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Matthias Bartelmann

Björn Feuerbacher
Timm Krüger
Dieter Lüst
Anton Rebhan
Andreas Wipf

Theoretische
Physik 1
Mechanik
Theoretische Physik 1 | Mechanik
Matthias Bartelmann  Björn Feuerbacher  Timm Krüger 
Dieter Lüst  Anton Rebhan  Andreas Wipf

Theoretische Physik 1 |
Mechanik
Matthias Bartelmann Dieter Lüst
Universität Heidelberg Ludwig-Maximilians-Universität München
Heidelberg, Deutschland München, Deutschland

Björn Feuerbacher Anton Rebhan


Heidenheim, Deutschland Technische Universität Wien
Wien, Österreich
Timm Krüger
University of Edinburgh Andreas Wipf
Edinburgh, Großbritannien Friedrich-Schiller-Universität Jena
Jena, Deutschland

ISBN 978-3-662-56114-0 ISBN 978-3-662-56115-7 (eBook)


https://doi.org/10.1007/978-3-662-56115-7

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Vorwort und einleitende Bemerkungen

Dieses Werk stellt die Grundlagen der theoretischen Physik in vier eng aufeinander abgestimmten
Bänden dar, wie sie in den Bachelor- und Masterstudiengängen an Universitäten in Deutschland, Ös-
terreich und der Schweiz gelehrt werden. In vier großen Teilen, die jeweils in einem Band behandelt
werden, führt es ein in die klassische Mechanik, die Elektrodynamik, die Quantenmechanik sowie
in die Thermodynamik und die statistische Physik. Dabei stehen diese Bände nicht nebeneinander,
sondern sind durch zahlreiche Querverweise aufeinander bezogen, sodass die inneren Verstrebungen
zwischen den Säulen der theoretischen Physik sichtbar werden. Erheblich erleichtert durch die wei-
testgehend einheitliche Notation wird so ein zusammenhängender Überblick über die Grundlagen der
theoretischen Physik vermittelt.
Die vier Bände dieses Werks enthalten zahlreiche Beispiele, insgesamt fast 700 Verständnisfragen,
Vertiefungen, mathematische Ergänzungen und weiterführende Überlegungen reichern den Text an
und sind grafisch ansprechend abgesetzt. Mehr als 500 genau auf den Text abgestimmte Abbildungen
verdeutlichen die Darstellung. Mehr als 300 Übungsaufgaben mit kommentierten Lösungen bieten
sich für ein intensives Selbststudium an.

Über die theoretische Physik im Allgemeinen


und dieses Lehrbuch
Physik ist eine Erfahrungswissenschaft, die Vorgänge in der (meist unbelebten) Natur zu quantifizie-
ren und auf Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen sucht. Theoretische Physik strebt nach der Einheit
hinter der Vielfalt, nach möglichst fundamentalen Gesetzen, die den zahlreichen Erfahrungstatsachen
zugrunde liegen.
Die moderne Physik hat sich dennoch zu einer fast unüberschaubaren Wissenschaft entwickelt. Wie
in praktisch jedem Wissenschaftszweig überblickt ein einzelner Physiker nur noch einen beschränkten
Teil des Wissensgebietes in einem Maße, wie es der Stand der Forschung gebieten würde, und dies
trifft auch auf die theoretische Physik zu.
Mit diesem Werk möchten wir eine breite Grundlage für das Studium der theoretischen Physik schaf-
fen, die für die meisten einführenden und weiterführenden Vorlesungen ausreichend ist. Mit seinen
vier Bänden umfasst es mehr, als in einer viersemestrigen Vorlesungsreihe zur theoretischen Physik
behandelt werden kann. Durch eine Gliederung in Haupttext, farbige Merkkästen, vertiefende Kästen
und Kästen zum mathematischen Hintergrund, eingestreute Selbsttests in kurzen Abständen, abgesetz-
te Beispiele und viele Aufgaben mit ausführlichen Lösungen soll jeder der vier Bände aber ebenso ein
Lehrbuch wie ein Arbeitsbuch darstellen. Darüber hinaus werden Ausblicke in einige Bereiche der
theoretischen Physik gegeben, die nicht Teil des traditionellen Kanons von Einführungsvorlesungen
in die theoretische Physik sind.
Die Struktur dieses gesamten Werks orientiert sich an diesem traditionellen Kanon, wie er an vielen
Universitäten geboten wird. Der erste Band enthält die klassische Mechanik und ihre relativistische
Erweiterung, der zweite setzt mit der Elektrodynamik einschließlich ihrer speziell-relativistischen For-
mulierung fort. Der dritte Band verlässt die klassische Physik mit einer umfassenden Einführung in
die nichtrelativistische Quantenphysik. Der vierte und letzte Band schließlich behandelt zunächst die
V
VI Vorwort und einleitende Bemerkungen

von der mikroskopischen Physik weitgehend unabhängige Thermodynamik, bevor deren Grundlage
in der statistischen Mechanik inklusive statistischer Quantenmechanik erarbeitet wird.
Die Gesetze der theoretischen Physik, die dabei formuliert werden, nehmen die Gestalt mathemati-
scher Gleichungen an, in denen die mathematischen Symbole semantisch an die Stelle physikalischer
Größen treten. Die dafür benötigte Mathematik wird dabei parallel zur Physik entwickelt, so wie es
sich auch in der Geschichte der Mathematik und Physik weitgehend zugetragen hat. Dies ersetzt nicht
die separate Ausbildung in Mathematikvorlesungen, soll aber mit einem Fokus auf das Wesentliche
eine schnelle Orientierung erleichtern.
Die in Bd. 1 behandelte klassische Mechanik benötigt für die Formulierung ihrer Aufgabenstellung
Vektorräume und Differenzialoperatoren. Besonderer Wert wird auf die Beschreibung beschleunigter
Bezugssysteme gelegt, da dies in der Literatur häufig unzureichend behandelt wird. Erhaltungssät-
ze, die mit Symmetrien verbunden sind, spielen eine entscheidende Rolle, die für die gesamte übrige
theoretische Physik von grundlegender Bedeutung sind. Der Lagrange- und Hamilton-Formalismus
der klassischen Mechanik und seine funktionale Methodik stellt auch eine bedeutende mathematische
Grundlage für alle weiteren Entwicklungen, Feldtheorien wie der Elektrodynamik, der Quantentheorie
sowie der Thermodynamik dar. Wellenphänomene, die vor allem in der Elektrodynamik und Quan-
tenmechanik eine zentrale Rolle spielen, werden bereits in Bd. 1 eingeführt und anhand einiger
mechanischer Phänomene diskutiert. Dabei wird auch von den Fourier-Reihen Gebrauch gemacht.
Bd. 1 beinhaltet einige Themen, die häufig nicht in Einführungskursen der klassischen Mecha-
nik vorgestellt werden. Dazu gehören Gezeitenkräfte, das reduzierte Dreikörperproblem sowie die
Grundlagen der Fluiddynamik. Diese Abschnitte sind optional, liefern aber wertvolle Einblicke in
weiterführende Themen.
Bereits in Bd. 1 wird die Erweiterung der Newton’schen Mechanik durch die spezielle Relativitätstheo-
rie Einsteins behandelt, die traditionellerweise erst im Anschluss an die Elektrodynamik systematisch
entwickelt wird. Hier erlaubt dieses Lehrbuch zwei Vorgangsweisen: Die spezielle Relativitätstheo-
rie kann noch vor der Elektrodynamik im Rahmen der Mechanik ausführlich studiert werden, aber
ebenso ist es möglich, diese Kapitel in die Elektrodynamik zu integrieren, und an den Anfang des ach-
ten Kapitels von Bd. 2 zu stellen, in dem mit einer relativistischen Formulierung der Maxwell’schen
Elektrodynamik fortgefahren wird.
In der überarbeiteten Fassung von Bd. 1 wurden vor allem neue Anwendungs- und Vertiefungskästen
hinzugefügt. Der Vertiefungskasten zur Stabilität der Lagrange-Punkte in Kap. 3 erweitert die Diskus-
sion der Lagrange-Punkte und ihrer Relevanz für die moderne Astronomie. Kap. 6 enthält nun einen
Anwendungskasten zum akustischen Dopplereffekt, wobei wir zwischen bewegtem Sender und/oder
bewegtem Empfänger von Schallwellen unterscheiden. Der Anwendungskasten zur Symmetriebre-
chung in einem mechanischen System in Kap. 8 betrachtet das Verhalten eines elastischen Stabes
unter Kompression und bereitet auf entsprechende weiterführende Konzepte in der Quantenmechanik
vor.
Weiterhin wurden in allen Kapiteln eine Reihe von Unklarheiten und Fehlern beseitigt, die Notation
stärker vereinheitlicht, sowie zahlreiche Begriffe in den Index übernommen, um die Navigation im
Buch zu vereinfachen. Mehrere Abbildungen mit Zeichnungsfehlern wurden korrigiert. Insbesondere
wurde eine neue Abbildung zur Darstellung der Wellenausbreitung in Kap. 6 eingefügt.

Weiterführende Lehrbücher
Budo, A.: Theoretische Mechanik. Wiley (1990) – älteres aber sehr gutes und erschöpfendes Stan-
dardwerk zur klassischen Mechanik. Vorbild für viele spätere Lehrbücher über Mechanik. Neuere
Entwicklungen, z. B. aus der analytischen Mechanik, werden natürlich nicht behandelt.
Goldstein, H., Poole, C.P., Safko, J.L.: Klassische Mechanik. Wiley (2006) – wie Budo ein Klassi-
ker; umfangreich und gründlich mit Schwerpunkt auf Theorie sowie dem Lagrange- und Hamilton-
Formalismus. In den neuen Auflagen findet man auch eine Einführung in die Chaostheorie.
Kuypers, F.: (2010) Klassische Mechanik. Wiley (2010) – didaktisch sehr gute Darstellung der Me-
chanik mit verständlichen Erklärungen und schönen Anwendungen sowie einer großen Anzahl von
Vorwort und einleitende Bemerkungen VII

Aufgaben und Lösungen. Man findet hier eine ausführliche Behandlung der Lagrange’schen und Ha-
milton’schen Dynamik.
Scheck, F.: Mechanik. Von den Newtonschen Gesetzen zum deterministischen Chaos. Springer (1992)
– zeitgemäße und mathematisch anspruchsvollere Behandlung der klassischen Mechanik. Im Text und
in den Übungsaufgaben werden sehr viele Probleme der klassischen Mechanik behandelt.

Buchreihen zur theoretischen Physik

Neben den genannten Lehrbüchern existieren mehrere Lehrbuchreihen, die den gesamten Stoff der
theoretischen Physikvorlesungen abdecken. Davon sind folgende deutschsprachigen Reihen zum Ein-
stieg in die theoretische Physik oder zu einer Vertiefung der Kenntnisse geeignet:

Fließbach, T.: Lehrbücher zur Theoretischen Physik (Springer Spektrum)


Greiner, W.: Theoretische Physik (Harri Deutsch)
Landau, L.D., Lifschitz, E.M.: Lehrbuch der Theoretischen Physik (Harri Deutsch)
Nolting, W.: Grundkurs Theoretische Physik (Springer)
Rebhan, E.: Theoretische Physik (Spektrum)
Reineker, P., Schulz, M., Schulz, B.M.: Theoretische Physik (Wiley-VCH)
Schwabl, F.: Lehrbücher zur Theoretischen Physik (Springer)

Mathematische Methoden der theoretischen Physik

Die speziellen mathematischen Methoden der theoretischen Physik werden im vorliegenden Buch pa-
rallel zum physikalischen Stoff entwickelt, zum Teil im Haupttext und zum Teil in ergänzenden Kästen
zum mathematischen Hintergrund. Diese fassen das Wesentliche zusammen, ersetzen aber nicht voll-
wertige mathematische Vorlesungen und entsprechende Lehrbücher. Ein mathematisches Lehrbuch,
das in seinen didaktischen Elementen ganz ähnlich strukturiert ist wie dieses und sich speziell an die
Bedürfnisse von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern richtet, ist:
Arens T. et al.: Mathematik. Springer Spektrum (2012)
Darüber hinaus sehr empfehlenswert:
Großmann S.: Mathematischer Einführungskurs für die Physik. Vieweg-Teubner (2012) – eine be-
währte, übersichtliche, gut verständliche Einführung in eine Vielzahl mathematischer Methoden, die
in der Physik angewandt werden.
Jänich K.: Analysis für Physiker und Ingenieure. Funktionentheorie, Differentialgleichungen, Speziel-
le Funktionen. Springer (1995) – eine wirklich lebendige Darstellung der speziellen mathematischen
Methoden der theoretischen Physik mit einer gründlichen Einführung in die komplexe Funktionen-
theorie und zahlreichen gelungenen Illustrationen des Autors.

Dank
Dieses Buch ist das Ergebnis der gemeinsamen, intensiven Anstrengung vieler Menschen, denen die
Autoren zu großem Dank verpflichtet sind. Ganz besonders möchte Anton Rebhan seinen Kollegen Dr.
Dietrich Grau und Dr. Helmut Nowotny sowie seiner Frau und Mitphysikerin Dr. Ulrike Kraemmer
für umfangreiches kritisches Korrekturlesen und wertvolle Hinweise zu den Kapiteln über spezielle
Relativitätstheorie und Elektrodynamik danken. Andreas Wipf dankt Frau Johanna Mader und seiner
Frau Ingrid Wipf für eine kritische Durchsicht der Kapitel über Quantenmechanik sowie Studenten
seiner Vorlesungen in Jena, die Vorschläge zur besseren Darstellung des Stoffes in Bd. 3 machten
VIII Vorwort und einleitende Bemerkungen

und viele nützliche Hinweise gaben. Matthias Bartelmann bedankt sich herzlich bei seinen Mitarbei-
tern und vielen engagierten Studenten seiner Vorlesungen, die durch kritische Fragen und klärende
Diskussionen wesentlich dazu beigetragen haben, Bd. 4 zu verbessern.
Bedanken möchten wir uns auch bei Herrn Prof. Stephan Wagner von der Landessternwarte Hei-
delberg für die freundliche Überlassung von Materialien zum Astronomie-Praktikum der Sternwarte,
Herrn Prof. Bernd Thaller von der Universität Graz für die Erstellung des dem Bd. 3 vorangestell-
ten Bildes, sowie die Darstellung der komplexen H-Eigenfunktion mit farbkodierter Phase zu Beginn
von Bd. 3, Kap. 8, Herrn Prof. Rudolf Grimm vom Institut für Experimentalphysik der Universität
Innsbruck für die Überlassung des Bildes zu Beginn von Bd. 3, Kap. 2 „Wellenmechanik“, Prof. Alex-
ander Szameit von der Friedrich-Schiller-Universität Jena für die Bereitstellung des Bildes zu Beginn
des Bd. 3, Kap. 5 „Zeitentwicklung“ und Ruth Bartelmann für das Porträt des Maxwell’schen Dämons
bei der Arbeit, das im Bd. 4, Kap. 2 „Statistische Begründung der Thermodynamik“ erscheint.
Zu ganz großem Dank sind wir Frau Dr. Kristin Riebe verpflichtet, die mit großem Engagement, Kom-
petenz und Ideenreichtum die Grafiken dieses Buches gestaltete. Drs. Martin Kreh, Florian Modler und
Michael Kuss halfen bei der Erstellung der mathematischen Einschübe und Christoph Kommer beim
wissenschaftlichen Lektorat. Frau Bianca Alton vom Verlag Springer Spektrum stellte ihre große Er-
fahrung zur Verfügung. Nicht zuletzt danken wir besonders herzlich Frau Dr. Vera Spillner, die uns
zu diesem Projekt zusammengeführt und mit unermüdlichem Enthusiasmus, großer Kreativität, hilf-
reichen Ideen und inspirierenden Diskussionen angetrieben und motiviert hat. Ohne sie wäre dieses
Buch nicht zustande gekommen.

Heidelberg 2018 Matthias Bartelmann, Björn Feuerbacher, Timm Krüger,


Dieter Lüst, Anton Rebhan & Andreas Wipf
Wie dieses Buch zu lesen ist

Selbstfragen Mit den Selbstfragen wird der


Lesefluss dort unterbrochen, wo Sie in der
Lage sein sollten, vom bereits Besprochenen
ausgehend einfache weiterführende Fragen zu
beantworten, die unmittelbar danach im Text
wieder aufgegriffen werden. Selbstfragen er-
leichtern es Ihnen zu überprüfen, inwieweit Sie
den bis dahin verfolgten Gedankengang bereits
verinnerlicht haben und weiterdenken können.
Die Selbstfragen bieten Ihnen eine Gelegen-
heit, innezuhalten und sich eigene Antworten
zu überlegen.
Achtung In der Achtung-Umgebung finden
Sie kurze Einschübe und ergänzende Erläute-
rungen, die vor allem Missverständnisse oder
zu weit gehende Schlussfolgerungen vermei-
den, scheinbare Widersprüche aufklären oder
auf verschiedene Konventionen hinweisen sol-
len. Die Achtung-Umgebung macht Sie damit
auf Stellen aufmerksam, an denen Sie nicht auf
Irrwege geraten oder sich in ungelösten oder
verwirrenden Fragen verlieren sollten.
Merke Die Merke-Umgebung fasst die wich-
tigsten Aussagen der jeweils vorangehenden
Erläuterungen und Diskussionen in solchen
Abständen so zusammen, dass Ihnen die Abfol-
ge von Merke-Umgebungen zur knappen Bün-
delung und Sammlung Ihres Wissens dienen
kann und Ihnen bei der Wiederholung einen
schnellen Überblick ermöglicht. In den Merke-
Umgebungen werden die wichtigsten Aussa-
gen knapp wiederholt und zusammengestellt.

IX
X Wie dieses Buch zu lesen ist

Beispiel Beispiele in ganz verschiedener Län-


ge und Ausführlichkeit erläutern die Darstel-
lung durch Anwendungen, erklären Gleichun-
gen oder Herleitungen anhand einfacher Sys-
teme oder gehen auf Spezialfälle ein, die für
den fortlaufenden Text nicht entscheidend, aber
dennoch zum Verständnis nützlich oder wichtig
sind. Beispiele geben Ihnen auch eine Gele-
genheit, Ihr Verständnis abstrakterer Aussagen
dadurch zu überprüfen, dass Sie sie auf konkre-
te Fälle übertragen.

Vertiefung In der Vertiefungs-Umgebung fin-


den Sie längere Abschnitte, die einzelne The-
men aus dem fortlaufenden Text herausgreifen,
um sie genauer zu besprechen. Sie hat vor
allem den Sinn, solche Inhalte nicht zu überge-
hen, die beim ersten Lesen oder in Vorlesungen
oft nicht behandelt werden können oder zu weit
führen, die aber zum Verständnis, zur weiteren
Anwendung des Stoffes und dazu nützlich sind,
Querverbindungen herzustellen.
Wie dieses Buch zu lesen ist XI

Anwendung Anwendungen stehen zwischen


Vertiefungen und Beispielen. Sie können ei-
nerseits insofern als erweiterte Beispiele ange-
sehen werden, als der Stoff dort auf konkrete
Systeme übertragen wird und andererseits inso-
fern als Vertiefungen, als die dort besprochenen
Themen bei einem ersten Durchgang übergan-
gen werden können. Die Anwendungen sollen
es Ihnen ermöglichen, Ihr Verständnis anhand
weiterführender Beispiele zu vertiefen und Ihr
bereits bestehendes Wissen zu übertragen.

Mathematischer Hintergrund Unter dieser


Bezeichnung wird losgelöst vom fortlaufenden
Text prägnant umrissen, welche mathemati-
schen Themen und weitergehenden Fragestel-
lungen an das behandelte Gebiet anschließen
oder auf welchen mathematischen Grundla-
gen eine physikalische Betrachtung aufbaut.
Sie finden hier auch Beweisideen und Lite-
raturvorschläge. In den Mathematischen Hin-
tergründen können Sie Formeln nachschlagen
oder sich mathematische Zusammenhänge wie-
der ins Gedächtnis rufen.

So geht’s weiter In diesen meist ausführli-


chen Umgebungen werden Themen beschrie-
ben, die jenseits des eigentlichen Stoffumfangs
stehen, aber interessante Ausblicke in daran
anschließende, weiterführende Fragestellungen
und Probleme bieten. Diese So-geht’s-weiter-
Umgebungen sollen Ihnen einen Anstoß geben,
Ihr bis dahin erworbenes Wissen zu erproben
und in angrenzende Bereiche hinein zu erwei-
tern. Diese Teile sollen Ihren Appetit anregen,
mehr zu erfahren und über den üblichen Stoff
hinauszudenken.
Inhaltsverzeichnis

1 Die Newton’schen Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1


1.1 Definitionen und Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.2 Die Newton’schen Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.3 Eindimensionale Bewegung im homogenen Schwerefeld . . . . . . . . . . . 12
1.4 Energiesatz in einer Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.5 Bewegung in drei Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1.6 Energieerhaltung und konservative Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme . . . . . . . . 47


2.1 Drehungen von kartesischen Koordinatensystemen . . . . . . . . . . . . . . . 48
2.2 Galilei-Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
2.3 Beschleunigte Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2.4 Kräfte in rotierenden Bezugssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
2.5 Nichtkartesische Koordinatensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

3 Systeme von Punktmassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85


3.1 Allgemeine Aussagen und Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.2 Das Zweikörper-Zentralkraftproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3.3 Das Kepler-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
3.4 Elastische Stöße und Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
3.5 Das reduzierte Dreikörperproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
3.6 Gezeitenkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
3.7 Mechanische Ähnlichkeit und der Virialsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
XIII
XIV Inhaltsverzeichnis

4 Starre Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127


4.1 Freiheitsgrade des starren Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
4.2 Kinetische Energie und Drehimpuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
4.3 Tensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
4.4 Trägheitstensor und Trägheitsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
4.5 Kontinuierliche Massenverteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
4.6 Bewegungsgleichungen des starren Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
4.7 Rotation des Kreisels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165


5.1 Systeme mit Zwangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
5.2 Lagrange-Gleichungen erster Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
5.3 Lagrange-Gleichungen zweiter Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
5.4 Beispiele zur Anwendung des Lagrange-Formalismus . . . . . . . . . . . . . . 181
5.5 Variationsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
5.6 Symmetrien und Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

6 Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
6.1 Freie Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
6.2 Gedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
6.3 Erzwungene Schwingungen und Resonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
6.4 Kleine Schwingungen gekoppelter Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
6.5 Anwendungen gekoppelter Oszillatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

7 Hamilton-Formalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
7.1 Hamilton-Funktion und kanonische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . 244
7.2 Kanonische Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
7.3 Grundlagen der Hamilton-Jacobi-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
So geht’s weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
Inhaltsverzeichnis XV

8 Kontinuumsmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
8.1 Lineare Kette und Übergang zum Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
8.2 Schwingende Saite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
8.3 Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
8.4 Lagrange-Formalismus für Felder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
8.5 Grundlagen der Elastizitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
8.6 Ideale Fluiddynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
8.7 Viskosität und Navier-Stokes-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
So geht’s weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

9 Spezielle Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319


9.1 Anfang und Ende der Äther-Vorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
9.2 Lorentz-Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
9.3 Minkowski-Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
9.4 Viererformalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
So geht’s weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354

10 Relativistische Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355


10.1 Punktteilchen, Ruhemasse und Viererimpuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
10.2 Relativistische Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
10.3 Relativistische Teilchenstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
Übersicht der Kapitelinhalte aller Bände

Band 1 Mechanik
1 Die Newton’schen Axiome
2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme
3 Systeme von Punktmassen
4 Starre Körper
5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
6 Schwingungen
7 Hamilton-Formalismus
8 Kontinuumsmechanik
9 Spezielle Relativitätstheorie
10 Relativistische Mechanik
Abbildungsnachweis
Sachverzeichnis

Band 2 Elektrodynamik
1 Die Maxwell-Gleichungen
2 Elektrostatik
3 Vollständige Funktionensysteme: Fourier-Transformation und Multipolentwicklung
4 Elektrische Felder in Materie
5 Magnetismus und elektrische Ströme
6 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen
7 Optik
8 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
9 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
10 Lagrange- und Hamilton-Formalismus in der Elektrodynamik
Abbildungsnachweis
Sachverzeichnis

XVII
XVIII Übersicht der Kapitelinhalte aller Bände

Band 3 Quantenmechanik
1 Die Entstehung der Quantenphysik
2 Wellenmechanik
3 Formalismus der Quantenmechanik
4 Observablen, Zustände und Unbestimmtheit
5 Zeitentwicklung und Bilder
6 Eindimensionale Quantensysteme
7 Symmetrien und Erhaltungssätze
8 Zentralkräfte – das Wasserstoffatom
9 Elektromagnetische Felder und der Spin
10 Störungstheorie und Virialsatz
11 Mehrteilchensysteme und weitere Näherungsmethoden
12 Streutheorie
Abbildungsnachweis
Sachverzeichnis

Band 4 Thermodynamik und statistische Physik


1 Phänomenologische Begründung der Thermodynamik
2 Statistische Begründung der Thermodynamik
3 Einfache thermodynamische Anwendungen
4 Ensembles und Zustandssummen
5 Quantenstatistik
Abbildungsnachweis
Sachverzeichnis
Verzeichnis der mathematischen Hintergründe

1.1 Vektorräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2 Metrische und normierte Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.3 Skalarprodukt, euklidische Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.4 Differenzialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.5 Differenzialgleichungen – Lösungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.6 Vektorprodukt und Levi-Civita-Symbol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.7 Differenzialoperatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
1.8 Taylor’scher Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
1.9 Der Satz von Stokes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2.1 Matrizen I – Definition und grundlegende Rechenregeln . . . . . . . . . . . . . . . 50
2.2 Matrizen II – Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
2.3 Matrizen III – Matrixinversion und Rechenregeln für Determinanten . . . . . . . 57
2.4 Gruppen – Einführung in die Gruppentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
4.1 Tensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
4.2 Diagonalisierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
5.1 Mannigfaltigkeiten – Eine Verallgemeinerung euklidischer Räume . . . . . . . . 168
5.2 Funktionale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
6.1 Lineare Differenzialgleichungen – Homogene und inhomogene Differenzial-
gleichungen, Fundamentalsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
6.2 Komplexe Zahlen – Definition und Rechenregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
6.3 Lineare Differenzialgleichungen – Lösungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
7.1 Legendre-Transformationen – Grundlagen und anschauliche Bedeutung . . . . 246
8.1 Funktionenfolgen und Funktionenreihen – Punktweise und gleichförmige
Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
9.1 Dualraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

XIX
Verzeichnis weiterer mathematischer Hintergründe

Band 2 Elektrodynamik
1.1 Distributionen
1.2 Rechenregeln für Distributionen
1.3 Integralsätze der Vektoranalysis – Satz von Gauß und Satz von Stokes
3.1 Komplexe Funktionen I – Definition von holomorphen Funktionen und die Cauchy-Riemann’schen
Differenzialgleichungen
3.2 Komplexe Funktionen II – Potenzreihen und Beispiele
3.3 Komplexe Funktionen III – Singularitäten und meromorphe Funktionen
3.4 Separationsansatz zum Lösen partieller Differenzial-
gleichungen
6.1 Bessel-Funktionen

Band 3 Quantenmechanik
3.1 Operatoren – Hermitesche und selbstadjungierte Operatoren
3.2 Spektralprojektoren
6.1 Verzweigungspunkte komplexer Funktionen
7.1 Lie-Gruppen und Lie-Algebren
7.2 Darstellungen einer Lie-Gruppe und Lie-Algebra
8.1 Frobenius-Sommerfeld-Methode – Verallgemeinerte Potenzreihenansätze
8.2 Laguerre-Polynome
10.1 Asymptotische Reihen
12.1 Gammafunktion

Band 4 Thermodynamik und Statistische Physik


1.1 Homogene Funktionen
2.1 Symplektische Struktur
2.2 Differenzialformen – Ein Ausblick in die Differenzialgeometrie
2.3 Volumen und Oberfläche der n-Sphäre
2.4 Kolmogorows Axiome und der Bayes’sche Satz
4.1 Gauß’sche Integrale
5.1 Riemann’sche Zetafunktion – Einige Eigenschaften
XXI
Die Autoren

Matthias Bartelmann ist seit 2003 Professor


für theoretische Astrophysik an der Universität
Heidelberg. Sein besonderes Interesse gilt der
Kosmologie und der Entstehung kosmischer
Strukturen. Für seine Vorlesungen zu verschie-
denen Gebieten der theoretischen Physik und
Astrophysik erhielt er 2008 und 2016 den Lehr-
preis seiner Fakultät.

Björn Feuerbacher hat in Heidelberg Physik


studiert und dort am Institut für Theoretische
Physik über ein Thema der Quantenfeldtheo-
rie promoviert. Nach einer PostDoc-Stelle in
der theoretischen Chemie arbeitet er seit 2007
als Lehrer für Mathematik und Physik an der
Friedrich-Fischer-Schule in Schweinfurt, einer
beruflichen Oberschule.

Timm Krüger hat in Bielefeld und Heidel-


berg Physik studiert und seine Doktorarbeit
am Max-Planck-Institut für Eisenforschung in
Düsseldorf geschrieben. Seit 2013 forscht er
als Chancellor’s Fellow an der Universität von
Edinburgh. Er ist vor allem an der Rheologie
komplexer Flüssigkeiten und der Modellierung
und Simulation von Blutströmungen interes-
siert.

XXIII
XXIV Die Autoren

Dieter Lüst ist seit 2004 Professor für mathe-


matische Physik an der Ludwig-Maximilians-
Universität in München und dort Direktor am
Max-Planck-Institut für Physik. Davor war er
von 1993 bis 2004 Professor für Theoretische
Physik an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Sein besonderes Interesse gilt der Stringtheo-
rie.

Anton Rebhan war als Wissenschaftler meh-


rere Jahre an den Forschungszentren CERN
(Genf) und DESY (Hamburg) tätig und ist
seit 2008 Professor für theoretische Physik an
der Technischen Universität Wien und Leiter
der Arbeitsgruppe fundamentale Wechselwir-
kungen. Seine Forschungsschwerpunkte sind
Quantenfeldtheorie und Theorie des Quark-
Gluon-Plasmas. Seit 2014 leitet er zudem eine
Graduiertenschule zur theoretischen und expe-
rimentellen Teilchenphysik.

Andreas Wipf forschte am Dublin Institute for


Advanced Studies, Los Alamos National La-
boratory, Max-Planck-Institut für Physik und
an der ETH-Zürich und ist seit 1995 Professor
für Quantentheorie an der Friedrich-Schiller-
Universität in Jena. Er ist Sprecher eines Gra-
duiertenkollegs zur Gravitation, Quantenfeld-
theorie und Mathematischen Physik. Diesen
Forschungsgebieten gilt auch sein besonderes
Interesse.
Die Newton’schen Axiome
1

Kapitel 1
Was bedeutet „klassische
Mechanik“?
Wie lauten die
Newton’schen Axiome?
Was ist ein Inertialsystem?
Wie löst man einfache
Bewegungsgleichungen?
Was sind konservative
Kräfte?
Was besagt der
Energieerhaltungssatz?

1.1 Definitionen und Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2


1.2 Die Newton’schen Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.3 Eindimensionale Bewegung im homogenen Schwerefeld . . . . . . . . 12
1.4 Energiesatz in einer Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.5 Bewegung in drei Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1.6 Energieerhaltung und konservative Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 1


M. Bartelmann et al., Theoretische Physik 1 | Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56115-7_1
2 1 Die Newton’schen Axiome

Das vorliegende Kapitel liefert eine Einführung in die grundle- Galileis Erkenntnisse, was auf die Beschreibung der Schwer-
Kapitel 1

genden Konzepte der klassischen, nichtrelativistischen Mechanik. kraft führte. Nach Newton wurde die Mechanik zur analytischen
Ein wichtiges Fundament dieser Theorie ist das physikalische Ver- Mechanik weiterentwickelt. Johann Bernoulli (1667–1748) lös-
ständnis der Begriffe „Raum“ und „Zeit“, „Körper“ und „Masse“, te damit das Problem der Brachistochrone (dies ist die Kurve,
„Kraft“ und „Inertialsystem“. Auf der Basis dieser Größen wer- auf der eine Punktmasse reibungsfrei am schnellsten von einem
den wir die Newton’schen Axiome kennenlernen und erarbeiten. Sie Punkt zu einem anderen fällt; sie wird in Aufgabe 5.5 bespro-
bestimmen, auf welchen Bahnkurven sich Punktmassen bewegen. chen), was die Entwicklung der Variationsrechnung einläutete.
Zusätzlich werden wir zahlreiche mathematische Begriffe definie- Auch weitere Mitglieder der Bernoulli-Familie lieferten wichti-
ren und Techniken kennenlernen, die ein tieferes Verständnis der ge Beiträge zur Mathematik und Physik.
Mechanik überhaupt erst ermöglichen.
Für die Entwicklung der analytischen Mechanik war auch
Leonhard Euler (1707–1783) entscheidend mitverantwortlich.
Nach ihm wurden zahlreiche Gleichungen benannt, die in der
1.1 Definitionen und Grundlagen Variationsrechnung, der Hydrodynamik und der Kreiselbewe-
gung fundamentale Bedeutung besitzen. Jean-Baptiste le Rond
In diesem Abschnitt finden Sie eine kurze historische Einfüh- d’Alembert (1717–1783) legte die Grundsteine für die Kontinu-
rung in die klassische Mechanik. Anschließend werden wir umsmechanik. Joseph-Louis Lagrange (1736–1813) begründete
zentrale physikalische und mathematische Größen einführen so- den Lagrange-Formalismus, dem eine wesentliche Rolle in die-
wie das Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik vorstellen. sem Buch zukommt. Die Hamilton’sche Mechanik, die von
William Rowan Hamilton (1805–1865) ausgearbeitet wurde, ist
heute in der Quantenmechanik unverzichtbar. Die moderne Be-
trachtungsweise von Symmetrien und Erhaltungsgrößen wurde
Eine kurze historische Einführung von Amalie Emmy Noether (1882–1935) entwickelt. Schließlich
in die klassische Mechanik entwickelte Albert Einstein (1879–1955) die spezielle und allge-
meine Relativitätstheorie fast im Alleingang.
Im Studium der theoretischen Physik beginnt man in den meis- In Bd. 1 wird zunächst die klassische Mechanik behandelt.
ten Fällen mit der Mechanik. Das ist sinnvoll, da sie die älteste Sie beinhaltet sowohl die Newton’sche als auch die Lagrange’
der theoretischen Physikdisziplinen darstellt und sich die grund- sche, die Hamilton’sche sowie die relativistische Mechanik. Die
legenden physikalischen Begriffe in der Mechanik einführen Quantenmechanik jedoch wird als nichtklassisch bezeichnet. Ihr
und auf andere Theorien übertragen lassen. Darüber hinaus ist ist Bd. 3 gewidmet.
die theoretische Mechanik auch die anschaulichste Disziplin, da
sie überwiegend Alltagsphänomene beschreibt. Historisch bau- Die theoretische Mechanik beschreibt die Gesetze, nach denen
en viele andere Physikdisziplinen auf der klassischen Mechanik sich Massen unter dem Einfluss von Kräften mit der Zeit im
auf (z. B. die Quantenmechanik und die statistische Mechanik). Raum bewegen. Kräfte sind dabei die Ursache der Bewegung
Ursprünglich wurde sogar versucht, sämtliche Naturbeobach- und mathematisch und physikalisch noch genauer zu definie-
tungen im Rahmen der Mechanik zu verstehen (mechanisches ren. Die Analyse der klassischen Mechanik führt zu Begriffen
Weltbild). Obwohl dies letztlich nicht möglich ist, spielt die Me- und Methoden, die sich durch die gesamte theoretische Physik
chanik noch immer eine fundamentale Rolle in der Physik; sie ziehen und vor allem für die Quantenmechanik und Quanten-
kann als allgemeine Grundlage der Physik angesehen werden. feldtheorie außerordentlich fruchtbar sind.
Die geschichtliche Entwicklung der Mechanik könnte ein eige- Die klassische Punktmechanik, mit der wir uns zuerst beschäf-
nes Buch füllen. Hier sollen nur die grundlegendsten Meilen- tigen werden, kennt dabei eine Vierheit von Objekten: Körper,
steine zusammengefasst und die wichtigsten Personen genannt Kräfte, Raum und Zeit. Die modernen Theorien für eine Ver-
werden. Archimedes (287–212 v. Chr.) formulierte die soge- einheitlichung der Physik werden später fundamental an diesen
nannten Hebelgesetze und das nach ihm benannte Prinzip. Rund Begriffen einsetzen. Die Feldtheorie, geschichtlich zuerst die
1700 Jahre später wurden die Planetenbahnen von Nikolaus Ko- Elektrodynamik, wird dazu Kräfte und den Raum miteinan-
pernikus (1473–1543) und Tycho Brahe (1546–1601) studiert. der verbinden, die spezielle Relativitätstheorie dann Raum und
Johannes Kepler (1571–1630) gelang es, diese Beobachtungen Zeit, und die allgemeine Relativitätstheorie schließlich ver-
im Rahmen des heliozentrischen Weltbildes zu verstehen. Ga- knüpft Körper mit der Raum-Zeit-Struktur.
lileo Galilei (1564–1642) leistete mit seinen Fallversuchen und
Pendelexperimenten wichtige Beiträge zur Mechanik. Ebenso
formulierte er das nach ihm benannte Relativitätsprinzip.
Der Gültigkeitsbereich
Der wohl wichtigste Physiker in der Geschichte der Mecha- der klassischen Mechanik
nik war Isaac Newton (1643–1727). So formulierte er nicht
nur die fundamentalen Axiome der Mechanik, er entwickelte
auch parallel zu Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) die Dif- Um physikalische Systeme verstehen zu können, müssen häu-
ferenzial- und Integralrechnung und kombinierte Keplers und fig Vereinfachungen und Idealisierungen vorgenommen werden.
1.1 Definitionen und Grundlagen 3

Dabei versucht man, für das Problem wichtige und unwichtige Die Zeit ist in der nichtrelativistischen Mechanik ein absoluter,

Kapitel 1
Effekte voneinander zu trennen. Eine dafür wesentliche mathe- kontinuierlicher und unabhängiger Parameter. Das heißt unter
matische Methode ist die sogenannte Taylor-Entwicklung, die anderem, dass sich jedem Ereignis ein eindeutiger Zeitpunkt t
im Laufe dieses Kapitels erläutert wird. Erst durch dieses Vor- zuordnen lässt und sich alle Ereignisse eindeutig zueinander an-
gehen wird es überhaupt möglich, Theorien und Naturgesetze ordnen lassen (ein Ereignis kann somit gleichzeitig, früher oder
zu formulieren. Unser erstes Beispiel für dieses Vorgehen ist die später als ein anderes Ereignis eintreten). Es wird im Rahmen
Approximation von ausgedehnten Körpern durch punktförmige der Newton’schen Mechanik postuliert, dass es eine für alle Be-
Massen. Hierbei werden die räumliche Ausdehnung und mögli- zugssysteme universelle Zeit gibt. Von dieser Hypothese muss
che innere Freiheitsgrade der Objekte vernachlässigt. So gelten man in der speziellen Relativitätstheorie abrücken.
die Newton’schen Gesetze beispielsweise zunächst auch nur für
punktförmige Massen. Die Auswirkungen der Ausdehnung der Der Nullpunkt der Zeit ist im Allgemeinen frei wählbar. Letz-
Objekte kann allerdings später durch zusätzliche Gleichungen teres wird als Homogenität der Zeit bezeichnet. Um Zeiten zu
beschrieben werden. messen, benötigt man nicht zuletzt periodische Vorgänge (z. B.
die Tageslänge, die Schwingungsdauer eines Pendels oder einer
In der klassischen Mechanik werden Körper als Punkte be- Lichtwelle).
stimmter Masse, sogenannte Punktmassen, beschrieben. Ihre Kräfte wirken in der nichtrelativistischen Mechanik instan-
Ausdehnung ist dabei klein gegenüber den Dimensionen des tan, d. h. von ihrer Wirkung wird angenommen, dass sie sich
Gesamtsystems. Die Begriffe „klein“ und „groß“ sind hier als mit einer unendlichen Geschwindigkeit ausbreitet; Ursache und
relative Bezugsangaben zu verstehen. So ist beispielsweise die Wirkung einer Kraft ereignen sich also gleichzeitig.
Erde im Vergleich zu einer Raumstation, die sie umkreist, groß.
Relativ zur Ausdehnung der Sonne oder sogar der Milchstraße Die klassische, nichtrelativistische Mechanik ist gültig in alltäg-
ist die Erde jedoch klein. lichen Dingen, bei denen

Eine Punktmasse wird allein durch ihre Masse m und ihren Ort Geschwindigkeiten klein gegenüber der Lichtgeschwindig-
x.t/ zur Zeit t beschrieben. Ausgedehnte starre Körper können keit sind,
dann als Systeme von Punktmassen aufgefasst werden, deren Abstände groß gegenüber Atomdurchmessern sind,
Abstände untereinander konstant sind. Punktmassen sind Idea- Abstände klein gegenüber kosmologischen Ausdehnungen
lisierungen, da sämtliche Alltagsgegenstände eine Ausdehnung sind,
besitzen. Andererseits können beispielsweise einige Elementar- Massen hinreichend klein sind.
teilchen wie Elektronen doch als Punktmassen angesehen wer-
den, da es experimentell bisher nicht gelungen ist, eine innere
Struktur von Elektronen zu beobachten. Die obere Grenze für Die spezielle Relativitätstheorie wird sich als eine Erweiterung
den Elektronenradius liegt derzeit bei etwa 1019 m. der Newton’schen Mechanik erweisen, in der Geschwindigkei-
ten nicht auf Werte beschränkt sind, die klein gegenüber der
Der physikalische Raum, in dem sich die klassische Mechanik Lichtgeschwindigkeit sind. Sie wird in Kap. 9 diskutiert. Im
abspielt, ist ein kontinuierlicher, dreidimensionaler Vektorraum Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie, die in diesem Buch
(siehe „Mathematischer Hintergrund“ 1.1). Dieser Raum ist nicht behandelt wird, werden sowohl kosmologische Abstände
flach, also nicht gekrümmt, d. h., dass die Summe der Innenwin- als auch beliebig große Massen, die den Raum krümmen, be-
kel eines Dreiecks stets 180° beträgt. Beispiele für gekrümmte trachtet. Systeme, bei denen die Abstände in der Größenordnung
zweidimensionale Räume sind die Oberflächen einer Kugel oder von Atomdurchmessern liegen, werden durch die Quantenme-
eines Sattels. chanik in Bd. 3 beschrieben.

Im Rahmen der klassischen Mechanik sind die Eigenschaften


des Raumes unabhängig von der Existenz von Körpern und
deren Bewegung. Die Lage von Körpern wird stets relativ zu Einführung der mechanischen Grundgrößen
anderen Körpern, den Bezugssystemen, angegeben. Ein häufig
anzutreffendes Bezugssystem ist das sogenannte Laborsystem,
das durch die Wände desjenigen Labors definiert ist, in dem Die Gleichungen der klassischen Mechanik lassen sich mithil-
Experimente durchgeführt werden. Wir werden später darauf fe der linearen Algebra formulieren. Zu diesem Zweck führen
zurückkommen, welche Bezugssysteme am geeignetsten sind, wir hier alle für den Anfang relevanten Größen ein und begin-
um physikalische Gesetze zu formulieren. nen mit dem Ortsvektor x. Ein Ortsvektor x einer Punktmasse
m beschreibt ihre Position im Raum relativ zu einem Koor-
Im Allgemeinen gelten die Annahmen der Homogenität und Iso- dinatensystem. Ausgedehnte Körper werden zusätzlich durch
tropie des Raumes, d. h., ein Bezugssystem kann beliebig (aber ihre Orientierung relativ zu den Achsen des Koordinatensystems
zeitunabhängig) verschoben und gedreht werden. Typischerwei- charakterisiert. Sie werden in Kap. 4 behandelt. Die grundle-
se wird ein kartesisches Koordinatensystem für das Bezugs- genden Konzepte der klassischen Mechanik lassen sich jedoch
system gewählt (siehe „Mathematischen Hintergrund“ 1.2 und anhand von Punktmassen veranschaulichen, bevor der Schritt zu
darauf aufbauend den „Mathematischen Hintergrund“ 1.3). ausgedehnten Objekten unternommen wird.
4 1 Die Newton’schen Axiome
Kapitel 1

1.1 Mathematischer Hintergrund: Vektorräume

Auf den ersten Blick haben die Menge der Verschiebun- Nachdem wir den Begriff „Körper“ definiert haben, kön-
gen im R3 , die Menge der Polynome einer Veränderlichen nen wir den Begriff Vektorraum präzisieren. Dieser enthält
mit rationalen Koeffizienten vom Grad kleiner gleich n und Elemente, sogenannte Vektoren, die sich addieren und mit
die Menge der Paare von reellen Zahlen nicht viel gemein- Elementen des Körpers vervielfachen lassen.
sam. Tatsächlich jedoch handelt es sich bei allen dreien um
Vektorräume, denn man kann die Elemente dieser Mengen Definition Vektorraum Eine Menge V ist ein Vektor-
addieren und vervielfachen, und dabei gelten gewisse Re- raum über einem Körper K, wenn
geln, z. B. das Kommutativ- und Assoziativgesetz. Um den
Begriff „Vektorraum“ allgemein fassen zu können, müssen es eine Addition V  V ! V: .x; y/ 7! x C y gibt, sodass
wir zuerst die relevanten Eigenschaften der reellen Zahlen .V; C/ eine abelsche Gruppe ist;
formulieren. es eine skalare Multiplikation K  V: .; x/ 7! x gibt
mit den Eigenschaften
Definition Körper Eine Menge K ist ein Körper, wenn es – .x C y/ D x C y,
– . C /x D x C x,
eine Addition K  K ! K; .x; y/ 7! x C y gibt, sodass K – ./x D .x/,
bezüglich der Addition eine additive abelsche Gruppe ist – 1x D x
(Gruppen werden im „Mathematischen Hintergrund“ 2.4 für alle ;  2 K und x; y 2 V.
vertieft.):
– Assoziativgesetz: Es gilt x C .y C z/ D .x C y/ C z für Die Anforderungen an die skalare Multiplikation stellen da-
alle x; y; z 2 K. bei nur sicher, dass die skalare Multiplikation im Vektorraum
– Existenz des neutralen Elements: Es gibt ein Element und die Multiplikation innerhalb des Körpers zueinander
0 2 K, sodass für alle x 2 K gilt x C 0 D x. kompatibel sind. Die Untersuchung von Vektorräumen ist
– Existenz des Inversen: Zu jedem Element x 2 K gibt Gegenstand der linearen Algebra. Wichtige Ergebnisse sind:
es ein inverses Element x mit x C .x/ D 0.
– Kommutativgesetz: Für alle x; y 2 K gilt xCy D yCx. Existenz einer Basis Es gibt Vektoren fb1 ; b2 ; : : : g  V,
eine Multiplikation K  K ! K; .x; y/ 7! xy gibt, sodass PVektor v 2 V eindeutig als (endliche) Line-
sodass sich jeder
K n f0g bezüglich der Multiplikation eine multiplikative arkombination i i bi schreiben lässt.
abelsche Gruppe ist:
Dimension eines Vektorraumes Alle Basen eines Vek-
– Assoziativgesetz: Es gilt x.yz/ D .xy/z für alle x; y; z 2
torraumes sind gleich mächtig, d. h., zwischen beliebigen
K.
zwei Basen B1 und B2 eines Vektorraumes V gibt es eine bi-
– Existenz des neutralen Elements: Es gibt ein Element
jektive (d. h. umkehrbare) Abbildung B1 ! B2 . Besteht eine
1 2 K, sodass für alle 1 2 K gilt 1x D x.
Basis eines Vektorraumes V nur aus endlich vielen Elemen-
– Existenz des Inversen: Zu jedem Element 0 ¤ x 2 K
ten, dann haben alle Basen von V die gleiche Länge. Diese
gibt es ein inverses Element x1 mit x.x1 / D 1.
Länge bezeichnet man als Dimension von V.
– Kommutativgesetz: Für alle x; y 2 K gilt xy D yx.
das Distributivgesetz erfüllt ist: Es gilt x.y C z/ D xy C xz Koordinaten eines Vektors Ist fe1 ; e2 ; : : : ; en g eine Ba-
für alle x; y; z 2 K. sis des n-dimensionalen Vektorraumes V, kann man jeden
Vektor v 2 V eindeutig schreiben als v D x1 e1 C x2 e2 C
: : : C xn en . Das n-Tupel
Die Gruppen .K; C/ bzw. .K n f0g; / nennt man abelsch
(nach dem norwegischen Mathematiker Niels Henrik Abel, 0 1
x1
1802–1829), da die Gruppen das Kommutativgesetz erfül- Bx C
len. Beispiele für Körper sind die rationalen Zahlen Q und B 2C
B:C
die reellen Zahlen R. Die Menge der rationalen Funktionen B:C
@:A
einer Veränderlichen mit reellen Koeffizienten R.X/ bildet
xn
ebenfalls einen Körper. Es gibt auch endliche Körper, z. B.
die Restklassen modulo 7.
nennt man die Koordinaten von v bezüglich der Basis
In der Physik werden die Elemente eines Körpers als Skalare fe1 ; e2 ; : : : ; en g und notiert diese als Spaltenvektoren. Um
bezeichnet. Es handelt sich dabei praktisch immer um reel- Platz zu sparen, werden in diesem Buch die Koordinatenvek-
le und komplexe Zahlen (R und C). Zu komplexen Zahlen toren auch als transponierte Zeilenvektoren .x1 ; x2 ; : : : ; xn />
siehe Kap. 6. notiert.
1.1 Definitionen und Grundlagen 5

Die Koordinaten eines Vektors hängen von der Wahl der Ba- Literatur
sis ab. So hat z. B. das Polynom f .X/ D 1 C  C 3X

Kapitel 1
2
 12X
bezüglich der Basis f1; X; X 2 g die Koordinaten 2 und be- Jänich, K.: Lineare Algebra. 10. Aufl., Springer (2004)
3 Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare
 der Basis f1; 1 C X; 1 C X C X g die Koordinaten
2
züglich
 Algebra 1. 3. Aufl., SpringerSpektrum (2014)
1
1 .
3

x3 Unter der Geschwindigkeit einer Punktmasse versteht man die


Änderung ihres Ortes mit der Zeit. Hierzu vergleicht man die
Position der Punktmasse zu verschiedenen Zeiten t und t C t
und betrachtet den Grenzwert
m
dx.t/ x.t C t/  x.t/
WD lim : (1.2)
dt t!0 t
Dies ist die Zeitableitung (siehe auch „Mathematischer Hinter-
x(t) grund“ 1.7). Die Geschwindigkeit einer Punktmasse ist dann
definiert als
dx.t/
v.t/ D DW xP .t/: (1.3)
dt
Generell bezeichnet ein Punkt über einem Funktionssymbol die
x2
Zeitableitung dieser Funktion. Die Anzahl der Punkte gibt die
Ordnung der Zeitableitung an: Ein Punkt steht für die erste Ab-
x1 leitung, zwei Punkte für die zweite usw.

Abb. 1.1 Die Bahnkurve x.t/ einer Punktmasse m (hier zusammen mit Die Ableitung einer vektorwertigen Funktion wird berechnet,
ihrer Projektion auf die x1 -x2 -Ebene dargestellt) umfasst die zusammen- indem die Ableitung jeder einzelnen Komponente bestimmt
hängende Menge aller Punkte, die m im Laufe der Zeit durchläuft wird, z. B. 0 1
xP 1 .t/
B C
xP .t/ D @xP 2 .t/A : (1.4)
Im gesamten Buch werden Vektoren im dreidimensionalen Vek-
torraum R3 fett gedruckt. In der Regel werden Vektoren als xP 3 .t/
Spaltenvektoren dargestellt, z. B. Achtung Streng genommen gilt diese Definition der Ge-
0 1 0 1
x1 x schwindigkeit (1.3) nur in nicht rotierenden kartesischen Ko-
B C B C ordinatensystemen, da man zwischen einem Vektor und seiner
x D @x2 A oder x D @yA : (1.1)
Darstellung in einem Koordinatensystem unterscheiden muss.
x3 z
Um der Übersicht in diesem Kapitel Vorrang vor Vollständig-
Die entsprechenden Zeilenvektoren nennt man transponiert. Sie keit zu geben, werden die entsprechenden Verallgemeinerungen
werden in der Form x> D .x1 ; x2 ; x3 / geschrieben. Eine mathe- erst in Kap. 2 diskutiert. J
matische Einführung in Vektorräume und die Darstellung eines
Die Beschleunigung einer Punktmasse schließlich ist die Ände-
Vektors in einem Koordinatensystem finden Sie im „Mathema-
rung ihrer Geschwindigkeit mit der Zeit,
tischen Hintergrund“ 1.1.
Vektorräume spielen in der Physik eine zentrale Rolle. Mit ihrer dv.t/ d2 x.t/
a.t/ D D DW xR .t/; (1.5)
Hilfe lassen sich alle Größen beschreiben, deren Linearkombi- dt dt2
nationen wieder einen Vektor ergeben. Man begegnet Vektoren und somit die zweite Zeitableitung des Ortes.
über die Mechanik hinaus in praktisch allen physikalischen Dis-
ziplinen. In Aufgabe 1.1 wird die Vektorrechnung vertieft.
Die Bahnkurve x.t/ einer Punktmasse ist die zentrale Größe in Das klassische Relativitätsprinzip
der Mechanik von Punktmassen. Sie gibt an, wie sich ihre Koor-
dinaten im gewählten Bezugssystem mit der Zeit t ändern. Die Das Relativitätsprinzip besagt, dass zwei mit konstanter Ge-
Bahnkurve enthält alle Raumpunkte, welche die Punktmasse im schwindigkeit relativ zueinander bewegte Koordinatensysteme
Laufe der Zeit durchläuft. Dies ist in Abb. 1.1 dargestellt. In äquivalent sind, d. h., keines dieser beiden Systeme ist irgend-
Kap. 2 werden wir detailliert untersuchen, wie die Koordinaten wie vor dem anderen ausgezeichnet. Durch eine Messung lässt
einer Punktmasse von der Wahl des Koordinatensystems abhän- sich folglich nicht entscheiden, ob ein gegebenes System ruht
gen und wie man zwischen verschiedenen Koordinatensystemen oder sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt. Nur die rela-
transformieren kann. tive Geschwindigkeit zweier Systeme ist messbar.
6 1 Die Newton’schen Axiome
Kapitel 1

1.2 Mathematischer Hintergrund: Metrische und normierte Räume

Metrische und normierte Räume werden eingeführt, um den kxk D jj kxk (Homogenität)
Abstandsbegriff zwischen Punkten im R3 auf beliebige Men- kx C yk  kxk C kyk (Dreiecksungleichung)
gen zu verallgemeinern. Dies geht wie folgt:
für alle x; y 2 V und  2 K.
Definition Metrik Eine Metrik auf einer Menge X ist eine
Abbildung d W X  X ! R mit den Eigenschaften Ein Vektorraum V mit Norm kk wird als normierter Raum
bezeichnet. Jeder normierte Raum ist durch d.x; y/ WD kx 
d.x; y/  0, d.x; y/ D 0 , x D y (Definitheit) yk auch ein metrischer Raum. Ein vollständiger normierter
d.x; y/ D d.y; x/ (Symmetrie) Raum heißt Banach-Raum.
d.x; z/  d.x; y/ C d.y; z/ (Dreiecksungleichung) Vektoren v 2 V mit kvk D 1 nennt man Einheitsvektoren
bezüglich der Norm kk. In diesem Buch werden Einheitsvek-
für beliebige x; y 2 X. Die Dreiecksungleichung besagt an- toren in der Regel fett und mit einem Hut dargestellt, z. B. v.
O
schaulich nichts anderes, als dass jeder Umweg von x nach z
über y länger ist als der direkte Weg von x nach z. Eine Menge Beispiele
X mit einer Metrik d wird als metrischer Raum bezeichnet. p
Rn mit kxkk WD k jx1 jk C jx2 jk C : : : C jxn jk
Mithilfe der Metrik kann der aus R bekannte Konvergenz- Rn mit kxk1 WD max.jx1 j; jx2 j; : : : ; jxn j/ (Maximums-
begriff auf X übertragen werden: Eine Punktfolge .xn / aus norm)
X konvergiert gegen x 2 X, wenn die Folgenglieder irgend- der Vektorraum der integrierbaren Funktionen f W Œ0; 1
wann beliebig nahe bei x liegen, d. h. wenn es zu jedem " > 0 R1
! R mit der Norm kf k WD 0 jf .x/j dx
ein n" 2 N gibt, sodass d.xi ; x/ < " für alle i  n" gilt.
der Vektorraum der beschränkten Funktionen f W I ! R
Auch der Begriff einer Cauchy-Folge lässt sich aus R über- auf einem Intervall I  R mit der Supremumsnorm
tragen: Eine Folge .xn / aus X heißt Cauchy-Folge, wenn die kf k1 WD supff .x/ j x 2 Ig (das Supremum einer nach
Folgenglieder irgendwann beliebig nahe beieinander liegen, oben beschränkten nichtleeren Menge M  R ist die
d. h. wenn es zu jedem " > 0 ein n" 2 N gibt, sodass kleinste obere Schranke aller Elemente von M)
d.xi ; xj / < " für alle i; j  n" gilt. Hat der metrische Raum die
Eigenschaft, dass jede Cauchy-Folge konvergiert, so nennt Die euklidische Norm kk2 im Rn entspricht genau der Länge
man den Raum vollständig. des durch die Komponenten .x1 ; x2 ; : : : ; xn / beschriebenen
Verschiebepfeiles. Außerdem ist kxk1 D limk!1 kxkk .
Definition Norm Sei V ein reeller oder komplexer Vektor-
raum über K (d. h. über K D R oder K D C). (Komplexe Äquivalenz von Normen In einem Vektorraum kann es
Zahlen werden in Kap. 6 besprochen.) Eine Norm auf V ist mehrere verschiedene Normen geben (siehe obige Beispie-
eine Abbildung kk W V ! R, v 7! kvk mit le). In endlich-dimensionalen Vektorräumen sind allerdings
alle Normen äquivalent und führen auf den gleichen Konver-
kxk  0, kxk D 0 , x D 0 (Definitheit) genzbegriff.

Sämtliche physikalischen Gesetze, die im Rahmen der klassi- Kräften verknüpft sind, welche diese Beschleunigungen erzeu-
schen Mechanik aufgestellt und abgeleitet werden, liefern daher gen.
identische Resultate in allen Bezugssystemen, die sich rela-
tiv zueinander mit einer konstanten Geschwindigkeit bewegen.
Dies kann man sich folgendermaßen veranschaulichen: Sitzt
man im Zug und beobachtet durch das Fenster einen anderen 1.2 Die Newton’schen Axiome
Zug und physikalische Phänomene in seinem Inneren, so kann
man daraus nicht ableiten, ob der eigene Zug vorwärts oder der Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit den Newton’schen Axio-
andere rückwärts fährt. Nur die Relativgeschwindigkeit der Zü- men, welche die Grundlage der klassischen Mechanik bilden.
ge ist direkt bestimmbar, wenn man nicht zusätzlich die Gleise Sie können als fundamentale Naturgesetze innerhalb eines be-
oder die Landschaft beobachtet (und damit ein weiteres Bezugs- stimmten, in der Einleitung beschriebenen Geltungsbereichs
system heranzieht). angesehen werden. Weiterhin werden Inertialsysteme definiert,
in denen die Grundgleichungen der Mechanik eine besonders
Im Gegensatz zu Geschwindigkeiten sind Beschleunigungen je- einfache Form annehmen. Der Begriff des Inertialsystems ist
doch stets messbar. Wir werden in Kürze sehen, dass sie eng mit eng mit dem der Kräfte und Beschleunigungen verbunden, was
1.2 Die Newton’schen Axiome 7

Kapitel 1
1.3 Mathematischer Hintergrund: Skalarprodukt, euklidische Räume

Das Skalarprodukt von Vektoren im Rn ist schon aus der Vektoren einer Basis fe1 ; e2 ; : : : ; en g und die Koordinaten
Schule bekannt. Es gilt nun, dieses Konzept auf Vektorräu- von
P x und y bezüglich
P dieser Basis bekannt Psind. Für x D
me zu verallgemeinern. i xi ei und y D j yj ej ergibt sich hx; yi D i;j xi yj hei ; ej i.

Definition Skalarprodukt Sei V ein Vektorraum über Orthogonalität von Vektoren Zwei Vektoren x und y
dem Körper K. Ein Skalarprodukt ist eine Abbildung V  in V heißen orthogonal (bezüglich des Skalarprodukts h; i),
V ! K (wobei wir hier nur die Körper K D R oder K D C wenn hx; yi D 0 ist. Eine Basis von V, bei der verschiedene
betrachten; wer mit den komplexen Zahlen noch nichts an- Basisvektoren zueinander orthogonal sind, also hei ; ej i D 0
fangen kann, kann sich hier immer K D R vorstellen), für alle i ¤ j gilt, nennt man Orthogonalbasis von V.
.x; y/ 7! hx; yi mit den Eigenschaften Für eine Orthogonalbasis vereinfacht
P sich das Skalarprodukt
zwischen x und y zu hx; yi D i xi yi hei ; ei i. Gilt jetzt auch
N 1 ; y1 i C hx
hx1 C x2 ; y1 i D hx N 2 ; y1 i (Bilinearität) noch hei ; ei i D 1 für alle i, sind also alle Basisvektoren Ein-
hx1 ; y1 C y2 i D hx1 ; y1 i C hx1 ; y2 i heitsvektoren, so spricht man von einer Orthonormalbasis
hx; xi  0, hx; xi D 0 , x D 0 (Definitheit) von V. Bezüglich einer Orthonormalbasis kann das Skalar-
produkt zweier Vektoren einfach ausPden Koordinaten der
Vektoren berechnet werden: hx; yi D i xi yi .
für alle x; x1 ; x2 ; y1 ; y2 2 V und ;  2 K. Hierbei bezeichnet
N das komplex Konjugierte zu . Im Falle K D R kann die Ausgehend von einer beliebigen Basis von V kann man in
komplexe Konjugation weggelassen werden. endlich vielen Schritten eine Orthonormalbasis von V finden
(Gram-Schmidt’sches Orthogonalisierungsverfahren).
Bei Vektoren x; y 2 R3 wird in diesem Buch für das Skalar-
produkt auch die Schreibweise x  y verwendet. Man spricht Geometrische Bedeutung Im R3 bezüglich der Stan-
häufig auch vom inneren Produkt. dardbasis (kartesische Koordinaten) gilt x  y D jxjjyj cos ˛,
wobei ˛ der zwischen x und y eingeschlossene Winkel ist.
Definition euklidischer Raum Ein Vektorraum über R Dies rechtfertigt auch die Verwendung des Begriffs orthogo-
mit Skalarprodukt heißt euklidischer Raum. nal für x  y D 0, denn nur in diesem Fall stehen die Vektoren
Jeder euklidische Raum ist durch kvk WD .hv; vi/1=2 auch ein x und y im R3 genau senkrecht aufeinander. Ist yO ein Einheits-
normierter Raum. In euklidischen Räumen sind die Einheits- vektor, dann ist im R3 das Skalarprodukt x  yO genau gleich
der Länge der Projektion von x auf yO . Ist fe1 ; e2 ; : : : ; en g eine
vektoren genau die Vektoren mit hv; vi D 1.
Orthogonalbasis von V, dann können die Koordinaten von x
Im Folgenden sei V endlich-dimensional. Aufgrund der Bi- mithilfe des Skalarprodukts berechnet werden: xi D hx; ei i.
linearität des Skalarprodukts kann man den Wert von hx; yi Auch hier sind die Skalarprodukte gleich den Projektionen
berechnen, wenn alle Skalarprodukte hei ; ej i zwischen den von x auf ei .

wiederum eine Diskussion der Masse erfordert. Im Anschluss


wird das Konzept des Gravitationsfeldes eingeführt. Abschlie- durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zu-
ßend werden die physikalischen Einheiten vorgestellt, die zur stand zu ändern.
Quantifizierung mechanischer Systeme verwendet werden.

Durch dieses Axiom wird das Beharrungsvermögen des Kör-


pers, seine Trägheit, postuliert. Weiterhin definiert man als
Das erste Newton’sche Axiom Bewegungsgröße das Produkt aus Masse m und Geschwindig-
keit v als den Impuls
p D mv: (1.6)
Das erste Newton’sche Axiom wird auch Trägheitsgesetz oder
Lex Prima genannt. Somit besagt das Trägheitsgesetz, dass der Impuls erhalten ist,
p D const; (1.7)

Erstes Newton’sches Axiom wenn Kräfte abwesend sind. Die Begriffe „Masse“ und „Kraft“
verwenden wir hier zunächst rein intuitiv, sie müssen noch defi-
Jeder Körper beharrt in seinem Zustand der Ruhe oder niert werden. Die Masse m, die im Bewegungsgesetz auftritt, sei
gleichförmigen geradlinigen Bewegung, wenn er nicht hier jedoch als die träge Masse eingeführt, auf die wir in Kürze
zurückkommen werden.
8 1 Die Newton’schen Axiome

Das zweite Newton’sche Axiom entlang jeder Raumrichtung. Die Anzahl der Freiheitsgrade ent-
Kapitel 1

spricht folglich der Anzahl der unabhängigen Parameter, die ein


System beschreiben. Unterliegt ein System Zwangsbedingungen
Das zweite Newton’sche Axiom wird auch als Bewegungsgesetz (z. B. die eingeschränkte Bewegung auf einer Tischplatte), so ist
oder Lex Secunda bezeichnet. die Zahl der Freiheitsgrade reduziert. Wir werden uns in Kap. 5
ausführlich mit diesem Thema beschäftigen. Im Folgenden
gehen wir aber zunächst davon aus, dass keine Zwangsbedin-
Zweites Newton’sches Axiom gungen existieren.
Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der be- Das zweite Newton’sche Axiom kann über den axiomatischen
wegenden Kraft proportional und geschieht nach der Rich- Status hinaus als Naturgesetz aufgefasst werden, da es aus
tung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft empirischen Beobachtungen abgeleitet wurde und Vorhersagen
wirkt. erlaubt. Es ist somit das Grundgesetz der Mechanik.

In mathematischer Form lautet es


Das dritte Newton’sche Axiom
pP D F; (1.8)
wobei der Impuls p die Bewegungsgröße ist. Für eine zeitlich Das dritte Newton’sche Axiom charakterisiert die Wechselwir-
konstante Masse gilt wegen (1.6) kung zweier Punktmassen.

mRx D F: (1.9)
Drittes Newton’sches Axiom
Unter der Trägheit einer Masse versteht man also den Wider-
stand gegen eine Beschleunigung: je größer die träge Masse m, Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich, d. h., die
desto kleiner die Beschleunigung xR für eine gegebene Kraft F. Wirkungen zweier Körper aufeinander sind stets betrags-
gleich, aber von entgegengesetzter Richtung.
Kräfte werden definiert, indem man Messvorschriften angibt,
die z. B. eine unbekannte mit einer bekannten Kraft vergleichen.
Die Gravitationskraft wird dabei häufig als Referenzkraft ver- Dieses Reaktionsgesetz oder Lex Tertia ist insbesondere in sei-
wendet. ner prägnanten Form actio = reactio bekannt. Mathematisch
formuliert lautet es
Im Allgemeinen sind Kräfte Funktionen von Ort und Ge-
F12 D F21 ; (1.11)
schwindigkeit. Wir wollen hier annehmen, dass sie nur von
momentanen Größen und nicht von Eigenschaften des Systems wobei F12 die Kraft ist, die von einer zweiten Punktmasse auf
in der Vergangenheit abhängen. Die Lorentz-Kraft, die auf ein die erste ausgeübt wird. Entsprechend ist F21 die Kraft, wel-
geladenes Teilchen im Magnetfeld wirkt, ist beispielsweise ge- che die zweite Punktmasse durch die erste erfährt. Hierbei spielt
schwindigkeitsabhängig. Sie wird in Bd. 2 gründlich behandelt, es keine Rolle, durch welchen physikalischen Mechanismus die
wird aber auch bereits in Aufgabe 1.4 ein erstes Mal untersucht. Kräfte F12 und F21 erzeugt werden. Das dritte Newton’sche
Reibungskräfte sind ebenfalls von der Geschwindigkeit abhän- Axiom ist in Abb. 1.2 dargestellt.
gig. Auf sie wird in Abschn. 1.3 wieder eingegangen. Beispiele Achtung In der Literatur wird die Indexreihenfolge der Kräf-
für geschwindigkeitsunabhängige Kräfte sind die Gravitations- te häufig genau anders herum notiert. Der Vorteil der hier
und die Coulomb-Kraft, die beide proportional zum inversen gewählten Schreibweise ist, dass der erste Index (der am nächs-
Abstandsquadrat sind. Diese beiden Kräfte wirken außerdem ten am Kraftsymbol steht) die betrachtete Punktmasse an-
entlang des Abstandsvektors, gibt. J
F12 k ˙ .x1  x2 /; (1.10)
wobei x1 und x2 die Positionen der beiden wechselwirkenden Das vierte Newton’sche Axiom
Punktmassen sind. Kräfte, welche diese Eigenschaft besitzen,
nennt man Zentralkräfte. Wir werden in Kürze auf die Gravita- Es gibt eine wichtige Erweiterung zu den Newton’schen Axio-
tionskraft zwischen zwei Punktmassen zurückkommen. men. Von Newton selbst als Zusatz formuliert, bezeichnet man
Man erkennt, dass Bewegungsgleichungen in der Regel zwei- den folgenden Zusammenhang heute häufig als Lex Quarta.
te Ableitungen des Ortes nach der Zeit beinhalten und somit
Differenzialgleichungen sind (siehe „Mathematischer Hinter-
Viertes Newton’sches Axiom
grund“ 1.4 und 1.5). Im Allgemeinen führen die Gleichungen
der Mechanik für N Teilchen auf 3N Differenzialgleichungen Wirken auf einen Punkt mehrere Kräfte, so addieren sich
zweiter Ordnung. Der Faktor 3 rührt daher, dass jedes Punktteil- diese vektoriell zu einer resultierenden Kraft auf.
chen drei Freiheitsgrade besitzt, jeweils einen für die Bewegung
1.2 Die Newton’schen Axiome 9

anderen ausgezeichnet sind. Offenbar macht es physikalisch

Kapitel 1
einen Unterschied, ob die Bahnkurve einer Punktmasse in ei-
nem Bezugssystem betrachtet wird, das sich mit ihm bewegt,
oder in einem Bezugssystem, das sich relativ dazu bewegt. Dies
führt auf den Begriff der Inertialsysteme. Ein Inertialsystem ist
ein solches Bezugssystem, in dem das erste Newton’sche Axi-
om gilt, in dem sich also ein kräftefreier Körper geradlinig-
gleichförmig bewegt. Man bezeichnet Bezugssysteme dann als
Inertialsysteme, wenn sie sich mit einer geradlinigen und kon-
stanten Geschwindigkeit gegenüber den Fixsternen bewegen.
Wir werden in Kap. 9 gründlicher über Inertialsysteme und den
sogenannten absoluten Raum sprechen, der von Newton einge-
führt wurde.
Abb. 1.2 Wirft eine im Boot sitzende Person ein Fass nach rechts, so
wirkt während des Wurfes eine Kraft CF auf das Fass, während die
Person die Kraft F erfährt. Dies ist eine direkte Folge des dritten
Newton’schen Axioms in (1.11). Dadurch wird das Boot nach links be- Inertialsysteme
schleunigt Inertialsysteme sind Bezugssysteme, in denen sich ein
kräftefreier Körper geradlinig-gleichförmig bewegt. Das
erste Newton’sche Axiom dient der Einführung der Inerti-
alsysteme, da es nur in solchen gilt.
F

F2
Ein Beispiel für ein Bezugssystem, in dem das erste New-
ton’sche Axiom in der Form (1.7) nicht gilt, ist eine rotierende
m F1 Scheibe. Auf ihr kann eine Punktmasse nur dann in Ruhe blei-
ben, wenn sie durch eine Kraft festgehalten wird. Es ist zu
Abb. 1.3 Die Gesamtkraft F auf eine Punktmasse m ist die Superposi- betonen, dass Naturgesetze im Allgemeinen und das zweite
tion der beiden Einzelkräfte F1 und F2 . Diese Aussage gilt für beliebig Newton’sche Axiom im Speziellen auch in Nichtinertialsyste-
viele Einzelkräfte, wird hier aber aus Gründen der Übersichtlichkeit nur men formuliert werden können, dabei aber in der Regel kom-
für zwei Kräfte gezeigt plexer sind. Eine entsprechende Erweiterung der Bewegungs-
gleichungen (1.9) auf beschleunigte und krummlinige (d. h.
nichtkartesische) Bezugssysteme wird in Kap. 2 besprochen.
Dieses Superpositionsprinzip ist tatsächlich von entscheidender
Bedeutung für die Mechanik und die gesamte Physik. In mathe-
matischer Schreibweise lautet es Frage 1
X
N Überlegen Sie sich, warum ein Flugzeug während des Flu-
FD Fi ; (1.12) ges näherungsweise als Inertialsystem aufgefasst werden kann,
iD1 nicht jedoch während Start und Landung.
wobei die N Kräfte Fi auf eine Punktmasse wirken und zu einer
resultierenden Kraft F aufaddiert werden können (Abb. 1.3).
Das Zusammenspiel von Inertialsystemen, Kräften und dem ers-
Achtung In der klassischen Mechanik werden Mehrkörper- ten Newton’schen Axiom weist auf ein Dilemma hin, das bereits
kräfte (z. B. F123 oder F1234 ) ausgeschlossen. Stattdessen wird von Newton erkannt wurde: Die Definitionen von Kräften und
angenommen, dass alle Kräfte in einem mechanischen System Inertialsystemen sind zyklisch verbunden. Erst wenn ein Inerti-
als lineare Überlagerung von Zweikörperkräften der Form F12 alsystem eingeführt wurde, kann man Kräfte sinnvoll definieren,
gebildet werden können. Dies gilt z. B. nicht mehr, wenn Effekte da vorher nicht klar ist, ob eine nicht geradlinig-gleichförmige
der allgemeinen Relativitätstheorie ins Spiel kommen. J Bewegung auf eine Kraft oder darauf zurückzuführen ist, dass
das Bezugssystem kein Inertialsystem ist. Andererseits kann
man Inertialsysteme nicht definieren, ohne auf Kräfte Bezug zu
Inertialsysteme und ihre Bedeutung nehmen, weil sie als Bezugssysteme definiert sind, in denen sich
kräftefreie Körper geradlinig-gleichförmig bewegen. In diesem
für die klassische Mechanik Sinne sollte das erste Newton’sche Axiom nicht als Spezialfall
des zweiten Axioms in Abwesenheit von Kräften interpretiert
Koordinatensysteme lassen sich aus mathematischer Sicht be- werden. Vielmehr ist der Zweck des ersten Axioms die Einfüh-
liebig wählen. Physikalisch gesehen stellt sich jedoch die Frage, rung der Inertialsysteme, auch wenn dies in seiner Formulierung
ob es eine Klasse von Koordinatensystemen gibt, die gegenüber nicht direkt offensichtlich ist.
10 1 Die Newton’schen Axiome

Da Kräfte nicht ohne Klarheit über Inertialsysteme und Iner- Das empirische Galilei’sche Fallgesetz besagt, dass alle Körper
Kapitel 1

tialsysteme nicht ohne Klarheit über Kräfte definiert werden im Gravitationsfeld der Erde gleich schnell fallen, also gleich
können, wird diese Problematik häufig schlicht verschwiegen stark beschleunigt werden, wenn Reibung vernachlässigt wird.
und ignoriert. Die konzeptionellen Schwierigkeiten, welche Aus dieser Beobachtung lässt sich ableiten, dass schwere und
durch die scheinbar einfachen Newton’schen Axiome aufge- träge Massen proportional sind.
worfen werden, wurden vor kurzem von Herbert Pfister im
Physik-Journal diskutiert (Pfister 2016). Frage 2
Machen Sie sich klar, dass aus dem zweiten Newton’schen Axi-
Im Alltag ist es möglich, die oben angesprochene zyklische om und dem Galilei’schen Fallgesetz direkt folgt, dass träge und
Argumentation durch Näherungen zu umgehen. Die Erdober- schwere Massen proportional sein müssen.
fläche, die jedem Menschen als Laborsystem geläufig ist, ist
streng genommen kein Inertialsystem, da sie sich relativ zu den
Fixsternen dreht. Jedoch sind die damit verbundenen Effekte in Wie wir in Kürze sehen werden, kann die Proportionalität von
der Regel so klein, dass sie im Alltag kaum eine Rolle spielen. träger und schwerer Masse durch eine geeignete Wahl der Gra-
In solchen Fällen kann man die Erdoberfläche als Inertialsystem vitationskonstanten G in eine Gleichheit überführt werden. Im
ansehen. Ausnahmen sind beispielsweise tropische Wirbelstür- Folgenden wird daher generell nicht mehr zwischen träger und
me, die erst durch die Erddrehung entstehen können. Solche schwerer Masse unterschieden. Die Äquivalenz von schwerer
Wirbelstürme werden durch die Erddrehung beeinflusst, da ihre und träger Masse ist im Rahmen der klassischen Mechanik nicht
Ausdehnung nicht mehr klein gegenüber dem Erdradius ist. Wir erklärbar, bildet allerdings eine wichtige Voraussetzung für die
kommen in Kap. 2 darauf zurück. Streng genommen bilden auch allgemeine Relativitätstheorie und findet dort eine natürliche Er-
die Fixsterne kein Inertialsystem, da Galaxien rotieren. Ein voll- klärung.
ständiger Umlauf dauert aber viele Millionen Jahre und kann
für alle alltäglichen Phänomene getrost vernachlässigt werden.
Schwere und träge Masse
In der klassischen Mechanik (und sogar darüber hinaus)
sind schwere und träge Masse äquivalent.
Schwere und träge Massen
Im Rahmen der nichtrelativistischen Mechanik ist ferner die Ge-
Der trägen Masse sind wir bereits im Zusammenhang mit dem samtmasse in einem abgeschlossenen System erhalten. Sie kann
ersten Newton’schen Axiom (1.6) begegnet. Sie ist die Eigen- weder erzeugt noch vernichtet werden. Allerdings kann Mas-
schaft eines Körpers, sich einer Beschleunigung durch eine se von einem Teilsystem in ein anderes übertragen werden. So
Kraft zu widersetzen, und sie ist in allen Bezugssystemen iden- ist zwar die Masse einer Rakete nicht erhalten, aber die Ge-
tisch. Je größer also die träge Masse m eines Körpers ist, samtmasse der Rakete und des ausgestoßenen Treibstoffs sind
desto kleiner fällt die Beschleunigung a bei einer gegebenen konstant.
Kraft F aus. Träge Massen lassen sich auf verschiedene Arten
bestimmen. Das offensichtliche Verfahren ist, die Beschleuni-
gung unter der Wirkung einer bekannten Kraft zu messen. Durch
Stoßexperimente zweier Körper lässt sich die unbekannte träge Das Gravitationsfeld
Masse des einen Körpers bestimmen, wenn diejenige des an-
deren gegeben ist. Dabei muss die Kraft, welche die Körper In (1.13) wurde die Gravitationskraft zwischen zwei Punktmas-
während des Stoßes aufeinander ausüben, nicht bekannt sein. sen m1 und m2 an den Orten x1 und x2 eingeführt:
Die schwere Masse hingegen wird über die Gravitationskraft de- Gm1 m2 x2  x1
finiert, die eine Masse m1 auf eine zweite Masse m2 ausübt: F21 .x2  x1 / D  : (1.14)
jx2  x1 j2 jx2  x1 j
Gm1 m2 r Gm1 m2 Diese Gleichung lässt sich auch in anderer Weise interpretieren,
F21 D  2
D eO r : (1.13) indem sie in der Form
r r r2
Hierbei ist r WD x2  x1 der Vektor, der von der Punktmasse m1 F21 .x2  x1 / D m2 g1 .x2 / (1.15)
zu m2 zeigt, r ist seine Länge und eO r ist der Einheitsvektor ent- geschrieben wird. Hierbei ist
lang des Vektors r. Die Größe G ist die Gravitationskonstante. Gm1 x  x1
Die schwere Masse eines Körpers kann durch Wägen bestimmt g1 .x/ D  (1.16)
werden, indem man die durch die Erde verursachte Gravitations- jx  x1 j jx  x1 j
2

kraft auf diesen Körper misst und mit der Kraft vergleicht, die das Gravitationsfeld, das von der Punktmasse m1 am Ort x er-
auf einen Körper mit bekannter schwerer Masse wirkt. Dies ist zeugt wird. Dieses Feld wird von der Punktmasse m2 am Ort
auch der Grund, warum im alltäglichen Sprachgebrauch Massen x2 wahrgenommen. Obwohl mathematisch gleichwertig, unter-
fälschlicherweise mit Gewichten (Kräfte) gleichgesetzt werden scheiden sich beide Betrachtungsweisen physikalisch grundle-
(„. . . wiegt ein Kilo“). gend:
1.2 Die Newton’schen Axiome 11

Im Kraft-Bild existiert die Kraft F21 .x2 x1 / nur dann, wenn Tab. 1.1 Wichtige mechanische Größen und ihre SI- und CGS-Einhei-
zwei Punktmassen m1 und m2 im Abstand jx1  x2 j gravitativ

Kapitel 1
ten. Die Einheiten für Länge, Zeit und Masse sind die Grundeinheiten,
wechselwirken. alle anderen sind abgeleitete Einheiten. In Bd. 2, Abschn. 1.3 werden
Das Gravitationsfeld g1 .x/ ist jedoch auch in Abwesenheit die Einheiten der Elektrodynamik aufgelistet
der Punktmasse m2 definiert, und zwar an jedem Punkt im Größe SI-Einheit CGS-Einheit
Raum. Befindet sich nun m2 am Ort x2 , so führt dies auf eine Länge m cm
Anziehungskraft, die F21 .x2  x1 / entspricht. Zeit s s
Masse kg g
In der Physik, insbesondere bei der Beschreibung der Ele- Geschw. m s1 cm s1
mentarteilchen, ist der Begriff der Kopplung sehr wichtig. Man Beschl. m s2 Gal D cm s2 (Gal)
sagt, dass bestimmte Größen (z. B. Masse oder Ladung) an ein Kraft N D kg m s2 (Newton) dyn D g cm s2 (Dyn)
Feld koppeln (z. B. an das Gravitations- oder elektromagneti- Energie J D N m (Joule) erg D dyn cm (Erg)
sche Feld). Kopplungskonstanten geben dann die Stärke der Leistung W D J s1 (Watt) erg s1
Wechselwirkung an. Es ist sinnvoll, in diesem Bild zu denken,
da gewisse Teilchen bestimmte Felder nicht wahrnehmen bzw.
nicht an sie ankoppeln. Ein Beispiel ist eine ungeladene Punkt- Der Grund ist das zweite Newton’sche Axiom in (1.9), das Mas-
masse im elektromagnetischen Feld. se, Raum und Zeit (in Form der zweiten Ableitung des Ortes
nach der Zeit) und die Kraft in Relation setzt. Die vier Grund-
Frage 3 größen sind daher nicht unabhängig voneinander.
Man mache sich klar, dass die Gravitationskraft F21 .x2  x1 /
Genau wie für die Impulsänderung und Kraft im zweiten New-
gleichwertig in den Formen F21 D m2 g1 .x2 / und F12 D
ton’schen Axiom lässt sich die Proportionalität von schwerer
m1 g2 .x1 / geschrieben werden kann.
und träger Masse in eine Gleichheit umwandeln. Hierfür ist es
nötig, die Gravitationskonstante G entsprechend zu definieren.
Das physikalische Konzept von Feldern spielt in der theoreti- Zur Veranschaulichung gehen wir von der Kraft aus, die eine
schen Physik eine zentrale Rolle, wird aber in der klassischen Masse m1 auf eine Masse m2 ausübt (1.13). Die Masse der Er-
Mechanik noch nicht benötigt. Es wird daher erst in Bd. 2 aus- de sei m2 , und eine Testmasse mit m1 D 1 kg befinde sich auf
führlich besprochen. Dort wird sich schließlich herausstellen, der Erdoberfläche und somit etwa 6378 km vom Zentrum der
dass ein physikalisches Feld wesentlich mehr als eine mathema- Erde entfernt, r D 6378 km. Durch eine Messung wird festge-
tische Hilfsgröße darstellt. stellt, dass eine Gravitationskraft von F D 9:81 N auf m1 wirkt.
Die Gravitationskraft in (1.13) beschleunigt m1 , sodass aus dem
zweiten Newton’schen Axiom

Die Einheiten der mechanischen Größen Gms1 ms2


mt1 a1 D (1.18)
r2
Die Gültigkeit des zweiten Newton’schen Axioms (1.9) setzt ei- folgt. Hier wird explizit zwischen trägen (mt ) und schweren
ne geeignete Wahl der Einheiten von Masse, Beschleunigung Massen (ms ) unterschieden. Nimmt man Proportionalität von
und Kraft voraus. Dies kann man sich anhand der Gleichung schwerer und träger Masse an,
pP D  F (1.17)
ms D ˇmt ; (1.19)
klarmachen, wobei  eine Konstante ist. Dieses allgemeiner
gehaltene zweite Newton’sche Axiom sagt aus, dass Impulsän- schreibt man
Gˇms2
derung und Kraft proportional sind, wobei  die entsprechende a1 D : (1.20)
Proportionalitätskonstante ist. Nun lassen sich die Einheiten so r2
wählen, dass  D 1 wird und das bekannte zweite Newton’sche Durch Absorption von ˇ in die Gravitationskonstante kann eine
Axiom in Erscheinung tritt. Gleichheit von schwerer und träger Masse erzielt werden.
Am häufigsten werden in der Physik die SI-Einheiten (Systè-
Bei bekanntem Erdradius kann auf diese Weise übrigens nur
me international d’unités) oder die CGS-Einheiten (Centimetre
das Produkt von Erdmasse und Gravitationskonstante gemes-
Gram Second) verwendet. Für mechanische Systeme werden
sen werden. Die Bestimmung der Erdmasse ist nur möglich,
dabei stets drei Grundeinheiten benötigt, von denen andere Ein-
wenn die Gravitationskonstante in unabhängigen Experimen-
heiten abgeleitet werden. Die wichtigsten mechanischen Größen
ten bestimmt wird, z. B. durch die Gravitationskraft zwischen
und ihre SI- und CGS-Einheiten sind in Tab. 1.1 aufgelistet.
zwei Kugeln bekannter Masse (Cavendish-Experiment). Der
Obwohl es in der klassischen Mechanik vier Grundgrößen gibt im Jahre 2014 empfohlene Wert der Gravitationskonstanten ist
(Masse, Raum, Zeit, Kraft), werden nur drei Einheiten benötigt. G D 6;67408.31/  1011 m3 kg1 s2 .
12 1 Die Newton’schen Axiome

1.3 Eindimensionale Bewegung ist die Identifikation von erhaltenen Größen (z. B. Energie
Kapitel 1

oder Impuls) ein zentraler Aspekt der gesamten theoreti-


im homogenen Schwerefeld schen Physik. Dies wird im Verlauf dieses Buches vielfach
deutlich werden.
Nachdem wir nun zentrale mathematische Größen und die New-
Man unterscheidet dabei in der Mechanik die Begriffe Kinema-
ton’schen Axiome eingeführt haben, liegt der Fokus dieses
tik und Dynamik. Die Kinematik befasst sich lediglich mit der
Abschnitts auf der Lösung einiger einfacher mechanischer Pro-
Untersuchung der Beschleunigung, Geschwindigkeit und Bahn-
bleme. Die eindimensionale Bewegung einer einzelnen Punkt-
kurve von Massen, ohne nach den wirkenden Kräften zu fragen.
masse unter dem Einfluss eines homogenen Schwerefeldes wird
Im Gegensatz dazu beschreibt die Dynamik außerdem, welche
anhand von einigen Beispielen untersucht. Dazu gehören der
Kräfte auf die Massen wirken und welche Mechanismen dafür
freie Fall und der Fall mit Reibung. Weiterhin wird die Rake-
verantwortlich sind.
tengleichung hergeleitet und für einen Spezialfall gelöst. Da es
sich bei den Bewegungsgleichungen um Differenzialgleichun- Im Folgenden wird die Bewegung einer Punktmasse unter dem
gen handelt, werden diese mathematisch genauer beleuchtet und Einfluss einer homogenen Gravitationskraft untersucht.
einige Lösungsverfahren vorgestellt.

Der freie Fall aus geringer Höhe


Vorbemerkungen zur Lösung
mechanischer Probleme Der einfachste, nichttriviale Spezialfall für ein äußeres Kraftfeld
ist ein homogenes Kraftfeld:
Das Schema zur Lösung von mechanischen Problemen lässt sich F.x/ D const: (1.21)
generell in drei Schritte unterteilen:
Dies ist beispielsweise eine gute Näherung für das Gravitati-
1. Zu Beginn werden die Bewegungsgleichungen aufgestellt, onsfeld der Erde nahe ihrer Oberfläche, solange die Punktmasse
die das mechanische Problem beschreiben. Dies sind in der sich in einem Raumvolumen bewegt, dessen Höhe h und seitli-
Regel Differenzialgleichungen zweiter Ordnung in der Zeit. che Ausdehnung l klein im Vergleich zum Erdradius sind, d. h.
2. Die Bewegungsgleichungen werden mithilfe mathemati- h; l RErde . In diesem Fall kann das Kraftfeld durch
scher Methoden gelöst. Der Aufwand hängt dabei stark von FG D mg eO 3 (1.22)
den Details (Anzahl der Punktmassen, Art der Kräfte usw.)
ab. Einige mechanische Probleme können analytisch exakt beschrieben werden, wobei eO 3 der Einheitsvektor in x3 -Richtung
gelöst werden, die meisten jedoch nur näherungsweise. In („nach oben“) ist, wie in Abb. 1.4 illustriert. Da die Gra-
manchen Fällen müssen die Gleichungen numerisch, d. h. vitationskraft tatsächlich nach unten wirkt (also in negative
mithilfe von Computern gelöst werden. In jedem Fall sind x3 -Richtung), ist ein Minuszeichen zu berücksichtigen. Die Grö-
Anfangsbedingungen (in Form von Integrationskonstanten) ße g ist die Erdbeschleunigung. Ihr Wert ist nicht überall auf
zu spezifizieren. der Erdoberfläche gleich. Aufgrund der leichten Abweichung
3. Das Auffinden von Erhaltungsgrößen vereinfacht die an- der Erde von der Kugelform und der stärkeren Zentrifugalkraft
schließende Diskussion der Lösungen erheblich. In der Tat am Äquator (Kap. 2) variiert g um einige Promille um den Wert
g D 9;80665 m s2 , der typischerweise als Referenz verwendet
wird (Normalbeschleunigung).
Höhe
x3 Gl. (1.22) führt direkt auf die Bewegungsgleichung

mRx D mg eO 3 : (1.23)

Dies ist eine gewöhnliche, lineare Differenzialgleichung zweiter


Ordnung (siehe „Mathematischer Hintergrund“ 1.4).
m
Verwendet man die Geschwindigkeit, v D xP , so erhält man zwei
Gewichtskraft Differenzialgleichungen erster Ordnung:
F G = −mgeb3
vP D g eO 3 ; xP D v: (1.24)

Diese beiden Gleichungen sind äquivalent zu der ursprünglichen


Bewegungsgleichung (1.23).
Abb. 1.4 Beim freien Fall wirkt lediglich die Gewichtskraft FG D
mg eO 3 auf die Punktmasse m. Es genügt daher eine Diskussion der Es fällt zunächst auf, dass die x1 - und x2 -Komponenten der ers-
x3 -Koordinate ten Gleichung in (1.24) wegen vP 1 D vP 2 D 0 homogen sind. Nur
1.3 Eindimensionale Bewegung im homogenen Schwerefeld 13

Kapitel 1
1.4 Mathematischer Hintergrund: Differenzialgleichungen

Differenzialgleichungen (DGLs) sind Gleichungen zwischen Das wichtigste Ergebnis zur Existenz und Eindeutigkeit
Funktionen und deren Ableitungen. Dies bedeutet, dass die von Lösungen eines Anfangswertproblems ist der Satz
gesuchte Lösung einer DGL bzw. eines Systems von DGLs von
 Picard-Lindelöf
 : Das Anfangswertproblem y0 .x/ D
aus einer bzw. mehreren Funktionen besteht, die die DGL f x; y.x/ ; y.x0 / D y0 mit y W R 7! Rn , f W RnC1 ! Rn und
erfüllen, und zwar nicht nur für vereinzelte Argumente, y0 2 Rn ist lokal eindeutig lösbar (d. h., es gibt eine Umge-
sondern im gesamten Definitionsbereich der Lösungsfunk- bung Œx0 "; x0 C", in der die Lösung eindeutig ist), wenn f in
tion(en). x stetig und in y lokal Lipschitz-stetig (steigungsbeschränkt)
ist, d. h., zu jedem .x; y/ gibt es eine Umgebung U um .x; y/,
Eine DGL heißt gewöhnlich, wenn die Funktionen in der sodass für alle .; y1 /; .; y2 / 2 U, y1 ¤ y2 die Steigung
DGL nur von einer Veränderlichen abhängen. Hängen die jf .;y2 /f .;y1 /j
jy2 y1 j
beschränkt ist.
Funktionen in der DGL von mehreren Veränderlichen ab,
enthält also die DGL partielle Ableitungen, so spricht man
Beweisidee Man konstruiert eine Folge .gn / von
von einer partiellen DGL. Beispiele für gewöhnliche und
 gn W R  ! R ausgehend von g0 .x/ D y0
n n
Näherungslösungen
partielle DGLs sind jeweils 0
über gnC1 .x/ D f x; gn .x/ und gn .x0 / D y0 . Unter Verwen-
dung der Stetigkeitsbedingungen an f kann man zeigen,
df .x/ @g.x; t/ @2 g.x; t/ dass die Folge .gn / gegen eine Lösungsfunktion konvergiert.
D f .x/ und D :
dx @t @x2 Auch die Eindeutigkeit der Lösung kann aus den Stetigkeits-
bedingungen von f gefolgert werden.
Partielle Ableitungen werden im Kasten „Vertiefung: Voll-
ständiges Differenzial“ genauer besprochen. Unter der Ord- Einige Lösungsverfahren für DGLs werden im „Mathemati-
nung einer DGL versteht man den Grad der höchsten auf- schen Hintergrund“ 6.3 vorgestellt.
tretenden Ableitung in der DGL. Die Suche nach Lösungen
einer DGL mit vorgegebenen Werten der Lösungsfunktion
und deren Ableitungen in einem Punkt bezeichnet man als Literatur
Anfangswertproblem.
Walter, W.: Gewöhnliche Differenzialgleichungen: Eine
Im Folgenden wird die häufige Notation y0 .x/ für die Ablei- Einführung. 7. Aufl., Springer (2000)
tung von y nach x verwendet (siehe auch den „Mathemati- Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 2 und Lineare
schen Hintergrund“ 1.7) Algebra 2. 2. Aufl., Spektrum (2012)

die Gleichung für die x3 -Komponente ist inhomogen, vP 3 D g. Man sagt auch, dass die Bewegungen entlang der drei Raum-
(Homogen heißt eine Differenzialgleichung, wenn keine additi- richtungen entkoppelt sind, da die Bewegung der Punktmasse
ven konstanten Terme auftreten; ansonsten ist sie inhomogen.) in eine beliebige Richtung keinen Einfluss auf die Bewegung
Ihre Lösung folgt sofort durch Integration: in eine der beiden übrigen Richtungen hat. Im Folgenden
beschränken wir uns daher auf die Beschreibung der reinen
v3 D gt C C1 : (1.25) Fallbewegung, d. h. auf die Bewegung der Punktmasse entlang
der x3 -Achse. Hierbei unterschlagen wir zur Vereinfachung den
Die Integrationskonstante C1 ist offenbar die Geschwindigkeit Index 3 in der Geschwindigkeit und schreiben v anstatt v3 . Au-
v3 zur Zeit t D 0, also C1 D v3 .t D 0/ D v3;0 . Eine weitere ßerdem notieren wir z anstelle von x3 .
Integration liefert
Zur Zeit t D 0 befinde sich die Punktmasse bei z0 D h > 0 mit
1 Geschwindigkeit v0 D 0. Die Lösung der Bewegungsgleichung
x3 D  gt2 C v3;0 t C C2 : (1.26)
2 lautet dann
1
Demnach ist die zweite Integrationskonstante C2 die x3 -Position z D  gt2 C h: (1.27)
2
der Punktmasse zur Zeit t D 0: C2 D x3 .t D 0/ D x3;0 .
Die Punktmasse benötigt daher die Zeit
Frage 4 s
2h
Überprüfen Sie, dass die Lösungen der Bewegungsgleichungen tD ; (1.28)
für die x1 - und x2 -Komponenten entsprechend xi D vi t C xi;0 g
(i D 1; 2) lauten und somit eine Bewegung mit konstanter Ge-
schwindigkeit innerhalb der x1 -x2 -Ebene beschreiben. um den Erdboden bei z D 0 zu erreichen. Daher wird diese Zeit
auch als Fallzeit bezeichnet. Im Moment des Aufschlags ist die
14 1 Die Newton’schen Axiome
Kapitel 1

1.5 Mathematischer Hintergrund: Differenzialgleichungen


Lösungsverfahren

Es gibt kein festes Lösungsverfahren, mit dem man beliebige mit b ¤ 0 geht nach Substitution von g.t/ D at C by.t/ C c
Differenzialgleichungen (DGLs) lösen kann. Manchmal hilft wegen g0 .t/ D a C by0 .t/ über in
ein geschickter Lösungsansatz, oder eine Lösung kann erra-
ten werden. Folgende „Kochrezepte“ sind beim Lösen von g0 .t/ D a C bf .g.t//;
DGLs nützlich.
welche durch Trennung der Veränderlichen gelöst werden
kann.
Trennung der Veränderlichen für y0 .t/ D f .t/g.y.t//
Um das Anfangswertproblem (AWP) Substitution bei y0 .t/ D f .y.t/=t/ Eine DGL der Form
 
y0 .t/ D f .t/g.y.t// 0 y.t/
y .t/ D f
t
mit f ; g W R ! R stetig, y.t0 / D y0 und g.y0 / ¤ 0 lokal
zu lösen, dividieren wir zunächst durch g.y.t//. Dies ist zu- geht nach der Substitution g.t/ D y.t/=t über in
lässig, da g und y stetig sind und deshalb wegen g.y.t0 // D
g.y0 / ¤ 0 auch g.y.t// ¤ 0 in einer Umgebung U von t0 gilt. f .g.t//  g.t/
g0 .t/ D :
In ganz U hat g.y.t// ferner das gleiche Vorzeichen. Danach t
integrieren wir von t0 bis t und erhalten
Diese DGL kann anschließend durch Trennung der Variablen
gelöst werden.
Zt Zt
y0 ./ P
d D f ./ d; Lineare DGL y.n/ .t/ C n1 ./
D0 a .t/y .t/ D f .t/ Die Lö-
g.y.//
t0 t0 sungsverfahren für lineare DGLs (y.n/ .t/ ist die n-te Ab-
leitung von y nach t) werden im „Mathematischen Hinter-
was aufgrund des Hauptsatzes der Differenzial- und Integral- grund“ 6.3 beleuchtet.
rechnung zur vorigen Gleichung äquivalent ist. Mithilfe der
Numerische Verfahren Selbst wenn ein AWP eindeu-
Kettenregel lässt sich die linke Seite umformen, sodass wir
tig lösbar ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass man
die Lösung explizit angeben kann. Für viele Fragen (z. B.
Zy.t/ Zt Zt Wettervorhersage oder „In welcher Entfernung passiert ein
d  
D f ./ d bzw: H y.t/ D f ./ d Meteoroid die Erde?“) spielt es auch gar keine Rolle, ob die
g. / Lösung einer DGL bzw. eines Systems von DGLs explizit
y0 t0 t0
oder nur implizit angegeben werden kann. Tatsächlich inter-
Rz essiert nur die näherungsweise Berechnung von bestimmten
mit H.z/ D y0 g.d / erhalten. Da g in ganz U das glei- Werten von y.t/; y0 .t/; : : : mit ausreichender Genauigkeit.
che Vorzeichen hat, ist H streng monoton wachsend bzw. Hierzu gibt es zahlreiche numerische Verfahren, deren Be-
1
fallend und besitzt
R t in U eine
 Umkehrfunktion H . Somit schreibung allerdings den Umfang dieses mathematischen
ist y.t/ D H 1 t0 f ./ d eine Lösung des AWP. Die er- Hintergrunds oder des Buches sprengen würde.
folgten Umformungsschritte lassen sich sehr leicht merken,
wenn man die Ableitung y0 .t/ als Differenzialquotient dy=dt
schreibt, dann formal mit dem Differenzial dt multipliziert Literatur
und die Variablen trennt („alles mit y nach links, alles mit
t nach rechts“), danach integriert und schließlich das Ganze Walter, W.: Gewöhnliche Differenzialgleichungen: Eine
nach y.t/ auflöst. Einführung. 7. Aufl., Springer (2000)
Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 2 und Lineare
  Algebra 2. 2. Aufl., Spektrum (2012)
Substitution bei y0 .t/ D f at C by.t/ C c Die DGL Strehmel, K., Weiner, R., Podhaisky, H.: Numerik ge-
wöhnlicher Differentialgleichungen. Springer Spektrum
y0 .t/ D f .at C by.t/ C c/ (2012)
1.3 Eindimensionale Bewegung im homogenen Schwerefeld 15

Höhe Sie wirkt stets der Bewegung entgegen und führt zu einer Ab-

Kapitel 1
x3 bremsung. Dabei ist K ein Reibungskoeffizient, der von den
Eigenschaften des Mediums und der Form des Körpers abhängt.
Reibungskraft
FR
Ein Beispiel ist der Fall eines Steines in einem Gefäß mit Sirup.
Wir beschränken uns für das nächste Beispiel wieder auf eine
m Bewegung entlang der x3 -Achse und bezeichnen die Geschwin-
digkeit und den Ort wie schon zuvor mit v und z. Die Bewe-
Gewichtskraft gungsgleichung für die Bewegung entlang der z-Achse lautet
F G = −mg e
b3 dann
mRz D mvP D mg  Kv: (1.31)
Gl. (1.31) lässt sich durch Separation der Variablen lösen:
Z Z
dv
Abb. 1.5 Fällt ein Körper mit Masse m in einem Medium (z. B. in einer D g dt: (1.32)
Flüssigkeit oder der Atmosphäre), muss zusätzlich zur Gewichtskraft 1 C mg
K
v
FG D mg eO 3 eine Reibungskraft FR berücksichtigt werden
(Siehe hierzu auch den „Mathematischen Hintergrund“ 1.5.) Die
Lösung lautet
Fallgeschwindigkeit  
s mg Kv
ln 1 C D gt C C1 (1.33)
2h p K mg
v D gt D g D  2gh: (1.29)
g mit einer Integrationskonstanten C1 . Die Fallgeschwindigkeit ist
somit   
Der verwandte, sogenannte schiefe Wurf wird in Aufgabe 1.2 mg K.C1  gt/
behandelt. vD exp 1 : (1.34)
K mg
Wir haben gesehen, dass für die vollständige Lösung einer Nach sehr langer Zeit, für t ! 1, nähert sich v der Endge-
Differenzialgleichung zweiter Ordnung zwei Integrationskon- schwindigkeit
stanten benötigt werden. In dem hier besprochenen Beispiel mg
vE D  <0 (1.35)
handelt es sich um eine Differenzialgleichung in der Zeit, womit K
die Integrationskonstanten den Anfangsbedingungen (der An- an, sodass die Lösung in der Form
fangshöhe und der Anfangsgeschwindigkeit) entsprechen.
  
C1  gt
v D jvE j 1  exp (1.36)
jvE j
Lösung der Bewegungsgleichungen
geschrieben werden kann.
Für die vollständige Lösung der Bewegungsgleichungen
einer Punktmasse entlang einer Achse benötigt man zwei
Frage 5
Integrationskonstanten. Dies können beispielsweise die
Machen Sie sich den Zusammenhang zwischen (1.34), (1.35)
Anfangsbedingungen für Ort und Geschwindigkeit sein.
und (1.36) im Grenzfall t ! 1 klar.

Es ist geschickter, die Integrationskonstante C1 durch die An-


fangsgeschwindigkeit v0 D v.t D 0/ zu ersetzen. Offensichtlich
Der Fall mit Stokes’scher Reibung gilt  
C1
v0 D jvE j exp 1 (1.37)
Der freie Fall kann idealerweise nur im Vakuum stattfinden, wo jvE j
keine Reibung stattfindet. Beim Fall in der Atmosphäre oder und damit
unter Wasser treten Reibungskräfte auf, die erweiterte Bewe-  
gungsgleichungen erfordern. Dies ist in Abb. 1.5 dargestellt. gt
v D .v0 C jvE j/ exp   jvE j: (1.38)
Bewegt sich ein Körper mit Geschwindigkeit v in einem zähen, jvE j
d. h. viskosen Medium, wirkt ihm eine Reibungskraft entgegen,
Die Lösung für die Geschwindigkeit in (1.38) ist gleichzeitig
FR D Kv; (1.30) eine Differenzialgleichung erster Ordnung für die Höhe z,
 
die proportional zur Geschwindigkeit des Körpers im Medium gt
zP D .v0 C jvE j/ exp   jvE j; (1.39)
ist. Eine solche lineare Reibung nennt man Stokes’sche Reibung. jvE j
16 1 Die Newton’schen Axiome

Hohe
¨ wobei K 0 ein entsprechender Reibungskoeffizient ist, der genau
Kapitel 1

z(t) wie K in (1.30) von der Beschaffenheit des fallenden Körpers


und des Mediums abhängt.

z0
v 0 = −v E
Frage 7
Machen Sie sich klar, dass der Reibungsterm in (1.44) stets der
Geschwindigkeit v entgegenwirkt.
v 0 = − 12 v E

v 0 = 12 v E v0 = 0 Für einen fallenden Körper gilt wegen der Orientierung der Ko-
0 t ordinatenachsen v < 0 und somit
K0 2
Abb. 1.6 Fallkurven z.t/ entsprechend (1.42) für Stokes’sche Reibung zR D g C v : (1.45)
und verschiedene Anfgangsgeschwindigkeiten v0 . Die Endgeschwin- m
digkeit ist vE
Ähnlich wie im Falle Stokes’scher Reibung (1.35) wird
mg
deren Lösung vE2 D (1.46)
  K0
jvE j gt
z D C2  jvE jt  .v0 C jvE j/ exp  (1.40) definiert. Wir wählen die negative Lösung, vE < 0, da die
g jvE j
Punktmasse schließlich nach unten fällt. Aus der ursprünglichen
lautet. Die zweite Integrationskonstante C2 kann dann durch die Bewegungsgleichung (1.44) folgt bereits, dass vE die asympto-
Position z0 D z.t D 0/ ausgedrückt werden: tische Endgeschwindigkeit des Körpers ist. Die Trennung der
Variablen führt auf
jvE j
C2 D z0 C .v0 C jvE j/ : (1.41)
g dv
D g dt; (1.47)
Die Lösung kann also in der Form 1  .v=vE /2
  
jvE j gt was durch eine Partialbruchzerlegung in die Form
z D z0  jvE jt C .v0 C jvE j/ 1  exp  (1.42)
g jvE j Z   Z
dv 1 1
C D g dt (1.48)
geschrieben werden. Nach sehr langer Zeit, wenn die Geschwin- 2 1  v=vE 1 C v=vE
digkeit v vE erfüllt, nimmt z linear mit der Zeit ab, da der
Exponentialterm vernachlässigbar wird: gebracht werden kann. Die Lösung dieser Differenzialgleichung
lautet
jvE j vE vE  v
z ! z0  jvE jt C .v0 C jvE j/ : (1.43)  ln D gt C C1 : (1.49)
g 2 vE C v
Abb. 1.6 zeigt einige Beispielkurven für z.t/ für verschiedene Frage 8
Anfangsgeschwindigkeiten.
Überprüfen Sie die Gültigkeit der Partialbruchzerlegung 2=.1 
x2 / D 1=.1  x/ C 1=.1 C x/ und den Schritt von (1.47) nach
Frage 6
(1.48). Zeigen Sie ferner, dass (1.49) tatsächlich eine Lösung
Die Endgeschwindigkeit vE lässt sich auch einfacher bestim-
von (1.48) ist.
men. Man leite sie aus (1.31) und der Annahme her, dass im
Endzustand vP D 0 gilt.
Wir wählen die Integrationskonstante so, dass v D v0 bei t D 0
In Aufgabe 1.3 kommen wir auf die Stokes’sche Reibung zu- gilt:
vE vE  v0
rück. C1 D  ln : (1.50)
2 vE C v0
Nach einer algebraischen Umformung folgt
Der Fall mit Luftwiderstand jvE j  v0  .jvE j C v0 / exp .2gt=jvE j/
v D vE : (1.51)
jvE j  v0 C .jvE j C v0 / exp .2gt=jvE j/
Fällt der Körper sehr schnell oder ist die Dichte des Mediums
klein, so nimmt die Reibung quadratisch mit der Geschwindig- Für sehr große Zeiten, t ! 1, fallen die Exponentialterme weg,
keit zu, und die Geschwindigkeit nähert sich der asymptotischen Endge-
mRz D mg  K 0 vjvj; (1.44) schwindigkeit: v ! vE .
1.3 Eindimensionale Bewegung im homogenen Schwerefeld 17

Die durchfallene Höhe wird durch eine weitere Integration aus

Kapitel 1
Zt
z  z0 D v.t0 / dt0 (1.52)
t0

bestimmt. Um das Integral zu lösen, substituieren wir


jvE j C v0 2gt
a WD und s WD : (1.53)
jvE j  v0 jvE j
Der zurückgelegte Weg ist dann
Zs
v2 1  a exp.s0 / 0
z  z0 D  E ds ; (1.54)
2g 1 C a exp.s0 /
s0

was sich zu Abb. 1.7 Start des GOES-N-Satelliten an Bord einer Boeing-Delta-IV-
Rakete (© NASA)
v2
z  z0 D  E Œs0 C 2 ln .1 C a exp.s0 //s0
s
(1.55)
2g
die Gesamtmasse der Rakete und des ausgestoßenen Materials
integrieren lässt. Wir wählen t0 D 0 und somit s0 D 0 und erhalten ist.
setzen die Definitionen von a und s wieder ein. Das Endergebnis
Im Folgenden wird angenommen, dass eine Rakete im ho-
ist
mogenen Gravitationsfeld senkrecht nach oben beschleunigt
v2 wird und Luftwiderstand vernachlässigbar ist. Im Bezugssys-
z D z0  jvE jt  E ln ˛ mit tem der Rakete wird der verbrannte Treibstoff dann mit einer
g
     (1.56) Geschwindigkeit u nach unten ausgestoßen. In einem kleinen
1 v0 v0 2gt
˛D 1 C 1C exp  : Zeitintervall dt verliert die Rakete somit eine Masse dm. Damit
2 jvE j jvE j jvE j ändert sich der Impuls der Rakete in diesem Zeitintervall auf-
grund des Ausstoßes um
Nach einer hinreichend langen Zeit, t jvE j=g, und für v0 D 0
ist der asymptotische Verlauf dpa D dm u: (1.59)
vE2 Im homogenen Gravitationsfeld wird die Rakete zusätzlich nach
z ! z0  jvE jt C ln 2: (1.57)
g unten beschleunigt, wobei die entsprechende Impulsänderung
Im Gegensatz dazu haben wir für die Stokes’sche Reibung in dpg D mg dt (1.60)
(1.43) gesehen, dass für v0 D 0
ist. Die Geschwindigkeit der Rakete ändert sich dadurch um
v2
z ! z0  jvE jt C E (1.58) dpa C dpg
g dv D : (1.61)
m
gilt. Wegen ln 2 < 1 ist die durchfallene Höhe bei Luftwider- Generell nennt man eine Impulsänderung p durch eine wir-
stand kleiner als bei Stokes’scher Reibung. Dieser Vergleich gilt kende Kraft F über eine Zeitspanne t den Kraftstoß:
allerdings nur, wenn die beiden Endgeschwindigkeiten identisch
sind, was im Allgemeinen nicht der Fall ist. Z
tCt

p D F.t0 / dt0 : (1.62)


t

Die Herleitung der Raketengleichung


Die Bewegungsgleichung für die Rakete lautet also insgesamt

Wir sind nun so weit, dass wir uns mit einer Gleichung beschäf- dm
dv D u  g dt: (1.63)
tigen können, in der die Masse keine Konstante mehr ist. Eine m
Rakete wird durch den Rückstoß des von ihr ausgestoßenen Ma- Die allgemeine Lösung erhält man durch eine einfache Integra-
terials beschleunigt (Abb. 1.7). Dabei nimmt die Masse m der tion. Sie lautet
Rakete kontinuierlich ab. Somit ist die Rakete die einzige An-  
wendung im nichtrelativistischen Abschnitt von Bd. 1, bei der m.t/
v.t/  v0 D u ln  gt; (1.64)
die Masse nicht konstant ist. Es ist aber erneut zu betonen, dass m0
18 1 Die Newton’schen Axiome

wobei v0 D v.0/ und m0 D m.0/ die Anfangsgeschwindigkeit Beschleunigung von M führt. Eine allgemeine Diskussion ohne
Kapitel 1

und Anfangsmasse der Rakete sind. Die Geschwindigkeit der diese Einschränkungen wird in Kap. 3 nachgeholt.
Rakete ist eindeutig bestimmt, sobald die Massenfunktion m.t/
Um die Bewegungsgleichung für den radialen Fall im Gravitati-
bekannt ist. Dann lässt sich auch x.t/ durch eine weitere Inte-
onsfeld zu lösen, wird die Bewegungsgleichung der Punktmasse
gration bestimmen.
(1.66) zunächst mit der Geschwindigkeit rP multipliziert:

˛mPr
mPrrR D  : (1.67)
1.4 Energiesatz in einer Dimension r2
Dies führt direkt auf
Die eindimensionale Bewegung im homogenen Schwerefeld m d 2 d1
aus Abschn. 1.3 wird hier nun auf allgemeinere Kraftfelder in rP D ˛m : (1.68)
2 dt dt r
zunächst einer Dimension erweitert. Dabei wird der Begriff der
Energie einer Punktmasse eingeführt. Es wird gezeigt, dass die Die Zeitableitungen werden nun auf der linken Seite gesammelt,
Energie unter bestimmten Umständen erhalten ist; dabei kom- und eine einmalige Zeitintegration liefert sofort
men wir auch auf dissipative Kräfte zu sprechen, die in der  
Regel zu einer Energieabnahme führen. Der Energieerhaltungs- 1 2 ˛
m rP  DW E D T C V D const: (1.69)
satz vereinfacht das Lösen der Bewegungsgleichung. Dies wird 2 r
anhand des harmonischen Oszillators – als Beispiel einer peri-
odischen Bewegung – verdeutlicht. Die Größe E wird als Energie bezeichnet. Sie ist wegen (1.69)
zeitlich konstant; es gilt also Energieerhaltung. Der erste Term,

1 2
TD mPr ; (1.70)
Der freie Fall aus großer Höhe 2
ist die kinetische Energie und der zweite Term,
Fällt eine Punktmasse m, bei vernachlässigter Reibung, im Gra-
˛m
vitationsfeld der Erde über eine Strecke, die nicht klein im VD ; (1.71)
Vergleich zum Erdradius ist, so sieht die Punktmasse im Lau- r
fe des Fallens ein zunehmendes Gravitationsfeld im Abstand r die potenzielle Energie der Punktmasse m im Gravitationsfeld.
zum Erdmittelpunkt (siehe (1.13)): Energie ist eine Größe, die in der gesamten Physik eine fun-
damentale Rolle spielt. Sie ist ein Maß für die Fähigkeit eines
GMm
FG D  eO r : (1.65) Systems, Körper entgegen wirkender Kräfte zu bewegen und
r2 somit Arbeit zu verrichten (Arbeit wird später in (1.85) defi-
Hierbei ist anzumerken, dass (1.65) gültig ist, obwohl die Erde niert). Die kinetische Energie T entspricht derjenigen Arbeit,
nicht als Punktmasse approximiert werden kann. Wir werden in die benötigt wird, die Punktmasse m aus der Ruhe auf die Ge-
Aufgabe 2.7 sehen, dass für radialsymmetrische Massenvertei- schwindigkeit rP zu beschleunigen. Sie ist somit eng mit der
lungen die Näherung einer Punktmasse und das entsprechende Trägheitskraft mRr der Punktmasse m verknüpft. Die potenziel-
Kraftgesetz (1.65) tatsächlich gelten, wenn man sich auf das le Energie V allerdings wird durch äußere Kraftfelder bestimmt.
Gravitationsfeld außerhalb der Massenverteilung (d. h. oberhalb Wir werden in Kürze genauer über Arbeit und Energie sprechen.
der Erdoberfläche) beschränkt. Wir werden weiterhin finden, Die Fallgeschwindigkeit v lässt sich somit als Funktion des Ab-
dass das Gravitationsfeld im Inneren der Erde eine andere Form stands r angeben. Es ist im Allgemeinen nicht möglich, eine
annimmt, die an dieser Stelle jedoch keine Rolle spielt. geschlossene Gleichung für v als Funktion der Zeit t zu erhalten.
Für die weitere Beschreibung ist es nicht nötig, die Gravita- Für die meisten Anwendungen ist dies auch gar nicht erforder-
tionskonstante G und die Erdmasse M getrennt zu behandeln. lich, und man begnügt sich damit, v.r/ zu bestimmen.
Stattdessen ist es sinnvoller, die Größe ˛ WD GM einzuführen.
Die Bewegungsgleichung der Punktmasse entlang des Vektors Fluchtgeschwindigkeit
eO r ist nun
˛m Gl. (1.69) besagt, dass sich die Energie einer Punktmas-
mRr D  2 : (1.66)
r se im Gravitationsfeld der Erde nicht ändern darf: E.t/ D
Wir beschränken uns hier auf eine radiale, d. h. eindimensiona- E0 D const. Hier ist E0 die Energie, die durch die An-
le Bewegung mit v D v eO r D rP eO r . Weiterhin ist zu betonen, fangsbedingungen des Problems gegeben ist,
dass an dieser Stelle der Einfluss der Bewegung der Testmasse
1 2 ˛m
m auf die Bewegung der Erde vernachlässigt wird. In Wirklich- E0 D mv  ; (1.72)
keit aber wird auch die große Punktmasse M von der kleinen 2 0 r0
Punktmasse m angezogen, was zu einer kleinen, aber endlichen
1.4 Energiesatz in einer Dimension 19

Kapitel 1
wobei v0 D rP .t D 0/ und r0 D r.t D 0/ sind. Angenom-
men, die Punktmasse m ruht anfangs im Unendlichen,
r0 D 1 und v0 D 0, so ist E0 D E.t/ D 0 und damit v > v∞

1 2 ˛m GMm gR2Erde m
mv D D D : (1.73) 0
2 r r r
v < v∞
V (r)
Die letzte Identität folgt aus der Tatsache, dass die Gra-
vitationsfelder mg aus (1.22) und GMm=r2 aus (1.65)
an der Erdoberfläche identisch sein müssen:
GMm
 mg D  : (1.74)
R2Erde
Fällt nun eine Punktmasse aus dem Unendlichen auf die
0 r
Erdoberfläche bei r D RErde , so ist die Geschwindigkeit RErde
beim Aufschlag
Abb. 1.8 Startet eine Punktmasse auf der Erdoberfläche bei einem
p Radius r D RErde mit einer Geschwindigkeit v, so kann sie das Gra-
v1 D 2gRErde D 11;2 km s1 : (1.75)
vitationsfeld der Erde verlassen, wenn v > v1 und damit die Energie
Diese Geschwindigkeit nennt man im Umkehrschluss positiv ist: E > 0. In diesem Fall besitzt die Punktmasse noch einen
auch die Fluchtgeschwindigkeit von der Erde, denn ein Geschwindigkeitsüberschuss im Unendlichen, da dort das Potenzial
verschwindet, V D 0, und demnach die kinetische Energie T positiv
Körper muss an der Erdoberfläche mindestens diese Ge-
bleibt. Ist E < 0, so gilt v < v1 , und die Punktmasse kann das Po-
schwindigkeit besitzen, um das Gravitationsfeld der Erde tenzial nicht überwinden, da an einem endlichen Abstand T D 0 wird
verlassen zu können. und die Punktmasse zur Ruhe kommt. Dieser Punkt kann zeichnerisch
Angenommen, eine Punktmasse m startet bei t D 0 auf bestimmt werden
der Erdoberfläche mit einer nach oben gerichteten Ge-
schwindigkeit v0 . Ist v0  v1 , so ist E  0, und die
die Bewegung in drei Dimensionen wird in Abschn. 1.6 disku-
Punktmasse wird stets eine positive Geschwindigkeit be-
tiert.
halten und somit nicht auf die Erde zurückfallen. Ist die
Geschwindigkeit beim Start kleiner, v0 < v1 , so ist Die Bewegungsgleichung für eine Punktmasse m unter dem Ein-
E < 0, und die Punktmasse wird an einem Punkt r < 1 fluss einer ortsabhängigen Kraft F.z/ lautet
zunächst zur Ruhe kommen, rP D 0, und direkt danach
wieder auf die Erde zurückfallen. Der Grund ist, dass die mRz D F.z/: (1.76)
kinetische Energie T nicht negativ werden kann, da sie Definiert man eine Funktion V.z/ mit der Eigenschaft
positiv-semidefinit ist. Dies ist in Abb. 1.8 anschaulich
dargestellt. J 
dV.z/
D
dV.z/
zP D F.z/Pz (1.77)
dt dz
bzw.
dV.z/
Frage 9 F.z/ D  ; (1.78)
dz
Wie groß ist die Gravitationsbeschleunigung auf der Jupiter-
oberfläche im Vergleich zur Beschleunigung auf der Erdober- so kann (1.76) nach Multiplikation mit zP in der Form
fläche, wenn die Masse von Jupiter 318 Erdmassen und sein m d 2 dV.z/
Radius 10,9 Erdradien entspricht? Nutzen Sie dazu (1.74) aus. zP D  (1.79)
2 dt dt
(Die Beschleunigung ist etwa um einen Faktor 2,7 größer.)
geschrieben werden. Offensichtlich ist dabei
Zz
V.z/ WD  F.z0 / dz0 : (1.80)
Der Energieerhaltungssatz in einer Dimension z0

Frage 10
Mit (1.69) haben wir bereits die Energieerhaltung für den ein- Man zeige, dass die untere Integrationsgrenze z0 in (1.80) frei
dimensionalen, freien Fall im Gravitationsfeld aus großer Höhe gewählt werden kann. Überlegen Sie dabei, dass bei der Kraft-
gefunden. Wir werden diese Aussage nun zunächst im eindi- berechnung nach z und nicht nach z0 abgeleitet wird.
mensionalen Raum verallgemeinern. Die Energieerhaltung für
20 1 Die Newton’schen Axiome

Aus den obigen Überlegungen folgt, dass die Zeitableitung Wird eine Punktmasse m in einem Kraftfeld F.z/ von Punkt za
Kapitel 1

nach zb bewegt, so wird dabei die sogenannte Arbeit


d m 2 
zP C V.z/ D 0 (1.81) Zzb
dt 2
W WD F.z0 / dz0 D  .V.zb /  V.za // (1.85)
verschwindet. Demnach ist die Energie za

m 2
E WD zP C V.z/ D T C V.z/ D const (1.82) vom Kraftfeld am Teilchen verrichtet. Für W > 0 „fällt“ die
2 Punktmasse im Potenzial. Die dabei verrichtete Arbeit wird in
erhalten, wobei T wieder die kinetische Energie bezeichnet. kinetische Energie umgesetzt. Ist dagegen W < 0, so wird ki-
Gl. (1.81) repräsentiert den Energieerhaltungssatz. Erhaltungs- netische Energie in potenzielle Energie umgewandelt, und die
größen, die sich aus einer Integration der Bewegungsgleichun- Punktmasse wird abgebremst. Während dieser Vorgänge bleibt
gen ergeben (wie die Energie), nennt man auch Integrale der T C V stets konstant. Unter der Leistung
Bewegung.
dW
P WD D F.z/Pz (1.86)
Man nennt die Größe V.z/ die potenzielle Energie oder das dt
Potenzial zur Kraft F.z/. Es kann für eindimensionale Proble-
me stets über das Integral (1.80) aus der Kraft F.z/ berechnet versteht man die Rate, mit der Arbeit verrichtet wird.
werden, solange diese nur vom Ort z abhängt. Für allgemeine
geschwindigkeits- und zeitabhängige Kräfte lässt sich dagegen
kein Potenzial definieren. Da z0 in (1.80) beliebig ist, ist das Po-
tenzial nur bis auf eine Konstante bestimmt. Dies wird häufig
Dissipation von Energie
ausgenutzt, um die Gesamtenergie auf einen bestimmten Wert in mechanischen Systemen
zu setzen (z. B. E D 0).
Geschwindigkeitsabhängige Kräfte, z. B. Reibungskräfte, lassen
sich nicht in der Form F D dV=dz schreiben. Die Energie E D
Energieerhaltungssatz in einer Dimension T C V ist dann im Allgemeinen nicht erhalten. In solchen Fällen
Ist die Kraft F.z/ nur eine Funktion des Ortes, so kann spricht man von dissipativen Kräften. Eine Kraft lässt sich stets
in einer Dimension durch (1.80) stets ein Potenzial V.z/ als Summe einer nichtdissipativen und einer dissipativen Kraft
definiert werden. Die Energie ist dann erhalten. schreiben:

F D Fnd .z/ C Fd .z; zP ; t/; (1.87)

Zeitunabhängigkeit des Potenzials wobei wir annehmen, dass die dissipative Kraft von Ort, Ge-
schwindigkeit und Zeit abhängt und dass Fnd .z/ D dV.z/=dz
Angenommen, die Kraft und das Potenzial hängen außer gilt. Es folgt dann direkt die Erweiterung des Energieerhaltungs-
von der Koordinate z noch explizit von der Zeit t ab, d. h. satzes in (1.81):
V D V.z; t/. Ausgehend von (1.77) kann man zeigen, dass
die Kraft dann nicht in der Form F.z; t/ D dV.z; t/=dz d m 2 
zP C V.z/ D Fd zP : (1.88)
geschrieben werden kann. Dazu muss man die vollständi- dt 2
ge Ableitung
Frage 11
dV.z; t/ @V.z; t/ dz.t/ @V.z; t/ Man überprüfe, dass (1.88) aus (1.87) folgt.
D C (1.83)
dt @z dt @t

berechnen. Hier wird berücksichtigt, dass V eine Funktion Die rechte Seite von (1.88) ist die Leistung, die durch die
mehrerer Veränderlicher ist (in diesem Fall ist z.t/ eine dissipative Kraft an der Punktmasse verrichtet wird. Ist diese
Funktion von t). Man nennt die Größe Leistung positiv, nimmt die Energie zu. Eine negative Leistung
wird häufig Verlustleistung genannt. Reibungskräfte führen im-
@V.z; t/ @V.z; t/ mer zu einer Energieabnahme. Man sagt auch, die Energie wird
dV.z; t/ D dz C dt (1.84) dissipiert, was bedeutet, dass sie letztlich in Wärme umgewan-
@z @t
delt wird.
das vollständige Differenzial von V (siehe auch den Kas- Achtung Wärme ist ebenfalls eine Form der Energie. So lässt
ten „Vertiefung: Vollständiges Differenzial“). Der Term sich ein allgemeinerer Energieerhaltungssatz formulieren, der
@V.z; t/=@t in (1.83) verhindert, dass man F.z; t/ D die Wärmeenergie berücksichtigt. Dies ist jedoch Aufgabe der
dV.z; t/=dz schreiben kann. J statistischen Mechanik in Bd. 4. Der Grund ist, dass die klassi-
sche Mechanik im Wesentlichen eine makroskopische Theorie,
1.4 Energiesatz in einer Dimension 21

Kapitel 1
Vertiefung: Vollständiges Differenzial

In vielen Fällen hängt eine Funktion f nicht nur von einer abhängig. Man nennt eine Funktion des Raumes, also eine
Veränderlichen ab. Ist f D f .x; y/, so nennt man Funktion aller drei Ortskoordinaten, ein Feld. Dann ist das
vollständige Differenzial
@f @f
df D dx C dy
@x @y @f @f @f @f
df D dx1 C dx2 C dx3 C dt
@x1 @x2 @x3 @t
das vollständige Differenzial von f . Dies kann ohne Proble-
me auf beliebig viele Veränderliche erweitert werden. Die und die vollständige Zeitableitung
Terme @f =@x nennt man partielle Ableitungen, bei denen alle
Veränderlichen außer x bei der Ableitung festgehalten (d. h. df @f dx1 @f dx2 @f dx3 @f
als Konstanten behandelt) werden. Anschaulich bedeutet das fP D D C C C :
dt @x1 dt @x2 dt @x3 dt @t
vollständige Differenzial, dass alle Veränderlichen zur Varia-
tion von f beitragen.
Ist f D f .x.t/; t/, so sagt man, f ist explizit zeitabhängig, da f
In der Physik tritt häufig der Fall auf, dass eine Funktion für festgehaltenes x immer noch eine Funktion von t ist. Hin-
vom Ortsvektor x.t/ D .x1 .t/; x2 .t/; x3 .t//> und der Zeit t gegen hängt f D f .x.t// nur implizit von der Zeit ab, da die
abhängt: f D f .x.t/; t/. Dabei ist der Ortsvektor selbst zeit- Zeitabhängigkeit nur über die Bahnkurve x.t/ in f eingeht.

Wärme aber ein mikroskopisches Konzept ist. Wärme ist eng V (z)
mit der „inneren Energie“ von Körpern verknüpft, die wir in der
klassischen Mechanik nicht behandeln. In Bd. 4, Abschn. 1.4
kommen wir darauf zurück. J

E
Periodische Bewegungen
für nichtdissipative Kräfte

Aus dem Energieerhaltungssatz in (1.81) lässt sich die Bahnkur-


ve z.t/ implizit angeben, indem zunächst nach zP aufgelöst wird:
r z1 z2 z3 z4 z
2.E  V/
zP D ˙ : (1.89) Abb. 1.9 Beispiel einer eindimensionalen Potenziallandschaft V.z/, die
m
zusammen mit der Energie E vier Umkehrpunkte definiert. Die Bewe-
Diese Differenzialgleichung ist separabel, da die rechte Seite gung einer Punktmasse ist auf die eingefärbten Bereiche beschränkt, für
nur eine Funktion von z ist. Sie kann daher in der Form die E  V.z/ gilt. Eine Punktmasse im Bereich zwischen z1 und z2 kann
nicht in den Bereich zwischen z3 und z4 gelangen, da seine Energie nicht
f1 .t/ dt D f2 .z/ dz (1.90) ausreicht, die Barriere dazwischen zu überwinden. Stattdessen führt sie
eine periodische Schwingung zwischen den Umkehrpunkten z1 und z2
geschrieben werden. Für die benötigte Zeit, um von z0 nach z zu aus
gelangen, folgt sofort
Zz Dies ist in Abb. 1.9 dargestellt. Man spricht dann von einer ge-
dz0
t  t0 D ˙ p : (1.91) bundenen Bahn, wenn sich die Punktmasse nur zwischen zwei
2.E  V/=m Umkehrpunkten, z1 und z2 , bewegen kann.
z0

In der klassischen Mechanik kann eine Punktmasse keine Bar-


Wie bereits zuvor erläutert, darf sich die Punktmasse dabei of-
rieren überspringen, für die V > E gilt. In der Quantenmechanik
fensichtlich nur in Bereichen bewegen, für die E  V  0
hingegen besteht eine endliche Wahrscheinlichkeit, dass ein
ist, da die kinetische Energie, T D E  V D mPz2 =2, quadra-
Teilchen eine solche Potenzialbarriere überwindet. Dieses so-
tisch und somit positiv-semidefinit ist. Punkte, für welche die
genannte Tunneln wird in Bd. 3 diskutiert.
kinetische Energie verschwindet, T D 0, bezeichnet man als
Umkehrpunkte. Je nach Form des Potenzials V.z/ und dem Wert Ist die Bewegung einer Punktmasse m auf den Bereich zwischen
der Gesamtenergie kann es beliebig viele Umkehrpunkte geben. zwei Umkehrpunkten beschränkt, so ist sie periodisch: Beim Er-
22 1 Die Newton’schen Axiome

so ist die Gesamtenergie des Oszillators


Kapitel 1

m 2 
ED zP C !02 z2 : (1.96)
2
Für E > 0 existieren stets zwei Umkehrpunkte, welche die Glei-
m chung
m
F E D !02 z21;2 (1.97)
−z 2
erfüllen und daher durch
s
Abb. 1.10 Ist der Oszillator um z nach unten ausgelenkt, wirkt die 2E
Rückstellkraft F nach oben. Die Gravitationskraft für den senkrecht
z1;2 D ˙ (1.98)
m!02
aufgestellten Federoszillator führt lediglich zu einer Verschiebung der
Schwingung entlang der z-Achse und ändert ihre Schwingungsdauer
gegeben sind.
nicht
Die Bedeutung von !0 wird klar, wenn man die Schwingungs-
periode berechnet. Einsetzen des harmonischen Oszillatorpo-
reichen des ersten Umkehrpunktes, z1 , ändert die Punktmasse tenzials (1.93) und der Energie am Umkehrpunkt (1.97) in die
ihre Richtung und bewegt sich bis zum Umkehrpunkt z2 , wo Gleichung für die Schwingungsperiode (1.92) ergibt nach kur-
sie abermals ihre Richtung wechselt und im Anschluss wieder zer Umformung und unter Berücksichtigung von z2 D z1 > 0
zum Punkt z1 gelangt. Die beiden Vorzeichen in (1.89) drücken
aus, dass die Punktmasse in diesem Bereich in beide Richtungen Zz2
2 dz 2
laufen kann. Während dieser Bewegung ist die Geschwindigkeit t D q D : (1.99)
der Punktmasse durch die Differenz mv 2 =2 D E  V festgelegt. !0 z22  z2 !0
z2
Die Schwingungsperiode ist die Zeit, welche die Punktmasse
von Punkt z1 zu Punkt z2 und zurück benötigt: Das Integral kann in einer Integrationstabelle nachgeschlagen
Zz2 oder nach Substitution mit y D z=z2 mit der Stammfunktion
p dz arcsin.y/ berechnet werden. Offensichtlich ist !0 die Oszillati-
t D 2.t2  t1 / D 2m p : (1.92)
EV onsfrequenz.
z1

Frage 12
Man überprüfe, dass die angegebene Stammfunktion
p arcsin.y/
Der harmonische Oszillator mit ihrer Ableitung d arcsin.y/=dy D 1= 1  y2 auf das ange-
gebene Ergebnis führt.
Das Integral in (1.92) ist für einige Potenzialformen V.z/ ana-
lytisch lösbar. Ein für die Physik extrem wichtiges Potenzial ist
Aus (1.94) folgt
das des harmonischen Oszillators:
mRz D kz (1.100)
k
V.z/ D z2 C V0 : (1.93) für die Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators. Die
2
allgemeine Lösung ist
Der Begriff „harmonisch“ bedeutet, dass sich die Lösung durch
Sinus- und Kosinusfunktionen ausdrücken lässt. Der harmo- z.t/ D A cos.!0 t  0 /: (1.101)
nische Oszillator wird in Kap. 6 noch gründlicher untersucht
werden. Das Potenzial aus (1.93) führt auf die in z lineare Kraft Hier ist A  0 die Amplitude der Schwingung, und 0 ist
ein Phasenwinkel, der durch die Anfangsbedingungen festge-
F.z/ D kz (1.94) legt wird. Man kann diese Lösung durch direkte Integration von
mit der Federkonstanten k. Zur Vereinfachung wählen wir (1.91) erhalten, indem man
V0 D 0. Die Auslenkung wird dabei relativ zur Ruhelage an- Zy
gegeben, in der sich die Punktmasse befindet, wenn sie nicht dy0
schwingt. Dieser Punkt entspricht dem Minimum des Potenzi- arcsin.y/  arcsin.a/ D p (1.102)
1  y02
als V.z/. Ein Beispiel für einen harmonischen Oszillator ist in a
Abb. 1.10 gezeigt.
ausnutzt. Es ist dem interessierten Leser überlassen, dieses Er-
Definiert man r gebnis zu überprüfen (man findet dabei, dass die Amplitude A
k durch die Energie E bestimmt wird). In Aufgabe 1.7 wird ein
!0 WD ; (1.95)
m alternativer Weg verfolgt, um zu diesem Ergebnis zu kommen.
1.5 Bewegung in drei Dimensionen 23

Frage 13 x3

Kapitel 1
Wirkt zusätzlich eine Gravitationskraft der Form mg, z. B.
wenn der Oszillator wie in Abb. 1.10 senkrecht aufgestellt ist,
so lässt sich eine neue Koordinate zQ D z  h einführen, wobei h
die Verschiebung der Ruhelage unter dem Einfluss der Gravita-
tion ist. Man zeige, dass h D mg=k gilt. Weiterhin mache man
sich klar, dass (1.101) ihre Gültigkeit behält und dass insbeson-
dere !0 unverändert bleibt, wenn z durch zQ ersetzt wird.
xS

1.5 Bewegung in drei Dimensionen R

In diesem Abschnitt wird die Kinematik einer Punktmasse in ϕ


x1 x2
drei Dimensionen diskutiert. Neben dem Konzept der Bahn-
kurven, Tangential-, Normalenvektoren und Bogenlänge werden Abb. 1.11 Die Schraubenlinie mit Radius R erfüllt (1.105) mit '.t/ D
weiterhin das Drehmoment und der Drehimpuls eingeführt. Da- !t und x3 .t/ D v3 t, wobei ! und v3 Konstanten sind. Der Winkel ' ist
zu benötigt man das Kreuzprodukt zweier Vektoren, das sich mit definiert als der Winkel zwischen der Projektion von xs auf die x1 -x2 -
dem Levi-Civita-Symbol darstellen lässt. Es wird gezeigt, wie Ebene und der x1 -Achse
sich Kurvenintegrale ausführen lassen. Dieser Abschnitt dient
vor allem als Vorbereitung auf Abschn. 1.6, in dem die Energie-
erhaltung in drei Dimensionen behandelt wird. geschwindigkeit und Beschleunigung. Die Lösung finden Sie im
anschließenden Beispiel.

Bahnkurven in drei Dimensionen


Bahngeschwindigkeit und -beschleunigung
Wie bereits in Abschn. 1.1 beschrieben, ist der dreidimensiona-
le Ortsvektor x einer Punktmasse im Allgemeinen eine Funktion Die obigen Beispiele führen durch einmalige Zeitablei-
der Zeit t, x D x.t/. Als Bahnkurve bezeichnet man die Menge tung auf die Bahngeschwindigkeiten
der Punkte, die während einer Zeit t D t2  t1 von der Punkt- 0 1
'R
P sin '.t/
masse durchlaufen werden. In drei Dimensionen lässt sich die B C
Bahnkurve durch ihre drei kartesischen Komponenten P cos '.t/ A ;
vK .t/ D @ 'R
0 1 0
x1 .t/ 0 1 (1.106)
B C 'R
P sin '.t/
x.t/ D @x2 .t/A (1.103) B C
vS .t/ D @ 'R
P cos '.t/ A :
x3 .t/
xP 3 .t/
darstellen. Beispiele sind eine Kreisbahn in der x1 -x2 -Ebene mit
Radius R, Durch eine weitere Zeitableitung erhält man die Be-
0 1
R cos '.t/ schleunigungen
B C 0 1
xK .t/ D @ R sin '.t/ A ; (1.104)
'R
R sin '.t/  'P 2 R cos '.t/
0 B C
aK .t/ D @ 'RR cos '.t/  'P 2 R sin '.t/ A ;
oder eine Schraubenlinie längs der x3 -Achse mit Radius R, 0
0 1 0 1 (1.107)
R cos '.t/ 'R
R sin '.t/  'P 2 R cos '.t/
B C B C
xS .t/ D @ R sin '.t/ A ; (1.105) R cos '.t/  'P 2 R sin '.t/ A :
aS .t/ D @ 'R
x3 .t/ xR 3 .t/
J
wie sie in Abb. 1.11 dargestellt ist.

Frage 14 Eine Punktmasse ist genau dann beschleunigt, wenn mindes-


Man vergewissere sich, dass der Radius der Kreisbahn in tens eine Komponente ihres Beschleunigungsvektors a.t/ von
(1.104) tatsächlich R ist, indem man den Betrag von xK .t/ be- Null verschieden ist bzw. wenn mindestens eine Komponen-
stimmt. Berechnen Sie ferner aus xK .t/ in (1.104) die Bahn- te ihres Geschwindigkeitsvektors v.t/ sich mit der Zeit ändert.
24 1 Die Newton’schen Axiome

Selbst wenn der Betrag der Geschwindigkeit konstant ist, d. h. Tangential- und Normalenvektoren
Kapitel 1

jv.t/j D const, kann die Punktmasse beschleunigt sein. Dies ist


von Bahnkurven
beispielsweise für eine Bewegung auf einem Karussell der Fall.

Frage 15 Der Tangentialvektor einer Bahnkurve ist die Ableitung der


Eine Punktmasse bewege sich auf der Kreisbahn xK .t/ wie in Bahnkurve nach der Bogenlänge:
(1.104) angegeben. Zusätzlich sollen '.t/ D !t und ! D const dx
gelten. Man zeige, dass dann jvK .t/j D const gilt. Dennoch ist  WD : (1.111)
ds
die Punktmasse beschleunigt, da die x1 - und x2 -Komponenten
von aK .t/ im Allgemeinen nicht null sind. Man berechne außer- Aufgrund von (1.108) und der Gleichung
ˇ ˇ
dem den Betrag der Beschleunigung und zeige, dass jaK .t/j D ˇ dx ˇ
! 2 R gilt. ds D ˇˇ ˇˇ ds (1.112)
ds
ist der Tangentialvektor ein Einheitsvektor: jj D 1.
Der Hauptnormalenvektor ist definiert als die normierte Ände-
Die Bogenlänge einer Bahnkurve rung des Tangentialvektors:
ˇ ˇ
d ˇˇ d ˇˇ1
nH WD : (1.113)
Bewegt sich eine Punktmasse auf einer Bahnkurve x.t/, so über- ds ˇ ds ˇ
streicht sie in der infinitesimalen Zeit dt einen infinitesimalen Wegen
Abschnitt der Bahnkurve. Die Bogenlänge dieses Abschnitts ist
ˇ ˇ d 2 d
ˇ dx ˇ 2 D 1 H)  D 2  D0 (1.114)
ds D jdx.t/j D ˇˇ ˇˇ dt D jv.t/j dt: (1.108) ds ds
dt steht nH senkrecht auf . Es lässt sich ein dritter Vektor definie-
In einer endlichen Zeit zwischen t1 und t2 (bzw. zwischen den ren, der senkrecht auf  und nH steht. Dieser Vektor,
Punkten x1 D x.t1 / und x2 D x.t2 /) ist die durchlaufene Bogen-
nB WD   nH ; (1.115)
länge daher
Zt2 wird als Binormalenvektor bezeichnet. Man nennt das in (1.115)
s12 D jv.t/j dt: (1.109) auftretende Produkt das Vektorprodukt oder Kreuzprodukt zwei-
t1
er Vektoren. Seine Eigenschaften werden im „Mathematischen
Hintergrund“ 1.6 erläutert (siehe auch Aufgabe 1.1). Damit lässt
In vielen Fällen ist zwar die Form der Bahnkurve bekannt, sich die k-te Komponente von nB auch als
aber nicht die Geschwindigkeit, mit der sie durchlaufen wird.
Ein Beispiel dafür sind die Gleise einer Achterbahn, welche nB;k D "ijk i nH;j (1.116)
die Gesamtlänge der Strecke definieren, unabhängig davon, wie schreiben, wobei "ijk das Levi-Civita-Symbol ist und die Ein-
schnell die Achterbahn letztlich über die Gleise fährt. In die- stein’sche Summenkonvention verwendet wurde, also über alle
sem Fall bietet sich die Bogenlänge s als Bahnparameter an, doppelt auftretenden Indizes summiert wird. Die Ebene, die
um die Gesamtlänge zu berechnen. Dafür muss die Bahnkurve durch  und nH aufgespannt wird, nennt man Schmiegeebene, da
in die Form x.s/ anstelle von x.t/ gebracht werden. Ein Bahn- die Bahnkurve sich lokal in dieser Ebene befindet (Abb. 1.12).
parameter dient zur Parametrisierung der Bahnkurve. Er kann,
muss aber nicht zwangsläufig der Zeit t oder der Bogenlänge s Wir werden nun sehen, dass der Hauptnormalenvektor nH
entsprechen. Wir nehmen an, dass der Zusammenhang s.t/ zwi- die Krümmung der Bahnkurve beschreibt. Die Kreisbahn aus
schen Bogenlänge und Zeit eine monoton wachsende Funktion (1.104) lässt sich in die Form
0 1
ist. Dann lässt sich die Bogenlänge auf zwei Arten berechnen: cos.s=R/
B C
Zt2 ˇ ˇ Zs2 ˇ ˇ xK .s/ D R @ sin.s=R/ A (1.117)
ˇ dx.t/ ˇ ˇ dx.s/ ˇ
s12 D ˇ ˇ ˇ dt D ˇ ˇ ˇ ds; (1.110) 0
dt ˇ ds ˇ
t1 s1 bringen. Der Tangentialvektor ist dann
wobei s1 D s.t1 / und s2 D s.t2 / gelten. 0 1
 sin.s=R/
Als Beispiel betrachte man erneut die Kreisbahn in (1.104). dxK .s/ B C
D D @ cos.s=R/ A : (1.118)
Man erkennt leicht, dass es sich um eine Kreisbahn handelt, ds
0
selbst wenn die Funktion '.t/ unbekannt ist. So führt die Um-
parametrisierung '.t/ D s=R auf eine Bahnkurve xK .s/. Der Aus ihm folgt sofort
Einfachheit halber soll hier angenommen werden, dass die 0 1
cos.s=R/ ˇ ˇ
Punktmasse auf der Bahnkurve nicht die Umlaufrichtung wech- d 1B C ˇ d ˇ
D  @ sin.s=R/ A ; ˇ ˇD 1 (1.119)
selt. In anderen Worten soll ' eine beliebige, aber monoton ds R ˇ ds ˇ R
zunehmende Funktion der Zeit t sein. 0
1.5 Bewegung in drei Dimensionen 25

Kapitel 1
1.6 Mathematischer Hintergrund: Vektorprodukt und Levi-Civita-Symbol

Im R3 kann man zu je zwei Vektoren einen dritten, zu die- der Permutation .i j k/, d. h. C1, falls .i j k/ durch eine gera-
sen beiden orthogonalen Vektor bestimmen. Dies macht das de Anzahl von Vertauschungen (Transpositionen) wieder in
Vektorprodukt, das noch weitere schöne geometrische Eigen- .1 2 3/ überführt werden kann, und 1, falls dies nur durch
schaften besitzt. eine ungerade Anzahl Vertauschungen möglich ist, bzw. null
für nicht paarweise verschiedene i; j; k (mit dieser Definiti-
Definition Vektorprodukt Sei fe1 ; e2 ; e3 g eine rechts- on kann "ijk auch auf mehr als drei Indizes verallgemeinert
händige Orthonormalbasis von R3 (zeigt der Daumen der werden). Permutationen werden im „Mathematischen Hin-
rechten Hand in Richtung von e1 , der Zeigefinger in Rich- tergrund“ 2.2 genauer besprochen.
tung von e2 , dann zeigt der Mittelfinger nach e3 ). Ferner
seien x und y Vektoren im R3 , deren Koordinaten bezüg- Rechenregeln für das Levi-Civita-Symbol Für Sum-
lich fe1 ; e2 ; e3 g gegeben sind durch x D .x1 ; x2 ; x3 /> bzw. men von Produkten von Levi-Civita-Symbolen gelten fol-
y D .y1 ; y2 ; y3 /> . Unter dem Vektorprodukt x  y versteht gende Rechenregeln (die Regeln ergeben sich leicht aus der
man dann den Vektor Tatsache, dass das Levi-Civita-Symbol nur für verschiedene
0 1 Indizes nicht verschwindet):
x2 y3  x3 y2
B C
x  y WD @x3 y1  x1 y3 A : "ijk "imn D ıjm ıkn  ıjn ıkm ,
x1 y2  x2 y1 "ijk "ijn D 2ıkn ,
"ijk "ijk D 6.
Das Vektorprodukt (also die Abbildung R3  R3 ! R3 ,
.x; y/ 7! x  y) ist bilinear, d. h.
Dabei ist ıij das Kronecker-Symbol, das definiert ist durch
.x1 C x2 /  y1 D .x1  y1 / C .x2  y1 /; (
0; falls i ¤ j
x1  .y1 C y2 / D .x1  y1 / C .x1  y2 /; ıij WD :
1; falls i D j
und antisymmetrisch, d. h. xy D yx. Häufig wird dieses
Produkt auch als ein äußeres Produkt bezeichnet (im Gegen- Rechenregeln für das Vektorprodukt Unter Verwen-
satz zum Skalarprodukt, das ein inneres Produkt ist). dung der oben angegebenen Regeln kann man zeigen, dass
Levi-Civita-Symbol Die Definition des Vektorprodukts
x  x D 0,
lässt sich elegant formulieren, wenn das Levi-Civita-Sym-
ei  ej D "ijk ek ,
bol "ijk verwendet wird, das für i; j; k 2 f1; 2; 3g definiert ist
x  .y z/ C y .z x/ C z .x y/ D 0 (Jacobi-Identität)
durch
C1 D "123 D "231 D "312 ;
für alle x; y; z 2 R3 gilt. Außerdem ist die Graßmann-Iden-
1 D "132 D "321 D "213 ; tität sehr nützlich, die man sich am besten durch die „bac-
0 sonst: minus-cab-Regel“ merken kann: a.bc/ D b.ac/c.ab/.
Die k-te Koordinate von x  y schreibt sich dann als Geometrische Eigenschaften Schließlich sollte noch er-
wähnt werden, dass das Vektorprodukt einige wichtige geo-
X
3 X
3
metrische Eigenschaften hat:
.x  y/k D "ijk xi yj ;
iD1 jD1
Das Produkt x  y steht senkrecht auf x und y, d. h.
und für das Vektorprodukt x  y ergibt sich die Darstellung
x  .x  y/ D y  .x  y/ D 0:
X
3 X
3 X
3
xy D "ijk xi yj ek ; Die Vektoren .x; y; x  y/ bilden ein Rechtshandsystem.
iD1 jD1 kD1
Der Betrag von x  y ist gleich der Fläche des durch x und
y aufgespannten Parallelogramms, also
die unter Verwendung der Einstein’schen Summenkonvention
kurz geschrieben wird als jx  yj D jxjjyj sin ;

x  y D "ijk xi yj ek : wobei der von x und y eingeschlossene Winkel ist.


Der Betrag des Spatprodukts .xy/z ist gleich dem Volu-
Es wird dabei über doppelt auftretende Indizes summiert, men des von x, y und z aufgespannten Spats. Daher stellt
ohne dies explizit anzugeben. Mathematisch ist das Levi-Ci- das Levi-Civita-Symbol ein orientiertes Einheitsvolumen
vita-Symbol bei verschiedenen i; j; k gleich dem Vorzeichen dar: "ijk D .ei  ej /  ek .
26 1 Die Newton’schen Axiome

x2 Der Anteil der Beschleunigung entlang nH verändert nicht


Kapitel 1

den Betrag der Bahngeschwindigkeit v, jedoch ihre Rich-


tung . Diese Beschleunigungskomponente heißt Radialbe-
schleunigung mit Betrag v 2 = , die in Kap. 2 wieder auftauchen
τ
nB wird. Sie macht sich deutlich bemerkbar, wenn man im Auto in
P eine Kurve oder in einer Achterbahn fährt.
nH Frage 17
ρ
Schleudert man einen Eimer Wasser mit ausreichender Ge-
schwindigkeit im Kreis (mit der Drehachse parallel zum Erdbo-
den), so schwappt kein Wasser hinaus. Ist die Geschwindigkeit
jedoch zu klein, wird man nass. Was ist die Bedingung dafür,
dass das Wasser im Eimer bleibt, wenn der Eimer am höchsten
x1
Punkt seiner Bahn ist?

Abb. 1.12 An einem Punkt P einer Bahnkurve lassen sich der Tangen-
tialvektor , der Hauptnormalenvektor nH sowie der Binormalenvektor
nB (senkrecht aus der Papierebene hinaus) definieren. Der lokale Krüm-
mungsradius entspricht dem Radius eines Kreises, der am Punkt P die Drehmoment und Drehimpuls von Punktmassen
Bahnkurve approximiert
Wirkt eine Kraft F auf eine Punktmasse m am Ort x, so definiert
man das Moment der Kraft bezüglich des Koordinatenursprungs
und somit 0 1 durch
cos.s=R/ M WD x  F: (1.125)
B C
nH D  @ sin.s=R/ A : (1.120)
Dieses sogenannte Drehmoment steht senkrecht auf der Ebene,
0 die durch die Vektoren x und F aufgespannt wird.
Frage 16 Frage 18
Zeigen Sie, dass der entsprechende Binormalenvektor nB D Man mache sich mittels der Definition des Kreuzprodukts klar,
.0; 0; 1/> lautet. dass das Moment M verschwindet, wenn der Richtungsvektor x
und die Kraft F parallel bzw. antiparallel ausgerichtet sind.
Aufgrund der Identität
ˇ ˇ Der Drehimpuls wird ähnlich wie das Drehmoment definiert,
ˇ d ˇ
ˇ ˇD 1 (1.121) allerdings mit dem Impuls p anstelle der Kraft F D pP :
ˇ ds ˇ R
L WD x  p D x  .mv/: (1.126)
für einen Kreis nennt man die Größe
Der Drehimpuls steht senkrecht auf der Ebene, die durch x und
ˇ ˇ1 v definiert wird (Abb. 1.13). Bewegt sich die Punktmasse direkt
ˇ d ˇ
WD ˇˇ ˇˇ (1.122) auf den Ursprung zu oder entfernt sie sich in entgegengesetzter
ds
Richtung, d. h. x k v, so verschwindet der Drehimpuls: L D 0.
den lokalen Krümmungsradius der Bahnkurve. Er entspricht Wegen xP D v und p D mv ist seine Zeitableitung durch
dem Radius des Kreises, der lokal die Form der Bahnkurve be- dL
schreibt. Dies wird aus Abb. 1.12 deutlich. Ist die Bahnkurve D xP  p C x  pP D x  F D M (1.127)
dt
lokal gerade, so ist  D const und D 1.
gegeben. Der Drehimpulssatz lautet somit
In der Anwendung werden die Geschwindigkeit und die Be-
schleunigung häufig in ihre tangentialen und normalen Anteile LP D M: (1.128)
zerlegt. Die Geschwindigkeit ist immer tangential zur Bahnkur-
ve:
dx.t/ dx ds
v.t/ D D D jv.t/j: (1.123) Drehimpulserhaltung
dt ds dt
Der Drehimpuls einer Punktmasse ist genau dann erhalten,
Mit der Schreibweise v D jvj findet man für die Beschleuni-
wenn keine Drehmomente auf diese Punktmasse wirken.
gung

dv.t/ d d ds v2 Wir werden in Kap. 4 sehen, dass der Drehimpuls eine wichtige
a.t/ D D v D vCv
P D vC
P nH : (1.124)
dt dt ds dt Größe zur Beschreibung von rotierenden Körpern ist.
1.5 Bewegung in drei Dimensionen 27

x2 x3

Kapitel 1
C1

v
L C2

A
x B
C3

x1 x2

x1

Abb. 1.14 Im dreidimensionalen Raum R3 gibt es generell unendlich


viele Möglichkeiten, von Punkt A nach Punkt B zu gelangen. In die-
ser Abbildung sind drei Beispielwege und ihre Projektionen auf die
x1 -x2 -Ebene dargestellt, um den dreidimensionalen Verlauf der Wege
zu verdeutlichen

zuordnen. Ist F.x/ beispielsweise eine Kraft, die auf eine Punkt-
Abb. 1.13 Der Drehimpuls L für eine Punktmasse mit momentaner masse wirkt, so entspricht dieses Skalarprodukt der Arbeit, die
Geschwindigkeit v und Position x steht senkrecht auf v und x. Das an der Punktmasse verrichtet werden muss, um sie um ıx zu
Symbol ˇ bedeutet, dass ein Vektor aus der Papierebene hinaus zeigt. verschieben. Nun kann man sich eine Kurve C im Raum vorstel-
Im Gegensatz dazu verwendet man ˝, um Vektoren darzustellen, die in len, die aus lauter kleinen und kontinuierlichen Verschiebungen
die Papierebene hinein zeigen
zusammengesetzt ist. Die Kurve werde durch den Kurvenpa-
rameter s beschrieben, der aus dem Intervall I D Œsa ; sb 
entnommen wird:
Kurvenintegrale
C W I ! R3 ; s 7! x.s/: (1.131)
Das Ergebnis aus Abschn. 1.4 war, dass die Energie in einem Die Anfangs- und Endpunkte der Kurve C sind xa D x.sa / und
eindimensionalen System erhalten ist, wenn die Kraft als nega- xb D x.sb /. Das Kurvenintegral über die Funktion F.x/ entlang
tive Ableitung eines Potenzials nach dem Ort dargestellt werden des Weges x.s/ ist dann
kann:
Zxb
Zz ˚D F.x/  dx: (1.132)
dV.z/
F.z/ D  () V.z/ D  F.z0 / dz0 : (1.129) xa
dz
z0
In dem speziellen Fall, dass die Anfangs- und Endpunkte iden-
tisch sind, xa D xb , nennt man die Kurve geschlossen und
Der Anfangspunkt z0 der Integration ist dabei beliebig. Es ist schreibt das geschlossene Wegintegral
wünschenswert, eine ähnliche Aussage in drei Dimensionen zu
formulieren. Hierbei ergibt sich allerdings die Frage, welcher Zxb I
Integrationsweg zwischen zwei Punkten im R3 gewählt werden F.x/  dx D F.x/  dx: (1.133)
muss. Im Gegensatz zu der Integration in (1.129), die entlang xa C
der reellen Achse stattfindet, kann im dreidimensionalen Raum
prinzipiell eine unendliche Zahl von Wegen verfolgt werden Zur Berechnung des Kurvenintegrals entlang einer gegebenen
(Abb. 1.14). Wir werden bald sehen, dass ein Potenzial V.x/ Bahnkurve mit der Parametrisierung x.s/ schreibt man
genau dann definiert werden kann, wenn die Integration von der
Wahl des Weges unabhängig ist. Hierzu ist es sinnvoll, sich die Zxb Zsb
dx
Kurvenintegrale genauer anzusehen. F.x/  dx D F.x/  ds: (1.134)
ds
xa sa
Es sei F.x/ eine vektorwertige Funktion im dreidimensionalen
Raum R3 . Einer kleinen Verschiebung vom Punkt x nach x C ıx Hier wurde der Integrand in die eindimensionale Funktion F.x/
lässt sich der Skalar dx=ds umgewandelt. Die Integration lässt sich daher wie ge-
wohnt durchführen. Wir werden dies am Ende von Abschn. 1.6
ı˚ D F.x/  ıx (1.130) an einem konkreten Beispiel vorführen.
28 1 Die Newton’schen Axiome

1.6 Energieerhaltung geschrieben werden kann, da dann E D T C V D const für die


Kapitel 1

Energie E gilt. Das eindimensionale Analogon dieses Energie-


und konservative Kräfte satzes haben wir schon in (1.81) gesehen. Im dreidimensionalen
Fall ist dies offenbar nur dann möglich, wenn
In Abschn. 1.3 wurde die Bewegung einer Punktmasse in einer
dV dx
Dimension vorgestellt. Dies führte schließlich auf den Ener- D F  (1.141)
gieerhaltungssatz in Abwesenheit dissipativer Kräfte (1.88). dt dt
Die Bewegung einer Punktmasse in drei Dimensionen erfor-
erfüllt ist. Eine Größe V, welche dieser Gleichung genügt, ist
dert besondere Aufmerksamkeit, da es sich dabei nicht um eine
das Potenzial der Kraft F. So erfüllen beispielsweise alle Kräf-
einfache Erweiterung von Abschn. 1.3 auf drei Dimensionen
te, die senkrecht auf der Geschwindigkeit xP stehen, VP D 0. Dies
handelt. So haben wir beispielsweise zuvor gesehen, dass al-
schließt beispielsweise die Lorentz-Kraft in einem beliebigen
le eindimensionalen Kräfte der Form F.z/ aus einem Potenzial
Magnetfeld B ein. Sie ist proportional zum Kreuzprodukt v  B
V.z/ abgeleitet werden können. Im Gegensatz dazu kann man in
und erhält damit die Energie (Aufgabe 1.4). Hier ist anzumer-
drei Dimensionen im Allgemeinen kein Potenzial V.x/ für eine
ken, dass die Lorentz-Kraft geschwindigkeitsabhängig ist. Wir
beliebige Kraft F.x/ angeben, selbst wenn diese geschwindig-
wollen uns im Folgenden allerdings auf geschwindigkeitsunab-
keits- und zeitunabhängig ist. Es wird allerdings gezeigt, dass es
hängige Kräfte beschränken (also solche mit Gestalt F.x/). Die
eine Klasse von Kräften gibt, für die eine solche Relation exis-
Lorentz-Kraft wird in Bd. 2 genauer untersucht werden.
tiert. Diese sogenannten konservativen Kräfte werden im Laufe
dieses Abschnitts eingeführt und definiert. Dazu werden die Dif- Es gibt eine Klasse geschwindigkeitsunabhängiger Kräfte, die
ferenzialoperatoren (Gradient, Divergenz und Rotation) sowie (1.141) erfüllen. Die Anwendung der Kettenregel zeigt, dass
der wichtige Satz von Stokes besprochen. dies für Kräfte der Fall ist, die in der Form

F.x/ D r V.x/ (1.142)


Der Energieerhaltungssatz in drei Dimensionen
geschrieben werden können. Hierbei bezeichnet r (Nabla-Ope-
rator) den Gradienten in kartesischen Koordinaten, der im
Um den Energieerhaltungssatz in drei Dimensionen zu erhalten, „Mathematischen Hintergrund“ 1.7 eingeführt wird. Man rech-
gehen wir ähnlich wie in Abschn. 1.4 vor: Wir multiplizieren net somit nach, dass
die Bewegungsgleichung einer Punktmasse,
dV.x/ @V.x/ dxi .t/
mRx D F; (1.135) P
V.x/ D D
dt @xi dt
mit xP und schreiben (1.143)
dx.t/ dx.t/
d  m 2 dx D .r V.x// 
dt
D F.x/ 
dt
xP D F  : (1.136)
dt 2 dt
gilt. Es ist zu betonen, dass die Zeitabhängigkeit vollständig in
In Analogie zum eindimensionalen Fall definiert man die kine-
x.t/ enthalten ist; die Kraft F.x/ und das Potenzial V.x/ sind
tische Energie als
somit nicht explizit zeitabhängig.
m p2
T D xP 2 D : (1.137)
2 2m Achtung Der Gradient zeigt in die Richtung des steilsten An-
stiegs des Potenzials. Das Konzept des Gradienten (und Nabla-
Die infinitesimale Änderung der kinetischen Energie ist die von
Operators) ist in der Physik sehr wichtig und für viele Leser ver-
der Kraft F längs des Wegelements dx an der Punktmasse ver-
mutlich neu. Es wird daher empfohlen, den „Mathematischen
richtete Arbeit dW:
m  Hintergrund“ 1.7 genau zu studieren und Aufgabe 1.5 zu bear-
d xP 2 D F  dx D dW: (1.138) beiten. J
2
Kräfte der Form wie in (1.142) werden Potenzialkräfte oder kon-
Die Leistung in drei Dimensionen wird aus servative Kräfte genannt, da sie die Energie als Summe von
dW kinetischer und potenzieller Energie erhalten und aus einem Po-
PD D F  xP (1.139) tenzial abgeleitet werden können.
dt
berechnet. Den eindimensionalen Fall haben wir bereits in
(1.86) kennengelernt.
Konservative Kräfte
Die Bewegungsgleichung (1.136) beschreibt eine erhaltene Grö-
ße, wenn sie in der Form Konservative geschwindigkeitsunabhängige Kräfte F.x/
lassen sich als Gradient eines skalaren Potenzials V.x/
dT dV darstellen.
D (1.140)
dt dt
1.6 Energieerhaltung und konservative Kräfte 29

Kapitel 1
1.7 Mathematischer Hintergrund: Differenzialoperatoren

Im Rn , und besonders im R3 , gibt es einige besondere Ablei- Beispielsweise kann man die totale Zeitableitung einer Funk-
tungsoperatoren, die in der Physik oft benutzt werden. Diese tion f .x.t// mithilfe der Kettenregel als df =dt D .r f /  xP
wollen wir hier kurz erklären. schreiben.
Ableitung und partielle Ableitung Eine skalare Funk- Divergenz Unter der Divergenz eines Vektorfeldes g ver-
tion f W R ! R, x 7! f .x/ ist differenzierbar in x, wenn der steht man den Differenzialoperator, der dem Vektorfeld die
Grenzwert Summe der i-ten partiellen Ableitung der i-ten Komponente,
df f .x C "/  f .x/ also einen Skalar, zuordnet:
f 0 .x/ D .x/ D lim 0 1
dx "!0 " g1
B C X
3
existiert. Den Grenzwert bezeichnet man als Ableitung von f . div g WD div @g2 A D @i gi :
Anschaulich beschreibt f 0 .x0 / die Änderungsrate (Steigung) g3 iD1
von f in der Nähe von x0 (vorausgesetzt, dass f hinreichend
glatt ist in einer Umgebung um x0 . Für Details siehe den
„Mathematischen Hintergrund“ 1.8). Rotation Unter der Rotation eines Vektorfeldes versteht
man den Differenzialoperator
Um das Änderungsverhalten skalarer Funktionen mehrerer
0 1
Veränderlicher g W Rn ! R, x 7! g.x/ zu untersuchen, lässt @2 g3  @3 g2
man alle Veränderlichen bis auf xi konstant und betrachtet für B C
rot g D @@3 g1  @1 g3 A :
festes x das Änderungsverhalten der durch gi .t/ WD g.xCtei /
auf R ! R definierten Funktion. Dies führt auf die partielle @1 g2  @2 g1
Ableitung
Wie bei der Ableitung auch, bezeichnet man mit Gradient,
@g g.x C "ei /  g.x/ Divergenz und Rotation nicht nur den Differenzialoperator
.x/ D lim : selbst, sondern auch das Ergebnis seiner Anwendung.
@xi "!0 "
@g
Die partielle Ableitung @x i
.x/ ist also die Ableitung von g an Symbolische Schreibweise In der Physik ist es üb-
der Stelle x in Richtung des Vektors ei . Statt @x@ i wird oft auch lich, Gradient, Divergenz und Rotation mithilfe des Nabla-
nur kurz @i notiert. Operators auszudrücken. Dieser ist zunächst formal nur der
Vektor der Symbole @1 , @2 , @3 , also
Differenzialoperatoren Ein Differenzialoperator ist ei-
ne Abbildung, die einer Funktion eine (andere) Funktion 0 1
@1
zuordnet, die (partielle) Ableitung(en) der ursprünglichen B C
Funktion enthält. Zum Beispiel ist die gewöhnliche Ablei- r WD @@2 A :
d
tung dx ein Differenzialoperator, der einer differenzierbaren @3
d
Funktion f ihre Ableitung dx f D f 0 zuordnet.
Beim formalen „Rechnen“ mit dem Nabla-Operator fasst
Gradient Eine Funktion R3 ! R (der Gradient wird hier man Produkte des Symbols @i mit einer Funktion f als An-
nur für R3 eingeführt; die Definition lässt sich aber problem- wendung von @i auf f auf. Dann lässt sich der Gradient von
los auf Rn verallgemeinern) wird als Skalarfeld bezeichnet. f formal als skalare Multiplikation zwischen r und f schrei-
Den Differenzialoperator, der einem Feld den Vektor der par- ben, die Divergenz von g als Skalarprodukt zwischen r und
tiellen Ableitungen des Feldes zuordnet, bezeichnet man als g und die Rotation von g als Vektorprodukt zwischen r und
Gradienten von f : g, also
0 1
@1 f grad f D r f ; div g D r  g; rot g D r  g:
B C
grad f WD @@2 f A :
@3 f Rechenregeln Sind f bzw. g Skalarfelder und v ein Vek-
torfeld, so gilt
In diesem Buch wird der Gradient als Spaltenvektor definiert.
Vereinzelt wird der Gradient auch als Zeilenvektor einge- r .fg/ D f .r g/ C g.rf /;
führt. Funktionen von R3 ! R3 werden als Vektorfelder r  .f v/ D f .r  v/ C v  .r f /;
bezeichnet. Der Gradient ist also ein Vektorfeld. Er zeigt in r  .f v/ D .r f /  v C f .r  v/:
Richtung des stärksten Anstiegs des Skalarfeldes. Insbeson-
dere steht der Gradient senkrecht auf Flächen, auf denen das Diese sind leicht in Komponentenschreibweise nachzurech-
Skalarfeld konstant ist. nen.
30 1 Die Newton’schen Axiome

Es ist leicht zu sehen, dass die Kraft in (1.142) senkrecht auf die nur vom Abstand r abhängen und stets entlang der Richtung
Kapitel 1

Äquipotenzialflächen (Flächen mit konstantem Potenzial, V D von r wirken. Diese Kräfte können anziehend (F.r/ < 0) oder
const) steht. Dazu betrachte man eine Verschiebung dx, die in- abstoßend (F.r/ > 0) sein. Das Potenzial lautet
nerhalb einer Äquipotenzialfläche liegt:
Zr
0 D dV D r V  dx D F  dx: (1.144) V.r/  V.r0 / D  F.r0 / dr0 ; (1.150)
r0
An dieser Stelle bietet es sich auch an, die Richtungsableitung
des Feldes V.x/ entlang des Vektors nO zu definieren:
wobei r0 und somit V.r0 / beliebig ist.
@V Es ist zu beachten, dass es auch nichtradialsymmetrische Zen-
@nO V D WD nO  r V: (1.145)
@nO tralkräfte gibt, die zwar entlang des Vektors r wirken, aber nicht
nur vom Abstand r abhängen. Im Gegensatz zu den radial-
Sie gibt die Steigung von V entlang des Vektors nO an. Liegt nO symmetrischen Zentralkräften in (1.149) können solche Kräfte
innerhalb einer Äquipotenzialfläche, d. h. ist nichtkonservativ sein. Eine wichtige Eigenschaft aller Zentral-
kräfte ist, dass sie den Drehimpuls L erhalten, da F k r und somit
V.x/  V.x C  n/
O D0 (1.146) LP D M D r  F D 0 gilt.

für ein beliebiges infinitesimales , dann verschwindet die Rich-


tungsableitung @nO V. Frage 19
Man zeige mithilfe von (1.142), dass (1.150) auf (1.149) führt.
Sind alle Kräfte, die auf die Punktmasse m wirken, konservativ, Dabei kann man ausnutzen, dass r r D r=r ist (Aufgabe 1.5).
gilt der Energieerhaltungssatz:

E D T C V D const: (1.147) Der dreidimensionale harmonische Oszillator ist ein Spezialfall


einer radialsymmetrischen Zentralkraft. Er besitzt das Potenzial

Energieerhaltung k 2
V.r/ D r ; (1.151)
Die Energie eines mechanischen Systems ist erhalten, 2
wenn alle Kräfte konservativ sind.
wie wir es bereits in (1.93) für den eindimensionalen Fall gese-
hen haben. Die Kraft in drei Dimensionen berechnet sich zu
Treten zusätzlich nichtkonservative (also dissipative) Kräfte Fd
auf, so lautet die Energiegleichung F.r/ D r V.r/ D kr D kr eO r : (1.152)

EP D Fd  xP : (1.148) Die Gravitationskraft

Beispiele für nichtkonservative Kräfte sind Reibungskräfte, die GMm


von der Geschwindigkeit abhängen. Geschwindigkeitsabhän- F.r/ D  eO r (1.153)
r2
gige Kräfte sind im Allgemeinen dissipativ. Dies haben wir
bereits in Abschn. 1.4 gesehen. Es gibt allerdings auch, wie ist ebenfalls eine radialsymmetrische Zentralkraft.
bereits vorher angedeutet, Ausnahmen: Die geschwindigkeitsab-
hängige Lorentz-Kraft ist ebenfalls konservativ (erhält also die
Energie). Es gibt jedoch auch Kräfte der Form F.x/, die nicht- Frage 20
konservativ sind, wie in Aufgabe 1.5 gezeigt wird. Berechnen Sie das Gravitationspotenzial aus der Gravitations-
kraft. Nutzen Sie dazu (1.150).

Wichtige Potenzialkräfte Sowohl der harmonische Oszillator als auch die Gravitation sind
Spezialfälle der Potenz-Potenziale,
Die wichtigsten Potenzialkräfte in der Mechanik sind die radi-
alsymmetrischen Zentralkräfte, V.r/ D ˛ rˇ ; (1.154)

r wobei ˛ und ˇ reelle Zahlen sind (ˇ D 2 für das Oszillatorpo-


F.r/ D F.r/ D F.r/ eO r ; (1.149)
r tenzial und ˇ D 1 für das Gravitationspotenzial).
1.6 Energieerhaltung und konservative Kräfte 31

Kapitel 1
1.8 Mathematischer Hintergrund: Taylor’scher Satz

Es ist oftmals sinnvoll, differenzierbare Funktionen als Po- f für x ! a mindestens mit k-ter Ordnung abfällt. Gl. (2) be-
tenzreihe oder als Polynom mit einem Fehlerterm zu schrei- sagt also, dass das Restglied RnC1 .x/ für x ! a mindestens
ben. Dafür gibt es die sogenannte Taylor-Entwicklung. mit (n C 1)-ter Ordnung abfällt.
Taylor-Polynome Sei I ein Intervall reeller Zahlen, f W Die sehr gebräuchliche Schreibweise
I ! R eine mindestens .n C 1/-mal differenzierbare Funkti-
f .x/ D Tn .x/ C O.xnC1 / für x ! 0
on und a 2 I. Das r-te (1  r  n) Taylor-Polynom Tr .x/ ist
das Polynom vom Grad r, das mit f in a im Funktionswert ist so zu lesen, dass O.xnC1 / eine Funktion ist (die sich aus
und den ersten r-Ableitungen übereinstimmt. Durch diese der Gleichung ergibt), die in der Menge O.xnC1 / enthalten
Forderungen ist das Polynom Tr .x/ eindeutig bestimmt. ist. Die O-Notation kann man in analoger Weise auch für
Wie man leicht nachprüft, sind die Taylor-Polynome gegeben x ! 1 einführen. Dann bedeutet f 2 O.g/, dass f höchs-
durch tens so stark ansteigt wie g.
T0 .x/ WD f .a/ Beispiele Verwendet man die Taylor-Polynome als Appro-
T1 .x/ WD f .a/ C f 0 .a/.x  a/ ximation, so erhält man für x ! 0 folgende Näherungen:
:: 1 x  
: p D1 C O x2 ;
1˙x 2
Xn
f .k/.a/
Tn .x/ WD .x  a/k : x2  
kŠ cos.x/ D 1  C O x4 ;
kD0 2
 
Dabei bezeichnet kŠ WD k  .k  1/    2  1 die Fakultät von sin.x/ D x C O x3 :
k. Ergänzend ist 0Š WD 1 definiert. Das erste Taylor-Polynom
T1 .x/ ist genau die Tangente an f in a. Taylor-Reihen Wenn f W R ! R unendlich oft differen-
zierbar ist, konvergiert dann die Folge der Taylor-Polynome
Restglied Wie gut lässt sich f durch ein Taylor-Polynom Tn .x/, also die Taylor-Reihe
annähern? Für das Restglied RnC1 .x/ WD f .x/  Tn .x/ gilt
X1
Zx f .k/.a/
1 .x  a/k ‹
RnC1 .x/ D .x  t/n f .nC1/ .t/ dt: (1) kD0


a
Wenn ja, konvergiert die Reihe nur für feste x in einer Um-
Dies ist die Aussage des Taylor’schen Satzes, den man gebung U von a oder sogar gleichmäßig in U (d. h. bezüglich
über vollständige Induktion ausgehend vom Hauptsatz der der Supremumsnorm kk1 )? Beides muss im Allgemeinen
Differenzial- und Integralrechnung beweisen kann. verneint werden. Selbst wenn die Taylor-Reihe einer Funk-
tion konvergiert, konvergiert diese nicht zwangsläufig gegen
Restgliedabschätzung Wenn die (n C 1)-te Ableitung die Funktion. Notwendig und hinreichend ist, dass Rk .x/ für
von f beschränkt ist in einer Umgebung U um a, dann folgt k ! 1 gleichmäßig gegen 0 konvergiert.
aus (1) die Abschätzung
ˇ ˇ Taylor-Entwicklung für Funktionen f W Rn ! R Exis-
jRnC1 .x/j  C ˇ.x  a/nC1 ˇ für x 2 U (2)
tieren die partiellen Ableitungen bis zur zweiten Ordnung
mit einer geeigneten Konstanten C > 0. von f W Rn ! R, so gilt für x ! 0
 
Landau-Notation Für eine Funktion f W I ! R, I  R f .a C x/ D .grad f .a//  x C O jxj2 ;
und a 2 I versteht man unter O.f / die Menge aller Funktio-
wobei O offensichtlich auf Funktionen Rn ! R verallge-
nen g W I ! R, durch die f lokal in einer Umgebung Ug um
meinert ist. Existieren auch die partiellen Ableitungen dritter
a beschränkt werden kann. Dies sind also die Funktionen g,
Ordnung von f , dann gilt für x ! 0
zu denen es eine Umgebung Ug .a/ um a gibt, sodass
1    
jf .x/j  C jg.x/j für alle x 2 Ug .a/ f .a C x/ D .grad f .a//  x C x  Hf .a/  x C O jxj3 ;
2
gilt mit einer geeigneten Konstanten C 2 R. Bei der Schreib- wobei die Hesse-Matrix Hf die (n  n)-Matrix der zweiten
weise O.g/ wird, etwas unsauber, auf die Angabe von a partiellen Ableitungen ist, d. h.
verzichtet, da sich a immer aus dem
 Zusammenhang ergibt.
Im Falle x ! a und f 2 O .x  a/k spricht man davon, dass .Hf /ij WD @i @j f :
32 1 Die Newton’schen Axiome

Die Wegunabhängigkeit der Arbeit


Kapitel 1

In diesem Abschnitt werden die Eigenschaften der wichtigen


konservativen Kraftfelder genauer untersucht. Wie bereits ge- S
zeigt, gilt für die Bewegung in einem konservativen Kraftfeld ∂S
die Energieerhaltung.
B
Wir haben in Abb. 1.14 gesehen, dass sich im dreidimensionalen
Raum prinzipiell verschiedene Wege zwischen zwei Punkten A
und B wählen lassen. Bewegt man sich dabei durch ein Kraft-
feld, wird Arbeit verrichtet. Es stellt sich die Frage, ob es Abb. 1.15 Eine (gekrümmte) zweidimensionale Fläche S im dreidi-
Kraftfelder gibt, für welche die verrichtete Arbeit nicht davon mensionalen Raum wird von einer Kurve @S begrenzt. Es gibt zwei
abhängt, auf welchem Weg man sich von Punkt A zu Punkt B Möglichkeiten, entlang @S von einem Punkt A zu einem anderen Punkt
begibt. Es ist zu erwarten, dass für solche Systeme eine physi- B zu gelangen (rote und blaue Pfade). Beide Pfade zusammen bilden
kalische Beschreibung einfacher ist, da der gewählte Weg nicht eine geschlossene Kurve
definiert werden muss.
Wir nehmen an, dass das Kurvenintegral die Rotation r  F des Feldes F an (siehe „Mathematischer
Hintergrund“ 1.7). Da die Rotation eines Gradienten identisch
Zx verschwindet, r  r ˚ D 0, gilt offenbar, dass r  F D 0
˚.x/ D F.x0 /  dx0 (1.155) ein notwendiges Kriterium ist. Aus F D r ˚ folgt daher, dass
x0 r  F D 0. Wir werden im Folgenden untersuchen, unter
welchen Umständen die Umkehrung gilt, d. h. wann F ein Gra-
des Vektorfeldes F.x/ wegunabhängig ist. Der Startpunkt x0 dientenfeld ist, falls r  F D 0 gilt.
wird nun festgehalten. Verschiebt man dann die obere Integrati-
onsgrenze um ein kleines Stück dx, so gilt Frage 21
Man mache sich klar, dass die Rotation eines Gradientenfeldes
Z
xCdx
tatsächlich verschwindet. Hierzu ist es sinnvoll, das Kreuzpro-
˚.x C dx/  ˚.x/ D F.x0 /  dx0 : (1.156) dukt r  r ˚ durch das Levi-Civita-Symbol "ijk darzustellen.
x Bei der Rechnung geht man davon aus, dass Ableitungen ver-
tauschbar sind, z. B. @i @j ˚.x/ D @j @i ˚.x/.
Für eine infinitesimale Verschiebung kann man dies durch

˚.x C dx/  ˚.x/ D r ˚.x/  dx D F.x/  dx (1.157)

annähern (siehe „Mathematischer Hintergrund“ 1.8). Somit Der Satz von Stokes
muss F der Gradient des skalaren Feldes ˚ sein: F D r ˚.
Ist umgekehrt F D r ˚, so ist das Wegintegral wegunabhängig,
denn Der Satz von Stokes erlaubt es, ein geschlossenes Wegintegral
über ein Vektorfeld F.x/ durch das Flächenintegral über die Ro-
Zxb Z b/
˚.x tation von F auszudrücken:
r ˚  dx D d˚ D ˚.xb /  ˚.xa / (1.158) I Z
F  ds D .r  F/  dS: (1.159)
xa ˚.xa /
@S S
hängt nur noch von den Endpunkten der Kurve ab.
Hier ist S eine Fläche, die von einer Randkurve @S entlang ds
begrenzt wird (Abb. 1.15). Man nennt
Wegunabhängigkeit und Gradientenfeld I
Ein Kurvenintegral über ein Vektorfeld F.x/ ist genau  WD F  ds (1.160)
dann wegunabhängig, wenn es ein Skalarfeld ˚ gibt, des- @S
sen Gradient F ist, d. h. F.x/ D r ˚.x/.
auch die Zirkulation oder Wirbelstärke des Vektorfeldes F.x/
längs des geschlossenen Weges @S. Das infinitesimale Flächen-
Es stellt sich sofort die Frage, nach welchem Kriterium man element dS erfüllt
entscheiden kann, ob F ein Gradientenfeld ist. Hier bietet sich dS D dS n;
O (1.161)
1.6 Energieerhaltung und konservative Kräfte 33

Kapitel 1
1.9 Mathematischer Hintergrund: Der Satz von Stokes
H
Der Satz von Stokes ist wohl der Höhepunkt in jedem Ana- 1. Es gilt @S F  ds > 0, wenn die Vektoren von F in Tan-
lysiszyklus. Man findet ihn in der Literatur in den verschie- gentialrichtung zu @S zeigen. Physikalisch bedeutet dies,
densten Formen, wobei wir uns hier auf die physikalische dass sich die Flüssigkeit im mathematisch positiven Sinne
Interpretation konzentrieren wollen. In der tiefsten und all- dreht. H
gemeinen Form sagt der Satz von Stokes etwas über die 2. Wir haben @S F  ds < 0, falls die Vektoren von F ent-
Integration von Differenzialformen und verallgemeinert so gegen der Richtung der Tangentialvektoren des Randes
den Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung, der zeigen. H
aus der Schule schon bekannt ist. 3. Es gilt natürlich @S F  ds D 0, wenn F senkrecht auf
dem Rand @S steht. Physikalisch bedeutet dies, dass die
Wichtige Spezialfälle sind der klassische Satz von Stokes, Flüssigkeit nicht entlang des Randes rotiert.
der Gauß’sche Integralsatz und der Satz von Green, die alle
in der Vektoranalysis behandelt werden. H
Insgesamt stellt das Integral @S F  ds damit die Gesamt-
rotation der Flüssigkeit im mathematischen positiven Sinne
Der klassische Satz von Stokes Eine Version (meistens entlang @S dar. Daher kann dieses Integral auch als Zirkula-
wird diese so in einer Physikvorlesung gegeben) des Satzes tion bzw. Wirbelstärke der Flüssigkeit gedeutet werden. Der
von Stokes lautet wie folgt: Satz von Stokes sagt uns nun, dass die Wirbelstärke von F
Sei S  R3 eine Fläche und @S ihre Randkurve (Abb. 1.15). entlang der Randkurve @S gerade gleich dem Integral der
Weiter sei das Vektorfeld F W R3 ! R3 stetig differenzierbar. Normalkomponente der Rotation rot F über der Fläche S ist.
Dann gilt
Weitere Anwendungen Eine weitere Anwendung des
I Z allgemeinen Stokes’schen Satzes ist der sogenannte Integral-
F  ds D .rot F/  dS; satz von Gauß, der vor allem in der Elektrodynamik eine
@S S außerordentlich wichtige Rolle spielt und dort noch wesent-
lich ausführlicher besprochen wird. Er soll hier bereits der
wobei die Randkurve @S die von S induzierte Orientierung Vollständigkeit halber notiert werden. Sei V  R3 ein Volu-
trage, ds das vektorielle Linienelement des Randes @S und dS men und @V die geschlossene Fläche, die V berandet. Dann
das vektorielle Flächenelement von S bezeichnet. Der Nutzen gilt für jedes stetig differenzierbare Vektorfeld F W R3 ! R3
liegt vor allem darin, dass im Allgemeinen das Kurveninte- I Z
gral einfacher als das Flächenintegral zu berechnen ist. F  dS D div F dV;
@V V
Physikalische Interpretation Stellen wir uns vor, dass
F das Geschwindigkeitsfeld einer Flüssigkeitsströmung ist.
wobei die Randfläche @V nach außen orientiert ist (die Au-
Wie oben bemerkt, stellt F  ds die tangentiale Komponen-
ßenseite von @V gilt als positiv).
te von F längs der Randkurve @S dar. Man kann daher
das Integral darüber als eine Größe interpretieren, die an-
gibt, wie sich die Vektoren von F entlang @S drehen. Wir Literatur
unterscheiden dazu drei Fälle (Abb. 1.16), wenn wir die
Randkurve @S im mathematisch positiven Sinne durchlau- Arens, T., et al.: Mathematik. 2. Aufl., Spektrum Akade-
fen: mischer Verlag (2012)

wobei dS der Betrag des Flächenelements und nO ein Einheits- Aus dem Satz von Stokes folgt sofort die hinreichende Bedin-
normalenvektor ist, der lokal senkrecht auf der Fläche steht. Das gung, die uns im vorherigen Abschnitt noch gefehlt hatte: Gilt
Vorzeichen von nO wird über die Rechte-Hand-Regel bestimmt: r  F D 0, so ist F D r ˚. Dies kann man folgendermaßen
sehen: Verschwindet die Rotation von F, so ist gemäß (1.159)
Der Integrationspfad läuft im mathematisch positiven Sinn („ge-
I
gen den Uhrzeigersinn“) um den Normalenvektor. Für weitere
Details wird auf den „Mathematischen Hintergrund“ 1.9 verwie- F  ds D 0; (1.162)
sen. @S
34 1 Die Newton’schen Axiome
Kapitel 1

∂S

Γ>0 Γ<0 Γ=0


H
Abb. 1.16 Das Vorzeichen der Zirkulation  D @S F  ds hängt von der Richtung des Vektorfeldes F (blau) auf dem Rand @S (rot) ab. Die
Randkurve wird entlang ds im mathematisch positiven Sinn (gegen den Uhrzeigersinn) durchlaufen

und das Wegintegral zwischen zwei Punkten A und B ist unab-


hängig vom gewählten Weg. Daher muss F ein Gradientenfeld
sein. A

Frage 22
Man mache sich klar, dass (1.162) zur Folge hat, dass das Weg-
integral vom gewählten Weg unabhängig ist. Dazu zerlegt man
wie in Abb. 1.15 ein beliebiges geschlossene Wegintegral in
zwei Integrale, eins von Punkt A nach Punkt B, das andere auf B
einem anderen Weg wieder zurück.

Abb. 1.17 Gibt es ein „Loch“ in einem Vektorfeld F.x/, so ist das De-
Die hinreichende Bedingung r  F D 0 H) F D r ˚ gilt nur finitionsgebiet von F W x 7! F.x/ nicht einfach zusammenhängend. Die
dann, wenn F.x/ überall längs des Integrationsweges definiert beiden dargestellten Wege von Punkt A zu Punkt B müssen energetisch
ist und keine Löcher hat, wie in Abb. 1.17 dargestellt. Mathe- nicht gleichwertig sein, da sich beide Wege nicht kontinuierlich inein-
matisch spricht man von einem einfach zusammenhängenden ander überführen lassen, ohne dabei durch das Loch zu laufen
Gebiet: Ein Gebiet G heißt einfach zusammenhängend, wenn
jede geschlossene Kurve in G stetig zu einem Punkt zusammen-
gezogen werden kann, ohne das Gebiet zu verlassen. die Umkehrung, also die Integration, anspruchsvoller. Zunächst
schreibt man
F.x/ D r V.x/
Zusammenhang zwischen Wirbelfreiheit und Gradient Zx
(1.164)
Felder F.x/, die auf einem einfach zusammenhängenden H) V.x/  V.x0 / D  F.x0 /  dx0 :
Gebiet G definiert sind, haben genau dann ein Potenzial x0
V.x/, wenn sie in G wirbelfrei (rotationsfrei) sind:
Der Bezugspunkt x0 ist beliebig, da der Term r V.x0 / ver-
r  F D 0 () F D r V: (1.163) schwindet und die Kraft nicht beeinflusst. Das Potenzial V und
die Energie E sind damit bis auf eine beliebige additive Kon-
stante festgelegt.
Wir haben gesehen, dass der Integrationsweg von x0 nach x kei-
In Aufgabe 1.6 wird ein konkretes Beispiel gerechnet. ne Rolle spielt, wenn F konservativ ist. Daher lässt sich das
Integral in (1.164) lösen, indem ein Weg C gewählt wird, für
den die Berechnung möglichst einfach wird. Dazu wählt man
eine geeignete Parametrisierung x.s/ und schreibt
Die Berechnung des Potenzials aus einer
Zs
konservativen Kraft dx0
V.x/  V.x0 / D  F.x0 /  ds; (1.165)
ds
s0
Während es verhältnismäßig einfach ist, eine Kraft F.x/ mit
(1.142) aus dem zugehörigen Potenzial V.x/ zu berechnen, ist wobei x0 D x.s0 / gilt. Dies wird in Aufgabe 1.6 vertieft.
1.6 Energieerhaltung und konservative Kräfte 35

x3

Kapitel 1
Zx2
 F2 .x1 ; x02 ; x3;0 / dx02
x3 x x2;0
C
C3 Zx3
x3,0
x0  F3 .x1 ; x2 ; x03 / dx03 :
x2 C1 C2 x3;0
x2
x2,0
Da F voraussetzungsgemäß eine konservative Kraft ist,
kann auch zunächst entlang der x2 - oder der x3 -Achse
x1,0
integriert werden. Es kann aber auch ein vollständig ande-
x1 rer Weg gewählt werden, etwa entlang eines Kreisbogens
x1 oder einer Geraden, die direkt von x0 nach x führt.
Abb. 1.18 Um das Potenzial V.x/ zu einer gegebenen konservativen Konkret soll dies für das einfache Beispiel F.x/ D
Kraft F.x/ zu berechnen, kann man einen beliebigen Integrationspfad
Cx D C.x1 ; x2 ; x3 /> mit einer Konstanten C gezeigt wer-
von x0 nach x verfolgen. In diesem Fall wird zunächst entlang der x01 -
Achse integriert (Abschnitt C1 ), im Anschluss entlang der x02 -Achse
den. Wir integrieren von einem Punkt .a1 ; a2 ; a3 /> zu
(Abschnitt C2 ) und schließlich entlang der x03 -Achse (Abschnitt C3 ) .b1 ; b2 ; b3 /> und sehen

V.b/  V.a/
Potenzial aus Kraft Zb1 Zb2 Zb3
D C x01 dx01 C x02 dx02 C x03 dx03
Ein einfaches Beispiel ist eine abschnittsweise definierte
a1 a2 a3
Parametrisierung, bei der zunächst ein Weg entlang der (1.168)
x1 -Achse, daraufhin ein Weg entlang der x2 -Achse und C 2 
D a1  b21 C a22  b22 C a23  b23
abschließend ein Weg entlang der x3 -Achse gewählt wird. 2
Dies ist in Abb. 1.18 dargestellt. In diesem Fall besteht C
a2  b2
aus den drei miteinander verbundenen Abschnitten C1 , C2 DC :
und C3 mit 2
8 Für die spezielle Wahl b D x und a D .0; 0; 0/> bekommt
0
ˆ
<.1; 0; 0/
>
auf C1
dx man also
D .0; 1; 0/> auf C2 : (1.166) C
ds :̂.0; 0; 1/> auf C V.x/ D  x2 ; (1.169)
3 2

Gl. (1.165) wird somit zu was wieder direkt auf

Zx1 F.x/ D r V.x/ D Cx (1.170)


V.x/  V.x0 / D  F1 .x01 ; x2;0 ; x3;0 / dx01 (1.167)
führt. J
x1;0
36 1 Die Newton’schen Axiome
Kapitel 1

Aufgaben

Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen

1.1 Vektorrechnung Das Rechnen mit Vektoren, xN enthalten) auf dem Intervall Œ1; 1. Das Skalarprodukt
Skalar- und Vektorprodukten soll hier geübt werden. sei durch
Z1
(a) Wir betrachten n Vektoren vi aus einem Vektorraum V. Man hp; qi D p.x/q.x/ dx (1.176)
kann diese Vektoren verknüpfen, um die Linearkombination 1

v D 1 v1 C : : : C n vn (1.171) definiert. Welche dieser drei Polynome sind im Sinne dieses


Skalarprodukts zueinander orthogonal?
zu erhalten. Hier sind die n Größen i Skalare. Die Menge
p.x/ D x; q.x/ D x2  2; r.x/ D x3 C x: (1.177)
aller dieser darstellbaren Vektoren v bildet einen Untervek-
torraum U von V. Man bezeichnet U als den von den vi Wie könnte man die Polynome normieren?
aufgespannten Untervektorraum U D span.vi /. Man nennt (c) Häufig benötigt man das Spatprodukt, das auch als Mehr-
die Vektoren vi linear unabhängig, wenn die Gleichung fachprodukt bezeichnet wird:
1 v1 C : : : C n vn D 0 (1.172) .a  b/  c D .b  c/  a D .c  a/  b D "ijk ai bj ck : (1.178)

nur dann erfüllt werden kann, wenn alle Skalare i ver- Zeigen Sie, dass es verschwindet, wenn einer der Vektoren
schwinden: i D 0. In diesem Fall lässt sich ein Vektor v als Linearkombination der beiden anderen geschrieben wer-
als eindeutige Linearkombination der vi darstellen, d. h., die den kann. Dies ist dann der Fall, wenn alle drei Vektoren in
i sind für einen gegebenen Vektor v eindeutig. einer Ebene liegen. Die drei Vektoren spannen dann einen
Überprüfen Sie, welche der folgenden Sätze von Vektoren Spat mit Volumen null auf.
im R3 linear unabhängig sind: (d) Zeigen Sie die Lagrange-Identität
0 1 0 1 0 1
1 0 0 .a  b/  .c  d/ D .a  c/.b  d/  .a  d/.b  c/: (1.179)
B C B C B C
v1 D @0A ; v2 D @1A ; v3 D @0A I (1.173)
Verwenden Sie dazu die Levi-Civita- und Kronecker-Sym-
0 0 1 bole.
0 1 0 1 0 1
1 1 1
B C B C B C 1.2 Schiefer Wurf Ein Speerwerfer trainiert für
v 1 D @1 A ; v2 D @1A ; v3 D @0A I (1.174)
einen Wettkampf. Er überlegt sich, dass es einen optimalen Ab-
1 0 0
wurfwinkel geben muss, um die Reichweite zu maximieren.
0 1 0 1 0 1 Dies ist offensichtlich: Wird der Speer waagerecht geworfen,
3 1 2 fällt er nach kurzer Flugstrecke auf den Boden. Wirft man ihn
B C B C B C
v1 D @ 2 A ; v2 D @2A ; v3 D @1A : (1.175) fast senkrecht nach oben, ist das Ergebnis ebenfalls enttäu-
1 3 3 schend. Man bestimme die allgemeine Bahnkurve des reibungs-
freien schiefen Wurfes in der x-z-Ebene, wobei die Gravitation
Was passiert, wenn im dritten Beispiel der dritte Vektor in negative z-Richtung wirkt. Die Anfangsbedingungen für den
durch v3 D .2; 4; 4/> ersetzt wird? Ort und die Geschwindigkeit sind x.0/ D x0 , z.0/ D z0 und
(b) Skalarprodukte können wesentlich allgemeiner definiert
P vx .0/ D vx;0 , vz .0/ D vz;0 .
werden als das innere Produkt x  y D 3iD1 xi yi für Vekto-
ren im R3 bezüglich einer Orthonormalbasis. Man betrachte (a) Man zeige, dass es sich um eine Parabelbahn (Wurfparabel)
beispielsweise den Vektorraum der Polynome vom Grad N handelt. Wie hoch liegt der Scheitelpunkt? Wann wird er er-
(d. h., die Polynome dürfen höchstens Terme der Ordnung reicht?
Aufgaben 37

(b) Der Wurfwinkel zwischen Anfangsgeschwindigkeitsvektor (a) Zeigen Sie ohne weitere Rechnungen, dass der Betrag der Ge-
und dem Boden (x-Achse) ist ˛. Stellen Sie zunächst jeweils

Kapitel 1
schwindigkeit des Teilchens konstant ist und dass keine Arbeit
einen Zusammenhang zwischen dem Betrag der Anfangsge- am Teilchen verrichtet wird. Die Energie ist somit erhalten
schwindigkeit, v0 , dem Wurfwinkel ˛ und den Projektionen und die Kraft konservativ. Greifen Sie dazu auf die Ergebnisse
der Anfangsgeschwindigkeit auf die x- und z-Achsen, vx;0 zurück, die in Abschn. 1.5 und 1.6 erarbeitet wurden.
und vz;0 , auf. (b) Stellen Sie die Bewegungsgleichungen für das Teilchen auf.
(c) Leiten Sie eine Gleichung ab, die die Reichweite des Wur- Die Anfangsbedingungen lauten x.t D 0/ D 0 und xP .t D
fes als Funktion der Anfangsgeschwindigkeit v0 und des 0/ D .0; vy;0 ; vz;0 /> . Die Lösung für die Bewegung entlang
Wurfwinkels ˛ beschreibt. Gehen Sie dabei davon aus, dass der z-Achse kann direkt hingeschrieben werden. Wie lautet
sowohl die Abwurf- als auch die Endhöhe z0 sind. Für sie?
welchen Wurfwinkel wird die Reichweite bei festem v0 ma- (c) Wie lauten die Lösungen der Bewegungsgleichungen ent-
ximal? lang der x- und y-Achsen? Um die beiden gekoppelten
(d) Kann ein Fußballtorwart einen Fußball direkt ins gegneri- Gleichungen zu entkoppeln, integrieren Sie zunächst eine
sche Tor schießen, wenn der Ball mit v0 D 100 km h1 aus der beiden Bewegungsgleichungen und setzen Sie das Er-
dem eigenen Torraum abgeschlagen wird? Ein Fußballfeld gebnis in die andere ein.
ist etwa 100 m lang. Reibungseffekte sollen auch hier ver- (d) Wie lauten der Tangential- und der Hauptnormalenvektor der
nachlässigt werden. Bahnkurve? Bestimmen Sie den Krümmungsradius.

1.3 Schiefer Wurf mit Stokes’scher Reibung Be- 1.5 Differenzialoperatoren In dieser Aufgabe
trachten Sie den schiefen Wurf mit Stokes’scher Reibung wird die Anwendung der Differenzialoperatoren vertieft.
(Reibungskoeffizient K). Die Bewegung erfolge in der x-z-
Ebene, und die homogene Gravitationskraft zeige in negative (a) Berechnen Sie die Rotation einer allgemeinen radialsymme-
z-Richtung. Die Anfangsbedingungen für den Ort und die Ge- trischen Zentralkraft:
schwindigkeit sind x.0/ D x0 , z.0/ D z0 und vx .0/ D vx;0 , r
F.r/ D F.r/ : (1.182)
vz .0/ D vz;0 . r
(a) Zeigen Sie, dass die Bewegungsgleichungen entkoppelt sind. Verwenden Sie dazu r2 D x21 C x22 C x23 . Es bietet sich an, die
(b) Schreiben Sie die allgemeine Lösung der Bewegungsglei- Rotation mithilfe des Levi-Civita-Symbols in Indexschreib-
chungen für x und z auf. Orientieren Sie sich dabei an den weise zu bestimmen.
Schritten, die auf (1.42) geführt haben. Für das weitere Vor- (b) Wie lautet die Rotation der Kraft
gehen bietet es sich an, die Endgeschwindigkeit vE nicht als 0 1
x2 =%2
Abkürzung einzuführen. B C
(c) Berechnen Sie die allgemeine Bahnkurve z.x/. Dazu muss F.r/ D @ x1 =%2 A (1.183)
die Zeit aus der Lösung z.t/ mithilfe von x.t/ eliminiert wer- 0
den.
(d) Zeigen Sie, dass der Grenzfall K D 0 auf die Lösung für die mit %2 D x21 C x22 ? Verwenden Sie hier die Schreibweise
Bahnkurve ohne Reibung aus Aufgabe 1.2 führt. Achtung:
r  F.r/ D "ijk eO i @j Fk : (1.184)
Es ist nicht möglich, einfach K D 0 zu setzen. Stattdes-
sen muss der Logarithmus in z.x/ für kleine K entwickelt Berechnen Sie weiterhin das Kurvenintegral über die Kraft
werden. Danach kann der Grenzfall K ! 0 durchgeführt entlang des Weges
werden. Nutzen Sie aus, dass ln.1 C x/ x  x2 =2 gilt. 0 1
Warum muss an dieser Stelle die zweite Ordnung der Tay- cos '
B C
lor-Entwicklung ebenfalls mitgenommen werden? r.'/ D R @ sin ' A ; 0  '  2 : (1.185)
0
1.4 Lorentz-Kraft Auf ein geladenes Teilchen Was ist die Interpretation dieser Resultate?
(elektrische Ladung q) wirkt im elektrischen Feld E und ma- (c) Gegeben sei ein Skalarfeld g.x/. Zeigen Sie, dass die Rich-
gnetischen Feld B die Lorentz-Kraft (in SI-Einheiten) tungsableitung entlang der Achse eOj , also @eOj g.x/, identisch
ist mit der partiellen Ableitung @j g.x/.
F D q .E C v  B/ : (1.180)
(d) Zeigen Sie, dass die Divergenz eines Rotationsfeldes ver-
Es soll die Bewegung in einem reinen Magnetfeld, das homo- schwindet:
gen und zeitunabhängig ist, untersucht werden. Hierzu wird das r  .r  h.x// D 0; (1.186)
Koordinatensystem so gelegt, dass wobei h.x/ ein zweifach differenzierbares Vektorfeld ist.
B D B eO z (1.181) (e) Man berechne die Rotation eines Rotationsfeldes: r 
.r  h.x//. Stellen Sie das Ergebnis in Komponenten-
gilt. Das elektrische Feld wird vernachlässigt: E D 0. schreibweise dar.
38 1 Die Newton’schen Axiome

1.6 Bewegung im Kraftfeld Es ist das Kraftfeld mit konstanten Koeffizienten cj (j D 0; : : : ; 1). Zeigen Sie,
Kapitel 1

0 1 dass zwischen den Koeffizienten der folgende Zusammen-


k1 x1 x2 hang besteht:
B C
F.x/ D C @x21 C k2 x23 A (1.187) cj
x2 x3 cjC2 D  : (1.190)
.j C 2/.j C 1/
gegeben (C > 0 ist eine dimensionsbehaftete Konstante, sodass Dies nennt man eine Rekursionsgleichung für die Koeffizi-
F die Einheit einer Kraft besitzt). Die Parameter k1 und k2 sind enten cj . Begründen Sie, warum c0 und c1 beliebig wählbar
zunächst offen. sind und wie dies zu interpretieren ist.
(b) Zeigen Sie, dass aus der Rekursionsgleichung die explizite
(a) Für welchen Wert von k1 und k2 besitzt diese Kraft ein Poten- Form
zial? Rechnen Sie im Folgenden mit diesen Werten weiter. 8
(b) Berechnen Sie die benötigte Arbeit, um eine Punktmasse m ˆ j=2C1 c0
>
vom Ursprung zum Punkt a D .a1 ; a2 ; a3 / zu befördern. <.1/
ˆ

j gerade
Der gewählte Weg spielt dabei keine Rolle. Wählen Sie den cj D (1.191)
ˆ .j1/=2 c1
direkten Weg entlang einer Geraden. Wann benötigt man für :̂ .1/ j ungerade

den Transport Energie, wann gewinnt man Energie?
(c) Wie lautet das Potenzial? Überprüfen Sie, dass es auf die folgt.
korrekte Kraft führt. (c) Bestimmen Sie die Taylor-Entwicklung der Funktionen
cos.!0 t/ und sin.!0 t/ um t D 0 bis einschließlich des dritten
nichtverschwindenden Terms. Wie lauten die Koeffizienten
1.7 Harmonischer Oszillator Es wird die Lösung der Entwicklung? Was folgt daraus?
der Schwingungsgleichung (1.100) des harmonischen Oszilla- (d) Überprüfen Sie, dass x .t/ D cos.! t/ und x .t/ D
1 0 2
tors gesucht: sin.!0 t/ die Schwingungsgleichung lösen. Außerdem löst
k
xR C !02 x D 0; !02 D : (1.188) A cos.!0 t  0 / die Schwingungsgleichung, da es eine Line-
m arkombination der sogenannten Fundamentallösungen x1 .t/
(a) Machen Sie einen Potenzreihenansatz und x2 .t/ ist. Zeigen Sie dies durch Anwendung des Additi-
onstheorems
X1
x.t/ D cj .!0 t/j (1.189) cos.˛ ˙ ˇ/ D cos ˛ cos ˇ sin ˛ sin ˇ: (1.192)
jD0
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 39

Kapitel 1
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben

1.1 Dies hätte man auch direkt daran erkennen können, dass der
Integrand eine ungerade Funktion von x ist, die Integrati-
(a) Die Vektoren in (1.173) sind linear unabhängig, da (1.172) onsgrenzen aber symmetrisch sind. Allerdings sind p.x/ und
nur für 1 D 2 D 3 D 0 erfüllt werden kann. Dies r.x/ nicht orthogonal:
ist trivial zu sehen. Auch die Vektoren in (1.174) sind line-
Z1
ar unabhängig. Um dies zu sehen, betrachtet man zunächst  
die x3 -Komponente. Sie kann nur dann verschwinden, wenn hp; ri D x4 C x2 dx
1 D 0 ist. Die x2 -Komponente verschwindet nur, wenn 1 (1.198)
dann auch 2 D 0 ist. Weiterhin muss auch 1 D 0 erfüllt  5 3 1
x x 4
sein. Für (1.175) muss man ein lineares Gleichungssystem D  D :
lösen. Es lautet 5 3 1 15
Weiterhin findet man, dass wegen
31 C 12 C 23 D 0;
21 C 22  13 D 0; (1.193) Z1
 
1 C 32  33 D 0: hq; ri D x5  x3  2x dx D 0 (1.199)
1
Zunächst addieren wir Vielfache der zweiten Gleichung zur
die beiden Polynome q.x/ und r.x/ orthogonal sind. Die Po-
ersten und zur dritten, sodass jeweils 3 verschwindet, und
lynome lassen sich normieren, indem man beispielsweise
betrachten die beiden resultierenden Gleichungen:
Z1
11 C 52 D 0; 2
(1.194) hp; pi D x2 dx D (1.200)
51  32 D 0: 3
1
p
Wir addieren das Fünffache der ersten Gleichung zur zwei- berechnet und entsprechend pQ .x/ WD p.x/= 2=3 als nor-
ten und finden zunächst 2 D 0. Durch Einsetzen in die miertes Polynom definiert.
vorherigen Gleichungssysteme ergeben sich dann 1 D 0 (c) Ohne Einschränkung der Allgemeinheit können wir c D
und 3 D 0. Die Vektoren sind also ebenfalls linear un- 1 a C 2 b schreiben. Das Spatprodukt lautet dann
abhängig. Ersetzt man allerdings den dritten Vektor durch
v3 D .2; 4; 3/> , ergibt sich statt (1.193) zunächst .a  b/  c D 1 "ijk ai bj ak C 2 "ijk ai bj bk : (1.201)

In beiden Termen auf der rechte Seite haben wir das Pro-
31 C 12 C 23 D 0;
dukt einer antisymmetrischen Größe (Levi-Civita-Symbol)
21 C 22  43 D 0; (1.195) und einer symmetrischen Größe (ai ak bzw. bj bk ) unter Ver-
1 C 32  43 D 0: tauschung der Indizes i $ j bzw. j $ k. Summiert man über
alle Indizes, fallen alle Terme gegeneinander weg, denn
Wir addieren diesmal Vielfache der dritten Gleichung, um in
den beiden anderen 1 zu eliminieren: "123 a2 a3 C "132 a3 a2 D ."123 C "132 /a2 a3
(1.202)
D .1  1/a2 a3 D 0:
102  103 D 0;
(1.196) (d) Die linke Seite von (1.179) schreiben wir zunächst in der
42 C 43 D 0: Form
Diese beiden Gleichungen sind Vielfache voneinander. Sie "kij ai bj "kmn cm dn D "kij "kmn ai bj cm dn : (1.203)
führen somit nur auf die Bedingung 2 D 3 . Beide Skalare
können beliebige, aber identische Werte annehmen. Die drei Hier verwendet man die Identität
Vektoren sind in diesem Fall also nicht linear unabhängig.
(b) Die beiden Polynome p.x/ und q.x/ sind orthogonal, denn "kij "kmn D ıim ıjn  ıin ıjm (1.204)

und erhält sofort


Z1  4 1
  x .a  b/  .c  d/ D .ıim ıjn  ıin ıjm /ai bj cm dn
hp; qi D x3  2x dx D  x2 D 0: (1.197) (1.205)
4 1 D .a  c/.b  d/  .a  d/.b  c/:
1
40 1 Die Newton’schen Axiome

1.2 (b) Gl. (1.42) beinhaltet bereits die Lösung der Bewegungsglei-
Kapitel 1

chung für z:
(a) Die allgemeinen Lösungen der Bewegungsgleichungen für
das beschriebene Problem sind (siehe (1.26)) mg
z  z0 D  t
K   
gt2 
x  x0 D vx;0 t; :
z  z0 D vz;0 t  (1.206) mg  m K (1.215)
2 C vz;0 C 1  exp  t :
K K m
Die Bahnkurve erhält man, indem man t eliminiert:
vz;0 g Die Lösung für x erhält man, indem man g D 0 setzt und x
z  z0 D .x  x0 /  2 .x  x0 /2 : (1.207) durch z ersetzt:
vx;0 2vx;0
  
Diese ist offensichtlich eine nach unten geöffnete Parabel. mvx;0 K
x  x0 D 1  exp  t : (1.216)
Der Scheitelpunkt ist durch dz=dx D 0 definiert. Dies führt K m
auf
vx;0 vz;0
xS  x0 D ; (1.208) (c) Man erkennt, dass die Zeit t in (1.215) an zwei Stellen vor-
g kommt: einmal als linearer Term, das zweite Mal innerhalb
wobei xS die x-Koordinate des Scheitelpunktes ist. Einge- der Exponentialfunktion. Da die Exponentialfunktionen in
setzt in (1.207) folgt den Lösungen für x.t/ und z.t/ identisch sind, kann man zu-
nächst
vz;0
2

zS  z0 D : (1.209) mg mg  x  x0
2g z  z0 D  t C vz;0 C (1.217)
K K vx;0
Dies ist die maximale Wurfhöhe. Dieser Punkt wird nach der
Zeit schreiben. Es verbleibt noch die Zeit im linearen Term. Hier-
vz;0
tS D (1.210) zu lösen wir (1.216) nach t auf,
g 
erreicht. m K
t D  ln 1  .x  x0 / ; (1.218)
(b) Eine einfache geometrische Überlegung führt auf K mvx;0
v02 D vx;0
2
C vz;0
2
; vx;0 D v0 cos ˛;
vz;0 D v0 sin ˛: und setzen das Ergebnis in (1.217) ein:
(1.211)

(c) Um herauszufinden, wie weit der Speer fliegt, setzen wir m2 g K.x  x0 /
z D z0 . Dies führt auf zwei Lösungen. Die erste Lösung z  z0 D 2 ln 1 
K mvx;0
(Anfangsbedingung x D x0 ) ist trivial. Die zweite lautet  mg  x  x0
(1.219)
C vz;0 C :
2vx;0 vz;0 K vx;0
x  x0 D
g
(1.212) (d) Wir wollen den Grenzfall K ! 0 untersuchen. Einsetzen
2v02 v2 von K D 0 führt auf Probleme, daher muss zunächst der
D sin ˛ cos ˛ D 0 sin.2˛/:
g g Logarithmus entwickelt werden. Für K ! 0 ist die folgende
Dies ist gerade die Weite des Wurfes. Sie wird offensichtlich Näherung gültig (indem man um x D 0 entwickelt):
für ˛ D =2 maximal. Der Speer muss also genau diagonal 
K.x  x0 /
geworfen werden, um für eine gegebene Anfangsgeschwin- ln 1 
digkeit die größte Weite zu erreichen. mvx;0
(1.220)
(d) Nein, dies ist nicht möglich. Die maximale Reichweite des K.x  x0 / K 2 .x  x0 /2
Fluges ist bei v0 28 m s1 und mit g 10 m s2 ungefähr   :
mvx;0 2m2 vx;0
2
78 m. Das Fußballfeld ist aber etwa 100 m lang. Selbstver-
ständlich kann der Ball noch ins Tor rollen. Setzt man (1.220) in (1.219) ein, folgt sofort
vz;0 g
1.3 z  z0 D .x  x0 /  2 .x  x0 /2 : (1.221)
vx;0 2vx;0
(a) Die Bewegungsgleichung in Vektorform lautet
Dies ist genau (1.207), die schon beim schiefen Wurf ohne
mRx D K xP  mg: (1.213) Reibung gefunden wurde. Da der Faktor vor dem Loga-
rithmus in (1.219) K 2 im Nenner enthält, muss im Zähler
Für die beiden relevanten Komponenten ist sie mindestens bis zur zweiten Ordnung entwickelt werden, da-
mRx D K xP ; mRz D KPz  mg: (1.214) mit kein K im Nenner übrig bleibt. Würde man höhere Terme
der Entwicklung des Logarithmus berücksichtigen, würden
Die Bewegungsgleichungen sind also entkoppelt. diese wegen K ! 0 keine Rolle spielen.
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 41

1.4 Die Anfangsgeschwindigkeit xP .t D 0/ D 0 ist automatisch

Kapitel 1
erfüllt, da sie bereits für (1.226) verwendet wurde. Die letzte
(a) Aus (1.180) folgt verbleibende Integrationskonstante, C1 , ergibt sich aus der
q letzten Forderung: x.t D 0/ D 0. Die Lösung der Bewe-
xP  B:
xR D (1.222)
m gungsgleichung lautet zusammengefasst
Somit steht der Beschleunigungsvektor stets senkrecht auf
dem Geschwindigkeitsvektor. Es gibt keine Beschleuni- vy;0
xD Œ1  cos.!B t/ ;
gungskomponente entlang der Bahnkurve bzw. entlang des !B
Tangentialvektors . Wegen (1.123) und (1.124) bedeutet vy;0 (1.231)
yD sin.!B t/;
dies aber gerade, dass der Betrag der Bahngeschwindigkeit !B
konstant ist. Gl. (1.180) besagt weiterhin, dass die Kraft F z D vz;0 t:
und die Geschwindigkeit xP senkrecht aufeinander stehen.
Ihr Skalarprodukt verschwindet somit. Wegen (1.148) ist die
Das Teilchen bewegt sich auf einer Schraubenlinie ähnlich
Energie erhalten. Es wird also keine Arbeit am Teilchen ver- zu der in Abb. 1.11. Der Unterschied hier ist, dass der Ur-
richtet.
sprung nicht auf der Achse der Schraubenlinie liegt. Er ist
(b) Zunächst ist das Kreuzprodukt auszuwerten. Mit
um vy;0 =!B entlang der x-Achse verschoben.
.v  B/i D "ijk vj Bk (1.223) (d) Zunächst berechnen wir die Geschwindigkeit:
0 1
und (1.181) folgt vy;0 sin.!B t/
B C
qB qB xP D @ vy;0 cos.!B t/ A : (1.232)
xR D yP ; yR D  xP ; zR D 0: (1.224)
m m vz;0
Unter Berücksichtigung der Anfangsbedingungen lautet die q
Lösung für die Bewegung entlang der z-Achse einfach Ihr Betrag ist v WD vy;0 2
C vz;0
2
D const. Der Tangential-
z D vz;0 t: (1.225) vektor erfüllt wegen (1.123)
0 1
(c) Die Bewegungsgleichungen für x und y sind noch gekoppelt. vy;0 sin.!B t/
Wir integrieren zunächst die Gleichung für x einmal nach der xP 1B C
D D @ vy;0 cos.!B t/ A : (1.233)
Zeit. Wegen xP .t D 0/ D 0 und y.t D 0/ D 0 folgt jPxj v
vz;0
qB
xP D y: (1.226)
m Der Bahnparameter und die Zeit sind demnach über
Dieses Ergebnis kann in die Bewegungsgleichung für y ein-
gesetzt werden: ds
Dv (1.234)
yR D !B2 y: (1.227) dt
Hier wurde verbunden, da wegen der Definition des Tangentialvektors
qB
!B WD (1.228) jj D jdx=dsj D 1 erfüllt sein muss. Der Hauptnormalen-
m
vektor aus (1.113) ist
als Abkürzung definiert. Man nennt !B die Zyklotronfre-
quenz. Die allgemeine Lösung von (1.227) kann in der Form ˇ ˇ ˇ ˇ1
d ˇˇ d ˇˇ1 d ˇ d ˇ
ˇ ˇ
nH D D
y D Ay sin.!B t  y/ (1.229) ds ˇ ds ˇ dt ˇ dt ˇ
0 1
cos.!B t/ (1.235)
geschrieben werden. Die beiden Integrationskonstanten er- B C
geben sich aus den Anfangsbedingungen. Man kann schnell D @ sin.!B t/A :
nachprüfen, dass y D 0 aus y.t D 0/ D 0 folgt. Weiter- 0
hin ist Ay D vy;0 =!B . Dies erkennt man, wenn man die erste
Zeitableitung von (1.229) berechnet und mit der Anfangsbe- Schließlich fehlt noch der Krümmungsradius, der wegen
dingung yP .t D 0/ D vy;0 vergleicht. Der letzte Schritt ist die (1.122) den Wert
Integration von (1.226), in die zuvor (1.229) eingesetzt wird:
ˇ ˇ1 ˇ ˇ
ˇ d ˇ ˇ d dt ˇ1
ˇ D v
2
qB
ˇ ˇ ˇ mv 2
xD Ay cos.!B t/ C C1 Dˇ ˇ Dˇ ˇ D (1.236)
m!B
(1.230) ds dt ds vy;0 !B qvy;0B
vy;0
D cos.!B t/ C C1 :
!B annimmt.
42 1 Die Newton’schen Axiome

1.5 Die Kraft muss als Funktion des Winkels ' geschrieben
Kapitel 1

werden. Dies ist möglich, indem x1 und x2 durch die ent-


(a) In Indexschreibweise lautet die Rotation des Kraftfeldes sprechenden Ausdrücke in (1.185) ersetzt werden:
 h 0 1
r i xk  sin '
r  F.r/ D "ijk rj F.r/ : (1.237) 1B C
r i r F.r.'// D @ cos ' A : (1.244)
R
0
Statt rj könnte man genauso gut @j schreiben; beide Terme
sind identisch. Es ist unbedingt zu beachten, dass die Ablei-
Gl. (1.243) lautet dann
tung rj auf alle Terme wirkt, die rechts von ihr stehen. Als
Hilfsgleichung verwenden wir
I Z2
 
q F.r/dr D sin2 ' C cos2 ' d' D 2 6D 0: (1.245)
xj xj
rj r D rj x21 C x22 C x23 D q D : (1.238) 0
x21 C x22 C x23 r
Wählt man einen Weg, der um den Pol bei x1 D x2 D 0 her-
Wir wenden zunächst die Produktregel an und sehen, dass umläuft, verschwindet das geschlossene Wegintegral nicht,
wir es mit drei Faktoren zu tun haben, die wir im Einzelnen obwohl die Rotation des Kraftfeldes null ist. Die Erklärung
untersuchen wollen: ist, dass das Gebiet nicht einfach zusammenhängend ist. In
der Tat gibt es bei x1 D x2 D 0 eine Definitionslücke, die
xk xj xk dF.r/ das beobachtete Verhalten erklärt.
rj F.r/ D 2 ; (c) Die Richtungsableitung entlang einer Achse nO ist definiert
r r dr
F.r/ F.r/ als
rj xk D ıjk ; (1.239) @nO g.x/ D nO  r g.x/ D nO i @i g.x/: (1.246)
r r
1 xj xk Für nO D eOj ist offensichtlich eOj;i @i D ıij @i D @j und somit
F.r/xk rj D  3 F.r/:
r r
@nOj g.x/ D @j g.x/; (1.247)
Bei der Summation über j und k treten die beiden Kombina-
tionen "ijk ıjk und "ijk xj xk auf. Sowohl ıjk als auch xj xk sind was zu zeigen war.
symmetrisch unter Vertauschung der beiden Indizes, aber (d) Wir schreiben die Divergenz in Komponenten und sortieren
"ijk D "ikj ist antisymmetrisch. Bei der Summation fallen um:
daher alle Terme mit xj xk paarweise gegeneinander weg:
r  .r  h.x// D @i ijk @j hk D ijk @i @j hk : (1.248)
"ijk xj xk C "ikj xk xj D "ijk xj xk  "ijk xj xk D 0: (1.240)
Dieser Ausdruck muss verschwinden, wenn die beiden Ab-
Die Kontraktion "ijk ıjk verschwindet, da "ijk nur für j 6D k, ıjk leitungen vertauschbar sind, da über symmetrische (@i @j ) und
allerdings nur für j D k ungleich null ist. Damit ist gezeigt, antisymmetrische (ijk ) Terme summiert wird.
dass die Rotation von F.r/ verschwindet. (e) Zunächst ist
(b) Man erkennt an der Form der Kraft, dass alle Ableitungen,
die F3 oder x3 betreffen, verschwinden. Somit reduziert sich r  .r  h.x// D ijk eO i @j .klm @l hm /
die Rotation direkt auf (1.249)
D ijk klm eO i @j @l hm :
 
@F2 @F1
r  F.r/ D eO 3  : (1.241) Hier nutzt man das bekannte Ergebnis
@x1 @x2
ijk klm D kij klm D ıil ıjm  ıim ıjl (1.250)
Aus
@% x1 @% x2 aus. Es folgt
D ; D (1.242)
@x1 % @x2 %
r  .r  h.x// D eO l @l @m hm  eO m @l @l hm
folgt weiterhin, dass sich die beiden verbleibenden Ableitun- (1.251)
D grad div h  .@l @l /h:
gen in (1.241) gegenseitig aufheben. Somit ist auch hier das
Kraftfeld rotationsfrei. Das Kurvenintegral lautet
Der sogenannte Laplace-Operator
I Z2
dr  WD @l @l (1.252)
F.r/  dr D F.r.'//  d': (1.243)
d'
0 wird uns in Kap. 2 wieder begegnen.
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 43

1.6 Es soll zum Abschluss überprüft werden, ob sich die korrek-

Kapitel 1
te Kraft daraus ergibt:
(a) Wir berechnen die Rotation von F.x/: 0 1
@1 V.x/
0 1 B C
x3  2k2 x3 F.x/ D r V.x/ D  @@2 V.x/A
B C @3 V.x/
r  F D ijk eO i @j Fk D C @ 0  0 A
0 1 (1.258)
2x1  k1 x1 2x1 x2
0 1 (1.253) B C
.1  2k2 /x3 D C @x21 C x23 =2A :
B C x2 x3
D C@ 0 A:
.2  k1 /x1
Dies ist offensichtlich das richtige Ergebnis.

