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Fallbeispiel – Obstipation.

Prophylaxen 21
Wenn die Darmmotorik gestört ist ...

Die 49-jährige Gerda Scheer litt seit ihrer Jugend unter Rü- nungen festgestellt. Sie musste sich offenbar zu dem großen
ckenschmerzen. Sie begleiteten sie durch ihr ganzes Leben, mal Teil der Bevölkerung mit chronischen Rückenschmerzen zählen
mehr mal weniger. Sie hatte so ziemlich alles schon versucht. und lernen, damit zu leben.
In jungen Jahren war sie durchaus sportlich aktiv, ging auch Früher hatte sie, wenn die Schmerzen zu stark wurden,
wegen ihres Rückens eine Zeit lang regelmäßig schwimmen, Tramal-Tropfen genommen. In der Zwischenzeit halfen sie
weil ein Orthopäde ihr dazu geraten hatte. Es wurde damit tat- aber nicht mehr. Nun nahm sie Schmerzpflaster. Ein Orthopä-
sächlich besser, doch dann kamen Familie und Beruf und für de hatte ihr gesagt, sie seien sehr gut verträglich. Und außer
sportliche Aktivitäten war keine Zeit mehr. Als die Schmerzen ein wenig Übelkeit in den ersten beiden Tagen, hatte sie auch
wieder einmal unerträglich waren, tauschte sie die Bettmatrat- zunächst keinen Grund zum Klagen, vor allem weil diese Pfla-
ze, was ihr eine gewisse Erleichterung gab. Bei einem anderen ster ihr die Schmerzen deutlich linderten. Manchmal waren sie
,
Orthopäden ließ sie sich gelegentlich einrenken, ein Hausarzt sogar ganz weg.
verschrieb ihr eine Weile Krankengymnastik, wieder ein ande- Zu ihrer Hausärztin ging sie eigentlich nur wegen einer
rer setzte ihr immer wieder Spritzen in den Rücken. Letztlich Verstopfung unter der sie bereits seit 5 Tagen litt. Außerdem
waren fast alle Maßnahmen zumindest für eine Weile wirksam, hatte sie seit dem Vortage starke Bauchschmerzen. Obwohl
aber die Rückenschmerzen kamen immer wieder zurück. Beim sie Stuhldrang empfand, konnte sie jedoch auch bei stärkstem
Röntgen wurden schon vor einigen Jahren Verschleißerschei- Pressen nur wenig steinharten Stuhl absetzen.

REFLEXION
Krankheitsentstehung. Die Frequenz der Verdauung ist von dreimal täg- Was tut die Pflege bei Obstipation? In vielen Fällen ist eine falsche Vor-
lich bis dreimal wöchentlich normal. Hat ein Patient weniger als dreimal pro stellung über die normale Stuhlfrequenz der Grund für das Abgleiten eines
Woche Stuhlgang, spricht man von Verstopfung. Der Stuhl ist dann meis- Patienten in den Teufelskreis von Laxantieneinsatz und Obstipation. In je-
tens hart und seine Entleerung schwierig, evtl. schmerzhaft. Die Ursachen dem Fall muss eine sorgfältige Stuhlkontrolle erfolgen, die folgende Punkte
für die Obstipation sind vielfältig, darunter z.B. berücksichtigt:
• funktionelle Darmstörungen mit der Kombination aus zu geringer • Stuhlfrequenz als Maßstab der Obstipation,
Flüssigkeitszufuhr, zu wenig Ballaststoffen in der Nahrung und man- • Stuhlfarbe und –konsistenz mit Blick auf eine Organerkrankung,
gelnder körperlicher Bewegung. • Befragung des Patienten, ob der Stuhlgang schwierig und/oder
• neurogene Störungen, wenn sie das enterische Nervensystem betref- schmerzhaft war.
fen, wie etwa bei autonomer Neuropathie im Rahmen eines Diabe- Bei funktionellen Störungen muss der Patient immer wieder auf die Be-
tes oder bei der Hirschsprung-Krankheit (hier sind von Geburt an die deutung von Flüssigkeit, Ballaststoffen und körperlicher Bewegung für eine
Ganglien im Dickdarm nicht angelegt) normale Verdauung hingewiesen werden. Eine Kolonmassage kann zur Ob-
• medikamenteninduzierte Störung z.B. durch Antidepressiva, Codein, stipationsprophylaxe indiziert sein.
Opiate, Clonidin und auch Medikamente, die den Kaliumhaushalt be- Die zugeführte Flüssigkeitsmenge von 2l täglich sollte nicht unter-
einflussen. schritten werden. Eine Diätassistentin kann wichtige Aufklärungsarbeit im
• verschiedene Darmerkrankungen selbst das Obstipationsrisiko in
Georg Thieme Verlag, Stuttgart · Vieten M., Fallbuch Pflege. Krankheiten verstehen 2. 2007 · modifiziert für I care Pflege 2015

