 1079a-c: 97
605,10-18: 66-72, 230, Macrobius 1084c-d: 114n7
259 In somn. Scip.
605,11: 36n8,113n6, Psellos
114,19: 293n3 Stoic, paial.
262
605,12-13: 77 Martianus Capella 7: 192
605,14-17: 77nll De nupt. Seneca
607,16f.: 114n7 144,7: 114n7 Ep. moi.
Aulus Gellius Menander 82,7: 296n6
Noct. Att. Samia 82,10: 296n6
XI,xii,l-3: 179 276: 69n6 Septuaginta
XVI,ii,9-10: 191 536: 69n6 1. Chion.
viii,4: 34 540: 69n6 15.28: 61nl7
viii,9: 121nl6 Origines 2. Chion.
viii,10: 114n7 Contra Cels. 13.12: 61nl7
viii,10-11: 91nl6, 124, S.74: 207n27 2. Esra
112 2.12f.: 61nl7
Philodem
XVIII,ii,9: 191 3. Mos.
De sign. 13.2: 61nl7
Hermogenes VIII 27: 253nl9 13.6-8: 61nl7
De stat. XII 8ff.: 253nl9 14.56: 61nl7
295,21-24: 196nl7 XXXIV 2: 61 25.10-13: 61nl7
Herodot XXXVII 8f.: 253nl9 4. Mos.
Hist. Philoponos 10.5-7: 61nl7
2.151: 184n4 In An. pi. 29.1: 61nl7
3.22: 184n4 242,14-243,1: 15n7 31.6: 61nl7
Stellenregister 341

:xtus Empiricus 97: 117 190: 247η16


Adv. math. 99: 84, 87 193: 256n22
1.86: 126η 16,129 108: 84 204: 32, 75n9
131: 256n22 108-109: 90,110n3 205: 32n4
258: 31 109: 114 222: 256
311: 193 109-110: 91 226: 114n7
2.2: 256n22 110: 91 227: 114n7
25: 146nl3 110-117: 113-116 230-238: 217
65: 247nl6 111: 142 231: 138nl0, 216
5.9: 256n22 111-112: 91,142 233: 216
24: 256n22 112: 84 236: 138nl0
26: 256n22 111-117: 27, 142, 244-256: 28f., 38-44
75: 256n22 181n3 245: 30, 66n2, 100f.,
6.6: 256 113: 91, 251, 252nl8 113n6, 224, 234,
7.12: 230nl4 113-114: 35,44,92 259,262
14: 230nl4 113-117: 15n9, 20, 245-250: 113n6
71: 178 83nl, 84 245-253: 80
151-152: 223 114: 254 245-256: 34, 51f., 74,
190: 146nl3 115: 92, 252nl8 76, 231, 288
217: 31 115-117: 92,149, 283 246: 74, 288
218: 31 116: 252nl8 247: 100
242-252: 44nl4 118: 84 250: 288
252: 44 118-123: 142 251: 30n2,113n6
396: 113 119: 84 252: 57, 76, 113n6,
8.1: 103 120: 143 224, 230, 259, 288
67: 103 120-121: 142 253: 68,113n6
67ff.: 106 121: 143 254: 288
66-90: 105 123: 142f. 257-298: 231
68: 103 124: 90, 305 261: 231
70: 30n2,103 125: 91nl6,114 265: 15n9,40nl2,97,
73: 103 125-128: 199 105, 231
75-77: 103 125-129: 91,112n5 268 : 40nl2
78-84: 103 128: 111 269: 40nl2, 230nl4
80: 103 140: 57,234,236 270: 230nl4
85ff.: 103 141-148: 45, 49-51, 271: 40nl2
87: 87nl0,103 288 272: 40nl2
86-92: 107n32 141-155: 74-78, 288 277: 56, 234-236
88: 103 141-298: 23n35 283: 256
89-90: 119 145-150: 68, 74 299: 56, 231, 234
90: 88nl2, 119 146: 259 300: 234
91-92: 104 147: 48,185, 225n6 301: 57, 233f.
93: 84, 87, 104 148-151: 68 301-302: 233,
93ff.: 27n43 149-155: 28f., 45-51 236-240
93-95: 109-112 154: 68, 79 301-309: 220, 268
93-126: 27 155: 70 301-313: 270
93-129: 83f., 83nl, 171-173: 224 301-314: 23n35, 28,
103-107, 108, 133, 173: 247nl6 147, 151, 153n20,
142 177: 30, 44, 52, 219-222, 224,
95: 90,305 146nl3 226nl0, 228nl2,
96: 117 177-243: 30n3,44 229nl3, 231f.,
96-97: 84-89 180: 56, 234, 236 267n38, 271,
342 Stellenregister