Die Rotation verschwindet für k1 D 2 und k2 D 12 . Da das


Gebiet einfach zusammenhängend ist (es gibt keine Defini- 1.7
tionslücken), muss es dann ein Potenzial V.x/ geben.
(b) Der einfachste Weg in kartesischen Koordinaten ist eine Ge- (a) Wir berechnen zunächst die zweite Zeitableitung der Potenz-
rade mit der Parametrisierung reihe:
1
X
x.s/ D sa; s 2 Œ0; 1: (1.254)
xP .t/ D j!0 cj .!0 t/j1 ;
jD1
Für s D 0 und s D 1 befindet man sich jeweils am Anfangs- 1
(1.259)
punkt (Ursprung O) und Endpunkt (a). Selbstverständlich X
xR .t/ D j.j  1/!02cj .!0 t/j2 :
könnte man auch entlang der einzelnen Achsen integrieren
jD2
oder irgendeinen anderen Weg verfolgen. Die geleistete Ar-
beit lautet Es wurde dabei berücksichtigt, dass die Ableitung von t0
verschwindet. In der zweiten Zeitableitung wird der Index
Za Z1
dx.s/ verschoben, sodass die Summe wieder bei j D 0 beginnt:
WD F.x/  dx D F.x.s// ds (1.255)
ds 1
O 0 X
xR .t/ D .j C 2/.j C 1/!02cjC2 .!0 t/j : (1.260)
mit der Ableitung dx.s/=ds D a. Da s die Integrationsva- jD0

riable ist, müssen die Koordinaten x durch s ausgedrückt


werden. Dies ist aber mit (1.254) bereits geschehen. Wir ver- Durch Einsetzen der Potenzreihe (1.189) in die Schwin-
wenden also xi D ai s (i D 1; 2; 3). Zu lösen ist somit das gungsgleichung (1.188) folgt
Integral 1
X
.j C 2/.j C 1/cjC2 C cj .!0 t/i D 0: (1.261)
Z1
  jD0
WDC 2a21 a2 C a21 a2 C a2 a23 =2 C a2 a23 s2 ds
0
Damit diese Gleichung zu allen Zeiten erfüllt werden kann,
müssen alle Summanden einzeln verschwinden. Dies führt
Z1
  auf die Rekursionsgleichung
DC 3a21 C 3a23 =2 a2 s2 ds
cj
 
0 cjC2 D  : (1.262)
.j C 2/.j C 1/
D Ca2 a21 C a23 =2 : (1.256)
Für bekanntes c0 sind alle cj mit geraden j gegeben. Genauso
Die geleistete Arbeit ist je nach Vorzeichen von a2 positiv folgen aus bekanntem c1 alle cj mit ungeraden j. Somit sind
oder negativ. Ist a2 D 0, wird gar keine Energie umgesetzt. nur c0 und c1 nicht festgelegt. Die Wahl dieser beiden Ko-
(c) Das Potenzial erhält man direkt aus (1.256). Dazu muss effizienten entspricht den beiden Anfangsbedingungen des
man sich überlegen, dass das Potenzial am Ort x die nega- Problems, da es sich um eine Differenzialgleichung zweiter
tive Arbeit ist, die man benötigt, um eine Punktmasse von Ordnung handelt.
einem Bezugspunkt nach x zu bewegen. Wählt man als Be- (b) Die explizite Form soll nicht mit mathematischer Strenge
zugspunkt den Ursprung und benennt a in x um, lautet das gezeigt werden (man könnte sie jedoch mit vollständiger
Potenzial Induktion beweisen). Zunächst nehmen wir an, c0 sei be-
 
V.x/ D Cx2 x21 C x23 =2 : (1.257) kannt. Dann folgt sofort c2 D c0 =.1  2/, daraus wiederum
44 1 Die Newton’schen Axiome

c4 D Cc0 =.1234/ usw. Offenbar wechselt das Vorzeichen Tatsächlich entspricht die Reihenentwicklung des Kosinus
Kapitel 1

von Iteration zu Iteration, und im Nenner steht der Term jŠ. genau der Entwicklung (1.189) für gerade j und die des Sinus
Analog findet man den expliziten Ausdruck, wenn man mit der Entwicklung für ungerade j. Man kann daraus folgern,
c1 beginnt. Die Exponenten in (1.191) stellen sicher, dass die dass sowohl der Kosinus als auch der Sinus die Schwin-
Vorzeichen stimmen. gungsgleichung lösen.
(c) Um die Taylor-Entwicklung von Sinus und Kosinus zu er- (d) Wegen
halten, müssen die ersten Ableitungen berechnet werden. Es
ist xR 1 .t/ D !02 cos.!0 t/ D !02 x1 .t/;
d cos.!0 t/ (1.266)
D !0 sin.!0 t/; xR 2 .t/ D !02 sin.!0 t/ D !02 x2 .t/
dt
d2 cos.!0 t/
D !02 cos.!0 t/; sind sowohl x1 .t/ als auch x2 .t/ Lösungen der Schwingungs-
dt2 gleichung. Es ist noch zu zeigen, dass
(1.263)
d3 cos.!0 t/
D C!03 sin.!0 t/;
dt3 A cos.!0 t  0 / D A1 cos.!0 t/ C A2 sin.!0 t/ (1.267)
d4 cos.!0 t/
D C!04 cos.!0 t/: gilt. Dabei folgen A und 0 aus A1 und A2 . Als Anfangs-
dt4
bedingungen sind beide Paare gleichwertig. Das Additions-
Anwendung der Taylor’schen Formel liefert theorem (1.192) bedeutet im vorliegenden Fall
1 1 1
cos.!0 t/ D .!0 t/0  .!0 t/2 C .!0 t/4 : : : (1.264) A cos.!0 t  0 /
0Š 2Š 4Š (1.268)
D .A cos 0 / cos.!0 t/ C .A sin 0 / sin.!0 t/:
Für den Sinus findet man analog
1 1 1 Offensichtlich haben wir das Ziel mit A1 D A cos 0 und
sin.!0 t/ D .!0 t/1  .!0 t/3 C .!0 t/5 : : : (1.265) A2 D A sin 0 erreicht.
1Š 3Š 5Š
Literatur 45

Kapitel 1
Literatur

Pfister, H.: Lange nach Newton – Das schwer fassbare, aber


außerordentlich reichhaltige Trägheitsgesetz. Physik Journal
15(3), 47–51 (2016)

Weiterführende Literatur

Abraham, R.: Foundations Of Mechanics. 2. Aufl., Westview


Press (1994)
Cambridge Digital Library: Newton Papers. http://cudl.lib.cam.
ac.uk/collections/newton (2013) Zugegriffen: 5. September
2013
.
Koordinatentransformationen
und beschleunigte 2
Bezugssysteme

Kapitel 2
Wie lassen sich Drehungen
mathematisch
beschreiben?
Was sind Galilei-
Transformationen?
Wie lauten die
Newton’schen Axiome in
beschleunigten
Bezugssystemen?
Was ist die
Zentrifugalkraft?
Warum werden
Kugelkoordinaten
verwendet?

2.1 Drehungen von kartesischen Koordinatensystemen . . . . . . . . . . . . 48


2.2 Galilei-Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
2.3 Beschleunigte Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2.4 Kräfte in rotierenden Bezugssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
2.5 Nichtkartesische Koordinatensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 47


M. Bartelmann et al., Theoretische Physik 1 | Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56115-7_2
48 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

Die Untersuchung des Verhaltens eines physikalischen Systems un- seine Komponenten .x1 ; x2 ; x3 / bezüglich einer geeigneten Ba-
ter einer Koordinatentransformation ist ein zentraler Punkt in der sis .Oe1 ; eO 2 ; eO 3 / als
gesamten theoretischen Physik. Wird ein physikalisches System
nach einer Koordinatentransformation durch dieselben Gleichungen x D x1 eO 1 C x2 eO 2 C x3 eO 3 (2.1)
beschrieben wie vorher, so heißt es symmetrisch unter dieser Trans-
formation. dargestellt werden. Oftmals werden dabei die drei Koordinaten
in der Form 0 1
Symmetrien spielen in der Physik eine herausragende Rolle, was in
Kap. 5 herausgearbeitet wird. Das Interesse an den Symmetrieei- x1
B C
genschaften physikalischer Systeme ist deswegen so wichtig, da x D .x1 ; x2 ; x3 /> D @x2 A (2.2)
Symmetrien in der Regel auf Erhaltungsgrößen führen. Beispiele x3
hierfür sind die Energieerhaltung aufgrund der Zeittranslationsinva-
Kapitel 2

rianz (Symmetrie unter Verschiebung des Zeitnullpunktes) oder die zusammengefasst. Mit dem Koordinatenvektor x lässt sich dann
Impulserhaltung aufgrund der Homogenität des Raumes (Symme- wie gewohnt rechnen. Man sagt auch, dass x nach den Ba-
trie unter räumlichen Translationen). Wir werden darauf in Kap. 5 sisvektoren entwickelt wird. Die Koordinaten sind jeweils die
genauer eingehen. Projektionen des Vektors x auf die drei Koordinatenachsen ent-
lang eO i , also xi D x  eO i (i D 1; 2; 3). Hierbei nehmen wir an,
In diesem Kapitel werden zahlreiche mathematische Werkzeu- dass die Basisvektoren eine Orthonormalbasis bilden und somit
ge eingeführt, um Koordinatentransformationen und beschleunigte eO i  eOj D ıij erfüllen. Weiterhin sollen die eO i ein rechtshändi-
Bezugssysteme beschreiben zu können. Dazu gehören z. B. die ges Dreibein bilden, d. h. eO 1  eO 2 D eO 3 , eO 2  eO 3 D eO 1 und
Drehmatrizen (Abschn. 2.1) sowie Zylinder- und Kugelkoordinaten eO 3  eO 1 D eO 2 . Wir nennen physikalische Vektoren wie x auch
(Abschn. 2.5). Des Weiteren wird ein Schwerpunkt auf die mit Koor- abstrakte Vektoren, da sie unabhängig von irgendeiner Wahl des
dinatentransformationen verbundene Physik gelegt. Beispielsweise Koordinatensystems sind.
lässt eine bestimmte Klasse von Koordinatentransformationen, den
Galilei-Transformationen (Abschn. 2.2), die Newton’schen Bewe- Achtung Es ist unbedingt zu unterscheiden zwischen ei-
gungsgleichungen invariant. Beschleunigte Bezugssysteme ande- nem physikalischen Vektor x und seiner Darstellung x D
rerseits erfordern Erweiterungen der Bewegungsgleichungen, was .x1 ; x2 ; x3 /> bezüglich einer gewählten Basis, d. h. eines festge-
letztlich auf die Zentrifugal- und Coriolis-Kräfte führt (Abschn. 2.3 legten Koordinatensystems. Die Koordinaten .x1 ; x2 ; x3 / hängen
und 2.4). von der Wahl der Basis ab, der Vektor x ist allerdings völlig
unabhängig von der Wahl irgendeiner Basis. Oftmals tritt Ver-
wirrung auf, da x ebenfalls als Vektor bezeichnet wird. Dies
liegt daran, dass es sich bei x um einen mathematischen Vektor
2.1 Drehungen von kartesischen handelt („Mathematischer Hintergrund“ 1.1). In diesem Buch
werden wir dennoch häufig auf die bequemere Formulierung
Koordinatensystemen ausweichen und x als den Ortsvektor bezeichnen, wenn keine
Missverständnisse zu erwarten sind. In den wenigen Fällen, bei
Wir werden uns im Folgenden mit Drehungen von kartesischen denen eine Unterscheidung zwischen x und x notwendig ist,
Koordinatensystemen im dreidimensionalen Raum beschäfti- wird dies explizit betont. J
gen. Dabei wird im Normalfall nicht das betrachtete physikali-
sche System selbst im Raum gedreht, sondern das beschreiben- Frage 1
de Koordinatensystem. Als Konsequenz aus diesen sogenannten Machen Sie sich klar, dass die Darstellungen der drei normier-
passiven Drehungen ändern sich die Koordinaten des Ortes einer ten Basisvektoren in ihrem eigenen Koordinatensystem stets
Punktmasse, nicht jedoch ihre Lage bezüglich des ursprüngli- .1; 0; 0/> , .0; 1; 0/> und .0; 0; 1/> lauten.
chen Koordinatensystems. Drehungen von Vektoren lassen sich
dabei durch orthogonale Matrizen darstellen, deren mathemati-
sche Eigenschaften vorgestellt werden. Schließlich werden die Physikalische Vorgänge sind unabhängig von der Wahl des
Transformationsgleichungen für Vektoren unter Drehungen ab- Koordinatensystems, da Koordinatensysteme lediglich der Dar-
geleitet. stellung dienen, physikalische Prozesse aber nicht beeinflussen.
Dies erlaubt das geschickte Auswählen eines Koordinatensys-
tems, in welchem die resultierenden Gleichungen möglichst
einfach werden. Ein Beispiel haben wir bereits in Abschn. 1.3
Darstellung des Ortsvektors in einem gesehen: Dort wurde das Koordinatensystem so gewählt, dass
Koordinatensystem die Bewegung der Punktmasse entlang der z-Achse erfolgte. Ge-
nauso gut hätte man die Bewegung entlang der x-Achse oder
innerhalb der y-z-Ebene definieren können.
Es ist deutlich zu unterscheiden zwischen einem physikalischen
Vektor (z. B. dem Ortsvektor x) und seiner Darstellung in ei- Geht man von einem Koordinatensystem in ein anderes über,
nem gegebenen Koordinatensystem. Der Vektor x kann durch ohne das physikalische System als solches zu verändern, stellt
2.1 Drehungen von kartesischen Koordinatensystemen 49

Abb. 2.1 Ein ungestrichenes e


b2 Die neuen Basisvektoren lassen sich somit aus den alten berech-

Koordinatensystem (schwarz) e
b2 nen:
wird um einen Winkel um eO 01 D cos eO 1 C sin eO 2 ;
die x3 -Achse gedreht und geht
somit in ein neues, gestrichenes eO 02 D  sin eO 1 C cos eO 2 ; (2.6)
b1
e
Koordinatensystem (blau) über φ eO 03 D eO 3 :
φ
e3 e3 e1
Allgemein gilt

eO 0i D .Oe0i  eO 1 /Oe1 C .Oe0i  eO 2 /Oe2 C .Oe0i  eO 3 /Oe3


(2.7)
sich die Frage nach den damit verbundenen Transformations- D ai1 eO 1 C ai2 eO 2 C ai3 eO 3 :

Kapitel 2
gleichungen für die Basisvektoren und die Koordinaten des
Ortsvektors. In diesem Kapitel werden wir uns daher mit den Die entsprechende Umkehrung ist
wichtigsten dieser Transformationen beschäftigen:
eO i D .Oei  eO 01 /Oe01 C .Oei  eO 02 /Oe02 C .Oei  eO 03 /Oe03
(2.8)
zeitunabhängige und zeitabhängige Drehungen und Transla- D a1i eO 01 C a2i eO 02 C a3i eO 03 :
tionen von kartesischen Koordinatensystemen,
Übergang von einem kartesischen zu einem nichtkartesi- Frage 2
schen Koordinatensystem, insbesondere zu Zylinder- und Man überprüfe die Gültigkeit von (2.6) anhand von Abb. 2.1
sphärischen Polarkoordinaten bzw. Kugelkoordinaten. bzw. (2.5).

Es werden hierbei auch beschleunigte Koordinatensysteme und


solche mit nichtkonstanten Basisvektoren zugelassen, was eine Wie bereits betont, handelt es sich bei der oben diskutierten
Modifizierung des zweiten Newton’schen Axioms erfordert. Koordinatentransformation um eine Drehung des Koordinaten-
systems, wobei das physikalische System selbst unverändert
bleibt. In diesem Zusammenhang spricht man von passiven
Drehungen. Dreht man im Gegensatz dazu das physikalische
Drehungen um eine Koordinatenachse System in einem festen Koordinatensystem, bezeichnet man
dies als aktive Drehung. Mathematisch sind beide Vorgänge
äquivalent, physikalisch aber streng zu unterscheiden, da für ei-
Stellen wir uns zunächst vor, dass ein vorher eingeführtes unge- ne aktive Drehung in der Regel Kräfte benötigt werden (und
strichenes Koordinatensystem S mit den kartesischen Basisvek- auch nicht immer möglich sind, z. B. bei Spiegelungen).
toren eO 1 , eO 2 und eO 3 um einen Winkel um die x3 -Achse gedreht
wird, wobei der Ursprung nicht verschoben wird (Abb. 2.1).
Dadurch gehen die beiden Basisvektoren eO 1 und eO 2 in neue
Basisvektoren eO 01 und eO 02 über. Das neue gestrichene Koordina- Passive Koordinatentransformation
tensystem S0 ist ebenfalls kartesisch. Offenbar ist der Winkel Passive Koordinatentransformationen entsprechen dem
zwischen eO 1 und eO 01 sowie zwischen eO 2 und eO 02 gerade der Winkel Wechsel von einem Koordinatensystem zu einem anderen.
, während der Basisvektor eO 3 unverändert bleibt: Sie haben keine Auswirkung auf physikalische Größen,
ändern aber in der Regel ihre Darstellung.
eO 01  eO 1 D cos ; eO 02  eO 2 D cos ; eO 03  eO 3 D 1: (2.3)

Diese Größen werden Richtungskosinus genannt.


Aus Abb. 2.1 erkennt man, dass zwischen eO 1 und eO 02 der Winkel
=2 C und zwischen eO 2 und eO 01 der Winkel =2  ist: Darstellung von Drehungen durch Matrizen

eO 02  eO 1 D cos. =2 C / D  sin ; Die 3  3 Zahlen aij aus (2.5) lassen sich durch das rechteckige
(2.4)
eO 01  eO 2 D cos. =2  / D sin : Zahlenschema einer quadratischen Matrix darstellen:
0 1
Da eO 3 D eO 03 ist, verschwinden alle übrigen Skalarprodukte aij WD cos sin 0
eO 0i  eOj (i; j D 1; 2; 3). Zusammengefasst lauten die 3  3 Zahlen B C
A D .aij / D @ sin cos 0A : (2.9)
aij
0 0 1
a11 D cos ; a12 D sin ; a13 D 0;
a21 D  sin ; a22 D cos ; a23 D 0; (2.5) Matrizen und ihre grundlegenden Rechenregeln werden im
a31 D 0; a32 D 0; a33 D 1: „Mathematischen Hintergrund“ 2.1 besprochen. Die Matrix A
50 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

2.1 Mathematischer Hintergrund: Matrizen I


Definition und grundlegende Rechenregeln

In der Mathematik und der Physik sind lineare Abbildungen Rechenregeln für die Matrixmultiplikation Für das
zwischen Vektorräumen von großer Bedeutung. Im Falle des Matrixprodukt gelten folgende Rechenregeln, sofern man die
R3 sind dies beispielsweise Drehungen oder Spiegelungen. beteiligten Matrizen addieren bzw. multiplizieren kann:
Solche linearen Abbildungen lassen sich mithilfe von Matri-
zen beschreiben. .AB/C D A.BC/ (Assoziativgesetz)
.A C B/C D AC C BC (rechtes Distributivgesetz)
Kapitel 2

Matrizen Matrizen (singular: Matrix) sind Zahlenschema- A.B C C/ D AB C AC (linkes Distributivgesetz)


ta aus M  N Zahlen eines Körpers K, die in M Zeilen und N AI D IA D A (Identitätsabbildung)
Spalten angeordnet sind:
0 1
a11 a12    a1N Im Allgemeinen gilt jedoch AB ¤ BA.
Ba C
B 21 a22    a2N C Matrix-Vektor-Multiplikation Indem man die Koordi-
ADB B :: :: :: :: C
C DW .aij /:
@ : : : : A natendarstellungen von Spaltenvektoren aus N-dimensiona-
len Vektorräumen VN als N  1-Matrizen auffasst, ist damit
aM1 aM2    aMN
auch eine Multiplikation von M  N-Matrizen mit N-dimen-
Die Zahlen aij heißen Matrixelemente. Eine Matrix mit M sionalen Spaltenvektoren definiert, deren Ergebnis ein Vektor
Zeilen und N Spalten nennt man auch M  N-Matrix. Jeder aus einem M-dimensionalen Vektorraum VM ist:
linearen Abbildung kann man (nachdem in den betreffen-
den Vektorräumen eine Basis gewählt wurde) genau eine MMN  VN ! VM ; .A; v/ 7! .aij vj /;
Matrix zuordnen, und umgekehrt definiert jede Matrix (bei
festen Basen) eine eindeutige lineare Abbildung. Eine spezi- wobei 1  i  M und 1  j  N sind. Ebenso kann man Zei-
elle Matrix ist die Einheitsmatrix lenvektoren aus VN als 1  N-Matrizen auffassen und sie von
rechts mit N  M-Matrizen multiplizieren, um M-dimensio-
I D .aij / mit aij D ıij :
nale Zeilenvektoren zu erhalten:
Diese Matrix beschreibt die Identitätsabbildung.
VN  MNM ! VM ; .v; A/ 7! .vi aij /:
Vektorraum der Matrizen Die M  N-Matrizen bilden
selbst wieder einen Vektorraum MMN über K, wenn man die Man schreibt die Multiplikationen auch kurz in der Form Av
Addition und die Multiplikation mit Skalaren elementweise und v> A.
definiert:
Transponierte Die Transponierte einer Matrix wird defi-
C WMMN  MMN ! MMN ; .A; B/ 7! .aij C bij /;
niert, indem man die beiden Indizes und damit Zeilen und
 WK  MMN ! MMN ; .; A/ 7! .aij /: Spalten vertauscht:
Man kann nur Matrizen addieren, bei denen sowohl die Zei-
len- als auch die Spaltenanzahl übereinstimmt. A> D .aij /> D .aji /:

Matrixmultiplikation Man definiert eine Matrixmultipli- Somit gilt dann


kation so, dass man L  M-Matrizen mit M  N-Matrizen
multiplizieren kann, um L  N-Matrizen zu erhalten: v> A D vi aij D aji> vi D A> v:
MLM  MMN ! MLN ; .A; B/ 7! AB D .aij bjk /:
Es gelten die folgenden Rechenregeln:
Hier sind 1  i  L, 1  j  M und 1  k  N. Die Sum-
> >
mation über doppelte Indizes (hier über j von 1 bis M) wird .AB/> D .aij bjk /> D .akj bji / D .ajk> b>
ij / D B A ,
> > >
implizit vorausgesetzt, d. h. .A C B/ D A C B ,
X
M .A> /> D A,
aij bjk WD aij bjk : I> D I.
jD1

Das Matrixprodukt ist gerade so definiert, dass das Produkt Literatur


zweier Matrizen der Verkettung der zugehörigen linearen Ab-
bildungen entspricht. Hierbei ist es wichtig, dass man zwei Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare
Matrizen nur dann multiplizieren kann, wenn die erste Matrix Algebra 1. 3. Aufl., Springer Spektrum (2014)
genauso viele Spalten wie die zweite Matrix Zeilen hat. Bosch, S.: Lineare Algebra. 4. Aufl., Springer (2007)
2.1 Drehungen von kartesischen Koordinatensystemen 51

ist die Drehmatrix, welche die in Abb. 2.1 beschriebene Dre-


hung vermittelt. Für eine allgemeine lineare Transformation
zwischen beliebigen kartesischen Koordinatensystemen gilt
0 1
eO 01  eO 1 eO 01  eO 2 eO 01  eO 3
B 0 C
A D @eO 2  eO 1 eO 02  eO 2 eO 02  eO 3 A (2.10)
eO 03  eO 1 eO 03  eO 2 eO 03  eO 3

oder in Kurzform aij D eO 0i  eOj . Solche Matrizen sind orthogona-


le Matrizen, die im „Mathematischen Hintergrund“ 2.2 definiert
werden und für die A> A D I gilt, wobei I D .ıij / die Ein-

Kapitel 2
heitsmatrix ist. Als Konvention für die Schreibweise legen wir
Abb. 2.2 Bei aufeinanderfolgenden Drehungen spielt die Reihenfolge
fest, dass Matrizen durch Großbuchstaben, die Matrixelemente
der Einzeldrehungen eine Rolle. Im oberen Beispiel wird ein Quader
jedoch durch Kleinbuchstaben notiert werden, z. B. A D .aij /
um zwei zueinander senkrechte Achsen gedreht. Vertauscht man die
oder R D .rkl /. Reihenfolge, ist das Resultat unterschiedlich (unteres Beispiel)

Frage 3
Man mache sich klar, warum nur quadratische Matrizen für Dre-
hungen von Koordinatensystemen infrage kommen. um die ursprüngliche eO 2 -Achse. Die beiden Drehmatrizen
lauten 0 1
cos sin 0
B C
R1 D @ sin cos 0A ;
Sukzessive Drehungen 0 0 1
0 1 (2.12)
cos 0 sin
Im Folgenden wollen wir Drehmatrizen mit R (wie Rotation) B C
R2 D @ 0 1 0 A:
bezeichnen. Sie bilden eine mathematische Untergruppe (sie-
he den „Mathematischen Hintergrund“ 2.4) der allgemeineren  sin 0 cos
orthogonalen Matrizen. Da sich Drehungen durch quadratische Wendet man die Regeln der Matrixmultiplikation an, fin-
Matrizen ausdrücken lassen, können nacheinander ausgeführte det man für die resultierende Drehmatrix
mehrfache Drehungen eines Bezugssystems mithilfe der Ma-
trixmultiplikation formuliert werden. Eine solche mehrfache R D R2 R1
Rotation ist in vielen Bereichen der theoretischen Physik von 0 1
großer Bedeutung. Wird ein Koordinatensystem nacheinander cos cos sin cos sin
B C (2.13)
durch N Rotationen R1 ; : : : ; RN gedreht, so ist dies äquivalent D @  sin cos 0 A:
zu einer Drehung mit der Matrix  cos sin  sin sin cos

R D RN RN1 : : : R2 R1 : (2.11) Im Gegensatz dazu würde eine Drehung vermittelt durch


R2 gefolgt von R1 auf die Drehmatrix
Die Reihenfolge der Ri ist dabei derart, dass dasjenige Ri , das
R1 R2 D
als Erstes auf einen Vektor wirken soll, ganz rechts und somit 0 1
unmittelbar „vor“ dem Vektor steht (und folglich zuerst multi- cos cos sin cos sin
pliziert wird). B C (2.14)
@ sin cos cos  sin sin A
Achtung Die Matrixmultiplikation ist im Allgemeinen nicht  sin 0 cos
kommutativ, das Ergebnis hängt von der Reihenfolge der Mul-
tiplikation ab. Physikalisch bedeutet dies, dass das Ergebnis führen. Offensichtlich sind beide Ergebnisse unterschied-
aufeinanderfolgender Drehungen im Raum von deren Reihen- lich. J
folge abhängt (Abb. 2.2). J

Reihenfolge von Drehungen


Frage 4
Rechnen Sie die beiden Produkte in (2.13) und (2.14) kompo-
Betrachten wir zwei Drehungen, die erste um einen Win-
nentenweise nach, wobei Sie die Regeln der Matrixmultiplikati-
kel um die eO 3 -Achse, die zweite um einen Winkel
on verwenden.
52 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

2.2 Mathematischer Hintergrund: Matrizen II


Determinanten

Wir haben bereits Matrizen und deren Bedeutung kennenge- der Nebendiagonalen (von rechts oben nach links unten) ge-
lernt. Hier wollen wir uns nun noch etwas genauer mit ihnen nommen werden.
beschäftigen. Außerdem werden wir die Determinante ken-
nenlernen, die für Matrizen eine große Bedeutung hat. Dafür Normalerweise wird die Determinante etwas anders definiert
benötigen wir Permutationen. und die obige Formel daraus gefolgert. Für uns werden die
obige Definition und die folgenden Rechenregeln (die im
Permutationen Eine Permutation ist eine bijektive Abbil- Wesentlichen alle Details der „richtigen“ Definition der De-
Kapitel 2

dung einer endlichen Menge in sich selbst. Anders gesagt, terminante enthalten) jedoch ausreichen.
vertauscht (permutiert) eine Permutation nur die Reihenfol-
ge der Elemente einer Menge. Meist werden Permutationen
auf einer endlichen Indexmenge (d. h. einer endlichen Menge Rechenregeln für die Determinante
von Zahlen f1; : : : ; Ng) betrachtet. Die Menge dieser Permu- det.AB/ D det.A/ det.B/
tationen bezeichnet man dann mit SN . det.A> / D det.A/
Findet eine gerade Anzahl von Vertauschungen (von je zwei det.A/ D N det.A/
Elementen) statt, so nennt man die Permutation gerade, an- sind in A zwei Zeilen oder Spalten linear abhängig, so ist
sonsten ungerade. Entsprechend ist für eine Permutation det.A/ D 0
das Signum sgn . / definiert als 1, wenn gerade ist, und det.I/ D 1
als 1, wenn ungerade ist. Da die Indizes f1; : : : ; Ng auf
N  .N  1/    1 D NŠ verschiedene Arten permutiert werden Orthonormale Transformationen Mit Matrizen lassen
können, enthält SN genau NŠ Elemente. Davon sind genau sich Koordinatentransformationen beschreiben, die eine alte
NŠ=2 gerade. Basis eO i in eine neue eO 0i überführen. Besonders wichtig sind
Transformationen für Orthonormalbasen, d. h. für Basen, für
Determinante Die Determinante einer Matrix A D .aij / 2
die hOei ; eOj i D ıij bzw. hOe0i ; eOj0 i D ıij gilt. Ist A D .aij / eine
MNN ist definiert als
solche Matrix, so muss
X
det.A/ WD sgn . /a1 .1/a2 .2/    aN .N/ :
ıij D haik eO k ; ajl eO l i D aik ajl ıkl D aik ajk D aik a>
kj ;
2SN

Statt det.A/ schreibt man auch jAj. Die Determinante ist nur also
für quadratische Matrizen definiert. Für N D 2 lautet die obi-
ge Formel AA> D I D A> A;

det.A/ D a11 a22  a12 a21 gelten. Eine solche Matrix heißt orthogonal, während man
die Transformation orthonormal nennt. Wegen der Rechen-
und für N D 3 regeln für Determinanten gilt
det.A/ D .a11 a22 a33 C a12 a23 a31 C a13 a21 a32 / 1 D det.I/ D det.AA> / D det.A/ det.A> / D .det.A//2 ;
 .a12 a21 a33 C a11 a23 a32 C a13 a22 a31 /
D "ijk a1i a2j a3k : also det.A/ D ˙1. Ist det.A/ D 1, nennt man die orthonor-
male Transformation eigentlich, ansonsten uneigentlich.
Diese Formel nennt man auch Regel von Sarrus, die man sich
folgendermaßen grafisch vorstellen kann: Anschaulich gibt die Determinante einer Transformations-
matrix an, wie sich das orientierte Volumen eines Körpers
+ + + − − − unter dieser Transformation ändert. Insbesondere lassen or-
thonormale Transformationen das Volumen höchstens bis auf
a11 a12 a13 a11 a12 das Vorzeichen invariant.

a21 a22 a23 a21 a22


Literatur
a31 a32 a33 a31 a32
Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare
Man kann sich merken, dass die Produkte der Hauptdiago- Algebra 1. 3. Aufl., Spektrum (2014)
nalen (von links oben nach rechts unten) minus der Produkte Bosch, S.: Lineare Algebra. 4. Aufl., Springer (2007)
2.1 Drehungen von kartesischen Koordinatensystemen 53

e2 Offensichtlich erhält man die neuen Koordinaten des Ortsvek-


 tors durch Anwendung der Matrix R auf die alten Koordinaten.
e
b2
In Kurzform können wir auch
x2
x0 D Rx: (2.19)
x2 b1
e schreiben.
φ x1 Achtung Ausdrücke der Form rij ai bj oder rij rkj sind Abkür-
φ zungen P (und nichts anderesP als das) für die längeren Schreib-
x1 weisen i;j rij ai bj oder j rij rkj . Dabei wird stets über doppelt
e1 auftretende Indizes summiert. Einzelne Indizes müssen auf bei-

Kapitel 2
den Seiten einer Gleichung auftreten, z. B. ai bj D rij ck dk oder
Abb. 2.3 Darstellung einer passiven Drehung, bei der das ungestriche- ai bj D rik cj dk . Gleichungen wie ai bi D ci , rij D dk oder
ne Koordinatensystem (schwarz) durch eine Drehung um die x3 -Achse
ai bj D rik ci dk sind nicht korrekt! Indizes können also entweder
in das gestrichene Koordinatensystem (blau) überführt wird. Der Vek-
tor x wird davon nicht berührt, allerdings hängt seine Darstellung vom
einfach vorkommen, müssen dann aber auf beiden Seiten einer
Koordinatensystem ab, wie man an den Projektionen auf die entspre- Gleichung stehen oder auf einer oder beiden Seiten doppelt.
chenden Koordinatenachsen erkennen kann Dann wird über sie summiert. Zum Beispiel sind die Glei-
chungen ai bi D cj dj und ak bk D ck dk beide gültig und sogar
gleichwertig. Indizes dürfen nicht häufiger als zweimal auf einer
In Kap. 4 werden wir sehen, dass eine räumliche Drehung um Seite einer Gleichung vorkommen, da stets paarweise summiert
eine beliebige Achse stets durch drei sukzessive Drehungen um wird. Summationsindizes können also im Rahmen der oben ge-
die drei Koordinatenachsen dargestellt werden kann. Drehungen nannten Regeln umbenannt werden. J
im dreidimensionalen Raum lassen sich daher durch drei unab-
hängige Drehwinkel beschreiben.
Transformation der Darstellung des Ortsvektors unter
passiven Drehungen
Transformation des Ortsvektors Der Koordinatenvektor des Ortes transformiert unter pas-
unter Drehungen siven Drehungen vermittelt durch die Matrix R wie

x0 D Rx: (2.20)
Wir wollen nun untersuchen, wie sich die Darstellung des Orts-
vektors x ändert, wenn das Koordinatensystem gedreht wird.
Eine Punktmasse befinde sich am Ort mit den Koordinaten x.
Abhängig von der Wahl des Koordinatensystems hat dieser Ort Frage 5
verschiedene Darstellungen. Wir schreiben die Darstellungen Machen Sie sich anhand des Beispiels in (2.9) und Abb. 2.3 klar,
vor und nach der Drehung als x D .x1 ; x2 ; x3 /> bzw. x0 D dass die Drehmatrix R verwendet wird, um die neue Darstellung
.x01 ; x02 ; x03 /> . Die Drehung ist in Abb. 2.3 illustriert. Wir wissen, des Ortsvektors zu finden.
dass für die Koordinaten des Ortes in den beiden Koordinaten-
systemen
xi D x  eO i bzw: x0i D x  eO 0i (2.15) Drehung

gilt. Weiterhin sind Wir betrachten den Vektor mit der ursprünglichen Dar-
stellung x D .x1 ; x2 ; x3 /> D .1; 1; 1/> . Die Drehung, die
x D x1 eO 1 C x2 eO 2 C x3 eO 3 und x D x01 eO 01 C x02 eO 02 C x03 eO 03 (2.16) durch die Matrix R in (2.9) vermittelt wird, führt auf die
Darstellung
gegeben. Dies führt direkt auf
0 1 0 1 0 1
x0i D .x1 eO 1 C x2 eO 2 C x3 eO 3 /  eO 0i x01 1 cos C sin
B C B C B C
(2.17) x0 D @x02 A D R @1A D @ cos  sin A : (2.21)
D xj eOj  eO 0i D xj eO 0i  eOj D rij xj ;
x03 1 1
wobei die Matrix R durch (2.10) definiert ist. Hier und im Fol- J
genden wird über doppelt auftretende Indizes summiert, ohne
das Summenzeichen explizit anzugeben (Einstein’sche Sum-
menkonvention): Bei einer aktiven Transformation wird ein physikalischer Vek-
X
3 tor x mit der Darstellung x D .x1 ; x2 ; x3 /> in ein und demselben
rij xj WD rij xj : (2.18) Koordinatensystem gedreht, sodass sich ein anderer physikali-
jD1 scher Vektor x0 mit der Darstellung x0 D .x01 ; x02 ; x03 /> ergibt.
54 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

Hier gilt ebenfalls (2.19); dies ist jedoch anders zu inter-


pretieren, da die Basisvektoren von der Transformation nicht e
b3 e3
betroffen sind.

Passive und aktive Drehungen x x

Möchte man die Rückseite einer auf dem Tisch stehen- e


b2 e2
den Vase betrachten, kann man um den Tisch herum
gehen. Dies entspricht einer passiven Transformation, da
sich die Vase nicht dreht, das Bezugssystem (festgelegt O b O
e1 e 1
Kapitel 2

durch die Blickrichtung) schon. Die andere Möglichkeit


ist, die Vase zu nehmen und umzudrehen. Dabei än-
dert sich das Bezugssystem nicht, aber die Vase wird Abb. 2.4 Transformation zwischen kartesischen Koordinaten-
im Raum gedreht. Mathematisch werden beide Vorgänge systemen. Der Ursprung des gestrichenen Koordinatensystems S0
durch dieselbe Drehung beschrieben, physikalisch kann befindet sich vom ungestrichenen Koordinatensystem S aus be-
trachtet am Ort b. Eine Punktmasse hat in S die Ortskoordinaten
es jedoch Unterschiede geben: So könnte beispielswei-
x (blau), in S0 dagegen x0 (schwarz)
se der Lichteinfall von der Richtung abhängen, sodass
man die Rückseite der Vase im einen Fall gut, im ande-
ren nur schlecht sehen kann. Außerdem muss eine aktive Wird der Ort einer Punktmasse beschrieben, so lauten die
Drehung jeweils genau entgegengesetzt zu einer passiven Koordinaten in S zunächst x. Ein Beobachter in S0 gibt
sein, damit man dasselbe Ergebnis erhält. J dagegen die Koordinaten x0 D x  b für dieselbe Punkt-
masse an. Legt man nun eine zweite Punktmasse genau in
den Ursprung O0 und fragt nach dem Verschiebungsvek-
tor d, der beide Punktmassen verbindet, so lautet dieser
In Aufgabe 2.1 wird gezeigt, dass Winkel zwischen Vektoren
Vektor d D x  b bzw. d0 D x0  b0 D x0 . Man sieht
und Längen (Beträge) von Vektoren invariant unter orthogona-
sofort, dass dann d D d0 gilt, wohingegen x 6D x0 ist. So-
len Transformationen sind.
mit ist x ein Beispiel für einen gebundenen, d für einen
ungebundenen Vektor. Allgemein kann man sagen, dass
ungebundene Vektoren ihre Darstellung unter Translatio-
nen des Koordinatensystems nicht ändern. J
Gebundene und ungebundene Vektoren,
Transformation des Geschwindigkeitsvektors
Nehmen wir nun an, dass S0 gegenüber S zuerst verschoben und
dann gedreht ist. Die Verschiebung des Ursprungs sei durch den
Man unterscheidet zwischen gebundenen und ungebundenen Vektor b, die Rotation durch die Drehmatrix R beschrieben. So-
Vektoren. Der Ort einer Punktmasse wird durch einen ge- wohl b als auch R seien zeitunabhängig. In diesem Fall gilt für
bundenen Vektor beschrieben, da der Ort von der Wahl des den Ort einer Punktmasse
Koordinatenursprungs abhängt. Man sagt, dass der Ortsvektor
an den Ursprung gebunden ist. Ein ungebundener Vektor ist da- x0 D R.x  b/; (2.22)
0
gegen von der Lage des Ursprungs unabhängig. Solche Vektoren da b D 0 ist. Für den Verschiebungsvektor d D x  b gilt
sind Verschiebungsvektoren, die z. B. die Differenz von zwei dagegen
Ortsvektoren und somit eine Verschiebung beschreiben. Häufig d0 D Rd: (2.23)
nennt man ungebundene Vektoren schlicht Vektoren und gebun-
Gebundene und ungebundene Vektoren transformieren sich da-
dene Vektoren Elemente eines affinen Raumes.
her unterschiedlich.
Um dies besser zu verstehen, betrachten wir ein Beispiel.
Transformation der Darstellung des Ortsvektors unter
Verschiebungsvektoren und Drehungen passiven Rotationen und Translationen
Der Ortsvektor ist ein an den Ursprung gebundener Vek-
Zwei Koordinatensysteme, S und S0 , seien durch eine tor. Nur Differenzen von Ortsvektoren, d D x  b,
Translation gegeneinander verschoben, die Achsen aber transformieren sich wie
nicht gegeneinander gedreht (Abb. 2.4). Der Ursprung
O0 des gestrichenen Systems S0 habe vom ungestrichenen d0 D Rd: (2.24)
System S aus betrachtet die Koordinaten b. Der Ursprung Solche Größen nennt man im physikalischen Sinne Vek-
O0 hat in S0 natürlich die Koordinaten b0 D .0; 0; 0/> . toren.
2.2 Galilei-Transformationen 55

Frage 6 meiner lässt sich der folgende Zusammenhang zeigen (Riley et


Machen Sie sich die Gültigkeit von (2.22) zeichnerisch klar. al. 2006):
"pjk apq ajl akm D det.A/"qlm : (2.30)
Dies wiederum führt mit der Drehmatrix R statt A auf
Fragt man nach dem Transformationsverhalten des Geschwin-
digkeitsvektors der Punktmasse, so sieht man direkt, dass "pjk rpq rjl rkm riq D det.R/"qlm riq : (2.31)

Es folgt sofort der transformierte Drehimpuls


xP 0 D RPx (2.25)
L0i D det.R/riq ."qlm rl pm / D det.R/riq Lq (2.32)
gilt. Geschwindigkeiten transformieren unter Drehungen daher

Kapitel 2
wie ungebundene Vektoren. Eine gleichzeitige Verschiebung bzw.
des Ursprungs spielt dabei keine Rolle. L0 D det.R/ RL (2.33)
in Vektorform.
Frage 7
Im Gegensatz zu Geschwindigkeiten bzw. Impulsen, die ent-
Überprüfen Sie das Ergebnis in (2.25), indem sie von (2.22) aus- sprechend p0 D Rp transformieren, tritt beim Drehimpuls ein
gehen und bP D 0 und R
P D 0 verwenden. zusätzlicher Faktor det.R/ auf. Dies ist typisch für Größen,
in deren Definitionen das Levi-Civita-Symbol auftaucht. Der
Drehimpuls ändert daher sein Vorzeichen, wenn die Matrix R ei-
Wir werden auf das Transformationsverhalten von xP bei all- ne uneigentliche Transformation mit det.R/ D 1 ist. Beispiele
gemeinen zeitabhängigen Verschiebungen und Drehungen in hierfür sind Spiegelungen oder das paarweise Vertauschen von
Abschn. 2.3 zurückkommen. Koordinatenachsen. Eigentliche Drehungen sind dagegen stets
durch det.R/ D C1 ausgezeichnet.

Spiegelung
Transformation des Drehimpulses unter Die Matrix 0 1
Drehungen, polare und axiale Vektoren 1 0 0
B C
A D @0 1 0A (2.34)
Der Drehimpuls L D x  p einer Punktmasse am Ort x mit 0 0 1
Impuls p lautet in Komponentenschreibweise vermittelt eine Spiegelung an der x1 -x2 -Ebene, d. h., die
Koordinaten x des Ortsvektors werden folgendermaßen
Li D "ijk xj pk : (2.26) transformiert: .x1 ; x2 ; x3 /> ! .x1 ; x2 ; x3 /> . Offensicht-
lich ist det.A/ D 1. Es handelt sich also um eine
Wir betrachten erneut eine durch eine Rotation R vermittelte uneigentliche orthogonale Matrix. Die neuen Basisvekto-
Transformation vom ungestrichenen System S zum gestrichenen ren sind wegen
System S0 . Zur Vereinfachung seien beide Koordinatensysteme eO i  eOj D ijk eO k (2.35)
nicht gegeneinander verschoben. In S0 lautet der Drehimpuls
nicht mehr rechtshändig, sondern linkshändig. Man sagt
auch, dass die Helizität vertauscht wurde. J
L0i D "ijk xj0 p0k D "ijk .rjl xl /.rkmpm / D "ijk rjl rkm xl pm : (2.27)

Die Orthogonalität der Drehmatrix, RR> D I oder rpq riq D ıpi ,


lässt sich ausnutzen, um das Matrixprodukt umzuschreiben:
2.2 Galilei-Transformationen
"ijk rjl rkm D "pjk ıpi rjl rkm D "pjk .rpq riq /rjl rkm : (2.28)
In Abschn. 2.1 wurden einige mathematischen Grundlagen für
Koordinatentransformationen (insbesondere Drehungen) bereit-
Wie im „Mathematischen Hintergrund“ 2.2 und 2.3 erläutert
gestellt. Diese Ergebnisse werden nun ausgenutzt, um physika-
wird, erfüllen 3  3-Matrizen die Relation
lische Aussagen treffen zu können. Das Verhalten von physika-
lischen Systemen unter Transformationen ist von fundamentaler
det.A/ D "ijk a1i a2j a3k : (2.29) Bedeutung für die theoretische Physik. Dies gilt vor allem, wenn
Systeme unter gewissen Transformationen invariant, d. h. sym-
Hier ist det.A/ die Determinante der Matrix A D .aij /. Allge- metrisch sind. Wie in Kap. 5 diskutiert wird, führen Symmetrien
56 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

Vertiefung: Transformationsverhalten von Vektoren


Polare und axiale Vektoren

Man unterscheidet physikalische Vektoren entsprechend des ändert er also bei einer uneigentlichen Transformation das
Verhaltens ihrer Darstellungen unter orthogonalen Trans- Vorzeichen, so ist diese Größe ein axialer Vektor. All-
formationen R, die sie von einem ungestrichenen in ein gemein ist das Kreuzprodukt zweier polarer Vektoren ein
gestrichenes Koordinatensystem überführen. Transformiert axialer Vektor. Das Skalarprodukt zweier polarer Vektoren
ein Darstellungsvektor wie der Impuls, ist ein Skalar, der unter uneigentlichen Transformationen
p0 D Rp; invariant ist. Das Produkt eines skalaren und eines po-
laren Vektors, z. B. p  L, ist ein Pseudoskalar, der sein
Kapitel 2

d. h. unabhängig von det.R/, so ist diese Größe ein polarer Vorzeichen ändert, wenn det.R/ D 1 ist. Die physikali-
Vektor. Transformiert ein Darstellungsvektor wie der Dreh- schen Begriffe der polaren und axialen Vektoren sind von
impuls, der mathematischen Definition eines Vektors zu unterschei-
L0 D det.R/ RL; den.

in der Regel auf Erhaltungsgrößen, deren Kenntnis das Lösen b3


e
physikalischer Probleme stark vereinfacht. In diesem Abschnitt b3
e
werden wir sehen, dass die Newton’schen Axiome invariant
unter einer gewissen Klasse von Koordinatentransformationen x x
sind. Diese werden als Galilei-Transformationen bezeichnet.
Sie überführen Inertialsysteme ineinander. Anhand der Galilei-
b2
e b2
e
Transformationen werden einige Grundlagen der mathemati-
schen Gruppen erläutert, die in der theoretischen Physik eine
wichtige Rolle spielen. O b O
e1

Kovarianz des ersten Newton’schen Axioms e 1


unter Galilei-Transformationen
Abb. 2.5 Transformation zwischen kartesischen Koordinatensystemen.
Der Ursprung des gestrichenen Koordinatensystems S0 befindet sich
Wir haben in Abschn. 1.2 gelernt, dass das erste Newton’sche vom ungestrichenen Koordinatensystem S aus betrachtet am Ort b.
Axiom in allen Inertialsystemen gültig ist: Sind Kräfte ab- Zusätzlich sind die Koordinatenachsen von S0 und S gegeneinander ge-
wesend, bewegen sich Punktmassen gleichförmig-geradlinig. dreht. Eine Punktmasse hat in S die Ortskoordinaten x (blau), in S0 x0
Dieses Prinzip besagt, dass alle Inertialsysteme im Hinblick (schwarz)
auf die Newton’schen Axiome gleichwertig sind. Weiterhin be-
deutet dies, dass die Bewegungsgleichungen kovariant, d. h.
forminvariant, sein müssen, wenn eine Transformation von ei- R1 D R> in der Form
nem Inertialsystem in ein anderes durchgeführt wird. Kein x D b C R> x 0 ; x0 D R.x  b/ (2.36)
Inertialsystem kann sich gegenüber einem anderen auszeich-
nen. Genauso darf sich die Form der Bewegungsgleichungen in miteinander verbunden.
keinem Inertialsystem von der in einem anderen Inertialsystem
Im Rahmen der Newton’schen Mechanik ist die Zeit ein externer
unterscheiden. Diese Aussagen sollen im weiteren Verlauf näher
Parameter, dessen Verlauf nicht von der Bewegung von Punkt-
beleuchtet werden.
massen im physikalischen System abhängt. Allerdings kann der
Wir untersuchen nun, welchen Einfluss Koordinatentransforma- Zeitnullpunkt beliebig gewählt werden. Wir schreiben daher die
tionen auf die Bewegungsgleichungen einer Punktmasse haben. Relation zwischen den Zeiten t und t0 in S und S0 in der Form
Das Ausgangssystem sei ein Inertialsystem S mit Ursprung O
und den Basisvektoren eO i . Das neue System sei S0 mit Ursprung t0 D t  t0 ; (2.37)
O0 und Basisvektoren eO 0i . Zusätzlich zu Transformationen, ver- d. h., es gebe eine konstante zeitliche Verschiebung. Daraus
mittelt durch orthogonale Matrizen R, erlauben wir räumliche folgt das Differenzial
und zeitliche Translationen. Der Ursprung O0 von S0 liege von dt0 D dt: (2.38)
S aus betrachtet an einem beliebigen Ort b (Abb. 2.5). Offen-
sichtlich sind die Koordinaten eines Punktes in S und S0 wegen Somit hängen Zeitableitungen nicht von der Wahl von t0 ab.
2.2 Galilei-Transformationen 57

2.3 Mathematischer Hintergrund: Matrizen III


Matrixinversion und Rechenregeln für Determinanten

Hier wollen wir nun noch einige Hilfsmittel zur Berechnung wobei aij die Matrixelemente von A sind. Dies kann man sich
von Determinanten bzw. inversen Matrizen bereitstellen. Ein so vorstellen, dass man die i-te Zeile auswählt (am besten ei-
Hilfsmittel dafür werden Unterdeterminanten sein. ne, in der es viele Nullen gibt) und sich dann jedes Element in
dieser Zeile nimmt, das nicht null ist. Für jedes solche Ele-
Existenz der inversen Matrix Man nennt eine Matrix A ment berechnet man den Wert der Unterdeterminante (z. B.
invertierbar, wenn es eine Matrix B gibt, sodass wieder durch die Laplace-Entwicklung). Die berechneten

Kapitel 2
Werte summiert man dann gewichtet mit den aij und entspre-
AB D BA D I chenden Vorzeichen auf. Das Ganze funktioniert auch mit
Spalten statt Zeilen.
gilt. In diesem Fall nennt man B die inverse Matrix und
schreibt dafür A1 . Nicht jede Matrix besitzt eine Inverse. Das Vorzeichen kann man sich nach folgendem Schachbrett-
Eine Inverse existiert aber genau dann, wenn det.A/ ¤ 0. Ei- muster merken:
ne solche Matrix nennt man auch regulär. Eine nichtreguläre
0 1
Matrix heißt auch singulär. C  C 
B C    C
Betrachtet man wieder die linearen Abbildungen, die durch B C
B C
eine Matrix beschrieben werden, so ist eine Matrix genau BC  C   C
@ A
dann invertierbar, wenn die zugehörige lineare Abbildung in- :: :: :: ::
vertierbar ist, und die inverse Matrix beschreibt gerade die : : : :
Umkehrabbildung.
Cramer’sche Regel Die Cramer’sche Regel ist ein Sche-
Rechenregeln für inverse Matrizen ma zum Lösen von linearen Gleichungssystemen. Mit ihrer
Hilfe kann man eine Formel herleiten, die zur Berechnung
det.A1 / D .det.A//1
der Matrixelemente der inversen Matrix dient. Es gilt
.A1 /1 D A
sind A und B invertierbar, so ist auch AB invertierbar, und
es gilt .AB/1 D B1 A1 .1/iCj A.ji/
A1 D B D .bij / mit bij D :
.A> /1 D .A1 /> det.A/
ist A orthogonal, so gilt A1 D A>
Die Cramer’sche Regel erfordert viel Rechenaufwand, des-
Unterdeterminanten Ist A eine N  N-Matrix, so schrei- halb lohnt sie sich nur für kleine Matrizen. Für N D 2 lautet
ben wir Aij für die Matrix, die man aus A erhält, wenn man die Regel
die i-te Zeile und die j-te Spalte streicht. Da dies dann wieder
eine quadratische Matrix ist, können wir hiervon die Deter- !1 !
a11 a12 1 a22 a12
minante berechnen. Wir schreiben D :
a21 a22 a11 a22  a12 a21 a21 a11
A.ij/ D det.Aij /
Hier werden also in der Matrix die Diagonalelemente ver-
und nennen dies Unterdeterminante oder Minor. tauscht; bei den beiden anderen wird das Vorzeichen geän-
dert und am Schluss durch die Determinante geteilt.
Laplace’scher Entwicklungssatz Der Laplace’sche Ent-
wicklungssatz ist eine Möglichkeit, Determinanten zu be-
rechnen. Diese Methode ist besonders dann geeignet, wenn
Literatur
die Matrix viele Nullen enthält. Es gilt

X
N Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare
det A D .1/iCj aij A.ij/ ; Algebra 1. 3. Aufl., Spektrum (2014)
jD1 Bosch, S.: Lineare Algebra. 4. Aufl., Springer (2007)
58 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

Es stellt sich nun die Frage, welchen Einfluss die oben einge-
führten Transformationen auf die Bewegungsgleichungen einer Kovarianz des ersten Newton’schen Axioms unter Gali-
Punktmasse haben. In S lautet das erste Newton’sche Axiom lei-Transformationen
mRx D 0. Die ersten beiden Zeitableitungen von x0 haben wegen
(2.36) die allgemeine Form Das erste Newton’sche Axiom ändert seine Form un-
ter Galilei-Transformationen nicht. Dies ist äquivalent zu
P C R.x
P  b/; einem Übergang von einem zu einem anderen Inerti-
xP 0 D R.Px  b/
(2.39) alsystem. Sind zwei Koordinatensysteme gegeneinander
0
xR D R.Rx  b/R C 2R.P
P x  b/
P C R.x
R  b/: beschleunigt, treten Zusatzterme auf, und das erste New-
ton’sche Axiom ist nicht mehr kovariant.
An diesen Gleichungen lässt sich das Prinzip der Forminvari-
anz (Kovarianz) illustrieren. Im Gegensatz zu xR D 0 (erstes
Kapitel 2

Newton’sches Axiom in Inertialsystemen) treten in (2.39) ei- Achtung Obwohl R eine allgemeine orthogonale Matrix sein
ne Reihe von Zusatztermen auf, sodass die Gleichungen nicht kann, beschränkt man sich bei der Diskussion von Galilei-
die gleiche Form haben. Allerdings erkennt man, dass das ers- Transformationen häufig auf Drehmatrizen, die eine Untergrup-
te Newton’sche Axiom in S0 zu xR 0 D 0 wird, wenn R konstant pe der orthogonalen Matrizen bilden und sich durch det.R/ D
ist und bR D 0 gilt bzw. bP konstant ist. Dies bedeutet, dass ei- C1 auszeichnen. J
ne Koordinatentransformation mit R D const, b D v0 t C b0
(v0 D const, b0 D const) und t0 D const von einem Inerti- Frage 8
alsystem auf ein anderes Inertialsystem führt, in dem das erste Machen Sie sich klar, dass die Geschwindigkeit unter Galilei-
Newton’sche Axiom ebenfalls gültig ist. In diesem Fall sind die P transformiert.
Transformationen gemäß xP 0 D R.Px  b/
Bewegungsgleichungen also kovariant. Inertialsysteme können
daher

durch eine konstante orthogonale Matrix R auseinander her-


vorgehen (drei Parameter), Kovarianz des zweiten Newton’schen Axioms
um einen konstanten Vektor b0 verschoben sein (drei Para- unter Galilei-Transformationen
meter),
sich mit konstanter Geschwindigkeit v0 relativ zueinander
bewegen (drei Parameter) und Im weiteren Verlauf beschränken wir uns auf Galilei-Transfor-
verschiedene Zeitnullpunkte besitzen (ein Parameter). mationen und werfen einen Blick auf das zweite Newton’sche
Axiom:
mRx D F.t; x; xP /: (2.41)
Transformationen, welche diese Eigenschaften besitzen, nennt
man Galilei-Transformationen. Hier ist F eine Kraft, die zur Zeit t auf die Punktmasse m wirkt,
welche sich am Ort x befindet und sich mit der Geschwindigkeit
xP bewegt. Wird eine Galilei-Transformation auf (2.41) angewen-
det, nimmt sie die Form
Allgemeine Galilei-Transformation
Eine eigentliche Galilei-Transformation zwischen zwei mRx0 D F0 .t0 ; x0 ; xP 0 / (2.42)
Inertialsystemen überführt die Darstellung des Ortsvek-
tors x und der Zeit t in an, wobei offensichtlich

x0 D R.x  v0 t  b0 /; t0 D t  t0 : (2.40) F0 .t0 ; x0 ; xP 0 / D RF.t; x; xP / (2.43)

Die Drehmatrix R, Relativgeschwindigkeit v0 , Verschie- gilt. Obwohl F und F0 im Allgemeinen unterschiedliche Funk-
bung b0 und Verschiebung t0 der Zeitnullpunkte sind tionen der Koordinaten sind, bleibt die Form des zweiten New-
konstant. ton’schen Axioms invariant unter Galilei-Transformationen,
d. h., es treten keine Zusatzterme auf. Das zweite Newton’sche
Axiom ist somit ebenfalls kovariant unter Galilei-Transforma-
Ist S0 gegenüber S beschleunigt, d. h. sind R oder bP nicht kon- tionen. Physikalisch sind die beiden Beschreibungen in (2.41)
stant, so treten Zusatzterme auf, welche die Kovarianz aufheben. und (2.42) völlig gleichwertig, da es sich lediglich um eine pas-
Diese Zusatzterme sind bereits in (2.39) enthalten. Eine gründ- sive Koordinatentransformation handelt. Insbesondere sind die
liche Diskussion wird allerdings erst in Abschn. 2.3 und 2.4 Ausdrücke F und F0 nur zwei verschiedene Darstellungen in
erfolgen, was schließlich auf die sogenannten Scheinkräfte füh- den Koordinatensystemen S und S0 für dieselbe physikalische
ren wird. Kraft.
2.3 Beschleunigte Bezugssysteme 59

Auswirkung einer Drehung auf eine Kraft lassen. Wir werden in Kap. 9 sehen, dass sich diese Situation än-
dert, wenn relativistische Effekte (jv0 j nicht klein gegenüber der
Zur Veranschaulichung betrachten wir ein Inertialsystem Lichtgeschwindigkeit) berücksichtigt werden. Stattdessen wer-
S, in dem sich die Punktmasse m am Ort x D r eO 1 be-
den dort die Lorentz- bzw. Poincaré-Transformationen einge-
findet, wobei r der Abstand zum Ursprung ist. Auf die führt, die im Grenzfall kleiner Relativgeschwindigkeiten wieder
Punktmasse wirke eine Kraft F.x/ D F eO 2 . Nun stellen in die Galilei-Transformationen übergehen.
wir uns ein anderes Inertialsystem S0 vor, das nur durch Mathematisch bilden die Galilei-Transformationen eine Gruppe
eine Rotation R um 90ı um die eO 3 -Achse aus S hervor- (siehe „Mathematischer Hintergrund“ 2.4). Insbesondere gibt es
geht (Abb. 2.6). eine triviale Transformation, die das Inertialsystem unverändert
lässt,
b1
e b2
e R D I; v0 D 0; b0 D 0; t0 D 0; (2.44)

Kapitel 2
und zu jeder Galilei-Transformation gibt es eine inverse Trans-
formation. Zwei aufeinanderfolgende Galilei-Transformationen
bilden wieder eine Galilei-Transformation (Aufgabe 2.2). Die
für die theoretische Physik wichtige SO(3)-Drehgruppe (das S
in SO(3) bedeutet, dass spezielle orthogonale Matizen, nämlich
F jene mit det.R/ D C1 betrachtet werden) beinhaltet alle Dre-
hungen im dreidimensionalen Raum um den Ursprung und ist
somit eine Untergruppe der Galilei-Gruppe.
e2 x e1
Frage 9
Abb. 2.6 Eine Punktmasse befindet sich vom ungestrichenen
Überlegen Sie sich, warum die Galilei-Gruppe keine abelsche,
Koordinatensystem (schwarz) aus gesehen am Ort x D r eO 1 , vom
d. h. keine kommutative Gruppe sein kann. Der Schlüssel liegt
gestrichenen (blau) aus betrachtet bei r eO 02 . Auf sie wirkt eine
Kraft F in Richtung eO 2 bzw. F0 in Richtung eO 01 . Physikalisch sind in den mathematischen Eigenschaften der Drehmatrizen (Ab-
beide Betrachtungen völlig äquivalent schn. 2.1).

In S0 lauten die Koordinaten der Punktmasse x0 D Rx D


r eO 02 , und die Kraft ist F0 .x0 / D RF.x/ D F eO 01 . Offen-
sichtlich wirkt die Kraft in S am Ort x, in S0 aber am Ort 2.3 Beschleunigte Bezugssysteme
x0 , was physikalisch gleichwertig ist. J
In Abschn. 2.2 haben wir gesehen, dass die Bewegungsglei-
chungen unter Galilei-Transformationen, also Transformationen
zwischen Inertialsystemen, invariant sind. In diesem Abschnitt
Kovarianz der Newton’schen Axiome unter Galilei- gehen wir noch einen Schritt weiter und beschäftigen uns
Transformationen mit der Frage, welche Konsequenzen der Übergang zu einem
beschleunigten Koordinatensystem aufwirft. Insbesondere line-
Das zweite Newton’sche Axiom ist unter Galilei-Trans-
ar beschleunigte und rotierende Bezugssysteme sind hier von
formationen kovariant. Die Newton’schen Bewegungs-
Interesse, da sie in der Physik häufig anzutreffen sind. Das
gleichungen ändern ihre Form beim Übergang zwischen
Ziel dieses Abschnitts ist es, das Transformationsverhalten von
Inertialsystemen nicht.
Orts-, Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektoren zu ver-
stehen, was in Abschn. 2.4 schließlich auf die sogenannten
Scheinkräfte führen wird.

Galilei-Transformationen als mathematische


Gruppe Definition der Koordinatentransformation
Unter Galilei-Transformationen versteht man alle Transforma- Wir betrachten nun zeitabhängige Verschiebungen b.t/ und Ma-
tionen, die durch konstante orthogonale Transformationen, Ver- trizen R.t/. Dabei folgen wir den Konventionen in Abschn. 2.2
schiebungen, Relativgeschwindigkeiten und Zeittranslationen und beginnen mit den Gleichungen in (2.39), die wir hier noch-
charakterisiert sind. Hier beschränken wir uns auf eigentliche mals wiederholen:
orthogonale Transformationen mit det.R/ D C1. Spiegelungen P C R.x
P  b/;
xP 0 D R.Px  b/
sind somit ausgeschlossen. (2.45)
R C 2R.P
xR 0 D R.Rx  b/ P x  b/
P C R.x
R  b/:
Galilei-Transformationen sind im Rahmen der Newton’schen
Mechanik diejenigen Transformationen, die Inertialsysteme in- Die gegenseitige Lage der beiden Bezugssysteme wurde bereits
einander überführen und die Newton’schen Axiome invariant in Abb. 2.5 gezeigt.
60 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

2.4 Mathematischer Hintergrund: Gruppen


Einführung in die Gruppentheorie

Wir wollen kurz auf grundlegende algebraische Strukturen nämlich


eingehen, die für die theoretische Physik extrem wichtig
sind: die Gruppen. hRx; Ryi D x> R> Ry D x> y D hx; yi;

Gruppe Eine Gruppe ist eine Menge G zusammen mit ei- und dies bedeutet gerade, dass orthogonale Matrizen Län-
ner Verknüpfung ı, sodass gilt: gen und Winkel erhalten. Die Gruppe der Symmetrien kann
also durch die Gruppe der orthogonalen N  N-Matrizen
Kapitel 2

ı ist assoziativ, d. h. für alle a; b; c 2 G gilt dargestellt werden. Diese Gruppe bezeichnet man auch mit
O.N/. Die Menge der orthogonalen N  N-Matrizen mit
a ı .b ı c/ D .a ı b/ ı c: Determinanten C1 bildet eine Untergruppe von O.N/, die
wir spezielle orthogonale Gruppe nennen und mit SO.N/
Es gibt ein neutrales Element e, sodass für alle a 2 G gilt bezeichnen. Diese Gruppe beschreibt genau die orientie-
rungserhaltenden Symmetrien im N-dimensionalen Raum,
e ı a D a ı e:
d. h. die Drehungen.
Zu jedem a 2 G gibt es ein inverses Element, das wir mit
a1 bezeichnen und für das gilt Gruppenhomomorphismen Mit speziellen Funktionen
kann man Beziehungen zwischen Gruppen beschreiben. Die-
a1 ı a D a ı a1 D e: se Funktionen nennt man Gruppenhomomorphismen. Ein
Gruppenhomomorphismus ist eine Abbildung f W G1 ! G2
Man nennt die Gruppe G kommutativ oder abelsch, wenn au- zwischen zwei Gruppen G1 und G2 , die
ßerdem f .a ı b/ D f .a/ ı f .b/
aıbDbıa für alle a; b 2 G1 erfüllt. Hierbei müssen die beiden Ver-
ist. Man schreibt dann für die Gruppe auch .G; ı/. knüpfungen nicht unbedingt dieselben sein. Ein Beispiel für
einen Gruppenhomomorphismus ist z. B. die Determinanten-
Beispiele Gruppen haben wir schon viele kennenge- funktion
lernt. So ist jeder Vektorraum zusammen mit der Vek-
torraumaddition eine Gruppe. Weitere Gruppen sind z. B. det W O.N/ ! f˙1g:
.Z; C/; .R; C/; .C; C/ oder .Rnf0g; /.
Darstellungen von Gruppen Es ist wichtig, zwischen
Gruppen treten außerdem häufig bei Symmetriebetrachtun- Gruppen und Darstellungen von Gruppen zu unterscheiden.
gen auf; so bilden beispielsweise die Symmetrien (d. h. Die Menge der Drehungen ist z. B. eine Gruppe, für die man
Drehungen, Verschiebungen und Spiegelungen) der Ebene zunächst einmal keine Matrizen benötigt. Wählt man nun ei-
oder des dreidimensionalen Raumes eine Gruppe, wobei die ne feste Basis (d. h. ein Koordinatensystem), so lässt sich
Verknüpfung hier die Hintereinanderausführung ist. Auch diese Gruppe durch NN-Matrizen darstellen. Wählt man ei-
die wichtigen Galilei- und Lorentz-Transformationen bilden ne andere Basis, so wird dieselbe Drehung durch eine andere
jeweils eine Gruppe. Matrix dargestellt. Eine Gruppe besitzt also im Allgemeinen
Man unterscheidet außerdem zwischen diskreten und konti- mehrere Darstellungen. Per Definition ist eine Darstellung
nuierlichen Gruppen. Ein Beispiel für erstere ist die Menge ein Gruppenhomomorphismus von der betrachteten Gruppe
der Spiegelungen an einer Koordinatenachse. Kontinuierli- G in die Menge der N  N-Matrizen.
che Gruppen hängen von einem oder mehreren kontinuierli- Wählt man für eine Gruppe eine feste Darstellung, so kann
chen Parametern ab. Ein Beispiel hierfür ist die Menge der man die Gruppenoperationen (z. B. die Drehung eines Vek-
Drehungen in der Ebene. Diese hängt von einem Parameter, tors um einen festen Winkel) als Matrix-Vektor-Multiplikati-
nämlich dem Drehwinkel, ab. on schreiben.
Orthogonale Gruppe Eine besonders wichtige Gruppe
ist die Gruppe der Symmetrien im N-dimensionalen euklidi- Literatur
schen Raum. An dieser Stelle wollen wir uns auf Drehungen
und Spiegelungen beschränken, also keine Verschiebungen Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare
betrachten. Symmetrien haben die Eigenschaft, dass sie Län- Algebra 1. 3. Aufl., Spektrum (2014)
gen und Winkel erhalten. Für jede orthogonale Matrix R gilt Artin, M.: Algebra. Birkhäuser (1990)
2.3 Beschleunigte Bezugssysteme 61

Das ungestrichene System sei ein Inertialsystem S mit Ba-


sisvektoren eO i . Weiterhin führen wir das gestrichene und im Boden des Fahrstuhls befinden. Ein Beobachter im Fahr-
Allgemeinen beschleunigte Bezugssystem B mit Basisvekto- stuhl befinde sich am Ort x.
ren eO 0i .t/ ein. Da B rotieren kann, sind seine Basisvektoren
in der Regel zeitabhängig. Wir werden ausschließlich passive Im freien Fall werden der Beobachter und der Fahrstuhl
Transformationen betrachten, durch die lediglich das Koordi- mit der Erdbeschleunigung beschleunigt, wenn sie aus
natensystem gewechselt wird. Weiterhin wollen wir annehmen, S beobachtet werden, d. h. xR D g und bR D g. Im Ko-
dass es sich bei R um eine Drehmatrix handelt, da diese in der ordinatensystem des Fahrstuhls ist der Beobachter somit
Physik am wichtigsten ist. Der Vektor b beschreibt die Lage des unbeschleunigt, da xR 0 D 0 folgt. Der Beobachter ist im
Ursprungs des Systems B von S aus gesehen, x ist der Ort ei- Fahrstuhl daher schwerelos, da sich hier die Scheinkraft
ner Punktmasse m. Sowohl b.t/ als auch R.t/ sind vorgegebene in B und die Schwerkraft verursacht durch die Erdan-
ziehung gerade aufheben. Dies ist der Ansatzpunkt für

Kapitel 2
Funktionen der Zeit, wobei wir zur Vereinfachung den Ursprung
der Zeit unverändert lassen, t0 D t, was keine Einschränkung die allgemeine Relativitätstheorie. Einstein fragte sich, ob
darstellt. die Schwerkraft nicht generell als Scheinkraft angesehen
werden könne, was ihn schließlich darauf brachte, die-
Wir haben in Abschn. 2.2 bereits erkannt, dass zeitabhängige se mit Raumkrümmung in Verbindung zu bringen. Der
Transformationen zu Zusatztermen führen, welche die Kova- freie Fall wird in der Forschung häufig verwendet, um ein
rianz der Newton’schen Axiome verletzen. Diese Zusatzterme schwereloses System zu simulieren. Beispiele hierfür sind
sind letztlich die Ursache für die Zentrifugal- und die Coriolis- Falltürme oder Parabelflüge (Abb. 2.7).
Kraft in rotierenden Bezugssystemen, wie wir in Abschn. 2.4
sehen werden.

Linear beschleunigte Bezugssysteme

Wir beginnen mit dem einfachen Fall, dass B im Vergleich


zu S lediglich linear beschleunigt ist. Die Zeitableitung der
Transformationsmatrix verschwindet folglich: R P D 0. Den-
noch erlauben wir weiterhin eine konstante Drehung, d. h., R
muss nicht zwangsläufig der Einheitsmatrix entsprechen. In die-
sem Fall lauten die Geschwindigkeit und Beschleunigung einer
Punktmasse in B

P
xP 0 D R.Px  b/; R
xR 0 D R.Rx  b/: (2.46)

Für bR D 0 werden die Beschleunigungen in S und B nur durch


eine einfache Drehung ineinander überführt, und die Trans- Abb. 2.7 Parabelflug einer DC-9. Das Flugzeug beschleunigt
formation ist eine Galilei-Transformation. Ansonsten muss die zunächst nach oben und geht danach in einen Trägheitsflug ohne
Schub über. Die Flugbahn beschreibt dabei eine Parabel, und das
relative Beschleunigung von B zu S ebenfalls berücksichtigt
Flugzeug befindet sich für etwa 20 s nahezu im freien Fall (ledig-
werden. Diese Beschleunigung erlebt man ständig im Alltag, lich Reibungskräfte werden vom Piloten durch die Triebwerke
z. B. wenn das Auto oder der Zug, in dem man sitzt, auf gerader ausgeglichen). In dieser Zeit können Experimente in Schwerelo-
Strecke beschleunigt oder verzögert und man in den Sitz ge- sigkeit durchgeführt werden (© NASA) J
drückt oder aus diesem gehoben wird. In diesem Fall entspricht
S der Erdoberfläche und B dem Koordinatensystem, das durch
die Wände des Fahrzeugs definiert ist. Sind die Koordinatensys-
teme nicht gegeneinander gedreht, lauten die Transformations-
gleichungen für Geschwindigkeit und Beschleunigung einfach

P
xP 0 D xP  b; R
xR 0 D xR  b: (2.47)
Rotierende Bezugssysteme

Fahrstuhl Nun nehmen wir an, dass sich beide Bezugssysteme beliebig ge-
geneinander drehen können. Das System S ist nach wie vor ein
Betrachten wir den freien Fall eines Fahrstuhls. Das Ko- Inertialsystem. Wir konzentrieren uns zunächst auf das Trans-
ordinatensystem B sei durch die Wände des Fahrstuhls formationsverhalten des Verschiebungsvektors d WD x  b. Er
definiert. Der Ursprung b könnte sich zum Beispiel am kann später ohne Einschränkung wieder durch x  b ersetzt wer-
den.
62 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

Aufgrund der Eigenschaften der Drehmatrix, RR> D I, können (d. h. für R P 6D 0) einen Zusatzterm aufweist, der über den naiv zu
wir die erste Zeitableitung in (2.45) in der Form erwartenden Term RdP hinausgeht. Der Grund ist die Zeitabhän-
gigkeit der Basisvektoren eO 0i von B, die ebenfalls einen Beitrag
dP 0 D RdP C .RR> /Rd
P D R dP C .R> R/d
P (2.48) zu dP 0 leisten. Wie wir in Kürze sehen werden, enthält dieser Zu-
satzterm Informationen über die Rotation von B. Bevor wir uns
schreiben. Wegen R> R D I ist weiterhin weiter mit dem Transformationsverhalten von dP und dR beschäf-
tigen, wollen wir uns die Größe ! genauer ansehen.
P C RP > R D 0
R> R H) P C .R> R/
R> R P > D 0: (2.49)

Man sieht daran, dass die Matrix B WD R> RP ihr Vorzeichen


wechselt, wenn man sie transponiert. Solche Matrizen heißen Physikalische Bedeutung von !
Kapitel 2

schiefsymmetrisch oder antisymmetrisch. In drei Dimensionen


gilt für sie
Um zu verstehen, welche Bedeutung ! hat, untersuchen wir
0 1 0 1
b11 b12 b13 b11 b21 b31 eine Drehung zwischen einem Zeitpunkt t0 und einem infini-
B C B C tesimal späteren Zeitpunkt t0 C dt, die durch die Drehmatrix
B D @b21 b22 b23 A D  @b12 b22 b32 A (2.50)
b31 b32 b33 b13 b23 b33 P 0 / dt
R.t0 C dt/ D R.t0 / C R.t
  (2.55)
oder in Kurzform bij D bji . Die Diagonalelemente müssen ver- P 0 / dt
D R.t0 / I C R> .t0 /R.t
schwinden: b11 D b11 D 0 usw. Aus diesem Grund kann eine
schiefsymmetrische 3  3-Matrix nur drei unabhängige Kompo- ausgedrückt wird. Der erste Schritt folgt aus der Taylor-Ent-
nenten enthalten. wicklung bis zur ersten Ordnung in dt. Man spricht in diesem
Zusammenhang auch von einer infinitesimalen Drehung. Aus
Frage 10 der Definition von ! in (2.52) folgt
Begründen Sie, dass eine symmetrische 3  3-Matrix im Allge-  
meinen sechs unabhängige Komponenten hat. rik .t0 C dt/ D rij .t0 / ıjk C jkl !l .t0 / dt : (2.56)

Die Koordinatenachsen seien so orientiert, dass ! zur Zeit t0


Durch eine zunächst willkürliche Definition kann man eine in eO 3 -Richtung zeigt: !.t0 / D .0; 0; !.t0 //> . Weiterhin seien
schiefsymmetrische Matrix als die gestrichenen und ungestrichenen Achsen bei t0 identisch:
0 1 eO 0i .t0 / D eO i (i D 1; 2; 3). Dann ist R.t0 / D R> .t0 / D I, d. h.,
0 !3 !2 R entspricht zur Zeit t0 der Identität. Daher gilt
B C
B D @!3 0 !1 A (2.51)
!2 !1 0 rik .t0 C dt/  rik .t0 /
rPik .t0 / D D ikl !l .t0 /: (2.57)
dt
schreiben. Die Bedeutung von ! WD .!1 ; !2 ; !3 /> wird in
Es folgt somit
Kürze klar werden. Mithilfe des Levi-Civita-Symbols kann die
Matrix auch in der Form 0 1
0 !.t0 / 0
bij D rki rPkj D ijk !k (2.52) P 0/ D B
R> .t0 /R.t @!.t0 / 0 0A
C
(2.58)
0 0 0
dargestellt werden.
und schließlich
Frage 11
0 1
Zeigen Sie mithilfe der Identität ijk ijl D 2ıkl , dass aus (2.52) 1 !.t0 / dt 0
der Zusammenhang B C
R.t0 C dt/ D @!.t0 / dt 1 0A : (2.59)
1
!l D ijl bij (2.53) 0 0 1
2
folgt. Frage 12
Überprüfen Sie die obige Argumentation und das Ergebnis in
Gln. (2.48) und (2.52) führen somit auf (2.59).
 
dP 0 D R dP  !  d : (2.54)
Gl. (2.59) entspricht einer infinitesimalen Drehung um die eO 3 -
Dieses wichtige Zwischenergebnis besagt, dass die Zeitablei- Achse um den Winkel d D ! dt (was man durch einen Blick
tung eines polaren Vektors in einem rotierenden Bezugssystem auf die Taylor-Entwicklung des Sinus und Kosinus erkennt).
2.3 Beschleunigte Bezugssysteme 63

Deswegen wird ! als der Vektor der momentanen Winkelge-


schwindigkeit bezeichnet. Seine Richtung gibt die Orientierung Eine einfache Rechnung führt auf
der momentanen Drehachse an. Häufig wird der Drehwinkel
0 1
auch in Vektorform geschrieben: 0 ! 0
d WD ! dt: (2.60) P DB
R> .t/R.t/ @! 0
C
0A
0 0 0
Achtung Die hier vorgeführten Rechnungen sind nur für in- 0 1 (2.66)
finitesimale Drehungen gültig. Eine Darstellung der Drehungen 0
B C
wie in (2.60) könnte dazu verleiten, aufeinanderfolgende Dre- H) ! D @ 0 A :
hungen als Vektoraddition von 1 , 2 etc. zu schreiben. Dies ist !
allerdings falsch, wie wir in Abb. 2.2 gesehen haben: Drehungen

Kapitel 2
kommutieren im Gegensatz zur Vektoraddition im Allgemeinen
nicht. Im Kasten „Vertiefung: Infinitesimale Transformationen“ Dieses Beispiel ist auch gültig, wenn die Drehung nicht
werden wir nochmals darauf zurückkommen. J infinitesimal ist. Der Grund ist, dass stets um dieselbe
Achse gedreht wird. Es ist anschaulich klar, dass suk-
zessive, also aufeinanderfolgende Drehungen um dieselbe
Zusammenhang zwischen zeitabhängigen Drehmatri- Achse kommutieren. J
zen und Winkelgeschwindigkeit
Ist die Drehmatrix R zwischen einem Inertialsystem S
und einem beschleunigten System B zeitabhängig, so wird Achtung ! ist die Drehachse, wie sie im ungestrichenen Ko-
die momentane Winkelgeschwindigkeit ! von B aus dem ordinatensystem erscheint. Im gestrichenen Koordinatensystem
Produkt B D R> RP bestimmt: ist die Orientierung der Drehachse im Allgemeinen verschieden,
was wir in Kürze zeigen werden. Dies kann man beispielswei-
1 se daran sehen, dass die Rotationsachse der Erde, welche die
bij D rki rPkj D ijk !k ; !l D ijl bij : (2.61) Richtung von ! definiert, nur an den Polen senkrecht auf der
2
Erdoberfläche steht. Am Äquator ist die Erdachse dagegen pa-
In einer infinitesimalen Zeit dt dreht sich B dabei um einen rallel zur Erdoberfläche. J
Winkel
d D ! dt (2.62)
um die Achse !.
Transformationsverhalten der
Winkelgeschwindigkeit
Drehung um feste Achse
Um zu untersuchen, wie sich die Winkelgeschwindigkeit ! un-
Zur Veranschaulichung betrachten wir erneut das Beispiel ter Koordinatentransformationen verhält, betrachten wir (2.53)
aus (2.9) mit einer Drehung um die eO 3 -Achse um den zeit-
in einem ungestrichenen und einem gestrichenen Koordinaten-
abhängigen Winkel D !t: system:
0 1 1 1
cos.!t/ sin.!t/ 0 !l D ijl bij ; !l0 D ijl b0ij : (2.67)
B C 2 2
R.t/ D @ sin.!t/ cos.!t/ 0A : (2.63)
0 0 1 Die Frage ist, wie !l0 mit !l zusammenhängt.
Aus der linearen Algebra wissen wir, dass
Man findet sofort
0 1
 sin.!t/ cos.!t/ 0 B0 D RBR> bzw: b0ij D rim bmn rjn (2.68)
P D!B
R.t/ 
@ cos.!t/  sin.!t/
C
0A (2.64)
gilt, wobei R die Drehmatrix ist, die das ungestrichene in das
0 0 0 gestrichene Koordinatensystem überführt. Wir schreiben
und 1
0 1 !l0 D ijl rim rjn bmn (2.69)
2
cos.!t/  sin.!t/ 0
B C
R> .t/ D @ sin.!t/ cos.!t/ 0A : (2.65) und wegen (2.52)
0 0 1 1
!l0 D ijl rim rjn kmn !k : (2.70)
2
64 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

Vertiefung: Infinitesimale Transformationen

Wir haben in Abb. 2.2 gesehen, dass die Reihenfolge von schreiben, wobei d k die infinitesimalen Drehwinkel um die
sukzessiven endlichen Drehungen wichtig ist: Endliche Dre- Achse d sind. Allgemein definieren die Elemente jeder
hungen sind im Allgemeinen nicht kommutativ. Der Begriff schiefsymmetrischen 3  3-Matrix einen Pseudovektor. Für
der infinitesimalen Transformationen ist in vielen Bereichen die Änderung des Ortes gilt dann
der Physik sehr wichtig, insbesondere in der Quantenmecha-
nik und in der Feldtheorie. Wir beschränken uns hier auf eine dx D x0  x D dRx D x  d:
infinitesimale Drehung. Gl. (2.36) wird zu
Zwei aufeinanderfolgende infinitesimale Transformationen
Kapitel 2

x0 D Rx mit R D I C dR: erfüllen

Wegen R> R D I ist .I C dR1 /.I C dR2 / D I C dR1 C dR2 :

.I C dR/> .I C dR/ D I H) dR> C dR D 0: Im Gegensatz zu endlichen Drehungen spielt hier die Rei-
henfolge keine Rolle. Auf diese Weise kann man auch direkt
Da dR eine infinitesimale Größe ist, können quadratische zeigen, dass die Inverse von R D I C dR gerade I  dR ist.
Terme vernachlässigt werden. Deshalb müssen infinitesima- Drehmatrizen sind eine Untergruppe der orthogonalen Ma-
le Drehmatrizen dR stets schiefsymmetrisch sein. Analog zu trizen, die det.R/ D C1 erfüllen. Es ist bereits intuitiv klar
(2.52) können wir und hier offensichtlich, dass es nur infinitesimale Drehungen,
aber keine infinitesimale Spiegelungen geben kann, denn für
drij D ijk d k Spiegelungen ist x0  x keine infinitesimale Größe.

Weiterhin gilt wegen ıpl D rpq rlq und (2.30) folgt


 
1 1
ijl rim rjn kmn D ijp rim rjn rpq rlq kmn dR 0 D R dR  !
P  d  !  dP  !  dP  !  d : (2.73)
2 2
1 (2.71) Hier wurde berücksichtigt, dass ! durchaus selbst eine Funktion
D mnq kmn det.R/rlq
2 der Zeit sein kann.
D ıqk det.R/rlq D det.R/rlk :
Frage 13
Dies führt schließlich auf das Transformationsverhalten von !.
Machen Sie sich klar, dass (2.73) direkt aufgeschrieben werden
kann, wenn man die Argumentation wiederholt, die zur Herlei-
Transformationsverhalten der Winkelgeschwindigkeit tung von (2.54) verwendet wurde.

Die Winkelgeschwindigkeit ! ist wie der Drehimpuls L


ein axialer Vektor und transformiert unter orthogonalen Gln. (2.23), (2.54) und (2.73) sind die allgemeinen Transfor-
Transformationen R wie mationsgleichungen für einen polaren Vektor und seine ersten
beiden Zeitableitungen von einem Inertialsystem S zu einem
!0 D det.R/R!: (2.72) rotierenden Bezugssystem B. In vielen Fällen ist es allerdings
sinnvoller, den umgekehrten Weg zu gehen: Man möchte die
Zeitableitungen in S durch Größen im gestrichenen System B
Man hätte sich bereits im Vorfeld denken können, dass die Win- ausdrücken.
kelgeschwindigkeit ! ein axialer Vektor ist, da das Levi-Civita-
Symbol bei seiner Definition auftaucht.
Transformationsverhalten eines polaren Vektors und
seiner Zeitableitungen
Zeitableitungen in rotierenden Bezugssystemen Transformiert man einen polaren Vektor d0 mittels einer
orthogonalen Transformation R von einem rotierenden
Wir haben in (2.54) gesehen, dass Zeitableitungen von polaren System zurück in ein Inertialsystem, so lauten die Trans-
Vektoren einen Zusatzterm erhalten, wenn sie in rotierenden Be- formationsgleichungen für d und seine ersten beiden Zeit-
zugssystemen betrachtet werden. Für die zweite Zeitableitung
2.4 Kräfte in rotierenden Bezugssystemen 65

b3
e
ableitungen
!

d D R> d 0 ; (2.74)
 
dP D R> dP 0 C !0  d0 ; b2
e
b3
e
dR D R> ŒdR 0 C !
P 0  d0 C !0  dP 0 C !0  .dP 0 C !0  d0 /:
b1
e
b  O
Dies wird in Aufgabe 2.3 gezeigt.
c

Da d.t/ D x.t/  b.t/ geschrieben werden kann, wobei x.t/ der

Kapitel 2
O
Ortsvektor einer Punktmasse und b.t/ ein Referenzpunkt (z. B.
der Ursprung von B) ist, sind die entsprechenden Transforma-
tionsgleichungen für x.t/ ebenfalls bekannt, wenn b.t/ gegeben b2
e
b1
e
ist.
Die zweite Zeitableitung in (2.74) ist der Schlüssel, um die
Scheinkräfte in rotierenden Bezugssystemen zu berechnen. Dies
wird im folgenden Abschnitt geschehen.
Abb. 2.8 Darstellung der Koordinatensysteme S (in dem sich die Er-
de dreht) und B (das sich mit einem Punkt c auf der Erdoberfläche
mitbewegt). Der Erdmittelpunkt befindet sich im Ursprung O des In-
2.4 Kräfte in rotierenden ertialsystems S, der Punkt c bildet den Ursprung O0 des beschleunigten
Bezugssystems B. Die Erde dreht sich um eine beliebige Achse mit
Bezugssystemen Winkelgeschwindigkeit !

Die Bewegung von rotierenden Objekten (z. B. Kreiseln) und


sind c0 D .0; 0; 0/> . Somit rotiert B zusammen mit dem Punkt
von Punktmassen in rotierenden Bezugssystemen (z. B. auf der
c relativ zu S. Die Erdrotation wird in S durch die Winkelge-
Erdoberfläche) spielt eine wichtige Rolle in der Physik. So wird
schwindigkeit ! beschrieben, die in (2.52) definiert wurde. Das
beispielsweise das Klima entscheidend durch die Rotation der
Koordinatensystem B sei weiterhin so definiert, dass die Achse
Erde beeinflusst. Tropische Stürme wie Hurrikane oder Taifune
eO 03 senkrecht von der Erdoberfläche weg zeigt. Dies hat zur Fol-
könnten nicht entstehen, wenn die Erde nicht rotieren würde.
ge, dass der Erdmittelpunkt von B aus gesehen stets am festen
Das zweite Newton’sche Axiom gilt in seiner bisher bekannten Ort b0 D jb0 j eO 03 liegt und bP 0 D bR 0 D 0 gilt. Die Koordi-
Form in (2.41) nur in Inertialsystemen, also in unbeschleunigten natensysteme S und B und die Drehachse ! sind in Abb. 2.8
Bezugssystemen. Es kann auch in Nichtinertialsystemen for- dargestellt.
muliert werden, wobei es jedoch seine Kovarianz verliert und
zusätzliche Terme berücksichtigt werden müssen. Im Folgenden Frage 14
werden die Bewegungsgleichungen in rotierenden Bezugssyste- Machen Sie sich klar, dass die beiden Vektoren c, der in S von O
men am Beispiel der rotierenden Erde diskutiert. Dies ist jedoch nach O0 zeigt, und b0 , der in B von O0 nach O zeigt, die gleiche
keine Einschränkung der Allgemeinheit, da die Erde durch jedes Länge haben: jb0 j D jcj. Überlegen Sie sich weiterhin, dass b0
andere rotierende Objekt ersetzt werden kann. Die Rechnungen in B fest, c in S aber eine Funktion der Zeit ist.
zeigen, dass in rotierenden Bezugssystemen Scheinkräfte, ins-
besondere die Zentrifugal- und die Coriolis-Kraft, auftreten.
In diesem Abschnitt werden alle Vektoren in B konsequent als
gestrichene Größen geschrieben. Obwohl dies im ersten Mo-
ment als umständlich erscheinen mag, so ist dies doch von
Aufstellen der Bewegungsgleichungen großem Vorteil: Es ist stets auf einen Blick zu erkennen, welche
Vektoren in welchem der beiden Koordinatensysteme (S und B)
gemeint sind. Dadurch werden von Anfang an Doppeldeutigkei-
Wir wählen zunächst ein ungestrichenes kartesisches Inertial-
ten vermieden.
system S, in dessen Ursprung O der Mittelpunkt der rotierenden
Erde liegt. Die Koordinaten dieses Punktes im ungestrichenen Im Folgenden betrachten wir das Transformationsverhalten ei-
System sind b D .0; 0; 0/> . Ein gestrichenes, ebenfalls kar- nes ungebundenen Vektors d D x  b, wobei x der beliebige Ort
tesisches Koordinatensystem B sei mit einem Punkt c an der einer Punktmasse ist. Somit ist d die relative Lage der Punkt-
Oberfläche der Erde verbunden. Dabei soll c den Ursprung O0 masse zum Erdmittelpunkt von S aus gesehen und d0 derselbe
von B bilden, d. h., die Koordinaten im gestrichenen System Vektor von B aus gesehen. Aus der zweiten Zeitableitung von d
66 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

in (2.74) folgt mit b D 0, bP 0 D 0 und bR 0 D 0 sofort wobei F0ext D RFext die gedrehte Kraft in B ist (siehe (2.43)).
Wir schreiben die Gleichung noch um, indem wir allein den
RRx D xR 0 C !
P 0 .x0 b0 /C2!0  xP 0 C!0 .!0 .x0 b0 //: (2.75) Term mRx0 auf eine Seite der Gleichung bringen.

Achtung Es ist zu betonen, dass es sich bei der Erddrehung Scheinkräfte in rotierenden Bezugssystemen
um eine aktive, d. h. physikalische Drehung handelt: Ein Punkt
auf der Erdoberfläche ändert seine Lage relativ zu S. Die Dreh- Auf eine Punktmasse am Ort x0 in einem mit !0 rotieren-
matrix R.t/, die S nach B überführt, beschreibt eine passive den Bezugssystem B wirken äußere Kräfte und Schein-
Drehung des Koordinatensystems wie zu Beginn dieses Kapitels kräfte. Die Bewegungsgleichung für eine Punktmasse in
beschrieben. Allerdings wird in diesem Fall R.t/ gerade so ge- B lautet
Kapitel 2

wählt, dass das Koordinatensystem B genau mit einem Fixpunkt


c.t/ auf der Erdoberfläche mitrotiert. Dies ist keine Notwen- mRx0 D F0ext  m!
P 0  .x0  b0 /  2m!0  xP 0
(2.80)
digkeit, vereinfacht die mathematische Beschreibung allerdings  m!0  !0  .x0  b0 / :
grundlegend, da das somit gewählte Koordinatensystem B ei-
nem Laborsystem auf der Erdoberfläche entspricht. Somit ist Der Vektor b0 zeigt vom Ursprung von B zum Drehzen-
R.t/ eine Funktion von c.t/. J trum.

Kreisbahn und Winkelgeschwindigkeit


Gl. (2.80) ist die Verallgemeinerung des zweiten Newton’schen
Wir wollen untersuchen, mit welcher Geschwindigkeit Axioms auf rotierende Bezugssysteme und reduziert sich für
sich ein Punkt auf der Erdoberfläche von S aus betrachtet !0 D 0 auf seine ursprüngliche Form in Inertialsystemen
bewegt, wenn sich die Erde mit der Winkelgeschwindig- (2.41). Offenbar ist ein in S kräftefreies Teilchen in B be-
keit ! dreht. Ausgehend von (2.54) fordern wir zunächst schleunigt. Man nennt die drei übrigen Terme in (2.80) Schein-
dP 0 D 0, da sich der Punkt auf der Erdoberfläche befinden kräfte, die in Kürze genauer untersucht werden. Der Begriff
soll und somit in B ruht. Es folgt sofort Scheinkraft kommt daher, dass sie für einen Beobachter im
Inertialsystem nicht auftritt und daher scheinbar nicht exis-
dP D !  d: (2.76) tiert.
Scheinkräfte sind reale Kräfte, die durch die Transformation in
Legt man zur Vereinfachung die Ursprünge von S und B ein beschleunigtes Bezugssystem auftreten und ihren physikali-
in den Erdmittelpunkt, ist b D b0 D 0 und schen Ursprung in der Trägheitskraft mRx haben. Das Auftreten
von Scheinkräften zeigt an, dass ein Bezugssystem kein Inter-
xP D !  x: (2.77) tialsystem ist. Alle Scheinkräfte sind proportional zur trägen
Masse, während die Schwerkraft proportional zur schweren
Diese wichtige Gleichung wird in der Mechanik häufig Masse ist. Wie bereits in Kap. 1 erwähnt, fordert Einsteins Äqui-
verwendet: Die momentane Bahngeschwindigkeit xP einer valenzprinzip der allgemeinen Relativitätstheorie, dass schwere
Punktmasse kann direkt aus dem Abstandsvektor x zum und träge Massen äquivalent sind.
Drehzentrum und der Winkelgeschwindigkeit ! berech-
net werden. Bewegt sich die Punktmasse mit konstanter Hierdurch wird deutlich, dass die Gesetze der Mechanik in
Winkelgeschwindigkeit auf einer Kreisbahn, finden wir rotierenden Bezugssystemen zwar formulierbar, aber in der
das korrekte Ergebnis Regel deutlich aufwendiger zu lösen sind, da die Koordinaten-
achsen selbst zeitabhängig werden. Dennoch hat es für viele
2 r U Anwendungen Vorteile, die Bewegungsgleichungen in rotieren-
VD D (2.78) den Bezugssystemen zu diskutieren, da die Gleichungen dort
T T
unter Umständen eine einfachere Form annehmen können. Dies
für die Bahngeschwindigkeit, wobei r und U Radius und werden wir in Kap. 4 noch ausnutzen.
Umfang der Bahn und T die Umlaufdauer sind. J

Gl. (2.75) beschreibt die Beschleunigung xR 0 einer Punktmasse Klassifikation der Scheinkräfte
im erdfesten System B. Fasst man mRx, also die Beschleunigung
der Punktmasse in S, als eine externe Kraft Fext D mRx, auf, so Die Scheinkräfte in (2.80) haben drei Beiträge:
lautet die Bewegungsgleichung in B
1. Die Kraft m!P 0  .x0  b0 / taucht nur auf, wenn die Winkel-
F0ext D mRx0 C m!
P 0  .x0  b0 / C 2m!0  xP 0 geschwindigkeit !0 sich in B ändert. Die Rotation der Erde
(2.79)
C m!0  !0  .x0  b0 / ; wird in guter Näherung durch !0 D const und ! D const
2.4 Kräfte in rotierenden Bezugssystemen 67

beschrieben. Ausnahmen bilden die Präzession und die Pol- b3


e
schwankungen. Erstere beschreibt eine Änderung von ! im
Inertialsystem, letztere eine Änderung von !0 im erdfesten
! O
System. Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts nehmen wir
an, dass !0 konstant ist.
2. Der Term l
F0C WD 2m!0  xP 0 (2.81) b

heißt Coriolis-Kraft (nach dem französischen Mathemati- θ ϑ


ker und Physiker Gaspard Gustave de Coriolis, 1792–1843) O
und führt zu seitlichen Ablenkungen von sich bewegenden O
Punktmassen in B. Diese Kraft steht senkrecht auf !0 und

Kapitel 2
xP 0 und verschwindet für Bewegungen parallel zur Drehachse
!0 .
3. Der dritte Term ist die Zentrifugalkraft:

F0Z WD m!0  !0  .x0  b0 / : (2.82)


Abb. 2.9 Darstellung der Erddrehung, wie sie ein Beobachter am Punkt
O0 auf der Erdoberfläche sieht. Die Zentrifugalkraft ist entlang des Vek-
tors l0 gerichtet, der senkrecht von der Drehachse !0 zum Ursprung O0
Bedeutung der Zentrifugalkraft von B zeigt. Somit weist die Richtung der Zentrifugalkraft stets von der
Drehachse fort. Die geografische Breite # misst den Winkel zwischen
und Erdabplattung dem Ursprung von B und dem Äquator

Die Zentrifugalkraft F0Z in (2.82) besteht aus zwei Beiträgen.


Der zweite kann mit b0 D jb0 j eO 03 und der Vektoridentität a  als am Äquator. Der relative Unterschied beträgt nur rund 0,3 %,
.b  c/ D b.a  c/  c.a  b/ in die Form ist aber für die Geodäsie, d. h. für die Vermessung der Erde, von
entscheidender Wichtigkeit. Der Basisvektor eO 03 ist dann so de-
m!0  .!0  b0 / D m .!0  !0 /b0  !0 .!0  b0 / finiert, dass g0eff D geff eO 03 gilt. Es sei noch angemerkt, dass

!0 .!0  eO 03 / der Erdkörper nicht homogen ist (Berge, Erzvorkommen etc.).
D mb! 2 eO 03  (2.83) Dies führt zu einer Schwereanomalie an der Erdoberfläche, d. h.
!2
der lokalen Abweichung der Erdbeschleunigung vom erwarte-
D m! 2 l0 ten Mittelwert.
gebracht werden, wobei b D jb0 j und ! D j!0 j sind. Hierbei ist
Frage 15
l0 der senkrechte Abstand des Ursprungs O0 von der Drehachse
!0 und erfüllt Überlegen Sie sich, dass g0eff
im Allgemeinen nicht direkt zum
Erdmittelpunkt zeigt. Für viele Anwendungen ist die damit ver-
l D jl0 j D b sin D b cos #: (2.84) bundene Abweichung allerdings vernachlässigbar.

Die beiden Winkel und # D =2  werden in Abb. 2.9


definiert. Bei # handelt es sich um die geografische Breite, die Der erste Term der Zentrifugalkraft in (2.82), m!0  .!0 
vom Äquator aus gemessen wird. x0 /, spielt nur eine Rolle, wenn sich die Punktmasse m nicht
im Ursprung von B befindet. Ist jx0 j jb0 j, d. h. der Abstand
Offensichtlich zeigt m! 2 l0 stets senkrecht von der Drehachse
der Punktmasse zum Ursprung von B, klein im Vergleich zum
fort und ist unabhängig von der Lage x0 der Punktmasse in B,
Erdradius, so kann dieser Term von F0Z gegenüber dem zweiten
aber proportional zu ihrer Masse m. Dieser Term lässt sich daher
vernachlässigt werden, und es gilt in guter Näherung
als effektiver Beitrag zur Erdbeschleunigung auffassen, indem
man
F0Z m!0  .!0  b0 / D m! 2 l0 : (2.86)
g0eff WD g0  ! 2 l0 (2.85)
definiert. Da der Betrag von l0 mit der geografischen Breite # Dies ist in vielen Anwendungen der Fall.
variiert, ist die effektive Erdbeschleunigung entlang der Erd-
Achtung Befindet sich die Punktmasse m weit oberhalb der
oberfläche nicht konstant. Sie ist an den Polen am größten, da
Erdoberfläche, so legt man den Ursprung von B häufig nicht auf
sie dort nicht durch die Zentrifugalkraft abgeschwächt wird. Am
die Erdoberfläche, sondern direkt an den Ort der Punktmasse.
Äquator wirkt die maximale Zentrifugalkraft, und die effektive
Somit wird per Definition x0 D .0; 0; 0/> , und jb0 j ist der Ab-
Erdanziehung ist kleiner.
stand der Punktmasse zum Erdmittelpunkt. Wir werden diese
Aufgrund der Zentrifugalbeschleunigung ! 2 l0 hat die Erde eine Wahl von B noch verwenden, um Satelliten auf Kreisbahnen zu
leicht abgeplattete Form. Der Erdradius ist an den Polen kleiner beschreiben. J
68 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

Bedeutung der Coriolis-Kraft


und Foucault’sches Pendel

Die Koordinatenachsen im erdfesten System B seien so defi-


niert, dass eO 01 nach Süden und eO 02 nach Osten zeigen. Wie vorher
festgelegt, weist eO 03 nach oben. Der Ursprung von B befinde sich
bei der geografischen Breite # (Abb. 2.9). Die Winkelgeschwin-
digkeit lautet dann von B aus gesehen
0 1
 cos #
B C
!0 D ! @ 0 A :
Kapitel 2

(2.87)
sin #

Frage 16
Abb. 2.10 Der Hurrikan Isabel richtete im Jahre 2003 große Schäden
Machen Sie sich aus der Geometrie klar, dass (2.87) die Dreh-
im Nordatlantikraum an. Ohne die Drehung der Erde um ihre Achse und
achse der Erde in B beschreibt. Berücksichtigen Sie dabei, dass die damit verbundene Coriolis-Kraft könnten keine tropischen Wirbel-
sich die Erde „nach Osten“ dreht. stürme entstehen: Bewegt sich eine Luftmasse von einem Hochdruck-
auf ein Tiefdruckgebiet zu, wird sie durch die Coriolis-Kraft seitlich ab-
gelenkt. Auf der Nordhalbkugel führt dies zu einem Wirbel, der sich im
Die Winkelgeschwindigkeit lässt sich in Komponenten senk- Gegenuhrzeigersinn dreht (© NASA)
recht und tangential zur Erdoberfläche zerlegen:
0 1 0 1
0 ! cos # Ebene der Erdoberfläche statt, so lauten die relevanten Kompo-
B C B C
!0? D @ 0 A ; !0k D @ 0 A: (2.88) nenten der Bewegungsgleichung
! sin # 0
mRx01  2m! xP 02 sin # D F10 ;
(2.91)
Folglich hat die Coriolis-Kraft in (2.81) zwei Komponenten: mRx02 C 2m! xP 01 sin # D F20 :
F0C D 2m.Px0  !? / C 2m.Px0  !0k /: (2.89) Ist die Punktmasse m an einem langen Faden der Länge l auf-
Der zweite Term führt bei einer Bewegung auf der Erdober- gehängt und wirkt lediglich die Gravitationsbeschleunigung geff
fläche zu einer aufwärts oder abwärts gerichteten Kraft und auf m, so sind die Kräfte durch
schwächt die Gravitationskraft ab oder verstärkt sie. Der erste F10 mgeff ıx01 =l;
Term führt bei einer Bewegung auf der Erdoberfläche zu einer (2.92)
F20 mgeff ıx02 =l
seitlichen Ablenkung, auf der Nordhalbkugel stets nach rechts,
auf der Südhalbkugel stets nach links relativ zur Richtung von gegeben. Hier beschreiben ıx01 und ıx02 die seitliche Auslen-
xP 0 . Diese seitlich gerichtete Kraft ist von wesentlicher Bedeu- kung der Masse entlang der eO 01 - und eO 02 -Achsen. Gl. (2.91) und
tung für Stürme (Abb. 2.10), Meeresströmungen und Ballistik. (2.92) bilden zusammen die Bewegungsgleichungen für das
Foucault’sche Pendel (nach dem französischen Physiker Jean
Frage 17 Bernard Léon Foucault, 1819–1868), dessen Pendelebene sich
Naiv könnte man annehmen, dass sich Wirbelstürme auf der mit der Winkelgeschwindigkeit ! sin # relativ zum Erdboden
Nordhalbkugel im Uhrzeigersinn drehen, da dort Massen bei ih- dreht (Abb. 2.11), wie wir in Kap. 6 sehen werden. Demnach
rer Bewegung nach rechts abgelenkt werden. Tatsächlich ist der beobachtet man am Äquator keine Drehung der Pendelebene, an
Drehsinn jedoch genau anders herum. Begründen Sie dies. Dazu den Polen ist sie jedoch maximal. Die Erde dreht sich sozusa-
muss man wissen, dass Stürme durch Tiefdruckgebiete erzeugt gen unter der Pendelebene hinweg, was man sich insbesondere
werden. Luftmassen bewegen sich anfänglich radial in Richtung an den Polen (# D 90ı ) leicht vorstellen kann.
des niedrigeren Druckes im Zentrum und werden dabei durch
die Coriolis-Kraft zu einer Rotation gezwungen. Frage 18
Überprüfen Sie die Gültigkeit von (2.91) und (2.92).
Wir haben bereits in (2.85) gesehen, dass die Zentrifugalkraft in
eine effektive Erdanziehungskraft absorbiert werden kann. Da-
mit lautet die Bewegungsgleichung (2.80) in vereinfachter Form
Freier Fall auf rotierender Erde
mRx0 C 2m!0  xP 0 D F0 ; (2.90)
wobei F0 sowohl externe Kräfte (wie die Gravitation der Erde) Eine Punktmasse m wird zur Zeit t D 0 von der Höhe h über der
als auch die Zentrifugalkraft enthält. Findet die Bewegung in der Erdoberfläche fallen gelassen. Ihre Geschwindigkeit ist anfangs
2.4 Kräfte in rotierenden Bezugssystemen 69

Somit erfährt die Punktmasse während des Falles eine Beschleu-


nigung 0 1 0 1
xR 01 0
B 0C B C
@xR 2 A D  @2Px03 ! cos # A : (2.94)
0
xR 3 geff

Achtung Zur Vereinfachung wurde hierbei vernachlässigt,


dass die Beschleunigung der Punktmasse nach Osten und die
damit verbundene Geschwindigkeit xP 02 ebenfalls eine Coriolis-
Kraft hervorruft. Warum können wir das machen? Der Grund
ist, dass die Coriolis-Kraft F, die auf eine sich mit der Ge-

Kapitel 2
schwindigkeit v bewegende Punktmasse wirkt, von der Grö-
ßenordnung F  v! ist. Die Winkelgeschwindigkeit ! der
Erddrehung ist eine kleine Größe. Wird die Geschwindigkeit
v selbst durch eine Coriolis-Kraft erzeugt (wie es hier bei der
Bewegung nach Osten der Fall ist), so ist sie von der Größenord-
nung F  ! 2 , was gegenüber den anderen wirkenden Kräften
(Gravitation, Coriolis-Kraft nach Osten) vernachlässigt werden
kann. Dies ist ein typisches Beispiel für eine physikalische
Vorgehensweise, bei der unwichtige von wichtigen Effekten
getrennt werden. Nur so lassen sich die Gleichungen einfach
(wenn auch nicht vollständig exakt) aufintegrieren. J
Zunächst lässt sich die x03 -Komponente von (2.94) einmal nach
Abb. 2.11 Foucault-Pendel im Wissenschaftsmuseum in Valencia, Spa- der Zeit integrieren. Die Fallgeschwindigkeit
nien. Die Coriolis-Kraft verursacht eine Drehung der Bahnebene des
Pendels. Dadurch werden nach und nach die Stäbe auf dem Holzring xP 03 D geff t (2.95)
umgeworfen (© Ciudad de las Artes y las Ciencias. Generalitat Valen-
ciana) wird in erster Näherung durch die Coriolis-Kraft nicht beein-
flusst. Die Lösung dieser Gleichung ist
1
x03 .t/ D h  geff t2 : (2.96)
xP 0 D 0. Würde sich die Erde nicht drehen, so würde, ein Fall 2
aus geringer Höhe vorausgesetzt, die Masse mit der konstanten
Erdbeschleunigung Hier wurden die Anfangsbedingungen x03 .0/ D h und xP 03 .0/ D 0
verwendet. Zur Vereinfachung führen wir mit s WD h  x03 die
0 1
0 durchfallene Strecke ein. Einsetzen von (2.95) in (2.94) führt
B C auf die Bewegungsgleichung
g0 D @ 0 A (2.93)
g xR 02 D 2!geff t cos # (2.97)

und somit
nach unten (entlang der eO 03 -Achse) beschleunigt werden. Wir x02 D
1
!geff t3 cos #: (2.98)
nehmen an, dass die durch die Rotation der Erde verursach- 3
te Zentrifugalbeschleunigung bereits in eine effektive Erdbe- Die Anfangsbedingungen für x02 sind x02 .0/ D xP 02 .0/ D 0. Elimi-
schleunigung geff absorbieren würde. Die Coriolis-Kraft führt niert man t zugunsten von s, findet man schließlich die östliche
allerdings zu einer seitlichen Ablenkung der Punktmasse, und Ablenkung als Funktion der durchfallenen Strecke:
zwar stets nach Osten.
s
2 2s3
Dies kann man sich anschaulich so vorstellen, dass die Punkt- x02 D ! cos #: (2.99)
3 geff
masse an einem Punkt startet, der sich oberhalb der Erdoberflä-
che befindet und sich – in S betrachtet – daher schneller um den
Erdmittelpunkt dreht als die Erdoberfläche. Diesen tangentialen Frage 19
Geschwindigkeitsüberschuss nimmt die Punktmasse aufgrund Würde eine Masse von der Spitze des Burj Khalifa in Dubai
ihrer Trägheit mit, sodass sie – in B beobachtet – nach Osten, (h D 820 m, # D 25ı ) fallen gelassen, wäre die östliche Ab-
also in die Drehrichtung der Erde, abgelenkt wird (Abb. 2.12). lenkung am Erdboden unter Annahme von geff D 9;8 m=s2 und
Umgekehrt wird eine Rakete, die nach oben beschleunigt wird, ! D 2 =86:400 s etwa 46 cm. Rechnen Sie dies nach.
nach Westen abgelenkt.
70 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

a b
t=0
b3
e

t = th h
O  (0) h

O b2
e
O  (th ) ΔO
Kapitel 2

ΔO

Abb. 2.12 Ein Objekt fällt auf der rotierenden Erde von einem Turm der Höhe h. In a ist die Bahnkurve dargestellt, wie sie im Inertialsystem
erscheint. Da die Bahngeschwindigkeit auf dem Turm größer ist als auf der Erdoberfläche, kommt es zu einer Ostabweichung. Dieselbe Situation
ist in b aus dem mitrotierenden Bezugssystem gezeigt

Satellit
aufweisen muss, damit er auf der Kreisbahn mit Radius r
Wir betrachten einen Satelliten der Masse m auf einer verweilt. Ist seine Geschwindigkeit kleiner, nähert er sich
Kreisbahn um die Erde und wählen den Ursprung O0 von der Erde. Ist sie größer, entfernt er sich von ihr. Die Satel-
B so, dass O0 mit dem Ort des Satelliten zusammenfällt. litenbahnen sind in Abb. 2.13 dargestellt.
Somit sind x0 D 0 und xP 0 D 0, d. h., es gibt keine Co-
riolis-Kraft. Offensichtlich kann der Satellit nur auf der FZ
Kreisbahn verweilen, wenn keine Nettokraft in B auf ihn
wirkt. Dies bedeutet, dass sich die Zentrifugal- und die FG
Gravitationskraft stets genau aufheben müssen. Da beide
V < VK V = VK V > VK
Kräfte in radialer Richtung wirken, ist es ausreichend, den
Betrag zu betrachten. r
Achtung An dieser Stelle rotiert B zwar ebenfalls um
die Erde, aber nicht mit einem Punkt, der an die Erdober-
fläche gebunden ist. Der Satellit könnte prinzipiell in jede
beliebige Richtung um die Erde kreisen, unabhängig von
der Rotation der Erde. Dennoch bleibt (2.80) gültig, wo-
bei !0 durch die Winkelgeschwindigkeit des Satelliten um
die Erde ersetzt werden muss. J
Die Gravitationskraft im Abstand r vom Erdmittelpunkt
ist
GMm
FG D  2 : (2.100)
r
Abb. 2.13 Ein Satellit kann sich auf einer Kreisbahn mit Ra-
Wie gewohnt sind G und M die Gravitationskonstante und dius r um die Erdepbewegen, wenn seine Bahngeschwindigkeit
die Erdmasse. Die Zentrifugalkraft lautet V gerade VK D GM=r beträgt. In diesem Fall heben sich
Zentrifugal- und Gravitationskraft auf. Die Drehachse ! der Sa-
V2 tellitenbahn zeigt senkrecht in die Papierebene hinein und hat
FZ D m! 2 r D m ; (2.101) nichts mit der Drehachse der Erde zu tun
r
wobei V D !r die Bahngeschwindigkeit des Satelliten in
S ist, was aus (2.77) folgt. Aus FG C FZ D 0 ergibt sich, Die entsprechenden Bewegungsgleichungen werden in
dass ein Satellit die Bahngeschwindigkeit Kap. 3 aufgestellt und gelöst. Es wird sich dabei her-
r ausstellen, dass die Kreisbahn nur eine von mehreren
GM möglichen Satellitenbahnen ist. In Aufgabe 2.4 wird der
VK D (2.102)
r geostationäre Satellit behandelt. J
2.5 Nichtkartesische Koordinatensysteme 71

2.5 Nichtkartesische Hier sind die dxi die Abstände entlang der drei Koordina-
tenachsen. Da das Koordinatensystem kartesisch ist und die
Koordinatensysteme Einheitsvektoren paarweise orthogonal sind, ist der quadrati-
sche Abstand ds2 über den Satz von Pythagoras gegeben:
In diesem Abschnitt werden weitere mathematische Grundlagen
ds2 D dx21 C dx22 C dx23 : (2.104)
besprochen, die für die theoretische Physik von entscheiden-
der Bedeutung sind: nichtkartesische Koordinatensysteme und
ihre Auswirkungen auf die Differenzialoperatoren. Dabei liegt Was passiert aber, wenn man in ein krummliniges Koordi-
der Schwerpunkt vor allem auf den Zylinderkoordinaten und natensystem übergeht? Nun müssen die drei Koordinaten xi
den sphärischen Polar- bzw. Kugelkoordinaten. Diese Koordi- als Funktion der neuen Parameter qj formuliert werden: xi D
natenysteme werden gewöhnlich verwendet, wenn das zugrunde xi .q1 ; q2 ; q3 /. Hier und im restlichen Verlauf des Abschnitts

Kapitel 2
liegende physikalische Problem eine Zylinder- bzw. eine Kugel- beschränken wir uns auf orthogonale Koordinatensysteme, bei
symmetrie aufweist. In der Regel vereinfachen sich in diesen denen die Basisvektoren an jedem Punkt paarweise orthogonal
Fällen die Bewegungsgleichungen gegenüber den Gleichungen sind, d. h. eO 0i  eOj0 D ıij . In solchen Fällen gilt lokal wieder der Satz
in ihrer kartesischen Form. von Pythagoras, und man kann sich überlegen, dass der quadra-
tische Abstand die Form

ds2 D .h1 dq1 /2 C .h2 dq2 /2 C .h3 dq3 /2 (2.105)


Krummlinige Koordinatensysteme
annimmt. Die drei Größen hi dqi spielen dabei die Rolle des Ab-
Kartesische Koordinatensysteme zeichnen sich dadurch aus, stands entlang der drei neuen Koordinatenachsen eO 0i . Es gilt
dass alle drei Basisvektoren paarweise orthogonal sind und nicht 3 
X 
vom Ort abhängen. In solchen Koordinatensystemen lassen sich @xj 2
h2i D .1  i  3/; (2.106)
drei raumfeste Koordinatenebenen einführen, in denen jeweils jD1
@qi
eine Koordinate konstant ist (x1 in der x2 -x3 -, x2 in der x1 -x3 -
und x3 in der x1 -x2 -Ebene). In einer Vielzahl physikalischer Sys- was sich aus dem Kasten „Vertiefung: Die Metrik und ihre Be-
teme sind jedoch physikalische Größen auf Flächen konstant, deutung in der Physik“ ergibt. Dies hat Auswirkungen auf die
die zylinder- oder kugelförmig sind. Ein Beispiel ist das Gravi- Formulierung des Gradienten einer Funktion in den neuen Ko-
tationsfeld einer Punktmasse: Dieses ist radialsymmetrisch und ordinaten.
hängt nur vom Abstand zu der Punktmasse ab; es hat somit Ku-
gelsymmetrie. Kartesische Koordinaten lassen sich dort für eine
Beschreibung zwar verwenden, allerdings ist dies ungeschickt Gradient in allgemeinen Koordinatensystemen
und mathematisch wesentlich aufwendiger.
Der Gradient einer skalaren Funktion f hängt von der
Koordinatensysteme lassen sich in der folgenden Weise verallge- Wahl des Koordinatensystems ab:
meinern: Wir stellen uns drei zunächst beliebige Scharen von Ko-  
ordinatenflächen vor, die der Symmetrie des Problems angepasst @ @ @
sind. Auf jeder dieser Fläche sei ein Parameter qi (i D 1; 2; 3) r f D eO 1 C eO 2 C eO 3 f
@x1 @x2 @x3
konstant. Orte x im Raum werden dann dadurch angegeben, dass  0  (2.107)
eO 1 @ eO 0 @ eO 0 @
man drei Koordinatenflächen so wählt, dass sie sich in x schnei- D C 2 C 3 f:
den, und die zu ihnen gehörenden Parameter .q1 ; q2 ; q3 / als Ko- h1 @q1 h2 @q2 h3 @q3
ordinaten verwendet. Die Einheitsnormalenvektoren der Koor-
dinatenflächen werden als neue Basisvektoren eO 0i (i D 1; 2; 3)
verwendet. Obwohl diese für Zylinder- und Kugelkoordinaten Frage 20
paarweise orthogonal sind, muss dies nicht zwangsläufig der Fall Zeigen Sie, dass sich die rechte Seite von (2.107) im Spezial-
sein. Im Allgemeinen sind die eO 0i Funktionen des Ortes. fall kartesischer Koordinaten auf die bekannte kartesische Form
reduziert.

Konstanz von räumlichen Abständen


Zylinderkoordinaten
Der Abstand zweier Punkte im Raum ist eine skalare phy-
sikalische Größe und darf daher nicht von dem gewählten
Koordinatensystem abhängen. Man betrachte zwei infinitesimal Als erstes konkretes Beispiel beginnen wir mit Koordinaten
voneinander getrennte Punkte im euklidischen Raum mit dem .q1 ; q2 ; q3 /, die sich für Systeme mit Zylindersymmetrie eignen.
Abstandsvektor Die ursprünglichen kartesischen Koordinaten seien .x1 ; x2 ; x3 /.
Wir legen den Ursprung auf die Symmetrieachse des physi-
ds D dx1 eO 1 C dx2 eO 2 C dx3 eO 3 : (2.103) kalischen Systems. Die Symmetrieachse wird willkürlich als
72 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

Vertiefung: Die Metrik und ihre Bedeutung in der Physik

Das Konzept des metrischen Tensors oder der Metrik spielt Ist die Koordinatentransformation qi .xj / umkehrbar, d. h.,
immer dann eine große Rolle in der Physik, wenn man es mit lässt sich xj .qi / angeben, so lautet die Metrik
nichtkartesischen Räumen zu tun hat. Dies können gekrümm-
te Räume sein (die in der allgemeinen Relativitätstheorie be- @xk @xl
gij D ıkl :
handelt werden) oder flache Räume mit krummlinigen Ko- @qi @qj
ordinaten (wie Kugel- oder Zylinderkoordinaten). Die Auf-
gabe der Metrik ist es, Längen- und Winkelberechnungen in Im dreidimensionalen Raum kann man gij offensichtlich
dem entsprechenden Raum zur Verfügung zu stellen. Hier be- durch 3  3 Komponenten angeben, und es gilt
Kapitel 2

schränken wir uns allerdings nur auf flache Räume.


g11 D h21 ; g22 D h22 ; g33 D h23 :
Um besser zu verstehen, wie uns die Metrik hilft, betrachten
wir das quadratische Wegelement in kartesischen Koordina- Die drei Größen hi (i D 1; 2; 3) sind in (2.106) definiert.
ten x:
Für Kugelkoordinaten lauten die nicht verschwindenden Ele-
ds2 D ıij dxi dxj ; mente von gij beispielsweise
wobei ıij das Kronecker-Symbol ist und die Einstein’sche
g11 D grr D 1; g22 D g# # D r2 ; g33 D g' ' D r2 sin2 #:
Summenkonvention verwendet wird. Für allgemeine Ko-
ordinatensysteme mit Koordinaten q0i .xj / im flachen Raum Die Metrik ist somit im Allgemeinen selbst koordinatenab-
schreibt man entsprechend hängig. Darum kann das Wegelement nur in differenzieller
ds2 D gij dqi dqj : Form angegeben werden. Um eine endliche Strecke zwi-
schen zwei Punkten A und B zu berechnen, muss entlang
Durch die Kettenregel kann man berechnen, wie die Metrik eines spezifizierten Weges integriert werden:
gij aussieht, denn das quadratische Wegelement ds2 ist in bei-
den Beschreibungen identisch (Längen hängen nicht von der ZB ZB q
Wahl der Koordinaten ab): s12 D ds D gij .qi / dqi dqj
@qi @qj Š A A
gij dqi dqj D gij dxk dxl D ıkl dxk dxl :
@xk @xl ZtB q
Also wird die Metrik durch die Transformation von xi nach D gij Œqi .t/Pqi .t/Pqj .t/ dt:
qi definiert: tA

@qi @qj Im letzten Schritt wurde die Zeit als Bahnparameter verwen-
gij D ıkl :
@xk @xl det.

Koordinatenachse eO 3 des alten kartesischen und eO z des neuen Die drei Koordinatenflächen sind jeweils durch die Konstanz ei-
Zylinderkoordinatensystems gewählt, d. h. eO z D eO 3 . nes Parameters definiert:

Die entsprechenden planaren Koordinatenebenen (q1 -q2 -Ebe- 1. Zylinderflächen: % 2 Œ0; 1/


nen) stehen dann senkrecht auf der Symmetrieachse und schnei- 2. gedrehte x1 -x3 -Halbebenen: ' 2 Œ0; 2 /
den diese im Abstand z WD q3 vom Ursprung. Der Abstand eines 3. x1 -x2 -Ebenen: z 2 .1; C1/
Punktes in der q1 -q2 -Ebene vom Schnittpunkt dieser Ebene mit
eO 3 sei % WD q1 . Die drei Einheitsnormalenvektoren der Koordinatenflächen bil-
den die Basis eO % , eO ' und eO z . Ihr Zusammenhang mit den
Die zweite Schar von Koordinatenflächen zeichnet sich durch kartesischen Einheitsvektoren lautet
die Konstanz von % aus: Die q2 -q3 -Flächen sind jeweils durch
alle Punkte definiert, die den Abstand % von der Symmetrieach- eO % D cos ' eO 1 C sin ' eO 2 ;
se haben. Somit haben diese Koordinatenflächen Zylinderform. eO ' D cos ' eO 2  sin ' eO 1 ; (2.108)
Die dritte Schar von Koordinatenflächen erhalten wir, indem eO z D eO 3 :
wir die x1 -x3 -Halbebene um den Winkel ' WD q2 um die eO 3 -
Achse drehen. Die somit gewählten Koordinatenflächen sind in Hier wurde zur besseren Lesbarkeit auf gestrichene Einheits-
Abb. 2.14 dargestellt. Ihr gemeinsamer Schnittpunkt hat die Ko- vektoren verzichtet. Anhand der Indizes lassen sich die zylindri-
ordinaten .q1 ; q2 ; q3 / D .%; '; z/. schen von den kartesischen Basisvektoren leicht unterscheiden.
2.5 Nichtkartesische Koordinatensysteme 73

a b
b3
e b3
e

P ( , ϕ, z)

Kapitel 2
z

b1
e b2
e b1
e b2
e

Abb. 2.14 Veranschaulichung und Definition der Zylinderkoordinaten. In a sind die Flächen konstanter Zylinderkoordinaten gezeigt (gelb: % D
const, blau: ' D const, rot: z D const). Jedes Tripel solcher Flächen schneidet sich in einem Punkt P, der durch die entsprechenden Werte .%; '; z/
dargestellt wird. Die Relation (2.109) zwischen Zylinderkoordinaten und kartesischen Koordinaten lässt sich aus b ablesen

Achtung Die Koordinatenachsen eO % und eO ' in (2.108) hängen und weiterhin gilt
vom Ort ab. Dies hat Auswirkungen auf Ableitungen und Dif-
ds2 D ds2 D d%2 C %2 d' 2 C dz2 ; (2.112)
ferenzialoperatoren, wenn sie in Zylinderkoordinaten formuliert
werden. Wir werden in Kürze darauf zurückkommen. J was aus (2.105) und (2.106) folgt. Der Gradient (2.107) wird in
Zylinderkoordinaten somit zu
Frage 21
@f 1 @f @f
Zeigen Sie, dass die drei Basisvektoren in (2.108) paarweise or- r f D eO % C eO ' C eO z : (2.113)
thogonal sind. @% % @' @z

Sind die Zylinderkoordinaten .%; '; z/ eines Punktes bekannt, so


lauten die entsprechenden kartesischen Koordinaten
Sphärische Polarkoordinaten

x1 D % cos '; x2 D % sin '; x3 D z: (2.109) Ist ein physikalisches Problem kugelsymmetrisch, so bietet sich
eine Beschreibung durch sphärische Polar- bzw. Kugelkoordina-
Frage 22 ten .q1 ; q2 ; q3 / an. Die ursprünglichen kartesischen Koordinaten
Machen Sie sich die Gültigkeit von (2.108) und (2.109) anhand sind wieder .x1 ; x2 ; x3 /. Im ersten Schritt wird eine Schar von
von Abb. 2.14 klar. Kugelflächen mit Radius r WD q1 eingeführt, die konzentrisch
um den Ursprung angeordnet sind. Nun wird eO 3 als beliebige
Aus (2.109) folgt mit (2.106) Polachse gewählt. Eine zweite Schar von planaren Koordinaten-
flächen ergibt sich aus einer Drehung der x1 -x3 -Halbebene um
h2% D cos2 ' C sin2 ' D 1; die Achse eO 3 um den Winkel ' WD q3 . Als dritte Schar von Ko-
h2' D %2 sin2 ' C %2 cos2 ' D %2 ; (2.110) ordinatenflächen wählt man Kegelflächen um die eO 3 -Achse mit
Öffnungswinkel # WD q2 . Eine entsprechende Darstellung findet
h2z D 1: man in Abb. 2.15. Der Flächenschnittpunkt hat die Koordinaten
.q1 ; q2 ; q3 / D .r; #; '/.
Das Wegelement lautet also
Wie bereits vorher bei den Zylinderkoordinaten sind die drei
ds D eO 1 dx1 C eO 2 dx2 C eO 3 dx3 Koordinatenflächen jeweils durch die Konstanz eines Parame-
(2.111)
D eO % d% C eO ' % d' C eO z dz; ters definiert:
74 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

a b
b3
e b3
e

P P (r, ϑ, ϕ)
Kapitel 2

ϑ r

b1
e b2
e b1
e b2
e

Abb. 2.15 Veranschaulichung und Definition der Kugelkoordinaten. In a sind die Flächen konstanter Kugelkoordinaten gezeigt (gelb: r D const,
rot: # D const, blau: ' D const). Jedes Tripel solcher Flächen schneidet sich in einem Punkt P, der durch die entsprechenden Werte .r; #; '/
dargestellt wird. Die Relation (2.115) zwischen Kugelkoordinaten und kartesischen Koordinaten lässt sich aus b ablesen

1. Kugelflächen: r 2 Œ0; 1/ was aus Abb. 2.15 abgeleitet werden kann. Daraus folgt mit
2. Kegelflächen: # 2 Œ0; / (2.106)
3. gedrehte x1 -x3 -Halbebenen: ' 2 Œ0; 2 /
h2r D cos2 ' sin2 # C sin2 ' sin2 # C cos2 # D 1;
Man kann zeigen, dass die Einheitsnormalenvektoren über
h2# D r2 cos2 #.cos2 ' C sin2 '/ C r2 sin2 # D r2 ; (2.116)
eO r D sin # cos ' eO 1 C sin # sin ' eO 2 C cos # eO 3 ;
eO # D cos # cos ' eO 1 C cos # sin ' eO 2  sin # eO 3 ; (2.114) h2' D r2 sin2 #.sin2 ' C cos2 '/ D r2 sin2 #
eO ' D cos ' eO 2  sin ' eO 1
und für das Wegelement
mit den kartesischen Basisvektoren zusammenhängen.
Achtung Auch für die Kugelkoordinaten hängen die Koordi- ds2 D dr2 C r2 d# 2 C r2 sin2 # d' 2 : (2.117)
natenachsen in (2.114) vom Ort ab. J
Der Gradient in sphärischen Polarkoordinaten lässt sich ausge-
Frage 23 hend von (2.107) daher in der Form
Zeigen Sie, dass die drei Basisvektoren in (2.114) paarweise or-
thogonal sind. @f 1 @f 1 @f
r f D eO r C eO # C eO ' (2.118)
@r r @# r sin # @'
Die Umrechnung von Kugelkoordinaten in kartesische Koordi-
naten erfolgt über darstellen. Für den speziellen Fall, dass die Funktion f nur von
r abhängt, f D f .r/, lautet der Gradient schlicht
x1 D r sin # cos ';
x2 D r sin # sin '; (2.115) df .r/
r f .r/ D eO r : (2.119)
x3 D r cos #; dr
2.5 Nichtkartesische Koordinatensysteme 75

Ortsabhängigkeit Auswirkungen auf die Differenzialoperatoren


der Einheitsnormalenvektoren
Wir haben in (2.107) bereits gesehen, dass die Darstellung des
Wir haben bereits in (2.108) und (2.114) gesehen, dass – im Gradienten vom gewählten Koordinatensystem abhängt. Auch
Gegensatz zu kartesischen Koordinatensystemen – die Basis- die Divergenz und Rotation eines Vektorfeldes haben eine andere
vektoren vom Ort abhängen können. Dies hat zur Folge, dass bei Form, wenn das Koordinatensystem gewechselt wird (Großmann
der Berechnung von Ableitungen berücksichtigt werden muss, 2000). Wir betrachten einen abstrakten Vektor A mit Komponen-
dass die Basisvektoren nicht konstant sind. ten .A1 ; A2 ; A3 / in kartesischen bzw. .A01 ; A02 ; A03 / in krummlini-
gen Koordinaten. Dann lautet die allgemeine Vorschrift für die
Achtung Wie in Abschn. 2.3 und 2.4 diskutiert, ist die Zeit-
Divergenz in krummlinigen orthogonalen Koordinaten
abhängigkeit der Basisvektoren in rotierenden Systemen der
 0 

Kapitel 2
Grund für das Auftreten von Scheinkräften. Hier sprechen wir eO 1 @ eO 0 @ eO 0 @
allerdings nicht von rotierenden kartesischen, sondern von nicht div A D C 2 C 3 A
h1 @q1 h2 @q2 h3 @q3
rotierenden nichtkartesischen Koordinatensystemen. J  
1 @.h2 h3 A01 / @.h1 h3 A02 / @.h1 h2 A03 /
Wir berechnen zunächst die Ableitungen der Basisvektoren der D C C ;
h1 h2 h3 @q1 @q2 @q3
Zylinderkoordinaten. Man kann sich ausgehend von (2.108)
(2.125)
leicht davon überzeugen, dass folgende Zusammenhänge gültig
wobei A nach den paarweise orthogonalen Basisvektoren ent-
sind:
wickelt wird:
@Oe% @Oe' @Oez
D 0; D 0; D 0; A D A01 eO 01 CA02 eO 02 CA03 eO 03 ; A0i D A  eO 0i .i D 1; 2; 3/: (2.126)
@% @% @%
@Oe% @Oe' @Oez Wir führen an dieser Stelle die Rechnung, die auf die zweite
D eO ' ; D Oe% ; D 0; (2.120)
@' @' @' Zeile in (2.125) führt, nicht vor. Es handelt sich dabei im We-
@Oe% @Oe' @Oez sentlichen um Fleißarbeit ohne tieferen Einblick in die Physik
D 0; D 0; D 0: des Problems. Der interessierte Leser kann gerne die Rechen-
@z @z @z
schritte auf eigene Faust nachvollziehen.
Für die Geschwindigkeit einer Punktmasse gilt wegen (2.111)
zunächst Sowohl die drei Komponenten A0i als auch die drei Basisvekto-
ds ren eO 0i sind in der Regel eine Funktion der drei Koordinaten qi .
xP D D %P eO % C %'P eO ' C zP eO z : (2.121) Mithilfe der Kettenregel müssen dann alle Ableitungen berück-
dt
sichtigt werden, was im Gegensatz zu einer kartesischen Basis
Um die zweite Zeitableitung – also die Beschleunigung – zu
auf Zusatzterme der Form @Oe0i =@qj führt, die für Zylinderkoordi-
erhalten, müssen die Zeitableitungen der Basisvektoren berück-
naten bereits in (2.120) angegeben wurden.
sichtigt werden. Dabei gilt wegen der Kettenregel beispielswei-
se
dOe% @Oe% @Oe% @Oe% Frage 25
D %P C 'P C zP : (2.122) Zeigen Sie, dass die Divergenz von A in kartesischen Koordina-
dt @% @' @z
ten
Nutzt man die Ableitungen in (2.120) aus, so findet man nach @A1 @A2 @A3
kurzer Rechnung div A D C C (2.127)
@x1 @x2 @x3
 
xR D %R  %'P 2 eO % C .%'R C 2%P '/
P eO ' C zR eO z : (2.123) lautet. Gehen Sie dabei von (2.125) aus.

Der entsprechende Ausdruck für Kugelkoordinaten wird in Auf-


gabe 2.5 hergeleitet. Die Divergenz in Kugelkoordinaten ist bei vielen Rechnungen
in der Elektrodynamik wichtig.
Frage 24
Eine Punktmasse m bewegt sich in der Ebene z D 0 auf einer
Kreisbahn mit konstantem Radius % und konstanter Bahnge- Divergenz in Kugelkoordinaten
schwindigkeit v D !% D '%.
P Dann gilt wegen (2.123)
Für einen Vektor A mit der Darstellung .Ar ; A# ; A' / in
mRx D m%'P 2 eO % : (2.124) Kugelkoordinaten gilt

Dies ist gerade die Kraft, welche die Masse auf der Kreisbahn 1 @.r2 Ar / 1 @.sin #A# /
hält, z. B. die Gravitations- oder die Spannkraft in einem Fa- div A D C
r 2 @r r sin # @#
den. Zeigen Sie, dass dies genau der negativen Zentrifugalkraft (2.128)
1 @A'
m%! 2 eO % entspricht, die man ausgehend von Abschn. 2.4 für die- C :
r sin # @'
se Bewegung findet.
76 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

Die Rotation in nichtkartesischen Koordinatensystemen lautet werden:


allgemein  
eO 01 @ eO 0 @ eO 0 @
f D C 2 C 3
  h1 @q1 h2 @q2 h3 @q3
eO 01 @ eO 0 @ eO 0 @  0 
rot A D C 2 C 3 A eO 1 @ eO 02 @ eO 0 @
h1 @q1 h2 @q2 h3 @q3  C C 3 f
h1 @q1 h2 @q2 h3 @q3

eO 0 @.h3 A03 / @.h2 A02 / 1
D 1  D
h2 h3 @q2 @q3 h1 h2 h3
 
0 
(2.129) @ h2 h3 @ @ h1 h3 @ @ h1 h2 @
eO @.h1 A1 / @.h3 A03 /
0
 C C f:
C 2  @q1 h1 @q1 @q2 h2 @q2 @q3 h3 @q3
h1 h3 @q3 @q1
Kapitel 2

(2.131)

eO 0 @.h2 A02 / @.h1 A01 / Hier gelten erneut die Anmerkungen wie zu Divergenz und Ro-
C 3  : tation: Die Basisvektoren eO 0i hängen im Allgemeinen von den
h1 h2 @q1 @q2
Koordinaten qj ab, werden aber als paarweise orthogonal ange-
nommen.
Es gelten die gleichen Bemerkungen wie bei der Divergenz, ins-
besondere muss A wie in (2.126) entwickelt werden. Frage 26
Zeigen Sie, dass der Laplace-Operator, angewandt auf eine ska-
lare Funktion f in kartesischen Koordinaten,

@2 f @2 f @2 f
Rotation in Kugelkoordinaten f D C 2 C 2 (2.132)
@x12
@x2 @x3
Für einen Vektor A mit der Darstellung .Ar ; A# ; A' / in
Kugelkoordinaten gilt lautet. Gehen Sie dabei von (2.131) aus und nutzen Sie aus, dass
die Basisvektoren konstant und paarweise orthogonal sind und

eO r @.sin #A' / @A vor die Ableitungen gezogen werden können.
rot A D 
r sin # @# @'

eO # 1 @Ar @.rA' / Der Laplace-Operator in Kugelkoordinaten wird in Aufgabe 2.6
C  (2.130) abgeleitet.
r sin # @' @r

eO ' @.rA# / @Ar
C  : Laplace-Operator in Kugelkoordinaten
r @r @#
Der Laplace-Operator, angewandt auf eine skalare Funk-
tion f , hat in Kugelkoordinaten die Gestalt

Man erkennt an (2.130) direkt, dass die Rotation einer radi- 1 @ 2 @f


f D r
alsymmetrischen Zentralkraft verschwindet. Solch eine Kraft r2 @r @r
besitzt die Gestalt F.r/Oer . Da in (2.130) keine Ableitung von Ar (2.133)
1 @ @f 1 @2 f
nach r auftritt, muss in diesem Fall die Rotation stets null sein. C 2 sin C :
r sin @ @ r2 sin2 @' 2
Damit sind all diese Kraftfelder konservativ, was wir bereits in
Kap. 1 gefunden haben.
Häufig separiert man den Laplace-Operator in Kugelkoordina-
Konkrete Berechnungen von Divergenz und Rotation können ten in der Form
sehr langwierig sein. Dies sieht anders aus, wenn das Problem f D r f C  f ; (2.134)
beispielsweise kugelsymmetrisch ist und alle #- und '-Abhän-
gigkeiten verschwinden. wobei r die Radialableitungen und  alle Winkelableitungen
enthält. Ist ein Problem kugelsymmetrisch, d. h., gibt es keine
Winkelabhängigkeiten, reduziert sich (2.133) auf
Der Laplace-Operator  ist für die theoretische Physik von
entscheidender Bedeutung, da viele physikalische Gleichungen 1 @ 2 @f
(insbesondere in Feldtheorien) zweite Ortsableitungen in der f D r f D r : (2.135)
r2 @r @r
Form f D r 2 f D r  r f enthalten. Der Laplace-Operator ist
äquivalent zur Hintereinanderausführung von Gradient und Di- Eine konkrete Anwendung des Laplace-Operators wird in Auf-
vergenz und kann daher mit den Gleichungen, die wir bis hierhin gabe 2.7 diskutiert: Es ist dort das Gravitationsfeld innerhalb
gefunden haben, für allgemeine Koordinatensysteme berechnet und außerhalb der Erde zu berechnen.
Aufgaben 77

Aufgaben

Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen

Kapitel 2
2.1 Orthogonale Transformationen Zeigen Sie, oberen Seilendes vom Erdmittelpunkt beschreibt. Wie groß
dass Längen von Vektoren und Winkel zwischen Vektoren unter ist rS ?
orthogonalen Transformationen invariant bleiben. Untersuchen
Sie dazu, wie ein Skalarprodukt a  b D ai bi transformiert. Ver-
wenden Sie hierbei die Einstein’sche Summenkonvention für 2.5 Beschleunigung in Kugelkoordinaten Be-
doppelt auftretende Indizes. rechnen Sie die Beschleunigung einer Punktmasse in Kugelko-
ordinaten. Orientieren Sie sich dabei an den Rechnungen, die
2.2 Galilei-Transformation Es sind zwei Galilei- auf die Beschleunigung in Zylinderkoordinaten (2.123) geführt
Q vQ 0 ; bQ 0 ; Qt0 / wie in (2.40) haben.
Transformationen .R; v0 ; b0 ; t0 / und .R;
gegeben. Berechnen Sie diejenige Galilei-Transformation, die
2.6 Laplace-Operator in Kugelkoordinaten Be-
sich ergibt, wenn beide hintereinander ausgeführt werden. Be-
rechnen Sie den Laplace-Operator (2.131) in Kugelkoordinaten
stimmen Sie ausgehend von diesem Ergebnis die Inverse einer
und zeigen Sie somit (2.133). Hierfür sind Teilergebnisse von
allgemeinen Galilei-Transformation.
Aufgabe 2.5 nützlich.
2.3 Umgekehrtes Transformationsverhalten von
2.7 Gravitationsfeld der Erde Es ist das Gravitati-
polaren Vektoren und ihren Zeitableitungen Zeigen Sie,
onsfeld .r/ D V.r/=m (m ist eine kleine Testmasse) im Innen-
dass die umgekehrten Transformationsgleichungen in (2.74) aus
und Außenraum der Erde zu berechnen. Wir nehmen hier an,
(2.23), (2.54) und (2.73) folgen. Fangen Sie dabei mit d und d0
dass das Problem kugelsymmetrisch ist. Verfolgen Sie dazu die
an und überlegen Sie sich dann den entsprechenden Zusammen-
beiden folgenden Ansätze unabhängig voneinander.
hang für dP und dP 0 .
(a) Man kann zeigen (ohne Beweis an dieser Stelle, aber siehe
2.4 Geostationärer Orbit Satelliten im geostatio- Bd. 2, Aufgabe 3.11 für ein Analogon in der Elektrodyna-
nären Orbit um die Erde befinden sich in einer kreisförmigen mik), dass bei einer radialsymmetrischen Massenverteilung
Umlaufbahn über dem Äquator und bewegen sich relativ zur das Gravitationsfeld beim Radius r nur von der Masse
Erdoberfläche nicht. abhängt, die sich innerhalb einer Kugel mit ebendiesem Ra-
dius r befindet. Es gilt dann
(a) Leiten Sie die Bedingung für einen geostationären Orbit ab
und berechnen Sie den notwendigen Abstand des Satelliten d GM< .r/
Fr D  .r/ D  : (2.137)
von der Erdoberfläche. Die nötigen Parameter (z. B. Erdmas- dr r2
se) finden sich in der Literatur. Dabei bezeichnet M< .r/ die Masse, die sich innerhalb einer
(b) Seit einigen Jahren wird die Möglichkeit diskutiert, einen Kugel mit Radius r befindet, und Fr ist die radiale Kompo-
Orbitalaufzug zu bauen. Dabei handelt es sich im Wesent- nente der Gravitationskraft, die zum Zentrum hin zeigt.
lichen um ein Seil, das vom Äquator senkrecht nach oben (b) In Bd. 2 werden sogenannte Feldgleichungen diskutiert. Mit
läuft. Die Gravitations- und die Zentrifugalkraft, die insge- den dort besprochenen Hilfsmitteln lässt sich zeigen, dass
samt auf das Seil wirken, heben sich dabei auf. Das Seil der Zusammenhang
ist sozusagen ein geostationärer Satellit, der allerdings nicht
durch eine Punktmasse beschrieben werden kann. Man neh-  .x/ D 4 G .x/ (2.138)
me an, dass das Seil pro Längeneinheit dr eine konstante
Masse hat, zwischen Massendichte .x/ und Gravitationspotenzial .x/
dm D  dr: (2.136) besteht (siehe Bd. 2, (2.8) für die entsprechende Gleichung
für das elektrische Potenzial). Aufgrund der Kugelsymme-
Stellen Sie eine Integralgleichung auf, die die Kräftebilanz trie bietet es sich an, den Laplace-Operator  in Kugelkoor-
des gesamten Seiles beschreibt. Führen Sie dazu einen zu- dinaten zu verwenden. Weiterhin gelten dann die Relationen
nächst unbekannten Radius rS ein, der den Abstand des .x/ D .r/ und .x/ D .r/.
78 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

Berechnen Sie sowohl aus (2.137) als auch aus (2.138) das vollständig aufzuintegrieren. Zur Vereinfachung nehmen wir
Gravitationspotenzial .r/. Berücksichtigen Sie dabei die ge- weiterhin an, dass die Massendichte der Erde konstant ist:
eigneten Randbedingungen, um die Differenzialgleichungen .r/ D const.
Kapitel 2
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 79

Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben

2.1 Es ist zunächst der Zusammenhang zwischen dem trans- die direkt vom ungestrichenen zum doppelt gestrichenen System
formierten Skalarprodukt a0i b0i und dem ursprünglichen Skalar- führt. Durch einen Vergleich findet man
produkt ai bi gesucht. Es sei S die Matrix, die eine orthogonale
Transformation vom ungestrichenen in das gestrichene System N D RR;
R Q
darstellt. Dann gelten a0i D Sij aj und b0i D Sij bj und somit vN 0 D v0 C R> vQ 0 ;
  (2.146)
bN 0 D b0 C R> bQ 0  vQ 0 t0 ;

Kapitel 2
a0i b0i D Sij aj Sik bk : (2.139)
Nt0 D Qt0 C t0 :
Hier muss das zweite Indexpaar j durch k ersetzt werden, da
Summationsindizes nicht häufiger als zweimal auf einer Seite Eine Galilei-Transformation gefolgt von ihrer inversen Trans-
einer Gleichung auftreten dürfen. Orthogonale Transformatio- formation muss als .I; 0; 0; 0/ darstellbar sein. Dies führt zu-
nen erfüllen aber gerade Sij Sik D ıjk . Es folgt sofort nächst auf
Q D R> und Qt0 D t0 :
R (2.147)
a0i b0i D aj bk ıjk D aj bj D ai bi : (2.140)
Weiterhin gilt
Im letzten Schritt kann das Indexpaar j durch i ersetzt werden. vQ 0 D Rv0 (2.148)
Dies ist möglich, da über diese Indizes summiert wird und sie und schließlich
noch nicht auf dieser Seite der Gleichung verwendet werden. bQ 0 D R .v0 t0 C b0 / : (2.149)
Es dürfen stets nur beide Indizes eines Indexpaares gleichzeitig
durch ein anderes Indexpaar ersetzt werden.
2.3 Zunächst ist es trivial zu sehen, dass
Betrachtet man nun den Spezialfall bi D ai und b0i D a0i , so folgt,
dass die Länge eines Vektors invariant ist: d0 D Rd H) d D R> d 0 (2.150)

ja0 j2 D a0i a0i D ai ai D jaj2 : (2.141) gilt. Im zweiten Schritt soll


 
dP 0 D R dP  !  d
Für den Winkel zwischen den Vektoren a und b gilt   (2.151)
H) dP D R> dP 0 C !0  d0
ab
cos D : (2.142) gezeigt werden. Dies ist gleichbedeutend mit der Identität
jajjbj
!0  d0 D R .!  d/ ; (2.152)
Da sowohl das Skalarprodukt im Zähler als auch die Beträ-
ge im Nenner invariant sind, muss auch cos und damit der deren Gültigkeit überprüft werden soll. Da !  d ein polarer
Winkel zwischen den Vektoren invariant sein. Eine orthogo- Vektor ist (denn das Kreuzprodukt eines axialen und eines po-
nale Transformation ist daher eine winkeltreue und längentreue laren Vektors ist wieder ein polarer Vektor), ist die Gültigkeit
Transformation. von (2.152) im Grunde schon gezeigt. Wir wollen dies aber hier
explizit überprüfen. Dazu schreiben wir die rechte Seite von
2.2 Wir schreiben zunächst (2.152) in Komponentenform:

x0 D R.x  v0 t  b0 /; t0 D t  t0 ; rij jkl !k vl D rij blj vl D rij bjl vl : (2.153)


(2.143)
Q 0  vQ 0 t0  bQ 0 /;
x00 D R.x 00 0
t D t  Qt0 : Hier wurden ijk !k D bij sowie bij D bji verwendet. An dieser
Stelle kann die Identität in der Form ılm D rkl rkm eingeführt
Einsetzen von x0 und t0 in x00 und t00 ergibt werden:

x00 D RQ R.x  v0 t  b0 /  vQ 0 .t  t0 /  bQ 0 ; rij jkl !k vl D rij rkl bjl rkm vm D b0ik vk0 : (2.154)
00
(2.144)
t D t  .t0 C Qt0 /: Im letzten Schritt wurden die Transformationseigenschaften von
bjl und vm unter orthogonalen Transformationen ausgenutzt.
Dies vergleicht man mit einer dritten Galilei-Transformation, Schließlich ist
N  vN 0 t  bN 0 /;
x00 D R.x t00 D t  Nt0 ; (2.145)  b0ik vk0 D ikl !l0 vk0 D ilk !l0 vk0 ; (2.155)
80 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

was gerade die Komponentenschreibweise von !0  d0 ist. So- Seil kann nur als Ganzes beschleunigt werden. Daraus ergibt
mit ist auch der Zusammenhang zwischen dP und dP 0 gezeigt. Die sich als Bedingung für das Orbitalseil:
dritte Gleichung in (2.74) folgt wieder aus der Argumentation,
dass jede weitere Zeitableitung durch wiederholtes Anwenden ZrS  
GM
der zweiten Gleichung in (2.74) erhalten werden kann. !E2  r dr D 0: (2.161)
r3
rE
2.4
Nach ausgeführter Integration folgt
(a) Ein Satellit auf einer Kreisbahn ruht im korotierenden Be-  
zugssystem und erfährt dort keine Kräfte. Dies bedeutet, 1 1 1
GM  D !E2 .rS  rE /2
dass sich die Gravitations- und die Zentrifugalkraft gerade rE rS 2
(2.162)
Kapitel 2

aufheben müssen. Es gibt keine Coriolis-Kraft. Wie bereits 2GM


in (2.102) gezeigt, lautet die Bahngeschwindigkeit des Sa- H) D rE rS .rE  rS /:
!E2
telliten r
GM Diese in rS quadratische Gleichung kann direkt gelöst wer-
VD : (2.156)
r den:
Dabei ist r der Abstand des Satelliten zum Erdmittelpunkt. s s
Die Bahngeschwindigkeit und die Winkelgeschwindigkeit rE rE2 2GM rE rE2 2r3
rS D ˙ C 2 D ˙ C G
des Satelliten erfüllen wegen (2.76) 2 4 !E r E 2 4 rE
0 s 1 (2.163)
 3
V D !E r; (2.157) @ 1 1 rG A
D rE ˙ C2 :
2 4 rE
da ! und x senkrecht aufeinander stehen. Somit ist der Ra-
dius der geostationären Satellitenbahn durch Die negative Lösung ist ungültig, da rS > rE sein muss.
s Wegen rG =rE 6;61 ist der numerische Wert somit unge-
GM fähr rS D 24;5rE D 3;7rG D 157:000 km. Anstatt das Seil
rG D 3
(2.158) bis rS zu verlängern, ist es auch denkbar, ein „hinreichend
!E2
schweres Gegengewicht“ an einem Punkt oberhalb von rG
gegeben. Damit der Satellit geostationär ist, muss ! der Win- am Seil zu befestigen. Dem Leser ist es überlassen auszu-
kelgeschwindigkeit der Erde entsprechen. Der Wert ist !E D rechnen, wie groß die „Gegenmasse“ sein muss, damit das
2 =86:400 s. Die Gravitationskonstante und die Erdmasse Seil insgesamt unbeschleunigt bleibt.
sind G D 6;67  1011 m3 kg s2 und M D 5;97  1024 kg.
Somit ergibt sich ein Bahnradius von rund rG D 42:160 km.
Zieht man den Erdradius (rE D 6380 km) ab, findet man den 2.5 Das Wegelement für Kugelkoordinaten lautet, ähnlich wie
Abstand von der Erdoberfläche: rG  rE D 35:780 km. (2.111):
(b) Das gesamte Seil ruht im korotierenden Bezugssystem. Zen-
trifugal- und Gravitationskräfte heben sich nicht an jedem ds D eO r dr C eO # r d# C eO ' r sin # d': (2.164)
Punkt des Seiles, sondern nur integriert über das gesamte
Deswegen gilt zunächst für die Geschwindigkeit einer Punkt-
Seil auf. Ein kleines Element des Seiles mit Abstand r zum
masse
Erdmittelpunkt erfährt die Kräfte
xP D rP eO r C r#P eO # C r sin # 'P eO ' : (2.165)
GM dr
dFG D ; dFZ D !E2 r dr: (2.159) Es ist sinnvoll, im Folgenden die Ableitungen der Basisvektoren
r2 zu berechnen. Diese folgen aus (2.114):
Die Differenz der Kräfte ist @Oer @Oe#
  D 0; D 0;
GM @r @r
dFZ  dFG D !E  3 r dr:
2
(2.160) @Oe' @Oer
r D 0; D eO # ;
@r @#
Wegen des Ergebnisses in der ersten Teilaufgabe sieht man, @Oe# @Oe'
dass die Differenz negativ ist, wenn r < rG ist. Für kleine D Oer ; D 0; (2.166)
@# @#
Abstände werden die Seilelemente daher in Richtung Erd- @Oer @Oe#
oberfläche beschleunigt. Für Seilelemente, die weiter von D sin # eO ' ; D cos # eO ' ;
@' @'
der Erde entfernt sind, überwiegt die Zentrifugalkraft: Sie
werden nach außen beschleunigt. Aufgrund der Seilspan- @Oe'
D .sin # eO r C cos # eO # /:
nung hängen allerdings alle Seilelemente zusammen. Das @'
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 81

Hieraus ergeben sich die Zeitableitungen der Basisvektoren. Für Es ist weiterhin zu beachten, dass der Laplace-Operator auf
eO r gilt Funktionen f .r; #; '/ anzuwenden ist. Um dies zu berücksichti-
gen, schreiben wir eine beliebige Funktion f hin. Wir beginnen
dOer @Oer @Oer @Oer mit den Termen, bei denen links die r-Ableitung steht:
D rP C #P C 'P D #P eO # C 'P sin # eO ' : (2.167)
dt @r @# @'
eO r @ eO r @ @ @ @2
Analog hat man f D eO r eO r f D 2 f ;
hr @r hr @r @r @r @r
eO r @ eO # @ @ eO # @
dOe# f D eO r f D 0; (2.172)
D #P eO r C 'P cos # eO ' ; hr @r h# @# @r r @#
dt
dOe0'
(2.168) eO r @ eO ' @ @ eO ' @
f D eO r f D 0:
D '.sin
P # eO r C cos # eO # /:

Kapitel 2
hr @r h' @' @r r sin # @'
dt

Die Beschleunigung ist die Zeitableitung von (2.165): Nun betrachten wir die Terme, bei denen links die #-Ableitung
steht, und berücksichtigen dabei (2.166), in der die #-Ableitun-
dOer dOe# gen der Basisvektoren abgelesen werden können:
xR D rR eO r C rP C rP #P eO 0# C r#R eO # C r#P
dt dt
C rP sin # 'P eO ' C r cos # #P 'P eO ' (2.169) eO # @ eO r @ eO # @ @ 1 @
f D eO r f D f;
dOe' h# @# hr @r r @# @r r @r
C r sin # 'R eO ' C r sin # 'P : eO # @ eO # @ eO # @ eO # @ 1 @2
dt f D f D 2 2f; (2.173)
h# @# h# @# r @# r @# r @#
Es müssen nun alle Zeitableitungen der Basisvektoren durch eO # @ eO ' @ eO # @ eO ' @
die entsprechenden Terme in (2.168) ersetzt werden. Eine etwas f D f D 0:
h# @# h' @' r @# r sin # @'
mühsame, aber unkomplizierte Sortierung nach den drei Basis-
vektoren liefert letztlich
Es verbleiben noch die drei Terme, bei denen links die '-Ablei-
h  i
tungen stehen:
xR D eO r rR  r #P 2 C sin2 # 'P 2
h  i
C eO # 2Pr#P C r #R  sin # cos # 'P 2 (2.170) eO ' @ eO r @ eO ' @ @ 1 @
f D eO r f D f;
h i h' @' hr @r r sin # @' @r r @r
C eO ' .r'R C 2Pr'/ P sin # C 2r#P 'P cos # : eO ' @ eO # @ eO ' @ eO # @ cos # @
f D f D 2 f;
h' @' h# @# r sin # @' r @# r sin # @#
Die Terme in (2.170), die nur erste Zeitableitungen erhalten,
eO ' @ eO ' @ eO ' @ eO ' @ 1 @2
sind gerade die Coriolis- und die Zentrifugalbeschleunigungen. f D f D 2 f:
Dies kann man sich überlegen, wenn man die entsprechenden h' @' h' @' r sin # @' r sin # @' r sin # @' 2
2

Kräfte in (2.80) in Kugelkoordinaten formuliert. (2.174)


Die Rechnungen sind fast abgeschlossen. Man erkennt, dass kei-
2.6 Für Kugelkoordinaten gilt aufgrund des Wegelements ne gemischten Ableitungen auftreten. Der Grund ist, dass alle
(2.117) gemischten Ableitungen mit Skalarprodukten verschiedener Ba-
hr D 1; h# D r; h' D r sin #: (2.171) sisvektoren zusammenhängen und somit verschwinden müssen.

Die Ableitungen der Basisvektoren sind in (2.166) zu finden. Abschließend fassen wir noch die Ableitungen zusammen. Die
Wegen (2.131) sind insgesamt neun Terme zu berücksichtigen. r-Ableitungen lauten in kombinierter Form
Die Reihenfolge der Ableitungen in diesen Termen kann in der  
Regel nicht vertauscht werden, da die koordinatenabhängigen @2 2 @ 1 @ @
C f D 2 r2 f ; (2.175)
Basisvektoren dazwischenstehen. Es können jedoch teilweise @r2 r @r r @r @r
Faktoren vor die Ableitungen gezogen werden. Zum Beispiel
hängen sämtliche Basisvektoren nicht vom Radius r ab und kön- wie man schnell überprüft. Analog gilt für die #-Ableitungen
nen mit r-Ableitungen vertauscht werden.
 
Im Folgenden schauen wir uns alle Kombinationen an und ver- 1 @2 cos # @ 1 @ @
C 2 f D sin # f:
einfachen zunächst so weit wie möglich. Man beachte, dass alle r2 @# 2 r sin # @# r2 sin # @# @#
Basisvektoren senkrecht aufeinander stehen und Skalarproduk- (2.176)
te verschiedener Basisvektoren somit identisch verschwinden. Da es nur einen Term mit '-Ableitungen gibt, muss dort nichts
Um die Übersichtlichkeit zu verbessern, verzichten wir an die- zusammengefasst werden. Die drei verbleibenden Ableitungs-
ser Stelle auf die Punkte, die das Skalarprodukt kennzeichnen. terme ergeben das Endergebnis in (2.133).
82 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme

2.7 (b) Für ein kugelsymmetrisches Problem verschwinden sämtli-


che Winkelableitungen. Der Laplace-Operator kann deshalb
(a) Zunächst überlege man sich, dass die Masse, die sich in einer in der Form
1 @ @
Kugel mit Radius r und konstanter Massendichte befindet,  D r D 2 r 2 (2.183)
durch r @r @r
4 geschrieben werden. Dies führt offensichtlich auf eine Dif-
M< .r/ D r3 (2.177)
3 ferenzialgleichung zweiter Ordnung:
gegeben ist. Dies gilt, so lange man sich innerhalb der Erde 1 @ 2@
befindet. Außerhalb ist in jeder Kugel mit Radius r > R (R r .r/ D 4 G : (2.184)
r2 @r @r
ist der Erdradius) M< .r/ D M D 4 R3 =3. Wir integrie-
Im Innenraum der Erde ist die Massendichte , außerhalb 0.
Kapitel 2

ren also (2.137) zunächst vom Erdmittelpunkt bis zu einem


Punkt r < R und erhalten Wir beschäftigen uns zunächst mit der Lösung für den Innen-
raum. Multiplikation mit r2 und eine erste Integration führen
Zr auf
4 2 @ 4
.r/ D G r0 dr0 D G r 2 C C1 (2.178) r2 .r/ D G r 3 C C1 : (2.185)
3 3 @r 3
0
Offensichtlich bekommt man nach Division von r2 und einer
mit einer Integrationskonstanten C1 . Im Außenraum, r > R, erneuten Integration
gilt offensichtlich
2 C1
.r/ D G r2  C C2 : (2.186)
Zr 0
3 r
4 dr GM
.r/ D G R3 D C C2 (2.179) Diese Lösung ist fast identisch zu der in (2.178); es existiert
3 r02 r
R allerdings noch ein Term C1 =r. Die Integrationskonstante
C1 muss verschwinden, damit die Lösung im Innenraum für
mit einer weiteren Integrationskonstanten C2 , die wir bei- r ! 0 regulär ist, also nicht divergiert. Somit ist im Innen-
spielsweise als C2 D 0 wählen können, indem wir verlan- raum
gen, dass .r ! 1/ ! 0 gilt. Es ist nur noch C1 zu
2
bestimmen. Dies ist möglich, indem man fordert, dass .r/ .r/ D G r 2 C C2 ; r < R: (2.187)
an der Erdoberfläche stetig ist. Physikalisch bedeutet dies, 3
dass eine Masse nicht plötzlich potenzielle Energie gewinnt Im Außenraum gilt ebenfalls (2.186), allerdings muss dort
oder verliert, wenn sie sich gerade durch die Erdoberfläche D 0 gesetzt werden. Außerdem nennen wir die In-
hindurch bewegt. Es folgt also tegrationskonstanten K1 und K2 , um sie von C1 und C2
der Innenraumlösung zu unterscheiden. Die Integrationskon-
2 GM stante K2 kann wieder gleich null gesetzt werden, damit
G R2 C C1 D  ; (2.180)
3 R .r ! 1/ ! 0 geht. Es folgt also

was letztlich auf K1


.r/ D  ; r > R: (2.188)
3 GM r
C1 D  (2.181)
2 R Nun müssen noch C2 und K1 bestimmt werden. Aus der Be-
führt. Die Lösung lautet also dingung, dass das Potenzial bei r D R stetig differenzierbar
ist, folgt zum einen
8  
< 1 GM r22  3 r < R; 4 K2
.r/ D
2 R R
(2.182) G RD 2 (2.189)
: GM r  R: 3 R
r
und zum anderen
Man kann schnell überprüfen, dass auch die Gravitations- 2 K1
kraft (wie gefordert) stetig ist. Dazu leitet man .r/ wieder G R2 C C2 D  : (2.190)
3 R
nach r ab und vergleicht die beiden Terme in (2.182) bei
r D R. Insgesamt führt dies wieder auf (2.182).
Literatur 83

Literatur

Großmann, S.: Mathematischer Einführungskurs für die Physik.


Teubner (2000)
Riley, K.F., Hobson, M.P., Bence, S.J.: Mathematical Methods
For Physics And Engineering. Cambridge University Press
(2006)

Kapitel 2
Systeme von Punktmassen
3
Was sind abgeschlossene
Systeme?
Welche Größen sind im
Zweikörperproblem
erhalten?
Welche Arten von
Planetenbahnen gibt es?
Welche Bedeutung hat
Streuung für die Physik?
Ist das Dreikörperproblem
allgemein lösbar?

Kapitel 3
Was ist die Ursache von
Ebbe und Flut?
Was besagt der Virialsatz?

3.1 Allgemeine Aussagen und Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . 86


3.2 Das Zweikörper-Zentralkraftproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3.3 Das Kepler-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
3.4 Elastische Stöße und Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
3.5 Das reduzierte Dreikörperproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
3.6 Gezeitenkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
3.7 Mechanische Ähnlichkeit und der Virialsatz . . . . . . . . . . . . . . . 116
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

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M. Bartelmann et al., Theoretische Physik 1 | Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56115-7_3
86 3 Systeme von Punktmassen

Die beiden vorherigen Kapitel waren hauptsächlich der Ausarbei-


tung der physikalischen Grundlagen und der fundamentalen ma-
thematischen Hilfsmittel gewidmet. In diesem Kapitel werden diese
Methoden angewandt, um einige wichtige mechanische Systeme zu
beschreiben und zu verstehen.
Abschn. 3.1 beschäftigt sich mit der Erweiterung der Erhaltungssät-
ze auf Systeme von Punktmassen. Der extrem wichtige Spezialfall
zweier Punktmassen unter dem Einfluss einer radialsymmetrischen
Zentralkraft wird in Abschn. 3.2 diskutiert. Aufbauend darauf folgt
die Lösung der Bewegungsgleichungen des Kepler-Problems in
Abschn. 3.3. Damit ist es möglich, die Planetenbahnen zu charakte-
risieren.
Eine weitere Anwendung von großer Bedeutung sind Stöße zweier
Punktmassen und die Streuung von Teilchen. Diese Themen werden
in Abschn. 3.4 untersucht.
Es folgen zwei Abschnitte, die häufig nicht in Mechaniklehrbüchern
zu finden sind: das reduzierte Dreikörperproblem und die Gezeiten- Abb. 3.1 Der Kugelsternhaufen M11 (Wildentenhaufen) besteht aus
kräfte in Abschn. 3.5 und 3.6. Das Kapitel wird in Abschn. 3.7 mit fast 3000 Sternen, die gravitativ miteinander wechselwirken und dabei
dem Virialsatz abgeschlossen, der vor allem für die statistische Phy- als Punktmassen betrachtet werden können (© NASA)
sik von zentraler Bedeutung ist.
Kapitel 3

Dieses Kapitel bildet eine wichtige Grundlage für die Quantenmecha- gekennzeichnet. Auf jede Punktmasse wirke eine Kraft Fi , die
nik in Bd. 3, wie dort bei der Diskussion des Wasserstoffatoms und in zwei Komponenten aufgeteilt werden kann:
der quantenmechanischen Streuung noch deutlich werden wird.
1. Innere Kräfte sind Wechselwirkungskräfte, die paarweise
zwischen den Punktmassen innerhalb des Systems wirken.
Die Kraft, die mi auf mj ausübt, sei Fji .
3.1 Allgemeine Aussagen 2. Kräfte, die von außerhalb des Systems auf die Punktmassen
wirken, nennt man äußere Kräfte. Dann erfährt jede Punkt-
und Erhaltungssätze .a/
masse mi zusätzlich eine äußere Kraft Fi . Dies kann z. B.
die Gravitationskraft eines Körpers sein, der selbst nicht Teil
Viele mechanische Systeme lassen sich durch N wechselwirken- des betrachteten Systems ist. Wirken keine äußeren Kräfte
de Punktmassen idealisieren. Dazu gehören beispielsweise die auf das System, so nennt man das System abgeschlossen.
Planeten in unserem Sonnensystem oder Sterne in Kugelstern-
haufen (Abb. 3.1). Oftmals ist N eine sehr große Zahl (einige
Die Bewegungsgleichung für die i-te Punktmasse lautet daher
Tausend für Kugelsternhaufen und viele 1023, wenn man alle
Moleküle in einem Kubikmeter Luft zählt). Auch für die spä- X .a/
mi xR i D Fij C Fi : (3.1)
tere Diskussion starrer Körper in Kap. 4 ist das Studium eines
j6Di
Systems von Punktmassen hilfreich.
In diesem Abschnitt werden die Erhaltungssätze für Impuls, Der Fall i D j wird in der Summe ignoriert, könnte aber auf-
Drehimpuls und Energie auf solche Systeme verallgemeinert. grund des dritten Newton’schen Axioms, Fij D Fji , ebenso
Die Bewegungsgleichungen werden dabei allerdings nicht ge- gut hinzugefügt werden, da Fii D Fii D 0 gilt. Daraus folgt
löst. Das Zweikörperproblem wird am Ende dieses Abschnitts ebenfalls, dass sich alle inneren Kräfte aufheben:
als Spezialfall N D 2 eingeführt. XX X
Fji D Fji D 0: (3.2)
i j i;j

Innere und äußere Kräfte Frage 1


Machen Sie sich mithilfe des dritten Newton’schen Axioms klar,
dass die Summe in (3.2) tatsächlich verschwindet. Teilen Sie
Gegeben seien N Punktmassen mi an den Orten xi (1  i  dazu die Summe in zwei Teile auf, einen mit i < j und einen mit
N). Im Folgenden werden Summationen
P PNstets über alle Teilchen i > j.
im System verstanden, d. h. i D iD1 , wenn nicht anders
3.1 Allgemeine Aussagen und Erhaltungssätze 87

Bewegung des Schwerpunktes Punktmassen sind daher als Idealisierungen für ausgedehnte
Körper geeignet, wenn man sich für die innere Dynamik nicht
interessiert. Dazu gehören beispielsweise thermische Schwin-
Die Gesamtmasse des Systems ist gungen der Atome (Wärme).
X Um eine Transformation in das Schwerpunktsystem durchzufüh-
M WD mi : (3.3)
ren, werden die alten Koordinaten xi durch
i

Der Schwerpunkt der Punktmassen wird dann als x0i D xi  X (3.11)

1 X ersetzt. In diesem Fall liegt der Schwerpunkt im Ursprung, denn


X WD mi xi (3.4)
M i X X
mi x0i D mi xi  MX D 0: (3.12)
definiert. Summiert man nun (3.1) über sämtliche Punktmassen, i i

X X .a/ Weiterhin verschwindet der Gesamtimpuls im Schwerpunktsys-


mi xR i D Fi ; (3.5)
tem, denn aus xP 0i D xP i  XP folgt direkt
i i
X
stellt man zunächst fest, dass die inneren Kräfte nicht zur Dy- P0 WD mi xP 0i D 0: (3.13)
namik des Schwerpunktes beitragen. Der Schwerpunkt bewegt i
sich so, als wäre die gesamte Masse darin vereinigt. Es unter-

Kapitel 3
liegt nur dem Einfluss der Resultierenden aller äußeren Kräfte: Frage 2
X Machen Sie sich klar, dass der Impuls im Schwerpunktsystem
.a/
M XR D Fi : (3.6) tatsächlich verschwindet.
i

.a/ Achtung Wir hatten bereits gesehen, dass der Gesamtimpuls


Wirken keine äußeren Kräfte, Fi D 0, oder, weniger streng
P .a/ des Systems erhalten ist, wenn keine äußeren Kräfte wirken.
gefordert, verschwindet lediglich ihre Summe, i Fi D 0, so
In diesem Fall ist das Schwerpunktsystem ein Inertialsystem.
ist
Für die meisten Anwendungen ist es dann sinnvoll, das Schwer-
M XR D 0; (3.7) punktsystem zur Beschreibung zu verwenden. J
und der Gesamtimpuls des Systems ist erhalten:
X X
P WD M XP D mi xP i D pi D const: (3.8)
i i
Drehimpuls und Drehimpulssatz

In diesem Fall bewegt sich sein Schwerpunkt geradlinig-gleich- Bis auf die Einschränkung durch das dritte Newton’sche Axi-
förmig entlang der Bahnkurve: om, Fij D Fji , wurden die Wechselwirkungskräfte zwischen
den Punktmassen des Systems bisher nicht näher festgelegt. Es
P
X.t/ D X0 C .t  t0 /: (3.9) soll nun weiterhin angenommen werden, dass die inneren Kräf-
M te Fij Zentralkräfte sind, die also entlang der Verbindungslinie
zwischen mi und mj wirken. In diesem Fall hat man
Impulserhaltung eines Systems von Punktmassen
Fij  .xi  xj / D 0: (3.14)
Der Impulssatz eines Systems von Punktmassen lautet
X Dies gilt insbesondere für die Gravitationskraft zwischen zwei
PP D
.a/
Fi D F.a/ : (3.10) Punktmassen oder die Coulomb-Kraft zwischen zwei Punktla-
i dungen.

Die Bewegung des Schwerpunktes wird nur durch äußere, Der Gesamtdrehimpuls eines Systems von Punktmassen ist die
nicht jedoch durch innere Kräfte beeinflusst. Verschwindet Summe der Drehimpulse aller Punktmassen bezüglich des Ko-
die Summe aller äußeren Kräfte, so ist der Gesamtimpuls ordinatenursprungs:
erhalten, d. h., der Schwerpunkt bewegt sich geradlinig- X X
gleichförmig. L WD Li D mi xi  xP i : (3.15)
i i
88 3 Systeme von Punktmassen

Die zeitliche Änderung des Drehimpulses ist F 12

X X
LP D mi xP i  xP i C mi xi  xR i
„ƒ‚… M1 M2
i i
D0
X X X .a/ x1 x2
D xi  Fij C x i  Fi (3.16)
m1 m2
i j i
1X X .a/
D .xi  Fij  xi  Fji / C xi  Fi : F 21
2 i;j i
Abb. 3.2 Die Punktmassen m1 und m2 wechselwirken durch ein
Im letzten Umformungsschritt wurde nur verwendet, dass Fij D nichtzentrales Kräftepaar F21 D F12 (z. B. Lorentz-Kraft). Beide
Fji ist. Wir nutzen nun aus, dass über alle Punktmassen doppelt entsprechenden Drehmomente verschwinden nicht und zeigen in die
summiert wird: Es ist dann unerheblich, ob wir Indizes vertau- Papierebene hinein. Der Drehimpuls ist wegen M1 C M2 6D 0 somit
schen, und mit der Hilfsgleichung nicht erhalten

X X
xi  Fji D xj  Fij (3.17) Durch Einsetzen von (3.11) in (3.15) lässt sich der Drehimpuls
i;j i;j im Schwerpunktsystem, d. h. in den Koordinaten x0i , ausdrücken:
X
folgt LD xi  mi rP i
i
Kapitel 3

1X X X
LP D
.a/
.xi  xj /  Fij C xi  Fi D X  M XP C X  mi xP 0i (3.21)
2 i;j i i
X (3.18) X X
D
.a/
x i  Fi ; C mi x0i  XP C x0i  mi xP 0i :
i i i

da wir uns auf Zentralkräfte beschränkt haben. In diesem Fall Aufgrund von (3.12) verschwinden der zweite und der drit-
te Term. Demnach lässt sich der Drehimpuls als Summe des
tragen die inneren Kräfte nicht zur Drehimpulsbilanz bei. Der
Term Drehimpulses des Schwerpunktes um den Ursprung und des ge-
X .a/ X .a/ samten inneren Drehimpulses schreiben:
M .a/ WD Mi D x i  Fi (3.19)
X
i i
L D X  M XP C x0i  mi xP 0i : (3.22)
i
kann als das Gesamtdrehmoment der äußeren Kräfte bezüglich
des Koordinatenursprungs identifiziert werden.

Energie, konservative und dissipative Kräfte


Drehimpulserhaltung eines Systems von Punktmassen
Der Drehimpulssatz eines Systems von Punktmassen, zwi- Um eine Aussage über die Energie des N-Teilchen-Systems
schen denen nur Zentralkräfte wirken, lautet machen zu können, verfahren wir ähnlich wie in (1.136): Die
Bewegungsgleichungen der Punktmassen werden mit ihrer Ge-
X .a/ schwindigkeit multipliziert und aufsummiert:
LP D M i D M .a/ : (3.20)
i
X X
mi xR i  xP i D Fi  xP i : (3.23)
Der Gesamtdrehimpuls dieses Systems wird lediglich von i i

den äußeren Kräften bzw. äußeren Drehmomenten beein- Die linke Seite von (3.23) entspricht der zeitlichen Änderung
flusst. Verschwindet das Gesamtdrehmoment der äußeren der kinetischen Energie des Systems:
Kräfte, so ist der Gesamtdrehimpuls des Systems erhalten. !
X d X mi 2 dT
mi xR i  xP i D xP i D : (3.24)
i
dt i
2 dt
Gl. (3.20) wird für die Beschreibung der Rotation starrer Kör-
per in Kap. 4 von entscheidender Bedeutung sein. In Abb. 3.2 Wir fordern nun, dass alle inneren Kräfte aus paarweisen Wech-
ist ein (zugegebenermaßen etwas künstliches) Beispiel für ein selwirkungspotenzialen Vij abgeleitet werden können, die nur
nichtzentrales Kräftepaar illustriert, bei dem das Drehmoment vom Abstand beider wechselwirkender Punktmassen abhängen:
nicht verschwindet (dazu bräuchte man Grundgleichungen, die
nicht drehinvariant sind). Fij D r i Vij .jxi  xj j/: (3.25)
3.1 Allgemeine Aussagen und Erhaltungssätze 89

Hier wird nicht über i summiert. Diese Potenziale erfüllen Vij D Achtung Der Faktor 1=2 taucht in der letzten Umformung
Vji . Weiterhin fordern wir, dass Selbstwechselwirkungen ausge- auf, da die Ableitung
schlossen sind, und setzen Vii D 0. Hier und im Folgenden gilt
die Vektorgleichung d    
Vji .xij / D r i Vji .xij /  xP i C rj Vji .xij /  xPj (3.30)
@ dt
r i WD : (3.26)
@xi
aufgrund der Kettenregel zwei gleiche Beiträge besitzt. J
Des Weiteren führen wir xij WD xj  xi mit xij D jxij j als Ab- Fasst man die Zwischenergebnisse zusammen, findet man den
kürzung ein, sodass die Wechselwirkungspotenziale die Form Energiesatz in der Form
Vij .xij / bekommen. Solche Potenziale führen durch (3.25) auf
Kräftepaare Fij und Fji , die das dritte Newton’sche Axiom er- dT dV
füllen und stets entlang der Verbindungslinie xij wirken, also C D 0 oder E D T C V D const: (3.31)
dt dt
Zentralkräfte sind.
Alle in diesem Abschnitt betrachteten Kräfte wurden bisher
Frage 3 als konservativ angenommen, was auf die Energieerhaltung in
Man überprüfe, dass Potenziale der Form Vij .xij / tatsächlich auf (3.31) führt. Der Energiesatz lässt sich jedoch auf Systeme
Kräftepaare Fij und Fji führen, die das dritte Newton’sche Axi- erweitern, in denen dissipative Kräfte wirken. Hierfür ist es le-
om und die Bedingung Fij  xij D 0 erfüllen. Gehen Sie dabei diglich notwendig, die Kräfte in konservative und dissipative
von (3.25) aus und verwenden Sie die Kettenregel. Erweiterung Anteile zu zerlegen:
für Enthusiasten: Man konstruiere ein beliebiges Beispiel für ein
Potenzial Vij , das von xi und xj nicht nur in der Form jxj  xi j Fi D Fkons C Fdiss
i : (3.32)

Kapitel 3
i
abhängt, und vergewissere sich, dass die resultierenden Kräfte
im Allgemeinen weder das dritte Newton’sche Axiom erfüllen Dabei ist es unerheblich, ob die dissipativen Anteile zu inneren
noch Zentralkräfte sind. oder äußeren Kräften gehören. Innere dissipative Kräfte müssen
allerdings den Gesamtimpuls und Gesamtdrehimpuls invariant
lassen, da die Grundgleichungen translations- und rotationsinva-
Jedes Paar von Punktmassen trägt zu der potenziellen Ener- riant sind. Die Einführung von dissipativen Kräften führt direkt
gie einmalig durch den Anteil VijP .xijP
/ bei. Summiert man nun auf die modifizierte Energiegleichung, wobei T und V ihre alten
über die Potenziale in der Form i j Vij , so wird jedes Paar Bedeutungen behalten.
von wechselwirkenden Punktteilchen doppelt gezählt, einmal
als Vij und einmal als Vji . Um dies zu berücksichtigen, kann man
P Pi1
entweder die Doppelsumme durch NiD1 jD1 Vij einschränken Energieerhaltung in einem System von Punktmassen
P
oder zu i;j Vij =2 abwandeln, da Vij D Vji gilt. Sind alle Kräfte konservativ, ist die Gesamtenergie in
Zusätzlich sollen auch die äußeren Kräfte Potenzialkräfte sein: einem System aus N paarweise wechselwirkenden Punkt-
massen erhalten. Dissipative Kräfte können die Gesamt-
.a/ .a/ energie ändern:
Fi D r i Vi .xi /: (3.27)
d X
Somit lässt sich die gesamte potenzielle Energie als .T C V/ D Fdiss
i  xP i : (3.33)
dt i
1X X .a/
V WD Vij .xij / C Vi .xi / (3.28)
2 i;j i Die kinetische Energie einer Punktmasse hängt davon ab, in
welchem Bezugssystem sie angegeben wird. Dies liegt daran,
definieren, d. h. als Superposition innerer Zweiteilchen- und dass die kinetische Energie eine Funktion der Geschwindig-
äußerer Einteilchenpotenziale. Die rechte Seite von (3.23) ist keit der Punktmasse und diese je nach Wahl des Bezugssystems
wegen (3.25) und (3.27) somit unterschiedlich ist (Abb. 3.3). Mithilfe der Transformation in
! (3.11) lässt sich die kinetische Energie eines Systems von Punkt-
X X X .a/ massen in einer anderen Form schreiben. Es lässt sich durch eine
Fi  xP i D  ri Vji .xij / C r i Vi .xi /  xP i kurze Rechnung zeigen, dass
i i j
! X mi X mi X mi
d 1X X .a/
(3.29) TD xP 2i D P 2 D M XP 2 C
.Px0i C X/ xP 02
D Vji .xij / C Vi .xi / i (3.34)
dt 2 i;j i
2 i
2 2 i
2
i
dV gilt. Die kinetische Energie in einem beliebigen Bezugssystem
D :
dt ist daher die Summe der kinetischen Energie der im Schwer-
90 3 Systeme von Punktmassen

Frage 5
Zeigen Sie ausgehend von r D x1  x2 , dass r 1 V.r/ D
r 2 V.r/ D .dV.r/=dr/.r=r/ gilt und daraus (3.37) folgt.

S S Führt man anstelle der Massen m1 und m2 die reduzierte Masse


m1 m2 1 1 1
 WD bzw: D C (3.38)
m1 C m2  m1 m2

ein, so nimmt (3.37) die Form einer Bewegungsgleichung einer


Abb. 3.3 Ein System von N D 5 Punktmassen in einem beliebigen
einzelnen Punktmasse in einem äußeren Potenzial V an:
Bezugssystem, in dem sich der Schwerpunkt S bewegt (links), und im
Schwerpunktsystem, in dem der Schwerpunkt ruht (rechts). Im rechten dV.r/ r
Bild entsprechen die Pfeile den Geschwindigkeiten der Punktmassen Rr D  : (3.39)
relativ zum gemeinsamen Schwerpunkt. Im Gegensatz dazu zeigen die
dr r
Pfeile im linken Bild die Überlagerung mit der Schwerpunktsgeschwin- Sind die beiden Massen identisch, m1 D m2 DW m, ist  D m=2,
digkeit und der Schwerpunkt liegt in der Mitte zwischen den Punktmas-
sen. Von besonderer Bedeutung ist der Grenzfall m2 m1 , bei
dem eine Masse sehr groß gegenüber der anderen ist. In die-
punkt konzentrierten Gesamtmasse und der kinetischen Energie
sem Fall ist  m1 , und man kann in guter Näherung sagen,
der Punktmassen im Schwerpunktsystem.
dass sich die Punktmasse m1 um eine ruhende Punktmasse m2
Kapitel 3

bewegt. Der Schwerpunkt liegt dabei in der Nähe der großen


Frage 4 Punktmasse, X x2 (Abb. 3.4). Dies ist die nachträgliche Be-
Zeigen Sie, dass die letzte Gleichheit in (3.34) tatsächlich gilt. gründung dafür, dass wir in Abschn. 1.3 davon ausgegangen
Nutzen Sie dabei aus, dass der Gesamtimpuls im Schwerpunkt- sind, dass die Wirkung einer kleinen Masse im freien Fall auf
system verschwindet (3.13). die Erde zu vernachlässigen und die Erde dabei ortsfest ist.
Das Bild einer ortsfesten großen Masse ist sehr hilfreich, da
nur die Bewegung der kleinen Masse beschrieben werden muss.
Allerdings führt diese Näherung dazu, dass der Gesamtimpuls
Das Zweikörperproblem als Spezialfall nicht mehr erhalten ist, da die zweite Bewegungsgleichung in
(3.35) durch xP 2 D 0 ersetzt wird. Somit ist im Allgemei-
nen m1 xR 1 C m2 xR 2 6D 0, d. h., das dritte Newton’sche Axiom
Im Folgenden werden die allgemeinen Aussagen über ein N-
wird verletzt, und der Gesamtimpuls der beiden Massen ist
Teilchen-System auf den Spezialfall N D 2 angewandt. Die Lö-
nicht erhalten. Tatsächlich ist der Impuls erhalten, denn die
sung der Bewegungsgleichungen des Zweikörperproblems wird
große Punktmasse m2 wird in Wirklichkeit stets durch die kleine
allerdings erst in Abschn. 3.3 anhand des Kepler-Problems als
Punktmasse beschleunigt. Diese Beschleunigung ist allerdings
Spezialfall diskutiert.
um einen Faktor m1 =m2 kleiner als die der kleinen Punktmasse
Man betrachte ein System zweier wechselwirkender Punktmas- m1 . In Aufgabe 3.1 wird gezeigt, dass die Energie erhalten ist,
sen m1 und m2 . Die Wechselwirkung sei durch ein Potenzial sogar wenn eine Masse festgehalten wird.
V12 .r/ D V21 .r/ DW V.r/ beschrieben, wobei r WD x1  x2 als Näherungen sind in der theoretischen Physik unerlässlich, da
Abkürzung eingeführt wurde. Die Bewegungsgleichungen lau- sich die wenigsten Probleme exakt lösen lassen. Ihre Aufgabe ist
ten es, unwichtige Effekte gegenüber wichtigen zu vernachlässigen.
m1 xR 1 D r 1 V.r/; m2 xR 2 D r 2 V.r/: (3.35) Dabei muss stets darauf geachtet werden, dass die Näherungen
Der Ortsvektor des Schwerpunktes ist zulässig sind, also beispielsweise nicht das Problem so stark re-
duzieren, dass wichtige Effekte in der Beschreibung verloren
m1 x1 C m2 x2 gehen. Hier ist auch die endliche Genauigkeit zu erwähnen,
XD : (3.36) der alle Messgrößen unterliegen. Als Beispiel betrachten wir
m1 C m2
das Urkilogramm in Paris, dessen Masse mit einer relativen
Genauigkeit von etwa 108 angegeben werden kann. Der re-
Er bewegt sich geradlinig-gleichförmig, M XR D 0, wenn äußere
lative Unterschied der effektiven Masse des Urkilogramms in
Kräfte abwesend sind. Kombiniert man die beiden Bewegungs-
Bezug auf die Erde (mErde 6  1024 kg) unterscheidet sich
gleichungen, so folgt
von der Masse des Urkilogramms jedoch nur um etwa 1023
und ist somit nicht messbar. Erst bei Objekten ab etwa 1015 kg
m1 m2 rR D m2 r 1 V.r/ C m1 r 2 V.r/
ist der Unterschied zwischen Masse und reduzierter Masse mit
dV.r/ r (3.37) der Messgenauigkeit vergleichbar. Dies entspricht einem Was-
D .m1 C m2 / :
dr r serwürfel mit einer Kantenlänge von 10 km.
3.2 Das Zweikörper-Zentralkraftproblem 91

a b c S
m2 = m1 S m2 = 2 m1 m2 = 10 m1
S

m1 m1 m1

Abb. 3.4 Veranschaulichung der Schwerpunktslage für N D 2 Punktmassen verschiedener Masse. a Beide Massen sind gleich groß, m1 D m2 ,
und der Schwerpunkt S liegt genau in der Mitte. Je größer die Masse m2 im Vergleich zu m1 wird, desto näher liegt der Schwerpunkt an der zweiten
Punktmasse (b und c)

3.2 Das Zweikörper- Die Schwerpunktsbewegung ist mit (3.9) bereits gelöst. Das Er-
gebnis folgte direkt aus der Erhaltung des Gesamtimpulses, da
Zentralkraftproblem das System isoliert ist. Die eigentliche Herausforderung ist es,
die Lösung für die Relativbewegung von m1 und m2 in (3.40) zu
In Abschn. 3.1 wurden grundlegende Aussagen über Systeme finden. Ist schließlich die Lösung r.t/ bekannt, können die Orte
von N wechselwirkenden Punktmassen getroffen, ohne die Be- aus
m2 m1
wegungsgleichungen zu lösen. Der Spezialfall N D 2 wurde x1 D X C r; x2 D X  r (3.41)
dort bereits vorgestellt. Wir werden die Diskussion in diesem Ab- m 1 C m 2 m1 C m2
schnitt fortsetzen und zunächst allgemeine Aussagen über das berechnet werden.

Kapitel 3
Zweikörperproblem im Zentralkraftfeld treffen. Die Ergebnisse Da es sich bei den Bewegungsgleichungen für die Punktmassen
und physikalischen Inhalte sind von zentraler Bedeutung für die m und m um insgesamt sechs Differenzialgleichungen zweiter
1 2
gesamte theoretische Physik, insbesondere für das Studium der Ordnung handelt (drei für x und drei für x ), sind zwölf Inte-
1 2
Planetenbahnen (Abschn. 3.3), der Streuung (Abschn. 3.4), der grationskonstanten für die Lösung notwendig. Die ersten sechs
Bremsstrahlung in der Elektrodynamik (Bd. 2, Kap. 9) und des wurden bereits mit X und P D const in (3.9) verwendet. Die
0
Wasserstoffatoms in der Quantenmechanik (Bd. 3, Kap. 8). übrigen sechs beziehen sich auf die Relativbewegung der bei-
den Punktmassen und können z. B. in der Form r.t0 / und rP.t0 /
bereitgestellt werden. Wir werden jedoch in Kürze sehen, dass
Impulserhaltung und Separation es Integrationskonstanten gibt, die besser für das vorliegende
Problem geeignet sind.
der Bewegungsgleichungen
Frage 6
Wir betrachten zwei Punktmassen m1 und m2 mit reduzierter Zeigen Sie die Gültigkeit von (3.41). Nutzen Sie dazu (3.4) und
Masse  (3.38). Die beiden Punktmassen befinden sich an den r D x1  x2 aus.
Orten x1 und x2 , der gemeinsame Schwerpunkt (3.36) am Ort
X. Auf beide Punktmassen sollen nur die Wechselwirkungskräfte
F12 D F21 wirken, die aus einem Wechselwirkungspotenzial
Impulserhaltung und Separation
V.r/ D V12 .x1  x2 / mit r WD x1  x2 ableitbar seien. Äuße-
der Bewegungsgleichungen
re Kräfte werden ausgeschlossen, d. h., das System sei isoliert.
Dies bedeutet, dass wegen (3.9) der Gesamtimpuls erhalten ist Aus der Gesamtimpulserhaltung des Zweikörperproblems
und sich der gemeinsame Schwerpunkt geradlinig-gleichförmig folgt direkt die Separation der Schwerpunkts- und der
bewegt. Die Schwerpunktsbewegung ist unabhängig von der Re- Relativbewegung. Es müssen nur noch drei anstatt sechs
lativbewegung der beiden Punktmassen. Differenzialgleichungen zweiter Ordnung gelöst werden.
Letztere muss separat untersucht werden. Ihre Bestimmungs-
gleichung (3.39) ist
Rr D r V.r/: (3.40)
Somit sind Schwerpunkts- und Relativbewegung separiert. Man
Drehimpulserhaltung
kann (3.40) als Bewegungsgleichung für eine einzelne Punkt- und zweites Kepler’sches Gesetz
masse  im äußeren Potenzial V.r/ interpretieren. Tatsächlich
ergibt sich dieses Bild auch dann, wenn eine der beiden Punkt- Wir beschränken uns im Folgenden auf Potenziale der Form
massen sehr viel größer als die andere ist, m2 m1 . In diesem V.r/. Dies impliziert, dass die Kraft
Fall kann m2 näherungsweise als ortsfest angesehen werden,
und  m1 . Gl. (3.40) ist dagegen für beliebige Massenver- F.r/ D r V.r/ D 
dV.r/ r
D F.r/
r
(3.42)
hältnisse m1 =m2 gültig. dr r r
92 3 Systeme von Punktmassen

a b

x2 x3

L = Le
b3

ṙ dt
x2

r r
ϕ
x1

x1

Abb. 3.5 a Der Fahrstrahl r überstreicht in einer infinitesimalen Zeit dt das infinitesimale Flächenelement dA D r  rP dt=2. Der Betrag jdAj
entspricht der rot markierten Fläche, die Richtung von dA steht senkrecht auf r und dPr. b Die Bewegung findet vollständig in einer Ebene (gelb)
statt. Das Koordinatensystem wird so gewählt, dass die x3 -Achse senkrecht auf dieser Ebene steht

eine Zentralkraft ist, die nur vom Abstand r, nicht aber von der Wegen L D 2 dA=dt folgt sofort das zweite Kepler’sche Ge-
Kapitel 3

Richtung abhängt. Der Drehimpuls L ist dann wegen (3.20) er- setz.
halten. Um den Drehimpuls der beiden Punktmassen m1 und m2
relativ zum Schwerpunkt X anzugeben, schreiben wir zunächst
Zweites Kepler’sches Gesetz
P C m2 .x2  X/  .Px2  X/:
L D m1 .x1  X/  .Px1  X/ P (3.43)
Der Fahrstrahl r überstreicht im Zentralkraftfeld in glei-
Wegen (3.38) und (3.41) ist chen Zeiten gleiche Flächen. Die Flächengeschwindigkeit
   
L D .r/ 
m2
rP C .r/ 
m1
rP P D 1 r  rP
A (3.47)
m1 C m2 m1 C m2 (3.44) 2
D r  rP : ist konstant.

Aufgrund der Drehimpulserhaltung zeigt L 6D 0 stets in eine


Aufgrund der Symmetrie des Problems bieten sich Zylinderko-
feste Richtung. Diese legt die Bahnebene fest:
ordinaten an. Wir wählen die Bahnebene z D 0 und schreiben
r  L D r  .r  p/ D p  .r  r/ D 0: (3.45) den kartesischen Ortsvektor in der Form
0 1 0 1
Wir wählen das Koordinatensystem so, dass L D L eO 3 und damit x cos '
B C B C
L D L3 D jLj erfüllt ist. Somit liegt die Bahn in der x1 -x2 - r.t/ D @yA D % @ sin ' A : (3.48)
Ebene. z 0
Achtung Für L D 0 erfolgt die Bewegung entlang einer Ge- Offensichtlich lautet die Bahngeschwindigkeit
raden, deren Richtung durch r festgelegt ist und die durch das 0 1 0 1
Kraftzentrum läuft, da dann r und v parallel sind. J cos '  sin '
B C B C
rP.t/ D %P @ sin ' A C %'P @ cos ' A : (3.49)
Betrachten wir nun die Bewegung in der Bahnebene genauer
(Abb. 3.5). Im infinitesimalen Zeitintervall dt überstreicht der 0 0
Ortsvektor r das Flächenelement

1
dA D r  .Pr dt/: (3.46) Drehimpulserhaltung für Zentralkräfte
2
Der Drehimpuls ist im Zentralkraftfeld erhalten. Insbeson-
dere findet die Bewegung in einer Ebene statt:
Frage 7
Machen Sie sich mithilfe von Abb. 3.5 anschaulich klar, dass L D %2 'P eO 3 H) jLj D L D %2 j'j:
P (3.50)
das Flächenelement durch (3.46) gegeben ist.
3.2 Das Zweikörper-Zentralkraftproblem 93

Frage 8 zusammengefasst. Der zweite Term heißt Zentrifugalpotenzial.


Es ist abstoßend bzw. repulsiv, da die damit verbundene Kraft
Überprüfen Sie die Gültigkeit von (3.50), indem Sie (3.48) und
(3.49) in L D r  rP einsetzen.
L2 L2 r
FZ D r D (3.55)
2r 2 r3 r
Eigentlich sind drei Differenzialgleichungen zweiter Ordnung
zu lösen, je eine für %, ' und z. Die Bewegungsgleichung für z stets von der Drehachse fortzeigt und als Zentrifugalkraft inter-
ist durch die Drehimpulserhaltung und die Wahl des Koordina- pretiert werden kann.
tensystems bereits trivial gelöst: z  0. Dies entspricht wegen
zP .t D 0/ D 0 und zR .t D 0/ D 0 einer willkürlichen Festlegung Das bisherige Vorgehen ist ein Beispiel dafür, welche wichtige
von zwei Integrationskonstanten. Mit (3.50) haben wir weiterhin Rolle Symmetrien und Erhaltungsgrößen in der Physik spielen.
eine Bewegungsgleichung erster Ordnung für ' erhalten. Der
Betrag L des Drehimpulses spielt dabei die Rolle einer weiteren 1. Aufgrund der Gesamtimpulserhaltung können die Bewe-
Integrationskonstanten. Es bleiben somit noch drei Integrations- gungsgleichungen separiert werden. Es sind nur noch drei
konstanten zu bestimmen. statt sechs Differenzialgleichungen zweiter Ordnung zu lö-
sen, und es sind nur noch sechs statt zwölf Integrationskon-
stanten zu bestimmen.
2. Die Winkelunabhängigkeit der Kraft führt auf eine weite-
Energieerhaltung und reduzierte re Erhaltungsgröße, den Drehimpuls L. Dies entspricht drei
Bewegungsgleichung weiteren Integrationskonstanten.
3. Aufgrund der Konstanz der Energie erhält man die Diffe-

Kapitel 3
Wir haben in Abschn. 1.6 bereits gefunden, dass die Energie er- renzialgleichung (3.53) erster Ordnung für r. Somit sind
halten ist, wenn sich die Kräfte aus Potenzialen ableiten lassen: nur noch zwei Integrationen durchzuführen (eine für r, eine
für ') und zwei Integrationskonstanten zu bestimmen.
1 2
E D T C V D Pr C V.r/ D const: (3.51)
2
Selbstverständlich könnte man statt der Energie E und des Dreh-
Ausgehend von (3.49) lässt sich die Energie in der Form impulses L andere, äquivalente Integrationskonstanten wählen.
 2  In der Quantenmechanik spielen die Energie und der Drehim-
ED %P C %2 'P 2 C V.r/ D const (3.52) puls allerdings grundlegende Rollen, sodass es sich bereits hier
2
anbietet, E und L zu verwenden.
schreiben. Wegen z D 0 können wir im Folgenden auch % durch
r ersetzen.
Erhaltungsgrößen und Bewegungsgleichungen
Frage 9
Machen Sie sich klar, dass Zylinderkoordinaten für z D 0 und Das Ausnutzen von Erhaltungsgrößen vereinfacht in der
Kugelkoordinaten für # D =2 gleichwertig sind und somit Regel das Lösen der Bewegungsgleichungen. Der erste
% D r gesetzt werden kann. Vergleichen Sie dazu (2.109) und Schritt bei der Analyse eines physikalischen Problems
(2.115). sollte daher das Identifizieren von Symmetrien und Erhal-
tungsgrößen sein.
Aufgrund der Drehimpulserhaltung in (3.50) kann die '-Abhän-
gigkeit durch eine reine r-Abhängigkeit ersetzt werden. Statt 'P
Achtung In der Literatur werden Erhaltungsgrößen auch
schreiben wir also L=.r2 / und
häufig Integrale der Bewegung genannt. Dies liegt daran, dass
 2 L2 das Auffinden einer Erhaltungsgröße einer ersten Integration ei-
ED rP C C V.r/ D const: (3.53) ner der Bewegungsgleichungen entspricht, wie wir in Kap. 5
2 2r2
sehen werden. J
Diese Gleichung kann als Bestimmungsgleichung für r verwen-
det werden und wird daher als Radialgleichung bezeichnet. Ge-
nau wie (3.50) ist sie nur noch eine Differenzialgleichung erster
Ordnung. Die Energie E spielt dabei die Rolle einer weiteren In- Implizite Lösung der Bewegungsgleichungen,
tegrationskonstanten. Man erkennt, dass sowohl L2 =.2r2/ als Bahnkurven
auch V.r/ nur Funktionen von r sind. Daher werden beide Ter-
me zum effektiven Potenzial
Die Radialgleichung (3.53) hat zusammen mit (3.54) die Form
L2 einer eindimensionalen Bewegungsgleichung in einem effekti-
U.r/ WD V.r/ C (3.54)
2r2 ven Potenzial. Ihre Lösung kann daher – wie in (1.91) – implizit
94 3 Systeme von Punktmassen

angegeben werden: U Potenzial


Zentrifugalpotenzial
Zr effektives Potenzial
dr0
t  t0 D p : (3.56)
2.E  U.r0 //=
r0

Ist dieses Integral gelöst, folgt zunächst r.t/ durch Umkehrung, E > 0,
r1 ungebundene Bewegung
falls dies in analytisch geschlossener Form möglich ist. An-
sonsten müssen die Gleichungen numerisch behandelt werden. 0
Handelt es sich um eine periodische Funktion, beschränkt man Radius r
sich bei der Umkehrung auf eine bzw. eine halbe Periode. An- r1 r2
schließend kann der Zeitverlauf des Winkels über
E < 0,
gebundene Bewegung
Zt Zt
L dt0
'  '0 D P 0 / dt0 D
'.t (3.57)
 r2 .t0 /
t0 t0

erhalten werden. Hier sind r0 und '0 nun schließlich die beiden
letzten Integrationskonstanten. In Aufgabe 3.5 kommen wir auf
Abb. 3.6 Potenzial, Zentrifugalpotenzial und zugehöriges effektives
das Problem zurück, dass sich der zeitliche Verlauf der Bahn im
Potenzial. Das Potenzial (schwarz) entspricht hier dem Gravitationspo-
Allgemeinen nicht in geschlossener Form ausdrücken lässt. tenzial / 1=r. Für negative Energie (blau) sind gebundene Bewegun-
Kapitel 3

In vielen Fällen ist man nicht unmittelbar daran interessiert, die gen zwischen r1 und r2 möglich. Für positive Energie (grün) gibt es nur
Zeit als Bahnparameter zu verwenden. Anstatt r.t/ und '.t/ zu einen Umkehrpunkt bei r10 (Streuung)
bestimmen, steht dann eine Diskussion der Bahnkurve r.'/ im
Mittelpunkt der Bemühungen. Zum Beispiel erkennt man an der
überhaupt in analytischer Form angegeben werden können. Wir
Gestalt von r.'/, ob die Bahnkurve gebunden (endlich) oder un-
werden in Abschn. 3.3 sehen, dass dies beispielsweise für das
gebunden (unendlich) ist. In der Tat werden wir in Abschn. 3.3
Gravitationspotenzial der Fall ist. Die expliziten Lösungen wer-
eine Reihe möglicher Bahnkurven im Gravitationspotenzial fin-
den dort angegeben und diskutiert.
den, von denen einige gebunden und einige ungebunden sind.
Die Bahnkurve lässt sich über
p
dr dr dt rP 2 .E  U.r// =
D D D (3.58) Allgemeine Eigenschaften der Bahnkurven
d' dt d' 'P L=.r2 /

berechnen. Es lassen sich bereits allgemeine Aussagen über die Form


der Bahnkurven machen, indem man sich die Gestalt und das
Grenzverhalten (r ! 0 und r ! 1) von U.r/ ansieht. In
Bahnkurve im Zentralkraftfeld Abb. 3.6 ist ein Beispiel für ein effektives Potenzial U.r/ ge-
zeigt. Eine Bewegung kann wegen (3.53) und rP 2  0 nur in
Ist das effektive Potenzial U.r/ bekannt, so lautet die
solchen Bereichen stattfinden, für die E  U.r/ gilt. Die Diffe-
Bahnkurve allgemein in impliziter Form
renz EU.r/ gibt die kinetische Energie der radialen Bewegung
Zr und damit die radiale Geschwindigkeit an. Punkte ru , für die
dr0 E D U.ru / gilt, sind Umkehrpunkte (Abschn. 1.4). Dort ändert
'  '0 D L p : (3.59)
r02 2 .E  U.r0 // sich das Vorzeichen von rP und somit die radiale Bewegungsrich-
r0 tung.
Die erhaltene Energie E und der konstante Drehimpuls L Die folgenden allgemeinen Aussagen lassen sich anhand der
sowie die Anfangsbedingungen r0 und '0 bilden die sechs Form von U.r/ treffen (Abb. 3.6):
Integrationskonstanten und legen die Form und Orientie-
rung der Bahnkurve fest. Ist die Bewegung in beide Richtungen durch Umkehrpunkte
r1 und r2 , die sogenannten Apsiden, beschränkt, r1  r 
r2 , spricht man von gebundenen Bahnen. Die Punktmassen
Die gesamte Information steckt in der Gestalt des effektiven Po- können niemals zusammenstoßen und nicht ins Unendliche
tenzials U.r/ und den Werten der konstanten Parameter E und davonlaufen. Planetenbahnen (Abschn. 3.3) sind Beispiele
L. Formal ist somit das Zweikörperproblem für radialsymmetri- für gebundene Bahnen. Für den Spezialfall r1 D r D r2
sche Zentralkräfte gelöst. Praktisch hängt es allerdings von dem findet man eine Kreisbahn, da dann stets rP D 0 gelten muss.
Potenzial V.r/ ab, ob die Integrale ((3.56), (3.57) und (3.59)) In diesem Fall besitzt U ein lokales Minimum bei r, und die
3.3 Das Kepler-Problem 95

Energie E entspricht genau dem Wert des Potenzials in sei-


nem Minimum. d2 u=d' 2 D u gilt und wegen (3.61) somit F.r/ D 0
Falls das Potenzial V.r/ nicht stärker als mit r2 am Ur- sein muss. Dies ist offensichtlich korrekt: Bewegt sich ei-
sprung divergiert, gibt es aufgrund des Zentrifugalpotenzials ne Punktmasse in einem Inertialsystem auf einer Geraden,
für L 6D 0 stets einen Mindestabstand, den die beiden Punkt- kann die Kraft höchstens entlang der Bewegungsrichtung
massen nicht unterschreiten können. wirken, nicht jedoch zu einem Punkt zeigen, der außer-
Gibt es nur eine einzige Potenzialbarriere r10 < r, laufen die halb der Bahnkurve liegt. J
Punktmassen bis zum Abstand r10 aufeinander zu, wo sie ih-
re Richtung ändern und ins Unendliche davon laufen. Diese
ungebundene Bewegung wird als Streuung bezeichnet und in
Abschn. 3.4 ausführlich besprochen. Gl. (3.59) besagt, dass nach einem vollen Umlauf (z. B. von rmin
Für L D 0 laufen beide Punktmassen entweder zentral von- nach rmax und weiter nach rmin ) gerade der Winkel
einander fort oder aufeinander zu. Gibt es im zweiten Fall
keine Potenzialbarriere, fallen beide Punktmassen aufeinan- Zrmax
dr
der zu und stoßen schließlich zusammen. ' D 2L p (3.63)
r2 2.E  U.r//
rmin

In Aufgabe 3.2 wird gezeigt, dass


vom Fahrstrahl überstrichen wird. Dies setzt selbstverständ-
L2 dV lich voraus, dass rmax existiert und die Bahn gebunden ist.
Rr  3 D  (3.60) Für Planetenbahnen nennt man ' die Periheldrehung. Ist '
r dr
ein rationales Vielfaches von 2 , d. h. ist ' D 2 n=m mit

Kapitel 3
die zu (3.53) entsprechende Bewegungsgleichung zweiter Ord- n; m 2 N, so ist die Bahn nach m Umläufen geschlossen und
nung für r ist. Weiterhin wird dort gezeigt, dass sich (3.60) in periodisch. Wir werden in Abschn. 3.3 sehen, dass ideale Plane-
der Form tenbahnen ' D 2 erfüllen und damit periodisch sind.
 
L2 u2 d2 u
C u D F.1=u/ (3.61) Achtung Eine endliche (d. h. gebundene) Bahn kann peri-
 d' 2 odisch oder aperiodisch sein. Unendliche (d. h. ungebundene)
schreiben lässt, wobei u WD 1=r und F.r/ D dV=dr sind. Bahnen sind immer aperiodisch. J
Gl. (3.61) kann für die Berechnung der Zentralkraft F.r/ heran-
gezogen werden, wenn die Form der Bahnkurve r.'/ bzw. u.'/
bekannt ist. Umgekehrt kann die Bahnkurve r.'/ aus dem Kraft-
gesetz F.r/ bestimmt werden. Da der Winkel ' nur in Form 3.3 Das Kepler-Problem
einer zweiten Ableitung in (3.61) vorkommt, ist diese Gleichung
invariant unter der Substitution d' ! d' und somit sym-
Wir haben in Abschn. 3.2 einige allgemeine Eigenschaften der
metrisch gegenüber Spiegelungen an den Umkehrpunkten. Die
Lösungen der Bewegungsgleichungen in einem Zentralpotenzi-
gesamte Bahn kann daher durch wiederholte Spiegelung an den
al der Form V.r/ gefunden. Bisher wurde kein konkretes Poten-
Umkehrpunkten gefunden werden.
zial V.r/ vorgegeben. Von besonderer Bedeutung für die Physik
Achtung Dies bedeutet, dass man anhand der Bahnform sind unter anderem die Potenziale V.r/ / 1=r (Gravitations-
nicht entscheiden kann, in welcher Richtung sie durchlaufen und Coulomb-Potenzial) und V.r/ / r2 (Oszillatorpotenzial).
wird. Umgekehrt heißt dies auch, dass die Bahn exakt entge- Auf harmonische Schwingungen im r2 -Potenzial werden wir
gengesetzt durchlaufen würde, wenn in einem Moment rP und 'P in Kap. 6 gründlich eingehen. Im Folgenden wollen wir die
ihr Vorzeichen wechseln würden. J Bahnkurven im 1=r-Potenzial untersuchen. Dies führt schließ-
lich auf die wichtigen Planeten- und Kometenbahnen, die als
Geradlinige Bewegung Kegelschnitte identifiziert werden können.