Hinblick auf eine ballaststoffreiche Ernährung leisten. Ebenso sollte sie der
sich, so z.B. Tumore, Stenosen, Entzündungen, Würmer, Fremdkör- Patientin mitteilen, welche Nahrungsmittel stopfende Eigenschaften besit-
per, Gallensteine oder Missbildungen. zen und zu meiden sind. Durch Führung eines Stuhlprotokolls kann die Pa-
Viele andere Ursachen können zur Obstipation führen: Angst vor Schmer- tientin den Erfolg ihrer Maßnahmen genauer beurteilen (s. Abb. 8.3, S. 55).
zen bei Anuserkrankungen, gewohnheitsmäßige Unterdrückung des De- Nach Möglichkeit sollte für reichlich Bewegung gesorgt werden, da diese
fäkationsimpulses aus unterschiedlichsten Gründen (wie z.B. dass der die Verdauung anregt und fördert. Die Patientin muss sich darüber im Kla-
Zeitpunkt ungünstig oder eine Toilette nicht sauber ist), Ernährungsum- ren sein, dass Verdauung in einem weiten Rahmen normal sein kann, ohne
stellung, fieberhafte Erkrankungen, Schwangerschaft, Hypothyreose uvm. dass direkt eine krankhafte Veränderung zu Grunde liegen muss.
Weil der Stuhl bei Obstipation i.d.R. sehr hart ist und regelrechte Kotsteine
Fall: Nach 3 Tagen in der Klinik konnte Gerda Scheer wieder entlassen wer-
entstehen, kommt es häufig zu Schmerzen bei der Defäkation. Die Angst
den. Anfänglich hatten die üblichen Maßnahmen mit Laxanzien keinen Er-
vor diesen Schmerzen kann dann zu einer Unterdrückung des Stuhldrangs.
folg gebracht. Es kam zur digitalen Ausräumung, bei der sie vor Schmerzen
Wie kann geholfen werden? Die Behandlung richtet sich nach der Er- und auch vor Scham sehr weinen musste. Die Pflegenden bemühten sich,
krankungsursache. Eine funktionelle Obstipation kann initial sehr gut Frau Scheer den Eindruck zu vermitteln, dass es eine normale Behandlung
mit Laxantien behandelt werden. Es gibt oral osmotisch wirksame Sub- ist und führten diese auch einfühlsam und rücksichtsvoll durch. Anschlie-
stanzen, die das Wasser im Darm binden, damit es nicht resorbiert wird. ßend war Frau Scheer sehr erleichtert. Es ging ihr bald sehr viel besser.
Dadurch kommt es zu einer Art Spüleffekt des Darms. Wenn jedoch ein Gemeinsam mit ihrer Hausärztin wollte sie später noch einmal eine
mechanisches Hindernis die Darmpassage verhindert, muss dieses meist ambulante Reha-Maßnahme versuchen, um durch gezieltes Muskeltraining
zunächst, operativ, beseitigt werden. doch die Schmerzmedikation reduzieren zu können. Die Empfehlungen zur
Klistiere oder Zäpfchen sind nur bei harten Kotballen im Enddarm in- Ernährung sowie den Hinweis auf die Kombination des Opiat-Pflasters mit
diziert, weil sie gar nicht weiter im Darm heraufreichen, um ihre Wirkung einem fein dosierbaren Abführmittel nahm sie dankbar an. Dennoch war
zu entfalten. Wenn Kotballen auch nach unterstützenden Maßnahmen ihr alles so unangenehm, dass sie auch beim Verlassen der Station es kaum
nicht ausgeschieden werden können, kommt die digitale Ausräumung schaffte, den Pflegenden in die Augen zu schauen.
des Enddarms in Betracht.

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