280-283, 285, 287- 413-414: 135n6 186: 202n21


291, 293n4, 295ff., 415: 228 187: 202n21
300f., 300nl0, 307 415-416: 148f., 151, Pyrrh. hyp.
302: 228f., 232n2, 153 1.33: 178
242, 268 416: 96, 96n24, 149, 183: 256n22
303-304: 258n25, 149nl6 200: 256
268 422: 219, 223, 298 209: 256
303-305: 232n2, 422-423: 56,220,222 232-233: 307n2
241-245 423: 57, 76, 224, 230, 2.1: 256
303-309: 233, 239f. 259 80: 181
304: 268 425: 153,230 80ff.: 182
305: 228, 236, 268f. 428: 230 94: 202n21
305-306: 246-255 428-447: 222 96: 56, 234
306: 224, 232n2, 429-434: 133-143, 97: 45,185, 225n6
291-297 151,153n21, 97-98: 45,49-51, 288
307: 228, 232n2 161-167,173-175, 97-99: 38,48, 68
307-309: 255-266, 303 97-101: 70-72, 78-80
277,284,300 429-447: 135f., 140 97-106: 288
308: 232n2,249f., 289 430: 167-173
97-133: 23n35
309: 224, 291, 293n4 434: 135n6 98: 46
310: 219f., 224, 233, 435: 132, 171n37 99: 38, 68, 259, 289
274n45, 274n46, 435-436: 256n22 99-101: 29,45-51
275, 279, 285n48, 441-443: 99 99-106: 28
291 443: 146nl3 100-101: 289
310-311: 255 444: 135n6 101: 36, 113n6
310-314: 266-271 445: 135n6 102: 45nl5
311: 228, 232n2, 239 447: 132, 136 104: 39, 51f., 96,
311-313: 233, 239, 9.30: 30n2 113n6, 196, 224,
249 104: 296n6 231, 234, 259, 262
312: 232n2 108: 296n6 104-105: 113n6
313: 232n2, 249, 275 108-110: 296n6 104-106: 29-38,
314: 56f., 220, 224, 109-110: 296n6 151nl9
228, 233, 249, 253, 133-134: 297n7 104-133: 196,231
285n48, 287, 297, 133-136: 296n6 105: 101
299, 301 363: 96 106: 39, 40nll, 41,
329: 252 10.85: 209 57, 76, 113n6, 224,
333: 252nl8a 85-101: 252nl8a 230, 259
348: 146nl3 87: 178,209 107: 30n3
385: 56 91-96: 209 107-108: 35
392: 269 96: 209ff. 107-109: 34
396: 230, 230nl4 97-98: 252nl8a 107-123: 30
397: 230nl4 110-111: 210 110: 15n9, 35, 113n6
411: 219, 230nl4 111: 27,209-212 110-111: 93, 113n6,
411-423: 28, 96n24, 143: 252nl8a 181n3, 231, 283
147, 151-153, 11.8: 128 110-112: 96f., 113n6
153n20, 219-223, 8-11: 121n6, 128n21 110-115: 34
228nl2, 229nl3, 10: 86n6,129 111: 35,37n9,93nl7,
230-232, 280-286, 10-11: 86 96-98, 98n27, 149,
297f 11: 129 174, 244nl3
411-424: 220 65: 49 115: 36
413: 228 182: 196nl7 115-116: 34
Stellenregister 343