Für eine Bewegung entlang einer Geraden, die im Ab-


stand p an einem Kraftzentrum vorbeiführt, gilt zunächst
Umkehrpunkte der Bahnkurven
p
D cos ': (3.62) im Gravitationsfeld
r
Hier wurde ohne Beschränkung der Allgemeinheit x1 D Wir betrachten die Bahnen von zwei Punktmassen (m1 und m2 ),
p D const gewählt. Der Winkel ' D 0 entspricht dem die sich unter dem Einfluss der Gravitation gegenseitig umlau-
Punkt der größten Annäherung, d. h. r.0/ D p. Man fen. Hierbei ist das Massenverhältnis m1 =m2 beliebig. Es ist
kann sich mit u D 1=r sofort davon überzeugen, dass nicht nötig anzunehmen, dass eine der beiden Massen ortsfest
und groß gegenüber der anderen ist.
96 3 Systeme von Punktmassen

Mit den Konventionen in Abschn. 3.2 lautet die Gravitations- rC gibt. Die Bewegung ist dann auf Bereiche r  rC ein-
kraft geschränkt. Bei kleineren Abständen ist U.r/ > E, und das
Zentrifugalpotenzial verhindert eine weitere Annäherung der
˛ r
FG WD F12 D F21 D  ; ˛ WD Gm1 m2 > 0: (3.64) beiden Massen. Diese Bewegung ist ungebunden und wird
r2 r als Streuung bezeichnet.
Der Spezialfall L D 0 (keine Drehung, 'P D 0) ent-
Die Gravitationskraft FG ist stets attraktiv. Obwohl die Cou- spricht einem direkten Fall der beiden Massen aufeinander.
lomb-Kraft FC zwischen zwei Ladungen q1 und q2 dieselbe Es gibt dann keinen Umkehrpunkt bei endlichen Abständen
Radiusabhängigkeit besitzt, kann sie attraktiv oder repulsiv und kein Zentrifugalpotenzial, das ein Aufeinandertreffen
sein. Haben beide Ladungen das gleiche Vorzeichen, ist ˛ / von m1 und m2 verhindern würde. Dies ist eine unphysika-
q1 q2 < 0 und FC demnach abstoßend. Da bei der Analyse in lische Situation, da das Potenzial V.r/ bei r D 0 singulär
diesem Abschnitt das Vorzeichen von ˛ nicht eingeschränkt ist, ist. In Wirklichkeit sind die Massen m1 und m2 stets aus-
wird das Coulomb-Problem zweier Ladungen automatisch mit- gedehnt, sodass sie aufeinanderprallen würden, wenn der
gelöst. Mittelpunktsabstand r noch endlich ist.
In allen anderen Fällen ist E < 0 und die Bewegung zwi-
Das Gravitationspotenzial ist schen zwei Umkehrpunkten gebunden, rC  r  r .
Z
˛
V.r/ D V.jx1  x2 j/ D  dr F.r/ D  C V1 : (3.65)
r Qualitative physikalische Aussagen
Die Konstante V1 ist beliebig, wird aber so gewählt, dass In vielen Fällen lassen sich qualitative physikalische Aus-
V.r/ ! 0 für r ! 1, d. h. V1 D 0. Das effektive Potenzi- sagen treffen, ohne die Bewegungsgleichungen direkt zu
Kapitel 3

al aus (3.54) lautet somit lösen. Dazu ist es hilfreich, die Struktur der Gleichungen
und gegebenenfalls Grenzfälle zu betrachten.
L2 ˛
U.r/ D  : (3.66)
2r2 r
Handelt es sich um die Bewegung von Planeten oder Kometen
um die Sonne, nennt man den sonnennächsten Punkt einer Bahn
Die Umkehrpunkte ru der Bewegung lassen sich aus der Radial-
Perihel, den sonnenfernsten Aphel (von helios, „Sonne“). Bei
gleichung (3.53) bestimmen, indem rP D 0 gesetzt wird:
einer Bewegung um die Erde (z. B. durch einen Satelliten oder
 2 den Mond) spricht man von Perigäum und Apogäum (von gaia,
ED rP C U.r/ H) E D U.ru /: (3.67) „Erde“). Allgemein spricht man von Periapsis und Apoapsis.
2
Auflösen nach ru ergibt zunächst Frage 10
0 s 1 Wie lautet der funktionale Zusammenhang des Verhältnisses der
1 @ 2L2 E A Bahngeschwindigkeiten an Perihel und Aphel und des Verhält-
ru D r˙ D ˛ ˙ ˛2 C : (3.68) nisses von Perihel- und Aphelabstand? (Die Verhältnisse sind
2E 
umgekehrt proportional. Dies folgt nach kurzer Überlegung aus
dem zweiten Kepler’schen Gesetz.)
Im Gravitationsfeld gibt es je nach Wert der Integrationskon-
stanten maximal zwei Abstände, die rP D 0 erfüllen, da die
resultierende Gleichung quadratisch ist. An der Form von (3.68)
erkennt man eine Reihe von Eigenschaften (siehe auch Abb. 3.6)
für Potenziale mit ˛ > 0: Lösung der Bewegungsgleichung

Es gibt keinen Umkehrpunkt, wenn ˛ 2 C 2L2 E= negativ Die allgemeine Gleichung (3.59) für die Bahnkurve nimmt für
wird, was nur bei hinreichend niedriger Energie passieren das Gravitationspotenzial die Form
kann, E < ˛ 2 =.2L2 /. Dies entspricht dem Fall, dass E
niedriger als der absolute Tiefpunkt von U.r/ liegt und somit Zr
nicht möglich ist, da rP 2 stets negativ wäre. dr0
'  '0 D L r   (3.69)
Es gibt genau einen Umkehrpunkt, wenn ˛ 2 C 2L2 E= D 0 ˛ L2
r0 r02 2 E C r0
 2r02
gilt. In diesem Fall entspricht der Umkehrpunkt dem absolu-
ten Tiefpunkt von U.r/. Entlang der gesamten Bahn ist dann
rP D 0; es handelt sich also um eine gebundene Kreisbahn. an. Um diese Gleichung zu lösen, substituieren wir
Für E > 0 und L2 > 0 ist r stets negativ und rC stets po-
sitiv. Da der Abstand r nur positive Werte annehmen kann, 1 dr
u WD ; du D  ; (3.70)
entspricht dies dem Fall, dass es nur einen Umkehrpunkt bei r r2
3.3 Das Kepler-Problem 97

was auf die Form annimmt. Wir sind an der Bahnkurve in der Form r.'/ interes-
siert und finden zunächst
Zu
du0 p
'  '0 D  q (3.71) r.'/ D : (3.79)
u0
2E
C 2˛ 0
u  u02 1 C " sin.'00  '/
L2 L2

führt. Der Term unter der Wurzel lässt sich mithilfe der quadra- Um die Lösung in eine Form zu bringen, die gewöhnlich in der
tischen Ergänzung umformen: Literatur zu finden ist, ersetzen wir den Term sin.'00  '/ durch
cos.'  'p /, wobei 'p D '00  =2 ist und cos x D cos.x/

2E 2˛ 0 02 2E  ˛ 2  ˛ 2 ausgenutzt wird.
2
C 2
u  u D 2
C 2
 u0  2
L L L L L
D C  .u0  u0c /2 ; (3.72) Allgemeine Bahnkurve im Gravitationspotenzial

u0c
wobei C und Konstanten sind. Somit lautet die Bahnkurve in Die Bahnkurve im Gravitationspotenzial lautet allgemein
impliziter Form
p
r.'/ D ; (3.80)
Zu 0
1 C " cos.'  'p /
du
'  '0 D  p : (3.73)
C  .u0  u0c /2 wobei p der Bahnparameter, " die Exzentrizität und 'p ei-
u0
ne weitere Integrationskonstante ist.
Dieses Integral kann elementar gelöst werden, da

Kapitel 3
d 1 In Aufgabe 3.5 betrachten wir die Probleme, die sich ergeben,
arcsin.x/ D p (3.74) wenn man an der zeitlichen Lösung r.t/ interessiert ist. Diese
dx 1  x2 kann nämlich – im Gegensatz zur Bahnkurve r.'/ – nicht in
gilt. Die allgemeine Lösung für die Bahnkurve des Kepler-Pro- geschlossener Form angegeben werden.
blems lautet daher
Frage 12
u  u0 u  ˛ Man vergewissere sich ausgehend von (3.80), dass ' D 'p der
' '00 D  arcsin p c D  arcsin q L2
 2 : (3.75) größten Annäherung der beiden Massen m1 und m2 entspricht.
C 2E
C ˛ L2 L2 Dies erklärt auch die Notation: 'p für Perihelwinkel.
Die Konstante '00 enthält '0 und die Konstante der letzten Inte-
gration. Achtung Von den vier Integrationskonstanten, die für die Lö-
sung der Bewegungsgleichungen für r und ' nötig sind, findet
Frage 11 man in (3.80) nur drei in der Form p, " und 'p . Die vierte
Überprüfen Sie alle Rechenschritte, die auf (3.75) führen. tritt nicht in Erscheinung, da sie dem Anfangspunkt auf der
Bahnkurve zur Zeit t0 entsprechen würde. Die Bahnkurve selbst
enthält allerdings keine Information über den zeitlichen Verlauf.
Die Lösung liegt noch in einer unpraktischen Form vor. Aus Erst wenn die Lösungen in der Form r.t/ oder '.t/ angege-
diesem Grund werden zwei konstante Parameter definiert: die ben werden sollen, muss entweder r.t0 / oder '.t0 / spezifiziert
Exzentrizität s werden. Beide Möglichkeiten sind wegen r.t0 / D r.'.t0// äqui-
2L2 E valent. J
" WD C10 (3.76)
˛ 2 Mathematisch handelt sich sich bei (3.80) um einen Kegelschnitt
mit der Exzentrizität " und einem Brennpunkt im Ursprung. Die
und der Bahnparameter Kegelschnitte werden in Abb. 3.7 klassifiziert. Im Folgenden
werden die verschiedenen Bahnkurven genauer diskutiert.
L2
p WD 0 .˛ > 0/: (3.77)

Die Bedeutung dieser beiden Größen wird in Kürze deutlich Kreis- und Ellipsenbahnen
werden. Man rechnet schnell nach, dass die Bahnkurve somit
die Form
Die einfachste Bahnkurve erhält man für " D 0:
pu  1
' '00 D  arcsin (3.78)
" r.'/ D p: (3.81)
98 3 Systeme von Punktmassen

ε=0 0<ε<1 ε=1 ε>1

Abb. 3.7 Veranschaulichung der Kegelschnitte. Von links nach rechts: Kreis (" D 0), Ellipse (0 < " < 1), Parabel (" D 1) und Hyperbel (" > 1)
lassen sich durch geeignete Schnitte eines Doppelkegels mit einer Ebene konstruieren. Der Neigungswinkel der Ebene nimmt von links nach rechts
zu. Für einen Kreis ist die Ebene senkrecht zur Symmetrieachse des Kegels. Im Falle einer Parabel ist der Neigungswinkel der Ebene identisch
Kapitel 3

zum Öffnungswinkel des Kegels. Nur für größere Winkel können beide Kegel gleichzeitig geschnitten werden, was auf eine Hyperbel führt

Wegen der Konstanz von p entspricht dies offensichtlich ei- x2


ner Kreisbahn. In diesem Fall ist die Energie (siehe (3.76) und
(3.77))
˛ 2 ˛
ED 2 D : (3.82) 2a
2L 2p
Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts beschränken wir uns auf
Potenziale mit ˛ > 0.
r r
Da sich das effektive Potenzial für r ! 1 wie U.r/ ! 0 ver- p
hält, können Bahnen nur gebunden sein, wenn E < 0 gilt. Dies ϕ
entspricht der Bedingung " < 1, wie aus (3.76) zu erkennen ist. 2b
Dies sieht man ebenfalls an der Form der Bahnkurve in (3.80): B2 M B1 x1
Für " < 1 ist der Nenner stets positiv und r.'/ damit endlich. f
Wir werden nun zeigen, dass der Fall " < 1 tatsächlich eine el- 2f
lipsenförmige Bahn beschreibt. Eine Ellipse ist die Menge aller
Punkte in einer Ebene, die r C r0 D 2a D const erfüllen, wobei
r und r0 die Abstände zu den beiden sogenannten Brennpunkten
sind (Abb. 3.8). Die Größe a ist die
p große Halbachse der Ellip-
se. Die kleine Halbachse ist b D a2  f 2 , wobei f der Abstand
eines Brennpunktes zum Mittelpunkt ist. Die Brennweite f wird
auch häufig als lineare Exzentrizität e bezeichnet.
Abb. 3.8 Zur Definition einer Ellipse. Jeder Punkt auf einer Ellipse hat
Man definiert die numerische Exzentrizität einer Ellipse als von den beiden Brennpunkten B1 und B2 den gleichen Gesamtabstand
(jrj C jr0 j). Der Abstand eines Brennpunktes vom Mittelpunkt M ist f ,
p s
die große und kleine Halbachse sind a und b. In diesem Fall ist das
f a2  b2 b2
" WD D D 1 2 Koordinatensystem so gewählt, dass die Brennpunkte auf der x1 -Achse
a a a (3.83) liegen und B1 den Ursprung bildet
b p
H) D 1  "2 :
a
Ellipse. Definiert man f eO 1 als den Vektor, der vom Mittelpunkt
Die Exzentrizität ist ein Maß für die Abweichung von der Kreis- der Ellipse zum Brennpunkt B1 zeigt, so gilt
form und auf das Intervall Œ0; 1/ beschränkt. Im Grenzfall " D 0
findet man wieder einen Kreis. Ein Kreis ist daher eine spezielle r  r0 D 2f eO 1 H) r02 D r2 C 4f 2 C 4fr cos ': (3.84)
3.3 Das Kepler-Problem 99

Wegen r C r0 D 2a ist weiterhin kann man die Ellipsenfläche auch in der Form
s
r02 D .2a  r/2 D 4a2 C r2  4ar: (3.85) a3 L
AD L D T (3.91)
˛ 2
Kombiniert man (3.84) und (3.85), um r0 zu eliminieren, findet
man zunächst
schreiben.
4r.f cos ' C a/ D 4.a  f /:
2 2
(3.86)
Das dritte Kepler’sche Gesetz
Aufgelöst nach r hat man
Die Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten verhalten
a2  f 2 a.1  "2 / sich wie die Kuben ihrer großen Bahnhalbachsen:
rD D : (3.87)
f cos ' C a 1 C " cos '
4 2

T2 D a3 : (3.92)
Im letzten Schritt wurde f D "a eingesetzt. Identifiziert man nun ˛
den Bahnparameter als p D a.1 "2/, findet man die Bahnkurve
in (3.80) wieder. Wir können daraus direkt das erste Kepler’sche Der Term 4 2
=˛ ist dabei näherungsweise eine Konstan-
Gesetz ableiten. te.

Interessanterweise wurden die Kepler’schen Gesetze – aufbau-


Das erste Kepler’sche Gesetz

Kapitel 3
end auf astronomischen Beobachtungsdaten – bereits in den
Die Planeten bewegen sich auf Ellipsenbahnen, in deren Jahren 1609 und 1618 postuliert. Dies war lange bevor die New-
einem Brennpunkt die Sonne steht. ton’sche Mechanik (1687) veröffentlicht und somit nachträglich
die mathematische Grundlage für die Kepler’schen Gesetze ge-
schaffen wurde.
Frage 13
Zeigen Sie ausgehend von (3.80), dass der Bahnparameter p Frage 14
dem Abstand r. =2/ entspricht, wenn man das in Abb. 3.8 de- Zeigen Sie, dass der Term =˛ in (3.92) für alle Planeten des
finierte Koordinatensystem zugrunde legt. In diesem Fall steht Sonnensystems näherungsweise 1=.Gm2 / entspricht. Nehmen
der Vektor r senkrecht auf eO 1 . Machen Sie sich anhand derselben Sie dabei an, dass die Sonnenmasse groß gegenüber den Pla-
Gleichung klar, dass der Winkel zwischen rmin und rmax gerade netenmassen ist, m2 m1 .
ist. Überlegen Sie sich dazu, welche Werte ' annehmen muss,
damit r minimal und maximal wird. Die Ellipsenbahn ist nach
einem vollen Umlauf geschlossen. Streng genommen ist der Proportionalitätsfaktor zwischen T 2
und a3 somit keine konstante Größe. Für die meisten An-
wendungen kann diese Abweichung allerdings vernachlässigt
Wegen (3.76) ist die Energie im Falle einer Ellipsenbahn werden.
Achtung Das erste und dritte Kepler’sche Gesetz sind nur für
˛ 2 ˛ 2 p ˛ anziehende Potenziale V.r/ / 1=r (z. B. Gravitationspotenzial)
E D  2 .1  "2 / D  2 D  < 0: (3.88)
2L 2L a 2a gültig. Das zweite Kepler’sche Gesetz ist jedoch für alle Poten-
ziale mit Drehimpulserhaltung erfüllt (d. h. beliebige V.r/). J
Wir wollen nun noch untersuchen, wie lang die Umlaufdauer auf
der Ellipsenbahn ist. Aus dem Flächensatz AP D L=.2/ D const
folgt
L
Parabel- und Hyperbelbahnen
AD T; (3.89)
2
Betrachten wir zunächst den speziellen Fall " D 1, für den aus
wobei A die Fläche der Ellipse und T die Umlaufdauer ist: (3.76) E D 0 folgt. An der Bahnkurve
Während eines Umlaufs wird die Ellipse einmal vollständig
überstrichen. Andererseits ist die Fläche einer Ellipse durch p
r.'/ D (3.93)
A D ab gegeben. Wegen 1 C cos '
s
p erkennt man, dass der Radius für ' D ˙ divergiert: Die Bahn
p L2 a
b D a 1  "2 D ap D (3.90) ist ungebunden. Mathematisch entspricht diese Bahnkurve ei-
˛ ner Parabel. Eine Parabel ist die Menge aller Punkte in einer
100 3 Systeme von Punktmassen

a b
x2 x2

r

p r
r r
p

ϕ ϕ
B x1 B2 M B1 x1

2f a
f
Kapitel 3

Abb. 3.9 Zur Definition einer Parabel (a) und Hyperbel (b). Jeder Punkt auf einer Parabel hat zum Brennpunkt B und der Leitlinie (x2 -Achse) den
gleichen Abstand (jrj D jr0 j). Die Länge f entspricht dem Abstand vom Brennpunkt zum Scheitelpunkt der Parabel bzw. dem Abstand zwischen
Scheitelpunkt und Leitlinie. Bei einer Hyperbel ist für jeden Punkt die Differenz der Abstände zu beiden Brennpunkten eine Konstante. Eine
Hyperbel besteht aus zwei getrennten Ästen, einer mit Brennpunkt B1 , der andere mit Brennpunkt B2 . Beide gehen durch eine Spiegelung an
der Leitlinie (x2 -Achse) ineinander über. Man beachte die Definition des Winkels ' für eine Parabel und Hyperbel einerseits und für eine Ellipse
(Abb. 3.8) andererseits. In allen Fällen entspricht ' D 0 dem kleinsten Abstand zum Brennpunkt

Ebene, die zu dem Brennpunkt und der Leitlinie den gleichen wie bei der Ellipsengleichung führt schließlich auf
Abstand haben (Abb. 3.9). Aus dieser Abbildung erkennt man,
p
dass rD ; (3.96)
1 C " cos '
2f
r D 2f  r cos ' H) rD (3.94) wobei " D f =a die Exzentrizität und p D a."2  1/ der Bahnpa-
1 C cos '
rameter einer Hyperbel sind.
gilt. In diesem Fall sind der Abstand des Brennpunktes von der
Leitlinie und der Bahnparameter über p D 2f verknüpft. Frage 15
Der interessierte Leser darf die Rechnung, die auf das Zwi-
Der letzte verbleibende Fall ist " > 1 und damit E > 0. Dies
schenergebnis p D a."2  1/ führt, nachvollziehen. Dazu
entspricht einem der beiden Äste einer Hyperbel. Hier divergiert
verwende man die Definitionen und Konventionen für eine Hy-
der Abstand r, wenn 1 C " cos ' D 0 wird:
perbel in Abb. 3.9 und orientiere sich an der entsprechenden
  Rechnung für eine Ellipse.
1
'1 D arccos  > : (3.95)
" 2
Achtung Ist das 1=r-Potenzial abstoßend, z. B. für zwei iden-
Winkel, die auf negative Abstände führen, sind auszuschließen, tische Ladungen, ist ˛ < 0. Man erkennt sofort, dass die
da stets r  0 erfüllt sein muss. Daher ist die Bewegung auf Exzentrizität " der Bahn unabhängig vom Vorzeichen ist, der
Winkel j'j  '1 eingeschränkt. Diese Art der Bewegung nennt Stoßparameter p wird allerdings negativ. Aus (3.80) folgt dann,
man Streuung (Abschn. 3.4), da die Punktmassen aus dem Un- dass es Werte für ' geben muss, für die 1 C " cos ' negativ ist,
endlichen kommend wechselwirken und daraufhin mit einem da stets r  0 erfüllt sein muss. Somit können für das abstoßen-
Streuwinkel 2'1 zurück ins Unendliche laufen. de Potenzial nur Bahnen mit " > 1 und damit keine gebundenen
Bahnen existieren. J
Eine Hyperbel ist die Menge aller Punkte in einer Ebene, die
von zwei Brennpunkten die Abstände r0 und r besitzen und für Genau wie die Kreisbahn findet man die Parabelbahn nur für
die r0  r D 2a D const gilt (Abb. 3.9). Ein ähnliches Vorgehen einen exakt eingestellten Energiewert (E D ˛=.2p/ für einen
3.4 Elastische Stöße und Streuung 101

Kreis und E D 0 für eine Parabel). In der Realität beobachtet Energieerhaltung wichtige Aussagen über Stöße getroffen wer-
man in der Regel Ellipsenbahnen bei gebundenen und Hyper- den können, die sogar in der Quantenmechanik ihre Gültigkeit
belbahnen bei ungebundenen Himmelskörpern. behalten.
Bei der Streuung werden die einfallenden Teilchen um einen
Winkel, den Streuwinkel, abgelenkt. Wir werden sehen, dass
der Streuwinkel eng mit dem Wechselwirkungspotenzial zusam-
Periheldrehung menhängt. Dabei kommt der Wirkungsquerschnitt der Wechsel-
wirkung ins Spiel.
Gl. (3.80) besagt, dass bei einem vollen Umlauf auf einer Ellip- In Experimenten lassen sich durch die Vermessung der Streu-
senbahn (" < 1) im Gravitationspotenzial die Bahn geschlossen winkel und des Wirkungsquerschnitts Aussagen über die Art
ist. Das Perihel befindet sich immer am gleichen Ort. Dies gilt der Wechselwirkung zwischen den Teilchen treffen. Dies wurde
nicht, wenn das Potenzial von der 1=r-Form abweicht. In Wirk- zwischen 1909 und 1913 von Rutherford zuerst mit der Streu-
lichkeit gibt es viele Ursachen für geringfügige Korrekturen ung von Heliumkernen an einer Goldfolie durchgeführt. Dies
dieses Potenzials: Einfluss der übrigen Planeten, Abweichung führte auf das Rutherford’sche Atommodell: Die gesamte posi-
der Sonnenform von der Kugelgestalt, relativistische Effekte. tive Ladung des Atomkerns ist in einem sehr kleinen Volumen
Dies ist besonders bei Merkur zu sehen, dessen Perihel sich pro im Zentrum konzentriert.
Erdjahr um 5,74 Bogensekunden verschiebt. Merkur ist der son-
nennächste und schnellste Planet und erfährt somit die stärksten
Bahnstörungen.
Elastischer Stoß zwischen zwei Teilchen
Ist die Störung klein, kann man

Kapitel 3
V.r/ D V0 .r/ C ıV.r/; ıV V0 (3.97) Wir untersuchen das Verhalten zweier Teilchen (z. B. zweier
Elementarteilchen oder Himmelskörper), die, aus dem Unendli-
schreiben, d. h., man schreibt das Potenzial als Summe des chen kommend, miteinander wechselwirken und danach wieder
ungestörten Potenzials und einer kleinen Korrektur. Für das ins Unendliche fortlaufen. Die Wechselwirkung sei elastisch,
Kepler-Problem ist V0 .r/ D ˛=r. In Aufgabe 3.3 wird gezeigt, d. h., die mechanische Energie wird nicht in andere Energiefor-
dass die durch die Störung verursachte zusätzliche Periheldre- men wie Verformung oder Wärme umgewandelt: Die Summe
hung nach einem vollen Umlauf aus kinetischer und potenzieller Energie ist erhalten. Der Ener-
0 1 gieerhaltungssatz ist – zusammen mit dem Impulserhaltungs-
Z
@ 2 satz – der zentrale Ausgangspunkt für diesen Abschnitt. Selbst-
ı' D @ r2 ıV.r/ d' A (3.98) verständlich setzen wir auch stillschweigend voraus, dass die
@L L
0 Massen der beiden Teilchen sich nicht ändern. Man bezeichnet
die Masse, den Impuls und die Energie auch als Kollisionsinva-
ist. Zur Berechnung von (3.98) muss zunächst das Störpotenzial rianten oder Stoßinvarianten. In Kap. 10 wird die inelastische
ıV.r/ spezifiziert und das Integral unter Berücksichtigung von Streuung behandelt, wo diese Voraussetzungen nicht mehr er-
r D r.'/ gelöst werden. Hierzu verwendet man die ungestör- füllt sind.
te Bahnkurve, d. h. diejenige, die sich aus dem Potenzial V0 .r/
ergibt. Die beiden Teilchen haben die Massen m1 und m2 und Ge-
schwindigkeiten vi;1 und vi;2 vor dem Stoß und vf;1 und vf;2
Der Grund ist, dass ıV.r/ bereits eine kleine Größe ist. Würde nach dem Stoß (i für initial und f für final, wie in der Physik
man statt r.'/ die gestörte Bahnkurve r.'/ C ır.'/ verwenden, üblich). Die Wechselwirkung habe die Eigenschaft, dass im Un-
würde man mit ır.'/ eine weitere kleine Korrektur einbringen, endlichen keine Kraft zwischen den beiden Teilchen wirkt. Dies
die letztlich von zweiter Ordnung in ı und damit vernachläs- ist beispielsweise für gravitative Wechselwirkungen der Fall, da
sigbar ist. Im Allgemeinen hängt die Bahnkurve und damit das die Kraft mit 1=r2 für r ! 1 gegen null geht. Wir gehen davon
Integral von L ab, sodass im letzten Schritt die Ableitung nach aus, dass die beiden Teilchen zusammen ein isoliertes System
L durchgeführt werden kann. Dies wird anhand eines einfachen bilden und die Wechselwirkung dem dritten Newton’schen Axi-
Beispiels in Aufgabe 3.3 durchgeführt. om gehorcht. Dann ist der Gesamtimpuls erhalten:
m1 vi;1 C m2 vi;2 D m1 vf;1 C m2 vf;2 : (3.99)
Aufgrund der bereits verlangten Energieerhaltung gilt weiterhin
3.4 Elastische Stöße und Streuung m1 2 m2 2 m1 2 m2 2
vi;1 C vi;2 D vf;1 C v : (3.100)
2 2 2 2 f;2
Stöße von zwei Teilchen und die Streuung von Teilchen an so- Eine potenzielle Energie im Unendlichen ist unerheblich, da sie
genannten Targets spielen eine große Rolle in der Physik. Es vor und nach dem Stoß gleich ist und nicht in die Bilanzglei-
zeigt sich, dass allein aufgrund der allgemeinen Impuls- und chung eingeht. Außerdem lässt sich die Integrationskonstante
102 3 Systeme von Punktmassen

Vertiefung: Laplace-Runge-Lenz-Vektor
Zusammenhang mit Abwesenheit der Periheldrehung

Eng verbunden mit dem idealen Kepler-Problem (d. h. oh- nicht erhalten wäre. Dazu muss man anmerken, dass im
ne Periheldrehung) ist der sogenannte Laplace-Runge-Lenz- Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie sehr wohl eine
Vektor (nach dem französischen Mathematiker und Physiker Periheldrehung existiert, die nichts mit äußeren Störeffekten
Pierre-Simon Laplace, 1749–1827, dem deutschen Mathe- zu tun hat, sondern durch die Raumkrümmung verursacht
matiker Carl Runge, 1856–1927 und dem deutschen Physi- wird, welche die beiden sich umkreisenden Massen erzeu-
ker Wilhelm Lenz, 1888–1957). Er ist definiert als (Goldstein gen.
1975, 1976)
Achtung Gelegentlich wird Q in der Literatur mit einem
1 r
Q WD .Pr  L/  abweichenden konstanten Vorfaktor definiert. Bis auf seinen
˛ r Betrag ändert dies nichts an seinen Eigenschaften. Andere
und hat folgende Eigenschaften (siehe Aufgabe 3.4): Autoren bezeichnen den Vektor mit . J
Der Vektor Q erfüllt im 1=r-Potenzial Q P D 0 und ist dort
somit eine Erhaltungsgröße.
Sein Betrag entspricht der Exzentrizität, jQj D ". Literatur
Er liegt in der Bahnebene und zeigt vom Ursprung zum
Perihel bzw. Perigäum. Goldstein, H.: Prehistory of the “Runge-Lenz” Vector.
Kapitel 3

Am. J. Phys. 43, 737 (1975)


Dies bedeutet vor allem, dass es im Newton’schen Gravi- Goldstein, H.: More on the Prehistory of the Laplace or
tationspotenzial keine Periheldrehung gibt, da sonst Q dort Runge-Lenz Vector. Am. J. Phys. 44, 1123 (1976)

der potenziellen Energie stets so wählen, dass V.r/ D V.x1 


x2 / ! 0 für jrj ! 1 erfüllt ist. Bereits mit diesen sehr allge- v f,1
meinen Erhaltungssätzen lassen sich wichtige Aussagen treffen.
Die Untersuchung vereinfacht sich, wenn sie im Schwerpunkt-
system S0 durchgeführt wird (mit einem Strich gekennzeichnet).
Die Orte der beiden Teilchen (i D 1; 2) und des Schwerpunktes
sind v i,1
ϑ
m1 x1 .t/ C m2 x2 .t/
x0i .t/ D xi .t/  X.t/; X.t/ D : (3.101) X
b
m1 C m2
ϑ
v i,2
Per Definition ist X0 D 0. Wegen der Impulserhaltung ist das
Schwerpunktsystem ein Inertialsystem, und die Geschwindig-
keiten und Beschleunigungen transformieren sich wie

P
xP i D xP 0i C X; xR i D xR 0i D r 0i V.x01  x02 /: (3.102)
v f,2
Die Erhaltungssätze aus (3.99) und (3.100) lauten im Schwer-
punktsystem
Abb. 3.10 Beispiel der Streuung im Schwerpunktsystem S0 für zwei
m1 v0i;1 C m2 v0i;2 D m1 v0f;1 C m2 v0f;2 D 0; identische Massen (m1 D m2 ). Beide Bahnkurven sind zu jedem
Zeitpunkt punktsymmetrisch zum Schwerpunkt X. Durch die Streu-
m1 02 m2 02 m1 02 m2 02 (3.103)
v C v D v C v : ung werden die beiden Punktmassen um denselben Streuwinkel # 0
2 i;1 2 i;2 2 f;1 2 f;2 abgelenkt. Die Gleichheit der Streuwinkel gilt für jedes beliebige Mas-
senverhältnis m1 =m2 . Die Asymptoten der Bahnkurven sind ebenfalls
eingezeichnet. Den asymptotischen Abstand b der Bahnkurven beider
Aus der Impulserhaltung folgt sofort m1 v0i;1 D m2 v0i;2 und
Punktmassen nennt man Stoßparameter
m1 v0f;1 D m2 v0f;2 . Der Winkel zwischen Einfalls- und Ausfalls-
richtung ist der Streuwinkel # 0 (Abb. 3.10):
Achtung Der Streuwinkel ist im Schwerpunktsystem S0 für
v 0  v0 v0  v0 beide Teilchen gleich, da der Gesamtimpuls dort verschwindet.
cos # 0 D ˇ 0i;1ˇ ˇ f;1 ˇ D ˇ 0i;2ˇ ˇ f;2 ˇ: (3.104) Dies ist in einem beliebigen Inertialsystem allerdings nicht der
ˇv ˇ ˇv 0 ˇ ˇv ˇ ˇv 0 ˇ
i;1 f;1 i;2 f;2 Fall. J
3.4 Elastische Stöße und Streuung 103

a b

ϑ2

v f,1
v f,1 v f,2 v f,2

ϑ ϑ Ẋ ϑ2
ϑ1
v i,2

Abb. 3.11 Zum Transformationsverhalten der Streuwinkel #1 und #2 im Laborsystem S und # 0 im Schwerpunktsystem S0 . In a wird dargestellt,
wie der Streuwinkel #1 durch die Schwerpunktsgeschwindigkeit XP beeinflusst wird. Das Dreieck, das in b durch die Vektoren v0f;2 , vf;2 und v0i;2
bzw. XP gebildet wird, ist gleichschenklig, da jv0f;2 j D jv0i;2 j gilt

Frage 16 ist. Nach dem Stoß ist die Geschwindigkeit von m1 im Labor-
Zeigen Sie durch geeignete Kombination der Gleichungen in system S
m1
(3.103), dass folgende Eigenschaften gelten: vf;1 D v0f;1 C XP D v0f;1 C vi;1 : (3.108)
M

Kapitel 3
jv0i;1 j D jv0f;1 j; jv0i;2 j D jv0f;2 j: (3.105) Aus Abb. 3.11 erkennt man die Relationen zwischen den Streu-
winkeln in S und S0 :
Die Beträge der Geschwindigkeiten im Schwerpunktsystem S0
0
vor und nach dem Stoß sind also gleich. vf;1 sin #1 D vf;1 sin # 0 ;
0 m1 (3.109)
vf;1 cos #1 D vf;1 cos # 0 C vi;1 ;
M

wobei (3.106) benutzt und mit #1 der Streuwinkel von m1 im


Transformation der Streuwinkel
Laborsystem eingeführt wurde. Diese Gleichungen beinhalten
vom Schwerpunkt- ins Laborsystem die Geschwindigkeiten in beiden Koordinatensystemen. Darum
gehen wir einen Schritt weiter und schreiben mit (3.105) und
Ohne genauere Aussagen über die Form des Potenzials V.x1  (3.107) den Tangens des Streuwinkels in S:
x2 / zu machen, ist es nicht möglich, den Streuwinkel # 0 zu be- 0
rechnen. Bevor wir dies jedoch unternehmen, wollen wir noch sin #1 vf;1 sin # 0
tan #1 D D 0
untersuchen, wie sich der Streuwinkel beim Übergang in das cos #1 vf;1 cos # 0 C mM1 vi;1
Laborsystem S transformiert. Das Laborsystem ist jenes Ko- sin # 0
ordinatensystem, in dem m2 anfangs ruht. Der Gesamtimpuls D : (3.110)
cos # 0 C m1
verschwindet daher nicht, und wir werden sehen, dass die Streu- m2
winkel der beiden Teilchen nicht identisch sind und in der
Regel nicht dem Schwerpunktstreuwinkel # 0 entsprechen. Die Frage 17
Relevanz der Streuwinkeltransformation vom Schwerpunkt- ins Überprüfen Sie das Endergebnis in (3.110).
Laborsystem ist direkt ersichtlich: Häufig werden in Experimen-
ten Teilchen auf ruhende Targets geschossen. Es ist daher von
großer Bedeutung, die Beobachtungen in beiden Bezugssyste- Gl. (3.110) erlaubt es, nur mit Kenntnis des Massenverhält-
men miteinander in Relation zu bringen. nisses m1 =m2 , den Streuwinkel für m1 zwischen Labor- und
Schwerpunktsystem umzurechnen. Aus Abb. 3.12 liest man die
Ruht die Masse m2 in S vor dem Stoß, vi;2 D 0, bewegt sich der
folgenden Eigenschaften der Transformation ab:
Schwerpunkt von m1 und m2 gemäß
m1 Ist m1 m2 , sind beide Streuwinkel praktisch identisch,
XP D vi;1 ; (3.106) #1 # 0 .
M
Für m1  m2 beobachtet man im Laborsystem keine Rück-
wobei M D m1 C m2 die Gesamtmasse ist. Daraus folgt sofort, wärtsstreuung mehr, da #1  =2 gilt. Der maximal erreich-
dass die Geschwindigkeit von m1 im Schwerpunktsystem S0 vor bare Streuwinkel #1 nimmt ab, wenn das Massenverhältnis
dem Stoß
m2 m1 =m2 weiter erhöht wird. Die Kurve #1 .# 0 / ist dann nicht
v0i;1 D vi;1  XP D vi;1 (3.107) mehr monoton.
M
104 3 Systeme von Punktmassen

ϑ1 Wir gehen wieder davon aus, dass vi;2 D 0 ist. Dann gilt wegen
m1 /m2 = 0,01
(3.106)
180◦
m1 /m2 = 0,05  2  m1 2
m1 /m2 = 0,09 v2f;1 D v0f;1 C XP D v0f;1 C vi;1
M
m1 /m2 = 1 (3.114)
2m m2
D v02
1 0
135◦ m1 /m2 = 1,1
f;1 C jvf;1 jjvi;1 j cos # 0 C 12 v2i;1 :
m1 /m2 = 2 M M
m1 /m2 = 10 Die Energieerhaltung verlangt, wie bereits erwähnt,
90◦
 
v02 02
f;1 D vi;1 D vi;1  X
P 2
 m1 2  m1 2 (3.115)
D vi;1  vi;1 D v2i;1 1  :
M M
45◦
Kombiniert man (3.114) und (3.115), folgt

m1 2 2m1  m1  m2
vf;1 D vi;1 1 
2 2
C 1 cos # 0 C 12
0◦ M M M M
0◦ 45◦ 90◦ 135◦ 180◦ ϑ h m  m  i
.cos # 0  1/ :
1 1
D v2i;1 1 C 2 1
M M
Abb. 3.12 Funktionaler Zusammenhang zwischen den Streuwinkeln # 0 (3.116)
im Schwerpunktsystem S0 und #1 im Laborsystem S. Wegen (3.110)
hängt #1 .# 0 / vom Massenverhältnis m1 =m2 ab
Kapitel 3

Energieübertrag bei elastischer Streuung


im Laborsystem
Nun suchen wir noch den Streuwinkel #2 in S. Die Geschwin-
digkeit der Masse m2 in S ist anfangs vi;2 D 0. In S0 gilt daher Die relative Änderung der kinetischen Energie eines im
Laborsystem gestreuten Teilchens der Masse m1 ist
m1
v0i;2 D XP D  vi;1 : (3.111) Tf;1  Ti;1 m1  m1 
M D2 1 .cos # 0  1/  0 (3.117)
Ti;1 M M
In Abb. 3.11 bilden die drei Vektoren vf;2 , v0f;2 und XP ein
mit M D m1 Cm2 . Für alle Streuwinkel # 0 > 0 verliert das
Dreieck, da vf;2 D v0f;2 C XP gilt. Weiterhin ist wegen (3.105)
Teilchen kinetische Energie, die auf das zweite Teilchen
jv0i;2 j D jv0f;2 j. Die Vektoren v0i;2 , v0f;2 und XP sind also gleich lang,
weshalb das Dreieck gleichschenklig ist. Der Winkel zwischen übertragen wird. Der Streuwinkel # 0 im Schwerpunktsys-
tem kann formal mithilfe von (3.110) in den Streuwinkel
vf;2 und XP ist der gesuchte Winkel #2 . Wegen der Gleichschenk-
im Laborsystem überführt werden.
ligkeit des Dreiecks gilt dies ebenfalls für den Winkel zwischen
vf;2 und v0f;2 . Der dritte verbleibende Winkel im Dreieck ist # 0 ,
da XP D v0i;2 gilt. Aus der bekannten Winkelsumme im Dreieck
folgt Frage 18
 #0 Unter bestimmten Umständen kann es passieren, dass m1 in S
#2 D : (3.112) seine gesamte kinetische Energie an m2 abgibt: m1 ruht dann
2
nach dem Stoß, Tf;1 D 0. Machen Sie sich zunächst anschau-
lich klar, dass dies nur für # 0 D möglich ist. Zeigen Sie dann
anhand von (3.117), dass ein Massenverhältnis m1 =m2 D 1 not-
wendig ist, um Tf;1 D 0 zu erreichen. Das Ergebnis erklärt die
Energieübertrag bei elastischer Streuung Funktionsweise des Newton’schen Pendels (Abb. 3.13).
im Laborsystem
Fly-by-Manöver
Da die Geschwindigkeiten der beiden Teilchen laut (3.105) in S0
vor und nach dem Stoß identisch sind, sind auch die kinetischen In der Raumfahrt ist das sogenannte Fly-by- oder Swing-
Energien gleich: by-Manöver eine wichtige Anwendung der elastischen
Streuung. Dabei wird eine Raumsonde an einem Planeten
0 0 0 0
Tf;1 D Ti;1 ; Tf;2 D Ti;1 : (3.113) gestreut, um Betrag und Richtung der Geschwindigkeit zu
ändern. Der Planet erfährt aufgrund seiner großen Mas-
Diese Aussage ist jedoch nicht in S gültig. Dort kommt es zu se dabei keine messbare Geschwindigkeitsänderung. Der
einem Energieübertrag zwischen den beiden Teilchen.
3.4 Elastische Stöße und Streuung 105

Anwendung: Neutronenstreuung in Kernreaktoren


Wahl des Moderators

Werden Neutronen in einem Kernreaktor an Atomen elas- keit zu einer Kernspaltung führen als schnelle, müssen die
tisch gestreut, übertragen sie kinetische Energie an die Tar- schnelleren zunächst abgebremst (moderiert) werden. Da-
getatome und werden dadurch abgebremst. Der Vorfaktor zu eignen sich am besten Moderatoren mit einem geringen
y.1  y/ mit y WD m1 =M in (3.117) wird maximal, wenn Atomgewicht. Hierbei muss zusätzlich berücksichtigt wer-
y D 1=2 bzw. m1 D M=2 und somit m1 D m2 ist. Die den, dass der Moderator keine Neutronen einfangen soll, da
effizienteste Abbremsung eines Neutrons wird daher mit ei- diese sonst der Kettenreaktion entzogen werden. Häufig ver-
nem Target der gleichen Masse erreicht. Dieser Effekt ist für wendete Moderatoren sind Deuterium (ein Wasserstoffisotop
den Betrieb von Kernreaktoren von großer Bedeutung: Da mit einem Neutron und einem Proton im Kern) oder Kohlen-
langsame Neutronen mit einer viel höheren Wahrscheinlich- stoff in Form von Grafit.

a b c

Kapitel 3
Abb. 3.13 Funktionsweise des Newton’schen Pendels. Lenkt man die beiden linken Kugeln aus und lässt sie los (a), stoßen sie mit den übrigen
drei Kugeln zusammen, welche anfangs in Ruhe waren (b). Energie und Impuls können nur dann gleichzeitig erhalten werden, wenn die beiden
rechten Kugeln nach dem Stoß die Schwingung fortsetzen und die übrigen ruhen (c). Die Aussage ist auch dann gültig, wenn anfangs eine, drei
oder vier Kugeln ausgelenkt werden

zwischen dem Streuwinkel und den Bedingungen, unter denen


„Trick“ bei diesem Manöver ist, dass die kinetische Ener- ein Teilchen gestreut wird. Entscheidend dafür sind insbeson-
gie der Raumsonde zwar im Schwerpunktsystem vor und dere die Form des Wechselwirkungspotenzials, die Energie und
nach dem Stoß gleich ist, nicht aber im Bezugssystem der der Drehimpuls des einfallenden Teilchens.
Sonne. Somit lassen sich Raumsonden mit einem gerin-
Man stelle sich ein Teilchen der Masse m1 vor, das aus dem
gen Treibstoffbedarf relativ zur Sonne beschleunigen, was
Unendlichen kommend durch ein Target der Masse m2 gestreut
beispielsweise die Voyager-Missionen zur Erkundung des
wird. Wir können die Situation durch das äquivalente Einteil-
äußeren Sonnensystems ermöglichte. J
chenproblem mit reduzierter Masse  im Schwerpunktsystem
beschreiben. Da das Potenzial im Unendlichen verschwinden
soll, kann die erhaltene Energie in der Form
 2
ED v >0 (3.118)
Stoßparameter und Streuwinkel 2 1
geschrieben werden. Hier ist v1 die Relativgeschwindigkeit im
Bis zu diesem Punkt wurde nur die Kinematik der Streuung Unendlichen. Wir beschränken uns nun auf radialsymmetrische
untersucht. Die bisherige Diskussion ist für sämtliche Poten- Zentralkräfte (d. h. auf Potenziale der Form V.r/), sodass der
ziale der Form V.x2  x1 /, die im Unendlichen verschwinden, Betrag des Drehimpulses,
gültig und hat zu sehr allgemeinen Ergebnissen geführt. Als Fol-
ge davon ist die Betrachtung des Streuwinkels bis zu diesem L D bv1  0; (3.119)
Punkt rein qualitativ. Für die praktische Anwendung ist es je-
doch wichtig zu wissen, wie viele Teilchen eines einfallenden erhalten ist. Die Größe b ist der Stoßparameter, der Mindestab-
Teilchenstrahles durch ein Target unter einem bestimmten Win- stand, mit dem m1 das Target m2 passieren würde, wenn es
kel gestreut werden. Um dieses Ziel zu erreichen, gehen wir keine Wechselwirkung zwischen beiden gäbe (Abb. 3.14). Die
schrittweise vor. Zunächst stellen wir einen Zusammenhang her Relativbewegung von m1 und m2 ist aufgrund der Annahmen
106 3 Systeme von Punktmassen

gilt, wobei U.r/ D V.r/ C L2 =.2r2/ eingesetzt wurde. Wenn


v∞ das Potenzial V.r/ und die Energie E bekannt sind, ist der Streu-
winkel nur eine Funktion des Stoßparameters b. Umgekehrt lässt
sich auf das Wechselwirkungspotenzial schließen, wenn man
den Streuwinkel als Funktion des Stoßparameters misst.
Wie bei der Bestimmung der Bahnkurven hängt es auch hier
Δϕ
von der funktionalen Form von V.r/ ab, ob der Streuwinkel # 0
v∞
ϑ analytisch berechnet werden kann.
Die Streuung eines Teilchens im Gravitations- bzw. Coulomb-
rmin b Potenzial nennt man Rutherford’sche Streuung (nach dem neu-
seeländischen Physiker Ernest Rutherford, 1871–1937). Dort
O lässt sich ein einfacher funktionaler Zusammenhang zwischen
Stoßparameter und Streuwinkel in geschlossener Form angeben.
Aus der Hyperbelbahn (3.80) des Kepler-Problems folgt
 
Abb. 3.14 Streuung für das effektive Einkörperproblem. Die effektive 1
Masse nähert sich dem Ursprung O zunächst auf einer Bahn, die mit ' D 2 arccos  (3.123)
"
dem Stoßparameter b daran vorbeiführen würde. Sie wird jedoch unter
einem Winkel # 0 gestreut, nähert sich dem Ursprung bis auf rmin und mit der numerischen Exzentrizität " in (3.76). Der Zusammen-
entfernt sich wieder. Der Betrag von Einfalls- und Ausfallsgeschwin- hang zwischen Stoßparameter und Streuwinkel ergibt sich durch
digkeit ist v1 . Der Winkel ' wird von den asymptotischen Bahnästen Einsetzen von (3.76) in (3.123), Elimination des Drehimpulses
Kapitel 3

eingeschlossen
mithilfe von (3.119) und anschließendem Auflösen.

ungebunden, und  wird unter einem Winkel # 0 gestreut. Dies


Zusammenhang zwischen Stoßparameter und Streu-
ist gerade der Streuwinkel im Schwerpunktsystem. Wir werden
winkel bei der Rutherford’schen Streuung
nun zunächst zeigen, dass der Streuwinkel von der Art des Po-
tenzials, der Energie und dem Stoßparameter abhängt. Gl. (3.59) Wird ein Teilchen im Gravitations- bzw. Coulomb-Po-
beschreibt die allgemeine Bahnkurve im radialsymmetrischen tenzial gestreut, lautet die geschlossene Form für den
Zentralkraftfeld. Da die Bahnkurve symmetrisch bei Spiegelung Zusammenhang zwischen Stoßparameter und Streuwinkel
am Umkehrpunkt (hier: Mindestabstand) ist, gilt im Schwerpunktsystem
  2
Z1 1 ˛
dr0 b D
2
1 : (3.124)
' D 2L p : (3.120) 0
sin .# =2/
2 4E 2
r02 2 .E  U.r0 //
rmin

Dies entspricht auch (3.63), wenn rmax D 1 gesetzt wird. Die Frage 20
Größe ' ist der Winkel zwischen den asymptotischen Einfall-
Überzeugen Sie sich von dem Ergebnis in (3.124). Ersetzen
und Ausfallästen der Bahnkurve.
Sie dazu den auftretenden Kosinus durch den Sinus, indem Sie
# 0 D  ' und sin x D cos.x  =2/ ausnutzen. Zeigen
Frage 19 Sie weiterhin, dass es für b2 keine Rolle spielt, ob das Potenzi-
Überlegen Sie sich, dass der Mindestabstand rmin aus der Bedin- al anziehend oder abstoßend ist. Tipp: Überprüfen Sie, welche
gung dr=d' D 0 folgt, was wegen (3.58) direkt auf E D U.rmin / Folgen die Transformation ˛ ! ˛ hat.
führt. Diese Ergebnisse haben wir bereits in Abschn. 3.2 ge-
funden. Der Mindestabstand ist eindeutig durch das effektive
Potenzial und die Energie bestimmt.

Differenzieller und totaler Wirkungsquerschnitt


Der Drehimpuls kann als Funktion von b und E geschrieben
werden: p
L D b 2E: (3.121) Wir stellen uns nun einen parallelen Strahl von Teilchen mit ei-
ner konstanten und homogenen Teilchenstromdichte
Der Streuwinkel ist # 0 D ' (Abb. 3.14), sodass schließlich
N
ID (3.125)
Z1 t f
0 dr0
# D  2b p (3.122) vor, d. h., pro Zeiteinheit t laufen N Teilchen durch eine Flä-
r02 .1  b2 =r02  V.r0 /=E/
rmin che f hindurch. Jedes Teilchen habe die Energie E (3.118).
3.4 Elastische Stöße und Streuung 107

b ϑ

db dϑ

Kapitel 3
Abb. 3.15 Skizze eines Streuexperiments. Teilchen mit Stoßparameter b werden durch ein Target gestreut und anschließend unter einem Streu-
winkel # 0 mit einem Detektor nachgewiesen. Idealerweise befindet sich der Detektor in einem sehr großen Abstand vom Streuzentrum (hier ist
der Abstand nicht maßstäblich eingezeichnet)

Als Koordinatensystem wählen wir Zylinderkoordinaten mit der Es ist einleuchtend, dass der Detektor pro Zeiteinheit t eine
Symmetrieachse entlang der Einfallsrichtung des Strahles. Wir Zahl n.# 0 / von Teilchen nachweist, die sowohl proportional zum
nehmen an, dass die Teilchen nicht miteinander wechselwirken. einfallenden Teilchenstrom I als auch zur Detektorfläche d ist.
Der Strahl sei auf eine Folie gerichtet, in der sich eine große An- Der entsprechende Proportionalitätsfaktor lautet
zahl von Targets befinde. Die Folie sei allerdings so dünn, dass
man annehmen kann, dass jedes einfallende Teilchen höchstens d n.# 0 /
WD (3.128)
an einem Target gestreut wird. Die Teilchen werden dann statis- d It d
tisch unter verschiedenen Winkeln # 0 gestreut.
und wird differenzieller Wirkungsquerschnitt genannt.
Wir legen für die Wechselwirkung mit dem Target ein Potenzial
der Form V.r/ zugrunde. Daher ist die Streuung unabhängig vom Frage 22
Azimutwinkel '. Ein Detektor befinde sich im Abstand r vom Der Name Wirkungsquerschnitt liegt darin begründet, dass
Streuzentrum und im Winkel # 0 zum Teilchentrom. Er habe eine d=d die Dimension einer Fläche hat. Überzeugen Sie sich
infinitesimale Fläche df (Abb. 3.15). Die Oberfläche einer Kugel davon.
mit Radius r ist 4 r2 . Der Detektor deckt also einen Bruchteil
d df
D (3.126) Im Experiment lässt sich n.# 0/ als Funktion des Streuwinkels
 4 r2
vermessen. Dies erlaubt Rückschlüsse auf die Art des streuen-
des gesamten Raumwinkels 4 ab. Das Raumwinkelelement d den Potenzials, da der differenzielle Wirkungsquerschnitt und
lässt sich dann in der Form das Potenzial eng miteinander verbunden sind, wie wir in Kürze
df sehen werden.
d D d' sin # 0 d# 0 D (3.127)
r2 Der totale Wirkungsquerschnitt ist das Raumwinkelintegral des
schreiben. differenziellen Wirkungsquerschnitts:

Frage 21 Z Z
d d
R R2 R D d D2 d# 0 sin # 0 : (3.129)
Man rechne  D d D 0 d' 0 sin # 0 d# 0 D 4 nach. d d
0
108 3 Systeme von Punktmassen

Hier wurde die Integration über ' bereits ausgeführt, da der Bezugssystemen (S und S0 ) muss die Anzahl der in einen Raum-
differenzielle Wirkungsquerschnitt nur vom Winkel # 0 abhängt. winkelbereich gestreuten Teilchen identisch sein. Gl. (3.130)
Welche Bedeutung hat der totale Wirkungsquerschnitt? Er ent- führt dann direkt auf
spricht der Fläche , die It D n erfüllt, wobei n D ˇ ˇ
R d ˇˇ d ˇˇ
d n.# 0/ die Gesamtzahl der in der Zeit t gestreuten Teil- sin # jd# j D sin # 0 jd# 0j (3.132)
d ˇ d ˇ 0
1 1
chen ist. Somit ist  die effektive Fläche, an welcher der S S

einfallende Teilchenstrom gestreut wird. und damit auf


ˇ ˇ ˇ ˇ
Mit (3.124) haben wir gesehen, dass der Streuwinkel # vom 0 d ˇˇ d ˇˇ ˇˇ d cos # 0 ˇˇ
D : (3.133)
Stoßparameter b abhängt. Dies wirkt sich auf den differenziellen d ˇS d ˇS0 ˇ d cos #1 ˇ
Wirkungsquerschnitt aus. Die Teilchen, die mit einem Stoßpa-
rameter im Intervall Œb; b C db einfallen, durchqueren einen Die Ableitung d cos # 0 =d cos #1 bzw. d cos #1 =d cos # 0 ist im
Kreisring der Dicke db und Fläche 2 b db (Abb. 3.15). Sie wer- Prinzip aus (3.110) berechenbar.
den daraufhin in ein Winkelintervall Œ# 0 ; # 0 C d# 0  gestreut,
wobei allerdings die Zahl der gestreuten Teilchen unverändert Stoß zweier harter Kugeln
bleiben muss, da keine Teilchen zwischen Streuung und Detekti-
on erzeugt werden oder verloren gehen. Aus (3.127) und (3.128) Wir betrachten zwei identische harte Kugeln mit Radius
folgt dann R. Das Potenzial der Wechselwirkung ist
  (
d
0 0 0 r > 2R
I  .2 b jdbj/ D I  2 sin # jd# j : (3.130) V.r/ D : (3.134)
d 1 r  2R
Kapitel 3

Die Beträge sind notwendig, da die Vorzeichen von db und d# 0 Dies bedeutet, dass sich die Kugeln nicht „sehen“, wenn
unterschiedlich sein können (und in der Tat in der Regel auch ihre Mittelpunkte weiter als ein Durchmesser D D 2R
unterschiedlich sind): Für größere Abstände vom Streuzentrum voneinander entfernt sind. Ein Überlappen der Kugeln
nimmt der Streuwinkel gewöhnlich ab, da die Wechselwirkung ist verboten, was durch ein unendliches Potenzial aus-
schwächer wird. gedrückt wird. Die Kugeln wechselwirken also genau in
dem Moment, in dem r D D erfüllt ist. Der Streuwinkel
im Schwerpunktsystem folgt aus (3.122) (siehe dazu die
Zusammenhang zwischen differenziellem Wirkungs- Rechnung, die auf (3.75) geführt hat):
querschnitt und dem Stoßparameter
Z1
Der differenzielle Wirkungsquerschnitt hängt mit dem 0 b dr0
Stoßparameter und dem Streuwinkel im Schwerpunktsys- # D 2 p
r02 .1  b2 =r02 /
tem zusammen: D (3.135)
 
ˇ ˇ ˇ 2 0 ˇ D  2 arcsin
b
:
d b.# 0 / ˇˇ db.# 0/ ˇˇ 1 ˇ db .# / ˇ
ˇ ˇ : (3.131) D
D D
d sin # 0 ˇ d# 0 ˇ 2 sin # 0 ˇ d# 0 ˇ
Es folgt der Stoßparameter als Funktion des Streuwinkels:
Der Zusammenhang b.# 0 / für ein gegebenes Potenzial
V.r/ kann aus (3.122) abgeleitet werden. b D D cos.# 0 =2/ .b  D/: (3.136)

Hier ist zu beachten, dass alle Stoßparameter b > D zu


Achtung Es ist anschaulicher, sich vorzustellen, dass der
keiner Streuuung führen und damit # 0 D 0 zur Folge ha-
Streuwinkel # 0 eine Funktion des Stoßparameters ist, # 0 D
ben. Darum beschränken wir uns im Folgenden nur auf
# 0 .b/, und nicht umgekehrt. Mathematisch sind beide Betrach-
den Bereich b  D. Der differenzielle Wirkungsquer-
tungsweisen völlig äquivalent. Man beachte jedoch, dass die
schnitt (3.131) hängt wegen
Funktion # 0 .b/ eindeutig ist, b.# 0 / aber nicht unbedingt: Ein
Teilchen, das mit Stoßparameter b einfällt, wird in eine eindeu-
d D cos.# 0 =2/ D D2
tige Richtung # 0 gestreut. Teilchen mit verschiedenen Stoßpara- D sin.# 0
=2/ D (3.137)
metern b können im Prinzip allerdings in gleiche Richtungen # 0 d sin # 0 2 4
gestreut werden. In diesem Fall ist b.# 0 / mathematisch gesehen nicht vom Streuwinkel ab; man sagt, der Wirkungsquer-
keine Funktion mehr, sondern eine Relation. J schnitt ist isotrop. Im letzten Schritt wurde die Identität
Streuexperimente werden häufig im Laborsystem durchgeführt,
sin # 0
in dem m2 vor dem Stoß ruht. Insbesondere bewegt sich der De- cos.# 0 =2/ sin.# 0 =2/ D (3.138)
tektor nicht mit dem Schwerpunkt von m1 und m2 mit. Daher 2
müssen die Streuwinkel # 0 in #1 umgerechnet werden. In beiden
3.5 Das reduzierte Dreikörperproblem 109

Anwendung: Rutherford’sche Experimente


Entwicklung des Rutherford’schen Atommodells

Historisch wurden im Jahr 1909 zuerst Heliumkerne der tronischen Atomhülle einnimmt. Die Wechselwirkung der
Kernladungszahl Z1 D 2 an einer dünnen Goldfolie mit Heliumkerne mit den Goldelektronen spielt kaum eine Rol-
Z2 D 79 gestreut. Das Coulomb-Potenzial lautet dann le, da ihr Massenverhältnis etwa 7 500 ist und der damit
V.r/ D Z1 Z2 e2 =r, wobei e die Elementarladung ist. Im verbundene Energieverlust der Heliumkerne vernachlässigt
Gegensatz zum Gravitationspotenzial ist ˛ negativ und das werden kann. Da andererseits das Massenverhältnis m1 =m2
Potenzial repulsiv. Die Experimente bestätigten letztlich den von Helium- und Goldkernen etwa 1=50 ist, ist # 0 #1 und
1911 berechneten Wirkungsquerschnitt und damit das Ru- die Streuquerschnitte in Schwerpunkt- und Laborsystem sind
therford’sche Atommodell. Es besagt, dass der Atomkern praktisch identisch.
nur ein sehr kleines Raumvolumen im Vergleich zur elek-

Der totale Wirkungsquerschnitt in (3.129) für das Coulomb-Po-


verwendet. Wir integrieren mit (3.129) noch über alle tenzial ist
Streuwinkel, um den gesamten Wirkungsquerschnitt zu
erhalten:  ˛ 2 Z d# 0 sin # 0
 D2 D 1: (3.142)
Z 4E sin4 .# 0 =2/

Kapitel 3
d 0
 D2 d# 0 sin # 0 D D2 : (3.139)
d
0 Er ist unendlich! Der Grund ist, dass das Coulomb-Potenzi-
al ein langreichweitiges Potenzial ist, das auch in beliebiger
Dies entspricht der Querschnittsfläche einer Kugel mit
Entfernung noch Teilchen streut, wenn auch unter sehr kleinen
Radius D D 2R, was man sich leicht veranschaulichen
Streuwinkeln. Dies erkennt man daran, dass der Rutherford’sche
kann. J
Wirkungsquerschnitt für # 0 ! 0 divergiert. In der Realität
schirmen Elektronen die Ladung des Atomkerns ab. Von außen
betrachtet ist das Atom neutral, und der Streuquerschnitt bleibt
endlich. Sehr grob geschätzt ist er dann von der Größenordnung
der Querschnittsfläche eines Atoms,   .1010 m/2 .
Anwendung auf das Coulomb-Potenzial:
Rutherford’scher Wirkungsquerschnitt Frage 23
Für kleine Winkel # 0 kann man sin # 0 # 0 schreiben. Ma-
Das Coulomb-Potenzial V.r/ D ˛=r führt zunächst mit chen Sie sich damit klar, dass der totale Wirkungsquerschnitt
(3.124) auf einen geschlossenen (eindeutigen) Ausdruck für in (3.142) divergiert.
b2 .# 0 /, der direkt nach # 0 abgeleitet werden kann:
ˇ 2 0 ˇ
ˇ db .# / ˇ 0
sin # 0
ˇ D ˛ cos.# =2/ D ˛
2 2
ˇ : (3.140)
ˇ d# 0 ˇ 4E2 sin3 .# 0 =2/ 8E2 sin4 .# 0 =2/ 3.5 Das reduzierte
Die letzte Gleichheit ist wieder wegen (3.138) offensichtlich. Es Dreikörperproblem
folgt sofort der differenzielle Wirkungsquerschnitt aus (3.131).
Wir haben in Abschn. 3.3 gefunden, dass die Bewegungsglei-
chungen des Zweikörperproblems im Gravitationsfeld exakt
Rutherford’scher Wirkungsquerschnitt
gelöst werden können. Das Zweikörperproblem ist allerdings
Für das Coulomb-Potenzial, V.r/ D ˛=r, ergibt sich eine Idealisierung und für einige Anwendungen, die eine hohe
der differenzielle Wirkungsquerschnitt im Schwerpunkt- Genauigkeit erfordern, nicht geeignet. So hat beispielsweise der
system zu Mond einen Einfluss auf das Zweikörpersystem Sonne–Erde.
d  ˛ 2 1 Doch bereits für drei Körper sind die Bewegungsgleichungen
D : (3.141)
d 4E sin4 .# 0 =2/ im Gravitationsfeld nicht mehr allgemein integrierbar. In diesem
Abschnitt diskutieren wir einen Spezialfall des Dreikörperpro-
blems, der trotz seiner einschränkenden Annahmen von großer
Dieses klassische Ergebnis stimmt mit dem überein, was im Wichtigkeit für das Verständnis der Mechanik des Sonnensys-
Rahmen der Quantenmechanik gefunden wird (Bd. 3, Kap. 12). tems ist.
110 3 Systeme von Punktmassen

Vertiefung: Lösung des N-Körperproblems


Perturbative und numerische Zugänge

Das N-Körperproblem ist für N > 2 nicht allgemein in ana- oder die Abweichung der Sonne von der Kugelgestalt zu
lytischer Form lösbar. Für praktische Anwendungen bieten berücksichtigen.
sich verschiedene Möglichkeiten an: Die perturbative Methode ist nur dann zuverlässig, wenn
Störungen klein sind. In anderen Fällen, wenn beispiels-
weise mehrere vergleichbare Massen im System vorkom-
Bei der perturbativen bzw. störungstheoretischen Metho- men, bieten sich numerische Verfahren an (Dehnen &
de nimmt man an, dass das Problem als Zweikörpersys- Read 2011). Hier werden z. B. die exakten Bewegungs-
tem angesehen werden kann, wobei der Einfluss einer gleichungen zeitlich diskretisiert und abschnittsweise auf-
dritten oder mehrerer anderer Massen in Form von Stö- integriert.
rungen in die Rechnungen eingeht. So lässt sich das
Zweikörperpotenzial V2 z. B. durch V D V2 C ıV erset-
zen, wobei ıV eine kleine Störung darstellt, ıV V2 . Literatur
Auf diese Weise lassen sich die Einflüsse der anderen
Planeten auf die Erdbahn abschätzen. Ebenso kann die- Dehnen, W., Read, J.I.: N-body simulations of gravitatio-
se Methode verwendet werden, um relativistische Effekte nal dynamics. Eur. Phys. J. Plus 126, 55 (2011)
Kapitel 3

Definition des Spezialfalles und Aufstellung der x2

Bewegungsgleichungen
m3
Das Dreikörperproblem kann nicht in allgemeiner Form gelöst
werden. Näherungslösungen sind allerdings möglich, z. B. wenn
man annimmt, dass eine der drei Punktmassen klein gegenüber
den anderen beiden ist (m3 m1 ; m2 ) und dass sich m1 und d1
x3
d2
m2 auf Kreisbahnen umeinander bewegen. Dabei wird m3 als
Testmasse betrachtet, die keinen Einfluss auf die Bewegung von
m1 und m2 nimmt und sich in der Bahnebene von m1 und m2
bewegt. Diese Situation wird häufig näherungsweise im Son- m1 x1 O x2 m2 x1
nensystem angetroffen, wenn z. B. Asteroiden dem Einfluss der
Schwerefelder von Sonne und Jupiter unterliegen. Abb. 3.16 Geometrie des reduzierten Dreikörperproblems. Die beiden
Punktmassen m1 und m2 befinden sich auf der x1 -Achse mit ihrem
Das eingeführte Koordinatensystem soll den Ursprung O im ge- Schwerpunkt im Ursprung O. Eine dritte Masse m3 befindet sich in der
meinsamen Schwerpunkt von m1 und m2 haben und mit ihrem x1 -x2 -Ebene mit den Abständen d1 und d2 zu m1 und m2
Verbindungsvektor mitrotieren, sodass m1 und m2 ortsfest sind
(Abb. 3.16). Man spricht daher auch von einem gleichläufigen
oder synodischen Koordinatensystem. Die x1 -Achse zeige von wird:
m1 zu m2 , deren Abstand d ist. Zur Vereinfachung definieren wir 4 2 d3
T2 D : (3.145)
m1 m2 G.m1 C m2 /
q WD < 1 und 1  q WD < 1: (3.143)
m1 C m2 m1 C m2 Da sich m1 und m2 auf Kreisbahnen bewegen, ist die Winkelge-
schwindigkeit
0 1
Die Koordinaten der beiden Punktmassen m1 und m2 sind somit 0 r
0 .1/ 1 0 1 0 .2/ 1 0 1 B C 2 G.m1 C m2 /
! D @0A ; ! D D (3.146)
x1 .q  1/d x1 qd T d3
B C B C B C B C !
x.1/ D @x2.1/ A D @ 0 A ; x.2/ D @x2.2/ A D @ 0 A :
.1/ .2/
x3 0 x3 0 konstant. Hier haben wir die x3 -Achse so gewählt, dass ! D
(3.144) ! eO 3 gilt. Dies ist offensichtlich möglich, da ! senkrecht auf der
Bahnebene und damit senkrecht auf der x1 -Achse steht. Folglich
Die Umlaufzeit von m1 und m2 lässt sich sofort aus dem dritten ist x D .x1 ; x2 ; 0/> der Koordinatenvektor von m3 (wir lassen
Kepler’schen Gesetz in (3.92) bestimmen, wobei a D d ent- für die Koordinaten von m3 den hochgestellten Index .3/ aus
spricht und die reduzierte Masse  durch m1 und m2 definiert Übersichtsgründen weg). Die Abstände von m3 zu m1 und m2
3.5 Das reduzierte Dreikörperproblem 111

seien jeweils d1 und d2 : x2


U0
q
d1 D .x1  .q  1/d/2 C x22 ;
q (3.147) 1 L5
d2 D .x1  qd/2 C x22 :

Da das Koordinatensystem rotiert, müssen Zentrifugal- und Co-


riolis-Kräfte berücksichtigt werden, die auf die Punktmasse m3
wirken. Die Winkelgeschwindigkeit ist konstant, sodass Terme 0 L2 L3
L1
mit ! P verschwinden. Weiterhin liegt der Ursprung des Koor-
dinatensystems auf der Drehachse, und man findet b0 D 0
in (2.80). Die resultierende Bewegungsgleichung für m3 lautet
demnach
L4
xR C 2!  xP C !  .!  x/ C r .x/ D 0: (3.148) −1

Hier wurde das Potenzial


V .x/ −1 0 1 x1
.x/ WD (3.149)
m3
Abb. 3.17 Darstellung des effektiven Potenzials aus (3.154) für

Kapitel 3
eingeführt, wobei
m2 =m1 D 40 in der x1 -x2 -Ebene. Bereiche gleicher Farbe entsprechen
Gm1 m3 Gm2 m3 gleichem effektiven Potenzial. Die Lagrange-Punkte L4 und L5 befin-
V .x/ D   (3.150) den sich in den Maxima (weiß, U0 ) des effektiven Potenzials. Sie bilden
d1 d2 mit den beiden Massen m1 und m2 zwei gleichseitige Dreiecke. Einige
Äquipotenziallinien sind in Schwarz eingezeichnet. Sie entsprechen den
die potenzielle Energie der Testmasse m3 in den Gravitationsfel-
Hill-Kurven für bestimmte Werte der Jacobi-Konstanten C
dern der Massen m1 und m2 ist. Die Kreuzprodukte in (3.148)
ergeben
0 1 0 1
! xP 2 ! 2 x1
B C B C
!  xP D @ ! xP 1 A ; !  .!  x/ D @! 2 x2 A : (3.151)
Hill-Kurve
0 0
Anstatt die Bewegungsgleichungen zu lösen, betrachten wir das
Führt man das effektive Potenzial effektive Potenzial genauer. Multipliziert man die erste Glei-
chung in (3.153) mit xP 1 , die zweite mit xP 2 und addiert beide,
!2  2 
U.x/ WD .x/  x C x22 (3.152) so überprüft man schnell, dass
2 1

ein, lassen sich die Bewegungsgleichungen (3.148) in der Form d 1 2 
xP C xP 22 C U D 0 (3.155)
dt 2 1
@U @U
xR 1  2! xP 2 D  ; xR 2 C 2! xP 1 D  (3.153)
@x1 @x2 ist. Die somit erhaltene Größe
schreiben.  
C W D 2U  xP 21 C xP 22
    (3.156)
Das effektive Potenzial lässt sich mithilfe von (3.146) auch um- D ! 2 x21 C x22  2V  xP 21 C xP 22 D const
formulieren:
U.x/ m1 m2 m1 C m2 2 2 ist die Jacobi-Konstante, das einzig bekannte Integral des redu-
D   .x1 Cx2 /: (3.154) zierten Dreikörperproblems.
G d1 .x1 ; x2 / d2 .x1 ; x2 / 2d 3
Die Bewegung von m3 ist offensichtlich auf solche Bereiche be-
Frage 24 schränkt, in denen C C 2U  0 erfüllt ist, da xP 21 C xP 22  0
Überprüfen Sie, dass und U nur Funktionen von x1 und x2 sind gilt. Die sogenannte Hill-Kurve ist die Menge aller Punkte, die
und zeigen Sie die Gültigkeit von (3.153) und (3.154). U.x/ D C=2 erfüllen. Sie definiert die Grenze des für die
Punktmasse m3 zugänglichen Bereichs (Abb. 3.17).
112 3 Systeme von Punktmassen

Lagrange-Punkte (Abb. 3.17). Wir zeigen im Vertiefungskasten „Stabilität der La-


grange-Punkte“, dass die Bahnen von Testmassen in der Nähe
von L4 und L5 – trotz Abwesenheit lokaler Minima des effek-
Im Folgenden wollen wir uns auf einen für die Raumfahrt wich- tiven Potenzials – stabil sind, wenn die beiden Massen m1 und
tigen Spezialfall konzentrieren: Wir fragen, ob es Punkte gibt, m2 hinreichend unterschiedlich sind (m1 =m2 bzw. m2 =m1 & 25,
an denen die Punktmasse m3 relativ zu m1 und m2 in Ru- wie es beispielsweise beim Sonne-Jupiter-System der Fall ist).
he bleibt. Solche Punkte heißen Lagrange-Punkte und werden Der Grund ist, dass die Coriolis-Kraft bei der Stabilitätsanaly-
durch r U D 0 definiert, was aus (3.153) folgt. Man schreibt se berücksichtigt werden muss. In der Tat beobachtet man eine
zunächst die relevanten Komponenten der Bewegungsgleichung Vielzahl von Asteroiden, die in der Nähe der Punkte L4 und
(3.153) für den Spezialfall xR 1 D xR 2 D xP 1 D xP 2 D 0: L5 Jupiter im festen Abstand voraus- bzw. hinterherlaufen. Sie
Gm1 .x1  x1;1 / Gm2 .x1  x2;1 / werden als Trojaner bezeichnet. Vor Kurzem wurde sogar ein
0 D ! 2 x1   ; Trojaner der Erde entdeckt.
d13 d23
(3.157)
Gm1 x2 Gm2 x2 Frage 26
0 D ! 2 x2   :
d13 d23 Zeigen Sie: Die Lagrange-Punkte L4 und L5 befinden sich an
den Orten
Hier wurde verwendet, dass sich die Punktmassen m1 und m2 0 1
auf der x1 -Achse befinden. 2q  1
dB p C
l4;5 D @ ˙ 3 A : (3.160)
Frage 25 2
0
Überprüfen Sie das Ergebnis in (3.157), indem Sie r U berech-
Kapitel 3

nen. Dazu ist es notwendig, d1 und d2 mithilfe der Kettenregel


nach x1 bzw. x2 abzuleiten.

Nimmt man zunächst an, dass x2 D 0 gilt, ist die zweite Glei- 3.6 Gezeitenkräfte
chung in (3.157) trivial erfüllt. Die Untersuchung reduziert sich
somit auf eine Kurvendiskussion des effektiven Potenzials U Mit Gezeiten sind im alltäglichen Sprachgebrauch Ebbe und
entlang der x1 -Achse. Man kann zeigen, dass es drei Lagrange- Flut gemeint. Physikalisch werden diese zeitlich wiederkehren-
Punkte (L1 , L2 , L3 ) auf der x1 -Achse gibt. Alle drei entsprechen den Effekte dadurch erklärt, dass die Gravitationsfelder von
einem lokalen Maximum von U.x1 / und instabilen Gleichge- Mond und Sonne auf verschiedene Punkte der Erdoberfläche
wichtspunkten. Die Reihenfolge der Lagrange-Punkte ist im unterschiedlich stark wirken. Dies ist eine direkte Folge der
Sonne-Erde-System folgendermaßen definiert (Abb. 3.17): räumlichen Ausdehnung der Erde. In idealisierten Systemen von
Punktmassen treten Gezeitenkräfte nicht auf. Dieser Abschnitt
L1 liegt auf der Verbindungslinie zwischen Sonne und Erde. liefert einen Überblick über die Ursache der Gezeitenkräfte und
L2 befindet sich von der Sonne aus gesehen hinter der Erde. ihre Konsequenz für die Erde im Speziellen und Himmelskörper
L3 befindet sich von der Erde aus gesehen hinter der Sonne. im Allgemeinen.

L2 wurde bisher mehrfach zur Stationierung von Weltraumob-


servatorien (z. B. WMAP, Planck, Herschel) genutzt, da dieser Allgemeine Herleitung der Gezeitenkräfte
Punkt durch die Erde von Sonnenstrahlung abgeschirmt ist.
Umgekehrt bietet sich L1 als Punkt zur Sonnenobservation an.
Aufgrund der Instabilität von L1;2;3 müssen dort positionierte Zur Vereinfachung nehmen wir einen kugelförmig ausgedehn-
Satelliten gelegentliche Bahnkorrekturen durchführen. ten Körper mit Radius R1 und Masse m1 und einen punktför-
migen Körper der Masse m2 an. Beide Körper sollen sich im
Es gibt noch zwei weitere Lagrange-Punkte für x2 6D 0. In Abstand d R1 umkreisen. Die Gültigkeit der Diskussion
diesem Fall kann die zweite Gleichung in (3.157) mit x1 =x2 mul- in Abschn. 3.2 und 3.3 wird durch die Ausdehnung des ersten
tipliziert und von der ersten Gleichung abgezogen werden. Dies Körpers in erster Näherung nicht beeinträchtigt. Der Grund ist,
führt zunächst auf dass der ausgedehnte Körper m1 als Grenzfall eines N-Teilchen-
Gm1 x1;1 Gm2 x2;1 systems betrachtet werden kann, dessen innere Dynamik keine
C D0 (3.158) Rolle spielt (Abschn. 3.1). Die Dynamik von m1 kann daher
d13 d23
durch eine im Schwerpunkt von m1 konzentrierte Punktmasse
und wegen (3.143) und (3.5) auf ersetzt werden. Entscheidend ist hier die Einschränkung, dass
d1 D d2 D d: (3.159) die innere Dynamik von m1 tatsächlich vernachlässigt werden
kann. Wir werden noch sehen, dass die Gezeitenkräfte zu ei-
Die beiden damit definierten Punkte L4 und L5 bilden mit ner inneren Dynamik führen können, was sich wiederum auf die
den Punktmassen m1 und m2 zwei gleichseitige Dreiecke Bahn von m1 und m2 umeinander auswirkt.
3.6 Gezeitenkräfte 113

Vertiefung: Stabilität der Lagrange-Punkte

Es stellt sich die Frage, unter welchen Umständen eine Test- Die Hesse-Matrix (s. den „Mathematischen Hintergrund“
masse an den Lagrange-Punkten L4 und L5 stationär, d. h. im 1.8) des effektiven Potenzials nimmt in L4;5 folglich die Form
stabilen Gleichgewicht, bleibt. Dazu untersuchen wir das ef- !
p
fektive Potenzial in der Nähe dieser Punkte genauer. ˇ 3! 2 1 3.2q  1/
.Uij / WD .@xi @xj U/ˇL D  p
Wir haben das effektive Potenzial des reduziertes Dreikör- 4 3.2q  1/ 3
perproblems bereits in (3.154) gefunden: (3.165)

U.x/ m1 m2 !2 2 an. Da die Spur der Matrix Uij negativ ist, muss mindes-
D   .x C x22 /; (3.161) tens einer ihrer Eigenwerte negativ sein. Somit kann Uij nicht
G d1 .x1 ; x2 / d2 .x1 ; x2 / 2 1
positiv definit sein und das effektive Potenzial in L4;5 keine
wobei .x1 ; x2 / die kartesischen Koordinaten innerhalb der Minima besitzen. Die Bewegung in der Nähe dieser Lagran-
mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ! mitrotierenden ge-Punkte kann also nur durch den Beitrag der Coriolis-Kraft
Ebene sind, auf welcher sich alle Massen befinden. stabilisiert werden.
Im Folgenden führen wir eine Stabilitätsanalyse durch, in die
Wir berechnen nun die ersten und zweiten Ableitungen von
wir die Corioliskraft einbeziehen. Dazu linearisieren wir die
U.x/ nach dem Ort .x1 ; x2 / und beginnen mit
Bewegungsgleichungen in der Nähe von L4;5 und untersu-
chen, unter welchen Umständen eine Testmasse dort gebun-
@U Gm1 .x1  .q  1/d/ Gm2 .x1  qd/

Kapitel 3
D C  ! 2 x1 ; den sein kann. Zunächst führen wir die Relativkoordinaten
@x1 3
d1 d23 bezüglich der Lagrange-Punkte mit bekannten Koordinaten
@U Gm1 x2 Gm2 x2 .xL1 ; xL2 / ein:
D C  ! 2 x2 : (3.162)
@x2 d13 d23
 D x1  xL1 ;  D x2  xL2 : (3.166)
Entsprechend können wir die zweiten Ableitungen berech- Dann entwickeln wir das effektive Potenzial in der Nähe
nen: der Lagrange-Punkte bis zur zweiten Ordnung, wobei wir
ausnutzen, dass die ersten Ableitungen von U in L4;5 ver-
@2 U Gm1 Gm2 3Gm1 .x1  .q  1/d/2 schwinden. Es folgt
D 3 C 3 
@x12
d1 d2 d15
@x1 U D U11  C U12 ;
3Gm2 .x1  qd/2 (3.167)
  ! 2; @x2 U D U12  C U22 ;
d25
@2 U Gm1 Gm2 3Gm1 x22 3Gm2 x22 wobei U21 D U12 verwendet wurde. Wir können somit den
D C    ! 2; Gradienten von U in den Bewegungsgleichungen (3.153) er-
@x22 d13 d23 d15 d25 setzen und erhalten
@2 U 3Gm1 .x1  .q  1/d/x2 3Gm2 .x1  qd/x2
D  : R  2! P C U11  C U12  D 0;
@x1 @x2 d15 d25 (3.168)
(3.163) R C 2! P C U12  C U22  D 0:

Diese Gleichungen sind linear in den Koordinaten .; / und


Nun müssen die zweiten Ableitungen an den Orten L4;5 (an- besitzen nur konstante Koeffizienten ! und Uij .
gedeutet durch einen Index L) ausgewertet werden. Dazu
setzen wir ihre Koordinaten ein, die wir aus (3.159) und Um die lineare Stabilität unter dem Einfluss kleiner Störun-
(3.160) bereits kennen. Ohne Beschränkung der Allgemein- gen zu testen, ist es üblich, einen Ansatz der Form .; / D
heit verwenden wir die positive x2 -Koordinate aus (3.160). .0 ; 0 /et einzusetzen. Das Verhalten der Lösung hängt da-
Eine kurze Rechnung führt auf von ab, welchen Wert  annimmt. Ist  > 0, so wächst die
Lösung unbeschränkt und die Testmasse kann ins Unendli-
ˇ che entkommen. Für  < 0 zerfällt eine Störung, und die
@2 U ˇˇ 3! 2
D  ;
@x21 ˇL
Lösung konvergiert gegen Null; die Testmasse kommt also
4
ˇ schließlich im Lagrange-Punkt zur Ruhe. Wir erwarten nicht,
@2 U ˇˇ 9! 2  < 0 zu finden, da wir bereits gezeigt haben, dass das Poten-
2 ˇ
D ; (3.164)
@x2 L 4 zial in L4;5 kein Minimum besitzt und eine stationäre Lösung
ˇ ˇ p nicht stabil sein kann. Ein rein imaginäres  hingegen führt
@2 U ˇˇ @2 U ˇˇ 3 3! 2
D D .2q  1/: auf Oszillationen mit endlicher Amplitude und somit auf ge-
@x2 @x1 ˇL @x1 @x2 ˇL 4 bundene Bahnen.
114 3 Systeme von Punktmassen

Mit dem Exponentialansatz finden wir zunächst die algebrai- Setzt man hier die bekannten Terme Uij ein, ergibt sich die
sche Gleichung Stabilitätsbedingung
! ! !
2 C U11 2! C U12  0 1  27q.1  q/: (3.174)
D : (3.169)
2! C U12 2 C U22  0
Sie hat die Lösungen q  q und q  qC mit
Um nichttriviale Lösungen zu gestatten, muss die Determi-
r !
nante der Koeffizientenmatrix dieser Gleichung verschwin- 1 4
den: q˙ D 1˙ 1 : (3.175)
2 27
. C U11 /. C U22 /
2 2
(3.170)
 .2! C U12 /.2! C U12 / D 0: Beschränken wir uns auf den Fall, dass m1 die kleinere der
beiden Massen und damit kleiner als die Hälfte der Gesamt-
Wir sortieren nach Potenzen von , masse m1 C m2 ist, d. h. q < 1=2, so müssen wir q  q
4 C .U11 C U22 C 4! 2 /2 C .U11 U22  U12
2
/ D 0; (3.171) verwenden:
r !
und sehen, dass für jede Lösung  auch  Lösung ist. Daher m1 1 23 1
muss  rein imaginär sein, um unbeschränkte Trajektorien qD  1 : (3.176)
m1 C m2 2 27 26
der Testmasse zu vermeiden, wie wir bereits vermutet hat-
ten. Diese Bedingung besagt, dass die Bewegung um die Lagran-
Allgemein besitzt die Gleichung  C b C c D 0 die Lö-
4 2 ge-Punkte L4;5 nur dann stabil ist, wenn die kleinere Masse
Kapitel 3

sungen mindestens 26-mal leichter ist als die Gesamtmasse m1 Cm2 .


Vertauscht man in der Analyse die Massen m1 und m2 , so er-
1 p 
hält man dasselbe Ergebnis, wie man leicht nachrechnet.
2˙ D b ˙ b2  4c : (3.172)
2
Für rein imaginäres  ist 2 reell, woraus b2  4c folgt. Kon- Frage 27
kret führt dies auf Vollziehen Sie die Schritte in diesem Kasten nach und über-
prüfen Sie vor allem die Stabilitätsbedingung q < 1=26.
.U11 C U22 C 4! 2 /2  4.U11 U22  U12
2
/: (3.173)

Wie bereits in Abschn. 3.5 wählen wir ein Koordinatensystem, m1


x
das sich mit m1 und m2 mitdreht, sodass die Orte x1 und x2 von R1
m1 und m2 fest sind. Die Punktmasse m2 erzeugt ein Gravitati-
onspotenzial, das an einem Ort x 6D x2 die Stärke x1 O x2 m2

Gm2
.x/ D  (3.177)
jx  x2 j
d
hat. Die potenzielle Energie einer Testmasse m am Ort x in
diesem Potenzial ist dann einfach V.x/ D m .x/. Die ent- Abb. 3.18 Schematische Darstellung der Entstehung der Gezeitenkräf-
sprechende Gravitationskraft, die auf die Testmasse m am Ort te. Ein ausgedehnter Körper mit Masse m1 und Radius R1 befindet sich
x wirkt, ist im Abstand d von einer Gravitationsquelle m2 . Beide Massen haben
F.x/ D mr .x/: (3.178) den gemeinsamen Schwerpunkt im Ursprung O. Verschiedene Punkte x
an der Oberfläche des Körpers m1 haben unterschiedliche Abstände zu
m2 und spüren damit verschiedene Gravitationsbeschleunigungen. Dies
Wenn man nun berücksichtigt, dass der Körper m1 ausgedehnt führt auf die Gezeitenkräfte
ist, so werden zwei Testmassen an verschiedenen Punkten der
Oberfläche oder im Inneren von m1 allgemein unterschiedliche
Gravitationskräfte erfahren, da die Abstände zu m2 nicht iden- Dies sind die ersten beiden Terme einer Taylor-Entwicklung
tisch sind (Abb. 3.18). der vektorwertigen Funktion F.x/, ausgewertet am Ort x1 . Wei-
terhin wissen wir aber aus (3.178), dass die Kraft selbst als
Im Folgenden nehmen wir die Kraft F.x1 / auf eine Testmasse Gradient des Potenzials .x/ geschrieben werden kann. Ein-
im Schwerpunkt x1 von m1 als Referenz. Für kleine Abstände ıx gesetzt und in Komponentenschreibweise formuliert lautet das
von x1 lautet die Kraft am Ort x1 C ıx dann in erster Näherung Ergebnis dann
F.x1 C ıx/ D F.x1 / C .ıx  r /F.x1 /: (3.179) Fi .x1 C ıx/ D Fi .x1 /  m ıxj @j @i .x1 /: (3.180)
3.6 Gezeitenkräfte 115

Den Term
@2 dem einem Kraftzentrum zugewandten Oberflächenpunkt
ij WD @i @j D (3.181)
@xi @xj zu berechnen:
nennt man die Hesse-Matrix (nach dem deutschen Mathema- 2Gmm2 R1 r
F.x1 C ıx/  F.x1 / : (3.185)
tiker Otto Hesse, 1811–1874) der Funktion .x/. Wir nehmen d3 jrj
hier an, dass .x/ zweimal differenzierbar ist und die Ab- Sie fällt mit der dritten Potenz des Abstands d und damit
leitungen vertauscht werden können, d. h. @i @j D @j @i . In wesentlich schneller als die Gravitationskraft selbst ab und
kartesischen Koordinaten lautet die Matrix ausgeschrieben weist in Richtung des Kraftzentrums am Ort x2 . J
0 2 1
@ 2 @2 @
B @x2 1
2 @x1 @x2 @x1 @x3 C
B @ @2 @2 C
 D B @x2 @x1 @x22 @x2 @x3 C : (3.182) Achtung Im Allgemeinen zeigt die Gezeitenkraft nicht in
@ 2 A
@ @2 @2 Richtung des Kraftzentrums, da ij eine tensorielle Größe ist. J
@x3 @x1 @x3 @x2 @x23

Da der Term ij für eine Relativkraft (Gezeitenkraft) an den Or- Frage 28


ten x1 und x1 C ıx verantwortlich ist, nennt man diese Größe Man zeige ausgehend von den Rechnungen im Beispielkas-
auch Gezeitentensor. Tensoren und ihre mathematischen Eigen- ten, dass die Gezeitenkraft auf der von m2 abgewandten Seite
schaften werden in Kap. 4 besprochen. Der zweite Term auf der in erster Näherung vom Betrag her auf dasselbe Ergebnis wie
rechten Seite von (3.180) ist die Gezeitenkraft am Ort x1 C ıx (3.185) führt. Allerdings ist die Richtung der Kraft entgegenge-
relativ zum Ort x1 . Die zweiten Ableitungen des Gravitations- setzt. Man verwende dazu den Punkt x1 C ıx0 D x1  ıx und
potenzials und die damit verbundenen Gezeitenkräfte spielen in

Kapitel 3
berücksichtige, dass (3.184) bereits für beide Vorzeichen aufge-
der allgemeinen Relativitätstheorie im Zusammenhang mit der schrieben wurde.
Raumkrümmung eine zentrale Rolle.
Man beachte, dass das Potenzial .x/ den Einfluss beliebig vieler
Gravitationszentren beinhalten kann (Abschn. 3.5). Mit (3.180)
lassen sich z. B. die durch Mond, Sonne und andere Planeten ver- Einfluss der Gezeiten
ursachten Gezeitenkräfte auf der Erde berechnen. Da es sich um auf das Erde-Mond-System
die führenden Terme einer Taylor-Entwicklung handelt, ist die
Gültigkeit dieser Gleichung auf Fälle beschränkt, für die ıx klein
ist gegenüber den Abständen zu allen Massenzentren. Die Erde rotiert mit einer etwa 30-mal größeren Winkelge-
schwindigkeit um ihre eigene Achse, als sich Erde und Mond
um ihren gemeinsamen Schwerpunkt drehen. Testmassen, die
Gezeitenkräfte sich mit der Erdoberfläche mitdrehen, durchlaufen daher im
Laufe der Zeit verschiedene Punkte im Mondgravitationsfeld.
Wir wollen nun den speziellen Fall betrachten, dass x1 C Da die Erde kein perfekt starrer Körper ist (Kap. 4), kommt es
ıx auf der Oberfläche von m1 liegt und genau m2 zuge- somit zu zeitabhängigen Verformungen des Planeten. Diese er-
wandt ist, d. h. ıx k r, wobei r D x2  x1 . Es ist direkt kennt man besonders gut auf den Meeren, wo sich Ebbe und
offensichtlich, dass die durch m2 verursachten Gravitati- Flut ausbilden. Aber auch die Landmassen heben und senken
onskräfte an den Orten x1 und x1 C ıx parallel sind und sich um bis zu 50 cm am Äquator.
in Richtung r zeigen (Abb. 3.18). Die auf eine Testmasse
m wirkende Gravitationskraft an diesen beiden Orten ist Diese Verformungen führen allerdings zu Reibungseffekten
(Gezeitenreibung), d. h. zu einer Umwandlung von kinetischer
Gmm2 r Gmm2 r
F.x1 / D ; F.x1 C ıx/ D ; Energie in Wärme. Als Konsequenz wird die Erdrotation per-
d 2 jrj .d  R1 /2 jrj manent abgebremst. Dieser Effekt ist für uns nicht direkt wahr-
(3.183) nehmbar, weil die Tageslänge nur um rund 20 s pro Million
Jahre zunimmt. Da Erde und Mond in erster Näherung ein iso-
da R1 D jıxj der Radius der ausgedehnten Masse m1 ist. liertes System darstellen, muss der gemeinsame Drehimpuls von
Nun gilt weiterhin Erde und Mond erhalten sein. Nimmt nun aber der Drehimpuls
 
1 .1 ˙ R1 =d/2 1 2R1 der Erdrotation ab, muss der Drehimpuls des Mondes um die
D 1 Erde um den gleichen Betrag zunehmen. Das dazu erforderliche
.d ˙ R1 /2 d2 d2 d
Drehmoment stammt von den Gezeitenkräften. Dies führt dazu,
(3.184) dass sich der Abstand zwischen Erde und Mond stetig vergrö-
für kleine Verhältnisse R1 =d, was bereits angenommen ßert, gegenwärtig um fast 4 cm pro Jahr.
wurde. Es ist nun ein leichter Schritt, die Gezeitenkraft an Dieser Prozess wird so lange fortschreiten, bis die Rotation
der Erde und die Drehung von Erde und Mond um ihren ge-
116 3 Systeme von Punktmassen

meinsamen Schwerpunkt die gleiche Winkelgeschwindigkeit Frage 30


annehmen. Erst dann verschwindet die Gezeitenreibung auf der Häufig wird die Roche-Grenze in Vielfachen der Ausdehnung
Erde. Dies ist übrigens für den Mond längst eingetreten: Die Ro- der Masse m2 angegeben. Die beiden Objekte sollen die Radien
tation des Mondes ist gebunden. Aus diesem Grund sieht man R1 und R2 besitzen. Die konstanten Massendichten seien 1 und
von der Erde aus (näherungsweise) nur eine Seite des Mondes. 2 . Die Massen sind dann m1 D 3
4
1 R1 und m2 D 3
3 4 3
1 R2 ,
In der Tat kann man zeigen, dass der kleinere der beiden Körper wobei R2 der Radius von m2 ist. Zeigen Sie, dass in diesem Fall
zuerst in eine gebundene Rotation übergeht. die Roche-Grenze in der Gestalt
 
dR 2 2 1=3
Frage 29 D (3.187)
R2 1
Man schätze mithilfe von (3.185) die relative Stärke der durch
Sonne und Mond verursachten Gezeitenkräfte ab. Dazu reicht geschrieben werden kann. Rechnen Sie damit nach, dass für das
es aus, die Massen- und Abstandsverhältnisse zu kennen: Die Erde-Mond-System ( Erde = Mond D 2 = 1 5=3) die Roche-
Masse der Sonne ist etwa 3  107 -mal größer als die des Mon- Grenze in etwa 1,5 Erdradien entspricht.
des, der Abstand etwa 400-mal größer. Man findet damit, dass
die durch die Sonne verursachten Gezeitenkräfte auf der Erde
etwa halb so groß sind wie die durch den Mond bedingten. Dies
ist übrigens die Ursache von Spring- und Nipptiden. Im ersten
Fall befinden sich Sonne, Erde und Mond auf einer Geraden. Im
3.7 Mechanische Ähnlichkeit
zweiten Fall stehen Sonne und Mond von der Erde aus gesehen und der Virialsatz
in einem 90ı -Winkel zueinander. Die Effekte schwächen sich
gegenseitig ab.
Kapitel 3

In Abschn. 3.2 wurden allgemeine Aussagen über die Bewe-


gung in Zentralkraftpotenzialen getroffen. Dazu wurden die Be-
wegungsgleichungen und die Gestalt der effektiven Potenziale
untersucht. Es ist aber auch möglich, wichtige und sehr allgemei-
Stabilität von Planeten, Roche-Grenze ne Aussagen über mechanische Systeme zu treffen, ohne über-
haupt die Gestalt der Bahnkurven zu analysieren. Oftmals genügt
es bereits, sich das Skalierungsverhalten des Potenzials anzu-
Wir haben in (3.185) gesehen, dass die Gezeitenkräfte größer sehen. Weiterhin wird der Virialsatz abgeleitet, der allgemeine
werden, wenn sich Objekte (z. B. Planeten) einander annähern, Aussagen über das statistische Verhalten mechanischer Systeme
da dann d kleiner wird. Man kann sich anschaulich vorstellen, erlaubt. Dieser Abschnitt kann beim ersten Lesen übersprungen
dass unterhalb eines bestimmten Abstands die Gezeitenkräfte werden, da er konzeptionell anspruchsvoller ist und häufig nicht
so groß werden, dass eines der Objekte zerrissen wird. Die- im Rahmen einer Einführungsvorlesung behandelt wird.
ses Verhalten ist für das Entstehen von Planetensystemen von
großer Bedeutung. Nimmt man an, dass ein Planet oder Aste-
roid nur durch Gravitationskräfte zusammengehalten wird, so
nennt man den Grenzabstand Roche-Grenze (nach dem franzö- Mechanische Ähnlichkeit
sischen Astronomen und Mathematiker Édouard Albert Roche,
1820–1883). Eine Sonne kann keine Planeten bzw. ein Planet
keine Monde innerhalb der Roche-Grenze haben. Wir definieren: Eine Funktion f .x1; : : : ; xN / heißt homogen
vom Grad k, wenn sie die Eigenschaft
Um die Roche-Grenze abzuschätzen, betrachten wir eine Test-
masse m auf der zu m2 gerichteten Oberfläche von m1 . Auf sie f .x1 ; : : : ; xN / D k f .x1 ; : : : ; xN / (3.188)
wirkt eine Gezeitenkraft mit Betrag 2Gmm2 R1 =d 3 . Sie wirkt in besitzt. Zum Beispiel betrachten wir ein vom Grad k homogenes
Richtung der Masse m2 . Andererseits wird die Testmasse von m1 Potenzial
selbst angezogen. Der Betrag dieser Kraft ist Gmm1 =R21 . Wird V.ax/ D ak V.x/: (3.189)
der Planet bzw. Mond oder Asteroid m1 nur durch Gravitations-
kräfte zusammengehalten, so wird er zerfallen, wenn Wir skalieren nun den Ortsvektor und die Zeit wie
 
2Gmm2 R1 Gmm1 2m2 1=3 x ! ax; t ! bt: (3.190)
> H) d < d R WD R1
d3 R21 m1 Somit folgt für die Geschwindigkeit und Beschleunigung
(3.186)
ist. Man beachte, dass die Roche-Grenze dR keine Eigenschaft dx a d2 x a
xP D ! xP ; xR D ! 2 xR : (3.191)
von m2 allein ist. Vielmehr spielen auch die Größe und Masse dt b dt 2 b
von m1 eine wichtige Rolle. Diese Abschätzung ist nicht gültig,
Der Gradient skaliert wie
wenn die Objekte im Inneren durch andere Kräfte als Gravita-
tion zusammengehalten werden, z. B. Raumsonden (Atombin- d 1
rD ! r: (3.192)
dungen, also elektromagnetische Kräfte). dx a
3.7 Mechanische Ähnlichkeit und der Virialsatz 117

x2 abstrakt sind, sollen sie kurz an einigen Beispielen verdeutlicht


werden.
C
Einige Potenziale

Der harmonische Oszillator hat das Potenzial V.r/ /


t1 r2 mit k D 2. Daraus folgt sofort, dass t0 =t D 1 ist.
C Seine Schwingungsdauer ist daher unabhängig von der
Amplitude.
t2
Im homogenen Gravitationsfeld sind V.x3 / / x3 und
t1 k D 1. Daher ist t0 =t D .l0 =l/1=2 . Die Quadrate der
Fallzeiten verhalten sich wie die Anfangshöhen.
Für das Kepler-Problem ist V.r/ / r1 mit k D 1.
t2
Es folgt daraus sofort das dritte Kepler’sche Gesetz,
t0 =t D .l0 =l/3=2. J
l
x1
l
Frage 31
Abb. 3.19 Skizze einer Ähnlichkeitstransformation von Bahnkurven. Angenommen, es ist bekannt, dass für die periodische Bewe-
Die beiden Bahnkurven C und C0 unterscheiden sich nur durch ihre gung in einem bestimmten Potenzial V.r/ / rk gerade t0 =t D
Längenskalen (l für C und l0 für C0 ) und die damit verbundenen Zeit- .l0 =l/1 gilt. Die Periodendauer würde sich dann für die doppel-

Kapitel 3
skalen (t D t2  t1 und t0 D t20  t10 ). Das Verhältnis der Skalen wird te Amplitude halbieren. Man zeige, dass das Potenzial V / r4
durch (3.195) beschrieben, wenn das Potenzial homogen vom Grad k erfüllen muss. Die Form der Bahnkurve ist für diese Analyse
ist
unerheblich.

Die Bewegungsgleichung einer Punktmasse im konservativen


Kraftfeld wird somit zu
a ak Der Virialsatz
mRx D r V.x/ ! m 2
xR D  r V.x/: (3.193)
b a
Für eine beliebige homogene Funktion f .x/ vom Grad k in x gilt
Sie bleibt daher unverändert, wenn
a df .ax/ @f .ax/ @ ak f .x/
D ak1 H) b D a1k=2 (3.194) xD D D kak1 f .x/: (3.196)
b2 d.ax/ @a @a
gewählt wird. Da diese Gleichung insbesondere für a D 1 gültig ist, folgt das
Welche physikalische Aussage steckt hinter diesen Rechnun- Euler-Theorem über homogene Funktionen:
gen? Wenn V.x/ homogen vom Grad k in x ist, dann lassen x  r f .x/ D kf .x/: (3.197)
die Bewegungsgleichungen Ähnlichkeitstransformationen zu,
welche die Form der Bewegungsgleichungen invariant lassen: Frage 32
Stellen wir uns eine beliebige Bahnkurve vor. Man betrachte nun Man überprüfe die Richtigkeit von (3.197) an dem einfachen
eine andere Bahnkurve, die sich von der ersten nur durch eine eindimensionalen Beispiel f .x/ D cxk , wobei x durch x und r
Umskalierung der Abmessungen unterscheidet (Abb. 3.19). durch die Ableitung nach x ersetzt wird.
Hier soll l0 =l das Verhältnis der Bahnausdehnungen sein, wobei
l die Ausdehnung der ersten und l0 die Ausdehnung der zweiten
Betrachten wir nun ein System vonP Punktmassen mi an den Or-
Bahnkurve ist. Dann sind die Bewegungsgleichungen identisch,
ten xi . Die kinetische Energie T D i Ti ist homogen von Grad
wenn man gleichzeitig die Zeitachse um einen Faktor b wie in
2 in den Geschwindigkeiten xP i . Man kann sich schnell davon
(3.194) umskaliert. Die benötigte Zeit zwischen entsprechenden
überzeugen, dass für ein System von Punktmassen
Bahnpunkten verhält sich dann wie
X @T
 0 1k=2 xP i  D 2T (3.198)
t0 l @Pxi
D : (3.195) i
t l
gilt. Mit dem Impuls pi D mi xP i folgt weiterhin @T=@Pxi D pi und
Dies kann zum Beispiel die Zeit für einen vollen Umlauf sein, X d X X
falls die Bahnkurve periodisch ist. Überlegungen dieser Art 2T D xP i  pi D .pi  xi /  pP i  xi : (3.199)
spielen in der Physik eine extrem wichtige Rolle. Da sie recht i
dt i i
118 3 Systeme von Punktmassen

Im Folgenden wollen wir das über die Zeit gemittelte, sta- riodische Bewegungen ist es in der Regel nicht möglich, den
tistische Verhalten der Bewegung genauer untersuchen. Dazu Zeitmittelwert über einen unendlichen Zeitraum zu betrachten.
definieren wir zunächst Allerdings wird der Zeitmittelwert des zweiten Terms in (3.199)
X beliebig klein, wenn man t nur groß genug wählt. J
G WD pi  xi : (3.200)
i Betrachten wir nun eine einzelne Punktmasse in einem exter-
Erfolgt die Bewegung stets im Endlichen, so ist G beschränkt, nen Potenzial V.x/, das homogen vom Grad k in x sein soll.
Gmin  G  Gmax . Damit ist leicht einzusehen, dass Wegen F D r V und (3.197) kann man den Virialsatz in der
Form
* + Zt k
dG 1 dG hTi t D hV.x/i t : (3.203)
W D lim dt 2
dt t!1 t dt
t 0 (3.201) schreiben.
G.t/  G.0/
D lim D0
t!1 t Virialsatz für Oszillator und Kepler-Problem
wird, wobei h: : :i t den Zeitmittelwert einer Größe beschreibt.
Bei Zeitmittelung verschwindet also der erste Term auf der rech- Für den harmonischen Oszillator und das gebundene Kep-
ten Seite von (3.199). Weiterhin wissen wir, dass pP i D Fi die ler-Problem sind die Bahnkurven periodisch. Im ersten
Fall ist k D 2 und damit hTi t D hVi t . Die mittlere
˝Kraft
P ist, die ˛ auf die Punktmasse mi wirkt. Man nennt die Größe kinetische und potenzielle Energie des harmonischen Os-
i Fi  xi t das Virial. Wir haben somit den Virialsatz gefunden.
zillators sind gleich. Dieses Ergebnis spielt in der Quan-
tenmechanik und der Thermodynamik eine sehr wichtige
Kapitel 3

Virialsatz Rolle. Im zweiten Beispiel ist k D 1 und hTi t D


hVi t =2, was vor allem in der Astrophysik eine große Be-
Ist die Bewegung eines Systems von Punktmassen end- deutung hat. J
lich, dann gilt bei hinreichend langer Zeitmittelung der
folgende Zusammenhang zwischen der mittleren kineti-
schen Energie und dem Virial:
Frage 33
* +
1 X Man zeige, dass der Virialsatz in (3.203) die Form
hTi t D  Fi  xi : (3.202)
2 i k
t
hTi t D hEi t (3.204)
kC2
Achtung Für periodische Bewegungen reicht es aus, über annimmt, wobei E D T C V die Gesamtenergie ist.
eine Periode T zu mitteln, da G.T/ D G.0/ gilt. Für nichtpe-
Aufgaben 119

Aufgaben

Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen

3.1 Energieerhaltung Man zeige, dass die Energie geschoben wird. Entwickeln Sie dann das Potenzial in der
des Zweikörpersystems erhalten ist, selbst wenn man annimmt, Form V.r/ D V0 .r/ C ıV.r/ und nehmen Sie dabei an, dass
dass die Punktmasse m2 stets ruht: xP 2 D 0. Das Wechselwir- ıV klein gegenüber allen vorherrschenden Energien ist. Im
kungspotenzial V D V.r/ D V.jx1  x2 j/ hängt dann nur von letzten Schritt wird die Integrationsvariable r mithilfe der
der Position x1 ab, da x2 fest ist. Man beginne mit der Auswer- Bahnkurve '.r/ in ' überführt.
tung von dV=dt und zeige, dass die Summe von potenzieller und (b) Berechnen Sie die Periheldrehung ı' für das Störpotenzial
kinetischer Energie konstant ist. ıV.r/ D ˇ=r2 .

Kapitel 3
3.2 Radialgleichung
(a) Überprüfen Sie, dass (3.60), 3.4 Laplace-Runge-Lenz-Vektor Zeigen Sie die
folgenden Eigenschaften des Laplace-Runge-Lenz-Vektors
L2 dV (Abschn. 3.3)
Rr  D ; (3.205) 1 r
r3 dr Q D .Pr  L/  (3.210)
˛ r
auf (3.53) führt: im Gravitationspotenzial V.r/ D ˛=r:
 2 L 2
P
ED rP C C V.r/ D const: (3.206) (a) Es gilt Q D 0.
2 2r2 (b) Der Vektor Q liegt in der Bahnebene und zeigt vom Ursprung
zum Perihel bzw. Perigäum. Der Betrag ist jQj D ". Berech-
(b) Leiten Sie (3.61), nen Sie dazu r  Q D rQ cos '.
 
L2 u2 d2 u
C u D F.1=u/; (3.207)
 d' 2 3.5 Exzentrische Anomalie Gl. (3.56) ist die for-
male Lösung der Radialgleichung t.r/. Sie gibt diejenige Zeit
her, wobei u.'/ D 1=r.'/ ist. an, zu der sich die beiden Punktmassen im Abstand r vonein-
(c) Verwenden Sie (3.207) für die weitere Rechnung. Die Bahn- ander befinden. Für das Kepler-Problem erhält man mit t.r D
kurve des reduzierten Zweikörperproblems sei r0 / D 0
r.'/ D a cos.3'/ (3.208) r Zr
 r0 dr0
t.r/ D ˙ q : (3.211)
mit einer Konstanten a > 0. Zeigen Sie, dass die entspre- 2˛ r02 a.1"2 /
r0 r0  2a
 2
chende Zentralkraft die Form
  Das positive Vorzeichen ist zu verwenden, wenn sich die beiden
2L2 4 9a2
F.r/ D  (3.209) Massen voneinander entfernen (dr0 > 0), das negative, wenn sie
 r3 r5
sich annähern (dr0 < 0). Obwohl sich dieses Integral elementar
haben muss. In welchem Winkelbereich kann die Bewegung aufintegrieren lässt, kann die Lösung nicht in eine geschlossene
nur stattfinden? Form r.t/ gebracht werden. Dies bedeutet, dass der Abstand r
zu einer gegebenen Zeit t nicht unmittelbar angegeben werden
3.3 Periheldrehung kann. Ebenso kann '.t/ nicht explizit aufgeschrieben werden.
(a) Man zeige, dass die durch eine Störung verursachte Peri- Mithilfe der exzentrischen Anomalie , die über
heldrehung ı' durch (3.98) gegeben ist. Beginnen Sie mit
(3.63) und schreiben Sie die rechte Seite dieser Gleichung r D a.1  " cos / (3.212)
zunächst als Ableitung nach dem Betrag des Drehimpul-
ses L, wodurch die Wurzel aus dem Nenner in den Zähler definiert ist, wird das oben genannte Problem teilweise gelöst.
120 3 Systeme von Punktmassen

(a) Zeigen Sie, dass der Polarwinkel ' und die exzentrische An- (b) Berechnen Sie den Zusammenhang b2 .# 0 / und schließlich
omalie die folgende Relation erfüllen: den differenziellen Wirkungsquerschnitt. Beachten Sie dazu,
für welche Winkel r divergiert.
cos  "
cos ' D : (3.213)
1  " cos Abb. 3.20 zeigt einige Bahnkurven für verschiedene Parame-
Setzen Sie dazu in (3.80) 'p D 0, was einer speziellen Wahl ter  .
der Anfangsbedingungen entspricht.
(b) Zeigen Sie, dass der Bruch auf der rechten Seite von (3.213) 3.7 Streuung unter kleinen Winkeln Es soll der
für " < 1 (Ellipsenbahnen) nur Werte zwischen 1 und C1 Streuwinkel #1 für die Streuung einer Punktmasse m1 un-
annehmen kann. Demnach sind alle Werte 0   2 er- ter kleinen Winkeln berechnet werden. In diesem Grenzfall
laubt. Zeigen Sie weiterhin, dass ' D für D 0 und wird angenommen, dass #1 sehr klein ist, z. B. weil der Stoß-
D gilt. Aufgrund der Stetigkeit und des Zwischen- parameter einen großen Wert annimmt. Dabei kann man die
wertsatzes folgt dann, dass alle Werte zwischen 0 und 2 Rückwirkung von m1 auf m2 ! 1 vernachlässigen: Labor-
annehmen kann. system und Schwerpunktsystem sind annähernd äquivalent. Die
(c) Zeigen Sie ausgehend von (3.211) und (3.212) den Zusam- Punktmasse m1 falle parallel zur x-Achse ein. Nach der Streuung
menhang ist der Betrag der Geschwindigkeit vf D v1 und die Geschwin-
digkeit entlang der y-Achse
r Z
a3 0 0
vf;y D vf sin #1 D v1 sin #1 v1 #1 : (3.217)
t. / D .1  " cos /d : (3.214)
˛ (a) Berechnen Sie den Streuwinkel #1 in Abhängigkeit vom
0
Kapitel 3

Stoßparameter, indem Sie von


(d) Leiten Sie die Kepler’sche Gleichung
ZC1
!t D  " sin (3.215) m1 vf;y D Fy dt (3.218)
1
ab. Dabei ist ! die mittlere Winkelgeschwindigkeit, ! D
2=T. Diese Gleichung erlaubt für gegebene Zeit t eine ver- ausgehen, wobei Fy D @V=@y diejenige Kraftkomponente
hältnismäßig leichte numerische Berechnung von , was entlang der y-Achse ist, die m1 durch m2 erfährt. Das Po-
mithilfe von (3.212) auf den gesuchten Radius r zur Zeit t tenzial sei von der Form V.r/. Das Integral in (3.218) soll
führt. entlang des ungestörten (also geradlinigen) Weges ausge-
wertet werden, da Fy und somit #1 klein sind. Das Ergebnis
lautet
3.6 Streuung Gegeben sei ein Potenzial V.r/ D Z1
ˇ=r2 . 2b dV dr
#1 D  p : (3.219)
m1 v1
2 dr r  b2
2
(a) Berechnen Sie mithilfe von (3.61) die Bahnkurve und zeigen b
Sie, dass sie in der Form (b) Zeigen Sie, dass – laut des Ergebnisses aus Teilaufgabe (a) –
p ein Lichtstrahl im Gravitationsfeld um den Winkel
r.'/ D (3.216)
cos.'/ 2Gm2
#1 D (3.220)
c2 b
geschrieben werden kann. Wie lautet der Ausdruck für  ?
Welche Einschränkungen für das Potenzial ergeben sich dar- abgelenkt wird, wobei c die Lichtgeschwindigkeit ist. Im
aus? Zeigen Sie, dass keine gebundenen Bahnen möglich Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie wird gezeigt,
sind und bestimmen Sie den Streuwinkel im Schwerpunkt- dass die tatsächliche Lichtablenkung doppelt so groß ist wie
system. diese nichtrelativistische Abschätzung vorhersagt.
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 121

Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben

3.1 Die Zeitableitung der potenziellen Energie ist (c) Für die weitere Rechnung schreibt man zuerst
dV 1
D r 1 V  xP 1 C r 2 V  xP 2 D r 1 V  xP 1 ; (3.221) u.'/ D (3.229)
dt a cos.3'/
und berechnet die zweite Ableitung:
da die Punktmasse m2 ortsfest ist. Wegen
du.'/ 3 sin.3'/
r 1 V D F1 D m1 xR 1 (3.222) D ;
d' a cos2 .3'/
!
gilt d2 u.'/ 3 cos.3'/ sin2 .3'/
D 3 C 6
cos2 .3'/ cos3 .3'/
dV d  m1 
d' 2 a
dV d !
0D Cm1 xR 1  xP 1 D C xP 1 D .V CT/: (3.223)
dt dt dt 2 dt 3 cos2 .3'/ C sin2 .3'/ 3
D 6 
a cos .3'/
3 cos.3'/
Hier wurde die kinetische Energie T D m1 xP 21 =2 eingeführt. Die
Punktmasse m2 trägt nicht dazu bei, da ihre Geschwindigkeit 3 3 3 
null ist. Wegen E D TCV ist die Energie offensichtlich erhalten. D 6a u  3au : (3.230)
a

Kapitel 3
Eingesetzt in (3.61) ergibt sich
3.2  
L2 u2 3  3 3 
(a) Das Vorgehen ist zunächst identisch zu dem, das bereits aus F.1=u/ D  6a u  3au C u
 a
(1.136) bekannt ist. Man multipliziert (3.205) mit rP und sor-
L2  
tiert die Differenziale um: D 18a2 u5  8u3 (3.231)

L rP2
dV 2L2  3 
PrrR  D  rP D 4u  9a2 u5 :
r 3 dr 
(3.224)
d  2 d L2 dV
H) rP C D : Dies führt auf das gesuchte Endergebnis. Da der Radius im-
dt 2 dt 2r2 dt mer positiv sein muss, folgt aus der Definition des Kosinus
Integriert man nach der Zeit, findet man, dass  =2 < 3' < =2 bzw. j'j < =6. Der Fall r D 0
würde einer unphysikalischen Singularität mit unendlicher
 2 L2 Geschwindigkeit entsprechen, da V.0/ D 1 ist.
ED rP C C V.r/ (3.225)
2 2r2
3.3
eine Konstante ist, die man als Energie identifiziert.
(b) Führt man u D 1=r ein, gilt (a) Gl. (3.63) kann direkt als Ableitung nach dem Betrag des
Drehimpulses geschrieben werden:
du 1
D  2 D u2 : (3.226) Zrmax
dr r dr
' D 2L p
Wegen (3.50) kann die Zeitableitung durch eine Winkel- r 2.E  V.r//  L2 =r2
2
rmin
ableitung ersetzt werden: (3.232)
Zrmax p
@
d L d Lu2 d D 2 dr 2.E  V.r//  L2 =r2 :
D D : (3.227) @L
dt r d'
2  d' rmin

Es ist die zweite Zeitableitung von r zu berechnen: Mit dem Ansatz V.r/ D V0 .r/ C ıV.r/ folgt zunächst
r
  L2
d dr Lu2 d Lu2 d 1 L2 u2 d2 u 2.E  V/  2
rR D D D 2 : (3.228) v r
dt dt  d'  d' u  d' 2 u 0 1
u 
u L 2 ıV
Im letzten Schritt wurde d.1=u/ D du=u2 verwendet. D t 2.E  V0 /  2 @1  2
A:
Setzt man dieses Zwischenergebnis und dV=dr D F.r/ D
r .E  V0 /  L 2
2r
F.1=u/ in (3.205) ein, folgt (3.207). (3.233)
122 3 Systeme von Punktmassen

Die r-Abhängigkeiten werden aus Gründen der Übersicht- 3.4


lichkeit nicht explizit angegeben. Der Bruch mit ıV ist klein
gegenüber 1, dapıV eine hinreichend kleine Störung sein soll. (a) Die Zeitableitung lautet
Die Näherung 1  x D .1  x/1=2 1  x=2 führt dann
 
auf
QP D 1 rR  L C rP  LP  rP C r rP : (3.238)
s 0 1 ˛ r r2

L2 ıV
2.E  V0 /  2 @1  L2
A : (3.234) Wegen mRr D ˛r=r3 im Gravitationspotenzial und der dor-
r 2.E  V0 /  r 2 tigen Drehimpulserhaltung gilt

Wir wissen, dass die Periheldrehung ı' für ıV D 0 ver- P D  r  L  rP C r rP D  r  .r  rP /  rP C r rP : (3.239)


Q
schwindet, da dies dem ungestörten Fall entspricht. Eine mr3 r r2 r3 r r2
Abweichung davon kann also nur vom Bruch mit ıV erzeugt
werden: Das doppelte Kreuzprodukt kann wie gewohnt umgeschrie-
r ben werden und ergibt

Zrmax
2
2.E  V0 /  Lr2
@ r  .r  rP/ D r .r  rP/  rPr2 : (3.240)
ı' D 2 dr ıV
@L L2
2.E  V0 /  r 2
rmin Weiterhin gilt
Zrmax
@ dr ıV (3.235)
D 2 q r r dr2 r dr2 r .r  rP /
@L P
r D D D : (3.241)
Kapitel 3

L2
rmin 2.E  V0 /  r2 r 2 3
2r dt 3
2r dt r3
Z
@ d' r2 ıV Setzt man alle Zwischenergebnisse in (3.238) ein, ergibt sich
D 2 : P D 0.
Q
@L L
0 (b) Der Vektor Q liegt in der Bahnebene, da

Im letzten Schritt wurde (3.58) verwendet, um die r-Integra- 1 1


tion in eine '-Integration umzuwandeln. Dabei ist auf die LQD L  .Pr  L/  L  r D 0 (3.242)
˛ r
Integrationsgrenzen zu achten: Bei der größten Annäherung
ist ' D 0, beim größten Abstand ' D . Außerdem wurde gilt. Hierbei sei an L D r  p erinnert. Wir fahren fort mit
das volle Potenzial V durch den führenden Term V0 ersetzt, der Berechnung von
da der Integrand bereits von der Ordnung ıV ist.
Es folgt also das Endergebnis mit explizit ausgeschriebener r  .Pr  L/
funktionaler Abhängigkeit: rQ D  r: (3.243)
˛
0 1
Z Das Spatprodukt kann durch zyklische Permutation umge-
@ @ 2
ı' D r .'/ ıV.rŒ'/ d' A :
2
(3.236) formt werden:
@L L
0
L2
r  .Pr  L/ D L  .r  rP / D : (3.244)
Es ist so zu interpretieren, dass das Störpotenzial in der Form 
ıV.r/ vorgegeben wird, ebenso die Bahnkurve r.'/, die sich
aus dem ungestörten Potenzial V0 .r/ ergeben würde. Der In- Somit hat man
tegrand ist dann eine reine Funktion von ', die prinzipiell
aufintegriert werden kann. Hängt das Ergebnis noch von L L2
rQD  r D rQ cos ': (3.245)
ab, muss dies bei der Ableitung nach L berücksichtigt wer- ˛
den.
(b) Am einfachsten ist die Berechnung für das Störpotenzial Eine einfache Umformung führt auf
ıV D ˇ=r2. In diesem Fall ist die Integration trivial, und
das Ergebnis lautet L2 =.˛/ p
rD D : (3.246)
0 1 1 C Q cos ' 1 C Q cos '
Z  
@ @ 2 @ 2 ˇ 2 ˇ
ı' D ˇ d' A D D : Dies entspricht offenbar der Bahnkurve, wenn man Q D "
@L L @L L L2
0 identifiziert und Q in Richtung des Perihels zeigt. Denn nur
(3.237) dann ist 'p D 0 in (3.80).
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 123

3.5 (d) Die Kepler’sche Gleichung (3.215) folgt sofort durch Inte-
gration: r
(a) Wir schreiben (3.212) mit p D a.1  "2 / zunächst als ˛
t D  " sin : (3.257)
p.1  " cos / a3
rD (3.247)
1  "2 Hier muss nur noch das dritte Kepler’sche Gesetz (3.92)
und vergleichen dies mit (3.80): ˛
!2 D (3.258)
p a3
rD : (3.248)
1 C " cos ' verwendet werden.
Eliminierung von r durch Gleichsetzen und Auflösen nach
cos ' führt auf das gesuchte Ergebnis (3.213). 3.6
(b) Wir zeigen, dass der Zahlenwert des Bruches auf der rechten
Seite von (3.213) für alle im Intervall Œ1; C1 liegt. Aus (a) Die Kraft, die sich aus dem Potenzial ergibt, ist
der zu überprüfenden Ungleichung
dV ˇ
cos  " F.r/ D  D  3 H) F.1=u/ D ˇu3 : (3.259)
1 (3.249) dr r
1  " cos Gl. (3.61) kann dann durch einfache Umformung als
folgt wegen 1  " cos > 0 nach kurzer Umformung  
d2 u ˇ
D  1  u (3.260)
cos  1: (3.250) d' 2 L2

Kapitel 3
Ausgehend von geschrieben werden. Wir definieren
cos  " ˇ
1 (3.251)  2 WD 1  (3.261)
1  " cos L2
folgt analog und sehen, dass die resultierende Differenzialgleichung auf
cos  1: (3.252) eine Sinusfunktion führt:

Dies bedeutet, dass der Bruch in der Tat durch 1 und C1 u.'/ D A sin..'  '0 //: (3.262)
beschränkt ist, egal welchen Wert annimmt. Somit sind
Die beiden Integrationskonstanten sind die Amplitude A und
alle Werte zwischen 0 und 2 für erlaubt. Für D 0 ein Phasenwinkel '0 . Offensichtlich ist  nur dann reell,
folgt cos ' D 1, also ' D 0. Weiterhin führt D auf wenn  2  0 ist. Daher muss ˇ  L2 = gelten. Der
cos ' D 1 bzw. ' D . Tatsächlich laufen ' und bei
Koeffizient ˇ kann auch einen beliebigen negativen Wert
einem vollen Umlauf beide von 0 bis 2 . annehmen. Dann ist das Potenzial V.r/ wie das Zentrifu-
(c) In das Integral (3.211) wird (3.212) eingesetzt; dabei ist galpotenzial abstoßend. Selbstverständlich kann auch ˇ >
dr0 D a" sin 0
d 0
(3.253) L2 = erfüllt sein, allerdings kann die Bahngleichung dann
nicht mehr als eine Sinusfunktion geschrieben werden. Statt-
zu berücksichtigen. Es folgt zunächst dessen handelt es sich um eine Exponentialfunktion:
r Z ˇ
a3 .1  " cos 0
/" sin 0
d 0 u.'/ D A exp.˙ 0 .'  '0 //;  02 WD  1: (3.263)
tD˙ q : L2
2˛ 0/ .1" cos 0 /2 .1"2 /
0
.1  " cos  2
 2 Diesen zweiten Fall wollen wir nicht weiter betrachten. We-
(3.254) gen sin x D cos.x  =2/ kann '0 so gewählt werden, dass
Der Nenner im Integral lässt sich vereinfachen zu schließlich p
r r r.'/ D (3.264)
1 2 1 cos.'/
" .1  cos2 0 / D " jsin 0 j : (3.255)
2 2 gilt, wobei p D 1=A substituiert wurde.
Der Sinus kann gekürzt werden. Da die Vorzeichen von dr 0 Eine gebundene Bewegung ist nur dann möglich, wenn der
und sin 0 =jsin 0 j stets gleich sind, fällt dabei auch das ˙ Radius r nicht divergiert. Die Bahnkurve divergiert jedoch
fort. Das Ergebnis lautet dann für alle Werte p 6D 0 und  6D 0. Der Fall  D 0 entspricht
r D p, und das Zentrifugalpotenzial und V.r/ heben sich an
r Z jedem Punkt genau auf. Dies führt auf eine Kreisbahn, die
a3 0 0
tD .1  " cos /d : (3.256) jedoch nicht stabil ist, da das effektive Potenzial dort kein
˛ Minimum aufweist. Für p D 0 folgt r D 0, was aus physika-
0
lischen Gründen ausgeschlossen werden soll. Somit ist keine
Es wurde dabei noch t. D 0/ D 0 verwendet. gebundene Bewegung möglich.
124 3 Systeme von Punktmassen

x2 3.7

(a) Die streuende Masse m2 befinde sich im Ursprung, und die


Bewegung von m1 finde in der x-y-Ebene statt. Der Stoßpara-
meter ist b. Gl. (3.218) kann in folgender Form geschrieben
werden:

ZC1 ZC1
@V
m1 vf;y D Fy dt D  dt
@y
x1 1 1
(3.268)
γ = 0,5 ZC1
dV @r
D dt:
dr @y
γ=3 1

p
Wegen z D 0 ist r D x2 C y2 , und es gilt @r=@y D
γ=2 y=r. Weiterhin kann man dt durch dx=v1 ersetzen, da die
γ = 0,1 γ = 0,75 γ=1
Geschwindigkeit von m1 entlang der x-Achse in erster Nä-
herung konstant und daher stets v1 ist. Außerdem kann man
Abb. 3.20 Verschiedene Bahnkurven im 1=r 2 -Potenzial. Die Kurven
y D b D const annehmen, da #1 klein ist. Man findet somit
entsprechen verschiedenen Werten für den Parameter  aus (3.261). Die
Punkte größter Annäherung liegen auf der x1 -Achse und haben den Ab-
Z1
Kapitel 3

stand p zum Ursprung. In dieser Abbildung sind alle Bahnparameter p 2b dV dx


identisch. Man erkennt, dass sich die Massen mehrfach umlaufen kön- m1 vf;y D : (3.269)
v1 dr r
nen (rot) oder gar keine Streuung auftreten kann (grün). Für  < 1 ist 0
die Wechselwirkung attraktiv, jedoch lässt sich keine stabile gebundene
Bahn finden Hier wurde ausgenutzt, dass die Beiträge der Intervalle
.1; 0 und Œ0; C1/ identisch sind. Die x-Integration kann
(b) Der Streuwinkel ergibt sich aus der Bedingung, dass der Ra- durch eine r-Integration ersetzt werden: Da r2 D x2 C b2 ist,
dius für ' D ˙ =2 divergiert. Es folgt ' D = . Der gilt r dr D x dx und schließlich
Streuwinkel ist # 0 D  ' D .1  1= /. Interessanter-
weise kann der Streuwinkel für  < 1 (was ˇ > 0 und einem Z1
2b dV dr
anziehenden Potenzial V.r/ entspricht) beliebig negativ wer- #1 D  p ; (3.270)
den. In diesem Fall hat die Bahnkurve die Eigenschaft, dass m1 v12 dr r  b22
b
sich m1 und m2 während der Bewegung mehrfach gegen-
seitig umlaufen, bevor sie sich wieder voneinander trennen was die gesuchte (3.219) ist. Man beachte die untere Grenze
(Abb. 3.20). Ersetzt man  durch die Definition in (3.261), der Integration, die nun b anstatt 0 ist.
L durch den Stoßparameter b D L=.v1 / und verwendet (b) Das Gravitationspotenzial lautet
man die Energie E D v1 2
=2, führt dies zunächst auf
0
# 1 V.r/ D 
Gm1 m2
:
D1 q : (3.265) r
(3.271)
1  2bˇ2 E
Nimmt man an, dass ein Lichtstrahl aus einem Strom von
Diese Gleichung kann nach b2 aufgelöst werden:
Teilchen der Geschwindigkeit v1 D c besteht, lautet der
ˇ=.2E/ Streuwinkel im Laborsystem
b D2
: (3.266)
1  .1#10 = /2
Z1
Den Wirkungsquerschnitt (3.131) erhält man durch Diffe- 2Gm2 b dr
#1 D p
renziation: c2 r 2 r 2  b2
ˇ ˇ
d 1 ˇˇ db2 ˇˇ b
p ˇ1 (3.272)
D ˇ ˇ 2Gm2 b r2  b2 ˇˇ
d 2 sin # 0 d# 0 D
2Gm2
ˇ D 2 :
ˇ 1 c2 b2 r ˇ c b
D ˇ   ˇ b
2 E sin. / ˇ ˇ ˇ
ˇ (3.267)
2
ˇ.1  / 1  .1 /2 ˇ
3 1
Im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie wird kon-
sistent gezeigt, dass ein Lichtstrahl tatsächlich durch ein
ˇ j1  j
D Gravitationsfeld abgelenkt wird. Allerdings ist die Licht-
2 E sin. / 2 .  2/2 ablenkung doppelt so groß, wie das Ergebnis in (3.272)
mit WD # 0 = . voraussagt.
Literatur 125

Literatur

Weiterführende Literatur

Cornish, N.J.: The Lagrangian Points (1998), http://map.gsfc.


nasa.gov/media/ContentMedia/lagrange.pdf.
Zugegriffen: 5. September 2013

Kapitel 3
Starre Körper
4
Was ist ein starrer Körper?
Was ist der
Trägheitstensor?
Warum kann man den
Trägheitstensor
diagonalisieren?
Wie berechnet man
Volumenintegrale?
Wie lauten die
Bewegungsgleichungen
eines starren Körpers?
Wie stark kann ein Kreisel
torkeln?

Kapitel 4
4.1 Freiheitsgrade des starren Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
4.2 Kinetische Energie und Drehimpuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
4.3 Tensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
4.4 Trägheitstensor und Trägheitsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
4.5 Kontinuierliche Massenverteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
4.6 Bewegungsgleichungen des starren Körpers . . . . . . . . . . . . . . . 147
4.7 Rotation des Kreisels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 127
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik 1 | Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56115-7_4
128 4 Starre Körper

Starre Körper sind ausgedehnte Objekte ohne innere Freiheitsgra- Genau wie eine Punktmasse ist das Konzept eines starren Kör-
de, die für viele Bereiche der Physik ein wichtiges Modell darstellen. pers eine Idealisierung. So wie eine Punktmasse in der täglichen
Die in Kap. 2 diskutierten orthogonalen Transformationen führten Erfahrungswelt nicht vorkommt, gibt es in der Realität auch kei-
auf mathematische Gleichungen für die Änderungsgeschwindigkeit ne perfekt starren Körper. Dies wird klar, wenn man sich einen
eines Vektors in rotierenden Bezugssystemen. Die dort erlernten Stab vorstellt. Stößt man an dem einen Ende gegen den Stab, so
Methoden werden hier verwendet, um die Dynamik starrer Körper würde sich jeder seiner Punkte instantan in Bewegung setzen,
zu beschreiben. da die Abstände ja jederzeit konstant sein müssen. Dies steht
allerdings im Widerspruch zur speziellen Relativitätstheorie, die
Wir werden sehen, dass die Bewegungsgleichungen starrer Kör- besagt, dass sich keine Information schneller ausbreiten kann als
per zwar eine formale Ähnlichkeit mit dem zweiten Newton’schen das Licht. Außerdem würde ein starrer Körper unendlich große
Gesetz für Punktmassen aufweisen. Doch sind diese sogenannten Kräfte zwischen den Molekülen erfordern. Tatsächlich zeigen
Euler-Gleichungen aufgrund des darin auftauchenden Trägheitsten- alle scheinbar starren Körper elastische Eigenschaften: Unter
sors anspruchsvoller und erlauben eine Vielzahl von Lösungen (z. B. äußeren Einflüssen verformen sie sich, auch wenn diese Ver-
für den symmetrischen oder schweren Kreisel), die teilweise der In- formung häufig für den Menschen nicht wahrnehmbar ist und in
tuition zu widersprechen scheinen. vielen Anwendungen vernachlässigt werden kann.
Im Laufe des Kapitels werden Volumenintegrale, Tensoren und die Es kommt auf die Situation an, ob das Modell eines starren
Diagonalisierung von Matrizen diskutiert, die allesamt extrem hilf- Körpers angemessen ist oder nicht. Es bietet sich allerdings
reiche mathematische Werkzeuge für die gesamte Physik darstellen. als vereinfachte Beschreibung für viele Systeme an, z. B. für
Das Gebiet der Kreisel ist sehr weitläufig und kann im Rahmen die- die rotierende Erde, einen Kreisel auf der Tischplatte oder ein
ses Lehrbuches nur einführend besprochen werden. So verzichten physikalisches Pendel. Einen Eimer mit Wasser kann man da-
wir beispielsweise auf eine Diskussion der Dynamik nichtsymmetri- gegen nicht als starren Körper ansehen. Als Faustregel gilt, dass
scher Kreisel. starre Körper dann eine gute Näherung sind, wenn man davon
ausgehen kann, dass die wirkenden Kräfte keine oder nur eine
vernachlässigbare innere Dynamik anregen (wie beispielsweise
die Deformation des Körpers).
4.1 Freiheitsgrade
des starren Körpers
Anzahl der Freiheitsgrade
Nach der Definition des starren Körpers werden seine Frei-
heitsgrade und Koordinaten diskutiert. Es wird gezeigt, dass Ein System von N Punktmassen kann höchstens f D 3N Frei-
Kapitel 4

man genau sechs Koordinaten benötigt, um Lage und Orien- heitsgrade besitzen (z. B. drei Ortskomponenten in der Form
tierung eines freien starren Körpers eindeutig festzulegen. Dies xa .t/ für jede Punktmasse). Durch innere Zwangsbedingungen,
können beispielsweise seine drei Schwerpunktskoordinaten und z. B. jxa .t/  xb .t/j D const, wird deren Anzahl reduziert. Im
drei Drehwinkel sein. Anschließend werden die meistverwende- starren Körper gibt es offensichtlich eine große Anzahl von sol-
ten Euler’schen Winkel eingeführt. chen Zwangsbedingungen. Doch wie viele Freiheitsgrade bzw.
voneinander unabhängige Koordinaten bleiben übrig? Für einen
starren Körper gibt es stets f D 6 Freiheitsgrade, wenn er
nicht zusätzlich äußeren Zwängen unterworfen ist. Ein äußerer
Definition und Gültigkeitsbereich Zwang liegt beispielsweise bei einem Kreisel auf einer Tisch-
eines starren Körpers platte oder einem Jo-Jo an einer Schnur vor.
Man kann sich leicht überlegen, warum ein starrer Körper maxi-
Ein starrer Körper ist ein Objekt, das aus N Punktmassen ma mal sechs Freiheitsgrade haben kann. Eine einzelne Punktmasse
besteht, die alle einen zeitlich konstanten Abstand zueinander m1 hat drei Freiheitsgrade, z. B. ihre kartesischen Koordinaten
besitzen, rab D jxa .t/  xb .t/j D const (a; b D 1; : : : ; N). Es x1 .t/ in einem beliebigen Bezugssystem. Verbindet man eine
handelt sich dabei um einen Spezialfall der N-Teilchen-Systeme zweite Punktmasse m2 mit der ersten, kommen nicht drei, son-
in Abschn. 3.1. Insbesondere sind Gesamtmasse M und Schwer- dern nur zwei Freiheitsgrade hinzu, da der Abstand r12 konstant
punkt X durch (3.3) und (3.4) gegeben. ist, was einer Zwangsbedingung entspricht. Eine dritte Punkt-
masse m3 mit festem Abstand zu den beiden ersten (r13 und
Beim starren Körper sind die Wechselwirkungspotenziale so, r23 ) führt auf nur noch einen zusätzlichen Freiheitsgrad. Diese
dass die Abstände rab allesamt konstant gehalten werden. Die drei Punktmassen haben zusammen sechs Freiheitsgrade. Die
genaue Form dieser Potenziale wird für die Diskussion des Lage jeder weiteren Punktmasse ist aber durch Angabe ihrer
starren Körpers allerdings nicht benötigt, da sie nicht an der Abstände zu drei anderen Punktmassen (bis auf das Vorzeichen)
Dynamik beteiligt sind und nur die konstanten Abstände garan- festgelegt, solange diese nicht alle auf einer Linie liegen. Die
tieren. Stattdessen ist es sinnvoller, von Zwangsbedingungen zu Anzahl der Freiheitsgrade kann somit nicht mehr erhöht werden
sprechen, auf die wir in Kürze zurückkommen. (Abb. 4.1).
4.1 Freiheitsgrade des starren Körpers 129

m1 b3
e
r14 b∗
e 3
m4

r13
b∗
e 2 b∗
e 1
r34
r12
r24
b3
e
O O∗
b1
e b2
e

m3
r23
m2

Abb. 4.1 Die Lage einer Punktmasse m4 ist (bis auf das Vorzeichen) O
eindeutig festgelegt, wenn die drei Abstände r14 , r24 und r34 (blaue Li- b1
e b2
e
nien) zu den drei Punktmassen m1 , m2 und m3 bekannt sind

Die sechs Freiheitsgrade eines starren Körpers werden in der


Abb. 4.2 Überblick der Koordinatensysteme, die zur Beschreibung des
Regel in der Form eines Punktes und dreier Winkel angegeben starren Körpers verwendet werden. Das Laborsystem (S, schwarz) ist
(Lage und Orientierung). Wird ein beliebiger Punkt eines starren raumfest und ein Inertialsystem. Das Schwerpunktsystem (S0 , blau) ist
Körpers im Raum festgehalten, ergeben sich drei weitere äuße- gegenüber S nicht gedreht, ist aber an den Schwerpunkt des starren Kör-
re Zwangsbedingungen. Man spricht dann von einem Kreisel. pers gebunden. Das körperfeste System (S , rot) dreht sich mit dem
Hält man zusätzlich einen weiteren Punkt im Raum fest, bleibt starren Körper mit
nur noch ein Freiheitsgrad übrig, und der starre Körper ist ein
physikalisches Pendel. Betrachten wir nun einen beliebigen Punkt des starren Körpers
Achtung Da die Zahl der Freiheitsgrade von der Zahl der mit Koordinaten xa .t/ in S. Ein beliebiger anderer Bezugspunkt
Punktmassen unabhängig ist, kann man auch den Grenzfall des starren Körpers befinde sich am Ort x0 .t/. Dies kann, muss
N ! 1 und ma ! 0 mit M D const betrachten. Dies führt aber nicht der Schwerpunkt sein. Wir definieren den Verschie-
schließlich auf eine kontinuierliche Massenverteilung, auf die bungsvektor da .t/ WD xa .t/x0 .t/ und erkennen sofort, dass sein

Kapitel 4
wir in Abschn. 4.5 erneut zu sprechen kommen. J Betrag konstant sein muss, jda .t/j D const, da es sich um einen
starren Körper handelt. In S sind xa , x0 und da offensichtlich
konstant. In S hingegen ist
Koordinatensysteme xP a .t/ D xP 0 .t/ C dP a .t/ D xP 0 .t/ C .t/  da .t/: (4.1)
Die letzte Gleichheit gilt, da die zeitliche Änderung des Vektors
In diesem Kapitel werden verschiedene Koordinatensysteme be-
da .t/ nur seine Orientierung, nicht aber seine Länge betreffen
nötigt. Da dies auf den ersten Blick verwirrend sein kann, gehen
kann. Die Änderung von da .t/ steht daher senkrecht auf da .t/
wir hier gründlich vor. Wir führen drei kartesische Koordinaten-
selbst. Dabei ist .t/ ein Vektor, den es zu bestimmen gilt. An-
systeme ein:
dererseits haben wir bereits (2.54) abgeleitet:
  
1. Das erste, S, ist raumfest und ein Inertialsystem, also ein dP D R dP  !  d : (4.2)
Laborsystem. Die Basisvektoren werden ungestrichen darge-
stellt, eO i (i D 1; 2; 3), und sind zeitunabhängig. Der Ursprung Dies beschreibt das Transformationsverhalten der Zeitableitung
ist beliebig. eines Verschiebungsvektors d, wenn man von einem kartesi-
2. Das Schwerpunktsystem des starren Körpers, S0 , wird mit schen Inertialsystem zu einem beliebigen anderen kartesischen
einem Strich bezeichnet. Der Ursprung liegt im Schwerpunkt Koordinatensystem wechselt, das von S aus gesehen mit der
des starren Körpers. Die Basisvektoren eO 0i sind stets parallel Winkelgeschwindigkeit ! rotiert. Dabei ist R die momentane
zu den eO i . S0 ist kein Inertialsystem, wenn der Schwerpunkt Drehmatrix, welche die Basisvektoren der beiden Systeme in-

des starren Körpers beschleunigt wird. einander überführt. Da in unserem Fall dP D 0 ist, muss
3. Das dritte System, S , sei so gewählt, dass alle Punkte des P D !.t/  d.t/
d.t/ (4.3)
starren Körpers darin ruhen (Abb. 4.2). Die Basisvektoren
werden mit einem Stern markiert und sind zeitabhängig, gelten. Wir können also .t/ D !.t/ als die momentane Win-
wenn der starre Körper rotiert: eO i .t/ (Beispiel Erddrehung in kelgeschwindigkeit desjenigen Bezugssystems interpretieren, in
Abschn. 2.4). Die Wahl des Koordinatenursprungs und die dem alle Punkte des starren Körpers ruhen. Da die Wahl der
genaue Orientierung der Achsen lassen wir zunächst offen. Punkte xa .t/ und x0 .t/ bei diesen Überlegungen beliebig ist, ist
130 4 Starre Körper

die Winkelgeschwindigkeit !.t/ für alle Punkte des starren Kör- b3


e b∗
e 2
pers zur Zeit t identisch und hängt nicht vom Bezugspunkt ab.
Ein starrer Körper wird daher durch seine momentane Winkel-
geschwindigkeit charakterisiert. Dies entspricht inhaltlich dem
Euler’schen Theorem.
b∗
e 3

Euler’sches Theorem für die Bewegung eines starren


Körpers
ϑ
Wird ein starrer Körper in einem Punkt festgehalten, so ist
die allgemeine Bewegung eine Drehung um eine Achse, ϕ b2
e
ψ
die durch diesen Punkt läuft.
b∗
e 1

Man beachte, dass die momentane Winkelgeschwindigkeit von


S aus gesehen durch (2.72) gegeben ist: b1
e
bK
e

! .t/ D R.t/!.t/: (4.4)

Satz von Chasles Abb. 4.3 Die relative Orientierung vom Laborsystem (S, schwarz) und
körperfestem System (S , rot) wird durch die drei Euler-Winkel #, '
Wählt man in (4.1) x0 .t/ als den Schwerpunkt des star-
und beschrieben. Zur Vereinfachung wurden hier identische Ursprün-
ren Körpers, sieht man, dass die Bewegung des starren ge für S und S gewählt. Die Knotenlinie eO K (grün) ist die Schnittlinie
Körpers als Summe einer Translation, xP 0 .t/, und einer der eO 1 -Oe2 - (schwarz) und eO 1 -Oe2 -Ebenen (gelb)
Rotation um den Schwerpunkt, !.t/  .xa .t/  x0 .t//, ge-
schrieben werden kann. Diese Aussage ist auch als Satz
von Chasles (nach dem französischen Mathematiker Mi- sind, betrachten wir zunächst Abb. 4.3. Dort ist die sogenann-
chel Chasles, 1793–1880) bekannt. Als Ursprung von S te Knotenlinie eO K definiert. Sie ist die Schnittlinie der eO 1 -Oe2 -
verwendet man in der Regel den Schwerpunkt. Ist ein und der momentanen eO 1 .t/-Oe2 .t/-Ebene. Damit ist ihre Richtung
Punkt des starren Körpers fixiert, wird dieser normaler- durch eO K .t/ D eO 3  eO 3 .t/ festgelegt. Aus Gründen der Über-
sichtlichkeit verzichten wir im weiteren Verlauf auf die explizite
Kapitel 4

weise als Ursprung definiert.


Angabe der Zeitabhängigkeiten.
Es kann zu der Situation kommen, dass eO 3 und eO 3 parallel
Zwar sind Situationen denkbar, in denen die Schwerpunkts- sind. Dann ist die Knotenlinie nicht eindeutig definiert. Diese
bewegung und Rotation gekoppelt sind. Solche Situationen mathematische Singularität wird in praktischen Anwendungen
werden hier nicht besprochen, und wir betrachten die Rotati- umgangen, indem nicht die Euler’schen Winkel, sondern die so-
on unabhängig von der Schwerpunktsbewegung. Insbesondere genannten Quaternionen zur Darstellung verwendet werden, die
ist wegen (3.10) und (3.20) die Änderung des Gesamtimpul- beispielsweise in Goldstein (1981) diskutiert werden.
ses gleich der Summe aller äußeren Kräfte, und die Änderung
des Gesamtdrehimpulses ist die Summe aller äußeren Drehmo- Die drei Euler-Winkel sind folgendermaßen definiert (in der
mente. Zur Erinnerung sei an die entsprechenden Ergebnisse in Literatur sind – je nach Konvention – allerdings abweichende
Abschn. 3.1 verwiesen. Definitionen zu finden):

Winkel zwischen eO K und eO 1 : '


Winkel zwischen eO 3 und eO 3 : #
Euler’sche Winkel als Rotationsfreiheitsgrade Winkel zwischen eO K und eO 1 :

Wir sind bisher davon ausgegangen, dass es irgendein körper- Mathematisch lassen sich die beiden Koordinatensysteme fol-
festes Bezugssystem S gibt, das durch eine Drehmatrix R.t/ gendermaßen ineinander überführen (siehe Abschn. 2.1):
aus dem raumfesten System S hervorgeht (von einer möglichen
Verschiebung der Ursprünge einmal abgesehen). S wurde aller- 1. Im ersten Schritt wird eine Drehung um eO 3 um den Winkel '
durchgeführt. Die damit verbundene Drehmatrix lautet
dings nicht näher spezifiziert. Zur Beschreibung der Lage im
Raum haben sich die drei Euler-Winkel (#.t/, '.t/ und .t/) be- 0 1
cos ' sin ' 0
sonders bewährt. Sie werden verwendet, um S (definiert durch B C
eO i ) in drei Schritten in S (definiert durch eO i .t/) zu überführen. R3 .'/ D @ sin ' cos ' 0A (4.5)
Da die Euler-Winkel auf den ersten Blick wenig anschaulich 0 0 1
4.2 Kinetische Energie und Drehimpuls 131

und führt auf ein Zwischensystem mit den Basisvektoren


.'/
4.2 Kinetische Energie
eO i .
.'/
2. Im Anschluss wird um den Winkel # um eO 1 gedreht. Die
und Drehimpuls
Drehmatrix
0 1 Es werden die innere kinetische Energie und der innere Drehim-
1 0 0 puls des starren Körpers berechnet. Dies führt auf die Definition
B C
R1 .#/ D @0 cos # sin # A (4.6) des Trägheitstensors, der die charakteristische Größe eines ro-
0  sin # cos # tierenden starren Körpers ist. Der Trägheitstensor wird physika-
lisch interpretiert. Seine mathematischen Eigenschaften werden
führt auf ein weiteres Zwischensystem mit den Basisvekto- anschließend in Abschn. 4.3 untersucht.
.#/
ren eO i .
3. Im letzten Schritt erhält man das körperfeste Koordinaten-
.#/
system mit den Basisvektoren eO i , indem um die Achse eO 3 Kinetische Energie und Trägheitstensor
um den Winkel gedreht wird. Die zugehörige Drehmatrix
lautet 0 1 Um die kinetische Energie des starren Körpers anzugeben, be-
cos sin 0
B C ginnen wir mit (3.34):
R3 . / D @ sin cos 0A : (4.7)
0 0 1 M P 2 X ma 02
T D TS C TR0 D X C xP : (4.13)
2 a
2 a
Selbstverständlich lassen sich die drei Einzeldrehungen zu einer
Der erste Term ist die kinetische Energie der Schwerpunktsbe-
einzigen Operation
wegung im Inertialsystem S, der zweite die innere kinetische
Energie im Schwerpunktsystem S0 , die als Rotationsenergie de-
R D R3 . /R1 .#/R3 .'/ (4.8)
finiert wird. An dieser Stelle können wir wegen (4.3)
zusammenfassen. Man kann mit etwas Aufwand, aber simpler xP 0a D !0  x0a (4.14)
Rechenarbeit zeigen, dass
  schreiben, wobei der Vektor x0a vom Schwerpunkt X zur betrach-
cos ' cos  sin ' cos # sin sin ' cos C cos ' cos # sin sin # sin
R D  sin ' cos # cos  cos ' sin cos ' cos # cos  sin ' sin sin # cos (4.9) teten Punktmasse ma zeigt. Man beachte, dass sich S und S0 per
sin ' sin #  cos ' sin # cos #
Definition nur durch die Wahl des Ursprungs unterscheiden. Die

Kapitel 4
Koordinatenachsen sind nicht gegeneinander gedreht. Insbeson-
gilt. Die Rücktransformation erfolgt mit der Matrix R1 D R> , dere gilt dann ! D !0 . Da die Winkelgeschwindigkeit !0 für
da R eine orthogonale Matrix ist. Somit gilt für einen ungebun- alle Punktmassen eines starren Körpers identisch ist, findet man
denen Abstandsvektor mit den Koordinatendarstellungen d in S durch Einsetzen von (4.14) in den zweiten Term von (4.13):
und d in S :
d D Rd; d D R1 d (4.10) 1X    
TR0 D ma !0  x0a  !0  x0a
2 a
bzw.
1 X h 02 02  0 0 2 i
(4.15)
di D rij dj ; di D rji dj : (4.11) D ma ! xa  !  xa :
2 a
Frage 1
Rechnen Sie (4.9) nach. Geht man in Komponentenschreibweise über, hat man

1X
TR0 D ma !i0 !i0 x02 0 0 0 0
a  !i xa;i !j xa;j : (4.16)
Weiterhin gilt wegen (2.10) die nützliche Relation 2 a

eO i  eOj D rij : (4.12) Nach einer kurzen Umformung sieht man:

1 0X 1 0 0 0
Achtung Die Euler-Winkel werden in der Literatur gele- TR0 D ! ma ıij x02 0 0 0
a  xa;i xa;j !j DW !i ij !j : (4.17)
2 i a 2
gentlich abweichend definiert. So gibt es beispielsweise eine
.'/
Konvention, bei der die zweite Drehung stattdessen um die eO 2 - Frage 2
Achse ausgeführt wird. Dies ergibt letztlich eine andere Form Führen Sie diese Umformung explizit durch.
der Drehmatrix R. J
132 4 Starre Körper

Körpers charakterisiert. Allein dessen Masse reicht für solch ei-


Trägheitstensor ne Beschreibung nicht aus, da seine Form und Ausdehnung die
Rotationsenergie beeinflussen. Es ist allerdings auf den ersten
Die Größe  0 mit den neun Komponenten Blick erstaunlich, dass nur sechs Zahlen benötigt werden, um
X   das Trägheitsverhalten eines rotierenden starren Körpers voll-
ij0 W D ma ıij x02 0 0
a  xa;i xa;j (4.18) ständig zu erfassen – ganz unabhängig davon, welch komplexe
a Gestalt er auch besitzt. Physikalisch liegt dies in der großen An-
0 1
02 02
X Bxa;2 C xa;3 x0a;1 x0a;2 x0a;1 x0a;3 zahl der inneren Zwangsbedingungen begründet.
0 0 C
D ma @ xa;1 xa;2 x02
a;1 C xa;3
02
x0a;2 x0a;3 A Die Diagonalelemente des Trägheitstensors nennt man Träg-
0 0 0
a x0a;1 x0a;3 0 0
xa;2 xa;3 02
xa;1 C xa;202 heitsmomente. Sie sind nichtnegativ, 11 ; 22 ; 33  0, und
haben die Eigenschaft, dass kein Trägheitsmoment größer ist
ist der Trägheitstensor eines starren Körpers in seinem als die Summe der übrigen beiden. Dies wird in Aufgabe 4.1
Schwerpunktsystem. Mit seiner Hilfe lässt sich die kine- gezeigt. Die Nebendiagonalelemente nennt man Deviationsmo-
tische Energie (Rotationsenergie) des starren Körpers be- mente oder auch Trägheitsprodukte.
rechnen, wenn die Winkelgeschwindigkeit !0 im Schwer-
punktsystem bekannt ist: Trägheitstensor zweier verbundener Punktmassen
1 0 0 0 1
TR0 D !  ! D !0>  0 !0 : (4.19) Das einfachste Beispiel für einen starren Körper ist ein
2 i ij j 2 System von zwei Punktmassen, die durch eine masse-
lose Stange der Länge 2l verbunden sind. Die beiden
Massen m1 D m2 D M=2 befinden sich an den Orten
Der Trägheitstensor ist symmetrisch: ij0 D ji0 . Er besitzt da- .l cos '; l sin '; 0/> und .l cos '; l sin '; 0/> , sodass
her nur sechs unabhängige Einträge. Diese wichtige Eigenschaft der Schwerpunkt im Ursprung liegt. Der Trägheitstensor
wird später noch eine große Rolle spielen. lautet demnach
0 1
Frage 3 l2  l2 cos2 ' l2 sin ' cos ' 0
B C
Überprüfen Sie dies anhand von (4.18). .ij0 / D M @l2 sin ' cos ' l2  l2 sin2 ' 0A
2
0 0 l
0 1
sin2 '  sin ' cos ' 0
Im Folgenden werden wir uns zunächst weiter mit den physika- 2B C
D Ml @ sin ' cos ' cos2 ' 0A :
Kapitel 4

lischen Eigenschaften des Trägheitstensors beschäftigen, bevor


wir in Abschn. 4.3 Tensoren als mathematische Objekte definie- 0 0 1
ren und beschreiben. (4.20)
Offensichtlich gilt ij0 D ji0 . J

Physikalische Eigenschaften Frage 4


des Trägheitstensors Führen Sie die Rechnung, die auf (4.20) führt, explizit aus.

Betrachtet man die Struktur von (4.19), so sieht man, dass sie In Abschn. 4.5 werden noch andere konkrete Berechnungen des
Ähnlichkeiten mit der kinetischen Energie mPx2 =2 D mPxi xP i =2 Trägheitstensors vorgeführt.
einer Punktmasse hat. Die Geschwindigkeit xP wird durch die
Winkelgeschwindigkeit !0 und die Masse m durch die Kom-
ponenten ij0 des Trägheitstensors ersetzt. Der Trägheitstensor
übernimmt die Rolle der trägen Masse bei Drehbewegungen. Drehimpuls und Trägheitstensor
Wir werden allerdings noch sehen, dass die Bewegungsglei-
chungen des starren Körpers schwieriger zu lösen sind als die Genau wie die kinetische Energie lässt sich auch der Drehimpuls
einer Punktmasse. des starren Körpers mittels des Trägheitstensors ausdrücken.
Gl. (3.22),
Was bedeutet der Trägheitstensor anschaulich? Ähnlich wie die
Masse verknüpft er die kinetische Energie mit der Geschwindig- X
L D LS C L0R D X  M XP C x0a  ma xP 0a ; (4.21)
keit (in diesem Fall: Rotations- oder Winkelgeschwindigkeit). a
Dabei spielt es allerdings eine Rolle, wie weit die Elemente des
starren Körpers von der Drehachse entfernt sind. Der Trägheits- besagt, dass die Drehimpulsanteile von Schwerpunkt und der
tensor ist eine Größe, welche die Massenverteilung des starren inneren Bewegung relativ zum Schwerpunkt separat betrachtet
4.3 Tensoren 133

Zwischen kinetischer Energie und Drehimpuls gilt schließlich


der Zusammenhang

1 0
TR0 D L  !0 ; (4.25)
2 R
L wie man schnell anhand von (4.19) überprüft. Da TR0 immer po-
!
sitiv ist, muss der Winkel zwischen L0R und !0 stets kleiner als
90ı sein. Man beachte die Ähnlichkeit mit T D p  v=2 für die
O kinetische Energie einer Punktmasse.

4.3 Tensoren
In diesem Abschnitt werden Tensoren als mathematische Ob-
jekte eingeführt. Sie spielen in der Physik eine grundlegende
Rolle; der Trägheitstensor ist eines der wichtigsten Beispiele
Abb. 4.4 Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit eines starren Kör- in der Mechanik. Tensoren lassen sich als multidimensiona-
pers sind in der Regel nicht parallel. Hier sind die Vektoren L0 und !0 le Zahlenschemata darstellen. Wir kommen vor allem auf das
im Schwerpunktsystem S0 dargestellt Transformationsverhalten, das Produkt und die Kontraktion von
Tensoren zu sprechen.

werden können. Der Anteil der inneren Bewegung lässt sich we-
gen (4.14) in der Form
X   X  0  Tensoren in der Physik
L0R D ma x0a  !0  x0a D ma x02 0 0
a !  xa xa  !
0

a a
(4.22) Tensoren werden im „Mathematischen Hintergrund“ 4.1 defi-
schreiben. Dies führt schließlich auf niert. In diesem Abschnitt soll erläutert werden, wie Tensoren
gewöhnlicherweise in der Physik eingesetzt werden und wie
L0R D  0 !0 : man praktisch mit ihnen rechnet. Wir beschränken uns dabei auf

Kapitel 4
(4.23)
Tensoren, die auf Vektoren im N-dimensionalen euklidischen
Frage 5 Raum RN wirken.
Zeigen Sie mithilfe der Indexschreibweise die Gültigkeit von Bei Tensoren der Stufe p bzw. vom Rang p handelt es sich um
(4.23). multilineare Abbildungen, die sich – nach Wahl einer Basis –
als ein N  : : :  N-Zahlenschema darstellen lassen. Wie wir
in Kürze sehen werden, lassen sich Tensoren erster Stufe als
Um die Bedeutung dieser Gleichung hervorzuheben, schreiben Vektoren mit N Komponenten, Tensoren zweiter Stufe als N 
wir sie in Komponentenform aus: N-Matrizen darstellen usw. Wir beschränken uns im Folgenden
zur besseren Anschaulichkeit auf Tensoren zweiter Stufe. Die
L0R;1 D 11
0
!10 C 12
0
!20 C 13
0
!30 ; Ergebnisse sind jedoch für Tensoren jeder Stufe gültig.
L0R;2 D 21
0
!10 C 22
0
!20 C 23
0
!30 ; (4.24)
Wie findet man nun die Darstellung eines Tensors als N  N-
L0R;3 D 0
31 !10 C 0
32 !20 C 0
33 !30 : Matrix in der gegebenen Basis? Hierzu reicht es zu wissen, wie
der Tensor auf die entsprechenden Basisvektoren eO i wirkt. Für
Achtung Gl. (4.24) besagt, dass Drehimpuls und Winkelge- einen Tensor T.a; b/ ! R definieren wir
schwindigkeit im Allgemeinen nicht parallel sind (Abb. 4.4), da
 0 eine matrixwertige Größe ist und jede Komponente von L0R Tij WD T.Oei ; eOj / .1  i; j  N/ (4.26)
im Allgemeinen von allen Komponenten von !0 abhängt. J
und nennen diese N 2 Größen die Komponenten des Tensors be-
Es stellt sich hier die Frage, ob es ein Koordinatensystem züglich der gewählten Basis. Da Tensoren multilinear sind, kann
gibt, in dem der Trägheitstensor diagonal ist, d. h. in dem al- man die Wirkung des Tensors auf beliebige Vektoren dann in der
le Deviationsmomente verschwinden. In diesem Fall würden Form
die Gleichungen in (4.24) stark vereinfacht werden. Man kann T.a; b/ D Tij ai bj (4.27)
tatsächlich solch ein Koordinatensystem finden, wie wir später
zeigen und ausnutzen werden. schreiben.
134 4 Starre Körper

4.1 Mathematischer Hintergrund: Tensoren

Wir wollen uns nun mit Tensoren, einem für die Physik Seien dafür die N-dimensionalen Vektorräume V1 ; : : : ; Vp
wichtigen Konzept, beschäftigen. Dabei werden wir jedoch gegeben und seien fe1i ; : : : ; eNi g und fe01i ; : : : ; e0Ni g jeweils
Tensoren nicht (wie vielerorts üblich) als Größen mit be- Basen von Vi . Dann lässt sich jeder Basisvektor einer Basis
stimmtem Transformationsverhalten definieren, sondern die als Linearkombination der Basisvektoren der anderen Basis
mathematische Definition über Multilinearformen nehmen, darstellen, es gelte also
aus der das Transformationsverhalten folgt.
X
N
Multilinearformen Ist K ein Körper und sind V1 ; : : : ; Vp e0il D ril ;jl ejl .1  l  p/: (1)
K-Vektorräume, so nennen wir eine Abbildung W V1  jl D1
: : :  Vp ! K Multilinearform oder Tensor, wenn sie in
jedem Argument linear ist. Wir sind hier nur an dem Spezi- Für jeden einzelnen der p Vektorräume Vl wird also über die
alfall K D R mit lauter identischen Vi interessiert. In diesem N Basisvektoren ejl summiert.
Fall schreibt man für den Raum der Multilinearformen auch Wenden wir nun einen Tensor an, so erhalten wir mit dieser
˝p V  , und man nennt solche Tensoren p-Tensoren. ˝p V  ist Transformation und aufgrund der Multilinearität von
selbst wieder ein reeller Vektorraum.
X X
0
Man kann zeigen, dass der Raum ˝p V  die Dimension N p i1 ;:::;ip D  ri1 ;j1    rip ;jp j1 ;:::;jp : (2)
hat, wenn V die Dimension N hat. Es gilt sogar noch mehr: j1 jp
˝p V  ist isomorph (d. h., es existiert eine bijektive Abbil-
dung, die mit der Vektorraumstrukur verträglich ist) zu RN .
p Eine Herleitung dieser Gleichung für p D 2 (die sich auch
Dies gibt uns die Möglichkeit, nach Wahl von Basen von V auf höhere p verallgemeinern lässt) ist im Haupttext zu fin-
p-Tensoren als „p-dimensionale Matrizen“ darzustellen. den.

Beispiele Die einfachsten und geläufigsten Beispiele sind Beispiele Ist p D 0, so ist die Transformation in (1) von der
die Fälle p D 1 und p D 2. Im ersten Fall haben wir es Form  7! r   für alle  2 R und r D ˙1. Die Transfor-
mit einer aus der Mathematik bekannten Linearform zu tun, mation eines 0-Tensors ist nach (2) dann 0 D r  , d. h., der
im zweiten mit einer Bilinearform. Skalarprodukte sind z. B. Tensor transformiert sich genauso wie ein Skalar. Für p D 1
Bilinearformen. Außerdem ist das Levi-Civita-Symbol "ijk erhalten wir aus (2)
X
Kapitel 4

die Darstellung eines 3-Tensors und die Determinante von


0
N  N-Matrizen (wenn man diese als Multilinearform auf i D ri;j j :
den Spalten auffasst) ein N-Tensor. j

Darstellung Wählt man nun für den Vektorraum V p-mal 1-Tensoren transformieren sich also wie Vektoren.
eine Basis (wobei wir den i-ten Basisvektor des j-ten Vek-
torraumes mit eij bezeichnen), so entspricht die Komponente Tensorprodukt Sind und Elemente von ˝p V  bzw.
q 
i1 ;:::;ip genau dem Wert .ei1 ; : : : ; eip /. Ist V N-dimensional, ˝ V , so definiert man das Tensorprodukt ˝ durch
so hat ein p-Tensor also N p Komponenten. Ist ein Ten-
sor, so bezeichnen wir seine Komponenten mit i1 ;:::;ip , wobei . ˝ /.v1 ; : : : ; vp ; w1 ; : : : ; wq /
1  ij  N für jedes 1  j  p. WD .v1 ; : : : ; vp / .w1 ; : : : ; wq /:
Am wichtigsten ist dies für 2-Tensoren (d. h. Bilinearfor- Das Tensorprodukt hat folgende Eigenschaften (dabei seien
men). Ist ein 2-Tensor und wählt man für den Vektorraum ; und  Tensoren und 1 ; 2 2 R):
V eine Basis, so gibt es eine eindeutige Matrix M, sodass für
alle x; y 2 V gilt:
Das Tensorprodukt ist distributiv, d. h., es gilt
.x; y/ D x> My:
.1 1 C 2 2 / ˝ D 1 1 ˝ C 2 2 ˝ ;
Für p D 0 haben wir dann 0-dimensionale Matrizen, also
˝ .1 1 C 2 2 / D 1 ˝ 1 C 2 ˝ 2 :
Skalare; für p D 1 erhalten wir 1-dimensionale Matrizen,
also Vektoren. Das Tensorprodukt ist assoziativ, d. h., es gilt
Transformationsverhalten Wie schon bei den Vektoren
. ˝ /˝ D ˝. ˝ /:
untersucht, sind wir auch hier daran interessiert, wie sich die
Darstellung eines Tensors ändert, wenn eine andere Basis ge- Das Tensorprodukt ist im Allgemeinen nicht kommutativ.
wählt wird. Dabei erinnern wir nochmals daran, dass wir hier
nur Tensoren untersuchen, bei denen die Vektorräume Vi alle Für den Fall p D q D 1 nennt man das Produkt auch dyadi-
identisch sind. sches Produkt. Dieses wird im Haupttext näher besprochen.
4.3 Tensoren 135

Frage 6
Zeigen Sie die Gültigkeit von (4.27).

Allgemein kann man einen p-Tensor T im euklidischen Raum


in der folgenden Form darstellen:

T.v1 ; v2 ; : : : ; vp / D Ti1 i2 :::ip v1;i1 v2;i2 : : : vp;ip ; (4.28)


Abb. 4.5 Das Levi-Civita-Symbol "ijk ist die Darstellung eines Tensors
wobei vj;ij die ij -te Komponente von Vektor vj ist. Die Abbil- der Stufe 3. Man kann es sich als mehrdimensionale Matrix vorstellen,
dung T wirkt also auf p N-dimensionale Vektoren vi , und man die aus mehreren „Lagen“ besteht (blau, rot, grün). Die ersten beiden
summiert dabei über alle p auftretenden Indexpaare. Indizes von "ijk werden durch die Einträge einer zweidimensionalen
Matrix erfasst, der dritte Index entspricht einer der drei Farben

Matrizen als Darstellung von Tensoren


3-Tensoren lassen sich nicht als Matrizen darstellen, aber man
Wir halten fest, dass man wegen (4.26) und (4.27) Ten- kann, wie in Abb. 4.5 gezeigt, ihre Komponenten in einem drei-
soren zweiter Stufe als Matrizen darstellen kann. Analog dimensionalen Schema anordnen.
können Tensoren erster Stufe als Vektoren dargestellt wer- Wir sehen nun, dass (4.19) die Darstellung eines Tensors ist. Der
den. Trägheitstensor  0 ordnet der Winkelgeschwindigkeit !0 (neben
einem Faktor 12 ) die kinetische Energie TR0 zu:
Achtung Genau wie bei einem Vektor ist prinzipiell streng 1 0 0 0 1
zwischen einem Tensor zweiter Stufe und seiner darstellenden TR0 D  .! ; ! / D !0>  0 !0 : (4.31)
2 2
Matrix zu unterscheiden. Es ist in der Physik dennoch häufig
Hier ist  0 der eigentliche Tensor und  0 seine Matrixdarstel-
der Fall, dass diese Begriffe als Synonyme verwendet werden.
lung.
Anstatt von der Trägheitsmatrix (d. h. von derjenigen Matrix,
die den Trägheitstensor darstellt) zu sprechen, verzichtet man
normalerweise auf diese Unterscheidung und spricht nur noch
vom Trägheitstensor. Wir schließen uns hier dieser Konvention Transformationsverhalten von Tensoren
an, behalten aber im Hinterkopf, dass es einen konzeptionellen
Unterschied zwischen Trägheitstensor und -matrix gibt. J
Zunächst wollen wir über das Transformationsverhalten von

Kapitel 4
Tensoren sprechen. Betrachten wir zwei kartesische Koordi-
Skalarprodukt und Längenprojektion natensysteme S und S0 mit Basisvektoren .Oei / und .Oej0 /. Die
Komponenten eines Vektors, der in beiden Systemen dargestellt
Das Skalarprodukt im R3 kann als eine Tensoroperation wird, transformieren gemäß
verstanden werden. Wir betrachten einen 2-Tensor S, der
den zwei Vektoren a und b ihr Skalarprodukt a  b zuord- vi0 D rij vj ; (4.32)
net: S.a; b/ 7! a  b 2 R. Dies lässt sich auch in der Form wobei R D .rij / diejenige orthogonale Matrix ist, die S in S0
überführt. Wie lautet nun eine Tensordarstellung in S0 , wenn sie
a  b D ıij ai bj (4.29) in S bekannt ist? Zunächst ist
schreiben, wobei ıij das Kronecker-Symbol ist und über T 0 .v0 ; w0 / D T 0 .Rv; Rw/: (4.33)
i und j summiert wird. Somit ist das Kronecker-Symbol In Darstellungsform lautet dies
die Darstellung des Skalarprodukt-Tensors S im gewähl-
ten Koordinatensystem. Tij0 vi0 wj0 D Tij0 rik vk rjl wl D Tkl vk wl (4.34)
Möchte man einen Vektor auf eine Koordinatenachse bzw.
projizieren, so lässt sich dies ebenfalls als eine Tensor- v0> T 0 w0 D v> Tw: (4.35)
operation auffassen. Sei Pn .v/ 7! vn 2 R beispielsweise
Wir fordern diese Gleichung, da es sich bei dem Ergebnis einer
derjenige 1-Tensor, welcher dem Vektor v seine projizier-
Tensorabbildung um einen Skalar aus R handelt, der in jedem
te Länge auf die Achse n, O also vn D nO  v, zuordnet. Dann
Koordinatensystem identisch sein muss. Da die Wahl der Vek-
ist wegen
toren v und w beliebig ist, kann man den Zusammenhang
nO  v D nO i vi (4.30)
Tij0 rik rjl D Tkl (4.36)
nO i gerade die entsprechende Darstellung dieses Tensors
Pn im gewählten Koordinatensystem. J ablesen. Durch Invertierung folgt
Tij0 D rik rjl Tkl : (4.37)
136 4 Starre Körper

Man transformiert einen Tensor daher, indem man jede seiner Darstellungen von Tensoren erster Stufe. Allgemein gilt, dass
Komponenten wie einen Vektor transformiert. Dies lässt sich di- die Kontraktion eines p-Tensors ebenfalls ein Tensor ist, aller-
rekt auf Tensoren höherer Stufe erweitern. dings mit Ordnung p  2.

Frage 7
Dyadisches Produkt
Überprüfen Sie die Invertierung, indem Sie R1 D R> für
orthogonale Matrizen verwenden. Zeigen Sie weiterhin, dass Das dyadische Produkt zweier Vektoren a D .ai / und b D
das Kronecker-Symbol, das auch als Darstellung des Einheits- .bj / wird auch häufig in der Vektorform
tensors bezeichnet wird, invariant unter orthogonalen Trans-
formationen ist. Erinnern Sie sich dabei an die Invarianz des a ı b WD .ai bj / D ai bj eO i eOj (4.42)
Skalarprodukts unter orthogonalen Transformationen.
geschrieben. Stellt man sich a und b als Spaltenvektoren
(und demnach a ı b als Matrix) vor, so entspricht a ı b
Wir wollen noch explizit das Transformationsverhalten des
genau ab> .
Trägheitstensors überprüfen. Dazu betrachten wir den Übergang
von S0 in ein anderes, durch einen Doppelstrich bezeichnetes Wir zeigen, dass für drei Vektoren a, b und c die Identitä-
kartesisches Koordinatensystem S00 , das gegenüber S und S0 ge- ten
dreht ist. Die Drehung werde durch eine orthogonale Matrix
R0 D .rij0 / dargestellt: .a ı b/c D a.b  c/ und c> .a ı b/ D b.a  c/ (4.43)

rik0 rjk0 D rik0 rjl0 ıkl D ıij : (4.38) gelten. Auf den linken Seiten ist jeweils das Matrixpro-
dukt auszuführen, d. h., .a ı b/ wird wie eine gewöhnliche
Wir wissen bereits, dass das Skalarprodukt unter solchen Trans- Matrix mit dem Vektor c multipliziert. Dazu gehen wir in
formationen invariant ist, d. h. x02 02
a D xa . Als Konsequenz gilt Komponentenschreibweise über. Die erste Gleichung lau-
X tet
ij00 D ma rik0 rjl0 ıkl x02 0 0 0 0 0 0 0
a  rik rjl xa;k xa;l D rik rjl kl : (4.39) .ai bj /cj D ai .bj cj / D ai .b  c/: (4.44)
a
Analog lässt sich die zweite Gleichung überprüfen:
Der Trägheitstensor  0 transformiert also genau so, wie man es
von einem Tensor zweiter Stufe erwartet. ci .ai bj / D .ci ai /bj D bj .a  c/: (4.45)
Kapitel 4

Gelegentlich benutzt man auch ein anderes Symbol für


Tensorprodukt, Dyaden und Kontraktion die vollständige Kontraktion aij bij zweier Matrizen A D
.aij / und B D .bij /:

Weiterhin ist es wichtig, über das sogenannte Tensorprodukt Be- A W B WD aij bij : (4.46)
scheid zu wissen. Man kann Tensoren T1 und T2 der Stufen p1
und p2 miteinander verbinden, um einen Tensor T der Stufe Die vollständige Kontraktion ist von der Matrixmulti-
p D p1 C p2 zu erhalten. Dies ist im „Mathematischen Hin- plikation AB bzw. aij bjk zu unterscheiden! Letztere er-
tergrund“ 4.1 erläutert. gibt wieder eine Matrix. Analog zur Matrixkontraktion
Betrachten wir dazu ein für die Physik wichtiges Beispiel. Wir schreibt man auch für dyadische Produkte
gehen aus von zwei Vektoren v und w als jeweilige Darstellung
.a ı b/ W .c ı d/ D .ai bj /.ci dj /
eines Tensors erster Stufe (v und w). Man kann nun aufgrund (4.47)
der Multilinearität die Darstellung des Tensors T D v ˝ w er- D .ai ci /.bj dj / D .a  c/.b  d/
halten:
Tij D vi wj : (4.40) oder für Kontraktionen von Matrizen und dyadischen Pro-
dukten
Das Tensorprodukt zweier 1-Tensoren nennt man auch dya- A W .b ı c/ D aij bi cj : (4.48)
disches Produkt oder kurz Dyade. Es ist in der Regel nicht
kommutativ, da im Allgemeinen Tij 6D Tji ist. J
Man kann auch Tensoren kontrahieren, indem man jeweils paar-
weise über Indizes ihrer Darstellung summiert. Hat man es
beispielsweise mit der Darstellung eines Tensors dritter Stufe, Die Spur eines Tensors T zweiter Stufe ist definiert als die Spur
Tijk , zu tun, so sind seiner Darstellungsmatrix T

ui D Tijj oder vi D Tjij oder wi D Tjji (4.41) Sp.T/ D Sp.T/ D Tii : (4.49)
4.4 Trägheitstensor und Trägheitsmomente 137

Sie ist eine Kontraktion und entspricht der Summe der Diago- lässt sich der Trägheitstensor in jedem Koordinatensystem wie
nalelemente. in (4.19) berechnen, wenn die x0a entsprechend durch die Orts-
vektoren in dem gewählten Koordinatensystem ersetzt werden.
Dies gilt auch für beschleunigte Bezugssysteme, auch wenn der
Matrixmultiplikation und Kontraktion
Schwerpunkt und der Koordinatenursprung nicht zusammenfal-
len. Es ist leicht einzusehen, dass dabei die Tensorelemente im
Das Matrixprodukt C D AB D .aij bjk / D .cik / lässt sich
Allgemeinen andere Werte annehmen.
auch anders ausdrücken. Dazu bildet man zunächst das
Produkt der beiden Matrizen: Die Komponenten der Trägheitsmatrix eines starren Körpers
können zeitabhängig sein. Dies ist dann der Fall, wenn sich der
D D A ı B D .aij bkl / D .dijkl /: (4.50) starre Körper im gewählten Bezugssystem dreht. Beispielswei-
se kann der Winkel ' in (4.20) von der Zeit abhängen. Dies ist
Dies ist die Darstellung eines Tensors vierter Stufe. Im ein entscheidender Unterschied zur Masse eines Körpers, die –
Anschluss kontrahiert man die beiden mittleren Indizes: in der nichtrelativistischen Mechanik – nicht von der Wahl des
Bezugssystems abhängt und zeitunabhängig ist.
.dijjl / D .aij bjl / D .cil / D C: (4.51)
J Frage 8
Machen Sie sich klar, dass die Komponenten der Trägheitsma-
trix zeitabhängig sein können.

Forminvarianz
Tensor- und Vektorgleichungen wie (4.41), (4.49) oder
(4.51) sind forminvariant unter orthogonalen Transforma- Trägheitsmoment für Drehung um eine Achse
tionen. So gilt beispielsweise die Form von (4.19) in allen
Inertialsystemen. Wie wir bereits in Kap. 2 gesehen haben, Für viele Anwendungen ist die Orientierung der Drehachse re-
spielt Forminvarianz bzw. Kovarianz eine zentrale Rolle in lativ zum starren Körper fest. Dies gilt z. B. für einen Autoreifen
der theoretischen Physik. oder ein Windrad. Es stellt sich die Frage, ob zur Beschreibung
solcher Objekte der gesamte Trägheitstensor bekannt sein muss.
Um dies zu beantworten, nehmen wir an, dass die Drehung um
eine Achse mit Einheitsnormalenvektor nO D const stattfindet.
Wir führen die Untersuchung im raumfesten System S durch,
4.4 Trägheitstensor

Kapitel 4
könnten dies aber genauso gut im körperfesten System S tun.
und Trägheitsmomente Den Ursprung O legen wir auf die Drehachse. Es gilt ! D ! n. O
In diesem Fall lautet die kinetische Energie der Drehung aus
(4.19)
Für viele praktische Anwendungen (z. B. Rad auf Achse) be- 1 1
nötigt man das Trägheitsmoment eines Körpers bezüglich einer TR D nO i ij nOj ! 2 DW n ! 2 : (4.52)
2 2
gegebenen Drehachse. Der Steiner’sche Satz setzt die Träg-
heitstensoren eines starren Körpers in zueinander verschobenen Hier ist
Koordinatensystemen in Relation. Der Trägheitstensor kann X h i
n  nO i ij nOj D nO >  nO D O 2
ma x2a  .xa  n/ (4.53)
durch eine geeignete Koordinatentransformation, die sogenann-
a
te Hauptachsentransformation, in Diagonalform gebracht wer-
den. Es zeigt sich, dass in solch einem Koordinatensystem O
das Trägheitsmoment bezüglich der Drehachse n.
die Gleichungen für die kinetische Energie und den Drehim-
puls besonders einfach werden. Die für die Diagonalisierung Frage 9
notwendigen mathematischen Konzepte der Eigenwerte und Ei- Rechnen Sie die Projektion des Trägheitstensors auf die Dreh-
genvektoren werden erläutert und an Beispielen vertieft. achse nach.

Aus Abb. 4.6 erkennt man, dass


Vorbemerkungen zum gewählten
Koordinatensystem O 2
l2a D x2a  .xa  n/ (4.54)

der quadratische Abstand der Punktemasse ma am Ort xa von der


Wir haben in (4.39) bereits gesehen, wie die Matrixdarstellung Drehachse nO ist. Vereinfacht kann das Trägheitsmoment dann in
des Trägheitstensors unter Drehungen transformiert. Die funk- der Form X
tionale Form von (4.19) bleibt davon unberührt. Tatsächlich n D ma l2a (4.55)
a
138 4 Starre Körper

a b

b
n la
S l
ma

xa b
n
O X

O b Der Steiner’sche Satz beschreibt, wie sich der Trägheits-


Abb. 4.6 a Ein Massenelement ma am Ort xa hat einen Abstandsvektor l a zur Drehachse n.
tensor ändert, wenn der Koordinatenursprung verschoben wird. Hier ist S der Schwerpunkt und O der gewählte Ursprung des raumfesten Systems

geschrieben werden. Verfährt man so mit dem Drehimpuls in nehmen wir an, dass der Schwerpunkt S sich am Ort X befindet.
(4.23), findet man analog Der Trägheitstensor bezüglich des Ursprungs O ist dann
X  
LR;n D n !; (4.56) ij D ma x2a ıij  xa;i xa;j
a
wobei LR;n D LR  nO die Projektion des Drehimpulses auf die X h 2   i (4.58)
Drehachse ist. D ma X C x0a ıij  Xi C x0a;i Xj C x0a;j ;
a

Frage 10
wobei die Schwerpunktskoordinaten wieder durch einen Strich
Überprüfen Sie, dass die Diagonalelemente des Trägheitstensors bezeichnet werden. Es ist leicht zu sehen,Pdass beim Aus-
ij die Trägheitsmomente bezüglich der Koordinatenachsen .Oei / 0
Kapitel 4

multiplizieren sämtliche Terme der Form a xa;i wegen der


sind. Definition des Schwerpunktes verschwinden.

Frage 11
Überprüfen Sie diese Aussage.
Trägheitsmoment für die Drehung um eine Achse
Für die Drehung um eine feste Achse nO reicht es, das Träg-
heitsmoment Es bleibt daher nur der folgende Ausdruck übrig:
X X X    2 
n D ma x2a  .xa  n/
O 2 D ma l2a (4.57) ij D ma x02 0 0
a ıij  xa;i xa;j C M X ıij  Xi Xj : (4.59)
a a a

zu kennen, wobei la der Abstand von ma zur Drehachse Der erste Term liefert gerade den Trägheitstensor
P  0 im
ist. Ist die Drehachse bezüglich des starren Körpers eine Schwerpunktsystem. Im zweiten Term wurde a ma D M aus-
Funktion der Zeit, kann das Trägheitsmoment ebenfalls genutzt. Gl. (4.59) ist die Transformationsgleichung für den
zeitabhängig sein. Trägheitstensor bei Verschiebung des Koordinatenursprungs.
Wir definieren weiterhin

O 2
l2 D X2  .X  n/ (4.60)
Steiner’scher Satz als den quadratischen Abstand des Schwerpunktes von der
O Dann ist das Gesamtdrehmoment bezüglich die-
Drehachse n.
Bisher haben wir stillschweigend ignoriert, welche Konsequen- ser Drehachse (Abb. 4.6)
zen sich ergeben, wenn der Schwerpunkt eines starren Körpers
nicht im Koordinatenursprung liegt. Um dies zu untersuchen, n D n0 C Ml2 : (4.61)
4.4 Trägheitstensor und Trägheitsmomente 139

Die drei Einträge 1 , 2 und 3 sind dann reell; sie wer-


Steiner’scher Satz den Eigenwerte der Matrix  genannt. Man überführt den
Trägheitstensor  durch eine Ähnlichkeitstransformation in
Der Steiner’sche Satz (nach dem Schweizer Mathematiker Diagonalform, d. h.
Jakob Steiner, 1796–1863) besagt: Das Trägheitsmoment
eines starren Körpers mit der Masse M um eine beliebi-   D R> R oder ij D rki rlj kl ; (4.63)
ge Drehachse im Abstand l von seinem Schwerpunkt ist
gleich dem Trägheitsmoment um die parallele Drehachse, wobei R eine geeignete orthogonale Matrix ist. Letztlich han-
die durch den Schwerpunkt verläuft, plus Ml2 . delt es sich bei (4.63) um eine durch R vermittelte Drehung des
Koordinatensystems.

Der Steiner’sche Satz erlaubt eine Zerlegung des Trägheitsmo- Achtung Eine allgemeine Ähnlichkeitstransformation erfor-
ments. Dies ist insbesondere bei der Berechnung von Trägheits- dert keine orthogonale, sondern nur eine invertierbare Matrix.
momenten aus einfachen Formen zusammengesetzter Objekte Da wir aber in der Physik in der Regel an längen- und winkel-
hilfreich. Hierbei ist zu betonen, dass die Definition des Träg- treuen Koordinatentransformationen interessiert sind, beschrän-
heitstensors additiv ist. Der Trägheitstensor eines starren Kör- ken wir uns auf orthogonale Matrizen. J
pers ist somit die Summe der Trägheitstensoren seiner Teile Die Koordinatenachsen, bezüglich derer die Matrix diagonal
bezüglich des gleichen Ursprungs. ist, bezeichnet man als Hauptträgheitsachsen oder Hauptach-
Achtung Für einen freien starren Körper verwendet man in sen. Die Trägheitsmomente bezüglich der Hauptachsen, also
der Regel den Schwerpunkt als Koordinatenursprung, da dann die Eigenwerte des Trägheitstensors, bezeichnet man als Haupt-
die kinetische Energie und der Drehimpuls in jeweils zwei sepa- trägheitsmomente.
rate Anteile zerfallen (Schwerpunktsbeitrag und Beitrag relativ
zum Schwerpunkt; siehe (4.13) und (4.21)). Ist der starre Kör-
per in einem Punkt fixiert (d. h., darf sich der starre Körper Diagonalform des Trägheitstensors
nur so bewegen, dass der besagte Punkt ortsfest ist), so dient
Da der Trägheitstensor als reellwertige, symmetrische
dieser Punkt normalerweise als Koordinatenursprung, und der
Matrix zweiter Ordnung dargestellt werden kann, hat der
Steiner’sche Satz findet Verwendung. J
Trägheitstensor stets drei reelle Eigenwerte, die Haupt-
trägheitsmomente. Es gibt ein Koordinatensystem, in dem
Frage 12 der Trägheitstensor diagonal ist. Man nennt diejenige
Überlegen Sie sich, dass das Trägheitsmoment n bezüglich ei- Transformation, die auf das Diagonalsystem führt, Haupt-
ner Achse nO minimal wird, wenn diese durch den Schwerpunkt achsentransformation.

Kapitel 4
läuft.

Doch welchen praktischen Vorteil bietet die Diagonalisierung


des Trägheitstensors? Wie wird sie erreicht? Und welche phy-
Diagonalform des Trägheitstensors sikalische Bedeutung hat sie? Diesen Fragen wollen wir uns im
folgenden Abschnitt widmen.

Wir haben gesehen, dass die Komponenten des Trägheitsten-


sors zeitabhängig sein können. Wählt man allerdings ein mit
dem starren Körper korotierendes Koordinatensystem, tritt die Diagonalisierung von Matrizen
Zeitabhängigkeit nicht auf. Dennoch ist das Koordinatensys-
tem durch diese Wahl noch nicht eindeutig festgelegt, denn die
Ausrichtung der Achsen relativ zum starren Körper ist zunächst Die Frage nach dem praktischen Vorteil der Diagonalisierung
beliebig. lässt sich leicht beantworten, indem man sich die Ausdrücke
(4.19) und (4.23) für die kinetische Energie und den Drehim-
Der Trägheitstensor hat lauter reelle Einträge und ist symme- puls im Diagonalsystem anschaut:
trisch, ij D ji . In der linearen Algebra wird gezeigt (siehe
auch den „Mathematischen Hintergrund“ 4.2), dass man unter 1 1 1
diesen Umständen ein Koordinatensystem finden kann, in dem TR D 1 !1 2 C 2 !2 2 C 3 !3 2 ; (4.64)
2 2 2
der Trägheitstensor Diagonalform annimmt. Hier und im Fol-
genden bezeichnet der Stern Größen in demjenigen körperfesten LR;1 D 1 !1 ; LR;2 D 2 !2 ; LR;3 D 3 !3 : (4.65)
Koordinatensytem S , in dem der Trägheitstensor diagonal ist:
0 1 Insbesondere der Ausdruck für die Komponenten des Drehim-
1 0 0 pulses wird wesentlich vereinfacht, da LR;1 nun nur von !1 usw.
B C
  D @ 0 2 0 A : (4.62) abhängt. Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit sind parallel,
0 0 3 wenn die Drehung um eine der drei Hauptachsen erfolgt.
140 4 Starre Körper

4.2 Mathematischer Hintergrund: Diagonalisierbarkeit

Einführung Wir wissen, dass lineare Abbildungen bezüg- hat, so ist sie nicht zwingend diagonalisierbar. Zum Beispiel
lich verschiedener Basen unterschiedliche Matrixdarstellun- hat die Matrix
gen haben. Nun stellen wir uns die Frage, ob wir eine Basis 0 1
1 1 0
finden können, für die diese Form möglichst einfach ist. Die B C
einfachste Gestalt ist die einer Diagonalmatrix, denn dann A D @0 1 0 A
können wir das Ergebnis der linearen Abbildung (d. h. der 0 0 2
Matrix-Vektor-Multiplikation) sofort hinschreiben:
die Eigenwerte 1 und 2, ist aber nicht diagonalisierbar.
0 1 0 1 0 1
a1 0 v1 a1 v1 Hat eine N  N-Matrix N verschiedene Eigenvektoren, so ist
B :: C B:C B : C
B : C  B : C D B : C: sie auf jeden Fall diagonalisierbar. Dieses Kriterium ist aber
@ A @:A @ : A
nur hinreichend und nicht notwendig. Zum Beispiel hat die
0 aN vN aN vN Einheitsmatrix nur den Eigenwert 1, ist aber diagonalisierbar
(denn sie ist ja in Diagonalform).
Wir identifizieren hier lineare Abbildungen mit ihren zuge-
hörigen Matrizen und umgekehrt. Ein wichtiges Resultat ist, dass jede symmetrische Matrix A
mit reellen Einträgen diagonalisierbar ist. In diesem Fall ist
Eigenwerte und Eigenvektoren Ist eine lineare Ab- die Matrix S orthogonal, und die Eigenwerte von A sind alle
bildung eines K-Vektorraumes V in sich selbst, dann heißt reell.
 2 K Eigenwert von , wenn es ein v 2 Vnf0g gibt
mit .v/ D v. Jedes v 2 Vnf0g, für das die Gleichung Charakteristisches Polynom Es ist im Allgemeinen
.v/ D v gilt, heißt Eigenvektor von zum Eigenwert recht mühsam, die Eigenwerte einer Matrix zu bestimmen.
. Für Matrizen A lautet die entsprechende Gleichung dann Dafür verwendet man üblicherweise das charakteristische
Av D v. Anschaulich bedeutet dies, dass nur die Länge, Polynom.
nicht aber die Richtung eines Eigenvektors ändert. Ist A eine N  N-Matrix, so nennen wir
Nicht jede lineare Abbildung hat Eigenvektoren. Betrachten PA ./ D det.I  A/
wir z. B. eine Drehung im R2 um 90ı . Es gibt keinen Vektor,
bei dem sich nur die Länge ändert, also hat diese Abbil- das charakteristische Polynom von A. Betrachtet man eine
Kapitel 4

dung keine Eigenvektoren. Hier muss man jedoch aufpassen: Matrix bezüglich einer anderen Basis, so erhält man dassel-
Betrachtet man dieselbe Abbildung im C 2 , so gibt es Eigen- be charakteristische Polynom.
vektoren. Für eine Matrix ist nun  genau dann ein Eigenwert, wenn es
Nullstelle des charakteristischen Polynoms ist.
Zu einem Eigenwert kann es mehrere linear unabhängige Ei-
genvektoren geben (Beispiel: Einheitsmatrix). Gibt es genau Beispiel: Drehungen im R2 Wir betrachten als Beispiel
m linear unabhängige Eigenvektoren zu einem Eigenwert, so eine Drehung um den Winkel ' 2 Œ0; 2 / im R2 :
heißt dieser Eigenwert m-fach entartet. !
cos '  sin '
A' D :
Diagonalisierbarkeit Eine lineare Abbildung eines K- sin ' cos '
Vektorraumes V in sich selbst heißt diagonalisierbar, wenn
es eine Basis von V gibt, die aus lauter Eigenvektoren von Anschaulich kann es nur Eigenvektoren für ' D 0 (identi-
besteht. sche Abbildung) oder ' D (jedem Vektor v wird gerade
v zugeordnet) geben. Das charakteristische Polynom ist
Eine Matrix A ist genau dann diagonalisierbar, wenn es eine PA' ./ D .  cos '/2 C sin ' 2 D 2  2 cos ' C 1
invertierbare Matrix S gibt, sodass p
und besitzt die Nullstellen 1;2 D cos ' ˙ cos2 '  1.
S1 AS D D Das Polynom hat also nur dann reelle Nullstellen, wenn
gilt, wobei D eine Diagonalmatrix ist. In diesem Fall stehen cos ' D ˙1. Dies gilt wie erwartet dann, wenn ' D 0 oder
in der Diagonale von D genau die Eigenwerte von A, und ' D . In dem Fall liegt A' bereits in Diagonalform mit
in den Spalten der Matrix S stehen die zugehörigen Eigen- zweifach entarteten Eigenwerten vor.
vektoren von A zum jeweiligen Eigenwert. Man spricht hier
von einer Ähnlichkeitstransformation und sagt, dass A und D Literatur
zueinander ähnliche Matrizen sind.
Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare
Da nicht jede Matrix Eigenvektoren hat, ist auch nicht jede Algebra 1. 3. Aufl., SpringerSpektrum (2014)
Matrix diagonalisierbar. Auch wenn eine Matrix Eigenwerte Fischer, G: Lineare Algebra. 15. Aufl., Vieweg (2005)
4.4 Trägheitstensor und Trägheitsmomente 141

Frage 13 Trägheitstensor  wird durch eine 3  3-Matrix dargestellt und


Zeigen Sie (4.64) und (4.65), indem Sie von den allgemeinen führt somit auf ein Polynom dritter Ordnung in . Gemäß dem
Ausdrücken in (4.19) und (4.23) ausgehen und den diagonalen Fundamentalsatz der Algebra hat ein charakteristisches Poly-
Trägheitstensor aus (4.62) verwenden. nom der Ordnung N stets N Lösungen, die jedoch komplex
sein können (komplexe Zahlen werden in Kap. 6 diskutiert). Je-
doch sind die Eigenwerte symmetrischer Matrizen stets reell.
Das Rechnen mit dem diagonalisierten Trägheitstensor bietet Aufgrund seiner Symmetrie hat  also immer drei reelle Eigen-
in erster Linie Rechenvereinfachungen im Vergleich zu einem werte i (wie es für alle physikalischen Beobachtungsgrößen
nichtdiagonalen Trägheitstensor. Physikalisch sind beide We- gefordert wird).
ge aber völlig äquivalent, da man dieselben Gleichungen nur
Die Eigenwerte von  können entartet sein. Entweder sind al-
in verschiedenen Koordinatensystemen betrachtet. Dies wurde
le Eigenwerte i unterschiedlich (keine Entartung), oder zwei
bereits in Kap. 2 im Zusammenhang mit den passiven Koordi-
oder sogar drei Eigenwerte sind identisch (Entartung). Dies wird
natentransformationen erläutert.
durch ein Beispiel klar:
Doch wie findet man nun das Koordinatensystem S , in dem der
Trägheitstensor diagonal ist? Dazu greift man auf Methoden aus Trägheitsmomente zweier Punktmassen
der linearen Algebra zurück. Im „Mathematischen Hintergrund“
4.2 werden Eigenwerte und Eigenvektoren einer quadratischen In (4.20) haben wir bereits einen nichtdiagonalen Träg-
Matrix eingeführt: Man nennt  einen Eigenwert und v den zu- heitstensor gefunden. Nach einer kurzen Rechnung findet
gehörigen Eigenvektor einer diagonalisierbaren Matrix A, wenn man das charakteristische Polynom
  
Av D v () .A  I/ v D 0 (4.66) det .I  / D   Ml2  2  Ml2 (4.69)

erfüllt ist. Aus der linearen Algebra ist bekannt, dass die Diago- als Bestimmungsgleichung für die drei Hauptträgheits-
nalelemente einer diagonalen Matrix den Eigenwerten entspre- momente i .
chen. Kennt man daher alle Eigenwerte einer diagonalisierbaren
N  N-Matrix A, so kann man direkt Überprüfen Sie (4.69).

A D diag.1 ; : : : ; N / (4.67)
Es müssen nun alle drei Lösungen der Gleichung
aufschreiben. Die Spalten der zugehörigen Transformations-  2
   Ml2 D 0 (4.70)
matrix R, die mittels A D R> AR die Matrix A in ihre

Kapitel 4
Diagonalform A überführt, sind gerade die den Eigenwerten bestimmt werden. Offensichtlich sind die Eigenwerte
i zugehörigen Eigenvektoren vi . Die Diagonalform   des 1 D 2 D Ml2 und 3 D 0. Somit lautet der diago-
Trägheitstensors lässt sich also direkt aufschreiben, wenn die nalisierte Trägheitstensor
drei Eigenwerte (d. h. Hauptträgheitsmomente i ) bekannt sind. 0 1
Ist man zusätzlich an dem speziellen Koordinatensystem in- 1 0 0
B C
teressiert, in dem der Trägheitstensor diagonal ist, muss man   D Ml2 @0 1 0A : (4.71)
außerdem die Eigenvektoren (d. h. die Hauptachsen) kennen. 0 0 0
Dies führt uns nun auf die wichtige Frage, wie man zum einen
die Eigenwerte und zum anderen die Eigenvektoren konkret Der Eigenwert Ml2 ist zweifach entartet. Dies liegt daran,
erhält. Offenbar ist der Nullvektor 0 D .0; 0; 0/> stets Eigen- dass es eine Symmetrieachse gibt. Dies ist die Ach-
vektor, da A0 D 0 immer erfüllt ist. Wir suchen daher nach se, auf der beide Punktmassen liegen. Die Existenz von
nichttrivialen Eigenvektoren, also solchen, die nicht null sind. Symmetrieachsen ist stets ein Indikator für entartete Ei-
Die Eigenwerte lassen sich dann ausgehend von der sogenann- genwerte des Trägheitstensors. Weiterhin ist einer der
ten Eigenwertgleichung (gelegentlich auch Säkulargleichung Eigenwerte null, da alle Massenelemente bezüglich der
genannt) bestimmen: Symmetrieachse den Abstand null besitzen und das ent-
sprechende Trägheitsmoment verschwindet. Dies kann
det .I  A/ D 0: (4.68) bei realen dreidimensional ausgedehnten Objekten nie-
mals der Fall sein. J
Hier wird ausgenutzt, dass (4.66) nur dann nichttriviale Lö-
sungen für v haben kann, wenn die Determinante der Matrix
.A  I/ verschwindet.
Ist ein Eigenwert  bekannt, lässt sich der entsprechende Eigen-
Jeder Eigenwert  einer diagonalisierbaren Matrix A erfüllt vektor v ausgehend von
(4.68) und ist somit Nullstelle des charakteristischen Polynoms
det .A  I/ (siehe „Mathematischen Hintergrund“ 4.2). Der .A  I/ v D 0 (4.72)
142 4 Starre Körper

berechnen. In drei Dimensionen erhält man ausgeschrieben drei


Gleichungen für die Komponenten des Vektors v: Wieder sind die ersten beiden Gleichungen identisch und
lauten vx cos '  vy sin ' D 0. Die dritte Gleichung
.a11  /v1 C a12 v2 C a13 v3 D 0;
ist stets gültig; die Komponente vz ist damit nicht ein-
a21 v1 C .a22  /v2 C a23 v3 D 0; (4.73) geschränkt und kann beliebig gewählt werden. Da der
a31 v1 C a32 v2 C .a33  /v3 D 0: Eigenwert zweifach entartet ist, sind zwei Vektoren v1
und v2 so zu konstruieren, dass sie zum einen (4.76) erfül-
Es ist nun ein Vektor v D .v1 ; v2 ; v3 /> zu finden, der alle drei len und zum anderen zum ersten gefundenen Eigenvektor
Gleichungen simultan erfüllt. Eigenvektoren sind allgemein nur v3 paarweise orthogonal sind. Hierzu wählen wir einen
bis auf ihre Länge festgelegt. ersten Vektor v1 , der senkrecht auf v3 steht und (4.76) er-
füllt. Dies ist beispielsweise der Vektor
Frage 14 0 1
Zeigen Sie, dass der Vektor ˛v (mit einer beliebigen Zahl ˛) 0
ein Eigenvektor der Matrix A mit Eigenwert  ist, falls v ein B C
v 1 D @0 A : (4.77)
Eigenvektor von A mit demselben Eigenwert ist.
1

Die Eigenvektoren zu unterschiedlichen Eigenwerten sind paar- Der verbleibende Vektor muss senkrecht auf den beiden
weise orthogonal (Aufgabe 4.2). Sind Eigenwerte jedoch ent- ersten stehen. Man findet ihn beispielsweise über das
artet, sind die entsprechenden Eigenvektoren nicht automatisch Kreuzprodukt
paarweise orthogonal. Allerdings können Eigenvektoren stets 0 1
paarweise orthogonal gewählt werden, wie das folgende Bei- sin '
B C
spiel zeigt. Dies wird in Bd. 3, Kap. 3 wieder aufgegriffen. v2 D v3  v1 D @ cos ' A : (4.78)
0
Hauptachsen zweier Punktmassen
Insgesamt sind nun alle Forderungen erfüllt. Genauso gut
Wir führen das Auffinden der Eigenvektoren anhand von hätte man auch mit einem anderen Vektor v2 beginnen
(4.20) und den bekannten Eigenwerten aus (4.71) vor. Wir können, der senkrecht auf v3 steht. J
beginnen mit dem nichtentarteten Eigenwert: Für 3 D 0
folgt
 2  Man kann starre Körper anhand der Entartung ihrer Haupt-
sin '  0 vx  sin ' cos 'vy D 0; trägheitsmomente unterscheiden. Hat der Trägheitstensor drei
Kapitel 4

 
 sin ' cos 'vx C cos2 '  0 vy D 0; (4.74) gleiche Eigenwerte, spricht man von einem Kugelkreisel, da
diese Eigenschaft auch für eine Kugel gilt (Abschn. 4.5). Sind
.1  0/vz D 0:
nur zwei Eigenwerte identisch, nennt man den starren Körper
einen symmetrischen Kreisel. Im Gegensatz dazu hat man es
Die ersten beiden Gleichungen sind für sin ' 6D 0 und mit einem unsymmetrischen Kreisel zu tun, wenn alle Haupt-
cos ' 6D 0 identisch und lauten vx sin '  vy cos ' D 0. trägheitsmomente unterschiedlich sind.
Die dritte besagt, dass vz D 0 sein muss. Offensichtlich
erfüllt der Vektor
0 1 Vorgehen zum Auffinden des diagonalisierten Träg-
cos ' heitstensors
B C
v3 D @ sin ' A (4.75)
1. Berechnen Sie den Trägheitstensor mit (4.19).
0
2. Stellen Sie die Eigenwertgleichung (4.68) auf und lö-
alle Anforderungen. Der zum Eigenwert 3 gehörige Ei- sen Sie diese.
genvektor v3 entspricht somit erwartungsgemäß gerade 3. Falls benötigt oder erwünscht, können die Hauptach-
derjenigen Achse, die durch die Lage der beiden Punkt- sen mittels (4.73) bestimmt werden. Sind Eigenwerte
massen definiert ist. entartet, müssen die entsprechenden Eigenvektoren so
gewählt werden, dass alle drei paarweise orthogonal
Für den entarteten Eigenwert 1 D 2 D Ml2 ergibt sich sind.
die folgende Situation:
 2 
sin '  1 v1  sin ' cos 'v2 D 0; Achtung Für viele einfache starre Körper sind bereits am
 
 sin ' cos 'v1 C cos2 '  1 v2 D 0; (4.76) Anfang die Symmetrieachsen offensichtlich. Diese Achsen soll-
ten als Koordinatenachsen definiert werden. Der Trägheitstensor
.1  1/v3 D 0: ist dann automatisch diagonal, wie wir noch am Beispiel eines
Quaders in (4.90) sehen werden. J
4.5 Kontinuierliche Massenverteilungen 143

Der Trägheitstensor ist immer diagonal, wenn alle drei Eigenwer- hier am Beispiel der Gesamtmasse verdeutlicht:
te identisch sind. Zum einen ist dann jede Achse eine Symme- • Z
trieachse. Zum anderen ist der Trägheitstensor ein Vielfaches der X
MD ma ! dx1 dx2 dx3 .x/ DW dV .x/: (4.81)
Einheitsmatrix, die unter orthogonalen Transformationen immer
diagonal bleibt, R> IR D I. Somit gibt es kein Koordinatensys-
a

tem, in dem solch ein Trägheitstensor nicht diagonal ist. Die Integrationsgrenzen sind dabei so zu wählen, dass sie
Sind die drei Eigenwerte k und normierten Eigenvektoren vO k dem Rand des Körpers entsprechen. Wie solch eine Integrati-
(k D 1; 2; 3) des Trägheitstensors in einem Koordinatensystem on konkret durchgeführt werden kann, werden wir in Kürze an
bekannt, kann er in der Form einem Beispiel vorführen. Vorher notieren wir jedoch noch die
Definition des Trägheitstensors für eine kontinuierliche Massen-
X
3 verteilung.
ij D vO k;i k vO k;j (4.79)
kD1

dargestellt werden. Ist das gewählte Koordinatensystem gera- Trägheitstensor einer kontinuierlichen
de das Hauptachsensystem (d. h. gilt vO k D eO k ), so folgt hieraus Massenverteilung
(4.62). Die Komponenten des Trägheitstensors für eine kontinu-
ierliche Massenverteilung .x/ lauten
Z
 
4.5 Kontinuierliche ij D dV .x/ x2 ıij  xi xj : (4.82)
Massenverteilungen
Für kontinuierliche Massenverteilungen wird die Summation
über Punktmassen durch eine Integration über Massenelemente Frage 15
ersetzt. Die dazu benötigten Volumenintegrale werden einge- Überlegen Sie sich, dass (4.82) aus (4.18) folgt, wenn man den
führt. Um solche Integrationen in krummlinigen Koordinaten- in (4.81) dargestellten Übergang als Vorlage verwendet. Der
systemen durchführen zu können, benötigt man die sogenannte Ortsvektor x mit den drei Komponenten xi ist dabei die Inte-
Jacobi-Determinante. Es werden die Trägheitstensoren einiger grationsvariable.
einfacher Massenverteilungen berechnet.

Kapitel 4
Achtung Alle Ergebnisse, die für einen aus diskreten Punkt-
massen zusammengesetzten starren Körper gelten, können ohne
Übergang zu einer kontinuierlichen Einschränkung auf einen kontinuierlichen starren Körper über-
Massenverteilung tragen werden, da sie für eine beliebige Anzahl N und daher
auch für N ! 1 gelten. J
Bisher wurden nur diskrete Systeme mit N Punktmassen ma
betrachtet. In Kap. 3 wurden zwar bereits ausgedehnte Körper
verwendet, ihre Zusammensetzung und der Einfluss auf das Ro-
tationsverhalten jedoch nicht näher untersucht. Wie berechnet
Volumen und Trägheitstensor eines Quaders
man nun den Trägheitstensor für solch ein kontinuierliches Ob-
jekt? Es ist unpraktisch, ihn sich als Ansammlung von N Punkt- Im Allgemeinen haben Volumenintegrale die Form
massen vorzustellen, die gegenseitig feste Abstände haben. Man •
mache sich beispielsweise klar, dass allein ein faustgroßer Stein
ID dx1 dx2 dx3 f .x1 ; x2 ; x3 /: (4.83)
aus etwa 1024 Atomen besteht. In solchen Fällen führt man
einen Grenzübergang N ! 1, ma ! 0 durch, sodass die Ge-
samtmasse M konstant bleibt. Der starre Körper besteht dann Die skalare Funktion f kann auch durch vektor- oder tensorwer-
aus lauter infinitesimalen Massen- bzw. Volumenelementen am tige Funktionen ersetzt werden; die Integration ist dann für jede
Ort x mit Masse Komponente einzeln auszuführen. Ein wichtiger Aspekt bei der
dm D .x/ dV; (4.80) Integration ist die korrekte Handhabung der Integrationsgren-
zen.
wobei .x/ die Massendichte am Ort x und dV ein infinitesima-
les Volumenelement ist. Betrachten wir zunächst das einfache Beispiel eines homogenen
Quaders, dessen Volumen wir berechnen wollen. Der Quader
Im einfachsten Fall ist die Massendichte im gesamten Körper habe die Kantenlängen a, b und c und sei entlang der Achsen
konstant; sie kann generell aber variieren (wie z. B. beim Erd- eO 1 , eO 2 und eO 3 ausgerichtet. Der Mittelpunkt liege im Ursprung.
körper). Die Summation wird durch ein Volumenintegral ersetzt, Dann läuft die x1 -Integration über das Intervall Œa=2; Ca=2
144 4 Starre Körper

und analog für die beiden übrigen Achsen. Das Volumen erhält x3
man für f .x/ D 1 innerhalb des Quaders:

Z Z
Ca=2 Z
Cb=2 Z
Cc=2

VD dV D dx1 dx2 dx3 : (4.84)


a=2 b=2 c=2

Hier wurde ausgenutzt, dass man ein Mehrfachintegral als ein


Produkt von Einfachintegralen schreiben kann. In diesem Fall
sind die Integrationen voneinander unabhängig, und man kann
z. B. zuerst die Integration über x3 ausführen: x2

Z
Cc=2

dx3 D c: (4.85)
c=2 x1

Die beiden übrigen Integrationen ergeben b und a, und das Vo- Abb. 4.7 Zur Integration des Kugelvolumens in kartesischen Koor-
lumen ist – wenig überraschend – V D abc. dinaten. Für einen festgehaltenen Wert x3 (gelbe Ebene) erhält man
einen Kreis (rot) als Schnittkurve von Ebene und Kugel (zur besseren
Für den Trägheitstensor eines homogenen Quaders setzt man Übersicht nicht dargestellt). Man erkennt, dass die Grenzen für die x1 -
f .x/ D .x/.x2 ıij  xi xj /, wobei .x/ D  D const ist. Wir Integration (blaue Striche) vom gewählten Wert x2 (blaue Ebene und
beginnen mit der Komponente 11 des Trägheitstensors und parallele graue Linien) abhängen. Der Radius des Schnittkreises wie-
schreiben wegen x2 D x21 C x22 C x23 : derum hängt von der Wahl von x3 ab. Somit sind die Integrationsgrenzen
nicht unabhängig und müssen parametrisiert werden
Z
Ca=2 Z
Cb=2 Z
Cc=2
 
11 D  dx1 dx2 dx3 x22 C x23 : (4.86) dass alle anderen Deviationsmomente ebenfalls verschwinden.
a=2 b=2 c=2 Der gesamte Trägheitstensor des Quaders lautet damit
0 1
Die x1 -Integration ist trivial und ergibt einen Faktor a. Die x2 - b2 C c2 0 0
Integration liefert den Faktor .b3 =12 C x23 b/. Dieser Faktor wird MB C
.ij / D @ 0 a2 C c2 0 A: (4.90)
durch die noch fehlende x3 -Integration zu .b3 c=12 C bc3 =12/. 12
Kapitel 4

Verwendet man das Volumen V D abc und die Gesamtmasse 0 0 a2 C b2


M D V, ergibt sich somit
Achtung Gl. (4.90) gilt nur für das gewählte Achsensystem.
1  2 
11 D M b C c2 : (4.87) Ist der Quader nicht parallel zu den Koordinatenachsen ausge-
12 richtet oder liegt der Schwerpunkt nicht im Ursprung, ist der
Trägheitstensor verschieden. Die Deviationsmomente sind dann
Frage 16 nicht zwangsläufig null (sie sind sogar in den meisten Fällen
Machen Sie sich klar, dass wegen Symmetrieüberlegungen die ungleich null). J
beiden restlichen Diagonalelemente

1  2  1  2 
22 D M a C c2 ; 33 D M a C b2 (4.88)
12 12 Volumen einer Kugel in kartesischen
lauten müssen. Koordinaten

Schwieriger wird es, wenn das Volumen einer Kugel mit Radius
Wir berechnen noch das Deviationsmoment
R und Mittelpunkt M im Ursprung O bestimmt werden soll. In
Z
Ca=2 Z
Cb=2 Z
Cc=2 diesem Fall sind die Integrationsgrenzen nämlich voneinander
abhängig, da der Innenbereich der Kugel durch
12 D  dx1 dx2 dx3 x1 x2 : (4.89)
q
a=2 b=2 c=2
x21 C x22 C x23  R (4.91)
Man sieht schnell, dass sowohl die x1 - als auch die x2 -Inte-
gration auf einen Faktor null führen, da x1 bzw. x2 ungerade definiert ist (Abb. 4.7). Angenommen, x1 und x2 sind bereits
Funktionen sind. Somit ist 12 D 0. Eine ähnliche Argumen- gegeben, dann kann x3 nur zwischen .R2  x21  x22 /1=2 und
tation wie bei den Trägheitsmomenten führt auf das Ergebnis, C.R2  x21  x22 /1=2 liegen. Ist x1 vorgegeben, muss x2 aus dem
4.5 Kontinuierliche Massenverteilungen 145

Intervall Œ.R2 x21 /1=2 ; C.R2 x21 /1=2  stammen. Wir berechnen bei der Volumenintegration hilfreich ist. Und tatsächlich ist dies
zunächst das x3 -Integral: der Fall.
p Betrachten wir wie in Abschn. 2.5 einen Satz allgemeiner
C R2 x21 x22
Z q Koordinaten qi .xj /, die von den kartesischen Koordinaten xj ab-
dx3 D 2 R2  x21  x22 : (4.92) hängen. Ihre totale Ableitung lautet
p @qi  
 R2 x21 x22 dqi D dxj D @xj qi dxj : (4.95)
@xj
Bei der x2 -Integration muss dieses Ergebnis berücksichtigt wer-
Es gilt die Einstein’sche Summenkonvention, und die Terme
den:
@xj qi bilden die Komponenten der Matrix JN D .JN ij / D .@xj qi /,
p sodass
C R2 x21
Z q dq D JN dx (4.96)
2 R2  x21  x22 dx2 N 6D 0, folgt mit
p gilt. Ist diese Matrix invertierbar, d. h., gilt det.J/
1
 R2 x21
(4.93) J WD JN D .Jij / D .@qj xi /
p
 q C R02
x dx D J dq: (4.97)
D x2 R02  x22 C R02 arcsin p
2
p
R02  R02
02
 2 
D R D R  x1 :
2
Jacobi-Matrix

Im zweiten Schritt wurde zur Vereinfachung R02 WD R2  x21 als Die durch
Abkürzung verwendet. Dies ist kein Problem, da x2 die Integra- Jij WD @qj xi (4.98)
tionsvariable ist und R und x1 diesbezüglich Konstanten sind.
definierte Matrix einer Koordinatentransformation qi .xj /
mit Umkehrung xi .qj / heißt Jacobi-Matrix der Koordina-
Frage 17 tentransformation. Häufig schreibt man auch
Rechnen Sie (4.93) nach. Suchen Sie dazu gegebenenfalls nach
einer geeigneten Stammfunktion in der mathematischen Litera- @.x1 ; x2 ; x3 /
JD : (4.99)
tur. @.q1 ; q2 ; q3 /

Nun muss noch die x1 -Integration ausgeführt werden:

Kapitel 4
Frage 18
ZCR  CR Die Berechnung einer Jacobi-Matrix lässt sich am einfachen
  x3 4 3
R2  x21 dx1 D R2 x1  1 D R : (4.94) Beispiel der Zylinderkoordinaten in (2.109) veranschaulichen.
3 R 3 Man zeige, dass das Ergebnis
R
0 1
Dies lässt sich anschaulich interpretieren: Das Volumen der Ku- cos ' % sin ' 0
B C
gel ergibt sich als unendliche Summe über Kreiszylinder mit je- J D @ sin ' % cos ' 0A (4.100)
weiligem Radius R2  x21 . Auch dieses Ergebnis war zu erwarten. 0 0 1
Allerdings überrascht die Komplexität der Rechnung. Die Ursa-
che dafür ist, dass kartesische Koordinaten für kugelsymmetri- ist. Verwenden Sie dazu q1 D %, q2 D ' und q3 D z.
sche Probleme schlecht geeignet sind. Zwar lässt sich das Ergeb-
nis berechnen, doch ist der Aufwand unverhältnismäßig groß. Im Wie kann man dieses Zwischenergebnis ausnutzen, um die
Folgenden wird eine angepasste Methode vorgestellt, mit der sich Volumenintegration zu vereinfachen? Hierzu drückt man das
Rechnungen dieser Art erheblich vereinfachen lassen. kartesische Volumenelement dV D dx1 dx2 dx3 mithilfe der Dif-
ferenziale dqi aus. Wir greifen dazu auf den Transformationssatz
aus der höheren Analysis zurück (Arens et al. 2012).
Koordinatentransformationen
und die Jacobi-Determinante Volumenelemente unter Koordinatentransformationen,
Jacobi-Determinante
Es hat sich bereits in Abschn. 2.5 herausgestellt, dass an das ge- Beim Übergang von kartesischen Koordinaten xi zu allge-
gebene Problem angepasste Koordinaten Berechnungen erheb- meinen Koordinaten qj erfüllt das Volumenelement
lich vereinfachen können. Beispielsweise sollten für kugelsym-
metrische Systeme in der Regel Kugelkoordinaten verwendet dV D dx1 dx2 dx3 D det.J/ dq1 dq2 dq3 ; (4.101)
werden. Es stellt sich die Frage, ob dieses Vorgehen nicht auch
146 4 Starre Körper

wobei J die zugehörige Jacobi-Matrix ist. Die Größe Jacobi-Determinanten für Zylinder-
det.J/ nennt man die Jacobi-Determinante oder Funktio- und Kugelkoordinaten
naldeterminante mit der häufigen Schreibweise
Die Jacobi-Determinanten für Zylinder- und Kugelkoor-
  dinaten braucht man selbstverständlich nur einmal auszu-
@xi
det.J/ D det : (4.102) rechnen. Die Ergebnisse
@qj
det.J/ D % (4.107)

Aus (4.101) folgt sofort für das Volumenintegral einer Funktion für Zylinderkoordinaten und
f .x/:
Z • det.J/ D r2 sin # (4.108)
f .x/ dV D f .x/ dx1 dx2 dx3
für Kugelkoordinaten kann man dann für alle entsprechen-
• (4.103) den Rechnungen direkt verwenden.
D f Œx.q/ det.J.q// dq1 dq2 dq3 :

Jacobi-Determinante für Kugelkoordinaten


Trägheitstensor einer Kugel
Wir berechnen nun das Volumen einer Kugel mit Radi-
us R in sphärischen Polarkoordinaten. Aus (2.115) folgt
zunächst die Jacobi-Matrix Betrachten wir nun den für viele physikalische und ingenieur-
technische Anwendungen wichtigen Fall einer Kugel mit Radius
0 1
sin # cos ' r cos # cos ' r sin # sin ' R und konstanter Massendichte .x/ D  D const für r  R.
B C Zunächst ist es sofort ersichtlich, dass die Gesamtmasse
J D @ sin # sin ' r cos # sin ' r sin # cos ' A ;
cos # r sin # 0 4
MD R3 (4.109)
(4.104) 3
ist. In Kugelkoordinaten lauten die Komponenten des Trägheits-
was man schnell durch partielles Ableiten überprüft. Die
Kapitel 4

tensors aus (4.82)


zugehörige Jacobi-Determinante ist
ZR Z Z2
det.J/ D r2 sin #: (4.105)  
ij D dr d# d'  r2 ıij  xi xj r2 sin #: (4.110)
Somit lautet das Volumenintegral 0 0 0

Z ZR Z Z2 Eine Kugel ist ein Körper hoher Symmetrie. Keine Achse ist
VD dV D dr d# d' r sin #
2 ausgezeichnet. Dies bedeutet, dass alle drei Trägheitsmomente
identisch sein müssen, 11 D 22 D 33 . Dasselbe gilt auch
0 0 0
(4.106) für alle Deviationsmomente, d. h. 12 D 23 usw.
Z
2 3 4 3 Wir wollen zunächst explizit zeigen, dass die Nebendiagonal-
D R sin # d# D R:
3 3 elemente verschwinden, und betrachten dazu 12 . Es ist
0

ZR Z Z2
Offensichtlich ist diese Rechnung wesentlich einfacher
als die für kartesische Koordinaten. J 12 D  dr d# d' r4 sin3 # cos ' sin ': (4.111)
0 0 0

Die Stammfunktion von cos ' sin ' ist .sin2 '/=2. Da sin.0/ D
Frage 19 sin.2 / D 0 gilt, verschwindet der gesamte Ausdruck für 12 .
Zeigen Sie ausgehend von (4.100), dass die Jacobi-Determinan- Eine ähnliche Rechnung gilt für die restlichen Deviationsmo-
te für Zylinderkoordinaten det.J/ D % lautet. Veranschaulichen mente.
Sie sich dies grafisch und berechnen Sie damit auch das Volu-
men eines Zylinders. Es verbleibt nur noch die Berechnung für eines der Diago-
nalelemente des Trägheitstensors. Da der Ausdruck für x3 am
4.6 Bewegungsgleichungen des starren Körpers 147

Tab. 4.1 Trägheitsmomente bezüglich ihrer Hauptsymmetrieachse


(und damit auch bezüglich ihres Schwerpunktes) einiger einfacher Ob-
4.6 Bewegungsgleichungen
jekte mit Gesamtmasse M. Die Trägheitsmomente von Kugel- und des starren Körpers
Zylinderschale erhält man, indem man eine kleinere Kugel bzw. einen
kleineren Zylinder im Innenraum abzieht (Additivität von Trägheitsmo-
menten) Ausgehend von der Drehmomentgleichung werden die allge-
meinen Bewegungsgleichungen für die Rotation des starren
Objekt Trägheitsmoment
Körpers abgeleitet. Im körperfesten System nehmen diese Glei-
Kugel (Radius R) 2MR2 =5
chungen die einfachste Form an, da dort der Trägheitstensor
Kugelschale (Radien R1 < R2 ) 2M.R22  R21 /=5 konstant ist. Dies führt auf die Euler-Gleichungen. Anschlie-
Hohlkugel (Radius R) 2MR2 =3 ßend wird die Winkelgeschwindigkeit durch die Zeitableitung
Zylinder (Radius R) MR2 =2 der Euler-Winkel ausgedrückt.
Zylinderschale (Radien R1 < R2 ) M.R22  R21 /=2
Hohlzylinder (Radius R) MR2
Quader entlang a-Achse (Seiten a, b, c) M.b2 C c2 /=12
Kegel (Basisradius R) 3MR2 =10 Euler-Gleichungen für die Rotation
eines starren Körpers
einfachsten ist, berechnen wir 33 : Es wurde bereits gefunden, dass die Translations- und die Ro-
tationsbewegung des starren Körpers in den meisten Fällen ge-
ZR Z Z2
  trennt beschrieben werden können. Im Folgenden interessieren
33 D  dr d# d' 1  cos2 # r4 sin #: (4.112) wir uns nur für die Rotation. Die Änderung des Drehimpulses
0 0 0 im raumfesten System S entspricht laut (3.20) dem gesamten
äußeren Drehmoment:
Wir führen zunächst die r- und '-Integrationen aus und erhalten P
für diese Integrale 2 R5 =5. Weiterhin ist M .a/ D L: (4.115)
Diese Gleichung gilt sowohl für einen frei beweglichen Kreisel
Z
  (ohne Stützpunkt) als auch für einen Kreisel, der in einem belie-
d# 1  cos2 # sin # bigen Punkt gelagert ist. Der Drehimpuls und das Drehmoment
0 sind dann bezüglich des gestützten Punktes anzugeben, ansons-
(4.113) ten bezüglich des Schwerpunktes. Zur Vereinfachung lassen wir
ZC1
  4

Kapitel 4
den Index des Drehmoments fort und drücken den Drehimpuls
D d cos # 1  cos2 # D :
3 durch den Trägheitstensor und die Winkelgeschwindigkeit aus:
1
d
MD .!/ : (4.116)
Frage 20 dt
Überprüfen Sie die Rechnung in (4.113), indem Sie u D cos # Dies sind die Bewegungsgleichungen für die Rotation eines star-
substituieren (was ein häufiger Trick ist). Als Zwischenergebnis ren Körpers in kompakter (aber für viele konkrete Rechnungen
findet man, dass d cos # D du D  sin # d# gilt. unpraktischer) Form.

Frage 21
Fügt man alle Zwischenergebnisse zusammen, erhält man das Machen Sie sich klar, dass der Trägheitstensor  in (4.116) wie
wichtige Ergebnis M und L ebenfalls bezüglich eines möglichen Stützpunktes de-
0 1 finiert sein muss.
1 0 0
2 B C 2
.ij / D MR2 @0 1 0A D MR2 I (4.114) Gl. (4.116) nimmt in S ausgeschrieben eine eher ungünstige
5 5
0 0 1 Form an, da der Trägheitstensor dort allgemein eine Funktion
der Zeit ist. Stattdessen nutzt man aus, dass der Trägheitstensor
für den Trägheitstensor einer Kugel. Hier wurde die Gesamt- im körperfesten System S konstant ist. Die Zeitableitung wirkt
masse der Kugel aus (4.109) verwendet. dann nur auf die Winkelgeschwindigkeit. Wir wollen (4.116)
daher in S formulieren, wobei wir annehmen, dass beide Ur-
In Aufgabe 4.3 werden einige weitere Trägheitstensoren einfa- sprünge zusammenfallen (ansonsten lässt sich der Steiner’sche
cher Objekte berechnet. In Tab. 4.1 sind die Trägheitsmomente Satz anwenden). Es gilt dann wegen (2.74)
einiger wichtiger Objekte bezüglich ihrer Hauptsymmetrieachse   
zusammengefasst. R> M  D R> LP C !  L : (4.117)
148 4 Starre Körper

Hier ist R die Drehmatrix (4.9), die S in S überführt. Multipli- die instantane Winkelgeschwindigkeit die Superposition dieser
kation mit R von links führt auf Einzeldrehungen um diese Achsen, also

M  D LP C !  L : (4.118) P eO 3 C #.t/
w.t/ D '.t/ P eO K .t/ C P .t/ eO  .t/: (4.121)
3

Es ist zu beachten, dass L auch für M  D 0 im Allgemeinen Es sei daran erinnert, dass w der abstrakte (physikalische) Vek-
nicht erhalten ist, da S kein Inertialsystem ist. tor der Winkelgeschwindigkeit ist und dass es sich bei w dt
um eine infinitesimale Drehung handelt. Wir erinnern uns an
Abschn. 2.3, wo betont wurde, dass infinitesimale Drehungen
Euler-Gleichungen für die Rotation eines starren Kör- aufgrund ihrer Linearisierung stets superponiert werden können,
pers endliche Drehungen jedoch nicht.

Die Bewegungsgleichungen für die Rotation eines starren Um die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit in S bzw. S
Körpers im körperfesten System lauten zu erhalten, muss w auf die entsprechenden Koordinatenachsen
projiziert werden. Wir beginnen mit S . Dazu müssen wir
M D   !
P  C !  .  ! / : (4.119)
!i D w  eO i (4.122)
Sie entsprechen den Newton’schen Bewegungsgleichun-
gen für die Translation einer Punktmasse. berechnen, wobei w durch (4.121) gegeben ist. Hierzu müssen
wir die Vektoren eO 3 und eO K als Linearkombination der eO i schrei-
ben. Aus Abb. 4.3 sieht man zunächst, dass die Knotenlinie
Die Komponentenform von (4.119) erfüllt im Hauptachsensys-
tem eO K D cos eO 1  sin eO 2 (4.123)
M1 D 1 !P 1 C !2 !3 .3  2 /;
erfüllt. Aus (4.12) folgt eO i  eO 3 D ri3 . Die Entwicklungskoeffizi-
M2 D 2 !P 2 C !1 !3 .1  3 /; (4.120) enten liest man aus (4.9) ab:
   
M3 D 3 !P 3 C !1 !2 .2  1 /:
eO 3 D sin sin # eO 1 C cos sin # eO 2 C cos # eO 3 : (4.124)
Eine Beschreibung in einem anderen körperfesten System ist
zwar möglich, aber mathematisch wesentlich aufwendiger, da Die Projektionen sind nun leicht durchzuführen, und man findet
der Trägheitstensor dort nicht diagonal ist und Zusatzterme be-
rücksichtigt werden müssen. 0 1 0 1 0 1 0 1
!1 sin sin # cos 0
Kapitel 4

B C B C B C B C
@!2 A D 'P @cos sin # A C #P @ sin A C P @0A (4.125)
Frage 22
!3 cos # 0 1
Zeigen Sie (4.120).
für die Komponenten in S . In Aufgabe 4.6 wird gezeigt, dass
Die Formulierung in S hat allerdings den Nachteil, dass alle die Winkelgeschwindigkeit in S die Komponenten
äußeren Drehmomente M, die in der Regel in S gegeben sind, 0 1 0 1 0 1 0 1
zunächst in S (in Form von M ) umgerechnet werden müssen. !1 0 cos ' sin ' sin #
B C B C B C B C
@!2 A D 'P @0A C #P @ sin ' A C P @ cos ' sin # A (4.126)
In Aufgabe 4.5 werden die Euler-Gleichungen verwendet, um
!3 1 0 cos #
die Bewegung des physikalischen Pendels zu beschreiben.
besitzt.
Setzt man (4.125) in (4.120) ein, erhält man die Bewegungs-
Bewegungsgleichungen mit Euler-Winkeln gleichungen des starren Körpers ausgedrückt durch die Euler-
Winkel. Es handelt sich dabei um drei gewöhnliche Differenzi-
algleichungen zweiter Ordnung für die drei Winkelkoordinaten
Die Winkelgeschwindigkeit lässt sich durch die Euler-Winkel ', # und .
ausdrücken. Dazu überlegen wir uns, welche Rolle die Euler-
Winkel bei der Drehung des starren Körpers spielen. So haben Frage 23
wir in Abschn. 4.1 gesehen, dass ' für eine Drehung um eO 3 , # Wir benötigen diese Bewegungsgleichungen nicht, aber sie kön-
für eine Drehung um eO K (Knotenlinie) und für eine Drehung nen als Übung abgeleitet werden.
um eO 3 zuständig ist. Die drei Euler-Winkel sind unabhängige
Koordinaten, d. h., eine beliebige infinitesimale Drehung lässt
sich eindeutig durch eine Hintereinanderausführung von Ein- Die kinetische Energie der Rotation eines starren Körpers ergibt
zeldrehungen eO 3 d', eO K d# und eO 3 d ausdrücken. Somit ist sich durch Einsetzen von (4.125) in (4.64). Für den für uns wich-
4.7 Rotation des Kreisels 149

tigen Spezialfall eines symmetrischen Kreisels ( D 1 D 2 ) Wir werden nun sehen, dass eine dieser Lösungen instabil sein
erhält man kann. Stellvertretend für die beiden anderen Lösungen betrach-
ten wir eine Rotation, die näherungsweise um eO 1 erfolgt. Die
 P2   
3 P 2 Winkelgeschwindigkeit lautet also .!1 ; !2 ; !3 /> mit !2 !1
TR D # C 'P 2 sin2 # C C 'P cos # : (4.127)
2 2 und !3 !1 . Aus der ersten Gleichung in (4.120) folgt
dann, dass die Änderung von !1 klein ist, da sie proportional
Frage 24 zu !2 und !3 ist, die beide kleine Größen sind. Wir vernach-
Überprüfen Sie die Gültigkeit von (4.127). lässigen alle Terme, die quadratisch in einer kleinen Größe
sind. Dies entspricht einer Linearisierung der Bewegungsglei-
chungen, d. h. einer Taylor-Entwicklung, die nach der linearen
Das Herunterrollen eines Zylinders auf einer schiefen Ebene Ordnung abgebrochen wird. Man kann daher davon ausge-
(was ebenfalls die Kenntnis der Trägheitsmomente erfordert) hen, dass die Drehachse für eine gewisse Zeit fast parallel zur
wird in Aufgabe 4.4 behandelt. ersten Hauptachse ausgerichtet bleibt. Ob die durch !2 und
!3 definierte „Störung“ der Drehachse klein bleibt oder an-
wächst, entscheidet schließlich darüber, was mit der Drehachse
geschehen wird. Dies kann man an den übrigen beiden Bewe-
4.7 Rotation des Kreisels gungsgleichungen erkennen.
Man kann für M D 0 die zweite und dritte Gleichung in (4.120)
Das Lösen der Bewegungsgleichungen eines Kreisels ist im
durch einmaliges Ableiten zu
Allgemeinen sehr aufwendig. Es gibt allerdings einige ver-
hältnismäßig einfache Fälle, die in diesem Abschnitt diskutiert
!R 2 D 2 !2 (4.129)
werden. Dies sind die freien Rotationen um jeweils eine der
Hauptachsen einschließlich einer Stabilitätsanalyse und die freie
kombinieren (analog ist auch ein Ausdruck für !3 möglich).
Rotation eines symmetrischen Kreisels. An diesen Beispielen
lassen sich bereits die wesentlichen Eigenschaften der Krei-
selbewegung verdeutlichen, ohne die Mathematik zu sehr zu Frage 25
strapazieren. Dazu gehört die Präzession, die in der Astronomie Zeigen Sie (4.129). Nehmen Sie dabei an, dass !P 1 vernachläs-
eine Rolle spielt. sigbar klein ist, was anfangs der Fall ist. Es gilt dabei
Weiterhin wird die Rotation eines schweren symmetrischen .1  3 /.1  2 /  2
Kreisels im homogenen Gravitationsfeld angesprochen. Auf ei- 2 D !1 : (4.130)
2 3
ne allgemeine Diskussion unsymmetrischer Kreisel verzichten

Kapitel 4
wir an dieser Stelle. Sie ist für eine Einführung nicht geeignet
und wird in Fachbüchern oder -artikeln behandelt (z. B. Klein &
Sommerfeld 1965; Gebelein 1932). Die Lösung von (4.129) ist eine Oszillation, wenn 2 positiv ist
(siehe (1.101)). In diesem Fall ist die Störung periodisch und die
Bewegung des starren Körpers stabil. Man kann sich leicht da-
von überzeugen, dass 2 > 0 erfüllt ist, falls 1 das größte oder
Stabilität der Rotation des kräftefreien Kreisels das kleinste Trägheitsmoment ist. Ist hingegen 1 das mittlere
um seine Hauptachsen Trägheitsmoment, so ist 2 < 0, und die Lösung von (4.129) ist
eine Exponentialfunktion der Form !2 D AC eCjjt C A ejjt .
Dies wird im Allgemeinen zu einer exponentiell wachsenden
Hier und im Folgenden konzentrieren wir uns auf die Untersu- Störung führen, sodass die Bewegung letztlich instabil ist. Man
chung der Rotation. Wir nehmen an, dass die Translationsbe- kann dies leicht mit einem Buch (besser nicht mit diesem!) aus-
wegung entweder entkoppelt oder der Kreisel an einem Punkt probieren, das man mit einem Drall in die Luft wirft.
unterstützt ist. Beide Fälle führen auf die gleichen Bewegungs-
gleichungen.
Es gibt drei triviale Lösungen für die Rotation eines kräftefreien Stabilität der Rotation eines kräftefreien Kreisels
Kreisels (M  D 0). Offensichtlich erlauben die Bewegungsglei-
chungen in (4.120) die drei Lösungen Die Rotation eines kräftefreien Kreisels ist stabil, wenn
sie um die Hauptachse mit dem kleinsten oder größten
!1 D const; !2 D !3 D 0 (4.128) Trägheitsmoment erfolgt. Im anderen Fall ist die Bewe-
gung instabil.
und zyklisch permutiert. Dies entspricht jeweils einer reinen
Drehung um eine der Hauptachsen. In der Realität wird eine
Kreiselrotation niemals exakt um eine der Hauptachsen erfol- Stabilitätsanalysen dieser Art sind sehr wichtig; man findet sie
gen. häufig in der Physik. Dabei werden die Bewegungsgleichungen
150 4 Starre Körper

zunächst vereinfacht (z. B. linearisiert) und näherungsweise ge- b∗


e 3
löst. Auf diese Weise lassen sich physikalische Systeme besser
verstehen, selbst wenn ihre Bewegungsgleichungen nicht voll- L∗

ständig gelöst werden können.
Achtung Es ist dabei zu beachten, dass die Näherungslösun- L∗
gen nur anfangs gültig sind, solange die Linearisierungsannah-
men gerechtfertigt sind. J ∗
ω⊥

!∗
Der kräftefreie symmetrische Kreisel ϑ θPK

Die einfachste nichttriviale Lösung der Euler-Gleichungen er-


hält man für einen kräftefreien symmetrischen starren Körper.
Im körperfesten System S folgt aus (4.120) wegen M  D 0
und mit der Wahl  D 1 D 2 (Symmetrieachse eO 3 ):

 !P 1 D !2 !3 .  3 /;
 !P 2 D !1 !3 .3  /; (4.131)
3 !P 3 D 0:
Abb. 4.8 Im körperfesten System des kräftefreien symmetrischen Krei-
Man nennt die Symmetrieachse eO 3 auch die Figurenachse eines sels präzedieren sowohl der Drehimpuls L als auch die Winkelge-
schwindigkeit ! um die Figurenachse eO 3 . Der durch ! gebildete
symmetrischen Kreisels.
Kegel ist der Polkegel, der durch L gebildete Kegel der Präzessionske-
Zunächst stellen wir fest, dass !3 eine Konstante ist. Ähnlich gel. Beide haben in der Regel verschiedene Öffnungswinkel
wie bei der Argumentation, die auf (4.129) geführt hat, findet
man hier  
  3  2  Allerdings präzediert der Vektor der Winkelgeschwindigkeit !
!R 1 D  !3 !1 (4.132) in S mit der Frequenz  um eO 3 (Abb. 4.8), d. h., ! dreht sich

auf einem Kegel, dem sogenannten Polkegel oder auch Gang-
und einen analogen Ausdruck für !2 . Dies führt offensichtlich polkegel, um die Figurenachse. Hier ist !? der konstante Betrag
Kapitel 4

auf eine harmonische Schwingung mit Kreisfrequenz des Anteils der Winkelgeschwindigkeit, der senkrecht auf der
Figurenachse steht. Wir wählen nun S so, dass 0 D 0 ist. Dies
  3  ist aufgrund der Symmetrie des Kreisels (Invarianz unter Dre-
D !3 : (4.133)
 hungen in der eO 1 -Oe2 -Ebene) stets möglich.
Die allgemeine Lösung lautet
Frage 27
!1 D !? sin .t C 0/ (4.134) Machen Sie sich anhand von Abb. 4.8 klar, dass der Öffnungs-
winkel des Polkegels durch
mit den Anfangsbedingungen !? (Amplitude) und 0 (Phasen-
winkel). Je nach Vorzeichen von  erfolgt die Drehung in die !?
PK D arctan (4.137)
eine oder andere Richtung. Die Bewegung der Figurenachse ei- !3
nes kräftefreien symmetrischen Kreisels ist also immer stabil.
gegeben ist.
Frage 26
Zeigen Sie, indem Sie (4.134) in (4.131) einsetzen, dass
Der Drehimpuls in S erfüllt Li D i !i für jede seiner drei
!2 D !? cos .t C Komponenten i. Somit präzediert der Drehimpuls ebenfalls in
0/ (4.135)
S um die Figurenachse, und zwar mit der gleichen Frequenz 
gilt. wie die Winkelgeschwindigkeit. Der Betrag des Drehimpulses
ist

Es folgt direkt, dass die Winkelgeschwindigkeit dem Betrag L 2 D L1 2 C L2 2 C L3 2 D  2 !? 2 C 32 !3 2 : (4.138)
nach konstant ist:
Der Winkel # ist gerade der Winkel zwischen Drehimpuls und
! 2 D !1 2 C !2 2 C !3 2 D !? 2 C !3 2 D const: (4.136) der Figurenachse. Wir wissen, dass der Drehimpuls in S um eO 3
4.7 Rotation des Kreisels 151

präzediert, also muss # konstant sein bzw. #P D 0. Aus Abb. 4.8


folgt Euler-Winkel des kräftefreien symmetrischen Kreisels
L !?
# D arctan ? D arctan ; (4.139) Ein kräftefreier symmetrischer Kreisel erlaubt die Lösung
L3 3 !3
wobei L? der Anteil des Drehimpulses ist, der senkrecht auf #.t/ D #0 ; .t/ D t C 0; '.t/ D 0 t C '0
der Figurenachse steht. Der Euler-Winkel # definiert somit den (4.145)
Öffnungswinkel des sogenannten Präzessionskegels. Die Win- für die Euler-Winkel.
kel, die ! und L jeweils mit der eO 3 -Achse einschließen ( PK
und #), sind nicht identisch, was man an einem Vergleich von
(4.137) und (4.139) erkennt. In Aufgabe 4.6 wird außerdem gezeigt, dass

Bis zu diesem Punkt haben wir untersucht, wie sich die Dreh- L
achse in S verhält. Doch wie sieht die Kreiselbewegung vom 0 D (4.146)

raumfesten System S aus gesehen aus? In S ist der Drehimpuls
L eine Erhaltungsgröße, nicht jedoch die Winkelgeschwindig- ist, wobei L D jLj der Betrag des Drehimpulses ist.
keit !. Wir beginnen zunächst mit der willkürlichen Festlegung,
Aus Abb. 4.3 erkennt man, dass sich die Knotenlinie eO K mit
dass der Drehimpulsvektor des Kreisels entlang eO 3 zeigt, also
einer festen Frequenz 'P D 0 in der durch eO 1 und eO 2 auf-
L D L eO 3 D const.
gespannten Ebene und damit um eO 3 dreht. Wegen eO K .t/ D
eO 3  eO 3 .t/ muss sich daher eO 3 mit derselben Frequenz 0 um
Frage 28
eO 3 auf dem Präzessionskegel bewegen.
Machen Sie sich klar, dass aus L D const wegen L D ! im
Allgemeinen ! 6D const folgt.
Präzession der Figurenachse im raumfesten System
Es bleibt noch die Zeitabhängigkeit der beiden übrigen Eu- Die Figurenachse (Symmetrieachse) des kräftefreien Krei-
ler’schen Winkel zu bestimmen. Ausgehend von (4.125) und sels präzediert im raumfesten System S mit der Frequenz
#P D 0 sieht man zunächst
0 1 0 1 0 1 0 1 3 !3 L
!1 sin sin # 0 !? sin .t/ 0 D D (4.147)
B C B C B C B C  cos # 
@!2 A D 'P @cos sin # A C P @0A D @!? cos .t/A :
!3 cos # 1 const um die Drehimpulsachse.

Kapitel 4
(4.140)
Dies ist scheinbar ein Widerspruch zu dem vorherigen Ergebnis,
Die ersten beiden Komponenten dieser Gleichung können we-
dass sich der Drehimpuls in S (parallel zu eO 3 ) mit der Frequenz
gen der Konstanz von # nur dann zu jedem Zeitpunkt erfüllt
 (und nicht 0 !) um die Figurenachse (parallel zu eO 3 ) dreht.
sein, wenn
Tatsächlich sind beide Ergebnisse korrekt. Dies wird in Aufgabe
D t H) P D  D const (4.141) 4.6 noch genauer betrachtet.
Abschließend stellen wir fest, dass in S der Vektor der Winkel-
und geschwindigkeit um die Drehimpulsachse (Oe3 -Achse) präzediert
!?
'P D D const (4.142) und sich dabei auf dem Spurkegel (auch Rastpolkegel genannt)
sin #
bewegt. Aus (4.126) kann man ablesen, dass diese Präzession
sind. Damit ist auch die Gleichung für die dritte Komponente mit der Frequenz 'P D 0 erfolgt und dass der Öffnungswinkel
automatisch erfüllt.
P sin #  sin #
Frage 29 D arctan D arctan 0 (4.148)
SK
P
'P C cos #  C  cos #
Zeigen Sie mithilfe von (4.139), dass man (4.142) in der Form
ist. Die gefundenen Präzessionensbewegungen sind in Tab. 4.2
'.t/ D 0 t C '0 (4.143) zusammengefasst und in Abb. 4.9 grafisch dargestellt.
schreiben kann, wobei
Erde als Kreisel: Polbewegung
3 !3
0
 D (4.144)
 cos # Die Erde kann in erster Näherung als ein leicht ab-
geplatteter, kräftefreier symmetrischer Kreisel betrachtet
gilt. Nutzen Sie dabei tan # D sin #= cos # aus.
152 4 Starre Körper

Tab. 4.2 Zusammenfassung der Präzessionsbewegungen des kräftefrei-


en symmetrischen Kreisels. Jede Präzession beschreibt die Bewegung tionstechniken wichtig ist und darin begründet liegt, dass
einer Achse auf einem Kegel mit gegebenem Öffnungswinkel um ei- die Erde kein perfekter starrer Körper ist, sondern sich ih-
ne andere Achse mit einer festen Frequenz. Der Drehimpuls zeigt in
re Massenverteilung ständig ändert (z. B. durch Gezeiten
Richtung von eO 3 , die Figurenachse in Richtung von eO 3 . Das Koordi-
natensystem (S oder S ) gibt an, in welchem System diese Präzession oder geologische Aktivität).
beobachtet wird Tatsächlich ist die Erde jedoch kein kräftefreier Kreisel.
Beschreibung Winkel Achsen Frequenz System Letztlich üben Sonne und Mond auf die Erde Drehmo-
Präzessionskegel # eO 3 um eO 3 0 S mente aus. Dies führt zu einer seit der Antike bekannten
Präzessionskegel # eO 3 um eO 3  S Präzession der Erdachse, die wesentlich stärker als die
Polkegel PK ! um eO 3  S hier beschriebene Polbewegung ist, aber eine deutlich län-
Spurkegel ! um eO 3 0 S gere Periode besitzt. Dies wird in Aufgabe 4.7 vertieft. J
SK

b3 , L
e
!∗
Präzessionskegel b∗
e 3 Der schwere symmetrische Kreisel

Abschließend betrachten wir den sogenannten Lagrange-Krei-


Spurkegel sel (nach dem italienischen Mathematiker und Astronomen Jo-
seph-Louis Lagrange, 1736–1813). Dies ist ein symmetrischer
starrer Körper, der in einem Punkt auf seiner Symmetrieachse
unterstützt ist und sich in einem homogenen Gravitationsfeld
befindet. Er stellt ein einfaches, aber recht realitätsnahes Mo-
Polkegel
ϑ dell für den Kinderkreisel und den Kreiselkompass dar, der bei
der Schiffsnavigation eine wichtige Rolle spielt. Im Allgemei-
θSK θPK
nen sind die vollen Bewegungsgleichungen in (4.120) zu lösen,
wobei das Drehmoment M zu spezifizieren ist.
Abb. 4.9 Übersicht der Präzessionsbewegungen des kräftefreien sym- Die Euler’schen Bewegungsgleichungen gelten im körperfesten
metrischen Kreisels. Die Figurenachse eO 3 präzediert auf dem Präzes- System S . Äußere, im raumfesten System S bekannte Drehmo-
sionskegel mit Öffnungswinkel # um die Drehimpulsachse eO 3 . Im mente müssen daher zunächst in S berechnet werden, um die
Kapitel 4

raumfesten System S präzediert außerdem die Achse der Winkelge- Bewegungsgleichungen in (4.120) lösen zu können.
schwindigkeit auf dem Spurkegel mit Öffnungswinkel SK um die
Drehimpulsachse. Gleichzeitig präzediert sie im körperfesten System Beim schweren symmetrischen Kreisel gibt es drei Erhaltungs-
S auf dem Polkegel mit Öffnungswinkel PK um die Figurenachse. größen. Nutzt man diese aus, ist es gar nicht erforderlich, die
Anschaulich rollt der Polkegel auf dem Spurkegel ab, wobei die Kon- Euler-Gleichungen selbst zu bemühen. Da eine vollständige Lö-
taktlinie beider Kegel gerade der Achse der Winkelgeschwindigkeit sung des Problems auf elliptische Integrale führt, die an dieser
entspricht Stelle nicht besprochen werden sollen, beschränken wir uns auf
eine qualitative Diskussion der Bewegungsgleichungen.
Der Kreisel ist schematisch in Abb. 4.10 gezeigt. Als Ursprünge
werden ( < 3 ). Aus Messungen ist bekannt, dass O und O von S und S verwenden wir den Unterstützungs-
punkt, der sich vom Schwerpunkt unterscheiden soll. Die Fi-
  3 1 gurenachse sei wieder entlang eO 3 ausgerichtet. In S befindet
 (4.149) sich der Schwerpunkt am Ort X D R eO 3 , in S am Ort X. Die
 300
Trägheitsmomente  D 1 D 2 und 3 seien bezüglich des
gilt. Damit lässt sich mithilfe von (4.133) die Präzessions- Unterstützungspunktes definiert (und weiterhin bezüglich S ).
frequenz der Drehachse im erdfesten System berechnen, Die Masse des Kreisels sei m.
wenn diese nicht mit der Figurenachse zusammenfällt,
was aufgrund diverser Störungen im Ausmaß von einigen Frage 30
Zehntel Bogensekunden tatsächlich der Fall ist (wie man Rufen Sie sich den Steiner’schen Satz in Erinnerung und überle-
seit 1885 weiß). Offenbar sagt diese Abschätzung aus, gen Sie sich, wie die Trägheitsmomente bezüglich des Schwer-
dass sich die Drehachse alle 300 Tage einmal vollstän- punktes aussehen. (3 bleibt unverändert, und 1 und 2 (mit
dig um die Figurenachse der Erde bewegt. In Wirklichkeit 1 D 2 ) sind im Schwerpunktsystem jeweils um mR2 kleiner.)
dauert es aber etwa 430 Tage. Dies ist die Chandler-Pe-
riode (nach dem US-amerikanischen Astronomen Seth
Carlo Chandler, 1846–1913), die für moderne Naviga- Die Gravitationskraft zeige in S senkrecht nach unten:
F D mg eO 3 : (4.150)
4.7 Rotation des Kreisels 153

b3
e ist nicht der Fall, da die kinetische Energie, die in der Rotation
steckt, bezüglich des ruhenden Unterstützungspunktes angege-
ben wurde. Offensichtlich kann dies nur korrekt sein, wenn der
b∗
e 3 Trägheitstensor bezüglich dieses Punktes verwendet wird. Ge-
nau das hatten wir am Anfang allerdings verlangt. J
Wir geben nun die drei gefundenen Erhaltungsgrößen als Funk-
tion der Euler-Winkel an. Gl. (4.125) führt direkt auf
 
L3 D 3 !3 D 3 'P cos # C P D const: (4.155)
M
X
Für die Komponente L3 des Drehimpulses in S findet man zu-
nächst wegen (4.12)

L3 D eO 3  L D eO 3  eO i Li D ri3 Li : (4.156)


FG
Dies lässt sich umschreiben in
O, O ∗
 
L3 D  r13 !1 C r23 !2 C 3 r33 !3
Abb. 4.10 Schwerer Kreisel betrachtet im Laborsystem S. Der schwere
Kreisel ist an einem Punkt unterstützt, der sowohl dem Ursprung O von D .r13 !1 C r23 !2 C r33 !3 / C .3  /r33 !3
S als auch dem Ursprung O des körperfesten Systems S entspricht. D !3 C .3  /r33 !3 D !3 C .3  /!3 cos #:
Der Schwerpunkt befindet sich am Ort X. Auf ihn wirkt die Gravi- (4.157)
tationskraft FG entlang der negativen eO 3 -Achse. Dies führt zu einem In der dritten Zeile wurde rij !i D !j , d. h. R1 ! D !, und im
Drehmoment M, das aus der Papierebene hinauszeigt. Die Figurenach- letzten Schritt r33 D cos # ausgenutzt. Es lassen sich schließlich
se des Kreisels ist eO 3
noch !3 und !3 mit (4.125), (4.126) und (4.155) ersetzen:

L3 D  'P sin2 # C L3 cos # D const: (4.158)


Daraus ergibt sich das Drehmoment
M D X  F D mgR eO 3  eO 3 : (4.151) Frage 31
Rechnen Sie alle Schritte nach, die auf (4.158) führen.
Das Drehmoment steht somit senkrecht auf der Figurenachse
und der Wirkungsrichtung der Gravitationskraft. Offensichtlich
sind dann die Projektionen Die Energie ist wegen (4.127) und eO 3  eO 3 D cos #

Kapitel 4
L3 D L  eO 3 und L3 D L  eO 3 (4.152)  P2   
3 P 2
ED # C 'P 2 sin2 # C C 'P cos # C mgR cos #
2 2
konstant, wobei L der abstrakte Drehimpulsvektor ist. Wir ha-
D const:
ben also zwei Konstanten der Bewegung gefunden. Da das (4.159)
homogene Gravitationsfeld konservativ ist, ist auch die Ge-
samtenergie E des Kreisels konstant. Sie ist die Summe aus Man kann sowohl 'P als auch P aus der Energie eliminieren und
kinetischer und potenzieller Energie. Die potenzielle Energie ist durch die konstanten Drehimpulse ersetzen. Dies führt auf die
Differenzialgleichung
V D mg eO 3  X D mgR eO 3  eO 3 : (4.153)
 P 2 .L3  L3 cos #/2 L 2
Die kinetische Energie lautet ED # C C 3 C mgR cos # (4.160)
2 2 sin #2 23
1   1
T D  !1 2 C !2 2 C 3 !3 2 : (4.154) erster Ordnung für #. Hier bietet sich eine Substitution mit
2 2
u D cos # (4.161)
Erhaltungsgrößen des schweren Kreisels an. Man erhält die Differenzialgleichung
Für einen unterstützten symmetrischen Kreisel im homo-
genen Schwerefeld findet man drei Erhaltungsgrößen: die uP 2 C Veff .u/ D 0 (4.162)
Projektion des Drehimpulses auf die Figurenachse und auf mit
die Achse, entlang der das Schwerefeld wirkt, sowie die !  
Gesamtenergie. 2 L3 2 L3  L3 u 2
Veff .u/ D C mgRu  E .1  u2 / C
 23 
 
Achtung Der aufmerksame Leser könnte hier fragen, ob wir D .C1 C C2 u/ 1  u C .C3  C4 u/ ;
2 2

den Beitrag der Schwerpunktsbewegung vergessen haben. Dies (4.163)


154 4 Starre Körper

Veff (u) die potenzielle Energie der Variablen u auffassen und die mög-
lichen Bewegungen von u qualitativ bzw. grafisch untersuchen.

Frage 32
Schauen Sie sich die grafische Diskussion der Bewegung im ef-
fektiven Potenzial in Abschn. 3.2 erneut an. Wie kann man die
dortigen Ergebnisse auf das Problem hier anwenden?
−1 u1 u2 1 u

Offensichtlich muss Veff .u/ nichtpositiv sein, um eine physi-


kalische Lösung zu gestatten. Wegen (4.161) kann u nur aus
dem Intervall Œ1; 1 stammen. Das kubische Polynom Veff .u/
muss daher irgendwo in diesem Intervall negative Werte anneh-
men, damit es eine physikalische Lösung gibt. Weiterhin erkennt
man, dass Veff .u/ für u D ˙1 positiv ist. Daher muss es dann
Abb. 4.11 Die Funktion Veff .u/ für die Bewegung des schweren sym- zwei Nullstellen 1 < u1  u2 < 1 geben. Die Bewegung
metrischen Kreisels ist im Intervall 1 < u1  u2 < 1 negativ. Die des Systems ist auf das Intervall Œu1 ; u2  beschränkt. Die drit-
Figurenachse kann sich nur im Bereich u1  cos #  u2 aufhalten; sie te Nullstelle erfüllt u3 > 1 und ist für uns nicht von Interesse.
oszilliert zwischen diesen beiden Umkehrpunkten (Nutation) Die Funktion Veff .u/ ist in Abb. 4.11 qualitativ dargestellt. Sind
die Werte u1 und u2 verschieden, pendelt die Figurenachse zwi-
schen #1 D arccos u1 und #2 D arccos u2 hin und her. Diese
wobei die vier Größen C1 ; : : : ; C4 Konstanten sind. Die implizi-
Bewegung nennt man Nutation des schweren Kreisels.
te Lösung von (4.162) lässt sich sofort hinschreiben:
Legt man eine gedachte Einheitskugel um den Kreisel, so wird
Zu 0 sie an einem Punkt, dem Durchstoßpunkt, von der Figurenach-
du
t  t0 D p : (4.164) se durchstoßen (Abb. 4.12). Seine Lage auf der Einheitskugel
.C1 C C2 u0 / .u02  1/  .C3  C4 u0 /2 wird durch die Winkel # und ' festgelegt. Die Kurve, die der
u0
Durchstoßpunkt im Laufe der Zeit durchläuft, ist der Locus der
Figurenachse. Man nennt die Bewegung von ' die Präzession
Eine allgemeine analytische Untersuchung führt auf die so- des schweren Kreisels. Im Allgemeinen ist die Bewegung des
genannten elliptischen Integrale (die auftreten, da Veff .u/ ein schweren Kreisels eine Überlagerung von Präzession und Nuta-
Polynom dritter Ordnung in u ist). Wir wollen an dieser Stelle tion. Aus (4.158) folgt die Bewegungsgleichung
Kapitel 4

darauf verzichten. Allerdings erinnern wir uns, dass wir bereits


(z. B. in Abschn. 3.2) Gleichungen der Form (4.162) betrachtet L3  L3 cos #
'P D : (4.165)
haben. Man kann uP 2 als die kinetische Energie und Veff .u/ als  sin2 #

a b3
e b b3
e c b3
e

ϑ1 ϑ1 ϑ1

ϑ2 ϑ2 ϑ2
b∗
e 3

Abb. 4.12 Nutation des schweren symmetrischen Kreisels. Der Schnittpunkt der Figurenachse eO 3 (blau) mit der Einheitskugel um den Un-
terstützungspunkt (gelb) bewegt sich im Laufe der Zeit und bildet den Locus (rot). Je nach Wahl der Anfangsbedingungen sind verschiedene
Bewegungsformen möglich. Die Winkelgeschwindigkeit 'P ändert ihr Vorzeichen in a nicht. In b verschwindet 'P für # D #1 . In c ändert 'P das
Vorzeichen während der Nutation
4.7 Rotation des Kreisels 155

Wir definieren uL WD L3 =L3 D cos #L und haben damit Einfluss die durch Sonne und Mond verursachten Drehmomente
auf die Erdachse haben.
L3
'P D .cos #L  cos #/: (4.166) Man könnte naiv erwarten, dass der Kreisel aufgrund der Gravi-
 sin2 # tation umfällt. Dies kann aber wegen der Drehimpulserhaltung
nicht geschehen. Ein schwerer Kreisel, der im Idealfall keinen
Nun unterscheiden wir drei Fälle: Reibungskräften ausgesetzt ist, fällt niemals um. Stattdessen
weicht die Figurenachse seitlich aus, und es kommt zur Präzes-
1. #L < #1 < #2 oder #1 < #2 < #L : Hier ändert sich das sion.
Vorzeichen von 'P niemals, und der Locus bewegt sich gemäß
Abb. 4.12a. Die Dynamik von ist weniger wichtig, da sie nur die Rotation
2. #L D #1 oder #L D #2 : Dies führt auf eine Bewegung wie des Kreisels um seine eigene Achse beschreibt und keinen Ein-
fluss auf den Locus nimmt. Falls gewünscht, folgt die Bewegung
in Abb. 4.12b, bei der periodisch #P und 'P gleichzeitig ver-
von aus (4.155) und (4.158).
schwinden.
3. #1 < #L < #2 : In diesem Fall ändert 'P während der Nutation
das Vorzeichen. Der Locus hat dann eine ähnliche Gestalt Frage 33
wie in Abb. 4.12c. Man hätte statt des hier vorgestellten Lösungsweges direkt die
Euler-Gleichungen aufintegrieren können. Warum ist dies nicht
zu empfehlen? Denken Sie dabei daran, welcher Ordnung die
Die Anfangsbedingungen lassen sich so wählen, dass u1 D u2 entsprechenden Differenzialgleichungen sind und was dies für
gilt. Dann sind # und 'P beide konstant, und man spricht von ihre Handhabbarkeit bedeutet.
regulärer Präzession. In Aufgabe 4.7 wird untersucht, welchen

Kapitel 4
156 4 Starre Körper

Aufgaben

Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen

4.1 Eigenschaften des Trägheitstensors Man Sie für die Berechnung des Kegels den Ursprung zunächst in
zeige, dass ein beliebiger Trägheitstensor folgende Eigenschaf- die Spitze des Kegels. Sie dürfen weiterhin verwenden, dass der
ten besitzt: Schwerpunkt des Kegels von der Spitze (z D 0) aus gesehen bei
z D 3H=4 liegt.
(a) Alle Trägheitsmomente (Diagonalelemente) sind nichtnega-
tiv. 4.4 Rollender Zylinder Ein anfänglich ruhender
(b) Kein Trägheitsmoment ist größer als die Summe der übrigen Zylinder rolle eine schiefe Ebene hinunter (Abb. 4.13). Seine
beiden. Drehachse sei dabei exakt quer zur Neigung ausgerichtet. Der
Neigungswinkel der Ebene ist ˛. Der Zylinder hat eine homo-
Lösungshinweis: Am besten verwendet man zur Lösung der gene Dichte, Masse M und Radius R.
Aufgabe entweder (4.18) oder (4.82).
(a) Wenn man annimmt, dass der Zylinder rollt und nicht glei-
4.2 Orthogonalität der Eigenvektoren Zeigen tet, welche Relation gilt dann zwischen der Geschwindigkeit
Sie, dass die Eigenvektoren zu nichtentarteten (ungleichen) Ei- V, mit der sich der Schwerpunkt bewegt, und der Winkelge-
genwerten einer symmetrischen Matrix A orthogonal sind. schwindigkeit ! des Zylinders um den Schwerpunkt?
(b) Bestimmen Sie die kinetische Energie des Zylinders, die sich
Lösungshinweis: Zeigen Sie zunächst, dass für zwei Eigenvek- aus der Translations- und Rotationsenergie ergibt.
toren v1 und v2 immer .Av1 /  v2 D .Av2 /  v1 gilt. Weitere (c) Wie groß ist die Komponente der nach unten zeigenden Gra-
Kapitel 4

Eigenschaften von symmetrischen Matrizen werden in Bd. 3, vitationskraft jFG j D Mg entlang der schiefen Ebene?
Kap. 3 besprochen. (d) Wie stark wird der Schwerpunkt des Zylinders entlang der
schiefen Ebene beschleunigt? Nutzen Sie dazu die Energie-
4.3 Berechnung von Trägheitstensoren Um die erhaltung aus. Interpretieren Sie Ihr Ergebnis.
Anwendung von Volumenintegralen zu vertiefen, bietet es sich
an, die Trägheitstensoren einiger einfacher Objekte mit homoge-
ner Massendichte zu bestimmen. Berechnen Sie den Trägheits- Lösungshinweis: Das Trägheitsmoment des Zylinders bezüg-
tensor bezüglich des Schwerpunktes für lich seiner Symmetrieachse ist MR2 =2.

(a) eine Kugelschale mit Radius R (Masse M verteilt auf der


unendlich dünnen Kugeloberfläche),
M
(b) einen Zylinder mit Höhe H und Radius R,
(c) einen Hohlzylinder mit Höhe H und Radius R (Masse M ver-
teilt auf der unendlich dünnen Mantelfäche), ω R V
(d) einen Kreiskegel mit Höhe H und Basisradius R.

Für welches Verhältnis H=R handelt es sich bei den letzten drei FG
Beispielen um Kugelkreisel?

Lösungshinweis: Verwenden Sie jeweils das auf das Problem α


angepasste Koordinatensystem. Zur Behandlung der Kugelscha-
le und des Hohlzylinders ist es ratsam, die Massendichte durch Abb. 4.13 Ein Zylinder (Radius R und Masse M) rollt unter dem
eine Oberflächenmassendichte .x/ D const zu ersetzen. In Einfluss der Gravitationskraft FG eine schiefe Ebene mit Neigung ˛
der Integration ist dann statt des Volumenintegrals ein Ober- hinunter. Dabei bewegt sich sein Schwerpunkt mit Geschwindigkeit V,
flächenintegral bei konstantem Radius R zu berechnen. Legen und der Mantel dreht sich mit Winkelgeschwindigkeit !
Aufgaben 157

4.5 Physikalisches Pendel Im Gegensatz zu einem (b) Zeigen Sie, dass sowohl eO 3 in S als auch eO 3 in S präzediert,
mathematischen Pendel (Punktmasse an masselosem Stab oder und geben Sie jeweils die Präzessionsfrequenz an. Beachten
Schnur) beschreibt ein physikalisches Pendel einen ausgedehn- Sie dabei die Lösung der Euler-Winkel in (4.145).
ten starren Körper, der an einem Punkt fixiert ist und nur um (c) Begründen Sie anhand der Struktur der Matrix R, dass beide
eine vorgegebene Achse schwingen kann (Abb. 4.14). Man stel- Frequenzen nicht identisch sind. Wie groß ist ihr Verhältnis?
le sich einen beliebigen starren Körper mit Trägheitstensor  Wie lautet die Bedingung, dass beide Frequenzen identisch
bezüglich seines Schwerpunktes vor. Der Fixpunkt liege im sind?
Ursprung O des raumfesten Systems S, und der Schwerpunkt (d) Scheinbar kann die Frequenz 0 beliebig groß werden, wenn
befinde sich am Ort X.t/. Die Drehachse sei eO 2 in S. Es wir- cos # ! 0. Zeigen Sie, dass 0 D L= ist, und begründen
ke die Schwerkraft FG D mg eO 3 , wobei m die Gesamtmasse Sie damit, warum 0 stets endlich bleibt.
des starren Körpers ist. Der Winkel zwischen Oe3 und X ist ˛, (e) Mit den erhaltenen Zwischenergebnissen ist es relativ leicht,
sodass ˛ D 0 der Ruhelage entspricht. die Gültigkeit von (4.126) zu zeigen: Berechnen Sie die
Komponenten der Winkelgeschwindigkeit ! in S. Gehen Sie
b3
e dabei von (4.121) aus.

4.7 Erde als schwerer Kreisel Hätte die Erde ei-


ne perfekt kugelförmige (d. h. isotrope) Massenverteilung, so
könnten weder Mond noch Sonne ein Drehmoment auf die Erde
O b1
e ausüben. Allerdings ist die Erde ein abgeflachtes Ellipsoid mit
α
 1
 D   3 > 0; : (4.167)
X  300
Die Erde erfährt daher Drehmomente aufgrund der Gravitations-
kräfte von Sonne und Mond. Diese lassen sich näherungsweise
durch
3GMi
Mi D cos #0 .Oe3  eO 3 / (4.168)
2di3
FG
beschreiben. Das ungestrichene Inertialsystem sei das des Son-
nensystems. Der Index i steht für „Sonne“ oder „Mond“. Der
Winkel #0 D 23; 5ı ist die Neigung der Erdachse bezüglich

Kapitel 4
Abb. 4.14 Physikalisches Pendel aus dem Laborsystem S beobachtet. ihrer Umlaufebene um die Sonne, in welcher sich in guter Nä-
Das Pendel ist an einem Punkt O (Ursprung von S) aufgehängt, der
herung auch der Mond befindet. Die restlichen Größen sind die
Schwerpunkt befindet sich am Ort X. Durch die Gravitationskraft FG
kommt es zu einer Schwingung in der eO 1 -Oe3 -Ebene
Gravitationskonstante G, die Abstände di zu Sonne bzw. Mond
sowie die Massen Mi von Sonne bzw. Mond. Wir nehmen hier
(a) Wie groß ist das Trägheitsmoment des starren Körpers be- an, dass die Figurenachse der Erde mit der Drehimpulsachse zu-
züglich der Drehachse und des Fixpunktes? sammenfällt, d. h.
(b) Wie lautet die Drehmomentgleichung in diesem Fall? L D LOe3 : (4.169)
(c) Lösen Sie die Bewegungsgleichung unter der Annahme, dass Der Richtungsvektor eO 3 steht senkrecht auf der Umlaufebene;
der Winkel ˛ klein ist und deshalb die auftretende trigono- somit ist #0 auch der Winkel zwischen eO 3 und eO  .
3
metrische Funktion linearisiert werden kann.
(d) Würde es die Schwingungsdauer beeinflussen, wenn der (a) Zeigen Sie, dass die beiden Drehmomente (4.168) den Be-
starre Körper durch einen anderen starren Körper aus ei- trag des Drehimpulses der Erde nicht beeinflussen.
nem anderen Material ersetzt wird, der jedoch exakt dieselbe (b) Zeigen Sie
Form besitzt? Nehmen Sie dabei an, dass die jeweiligen Kör-
per homogen sind. L3 D L  eO 3 D L cos #0 D const: (4.170)

Da aus der ersten Teilaufgabe L D const folgt, muss der


4.6 Kräftefreier symmetrischer Kreisel Die Ro- Neigungswinkel #0 ebenfalls konstant sein.
tation des kräftefreien symmetrischen Kreisels soll genauer (c) Wir wollen nun untersuchen, wie schnell die Figurenachse
untersucht werden. der Erde im Raum (d. h. im ungestrichenen Inertialsystem)
präzediert. Finden Sie dazu einen Ausdruck für dOe3 =dt und

(a) Entwickeln Sie die Figurenachse eO 3 nach den Basisvekto- bringen Sie ihn in die Form
ren eO i im raumfesten System S und die Drehimpulsachse eO 3
nach den Basisvektoren eO i im körperfesten System S . Ver- dOe3
D !P  eO 3 : (4.171)
wenden Sie dazu die Transformationsmatrix R in (4.9). dt
158 4 Starre Körper

Hier ist !P gerade die gesuchte Präzessionsfrequenz der Mond einzeln. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse qualitativ mit
Erdachse aufgrund der Drehmomente, die von Sonne und den Gezeitenkräften in Abschn. 3.6.
Mond erzeugt werden. Bestimmen Sie den funktionalen (d) Welcher numerische Wert von !P D j!P j ergibt sich da-
Ausdruck für !P . Ermitteln Sie die Beiträge von Sonne und durch?
Kapitel 4
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 159

Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben

4.1 Für die Lösung benutzen wir (4.82), was die Gültigkeit nicht eine Kugelschale mit Radius R konzentriert ist, lautet das In-
einschränkt. tegral in Kugelkoordinaten
Z Z2
(a) Wir berechnen  
Z 33 D  d# d' 1  cos2 # R4 sin #: (4.177)
 
11 D dV .x/ x21 C x22 C x23  x21 0 0

Z Wie bereits im Text gesehen ist das Integral für die #-Inte-
 
D dV .x/ x22 C x23 ; gration
Z (4.172) Z
   
22 D dV .x/ x21 C x23 ; d# 1  cos2 # sin #
Z
  0
33 D dV .x/ x21 C x22 : (4.178)
ZC1
  4
D d cos # 1  cos2 # D :
Offensichtlich müssen die Trägheitsmomente positiv sein, da 3
1
alle x2i und .x/ stets positiv sind.
(b) Mit dem Teilergebnis aus der ersten Aufgabe findet man Die '-Integration liefert einen Faktor 2 . Somit lautet das
Z Ergebnis
  8 2
11 C 22 D dV .x/ x21 C x22 C 2x23  33 : (4.173) 33 D R4 D MR2 : (4.179)
3 3
Im letzten Schritt wurde ausgenutzt, dass die Gesamtmasse
Dieses Ergebnis ist ohne Einschränkung auf die anderen
M auf einer Kugelschale mit Oberfläche 4 R2 verteilt ist:
Trägheitsmomente übertragbar.
M D 4 R2 : (4.180)
Die Trägheitsmomente einer Kugelschale sind also um einen

Kapitel 4
4.2 Wir betrachten eine symmetrische Matrix A und zwei ihrer
Eigenwerte (1 6D 2 ) und dazugehörigen Eigenvektoren (v1 , Faktor 5=3 größer als die einer Vollkugel mit gleichen M und
v2 ). Es gilt R. Der Grund ist, dass bei der Kugelschale die Massenele-
Av1 D 1 v1 ; mente im Mittel weiter vom Mittelpunkt entfernt sind.
(4.174) (b) Für einen Zylinder bieten sich Zylinderkoordinaten an. Legt
Av2 D 2 v2 :
man den Ursprung in den Schwerpunkt und die z- bzw. x3 -
Wir multiplizieren nun die erste Gleichung mit v2 und die zweite Achse entlang der Zylinderachse, verschwinden alle Devia-
mit v1 und berechnen die Differenz der resultierenden Gleichun- tionsmomente. Dies liegt daran, dass diese Koordinatenwahl
gen. Dabei nutzen wir aus, dass die Matrix symmetrisch ist, d. h. bereits den Hauptachsen angepasst ist. Wir verzichten daher
auf eine Berechnung der Deviationsmomente; der interes-
.Av1 /  v2 D A˛ˇ v1;ˇ v2;˛ D Aˇ˛ v2;˛ v1;ˇ D .Av2 /  v1 : (4.175) sierte Leser kann dies aber gerne überprüfen. Aufgrund der
Symmetrie sind zwei Trägheitsmomente identisch, 11 D
Es folgt 22 . Das dritte, 33 , wird sich im Allgemeinen davon unter-
scheiden. Wir beginnen mit der Berechnung von 11 :
0 D 1 v1  v2  2 v2  v1 D .1  2 /v1  v2 : (4.176)
ZR Z2 ZH=2
 
Da die Eigenwerte nicht entartet sind, müssen die Eigenvektoren 11 D  d% d' dz % %2 sin2 ' C z2 : (4.181)
orthogonal sein. 0 0 H=2

4.3 Hier wurde die Jacobi-Determinante der Zylinder-Koordi-


naten verwendet (det.J/ D %). Wir führen zunächst die %-
(a) Wie bei einer Kugel sind auch bei einer Kugelschale die De- Integration durch:
viationsmomente allesamt null. Aufgrund der Symmetrie ist
Z2 ZH=2  
es außerdem nur notwendig, eines der Trägheitsmomente zu 1 4 2 1 2 2
bestimmen; die beiden restlichen sind identisch. Wir berech- 11 D  d' dz R sin ' C z R : (4.182)
4 2
nen erneut die Komponente 33 . Da die gesamte Masse auf 0 H=2
160 4 Starre Körper

Die z-Integration liefert (d) Um den Trägheitstensor eines Kreiskegels zu berechnen,


muss man zunächst ein wenig nachdenken. Offenbar haben
Z2   wir kein Koordinatensystem kennengelernt, das der Kegel-
1 4 1
11 D  d' R H sin2 ' C R2 H 3 : (4.183) form direkt angepasst ist. Allerdings kann man mit relativ
4 24 wenig Aufwand und Zylinderkoordinaten das Problem lö-
0
sen. Hierzu legt man den Ursprung zunächst in die Spitze des
Eine Stammfunktion von sin ' ist .'  sin ' cos '/=2. Der
2 Kegels und denkt ihn sich sozusagen auf den Kopf gestellt.
zweite Term darin trägt nicht zum Integral bei, da er sowohl Dann ist die Höhe eine Funktion des Radius bzw. umgekehrt.
für ' D 0 als auch für ' D 2 verschwindet. Daher ist In diesem Fall parametrisieren wir den Radius als
  R
11 D  R4 H C R2 H 3 R.z/ D z: (4.190)
H
4 12 
(4.184)
1 2 1
DM R C H2 ; Man sieht daran sofort, dass am Boden des Zylinders (z D
4 12 H) der Radius % D R erreicht wird. Ansonsten ist die
Berechnung ähnlich wie beim Zylinder, allerdings sind die
wobei M D R2 H für die Zylindermasse eingesetzt wurde.
Grenzen der z-Integration andere:
Für das dritte Trägheitsmoment gilt
ZH ZR.z/ Z2
ZR Z2 ZH=2  
11 D  dz d% d' % %2 sin2 ' C z2 : (4.191)
33 D  d% d' dz %3
(4.185) 0 0 0
0 0 H=2
1 Wir führen wie gewohnt die %- und '-Integrationen durch:
D R4 H D MR2 :
2 2
ZH  
Offensichtlich ist ein Zylinder ein Kugelkreisel (11 D 11 D  dz R4 .z/ C z2 R2 .z/ : (4.192)
33 ), wenn H 2 D 3R2 erfüllt ist. 4
(c) Die Berechnung für einen Hohlzylinder erfordert erneut eine 0

Oberflächenmassendichte. Für das erste Trägheitsmoment


gilt Nun setzen wir die Parametrisierung für R.z/ ein und finden
zunächst
Z2 ZH=2
Kapitel 4

  ZH  
11 D  d' dz R R2 sin2 ' C z2 : (4.186) R4 4 R2 4
11 D  dz z C z : (4.193)
0 H=2
4 H4 H2
0

Die z-Integration führt auf Das Endergebnis lautet


Z2    
1 3 11 D  R4 H C R2 H 3 : (4.194)
11 D  d' R R H sin ' C H ;
2 2
(4.187) 20 5
12
0
Mit der Gesamtmasse M D R2 H=3 folgt schließlich
die '-Integration auf  
  3 1 2
  1 2 1 11 D M R C H2 : (4.195)
11 D R R2 H C H3 D M R C H2 : 5 4
6 2 12
(4.188) Analog ist

Die Gesamtmasse ist hierbei M D 2 RH. Das dritte Träg- ZH ZR.z/ Z2 ZH


heitsmoment ist 33 D  dz d% d' %3 D  dz R4 .z/: (4.196)
2
0 0 0 0
Z2 ZH=2
33 D  d' dz R3 D 2 R3 H D MR2 : (4.189) Dies führt auf
0 H=2
ZH
R4 4 3
Ein Hohlzylinder mit H 2 D 6R2 ist demnach ein Kugelkrei- 33 D  dz z D R4 H D MR2 : (4.197)
2 H4 10 10
sel. 0
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 161

Man beachte, dass der Trägheitstensor bezüglich der Spit- (d) Unter Vernachlässigung von Reibungskräften entspricht die
ze und nicht des Schwerpunktes berechnet wurde. Mit dem Abnahme der potenziellen Energie beim Herabrollen gerade
Steiner’schen Satz lässt sich der Trägheitstensor bezüglich der Zunahme der kinetischen Energie. Der Potenzialnull-
des Schwerpunktes angeben. Da der Schwerpunkt genau punkt kann beliebig verschoben werden, sodass wir
wie die Spitze ebenfalls auf der x3 -Achse liegt, ändert sich 3
das Trägheitsmoment 33 dabei nicht. Der Schwerpunkt ei- 0 D E D MV 2 C Mgh (4.205)
nes Kegels liegt von der Spitze (z D 0) aus gesehen bei 4
z D 3H=4. Daher muss 11 um den Term 9MH 2 =16 ver- für die Energie E schreiben können, wobei h < 0 die Höhe
kleinert werden. Dies führt auf des Schwerpunktes bezüglich der Anfangslage ist. Aufgrund
  der Geometrie ist die zurückgelegte Strecke entlang der Ebe-
3 1 ne
11 D M R2 C H 2 : (4.198) h
20 4 sD : (4.206)
sin ˛
Für H D 2R ist ein Kreiskegel ein Kugelkreisel. Dabei gilt außerdem
v D sP < 0 (4.207)

4.4 und somit


3 2
sP C gs sin ˛ D 0: (4.208)
(a) Der Zylinderschwerpunkt legt in einem infinitesimalen Zeit- 4
intervall die Strecke ds D V dt zurück. Dies muss gleichzei- Einmaliges Ableiten nach der Zeit ergibt
tig der abgerollten Bogenlänge entsprechen. In der gleichen 3
Zeit muss er sich um einen Winkel d' D ! dt drehen. Win- sP sR D gPs sin ˛ (4.209)
2
kel und Bogenlänge sind über ds D R d' verknüpft. Daher
und schließlich
folgt
V D R!: (4.199) 2
sR D  sin ˛g < 0: (4.210)
3
(b) Die kinetische Energie der Translation ist Die Beschleunigung ist dem Betrage nach aus zwei Gründen
geringer als die beim freien Fall: Zum einen wirkt auf-
1 grund der schiefen Ebene nur ein Teil der Gewichtskraft
TS D MV 2 : (4.200)
2 entlang der Ebene. Andererseits beansprucht die Drehbe-
wegung einen Teil der kinetischen Energie, welcher der

Kapitel 4
Für die Rotation gilt Schwerpunktsbewegung fehlt.
1
TR D ! 2 ; (4.201)
2 4.5
wobei  das Trägheitsmoment bezüglich des Schwerpunk- (a) Zunächst berechnen wir das Trägheitsmoment bezüglich der
tes für eine Drehung um die Symmetrieachse ist. Aus der Drehachse eO 2 . Offensichtlich ist
vorherigen Aufgabe bzw. aus der Literatur wissen wir, dass
eO 2 D eO >
2 e
O2: (4.211)
1 Der Steiner’sche Satz erlaubt die Berechnung des Trägheits-
 D MR2 (4.202)
2 moments bezüglich des Fixpunktes,
ist. Insgesamt gilt also F D eO 2 C mR2 ; (4.212)
wobei R D jXj ist. Das Trägheitsmoment F ist in S kon-
1 1 3
TD MV 2 C MR2 ! 2 D MV 2 : (4.203) stant, da R2 konstant ist.
2 4 4 (b) Das wirkende Drehmoment ist
Der Zylinder hat daher eine um den Faktor 3=2 höhere ki- M D R  FG D mgR  eO 3 D mgR sin ˛ eO 2 : (4.213)
netische Energie als eine Punktmasse M mit der gleichen
Die relevante Komponente der Drehmomentgleichung lautet
Geschwindigkeit V.
dann
(c) Die auf den Zylinder wirkende Kraft lässt sich in zwei An- d
teile zerlegen. Eine Komponente wirkt senkrecht auf die  mgR sin ˛ D .F !2 / : (4.214)
dt
schiefe Ebene und trägt nicht zur Beschleunigung bei. Die
Wir nutzen aus, dass F konstant ist, und identifizieren !P 2 D
andere wirkt parallel zur schiefen Ebene. Dies führt auf eine
˛.
R Damit folgt schließlich
Kraft
F D Mg sin ˛: (4.204)  mgR sin ˛ D F ˛:
R (4.215)
162 4 Starre Körper

(c) Für kleine Winkel ˛ ist zu beachten, dass beide Oszillationen gegenläufig sind, da in
(4.222) ein Minuszeichen auftritt.
sin ˛ ˛ (4.216) (c) Offensichtlich unterscheiden sich die beiden Oszillationsfre-
quenzen P und 'P dem Betrag nach. Dies liegt daran, dass die
eine gute Näherung. Damit erhält man die Bewegungsglei- Matrix R nicht symmetrisch ist. Im einen Fall wird die drit-
chung eines harmonischen Oszillators, te Zeile, im anderen die dritte Spalte für die Transformation
verwendet. Das Verhältnis der beiden Frequenzen lautet
˛R D 2 ˛ (4.217)
P   3
mit D cos #: (4.224)
mgR 'P 3
2 D : (4.218)
F
Je nach der Art des Kreisels (oblat,  < 3 , oder prolat,
Die Lösung ist  > 3 ) und der Neigung # der Figurenachse zur Drehim-
pulsachse kann der Quotient beliebige positive oder negative
˛.t/ D ˛O sin .t C 0 / : (4.219) Werte annehmen. Beide Frequenzen sind dem Betrag nach
identisch, wenn
Die Integrationskonstanten (maximale Auslenkung ˛O und 3
Phasenwinkel 0 ) sind aus den Anfangsbedingungen zu be- cos # D (4.225)
  3
stimmen.
(d)  (und damit auch die Schwingungsdauer) würde unver- gilt.
ändert bleiben, da das Trägheitsmoment proportional zur (d) Die Frequenz 0 lässt sich in der Form
Gesamtmasse ist, F / m.
L3
0 D (4.226)
 cos #
4.6
schreiben. Der Drehimpuls ist entlang eO 3 ausgerichtet, L D
(a) Wir beginnen mit (4.12), was auf unser Problem angewandt L eO 3 . Der Grenzfall cos # ! 0 entspricht # ! 90ı . Ande-
rerseits folgt aus (4.221), dass die Projektion von L auf die
eO i  eO 3 D ri3 und eO 3  eOj D r3j (4.220) Figurenachse eO 3 ebenfalls cos # ist:
ergibt. Dies bedeutet, dass die Entwicklungskoeffizienten L3 D L  eO 3 D L cos # (4.227)
von eO 3 in der Basis von S gerade durch die drei Matrix-
Kapitel 4

elemente ri3 gegeben sind. Daher kann man die Entwicklung


Somit ist
L
eO 3 D sin # sin eO 1 C sin # cos eO 2 C cos # eO 3 (4.221) 0 D (4.228)

direkt aus der Matrix R ablesen. Analog findet man völlig unabhängig vom Winkel # zwischen Figurenachse
und Drehimpuls.
eO 3 D sin ' sin # eO 1  cos ' sin # eO 2 C cos # eO 3 : (4.222) (e) Die Winkelgeschwindigkeit erfüllt

Diese Gleichungen sind für Kreisel aller Art gültig, da bisher w D 'P eO 3 C #P eO K C P eO 3 : (4.229)
keinerlei Annahmen gemacht wurden.
(b) Für den kräftefreien symmetrischen Kreisel ist insbesondere
Um ihre Komponenten in S zu berechnen, muss sie auf die
# eine Konstante. Dies bedeutet, dass die Zeitabhängigkeit
Vektoren eO i projiziert werden. Der erste Term in (4.229) ist
von eO 3 in S und von eO 3 in S nur in bzw. ' enthalten ist.
trivial. Der letzte wurde bereits in (4.222) bestimmt. Die
Hier wissen wir, dass P und 'P Konstanten sind. Wir hatten Knotenlinie lässt sich direkt aus Abb. 4.3 zu
im Text
3 !3 eO K D cos ' eO 1 C sin ' eO 2 (4.230)
P D  D   3 !3 ; 'P D 0 D (4.223)
  cos #
ablesen. Nach einer kurzen Sortierung folgt das Endergebnis
gefunden. Anhand von (4.221) und (4.222) sieht man somit, 0 1 0 1 0 1 0 1
dass die Projektionen von eO 3 auf eO 3 und von eO 3 auf eO 3 kon- !1 0 cos ' sin ' sin #
stant sind. Doch eO 3 führt in der eO 1 -Oe2 -Ebene eine Oszillation B C B C B C B C
@!2 A D 'P @0A C #P @ sin ' A C P @ cos ' sin # A :
mit Frequenz 'P D 0 aus, denn es gilt ' D 0 tC'0 . Gleich-
!3 1 0 cos #
zeitig oszilliert eO 3 in der eO 1 -Oe2 -Ebene mit Frequenz P D ,
da überdies D t C 0 erfüllt ist. Es ist dabei allerdings (4.231)
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 163

4.7 ausgenutzt, wobei ! die Winkelgeschwindigkeit der Erdro-


tation ist.
(a) Die Änderung des Drehimpulses aufgrund des Drehmo- (d) Mit den bekannten bzw. in der Literatur zu findenden Werten
ments von Sonne oder Mond lautet
 1
dL D ;
D M Sonne C M Mond : (4.232)  300
dt cos #0 D 0;917;
Multipliziert man diese Gleichung mit L, so erhalten wir G D 6;67  1011 m3 kg1 s2 ;
1 d.L  L/ MSonne D 1;99  1030 kg;
D L.MSonne C M Mond /  eO 3 D 0; (4.233) (4.238)
2 dt MMond D 7;35  1022 kg;
denn das Kreuzprodukt im Drehmoment steht senkrecht auf dSonne D 1;50  1011 m;
eO 3 . Es kann sich also nur die Richtung von L ändern.
dMond D 3;84  108 m;
(b) Multiplikation von (4.232) mit eO 3 ergibt
2
d.L  eO 3 / !D
D .MSonne C M Mond /  eO 3 D 0: (4.234) 86:400 s
dt
berechnet man, dass die durch Sonne und Mond verursach-
Der Richtungsvektor eO 3 lässt sich in die Zeitableitung zie- ten Präzessionsfrequenzen
hen, da er konstant ist (das ungestrichene System ist in guter
Näherung ein Inertialsystem). Das Skalarprodukt mit den !P;Sonne D 2;48  1012 s1 ;
Drehmomenten verschwindet, da diese senkrecht auf eO 3 ste- (4.239)
!P;Mond D 5;46  1012 s1
hen. Somit muss L3 D L  eO 3 konstant sein.
(c) Ausgehend von (4.232) findet man zunächst mithilfe von sind. Der Beitrag des Mondes zur Präzession ist etwa doppelt
(4.169): so groß wie derjenige der Sonne.
X 3GMi Dies ist übrigens qualitativ dasselbe Ergebnis, das wir be-
d.LOe3 /
D 3
cos #0 .Oe3  eO 3 /; (4.235) reits bei der Abschätzung der Gezeitenkräfte in Abschn. 3.6
dt i
2d i gefunden haben. Der Grund ist, dass sowohl die Gezeiten-
kräfte als auch die Drehmomente auf die Erde proportional
wobei über die Beiträge von Sonne und Mond summiert zu Mi =di3 sind und .MMond =dMond
3
/=.MSonne=dSonne
3
/ 2;2
wird. Es ist nun leicht, die Präzessionsfrequenz durch einen gilt.

Kapitel 4
Vergleich aufzuschreiben: Insgesamt ergibt sich
1 X 3GMi !P D 7;94  1012 s1 (4.240)
!P D  cos #0 Oe3
L i 2di3
X 3GMi (4.236) und damit eine Präzessionsperiode

D cos #0 eO 3 :
2d 3 ! 2
i i TP D D 25:100 Jahre: (4.241)
!P
Im letzten Schritt wurde
Dieses Ergebnis liegt sehr nahe an dem durch astronomische
L D ! (4.237) Beobachtungen ermittelten Wert von 25:800 Jahren.
164 4 Starre Körper

Literatur

Arens, T., Hettlich, F., Karpfinger, C., Kockelkorn, U., Lich- Goldstein, H.: Klassische Mechanik. Akademische Verlagsge-
tenegger, K., Stachel, H.: Mathematik. 2. Aufl., Spektrum sellschaft, Wiesbaden (1981)
Akademischer Verlag, Heidelberg (2012)
Kapitel 4
Lagrange-Formalismus und
Variationsrechnung 5
Was sind Zwangskräfte?
Wie löst man die
Bewegungsgleichungen
unter
Zwangsbedingungen?
Welche Bedeutung haben
generalisierte Koordinaten?
Was sind die Vorteile des
Lagrange-Formalismus?
Was sind
Variationsprinzipien, und
welche Bedeutung haben
sie für die Mechanik?
Welcher Zusammenhang
besteht zwischen
Symmetrien und
Erhaltungsgrößen?

5.1 Systeme mit Zwangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166


5.2 Lagrange-Gleichungen erster Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
5.3 Lagrange-Gleichungen zweiter Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
5.4 Beispiele zur Anwendung des Lagrange-Formalismus . . . . . . . . . . 181

Kapitel 5
5.5 Variationsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
5.6 Symmetrien und Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 165
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik 1 | Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56115-7_5
166 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

In alltäglichen Situationen sind die Newton’schen Bewegungsglei- Kugel auf Tisch


chungen in ihrer bisherigen Form praktisch unbrauchbar, denn so-
genannte Zwangsbedingungen (z. B. Bewegung auf einer schiefen Eine unter dem Einfluss der Schwerkraft (FG D mgOe3 ),
Ebene) führen auf zunächst unbekannte Zwangskräfte, die nicht oh- aber auf einem waagerechten Tisch rollende Kugel ist
ne Weiteres in den Bewegungsgleichungen berücksichtigt werden ein Beispiel für ein System mit einer Zwangsbedingung
können (Abschn. 5.1). In diesem Kapitel werden Methoden entwi- (x3 D const). Die Zwangskraft wirkt in diesem Fall der
ckelt, diese Zwangsbedingungen mathematisch zu behandeln. Dies Gravitationskraft entgegen,
führt zunächst auf Erweiterungen der Newton’schen Gleichungen
(Abschn. 5.2). Im Anschluss wird mit den Lagrange-Gleichungen Z D FG ; (5.1)
eine koordinatenunabhängige Formulierung der Bewegungsglei-
chungen hergeleitet (Abschn. 5.3). Sie sind von entscheidender sodass die Gesamtkraft auf die Kugel F D FG CZ D 0 ist.
Wichtigkeit für die gesamte theoretische Physik und bilden die Anderenfalls würde die Kugel nach unten beschleunigt
Grundlage für die modernen Feldtheorien wie Elektrodynamik oder werden, was aufgrund der Tischplatte aber nicht möglich
Quantenfeldtheorie. In Abschn. 5.4 werden konkrete Beispiele zum ist. Die Zwangskraft wird in diesem Fall vom Tisch auf
Lagrange-Formalismus diskutiert. die Kugel ausgeübt, die Gravitationskraft hingegen von
Weiterhin werden Variationsprinzipien besprochen, mit denen ei- der Erde auf die Kugel. J
ne äußerst kompakte und elegante Formulierung vieler physika-
lischer Gesetze erreicht werden kann (Abschn. 5.5). Symmetrien
und Erhaltungssätze spielen eine zentrale Rolle in der Physik. Ih- Uns sind bereits äußere Zwangsbedingungen begegnet, z. B.
re systematische Untersuchung bildet den Abschluss dieses Kapitels in der Form einer schiefen Ebene, auf der ein Zylinder rollt
(Abschn. 5.6). (Aufgabe 4.4), oder eine festgelegte Drehachse, welche die Be-
Das vorliegende Kapitel ist wohl das wichtigste im Mechanik-Teil. wegung eines Pendels einschränkt. Es wurde außerdem bereits
Es ist auch das anspruchsvollste und erfordert vom Leser eine kon- erwähnt, dass Zwangsbedingungen die Anzahl der Freiheitsgra-
zentrierte Mitarbeit und viel Übung. de eines Systems reduzieren. Beispielsweise besitzt ein starrer
Körper, wenn er keinen äußeren Zwängen unterliegt, sechs Frei-
heitsgrade (drei für die Schwerpunktsbewegung, drei für die
Rotation). Ein physikalisches Pendel (Aufgabe 4.5) besitzt aller-
5.1 Systeme mit dings nur einen Freiheitsgrad, nämlich den Auslenkungswinkel.
Weitere Beispiele für Zwangsbedingungen sind zwei durch ei-
Zwangsbedingungen ne Stange verbundene Punktmassen (Abschn. 4.2) oder eine an
einem Faden herumgeschleuderte Punktmasse.
Die Newton’schen Bewegungsgleichungen lassen sich auf freie
Ohne Zwangsbedingungen hat ein System mit N Punktmas-
Punktmassen oder Punktmassen unter dem Einfluss bekann-
sen F D 3N Freiheitsgrade: Jede der N Punktmassen wird
ter Kräfte anwenden. Häufig unterliegen mechanische Systeme
durch einen dreidimensionalen kartesischen Koordinatenvek-
aber sogenannten Zwangsbedingungen, die nicht direkt in Form
tor xi dargestellt. Mathematisch werden Freiheitsgrade durch
von äußeren Kräften formuliert werden können. Beispiele hier-
unabhängige Parameter beschrieben, die zur vollständigen Cha-
für sind die Bewegung einer Kugel auf einer schiefen Ebene
rakterisierung der Lage des Systems notwendig sind. Zwangsbe-
oder ein Pendel, das sich nur innerhalb einer Koordinaten-
dingungen führen Abhängigkeiten dieser Parameter ein, sodass
ebene bewegen kann. Dieser Abschnitt liefert eine Einführung
die Anzahl der unabhängigen Parameter abnimmt. So ist die
in die Formulierung von Zwangsbedingungen. Anhand eines
Forderung, dass zwei Punktmassen einen konstanten Abstand
Beispiels (sphärisches Pendel) wird vorgeführt, wie sich die Be-
Kapitel 5

l12 haben, eine Zwangsbedingung jx1  x2 j D l12 D const, und


wegungsgleichungen in Anwesenheit von Zwangsbedingungen
es bleiben nur fünf von sechs Freiheitsgraden übrig.
prinzipiell aufstellen und lösen lassen.
Doch wie lassen sich Zwangsbedingungen nun mathematisch
formulieren?

Zwangsbedingungen
Holonome Zwangsbedingungen
In Kap. 4 wurden starre Körper diskutiert, deren innere Mas- In vielen Fällen lassen sich Zwangsbedingungen in der
senelemente durch innere Zwangsbedingungen (oder auch Ne- Form
benbedingungen) paarweise konstante Abstände besitzen. Die fa .t; x1 ; : : : ; xN / D 0 .1  a  r/ (5.2)
mathematische Form dieser Zwangsbedingungen wurde bis-
her allerdings nicht näher spezifiziert. Dies soll im Folgenden schreiben, wobei r die Anzahl der Zwangsbedingungen
nachgeholt werden. Zwangsbedingungen treten in der Bewe- ist. Man nennt Zwangsbedingungen der Form (5.2) holo-
gungsgleichung in der Form von zunächst unbekannten Zwangs- nom.
kräften Z auf, welche die Bewegung einschränken.
5.1 Systeme mit Zwangsbedingungen 167

Wir verlangen, dass die holonomen Zwangsbedingungen min- Beispielsweise wird die Bewegung einer Punktmasse im Inne-
destens zweimal differenzierbare Funktionen der N Koordi- ren einer Hohlkugel durch die nichtholonome Zwangsbedin-
natenvektoren xi sind. Die Anzahl der Freiheitsgrade bei r gung
Zwangsbedingungen ist x2  R2  0 (5.7)
beschrieben. Im Folgenden werden überwiegend holonome
F D 3N  r: (5.3)
Zwangsbedingungen diskutiert.

Frage 1 Achtung Durch die Zwangsbedingungen sind nicht nur die


Koordinaten eingeschränkt. Auch die Anfangsbedingungen, die
Zeigen Sie, dass die zuvor erwähnte Zwangsbedingung eines
zur Lösung mechanischer Probleme nötig sind, müssen mit den
festen Abstands zweier Punktmassen als
Zwangsbedingungen vereinbar sein. Dies wird in Kürze an ei-
nem Beispiel verdeutlicht. J
f .x1 ; x2 / D .x1  x2 /2  l212 D 0 (5.4)

notiert werden kann. Diese Funktion ist problemlos differenzier-


bar. Verallgemeinerte Koordinaten

Im weiteren Verlauf dieses Kapitels soll überwiegend auf die


Bewegung auf Ebene und Kugel Vektorschreibweise xi verzichtet werden. Anstatt über N Vekto-
ren xi zu sprechen, schreiben wir vorzugsweise xi (1  i  3N).
Ist die Bewegung einer Punktmasse auf eine Ebene mit Dies ändert nichts am physikalischen Inhalt, reduziert aber die
Normalenvektor nO eingeschränkt, so lautet die Zwangs- Anzahl der Indizes, die verwendet werden müssen.
bedingung Die 3N Koordinaten xi eines Systems von Punktmassen spannen
f .x/ D x  nO D 0: (5.5) einen 3N-dimensionalen Parameterraum auf. Zwangsbedingun-
Hier wurde angenommen, dass der Koordinatenursprung gen verhindern, dass alle Punkte dieses Raumes erreicht werden
in der Ebene liegt. Kann sich eine Punktmasse nur auf der können. Der Konfigurationsraum ist jener Teil des 3N-dimen-
Oberfläche einer Kugel mit Radius R bewegen, kann die sionalen Raumes, der von den Koordinaten der N Punktmassen
Zwangsbedingung als erreicht werden kann. Man spricht hier von einer .3N  r/-
dimensionalen Untermannigfaltigkeit (Forster 2012), die durch
f .x/ D x2  R2 D 0 (5.6) die r Zwangsbedingungen definiert wird.
Mannigfaltigkeiten werden im „Mathematischen Hintergrund“
formuliert werden, wenn der Ursprung im Kugelmittel- 5.1 erläutert. Das komplette Verständnis des Konzepts ist an
punkt liegt. J dieser Stelle nicht erforderlich, wird aber in vielen anderen Be-
reichen der Physik (insbesondere bei der Behandlung von Lie-
Gruppen im „Mathematischen Hintergrund“ Bd. 3, (7.1) und in
der allgemeinen Relativitätstheorie) benötigt.
Frage 2
Machen Sie sich klar, dass keine Freiheitsgrade mehr übrig blei-
Kugelschale und Torus
ben, wenn r D 3N ist. In diesem Fall ist das System vollständig
durch die Zwangsbedingungen bestimmt, und es findet keine
Der Konfigurationsraum einer einzelnen freien Punkt-
Dynamik mehr statt.
masse ist der dreidimensionale reelle Raum R3 . Durch

Kapitel 5
die Zwangsbedingung x2  R2 D 0 wird eine Kugelscha-
le als zweidimensionale Untermannigfaltigkeit definiert.
Ein weiteres Beispiel ist eine Torusoberfläche im dreidi-
Nichtholonome, rheonome und skleronome Zwangsbe-
mensionalen Raum wie in Abb. 5.2 gezeigt.
dingungen
Man kann die Torusoberfläche durch die holonome Be-
Alle Zwangsbedingungen, die sich nicht in der Form (5.2)
dingung
schreiben lassen, heißen nichtholonom. Dazu gehören ins-
besondere (aber nicht ausschließlich) Zwangsbedingun-  2  
gen, die sich nur als Ungleichung formulieren lassen. f D R2  r2 C 2R2 x23  x21  x22
   2
 2r2 x21 C x22 C x23 C x21 C x22 C x23 (5.8)
Man unterscheidet außerdem zeitabhängige bzw. rheono-
me und zeitunabhängige bzw. skleronome Zwangsbedin- D0
gungen. Diese Begriffe stammen aus dem Griechischen
(rheos: fließend, skleros: starr). ausdrücken.
168 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

5.1 Mathematischer Hintergrund: Mannigfaltigkeiten


Eine Verallgemeinerung euklidischer Räume

Mannigfaltigkeiten treten in der Physik meistens dann auf, U zu. Er wird als Karte bezeichnet und definiert ein lokales
wenn in irgendeiner Weise gekrümmte Flächen oder ge- Koordinatensystem auf der offenen Teilmenge D.
krümmte Räume betrachtet werden. Insbesondere in der all-
Eine Menge von Karten fhi g bildet einen Atlas der Mannig-
gemeinen Relativitätstheorie treten Mannigfaltigkeiten ganz
faltigkeit, wenn die Definitionsbereiche Di der Karten die
natürlich auf und sind dort auch unumgänglich. Lose gespro-
Mannigfaltigkeit vollständig überdecken. Sei ein solcher At-
chen, handelt es sich bei einer n-dimensionalen Mannigfal-
las gegeben und seien ferner zwei teilweise überlappende
tigkeit M um einen Raum, der nur lokal so aussieht wie ein
Definitionsbereiche Di und Dj herausgegriffen, die von den
n-dimensionaler euklidischer Raum, global aber gekrümmt
Karten hi und hj auf offene Teilmengen Ui und Uj des Rn
sein kann.
abgebildet werden. Dann heißt die Abbildung hj ıh1i Karten-
Um mit Mannigfaltigkeiten physikalisch umgehen zu kön- wechsel auf der Schnittmenge der Definitionsbereiche Di \
nen, müssen sie genügend zusammenhängend und glatt sein. Dj . Er entspricht einem Wechsel des Koordinatensystems. Da
Mathematisch präzisiert man diese Eigenschaften auf die fol- es sich bei einem Kartenwechsel um eine Abbildung aus dem
gende Weise. Rn in den Rn handelt, ist aus der reellen Analysis bekannt,
was Differenzierbarkeit bedeutet. Wenn alle Kartenwechsel
Zunächst fordert man, dass die Mannigfaltigkeit ein topo-
eines Atlas differenzierbar sind, heißt der Atlas selbst diffe-
logischer Raum mit einer höchstens abzählbaren Basis sein
renzierbar. Eine Mannigfaltigkeit heißt differenzierbar, wenn
soll. Das bedeutet, dass eine Mannigfaltigkeit M mit einem
sie mit einem differenzierbaren Atlas ausgestattet ist.
System aus höchstens abzählbar vielen offenen Teilmengen
Ti  M ausgestattet ist, deren Durchschnitte und Vereini- Das vielleicht nächstliegende Beispiel einer zweidimensio-
gungen selbst alle wieder offene Teilmengen von M sind. nalen Mannigfaltigkeit ist die Oberfläche einer Kugel, die
Entscheidend ist hier, dass die Teilmengen offen sind. Durch 2-Sphäre S2 . In einer hinreichend kleinen Umgebung jedes
diese zunächst sehr abstrakt wirkende Forderung erreicht Punktes kann sie homöomorph in den R2 abgebildet werden,
man, dass Abbildungen von M in den Rn stetig sind. wie jede Landkarte der Erdoberfläche belegt. Auf einer Halb-
kugel lässt sich beispielsweise eine Karte dadurch einfüh-
Weiterhin verlangt man, dass sich zwei beliebige Punk-
ren, dass alle Punkte der Halbkugel längs ihrer Polachse auf
te in M mit offenen Teilmengen von M umgeben lassen,
die Tangentialebene an den Pol projiziert werden (Abb. 5.1).
die nicht überlappen. Damit erfüllt ein solcher topologi-
Sechs solcher Karten, salopp gesprochen je eine für die obe-
scher Raum das Hausdorff’sche Trennungsaxiom und wird
re, untere, vordere, hintere, rechte und linke Halbkugel, bilden
auch topologischer Hausdorff-Raum genannt. Damit ist die
zusammen einen differenzierbaren Atlas der 2-Sphäre.
Mannigfaltigkeit für physikalische Anwendungen genügend
zusammenhängend.
Nun bleibt noch zu klären, was es bedeuten soll, dass eine
Mannigfaltigkeit lokal wie ein n-dimensionaler euklidischer
Raum „aussehen“ soll. Dazu wird festgelegt, dass es zu je-
dem Punkt der Mannigfaltigkeit eine offene Umgebung gibt,
die durch eine bijektive, stetige Abbildung mit ebenfalls ste-
Kapitel 5

tiger Umkehrabbildung in eine offene Teilmenge des Rn


abgebildet werden kann. Eine solche Abbildung heißt Ho-
möomorphismus.
Zusammenfassend definiert man eine n-dimensionale Man-
nigfaltigkeit also als einen topologischen Hausdorff-Raum
mit endlicher Basis der Topologie, der lokal homöomorph
zum Rn ist.
Sei nun D  M und h ein Homöomorphismus, der D in
U  Rn abbildet,

hWD!U; p 7! h.p/ D .x1 ; : : : ; xn / ; Abb. 5.1 Ein Beispiel für eine Mannigfaltigkeit ist die Kugelober-
fläche in zwei Dimensionen. Hier ist eine Karte angedeutet, welche
wobei D und U offen seien. Der Homöomorphismus h ordnet die obere Halbkugel auf eine Tangentialebene an den Nordpol der
demnach jedem Punkt p 2 D ein n-Tupel reeller Zahlen aus Kugel projiziert
5.1 Systeme mit Zwangsbedingungen 169

3
e
e3

O R

F G = −mg
e3
e1 e2
R

Abb. 5.2 Eine Torusoberfläche ist ein Beispiel für eine zweidi- Abb. 5.3 Das sphärische Pendel kann man sich als eine Punktmasse
mensionale Untermannigfaltigkeit im dreidimensionalen Raum. vorstellen, die zu einem Aufhängepunkt (Ursprung O) den konstanten
Die beiden Radien r und R definieren die Gestalt des Torus J Abstand R besitzt. Das Pendel kann unter dem Einfluss der Schwerkraft
schwingen

Verallgemeinerte Koordinaten Achtung In der Regel lassen sich die generalisierten Koor-
dinaten nicht zu Vektoren wie xi zusammenfassen. Man behan-
Anstelle der 3N abhängigen Parameter xi kann man F D
delt dann die 3N  r generalisierten Koordinaten wie skalare
3N  r unabhängige Parameter qj (1  j  F) definieren,
Größen. J
die nicht durch die Zwangsbedingungen eingeschränkt
werden. Diese werden als neue, verallgemeinerte Koor- Wir führen die symbolische Abkürzung x für die Menge aller
dinaten verwendet. Man spricht auch von generalisierten Parameter xi sowie q für die Menge aller Parameter qj ein. Wir
Koordinaten. schreiben daher in Kurzform x D x.q/. Die verallgemeinerten
Koordinaten werden in diesem Kapitel und darüber hinaus eine
wichtige Rolle spielen.
Sind die r Zwangsbedingungen holonom, kann man die 3N
abhängigen Parameter xi als Funktion der F unabhängigen Pa-
rameter qj darstellen:

xi D xi .t; q1 ; : : : ; qF / .1  i  3N/: (5.9) Das sphärische Pendel

Im Fall von zeitabhängigen Zwangsbedingungen hängen die xi Anhand des sphärischen Pendels lässt sich die Problematik der
nicht nur implizit über die qj , sondern auch noch zusätzlich di- Zwangsbedingungen und Zwangskräfte sowie eines Lösungs-
rekt von t ab, was durch das erste Argument ausgedrückt wird. verfahrens anschaulich darstellen. Beim sphärischen Pendel
handelt es sich um eine Punktmasse m, die sich unter dem Ein-
Bewegung auf einer Kugeloberfläche fluss der Schwerkraft FG D mg D mgOe3 auf der Oberfläche

Kapitel 5
einer Kugel mit Radius R bewegt (Abb. 5.3). Man kann sich bei-
Für die Bewegung auf einer Kugeloberfläche mit Radius spielsweise vorstellen, dass die Punktmasse an einer masselosen
R lauten die drei kartesischen Koordinaten einer Punkt- Stange der Länge R befestigt ist oder sich in einer halbkugelför-
masse migen Schüssel befindet. Der Ursprung O liege im Mittelpunkt
x1 D R sin # cos '; der Kugel, daher lautet die holonome Zwangsbedingung
x2 D R sin # sin '; (5.10)
x3 D R cos #: f .x.t// D x2 .t/  R2 D 0: (5.11)

Da R konstant ist, gilt xi D xi .#; '/, und die beiden Hier wurde berücksichtigt, dass die Bahnkurve x.t/ eine Funk-
unabhängigen Parameter können als q1 D # 2 Œ0; / tion der Zeit ist. Da die Zeitabhängigkeit nur implizit über die
und q2 D ' 2 Œ0; 2 / repräsentiert werden. Offensicht- Bahnkurve x.t/ in (5.11) eingeht, handelt es sich um eine skle-
lich werden q1 und q2 nicht durch die Zwangsbedingung ronome Zwangsbedingung. Eine rheonome Zwangsbedingung
eingeschränkt. Sie eignen sich daher als generalisierte läge beispielsweise vor, wenn der Kugelradius bzw. die Stan-
Koordinaten für das Problem. J genlänge selbst eine Funktion der Zeit wäre, also R D R.t/.
Dies wird in Aufgabe 5.4 aufgegriffen.
170 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Vertiefung: Nichtholonome Zwangsbedingungen

Einige nichtholonome Zwangsbedingungen können in der den kann. Dies führt wieder auf die Form fa .t; x/ D 0 in
differenziellen Form (5.2). Ansonsten ist eine Integration erst nach Lösung des
Problems möglich, und es handelt sich um eine nichtinte-
X
3N
Aa;i dxi D Aa;0 dt .1  a  r/ grierbare Zwangsbedingung.
iD1
Ein Beispiel für eine nichtholonome Zwangsbedingung ist
angegeben werden. Dies schließt allerdings holonome die Bewegung eines Schlittschuhs auf einer ebenen Eis-
Zwangsbedingungen mit ein, indem man fläche. Der Schlittschuh kann sich nur in Kufenrichtung
@fa @fa bewegen, d. h. v  l D 0, wobei v die momentane Geschwin-
Aa;i D ; Aa;0 D  digkeit und l der Vektor entlang des Schlittschuhs ist. Dies
@xi @t
ist eine Zwangsbedingung an die Geschwindigkeit und nicht
schreibt. Im Fall holonomer Zwangsbedingungen handelt es die Position des Schlittschuhs. Man kann zeigen, dass sie
sich um ein totales Differenzial, das direkt aufintegriert wer- nichtintegrierbar und damit nichtholonom ist.

Im Folgenden schreiben wir die Zeitabhängigkeiten nicht mehr Stange wirken. Da wir allerdings noch nicht wissen, welchen
explizit an. Die ersten beiden Zeitableitungen der Zwangsbedin- Betrag die Zwangskraft hat, notieren wir
gung lauten
Z D 2x: (5.16)
fP .x/ D 2x  xP D 0; fR .x/ D 2Px2 C 2x  xR D 0: (5.12)
Man nennt den Proportionalitätsfaktor  einen Lagrange-Mul-
Da die Zwangsbedingungen zu allen Zeiten gelten, erfüllen die tiplikator. Der Grund für den zusätzlichen Faktor 2 wird später
Anfangsbedingungen erläutert. Wir werden nun sehen, dass  D .t; x; xP / eine unbe-
kannte Funktion ist, die so zu bestimmen ist, dass (5.15), also
x20  R2 D 0; x0  v0 D 0; (5.13)
mRx D mg C 2x; (5.17)
wobei v D xP die Geschwindigkeit ist. Wir wissen, dass die
Bewegung einer freien Punktmasse durch drei Differenzialglei- mit den Zwangsbedingungen vereinbar ist.
chungen zweiter Ordnung beschrieben wird, deren vollständige
Integration sechs Parameter (z. B. in Form von Anfangsbedin- Frage 4
gungen) benötigt. Wegen (5.13) bleiben davon allerdings nur An dieser Stelle kann man sich bereits überlegen, dass  ne-
vier unabhängige übrig. gativ sein muss. Fragen Sie sich dazu, in welche Richtung die
Zwangskraft zeigen muss, um die Punktmasse auf der Kugel-
Frage 3 oberfläche zu halten.
Überlegen Sie sich anhand von (5.13), dass die Anfangsge-
schwindigkeit v0 tangential zur Kugeloberfläche verläuft.
Um den Lagrange-Multiplikator zu finden, multiplizieren wir
Kapitel 5

die Bewegungsgleichung skalar mit x:


Offensichtlich steht die Zwangsbedingung (5.11) im Wider-
mx  xR D mx  g C 2x2 : (5.18)
spruch zur Lösung der Newton’schen Bewegungsgleichung ei-
ner Punktmasse im Schwerefeld:
Wegen (5.12) und x2 D R2 können wir
1 2
x.t/ D gt C v0 t C x0 : (5.14)  mPx2 D mx  g C 2R2 (5.19)
2
Wir müssen daher eine Zwangskraft Z einführen, um die Be- schreiben. Schließlich erhält man
wegungsgleichung mit der Zwangsbedingung kompatibel zu m  
machen; wir schreiben 2 D  2 xP 2 C x  g ; (5.20)
R
mRx D mg C Z: (5.15) weswegen die Zwangskraft

Diese Zwangskraft kann nur von der Stange bzw. von der Schüs- m  2 
ZD 2
xP C x  g x (5.21)
sel auf die Punktmasse ausgeübt werden und muss entlang der R
5.2 Lagrange-Gleichungen erster Art 171

lautet. Wie ist dies zu interpretieren? Die Zwangskraft kompen- Zwangskraft berechnen können. Wir wollen uns nun überle-
siert zum einen die Komponente m.g  eO r /Oer der Schwerkraft gen, wie dies bei allgemeinen Problemen bewerkstelligt werden
in Stangenrichtung. Außerdem wirkt sie der Zentrifugalkraft kann.
mPx2 rO =R entgegen. Selbstverständlich ist genau dies notwendig,
um die Punktmasse auf der Kugeloberfläche zu halten. Eine Zwangsbedingung für eine Punktmasse in der Form
f .t; x/ D 0 lässt sich geometrisch interpretieren: Sie definiert
eine (zeitabhängige) Fläche im Raum, auf der sich die Punkt-
masse bewegen kann. Entlang dieser Fläche ist f identisch null
Zwangskräfte
und somit konstant. Darum muss der Gradient r f .t; x/ senk-
Wir sehen, dass hier die Zwangskraft, wie auch in all- recht auf der Fläche stehen. Andererseits kann die Zwangskraft
gemeineren Fällen, vom momentanen Bewegungszustand Z nur senkrecht zu f .t; x/ D 0 sein, da sie die Tangentialbewe-
(z. B. der Geschwindigkeit) abhängt. Da dieser bei der gung nicht beeinflussen darf. Allgemein können wir also
Formulierung des Problems in der Regel unbekannt ist,
lassen sich die Newton’schen Bewegungsgleichungen in Z D r f (5.24)
Anwesenheit von Zwangsbedingungen nicht direkt in her-
kömmlicher Weise lösen. schreiben. Dies ist der zentrale Punkt, der die Berücksichti-
gung von Zwangsbedingungen in den Bewegungsgleichungen
ermöglicht. Im Falle des sphärischen Pendels erhalten wir we-
Wir wollen noch untersuchen, ob die Zwangskraft Arbeit am gen (5.11)
System verrichtet. Offenbar zeigt die Zwangskraft immer in
radialer Richtung, während eine Bewegung, dx D v dt, nur tan- Z D r f D 2x; (5.25)
gential zur Kugeloberfläche möglich ist, d. h.
was identisch mit (5.16) ist. Dies erklärt auch, warum zuvor
noch ein Faktor 2 eingeführt wurde.
AZ D Z  dx D 0: (5.22)

Tatsächlich ist es eine Eigenschaft der skleronomen Zwangs-


kräfte, dass sie keine Arbeit am System verrichten. Wir werden Lagrange-Gleichungen erster Art für eine Punktmasse
in Kürze wieder darauf zurückkommen. unter dem Einfluss einer Zwangsbedingung

Abschließend können wir noch die resultierende Bewegungs- Gibt es eine holonome Zwangsbedingung
gleichung ohne Lagrange-Multiplikator angeben:
f .t; x/ D 0; (5.26)
1  
xR D g  2 xP 2 C x  g x: (5.23) so führt dies auf eine Zwangskraft
R
Diese Gleichung kann noch vereinfacht werden, indem die Z D r f (5.27)
Energieerhaltung berücksichtigt wird. Dies wird dem interes-
sierten Leser überlassen. mit einem Lagrange-Multiplikator . Die Lagrange-Glei-
chungen erster Art lauten dann

mRx D F C r f (5.28)
5.2 Lagrange-Gleichungen erster Art
mit der angewandten Kraft F aus den Newton’schen Be-

Kapitel 5
wegungsgleichungen.
Es wird im Folgenden ein allgemeiner Formalismus hergeleitet,
mit dem sich mechanische Systeme in Anwesenheit von holono-
men Zwangskräften beschreiben lassen. Das Ergebnis sind die
Lagrange-Gleichungen erster Art. Diese Formulierung erlaubt Die Lagrange-Gleichungen erster Art sind eine Erweiterung der
eine Berechnung der Zwangskräfte, die dann physikalisch inter- Newton’schen Bewegungsgleichungen. Sie ermöglichen die Be-
pretiert werden können. Es wird weiterhin die Energieerhaltung rücksichtigung von a priori unbekannten Zwangskräften, die
in Anwesenheit von Zwangskräften untersucht. aus geometrischen Zwangsbedingungen hervorgehen. Gibt es
N Punktmassen und r < 3N unabhängige Zwangsbedingungen
fa .t; x/, wird jede einzelne durch einen eigenen Lagrange-Mul-
tiplikator a beschrieben. Die einzelnen Zwangskräfte können
Zwangskräfte und Lagrange-Multiplikatoren superponiert werden, sodass die Summe aller Zwangskräfte

X
r
Im vorherigen Abschnitt haben wir anhand eines Spezialfalls Zi D a r i fa .1  i  N/ (5.29)
gesehen, wie wir mithilfe eines Lagrange-Multiplikators die aD1
172 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

lauten. Hier ist r i der Gradient bezüglich der Koordinaten der System. Zunächst nehmen wir an, dass alle angewandten Kräfte
i-ten Punktmasse. Gehen wir wieder zur komponentenweisen Fi aus einem Potenzial abgeleitet werden können:
Darstellung über, schreiben wir stattdessen
Fi D r i V: (5.33)
X
r
@fa
Zi D a .1  i  3N/: (5.30)
aD1
@xi Wir unterscheiden hier nicht zwischen äußeren und inneren
Kräften, da dies für die Diskussion an dieser Stelle belanglos
ist. Wie aus Abschn. 3.1 bekannt, gilt zunächst in Abwesenheit
von Reibungs- und Zwangskräften
Lagrange-Gleichungen erster Art für Systeme von
Punktmassen
d
.T C V/ D 0; (5.34)
Für ein System von N Punktmassen unter dem Ein- dt
fluss von r unabhängigen holonomen Zwangsbedingungen
fa .t; x1 ; : : : ; xN / lauten die Lagrange-Gleichungen erster wobei T die kinetische Energie ist. Nun müssen wir allerdings
Art zusätzlich noch den Einfluss der Zwangskräfte Zi betrachten.
Wiederholt man unter Berücksichtigung der Zwangskräfte die
X
r
Rechnungen, die auf (3.33) geführt haben, taucht zunächst ein
mi xR i D Fi C a r i fa .1  i  N/ (5.31)
Zusatzterm
aD1

bzw. X
N X
r X
N
Zi  xP i D a .r i fa /  xP i (5.35)
X
r
@fa
iD1 aD1 iD1
mi xR i D Fi C a .1  i  3N/ (5.32)
aD1
@xi auf. Die Nebenbedingungen erfüllen fa D 0, daher muss auch
ihre totale Zeitableitung verschwinden:
in der komponentenweisen Darstellung.
dfa X N
@fa
0D D .r i fa /  xP i C : (5.36)
dt @t
Es handelt sich bei den Lagrange-Gleichungen erster Art um iD1
3N Bewegungsgleichungen zweiter Ordnung sowie r Zwangs-
bedingungen in Form von algebraischen Gleichungen. Sind An dieser Stelle erlauben wir auch rheonome holonome
die entsprechenden Anfangsbedingungen und die angewandten Zwangsbedingungen. Dies wird an einem Beispiel in Aufgabe
Kräfte Fi bekannt, können damit im Prinzip die r Lagrange- 5.4 verdeutlicht. Gl. (5.35) und (5.36) führen schließlich auf den
Multiplikatoren a und die N Bahnkurven xi berechnet werden. Energiesatz unter Berücksichtigung von Zwangsbedingungen.

Man unterscheidet äußere und innere Zwangsbedingungen. Äu-


ßere führen auf Zwangskräfte, die nur auf einzelne Punktmassen
Energiesatz unter Berücksichtigung von Zwangsbedin-
wirken. Innere hingegen führen Zwangskräfte zwischen Paaren
gungen
von Punktmassen ein. Beispiele sind x21 R2 D 0 für eine äußere
und .x1 x2 /2 l212 D 0 für eine innere Zwangsbedingung. Letz- Sind die angewandten Kräfte Fi konservativ, lautet der
tere entspricht zwei Punktmassen an einer Stange. Als weiteres Energiesatz in Anwesenheit von holonomen Zwangsbe-
Kapitel 5

Beispiel kann wieder der starre Körper herangezogen werden, dingungen


für den alle Punktmassen paarweise konstante Abstände besit-
zen. Aufgrund der normalerweise großen Zahl der Punktmassen d Xr
@fa
im starren Körper wird anstelle der Lagrange-Gleichungen ers- .T C V/ D  a : (5.37)
dt @t
ter Art jedoch der Formalismus aus Kap. 4 bevorzugt. aD1

Die Energie ist erhalten, wenn die Zwangsbedingungen


skleronom sind, d. h. ihre partiellen Zeitableitungen ver-
schwinden.
Energiesatz in Anwesenheit
von Zwangsbedingungen
Frage 5
Nachdem nun besprochen wurde, wie Zwangsbedingungen in Überprüfen Sie die Rechenschritte, die auf den Energiesatz
den Newton’schen Bewegungsgleichungen berücksichtigt wer- (5.37) führen.
den können, untersuchen wir den Energiesatz in solch einem
5.2 Lagrange-Gleichungen erster Art 173

Vertiefung: Virtuelle Verrückungen und das d’Alembert’sche Prinzip

Historisch spielten die von d’Alembert eingeführten vir- Die Zwangskräfte treten in dieser Formulierung nicht mehr
tuellen Verrückungen eine wichtige Rolle. Diesen Zugang explizit auf; sie sind allerdings indirekt enthalten, da die vir-
verfolgen wir hier zwar nicht, er soll aber der Vollständig- tuellen Verrückungen nicht unabhängig voneinander sind.
keit halber kurz vorgestellt werden. Wir sehen, dass die Summe der angewandten Kräfte Fi
Eine virtuelle Verrückung ıxi der Punktmasse mi ist eine und der Trägheitskräfte mi xR i unter virtuellen Verrückun-
nichtreale infinitesimale Verschiebung bei fester Zeit t, die gen keine Arbeit leisten. Dies trifft wegen (5.37) bei realen
mit den Zwangsbedingungen fa zur Zeit t verträglich ist. So Verrückungen dxi nur auf skleronome Zwangsbedingungen
kann beispielsweise eine virtuelle Verrückung beim sphäri- zu.
schen Pendel nur tangential zur Kugeloberfläche erfolgen.
Wir schreiben Als Beispiel betrachten wir zwei Massen, die durch einen
starren Stab miteinander verbunden sind. Es gibt daher eine
0 D fa .x1 C ıx1 ; : : : ; xN C ıxN / Zwangsbedingung .x1  x2 /2  l212 D 0 mit einem Lagrange-
X
N Multiplikator . Die beiden Massen können offenbar belie-
D fa .x1 ; : : : ; xN / C .r i fa /  ıxi : big mit ıx1 und ıx2 verrückt werden, solange die Differenz
iD1 ıx1  ıx2 keine Komponente entlang des Stabes hat, denn
P der Stab muss auch unter virtuellen Verrückungen gleich lang
Wegen fa .x1 ; : : : ; xN / D 0 folgt zunächst i .r i fa /  ıxi D 0.
Die virtuellen Verrückungen liegen also auf den durch fa fest- bleiben. Also ist
gelegten Oberflächen. Wir multiplizieren mit a , summieren
über alle r Zwangsbedingungen und schreiben wegen (5.29) .x1  x2 /  .ıx1  ıx2 / D 0:
X
r X
N X
N
a .r i fa /  ıxi D Zi  ıxi D 0: Andererseits erfüllen die Zwangskräfte das dritte New-
aD1 iD1 iD1
ton’sche Axiom, Z1 D Z2 , und sie wirken entlang des
Die Zwangskräfte leisten also keine Arbeit bei virtuellen Stabes. Damit muss
Verrückungen. Dies wird als das d’Alembert’sche Prinzip be-
zeichnet. Aus mi xR i D Fi C Zi folgt dann direkt
Z1  .ıx1  ıx2 / D Z1  ıx1 C Z2  ıx2 D 0
X
N
.Fi  mi xR i /  ıxi D 0:
iD1 gelten.

Allgemeines Lösungsverfahren durch erhält man demnach die r Gleichungen


Eliminierung der Lagrange-Multiplikatoren
X3N
@fa
0 D fRa D xR i  ga .t; x; xP / ; (5.39)
Anhand des Beispiels des sphärischen Pendels haben wir bereits iD1
@xi
gesehen, wie sich der Lagrange-Multiplikator und die damit ver-

Kapitel 5
bundene Zwangskraft berechnen lassen. Nun wollen wir ein welche die Beschleunigungen xR i nur linear enthalten. Die Grö-
allgemeines Lösungsverfahren der Bewegungsgleichungen in ßen ga fassen pauschal alle übrigen Terme zusammen, die bei
Anwesenheit holonomer Zwangsbedingungen angeben, in des- den Ableitungen durch die Kettenregel entstehen.
sen Verlauf die Lagrange-Multiplikatoren eliminiert werden.
Für nichtholonome Zwangsbedingungen lässt sich kein generel- Achtung Der Punkt über einer Größe, die neben der Zeit
les Verfahren angeben. noch von anderen Größen abhängt, bezeichnet in der Regel
die vollständige und nicht die partielle Zeitableitung, sofern es
Der erste Schritt nach der Aufstellung der Bewegungsgleichun- nicht anders definiert wird. J
gen (5.31) und der r holonomen Zwangsbedingungen fa .t; x/ D
0 ist die Berechnung der zweiten Zeitableitung aller Zwangsbe-
dingungen. Ausgehend von Frage 6
Überlegen Sie sich, dass die Terme ga nur von der Zeit t sowie
X
3N
@fa @fa den Orten xi und Geschwindigkeiten xP i abhängen. Sie enthalten
0 D fPa D xP i C (5.38) jedoch nicht die Beschleunigungen xR i . Wie sehen die ga aus?
iD1
@xi @t
174 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Durch Einsetzen der Bewegungsgleichungen (5.32) in (5.39) z


lassen sich alle Beschleunigungen eliminieren:

X3N
1 @fa X @fb
r X3N
1 @fa
b D ga  Fi : (5.40)
iD1
mi @xi bD1 @xi iD1
mi @xi
m2
Dies ist ein lineares, inhomogenes Gleichungssystem mit r Glei-
chungen für die r Lagrange-Multiplikatoren. Die Koeffizienten
L
der b hängen dabei nicht mehr von den Beschleunigungen xR i FG
ab. Die Lösung dieses Gleichungssystems sind die Lagrange- m1
Multiplikatoren in der Gestalt
x
a D a .t; x; xP / .1  a  r/: (5.41)

Die gefundenen a können dann in die Bewegungsgleichungen


(5.32) eingesetzt werden:

X
r
@fa
mi xR i D Fi C a .t; x; xP / .1  i  3N/: (5.42)
aD1
@xi

Diese Gleichungen werden mit den üblichen Methoden ge- Abb. 5.4 Zwei Punktmassen können sich zusammen auf einer Kreuz-
löst, denen wir im Verlauf des Buches bereits begegnet sind. schiene bewegen. Ihr Abstand L wird dabei festgehalten. Zusätzlich
Insbesondere wird dieses Vorgehen durch das Auffinden von wirkt die Gravitationskraft FG
Erhaltungsgrößen (z. B. der Energie oder des Drehimpulses)
vereinfacht. Es muss allerdings beachtet werden, dass die An-
fangsbedingungen zur Zeit t0 mit den Zwangsbedingungen Insgesamt gibt es die fünf Zwangsbedingungen
verträglich sein müssen: f1 D x21 C z22  L2 D 0;
ˇ f2 D x2 D 0; f3 D z1 D 0;
0 D fa .t; x/j tDt0 ; 0 D fPa .t; x; xP /ˇ tDt0 : (5.43) (5.44)
f4 D y1 D 0; f5 D y2 D 0:
Sind die Bewegungsgleichungen gelöst, d. h. alle Bahnkurven
Dies würde auf fünf Lagrange-Multiplikatoren und ein lineares
bekannt, lassen sich die Lagrange-Multiplikatoren (5.41) in ex-
Gleichungssystem mit fünf Unbekannten führen. Offensichtlich
pliziter Form angeben. Falls gewünscht, können weiterhin die
ist die Bewegung auf die x-z-Ebene eingeschränkt. Man kann
Zwangskräfte mithilfe von (5.29) berechnet und anschließend
das System daher von vornherein in zwei Dimensionen formu-
physikalisch interpretiert werden.
lieren und benötigt dann nur noch drei Zwangsbedingungen.
Frage 7 Die beiden Zwangsbedingungen f4 und f5 führen auf
Nachdem nun das allgemeine Lösungsverfahren bekannt ist, fP4 D yP 1 D 0; fR4 D yR 1 D 0;
schauen Sie sich das sphärische Pendel in Abschn. 5.1 unter die- (5.45)
sen Gesichtspunkten erneut an. fP5 D yP 2 D 0; fR5 D yR 2 D 0:
Kapitel 5

Es gibt daher keine Dynamik entlang der y-Achse. Etwaige


Kräfte in y-Richtung werden vollständig durch die entsprechen-
den Zwangskräfte kompensiert.
Beispiel: Punktmassen auf einer Kreuzschiene
Einschränkung der Bewegung auf eine Koordinaten-
Zum Abschluss der Lagrange-Gleichungen erster Art betrachten ebene
wir ein konkretes Beispiel mit vollständigem Lösungsweg. Ein
Wird die Bewegung des gesamten Systems auf eine Koor-
weiteres Beispiel ist in Aufgabe 5.1 zu finden.
dinatenebene beschränkt, so lässt sich das System direkt
Wir stellen uns zwei sich kreuzende Schienen wie in Abb. 5.4 im zweidimensionalen Raum formulieren. Dies reduziert
vor. Die Punktmasse m1 kann sich nur entlang der x-Achse, die die Anzahl der Zwangsbedingungen und Lagrange-Mul-
Punktmasse m2 nur entlang der z-Achse bewegen. Beide Massen tiplikatoren. Dies gilt entsprechend auch, wenn die Be-
sind durch einen masselosen starren Stab der Länge L verbun- wegung auf eine einzige Koordinatenachse eingeschränkt
den. Es wirkt weiterhin die Schwerebeschleunigung g entlang wird.
der negativen z-Achse.
5.2 Lagrange-Gleichungen erster Art 175

Abb. 5.5 Löst man die Bewegungsgleichungen für die Kreuzschiene ohne Gravitation und für zwei gleiche Massen, findet man eine einfache
Bewegungsform: Beide Massen schwingen um den Mittelpunkt, die eine waagerecht, die andere senkrecht. Die Bildsequenz entspricht dem
zeitlichen Verlauf. Beide Schwingungen sind um 90ı phasenverschoben, und der Abstand der Punktmassen bleibt stets konstant

Wir fahren daher nur mit den Zwangsbedingungen f1 bis f3 fort Die beiden übrigen Gleichungen lösen wir nur für den Spezi-
und beschränken uns auf die vier Koordinaten x1 , z1 sowie x2 alfall m1 D m2 D m und g D 0 (d. h. in Abwesenheit von
und z2 . Nur ein Freiheitsgrad kann übrig bleiben. Gravitation):
Die Ableitungen der Zwangsbedingungen nach den Koordina- 2E 2E
mRx1 D  x1 ; mRz2 D  z2 : (5.52)
ten, die nicht identisch verschwinden, lauten L2 L2
Hier wurde f1 D 0, also x21 C z22 D L2 ausgenutzt. Weiterhin
@f1 @f1 @f2 @f3
D 2x1 ; D 2z2 ; D 1; D 1: (5.46) wurde berücksichtigt, dass die Energie
@x1 @z2 @x2 @z1
m 2 
ED xP 1 C zP 22 (5.53)
Wir erhalten die vier Bewegungsgleichungen (5.32) 2
erhalten ist, da die Zwangsbedingungen skleronom sind. Die
m1 xR 1 D 21 x1 ; m1 zR 1 D m1 g C 3 ; Bewegungsgleichungen führen beide auf harmonische Schwin-
(5.47)
m2 xR 2 D 2 ; m2 zR 2 D m2 g C 21 z2 : gungen
x1 D A1 cos .!t  1/ ; z2 D A2 cos .!t  2/ (5.54)
Hier wurde die Gravitationskraft berücksichtigt. Die zweiten
Zeitableitungen der Zwangsbedingungen lauten mit der Frequenz
2E
  !2 D
: (5.55)
0 D fR1 D 2 xP 21 C x1 xR 1 C zP 22 C z2 zR2 ; mL2
0 D fR2 D xR 2 ; (5.48) Die Zwangsbedingung f1 verlangt
0 D fR3 D zR 1 ; A21 cos2 .!t  1/ C A22 cos2 .!t  2/ D L2 D const; (5.56)
die linke Seite der Gleichung muss also konstant sein. Dies kann
in die wir die Bewegungsgleichungen (5.47) einsetzen. Das re-
nur für A21 D A22 D L2 und 2 D 1 ˙ 90ı erfüllt werden, da
sultierende Gleichungssystem ist diagonal, und man kann jede
Gleichung direkt nach einem der Lagrange-Multiplikatoren auf- cos2 .!t  1/ C cos2 .!t  1 ˙ 90ı /
lösen: (5.57)
D cos2 .!t  1/ C sin2 .!t  1/ D1

Kapitel 5
xP 2 C zP 22  z2 g
1 D   21 ; 2 D 0; 3 D m1 g: (5.49) gilt. Beide Punktmassen schwingen daher mit einer gegenseiti-
2 x1 =m1 C z22 =m2 gen Phasenverscheibung von 90ı und einer Amplitude L um den
Ursprung. Dies ist in Abb. 5.5 dargestellt. Für diesen Spezialfall
Einsetzen der Lagrange-Multiplikatoren in (5.47) führt auf ist nur ein Lagrange-Multiplikator ungleich null:
E
xP 21 C zP 22  z2 g 1 D  : (5.58)
m1 xR 1 D  x1 ; m1 zR 1 D 0; L2
x21 =m1 C z22 =m2
(5.50) Dies führt auf die Zwangskräfte
xP 21 C zP 22  z2 g
m2 xR 2 D 0; m2 zR 2 D  z2  m2 g: 2E 2E
x21 =m1 C z22 =m2 Zx;1 D  x1 ; Zz;2 D  2 z2 ; (5.59)
L2 L
Die Gleichungen für z1 und x2 führen mit den Anfangsbedin- die man auch direkt aus (5.52) ablesen kann, da keine an-
gungen auf die bereits bekannten Ergebnisse gewandten Kräfte auf die beiden Punktmassen wirken. Die
Zwangskräfte sind gerade die für die Schwingung verantwort-
z1 D 0; x2 D 0: (5.51) lichen Rückstellkräfte.
176 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

5.3 Lagrange-Gleichungen Der letzte Term verschwindet aber wegen (5.62). Die F resultie-
renden Gleichungen
zweiter Art
X
3N
@xi X @xi
3N
mi xR i D Fi (5.64)
@qj @qj
Die Lagrange-Gleichungen erster Art umfassen einen Satz von iD1 iD1
3N Gleichungen für die Koordinaten xi sowie r algebraische hängen nun nicht mehr explizit von den Zwangsbedingungen ab.
Gleichungen für die Zwangsbedingungen. Dies führt auf insge- Man nennt die Terme
samt 3N  r Freiheitsgrade. Es stellt sich nun die Frage, ob es
nicht eine einfachere Möglichkeit gibt, nur die Bewegungsglei- X
3N
@xi
chungen der unabhängigen Freiheitsgrade direkt aufzustellen. Qj WD Fi (5.65)
iD1
@qj
Dies ist insbesondere dann von Vorteil, wenn man an den
Lagrange-Multiplikatoren und Zwangskräften gar nicht interes- die generalisierten Kräfte, da sie für die generalisierten Koor-
siert ist. Tatsächlich kann man dies erreichen, indem man von dinaten qj eine ähnliche Rolle spielen wie die Kräfte Fi für die
vornherein generalisierte (und damit unabhängige) Koordinaten kartesischen Koordinaten xi .
einführt, was schließlich auf die Lagrange-Gleichungen zweiter
Art führt. Achtung An dieser Stelle wurden die holonomen Zwangs-
bedingungen bereits verwertet: Obwohl sie nicht direkt in den
Rechnungen auftreten, sind sie durch eine geeignete Wahl der
generalisierten Koordinaten berücksichtigt worden. Als Ergeb-
Einführung der generalisierten Koordinaten nis erhält man nun F (anstatt 3N) Gleichungen der Form (5.64)
für F unabhängige Koordinaten. Die Zwangskräfte treten also
und Eliminierung der Zwangsbedingungen überhaupt nicht mehr auf. Die eigentliche problemabhängige
Aufgabe besteht darin, F geeignete, generalisierte (d. h. unab-
Die F generalisierten Koordinaten und die 3N kartesischen Ko- hängige) Koordinaten qj zu finden. J
ordinaten erfüllen den Zusammenhang

xi D xi .t; q1 ; : : : ; qF / .1  i  3N/: (5.60) Herleitung der Lagrange-Gleichungen


zweiter Art
Die Unabhängigkeit der Zwangsbedingungen von den generali-
sierten Koordinaten kann mathematisch als Die F Gleichungen (5.64) liegen noch in einer unpraktischen
Form vor. Wir schreiben zunächst die linke Seite um:
@fa  
D0 (5.61) @xi d @xi d @xi
@qj mi xR i D mi xP i  mi xP i : (5.66)
@qj dt @qj dt @qj
geschrieben werden. Aufgrund der Kettenregel wird dies zu Die Zeitableitung im zweiten Term auf der rechten Seite von
(5.66) lässt sich durch Vertauschen der partiellen Ableitungen
X3N
@fa @xi umformen:
D 0: (5.62)
@xi @qj d @xi X @2 xi
F
@2 xi
iD1
D qP k C
dt @qj @qk @qj @t@qj
Kapitel 5

kD1
Frage 8 ! (5.67)
@ XF
@xi @xi @Pxi
Überlegen Sie sich, dass die Zwangsbedingungen fa unabhängig D qP k C D :
von den generalisierten Koordinaten qj sein müssen. Ansonsten @qj kD1
@qk @t @qj
wären die qj durch diese Zwangsbedingungen eingeschränkt und
damit voneinander abhängig, was genau der Definition der ge- Im letzten Schritt wurde
neralisierten Koordinaten widerspricht. X
F
@xi @xi
xP i D qPj C (5.68)
jD1
@qj @t
Im nächsten Schritt multiplizieren wir die Lagrange-Gleichun-
ausgenutzt, was auch auf den Zusammenhang
gen erster Art mit den partiellen Ableitungen @xi =@qj und
summieren über i: @Pxi @xi
D (5.69)
@Pqj @qj
X
3N
@xi X
3N
@xi X
r X
3N
@fa @xi
mi xR i D Fi C a : (5.63) führt, denn die kartesischen Koordinaten xi hängen nur von den
iD1
@qj iD1
@qj aD1 iD1
@xi @qj qj , nicht aber von ihren Ableitungen qPj ab. Man nennt die qPj auch
5.3 Lagrange-Gleichungen zweiter Art 177

die generalisierten Geschwindigkeiten. Die Zwischenergebnisse


aus (5.67) und (5.69) werden in (5.66) eingesetzt: generalisierte Koordinate ist, gilt
 
@xi d @Pxi @Pxi xP 1 D R#P cos # cos '  R'P sin # sin ';
mi xR i D mi xP i  mi xP i : (5.70)
@qj dt @Pqj @qj
xP 2 D R#P cos # sin ' C R'P sin # cos '; (5.75)
Nun verwenden wir die kinetische Energie xP 3 D R#P sin #:
1 X
3N
TD mi xP 2i (5.71) Durch Einsetzen und eine einfache Rechnung überzeugt
2 iD1 man sich davon, dass

1 X 2 mR2  P 2 
und schreiben damit 3
TD mi xP i D # C 'P 2 sin2 # (5.76)
X
3N
@xi d @T @T 2 iD1 2
mi xR i D  : (5.72)
iD1
@qj dt @Pqj @qj gilt.
Wegen (5.64) und (5.65) erhalten wir schließlich die Lagrange-
Gleichungen zweiter Art. Zeigen Sie dies.

Dies ist die kinetische Energie für die Bewegung einer


Lagrange-Gleichungen zweiter Art Punktmasse in Kugelkoordinaten für festen Radius R. Die
beiden Lagrange-Gleichungen zweiter Art lauten somit
Für holonome Zwangsbedingungen lauten die Bewe-
gungsgleichungen der generalisierten Koordinaten d P
mR2 # D Q# ;
 dt
d @T @T d   (5.77)
 D Qj ; .1  j  F/: (5.73) mR 2
'P sin2 '  'P 2 cos ' sin ' D Q' :
dt @Pqj @qj dt

Diese beiden Bewegungsgleichungen für # und ' sind für


Achtung Es wurden bisher keinerlei Bedingungen an die ge- gegebene generalisierte Kräfte Q# und Q' zu lösen. Sind
neralisierten Kräfte Qj gestellt. So können diese konservative die Kräfte nur in kartesischer Form bekannt, kann man die
und auch dissipative Anteile enthalten. Wir kommen in Kürze Qj mit (5.65) berechnen. Man beachte, dass die Zwangs-
darauf zurück. J bedingung (Bewegung auf der Kugeloberfläche) nur bei
der Wahl der generalisierten Koordinaten eingegangen ist,
Bevor die Lagrange-Gleichungen zweiter Art angewandt wer- nicht aber bei den expliziten Rechnungen.
den können, muss man sich überlegen, wie die kinetische
Die allgemeine Bewegung in Kugelkoordinaten wird in
Energie T, die eigentlich eine Funktion der Geschwindigkei-
Aufgabe 5.3 besprochen. J
ten xP i ist, durch die qj und qPj ausgedrückt werden kann. Wegen
(5.60) gilt
xP i D xP i .t; q1 ; : : : ; qF ; qP 1 ; : : : qP F / .1  i  3N/; (5.74)

Kapitel 5
d. h., die Zeitableitungen der kartesischen Koordinaten sind im
Allgemeinen Funktionen der generalisierten Koordinaten und Lagrange-Funktion für konservative Kräfte
ihrer Zeitableitungen. Ist dieser Zusammenhang bekannt, kön-
nen die Ableitungen in (5.73) berechnet werden. Um zwischen
beiden Formulierungen zu unterscheiden, schreibt man häufig Wir spalten die Kräfte Fi nun in zwei Anteile auf: einen konser-
.k/ .d/
auch T.Px/ bzw. T.t; q; qP /. Obwohl beide Funktionen mathe- vativen, Fi , und einen dissipativen, Fi (siehe Abschn. 1.6).
matisch unterschiedlich sind, ist die physikalische Größe, die Analog schreiben wir
kinetische Energie, dieselbe.
.k/
X
3N
.k/ @xi .d/
X
3N
.d/ @xi
Qj D Fi ; Qj D Fi : (5.78)
Kugelkoordinaten iD1
@qj iD1
@qj

In (5.10) wurden bereits generalisierte Koordinaten für Die konservativen Kräfte lassen sich aus einem Potenzial ablei-
die Bewegung einer Punktmasse auf einer Kugeloberflä- ten:
che angegeben. Da der Kugelradius R konstant und keine .k/ @V.t; x/
Fi D  : (5.79)
@xi
178 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Wir finden somit Wie später noch erarbeitet wird, ergeben sich aus dem La-
grange-Formalismus die Erhaltungsgrößen eines Systems in
.k/
X
3N
@V.t; x/ @xi @V.t; x.t; q// natürlicher Weise. Ein weiterer Vorteil ist, dass es sich bei der
Qj D D : (5.80) Lagrange-Funktion um eine skalare Größe handelt, die in der
iD1
@xi @qj @qj
Regel leichter als die vektoriellen Kraftgleichungen aufgestellt
werden kann.
Dies verdeutlicht, warum wir die Qj anfangs als generalisierte
Kräfte bezeichnet haben.
Newton’sche Bewegungsgleichungen
Die Lagrange-Gleichungen zweiter Art lassen sich nun umfor-
mulieren. Wir definieren die Lagrange-Funktion Generalisierte Koordinaten können natürlich auch für
Systeme ohne Zwangsbedingungen verwendet werden. In
L WD T  V D T.t; q; qP /  V.t; q/ (5.81) diesem Fall entspricht die Anzahl der generalisierten Ko-
ordinaten qj der Anzahl der ursprünglichen kartesischen
und schreiben Koordinaten xi .
d @L @L .d/
 D Qj : (5.82) Als einfachstes Beispiel betrachten wir die kartesischen
dt @Pqj @qj
Koordinaten qj D xj einer Punktmasse m. Die kinetische
Dies ist möglich, da das Potenzial V nicht von den generali- Energie und das Potenzial lauten
sierten Geschwindigkeiten qP abhängt. Beschränkt man sich auf
1 X 2
konservative Systeme, findet man die wichtigen Lagrange-Glei- 3

chungen zweiter Art für konservative Systeme. TD m xP ; V D V.x/: (5.85)


2 iD1 i

Dies führt wegen (5.81) und (5.83) direkt auf die bekann-
Lagrange-Gleichungen zweiter Art für konservative
ten Newton’schen Bewegungsgleichungen
Systeme
Für konservative Systeme mit holonomen Zwangsbedin- @V
mRxi D  .1  i  3/; (5.86)
gungen lauten die Bewegungsgleichungen der generali- @xi
sierten Koordinaten
die selbstverständlich im allgemeineren Lagrange-Forma-
d @L @L lismus enthalten sind. Diese Aussage lässt sich leicht auf
 D0 .1  j  F/: (5.83)
dt @Pqj @qj Systeme von Punktmassen ausweiten. J

Hier ist
L.t; q; qP / WD T.t; q; qP /  V.t; q/ (5.84) Eine weitere Anwendung der Lagrange-Gleichungen ohne
Zwangsbedingungen ist das Aufstellen der Bewegungsgleichun-
die Lagrange-Funktion des Systems.
gen in nichtkartesischen Koordinaten. So können die Bewe-
gungsgleichungen in Kugelkoordinaten mit nur wenigen Re-
chenschritten aus (5.83) hergeleitet werden. Dies wird in Auf-
Man nennt (5.83) auch kurz die Lagrange-Gleichungen (oder
gabe 5.3 an einem Beispiel durchgeführt.
Euler-Lagrange-Gleichungen, wie später noch begründet wird).
Die Anwendung des Lagrange-Formalismus auf eine Punktla-
Kapitel 5

Bei den Lagrange-Gleichungen handelt es sich um F Differenzi- dung im elektromagnetischen Feld wird in der Literatur vielfach
algleichungen zweiter Ordnung, zu deren vollständiger Lösung bereits in der Mechanik vorgestellt. Wir verschieben diese Dis-
2F Integrationskonstanten (z. B. in Form von Anfangsbedingun- kussion stattdessen auf Bd. 2, Abschn. 10.1.
gen) benötigt werden.
Der Lagrange-Formalismus, der im Wesentlichen aus dem Kon-
zept der generalisierten Koordinaten und den Bewegungsglei-
chungen (5.83) besteht, stellt einen entscheidenden Schritt in
Zyklische Koordinaten und
der Entwicklung der Mechanik im Speziellen und der gesamten generalisierte Impulse
theoretischen Physik im Allgemeinen dar und ist daraus nicht
mehr wegzudenken. Dies wird sich noch in den weiteren Teilen
dieses Buches (vor allem in Bd. 2, Kap. 10) zeigen. Kanonisch konjugierter Impuls als Erhaltungsgröße

Während die Newton’schen Gesetze für kartesische Koordina- Man bezeichnet


@L
ten formuliert wurden, ist der Lagrange-Formalismus koordi- pj WD (5.87)
natenunabhängig: Die Wahl der generalisierten Koordinaten ist @Pqj
beliebig, so lange sie mit den Zwangsbedingungen vereinbar ist.
5.3 Lagrange-Gleichungen zweiter Art 179

Energieerhaltung
als den generalisierten Impuls zur Koordinate qj oder auch
den kanonisch konjugierten Impuls. Der Name „Impuls“
ist gerechtfertigt, wie sich später noch zeigen wird. Im vorherigen Abschnitt wurde gezeigt, dass erhaltene kon-
jugierte Impulse direkt von der Lagrange-Funktion abgelesen
Dieser erlaubt oft eine rasche Identifizierung von Erhal- werden können. Gilt dies auch für die Energie? In der Tat kann
tungsgrößen des betrachteten Systems: Eine Koordinate qj man der Lagrange-Funktion direkt ansehen, ob die Energie er-
heißt zyklisch, wenn die Lagrange-Funktion nicht von ihr halten ist. Dies soll im Folgenden gezeigt werden. Wir werden
abhängt. In diesem Fall lautet die entsprechende Bewe- sehen, dass die Energieerhaltung eng mit der Invarianz unter
gungsgleichung (5.83) einfach Zeitverschiebungen verknüpft ist.

d @L Wir untersuchen zunächst die Zeitableitung der Lagrange-Funk-


D pPj D 0: (5.88) tion:
dt @Pqj
dL X  @L dqi @L dPqi

@L
Dies bedeutet, dass der kanonische Impuls pj eine Erhal- D C C : (5.90)
tungsgröße ist. dt i
@q i dt @Pq i dt @t

Ist eine generalisierte Koordinate qj zyklisch, so ist ihr Sind nun alle Kräfte im System konservativ, d. h. kann man alle
konjugierter Impuls pj eine Erhaltungsgröße. Jede zykli- Kräfte aus einem Potenzial V ableiten, so gelten die Bewegungs-
sche Koordinate führt daher auf einen Erhaltungssatz, gleichungen (5.83):
was einer ersten Integration der Bewegungsgleichung ent- @L d @L
spricht. D : (5.91)
@qi dt @Pqi
Man kann daher
Unabhängigkeit von einer Koordinate bedeutet Symmetrie be-
züglich Verschiebungen, Drehungen usw.; also deutet sich hier dL X  d @L @L dPqi

@L
ein Zusammenhang zwischen Symmetrien und Erhaltungssät- D qP i C C
dt i
dt @Pq i @Pq i dt @t
zen an. Dies vereinfacht die mathematische Behandlung der (5.92)
Bewegungsgleichungen wesentlich. d X @L @L
D qP i C
Die generalisierten Koordinaten sollten so gewählt werden, dass dt i @Pqi @t
möglichst viele von ihnen zyklisch sind. Verallgemeinerte Ko-
ordinaten werden daher geschickterweise so gewählt, dass sie oder auch !
der Symmetrie des Problems angepasst sind. @L d X @L
D L qP i (5.93)
Die Lagrange-Gleichungen nehmen eine anschauliche Form an, @t dt i
@Pqi
falls die kinetische Energie nicht von qi abhängt. Dann ist
@L=@qi die Ableitung der potenziellen Energie nach der ge- schreiben.
neralisierten Koordinate qi , d. h. die generalisierte Kraft Qi . Da Wir beschränken uns nun auf Systeme, deren Lagrange-Funk-
@L=@Pqi weiterhin der generalisierte Impuls pi ist, drücken die tion nicht explizit von der Zeit abhängt, @L=@t D 0. Dies sind
Lagrange-Gleichungen letztlich „nur“ das zweite Newton’sche Systeme, deren holonome Zwangsbedingungen skleronom sind.
Axiom in verallgemeinerten Koordinaten aus: pP i D Qi . Eine Zeitverschiebung t ! t C t0 lässt die Lagrange-Funkti-
on dann invariant. Solche Systeme heißen zeitlich homogen (ein
Frage 9 Fadenpendel mit variabler Fadenlänge beispielsweise würde auf

Kapitel 5
Überlegen Sie sich die Form der Lagrange-Funktion einer freien einen nichtverschwindenden Term @L=@t führen; Aufgabe 5.3).
Punktmasse in kartesischen Koordinaten. Sind die Koordinaten
xi zyklisch? Welche Konsequenz hat dies für die verbundenen Offensichtlich folgt dann
Impulse !
@L d X @L
pi D D mPxi ‹ (5.89) qP i  L D 0; (5.94)
@Pxi dt i
@Pqi

und die Größe


Ohne Beweis halten wir noch einen nützlichen Zusammenhang X @L
H WD qP i L (5.95)
fest. Handelt es sich bei qj um eine Winkelkoordinate, die eine
i
@Pqi
Drehung um die Achse nO beschreibt, so ist der dazu konjugier-
te Impuls pj gerade der Drehimpuls um diese Achse. Ist also ist eine Erhaltungsgröße, falls @L=@t D 0 ist. Die Größe H ist die
eine Winkelkoordinate zyklisch, ist der damit verbundene Dreh- sogenannte Hamilton-Funktion. In Kap. 7 kommen wir ausführ-
impuls erhalten. Wir werden dies in Kürze am Beispiel des licher auf sie zu sprechen. Nun soll aber noch gezeigt werden,
schweren Kreisels sehen. dass H der Gesamtenergie des Systems entspricht.
180 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Für geschwindigkeitsunabhängige Systeme, also Systeme mit Schwerer symmetrischer Kreisel


@V=@Pqi D 0, die wir hier betrachten, ist
@L @T Der schwere symmetrische Kreisel ist ein Beispiel für ein
pi D D : (5.96) System, dessen Bewegung unter Verwendung des Lagran-
@Pqi @Pqi
ge-Formalismus einfacher studiert werden kann als der
An dieser Stelle müssen wir einen kleinen Exkurs vornehmen Zugang, der in Abschn. 4.7 verfolgt wurde.
und uns die Struktur der kinetischen Energie T genauer anschau-
Wir erinnern uns, dass ein Kreisel mit einem festen Unter-
en. Wir hatten bereits gesehen, dass die Zwangsbedingungen in
stützungspunkt noch drei Rotationsfreiheitsgrade besitzt.
der Gestalt (5.60) formuliert werden können. Dies führte auf
Die Euler-Winkel eignen sich in diesem Fall für die be-
die Geschwindigkeiten (5.68). Die partielle Zeitableitung @xi =@t
nötigten generalisierten Koordinaten, d. h., wir schreiben
verschwindet dort nur dann nicht, wenn die Zwangsbedingun-
.q1 ; q2 ; q3 / D .#; '; /.
gen rheonom sind, also explizit von der Zeit abhängen. Wir
beschränken uns nun auf skleronome Zwangsbedingungen, für Die Energie des schweren symmetrischen Kreisels wurde
die dann bereits in (4.159) als Funktion der Euler-Winkel angege-
XF
@xi ben. Man kann also direkt die Lagrange-Funktion L D
xP i D qPj (5.97) T  V hinschreiben:
jD1
@qj

erfüllt ist. Die kinetische Energie lautet damit  P2   


3 P 2
LD # C 'P 2 sin2 # C C 'P cos #
0 12 2 2
1X X XF
1 @x
mi @ qPj A :  MgR cos #:
i
TD mi xP 2i D (5.98)
2 i 2 i jD1
@qj (5.102)
Hierbei sind  und 3 die Hauptträgheitsmomente be-
Die kinetische Energie ist somit eine homogene quadratische züglich des Stützpunktes, und R ist der Abstand des
Funktion der generalisierten Geschwindigkeiten qPj , wenn alle Schwerpunktes vom Stützpunkt. Man sieht sofort, dass
Zwangsbedingungen skleronom sind. Hier kann man das Euler- sowohl ' als auch zyklische Koordinaten sind. Ihre
Theorem über homogene Funktion (3.197) anwenden. Es führt konjugierten Impulse,
auf die Identität
X @T
qP i D 2T: (5.99) p' D  'P sin2 # C 3 cos #. P C 'P cos #/;
i
@Pqi
(5.103)
p D 3 . P C 'P cos #/;
Frage 10
Frischen Sie Ihre Erinnerungen an das Euler-Theorem auf und
überlegen Sie sich, wie es auf (5.99) führt. sind somit erhalten. Wegen (4.155) und (4.158) können
wir p als L3 und p' als L3 identifizieren. Die erhaltenen
konjugierten Impulse entsprechen daher den Projektionen
Die Hamilton-Funktion erfüllt somit des Drehimpulses auf die Figurenachse und auf die Wir-
H D 2T  L D 2T  .T  V/ D T C V D EI (5.100) kungsachse der Gravitationskraft. Weiterhin sehen wir,
dass die Lagrange-Funktion nicht explizit von der Zeit ab-
sie entspricht der Gesamtenergie des Systems. hängt, weswegen die Energie E D T C V erhalten ist:
Kapitel 5

 P2   
3 P 2
Hamilton-Funktion und Gesamtenergie ED # C 'P 2 sin2 # C C 'P cos #
2 2
Die Hamilton-Funktion
C MgR cos # D const:
X @L (5.104)
HD qP i L (5.101) Die drei Erhaltungsgrößen des schweren symmetrischen
@Pqi
i Kreisels lassen sich also direkt an der Lagrange-Funktion
ablesen.
ist gleich der erhaltenen Gesamtenergie des Systems,
wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Die Lagrange-Gleichungen des schweren symmetrischen
Kreisels wurden hier gar nicht benötigt, da die drei
Das System ist konservativ; alle Kräfte lassen sich aus Erhaltungsgrößen (E, p und p' ) auf drei einfachere Glei-
V ableiten. chungen geführt haben. Es bleibt dem interessierten Leser
Das Potenzial V ist geschwindigkeitsunabhängig. überlassen, die entsprechenden Lagrange-Gleichungen
Alle Zwangsbedingungen sind skleronom. als Übung abzuleiten. J
5.4 Beispiele zur Anwendung des Lagrange-Formalismus 181

5.4 Beispiele zur Anwendung Wir haben es mit zwei Freiheitsgraden zu tun und erhalten zwei
Lagrange-Gleichungen. Über
des Lagrange-Formalismus @L d @L
D 0; D mRx2 (5.110)
@x2 dt @Px2
Dieser Abschnitt enthält einige Anwendungen des Lagrange-
Formalismus, die vom Identifizieren der Zwangsbedingungen und
@L d @L
bis hin zum (näherungsweisen) Lösen der Bewegungsgleichun- D mg sin ˛; D mdR (5.111)
gen reichen. Nach den ersten recht theoretischen und abstrakten @d dt @dP
Abschnitten wird hier das explizite Rechnen geübt. Weitere Bei- folgen also die Bewegungsgleichungen
spiele finden sich in Aufgabe 5.1 und 5.2.
xR 2 D 0; dR D g sin ˛: (5.112)
Die Gleichung für x2 war zu erwarten, da die Projektion der Gra-
vitationsbeschleunigung auf die x2 -Achse null ist. Allerdings
Schiefe Ebene gibt es, je nach Wert von ˛, einen Anteil der Gravitations-
beschleunigung, der entlang der d-Achse zeigt. Mithilfe von
(5.106) kann man bei Bedarf wieder auf die drei ursprünglichen
Die schiefe Ebene ist ein häufig verwendetes und sehr einfa-
(und abhängigen) Koordinaten zurücktransformieren.
ches Beispiel zur Anwendung des Lagrange-Formalismus. Man
betrachte eine Punktmasse m, die unter dem Einfluss der Gravi-
tationskraft (FG D mgOe3 ) reibungsfrei auf einer Ebene gleiten
kann. Der Normalenvektor der Ebene sei nO D .sin ˛; 0; cos ˛/> Rollpendel
und damit um einen Winkel ˛ gegen die Senkrechte (Oe3 ) ge-
kippt. Außerdem soll der Ursprung in der Ebene liegen. Wie
lauten die Bewegungsgleichungen der Punktmasse auf dieser Das Rollpendel (Abb. 5.6) besteht aus einer Masse m1 , die sich
Ebene? nur entlang der x-Achse auf einer Schiene reibungsfrei bewe-
gen kann, sowie einer Masse m2 , die sich nur in der x-z-Ebene
Man könnte natürlich den klassischen Weg gehen und die Be- bewegen darf und dabei einen festen Abstand R zur Masse m1
wegungsgleichungen für .x1 ; x2 ; x3 / aufstellen. Hier wollen wir besitzen soll. Zusätzlich wirkt die homogene Schwerebeschleu-
aber mit x2 und d angepasste Koordinaten einführen. Neben der nigung g entlang der negativen z-Achse. Die vier holonomen
kartesischen Koordinate x2 verwenden wir d als diejenige Koor- Zwangsbedingungen lauten also
dinate, die in der Ebene liegt und senkrecht zu x2 verläuft:
y1 D 0; y2 D 0; z1 D 0 (5.113)
eO d D Oe1 cos ˛ C eO 3 sin ˛ D .cos˛; 0; sin ˛/> : (5.105) und
.x1  x2 /2 C z22  R2 D 0: (5.114)
Die Koordinaten hängen über

x1 D d cos ˛; x3 D d sin ˛; d 2 D x21 C x23 (5.106) z

miteinander zusammen. Die beiden kartesischen Koordinaten x1


und x3 sind wegen x3 =x1 D  tan ˛ nicht unabhängig. Die kine- m1
tische Energie ist offensichtlich x

Kapitel 5
m  2 P 2
TD xP C d ; (5.107) ϕ
2 2
R
und die potenzielle Energie der Punktmasse im Gravitationsfeld,
ausgedrückt durch d, lautet

V D mgx3 D mgd sin ˛: (5.108)


m2

Die Lagrange-Funktion ist somit


FG
m 
LD xP 22 C dP 2
 mgd sin ˛: (5.109)
2
Abb. 5.6 Beim Rollpendel kann die Masse m1 reibungsfrei auf einer
Frage 11 Schiene rollen. Eine zweite Masse m2 ist daran mit einem masselosen
Überprüfen Sie diese Überlegungen und Rechenschritte. Stab der Länge R befestigt und kann unter dem Einfluss der Schwerkraft
schwingen
182 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Übersicht: Lagrange-Formalismus
Zusammenfassung der Schritte zur Problemlösung

Im Lagrange-Formalismus kann der typische Lösungsweg 4. Suchen Sie nach zyklischen Koordinaten. Für sie sind die
für ein Problem mit konservativen Kräften folgendermaßen damit verbundenen generalisierten Impulse
zusammengefasst werden:
@L
1. Überlegen Sie sich für ein gegebenes System mit N pj D
@Pqj
Punktmassen, dass die r Zwangsbedingungen holonom
sind. Dies führt auf F D 3N  r Freiheitsgrade. Die funk-
tionale Form fa .x/ der Zwangsbedingungen muss dabei erhalten.
gar nicht bekannt sein. 5. Verwenden Sie für die nichtzyklischen Koordinaten die
2. Suchen Sie F generalisierte Koordinaten qj , die nicht Lagrange-Gleichungen
durch die Zwangsbedingungen eingeschränkt sind. Die
ursprünglichen kartesischen Koordinaten erfüllen dabei d @L @L
 D 0;
dt @Pqj @qj
xi .t; q1 ; : : : ; qF / .1  i  3N/:
3. Stellen Sie die Lagrange-Funktion um die Bewegungsgleichungen zu erhalten.
6. Lösen Sie die resultierenden Bewegungsgleichungen und
L.t; q; qP / D T.t; q; qP /  V.t; q/ diskutieren Sie gegebenenfalls die Ergebnisse.
auf.

Sie führen auf F D 2 Freiheitsgrade. Wir wählen die beiden ge- Diese Gleichung kann direkt aufintegriert werden:
neralisierten Koordinaten q1 D x1 und q2 D ' (wie in Abb. 5.6
definiert). Weiterhin gilt p1 m2
x1 .t/  x1 .0/ D t R Œsin '.t/  sin '.0/ : (5.121)
M M
x2 D x1 C R sin '; z2 D R cos ' (5.115)
für die abhängigen Koordinaten von m2 . Offensichtlich muss noch eine Aussage über die Zeitabhängig-
keit '.t/ getroffen werden. Dazu schreiben wir die entsprechen-
Die kinetische Energie ist de Lagrange-Gleichung auf. Nach kurzer Rechnung findet man
1 1  
TD m1 xP 21 C m2 xP 22 C zP 22 R'R C xR 1 cos ' C g sin ' D 0: (5.122)
2 2 (5.116)
m1 C m2 2 m2  2 2 
D xP 1 C R 'P C 2RPx1 'P cos ' ; Frage 12
2 2
Verwenden Sie die Lagrange-Gleichung, um diese Bewegungs-
die potenzielle Energie
gleichung für ' zu erhalten.
V D m2 gR cos ': (5.117)
Kapitel 5

Die Lagrange-Funktion lautet Dies kann für kleine Auslenkungen vereinfacht werden, indem
1 1   man
LD .m1 C m2 /Px21 C m2 R2 'P 2 C 2RPx1 'P cos ' cos ' 1; sin ' ' (5.123)
2 2 (5.118)
C m2 gR cos ': und damit
R'R C xR 1 C g' D 0 (5.124)
Es gibt mit x1 eine zyklische Variable. Der damit verbundene
erhaltene Impuls, schreibt. Wir eliminieren xR 1 aus der Bewegungsgleichung für ',
@L indem wir (5.120) einmal nach der Zeit ableiten, nachdem wir
p1 D D .m1 C m2 /Px1 C m2 R'P cos ' D const; (5.119) die Näherung (5.123) verwendet haben. Dies führt wegen
@Px1
entspricht dem Gesamtimpuls entlang der x-Achse. Wir nutzen m2
xR 1  R'R (5.125)
diese Erhaltungsgröße aus und lösen zunächst nach xP 1 auf, wo- M
bei wir M WD m1 C m2 verwenden:
auf
p1 m2 g M
xP 1 D  R'P cos ': (5.120) 'R  ': (5.126)
M M R m1
5.4 Beispiele zur Anwendung des Lagrange-Formalismus 183

Bei (5.126) handelt es sich um eine harmonische Schwingungs- z


gleichung, die zu

g M
'.t/ D A sin .!t  0/ ; !2 D (5.127)
R m1
ψ
aufintegriert werden kann, wobei A und 0 die Amplitude und R
ein Phasenwinkel sind, die durch die Anfangsbedingungen fest- g
Θ, M
gelegt sind. Damit ist auch die Zeitabhängigkeit von x1 in r
(5.121) gegeben.

Frage 13
Überlegen Sie sich, dass die zwei Freiheitsgrade des Problems
mit vier Anfangsbedingungen für p1 und x.0/ sowie A und 0
versehen sind.
m

Sind alle vier Anfangsbedingungen bekannt, sind die beiden Be-


wegungsgleichungen vollständig gelöst, jedenfalls solange die
Abb. 5.7 Das doppelte Jo-Jo besteht aus einem starren Körper (Mas-
Näherung (5.123) erfüllt ist. Andernfalls ist das Problem nicht se M, Trägheitsmoment ), das unter dem Einfluss der Schwerkraft
analytisch, wohl aber mit numerischen Methoden lösbar. von einem Faden abrollt. Gleichzeitig rollt ein weiterer Faden mit einer
Masse m ab, die in einem Gefäß mit Wasser eingetaucht und damit einer
Mit der zusätzlichen Zwangsbedingung x1 D const reduziert
Reibungskraft unterworfen ist
sich das Rollpendelproblem auf das einfache Stangenpendel. In
diesem Fall gibt es mit ' nur eine generalisierte Koordinate und
keine zyklische Koordinate. Interessierte Leser können diesen Achtung Man beachte, dass (5.128) keine Zwangsbedingung
Spezialfall schnell ableiten, indem x1 in der Lagrange-Funktion darstellt, da sie nicht die Unabhängigkeit der Koordinaten ein-
als konstant behandelt wird. schränkt. J
Zunächst überlegt man sich, wie viele Freiheitsgrade das System
ohne Zwangsbedingungen hätte und wie viele Zwangsbedin-
Doppeltes Jo-Jo mit Reibung gungen zu berücksichtigen sind. Das Jo-Jo als starrer Körper
hat ursprünglich sechs, die Punktmasse drei Freiheitsgrade.
Die folgenden Zwangsbedingungen sind zu berücksichtigen (in
Wie in Abb. 5.7 dargestellt, stellen wir uns ein Jo-Jo (Masse M Klammern steht die Anzahl der damit verbundenen unabhängi-
und Trägheitsmoment  bezüglich der Drehachse) vor, das an gen Zwangsbedingungen):
einem Faden abrollt. Der Faden ist an einem Punkt oberhalb des
Jo-Jos befestigt und mit einem Radius R um das Jo-Jo gewickelt. Schwerpunktsbewegung des Jo-Jos entlang einer Achse (2),
Das Jo-Jo ist so gebaut, dass ein zweiter Faden an ihm befestigt feste Rotationsachse des Jo-Jos (2),
ist, an welchem eine Punktmasse m hängt. Dieser zweite Faden Abrollbedingung für das Jo-Jo (1),
ist mit einem Radius r um das Jo-Jo gewickelt. Rollt das Jo- Bewegung der Punktmasse entlang einer Achse (2),

Kapitel 5
Jo vom oberen Faden ab, so wickelt sich gleichzeitig der untere Abrollbedingung für Punktmasse (1).
Faden ab.
Der Drehwinkel des Jo-Jos ist so definiert, dass er beim Ab-
Es gibt acht Zwangsbedingungen und damit nur einen Freiheits-
rollen anwächst. Wir legen den Koordinatenursprung in den
grad.
Aufhängepunkt des oberen Fadens. Die x3 -Achse zeigt nach
oben; die Gravitationsbeschleunigung erfüllt demnach g D
gOe3 . Alle linearen Bewegungen können nur entlang der x3 - Frage 14
Achse stattfinden. Wir verwenden daher jeweils die Koordinaten Überlegen Sie sich, dass alle Zwangsbedingungen holonom
z und Z sowie die Geschwindigkeiten zP und ZP für die Punktmas- sind. Ansonsten wären die Lagrange-Gleichungen zweiter Art
se und das Jo-Jo. Weiterhin befindet sich die Punktmasse m in gar nicht anwendbar!
einem Behälter mit Wasser, sodass m eine dissipative Reibungs-
kraft
F .d/ D KPz (5.128) Die vier Bedingungen, welche die Bewegungen auf die x3 -
Achse einschränken, sind offensichtlich holonom. Die Abroll-
erfährt (siehe (1.30)) beim Fall mit Stokes’scher Reibung). bedingungen sind in diesem Fall ebenfalls holonom, da sie als
184 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Relationen zwischen den Koordinaten dargestellt werden kön- Die Konstante C hängt von Z0 und z0 ab und fällt beim Ableiten
nen, wie wir in (5.131) und (5.132) sehen werden. Die Fixierung der Lagrange-Funktion weg. Dies entspricht der freien Wahl des
der Drehachse kann durch eine geeignete Festlegung der Euler- Referenzpunktes der potenziellen Energie. Es wurden weiterhin
Winkel erreicht werden (# D 90ı und ' D 0ı ; siehe Abb. 4.3) die Abkürzungen 1 und 2 eingeführt. Gl. (5.134) hat dieselbe
und ist deshalb ebenfalls holonom. Form wie die Lagrange-Funktion einer Punktmasse im freien
Fall.
Es bieten sich im Wesentlichen drei Koordinaten zur Beschrei-
bung des letzten Freiheitsgrades an: , z oder Z. Wir entschei- Frage 15
den uns für den Rollwinkel . Man könnte alternativ eine der
anderen beiden verwenden. Überlegen Sie sich, dass die Lagrange-Funktion für eine frei fal-
lende Punktmasse als
Es müssen nun die gesamte kinetische und potenzielle Energie 1 2
als Funktion von und P aufgeschrieben werden. Die Rei- LD mPz C mgz (5.135)
2
bungskraft der Punktmasse wird als generalisierte, dissipative
.d/ geschrieben werden kann.
Kraft Q (5.78) berücksichtigt.
Die kinetische Energie des Jo-Jos besteht aus einem Schwer-
punkts- und einem Rotationsanteil. Der konservative Anteil der Wir erwarten daher ein qualitativ ähnliches Verhalten für in
Kräfte, die Gewichtskraft, kann in Form eines Potenzials be- (5.134) und z in (5.135), allerdings sind die Koeffizienten 1
rücksichtigt werden. Wir schreiben und 2 im Falle des Doppeljojos nicht identisch.

1 1 Die Bewegungsgleichung für das Jo-Jo folgt aus (5.82):


TM D M ZP 2 C  P 2 ; VM D MgZ: (5.129) .d/
2 2 1 R  2 g D Q : (5.136)
Für die Punktmasse gilt Es muss noch die generalisierte Reibungskraft aufgestellt wer-
den. Die Reibungskraft (5.128) wirkt nur auf die Punktmasse m
1 2
Tm D mPz ; Vm D mgz: (5.130) und nur in x3 -Richtung. Daher gibt es lediglich den Beitrag
2
Fz.d/ D KPz: (5.137)
Es sind nun Z, z sowie ZP und zP zu eliminieren und durch und
P zu ersetzen. Man kann sich leicht überlegen, dass für das Jo- Wegen (5.78) gilt
Jo
.d/ @z
Z D Z0  R (5.131) Q D Fz.d/ D K.R C r/2 P : (5.138)
@
gilt, denn es bewegt sich beim Abrollen nach unten. Hier ist Z0 Schließlich lautet die Bewegungsgleichung
eine konstante Referenzhöhe, die in den Bewegungsgleichun-
gen nicht auftreten wird. Es ist zu beachten, dass beliebige 1 R  2 g D 3 K P ; (5.139)
reelle Werte annehmen kann und nicht auf das Intervall Œ0; 2 /
wobei 3 D .R C r/ als weitere Abkürzung eingeführt wur-
2
eingeschränkt ist.
de. Gl. (5.139) ist mit dem Ausdruck (1.31) der Stokes’schen
Für die Punktmasse gilt Reibung zu vergleichen. Ist (5.139) gelöst, können die Bewe-
gungen von z und Z aus (5.131) und (5.132) gewonnen werden.
z D z0  R r ; (5.132) Es handelt sich bei (5.139) um eine lineare, inhomogene Dif-
ferenzialgleichung erster Ordnung in P . Hier bietet sich der
Kapitel 5

denn die Bewegung der Punktmasse wird durch das Abrollen Ansatz
beider Fäden beeinflusst. Analog verwenden wir eine konstante P D !1 1  e.tt0 / (5.140)
Referenzhöhe z0 . Da die Radien R und r konstant sind, folgt
an. !1 D P j t!1 ist die Endwinkelgeschwindigkeit, und  ist
ZP D R P ; zP D .R C r/ P : (5.133) ein Parameter, der vom Reibungskoeffizienten K abhängt. Die-
ser Ansatz beruht auf den beiden Annahmen, dass zu Beginn
Man findet schnell die Lagrange-Funktion, in der nur noch (t D t0 ) das System in Ruhe ist und der Endzustand P D !1
und P auftreten: asymptotisch erreicht wird.

L D TM C Tm  VM  Vm Frage 16
1 Zeigen Sie, dass der Ansatz (5.140) auf die Gleichung
D MR2 C  C m.R C r/2 P 2
2 (5.134) .3 K!1  2 g/ C !1 .1   3 K/ e.tt0 / D 0 (5.141)
C gŒMR C m.R C r/  C
1 führt.
D 1 P 2 C 2 g  C:
2
5.5 Variationsrechnung 185

Damit diese Gleichung zu allen Zeiten t erfüllt ist, müssen Es ist wieder zu beachten, dass die Lagrange-Funktionen L.x; xP /
und L0 .x0 ; xP 0 / sowie die Potenziale V.x/ und V 0 .x0 / zwar jeweils
3 K!1  2 g D 0 (5.142) dieselbe Größe beschreiben, aber im Allgemeinen unterschied-
liche Funktionen ihrer Argumente sind. Die genaue Form des
und
Potenzials spielt hier keine Rolle. Die Winkelgeschwindigkeit
1   3 K D 0 (5.143)
!0 und die Verschiebung b0 sind vorgegeben und verhalten sich
separat gelten. Die erste Gleichung führt auf die Endwinkelge- bei der Differenziation nach x0 und xP 0 wie Konstanten.
schwindigkeit
Die Ableitung nach den Koordinaten lautet
2 g .MR C mR C mr/g
!1 D D ; (5.144) dL0 dV 0 .x0 /
3 K .R C r/2 K 0
D mPx0  !0 C m !0  .x0  b0 /  !0  : (5.149)
dx dx0
die zweite auf den noch fehlenden Parameter
Frage 18
3 K .R C r/2 K Überprüfen Sie dies mithilfe der Komponentenschreibweise.
D D : (5.145)
1 MR C  C .R C r/2
2

Es ist trivial, (5.140) noch einmal aufzuintegrieren. Dies erfor- Weiterhin ist
dert noch eine Anfangsbedingung für den Winkel. Somit ist das
@L0  
Problem des doppelten Jo-Jos mit Reibung exakt und vollstän- D mPx0 C m!0  x0  b0 : (5.150)
dig gelöst. @Px0
Wir berechnen noch
d @L0  
Rotierende Bezugssysteme x0 C m!
0 D mR P 0  x0  b0 C m!0  xP 0 ; (5.151)
dt @xP
0
wobei wir bP D 0 angenommen haben (Ausschluss einer relati-
In Kap. 2 wurden die Bewegungsgleichungen einer Punktmasse
ven linearen Geschwindigkeit zwischen den Bezugssystemen).
in rotierenden Bezugssystemen aufgestellt. Wir können dies je-
Die Bewegungsgleichung (5.83) lautet dann
doch mithilfe des Lagrange-Formalismus mit weniger Aufwand
durchführen. Man erinnere sich dabei an (2.74): dV 0 .x0 /  
   D mRx0 C m!
P 0  x0  b0 C 2m!0  xP 0
xP D R> xP 0 C !0  x0  b0 : (5.146) dx0 (5.152)
C m!0  !0  .x0  b0 /
Diese Gleichung verknüpft die Geschwindigkeit xP in einem In-
ertialsystem (ungestrichen) mit der Geschwindigkeit xP 0 in einem und entspricht somit genau der Lösung (2.79), die wir bereits
dazu mit !0 rotierenden System (gestrichen). gefunden haben.
Dieses Beispiel zeigt die Mächtigkeit des Lagrange-Forma-
Frage 17 lismus. Auch bei Problemen ohne Zwangsbedingungen ist er
Rufen Sie sich die Bedeutung der restlichen Symbole in Erinne- extrem nützlich, wie hier bei Koordinatentransformationen. Der
rung. Übergang von kartesischen Koordinaten zu Kugelkoordinaten
wird in Aufgabe 5.3 durchgeführt.

Im Inertialsystem formuliert lautet die Lagrange-Funktion

Kapitel 5
L.x; xP / D
1 2
mPx  V.x/: (5.147) 5.5 Variationsrechnung
2
Wir wollen allerdings die Bewegungsgleichungen für die gestri- In diesem Abschnitt werden die Grundlagen der Variationsrech-
chenen Koordinaten aufstellen. Dazu müssen x und xP durch Ort nung diskutiert. Mit ihrer Hilfe lassen sich Integralprinzipien,
und Geschwindigkeit im gestrichenen System (x0 und xP 0 ) ersetzt wie das Fermat’sche oder das Hamilton’sche Prinzip formu-
werden. Die Lagrange-Funktion lautet dann (Striche bezeichnen lieren. Wir werden sehen, dass sich aus dem Hamilton’schen
hier keine Ableitungen, sondern lediglich das gewählte Koordi- Prinzip die Bewegungsgleichungen der Mechanik ableiten las-
natensystem) sen. Dazu wird die sogenannte Wirkung als das Zeitintegral der
 2 Lagrange-Funktion eingeführt. Die Wirkung ist in vielen Be-
1
L0 .x0 ; xP 0 / D
m xP 0 C !0  x0  b0  V.x0 / reichen der Physik von zentraler Bedeutung (siehe auch Bd. 2,
2 Kap. 10). Aufgrund seiner Kompaktheit und Eleganz ist das
m  
D xP 02 C mPx0  !0  x0  b0 (5.148) Hamilton’sche Prinzip von großer Bedeutung für die Physik.
2 Anschließend wird gezeigt, wie sich die Variationsrechnung auf
m 0  0 2
C !  x  b0  V 0 .x0 /: Probleme mit Nebenbedingungen anwenden lässt.
2
186 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Mathematische Grundlagen und


physikalische Bedeutung Verschiebung ıy. Die Anfangs- und Endpunkte x1 und x2
bleiben unverändert. Es folgt

Die Newton’schen Bewegungsgleichungen und die Lagrange- d


ı D ıy D 0 (5.155)
Gleichungen sind Differenzialgleichungen. Ist der Zustand ei- dy
nes Systems zu einer gegebenen Zeit t bekannt, so kann man
und somit
daraus den Zustand zur Zeit t C dt berechnen. Im Idealfall lässt
sich die gesamte Bahnkurve des Systems durch Integration der n1 y  y1 n2 y2  y
q D q : (5.156)
Bewegungsgleichungen in geschlossener Form angeben. Dieser c x2 C .y  y /2 c x2 C .y  y/2
1 1 1 2
Zugang kann als Differenzialprinzip bezeichnet werden.
Es ist allerdings möglich, die Bewegungsgleichungen aus einem Dies lässt sich durch die Winkel der Lichtstrahlen darstel-
Prinzip abzuleiten, das die gesamte Bahnkurve – und nicht einen len (Abb. 5.8). Man findet mit
infinitesimalen Abschnitt – als Grundlage nimmt. Hier spricht n1 sin ˛1 D n2 sin ˛2 (5.157)
man auch von dem Integralprinzip. Was hat es mit dieser Aus-
sage auf sich? das Brechungsgesetz.
Um dies genauer zu verstehen, müssen wir ein wenig ausholen
y
und einige mathematische Grundlagen bereitstellen. Im Rahmen
der Differenzialrechnung ist es eine leichte Übung, stationäre
Punkte einer Funktion y.x/ zu finden: Diese Punkte erfüllen n1 n2
dy=dxjxDa D 0. Dabei kann es sich um ein Maximum, Mini- x2
mum oder einen Sattelpunkt handeln. Die Variationsrechnung
hingegen macht es sich zur Aufgabe, Funktionen y.x/ zu finden,
die ein bestimmtes Integral über eine Funktion dieser Funktion y + δy
extremal machen. Funktionen von Funktionen nennt man Funk- α2
α1 y
tionale (siehe „Mathematischen Hintergrund“ 5.2). Dies führt
auf die Extremalprinzipien, die in der Physik eine wichtige Rol-
le spielen.

Fermat’sches Prinzip
x1
Ein eingängiges Beispiel für ein Extremalprinzip kommt
x
aus der geometrischen Optik: Das Fermat’sche Prinzip
besagt, dass längs eines tatsächlich realisierten Licht- Abb. 5.8 Zur Lichtbrechung: Das Licht wählt denjenigen Weg,
strahles die Lichtlaufzeit extremal wird. Betrachten wir der die gesamte Laufzeit zwischen zwei Punkten minimiert. Dies
zwei Halbräume mit unterschiedlichen Brechungsindizes führt auf das Brechungsgesetz J
n1 (links) und n2 (rechts), wie in Abb. 5.8 dargestellt.
Der Lichtstrahl laufe von einem Punkt x1 im linken zu
In diesem Abschnitt wird das folgende von Euler aufgeworfe-
einem Punkt x2 im rechten Halbraum, wobei wir zur Ver-
ne Problem sehr wichtig werden: Man finde diejenige Funktion
Kapitel 5

einfachung z D 0 setzen. In beiden Halbräumen folgt das


y.x/, für die das Integral
Licht jeweils einer Geraden. Der Übergang zwischen den
Halbräumen findet per Definition im Punkt .0; y; 0/ statt. Zx1
Die gesamte Lichtlaufzeit ist FŒy D f .x; y; y0 / dx (5.158)
q q x0
n1 n2
D x21 C .y  y1 /2 C x22 C .y2  y/2 : (5.153) extremal ist. Ob es sich um ein Maximum, ein Minimum oder
c c
einen Sattelpunkt handelt, hängt vom gegebenen Problem ab
Die Vakuumlichtgeschwindigkeit c ist in den Halbräumen und muss gegebenenfalls zusätzlich untersucht werden. Hier
jeweils um den Faktor n1 bzw. n2 vermindert. Das Fer- und im weiteren Verlauf ist y0 WD dy=dx die Ableitung von y.x/
mat’sche Prinzip lautet nach x. Des Weiteren ist f eine vorgegebene skalare Funktion
ı D 0; (5.154) der Funktion y.x/, ihrer Ableitung y0 .x/ sowie des unabhängi-
gen Parameters x. Die Endpunkte x0 und x1 sind vorgegeben,
denn die Lichtlaufzeit soll extremal (in diesem Fall mi- ebenso die Werte y.x0 / und y.x1 /.
nimal) sein. Eine Störung von  entspricht einer kleinen Man kann sich leicht vorstellen, dass das Integral F von der
Gestalt von y.x/ abhängt. Wir nehmen nun an, dass F für eine
5.5 Variationsrechnung 187

5.2 Mathematischer Hintergrund: Funktionale

Die Variationsrechnung verallgemeinert die Extremwertbe- Ein weiteres Beispiel sind die bestimmten Integrale
stimmung von „gewöhnlichen“ Funktionen: Sie fragt näm- der auf dem Intervall Œa; b 2 R stetigen Funktionen
lich nach stationären Punkten (Maximum, Minimum, Sat- C 0 .Œa; b; R/. Betrachten wir konkret die bekannten Inte-
telpunkt) von sogenannten Funktionalen. Wir müssen daher gralregeln
zunächst verstehen, was Funktionale sind. Ein Funktional ist
grob gesprochen eine Funktion auf Funktionen. Zb Zb Zb
f1 .x/ dx C f2 .x/ dx D .f1 .x/ C f2 .x// dx
Definition Genauer sei V ein K-Vektorraum (K 2 fR; Cg).
a a a
Dann ist ein Funktional T eine Abbildung

T W V ! K: und
Zb Zb
Man unterscheidet zwischen linearen und nichtlinearen
Funktionalen, wobei in der Literatur mit einem Funktional ˛ f .x/ D .˛f .x// dx;
oft ein lineares Funktional gemeint ist. Ein lineares Funk- a a
tional ist eine lineare Abbildung. Dabei ist die Menge der
linearen Funktionale wieder ein Vektorraum über K, da man so sehen wir, dass das durch die Integration definierte
für T1 ; T2 2 V und ˛ 2 K Funktional I W C 0 .Œa; b; R/ ! R linear ist.
Anders verhält es sich bei dem Bogenlängenfunktional.
.T1 C T2 /.x/ WD T1 .x/ C T2 .x/ und .˛T1 /.x/ WD ˛.T1 .x// Es sei  W Œa; b ! R3 eine stetig differenzierbare Kurve
im R3 . Dann definiert die Abbildung
definieren kann. Entsprechend heißt ein Funktional, das die
obigen Eigenschaften nicht erfüllt, nichtlinear. Zb
L W C .Œa; b; R / ! R;
1 3
 7! L. / D jj.s/jj
P ds
Beispiele a

Die Dirac-Distribution (Distributionen werden in Bd. 2, ebenfalls ein Funktional, das die Bogenlänge der Kur-
Kap. 1 genauer betrachtet) ist ein erstes einfaches Bei- ve im Intervall Œa; b ergibt. Da die Norm jj.s/jj P wegen
spiel für ein Funktional. Dazu sei V der Vektorraum aller jjP1 .s/jj C jjP2 .s/jj  jjP1 .s/ C P2 .s/jj i. A. nicht linear
Funktionen der Form R ! R. Dann definiert ist, handelt es sich um ein nichtlineares Funktional.
ı W V ! R; f 7! ıŒ f  D f .0/

ein lineares Funktional, d. h., der Funktion f wird ihr Wert Literatur
an der Stelle 0 zugewiesen. Von der Dirac-Distribution
wird in der theoretischen Physik reger Gebrauch gemacht. Arens, T., et al.: Mathematik. 2. Aufl., Spektrum Akade-
Sie wird in Bd. 2, Kap. 1 gründlich diskutiert. mischer Verlag, 2012

Kapitel 5
Funktion y.x/ extremal ist. Wodurch unterscheiden sich jedoch
alle anderen möglichen Funktionen yQ .x/ von y.x/? führt. Nehmen wir nun eine weitere Funktion yQ .x/ D x,
die yQ .0/ D y.0/ und yQ .1/ D y.1/ erfüllt.
Funktionale

Wir betrachten als Beispiel die Funktion y.x/ D x2 im Überprüfen Sie, dass dies FŒQy D 0 ergibt.
Intervall Œ0; 1. Wir wählen f .x; y; y0 / D y  y0 x, was auf
das Funktional Offensichtlich ergeben beide Funktionen unterschiedliche
Z1 Z1 Integrale. J
0
 2 
FŒy D Œy.x/  y .x/x dx D x  2x2 dx
0 0
ˇ 3 ˇ1 Historisch wurde die Variationsrechnung im Jahre 1696 durch
x ˇ 1
D  ˇ D (5.159) den Schweizer Mathematiker Johann Bernoulli (1667–1748)
3 30 begründet, der das Problem der Brachistochrone löste. Dabei
ging es darum, diejenige Kurve zu finden, auf der sich eine
188 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

y Näherung gleich demjenigen längs yQ .x/ D y.x/ C ıy.x/ ist. Ma-


thematisch schreiben wir

P1 (x1 , y1 ) Zx1 Zx1 


y1 @f @f d.ıy/
0 D ıF D ıf dx D ıy C 0 dx; (5.164)
@y @y dx
x0 x0
ỹ(x)
wobei (5.162) verwendet wurde. Mithilfe einer partiellen Inte-
δy(x) gration lässt sich der zweite Summand umformen. Man schreibt
y(x)

Zx1 ˇ Zx1  
@f d.ıy/ @f ˇˇx1 d @f
dx D 0 ıyˇ  ıy dx (5.165)
@y0 dx @y x0 dx @y0
x0 x0

y0 und sieht, dass der Randterm verschwindet, da ıy.x0 / D


P0 (x0 , y0 ) ıy.x1 / D 0 gilt.

x0 x1 x Frage 19
Vergewissern Sie sich, dass Sie die partielle Integration verstan-
Abb. 5.9 Eine kleine Störung ıy.x/ führt von y.x/ auf eine alternative
Funktion. Die beiden Endpunkte P0 .x0 ; y0 / und P1 .x1 ; y1 / bleiben dabei den haben.
fest

Daher muss also


Punktmasse reibungsfrei am schnellsten von einem Punkt zu ei-
Zx1 
nem anderen bewegt (Aufgabe 5.5). @f d @f
0 D ıF D  ıy.x/ dx (5.166)
So wie man bei Funktionen extremale Punkte durch die Be- @y dx @y0
x0
trachtung von Tangenten diskutieren kann, betrachten wir nun
eine infinitesimale Störung um die gesuchte Funktion y. Da- gelten, wenn F stationär ist. Wir haben nun fast das Ziel erreicht.
zu führen wir eine weitere Funktion yQ ein, die sich für alle Es wurden bislang keinerlei Anforderungen an die Variation
x 2 Œx0 ; x1  nur um eine infinitesimale Funktion ıy von y un- ıy.x/ gestellt (abgesehen davon, dass sie infinitesimal sein soll).
terscheidet (Abb. 5.9): Das Ergebnis in (5.166) muss also für alle infinitesimalen Varia-
tionen gelten. Daher muss der Integrand selbst verschwinden.
yQ .x/ D y.x/ C ıy.x/: (5.160)

Dabei muss ıy.x0 / D ıy.x1 / D 0 erfüllen, da die Endpunkte


festgehalten werden. Genau wie y.x/ soll ıy.x/ differenzierbar Euler-Gleichung der Variationsrechnung
sein. Die Variation von f ist dann definiert als Das Integral
Zx1
0 0
ıf D f .x; yQ ; yQ /  f .x; y; y / FŒy D f .x; y; y0 / dx (5.167)
(5.161)
D f .x; y C ıy; y0 C ıy0 /  f .x; y; y0 /: x0
Kapitel 5

0 0
Man vergleicht also f .x; y; y / mit f .x; yQ ; yQ / bei gleichen Wer- wird bei festgehaltenen Randpunkten y.x0 / und y.x1 / ex-
ten x, sodass ıx D 0 gilt. Es lässt sich leicht zeigen, dass die tremal, wenn die Funktion y.x/ die Euler-Gleichung
Ableitung nach x und die Variation ı vertauschen:
  d @f @f
dy d.y C ıy/ d.y/ d.ıy/  D0 (5.168)
ı D  D : (5.162) dx @y0 @y
dx dx dx dx
erfüllt. Diese Gleichung ist also die notwendige Bedin-
Aufgrund der Kettenregel kann man die Variation (5.161) auch gung an y.x/. Eine Funktion y.x/, die (5.168) erfüllt, heißt
in der Form   Extremale.
@f @f dy
ıf D ıy C 0 ı (5.163)
@y @y dx
Die Euler-Gleichung ist eine Differenzialgleichung zweiter
schreiben.
Ordnung, die linear in y00 ist (dies folgt aus der Kettenregel,
Der entscheidende Gedanke ist nun, dass für y.x/ das Integral wenn f in (5.168) höchstens von der ersten Ableitung y0 abhängt,
extremal (stationär) ist, wenn das Integral längs y.x/ in erster da die Ableitung nach x dann eine innere Ableitung y00 erzeugt,
5.5 Variationsrechnung 189

die nur linear vorkommt). Um sie zu lösen, sind zwei Integrati- Frage 20
onskonstanten notwendig. Dies können entweder die Endpunkte Schauen Sie sich erneut das Fermat’sche Prinzip an und denken
y.x0 / und y.x1 / sein oder aber die „Anfangsbedingungen“ y.x0 / Sie sich die Laufzeit des Lichtes als eine Funktion .y/. Die
und y0 .x0 /. Denkbar sind auch andere unabhängige Kombina- Anwendung der Euler-Gleichung (5.168) mit f .y/ D .y/ führt
tionen wie y.x0 / und y0 .x1 /. Mathematisch sind diese Zugänge dann sofort auf (5.156).
äquivalent. Es hängt vom physikalischen Problem ab, welche
Randbedingungen vorgegeben werden.
Die Variationsrechnung wird in Aufgabe 5.5 verwendet, um die
Kürzeste Verbindung zweier Punkte Brachistochrone zu finden, also diejenige Kurve, auf der ei-
ne Punktmasse im Gravitationsfeld am schnellsten reibungsfrei
Wie verläuft die kürzeste Verbindung zweier Punkte x0 gleitet.
und x1 im Raum? Wir werden bei der folgenden Rech-
nung keine Überraschung erleben: Es handelt sich selbst-
verständlich um eine Gerade.
Dazu müssen wir zunächst das Wegintegral zwischen den Verallgemeinerung der Euler-Gleichung
beiden festen Endpunkten x0 und x1 formulieren. Zur Ver- auf mehrere abhängige Variablen
einfachung legen wir die beiden Punkte (und die gesamte
Kurve) in die x-y-Ebene und schreiben zunächst das Weg-
element p Für viele Probleme reicht es aus, die Variation mit nur einer ab-
ds D dx2 C dy2 : (5.169) hängigen Funktion y.x/ durchzuführen. Wir werden allerdings
in Kürze eine Erweiterung auf beliebig viele abhängige Funk-
Die Länge einer Kurve zwischen x0 und x1 ist tionen yi .x/ (1  i  N) benötigen.
Zs1 x.s1 /s
Z  2
dy Das Integral (5.158) lautet dann zunächst
l D ds D 1C dx: (5.170)
dx
x.s0 / Zx1
s0
 
FŒy1 ; : : : ; yN  D f x; y1 ; : : : ; yN ; y01 : : : y0N dx (5.175)
Da die Länge minimal sein soll, fordern wir ıl D 0. Wei- x0
terhin lässt sich die Funktion
s
p  2 oder in Kurzform wieder
0 dy
f .y / D 1 C y02 D 1 C (5.171)
dx Zx1
einführen. Offensichtlich lässt sich dann die Euler-Glei- FŒy D f .x; y; y0 / dx; (5.176)
chung (5.168) anwenden: x0

d @f @f
 D 0: (5.172) wobei wir y und y0 stellvertretend für alle yi und y0i schreiben.
dx @y0 @y Wir nehmen hier nun schon vorweg, dass in der Mechanik die yi
Da f nicht von y, sondern nur von y0 abhängt, folgt und y0i später durch die voneinander unabhängigen, generalisier-
ten Koordinaten qi und ihre Zeitableitungen qP i sowie x durch die
d y0 y0 Zeit t ersetzt werden. Die Anzahl N der von x bzw. t abhängigen
p D0 H) p D const:
dx 1 C y02 1 C y02 Parametern entspricht dann gerade der Anzahl der Freiheitsgra-
(5.173) de des Systems.

Kapitel 5
Diese Gleichung ist nur für y0 D m D const erfüllbar und
führt auf die Lösung Gesucht ist nun der Satz von Funktionen yi .x/ (1  i  N),
für die das Funktional FŒy mit den festen Randbedingungen
y D mx C c: (5.174) yi .x0 / D yi;0 und yi .x1 / D yi;1 stationär wird. Die Variation ıf
lautet in diesem Fall
Dies ist die Gleichung einer Geraden in der x-y-Ebene mit
Steigung m. Die Steigung und die Integrationskonstante c @f @f @f @f
ıf D ıy1 C : : : C ıyN C 0 ıy01 C : : : C 0 ıy0N
sind so zu bestimmen, dass die Gerade durch die beiden @y1 @yN @y1 @yN
Punkte x0 und x1 läuft. X  @f @f 0

Streng genommen müsste man noch zeigen, dass die Ge- D ıyi C 0 ıyi :
i
@yi @yi
rade tatsächlich auf eine minimale und nicht bloß eine
(5.177)
extremale Länge führt.
Sie muss erneut
In Aufgabe 5.6 wird die kürzeste Verbindung zwischen Zx1
zwei Punkten auf der Kugeloberfläche bestimmt. J 0 D ıF D ıf dx (5.178)
x0
190 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Vertiefung: Variationsrechnung
Praktische Rechenvereinfachung für die Stationaritätsbedingung

In (5.160) wurde die Variation der Funktion y.x/ eingeführt. und kann mit den üblichen Methoden der Differenzialrech-
Im Allgemeinen ist die Variationsrechnung mit Funktiona- nung behandelt werden. Dies soll im Folgenden ausgenutzt
len schwieriger zu handhaben als die Kurvendiskussion einer werden.
Funktion. Der Grund ist, dass das Argument eines Funktio-
Unter der Variation von F versteht man nun den Ausdruck
nals eine Funktion ist – und keine einfache Zahl.
ˇ
Hier werden im Prinzip dieselben Rechnungen wie im dF ˇˇ
ıF D d:
Haupttext durchgeführt, allerdings mathematisch stringenter d ˇD0
als dort.
Analog ist
Für unsere Zwecke lässt sich eine formale Vereinfachung
ˇ
anwenden, bei der das Funktional in eine Funktion umge- @y ˇˇ
ıy D d
wandelt werden kann. Betrachten wir dazu ein Funktional @ ˇD0
Zx1
die Variation von y.
FŒy D f .x; y; y0 / dx:
x0
Kommen wir nun zurück zum Problem der unbekannten
Funktion y.x/. Zunächst ist
Gesucht ist diejenige Funktion y.x/, die FŒy für feste End-
ˇ Zx1  
punkte y.x0 / und y.x1 / stationär macht. Der Strich steht hier dF ˇˇ @f @y @f @y0
0D D C dx:
und im Folgenden für die Ableitung nach x. d ˇD0 @y @ @y0 @
x0
Nun schreiben wir, ausgehend von (5.160):
Mithilfe der üblichen partiellen Integration und der Bedin-
y.x; / WD y.x/ C ıy.x; / D y.x; 0/ C  .x/: gung, dass die Variation von y an den Rändern verschwindet,
folgt
Wir parametrisieren die Variation von y.x/ also mit einem
Parameter  und führen eine beliebige Funktion .x/ ein, ˇ Zx1  
dF ˇˇ @f d @f @y
deren Gestalt hier keine Rolle spielt. Es wird lediglich ver- 0D D  dx:
langt, dass sie bei x0 und x1 verschwindet. Die Funktion d ˇD0 @y dx @y0 @
x0
y.x/ D y.x; 0/ ist noch unbekannt; wir wissen allerdings,
dass sie sich für  D 0 aus y.x; / ergibt. Wir halten in Ge- Multipliziert man beide Seiten mit d und betrachtet den
danken y.x/ und .x/ fest und definieren nun die Funktion Grenzfall  D 0, erhalten wir offensichtlich die Gleichung

F./ WD FŒy C  ; Zx1  


@f d @f
0 D ıF D  ıy dx;
die dann nur noch von  abhängt. Entscheidend ist nun, dass @y dx @y0
x0
die Funktion F./ für  D 0 einen stationären Punkt hat,
Kapitel 5

denn für  D 0 ergibt sich die Funktion y.x/, von der wir in der  nicht mehr auftritt. An dieser Stelle kommt die Belie-
wissen, dass sie das Funktional stationär macht. Die Statio- bigkeit der Variation ıy bzw. von ins Spiel: Die Variation
naritätsbedingung lautet nun von F kann nur dann allgemein verschwinden, wenn der
ˇ Ausdruck in den Klammern null ist. Dies führt wieder un-
dF ˇˇ mittelbar auf die Euler-Gleichung (5.168) für y.x/ – analog
D0
d ˇD0 zu dem im Haupttext vorgestellten Vorgehen.

erfüllen. Es ist nun wieder eine partielle Integration durchzufüh- festen Randbedingungen verschwinden. Dies führt zunächst auf
ren, diesmal allerdings für N Terme. Die Berechnung ist jedoch Zx1 X  
vollständig analog zum vorherigen Fall mit nur einer abhängi- @f d @f
0 D ıF D  ıyi .x/ dx: (5.179)
gen Variablen, da für jeden Term die Randterme aufgrund der i
@yi dx @y0i
x0
5.5 Variationsrechnung 191

Frage 21 Die Zeitentwicklung dieses Systems wird dann durch eine Kur-
Zeigen Sie, aufbauend auf der partiellen Integration für eine ein- ve q.t/ im Konfigurationsraum beschrieben, wobei die Zeit ein
zelne abhängige Funktion y.x/, dass (5.178) auf (5.179) führt. geeigneter Bahnparameter ist. Man nennt q.t/ die Bahn des
Systems. Im Folgenden soll die Bahn zwischen zwei festen Zeit-
punkten t0 und t1 betrachtet werden.
Da die Variationen ıyi .x/ erneut beliebig wählbar sind, folgen
die Euler-Gleichungen für mehrere abhängige Variablen. Angenommen, die Bewegungsgleichungen eines konservativen
Systems können aus einer Lagrange-Funktion L.t; q; qP / herge-
leitet werden. Dies führt (bei gegebenen Anfangsbedingungen)
Euler-Gleichungen für mehrere abhängige Variablen auf eine Bahn q.t/. Wir wollen uns im Folgenden auf ein be-
liebiges Zeitintervall t0  t  t1 konzentrieren. Wodurch
Gibt es N abhängige Variablen yi .x/, so lautet die Erwei- unterscheidet sich diese Bahnkurve von allen anderen Bahn-
terung von (5.168): kurven qQ .t/, welche die Punkte q.t0 / und q.t1 / verbinden, in
d @f @f Wirklichkeit aber nicht beobachtet werden? Dazu führt man zu-
 D0 .1  i  N/: (5.180) nächst die sogenannte Wirkung als Funktional
dx @y0i @yi
Es sind also N partielle Differenzialgleichungen zweiter Zt1
Ordnung unter Berücksichtigung der 2N Randbedingun- SŒq WD L.t; q; qP / dt (5.181)
gen yi .x0 / D yi;0 und yi .x1 / D yi;1 zu lösen. t0

ein. Sie ist nichts weiter als das Zeitintegral der Lagrange-
Funktion entlang der tatsächlichen Bahn q.t/. Die physikalische
Einheit der Wirkung ist Energie mal Zeit. Man erkennt sofort
Das Hamilton’sche Prinzip die Äquivalenz mit (5.176). Mithilfe der Wirkung lässt sich nun
der stationären Wirkung ein Integralprinzip postulieren.

Nach diesem mathematischen Exkurs kommen wir zurück zur


Mechanik. Wir stellen uns zunächst ein mechanisches System
Hamilton’sches Prinzip der stationären Wirkung
mit F Freiheitsgraden und den generalisierten Koordinaten q D
.q1 ; : : : ; qF / vor. Es soll daran erinnert werden, dass der durch Entlang der tatsächlichen Bahn q.t/ zwischen den Zeiten
alle Parameter q aufgespannte Raum Konfigurationsraum ge- t0 und t1 wird die Wirkung (5.181) extremal. Es gilt also
nannt wird. Jeder mögliche Systemzustand q entspricht genau
einem Punkt in diesem Konfigurationsraum, der als RF darge- Zt1
stellt werden kann. Der Konfigurationsraum ist in der Regel kein 0 D ıS D ıL.t; q; qP / dt (5.182)
Vektorraum, wie man sich am Beispiel der Euler-Winkel schnell t0
klarmachen kann.
für eine infinitesimale Variation der Wirkung. Diese Aus-
Der Konfigurationsraum RF entspricht im Allgemeinen nicht sage wird auch als das Wirkungsprinzip oder Prinzip der
dem euklidischen Raum R3 , sondern kann eine Mannigfaltig- stationären Wirkung bezeichnet.
keit sein. Es gibt jedoch Ausnahmen, wie beispielsweise eine
Punktmasse, deren drei kartesische Koordinaten x als generali-
sierte Koordinaten q D .x1 ; x2 ; x3 / verwendet werden.

Kapitel 5
Das Wirkungsprinzip ist sehr abstrakt und hat auf den ersten
Blick mit den Bewegungsgleichungen der Mechanik nichts zu
Kreisel im Konfigurationsraum tun. Tatsächlich aber ist die Wichtigkeit des Wirkungsprinzips
für die theoretische Physik nicht hoch genug einzustufen. So
Ein freier Kreisel hat sechs Freiheitsgrade, z. B. drei wird im Anschluss gezeigt, wie sich die Lagrange-Gleichungen
Schwerpunkts- und drei Orientierungskoordinaten, X und zweiter Art aus (5.182) herleiten lassen.
#, ', . Man kann diese sechs Koordinaten als die gene-
ralisierten Koordinaten verwenden: q D .q1 ; : : : ; q6 / D Achtung Da in den meisten mechanischen Problemen die
.X1 ; X2 ; X3 ; #; '; /. Alle erdenklichen Konfigurationen Wirkung entlang der tatsächlichen Bahn minimal wird, spricht
dieses Kreisels werden durch genau einen Punkt q in man auch vom Prinzip der kleinsten Wirkung. Da aber nicht in
einem sechsdimensionalen Konfigurationsraum beschrie- allen Fällen die Wirkung minimal ist, handelt es sich um eine
ben. J sprachliche Ungenauigkeit, und man sollte besser vom Prinzip
der extremalen Wirkung sprechen. J
192 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Vertiefung: Variationsrechnung
Höhere Ableitungen und mehrere unabhängige Parameter

Bei bestimmten Problemen nimmt das zu variierende Inte- Was passiert, wenn man n unabhängige Parameter xj zu be-
gral die Gestalt rücksichtigen hat? In diesem Fall ist

Zx1 Zx1;1 Zxn;1  


FŒy D f .x; y; y0 ; y00 / dx @y @y
FŒy D dx1 : : : dxn f x1 ; : : : ; xn ; y; ;:::; :
x0 @x1 @xn
x1;0 xn;0

an (beispielsweise bei der Balkenbiegung, die wir hier aller-


dings nicht besprechen). Auch hier sollen an den Randpunk- Wieder werden festgehaltene Randpunkte y.x0;1 ; : : : ; x0;n /
ten die Werte von y, aber auch die von y0 festgehalten werden. und y.x1;1 ; : : : ; x1;n / betrachtet. Die resultierenden Euler-
Man kann dann durch zweifache partielle Integration zeigen, Gleichungen lauten
dass die entsprechenden Euler-Gleichungen
Xn
@ @f @f
d2 @f d @f @f  D 0 .1  i  N/:
00  0 C D0 .1  i  N/ @xj @.@yi =@xj / @yi
dx @yi
2 dx @yi @yi jD1

lauten und somit Differenzialgleichungen vierter Ordnung Anwendungen mit mehreren unabhängigen Parametern fin-
sind. Es sind also weitere Randbedingungen zu spezifizieren, det man vor allem in Feldtheorien (s. Abschn. 8.4 und Bd. 2,
um die Gleichungen lösen zu können. Kap. 10).

Herleitung der Lagrange-Gleichungen Warum ist das Hamilton’sche Prinzip nun so wichtig? In Ab-
schn. 5.3 wurden die Lagrange-Gleichungen aus den New-
aus dem Hamilton’schen Prinzip
ton’schen Axiomen hergeleitet. Die Newton’schen Axiome ha-
ben allerdings den großen Nachteil, dass sie nicht invariant unter
Im Grunde wurde mit der Bereitstellung von (5.180) bereits Koordinatentransformationen sind, die keine Galilei-Transfor-
alles gesagt, was nötig ist, um die Lagrange-Gleichungen zwei- mationen sind. So gelten die Newton’schen Axiome in ihrer
ter Art aus dem Hamilton’schen Prinzip abzuleiten. Dazu muss ursprünglichen Form beispielsweise nicht in Kugelkoordinaten
man lediglich erkennen, dass die Funktion f .x; y; y0 / durch die oder beschleunigten Bezugssystemen; die Lagrange-Gleichun-
Lagrange-Funktion L.t; q; qP / ersetzt wird. Die Wirkung SŒq gen sind von dieser Einschränkung nicht betroffen. Das Hamil-
übernimmt die Rolle des Funktionals FŒy. Der unabhängige Pa- ton’sche Prinzip stellt die Bewegungsgleichungen und damit die
rameter x wird zur Zeit t. Es ist zu beachten, dass die Anfangs- Dynamik auf ein tieferes Fundament.
und Endpunkte der Bahn, also q.t0 / und q.t1 /, wieder festgehal- Wir werden weiterhin in Bd. 2, Kap. 10 sehen, dass das Wir-
ten werden. Das Ergebnis lautet also kungsprinzip äußerst fruchtbar für die Formulierung von Feld-
theorien ist. Tatsächlich lässt sich das Variationsprinzip in fast
d @L @L allen Bereichen der theoretischen Physik anwenden, um verall-
Kapitel 5

 D0 .1  i  F/ (5.183)
dt @Pqi @qi gemeinerte Bewegungsgleichungen zu erhalten. Dies zeigt letzt-
lich, dass viele Gebiete der Physik in ihrer zugrunde liegenden
für die F generalisierten Koordinaten qi .t/. Diese Gleichungen Struktur sehr ähnlich sind, selbst wenn völlig unterschiedliche
nennt man daher auch die Euler-Lagrange-Gleichungen. Systeme betrachtet werden (wie z. B. Punktmassen, elektro-
magnetische Felder und Kosmologie). Die Wirkung S spielt
insbesondere eine wichtige Rolle in der Quantenmechanik. Dies
kommt bei der Pfadintegralquantisierung eines physikalischen
Äquivalenz von Hamilton’schem Prinzip und Lagrange- Systems (Bd. 3, Abschn. 5.5) besonders klar zum Ausdruck.
Gleichungen
Das Hamilton’sche Prinzip führt im Gegensatz zum Lagrange-
Alle Rechenschritte, die vom Hamilton’schen Prinzip auf Formalismus nicht zu einer weiteren Vereinfachung von kon-
(5.183) führen, sind umkehrbar. Daher sind das Hamil- kreten Berechnungen der Bewegungsgleichungen. Vielmehr ist
ton’sche Prinzip (5.182) und die Euler-Lagrange-Glei- es ein fundamentales Prinzip, das koordinatenunabhängig ist. Es
chungen (5.183) äquivalent. bietet eine äußerst elegante und kompakte Formulierung der me-
chanischen Gesetze.
5.5 Variationsrechnung 193

Berücksichtigung von isoperimetrischen


und holonomen Nebenbedingungen Euler-Gleichungen für isoperimetrische Nebenbedin-
gungen
Die N Funktionen yi .x/ lassen sich aus
Bisher wurde nur die Variationsrechnung ohne Nebenbedingun-
gen vorgestellt. Dieses Werkzeug stößt allerdings schnell an d @f  @f 
 D 0 .1  i  N/ (5.186)
seine Grenzen. Betrachten wir dazu folgende Problemstellung: dx @y0i @yi
Eine Konservenfabrik möchte die Kosten reduzieren. Schnell bestimmen, wobei
kommt man auf die Idee, die Materialmenge für die Konserven
zu verringern, also ihre Oberfläche zu minimieren. Offensicht- X
r

lich ist die Oberfläche minimal, wenn die Konserve sehr klein f  WD f  j fj (5.187)
jD1
wird. Dies ist allerdings eine unbrauchbare Lösung, da das Kon-
servenvolumen dabei ebenfalls abnimmt. Mathematisch muss ist.
man stattdessen fragen: Wie lässt sich die Oberfläche einer Kon-
servendose bei konstantem Volumen minimieren? Dies führt auf
isoperimetrische Nebenbedingungen, bei denen ein Integral (in Wir haben es mit N Differenzialgleichungen zweiter Ordnung
diesem Fall das Volumen) bei der Variation festgehalten wird. zu tun, die mit den 2N Randbedingungen yi .x0 / und yi .x1 / gelöst
werden können. Es treten dabei noch die r Lagrange-Multiplika-
Eine andere typische Problemstellung ist, den kürzesten Weg toren auf, die sich mithilfe der Nebenbedingungen eliminieren
auf einer bestimmten Oberfläche zu finden. Der kürzeste Ab- lassen.
stand zwischen zwei Punkten ist, wie wir bereits gefunden
hatten, eine Gerade. Allerdings können Flugzeuge nie ihren Größte eingeschlossene Fläche
Zielflughafen direkt ansteuern, da sie sonst durch die Erde hin-
durch fliegen müssten. Diese und ähnliche Probleme lassen Ein klassisches Beispiel ist das Auffinden derjenigen ge-
sich unter Berücksichtigung von holonomen Nebenbedingungen schlossenen Kurve r.'/ in einer Ebene, die – bei festem
lösen. Eine kürzeste Verbindung entlang einer vorgegebenen Umfang – die größte Fläche einschließt. Es ist also die
Fläche nennt man Geodäte oder geodätische Linie. Sie spielen Fläche
Z2
in der allgemeinen Relativitätstheorie (die gekrümmte Räume 1
beschreibt) eine fundamentale Rolle. AD r2 .'/ d' (5.188)
2
0
Anstatt die technischen Herleitungen im Detail vorzuführen,
zu maximieren, wobei der Umfang
wollen wir uns in diesem Abschnitt auf die Ergebnisse konzen-
trieren, um einen Geschmack davon zu vermitteln, wie realisti- Z p Z2 p
sche Probleme behandelt werden können. Für eine gründlichere UD dx2 C dy2 D r2 C r02 d' (5.189)
Herleitung soll auf die Literatur verwiesen werden (Fließbach @A 0
2015).
mit r0 D dr=d' konstant ist. Es ist
Betrachten wir zunächst isoperimetrische Probleme. Gesucht r2 p
sind diejenigen Kurven yi .x/ (1  i  N), die das Funktional f D   r2 C r02 ; (5.190)
2
(5.176) extremal machen, wobei aber gleichzeitig r Nebenbe-
was auf die Euler-Gleichung
dingungen    
d r0 r
Zx1 p C r p D0

Kapitel 5
(5.191)
Fj D fj .x; y; y0 / dx D Cj D const .1  j  r/ (5.184)
d' r2 C r02 r2 C r02
x0 führt. Nach einer kurzen Rechnung folgt daraus

erfüllt sein sollen. Hier ist darauf zu achten, dass für das 1 r2  2r02  r00 r
D D const: (5.192)
Funktional F als auch für alle Nebenbedingungen Fj dieselben  .r2 C r02 /3=2
Integrationsgrenzen (x0 und x1 ) zu verwenden sind. Man kann
dann zeigen, dass das Funktional Diese Differenzialgleichung wird unter anderem von r D
 D const gelöst, wie man durch Einsetzen schnell sieht.
X
r
Es handelt sich also um einen Kreis mit Radius . Man
F  WD F  j Fj (5.185)
kann mithilfe von (1.122) und ein wenig Geduld auch
jD1
direkt zeigen, dass der Ausdruck in (5.192) die (hier kon-
ebenfalls stationär ist, wobei r konstante Lagrange-Multiplika- stante) Krümmung der Kurve r.'/ in Polarkoordinaten
toren eingeführt wurden. Daraus lassen sich die Euler-Gleichun- beschreibt. J
gen für isoperimetrische Nebenbedingungen ableiten.
194 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

y2 Integralbedingungen: Es muss lediglich ein gegebenes Integral


über ein Intervall erfüllt sein. Holonome Nebenbedingungen
f1 (y1 , y2 ) = 0 sind wesentlich stärker, denn sie erzwingen an jedem Ort x eine
Nebenbedingung.
Im Grunde lassen sich die holonomen Nebenbedingungen von
Anfang an umgehen, indem man unabhängige Koordinaten
wählt, die an das Problem angepasst sind (siehe dazu auch Auf-
gabe 5.3 und 5.6). Isoperimetrische Nebenbedingungen können
F = C1 allerdings nicht als holonome Nebenbedingungen geschrieben
werden; sie lassen sich also nicht durch geschickte Koordinaten-
F = C2 wahl absorbieren, denn die Lagrange-Gleichungen zweiter Art
F = C3 sind nur mit holonomen Nebenbedingungen kompatibel.
F = C4
Aus (5.194) folgen unmittelbar die Lagrange-Gleichungen ers-
F = C5
ter Art (5.32), wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Die
F = C6 abhängigen Parameter yi beschreiben kartesische Koordinaten
xi , der unabhängige Parameter x ist die Zeit t, und die Lagrange-
y1 Funktion lautet
Abb. 5.10 In diesem Beispiel soll F.y1 ; y2 / unter der Nebenbedingung X mi
f1 .y1 ; y2 / D 0 minimiert werden (holonome Nebenbedingung). Das ab- LD xP 2i  V.t; x/: (5.195)
i
2
solute Minimum von F ist als blauer Punkt markiert. Die schwarzen
Linien entsprechen „Höhenlinien“ mit konstanten Werten für F, wobei
C1 < C2 < : : : < C6 ist. Die Nebenbedingung f1 entspricht einer Kurve Frage 22
in der y1 -y2 -Ebene. Der rote Punkt ist dann das Minimum von F auf der Überprüfen Sie diese Aussage.
Kurve f1

Im Gegensatz zu isoperimetrischen Nebenbedingungen lassen


sich holonome Nebenbedingungen (Abb. 5.10) folgendermaßen 5.6 Symmetrien und Erhaltungssätze
berücksichtigen: Erneut soll das Funktional (5.176) extremal
werden. Diesmal sollen allerdings r < N holonome Nebenbe-
dingungen Symmetrien spielen in der Physik eine grundlegende Rolle. In
fj .x; y/ D 0 .1  j  r/ (5.193) diesem Abschnitt wird gezeigt, dass Symmetrien – Transforma-
tionen, welche die Dynamik invariant lassen – auf Erhaltungs-
vorliegen. Für diese Situation lassen sich die Euler-Gleichungen größen führen. Zyklische Koordinaten sind nur ein einfaches
für holonome Nebenbedingungen herleiten. Beispiel dafür. Diese Überlegungen führen auf das wesent-
lich allgemeinere Noether-Theorem, das jeder kontinuierlichen
Symmetrie einen Erhaltungssatz zuordnet. Dabei kommen wir
Euler-Gleichungen für holonome Nebenbedingungen wieder auf die Galilei-Transformationen zu sprechen; es wird
gezeigt, dass sie eng mit der Homogenität von Raum und Zeit
Die N Funktionen yi .x/ lassen sich aus sowie der Isotropie des Raumes verflochten sind.
Kapitel 5

d @f @f Xr
@fj
0
 D  j .x/ .1  i  N/ (5.194)
dx @yi @yi jD1
@yi
Unbestimmtheit der Lagrange-Funktion
bestimmen. und Galilei-Invarianz

Erneut hat man es mit N Differenzialgleichungen zweiter Ord- Die Lagrange-Funktion ist nicht eindeutig: Es können beliebig
nung zu tun. Die r Lagrange-Multiplikatoren j .x/, die nun viele Lagrange-Funktionen angegeben werden, die auf diesel-
Funktionen des Parameters x sein dürfen, lassen sich aus den ben Bewegungsgleichungen führen. Hier beschränken wir uns
Nebenbedingungen bestimmen. allerdings auf den Spezialfall, dass zur Lagrange-Funktion eine
totale Zeitableitung addiert wird. Man betrachte dazu eine be-
Man kann sich anschaulich klarmachen, warum für holonome liebige Funktion f .t; q/ und die Transformation
Nebenbedingungen – im Gegensatz zu den isoperimetrischen
Nebenbedingungen – die Lagrange-Multiplikatoren Funktionen df .t; q/
L ! L0 D L C : (5.196)
von x sein können. Isoperimetrische Nebenbedingungen sind dt
5.6 Symmetrien und Erhaltungssätze 195

Am schnellsten sieht man, dass der Zusatzterm keinen Einfluss beschrieben wird. Sie enthält eine Verschiebung des Zeitnull-
auf die Bewegungsgleichungen hat, indem man das Hamil- punktes um t0 D const sowie des Koordinatenursprungs um b
ton’sche Prinzip (5.182) anwendet. Die Wirkung wird nur durch (mit bP D const) und eine Drehung der Koordinatenachsen (mit
eine Konstante geändert, Drehmatrix R D const). Eine zeitabhängige Drehmatrix würde
auf Scheinkräfte und damit modifizierte Bewegungsgleichungen
S ! S0 D S C f .q.t1/; t1 /  f .q.t0/; t0 /; (5.197)
führen. Aus dem gleichen Grund muss bP konstant sein. Eine
welche bei der Variation keine Rolle spielt. Die Lagrange- konstante Verschiebung des Zeitnullpunktes wirkt sich nicht auf
Funktionen L und L0 führen daher auf ununterscheidbare Be- Zeitableitungen aus.
wegungsgleichungen. Die Lagrange-Funktion im gestrichenen Inertialsystem lautet,
ausgedrückt durch die ungestrichenen Koordinaten:
Freiheit in der Wahl der Lagrange-Funktion 1X
L.t0 ; x0 ; xP 0 / D mi xP 02 0 0
i  V .x /
2 i
Die Bewegungsgleichungen bleiben invariant, wenn zu
der Lagrange-Funktion die totale Zeitableitung einer 1X
Funktion f .t; q/ addiert wird. D mi xP 2i  V .x.x0 //
2 i
X (5.199)
bP X
2

Die Invarianz der Bewegungsgleichungen unter der Transfor- C bP  mi xP i C mi


2 i
mation (5.196) lässt sich auch direkt, aber mit ein wenig mehr i
Aufwand zeigen (Aufgabe 5.7). X bP X
2
D L.t; x; xP / C bP  mi xP i C mi :
Achtung Diese Unbestimmtheit der Lagrange-Funktion wird 2 i
i
gelegentlich als Eichinvarianz der klassischen Mechanik be-
0 0
zeichnet, ist aber von der Eichinvarianz, wie sie in Feldtheorien Hier ist V .x / eine andere Funktion als V.x/, die aber dasselbe
eine bedeutende Rolle spielt (siehe Bd. 2, Kap. 1 und Bd. 2, Potenzial beschreibt.
10) zu unterscheiden. Im Falle der Eichinvarianz von Feldtheo-
rien geht es um eine Redundanz der dynamischen Variablen, Frage 24
während auch in Feldtheorien ohne Eichinvarianz eine analoge Führen Sie diese Rechnung explizit durch. Arbeiten Sie dazu am
Unbestimmtheit der Lagrange-Funktion vorliegt. J besten mit der Indexschreibweise.

Frage 23
Man sieht, dass die Transformation Zusatzterme in L erzeugt.
Zeigen Sie, dass die Bewegungsgleichungen auch invariant Wir zeigen nun, dass es eine Funktion f gibt, deren totale Zeit-
bleiben, wenn man die gesamte Lagrange-Funktion mit einer ableitung die Form der Zusatzterme in (5.199) annimmt:
Konstanten multipliziert. Diese Art von Invarianz interessiert
uns im Folgenden jedoch nicht. df .t; x/ X @f .t; x/ @f .t; x/
D xP i  C
dt i
@x i @t
(5.200)
Wir werden in Kap. 7 außerdem noch sehen, dass die Lagrange- X bP X
2

Gleichungen ihre Form (5.83) behalten, wenn man von einem P


Db mi xP i C mi :
2 i
Satz generalisierter Koordinaten zu einem anderen wechselt, i
qi ! Qi .t; q/. Offensichtlich erfüllt
In Abschn. 2.2 wurden die Galilei-Transformationen diskutiert. X bP t X
2

Kapitel 5
Sie beschreiben den Übergang zwischen beliebigen Inertialsys- f .t; x/ D bP  mi xi C mi (5.201)
temen, in denen dasselbe physikalische System beobachtet wird. i
2 i
Es handelt sich also um passive Koordinatentransformationen.
diese Gleichung, wobei benutzt wurde, dass bP konstant ist.
Wir wissen bereits, dass unter Galilei-Transformationen die
Newton’schen Bewegungsgleichungen invariant bleiben. Dies Frage 25
führt auf die Frage, was mit der Lagrange-Funktion geschieht,
wenn die Koordinaten einer solchen Transformation unterwor- Überprüfen Sie dies.
fen werden.
Dazu betrachten wir ein System mit N Punktmassen, de- Für bP D 0 sind sowohl die Bewegungsgleichungen als auch die
ren Bewegungsgleichungen sich aus einer Lagrange-Funktion Lagrange-Funktion selbst invariant unter Galilei-Transformatio-
L.t; x; xP / ableiten lassen. Wir haben bereits gesehen, dass eine nen. Ist bP 6D 0, d. h. sind beide Inertialsysteme relativ zueinander
allgemeine Galilei-Transformation von einem ungestrichenen bewegt, bleibt die Lagrange-Funktion nicht invariant. Allerdings
zu einem gestrichenen Inertialsystem durch (2.36) und (2.37), können die Zusatzterme als totale Zeitableitung geschrieben
werden. Wir kommen am Ende dieses Kapitels nochmals auf
x0 D R.x  b/; t0 D t  t0 ; (5.198) diesen Punkt zurück.
196 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Das Noether-Theorem Konstante ändert:


0
Zt1  0 Zt1 Zt1
0 0 dq
0 df
Wir kommen nun zu einer allgemeineren Betrachtung von dt L t ; q ; 0 D dt L.t; q; qP / C  dt : (5.204)
Symmetrien und Erhaltungsgrößen. Dieser Abschnitt ist kon- dt dt
t00 t0 t0
zeptionell und technisch anspruchsvoller als die vorherigen. Er
kann beim ersten Lesen übersprungen werden. Da die Transformation (5.203) infinitesimal ist, muss auch der
Es wurde bereits in Abschn. 5.3 gefunden, dass zyklische Ko- zweite Term auf der rechten Seite von (5.204) infinitesimal sein.
ordinaten auf erhaltene konjugierte Impulse führen. Anders Genau wie qQ i und Qt ist f endlich, das Produkt f aber infinite-
formuliert bedeutet diese Aussage: Ist die Lagrange-Funktion simal. Hier und im Folgenden bedeuten Punkte die Ableitung
(und damit die Wirkung) eines mechanischen Systems unter der nach t; die Ableitung nach t0 wird explizit aufgeschrieben, um
Verschiebung einer Koordinate qi invariant, so ist der zugehöri- Verwechslungen zu vermeiden.
ge konjugierte Impuls pi erhalten. In diesem Fall ist qi zyklisch, Unser Ziel ist es nun, die Invarianzbedingung (5.204) so umzu-
tritt also in der Lagrange-Funktion überhaupt nicht auf. Dies formen, dass wir eine klare Aussage daraus herleiten können.
kann auch durch Zunächst lässt sich das erste Integral in (5.204) umformen:
dL 0
qi ! q0i D qi C  H) D0 (5.202) Zt1  0 Zt1  
d 0 0 dq dq0 dt0
dt L t ; q ; 0 D dt L t0 ; q0 ; 0
0
: (5.205)
ausgedrückt werden. Dabei ist  ein kontinuierlicher Parameter. dt dt dt
t00 t0
Ist qi zyklisch, muss die Lagrange-Funktion auch unabhängig
von  sein; daher muss die Ableitung in (5.202) verschwinden. Die Invarianzbedingung (5.204) verlangt dann für die Integran-
In anderen Worten: Die Lagrange-Funktion ist invariant unter den  
der Transformation (5.202), egal welchen Wert  auch annimmt. df dq0
 D L t0 ; q0 ; 0 Pt0  L.t; q; qP /; (5.206)
Man spricht hier von einer kontinuierlichen Symmetrie der La- dt dt
grange-Funktion.
da die Zeitpunkte t0 und t1 beliebig sind.
Im Alltag wird der Begriff „Symmetrie“ meist in Bezug auf
Man kann die transformierte Lagrange-Funktion mit  als Ent-
Spiegelungen verwendet. Physikalisch und mathematisch be-
wicklungsparameter um  D 0 entwickeln:
deutet er, dass ein System unter einer bestimmten Transfor-
 0
mation (Spiegelung, Drehung, Verschiebung, Vertauschung von 0 0 dq
Variablen usw.) sich nicht ändert. L t ; q ; 0 Pt0
dt
   ˇ (5.207)
d dq0 ˇ
Frage 26 D L .t; q; qP / C  L t0 ; q0 ; 0 Pt0 ˇˇ :
d dt D0
Denken Sie über Symmetrien nach. Ein Quadrat ist symmetrisch
unter Drehungen um einen Winkel, der ein ganzzahliges Vielfa- Es wurde dabei ausgenutzt, dass L .t0 ; q0 ; dq0 =dt0 / Pt0 jD0 D
ches von 90ı ist. Dies ist eine diskrete Symmetrie. Ein Kreis L.t; q; qP / ist. Setzt man (5.207) in (5.206) ein, findet man die
kann um jeden beliebig kleinen Winkel gedreht werden und än- neue Invarianzbedingung.
dert sich dabei nicht. Dies ist eine kontinuierliche Symmetrie.
Machen Sie sich klar, dass Spiegelsymmetrien in einer Koordi-
nate (wie z. B. bei einer Gitarre) immer diskret sind und man Invarianzbedingung
nicht kontinuierlich spiegeln kann. Denken Sie dabei an die De-
Kapitel 5

terminante der entsprechenden Transformationen. Die Bewegungsgleichungen sind dann unter einer infinite-
simalen Transformation (5.203) invariant, wenn
   ˇ
Der Ansatz in (5.202) wird nun verallgemeinert. Betrachten wir d dq0 ˇ df
L t0 ; q0 ; 0 Pt0 ˇˇ D (5.208)
eine infinitesimale Transformation d dt D0 dt
qi ! q0i D qi C  qQ i .t; q; qP /; t ! t0 D t C  Qt.t; q; qP /: (5.203) für eine beliebige Funktion f gilt.
Hier ist  erneut ein kontinuierlicher, aber infinitesimaler Para-
meter. Die endlichen Größen qQ i und Qt dürfen selbst Funktionen
Praktisch bedeutet dies, dass für eine gegebene Lagrange-Funk-
der Koordinaten, Geschwindigkeiten und der Zeit sein. Die Pro-
tion und eine gegebene Transformation (5.203) überprüft wer-
dukte  qQ i und  Qt sind insgesamt wieder infinitesimale Größen.
den muss, ob der Term auf der linken Seite von (5.208) als totale
Höhere Terme in  können vernachlässigt werden. Für  D 0 ist
Zeitableitung einer Funktion f geschrieben werden kann. Ist dies
die Transformation die Identität.
nicht der Fall, sind die Bewegungsgleichungen nicht invariant.
Die Bewegungsgleichungen bleiben dann invariant, wenn sich Verschwindet die rechte Seite von (5.208), so ist die Wirkung
die Wirkung S unter dieser Transformation höchstens um eine selbst invariant.
5.6 Symmetrien und Erhaltungssätze 197

Es fehlt noch ein wichtiger Zusammenhang: Da zyklische Ko- Frage 27


ordinaten auf erhaltene Impulse führen, stellt sich die Frage, ob Rechnen Sie (5.213) nach, indem Sie alle Zwischenschritte
eine Symmetrie der Form (5.208) nicht auch mit einer entspre- überprüfen.
chenden Erhaltungsgröße zusammenhängt. Dies ist tatsächlich
der Fall, und es wird im Folgenden hergeleitet, wie diese Erhal-
tungsgröße direkt berechnet werden kann. Wir haben nun das Ziel erreicht: Die linke und die rechte Seite
von (5.213) sind totale Zeitableitungen. Ihre Differenz hat daher
Um (5.208) weiter umzuformen, benötigen wir einige Hilfsglei- eine verschwindende totale Zeitableitung und stellt somit eine
chungen. Zum einen gilt erhaltene Größe dar.

qP 0i D qP i C  qPQ i ; Pt0 D Pt C  PQt D 1 C  PQt: (5.209)


Noether-Theorem (nach Amalie Emmy Noether, 1882–
1935)
Daraus folgt
Sind die Bewegungsgleichungen unter der infinitesima-
dq0i dt 0 qP i C  qPQ i    len Koordinatentransformation (5.203) invariant, d. h. gilt
D P
q D D 1   PQt qP i C  qPQ i
(5.208), so ist die Größe
dt0 dt0 i 1 C  PQt (5.210) !
D qP i C  qPQ i  qP i  PQt: X @L X @L
I.t; q; qP / D qQ i C L  qP i Qt  f (5.214)
i
@Pqi i
@Pqi
Die letzten beiden Umformungen sind zulässig, da  infinitesi-
mal ist. Wir schreiben (5.208) als eine Erhaltungsgröße. Dies bedeutet: Zu jeder infinitesi-
malen Transformation, welche die Wirkung höchstens um
df d h   iˇ
ˇ eine Konstante ändert, gibt es eine Erhaltungsgröße.
D L t C  Qt; q C  qQ ; qP C  qPQ   qP PQt 1 C  PQt ˇ
dt d ˇ D0
X @L  ˇ
ˇ Man verwendet zunächst (5.208), um zu überprüfen, ob eine
D qQ i 1 C  PQt ˇ
@ .q i C  Q
q i / ˇ kontinuierliche Symmetrie vorliegt. Dabei erhält man automa-
i D0
ˇ tisch die Funktion f . Die damit verbundene Erhaltungsgröße
X @L   ˇˇ lässt sich dann mithilfe von (5.214) bestimmen.
C   qPQ i  qP i PQt 1 C  PQt ˇˇ
i @ P
q i C  qP
Q i   P
q i
P
Q
t ˇ Achtung Diskrete Symmetrien wie Spiegelungen können mit
ˇ D0 dieser Methode nicht erfasst werden. J
@L  ˇ ˇ
Qt 1 C  PQt ˇˇ ˇ
C C LPQtˇ :
@ .t C  Qt/ D0 D0 Energieerhaltung aus Symmetrie
(5.211)
Hier wurden bisher nur die Kettenregel und die Produktregel Welche Erhaltungsgröße folgt aus einer Invarianz unter
verwendet. Weiterhin ist konstanter Verschiebung des Zeitnullpunktes? Hierzu be-
trachtet man eine infinitesimale Transformation (5.203)
df X @L X @L   @L
D qQ i C qPQ i  qP i PQt C Qt C LPQt mit qQ i D 0. Eine infinitesimale Verschiebung der Zeit-
dt i
@qi i
@Pqi @t koordinate ist durch Qt D const gegeben. Es gilt zunächst
X  @L  X @L
! dL=d D 0 und dPt0 =d D PQt D 0. Aus (5.208) folgt dann
@L P @L
D qQ i C qQ i C L  qP i PQt C Qt: df =dt D 0, d. h., f ist eine Konstante, die keine Rolle
@qi @Pqi @Pqi @t

Kapitel 5
i i spielt und gleich null gesetzt werden kann. Das Noether-
(5.212) Theorem (5.214) besagt dann, dass
Im ersten Schritt wurde  D 0 ausgeführt, im zweiten wur- X @L
den die Terme sortiert. Es ist zu beachten, dass die Lagrange- HD qP i  L (5.215)
@Pqi
Funktion nun wieder eine Funktion L.t; q; qP / ist und somit das i
ursprüngliche, nichttransformierte System beschreibt. Insbeson- erhalten ist. Dies ist gerade die Gesamtenergie des Sys-
dere bedeutet dies, dass die Lagrange-Gleichungen (5.83) und tems, siehe (5.95). J
das damit hergeleitete Ergebnis (5.93) verwendet werden kön-
nen, um mit der Umformung fortzufahren:
!
df d X @L X @L @L Zeittranslationsinvarianz und Energieerhaltung
D qQ i C L  qP i PQt C Qt
dt dt i @Pqi i
@Pqi @t Ist die Wirkung invariant unter einer konstanten Verschie-
" ! # (5.213) bung des Zeitnullpunktes, so ist die Gesamtenergie des
d X @L X @L
D qQ i C L  qP i Qt : Systems erhalten.
dt i
@Pqi i
@Pqi
198 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Frage 28 Zunächst sieht man, dass L nicht explizit von der Zeit t abhängt.
Eine zyklische Koordinate qi ist ein Spezialfall mit der Trans- Die Lagrange-Funktion beschreibt also ein System, das inva-
formation q0i D qi C ; t0 D t, d. h. qQ i D const und Qt D 0. riant unter Zeitverschiebungen ist. In diesem Zusammenhang
Alle anderen Koordinaten qj bleiben unverändert, qQj D 0 (j 6D i). spricht man von der Homogenität der Zeit: Es spielt keine Rolle,
Zeigen Sie, dass die entsprechende Invariante dann der zu qi wann das System betrachtet wird. Es ergibt sich immer die glei-
konjugierte Impuls ist: che Dynamik, unabhängig davon ob diese gestern, heute oder
morgen studiert wird. Wir haben bereits gesehen, dass dies auf
@L die Energieerhaltung führt.
I.t; q; qP / D D pi : (5.216)
@Pqi Eine Verschiebung aller N Punktmassen um einen Vektor b,
Verfahren Sie dabei ähnlich wie im vorherigen Beispiel. d. h. xi ! xi C b mit b D const, ändert weder die Geschwin-
digkeiten xP i noch die relativen Abstände jxi  xj j. Daher ist L
unter solch einer Verschiebung invariant. Das Noether-Theorem
In Aufgabe 5.8 wird der Zusammenhang zwischen der Isotropie (5.214) besagt dann, dass die Größe
des Raumes und der Drehimpulserhaltung hergeleitet. X @L X
ID bD pi  b D P  b (5.218)
i
@xP i i

erhalten ist. Hier ist pi der Impuls der Punktmasse mi und


Isotropie und Homogenität des Raumes, P der Gesamtimpuls des Systems. Da die Invarianz für jede
Homogenität der Zeit, Relativitätsprinzip beliebige Verschiebung b gilt, muss P selbst eine Erhaltungs-
größe sein. Man nennt diese Unabhängigkeit von räumlichen
Verschiebungen die Homogenität des Raumes: Das System als
Dieser sehr theoretische Abschnitt wird nun mit einigen wich-
Ganzes kann beliebig verschoben werden. Die Dynamik des
tigen Aussagen über Symmetrien in physikalischen Systemen
Systems ist unabhängig davon, an welchem Ort sie stattfindet.
abgeschlossen.
Dies ist selbstverständlich nur für abgeschlossene Systeme der
Es ist streng zu unterscheiden zwischen offenen und abgeschlos- Fall. Beispielsweise herrscht auf dem Mond ein anderes Gravi-
senen Systemen. Offene Systeme sind z. B. solche, bei denen tationsfeld als auf der Erde. Fallexperimente gehen deshalb an
äußere Kräfte (wie Gravitation) oder Zwangskräfte auf Teile des beiden Orten unterschiedlich aus. Allerdings sind solche Syste-
Systems wirken. Es wird dabei allerdings nicht danach gefragt, me offen, da die Gravitation dann eine äußere Kraft ist.
welche Effekte dies auf die Teile außerhalb des physikalischen Eine ähnliche Argumentation gilt für Drehungen des gesamten
Systems hat. Systems. Die Drehung soll durch eine beliebige Drehmatrix R
Betrachten wir beispielsweise eine Masse, die mit einem Fa- beschrieben werden. Wir wissen bereits, dass Beträge und Ab-
den an einem Nagel an der Zimmerdecke befestigt ist. Dies ist stände unter Drehungen invariant sind, d. h., Drehungen haben
nichts weiter als das sphärische Pendel (Abschn. 5.1). Wir ha- auf die Terme xP 2i und jxi  xj j keinen Einfluss. Es muss also ei-
ben gelernt, wie man die Lagrange-Funktion für die unter dem ne Erhaltungsgröße mit solch einer Drehung verbunden sein. In
Einfluss der Schwerkraft schwingende Masse aufstellen und die Aufgabe 5.8 wird gezeigt, dass dann der Gesamtdrehimpuls L
Bewegungsgleichungen ableiten kann. Doch wird dabei der Na- erhalten ist. Diese Invarianz unter Drehungen ist die Isotropie
gel, die Wand, ja alles andere im Universum ignoriert. des Raumes. Für ein abgeschlossenes System spielt also seine
Orientierung keine Rolle. Für Fallexperimente gilt dies nicht,
Durch die Position des Nagels und die Richtung der Gravitati- da mit der Gravitationskraft eine Richtung ausgezeichnet ist.
onskraft sind ein Punkt und eine Richtung ausgezeichnet. Man
findet schnell, dass keine Komponente des Impulses der Masse Achtung Ist ein System nur invariant unter Verschiebung in
Kapitel 5

erhalten ist. Allerdings sind der Drehimpuls um die senkrechte eine bestimmte Richtung b0 , so ist nur der Impuls in ebendie-
Achse (Richtung der Gravitationskraft) und die Energie erhal- ser Richtung erhalten. Genauso ist nur der Drehimpuls um eine
ten. Dies hängt mit den Symmetrieeigenschaften der Lagrange- bestimmte Achse nO 0 erhalten, falls das System nur invariant ge-
Funktion zusammen. genüber Drehungen um ebendiese Achse ist. Dies entspricht
jeweils dem Fall, dass nur eine generalisierte Koordinate (und
Stellen wir uns nun ein abgeschlossenes System von N Punkt- nicht drei) zyklisch ist. J
massen vor, auf das keine äußeren Kräfte irgendeiner Art wir-
ken. Alle inneren Kräfte sollen durch nicht näher bestimmte Frage 29
Paarwechselwirkungen beschrieben werden können. Dies soll Ein Elektron befinde sich in einem (unendlich ausgedehnten)
ebenfalls für mögliche Zwangskräfte gelten. Die Lagrange- Plattenkondensator. Die elektrischen Feldlinien stehen dabei
Funktion lautet dann, in kartesischen Koordinaten formuliert: senkrecht auf den Platten. Welche Erhaltungsgröße ergibt sich
hieraus für das Elektron? (Das System ist invariant unter Ver-
1X 1X
L.x; xP / D mi xP 2i  Vij .jxi  xj j/: (5.217) schiebungen parallel zu den Platten, aber nicht senkrecht zu den
2 i 2 Platten. Somit ist die parallele Impulskomponente, nicht jedoch
j6Di
die senkrechte, erhalten.)
Welche allgemeinen Erhaltungsgrößen ergeben sich daraus?
5.6 Symmetrien und Erhaltungssätze 199

Es gibt mit dem Relativitätsprinzip noch eine weitere Symme- Demnach muss
trie, die auf eine Erhaltungsgröße führt. In Abschn. 2.2 wurden  
die Galilei-Transformationen diskutiert. Sie beschreiben den I D M XP  bt
P  MX  bP D M Xt
P  X  bP (5.223)
Übergang zwischen beliebigen Inertialsystemen; dabei bleiben die gesuchte Erhaltungsgröße sein. Da bP beliebig gewählt wer-
die Newton’schen Bewegungsgleichungen invariant. Allerdings den kann, besagt dieser Erhaltungssatz nichts anderes, als dass
handelt es sich dabei um passive Koordinatentransformationen, sich der Schwerpunkt geradlinig-gleichförmig bewegt. Dies ent-
bei denen das physikalische System unverändert bleibt, aber das spricht dem bekannten Äquivalenzprinzip: Die Bewegungsglei-
Koordinatensystem transformiert wird. chungen der Mechanik sind invariant unter Transformationen
An dieser Stelle fragen wir allerdings nach aktiven Trans- zwischen Inertialsystemen, die konstante Relativgeschwindig-
formationen, d. h. nach einer Translation oder Drehung des keiten mit einschließen.
eigentlichen Systems innerhalb desselben Koordinatensystems.
Welche Auswirkungen hat es nun, wenn wir das System in einen
Zustand versetzen, bei dem sich jede Punktmasse mi mit einer Isotropie und Homogenität des Raumes, Homogenität
konstanten Relativgeschwindigkeit bP bezüglich ihrer ursprüng- der Zeit, Relativitätsprinzip
lichen Position bewegt?
Für abgeschlossene physikalische Systeme mit einer La-
Dazu betrachten wir die Änderung, welche die Ersetzung t ! grange-Funktion der Form (5.217) gelten die folgenden
P und xP i ! xP i C bP in der Lagrange-Funktion
t0 D t, xi ! xi C bt vier wichtigen Prinzipien, die man umgekehrt benutzen
verursacht. Die Lagrange-Funktion wird zu kann, um die erhaltenen Größen zu definieren:

1X 1X Homogenität der Zeit: Die Bewegungsgleichungen


L.t; x; xP / D mi xP 2i  Vij .jxi  xj j/
2 i 2 sind invariant unter einer willkürlichen Verschiebung
j6Di
(5.219) des Zeitnullpunktes. Man definiert allgemein die Ener-
X  2 bP X
2
gie als diejenige erhaltene Größe, die sich aus der
C  bP  mi xP i C mi : Homogenität der Zeit ergibt.
i
2 i
Homogenität des Raumes: Eine willkürliche Verschie-
bung aller Punktmassen hat keinen Einfluss auf die
Es ist nun die Ableitung (5.208) zu berechnen. Dies führt auf Bewegungsgleichungen. Man definiert allgemein den
! Gesamtimpuls als diejenige erhaltene Größe, die sich
df X d X aus der Homogenität des Raumes ergibt.
D bP  mi xP i D bP  mi xi ; (5.220) Isotropie des Raumes: Auch unter willkürlichen Dre-
dt i
dt i hungen des Systems bleiben die Bewegungsgleichun-
gen invariant. Es ist keine Richtung ausgezeichnet.
wobei verwendet wurde, dass bP konstant ist. Dies bedeutet, dass Allgemein wird der Gesamtdrehimpuls als diejenige
wir eine Symmetrie gefunden haben, unter der zwar nicht die Erhaltungsgröße definiert, die sich aus der Isotropie
Wirkung, wohl aber die Bewegungsgleichungen invariant blei- des Raumes ergibt.
ben. Verwendet man die Gesamtmasse M und die Lage des Relativitätsprinzip: Die Bewegungsgleichungen sind
Schwerpunktes X, so hat man zunächst invariant unter Transformationen, bei denen der
Schwerpunkt mit einer konstanten Geschwindigkeit bP
P
f D MX  b: (5.221) bewegt wird.
Wir berechnen die damit verbundene Erhaltungsgröße aus dem

Kapitel 5
Noether-Theorem (5.214). Dazu benötigen wir noch den Term Frage 30
X @L X Man vergleiche diese zehn Symmetrien und Erhaltungsgrößen
P D
bt P D M XP  bt:
mi xP i  bt P (5.222) mit den Parametern einer allgemeinen Galilei-Transformation.
i
@P
x i i
200 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Aufgaben

Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen

5.1 Perle auf rotierendem Stab Eine Perle gleite an m1 befestigt. Die zweite Punktmasse kann in der x-z-Ebene
reibungsfrei und ohne angewandte Kräfte auf einem Stab, der unter dem Einfluss der homogenen Schwerkraft FG D m2 gOez
mit einem Ende im Ursprung fixiert ist und sich in der x-y-Ebene schwingen. Der Auslenkungswinkel des Pendels ist '.
mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ! dreht.
(a) Wählen Sie geeignete verallgemeinerte Koordinaten und
(a) Stellen Sie die Bewegungsgleichung mithilfe der Lagrange- stellen Sie die Lagrange-Funktion auf.
Gleichungen erster Art auf. Lösen Sie die Bewegungsglei- (b) Leiten Sie die Bewegungsgleichungen ab.
chung. Führen Sie die Rechnungen in Zylinderkoordinaten (c) Nehmen Sie nun an, dass der Auslenkungswinkel ' klein ist.
durch. Wie lautet die Zwangskraft? Welche Bedeutung hat Zeigen Sie, dass sich beide Bewegungsgleichungen jeweils
sie? Ist die Energie erhalten? in der Form
(b) Verwenden Sie die Lagrange-Gleichungen zweiter Art für aRq C bq D f .q0; qP 0 ; qR 0 / (5.224)
dasselbe Problem, um die Bewegungsgleichungen aufzustel-
len. Wie sieht es mit der Energieerhaltung aus? schreiben lassen. Hier sind a und b konstante Koeffizienten,
q ist die eine und q0 die andere verallgemeinerte Koordinate.
Beide Bewegungsgleichungen beschreiben eine erzwungene
m1 x Schwingung. Dies wird in Kap. 6 genauer diskutiert.