117-118: 34 146-150: 131f., 133- 241-244: 176,178,


118: 30 143,144f., 146-160, 191
122: 56, 234f. 161-166 244: 178
123: 30 146-167: 176 245: 178,181
131: 56,234 147: 251 247: 176
133: 196, 178 148-149: 254 247-249: 228
134: 56, 235 150: 145 247-250: 194-206
134-143: 131, 149f., 151: 131,144 247-255: 176f., 194
151nl9, 152, 151-167: 134 248: 177
153n20, 226nl0, 152-153: 144 248-250: 178
228nl2, 229nl3 153: 134,135n6 251: 177
134-203: 131 154: 134, 135n6, 144 253: 180
135: 56f., 219f., 228, 155: 144 254-255: 178, 199
234, 271, 297, 299 156: 134, 135n6 256: 177f.
135-136: 236-240 156-162: 132,144 256-257: 177
135-143: 28, 147, 156-167: 144 256-258: 179,
195-198, 219-222, 157-158: 303 206-208
23 lf., 271,280,282, 157-162: 181 256-259: 176f.
288ff., 297f., 300 158: 169 258: 177,256n22
136: 227f., 232n2 159: 30n2 259: 206
137: 135, 152, 195, 163-165: 144 3.32: 96
197, 232n2, 163-166: 132 241: 196nl7
241-245 166: 133,143-146 Stephanos
137-139: 147-151, 167: 131,134, 180f. In de int.
153 170: 56 9,20-24: 207n28
137-140: 220 178: 269
137-142: 240 198: 256 Stobaios
138: 195,198, 232n2, 201: 114n7 Ecl.
239 213: 133n3 11,57,18: 141nl2
138-139: 245f. 214: 202n21, 207 Strabon
138-140: 195 222: 256n22 Geogr.
139: 232n2 229: 176, 181, 184, 8.6.5: 61
140: 222-225,225n7, 202
232n2, 246, 272 229-235: 176f., 182, Tertullian
140-141: 284 183-194 Dean.
141: 228, 232n2, 279 229-246: 176 5.3: 293n3, 295n5
141-142: 263-266 229-259: 27, 117, Thukydides
142: 232n2 176 Hist.
142f.: 219 230: 241 TV,68: 85n3
143: 56, 131, 220, 235: 133n3, 180-182 VI,54: 85n3
228, 267, 271-279, 235-246: 176
297, 299 Xenophon
236: 176f.
144: 131 Hell.
237: 177, 206n26
145: 131, 132nl, 144 237-238: 178 2.4.24: 256
145-167: 27, 131, 240: 177f. 5.3.22: 256
134f., 143 241: 176-178,192, Kyi.
146: 131, 144, 167f., 192nl3 1.6.27: 184n4
171n37
344 Stellenregister

b) Stellen aus Fragmentsammlungen


(Mit Ausnahme von DK gibt die erste arabische Zahl die Nummer des Fragmentes an;
Hinweise nach Seite und Zeile sind eigens kenntlich gemacht.)

Arrighetti 1060: 283n47 134-138: 291


34,15,2: 141nl2 1065: 283n47 137: 293n3, 295n5
1086: 169n35, 221n5 138: 292
DK
1098: 214n3 140: 291
31 A 87: 253n21
1110: 172n38 152: 296n6
31 Β 89: 253n21
1111: 132nl, 133n3 190: 141nl2
68 A 77: 254 196: 296n6
68 A 165: 254 1161: 213-217
1167: 225n8 623: 298
Döring 1206: 191 625: 298
32A: 59nl0 1209: 191 628: 298
34: 59nl0 1238B: 192 II 65: 44nl4
35: 59nl0 1246: 191 S. 70,34: 102n30
96: 193nl6 205: 27n43, 83nl
99: 193nl6 Graeser
211: 27n43, 83nl
101: 26n42 29: 15n7,16nll, 16nl2
216: 27n43, 83nl
102: 26n42 30: 16nl3,17nl6
238: 169n34
114: 207n28 Long/Sedley 239: 220
116-120: 252 36 I: 214nl 266: 220
123: 252nl8a 53 G: 250 879: 250, 291
125: 252nl8a 54 F: 296n6 885: 293n3
127: 193nl6 54 K: 251 1126: 251
128: 193nl6 III S.63-67: 202n21
138: 189nl0 Repici
S. 65,40-66,21:
150: 193nl6 33a: 15n7,16nl2
202n21
33b: 15n7, 16nll,
FDS 366: 76nl0
16nl2
64: 202n21 368: 76nl0
33c: 15n7, 16nl2
636: 179 Diog. Bab. 29:
34b: 16nl3, 17nl6
643: 207n27 297n7
644: 207n27 SR Diog. Bab. 30:
920: 118nl0 II F 8-10: 252 251, 291, 293n4,
921: 118 II F 13-14: 252nl8a 297
922: 118nl0 SVF Us.
966: 173 195: 253 S. 12,18: 44nl4
1027: 66-72 111: 296n6 428: 141nl2
1040: 221n5 134: 291nl 588: 141nl2
II. Personenregister

α) Antike Namen

(Nicht aufgenommen sind der Name Sextus Empiricus sowie mythologische Namen
und Namen, die nur in Beispielen und deren Kommentierung auftreten; Vorkommen
von Autorennamen, die für die Textseite oder Anmerkung bereits durch das Stellen-
register erfaßt sind, werden nicht verzeichnet.)

Alexander von Aphrodisias 15f., 16nl0, Clemens von Alexandrien 26n42


17,118nl0,119 Demokrit 103, 253f., 298
Alexinos 295n5,296n6 Diodoros Kronos 15,19-23,25f., 26n42,
Anaxagoras 178 27,78,83nl, 90-93,93nl7,94,96f., 98,
Antipater 55nl 98n27, 102n31, 104-106, 113n6, 117,
Apollodoros 55nl, 141nl2 142-145,149,151f., 178-181,189,193,
Apuleius 23, 305 193nl5,193nl6, 194,196nl7, 201n20,
Archedemos 55nl 206n26,207,209-211,211n2,217,231,
Aristokreon 64n22 252nl8, 252nl8a, 303-305
Ariston von Chios 25,49, 56 Diogenes von Babylon 55nl, 92, 251,
Aristoteles 13f., 19, 22, 57n7, 72, 76nlO, 29 lf., 293n4,297, 297n7
134, 136, 140, 153n21, 160n29, 179, Diogenes Laertius 22, 26f., 85n3, 86, 88,
193nl6, 206, 209nl, 215n4, 216f., 225, 95f., 103, 108, HOnl, 110n2, 120nl4,
229, 299n8,303,309 130, 169f., 175n39, 226f., 303
Arkesilaos 146,306f., 307n2 Diokles von Magnesia 14,15n6
Athenodoros 55nl Dionysios von Chalkedon 24f.
Augustinus 29nl Empedokles 253n21
Boethius 15f. Epikur 49, 49nl6, 103, 141nl2, 201n20,
Boethos 55nl 252f., 253nl9, 254, 281
Calcidius 293, 293n4, 294, 296f. Eubulides 192f., 193nl4,193nl6
Chrysipp 13n3, 18f., 21-24, 24n36, 26, Eudemos 15f., 16nl2,18f.
34-36, 37n9, 52f., 55, 55nl, 56, 56n4, Euklid von Megara 24, 67
57, 57n7, 58, 58n9, 59f., 60nl3,61-65, Galen 18f.,66
80-83, 83nl, 92f., 93nl7, 93nl8, 95, Gorgias 178
96n24, 99n28, 103, 106, 108, 113n6, Gorgippides 62f.
115n8,118nl0,120f., 121nl5,121nl6, Hekaton 141nl2
124f., 125n20, 126, 128, 128n21, 129f., Herillos 49
133, 133n3, 138nl0, 141, 141nl2, 146, Herophilos 193nl6
151, 151nl9, 161, 164, 168, 170n36, Hieronymus 26n42
173-175, 175n39, 178f., 181, 191, Kleanthes 19, 23n35, 28, 53nl7, 55,
192nl2, 201, 202n21, 206f., 214n2, 55n3, 56, 59, 78, 78nl2, 80, 220, 267,
214n3, 217, 220-222, 225f., 226nl0, 267n38,290, 293n4, 297-300,300nl0,
227-229, 244nl3, 250, 253nl9, 307f.
267n38, 287, 291f., 293n3,295n5, 299, Kleinomachos 59, 59nl0,67
302-305,307,307n2,30802D310 Kleitomachos 220
Cicero 14f., 20, 96, 225, 225n7 Krinis 55nl, 81nl5,100
346 Personenregister