5.3 Bewegungsgleichungen in Kugelkoordinaten


k k
ϕ aus dem Lagrange-Formalismus

l (a) Stellen Sie die Bewegungsgleichungen einer Punktmasse


FG in Kugelkoordinaten auf. Nutzen Sie dazu den Lagrange-
Formalismus. Das Potenzial soll dabei eine allgemeine
Funktion V.r; #; '/ sein.
m2 (b) Eine Punktmasse bewege sich in einem radialsymmetri-
schen Potenzial V.r/. Allerdings ist ihre Bewegung durch
eine Zwangsbedingung nur auf einer Kegeloberfläche mit
Öffnungswinkel # D #0 möglich. Stellen Sie die Bewe-
Kapitel 5

z gungsgleichungen für dieses Problem auf. Zeigen Sie, dass


die Radialgleichung in der Form
Abb. 5.11 Die Massen m1 und m2 sind durch einen Stab der Länge l
verbunden. Während m1 über zwei Federn mit Federkostanten k an den @Veff
Wänden befestigt ist, kann m2 an m1 unter dem Einfluss der Gravitati- mRr D  (5.225)
@r
onskraft FG schwingen
geschrieben werden kann. Wie lautet das effektive Potenzial
Veff ? Für welchen Wert #0 ergibt sich das Zweikörper-Zen-
5.2 Pendel an Federn Eine Punktmasse m1 ist wie tralkraftproblem aus Abschn. 3.2 als Spezialfall?
in Abb. 5.11 durch zwei Federn an zwei Wänden befestigt. Die (c) Überlegen Sie sich den Fall, dass die Zwangsbedingung
Ruhelänge der Federn entspricht gerade dem Fall, dass m1 sich nicht zu einer Bewegung auf einem Kegel führt, sondern zu
in der Mitte zwischen den Wänden befindet. Beide Federn ha- einer Bewegung auf einer Ebene mit ' D '0 . Stellen Sie die
ben die gleiche Federkonstante k, d. h., die Rückstellkraft ist Bewegungsgleichungen auf und lösen Sie sie für die kräf-
jeweils dem Betrag nach jFj D kjxj. Die Punktmasse m1 darf tefreie Bewegung in der Form r.#/. Welche Gestalt hat die
sich nur waagerecht (entlang der x-Achse) bewegen. Es ist eine resultierende Bahnkurve? (Diese letzte Frage lässt sich auch
weitere Punktmasse m2 mit einem masselosen Stab der Länge l direkt durch Nachdenken beantworten.)
Aufgaben 201

Lösungshinweis: Die gesuchten Lagrange-Gleichungen lauten gelöst werden kann, wobei ˛ der Bahnparameter und C eine ge-
  eignet zu wählende Konstante ist. Die damit beschriebene Kurve
d @V
.mPr/  mr #P 2 C 'P 2 sin2 # D  ; ist eine Zykloide (Abb. 5.12a). Überlegen Sie sich, wie Sie den
dt @r Parameter C für gegebene Anfangs- und Endpunkte bestimmen
d  2 P @V können.
mr #  mr2 'P 2 sin # cos # D  ; (5.226)
dt @#
d  2  @V 5.6 Kürzeste Verbindung auf Kugeloberfläche
mr 'P sin2 # D  : Was ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten auf
dt @'
einer Kugeloberfläche mit Radius R? Hier könnte man das Ver-
fahren der holonomen Nebenbedingungen in Kugelkoordinaten
5.4 Pendel mit variabler Fadenlänge Erweitern verwenden, um die gesuchte Kurve auf r  R D 0 einzu-
Sie das Problem des sphärischen Pendels in Abb. 5.3 in folgen- schränken. Dies führt allerdings zu aufwendigen Rechnungen.
der Weise: Die Fadenlänge sei eine vorgegebener Funktion der Einfacher ist es, direkt eine Parametrisierung auf der Kugelober-
Zeit, R D R.t/. fläche zu verwenden.

(a) Wie lautet die Lagrange-Funktion in Kugelkoordinaten? (a) Wie lautet das Linienelement ds auf der Kugeloberfläche?
Nutzen Sie dazu die Ergebnisse aus Aufgabe 5.3. Was ist (b) Stellen Sie die Euler-Gleichung für die gesuchte Funktion
bei der Aufstellung der Bewegungsgleichungen zu beachten '.#/ auf. Zeigen Sie, dass
(denken Sie dabei an die Anzahl der Freiheitsgrade)? Wie
lauten die Bewegungsgleichungen? ' D C1  arcsin.C2 cot #/ (5.229)
(b) Zeigen Sie, dass die Hamilton-Funktion nicht der Energie
entspricht. Was ist die Ursache? Zeigen Sie, dass die Energie diese Differenzialgleichung löst (C1 und C2 sind Integrati-
erhalten ist, wenn R.t/ konstant ist. Wie lautet die Änderung onskonstanten).
der Energie mit der Zeit? (c) Schreiben Sie die Lösung (5.229) in kartesischen Koordi-
naten. Verwenden Sie dazu das trigonometrische Additions-
theorem sin.˛ˇ/ D sin ˛ cos ˇcos ˛ sin ˇ. Interpretieren
5.5 Brachistochrone Finden Sie die Kurve y.x/, Sie das Ergebnis.
entlang der eine Punktmasse im homogenen Gravitationsfeld
reibungsfrei am schnellsten von einem Punkt .x0 ; 0/ zu einem
Punkt .x1 ; y1 / mit x1 6D x0 und y1 > 0 gleitet. Dabei stellt y.x/ 5.7 Unbestimmtheit der Lagrange-Funktion
eine Zwangsbedingung dar. Die y-Achse zeigt hier ebenso wie Zeigen Sie durch Einsetzen in die Euler-Lagrange-Gleichung,
die Gravitationskraft nach unten. dass eine Eichtransformation
Die Punktmasse soll zu Beginn bei y D 0 ruhen. Die resul-
df .t; q/
tierende Kurve nennt man Brachistochrone. Gehen Sie von der L0 .t; q; qP / D L.t; q; qP / C (5.230)
Energieerhaltung aus: Die Zunahme der kinetischen Energie dt
entspricht der durchfallenen Potenzialdifferenz: keinen Einfluss auf die Bewegungsgleichungen hat. Hier reicht
m 2 m 2  es aus, nur eine generalisierte Koordinate q zu berücksichtigen.
mgy D v D xP C yP 2 : (5.227) Das Ergebnis lässt sich direkt auf mehrere generalisierte Koor-
2 2
dinaten verallgemeinern.
Stellen Sie zunächst einen Ausdruck für die benötigte Zeit auf
und formen Sie ihn so um, dass er die Gestalt (5.158) annimmt. 5.8 Isotropie des Raumes und Drehimpulserhal-

Kapitel 5
Stellen Sie die Differenzialgleichung für y.x/ auf. tung Im Text wurde gezeigt, dass die Lagrange-Funktion
(5.217) invariant ist, wenn alle Punktmassen mit derselben
Lösungshinweis: Die umständlich lange Rechnung ausgehend beliebigen Drehmatrix R um den Ursprung gedreht werden.
von der Euler-Gleichung lässt sich umgehen, wenn man nach Schreiben Sie diese Drehung in Form einer infinitesimalen
Erhaltungsgrößen Ausschau hält. Transformation (5.203) auf. Verwenden Sie dazu infinitesimale
Überprüfen Sie anschließend, dass die Differenzialgleichung Drehungen, wie sie in Abschn. 2.3 eingeführt wurden. Benut-
durch die Parametrisierung zen Sie die Indexschreibweise, anstatt mit Vektoren zu arbeiten.
Welches Ergebnis liefert (5.208)? Wie lautet die damit verbun-
x.˛/ D x0 C C.˛  sin ˛/; y.˛/ D C.1  cos ˛/ (5.228) dene Erhaltungsgröße?
202 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben

5.1 Die resultierenden Bewegungsgleichungen sind also

(a) Die Perle kann sich nur entlang des Stabes bewegen; sie m%R  m%'P 2 D 0; m%'R D 0: (5.239)
besitzt also nur einen Freiheitsgrad. Die beiden Zwangsbe-
dingungen lauten Hier sind wir einen kleinen Umweg gegangen, um das
Schema zum allgemeinen Lösen der Lagrange-Gleichungen
f1 D '  !t D 0; f2 D z D 0: (5.231) erster Art einzuhalten. Wegen ' D !t mit konstantem !
hätte man aber auch direkt 'R D 0 hinschreiben können. Die
Hier ist ' der Polarwinkel in der x-y-Ebene. Es ist für das Zeitableitung 'P D ! ist also konstant. Dies liefert die end-
Endergebnis unerheblich, ob die Rechnungen in Zylinder- gültige Form der Bewegungsgleichung für %:
oder kartesischen Koordinaten durchgeführt werden; Zylin-
derkoordinaten sind aber aufgrund der Rotationssymmetrie %R D ! 2 %: (5.240)
einfacher. Da die Bewegung vollständig in einer Ebene
stattfindet, kann das äquivalente zweidimensionale Problem Nehmen wir an, dass % 6D 0 erfüllt ist, so lautet die allgemei-
behandelt werden. Es ist daher nur eine Zwangsbedingung ne Lösung
mit einem Lagrange-Multiplikator  nötig: %.t/ D %C eC!t C % e!t : (5.241)

mRx D r f ; z D 0: (5.232) Wie zu erwarten gibt es für die Bewegung von % zwei
Integrationskonstanten, die durch die Anfangsbedingungen
Der Gradient in Zylinderkoodinaten lautet wegen der Unab- gegeben sind. Die Perle wird sich langfristig immer nach au-
hängigkeit von z und (2.113): ßen bewegen, wenn nicht gerade %C D 0 gilt.
Die Zwangskraft lautet
@f 1 @f
r f D eO % C eO ' : (5.233)
@% % @' Z D r f D 2m%!
P eO ' : (5.242)

Der Ortsvektor liegt in der x-y-Ebene und zeigt in radiale Dies ist die Kraft, welche die Perle auf dem Stab hält; sie
Richtung. Daher kann er als entspricht nicht der Zentrifugalkraft. Da sich die Perle frei
in radialer Richtung bewegen kann, wird die Zentrifugalkraft
x D %Oe% (5.234) durch keine Zwangskraft kompensiert.
Die Energiegleichung (5.37) führt wegen V D 0 auf
geschrieben werden. Glücklicherweise wurde die Beschleu-
nigung in Zylinderkoordinaten bereits in (2.123) angegeben. dT @f
D  D 2m%%P '!
P D 2m%%!
P 2: (5.243)
Wegen z D 0 ist zunächst dt @t
 
xR D %R  %'P 2 eO % C .%'R C 2%P '/
P eO ' : Die Energie nimmt daher stark zu, wenn sich die Perle radial
(5.235)
nach außen bewegt.
Kapitel 5

Die Koeffizienten der Basisvektoren eO % und eO ' müssen die (b) Die Lagrange-Funktion lautet wegen V D 0 in Zylinderko-
Bewegungsgleichung erfüllen. Dies führt auf das Zwischen- ordinaten
m 2 
ergebnis LDTD %P C %2 ! 2 : (5.244)
2
@f  @f Es gibt nur einen Freiheitsgrad und mit % nur eine verallge-
m%R  m%'P 2 D  ; m%'R C 2m%P 'P D : (5.236)
@% % @' meinerte Koordinate. Die Bewegungsgleichung kann direkt
hingeschrieben werden:
Offensichtlich ist @f =@% D 0 und @f =@' D 1. Die zweite
Zeitableitung der Zwangsbedingung lautet m%R D m%! 2 : (5.245)

fR D 'R D 0 (5.237) Dies entspricht bereits (5.240) aus dem ersten Aufgabenteil.
Die Lösung der Bewegungsgleichung muss selbstverständ-
und führt nach Einsetzen in (5.236) auf lich nicht wiederholt werden.
Wie sieht es aber mit der Energieerhaltung im Formalis-
 D 2m%%P ':
P (5.238) mus der Lagrange-Gleichungen zweiter Art aus? Hier soll
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 203

an (5.101) erinnert werden. Da die Zwangsbedingung f D Nach Ausführung der Zeitableitung verbleiben die Glei-
'  !t D 0 nicht skleronom ist, chungen

@f .m1 C m2 /Rx C m2 l'R cos '  m2 l'P 2 sin ' C 2kx D 0 (5.255)
D ! 6D 0; (5.246)
@t
und
entspricht die Hamilton-Funktion nicht der Energie. Den-
l'R C xR cos ' C g sin ' D 0: (5.256)
noch ist die Hamilton-Funktion (5.101) eine Erhaltungsgrö-
ße, da die Lagrange-Funktion nicht explizit von der Zeit t (c) Kleine Winkel bedeuten, dass die trigonometrischen Funk-
abhängt. Wir haben im ersten Aufgabenteil schon gesehen, tionen entwickelt werden können:
dass die Energie nicht erhalten wird, da die Zwangskraft Ar-
beit am System leistet. sin ' '; cos ' 1: (5.257)

Die Bewegungsgleichung für x nimmt dann die folgende


5.2 Form an:
(a) Wir wählen die Koordinaten so, dass die Punktmasse m1 im  
.m1 C m2 /Rx C 2kx D m2 l 'P 2 '  'R : (5.258)
Gleichgewicht x D 0 und z D 0 erfüllt. Die y-Koordinate
spielt hier für beide Punktmassen keine Rolle. Es gibt mit Entsprechend erhält man für '
x und ' zwei Freiheitsgrade. Die Koordinaten der beiden
Punktmassen lauten l'R C g' D Rx: (5.259)
! !
x x C l sin ' Beide Gleichungen haben die Form (5.224). Die Bewe-
x1 D ; x2 D : (5.247)
0 l cos ' gungsgleichungen sind nicht einfach zu lösen, da sie eng
miteinander gekoppelt sind: Die Argumente auf den rechten
Daraus ergeben sich die Geschwindigkeiten Seiten von (5.258) und (5.259) erhalten jeweils die andere
! ! Koordinate, (5.258) sogar den nichtlinearen Term 'P 2 '.
xP xP C l'P cos '
xP 1 D ; xP 2 D : (5.248)
0 l'P sin '
5.3
Die kinetische Energie lautet
(a) Die Koordinaten der Punktmasse in Kugelkoordinaten lauten
m1 2 m2  2  gemäß (2.115)
TD xP C xP C l2 'P 2 C 2lPx'P cos ' : (5.249)
2 2 x1 D r sin # cos ';
Die Auslenkung x der ersten Punktmasse hängt mit der in x2 D r sin # sin '; (5.260)
den Federn gespeicherten potenziellen Enregie zusammen: x3 D r cos #:
k k Es gibt keine Zwangsbedingungen; es müssen also alle drei
V1 D .x/2 C x2 D kx2 : (5.250)
2 2 Koordinaten .r; #; '/ berücksichtigt werden. Um die kine-
tische Energie T in Kugelkoordinaten zu erhalten, müssen
Die zweite Punktmasse bewegt sich im homogenen Schwe- die ersten Zeitableitungen bestimmt werden. Dabei hängen
refeld und hat die potenzielle Energie sowohl r, # als auch ' von der Zeit ab. Das Ergebnis ist

Kapitel 5
V2 D m2 gl cos ': (5.251)
xP 1 D rP sin # cos ' C r#P cos # cos '  r'P sin # sin ';
Es ergibt sich die Lagrange-Funktion xP 2 D rP sin # sin ' C r#P cos # sin ' C r'P sin # cos ';
m1 C m2 2 m2 2 2 xP 3 D rP cos #  r#P sin #:
LD xP C l 'P C m2 l.Px'P C g/ cos '  kx2 : (5.261)
2 2
(5.252) Die kinetische Energie lautet
(b) Aus der Lagrange-Funktion (5.252) folgen die Bewegungs-
gleichungen m 2 
TD xP 1 C xP 22 C xP 23
2
d mh 2  i (5.262)
Œ.m1 C m2 /Px C m2 l'P cos ' C 2kx D 0 (5.253) D rP C r2 #P 2 C 'P 2 sin2 # :
dt 2
und Der Umformungsschritt besteht vor allem aus Fleißarbeit
d und mehrfacher Anwendung der Identität sin2 xCcos2 x D 1,
m2 l2 'P C m2 lPx cos ' C m2 l.Px'P C g/ sin ' D 0: (5.254) bereitet aber keine konzeptionellen Schwierigkeiten. Man
dt
204 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

erkennt, dass keine gemischten Terme wie rP #P oder #P 'P auf- (c) Für die Zwangsbedingung
treten.
Die Lagrange-Gleichungen für r, # und ' sind f D '  '0 D 0 (5.270)

d   @V und die kräftefreie Bewegung ist die Lagrange-Funktion


.mPr/  mr #P 2 C 'P 2 sin2 # D  ;
dt @r m 2 
d  2P @V LDTD rP C r2 #P 2 : (5.271)
mr #  mr2 'P 2 sin # cos # D  ; (5.263) 2
dt @#
d  2  @V Hier sind r und # die beiden unabhängigen Koordinaten.
mr 'P sin2 # D  : Entsprechend findet man schnell die Bewegungsgleichungen
dt @'
d
Diese Berechnung ist wesentlich einfacher, als den ursprüng- .mPr/  mr#P 2 D 0;
lichen Weg über zeitabhängige Basisvektoren (Abschn. 2.5) dt
d  2P
(5.272)
zu gehen. mr # D 0:
(b) Die Zwangsbedingung ist holonom und lautet dt

f D #  #0 D 0: (5.264) Hier ist # zyklisch und der konjugierte Impuls p# D mr2 #P


erhalten. Die Radialgleichung vereinfacht sich zu
Glücklicherweise ist sie mit den Kugelkoordinaten verträg-
lich. Deswegen gibt es nur noch zwei unabhängige Parame- d p2#
mRr D  : (5.273)
ter: den Radius r und den Azimutwinkel '. Da # nicht mehr dr 2mr2
zu den generalisierten Koordinaten gehört, sind einfach alle
Terme #P aus der Lagrange-Funktion zu streichen, und # ist Nach Multiplikation mit rP D dr=dt lässt sich dies zu
durch die Konstante #0 zu ersetzen. Dies führt auf
m 2 p2
m 2  rP D  # 2 C C (5.274)
LD rP C r2 'P 2 sin2 #0  V.r/: (5.265) 2 2mr
2
aufintegrieren. Dies ist genau die Radialgleichung (3.53) für
Die Bewegungsgleichungen lauten demnach V D 0 bzw. (3.66) für ˛ D 0. Es ist nur ' durch # zu
ersetzen. Die Lösung ist daher mit (3.75) schon bekannt:
d   @V
.mPr/  mr 'P 2 sin2 #0 D  ;
dt @r p# =r
(5.266) #  #00 D  arcsin p : (5.275)
d  2  2mC
mr 'P sin2 #0 D 0:
dt
Hier ist #00 eine zweite Integrationskonstante. Leicht umge-
Der konjugierte Impuls p' D mr 'P sin #0 (hier also der
2 2 formt lautet die allgemeine Lösung also
Drehimpuls) ist erhalten und kann verwendet werden, um
p#
'P aus der Bewegungsgleichung für r zu eliminieren: r cos.#  #p / D p ; (5.276)
2mC
p2' @V
mRr  D : (5.267) wobei #p der Winkel ist, bei dem die Punktmasse den kleins-
mr3 sin #02 @r ten Abstand vom Ursprung besitzt. Anhand von Abb. 2.15
Kapitel 5

sieht man, dass (5.276) eine Gerade in Kugelkoordinaten be-


Wir schreiben diese Gleichung als
schreibt. Sie liegt in der Ebene,pdie durch ' D '0 festgelegt
@Veff ist, und läuft im Abstand p# = 2mC am Ursprung vorbei.
mRr D  (5.268) Dass es sich um eine Gerade handelt, liegt auf der Hand: Die
@r
kräftefreie Bewegung einer Punktmasse in einer Ebene kann
mit dem effektiven Potenzial nur entlang einer Geraden erfolgen.

p2'
Veff D V.r/ C : (5.269) 5.4
2mr2 sin2 #0

Für #0 D 90ı reduzieren sich die Gleichungen genau auf (a) Es kann zunächst direkt die Lagrange-Funktion in Kugelko-
diejenigen in Abschn. 3.2. Die Bewegungsgleichungen sind ordinaten aufgeschrieben werden:
bis auf konstante Vorfaktoren identisch zu denen, die in Ab-
schn. 3.2 diskutiert wurden. Daher unterscheiden sich die LDT V
mh 2  i (5.277)
Lösungsverfahren nicht von denen, die in Kap. 3 besprochen D RP C R2 #P 2 C 'P 2 sin2 #  mgr cos #:
wurden. 2
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 205

Bei der Aufstellung der Bewegungsgleichung ist zu beach- wobei s der Bahnparameter ist. Er erfüllt
ten, dass nur # und ' Freiheitsgrade sind. Es gibt daher nur p p
zwei Lagrange-Gleichungen. Obwohl der Radius und seine ds D dx2 C dy2 D dx 1 C y02 : (5.285)
Zeitableitung in der Lagrange-Funktion auftreten, handelt es
sich dabei um eine vorgegebene Funktion ohne Freiheit. Die Die Bahngeschwindigkeit ist
Bewegungsgleichungen lauten
p
vD 2gy: (5.286)
mR2 #R C2mRRP #P D mR2 'P 2 sin # cos # CmgR sin # (5.278)
Folglich lautet das zu minimierende Integral
und
Zx1 s
mR2 'R sin2 # C 2mR2 'P #P sin # cos # 1 C y02
(5.279) D dx : (5.287)
C 2mRRP 'P sin2 # D 0: 2gy
x0

(b) Die Energie lautet


Die „Lagrange-Funktion“ des Problems,
E DT CV s
mh 2  i 1 C y02
D RP C R2 #P 2 C 'P 2 sin2 # C mgR cos #: LD ; (5.288)
2 2gy
(5.280)
Im Gegensatz dazu berechnet sich die Hamilton-Funktion hängt nicht vom Parameter x ab. Dieser ist analog zur Zeit t.
aus (5.95): Somit muss die „Energie“
@L @L
H D #P C 'P L @L
P
@# @'P E D y0 L (5.289)
(5.281) @y0
D mR2 #P 2 C mR2 'P 2 sin2 #  .T  V/
erhalten sein. Dies ist eine Differenzialgleichung erster Ord-
D T  mRP 2 C V D E  mRP 2 :
nung, die anstelle der Euler-Gleichung verwendet werden kann.
Die Hamilton-Funktion unterscheidet sich von der Energie, Eine kurze Rechnung führt auf
da die Zwangsbedingung r  R.t/ D 0 rheonom ist. Es ist p 1
die Zeitableitung der Energie gesucht: E 2g D  p D const: (5.290)
y .1 C y02 /
dE h  i
D m RP RR C mRRP #P 2 C 'P 2 sin2 # Separiert man die Veränderlichen, lautet die Differenzialglei-
dt   chung schließlich
C mR2 #P #R C 'P 'R sin2 # C 'P 2 #P sin # cos # dy
dx D p (5.291)
C mg.RP cos #  R#P sin #/: 2C=y  1
(5.282)
Durch Ausnutzen der Bewegungsgleichungen lassen sich die mit C D 1=.4gE2/.
zweiten Ableitungen #R und 'R eliminieren; der Ausdruck re- Wir berechnen die Ableitungen der Parametrisierung (5.228):
duziert sich nach kurzer Rechnung auf

Kapitel 5
  dx dy
dE D C.1  cos ˛/; D C sin ˛: (5.292)
D mRP RR C g cos #  R#P 2  R'P sin2 # : (5.283) d˛ d˛
dt
Dies führt auf
Ist die Fadenlänge R konstant, so ist RP D 0; dies führt dy sin ˛
auf den Spezialfall einer skleronomen Zwangsbedingung mit D : (5.293)
dx 1  cos ˛
Energieerhaltung. Die Hamilton-Funktion entspricht dann
der Energie. Andererseits ist
s r
dy 2C 2
5.5 Die benötigte Zeit ist D 1 D  1: (5.294)
dx y 1  cos ˛
Zs1
ds Man kann nun durch eine kurze Umformung (auf einen Bruch-
D ; (5.284) strich bringen, dann mit 1cos ˛ erweitern) zeigen, dass (5.293)
v
s0 und (5.294) äquivalent sind.
206 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

a b

P0 F (α)
0,5 1 x

2
0,5

(α1 , 1)
1

1
P1
y
0 1 2 3 α

Abb. 5.12 Die Brachistochrone in a ist die Kurve, auf der eine Punktmasse reibungsfrei am schnellsten vom Punkt P0 nach P1 gleitet. Hier
wurde der Endpunkt .1; 1/> willkürlich gewählt. Die Funktion F.˛/ in b wird benötigt, um die Gestalt der Brachistochrone festzulegen. Für einen
gegebenen Wert F.˛1 / (die gewählten Punkte P0 und P1 führen auf F.˛1 / D 1) lässt sich der Parameter ˛1 ablesen oder numerisch berechnen

Um die Zykloide für zwei gegebene Punkte .x0 ; 0/ und .x1 ; y1 / Demnach muss
zu bestimmen, muss C so gewählt werden, dass die Kurve durch
beide Punkte läuft. Man sieht direkt, dass der Anfangspunkt ˛ D ' 0 sin2 #
 1=2 D K (5.300)
0 entspricht. Der Endpunkt erfüllt wegen (5.228) 1 C ' 02 sin2 #

x1 .˛1 /  x0 .0/ ˛1  sin ˛1 eine Konstante sein.


D DW F.˛1 /: (5.295) Es werden folgende Ableitungen benötigt:
y.˛1 /  y.0/ 1  cos ˛1
d 1 d 1
Hier ist ˛1 der Wert des Bahnparameters, für den die Kurve den arcsin x D p ; cot x D  2 : (5.301)
Endpunkt .x1 ; y1 / erreicht. Die linke Seite von (5.295) ist be- dx 1  x2 dx sin x
kannt, wenn die Punkte gegeben sind. Die Funktion F.˛/ ist im Daher ist
Intervall Œ0; 2 / streng monoton steigend und kann numerisch C2 1
invertiert werden, um ˛1 zu bestimmen (Abb. 5.12b). Der Wert '0 D q : (5.302)
sin # 1  C2 cot2 #
2
für C ist dann aus (5.228), 2

1  cos ˛1 Durch Einsetzen in (5.300) und elementares Umformen er-


CD ; (5.296)
y1 hält man zunächst
C2 p 1
zu berechnen. 1C22 cot2 #
KD r
Kapitel 5

C22
5.6 1C 1
sin2 # 1C22 cot2 # (5.303)
(a) Das Linienelement in Kugelkoordinaten (2.117) ist s
q sin # 2
D C2 :
ds D dr2 C r2 d# 2 C r2 sin2 # d' 2 : (5.297) sin #  C22 cos2 # C C22
2

Beschränkt man sich auf die Kugeloberfläche, so ist dr D 0. Eine weitere kurze Rechnung führt auf
Außerdem ist unser Ziel, eine Parametrisierung '.#/ mit
' 0 D d'=d# zu erhalten: KD q
C2
: (5.304)
q 1 C C22
ds D R 1 C ' 02 sin2 # d#: (5.298)
Da sowohl K als auch C2 Konstanten sind, löst (5.229) tat-
(b) Die resultierende Euler-Gleichung ist
sächlich die Euler-Gleichung.
d ' 0 sin2 # (c) Die Lösung (5.229) schreiben wir als
D 0:
d# 1 C ' 02 sin2 # 1=2
 (5.299)
RC2 cot # D R sin.C1  '/ (5.305)
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 207

bzw. Die i-te Komponente des Ortsvektors der Punktmasse a ist xa;i .
RC2 cos # D R sin.C1  '/ sin # Die Transformation x0a;i D rij xa;j muss zunächst in die Form
x0a;i D xa;i C  xQ a;i gebracht werden. Für eine infinitesimale Dre-
D R sin # .sin C1 cos '  cos C1 sin '/ : hung gilt
(5.306)
In kartesischen Koordinaten lautet dies rij D ıij C "ijk d D ıij C "ijk  nk : (5.313)
0 1 0 1 k
sin C1 R sin # cos '
B C B C Dabei ist d k ein infinitesimaler Drehwinkel, und  zeigt in
@ cos C1 A  @ R sin # sin ' A D 0: (5.307)
Richtung der Drehachse n. O Alternativ können wir dafür  nk
C2 0 schreiben, wobei  infinitesimal und der konstante Winkel
Es handelt sich dabei um die Schnittgleichung einer Ebene endlich ist. Das Levi-Civita-Symbol "ijk und der infinitesima-
mit Normalenvektor n D .sin C1 ;  cos C1 ; C2 /> mit einer le Parameter  sind dabei streng voneinander zu unterscheiden.
Kugel mit Radius R und Mittelpunkt im Ursprung. Die Ebe- Ein Vergleich zeigt
ne n  x D 0 läuft durch den Ursprung. Daher handelt es sich
bei den Schnitten um Großkreise. Die kürzeste Verbindung xQ a;i D "ijk nk xa;j ; (5.314)
zweier Punkte auf der Kugeloberfläche ist also ein Segment
desjenigen Großkreises, auf dem die Punkte liegen. d. h., die Änderung von xa;i hängt von xa;j ab. Dies ist bei Dre-
hungen nicht anders zu erwarten. Wegen Qt D 0 und t0 D t folgt
zunächst
5.7 Die Euler-Lagrange-Gleichung lautet xPQ a;i D "ijk nk xP a;j : (5.315)

d @L @L Die folgende Rechnung dient lediglich der Übung, liefert aber


 D 0: (5.308)
dt @Pq @q keine neuen Erkenntnisse: Wir berechnen nun

Durch die Funktion f .t; q/ werden die Beiträge xP 0a;i xP 0a;i D xP a;i xP a;i C 2"ijk xP a;i xP a;j nk ; (5.316)
d @ df .t; q/ @ df .t; q/ ‹
 D0 (5.309) wobei die Einstein’sche Summenkonvention die Summation
dt @Pq dt @q dt über i; j; k impliziert und der  2 -Term vernachlässigt wur-
de. Wegen der Eigenschaften des Levi-Civita-Symbols ist
hinzugefügt. Es ist zu untersuchen, ob sie tatsächlich verschwin- "ijk xP a;i xP a;j D 0 und somit xP 02
a Dx
P 2a .
den. Zunächst ist
Ganz analog findet man, dass jxa  xb j invariant ist. Somit tritt
df .t; q/ @f .t; q/ @f .t; q/  in der Lagrange-Funktion überhaupt nicht auf:
D qP C : (5.310)
dt @q @t ˇ
  0
d 0 0 dq
ˇ
0 ˇ
Der erste Beitrag in (5.309) lautet damit L t ;q ; 0 t ˇ P D 0: (5.317)
d dt D0
d @ df .t; q/ d @f .t; q/ @2 f .t; q/ @2 f .t; q/
D D P
q C ; (5.311) Wir haben eine Symmetrie gefunden.
dt @Pq dt dt @q @q2 @t@q
Mit dem Noether-Theorem (5.214) lässt sich die zugehörige Er-
der zweite ist haltungsgröße bestimmen. Wegen Qt D 0 und f D 0 folgt
@ df .t; q/ @2 f .t; q/ @2 f .t; q/ X @L X

Kapitel 5
D P
q C : (5.312) ID xQ a;i D pa;i "ijk nk xa;j
@q dt @q2 @q@t @Pxa;i
a a
X (5.318)
Sind die Ableitungen vertauschbar, heben sich die Terme paar- D "ijk nk pa;i xa;j D nO  L:
weise auf, und die Bewegungsgleichungen sind tatsächlich in- a
variant.
Es ist also die Projektion des Gesamtdrehimpulses L auf die
5.8 Um Verwechslungen zu vermeiden, verwenden wir die Achse nO erhalten. Da nO aber beliebig ist, ist der Drehimpuls L
Indizes i; j; k für die Koordinaten und a; b für Punktmassen. selbst eine Erhaltungsgröße.
208 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung

Literatur

Fließbach, T.: Mechanik: Lehrbuch zur Theoretischen Physik I. Weiterführende Literatur


SpringerSpektrum, Wiesbaden (2015)
Forster, O.: Analysis 3: Maß- und Integrationstheorie, Integral- Goldstein, H.: Klassische Mechanik. Akademische Verlagsge-
sätze im IRn und Anwendungen (Aufbaukurs Mathematik). sellschaft, Wiesbaden (1981)
SpringerSpektrum, Wiesbaden (2012)
Kapitel 5
Schwingungen
6
Was sind kleine
Schwingungen, und warum
sind sie so wichtig?
Wie werden schwingende
Systeme durch Dämpfung
beeinflusst?
Was ist Resonanz, und
wann spielt sie eine Rolle?
Wie beschreibt man
Systeme gekoppelter
Oszillatoren?
Bei welchen Systemen sind
Schwingungen wichtig?

6.1 Freie Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210


6.2 Gedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
6.3 Erzwungene Schwingungen und Resonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
6.4 Kleine Schwingungen gekoppelter Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . 223
6.5 Anwendungen gekoppelter Oszillatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

Kapitel 6

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 209
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik 1 | Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56115-7_6
210 6 Schwingungen

Dieses Kapitel beschäftigt sich genauer mit den für die Physik ex- Ob die Bewegungsgleichung
trem wichtigen harmonischen Schwingungen. Sie sind deshalb von
so grundlegender Bedeutung, da sich fast alle Kräfte lokal linearisie- d @L @L d mPq2 dh dV
ren lassen. Harmonische Schwingungen spielen beispielsweise auch D H) m h.q/Pq D  (6.3)
dt @Pq @q dt 2 dq dq
in der Akustik und der Spektroskopie eine große Rolle.
analytisch lösbar ist und wie ihre Lösung aussieht, hängt von der
In Abschn. 6.1 werden freie Schwingungen eines Systems mit nur
Gestalt der Funktion h.q/ und der potenziellen Energie V.q/ ab.
einem einzigen Freiheitsgrad gründlicher untersucht. Die Erweite-
rung auf ein System mit Dissipation wird in Abschn. 6.2 besprochen.
Von außen erzwungene Schwingungen werden anschließend in Frage 2
Abschn. 6.3 diskutiert. Dabei ist die sogenannte Resonanz ein In Abschn. 1.4 wurde der harmonische Oszillator mit Potenzial
wichtiger Effekt. In Abschn. 6.4 kommen wir auf Systeme zu spre- (1.93) behandelt. Welche Funktionen h.q/ und V.q/ entspre-
chen, bei denen mehrere gekoppelte Freiheitsgrade gleichzeitig chen einem harmonischen Oszillator? Erinnern Sie sich auch,
schwingen können. Dies erlaubt die Berechnung einiger realistischer dass die Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators mit
Systeme mit vielen Freiheitsgraden (Abschn. 6.5). (1.101) analytisch gelöst werden kann.

Man sagt, dass das System im Gleichgewicht ist, wenn die


Gesamtkraft verschwindet. Dies bedeutet, dass sich die Punkt-
6.1 Freie Schwingungen masse an einem stationären Punkt q0 des Potenzials befinden
muss, an dem dV=dqjqDq0 D 0 gilt.
In diesem Abschnitt beschränken wir uns auf Systeme mit
einem einzigen Freiheitsgrad. Dies kann beispielsweise die Aus-
lenkung eines Fadenpendels sein, bei der die generalisierte Mechanisches Gleichgewicht
Koordinate der Auslenkungswinkel ist. Es kann sich aber auch Eine Punktmasse befindet sich im Gleichgewicht am sta-
um die Auslenkung eines Federpendels handeln, die als karte- tionären Ort q0 , wenn die Summe aller auf sie wirkenden
sische Koordinate gewählt werden kann. In jedem Fall soll es generalisierten Kräfte verschwindet:
mit Ausnahme einer konservativen Rückstellkraft keine wei-
teren Kräfte geben. Insbesondere werden Reibungskräfte und ˇ
dV ˇˇ
äußere treibende Kräfte erst in späteren Abschnitten berück- QD D 0: (6.4)
dq ˇqDq0
sichtigt. Wir werden feststellen, dass die komplexen Zahlen zur
Beschreibung harmonischer Schwingungen sehr nützlich sind.

Dieser stationäre Punkt kann ein Minimum, ein Maximum oder


ein Sattelpunkt des Potenzials sein (Abb. 6.1). Im ersten Fall
Allgemeine Bewegungsgleichung ist das Gleichgewicht stabil, da eine kleine Auslenkung auf ei-
ne Kraft führt, welche die Punktmasse zurück zum stationären
und Gleichgewicht Punkt treibt. In den beiden anderen Fällen ist das Gleichge-
wicht instabil: Eine Auslenkung führt auf eine Kraft, welche die
Für einen einzigen Freiheitsgrad q in Abwesenheit dissipativer Punktmasse weg vom stationären Punkt beschleunigt. Man kann
Kräfte lautet die Lagrange-Funktion allgemein sich dies gut an einem Ball vorstellen, der in einer Mulde bzw.
auf einem Hügel liegt und leicht angestoßen wird.
L D T.q; qP /  V.q/: (6.1)

Hat man es nur mit einer Punktmasse m und einem Freiheitsgrad Entwicklung der kinetischen Energie
q zu tun und sind alle eventuell auftretenden Zwangsbedingun-
gen skleronom (zeitunabhängig), lautet die kinetische Energie
und des Potenzials
(5.98)
1 Die Funktion h.q/ und das Potenzial V.q/ können im Allge-
T.q; qP / D mh.q/Pq2: (6.2)
2 meinen alle möglichen Gestalten annehmen. In vielen Fällen ist
jedoch die folgende Situation relevant: Das Potenzial besitzt ein
Hier ist h.q/ > 0 eine reine Funktion der generalisierten Koor-
Kapitel 6

lokales Minimum bei q0 , und die Auslenkung aus dem stabi-


dinate q, nicht jedoch ihrer Ableitung qP . len Gleichgewicht, x WD q  q0 , ist klein. Man kann dann h.x/
und V.x/ um x D 0 bzw. q D q0 entwickeln und Terme hö-
Frage 1 herer Ordnung in x vernachlässigen (eigentlich sind h.x/, V.x/
Zeigen Sie, dass (6.2) aus (5.98) folgt und dass h.q/ > 0 ist. und h.q/, V.q/ jeweils unterschiedliche Funktionen ihrer Argu-
mente, beschreiben aber die gleiche Physik). Wir werden sehen,
6.1 Freie Schwingungen 211

a b c d
V

q0

q0 q0

q0

q q q q

Abb. 6.1 Mögliche stationäre Punkte eines Potenzials V.q/. a Ein Minimum bei q0 bildet ein stabiles Gleichgewicht, bei dem Auslenkungen auf
Rückstellkräfte führen. b Das Gleichgewicht ist instabil, wenn es sich um ein Maximum handelt, da Auslenkungen in jede Richtung auf Kräfte
führen, welche die Auslenkung vergrößern. c Sattelpunkte führen ebenfalls auf instabile Gleichgewichte. Nicht alle Auslenkungen führen auf
Rückstellkräfte. d Hängt das Potenzial gar nicht von q ab, ist das Gleichgewicht indifferent. Es treten keine Kräfte beim Auslenken auf

dass die Entwicklung letztlich auf eine Bewegungsgleichung trag h.0/ berücksichtigt werden. Kombinationen wie xP 2 x sind
einer harmonischen Schwingung führt, die wesentlich leichter bereits von höherer Ordnung und können vernachlässigt wer-
zu handhaben ist als die allgemeine Bewegungsgleichung (6.3). den. Die Voraussetzung hier ist, dass xP und x beide von derselben
Man spricht deshalb auch von kleinen Schwingungen, da die ver- Ordnung sind.
einfachte Bewegungsgleichung nur für kleine Auslenkungen x
gültig ist. Frage 3
Wir entwickeln das Potenzial um das Minimum bei x D 0 und Überlegen Sie sich, dass xP und x von der gleichen Ordnung
schreiben: sind. Dazu betrachte man die Lösung (1.101) der harmonischen
ˇ ˇ Schwingung und berechne die erste Zeitableitung: Die maxima-
dV.x/ ˇˇ 1 d2 V.x/ ˇˇ
V.x/ D V.0/ C x C x2 le Geschwindigkeit ist proportional zur Auslenkung, xP / x.
dx ˇxD0 2 dx2 ˇxD0
1 ˇ (6.5)
X 1 dn V.x/ ˇˇ
C xn
: Im Grenzfall kleiner Schwingungen lautet die Lagrange-Funk-
nŠ dxn ˇ
nD3 xD0 tion also
1 2 1 2
L D T.Px/  V.x/ D mPQx  Q ;
Vx (6.7)
Der erste Term auf der rechten Seite ist der konstante Wert des 2 2
Potenzials im Minimum. Er spielt in den Bewegungsgleichun- ˇ
gen keine Rolle. Der zweite Term ist der lineare Beitrag der Q WD mh.0/ und VQ WD d2 V.x/=dx2 ˇxD0
wobei die Konstanten m
Entwicklung und verschwindet per Konstruktion, da das Poten- zur Abkürzung eingeführt wurden.
zial um sein Minimum entwickelt wird. Beschränkt man sich auf
kleine Schwingungen, ist x klein, und Terme höherer Ordnung in Frage 4
x können vernachlässigt werden. In vielen Anwendungen spielt Überlegen Sie sich, dass VQ positiv sein muss, wenn das Poten-
nur der quadratische Term eine wichtige Rolle, und alle Terme zial bei q0 ein Minimum besitzt.
xn mit n  3 werden ignoriert. Dies führt offensichtlich auf das
Potenzial einer harmonischen Schwingung.
Achtung Selbstverständlich kann nicht in allen Situationen
davon ausgegangen werden, dass die Auslenkungen klein sind. Eigenfrequenz der freien kleinen Schwingung
Dann muss man entweder das Potenzial V.q/ vollständig be-
rücksichtigen oder aber weitere Terme der Entwicklung mitneh-
men. Schwingungen, bei denen höhere Terme von x eingehen, Aus (6.7) folgt die Bewegungsgleichung für die freie kleine
sind anharmonisch, da sie nicht durch einfache Sinus- oder Ko- Schwingung eines einzelnen Freiheitsgrads:
sinusfunktionen beschrieben werden können. J
xR C !02 x D 0: (6.8)
Es ist noch die kinetische Energie zu entwickeln. Hier ist
" ˇ # Wir haben dabei s
Kapitel 6

X1
mPx2 1 dn h.x/ ˇˇ VQ
T.x; xP / D h.0/ C x :
n
(6.6)
2 nD1
nŠ dxn ˇxD0 !0 WD
mQ
(6.9)

Da der Vorfaktor bereits von zweiter Ordnung in xP ist, muss aus definiert. Man kann ohne Einschränkung der Allgemeinheit for-
der Reihenentwicklung in der Klammer nur der konstante Bei- dern, dass !0 > 0 ist.
212 6 Schwingungen

6.1 Mathematischer Hintergrund: Lineare Differenzialgleichungen


Homogene und inhomogene Differenzialgleichungen, Fundamentalsystem

Wir haben bereits im „Mathematischen Hintergrund“ 1.4 überprüfen. Diese ist definiert als
gelernt, was man allgemein unter einer (gewöhnlichen) Dif- 0 1
ferenzialgleichung (DGL) versteht. Wir wollen uns hier y1 .x/ y2 .x/  yn .x/
genauer mit einer speziellen Art, nämlich den linearen Diffe- B y.1/ .x/ .1/
y2 .x/  yn .x/ C
.1/
B 1 C
renzialgleichungen, beschäftigen. W.x/ WD det B
B :: :: :: :: C:
C
@ : : : : A
.n1/ .n1/ .n1/
Lineare Differenzialgleichung Eine DGL für die Funk- y1 .x/ y2 .x/  yn .x/
tion y.x/ heißt linear, wenn y.x/ und all ihre Ableitungen
höchstens linear vorkommen: Gilt nun W.x/ ¤ 0 für ein x 2 I, so sind die Funktionen yi .x/
.n/ .1/ linear unabhängig. Die Umkehrung gilt jedoch nicht, d. h.,
Cn .x/y .x/ C    C C1 .x/y .x/ C C0 .x/y.x/ D f .x/: aus W.x/ D 0 für alle x 2 I folgt nicht die lineare Abhängig-
keit.
y.n/ .x/ bezeichnet die n-te Ableitung von y.x/ nach x. Alle
Ci .x/; y.x/ und f .x/ sind reellwertige Funktionen. Ist y.n/ .x/ Im Falle einer linearen DGL zweiter Ordnung ist also der
die höchste auftretende Ableitung, so ist die DGL von n-ter Term W.x/ D y1 .x/y02 .x/  y2 .x/y01 .x/ zu überprüfen.
Ordnung. Die Gleichung heißt homogen, falls f .x/ D 0, und
ansonsten inhomogen. Man spricht von einer DGL mit kon- Lösung der inhomogenen Gleichung Die allgemei-
stanten Koeffizienten, wenn alle Ci nicht von x abhängen und ne Lösung einer inhomogenen linearen DGL erhält man
somit Konstanten sind. durch Addition der allgemeinen Lösung der dazugehöri-
gen homogenen Gleichung zu einer speziellen Lösung der
Betrachtet man vektorwertige Funktionen y.x/ und f .x/ mit inhomogenen Gleichung (auch partikuläre Lösung yp .x/ ge-
Werten in Rk , so hat die Gleichung die Form nannt). Die allgemeine Lösung hat also die Form

Cn .x/y.n/ .x/ C    C C1 .x/y.1/ .x/ C C0 .x/y.x/ D f .x/; X


n
y.x/ D ai yi .x/ C yp .x/;
wobei die Ci .x/ matrixwertige Funktionen sind (d. h., für iD1

jedes x ist Ci .x/ eine quadratische k  k-Matrix). Diese Glei-


wobei ai reelle Zahlen sind und die yi .x/ ein Fundamental-
chung kann man auch als ein System von k reellwertigen
system der homogenen Gleichung bilden.
eindimensionalen Gleichungen ansehen. Deswegen spricht
man hier auch von einem Differenzialgleichungssystem. Eindeutigkeit von Lösungen DGL der Ordnung n ha-
ben n linear unabhängige Lösungen; es gibt also insbeson-
Die Lösung y.x/ einer DGL muss nicht auf ganz R definiert
dere keine eindeutige Lösung. Will man eine eindeutige Lö-
sein, selbst wenn die vorkommenden Funktionen Ci .x/ und
sung erhalten, so muss man weitere Bedingungen an die
f .x/ auf ganz R definiert sind. Wir bezeichnen im Folgen-
DGL stellen. Dies wird üblicherweise in der Form von An-
den mit I das Intervall (das auch ganz R sein kann), auf dem
fangs(wert)bedingungen getan. Dabei gibt man beispielswei-
Lösungen der DGL definiert sind.
se für einen Wert x0 im Lösungsintervall I die Anfangswerte
y.k/ .x0 / für k D 0; : : : ; n  1 vor. Durch Vorgabe dieser n un-
Lösungsraum im homogenen Fall Ist eine DGL n-ter abhängigen Bedingungen erhält man eine eindeutige Lösung
Ordnung homogen und sind y1 .x/ und y2 .x/ zwei ihrer Lö- im n-dimensionalen Lösungsraum. Diese kann man berech-
sungen, so ist für alle a1 ; a2 2 R auch die Linearkombination nen, indem man die Anfangswerte in die allgemeine Lösung
a1 y1 .x/ C a2 y2 .x/ eine Lösung, d. h., die Lösungen bilden der DGL einsetzt und das entstehende Gleichungssystem löst.
einen reellen Vektorraum. Dieser hat die Dimension n, es
gibt also n linear unabhängige Lösungen. P Dabei sind Funk- Ein einfaches Beispiel ist die Schwingungsgleichung
tionen gi .x/ linear unabhängig, wenn aus niD1 ai gi .x/ D 0
für alle x 2 I schon ai D 0 für alle i folgt. Eine Basis C2 y00 .x/ C C0 y.x/ D 0:
des Lösungsraumes, d. h. n linear unabhängige Lösungen,
Da dies eine homogene lineare DGL zweiter Ordnung ist,
Kapitel 6

bezeichnet man auch als Fundamentalsystem. Jede der n Lö-


sungen ist dann eine Fundamentallösung. gibt es ein Fundamentalsystem mit zwei
p unabhängigen Lösun-
gen.p Diese sind z. B. y1 .x/ D sin. C0 =C2 x/ und y2 .x/ D
Wronski-Determinante Wenn man herausfinden möch- cos. C0 =C2 x/. Die allgemeine Lösung hat die Form y.x/ D
te, ob n Lösungen yi .x/ einer linearen DGL linear unabhän- a1 y1 .x/ C a2 y2 .x/. Erst durch Angabe zweier Anfangswerte
gig sind, so kann man dies mit der Wronski-Determinante werden a1 und a2 festgelegt; die Lösung wird dann eindeutig.
6.1 Freie Schwingungen 213

Fadenpendel Die Kreisfrequenz !0 ist die Eigenfrequenz der harmonischen


Schwingung, die nur durch die Eigenschaften des Systems
Betrachten wir erneut das mathematische Fadenpendel (Masse und Form des Potenzials), nicht aber durch die Anfangs-
der Masse m und Länge l, das sich nur in der x-z-Ebene bedingungen bestimmt ist. (Streng genommen ist die Eigenfre-
bewegen kann. Die Gravitationskraft zeigt in die negative quenz zwar f0 D !0 =.2 /, doch wird diese Unterscheidung im
z-Richtung. Der einzige Freiheitsgrad ist der Auslen- physikalischen Sprachgebrauch häufig unterschlagen.)
kungswinkel aus der Ruhelage (Gleichgewicht). Für die
kinetische und die potenzielle Energie gilt

TD
1 2 P2
ml ; V D mgl cos : (6.10)
Kepler-Problem
2
Die kinetische Energie muss nicht entwickelt werden, da Zur Anwendung betrachten wir nochmals das Kepler-Problem
T nicht von abhängt. Wegen cos 1  2 =2 folgt aus Abschn. 3.3. Wir wissen bereits, dass die radiale Bewegung
jedoch für das Potenzial durch (3.66) und (3.67) beschrieben wird. Man kann dies so in-
terpretieren: Der Freiheitsgrad r hat eine kinetische Energie
1
V mgl 2
: (6.11)  2
2 T.Pr/ D rP (6.16)
2
Der konstante Term wurde dabei bereits ignoriert. Mit
Q D ml2 und VQ D mgl folgt das bekannte Ergebnis
m und bewegt sich in einem Potenzial
s
r
VQ g L2 ˛
!0 D D : (6.12) V.r/ D 2
 ; (6.17)
mQ l 2r r

Analog kann man das physikalische Pendel diskutieren, wobei L der Drehimpuls der Punktmasse (und nicht die La-
das bereits in Aufgabe 4.5 untersucht wurde. J grange-Funktion) ist.
Achtung Beim Kepler-Problem gibt es mehr als nur einen
Bei (6.8) handelt es sich um eine gewöhnliche lineare homogene Freiheitsgrad. Allerdings ist die Bewegung des Freiheitsgrades
Differenzialgleichung (DGL) zweiter Ordnung mit konstanten r von denen der anderen entkoppelt. Seine Bewegungsgleichung
Koeffizienten („Mathematischer Hintergrund“ 6.1). Um sie zu kann also als die eines Systems mit nur einem Freiheitsgrad an-
lösen, benötigt man ein Fundamentalsystem aus zwei linear un- gesehen werden. Dabei ist der Drehimpuls L eine von außen
abhängigen Lösungen x1 .t/ und x2 .t/. Wir wissen bereits, dass vorgegebene Konstante. J
(1.101) die allgemeine Lösung dieser DGL ist. Wie schon in Bewegt sich die Punktmasse nahezu auf einer Kreisbahn, kann
Aufgabe 1.7 gezeigt, kann man (1.101) alternativ als Linear- die radiale Bewegung durch eine kleine Schwingung appro-
kombination der beiden fundamentalen Lösungen sin.!0 t/ und ximiert werden. Dies ist möglich, da das Potenzial V.r/ ein
cos.!0 t/ ausdrücken: Minimum hat, dessen Lage r0 gerade dem Radius der Kreisbahn
x.t/ D a1 sin.!0 t/ C a2 cos.!0 t/: (6.13) entspricht.

Man kann mithilfe der Wronski-Determinante schnell zeigen,


dass die beiden Fundamentallösungen linear unabhängig sind Frage 5
(„Mathematischer Hintergrund“ 6.1): Wie lautet die Bedingung, dass das Kepler-Problem eine kreis-
ˇ ˇ förmige Bahn erlaubt? In diesem Fall ist der Gleichgewichtsra-
ˇx .t/ x .t/ˇ dius
ˇ 1 2 ˇ
WDˇ ˇ L2
ˇxP 1 .t/ xP 2 .t/ˇ r0 D : (6.18)
ˇ ˇ (6.14) ˛
ˇ sin.! t/ cos.!0 t/ ˇˇ
ˇ 0
Dˇ ˇ D !0 6D 0:
ˇ!0 cos.!0 t/ !0 sin.!0 t/ˇ Berechnen Sie diesen, indem Sie nach stationären Punkten von
V.r/ suchen.
Die Anfangsbedingungen legen die Werte der beiden Konstan-
Kapitel 6

ten a1 und a2 fest. Sind die Anfangsauslenkung x0 D x.t D 0/


und die Anfangsgeschwindigkeit v0 D xP .t D 0/ gegeben, folgt Wir erlauben nun nur kleine Abweichungen von diesem Radius
durch Einsetzen (siehe „Mathematischen Hintergrund“ 6.3) und schreiben
v0 L2
a1 D ; a2 D x0 : (6.15) x D r  r0 D r  : (6.19)
!0 ˛
214 6 Schwingungen

6.2 Mathematischer Hintergrund: Komplexe Zahlen


Definition und Rechenregeln

Durch die Einführung von negativen Zahlen wurde es ermög- auf die Division durch eine reelle Zahl reduziert:
licht, Lösungen für beliebige lineare Gleichungen angeben
zu können. Quadratische Gleichungen wie x2 D 1 haben z1 z1 z2 .x1 C i y1 /.x2  i y2 /
D D :
dagegen keine Lösung über den reellen Zahlen. Die komple- z2 z2 z2 x22 C y22
xen Zahlen wurden im 16. Jahrhundert von dem italienischen
Mathematiker Gerolamo Cardano (1501–1576) eingeführt, Darstellungen Jede komplexe Zahl lässt sich eindeutig als
als er merkte, dass er kubische Gleichungen lösen konnte, Punkt in einer zweidimensionalen Zahlenebene (Gauß’sche
indem er mit fiktiven Lösungen von über den reellen Zah- Zahlenebene; Abb. 6.2) mit Koordinaten .x; y/ interpretie-
len unlösbaren quadratischen Gleichungen weiterrechnete. ren. Man nennt x den Realteil und y den Imaginärteil. Die
Leonhard Euler führte dazu im 18. Jahrhundert die imagi- Addition zweier komplexer Zahlen entspricht dann der Vek-
näre Einheit i ein, dessen Quadrat 1 ist, also i2 D 1. toraddition in der Gauß’schen Zahlenebene. Dabei ist der
Definition Eine komplexe Zahl wird definiert als eine Zahl Betrag einer komplexen Zahl der Abstand r D jzj dieses
der Form z D x C i y 2 C mit x; y 2 R. Zwei komplexe Punktes vom Ursprung.
Zahlen z1;2 D x1;2 C i y1;2 lassen sich dann folgendermaßen
In Aufgabe 6.1 wird gezeigt, dass man die komplexe Expo-
addieren und multiplizieren:
nentialfunktion als
z1 C z2 D .x1 C x2 / C i .y1 C y2 /;
ei ' D cos ' C i sin '; '2R
z1  z2 D x1 x2 C i .x1 y2 C x2 y1 / C i2 y1 y2
D .x1 x2  y1 y2 / C i .x1 y2 C x2 y1 /: schreiben kann. Diese sogenannte Euler’sche Formel ist ex-
trem hilfreich und wird in der Physik häufig eingesetzt.
Daraus ergibt sich der wichtige, in Abb. 6.2 illustrierte Zu-
Algebraische Abgeschlossenheit Die große Bedeutung
sammenhang
der komplexen Zahlen liegt nun unter anderem darin begrün-
det, dass jede algebraische Gleichung vom Grad größer null z D x C i y D r.cos ' C i sin '/ D rei ' :
über den komplexen Zahlen eine Lösung besitzt (Fundamen-
talsatz der Algebra). Hier ist ' eine reelle Phase, die tan ' D y=x erfüllt.
Körpereigenschaften C ist mit den obigen Operationen
ein Körper mit null 0 C i 0 und eins 1 C i 0: Im z

.x C i y/ C .0 C i 0/ D .x C 0/ C i .y C 0/ D x C i y;
.x C i y/  .1 C i 0/ D .x  1  y  0/ C i .x  0 C y  1/ z = a + ib = reiφ
b
D x C i y:

Das multiplikative Inverse z1 D z0 D x0 C i y0 zu einer kom-


r
plexen Zahl z D x C i y erhalten wir, indem wir
i
.x C i y/  .x0 C i y0 / D .xx0  yy0 / C i .xy0 C yx0 / D 1 C i 0
φ
lösen, was xx0  yy0 D 1 und xy0 C yx0 D 0 bzw. x0 D
x=.x2 C y2 / und y0 D y=.x2 C y2 / erfordert und für z 6D 0 −1 0 1 a Re z
definiert ist.
Komplexe Konjugation und Division Die komplex Abb. 6.2 Jede komplexe Zahl z D x C i y lässt sich als Punkt in
konjugierte Zahl z einer komplexen Zahl z D x C i y er- der komplexen Zahlenebene mit Koordinaten .x; y/ darstellen. In der
hält man durch Multiplikation ihres Imaginärteils mit 1: Polardarstellung ordnet man der komplexen Zahl das eindeutige Tu-
z D x  i y. Es gilt dann pel .r; '/, d. h. Betrag (Abstand vom Ursprung) und Phase (Winkel
Kapitel 6

zur reellen Achse) zu: z D rei ' . Beide Darstellungen sind äquivalent
jzj2 WD zz D z z D x2 C y2 2 R:

Dieses Betragsquadrat von z lässt sich ausnutzen, um die Di- Somit lassen sich die Kosinus- und Sinusfunktionen durch
vision zweier komplexer Zahlen zu definieren, indem man sie die komplexe Exponentialfunktion ausdrücken:
6.1 Freie Schwingungen 215

ei x C ei x ei x  ei x Literatur


cos x D ; sin x D :
2 2i
Arens, T., et al.: Mathematik. 2. Aufl., Spektrum Akade-
Diese Identitäten erlauben es, häufig verwendete Beziehun- mischer Verlag (2012)
gen der trigonometrischen Funktionen bequem abzuleiten Freitag, E., Busam, R.: Funktionentheorie 1. 4. Aufl.,
(Aufgabe 6.1). Springer Verlag (2006)

mit Amplitude ır r0 und Phasenverschiebung ı0 , die bei-


de aus den Anfangsbedingungen folgen. Andererseits lautet das
dritte Kepler’sche Gesetz für die Umlauffrequenz
s
˛
!U D ; (6.23)
r03

wobei die große Halbachse a durch den Radius r0 ersetzt wurde,


da die Bewegung näherungsweise auf einer Kreisbahn erfolgen
soll. Wir nutzen noch die Relation (6.18) zwischen Radius und
Drehimpuls aus und finden nach kurzer Rechnung für das Ver-
hältnis der Frequenzen
!0
D 1: (6.24)
!U

Was bedeutet dies? Ist die Schwingung für die radiale Bewegung
klein, dauert sie genauso lang wie ein Umlauf (Abb. 6.3). Dies
ist in Übereinstimmung mit der allgemeinen Lösung des Kep-
ler-Problems, die auch gültig ist, wenn die radiale Bewegung
keine kleine Schwingung mehr ist: Im Allgemeinen sind die ge-
bundenen Bahnen Ellipsenbahnen. Pro Umlauf gibt es genau ein
Abb. 6.3 Gebundene Kepler-Bahnen, die nur geringfügig von der
Kreisbahn (blau) abweichen, lassen sich wegen (6.22) als radiale Perihel und ein Aphel, und das Perihel ist fest. Dies entspricht
Schwingung (rot) um die Kreisbahn auffassen. Dabei ist die Oszillati- exakt einer radialen Schwingung pro Umlauf.
onsperiode exakt identisch mit der Umlaufdauer, und die Bahn ist nach In Aufgabe 6.2 wird dies auf beliebige Potenzpotenziale verall-
einem Umlauf geschlossen. Die roten Punkte markieren die Orte, an de-
gemeinert.
nen das Argument des Kosinus die Werte 0, =2, und 3 =2 annimmt

Damit ist es möglich, V.x/ zu formulieren. Wir berechnen die


zweite Ableitung
Darstellung harmonischer Schwingungen
ˇ mit komplexen Zahlen
d2 V.x/ ˇˇ
x2
dx2 ˇxD0
 2 ˇ Schwingungen lassen sich mithilfe der komplexen Zahlen („Ma-
L ˛ ˇˇ thematischer Hintergrund“ 6.2) elegant beschreiben. Dazu mul-
D 3 4  2 3 ˇ x2
r r xD0 (6.20) tiplizieren wir (6.8) mit 2Px und schreiben
2 3
2  ˛ 3 dPx2 dx2
6 3L 2˛ 7
D 4  4   3 5 x2 D ˛ x2 : 2PxxR C 2!02 xP x D 0 H) C !02 D 0: (6.25)
L2 L2 L2 dt dt
 ˛ ˛
Eine erste Integration führt auf
Damit finden wir für die radiale Schwingung die Frequenz
s s xP
˛  ˛ 3
Kapitel 6

VQ ˛ 2 xP 2 D !02 x2 H) D ˙i!0 ; (6.26)


!0 D D D : (6.21) x
mQ  L2 L3
wobei die imaginäre Einheit i (mit i2 D 1) verwendet wur-
Die Bahngleichung lautet
de. Wir ignorieren hier Integrationskonstanten, um die einfachst
r.'/ D r0 C ır cos.!0 t  ı0 / (6.22) mögliche Lösung zu finden.
216 6 Schwingungen

6.3 Mathematischer Hintergrund: Lineare Differenzialgleichungen


Lösungsstrategien

Im „Mathematischen Hintergrund“ 6.1 wurden lineare Dif- Diese Methode hat ihren Namen daher, dass die Lösung
ferenzialgleichungen (DGL) definiert. Hier beschäftigen wir der homogenen Gleichung  f D 0) gegeben ist
 R (d. h. für
uns damit, wie man einige Klassen solcher Gleichungen lö- x
durch y.x/ D K  exp  x0 c.s/ ds mit einer Konstanten
sen kann.
K. Im inhomogenen Fall variiert man nun diese Konstan-
Lösungsansätze Es gibt kein Lösungsverfahren, das man te K, d. h., man erlaubt eine x-Abhängigkeit und schreibt
für jede lineare DGL anwenden kann. Für relativ einfache K.x/. Dies führt auf die obige Lösung.
Formen gibt es aber Lösungsverfahren, von denen wir hier
zwei vorstellen wollen:
Beispiel Wir wollen mithilfe des Exponentialansatzes eine
Exponentialansatz: (Euler-Ansatz) Haben wir es mit ei- spezielle Lösung der DGL
ner linearen DGL mit konstanten Koeffizienten und einer
exponentiellen Inhomogenität, d. h. einer DGL der Form y00 .x/  2y0 .x/ C 2y.x/ D x2 e.1Ci/x

y.n/ .x/ C cn1 y.n1/ .x/ C    C c0 y.x/ mit l D 2 bestimmen. Das charakteristische Polynom ist
 
D e.aCib/x al xl C    C a1 x C a0 p.t/ D t2  2t C 2, und 1 C i ist einfache Nullstelle von p
(d. h. m D 1). Also gibt es eine partikuläre Lösung der Form
mit ci ; ai 2 C und a; b 2 R, zu tun, so kann man den
 
Exponentialansatz benutzen, der auf Euler zurückgeht. yp .x/ D e.1Ci/x b1 x C b2 x2 C b3 x3 :
Wir betrachten das sogenannte charakteristische Polynom
der DGL, das durch Es gilt dann
p.t/ WD t C cn1 t
n n1
C    C c0
y0p .x/ D e.1Ci/x b1 C 2b2 x C 3b3 x2
gegeben ist. Bezeichnet dann m die Nullstellenordnung  
C .1 C i/ b1 x C b2 x2 C b3 x3
von p in a C ib, d. h.
˚
m D min k 2 N0 W p.k/ .a C ib/ ¤ 0 ; und
 
so gibt es eine partikuläre Lösung der Form y00p .x/ D e.1Ci/x 2b2 C 6b3 x C 2.1 C i/ b1 C 2b2 x C 3b3 x2
 
C .1 C i/2 b1 x C b2 x2 C b3 x3 :
X
mCl
yp .x/ D e.aCbi/x bj xj
jDm Setzt man nun yp .x/ und die beiden Ableitungen in die ur-
sprüngliche DGL ein, so erhält man die Gleichung
mit bj 2 C. Dieser Ansatz funktioniert auch, wenn a C i b
keine Nullstelle von p ist; in diesem Fall ist m D 0. e.1Ci/x .2b2 C 2b1 i/ C .6b3 C 4b2 i/x C .6b3 i/x2
Die Koeffizienten bj lassen sich berechnen, indem man
die partikuläre Lösung in die DGL einsetzt, Koeffizienten D x2 e.1Ci/x :
vergleicht und das resultierende lineare Gleichungssys-
tem löst. Durch Koeffizientenvergleich ergibt sich das lineare Glei-
Variation der Konstanten: Hat die DGL die Form chungssystem

y0 .x/ C c.x/y.x/ D f .x/; y.x0 / D y0 ; 2b2 C 2b1 i D 0; 6b3 C 4b2 i D 0; 6b3 i D 1:


d. h., handelt es sich um eine lineare DGL erster Ordnung
Die eindeutige Lösung dieses Gleichungssystems ist b1 D
mit einer Anfangswertbedingung, so ist die Lösung gege-
i=4, b2 D 1=4, b3 D i=6, eine spezielle Lösung ist also
ben durch
Kapitel 6

2 x 3 gegeben durch
Z Rt R
 x c.s/ ds  
y.x/ D 4 e x0 f .t/ dt C y0 5 e x0
c.s/ ds
: i 1 i
yp .x/ D x C x2  x3 e.1Ci/x :
x0 4 4 6
6.2 Gedämpfte Schwingungen 217

Man kann nun eine zweite Integration durchführen. Mit auch Stokes’sche Reibung in Abschn. 1.3). Anstatt jedoch wie-
der beim Lagrange-Formalismus für q zu starten, gehen wir von
xP d ln x der Näherung (6.8) aus und addieren eine in xP lineare Reibungs-
D D ˙i!0 (6.27)
x dt kraft:
xR C 2Px C !02 x D 0: (6.31)
folgt
x.t/ D e˙i!0 t ; (6.28) Der Reibungskoeffizient  > 0 ist vorgegeben.
wobei wir erneut eine mögliche Integrationskonstante ignoriert Reibungsterme, die quadratisch in xP sind, machen die mathema-
haben. Die allgemeine Lösung lautet tische Behandlung wesentlich komplizierter, da die Bewegungs-
gleichung dann nichtlinear ist. Wir beschränken uns auf den
x.t/ D Ae˙i.!0 t /
(6.29) einfacheren, linearen Fall, der oftmals eine gute Beschreibung
der Realität darstellt (beispielsweise die Reibung eines Pendels
mit den reellen Konstanten A (Amplitude) und (Phasenver- in einem Wassergefäß).
schiebung).
Es ist zu beachten, dass  dieselbe Einheit besitzt wie !0 ,
Achtung Da physikalische Größen stets reell sind, kann die nämlich s1 . Damit kann 1= als die Zeitspanne interpretiert
komplexe Lösung in der Form (6.28) nicht die physikalische werden, nach der die Oszillation stark abgedämpft ist.
Lösung sein. Allerdings sind sowohl der Real- als auch der
Imaginärteil von (6.28) reelle Größen, welche die beiden Fun-
damentallösungen ergeben. J
Es gilt
Lösung mit komplexen Zahlen
 
x1 D Im x D Im e˙i!0 t D sin .˙!0 t/ ; Genau wie bei (6.8) handelt es sich bei (6.31) um eine gewöhn-
  (6.30) liche lineare homogene DGL zweiter Ordnung mit konstanten
x2 D Re x D Re e˙i!0 t D cos .˙!0 t/ :
Koeffizienten. Es werden wieder zwei linear unabhängige Lö-
Die verschiedenen Vorzeichen ergeben keine neuen Lösungen: sungen benötigt, deren Linearkombination die vollständige Lö-
Beim Kosinus führen beide wegen cos.C / D cos. / auf sung bildet. Für derartige Probleme kann man stets den auf
dasselbe Ergebnis, beim Sinus wegen sin.C / D  sin. / Euler zurückgehenden Exponentialansatz
lediglich auf einen Vorfaktor, der sowieso frei wählbar ist. Für
die Rechnungen bieten sich wegen (6.30) komplexe Zahlen an; z.t/ D ei!t 2 C; !2C (6.32)
bei der Interpretation der Lösung müssen Real- und Imaginärteil
allerdings separat untersucht werden. In Aufgabe 6.1 wird das machen („Mathematischer Hintergrund“ 6.3). Mithilfe der kom-
Rechnen mit komplexen Zahlen vertieft. plexen Zahlen kann die allgemeine Lösung schnell erhalten
werden. Dazu schreiben wir zunächst

zR C 2Pz C !02 z D 0; z 2 C; (6.33)


6.2 Gedämpfte Schwingungen
da bei einer komplexen Lösung z auch Real- x1 .t/ D Re z und
Bis zu diesem Punkt wurden die freien kleinen Schwingun- Imaginärteil x2 .t/ D Im z jeweils Lösungen sind.
gen eines einzelnen Freiheitsgrades untersucht. In vielen An- Die komplexe Bewegungsgleichung lautet
wendungen treten jedoch dissipative Kräfte auf, die zu einer
 
Dämpfung der Schwingung führen. In diesem Abschnitt wird ! 2 C 2i! C !02 ei!t D 0: (6.34)
der Einfluss einer linearen Dämpfung untersucht. Man unter-
scheidet die drei Fälle der schwachen, starken und kritischen Frage 6
Dämpfung. Weiterhin wird mithilfe der erarbeiteten Methoden Zeigen Sie dies, indem Sie die Zeitableitungen der Ansatzfunk-
die Lösung der Bewegungsgleichungen des Foucault’schen Pen- tion berechnen.
dels gefunden, die bereits in Abschn. 2.4 aufgestellt wurden.

Die Bewegungsgleichung ist für alle Zeiten t zu erfüllen, was


nur möglich ist, wenn der zeitunabhängige Term in der Klam-
Lineare Reibungskraft mer identisch verschwindet:
Kapitel 6

Die Bewegung des Freiheitsgrades q soll gedämpft sein. Die  ! 2 C 2i! C !02 D 0: (6.35)
dabei auftretende Reibungskraft lässt sich wie in (5.82) in der
Lagrange-Gleichung für q berücksichtigen. Wir nehmen an, Es soll daran erinnert werden, dass  und !0 die ursprünglichen
dass die generalisierte dissipative Kraft linear in qP ist (siehe Eigenschaften des Systems sind und ! bisher nicht bekannt ist.
218 6 Schwingungen

x(t)
λ= 0
Allgemeine Lösung des schwach gedämpften Oszilla-
λ = ω0 /4
tors
x(0) λ = ω0 /2
λ = ω0 Die Auslenkung des schwach gedämpften Oszillators
λ = 2ω0 ( < !0 ) ist
λ = 4ω0
x.t/ D et Œa1 sin.!t/
Q C a2 cos.!t/
Q
  (6.40)
0
Q t cos !t
D Ae Q  ıQ
1 2 3 ω0 /(2π)t
q
mit !Q D !02  2 .

Man sieht, dass die schwache Dämpfung zu einer Schwingung


führt, deren Amplitude exponentiell abklingt. Nach der Zeit
Abb. 6.4 Bahnkurven für verschiedene Dämpfungskoeffizienten . t D 1= ist aufgrund der Reibungskraft die Amplitude auf
Alle Bahnkurven haben die Anfangsbedingungen xP .0/ D 0. Die un- e1 0;37 des Anfangswertes abgefallen. Man nennt die Zeit
gedämpfte Schwingung,  D 0, hat die Oszillationsfrequenz !0 . Für 1= auch die Relaxationszeit der Schwingung. Die Schwin-
 < !0 ist die Dämpfung schwach, und die Frequenz ist kleiner als !0 . gungsfrequenz !Q ist gegenüber der Eigenfrequenz !0 reduziert:
Der Spezialfall  D !0 entspricht der kritischen Dämpfung. Größere !Q < !0 . Die beiden Integrationskonstanten (entweder als a1
Dämpfungskoeffizienten führen auf starke Dämpfung, bei der es – wie Q werden durch die Anfangsbedingungen
bei der kritischen Dämpfung – keine Oszillation mehr gibt
und a2 oder als AQ und ı)
bestimmt. Typische Lösungen x.t/ sind in Abb. 6.4 gezeigt.

Man kann die in ! quadratische Gleichung (6.35) nach ! auflö-


sen und findet die beiden Lösungen
Starke Dämpfung
q q
!˙ D i ˙ .i/2 C !02 D i ˙ !02  2 D i ˙ !:
Q (6.36)
Von starker Dämpfung spricht man, wenn  > !0 ist. In diesem
Zur Abkürzung wurde die Größe Fall ist !Q imaginär:
q q
!Q WD !02  2 (6.37) !Q D i 2  !02 D i!;
N !N 2 R: (6.41)

eingeführt. Da das Argument der Wurzel in (6.37) negativ, po- Die allgemeine Lösung ist
sitiv oder null sein kann, müssen wir eine Fallunterscheidung
durchführen. x.t/ D a1 e.C!/t
N
C a2 e.!/t
N
: (6.42)

Somit gibt es keine Oszillation, und die Bewegung klingt


exponentiell ab, wie in Abb. 6.4 dargestellt. Die beiden Integra-
Schwache Dämpfung tionskonstanten a1 und a2 werden wieder durch die Anfangsbe-
dingungen festgelegt.
Man nennt die Dämpfung schwach, wenn  < !0 ist. Das Argu-
ment der Wurzel in (6.37) ist dann positiv, und !Q ist reell. Ohne
Beschränkung der Allgemeinheit können wir !Q > 0 annehmen.
Dies führt auf die Lösung
Kritische Dämpfung

z˙ .t/ D et e˙i!t


Q
: (6.38) Der Spezialfall  D !0 trennt die schwache und die starke
Dämpfung. Dies bedeutet, dass wir nur noch eine Fundamen-
Kapitel 6

Aus dem Real- und Imaginärteil ergeben sich zwei linear unab- tallösung
hängige, reelle Lösungen: x1 .t/ D et (6.43)

x1 .t/ D et cos.!t/;


Q x2 .t/ D et sin.!t/:
Q (6.39) kennen, da !Q D 0 ist. Wir benötigen allerdings eine zweite
Fundamentallösung, um die DGL (6.31) allgemein zu lösen (sie-
Die allgemeine Lösung ist eine Linearkombination. he „Mathematischen Hintergrund“ 6.1). In solchen Situationen
6.2 Gedämpfte Schwingungen 219

lässt sich die d’Alembert-Reduktion anwenden: Hat man eine li-


neare DGL n-ter Ordnung und kennt eine Fundamentallösung geschrieben werden (wobei wir vereinfachend bloß x und
x1 .t/, so kann man durch den Ansatz y verwenden). Hier ist
r
x2 .t/ D f .t/x1 .t/ (6.44) geff
!0 D (6.50)
l
das Problem auf eine DGL .n  1/-ter Ordnung reduzieren. In
unserem Fall führt dies zunächst auf die Eigenfrequenz des Pendels mit Fadenlänge l im ho-
mogenen Schwerefeld mit effektiver Beschleunigung geff .
    Zur Abkürzung wurde 0 D  sin # eingeführt. Für die
fR x1 C 2fP xP 1 C f xR 1 C 2 fP x1 C f xP 1 C !02 fx1 D 0: (6.45)
Winkelgeschwindigkeit der Erde schreiben wir hier 
(anstatt ! wie in Abschn. 2.4), und # ist die geografische
Frage 7 Breite. Wir kombinieren beide Gleichungen in (6.49), in-
Überprüfen Sie die Gültigkeit dieser Gleichung. dem die zweite mit i multipliziert und zur ersten addiert
wird:

Da aber laut Bedingung zR C 2i0 zP C !02 z D 0; z D x C iy: (6.51)

Gl. (6.51) hat die Form einer gedämpften Schwingung mit


xR 1 C 2Px1 C !02 x1 D 0 (6.46) imaginärer Dämpfung  D i0 .

gilt und außerdem aus (6.43) folgt, dass xP D x ist, bleibt fR D Überlegen Sie sich, dass die „Dämpfung“ schwach ist.
0. Dies wird durch f D t gelöst. Die zweite Fundamentallösung Dazu vergleicht man die typische Schwingungsdauer ei-
lautet also nes Pendels (einige Sekunden) mit der Rotationsperiode
x2 D tet : (6.47) der Erde (fast 105 Sekunden). Also ist 0 !0 und
!Q !0 .
Tatsächlich kann man immer einen Ansatz der Art (6.44) pro-
bieren. Ob man damit auf eine handhabbare Bestimmungsglei- Die Lösung der Bewegungsgleichung (6.49) ist bereits
chung für f .t/ stößt, ist eine ganz andere Frage. In diesem Fall bekannt: 0
führt dieser Ansatz jedenfalls zum Erfolg. z.t/ D ei t e˙i!0 t : (6.52)
Hier ist allerdings zu beachten, dass der Term exp.i0 t/
Frage 8 wegen des imaginären Exponenten keine Dämpfung be-
Überprüfen Sie mithilfe der Wronski-Determinante, dass x1 und schreibt, sondern eine weitere Oszillation mit der Fre-
quenz 0 , denn jexp.i0 t/j D 1. Wir schreiben (6.52)
x2 linear unabhängig sind.
um:
0
x.t/ C iy.t/ D ei t .x0 .t/ C iy0 .t// : (6.53)
Der sogenannte aperiodische Grenzfall hat dann die allgemeine
Lösung Dabei wurden mit x0 .t/ und y0 .t/ die Lösungen, die man
x.t/ D .a1 C a2 t/ et (6.48) für 0 D 0 erhalten würde, verwendet.

mit den Integrationskonstanten a1 und a2 (Abb. 6.4). In Aufgabe Zeigen Sie, dass man (6.53) in der Matrixform
6.4 wird gezeigt, wie man dies auch durch den Grenzfall !Q ! 0 ! ! !
aus (6.40) erhalten kann. x.t/ cos .0 t/ sin .0 t/ x0 .t/
D  (6.54)
y.t/  sin .0 t/ cos .0 t/ y0 .t/
Foucault’sches Pendel
schreiben kann. Berechnen Sie dazu jeweils den Real- und
In Abschn. 2.4 wurden die Bewegungsgleichungen des Imaginärteil von (6.53).
Foucault’schen Pendels abgeleitet, aber noch nicht gelöst.
Dies wollen wir an dieser Stelle nachholen. Gl. (2.91) und Die Matrix in (6.54) beschreibt offensichtlich eine Dre-
(2.92) können in der Form hung in der x-y-Ebene. Die Drehfrequenz 0 D  sin #
Kapitel 6

hängt dabei von der geografischen Breite # ab. Am


xR  20 yP C !02 x D 0; Äquator verschwindet sie vollständig, und die Schwin-
(6.49) gungsebene des Pendels ist für einen erdgebundenen
yR C 20 xP C !02 y D 0 Beobachter fest. J
220 6 Schwingungen

6.3 Erzwungene Schwingungen Man beachte, dass die Winkelgeschwindigkeit ! im Exponenten


derjenigen der äußeren Kraft Fe entspricht. Im Allgemeinen ist
und Resonanz ! 6D !0 und ! 6D !Q ((6.9) und (6.37)).
Es ist nun also die Amplitude z0 zu bestimmen. Einsetzen von
Bisher wurden nur Schwingungen untersucht, die sich für ein (6.59) in (6.57) ergibt zunächst
System ergeben, das einmalig ausgelenkt und dann sich selbst
 
überlassen wird. Hier betrachten wir nun das Verhalten eines ! 2 C 2i! C !02 z0 D c; (6.60)
schwingenden Freiheitsgrades, der kontinuierlich von außen an-
geregt wird. was sich leicht nach z0 auflösen lässt:
Hat die Anregung eine sinusförmige Zeitabhängigkeit, findet c
man Resonanzverhalten: Die Amplitude der Schwingung hängt z0 D : (6.61)
!02  !2 C 2i!
stark von der Frequenz der Anregung ab und wird in einem
schmalen Frequenzbereich maximal.
Für  6D 0 ist z0 offensichtlich eine komplexe Zahl. Unser Ziel
Resonanzen sind für die gesamte Physik wichtig: Die natürliche ist es jetzt, z0 in die Polardarstellung
Breite von Spektrallinien lässt sich verstehen, wenn man einen
einfachen Resonanzeffekt zugrunde legt. In der Kern- und Ele- z0 D Aeiı D jz0 jeiı (6.62)
mentarteilchenphysik spielen Resonanzen fundamentale Rollen.
Für die Bauphysik ist das Verständnis von Resonanzeffekten zu überführen (das Minuszeichen wird eingeführt, um am Ende
entscheidend, da der Wind als äußere Anregung wirkt und Ge- auf eine gebräuchliche Darstellung zu kommen). Es ist dazu am
bäude in Schwingungen versetzen kann. Auch aus der Akustik einfachsten, zunächst die Form
und Elektrotechnik sind Resonanzen nicht wegzudenken.
z0 D Re z0 C i Im z0 (6.63)

zu erhalten.
Allgemeine Lösung für periodischen Antrieb
Frage 9
Sei x die Koordinate eines Freiheitsgrades. Dieser soll nun eine Zeigen Sie, dass sich
äußere periodische Kraft  
c !02  ! 2
Fe .t/ D mc
Q cos.!t/ (6.55) Re z0 D  2 ;
!02  ! 2 C 42 ! 2
(6.64)
erfahren, sodass die Bewegungsgleichung 2c!
Im z0 D  2
!0  ! 2 C 42 ! 2
2
xR C 2Px C !02 x D c cos.!t/ (6.56)
ergibt. Dabei ist c reell, da die äußere Kraft Fe eine physikali-
lautet. Es wird erneut ein Lösungsansatz in der komplexen Zah- sche (und damit reelle) Größe ist.
lenebene verwendet, daher schreiben wir zunächst

zR C 2Pz C !02 z D c ei!t : (6.57) Es ist nun eine arithmetische Übung, die Amplitude A und die
Phase ı zu bestimmen:
Aus z.t/ 2 C ist später die reelle Lösung x.t/ D Re z.t/
q
zu bestimmen. Im Gegensatz zu (6.31) handelt es sich bei c
(6.57) um eine gewöhnliche inhomogene lineare DGL zweiter A.!/ D Re 2 z0 C Im 2 z0 D q 2 ;
Ordnung. Zu ihrer vollständigen Lösung benötigt man die allge- !02  ! 2 C 42 ! 2
meine Lösung der zugehörigen homogenen Gleichung und eine Im z0 2!
partikuläre Lösung der inhomogenen Gleichung (siehe „Ma- tan ı.!/ D  D 2 :
Re z0 !0  ! 2
thematischen Hintergrund“ 6.1). Die homogene Lösung ist mit (6.65)
(6.38) bereits bekannt: Wir haben mit
zh .t/ D et e˙i!t
Q
: (6.58) xp .t/ D Re zp .t/ D A.!/ cos.!t  ı.!//
Kapitel 6

(6.66)

Wie erhalten wir nun eine partikuläre Lösung? Erneut versuchen eine partikuläre Lösung von (6.56) gefunden. Die allgemeine
wir den Euler-Ansatz (siehe „Mathematischen Hintergrund“ Lösung von (6.56) für  < !0 ist also
6.3)
zp .t/ D z0 ei!t ; z0 D const: (6.59) Q t cos.!t
x.t/ D A.!/ cos.!t  ı.!// C Ae Q
Q  ı/: (6.67)
6.3 Erzwungene Schwingungen und Resonanz 221

a b
ω02
A λ = ω0 /1 δ/π
c
λ = ω0 /2 1
λ = ω0 /5
λ = ω0 /10
4

0,5
2 λ = ω0 /1
λ = ω0 /2
λ = ω0 /5
λ = ω0 /10
0 0
0 0,5 1 1,5 ω/ω0 0 0,5 1 1,5 ω/ω0

Abb. 6.5 Amplitude (a) und Phasenverschiebung (b) der Schwingung mit periodischem Antrieb. Für schwache Dämpfung,  !0 , besitzt
die Amplitude ein ausgeprägtes Maximum mit Breite  2 nahe der Eigenfrequenz !0 . Die Phasenverschiebung ı gibt an, wie stark die
Schwingung relativ zur Anregung verzögert ist. Für ! D !0 schwingt der Oszillator genau mit 90ı Phasenverschiebung, unabhängig von der
Dämpfung 

Die Amplitude A.!/ und Phasenverschiebung ı.!/ hängen von Frage 10


der äußeren Anregungsfrequenz ! ab und sind durch (6.65) Zeigen Sie (6.68) und (6.69), indem Sie von dA.!/=d! D 0
festgelegt. Mit AQ und ıQ stehen zwei Integrationskonstanten zur ausgehen.
Verfügung, die durch die Anfangsbedingungen bestimmt wer-
den.
Man definiert die Halbwertsbreite  der Resonanz durch die
Für große Zeiten, t 1=, bleibt aufgrund der Dämpfung
Bedingung
exp.t/ nur die partikuläre Lösung übrig. Nach einer Ein- 1
schwingung schwingt der Oszillator also mit derselben Frequenz A2 .!˙ / D A2max ; (6.70)
wie die äußere Kraft, und der Schwingungszustand hängt nicht 2
mehr von den Anfangsbedingungen AQ und ıQ ab. Die Phase ist im d. h., man bestimmt die beiden Werte !˙ , die (6.70) erfüllen,
eingeschwungenen Zustand gegenüber der Anregung um ı.!/ und berechnet
verschoben.  WD !C  ! : (6.71)
Während des Einschwingens kann es zu einer Schwebung kom- Nach kurzer Rechnung findet man
men, da (6.67) für t 1= aus zwei Schwingungsanteilen mit
q
Frequenzen !Q und ! besteht. Wir kommen in Aufgabe 6.3 auf
Schwebungen zurück. !˙
2
D !max
2
˙ 2 !02  2 : (6.72)

Zwei Halbwertsbreiten sind ebenfalls in Abb. 6.5 eingezeich-


net. In (6.70) verwendet man das Quadrat der Amplitude, da die
Resonanz und Halbwertsbreite Intensität einer Schwingung (d. h. die mit der Schwingung ver-
bundenen Energie) proportional zum Amplitudenquadrat ist.

Für gegebene Eigenfrequenz !0 und Dämpfung  ist die Ampli- Frage 11


tude A.!/ in (6.65) eine Funktion der Anregungsfrequenz !. In Rechnen Sie (6.72) nach.
Abb. 6.5 sind einige Funktionen A.!/ dargestellt. Man erkennt
das typische Resonanzverhalten: Die Kurvenschar A.!/ besitzt
ein Maximum Für sehr große Anregungsfrequenzen, ! ! 1, wird wegen
c
Amax D q (6.68) A ! 0 die Schwingungsanregung sehr klein. Dies liegt an der
2 !02  2 Trägheit des Oszillators, der auf die hohe Anregungsfrequenz
nicht mehr reagieren kann. Außerdem sehen wir, dass für ! ! 0
Q VQ D Fmax =VQ folgt. Die Amplitude des
Kapitel 6

bei der Anregungsfrequenz gerade A ! c=!02 D mc=


q schwingenden Systems wird dann also direkt durch die Ampli-
!max D !02  22 ; (6.69) tude der Kraft bestimmt.
Genau wie die Amplitude A.!/ ist auch die Phasenverschie-
der sogenannten Resonanzfrequenz. bung ı.!/ für gegebene Eigenfrequenz !0 und Dämpfung 
222 6 Schwingungen

Vertiefung: Allgemeine Lösung für erzwungene Schwingungen


Suszeptibilität und Fourier-Transformation

Bisher kennen wir mit (6.67) nur die allgemeine Lösung ZC1
1
für getriebene Oszillationen, wenn die Anregung Fe .t/ pe- FQ e .!/ D p Fe .t/ei!t dt
riodisch ist. Was passiert jedoch, wenn die Anregung eine 2
1
beliebige Funktion der Zeit ist? In diesem Fall kann man zei-
gen, dass die partikuläre Lösung die Fourier-Transformierte von Fe .t/ ist.
0 1 Die mathematischen Methoden, um mit diesen Gleichungen
ZC1 Q
1 Fe .!/ arbeiten zu können, werden erst in Bd. 2, Kap. 3 ausführ-
xp .t/ D Re @ p .!/ei!t d! A
2 Q
m lich besprochen. Anschaulich wird die Kraft Fe .t/ zunächst
1
als lineare Überlagerung von harmonischen Schwingungen
geschrieben; dies ist gerade die Idee hinter der Fourier-
lautet, wobei Transformation. Die Funktion FQ e .!/ gibt dann an, wie stark
der Anteil der Schwingung ei!t mit Frequenz ! zu Fe .t/ bei-
1 trägt. Da die Schwingungsgleichung eine lineare DGL ist,
.!/ D
!02  !2C 2i! können Lösungen linear überlagert werden; in diesem Fall
wird die Überlagerung durch Integration über alle !-Beiträ-
die sogenannte Suszeptibilität (siehe auch (6.61)) und ge erreicht.

eine Funktion der Anregungsfrequenz !. In Abb. 6.5 sind ei- Man kann den Ausdruck (6.72) für die Halbwertsbreite  ent-
nige Kurven der Schar ı.!/ gezeigt. Die Phasenverschiebung wickeln und findet nach kurzer Rechnung
ist eine monoton ansteigende Funktion von ! und nähert sich
in den Grenzfällen ! ! 0 und ! ! 1 jeweils den Werten !˙ !max ˙  (6.74)
ı ! 0 und ı ! an. Wird das System gerade mit der Eigen-
frequenz !0 angeregt, ist die Phasenverschiebung stets =2 und und somit
damit unabhängig von .  2: (6.75)
Eine positive Phasenverschiebung bedeutet, dass die Schwin-
gung der Anregung „hinterher läuft“. Bei sehr kleinen Anre- Frage 12
gungsfrequenzen ! ! 0 ist die Phasenverschiebung ı klein, Entwickeln Sie !˙ in (6.72), indem Sie ausnutzen, dass =!0
und die Schwingung folgt der Anregung fast instantan. Bei ho- eine kleine Größe ist.
hen Anregungsfrequenzen ist die Phasenverschiebung ı ,
und die Schwingung ist gegenphasig zur Anregung.
Es ist noch erwähnenswert, dass es auch parametrische Reso- Somit wird der Resonanzbereich des Oszillators bei schwacher
nanz gibt, bei der nicht ein inhomogener Term (d. h. eine Kraft) Dämpfung sehr schmal.
in der Gleichung auftaucht, sondern ein Systemparameter zeit- Achtung Man darf nicht vergessen, dass wir im Allgemein-
abhängig gemacht wird (z. B. eine Oszillation der Länge eines fall noch immer kleine Schwingungen betrachten, bei denen nur
Fadenpendels). die führende Ordnung in x bzw. xP mitgenommen wird. Resonan-
zen bei schwacher Dämpfung führen allerdings auf sehr große
Amplituden, bei denen die Näherung einer kleinen Schwingung
unter Umständen nicht mehr gültig ist. Eine exakte Lösung ist
Schwache Dämpfung daher stark problemspezifisch und kann wesentlich aufwendiger
sein als das hier vorgestellte Vorgehen. J
Im Grenzfall schwacher Dämpfung,  !0 , vereinfachen sich
die Resonanzgleichungen. Zunächst gilt
Kapitel 6

c 2 Energieumsatz
Amax ; !max !0  !0 ; (6.73)
2!0 !0
d. h., die Resonanzfrequenz ist nur geringfügig kleiner als die Aufgrund der Reibungskraft
Eigenfrequenz !0 . Wegen  !0 ist Amax c=!02 D A.! D
0/. FR D 2mP
Qx (6.76)
6.4 Kleine Schwingungen gekoppelter Systeme 223

geht dem mechanischen System Energie in Form von Wärme (1  i  F). In Anwesenheit von r holonomen Zwangsbe-
verloren. Es soll nun bestimmt werden, wie viel Energie im dingungen ist F D 3N  r. Dämpfungseffekte berücksichtigen
eingeschwungenen Zustand pro Periode dissipiert wird und ent- wir nicht, da sie im Allgemeinen zu sehr aufwendigen Rechnun-
sprechend auch wieder von außen zugeführt werden muss. Dazu gen führen. Äußere Kräfte, die nicht im betrachteten Potenzial
muss die Verlustleistung P D FR xP über eine Periode gemittelt enthalten sind, werden zunächst ignoriert, aber in Aufgabe 6.7
werden, indem zuvor für xP die Zeitableitung der partikulären hinzugefügt. Ein einfaches Beispiel sind die sechs Freiheitsgra-
Lösung (6.66) eingesetzt wird: de zweier Punktmassen m1 und m2 , die durch eine elastische
˝ ˛ ˝ ˛ Feder miteinander verbunden sind.
hPi D  2mP Q x2 D 2mAQ 2 .!/! 2 sin2 .!t  ı/
(6.77) Alle Kräfte sollen aus einem Potenzial V.q/ ableitbar sein,
D mAQ 2 .!/! 2: wobei wieder q stellvertretend für alle F generalisierten Koordi-
naten qi geschrieben wird.
Es wurde dabei ausgenutzt, dass der über eine Periode gemittelte
Wert von sin2 .!t/ gerade 12 ergibt. Wegen A.!/ ist die dissipier- Das Potenzial V.q/ ist nun eine mehrdimensionale Abbildung
te Leistung stark von der Anregungsfrequenz ! abhängig. RF ! R. Das System ist dann im Gleichgewicht am Punkt
q0 D .q1;0; : : : ; qF;0/, wenn alle F generalisierten Kräfte ver-
Frage 13 schwinden:
˝ ˛
Zeigen Sie, dass sin2 .!t/ D 12 ist, wenn über eine Periode ˇ
@V ˇˇ
gemittelt wird. Qi D D 0 .1  i  F/: (6.78)
@qi ˇqDq0

In der Praxis können Resonanzeffekte vor allem bei schwacher Genau wie in (6.5) wird das Potenzial um dieses Gleichgewicht
Dämpfung verheerende Auswirkungen haben. So sind in der entwickelt und nur der in den Koordinaten i WD qi  qi;0 qua-
Vergangenheit mehrere Brücken durch Resonanzkatastrophen dratische Term mitgenommen:
(verursacht durch Wind oder im Gleichschritt marschierende
ˇ
1 X @2 V ˇˇ 1X
Soldaten) eingestürzt. Einigen Menschen wird nachgesagt, dass F F
V./   D Vij i j : (6.79)
2 i;jD1 @i @j ˇD0
sie ein Weinglas durch ihre Stimme zum Zerspringen bringen i j
2 i;jD1
können. Dies ist jedoch schon aufgrund der geringen Anre-
gungsleistung der menschlichen Stimme nicht möglich. Eine
wichtige Maßnahme gegen Resonanzkatastrophen ist die Ver- Man beachte, dass Pi D qP i wegen qi;0 D const gilt.
größerung der Dämpfung .
Das Potenzial V wird in der Regel Terme beinhalten, die
der Kopplung zweier Freiheitsgrade entsprechen. Eine häufi-
ge Form ist / .i  j /2 (elastische Kopplung). Wirken äußere
6.4 Kleine Schwingungen Kräfte, kommen auch Terme / i2 vor. Dies werden wir bei-
spielsweise in (6.116) sehen.
gekoppelter Systeme
Frage 14
Häufig hat man es in realistischen Anwendungen mit Systemen Schauen Sie sich erneut die allgemeine Taylor-Entwicklung für
F gekoppelter Freiheitsgrade zu tun. Es sind dann die Bewe- mehrdimensionale Funktionen V./ D V.1 ; : : : ; F / an und
gungsgleichungen der Freiheitsgrade simultan zu lösen. Dies vergewissern Sie sich, dass (6.79) die Verallgemeinerung des
erfordert im Allgemeinen ein stark vom Problem abhängiges quadratischen Terms in (6.5) ist.
Vorgehen. Befindet sich das System allerdings in einem Zustand
nahe des Gleichgewichts, kann man einen relativ einfachen For-
malismus ableiten, mit dem sich die Bewegungsgleichungen Auch die kinetische Energie wird wie in (6.6) entwickelt. Man
dieser Systeme lösen lassen. In diesem Abschnitt wird gezeigt, findet
1X PP
F
wie sich die Bewegungsgleichungen entkoppeln lassen, indem
geeignete Koordinaten (Normalkoordinaten) eingeführt werden. T Tij i j : (6.80)
2 i;jD1
Als Ergebnis erhält man F einfache Schwingungsgleichungen,
eine für jede Normalkoordinate. Die Lösungen der entkoppelten Die Elemente Tij ergeben sich aus der kinetischen Energie. Hat
Gleichungen sind aus Abschn. 6.1 bereits bekannt. man es insgesamt mit N Punktmassen mit kartesischen Koordi-
naten xk zu tun, dann ist wegen (5.98):
Kapitel 6

X  ˇ
@xk @xk ˇˇ
N
Bewegungsgleichungen Tij WD mk  : (6.81)
kD1
@qi @qj ˇD0
Als Verallgemeinerung von (6.1) betrachten wir nun ein ge-
koppeltes System von F Freiheitsgraden mit Koordinaten qi Die F 2 Größen Tij sind konstant.
224 6 Schwingungen

Anwendung: Spektrallinien
Zusammenhang mit angeregten Elektronenschwingungen

Elektronen in der Atomhülle, die von einer einfallenden dieser Strahlung. Es entsteht eine Absorptionslinie mit einem
elektromagnetischen Welle angeregt werden, können als Profil A2 .!/. Dieses wird als Lorentz-Profil bezeichnet. We-
schwingende Dipole beschrieben werden. Das anregende gen  !0 ist die Dämpfung schwach, und die natürliche
elektrische Feld soll eine ebene, monochromatische Welle Linienbreite ist
sein:
2q2 !02
 D 2 D :
E.t/ D E0 cos.!t/: 3mc3

Die auf das Elektron mit Ladung q und Masse m wirkende Typische Breiten von Spektrallinien sind  108 s1 . Dies
Lorentz-Kraft ist ist mit dem Frequenzbereich des sichtbaren Lichtes zu ver-
gleichen, der sich von 3;7  1013 s1 (rot) bis 7;5  1013 s1
Fe .t/ D mRx D qE.t/ D qE0 cos.!t/: (blau) erstreckt. Eine Spektrallinie ist also etwa eine Million
mal schmaler als der sichtbare elektromagnetische Spektral-
Zusätzlich führt das Elektron eine durch den Atomkern be- bereich. Abb. 6.6 zeigt das Emissionsspektrum einer Leucht-
dingte harmonische Schwingung mit der Eigenfrequenz !0 stofflampe.
aus.
Beschleunigte Ladungen strahlen sogenannte Bremsstrah-
lung ab; sie verlieren also Energie, und die Schwingung ist
gedämpft. In Bd. 2, Kap. 9 wird gezeigt, dass der Dämp-
fungskoeffizient

q2 !02
D
3mc3
ist, wobei c die Lichtgeschwindigkeit ist. Die Elektronen-
ladung wird hier in cgs-Einheiten angegeben: q D 4;8 
1010 g1=2 cm3=2 s1 . Demzufolge ist die Resonanzkurve

qE0 =m
A.!/ D q 2 : Abb. 6.6 Emissionsspektrum des Lichtes einer Leuchtstofflampe.
!02  ! 2 C 42 ! 2 Ein Emissionsspektrum entsteht dadurch, dass eine Lichtquelle nur
Licht bestimmter Frequenzen emittiert. Im Gegensatz dazu wird ein
Absorptionssprektrum erzeugt, indem Licht mit einer kontinuier-
Wird das Elektron durch elektromagnetische Strahlung mit lichen Frequenzverteilung durch ein optisches Medium läuft, das
kontinuierlichem Spektrum beleuchtet, absorbiert es Anteile bestimmte Frequenzen absorbiert (© Sheevar)

Die Lagrange-Funktion lautet Wegen T D const folgen mit dem Koordinatenvektor  WD


.1 ; : : : ; F /> aus (6.82) die Bewegungsgleichungen in Matrix-
1X PP 1X
F F
L DT V D Tij i j  Vij i j : (6.82) form:
2 i;jD1 2 i;jD1
T R C V D 0: (6.84)
Bei V und T handelt es sich um quadratische Formen. Beide
können durch symmetrische F  F-Matrizen dargestellt werden.
Wir definieren Es handelt sich dabei um ein gekoppeltes System von F linea-
0 1 0 1 ren und homogenen DGL zweiter Ordnung und mit konstanten
T11    T1F V11    V1F Koeffizienten. Gl. (6.84) ist die Verallgemeinerung der har-
B : C B C
Kapitel 6

:: C ; V WD B :: ::
T WD B
@ :: : A @ : :
C : (6.83)
A
monischen Schwingungsgleichung (6.8) auf mehrere Freiheits-
grade.
TF1    TFF VF1    VFF

Die Symmetrie von T und V, also T > D T und V > D V, ergibt Die kinetische Energie kann niemals negativ werden. Daher
>
sich offensichtlich direkt aus ihren Definitionen. muss für beliebige P der Zusammenhang P T P  0 gelten.
6.4 Kleine Schwingungen gekoppelter Systeme 225

Frage 15 und schreiben damit


Zeigen Sie, dass dies hier gilt, indem Sie sich zunächst überle- T D B0> B0 : (6.88)
gen, dass
!2 Frage 16
XN XF
@xk
P > T P D mk qP i (6.85) Überlegen Sie sich, dass
kD1 iD1
@qi
det.B0 / > 0 (6.89)
erfüllt ist.
ist (dies gilt jedenfalls dann, wenn det.R/ D C1 erfüllt ist, wor-
Die Matrix T muss also positiv-semidefinit sein. Im Rahmen auf wir uns hier beschränken wollen).
der quadratischen Näherung muss die kinetische Energie T > 0
erfüllen, wenn mindestens eine Geschwindigkeit Pi 6D 0 ist. Wir werden bald ausnutzen, dass die Matrix B0 nur bis auf eine
Wenn wir den trivialen Fall ignorieren, in dem alle Pi null sind, orthogonale Transformation S festgelegt ist, denn die Matrix
muss die Matrix T daher sogar positiv-definit sein.
B  SB0 (6.90)

erfüllt ebenfalls
Einführung von Normalkoordinaten T D B> B; (6.91)
und Diagonalisierung der Matrizen
wie man schnell nachrechnet. Wir führen nun die Normalkoordi-
naten  0 als Linearkombination der ursprünglichen Koordinaten
Die Gestalt der Matrizen T und V hängt von der Problemstel-  ein:
lung ab. Im Allgemeinen werden die Bewegungsgleichungen  0 WD B: (6.92)
verschiedener Freiheitsgrade allerdings gekoppelt sein, d. h., die
Bewegungsgleichung für i enthält generell andere j und Rj . Wegen det.B/ 6D 0 ist die Koordinatentransformation invertier-
Dies ist dann der Fall, wenn T und V nicht diagonal sind. bar:
 D A 0 ; A D B1 : (6.93)
Wir werden in Kürze sehen, dass sich die Bewegungsgleichun-
gen dank ihrer Linearität entkoppeln lassen. Dazu müssen F
Frage 17
sogenannte Normalkoordinaten i0 .1 ; : : : ; F / eingeführt wer-
>
den; es ist also eine Koordinatentransformation notwendig. Als Zeigen Sie, dass sich die kinetische Energie T D P T =2
P in der
Ergebnis erhält man F Bewegungsgleichungen für jeweils eine Form
Normalkoordinate, die nicht von den F  1 anderen Normalko- 1 0> 0
T D P P (6.94)
ordinaten abhängen. Normalkoordinaten beschreiben somit die 2
Eigenschwingungen bzw. Eigenmoden des Systems. Solch ein schreiben lässt.
Gleichungssystem ist wesentlich einfacher zu untersuchen und
zu interpretieren als ein gekoppeltes System.
Die potenzielle Energie lautet, ausgedrückt durch die Normal-
Das Ziel ist es, die beiden Matrizen T und V simultan zu dia-
koordinaten  0 :
gonalisieren, denn dann sind die Bewegungsgleichungen (6.84)
entkoppelt. Wir werden nun zunächst T diagonalisieren und 1 > 1
anschließend zeigen, dass durch eine geschickte Wahl der Ko- VD  V D  0> A> VA 0 : (6.95)
2 2
ordinatentransformation gleichzeitig V diagonalisiert werden
kann. Für die folgenden Rechnungen werden einige Ergebnis- Bisher wurde die Freiheit der Wahl von S nicht ausgenutzt. Mit
se der linearen Algebra benötigt.
B  SB0 H) A D B1 D B01 S1 DW A0 S> (6.96)
Auch in der Quantenmechanik spielt die simultane Diagonali-
sierung von Matrizen eine entscheidende Rolle, wie in Bd. 3, lässt sich daher (wegen S1 D S> ) die Matrix A0 definieren und
Kap. 3 noch deutlich werden wird. es gilt:  
Aus der linearen Algebra ist bekannt, dass sich jede symmetri- A> VA D S A0> VA0 S> : (6.97)
sche reelle Matrix diagonalisieren lässt und alle Eigenwerte reell
Der eingeklammerte Term ist eine symmetrische und daher dia-
sind. Daher gilt
gonalisierbare Matrix. Man kann nun die Transformation S so
T D R> DR (6.86)
Kapitel 6

wählen, dass sie den eingeklammerten Term in (6.97) diagona-


mit einer orthogonalen Matrix R und der diagonalen Matrix lisiert und somit
D D diag.t1 ; : : : ; tF /. Aufgrund der Positiv-Definitheit von T
sind alle F Zahlen ti positiv. Wir definieren nun die Matrix A> VA D diag.1 ; : : : ; F / (6.98)
p p 
B0 WD diag t1 ; : : : ; tF R (6.87) ist.
226 6 Schwingungen
p
Da alle Eigenwerte ti positiv sind, sind alle ti reell. Daher sind wobei die aij die Matrixelemente von A sind. Es folgt mit
0 0
auch die Matrizen A, A , B und B reell. Weiterhin ist die Matrix (6.102) und (6.103) die Eigenwertgleichung
V symmetrisch, und all ihre Eigenwerte i sind ebenfalls reell
(aber nicht zwangsläufig positiv). Vai D i Tai .1  i  F/: (6.104)
Zusammengefasst lauten die kinetische und potenzielle Energie
Es ist zu beachten, dass ai kein 3-, sondern ein F-Tupel ist und
damit im Allgemeinen keinen kartesischen Vektor darstellt.
1 X P 02 1X
F F
TD  ; VD i i02 ; (6.99)
2 iD1 i 2 iD1 Achtung Im Gegensatz zu den Eigenwertgleichungen, die
uns bisher begegnet sind, ist hier die Einheitsmatrix durch die
wenn sie durch die Normalkoordinaten ausgedrückt werden. Die Matrix T ersetzt worden. Man sagt, T ist der metrische Ten-
F entkoppelten Bewegungsgleichungen für die unabhängigen sor des Eigenwertproblems. Alle Sätze über das gewöhnliche
Koordinaten i0 lauten schließlich Eigenwertproblem sind vollständig auf das vorliegende Eigen-
wertproblem übertragbar, wobei T die Rolle der Einheitsmatrix
übernimmt. Die mathematischen Methoden sind dabei identisch
Ri0 C i i0 D 0 .1  i  F/: (6.100)
zu denen, die bei der Diagonalisierung des Trägheitstensors in
Kap. 4 besprochen wurden, wobei hier die Matrizen F-dimen-
Die Bewegungsgleichung für i0 ist unabhängig von allen an-
sional sind. J
deren Normalkoordinaten j0 und ihren Ableitungen Rj0 . Die F
Zahlen i sind eng verknüpft mit den Eigenwerten der Matrix Um die F Eigenvektoren ai zu bestimmen, ist zunächst die cha-
V. Ein Vergleich mit (6.8) zeigt, dass i die quadratische Eigen- rakteristische Gleichung
frequenz der Koordinate i0 ist:
det.V  T/ D 0 (6.105)
i DW !i;0
2
: (6.101)
zu lösen. Als Ergebnis erhält man die F reellen Eigenwerte i ,
Im Gegensatz zu den ti kann man allgemein nichts über die die teilweise oder vollständig entartet sein können. Für nicht-
Vorzeichen der i sagen. Sie hängen vom Potenzial V.q/ ab. Ins- entartete Eigenwerte sind die zugehörigen Eigenvektoren ai au-
besondere kann i negativ und die entsprechende Eigenfrequenz tomatisch orthonormal bezüglich der Matrix T:
imaginär sein. Wir kommen später wieder darauf zurück. Vorher
soll allerdings noch beantwortet werden, wie man die hier be- A> TA D A> B> BA D IF H) a>
i Taj D ıij : (6.106)
schriebene Diagonalisierung praktisch durchführt und wie die
Normalkoordinaten erhalten werden können. Hier ist IF die F  F-Einheitsmatrix. Sind Eigenwerte entartet,
so sind die entsprechenden Eigenvektoren so zu wählen, dass sie
paarweise orthonormal sind. Gl. (6.106) beschreibt eine verall-
gemeinerte Orthonormalitätsrelation.
Bestimmung der Normalkoordinaten

Um das Problem zu diagonalisieren und aus den Koordinaten 


die Normalkoordinaten  0 zu erhalten, benötigt man die F Ei- Allgemeine Lösung und Stabilität
genwerte i und die Matrix B bzw. A D B1 . Es wird nun ein
Verfahren vorgestellt, wie man beides gewinnen kann.
Die Diskussion der F Gleichungen (6.100) ist vollständig analog
Zunächst gehen wir von (6.98) aus und schreiben wegen B> D zu der in Abschn. 6.1. Insbesondere kann man den komple-
.A> /1 , B> D B> BB1 und B> B D T: xen Ansatz exp.i!i t/ mit !i2 D i für die Lösung von (6.100)
verfolgen und anschließend die allgemeine Lösung als Line-
VA D B> diag.1 ; : : : ; F / D TA diag.1 ; : : : ; F /: (6.102) arkombination der Real- und Imaginärteile konstruieren. Man
unterscheidet dabei die folgenden Fälle:
Frage 18
Vollziehen Sie diese Zwischenschritte nach. 1. Sind allepEigenwerte i > 0, dann sind alle Eigenfrequenzen
!i;0 D i reell und alle Lösungen harmonische Schwin-
gungen,
Die gesuchte reelle Matrix A wird in F Spaltenvektoren ai zer- i0 .t/ D Ci cos.!i;0 t  ıi /;
Kapitel 6

(6.107)
legt: 0 1
a1i mit reellen Integrationskonstanten Ci und ıi . In diesem Fall
B : C
A D .a1 ; : : : ; aF /; ai D @ :: C
B
A; (6.103) besitzt das Potenzial V.q/ in q0 ein striktes Minimum, d. h.,
für jede kleine Auslenkung ıq aus dem Gleichgewicht ist
aFi V.q0 C ıq/ > V.q0 /, und das System ist stabil (Abb. 6.7).
6.4 Kleine Schwingungen gekoppelter Systeme 227

Übersicht: Lösung der gekoppelten Bewegungsgleichungen

Zusammenfassend geht man folgendermaßen vor: 3. Bestimmen Sie die F Eigenvektoren ai , die Vai D i Tai
erfüllen und der Orthonormalitätsrelation a>
i Taj D ıij ge-
1. Stellen Sie für das vorliegende Problem die Matrizen T nügen. Dies führt auf die Transformationsmatrix A.
und V auf. 4. Falls gewünscht, lassen sich die Normalkoordinaten über
2. Finden Sie die Lösungen der charakteristischen Glei-  D A 0 bestimmen.
chung det.V  T/ D 0. Somit sind die F Eigenwerte
i bekannt.

a V b V

S(q1,0 , q2,0 )
Pmin (q1,0 , q2,0 )

q1 q2 q1 q2

Abb. 6.7 Stabilität von Gleichgewichten am Beispiel F D 2. a Der Punkt Pmin .q1;0 ; q2;0 / ist ein lokales Minimum der Potenziallandschaft
V.q1 ; q2 /. Das Gleichgewicht ist sowohl für q1 als auch für q2 stabil. b Der Punkt S.q1;0 ; q2;0 / ist ein Sattelpunkt, der für q1 ein lokales Minimum,
für q2 aber ein lokales Maximum darstellt. So ist zwar das Gleichgewicht von q1 stabil, nicht aber das für q2

Die allgemeine Lösung der Bewegungsgleichungen für das Kraft verbunden ist. Wir werden in Abschn. 6.5 noch sehen,
Gesamtsystem ist dann die lineare Überlagerung dass dieser Fall typisch für Systeme ist, die keinen äußeren
Kräften unterworfen sind und deren Schwerpunkt sich mit
X
F X
F konstanter Geschwindigkeit bewegen kann (Impulserhaltung
.t/ D ai i0 .t/ D ai Ci cos.!i;0 t  ıi /: (6.108) des Schwerpunktes).
iD1 iD1

Man nennt die Eigenfrequenzen !i;0 auch Normalfrequen- Die Integrationskonstanten Ci und ıi lassen sich folgenderma-
zen. ßen bestimmen: Zur Zeit t D 0 ist
2. Ist mindestens ein Eigenwert i  0, dann kann i0 im
Rahmen der harmonischen Näherung unbegrenzt wachsen. X
F X
F

Insbesondere kann es für i < 0 zum exponentiellen Wachs- 0 D ai Ci cos ıi ; P 0 D ai Ci !i;0 sin ıi : (6.111)
tum von i0 kommen: iD1 iD1

p Aus der Orthonormalität der Eigenvektoren ai bezüglich der


i0 / e˙ ji jt : (6.109) Matrix T folgt

Für i < 0 ist das System also instabil, da keine kleine a> a> P
i T 0 D Ci cos ıi ; i T  0 D Ci !i;0 sin ıi : (6.112)
Schwingungen um den vermeintlichen Gleichgewichtspunkt
möglich sind. Für eine genauere Analyse solcher Systeme Dies erlaubt die Berechnung der gesuchten Integrationskonstan-
müssen allerdings Terme höherer Ordnung hinzugezogen ten.
werden, was auf äußerst problemspezifische Rechnungen
führt. Für i D 0 löst Man spricht von Normalschwingungen oder Eigenschwingun-
gen, wenn nur genau eine Normalkoordinate angeregt ist:
Kapitel 6

i0 D i;0
0
C Pi;0
0
t; 0
i;0 ; Pi;0
0
D const (6.110)
.t/ D ai Ci cos.!i;0 t  ıi /; Cj D 0 .j 6D i/: (6.113)
die Bewegungsgleichung. Diese Situation wird als indiffe-
rentes Gleichgewicht bezeichnet, da das Potenzial entlang Im Allgemeinen ist die Lösung (6.108) eine lineare Superpo-
i0 konstant ist und mit einer Auslenkung von i0 keine sition von Normalschwingungen. Die Vektoren ai geben die
228 6 Schwingungen

relativen Amplituden der Eigenschwingungen der gekoppelten


Punktmassen für die i-te Eigenmode an. Insbesondere bedeutet Hier ist zu beachten, dass V symmetrisch formuliert wer-
ai / .1; 1; : : : ; 1/> , dass die Amplituden aller Punktmassen für den muss. Dazu haben wir den Mischterm / '1 '2 durch
die i-te Eigenmode gleich sind. zwei dividiert und ihn auf die beiden Nebendiagonalele-
In Aufgabe 6.7 wird gezeigt, wie sich äußere Kräfte, die nicht mente verteilt.
in V enthalten sind, in den Formalismus der Normalkoordinaten Die charakteristische Gleichung det.V  T/ D 0 lautet
einbinden lassen.
l2 .mg C Dl  ml/2  D2 l2 D 0; (6.118)
Frage 19
und die beiden Lösungen sind
Überlegen Sie sich, dass die Bahnkurve .t/ im F-dimensiona-
len Parameterraum periodisch ist, wenn alle F Eigenfrequenzen g g D
!i;0 in einem rationalen Verhältnis zueinander stehen. Ansons- 1 D > 0; 2 D C 2 > 0: (6.119)
l l m
ten ist die Bahnkurve .t/ nicht geschlossen und kehrt niemals
in ihren Anfangszustand zurück. In jedem Fall handelt es sich also um stabile Schwingun-
gen beider Freiheitsgrade. Es sind nun die Eigenvektoren
zu bestimmen:
Zwei elastisch gekoppelte Punktmassen !
mgl C Dl2  i ml2 Dl2
ai D 0:
Der in diesem Abschnitt vorgestellte Formalismus soll Dl2 mgl C Dl2  i ml2
hier an einem einfachen Beispiel verdeutlicht werden: (6.120)
Zwei Punktmassen der Masse m hängen jeweils an ebenen Für den ersten Eigenwert folgt
Pendeln der Länge l. Die beiden Aufhängepunkte haben ! !
einen Abstand x0 . Die Pendel seien durch eine Feder mit Dl2 Dl2 1
der Federkonstanten D und der Ruhelänge x0 miteinander a1 D 0 H) a1 / : (6.121)
Dl2 Dl2 1
gekoppelt. Beide Pendel sollen nur in der gemeinsamen
Ebene schwingen können. Somit gibt es mit den beiden Der zweite Eigenwert führt auf
Auslenkungswinkeln '1 und '2 nur zwei Freiheitsgrade. ! !
Die kinetische Energie ist Dl2 Dl2 1
a2 D 0 H) a2 / :
ml2  2  Dl2 Dl2 1
TD 'P 1 C 'P 22 : (6.114)
2 (6.122)
Beiträge zur potenziellen Energie kommen vom homoge-
nen Schwerefeld und der Feder: Es sollen noch beide Eigenvektoren bezüglich T nor-
miert werden, d. h., wir fordern a>i Taj D ıij . Zunächst
V D mgl.cos '1 C cos '2 / sieht man schnell, dass a1 und a2 bezüglich T orthogonal
D hp i2 (6.115)
zueinander sind. Dies muss so sein, da die beiden Eigen-
C .x1  x2 /2 C .y1  y2 /2  x0 :
2 werte nicht entartet sind. Die noch fehlende Normierung
führt auf
Sind die Auslenkungen klein, können die Auslenkungen ! !
y1 und y2 gegenüber x1 und x2 vernachlässigt werden. 1 1 1 1
Weiterhin verwenden wir die Näherungen x1 D l sin '1 a1 D p ; a2 D p : (6.123)
2ml2 1 2ml2 1
l'1 , x2 x0 C l'2 und cos '1;2 1  '1;2
2
=2. Ignoriert
man den konstanten Term, lautet die potenzielle Energie Dies entspricht im Wesentlichen (bis auf Vorfaktoren) ei-
ner Zerlegung in Schwerpunkts- und Relativkoordinaten
mgl  2  Dl 2
V '1 C '22 C .'1  '2 /2 : (6.116) der beiden Punktmassen. Die beiden Normalschwingun-
2 2 gen haben die folgenden Bedeutungen:
Der Gravitationsbeitrag entspricht einem äußeren Poten-
zial, der Federbeitrag einer Kopplung der Freiheitsgrade 1. Die beiden Punktmassen schwingen gleichphasig (a1 ),
(Wechselwirkung, innere Kräfte). Wir notieren die beiden d. h. xP 1 D xP 2 .
Matrizen 2. Die beiden Punktmassen schwingen gegenphasig (a2 ),
! d. h. xP 1 D Px2 .
2 1 0
T D ml ; p
Kapitel 6

0 1 Beide Normalschwingungen haben mit !1;0 D 1


! ! (6.117) p
und !2;0 D 2 verschiedene Eigenfrequenzen. Dies
1 0 1 1
V D mgl C Dl2
: liegt daran, dass die Feder bei der gleichphasigen Nor-
0 1 1 1 malschwingung keine Rolle spielt und die Rückstellkraft
6.5 Anwendungen gekoppelter Oszillatoren 229

m D M D m
(d. h. diejenige Kraft, die der Auslenkung entgegenwirkt)
nur aufgrund der Gravitation zustande kommt. Bei der
gegenphasigen Normalschwingung wird die Feder ge-  
dehnt und gestaucht, und die Federkonstante D geht in
Abb. 6.8 Modell des hier betrachteten linearen dreiatomigen Moleküls
die Schwingungsfrequenz ein. Die allgemeine Lösung
x.t/ D .x1 .t/; x2 .t//> ist eine lineare Überlagerung die-
ser Schwingungen, m 2  M
TD xP 1 C xP 23 C xP 22 ;
2 2
x.t/ D a1 C1 cos.!1;0t  ı1 / (6.125)
D
C a2 C2 cos.!2;0 t  ı2 /; (6.124) VD .x2  x1  `/2 C .x3  x2  `/2 :
2
und die Amplituden und Phasenverschiebungen der bei- Alle Terme sind bereits höchstens quadratisch in den Koor-
den Normalschwingungen sind durch die (hier nicht ge- dinaten und ihren Ableitungen; T und V müssen also nicht
gebenen) Anfangsbedingungen festgelegt. In Aufgabe 6.3 entwickelt werden.
wird gezeigt, dass bei gekoppelten Pendeln Schwebungen Für x2  x1 D ` und x3  x2 D ` besteht Gleichgewicht.
auftreten können. J Offensichtlich ist das Problem translationsinvariant: Wird das
gesamte Molekül entlang der x-Achse verschoben, ändert sich
die Lagrange-Funktion L D T  V nicht. Das Noether-Theo-
rem besagt hier demnach, dass der Gesamtimpuls entlang der x-
Achse erhalten ist. Dies wird uns später bei der Diskussion der
6.5 Anwendungen gekoppelter Eigenwerte wieder begegnen. Außerdem ist wegen der Zeitun-
Oszillatoren abhängigkeit von L die Energie erhalten.

Frage 20
Abschn. 6.4 ist recht theoretisch, liefert aber wesentliche Ein- Vergewissern Sie sich, dass für x2  x1 D ` und x3  x2 D `
blicke in die mathematischen Methoden der Physik. Um diese Gleichgewicht besteht.
Erfahrung auf praktische Probleme anzuwenden, betrachten wir
zwei Beispielsysteme, die für die Physik und Technik sehr
wichtig sind: die Schwingungen eines linearen dreiatomigen Es bietet sich an, auf einen anderen Koordinatensatz i zu
Moleküls und die lineare Kette als Modell eines eindimensiona- wechseln, der die Auslenkung aus den Gleichgewichtslagen be-
len Kristalls. Die hier erarbeiteten Ergebnisse spielen eine große schreibt:
Rolle in der Spektroskopie und der Festkörperphysik. Zum Ab-
schluss des Kapitels besprechen wir den akustischen Doppler- 1 D x1 C `; 2 D x2 ; 3 D x3  `: (6.126)
Effekt, der jedem Leser aus dem Alltag bekannt ist. Daraus ergeben sich die Energieterme
1  P2 
TD m1 C M P22 C mP32 ;
2 (6.127)
Schwingungen eines linearen, D
VD .2  1 /2 C .3  2 /2 :
dreiatomigen Moleküls 2
Die Matrizen T und V können direkt abgelesen werden:
Eine wichtige Anwendung gekoppelter Oszillatoren ist das 0 1 0 1
m 0 0 D D 0
lineare, dreiatomige Molekül (Abb. 6.8). Das Molekül sei sym- B C B C
metrisch: Ein zentrales Atom der Masse M befinde sich am Ort T D @ 0 M 0 A ; V D @D 2D DA : (6.128)
x2 zwischen zwei Atomen der Masse m an den Orten x1 und x3 . 0 0 m 0 D D
Beide äußeren Atome sollen mit dem zentralen Atom wechsel-
Die Nebendiagonalelemente von V beschreiben die Potenzial-
wirken. Dieses Modell ist beispielsweise eine Näherung für das
kopplung der Koordinaten. Zum Beispiel erkennt man an der
Kohlendioxidmolekül, nicht jedoch für das nichtlineare Wasser-
Matrix, dass 1 und 3 nicht miteinander gekoppelt sind, da die
molekül.
13- und 31-Komponenten null sind.
Die Wechselwirkung kann durch eine harmonische Kraft mit Der zweite Schritt ist die Bestimmung der drei Eigenwerte i .
Kapitel 6

Federkonstante D und Gleichgewichtslänge ` approximiert wer- Die charakteristische Gleichung det.V  T/ D 0 lautet
den. Zur Vereinfachung erlauben wir nur Schwingungen entlang 0 1
der Molekülachse (x-Achse). D  m D 0
B C
Zunächst sind die dynamischen Matrizen T und V aufzustellen. det @ D 2D  M D A D 0 (6.129)
Dazu bestimmen wir die kinetische und potenzielle Energie: 0 D D  m
230 6 Schwingungen

oder durch Entwickeln nach der ersten Spalte oder Zeile ω1

.D  m/ .2D  M/.D  m/  D2  D2 .D  m/ D 0:


ω2
(6.130)
Die erste Lösung findet man sofort durch Ausklammern:
ω3
D
1 D > 0: (6.131)
m Abb. 6.9 Gezeigt sind die drei möglichen Eigenmoden des linea-
ren dreiatomigen Moleküls (!1 : gegenphasige Schwingung der beiden
Die übrige Gleichung ist kleinen Massen; !2 : gegenphasige Schwingung der großen Masse ge-
genüber den beiden gleichphasig schwingenden kleinen Massen; !3 :
.2D  M/.D  m/  2D2 D 0 Translation des gesamten Moleküls)
(6.132)
H) .Mm  MD  2mD/ D 0
und wird durch Frage 21
  Rechnen Sie die Normierung explizit nach.
D 2D
2 D C >0 (6.133)
m M
Der dritte Eigenwert ergibt zunächst das Gleichungssystem
und 0 10 1
3 D 0 (6.134) D D 0 a31
B CB C
gelöst. Zwei Eigenwerte sind positiv und führen auf Eigen- @D 2D DA @a32 A D 0: (6.140)
schwingungen. Der andere ist null und hängt mit der Transla- 0 D D a33
tionssymmetrie des Systems zusammen. Die Eigenfrequenzen Es erfordert a31 D a32 D a33 . Die Orthonormalitätsrelation
sind führt anschließend auf
r s   0 1
D D 2m 1
!1;0 D ; !2;0 D 1C ; !3;0 D 0: (6.135) 1 B C
m m M a3 D p @1 A : (6.141)
2m C M
1
Im dritten Schritt sind die drei Eigenvektoren ai zu berechnen.
Sie erlauben die physikalische Interpretation der Eigenschwin- Welche physikalische Bedeutung haben die drei Eigenvekto-
gungen. Wir beginnen mit dem ersten Eigenwert und schreiben ren? Der Vektor a1 entspricht einer gegenphasigen Schwingung
0 10 1 der beiden äußeren Atome. Das mittlere ruht dabei. Dies sieht
0 D 0 a11 man an dem Vektor .1; 0; 1/> , der die Schwingungsampli-
B CB C
@D D.2  M=m/ DA @a12 A D 0: (6.136) tuden beschreibt: Die Amplitude des mittleren Oszillators ist
0 D 0 a13 null, die anderen sind vom Betrag gleich, aber entgegengesetzt.
Die Eigenschwingung a2 beschreibt eine Bewegung, bei der das
Es folgt a12 D 0 und a13 D a11 . Der Eigenvektor a1 ist somit mittlere Atom gegenphasig gegen die beiden äußeren gleichpha-
bis auf einen Faktor festgelegt. Aus der Orthonormalitätsrelati- sig schwingenden Atome schwingt. Der Eigenwert 3 D 0 führt
on a>1 Ta1 D 1 erhalten wir
auf eine Bewegung, bei der sich alle Atome mit gleicher Ge-
0 1 schwindigkeit entlang der x-Achse bewegen. Darin zeigt sich
1 gerade die Gesamtimpulserhaltung entlang der x-Achse.
1 B C
a1 D p @ 0 A: (6.137)
2m Frage 22
1 Machen Sie sich klar, dass wegen 3 D 0 keine Schwingung,
sondern eine Translation vorliegt. Die Geschwindigkeiten der
Aus dem zweiten Eigenwert folgt Punktmassen sind dann proportional zu den Einträgen des Vek-
0 10 1 tors a3 (und in diesem Fall somit alle gleich).
D 2m
M
D 0 a21
B CB C
@ D D M
m
D A @ a 22 A D 0: (6.138)
In diesem System gibt es daher zwei Schwingungs- und einen
0 D D M 2m
a23 Translationsfreiheitsgrad (und nicht drei Schwingungsfreiheits-
grade). Abb. 6.9 veranschaulicht die drei Eigenmoden. Die
Dies verlangt a21 D a23 und a22 D 2a21 m=M. Schließlich
Kapitel 6

allgemeine Lösung ist


lautet der zweite normierte Eigenvektor
0 1 .t/ D a1 C1 cos.!1;0 t  ı1 / C a2 C2 cos.!2;0 t  ı2 /
s 1 (6.142)
M B C C a3 .3;0 C P3;0 t/
a2 D @2m=M A : (6.139)
2m.2m C M/
1 mit den sechs Integrationskonstanten C1 , C2 , ı1 , ı2 , 3;0 , P3;0 .
6.5 Anwendungen gekoppelter Oszillatoren 231

D Wir beginnen mit dem Ansatz


m  
a j D Re Aj ei!t ; (6.147)
Abb. 6.10 Die lineare Kette besteht aus lauter identischen Punktmas- wobei ! identisch für alle Oszillatoren ist. Über die komple-
sen mit Masse m und Gleichgewichtsabstand a. Alle Punktmassen sind xen Amplituden Aj der individuellen Oszillatoren wird an dieser
über jeweils eine Feder der Stärke D mit den beiden nächsten Nachbarn
Stelle noch nichts gesagt. Wir erlauben jedoch, dass sie für jeden
verbunden
Oszillator verschieden sein können. Daraus ergibt sich folgen-
des System von zeitunabhängigen komplexen Gleichungen:
Frage 23  
m! 2 Aj D D 2Aj  AjC1  Aj1 : (6.148)
Zeigen Sie, dass jede der drei Normalschwingungen (und damit
auch jede beliebige Überlagerung) die Impulserhaltung erfüllt. Sind die Aj erst bestimmt, liefert der Realteil (6.147) die Bahn-
Berechnen Sie dazu den Impuls kurven der Oszillatoren.
px D mPx1 C M xP 2 C mPx3 ; (6.143) Offensichtlich sind die Gleichungen (6.148) noch gekoppelt.
der sich durch Einsetzen der jeweiligen Lösungen ai (1  i  3) Der nächste Schritt besteht also darin, zu „raten“, wie Aj mit
ergibt. Aj˙1 zusammenhängt. Der einfachste Ansatz lautet

AjC1 D cAj H) Aj D cj A0 ; (6.149)


Weitere Beispiele gekoppelter Oszillatoren werden in den Auf-
gaben 6.5 und 6.6 behandelt. wobei c ein komplexer, aber konstanter Faktor ist, der selbst
nicht von j abhängt. Somit bekommt man entkoppelte Gleichun-
gen der Gestalt
 
Lineare Kette m! 2 D D 2  c  c1 : (6.150)

Zum Abschluss betrachten wir ein für die Festkörperphysik Ohne weitere Angaben können wir nicht fortfahren. Es feh-
wichtiges Modell: die lineare Kette als Approximation eines len nun Randbedingungen, die das Gleichungssystem schließen.
eindimensionalen Kristalls (Abb. 6.10). Eine solche Randbedingung (periodische Randbedingung) soll
im Folgenden vorgerechnet werden; die Randbedingung einge-
Im Gleichgewicht befinden sich lauter identische Punktmassen spannter Enden wird in Aufgabe 6.8 behandelt.
mj an den Orten
xj D aj .j 2 Z/: (6.144) Periodische Randbedingungen werden häufig in der Festkörper-
physik oder der Fluiddynamik, aber auch in anderen Disziplinen
Hier ist a der Gitterabstand, d. h. der Gleichgewichtsabstand be- der Physik verwendet. Im vorliegenden Fall bedeuten sie mathe-
nachbarter Punktmassen. Jede Punktmasse ist mit ihren beiden matisch notiert
Nachbarn durch jeweils eine Feder mit Elastizitätskonstante D jCN D j : (6.151)
verbunden. Die Auslenkung aus der Ruhelage der Punktmasse j
ist j . Damit folgt für die kinetische und die potenzielle Energie Hier ist N eine natürliche Zahl (die in der Anwendung hinrei-
chend groß sein muss), die angibt, nach wie vielen Punktmassen
m X P2 D X 2 das System sich periodisch wiederholt. Dies bedeutet wegen
TD  ; VD jC1  j : (6.145)
2 j j 2 j (6.149)

cN D 1 H) c D e2 in=N
.n 2 Z/: (6.152)
Frage 24
Zeigen Sie, ausgehend von den Lagrange-Gleichungen, dass die Da sich das System nach N Punktmassen wiederholt, schränkt
Bewegungsgleichung für j man n normalerweise auf das Intervall ŒN=2; CN=2 ein. Peri-
   
mRj D D j  jC1 C j  j1 (6.146) odische Randbedingungen sind mathematische Idealisierungen,
die offensichtlich in der Realität nicht existieren. Dennoch er-
lautet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jede Koordinate j in lauben sie häufig überhaupt erst eine elegante Lösung, die für
zwei Summanden des Potenzials vorkommt. große N als hinreichend genau angenommen werden kann.
Man definiert die Wellenzahl für dieses Problem,
Mit (6.146) haben wir ein gekoppeltes System von Oszillatoren
Kapitel 6

vorliegen. Wir werden nun in zwei Schritten die Gleichungen 2 n


k WD ; (6.153)
entkoppeln. Im ersten lösen wir die Zeitabhängigkeit der Os- aN
zillatoren. Mit dem zweiten Schritt werden die verbleibenden und schreibt alternativ:
Gleichungen entkoppelt. Wir stellen also nicht die Matrizen V
und T auf, wie wir es bisher getan haben. c D eika : (6.154)
232 6 Schwingungen

ω(k)
p
4D/m
A
x
t

Abb. 6.11 Veranschaulichung der räumlich-zeitlichen Welle in (6.157).


−π/a 0 π/a k
An einem festen Ort x beobachtet man eine Schwingung in der Zeit,
während zu einer festen Zeit t eine räumliche Welle vorliegt
Abb. 6.12 Dispersionsrelation der longitudinal schwingenden linearen
Kette. Für große Wellenlängen (kleine Wellenzahlen k) ist das Verhalten
Die Wellenzahl kann wegen n 2 Z nur diskrete Werte und k nur linear. Ist die Wellenlänge in der Nähe der
p Gitterkonstanten a, flacht
Werte zwischen ˙ =a annehmen. Gl. (6.154) beschreibt eine !.k/ ab und erreicht schließlich den Wert 4D=m
Welle (siehe unten) entlang der Kette. Sie hat die Wellenlänge
2 hält. Nach kurzer Rechnung findet man
D H) c D e2 ia=
: (6.155) r ˇ ˇ
k 4D ˇˇ ka ˇˇ
!.k/ D sin ˇ : (6.159)
Aus (6.153) folgt, dass die „Kettenlänge“ aN ein ganzzahliges m ˇ 2
Vielfaches der Wellenlänge  ist:
Dieser Zusammenhang ist in Abb. 6.12 grafisch gezeigt.
aN
D : (6.156)
n Frage 25
Dies ist eine direkte Folge der angesetzten Periodizität. Zeigen Sie (6.159), indem Sie die Identitäten cos x D .eix C
eix /=2 und 1  cos x D 2 sin2 .x=2/ verwenden.
Insgesamt erhalten wir als Lösung
 
j D Re Aei.kaj!t/ ; (6.157) Wegen n 2 Z erlaubt man hier negative und positive k. Je nach
Vorzeichen läuft die Welle entweder nach rechts oder nach links.
wobei willkürlich A D A0 verwendet wurde. (Man könnte Für jkaj 1 (d. h.  a) lässt sich die Dispersionsrelation
auch jede andere Punktmasse als Referenz verwenden und die linearisieren: r
j-Verschiebung durch eine Phase in der Exponentialfunktion be- D
rücksichtigen.) ! jkaj : (6.160)
m
Die Exponentialfunktion beschreibt eine Welle in Raum und In diesem Grenzfall „sieht“ die Welle das Gitter nicht, da der
Zeit, wie in Abb. 6.11 illustriert. Für eine festgehaltene Punkt- Abstand benachbarter Punktmassen sehr viel kleiner als die
masse j bedeutet eine Welle eine Oszillation in der Zeit mit Wellenlänge ist, und die Frequenz ! ist proportional zur Wel-
Frequenz !. Betrachtet man im Gegensatz dazu das Gesamt- lenzahl k. Je größer k wird (d. h., je kleiner  wird), desto mehr
system zu einer festen Zeit t, hat man es mit einer räumlich weicht die Dispersionsrelation von einem linearen Verhalten ab.
ausgedehnten Welle mit Wellenzahl k zu tun.
Frage 26
Aufgrund der Linearität der Bewegungsgleichung (6.146) sind
Überlegen Sie sich, dass es eine kleinste sinnvolle Wellenlän-
Linearkombinationen von Lösungen (6.157) mit verschiede-
ge gibt. Sie werden finden, dass die kleinste Wellenlänge 2a ist.
nen k und ! wieder Lösungen. Man kann eine allgemeine
Dies entspricht genau dem Fall, dass alle geraden Punktmas-
Schwingung also als Superposition von Fundamentalwellen mit
sen gemeinsam gegenphasig zu allen ungeraden Punktmassen
bestimmter Wellenlänge zerlegen. Die dabei erlaubten Wellen-
schwingen.
zahlen sind durch (6.153) gegeben. Allerdings stehen auch k und
! in enger Beziehung. Wie wir sofort sehen werden, können k
und ! nicht unabhängig voneinander gewählt werden. Wellen, die – wie in diesem Beispiel – entlang ihrer Ausbrei-
Kapitel 6

tungsrichtung schwingen, nennt man Longitudinalschwingun-


Gl. (6.150) nimmt zunächst die Form
gen. Beispiele dafür sind Schallwellen in Luft und Wasser. Für
 
m! 2 D D 2  eika  eika (6.158) elastische Materialien (im Wesentlichen Festkörper) sind auch
Transversalwellen möglich, bei denen die Oszillationen recht-
an. Diese Gleichung heißt Dispersionsrelation und legt fest, wie winklig zur Ausbreitungsrichtung stattfinden. Wir kommen in
sich die Frequenz ! in Abhängigkeit von der Wellenzahl k ver- Kap. 8 darauf zurück.
6.5 Anwendungen gekoppelter Oszillatoren 233

Anwendung: Akustischer Doppler-Effekt

Wir betrachten den akustischen Doppler-Effekt mit beliebig Für sehr kleine Wellenperioden T und hinreichend große
bewegtem Sender und Empfänger in einem ruhenden Medi- Abstände zwischen Sender und Empfänger ist die Seite c we-
um. sentlich kürzer als die beiden anderen. Daher ist der Winkel 
fast Null und cos  1. Wir finden damit
Da sich Schallwellen relativ zum akustischen Medium stets
mit der konstanten Schallgeschwindigkeit cs ausbreiten, be- jxE  xS .t/j  jxE  xS .t  T/j
schreiben wir den Doppler-Effekt im Ruhesystem des Medi-
D b  a c cos ˇ (6.164)
ums. Es könnte sich dabei um Luft an einem windstillen Tag
handeln. Wir nehmen an, dass es einen Schallsender S gibt, D jxS .t/  xS .t  T/j cos ˇ:
der sich am Ort xS .t/ befindet und sich mit Geschwindigkeit
vS .t/ D xP S .t/ bewegt. Dementsprechend gibt es einen Emp- ˇ ist hier der Winkel zwischen den Vektoren a D xE  xS .t 
fänger E am Ort xE .t/ mit Geschwindigkeit vE .t/ D xP E .t/. T/ und c D xS .t/  xS .t  T/.
S soll isotrop Schallwellen mit der Frequenz f0 abstrahlen. Da T eine kurze Zeit sein soll, können wir den Quotienten
Bewegt sich S relativ zum Medium nicht, so wird ein ruhen- aus der Ortsdifferenz und der Zeit T durch die Geschwindig-
der Empfänger stets Schallwellen der Frequenz f0 messen. keit ersetzen:
Ein sich bewegender Sender erzeugt allerdings Schallwel- xS .t/  xS .t  T/
len, deren Frequenz davon abhängen, wie schnell sich S D vS .t/: (6.165)
bewegt und in welche Richtung sie sich bezüglich der Be- T
wegungsrichtung von S ausbreiten. Außerdem verändert die Wir erhalten somit schließlich
Geschwindigkeit des Empfängers die gemessene Frequenz,
 
wie wir nun berechnen werden. 0 vS .t/  aO .t/
T T 1 ; (6.166)
S strahlt Wellen ab, deren Wellenberge von S aus betrach- cs
tet stets denselben zeitlichen Abstand T D 1=f0 aufweisen.
wobei aO .t/ derjenige Einheitsvektor ist, der von xS .t  T/
Nehmen wir nun an, S befinde sich beim Senden eines Wel-
nach xE zeigt, also vom Sender zur Zeit der Abstrahlung
lenberges zur Zeit tT am Ort xS .tT/ und beim Senden des
zum Empfänger. Umgeschrieben als Empfangsfrequenz f 0 D
folgenden Wellenberges zur Zeit t am Ort xS .t/. Ein Empfän-
1=T 0 haben wir also
ger am zunächst festen Ort xE wird den ersten Wellenberg zur
Zeit t  T C jxE  xS .t  T/j=cs messen, da die Schallwelle cs
die Distanz jxE  xS .t  T/j gerade mit Geschwindigkeit cs f 0 D f0 : (6.167)
cs  vS .t/  aO .t/
überwindet. Der zweite Wellenberg wird den Empfänger zur
Zeit t C jxE  xS .t/j=cs erreichen. Beide Wellenberge haben Dies ist der Doppler-Effekt für bewegten Sender und ruhen-
daher für E den zeitlichen Abstand den Empfänger. Hier ist zu beachten, dass die Zeit t die
    Abstrahlung der Schallwelle bezeichnet; E wird sie aber erst
0 jxE  xS .t/j jxE  xS .t  T/j zur Zeit t C a=cs empfangen.
T D tC  tT C
cs cs
jxE  xS .t/j  jxE  xS .t  T/j Abb. 6.13 Veranschaulichung xE
DTC ; (6.161) des Doppler-Effekts für beweg-
cs
ten Sender S mit Bahnkurve
xS .t/ und ruhenden Empfän- γ
der sich im Allgemeinen von T unterscheidet. ger E am Ort xE . Während der
Wir können nun den Projektionssatz verwenden, um den Periode T zwischen der Ab-
strahlung zweier Wellenberge
Ausdruck für T 0 handlicher zu gestalten. Für ein Dreieck mit
bewegt sich der Sender gerade
Seiten a, b und c, sowie den jeweils gegenüber liegenden um die Strecke c und über- a
Winkeln ˛, ˇ und  (s. Abb. 6.13) gilt streicht dabei vom Empfänger
b
aus gesehen einen kleinen
a D b cos  C c cos ˇ: (6.162) Winkel 
Kapitel 6

Wir identifizieren
β
α
a D jxE  xS .t  T/j; b D jxE  xS .t/j; c xS (t − T )
(6.163) xS (t)
c D jxS .t/  xS .t  T/j:
234 6 Schwingungen

Betrachten wir drei Spezialfälle: wobei aO .t/ seine obige Bedeutung behält. Dies ist nun der
Doppler-Effekt für bewegten Empfänger und ruhenden Sen-
1. Tangentiale Bewegung, vS .t/  aO .t/ D 0: In diesem Fall der. Wieder ist t die Zeit der Abstrahlung und t C a=cs die
misst der Empfänger gerade die Originalfrequenz f0 . Zeit des Empfangs.
2. Annäherung, vS .t/  aO .t/ > 0: Die gemessene Frequenz f 0
ist vergrößert, da durch die Annäherung des Senders die Die drei Spezialfälle verhalten sich ähnlich wie zuvor. Bei
Wellenberge in Richtung des Empfängers gestaucht wer- tangentialer Bewegung tritt keine Frequenzänderung auf. Nä-
den. hert sich der Empfänger dem Sender (vE .t/  aO .t/ < 0),
3. Entfernung, vS .t/  aO .t/ < 0: Hier ist die Frequenz f 0 erhöht sich die Frequenz, ansonsten verringert sie sich. Der
verringert, da der Sender mit zunehmender Zeit weiter Unterschied zum bewegten Sender besteht darin, dass hier
entfernt ist und die Wellenberge damit weiter auseinan- keine Divergenz von f 0 auftreten kann; die gemessene Fre-
der liegen. quenz verschwindet allerdings für vE .t/  aO .t/ D cs . In
diesem Fall entfernt sich der Empfänger vom Sender gerade
Spezialfälle 2 und 3 kennt man aus dem Alltag: Die Sire- mit Schallgeschwindigkeit und Wellenberge können E nicht
ne eines sich nähernden Krankenwagens erklingt höher; für mehr erreichen.
einen sich entfernenden Krankenwagen erscheint sie jedoch
tiefer. Im Grenzfall vS .t/  aO .t/ ! cs divergiert die gemesse- Abschließend kann man noch beide Gleichungen verbin-
ne Frequenz, da der Sender sich genau so schnell wie die den, um gleichzeitig bewegte Sender und Empfänger zuzu-
Wellenberge auf den Empfänger zubewegt und somit alle lassen:
Wellenberge gleichzeitig beim Empfänger ankommen. Für
jvS j > cs kommt es zum „Überschallknall“. cs  vE .t/  aO .t/
f 0 D f0 : (6.169)
Wir können eine ähnliche Analyse durchführen, wenn S ruht, cs  vS .t/  aO .t/
E sich aber bewegt. Es folgt dann
Im Spezialfall, dass sich S und E mit identischer Geschwin-
0 cs  vE .t/  aO .t/ digkeit < cs relativ zum Medium bewegen, misst E stets die
f D f0 ; (6.168)
cs Ausgangsfrequenz f0 .
Kapitel 6
Aufgaben 235

Aufgaben

Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen

6.1 Die Euler’sche Formel Es soll das Rechnen mit (c) Wie lautet die Oszillationsfrequenz der Punktmasse in dem
den komplexen Zahlen geübt werden. Potenzial (6.174)? Drücken Sie die Umlauffrequenz eben-
falls durch L,  und r0 aus. Bestimmen Sie das Verhältnis
(a) Schreiben Sie die Taylor-Reihe (siehe „Mathematischen dieser Frequenzen und zeigen Sie, dass es lediglich von ˇ
Hintergrund“ 1.8) der Exponentialfunktion ex (x 2 R) um abhängt. Was bedeutet das Ergebnis für das Potenzial eines
x D 0 auf und ersetzen Sie danach x durch das komplexe harmonischen Oszillators (ˇ D 2)?
Argument ix. Sortieren Sie die Reihe nach reellen und ima-
ginären Termen. Zeigen Sie damit, dass
6.3 Schwebung Gl. (6.124) beschreibt die Bewe-
eix D cos x C i sin x (6.170) gung eines Doppelpendels.

gilt und damit (a) Betrachten Sie die Anfangsbedingungen, bei denen das ers-
te Pendel maximal ausgelenkt ist und das zweite sich am
eix C eix eix  eix tiefsten Punkt befindet. Die Anfangsgeschwindigkeiten bei-
cos x D ; sin x D : (6.171) der Pendel seien null. Wie lauten dann die Bahnkurven für
2 2i
die beiden Pendel?
(b) Zeigen Sie die Identität (b) Die Bahnkurven liegen noch als Überlagerung zweier Ko-
sinusfunktionen vor. Formen Sie jeweils die Summe in ein
cos.x C y/ C cos.x  y/
cos x cos y D (6.172) Produkt von trigonometrischen Funktionen um.
2 (c) Die resultierenden Gleichungen beschreiben eine Schwe-
mithilfe der komplexen Exponentialfunktion. bung. Setzen Sie dazu die Oszillationsfrequenzen ein und
gehen Sie vom Fall einer schwachen Kopplung der Oszil-
latoren aus (D=m g=l). Skizzieren Sie die Bewegungen
6.2 Potenzpotenziale Das radiale Schwingungs- der beiden Massen.
verhalten einer Punktmasse im Kepler-Potenzial (siehe (6.17)) (d) Was bedeutet diese Bewegung für die Energiebilanz?
wird hier auf beliebige Potenzpotenziale verallgemeinert. Gege-
ben sei das kugelsymmetrische Potenzial
Lösungshinweis:
V.r/ D ˛rˇ (6.173) (b) Verwenden Sie geeignete trigonometrische Additionstheore-
me.
mit zunächst beliebigen reellen Parametern ˛ und ˇ.

(a) Wie lautet das effektive Potenzial U.r/, das in (3.54) defi- 6.4 Kritische Dämpfung Es ist die zweite Funda-
niert wurde? Unter welchen Umständen existiert für dieses mentallösung (6.47) für die kritische Dämpfung,
Potenzial eine stabile Gleichgewichtslage r0 ?
(b) Entwickeln Sie das effektive Potenzial um seine Gleichge- x2 D tet ; (6.175)
wichtslage für die in Teilaufgabe (a) ermittelten möglichen
Werte der Parameter. Verwenden Sie dazu die Variable x D als Grenzfall aus der schwachen Dämpfung abzuleiten. Be-
r  r0 und gehen Sie bis zur zweiten Ordnung in x. Zeigen trachten Sie dazu die allgemeine Lösung (6.40) der schwachen
Dämpfung:
Kapitel 6

Sie, dass sich das Ergebnis in der Gestalt


x.t/ D et ŒC1 sin.!t/
Q C C2 cos.!t/
Q : (6.176)
1 .ˇ C 2/L2 2
U.x/ D x (6.174)
2 r04 Wählen Sie die Anfangsbedingungen x.0/ D 0 und xP .0/ D v0 .
Wie lautet die Bahnkurve? Führen Sie den Grenzfall !Q ! 0
schreiben lässt. durch und zeigen Sie damit (6.175).
236 6 Schwingungen

Lösungshinweis: Denken Sie an die Regel von L’Hospital aus Lösungshinweis: Entwicklen Sie bei der potenziellen Ener-
der Analysis. gie zuerst die Terme innerhalb der Wurzeln, dann die Wurzeln
selbst.
6.5 Drehbar gekoppelte Oszillatoren Zwei
Punktmassen m sind mit einer masselosen Stange der Län- 6.6 Kreisförmig gekoppelte Oszillatoren Man
ge L miteinander verbunden (Abb. 6.14). Beide Massen sind betrachte drei identische Punktmassen m, die sich auf einem
außerdem noch über eine Feder (Federkonstante D, Gleich- Kreisring mit Radius R bewegen können (dies entspricht einer
gewichtslänge l) an je einer Wand befestigt. Der Abstand der linearen Kette mit periodischen Randbedingungen). Jede Masse
Wände ist H, und die Fixpunkte der Federn sind auf der x-Achse ist jeweils mit ihren beiden Nachbarn durch identische Federn
an den Orten x˙ D ˙H=2. Die Massen dürfen sich so bewegen, mit Federkonstante D gekoppelt. Nehmen Sie für das Potenzial
dass sich ihr gemeinsamer Mittelpunkt entlang der x-Achse, einer Feder, welche die Masen mi und mj verbindet, die Form
aber nicht entlang der y-Achse verschieben kann. Außerdem ist
die Stange in der x-y-Ebene drehbar. Gravitationskräfte sind zu D
VD . i  j /2 (6.178)
vernachlässigen. 2

(a) Führen Sie x und ' als unabhängige generalisierte Koordi- an, wobei die drei Freiheitsgrade i die Winkel der Punktmassen
naten ein, wobei x die Verschiebung der Stange entlang der bezüglich eines beliebigen Referenzpunktes auf dem Kreis sind.
x-Achse und ' der Drehwinkel der Stange ist. Im Gleichge- Stellen Sie die dynamischen Matrizen T und V auf und lösen
wicht soll x D 0 und ' D 0 gelten. Wie lauten die kinetische Sie das dadurch definierte Eigenwertproblem. Berechnen Sie die
und die potenzielle Energie des Systems? drei Eigenvektoren (sie müssen nicht normiert werden) und in-
(b) Entwickeln Sie beide Energien, sodass sie höchstens quadra- terpretieren Sie das Ergebnis.
tisch in den Koordinaten x und ' sind. Zeigen Sie, dass dann
gilt: Lösungshinweis: Um die charakteristische Gleichung zu lösen,
   sollten Sie zuvor das charakteristische Polynom faktorisieren.
D 1 l
V 2x2 C LH  '2 : (6.177)
2 2 HL 6.7 Kräfte auf gekoppelte Oszillatoren Bei der
Diskussion kleiner Schwingungen gekoppelter Systeme in Ab-
(c) Zeigen Sie, dass die Gleichgewichtskonfiguration .x; '/ D schn. 6.4 wurden bisher nur Kräfte berücksichtigt, die sich
.0; 0/ nur dann stabil ist, wenn l < .H  L/=2 gilt. Wie ist aus dem gegebenen Potenzial ableiten lassen. Angenommen je-
dies anschaulich zu begründen? der Freiheitsgrad i erfährt zusätzlich eine generalisierte äußere
(d) Stellen Sie die Matrizen Tij und Vij auf. Bestimmen Sie die Kraft Qi (egal, ob aus einem Potenzial ableitbar oder nicht), wie
Eigenwerte und Eigenvektoren des Problems. Letztere müs- gehen diese dann in die entkoppelten Gleichungen für die Nor-
sen nicht normiert werden. Welche physikalische Bedeutung malkoordinaten i0 ein? Verwenden Sie dazu die Matrizen A und
haben die Normalkoordinaten? B aus (6.93).
x1
6.8 Lineare Kette mit eingespannten Enden Im
D
m Gegensatz zur linearen Kette mit periodischen Randbedingun-
O gen in Abschn. 6.5 betrachten wir eine Kette der Länge N C 2
x− L ϕ x+ x mit zwei eingespannten Enden. Dies bedeutet, dass
x2
D
m A0 D ANC1 D 0 (6.179)

H
gilt. Welche Schwingungsform hat dies zur Folge?

Abb. 6.14 Gekoppelte Oszillatoren. Zwei Punktmassen m sind über ei- Lösungshinweis: Verfolgen Sie statt (6.149) den Ansatz
ne masselose Stange der Länge L verbunden. Die beiden Punktmassen
sind über Federn der Stärke D an den Wänden befestigt. Das Pendel hat Aj D cj AC C cj A .AC ; A 6D 0/ (6.180)
einen Rotationsfreiheitsgrad ' (in der x-y-Ebene) und einen Translati-
onsfreiheitsgrad x bezüglich des Ursprungs O mit Konstanten AC und A und schreiben Sie c in der Form eika .
Kapitel 6
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 237

Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben

6.1 6.2

(a) Die Taylor-Reihe der Exponentialfunktion lautet (a) Das effektive Potenzial für radialsymmetrische Probleme
mit Drehimpulserhaltung lautet hier
1
X xj L2
ex D : (6.181) U.r/ D ˛rˇ C ; (6.187)
jD0
jŠ 2r2
wobei L der konstante Bahndrehimpuls und  die reduzierte
Ersetzt man x durch ix, sind alle ungeraden Potenzen von ix Masse ist.
imaginär und alle geraden Potenzen reell. Daher ist Ein stabiles Gleichgewicht existiert, wenn U.r/ ein lokales
1 1 1
Minimum besitzt. Wir berechnen die erste Ableitung:
X .ix/j X .ix/2j X .ix/2jC1
eix D D C ; (6.182) L2
jD0
jŠ jD0
.2j/Š jD0
.2j C 1/Š U 0 .r/ D ˛ˇrˇ1  : (6.188)
r3
wobei die erste Summe reell, die zweite imaginär ist. Ein Aus U 0 .r0 / D 0 folgt die Lage möglicher Extrema:
Vergleich mit Aufgabe 1.7 zeigt, dass diese beiden Summen
gerade den Entwicklungen von Kosinus und Sinus entspre- ˇC2 L2
chen: r0 D : (6.189)
˛ˇ
X1 X1
.ix/2j .1/j x2j Wir fordern also neben ˛ 6D 0 und ˇ 6D 0 (was auf ver-
D D cos x; schwindende oder konstante Potenziale führen würde) noch
.2j/Š .2j/Š
jD0 jD0
(6.183) ˛ˇ > 0, da r0 positiv sein soll. Die zweite Ableitung lautet
X1 X1
.ix/2jC1 i.1/j x2jC1
D D i sin x: 3L2
.2j C 1/Š .2j C 1/Š U 00 .r/ D ˛ˇ.ˇ  1/rˇ2 C : (6.190)
jD0 jD0 r4

Daraus folgt (6.170). Um (6.171) zu zeigen, nutzen wir Existiert ein lokales Minimum, so muss U 00 .r0 / > 0 gelten:
aus, dass cos x symmetrisch, sin x antisymmetrisch unter der
Spiegelung x ! x ist. Wir schreiben zunächst ˇC2 3L2
˛ˇ.ˇ  1/r0 C >0 H) ˇ > 2: (6.191)

eix D cos x  i sin x (6.184)
Im letzten Schritt wurde (6.189) verwendet. Sowohl für das
Kepler- bzw. Coulomb-Potenzial (ˇ D 1) als auch das har-
und sehen dann unmittelbar: monische Oszillatorpotenzial (ˇ D 2) findet man also stabile
Gleichgewichte (jedenfalls dann, wenn ˛ˇ > 0 erfüllt ist).
eix C eix D 2 cos x; eix  eix D 2i sin x: (6.185) (b) Die Entwicklung bis zur zweiten Ordnung lautet

Auflösen nach cos x bzw. sin x führt auf (6.171). 1


U.r0 C r/ D U.r0 / C U 0 .r0 /x C U 00 .r0 /x2 : (6.192)
(b) Um (6.172) abzuleiten, schreibt man den Kosinus zunächst 2
mithilfe der komplexen Exponentialfunktion (6.171):
Den konstanten Term unterschlagen wir, da er die Dynamik
nicht beeinflusst. Die erste Ordnung verschwindet, da r0 die
eix C eix eiy C eiy
cos x cos y D Gleichgewichtslage ist. Es verbleibt
2 2
ei.xCy/ C ei.xCy/ ei.xy/ C ei.xy/ 1 .ˇ C 2/L2 2
D C U.x/ D x : (6.193)
4 4 2 r04
Kapitel 6

cos.x C y/ C cos.x  y/
D : Aus Gründen der Übersicht ersetzen wir nicht den Term r04
2
(6.186) im Nenner. Dies wäre mithilfe von (6.189) aber problemlos
Durch einfaches Umsortieren folgt also die Behauptung. möglich.
238 6 Schwingungen

(c) Wir wissen, dass für ein quadratisches Potenzial der Form (b) Die Bahnkurven der beiden Massen lauten
V.x/ D Dx2 =2 die Oszillationsfrequenz gerade durch ! 2 D
D=m gegeben ist, wobei m die Masse des Oszillators ist. Auf A
x1 D Œcos.!1 t/ C cos.!2 t/
das vorliegende Problem angewandt erhält man analog 2  
!  !  !2 C !1
2 1
p L D A cos t cos t ;
! D ˇ C 2 2: (6.194) 2 2
r0 (6.202)
A
x2 D Œcos.!1 t/  cos.!2 t/
2  
Die Umlauffrequenz ist !  !  !2 C !1
2 1
D A sin t sin t :
2 v 2 2
!U D D ; (6.195)
T r0 Für die Umformungen wurden
wobei wir in guter Näherung annehmen können, dass die xCy xy
cos x C cos y D 2 cos cos (6.203)
Bahngeschwindigkeit v konstant ist, wenn x klein ist. Es ist 2 2
L und
vD I (6.196)
r0 xCy xy
cos x  cos y D 2 sin sin (6.204)
2 2
also gilt
L verwendet. Man sieht bereits, dass sowohl die Summe als
!U D : (6.197) auch die Differenz der Oszillationsfrequenzen wichtige Rol-
r02
len spielen.
Somit ist das Verhältnis der Frequenzen (c) Die Oszillationsfrequenzen (6.119) sind
p r
! g
D ˇ C 2: (6.198) !1 D ;
!U l
r r   (6.205)
Für ˇ D 1 hatten wir in (6.24) bereits !=!U D 1 gefun- g D g Dl
!2 D C2 1C ;
den. Der harmonische Oszillator führt mit ˇ D 2 stattdessen l m l mg
auf !=!U D 2, d. h., man beobachtet zwei radiale Schwin-
wenn Dl mg ist. Somit ist die Differenz
gungen pro Umlauf.
s
lD
!2  !1 (6.206)
6.3 gm

(a) Aus (6.124) folgen die Geschwindigkeiten sehr viel kleiner als die Summe
r
g
xP D a1 !1 C1 sin.!1 t ı1 /a2 !2 C2 sin.!2 t ı2 /; (6.199) !2 C !1 2 : (6.207)
l
wobei wir zur Abkürzung !1 D !1;0 und !2 D !2;0 schrei- Die Bewegungen von x1 und x2 sind folgendermaßen charak-
ben. Der Vektor x fasst dabei die beiden Freiheitsgrade x1 terisiert: Die Pendel schwingen mit einer Frequenz !2 C !1 ,
und x2 zusammen, die in diesem Fall den Auslenkungswin- wobei die Schwingungsamplitude durch eine langsame Os-
keln der beiden Pendel entspricht. Damit die Geschwindig- zillation mit !2  !1 moduliert ist. Dies ist in Abb. 6.15 an
keiten bei t D 0 verschwinden, muss zunächst ı1 D 0 und einem Beispiel dargestellt.
ı2 D 0 gelten. Weiterhin soll die Anfangsposition der ersten (d) Die beiden Pendel tauschen im Laufe der Zeit Energie mit-
Masse A, die der zweiten Masse 0 sein. Mithilfe von (6.123) einander aus. Zu Beginn ist die Schwingungsamplitude des
ist ersten Pendels maximal, die des zweiten null. Der Energie-
1 1 austausch ist periodisch. Nach der Zeit =Œ2.!2 !1 / ist die
x1 .0/ D p C1 C p C2 D A;
l 2m l 2m Energie vollständig auf das zweite Pendel übergegangen.
(6.200)
1 1
x2 .0/ D p C1  p C2 D 0:
Kapitel 6

l 2m l 2m
6.4 Mit den Anfangsbedingungen x.0/ D 0 und xP .0/ D v0
Es muss also C1 D C2 gelten und schließlich folgen aus (6.176) die Konstanten C1 und C2 :
r
m v0
C1 D lA: (6.201) C1 D ; C2 D 0: (6.208)
2 !Q
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 239

x Für die potenzielle Energie findet man


x1 (t)
A D
VD .jx1  x j  l/2 C .jx2  xC j  l/2 : (6.213)
2
Die Koordinaten der Punktmassen sind
0 ! !
π π (ω2 − ω1 )t x1 x  L2 cos '
2
x1 D D ;
y1 L
2
sin '
! ! (6.214)
−A x2 x C L2 cos '
x2 D D :
y2  L2 sin '

x Die Koordinaten der Fixpunkte der Federn sind


!
A ˙ H2
x˙ D : (6.215)
x2 (t) 0

Die kinetische Energie, ausgedrückt durch x und ', erhält


0 man nach kurzer Rechnung:
π π (ω2 − ω1 )t
2
 
m L2
TD 2Px2 C 'P 2 : (6.216)
2 2
−A
Der erste Term ist der Beitrag der Schwerpunktbewegung,
der zweite ist der Beitrag durch die Ablenkung der Punkt-
Abb. 6.15 Auslenkungen der ersten (rot, oben) und der zweiten (blau, massen von der x-Achse weg. Die potenzielle Energie erfor-
unten) der beiden gekoppelten Punktmassen aus Aufgabe 6.3. Während dert mehr Aufwand:
die Schwingung selbst mit hoher Frequenz stattfindet, ändert sich die
Amplitude derart, dass langsam zunächst Energie vom ersten auf das
s   !2
D H L2 C H2
zweite Pendel und später wieder auf das erste Pendel übertragen wird VD x2 C xH  L C x cos ' C l
2 2 4
D
Somit lautet die Bahnkurve C (6.217)
2
s   !2
sin.!t/
Q 2 C H2
x.t/ D v0 t et ; (6.209)  x2  xH  L
H
 x cos ' C
L
l :
!t
Q 2 4
wobei mit t erweitert wurde. Der Grenzfall !Q ! 0 lässt sich mit
der Regel von L’Hospital leicht durchführen: (b) Die kinetische Energie ist bereits in der gewünschten Form.
Sie muss nicht entwickelt werden. Die potenzielle Ener-
sin.!t/
Q d sin.!t/=d.
Q !t/
Q gie lässt sich in mehreren Schritten vereinfachen. Innerhalb
lim D lim der Wurzel dürfen die Koordinaten höchstens quadratisch
!!0
Q !t
Q !!0
Q d.!t/=d.
Q !t/
Q (6.210) vorkommen, da wir uns auf eine kleine Schwingung be-
D lim cos.!t/
Q D 1: schränken. Man kann daher den Kosinus durch 1  ' 2 =2
!!0
Q
ersetzen. Die Terme x' 2 können vernachlässigt werden. Die
Für !Q ! 0 ist also restlichen Terme lassen sich sortieren und zusammenfassen.
x.t/ D v0 t et (6.211) Durch mehrfache Anwendung der binomischen Formeln
folgt
und somit (6.175) eine Fundamentallösung.
0s 12
 
6.5 D@ H  L 2 LH 2 A
V xC C ' l
Kapitel 6

2 2 4
(a) Die kinetische Energie in kartesischen Koordinaten lautet 0s 12 (6.218)
 2
D LH LH 2
m 2  C @ xC C '  lA :
TD xP 1 C xP 22 : (6.212) 2 2 4
2
240 6 Schwingungen

Wir müssen nun die Wurzeln entwickeln. Zur Abkürzung (c) Das Gleichgewicht ist nur dann stabil, wenn der Punkt
schreiben wir .x; '/ D .0; 0/ ein lokales Minimum des Potenzials ist. Dies
s ist wegen 2 > 0 für die x-Koordinate der Fall. Für ' ist dies
 
H  L 2 LH 2 nur erfüllt, wenn
˛D xC C ' ;  
2 4 1 l
s (6.219) LH  >0 (6.226)
  2 HL
L  H 2 LH 2
ˇD xC C ' : gilt. Dies führt direkt auf l < .H  L/=2. Anschaulich be-
2 4
deutet dies, dass die Gleichgewichtslänge der Federn kürzer
Zunächst ist sein muss als der Abstand der Punktmassen zu den Wänden.
So ziehen sich die Federn zusammen und die Massen mit
D 2  sich, also in Richtung der Wände. Damit bevorzugt der Stab
V ˛ C ˇ C 2l  2l.˛ C ˇ/
2 2
(6.220)
2 ' D 0. Ist l größer, dehnen sich die Federn aus. Eine kleine
 
D .H  L/2 LH 2 Störung würde dann dazu führen, dass sich der Stab dreht
D 2x C
2
C ' C 2l  2l.˛ C ˇ/ :
2
und eine Gleichgewichtskonfiguration mit ' 0 6D 0 anstrebt.
2 2 2
Davon gibt es aufgrund der Symmetrie allerdings zwei, d. h.,
Hier sind – mit Ausnahme von ˛ und ˇ – bereits alle Ter- C' 0 und ' 0 sind möglich.
me entweder konstant oder quadratisch in den Koordinaten. (d) Die Matrizen lauten
Wir müssen daher noch ˛ und ˇ entwickeln. Da sich beide ! !
2 0 2 0
nur durch ein Vorzeichen unterscheiden, betrachten wir im TDm 2 ; VDD   :
Folgenden erst nur ˛. Um die zweiten Ableitungen zu be- 0 L2 0 LH 12  HL l

rechnen, notieren wir zunächst die ersten Ableitungen: (6.227)


  Das Problem ist offensichtlich bereits diagonal. Die Eigen-
@˛ HL 1 @˛ LH 1
D xC ; D ' : (6.221) werte folgen nach kurzer Rechnung aus V  T und (6.105):
@x 2 ˛ @' 4 ˛  
D 2DH 1 l
Daraus folgen die zweiten Ableitungen  1 D ;  2 D  : (6.228)
m mL 2 H  L
  Die (nichtnormierten) Eigenvektoren sind offenbar .1; 0/>
@2 ˛ 1 HL 2 1
D  xC ; und .0; 1/> . Der erste beschreibt die Schwingung des Sta-
@x@x ˛ 2 ˛3
  bes entlang der x-Achse, der zweite die Rotationsoszillation
@2 ˛ LH 1 LH 2 1 um die neutrale Orientierung ' D 0. Anzumerken ist noch,
D  ' ; (6.222)
@'@' 4 ˛ 4 ˛3 dass der zweite Eigenwert verschwindet, wenn die Ruhelän-
  ge der Federn genau l D .H L/=2 ist. Anschaulich bedeutet
@2 ˛ @2 ˛ H  L LH 1
D D xC ' 3: dies, dass dann eine Winkelauslenkung keine Rückstellkraft
@x@' @'@x 2 4 ˛
erzeugt, da – gemäß der Enwicklung bis zur zweiten Ord-
Sie sind für .x; '/ D .0; 0/ auszuwerten. Mit nung – die Federlänge dabei unverändert bleibt.

jH  Lj
˛.x D 0; ' D 0/ D (6.223) 6.6 Die kinetische und potenzielle Energie lauten einfach
2
mR2  P 2 P2 P2

folgt ˇ TD 1 C 2 C 3 ;
@2 ˛ ˇˇ 2 (6.229)
D 0; D
@x@x ˇ0 VD . 1  2 /2 C . 2  3 /2 C . 3  1 /2 :
ˇ 2
@2 ˛ ˇˇ 1 LH Beide müssen nicht entwickelt werden, und die entsprechenden
D ; (6.224)
@'@' ˇ0 2HL Matrizen sind
ˇ ˇ 0 1 0 1
@2 ˛ ˇˇ @2 ˛ ˇˇ 1 0 0 2 1 1
D D 0:
@x@' ˇ0 @'@x ˇ0 B C B
T D mR2 @0 1 0A ; V D D @1 2 1A : (6.230)
C

Man kann sich leicht davon überzeugen, dass für ˇ dieselben 0 0 1 1 1 2


Ergebnisse wie (6.224) folgen. Damit ist das Potenzial, wenn Die Eigenwertgleichung lautet demnach
Kapitel 6

konstante Terme vernachlässigt werden: ˇ ˇ


ˇ2D  mR2 D D ˇ
   ˇ ˇ
D 1 l ˇ ˇ
V 2x C LH
2
 '2 : (6.225) det.V  T/ D ˇ D 2D  mR2 D ˇ:
2 HL ˇ ˇ
2 ˇ D D 2D  mR2ˇ

Dies ist die gesuchte Näherung (6.177). (6.231)


Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 241

Zur Vereinfachung definieren wir A WD 2D  mR2 und berech- Da T ein Vielfaches der Einheitsmatrix ist, entspricht die Ortho-
nen die Determinante (mit einer Entwicklung nach der ersten gonalitätsbedingung der üblichen im kartesischen Raum. Man
Spalte bzw. Zeile) überprüft leicht, dass a2 D .1; 1; 2/> sowohl die Eigenwert-
ˇ ˇ gleichung erfüllt als auch orthogonal auf a1 steht.
ˇ A D Dˇˇ
ˇ Die Mode a1 entspricht einer ruhenden dritten Punktmasse,
ˇ ˇ
det.V  T/ D ˇD A Dˇ während die beiden übrigen mit identischer Amplitude gegen-
ˇ ˇ
ˇD D A ˇ einander schwingen. Dagegen schwingen in der Mode a2 die
beiden ersten Punktmassen zusammen gegen die dritte, deren
D A.A2  D2 / C D.AD  D2 /  D.D2 C AD/ Amplitude doppelt so groß ist. Die Lösungen sind symmetrisch
D .A C D/ A.A  D/  2D2 : (6.232) unter paarweiser Vertauschung beliebiger Punktmassen.

Alternativ hätte man die Regel von Sarrus (siehe „Mathemati- 6.7 Wir schreiben zur besseren Übersicht zunächst die Aus-
schen Hintergrund“ 2.2) verwenden können. Im letzten Schritt gangsgleichungen (6.84)
wurde die dritte binomische Formel A2  D2 D .A C D/.A  D/
ausgenutzt und der gemeinsame Faktor .ACD/ ausgeklammert. T R C V D Q (6.238)
Die erste Lösung von det.V  T/ D 0 sieht man sofort:
mit Q D .Q1 ; : : : ; QF /> und die Zielgleichungen (6.100)
A1 D D: (6.233)
Ri0 C i i0 D Q0i .1  i  F/; (6.239)
Die beiden anderen folgen nach kurzer Rechnung aus der ver- wobei die Q0i zu identifizieren sind. Multiplikation von (6.238)
bleibenden quadratischen Gleichung: mit A> von links führt wegen T D B> B und A D B1 auf
A2 D D; A3 D 2D: (6.234) BR C A> V D A> Q: (6.240)

Es muss nun noch die Lösung für die Eigenwerte  gefunden Wir ersetzen nun die alten Koordinaten durch die Normalkoor-
werden. Sie erhält man aus A D 2D  mR2 : dinaten und verwenden dafür  D A 0 :
0
1;2 D
3D
; 3 D 0: (6.235) R C A> VA 0 D A> Q: (6.241)
mR2
Wegen A> VA D diag.1 ; : : : ; F / folgt sofort
Wir haben es also mit zwei entarteten und einem verschwinden-
den Eigenwert zu tun. X
f
Ri0 C i i0 D Aji Qj .1  i  F/: (6.242)
Beginnen wir mit 3 . Die Eigenwertgleichung ist dann jD1
0 10 1 0 1
2 1 1 a31 0 Damit haben wir den Zusammenhang zwischen Q und Q0 ge-
B CB C B C
D @1 2 1A @a32 A D @0A : (6.236) funden:
1 1 2 a33 0 Q0 D A> Q; Q D B> Q0 : (6.243)
Die Kräfte, die auf die Normalkoordinaten  0 wirken, sind Li-
Diese Vektorgleichung wird durch Vielfache von a3 D nearkombinationen (vermittelt durch A) der Kräfte, die auf die
.1; 1; 1/> gelöst, was der gleichförmigen Drehung aller Punkt- Freiheitsgrade  ausgeübt werden. Die F entkoppelten Glei-
massen entlang des Kreisrings entspricht. Dabei drehen sich chungen (6.242) können mit den bekannten Methoden gelöst
alle Punktmassen mit derselben Geschwindigkeit in dieselbe werden.
Richtung. Es handelt sich um eine Translationsmode und kei-
ne Schwingungsmode. 6.8 Zunächst wendet man den Ansatz (6.180) auf A0 und ANC1
Für 1;2 ergibt sich die Situation an:

0 10 1 0 1 A0 D AC C A D 0; ANC1 D cNC1 AC C c.NC1/ A D 0:


1 1 1 a11 0 (6.244)
B CB C B C
D @1 1 1A @a12 A D @0A (6.237) Hieraus folgt neben A D AC D A die Bedingung
1 1 1 a13 0
Kapitel 6

c2.NC1/ D 1 H) cDe in=.NC1/


.n 2 Z/: (6.245)
und entsprechend für a2 . Aufgrund der Entartung sind nun zwei
Die Wellenzahl ist in diesem Fall
bezüglich T orthogonale Vektoren a1 und a2 zu konstruieren.
Wir beginnen willkürlich mit a1 D .1; 1; 0/> , was offensicht- kD
n
.n 2 Z/: (6.246)
lich der Eigenwertgleichung genügt. .N C 1/a
242 6 Schwingungen

Es gibt jeweils unendlich viele Wellenzahlen k, die auf dieselbe


Welle führen. Ohne Einschränkung der Allgemeinheit fordern
wir daher 0  n < N C 1. Aus (6.180) folgt
 
Aj D A eikaj  eikaj D 2iA sin.kaj/: (6.247)

Dies entspricht einer stehenden Welle mit je einem Knoten an


jedem Ende der Kette. Die allgemeine Lösung ist eine Überlage-
rung dieser Wellen, wobei k aus (6.246) gewählt werden muss.
In Kap. 8 kommen wir darauf im Detail zu sprechen.
Kapitel 6
Hamilton-Formalismus
7

Kapitel 7
Welche Bedeutung hat die
Hamilton-Funktion in der
Physik?
Warum sind die
kanonischen Gleichungen
äquivalent zu den
Lagrange-Gleichungen?
Welche Eigenschaften
haben kanonische
Transformationen?
Was hat die Hamilton-
Jacobi-Theorie der
klassischen Mechanik mit
der Quantenmechanik zu
tun?

7.1 Hamilton-Funktion und kanonische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . 244


7.2 Kanonische Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
7.3 Grundlagen der Hamilton-Jacobi-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
So geht’s weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 243
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik 1 | Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56115-7_7
244 7 Hamilton-Formalismus

Bereits in Abschn. 5.3 wurde die Hamilton-Funktion eingeführt; sie beschreiben lassen, wobei die f Parameter qi geeignete ge-
Kapitel 7

spielte bisher aber keine zentrale Rolle in der Mechanik. Dies än- neralisierte Koordinaten sind, mit deren Hilfe alle holonomen
dert sich hier nun grundlegend. Es wird in Abschn. 7.1 gezeigt, dass Zwangsbedingungen eliminiert wurden. Die Gleichungen in
man – auf der Hamilton-Funktion aufbauend – einen weiteren Zu- (7.1) sind f Differenzialgleichungen zweiter Ordnung, deren
gang zu mechanischen Problemen einschlagen kann, der sich vom vollständige Lösung 2f Integrationskonstanten (z. B. in Form
Aufstellen der Newton’schen Bewegungsgleichungen und auch vom von Anfangsbedingungen) erfordert. Im Lagrange-Formalismus
Lagrange-Formalismus unterscheidet. Als Ergebnis finden wir die betrachtet man den f -dimensionalen Konfigurationsraum, der
kanonischen Bewegungsgleichungen. von den f verallgemeinerten Koordinaten qi aufgespannt wird,
sowie die f verallgemeinerten Geschwindigkeiten qP i .
Wir werden in Abschn. 7.2 sehen, dass Koordinaten und Impulse in
der Hamilton’schen Mechanik gleichberechtigt sind und sogar inein- Die verallgemeinerten Impulse, generalisierten Impulse oder
ander transformiert werden können. Die sogenannten kanonischen kanonisch konjugierten Impulse sind bei gegebener Lagrange-
Transformationen erlauben eine Vereinfachung der Bewegungsglei- Funktion L definiert als (5.87)
chungen.
Obwohl die hier vorgeführten Methoden keine wesentlichen rech- @L
pi WD : (7.2)
nerischen Vereinfachungen für das Lösen mechanischer Probleme @Pqi
mit sich bringen, so ist dieses Kapitel doch von entscheidender
Bedeutung für die weiteren Bände. Insbesondere die Quantenme- Man beachte, dass pi im Allgemeinen nicht die Dimension ei-
chanik baut auf der Hamilton-Jacobi-Theorie auf, die in Abschn. 7.3 nes Impulses besitzt. Allerdings hat das Produkt qi pi stets die
angesprochen wird. Auch die statistische Physik und die Theorie Dimension einer Wirkung (Energie mal Zeit), was sich unmit-
chaotischer Systeme profitieren von einer Formulierung ausgehend telbar an (7.2) ablesen lässt.
vom Hamilton-Formalismus.
Wie die Hamilton-Funktion die Entwicklung physikalischer Systeme
im sogenannten Phasenraum bestimmt, wird im Kasten „Vertie-
fung: Phasenfluss und Liouville’scher Satz“ in Bd. 4, Abschn. 2.1 Die kanonischen Gleichungen
wieder aufgegriffen.

Im Hamilton-Formalismus werden die Geschwindigkeiten qP i


durch die Impulse pi ersetzt. Dazu wird die aus (7.2) folgende
7.1 Hamilton-Funktion und Relation umgekehrt:
kanonische Gleichungen
pi D pi .t; q; qP / H) qP i D qP i .t; q; p/: (7.3)
In diesem Abschnitt wird eine Einführung in den Hamilton-
Formalismus gegeben. Anstelle der Lagrange-Funktion steht Wir verstehen unter q, qP und p wieder die Kurzform für alle qi ,
die Hamilton-Funktion im Mittelpunkt. Sie kann mittels einer qP i und pi (1  i  f ).
Legendre-Transformation aus der Lagrange-Funktion gewon-
nen werden. Die zu den Lagrange-Gleichungen äquivalenten Achtung Ist die Funktion pi D pi .Pqi / nicht monoton, so muss
kanonischen Gleichungen lassen sich mithilfe der Poisson- man pi als abschnittsweise monotone Funktion definieren und
Klammern in kompakter Form schreiben. Die Quantenmecha- dann in jedem Abschnitt separat umkehren. In vielen Fällen ist
nik baut in großen Teilen auf dieser Struktur auf. aber L quadratisch in qP i und somit pi linear in qP i , sodass die
Umkehrung keine Schwierigkeiten bereitet. J

Man verwendet anschließend die 2f Werte .q; p/ D


Wiederholung der Grundlagen .q1 ; : : : ; qf ; p1 ; : : : ; pf / als Zustandsparameter des Systems.
des Lagrange-Formalismus
Phasenraum
Betrachten wir wieder ein System mit f Freiheitsgraden. Al-
le eventuell herrschenden Zwangsbedingungen sollen holonom Den von den 2f Parametern q und p aufgespannten Raum
sein, sodass sich eine Lagrange-Funktion L definieren lässt. Wir nennt man Phasenraum. Jeder Bewegungszustand des
haben gesehen, dass sich Probleme dieser Art im Allgemeinen Systems entspricht genau einem Punkt im Phasenraum
elegant mithilfe der Lagrange-Gleichungen R2f . Entsprechend lässt sich jeder Kurve im Phasenraum
(auch Trajektorie genannt) eine Bahn im Konfigurations-
d @L @L raum Rf zuordnen.
 D0 .1  i  f / (7.1)
dt @Pqi @qi
7.1 Hamilton-Funktion und kanonische Gleichungen 245

Harmonischer Oszillator Hilfe. Sie lautet

Kapitel 7
Die Lagrange-Funktion des harmonischen Oszillators mit X
f
H.t; q; p/ D qP i pi  L.t; q; qP /; qP i D qP i .t; q; p/: (7.7)
einem kartesischen Freiheitsgrad lautet
iD1

m 2 k 2 m 2 
L.t; x; xP / D xP  x D xP  !02 x2 : (7.4) Dies ist so zu verstehen, dass zwar formal qP und p gleichzeitig in
2 2 2 H auftreten, die Geschwindigkeiten qP aber über qP i D qP i .t; q; p/
Man berechnet zunächst den zu x kanonisch konjugierten eliminiert werden. Bei dem Übergang (7.7) von L nach H
Impuls hat man es mit einer sogenannten Legendre-Transformation zu
@L tun. Ihre Bedeutung und grundlegenden mathematischen Eigen-
pD D mPx: (7.5) schaften werden im „Mathematischen Hintergrund“ 7.1 näher
@Px
beleuchtet.
Die allgemeine Lösung der Bewegungsgleichung des har- Aufgrund ihrer Abhängigkeit von t, q und p ist das totale Diffe-
monischen Oszillators ist bereits bekannt. Zusammenge- renzial der Hamilton-Funktion H
fasst für Koordinate und Impuls lautet sie
X  @H @H

@H
! ! dH D dqi C dpi C dt: (7.8)
x cos.!0 t  0 / @q i @p i @t
DA ; (7.6) i
p m!0 sin.!0 t  0 /
Andererseits folgt aus (7.7) zunächst
wobei der Phasenwinkel 0 wie auch die Amplitude A
durch die Anfangsbedingungen festgelegt wird. Das Er- X @L @L

@L
dH D pi dPqi C qP i dpi  dqi  dPqi  dt: (7.9)
gebnis ist eine Ellipse im Phasenraum (Abb. 7.1).
i
@qi @Pqi @t

Machen Sie sich klar, dass (7.6) tatsächlich eine Ellipse An dieser Stelle kann der konjugierte Impuls (7.2) verwendet
mit Halbachsen A und m!0 A beschreibt. werden, und die beiden Terme mit dPqi heben sich gegenseitig
auf. Übrig bleibt

p X @L

@L
dH D qP i dpi  dqi  dt: (7.10)
i
@qi @t
mω0 A
Vergleicht man (7.10) mit (7.8), folgen die Ableitungen

@H @H @L @H @L
D qP i ; D ; D : (7.11)
@pi @qi @qi @t @t
A x
Frage 1
Machen Sie sich mithilfe der Lagrange-Gleichungen in (7.1)
klar, dass
d @L @L
pP i D D (7.12)
dt @Pqi @qi
gilt.
Abb. 7.1 Phasenraumtrajektorie des ungedämpften, freien har-
monischen Oszillators mit Schwingungsamplitude A und Im-
pulsamplitude m!0 A. Die Trajektorie ist geschlossen und läuft –
je nach Anfangsbedingung – im Uhrzeiger- oder Gegenuhrzei- Schließlich erhält man die Hamilton’schen kanonischen Glei-
gersinn J chungen.

Hamilton’sche kanonische Gleichungen


Da die Lagrange-Gleichungen in (7.1) Ableitungen nach qP bein-
halten, stellt sich die Frage, wie die Bewegungsgleichungen @H @H
D qP i ; D Ppi .1  i  f / (7.13)
lauten, wenn das System durch .q; p/ anstatt durch .q; qP / be- @pi @qi
schrieben wird. Hier kommt die Hamilton-Funktion (5.95) zu
246 7 Hamilton-Formalismus
Kapitel 7

7.1 Mathematischer Hintergrund: Legendre-Transformationen


Grundlagen und anschauliche Bedeutung

Die Legendre-Transformation ist ein grundlegendes Werk- Legendre-Transformation und Tangentensteigung


zeug zur Funktionentransformation und findet zahlreiche Die Legendre-Transformierte ordnet der Steigung einer je-
Anwendungen in der Theorie der Differenzialgleichungen den Tangente an f .x/ deren (negativen) y-Achsenabschnitt
und der Variationsrechnung. zu (Abb. 7.2): Die Funktionsvorschrift einer Tangente t.x/
an eine Funktion f .x/ im Punkt .x0 ; f .x0 // mit Steigung
Idee und anschauliche Interpretation Betrachten wir m D f 0 .x0 / und y-Achsenabschnitt b ist
eine strikt konvexe und stetig differenzierbare Funktion f W
I  R ! R in einer Variablen (eine strikt konvexe Funk- t.x/ D mx C b H) t.x0 / D f .x0 / D mx0 C b:
tion zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Ableitung streng
monoton wachsend ist). Der Graph von f .x/ ist als Menge Andererseits lautet die Legendre-Transformierte von f .x/ ge-
von Punkten .x; f .x// gegeben. Alternativ kann man sich den rade gŒf 0 .x/ D f 0 .x/x  f .x/ und speziell bei x D x0 :
Graphen einer konvexen Funktion als die Einhüllende aller g.m/ D mx0  f .x0 /. Durch Elimination von f .x0 / (erreicht
ihrer Tangenten vorstellen, wie es in Abb. 7.2 angedeutet ist. durch die Kombination der Gleichungen für g.m/ und t.x0 /)
Ziel der Legendre-Transformation ist es nun, f .x/ durch die folgt sofort die Behauptung g.m/ D gŒf 0 .x0 / D b.
einhüllenden Tangenten – und nicht durch f .x/ selbst – zu
beschreiben. Dazu führt man eine Funktion g.y/ ein, wo- f (x)
bei y.x/ WD f 0 .x/ gerade die Steigung von f .x/ bei x und f (x)
g.y/ noch zu bestimmen ist. Letztlich eliminiert man also die
Variable x zugunsten von y, d. h. durch die Ableitung von f
nach x.
∂f (x)
In der Physik erlaubt dies wegen p D @L=@Pq die Ersetzung ∂x
der Geschwindigkeit qP in der Lagrange-Funktion L.Pq/ durch ∂ f (x)
den entsprechenden konjugierten Impuls p in der Hamilton- −g[f  (x1 )] ∂x
Funktion H.p/. In Bd. 4, Abschn. 3.1 wird die Legendre- x1 x2
−g[f  (x2 )] x
Transformation außerdem ausgenutzt, um verschiedene ther-
modynamische Potenziale zu definieren. Allerdings besitzen
die in der Thermodynamik auftretenden Funktionen häufig Abb. 7.2 Zur anschaulichen Bedeutung der Legendre-Transforma-
keine strikt monoton steigenden Ableitungen mehr, und man tion
muss das Konzept der Legendre-Transformation erweitern,
während die kinetische Energie T.Pq/ in der Mechanik prak-
tisch immer eine konvexe Funktion ist. Herleitung mit vollständigem Differenzial Wir setzen
y D df =dx und schreiben das vollständige Differenzial von
Durchführung Die Legendre-Transformierte der Funktion f .x/:
f .x/ ist eine Funktion g.y/, die gegeben ist durch
df
g.y/ WD yx.y/  f .x.y// df D dx D y dx:
dx
mit y.x/ D f 0 .x/. Die Rücktransformierte ist wieder
Für das vollständige Differenzial der Transformierten g.y/
f .x/ D xy.x/  g.y.x// fordern wir nun
mit x.y/ D g0 .y/, wie in Aufgabe 7.2 gezeigt wird. dg Š
dg D dy D x dy:
Beispiel Wir betrachten die Funktion f .x/ D x . Wegen2 dy
y.x/ D f 0 .x/ D 2x ist x.y/ D y=2. Somit lautet die Legendre-
Transformierte von f .x/ Weiterhin ist d.xy/ D y dx C x dy, und ein Vergleich liefert
sofort dg D d.xy  f /, was nach einer Integration dann die
y y2 y2 y2 Legendre-Transformation g.y/ D yx.y/  f .x.y// liefert.
g.y/ D y  f .x.y// D  D :
2 2 4 4 Je nach Zweckmäßigkeit kann man auch dg D x dy ver-
In diesem Spezialfall ist auch die Legendre-Transformierte langen, was auf die Transformation g.y/ D f .x.y//  yx.y/
eine Parabel. Weiterhin ist dann bei der Rücktransformation führt. Die Rücktransformierte lautet dann trotzdem wieder
x.y/ D g0 .y/ D y=2 und somit y.x/ D 2x. Man findet also f .x/. Mathematisch spielt das Vorzeichen bei der Legendre-
sofort die ursprüngliche Funktion f .x/ D 2x2  x2 D x2 . Transformation keine Rolle.
7.1 Hamilton-Funktion und kanonische Gleichungen 247

Mehrere Parameter Hängt eine Funktion f von mehreren Literatur


unabhängigen Parametern x1 ; : : : ; xn ab, so kann man jeden

Kapitel 7
einzelnen Parameter xi durch @f =@xi ersetzen, indem man
jeweils eine Legendre-Transformation mit partiellen Ablei- Zia, R.K.P. et al.: Making sense of the Legendre trans-
tungen durchführt. form. Am. J. Phys. 77, 614 (2009)

Achtung Wir sehen, dass die kanonischen Gleichungen in lautet und somit mit der Energie übereinstimmt. Die kanoni-
(7.13) sehr symmetrisch sind. Vertauscht man Ort und Impuls, schen Gleichungen lauten erwartungsgemäß
ändert sich nur das Vorzeichen. Wir werden noch sehen, dass p
die Unterscheidung zwischen Ort und Impuls im Hamilton-For- xP D ; pP D r V.x/: (7.17)
m
malismus verschwimmt. J
Das in nur der Hälfte der Gleichungen auftretende Minuszei-
chen führt zu einer sogenannten symplektischen Struktur der
In Aufgabe 7.1 werden die kanonischen Gleichungen für eine
Hamilton’schen Gleichungen auf dem Phasenraum. Dies ist für
Punktmasse in Kugelkoordinaten für ein Zentralkraftfeld aufge-
die Liouville’sche Gleichung in der statistischen Physik von
stellt. Die Hamilton-Funktion und die kanonischen Gleichungen
großer Bedeutung (Bd. 4, Abschn. 2.1).
einer Punktladung im elektromagnetischen Feld werden erst in
Bei den kanonischen Gleichungen handelt es sich im Gegensatz Bd. 2, Kap. 10 diskutiert.
zu den Lagrange-Gleichungen um 2f Differenzialgleichungen
erster Ordnung. Beide Gleichungssysteme sind jedoch äquiva-
lent. Eine vollständige Lösung der kanonischen Gleichungen
ist möglich, wenn zu einer Zeit sämtliche Orte und Impulse Vorteile des Hamilton-Formalismus
bekannt sind; dies sind gerade 2f Anfangsbedingungen und ent-
spricht einem wohldefinierten Punkt im Phasenraum. Ist also ein Warum ist es sinnvoll, statt f Differenzialgleichungen zweiter
Punkt im Phasenraum gegeben, folgt daraus die Bewegung im Ordnung 2f Differenzialgleichungen erster Ordnung zu betrach-
Phasenraum zu allen Zeiten. ten? Wie bereits erwähnt, ist der Hamilton-Formalismus eine
fruchtbare Grundlage für die Untersuchung chaotischer Syste-
Harmonischer Oszillator me (wie im Abschnitt „So geht’s weiter“ am Ende des Kapitels
beleuchtet) und die Quantenmechanik direkt im Hamilton-For-
Aus der Lagrange-Funktion des harmonischen Oszillators malismus verwurzelt.
(7.4) und dem kanonisch konjugierten Impuls (7.5) folgt Es gibt noch einen weiteren Vorteil. Wegen (7.11) vereinfa-
die Hamilton-Funktion chen zyklische Variablen (Abschn. 5.3) nicht nur im Lagrange-,
sondern auch im Hamilton-Formalismus das Lösen der Bewe-
p2 m
H.x; p/ D xP p  L.x; xP / D C !02 x2 : (7.14) gungsgleichungen. Zunächst erkennt man, dass eine Koordinate
2m 2 genau dann in H zyklisch ist, wenn sie in L zyklisch ist. Die
Für H D E D const ist dies genau eine Ellipse im Pha- Vereinfachung ist im Hamilton-Formalismus allerdings noch
senraum. weitreichender, denn jede zyklische Koordinate qi eliminiert ei-
ne der 2f Gleichungen in (7.13), nämlich
Die Hamilton’schen Gleichungen sind
@H
p D Ppi D 0: (7.18)
xP D ; pP D m!02 x: (7.15) @qi
m
Da pi somit erhalten ist (d. h. keine Veränderliche mehr ist) und
Während die erste Gleichung nichts anderes ist als die
H nicht mehr von qi abhängt, kann H als eine Funktion der rest-
Definition des Impulses, ist die zweite die Bewegungs-
lichen f 2 Koordinaten und Impulse angesehen werden, was die
gleichung. Dieses Beispiel mag hier trivial erscheinen, ist weitere Diskussion vereinfacht. Im Idealfall sind alle Koordina-
aber für das weitere Verständnis hilfreich. J
ten zyklisch. Dann sind wegen pP i D 0 alle konjugierten Impulse
erhalten, und H ist (wenn überhaupt) nur noch eine Funktion der
Zeit t.
Frage 2
Nehmen Sie die Lagrange-Funktion einer Punktmasse im drei-
dimensionalen kartesischen Raum unter Einfluss konservativer
Kräfte. Zeigen Sie, dass die Hamilton-Funktion Bedeutung der Hamilton-Funktion
p2 Die Hamilton-Funktion wurde bereits in (5.95) eingeführt.
H.x; p/ D C V.x/ (7.16)
2m Allerdings wurde dort der Übergang von qP nach p noch nicht
248 7 Hamilton-Formalismus

vollzogen. Wir wissen, dass die Hamilton-Funktion H der Ener- Wir fragen nun: Was kann man über die Zeitentwicklung einer
Kapitel 7

gie E entspricht (oder genauer: dass die Hamilton-Funktion, Observablen sagen, wenn die Hamilton-Funktion des Systems
ausgewertet am Ort und mit dem Impuls einer Punktmasse, bekannt ist? Diese Fragestellung wird später in der Quantenme-
der Energie der Punktmasse entspricht), wenn alle herrschenden chanik von grundlegender Wichtigkeit sein. Dazu schreiben wir
Zwangsbedingungen skleronom sind. Ein Gegenbeispiel hatten die totale Zeitableitung
wir in Aufgabe 5.4 gesehen: Dort wurde explizit gezeigt, dass
die rheonome Zwangsbedingung auf H 6D E führt. dF X  @F @F

@F
D qP i C pP i C
Wegen (7.11) ist die Hamilton-Funktion H genau dann explizit dt i
@q i @p i @t
zeitabhängig, wenn dies auch für die Lagrange-Funktion gilt – 
X @F @H  (7.21)
@F @H @F
unabhängig davon, ob H der Energie entspricht oder nicht. Au- D  C ;
@qi @pi @pi @qi @t
ßerdem gilt wegen der kanonischen Gleichungen i

dH X  @H @H

@H @H wobei die kanonischen Gleichungen in (7.13) ausgenutzt wur-
D qP i C pP i C D : (7.19)
dt i
@qi @pi @t @t den. Zur Abkürzung führt man die Poisson-Klammer ein.

Jede Zeitabhängigkeit von H ist also vollständig durch die parti-


elle Ableitung erfasst; darum ist H eine Erhaltungsgröße, wenn Poisson-Klammer
L nicht explizit von der Zeit abhängt (siehe Noether-Theorem in
Abschn. 5.6). Sind zwei Observablen F und G gegeben, so lautet die
Poisson-Klammer (benannt nach dem französischen Ma-
Für den Fall, dass H der Energie E enspricht, ist zu betonen, dass thematiker und Physiker Siméon Denis Poisson, 1781–
H eine Funktion der Koordinaten q und kanonischen Impulse p 1840)
ist, während die Energie stattdessen häufig als Funktion von q
und qP geschrieben wird. X  @F @G @F @G 
fF; Gg WD  : (7.22)
@qi @pi @pi @qi
Frage 3 i

Für den Fall, dass mindestens eine Zwangsbedingung rheonom


ist, L und H aber keine explizite Funktionen der Zeit sind, so ist
H zwar erhalten, entspricht aber nicht der Energie. Interessierte Folglich kann die Zeitentwicklung einer Observablen in der
Leser sind dazu eingeladen, einen solchen Fall zu konstruieren. kompakten Gestalt

dF @F
Achtung Entspricht die Hamilton-Funktion H der Gesamt- D fF; Hg C (7.23)
energie E, dann kann H prinzipiell direkt aufgeschrieben wer- dt @t
den, indem E durch die generalisierten Koordinaten q und
geschrieben werden.
Impulse p ausgedrückt wird, solange letztere bekannt sind. In
Bd. 2, Kap. 10 werden wir Situationen begegnen, in denen die
kanonischen Impulse nicht den „kinetischen“ Impulsen entspre-
chen, die man aus der Mechanik kennt. In solchen Fällen kommt Poisson-Klammer und Erhaltungsgrößen
man nicht umhin, die kanonischen Impulse zunächst aus der La- Verschwindet die Poisson-Klammer einer Observablen F
grange-Funktion L herzuleiten, was letztlich bedeutet, dass man mit der Hamilton-Funktion H und ist F nicht explizit
erst L aufstellt und anschließend mithilfe der berechneten kano- zeitabhängig, d. h. @F=@t D 0, so ist F ein Integral der
nischen Impulse mittels einer Legendre-Transformation auf H Bewegung, also eine Erhaltungsgröße. Diese Schlussfol-
transformieren muss. J gerung gilt auch in die andere Richtung.

Zeitentwicklung und Poisson-Klammern Energieerhaltung

Wir definieren eine Observable F als eine physikalische Größe Wegen der offensichtlichen Identität fH; Hg D 0 ist für
eines Systems, die vollständig durch die Koordinaten, Impulse FDH
und die Zeit bestimmt ist: dH @H
D ; (7.24)
dt @t
F D F.t; q; p/: (7.20)
was wir schon vorher gesehen haben. Ist H nun nicht ex-
Die einfachsten Beispiele für Observablen sind die Orte qi und plizit zeitabhängig, muss H eine Erhaltungsgröße sein.
Impulse pi oder die Energie in der Form H.t; q; p/ sowie der J
Drehimpuls.
7.2 Kanonische Transformationen 249

Kapitel 7
Übersicht: Rechenregeln für Poisson-Klammern

Für die Poisson-Klammern gelten die unten aufgeführten Re- fA; B C Cg D fA; Bg C fA; Cg (Distributivgesetz)
chenregeln. Dazu betrachten wir die Observablen A, B und C fA; Bg D fA; Bg D fA; Bg
sowie eine reelle Zahl : fA; BCg D BfA; Cg C CfA; Bg (Produktregel)
ffA; Bg; Cg C ffB; Cg; Ag C ffC; Ag; Bg D 0 (Jacobi-Iden-
fA; Bg D fB; Ag H) fA; Ag D 0 (Antikommutativität) tität)

Frage 4 wird nun gezeigt, dass es eine Klasse von Phasenraumtrans-


Zur Veranschaulichung bietet es sich an, die kanonischen Glei- formationen (d. h. einem Übergang zu neuen generalisierten
chungen als Spezialfall von (7.23) zu schreiben. Nutzen Sie Koordinaten und Impulsen) gibt, unter denen die kanonischen
dazu Gleichungen invariant sind. Dies führt auf die sogenannten
erzeugenden Funktionen dieser Transformationen. Kanonische
@qi @qi @pi @pi
D ıij ; D 0; D 0; D ıij (7.25) Transformationen können eingesetzt werden, um die Bewe-
@qj @pj @qj @pj gungsgleichungen zu vereinfachen.
aus und berechnen Sie fqi ; Hg und fpi ; Hg. Achtung: Hier wer-
den die qi , pi und t als unabhängige Parameter verwendet, d. h.
@qi =@t D 0 und @pi =@t D 0. Ableitung der kanonischen Gleichungen
aus dem Wirkungsprinzip
Die wichtigsten Rechenregeln der Poisson-Klammern sind im
Kasten „Übersicht: Rechenregeln für Poisson-Klammern“ zu-
Die kanonischen Gleichungen in (7.13) wurden in Abschn. 7.1
sammengefasst. durch einen Vergleich der totalen Differenziale der Hamilton-
und Lagrange-Funktionen abgeleitet. Beide Mechanismen sind
Frage 5 also gleichwertig. Häufig findet man in der Literatur einen äqui-
Leiten Sie die Rechenregeln der Poisson-Klammern aus ihrer valenten Zugang: Es lassen sich die kanonischen Gleichungen
Definition ab (Jacobi-Identität für besonders Fleißige). Zeigen direkt aus dem Wirkungsprinzip ableiten.
Sie außerdem die wichtigen Relationen
fqi ; qj g D 0; fpi ; pj g D 0; fqi ; pj g D ıij ; (7.26) Frage 6
die auch fundamentale Poisson-Klammern genannt werden. Rufen Sie sich die Variationsverfahren aus Abschn. 5.5 in Erin-
nerung.

Des Weiteren wird in Aufgabe 7.3 gezeigt, dass die Komponen-


ten des Drehimpulses in kartesischen Koordinaten, also Li D Dazu betrachten wir erneut die Wirkung als Zeitintegral der La-
"ijk xj pk , der Relation grange-Funktion:
Zt1 Zt1 "X #
fLi ; Lj g D "ijk Lk (7.27)
S D L.t; q; qP / dt D qP i pi  H.t; q; p/ dt: (7.28)
genügen. t0 t0 i

Achtung In der Quantenmechanik werden die Poisson-Klam- Ihre Variation bei festgehaltener Zeit ist
mern durch die wichtigen Kommutatoren ersetzt (Bd. 3, Kap. 3).
XZ 
t1
Sie geben an, ob zwei quantenmechanische Operatoren ver- @H @H
tauschbar sind (d. h. ob die Reihenfolge ihrer Anwendung auf ıS D pi ı qP i C qP i ıpi  ıqi  ıpi dt: (7.29)
einen quantenmechanischen Zustand eine Rolle spielt). J i
@q i @pi
t0

Offensichtlich erhält man durch eine partielle Integration des


ersten Terms
7.2 Kanonische Transformationen ˇt1
XZ ˇ XZ
t1 t1
X ˇ
pi ı qP i dt D pi ıqi ˇ  pP i ıqi dt: (7.30)
Die kanonischen Gleichungen werden – ähnlich wie die La- ˇ
i t0 i t0 i t0
grange-Gleichungen – aus einem Variationsprinzip abgeleitet.
Bisher wurde in den meisten Anwendungen mit einem konkre- Da die Variation mit festen Endpunkten durchgeführt wird,
ten Satz generalisierter Koordinaten und Impulse gerechnet. Es muss ıqi bei t D t0 und t D t1 verschwinden. Darum lässt sich
250 7 Hamilton-Formalismus

die Variation in folgender Form schreiben: Dies ist in der Tat immer der Fall; sie sind sogar gleichwertig,
Kapitel 7

wenn wir fordern, dass die Abbildung auch umkehrbar ist, was
X Z    
t1
@H @H nun gezeigt werden soll.
ıS D qP i  ıpi  pP i C ıqi dt: (7.31)
i
@pi @qi Zunächst ist
t0 X @qi
qP i D P j C @qi :
Q (7.34)
Verlangt man wieder, dass die Variation ıS für die tatsächliche @Qj @t
j
Bahnkurve verschwindet, und nimmt man an, dass sämtliche
Variationen ıpi und ıqi beliebig sind, müssen die Terme in den Man kann daher direkt
runden Klammern verschwinden. Dies führt aber gerade auf die
@Pqi @qi
kanonischen Gleichungen. Die Herleitung ist vollständig um- D (7.35)
kehrbar, daher folgt die Äquivalenz des Wirkungsprinzips und Pj
@Q @Qj
der kanonischen Gleichungen.
ablesen. Ausgedrückt durch die neuen Koordinaten lautet die
Lagrange-Funktion
Äquivalenz des Wirkungsprinzips und der kanonischen P D L.t; q.t; Q/; qP .t; Q; Q//:
L0 .t; Q; Q/ P (7.36)
Gleichungen
Es soll betont werden, dass beide Lagrange-Funktionen zwar
Das Prinzip ıS D 0 ist äquivalent zu den kanonischen dasselbe physikalische System beschreiben, im Allgemeinen
Gleichungen (7.13), welche die Bewegung im Phasen- aber unterscheidliche Funktionen ihrer Argumente sein werden.
raum beschreiben. Man kann die folgenden Ableitungen leicht nachrechnen:
@L0 X  @L @qi @L @Pqi
Hier wurde verwendet, dass die generalisierten Koordinaten und D C ;
@Qj @qi @Qj @Pqi @Qj
Impulse unabhängige Größen sind. Somit hat man es mit 2f i
unabhängigen Parametern zu tun, was letztlich auf 2f Bewe- @L0 X @L @Pqi X @L @qi
D D ; (7.37)
gungsgleichungen erster Ordnung führt. Bei der Ableitung der Pj
@Q @Pqi @QPj @Pqi @Qj
i i
X  d @L  @qi
Lagrange-Gleichungen aus dem Wirkungsprinzip wurde nur die
Unabhängigkeit der f Koordinaten verlangt, was f Differenzi- d @L0 @L @Pqi
D C :
algleichungen zweiter Ordnung zur Folge hatte. Im Hamilton- P
dt @Qj dt @Pqi @Qj @Pqi @Qj
i
Formalismus führt dies auf die eher unanschauliche Tatsache,
dass die generalisierten Impulse p gleichberechtigt zu den gene- Diese Zwischenergebnisse lassen sich zusammenfassen zu
ralisierten Koordinaten q sind. Man erkennt dies schon an der d @L0 @L0 X  d @L 
@L @qi
Form der kanonischen Gleichungen in (7.13), die bis auf ein  D  D 0: (7.38)
P j @Qj
dt @Q dt @Pqi @qi @Qj
Vorzeichen symmetrisch unter der Vertauschung q $ p sind. i

Im letzten Schritt wurde die Gültigkeit von (7.32) ausgenutzt.


Hier erkennt man, dass die Lagrange-Gleichungen tatsächlich
Forminvarianz der Lagrange-Gleichungen ebenso für die Koordinaten Q gelten, wenn sie für q gültig sind.
Wir stellen die Forderung der Umkehrbarkeit der Abbil-
Bevor wir zu den eigentlichen kanonischen Transformationen dung, d. h., die Rücktransformation q D q.t; Q/ soll existie-
kommen, machen wir einen kleinen Exkurs zurück zum Lagran- ren. Dies ist dann möglich, wenn die Funktionaldeterminante
ge-Formalismus. Wir erinnern uns, dass – im Gegensatz zu den det.@Qj =@qi / 6D 0 erfüllt. Wir verzichten hier auf einen Be-
Newton’schen Bewegungsgleichungen – ein wesentlicher Vor- weis dieses Zusammenhangs. Ist also die Punkttransformation
teil die Koordinatenunabhängigkeit der Lagrange-Gleichungen umkehrbar, so kann (7.38) direkt invertiert werden, und die
ist. Dies wurde bisher nicht explizit gezeigt. Aussage ist auch in die Rückrichtung korrekt: Aus (7.32) folgt
(7.33) und umgekehrt. Somit sind die Lagrange-Gleichungen in-
Wir nehmen an, dass die Lagrange-Gleichungen variant unter Punkttransformationen.
d @L @L
 D0 .1  i  f / (7.32)
dt @Pqi @qi
für einen bestimmten Koordinatensatz q D .q1 ; : : : ; qf / gel- Kanonische Transformationen
ten. Führt man nun f neue Koordinaten Q D .Q1 ; : : : ; Qf /
mit Q D Q.t; q/ ein (man nennt Transformationen der Gestalt
Q D Q.t; q/ Punkttransformationen, da sie nur auf die Koordi- Es wurde eben gezeigt, dass die Lagrange-Gleichungen in-
naten wirken), gelten die f Gleichungen variant unter Punkttransformationen Q D Q.t; q/ sind. Im
Hamilton-Formalismus kann man allerdings noch viel weiter
d @L @L gehen. Da wir bereits gesehen haben, dass Koordinaten und Im-
 D 0: (7.33)
P i @Qi
dt @Q pulse ähnliche Rollen spielen und gleichberechtigt sind, liegt es
7.2 Kanonische Transformationen 251

auf der Hand, auch Transformationen Erzeugende

Kapitel 7
Q D Q.t; q; p/; P D P.t; q; p/ (7.39)
mit neuen Koordinaten Q und Impulsen P zuzulassen. Man nennt die Funktion F Erzeugende der kanonischen Trans-
formation (meist nur kurz Erzeugende) und bezeichnet sie, je
Man kann berechtigterweise fragen, ob dies nur eine theoreti- nach der Wahl der unabhängigen Parameter, als
sche Spielerei oder eine praktische Vereinfachung zu erwarten
ist. Tatsächlich können Transformationen der Art (7.39) aus-
F1 .t; q; Q/; F2 .t; q; P/; F3 .t; p; Q/;
genutzt werden, um möglichst viele zyklische Koordinaten zu (7.43)
erhalten, was wiederum das Lösen der Bewegungsgleichungen F4 .t; p; P/; F5 .t; q; p/; F6 .t; Q; P/:
wesentlich erleichtern kann. Dies ist die Hauptmotivation für die
Diskussion der kanonischen Transformationen. Wir kommen in Die Indexreihenfolge kann sich in anderen Mechanikbüchern
Aufgabe 7.7 darauf zurück. davon unterscheiden, was allerdings nichts am physikalischen
Inhalt ändert. Zunächst einmal erkennen wir, dass die Funktion
Wir schränken alle möglichen Transformationen (7.39) jedoch
F beliebig ist, solange sie differenzierbar ist, denn wir setzen
durch die Forderung ein, dass die Form der kanonischen Glei-
nur voraus, dass die vollständige Zeitableitung dF=dt existiert.
chungen erhalten sein soll, d. h., es soll
Dies garantiert automatisch die Invarianz der Bewegungsglei-
0
P j D @H ; @H 0 chungen.
Q PP j D  (7.40)
@Pj @Qj
Frage 7
gelten, wobei H 0 .t; Q; P/ eine noch zu bestimmende Funktion
ist, welche die Rolle der Hamilton-Funktion H.t; q; p/ über- Überlegen Sie sich, dass Punkttransformationen Q.t; q/ nicht
nimmt. durch F1 .t; q; Q/ vermittelt werden können. Denken Sie dabei
daran, welche der 4f Parameter .q; p/ und .Q; P/ voneinander
abhängig sind. Punkttransformationen werden in Aufgabe 7.4
Kanonische Transformationen noch genauer behandelt.
Unter kanonischen Transformationen versteht man Trans-
formationen in (7.39), welche die Form der kanonischen
Bis zu diesem Punkt ist nichts Physikalisches geschehen, und
Gleichungen invariant lassen und somit (7.40) erfüllen,
es stellen sich sofort mehrere Fragen: Wie hängt die Erzeugen-
wobei H 0 .t; Q; P/ eine geeignete Funktion ist.
de F mit der gewünschten Transformation (7.39) zusammen?
Wie lautet, für eine gegebene Funktion F, die neue Funkti-
Da die Bewegungsgleichungen invariant bleiben sollen, kann on H 0 .t; Q; P/, welche die Rolle der Hamilton-Funktion über-
sich die Wirkung S beim Übergang .q; p/ ! .Q; P/ nur um eine nimmt? Dazu betrachten wir zunächst eine Transformation mit
Konstante ändern: F1 .t; q; Q/.