Leukipp 151,153 Poseidonios 55, 55nl, 55n2, 141nl2,


Menedemos 67 202n21
Metrodor 25, 64n22 Pseudo-Galen 23, 29nl, 66
Nemesius 295n5 Ptolemaios Soter 193nl6
Panaitios 24n36 Sokrates 69n6
Panthoides 60,60nl2,175,179, 207 Sphairos 28, 55n3, 59, 78, 80, 290, 297f.,
Parmenides 306 301, 307f.
Pasylos 174 Stilpon 25, 193nl6
Persaios 55n3 Theophrast 15f., 16nl2, 17, 17nl4, 18f.,
Philippos 25 31, 73n8
Philodem von Gadara 29nl, 61nl6, ZenonvonElea 252nl8a
81nl5 Zenon von Kition 15, 24n36, 28, 35, 44,
Philon 15, 19-23, 25-28, 35, 44, 59-61, 49, 54f., 55n3, 56, 58, 58n9, 64n22, 65,
62nl9,63-65,65n24,66,72-79,79nl3, 74, 75f., 76nl0, 77, 77nll, 78, 78nl2,
80, 81, 83nl, 90-93, 104-106, 113n6, 79f., 106, 141, 141nl2,196nl7, 211n2,
117, 142f., 145, 150-152, 175, 181, 220, 267n38, 288, 290f., 291nl, 292,
189nl0, 196nl7, 210, 217, 231, 251, 292n2, 293f., 293n3, 293n4, 295,
252nl8, 290, 303f. 295n5, 296, 296n6, 297, 297n7, 298-
Philoponos 15f. 300, 300n9, 300nl0, 301, 306-308
Piaton 22, 76nl0, 103, 136n7

b) Moderne Namen
(Nicht aufgenommen sind die Namen von Herausgebern in Stellennachweisen, wenn
diese Stelle bereits unter dem Namen eines Autors oder des Herausgebers im Stellen-
register erfaßt ist; Namen in Anmerkungen sind dann nicht aufgenommen, wenn der
Name auch im Text der zugehörigen Seite erscheint und die Anmerkung nur einen
Beleg nachweist. Abgekürzte Namen sind nicht aufgenommen.)

Adler, M. 44nl4, 254 264n32, 265n33, 266f., 267n38, 270-


Apelt, O. 59nll, 60nl4,63,63n20, 85n3 273, 273n44, 274, 293n4
Arnim, J.v. 27n43,44nl4,66nl, 102n30, Bumyeat, M. 29nl, 36n8, 37n9, 40nl2,
132nl, 169n34, 220 43, 57n6, 66nl, 66n2, 81nl5, 180n2
Ausland, H. 196nl7 Bury, R. G. 132nl, 157n25, 192nl3,
Baldassarri, M. 45nl5, 132nl 283n47
Baratin, M. 29nl Cohen, M. R. 162n30
Barnes, J. 14n5,17, 17nl6, 29nl, 132nl, Chwistek, L. 116
132n2, 153n21, 169n35, 171n37, De Lacy, P. H. und Ε. A. 61nl6
172n38,180n2, 225, 225n8, 226n9 Denniston, J. D. 200nl9
Becker, O. 192,192nl2 Denyer, N. 209nl
Bekker, I. 200f. Diels, H. 66nl, 66n2, 67, 67n4
Bobzien, S. 34n7,190nll Döring, K. 24n37, 24n38, 25n40, 27n43,
Bochenski, I. M. 16nl0,17nl4,18-22 193nl6, 209nl
Bonitz, H. 134n4,136n8, 299n8 Egli, U. 55nl, 83nl, 85n2, 87nl0,90nl5,
Brunschwig, J. 23n35, 39nl0, 83nl, 92f., 93nl7,94f., 95n22,96-98,102n30,
112n5,148nl4,150,220,225n7,225n8, llOnl, 119nl3, 121nl6, 123nl7,
232, 233, 233n3, 237, 237n6, 238, 169n35, 220
238n7, 239, 241nl0, 242, 244nl2, Fabricius, J. A. 263n31
246nl4, 258, 258n25, 259f., 261n30, Flashar, H. 61nl8
Personenregister 347