Zt1 Das Differenzial der Wirkung (7.42) lässt sich schreiben als
0 dF
SDS C dt D S0 C ŒF.t1 /  F.t0 /: (7.41) X
dt
t0 .pi dqi  Pi dQi / C .H 0  H/ dt D dF1 .t; q; Q/: (7.44)
i
Diese Argumentation ist uns bereits in Kap. 5 mehrfach begeg-
net. Hier bedeutet dies Da wir hier q und Q als die unabhängigen Parameter der Trans-
X formation wählen, ist zunächst
pi qP i  H.t; q; p/
i X  @F1 @F1

@F1
X (7.42)
dF1 .t; q; Q/ D dqi C dQi C
D P i  H 0 .t; Q; P/ C dF.t; q; p; Q; P/ ;
Pi Q @qi @Qi @t
dt: (7.45)
i
dt i

wobei F zunächst eine Funktion von allen alten und neuen Koor- Vergleicht man die Koeffizienten in (7.44) und (7.45), folgen die
dinaten und Impulsen sowie der Zeit sein kann. Es ist dabei aber drei Identitäten
zu beachten, dass wegen der Transformationsvorschrift (7.39)
die alten und neuen Koordinaten und Impulse nicht unabhän- @F1 @F1 @F1
pi D ; Pi D  ; H0 D H C : (7.46)
gig sind. Von den 4f Größen .q; p/ und .Q; P/ sind nur 2f @qi @Qi @t
unabhängig. Es ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, welche der
Parameter man als unabhängige Größen wählt. Beispielsweise Die neue Hamilton-Funktion H 0 muss noch als Funktion der
kann man sich für die alten .q; p/ oder die neuen Parameter neuen Parameter .Q; P/ ausgedrückt werden. Dazu müssen die
.Q; P/ oder aber für Mischungen davon, wie .q; P/ oder .Q; p/, Transformationsgleichungen in (7.39) bekannt sein. Sie folgen
entscheiden. aus den ersten beiden Gleichungen in (7.46).
252 7 Hamilton-Formalismus

Nun wird auch klar, warum die Funktion F Erzeugende heißt: Bestimmung der Transformationsgleichungen
Kapitel 7

Durch ihre Wahl werden die Transformationsgleichungen in


(7.39) und die neue Hamilton-Funktion H 0 festgelegt. Aller- Um die Transformationsgleichungen in (7.39) für eine ge-
dings müssen die Rechnungen für die anderen Erzeugenden in gebene Erzeugende zu erhalten, betrachten wir ein etwas
(7.43) wiederholt werden, um die zu (7.46) analogen Trans- komplizierteres Beispiel. Nehmen wir die Erzeugende
formationsgleichungen zu bestimmen. Zusammengefasst lauten
die entsprechenden Gleichungen F2 .q; P/ D P Œln.P=q/  1 (7.50)
@F2 .t; q; P/ @F2 .t; q; P/
pi D ; Qi D ; für ein System mit einem Freiheitsgrad. Man berechnet
@qi @Pi zunächst
@F3 .t; p; Q/ @F3 .t; p; Q/ @F2
qi D  ; Pi D  ; (7.47) QD D ln.P=q/; (7.51)
@pi @Qi @P
@F4 .t; p; P/ @F4 .t; p; P/ was man direkt nach
qi D  ; Qi D :
@pi @Pi
q.Q; P/ D P eQ (7.52)
Die Anwendung der Erzeugenden F5 .t; q; p/ und F6 .t; Q; P/
führt in der Regel auf aufwendige Rechnungen. Diese Fälle sol- auflösen kann. Somit ist die erste Transformationsglei-
len hier nicht behandelt werden. chung bekannt. Der alte Impuls erfüllt zunächst

@F2 P
Vertauschung von Orten und Impulsen pD D : (7.53)
@q q
Eines der einfachsten konkreten Beispiele ist die Wahl
Hier kann man das bekannte Ergebnis für q einsetzen und
X bekommt die zweite Transformationsgleichung
F1 D qi Qi : (7.48)
i
p.Q/ D eQ : (7.54)
Dies führt wegen (7.46) auf
Die Umkehrtransformation lautet
pi D Qi ; Pi D qi (7.49)
Q.p/ D ln p; P.q; p/ D qp: (7.55)
und entspricht somit (bis auf ein Vorzeichen) einer Ver-
tauschung der Koordinaten und Impulse! Es wird hier Da F2 zeitunabhängig ist, kann man
einmal mehr deutlich, dass Orte und Impulse im Hamil-
ton-Formalismus gleichwertig sind. Die neue Hamilton- H 0 .Q; P/ D HŒq.Q; P/; p.Q/ (7.56)
Funktion H 0 lässt sich bei bekanntem H direkt angeben,
indem die Transformationsgleichungen in (7.49) ausge- bei bekannter Hamilton-Funktion H.q; p/ direkt hin-
nutzt werden und die partielle Ableitung @F1 =@t addiert schreiben. Ob dies letztlich auf Bewegungsgleichungen
wird (solange sie – wie in diesem Beispiel – nicht ver- führt, die einfacher zu lösen sind, hängt von den expli-
schwindet). J ziten funktionalen Formen von H 0 .Q; P/ sowie H.q; p/
ab. J

Die neue Hamilton-Funktion H 0 ergibt sich – wie in (7.46) – Frage 8


stets aus der alten Funktion H plus der partiellen Zeitableitung
Überzeugen Sie sich davon, dass
der entsprechenden Erzeugenden. Die Gleichungen für F2 wer- X
den in Aufgabe 7.5 abgeleitet (der interessierte Leser wird dazu F2 .t; q; P/ D qi Pi (7.57)
motiviert, auch die beiden übrigen Gleichungssätze nachzurech- i
nen). die identische Transformation mit Qi D qi und Pi D pi erzeugt.
0
Ist die Erzeugende zeitunabhängig, erhält man H direkt aus H,
indem die Parameter .q; p/ entsprechend der Rücktransforma- Praktisch kann man beliebige Erzeugende hinschreiben und
tionen q.Q; P/ und p.Q; P/ durch .Q; P/ ersetzt werden. In den ausprobieren, ob die dadurch vermittelten Transformationen
Aufgaben 7.4 und 7.7 wird das Rechnen mit den Erzeugenden Vorteile mit sich bringen. Beispielsweise wird in Aufgabe 7.7
vertieft; unter anderem wird in Aufgabe 7.4 gezeigt, dass alle eine Transformation durchgeführt, mit deren Hilfe sich das
Punkttransformationen kanonisch sind, solange die Transforma- Problem des harmonischen Oszillators auf alternative (und in-
tionsgleichung Q.t; q/ differenzierbar ist. struktive) Weise lösen lässt.
7.2 Kanonische Transformationen 253

In Wirklichkeit ist das Auffinden einer Erzeugenden generell Invarianz der Poisson-Klammern

Kapitel 7
nicht einfacher als das direkte Lösen des Problems in den
ursprünglichen Koordinaten; es wird also lediglich der Re-
chenaufwand verschoben. Daher bieten sich die kanonischen Wir wissen nun, wie man eine kanonische Transformation
Transformationen nicht für Alltagsprobleme an. durchführt, wenn die Erzeugende bekannt ist. Wie kann man
nun aber entscheiden, ob bereits definierte Transformationsglei-
Die Bedeutung der kanonischen Transformationen ist vielmehr, chungen eine kanonische Transformation beschreiben?
das theoretische Verständnis der Mechanik zu erweitern und auf
die Hamilton-Jacobi-Theorie vorzubereiten, die in Abschn. 7.3 In den vorhergehenden Abschnitten wurde über kanonische
kurz vorgestellt wird. Dort sprechen wir auch die sogenannten Transformationen gesprochen. Dabei wird von einem generali-
Winkel- und Wirkungsvariablen an, die eine wichtige Anwen- sierten Koordinatensatz .q; p/ auf einen anderen .Q; P/ gewech-
dung der kanonischen Transformationen sind und in der Ge- selt. Wie verhalten sich dabei die Poisson-Klammern? Zunächst
schichte der theoretischen Physik eine nicht unwichtige Rolle schreiben wir (7.22) explizit als
gespielt haben.
X  @F @G @F @G 
fF; Ggq;p D  ;
Schwerpunktskoordinaten
i
@qi @pi @pi @qi
X  @F @G @F @G
 (7.62)
Um zu illustrieren, dass eine bekannte Erzeugende ein fF; GgQ;P D  ;
Problem vereinfachen kann, betrachten wir zwei Punkt- i
@Qi @Pi @Pi @Qi
massen m1 und m2 in einer Dimension mit Gesamtmasse
M D m1 C m2 und die Erzeugende um zwischen beiden Koordinatensätzen unterscheiden zu kön-
nen; F und G sind dabei, je nach Wahl der Koordinaten, Funk-
m1 x1 C m2 x2
F2 .x1 ; x2 ; P1 ; P2 / D P1 C .x1  x2 /P2 ; tionen F.t; q; p/ und G.t; q; p/ bzw. F.t; Q; P/ und G.t; Q; P/.
M F.t; q; p/ und F.t; Q; P/ sind – genau wie G.t; q; p/ und
(7.58)
wobei wir mit xi D qi verdeutlichen, dass kartesische Ko- G.t; Q; P/ – unterschiedliche Funktionen ihrer Argumente; man
ordinaten verwendet werden. müsste streng genommen zwischen ihnen unterscheiden, was
wir aus Übersichtsgründen unterschlagen.
Wie lauten nun die neuen Koordinaten Xi und die Impulse
Pi ? Zunächst ist Man kann nun zeigen, dass die folgenden Zusammenhänge und
Aussagen gelten:
@F2 m1 x1 C m2 x2 @F2
X1 D D ; X2 D
D x1  x2 :
@P1 M @P2 1. Eine Transformation ist genau dann kanonisch, wenn die
(7.59) fundamentalen Poisson-Klammern invariant sind. Dies ist
Dies sind gerade die Schwerpunkts- und Relativkoordina- eine sehr praktische Aussage: Für eine vorgegebene, von
ten. Außerdem ist den kanonischen Variablen .q; p/ ausgehende Transforma-
@F2 m1 @F2 m2 tion Q.q; p/, P.q; p/ genügt es also zu überprüfen, ob die
p1 D D P1 C P2 ; p2 D
D P1  P2 : Relationen
@x1 M @x2 M
(7.60)
Aus diesen Gleichungen lassen sich sofort die neuen Im- fQi ; Qj gq;p D 0; fPi ; Pj gq;p D 0;
fQi ; Pj gq;p D ıij
pulse bestimmen: (7.63)
erfüllt sind. Dies wird in Aufgabe 7.6 an einem Beispiel vor-
m2 p1  m1 p2 geführt.
P1 D p1 C p2 ; P2 D : (7.61)
M 2. Die Poisson-Klammern sind invariant unter kanonischen
Transformationen, d. h., das Ergebnis hängt nicht davon ab,
Wir haben es hier mit Schwerpunkts- und „Relativim-
welcher Satz kanonischer Variablen zur Auswertung ver-
puls“ zu tun.
wendet wird:
Dies vereinfacht offensichtlich die Beschreibung für iso- fF; Ggq;p D fF; GgQ;P : (7.64)
lierte Systeme, da dort der Gesamtimpuls P1 erhalten und
X1 zyklisch ist (Kap. 3 und 5). Insbesondere sind die fundamentalen Poisson-Klammern in
(7.26) invariant.
Der aufmerksame Leser erkennt, dass es sich hier „nur“
um eine Punkttransformation handelt. Dieses Beispiel
erfordert also gar nicht die volle Mächtigkeit der ka- Es soll an dieser Stelle auf einen Beweis der beiden obigen
nonischen Transformationen und zeigt, dass kanonische Aussagen verzichtet werden. Interessierte Leser finden im Me-
Transformationen vielmehr dem theoretischen Verständ- chanik-Lehrbuch von Goldstein (1981) eine sorgfältige und
nis dienen. J umfassende Darstellung, die für unsere Zwecke jedoch zu ein-
gehend und ausführlich ist.
254 7 Hamilton-Formalismus
Kapitel 7

Vertiefung: Zusammenhang zwischen den Erzeugenden

In Aufgabe 7.5 wird folgender Zusammenhang gezeigt: Er- Ohne Beweis halten wir weiterhin fest, dass sich analog auch
zeugen F1 .t; q; Q/ und F2 .t; q; P/ dieselbe kanonische Trans- F3 .t; p; Q/ und F4 .t; p; P/ als Legendre-Transformierte von
formation, d. h. führen beide auf dieselben Beziehungen F1 .t; q; Q/ schreiben lassen, solange sie dieselbe kanonische
Qi .t; q; p/ und Pi .t; q; p/, so gilt Transformation erzeugen:
X
F2 .t; q; P/ D F1 .t; q; Q/ C Qi Pi .t; q; Q/ X
i
F3 .t; p; Q/ D F1 .t; q; Q/  qi pi ;
X @F1 .t; q; Q/
i
D F1 .t; q; Q/  Qi : X @F1
@Qi D F1 .t; q; Q/  qi ;
i
i
@qi
X
Wir stellen also fest, dass die Erzeugende F2 die Legend- F4 .t; p; P/ D F1 .t; q; Q/  .qi pi  Qi Pi /
re-Transformierte von F1 ist, wobei auf der rechten Seite i
noch Qi .t; q; P/ eingesetzt werden muss. Dies zeigt, wie die X  @F1 @F1

.q; Q/-Abhängigkeit durch eine .q; P/-Abhängigkeit ersetzt D F1 .t; q; Q/  qi C Qi :
werden kann. i
@qi @Qi

Frage 9 Beim Übergang F1 ! F4 muss eine doppelte Legendre-


Als konkretes Beispiel können Sie sich davon überzeugen, Transformation verwendet werden, um sowohl den Übergang
dass q ! p als auch Q ! P vorzunehmen.
F1 .q; Q/ D q eQ
Welche Implikation hat dies? Man kann sich – je
nach praktischem Nutzen – aussuchen, welche Erzeugen-
und
de man für eine kanonische Transformation verwendet.
F2 .q; P/ D P Œln.P=q/  1 Kennt man F1 für eine gegebene Transformation, lassen
sich alle anderen Erzeugenden berechnen. Durch Auflö-
auf dieselben Transformationsgleichungen führen und sen kann man (mit einigen Ausnahmen) von jeder Er-
gleichzeitig die obige Gleichung für F2 .t; q; P/ erfüllt ist. zeugenden zu jeder anderen wechseln. Dies funktioniert
Nutzen Sie dazu die Ergebnisse aus, die wir bereits aus (7.50) nicht immer, da beispielsweise Punkttransformationen nicht
abgeleitet haben. durch die Erzeugende F1 .t; q; Q/ beschrieben werden kön-
nen.

Abschließend soll nochmals betont werden, dass alle Transfor- Optik und der Quantenmechanik erlaubt (Bd. 2, Abschn. 7.3
mationen, die sich aus Erzeugenden ableiten lassen, automatisch und Bd. 3, Abschn. 11.3). In letzterer ist die Prinzipalfunktion
kanonisch sind. Für eine gegebene Erzeugende lassen sich also eng mit der Wellenfunktion verknüpft. Dieser Abschnitt enthält
die neuen kanonischen Koordinaten bestimmen. eine kurze Einführung, ohne zu sehr in mathematische Details
abzugleiten.

7.3 Grundlagen der Hamilton-Jacobi- Transformation auf Ruhe,


Theorie Hamilton-Jacobi-Gleichung

Die Hamilton-Jacobi-Theorie ist wohl einer der Höhepunkte Wir haben gesehen, dass man mithilfe von kanonischen Trans-
der Erkenntnisse, die aus der klassischen Mechanik abgeleitet formationen die alten Koordinaten und Impulse durch neue
wurden. Die Grundidee dieser Theorie ist es, eine Erzeugende ersetzen kann. Dabei wird auch die Hamilton-Funktion trans-
zu finden, welche die Hamilton-Funktion auf null transfor- formiert.
miert. Aus dieser Erzeugenden, die auch Wirkungsfunktion oder
Prinzipalfunktion genannt wird, lassen sich dann die Bewe- Im Folgenden beschränken wir uns auf die Erzeugende
gungsgleichungen ableiten, die zu den kanonischen Gleichun- F2 .t; q; P/ mit
gen äquivalent sind. Der entscheidende Punkt ist, dass diese @F2 @F2
pj D ; Qj D : (7.65)
Betrachtungsweise einen direkten Übergang zur geometrischen @qj @Pj
7.3 Grundlagen der Hamilton-Jacobi-Theorie 255

Kapitel 7
Vertiefung: Winkel- und Wirkungsvariable
Bedeutung für die Physik

Zur Beschreibung periodischer Systeme (d. h., die qi sollen Historisch waren Winkel- und Wirkungsvariablen wichtig
periodische Funktionen bzw. die Bahnkurven wie in Abb. 7.1 für die Entwicklung der Quantenmechanik. Beispielsweise
geschlossen sein) haben sich die sogenannten Winkelvaria- lässt sich das Bohr’sche Atommodell
H mithilfe dieses Ansat-
blen i WD Qi und ihr kanonisch konjugierten Impulse, die zes lösen, indem das Integral pi dqi quantisiert wird (Bd. 3,
Wirkungsvariablen Ji WD Pi , als sehr nützlich erwiesen. Abschn. 11.3).
Der Name „Winkelvariable“ zeigt bereits die geometrische
Existiert ein Satz von Winkel- und Wirkungsvariablen, so
Bedeutung dieser Variable in periodischen Systemen: Dort
lassen sich die entsprechenden Bewegungsgleichungen di-
handelt es sich bei den i um Winkel. Der Begriff „Wirkungs-
rekt integrieren, da sie linear sind. Solche Systeme heißen
variable“ ist gerechtfertigt, da ihre Definition
dann integrabel bzw. lösbar.
I
Ji D pi dqi Integrable Systeme nehmen in der physikalischen Literatur
einen breiten Raum ein; sie sind aber insofern sehr spezi-
ell, als sie eine maximale Zahl an Erhaltungsgrößen besitzen,
starke Ähnlichkeit mit der Wirkung hat (Goldstein 1981). nämlich die Wirkungsvariablen. Insbesondere bei Systemen
mit vielen Freiheitsgraden ist dies aber eine recht wirklich-
Ausgehend von der Definition von Ji zeigt sich, dass die
keitsferne Situation.
transformierte Hamilton-Funktion nur noch eine Funktion
der Wirkungsvariablen ist: H 0 D H 0 .J/. Die Winkelvariablen Nichtintegrable Systeme (wie beispielsweise das allgemei-
sind dann alle zyklisch und alle Wirkungsvariablen erhalten ne Dreikörperproblem) zeichnen sich dadurch aus, dass man
nicht global (d. h. entlang der gesamten Bahnkurve) auf
Ji D const: Winkel- und Wirkungsvariablen transformieren kann, da
es weniger als f Erhaltungsgrößen gibt. Allerdings kann
In diesem Fall sind die Bewegungsgleichungen für die i tri- man immer lokal, also in einer Umgebung eines Punktes
vial zu lösen: im Phasenraum, auf Variablen analog zu den Winkel- und
Wirkungsvariablen transformieren. Nichtintegrable Systeme
i .t/ D !i t C i .0/: neigen zu chaotischem Verhalten, d. h., eine kleine Variati-
on der Anfangsbedingungen führt zu stark unterschiedlichen
Hier wurde Phasenraumtrajektorien bzw. Bahnkurven (z. B. ein Billard-
spiel). Die Untersuchung solcher nichtintegrabler Systeme
!i WD Pi D const ist Gegenstand der Chaosforschung.

gesetzt.
Literatur
Die charakteristische Funktion W aus (7.76) ist gerade die
für die Transformation benötigte Erzeugende. In Aufgabe 7.7 Goldstein, H.: Klassische Mechanik. Akademische Ver-
wird ein Beispiel gezeigt. lagsgesellschaft, 1981

Sowohl die Koordinatensätze .q; p/ als auch .Q; P/ sind kano-


nisch. Die Hamilton-Funktion erfüllt Hamilton-Jacobi-Gleichung
Eine Erzeugende S.t; q; P/, welche die Hamilton-Jacobi-
@F2
H 0 .t; Q; P/ D H.t; q; p/ C : (7.66) Gleichung  
@t @S @S
H t; q; C D0 (7.67)
@q @t
Wir fragen nun: Wie lautet diejenige Erzeugende S.t; q; P/ WD
F2 .t; q; P/, für welche die transformierte Hamilton-Funktion H 0 erfüllt, führt auf H 0 D 0. Gl. (7.67) ist die Bestimmungs-
identisch verschwindet? Dies führt wegen (7.65) und (7.66) un- gleichung für S.t; q; P/.
mittelbar auf die Hamilton-Jacobi-Gleichung.
256 7 Hamilton-Formalismus

Bei (7.67) handelt es sich um eine Differenzialgleichung erster Wirkungsfunktion und Wirkung
Kapitel 7

Ordnung in den f Koordinaten qi und der Zeit t. Man bezeich-


net ihre Lösung S.t; q; P/ auch als Prinzipalfunktion oder – wie
noch deutlich werden wird – Wirkungsfunktion. Um zu verstehen, welche Bedeutung die Prinzipalfunktion S hat,
berechnen wir ihre Zeitableitung. Sie lautet
Die mit S.t; q; P/ verbundene Transformation nennt man auch
dS.t; q; a/ X @S @S
eine Transformation auf Ruhe, da die Hamilton-Funktion H 0 D qP i C : (7.71)
verschwindet und die neuen Variablen .Q; P/ keine Dynamik dt i
@q i @t
besitzen: Aus den kanonischen Gleichungen für H 0 folgt näm-
lich sofort, dass Hier wurde verwendet, dass die ai konstant sind. Weiterhin sind
mit (7.65) und (7.67) die übrigen partiellen Ableitungen be-
Qi D const; Pi D const .1  i  f / (7.68) kannt. Es folgt

dS.t; q; a/ X
erfüllt ist. D pi qP i  H D L: (7.72)
dt i
Was hat man durch solch eine Transformation auf Ruhe ge-
wonnen? Warum ist sie interessant? Tatsächlich lassen sich die Die Zeitableitung von S entspricht also gerade der Lagrange-
Bewegungsgleichungen der Mechanik lösen, indem man die Funktion des Systems. Eine formale Integration ist trivial:
Hamilton-Jacobi-Gleichung löst. Z
Wir wollen an dieser Stelle nicht im Detail erläutern, wie man S.t; q; a/ D L dt C const: (7.73)
aus (7.67) die Dynamik des Systems erhält; dies würde zu weit
führen. Das Vorgehen soll aber kurz umrissen werden. Der erste Bis auf eine unbedeutende Konstante ist die Prinzipalfunktion
Schritt besteht darin, aus (7.67) die Funktion S.t; q; P/ zu ermit- S (entlang der Bahnkurve q.t/ integriert) also die Wirkung des
teln. Dabei kann man die f erhaltenen Impulse ai WD Pi D const Systems. Dies rechtfertigt die alternative Bezeichung Wirkungs-
als unbeteiligte Parameter ausnutzen. Man erhält somit zunächst funktion. Die Prinzipalfunktion darf allerdings nicht direkt mit
eine Funktion S.t; q; a/, zu der außerdem eine beliebige Kon- der Wirkung des Systems gleichgesetzt werden.
stante hinzuaddiert werden kann.
Frage 11
Rufen Sie sich die Definition der Wirkung in Kap. 5 in Erinne-
Frage 10
rung.
Überlegen Sie sich, dass solch eine Konstante nicht in (7.67)
auftreten kann.
Achtung Man könnte meinen, dass man bloß die Lagrange-
Funktion L nach der Zeit integrieren müsste, um die gesuchte
Die Impulse pi ergeben sich dann aus (7.65). Anschließend nutzt Wirkungsfunktion S.t; q; P/ zu erhalten. Damit wäre die Dyna-
man mik des Systems also praktisch bekannt und das Problem gelöst.
@S.t; q; a/ Dies funktioniert allerdings nicht, da die Integration entlang der
bi WD Qi D D const (7.69) tatsächlichen Bahnkurve zu erfolgen hat. Diese ist jedoch zu Be-
@ai
ginn gar nicht bekannt. Tatsächlich sind in der Wirkung, wie sie
aus. Als Ergebnis hat man ein System von f Gleichungen für in Kap. 5 definiert wurde, die beiden Endpunkte der Bahn fest,
die f Koordinaten qi mit 2f Konstanten ai und bi . Dies lässt sich während in der Prinzipalfunktion die Endpunkte variabel sind.
formal nach Man beachte vor allem die Gleichungen
qi D qi .t; b; a/ .1  i  f / (7.70)
@S.t; q; P/ @S.t; q; P/
D pi ; D H.t; q; P/; (7.74)
auflösen, was schließlich die Lösung der Bewegungsgleichun- @qi @t
gen darstellt. Die Konstanten ai und bi sind dann gerade die
welche die partiellen Ableitungen der Wirkung mit den Im-
benötigten 2f Anfangsbedingungen des Problems.
pulsen und der Energie des Systems verknüpfen. Dies wird
Anschaulich sorgt die Transformation Q.t; q; p/, P.t; q; p/ da- insbesondere von Landau und Lifshitz (1969, Abschnitt 43)
für, dass die Koordinaten und Impulse zu einer Zeit t > t0 auf deutlich herausgearbeitet. J
ihre Werte zur Zeit t0 transformiert werden, da die Qi D bi
und Pi D ai konstant sind und damit zu allen Zeiten ihren
Anfangswerten entsprechen. In der Quantenmechanik spielt bei-
spielsweise das sogenannte Heisenberg-Bild (Bd. 3, Kap. 5) eine
Zeitunabhängige Hamilton-Jacobi-Gleichung
wichtige Rolle, in dem die Zeitabhängigkeit vollständig von den
quantenmechanischen Zuständen auf die Operatoren abgewälzt Die Prinzipalfunktion S.t; q; a/ ist generell explizit zeitabhän-
wird. gig. In vielen Fällen ist die Hamilton-Funktion jedoch erhalten
7.3 Grundlagen der Hamilton-Jacobi-Theorie 257

und hängt nicht explizit von der Zeit ab:

Kapitel 7
ausgenutzt werden. Sie lautet hier
H D H.q; p/: (7.75)
"     #
Dann ist es möglich, eine Separation durchzuführen, bei der die 1 @W 2 @W 2 @W 2
C C DE (7.81)
Zeitabhängigkeit abgespalten wird: 2m @x1 @x2 @x3

S.t; q; a/ D W.q; a/  a0 t: (7.76) mit konstanter Energie E.


Hier ist a0 eine noch näher zu spezifizierende Größe. Dies führt Anstatt diese Gleichung direkt zu lösen, probieren wir den
auf eine vereinfachte Hamilton-Jacobi-Gleichung, die nicht Ansatz
mehr von der Zeit abhängt. W.x; a/ D x  a (7.82)
für die charakteristische Funktion. Durch Einsetzen fin-
Zeitunabhängige Hamilton-Jacobi-Gleichung den wir, dass
a2
Die zeitunabhängige Hamilton-Jacobi-Gleichung lautet ED (7.83)
2m
H.q; @W=@q/ D a0 : (7.77) erfüllt sein muss. Die Prinzipalfunktion lautet also

a2
S.t; x; a/ D x  a  t: (7.84)
2m
Frage 12 Die konjugierten Impulse erfüllen
Zeigen Sie, wie (7.77) mit dem gewählten Ansatz (7.76) aus
(7.67) folgt. @S
pi D D ai D Pi D const: (7.85)
@xi
Wir sehen also, dass a0 gerade der konstante Wert der Hamil- Durch die kanonische Transformation werden die Impul-
ton-Funktion ist. Entspricht die Hamilton-Funktion der Energie se also nicht verändert.
(dies muss nicht zwangsläufig der Fall sein), so ist offensichtlich
Von Interesse sind die Bahnkurven. Dazu berechnen wir
a0 D E (7.78) zunächst die konstanten Terme
@S ai
die erhaltene Gesamtenergie des Systems. bi D D xi  t D const: (7.86)
@ai m
Die zeitunabhängige Hamilton-Jacobi-Gleichung ist nun ei-
ne Bestimmungsgleichung für die zeitunabhängige Funktion Man erhält durch Auflösen sofort die Bahnkurven
W.q; a/. Sie wird charakteristische Funktion genannt und spielt a
in der Quantenmechanik (Bd. 3, Abschn. 2.3) eine gewisse Rol- x.t; b; a/ D b C t: (7.87)
m
le.
Hier ist b der Anfangsort, d. h. x.t D 0/, und a D p der
Es ist stark problemabhängig, wie aufwendig das Lösen von erhaltene Impuls. Die sechs Konstanten b und a sind also
(7.77), d. h. das Auffinden von W.q; a/, ist. Man kann kein die benötigten Anfangsbedingungen. J
Standardverfahren dafür angeben. Hier wollen wir lediglich ein
einfaches Beispiel zeigen.

Freie Punktmasse Allgemein kann man sagen, dass nur solche Probleme mit ver-
tretbarem Aufwand durch den hier vorgestellten Formalismus
Eine freie Punktmasse in drei Dimensionen besitzt die La- zu lösen sind, die „entkoppelt“ werden können. Entkoppeln be-
grange- und Hamilton-Funktionen deutet hier, dass man die Koordinaten des Problems so wählen
m 2 1 2 kann, dass die Hamilton-Funktion die Gestalt
LD xP ; HD p; (7.79) X
2 2m
H.q; p/ D Hi .qi ; pi / (7.88)
wenn wir von kartesischen Koordinaten x ausgehen. Der i
Impuls ist
p D mPx: (7.80) annimmt, wobei i über alle Freiheitsgrade läuft. Sie ist dann die
Summe lauter Funktionen, die jeweils nur von einer Koordina-
Da H zeitunabhängig ist und der Energie entspricht, kann te und ihrem konjugierten Impuls abhängen. Dann ist auch ein
die zeitunabhängige Hamilton-Jacobi-Gleichung (7.77) analoger Separationsansatz für die charakteristische Funktion
möglich, der das Lösungsverfahren entscheidend vereinfacht.
258 7 Hamilton-Formalismus
Kapitel 7

Anwendung: Wellenmechanik
Zusammenhang mit geometrischer Optik und Quantenmechanik

Wir beschränken uns hier auf eine einzelne Punktmasse m in man durch die Grenzbetrachtung S=h ! 1 findet, wobei h
kartesischen Koordinaten x. Dann lautet die Hamilton-Jaco- die Planck’sche Konstante ist).
bi-Gleichung (7.67)
Der Zusammenhang mit der geometrischen Optik wird deut-
@S lich, wenn man die Geschwindigkeit berechnet, mit der
H.t; q; r S/ C D 0:
@t sich die Wellenfronten ausbreiten. Dazu vergleicht man den
Abstand ds zweier Niveauflächen zu infinitesimal unter-
Der konjugierte Impuls p D r S ist der Gradient der Prin- schiedlichen Zeiten t und t C dt. Man kann zeigen, dass die
zipalfunktion S. Er steht somit senkrecht auf Flächen mit charakteristische Funktion W.x/ dabei den Zusammenhang
konstantem S. Wir nehmen weiterhin an, dass die Energie
E erhalten ist und der Hamilton-Funktion entspricht. Somit
dW
separieren wir die Prinzipalfunktion gemäß jr Wj D
ds
S.t; x/ D W.x/  Et:
erfüllt und die lokale Wellengeschwindigkeit durch
Die Hamilton-Funktion hat die Form
ds.x/ E E
p2 u.x/ WD D p D
H.x; p/ D C V.x/ dt 2m.E  V.x// jr W.x/j
2m
mit einem Potenzial V.x/. gegeben ist. Sie hängt über das Potenzial vom Ort ab. In
Flächen mit konstantem S wandern mit der Zeit durch den der geometrischen Optik ist die Ausbreitungsgeschwindig-
Raum und entsprechen zu einer gegebenen festen Zeit gerade keit von Licht analog
den Flächen mit konstantem W. Die Trajektorie der Punkt-
masse steht dabei stets senkrecht auf den Niveauflächen. c
u.x/ D :
Dies erinnert stark an die Ausbreitung von Wellenfronten. n.x/
In Bd. 2, Abschn. 7.3 und Bd. 3, Abschn. 2.3 greifen wir
diese Idee wieder auf. In der Quantenmechanik wird die Prin- Hier ist c die Lichtgeschwindigkeit und n.x/ der Bre-
zipalfunktion näherungsweise zur Phase der Wellenfunktion chungsindex, der ebenfalls eine Funktion des Ortes ist. Der
. Dort ist dann die klassische Mechanik ein wohldefinier- Brechungsindex n.x/ ist also eng mit dem Gradienten der
ter Grenzfall der Quantenmechanik (und zwar derjenige, den charakteristischen Funktion W.x/ verbunden.
So geht’s weiter 259

Kapitel 7
So geht’s weiter
Determinismus und Chaos schwingenden Atwood’schen Maschine oder des Doppelpen-
dels mit komplexen, gekoppelten, nichtlinearen Bewegungs-
Lässt sich das Verhalten der Natur eindeutig aus einer uni- gleichungen zu tun, welche nur noch numerisch lösbar sind.
versellen, fundamentalen Theorie herleiten? Der von dieser Das Verhalten der chaotischen Systeme erscheint auf lange
Frage implizierte Determinismus in der klassischen Physik Zeiten gesehen als irregulär und ungeordnet. Dennoch kön-
wurde schon vom französischen Wissenschaftler Pierre-Si- nen sich nach einiger Zeit bestimmte Muster bilden, die durch
mon Laplace mathematisch untersucht. Für Laplace war die universelle Konstanten gegeben sind. Ein typisches Verhal-
Welt vollständig determiniert: Würde man nur die Anfangs- ten von chaotischen Systemen ist die Bifurkation zusammen
bedingungen und die Bewegungsgesetze der klassischen mit der Selbstreproduktion von bestimmten Formen, die al-
Physik genau kennen, so ließe sich jeder zukünftige Zustand lein gesehen nicht regulär sind, sich aber immer wiederholen.
des Universums aus den mathematischen Differenzialglei- Ein schönes Beispiel hierfür ist der Baum des Pythagoras
chungen genau berechnen. Auf diese Weise wäre es nach (Abb. 7.3), dessen kleiner werdende Verästelungen immer
Laplace also zumindest im Prinzip möglich, ein in diesem wieder die Form der vorherigen Struktur reproduzieren.
Zusammenhang oft als Laplace’scher Dämon bezeichnetes Wie genau können wir uns diesem Begriff des Chaos nähern?
Wesen zu postulieren, das alles vorhersagt, was geschehen Schon bei der alltäglichen Beobachtung der vielfältigen Vor-
wird und alles erklärt, was jemals geschehen ist. Dass es gänge in der Natur sehen wir, dass bereits die klassische
in der Praxis jedoch unmöglich sein könnte, diese so deter- Physik eine immense Fülle von Möglichkeiten für uns be-
minierte Zukunft eindeutig vorherzusagen, war auch schon reithält. Auch hier können wir unter Umständen nicht alles
Laplace bewusst, da es beispielsweise in einem System von berechnen – was sich allein daraus ergibt, dass man es oft
vielen Freiheitsgraden empirisch nicht möglich ist, alle An- mit komplexen Systemen zu tun hat, die aus sehr vielen ein-
fangsbedingungen genau zu bestimmen. Diese Einsicht zeigt zelnen Teilchen bestehen. Diese Feststellung mag zunächst
sich auch in den Ergebnissen der Chaosforschung: Schlägt trivial klingen, sie ist jedoch sehr wichtig im Hinblick auf
ein Schmetterling in China mit den Flügeln, kann man dar- das bessere Verständnis der fundamentalen Gesetze der Na-
aus nicht das Wetter in Europa berechnen, wenngleich ein tur und deren Bedeutung.
Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen bestehen kann. Ein Spiel, das sehr gut die Problematik verdeutlicht, ist Mi-
kado, welches aus einer großen Anzahl gleichartiger, ledig-
lich verschieden markierter Stäbchen besteht. Diese werden,
nachdem sie gebündelt und mit der Hand festgehalten wer-
den, plötzlich losgelassen und verteilen sich dann in großer
Unordnung über die Tischoberfläche. Die Ausgangslage ist
dabei offensichtlich immer die gleiche: Vor dem Loslassen
sind alle Mikadostäbchen parallel und gleich ausgerichtet.
Es ist aber praktisch unmöglich, dass sie sich, nachdem sie
die Hand verlassen haben, immer gleich über den Tisch ver-
teilen. Trotz scheinbar gleicher Anfangsbedingungen sieht
jedes Spiel vollkommen anders aus, und dabei gibt es eine
immense Anzahl von Mustern, welche die Mikadostäbchen
auf dem Tisch bilden können. Obwohl es sich um klassi-
sche Physik handelt, durch welche die Stäbchen beschreibbar
sind, sind diese Muster schwer von uns vorherzusagen und
auch schwer zu berechnen, obwohl die zugrunde liegen-
den Gleichungen sehr einfach sind und wir im Prinzip alle
Informationen besitzen, um die Lage der einzelnen Mikado-
stäbchen berechnen zu können.
Betrachten wir im Gegensatz dazu beim Billard den Lauf
Abb. 7.3 Der Baum des Pythagoras der Billardkugel, dann können wir mit etwas Geschick und
Übung sehr gut vorausbestimmen und auch berechnen, wie
Die Chaosforschung befasst sich mit dynamischen, nichtli- sich die Kugel verhalten wird. Stößt eine Billardkugel an
nearen Systemen, deren jeweiliges Verhalten sehr empfind- den Rand des Billardtisches, so ist der Ausfallswinkel (in
lich von den gewählten Anfangsbedingungen abhängt. Dies Abwesenheit eines Spins der Kugel) immer gleich dem
mag einerseits in Systemen mit vielen Freiheitsgraden der Einfallswinkel, und der Stoß der Billardkugeln untereinan-
Fall sein, andererseits jedoch auch in solchen mit wenigen der folgt ähnlich einfachen Gesetzmäßigkeiten, nämlich des
Freiheitsgraden. Dort hat man es dann wie im Falle der elastischen Stoßes mit Impuls- und Energieerhaltung.
260 7 Hamilton-Formalismus
Kapitel 7

Was unterscheidet nun Mikadostäbchen von Billardkugeln? Schauen wir uns dies noch einmal etwas genauer an: Wir
Warum verhalten sich nun die einen und die andern augen- betrachten dafür einen rechteckigen oder auch einen kreis-
scheinlich ganz unterschiedlich, obwohl beide doch den glei- förmigen Billardtisch (Abb. 7.4). Wie wir wissen, wird die
chen physikalischen Gesetzen folgen? Ein Grund für die Un- Billardkugel am Rand des Tisches so reflektiert, dass Ein-
vorhersagbarkeit beim Mikadospiel ist die große Zahl der falls- und Ausfallswinkel genau übereinstimmen. Auf dem
Stäbchen. Es ist deshalb nämlich nicht möglich, vor dem Fal- rechteckigen oder auf dem kreisförmigen Tisch sehen die
lenlassen der Stäbchen immer die gleichen Anfangsbedin- Trajektorien der Billardkugel sehr geordnet und gleichmäßig
gungen herzustellen. Schon das leichteste Zittern in der Hand aus. Hier liegt also kein chaotisches System vor. Dies ändert
oder ein geringfügiges Abweichen in der Ausgangskonfigu- sich, wenn wir einen stadionförmigen Billardtisch betrach-
ration hat einen dramatischen Effekt auf die Endkonfigura- ten. Dies ist das sogenannte chaotische Billard oder auch,
tion: Alle diese Fluktuationen am Anfang werden durch die benannt nach dem russischen Mathematiker Yakov Sinai
Vielzahl der Stäbchen enorm verstärkt. Trotz grundsätzlicher ( 1935), das Sinai-Billard. Hier verlaufen die Trajektorien
Beschreibung durch eine deterministische Theorie kann man der Billardkugeln nicht mehr gleichmäßig, sondern ungeord-
daher keine eindeutige Vorhersage treffen. net, oder wie man sagt, chaotisch. Man kann dabei die Länge
Im Gegensatz dazu folgt die Bahn einer einzelnen Billardku- der geraden Seiten im stadionförmigen Billardtisch als den
gel immer einem eindeutigen und vorhersagbaren Weg, wenn Parameter ansehen, der das Chaos bestimmt. Ist dieser Para-
wir die Billardkugel immer gleich anstoßen und somit in die- meter gleich null, dann gibt es kein Chaos. Ist der Parameter
sem Fall keine Fluktuation besteht. Solche physikalischen allerdings nur um einen kleinen Betrag von Null verschieden,
Systeme mit einer großen Anzahl von beteiligten Körpern dann setzt das chaotische Verhalten ein.
und eventuell auch mit fluktuierenden Anfangsbedingungen
lassen sich am besten mit den Methoden der Statistik behan-
deln.
Wir sehen nun, wie leicht deterministische Theorien über-
gehen in eine statistische Beschreibung. So ist die klassi-
sche Mechanik zusammen mit der Gravitationstheorie von
Newton eine vollkommen deterministische Theorie, die bei
vorgegebenen Anfangsbedingungen eindeutige Vorhersagen
über die Bahn von Planeten oder anderen Körpern ermög-
licht. Die Reproduzierbarkeit der Anfangsbedingungen ist
jedoch bei einem Experiment in Rahmen der klassischen
Physik eine wichtige Voraussetzung, um ein eindeutiges Er-
gebnis zu erhalten.
Wenn allerdings ein physikalisches System aus einer großen
Anzahl von Körpern besteht, dann wird es immer schwie-
riger, gleiche Anfangsbedingungen für alle beteiligten Teil-
chen herzustellen und die Berechnungen konkret und ana-
lytisch durchzuführen. In diesem Fall kann man statistische
Aussagen über den Endzustand treffen, wobei oft auch die
analytischen Berechnungen durch aufwendige Simulationen
an Computern ersetzt werden müssen. Es gibt auch Viel-
teilchensysteme, die nunmehr ein ungeordnetes Verhalten
aufweisen und Gegenstand der sogenannten Chaosforschung
sind.
Nehmen wir nun an, dass die Billardkugeln nicht abgebremst
werden, sondern idealerweise unendlich lange rollen können,
und verfolgen wir ferner die Bahnen der Billardkugeln über
einen sehr großen Zeitraum hinweg. Dann sehen wir, dass,
obwohl die Bahnen der Billardkugeln deterministisch vor-
herbestimmt sind, wir doch ein Vielteilchensystem dadurch
simulieren können, indem wir die Anfangsbedingungen, mit
der wir die Billardkugel anstoßen, immer wieder verändern.
Das ungeordnete, chaotische Verhalten von bestimmten Sys-
temen kann man sich daher auch anhand des Billardspiels
verdeutlichen. Abb. 7.4 Drei verschiedene Billardtische
So geht’s weiter 261

Kapitel 7
Ein weiteres konkretes System, das ein interessantes chao- fangspopulation auf den kleineren der beiden x-Werte und
tisches Verhalten an den Tag legt, ist das demografische eine große Anfangspopulation auf den größeren x-Wert. In
Modell der Population einer bestimmten Tierart. Das An- diesem Bereich ist das Verhalten der Population also noch
wachsen bzw. das Absterben der betrachteten Population regelmäßig.
hängt von zwei Faktoren ab: Durch die Fortpflanzung der Ab einem Wert r ' 3;57 stellt sich aber schlagartig das
Tiere vermehrt sich die Population proportional zur Anzahl Chaos ein: Die Folge springt zwischen nun instabilen Häu-
der schon vorhandenen Tiere im Folgejahr um einen be- fungspunkten hin und her, schon winzige Änderungen der
stimmten Faktor. Andererseits verringert sich die Population Anfangspopulation resultieren in unterschiedlichsten Wer-
der Tiere durch Verhungern, und zwar jährlich in Abhängig- ten für x, eine Eigenschaft des Chaos. Es gibt aber eine
keit von der Differenz zwischen ihrer aktuelle Größe und interessante Eigenschaft in diesem Populationsmodell: Das
einer maximal möglichen Größe. (Die maximale Anzahl ist Längenverhältnis zweier aufeinanderfolgender Bifurkations-
durch das verfügbare Nahrungsangebot begrenzt.) intervalle nähert sich einer fundamentalen Konstante, der
Ohne auf die genauen Details einzugehen, lässt sich nun das Feigenbaum-Konstante ı, die den Wert ı ' 4;669 annimmt.
Anwachsen oder auch das Abnehmen der Population in Ab- Dieser Zahlenwert von ı wurde zuerst im Jahre 1977 von
hängigkeit von einem bestimmten Parameter r berechnen, den Physikern Siegfried Großmann und Stefan Thomae pu-
der sowohl die Fortpflanzungsrate als auch die Verhunge- bliziert. Mitchell Feigenbaum entdeckte dann im Jahre 1978
rungsrate berücksichtigt. Wir können uns jetzt fragen, wie die Universalität dieser Konstante, denn sie bestimmt das
der asymptotische Populationswert x (x misst die Anzahl chaotische Verhalten in vielen dynamischen Systemen mit
der Tiere nach vielen Jahren im Verhältnis zum maximal Bifurkation, wie z. B. auch beim Wetter.
möglichen Wert, liegt also immer zwischen 0 und 1) von ei-
ner bestimmten, vorgegebenen Anfangspopulation abhängt.
Strebt die Population immer gegen einen einzigen Häufungs-
punkt x, oder gibt es mehrere solche Häufungspunkte, je 1,0
nachdem wie viele Tiere am Anfang vorhanden sind?
Die mathematischen Berechnungen in diesem Modell füh- 0,8
ren zu einem sehr interessanten Ergebnis: Mit r zwischen
0 und 1 stirbt die Population auf jeden Fall, alle Tiere ver- 0,6
hungern schließlich, und man erhält also x D 0. Ab dem x
Wert r D 1 steigt die asymptotische Population kontinuier- 0,4
lich an, und, egal ob man am Anfang viele oder wenige Tiere
hat, ist der asymptotische Populationswert x unabhängig von
0,2
der gewählten Anfangspopulation. Hier liegt also genau ein
Häufungspunkt vor. Ab einem bestimmten Parameterwert r
ändert sich aber dieses Verhalten (Abb. 7.5). Nun beobachtet 0,0
man, dass sich für den wachsenden Parameter r die Anzahl 2,4 2,6 2,8 3,0 3,2 3,4 3,6 3,8 4,0
der Häufungspunkte in der asymptotischen Populationsan- r
zahl x immer bei einem bestimmten r-Wert verdoppelt.
Dies ist die sogenannte Periodenverdopplung oder auch Bi- Abb. 7.5 Das Populationsdiagramm, das die asymptotische (rela-
tive) Anzahl x einer bestimmten Tierpopulation nach vielen Jahren
furkation; der Abstand zwischen den Werten für r, bei denen
darstellt. Auf der x-Achse ist der Parameter r aufgetragen, der das
sich die Anzahl der Häufungspunkte in der asymptotischen Verhältnis der Fortpflanzungsrate zur Verhungerungsrate der Tiere
Population ändert, heißt Bifurkationsintervall. Für kleine r- bestimmt. Für größer werdendes r verdoppelt sich die Anzahl der
Werte bewirken kleine Änderungen der Anfangswerte dabei möglichen, asymptotischen Häufungswerte, wobei ab r ' 3;57
normalerweise keine Änderung der Endpopulation. So führt das chaotische Verhalten einsetzt: Die Werte der verschiedenen Häu-
im Falle von zwei Häufungspunkten eine relativ kleine An- fungspunkte variieren vollkommen unregelmäßig
262 7 Hamilton-Formalismus
Kapitel 7

Aufgaben

Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen

7.1 Zentralpotenzial Betrachten Sie eine Punkt- (a) Warum kann eine Punkttransformation nicht durch
masse m im Zentralpotenzial V.r/. F1 .t; q; Q/ erzeugt werden?
(b) Gehen Sie im Folgenden von F2 .t; q; P/ aus, d. h., (7.93)
(a) Wie lautet die zugehörige Hamilton-Funktion in Kugelko- wird in der Form
ordinaten? Verwenden Sie dazu gegebenenfalls bekannte pi D hi .t; q; P/ (7.94)
Teilergebnisse aus Kap. 5.
(b) Gibt es zyklische Koordinaten? Wie lauten die kanonischen geschrieben. Wie lautet die allgemeine Form der Erzeugen-
Gleichungen? den F2 .t; q; P/, die auf die Punkttransformation (7.93) und
(c) Lösen Sie die Bewegungsgleichungen für # und '. Benutzen (7.94) führt? Zeigen Sie, dass hi .t; q; P/ nur höchstens linear
Sie die Anfangsbedingung # D =2 (dies entspricht einer von den Impulsen Pi abhängen kann, wenn die Transforma-
geeigneten Wahl der Kugelkoordinaten). tion kanonisch ist. Zeigen Sie weiterhin, dass die Funktionen
(d) Zeigen Sie, dass die verbleibende Gleichung für r der Radi- fi .t; q/ und hi .t; q; P/ nicht eindeutig miteinander verknüpft
algleichung des Zentralkraftproblems entspricht. sind.
(c) Begründen Sie, warum alle Punkttransformationen mit dif-
ferenzierbaren fi .t; q/ kanonisch sind.
7.2 Inverse der Legendre-Transformation Die
Legendre-Transformierte einer konvexen Funktion f .x/ lautet
(siehe „Mathematischen Hintergrund“ 7.1) 7.5 Erzeugende Es soll die Erzeugende F2 .t; q; P/
genauer untersucht werden.
g.y/ D yx.y/  f .x.y//; (7.89)
wobei (a) Leiten Sie die Transformationsgleichung (7.47) für
0
y.x/ D f .x/ (7.90) F2 .t; q; P/ ab. Gehen Sie dabei von
X
ist. Zeigen Sie, dass die Rücktransformation auf die Variable .pi dqi  Pi dQi / C .H 0  H/ dt D dF20 .t; q; P/ (7.95)
x wieder auf die Funktion f .x/ führt. Somit ist auch bewiesen, i
dass bei Legendre-Transformationen keine Information der ur-
sprünglichen Funktion f .x/ verloren geht. aus, wobei F20 .t; q; P/ wie F2 von den unabhängigen Größen
.q; P/ abhängt. Drücken Sie die dQi durch die Differenziale
7.3 Poisson-Klammern und Drehimpuls Berech- dqj und dPj aus. Zeigen Sie, dass die Relation
nen Sie für den Drehimpuls einer Punktmasse in kartesischen X
Koordinaten F20 .t; q; P/ C Qj .t; q; P/Pj D F2 .t; q; P/ (7.96)
Li D "ijk xj pk (7.91) j

die Poisson-Klammern (in den konjugierten Variablen x und p) zwischen F20 und F2 bestehen muss. Wie lautet die neue Ha-
fLj ; Lk g (was auf (7.27) führt) und fL2 ; Lk g. milton-Funktion H 0 ?
(b) Zeigen Sie damit, dass F1 .t; q; Q/ und F2 .t; q; P/ durch ei-
7.4 Punkttransformation Eine Punkttransformati- ne Legendre-Transformation ineinander überführt werden
on wird durch können, wenn beide dieselbe kanonische Transformation er-
Qi D fi .t; q/ (7.92) zeugen.
beschrieben. Über die Transformation der Impulse wird dabei
keine Aussage getroffen; man kann aber davon ausgehen, dass
sie allgemein 7.6 Ebene Polarkoordinaten Die ebenen Polarko-
Pi D gi .t; q; p/ (7.93) ordinaten sind definiert durch

lautet. x D r cos '; y D r sin ': (7.97)


Aufgaben 263

(a) Zeigen Sie mithilfe der Lagrange-Gleichungen, dass die zu und Kraftkonstante k. Im Text wurde bereits gezeigt, dass die
den Koordinaten .r; '/ konjugierten Impulse für eine freie

Kapitel 7
Hamilton-Funktion
Punktmasse
pr D mPr; p' D mr2 'P (7.98) p2 k p2 m! 2 2
HD C q2 D C q (7.100)
2m 2 2m 2
sind. Wie lauten die Hamilton’schen Gleichungen?
(b) Wie lauten die kartesischen Impulse px D mPx und py D mPy, lautet.
ausgedrückt durch .r; '/ und .pr ; p' /?
(c) Berechnen Sie alle fundamentalen Poisson-Klammern (a) Verwenden Sie die Erzeugende
fA; Bgr;';pr ;p' , wobei für A und B die kartesischen Koordi-
naten und Impulse einzusetzen sind. Zeigen Sie, dass die m! 2
F1 .q; Q/ D q cot Q (7.101)
Transformation von kartesischen zu Polarkoordinaten kano- 2
nisch ist (man könnte auch die Poisson-Klammern bezüglich
der kartesischen Koordinaten berechnen, dies ist jedoch und bestimmen Sie die Transformationsgleichungen für den
schwieriger). Warum kann man auch direkt ohne die Berech- Übergang zu den neuen Koordinaten .Q; P/, d. h. q.Q; P/,
nung der fundamentalen Poisson-Klammern sagen, dass die p.Q; P/ und Q.q; p/, P.q; p/. Verwenden Sie dazu die Rela-
Transformation kanonisch ist? tion
(d) Überprüfen Sie, dass die Erzeugende 1
sin.arccot x/ D cos.arctan x/ D p : (7.102)
F3 .r; '; px ; py / D r.px cos ' C py sin '/ (7.99) 1 C x2

diese Transformation erzeugt. Wie lautet die Hamilton-Funktion H 0 .Q; P/? Zeigen Sie da-
mit, dass Q eine zyklische Variable und P damit erhalten ist
(d. h., Q ist eine Winkel- und P eine Wirkungsvariable).
7.7 Harmonischer Oszillator und kanonische (b) Was bedeutet das Ergebnis für Q? Wie lautet die Bewegungs-
Transformation Wir betrachten den eindimensionalen, un- gleichung für Q? Lösen Sie sie allgemein und geben Sie
gedämpften und freien harmonischen Oszillator mit Masse m damit schließlich die Lösung für q.t/ an.
264 7 Hamilton-Formalismus
Kapitel 7

Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben

7.1 Die erste entspricht der Definition des kanonischen Impulses


pr und liefert keine neue Information. Dies verhält sich bei
(a) Wir beginnen mit der Bestimmung der Lagrange-Funktion den entsprechenden Gleichungen für # und ' genauso. Wir
in Kugelkoordinaten. Die kinetische Energie T für Kugelko- schreiben daher nur noch die dynamische Gleichung, also
ordinaten wurde bereits in Aufgabe 5.3 bestimmt: die Zeitableitung des Impulses von #, auf:
mh 2  i
TD rP C r2 #P 2 C 'P 2 sin2 # : (7.103) @H p2'
2 pP # D  D cos #: (7.112)
@# mr2 sin3 #
Demnach ist die Lagrange-Funktion
(c) Wir nehmen an, dass #0 D =2 ist. Daher ist zur Zeit t D 0
mh 2 
2 P2
i
gerade cos # D 0 und pP # D 0. Dies bedeutet aber wegen
LDT V D rP C r # C 'P sin #  V.r/:
2 2
2 (7.107), dass zu Beginn auch #P D 0 ist. Tatsächlich löst
(7.104)
#0 D =2 die Differenzialgleichung (7.112); # bleibt also
Die konjugierten Impulse sind
konstant:
@L #.t/ D #0 D =2 D const: (7.113)
pr D D mPr;
@Pr Die Bewegungsgleichung für ' ist trivial gelöst, da ' zy-
@L 2P klisch ist:
p# D D mr #; (7.105)
@#P p' D p';0 D const: (7.114)
@L
p' D D mr2 sin2 # ':P Dies führt mit dem Ergebnis für # auf den bekannten Flä-
@'P chensatz
p';0
Wir erhalten die Hamilton-Funktion durch Anwendung der 'P D ; (7.115)
mr2
Legendre-Transformation
wobei p';0 der konstante Drehimpuls der Punktmasse ist.
P
H D rP pr C #p# C 'p P ' L (7.106) Vergleichen Sie diese Ergebnisse mit der Diskussion des
Zentralkraftproblems in Abschn. 3.2.
und des anschließenden Übergangs .Pr; #; P '/ P ! .pr ; p# ; p' /. (d) Die dynamische Gleichung für r nimmt nun die vereinfachte
Dazu verwenden wir Form
p2';0 dV
pr p # p ' mRr D  (7.116)
rP D ; #P D ; 'P D : (7.107) mr3 dr
m mr2 mr2 sin2 #
an. Dies entspricht gerade dem Ausdruck in (3.60). Es ist nur
Man kann sich schnell vergewissern, dass das Ergebnis zu beachten, dass dort  (statt m) die reduzierte Masse ist.

p2r p2 p2'
H D T CV D C #2 C C V.r/ (7.108) Wir sehen also, dass der Hamilton-Formalismus einen alternati-
2m 2mr 2mr2 sin2 # ven Weg zum Auffinden der Bewegungsgleichungen erlaubt.
lautet.
(b) Der Winkel ' ist zyklisch und führt damit auf 7.2 In jedem Fall muss die Rücktransformation

@H h.x/ D xy.x/  g.y.x// (7.117)


pP ' D  D 0: (7.109)
@'
mit einer zu bestimmenden Funktion h.x/ erfüllen. Wir setzen
Die kanonischen Gleichungen für r lauten einfach (7.89) in (7.117) ein:

@H pr h.x/ D xy.x/  y.x/x.y.x// C f .x.y.x///: (7.118)


rP D D (7.110)
@pr m
Hier ist zu beachten, dass x.y.x// D x gilt; also ist
und
! h.x/ D xy.x/  y.x/x C f .x/: (7.119)
@H 1 p2' dV
pP r D  D p2# C  : (7.111)
@r mr3 sin2 # dr Es folgt sofort, dass h.x/  f .x/ ist, was zu zeigen war.
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 265

Klammern stammt. Im Folgenden wird die Summation über i, l

Kapitel 7
und m ausgeführt:

fLj ; Lk g D "jrm "knr pm xn  "jln "knr xl pr


y = f  (x)
y D "rmj "rknpm xn  "njl "nrk xl pr

x = g  (y)
D .ıkm ıjn  ımn ıjk /pm xn  .ıjr ıkl  ıjk ılr /xl pr (7.123)
g(y) + c D pk xj  xk pj
D "jkl Ll :

f (x) − c Den letzten Schritt überprüft man mithilfe der Definition des
Drehimpulses (7.91).
Für die zweite zu bestimmende Poisson-Klammer sieht man zu-
x
nächst
fL2 ; Lk g D fLj Lj ; Lk g; (7.124)
Abb. 7.6 Geometrischer Beweis dafür, dass die Legendre-Transforma-
tion ihr eigenes Inverses ist (Skarke 2013) wobei über j summiert wird. Hier kann man die Produktregel

fA; BCg D BfA; Cg C CfA; Bg (7.125)


Ein geometrisch augenfälliger Beweis für die Tatsache, dass
die Legendre-Transformation ihr eigenes Inverses ist, ergibt ausnutzen:
sich durch die geometrische Interpretation der monoton anstei- fLj Lj ; Lk g D 2Lj fLj ; Lk g: (7.126)
genden Funktion y.x/ D f 0 .x/ und ihrer Umkehrung x.y/ in
Abb. 7.6, bei der angenommen wurde, dass x und f 0 .x/ gleich- Wir sind damit schon fast fertig, denn man kann das Ergebnis
zeitig positiv sind. Die Fläche unterhalb des Funktionsgraphen (7.123) verwenden:
ist bis auf eine Integrationskonstante die ursprüngliche Funkti-
on f .x/. Um 90ı gedreht kann der Funktionsgraph als x D g0 .y/ fLj Lj ; Lk g D 2Lj "jkl Ll : (7.127)
gelesen werden, wobei bis auf eine Konstante g.y/ die Fläche
darunter ist. Die Summe der beiden Flächen ist offenbar xy, Es wird über j und l summiert. Das Produkt Lj Ll ist symme-
trisch, das Levi-Civita-Symbol "jkl aber antisymmetrisch unter
f .x/ C g.y/ D xy; y D f 0 .x/ bzw. x D g0 .y/; (7.120) der Vertauschung j $ l. Daher ist das Ergebnis null:

was gerade der Definition der Legendre-Transformation ent- fL2 ; Lk g D 0: (7.128)


spricht. Diese Argumentation kann leicht auf die Fälle negati-
ver x und/oder negativer f 0 .x/ verallgemeinert werden (Skarke Die Ergebnisse (7.123) und (7.128) spielen in der Quantenme-
2013). chanik eine wichtige Rolle. Dort werden die Poisson-Klammern
durch die sogenannten Kommutatoren ersetzt.
7.3 Die Definition der Poisson-Klammern (7.22) ist
7.4
f  
X @F @G @F @G
fF; Gg WD  : (7.121) (a) Eine Punkttransformation bedeutet, dass die neuen Koordi-
@xi @pi @pi @xi
iD1 naten Qi von den alten qi abhängen. Da die Erzeugende F1
aber die Unabhängigkeit von qi und Qi voraussetzt, würde
Für F D Li und G D Lj findet man dies zu einem Widerspruch führen.
(b) Verwendet man F2 .t; q; P/, so gilt zunächst
X  @."jlm xl pm / @."knr xn pr /
fLj ; Lk g D
@xi @pi @F2 .t; q; P/
i Qi D D fi .t; q/: (7.129)
 @Pi
@."jlm xl pm / @.@"knr xn pr /
 (7.122)
@pi @xi Diese Gleichung kann aufintegriert werden zu
X 
D "jlm ıil pm "knr xn ıir  "jlm xl ıim "knr ıin pr : XZ X
i F2 .t; q; P/ D fi .t; q/ dPi D fi .t; q/Pi C C.t; q/:
i i
Bis hierhin wurden nur die Ableitungen berechnet. Es muss (7.130)
beachtet werden, dass über alle doppelt auftretenden Indizes Dies bedarf einiger Kommentare. Zum einen muss über i
summiert wird. Nur für den Index i wurde das Summenzeichen summiert werden, da über alle Pi , die voneinander unabhän-
explizit hingeschrieben, da es aus der Definition der Poisson- gig sind, zu integrieren ist. Dies entspricht dem Vorgehen,
266 7 Hamilton-Formalismus

das Potenzial aus einem konservativen Kraftfeld in kartesi- Wir benennen nun die Summationsindizes im zweiten Term
Kapitel 7

schen Koordinaten zu berechnen: Dort muss über alle drei auf der rechten Seite folgendermaßen um: i wird in j und
kartesische Koordinaten integriert werden (Abschn. 1.6). Da gleichzeitig j in i umbenannt. Dies ist möglich, da über beide
die Funktionen fi nicht von den Pi abhängen, kann die Inte- Indizes summiert wird. Es folgt also
gration direkt ausgeführt werden. Dabei tritt im Allgemeinen
eine von Pi unabhängige „Integrationskonstante“ auf, die X @F 0 X X X @Qj
2
dqi D pi dqi  Pj dqi : (7.136)
jedoch von allen qi und der Zeit abhängen kann: C.t; q/.
i
@qi i j i
@qi
Schließlich muss noch
0 1
Da alle dqi unabhängig sind, kann man den Vergleich auf
@F2 @ @X
pi .t; q; P/ D D fj .t; q/Pj C C.t; q/A
@qi @qi @F20 X @Qj
j
pi D C Pj (7.137)
D hi .t; q; P/ @qi j
@qi
(7.131)
gelten. Da die Impulse Pi in F2 nur höchstens linear auf- reduzieren. Nun sind aber die Pj nach Voraussetzung von den
treten, gilt dies auch für hi . Die Funktionen fi .t; q/ und qi unabhängig; man kann also
hi .t; q; P/ sind also eng, aber nicht eindeutig miteinander 0 1
verknüpft: Die Wahl von C.t; q/ ist beliebig (die Funktion @ @ 0 X @F2
muss jedoch differenzierbar sein). pi D F2 C Qj Pj A D (7.138)
@qi @qi
(c) Es sind genau dann alle Punkttransformationen kanonisch, j
wenn alle Funktionen fi .t; q/ mit kanonischen Transforma-
tionen vereinbar sind. Allerdings wird die Wahl von fi nur schreiben, was die erste zu zeigende Gleichung ist.
dadurch eingeschränkt, dass fi .t; q/ differenzierbar ist, damit Der Vergleich der Koeffizienten der dPi führt auf
die pi berechnet werden können. Ansonsten ist fi .t; q/ belie- X @Qj
big. @F20
D Pj : (7.139)
@Pi j
@Pi

7.5 Dies kann wegen @Pj =@Pi D ıij umgeschrieben werden in


(a) Das Differenzial von F20
ist 0 1
X
X  @F 0 @F20

@F 0 0D
@
@F2 C
0
Qj Pj A  Qi (7.140)
0
dF2 .t; q; P/ D 2
dqi C dPi C 2 dt: (7.132) @Pi
i
@qi @Pi @t j

Andererseits kennen wir das Differenzial (7.95). Offen- und schließlich in die gewünschte Form
sichtlich können die Differenziale noch nicht miteinander
verglichen werden, da in (7.132) dPi , in (7.95) aber dQi auf- @F2
tritt. Da die qi und Pi die unabhängigen Größen sind, können Qi D : (7.141)
@Pi
wir allerdings
X  @Qi @Qi

@Qi Es ist nur noch der Zusammenhang für die Hamilton-Funk-
dQi .t; q; P/ D dqj C dPj C dt (7.133) tionen H und H 0 zu zeigen. Ein Vergleich des Zeitdifferenzi-
j
@q j @Pj @t als führt auf
schreiben. Setzt man (7.133) in (7.95) ein, folgt @F20 X @Qi
0 1 D Pi C .H 0  H/ (7.142)
X X @Qi @t i
@t
dF20 .t; q; P/ D @pi dqi  Pi dqj A
@q j
i j oder, da die Pi und t unabhängig sind,
X X @Qi !
 Pi dPj (7.134)
@ X @F2
i j
@Pj 0
H DHC 0
F2 C Qi Pi D H C : (7.143)
@t @t
X @Qi i
 Pi dt C .H 0  H/ dt:
i
@t (b) Wir haben gesehen, dass
Dies ist mit (7.132) zu vergleichen. Aufgrund der Unabhän- X
gigkeit der Differenziale gilt zunächst F2 .t; q; P/ D F20 .t; q; P/ C Qj Pj (7.144)
0 1 j
X @F 0 X X @Qi
2
dqi D @pi dqi  Pi dqj A : (7.135) gilt. Vergleicht man (7.44) und (7.95) und verlangt, dass man
i
@qi i j
@qj es mit derselben kanonischen Transformation zu tun hat, so
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 267

sieht man, dass F1 .t; q; Q/ und F20 .t; q; P/ identische Größen (c) Man erkennt bereits, dass es sich um eine Punkttransforma-
tion handelt, da x und y nur von r und ' abhängen. Wir

Kapitel 7
sind, allerdings ausgedrückt durch verschiedene unabhängi-
ge Koordinaten. Somit ist erwarten also, dass die Transformation kanonisch ist. Au-
X ßerdem sind deswegen alle Ableitungen von x und y nach
F2 .t; q; P/ D F1 .t; q; Q/ C Qi Pi .t; q; Q/ p r und p' null, was die Berechnung der fundamentalen Pois-
i son-Klammern beschleunigt. Tatsächlich findet man dadurch
X @F1 .t; q; Q/ (7.145) schnell, dass die Poisson-Klammer fx; ygr;';pr ;p' identisch
D F1 .t; q; Q/  Qi ; verschwindet. Wegen der Definition der Poisson-Klammern
@Qi
i sind auch fx; xgr;';pr ;p' und fy; ygr;';pr ;p' sowie fpx ; px gr;';pr ;p'
und fpy ; py gr;';pr ;p' null. Wir verzichten im Folgenden zur
d. h., die Erzeugenden F1 und F2 , welche dieselbe kanoni- besseren Übersicht auf den Index der Poisson-Klammern. Es
sche Transformation erzeugen, gehen durch eine Legendre- ist noch
Transformation ineinander über (wobei eine noch mögliche
Konstante ignoriert wurde). @px @py @px @py @px @py @px @py
fpx ; py g D C  
@r @pr @' @p' @pr @r @p' @'
p'  p'  cos '
7.6 D 2 sin2 ' C pr sin '  cos '
r r r
p' 1  p 
'
(a) Die Geschwindigkeiten sind C 2 cos2 ' C sin ' pr cos '  sin '
r r r
xP D rP cos '  r'P sin '; yP D rP sin ' C r'P cos ': (7.146) D 0:
(7.152)
Wir berechnen die verbleibenden Poisson-Klammern,
Daraus folgt die kinetische Energie bzw. Lagrange-Funktion
m 2  fx; px g D cos2 ' C sin2 ' D 1;
LDTD rP C r2 'P 2 : (7.147) (7.153)
2 fy; py g D sin2 ' C cos2 ' D 1;

Die generalisierten Impulse lauten entsprechend sowie

@L @L fx; py g D cos ' sin '  sin ' cos ' D 0;


pr D D mPr; p' D D mr2 ':
P (7.148) (7.154)
@Pr @'P fy; px g D sin ' cos '  cos ' sin ' D 0:

Damit ist gezeigt, dass die Transformation tatsächlich kano-


Die Hamilton-Funktion ist
nisch ist.
! (d) Aus der Erzeugenden F3 (7.99) lassen sich die folgenden
1 p2r p2'
H D rP pr C 'p
P ' LD C 2 : (7.149) Gleichungen ableiten:
2 m mr
@F3
pr D  D px cos ' C py sin ';
Aus ihr folgen die Hamilton’schen Gleichungen @r
@F3
@H pr @H p' p' D  D px r sin ' C py r cos ';
rP D D ; 'P D D ; @'
@pr m @p' mr2 @F3
(7.155)
(7.150) xD D r cos ';
@H p2' @H @px
pP r D  D pP ' D  D 0:
@r mr3 @' @F3
yD D r sin ':
@py
Da ' zyklisch ist, ist p' erhalten. Diese Gleichungen kön-
nen mit den Gleichungen des Zentralkraftproblems in Ab- Die letzten beiden Gleichungen sind offensichtlich die be-
schn. 3.2 verglichen werden. reits bekannten Transformationsgleichungen für die Orte.
(b) Durch Einsetzen von (7.148) in (7.146) folgt Die ersten beiden lassen sich nach px und py auflösen, was
unmittelbar auf (7.151) führt.
p'
px D mPx D pr cos '  sin ';
r (7.151)
p' 7.7
py D mPy D pr sin ' C cos ':
r
(a) Zunächst ist
Somit sind die kartesischen Koordinaten .x; y/ und Impul-
se .px ; py / als Funktion der Polarkoordinaten .r; '/ und der @F1 .q; Q/
pD D m!q cot Q: (7.156)
entsprechenden Impulse .pr ; p' / bekannt. @q
268 7 Hamilton-Formalismus

Der transformierte Impuls lautet wegen d cot x=dx D (b) Die neue Koordinate Q ist zyklisch und der generalisierte
Kapitel 7

1= sin2 x Impuls P erhalten. Da P bis auf einen konstanten Vorfaktor


der Energie entspricht, ist auch die Energie erhalten. Die Be-
@F1 .q; Q/ m! q2 wegungsgleichung für Q lautet
PD D : (7.157)
@Q 2 sin2 Q
0
Man kann sofort die folgenden Transformationsgleichungen P D @H .Q; P/ D ! D const:
Q (7.164)
@P
ablesen:  
1 p
Q.q; p/ D arccot (7.158) Die Lösung ist daher
m! q
und r Q D !t C Q0 (7.165)
2P
jq.Q; P/j D jsin Qj: (7.159) mit einer geeignet zu wählenden Konstanten Q0 . Dieses Er-
m!
gebnis wird in (7.159) eingesetzt, wobei wir noch Q0 in 
Durch Einsetzen von (7.159) in (7.156) findet man die dritte umbenennen. Das Ergebnis ist die wohlbekannte Lösung
Gleichung: p
p.Q; P/ D 2m!P cos Q: (7.160) r
2E
q.t/ D sin.!t  /: (7.166)
Es verbleibt noch die Relation für P.q; p/. Sie folgt aus m! 2
(7.157) und (7.158). Mithilfe von (7.102) bekommt man
Der Term vor dem Sinus ist gerade die Amplitude und die
m! 2 p2 Phasenverschiebung der Schwingung.
P.q; p/ D q C : (7.161)
2 2m!
Man erkennt bereits, dass Obwohl die Bewegungsgleichung des harmonischen Oszilla-
tors einfacher bestimmt werden kann, ist dieses Beispiel doch
E sehr instruktiv. Insbesondere erkennt man, dass durch eine ge-
PD (7.162)
! eignete kanonische Transformation die Anzahl der zyklischen
ist. Wir wollen allerdings formal die Hamilton-Funktion Koordinaten erhöht werden kann. In diesem Fall gibt es so-
H 0 .Q; P/ berechnen, um dies zu zeigen. Setzt man in H.q; p/ gar keine nichtzyklische Koordinate mehr; man hat es also mit
die Transformationsgleichungen q.Q; P/ und p.Q; P/ ein, Winkel- und Wirkungsvariablen zu tun. Es wird weiterhin deut-
folgt lich, dass die generalisierten Koordinaten und Impulse mit den
kartesischen Koordinaten und Newton’schen Impulsen im All-
H 0 .Q; P/ D !P cos2 Q C !P sin2 Q D !P: (7.163) gemeinen nichts mehr zu tun haben.
Literatur 269

Kapitel 7
Literatur

Goldstein, H.: Klassische Mechanik. Akademische Verlagsge-


sellschaft, Wiesbaden (1981)
Landau, L.D., Lifshitz, E.M.: Mechanics. Pergamon Press, Ox-
ford (1969)
Skarke, H.: Why is the Legendre transformation its own inverse?
Am. J. Phys. 81, 554–555 (2013)
Kontinuumsmechanik
8
Was ist ein elastisches
Kontinuum?
Was versteht man unter

Kapitel 8
einem Feld?
Wie lassen sich periodische
Vorgänge allgemein
beschreiben?
Was ist eine mechanische
Spannung?
Was ist der Unterschied
zwischen Festkörpern und
Fluiden?
Welche Bedeutung hat
Reibung in Fluiden?

8.1 Lineare Kette und Übergang zum Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . 272


8.2 Schwingende Saite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
8.3 Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
8.4 Lagrange-Formalismus für Felder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
8.5 Grundlagen der Elastizitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
8.6 Ideale Fluiddynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
8.7 Viskosität und Navier-Stokes-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
So geht’s weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 271
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik 1 | Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56115-7_8
272 8 Kontinuumsmechanik

Bisher haben wir uns entweder mit der Dynamik von Punktmassen Beim starren Körper wurde angenommen, dass die paarwei-
oder von starren Körpern beschäftigt. Die dabei gelernten Metho- sen Abstände der elementaren Punktmassen alle konstant sind.
den und Verfahren reichen für viele physikalische Anwendungen Dies führte schließlich auf die Definition des Trägheitstensors
aus. In sehr vielen Problemen hat man es allerdings mit Systemen zu und auf die Euler’schen Bewegungsgleichungen für starre Kör-
tun, die sich am zweckmäßigsten durch ein nichtstarres Kontinuum per. Hier erlauben wir nun eine relative Bewegung benachbarter
beschreiben lassen. Beispiele sind Flüssigkeiten und Gase (zusam- Punktmassen im Rahmen einer elastischen Wechselwirkung.
mengefasst auch als Fluide bezeichnet) oder elastische Festkörper Zunächst werden die resultierenden kontinuierlichen Bewe-
wie Gummibänder oder Gitarrensaiten. gungsgleichungen für ein eindimensionales System abgeleitet.
Wir werden hier untersuchen, wie sich verformbare Kontinua ma- Dazu wird der Young’sche Elastizitätsmodul als Materialeigen-
thematisch beschreiben lassen und welche physikalischen Konse- schaft eingeführt. Außerdem finden wir Wellenlösungen für das
quenzen sich daraus ergeben. Zunächst wird der Kontinuumslimes elastische Band.
Kapitel 8

durchgeführt. Dies erfordert die Einführung von sogenannten Fel-


dern, die in der Elektrodynamik (Bd. 2) eine fundamentale Rolle
spielen werden. Die einfachsten Beispiele sind die lineare Kette und
die schwingende Saite in Abschn. 8.1 und 8.2.
Lineare Kette
Als mathematischer Exkurs werden die sogenannten Fourier-Reihen Wir beginnen mit einem der einfachsten elastischen Systeme
in Abschn. 8.3 diskutiert. Sie stellen ein wichtiges Hilfsmittel für in einer Dimension: die lineare Kette, die uns bereits in Ab-
viele Probleme in der Physik dar, z. B. für schwingende Kontinua. schn. 6.5 begegnet ist. Dazu betrachten wir N C 1 Punktmassen
Nach einer kurzer Einführung in den Lagrange-Formalismus für Fel- m, die sich im Gleichgewichtszustand an den Orten
der in Abschn. 8.4 beschäftigen wir uns mit den Grundlagen der xi D ia0 .0  i  N/ (8.1)
Elastizitätstheorie (Abschn. 8.5). Dabei taucht auch der sogenann-
te Spannungstensor auf, der in Feldtheorien eine bedeutende Rolle befinden (Abb. 6.10). Hier ist a0 der Gleichgewichtsabstand
spielt. benachbarter Punktmassen. Alle Punktmassen sollen sich nur
entlang der x-Achse bewegen dürfen; ihre Auslenkungen aus der
Abschließend werden die Grundlagen der Fluiddynamik vorgestellt.
Gleichgewichtslage seien qi . Zwischen benachbarten Punktmas-
Wir beginnen mit einer Einführung in die Physik idealer Fluide (Ab-
sen sollen lineare (d. h. harmonische) Kräfte wirken.
schn. 8.6), deren innere Reibung vernachlässigt wird. In Abschn. 8.7
wird diese Vereinfachung wieder aufgehoben und die sogenannte Wir können uns also lauter identische Federn mit Kraftkon-
Viskosität eingeführt. Dies führt auf die wichtigen Navier-Stokes- stanten D zwischen benachbarten Punktmassen vorstellen. Dies
Gleichungen. schränkt die Gültigkeit auf kleine Auslenkungen ein, wie be-
reits in Kap. 6 diskutiert. Allerdings lassen sich damit schon
Das vorliegende Kapitel behandelt Probleme, die von einigen Do- eine Vielzahl von physikalischen Effekten erklären. Nichtlinea-
zenten in Vorlesungen der theoretischen Mechanik behandelt wer- re Wechselwirkungen würden den Umfang dieser Einführung
den. Doch wohl keine einführende Mechanik-Vorlesung ist so um- sprengen.
fangreich, dass sie all diese Punkte abdecken kann. Dieses Kapitel
richtet sich vor allem an neugierige und fortgeschrittene Studenten. Frage 1
Da viele weiterführende Themen wie Elastizitätstheorie oder Fluid- Schauen Sie sich erneut den Abschnitt über die lineare Kette in
dynamik ihre Wurzeln in der Mechanik haben, bietet es sich an, Kap. 6 an.
die Grundideen und Ansätze dieser Themen hier den Lesern vorzu-
stellen. Dabei werden teilweise Begriffe und Hilfsmittel verwendet,
die später vor allem in der Elektrodynamik wieder auftauchen (z. B. Die Kettenenden seien offen, d. h., die Punktmassen 0 und N
Felder, Oberflächenintegrale, die Kontinuitätsgleichung, der Span- haben nur einen Nachbarn. Die kinetische und die potenzielle
nungstensor). Eine Lektüre dieses Kapitels ist daher nicht nur eine Energie lauten dann
Ergänzung der Mechanik, sondern vereinfacht auch das Verständnis
mX 2 DX
N N
des Stoffes in späteren Semestern.
TD qP ; VD .qi  qi1 /2 : (8.2)
2 iD0 i 2 iD1

Beachten Sie, dass die beiden Summen unterschiedliche Gren-


8.1 Lineare Kette und Übergang zen haben. Dies liegt daran, dass es bei N C 1 Punktmassen N
zum Kontinuum wechselwirkende Paare gibt, die zur potenziellen Energie bei-
tragen.
Die Lagrange-Funktion ist wie gewohnt
Wie schon beim starren Körper in Kap. 4 werden hier Sys-
teme behandelt, die eine sehr große Anzahl von Punktmassen mX 2 DX
N N
beinhalten. Eine explizite Beschreibung der Dynamik all dieser LDTV D qP  .qi  qi1 /2 : (8.3)
Freiheitsgrade ist unpraktisch, wenn nicht sogar unmöglich. 2 iD0 i 2 iD1
8.1 Lineare Kette und Übergang zum Kontinuum 273

Offenbar ist die Energie E D T C V erhalten, da L nicht expli- a0


zit von der Zeit abhängt. Dies charakterisiert einen elastischen
Körper.

Elastischer Körper
Einen Körper, dessen Punktmassen durch konservative
Kräfte wechselwirken, nennt man elastisch. Die Gesamt-
energie ergibt sich aus der kinetischen und der Wechsel-
wirkungsenergie. Wird ein elastischer Körper verformt, so
wird die zur Verformung benötigte Arbeit als elastische

Kapitel 8
(potenzielle) Energie gespeichert und kann wieder voll- Abb. 8.1 Ohne äußere Kräfte beträgt der Gleichgewichtsabstand be-
ständig in kinetische Energie umgewandelt werden (wobei nachbarter Punktmassen der Kette a0 (oben). Ziehen Kräfte, die nur an
der Körper in seine Ursprungsgestalt zurückkehrt). Rei- den beiden äußeren Punktmassen angreifen, die Kette auseinander, ver-
bungskräfte treten in einem idealen elastischen Körper längern sich alle Federn im Gleichgewicht um denselben Betrag (Mitte).
nicht auf. Dasselbe gilt für eine Kompression (unten)

Die Bewegungsgleichungen für alle Punktmassen lassen sich Wir fragen nun nach der Gleichgewichtsbedingung unter dem
aus der Lagrange-Funktion ableiten: Einfluss der Kraft F. Das System ist vollständig im Gleichge-
wicht, wenn alle Beschleunigungen verschwinden, d. h., wenn
mRq0  D.q1  q0 / D 0; qR i D 0 für alle i gilt. Da unter dem Einfluss von Kräften die Or-
mRqi C D.qi  qi1 /  D.qiC1  qi / D 0 .0 < i < N/; (8.4) te, an denen sich die Punktmassen im Gleichgewicht befinden,
mRqN C D.qN  qN1 / D 0: verändern können (man denke an eine Masse an einer Feder,
die unter dem Einfluss der Schwerpunkt tiefer hängt), hat man
Wie bereits erwähnt, spielen die Punktmassen mit i D 0 und es folglich mit neuen Gleichgewichtslagen zu tun. Es folgt zum
i D N eine Sonderrolle, da sie an den Enden der Kette liegen. einen
F F
q1  q0 D ; qN  qN1 D (8.6)
D D
und zum anderen
Äußere Kräfte
qi  qi1 D qiC1  qi .0 < i < N/: (8.7)
Wir gehen nun einen Schritt weiter und lassen noch eine kon-
stante äußere Kraft F auf die linke Punktmasse (i D 0) und Man kann sich nun leicht davon überzeugen, dass (8.6) und (8.7)
eine entgegengesetzt wirkende Kraft CF auf die rechte Punkt- die Bedingungen
masse (i D N) wirken. Dadurch bleibt das System insgesamt F
unbeschleunigt, doch die Dynamik der Punktmassen verändert qi  qi1 D .0 < i  N/ (8.8)
sich, wie wir in Kürze sehen werden. Ist F > 0, ziehen die D
Kräfte das System auseinander. Man sagt, es wirkt eine Zug- verlangen. Dies bedeutet, dass alle Federn sich um den gleichen
spannung. Ist dagegen F < 0, so wird das System komprimiert, Betrag F=D verlängern bzw. verkürzen (Abb. 8.1). Unter dem
und man spricht von einer Druckspannung. Einfluss der Kraft F wird also der Gleichgewichtsabstand jeder
Durch die Anwesenheit der Kraft F bleiben fast alle Bewe- einzelnen Feder der Kette zu
gungsgleichungen unverändert, nur die für die Punktmassen 0 F
und N müssen modifiziert werden: a D a0 C : (8.9)
D
mRq0  D.q1  q0 / C F D 0;
(8.5)
mRqN C D.qN  qN1 /  F D 0: Achtung Der aufmerksame Leser könnte hier fragen, ob das
Ergebnis nicht um einen Faktor 2 daneben liegt. Da nämlich
Frage 2 die Kräfte ˙F links und rechts angreifen, wirkt auf jede Feder
Vergewissern Sie sich, dass die Bewegungsgleichungen in (8.5) die Gesamtkraft 2F, und somit müsste die Feder um den Be-
korrekt sind. Modifizieren Sie dazu die Lagrange-Funktion, trag 2F=D gestreckt bzw. gestaucht werden. Dies ist allerdings
indem Sie dort Terme proportional zu Fq0 bzw. FqN berücksich- eine falsche Schlussfolgerung, die man sich leicht anhand des
tigen. Es gibt also zwei zusätzliche Potenzialanteile, die gerade folgenden Beispiels überlegen kann. Wir stellen uns vor, dass
der Bewegung von der linken und der rechten Masse in einem eine Masse m an einer Feder mit Federkonstante D hängt, die
konstanten äußeren Kraftfeld entsprechen. an der Zimmerdecke befestigt ist. Auf m wirkt dann die Gravi-
tationskraft F D mg, was auf eine Federverlängerung um den
274 8 Kontinuumsmechanik

Betrag F=D führt. Allerdings wirkt nun auf den Fixpunkt der der Elastizitätsmodul Y D Da0 und die Kettenmasse M D Nm
Feder an der Decke eine entgegengesetzte Kraft F. Warum? konstant bleiben. Dies ist möglich, indem man die lineare Mas-
Dies ist gerade die Zwangskraft, welche die Feder an der De- sendichte
cke hält; ansonsten würde die Feder abreißen und nach unten M m
WD D (8.14)
beschleunigt werden. Da es der Feder aber völlig egal ist, ob ` a0
es sich um eine Zwangskraft oder um eine andere äußere Kraft und den Elastizitätsmodul Y festhält (weswegen auch m ! 0
handelt, ist die Feder an der Zimmerdecke äquivalent zu der li- geht).
nearen Kette (mit einer einzigen Feder), und die Verlängerung
wird durch F (und nicht durch 2F) bestimmt. J Dies führt auf eine wichtige Änderung in der mathematischen
Beschreibung: Die bisher diskreten Auslenkungen qi .t/ werden
zu einer kontinuierlichen Feldfunktion q.t; x/ (in vielen Lehrbü-
Frage 3
Kapitel 8

chern wird eine andere Reihenfolge der Argumente verwendet;


Dieser Abschnitt ist leichter zu verstehen, wenn man sich den wir schreiben aus Gründen der Konsistenz mit späteren Kapiteln
Fall N D 2 mit einer einzigen Feder vorstellt. Dann wirken zuerst das Zeitargument). Man ordnet also jedem Raumpunkt x
die beiden Kräfte ˙F direkt auf die alleinigen beiden Massen. entlang der Kette eine kontinuierliche Auslenkung zu. In (1.17)
Schauen Sie sich die obigen Rechnungen unter diesem Gesichts- hatten wir bereits das Gravitationsfeld einer Punktmasse einge-
punkt erneut an. führt.

Feld
Young’scher Elastizitätsmodul und Übergang In der Physik versteht man unter einem Feld eine Größe,
zum Kontinuum die eine Funktion des Ortes ist (z. B. eine Funktion von r
in drei Dimensionen). Zusätzlich kann ein Feld zeitabhän-
Durch die äußere Kraft F wird die Gesamtlänge der Kette ` um gig sein. Felder können skalar-, vektor- oder tensorwertig
einen Betrag sein. So ist beispielsweise die Temperaturkarte der Wetter-
F vorhersage ein Skalarfeld, da die Temperatur eine skalare
` D N (8.10) Größe ist: T.r/. Ein Geschwindigkeitsfeld u.r/ hingegen
D
ist eine vektorwertige Größe und wird beispielsweise ver-
verändert. Die Ruhelänge der Kette ist wendet, um die Strömung einer Flüssigkeit am Ort r zu
` D Na0 : (8.11) beschreiben.

Somit ist die relative Längenänderung


Tensorfelder sind weniger anschaulich, spielen aber in der theo-
` NF F F retischen Physik eine große Rolle. Der Spannungstensor eines
D D D ; (8.12)
` NDa0 Da0 Y elastischen Körpers oder einer Flüssigkeit ist ein Beispiel. Wir
kommen später im Kapitel darauf zurück.
wobei wir mit
Y WD Da0 (8.13) Wie kann man sich nun eine kontinuierliche Verformung q.t; x/
vorstellen? Hierzu denke man sich zunächst die nichtdeformier-
den Elastizitätsmodul Y definiert haben. Er bestimmt in der te Kette als kontinuierliches Material. Man ordnet nun jedem
linearen Näherung die Dehnung bzw. Stauchung der Kette be- Raumpunkt eine Markierung zu, die sich – von einem raum-
dingt durch die äußere Kraft F. Der Elastizitätsmodul ist eine
festen Koordinatensystem aus betrachtet – lokal mit der Kette
reine Materialeigenschaft der Kette. Je größer Y ist, desto stei- mitbewegt, wenn diese deformiert wird. Eine Markierung, die
fer ist die Kette, und desto weniger wird sie durch eine äußere sich im unverformten Zustand am Ort x befunden hat, verschiebt
Kraft beeinflusst. Im Grenzfall Y ! 1 hat man es wieder mit
sich bei einer Verformung im Allgemeinen an einen anderen Ort
einem starren Körper zu tun. x0 . Die Differenz q D x0  x ordnet man dann dem ursprüng-
lichen Referenzort x zu. Da die Verformung zeitabhängig sein
Frage 4 kann, schreiben wir letztlich also q.t; x/, was bedeutet, dass sich
Der Elastizitätsmodul hat die Dimension einer Kraft. Er ent- die Markierung zur Zeit t am Ort x0 .t/ D x C q.t; x/ befindet.
spricht derjenigen Kraft, bei der die Feder um ihre eigene Länge
gedehnt bzw. gestaucht werden würde. Überlegen Sie sich, Setzt man nun voraus, dass die Verformung q.x/ eine hinrei-
warum wir deswegen stets F Y verlangen. chend glatte Funktion ist, so kann man die Auslenkungen der
benachbarten Punktmassen durch eine Taylor-Entwicklung be-
schreiben:
An dieser Stelle soll der Übergang zum Kontinuum vorgenom- qi˙1 .t/ ! q.t; x ˙ a0 /
men werden. Praktisch bedeutet dies, dass eine einzelne Feder ˇ ˇ
sehr kurz im Vergleich zur Kette ist. Man führt also den Über- @q ˇˇ a20 @2 q ˇˇ (8.15)
D q.t; x/ ˙ a0 C ˙ ::::
gang a0 ! 0 derart durch, dass die Gesamtlänge ` D Na0 , @x ˇ.t;x/ 2 @x2 ˇ.t;x/
8.1 Lineare Kette und Übergang zum Kontinuum 275

Selbstverständlich ist es mit diesen Definitionen nicht getan,


denn man ist an einer kontinuierlichen Beschreibung der Dy- Es handelt sich hierbei um eine lineare partielle Differen-
namik interessiert. Dazu muss man sich ansehen, was mit zialgleichung zweiter Ordnung für die Funktion q.t; x/, die
den Bewegungsgleichungen geschieht, wenn der Kontinuums- auf dem Intervall Œ0; ` definiert ist.
limes durchgeführt wird. Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten:
Zum einen können wir die für das diskrete System bekannten
Bewegungsgleichungen direkt kontinuierlich formulieren. Der Frage 5
elegantere Weg ist allerdings ein anderer: Zunächst kann man Zeigen Sie (8.19), indem Sie die Definitionen der Massendichte
die Lagrange-Funktion in ein Lagrange-Funktional der Ver- und des Elastizitätsmoduls Y ausnutzen.
schiebungsfunktion q.t; x/ umwandeln und anschließend daraus
die Bewegungsgleichungen ableiten.

Kapitel 8
Wir wollen hier zunächst den ersten Weg beschreiten, da er In der Kontinuumsmechanik werden also die Bewegungsglei-
einfacher ist. In Abschn. 8.4 holen wir schließlich den Kontinu- chungen für Punktmassen durch partielle Differenzialgleichun-
umsübergang der Lagrange-Funktion nach. Es wird dort unter gen für Felder ersetzt. Wie in vielen anderen Bereichen der
anderem gezeigt, dass sich daraus dieselben Bewegungsglei- Physik ist diese Feldgleichung linear und erlaubt Wellenlö-
chungen ergeben. sungen. Feldgleichungen werden uns in diesem Buch noch
häufig begegnen. Zu den besonders wichtigen Beispielen gehö-
Wir konzentrieren uns zunächst auf denjenigen Fall, bei dem ren die Maxwell-Gleichungen der Elektrodynamik (Bd. 2) und
keine äußeren Kräfte wirken (Kräfte werden in Abschn. 8.2 und die Schrödinger-Gleichung der Quantenmechanik (Bd. 3).
Aufgabe 8.1 berücksichtigt). Für die Punktmassen, die nicht am
Rand liegen, gilt wegen (8.4) Zum Lösen von (8.19) sind im Allgemeinen Randbedingungen
erforderlich, d. h., es sind Bedingungen an q.t; x/ an den Orten
mRqi  D.qiC1  2qi C qi1 / D 0 .0 < i < N/: (8.16) x D 0 und x D ` zu stellen. Dies wird in Abschn. 8.2 und Aufga-
be 8.1 ausgeführt. Nun wollen wir allerdings erst das unendliche
Mithilfe der Kontinuumsnotation erhalten wir Band betrachten, das ohne Randbedingungen auskommt.

qiC1  2qi C qi1


a20
Œq.x C a0 /  q.x/  Œq.x/  q.x  a0 /
(8.17) Die d’Alembert’sche Gleichung
! ;
a20
Wir beginnen mit einer mathematischen Untersuchung der
wobei wir nun die diskreten Punktmassen durch eine kontinu- Schwingungsgleichung (8.19). Dazu schreiben wir sie zunächst
ierliche Verteilung ersetzt haben. Der Term auf der rechten Seite in der Gestalt
kann im Kontinuumslimes a0 ! 0 als Differenzenquotient der  2 2 
ersten Ableitungen angesehen werden: @ 2 @
 v q.t; x/ D 0: (8.20)
@t2 @x2
q.xCa0 /q.x/ q.x/q.xa0 /
a0
 a0
Zur Abkürzung wurde
a0
ˇ ˇ s
@q ˇ @q ˇ ˇ
(8.18)
@x ˇ
 @x ˇ
Y
@2 q ˇ v WD (8.21)
D 2 ˇˇ :
x xa0
D
a0 @x x

Wir haben es also mit der zweiten Ableitung von q nach x zu mit der Dimension einer Geschwindigkeit eingeführt. Die phy-
tun. Ersetzt man nun die linke Seite von (8.17) durch die zweite sikalische Bedeutung von v wird in Kürze deutlich werden. Der
Ableitung, so ergeben sich die Bewegungsgleichungen im Kon- Term in der Klammer ist ein Differenzialoperator, der auf die
tinuumslimes. Funktion q.t; x/ wirkt. Offenbar sind all diejenigen Funktionen
Lösungen der Schwingungsgleichung, die der Differenzialope-
rator auf null abbildet. Wir fragen nun nach der allgemeinen
Kräftefreie Bewegungsgleichung Klasse von Lösungen q.t; x/.
des elastischen Bandes D’Alembert schlug 1747 einen eleganten Lösungsweg vor. Dazu
Die Bewegungsgleichung des Bandes (d. h. der kontinu- werden der Ort x und die Zeit t durch zwei neue Variablen 
ierlichen Kette) lautet in Abwesenheit von äußeren Kräf- und  ersetzt:
ten
@2 q.t; x/ @2 q.t; x/  WD x C vt;  WD x  vt
 Y D 0: (8.19)  C   (8.22)
@t2 @x2 H) x D ; tD :
2 2v
276 8 Kontinuumsmechanik

Frage 6 t
Zeigen Sie, dass die Orts- und Zeitableitungen dann als
 
@ @ @ @ @ @ x
D C ; Dv  (8.23)
@x @ @ @t @ @ h(x−vt) g(x+vt)

geschrieben werden können. Verwenden Sie dazu die Kettenre-


t > t
gel  
@q @ @ @ @
D C q (8.24)
@x @x @ @x @
x
Kapitel 8

und den entsprechenden Zusammenhang für die Zeitableitung.

Der Differenzialoperator in (8.20) wird somit zu t > t

 2  2
@2 @2 @ @ @ @
 v2 2 D v2   v2 C
@t 2 @x @ @ @ @ x
(8.25)
@ @
D 4v 2 :
@ @
Abb. 8.2 Die beiden Wellen h.x  vt/ (rot) und g.x C vt/ (blau)
propagieren mit der Zeit nach rechts bzw. links, ohne ihre Gestalt zu
verändern (oben und Mitte). Überlappen sie (unten), so ist die resultie-
d’Alembert’sche Schwingungsgleichung
rende Auslenkung (grün) einfach die Summe von h und g
Mit den in (8.22) eingeführten Parametern  und  nimmt
die Schwingungsgleichung (8.20) die einfache Form
ihren Graphen); sie verschieben sich lediglich mit der Zeit in
@q
2 verschiedene Richtungen nach links bzw. nach rechts. Die Ge-
D0 (8.26) schwindigkeit dieser Ausbreitung ist gerade durch v gegeben.
@@
Damit ist v die Wellengeschwindigkeit.
an. Achtung Der Begriff „Welle“ umfasst hier Funktionen, die
beliebig geformt sein dürfen, aber mit der korrekten Geschwin-
digkeit v laufen müssen. Sinusfunktionen der Form A sin.k.x ˙
D’Alembert zeigte, dass jede Funktion der Form
vt// sind daher nur spezielle Lösungen. J
q.; / D g./ C h./ (8.27)
Unendliches Band
mit zwei beliebigen differenzierbaren Funktionen g./ und h./
die allgemeine Lösung der d’Alembert-Gleichung ist. Dieses Wir stellen uns ein unendlich ausgedehntes elastisches
Ergebnis erhält man direkt, indem man (8.26) einmal nach  Band vor, das sich durch die Schwingungsgleichung
und einmal nach  integriert. (8.20) beschreiben lässt. Zu Beginn seien die Auslenkung
und ihre Änderungsgeschwindigkeit überall bekannt:
Frage 7
q.t D 0; x/ D q0 .x/; qP .t D 0; x/ D qP 0 .x/: (8.29)
Überprüfen Sie, dass (8.27) die d’Alembert-Gleichung löst.
Warum spielt eine additive Konstante keine Rolle? Wie lautet nun die Auslenkung zu einer beliebigen Zeit?
Gesucht ist also die Lösung für q.t; x/ zu allen Zeiten.
Was bedeutet dies nun physikalisch? Wir transformieren dazu Dazu gehen wir den Umweg über die d’Alembert-Para-
zurück auf die Parameter x und t und finden, dass meter  und . Aus den Anfangsbedingungen und den
Definitionen von g und h folgt für t D 0 zunächst
q.t; x/ D g.x C vt/ C h.x  vt/ (8.28)
g.x/ C h.x/ D q0 .x/;
(8.30)
die Gestalt der allgemeinen Lösung ist. Die beiden Funktionen v Œg0 .x/  h0 .x/ D qP 0 .x/:
g und h beschreiben Wellen, die sich in positive bzw. negative
Richtung bewegen (Abb. 8.2). Der Strich steht dabei für die Ableitung nach dem Argu-
Sind die räumlichen Funktionen g.x/ und h.x/ zu einer Zeit t ment von g bzw. h. Wir möchten als Erstes die Lösungen
festgelegt, so behalten beide Funktionen ihre Gestalt (genauer:
8.2 Schwingende Saite 277

8.2 Schwingende Saite


für g.x C vt/ und h.x  vt/ finden. Dazu integrieren wir
die zweite Gleichung in (8.30):
Die Bewegungsgleichung für das lineare Band wird nun auf den
Zx Fall einer dreidimensional schwingenden Saite verallgemeinert.
vŒg.x/  h.x/ D qP 0 .x0 / dx0 C C; (8.31) Wir lösen die Bewegungsgleichung für eine eingespannte Sai-
te, d. h. eine Saite mit festgehaltenen Enden. Wir werden sehen,
x0
dass sich transversale und longitudinale Schwingungen in der
wobei C eine Integrationskonstante ist. Dieses Zwischen- Saite mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ausbreiten. Die Er-
ergebnis lässt sich durch eine Addition bzw. Subtraktion gebnisse bieten auch einen Einblick in die Funktionsweise von
mit der ersten Gleichung in (8.30) kombinieren: Musikinstrumenten.

Kapitel 8
2 x 3
Z
q0 .x/ 1 4
g.x/ D C qP 0 .x0 / dx0 C C5 ;
2 2v Aufstellung der Bewegungsgleichung
x0
2 x 3 (8.32)
Z
q0 .x/ 1 4 Kommen wir nun zu einem interessanten Beispiel aus dem All-
h.x/ D  qP 0 .x0 / dx0 C C5 : tag: die Saite mit fest eingespannten Enden. Der Unterschied
2 2v
x0 zum linearen Band ist, dass die Elemente der Saite in alle drei
Raumrichtungen schwingen können. Wir verlangen allerdings,
Somit ist der Anfangszustand, ausgedrückt durch g und dass die ruhende Saite entlang der x-Achse verläuft. Erneut be-
h, bekannt. Da wir aber wissen, dass die Zeitentwicklung ginnen wir mit einer diskreten Formulierung; den Übergang zum
von g und h lediglich darin besteht, dass die Funktionen Kontinuum führen wir durch, nachdem wir die diskreten Bewe-
entlang der x-Achse laufen, können wir direkt das Ergeb- gungsgleichungen aufgestellt haben.
nis q.t; x/ zu allen Zeiten notieren. Dazu muss bloß das
Argument von g durch x C vt und das von h durch x  vt Die N C 1 Punktmassen m der Saite befinden sich im Gleichge-
ersetzt werden: wicht an den Orten

q.t; x/ D g.x C vt/ C h.x  vt/ xi D aiOex .0  i  N/: (8.34)


1 Hier ist a der Gleichgewichtsabstand benachbarter Punkte unter
D Œq0 .x C vt/ C q0 .x  vt/ dem Einfluss der Einspannung, d. h. a > a0 . Die eingespannte
2
0 xCvt 1 Saite ist also länger als das freie Band:
Z
1 @
C qP 0 .x0 / dx0 C CA `0 WD Na > Na0 D `: (8.35)
2v
x0
0 xvt 1 Die Auslenkungen qi .t/ definieren wir nun bezüglich der einge-
Z spannten Ruhelagen in (8.34). Wie bereits erwähnt, können die
1 @ (8.33)
 qP 0 .x0 / dx0 C CA qi .t/ in eine beliebige Richtung zeigen; sie sind nicht auf die x-
2v Achse beschränkt (Abb. 8.3).
x0
1 Aufgrund der eingespannten Enden sind die folgenden beiden
D Œq0 .x C vt/ C q0 .x  vt/
2 Bedingungen zu allen Zeiten erfüllt:
Z
xCvt
q0 .t/ D qN .t/ D 0: (8.36)
1
C qP 0 .x0 / dx0 :
2v In Abschn. 8.1 wurde erläutert, dass sich eine Vorspannung
xvt
durch eine äußere Kraft F auf die beiden äußeren Punktmassen
Man erkennt, dass ein Raumpunkt x zur Zeit t nur durch erreichen lässt. Hier ist diese Kraft eine unbekannte Zwangs-
anfängliche (t D 0) Störungen im Raumbereich Œx  kraft; wir wissen nur, dass sie die Randbedingungen in (8.36)
vt; x C vt beeinflusst wird. Daran sieht man erneut, dass erzeugt.
sich die Wellen mit der Geschwindigkeit v ausbreiten. Die potenzielle Energie soll nur aus harmonischen Termen be-
Es wird außerdem deutlich, dass man zu Beginn sowohl stehen:
den Auslenkungszustand q0 .x/ als auch seine Änderungs- DX
N
geschwindigkeit qP 0 .x/ kennen muss, um die Lösung in VD .j.xi C qi /  .xi1 C qi1 /j  a0 /2 : (8.37)
2 iD1
(8.33) eindeutig festzulegen. Der Grund ist, dass die
Schwingungsgleichung (8.20) eine partielle Differenzi- Hier ist zu beachten, dass das globale Minimum der potenziellen
algleichung zweiter Ordnung in der Zeit ist. Wir haben Energie nur erreicht wird, wenn alle Federn die Länge a0 besit-
somit ein Anfangswertproblem gelöst. J zen. Dies ist wegen der Vorspannung allerdings nicht möglich,
da mindestens immer eine Feder länger als a0 sein muss.
278 8 Kontinuumsmechanik

q = 0,q⊥ = 0 Nimmt man nun an, dass die relativen transversalen Auslen-
kungen zwischen zwei benachbarten Punktmassen klein sind
gegenüber dem Abstand a, d. h.
 2  2
q = 0,q⊥ = 0 qi;?  qi1;? a C qi;k  qi1;k ; (8.40)
so kann man die Wurzel bis zur zweiten Ordnung in q entwi-
ckeln und findet
jxi  xi1 C qi  qi1 j
q = 0,q⊥ = 0
1 (8.41)
a C .qi;k  qi1;k / C .qi;?  qi1;? /2 :
2a
p
Kapitel 8

Dabei wurde neben 1 C x 1 C x=2 für x 1 noch aus-


genutzt, dass im Nenner a C .qi;k  qi1;k / a ersetzt werden
kann, da auch die longitudinalen Auslenkungen klein sein sol-
len. Insgesamt folgt nun
q = 0,q⊥ = 0 .j.xi C qi /  .xi1 C qi1 /j  a0 /2
.a  a0 /2 C 2.a  a0 /.qi;k  qi1;k / (8.42)
a  a0
C .qi;k  qi1;k /2 C .qi;?  qi1;? /2 ;
a
wobei alle Terme mit höherer als zweiter Ordnung in q vernach-
lässigt wurden.

Frage 9
Abb. 8.3 Eine eingespannte Kette bzw. Saite kann prinzipiell in al- Gehen Sie durch die Teilschritte, die auf (8.42) geführt haben.
le Richtungen schwingen. In der oberen Abbildung ist die Kette im Überprüfen Sie die Näherungen, indem Sie sich danach fragen,
undeformierten Zustand gezeigt. Die beiden mittleren Abbildungen welche Terme führend und welche vernachlässigbar sind.
illustrieren eine reine Longitudinal- bzw. Transversalverformung. Ei-
ne allgemeine Verformung ist in der unteren Abbildung gezeigt. Die
senkrechten grauen Linien deuten die longitudinalen Ruhelagen der Erinnern wir uns daran, was wir eigentlich erreichen wollen. Wir
Punktmassen an müssen (8.42) über i summieren, um die potenzielle Energie und
anschließend die Bewegungsgleichungen zu erhalten. Die Kon-
stante .aa0 /2 fällt beim Aufstellen der Bewegungsgleichungen
Frage 8 fort; dieser Term kann also direkt gestrichen werden. Da wir au-
Überlegen Sie sich, dass eine Druckspannung, also a0 > a bzw. ßerdem verlangt haben, dass die Saite fest eingespannt ist und
F < 0, auf eine instabile Situation führen würde. somit q0 D qN D 0 gilt, muss
X
N
.qi;k  qi1;k / D 0 (8.43)
Im Folgenden soll der Ausdruck für die potenzielle Ener- iD1
gie vereinfacht werden. Dazu sind einige Entwicklungen und
Abschätzungen notwendig. Wir betrachten die Beträge in der sein, wie man schnell beweisen kann. Dieser Term trägt also
potenziellen Energie genauer: auch nicht zur Dynamik bei. Weiterhin schreiben wir
a  a0 a  a0 ` F F
jxi  xi1 C qi  qi1 j D D D : (8.44)
a a0 ` Da0 Y
D jaOex C qi  qi1 j Hier ist F diejenige Kraft, die zur Vorspannung benötigt wird
q
(8.38) (Abschn. 8.1), und man kann a im Nenner durch a0 ersetzen,
D a2 C 2a.qi  qi1 /  eO x C .qi  qi1 /2
q wenn die Vorspannung klein ist: F Y.
 2  2
D a C qi;k  qi1;k C qi;?  qi1;? : Die Lagrange-Funktion lautet mit den oben durchgeführten Ver-
einfachungen schließlich
Hier wurde die Auslenkung in einen Anteil parallel zur x-Achse
m X 2 
N1
(longitudinaler Anteil) und einen orthogonalen bzw. transversa-
LD qP i;k C qP 2i;?
len Anteil zerlegt: 2 iD1
0 1 " #
a0 X
N
0 .qi;k  qi1;k /2 .qi;?  qi1;? /2
B C  Y CF :
qi D qi;k eO x C qi;? ; qi;? D @qi;y A : (8.39) 2 iD1 a20 a20
qi;z (8.45)
8.2 Schwingende Saite 279

Wir sehen, dass die longitudinalen und transversalen Terme Transversal schwingende Saite
nicht gemischt sind, d. h., sie enthalten keine Produkte der Art
qi;k qi;? . Die Bewegungsgleichungen für die qi;k und die qi;? sind
also entkoppelt. Dies ist eine Folge der vorgenommenen Verein- Es soll nun untersucht werden, wie eine eingespannte, trans-
fachungen. Höhere, hier vernachlässigte Terme der potenziellen versal ausgelenkte Saite schwingt. Wir beschränken uns zur
Energie sind gemischt, sodass die Bewegungsgleichungen ei- Vereinfachung auf eine Schwingung entlang der y-Achse, was
gentlich gekoppelt sind. Allerdings ist diese Kopplung bei wegen der Symmetrie in der y-z-Ebene keine Einschränkung ist.
kleinen Auslenkungen so schwach, dass wir sie hier getrost un- Es ist also die partielle Differenzialgleichung
terschlagen können.
@2 q.t; x/ 2 @ q.t; x/
2
Die Bewegungsgleichungen für die Punktmassen 0 < i < N  v? D0 (8.49)
@t2 @x2
sind analog zu (8.16). Sie folgen direkt aus der Lagrange-Funk-

Kapitel 8
tion (8.45) und lauten mit den Randbedingungen
Y  
mRqi;k  qiC1;k  2qi;k C qi1;k D 0;
a0 q.t; 0/ D q.t; `0 / D 0 (8.50)
(8.46)
F  
mRqi;?  qiC1;?  2qi;? C qi1;? D 0: zu lösen, wobei wir zur Vereinfachung q.t; x/ statt qy .t; x/
a0
schreiben.
Was bedeutet dies? Der Elastizitätsmodul Y ist für die Rück-
stellkraft in x-Richtung verantwortlich. Dies haben wir bereits Randbedingungen der Art (8.50), bei denen die Funktion an ei-
in Abschn. 8.1 gesehen. Zusätzlich haben wir hier einen Term nem bestimmten Ort einen bestimmten Wert annehmen muss,
gefunden, der die Rückstellkraft in der y-z-Ebene beschreibt und nennt man Dirichlet’sche Randbedingungen. Weiterhin gibt es
durch die Vorspannung F erzeugt wird. Eine lose eingespannte Neumann’sche Randbedingungen, die eine Forderung an die
Saite mit F D 0 kann also nicht in der y-z-Ebene schwingen, da Ableitung der Funktion stellen. In Aufgabe 8.1 werden wir ei-
es (in erster Näherung) keine entsprechende Rückstellkraft gibt. ner Neumann’schen Randbedingung begegnen. Weiterhin wird
in Bd. 2, Kap. 2 und Bd. 3, Kap. 6 noch mehr über diese Rand-
Frage 10 bedingungen gesagt.
Vergewissern Sie sich, dass die Bewegungsgleichungen der dis-
Wir werden hier nicht den Ansatz von d’Alembert verfolgen.
kreten linearen Kette in Abschn. 8.1 aus (8.46) folgen, wenn
Stattdessen schlagen wir einen anderen Weg ein, der auf die
man nur Auslenkungen entlang der x-Achse gestattet. Die li-
Fourier-Reihen führt, was in Kürze deutlich werden wird.
neare Kette ist also nichts weiter als ein Spezialfall der (noch
diskreten) Saite. Für die lineare Kette in (6.147) wurden die Orts- und Zeitab-
hängigkeiten abgespalten, indem für alle Oszillatoren dieselbe
Zeitabhängigkeit angesetzt wurde. Analog schreiben wir hier
Es fehlt noch der Kontinuumslimes. Hier ist nichts Neues zu sa-
gen. Man erhält ihn analog zu dem in Abschn. 8.1 vorgestellten
q.t; x/ D f .x/g.t/: (8.51)
Verfahren.
(Separationsansätze wie dieser werden in Bd. 2, Kap. 6 detail-
Kräftefreie kontinuierliche Bewegungsgleichung liert besprochen.) Dies ergibt unmittelbar
der schwingenden Saite
d2 g 2
2 d f 1 d2 g v 2 d2 f
Die Bewegungsgleichungen der kontinuierlichen, kräfte- f 2
 v? g 2 D0 H) 2
D ? 2: (8.52)
dt dx g dt f dx
frei schwingenden Saite lauten
@2 qk .t; x/ @2 qk .t; x/ Die linke Seite hängt nur noch von der Zeit t, die rechte nur noch
 Y D 0; vom Ort x ab. Damit die Gleichung zu allen Zeiten und an al-
@t2 @x2 (8.47) len Orten im Intervall .0; `0 / erfüllt ist, müssen beide Seiten der
@2 q? .t; x/ @2 q? .t; x/ Gleichung einer Konstanten c entsprechen (das Minuszeichen
F D 0:
@t 2 @x2 dient nur der Zweckmäßigkeit). Dies führt auf die zwei Bestim-
Sie sind auf dem Intervall .0; `0 / definiert. mungsgleichungen

d2 g d2 f cf
D cg; D 2: (8.53)
Wir sehen, dass mit dt2 dx 2 v?
s s
Y F Frage 11
vk WD ; v? WD (8.48)
Überlegen Sie sich, dass c > 0 sein muss, damit die Lö-
die Ausbreitungsgeschwindigkeiten der longitudinalen und sung nicht exponentiell anwächst. Man hat es also mit zwei
transversalen Wellen im Allgemeinen unterschiedlich sind. Schwingungsgleichungen zu tun. Zeigen Sie weiterhin, dass die
280 8 Kontinuumsmechanik

Konstante c die Dimension einer quadratischen Kreisfrequenz


haben muss. n=4

p
Führt man ! WD c ein, so lauten die Lösungen von (8.53)
  n=3
!
g.t/ D Ag cos.!t  g /; f .x/ D Af sin x f : (8.54)
v?

Es ergeben sich also vier Integrationskonstanten: zwei Amplitu- n=2


den (Af und Ag ) und zwei Phasen ( f und g ). Für das Produkt
Kapitel 8

f .x/g.t/ kann man allerdings die beiden Konstanten Af und Ag


zu Af Ag zusammenfassen.
Die eigentlich interessanten Ergebnisse erhält man erst, wenn n=1
die Randbedingungen berücksichtigt werden. Um q.t; 0/ D 0
und q.t; `0 / D 0 zu erfüllen, könnte man Af D 0 fordern. Dies
führt allerdings auf den trivialen Fall einer ruhenden Saite und

soll nicht weiterverfolgt werden. Für Af 6D 0 folgt
Abb. 8.4 Eine eingespannte Saite der Länge `0 erlaubt stehende Wellen
! 0
f D 0; ` Dn .n 2 N/: (8.55) mit diskreten Wellenlängen (8.57), hier gezeigt für n D 1; 2; 3; 4. Die
v? Anzahl der Knoten ist n C 1

Die Kreisfrequenz kann daher nur die diskreten Werte


v?
!n D n .n 2 N/ (8.56) Allgemeine Lösung der schwingenden Saite
`0
Die allgemeine Lösung der Bewegungsgleichung (8.49)
annehmen. Das Auftreten einer „Quantisierung“ (hier mit für die schwingende Saite ist
„Quantenzahl“ n) durch die Anwesenheit von Randbedingun-
gen finden wir auch in der Quantenmechanik wieder. Dies wird 1
X
in Bd. 3 gründlich untersucht. q.t; x/ D cn cos.!n t  n / sin.kn x/ (8.60)
Die Wellenlänge  ergibt sich aus dem Argument der Funktion nD1

f .x/, indem man diese als f .x/ D Af sin.2 x=  f / schreibt; mit reellen Koeffizienten cn und diskreten Frequenzen
sie kann ebenfalls nur diskrete Werte annehmen:
s
2 2`0 F
n D v? D .n 2 N/: (8.57) !n D kn : (8.61)
!n n

Dies ist in Abb. 8.4 illustriert. Damit verbunden ist die soge-
nannte Wellenzahl
Die noch unbekannten Konstanten cn und n (von denen es im
2 n Prinzip unendlich viele gibt) lassen sich aus den Anfangsbedin-
kn D D 0 .n 2 N/: (8.58) gungen q.0; x/ und qP .0; x/ bestimmen. Dies ist das sogenannte
n `
Anfangswertproblem und führt auf eine Fourier-Reihe bezüglich
des Ortes x:
Bei Musikinstrumenten wie Geigen oder Gitarren nennt man die
Lösung mit n D 1 den Grundton. Höhere n ergeben die Obertö- 1
X
ne. Die Lösung für q.t; x/ für ein gegebenes n ist schließlich q.0; x/ D cn cos n sin.kn x/ (8.62)
nD1
q.n/ .t; x/ D Cn cos.!n t  n / sin.kn x/ (8.59)
bzw.
1
X
mit Amplituden Cn und Phasen n . Es handelt sich um stehende
Wellen mit Knoten bei x D 0 und x D `0 , also Punkten, bei qP .0; x/ D cn !n sin n sin.kn x/: (8.63)
denen die Auslenkung zu allen Zeiten verschwindet. nD1

Die Differenzialgleichung (8.49) ist linear und homogen. Man Fourier-Reihen und das Vorgehen zur Bestimmung der cn und
kann daher Lösungen beliebig superponieren. n werden in Abschn. 8.3 diskutiert.
8.3 Fourier-Reihen 281

Frage 12 Die Menge der Koeffizienten faj ; bj g (bzw. ihre Beträge, also
die Amplituden der Teilschwingungen) nennt man das Fourier-
Überlegen Sie sich, dass man ganz analoge Aussagen für die
Spektrum der Funktion. Die Berechnung des Spektrums wird
longitudinal schwingende Saite erhält, wenn man lediglich F
oft auch als Fourier-Analyse der Funktion bezeichnet, das Zu-
durch Y und damit v? durch vk ersetzt.
sammensetzen der Funktion aus den einzelnen harmonischen
Schwingungen als Fourier-Synthese. Einige mathematische Ei-
genschaften von Funktionenfolgen und -reihen werden im „Ma-
thematischen Hintergrund“ 8.1 besprochen.
8.3 Fourier-Reihen
In Anwendungen physikalischer Systeme verwendet man natür-
lich nicht die komplette unendliche Summe (8.65), sondern nur
Nach den ersten beiden überwiegend physikalisch geprägten
einige Summanden, also eine Partialsumme der Reihe mit den

Kapitel 8
Abschnitten machen wir hier einen mathematischen Exkurs.
ersten n Summanden:
Bisher wurden nur harmonische Schwingungen untersucht, d. h.
Schwingungen, deren Zeitentwicklung durch eine einfache Si- X n
a0
nusfunktion darstellbar sind. Die meisten periodischen Vor- fn .t/ D p C aj cos.j!t/ C bj sin.j!t/ : (8.66)
gänge in Natur und Technik sind aber keine harmonischen 2 jD1
Schwingungen (z. B. Töne von Musikinstrumenten oder das An-
schieben einer Schaukel). Es wird gezeigt, dass sich periodische
Vorgänge allgemein als lineare Überlagerung harmonischer Um die bisher unbekannten Koeffizienten aj und bj zu be-
Schwingungen darstellen lassen. Dies führt auf die Fourier-Rei- stimmen, benutzt man folgende Beziehungen zwischen den
hen, die gründlich diskutiert werden. Funktionen, die für alle i; j 2 N gelten und die man leicht nach-
rechnen kann:
ZcCT
T
gi .t/gj .t/ dt D ıij ;
Allgemeiner Formalismus 2
c
ZcCT
Wir beginnen diesen Abschnitt mit der Beobachtung, dass sich T
hi .t/hj .t/ dt D ıij ; (8.67)
nicht nur die Funktionen g.t/ D cos.!t/ und h.t/ D sin.!t/ 2
c
jeweils nach der Periode T D 2 =! wiederholen, sondern auch
alle Sinus- und Kosinusfunktionen, deren Frequenzen ganzzah- ZcCT
lige Vielfache davon sind, also allgemein gi .t/hj .t/ dt D 0:
gj .t/ WD cos.j!t/ und hj .t/ WD sin.j!t/ .j 2 N/: (8.64) c

Außerdem gilt dies auch für die konstanten Funktionen. Da die Der Wert für c ist aufgrund der Periodizität beliebig und wird
konstanten Funktionen wie die Kosinusfunktionen gerade sind in der Regel so gewählt, dass die Rechnung möglichst einfach
und man sie auch als Funktionen betrachten kann, deren Fre- wird. Man sagt auch, dass die Funktionen gj und hj ein bi-ortho-
quenz das Nullfache von ! ist, schreibt man für sie
p g0 . Weiter gonales Funktionensystem bilden. Dieses Konzept wird in Bd. 2,
unten werden wir sehen, dass die Wahl g0 .t/ D 1= 2 am güns- Kap. 3 ausführlich diskutiert.
tigsten für die weiteren Rechnungen ist. Außerdem wählen wir
h0 .t/ D 0. Mithilfe der Beziehungen (8.67) lassen sich die Koeffizienten aj
und bj bestimmen.
Die Feldgleichung für die schwingende Saite (8.47) ist – wie
die meisten Feldgleichungen in der Physik – linear. Daher liegt
es nahe, einen beliebigen periodischen Vorgang als (unendliche)
Fourier-Koeffizienten
Linearkombination der Funktionen gj .t/ und hj .t/ darzustellen.
Die Fourier-Koeffizienten einer periodischen Funktion
f .t/ können über
Fourier-Reihe
Funktionen der Periode T D 2 =! lassen sich durch eine ZcCT
2
Fourier-Reihe darstellen: aj D f .t/gj .t/ dt;
T
1
X c
(8.68)
f .t/ D aj gj .t/ C bj hj .t/ ZcCT
2
jD0 bj D f .t/hj .t/ dt
1
(8.65) T
a0 X c
D p C aj cos.j!t/ C bj sin.j!t/ :
2 jD1 berechnet werden.
282 8 Kontinuumsmechanik

8.1 Mathematischer Hintergrund: Funktionenfolgen und Funktionenreihen


Punktweise und gleichförmige Konvergenz

Definition Eine Folge von Funktionen nennen wir Funk- dem Intervall Œ0; 1 definierte Funktionenfolge .fn /n2N . Sie
tionenfolge. Wir schreiben .fn /n2N , wobei fn Funktionen konvergiert punktweise gegen 0, falls x 2 Œ0; 1/, und gegen
sind. 1, falls x D 1, denn 1n ! 1 und xn ! 0 für 0  x < 1. Diese
Grenzfunktion ist aber nicht mehr stetig.
Beispiel Ein einfaches Beispiel einer Funktionenfolge ist
fn W x 7! xn , wobei n die natürlichen Zahlen durchläuft. Die Funktionenreihen Betrachtet man die Partialsumme
Folgenglieder lauten demnach f1 D x, f2 D x2 , f3 D x3 usw.
Kapitel 8

X
n
Konvergenz Wir unterscheiden zwischen punktweiser und Sn .x/ D fk .x/
gleichmäßiger Konvergenz von Funktionenfolgen. Es sei da- kD1
zu X eine nichtleere Menge und n 2 N. Die Funktionenfolge
.fn /n2N heißt punktweise konvergent gegen f , wenn für je- als Summe der ersten n Glieder einer Funktionenfolge
des feste x 2 X die Folge .fn .x//n2N gegen f .x/ konvergiert, .fk /k2N , so ist eine Funktionenreihe gerade die Folge dieser
d. h.: Partialsummen, also .Sn /n2N .

8" > 0 8x 2 X 9n0 2 N 8n  n0 W jfn .x/  f .x/j  ": Fourier-Reihe Im Folgenden führen wir einige Aussagen
über die Konvergenz von Fourier-Reihen an, die in (8.65)
Die Funktionenfolge .fn /n2N heißt gleichmäßig konvergent definiert wurden:
gegen f , wenn das n0 in der Definition der punktweise kon-
vergenten Funktionenfolge nicht von x abhängt, also wenn Sei f eine 2 -periodische Funktion. Dann konvergiert die
gilt: Fourier-Reihe von f punktweise gegen f .
Ist f sogar stetig differenzierbar, dann konvergiert die
8" > 0 9n0 2 N 8x 2 X 8n  n0 W jfn .x/  f .x/j  ": Fourier-Reihe gleichmäßig gegen
R f.
Ist f quadratintegrabel, d. h. jf .t/j2 dt < 1, so kon-
Dies bedeutet anschaulich, dass die Funktionenfolge für alle vergiert die Fourier-Reihe punktweise fast überall. (Die
x „gleich schnell“ konvergiert. Stellen, an denen die Reihe nicht konvergiert, sind die im
Text erwähnten Unter- und Überschwinger.) Deshalb gilt
Diskussion der Konvergenzkriterien Ist eine Funk-
für n ! 1:
tionenfolge .fn /n2N gleichmäßig konvergent, so hat dies
entscheidende Vorteile, da gewisse Grenzbeziehungen ver- Z
cC2
tauscht werden dürfen:
jf .t/  fn .t/j2 dt ! 0:
Konvergiert eine Funktionenfolge .fn /n2N stetiger Funk- c
tionen gleichmäßig gegen eine Funktion f , so ist diese
wieder stetig. Man spricht von der Konvergenz im quadratischen Mittel.
Wenn die Folge differenzierbarer Funktionen .fn /n2N Dies ist der Satz von Carleson.
gleichmäßig gegen f konvergiert und die Ableitungen fn0
gleichmäßig konvergieren, so gilt lim fn0 D f 0 . Wir halten fest:
n!1
Der gleichmäßige Grenzwert Riemann-integrierbarer
Funktionen ist Riemann-integrierbar, und es gilt: Gleichmäßige Konvergenz impliziert Konvergenz im qua-
dratischen Mittel.
Zb Zb Zb Aus der Konvergenz im quadratischen Mittel folgt nicht
lim fn .x/ dx D lim fn .x/ dx D f .x/ dx: die punktweise Konvergenz.
n!1 n!1
a a a
Literatur
Beispiel Im Gegensatz zum gleichmäßigen Limes stetiger
Funktionen muss der punktweise Limes nicht unbedingt wie- Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare
der stetig sein. Wir betrachten dazu die durch fn W x 7! xn auf Algebra 1. 3. Aufl., SpringerSpektrum (2014)
8.3 Fourier-Reihen 283

Vertiefung: Historische Entwicklung der Fourier-Reihen

Die ersten Fourier-Reihen wurden schon im 18. Jahrhun- im Haupttext sehen). Erst 1966 fand der schwedische Ma-
dert von Euler, Lagrange und anderen aufgestellt. Doch erst thematiker Lennart Carleson ( 1928) durch eine geeignete
1822 behauptete Jean Baptiste Joseph Fourier (französischer Erweiterung des Konvergenzbegriffs einen Beweis dafür,
Mathematiker und Physiker, 1768–1830) in seinem Werk dass die Fourier-Reihe in gewissem Sinne tatsächlich für
Théorie analytique de la chaleur (Analytische Theorie der alle periodischen Funktionen konvergiert (siehe „Mathema-
Wärme), dass eine solche Reihenentwicklung für alle peri- tischen Hintergrund“ 8.1).
odischen Funktionen möglich wäre, ohne dies allerdings zu
beweisen. Die Behauptung wurde von den führenden Mathe-

Kapitel 8
matikern damals dementsprechend zunächst abgelehnt. Literatur
In den folgenden Jahrzehnten wurden dann auch Gegen-
beispiele gefunden, bei denen die Fourier-Reihe nicht im Fourier, J.B.J.: Théorie analytique de la chaleur. Firmin
üblichen Sinne konvergiert (ein Beispiel dafür werden wir Didot, 1822

Frage 13
p beschrieben und periodisch fortgesetzt, also I.t C 2 n/ D
Zeigen Sie, dass die obige Wahl g0 .t/ D 1= 2 es ermöglicht,
in (8.67) und (8.68) einheitliche Formeln für alle j anzugeben, I.t/ für alle n 2 Z.
statt den Fall j D 0 getrennt zu behandeln. Diese Funktion ist ungerade; deshalb verschwinden al-
le Koeffizienten aj , da die Kosinusfunktionen alle gerade
sind (wähle hier c D 0):
Achtung Bei den Vorfaktoren sind auch verschiedene andere
Konventionen üblich: Manche Autorenp definierenp die Funktio- Z2
nen beispielsweise als g0 .t/ D 1= T, gj .t/ D 2=T cos.j!t/ 1
p aj D I.t/ cos.jt/ dt D 0: (8.70)
und hj .t/ D 2=T sin.j!t/, da die Funktionen dadurch nicht
0
nur orthogonal, sondern zusätzlich normiert sind (weshalb sie
insbesondere in der Quantenmechanik gerne benutzt werden). Zur Berechnung der Koeffizienten bj ist die Wahl c D
Die Gleichungen in (8.68) für die Berechnung der Koeffizienten  =2 günstiger:
und die Orthogonalitätsgleichungen in (8.67) ändern sich dann
entsprechend. J Z =2 3Z =2
1
Mit (8.68) ist auch das Anfangswertproblem in (8.62) und (8.63) bj D t sin.jt/ dt C .  t/ sin.jt/ dt: (8.71)
lösbar. Dazu muss man erkennen, dass wir es hier mit einer  =2 =2
Fourier-Reihe in der Zeit t, in Abschn. 8.2 aber mit einer Fou-
rier-Reihe im Ort x zu tun haben. Mathematisch sind beide Beide Integrale sind mittels partieller Integration leicht
Fälle aber äquivalent. Man muss die Fourier-Analyse sowohl auszuwerten. Daraus ergibt sich
für q.0; x/ als auch für qP .0; x/ durchführen und erhält so Aus-   (
drücke für cn cos n und cn !n sin n . Daraus lassen sich die 4 j 0 .j gerade/
bj D 2 sin D 4 .j1/=2 :
konstanten Phasen n bestimmen. Aufgrund der Randbedingun- j 2 j2
 .1/ .j ungerade/
gen der eingespannten Saite verschwinden alle Kosinusbeiträge (8.72)
der Fourier-Reihe.
Damit hat man als Näherungen für I.t/ folgende Partial-
summen der Fourier-Reihe:
Dreiecksschwingung
4
Bei Streichinstrumenten hat die Intensität I eines Tones I1 .t/ D sin.t/;
näherungsweise den in Abb. 8.5 gezeigten zeitlichen Ver- 4 4
lauf. Beschränken wir uns zunächst auf den einfachen I3 .t/ D sin.t/ 
sin.3t/; (8.73)
9
Fall, dass die Periode genau T D 2 ist und die Am- 4 4 4
plitude =2, so wird die Intensität durch den Term I5 .t/ D sin.t/  sin.3t/ C sin.5t/:
9 25
(  
t   t < C2
I.t/ D  2  (8.69) Diese drei Näherungsfunktionen sind in Abb. 8.5 zusam-
 t C 2  t < C 32 men mit I.t/ dargestellt.
284 8 Kontinuumsmechanik

x.t/ D x0 sin.!t/, so wirkt nur während des zweiten Viertels


a b der Periode eine Kraft auf die Schaukel. Der Einfachheit hal-
I I ber nehmen wir dafür eine konstante Kraft FO an. Im Intervall
I I1 0  t  T gilt also
1 1 ( T 
FO  t  T2
F.t/ D 4 (8.74)
0 .sonst/
π 2π t π 2π t

und periodisch fortgesetzt, d. h. F.t C nT/ D F.t/ für alle n 2 Z


(Abb. 8.11).
Kapitel 8

Da diese Funktion weder gerade noch ungerade ist, ergeben sich


c d
I I
hier für beide Sorten von Fourier-Koeffizienten im Allgemeinen
I3 I5 Werte ungleich null:
1 1 ZT p ZT=2
2 1 2 FO
a0 D F.t/ p dt D FO dt D p ; (8.75)
π 2π t π 2π t T 2 T 2 2
0 T=4

ZT ZT=2
2 2FO
aj D F.t/ cos.j!t/ dt D cos.j!t/ dt
T T
Abb. 8.5 Die periodische Dreiecksschwingung (rot) aus (8.69) 0 T=4
lässt sich bereits durch die ersten Partialsummen in (8.73) ihrer
Fourier-Reihe (gezeigt sind I1 , I3 und I5 ) gut annähern FO h  i
D sin.j /  sin j (8.76)
j 2
8
Wie man sieht, konvergiert die Fourier-Reihe hier schnell, <0 .j gerade/
und schon niedrige Partialsummen stellen eine gute Nä- D FO ;
:  .1/.j1/=2 .j ungerade/
herung dar. In Abb. 8.6 ist das zugehörige Spektrum zu j
sehen.
ZT ZT=2
2 2FO
aj bj D F.t/ sin.j!t/ dt D sin.j!t/ dt
T T
bj 0 T=4

FO h  i
1
D cos.j /  cos j (8.77)
j 2
8
0,5
ˆ O
ˆ F  .1  .1/j=2 / .j gerade/
<
D Oj :
ˆF
0 :̂ .j ungerade/
0 1 2 3 4 5 6 7 j j
Die ersten Partialsummen lauten also
Abb. 8.6 Fourier-Spektrum der Dreiecksschwingung (8.69).
Gezeigt sind die Koeffizienten der ersten sieben Teilschwin- FO
gungen (Kosinusschwingungen in Rot, Sinusschwingungen in F0 .t/ D ;
Orange). In diesem Beispiel sind alle Kosinusbeiträge null J 4 
1 1 1
F1 .t/ D FO  cos.!t/ C sin.!t/ ;
4
 
1 1 1 1
F2 .t/ D FO  cos.!t/ C sin.!t/  sin.2!t/ ;
4
Schaukel anschieben 
1 1 1 1
F3 .t/ D FO  cos.!t/ C sin.!t/  sin.2!t/
4

Eine Schaukel schiebt man normalerweise nur in der Viertelpe- 1 1
C cos.3!t/ C sin.3!t/ :
riode an, in der sie sich auf einer der beiden Seiten gerade nach 3 3
unten bewegt. Beschreibt man die Schaukelbewegung durch (8.78)
8.3 Fourier-Reihen 285

Anwendung: Musikinstrumente
Realistische Intensitätsverteilungen und ihre Fourier-Spektren

Die Dreiecksschwingung wurde als stark vereinfachte In- Dies liegt einerseits daran, dass reale Töne nie streng peri-
tensitätsverteilung eines Musikinstruments verwendet. Im odisch sind, andererseits aber auch an numerischen Fehlern
Folgenden werden einige reale Beispiele der Schallintensi- der verwendeten Algorithmen zur Fourier-Analyse.
täten von Musikinstrumenten gezeigt. Es ergeben sich hier
Die hier gezeigten Beispiele (Abb. 8.7 bis 8.10) wurden von
nicht nur einzelne Spitzen bei festen Frequenzen, sondern
Schülern der 10. bis 12. Klasse im Rahmen einer Sommer-
leicht verbreiterte Intensitätsverteilungen.
schule der Humboldt-Universität Berlin erstellt (Kramer &

Kapitel 8
Warmuth 2010).

Signal- |I|
starke
¨

0
0 0,005 0,01 0,015 0,02 Zeit [s] 0 500 1000 1500 2000 Frequenz [Hz]

Abb. 8.7 Signalstärke einer Flöte Abb. 8.9 Fourier-Spektrum der Flöte

Signal- |I|
starke
¨

0
0 0,005 0,01 0,015 0,02 Zeit [s] 0 500 1000 1500 2000 Frequenz [Hz]

Abb. 8.8 Signalstärke einer Violine Abb. 8.10 Fourier-Spektrum der Violine

Die Näherungskurven für die Partialsummen bis zu j D 10 bzw. Fourier-Reihe dennoch gegen F.t/ konvergiert, wird im „Ma-
20 bzw. 30 sind in Abb. 8.11 zusammen mit F.t/ dargestellt. thematischen Hintergrund“ 8.1 erläutert. Dieses Verhalten der
Abb. 8.12 zeigt das Spektrum. Fourier-Reihe ist typisch bei Funktionen mit Sprungstellen und
Wie man anhand des zweiten Beispiels sieht, konvergieren hier wird als Gibbs’sches Phänomen bezeichnet.
die Partialsummen deutlich schlechter als für die Dreiecks-
schwingung. Vor allem an den Stellen t D T=4 und t D T=2, Die oben erhaltene Fourier-Darstellung der Kraft kann man nun
an denen F.t/ unstetig ist, ergeben sich deutliche Abweichun- schließlich verwenden, um die Auslenkung der Schaukel zu
gen der Partialsummen zur Funktion, gegen die sie konvergieren bestimmen. Die Amplitude eines mit ! harmonisch angetrie-
sollen. Man spricht hier auch von Über- bzw. Unterschwingern. benen schwingenden Systems (was eine Schaukel für nicht zu
Es zeigt sich, dass diese Abweichungen auch für beliebige ho- große Auslenkungen in guter Näherung ist) haben wir in (6.65)
he Partialsummen nicht verschwinden. In welchem Sinne die berechnet. Übertragen auf das vorliegende System mit Auslen-
286 8 Kontinuumsmechanik

a I aj

I 0,5 bj

−4 −2 2 4 6 8 t

0
−0,5
0 1 2 3 4 5 6 7 j

−1 −0,5
Kapitel 8

Abb. 8.12 Fourier-Spektrum der untersuchten periodischen Kraft F.t/


b I (8.74). Gezeigt sind die Koeffizienten der ersten sieben Teilschwingun-
gen (Kosinus-Schwingungen in Rot, Sinus-Schwingungen in Orange)
I10

−4 −2 2 4 6 8 t falls die anregende Kraft sinusförmig mit Kreisfrequenz ! und


Amplitude FO ist. Das schwingende System ist neben der Masse
−0,5 noch durch seine Eigenfrequenz !0 und einen Dämpfungskoef-
fizienten  charakterisiert.

−1 Frage 14
Zeigen Sie, dass (6.65) für das vorliegende Problem in der Ge-
stalt (8.79) geschrieben werden kann.
c I
I20 Will man die gesamte Auswirkung der hier Fourier-analysierten
Kraft F.t/ auf die Schwingung wissen, so muss man die (un-
−4 −2 2 4 6 8 t
endliche) Summe aus allen Teilschwingungen bilden, wobei die
Amplituden jeweils durch das Produkt aus den Fourier-Koeffi-
−0,5 zienten aj bzw. bj und dem Ausdruck (8.79) gegeben sind und !
je nach Summenglied durch das jeweilige j! zu ersetzen ist.

−1 Man sieht hier also, wie man mithilfe der Fourier-Analyse all-
gemein die Auswirkungen einer periodischen Anregung auf
ein harmonisch schwingendes System bestimmen kann. Das ist
natürlich nicht nur bei Schaukeln wichtig, sondern auch bei-
d I spielsweise in der Architektur, wenn es um die Stabilität von
I30 Hochhäusern oder Brücken geht.

−4 −2 2 4 6 8 t

−0,5 Alternative Darstellungen der Fourier-Reihen

Neben der Darstellung (8.65) sind noch andere möglich. So er-


−1 laubt es die Beziehung

cos.j!t  j / D cos.j!t/ cos j C sin.j!t/ sin j ; (8.80)


Abb. 8.11 Eine periodische Kraft F.t/ (rot) und die Annäherungen
durch die Partialsummen ihrer Fourier-Reihe (F10 , F20 , F30 ). Man
erkennt deutlich die Über- und Unterschwinger in der Nähe der Un- jede Linearkombination von Sinus und Kosinus gleicher Fre-
stetigkeiten von F.t/ quenz auch als verschobene Kosinus- oder Sinusfunktion dar-
zustellen und umgekehrt. Daher kann man Fourier-Reihen auch
in der sogenannten Amplituden-Phasen-Darstellung schreiben:
kungsamplitude xO und Masse m gilt
O
F=m 1
X
xO D q 2 ; (8.79) f .t/ D Aj cos.j!t  j /: (8.81)
!02  ! 2 C 42 ! 2 jD0
8.4 Lagrange-Formalismus für Felder 287

Eine weitere Möglichkeit ist es, Sinus und Kosinus mittels Kräfte und führen zunächst dafür den Kontinuumslimes durch.
komplexer Exponentialfunktionen auszudrücken (siehe „Mathe- Im diskreten Fall haben wir (8.3):
matischen Hintergrund“ 6.2):
mX 2 DX
N N
LD qP i  .qi  qi1 /2 : (8.85)
eij!t C eij!t 2 iD0 2 iD1
cos.j!t/ D ;
2 (8.82)
eij!t  eij!t Die Summe läuft über alle Punktmassen in der Kette.
sin.j!t/ D : Der Grenzfall kann genauso einfach durchgeführt werden wie
2i
für die Bewegungsgleichung in Abschn. 8.1: Es ist qi .t/ durch
Dies führt auf die sogenannte Exponentialdarstellung der Fou- q.t; x/ zu ersetzen; weiterhin führen wir die Massendichte D
rier-Reihe, m=a0 und den Elastizitätsmodul Y D Da0 ein. Der Differenzen-

Kapitel 8
C1
X quotient wird wieder zur ersten Ortsableitung:
f .t/ D cj eij!t ; (8.83)
qi .t/  qi1 .t/ @q.t; x/
jD1 ! : (8.86)
a0 @x
in der wegen der obigen Zusammenhänge nun auch negative
Frequenzen auftreten. Die Koeffizienten berechnet man dann Da wir nun über unendlich viele infinitesimale Massenelemente
folgendermaßen: summieren, ersetzen wir die Summe durch ein Integral:
X Z
ZcCT a0 ! dx: (8.87)
1
f .t/eij!t dt:
i
cj D (8.84) I
T
c Hier ist I das Ortsintervall, das der Kettenausdehnung ent-
spricht, also beispielsweise I D Œ0; `. Es folgt
Diese Darstellung ist häufig einfacher, da Integrale mit Expo- Z "    #
nentialfunktionen oft leichter zu berechnen sind als Integrale mit @q.t; x/ 2 Y @q.t; x/ 2
LŒq D dx  : (8.88)
trigonometrischen Funktionen (siehe hierzu auch Bd. 2, Kap. 3). 2 @t 2 @x
I

Frage 15
Vollziehen Sie den Übergang zum Kontinuum nach und über-
8.4 Lagrange-Formalismus für Felder prüfen Sie damit (8.88).

Dieser Abschnitt liefert eine kurze Einführung in den Lagrange- Achtung Offensichtlich haben wir es nun nicht mehr mit
Formalismus für Felder. Durch den Übergang zum Kontinuum einer Lagrange-Funktion, sondern mit einem Lagrange-Funk-
wird die Lagrange-Funktion eines diskreten Systems zu einem tional zu tun (siehe „Mathematischen Hintergrund“ 5.2). J
Lagrange-Funktional der betrachteten Felder. Dieses Funktio-
nal kann als Integral einer Lagrange-Dichte aufgefasst werden. Den Integranden in (8.88) nennt man Lagrange-Dichte L. Die-
Ausgehend vom Hamilton’schen Prinzip lassen sich daraus La- ser Name ist plausibel, da sich das Lagrange-Funktional über
grange-Gleichungen als Bewegungsgleichungen für die Felder Z
ableiten. Dabei lassen sich auch äußere Kräfte berücksichti- L D dx L.x/ (8.89)
gen. Abschließend werden die abgeleiteten Gleichungen auf I
drei Raumdimensionen verallgemeinert.
berechnen lässt. Im Gegensatz zu LŒq ist die Lagrange-Dichte
eine Funktion. Zur Erinnerung soll gesagt werden, dass Funktio-
nale Funktionen auf Zahlen abbilden, während Funktionen von
Funktionen wieder Funktionen sind.
Lagrange-Funktional und Lagrange-Dichte
Die Lagrange-Dichte selbst ist (wie die Lagrange-Funktion) kei-
ne eindeutig bestimmte, messbare Größe, doch ist sie meist
In Abschn. 8.1 wurde bereits erwähnt, dass sich die Bewegungs- der Ausgangspunkt für Feldtheorien. Dies wird vor allem mit
gleichungen des Kontinuums ebenfalls aus einer geeigneten der Lagrange-Dichte des elektrodynamischen Feldes in Bd. 2,
Lagrange-Funktion ableiten lassen. Aus Übersichtsgründen ha- Kap. 10 deutlich werden.
ben wir uns bisher nicht mit dem Lagrange-Formalismus für
Felder beschäftigt. Dies soll nun in Grundzügen nachgeholt wer- Wir sehen, dass sowohl die Zeit- als auch die Ortsableitung von
den. q.t; x/ in das Lagrange-Funktional eingehen. An dieser Stelle
ist es nicht mehr direkt offensichtlich, wie sich die Bewegungs-
Wir beginnen der Einfachheit halber in einer räumlichen Dimen- gleichungen aus dem Lagrange-Funktional bzw. der Lagrange-
sion mit der Lagrange-Funktion der linearen Kette ohne äußere Dichte ableiten lassen. Dies soll nun untersucht werden.
288 8 Kontinuumsmechanik

Ableitung der Bewegungsgleichungen Offensichtlich sind diese Ausdrücke wieder Funktionen von x
und t.
aus dem Lagrange-Funktional
Die Variation (8.92) kann mithilfe von (8.91) umgeschrieben
werden:
Bisher kannten wir nur Situationen für diskrete Systeme mit
Zt1 Z 
einer Lagrange-Funktion als Funktion von (generalisierten) Ko- @L @L @ @L @
ordinaten und ihren ersten Zeitableitungen. Die Anzahl der ıS D dt dx ıq C ıq C 0 ıq : (8.94)
@q @Pq @t @q @x
Freiheitsgrade war dabei stets endlich, und wir erhielten eine t0 I
Lagrange-Gleichung für jeden Freiheitsgrad. Hier haben wir es Wir können nun zwei partielle Integrationen durchführen: die
mit einem kontinuierlichen Feld und seinen Zeit- und Ortsablei- erste für den mittleren Term bezüglich der Zeit, die zweite für
tungen zu tun. Die Anzahl der Freiheitsgrade ist jetzt unendlich, den rechten Term bezüglich des Ortes. Wir finden zunächst:
Kapitel 8

da die Felder an jedem Ort x definiert sind. Wie kann man


nun die Bewegungsgleichungen für diese Felder erhalten? Sie Zt1 Z Zt1 Z
@L @ @ @L
folgen – wie schon in Kap. 5 gesehen – aus einem Variations- dt dx ıq D  dt dx ıq : (8.95)
@Pq @t @t @Pq
prinzip. t0 I t0 I

Gesucht ist die Bewegungsgleichung für ein Feld q.t; x/. Wir Die Randterme haben wir gar nicht erst aufgeschrieben; sie
nehmen an, dass sowohl q.t; x/ selbst als auch die beiden Ab- tragen nicht bei, da die Variation ıq zu den Zeiten t0 und t1
leitungen qP .t; x/ D @q.t; x/=@t und q0 .t; x/ D @q.t; x/=@x in L verschwinden soll. Es ist zu beachten, dass @L=@Pq wieder eine
auftreten dürfen (wobei q0 – im Gegensatz zu qP – schon bekannt Funktion von Ort und Zeit ist und wir daher die hier auftretende
ist, wenn q.x/ zu einer festen Zeit gegeben ist): L D L.t; q; qP ; q0 /. Zeitableitung ausführen können.
Die Wirkung lautet Für die zweite partielle Integration folgt analog
Zt1 Zt1 Z Zt1 Z Zt1 Z
@L @ @ @L
SD dt L D dt dx L: (8.90) dt dx 0 ıq D  dt dx ıq : (8.96)
@q @x @x @q0
t0 t0 I t0 I t0 I

Erneut verlangen wir, dass die Variation der Wirkung für festes Auch hier trägt der Oberflächenterm (in diesem Fall besteht er
t0 und t1 verschwinden soll; wir gehen also vom Hamilton’schen nur aus den beiden Randpunkten des Intervalls) nicht bei, da
Prinzip aus. Dazu ist es nötig zu fordern, dass die Variation von die Variation ıq.t; x/ am Rand des betrachteten Ortsintervalls I
q.t; x/ zu den Zeiten t0 und t1 an jedem Ort x 2 I null ist. ebenfalls verschwinden soll.
Weiterhin soll die Variation zu allen Zeiten an den räumlichen Bringen wir nun alle Teilergebnisse zusammen, folgt für die Va-
Endpunkten verschwinden (hier: bei x D 0 und x D `). riation der Wirkung schließlich
Es sei ıq.t; x/ die Variation von q.t; x/. Dann sind die Variatio- Zt1 Z 
nen der Ableitungen durch @L @ @L @ @L
ıS D dt dx   ıq: (8.97)
@q @t @Pq @x @q0
@.ıq/ @.ıq/
und ıq0 D
t0 I
ı qP D (8.91)
@t @x
Frage 16
gegeben (siehe (5.162)). Für die Variation der Wirkung folgt Rechnen Sie die Schritte nach, die auf (8.97) führen.
Zt1 Z 
@L @L @L
ıS D dt dx ıq C ı qP C 0 ıq0 ; (8.92) Nun nutzen wir noch aus, dass die Variation ıq.t; x/ beliebig ist
@q @Pq @q
t0 I (außer dass sie am zeitlichen und örtlichen Rand verschwinden
soll). Somit muss die eckige Klammer selbst verschwinden, und
wobei wir aus Platzgründen die Zeit- und Ortsabhängigkeiten
es folgt die Lagrange-Gleichung für das Feld q.t; x/.
von q.t; x/ nicht explizit aufgeschrieben haben.
Wie sind nun die Terme @L=@q usw. zu verstehen? Dazu be-
trachten wir q, qP und q0 als unabhängige Variablen. Konkret Lagrange-Gleichung für eindimensionales Feld
bedeutet dies, dass speziell die Lagrange-Dichte in (8.88) die Die Lagrange-Gleichung für das eindimensionale Feld
folgenden Zusammenhänge erfüllt: q.t; x/ lautet
@L
D 0; @L @ @L @ @L
@q.t; x/   D 0; (8.98)
@q @t @Pq @x @q0
@L
D qP .t; x/; (8.93)
@Pq.t; x/ wobei die Lagrange-Dichte L neben q.t; x/ noch von den
@L beiden Ableitungen qP .t; x/ und q0 .t; x/ abhängen darf.
D Yq0 .t; x/:
@q0 .t; x/
8.4 Lagrange-Formalismus für Felder 289

Achtung Wir sehen, dass wir nur eine einzige Lagrange- die Erweiterungen der linearen Kette auf ein dreidimensionales
Gleichung erhalten, obwohl wir mit q.t; x/ unendlich viele Frei- elastisches System an. Dazu gehen wir von einem vektorwerti-
heitsgrade betrachten (da x kontinuierlich ist). Wie ist dies zu gen Feld q.t; r/ aus, da ein dreidimensionaler elastischer Körper
verstehen? Gl. (8.98) ist eine partielle Differenzialgleichung in in der Regel in alle Richtungen deformiert werden kann. Die
t und x und liefert daher sozusagen für jedes x eine Bewegungs- Koordinaten r und die Verformung q sollen kartesische Größen
gleichung. J sein. Das Lagrange-Funktional lautet dann
Z h i
Frage 17 L D d3 r qP 2 .t; r/  V .q; r ı q/ ; (8.102)
Zeigen Sie, dass die bereits bekannte Bewegungsgleichung 2
V
(8.19) mithilfe der Lagrange-Gleichung (8.98) aus der La-
grange-Dichte in (8.88) folgt. wobei nun die Massendichte im Bezug auf das Volumen ist.
Die Integration ist über das gesamte Volumen V des elastischen

Kapitel 8
Körpers auszuführen.
In (8.102) wurde die potenzielle Energiedichte V .q; r ı q/ ein-
Äußere Kräfte geführt. Sie setzt sich in der Regel aus zwei Anteilen zusammen:
V .q; r ı q/ D V .a/ .t; q/ C V .i/ .r ı q/: (8.103)
Wirken auf die Massenelemente der linearen Kette noch äußere
Kräfte, so addiert man einen entsprechenden Term zu der La- Der erste beschreibt den Einfluss äußerer Kräfte. Ähnlich wie in
grange-Dichte: (8.99) schreiben wir nun im dreidimensionalen Raum:
    V .a/ .t; q/ D f .t; r/  q.t; r/: (8.104)
@q.t; x/ 2 Y @q.t; x/ 2
LD  C f .t; x/q.t; x/: (8.99)
2 @t 2 @x
Achtung Streng genommen handelt es sich hierbei um kein
Hier ist f .t; x/ die Kraftdichte am Ort x, also eine Kraft pro Län- Potenzial, da wir eine Zeitabhängigkeit erlauben, die zu einer
geneinheit. Die Gesamtkraft auf die Kette ist Verletzung der Energieerhaltung führen kann. Der Einfachheit
Z halber schließen wir diesen Term aber in die Definition von V
F.t/ D dx f .t; x/: (8.100) ein. J
I Der zweite Potenzialbeitrag stammt von der inneren Verfor-
Unter dem Einfluss dieser Kraftdichte nehmen die Bewegungs- mung des Körpers. Im eindimensionalen Fall haben wir dafür
gleichungen die modifizierte Form  
.i/ Y @q.t; x/ 2
V D (8.105)
@2 q.t; x/ @2 q.t; x/ 2 @x
 Y D f .t; x/ (8.101)
@t2 @x2 geschrieben. Im dreidimensionalen Fall muss der Gradient r
an. statt der einfachen Ortsableitung @=@x verwendet werden. Die
innere Energie hängt also nicht von der Verformung q selbst ab,
Frage 18
sondern nur von ihrem Gradienten. Beachten Sie dabei, dass be-
Zeigen Sie dies mithilfe der Lagrange-Gleichung. reits in (8.4) nur die Differenzen der qi in die potenzielle Energie
eingegangen sind.
Beim Lösen von (8.101) werden äußere Kräfte in der Regel als Da q bereits ein Vektor ist, ist der Gradient r ı q D .@i qj / ein
Funktionen von Ort und Zeit vorgegeben. Tensor zweiter Stufe und hat die Komponenten
In vielen Fällen hat man es mit der Gravitationskraft zu tun, die 0 1
auf alle Massenelemente wirkt. Es gibt aber auch viele Situa- @x qx @x qy @x qz
B C
tionen, in denen Kräfte nur an der Oberfläche eines elastischen D .ij / WD .@i qj / D @@y qx @y qy @y qz A : (8.106)
Körpers angreifen – in diesem Fall an den Endpunkten der li- @z qx @z qy @z qz
nearen Kette. Dies sind beispielsweise Zug- oder Druckkräfte
durch Einspannen. Wir kommen später wieder darauf zurück. Der Gradient eines Vektors q ist also nichts anderes als das
Tensorprodukt des Nabla-Operators r und q (hier explizit als
dyadisches Produkt geschrieben; Abschn. 4.3) und entspricht
somit der Jacobi-Matrix von q.
Verallgemeinerung auf
Achtung Der Gradient eines Vektors ist unbedingt von der
drei räumliche Dimensionen Divergenz zu unterscheiden. Beim ersten handelt es sich um
einen Tensor zweiter Stufe, beim zweiten um einen Skalar, da
Für die meisten realistischen Anwendungen ist eine eindi- in div q D r  q D @i qi über den Index summiert wird. Wir
mensionale Feldfunktion für die Verformung eines elastischen schreiben daher zur Verdeutlichung r ı q anstatt der häufig ver-
Materials offensichtlich wenig geeignet. Wir geben daher noch wendeten Form r q. J
290 8 Kontinuumsmechanik

Frage 19 Innere potenzielle Energie


Stellen Sie sich einen elastischen Körper ohne äußere Kräfte und Elastizitätstensor
vor. Überlegen Sie sich, dass eine homogene Verschiebung q für
alle Massenelemente die potenzielle Energie nicht ändert. Dazu
muss man sich anschauen, wie die innere Verformung aussieht, Welche funktionale Form hat der Beitrag der inneren potenzi-
wenn q homogen ist. Berechnen Sie dazu (8.106) explizit. ellen Energiedichte V .i/ . /, die in der Lagrange-Dichte (8.102)
eingeführt wurde? Diese Funktion hängt stark davon ab, wel-
che molekularen Wechselwirkungen im elastischen Medium
In Abschn. 8.5 wird besprochen, welche funktionale Form die vorherrschen. Allerdings erinnern wir uns hier an die kleinen
potenzielle Energiedichte V .i/ . / für einen dreidimensionalen Schwingungen in Kap. 6 und die Entwicklung der potenziel-
elastischen Körper annimmt. len Energie in (6.5). Egal wie kompliziert die elastische Energie
Kapitel 8

Wir beenden diesen Abschnitt mit den Lagrange-Gleichungen auch aussehen mag, für kleine Verformungen lässt sich immer
in drei Dimensionen. eine „gutartige“ Näherung finden, die konkrete Rechnungen er-
möglicht.
Zunächst gehen wir davon aus, dass der Gradient der Verfor-
Lagrange-Gleichung für dreidimensionales Feld mung, D r ı q, hinreichend klein ist, sodass wir eine Taylor-
Die Lagrange-Gleichungen für das dreidimensionale Feld Entwicklung durchführen können. Wir entwickeln um den un-
q.t; r/ lauten deformierten Zustand, also D 0, bis hin zur zweiten Ordnung
in :
@L @ @L @ @L ˇ ˇ
  D0 .i D x; y; z/: (8.107) @V .i/ ˇˇ 1 @2 V .i/ ˇˇ
@qi @t @Pqi @rj @.@j qi / V .i/ . / V .i/ .0/ C  C ij kl : (8.108)
@ij ˇ0 2 @ij @kl ˇ0
ij

Hier ist vor allem zu beachten, dass die Entwicklung im drei-


Hier ist über j zu summieren. Wir sehen, dass man eine partielle
dimensionalen Raum durchzuführen ist und über alle Paare von
Differenzialgleichung für jede Komponente des Feldes erhält.
Indizes summiert werden muss. Die Entwicklung ist ansonsten
Hat man es mit einem Skalarfeld zu tun, z. B. T.t; r/, so ist
aber vollständig analog zu dem Vorgehen in (6.5).
in (8.107) bloß qi durch T zu ersetzen, und es gibt nur eine
Lagrange-Gleichung. Es ist zu beachten, dass der Lagrange-For- Der konstante Term V .i/ .0/ in (8.108) spielt hier keine Rolle.
malismus für Felder viel mächtiger und allgemeiner ist, als es Da wir um den Gleichgewichtszustand D 0 entwickelt haben,
hier erscheinen mag. Vor allem in der Elektrodynamik spielt er in dem die Energie ein Minimum besitzen soll, verschwindet die
eine zentrale Rolle (Bd. 2, Kap. 10). erste Ordnung der Entwicklung. Es verbleibt lediglich der Term
zweiter Ordnung:
Frage 20 ˇ
Überlegen Sie sich, analog zum Vorgehen, das auf die eindi- .i/ 1 @2 V .i/ ˇˇ 1
V . / ij kl DW Cijkl ij kl : (8.109)
mensionale Lagrange-Gleichung geführt hat, wie man (8.107) 2 @ij @kl ˇ0 2
erhalten kann.
Die Größe Cijkl ist vollständig durch die (unter Umständen orts-
abhängigen) Materialeigenschaften festgelegt, die wir hier – wie
beispielsweise eine Federkonstante – als gegeben ansehen kön-
nen. Man nennt sie den Elastizitätstensor. Er wird im Kasten
8.5 Grundlagen „Vertiefung: Elastizitätstensor“ näher charakterisiert.
der Elastizitätstheorie
In diesem Abschnitt wird eine kurze Einführung in die linea- Verzerrungstensor
re Elastizitätstheorie gegeben. Dazu wird der Elastizitätstensor
eingeführt, der die elastischen Eigenschaften des betrachteten
Wir betrachten die möglichen Verformungen eines elastischen
Materials vollständig beschreibt. Weiterhin wird neben dem
Körpers noch etwas genauer. Häufig wird der Gradient der Ver-
Verzerrungstensor noch der Spannungstensor definiert, der ei-
formung in zwei Anteile zerlegt:
ne wichtige Größe in Feldtheorien ist und in seiner allgemeinen
Gestalt in vielen Bereichen der Physik auftritt. Im Anwendungs- @i qj D ij D ij C !ij : (8.110)
kasten „Elastischer Stab und spontane Symmetriebrechung“
demonstrieren wir, wie ein einfaches elastisches System zu Man unterscheidet den symmetrischen Verzerrungstensor (häu-
einer spontanen Symmetriebrechung neigen kann. Symmetrie- fig auch Scherungstensor genannt)
brechungen dieser Art sind von großer Bedeutung in der Quan-
tenmechanik und der Elementarteilchenphysik, wie wir in Bd. 3, 1 
ij WD ij C ji D ji (8.111)
Kap. 7 zeigen werden. 2
8.5 Grundlagen der Elastizitätstheorie 291

Vertiefung: Elastizitätstensor
Vereinfachung durch Symmetriebeziehungen

Die elastischen Konstanten Cijkl bilden den Elastizitätsten- komprimiert wird. Die zweite, , wird auch häufig als Scher-
sor vierter Stufe mit insgesamt 34 D 81 Komponenten. Man modul oder Schubmodul G bezeichnet und charakterisiert das
hat es hier mit einem Tensor vierter Stufe zu tun, da er aus Verhalten des Materials unter Scherung. Der Elastizitätsmo-
dem quadratischen Entwicklungsterm bezüglich des Gradi- dul aus (8.13), der dort nur für ein eindimensionales Medium
enten der Verformungen stammt, der wiederum durch einen definiert wurde, wird für dreidimensionale Materialien durch
Tensor zweiter Stufe beschrieben wird. den Young’schen Elastizitätsmodul

Kapitel 8
Der Elastizitätstensor erfüllt allerdings eine Reihe von Sym-
.3 C 2/
metriebeziehungen, welche die Anzahl der unabhängigen ED
Komponenten stark reduzieren. In Einführungsbüchern der C
Elastizitätstheorie (Sadd 2009) wird gezeigt, dass die Bedin-
ersetzt, der die Dimension eines Drucks besitzt. Die beiden
gungen
Lamé-Konstanten lassen sich bestimmen, indem Material-
Cijkl D Cjikl ; Cijkl D Cijlk ; Cijkl D Cklij proben verformt und die dabei benötigten Kräfte gemessen
werden.
gelten, die „nur“ 21 unabhängige Komponenten übrig lassen.
Außerdem kann man in vielen Fällen in guter Näherung Es ist zu beachten, dass der Elastizitätstensor nur linea-
Materialien als homogen und isotrop betrachten. Die Homo- re, also kleine Verformungsgradienten beschreibt. Außerdem
genität hat zur Folge, dass der Elastizitätstensor nicht vom berücksichtigt diese einfache Theorie nicht die Plastizität.
Ort abhängt, was das Lösen der Bewegungsgleichungen stark Dabei handelt es sich um irreversible Verformungen, die
vereinfacht. Durch die Isotropie bleiben schließlich nur noch durch Umwandlung von mechanischer Energie in Wärme
zwei unabhängige Parameter übrig. Man schreibt den Elasti- entstehen. Ganze Wissenschaftszweige, vor allem im Inge-
zitätstensor dann häufig in der einfachen Form nieurswesen, beschäftigen sich mit nichtlinearen, nichtho-
  mogenen oder plastischen Materialeigenschaften. Die Auto-
Cijkl D ıij ıkl C  ıik ıjl C ıil ıjk :
mobilindustrie – um nur ein Anwendungsfeld zu nennen –
Man nennt  und  die erste und zweite Lamé-Konstante. Die ist bestrebt, leichtere, festere und günstigere Materialien für
erste, , beschreibt, wie sich das Material verhält, wenn es Karosserien zu entwickeln.

y y y Nur die Verzerrung geht in die potenzielle Energie ein, da eine


reine Drehung eines Massenelements nicht zur inneren Energie
beiträgt. Dies wird in Aufgabe 8.6 genauer diskutiert.

Scherung
x x x
! = 0, ² = 0 ! = 0, ² = 0 ! = 0, ² = 0 Eine der einfachsten Verformungen ist eine Scherung:
Ein elastischer Quader sei in der x-z-Ebene geschert
Abb. 8.13 Durch die Zerlegung (8.110) werden Drehungen und Verzer- (Abb. 8.14). Dabei werden die Massenelemente entlang
rungen voneinander getrennt. Allgemeine Verformungen (rechts) lassen der x-Achse verschoben, und man kann zunächst
sich als Überlagerung einer reinen Drehung (links) und einer reinen Ver-
zerrung (Mitte) darstellen q.t; x/ D qx .z/Oex (8.113)

und den antisymmetrischen Drehungstensor schreiben, d. h., die Verformung hängt von der Lage z
der Massenelemente ab, nicht jedoch von x oder y; au-
1  ßerdem sei die Verformung statisch, also zeitunabhängig.
!ij WD ij  ji D !ji : (8.112)
2 Die Scherung soll linear in z sein:
Während !.t; r/ die Drehung eines lokalen Elements des Kör-
pers beschreibt, die Winkel und Längen invariant lässt (Auf- L
qx .z/ D z: (8.114)
gabe 8.6), erfasst .t; r/ eine tatsächliche Verzerrung am Ort r H
(Abb. 8.13).
292 8 Kontinuumsmechanik

z Es folgt

@L @L @L
D fm ; D qP m ; D Cmnkl kl :
@qm @Pqm @mn
(8.129)
Die letzte Gleichung gilt wegen
ΔL
H @kl
D ımk ınl ; (8.130)
@mn
y
Kapitel 8

x da alle Elemente von unabhängig sind.


B
L
Die Bewegungsgleichungen des linearen elastischen Me-
diums lauten also
Abb. 8.14 Zur Scherung eines Quaders in der x-z-Ebene. Die
Scherung wird durch das Verhältnis L=H D const definiert qR m D @n .Cmnkl kl / C fm ; (8.131)

können aber noch in der Form


Dann ist
dqx L
zx D D D const (8.115) qR m D @n .Cmnkl kl / C fm (8.132)
dz H
die einzige nicht verschwindende Komponente des Defor- geschrieben werden, da wir gesehen haben, dass nur der
mationsgradienten . Wir erhalten also Anteil zur Energie beiträgt. J
0 1
0 0 0
B C
D @ 0 0 0A Frage 21
zx 0 0
0 1 (8.116) Überprüfen Sie explizit die Rechnungen, die auf (8.132) füh-
0 0 zx ren. Arbeiten Sie dabei mit der Index-Notation und nutzen Sie
1B C (8.110) sowie die Symmetrieeigenschaften des Elastizitätsten-
H) D @ 0 0 0 A:
2 sors aus.
zx 0 0

Wir kommen in Aufgabe 8.7 nochmals auf die Scherung


Man erkennt, dass der erste Term auf der rechten Seite von
zurück. J
(8.132) die Divergenz der Größe Cijkl kl ist. Zur Abkürzung de-
finiert man nun den Spannungstensor als

ij WD Cijkl kl ; (8.133)


Bewegungsgleichungen und Spannungstensor
d. h. als Kontraktion von C mit . Er ist wegen Cijkl D Cjikl sym-
metrisch: ij D ji .
Eine grundlegende Größe in der Elastizitätstheorie ist der so-
genannte Spannungstensor, der in den Bewegungsgleichungen
auftritt. Diese stellen wir zunächst in einem Beispiel auf. Dazu Bewegungsgleichung des elastischen Mediums
wenden wir die Lagrange-Gleichungen auf die Lagrange-Dichte
des elastischen Mediums an. Ein elastisches Medium erfüllt die Bewegungsgleichun-
gen
Bewegungsgleichungen des elastischen Mediums qR i D @j ij C fi (8.134)

Wir betrachten nun die konkrete Lagrange-Dichte bzw. in Vektornotation formuliert:

1 qR D div C f: (8.135)
LD qP 2 V .q; / D qP i qP i  Cijkl ij kl Cfi qi ; (8.128)
2 2 2
wobei q, und f im Allgemeinen Funktionen von Ort und Hier ist der Spannungstensor und div D .@j ij / seine
Zeit sind. Die Bewegungsgleichungen leiten wir mithilfe Divergenz (die in diesem Fall vektorwertig ist und daher
der Lagrange-Gleichungen (8.107) ab. fett geschrieben wird).
8.5 Grundlagen der Elastizitätstheorie 293

Anwendung: Elastischer Stab und spontane Symmetriebrechung

Wir zeigen ein einfaches Beispiel eines elastischen Systems, Ersetzen wir nun in der Kompressionsenergie die Länge des
das zu einer spontanen Symmetriebrechung neigt. Symme- Stabes durch den tatsächlichen Wert `, so hat der Stab insge-
triebrechungen spielen in der Elementarteilchenphysik eine samt eine elastische Energie
entscheidende Rolle, wie im Vertiefungskasten „Sponta-
ne Brechung einer Symmetrie und Higgs-Mechanismus“ in 1 1
ED Yc .`  `0 /2 `0 C Yb .`/2 `30 : (8.119)
Bd. 3, Kap. 7 diskutiert wird. 2 2
Betrachten wir einen elastischen Stab der Länge `0 . Dieser Die Frage ist nun: Unter welchen Umständen biegt sich der

Kapitel 8
Stab wird entlang seiner Länge (z-Achse) eingespannt. Es Stab, und unter welchen bleibt er gerade? Wir können sicher
wird eine äußere Druckspannung angewandt, so dass der Ab- sagen, dass die Wahl der Stabparameter `0 , Yc und Yb ebenso
stand der beiden Endpunkte des Stabes auf h < `0 verkürzt eine Rolle spielen wird wie der erzwungene Abstand h. Der
wird. Da der Stab einen endlichen Kompressionsmodul Yc Stab wird dann denjenigen Krümmungszustand  annehmen,
(mit der Dimension einer mechanischen Spannung) besitzen für welchen die Gesamtenergie E minimal wird.
soll, erfordert diese Kompression eine Energie
Um das Problem zu lösen, drücken wir ` durch  und h aus,
1 was durch eine rein geometrische Betrachtung möglich ist.
Ec D Yc .h  `0 /2 `0 : (8.117) Für eine feste Wahl der Stabparameter wird die Energie dann
2 eine Funktion E.h; /, welche wir uns für verschiedene vor-
Wir multiplizieren die in .h  `0 / quadratische Energie mit gegebene Werte von h genauer ansehen können: Eh ./. Ziel
`0 , um den Dimensionen der einzelnen Größen Rechnung zu ist es, die Minima von Eh ./ zu finden, was schließlich direkt
tragen. Man könnte dazu jede andere Längenskala verwen- auf die gesuchte Krümmung  führt.
den (z. B. die Stabdicke) und den entsprechend auftretenden Für einen Kreisbogen der Länge ` mit Sehnenlänge h und
numerischen Faktor in der Definition von Yc absorbieren. Für Radius R gilt
die Diskussion in diesem Abschnitt ist die genaue Definition
von Yc unerheblich. ` 2
h D 2R sin H) `D arcsin.h=2/: (8.120)
Nun erlauben wir zusätzlich, dass sich der Stab verbiegen 2R 
kann. Während die beiden Endpunkte weiterhin auf der z- Wir können also ` eliminieren und durch h und  ersetzen.
Achse mit Abstand h befestigt sein sollen, kann der Stab
sich so deformieren, dass er die Form eines Kreisbogenab- Da wir uns auf kleine Verformungen beschränken wollen,
schnitts mit Radius R in der x-z-Ebene annimmt. Aufgrund entwickeln wir die Energie E für kleine dimensionslose
der Rotationssymmetrie um die z-Achse ist dies keine Ein- Krümmungen h bei konstantem h. Dabei müssen wir die
schränkung; wir könnten genau so gut eine Verformung in ersten beiden führenden Ordnungen mitnehmen, da wir in
der y-z-Ebene oder jeder anderen um die z-Achse gedrehten führender Ordnung stets nur eine quadratische Funktion mit
Ebene gestatten. einem einzigen Minimum bei  D 0 erhalten würden. Wegen
arcsin.x/ x C x3 =6 finden wir zunächst
Durch seine Krümmung kann der Stab eine Länge ` bei-
behalten, die größer ist als der Abstand h: h  `  `0 .  
2 h .h/3
Die Krümmung neigt also dazu, die benötigte Kompressions- ` C : (8.121)
 2 48
energie Ec zu reduzieren. Da wir allerdings davon ausgehen
können, dass der Stab einen elastischen Widerstand ge- Die Energie wird somit
gen Krümmung besitzt, den Biegemodul Yb (ebenfalls mit
 2
der Dimension einer mechanischen Spannung), erfordert die 1 h
Krümmung selbst ebenfalls eine Energie, die in guter Nähe- E Yc h  `0 C .h/ 2
`0
2 24
rung quadratisch in der Verformung ist:  2 (8.122)
1 .h/3
1 C Yb h C `30 :
Eb D Yb .`/2 `30 : (8.118) 2 24
2
Mit der Abkürzung Q D h können wir die Energie kompakt
Hier ist  D 1=R die als konstant angenommene Krüm- als
mung des Stabes. Der Faktor `30 sorgt für die Konsistenz der
Dimensionen. Auch hier könnte man eine andere Längen- E a C bQ 2 C cQ 4 (8.123)
skala verwenden und Yb entsprechend anders definieren, was
allerdings nichts am grundlegenden Ergebnis dieses Kastens schreiben, wobei wir Terme höherer Ordnung als Q 4 vernach-
ändern würde. lässigt haben. Die konstanten Koeffizienten sind
294 8 Kontinuumsmechanik

1 mit kritischer Kompression hkrit , welche nur von den Stabpa-


aD Yc .h  `0 /2 `0 ; rametern abhängt:
2 
1 1 s
bD Yc h.h  `0 / C Yb `20 `0 ; (8.124)
2 12 `0 `0 Yb
  h < hkrit D C 1  48 : (8.127)
1 1 2 2 Yc
cD Yc h C Yb `0 `0 :
2 2
24 48
Wir untersuchen nun die Extrema der Energie E. Die erste Ist diese Ungleichung erfüllt, besitzt die Energie drei Extre-
Ableitung dE=dQ verschwindet für Q D 0 und für ma, eines bei Q D 0 und zwei bei ˙Q C . Man kann zeigen,
dass in diesem Fall die beiden äußeren Extrema Minima sind;
b der Stab wird also den gebogenen Zustand bevorzugen. Die
Q ˙
2
D : (8.125)
Kapitel 8

2c entscheidende Beobachtung ist, dass für h > hkrit nur ein Mi-
nimum bei Q D 0 existiert, für h < hkrit aber zwei Minima
Da C und  in dem Sinne gleichwertig sind, dass sie
für Q 6D 0. Der Stab wird sich spontan für eines der Minima
lediglich identische Krümmungen in unterschiedliche Rich-
entscheiden; in der Realität würde dies beispielsweise durch
tungen beschreiben,
p interessieren wir uns nur für die Lösung
Inhomogenitäten im Stab bestimmt werden.
C D b=.2c/. Sie ist reell, wenn b negativ wird, da c
stets positiv ist. Dies ist der Fall für Im Grenzfall Yb ! 0 ist der kritische Wert von h sehr nah
Yb an `0 . Schon eine kleine Kompression würde zum Verbiegen
h.h  `0 / < 12 `20 : (8.126) führen, da die Krümmung kaum energetisch bestraft wird.
Yc
Mit zunehmendem Modul Yb muss h kleiner, die Kompressi-
Diese Ungleichung hat zwei Lösungen. Die für uns inter- on also stärker werden, bevor sich das Verbiegen energetisch
essante führt auf eine physikalische Lösung `0 =2 < h < `0 lohnt.

Während die Kinematik eines elastischen Materials durch seine Stellen wir uns einen unbeschleunigten, aber deformierten elas-
Verzerrungen beschrieben wird, benötigt man den Span- tischen Körper vor. Dieser wird wegen qR D 0 also durch die
nungstensor für die Dynamik. An dieser Stelle sind einige Gleichung
Erklärungen notwendig. 0 D div C f (8.136)

beschrieben. Man spricht dann auch von der Statik. Aus


der Newton’schen Mechanik wissen wir, dass unbeschleunig-
te Punktmassen insgesamt keine Kraft erfahren. Dies muss hier
Interpretation des Spannungstensors genauso für jedes beliebige Volumenelement gelten. Somit sieht
man bereits, dass es sich bei div um eine innere Kraft han-
Welche anschauliche Bedeutung hat (8.134) bzw. (8.135)? Die deln muss, die vom Verzerrungszustand abhängt und gerade
Massenelemente des elastischen Körpers werden durch äußere die äußere Kraft f kompensiert. Die Verzerrung des statischen
Kräfte f oder durch eine Inhomogenität der inneren Spannungen elastischen Körpers stellt sich also über (8.133) so ein, dass
beschleunigt. Dass äußere Kräfte zu einer Beschleunigung (8.136) erfüllt wird.
führen, ist wenig überraschend, doch es muss erläutert werden,
welche Bedeutung der Spannungstensor und seine Divergenz Frage 22
div bzw. @j ij haben. Wesentlich aufwendiger wird die Betrachtung, wenn der elas-
tische Körper nicht mehr im Gleichgewicht ist. Dann ist im
In der Kontinuumsmechanik lassen sich Kräfte generell in zwei Allgemeinen qR 6D 0. Machen Sie sich klar, dass die Spannungs-
Kategorien unterteilen: Volumenkräfte und Oberflächen- bzw. inhomogenitäten div in diesem Fall die Volumenkräfte nicht
Kontaktkräfte. Zu den Volumenkräften zählt beispielsweise die mehr ausgleichen.
Gravitation. Sie kann direkt als ein Term f D g in (8.135)
berücksichtigt werden. Wir werden in Kürze sehen, dass mecha-
nische Spannungen nichts weiter sind als Kräfte, die auf Flächen Betrachten wir nun ein Volumen V, in dem die Kraftdichte f
wirken. Dies zeigt eine enge Verwandtschaft von Spannungen wirkt. Dann können wir
und Druck, wie wir in Abschn. 8.6 noch sehen werden. • •
Die Flächen, auf welche diese Spannungen wirken, können .div / dV D  f dV (8.137)
äußere Flächen, also Oberflächen, von Objekten sein. Innere V V
Spannungen hingegen lassen sich als Kräfte interpretieren, die
auf (imaginäre, d. h. gedachte) Flächen wirken, die im Inneren schreiben. Es soll nun der Term auf der linken Seite so umge-
eines Körpers verlaufen. formt werden, dass wir anschaulich interpretieren können. An
8.5 Grundlagen der Elastizitätstheorie 295

Handelt es sich bei @V um eine innere Fläche, die nicht im direk-


n ten Kontakt zur Außenwelt steht, so werden die darauf wirkenden
∂V
Oberflächenkräfte durch das elastische Material selbst erzeugt
dA (genauer gesagt: durch seine Verzerrung). Es handelt sich dabei
sozusagen um die elastischen Rückstellkräfte, welche die Verzer-
rung auszugleichen versuchen. Wie bereits erwähnt, muss sich in
V
der Statik die Verzerrung gerade so einstellen, dass die damit
verbundene Spannung überall die Volumenkraft kompensiert.
Zur Veranschaulichung der Oberflächenintegration betrachten
wir ein Beispiel.

Kapitel 8
Oberflächenintegral in kartesischen Koordinaten
Abb. 8.15 Ein Volumen V wird von seiner Oberfläche @V einge-
schlossen. Die Oberfläche besteht aus infinitesimalen Flächenelemen- Es soll das Oberflächenintegral eines Vektorfeldes v.r/
ten dA D dA n,O wobei der Einheitsnormalenvektor nO stets nach außen auf einem Würfel mit Kantenlänge a und Mittelpunkt im
zeigt
Ursprung berechnet werden. Das Integral lautet zunächst
— —
ID v  dA D v  nO dA: (8.142)
dieser Stelle kommt der Integralsatz von Gauß ins Spiel, der
erst im „Mathematischen Hintergrund“ Bd. 2, (1.3) gründlich @V @V
besprochen wird (siehe hierzu auch den „Mathematischen Hin- Die Oberfläche eines Würfels besteht aus sechs einzelnen
tergrund“ 1.9). Flächen; wir greifen uns davon zunächst willkürlich eine
heraus (und zwar die Fläche bei x D Ca=2):
Der Satz von Gauß erlaubt es, Volumenintegrale einer Diver-
genz in ein Oberflächenintegral umzuformen: Z
Ca=2 Z
Ca=2

• — ICx D dy dz v.Ca=2; y; z/  eO x dA: (8.143)


.@j vj / dV D vj dAj : (8.138) a=2 a=2

V @V Der Normalenvektor nO zeigt stets senkrecht nach außen.


In diesem Beispiel ist die betrachtete Fläche eben, sodass
Hier ist v D .vj / ein Vektorfeld und dA D .dAj / das orientierte
der Normalenvektor über die gesamte Fläche ACx kon-
Flächenelement derjenigen Oberfläche @V, die das Volumen V
stant ist und nO D eO x gilt (für die Fläche Ax bei x D a=2
einschließt (Abb. 8.15). Die Richtung nO von dA D dA nO zeigt
gilt entsprechend nO D Oex ). Man betrachtet also das Vek-
dabei senkrecht zur lokalen Oberfläche nach außen (d. h. fort
torfeld v auf der angegebenen Fläche und projiziert es auf
vom eingeschlossenen Volumen); nO hängt also vom Ort ab.
den dortigen Vektor n. O Der resultierende Ausdruck wird
Gl. (8.138) lässt sich auf Tensorfelder beliebiger Stufe verallge- dann integriert.
meinern, hier dargestellt für einen Tensor zweiter Ordnung: Wählen wir beispielsweise das konkrete Feld
• — 0 1
x
.@j ij / dV D ij dAj : (8.139) B C
v.r/ D @ y A ; (8.144)
V @V
2z
Wir erkennen, dass (8.139) die Komponentenschreibweise von dessen Divergenz @x x C @y y  2@z z D 0 ist. Bei x D Ca=2
• — ist 0 1
a=2
.div / dV D dA (8.140) B C a
v.Ca=2; y; z/  eO x D @ y A  eO x D : (8.145)
2
V @V 2z
und dass die linke Seite gerade der Ausdruck auf der linken Seite
Die übrigen fünf entsprechenden Ausdrücke lauten
von (8.137) ist. Daraus folgt unmittelbar a
— • v.a=2; y; z/  eO x D ;
2
dA D  f dV: (8.141) a
v.x; Ca=2; z/  eOy D ;
@V V 2
a (8.146)
Dies ist der Schlüssel zur Interpretation des Spannungstensors: v.x; a=2; z/  eOy D ;
2
Das Oberflächenintegral des Spannungstensors auf der linken v.x; y; Ca=2/  eO z D a;
Seite von (8.141) kompensiert in der Statik gerade die negati-
ve Volumenkraft. Damit kann als ein Maß für die Kraft pro v.x; y; a=2/  eO z D a:
Fläche, die an der Oberfläche @V angreift, interpretiert werden.
296 8 Kontinuumsmechanik

+e
by
Somit sind alle sechs Integranden innerhalb ihrer Integra-
tionsgrenzen konstant, und das gesamte Oberflächeninte- σ +y
gral lautet einfach
a a a a  dF +y
ID C C C  a  a A D 0; (8.147)
2 2 2 2 σ −x f dV dF +x
wobei A D a2 die Fläche jeder Seite ist – in Übereinstim-
mung mit dem Gauß’schen Satz und der verschwindenden −b
ex dF −x ex
+b
Divergenz. J
σ +x
Kapitel 8

Weitere Beispiele zur Berechnung von Oberflächenintegralen


werden in Bd. 2, Aufgabe 1.4 im Rahmen der Maxwell’schen
dF −y σ −y
Gleichungen besprochen.
Wie hängt nun die Spannung mit der Oberflächenkraft zusam- −ey
men? Die durch eine Spannung verursachte infinitesimale
Kraft dF, die auf ein kleines Flächenelement dA D dA nO wirkt,
ist durch Abb. 8.16 Ein Volumenelement (hier zur besseren Übersicht nur in
zwei Dimensionen dargestellt) kann eine Volumenkraft f dV (rot) und
dF D dA D dA nO bzw: dFi D dA ij nOj (8.148) Oberflächenkräfte (blau) erfahren. Auf jeder Seite sei eine konstante
Spannung definiert, die über den Normalenvektor auf eine entspre-
gegeben. Dies erklärt auch, warum wir beispielsweise von chende Flächenkraft führt, die allgemein nicht parallel zum Normalen-
einem gespannten Faden sprechen: Durch eine äußere Kontakt- vektor ist. In diesem Fall ist die Summe aller Kräfte gerade null, sodass
kraft wird eine innere Spannung erzeugt, die der von außen (8.136) gilt
auferlegten Spannung entgegenwirkt.
Achtung Die Kraft dF muss nicht zwangsläufig in diesel-
Es muss noch erläutert werden, warum nur Inhomogenitäten des
O da ein Tensor zweiter Stufe ist.
be Richtung zeigen wie n,
Spannungstensors (ausgedrückt durch seine Divergenz) in die
Insbesondere kann die Kraft für eine endliche Spannung unter
Bewegungsgleichung eingehen und nicht selbst. Dies soll am
Umständen sogar verschwinden, wenn nO entsprechend gewählt
Beispiel der Spannung in einem hängenden Faden veranschau-
wird. J
licht werden. Der Spannungstensor für die Scherung in (8.116)
wird in Aufgabe 8.7 bestimmt.
Frage 23
Denken Sie sich einen Spannungstensor, für den nur die Ele-
Faden im Gravitationsfeld
mente ij (i; j D x; y) nicht verschwinden. Berechnen Sie die
Kraft auf ein Flächenelement mit Normalenvektor nO D eO z . Zei-
Stellen wir uns einen statischen Faden mit Querschnitts-
gen Sie, dass keine Kraft auf dieses Flächenelement wirkt.
fläche A vor, der von der Decke herabhängt (Abb. 8.17).
Durch die Gravitation g D gOez wirkt eine äußere Kraft
auf den Faden, und es wird sich ein Spannungszustand
Spannungstensor einstellen, sodass (8.136) gilt. Die Spannungen im Fa-
den müssen also
Im Gegensatz zu einer Volumenkraft wie der Gravitation
beschreibt der Spannungstensor Flächenkräfte: Auf ein @j xj D 0; @j yj D 0; @j zj D g (8.150)
orientiertes Flächenelement dA wirkt die Kraft
erfüllen. Für den Faden heißt dies, dass er trotz der Gra-
dF D dA: (8.149) vitationskraft nicht beschleunigt wird, da an jedem Punkt
des Fadens die Gravitation durch die Divergenz des Span-
nungstensors genau ausgeglichen wird.
In Abb. 8.16 ist ein Beispiel für eine Kraftverteilung in einem
infinitesimalen Volumenelement dV gezeigt. Aus Gründen der Wir können hier in guter Näherung annehmen, dass die
Anschaulichkeit betrachten wir nur ein zweidimensionales Pro- Spannung sich über die Querschnittsfläche des Fadens
blem in der x-y-Ebene. Auf den vier Seiten des Quadrats sind nicht ändert. Dies bedeutet, dass Ableitungen von nach
Spannungstensoren ˙x und ˙y definiert, die über die Norma- x und y alle verschwinden. Es verbleibt
lenvektoren ˙Oex und ˙Oey und (8.149) in Flächenkräften dF˙x
und dF˙y resultieren. In der Statik müssen diese gerade eine @z xz D 0; @z yz D 0; @z zz D g: (8.151)
mögliche Volumenkraft f dV kompensieren.
8.6 Ideale Fluiddynamik 297

Diese Gleichungen kann man direkt aufintegrieren: Nun können wir zunächst die Kräfte ausrechnen, die
durch die Spannungen an den Flächen A0 und A00 erzeugt
xz D Cxz ; yz D Cyz ; zz D Czz C gz: (8.152) werden. Diese Kräfte müssen entlang der z-Achse wirken.
Auf die Ebene A0 wirkt die Kraft
Hier sind die Cij Konstanten, die in der Bewegungsglei-
chung keine Rolle spielen. Über die anderen Kompo- Fz0 D zz0 A0z D zz0 A; (8.156)
nenten des Spannungstensors können wir keine Aussage
treffen. Entscheidend ist jedoch der zweite Term von zz : während die auf die zweite Ebene A00 wirkende Kraft
Die Größe gz beschreibt gerade die Inhomogenität der
Spannung, die nötig ist, um die Gravitationskraft zu kom- Fz00 D zz00 A00z D zz00 A (8.157)
pensieren.

Kapitel 8
Um besser zu verstehen, wie nun die Divergenz der ist. Neben der Gravitationskraft wirken auf das Volumen-
Spannung die Rolle einer Kraft übernimmt, legen wir in element also die beiden Oberflächenkräfte Fz0 und Fz00 .
Gedanken zwei Ebenen durch den Faden: die erste, A0 , Zusammen ergeben diese die Kraft
bei z0 , die zweite, A00 , bei z00 D z0 C dz. Diese beiden Flä-
chen grenzen ein kleines Fadenvolumen dV D A dz ein. Fz0 C Fz00 D .zz00  zz0 /A: (8.158)
Es zeigen sowohl A0 als auch A00 von dem eingeschlosse-
nen Volumenelement fort, wie in Abb. 8.17 gezeigt. Die Mantelfläche trägt nicht bei, da ihr Normalenvektor
innerhalb der x-y-Ebene liegt, in welcher der Spannungs-
z tensor laut Forderung konstant ist.
Die Gesamtkraft auf das Volumenelement verschwindet
tatsächlich:

Fz0 C Fz00 C Fz D .zz00  zz0 /A  gA dz


n  (8.159)
D gA dz  gA dz D 0:

σzz
A z 
Die Gravitationskraft wird also dadurch kompensiert,
dV dz dass wegen der Inhomogenität der Spannung auf die bei-

σzz den Flächen A0 und A00 unterschiedliche Kräfte wirken,
A z deren Summe den Faden „oben“ halten. J

g n

A
8.6 Ideale Fluiddynamik
Abb. 8.17 Faden im Gravitationsfeld. Wegen der Gravitations-
beschleunigung g sind die Spannungen zz0 und zz00 auf den Wir haben in Abschn. 8.5 elastische Medien besprochen. In
Querschnittsflächen A0 und A00 nicht gleich unserem Alltag gibt es aber noch eine völlig unterschiedliche
Klasse von Stoffen: Flüssigkeiten und Gase (zusammen auch als
A0 D A nO 0 D AOez ; A00 D A nO 00 D CAOez : (8.153) Fluide bezeichnet). Wir leiten die Feldgleichungen für Fluide ab
und unterscheiden dabei zwischen kompressiblen und inkom-
Die Gravitationskraft, die auf das Volumen dV wirkt, ist pressiblen Fluiden.

Fz D  g dV D  gA dz: (8.154) Hier beschäftigen wir uns zunächst mit den sogenannten idea-
len Fluiden, bei denen innere Reibungseffekte vernachlässigt
werden und Wärmetransport keine Rolle spielt. Als Ergebnis er-
Nun soll untersucht werden, welche Kraft durch die halten wir die Kontinuitätsgleichung sowie die Euler-Gleichung
Spannung auf dieses Volumenelement wirkt und ob sie für Fluide. Diese Feldgleichungen der Fluiddynamik werden für
die Gravitationskraft tatsächlich genau kompensiert. Die einige einfache Spezialfälle gelöst. Nichtideale Fluide, bei de-
Spannungen am Ort der beiden imaginären Flächen sind nen die Viskosität eine wichtige Rolle spielt, werden erst in
Abschn. 8.7 angesprochen.
zz0 D gz0 ; zz00 D gz00 > zz0 ; (8.155)
Dieser Abschnitt richtet sich vor allem an interessierte und mo-
wobei wir die Konstante Czz gleich null gesetzt haben. tivierte Studenten, da der Stoff in der Regel nicht in Mechanik-
Vorlesungen behandelt wird – als Ausnahme ist beispielswei-
298 8 Kontinuumsmechanik

se das Lehrbuch von Stephani und Kluge (1995) zu nennen.


Dieser Abschnitt ist konzeptionell etwas anspruchsvoller; es
werden viele neue Begriffe eingeführt. Aufgrund ihrer Wichtig-
keit in vielen physikalischen und ingenieurswissenschaftlichen
Bereichen und wegen ihrer direkten Abstammung von der New-
ton’schen Mechanik soll hier aber nicht auf eine kompakte
Einführung in die Fluiddynamik verzichtet werden. ri

d
Makroskopische Beschreibung
Kapitel 8

von Gasen und Flüssigkeiten



Gase und Flüssigkeiten sind für uns Menschen in erster Linie
makroskopische Substanzen: Mit bloßem Auge lässt sich kei-
ne innere Struktur erkennen, und man könnte denken, dass man L
beispielsweise einen Wassertropfen immer weiter teilen kann.
In Wirklichkeit bestehen aber Gase und Flüssigkeiten wie fast Abb. 8.18 Für den Kontinuumslimes wird ein Volumen mit Kantenlän-
alle Materie auf der Erde aus Atomen und Molekülen. Ein Liter ge L in Untervolumina mit Kantenlänge ` aufgeteilt, wobei ` noch groß
Wasser beinhaltet etwa 1024 Wassermoleküle; es ist daher abso- gegenüber dem mittleren Abstand der Moleküle sein soll. Die diskreten
lut unpraktisch, Wasser im Alltag als Molekülwolke beschreiben Koordinaten ri dieser Untervolumina werden dann durch eine kontinu-
zu wollen. ierliche Variable r ersetzt, was im Fall ` L möglich ist

Glücklicherweise kann man mithilfe der Methoden der stati-


schen Physik (Bd. 4) zeigen, dass sich Systeme mit sehr vielen aber klein gegenüber der Größe L des zu betrachtenden Systems
Teilchen durch einige wenige „effektive“ Größen beschreiben (wie z. B. ein Eimer mit Wasser). Dies ist in Abb. 8.18 illustriert.
lassen, wenn man sich nicht für die Bewegung der einzelnen
Moleküle interessieren kann oder will. Frage 24
Es hat sich gezeigt, dass für die oben angedeutete Mittelung be-
Gase und Flüssigkeiten, die zusammengefasst auch als Fluide reits kleine „Würfelchen“ mit etwa 103 Molekülen hinreichend
bezeichnet werden, werden in erster Linie durch fünf Felder be- groß sind. Schätzen Sie ab, wie groß die Seitenlänge dieses
schrieben, wenn man die Temperatur zunächst außen vorlässt: Würfels dann für Wasser wäre. Nehmen Sie dabei an, dass der
Geschwindigkeit u.t; r/ (ein Vektorfeld oder entsprechend drei typische Molekülabstand in der Größenordnung 1 nm liegt.
Skalarfelder ui .t; r/), Massendichte .t; r/ (im Folgenden kurz
Dichte) und Druck P.t; r/. Das Geschwindigkeitsfeld gibt an,
wie schnell die Flüssigkeit strömt. Die Dichte wurde bereits für In diesem Fall können wir jedem dieser Würfel eine mittlere Ge-
das elastische Medium eingeführt. Der Druck ist konzeptionell schwindigkeit u.t; N ri /
N ri /, Massendichte N.t; ri / und Druck P.t;
schwieriger zu verstehen, ist aber salopp gesprochen die Kraft zuordnen. Im Grenzfall L=` ! 1 und unter der Zusatzbedin-
pro Fläche, mit der das Fluid gegen eine Wand drückt. Somit ist gung `=d 1 kann man dann u.t; r/, .t; r/ und P.t; r/ als
der Druck nichts weiter als ein Anteil des Spannungstensors (Ab- kontinuierliche Felder einführen.
schn. 8.5). Wir kommen in Kürze wieder darauf zu sprechen. Die statistische Physik beschäftigt sich beispielsweise mit der
Achtung Das elastische Medium wurde durch das Deforma- Frage, wie sich der Druck in solch einer Situation aus den mo-
tionsfeld q.t; r/ beschrieben. Die Geschwindigkeit u.t; r/ eines lekularen Eigenschaften des Fluids ergibt. Wir wollen hier nicht
Massenelements ist gerade die partielle Zeitableitung der Defor- im Detail darauf eingehen, werden den Druck aber nun mecha-
mation: u D @q=@t. J nisch genauer definieren.
Der Unterschied zwischen einem elastischen Medium und ei-
nem Fluid ist, dass Fluide keine elastischen Eigenschaften
besitzen, d. h., ein „deformiertes“ Fluid kehrt nicht in den Aus- Mechanische Definition des Drucks
gangszustand zurück, wenn die Deformationsursache (z. B. eine
äußere Kraft) abgeschaltet wird. Dies liegt an den Details der
Molekülwechselwirkungen, die für Fluide und Festkörper un- Mechanisch ist der Druck Pm auf eine kleine Fläche dA D dA nO
terschiedlich sind. nichts weiter als der Betrag der Komponente einer Kraft dF, die
senkrecht auf der Fläche steht (und damit parallel zu nO ist):
Zur makroskopischen Beschreibung eines Fluids denken wir
jdF? j j.dF  n/
O nj
O
uns den Raum in lauter kleine Würfel mit Kantenlänge ` und Pm WD D : (8.160)
Mittelpunkten ri aufgeteilt, die zum einen groß gegenüber ein- dA dA
zelnen Molekülen mit typischem Abstand d sind (sodass man Dabei muss es sich bei dA nicht um einen Teil der Begren-
über viele Moleküle in einem Würfel mitteln kann), zum anderen zung eines Gefäßes handeln; man kann auch die Kraft auf eine
8.6 Ideale Fluiddynamik 299

gedachte Fläche in einem Material berechnen, so, wie wir es


bereits beim Spannungstensor des elastischen Mediums in Ab-
schn. 8.5 gesehen haben. Hier ist allerdings zu beachten, dass
eine Fläche im Inneren eines Materials zwei Seiten hat (eine in
O eine in Richtung von n).
Richtung von n, O Daher wirken im All-
gemeinen Kräfte von beiden Seiten auf die Fläche. Ist der Druck
auf beiden Seiten identisch, so heben sich die beiden Kräfte, die
auf jeweils eine Seite der Fläche wirken, gegenseitig auf, und
die Fläche erfährt keine Gesamtkraft. Wir erkennen also, dass
wir nur dann eine Nettokraft erwarten können, wenn der Druck
nicht konstant ist, wie wir später noch sehen werden.

Kapitel 8
Abb. 8.19 Ein in einem Behälter eingeschlossenes Fluid übt einen
Tatsächlich ist der Druck P Teil des Spannungstensors und wird Druck auf das Gefäß aus. Der Druck ist der mittlere Impulsübertrag pro
in Fluiden leicht abweichend definiert: Es handelt sich dort um Zeit und Fläche, wenn Moleküle an der Wand reflektiert werden (die
den (negativen) isotropen Anteil des Spannungstensors , der Geschwindigkeitsvektoren der Moleküle sind als Pfeile dargestellt)
folgendermaßen über die Spur definiert ist:
Sp . / ii
PD D : (8.161) Die Drücke Pm und P sind also gleichwertig in dem Sinne,
3 3
dass P der orientierungsgemittelte mechanische Druck an einem
Somit lässt sich der Spannungstensor auch als Punkt im Fluid ist. Insbesondere ist der Druck P in einem oben
0 erwähnten Würfel mit Kantenlänge ` dann der Mittelwert der
D PI C (8.162)
0 Drücke, die auf jede der sechs Würfelseiten wirken.
schreiben, wobei I die Einheitsmatrix und der spurfreie An-
teil des Spannungstensors ist. Es gibt verschiedene Ursachen von Drücken in der Physik. In
m Fluiden wird der Druck durch die Eigenbewegung der Mole-
Der mechanische Druck P und der auf dem Spannungstensor
küle erzeugt, die sich ständig mit endlichen Geschwindigkeiten
basierende Druck P sind nur identisch, wenn man Pm in (8.160)
bewegen und dabei gegen die Gefäßwände stoßen, selbst wenn
über alle Orientierungen nO mittelt. Um das zu sehen, setzen wir
das Fluid augenscheinlich ruht (Abb. 8.19).
(8.162) in (8.149) ein und finden
0 An dieser Stelle reicht es zu sagen, dass dieser thermody-
dF D PdA C dA: (8.163)
namische Druck proportional zum Quadrat der mittleren Ge-
Multiplikation mit dA=dA2 führt unmittelbar auf schwindigkeit hv2 i der Moleküle und somit proportional zur
Pm D jP C . 0 n/
O  nj
O : (8.164) Temperatur T des Fluids ist. Dies hängt mit dem sogenannten
Gleichverteilungssatz zusammen, der in der statischen Physik
Frage 25 besprochen wird (Bd. 4, Abschn. 4.2). Hier fragen wir nicht
weiter nach den mikroskopischen Ursachen, sondern sehen den
Überprüfen Sie diese Rechnung. Druck als zusätzliches Skalarfeld P.t; r/ an, das bei der makros-
kopischen Beschreibung nicht vernachlässigt werden darf.
Offensichtlich sind Pm und P im Allgemeinen nicht identisch, da
der Term ij0 nO i nOj nicht zwangsläufig verschwindet. Mittelt man Luftdruck
allerdings über alle Orientierungen von n, O so gilt

˝ ˛ 1 ıij An der Erdoberfläche herrscht ein Luftdruck von durch-
nO i nOj D d nO i .#; '/Onj.#; '/ D ; (8.165) schnittlich rund 105 Pa (Pascal bzw. Newton pro Qua-
4 3
dratmeter). Dies entspricht der Gewichtskraft von 104 kg,
und man erhält (im Mittel) ij0 ıij D ii0 D 0, da 0
laut Konstruk- also 10 t, auf 1 m2 ! Wir spüren davon nichts, da in unse-
tion spurfrei ist. rem Körper derselbe Druck herrscht und dem Luftdruck
entgegenwirkt. Allerdings nimmt beim Tauchen der Was-
Frage 26 serdruck etwa alle 10 m um weitere 105 Pa zu, was man
Das Ergebnis in (8.165) kann man zeigen, indem die Integration vor allem in den Ohren spürt.
in Kugelkoordinaten durchgeführt wird, wobei
0 1 Dieser Druckanstieg wird durch die nach unten zuneh-
sin # cos ' mende Gewichtskraft erzeugt, mit der die Luft- bzw.
B C Wassersäule auf dem darunterliegenden Wasser lastet.
nO D @ sin # sin ' A (8.166)
Dies wird später in einem Beispiel vorgerechnet.
cos #
In Bd. 4, Abschn. 1.5 wird mehr über den Druck und seine
zu verwenden ist. Fleißige Leser können dies explizit nachrech-
physikalischen Einheiten gesagt. J
nen.
300 8 Kontinuumsmechanik

Kontinuitätsgleichung Die Definition (8.170) ist auch gültig, wenn das Geschwindig-
keitsfeld und die Dichte Funktionen von Zeit und Ort sind.

Es wurden bisher die relevanten Felder der Fluiddynamik defi-


niert, doch ist noch nichts dazu gesagt worden, wie die entspre- Massenstromdichte
chenden Feldgleichungen aussehen.
Die Massenstromdichte lässt sich an jedem Ort allgemein
Wir wissen, dass im Rahmen der klassischen Mechanik keine als
Masse erzeugt oder vernichtet werden kann. Sie kann sich aller- j.t; r/ D .t; r/u.t; r/ (8.171)
dings von einem Ort zu einem anderen bewegen.
schreiben. Sie gibt an, wie viel Masse sich pro Zeiteinheit
durch eine bestimmte Querschnittsfläche in eine bestimm-
Kapitel 8

Massenstrom
te Richtung bewegt.
Stellen wir uns eine Flüssigkeitsströmung mit homoge-
ner Geschwindigkeit u und konstanter Dichte vor. Eine
Wir betrachten ein beliebiges, aber zeitlich konstantes Volumen
Flüssigkeitsmenge legt dann in einer infinitesimalen Zeit
V mit geschlossener Oberfläche ” @V. Die Masse, die sich in die-
dt die Strecke ds D u dt D unO dt zurück. Betrachten
sem Volumen befindet, ist M D V dV. Sie kann sich zeitlich
wir eine gedachte infinitesimale Fläche, die so orien-
ändern, genau dann, wenn gleichzeitig ein entsprechender Mas-
tiert ist, dass die Flüssigkeit senkrecht hindurchströmt
senbeitrag in Form von j entweder durch die Oberfläche @V ab-
(Abb. 8.20): dA D dA n.O
oder einfließt. Angenommen, die Masse ändert sich in der Zeit
dt um dM, so muss
dA
• —
dM @
MP D D dV D  j  nO dA (8.172)
dt @t
V @V
n u
sein, wobei dA D dA nO das nach außen zeigende Flächenele-
ment ist. Die Zeitableitung kann in das Integral gezogen werden,
dV da die Integrationsgrenzen als konstant gefordert wurden.

Frage 27
Vergewissern Sie sich, dass das Vorzeichen in (8.172) korrekt
u dt ist. Stellen Sie sich dazu eine Situation vor, in welcher der Strom
j überall nach außen zeigt, und fragen Sie nach den Vorzeichen
Abb. 8.20 Zur Veranschaulichung des Massenflusses j P
von j  nO und M.

Dann ist in dieser Zeit durch diese Fläche ein Flüssig- Wie in Abschn. 8.5 brauchen wir nun wieder den Satz von
keitsvolumen Gauß, um Oberflächen- und Volumenintegrale ineinander zu
überführen. Diesmal soll allerdings das Oberflächenintegral in
dV D ds  dA D dt dA u  nO D dt dA u (8.167) (8.172) in ein Volumenintegral einer Divergenz umgeformt wer-
den. Hier lautet der Satz
geströmt. Die damit verbundene Masse ist — •
j  dA D div j dV: (8.173)
dm D dV D dt dA u; (8.168)
@V
und die Masse, die pro Zeit durch diese Fläche fließt, ist
In Komponentenschreibweise lautet die Divergenz einfach
dm div j D @k jk . Anschaulich gibt sie an, wie viel mehr Fluid aus
j WD D u; (8.169) einem Punkt heraus- als hineinfließt (Abb. 8.21).
dt dA
Mithilfe des Gauß’schen Satzes (8.173) folgt
was wir als Massenstrom oder Massenfluss definieren. Da
•  
der Massenstrom aber eine gerichtete Größe ist, schreibt @
man allgemein C div j dV D 0: (8.174)
@t
j WD u: (8.170) V

J Allerdings ist das betrachtete Volumen beliebig, sodass der In-


tegrand selbst verschwinden muss.
8.6 Ideale Fluiddynamik 301

Massenelements mit infinitesimalen Volumen dV und Masse dm


erfüllt

n 
n
∂V
dp
dA j
dp D dm u D dV u H) D u D j: (8.176)
V V dV
j
∂V
Impulsdichte
Impulsdichte und Massenstromdichte sind identisch.

Abb. 8.21 Die Divergenz eines Vektorfeldes gibt an, wie viel Fluss aus

Kapitel 8
einem Punkt heraustritt. Im linkenHBeispiel ist die Divergenz im Volu- Als Nächstes führen wir mit der Impulsstromdichte M diejenige
men V positiv, da ein Nettofluss @V j  dA > 0 vorliegt. Im rechten Größe ein, die sich zur Impulsdichte so verhält wie die Massen-
Beispiel verschwindet die Divergenz, da der einlaufende vom auslau- stromdichte j zur Dichte . Wir erhalten sie einfach, indem wir
fenden Fluss kompensiert wird
die Impulsdichte mit u multiplizieren:

M WD j ı u D u ı u; Mkl D uk ul : (8.177)
Kontinuitätsgleichung
Man erkennt, dass es sich dabei um einen symmetrischen Tensor
Die Massenerhaltung von Fluiden lässt sich durch die lo- zweiter Stufe handelt; es ist somit unbedingt darauf zu achten,
kale Bilanzgleichung dass M nicht das Skalarprodukt von j und u ist, sondern das
Tensorprodukt.
@ @
D div j bzw: D div . u/ (8.175) Der Vorgang des Mitbewegtwerdens durch ein Strömungsfeld
@t @t
heißt Advektion; wir haben es also mit einer Advektion des
ausdrücken, die an jedem Ort r und zu jeder Zeit t gilt. Impulses (gelegentlich, vor allem in der Meterologie, auch als
Es handelt sich also um eine in und u lineare partielle Konvektion des Impulses bezeichnet) zu tun.
Differenzialgleichung erster Ordnung.
Frage 28
Bilanzgleichungen der Form (8.175) sind sehr wichtig in der Machen Sie sich den Zusammenhang zwischen (8.177) und
Physik und kommen in Feldtheorien häufig vor: Auf der linken (8.171) klar. Die Stromdichte j beschreibt die Advektion der
Seite steht die partielle Zeitableitung der Dichte einer erhalte- Masse.
nen Größe und auf der rechten die Divergenz des zugehörigen
Stromes. Gl. (8.175) ist also ein Beispiel für einen differenziel-
len Erhaltungssatz. Dies wird in Bd. 2 und Bd. 3 noch deutlicher Die Impulsstromdichte M beschreibt, wie die Impulsdichtekom-
herausgearbeitet. Anschaulich bedeutet (8.175), dass alles, was ponente jk entlang von eO l strömt. Dies ist schwieriger vorstellbar
nicht an einem Ort bleibt, von diesem Ort wegfließen muss und als der Transport der Massendichte. Es hilft hier, sich die drei
nicht einfach verschwinden kann. Komponenten jk als einzelne Skalarfelder zu denken; dann ist
Wir haben mit der Kontinuitätsgleichung (8.175) als Bilanzglei- M bloß eine Zusammenfassung der drei Ströme jk u.
chung die erste Feldgleichung gefunden, welche die Dynamik Mithilfe von M lässt sich der Impuls dp berechnen, der pro Zeit
von Fluiden beschreibt. In Aufgabe 8.8 wird sie anhand eines dt durch eine orientierte Fläche dA transportiert wird:
Beispiels vertieft.
dp D M dA dt oder dpk D Mkl dAl dt: (8.178)

Euler-Gleichung Da M ein Tensor ist, sind dp und dA in der Regel nicht paral-
lel, d. h., es kann beispielsweise Impuls entlang der x-Achse in
Richtung von eOy strömen. Dies macht man sich am besten an-
Neben der Massenerhaltung gilt in der Mechanik außerdem
hand eines Beispiels klar.
noch die Impulserhaltung: In einem abgeschlossenen System,
d. h. in Abwesenheit äußerer Kräfte, ist der Impuls konstant.
Man kann sich also direkt fragen, ob es nicht eine zu (8.175) Impulstransport
äquivalente Differenzialgleichung für den Impuls gibt. Dies ist
tatsächlich der Fall. Kommen wir zurück zum bereits vorgestellten Beispiel
Zunächst erkennen wir, dass die Impulsdichte nichts weiter ist einer homogenen Strömung mit u D const: Nehmen
als die Massenstromdichte j, denn der Impulsbeitrag dp eines
302 8 Kontinuumsmechanik

idealen Fluiddynamik gibt es keinen spurfreien Anteil der Span-


wir zunächst an, dass die Flüssigkeit entlang der x-Achse nung, d. h., der in (8.162) definierte Anteil 0 verschwindet hier,
fließt. Dann ist u D uOex und und man kann zunächst
0 1
u2 0 0 D PI (8.182)
B C
M D u ı u D @ 0 0 0A ; (8.179)
schreiben.
0 0 0
In (8.135) haben wir gesehen, dass nicht der Spannungstensor
und nur Mxx verschwindet nicht. Dies bedeutet, dass le- selbst, sondern nur seine Divergenz in die Bewegungsgleichung
diglich die x-Komponente der Impulsdichte entlang von eines elastischen Mediums eingeht. Dies verhält sich bei Flüs-
eO x strömt. J sigkeiten und Gasen genau so.
Kapitel 8

div D div .PI/ D grad P: (8.183)


Frage 29 Es tritt also der Druckgradient in der Impulsgleichung auf.
Wie lautet die Matrix M, wenn man die Strömung (oder das Ko-
ordinatensystem) so dreht, dass u D ux eO x Cuy eOy gilt? Zeigen Sie,
Frage 30
dass dann ein Teil der Impulsdichte ux entlang eOy und ein Teil
der Impulsdichte uy entlang eO x transportiert wird. Dies macht Zeigen Sie diese Identität mithilfe der Indexschreibweise.
deutlich, warum M ein Tensor (und nicht bloß ein Skalar) sein
muss. Somit finden wir schließlich die Euler-Gleichung für ideale
Fluide, bei denen innere Reibungseffekte und somit die Visko-
Um nun die zu (8.175) äquivalente lokale Bilanzgleichung für sität vernachlässigt werden.
die Impulsdichte zu erhalten, ersetzen wir einfach in (8.175)
durch j D u und schreiben zunächst:
Euler-Gleichung für ideale Fluide
@. u/ @. ui / Die Impulsdichte u genügt der Euler-Gleichung
D div . u ı u/ () D @j . ui uj /:
@t @t
(8.180) @. u/
Hier ist wieder zu beachten, dass die Divergenz eines Tensors D div . u ı u/  grad P C f (8.184)
@t
zweiter Stufe ein Vektor ist.
Wie ist (8.180) zu verstehen? Auf der linken Seite steht die zeit- an jedem Ort r und zu jeder Zeit t. Dies sind drei
liche Änderung der Impulsdichte. Ändert sich die Impulsdichte nichtlineare partielle Differenzialgleichungen.
an einem Ort, so muss ein entsprechender Impulsbetrag ein-
oder abfließen. Dies wird gerade durch den Term auf der rech-
ten Seite, also die Divergenz von M, beschrieben, ganz analog Diese drei Gleichungen (eine für jede Komponente von u) bil-
zu der Dichte in der Kontinuitätsgleichung. den zusätzlich zur Kontinuitätsgleichung (8.175) weitere Feld-
gleichungen zur Beschreibung von idealen Fluiden. Da wir mit
Allerdings ist diese Gleichung noch nicht vollständig, da es wei- , u und P aber fünf Felder haben, benötigen wir auch noch eine
tere Mechanismen gibt, die eine Impulsänderung verursachen. fünfte Feldgleichung, um Fluide vollständig charakterisieren zu
Der erste solche Beitrag stammt von äußeren Kräften. Wir füh- können. Wir kommen in Kürze darauf zurück.
ren mit f .t; r/ eine Kraftdichte (Kraft pro Volumen) ein, die auf
die Flüssigkeit wirken kann. Diese ist vollständig analog zu der Achtung Eigentlich müssen auch noch die Energieerhaltung
Kraftdichte in (8.135). Es handelt sich dabei in der Regel um die und der Wärmetransport in den Fluiden berücksichtigt werden.
Gravitation; es können aber bei bestimmten (geladenen) Flüs- Dies führt mit der Energiedichte auf ein weiteres Feld und mit
sigkeiten auch elektromagnetische Kräfte sein. Eine von außen der Energiegleichung auf eine weitere partielle Differenzialglei-
vorgegebene Kraftdichte f .t; r/ führt auf eine Beschleunigung chung. Die Diskussion der Energieerhaltung in Fluiden ist aber
zur Zeit t am Ort r und somit zu einer Änderung der Impuls- erst dann sinnvoll, wenn die Grundlagen der Thermodynamik
dichte. Wir schreiben daher vorläufig für die Impulsänderung: bereits behandelt und die Begriffe „Temperatur“ und „Entropie“
definiert wurden. Dies wird erst in Bd. 4 geschehen. Es lässt sich
@. u/ allerdings bereits sehr viel über Fluiddynamik sagen, ohne die
D div . u ı u/ C f : (8.181) Energieerhaltung zu berücksichtigen (tatsächlich sind für idea-
@t
le Fluide die Impulsgleichung und die Energiegleichung bis auf
einen Faktor identisch und damit redundant). J
Wir sind fast am Ziel, doch muss nun noch der Druck P be-
rücksichtigt werden. Es wurde bereits diskutiert, dass der Druck Tab. 8.1 fasst die beiden erhaltenen Größen Masse und Impuls
den isotropen Anteil des Spannungstensors ausmacht. In der mit ihren Dichten, Strömen und Erhaltungssätzen zusammen.
8.6 Ideale Fluiddynamik 303

Tab. 8.1 Vergleich von erhaltenen Größen in der Fluiddynamik sowie die für inkompressible Flüssigkeiten gilt. Dazu betrachtet man
ihren Dichten, Strömen und Erhaltungssätzen. Der Gesamtimpuls ist am besten die Gleichung in Komponentenschreibweise und
nur erhalten, wenn keine äußere Kräfte wirken zeigt dann
Größe Dichte Strom Erhaltungssatz @j .ui uj / D uj @j ui : (8.188)
Masse jD u Kontinuitätsgleichung
(8.175)
Impuls u M D u ı u Euler-Gleichung (8.184)
Man nennt die erste Gleichung in (8.186) auch die Divergenz-
freiheit des Geschwindigkeitsfeldes, die sich als inkompressi-
bler Spezialfall aus der Kontinuitätsgleichung ergibt. Sie ist
Zustandsgleichung wesentlich einfacher als die Kontinuitätsgleichung, da sie kei-
ne Zeitableitung mehr enthält.

Kapitel 8
Es fehlt an dieser Stelle noch eine Gleichung für die Dichte .
Gase ändern beispielsweise ihre Dichte mit dem Druck, dem Wassersäule im Gravitationsfeld
sie ausgesetzt sind. Ein ideales Gas, das in einem Volumen V
eingesperrt ist, erfüllt bei konstanter Temperatur Wir betrachten ein sehr einfaches Beispiel: eine ruhen-
PV D const: (8.185) de Wassersäule (Dichte w ) im Gravitationsfeld. Dann ist
Es ist also / P, da / 1=V gilt. Ideale Gase werden u D 0 und f D w g. Bei u D 0 spricht man auch von der
im Rahmen der statischen Physik in Bd. 4 gründlich behan- Hydrostatik. Die Kontinuitätsgleichung ist trivial erfüllt,
delt (Bd. 4, Abschn. 3.3). Gase sind kompressible Fluide, deren und die Euler-Gleichung wird zu
Dichte vom Druck abhängt. Im Allgemeinen muss man also eine
Zustandsgleichung .P/ angeben, welche die letzte verbleiben- grad P D w g; (8.189)
de Gleichung ist, die wir zur Beschreibung von idealen Fluiden
benötigen. d. h., der Druck nimmt nach unten (also in Richtung von
g) zu, um die Gravitationskraft auszugleichen. Wählen
Wasser ist ein Beispiel für eine praktisch inkompressible Flüs- wir das Koordinatensystem so, dass g D gOez gilt, dann
sigkeit, d. h., die Dichte von Wasser ist in sehr guter Näherung ist die Lösung für den Druck einfach
und für alle praktischen Anwendungen stets konstant, auch
wenn sich der Druck stark ändert: D const. Die Dichte ist P D P0  w gz; (8.190)
also zeit- und ortsunabhängig und kann vor alle Ableitungen ge-
zogen werden. da Wasser inkompressibel und w somit konstant ist. Die
Wir sehen, dass es verschiedene Fluide gibt, die sich stark in Integrationskonstante P0 beschreibt den Druck bei z D 0.
ihrer Zustandsgleichung unterscheiden. Die funktionale Form Auf der Erdoberfläche ist w g 104 N m3 , weswegen
.P/ wird durch die mikroskopische Natur der Fluide festge- der Druck pro Meter zusätzlicher Wassertiefe um etwa
legt; dies zu untersuchen, ist Aufgabe der statistischen Physik, 104 Pa zunimmt. J
auf die wir hier nicht näher eingehen wollen.
Für inkompressible Fluide vereinfachen sich die bisher gefun-
denen Feldgleichungen. In Aufgabe 8.9 wird eine weitere Lösung der Euler-Gleichung
berechnet. Außerdem erlaubt die Euler-Gleichung Schallwellen,
die im Kasten „Vertiefung: Schallwellen und Schallgeschwin-
Dynamik idealer, inkompressibler Fluide digkeit“ in Bd. 4, Abschn. 3.3 diskutiert werden.
Die Feldgleichungen idealer, inkompressibler Fluide lau-
ten

0 D div u;
Vollständige Zeitableitung und ihre Bedeutung
@u (8.186)
D  div .u ı u/  grad P C f ; Häufig schreibt man die inkompressible Euler-Gleichung in der
@t
Gestalt
wobei D const die Zustandsgleichung ist.
@u
C .u  r /u D grad P C f : (8.191)
@t
Frage 31
Dies kann wegen u D u.t; r/ mithilfe der Kettenregel
Leiten Sie (8.186) aus (8.175) und (8.184) ab. Zeigen Sie wei-
terhin die Äquivalenz  
du @u dr @u
D C r uD C .u  r /u (8.192)
div .u ı u/ D .u  r /u; (8.187) dt @t dt @t
304 8 Kontinuumsmechanik

auch kompakter als Axioms pP D F ist. Dabei wird der Impuls p durch seine Dichte
j D u und die Kraft F durch ihre Dichte f ersetzt. Der Druck-
du gradient kann als zusätzlicher Kraftbeitrag angesehen werden,
D grad P C f (8.193)
dt der mit den Methoden der Thermodynamik begründet werden
kann. Man hätte die inkompressible Euler-Gleichung auch di-
formuliert werden. rekt ausgehend vom zweiten Newton’schen Axiom aufstellen
können; wir sind jedoch einen anderen Weg gegangen, um an
Man nennt die vollständige Ableitung du=dt auch die konvekti-
die Spannungen der Kontinua anzuschließen.
ve oder substanzielle Ableitung der Geschwindigkeit. Ihr erster
Beitrag, @u=@t, erfasst nur die zeitliche Änderung an einem fes-
ten Punkt im Raum. Aber .u  r /u beschreibt die Änderung,
die sich aufgrund der Bewegung zusammen mit der Flüssigkeit
Kapitel 8

ergibt, da die Geschwindigkeit in der Regel an verschiedenen


Cauchy-Gleichung
Orten verschiedene Werte hat.
Die allgemeinste Impulsgleichung, die man für ein nichtrelati-
vistisches Kontinuum angeben kann, ist die Cauchy-Gleichung.
Wasserfall
Sie lautet
dj
Wir betrachten dazu als Beispiel einen Wasserfall, von D div C f : (8.194)
dt
dem wir zur Vereinfachung annehmen, dass sein Strö-
mungsfeld stationär, also nur eine Funktion des Ortes, Hier wird nicht näher spezifiziert, welche Form der Spannungs-
ist: u.r/. Dies bedeutet, dass das Wasser an einem festen tensor hat; es wird lediglich verlangt, dass die Impulsdichte
Punkt stets mit derselben Geschwindigkeit strömt. Dies sich durch äußere Kräfte oder Inhomogenitäten der Spannungen
impliziert sofort @u=@t D 0. Lässt man jedoch ein klei- ändert – unabhängig davon, welche funktionale Form der Span-
nes Boot auf dem Wasser treiben (Abb. 8.22), so wird nungstensor besitzt. Für elastische Stoffe beinhaltet er einen
dieses beim Sturz im Wasserfall seine Geschwindigkeit elastischen Term (z. B. Cijkl kl ). Ideale Fluide erfüllen dagegen
vergrößern; es wird also zusammen mit dem Wasser be- D PI. Für viskose Flüssigkeiten, die nun besprochen wer-
schleunigt. Diese Geschwindigkeitsänderung wird gerade den, ergibt sich noch ein Zusatzterm.
durch .u  r /u beschrieben.