Frede, Μ. 21f., 24n37,27n43,34n7,37n9, Mansfeld, J. 15n6


56n4, 56n5, 60nl3, 78nl2 ; 83nl, 86- Mates, Β. 13n3, 20, 27n43, 37n9, 83nl,
88, 93nl8, 110n2, 120nl4, 124nl8, 93nl7, 98n27, 102n2, 128n21, 132nl,
128n21, 129n22, 138nl0, 159n28, 148, 148n2, 149n3, 150nl7, 220,
166n33, 220 246nl4, 257n23, 283n47
Frege, G. 14, llln4, 165n32 Mau, J. 17nl4, 36n8, 94n21, 133n3,
Fritz, K. v. 58n9 204n22, 246nl4, 263n31
Furley, D. 193nl6 McCall, St. 13nl
Geach, P. T. 148nl4 Mignucci, M. 83nl
Gerth, B. 164n31 Morris, Ch. W. 32n5
Giannantoni, G. 193nl6 Mueller, I. 83nl, 116n9,128n21
Glidden, D. 29nl, 45nl5, 80nl4 Muller, R. 209nl
Graeser, A. 15n8,17nl4 Mutschmann, H. llOnl, 133n3,263n31,
Gould, J. B. 92, 93nl7,93nl8 283n47
Goulet, R. 89nl4,90nl5,119nl3 Nagel, E. 162n30
Hamblin, C. L. 132nl, 154n22, 162n30, Natorp, P. 36n8,193nl6
187n7 Patzig, G. 215n4
Hegel, G.W. F. 13n3 Peirce, Ch. S. 32n5, 75n9
Heintz, W. 36n8,80nl4,150nl7,283n47 Philippson, R. 29nl, 45nl5,68n5, 80nl4
Hicks, R. D. 55n2, 60nl4, 63, 63n20, Pöhlmann, E. 69n6
85n3,102n30, 169n34 Prantl, C. 13nl, 66n2,110n2
Hossenfelder, M. 157n25 Preti, G. 29nl, 45nl5
Hülser, K. 66n2,132nl, 169n35,172n38, Rabe, H. 196nl7
217n6 Reich, K. 59nll, 60nl4, 63n20
Hurst, M. 20 Repici, L. 15n8,19n20
Husserl, E. 32n5 Rieth, O. 57n7
Ioppolo, Α. M. 307nl Rist,J. M. 60nl3
Janäcek, K. 40nl2, 256, 300nl0 Russell, B. 118nll
Kieffer, J. S. 94n21 Schleiermacher, F. D. E. 69n6
Kneale, M. 20,304 Schofield, M. 292n2, 293n4, 296n6,
Kneale, W. und M. 19nl8, 21, 83nl, 297n7
110n2, 121nl6, 128n21, 132nl, Scholz, H. 13nl, 14n5,17nl4
148nl4,188 Schrenk, L. 61nl7
Kochalsky, A. 110n2,172n38, 283n47 Sedley, D. 23n34, 23n35, 24, 24n38, 25,
Kühn, C. G. 67,67n4 26n41, 26n42, 29nl, 37n9, 45nl5,
Kühner, R. 164n31 98n27,181n3,193nl6,201n20,209nl,
Künne, W. 193nl4 214nl, 226nl0, 229nl3
Lloyd, A.C. 118, 118nl0, 118nll, Sorabji, R. 209nl
119nl2 Steinthal, H. 110n2
Long, Α. A. 29nl, 39nl0, 214nl, 229nl3 Usener, H. 44nl4
Long, H. S. 102n30, llOnl, 169n34 Verbeke, G. 29nl
Lukasiewicz, J. 13, 13nl, 14, 20, 116, Weltring, G. 29nl, 45nl5
148nl4 Zeller, E. 13nl, 193nl6,300nl0
Bruno Snell.
Die Entdeckung des Geistes
Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen. 6., durchgesehene
Auflage 1986. 334 Seiten, kartoniert

Griechische Metrik
(Studienhefte zur Altertumswissenschaft 1). 4., neubearbeitete Auflage 1982. IV, 76 Sei-
ten, kartoniert

Neun Tage Latein


Plaudereien. (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1010). 7. Auflage 1987. 70 Seiten, kartoniert

Tyrtaios und die Sprache des Epos


(Hypomnemata 22). 1969. 63 Seiten, broschiert

Der Weg zum Denken und zur Wahrheit


Studien zur frühgriechischen Sprache. (Hypomnemata 57). 1990. Unveränderter Nach-
druck der 1. Auflage von 1978. 127 Seiten, kartoniert

Itagicorum Graecorum Fragments (ftGF)


Vol. 1: Didascaliae Tragicae, Catalog! Tragicorum et Tragoedlaram. Testtanonla et Frag-
mente Tragtconun Mlnoram. Editor: Bruno Snell. Editio correctior et addendis aucta.
Curavit Richard Kannicht. 1986. 2., verbesserte Auflage der Ausgabe von 1971. XII,
363 Seiten, Leinen

Lexikon des frühgriechischen Epos (LfgrE)


Begründet von Bruno Snell, fortgeführt von Hartmut Erbse. Zunächst mit Unter-
stützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, seit 1980 im Auftrag der Akademie
der Wissenschaften in Göttingen vorbereitet und herausgegeben vom Thesaurus Linguae
Graecae

Band 1: Α (Lieferung 1-9). 1979. XV, 13 Seiten, 1794 Spalten, 8 Seiten Nachträge,
Leinen
Lieferung 10: 1982: XVIII, 320 Spalten, broschiert / Lieferung 11: 1984: 304 Spalten,
broschiert / Lieferung 12: 1987: 282 Spalten, broschiert / Lieferung 13: 1989: 352 Spal-
ten, broschiert / Lieferung 14:1991: 420 Spalten, broschiert

Vandenhoeck&Ruprecht · Göttingen
Tragicorum Graecorum Fragmenta (TrGF)
Folgende Bände liegen vor:

Vol. 1: Didascaliae Tragicae, Catalogi Tragicorum et


Tragoediarum. Testimonia et Fragmenta Tragicorum Minorum
Editor: Bruno Snell. Editio correctior et addendis aucta. Curavit Richard Kannicht. 2., verbesserte und
ergänzte Auflage der Ausgabe von 1971. 1986. XII, 363 Seiten, Leinen

»Ein Arbeitsmittel ... bei dem sich eminente Sorgfalt und Gelehrsamkeit mit der größten Übersichtlich-
keit präsentieren.« Anzeiger für die Altertumswissenschaft

Vol. 2: Fragmenta Adespota


Testimonia Volumini I Addenda. Indices ad Volumina 1 et 2. Editor: Richard Kannicht und Bruno
Snell. 1981. XIX, 453 Seiten, Leinen

»II est rare d'avoir sous les yeux un ouvrage d'une perfection telle que toute critique semble mesquine et
ingrale devant le travail accompli. C'est le cas pour ce deuxiime volume des Tragicorum Graecorum
Fragmenta...
Ce volume riunit non seulement les adespota connus par des citations (= Nauck), mais aussi tous les
fragments tragiques retrouvis sur papyrus, non identifies ... Des introductions brüves mais substantiel-
les, pleines d'irudition, pricfcdent chaque fragment et l'apparat critique est d'une precision exemplaire.«
Antiquite Classique

Vol. 3: Aeschylus
Editor: Stefan Radt. 1985.592 Seiten, Leinen

Dieser Band enthält außer sämtlichen zitierten und auf Papyrus wiedergefundenen Resten der verlore-
nen Dramen des Aischylos auch die Zeugnisse über Aischylos' Leben und Werk sowie ein Verzeichnis
seiner teils sicher bezeugten teils von den Modernen erschlossenen Tri- und Tetralogien; außerdem ein
Supplement zu Italies Index Aeschyleus, ein Quellenverzeichnis und Zahlenkonkordanzen zu den Aus-
gaben von Mette, sowie ausführliche Ergänzungen und Berichtigungen zu den Sophoklesfragmenten in
Band 4.

Vol. 4: Sophocles
Editor: Stefan Radt. 1977. 731 Seiten, Leinen

»Was den Apparat der von Radt besorgten Edition anbelangt, so sind hier mit einer bewunderungswer-
ten Ausführlichkeit und Genauigkeit alle Quellen und Zeugnisse für jedes Fragment angegeben und mit
höchster Akribie alle Lesarten und Vorschläge zur Textgestaltung verzeichnet. Das bezieht sich in glei-
chem Maße sowohl auf die Fragmente selbst als auch auf die ihnen beigefügten Zeugnisse.
Die Ausgabe der Sophokleischen Fragmente von Radt ... zieht die Bilanz des bisher Erreichten und
bereitet einen zuverlässigen Boden für neue Forschungen für mehrere Jahrzehnte.«
Deutsche Literturzeitung
Der Band 5 Euripides (Editor: Richard Kannicht) wird vorbereitet.
Bitte fordern Sie den Sonderprospekt Tragicorum Graecorum Fragmenta (TrGF) an.

Vandenhoeck & Ruprecht


Göttingen und Zürich

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