8.7 Viskosität und Navier-Stokes-


Gleichung
In realen Fluiden finden innere Reibungsprozesse statt. Dieser
Effekt bildet – neben dem advektiven Transport – einen zu-
sätzlichen Mechanismus für den Impulstransport. Die Euler-
Gleichung muss daher um einen entsprechenden Term erweitert
werden, der die sogenannte Viskosität (d. h. die Zähigkeit eines
Fluids) beinhaltet. Die sich daraus ergebenden Navier-Stokes-
Gleichungen sind von entscheidender Bedeutung in vielen Be-
reichen der Physik sowie des Ingenieurswesens.
Dieser Abschnitt kann nur eine grundlegende Einführung in
Abb. 8.22 In einem Wasserfall kann man in erster Näherung
annehmen, dass das Strömungsfeld stationär ist. Dennoch wird
die Physik nichtidealer Fluide liefern. Es wird die funktiona-
das Wasser bzw. eine mitbewegte Masse wie ein kleines Boot le Form des Viskositätsterms des Spannungstensors bzw. der
während des Falls beschleunigt. Die Pfeile geben Richtung und Navier-Stokes-Gleichung abgeleitet und mit dem sogenannten
Betrag der Geschwindigkeit an J Poiseuille-Fluss eine analytische Lösung der Navier-Stokes-
Gleichungen bestimmt.

Frage 32
Können Sie sich eine allgemeine Situation vorstellen, für die Viskosität
@u=@t 6D 0 und gleichzeitig .u  r /u D 0 gilt?

Ideale Fluide, wie sie in Abschn. 8.6 eingeführt wurden, gibt es


In ihrer Form (8.193) erkennt man am besten, dass die Euler- in Wirklichkeit nicht. Tatsächlich finden in allen Fluiden Rei-
Gleichung eine Verallgemeinerung des zweiten Newton’schen bungsprozesse statt, die dazu führen, dass kinetische Energie in
8.7 Viskosität und Navier-Stokes-Gleichung 305

Wärme umgewandelt wird. In diesem Abschnitt soll eine Erwei-


terung der Euler-Gleichung (8.184) diskutiert werden, welche u+
die sogenannte Viskosität eines Fluids berücksichtigt. h

Viskosität ist jedem aus dem Alltag geläufig: Man kann in Was-
ser nicht so schnell laufen wie in der Luft, und Honig tropft nur
sehr langsam von einem Löffel auf das Brötchen. Beide Effekte
rühren daher, dass Fluide eine innere Reibung erfahren, wenn h
u−
sie fließen. Für Honig ist sie sehr viel größer als für Wasser oder
gar für Luft.
Aufgrund eines zusätzlichen Impulstransportmechanismus (der Abb. 8.23 Bewegen sich zwei Flüssigkeitsschichten mit unterschied-

Kapitel 8
durch die endliche freie Weglänge der Moleküle verursacht lichen Geschwindigkeiten parallel zueinander, so führt dies in einer
wird) kommt es zu Viskosität. Dies bedeutet, dass man die vis- viskosen Flüssigkeit zu Reibungskräften zwischen diesen Schichten
kosen Effekte durch einen additiven Zusatzterm in der Euler-
Gleichung (8.184) bzw. einen Beitrag zum Spannungstensor der
Flüssigkeit berücksichtigen muss. auf die untere Flüssigkeitsschicht wirkt. Dabei ist die Richtung
von F˙ (anti)parallel zu u .
Weiterhin soll A die Kontaktfläche der beiden Schichten und 
eine Konstante sein, um die wir uns später kümmern werden.
Ableitung des viskosen Reibungsterms Es ist anschaulich klar, dass die Gesamtkraft proportional zur
Fläche A sein muss, da eine doppelte Fläche (und damit eine
doppelte Flüssigkeitsmenge) zu einer doppelten Reibungskraft
Um die viskose Reibung in die Euler-Gleichung einzubauen,
führt.
müssen wir uns überlegen, welche Eigenschaften sie erfüllt. Es
gibt zwar rigorose Methoden, um den Reibungsterm aus den Dass die Dicke h im Nenner auftreten muss, kann man sich
mikroskopischen Eigenschaften der Fluide abzuleiten, doch ist so vorstellen: Teilt man die beiden Schichten in insgesamt vier
dies an dieser Stelle zu aufwendig – solche Ableitungen werden Schichten der Dicke h=2 mit relativen Geschwindigkeitsdiffe-
in Büchern über die kinetische Theorie der Gase durchgeführt, renzen ıu=2 auf, so soll das gleiche Ergebnis herauskommen;
was wiederum ein gutes Verständnis der statistischen Physik daher sollte F / ıu=h gelten. Wir nehmen zur Vereinfachung
voraussetzt (Hänel 2004). Tatsächlich lässt sich aber der visko- weiterhin an, dass wir es mit einer inkompressiblen Flüssigkeit
se Zusatzterm relativ leicht durch physikalische Überlegungen zu tun haben und die Dichte überall konstant ist.
konstruieren, was für unsere Zwecke völlig ausreicht und in
vielen Büchern über Fluiddynamik ähnlich gehandhabt wird Frage 33
(Landau & Lifshitz 1991). Machen Sie sich klar, dass der Ansatz (8.195) für die Rei-
Aus Kap. 1 wissen wir, dass Reibungskräfte mit Relativge- bungskraft den Gesamtimpuls der Flüssigkeit erhält. Zeigen Sie
schwindigkeiten zusammenhängen: Bewegt sich beispielsweise außerdem, dass die Reibungskraft dafür sorgt, dass sich die Ge-
eine Masse in einem Wasserbehälter, so ist die Stokes’sche Rei- schwindigkeiten der beiden Schichten einander angleichen.
bungskraft proportional zur Geschwindigkeit der Masse relativ
zum umgebenden Wasser. Wir wollen also auch hier verlan-
Durch die Reibungskraft wirkt auf ein Flächenelement dA zwi-
gen, dass die viskose Reibung ebenfalls proportional zu einer
schen den Schichten die Spannung
Geschwindigkeitsdifferenz ist. Doch was bedeutet Geschwin-
digkeitsdifferenz in einer Flüssigkeit?
dF ıu
 D D : (8.197)
Wir stellen uns zunächst zwei Flüssigkeitsschichten vor, die sich dA h
parallel zueinander bewegen (Abb. 8.23). Die obere habe die
Geschwindigkeit uC , die untere u 6D uC . Beide Schichten Wir führen nun den Grenzfall h ! 0 durch und verlangen, dass
haben die Dicke h, sodass man sagen kann, dass die Geschwin- das Geschwindigkeitsfeld stetig ist. Aus der Differenz ıu wird
digkeitsdifferenz ıu WD uC  u über einen Abstand h auftritt. dann du, und die viskose Spannung ist
Wir nehmen nun an, dass eine in ıu lineare Reibungskraft
dF du
 D D : (8.198)
Aıu dA dh
FC D  D F (8.195)
h
Achtung Die viskose Spannung sieht zwar ähnlich aus wie
auf die obere Flüssigkeitsschicht und eine betragsmäßig gleiche der Druck, der ebenfalls als Kraft pro Fläche definiert ist. Aller-
Reibungskraft dings wirkt eine Druckkraft stets senkrecht auf eine Fläche,
Aıu während die Reibungskraft hier parallel zur Fläche wirkt. Man
F D C D CF (8.196)
h nennt diese Spannung daher auch häufig eine Scherspannung.
306 8 Kontinuumsmechanik

Solch eine Spannung haben wir bereits in Abb. 8.14 gese- Navier-Stokes-Gleichung
hen: Die dort dargestellte Verzerrung wird durch eine Kraft in
x-Richtung erreicht, die parallel zur x-y-Ebene wirkt. J
Nun wollen wir noch zum dreidimensionalen Fall übergehen und
die entsprechenden Feldgleichungen formulieren. In (8.198) ist
Normal- und Scherspannungen u durch u zu ersetzen und die Ableitung nach h durch den Gradi-
enten r . Wir wissen, dass der Spannungstensor ein Tensor zwei-
Presst man seine Hand senkrecht auf eine Tischplatte, so ter Stufe ist. Dies führt auf den viskosen Spannungstensor für ein
ist dies – wie der Druck – ein Beispiel für eine Normal- beliebiges Geschwindigkeitsfeld, den man zusätzlich noch sym-
spannung. Fährt man nun aber mit der Hand parallel zur metrisiert: Der antisymmetrische Anteil .@i uj @j ui / spielt keine
Oberfläche über die Platte, so spürt man eine Reibungs- Rolle, da er wie in (8.112) nur eine reibungsfreie Drehung be-
kraft. Dies ist ein Beispiel für eine Scherspannung, bei schreibt; er tritt in den Feldgleichungen nicht auf.
Kapitel 8

der die Kraft parallel anstatt senkrecht zur Angriffsfläche


wirkt. J
Viskoser Spannungstensor
Für ein beliebiges Strömungsfeld u.t; r/ lautet der Beitrag
Die Proportionalitätskonstante  in (8.198) nennen wir nun Vis- der viskosen Reibung zum Spannungstensor
kosität. Sie ist eine Materialeigenschaft und legt fest, wie stark  
>
die innere Reibung ist.  D  grad u C .grad u/ (8.200)
Der Gesamtimpuls bleibt unter dem Einfluss der Reibungskraft bzw.  
(8.195) erhalten. Demnach wird aufgrund der Viskosität ledig- ;ij D  @i uj C @j ui : (8.201)
lich Impuls von Bereichen mit viel Impuls an Regionen mit
weniger Impuls verteilt. Dieser Impulstransportmechanismus
findet vollständig ohne Massentransport statt, d. h., die beiden Da, wie bereits gesehen, nur die Divergenz des Spannungs-
oben betrachteten Flüssigkeitsschichten tauschen keine Masse tensors in die Euler-Gleichung eingeht, muss man div  bzw.
aus. Man spricht auch von einer Impulsdiffusion, doch dies soll @j ;ij zur rechten Seite von (8.184) addieren.
nur am Rande erwähnt werden.

Navier-Stokes-Gleichung
für inkompressible Flüssigkeit
Interpretation der Viskosität
Für eine inkompressible Flüssigkeit ( D const) lautet die
Impulsgleichung statt (8.193)
Die Viskosität ist in erster Linie nichts weiter als eine mate-
rialspezifische Proportionalitätsgröße, mit der man von einem du
D grad P C u C f : (8.202)
Geschwindigkeitsgradienten du=dh zu der damit verbundenen dt
Scherspannung  gelangt. Man nennt  auch häufig etwas prä- Sie wird auch inkompressible Navier-Stokes-Gleichung
ziser dynamische Viskosität und zerlegt sie über genannt (nach dem französischen Mathematiker und Phy-
siker Claude Louis Marie Henri Navier, 1785–1836, und
D  (8.199) dem irischen Mathematiker und Physiker Sir George Ga-
briel Stokes, 1819–1903).
in zwei Faktoren, um die Dichteabhängigkeit abzuspalten (nor-
malerweise ist  proportional zu ). Hier ist  die kinematische
Viskosität. Die Einheit von  ist Pa s. Entsprechend ist die Ein- Frage 34
heit von  durch m2 s1 gegeben.
Zeigen Sie mithilfe der Inkompressibilität der Flüssigkeit, dass
Die Viskositäten der meisten Fluide lassen sich in Tabellen in div D u (8.203)

der Literatur finden. Sie hängen von der Temperatur ab, was ein
Hinweis auf ihren thermodynamischen Ursprung ist. Bei Raum- gilt (wenn man annimmt, dass  nicht vom Ort abhängt, was für
temperatur ist die Viskosität von Wasser (in SI-Einheiten) etwa homogene Fluide der Fall ist). Gehen Sie dafür von der Kompo-
0;001 Pa s, Blut ist etwa viermal und Honig 4000-mal viskoser. nentenschreibweise aus und verwenden Sie die Definition des
Dagegen ist die Viskosität von Luft etwa 50-mal geringer als die Laplace-Operators
von Wasser. @2 u @2 u @2 u
u D C C D @i @i u; (8.204)
Man kann die Viskosität experimentell messen, indem man @x2 @y2 @z2
beispielsweise eine Flüssigkeit einer bekannten Scherspannung der bereits im „Mathematischen Hintergrund“ 1.7 eingeführt
aussetzt und den dabei auftretenden Geschwindigkeitsgradien- wurde.
ten misst.
So geht’s weiter 307

Die Navier-Stokes-Gleichung ist wesentlich realistischer für all-


tägliche Probleme als die Euler-Gleichung, da alle Flüssigkeiten Es verbleibt die stationäre Navier-Stokes-Gleichung zu
viskos sind. lösen:
Zur Veranschaulichung berechnen wir eine der einfachsten Lö- .u  r /u D grad P C u; (8.205)
sungen, welche die Navier-Stokes-Gleichung erlaubt.
wobei der Druck P D P0  P0 x vorgegeben ist. Der kon-
stante Druckgradient lautet damit
Poiseuille-Fluss
0 1
P0
Wir betrachten zwei unendlich ausgedehnte Platten paral- B C
grad P D  @ 0 A D const: (8.206)
lel zur x-y-Ebene mit Abstand 2D (Abb. 8.24). Wir den-

Kapitel 8
ken uns den Zwischenraum mit einer viskosen Flüssigkeit 0
(Viskosität , Dichte ) gefüllt. Durch einen konstanten
Druckgradienten entlang der (negativen) x-Achse wird Aufgrund der Symmetrie kann die Strömung dann nur
eine Strömung erzeugt. Gravitation wird vernachlässigt. entlang der x-Achse fließen: u D .ux ; 0; 0/> . Außerdem
Diese Konfiguration nennt man ebenen Poiseuille-Fluss wird die Geschwindigkeit ux von z, wegen der Symmetrie
(nach dem französischen Physiker Jean Louis Léonard aber nicht von x oder y abhängen. Daraus folgt, dass der
Marie Poiseuille, 1797–1869). Er lässt sich analytisch lö- Term .u  r /u verschwindet.
sen, wie nun gezeigt wird.
Rechnen Sie dies ausgehend von ux D ux .z/ explizit nach.
z
Damit lautet die relevante Komponente der Impulsglei-
chung
d2 ux
 2 D P0 : (8.207)
dz
D
Die allgemeine Lösung dieser Gleichung ist nach zwei-
∇P maliger Integration schnell gefunden:
x
ux (z)
P0 2
D ux D  z C C1 z C C2 : (8.208)
2
Man muss nun die Randbedingungen ausnutzen, um die
Abb. 8.24 Der ebene Poiseuille-Fluss ist die Strömung, die sich beiden Integrationskonstanten festzulegen. Aus ux .z D
durch einen konstanten Druckgradienten zwischen zwei paralle- ˙D/ D 0 folgt nach kurzer Rechnung
len Platten ergibt
P0  2 
ux .z/ D D  z2 .D  z  CD/: (8.209)
2
Um die Navier-Stokes-Gleichungen lösen zu können,
brauchen wir im Allgemeinen Rand- und Anfangsbe- Die Flüssigkeit fließt daher in positive x-Richtung und
dingungen. Die Randbedingungen sind derart, dass die somit entgegen dem Druckgradienten, also von einem
Flüssigkeit an den Platten ruht, also u.z D ˙D/ D 0. Gebiet mit höherem zu einem Gebiet mit niedrigerem
Diese Randbedingung (auch Haftbedingung genannt) gilt Druck. Das Geschwindigkeitsprofil ux .z/ ist parabolisch
an fast allen Kontaktflächen und ist experimentell sehr gut und ebenfalls in Abb. 8.24 gezeigt.
bestätigt.
Für den Poiseuille-Fluss sind die Anfangsbedingungen Führen Sie die Integration und die Rechnung zur Bestim-
nicht wichtig, da sich nach einer gewissen Zeit (für nicht mung der Integrationskonstanten explizit durch. Zeigen
zu schnelle Strömungen; siehe Abschnitt „So geht’s wei- Sie außerdem, dass die Kontinuitätsgleichung erfüllt ist.
ter“ am Ende dieses Kapitels) ein stationärer Zustand
einstellt, der durch @u=@t D 0 ausgezeichnet ist. Wir fra- Der Poiseuille-Fluss in einem Rohr mit rundem Quer-
gen hier nur nach diesem stationären Zustand. schnitt wird in Aufgabe 8.10 berechnet. J
308 8 Kontinuumsmechanik

So geht’s weiter
Fluiddynamik in Physik und Technik dimensionslos):

u r t P f
Die Navier-Stokes-Gleichungen spielen fast überall dort ei- uQ D ; rQ D ; Qt D ; PQ D ; fQ D ;
ne wichtige Rolle, wo die Beschreibung von Fluiden be- uc `c `c =uc u2c u2c =`c
rücksichtigt werden muss. Dazu gehören Wettervorhersage, (8.211)
Blutfluss, chemische Industrie, Luft- und Raumfahrt oder
Sternentwicklung – um nur einige wenige Beispiele zu nen- wobei uc und `c eine typische Geschwindigkeit und Länge
des betrachteten Systems sind und sich die Differenzialope-
Kapitel 8

nen.
Aufgrund ihrer Nichtlinearität (die Geschwindigkeit kommt ratoren entsprechend wie rQ D `c r und  Q D `2c  ver-
quadratisch vor) und da es sich bei ihnen um partielle Dif- halten. Außerdem wurde die dimensionslose Reynolds-Zahl
ferenzialgleichungen handelt, sind die Navier-Stokes-Glei- (benannt nach dem britischen Physiker Osborne Reynolds,
chungen generell nur sehr schwer zu lösen. Hinzu kommen 1842–1912, der diese bereits durch Stokes eingeführte Zahl
die benötigten Rand- und Anfangsbedingungen, die bei rea- populär machte)
listischen Problemen beliebig kompliziert werden können. Je uc `c
Re WD (8.212)
komplexer die betrachtete Geometrie ist, desto aufwendiger 
wird die Lösung des Problems. Beispiele sind Ozeanströ-
definiert.
mungen entlang einer Küste oder die Strömung in veränderli-
Für das bereits angesprochene Beispiel wählt man typi-
chen Geometrien (z. B. Suspensionen, d. h. Flüssigkeiten mit
scherweise den Durchmesser der Kaffeetasse für `c und die
suspendierten Teilchen, deren Oberflächen sowohl komple-
Geschwindigkeit des Löffels für uc . Man kann sich sehr
xe Randbedingungen für die Flüssigkeit darstellen, die aber
leicht vorstellen, dass verschiedene physikalische Systeme
auch durch die umgebende Flüssigkeit mitbewegt werden).
auf völlig unterschiedliche Reynolds-Zahlen führen. Die fol-
In vielen Fluiden kommt es zudem zu chemischen Reaktio-
gende Tabelle gibt einen kurzen Überblick:
nen (reaktiven Strömungen), die sowohl durch die Strömung
beeinflusst werden als auch auf diese zurückwirken.
Häufig kommen noch weitere Komplikationen hinzu: Bei- System `c uc Re
spielsweise gibt es kompressible Fluide (die weitere Terme schwimmende Bakterien 1 m 10 m=s 105
in der Navier-Stokes-Gleichung erfordern) oder Fluide mit Blutfluss in Kapillargefäßen 10 m 1 mm=s 102
veränderlicher bzw. inhomogener Viskosität. Blutfluss in Aorta 1 cm 10 cm=s 103
In diesem Ausblick soll nur auf drei Punkte eingegangen schwimmender Mensch 1m 1 m=s 106
werden: Turbulenz, Oberflächenspannung und numerische Passagierflugzeug 10 m 200 m=s 108
Lösungsansätze. Das Gebiet der Fluiddynamik ist jedoch viel
umfangreicher und hat in der aktuellen Forschung nichts von
seiner ursprünglichen Faszination verloren. Eine physikalisch wichtige Folgerung der dimensionslosen
Gleichung (8.210) ist das Ähnlichkeitsgesetz der Navier-Sto-
kes-Gleichung. Es besagt, dass sich alle Strömungen mit
gleicher Geometrie (d. h. gleichen Anfangs- und Randbe-
Turbulenz dingungen) und gleicher Reynolds-Zahl ähnlich verhalten,
egal welche physikalischen Werte , uc , `c und  im De-
tail annehmen. Beispielsweise lässt sich die in Abb. 8.25
Die Navier-Stokes-Gleichungen gestatten turbulente Lösun-
gezeigte Wirbelstraße (die dort auf der Skala von vielen Ki-
gen. Turbulenz bedeutet, dass im Strömungsfeld scheinbar
lometern existiert) auch im Labor auf der Zentimeterskala
willkürliche und stark zeitabhängige Strukturen auftreten,
erzeugen. Dies ist für das Testen der Aerodynamik von Fahr-
die sich analytisch nur sehr schwer beschreiben lassen. Pro-
und Flugzeugen wichtig, die im Windkanal anhand von Mi-
minente Alltagsbeispiele sind das Mischen von Kaffee und
niaturmodellen untersucht werden kann.
Milch oder Luftwirbel, die durch Wind erzeugt werden.
Turbulenz tritt auf, wenn die Reynolds-Zahl hinreichend
Um zu verstehen, wann Turbulenz auftritt, schreiben wir
groß (und damit die viskose Reibung relativ unwichtig) ist.
(8.202) in dimensionsloser Form:
Da die kinetische Energie der Strömung so nur langsam in
Wärme umgewandelt wird, verbleibt sie lange in der Strö-
@uQ 1 Q
C .uQ  rQ /uQ D rQ PQ C uQ C fQ : (8.210) mung; es bilden sich dann häufig Wirbel wie in Abb. 8.25
@Qt Re gezeigt.
Der Grenzbereich zwischen laminarer (d. h. nichtturbulen-
Dies lässt sich durch die folgenden Ersetzungen errei- ter) und turbulenter Strömung liegt im Bereich um Re 103 ,
chen (sämtliche mit einer Tilde versehenen Größen sind ist aber stark problemspezifisch.
So geht’s weiter 309

Öl). Hat man es mit mehreren Phasen zu tun, so müssen


zusätzliche Gleichungen bzw. Terme berücksichtigt werden,
die das Verhalten der Grenzflächen zwischen diesen Phasen
beschreiben.
Ist Wasser (oder ein anderes Fluid) in Kontakt mit einem
zweiten Fluid, so spielt die molekulare Wechselwirkung zwi-
schen diesen Phasen eine wichtige Rolle. Beispielsweise
wechselwirken zwei Wassermoleküle ganz anders miteinan-
der als zwei Stickstoffmoleküle der Luft oder ein Wasser-
und ein Stickstoffmolekül. Je nach Art dieser Wechselwir-

Kapitel 8
kungen kann sich eine sogenannte Oberflächenspannung
zwischen den beiden Phasen ergeben.
Abb. 8.25 Eine Kármán’sche Wirbelstraße (nach dem ungarisch- Wassermoleküle ziehen sich aufgrund ihrer Dipolwechsel-
amerikanischen Physiker Theodore von Kármán, 1881–1963) in der wirkung gegenseitig stark an. Es ist daher energetisch güns-
Nähe der Insel Robinsón Crusoe (Chile), aufgenommen von Landsat tiger, wenn ein gegebenes Wasservolumen (z. B. ein Tropfen
7 am 15. September 1999. Die Wirbelstraße wird durch einen Berg in Luft) eine minimale Oberfläche hat, sodass eine möglichst
verursacht, der die Luftströmung stört. Die Wirbelstraße selbst ist geringe Anzahl von Wassermolekülen weniger Nachbarn
noch nicht turbulent, da das Wirbelmuster regelmäßig ist. Wirbel-
vorfindet als diejenigen Moleküle, die sich im Inneren des
straßen können schon ab Re 50 entstehen, wohingegen „echte“
Turbulenz erst ab Re 1000 auftritt
Volumens befinden. Dies ist der Grund, warum kleinere
Wassertropfen mit einem Durchmesser von bis zu wenigen
Millimetern kugelförmig sind. Größere Tropfen unterliegen
Turbulente Strömungen haben die Eigenschaft, dass größere dem Einfluss der Schwerkraft und werden daher verformt.
Wirbel nach und nach in kleinere zerfallen. Dieser Pro- Dies kann man beispielsweise bei einem tropfenden Wasser-
zess findet so lange statt, bis die kleinsten Wirbel aufgrund hahn beobachten.
von viskoser Dissipation verschwinden, d. h., ihre kinetische Mechanisch kann man die Oberflächenspannung folgender-
Energie wird letztlich in Wärme umgewandelt. Dass dies maßen verstehen: Stoßen sich zwei Fluide aufgrund ihrer
nur in den kleineren Wirbeln geschieht, erkennt man an der molekularen Eigenschaften ab (z. B. Öl und Wasser), so ist
Definition der Reynolds-Zahl: Die lokale Reynolds-Zahl (de- es energetisch ungünstig, die Grenzfläche zwischen diesen
finiert durch die Wirbelgröße und -geschwindigkeit) ist bei beiden Phasen zu vergrößern. Es kostet also eine Energie
kleineren Wirbeln wesentlich kleiner, sodass dort die vis- E, um die Grenzfläche um eine Fläche A zu erhöhen. Die
kose Reibung wichtig wird. Die Längenskala, unterhalb der Oberflächenspannung ist gerade das Verhältnis
Wirbel durch Dissipation zerfallen, nennt man Mikroskala
von Kolmogorow (der russische Mathematiker Andrei Ni- E
D (8.213)
kolajewitsch Kolmogorow, 1903–1987, leistete wegweisende A
Beiträge zur Theorie der Turbulenz).
Da Turbulenz vor allem bei der Wettervorhersage und in und damit eine Art Grenzflächenenergiedichte. Umgekehrt
industriellen Produktionsprozessen eine große Rolle spielt, bedeutet dies, dass eine existierende Grenzfläche einer äu-
ist ihr Verständnis von großer Wichtigkeit. Ausgesprochen ßeren (nicht zu großen) Kraft entgegenwirken kann, indem
schwierig wird die Beschreibung turbulenter Systeme auf- sich die Grenzfläche verformt und eine zusätzliche Gegen-
grund der großen Spanne der relevanten Längenskalen. Die spannung erzeugt. Dies erlaubt es einem Wasserläufer, auf
größte Skala ist selbstverständlich die Systemgröße selbst. einer Wasseroberfläche zu laufen, ohne diese zu durchdrin-
Die kleinste relevante Skala ist gerade die Kolmogorow-Län- gen (Abb. 8.26).
ge. In vielen Systemen trennen diese beiden Skalen viele Es ist wichtig zu betonen, dass die Oberflächenspannung
Größenordnungen. keine Eigenschaft eines Fluids ist, sondern stets zwei nicht
mischbare Fluide charakterisiert. Mischbare Fluide (z. B.
Alkohol und Wasser) bilden keine Grenzfläche, da ihre
molekularen Wechselwirkungen ähnlich sind und keine ma-
Oberflächenspannung kroskopische Abstoßung resultiert. Folglich gibt es keine
Oberflächenspannung zwischen mischbaren Fluiden. Diese
Die Navier-Stokes-Gleichungen (8.202) beschreiben zu- Effekte sind temperaturabhängig; so gibt es Fluide, die in
nächst nur eine einzelne Fluidphase (verschiedene Fluidpha- bestimmten Temperaturintervallen mischbar und in anderen
sen sind beispielsweise Wasser und Luft oder Wasser und nicht mischbar sind.
310 8 Kontinuumsmechanik

zwischen Fluid 2 und Festkörper sowie 12 zwischen Fluid 1


und Fluid 2). Je nach Verhältnis dieser drei Oberflächen-
spannungen ergibt sich ein anderer Kontaktwinkel der Fluid-
Fluid-Grenzfläche an der Oberfläche des Festkörpers.

1
γ12

2
Kapitel 8

γ2f γ1f
θ < 90◦ θ = 90◦ θ >90◦

Abb. 8.27 Der Kontaktwinkel wird durch die Steigung der Tan-
gente an die Fluid-Fluid-Oberfläche am gemeinsamen Kontaktpunkt
aller drei Phasen definiert und ist eine Funktion der drei Oberflä-
chenspannungen 12 , 1f und 2f

Der Kontaktwinkel ist über die Young-Laplace-Gleichung


(nach dem englischen Physiker Thomas Young, 1773–1829,
und Pierre-Simon Laplace) festgelegt:
Abb. 8.26 Ein Wasserläufer kann aufgrund der Oberflächenspan-
nung auf einer Wasseroberfläche (Grenzfläche zwischen Wasser und 1f  2f
Luft) laufen, ohne dabei unterzugehen cos D : (8.217)
12

Die Oberflächenspannung zwischen Luft und Wasser beträgt Diese Gleichung lässt sich unmittelbar aus der Forderung ei-
bei 20 ı C etwa 0;073 J=m2 . Damit lässt sich abschätzen, für nes mechanischen Kräftegleichgewichts ableiten.
welche Ausdehnungen Wassertropfen durch Oberflächen- Am häufigsten findet man die Situation, dass die beiden
spannung (und nicht durch Gravitation) dominiert werden. Fluide gerade Wasser und Luft sind. Dann spricht man bei
Hierzu betrachtet man einen Wassertropfen mit Radius r, < 90ı von hydrophilen und bei > 90ı von hydrophoben
Oberfläche A und Volumen V. Die Kraft, mit der die Oberflä- Oberflächen. Von besonderem Interesse sind superhydropho-
chenspannung den Wassertropfen zusammenhält, ist von der be Materialien mit einem Kontaktwinkel > 150ı (Lotusef-
Ordnung fekt; Abb. 8.28). An diesen perlt Wasser ab und transportiert

F D A D 4  r: (8.214) mögliche Verschmutzungen fort; solche Materialien sind al-
r
so potenziell selbstreinigend.
Dagegen wirkt insgesamt eine Gravitationskraft
4
Fg D gV D gr3 (8.215)
3
auf den Tropfen. Also haben wir
r
gr2 
F > Fg H)  > H) r <  3 mm:
3 g
(8.216)
p
Im letzten Schritt wurde der numerische Faktor 3  1
ignoriert. Man nennt r die Kapillarlänge von Wasser. Wir
sehen, dass Oberflächenspannungen nur für kleine Ausdeh-
nungen (kleiner als wenige Millimeter) wichtig sind und
demnach nur Insekten, nicht aber Säugetiere, über Wasser
laufen können.
Noch interessanter wird es, wenn zwei nicht mischbare Flui-
de mit einem Festkörper in Kontakt kommen (Abb. 8.27). Abb. 8.28 Der Kontaktwinkel von Wassertropfen auf einem Lotus-
Dort hat man es dann mit drei verschiedenen Oberflächen- blatt ist mit etwa 150ı sehr groß. Das Wasser perlt daher ab und kann
spannungen zu tun (1f zwischen Fluid 1 und Festkörper, 2f das Blatt nicht benetzen
So geht’s weiter 311

Numerische Lösungsansätze Entsprechend kann die zweite Ableitung folgendermaßen an-


genähert werden (siehe auch (8.18)):
In den meisten Fällen werden die Navier-Stokes-Gleichun-
gen numerisch, also mithilfe von Computeralgorithmen, ge- u.xi1 /  2u.xi / C u.xiC1 /
u00 .xi / : (8.219)
löst. .x/2
Es gibt eine Vielzahl klassischer CFD-Werkzeuge (Compu-
tational Fluid Dynamics), die mittlerweile extrem ausgereift Das Voranschreiten in der Zeit stellt eine andere Herausfor-
sind. Dazu gehören die Finite-Differenzen- und Finite-Volu- derung dar. Die einfachste Zeitintegration stellt das explizite
men-Methoden, aber auch Finite-Elemente- und Spektralme- Euler-Verfahren dar. Für die Geschwindigkeit an einem ge-
thoden. In den vergangenen 20 Jahren wurden allerdings eine gebenen Punkt im Raum gilt dann (mit tjC1 D tj C t)

Kapitel 8
ganze Reihe weitere Methoden entwickelt, die als Navier-
Stokes-Löser verwendet werden können, obwohl sie nicht u.tjC1 / D u.tj / C uP .tj /t; (8.220)
direkt auf einer Diskretisierung der Navier-Stokes-Gleichun-
gen aufbauen. Beispiele sind die Lattice-Boltzmann- oder wobei die zeitliche Änderung uP .tj / bekannt sein muss. Dieses
Dissipative-Particle-Dynamics-Methode. Verfahren ist relativ ungenau; es gibt aber eine große Palette
Eine Gemeinsamkeit der meisten dieser Methoden ist die verfeinerter Algorithmen wie die sogenannten Runge-Kutta-
notwendige Diskretisierung des Raumes und der Zeit. Der Verfahren.
einfachste (aber nicht immer der sinnvollste und effizien-
teste) Zugang ist es, den Raum durch ein orthogonales und
Literatur
regelmäßiges Gitter mit Gitterkonstante x zu beschreiben
sowie die Zeit in äquidistante Zeitschritte der Länge t zu
unterteilen. Die Gleichungen werden dann nur an diskreten Davidson, P. A.: Turbulence: An Introduction for Scien-
Orten und zu diskreten Zeiten gelöst. tists and Engineers. Oxford University Press, 2004
Dies soll kurz anhand der Finite-Differenzen-Methode illus- Ferziger, J. H, Peric, M., Leonard, A.: Computational Me-
triert werden. Um die Ableitung von u.x/ an einem Gitter- thods for Fluid Dynamics. 3. Aufl., Springer Verlag, 2002
punkt xi mit Nachbarn xi˙1 im Abstand x zu bestimmen, Krüger, T. et al.: The Lattice Boltzmann Method – Prin-
berechnet man in erster Näherung ciples and Practice. Springer, 2017
Oertel, H. Jr. et al.: Prandtl – Führer durch die Strö-
u.xiC1 /  u.xi1 / mungslehre: Grundlagen und Phänomene. 13. Aufl.,
u0 .xi / : (8.218)
2x Springer Verlag, 2012
312 8 Kontinuumsmechanik

Aufgaben

Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
Kapitel 8

8.1 Randbedingungen für das elastische Band die Membran einspannt, ist also `y bzw. C`y . Entsprechend
Am Beispiel der eingespannten Saite wurde in Abschn. 8.2 wird bei y D 0 bzw. y D `y die Membran gerade mit `x bzw.
gezeigt, wie sich Dirichlet’sche Randbedingungen, also z. B. C`x festgehalten. Ansonsten sei die Membran kräftefrei.
q.t; 0/ D q.t; `/ D 0, berücksichtigen lassen. In dieser Aufgabe Zeigen Sie, dass die Funktion
sollen die Neumann’schen Randbedingungen betrachtet werden.
Wir verlangen hier, dass das Band aus Abschn. 8.1 am Rand ei- qz .t; x; y/ D f .t/g.x/h.y/ (8.224)
ner Kraft F ausgesetzt ist. Es ist aber im Vorfeld nicht klar, wie mit
die Verformung q.t; x/ bei x D 0 und x D ` aussieht. f .t/ D Cf sin.!t  f /;
g.x/ D Cg sin.kx x  g /; (8.225)
(a) Zeigen Sie, dass (8.5) im Kontinuumslimes die Form
h.y/ D Ch sin.ky y  h /
ˇ ˇ
@2 q ˇˇ Y @q ˇˇ F die Differenzialgleichung (8.222) löst. Wie muss dazu ! als
C D (8.221)
@t2 ˇxD` a0 @x ˇxD` a0 Funktion von kx und ky gewählt werden? Wie sind die Integra-
tionskonstanten zu wählen, damit die Randbedingungen erfüllt
annimmt. Eine entsprechende Gleichung gilt auch an der sind? Zeigen Sie dann, dass die allgemeine Lösung durch eine
Stelle x D 0. Fourier-Reihe in x und y gegeben ist.
(b) Leiten Sie einen Zusammenhang ab, der verhindert, dass
(8.221) im Grenzfall a0 ! 0 divergiert. Zeigen Sie damit, Lösungshinweis: Bedenken Sie bei der Konstruktion der allge-
dass die äußere Kraft am Rand eine Bedingung an die ers- meinen Lösung, dass die Schwingungsgleichung (8.222) linear
te Ortsableitung von q stellt (und nicht an die Funktion q und homogen ist.
selbst). Damit handelt es sich um eine Neumann’sche Rand-
bedingung. 8.3 Fourier-Reihe für (un)gerade Funktionen
Zeigen Sie, dass bei geraden Funktionen alle Koeffizienten
8.2 Schwingende Membran Wir betrachten eine bj der Fourier-Reihe gleich null sind, bei ungeraden Funktionen
zweidimensionale elastische Membran in der x-y-Ebene, die bei alle Koeffizienten aj .
x D 0 und x D `x sowie bei y D 0 und y D `y eingespannt ist.
Gesucht ist die allgemeine Lösung qz .t; x; y/ für die Auslenkung Lösungshinweis: Wählen Sie c geeignet.
der Membran entlang der z-Achse. Dies könnte beispielswei-
se das einfache Modell einer rechteckigen Trommel sein. Man 8.4 Sägezahnkurve Stellen Sie die Funktion f .t/ D
kann die Bewegungsgleichung der schwingenden Saite (8.47) t für 0  t < 1 (und periodisch fortgesetzt) als Fourier-Reihe
verallgemeinern und findet für die Membran ganz analog dar.
 2 
@ qz @2 qz Lösungshinweis: Die Funktion f ist weder gerade noch ungera-
qR z  v?
2
C D 0: (8.222)
@x2 @y2 de. Durch eine Verschiebung nach unten erhält man jedoch eine
ungerade Funktion.
Die Wellengeschwindigkeit erfüllt
r 8.5 Darstellungen der Fourier-Reihe Ermitteln

v? D ; (8.223) Sie die Zusammenhänge zwischen den Koeffizienten aj ; bj der
Fourier-Reihe mit Sinus- und Kosinusfunktionen einerseits und
wobei die Massendichte bezogen auf die Fläche ist und die den Koeffizienten cj der Fourier-Reihe in der Exponential-Dar-
Spannung  die zur Kraft F in (8.47) analoge Größe. Die stellung andererseits.
Spannung hat die Bedeutung einer Kraft pro Länge, d. h., pro
eingespannter Einheitslänge wirkt die Kraft  auf den Rand 8.6 Drehungstensor Es soll gezeigt werden, dass
der Membran. Die Gesamtkraft, die bei x D 0 bzw. x D `x der Tensor !ij aus (8.112) eine Drehung beschreibt und daher
Aufgaben 313

nicht zu Verformungsenergie des elastischen Körpers beiträgt. 8.9 Rotierende Flüssigkeit Betrachten Sie einen
Zur Vereinfachung betrachten wir ein infinitesimales Flächen- unendlich langen Zylinder mit Radius R, der mit einer in-
element in zwei Dimensionen, das von zwei (nicht notwendiger- kompressiblen Flüssigkeit gefüllt ist. Dieser Zylinder wird mit
weise orthogonalen) Vektoren da und db aufgespannt wird. Nun konstanter Winkelgeschwindigkeit ! D ! eO z um seine Symme-
betrachten wir dasselbe Flächenelement im verformten Zustand trieachse gedreht, die durch den Ursprung verläuft. Gravitation
mit soll vernachlässigt werden. Es kann angenommen werden, dass
da0i D dai C ij daj D .ıij C ij / daj ; sich die Flüssigkeit mit dem Zylinder dreht und sich in einem
(8.226)
db0i D dbi C ij dbj D .ıij C ij / dbj ; stationären Zustand befindet.
wobei D .ij / D .@i qj / den Verformungszustand des Flächen-
(a) Wie lautet das stationäre Geschwindigkeitsfeld u.%; '/ für
elements charakterisiert.
% D x2 C y2 < R (' ist der Polarwinkel)?

Kapitel 8
Zeigen Sie, dass das Flächenelement lediglich gedreht (und (b) Zeigen Sie, dass die Kontinuitätsgleichung erfüllt ist.
nicht verzerrt) wird, genau dann, wenn ij D !ij ist. (c) Bestimmen Sie den Druck P.%/ so, dass die Euler-Gleichung
erfüllt wird. Welche anschauliche Rolle spielt der Druck
Lösungshinweis: Überprüfen Sie dazu, unter welchen Umstän- hier?
den die Bedingung da0i db0i D dai dbi erfüllt ist, d. h., wann
Längen- und Winkelinvarianz vorherrschen (Invarianz des Ska- Lösungshinweis: Aufgrund der Symmetrie entlang der z-Achse
larprodukts). kann das äquivalente zweidimensionale Problem in der x-y-
Ebene behandelt werden. Verwenden Sie die Zylinderkoordi-
8.7 Spannungstensor für elastisches Medium naten aus Abschn. 2.5. Die Divergenz in Zylinderkoordinaten
lautet
(a) Bestimmen Sie den Spannungstensor (8.133) für das elasti- 1 @.%u% / 1 @u' @uz
sche Medium mit dem Elastizitätstensor div u D C C (8.230)
  % @% % @' @z
Cijkl D ıij ıkl C  ıik ıjl C ıil ıjk : (8.227)
mit
Das Ergebnis ist das isotrope Hooke’sche Gesetz als kontinu- 0 1 0 1 0 1
ierliche Erweiterung der eindimensionalen Federgleichung cos '  sin ' 0
B C B C B C
u D u% @ sin ' A C u' @ cos ' A C uz @0A : (8.231)
F D Dq.x/ D D.x  x0 /: (8.228)
0 0 1
(b) Wie lautet der Spannungstensor für die Verzerrung
0 1 Achten Sie darauf, dass sowohl die radiale Koordinate % als auch
0 0 zx die Dichte in den Rechnungen auftreten.
1B C
D @ 0 0 0 A; (8.229)
2
zx 0 0 8.10 Poiseuille-Fluss in Rohr Betrachten Sie ein
Rohr mit kreisförmigem Querschnitt (Radius R) entlang der z-
die in (8.116) gefunden wurde? Achse. Ein Druckgradient grad P D .0; 0; P0 /> D const treibt
(c) Berechnen Sie die äußere Kraft F, die an der Oberseite des eine inkompressible Strömung an, von der angenommen wer-
in Abb. 8.14 gezeigten Quaders angreifen muss, damit sich den kann, dass sie stationär ist. Leiten Sie ausgehend von den
im statischen Fall der in Teilaufgabe (b) gefundene Span- Navier-Stokes-Gleichungen und unter der Annahme, dass die
nungstensor ergibt. In welche Richtung wirkt die Kraft? Dies Geschwindigkeit an der Oberfläche des Rohres verschwindet,
erlaubt die Bestimmung des Schermoduls , wenn bei be- das Geschwindigkeitsfeld u.%/ ab.
kannter Kraft F die resultierende Scherung zx gemessen
wird. Berechnen Sie außerdem den Volumenstrom durch eine Quer-
schnittsfläche des Rohres.

8.8 Fluss im Rohr mit variabler Querschnittsflä- Lösungshinweis: Verwenden Sie Zylinderkoordinaten und den
che Eine inkompressible Flüssigkeit (d. h. D const und entsprechenden Laplace-Operator
div u D 0) fließe durch ein Rohr mit einer variablen Quer-
schnittsfläche. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der  
1 @ @f 1 @2 f @2 f
mittleren Geschwindigkeit der Flüssigkeit auf einer beliebigen f .%; '; z/ D % C 2 2 C 2: (8.232)
% @% @% % @' @z
ebenen Querschnittsfläche und dem Flächeninhalt dieser Quer-
schnittsfläche? Gehen Sie dabei vom Gauß’schen Satz aus. Nutzen Sie außerdem die Symmetrieüberlegungen aus, die be-
reits in Abschn. 8.7 für den planaren Poiseuille-Fluss verwendet
Lösungshinweis: Die genaue Gestalt des Geschwindigkeitsfel- wurden.
des ist unerheblich. Es ist nur wichtig anzunehmen, dass an
der Rohrinnenwand die Geschwindigkeit der Flüssigkeit über- Fordern Sie bei der Integration, dass u für % ! 0 nicht divergie-
all verschwindet. ren soll.
314 8 Kontinuumsmechanik

Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben

8.1 Nun erfordern die Randbedingungen, dass g.0/ D g.`x / D 0


und h.0/ D h.`y / D 0 ist. Dies wird durch g D h D 0 erfüllt
(a) Ausgehend von sowie durch die Bedingungen
nx ny
mRqN C k.qN  qN1 /  F D 0 (8.233) kx D ; ky D .nx ; ny 2 N/: (8.241)
`x `y
Kapitel 8

folgt mit den Definitionen von Massendichte und Young- Somit lautet eine Lösung
Modulus zunächst .nx ;ny /
qz .t; x; y/ D Cnx ;ny sin.!t nx ;ny / sin.kx x/ sin.ky y/ (8.242)
Y qN  qN1 F
qR N C D : (8.234) mit Cnx ;ny D Cf Cg Ch für einen gegebenen Satz .nx ; ny / und der
a0 a0 a0
Nebenbedingung (8.240).
Im Grenzfall a0 ! 0 ersetzen wir qi .t/ durch q.t; x/, wobei Da die Ausgangsgleichung (8.222) linear und homogen ist,
qN .t/ gerade q.t; `/ entspricht und der Differenzenquotient erhält man die allgemeine Lösung durch eine beliebige Line-
zur ersten Ableitung von q.t; x/ nach x wird. Da das Band arkombination der Lösungen (8.242) für verschiedene .nx ; ny /:
hier nur bei x D ` betrachtet wird, erhält man damit bereits
1 X
X 1
(8.221). .nx ;ny /
(b) Damit (8.221) im Kontinuumslimes a0 ! 0 nicht divergiert, qz .t; x; y/ D qz .t; x; y/: (8.243)
nx D1 ny D1
schreiben wir zunächst
ˇ  ˇ  Dies ist aber nichts anderes als eine Fourier-Reihe in x und y,
@2 q ˇˇ 1 @q ˇˇ die nur Sinusbeiträge beinhaltet. Die Cnx ;ny und nx ;ny sind In-
C Y F D0 (8.235)
@t2 ˇxD` a0 @x ˇxD` tegrationskonstanten. Einige der Eigenmoden sind in Abb. 8.29
gezeigt.
und verlangen, dass der umklammerte Ausdruck verschwin-
den muss. Somit lautet die Randbedingung 8.3 Für eine gerade Funktion f gilt f .t/ D f .t/. Die Koeffizi-
ˇ enten berechnet man mit der Wahl c D T=2 über
@q ˇˇ F
ˇ D : (8.236) ZT=2
@x xD` Y 2
bj D f .t/ sin.j!t/ dt: (8.244)
T
Dies bedeutet, dass die an einem Ende angreifende Kraft ei- T=2
ne Bedingung an die erste Ableitung von q.x/ am Rand stellt.
0
Ein völlig analoger Ausdruck folgt für x D 0. Mit der Substitution t D t wird dies zu
Z
T=2
2
bj D f .t0 / sin.j!t0 /.dt0 /
8.2 Der Ansatz (8.224), eingesetzt in (8.222), führt allgemein T
T=2
auf (8.245)
fR gh  v?
2
.fg00 h C fgh00 / D 0: (8.237) Z
T=2
2
D f .t0 / sin.j!t0 / dt0 ;
Speziell gilt hier T
T=2

fR D ! f ;
2 00
g D kx2 g; 00
h D ky2 h: (8.238) wobei ausgenutzt wurde, dass f gerade und die Sinusfunktionen
ungerade sind.
Es folgt also Vertauscht man die Integrationsgrenzen, dann folgt sofort
 
 ! 2 fgh C v?
2
kx2 C ky fgh D 0;
2
(8.239) ZT=2
2
bj D  f .t0 / sin.j!t0 / dt0 (8.246)
was für T
 2  T=2
! 2 D v?
2
kx C ky2 (8.240)
und deswegen bj D bj und folglich bj D 0. Völlig äquivalent
erfüllt ist. zeigt man die andere Behauptung.
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 315

nx = 1, ny = 1 Mittels partieller Integration erhält man leicht bj D 1=.j /,


g(x)h(y) also insgesamt die Fourier-Reihe
1
1 1 X sin.2 jt/
f .t/ D  : (8.248)
2 jD1
j

8.5 Schreibt man


aj cos.j!t/ C bj sin.j!t/
y
   
aj bj aj bj (8.249)
eij!t

Kapitel 8
D C eij!t C 
x 2 2i 2 2i

und benutzt, dass dies gleich dem Summenglied cj exp.ij!t/ C


nx = 3, ny = 2 cj exp.ij!t/ sein muss, so erhält man für j > 0 sofort
g(x)h(y)
aj  ibj aj C ibj
cj D und cj D : (8.250)
2 2
Im Fall j D 0 folgt dagegen
a0
c0 D p : (8.251)
2
In der anderen Richtung hat man also
y
aj D cj C cj und bj D i.cj  cj /: (8.252)
x

8.6 Wir berechnen das Skalarprodukt der Vektoren da0 und db0 :
nx = 7, ny = 5
g(x)h(y) da0  db0 D da0i db0i D .ıij C ij /.ıik C ik / daj dbk
(8.253)
D .ıkj C kj C jk C ij ik / daj dbk :

Da die Verformung ij klein sein soll, kann der in quadratische


Term vernachlässigt werden. Es verbleibt also

da0  db0 D da  db C .kj C jk / daj dbk : (8.254)

Vom trivialen Fall D 0 abgesehen, kann da0  db0 D da  db


nur genau dann verschwinden, wenn
y

x kj D jk (8.255)

Abb. 8.29 Einige Eigenmoden der rechteckigen Membran (von oben erfüllt ist, d. h. wenn antisymmetrisch und somit ij D !ij ist.
nach unten: nx D 1 und ny D 1, nx D 3 und ny D 2, nx D 7 und ny D 5) Damit ist gezeigt, dass die Transformation D ! das Flächen-
element lediglich dreht und nicht verzerrt.

8.7
8.4 Die Funktion fN .t/ D t  1=2 auf dem Intervall 0  t < 1
(und periodisch fortgesetzt) istpungerade, also hat man sofort (a) Der Spannungstensor ist definiert als
aNj D 0 für alle j und damit a0 = 2 D 1=2 und aj D 0 für j > 0.
Die restlichen Koeffizienten sind ij D Cijkl kl : (8.256)

Wir multiplizieren also (8.227) mit kl und vereinfachen. Der


Z1
2 erste Term ergibt
bj D t sin.2 jt/ dt: (8.247)
1
0 ıij ıkl kl D ıij kk : (8.257)
316 8 Kontinuumsmechanik

Dies ist also proportional zur Spur kk des Verzerrungsten- Mit der Projektion un D u  nO der Geschwindigkeit auf die Flä-
sors. Der zweite Term lautet chennormale nO gilt in kompakter Form
    “ “
 ıik ıjl C ıil ıjk kl D  ij C ji : (8.258) un dA D un dA: (8.266)
Zusammengefasst und wegen der Symmetrie des Verzer- A1 A2

rungstensors erhalten wir Nun ist aber ’


un dA
uN n.1/
A1
ij D kk ıij C 2ij : (8.259) D (8.267)
A1
Diese Gleichung erlaubt es, direkt die Spannung für einen die mittlere (projizierte)
’ Geschwindigkeit der Flüssigkeit auf der
Kapitel 8

gegebenen Verzerrungszustand auszurechnen. ersten Fläche A1 D A1 dA (eine analoge Aussage gilt für die
(b) Zunächst sehen wir, dass die Spur der Verzerrung (8.229) zweite Fläche), und wir schreiben demnach
verschwindet (kk D 0); daher ist der Spannungstensor ein-
fach A1 uN n.1/ D A2 uN n.2/ : (8.268)
ij D 2ij D zx .ıiz ıjx C ıix ıjz / (8.260)
Dies bedeutet, dass das Produkt aus Querschnittsfläche und
bzw. 0 1 mittlerer Geschwindigkeit für alle gleichzeitig betrachteten
0 0 1 Querschnittsflächen identisch ist, denn die Wahl der beiden Flä-
B C chen war beliebig. Die Flüssigkeit muss also in einem engeren
D zx @0 0 0A : (8.261)
Abschnitt schneller fließen.
1 0 0

(c) Die Oberflächenkraft, die notwendig ist, um die Verzerrung 8.9


(8.229) bzw. Spannung (8.261) zu erreichen, ergibt sich aus
(a) Der Geschwindigkeitsvektor muss überall in der x-y-Ebene
F D A; (8.262) liegen. Bei einer Rotation ! D ! eO z lautet das rotierende
Geschwindigkeitsfeld
wobei A D AOez die orientierte Fläche der Oberseite des Qua- 0 1
ders ist. Wegen eO z D .0; 0; 1/> findet man sofort  sin '
B C
u.%; '/ D !% @ cos ' A D !%Oe' : (8.269)
0 1
Azx 0
B C
F D @ 0 A: (8.263)
(b) Die Kontinuitätsgleichung für eine inkompressible Flüssig-
0 keit lautet einfach div u D 0, wobei hier die Divergenz
in Zylinderkoordinaten verwendet werden muss. Da nur
u' D !% als Funktion von % auftritt, folgt direkt, dass die
8.8 Eine inkompressible Flüssigkeit erfüllt div j D div u D 0. Divergenz verschwindet. Die Kontinuitätsgleichung ist also
Der Satz von Gauß in (8.173) besagt dann: erfüllt.
— • (c) Da keine Volumenkraft vorliegt und das Problem statisch ist,
u  dA D div u dV D 0: (8.264) bleibt von der inkompressiblen Euler-Gleichung (8.186) le-
diglich
@V div.u ı u/ D grad P (8.270)
Als Integrationsvolumen wählen wir den Innenraum des Rohres übrig. Dies kann wegen der Divergenzfreiheit in folgender
(einschließlich seiner inneren Oberfläche), begrenzt durch zwei Form in Koordinatendarstellung geschrieben werden:
ebene und zueinander parallele Flächen. Wir zerlegen die da-
durch definierte geschlossene Integrationsoberfläche nun in drei ui @i uj D @j P: (8.271)
Teile: die beiden ebenen Querschnittsflächen (A1 und A2 ) und
die Rohrinnenwand. Entsprechend der Annahme trägt die Rohr- Es ist also zunächst der Gradient der Geschwindigkeit,
innenwand nicht zum Integral bei, da dort überall u D 0 gilt. grad u, zu berechnen. Mithilfe von (2.113) lässt sich dies
Die beiden betrachteten ebenen Flächen sind antiparallel zuein- in Zylinderkoordinaten leicht durchführen:
ander, da das Flächenelement dA überall nach außen zeigt. Die @u 1 @u @u
erste Fläche hat demnach einen Normalenvektor nO D const, die grad u D eO % ı C eO ' ı C eO z ı : (8.272)
@% % @' @z
zweite entsprechend nO D const. Es verbleibt
“ “ Hier bleibt wegen (8.269) lediglich
u  nO dA D u  nO dA: (8.265) @.!%/ @Oe'
grad u D eO % ı eO ' C ! eO ' ı (8.273)
A1 A2 @% @'
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 317

übrig, wobei noch @Oe' =@' D Oe% gilt. Wir erhalten also Nun dividieren wir diese Gleichung durch % und integrieren er-
  neut:
grad u D ! eO % ı eO '  eO ' ı eO % 6D 0; (8.274) P0
uz D  %2 C C1 ln % C C2 : (8.282)
4
da die Reihenfolge der beiden Vektoren eO % und eO ' nicht ein-
fach vertauscht werden darf. Von links mit u> multipliziert Die beiden Integrationskonstanten C1 und C2 sind nun so zu
ergibt sich bestimmen, dass uz .R/ D 0 ist. Dies ist allerdings nur eine
Bedingung an zwei Konstanten. Wir sehen außerdem, dass der
.ui @i uj / D u> .grad u/ Term ln % für % ! 0 divergiert. Dies darf allerdings nicht sein,
  (8.275)
D ! 2 %Oe>
' e O % ı eO '  eO ' ı eO % D ! 2 %Oe% : da das Strömungsfeld im gesamten Rohrinnenraum regulär sein
soll. Es muss also C1 D 0 erfüllt sein. Die verbleibende Kon-
Der Druck lässt sich dann über stante C2 wählen wir dann so, dass die Randbedingung erfüllt

Kapitel 8
ist:
grad P D ! 2 %Oe% (8.276) P0 2
uz .% D R/ D 0 H) C2 D R: (8.283)
4
bestimmen. Daraus lässt sich ablesen, dass der Druck nur
eine radiale Abhängigkeit haben kann: Insgesamt lautet die Lösung also

!2 2 P0  2 
PD % ; (8.277) uz D R  %2 .%  R/: (8.284)
2 4
wobei eine beliebige und unwichtige Konstante ignoriert Auch in einem Rohr mit kreisförmigem Querschnitt ist das
wurde. Der Gradient des Druckes ergibt genau diejenige Geschwindigkeitsfeld parabolisch, allerdings in der Radiusko-
Kraft, welche die Flüssigkeit auf der stationären Kreisbahn ordinate %. Außerdem unterscheiden sich die Vorfaktoren hier
hält; es handelt sich dabei also um die der Zentrifugalkraft und in (8.209) um einen Faktor 2.
entgegenwirkende Kraft.
Die Gesamtmenge (d. h. das Gesamtvolumen) an Flüssigkeit,
die pro Zeiteinheit durch eine Querschnittsfläche des Rohres
8.10 Im stationären Zustand lautet die Navier-Stokes-Glei- fließt, ist
chung Z Z2 ZR
.u  r /u D grad P C u: (8.278) I D uz dA D d' uz % d%: (8.285)
0 0
Aufgrund der Symmetrie kann die Strömung nur in z-Richtung
fließen, und das Geschwindigkeitsfeld kann nur vom Abstand % Beide Integrationen sind trivial ausführbar. Die Winkelintegra-
zur Mittelachse abhängen. Der Gradient von u ist somit senk- tion ergibt lediglich einen Faktor 2 . Das verbleibende Integral
recht zu u selbst, sodass .u  r /u D 0 ist. Es verbleibt daher nur lautet
die z-Komponente der Navier-Stokes-Gleichung:
ZR ZR
P0  
uz D P : 0
(8.279) uz % d% D R2 %  %3 d%
4
0 0 (8.286)
Es ist nun zu beachten, dass die Integration in Zylinderkoordi- P0  4  P0 R4
naten durchzuführen ist. D R =2  R4 =4 D :
4 16
Da wir annehmen, dass uz nur von % abhängt, können die Ablei-
tungen nach ' und z ignoriert werden. Das Problem lautet also Der Gesamtfluss ist also
  P0 R4
1 @ @uz P0 ID : (8.287)
% D : (8.280) 8
% @% @% 
Dieses letzte Ergebnis wird auch als Hagen-Poiseuille-Gesetz
Wir multiplizieren mit % und integrieren:
bezeichnet (nach dem deutschen Ingenieur Gotthilf Heinrich
@uz P0 Ludwig Hagen, 1797–1884). Es ist von großer Bedeutung für
% D  %2 C C1 : (8.281) die Hydraulik und technische Anwendungen.
@% 2
318 8 Kontinuumsmechanik

Literatur

Hänel, D.: Molekulare Gasdynamik: Einführung in die kine- Sadd, M.H.: Elasticity: Theory, Applications, and Numerics.
tische Theorie der Gase und Lattice-Boltzmann-Methoden. Academic Press, Amsterdam (2009)
Springer, Berlin (2004)
Stephani, H., Kluge, G.: Theoretische Mechanik: Grundlagen
Kramer, J., Warmuth, E.: Sommerschule „Lust auf Mathe- und Übungen. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg
matik“ (2010), http://didaktik.mathematik.hu-berlin.de/files/ (1995)
Kapitel 8

bericht_1_11.pdf. Zugegriffen: 5. September 2013


Landau, L., Lifschitz, E.: Lehrbuch der theoretischen Physik,
10 Bde., Bd. 6, Hydrodynamik. Harri Deutsch, Frankfurt
(1991)
Spezielle Relativitätstheorie
9
Warum verlangt die
Konstanz der
Lichtgeschwindigkeit die
Relativität der Zeit?
Ist die Lorentz-Kontraktion
wirklich oder scheinbar?
Welche Geometrie hat das
vierdimensionale Raum-
Zeit-Kontinuum?
Was sind Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft in
der Relativitätstheorie?

Kapitel 9
Was bräuchte es für den
Bau einer Zeitmaschine?

9.1 Anfang und Ende der Äther-Vorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321


9.2 Lorentz-Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
9.3 Minkowski-Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
9.4 Viererformalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
So geht’s weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 319
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik 1 | Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56115-7_9
320 9 Spezielle Relativitätstheorie

Dass sich physikalische Wirkungen nie schneller als mit Lichtge-


schwindigkeit ausbreiten, ist heutzutage allgemein bekannt, ob-
wohl es im Alltagsleben und auch für einen Großteil der Experi-
mentalphysik keine bedeutende Rolle spielt. Aber allein die Tatsache
der Existenz einer absoluten Grenzgeschwindigkeit unterminiert die
Grundlage, auf der die Newton’sche Mechanik aufgebaut wurde,
denn in dieser haben nur Beschleunigungen eine absolute Bedeu-
tung, während Geschwindigkeiten relativ und damit beliebig sind.
Da das Licht selbst ein elektrodynamisches Phänomen ist, wird die
spezielle Relativitätstheorie, in der die Lichtgeschwindigkeit parado-
xerweise eine absolute Bedeutung bekommt, üblicherweise erst in
einem fortgeschrittenen Stadium von Elektrodynamik-Vorlesungen
behandelt. In diesem Buch wird die Relativitätstheorie dement-
sprechend auch erst in Bd. 2, Kap. 8 dazu herangezogen, die
Elektrodynamik von einer höheren Warte aus zu betrachten. Das
Studium des vorliegenden und des nächsten Kapitels kann daher
auch auf diesen Zeitpunkt verschoben werden. Alternativ kann aber
auch ganz ohne die Elektrodynamik bereits jetzt die relativistische
Kinematik und (im folgenden Kapitel) die relativistische Mechanik
studiert werden. Abb. 9.1 Albert Einstein (1879–1955) (mit freundlicher Genehmigung
der Russischen Akademie der Wissenschaften)
Kapitel 9

Albert Einstein (1879–1955; Abb. 9.1) hatte 1905 als junger Pa-
tentamtsbeamter in seiner Arbeit „Zur Elektrodynamik bewegter
Körper“ (Einstein 1905) nicht so sehr die Elektrodynamik, sondern
vielmehr die Newton’sche Mechanik revolutioniert, auch wenn das Relativitätstheorie auch Effekte der allgemeinen Relativitätstheo-
zur damaligen Zeit keine praktischen Auswirkungen hatte. In der rie involvieren. Ebenso wie die spezielle Relativitätstheorie die
Newton’schen Mechanik gibt es wegen der Gleichberechtigung aller Newton’sche Physik nicht überflüssig macht, sondern als Grenzfall
Inertialsysteme keinen absoluten Raum, aber sehr wohl eine abso- weiterhin enthält, so stellt auch die spezielle Relativitätstheorie ein
lute Zeit. Schon vor Einstein hatten Physiker und insbesondere der weiterhin gültiges Gebäude dar, solange die Krümmung von Raum
französische Mathematiker Henri Poincaré (1854–1912) erkannt, und Zeit, die in der allgemeinen Relativitätstheorie hinzukommt,
dass es in der Elektrodynamik Sinn ergibt, beobachterabhängige vernachlässigbar ist.
Zeitkoordinaten einzuführen, aber vor einer Aufgabe des Konzepts
einer absoluten Zeit waren alle zurückgeschreckt.
Bevor wir uns im nächsten Kapitel einer relativistischen Formulie-
Einstein durchschlug nicht nur den gordischen Knoten des Äthers rung der Mechanik zuwenden, muss die kinematische Grundlage,
der Elektrodynamik, sondern insbesondere den der Newton’schen die bisher durch das Galilei’sche Relativitätsprinzip bereitgestellt
Zeit. Nur dadurch kann das Relativitätsprinzip der Mechanik, näm- wurde, neu erarbeitet werden. Abschitt 9.1 behandelt die empiri-
lich die Äquivalenz aller Inertialsysteme, mit der Existenz einer schen Grundlagen für das neue Relativitätsprinzip Einsteins, das zur
absoluten Grenzgeschwindigkeit in Einklang gebracht werden. Die Aufgabe des Begriffs einer absoluten Zeit führt. An die Stelle der Ga-
dafür erforderliche Modifikation der Galilei-Transformationen war lilei-Transformationen treten dabei die Lorentz-Transformationen,
auch schon in der Elektrodynamik aufgefunden und in ihrer endgül- die in Abschn. 9.2 besprochen werden. Statt eines dreidimensio-
tigen Form zuvor von Poincaré nach dem niederländische Physiker nalen euklidischen Raumes und einer absoluten Zeit bildet nun
Hendrik Lorentz (1853–1923) als Lorentz-Transformation bezeich- ein vierdimensionales Raum-Zeit-Kontinuum die Arena der Physik,
net und veröffentlicht worden. der sogenannte Minkowski-Raum, benannt nach Einsteins Ma-
In Einsteins spezieller Relativitätstheorie sind sowohl Raum als auch thematiklehrer am Polytechnikum in Zürich, Hermann Minkowski
Zeit relative Begriffe, und dieser Schritt erwies sich als ungemein (1864–1909), dem die moderne Formulierung der speziellen Relati-
fruchtbar. Insbesondere wurde es notwendig, die Newton’sche Gra- vitätstheorie zu verdanken ist. Mithilfe der sogenannten Minkowski-
vitationstheorie mit einer endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit Diagramme werden wir in Abschn. 9.3 die paradox anmutenden Ef-
von physikalischen Wirkungen in Einklang zu bringen. Dies führte fekte der speziellen Relativitätstheorie studieren und die kausale
zu einer noch gewaltigeren Revolution unserer Vorstellungen von Struktur, die in der Minkowski-Welt die Physik bestimmt, diskutie-
Raum und Zeit, die Einstein im November 1915 in Gestalt der allge- ren. In Abschn. 9.4 wird als neues Werkzeug der Viererformalismus
meinen Relativitätstheorie zuwege brachte. Diese kann in diesem eingeführt, in dem die Dreiervektoren des vertrauten euklidischen
Buch leider nicht entwickelt werden; wir werden aber gelegent- Raumes zu Vierergrößen in einen pseudoeuklidischen Raum verall-
lich auf sie stoßen, da einige experimentelle Tests der speziellen gemeinert werden.
9.1 Anfang und Ende der Äther-Vorstellung 321

9.1 Anfang und Ende Der Äther


der Äther-Vorstellung
Insbesondere die Wellentheorie des Lichtes, die von dem nieder-
ländischen Astronomen, Mathematiker und Physiker Christiaan
Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit Huygens (1629–1695) begründet wurde, legte die Existenz ei-
nes Mediums nahe, das sowohl feste Materie wie den ansonsten
Ob sich Licht mit endlicher oder unendlicher Geschwindigkeit leeren Raum des Weltalls durchdringt, den Äther (nach dem
ausbreitet, war von der Antike bis ins 16. Jahrhundert eine um- griechischen Wort für den blauen Himmel), in dem sich Licht
strittene Frage. Die aristotelische Naturphilosophie ging von so ausbreitet wie Schall in Luft. Aristoteles hatte den ursprüng-
einer unendlichen Geschwindigkeit aus, und dies wurde auch lich rein mythologisch verstandenen Äther als fünftes Element
von Johannes Kepler (1571–1630) und René Descartes (1596– (Quintessenz) den klassischen Elementen Platons hinzugefügt,
1650) für wahr gehalten. Galileo Galilei (1564–1641) war das unveränderlich und ohne die Eigenschaften der übrigen Ma-
vermutlich der Erste, der diese Frage experimentell entschei- terie die sich ewig drehenden himmlischen Sphären ausfüllt.
den wollte, und stellte dazu Versuche mit Signallaternen an,
Während Huygens sich das Licht noch als Longitudinalwelle
die auf weit entfernten Hügeln von Gehilfen bedient wurden.
im Äther vorstellte, ging der französische Physiker Augustin
Unter Einrechnung der menschlichen Reaktionszeit konnte er
Jean Fresnel (1788–1827), der viel zur Entwicklung der Wellen-
damit immerhin nachweisen, dass die Lichtgeschwindigkeit zu-
theorie und Optik beitrug, von der Vorstellung eines elastischen
mindest höher als ein paar Kilometer pro Sekunde sein müsse.
Festkörpers aus, in dem sich Licht als Transversalwelle isotrop
Ein klarer Beleg für die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit ausbreitet. Fresnel leitete 1818 aus der Vorstellung eines Äthers
wurde 1676 vom dänischen Astronomen Ole Rømer (1644– und der Notwendigkeit, diesen mit der veränderten Lichtge-

Kapitel 9
1710) durch Beobachtung des Jupitermondes Io geliefert. Io schwindigkeit c=n in transparenten Medien mit Brechungsindex
umkreist den Jupiter in einer annähernd kreisförmigen Bahn mit n > 1 in Einklang zu bringen, sogar eine Vorhersage für die teil-
einer Umlaufzeit von ungefähr 42,5 Stunden, und Bedeckungen weise Mitführung des Äthers in bewegter Materie her, aufgrund
von Io durch Jupiter lassen sich präzise vorhersagen. Abhän- dessen die Lichtgeschwindigkeit dann
gig davon, ob sich die Erde bei ihrem Umlauf um die Sonne
 
auf derselben Seite wie Jupiter oder entgegengesetzt befindet, c 1 c
kommt es aber zu Unterschieden im Zeitplan im Ausmaß von C 1 2 v  Cv
n n n
etwa 20 Minuten, die Rømer als zusätzliche Lichtlaufzeit durch
den Durchmesser der Erdbahn identifizierte. Damit konnte die betragen solle, wobei v die Geschwindigkeit des Mediums
Lichtgeschwindigkeit in der richtigen Größenordnung geschätzt ist. Der dabei auftretende Fresnel’sche Mitführungskoeffizient
werden.  < 1 wurde 1851 von Fizeau tatsächlich experimentell nach-
Eine schon recht genaue Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit gewiesen, blieb aber rätselhaft, nicht zuletzt weil der Bre-
lieferte der englische Geistliche und Astronom James Bradley chungsindex frequenzabhängig ist. Damit müsste für jede Farbe
(1693–1762) im Jahre 1728 durch die richtige Interpretation der des Lichtes eine separate Komponente des Äthers existieren, die
von ihm entdeckten Aberration des Sternenlichtes. Fixsterne, unterschiedlich stark von bewegter Materie mitgeführt werden
die sich im Zenit befinden, beschreiben während eines Jahres sollte, was der Vorstellung eines universellen Äthers überhaupt
kreisförmige Bewegungen im Bogensekundenbereich, die daher nicht entsprach. (Die endgültige Erklärung dieses Phänomens
kommen, dass sich die Erde mit etwa vE 30 km=s senkrecht liefert die relativistische Elektrodynamik, wie in Bd. 2, Ab-
zur Lichtausbreitung bewegt, sodass das Licht nicht mehr genau schn. 8.6 gezeigt werden wird.)
senkrecht von oben zu kommen scheint. Dies ist insbesondere
Mangels Alternativen hielten die Physiker des 19. Jahrhun-
in der Newton’schen Korpuskeltheorie der Lichtausbreitung na-
derts an der Vorstellung eines Äthers fest, und es wurde in
heliegend. So wie Regen schräg von vorne zu kommen scheint,
verschiedenen Experimenten versucht, den Äther und das von
wenn man sich darin vorwärts bewegt, erhalten Lichtstrahlen
ihm ausgezeichnete Inertialsystem aufzuspüren. Apparaturen,
eine Neigung mit einem kleinen Winkel tan ˛ D vE =c. Da Brad-
die sich gegenüber dem Äther bewegen, sollten eine gewisse
ley die Bahngeschwindigkeit der Erde hinreichend gut kannte,
Richtungsabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit feststellen. Da
konnte er die Lichtgeschwindigkeit schon mit Prozentgenauig-
sich die Erde mit etwa 104 c um die Sonne bewegt, sollte es
keit berechnen.
entsprechende Abweichungen für erdgebundene Experimente
Die erste terrestrische Messung der Lichtgeschwindigkeit ge- geben, sofern der Äther nicht in der Umgebung der Erde von
lang 1849 dem französischen Physiker Hippolyte Fizeau (1819– dieser mitgeführt wird. Gegen diese Möglichkeit spricht aller-
1896) mit einer stark verbesserten Version der frühen Experi- dings die erwähnte Aberration des Sternenlichtes. Licht, das in
mente Galileis. Der entfernte Gehilfe wurde dabei durch einen Richtung der Erdbewegung ausgesandt wird, sollte sich somit
Spiegel ersetzt und der Signalgeber durch ein sich schnell dre- aufgrund des Gegenwindes, den der Äther liefert, ein wenig
hendes Zahnrad, mit dem sowohl das Licht gepulst ausgesandt verlangsamt, in der anderen Richtung entsprechend schneller
als auch das reflektierte Licht selektiv detektiert wurde. ausbreiten.
322 9 Spezielle Relativitätstheorie

S2

l2 S1

L
S0 l1

Abb. 9.3 Aufbau des Michelson-Morley-Experiments aus dem Jahr


Abb. 9.2 Prinzipieller Aufbau eines Michelson-Interferometers 1887, bei dem jeder Strahlengang dreifach gespiegelt wurde. In der Mit-
te befindet sich neben dem halbversilberten Spiegel noch ein Glasele-
ment, das dafür sorgt, dass beide Strahlengänge durch dieselbe Menge
an Glas geführt werden. Die Apparatur ist auf flüssigem Quecksilber
Michelson-Morley-Experiment drehbar gelagert, um möglichst erschütterungsfrei gedreht werden zu
können
Kapitel 9

Das erste aussagekräftige Experiment zur Messung dieser so-


genannten Ätherdrift wurde 1887 in Cleveland, Ohio, von dem
amerikanischen Physiker Albert Michelson (1852–1931) zu- l1 v l2
sammen mit dem amerikanischen Chemiker Edward Morley
(1838–1923) durchgeführt. Schon 1881 hatte Michelson ein In-
terferometer zu diesem Zweck konstruiert und damit in Potsdam
experimentiert, aber die Empfindlichkeit war nicht hoch genug,
um den negativen Ausgang signifikant zu machen.
vtr1ück vthin vthin vtr2ück
In einem Michelson-Interferometer (Abb. 9.2) wird ein mono- 1 2

chromatischer Lichtstrahl mittels eines halbversilberten Spie-


Abb. 9.4 Lichtbahnen im Michelson-Interferometer, das sich gegen-
gels in zwei Teilstrahlen aufgespalten, die auf zwei rechtwinklig
über dem Ruhesystem des Äthers mit Geschwindigkeit v nach rechts
zueinander stehenden Wegen laufen, bevor sie in einem Beob- bewegt, links für den Interferometerarm 1, rechts für Arm 2
achtungsfernrohr wieder zusammengeführt werden. In diesem
entstehen dann Interferenzmuster, die sich ändern, sobald die
Laufzeitdifferenz des Lichtes in den zwei Strahlengängen leicht verlängerte Laufzeit zum Spiegel S1 ist:
geändert wird. Im Michelson-Morley-Experiment wurde das ge-
samte Interferometer drehbar gelagert, um den „Ätherwind“ l1 C l1hin l1
t1hin D ; l1hin D v t1hin H) t1hin D : (9.1)
aus unterschiedlichen Richtungen wirken zu lassen. Außerdem c cv
wurden die beiden Strahlengänge mehrfach gespiegelt, um die
effektive Länge des Interferometers auf etwa 20 m zu erhöhen Für den Rückweg braucht das Licht umgekehrt um l1rück D
(Abb. 9.3), wodurch die Empfindlichkeit des Interferometers um v t1rück weniger Weg zurückzulegen und damit weniger Zeit:
eine Größenordnung gegenüber dem ersten Experiment von Mi-
l1  l1rück l1
chelson verbessert werden konnte. t1rück D ; l1rück D v t1rück H) t1rück D:
c cCv
(9.2)
Wir wollen nun für das in Abb. 9.2 skizzierte Interferometer
Auf dem Hinweg ist also die Lichtgeschwindigkeit um v re-
die Laufzeitunterschiede bestimmen, die sich für unterschiedli-
duziert, auf dem Rückweg um denselben Betrag erhöht. Diese
che Orientierungen gegenüber dem angenommenen Ätherwind
Effekte heben sich aber nicht ganz auf: Zusammen ergibt dies
ergeben. Nehmen wir dazu zunächst an, dass sich das Interfe-
für den Strahlengang entlang des Interferometerarmes 1 die Zeit
rometer mit einer Geschwindigkeit v entlang des Interferome-
terarmes mit Länge l1 gegenüber dem Ruhesystem des Äthers 2l1 1
bewegt. In letzterem ist die Lichtgeschwindigkeit durch c gege- t1 D t1hin C t1rück D ; (9.3)
c 1  v 2 =c2
ben und in allen Richtungen gleich (Abb. 9.4). Bezüglich dieses
Inertialsystems läuft aber der Spiegel S1 dem Licht davon, und in der sich die Beiträge erster Ordnung in v=c kompensieren und
zwar um die Strecke l1hin D v t1hin , wobei t1hin die durch l1hin nur ein Effekt der Ordnung v 2 =c2 übrig bleibt. Allerdings gibt es
9.1 Anfang und Ende der Äther-Vorstellung 323

auch im zweiten Arm einen Effekt, an den Michelson bei seinem 0,05 λ
ersten Experiment nicht gedacht hatte und der diese Laufzeit-
änderung noch etwas weiter reduziert. Die Seitwärtsbewegung 0,00
verlängert den Weg des Lichtes aus Sicht des Äthersystems, weil
es die Hypothenuse eines rechtwinkligen Dreiecks mit Katheten
l2 und l2hin D v t2hin bildet, sodass 0,05

q
1 l2
t2hin D l22 C .l2hin /2 ; t2hin D p D t2rück (9.4) 0,00
c c2  v2 N O S
S W N
und daher
2l2 1 Abb. 9.5 Die von Michelson und Morley 1887 gemessenen Verschie-
t2 D t2hin C t2rück D p (9.5) bungen der Interferenzmuster in Einheiten der Wellenlänge  bei einer
c 1  v 2 =c2
Drehung des Interferometers (rote Linie) um 180ı im Vergleich zu ei-
ist. nem Achtel der zu erwartenden Werte (gestrichelte Linie), wenn v durch
die Orbitalgeschwindigkeit der Erde um die Sonne gegeben ist. Das
Wegen obere Ergebnis gehört zu Beobachtungen zur Mittagszeit, das untere
zur Abendzeit
 4
1 v2 v
D1C C O ; (9.6)
1  v 2 =c2 c2 c4
  Längenkontraktions-
1 1 v2 v4

Kapitel 9
p D1C C O (9.7) und Zeitdilatationshypothesen
1  v 2 =c2 2 c2 c4

halbiert sich für l D l1 l2 der Laufzeitunterschied auf den Als Erklärung für den negativen Ausgang des Michelson-Mor-
beiden Strahlengängen, bleibt aber von der Ordnung v 2 =c2 . ley-Experiments schlugen 1889 der irische Physiker George
Fitzgerald (1851–1901) und 1892 der niederländische Physiker
Beim Michelson-Morley-Experiment wurden diese Laufzeit- Hendrik Lorentz (1853–1923) vor, dass jeder Körper
unterschiede auf Veränderungen bei geänderter Orientierung p bei einer
Bewegung gegenüber dem Äther um einen Faktor 1  v 2 =c2
bezüglich der Bewegung der Erde untersucht. Bei einer kom-
verkürzt würde. Eine Motivation für diese Längenkontrakti-
pletten Drehung des Interferometers sollte v zwischendurch
onshypothese war das 1888 von dem britischen Physiker und
einmal entlang Arm 1 und einmal entlang Arm 2 orientiert sein.
Mathematiker Oliver Heaviside gefundene Ergebnis, dass in
Im ersteren Fall müsste der Laufzeitunterschied
der Elektrodynamik bewegte Ladungen entsprechend gestauch-
2l1 1 2l2 1 te Ellipsoide als Äquipotenzialflächen haben (wie wir in Bd. 2,
t1  t2 D  p (9.8) Kap. 8 noch sehen werden). Wenn alle Materie durch elektrody-
c 1  v 2 =c2 c 1  v 2 =c2
namische Kräfte zusammengehalten wird, ist diese Hypothese
betragen und nach einer Drehung, die Arm 2 in die Richtung also gar nicht so weit hergeholt.
von v zeigen lässt: Mit der Längenkontraktionshypothese ist (9.8) folgendermaßen
zu modifizieren:
2l1 1 2l2 1 p
Nt1  Nt2 D p  ; (9.9) 2Œl1Ruhe 1  v 2 =c2  1 2l2Ruhe 1
c 1  v 2 =c2 c 1  v 2 =c2 t1  t2 D  p
c 1  v 2 =c2 c 1  v 2 =c2
sodass mit l D l1 l2 und v c ein Effekt von 2Œl1Ruhe  l2Ruhe  1
D p D Nt1  Nt2 :
c 1  v 2 =c2
2l v 2
t D j.t1  t2 /  .Nt1  Nt2 /j (9.10) (9.11)
c c2 Damit wird die Ätherdrift im Michelson-Morley-Experiment
erzielbar sein sollte. Die von Michelson und Morley gemesse- praktisch unbeobachtbar, da eine Drehung der Apparatur zu kei-
nen Laufzeitunterschiede waren aber innerhalb der Messgenau- nen Laufzeitunterschieden führt. Effekte könnten sich nur durch
igkeiten mit null verträglich, obwohl die Empfindlichkeit der eine Änderung des Betrags von v ergeben, wenn beispielsweise
Apparatur mehr als ausreichend war. In Abb. 9.5 sind die Mess- das Sonnensystem als Ganzes gegenüber dem Äther in Bewe-
ergebnisse mit einem Achtel des erwarteten Wertes verglichen, gung ist und sich die Bahngeschwindigkeit der Erde im Lauf
der sich ergibt, wenn für v die Orbitalgeschwindigkeit der Er- des Jahres einmal zur Geschwindigkeit der Sonne addiert und
de (etwa 30 km=s) um die Sonne eingesetzt wird. (Ein fast 100- ein halbes Jahr später entgegengerichtet ist.
mal so großer Effekt wäre übrigens zu erwarten, wenn die Ge- Lorentz, der irische Physiker Joseph Larmor (1857–1942) und
schwindigkeit eingesetzt wird, mit der das Sonnensystem um der französische Mathematiker Henri Poincaré (1854–1912)
das Zentrum der Milchstraße läuft.) stießen aber in der Folge auf die von Poincaré nach Ersterem
324 9 Spezielle Relativitätstheorie

innere Vakuumhülle 1905). Dennoch hielt Poincaré wie zuvor Lorentz an der Vor-
stellung eines Äthers fest, der – wenn auch unbeobachtbar – den
Wassermantel absoluten Raum und die absolute Zeit definieren sollte.
(Temperatur konstant
bei ±0,001◦ C) Einstein, der die Arbeiten von Lorentz kannte, kam unabhängig
von Poincaré zu demselben Schluss, war aber radikaler in sei-
Quarz- nem Denken und verzichtete komplett auf die Vorstellung eines
platte Äthers und einer damit verbundenen absoluten Zeit. 1905 for-
mulierte er in einer von drei bahnbrechenden Arbeiten (Einstein
1905) seine spezielle Relativitätstheorie mit einem einschnei-
denden Zusatz zum klassischen Relativitätsprinzip.
Detektor

Postulate der speziellen Relativitätstheorie


Relativitätsprinzip In allen zueinander gleichförmig be-
wegten Bezugssystemen (Inertialsystemen) laufen physi-
Linse
kalische Vorgänge bei gleichen Bedingungen gleich ab.
Konstanz der Lichtgeschwindigkeit In allen Inertialsys-
Abb. 9.6 Aufbau des Kennedy-Thorndike-Experiments aus dem Jahr temen ist die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum (unab-
1932
hängig vom Bewegungszustand der Quellen) gleich groß.
Kapitel 9

benannte Lorentz-Transformation, bei der neben räumlichen


Die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist im Widerspruch
Abständen auch Zeitintervalle vom Bewegungszustand gegen-
zur Galilei-Invarianz der Newton’schen Mechanik, die wir in
über dem Äther abhängig wurden. Demzufolge
p sollten Prozesse
Kap. 2 diskutiert haben. Diese kann also nur näherungswei-
im bewegten System um einen Faktor 1  v 2 =c2 langsamer
se gültig sein, solange alle Geschwindigkeiten klein gegenüber
ablaufen, effektiv beschrieben durch eine lokale Zeit; damit soll- der Lichtgeschwindigkeit sind, und ist durch eine relativistische
te die Ätherdrift komplett unbeobachtbar werden: Mechanik zu ersetzen.
1
Œt1  t2 Äther D p Œt1  t2 lokal Für Einstein war das berühmte Michelson-Morley-Experiment
1  v 2 =c2 übrigens nicht ausschlaggebend. Er war bereits durch das Fi-
(9.12)
2Œl Ruhe  l2Ruhe  1 zeau’sche Mitführungsexperiment davon überzeugt, dass die
D 1 p ; Vorstellung eines universellen Äthers unhaltbar war (man muss-
c 1  v 2 =c2 te ja für jede Farbe einen eigenen Äther annehmen), und konnte
woraus folgt: später nicht mehr sagen, ob er 1905 vom Michelson-Morley-Ex-
periment überhaupt wusste (Holton 1969; Fölsing 1999). Das
2.l1Ruhe  l2Ruhe / Michelson-Morley-Experiment war allerdings für Lorentz ein
Œt1  t2 lokal D : (9.13)
c Schlüsselexperiment, und dessen von Einstein als ungenügend
empfundene Hypothesen bereiteten den Weg für die spezielle
Eine experimentelle Bestätigung, dass auch der Betrag von v Relativitätstheorie. Lorentz zollte Einsteins Relativitätstheorie
keinen Einfluss auf die Laufzeitunterschiede hat, gelang erst später jeden Respekt, auch wenn er selbst weiterhin der Äther-
viel später, 1932, in einem Experiment von R. J. Kennedy vorstellung nicht abschwören wollte. Michelson, der 1907 den
und E. M. Thorndike (Abb. 9.6). In diesem wurde eine Va- Nobelpreis für sein Interferometer und die damit verbunde-
riante des Michelson-Interferometers verwendet, mit ungleich nen neuen messtechnischen Möglichkeiten erhielt, bedauerte
langen Interferometerarmen, starr auf einer thermisch isolier- dagegen zeitlebens seinen Beitrag zum „Monstrum“ der Rela-
ten Quarzplatte montiert, sodass es über mehrere Monate stabile tivitätstheorie.
Beobachtungen zuließ.

Einstein’sches Relativitätsprinzip Relativität der Gleichzeitigkeit

Mit der Invarianz aller elektrodynamischen Phänomene unter Der radikale Schritt Einsteins bestand darin, die Konstanz der
der von Lorentz und Larmor gefundenen Transformation, die Vakuumlichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen zu einem
1905 von Poincaré nachgewiesen wurde, war der Äther unbeob- Axiom zu erheben, sodass es nicht mehr nur um elektromagneti-
achtbar geworden. Poincaré formulierte dies noch vor Einstein sche Phänomene ging, sondern um die Grundlage der gesamten
sogar als Prinzip der Relativität und der Unmöglichkeit, ei- Physik. Insbesondere musste die bisherige Vorstellung einer
ne absolute Bewegung experimentell festzustellen (Poincaré absoluten Zeit aufgegeben werden, die in der Newton’schen
9.2 Lorentz-Transformationen 325

A A y y y y

v −v
B C B C
v
vt vt
Abb. 9.7 Wird in der Mitte einer Rakete ein Licht eingeschaltet (Ereig-
nis A), so werden die gegenüberliegenden Wände für einen Beobachter, x x x x
der in demselben Inertialsystem ruht, gleichzeitig erhellt (Ereignisse
B und C). Bewegt sich die Rakete gegenüber dem Beobachter, dann z z
können B und C für diesen wegen der Konstanz der Lichtgeschwindig- z z
keit nicht mehr gleichzeitig sein, da das Licht für ihn unterschiedliche
Strecken zurückzulegen hat. (Wegen der Lorentz-Kontraktion ist die be- Abb. 9.8 Standardkoordinatenwahl für die Transformation zwischen
wegte Rakete auch noch kürzer für diesen Beobachter, was aber keinen zwei Inertialsystemen, die sich mit Geschwindigkeit v zueinander
Unterschied für die Asymmetrie macht, die die Gleichzeitigkeit von B bewegen. Bei t D t0 D 0 sollen sie ihren gemeinsamen Koordinatenur-
und C aufhebt.) sprung haben, die x- und x0 -Achsen sollen parallel zu v sein, und es soll
keine Drehung um letztere im Spiel sein

Mechanik unabhängig vom Bezugssystem für jeden Beobach-


ter gleich verrinnt und deshalb in den Galilei-Transformationen
(2.40) bis auf eine mögliche Verschiebung des Zeitnullpunktes
9.2 Lorentz-Transformationen
unverändert bleibt.
Wir wollen nun unter Aufgabe einer absoluten Zeit die Transfor-

Kapitel 9
Das Relativitätsprinzip und die Konstanz der Lichtgeschwindig-
keit sind aber mit einer absoluten Zeit unvereinbar, wie leicht mationsgleichungen zwischen zwei Inertialsystemen S und S0
einzusehen ist. Nehmen wir als ein Beispiel eine gleichförmig herleiten, die sich mit einer Geschwindigkeit v < c zueinander
bewegte Rakete, in der exakt in der Mitte eine Lichtquelle einge- bewegen, und zwar so, dass das Postulat der Konstanz der Licht-
schaltet wird. Für alle Beobachter im Inertialsystem der Rakete geschwindigkeit respektiert wird. Als Standardkoordinatenwahl
wird die vordere und hintere Wand der Rakete gleichzeitig er- werden wir in beiden Systemen kartesische Koordinaten ver-
hellt (Abb. 9.7). Wird dies aber aus dem Inertialsystem einer wenden, die zum Zeitpunkt t D t0 D 0 einen gemeinsamen
anderen Rakete, die sich mit großer Geschwindigkeit gegenüber Koordinatenursprung haben und die so orientiert sind, dass sich
der ersten bewegt, beobachtet, ergibt sich ein anderes Bild. Auch das System S0 entlang der positiven x-Achse von S bewegt. Es
in diesem Inertialsystem breitet sich das Licht in alle Richtun- soll auch keine Drehung im Spiel sein, sodass die Ebenen y D 0
gen mit der gleichen Geschwindigkeit aus, aber die vordere und und z D 0 den Ebenen y0 D 0 und z0 D 0 entsprechen (Abb. 9.8).
hintere Wand der ersten Rakete bewegt sich nun vom Punkt, Mit Galilei-Transformationen entspräche dies (2.40) mit R D I,
wo das Licht seinen Ursprung hat, weg bzw. auf ihn zu. Das b0 D 0 und t0 D 0, nämlich x0 D x  vt, y0 D y, z0 D z,
Licht muss daher in der einen Richtung eine längere und in der t0 D t, und dies sollte im Grenzfall c ! 1 auch bei den relati-
anderen eine kürzere Strecke durchlaufen, sodass für das be- vistischen Transformationsgleichungen wieder herauskommen.
wegte Inertialsystem die vordere und die hintere Wand in der (Für Galilei-Transformationen hatte man übrigens vor Einstein
ersten Rakete nicht mehr gleichzeitig erhellt werden. Wenn sich keinen eigenen Namen. Diese erschienen einfach zu selbstver-
die Rakete gegenüber dem zweiten Inertialsystem nach vorne ständlich. Erst 1909 führte der österreichische Physiker und
bewegt, wird die hintere Wand zuerst erhellt, ansonsten ist die Philosoph Philipp Frank, 1884–1966, diese Bezeichnung ein.)
zeitliche Reihenfolge gerade vertauscht.
Es ist nicht verwunderlich, dass vor Einstein kein Physiker an Für die Suche nach verallgemeinerten, relativistischen Transfor-
der absoluten Zeit rütteln wollte, schon gar nicht an Begriffen mationsgleichungen können wir uns auf lineare Transformatio-
wie „Gleichzeitigkeit“ und „zeitliche Abfolgen“, denn eine sau- nen beschränken, denn ansonsten würden gerade gleichförmig
bere Trennung von Vergangenheit und Zukunft ist unabdingbar durchlaufene (und damit kräftefreie) Teilchenbahnen in S nicht
für Kausalität und Berechenbarkeit. Es wird auch nur dann zu auf solche in S0 abgebildet werden. Mit den Forderungen
keinem Problem, wenn es keine Möglichkeit gibt, die Lichtge-
schwindigkeit zu überschreiten (was in der Newton’schen Me- x0 D 0 () x D vt;
chanik mit den Galilei-Transformationen aber möglich wäre). xD0 () x0 D vt0 ;
(9.14)
y0 D 0 () y D 0;
Frage 1
z0 D 0 () z D 0;
Erweitern Sie das Gedankenexperiment mit den zueinander be-
wegten Raketen um ein mit Überlichtgeschwindigkeit von einer
Wand zur anderen fliegendes Insekt, und überlegen Sie sich, die jeweils für alle nicht beteiligten Koordinaten zu erfüllen
dass es zugleich in einem Inertialsystem vorwärts in der Zeit sind, ist diese lineare Transformation weiter eingeschränkt auf
und im anderen rückwärts in der Zeit reisend erscheinen könnte.
Q
x0 D A.x  vt/; y0 D Cy; z0 D Cz: (9.15)
326 9 Spezielle Relativitätstheorie

Da die zweite Forderung in (9.14) für alle y und z zu gelten hat,


bleibt als möglicher linearer Ansatz für die Transformation der Lorentz-Transformation in x-Richtung
Zeit
t0 D Bt  Dx: (9.16) In Matrixform geschrieben lautet die Lorentz-Transforma-
tion von einem Inertialsystem S auf ein Inertialsystem S0 ,
Da x D 0 nun x0 D vt0 verlangt und für x D 0 einerseits das sich gegenüber S mit Geschwindigkeit v D ˇ c in po-
x0 D Avt und weiter t0 D Bt ist, können wir B D A setzen. sitiver x-Richtung bewegt:
0 01 0 1 0 1
Die Koeffizienten C und CQ können aufgrund der Isotropie des ct  ˇ 0 0 ct
Raumes nur vom Betrag von v abhängen, treten also unverändert B x0 C Bˇ  C BxC
B C B 0 0C B C
bei der inversen Transformation auf, sodass auch y D Cy0 , z D B 0C D B C B C ; (9.21)
Q 0 und damit C2 D CQ 2 D 1 sein muss. Wenn wir C D 1 und @y A @ 0 0 1 0A @ y A
Cz
CQ D 1 ausschließen, was einer bloßen Spiegelung von y bzw. z0 0 0 0 1 z
„ ƒ‚ …
z entsprechen würde, können wir schon einmal ƒ.v/

y0 D y; z0 D z (9.17) mit den gebräuchlichen Abkürzungen


v 1
setzen. ˇ WD ;  WD p : (9.22)
c 1  ˇ2
Aufgrund der postulierten Konstanz der Lichtgeschwindigkeit
müssen die restlichen Koeffizienten nun so beschaffen sein, dass Die inverse Transformation zu dieser „Standard-Lorentz-Trans-
eine (notwendigerweise isotrope) Lichtausbreitung in S einer formation“ ist durch v ! v bzw. ˇ ! ˇ gegeben,
solchen in S0 entspricht. Betrachten wir dazu eine Kugelwelle,
Kapitel 9

ƒ1 .v/ D ƒ.v/, also


die im Koordinatenursprung bei t D t0 D 0 emittiert wird. In S 0 1 0 1 0 01
ist diese durch ct  ˇ 0 0 ct
B x C Bˇ  0 0C B x0 C
x2 C y2 C z2 D c2 t2 (9.18) B C B C B C
B CDB C B C: (9.23)
@yA @ 0 0 1 0A @ y0 A
gegeben und in S0 durch
z 0 0 0 1 z0
x02 C y02 C z02 D c2 t02 Frage 3
D A2 .x2  2xvt C v 2 t2 / C y2 C z2 (9.19) Verifizieren Sie durch Ausmultiplizieren dieser Matrizen, dass
sie tatsächlich zueinander invers sind! Zeigen Sie außerdem:
D c2 .A2 t2  2ADtx C D2 x2 /:
det ƒ.v/ D 1: (9.24)
Übereinstimmung mit (9.18) wird erreicht durch

1 v In obiger symmetrischer Form publizierte Poincaré diese Trans-


ADBD p ; DD A; (9.20) formation 1905 wenige Wochen, bevor Einstein seine Arbeit zur
1 v 2 =c2 c2
speziellen Relativitätstheorie einreichte, und nannte sie Lorentz-
wobei wir die positive Wurzel wählen, damit für v D 0 die Transformation (Poincaré 1905). Diese Transformation wurde
Transformation zur Identität wird (und nicht zu einer noch mög- von Lorentz 1892 in einer Form aufgestellt, die bei der Trans-
lichen Spiegelung von x und t). formation der Zeitvariablen Fehler der Ordnung v 2 =c2 zuließ.
Erstmals komplett formulierte sie Larmor 1897. Eine Version,
die sich nur durch eine Skalentransformation davon unterschei-
Frage 2
det, wurde übrigens bereits 1887 vom Göttinger Physiker Wol-
Rechnen Sie dies nach! demar Voigt (1850–1919) bei der Analyse der Wellengleichung
gefunden (Voigt 1887), war ihrer Zeit aber zu weit voraus, um
Im Grenzfall c ! 1 ist offensichtlich A D B D 1 und D D 0, voll verstanden zu werden, und blieb unbeachtet. (Skalentrans-
und alles reduziert sich auf die einfachen Galilei-Transforma- formation bedeutet hier, dass alle Längen- und Zeiteinheiten um
tionen. Nur in diesem Fall hat die Zeit bis auf Verschiebungen einen gemeinsamen Faktor verändert werden. Die Physik ist im
des Zeitnullpunktes eine absolute Bedeutung. Wie wir schon Allgemeinen nicht invariant unter Skalentransformationen, die
aus dem Relativitätsprinzip gefolgert haben, muss eine endliche Wellengleichung dagegen schon.)
invariante Geschwindigkeit c zu einer nichttrivialen Transfor-
mation der Zeitkoordinate führen.
Bevor wir weitere Konsequenzen diskutieren, werden wir zu- Lorentz- und Poincaré-Gruppe
nächst unseren Formalismus zur Umrechnung zwischen Inerti-
alsystemen den neuen Gegebenheiten anpassen und die Trans- Poincaré zeigte auch bereits 1905, dass die Lorentz-Transforma-
formationsgleichungen in Matrixnotation zusammenfassen. tionen für beliebig orientierte Geschwindigkeiten v mit jvj < c
9.2 Lorentz-Transformationen 327

Vertiefung: Lorentz-Transformation als imaginäre Drehung


Geschwindigkeit und Rapidität

Wie Poincaré schon 1905 bemerkte, geht die Lorentz-Trans- C1 reicht. Diese Variable wird häufig in der Hochenergie-
formation in eine gewöhnliche Drehung über, wenn die Zeit physik verwendet, wo Geschwindigkeiten sehr nahe bei c
rein imaginär gewählt wird, ct D ix4 . Eine Drehung in der vorkommen und daher ˇ eine unpraktische Größe darstellt.
x-x4 -Ebene kann durch eine Matrix Besonders nützlich ist darüber hinaus, dass im Gegensatz zu
! ! ! ˇ die Rapidität  eine additive Größe ist. So wie sich Dreh-
x0 cos ' sin ' x winkel einfach addieren, wenn immer um die gleiche Achse
D
x04  sin ' cos ' x4 gedreht wird, so addieren sich bei Geschwindigkeitstransfor-
mationen in ein und derselben Richtung die entsprechenden
dargestellt werden. Mit  D i', cos ' D cosh , i sin ' D Werte von . Das relativistische Additionstheorem für gleich-
sinh  erhält man gerichtete Geschwindigkeiten (9.31) wird mit ˇ D tanh 1 ,
! ! ! ˇw0 D tanh 2 und ˇw D tanh 3 schlicht (Aufgabe 9.5):
ct0 cosh   sinh  ct
D
x0  sinh  cosh  x 1 C 2 D 3 :
! !
 ˇ ct
D β
ˇ  x

Kapitel 9
tanh ξ
mit der Identifikation 1
v
ˇ  D tanh ;  D cosh :
c
ξ
Die neue Variable (Abb. 9.9)
1 1Cˇ −1
 D artanh ˇ  ln
2 1ˇ
wird Rapidität (rapidity) genannt und hat einen Wertebe- Abb. 9.9 Die Geschwindigkeit ˇ D v=c als Funktion der Rapidi-
reich, der im Gegensatz zu ˇ 2 .1; 1/ von 1 bis tätsvariablen : ˇ D tanh 

zusammen mit den räumlichen Drehungen eine mathematische invariant bleiben. Sie sind also durch Matrizen
Gruppe bilden. Die Lorentz-Transformationen unter Ausschluss !
von Drehungen werden im Folgenden gelegentlich als „rei- 1 0>
ƒ.R/ D (9.26)
ne Geschwindigkeitstransformationen“ bezeichnet (in der eng- 0 R
lischsprachigen Literatur wird dafür der Ausdruck Lorentz boost
verwendet). Die gesamte Lorentz-Gruppe verallgemeinert die dargestellt, wobei R eine orthogonale Matrix (R> D R1 ) ist.
orthogonale Gruppe der dreidimensionalen Drehungen auf vier-
dimensionale Transformationen, welche die quadratische Form Die räumlichen Drehungen bilden eine Untergruppe: Zwei be-
liebige Drehungen hintereinander ausgeführt ergeben wieder
s2 WD c2 t2  x2  y2  z2 (9.25) eine Drehung. Für beliebige Geschwindigkeitstransformationen
gilt dies nicht unbedingt, das Resultat kann eine Kombination
invariant lassen. In obiger Herleitung der Lorentz-Transforma- einer Geschwindigkeitstransformation mit einer Drehung sein
tionen haben wir bei dem Vergleich von (9.18) und (9.19) primär (siehe hierzu den Abschnitt „So geht’s weiter“ am Ende dieses
gefordert, dass s2 D 0 auf s02 D 0 führt. Da wir aber mit y0 D y Kapitels).
und z0 D z dafür gesorgt haben, dass eine zusätzliche Res- Werden zwei Geschwindigkeitstransformationen mit gleichge-
kalierung aller Koordinaten ausgeschlossen wurde, haben wir richteten Relativgeschwindigkeiten hintereinander ausgeführt,
tatsächlich die Invarianz von s2 verwendet. (Verlangt man nur ist das Ergebnis wieder eine reine Geschwindigkeitstransforma-
die Invarianz von s2 D 0, so führt dies auf die größere Gruppe tion. Allerdings addieren sich Geschwindigkeiten nicht länger
der konformen Transformationen; die Physik ist darunter aber einfach.
nur in Ausnahmefällen invariant.)
Betrachten wir dazu drei Inertialsysteme, S, S0 und S00 . S0 soll
Die dreidimensionalen Drehungen sind diejenigen Lorentz- sich wieder mit Geschwindigkeit v in positive x-Richtung be-
Transformationen, bei denen separat x2 C y2 C z2 und die Zeit t züglich S bewegen. Bezüglich S0 soll sich das dritte System S00
328 9 Spezielle Relativitätstheorie

mit Geschwindigkeit w 0 bewegen, ebenfalls in positive x-Rich- und die drei Parameter, die eine zusätzliche Drehung festlegen
tung: (z. B. die drei Euler-Winkel). Eine allgemeine Lorentz-Trans-
ƒ.v/ ƒ.w0 / formationsmatrix, die über diese Parameter kontinuierlich mit
S ! S0 ! S00 :
der Einheitsmatrix verbunden ist, lässt sich immer durch das
Wir wollen nun wissen, mit welcher Geschwindigkeit w sich S00 Produkt von zwei Drehungen und der Standard-Lorentz-Trans-
bezüglich des Ausgangssystems S bewegt: formation (9.21) in x-Richtung darstellen:
0 1
ƒ.w/ !  ˇ 0 0 !
! S00 :
S
1 0> B 0 0C
Bˇ  C 1 0>
ƒD B C ; (9.32)
Für die Transformationsmatrizen bedeutet dies 0 R2 @ 0 0 1 0A 0 R1
0 0 0 1
ƒ.w0 / ƒ.v/ D ƒ.w/: (9.27)
wobei die erste Drehmatrix das Koordinatensystem von S so
dreht, dass der Geschwindigkeitsvektor v, mit dem sich S0 be-
Frage 4
züglich S bewegt, in positive x-Richtung zeigt. Ist v D 0, so
Begründen Sie, warum hier ƒ.v/ rechts von ƒ.w0 / steht (auch kombinieren sich die beiden Drehungen natürlich auf eine ein-
wenn das für die folgende Rechnung nicht wichtig ist). zige Drehmatrix.
Eine reine Geschwindigkeitstransformation ergibt sich für R2 D
Wir betrachten also R1 >
1 D R1 . Diese hat dann die Form
0 1 0 1 !
w 0 ˇw0 w0 0 0 v ˇv v 0 0   v>=c
Bˇ 0  0 (9.33)
0C Bˇ  0C
>
B w w w 0 0 C B v v v 0 C  v=c I C .  1/ vvv2
Kapitel 9

B C B C
@ 0 0 1 0A @ 0 0 1 0A und ist im Gegensatz zur allgemeinsten Lorentz-Transformati-
0 0 0 1 0 0 0 1 onsmatrix symmetrisch. Um das Ergebnis (9.33) einzusehen,
0 1 genügt es, sich davon zu überzeugen, dass dies für v D
w0 v .1 C ˇw0 ˇv / w0 v .ˇw0 C ˇv / 0 0 .v; 0; 0/> gerade die Standard-Lorentz-Transformation (9.21)
B 0  .ˇ 0 C ˇ / 0C
B w v w v w0 v .1 C ˇw0 ˇv / 0 C gibt und dass Drehmatrizen R1 und R2 D R> 1 die Spalten- und
DB C
@ 0 0 1 0A Zeilenvektoren v> und v in eine beliebige Richtung drehen.
0 0 0 1
0 1 Frage 5
w ˇw w 0 0 Zeigen Sie anhand von (9.33), dass zwei reine Geschwindig-
Bˇ  w 0 0C keitstransformationen hintereinander ausgeführt im Allgemei-
Š B w w C
DB C: nen keine reine Geschwindigkeitstransformation ergeben kön-
@ 0 0 1 0A
nen, weil die resultierende Matrix nicht mehr symmetrisch ist,
0 0 0 1 wenn die Geschwindigkeitsvektoren v1 und v2 in unterschiedli-
(9.28) che Richtungen zeigen.
Ein Vergleich der letzten beiden Matrizen ergibt

w0 v .1 C ˇw0 ˇv / D w ; w0 v .ˇw0 C ˇv / D ˇw w ; Zwei reine Geschwindigkeitstransformationen hintereinander


(9.29) ausgeführt ergeben eine reine Geschwindigkeitstransformation
woraus bei Division dieser beiden Gleichungen in einer Richtung, die in der von v1 und v2 aufgespannten Ebe-
ne liegt, kombiniert mit einer Drehung, wobei die Drehachse
ˇw 0 C ˇv
ˇw D (9.30) sowie die Größe der Drehung durch den axialen Vektor v1  v2
1 C ˇw 0 ˇv bestimmt sind. Explizite allgemeine Formeln dafür sind etwas
bzw. unübersichtlich (Sexl & Urbantke 1992); in Aufgabe 9.7 wird
w0 C v der Fall, dass eine der beiden Geschwindigkeiten klein ist, be-
wD (9.31) handelt, was ausreicht, um den in der Atomphysik wichtigen
1 C w 0 v=c2
Effekt der Thomas-Präzession herzuleiten, der am Ende des Ka-
folgt. Wir sehen, dass es unmöglich ist, durch die Addition von pitels im Abschnitt „So geht’s weiter“ diskutiert wird.
zwei Geschwindigkeiten, die beide kleiner als c sind, die Licht-
geschwindigkeit zu überschreiten. So ergibt sich im Extremfall Zusätzlich zu diesen Transformationen gibt es noch drei diskre-
w 0 D v D c ebenfalls w D .c C c/=2 D c. (Das Additions- te Operationen, die (9.25) unverändert lassen: Zeitspiegelung
theorem für beliebige, nicht gleichgerichtete Geschwindigkeiten .T/, räumliche Spiegelung .P/, auch Paritätstransformation
werden wir in Abschn. 9.4 herleiten.) genannt, und die Kombination von beiden .PT/ mit Transfor-
mationsmatrizen:
Die gesamte Gruppe der Lorentz-Transformationen, die Dre- ! !
hungen und Geschwindigkeitstransformationen beinhaltet, ist 1 0> 1 0>
ƒ.T/ D ; ƒ.P/ D ; ƒ.PT/ D I4 :
durch sechs kontinuierlich veränderliche Größen parametri- 0 I 0 I
siert: die drei Komponenten eines Geschwindigkeitsvektors v (9.34)
9.2 Lorentz-Transformationen 329

Vertiefung: Komponenten der Lorentz-Gruppe


Diskrete Symmetrien und deren Verletzung in der Teilchenphysik

Wären alle Vorzeichen in der quadratischen Form s2 in (9.25) die mit der sogenannten schwachen Kernkraft zusammen-
gleich, hätten wir einfach orthogonale Transformationen hängen, gefunden. (Die Verletzung der Zeitspiegelungsin-
in vier Dimensionen vorliegen, was gruppentheoretisch als varianz ergibt sich dabei indirekt aus einer Verletzung der
O(4) notiert würde (siehe auch den „Mathematischen Hinter- kombinierten Symmetrie von Raumspiegelung (P) und Aus-
grund“ Bd. 3, (7.1)). Weil s2 nicht mehr positiv definit ist, tausch von Teilchen mit ihren Antiteilchen (C für charge
spricht man von pseudoorthogonalen Transformationen. Die conjuction oder Ladungskonjugationssymmetrie), was als
Lorentz-Gruppe ist speziell die pseudoorthogonale Gruppe CP-Verletzung bezeichnet wird.)
O(3,1), wobei das Zahlenpaar die Vorzeichenstruktur in s2
Die Paritätsverletzung der schwachen Kernkraft war 1956
angibt und ein globaler Vorzeichenwechsel keinen Unter-
von den chinesisch-stämmigen amerikanischen theoretischen
schied macht: O(1,3) und O(3,1) sind identische Gruppen.
Physikern Tsung-Dao Lee (*1926) und Chen-Ning Yang
Die Lorentz-Transformationen, bei denen keine zeitlichen (*1922) postuliert und 1957 von der chinesisch-amerika-
oder räumlichen Spiegelungen inkludiert sind, heißen eigent- nischen Physikerin Chien-Shiung Wu (1912–1997) experi-
liche orthochrone (zeitrichtige) Lorentz-Transformationen. mentell nachgewiesen worden. Die CP-Verletzung ist im
Vergleich zur Paritätsverletzung ein noch subtilerer Effekt.
Die Bezeichnung „eigentlich“ bezieht sich dabei auf die Ei-
Entdeckt wurde sie (völlig überraschend) 1964 von den
genschaft det ƒ D 1 (siehe „Mathematischen Hintergrund“
amerikanischen Physikern James Cronin (1931–2016) und
2.2), was auch von ƒ.PT/ erfüllt wird. Gruppentheoretisch

Kapitel 9
Val Fitch (1923–2015) im Zerfall von neutralen K-Meso-
wird dies SO(3,1) notiert, wobei „S“ für „speziell“, in diesem
nen (auch Kaonen genannt). Erst viel später, 2001, wurde
Zusammenhang ein Synonym für „eigentlich“, steht.
sie auch bei weiteren Elementarteilchen, den sogenannten
Bezeichnen wir orthochrone und nichtorthochrone Trans- B-Mesonen, durch das amerikanische BaBar- und das japa-
formationen mit einem oberen Index " bzw. # und die nische BELLE-Experiment (Abb. 9.10) nachgewiesen. Die
möglichen Werte der Determinante ˙1 mit einem unteren In- CP-Verletzung hängt eng mit der noch völlig ungeklärten
dex ˙, so können wir zusammenfassend die Lorentz-Gruppe Frage zusammen, warum unser Universum so viel mehr Ma-
in vier disjunkte Komponenten zerlegen: terie als Antimaterie enthält.
" #
L  O.3;1/ D LC [ LC [ L" [ L# :
„ ƒ‚ …
SO.3;1/

"
Die Komponente LC D SO.3;1/" beinhaltet die Identität
und wird daher auch als Komponente der Einheit bezeich-
net. Sie bildet eine zusammenhängende Mannigfaltigkeit
(siehe den „Mathematischen Hintergrund“ 5.1), weil ihre
Elemente durch eine kontinuierliche Variation von Parame-
tern ineinander übergeführt werden können. Die anderen
Zusammenhangskomponenten sind als Mannigfaltigkeit be-
trachtet Kopien, die sich durch Kombination aller Elemente
"
der Lie-Gruppe LC mit den diskreten Operationen T, P und
PT ergeben:
" " # "
L" D PLC ; L# D T LC ; LC D PT LC : Abb. 9.10 Schema des BELLE-Experiments am japanischen Teil-
chenbeschleunigerzentrum KEK in Tsukuba, mit dem die CP-
(Für eine ausführlichere Diskussion des Begriffs „Lie-Grup- Verletzung bei B-Mesonen untersucht wird
pe“ siehe den „Mathematischen Hintergrund“ Bd. 3, 7.1.)
Die spezielle Relativitätstheorie und darauf aufbauende Literatur
Theorien bis hin zu relativistischen Quantenfeldtheorien ver-
langen in Wirklichkeit nur Invarianz der Naturgesetze unter Sexl, R.U., Urbantke, H.K.: Relativität, Gruppen, Teil-
"
der Gruppe LC . Tatsächlich hat man in der Teilchenphysik chen. Springer Verlag, 1992
sowohl Paritätsverletzung als auch Verletzung der Zeitspie- Griffiths, D.: Introduction to Elementary Particles.
gelungsinvarianz in den fundamentalen Wechselwirkungen, 2. Aufl., Wiley-VCH, 2008
330 9 Spezielle Relativitätstheorie

Jede dieser Transformationen ergibt nur Sinn als passive Trans- (a) (b)
formation der Koordinaten, d. h., sie können im Gegensatz zu ct
den Drehungen und Geschwindigkeitstransformationen nicht
durch eine aktive Veränderung des Inertialsystems selbst in-
duziert werden. (Für mathematische und auch physikalische
Implikationen siehe den Kasten „Vertiefung: Komponenten der (c)
Lorentz-Gruppe“.)
Lässt man zusätzlich zu diesen Lorentz-Transformationen auch
noch eine Verschiebung des Koordinatenursprungs zu,
0 01 20 1 0 13
ct ct ct0
B x0 C 6B x C B x C7
B C 6B C B 0 C7
B 0 C D ƒ 6B C  B C7 ; (9.35)
@y A 4@ y A @ y0 A5
z0 z z0 x

so spricht man von der (zehnparametrigen) Poincaré-Gruppe.


Diese verallgemeinert die Gruppe der Galilei-Transformationen, Abb. 9.11 Minkowski-Diagramm mit Weltlinien für ein ruhendes Teil-
bei der wir ja auch Verschiebungen des Koordinatenursprungs chen (a), ein ungleichförmig bewegtes Teilchen, dessen Geschwindig-
keit überall unter der Lichtgeschwindigkeit bleibt (b), und ein Photon,
und des Zeitnullpunktes zugelassen haben. Im Folgenden wer-
das sich mit Lichtgeschwindigkeit nach rechts bewegt (c)
den wir aber der Einfachheit halber immer den Koordinatenur-
sprung und Zeitnullpunkt für unterschiedliche Inertialsysteme
Kapitel 9

zusammenfallen lassen. speziellen Relativitätstheorie Einsteins entwickelte. Minkowski


(1909), der am Polytechnikum in Zürich Ende der 1890er Jahre
Einsteins Lehrer gewesen war, stellte seinen vierdimensionalen
9.3 Minkowski-Raum Raum in einem Vortrag in Köln 1908 mit den pathetischen Wor-
ten vor: „Von Stund an sollen Raum für sich und Zeit für sich
völlig zu Schatten herabsinken und nur noch eine Art Union der
Die symmetrische Struktur der Lorentz-Transformationsmatrix beiden soll Selbständigkeit bewahren.“
(9.21), bei der Raum- und Zeitkoordinaten, letztere multipliziert
mit c, gleichermaßen transformiert werden, legt eine vierdimen- Im Minkowski-Raum wird ein ausdehnungsloses Punktteilchen
sionale Beschreibung mit Koordinaten durch eine eindimensionale Weltlinie dargestellt, die seine ge-
samte Geschichte wiedergibt. Wenn man auf die Darstellung
0 1
ct von zumindest einer räumlichen Dimension verzichten kann,
BxC lassen sich die Prozesse im Minkowski-Raum durch Minkowski-
B C
x D B C ;  2 f0; 1; 2; 3g (9.36) Diagramme wiedergeben, die für die Diskussion und Auflösung
@yA
der scheinbaren Paradoxa der speziellen Relativitätstheorie äu-
z ßerst hilfreich sind. In diesen werden traditionellerweise die
zeitartige Koordinate eines Inertialsystems S, ct, als vertika-
nahe. Der Index , der nun vier Werte zu durchlaufen hat, wird
le Achse und ein bis maximal zwei räumliche Koordinaten
dabei willkürlich oben notiert (was im Folgenden noch eine
durch horizontale Achsen dargestellt. Eine physikalisch mög-
spezielle Bedeutung gewinnen wird), und der zusätzliche In-
liche Weltlinie eines Teilchens mit Masse ist dann eine Linie,
dex für die Koordinate ct wird als nullter vereinbart: x0 WD ct.
die überall eine Steigung von mindestens 45ı hat. Ist die Linie
Indizes, die mit griechischen Kleinbuchstaben notiert werden,
vertikal, dann ruht das Teilchen gerade im betrachteten Inertial-
werden im Folgenden immer von 0 bis 3 laufen; lateinische
system. Lichtsignale (quantentheoretisch masselose Photonen)
Kleinbuchstaben bleiben für räumliche Komponenten von 1 bis
haben im Vakuum Weltlinien, die mit exakt 45ı verlaufen
3 reserviert.
(Abb. 9.11).
Achtung Die nun hochgestellten Indizes dürfen natürlich
nicht mit Exponenten verwechselt werden. Ob es sich in einem
konkreten Fall um obere Indizes oder Exponenten handelt, wird
sich immer eindeutig aus dem Zusammenhang ergeben. J Geometrische Darstellung der Lorentz-
Ein Punkt des vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums, der
Transformation in einem Minkowski-Diagramm
in einem Bezugssystem durch die Koordinaten x beschrie-
ben wird, wird als Ereignis bezeichnet. Das gesamte Raum- In einem Minkowski-Diagramm können wir auch übersichtlich
Zeit-Kontinuum bildet den Minkowski-Raum, benannt nach dem darstellen, mit welchen Koordinaten ein gegenüber S bewegtes
deutschen Mathematiker Hermann Minkowski (1864–1909), Inertialsystem S0 die Ereignisse parametrisiert, die in S mit obi-
der 1908 eine konsequent vierdimensionale Formulierung der gem rechtwinkligen Koordinatensystem dargestellt werden.
9.3 Minkowski-Raum 331

ct ct ct

ct ct
ct

βγ 1
γ
x x
1 1
1 1 1

1

1
βγ
x
α
α 1
1 γ x
1 x

Abb. 9.12 Geometrische Darstellung der Lorentz-Transformation in ei- 1
nem Minkowski-Diagramm (gezeichnet für den Wert ˇ D 3=5 D 0;6,
bei dem auch  eine rationale Zahl ist, nämlich  D 5=4 D 1;25) x

Kapitel 9
Abb. 9.13 Die räumlichen und zeitartigen Einheitsvektoren von ver-
Dazu beschränken wir uns auf die Koordinaten ct und x und schiedenen Inertialsystemen S0 ; S00 ; : : : liegen im Minkowski-Dia-
stellen die Linien, die zu ct0 D 0 und x0 D 0 gehören, in den gramm von S auf Einheitshyperbeln
ungestrichenen Koordinaten dar. Die inverse Lorentz-Transfor-
mation (9.23) ergibt
! ! ! auf einem Ast der Einheitshyperbel x02  c2 t02 D 1 und die zeit-
ct  ˇ ct0 artigen auf x02  c2 t02 D 1 (mit einer beliebigen Maßeinheit
D
x ˇ  x0 für die Länge).
! ! ! !
 ˇ 1 0  ˇ 0 0 Frage 6
D ct C x (9.37)
ˇ  0 ˇ  1 Skizzieren Sie nun analog zu Abb. 9.12 ein Minkowski-Dia-
! ! gramm für das Bezugssystem S0 mit rechtwinkligen Koordi-
 0 ˇ 0 natenachsen ct0 und x0 , in dem die Koordinatenachsen von S
D ct C x:
ˇ  dargestellt sind.

Der räumliche Koordinatenursprung x0 D 0 (also die ct0 -Ach-


se) stellt sich klarerweise als gerade Linie dar mit Neigung
tan ˛ D ˇ  v=c gegenüber der ct-Achse, die das Weg-Zeit- Längenkontraktion
Diagramm des sich nach rechts bewegenden Systems wieder-
gibt. Neu (gegenüber Galilei-Transformationen) ist hier, dass zu
Um die physikalische Bedeutung der veränderten Einheiten auf
einer Einheit von ct0 der Wert  > 1 in der Koordinate ct gehört
den Koordinatenachsen des bewegten Systems S0 zu verstehen,
(Abb. 9.12).
müssen wir uns darüber Klarheit verschaffen, was Längen- und
Noch ungewohnter ist freilich, dass die Linie ct0 D 0 (die x0 - Zeitmessungen in den verschiedenen Inertialsystemen konkret
Achse) gegenüber der x-Achse geneigt ist, ebenfalls mit tan ˛ D bedeuten.
ˇ, was zur Folge hat, dass abhängig von der Entfernung vom Längen- und Zeitintervalle zwischen zwei Raumzeitpunkten
Koordinatenursprung die Zeitangabe t0 D 0 zu buchstäblich al- transformieren sich, wenn wir uns auf Geschwindigkeitstrans-
len möglichen Werten von t gehört. formationen in x-Richtung beschränken, gemäß
Das Koordinatensystem von S0 stellt sich also gegenüber dem c t0 D .c t  ˇx/; c t D .c t0 C ˇx0 /; (9.38)
von S als schiefwinklig heraus. Linien mit konstantem Wert ct0
sind immer parallel zur x0 -Achse, genauso wie alle Linien mit x0 D .x  ˇ c t/; x D .x0 C ˇ c t0 /: (9.39)
festem x0 dieselbe Neigung wie die ct0 -Achse haben.
Betrachten wir zunächst Längenmessungen. Im Ruhesystem
Da per Konstruktion x2  c2 t2 D x02  c2 t02 ist, liegen für belie- gibt es dazu keine Mehrdeutigkeit, aber bei einem bewegten
bige Werte der Geschwindigkeit die räumlichen und zeitartigen Maßstab muss natürlich darauf geachtet werden, dass die Posi-
Einheitsvektoren auf einer Hyperbel (Abb. 9.13), die räumlichen tionen der beiden Enden zum gleichen Zeitpunkt aufgezeichnet
332 9 Spezielle Relativitätstheorie

a b

ct ct ct ct

1 1

x x
1 1

1 1

1 /γ
1/γ

1 x 1 x

Abb. 9.14 Lorentz-Kontraktion. Vergleichen zwei Inertialsysteme ihre Maßstäbe, so erweist sich in jedem der Maßstab des anderen verkürzt. Im
linken Diagramm (a) wird der sich nach rechts bewegende Maßstab (rot), der in S0 ruht und dort die Länge 1 hat, in S zum Zeitpunkt t D 0 durch
Vergleich mit dem dort ruhenden (grün) gemessen und hat die Länge 1= . Im rechten Diagramm (b) wird der in S ruhende Maßstab analog in S0
Kapitel 9

gemessen. Hier findet die Messung bei t0 D 0 statt, und er ist wiederum verkürzt. Wie man sieht, sind die Ereignispunkte, zu denen die jeweiligen
Messungen stattfinden, nicht identisch

werden. Dazu benötigt man im Prinzip mehrere Beobachter, die System aus gemessen werden. Die Weltlinien von Anfang und
über den Raum verteilt sind und synchronisierte Uhren besit- Ende der Maßstäbe sind jeweils die Koordinatenachsen ct und
zen, es sei denn, ein einzelner Beobachter sorgt dafür, dass er ct0 und dazu parallele Linien durch 1 bzw. 10 . Bei einer verglei-
bei visuellen Beobachtungen präzise die Laufzeit des Lichtes chenden Messung in S wird bei t D 0 und bei einer in S0 bei
herausrechnet. t0 D 0 gemessen. Die Enden der Maßstäbe werden also in diesen
beiden Fällen bei unterschiedlichen Raumzeitpunkten betrach-
Ruht ein Maßstab der Länge L0 in S0 , dann füllt er dort das Inter-
tet (Abb. 9.14). In beiden Fällen ergibt sich, dass bezüglich des
vall x0 D L0 für beliebige t0 aus. Bei der Messung in S muss
jeweils ruhenden Maßstabes der bewegte Maßstab verkürzt ist.
aber t D 0 verlangt werden, denn dort ist er in Bewegung. Die
linke Relation in (9.39) ergibt damit
ˇ
ˇ
L D xˇ D x0 = D L0 = < L0 : (9.40)
tD0 Zeitdilatation
Der bewegte Maßstab erweist sich daher um den Faktor 1= D
p
1  ˇ 2 verkürzt. Betrachten wir nun Zeitmessungen mit zueinander bewegten
Uhren. In jedem Inertialsystem sollen über den Raum verteilt
Dasselbe ergibt sich bei vertauschten Rollen. Ruht der Maßstab Uhren vorliegen, die in diesem System ruhen und bezüglich die-
in S, gilt dort x D L0 für beliebige t. Die Messung vom ses Systems synchronisiert sind.
bewegten System S0 aus verlangt nun t0 D 0. Jetzt kann die
rechte Relation in (9.39) verwendet werden, und diese führt auf Ruht eine Uhr in S0 und bewegt sich daher gegenüber S, so muss
ˇ ihre Zeitangabe T0 D t0 entlang ihrer Flugbahn (gegeben
ˇ
L D x0 ˇ 0 D x= D L0 = < L0 : (9.41) durch x0 D 0) mit den Uhren von S verglichen werden. Die
t D0
rechte Relation in (9.38) ergibt damit
Beim Vergleich ihrer Maßstäbe kommen Beobachter in S und S0 ˇ
ˇ
also jeweils zu dem Schluss, dass der des anderen verkürzt ist. T D tˇ D T0 > T0 : (9.42)
x0 D0
Es liegt hier aber überhaupt kein Widerspruch vor, denn wegen
der Relativität der Zeit gehören zu den jeweiligen Messungen Die bewegte Uhr geht also langsamer als die Uhren von S.
unterschiedliche Ereignispaare, wie man sich am besten anhand
eines Minkowski-Diagramms vor Augen führt.
Frage 7
Betrachten wir dazu zwei Einheitsmaßstäbe, die jeweils in S und Rechnen Sie nach, dass dieselbe Schlussfolgerung für in S ru-
S0 ruhen und entlang der x- bzw. x0 -Achse die Strecke vom Koor- hende Uhren gilt, wenn sie mit denen von S0 verglichen werden!
dinatenursprung bis 1 bzw. 10 ausfüllen und vom jeweils anderen
9.3 Minkowski-Raum 333

a b
ct ct ct ct

1:15

1:00
1:15

1 1:15 1:15 1
1:15 x 1:15 1:00 x
1:00
1:00 1:00
1
1
1:00
0:00
1 1
0:00

0:00 0:00 0:00


0:00
1 x x
1

Abb. 9.15 Zeitdilatation. a Eine in S0 ruhende Uhr (rot) wird mit den Uhren (grün) von S verglichen. b Die umgekehrte Situation

Kapitel 9
Wieder lässt sich am besten anhand eines Minkowski-Dia-
gramms zeigen, dass hier kein Widerspruch vorliegt, weil un- Sie hilft auch oft, Zerfallsketten von Elementarteilchen
terschiedliche Raumzeitpunkte im Spiel sind (Abb. 9.15). besser auflösen zu können, weil sie durch die Zeitdila-
tation gedehnt und damit vergrößert werden. J
„Lebensdauerverlängerung“ für Elementarteilchen

Eine eindrucksvolle Bestätigung der relativistischen Zeit-


dilatation wird durch die kosmische Strahlung geliefert
und die von ihr in den oberen Schichten der Atmosphä-
Kausalität
re erzeugten kurzlebigen Myonen. Diese 1936 entdeckten
Elementarteilchen haben in ihrem Ruhesystem eine Le- Wie wir gesehen haben, ist Gleichzeitigkeit in der speziellen
bensdauer von ungefähr  2;2 s, mit der sie nach Relativitätstheorie eine Eigenschaft eines Paares von Ereignis-
dem exponentiellen Gesetz et= zerfallen. Sie werden ty- sen, die vom Bezugssystem abhängt. Jedes Inertialsystem kann
pischerweise in etwa 10 km Höhe in Kernreaktionen als ohne Bezug auf andere Systeme seine Uhren an unterschiedli-
Zerfallsprodukte der noch kurzlebigeren Pionen erzeugt chen Orten xA und xB sinnvoll synchronisieren, indem verlangt
und haben Geschwindigkeiten von über 0;99c. wird, dass zur gleichen Koordinatenzeit ausgesandte Lichtsigna-
le gleichzeitig bei einem Beobachter in der Mitte zwischen den
Ihre charakteristische Reichweite wäre ohne Berücksich- beiden Orten bei .xA C xB /=2 eintreffen. Wegen der Konstanz
tigung der Zeitdilatation etwa 2;2  106 s  3  108 m=s der Lichtgeschwindigkeit synchronisiert aber jedes Inertialsys-
660 m, und somit sollte auf der Erdoberfläche ihr Fluss tem seine Uhren damit anders. Auf diese Weise lässt sich zu
um einen Faktor e10:000=660 3  107 reduziert sein. einem Paar von gleichzeitigen Ereignissen in einem System im-
Tatsächlich erreicht etwa ein Drittel der Myonen die Erd- mer eines finden, in dem Ereignis A früher als B stattfindet, und
oberfläche, weil sie bei ˇ über 0,99 um einen Faktor  von auch eines, in dem dies genau umgekehrt der Fall ist.
7 und mehr langlebiger werden. Schon bei  D 7 ergibt
sich eine Reduktion um nur mehr e.10:000=660/=7 0;1. Über eines können sich aber alle Beobachter einig sein: Wenn
Die Zeitdilatation ist hier also alles andere als ein kleiner es ein System gibt, in dem A und B gleichzeitig sind, so ist die
Effekt; der Myonenfluss auf der Erdoberfläche wird Größe
durch sie um das Millionenfache angehoben! s2 D c2 t2  x2  y2  z2 (9.43)
 
Die Verlängerung der Lebensdauer instabiler Elementar- mit x D xB  xA immer negativ. Diese Größe bleibt ja unter
teilchen mit relativistischen Geschwindigkeiten wird Lorentz-Transformationen unverändert, und laut Voraussetzung
auch routinemäßig in Teilchenphysikexperimenten beob- verschwindet t D tB  tA in einem Inertialsystem.
achtet und muss bei deren Analyse berücksichtigt werden. Gibt es umgekehrt ein Inertialsystem, in dem A und B am selben
Ort stattfinden, aber tB > tA ist, dann sind sich alle Beobachter
334 9 Spezielle Relativitätstheorie

Beispiel: Paradoxon von der bewegten Leiter und dem zu kleinen Abstellraum
Starre Körper in der speziellen Relativitätstheorie

Die spezielle Relativitätstheorie ist voll von scheinbaren die Tür hinter dem Gesellen schließt, denn die physikalische
Widersprüchen, deren Auflösung aber wertvolle Einsichten Auswirkung davon, dass das vordere Ende gestoppt wurde,
liefern kann. Ein populäres Paradoxon zur Längenkontrakti- kann sich höchstens mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, in
on, das in verschiedenen Varianten formuliert werden kann, Form einer Stoßwelle. Erst später kommt die Stoßwelle am
lautet wie folgt: Ein Malermeister hat eine 10 m lange Lei- hinteren Ende an, die dabei womöglich die Leiter komplett
ter, aber sein Abstellraum misst nur 8 m. Er verlangt daher zerstört hat. Wenn sie elastisch genug ist, kann die Leiter
von seinem Gesellen, mit geschulterter Leiter und einer Ge- auch einfach Richtung Tür expandieren und dann vielleicht
schwindigkeit 35 c in den Abstellraum zu rennen. Die Leiter diese zerstören.
ist dank Lorentz-Kontraktion mit  D 54 auf 10= D 8 m Jedenfalls passiert all das erst eine Weile, nachdem die Tür
verkürzt. Der Malermeister will in dem Augenblick die Tür geschlossen wurde und das hintere Ende sogar ein Stück weit
schließen, in dem die Leiter gerade in den Abstellraum passt. in den Abstellraum vorgedrungen ist. Seine Bahnkurve ist bis
Aus der Sicht des Gesellen sieht die Sache aber bedenklich zum Eintreffen der Stoßwelle gegeben durch
anders aus. Für ihn ist nun der Abstellraum auf 8= D 6;4 m
geschrumpft, während er in seinem Bezugssytem eine 10 m 3
xE D ct;
lange Leiter transportiert (Abb. 9.16). Kann der Malermeister 5
wirklich die Tür hinter ihm schließen?
wenn im Bezugssystem des Abstellraumes die Tür bei x D 0
Kapitel 9

angenommen ist und t D 0 als der Zeitpunkt, zu dem die Tür


a b c
geschlossen werden konnte. Die Stoßwelle läuft ab t D 0 von
x D 8 m zu kleineren Werten von x. Mit Lichtgeschwindig-
10 m v 8m 10 m
keit gibt das
v xS D 8 m  ct:
8m 8m 6,4 m

Die Stoßwelle trifft auf das hintere Ende bei xE D xS , woraus


Abb. 9.16 a Eine 10 m lange Leiter und ein Abstellraum mit ei- ct D 5m und xE D 3m folgt. Das heißt, dass der Maler-
ner Länge von 8 m. b Die mit  1 D 45 Lorentz-kontrahierte Leiter meister auch noch die Tür schließen hätte können, wenn der
scheint im Bezugssystem des Abstellraumes in diesen zu passen.
Abstellraum bloß 5 m groß gewesen wäre!
c Im Bezugssystem der Leiter ist ein mit  1 D 45 Lorentz-kontra-
hierter Abstellraum erst recht zu klein
Frage 8
Zeichnen Sie ein Minkowski-Diagramm, das die Gescheh-
Vom Standpunkt des Malermeisters und dem Ruhesystem nisse wiedergibt! (Die Werte von ˇ und  sind hier genauso
des Abstellraumes ist tatsächlich klar, dass die Leiter hin- gewählt wie in Abb. 9.12.)
einpasst. Gleichzeitiges Messen des vorderen und hinteren
Endes ergibt eine Lorentz-kontrahierte Länge. Die Frage ist
vielmehr, was passiert, nachdem er die Tür geschlossen hat. Was dieses Paradoxon und seine Auflösung lehrt, ist, dass
Das vordere Ende der Leiter stößt hier an die Wand des Ab- es in der speziellen Relativitätstheorie keine starren Körper
stellraumes und kommt abrupt zum Stillstand. Das hintere geben kann. Wird ein Körper an einem Ende beschleunigt,
Ende läuft aber unvermindert weiter, während der Meister dann folgt der Rest nie instantan.

darüber einig, dass s2 > 0 ist, und das bedeutet weiter, dass absolutes Anderswo, da es im umgekehrten Fall einer zeitartigen
auch für alle anderen Beobachter Ereignis B in der Zukunft von Trennung immer ein System gibt, in dem die zwei Ereignisse am
A liegt. gleichen Ort stattfinden).
Wir können demnach Vergangenheit und Zukunft eines Ereig- s2 D 0 charakterisiert Ereignisse, die mit A durch Austausch
nisses A dadurch charakterisieren, dass s2 > 0 ist, und t < 0 von Signalen mit Lichtgeschwindigkeit verbunden werden kön-
bzw. t > 0. Man nennt dann die Ereignisse zeitartig getrennt. nen, und definiert damit den Lichtkegel über A. Diese Ereignisse
Ist s2 < 0, spricht man von raumartiger Trennung. In diesem sind dann lichtartig zueinander. Je nach Vorzeichen von t liegt
Fall gibt es immer ein Inertialsystem, in dem das Ereignispaar B auf dem Vorwärts- oder Rückwärtslichtkegel. In Abb. 9.19 ist
gleichzeitig ist. Für den Beobachter am Referenzereignis A de- dies für den Fall dargestellt, dass Ereignis A mit dem Koordina-
finiert dies gleichsam eine ausgedehnte Gegenwart (oder auch tenursprung zusammenfällt.
9.3 Minkowski-Raum 335

Vertiefung: (Un-)Sichtbarkeit der Lorentz-Kontraktion


Wie wirklich ist die Lorentz-Kontraktion?

Lorentz-Kontraktion wie auch Zeitdilatation sind Aussagen L 0v/c


darüber, was ein relativ zu einem Objekt bewegter Beobach- L 0/γ
ter misst. Da Geschwindigkeiten keine absolute Bedeutung L 0/γ
haben, passiert einem Lorentz-kontrahierten Objekt selbst
natürlich nichts; in seinem Ruhesystem ist es immer gleich v
L0
lang. Dennoch ist die Lorentz-Kontraktion ein objektives Laufzeit
L0
Phänomen, das durch die Messprozedur eindeutig feststeht: L 0/c L0
Wird in einem Inertialsystem ein dazu bewegtes Objekt zu ruhender
Würfel
einem in diesem System wohldefinierten Zeitpunkt vermes- α
sen, stellt es sich als in Bewegungsrichtung verkürzt heraus.
Foto- α
Wird aber ein bewegtes Objekt von einem einzelnen Beob- platte
L 0v/c L 0/γ L 0v/c L 0/γ
achter, der ja nicht gleichzeitig an mehreren Orten sein kann,
angesehen, dann sind dafür auch noch die Laufzeiten des
Lichtes in Rechnung zu stellen, die bei einem ausgedehn-
ten Objekt bei Bewegungen nahe der Lichtgeschwindigkeit
nicht vernachlässigbar sind. Dies kann sogar, wie wir se-

Kapitel 9
hen werden, dazu führen, dass die Lorentz-Kontraktion gar
nicht als solche sichtbar wird. Eigenartigerweise dauerte es
Abb. 9.17 Parallelstrahlenprojektion eines bewegten Würfels (v D
bis 1959, bis dies durch voneinander unabhängige Arbeiten 1
2
c) im Vergleich zu einem ruhenden, aber gedrehten Würfel. Im lin-
der Physiker Roger Penrose (*1931) und James Terrell sys- ken Teilbild, in dem ein bewegter Würfel fotografiert wird, sind die
tematisch untersucht wurde (Penrose 1959; Terrell 1959). (In Abbilder der weiter entfernten Würfelkanten um das Produkt von
einer weitgehend unbekannt gebliebenen Publikation hatte Lichtlaufzeit L0 =c und Geschwindigkeit v so verschoben, dass auf
allerdings der österreichische Physiker Anton Lampa (1868– der Fotoplatte exakt dasselbe Bild wie bei einem ruhenden Würfel
1938) die optische Manifestation der Lorentz-Kontraktion entsteht, der um den Winkel ˛ D arccos.v=c/ gedreht wurde (rech-
schon 1924 richtig behandelt; Lampa 1924.) tes Teilbild)

Eine besonders einfache, wenn auch nicht ganz realistische Die Kombination von Lorentz-Kontraktion und Lichtlauf-
optische Beobachtungsform ist die einer fotografischen Auf- zeiten erscheint ganz allgemein bei Parallelstrahlenprojekti-
nahme mittels einer Parallelstrahlenprojektion. Werden bei on als reine Drehung, die Penrose-Terrell-Drehung genannt
einem Schnappschuss zu einem Zeitpunkt nur die exakt pa- wird.
rallel auf eine Fotoplatte eintreffenden Strahlen registriert, so
entsteht ein lebensgroßes Abbild. Bei realistischeren Beobachtungen mittels Zentralprojektion
treten aber bei geringen Entfernungen zum Objekt perspekti-
Betrachten wir als Beispiel einen Würfel mit Kantenlänge L0 , vische Verzerrungen auf, die in Abb. 9.18 für unterschied-
der sich mit Geschwindigkeit v parallel zu einer solchen Fo- liche Geschwindigkeiten dargestellt sind. In diesen Fällen
toplatte nach rechts bewegt (Abb. 9.17), so werden wegen der nähert sich der visuelle Eindruck doch wieder dem eines in
endlichen Laufzeit des Lichtes die hinteren und die vorderen Längsrichtung verkürzten Würfels.
Kanten bei unterschiedlichen Zeiten aufgenommen. Das Bild
der hinteren, weiter entfernten Kanten kommt von einer Posi-
tion des Würfels, die er um L0 =c früher hatte als die, bei der
die der Fotoplatte nähere Seite registriert wird. Die linke hin-
tere Kante wird dadurch auch nicht länger von der vorderen
verdeckt und erscheint auf dem Foto um L0 v=c nach links ver-
schoben. Ist der Würfel durchscheinend, wird auch die rechte
hintere Kante abgebildet und ist gegenüber der vorderen rech- v = 0,3 c v = 0,7 c v = 0,95 c
ten Kante in gleicher Weise verschoben.
Abb. 9.18 Relativistisch bewegter Würfel aus geringer Entfernung
Gerade weil der Würfel in der Bewegungsrichtung auf L0 = (Zentralprojektion)
Lorentz-kontrahiert ist, entsteht ein Abbild, das von einem
gedrehten unverkürzten Würfel nicht unterschieden
p werden Eine Zusammenstellung einer Vielzahl an Animationen, die
kann: Die beiden Faktoren v=c und 1= D 1  v 2 =c2 ver- das Erscheinungsbild relativistisch bewegter Körper bis hin
halten sich wie Sinus und Kosinus zueinander – setzen wir zu einer relativistischen Fahrt durch die Innenstadt von Tü-
v=c D cos ˛, dann ist 1= D sin ˛. bingen zeigt, findet sich in Kraus & Borchers (2005).
336 9 Spezielle Relativitätstheorie

ct A(lice)
ct B(ob)
Zukunft ct

s2 > 0, t > 0

E1 E2

s2 < 0 E3
x
Gegenwart x

s2 = 0 x
s2 > 0, t < 0
Lichtkegel

Vergangenheit
Abb. 9.20 Könnten Signale mit Überlichtgeschwindigkeit übertragen
Abb. 9.19 Lichtkegel, Vergangenheit und Zukunft bezüglich des Koor- werden (hier der Einfachheit mit unendlicher Geschwindigkeit darge-
dinatenursprungs stellt), dann wäre eine Signalübertragung in die Vergangenheit möglich
Kapitel 9

Überlichtgeschwindigkeit verletzt Kausalität! Lorentz-invariante Wegelement

Anhand von Minkowski-Diagrammen kann man sich ds2 D c2 dt2  dx2  dy2  dz2 D ds02 (9.44)
sofort davon überzeugen, dass man seine eigene Ver-
immer eine positive Größe ist. Betrachten wir ein Inertialsys-
gangenheit beeinflussen könnte, wenn es möglich wäre,
tem S0 , das zu einem gegebenen Zeitpunkt relativ zu S dieselbe
physikalische Wirkungen mit Überlichtgeschwindigkeit
Geschwindigkeit wie das Teilchen hat, sodass das Teilchen in
auszuüben. (Hypothetische Teilchen, die sich mit Über-
diesem System gerade ruht, so gilt ds2 D c2 dt02 , und das
lichtgeschwindigkeit bewegen, werden oft als Tachyonen
infinitesimale Zeitintervall dt0 stimmt mit dem infinitesimalen
bezeichnet.)
Zeitintervall d der mitgeführten „inneren“ Uhr des Teilchens
Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass es möglich überein. Dies definiert die Eigenzeit eines Punktteilchens, die
wäre, in einem Inertialsystem tachyonische Signale mit so bei allgemeiner, nicht gleichförmiger Bewegung mit keiner Ko-
großer Überlichtgeschwindigkeit auszusenden, dass sie ordinatenzeit eines Inertialsystems übereinstimmen wird. Weil
im Minkowski-Diagramm als Linien erscheinen, die an- ds2 aber in jedem Inertialsystem gleich ist, können wir das Ei-
nähernd parallel zur zugehörigen x-Achse sind. genzeitintervall in den Koordinaten eines Inertialsystems als
Eine in System S ruhende Physikerin A(lice) braucht für  
dx2 C dy2 C dz2
die Kausalitätsverletzung nur einen Partner B(ob) in ei- d D ds =c D dt 1 
2 2 2 2
c2 dt2
nem sich mit großer Geschwindigkeit weg bewegenden   (9.45)
System S0 , dem sie zum Zeitpunkt von Ereignis E1 ein v .t/
2
D dt2 1  2
solches Signal übermittelt. Wenn der Partner B zum Er- c
eignis E2 daraufhin ein ebensolches Signal, das sich nun
bezüglich S0 praktisch instantan ausbreitet, zurücksendet, angeben. Dies ist gerade die schon diskutierte Zeitdilatation, nur
kommt es bei Alice zu einem früheren Zeitpunkt an (Er- jetzt für infinitesimale Zeitintervalle und mit einer Geschwin-
eignis E3 ), als sie das Signal absetzte (Abb. 9.20). J digkeit, die nicht notwendigerweise konstant sein muss. Damit
können wir nun endliche Eigenzeitintervalle entlang einer belie-
bigen Weltlinie berechnen.

Eigenzeit für ein beliebig bewegtes Punktteilchen


Minkowski-Wegelement und Eigenzeit Sind A und B Ereignisse auf einer Weltlinie, die in einem
Inertialsystem durch eine Bahnkurve x.t/ mit Geschwin-
Weltlinien von Punktmassen verlaufen von jedem Inertialsystem digkeit v.t/ D dx.t/=dt gegeben ist, dann ist die Eigenzeit
aus betrachtet mit Geschwindigkeiten jdx=dtj < c, sodass das
9.4 Viererformalismus 337

ct belassenen Atomuhr entsprach mit Prozentgenaugkeit den Vor-


hersagen der Relativitätstheorie. Allerdings steuert hier, weil
B
sich die beiden Atomuhren in unterschiedlichen Gravitations-
potenzialen befinden, die allgemeine Relativitätstheorie mit der
Gravitationsrotverschiebung einen entgegengesetzten und zehn-
mal größeren Effekt bei. Die Zeitdilatation, die sich auf dem 15
τB − τA < tB − tA
Stunden währenden Flug auf 5,7 ns aufaddierte, konnte dabei
aber dank der erzielten Genauigkeit exakt bestätigt werden.
tB − tA

Relativistische Effekte bei GPS


τB − τA = 0
Seit 1994 werden diese Phänomene durch die Flotte der
GPS-Satelliten zur geodätischen Positionsbestimmung
A quasi in Permanenz bestätigt. Diese Satelliten fliegen in
x 20.200 km Höhe mit einer Geschwindigkeit von etwa
14.000 km=h, was ˇ  105 und   1 8  1011 ent-
Abb. 9.21 Die Weltlinie, die zwei Ereignisse A und B durch eine spricht. Die resultierende Zeitdilatation ist dabei um fast
Gerade verbindet (gleichförmige Bewegung), hat die maximale Zeit- das Tausendfache höher als bei den historischen Experi-
differenz. Jede andere Weltlinie hat eine kleinere Eigenzeit; bei einer menten mit Flugzeugen und beträgt 7 s pro Tag. Die
Verbindung mit gestückelten lichtartigen Linien wird die Eigenzeit so- Gravitationsrotverschiebung ist ebenfalls höher und trägt
gar null C45 s pro Tag bei. Die gesamte Zeitverschiebung ist al-

Kapitel 9
so C38 s pro Tag oder C26 ns pro Minute. Das GPS-
System braucht eine Genauigkeit von etwa 30 ns für ei-
ne Ortsauflösung von 10 m. Würden die relativistischen
zwischen A und B gegeben durch Effekte nicht korrigiert (was durch eine leichte Verstim-
mung der Frequenz der GPS-Atomuhren schon beim Start
ZB ZtB der Satelliten gemacht wird), ginge die Genauigkeit des
dt
B  A D d D GPS-Systems schon nach einer Minute verloren, und nach
.v.t//
A tA einem Tag wäre der Fehler bereits 12 km! J
s (9.46)
ZtB
v2 .t/
D dt 1  2  tB  tA :
c
tA
9.4 Viererformalismus
Betrachten wir eine Weltlinie, die A und B durch eine gleichför-
Wir werden nun den Formalismus, den wir in Kap. 2 für Drehun-
mige Bewegung verbindet, dann definiert dies ein Inertialsys-
gen im dreidimensionalen euklidischen Raum entwickelt haben,
tem. In diesem ist v D 0 und das Eigenzeitintervall durch die
auf den nichteuklidischen Minkowski-Raum verallgemeinern.
Koordinatenzeitdifferenz gegeben. Jede andere Weltlinie, die
Wie wir gesehen haben, sind Lorentz-Transformationen pseu-
von A nach B führt, hat also eine kleinere Eigenzeit (Abb. 9.21).
doorthogonale Transformationen der Inertialsysteme, von de-
Die zeitlich längste Verbindung zwischen zwei Ereignissen
nen aus Ereignisse, d. h. die Raumzeitpunkte des Minkowski-
ist also die gerade Weltlinie im Minkowski-Raum! Die anfal-
Raumes, durch vierdimensionale Koordinaten parametrisiert
lende Eigenzeit wird dagegen beliebig klein, wenn Umwege
werden.
mit Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit gemacht
werden. Wenn wir für alle Inertialsysteme den Koordinatenursprung
gleich wählen, können wir einem Ereignis einen physikalischen
Dies führt auf das viel zitierte sogenannte Zwillingsparado- Viererortsvektor x zuordnen, der aber in verschiedenen Inerti-
xon der speziellen Relativitätstheorie: Unternimmt von einem alsystemen durch verschiedene Koordinaten x ,  D 0; : : : ; 3,
Zwillingspaar einer eine Reise durch den Weltraum mit Ge- beschrieben wird, weil in den verschiedenen Inertialsystemen
schwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit, so kann er bei verschiedene Basisvektoren ausgezeichnet wurden:
seiner Rückkehr den auf der Erde zurückgebliebenen Zwilling
um ein Vielfaches gealtert vorfinden (oder schon längst nicht X
3
mehr am Leben). Ein Experiment dazu wurde tatsächlich mit x D x e  x e : (9.47)
Atomuhren von J. Hafele und R. Keating im Jahr 1971 mit D0
einem gewöhnlichen Verkehrsflugzeug durchgeführt und 1975
von Physikern der University of Maryland wiederholt. Der ge- In diesem Ausdruck haben wir die Einstein’sche Summenkon-
messene Gangunterschied der reisenden und der auf der Erde vention auf den vierdimensionalen Fall erweitert, wobei wir
338 9 Spezielle Relativitätstheorie

Vertiefung: Zwillingsparadoxon
Worin besteht das Paradoxon?

Da die Zeitdilatation eine so vielfältig getestete Konsequenz ct


der speziellen Relativitätstheorie darstellt, scheint es ana-
B
chronistisch, beim Zwillingsparadoxon überhaupt noch von ct ct
einem Paradoxon zu sprechen. Die Geometrie des Minkow- Δτ (II)
E
ski-Raumes und der daraus folgende Eigenzeit-Begriff ist
nun einmal nichteuklidisch und gerade so, dass die schein- U 
bar kürzeste Verbindung über eine Gerade im Minkowski- x
Raum die längste Eigenzeit darstellt. U

Dass die spezielle Relativitätstheorie bei entsprechend hoher U


Geschwindigkeit Zeitreisen in die Zukunft erlaubt, stellt auch
kein Paradoxon in Hinblick auf Kausalität dar, denn zurück (I)
ΔτE
geht es leider nicht.
A x

Dennoch ist es instruktiv, das Zwillingsparadoxon durch


folgende Zuspitzung zu einem Paradoxon zu machen: Wie
Kapitel 9

die Definition von Eigenzeitintervallen in (9.46) zeigt, spie-


len für die Reise in die Zukunft nicht die notwendigen
Beschleunigungsphasen des „Raketenzwillings“ eine Rolle,
sondern nur, dass er möglichst lange mit möglichst ho-
x
her Geschwindigkeit unterwegs ist. Er kann sich also nach
kurzer Beschleunigungsphase lange Zeit von der Erde weg
bewegen und danach nach ebenso kurzer entgegengesetz-
ter Beschleunigungsphase wieder zur Erde zurück bewegen. Die Zeit des Erdzwillings setzt sich demnach aus
Damit befindet er sich praktisch dauernd in einem Inerti-
alsystem, und somit sollte der Raketenzwilling eigentlich E D E .A; U 0 / C E .U 0 ; U 00 / C E .U 00 ; B/
seinerseits dauernd eine langsamer vergehende Zeit beim auf
der Erde zurückgebliebenen Zwilling feststellen können. zusammen, wobei A und B die Ereignisse Abflug und
Rückkehr bezeichnen. E .A; U 0 / und E .U 00 ; B/ sind die
.I/ .II/
Während der Wegflugphase (I), die im wegfliegenden Iner- oben mit E bzw. E bezeichneten Zeitintervalle.
tialsystem S0 die Zeit R =2 dauert, vergeht im dazu relativ 0 00
E .U ; U / ist dafür verantwortlich, p
dass in Summe E
mit entgegengesetzterp Geschwindigkeit bewegten Erdsystem doch die größere Zeit ist, E D R = 1  v 2 =c2 .
.I/
S die Zeit E D 1  v 2 =c2 R =2, für die Rückflugpha-
Die obigen Betrachtungen gehen von der Gleichzeitigkeit de-
se (II) gilt genau das Gleiche. Zusammenaddiert ist
finiert durch bezugssystemabhängig synchronisierte Uhren
aus, während für Beobachtungen mit Licht oder Fernseh-
.I/ .II/
p
E C E D 1  v 2 =c2 R < R : übertragung noch die Laufzeit eines Signals in Rechnung zu
stellen ist. Im Minkowski-Diagramm kann man die daraus
resultierende scheinbare Gleichzeitigkeit aber bequem able-
Wie passt das damit zusammen, dass der Raketenzwilling sen, da lichtschnelle Signale durch 45ı-Linien dargestellt wer-
den Erdzwilling bei der Rückkehr dann doch schneller ge- den (während Gleichzeitigkeit bezüglich eines Inertialsys-
altert vorfindet? tems durch Parallelität zu den räumlichen Richtungen defi-
niert ist). Damit lässt sich aus obigem Diagramm ablesen, dass
Der Grund, warum es nicht erlaubt ist, Ergebnisse aus unter- der Raketenzwilling bis zum Umkehrpunkt alle Ereignisse auf
schiedlichen Inertialsystemen zu stückeln, liegt darin, dass der Erde in einer Zeitlupe wahrnimmt, die noch stärker ist, als
sie unterschiedliche Gleichzeitigkeitsbegriffe haben. Das es durch die Zeitdilatation definiert wäre, denn es kommt noch
Umkehrereignis U des Raketenzwillings ist zu unterschiedli- die immer länger werdende Lichtlaufzeit dazu. Das Ereig-
chen Ereignissen im Erdsystem gleichzeitig, je nachdem ob nis, das er am Umkehrpunkt auf der Erde mitverfolgen kann,
es im weg fliegenden oder zurück fliegenden Inertialsystem liegt noch vor U 0 . Während der Rückflugphase sieht der Rake-
betrachtet wird, wie sich am besten in einem Minkowski- tenzwilling dagegen alles in einem entsprechend gesteigerten
Diagramm darstellen lässt: Zeitraffer ablaufen.
9.4 Viererformalismus 339

zusätzlich vereinbaren, dass beim Indexpaar immer ein Index die Minkowski-Metrik genannt wird:
unten und einer oben zu stehen hat.
0 1
Dementsprechend schreiben wir Lorentz-Transformationen als 1 0 0 0
B0 1 0C
B 0 C
x0 D ƒ  x ; (9.48) . / D B C: (9.55)
@0 0 1 0A
wobei der untere Index bei ƒ  nach rechts gerückt ist, damit 0 0 0 1
klar ist, welcher der erste und welcher der zweite Index der Ma-
trix ist. Da nur die Koordinaten andere sind, der physikalische
Vektor aber eine invariante Bedeutung hat, Achtung Die Minkowski-Metrik wird in der Literatur etwa
gleich häufig auch als Diagonalmatrix mit Einträgen ; C; C; C
x D x e D x0 e0 D ƒ  x e0 ; (9.49) definiert. In der Teilchenphysik wird meist (aber nicht immer)
die Metriksignatur (9.55) bevorzugt, in der allgemeinen Rela-
folgt für die Basisvektoren tivitätstheorie meist (aber auch nicht immer) die Signatur mit
überwiegend positiven Vorzeichen. J
e D ƒ  e0 : (9.50)
Die Invarianz von
Lassen wir zusätzlich Verschiebungen des Koordinatenur-
sprungs zu, so haben wir es mit den allgemeineren Poincaré- ds2 D  dx dx D  dx0 dx0 D  ƒ ƒ  dx dx
Transformationen zu tun: (9.56)
charakterisiert damit Lorentz-Transformationen durch die Rela-
x0 D ƒ  .x  b /; (9.51) tion

Kapitel 9
 ƒ ƒ  D   : (9.57)
wobei b die Verschiebung des Zeitnullpunktes und die Ver-
schiebung des räumlichen Koordinatenursprungs zusammen-
fasst. In diesem Fall transformieren aber Koordinatendifferen- Frage 9
zen und Koordinatendifferenziale weiterhin homogen: Vollziehen Sie dies nach.

x0 D ƒ  x ; dx0 D ƒ  dx : (9.52)


Der Minkowski-Raum ist damit ein metrischer Raum (siehe den
Dieses Transformationsverhalten stellt den Prototyp für Vierer- „Mathematischen Hintergrund“ 1.2), allerdings mit der Verall-
vektoren dar. gemeinerung, dass die metrische Fundamentalform nicht positiv
definit ist. Der mit dieser Metrik definierte „Abstand“ kann null
sein, auch wenn die Raumzeitpunkte getrennt sind, nämlich
Transformationsverhalten eines Vierervektors wenn diese durch Lichtstrahlen miteinander verbunden werden
a D a e ist ein Vierervektor mit kontravarianten Kom- können.
ponenten a , wenn letztere bei einer Poincaré-Transfor- Durch diese Metrik haben wir eine (nicht positiv definite) Norm
mation (9.51) gemäß für Vierervektoren eingeführt, speziell für Ortsdifferenzenvek-
toren,
a0 D ƒ  a (9.53)
s2 D hx; xi D x x he ; e i; (9.58)
„ ƒ‚ …
transformieren. 

und damit auch schon ein Lorentz-invariantes Skalarprodukt für


Die Bezeichnung „kontravariant“ erinnert daran, dass diese beliebige Vierervektoren a, b:
Komponenten entgegengesetzt zu den Basisvektoren transfor-
mieren. ha; bi D a b  : (9.59)

Unabhängig von der Existenz einer invarianten Metrik, mit der


Minkowski-Metrik wir dieses Skalarprodukt definieren konnten, existiert zu je-
dem Vektorraum ein dualer Vektorraum. Es ist dies einfach der
Die Lorentz- bzw. Poincaré-Transformationen sind dadurch Raum der linearen Abbildungen des Vektorraumes in den zu-
charakterisiert, dass sie das Wegelement ds2 in (9.44) invari- grunde gelegten Zahlenkörper, hier die reellen Zahlen (siehe den
ant lassen. Dies definiert eine metrische Fundamentalform des „Mathematischen Hintergrund“ 9.1). Eine Basis für den dualen
Minkowski-Raumes, Vektorraum können wir durch

ds2 D  dx dx ; (9.54) e .e / D ı (9.60)


340 9 Spezielle Relativitätstheorie

9.1 Mathematischer Hintergrund: Dualraum

Bei der Betrachtung von Vektorräumen sind immer wieder Betrachten wir den Vektorraum K n zusammen mit der Stan-
Abbildungen wichtig, die linear sind. Eine besondere Rolle dardbasis .e1 ; : : : ; en /, so ist die duale Basis gegeben durch
spielen solche lineare Abbildungen, die in den Grundkörper .e1 ; : : : ; en /, wobei
abbilden. Damit wollen wir uns hier kurz beschäftigen.
ei D .0; : : : ; 0; 1; 0; : : : ; 0/
Definition Sei K ein Körper (z. B. K D R) und V ein
und die 1 jeweils an der i-ten Stelle steht.
endlich dimensionaler K-Vektorraum (z. B. V D Rn /. Dann
nennen wir eine lineare Abbildung ' W V ! K eine Linear-
Dualität bei Skalarprodukträumen Gibt es auf dem
form. Die Menge aller Linearformen bezeichnen wir mit V  .
Vektorraum V ein Skalarprodukt, so ist für jedes feste w 2 V
Eine Linearform ist also eine Abbildung der Form die Abbildung
.x1 ; x2 ; : : : ; xn / 7! a1 x1 C a2 x2 C : : : C an xn v 7! hw; vi
für gewisse Konstanten a1 ; a2 ; : : : ; an 2 K. Der Dualraum
.K n / kann also mit dem Raum aller .1  n/-Matrizen, d. h. linear, also ein Element des Dualraumes V  . Ist nun um-
Zeilenvektoren der Länge n, identifiziert werden. Die zu gekehrt ' eine Linearform, so gibt es immer einen Vektor
a WD .a1 ; : : : ; an / gehörige Linearform 'a ist w 2 V (dessen Komponenten von den Komponenten der Li-
nearform ' abhängen), sodass '.v/ D hw; vi für alle v 2 V
X n
gilt. Mit anderen Worten: Jede Linearform lässt sich durch
'a .x/ D ax D ak xk 8x 2 V:
Kapitel 9

ein Skalarprodukt darstellen.


kD1

Zum Beispiel ist ' W R3 ! R; '.x; y; z/ WD 3x C y C 4z In diesem Fall lässt sich eine Isomorphie zwischen Vektor-
eine Linearform, der dazugehörige Zeilenvektor ist .3; 1; 4/. raum und Dualraum sehr einfach darstellen, nämlich durch
Der Dualraum .R3 / besteht nun aus der Menge aller solcher
f W V ! V ; v 7! h; vi:
Linearformen ' W R3 ! R.
Dualraum als Vektorraum Sind '; zwei Linearformen Der Dualraum im Unendlichdimensionalen In den
und ˛ 2 K, so kann man die Summe ' C sowie das skalare späteren Kapiteln werden unendlichdimensionale Vektor-
Produkt ˛' durch räume (z. B. Funktionenräume) öfters eine wichtige Rolle
.' C /.x/ WD '.x/ C .x/; .˛'/.x/ D ˛'.x/ 8x 2 V spielen, insbesondere in Bd. 3.
definieren. Mit diesen Verknüpfungen wird der Dualraum V  Ist V ein unendlichdimensionaler Vektorraum, so verlangt
selbst zu einem Vektorraum. Dieser Vektorraum hat wieder man für Elemente des Dualraumes zusätzlich die Stetigkeit
dieselbe Dimension wie V und ist deswegen isomorph zu V. und schreibt dann für den Dualraum V 0 . Zum Beispiel ist in
einem Hilbert-Raum H (definiert in Bd. 3, Abschn. 3.1) für
Duale Basis Wir hatten weiter oben bereits Linearformen
jedes feste y 2 H die Abbildung
mit Vektoren identifiziert. Dies wollen wir nun kurz präzisie-
ren. x 7! hx; yi
Da der Dualraum ein Vektorraum ist, können wir dort natür- eine stetige lineare Abbildung, also ein Element von H 0 .
lich eine Basis finden. Hierfür gibt es eine besonders günstige Für allgemeine unendlich dimensionale Vektorräume ist der
Wahl. Ist im Vektorraum V eine Basis .v1 ; v2 ; : : : ; vn / ge- Dualraum V 0 nun nicht mehr unbedingt isomorph zum zu-
wählt, so definieren wir vi 2 V  durch grunde liegenden Vektorraum V. Für Hilbert-Räume gilt die
( )
1; i D j Isomorphie jedoch. Genauer sagt der Darstellungssatz von

vi .vj / D : Fréchet-Riesz, dass es zu jedem Element f 2 H 0 (also zu je-
0; i ¤ j der stetigen, linearen Abbildung f W H ! R bzw. f W H !
Dann ist .v1 ; v2 ; : : : ; vn / eine Basis von V  . Wir nennen die- C) genau ein y 2 H gibt, sodass für alle x 2 H gilt:
se die duale Basis.
f .x/ D hx; yi:
Damit wird nun auch die Identifikation von Linearformen als
Vektoren klar: Bezüglich der dualen Basis sind die Vektor-
komponenten 'j der Linearform ' gerade die Werte '.vj /. Literatur
Schreibt man nämlich ' in der dualen Basis als ' D
P n 
iD1 'i vi , so ist Arens et. al.: Mathematik. 2. Aufl., Spektrum Akademi-
X n scher Verlag (2012)
'.vj / D 'i vi .vj / D 'j : Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare
iD1 Algebra 1. 3. Aufl., SpringerSpektrum (2014)
9.4 Viererformalismus 341

definieren, wobei die e mit oberem Index diese duale Basis Frage 10

darstellen und ı das vierdimensionale Kronecker-Symbol ist: Verifizieren Sie diese Aussage, indem Sie (9.57) auf beiden Sei-
( ten mit einer inversen Metrik multiplizieren.
 1 D
ı D : (9.61)
0  6D 
Die zweifach unterschiedliche Indexposition hat zur Folge, dass
Die Metrik erlaubt es nun aber, die dualen Basisvektoren mit es zu einem Vorzeichenwechsel kommt, wenn davon ein Index
den ursprünglichen in Beziehung zu setzen. Multiplizieren wir zeitlich und einer räumlich ist. Für die Lorentz-Transformation,
(9.60) mit  , so ergibt sich die zu einer reinen Geschwindigkeitstransformation in x-Rich-
tung gehört, bedeutet dies
 e .e / D  ; (9.62) 0 1
 ˇ 0 0
was dasselbe liefert wie das Skalarprodukt he ; e i. Wir können Bˇ  0 0C
B C
also .ƒ / D B C;
@ 0 0 1 0A
e D  e (9.63)
0 0 0 1
identifizieren. 0 1 (9.71)
 Cˇ 0 0
Definieren wir die inverse Metrik  durch BCˇ
B  0 0C C
.ƒ / D B C:
  D ı ; (9.64) @ 0 0 1 0A
0 0 0 1
können wir (9.63) auch nach den dualen Größen auflösen:

Kapitel 9
e D  e : (9.65) Wie es sein muss, erhält man die inverse Matrix durch Änderung
des Vorzeichens bei der Geschwindigkeit ˇ. Bei einer reinen
Die inverse Metrik ist hier zwar numerisch mit (9.55) identisch, Drehung !
0 1  1 0>
1 0 0 0 .ƒ  .R// D
B0 1 0 0C
0 R
B C
. / D B C; (9.66) ändert sich dagegen nichts; hier gibt ja auch schon die transpo-
@0 0 1 0 A
nierte Matrix das Inverse (man beachte die Transposition, die in
0 0 0 1
(9.70) im Spiel ist!).
ist aber konzeptionell von  zu unterscheiden. Hätten wir Neben Vierervektoren können wir nun ganz analog auch Vierer-
nämlich krummlinige Koordinaten verwendet, was im räumli- tensoren beliebiger Stufe definieren. Zum Beispiel transformie-
chen Teil nicht ungewöhnlich wäre, hätte die Metrik nicht zu ren die Komponenten eines Tensors zweiter Stufe entsprechend
sich selbst invers sein können. der Indexposition:
Mit den dualen Basisvektoren (9.65) können wir nun allgemein 0
t D ƒ ƒ  t  ; t0 D ƒ ƒ  t  ; (9.72)
Vierervektoren alternativ in dualer Basis und damit mit kovari-
anten Komponenten schreiben: wobei Indizes mit der Minkowski-Metrik von ko- zu kontravari-
ant verändert werden können: t  D    t . Als Spezialfall
a D a  e D a  e ; (9.67) haben wir bereits die Minkowski-Metrik kennengelernt, die sich
wobei die kovarianten Komponenten durch einen unteren Index dadurch auszeichnet, ein invarianter Tensor zu sein:
notiert werden, der, wie man sagt, mit der Metrik nach unten 0 D ƒ ƒ    D  : (9.73)
gezogen wird:
a D  a ; (9.68) Frage 11
wodurch sich ein Unterschied im Vorzeichen in den räumlichen Überzeugen Sie sich anhand der Definition der invarianten Me-
Komponenten ergibt: a0 D a0 , a1 D a1 , a2 D a2 , a3 D a3 . trik, dass auch die Indizes der Minkowski-Metrik durch die
Metrik von ko- zu kontravariant umgewandelt werden können,
Die kovarianten Komponenten haben das entgegengesetzte 
wobei das Kronecker-Symbol ı als gemischt ko- und kontra-
Transformationsverhalten zu den kontravarianten, weil sie wie
variante Darstellung der Minkowski-Metrik aufgefasst werden
die Basisvektoren e in (9.50) transformieren. Dieses lässt sich
kann.
mit Indexziehen auch in folgende Form bringen:
a0 D  a0 D  ƒ  a D  ƒ   a : (9.69)
„ ƒ‚ … Werden dagegen Indizes „abgesättigt“, weil über sie unter Ver-
ƒ wendung der Minkowski-Metrik summiert wird, reduziert sich
die Stufe eines Tensors. So transformiert das Produkt a b von
Die hierbei entstandene Matrix ƒ erfüllt zwei Vierervektoren als Tensor zweiter Stufe, die Kontraktion
ƒ ƒ  D ı : (9.70) a  b D  a b D a0 b0  ai bi (9.74)
342 9 Spezielle Relativitätstheorie

ist dagegen ein Lorentz-Skalar, d. h. eine Invariante unter Lo- in Übereinstimmung mit der Tatsache, dass in der Relativitäts-
rentz-Transformationen. Genauso gut lässt sich dies als a b D theorie c invariant unter Lorentz-Transformationen ist.
a0 b0 C ai bi oder a b D a0 b0 C ai bi anschreiben, wobei nicht
vergessen werden darf, dass Heben oder Senken eines räumli- Frage 12
chen Index einen Vorzeichenwechsel bedeutet.
Rechnen Sie u D c nach!
2 2
Achtung Wenn hier wie in der einschlägigen Literatur ver-
kürzend von ko- oder kontravarianten Vektoren oder Tensoren
und deren Transformationsverhalten die Rede ist, sind eigent- Da die Operation d=d eine Lorentz-invariante Bedeutung hat,
lich die Komponenten der Vektoren bzw. Tensoren gemeint. können wir durch eine Differenziation von u einen weiteren
(Physikalische Vektoren wie in (9.47) sowie physikalische Vierervektor definieren, der die gewöhnliche Beschleunigung
Tensoren haben eine von Koordinatensystemen unabhängige verallgemeinert, die Viererbeschleunigung
Bedeutung.) J
du d2 x
a D D : (9.78)
d d 2
Vierergeschwindigkeit und -beschleunigung Aus u u D c2 folgt durch Differenziation

Das einzige konkrete Beispiel für einen Vierervektor in der obi- u a D 0; (9.79)
gen Darlegung war der Viererortsvektor bzw. Differenzen davon
und die infinitesimalen Differenziale dx . (Ein weiteres wichti- d. h., die Viererbeschleunigung ist im Sinne der Minkowski-
ges Beispiel wird in Aufgabe 9.8 vorgestellt: der Vierergradient,
Kapitel 9

Geometrie überall orthogonal auf die Vierergeschwindigkeit. Im


der ab Bd. 2, Kap. 8 sehr wichtig werden wird.) Gegensatz zu letzterer ist die Viererbeschleunigung ein raum-
Ist eine Weltlinie eines Punktteilchens gegeben, können wir artiger Vierervektor. Das Viererquadrat von a ist wieder eine
weitere Vierervektoren betrachten. Eine solche Weltlinie ist ge- Lorentz-invariante Größe. Um sie zu berechnen, genügt es, dies
geben durch eine Linie x D x .t/, wobei t ein geeigneter in einem Inertialsystem zu tun; die Lorentz-Invarianz stellt si-
Kurvenparameter ist. Weil eine physikalisch realisierbare Welt- cher, dass das Ergebnis für alle Inertialsysteme gilt. Betrachten
linie aber überall zeitartig ist, d. h. ds2 D  dx dx > 0, ist in wir ein Inertialsystem, in dem zu einem gegebenen Zeitpunkt
jedem Inertialsystem die jeweilige Koordinatenzeit ein geeigne- v.t/ D 0 ist. Berechnen wir nun in diesem System
ter Parameter. !
 du du d c
In einem gegebenen Inertialsystem ist dx.t/=dt D v.t/ die Ge- a D D D  .v/ ; (9.80)
schwindigkeit des Punktteilchens zum Zeitpunkt t. Weil die Zeit d dt dt v
nichttrivial transformiert, ist allerdings dx .t/=dt kein Vierer-
vektor. Dieses Manko lässt sichpaber beheben, indem dt durch dann ist  D 1 und wegen
das Eigenzeitdifferenzial d D ds2 =c ersetzt wird, denn letz-
teres ist ein Lorentz-Skalar. d 1 dv
D 2  3 v  a; a (9.81)
dt c dt

Vierergeschwindigkeit auch d=dt D 0, wenn v.t/ D 0 ist. Bezeichnen wir mit aQ die
Dreierbeschleunigung im momentanen Ruhesystem des Teil-
Die Vierergeschwindigkeit ist durch chens, so folgt in diesem a D .0; aQ /> und daher in jedem
dx dx dt System a a D .Qa/2 . Das invariante Viererquadrat der Vierer-
u D D (9.75) beschleunigung ist also (für jeden Zeitpunkt) durch den Betrag
d dt d
der gewöhnlichen Beschleunigung im momentanen Ruhesystem
definiert. Sie hängt wegen dt=d D .v/ mit der Dreier- gegeben. (Der allgemeine Zusammenhang von Dreier- und Vie-
geschwindigkeit v gemäß rerbeschleunigung wird in Aufgabe 9.6 ausgearbeitet.)
!
 c
u D .v/ (9.76)
v
Herleitung des allgemeinen
zusammen.
Geschwindigkeitsadditionstheorems
Aus dem Vierervektor u können wir durch Quadrieren mit der
Das Transformationsverhalten von Dreiergeschwindigkeiten
Minkowski-Metrik einen Lorentz-Skalar bilden, der die Dimen-
unter Lorentz-Transformationen beinhaltet das relativistische
sion einer Geschwindigkeit zum Quadrat hat. Es gilt
Geschwindigkeitsadditionstheorem, das wir für parallele Ge-
u2  u u D c2 ; (9.77) schwindigkeiten in (9.31) hergeleitet hatten.
9.4 Viererformalismus 343

Betrachten wir nun eine Vierergeschwindigkeit u D oder andersherum


.w/.c; w/> mit beliebig orientierter Dreiergeschwindigkeit w
und machen eine Standard-Lorentz-Transformation in positiver wx0 C v
wx D ;
x-Richtung mit Geschwindigkeit v, dann können wir die trans- 1 C vwx0 =c2
0 (9.87)
formierte Geschwindigkeit einfach aus 1 wy;z
wy;z D ;
.v/ 1 C vwx0 =c2
u0 .w0 / D ƒ.v/  u .w/ (9.82)
in Verallgemeinerung von (9.31), wo w und w0 nur Komponen-
extrahieren. Komponentenweise angeschrieben lautet dies ten in x-Richtung hatten.
 v   vwx 
u00 D .v/ u0  u1 H) .w 0 / D .v/.w/ 1  2 ; Frage 13
c c Betrachten Sie den Fall wx0 D 0 und machen Sie sich das Ergeb-
(9.83) nis als Effekt der Zeitdilatation plausibel. (Denken Sie daran,
 v 
u01 D .v/ u1  u0 H) .w 0 /wx0 D .v/.w/.wx  v/; dass Distanzen in transversaler Richtung nicht Lorentz-kontra-
c hiert werden.)
(9.84)
u02;3 D u2;3 H) .w 0 /wy;z
0
D .w/wy;z : (9.85)
Für die Beträge der Geschwindigkeiten gilt nun, wie man nach-
rechnen kann:
Division der letzten beiden Gleichungen jeweils durch die erste
liefert w2 .1  w 02 =c2 / .1  v 2 =c2 /
wx  v D  :

Kapitel 9
1 (9.88)
wx0 D ; c2 .1 C v  w0 =c2 /2
1  vwx =c2
(9.86)
0 1 wy;z Daraus geht wieder hervor, dass die Lichtgeschwindigkeit nicht
wy;z D
.v/ 1  vwx =c2 erreicht werden kann, wenn w 0 und v kleiner als c sind.
344 9 Spezielle Relativitätstheorie

So geht’s weiter
Thomas-Präzession: S0 , das mit dem Laborsystem durch eine reine Geschwindig-
Die Relativität von Richtungen keitstransformation ƒ.v/ verknüpft ist. Zu einem infinitesi-
mal späteren Zeitpunkt t C dt hat das Objekt aus Sicht des
Laborsystems die Geschwindigkeit v C dv, aber B.t/ hat
Das Produkt von zwei Lorentz-Transformationen, die reine
Geschwindigkeitstransformationen sind, ist nur dann wieder nun eine andere räumliche Orientierung als das System S00 ,
eine reine Geschwindigkeitstransformation, wenn die da- das durch ƒ.v C dv/ mit dem Laborsystem rotationsfrei ver-
knüpft ist. Die Systeme B.t/ und B.t C dt/ unterscheiden
bei involvierten Geschwindigkeiten v1 und v2 parallel sind.
Andernfalls ist immer auch eine Drehung des räumlichen sich definitionsgemäß um eine reine Geschwindigkeitstrans-
formation ƒ.dv0 /, während S0 und S00 durch
Koordinatensystems im Spiel.
Betrachtet man von einem Inertialsystem aus eine allge-
meine, nicht gleichförmige Bewegung eines Objekts, das in ƒ.v C dv/ ƒ1 .v/ D ƒ.R/ ƒ.dv0 / (9.89)
seinem Eigensystem eine Richtung auszeichnet, wie z. B.
einen Kreiselkompass oder ein Elementarteilchen mit Spin verknüpft sind, wie das Diagramm in Abb. 9.22 zeigt.
(Bd. 3, Abschn. 1.6), dann ändert sich diese Richtung vom
Inertialsystem aus betrachtet, auch wenn im Eigensystem des S
Objekts keine Drehmomente im Spiel sind. B(t + dt)
Betrachten wir beispielsweise zwei Raketen, die Kreisel-
Kapitel 9

kompasse mitführen und die anfangs in einem gemeinsamen


Λ(R)
Inertialsystem sind. Beschleunigt eine dieser Raketen zuerst Λ(dv  )
auf Geschwindigkeit v1 und danach auf eine zusätzliche Ge-
schwindigkeit v2 ¬ v1 , dann hat sich ihr Kreiselkompass Λ(R)· Λ(dv  )
gegenüber der zweiten Rakete verdreht, wenn diese durch ei- B(t) = S  S 
ne einzige lineare Beschleunigung in das neue Inertialsystem
überwechselt. Das ist ein rein relativistischer Effekt, der in Λ(v) Λ(v + dv)
der Newton’schen Mechanik keine Entsprechung hat.
Wird nun ein Objekt auf einer ständig beschleunigten Bahn- S
kurve bewegt, z. B. auf einer Kreisbahn, dann ändert sich,
von einem Inertialsystem aus betrachtet, das mitgeführte Abb. 9.22 Ein Objekt, das dadurch beschleunigt wird, dass Kräf-
räumliche Koordinatensystem (definiert durch Kreiselkom- te nur auf den Schwerpunkt wirken, wird durch ein Bezugssystem
pass oder Spin) kontinuierlich. Dieser ausschließlich kine- B.t/ beschrieben, das über eine kontinuierliche Abfolge von reinen
matische Effekt heißt Thomas-Präzession nach dem eng- Geschwindigkeitstransformationen definiert ist. In diesem ändern
lischen Physiker Llewellyn Hilleth Thomas (1903–1992). sich durch mitgeführte Kreiselkompasse oder Spins definierte Rich-
Die Bedingung an das mitgeführte Koordinatensystem ei- tungen nicht. Von einem festen Laborsystem S aus betrachtet sind
nes beschleunigten Objekts, nämlich dass dieses aus sei- momentane Inertialsysteme S und S00 des beschleunigt bewegten
ner Perspektive rotationsfrei gehalten wird und aus einer Objekts, die dieselbe räumliche Orientierung wie das Laborsystem
kontinuierlichen Abfolge von reinen Geschwindigkeitstrans- haben, mit diesem durch reine Geschwindigkeitstransformationen
(hier ƒ.v/ bzw. ƒ.v C dv/) verknüpft. Wird B.t/ D S0 gewählt,
formationen besteht, heißt Fermi-Walker-Transport, benannt
so unterscheidet sich zu einem infinitesimal späteren Zeitpunkt
nach dem italienischen Physiker Enrico Fermi (1901–1954) B.t C dt/ von S00 im Allgemeinen um eine infinitesimale Drehung
und dem britischen Mathematiker und Kosmologen Arthur
Geoffrey Walker (1909–2001).
Betrachten wir nun von einem Laborsystem S aus die Flug- Hierbei ist
bahn eines Objekts mit Spin (Elektron oder Kreiselkompass),
dann können wir zu jedem Zeitpunkt t, zu dem sich das v  dv
dv0 D  dv C .  1/ v; (9.90)
Objekt mit Geschwindigkeit v.t/ bewegt, mit einer reinen v2
Geschwindigkeitstransformation ƒ.v.t// in das momenta-
ne Ruhesystem des Objekts übergehen und dadurch das in Übereinstimmung mit dem allgemeinen relativistischen
räumliche Koordinatensystem des vom Objekt mitgeführten Additionstheorem für Geschwindigkeiten, während die (in-
Systems mit dem des Laborsystems vergleichen. Bezeichnen finitesimale) Drehmatrix durch
wir mit B.t/ das aus der Sicht des beschleunigten Objekts ro-
tationsfrei gehaltene Koordinatensystem, dann können wir es .  1/
R D I C dR D I C .v dv>  dv v> / (9.91)
zu einem Zeitpunkt t gleich ausrichten wie ein Inertialsystem v2
So geht’s weiter 345

gegeben ist, wie in Aufgabe 9.7 gezeigt wird. Schreibt man Wechselwirkung von Bahndrehimpuls und Spin in der nicht-
relativistischen Quantenmechanik ergibt (wie in Bd. 3, Ab-
x00 D Rx0 D x0 C x0  d; (9.92) schn. 9.3 hergeleitet werden wird). Bemerkenswerterweise
dann ist der infinitesimale Drehvektor haben dieser dynamische Beitrag und der rein kinematische
der Thomas-Präzession dieselbe Form, wobei letzterer den
.  1/ Effekt um einen Faktor 12 vermindert. Dieser Korrekturfaktor
d D v  dv: (9.93)
v2 1
wird in der Quantenmechanik auch Thomas-Faktor ge-
2
Vom mitgeführten System aus betrachtet unterscheidet sich nannt.
S00 von B.t C dt/ nur durch eine passive Koordinatentrans-
formation ƒ.dR/. Aus der Sicht des Laborsystems S hat sich
das mitgeführte System B zusammen mit einem damit ver-
bundenen Spinvektor S aber um ƒ1 .dR/ aktiv gedreht: Geodätische Präzession
und Lense-Thirring-Effekt
dS D S  d D d  S: (9.94)
Dieser präzediert also gemäß Ein analoger Effekt existiert auch im Gravitationsfeld, zu
dessen Berechnung aber die allgemeine Relativitätstheorie
dS d
D SDS (9.95) herangezogen werden muss. Dieser Effekt, der geodätische
dt dt Präzession genannt wird, wurde schon 1916 von dem nie-
mit einer Winkelgeschwindigkeit derländischen Astronomen Willem de Sitter (1872–1934)
berechnet, also elf Jahre vor dem speziell-relativistischen

Kapitel 9
.  1/ dv .  1/ der Thomas-Präzession (und weniger als ein Jahr nach Auf-
D v D v  a; (9.96)
v 2 dt v2 stellung der allgemeinen Relativitätstheorie). Der allgemein-
die durch die momentane Geschwindigkeit und Beschleuni- relativistische Effekt hat wieder die Form (9.98), wobei nun
gung bestimmt ist. Ist v c, dann ist dies wegen   1 V.r/ das Gravitationspotenzial darstellt, ist aber sogar um
1 v2
näherungsweise einen Faktor 3 größer, denn er setzt sich aus einer „gravi-
2 c2 magnetischen“ Spin-Bahn-Kopplung zusammen, die exakt
1 analog zur Thomas-Präzession ist, und einem doppelt so
  v  a: (9.97) großen weiteren Beitrag von der Raumkrümmung. Für Sa-
2c2
telliten auf einem erdnahen Orbit beträgt diese geodätische
Man beachte, dass  abhängig von der Relativgeschwin- Präzession einige Bogensekunden pro Jahr.
digkeit des Beobachters in S ist. In einem momentanen
Ruhesystem ist insbesondere die Geschwindigkeit v D 0,
und der Spinvektor präzediert gerade nicht. Durchläuft ein
Objekt eine geschlossene Bahn und kommt in das Aus-
gangssystem zurück, dann kommt es aber zu einer eindeutig
definierten Verdrehung des Spinvektors, die davon abhängt,
wie groß die Beschleunigung entlang der Bahnkurve war.
Mit diesem relativistischen Effekt der Thomas-Präzession
konnte 1927 Thomas einen Widerspruch beseitigen, der sich
in der nichtrelativistischen Quantenmechanik bei der Be-
rechnung der Feinstruktur von Atomen ergeben hatte: Ein
Elektron, das sich in einem radialsymmetrischen Potenzial
V.r/ D Ze=r um den Atomkern bewegt, wird durch die
Kraft ma D V 0 .r/er D rV 0 .r/=r auf seiner Bahn ge-
halten. Der Spin des Elektrons, das sich in guter Näherung
nichtrelativistisch bewegt, erfährt damit eine Präzession der
Gestalt
Abb. 9.23 Der 2004 gestartete NASA-Satellit Gravity Probe B, der
1 vr 0 1 V 0 .r/ 2011 die allgemein-relativistischen Effekte der geodätischen Prä-
D 2 V .r/ D  2 2 L ; (9.98) zession (6,6 Bogensekunden pro Jahr) sowie den Lense-Thirring-
2c mr 2m c r
Effekt (39 Millibogensekunden pro Jahr) mit einer Genauigkeit von
wobei L D r  .mv/ der Bahndrehimpuls des Elektrons 0,01 % bzw. 1 % bestätigen konnte. Dazu führte dieser Satellit vier
ist. Dies gibt eine Korrektur zur Spin-Bahn-Wechselwir- aus schnell rotierenden supraleitenden Kugeln bestehende Gyrosko-
kungsenergie des Elektrons, die sich aus der magnetischen pe mit (© NASA/MSFC)
346 9 Spezielle Relativitätstheorie

Zusätzlich dazu gibt es den noch subtileren, 1918 von Jo- Für Erdsatelliten macht der Lense-Thirring-Effekt nur etwa
sef Lense (österreichischer Mathematiker, 1890–1985) und 40 Millibogensekunden pro Jahr aus, kann von der geodä-
Hans Thirring (österreichischer Physiker, 1888–1976) ge- tischen Präzession aber unterschieden werden, weil er im
fundenen und nach ihnen benannten Effekt des frame drag- Allgemeinen eine andere räumliche Drehachse hat. Beide
ging, der von der Rotation der Erde selbst hervorgerufen Effekte konnten 2011 von dem 2004 gestarteten Satelliten
wird. Ein massiver rotierender Körper krümmt demnach Gravity Probe B (Abb. 9.23) mit hoher Genauigkeit bestätigt
nicht nur die Raumzeit, sondern verdrillt sie auch etwas, was werden. (Für eine hervorragende Diskussion dieser Effek-
zu einer weiteren Präzession führt, die als „gravi-magneti- te und ihre Bedeutung für die allgemeine Relativitätstheorie
sche“ Spin-Spin-Wechselwirkung angesehen werden kann. siehe Overduin 2008.)
Kapitel 9
Aufgaben 347

Aufgaben

Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen

miteinander verbunden sind. Zum Zeitpunkt t D 0 sollen sie


9.1 Vorbeiflug von Teilchen an Stab In einem In-
exakt gleichzeitig starten und durch einen identischen Beschleu-
ertialsystem S bewege sich ein Stab der Ruhelänge L0 mit der
nigungsvorgang in x-Richtung auf eine bestimmte Geschwin-
Geschwindigkeit v in seiner Längsrichtung. Mit entgegenge-
digkeit v gebracht werden. Vom Inertialsystem S, in dem sie
setzt gleicher Geschwindigkeit fliege ein Punktteilchen auf den
gestartet sind, aus betrachtet, halten die beiden Raketen immer
Stab zu und an ihm vorbei.
den gleichen Abstand, während der mitgeführte Faden, der die
(a) Wie lange dauert der Vorbeiflug im Inertialsystem S? Raketen verbindet, auf eine Länge L D L0 =.v/ Lorentz-kon-
(b) Wie lange im Ruhesystem S0 des Stabes? trahiert wird. Wenn der Faden nicht dehnbar ist, sollte er reißen.
(c) Wie lange im Ruhesystem S00 des Punktteilchens?

Kapitel 9
Kann das sein? Im Bezugssystem der beiden Raketen ist natür-
Für welchen Fall ist das Ergebnis maximal bzw. minimal? lich keine Lorentz-Kontraktion vorhanden. Reißt nun der Faden,
oder reißt er nicht?
Empfehlenswerte Zusatzaufgabe: Fertigen Sie Minkowski-Dia-
gramme dazu an.
Lösungshinweis: Stellen Sie die Ereignisse in einem Minkow-
ski-Diagramm dar. Nehmen Sie an, dass die Beschleunigungs-
Lösungshinweis: Definieren Sie sorgfältig die zwei Ereignis- phase selbst vernachlässigbar kurz ist und sich danach beide Ra-
se, die zum Zusammentreffen von Teilchen und Anfangs- bzw.
keten mit gleicher Geschwindigkeit in positive x-Richtung bewe-
Endpunkt des Stabes gehören, und führen Sie die notwendi- gen. Die Frage kann dann ohne Rechnung beantwortet werden.
gen Lorentz-Transformationenen durch. Kontrollieren Sie Ihr
Ergebnis durch eine alternative Berechnung mit der Formel für 9.4 Relativistischer Zaubertrick mit Stab und
relativistische Geschwindigkeitsaddition. Lochplatte Ein zerbrechlicher Stab und eine massive Loch-
platte werden im Laborsystem S eines Trickkünstlers wie in
9.2 Zeitdilatation durch Erdrotation „Man Abb. 9.24 skizziert auf zueinander rechtwinkligen Bahnen mit
schließt daraus, daß eine am Erdäquator befindliche Unruh- relativistischer Geschwindigkeit aufeinander geschossen. Die
uhr um einen sehr kleinen Betrag langsamer laufen muß als eine Länge des Stabes und der Durchmesser des Loches sind in Ruhe
genau gleich beschaffene, sonst gleichen Bedingungen unter- gleich, sodass der Stab gerade nicht durch das runde Loch ge-
worfene, an einem Erdpole befindliche Uhr“ schrieb Einstein schoben werden kann, wenn er parallel zur Platte liegt (solange
(1905) in seiner Arbeit „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“. seine Enden nicht zum Loch passend abgerundet werden). Bei
Schätzen Sie den Effekt ab, wenn vernachlässigt wird, dass relativistischer Bewegung des Stabes in seiner Längsrichtung
die Erdoberfläche am Pol und am Äquator unterschiedliches p
wird der Stab aber Lorentz-kontrahiert (bei z. B. vx =c D 3=4
Gravitationspotenzial hat und man eigentlich die Gravitations-
und .vx / D 2 gerade auf die Hälfte) und sollte bequem und
rotverschiebung in die Rechnung einbeziehen müsste. Wie groß
unbeschadet durch die Lochplatte durchgehen, die bei ihrer Be-
ist der Effekt nach einem Tag?
wegung in Richtung senkrecht zur Platte (mit Geschwindigkeit
vy , die nicht unbedingt relativistisch sein muss) nur in ihrer Di-
9.3 Bell’sches Raumschiffparadoxon Der nordiri-
cke Lorentz-kontrahiert wird und sonst ihre Form beibehält.
sche Physiker John S. Bell (1928–1990), bekannt durch die
nach ihm benannten Ungleichungen, die in der Interpretation Aus der Sicht des Ruhesystems des Stabes sieht dies aber un-
der Quantenmechanik eine bedeutende Rolle spielen (Bd. 3, möglich aus, denn hier sollte die Lochplatte, die sich nun auf
Kap. 4), berichtet in seinem Buch (Bell 1987), dass er mit schräger Bahn auf den Stab zu bewegt, in der Längsrichtung
folgendem Paradoxon sogar seine Physikerkollegen am CERN Lorentz-kontrahiert sein, sodass der Stab schon gar nicht durch-
verblüffen konnte und dass eine Mehrheit davon zunächst spon- passt. Eine Kollision scheint zu drohen, bei der die Enden des
tan für die falsche Lösung votierte. Stabes massiv geköpft werden.
Man betrachte zwei identische Raketen, die entlang der x-Achse Lösen Sie dieses Paradoxon auf, indem Sie die Trajektorien der
in ihrem gemeinsamen Ruhesystem S einen Abstand L0 ha- Endpunkte des Stabes und der Randpunktes des Loches in der
ben, über den sie durch einen fragilen, nicht dehnbaren Faden xy-Ebene in beiden Inertialsystemen analysieren.
348 9 Spezielle Relativitätstheorie

z Teilchen mitgeführt wird, bezüglich eines festen Inertialsystems


eine kontinuierliche Drehung, die am Ende dieses Kapitels im
y Abschnitt „So geht’s weiter“ besprochene Thomas-Präzession.
Ruhelänge
2a Dazu sollen die Koordinatensysteme von momentanen Ruhe-
systemen entlang der Bahnkurve des Teilchens zu infinitesimal
unterschiedlichen Zeitpunkten verglichen werden, zu denen das
Teilchen bezüglich eines Laborsystems S die Geschwindigkeit
v (System S0 ) bzw. v C dv (System S00 ) hat. Vom Laborsystem S
sollen sich S0 und S00 nur um reine Geschwindigkeitstransforma-
x tionen ƒ.v/ bzw. ƒ.v C dv/ unterscheiden und somit dieselbe
räumliche Orientierung wie das Laborsystems haben.
a
Vom rotationsfrei mitgeführten Eigensystem des Teilchens aus
betrachtet, unterscheiden sich aber S0 und S00 um eine zusätzli-
che Drehung von einer reinen Geschwindigkeitstransformation
ƒ.dv0 /.
Abb. 9.24 Ein Stab mit Ruhelänge 2a sei im Laborsystem S entlang der
x-Richtung positioniert, eine Platte mit einem Loch mit Radius a senk- Um diese zu bestimmen, berechne man das Produkt
recht zur y-Achse. Dann werden beide in Bewegung versetzt, sodass sie ƒ.v C dv/ ƒ1 .v/; (9.101)
sich zum Zeitpunkt t D 0 im Koordinatenursprung überlappen. Wenn
beide in Ruhe sind, soll der Stab gerade nicht in das Loch passen, da der um das sich aus der Perspektive des Laborsystems die Koor-
Stab eckig und das Loch rund ist. Mit relativistischer Geschwindigkeit, dinatensysteme S0 und S00 von einer reinen Geschwindigkeits-
Kapitel 9

z. B. mit  D 2, aufeinander geschossen, ist aber der Stab im Labor- transformation unterscheiden (siehe Abb. 9.22). Man zeige, dass
system Lorentz-kontrahiert und das Loch nicht, er sollte also bequem zusätzlich zur reinen Geschwindigkeitstransformation ƒ.dv0 /
durch das Loch passen. Im Ruhesystem des Stabes kommt die Loch- mit
platte auf schräger Bahn auf den Stab zu, wobei das Loch nun in der v  dv
Längsrichtung Lorentz-kontrahiert sein und damit der Stab nicht mehr dv0 D  dv C .  1/ 2 v (9.102)
v
durchpassen können sollte. Was passiert wirklich?
eine infinitesimale räumlichen Drehung mit Drehmatrix
.  1/
9.5 Additivität von Rapidität Im Kasten „Vertie- R D I C dR D I C .v dv>  dv v> / (9.103)
v2
fung: Lorentz-Transformation als imaginäre Drehung“ wurde
als alternatives Maß für Geschwindigkeit die Rapidität  ein- auftritt.
geführt,
v Lösungshinweis: Überlegen Sie sich dafür, welche Struktur die
ˇ  D tanh ;  D cosh : (9.99) Transformationsmatrix bei einer Zusammensetzung von einer
c
infinitesimalen Geschwindigkeitstransformation und einer infi-
Während der Wertebereich von ˇ in Lorentz-Transformationen nitesimalen Drehung hat.
durch 1 < ˇ < 1 beschränkt ist, hat man 1 <  < 1.
Zeigen Sie, dass bei der Kombination von Lorentz-Transfor- 9.8 Vierergradient Ein Beispiel für einen Vierer-
mationen mit gleichgerichteten Geschwindigkeiten v1 k v2 die vektor, der natürlicherweise mit kovarianten Komponenten de-
zugehörigen Rapiditäten 1 , 2 einfach addiert werden: finiert wird, ist der später (ab Bd. 2, Kap. 8) noch sehr wichtig
werdende Vierergradient
3 D 2 C 1 : (9.100) !
@ 1
@ t
@ WD  D c : (9.104)
Lösungshinweis: Verwenden Sie die Darstellung der hyper- @x r
bolischen Funktionen durch Exponentialfunktionen, um deren
Additionstheoreme herzuleiten. (a) Zeigen Sie, dass dieser unter einer Lorentz-Transformation
entsprechend
9.6 Zusammenhang Dreier- und Viererbeschleu- @0 D ƒ  @ (9.105)
nigung Berechnen Sie die Dreierkomponenten der Viererbe- 0  
transformiert, also entgegengesetzt zu x D ƒ  x .
schleunigung (9.78). (b) Berechnen Sie damit
@ x (9.106)
9.7 Thomas-Präzession Da sich das Produkt von
zwei nicht gleichgerichteten reinen Geschwindigkeitstransfor- und  
mationen von einer reinen Geschwindigkeitsaddition mit rela- @ s2 D @   x x (9.107)
tivistisch addierten Geschwindigkeiten dadurch unterscheidet, und zeigen Sie, dass die Ergebnisse unter homogenen
dass noch eine räumliche Drehung im Spiel ist, erfährt das räum- Lorentz-Transformationen entsprechend ihrer Indexstellung
liche Koordinatensystem, das von einem beschleunigt bewegten transformieren.
Lösungen zu den Aufgaben 349

Lösungen zu den Aufgaben

p
9.1 (a) t D 2vL0
1  ˇ 2 ; (b) t0 D L0
2v
.1 C ˇ 2 /; (c) t00 D
L0
2v
.1  ˇ /. Somit ist t0 > t > t00 .
2

9.2   1 1;2  1012 . Pro Tag etwa 0,1 µs.


 >
9.6 .a / D  2 .v/  2 .v/ va
c
; a C  2 .v/ .va/v
c 2

Kapitel 9
350 9 Spezielle Relativitätstheorie

Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben

9.1 Nehmen wir an, dass sich der Stab entlang der x-Achse (c) Für das Ruhesystem des Teilchens S00 ist eine Lorentz-
nach rechts bewegt und sich zum Zeitpunkt t D 0 das linke Transformation analog zu (9.112), aber mit umgekehrter Ge-
Ende des Stabes bei x D 0 und das rechte bei x D L befindet. schwindigkeit durchzuführen, mit dem Ergebnis
(L ist damit definiert als die Länge des bewegten Stabes in S.)
Bezeichnen wir die x-Koordinate des rechten bzw. linken Endes ct00 D  ct C ˇx
mit x˙ , dann wird die Bewegung des Stabes in S durch L L0   (9.115)
D .c  vˇ/ D c 1  ˇ2 :
x D vt; xC D L C vt (9.108) 2v 2v

beschrieben. Das Punktteilchen bewege sich in negative x-Rich- Für die direkte Berechnung über Geschwindigkeit und Län-
tung und treffe zum Zeitpunkt t D 0 gerade auf das vordere ge des Stabes ist die nun unterschiedliche Lorentz-Kontrak-
(rechte) Ende bei x D L. Seine Bewegung wird dann beschrie- tion des Stabes zu berücksichtigen. Die Geschwindigkeit des
ben durch Stabes in S00 hat analog zu Teilaufgabe (b) den Betrag
xP D L  vt: (9.109)
2v
v 00 D : (9.116)
Die Ereignisse E1 und E2 , die dadurch definiert sind, dass das 1 C ˇ2
Teilchen gerade mit dem vorderen bzw. hinteren Ende gleichauf
Kapitel 9

ist, sind in S somit parametrisiert durch Damit ist


s s
E1 .xC D xP / W t D 0; x D LI
v 002 4ˇ 2
L (9.110) L00 D L0 1  2 D L0 1 
E2 .x D xP / W tD ; x D L=2: c .1 C ˇ 2 /2
2v s (9.117)
Davon ausgehend betrachten wir nun die Situation in den drei .1 C ˇ 2 /2  4ˇ 2 1  ˇ2
D L0 D L0 :
Bezugssystemen: .1 C ˇ / 2 2 1 C ˇ2

(a) In S ist das Zeitintervall einfach von der Koordinatenzeit t Daraus folgt
abzulesen.
p Wegen der Lorentz-Kontraktion ist L D L0 = D
L0 1  ˇ 2 ; die Zeit für den Vorbeiflug ist also L00 L0  
t00 D 00
D 1  ˇ2 ; (9.118)
L L0 p v 2v
t D D 1  ˇ2 : (9.111)
2v 2v in Übereinstimmung mit (9.115).
(b) Das Bezugssystem S0 , in dem der Stab ruht, bewegt sich in
positive x-Richtung. Lorentz-Transformation der Intervalle Der Vorbeiflug dauert also in allen drei Bezugssystemen un-
t D L=.2v/, x D L=2 (Koordinaten von E2 minus Ko- terschiedlich lang; am kürzesten ist er im Bezugssystem des
ordinaten von E1 ) ergibt Teilchens, am längsten im Bezugssystem des Stabes, t0 >
t > t00 .
ct0 D  ct  ˇx
L L0   (9.112)
9.2 Der Äquatorumfang beträgt ziemlich genau 40.000 km, der
D .c C vˇ/ D c 1 C ˇ2 :
2v 2v Tag hat 86.400 s, damit bewegt man sich am Äquator mit etwa
Betrachten wir alternativ die Geschwindigkeit des Teilchens 460 m=s, und die Abweichung des  -Faktors von 1 ist
im Ruhesystem des Stabes, so ist diese durch die relativis-
tische Addition von zwei gleich großen Geschwindigkeiten 1 1 v2
 1D p 1 1;2  1012 : (9.119)
mit Betrag v gegeben, mit dem Ergebnis 1  v 2 =c2 2 c2
vCv
v0 D : (9.113) Pro Tag kämen etwa 0;1 s zusammen, also ein mit heutigen
1 C v 2 =c2 Atomuhren sehr leicht messbarer Effekt.
In S0 dauert der Vorbeiflug entlang der Ruhelänge des Stabes Was Einstein 1905 verständlicherweise nicht in Rechnung stell-
damit te, ist aber, dass wegen der Erdabplattung das reine Gravitati-
L0 L0  
t0 D 0 D 1 C ˇ2 ; (9.114) onspotenzial der Erde (d. h. ohne Zentrifugalpotenzial) an den
v 2v Polen der Erde stärker negativ ist als am Äquator, sodass hier die
in Übereinstimmung mit (9.112). Gravitationsrotverschiebung nicht vernachlässigt werden kann,
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 351

ct ct y

vy
vx
(t = 0)
S:
x
−a a
a a
 −γ γ
x
L0
Abb. 9.26 Zusammentreffen von Stab und Lochplatte aus Abb. 9.24
aus der Sicht des Laborsystems S. Mit  D 2 ist der Stab in Längsrich-
tung auf die Hälfte reduziert und passt bequem durch das Loch der mit
vy senkrecht dazu bewegten Platte

L0 x
der vorderen (rechten) Raketen bei t0 D tR0 < 0 (Abb. 9.25).
In diesem Bezugssystem ist der Faden einfach deshalb gerissen,
weil die vordere Rakete früher gestartet ist.
L0
ctR Zu diesem Paradoxon gibt es übrigens eine ausgedehnte und
teilweise kontroverse Literatur (Petkov 2009).
Abb. 9.25 Bell’sches Raumschiffparadoxon. Zwei Raketen, die über
9.4 Im Laborsystem ist die Situation klar, der Stab wird auf
einen undehnbaren Faden der Länge L0 miteinander verbunden sind,

Kapitel 9
starten gleichzeitig zum Zeitpunkt t D 0 und werden auf gleiche Ge-
Länge 2a= kontrahiert und passt durch das Loch (hinreichend
schwindigkeit in positive x-Richtung gebracht. Reißt der Faden, der zwi- dünne Platte und hinreichend dünner Stab vorausgesetzt bzw.
schen den Raketen gespannt wurde, aufgrund der Lorentz-Kontraktion? ein vy , das nicht allzu niedrig ist). Die Trajektorien von Platte
und Stab in der xy-Ebene sind in Abb. 9.26 skizziert.
Im Ruhesystem S0 des Stabes sind die Trajektorien der rechten
die mit umgekehrten Vorzeichen beiträgt. Die Erdabplattung ist und linken Randpunkte des Loches entscheidend. Schreiben wir
nun gerade so, dass sich Unterschiede im Gravitationspotenzial diese im Laborsystem S als
und dem Zentrifugalpotenzial die Waage halten, was zur Fol-
ge hat, dass sich Gravitationsrotverschiebung und Zeitdilatation   >
in der betrachteten Ordnung kompensieren (Cocke 1966). Um x˙ .t/ D .ct; l˙ .t//> D ct; ˙a; vy t; 0 ; (9.120)
am Pol auf gleichem Gravitationspotenzial wie am Äquator auf
Meeresniveau zu sein, sodass obiges Resultat doch herauskäme, wobei der Index ˙ den rechten bzw. linken Randpunkt des Lo-
müsste man sich dort etwa 10 km oberhalb des Meeresspiegel ches bezeichnet, dann ergeben sich die Trajektorien im System
befinden. (Zum Vergleich: Die Erdabplattung macht etwa 20 km S0 durch eine Standard-Lorentz-Transformation mit Geschwin-
Unterschied im Radius aus.) digkeit v  vx :

0  0 0 >
9.3 Der Faden muss reißen, denn die Lorentz-Kontraktion in x˙ .t0 / D ct˙ ; l˙
S ist ein objektives Phänomen. Die Frage ist also, wie sich das  h v i > (9.121)
Reißen des Fadens im Bezugssystem der bewegten Raketen dar- D c t  2 .˙a/ ; .˙a  vt/; vy t; 0 :
c
stellt.

Wie bei eigentlich allen Paradoxa der speziellen Relativitäts- Um die Trajektorien in S0 darzustellen, muss in diesem Ergebnis
theorie liegt der Schlüssel im Begriff der Gleichzeitigkeit. noch t zugunsten von t0 D  Œt  cv2 .˙a/ eliminiert werden:
Gleichzeitigkeit im System des Startsystems S ist eine klar defi-
nierte und intuitiv einsichtige Angelegenheit. Dass die Raketen 1 0 va
tD t ˙ 2: (9.122)
gleichzeitig starten, braucht entweder perfekt synchronisierte  c
Uhren, oder das Startsignal wird von einem Punkt aus den Ra-
keten übermittelt, der sich im gleichen Abstand von den beiden Damit bekommen wir für die räumlichen Koordinaten
Raketen befindet.
   >
v v2 1 0 va
Vom Bezugssystem der bewegten Raketen aus betrachtet bedeu- l0˙ .t0 / D  ˙a  t0  2 .˙a/ ; vy t ˙ 2 ;0
 c  c
tet Gleichzeitigkeit allerdings etwas grundsätzlich anderes. Wie   >
das Minkowski-Diagramm (Abb. 9.25) zeigt, sind von diesem a 1 0 va
D ˙  vt0 ; vy t ˙ 2 ;0 ;
Bezugssystem aus betrachtet die Zeiten, zu denen die beiden   c
Raketen gestartet sind, nicht gleich. Ist der Startzeitpunkt der (9.123)
hinteren (linken) Rakete t D t0 D 0, dann ist der Startzeitpunkt grafisch dargestellt in Abb. 9.27 für  D 2 und vy D v=2.
352 9 Spezielle Relativitätstheorie

y dann ergibt sich für zwei hintereinander ausgeführte Transfor-


mationen mit Geschwindigkeiten v1 und v2 mit den Abkürzun-
gen ch1;2 WD cosh 1;2 und sh1;2 WD sinh 1;2:
! !
ch2 sh2 ch1 sh1
sh2 ch2 sh1 ch1
−a !
S : ch2 ch1 C sh2 sh1 .ch2 sh1 C sh2 ch1 /
a a γa x D (9.128)
γ .ch2 sh1 C sh2 ch1 / ch2 ch1 C sh2 sh1
!
t = γva ch3 sh3
c2 D :
sh3 ch3
t = 0 t = − γva
c2
Mit der expliziten Darstellung durch e-Funktionen
Abb. 9.27 Zusammentreffen von Stab und Lochplatte aus Abb. 9.24 e C e e  e
aus der Sicht des Stabes. Hier bewegt sich die Platte mit vx0 D v cosh  D ; sinh  D (9.129)
2 2
auf den Stab zu, mit etwas reduzierter vertikaler Geschwindigkeit
vy0 D vy = aufgrund der Zeitdilatation. Die horizontale Ausdehnung zeigt man leicht die Additionstheoreme für die Hyperbelfunk-
des Loches ist nun auf 2 a Lorentz-kontrahiert, aber es kommt zu keiner tionen
Kollision, weil die Platte nicht mehr parallel zum Stab ist, sondern gera-
de so gedreht, dass das vordere und hintere Ende die horizontale Achse cosh.2 C 1 / D cosh 2 cosh 1 C sinh 2 sinh 1 ; (9.130)
bei ˙ a kreuzen, in Übereinstimmung mit den relativen Abständen im sinh.2 C 1 / D cosh 2 sinh 1 C sinh 2 cosh 1 ;
Kapitel 9

(9.131)
Laborsystem (aber nun nicht mehr zu gleichen Zeiten)
und somit 3 D 2 C 1 .

Zum Zeitpunkt t0 D 0, an dem die Mittelpunkte von Loch und 9.6 Mit a D dv=dt ist
Stab zusammenfallen, ist
 > d  d
a vy v a D u D  u
0
l˙ .0/ D ˙ ; ˙a 2 ; 0 : d ! dt
 c
(9.124)   ! ! (9.132)
d c d c 2 0
Die x0 -Koordinaten der Randpunkte des Loches sind also tat- D  D  C :
dt v dt v a
sächlich auf ihren durch die Lorentz-Kontraktion zu erwar-
tenden Positionen, aber gleichzeitig sind die zugehörigen y0 - Die Ableitung des  -Faktors gibt dabei
Komponenten ungleich null – eine Kollision findet nicht statt,  1=2
weil die Platte in S0 gedreht ist! d d v2
D 1 2
Die beiden Randpunkte kreuzen die x0 -Achse zu unterschiedli- dt dt c
  3=2 (9.133)
chen Zeiten, 1 v2 2v  a  3v  a
va D  1 2 D :
.l0˙ /y D 0 ) t˙0
D ; (9.125) 2 c c2 c2
c2
an den Stellen Damit ist
   >
0 0 1 v2 va .v  a/v
.l˙ /x .t˙ / D ˙a C 2  D ˙a: (9.126) 
.a / D  .v/  .v/
2 2
; a C  2 .v/ : (9.134)
 c c c2
Damit sind die Verhältnisse der x0 -Abstände bei y0 D 0 wieder
dieselben wie schon im Laborsystem festgestellt: Die Rand-
punkte des Loches kreuzen die x0 -Achse um einen Faktor  9.7 Eine infinitesimale Geschwindigkeitstransformation hat die
von den Stabenden entfernt. Dass sie dies zu unterschiedlichen Form
0
!
Zeiten t˙ tun, hängt mit der Drehung zusammen, die somit als
0 0 dv0> =c
Konsequenz des veränderten Gleichzeitigkeitsbegriffs in S0 ver- ƒ.dv / D I C ; (9.135)
dv0 =c 0
standen werden kann. (Zur Relativität von Richtungen siehe
auch den Abschnitt „So geht’s weiter“ in diesem Kapitel.) da  D 1 C O.dv 02 / ist, und eine infinitesimale Drehung
!
9.5 Schreiben wir die Lorentz-Transformation nur in den betei- 0 0>
ligten Koordinaten als ƒ.R/ D I C ; (9.136)
0 dR
! !
 ˇ cosh   sinh  wobei die räumliche Matrix dR antisymmetrisch ist (siehe Ab-
D ; (9.127)
ˇ   sinh  cosh  schn. 2.1).
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 353

Die Zusammensetzung dieser beiden Transformationen ergibt mit


ˇı
! ı 0 D  ı C .  1/ ˇ: (9.143)
0 0 dv0> =c ˇ2
ƒ.R/ƒ.dv / D I C ; (9.137)
dv0 =c dR Der Vergleich mit (9.137) gibt die Resultate (9.102) und (9.103)

wobei es in dieser Ordnung nicht auf die Reihenfolge ankommt; 9.8


die beiden infinitesimalen Matrizen werden einfach addiert.
Um keine Faktoren c schreiben zu müssen, definieren wir im (a) Mit der Kettenregel gilt
Folgenden neben ˇ D v=c ein infinitesimales ı WD dv=c.
@ @x0 @ @
Zu berechnen ist bis zur Ordnung ı @  
D  0 Dƒ  D ƒ  @0 : (9.144)
@x @x @x @x0
 
1 @ Gemäß (9.70) ist ƒ mit invertierter Indexstellung die inverse
ƒ.ˇ C ı/ ƒ .ˇ/ D I C ı  ƒ.ˇ/ ƒ1 .ˇ/: (9.138)
@ˇ Matrix, mit der @0 extrahiert werden kann:

Eine reine Geschwindigkeitstransformation in beliebiger Rich- ƒ  @ D ƒ  ƒ  @0 D ı @0 D @0 : (9.145)


tung ist gemäß (9.33) gegeben durch
(b)
0 >
1 @
  ˇ @ x  x D ı ; (9.146)
ƒ.ˇ/ D @ ˇˇ >A: (9.139) @x
 ˇ I C .  1/ 2
ˇ da ı D 1 für D  und sonst null ist. Entsprechend der

Kapitel 9
Indexstellung mit einem oberen und einem unteren Index
Wegen transformiert die linke Seite unter Lorentz-Transformationen
@ gemäß
ı .ˇ/ D  3 ˇ  ı (9.140)

ƒ˛  ƒˇ .@ x / D .ƒ˛  @ /.ƒˇ x / D @0˛ x0ˇ ; (9.147)
(siehe (9.133)) ergibt sich
während das Kronecker-Delta auf der rechten Seite ein inva-
@ rianter Tensor ist, denn mit (9.70) ist
ıƒ WD ı  ƒ.ˇ/

! (9.141)
3 ˇ  ı  3 ˇ  ı ˇ >   ı > ı˛0ˇ D ƒ˛  ƒˇ ı D ƒ˛  ƒˇ  D ı˛ˇ : (9.148)
D
 3 ˇ  ı ˇ   ı M
Im zweiten zu berechnenden Ausdruck @ s2 ist s2 ein Lo-
mit rentz-Skalar, das Ergebnis muss also ein Lorentz-Vektor
sein, der sich gemäß seiner Index-Stellung transformiert.

2ˇ  ı ˇ ˇ> ˇ ı> C ı ˇ> Nach der Produktregel ist
M D  3 ˇ  ı  .  1/ 2 C .  1/ :
ˇ ˇ 2 ˇ2  
@ s2 D @   x x D   ı x C   x ı
Unter Verwendung der Identität  2 .1  ˇ 2 / D 1 findet man D  x C   x D 2x :
schließlich nach sorgfältiger Rechnung (9.149)
0 0>
1 Mit unterem Index transformiert x0 D ƒ  x wie @
0 ı (wovon man sich auch leicht am Beispiel einer Standard-
ıƒ ƒ1 .ˇ/ D ıƒ ƒ.ˇ/ D @ ˇ ı>  ı ˇ> A Lorentz-Transformation überzeugt, in der gleichzeitig der
ı 0 .  1/
ˇ2 räumliche Vektor x in x und der Geschwindigkeitsvektor v
(9.142) in ƒ  ein negatives Vorzeichen bekommen).
354 9 Spezielle Relativitätstheorie

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de.wikisource.org/wiki/Raum_und_Zeit_(Minkowski) Princip
Relativistische Mechanik
10
Was wird in der
relativistischen Mechanik
aus den Newton’schen
Axiomen?
Woraus folgt die berühmte
Gleichung E D mc2 ?
Was ist Masse?
Wie kann neue Materie
erzeugt werden?

Kapitel 10
10.1 Punktteilchen, Ruhemasse und Viererimpuls . . . . . . . . . . . . . . . 356
10.2 Relativistische Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
10.3 Relativistische Teilchenstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 355
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik 1 | Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56115-7_10
356 10 Relativistische Mechanik

Wie wir in Kap. 9 gesehen haben, wird in der speziellen Relativitäts- Betrachten wir den einfachsten Fall eines strukturlosen freien
theorie der dreidimensionale euklidische Raum der Newton’schen Punktteilchens (ohne den bei Elementarteilchen noch möglichen
Mechanik mit einer unabhängig definierten absoluten Zeit durch Spin, den intrinsischen Drehimpuls), dann ist sein Bewegungs-
den vierdimensionalen Minkowski-Raum ersetzt. Die Zeit spielt zustand vollständig durch eine Weltlinie x .t/ beschrieben, wel-
zwar weiterhin eine besondere Rolle, aber Gleichzeitigkeit ist nun che die gesamte Geschichte dieses Teilchens wiedergibt. Dieser
ähnlich relativ wie schon vor der Relativitätstheorie die Aussage, Weltlinie ist in Lorentz-invarianter Weise eine Eigenzeit  zuge-
zwei separate Ereignisse fänden am selben Ort statt. Dem Ein- ordnet, über die die Vierervektoren der Vierergeschwindigkeit
stein’schen Relativitätsprinzip und der Geometrie des Minkowski- u D dx =d und der Viererbeschleunigung a D du =d de-
Raumes wird man am besten durch die Verwendung von Vierergrö- finiert werden können.
ßen anstelle der gewohnten dreidimensionalen Vektoren gerecht.

In diesem Kapitel, in dem die relativistische Mechanik begründet Frage 1


werden soll, werden wir daher in Abschn. 10.1 zuerst den Im- Rufen Sie sich (ohne gleich nachzuschlagen) den Zusammen-
puls eines Punktteilchens zu einer Vierergröße machen und damit hang von Koordinaten- und Eigenzeit und damit von Vierer- und
in Abschn. 10.2 das zweite Newton’sche Axiom (Kraft als zeit- Dreiergeschwindigkeit in Erinnerung.
liche Änderung des Impulses) neu formulieren. Dabei wird sich
herausstellen, dass Energie und Impuls ähnlich zu kombinieren sind
wie Zeit- und Raumkoordinaten. Als besonders folgenreicher neu- Ein elementares Punktteilchen ist durch seine invariante Mas-
er Aspekt stellt sich dabei heraus, dass die Masse nicht länger se charakterisiert, die dadurch definiert ist, dass man sie im
eine erhaltene Größe ist, sondern Energie in Masse und umge- (momentanen) Ruhesystem des Teilchens misst. Man nennt
kehrt umgewandelt werden kann. Ohne auf die dafür notwendigen diese so definierte Masse deshalb auch Ruhemasse. Für zu-
Wechselwirkungen eingehen zu müssen, werden in Abschn. 10.3 sammengesetzte Objekte wie Raketen macht es natürlich auch
zunächst relativistische Streuprozesse diskutiert, bei denen Massen Sinn, eine zeitlich veränderliche Ruhemasse zu betrachten (sie-
erhalten bleiben, und danach solche, bei denen Materie erzeugt he Aufgabe 10.2). Die auf diese Weise definierte Masse ist
oder vernichtet wird. offensichtlich ein Lorentz-Skalar, d. h. eine Größe, die für je-
des Bezugssystem dieselbe Bedeutung hat: Jeder Beobachter
Das Eröffnungsbild dieses Kapitels zeigt die Produktion von zahlrei- übernimmt einfach den im Ruhesystem bestimmten Wert. Weil
chen Elementarteilchen bei einer hochenergetischen Kollision von das Produkt aus einem Vierervektor mit einer invarianten Größe
zwei Protonen im Large Hadron Collider des CERN (der im Eröff- wieder einen Vierervektor darstellt, kann ein Lorentz-kovarian-
nungsbild von Kap. 9 zu sehen ist), wobei in diesem konkreten ter Viererimpuls einfach durch das Produkt von Ruhemasse und
Ereignis aus den Zerfallsprodukten auf das lange gesuchte Higgs- Vierergeschwindigkeit definiert werden.
Teilchen geschlossen werden konnte. (Das Higgs-Teilchen, dessen
Kapitel 10

Entdeckung im Juli 2012 bekannt gegeben wurde, ist gemäß dem


Standardmodell der Teilchenphysik verantwortlich dafür, dass Ele-
mentarteilchen wie Elektronen oder Quarks überhaupt eine Masse Viererimpuls
tragen.) Der Viererimpuls eines Punktteilchens mit Ruhemasse m
ist definiert durch
p WD m u : (10.1)

10.1 Punktteilchen, Ruhemasse In einem gegebenen Inertialsystem, in dem das Punktteil-


chen die Dreiergeschwindigkeit v.t/ hat, ist
und Viererimpuls ! !
 p0 c
p D D m .v/ : (10.2)
In Kap. 9 haben wir gesehen, dass es in der speziellen Relativi- p v
tätstheorie keine starren Körper geben kann. Ausdehnungslose
Punktteilchen machen jedoch in dieser Hinsicht keine prinzipi- Der Dreierimpuls ist damit durch
ellen Schwierigkeiten.
p D m .v/ v (10.3)
Achtung Gewisse fundamentale Schwierigkeiten machen
allerdings die mit Punktteilchen verknüpften Felder, nämlich gegeben. Dies stimmt mit der nichtrelativistischen Defi-
wenn sie elektrische Ladung tragen und, allgemeiner, wenn man nition eines Impulses überein, wenn man eine geschwin-
das Gravitationsfeld einbezieht, das sie selbst erzeugen, auch digkeitsabhängige Masse m.v/ D .v/ m einführt (in der
wenn letzteres für Elementarteilchen praktisch völlig vernach- älteren Literatur auch relativistische Masse genannt). Im
lässigbar ist. Diese Felder werden am Ort des Punktteilchens Folgenden wird in Übereinstimmung mit den heutigen Ge-
unendlich und führen notwendigerweise dazu, dass man bei pflogenheiten m aber immer die Ruhemasse m D m.0/
hinreichend kleinen Abständen an die Grenzen der klassischen bezeichnen.
Physik stößt. J
10.2 Relativistische Bewegungsgleichungen 357

Da das Betragsquadrat der Vierergeschwindigkeit durch


u u D  u u D c2 gegeben ist, folgt für den Viererimpuls Zusammenhang von Viererkraft und Newton-Kraft

p p D .p0 /2  p2 D m2 c2 : (10.4) Bezeichnet in einem gegebenen Inertialsystem F weiter-


hin die gewöhnliche Zeitableitung des (relativistischen)
p
Die Nullkomponente ist damit durch p0 D C m2 c2 C p2 ge- Impulses p, dann gilt
geben (positiv, weil in (10.2) m,  und c alles positive Größen ! !
sind). Ihre physikalische Bedeutung wird im Folgenden klar F0 F0
F D D : (10.7)
werden, wenn wir die relativistische Verallgemeinerung der Fm F
Newton’schen Bewegungsgleichung betrachten.

Achtung Ganz ähnlich wie bei der Vierergeschwindigkeit


10.2 Relativistische enthalten die räumlichen Komponenten nicht einfach die ent-
Bewegungsgleichungen sprechende Dreiergröße, sondern es ist noch ein  -Faktor im
Spiel. Bei der Vierergeschwindigkeit hatten wir dies durch die
Notation mit unterschiedlichen Buchstaben (u und v) berück-
Viererkraft sichtigt. Bei der Kraft ist aber darauf zu achten, ob es sich
um die räumlichen Komponenten einer Vierergröße oder die
So wie in der Newton’schen Bewegungsgleichung eine unter Dreierkomponenten handelt, F m D .F/m ! Ebenso ist bei der
Galilei-Transformationen passend transformierende („Galilei- Viererbeschleunigung am 6D .a/m . Diese beiden Größen wer-
Kovariante“) vektorielle Kraft durch den allerdings eine Ausnahme bilden. Dennoch muss man auch
bei anderen Vierergrößen achtgeben, wenn räumliche Kompo-
dp nenten betrachtet werden. So ist beim Viererimpuls zwar pm D
FD (10.5) .p/m , aber pm D m p D .p/m bringt ein anderes Vorzeichen
dt
ins Spiel. J
definiert wird, kann auch eine Lorentz-kovariante Kraft durch
Verwendung der entsprechenden Vierergrößen definiert werden. Bei Objekten wie Punktteilchen, deren Masse zeitunabhängig
ist, folgt für die Viererkraft aus (10.6) weiterhin, dass Kraft
durch Masse mal Beschleunigung gegeben ist,
Viererkraft
du

Kapitel 10
Eine Lorentz-kovariante Viererkraft ist durch die Ab-
leitung des Viererimpulses nach der Lorentz-invarianten F D m D m a ; (10.8)
d
Eigenzeit gegeben:
aber nicht länger für die Dreiergrößen. Mit dem Zusammenhang
dp
F  WD : (10.6) von Vierer- und Dreierbeschleunigung, der in Aufgabe 9.6 aus-
d gerechnet wurde, gilt dies nur im momentanen Ruhesystem des
Teilchens, in dem v D 0 ist. In einem allgemeinen Bezugssys-
Achtung Lorentz-Kovarianz bzw. das Attribut Lorentz-ko- tem, gegenüber dem sich das Teilchen mit Geschwindigkeit v.t/
variant bedeuten hier lediglich, dass sich alle Vierergrößen bewegt, ist
entsprechend ihrer Indexstruktur transformieren; die F  sind ei-
gentlich kontravariante Komponenten, aber wir könnten diese va
F D m .v/ a C m  3 .v/ v: (10.9)
Gleichung genauso gut mit unteren, kovarianten Komponenten c2
anschreiben. Die zugehörigen physikalischen (abstrakten) Vek-
toren haben dagegen eine völlig invariante Bedeutung. J Die relativistische Trägheitskraft zeigt also nicht notwendiger-
weise in dieselbe Richtung wie die Beschleunigung a D dv=dt.
Wir können nun für ein gegebenes Inertialsystem mit sei-
ner Koordinatenzeit t die Definition der Newton-Kraft (10.5) Dies ist nur sichergestellt, wenn entweder v k a oder v ? a ist.
beibehalten und darin p als den relativistischen Dreierimpuls
einsetzen. Wegen
Frage 2
d dt d d Überlegen Sie sich, dass aber eine Kraft, die immer in eine fixe
D D .v/
d d dt dt räumliche Richtung zeigt, ein anfänglich ruhendes Teilchen in
eine lineare beschleunigte Bewegung (d. h. entlang einer Gera-
sind die räumlichen Komponenten von F  aber nun durch  F
den) versetzt.
gegeben.
358 10 Relativistische Mechanik

Hyperbolische Bewegung
Diese Gleichung beschreibt eine Hyperbel mit einer licht-
Betrachten wir nun den Fall, dass ein Teilchen durch eine artigen Asymptote, die bei c2 =Qa die ct-Achse schneidet
konstante Kraft beschleunigt wird, (Abb. 10.1).
dp
FD D const; (10.10)
dt ct
was zumindest für beschränkte Raumbereiche durch ein
konstantes elektrisches Feld oder ein Gravitationsfeld lichtartige
Asymptote
physikalisch realisierbar ist.
Bei konstanter Masse bedeutet konstante Newton-Kraft
bezüglich eines Inertialsystems auch konstante Kraft bzw.
Beschleunigung im Eigensystem des Teilchens, denn die Weltlinie mit
Lorentz-kovariante Definition konstanter Eigen-
! ! beschleunigung
 d  d c  F0 c2 /ã
ma D m u D m  DF D
d d v F
(10.11)
reduziert sich in einem Inertialsystem, bezüglich dessen
das Teilchen instantan in Ruhe ist, wegen  D 1 und
x
@ t  / a  v D 0 wieder auf (10.10). Das Teilchen
erfährt also in seinem Eigensystem (das kein Inertial- Abb. 10.1 Hyperbolische Bewegung
system ist) eine konstante Beschleunigung aQ D jFj=m.
In einem festen Inertialsystem kann die Dreierbeschleu-
nigung dagegen keine Konstante sein, weil sonst die
Geschwindigkeit linear mit der Koordinatenzeit wachsen Überzeugen Sie sich, dass das Resultat (10.15) für
müsste und irgendwann die Lichtgeschwindigkeit über- kleine Zeiten mit dem nichtrelativistischen Ergebnis
steigen würde. x.t/ D .Qa=2/t2 übereinstimmt, das dagegen eine Parabel
darstellt.
Nehmen wir an, dass das Teilchen in einem Inertialsystem
zum Zeitpunkt t D 0 im Ursprung ruht und in positiver
Kapitel 10

x-Richtung beschleunigt wird, dann folgt aus der Bewe- Wird ein Punktteilchen in alle Ewigkeit konstant be-
gungsgleichung schleunigt, kann es ab dem Zeitpunkt t D c=Qa auch
nicht mehr von einem Photon eingeholt werden, das
d
m ..v/ v/ D mQa: (10.12) ihm mit Lichtgeschwindigkeit nachläuft. Für ein sol-
dt ches Punktteilchen existiert daher ein Ereignishorizont –
Die Masse fällt aus dieser Gleichung heraus. Diese be- ein entsprechender Beobachter ist von der Kenntnis al-
schreibt daher auch eine Rakete, deren Masse bei der ler Ereignisse jenseits eines Horizonts ausgeschlossen
Beschleunigung allmählich abnimmt, aber bei der die Ei- (in diesem Beispiel Rindler-Horizont genannt, nach dem
genbeschleunigung aQ konstant gehalten wird (was einer theoretischen Physiker Wolfgang Rindler, *1924). Wäh-
abnehmenden Kraft entspricht). rend in diesem Beispiel der Ereignishorizont keine glo-
bale Bedeutung hat, spielen Ereignishorizonte in der
Mit konstantem aQ kann diese Gleichung trivial integriert
allgemeinen Relativitätstheorie eine fundamentale Rolle,
werden:
da sie die kausale Struktur der gesamten Raumzeit be-
v
.v/ v D p D aQ t: (10.13) stimmen.
1  v 2 =c2
Die Eigenzeit entlang der hyperbolischen Weltlinie wird
Aufgelöst nach v, in Aufgabe 10.1 berechnet und ergibt sich als
dx aQ t c aQ t
vD D p ; (10.14) D arsinh < t: (10.16)
dt 1 C aQ 2 t2 =c2 aQ c
und nochmals integriert ergibt  p 
0s 1 Mit arsinh z  ln z C z2 C 1 sieht man, dass  für
c2 @ aQ 2 t2 große Zeiten nur logarithmisch mit t anwächst (während
x.t/ D 1 C 2  1A : (10.15) für kleine Zeiten mit arsinh z D z C O.z2 / natürlich  t
aQ c
folgt). J
10.2 Relativistische Bewegungsgleichungen 359

Relativistische Energie Das wichtigste Beispiel für masselose Teilchen sind die in der
Quantenmechanik definierten Lichtquanten, die Photonen. Wie
in Bd. 3, Kap. 1 begründet wird, sind Energie und Impuls von
Wie wir in (9.79) gefunden haben, ist die Viererbeschleuni-
Photonen durch das Planck’sche Wirkungsquantum h mit Fre-
gung im Sinne der Minkowski-Metrik orthogonal zur Viererge- quenz  und Wellenlänge  von Licht verknüpft:
schwindigkeit. Für ein Punktteilchen folgt aus (10.8) daher
  hc
0 D m a u D F  u D  cF 0   F  v ; (10.17) E D jpj c D h D : (10.22)

woraus sich die Bedeutung von F  dp =d ablesen lässt:
0 0

Für massive Punktteilchen haben wir dagegen den Zusammen-


  dx  F  dx  dW d W
F0 D Fv D F D D D ; hang
c c dt c dt c dt d c
(10.18) s
wobei dW die Arbeit ist, die bei einer infinitesimalen Verschie- p p2
bung dx von der Kraft F geleistet wird. Da gemäß (10.2) p0  E D m2 c4 C p2 c2 D m c2 1 C 2 2 ; (10.23)
m c
 mc ist, gilt
d d d   der für v c nach Potenzen von p2 =.m2 c2 / entwickelt werden
WD .cp0 / D .v/ mc2 : (10.19) kann:
d d d
 
Wir können also abgesehen von einer beliebigen additiven Kon- 1 p2 1 .p 2 /2
E D m c2 1C  C : : :
stanten cp0 als relativistische Energie identifizieren: Wurde ein 2 m2 c2 8 m4 c4
(10.24)
anfänglich freies Teilchen eine Zeit lang durch äußere Kräfte be- p2 .p2 /2
schleunigt, dann hat sich die Größe cp0 um die geleistete Arbeit D m c2 C  C :::
2 m 8 m3 c2
verändert.
Der zweite Term in dieser Entwicklung ist gerade die nicht-
relativistische kinetische Energie, die weiteren Terme sind die
Relativistische Energie relativistische Korrekturen dazu:
Die relativistische Energie eines (freien) Punktteilchens ist
definiert durch E D m c2 C T: (10.25)
E D .v/ mc2 : (10.20) Achtung Die gängige Bezeichnung „massives“ Punktteil-
chen soll nicht ausdrücken, dass ein Teilchen ungewöhnlich
Auch einer ruhenden Masse wird somit eine Energie zuge-

Kapitel 10
große Masse besäße, sondern nur, dass die Masse für einen be-
ordnet; man spricht daher von einer Äquivalenz von Masse
deutenden Teil der Gesamtenergie verantwortlich ist. Wenn die
und Energie.
Energie sehr viel größer als die Ruheenergie mc2 ist, kann da-
gegen die Masse in niedrigster Ordnung vernachlässigt werden,
Achtung Die ursprünglich von Einstein angegebene berühm- und man hat E jpj c. In diesem ultrarelativistischen Grenzfall
te Relation E D mc2 bezieht sich auf die geschwindigkeits- können massebehaftete Punktteilchen also näherungsweise wie
abhängige Masse m.v/. Gerade wegen dieses direkten Zusam- masselose Teilchen behandelt werden. J
menhangs verzichtet man in der neueren Literatur aber auf den
Begriff einer geschwindigkeitsabhängigen Masse und bezieht
sich gleich auf die Energie. Der Begriff der Masse kann dann
für die invariante Ruhemasse reserviert werden. J
Konservatives Kraftfeld
Gl. (10.4) gibt den relativistischen Zusammenhang von Teil-
chenenergie und Teilchenimpuls an. Ist ein Teilchen nicht frei, sondern einer Kraft ausgesetzt, die
sich in einem Bezugssystem als Gradient eines zeitunabhängi-
gen Potenzials V.x/ darstellen lässt, F D r V, dann ist
Relativistische Energie-Impuls-Beziehung
dW D F  dx D r V  dx D dV: (10.26)
E2
.p /  p  2  p2 D m2 c2
0 2 2
(10.21)
c Mit dW D d. mc2 / folgt, dass die Kombination
Diese Relation behält ihre Gültigkeit auch für masselose  m c2 C V D m c2 C T C V D E (10.27)
Teilchen, wobei die Identifikation von p D  mv fallen
gelassen wird. Masselose Teilchen haben jvj D c und in einem konservativen Kraftfeld eine Konstante der Bewegung
jpj D E=c; sie werden durch einen lichtartigen Vierervek- ist. Da V selbst nur bis auf eine Konstante bestimmt ist, ist
tor (p p D 0) charakterisiert. E nicht eindeutig bestimmt. Ist das Kraftfeld allerdings räum-
lich konzentriert und verschwindet für große Abstände, kann
360 10 Relativistische Mechanik

man V asymptotisch als null vereinbaren, sodass E dort mit der Achtung Dies ist insbesondere für Kernkräfte der Fall. Bei
Definition der relativistischen Energie für freie Teilchen über- langreichweitigen Kräften wie der Coulomb-Kraft ist die Annah-
einstimmt. me, dass Wechselwirkungen räumlich begrenzt sind, streng ge-
nommen nicht richtig, wie in Abschn. „Die Coulomb-Streuung“
Elektronenvolt als Einheit für Energie und Masse in der „So geht’s weiter“-Box am Ende von Bd. 3, Kap. 12 noch
diskutiert werden wird. Wir werden hier daher einfach anneh-
Eine in der nichtrelativistischen Quantenmechanik ge- men, dass auf größeren Abständen Coulomb-Kräfte abgeschirmt
legentlich verwendete Einheit für die Energie ist die werden. J
Änderung der potenziellen Energie, die ein Elektron beim Für eine überschaubare Zahl von Teilchen kann man diese Pro-
Durchqueren einer Potenzialdifferenz von 1 V erfährt. zesse dadurch beschreiben, dass vor einem Wechselwirkungser-

Diese Energieeinheit wird Elektronenvolt oder Elektron- eignis ein Satz fAg von Teilchen mit Impulsen pA vorliegt und
0
volt genannt; die Umrechnung in die SI-Einheit Joule ist nachher ein eventuell unterschiedlicher Satz fA g mit Impulsen
dabei 
pA0 . In Abwesenheit äußerer Kräfte gilt dann
1 eV 1;602  1019 J: (10.28)
 
X 
X 
Photonen des sichtbaren Lichtes haben Energien zwi- pvorher D pnachher D p D pA D pA0 : (10.32)
A A0
schen 1,6 und 3,3 eV.
Aufgrund der Äquivalenz von Energie und Masse kann Bleiben die Teilchen bei einem solchen Stoß als solche erhalten,
man das Elektronenvolt auch zur Angabe von Ruhemas- ohne dass sich abgesehen vom Viererimpuls etwas an ihnen än-
sen verwenden. Die Masse eines Elektrons ist z. B. dert (wie die Masse bei Elementarteilchen oder der innere Auf-
bau bei zusammengesetzten Objekten), dann spricht man von
mElektron 0;511 MeV=c2 ; (10.29) einem elastischen Stoß oder einer elastischer Streuung. In allen
anderen Fällen hat man es mit einem inelastischen Stoß zu tun.
die Masse eines Protons Wir haben elastische Stöße und Streuung bereits in Abschn. 3.4
in der nichtrelativistischen Mechanik behandelt, sogar unter
mProton 0;938 272 GeV=c2 : (10.30) Einbeziehung von Gravitations- oder Coulomb-Potenzialen.
Ebenso wie im nichtrelativistischen Fall lassen sich aber auch
Das Giga-Elektronenvolt (GeV, also 109 eV) hat sich in ohne die detaillierte Kenntnis der speziellen Wechselwirkungen
der modernen Teilchenphysik als gängige Einheit für die allgemeine Aussagen über die mögliche Kinematik von Streu-
Angabe von Energien durchgesetzt. Für Massen und Im- prozessen treffen, nämlich durch die Analyse der Konsequenzen
pulse wird GeV=c2 bzw. GeV=c verwendet. J
Kapitel 10

der Energie-Impuls-Erhaltung. Ein wesentlicher Unterschied


von relativistischen Teilchenstößen zum nichtrelativistischen
Fall ist nun, dass Masse im Allgemeinen keine weitere Er-
haltungsgröße ist; in der Relativitätstheorie ist dies nur bei
elastischen Stoßprozessen gegeben.
10.3 Relativistische Teilchenstöße
Beispiele für elastische Stöße sind Kollisionen von Billardku-
geln, wenn die geringfügige Erwärmung beim Stoß vernach-
In Abwesenheit von Kräften ist der Viererimpuls eines Teil- lässigt wird. Wird bei einem Stoß in nicht vernachlässigbarem
chens erhalten. Für mehrere nicht wechselwirkende Teilchen Ausmaß kinetische Energie in Wärme umgewandelt, so gilt wei-
kann man den Gesamtviererimpuls terhin die Erhaltung des Gesamtviererimpulses, aber die Teil-
X  chen haben dann wegen der Äquivalenz von Energie und Masse
p D pA (10.31) ein klein wenig unterschiedliche Ruhemassen. Ein drastische-
A res Beispiel für einen inelastischen Stoß ist, wenn Billardkugeln
auseinanderbrechen oder wenn Objekte bei einem Stoß anei-
definieren, der ebenso erhalten ist, wobei der Index A die Teil-
nanderkleben bleiben und somit ein neues zusammengesetztes
chen durchnummeriert.
Objekt bilden. In der nichtrelativistischen Mechanik wären auch
Wirken Kräfte nur zwischen den einzelnen Teilchen, dann bleibt hier die Summen der Ruhemassen erhalten. Bei Kollisionen von

der Gesamtviererimpuls erhalten, auch wenn die einzelnen pA Elementarteilchen können dagegen überhaupt neue Teilchen
zeitabhängig werden. Die Erhaltung von Gesamtenergie und entstehen oder auch einlaufende komplett vernichtet werden;
Gesamtimpuls eines abgeschlossenen Systems von wechselwir- dabei kann Energie in Masse oder umgekehrt umgewandelt wer-
kenden Teilchen ist, wie wir in Kap. 5 gesehen haben, eine den.
Konsequenz der Homogenität von Zeit und Raum.
Wie schon in Abschn. 3.4 kann die Analyse von Streuprozessen
Wechselwirkungen zwischen Teilchen sind typischerweise kon- oft stark vereinfacht werden, wenn diese in speziellen Bezugs-
zentriert auf kleine Raumzeitgebiete, nämlich wenn sich die systemen betrachtet werden. Im nichtrelativistischen Fall erge-
Teilchen hinreichend nahe kommen. ben sich die dafür notwendigen Transformationen von Energie
10.3 Relativistische Teilchenstöße 361

und Impuls aus dem einfachen Additionsgesetz von Geschwin- dem Stoß schreiben
digkeiten. In der Relativitätstheorie sind Energie und Impuls ! !
aber Komponenten eines Vierervektors, die dabei einer Lorentz-  EA =c  EB =c
pA D ; pB D (10.37)
Transformation unterworfen sind. pA pA

mit den Viererquadraten


Schwerpunktsystem EA2 EB2
 pA2 D mA2 c2 ;  pA2 D mB2 c2 (10.38)
c2 c2
Ein Inertialsystem, in dem der Gesamtdreierimpuls verschwin-
det, definiert das Schwerpunktsystem (SPS). und nach dem Stoß
! !
Frage 3  EA0 =c  EB0 =c
pA0 D ; pB0 D (10.39)
Überlegen Sie sich, dass ein Gesamtviererimpuls, der sich aus pA0 pA0

lauter zeit- oder lichtartigen Vierervektoren (pA pA D mA2 c2 
0) zusammensetzt, zeitartig ist, sodass sich das Schwerpunkt- mit
system gegenüber anderen Inertialsystemen mit Unterlichtge- EA20 EB20
schwindigkeit bewegt. Ein lichtartiger Gesamtviererimpuls tritt  pA20 D mA2 c2 ;  pA20 D mB2 c2 : (10.40)
c2 c2
nur auf, wenn ausschließlich lichtartige Vierervektoren mit
gleichgerichteten Dreierimpulsen addiert werden, was offenbar In der Gesamtviererimpulsbilanz (10.32) sind die räumlichen
keinem Stoßprozess entspricht. Komponenten damit vorher und nachher null, sodass als einzige
(Die Antwort liefert die Dreiecksungleichung für die Addition Relation die Gesamtenergieerhaltung verbleibt:
von räumlichen Vektoren.)
EA C EB D EA0 C EB0 : (10.41)

In einem System mit einem Gesamtdreierimpuls p mit jpj < Aus (10.38) und (10.40) folgt
p0 D E=c kann zuerst durch Drehung des Koordinatensystems
p D jpjOex erreicht werden und dann durch die Standard-Lorentz- mA2 c4  mB2 c4 D EA2  EB2 D EA20  EB20 : (10.42)
Transformation (9.21) in positiver x-Richtung pSPS D 0 durch
Division dieser Gleichung durch die vorhergehende gibt wegen
p1 jpj EA2  EB2 D .EA C EB /.EA  EB /
p1SPS D  p1  ˇ p0 D 0 mit ˇ D 0 D : (10.33)

Kapitel 10
p E=c
EA  EB D EA0  EB0 ; (10.43)
Letzteres bestimmt die Schwerpunktgeschwindigkeit im ur-
sprünglichen Inertialsystem als was zusammen mit (10.41) schließlich auf

jpj EA D EA0 ; EB D EB0 (10.44)


vSPS D : (10.34)
E=c2
führt. Das heißt, im Schwerpunktsystem bleiben bei einem
elastischen Stoß die Energien der beiden Teilchen separat erhal-
Das Quadrat des Gesamtviererimpulses ist eine Lorentz-Invari-
ten. Wegen der Energie-Impuls-Relationen (10.38) und (10.40)
ante und definiert die invariante Schwerpunktmasse M:
bedeutet dies auch, dass die Beträge der Dreierimpulse unverän-
E2 dert bleiben:
p p D  p2 DW M 2 c2 : (10.35)
c2
jpA j D jpA0 j ; jpB j D jpB0 j : (10.45)
Im Schwerpunktsystem ist
! Der elastische Stoß wird somit im Wesentlichen durch einen
 Mc Streuwinkel # beschrieben (Abb. 10.2).
pSPS D : (10.36)
0

Elastischer Stoß zweier Teilchen


Elastischer Stoß zweier Teilchen allgemein und im Laborsystem
im Schwerpunktsystem
Obige Ergebnisse für die Viererimpulse im Schwerpunktsystem
Betrachten wir den elastischen Stoß zweier Teilchen mit Ruhe- können durch Lorentz-Transformationen in beliebige Inerti-
massen mA und mB im Schwerpunktsystem, so können wir vor alsysteme übersetzt werden. Da Lorentz-Skalare aber dabei
362 10 Relativistische Mechanik

y y

pA
p A
A B
ϑ ϑA
pA pB = −pA pA ϑB
A B

pB  = −pA
pB 

x x

Abb. 10.2 Elastischer Stoß von zwei Teilchen im Schwerpunktsystem Abb. 10.3 Elastischer Stoß von zwei Teilchen im Laborsystem

unverändert bleiben, ist es rechnerisch vorteilhaft, wann immer  >


möglich die Ergebnisse durch solche auszudrücken. Das zen-  EA0
trale Ergebnis des elastischen Stoßes zweier Teilchen ist (im pA0 D ; pA0 cos #A ; pA0 sin #A ; 0 ;
c
Schwerpunktsystem) die Erhaltung der individuellen Energien  > (10.49)
 EB0
pB0 D ; pB0 cos #B ; pB0 sin #B ; 0
EASPS D EASPS
0 ; EBSPS D EBSPS
0 : c
Dies sind die Nullkomponenten der Vierervektoren, aber im
Schwerpunktsystem ergeben sich diese Relationen bis auf einen mit
gemeinsamen Faktor M auch durch Kontraktion der Vierervek-
toren mit dem Schwerpunktimpuls (10.36):
   
EA20 EB20
pA p D pA0 p ; pB p D pB0 p : (10.46) mA2 c2 D  pA20 ; mB2 c2 D  pB2 0 : (10.50)
c2 c2
Die Größen in diesen Gleichungen sind Lorentz-invariante Ska-
Kapitel 10

lare. In dieser Form kann das Ergebnis, das im Schwerpunktsys-  


Aus der invarianten Relation pA p D pA0 p folgt damit
tem gewonnen wurde, direkt in einem beliebigen Inertialsystem
verwertet werden.
 
Als ein wichtiges Beispiel betrachten wir den elastischen Stoß, EA EA C mB c2  c2 pA2
bei dem ein gegenüber S bewegtes Teilchen A auf ein in S   (10.51)
D EA0 EA C mB c2  c2 pA pA0 cos #A ;
ruhendes Teilchen B (das „Target“) trifft. Das zugehörige In-
ertialsystem S wird oft als Laborsystem bezeichnet, weil dies
vor der Entwicklung von modernen Teilchenbeschleunigern, die q
zwei Strahlen von Teilchen aufeinander schießen können, die woraus sich mit pA0 D EA20 =c2  mA2 c2 die Energie EA0 bzw.
typische Situation bei Streuexperimenten darstellte. der Impuls pA0 als Funktion von #A bestimmen lässt. Analog gibt
 
pB p D pB0 p im Laborsystem
Vor dem Stoß haben wir somit die Viererimpulsvektoren nun in
der Form
 >  
EA mB c2 EA C mB c2
   
pA D ; pA ; 0; 0 ; pB D .mB c; 0/> (10.47) (10.52)
c D EB0 EA C mB c2  c2 pA pB0 cos #B

mit EA2 =c2  pA2 D mA2 c2 vorliegen. Der Gesamtviererimpuls ist


 > und damit EB0 als Funktion von #B . Der Zusammenhang von #B
EA C mB c2  

p D
 
pA CpB D ; pA ; 0; 0 D
 
pA0 CpB0 : (10.48) und #A kann schließlich aus der y-Komponente von pA C pB D
 
c pA0 C pB0 gewonnen werden, was auf die Relation
Wählen wir das Koordinatensystem so, dass der Streuprozess
in der xy-Ebene stattfindet, so können wir die Viererimpulse pA0 .#A / sin #A D pB0 .#B / sin #B (10.53)
der beiden Teilchen nach dem Stoß durch Einführen zweier
unterschiedlicher Winkel bezüglich der Kollisionsachse para-
metrisieren (Abb. 10.3): führt.
10.3 Relativistische Teilchenstöße 363

Speziallfall Compton-Streuung muss aber wegen der Impulserhaltung in Ruhe sein, und seine
Energie ist dabei wegen Energieerhaltung
Die obigen Formeln vereinfachen sich, wenn das einfal- 2m
lende Teilchen A masselos ist, sodass in (10.51) cpA D EA E D M c2 D 2.v/ m c2 D p c2 > .2m/ c2 :
1  v 2 =c2
und cpA0 D EA0 gesetzt werden kann: (10.57)
  In diesem Fall wird also kinetische Energie in Ruhemasse um-
EA mB c2 D EA0 EA C mB c2  EA EA0 cos #A : (10.54) gewandelt. Sind diese Teilchen Materieklumpen, dann wurde
die kinetische Energie in innere, z. B. thermische, Energie um-
Division durch EA EA0 mB c2 ergibt gewandelt, die gemäß der Relativitätstheorie zur Ruhemasse
gerechnet werden muss und tatsächlich ebenso der Gravitation
1 1 1 unterworfen ist wie schwere Masse. Diese Effekte sind aber für
D C .1  cos #A /; (10.55)
EA0 EA mB c2 makroskopische Körper, für die die Lichtgeschwindigkeit prak-
tisch unerreichbar ist, vollkommen vernachlässigbar, da sie von
wobei alternativ 1  cos #A D 2 sin2 .#A =2/ geschrieben der Ordnung .v=c/2 sind. Findet eine Umwandlung von Mas-
werden kann. se in Energie in nennenswertem Ausmaß statt, spricht man von
Eine wichtige Anwendung dieses Falles ist die Compton- einem Massendefekt (siehe hierzu Kasten „Anwendung: Mas-
Streuung von Photonen an Elektronen, die in Bd. 3, Kap. 1 sendefekt und Umwandlung von Masse in Energie“).
näher besprochen werden wird (siehe Bd. 3, Abb. 1.7). Für Elementarteilchen sind Umwandlungen von Energie in
Da wie erwähnt die Energie von Photonen proportional Masse und umgekehrt aber von zentraler Bedeutung. Die meis-
zur Frequenz und damit die inverse Energie proportional ten Elementarteilchen sind instabil und zerfallen unter Um-
zur Wellenlänge ist, beschreibt (10.55) die Zunahme der wandlung von Ruhemasse in kinetische Energie in andere
Wellenlänge von an Elektronen gestreuten Photonen. J Teilchen. Deren Masse muss in Summe kleiner sein als die Aus-
gangsmasse, andernfalls könnten mangels kinetischer Energie
die Zerfallsprodukte nicht auseinanderstreben, und der Zerfall
Hat das einlaufende Teilchen A mehr Masse als das ursprüng- würde gar nicht stattfinden.
lich ruhende Teilchen B, dann hat es auch nach dem Stoß eine Betrachten wir dazu ein konkretes Beispiel, in dem ein instabiles
Impulskomponente in Vorwärtsrichtung und daher einen Streu- Elementarteilchen in zwei andere zerfällt (oft sind auch mehr als
winkel #A < =2. Dieser Umstand ist qualitativ der gleiche wie zwei Zerfallsprodukte im Spiel wie beim Zerfall des Neutrons,
in der nichtrelativistischen Mechanik (Abb. 3.12; mit #1 anstel- das in ein Proton, ein Elektron und ein Antineutrino zerfällt).
le von #A ), allerdings ist der Zusammenhang der Streuwinkel

Kapitel 10
in Schwerpunkt- und Laborsystem, der nichtrelativistisch durch Zerfall eines Pions
(3.110) gegeben ist, nun etwas komplizierter. Der maximale
Winkel, um den das schwerere Teilchen A gestreut werden kann, Das in der Kernphysik eine zentrale Rolle spielende
ist, wie in Aufgabe 10.3 gezeigt wird, gegeben durch positiv oder negativ geladene Pion ˙ zerfällt in ein
(ebenfalls instabiles, aber deutlich langlebigeres) leichte-
mB res Myon ˙ mit etwa 34 der Masse eines Pions und ein
sin #Amax D für mA > mB : (10.56)
mA fast masseloses Myon-Neutrino  bzw. Myon-Antineu-
trino N  . (Lange Zeit nahm man sogar an, dass Neutrinos
Bemerkenswerterweise hängt dieses Ergebnis nur von den Mas- exakt masselos sind. Wie man inzwischen weiß, haben
sen ab, und nicht davon, wie hoch die Energie des einlaufenden sie eine extrem kleine, aber nicht verschwindende Mas-
Teilchens ist. Es stimmt daher mit dem Ergebnis überein, das se.) Welche Energie und welche Geschwindigkeit hat ein
sich in der nichtrelativistischen Mechanik für den maximalen beim Zerfall eines ruhenden Pions entstehendes Myon?
Streuwinkel ergibt.
Bezeichnen wir Energien, Impulse und Massen von Pio-
nen, Myonen und Neutrinos mit Indizes ; ;  (die nun
nicht mit Lorentz-Indizes verwechselt werden dürfen),
Inelastische Prozesse dann lautet die Energieerhaltung

Evorher D m c2 D Enachher D E C E : (10.58)


Wie schon betont, ist in der Relativitätstheorie die Ruhemasse
im Allgemeinen keine erhaltene Größe. Betrachten wir z. B. im Das praktisch masselose Neutrino hat E D jp j c. Auf-
Schwerpunktsystem zwei identische massive Teilchen, die je- grund der Impulserhaltung ist
weils mit einer Geschwindigkeit v aufeinander zu fliegen und q
ein einziges Teilchen bilden, weil sie irgendwie aneinanderkle- jp j c D jp j c D E2  m2 c4 : (10.59)
ben bleiben. Die einlaufenden Teilchen haben dann jeweils die
Energie E D .v/ m c2 , das einzelne dabei entstehende Teilchen
364 10 Relativistische Mechanik

Anwendung: Massendefekt und Umwandlung von Masse in Energie

Mit der Einstein’schen Äquivalenz von Energie und Mas- Jahren am Leuchten gehalten werden kann, auch wenn da-
se ist das Ganze eines gebundenen Systems leichter als die bei nur noch einige Promille der Masse in Energie umgesetzt
Summe seiner Teile. werden.
Wird bei einer chemischen Reaktion Energie bei der Bildung Die maximale Umwandlung von Masse in Energie geschieht
eines Bindungszustands frei, dann ist dieser sogenannte Mas- natürlich bei der vollständigen Zerstrahlung von Materie
sendefekt vernachlässigbar klein. Zum Beispiel hat er bei der durch Annihilation mit Antimaterie, nur ist Antimaterie sehr
Bildung von Wasserstoff durch rar.

p C e ! H C 13;6 eV Ein in vieler Hinsicht interessanter Fall wäre hier der hypo-
thetische Zerfall eines Protons
die Größenordnung  10 eV=1 GeV D 108 ; bei schwereren
Molekülen und geringerer Bindungsenergie ist das Verhältnis pC ! 0
C eC C 846;8 MeV;
noch geringer.
wie er von gewissen Theorien jenseits des Standardmodells
Bedeutendere Massendefekte bis fast 1 % treten bei den Bin-
der Teilchenphysik vorhergesagt wird und nach dem – bis-
dungsenergien in Atomkernen auf, mit einem Maximum von
her allerdings vergeblich – gefahndet wird (Abb. 10.5). Falls
etwa 8,8 MeV pro Nukleon bei Eisen und Nickel. Bei der
solche Prozesse tatsächlich möglich sind, dann nur mit Halb-
Kernspaltung werden die Unterschiede in den Bindungs-
wertszeiten jenseits von 1034 Jahren, d. h. um Faktoren 1024
energien bei schwereren Elementen ausgenützt und somit
oder mehr über dem Alter des Universums von etwa 14 Mil-
typischerweise nur 0,01–0,1 % der Masse in Energie umge-
liarden Jahren. Solche Theorien sagen aber auch die Exis-
setzt; bei der Kernfusion, z. B.
tenz von magnetischen Monopolen vorher, die als Katalysator
2
H C 3 H ! 4 He C n C 17;6 MeV; für den Protonzerfall wirken können. Sollten jemals magneti-
sche Monopole gefunden werden, könnte dies im Prinzip auch
erreicht man etwas bessere Verhältnisse von etwa 0,5 %. Im Energiegewinnung in unvorstellbarem Ausmaß ermöglichen.
Vergleich zu chemischen Reaktionen sind die freigesetzten
Energien pro Masse auf alle Fälle gewaltig (Abb. 10.4).
Kapitel 10

Abb. 10.5 Das unterirdische Experiment Superkamiokande in Ja-


pan in einer Mine unter dem Berg Kamioka. Abgeschirmt von
Abb. 10.4 Explosion der ersten Wasserstoffbombe mit 10,4 Mega-
kosmischer Strahlung wurde in einem Detektor mit 50.000 t ul-
tonnen TNT-Äquivalent am 1. November 1952 auf der pazifischen
trareinem Wasser mithilfe von über 11.000 Photodetektoren und
Insel Elugelab, die dabei vollständig zerstört wurde (© NNSA)
dem Tscherenkow-Effekt Ausschau nach Protonzerfällen gehalten
und die aktuelle untere Schranke für die Lebensdauer von Proto-
nen bestimmt. Dieses Experiment entdeckte stattdessen 1998 das
Die größten Bindungsenergien und damit die größten Mas-
Phänomen der Neutrinooszillation, bei der die von der Sonne in
sendefekte treten aber durch die gravitative Wechselwirkung Kernreaktionen ausgestrahlten Neutrinos ihre Identität ändern. Das
in der Astrophysik auf. Bei der Bildung von Sternen wer- Bild zeigt die Befüllung des mit Photomultipliern ausgekleideten
den so bis zu 40 % der Ruhemasse in Energie umgewandelt Detektortanks mit Wasser und Wissenschaftler in einem Boot darin
und abgestrahlt. Einmal gebildet ist allerdings die Kernfusi- (© Kamioka Observatory, ICRR (Institute for Cosmic Ray Re-
on dafür verantwortlich, dass ein Stern über Milliarden von search), The University of Tokyo)
10.3 Relativistische Teilchenstöße 365

Eingesetzt in die Energiebilanz ergibt dies mit Energie-Impuls-Relationen


q
m c2  E D E D jp j c D E2  m2 c4 : E2 EA20 E20
(10.60)  p2 D 0;  pA20 D m2 c2 D B2  pB2 0 : (10.65)
c2 c 2 c
Daraus folgt Die erste Relation, welche die Masselosigkeit des Photons
m2 C m2 ausdrückt, führt auf
E D c2
(10.61)
2m
0 D .EA0 C EB0 /2  c2 .pA0 C pB0 /2
und mit p D  mv und E D  mc 2
D 2 m2 c4 C 2 c2
q q 
jp j m2  m2 7
v D D c c 0;28c (10.62)  pA20 C m2 c2 pB2 0 C m2 c2  pA0  pB0 :
E =c2 m2 C m2 25
(10.66)
für m 3
m . Wegen pA0  pB0  pA0 pB0 ist aber der Ausdruck in der
4
letzten Klammer größer als null, diese Gleichung hat also
Es ist auch interessant, sich anzusehen, wie sich die ver- keine Lösung. J
fügbaren Energien aufteilen. Die in kinetische Energie
umgewandelte Ruhemasse ist durch T D m c2 m c2
1
m c2 gegeben. Der Anteil, der auf das Neutrino entfällt,
4 Kinematisch möglich sind dagegen Prozesse wie e C eC !
ist
2” (Elektron-Positron-Paarvernichtung in zwei Photonen), aber
m2  m2 7 1 auch die Erzeugung von Elektron-Positron-Paaren durch ein
T D jp j c D c2  m c2 I (10.63) hochenergetisches Photon (”-Quant) in Materie, wo die Anwe-
2m 8 4
senheit von Materie die Gesamtviererimpulserhaltung ermög-
dieses trägt also den Großteil der kinetischen Energie licht (” CX ! XCe CeC , auch Gamma-Konversion genannt).
davon. Da aber auf das Myon die restliche Ruhemasse Aus dem gleichen Grund ist es nicht möglich, dass ein freies
3
4
m c2 entfällt, ist dessen Gesamtenergie insgesamt Elektron spontan ein Photon emittiert (e ! e C ”), während
höher. J dieser Prozess in Anwesenheit von Materie durchaus vorkommt,
z. B. bei der Tscherenkow-Strahlung (oft der englischen Trans-
literation folgend Cherenkov-Strahlung geschrieben, benannt
Der geringfügig kompliziertere Fall, wo ein massives Teilchen nach dem russischen Physiker Pawel A. Tscherenkow, 1904–
in zwei massive Teilchen zerfällt, wird in Aufgabe 10.8 behan-

Kapitel 10
1990). Diese tritt immer auf, wenn sich Teilchen mit einer
delt. Geschwindigkeit durch ein Medium bewegen, welche die redu-
Da Energie und Masse in vielfältiger Weise ineinander umge- zierte Lichtgeschwindigkeit in diesem Medium übersteigt (siehe
wandelt werden können, kann man sich auch fragen, ob ein mas- Kasten „Anwendung: Tscherenkow-Strahlung“).
seloses Teilchen wie das Photon bei hinreichend hoher Energie
in andere, massebehaftete Teilchen zerfallen kann, z. B. in ein
Elektron-Positron-Paar. Diese Frage kann man sofort negativ Teilchenerzeugung durch inelastische Stöße
beantworten, da dann ja auch umgekehrt die Paarvernichtung
eines Elektron-Positron-Paares in ein einzelnes Photon möglich
sein müsste. Im Schwerpunktsystem ist das aber offenbar nicht Eine notwendige Bedingung für die Paarerzeugung von mas-
möglich, denn dies würde einen verschwindenden Gesamtdrei- siven Teilchen ist, dass genügend kinetische Energie dafür zur
erimpuls verlangen, der auf das einzelne Photon entfiele. Verfügung steht. Im Schwerpunktsystem steht die gesamte ki-
netische Energie zur Disposition. Wird tatsächlich die gesamte
kinetische Energie in Masse umgewandelt, dann ruht die auf
Kann ein hochenergetisches Photon zerfallen?
diese Weise erzeugte Masse. Im Laborsystem ist dies nicht
möglich, weil aufgrund der Gesamtdreierimpulserhaltung nach
Man kann dies auch durch direkte Rechnung in einem In-
dem Stoß der Schwerpunkt weiterhin in Bewegung sein muss,
ertialsystem entscheiden, in dem ein hochenergetisches
wenn auch mit verringerter Geschwindigkeit, da ja zusätzliche
Photon den Impuls p und damit die Energie E D jpj c
Masse erzeugt wurde. Ein historisch bedeutsames Problem ist
trägt. Der hypothetische Zerfall eines Photons in zwei
beispielsweise die Erzeugung von Antiprotonen durch die Kol-
gleich schwere Teilchen A0 und B0 hat die Viererimpuls-
lision von Protonen im Laborsystem. Die Physiker Emilio Segrè
bilanz
! ! ! (1905–1989) und Owen Chamberlain (1920–2006) wiesen 1955
E=c EA0 =c EB0 =c die Existenz von Antiprotonen nach, indem sie am Lawrence
D C (10.64) Berkeley National Laboratory Materie mit Protonen beschossen,
p pA0 pB0
die gerade energiereich genug für die Erzeugung von Proton-
Antiproton-Paaren waren.
366 10 Relativistische Mechanik

Vertiefung: Die Mandelstam-Variablen


2!2-Prozesse

Für elastische und inelastische relativistische Kollisions- Elastische Streuung liegt für m3 D m1 und m4 D m2 vor; im
prozesse in der Teilchenphysik, bei der zwei einlaufende Fall von inelastischer 2!2-Streuung spricht man auch von
Teilchen in zwei (eventuell andere) auslaufende Teilchen quasielastischer Streuung.
übergehen, werden die Lorentz-invarianten Mandelstam-Va-
riablen Die Größe s ist durch die Schwerpunktsenergie gegeben:
s WD .p1 C p2 /2 D .p3 C p4 /2 s D .ESPS =c/2 ;
D m21 c2 C 2E1 E2 =c  2p1  p2 C
2
m22 c2 ; p
und es hat sich in der Hochenergiephysik inzwischen s als
t WD .p1  p3 / D .p2  p4 /
2 2
Synonym für die Schwerpunktsenergie etabliert, sodass viele
D m21 c2  2E1 E3 =c2 C 2p1  p3 C m23 c2 ; experimentelle Teilchenphysikpublikationen schon im Titel
p
u WD .p1  p4 /2 D .p2  p3 /2 angeben, bei welchem Wert s Daten genommen wurden.
(In der Teilchenphysik werden üblicherweise Einheiten ver-
D m21 c2  2E1 E4 =c2 C 2p1  p4 C m24 c2 wendet, bei denen c D 1 ist.)
definiert (benannt nach dem theoretischen Physiker Stanley
Mandelstam, 1928–2016), wobei die zwei einlaufenden Teil- Die zweite unabhängige Größe t (oder auch u) charakteri-
chen mit 1 und 2 und die auslaufenden mit 3 und 4 indiziert siert den Impulsübertrag und damit den Streuwinkel zwi-
sind. Neben den Massenparametern sind dies die bezugs- schen einlaufendem Teilchen 1 und auslaufendem Teilchen
systemunabhängigen Größen, mit denen 2!2-Prozesse be- 3 (bzw. 4).
schrieben werden können, wobei nur zwei davon unabhängig In Aufgabe 10.7 werden Formeln hergeleitet, mit denen die
   
sind: Wie man mit der Impulserhaltung p1 C p2 D p3 C p4 Parameter von Schwerpunkt- und Laborsystemen durch die
leicht nachrechnen kann (Aufgabe 10.6), gilt Mandelstam-Variablen ausgedrückt werden und damit auch
s C t C u D .m21 C m22 C m23 C m24 / c2 : bequem ineinander umgerechnet werden können.

Schwellenenergie für Antiprotonenerzeugung


 2
Kapitel 10

EA
Im Schwerpunktsystem ist die minimal notwendige Ener- C mc  pA2 D 2EA m C 2m2 c2 D 16m2 c2
gie dadurch bestimmt, dass nach der Kollision von zwei c
Protonen vier Teilchen mit der gleichen Ruhemasse m D ) EA D 7 m c2 ;
mProton ohne kinetische Energie vorhanden sind. Der Ge- (10.71)
samtviererimpuls nach dem Stoß lautet im Schwerpunkt- was zu einem Gammafaktor
q .v/ D 7 und einer Ge-
system demnach schwindigkeit von 49 c 48
0;9897 c gehört. Die kine-
!
4mc tische Energie des einlaufenden Protons ist damit

pSPS;nachher D : (10.67)
0 T D EA  m c2 D 6 m c2 : (10.72)
Das Lorentz-invariante Quadrat davon, 7 m c2 6;6 GeV ist tatsächlich in etwa die Energie
 des Protonenstrahles, der von Segrè und Chamberlain bei
pSPS;nachher p SPS;nachher D 16m2 c2 ; (10.68)
der Suche nach Antiprotonen eingesetzt wurde (6,3 GeV).
ist im Laborsystem dasselbe und wegen der Gesamtim- Da von ihnen Kupferkerne beschossen wurden und die
pulserhaltung gegeben durch Protonen und Neutronen darin (im Vergleich zu diesen

Energien schwach, aber dennoch) gebunden sind, ist hier
pLS;vorher p LS;vorher D 16m2 c2 : (10.69) die Schwellenenergie für die Antiprotonenerzeugung ge-
ringfügig niedriger (siehe hierzu auch Aufgabe 10.4).
Im Laborsystem ist nun
! ! Hätte man nur in Rechnung gestellt, wie viel Energie die
 EA =c mc Ruhemassen von einem zusätzlichen Teilchenpaar kos-
pLS;vorher D C (10.70)
pA 0 ten, hätte man auf eine kinetische Energie T von 2m c2
für das einlaufende Teilchen geschlossen. Die tatsächlich
mit EA2 =c2  pA2 D m2 c2 . Daraus folgt notwendige kinetische Energie ist aber das Dreifache. J
10.3 Relativistische Teilchenstöße 367

Anwendung: Tscherenkow-Strahlung
Wenn geladene Teilchen schneller als das Licht sind

Durch rein kinematische Überlegungen, d. h., ohne Näheres Für n D 1 kann diese Gleichung wegen jpA j < EA =c nie
über die dahinter stehenden Wechselwirkungen (die Dyna- erfüllt werden – ein freies Teilchen kann kein masseloses
mik) zu wissen, lassen sich oft schon prinzipielle Aussagen Photon emittieren.
über die Möglichkeit von gewissen Prozessen treffen. Ein
Für n > 1 rückt dies aber in den Bereich des Möglichen. Hier
solches Beispiel war die Schlussfolgerung aus (10.66), dass
kann der letzte Term in der Klammer vernachlässigt werden,
ein noch so energiereiches Photon nicht spontan in massive
denn damit n 6D 1 ist, darf die Photonenenergie nicht viel
Teilchen zerfallen kann. Ganz ähnlich folgt, dass ein frei-
größer als einige Elektronenvolt sein, während schon die Ru-
es geladenes Teilchen nicht spontan ein masseloses Photon
hemasse der leichtesten geladenen Teilchen, der Elektronen,
emittieren kann.
511 keV=c2 beträgt. Es gilt also h EA für alle n 6D 1. Wir
Dies ist allerdings nicht mehr gegeben, wenn der Viererim- bekommen damit das einfache Kriterium
puls des Photons paradoxerweise nicht mehr lichtartig ist, EA =c 1 1
d. h. ein Viererquadrat ungleich null hat. Während auf fun- cos # D D :
jpA j n ˇA n
damentaler Ebene Photonen immer masselos sind und einen
lichtartigen Viererimpuls haben, führt, wie in Bd. 2, Kap. 6 Abstrahlung ist kinematisch erlaubt, wenn ˇA  1n oder
gezeigt wird, die Lichtausbreitung in transparenter Materie vA  nc D c0 ist, wobei c0 die Lichtgeschwindigkeit im Me-
auf Wellenlängen, die gegenüber dem Vakuum durch Divi- dium ist. In diesem Fall können Photonen auf einem nach
sion durch einen Brechungsindex n > 1 verkleinert sind vorwärts gerichteten Kegel mit dem Öffnungswinkel # emit-
( D nc  1 ). Auf Lichtquanten umgemünzt, ergibt dies ef- tiert werden.
fektiv raumartige Viererimpulse (siehe (10.22)) Dies ist ganz analog zum Überschallkegel, der auftritt, wenn
0 1 sich ein Flugobjekt schneller als der Schall bewegt. Bewe-
h ! gen sich geladene Teilchen in einem Medium schneller als
B c C h 1
 B
pPh D @ A D C ; die Lichtgeschwindigkeit in diesem Medium, kommt es zur
h c n eO Tscherenkow-Strahlung. Diese tritt z. B. in Abklingbecken
eO
 von Kernreaktoren auf, wo sie durch schnelle Elektronen im
Wasser hervorgerufen wird. In der Teilchenphysik kann der
wobei eO die Ausbreitungsrichtung des Lichtquants ist und der Tscherenkow-Effekt zum Nachweis von hochenergetischen

Kapitel 10
Brechungsindex n von der Frequenz  abhängt. Insbesondere Teilchen genutzt werden. In der Astroteilchenphysik wer-
geht n für große Werte von  und damit für Photonenenergien den sogenannte Tscherenkow-Teleskope dafür eingesetzt,
E D h jenseits des optischen Spektrums gegen 1. die von hochenergetischer kosmischer Strahlung in der At-
Mit dieser Information kann die Emission eines Lichtquants mosphäre hervorgerufenen Teilchenschauer und damit ver-
in transparenter Materie über die relativistische Energie-Im- bundenen Tscherenkow-Blitze zu beobachten (Abb. 10.6).

puls-Erhaltung diskutiert werden. Ist pA D .EA =c; pA /> der
Viererimpuls eines massiven hochenergetischen Teilchens
mit pA2 D m2 c2 , das nach Emission eines Photons den Vierer-
  
impuls pA0 D pA  pPh mit unveränderter Masse pA20 D m2 c2
haben soll, dann folgt aus letzterem

pA20 D m2 c2 D pA2  2pA  pPh C p2Ph


 
h EA h
)0D 2 C 2jpA j n cos # C .1  n2 / ;
c c c

wobei # der Winkel zwischen Photonimpuls und pA ist:

pPh
Abb. 10.6 Das Tscherenkow-Teleskop MAGIC (Major Atmosphe-
ric Gamma-Ray Imaging Cherenkov) in über 2200 m Höhe auf der
Kanarischen Insel La Palma, das extrem hochenergetische kosmi-
ϑ sche Gammastrahlung indirekt über die in der Atmosphäre entste-
pA henden Tscherenkow-Lichtblitze der ausgelösten elektromagneti-
p A schen Elektron-Positron-Schauer detektiert (Max-Planck-Institut für
Physik – MAGIC, © R. Wagner)
368 10 Relativistische Mechanik

Anwendung: Ultrahochenergetische kosmische Strahlung (UHECR) . . .


. . . und deren oberes Ende: Der Greisen-Zatsepin-Kuzmin-Cutoff

Das Energiespektrum der primären kosmischen Strahlung, gegeben. Bei einer Frontalkollision ist der Protonenimpuls
die hauptsächlich aus Protonen und Heliumkernen besteht, dem Photonenimpuls entgegengerichtet, pp  p” D jpp jjp” j
wurde seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit immer mit jp” j D E” =c und, weil das Proton ultrarelativistisch ist,
ausgedehnteren Detektoren vermessen. Bei den höchsten ist jpp j Ep =c. Damit ergibt sich die Schwellenergie Ep aus
Energien müssen hier indirekte Methoden eingesetzt wer-
den wie die Vermessung der Teilchenschauer, die in der m2 c2 D m2p c2 C 4Ep E” =c2 ) Ep 2;5  1020 eV:
Atmosphäre erzeugt werden, oder die Beobachtung des
von solchen Schauern erzeugten Fluoreszenzlichtes (an den (Eine genauere Rechnung, welche die thermische Verteilung
Stickstoffmolekülen der Atmosphäre). der Photonenenergie berücksichtigt, sowie die Tatsache, dass
die -Resonanz keine scharfe Masse, sondern eine Massen-
Man nimmt an, dass der ultrahochenergetische Teil des Spek- verteilung hat, führt auf eine etwas niedrigere Schwelle von
trums, oberhalb von 1017 eV D 105 TeV, extragalaktischen 0;6  1020 eV.)
Ursprungs ist und damit Distanzen im Bereich von Millio-
nen bis Milliarden Lichtjahren zu überbrücken hat. Schon Dieser GZK-Cutoff wurde erstmals 2008 durch das High Re-
1962 wurden Ereignisse beobachtet, die zu einer Primärener- solution Fly’s Eye Experiment (HiRes) in der Wüste von
gie von 1020 eV (108 TeV) gehören sollten, wobei bei diesen Utah nachgewiesen, nachdem ein früheres Experiment kei-
Energien der Fluss der kosmischen Strahlung schon extrem nen Cutoff zu sehen schien. Inzwischen hat aber das Pierre-
niedrig ist: ein Teilchen pro Quadratkilometer pro Jahrhun- Auger-Observatorium in Argentinien die Ergebnisse von Hi-
dert, d. h., man muss entsprechend große Ausschnitte der Res bestätigen können (Abb. 10.7).
Erdatmosphäre beobachten, um zu quantitativen Aussagen
zu kommen. Fluss
1966 stellten der amerikanische Physiker Kenneth Greisen ·E 3

(1908–2007) und unabhängig davon die russischen Physiker HiRes-II


Georgi T. Sazepin (englische Transliteration Zatsepin, 1917– HiRes-I
2010) und Wadim A. Kuzmin (1937–2015) die Vermutung auf,
dass es praktisch keine kosmische Strahlung mit Energien
jenseits von 1020 eV gäbe. Der kosmische Mikrowellenhin-
Kapitel 10

tergrund, der das Nachleuchten des Urknalles darstellt (siehe


Kasten „Anwendung: Kosmische Hintergrundstrahlung“ in
Bd. 3, Abschn. 1.2) und ein Photonengas mit einer Dich-
te von etwa 400 Photonen pro Kubikzentimeter bildet, soll-
te nämlich für Protonen mit Energien oberhalb von 1020 eV
undurchdringlich werden, wenn diese kosmische Distanzen 1017 1018 1019 1020 E [eV]

zu durchqueren haben. Dieser sogenannte GZK-Cutoff ergibt


Abb. 10.7 Das Energiespektrum des Flusses an ultrahochenergeti-
sich aus einer inelastischen Kollision von Protonen mit Pho- scher kosmischer Strahlung bei Energien oberhalb von 1017 eV in
tonen, bei denen ein sogenanntes -Baryon erzeugt wird, das einem doppelt logarithmischen Plot, wobei die stark abfallende Ver-
danach in ein Proton und ein neutrales Pion zerfällt, teilung mit E3 multipliziert wurde (absolute Größe hier nicht näher
spezifiziert)
pC C ” ! C ! pC C 0
:
Bei dieser Reaktion verliert ein Proton einen Teil seiner
kinetischen Energie (durchschnittlich 20 %; siehe Aufgabe Literatur
10.9). Hat es danach noch immer hinreichend viel Ener-
gie, kann sich dieser Prozess wiederholen, bis es unter die
Schwellenenergie für diesen Prozess fällt. Diese Schwel- Greisen, K.: End to the Cosmic-Ray Spectrum? Physical
lenenergie kann überschlagsmäßig leicht berechnet werden, Review Letters 16, 748–750 (1966)
wenn man weiß, dass die Photonen eine mittlere Energie von Nagano, M.: Search for the end of the energy spec-
E” 0;6 meV haben und die Masse des C -Baryons (auch trum of primary cosmic rays. New J. Phys. 11 065012
-Resonanz genannt) bei 1;232 GeV=c2 liegt, während (2009) http://iopscience.iop.org/1367-2630/11/6/065012/
die Protonmasse laut (10.30) mp 0;938 GeV=c2 beträgt. fulltext/ (open access)
Die Schwerpunktsenergie für die Kollision eines Protons mit Zatsepin, G. T., Kuz’min, V. A.: Upper Limit of the Spec-
einem Photon ist durch trum of Cosmic Rays. In: Journal of Experimental and
Theoretical Physics Letters. 4, 78–80 (1966) online (frei):
2
ESPS =c2 D .pp C p” /.pp  C p”  / D m2p c2 C 2pp p”  http://www.jetpletters.ac.ru/ps/1624/article_24846.pdf
10.3 Relativistische Teilchenstöße 369

schossen werden, um im Wesentlichen die gesamte aufgewandte


Energie zur Teilchenerzeugung zur Verfügung zu haben.
Hier werden ultrarelativistische Energien erreicht, bei denen
die Energie E D  m c2 m c2 ist, mit Gammafaktoren von
mehreren Tausend am Large Hadron Collider (LHC) des Euro-
päischen Teilchenphysiklabors CERN bei Genf (Abb. 10.8). Bei
diesen Energien wird die Energie, die zur Ruhemasse eines Pro-
tons gehört, vernachlässigbar. Berechnen wir zum Vergleich die
Energie, die man im Laborsystem für ultrarelativistische Ener-
gien aufzuwenden hätte, so ergibt sich aus (10.71)
2
ESPS =c2 D p p D 2EA m C 2m2 c2 2EA m; (10.73)
p
d. h., die Schwerpunktsenergie nimmt nur wie 2EA mc2 mit
der Strahlenergie EA zu, während bei einem Collider 2EA be-
reitgestellt werden. Für die Maximalenergie von 14 TeV (
15:000 m c2 ), für die das LHC ausgerichtet wurde, wäre bei ei-
nem festen Target die mit Beschleunigern unerreichbar hohe
Energie von etwa 105 TeV erforderlich.

Abb. 10.8 Fotomontage aus LHC-Beschleuniger und seiner unterirdi- Dermaßen hohe und noch höhere Energien kommen aber in der
schen Ausdehnung bei Genf (© 2005 CERN, Fabienne Marcastel) kosmischen Strahlung (hauptsächlich in Form von Protonen)
vor, die uns von Quellen außerhalb unserer Galaxie erreichen.
Deren Entstehungsmechanismus ist noch weitgehend ungeklärt;
man nimmt an, dass sie z. B. von der Umgebung von ultramassi-
Moderne Teilchenbeschleuniger arbeiten in der Hochenergie- ven Schwarzen Löchern im Zentrum von aktiven Galaxien wie
physik, wo man nach neuen immer schwereren Teilchen sucht, Quasaren stammen (siehe Kasten „Anwendung: Ultrahochener-
daher mit Collidern, bei denen zwei Strahlen aufeinander ge- getische kosmische Strahlung“).

Kapitel 10
370 10 Relativistische Mechanik

Aufgaben

Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen

10.1 Eigenzeit der hyperbolischen Bewegung und sind die erhaltenen Beziehungen ins ursprüngliche Ruhesystem
interstellare Reisen zu transformieren.

(a) Leiten Sie für die hyperbolische Bewegung, d. h. eine Weltli- 10.3 Maximaler Ablenkungswinkel im Laborsys-
nie mit konstanter Eigenbeschleunigung aQ , den Zusammen- tem, wenn ein schweres Teilchen auf ein leichteres stößt
hang (10.16) zwischen Eigen- und Koordinatenzeit sowie Berechnen Sie den maximalen Streuwinkel #A , den eine Masse
geschlossene Ausdrücke für den Zusammenhang von zu- mA nach Kollision mit einer ursprünglich ruhenden leichteren
rückgelegter Strecke x und Eigenzeit  her. Masse mB im Laborsystem annehmen kann. Bestimmen Sie
(b) Berechnen Sie damit, wie viel Zeit eine Reise zum nächstge- dafür über eine explizite Lorentz-Transformation, wie #A mit
legenen Stern (Alpha Centauri, 4,2 Lichtjahre Entfernung) dem Streuwinkel im Schwerpunktsystem, #, der ja nicht ein-
bzw. zum Zentrum der Milchstraße (etwa 27.000 Lichtjah- geschränkt ist, zusammenhängt, und bestimmen Sie daraus den
re) brauchen würde, wenn man eine Rakete zur Verfügung maximalen Wert.
hat, die eine komfortable konstante Beschleunigung in der
Höhe der Erdbeschleunigung von 1 g 9;81m=s2 bereit- 10.4 Inelastische Kollision von Protonen und Kup-
stellt. Nach halber Strecke soll die Rakete um 180ı drehen, ferkernen Im Text wurde gezeigt, dass im Laborsystem bei
sodass die Abbremsung ebenfalls mit konstanter negativer der inelastischen Streuung von Protonen an Protonen das ein-
Beschleunigung von 1 g erfolgt. Vergleichen Sie die Eigen- laufende Proton eine Energie von über 7 m c2 haben muss,
zeit des Reisenden mit der Zeit der Startrampe. damit Antiprotonen erzeugt werden können. Bei der Entde-
Kapitel 10

ckung des Antiprotons wurde ein Protonenstrahl mit 6;7 m c2 D


6;3 GeV auf ein Kupfertarget (Atommasse ca. 63 Protonmassen)
Lösungshinweis: Verwenden Sie die Ergebnisse (10.14) und geschossen. Berechnen Sie die Schwellenenergie für Antipro-
(10.15). tonenerzeugung unter der Annahme, dass die Nukleonen im
Target fest gebunden sind (was sie bezüglich der hier eingesetz-
10.2 Relativistische Raketengleichung Eine Ra- ten Energien aber nicht sind).
kete werde dadurch angetrieben, dass bezüglich ihres momen-
tanen Ruhesystems kontinuierlich Masse mit einer konstanten 10.5 Energievorrat und Lebensdauer der Sonne
Geschwindigkeit w ausgestoßen wird. Wie im Kasten „Anwendung: Massendefekt und Umwandlung
von Masse in Energie“ vermerkt, wird bei der Kernfusion etwa
(a) Welche Endgeschwindigkeit erreicht sie im Inertialsystem 0,5 % der Masse in Energie umgewandelt. Schätzen Sie damit
S der Startrampe, wenn sie ihren Vorrat an Brennstoff auf- ab, wie viel Energie unsere Sonne, die eine Masse von etwa
gebraucht und ihre Ruhemasse von anfänglich m0 auf m 2  1030 kg besitzt, im Laufe ihrer Existenz abstrahlen kann, und
abgenommen hat? daraus die maximale Lebensdauer, wenn Sie verwenden, dass
(b) Mit welcher Rate muss Masse ausgestoßen werden, damit auf der Erde etwa 1500 W=m2 an Energie empfangen wird, wo-
die Beschleunigung im momentanen Ruhesystem konstant bei die Erde ungefähr 150 Millionen km von der Sonne entfernt
ist? Wie nimmt in diesem Fall die Masse als Funktion der ist.
Eigenzeit der Rakete ab?
10.6 Mandelstam-Variable Man zeige, dass die im
Kasten „Vertiefung: Die Mandelstam-Variablen“ besprochenen
Lösungshinweis: Betrachten Sie zunächst ein Objekt mit Ru-
Größen
hemasse m, das sich in zwei Objekte mit Ruhemassen m1 und
m2 teilt, die sich bezüglich des Schwerpunktsystems mit den s D .p1 C p2 /2 D .p3 C p4 /2 ;
Geschwindigkeiten v1 und v2 voneinander weg bewegen, und
spezialisieren Sie dann auf eine infinitesimale Änderung m1 D t D .p1  p3 /2 D .p2  p4 /2 ; (10.74)
m  jdmj und v2 D w. Zur Aufstellung der Raketengleichung u D .p1  p4 / D .p2  p3 /
2 2
Aufgaben 371

für einen elastischen oder inelastischen 2!2-Prozess mit Vie- Insbesondere folgt aus dem Vergleich von (10.78) und (10.84)
rerimpulsen die einfache Umrechnungsformel
   
p1 C p2 D p3 C p4 (10.75)
p
linear abhängig sind und m2 c jp1 jLS D s jp1 jSPS : (10.89)

s C t C u D .m21 C m22 C m23 C m24 / c2 (10.76) Man beachte auch, dass die Streuwinkel in der Variablen t bzw. u
enthalten sind. Die Energien im Schwerpunktsystem sind daher

erfüllen. Die durch die Viererimpulse pi beschriebenen Teil- unabhängig von Streuwinkeln, wohingegen im Laborsystem E3
chen i D 1; : : : ; 4 sollen dabei beliebige Ruhemassen mi haben. und E4 von diesen abhängen.

10.7 Umrechnung zwischen Schwerpunkt- und La- 10.8 Zerfall eines massiven Teilchens in zwei mas-
borsystem mit Mandelstam-Variablen Zeigen Sie folgen- sive Tochterteilchen Berechnen Sie, wie sich im Schwer-
de Beziehungen zwischen den in (10.74) definierten Mandel- punktsystem beim Zerfall eines massiven Teilchens mit Masse
stam-Variablen für relativistische 2!2-Prozesse und den Wer- M die verfügbare Energie auf zwei Teilchen aufteilt, wenn diese
ten von Energie und Impuls, wobei die Massen mA bzw. mB besitzen.

.a; b; c/ WD a2 C b2 C c2  2ab  2ac  2bc Lösungshinweis: Lösen Sie nicht wie beim Zerfall des Pions
 a  2a.b C c/ C .b  c/
2 2 die Energieerhaltungsgleichung direkt, sondern betrachten Sie
 
 p  dafür die Lorentz-Invarianten pA2 WD pA pA und pB2 WD pB pB
p 2 p p 2 und setzen Sie in diese die Energie-Impuls-Erhaltung ein. Dies
 a bC c a b c
vereinfacht die Rechnung merklich.
(10.77)
die sogenannte Dreiecks- oder Källén-Funktion (benannt nach 10.9 Energieverlust von ultrahochenergetischen
dem schwedischen theoretischen Physiker Gunnar Källén, Protonen bei Kollision mit Photonen des kosmischen Mi-
1926–1968) ist: krowellenhintergrunds Im Kasten „Anwendung: Ultraho-
chenergetische kosmische Strahlung“ wurde diskutiert, dass der
(a) im Schwerpunktsystem: inelastische Prozess pC C” ! C ! pC C 0 für Protonen mit
Energien & 108 TeV und Photonen aus der kosmischen Hinter-
1 grundstrahlung dazu führt, dass die Protonen so lange Energie
p21 D p22 D .s; m21 c2 ; m22 c2 /; (10.78)
4s verlieren, bis sie unter die zugehörige Schwellenenergie fallen.
1
p23 D p24 D .s; m23 c2 ; m24 c2 /;

Kapitel 10
(10.79)
4s Schätzen Sie den durchschnittlichen Energieverlust eines sol-
s C .m21  m22 /c2 chen Protons bei einer derartigen Kollision ab, indem Sie den
E1 =c D p ; (10.80) minimalen und den maximalen Energieverlust berechnen, der
2 s
auftritt, wenn das C -Baryon im Schwerpunktsystem das se-
s C .m22  m21 /c2 kundäre Proton in bzw. gegen die Richtung des einlaufenden
E2 =c D p ; (10.81)
2 s Protons emittiert. Für den Prozess pC C ” ! C soll angenom-
s C .m23  m24 /c2 men werden, dass die Energie gerade zur Entstehung eines C -
E3 =c D p ; (10.82) Baryons ausreicht.
2 s
s C .m24  m23 /c2 Berechnen Sie dazu die Energieaufteilungen für die Prozesse
E4 =c D p I (10.83)
2 s pC C ” ! C und C ! pC C 0 mit den Formeln aus
Aufgabe 10.8 (mC D 1;232 GeV=c2 , mp D 0;938 GeV=c2 ,
(b) im Laborsystem (p2 D 0): m 0 D 0;135 GeV=c2 ) und transformieren Sie diese in das
ursprüngliche Inertialsystem, in dem das Proton anfangs eine
1 Energie von etwa 1011 GeV hatte.
p21 D .s; m21 c2 ; m22 c2 /; (10.84)
4m22 c2
Lösungshinweis: Nutzen Sie aus, dass sich die in (9.99) einge-
s  .m21 C m22 /c2
E1 D ; (10.85) führte Rapidität  D arcosh .v/ bei Lorentz-Transformationen
2m2 in einer festen Richtung additiv verhält.
E2 D m2 c2 ; (10.86)
.m22 C m23 /c2 u 10.10 Rapidität und Pseudorapidität in der Teil-
E3 D ; (10.87) chenphysik In Teilchenkollisionen ist eine direkt zugängli-
2m2 che Observable der Winkel #, unter dem ein gestreutes oder
.m22 C m24 /c2  t neu erzeugtes Teilchen gegenüber der Strahlachse in den Detek-
E4 D : (10.88)
2m2 tor fliegt. In der Teilchenphysik wird dieser üblicherweise durch
372 10 Relativistische Mechanik

die äquivalente Größe der Pseudorapidität, definiert durch Unter Rapidität versteht man in der Teilchenphysik dagegen die
  in (9.99) eingeführte Rapidität artanh .v=c/, aber eingeschränkt
# auf die longitudinale Komponente der Geschwindigkeit vk =c D
 WD  ln tan ; (10.90)
2 pk c=E:
pk c
angegeben (Abb. 10.9). y WD artanh : (10.91)
E
η=0 Zeigen Sie, dass
ϑ = 90◦
75◦ η = 0.5 (a) im Hochenergielimes  1 die Pseudorapidität in die lon-
60◦ gitudinale Rapidität y übergeht;
(b) sich die Rapidität y unter Lorentz-Transformationen mit Ge-
45◦ η = 1 schwindigkeit v D ˇc in longitudinaler Richtung gemäß

y0 D y  artanh ˇ (10.92)
30◦
η = 1.5
transformiert.
η=2
15◦ Lösungshinweis: Drücken Sie zuerst  durch Impulskompo-
η = 2.5
η=3 nenten pk D jpj cos # und p? D jpj sin # aus. Verwenden Sie
η=4 dazu die Identität
ϑ = 0, η = ∞ (Strahlachse) s
# 1  cos #
tan D : (10.93)
Abb. 10.9 Zusammenhang von Streuwinkel und Pseudorapidität 2 1 C cos #
Kapitel 10
Lösungen zu den Aufgaben 373

Lösungen zu den Aufgaben

10.1 (b) Rakete: 3,5 bzw. 19,8 Jahre; Erde: 5,8 bzw 27.002 10.5 Ungefähr 67  109 Jahre.
Jahre
10.8
10.2 M 2 C mA2  mB2
v 1  .m=m0 / 2w=c EA =c2 D ;
D (10.94) 2M (10.95)
c 1 C .m=m0 /2w=c M 2 C mB2  mA2
EB =c2 D :
2M
Bei konstanter Beschleunigung a ist m./ D m0 ea=w .

10.3 sin #Amax D mB =mA . 10.9 Der minimale und maximale Energieverlust beträgt 3 %
bzw. 40 %.
10.4 EA 3;06 m c2 .

Kapitel 10
374 10 Relativistische Mechanik

Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben

10.1 Identifizieren wir m mit der Raketenmasse im momentanen Iner-


tialsystem SQ und m1 D m  jdmj mit der neuen Ruhemasse nach
(a) Die Eigenzeit entlang der hyperbolischen Weltlinie folgt mit einem infinitesimalen Massenausstoß m2 < jdmj mit Geschwin-
(10.14) aus digkeit v2 D w, dann ist v1 D dvQ die erzielte infinitesimale
s Geschwindigkeit. Der Faktor 1 in (10.103) ist dabei 1 bis auf
v2 dt Beiträge von höherer Ordnung, und man bekommt für die Mas-
d D dt 1  2 D p (10.96) senänderung der Rakete
c 1 C aQ 2 t2 =c2
durch einfache Integration: dm jdmj dvQ
D D : (10.104)
m m w
c aQ t
 D arsinh : (10.97)
aQ c Bewegt sich die Rakete bezüglich S mit der Geschwindigkeit
v D v.m/, dann folgt aus der relativistischen Geschwindigkeits-
Kombiniert mit (10.15) ergibt sich der Zusammenhang addition
 
c2 aQ  v C dvQ
x./ D cosh 1 (10.98) v C dv D
aQ c 1 C v dv=c
Q 2
  (10.105)
bzw.   ) dv D .v C dv/
Q 1  v dv=c
Q 2  v C O.dvQ 2 /
c aQ x  
.x/ D arcosh C1 : (10.99) D dvQ 1  v 2 =c2 C O.dvQ 2 /:
aQ c2
(b) Mit c 2;998  108 m=s, 1 Jahr (y) 3;156  107 s, 1 Licht- Umgeschrieben auf die Veränderung der Ruhemasse (die eine
jahr (ly) 9;46  1015 m, aQ D 9;81 m=s2 ergibt sich die Ei- Lorentz-Invariante darstellt) ergibt dies mit (10.104)
genzeit für die beiden Reisen zu
dv=c w dm
D (10.106)
1 D 2 .2;1 ly/ 3;5 y; 1  v 2 =c2 c m
Kapitel 10

(10.100)
2 D 2 .13:500 ly/ 19;8 y:
und auf-integriert
Beide Reisedauern sind kürzer als die Lichtlaufzeit im Iner-
tialsystem der Startrampe, die zweite ist sogar weniger als v 1 1 C v=c w
artanh D ln D  ln m C const; (10.107)
ein Tausendstel davon! Die Zeit, die während dieser Reise c 2 1  v=c c
auf der Erde vergeht, ist natürlich größer:
wobei die Integrationskonstante dadurch fixiert ist, dass im Iner-
t1 5;8 y; t2 27:002 y: (10.101) tialsystem S die Geschwindigkeit für m D m0 null ist. Damit
ergibt sich
Mit den Ergebnissen aus Aufgabe 10.2 lässt sich berechnen,  
1 C v=c m.v/ 2w=c
welche Massen Raketen mindestens haben müssten, mit de- D : (10.108)
nen solche Reisen im Prinzip möglich wären. Dies ist dem 1  v=c m0
Leser überlassen.
Daraus erhält man eine lineare Gleichung in v=c mit der Lösung
(10.94).
 
10.2 Energie-Impuls-Erhaltung für die Aufspaltung m ! m1 C Alternativ hätten wir etwas direkter v=c D tanh wc ln.m0 =m/
m2 ergibt im momentanen Ruhesystem von m schreiben und dann die Definition des tanh heranziehen können.
! ! !
mc c c Nichtrelativistisch hätte man einfacher dv D w dm=m zu lö-
D 1 m1 C 2 m2 ; (10.102) sen, und damit unmittelbar v D w ln.m0 =m/. Die relativistische
0 v1 v2
Verallgemeinerung unterscheidet sich also gerade durch die Er-
also setzung v=c !  D artanh.v=c/, wobei  die in Kap. 9 im
Kasten „Vertiefung: Lorentz-Transformation als imaginäre Dre-
m D m1 1 C m2 2 ; 1 m1 v1 D 2 m2 v2 ; hung“ diskutierte Rapidität ist.
 
v1 (10.103) Teilaufgabe (b) ergibt sich aus (10.104) dividert durch das Ei-
) m D m1 1 1 C :
v2 genzeitdifferenzial d. Die Beschleunigung im momentanen
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 375

Ruhesystem ist a D dv=d.


Q Soll diese konstant gehalten wer- 10.4 Aus
den, ist ! !
dm a  EA =c 63 m c
D  m./ (10.109) pLS;vorher D C ;
d w pA 0
! (10.115)
mit der Lösung  .3 C 63/ m c
pSPS;nachher D
m./ D m0 ea=w : (10.110) 0
Da bei konstanter Beschleunigung die Bewegung hyperbolisch folgt nach Gleichsetzen der vom Bezugssystem unabhängigen
ist, kann mit (10.16) unmittelbar auf die Koordinatenzeit der Viererquadrate
Startrampe umgerechnet werden.
 2
EA
10.3 Bezeichnen wir den Betrag der gegengleichen einlaufen- C 63mc  pA2
c
den Impulse pB D pA im Schwerpunktsystem
q mit p und die
D 2  63EA m C .632 C 1/m2 c2 D 662 m2 c2 (10.116)
zugehörigen Energien EA;B =c D p2 C mA;B 2
c2 , dann ist die Ge-
193
schwindigkeit, mit der sich Teilchen B im Schwerpunktsystem ) EA D m c2 3;06 m c2
bewegt, gegeben durch ˇ D p c=EB . Ist die Kollisionsachse die 63
x-Achse, so führt eine Standard-Lorentz-Transformation in ne- bzw.
gativer x-Richtung auf das Laborsystem, in dem Teilchen B ruht. T D EA  m c2 D 2;06 m c2 : (10.117)
Der Viererimpuls von Teilchen A nach dem Stoß transformiert
sich vom Schwerpunkt- ins Laborsystem gemäß Wären Kupferkerne bei diesen Energien unzerstörbar, würden
demnach nur 3 % der kinetischen Energie mehr nötig sein, als
0 10 1 die Ruheenergie eines Proton-Antiproton-Paares darstellt.
 ˇ 0 0 EA =c
Bˇ  0C B C
 B 0 C Bp cos # C 10.5 Ein Massendefekt von 0,5 % der Masse der Sonne ent-
.pA0 /LS DB CB C
@0 0 1 0A @ p sin # A spricht einer Energiemenge von
0 0 0 1 0
0 1 (10.111) 0;5  102  2  1030 kg  c2 9  1044 Ws: (10.118)
:::
B.E C E cos #/p=m c2 C Dies ist der geschätzte Energievorrat, der nach Entstehung der
B A B B C
DB C Sonne zur Abstrahlung zur Verfügung steht.
@ p sin # A

Kapitel 10
0 Die Leistung der Sonne ist gegeben durch die Oberfläche ei-
ner Kugel mit Radius 150 Millionen Kilometer multipliziert mit
mit  D EB =mB c2 , ˇ D p=mB c. Das Verhältnis von y- und x- 1500 W=m2 :
Komponente gibt 4 .1;5  1011m/2  1500 W=m2 4  1026 W: (10.119)
mB c2 sin # Dies reicht für etwa 2;1  1018 s oder etwa 67  109 Jahre,
tan #A D : (10.112)
EA C EB cos # wenn sie gleichmäßig strahlt. Die von Astrophysikern errech-
nete Brenndauer unserer Sonne, bis sie das Endstadium eines
Für mB < mA ist EB < EA , und der Nenner hat keine Nullstel- weißen Zwerges erreicht, liegt tatsächlich unter diesem Wert –
le, wenn # zwischen 0 und variiert, sodass #A < =2 bleibt bei etwa 12,5 Milliarden Jahren.
und auch für # ! wieder auf null geht. Dies bedeutet, dass
das einlaufende Teilchen A nicht zurückgestreut werden kann, 10.6 Mit p2i D m2 c2 ergibt Ausmultiplikation der definierenden
sondern immer einen Impuls in positiver x-Richtung behält. Der Gleichungen
maximale Winkel #A ergibt sich aus
s C t C u D m21 c2 C 2p1  p2 C m22 c2
d mB c2 .EB C EA cos #/ C m21 c2  2p1  p3 C m23 c2
tan #A D D0 (10.113)
d# .EA C EB cos #/2 C m21 c2  2p1  p4 C m24 c2
für cos # D EB =EA . In (10.112) eingesetzt ergibt dies X
4
D m2i c2 C 2m21 c2 C 2p1  .p2  p3  p4 /
„ ƒ‚ …
mB c2 mB =mA iD1
p1
tan #Amax D q D q (10.114)
EA2  EB2 1  mB2 =mA2 X
4
D m2i c2 :
iD1
bzw. sin #Amax D mB =mA . (10.120)
376 10 Relativistische Mechanik

10.7 woraus
M 2 C mA2  mB2
EA =c2 D (10.129)
(a) Im Schwerpunktsystem ist p1 D p2 und p3 D p4 . Damit 2M
ist folgt. Analog erhält man
s D .p1 C p2 /2 D .E1 =c C E2 =c/2
(10.121) M 2 C mB2  mA2
D .E12 C E22 C 2E1 E2 /=c2 ; EB =c2 D : (10.130)
q 2M
und mit Ei =c D p2i C m2i c2 folgt
Die Summe davon ist offensichtlich .EA C EB /=c2 D M, was
s  2p21  .m21 C m22 /c2 D 2E1 E2 =c2 : (10.122) gerade die Energieerhaltungsgleichung darstellt. Deren direkte
Lösung würde aber die Berechnung von pA2 D pB2 aus einer Glei-
Nach dem Quadrieren dieser Gleichung fallen die Terme chung mit Wurzelausdrücken erfordern.
proportional zu .p21 /2 heraus, und man erhält
10.9 Die Schwerpunktsenergie mC c2 teilt sich gemäß (10.95)
s2  4sp21  2s.m21 C m22 /c2 C .m21 C m22 /2 c4  4m21 m22 c4 D 0 bei pC C ” ! C entsprechend
(10.123)
oder 1;2322 C 0;9382
Ep D GeV D 0;973 GeV;
2  1;232
4sp21 D s2  2s.m21 C m22 /c2 C .m21  m22 /2 c4 (10.131)
(10.124) 1;2322  0;9382
D .s; m21 c2 ; m22 c2 /; E” D GeV D 0;259 GeV
2  1;232
woraus (10.78) folgt. Daraus lässt sich nun die Energie über und bei C ! pC C 0
entsprechend
.s; m21 c2 ; m22 c2 /
C 4s m21 c2 1;2322 C 0;9382  0;1352
E12 =c2 D p21 C m21 c2 D Ep D GeV D 0;966 GeV;
4s 2  1;232
Œs C .m21  m22 /c2 2
D 1;2322 C 0;1352  0;9382
4s E 0 D GeV D 0;266 GeV
(10.125) 2  1;232
(10.132)
berechnen.
auf.
Ganz analog folgen die restlichen Relationen im Schwer-
punktsystem. Die Rapidität des Protons beträgt im ersteren Fall 1 D

Kapitel 10

(b) Im Laborsystem ist p2 D .m2 c; 0/> , wodurch sich alle arcosh .Ep =mp c2 / D arcosh .0;973=0;938/ D 0;273, im letzte-
Mandelstam-Variablen unmittelbar durch die Energien aus- ren 2 D arcosh .0;966=0;938/ D 0;242. Wird das sekundäre
drücken lassen: Proton in Richtung des primären emittiert, ist die Änderung
der Rapidität 1 D 0;03, bei entgegengesetzter Richtung
s D .p1 C p2 /2 D m21 c2 C 2E1 m2 C m22 c2 ;
2 D 0;515.
t D .p2  p4 /2 D m22 c2  2m2 E4 C m24 c2 ; (10.126)
Bei sehr hohen kinetischen Energien und  1 gilt
u D .p2  p3 / D 2
m22 c2  2m2 E3 C m23 c2 :
E 1 
Daraus ergeben sich unmittelbar die angegebenen Aus- D  D cosh  e : (10.133)
mc2 2
drücke für die Energien Ei .
Die zugehörigen Impulse folgen aus der Energie-Impuls-Be- Die berechneten Verschiebungen von  bedeuten eine Multi-
ziehung p2i D Ei2 =c2  m2i c2 , im Speziellen plikation mit den Faktoren

Œs  .m21 C m22 /c2 2  4m22 c2 .m21 c2 / e1 0;97; e2 0;60 (10.134)
p21 D
4m22 c2 und somit Energieverluste zwischen 3 % und 40 %. (Hier ist der
(10.127)
1 genaue Wert von  nicht wesentlich, solange  1 ist. Für
D .s; m21 c2 ; m22 c2 /: Ep  1011 GeV ist   26 und daher mehr als hinreichend
4m22 c2
groß.)

  10.10
10.8 Im Schwerpunktsystem ist p D .Mc; 0/ D pA C pB . Die
Energie-Impuls-Relation pB D mB c kann damit geschrieben
2 2 2
(a) Mit
werden als
s s
mB2 c2 D .p  pA /2 D p2  2p  pA C pA2 # 1  cos # jpj  pk
(10.128) tan D D (10.135)
D M 2 c2  2MEA C mA2 c2 ; 2 1 C cos # jpj C pk
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 377

ist Impuls als Vierervektor entsprechend


  E0 D  E  ˇ pk c;
# 1 jpj C pk pk
 D  ln tan D ln D artanh : p0k D  pk  ˇ E=c;
2 2 jpj  pk jpj (10.138)
(10.136) p0? D p? :
p Damit ist
Für  D E=.mc2 / D p2 C m2 c2 =.mc/ 1 ist p2 m2 c2 0 0
und E jpjc. Die longitudinale Rapidität wird daher 1 E C pk c 1  E  ˇ pk c C  pk c  ˇ E
y0 D ln 0 0
D ln
2 E  pk c 2  E  ˇ pk c   pk c C ˇ E
pk c pk
y D artanh artanh D  . 1/: (10.137) 1 .1  ˇ/.E C pk c/ 1 .1 C ˇ/
E jpj D ln D y  ln
2 .1 C ˇ/.E  pk c/ 2 .1  ˇ/
(b) Unter einer Lorentz-Transformation mit Geschwindigkeit D y  artanh ˇ:
cˇ in longitudinaler Richtung transformieren Energie und (10.139)

Kapitel 10
378 10 Relativistische Mechanik

Literatur

Weiterführende Literatur

Byckling, E., Kajantie, K.: Particle Kinematics. Wiley, New


York (1973)
Kapitel 10
Abbildungsnachweis

Weitere Hinweise zu Bildrechten finden Sie in den jeweiligen Abbildungs- Kapitel 7


unterschriften. Alle Abbildungen, die keinen Nachweis haben, wurden von Eröffnungsbild: © akg/Science Photo Library 7.5: © PAR, SA 3.0
Kristin Riebe und/oder den Autoren erstellt.

Kapitel 8
Kapitel 1 Eröffnungsbild: © Kristin Riebe 8.25: © NASA/GSFC/Bob Cahalan
Eröffnungsbild: © NASA 1.7: © NASA 8.26: © Madlen Ziegler 8.28: © G. J. Bulte

Kapitel 2 Kapitel 9
Eröffnungsbild: © NASA 2.7: © NASA 2.10: © NASA 2.11: Eröffnungsbild: © CERN 2005 9.1: © Emilio Segre Visual Archives /
© Ciudad de las Artes y las Ciencias. Generalitat Valenciana American Institute Of Physics / Science Photo Library 9.3: A. A. Mi-
chelson, E. Morley (1887), American Journal of Science, Volume 34, Issue
203, pp. 333–345 (public domain, en.wikisource.org) 9.10: © BELLE,
Kapitel 3
belle.kek.jp 9.23: © NASA/MSFC
Eröffnungsbild: © NASA 3.1: © NASA

Kapitel 4 Kapitel 10
Eröffnungsbild: © Markus Bautsch Eröffnungsbild: © CERN 2012, designed by Idea2Dezign™ 10.4:
© NNSA 10.5: © Kamioka Observatory, ICRR (Institute for Cosmic Ray
Research), The University of Tokyo 10.6: Max-Planck-Institut für Phy-
Kapitel 6 sik – MAGIC, © R. Wagner 10.7: © CERN 10.8: © CERN 2005,
Eröffnungsbild: © Kristin Riebe 6.6: © Sheevar, SA 3.0 Fabienne Marcastel

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 379
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik 1 | Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56115-7
Sachverzeichnis

A Alfvén’scher Satz, siehe Bd. 2 Atomkern


Abampere, siehe Bd. 2 Algebra Einfluss auf Energie, siehe Bd. 3
Abbe, Ernst, siehe Bd. 2 der Erhaltungsgrößen, siehe Bd. 3 Aufenthaltswahrscheinlichkeit
Abbe’sche Auflösungsgrenze, siehe Bd. 2 allgemeine Relativitätstheorie, 337, siehe auch im Gleichgewicht, siehe Bd. 4
Abbildung Bd. 2 im Zustandsraum, siehe Bd. 4
diskret, siehe Bd. 3 Alpher, Ralph, siehe Bd. 3 Auflösungsvermögen, siehe Bd. 2
offen, siehe Bd. 3 Ammoniakmolekül, siehe Bd. 3 Aufsteigeoperator, siehe Bd. 3
Überlagerung, siehe Bd. 3 Ampere, siehe Bd. 2 für Drehimpuls, siehe Bd. 3
unverzweigt, siehe Bd. 3 absolutes, siehe Bd. 2 Ausdehnungskoeffizient, siehe Bd. 4
abelsche Gruppe, 4 internationales, siehe Bd. 2 Ausschließungsprinzip, siehe Bd. 3
Aberration, 321, siehe auch Bd. 2 neue SI-Definition, siehe Bd. 2 Ausschlussprinzip, siehe Bd. 3
Ableitung, 29 Ampère, André-Marie, siehe Bd. 2 äußeres Produkt, 25
äußere, siehe Bd. 2 Ampère’sche Molekularströme, siehe Bd. 2 Austauschenergie, siehe Bd. 3
konvektive, 304 Ampère’sches Gesetz, siehe Bd. 2 Austauschentartung, siehe Bd. 3
kovariante, siehe Bd. 3 Ampère’sches Kraftgesetz, siehe Bd. 2 Austauschterm, siehe Bd. 3
partielle, 21, 29 Amperesekunde, siehe Bd. 2 bei Streuung, siehe Bd. 3
bei verschiedenen konstanten Größen, Amplitude, 22 Austauschwechselwirkung, siehe Bd. 3
siehe Bd. 4 analytisch, siehe Bd. 2 Auswahlregel, siehe Bd. 3
substanzielle, 304 Anderswo, absolutes, 334 für Drehimpuls, siehe Bd. 3
thermodynamische, siehe Bd. 4 Anfangswertproblem, 13, 277, 280, siehe auch Avogadro, Amedeo, siehe Bd. 3; Bd. 4
unter verschiedenen Bedingungen, siehe Bd. 3 Avogadro-Konstante, siehe Bd. 3; Bd. 4
Bd. 4 anharmonische Schwingung, 211 axiale Eichung, siehe Bd. 2
vollständige, 20 anharmonischer Oszillator, siehe Bd. 3 Axiome
Absorption, siehe Bd. 3 Anomalie von Kolmogorow, siehe Bd. 4
Absorptionslinie, 224 exzentrische, 119
Absorptionsspektrum, 224 Anschlussbedingungen B
Absteigeoperator, siehe Bd. 3 für Dielektrika, siehe Bd. 2 Babinet, Jacques, siehe Bd. 2
für Drehimpuls, siehe Bd. 3 für magnetische Medien, siehe Bd. 2 Babinet’sches Prinzip, siehe Bd. 2
Abstrahlungscharakteristik, siehe Bd. 2 für Wellenfunktion, siehe Bd. 3 Back, Ernst Emil Alexander, siehe Bd. 3
Addition von Drehimpulsen, siehe Bd. 3 Antenne, siehe Bd. 2 Bahn
Adiabate, siehe Bd. 4 Antimaterie, 329 gebundene, 94
Adiabatenindex, siehe Bd. 4 Anyonen, siehe Bd. 3 ungebundene, 95
adjungierte Darstellung aperiodischer Grenzfall, 219 Bahnbeschleunigung, 23
einer Lie-Algebra, siehe Bd. 3 Aphel, 96 Bahndrehimpuls-Vierertensor, siehe Bd. 2
einer Lie-Gruppe, siehe Bd. 3 Apoapsis, 96 Bahnebene, 92
adjungierter Operator, siehe Bd. 3 Apogäum, 96 Bahngeschwindigkeit, 23
Adsorption, siehe Bd. 4 Apsiden, 94 Bahnkurve, 5, 94
mittlere Besetzungszahl, siehe Bd. 4 Äquipotenzialfläche, 30, siehe auch Bd. 2 im Gravitationspotenzial, 97
Adsorptionsgleichgewicht Äquivalenzrelation, siehe Bd. 4 im Zentralkraftfeld, 93
Langmuir-Isotherme, siehe Bd. 4 Arbeit, 18, 20, siehe auch Bd. 4 Bahnparameter, 24, 97
Advektion, 301 technische, siehe Bd. 4 Baker-Campbell-Hausdorff-Formel, siehe Bd. 3
affiner Raum, 54 Wegunabhängigkeit, 32 Balmer-Serie, siehe Bd. 3
Aharonov, Yakir, siehe Bd. 3 Arbeit und Wärme Banach-Raum, 6, siehe auch Bd. 3
Aharonov-Bohm-Effekt, siehe Bd. 3 Abgrenzung, siehe Bd. 4 Band
Ähnlichkeit Archimedes, 2 elastisches, 275
mechanische, 116 Aspect, Alain, siehe Bd. 3 unendliches, 276
Ähnlichkeitsgesetz, 308 Assoziativgesetz, 4 Barrieren, siehe Bd. 3
Ähnlichkeitstransformation, 117, 139, 140 asymptotische Entwicklung, siehe Bd. 3 Basis, 4
Airy, Sir George Biddell, siehe Bd. 2; Bd. 3 Äther, 321, siehe auch Bd. 2 orthogonale, siehe Bd. 2
Airy-Funktion, siehe Bd. 3 Ätherdrift, 322 orthonormale, siehe Bd. 2
Airy-Scheibchen, siehe Bd. 2 Atlas, 168 Baum des Pythagoras, 259
Alfvén, Hannes, siehe Bd. 2 atmosphärische Elektrizität, siehe Bd. 2 Bayes’scher Satz, siehe Satz, Bayes’scher
Becquerel, Henri, siehe Bd. 3

381
382 Sachverzeichnis

Bell, John Stewart, 347 Bohr, Niels, siehe Bd. 3 CERN, 369
Bell’sche Ungleichung, siehe Bd. 3 Bohr’sche Postulate, siehe Bd. 3 CFD, siehe Computational Fluid Dynamics
Bell’sches Raumschiffparadoxon, 347 Bohr’scher Radius, siehe Bd. 3 CGS-Einheiten, 11, siehe auch Bd. 2
Bell-Zustand, siehe Bd. 3 Bohr’sches Atommodell, siehe Bd. 3 Chamberlain, Owen, 365
Bennett, Charles H., siehe Bd. 4 Bohr’sches Magneton, siehe Bd. 3 Chander-Periode, 152
Bernoulli, Johann, 2 Bohr-Sommerfeld-Quantisierung, siehe Bd. 3 Chandrasekhar, Subrahmanyan, siehe Bd. 4
Beschleunigung, 5 Bohr-Sommerfeld-Regeln, siehe Bd. 3 Chandrasekhar-Masse, siehe Bd. 4
beschränkter Operator, siehe Bd. 3 Boltzmann, Ludwig, siehe Bd. 3; Bd. 4 Chaos, 260
Besetzungswahrscheinlichkeit Boltzmann-Faktor, siehe Bd. 4 Chaosforschung, 255
im Zustandsraum, siehe Bd. 4 Boltzmann-Konstante, siehe Bd. 3; Bd. 4 charakteristische Funktion, 257
Besetzungszahl, siehe Bd. 3 Boltzmann-Verteilung, siehe Bd. 4 charakteristisches Polynom, 140
mittlere boost, 327 chemisches Potenzial, siehe Bd. 4
für ideale Quantengase, siehe Bd. 4 Born, Max, siehe Bd. 3 als verallgemeinerte Kraft, siehe Bd. 4
Besetzungszahldarstellung, siehe Bd. 4 Born’sche Näherung, siehe Bd. 3 eines idealen Gases, siehe Bd. 4
Besetzungszahlinversion, siehe Bd. 3; Bd. 4 Born’sche Reihe, siehe Bd. 3 Cherenkov-Strahlung, 365
Besetzungszahloperator, siehe Bd. 3 Konvergenz, siehe Bd. 3 Chromodynamik, siehe Bd. 3
Bessel, Friedrich Wilhelm, siehe Bd. 2 Bose, Satyendranath, siehe Bd. 3 Clapeyron, Benoît Paul Émile, siehe Bd. 4
Bessel-Funktion, siehe Bd. 2; Bd. 3 Bose-Einstein-Gas, ideales Clausius, Rudolf, siehe Bd. 4
erster Art, siehe Bd. 2 Druck und innere Energiedichte, siehe Bd. 4 Clausius-Clapeyron’sche Gleichung, siehe Bd. 4
sphärische, siehe Bd. 2; Bd. 3 Entropiedichte, siehe Bd. 4 Clausius-Mossotti-Formel, siehe Bd. 2
zweiter Art, siehe Bd. 2 Fugazität, siehe Bd. 4 Clebsch-Gordan Koeffizienten, siehe Bd. 3
Bessel’sche Differenzialgleichung, siehe Bd. 2; kritisches Volumen, siehe Bd. 4 COBE-Satellit, siehe Bd. 3
Bd. 3 latente Wärme beim Phasenübergang, siehe Compton, Arthur, siehe Bd. 3
Bethe, Hans, siehe Bd. 3 Bd. 4 Compton-Effekt, siehe Bd. 3
Betragsquadrat, 214 mittlere Teilchenzahl, siehe Bd. 4 Compton-Streuung, 363
Beugung, siehe Bd. 2 spezifische Wärmekapazität, siehe Bd. 4 Compton-Wellenlänge, siehe Bd. 3
an Kreisscheibe, siehe Bd. 2 Bose-Einstein-Kondensation, siehe Bd. 4 Compton-Zeit, siehe Bd. 3
Fraunhofer’sche, siehe Bd. 2 Bose-Einstein-Verteilung, siehe Bd. 4 Computational Fluid Dynamics, 311
Fresnel’sche, siehe Bd. 2 Bosonen, siehe Bd. 3 Confinement, siehe Bd. 2
qualitativ, siehe Bd. 2 nicht wechselwirkend, siehe Bd. 3 Coriolis-Kraft, 67
Beugungstheorie Boyle, Robert, siehe Bd. 4 Coulomb, siehe Bd. 2
Kirchhoff’sche, siehe Bd. 2 Boyle-Mariotte’sches Gesetz, siehe Bd. 4 Coulomb, Charles-Augustin de, siehe Bd. 2
skalare, siehe Bd. 2 Bra, siehe Bd. 3 Coulomb-Anteil, siehe Bd. 2
Bewegungsgesetz, 8 Brachistochrone, 187, 201 Coulomb-Eichung, siehe Bd. 2
Bewegungsgleichungen Bradley, James, 321, siehe auch Bd. 2 Coulomb’sches Gesetz, siehe Bd. 2
im Wechselwirkungsbild, siehe Bd. 3 Bragg-Bedingung, siehe Bd. 3 Coulomb-Streuung, siehe Bd. 3
Bezugssystem, 3 Brahe, Tycho, 2 von ˛-Teilchen, siehe Bd. 3
linear beschleunigtes, 61 Brayton, George, siehe Bd. 4 COW-Experiment, siehe Bd. 3
rotierendes, 61, 185 Brechung, siehe Bd. 2 CP-Verletzung, 329
Bifurkation, 261 Brechungsgesetz, 186, siehe auch Bd. 2 Cramer’sche Regel, 57
Bildladungsmethode, siehe Bd. 2 Brechungsindex, siehe Bd. 2 Cronin, James, 329
Bildstrommethode, siehe Bd. 2 Breite, geografische, 67 Curie, Marie, siehe Bd. 3
Bilinearität, 7 Breit-Wigner-Formel, siehe Bd. 3 Curie, Pierre, siehe Bd. 3
Binomialkoeffizient, siehe Bd. 4 Bremsstrahlung, siehe Bd. 2 Curie’sches Gesetz, siehe Bd. 4
Binomialverteilung, siehe Bd. 4 Brennpunkt, 98 Curie-Temperatur, siehe Bd. 2; Bd. 4
Mittelwert, siehe Bd. 4 Brewster, Sir David, siehe Bd. 2 Curie-Weiss-Modell, siehe Bd. 4
Streuung, siehe Bd. 4 Brewster-Winkel, siehe Bd. 2 ferromagnetische Phase, siehe Bd. 4
Binormalenvektor, 24 Brille, 3-D, siehe Bd. 2 kritische Temperatur, siehe Bd. 4
bi-orthogonales Funktionensystem, 281 Brillouin, Léon Nicolas, siehe Bd. 3; Bd. 4 mittlerer Spin, siehe Bd. 4
Biot, siehe Bd. 2 Brillouin-Funktion, siehe Bd. 4 Suszeptibilität und Magnetisierung, siehe
Biot, Jean-Baptiste, siehe Bd. 2 Bd. 4
Biot-Savart-Gesetz, siehe Bd. 2 C Wärmekapazität, siehe Bd. 4
Birefringenz, siehe Bd. 2 Caloricum, siehe Bd. 4
Birkhoff, George David, siehe Bd. 4 Carleson, Lennart, 283 D
Blende, siehe Bd. 2 Carleson, Satz von, 282 d’Alembert, Jean-Baptiste le Rond, 2
komplementäre, siehe Bd. 2 Carnot, Betrachtungen, siehe Bd. 4 d’Alembert-Operator, siehe Bd. 2
Blindleistung, siehe Bd. 2 Cartan, Élie Joseph, siehe Bd. 2; Bd. 4 d’Alembert-Reduktion, 219
Blindwiderstand, siehe Bd. 2 Cauchy-Folge, 6, siehe auch Bd. 3 d’Alembert’sche Schwingungsgleichung, 276,
Bloch, Felix, siehe Bd. 3 Cauchy-Gleichung, 304 siehe auch Bd. 2
Bloch-Funktionen, siehe Bd. 3 Cauchy-Hadamard, siehe Bd. 2 d’Alembert’sches Prinzip, 173
B-Meson, 329 Cauchy-Riemann’sche-Differenzialgleichungen, Dampfdruckkurve, siehe Bd. 4
Bogenlänge, 24 siehe Bd. 2 Dampfmaschine, siehe Bd. 4
Bogenlängenfunktional, 187 Cauchy’scher Integralsatz, siehe Bd. 2 Dämpfung
Bohm, David Joseph, siehe Bd. 3 Cavendish, Henry, siehe Bd. 2 kritische, 218
Bohm’sche Mechanik, siehe Bd. 3 Cayley-Transformation, siehe Bd. 3 schwache, 218
Celsius, Anders, siehe Bd. 4 starke, 218
Sachverzeichnis 383

Darstellung, 60 gewöhnliche, 13 SO(3), 59


der Gittertranslationen, siehe Bd. 3 homogene, 212 Drehimpuls, 26, siehe auch Bd. 2
der Permutationsgruppe, siehe Bd. 3 hypergeometrische, siehe Bd. 3 Addition, siehe Bd. 3
des Ortsvektors, 48 inhomogene, 212 Produktzustände, siehe Bd. 3
Drehungen durch Matrizen, 49 Laguerre’sche, siehe Bd. 3 Transformation unter Drehungen, 55
einer Lie-Algebra, siehe Bd. 3 Legendre’sche, siehe Bd. 2 Drehimpulsdichte
einer Lie-Gruppe, siehe Bd. 3 lineare, 212 elektromagnetische, siehe Bd. 2
irreduzible, siehe Bd. 3 Ordnung, 13 Drehimpulserhaltung
unitäre, siehe Bd. 3 partielle, 13 für Zentralkräfte, 92
von Drehungen, siehe Bd. 3 partikuläre Lösung, 212 Drehimpulsoperator, siehe Bd. 3
Darwin, Charles Galton, siehe Bd. 3 Differenzialgleichungssystem, 212 Drehimpulsquantenzahl, siehe Bd. 3
Darwin-Term, siehe Bd. 3 Differenzialoperator, 29 Drehimpulssatz, 26, 88
Davisson, Clinton, siehe Bd. 3 nichtkartesischer, 75 vierdimensionale Verallgemeinerung, siehe
de Broglie, Louis, siehe Bd. 3 selbstadjungiert, siehe Bd. 2 Bd. 2
de Haas, Wander Johannes, siehe Bd. 3 Differenzialprinzip, 186 Drehimpuls-Vierertensor, siehe Bd. 2
de Sitter, Willem, 345 differenzieller Erhaltungssatz, 301 Drehmatrix, 51
De-Broglie-Wellenlänge, siehe Bd. 3 differenzieller Wirkungsquerschnitt, 106, siehe Drehmoment, 26
Debye, Peter, siehe Bd. 4 auch Bd. 3 Dipol, siehe Bd. 2
Debye-Funktion, siehe Bd. 4 Differenzierbarkeit, 29 Quadrupol, siehe Bd. 2
Debye-Temperatur, siehe Bd. 4 Dimension, 4 Drehung, siehe Bd. 3
Debye-Wellenzahl, siehe Bd. 4 Dimension eines Vektorraums, siehe Bd. 3 aktive, 49
Definitionsbereich eines Operators, siehe Bd. 3 Dimensionsanalyse, siehe Bd. 2 infinitesimale, 62
Deformationspolarisation, siehe Bd. 2 Dipol passive, 49
Dekohärenz, siehe Bd. 3 Hertz’scher, siehe Bd. 2 unitäre Darstellungen, siehe Bd. 3
Dekohärenz-Programm, siehe Bd. 3 magnetischer, siehe Bd. 2 Drehungen
Delbrück-Streuung, siehe Bd. 2 Dipolmoment sukzessive, 51
Delta-Distribution, siehe Bd. 2 elektrisches, siehe Bd. 2 Drehungstensor, 291
Deltafunktion, siehe Bd. 2 magnetisches, siehe Bd. 2 Dreibein, 48
Deltapotenzial, siehe Bd. 3 Dipolstrahlung, siehe Bd. 2 3-D-Brille, siehe Bd. 2
Der Spin, siehe Bd. 3 elektrische, siehe Bd. 3 Dreiecksregel, siehe Bd. 3
Derivationsregel, siehe Bd. 3 magnetische, siehe Bd. 2; Bd. 3 Dreiecksschwingung, 283
Descartes, René, 321, siehe auch Bd. 2 Dirac, Paul, siehe Bd. 2; Bd. 3 Dreiecksungleichung, 6, siehe auch Bd. 3
Determinante, 52, 55 Dirac-Distribution, 187 Dreikörperproblem
Laplace’scher Entwicklungssatz, 57 Dirac-Gleichung, siehe Bd. 3 klassisches, 109
Minor, 57, siehe auch Bd. 4 Dirac-Notation, siehe Bd. 3 quantenmechanisches, siehe Bd. 3
Regel von Sarrus, 52 Dirac’sche Deltafunktion, siehe Deltafunktion Driftgeschwindigkeit, elektrische, siehe Bd. 2
Unterdeterminante, 57 direkte Summe von Hilbert-Räumen, siehe Bd. 3 Druck, 298
Determinismus, 259 Dirichlet, Johann Peter Gustav Lejeune, siehe als verallgemeinerte Kraft, siehe Bd. 4
Deviationsmoment, 132 Bd. 2 mechanischer, 298
diagonalisierbar, 140 Dirichlet-Green-Funktion, siehe Bd. 2 Messung und Einheiten, siehe Bd. 4
Diamagnetismus, siehe Bd. 2; Bd. 3 Dirichlet-Problem, siehe Bd. 3 thermodynamischer, 299
Dichtefunktionaltheorie, siehe Bd. 3 Dirichlet-Randbedingung, 279, siehe auch Druckspannung, 273
Dichtematrix, siehe Bd. 3 Bd. 2; Bd. 3 Druck-Volumen-Arbeit, siehe Bd. 4
Anzahl Parameter, siehe Bd. 3 diskrete Symmetrie, 196 Drude-Modell, siehe Bd. 2
Dichteoperator, siehe Bd. 3; Bd. 4 Dispersion, siehe Bd. 2 duale Basis, 340
Eigenschaften, siehe Bd. 3 anomale, siehe Bd. 2 dualer Vektorraum, 339, siehe auch Bd. 3
Dielektrikum, siehe Bd. 2 normale, siehe Bd. 2 duales Gitter, siehe Bd. 3
dielektrische Verschiebung, siehe Bd. 2 Dispersionsrelation, 232, siehe auch Bd. 2 Dufay, Charles, siehe Bd. 2
Dielektrizitätskonstante, siehe Bd. 2 für Gitterschwingungen im Festkörper, siehe Duhem, Pierre Maurice Marie, siehe Bd. 4
des Vakuums, siehe Bd. 2 Bd. 4 Dulong, Pierre Louis, siehe Bd. 4
relative, siehe Bd. 2 Dispersionsrelationen von Kramers und Kronig, Dulong-Petit’sches Gesetz, siehe Bd. 4
verallgemeinert, siehe Bd. 2 siehe Bd. 2 Dunkle Energie, siehe Bd. 3
Dielektrizitätszahl, siehe Bd. 2 Dissipation, 20, siehe auch Bd. 4 Dunkle Materie, siehe Bd. 3
Diesel, Rudolf, siehe Bd. 4 Distributionen, siehe Bd. 2 Durchflutungsgesetz, siehe Bd. 2
Differenzial Rechenregeln, siehe Bd. 2 Durchstoßpunkt, 154
exaktes, siehe Bd. 4 reguläre, siehe Bd. 2 Dyade, 136
unvollständiges, siehe Bd. 4 temperierte, siehe Bd. 2 dyadisches Produkt, 134, 136
vollständiges, 21, siehe auch Bd. 4 Divergenz, 29 dyn, siehe Bd. 2
Differenzialformen, siehe Bd. 2 in allgemeinen Koordinatensystemen, 75 Dynamik, 12
Differenzialgleichung Divergenzfreiheit, 303 dynamische Viskosität, 306
Airy’sche, siehe Bd. 3 Doppelbrechung, siehe Bd. 2 Dyson, Freeman, siehe Bd. 3
Anfangswertbedingung, 212 Doppelfakultät, siehe Bd. 2 Dyson-Reihe, siehe Bd. 3
Bessel’sche, siehe Bd. 2 Doppler, Christian, siehe Bd. 2
charakteristisches Polynom, 216 Doppler-Effekt, 233, siehe auch Bd. 2 E
Fuchs’sche, siehe Bd. 3 Drehgruppe, siehe Bd. 3 Ebene, schiefe, 181
ebener Poiseuille-Fluss, 307
384 Sachverzeichnis

effektive Feldtheorien, siehe Bd. 2 elektrische Suszeptibilität, siehe Bd. 2 Entelektrisierung, siehe Bd. 2
effektive Wirkung, siehe Bd. 2 elektrischer Leiter, siehe Bd. 3 Enthalpie, siehe Bd. 4
Ehrenfest, Paul, siehe Bd. 3; Bd. 4 elektrodynamische Potenziale, siehe Bd. 2 als Funktion des Druckes, siehe Bd. 4
Ehrenfest-Theorem, siehe Bd. 3 elektromagnetische Wellen, siehe Bd. 2 freie, siehe Bd. 4
Eichfunktion, siehe Bd. 2 elektromagnetisches Feld Gibbs’sche, siehe Bd. 4
Eichinvarianz, siehe Bd. 2; Bd. 3 Druck und Energiedichte, siehe Bd. 4 und innere Energie, siehe Bd. 4
eichkovariante Ableitung, siehe Bd. 2; Bd. 3 elektromotorische Kraft, siehe Bd. 2 Enthemmung, siehe Bd. 4
Eichtheorie Elektron Entmagnetisierungsfaktor, siehe Bd. 2
nichtabelsche, siehe Bd. 2 Entdeckung, siehe Bd. 3 Entropie, siehe Bd. 4
Eichtransformation, siehe Bd. 2; Bd. 3 im Zentralfeld, siehe Bd. 3 absolute Bestimmung, siehe Bd. 4
SU.N/, siehe Bd. 3 Elektronenradius, klassischer, siehe Bd. 2 als extensive Zustandsgröße, siehe Bd. 4
U.1/, siehe Bd. 3 Elektronenschwingung, 224 als Maß des Phasenraumvolumens, siehe
Eichung, siehe Bd. 2; Bd. 3 Elektronenstreuung, siehe Bd. 3 Bd. 4
Eigenfrequenz, 213 Elektronenvolt, 360, siehe auch Bd. 2 als Maß einer Unordnung, siehe Bd. 4
Eigenfunktion Elektron-Positron-Paarerzeugung, siehe Bd. 2 als Maß für Ignoranz, siehe Bd. 4
eigentliche, siehe Bd. 3 Elektron-Positron-Paarvernichtung, 365 als Maß für Wahrscheinlichkeitsverteilungen,
uneigentliche, siehe Bd. 3 Elektrostatik, siehe Bd. 2 siehe Bd. 4
Eigenmode, 225 Ellipsenbahn, 97 als phänomenologische Zustandsgröße, siehe
Eigenschwingung, 227 elliptische Integrale, 154, siehe auch Bd. 2 Bd. 4
eigentliche Eigenfunktion, siehe Bd. 3 Emden, Robert, siehe Bd. 4 bei irreversiblen Prozessen, siehe Bd. 4
Eigenvektoren, 140 Emission bei reversiblen Kreisprozessen, siehe Bd. 4
von JO 2 , siehe Bd. 3 induzierte, siehe Bd. 3 Eindeutigkeit in der Quantenmechanik, siehe
von JO 3 , siehe Bd. 3 spontane, siehe Bd. 3 Bd. 4
Eigenwert, 139, 140, siehe auch Bd. 3 stimulierte, siehe Bd. 3 eines idealen Gases, siehe Bd. 4
entarteter, 140 Emissionsspektrum, 224 in abgeschlossenen Systemen, siehe Bd. 4
Eigenwertgleichung, 141, siehe auch Bd. 3 EMK, siehe Bd. 2 inhomogener Systeme, siehe Bd. 4
Eigenwertproblem, siehe Bd. 3 Enden, eingespannte, 231 statistische Deutung/Interpretation, siehe
Eigenzeit, 336, siehe auch Bd. 2 Energie, 18 Bd. 4
Eikonal, siehe Bd. 2 freie, siehe Bd. 4 und Dissipation, siehe Bd. 4
Eikonalgleichung, siehe Bd. 2 Helmholtz’sche freie, siehe Bd. 4 Unterschied zwischen zwei Zuständen, siehe
eindimensionale Potenzialprobleme, siehe Bd. 3 innere, siehe Bd. 4 Bd. 4
Eindringtiefe, siehe Bd. 2 kinetische, 18 Zunahme bei irreversiblen Prozessen, siehe
einfach zusammenhängendes Gebiet, 34, siehe potenzielle, 18, 20 Bd. 4
auch Bd. 2 relativistische, 359 Entwicklung, asymptotische, siehe Bd. 3
eingespannte Enden, 231 von Punktmassen, 88 EPR-Paradox, siehe Bd. 3
Einheiten Wärme und Arbeit, siehe Bd. 4 Erdabplattung, 67
CGS-, siehe CGS-Einheiten Energiebänder, siehe Bd. 3 Erdung, siehe Bd. 2
Grund-, 11 Energie-Darstellung, siehe Bd. 3 Ereignis, 3, 330, siehe auch Bd. 2
Planck’sche, siehe Bd. 3 Energiedichte des elektromagnetischen Feldes, Ereignishorizont, 358
SI-, siehe SI-Einheiten siehe Bd. 2 erg, siehe Bd. 2
Einheitsmatrix, 50 Energiedichte, potenzielle, 289 Ergodenhypothese, siehe Bd. 4
Einheitstensor, 136 Energieerhaltung, 89, 259 Ergodensatz, siehe Bd. 4
Einheitsvolumen, orientiertes, 25 Energieerhaltungssatz, 20, siehe auch Bd. 4 Erhaltungsgröße, siehe Bd. 3
einlaufende Welle, siehe Bd. 3 Energie-Impuls-Tensor Erhaltungssatz, differenzieller, 301
Einschwingung, 221 kanonischer, siehe Bd. 2 Ericsson, Johan, siehe Bd. 4
Einstein, Albert, 2, 320, 324, siehe auch Bd. 3 symmetrischer, siehe Bd. 2 Ersatzprozess
Einstein-de Haas-Effekt, siehe Bd. 3 Energie-Impuls-Tensor, elektromagnetischer, für Mischung von Gasen, siehe Bd. 4
Einstein-Koeffizienten, siehe Bd. 3 siehe Bd. 2 reversibler, siehe Bd. 4
Einstein’sche Gravitationstheorie, siehe Bd. 2 Energiesatz, siehe Energieerhaltungssatz zur Wärmeleitung, siehe Bd. 4
Einstein’sche Summenkonvention, 24, 25, 53 der Elektrodynamik, siehe Bd. 2 Erwartungswert
vierdimensional, 337, siehe auch Bd. 2 mit Zwangsbedingungen, 172 allgemeine Aussagen über den, siehe Bd. 3
Einteilchen-Näherung, siehe Bd. 3 Energieschale, siehe Bd. 4 des Impulses, siehe Bd. 3
Einteilchenoperator, siehe Bd. 3 Energiestromdichte, siehe Bd. 2 des Ortes, siehe Bd. 3
elastische Kopplung, 223 Energieübertrag bei elastischer Streuung, 104 einer Observablen, siehe Bd. 3
elastischer Körper, 273 Ensemble, siehe Bd. 4 von f .Ox; pO /, siehe Bd. 3
elastisches Band, 275 Äquivalenz, siehe Bd. 4 Erzeugende, 251
Elastizitätsmodul, 274 gleichartiger Systeme, siehe Bd. 4 einer Symmetrie, siehe Bd. 3
Young’scher, 291 großkanonisches, siehe Bd. 4 Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren
Elastizitätstensor, 290 kanonisches, siehe Bd. 4 bosonische und fermionische, siehe Bd. 4
Elastizitätstheorie, 290 mikrokanonisches, siehe Bd. 4 Vertauschungs- oder
Elektret, siehe Bd. 2 Ensemble-Interpretation, siehe Bd. 3 Antivertauschungsrelationen, siehe
elektrische Feldstärke, siehe Bd. 2 Ensemblemittel, siehe Bd. 4 Bd. 4
elektrische Influenz, siehe Bd. 2 Entartung, 141 Erzeugungsoperator, siehe Bd. 3; Bd. 4
elektrische Ladung, siehe Bd. 2 vollständige, siehe Bd. 4 Estermann, Immanuel, siehe Bd. 3
elektrische Polarisation, siehe Bd. 2 Entelektrifizierungsfaktor, siehe Bd. 2 Euler, Hans, siehe Bd. 2
Sachverzeichnis 385

Euler, Leonhard, 2, siehe Bd. 4 Feldfunktion, 274 Fly-by-Manöver, 104


Euler-Ansatz, 216 Feldgleichung, 275 Fock, Wladimir Alexandrowitsch, siehe Bd. 3
Euler-Gleichung, 148, 302 Feldimpuls Fock-Raum, siehe Bd. 3; Bd. 4
der Variationsrechnung, 188 kanonischer, siehe Bd. 2 orthonormale Basis, siehe Bd. 4
Euler-Heisenberg-Lagrange-Dichte, siehe Bd. 2 Feldstärke Fock-Vakuum, siehe Bd. 4
Euler-Lagrange-Gleichung, 192, siehe auch elektrische, siehe Bd. 2 Folgenraum, siehe Bd. 3
Bd. 2 magnetische, siehe Bd. 2 Form, quadratische, 224
für Felder, kovariant, siehe Bd. 2 Feldstärketensor, siehe Bd. 2 Formel von Plancherel, siehe Bd. 3
kovariant, siehe Bd. 2 dualer, siehe Bd. 2 Formfaktor, siehe Bd. 3
Euler’sche Formel, 214 makroskopischer/phänomenologischer, siehe Forminvarianz, 137, siehe auch Bd. 3
Euler’scher Satz, siehe Bd. 4 Bd. 2 Foucault, Léon, siehe Bd. 3
Euler-Theorem Fermat, Pierre de, siehe Bd. 2 Foucault’sches Pendel, 68, 219
für starre Körper, 130 Fermat’sches Prinzip, 186, siehe auch Bd. 2 Fourier, Jean Baptiste Joseph, 283, siehe auch
über homogene Funktionen, 117, siehe auch Fermi, Enrico, 344, siehe auch Bd. 3 Bd. 4
Bd. 4 Fermi-Dirac-Verteilung, siehe Bd. 4 Fourier-Analyse, 281, siehe auch Bd. 2
Euler-Verfahren, explizites, 311, siehe Bd. 4 Fermi-Druck, siehe Bd. 4 Fourier-Integral, siehe Bd. 2
Euler-Winkel, 130, 148, siehe auch Bd. 3 Fermi-Energie, siehe Bd. 4 vierdimensional, siehe Bd. 2
Evolutionsoperator, siehe Bd. 3 Fermi-Gas, ideales Fourier-Optik, siehe Bd. 2
Existenz Druck und Energiedichte, siehe Bd. 4 Fourier-Reihe, 281, 282, siehe auch Bd. 2
des Inversen, 4 Entropiedichte, siehe Bd. 4 Amplituden-Phasen-Darstellung der, 286
des neutralen Elements, 4 Grenzfall schwacher Entartung, siehe Bd. 4 Exponentialdarstellung der, 287
explizit zeitabhängig, 21 Grenzfall starker Entartung, siehe Bd. 4 Fourier-Spektrum, 281
explizites Euler-Verfahren, 311 Fermi-Integrale, siehe Bd. 4 Fourier-Synthese, 281
Exponentialansatz, 216 Fermi-Kante, siehe Bd. 4 Fourier-Transformation, 222, siehe auch Bd. 2
Exponentiation von Operatoren, siehe Bd. 3 Fermionen, siehe Bd. 3 frame dragging, 346
Extinktionskoeffizient, siehe Bd. 2 nicht wechselwirkend, siehe Bd. 3 Frank, Philipp, 325
Extremale, 188 Fermi-Walker-Transport, 344 Fraunhofer, Joseph von, siehe Bd. 2
Extremaleigenschaft Fernfeld, siehe Bd. 2 freie Energie, siehe Energie, freie
der Entropie, siehe Bd. 4 Ferroelektrikum, siehe Bd. 2 freie Enthalpie, siehe Enthalpie, freie
der freien Energie, siehe Bd. 4 Ferromagnetismus, siehe Bd. 2 freier Elektronen-Laser, siehe Bd. 2
der freien Enthalpie, siehe Bd. 4 Feshbach-Resonanz, siehe Bd. 3 Freiheitsgrad, 8
Extremalprinzip, 186 Festkörper des starren Körpers, 128
exzentrische Anomalie, 119 innere Energie, siehe Bd. 4 Fresnel, Augustin Jean, 321, siehe auch Bd. 2;
Exzentrizität, 97 Modell aus harmonischen Oszillatoren, siehe Bd. 3
lineare, 98 Bd. 4 Fresnel’sche Formeln, siehe Bd. 2
numerische, 98 molare Wärmekapazität im Debye-Modell, Fresnel’scher Mitführungskoeffizient, 321, siehe
siehe Bd. 4 auch Bd. 2
F Feynman, Richard, siehe Bd. 4 Fresnel-Zonenlinse, siehe Bd. 2
Faden im Gravitationsfeld, 296 Feynman-Green-Funktion, siehe Bd. 2 Frobenius-Sommerfeld-Methode, siehe Bd. 3
Fadenpendel, 213 Feynman-Kac-Formel, siehe Bd. 3 Frontgeschwindigkeit, siehe Bd. 2
Fahrenheit, Daniel, siehe Bd. 4 Figurenachse, 150 Fuchs’sche Differenzialgleichung, siehe Bd. 3
Fahrstrahl, 92 Locus, 154 Fuchs’scher Satz, siehe Bd. 3
Faktor Finite-Differenzen-Methode, 311 Fugazität, siehe Bd. 4
gyromagnetischer, siehe g-Faktor Finite-Elemente-Methode, 311 fundamentale Poisson-Klammern, 249
integrierender, siehe Bd. 4 Fitch, Val, 329 Fundamentallösung, 212
Faktorisierungsproblem, siehe Bd. 3 Fitzgerald, George, 323 Fundamentalsystem, 212
Fakultät, 31 Fizeau, Hippolyte, 321, siehe auch Bd. 2 von Lösungen, siehe Bd. 3
Fall Flächengeschwindigkeit, 92 Funktion
frei, 12, 18 Flächenrotation, siehe Bd. 2 Green’sche, siehe Bd. 2
freier auf rotierender Erde, 68 Fluchtgeschwindigkeit, 19 harmonische, siehe Bd. 2
mit Luftwiderstand, 16 Fluid, 298, siehe auch Bd. 4 homogene, siehe Bd. 4
mit Stokes’scher Reibung, 15 ideales, 302 Euler’scher Satz, siehe Bd. 4
Fallgesetz, Galilei’sches, 10 Fluiddynamik, 297 kausale, siehe Bd. 2
Fallzeit, 13 Fluktuation konkave, siehe Bd. 4
Farad, siehe Bd. 2 der Energie, siehe Bd. 4 verallgemeinerte, siehe Bd. 2
Faraday, Michael, siehe Bd. 2 der inneren Energie, siehe Bd. 4 Funktional, 186, 187
Faraday’sche Scheibe, siehe Bd. 2 Energieaustausch, siehe Bd. 4 Bogenlängen-, 187
Faraday’scher Käfig, siehe Bd. 2 Fluktuations-Dissipations-Relation, siehe Bd. 4 Lagrange-, 287
Faraday’sches Induktionsgesetz, siehe Bd. 2 Fluss lineares, 187
Federkonstante, 22 eines Vektorfeldes, siehe Bd. 2 nichtlineares, 187
Fehlerfunktion, siehe Bd. 3 elektrischer, siehe Bd. 2 Funktionaldeterminante, 146
Feigenbaum-Konstante, 261 magnetischer, siehe Bd. 2; Bd. 3 Funktionalintegral, siehe Bd. 3
Feinstruktur, siehe Bd. 3 Flussdichte Funktionalmatrix, siehe Bd. 4
Feinstrukturkonstante, siehe Bd. 3 magnetische, siehe Bd. 2 Funktionenfolge, 282
Feld, 21, 274 Flussregel, siehe Bd. 2 gleichmäßig konvergente, 282
selbstkonsistentes, siehe Bd. 3
386 Sachverzeichnis

punktweise konvergente, 282 Gauß’sches Gesetz, siehe Bd. 2 Störung, siehe Bd. 4
Funktionenreihe, 282 Gay-Lussac, Joseph, siehe Bd. 4 thermisches, siehe Bd. 4
Funktionensystem Gay-Lussac, Versuch von, siehe Bd. 4 Übergang dorthin, siehe Bd. 4
bi-orthogonales, 281 Gebiet, siehe Bd. 2 Übergang nach Störung, siehe Bd. 4
orthonormales, siehe Bd. 2 Gegeninduktionskoeffizienten, siehe Bd. 2 und Aufenthaltswahrscheinlichkeit, siehe
vollständiges, siehe Bd. 2 Gegenwart, 334 Bd. 4
Geiger, Hans, siehe Bd. 3 und Extremalprinzip, siehe Bd. 4
G Gelfand-Yaglom-Methode, siehe Bd. 3 Gleichgewichtszustand, siehe Bd. 4
Galilei, Galileo, 2, 321 Gemisch, siehe Bd. 3 Gleichverteilungssatz, siehe Bd. 4
Galilei-Invarianz, 194 generalisierte Geschwindigkeit, 177 Gluon, siehe Bd. 2
Galilei-Kovarianz der Schrödinger-Gleichung, generalisierte Koordinate, 169, 176 Goldene Regel, siehe Bd. 3
siehe Bd. 3 generalisierte Kraft, 176 Goldstone-Teilchen, siehe Bd. 3
Galilei’sches Fallgesetz, 10 generalisierter Impuls, 179, 244 Goldstone-Theorem, siehe Bd. 3
Galilei-Transformation, 58, 59, 325, 330 Geodäte, 193 Goudsmith, Samuel, siehe Bd. 3
Gammafunktion, siehe Bd. 3; Bd. 4 geodätische Linie, 193 GPS-Satelliten, 337
Gamma-Konversion, 365 gequetschter Zustand, siehe Bd. 3 Gradient, 28, 29
Gamov, George, siehe Bd. 3 Gerlach, Walther, siehe Bd. 3 in allgemeinen Koordinatensystemen, 71
Gamov-Faktor, siehe Bd. 3 Germer, Lester, siehe Bd. 3 Gram-Schmidt-Verfahren, siehe Bd. 3
Gangpolkegel, 150 Gesamtheit, siehe Bd. 3; Bd. 4 Grand Unified Theories, siehe Bd. 2
Gas Gesamtmasse, 87 Graßmann-Identität, 25
ideales, 303, siehe auch Bd. 4 Geschwindigkeit, 5 Gravitation, siehe Bd. 2
adiabatische Ausdehnung, siehe Bd. 4 generalisierte, 177 Gravitationsfeld, 10, siehe auch Bd. 2
Differenz der spezifischen Wärmen, siehe Geschwindigkeitsaddition, relativistische, 328, Gravitationskonstante, 10
Bd. 4 342 Gravitationsrotverschiebung, 337
Eigenschaften, siehe Bd. 4 Geschwindigkeitsfilter, siehe Bd. 2 Gravity Probe B Satellit, 345
Energie einzelner Teilchen, siehe Bd. 4 Geschwindigkeitsverteilung, Maxwell’sche, Green, George, siehe Bd. 2
Entropie, siehe Bd. 4 siehe Bd. 4 Green’sche Funktion, siehe Bd. 2
innere Energie, siehe Bd. 4 Gesetz avancierte, siehe Bd. 2
innere Energie aus dem 1. Ampère’sches, siehe Bd. 2 des Laplace-Operators, siehe Bd. 2
Gleichverteilungssatz, siehe Bd. 4 2. Ampère’sches, siehe Bd. 2 für auslaufende Wellen, siehe Bd. 3
innere Energie im Schwerefeld, siehe Biot-Savart, siehe Bd. 2 für Radialproblem, siehe Bd. 3
Bd. 4 der großen Zahlen, siehe Bd. 4 retardierte, siehe Bd. 2
mit inneren Freiheitsgraden, siehe Bd. 4 Gauß’sches, siehe Bd. 2 Symmetrie, siehe Bd. 2
ultrarelativistisches, siehe Bd. 4 Oersted’sches, siehe Bd. 2 zur Helmholtz-Gleichung, siehe Bd. 2
Wärmekapazitäten, siehe Bd. 4 Gezeitenkräfte, 112 Greisen-Zatsepin-Kuzmin-Cutoff, 368
Wechselwirkung der Teilchen, siehe Bd. 4 Gezeitenreibung, 115 Grenzfall, aperiodischer, 219
Zustandsgleichung, siehe Bd. 4 Gezeitentensor, 115 Grenzwertsatz, zentraler, siehe Bd. 4
ideales und reales, siehe Bd. 4 g-Faktor, siehe Bd. 3; Bd. 4 großkanonisches Potenzial für ideale
reales GHZ-Zustände, siehe Bd. 3 Quantengase, siehe Bd. 4
Van-der-Waals’sche Gasgleichung, siehe Gibbs, Josiah Willard, siehe Bd. 4 Grundeinheit, 11
Bd. 4 Gibbs-Duhem-Beziehung, siehe Bd. 4 Grundpostulat der statistischen Physik, siehe
reales (Van-der-Waals-Gas) Gibbs’sche Phasenregel, siehe Bd. 4 Bd. 4
Ausströmen, siehe Bd. 4 Gibbs’sches Paradoxon, siehe Bd. 4 Grundton, 280
Entropie, siehe Bd. 4 und Quantenstatistik, siehe Bd. 4 Gruppe, 60
innere Energie, siehe Bd. 4 Gibbs’sches Phänomen, 285 abelsche, 4, 60, siehe auch Bd. 3
Inversionsdruck, siehe Bd. 4 Gibbs’sches Variationsprinzip, siehe diskrete, 60
Inversionstemperatur, siehe Bd. 4 Variationsprinzip, Gibbs’sches kommutative, 60
Isothermen, siehe Bd. 4 Gilbert, William, siehe Bd. 2 kontinuierliche, 60
Kondensationsdruck, siehe Bd. 4 Gitter Lorentz-, 327
kritische Temperatur, siehe Bd. 4 duales, siehe Bd. 3 nichtabelsche, siehe Bd. 3
Phasen, siehe Bd. 4 kubisches, siehe Bd. 3 orthogonale, 60, 327, siehe auch Bd. 3
Van-der-Waals’sche Zustandsgleichung in Gitterabstand, 231 Poincaré-, 330
dimensionsloser Form, siehe Bd. 4 Gitterpotenzial, siehe Bd. 3 pseudoorthogonale, 329
Verdampfungsdruck, siehe Bd. 4 Gittervektor, siehe Bd. 3 SU(2), siehe Bd. 3
Gasgesetze, siehe Bd. 4 Gleichgewicht symmetrische, siehe Bd. 3
Boyle-Mariotte, siehe Bd. 4 bei Adsorption, siehe Bd. 4 Gruppengeschwindigkeit, siehe Bd. 2; Bd. 3
Gay-Lussac, siehe Bd. 4 chemisches, siehe Bd. 4 Gruppenhomomorphismus, 60
Gaskonstante, allgemeine, siehe Bd. 4 für ideale Gase, siehe Bd. 4 Guericke, Otto von, siehe Bd. 4
Gauß, siehe Bd. 2 indifferentes, 211, 227 gyromagnetischer Faktor, siehe g-Faktor
Gauß, Carl Friedrich, siehe Bd. 2 instabiles, 211 gyromagnetisches Verhältnis, siehe Bd. 3
Gauß’sche Glockenkurve, siehe Bd. 2 Maximierung der Wahrscheinlichkeit, siehe GZK-Cutoff, 368
Gauß’sche Methode zur Vermessung von Bd. 4
Magnetfeldern, siehe Bd. 2 mechanisches, 210 H
Gauß’sche Wellenpakete, siehe Bd. 3 mechanisches und thermisches, siehe Bd. 4 Haftbedingung, 307
Gauß’sche Zahlenebene, 214 stabiles, 211 Hagen, Gotthilf Heinrich Ludwig, 317
Gauß’scher Satz, 33, 295, siehe auch Bd. 2 Hagen-Poiseuille-Gesetz, 317
Sachverzeichnis 387

Halbachse Heliumdiffusion, siehe Bd. 4 kanonisch konjugierter, 179, 244, siehe auch
große, 98 Helizität, 55, siehe auch Bd. 2 Bd. 2; Bd. 3
kleine, 98 Hellmann-Feynman-Formel, siehe Bd. 3 kinetischer, siehe Bd. 3
halb-gebundener Zustand, siehe Bd. 3 Helmholtz-Gleichung, siehe Bd. 2 konjugierter, 179
Halbleiter, siehe Bd. 2 Hemmung, siehe Bd. 4 Konvektion, 301
Halbwertsbreite, 221 Wegfall, siehe Bd. 4 verallgemeinerter, 244
Hamilton, William Rowan, 2 Henry, siehe Bd. 2 Impulsdarstellung, siehe Bd. 3
Hamilton-Dichte, siehe Bd. 2 Hermann, Robert, siehe Bd. 3 Impulsdichte, 301
der Elektrodynamik, quellenfrei, siehe Bd. 2 Hermite-Polynome, siehe Bd. 3 des elektromagnetischen Feldes, siehe Bd. 2
Hamilton-Formalismus, 247 hermitesche Operatoren, siehe Bd. 3 Impulsdiffusion, 306
Hamilton-Funktion, 179, 244 Hertz, siehe Bd. 2 Impulsmessung, siehe Bd. 3
äußere Parameter, siehe Bd. 4 Hertz, Heinrich, siehe Bd. 2 Impulssatz, 87
freies relativistisches Teilchen, siehe Bd. 2 Hesse-Matrix, 31, 115 der Elektrodynamik, siehe Bd. 2
nichtrelativistische Punktladung, siehe Bd. 2 Higgs, Peter, siehe Bd. 2 Impulsstromdichte, 301
relativistische Punktladung, siehe Bd. 2 Higgs-Mechanismus, siehe Bd. 2 indifferentes Gleichgewicht, 211, 227
Hamilton-Jacobi-Gleichung, 255, siehe auch Higgs-Teilchen, 356, siehe auch Bd. 2 Indikatordiagramm, siehe Bd. 4
Bd. 3 Hilbert-Raum, siehe Bd. 3; Bd. 4 Induktion, magnetische, siehe Bd. 2
zeitunabhängige, 257, siehe auch Bd. 3 Hilbert-Raum L2 .C /, siehe Bd. 3 Induktionsgesetz, siehe Bd. 2
Hamilton-Jacobi-Theorie, 254, siehe auch Bd. 3 Hilbert’scher Folgenraum, siehe Bd. 3 für bewegte Leiter, siehe Bd. 2
Hamilton-Operator, siehe Bd. 3 Hill-Kurve, 111 Induktionskoeffizient, siehe Bd. 2
für harmonischen Oszillator, siehe Bd. 3 Hohenberg, Pierre, siehe Bd. 3 induktive Kopplung, siehe Bd. 2
für ideales Gas, siehe Bd. 4 Hohenberg-Kohn-Theorem, siehe Bd. 3 Inertialsystem, 9, siehe auch Bd. 2
Hamilton’sche kanonische Gleichungen, 245 Hohlleiter, siehe Bd. 2 infinitesimale Erzeugende, siehe Bd. 3
Hamilton’sches Prinzip, 191, 288 Hohlraumstrahlung, siehe Bd. 3; Bd. 4 infinitesimale Transformation, 196
Hankel-Funktionen, siehe Bd. 2 holomorph, siehe Bd. 2 Influenz, elektrische, siehe Bd. 2
sphärische, siehe Bd. 2; Bd. 3 holomorphe Funktion, siehe Bd. 2 inhomogene Differenzialgleichung, 212
Hantelmolekül, siehe Bd. 3 holonome Nebenbedingung, 166, 193 inkohärente Streuung, siehe Bd. 3
Harmonisch schwingende Punktladung, siehe holonome Zwangsbedingung, siehe holonome inkompressibel, 303
Bd. 2 Nebenbedingung inkompressible Navier-Stokes-Gleichung, 306
harmonischer Oszillator, siehe Bd. 3 homogen, zeitlich, 179 inneres Produkt, 7, siehe auch Bd. 3
angeregte Zustände, siehe Bd. 3 homogene Differenzialgleichung, 212 instabiles Gleichgewicht, 211
Energien, siehe Bd. 3 homogene Funktion, 116 integrables System, 255
geladener, siehe Bd. 3 Euler’scher Satz, siehe Euler-Theorem über Integral der Bewegung, 20, 93
Grundzustand, siehe Bd. 3 homogene Funktionen Integrale
Schwankungsquadrate, siehe Bd. 3 Homogenität der Zeit, 3, 198 elliptische, 154, siehe auch Bd. 2
semiklassisch, siehe Bd. 3 Homogenität des Raumes, 3, 198 Gauß’sche, siehe Bd. 4
Harriot, Thomas, siehe Bd. 2 Homöomorphismus, 168 Integralprinzip, 186
Hartree, Douglas Rayner, siehe Bd. 3 homopolarer Generator, siehe Bd. 2 Integralsatz
Hartree-Fock-Gleichungen, siehe Bd. 3 Homopolarmotor, siehe Bd. 2 Stokes’scher, siehe Bd. 2
Häufigkeit, relative, siehe Bd. 4 Hooke’sches Gesetz, isotropes, 313 von Cauchy, siehe Bd. 2
Hauptachse, 139 Humboldt, Alexander von, siehe Bd. 4 integrierender Faktor, siehe Bd. 4
Hauptachsentransformation, 139 Huygens, Christiaan, 321, siehe auch Bd. 2; Intensität, spezifische, siehe Bd. 4
Hauptminor, siehe Bd. 4 Bd. 4 invariante Masse, 356
Hauptnormalenvektor, 24 Huygens’sches Prinzip, siehe Bd. 2 inverser Operator, siehe Bd. 3
Hauptquantenzahl, siehe Bd. 3 hydrophil, 310 irreduzible Darstellung, siehe Bd. 3
Hauptsatz der Thermodynamik hydrophob, 310 Irreversibilität, siehe Bd. 4
dritter, siehe Bd. 4 Hydrostatik, 303 Ising, Ernst, siehe Bd. 4
erster, siehe Bd. 4 hydrostatische Gleichung, siehe Bd. 4 Ising-Modell, eindimensionales, siehe Bd. 4
nullter, siehe Bd. 4 Hyperbelbahn, 99 mittlerer Spin, siehe Bd. 4
zweiter, siehe Bd. 4 hyperbolische Bewegung, 358 Isobare, siehe Bd. 4
für irreversible Prozesse, siehe Bd. 4 Hyperfeinstruktur, siehe Bd. 3 Isochore, siehe Bd. 4
für reversible Prozesse, siehe Bd. 4 Hysterese, siehe Bd. 2 Isolator, siehe Bd. 3
statistische Deutung, siehe Bd. 4 isolierte Singularität, siehe Bd. 2
Hauptträgheitsachse, 139 I hebbar, siehe Bd. 2
Hauptträgheitsmoment, 139 ideales Fluid, 302 Pol, siehe Bd. 2
Hausdorff-Raum, 168 ideales Gas, siehe Gas, ideales Polordnung, siehe Bd. 2
Heaviside, Oliver, 323, siehe auch Bd. 2 identische Fermionen wesentlich, siehe Bd. 2
Heaviside-Lorentz-System, siehe Bd. 2 Grundzustand, siehe Bd. 3 isometrischer Operator, siehe Bd. 3
Heaviside’sche Stufenfunktion, siehe Bd. 2 identische Teilchen, siehe Bd. 3 isoperimetrische Nebenbedingung, 193
Heisenberg, Werner, siehe Bd. 2; Bd. 3 nicht wechselwirkend, siehe Bd. 3 Isotherme, siehe Bd. 4
Heisenberg-Bild, siehe Bd. 3; Bd. 4 imaginäre Einheit, 214 Isotopieverschiebung, siehe Bd. 3
Heisenberg-Euler-Lagrange-Dichte, siehe Bd. 2 Imaginärteil, 214 isotropes Hooke’sche Gesetz, 313
Helium Impedanz, siehe Bd. 2 Isotropie des Raumes, 3, 198
Ortho-, siehe Bd. 3 implizit zeitabhängig, 21
Para-, siehe Bd. 3 Impuls, 7 J
generalisierter, 179, 244 Jacobi-Determinante, 146
388 Sachverzeichnis

Jacobi-Identität, 25, siehe auch Bd. 3 K-Meson, 329 gleichläufiges, 110


Jacobi-Konstante, 111 Knoten, 280 kartesisches, 3
Jacobi-Matrix, 145, siehe auch Bd. 4 Knotenlinie, 130 krummliniges, 72
Jansky, Karl Guthe, siehe Bd. 4 Knotensatz, siehe Bd. 3 nichtkartesisches, 71
Jeans, James, siehe Bd. 3 Koaxialkabel, siehe Bd. 2 synodisches, 110
Jo-Jo, 183 Kockel, Bernhard, siehe Bd. 2 Kopenhagener Interpretation, siehe Bd. 3
Jönsson, Claus, siehe Bd. 3 Koerzitivfeldstärke, siehe Bd. 2 Kopernikus, Nikolaus, 2
Jost-Funktionen, siehe Bd. 3 kohärente Streuung, siehe Bd. 3 Kopplung, 11
Joule, siehe Bd. 2 kohärente Zustände, siehe Bd. 3 elastische, 223
Joule, James, siehe Bd. 4 Kohlrausch, Rudolf, siehe Bd. 2 von Teilsystemen, siehe Bd. 3
Joule-Thomson-Koeffizient, siehe Bd. 4 Kohn, Walter, siehe Bd. 3 Körper, 4
Joule-Thomson-Prozess, siehe Bd. 4 Kollaps der Wellenfunktion, siehe Bd. 3 elastischer, 273
kollektive Eigenschaften, siehe Bd. 4 starrer, 128
K Kollisionsinvarianten, 101 Korrelationsfunktion
Kalkspat, siehe Bd. 2 Kolmogorow, Andrei Nikolajewitsch, 309 symmetrisierte, siehe Bd. 4
Källén, Gunnar, 371 Kolmogorow, Mikroskala von, 309 zeitliche, siehe Bd. 4
Källén-Funktion, 371 Kolmogorow’sche Axiome, siehe Axiome von Korrespondenzprinzip, siehe Bd. 3
Kalorie, siehe Bd. 4 Kolmogorow Korrespondenzregeln, siehe Bd. 3
Kalorimeter, siehe Bd. 4 Kommutativgesetz, 4 allgemeine, siehe Bd. 3
Kältemaschine, siehe Bd. 4 Kommutator, 249, 265, siehe auch Bd. 3 kosmische Hintergrundstrahlung, 368, siehe
Kamerlingh Onnes, Heike, siehe Bd. 2 von Operatoren, siehe Bd. 3 auch Bd. 3; Bd. 4
kanonisch konjugierter Impuls, 179, 244 von Ort und Impuls, siehe Bd. 3 kosmische Maser, siehe Bd. 3
kanonische Gleichungen, 245 kommutierende Operatoren, siehe Bd. 3 kosmische Strahlung, 368
kanonische Transformation, 251 komplex konjugierte Zahl, 214 kovariante Ableitung, siehe Bd. 2; Bd. 3
Erzeugende der, 251 komplexe Funktion, siehe Bd. 2 kovariante Komponenten, 341, siehe auch Bd. 2
kanonischer Energie-Impuls-Tensor, siehe Bd. 2 komplexe Struktur, siehe Bd. 2 Kovarianz, 56
Kaon, 329 komplexer Wechselstromwiderstand, siehe Bd. 2 Kraft
Kapazität, siehe Bd. 2 Komponenten einer Phase, siehe Bd. 4 äußere, 86
Kapazitätskoeffizient, siehe Bd. 2 kompressibel, 303 dissipative, 20
Kapillarlänge, 310 Kompressibilität, siehe Bd. 4 elektromotorische, siehe Bd. 2
Kármán, Theodore von, 309 adiabatische, siehe Bd. 4 generalisierte, 176
Kármán’sche Wirbelstraße, 309 isotherme, siehe Bd. 4 innere, 86
Karte, 168 Kondensator, siehe Bd. 2 konservative, 28
Kartenwechsel, 168 Konfigurationsraum, 167, 191, 244 Lorentz-kovariante, 357
kartesisches Koordinatensystem, 3 konfluente hypergeometrische Reihe, siehe Bd. 3 nichtdissipativ, 20
Katzenzustand, siehe Bd. 3 Kongruenzabbildungen, siehe Bd. 3 verallgemeinerte, siehe Bd. 4
Kausalstruktur, 333, siehe auch Bd. 2 konjugierter Impuls, 179 Mittelwert, siehe Bd. 4
Kegelschnitt, 97 Konstante der Bewegung, siehe Bd. 3 Kraftstoß, 17
Kepler, Johannes, 2, 321 Kontaktkraft, 294 Kramers, Hendrik Anthony, siehe Bd. 3
Kepler-Problem, 95, 213 Kontaktterm, siehe Bd. 2 Kramers-Kronig-Relationen, siehe Bd. 2; Bd. 4
Kepler’sche Gleichung, 120 Kontaktwinkel, 310 Kramers-Theorem, siehe Bd. 3
Kepler’sches Gesetz kontinuierliche Symmetrie, 196 Kreisbahn, 97
drittes, 99 Kontinuitätsgleichung, 300, siehe auch Bd. 2 Kreisel, 129
erstes, 99 für verallgemeinerte Koordinaten, siehe kräftefreier symmetrischer, 150
zweites, 92 Bd. 3 oblater, 162
Kern eines Operators, siehe Bd. 3 für Wahrscheinlichkeit, siehe Bd. 3 prolater, 162
Kernfusion, 364 Kontinuum Rotation, 149
Kernkraft Übergang zum, 274 schwerer symmetrischer, 152, 180
schwache, siehe Bd. 2 Kontraktion, 136 symmetrischer, 142
starke, siehe Bd. 2 kontravariant, 339 unsymmetrischer, 142
Kernreaktor, 105 kontravariante Komponenten, siehe Bd. 2 Kreisfrequenz, 213
Kernspaltung, 364 Konvektion des Impulses, 301 Kreisprozess
Ket, siehe Bd. 3 Konvektionsstrom, siehe Bd. 2 Carnot’scher, siehe Bd. 4
Kinematik, 12 konvektive Ableitung, 304 Ablauf, siehe Bd. 4
kinematische Viskosität, 306 Konvergenz, 6 Wirkungsgrad, siehe Bd. 4
kinetische Theorie, siehe Bd. 4 gleichmäßige, 282 Diesel’scher, siehe Bd. 4
kinetischer Impuls, siehe Bd. 3 im quadratischen Mittel, 282 Ericsson’scher, siehe Bd. 4
Kirchhoff, Gustav Robert, siehe Bd. 2 punktweise, 282 Joule’scher oder Brayton’scher, siehe Bd. 4
Kirchhoff’sche Gesetze, siehe Bd. 2 Konvergenzradius, siehe Bd. 2 Otto’scher, siehe Bd. 4
Kirchhoff’sches Integral, siehe Bd. 2 konvexe Linearkombination, siehe Bd. 3 Stirling’scher, siehe Bd. 4
klassischer Elektronenradius, siehe Bd. 2 Koordinate Kreuzprodukt, 24
klassischer Grenzfall für generalisierte, 169, 176 Kreuzschiene, 174
Schrödinger-Gleichung, siehe Bd. 3 verallgemeinerte, 169 Kronecker-Symbol, 25
Klein, Oskar Benjamin, siehe Bd. 3 zyklische, 179 vierdimensional, 341, siehe auch Bd. 2
kleine Schwingung, 211 Koordinatensystem Kronig-Penney-Modell, siehe Bd. 3
Klein-Gordon-Gleichung, siehe Bd. 3
Sachverzeichnis 389

Krümmungsradius, lokaler, 26 Larmor, Joseph, 323, siehe auch Bd. 3 Lippmann-Schwinger-Gleichung, siehe Bd. 3
Kubo-Formel, siehe Bd. 4 Larmor-Formel, siehe Bd. 2 Locus der Figurenachse, 154
Kugelelektret, siehe Bd. 2 Larmor-Frequenz, siehe Bd. 3 Lokalität, siehe Bd. 3
Kugelflächenfunktionen, siehe Bd. 2; Bd. 3 Larmor-Radius, siehe Bd. 2 Longitudinalschwingungen, 232
Eigenschaften, siehe Bd. 3 Laser, siehe Bd. 3 Lord Rayleigh, siehe Bd. 3
Kugelkondensator, siehe Bd. 2 latente Wärme, siehe Wärme, latente Lorentz boost, 327
Kugelkoordinaten, 73 Laurent-Reihe, siehe Bd. 2 Lorentz, Hendrik, 320, 323, siehe auch Bd. 2
Kugelkreisel, 142 Hauptteil, siehe Bd. 2 Lorentz-Gruppe, 327
Kugelschale, 167 Nebenteil, siehe Bd. 2 Komponenten, 329
Kugelwelle, siehe Bd. 2 LCD-Bildschirm, siehe Bd. 2 Lorentz-Kontraktion, siehe Längenkontraktion
Kummer’sche Funktion, siehe Bd. 3 Lebensdauer, siehe Bd. 3 Lorentz-kovariant, 357
Kurvenintegral, 27 Lee, Tsung-Dao, 329 Lorentz-Kraft, siehe Bd. 2; Bd. 3
Legendre-Funktionen Lorentz-Kraftdichte, siehe Bd. 2
L zugeordnete, siehe Bd. 2; Bd. 3 Lorentz-Kurve, siehe Bd. 3
Laborsystem, 3, 103, 362 zweiter Art, siehe Bd. 2 Lorentz-Oszillator-Modell, siehe Bd. 2
Ladungsdichte, siehe Bd. 2 Legendre-Polynome, siehe Bd. 2; Bd. 3 Lorentz-Profil, 224
Ladungskonjugations-Symmetrie, 329 Legendre-Transformation, 245, 246, siehe auch Lorentz-Pseudoskalar, siehe Bd. 2
Ladungsquantisierung, siehe Bd. 2 Bd. 2; Bd. 4 Lorentz-Skalar, 342
Lagrange, Joseph-Louis, 2 als Berührungstransformation, siehe Bd. 4 Lorentz-Transformation, 324, 325, siehe auch
Lagrange-Dichte, 287, siehe auch Bd. 2 Leibniz, Gottfried Wilhelm, 2 Bd. 2
der Elektrodynamik, siehe Bd. 2 Leistung, 20, 28 eigentliche orthochrone, 329
kovariant, siehe Bd. 2 Leistungsdichte, siehe Bd. 2 infinitesimale, siehe Bd. 2
Lagrange-Formalismus Leiter, elektrischer, siehe Bd. 2 Lorenz, Ludvig, siehe Bd. 2
Übersicht, 182 Leiteroperator, siehe Bd. 3; Bd. 4 Lorenz-Eichung, siehe Bd. 2
Lagrange-Funktion, 178 Leitfähigkeit, siehe Bd. 2 lösbares System, 255
freies relativistisches Teilchen, siehe Bd. 2 Leitungsstrom, siehe Bd. 2 Lösung der Schrödinger-Gleichung
kovariant, siehe Bd. 2 Lemaître, Georges, siehe Bd. 3 für freies Teilchen, siehe Bd. 3
nichtrelativistische Punktladung, siehe Bd. 2 Lenard, Philipp, siehe Bd. 3 für Oszillator, siehe Bd. 3
relativistische Punktladung, siehe Bd. 2 Lense-Thirring-Effekt, 346 Lotuseffekt, 310
Lagrange-Funktional, 287 Lenz, Wilhelm, siehe Bd. 4 Luft, Zusammensetzung, siehe Bd. 4
Lagrange-Gleichungen, 178 Lenz’sche Regel, siehe Bd. 2; Bd. 3 Luftdruck, 299
erster Art, 171 Leuchtelektron, siehe Bd. 3 Luftspiegelung, siehe Bd. 2
Forminvarianz, 250 Levi-Civita-Symbol, 24, 25 Lummer, Otto, siehe Bd. 3
zweiter Art, 177 vierdimensional, siehe Bd. 2 Lyman-Serie, siehe Bd. 3
Lagrange-Identität, 36 Levinson-Theorem, siehe Bd. 3 L2 -Räume, siehe Bd. 3
Lagrange-Kreisel, 152 Lex Prima, 7
Lagrange-Multiplikator, 170, 171, 193 Lex Quarta, 8 M
Lagrange-Punkt, 112 Lex Secunda, 8 Mach-Zehnder-Interferometer, siehe Bd. 3
Laguerre-Polynome, siehe Bd. 3 Lex Tertia, 8 Magnetfeld, homogen, siehe Bd. 3
zugeordnete, siehe Bd. 3 LHC, 369 magnetische Feldstärke, siehe Bd. 2
Laguerre’sche Differenzialgleichung, siehe Bd. 3 L’Hospital, Regel von, 239 magnetische Flasche, siehe Bd. 2
Lamb-Verschiebung, siehe Bd. 3 lichtartig, 334 magnetische Flussdichte, siehe Bd. 2
Lamé-Konstante, 291 Lichtdruck, siehe Bd. 2 magnetische Induktion, siehe Bd. 2
laminare Strömung, 308 lichtelektrischer Effekt, siehe Bd. 3 magnetische Quantenzahl, siehe Bd. 3
Lampa, Anton, 335 Lichtgeschwindigkeit, 321, siehe auch Bd. 2 magnetische Suszeptibilität, siehe Bd. 2; Bd. 3
Landau, Lew Dawidowitsch, siehe Bd. 3 Lichtkegel, 334, siehe auch Bd. 2 magnetischer Monopol, 364, siehe auch Bd. 2
Landau-Funktion, siehe Bd. 4 Lichtmühle, siehe Bd. 2 Dirac’sche Quantisierungsbedingung, siehe
Landau-Niveaus, siehe Bd. 3 Lichtquantenhypothese, siehe Bd. 2; Bd. 3 Bd. 2
Landé, Alfred, siehe Bd. 3 Lichtstrahl, siehe Bd. 2 magnetischer Spiegel, siehe Bd. 2
Landé-Faktor, siehe Bd. 3 Lie, Sophus, siehe Bd. 3 magnetisches Moment, siehe Bd. 3
Lane, Jonathan Homer, siehe Bd. 4 Lie-Algebra, siehe Bd. 3 anomales, siehe Bd. 3
Lane-Emden-Gleichung, siehe Bd. 4 Lie-Gruppe, 329, siehe auch Bd. 3 Elektron, siehe Bd. 3
Längenkontraktion, 323, 331 Limes, thermodynamischer, siehe Bd. 4 Magnetisierung, siehe Bd. 2
Längenprojektion, 135 lineare Algebra, 4 Magnetisierungsstromdichte, siehe Bd. 2
Langmuir, Irving, siehe Bd. 4 lineare Differenzialgleichung, 212 Magnetohydrodynamik, siehe Bd. 2
Langmuir-Konstante, siehe Bd. 4 lineare Exzentrizität, 98 Magneton, Bohr’sches, siehe Bd. 3
Laplace, Pierre-Simon, siehe Bd. 2 Lineare Kette, 231, 272 Magnetostatik, siehe Bd. 2
Laplace-Beltrami-Operator, siehe Bd. 3 lineare Medien, siehe Bd. 2 magnetostatisches Paradoxon, siehe Bd. 2
Laplace-Gleichung, siehe Bd. 2 lineare Unabhängigkeit, 36 Magnetostriktion, siehe Bd. 4
Laplace-Operator, 42, 76, siehe auch Bd. 2 linearer Operator, siehe Bd. 3 Magnetostriktionskoeffizient, siehe Bd. 4
in Kugelkoordinaten, 76 Linearform, 340 Magnetron, siehe Bd. 2
in Zylinderkoordinaten, siehe Bd. 2 Linienbreite, natürliche, 224, siehe auch Bd. 2 Mandelstam-Variable, 366, 370
Laplace-Runge-Lenz-Vektor, 102, siehe auch linkshändig, 55 Mannigfaltigkeit, 168
Bd. 3 Liouville’sche Gleichung, siehe Bd. 4 differenzierbare, 168
Laplace-Transformation, siehe Bd. 4 Liouville’scher Satz, siehe Bd. 4 Mariotte, Edme, siehe Bd. 4
Large Hadron Collider, 369 Marsden, Ernest, siehe Bd. 3
390 Sachverzeichnis

Maser, siehe Bd. 3 Mehrteilchensysteme, siehe Bd. 3 Multipolstrahlung, siehe Bd. 2


Maß auf dem Zustandsraum, siehe Bd. 4 Meißner, Walther, siehe Bd. 2 Musikinstrument, 285
Masse Meißner-Ochsenfeld-Effekt, siehe Bd. 2 Myon, 333, 363
invariante, 356 meromorph, siehe Bd. 2 g-Faktor, siehe Bd. 3
reduzierte, 90, siehe auch Bd. 3 Messergebnisse, siehe Bd. 3 Myon-Neutrino, 363
relativistische, 356 Messprozess, siehe Bd. 3
schwere, 10 Metrik, 6, 72 N
träge, 7, 10 metrischer Raum, 6 Nabla-Operator, 28, 29
masselose Teilchen, 359 metrischer Tensor, 72, 226 Näherung, semiklassische, siehe Bd. 3
Massendefekt, 363, 364 mho, siehe Bd. 2 Gültigkeitsbereich, siehe Bd. 3
Massendichte, lineare, 274 Michelson, Albert, 322, siehe auch Bd. 3 mehrere Dimensionen, siehe Bd. 3
Massenfluss, 300 Michelson-Interferometer, 322 Nahfeld, siehe Bd. 2
Massenspektrometer, siehe Bd. 2 Michelson-Morley-Experiment, 322 natürliche Einheiten, siehe Bd. 2
Massenstrom, 300 Mikroskala von Kolmogorow, 309 natürliche Linienbreite, 224
Massenstromdichte, 300 Mikrowellen, siehe Bd. 2 Navier, Claude Louis Marie Henri, 306
Massenverteilung, 143 Mikrowellenhintergrund, kosmischer, siehe Navier-Stokes-Gleichung, inkompressible, 306
Massenwirkungsgesetz, siehe Bd. 4 Bd. 4 Nebenbedingung, 166
Maßsystem Mikrozustand eines klassischen Systems, siehe holonome, 193
CGS, 11, siehe auch Bd. 2 Bd. 4 isoperimetrische, 193
emE, siehe Bd. 2 Millikan, Robert, siehe Bd. 3 Nernst’sches Theorem, siehe Bd. 4
EMU, siehe Bd. 2 Mills, Robert, siehe Bd. 2 Neumann, Carl Gottfried, siehe Bd. 2
esE, siehe Bd. 2 Minkowski, Hermann, 320, 330, siehe auch Neumann-Funktionen, siehe Bd. 2
ESU, siehe Bd. 2 Bd. 2 sphärische, siehe Bd. 2
Gauß’sches, siehe Bd. 2 Minkowski-Diagramm, 330 Neumann-Green-Funktion, siehe Bd. 2
Heaviside-Lorentz, siehe Bd. 2 Minkowski-Metrik, 339, siehe auch Bd. 2 Neumann-Randbedingung, 279, siehe auch
MKSA, siehe Bd. 2 Minkowski-Raum, 330, siehe auch Bd. 2 Bd. 2; Bd. 3
SI, 11, siehe auch Bd. 2 Minkowski-Tensor für lineare Medien, siehe Neutrino, 363
Materialgleichungen für Dielektrika, siehe Bd. 2 Bd. 2 Neutrinohintergrund, kosmischer, siehe Bd. 4
Materie, siehe Bd. 3 Minkowski-Tensor für nichtlineare Medien, Neutrino-Oszillation, 364
Materiewellen, siehe Bd. 3 siehe Bd. 2 Neutroneninterferenz im Schwerefeld, siehe
für kräftefreie Teilchen, siehe Bd. 3 Minkowski-Wegelement, 336 Bd. 3
mathematisches Pendel, 157 Mischung von reinen Zuständen, siehe Bd. 3 Neutronenstern, siehe Bd. 2
Matrix, 50 Mischungstemperatur, siehe Bd. 4 Neutronenstreuung, 105
antisymmetrische, 62 Mittelwert Newton, siehe Bd. 2
Diagonalisierung, 139 makroskopischer Zustandsgrößen, siehe Newton, Isaac, 2
hermitesche, siehe Bd. 2 Bd. 4 Newton’sche Gravitationstheorie, siehe Bd. 2
inverse, 57 und Wahrscheinlichkeit, siehe Bd. 4 Newton’sches Axiom
invertierbare, 57 Mittelwerteigenschaft von harmonischen drittes, 8
orthogonale, 52 Funktionen, siehe Bd. 2 erstes, 7
quadratische, 49 mittlerer Aufenthaltsort, siehe Bd. 3 zweites, 8
reguläre, 57 Mode, siehe Bd. 2 nichtabelsche Eichtheorie, siehe Bd. 2
schiefsymmetrische, 62 transversal elektrisch, siehe Bd. 2 nichtholonome Zwangsbedingung, 167
singuläre, 57 transversal elektromagnetisch, siehe Bd. 2 nichtlineare Elektrodynamik, siehe Bd. 2
symmetrische, siehe Bd. 2 transversal magnetisch, siehe Bd. 2 N-Körperproblem, 110
transponierte, 50 Moderation, 105 Noether, Amalie Emmy, 2, siehe auch Bd. 3
Matrixelement, 50 Moderator, 105 Noether-Theorem, 197
Matrixmultiplikation, 50 Möllenstedt, Gottfried, siehe Bd. 3 für Felder, kovariant, siehe Bd. 2
Matrizenmechanik, siehe Bd. 3 Molwärme, siehe Bd. 4 für relativistische Punktteilchen, siehe Bd. 2
Maximumsnorm, 6 Momententensor, siehe Bd. 2 in Quantenmechanik, siehe Bd. 3
Maxwell, siehe Bd. 2 Monopolmoment, siehe Bd. 2 nomierter Raum, siehe Bd. 3
Maxwell, James Clerk, siehe Bd. 2; Bd. 4 Morley, Edward, 322 Norm, 6
Maxwell-Gleichungen, siehe Bd. 2 Mott, Nevill Francis, siehe Bd. 3 einer Wellenfunktion, siehe Bd. 3
in Vierernotation, siehe Bd. 2 Mott-Streuung eines Operators, siehe Bd. 3
Integralversion, siehe Bd. 2 von Spin-0-Teilchen, siehe Bd. 3 eines Vektors, siehe Bd. 3
makroskopische/phänomenologische, siehe von Spin-1=2-Teilchen, siehe Bd. 3 Normalbeschleunigung, 12
Bd. 2 Müller-Matrizen, siehe Bd. 2 Normalenvektor, 24
Maxwell-Relationen, siehe Bd. 4 Multilinearform, 134 Normalfrequenzen, 227
Maxwell’scher Dämon, siehe Bd. 4 Multiplikationssatz für Jacobi-Matrizen, siehe Normalkoordinaten, 225
Maxwell’scher Spannungstensor, siehe Bd. 2 Bd. 4 Normalschwingung, 227
Maxwell’scher Verschiebungsstrom, siehe Bd. 2 Multipolentwicklung normierte Algebra, siehe Bd. 3
Mayer, Robert, siehe Bd. 4 dynamische, siehe Bd. 2 normierte Wellenfunktion, siehe Bd. 3
mechanisches Gleichgewicht, 210 kartesische, siehe Bd. 2 Normierung auf ı-Funktion, siehe Bd. 3
mechanisches Weltbild, 2 sphärische, siehe Bd. 2 n-Sphäre, siehe Bd. 4
Mehrfachprodukt, 36 Multipolmoment, siehe Bd. 2 Nullpunktsenergie, siehe Bd. 3
Mehrkörperkräfte, siehe Bd. 2 dynamisches, sphärisches, siehe Bd. 2 Nullpunktsfluktuationen, siehe Bd. 3
Nullstellenordnung, 216
Sachverzeichnis 391

numerische Exzentrizität, 98 paraelektrisch, siehe Bd. 2 Phasenverschiebung, siehe Bd. 3


Numerov-Verfahren, siehe Bd. 3 Parallaxe, siehe Bd. 2 Phlogiston, siehe Bd. 4
Nutation, 154 Paramagnet, einfaches Modell, siehe Bd. 4 Phonon, siehe Bd. 3; Bd. 4
Paramagnetismus, siehe Bd. 2; Bd. 3 Photoeffekt, siehe Bd. 3
O Parameter der Hamilton-Funktion, siehe Bd. 4 Photon, 330, 359, siehe auch Bd. 3
Oberflächenkraft, 294 parametrische Resonanz, 222 physikalische Realität, siehe Bd. 3
Oberflächenspannung, 309 Parität, siehe Bd. 3 physikalisches Pendel, 129, 157
Oberton, 280 eines Zustands, siehe Bd. 3 Pinch-Effekt, siehe Bd. 2
Observable, 248, siehe auch Bd. 3 Paritätstransformation, 328 Pion, 333, 363
nicht verträgliche, siehe Bd. 3 Paritätsverletzung, 329 Plancherel, Satz von, siehe Bd. 2
verträgliche, siehe Bd. 3 Parsec, siehe Bd. 2 Planck, Max, siehe Bd. 3; Bd. 4
Ochsenfeld, Robert, siehe Bd. 2 Parseval-Gleichung, allgemeiner Fall, siehe Planck-Ladung, siehe Bd. 3
Oersted, siehe Bd. 2 Bd. 3 Planck-Länge, siehe Bd. 3
Oersted, Hans Christian, siehe Bd. 2 Partialdruck, siehe Bd. 4 Planck-Masse, siehe Bd. 3; Bd. 4
Oersted’sches Gesetz, siehe Bd. 2 Partialsumme, 282 Planck-Satellit, siehe Bd. 3
Ohm, siehe Bd. 2 Partialwellen, siehe Bd. 3 Planck’sche Einheiten, siehe Bd. 3
Ohm, Georg Simon, siehe Bd. 2 Partialwellenamplitude, siehe Bd. 3 Planck’sches Strahlungsgesetz, siehe Bd. 3;
Ohm’sches Gesetz, siehe Bd. 2 partielle Ableitung, 21 Bd. 4
relativistische Form, siehe Bd. 2 partikuläre Lösung, 212 Planck-Zeit, siehe Bd. 3
Onsager, Lars, siehe Bd. 4 Paschen, Friedrich, siehe Bd. 3 Plasma, siehe Bd. 2
Operator, siehe Bd. 3 Paschen-Back-Effekt, siehe Bd. 3 Plasmafrequenz, siehe Bd. 2
adjungierter, siehe Bd. 3 Pauli, Wolfgang, siehe Bd. 3 Plastizität, 291
beschränkter, siehe Bd. 3 Pauli-Lubanski-Pseudovektor, siehe Bd. 2 Plattenkondensator, siehe Bd. 2
hermitescher, siehe Bd. 3 Pauli-Matrizen, siehe Bd. 3 Poincaré, Henri, 320, 323
inverser, siehe Bd. 3 Pauli-Prinzip, siehe Bd. 3; Bd. 4 Poincaré-Gruppe, 330
isometrischer, siehe Bd. 3 Pendel Poincaré-Transformation, 339, siehe auch Bd. 2
linearer, siehe Bd. 3 mathematisches, 157 Poiseuille, Jean Louis Léonard Marie, 307
mit kontinuierlichem Spektrum, siehe Bd. 3 physikalisches, 129, 157 Poiseuille-Fluss
selbstadjungierter, siehe Bd. 3 sphärisches, 169 ebener, 307
Spektraldarstellung, siehe Spektralzerlegung Penrose, Roger, 335, siehe auch Bd. 2; Bd. 4 in Rohr, 313
symmetrischer, siehe Bd. 3 Penrose-Terrell-Drehung, 335 Poisson, Siméon Denis, 248, siehe auch Bd. 2
unbeschränkter, siehe Bd. 3 Penzias, Arno, siehe Bd. 3 Poisson-Gleichung, siehe Bd. 2
unitärer, siehe Bd. 3 Periapsis, 96 Poisson-Klammer, 248
Operatornorm, siehe Bd. 3 Perigäum, 96 fundamentale, 249
Operatorprodukt, siehe Bd. 3 Perihel, 96 Invarianz, 253
Optik Periheldrehung, 95, 102 Poisson-Verteilung, siehe Bd. 3
geometrische, 258, siehe auch Bd. 2 Periodenverdopplung, 261 Polarimeter, siehe Bd. 2
optisches Theorem, siehe Bd. 3 Periodische Bewegung, 21 Polarisation, siehe Bd. 2
Orbitalaufzug, 77 periodische Randbedingung, 231, siehe auch elektrische, siehe Bd. 2
Ordnungsparameter, siehe Bd. 4 Bd. 3 elliptische, siehe Bd. 2
orientiertes Einheitsvolumen, 25 Permeabilitätskonstante, siehe Bd. 2 lineare, siehe Bd. 2
Orientierungspolarisation, siehe Bd. 2 des Vakuums, siehe Bd. 2 zirkulare, siehe Bd. 2
Orthogonalbasis, 7 Permutation, 52, siehe auch Bd. 3 Polarisationsfeldtensor, siehe Bd. 2
orthogonale Gruppe, siehe Bd. 3 gerade, 52 Polarisationsfilter, siehe Bd. 2
orthogonale Vektoren, siehe Bd. 3 Signum, 52 Polarisationsflächenladungsdichte, siehe Bd. 2
Orthogonalisierungsverfahren von ungerade, 52 Polarisationsladungsdichte, siehe Bd. 2
Gram-Schmidt, siehe Bd. 2 Perpetuum mobile erster Art, siehe Bd. 4 Polarisationsstrom, siehe Bd. 2
Orthonormalbasis, 7, siehe auch Bd. 3 Petit, Alexis Thérèse, siehe Bd. 4 Polarisationstensor, siehe Bd. 2
Orthonormalitätsrelation, verallgemeinerte, 226 Pfadintegral, siehe Bd. 3 Polarkoordinaten, sphärische, 73
orthonormiertes System, siehe Bd. 3 diskrete Version, siehe Bd. 3 Polbewegung, 151
Ortsdarstellung, siehe Bd. 3 für Propagator, siehe Bd. 3 Pole der Streuamplitude, siehe Bd. 3
Ortsmessung, siehe Bd. 3 kontinuierliche Version, siehe Bd. 3 Pole der Transmissionsamplitude, siehe Bd. 3
Ortsvektor, 3 Phänomen, Gibbs’sches, 285 Polkegel, 150
Darstellung, 48 Phase, siehe Bd. 4 Polytropenexponent, siehe Bd. 4
Transformation unter Drehungen, 53 Phasengeschwindigkeit, siehe Bd. 2; Bd. 3 Polytropengleichung, siehe Bd. 4
Oszillationsfrequenz, 22 Phasengleichgewicht, siehe Bd. 4 Polytropenindex, siehe Bd. 4
Oszillator Lage als Funktion äußerer Zustandsgrößen, Pöschl-Teller Potenzial, siehe Bd. 3
anharmonischer, siehe Bd. 3 siehe Bd. 4 Positron, siehe Bd. 2; Bd. 3
gekoppelter, 229 Phasenraum, 244, siehe auch Bd. 4 Positronium, siehe Bd. 3
harmonischer, 22, siehe auch Bd. 3 Phasenraumfluss, siehe Bd. 4 Postulat, Clausius’sches, siehe Bd. 4
Otto, Nicolaus August, siehe Bd. 4 Phasenraumvolumen, siehe Bd. 4 Postulate der Quantenmechanik, siehe Bd. 3
Abhängigkeit von den Freiheitsgraden, siehe Potenzial, 20, siehe auch Bd. 2
P Bd. 4 chemisches, siehe chemisches Potenzial
Parabelbahn, 99 Phasenübergang, Ehrenfest-Klassifikation, siehe effektives, 93
Paradoxon, Gibbs’sches, siehe Bd. 4 Bd. 4 elektrostatisches, siehe Bd. 2
Paraelektrikum, siehe Bd. 2
392 Sachverzeichnis

großkanonisches, siehe Bd. 4 Pseudoskalar, 56 Rayleigh-Ritz-Prinzip, siehe Bd. 3


periodisches, siehe Bd. 3 PT-symmetrische Quantenmechanik, siehe Bd. 3 Rayleigh-Streuung, siehe Bd. 2
skalares, siehe Bd. 2; Bd. 3 Pulsar, siehe Bd. 2 Reaktanz, siehe Bd. 2
skalares magnetisches, siehe Bd. 2 Punkt, stationärer, 186 Reaktionsgesetz, 8
Zeitunabhängigkeit, 20 Punktdipol, siehe Bd. 2 Reaktionsgleichung, chemische, siehe Bd. 4
Zentrifugal-, 93 Punktmasse, 3 Realteil, 214
Potenziale Punktteilchen, 356 rechtshändig, 48
Liénard-Wiechert-, siehe Bd. 2 Punkttransformation, 250 reflektierte Welle, siehe Bd. 3
retardierte, siehe Bd. 2 Pythagoras, Baum des, 259 Reflexion, siehe Bd. 2
thermodynamische, siehe Bd. 4 eines Wellenpakets, siehe Bd. 3
Potenzialkraft, 28 Q Reflexionsgesetz, siehe Bd. 2
Potenzialproblem Qbit, siehe Bd. 3 Reflexionskoeffizient, siehe Bd. 2
allgemeines, siehe Bd. 3 Quabla-Operator, siehe Bd. 2 Refraktion, astronomische, siehe Bd. 2
eindimensionales, siehe Bd. 3 quadratintegrable Funktion, siehe Bd. 3 Regel von L’Hospital, 239
Potenzialstreuung, siehe Bd. 3 quadratische Form, 224 Regel von Sarrus, 52
Potenzialstufe, siehe Bd. 3 Quadrupolmoment, siehe Bd. 2 Regenbogen, siehe Bd. 2
Potenzialtopf, siehe Bd. 3 Quantenbit, siehe Bd. 3 reguläre Präzession, 155
kugelsymmetrischer, siehe Bd. 3 Quantenchromodynamik, siehe Bd. 2 Reibung, Stokes’sche, 15
sphärischer, siehe Bd. 2 Quantenelektrodynamik, siehe Bd. 2 Rekursionsgleichung, 38
potenzielle Energiedichte, 289 Quantenfeldtheorie, 329, siehe auch Bd. 2 relativistische Geschwindigkeitsaddition, 328
Potenz-Potenzial, 30 Quantengas relativistische Korrekturen, siehe Bd. 3
Poynting, John Henry, siehe Bd. 2 ideales, Druck und Energiedichte, siehe Bd. 4 relativistische Masse, 356
Poynting-Vektor, siehe Bd. 2 ultrarelativistisches, siehe Bd. 4 Relativitätsprinzip, 5, 198, 324, siehe auch Bd. 2
Poynting-Vektorfeld, siehe Bd. 2 Adiabatenindex, siehe Bd. 4 Relativitätstheorie
Prä-Hilbert-Raum, siehe Bd. 3 Quantenmechanik, siehe Bd. 4 allgemeine, 337
Präparation eines Zustands, siehe Bd. 3 Quantenstatistik spezielle, 324
Präzession, 150 Ensemblemittel, siehe Bd. 4 Relativkoordinaten für Zweiteilchensystem,
des schweren Kreisels, 154 kanonische Verteilung, siehe Bd. 4 siehe Bd. 3
geodätische, 345 Quanten-Zeno-Effekt, siehe Bd. 3 Relaxationsmethode, siehe Bd. 2
reguläre, 155 Quark, siehe Bd. 2 Relaxationszeit, 218
Präzessionskegel, 151 Quasar, 369 Remanenzfeldstärke, siehe Bd. 2
Priestley, Joseph, siehe Bd. 2 Quaternionen, 130 Remanenzmagnetisierung, siehe Bd. 2
Pringsheim, Ernst, siehe Bd. 3 Reparametrisierungsinvarianz, siehe Bd. 2
Prinzip R Reservoir, siehe Bd. 4
d’Alembert’sches, 173 Rabi, Isidor, siehe Bd. 3 Residuensatz, siehe Bd. 2; Bd. 3
der kleinsten Wirkung, 191 Rabi-Frequenz, siehe Bd. 3 Residuum, siehe Bd. 2
Fermat’sches, 186, siehe auch Bd. 2 resonante, siehe Bd. 3 Resonanz, 221, siehe auch Bd. 3
Hamilton’sches, 191 verallgemeinerte, siehe Bd. 3 parametrische, 222
Prinzip des minimalen Vorurteils, siehe Bd. 4 Rabi-Oszillationen, siehe Bd. 3 Resonanzfrequenz, 221
Prinzipalfunktion, 256, siehe auch Bd. 2; Bd. 3 Radialbeschleunigung, 26 Resonanzkatastrophe, 223
für freies Teilchen, siehe Bd. 3 radiale Schrödinger-Gleichung, siehe Bd. 3 Resonanzstreuung, siehe Bd. 3
für Oszillator, siehe Bd. 3 Radialgleichung, 93 Responsefunktion, siehe Bd. 4
Produkt radioaktiver Zerfall, siehe Bd. 3 des harmonischen Oszillators, siehe Bd. 4
äußeres, 25 Raketengleichung, 17 Response-Theorie
dyadisches, 136 Randbedingung, 231 lineare, siehe Bd. 4
inneres, 7 Dirichlet’sche, 279 Reynolds, Osborne, 308
Produktregel, siehe Bd. 3 für Dielektrika, siehe Bd. 2 Reynolds-Zahl, 308
Produktzustand, siehe Bd. 3 für magnetische Medien, siehe Bd. 2 rheonome Zwangsbedingung, 167
Projektionsoperator, siehe Bd. 3 natürliche, siehe Bd. 2 Ricatti-Differentialgleichung, siehe Bd. 3
Projektor, siehe Bd. 4 Neumann’sche, 279 Richardson-Dushman-Gleichung, siehe Bd. 4
Darstellung durch Orthonormalbasis, siehe periodische, 231 Richtungsableitung, 30
Bd. 4 Robin’sche, siehe Bd. 2; Bd. 3 Richtungskosinus, 49
Propagator, siehe Bd. 3 Rapidität, 327, 348, 371 Riemann’sche Zetafunktion, siehe Bd. 3
für freies Teilchen, siehe Bd. 3 Rastpolkegel, 151 Riemann’scher Krümmungstensor, siehe Bd. 2
für Oszillator, siehe Bd. 3 Raum Rindler, Wolfgang, 358
Protonzerfall, 364 affiner, 54 Rindler-Horizont, 358
Proxima Centauri, siehe Bd. 2 euklidischer, 7 Ringspannung
Prozess metrischer, 6 elektrische, siehe Bd. 2
adiabatischer, siehe Bd. 4 normierter, 6 magnetische, siehe Bd. 2
irreversibler, siehe Bd. 4 topologischer, 168 Ritz, Walter, siehe Bd. 3
polytroper, siehe Bd. 4 vollständiger, 6 Ritz’sches Variationsverfahren, siehe Bd. 3
Prozessgröße, siehe Bd. 4 raumartig, 334 Roche-Grenze, 116
und unvollständige Differenziale, siehe Bd. 4 Rayleigh, John William Strutt, dritter Baron, Rodrigues-Formel für Laguerre-Polynome, siehe
pseudoorthogonale Gruppe, 329 siehe Bd. 2 Bd. 3
Pseudorapidität, 371 Rayleigh-Jeans-Formel, siehe Bd. 3 Rollpendel, 181
Rayleigh-Kriterium, siehe Bd. 2
Sachverzeichnis 393

Rømer, Ole, 321 Schrödinger-Bild, siehe Bd. 3; Bd. 4 skalarer Operator, siehe Bd. 3
Röntgen, Wilhelm Conrad, siehe Bd. 3 Schrödinger-Gleichung, siehe Bd. 3 skalares magnetisches Potenzial, siehe Bd. 2
Röntgenröhre, siehe Bd. 2 allgemeine Koordinaten, siehe Bd. 3 skalares Potenzial, siehe Bd. 2; Bd. 3
Röntgenteleskop, siehe Bd. 2 für allgemeine Koordinaten, siehe Bd. 3 Skalarfeld, 29
Rosen-Morse-Potenzial, siehe Bd. 3 für Teilchen, siehe Bd. 3 Skalarprodukt, 7, 135, siehe auch Bd. 2; Bd. 3
Rotation, 29, 32 im Gravitationsfeld, siehe Bd. 3 Skalenhierarchie, siehe Bd. 4
Rotationsenergie, 131 in elektromagnetischen Feldern, siehe Bd. 3 Skalentransformation, 326
Roulette, russisches, siehe Bd. 4 mit Potenzial, siehe Bd. 3 Skineffekt, siehe Bd. 2
Rubens, Heinrich, siehe Bd. 3 radiale, siehe Bd. 3 skleronome Zwangsbedingung, 167
Rückwärtslichtkegel, 334 zeitabhängige, siehe Bd. 3 Slater-Determinante, siehe Bd. 3
Ruhemasse, 356 zeitunabhängige, siehe Bd. 3 Smoluchowski, Marian, siehe Bd. 3
Rumford, Graf von, siehe Thompson, Benjamin Schrödinger-Katzenzustand, siehe Bd. 3 Snellius, Willebrord, siehe Bd. 2
Rumpfelektron, siehe Bd. 3 Schrödingers Katze, siehe Bd. 3 Solarkonstante, siehe Bd. 3
Runge-Lenz-Vektor, siehe Bd. 3 Schrödinger’scher Erhaltungssatz, siehe Bd. 3 Sommerfeld, Arnold, siehe Bd. 2; Bd. 3; Bd. 4
Rutherford, Ernest, siehe Bd. 3 Schubmodul, 291 Sommerfeld-Entwicklung, siehe Bd. 4
Rutherford-Formel, siehe Bd. 3 schwache Kernkraft, 329 Sonnensegel, siehe Bd. 2
Rutherford’sches Atommodell, 109 Schwartz, Laurent, siehe Bd. 2 Spannung, 294
Rydberg-Energie, siehe Bd. 3 Schwartz-Raum, siehe Bd. 2; Bd. 3 elektrische, siehe Bd. 2
Rydberg-Frequenz, siehe Bd. 3 Schwarzer Körper, siehe Bd. 3 viskose, 305
Schwarzkörperstrahlung, siehe Bd. 4 Spannungskoeffizient, siehe Bd. 4
S Schwarz’sche Ungleichung, siehe Bd. 3 Spannungstensor, 292, siehe auch Bd. 2
Sadi Carnot, Nicolas Léonard, siehe Bd. 4 Schwebung, 235 Spatprodukt, 25, 36
Saha, Meghnad, siehe Bd. 4 Schwereanomalie, 67 Spektraldichte, siehe Bd. 3
Saha-Gleichung, siehe Bd. 4 Schwerefeld Spektrallinien, 224
Sahl, Ibn, siehe Bd. 2 homogenes, 12 Spektralmethode, 311
Saite, 277 Schwerpunkt, 87 Spektralprojektor, siehe Bd. 3
Säkulargleichung, 141, siehe auch Bd. 3 der Energieverteilung, siehe Bd. 2 Spektralzerlegung, siehe Bd. 3
Sarrus, Regel von, 52 Schwerpunktskoordinaten eines selbstadjungierten Operators, siehe
Satellit, 70 für Zweiteilchensystem, siehe Bd. 3 Bd. 3
Satellit, geostationärer, 77 Schwerpunktsystem, 87, 361 spezielle orthogonale Gruppe, 60
Sattelpunktentwicklung, siehe Bd. 4 Schwinger spezielle Relativitätstheorie, 324
Satz Julian, siehe Bd. 2 spezifische Leitfähigkeit, siehe Bd. 2
Bayes’scher, siehe Bd. 4 Schwinger-Effekt, siehe Bd. 2 Sphäre, n-dimensional, siehe Bd. 4
erster Green’scher, siehe Bd. 2 Schwingung sphärische Polarkoordinaten, 73
von Carleson, 282 anharmonische, 211 sphärisches Pendel, 169
von Cayley-Hamilton, siehe Bd. 3 eines linearen, dreiatomigen Moleküls, 229 sphäroidale Koordinaten, siehe Bd. 2
von Chasles, 130 erzwungene, 222 Spiegelladungsmethode, siehe Bd. 2
von Gauß, 33, 295, siehe auch Bd. 2 freie, 210 Spiegelung, siehe Bd. 3
von Picard-Lindelöf, 13 gedämpfte, 217, siehe auch Bd. 2 Spin, siehe Bd. 3
von Plancherel, siehe Bd. 2; Bd. 3 kleine, 211 Polarisation, siehe Bd. 3
von Stokes, 32, siehe auch Bd. 2 lineare Kette, 231 Spin-Bahn-Kopplung, siehe Bd. 3
von Taylor, 31 Schwingungsgleichung, d’Alembert’sche, 276 Spinkette, eindimensionale, siehe Bd. 4
von Wigner, siehe Bd. 3 Schwingungsperiode, 22 Spinoperatoren, siehe Bd. 3
zweiter Green’scher, siehe Bd. 2 Segrè, Emilio, 365 Spinor, siehe Bd. 3
Sauter, Fritz, siehe Bd. 2 Selbstenergie, siehe Bd. 2 Ortsraum, siehe Bd. 3
Savart, Félix, siehe Bd. 2 Selbstinduktionskoeffizienten, siehe Bd. 2 Spinpräzession, siehe Bd. 3
Schalenmodell, siehe Bd. 3 self-consistent field, siehe Bd. 3 Spin-Statistik-Theorem, siehe Bd. 3
Schallgeschwindigkeit, siehe Bd. 4 semiklassische Näherung, siehe Bd. 3 Spinzustand, siehe Bd. 3
Schallwellen, siehe Bd. 4 Gültigkeitsbereich, siehe Bd. 3 spontane Lokalisierung, siehe Bd. 3
Scharmittel, siehe Bd. 4 mehrere Dimensionen, siehe Bd. 3 spontane Symmetriebrechung, siehe Bd. 3
Schatten, siehe Bd. 2 separabler Hilbert-Raum, siehe Bd. 3 Spur, 136
bei Streuung, siehe Bd. 3 Separation Eigenschaften, siehe Bd. 4
Schattenzone, siehe Bd. 3 der Schwerpunktsbewegung, siehe Bd. 3 eines Operators, siehe Bd. 3; Bd. 4
Schaukel, 284 der Variablen, 15 Spurkegel, 151
Scheinkraft, 66 Separationsansatz, siehe Bd. 2 Spurklasse, siehe Bd. 3
Scheinwiderstand, siehe Bd. 2 Shannon’scher Satz, siehe Bd. 4 Stabelektret, siehe Bd. 2
Schermodul, 291 Siedepunktserhöhung stabiles Gleichgewicht, 211
Scherspannung, 305 bei erhöhtem Druck, siehe Bd. 4 Stabilität
Scherung, 291 bei Wasser, siehe Bd. 4 gegenüber Temperaturänderungen, siehe
Scherungstensor, 290 SI-Einheiten, 11, siehe auch Bd. 2 Bd. 4
schiefe Ebene, 181 Siemens, siehe Bd. 2 gegenüber Volumenänderungen, siehe Bd. 4
Schieß-Verfahren, siehe Bd. 3 Siemens, Werner von, siehe Bd. 2 thermodynamische, siehe Bd. 4
Schirm, siehe Bd. 2 Signalgeschwindigkeit, siehe Bd. 2 Standardabweichung, siehe Bd. 4
Schmelzwärme, siehe Bd. 4 Sinai-Billard, 260 Stark, Johannes, siehe Bd. 3
Schmiegeebene, 24 Skalar, 4 Stark-Effekt, siehe Bd. 3
Schrödinger, Erwin, siehe Bd. 3
394 Sachverzeichnis

linearer, siehe Bd. 3 kohärente, siehe Bd. 3 T


quadratischer, siehe Bd. 3 quasielastische, 366 ’t Hooft, Gerard, siehe Bd. 2
Statampere, siehe Bd. 2 Rutherford’sche, 106 Tachyonen, 336
Statcoulomb, siehe Bd. 2 von Elektronen an Atomen, siehe Bd. 3 Tangentialvektor, 24
Statik, 294 von identischen Bosonen, siehe Bd. 3 Target, 103
stationäre Strömung, 304 von identischen Fermionen, siehe Bd. 3 Taylor-Polynom, 31
stationärer Punkt, 186 von identischen Teilchen, siehe Bd. 3 Taylor-Reihe, 31
statistischer Operator, siehe Bd. 3; Bd. 4 von Licht an Licht, siehe Bd. 2 Taylor’scher Satz, 31
Zeitentwicklung, siehe Bd. 3 Streuwinkel, 102, siehe auch Bd. 3 Teilchen
Statohm, siehe Bd. 2 Transformation, 103 identische, siehe Bd. 3
Statvolt, siehe Bd. 2 Stromdichte, siehe Bd. 2 zusammengesetzte, siehe Bd. 3
Stefan, Josef, siehe Bd. 4 transversale, siehe Bd. 2 Teilchen im Kasten, Energieeigenwerte, siehe
Stefan-Boltzmann-Gesetz, siehe Bd. 3; Bd. 4 Strömung Bd. 4
stehende Welle, 280 laminare, 308 Teilchenzahldichte, für Fermionen, siehe Bd. 4
Steiner’scher Satz, 138 reaktive, 308 Teilchenzahloperator, siehe Bd. 3; Bd. 4
Stern, Otto, siehe Bd. 3 stationäre, 304 Telegrafengleichungen, siehe Bd. 2
Stern-Gerlach-Versuch, siehe Bd. 3 turbulente, 308 Temperatur, siehe Bd. 4
Stirling, Robert, siehe Bd. 4 Strutt, John William, siehe Bd. 3 absolute, siehe Bd. 4
Stirling’sche Formel, siehe Bd. 3; Bd. 4 Strutt, John William, dritter Baron Rayleigh, Definition durch Kreisprozess, siehe
Stöchiometrie, siehe Bd. 4 siehe Bd. 2 Bd. 4
stöchiometrische Koeffizienten, siehe Bd. 4 Stufenfunktion, siehe Bd. 2 negative, siehe Bd. 4
Stoffmenge, siehe Bd. 4 Sturm-Liouville-Problem, siehe Bd. 3 als Äquivalenzrelation, siehe Bd. 4
Stokes, Sir George Gabriel, 306 SU(2), siehe Bd. 3 als Ausdruck innerer Bewegung, siehe Bd. 4
Stokes-Parameter, siehe Bd. 2 su(2), siehe Bd. 3 subjektives Empfinden, siehe Bd. 4
Stokes’scher Satz, 32, siehe auch Bd. 2 substanzielle Ableitung, 304 Temperaturskala
Störung sudden approximation, siehe Bd. 3 absolute, siehe Bd. 4
konstante, siehe Bd. 3 superhydrophob, 310 Konsistenz verschiedener Definitionen,
periodische, siehe Bd. 3 Superkamiokande, 364 siehe Bd. 4
Störungstheorie Superladung, siehe Bd. 3 Celsius, siehe Bd. 4
Energie Superpositionsprinzip, 9, siehe auch Bd. 2 Fahrenheit, siehe Bd. 4
erste Ordnung, siehe Bd. 3 Superpotenzial, siehe Bd. 3 Kelvin, siehe Bd. 4
zweite Ordnung, siehe Bd. 3 Superstringtheorie, siehe Bd. 2 temporale Eichung, siehe Bd. 2
entartete, siehe Bd. 3 Supersymmetrie, siehe Bd. 3 Tensor, 134
zeitabhängige, siehe Bd. 3 supersymmetrische Quantenmechanik, siehe Matrizen als Darstellung, 135
zeitunabhängige, siehe Bd. 3 Bd. 3 metrischer, 72, 226
Zustände erste Ordnung, siehe Bd. 3 Supraleiter, siehe Bd. 2 Transformationsverhalten, 135
Stoß Supremumsnorm, 6 Tensorkomponente, 133
elastischer, 101, 360 Suszeptibilität, 222 Tensorprodukt, 134, 136, siehe auch Bd. 3
inelastischer, 360 dynamische, siehe Bd. 4 von Hilbert-Räumen, siehe Bd. 3
zweier harter Kugeln, 108 elektrische, siehe Bd. 2 von Operatoren, siehe Bd. 3
Stoßinvarianten, 101 magnetische, siehe Bd. 2; Bd. 4 Termschema, Wasserstoffatom, siehe Bd. 3
Stoßparameter, 105 Swing-by-Manöver, 104 Terrell, James, 335
Strahl, siehe Bd. 3 Symmetrie, siehe Bd. 3 Tesla, siehe Bd. 2
Strahlengleichung, siehe Bd. 2 der Lagrange-Funktion, 196 Testfunktion, siehe Bd. 2
Strahlenoptik, siehe Bd. 2 diskrete, 196 Theorem von Wigner, siehe Bd. 3
Strahlung, siehe Bd. 3 eines Quantensystems, siehe Bd. 3 Thermodynamik
Strahlungsdämpfung, siehe Bd. 2 kontinuierliche, 196 Axiome oder Hauptsätze, siehe Bd. 4
Strahlungsdruck, siehe Bd. 2 Symmetriebrechung fundamentale Theorie, siehe Bd. 4
Strahlungseichung, siehe Bd. 2 spontane, siehe Bd. 3 Gültigkeit für Quantensysteme, siehe Bd. 4
Strahlungsgesetz, Planck’sches, siehe Bd. 3; Symmetriegruppe, siehe Bd. 3 Gültigkeitsbereich, siehe Bd. 4
Bd. 4 Symmetrietransformation, siehe Bd. 3 phänomenologisch, siehe Bd. 4
Strahlungsrückwirkung, siehe Bd. 2 symmetrischer Kreisel, siehe Bd. 3 Thermometer, siehe Bd. 4
Strahlungsschweif, siehe Bd. 2 symplektische Struktur, 247, siehe auch Bd. 4 Thomas, Llewellyn Hilleth, 344, siehe auch
Streuamplitude, siehe Bd. 3 Synchrotron, siehe Bd. 2 Bd. 3
analytische Eigenschaften, siehe Bd. 3 Synchrotronstrahlung, siehe Bd. 2 Thomas-Faktor, 345, siehe auch Bd. 3
für harte Kugeln, siehe Bd. 3 System Thomas-Fermi-Gleichung, siehe Bd. 3
Streulänge, siehe Bd. 3 abgeschlossenes, 86 Thomas-Fermi-Näherung, siehe Bd. 3
Streumatrix, siehe Bd. 3 homogenes, siehe Bd. 4 Thomas-Präzession, 328, 344, 348
Streuphase, siehe Bd. 3 Isolierbarkeit, siehe Bd. 4 Thompson, Benjamin, siehe Bd. 4
Streuung, 95, 100, 101, siehe auch Bd. 4 isoliertes, 86 Thomson, George Paget, siehe Bd. 3
an harten Kugeln, siehe Bd. 3 mikro- und makroskopisches, siehe Bd. 4 Thomson, Joseph John, siehe Bd. 3
elastische, 360, siehe auch Bd. 3 offenes, geschlossenes und abgeschlossenes, Thomson-Streuung, siehe Bd. 2
Energieübertrag bei elastischer, 104 siehe Bd. 4 Tokamak, siehe Bd. 2
inelastische, 360, siehe auch Bd. 3 Szilard, Leo, siehe Bd. 4 Torricelli, Evangelista, siehe Bd. 4
inkohärente, siehe Bd. 3 Torus, 167
Sachverzeichnis 395

totaler Wirkungsquerschnitt, 106, siehe auch ultrahochenergetische kosmische Strahlung, 368 Verschiebungsoperator, siehe Bd. 3
Bd. 3 ultrarelativistisch, 359, 369 Verschiebungssatz, siehe Bd. 4
Totalreflexion, siehe Bd. 2 Ultraviolettkatastrophe, siehe Bd. 3 Verschiebungsstrom, siehe Bd. 2
Trägheit, 7 Umkehrproblem, siehe Bd. 3 Verschiebungsvektor, 54
Trägheitsgesetz, 7 Umkehrpunkt, 21, 95 verschränkter Zustand, siehe Bd. 3
Trägheitsmoment, 132 unbeschränkter Operator, siehe Bd. 3 Verteilung
bezüglich der Drehachse, 137 Unbestimmtheitsrelation, allgemeine, siehe großkanonische, siehe Bd. 4
Trägheitsprodukt, 132 Bd. 3 kanonische, siehe Bd. 4
Trägheitstensor, 132 uneigentliche Eigenfunktion, siehe Bd. 3 Quantenstatistik, siehe Bd. 4
Diagonalform, 139 Unipolarinduktion, siehe Bd. 2 mikrokanonische, siehe Bd. 4
Diagonalisierung, 142 Unipolarmaschine, siehe Bd. 2 Verzerrungstensor, 290
einer kontinuierlichen Massenverteilung, 143 unitäre Operatoren, siehe Bd. 3 Verzweigungspunkte, siehe Bd. 3
einer Kugel, 146 Unschärferelation, siehe Bd. 3 Viele-Welt-Interpretation, siehe Bd. 3
eines Quaders, 143 Untermannigfaltigkeit, 167 Viererbeschleunigung, 342
Trajektorie, 244 Unterschwinger, 285 Vierergeschwindigkeit, 342, siehe auch Bd. 2
Transfermatrix, siehe Bd. 4 Untervektorraum, aufgespannter, 36 Vierergradient, 348, siehe auch Bd. 2
Transformation unverträgliche Observable im weniger strengen Viererimpuls, 356, siehe auch Bd. 2
auf Ruhe, 256 Sinn, siehe Bd. 3 Viererkraft, 357
eigentliche, 52 Urknall-Theorie, siehe Bd. 3 Viererpotenzial, siehe Bd. 2
infinitesimale, 64, 196 Viererstromdichte, siehe Bd. 2
kanonische, 251 V Vierertensor, 341
konforme, 327 Vakuum-Doppelbrechung/Birefringenz, siehe Vierervektor, 339
längentreue, 79 Bd. 2 Virial, 118
orthonormale, 52 Vakuumpolarisation, siehe Bd. 2 Virialentwicklung, siehe Bd. 4
uneigentliche, 52 Valenzelektron, siehe Bd. 3 Virialsatz, 118, siehe auch Bd. 3
winkeltreue, 79 Van Allen, James, siehe Bd. 2 virtuelle Verrückung, 173
Transformationssatz, 145 van der Waals, Johannes Diderik, siehe Bd. 4 viskos, 15
Transformator, siehe Bd. 2 Van-Allen-Gürtel, siehe Bd. 2 viskose Spannung, 305
Translationen, siehe Bd. 3 Van-der-Waals-Gas Viskosität, 306
Translationsgruppe, siehe Bd. 3 Binnendruck, siehe Bd. 4 dynamische, 306
Translationsoperator, siehe Bd. 3 Eigenvolumen, siehe Bd. 4 kinematische, 306
Transmission eines Wellenpakets, siehe Bd. 3 Van-der-Waals-Kraft, siehe Bd. 3 Voigt, Woldemar, 326
Transmissionsamplitude, siehe Bd. 3 Varianz, siehe Bd. 4 vollständige Ableitung, 20
für Potenzialtopf, siehe Bd. 3 Variation, 188, 190 vollständige Zeitableitung, 21
in Resonanznähe, siehe Bd. 3 Variation der Konstanten, 216 vollständiger Raum, 6
Transmissionskoeffizient, siehe Bd. 2 Variationsprinzip, Gibbs’sches, siehe Bd. 4 vollständiges Differenzial, 21
Transmissionswahrscheinlichkeit für Variationsrechnung, 186 Vollständigkeit, siehe Bd. 2
Kastenpotenzial, siehe Bd. 3 Variationsverfahren, siehe Bd. 3 der Quantenmechanik, siehe Bd. 3
transmittierte Welle, siehe Bd. 3 Ritz’sches, siehe Bd. 3 von Projektoren, siehe Bd. 4
transponierte Matrix, 50 Vektor, 4 Vollständigkeitsrelation, siehe Bd. 3
Transposition, siehe Bd. 3 axialer, 56 im Ortsraum, siehe Bd. 3
Transversalität, siehe Bd. 2 Darstellung, 48 Volt, siehe Bd. 2
Transversalwellen, 232 gebundener, 54 Volta, Alessandro, siehe Bd. 2
Tripelpunkt, siehe auch Wasser, Tripelpunkt, polarer, 56 Volumen, kritisches, siehe Bd. 4
siehe Bd. 4 ungebundener, 54 Volumenintegral, 143
triviale Darstellung, siehe Bd. 3 Vektorfeld, 29 Volumenkraft, 294
Trochoide, siehe Bd. 2 Vektor-Laplace-Operator, siehe Bd. 2 von Laue, Max, siehe Bd. 3
Trojaner, 112 Vektoroperator, siehe Bd. 3 von Neumann, John, siehe Bd. 3
Tscherenkow-Strahlung, 365 Vektor-Poisson-Gleichung, siehe Bd. 2 Von-Neumann-Gleichung, siehe Bd. 4
Tunneleffekt, siehe Bd. 3 Vektorpotenzial, siehe Bd. 2; Bd. 3 im Schrödinger-Bild, siehe Bd. 3
semiklassisch, siehe Bd. 3 Vektorprodukt, 24, 25 im Wechselwirkungsbild, siehe Bd. 3
Tunnel-Matrixelement, siehe Bd. 3 Vektorraum, 4, siehe auch Bd. 3 Vorwärtslichtkegel, 334
turbulente Strömung, 308 dualer, 339, siehe auch Bd. 3
Turbulenz, 308 Veltman, Martinus, siehe Bd. 2 W
verallgemeinerte Funktion, siehe Bd. 2 Wahrscheinlichkeit
U verallgemeinerte Koordinaten, 169 als Erwartungswert der relativen Häufigkeit,
Übergangsbedingungen für Dielektrika, siehe verallgemeinerte Orthonormalitätsrelation, 226 siehe Bd. 4
Bd. 2 verallgemeinerter Impuls, 244 bedingte, siehe Bd. 4
Übergangsbedingungen für magnetische verborgene Symmetrie, siehe Bd. 3 Umkehrung, siehe Bd. 4
Medien, siehe Bd. 2 verborgene Variable, siehe Bd. 3 unabhängiger Ereignisse, siehe Bd. 4
Übergangsmatrixelemente, siehe Bd. 3 Verdampfungswärme, siehe Bd. 4 von Messresultaten, siehe Bd. 3
Übergangstemperatur, siehe Bd. 4 Vergangenheit, 334 Wahrscheinlichkeitsdichte, siehe Bd. 3; Bd. 4
Überlichtgeschwindigkeit, 336, siehe auch Bd. 2 Verlustleistung, 20 auf dem Phasenraum, siehe Bd. 4
Überschwinger, 285 Vernichtungsoperator, siehe Bd. 3; Bd. 4 für allgemeine Koordinaten, siehe Bd. 3
Uhlenbeck, George, siehe Bd. 3 Verrückung, virtuelle, 173 Wahrscheinlichkeitsmaß auf dem Phasenraum,
UKW-Sender, siehe Bd. 2 Verschiebungsgesetz, Wien’sches, siehe Bd. 4 siehe Bd. 4
396 Sachverzeichnis

Wahrscheinlichkeitsstrom, siehe Bd. 3 Wellenmechanik, mit Kräften, siehe Bd. 3 Z


Wahrscheinlichkeitsstromdichte, siehe Bd. 3 Wellenoperator, siehe Bd. 2 Zahl, komplex konjugierte, 214
Walker, Arthur Geoffrey, 344 Wellenoptik, siehe Bd. 2 Zahlenebene, Gauß’sche, 214
Wärme, siehe Bd. 4 Wellenpaket, siehe Bd. 2; Bd. 3 Zeeman, Pieter, siehe Bd. 3
als innere Bewegung, siehe Bd. 4 Wellenzahl, 231, 280 Zeeman-Effekt
kinetische Theorie, siehe Bd. 4 Weltbild, mechanisches, 2 anomaler, siehe Bd. 3
latente, siehe Bd. 4 Weltlinie, 330, siehe auch Bd. 2 normaler, siehe Bd. 3
mikroskopische Theorie, siehe Bd. 4 Wentzel, Gregor, siehe Bd. 3 Zeh, Dieter, siehe Bd. 3
molare, siehe Bd. 4 Weyl, Hermann, siehe Bd. 3 Zeit, retardierte, siehe Bd. 2
Reibung und Arbeit, siehe Bd. 4 Weyl-Eichung, siehe Bd. 2 zeitabhängig
spezifische, siehe Bd. 4 Weyl-Ordnung, siehe Bd. 3 explizit, 21
Substanzcharakter, siehe Bd. 4 Weyl’sche Vertauschungsrelation, siehe Bd. 3 implizit, 21
Zusammenhang mit Arbeit, siehe Bd. 4 Widerstand, siehe Bd. 2 Zeitableitung, 5
Wärme und Arbeit innerer, siehe Bd. 2 in rotierenden Bezugssystemen, 64
Abgrenzung, siehe Bd. 4 Wien, Wilhelm, siehe Bd. 2; Bd. 3 vollständige, 21
Wärmebad, siehe Bd. 4 Wiener, Norbert, siehe Bd. 3 zeitartig, 334
Wärmekapazität, siehe Bd. 4 Wienfilter, siehe Bd. 2 Zeitdilatation, 323, 332
allgemeiner Systeme, siehe Bd. 4 Wiensches, Strahlungsgesetz, siehe Bd. 3 Zeitentwicklung, ungestörte, siehe Bd. 3
fester Körper, siehe Bd. 4 Wigner, Eugene, siehe Bd. 3 Zeitentwicklungsoperator, siehe Bd. 3
spezifische, siehe Bd. 4 Wigner’sches Theorem, siehe Bd. 3 zeitlich homogen, 179
Wärmekraftmaschine, siehe Bd. 4 Wilson, Robert, siehe Bd. 3 Zeitmessung, siehe Bd. 3
Wärmeleitung, siehe Bd. 4 Winkelgeschwindigkeit, 63 Zeitordnung, siehe Bd. 3
Wärmepumpe, siehe Bd. 4 Winkelvariable, 255 Zeitordnungsoperator, siehe Bd. 3
Wärmereservoir, siehe Bd. 4 Wirbelstärke, 32, 33 Zeitspiegelung, 328
Wärmestoff, siehe Bd. 4 Wirbelstraße, Kármán’sche, 309 Zeittranslationsinvarianz, 197
Wasser, Tripelpunkt, siehe Bd. 4 Wirkleistung, siehe Bd. 2 Zeitumkehr, siehe Bd. 3
Wasserfall, 304 Wirkung, 191, 288, siehe auch Bd. 3 Zeitunabhängigkeit des Potenzials, 20
Wassersäule im Gravitationsfeld, 303 effektive, siehe Bd. 2 Zentralfeld, siehe Bd. 3
Wasserstoffatom Felder, siehe Bd. 2 Zentralkraft, 8, 30
algebraische Lösung, siehe Bd. 3 kovariant, siehe Bd. 2 Zentrifugalkraft, 67
diskretes Spektrum, siehe Bd. 3 Prinzip der kleinsten, 191 Zerfallsbreite, siehe Bd. 3
Energien, siehe Bd. 3 Prinzip der stationären, 191 Zerfließen von Wellenpaketen, siehe Bd. 3
im elektrischen Feld, siehe Bd. 3 Wirkungsfunktion, 256 Zerlegung der Eins, siehe Bd. 2; Bd. 3
Wasserstoffbombe, 364 Wirkungsgrad allgemeiner Fall, siehe Bd. 3
Watt, siehe Bd. 2 Carnot’scher, siehe Bd. 4 bezüglich Impulsoperator, siehe Bd. 3
Watt, James, siehe Bd. 4 universelle Gültigkeit, siehe Bd. 4 bezüglich Ortsoperator, siehe Bd. 3
Weber, siehe Bd. 2 einer Dampfmaschine, siehe Bd. 4 Zetafunktion, Riemann’sche, siehe Bd. 3; Bd. 4
Weber, Wilhelm, siehe Bd. 2 Wirkungsintegral, siehe Bd. 3 Zirkulation, 32, 33
Wechselstromwiderstand, komplexer, siehe Wirkungsprinzip, 191 Zitterbewegung, siehe Bd. 3
Bd. 2 Wirkungsquantum, siehe Bd. 3 Zufallsbewegung, siehe Bd. 4
Wechselwirkung, elastische, 101 Wirkungsquerschnitt Zugspannung, 273
Wechselwirkungsbild, siehe Bd. 3 differenzieller, 107, siehe auch Bd. 3 Zukunft, 334
Wechselwirkungsenergie, siehe Bd. 2 für Streuung an harten Kugeln, siehe Bd. 3 Zustand
wechselwirkungsfreie Messung, siehe Bd. 3 isotroper, 108 adiabatischer, Poisson’sche Gleichung, siehe
Wegintegral Rutherford’scher, 109 Bd. 4
geschlossenes, 27 totaler, 107, siehe auch Bd. 3 antisymmetrischer, siehe Bd. 3
siehe Pfadintegral, siehe Bd. 3 Wirkungsvariable, 255 gemischter, siehe Bd. 3; Bd. 4
Weglänge WKB-Näherung, siehe Bd. 3 reiner, siehe Bd. 3; Bd. 4
mittlere freie, siehe Bd. 4 Gültigkeitsbereich, siehe Bd. 3 symmetrischer, siehe Bd. 3
optische, siehe Bd. 2 mehrere Dimensionen, siehe Bd. 3 Zustände, siehe Bd. 3
Wegunabhängigkeit der Arbeit, 32 WMAP-Satellit, siehe Bd. 3 Zustandsänderung, siehe Bd. 4
Weißer Zwerg, siehe Bd. 4 Wolter, Hans, siehe Bd. 2 durch Wechselwirkung mit der Umgebung,
Weiss’sche Bezirke, siehe Bd. 2 Wolter-Teleskop, siehe Bd. 2 siehe Bd. 4
Weitwinkelstreuung, siehe Bd. 3 Wronski-Determinante, 212, siehe auch Bd. 3 irreversible, siehe Bd. 4
Welle, 232 Wu, Chien-Shiung, 329 quasistatische, siehe Bd. 4
ebene, siehe Bd. 2 quasistatische und reversible, siehe Bd. 4
im Medium, siehe Bd. 2 reversible, siehe Bd. 4
stehende, 280 reversible oder irreversible
Wellenfunktion, Norm, siehe Bd. 3 Y aus statistischer Sicht, siehe Bd. 4
Wellengeschwindigkeit, 276 Yang, Chen-Ning, 329, siehe auch Bd. 2 Zustandsdichte, siehe Bd. 3
Wellengleichung, siehe Bd. 2 Yang-Mills-Theorie, siehe Bd. 2 Zustandsfläche, siehe Bd. 4
inhomogene, siehe Bd. 2 Young, Thomas, siehe Bd. 3 Zustandsgleichung, 303, siehe auch Bd. 4
Wellenlänge, 280 Young-Laplace-Gleichung, 310 kalorische, siehe Bd. 4
thermische, siehe Bd. 4 Young’scher Elastizitätsmodul, 291 Zustandsgröße, siehe Bd. 4
Wellenmechanik, 258 Yukawa, Hideki, siehe Bd. 3 extensive oder intensive, siehe Bd. 4
Yukawa-Potenzial, siehe Bd. 2; Bd. 3
Sachverzeichnis 397

und homogene Funktionen, siehe Bd. 4 und freie Energie, siehe Bd. 4 Zweikörperproblem, 90, 91
makroskopische, siehe Bd. 4 mikrokanonische, siehe Bd. 4 Zweiteilchenoperator, siehe Bd. 3
mikroskopische, siehe Bd. 4 Zwangsbedingung, 8, 128, 166, siehe auch Zweiteilchen-Problem, siehe Bd. 3
und vollständige Differenziale, siehe Bd. 4 Hemmung Zwillingsparadoxon, 337, 338
Zustandsraum, siehe Bd. 4 äußere, 172 zyklische Koordinate, 179
der klassischen Mechanik, siehe Bd. 4 holonome, 166 Zykloide, 201, siehe auch Bd. 2
Einteilchen-, siehe Bd. 4 innere, 172 Zyklotron, siehe Bd. 2
Zustandssumme nichtholonome, 167 Zyklotronfrequenz, 41, siehe auch Bd. 2; Bd. 3
eines idealen Gases, siehe Bd. 4 nichtintegrierbare, 170 Zylinderkondensator, siehe Bd. 2
für ein Gemisch idealer Gase, siehe Bd. 4 rheonome, 167 Zylinderkoordinaten, 71
großkanonische, siehe Bd. 4 skleronome, 167
kanonische, siehe Bd. 4 Zwangskraft, 166, 171
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