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2024, 11:08
8. Schlussbemerkungen: Leistungen und Grenzen der qualitativen Inhaltsanalyse 125

8. Schlussbemerkungen: Leistungen und


Grenzen der qualitativen Inhaltsanalyse

Am Ende dieser Arbeit sollen nun nochmals die wichtigsten Ergebnisse, die wichtigs-
ten Konsequenzen für den methodischen Umgang mit sprachlichem Material inner-
halb der Sozialwissenschaften zusammengefasst werden:
1. Ein verändertes Gegenstandsverständnis in den Sozialwissenschaften, welches das
Subjekt mehr »zur Sprache« kommen lässt und dabei eher mit offenen, »weichen«
Methoden vorgeht, erfordert die verstärkte Entwicklung darauf bezogener Aus-
wertungstechniken.
2. Ein Überblick über bisherige inhaltsanalytische Techniken und deren Einsatz-
möglichkeiten zeigt, dass die Inhaltsanalyse ein hierfür ausbaufähiges Instrument
darstellt und gleichzeitig Standards methodisch kontrollierten Vorgehens genügen
kann.
3. Der Streit zwischen qualitativer und quantitativer Analyse legt nahe, dass die Syn-
these dort liegt, wo die jeder Analyse notwendig inhärenten qualitativen Analyse-
schritte expliziert und daraufhin die Punkte im Analyseprozess bezeichnet wer-
den, an denen sich quantitative Schritte sinnvoll einbauen lassen.
4. Zur Entwicklung solcher auf die qualitativen Schritte bezogenen Analysetechni-
ken können neben der inhaltsanalytischen Methodik auch Nachbardisziplinen
(Hermeneutik, Literaturwissenschaft, qualitative Sozialforschung, Psychologie der
Textverarbeitung) herangezogen werden.
5. Aus der Grundstruktur bisheriger Techniken der Analyse sprachlichen Materials
lassen sich Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung als Grundformen
des Interpretierens extrahieren, die nun Ausgangspunkt qualitativer inhaltsanaly-
tischer Methodik sein können.
6. Durch Differenzierung in einzelne Analyseschritte, Aufstellen von Ablaufmodel-
len und Formulierung von Interpretationsregeln lassen sich aus diesen Grundfor-
men wissenschaftliche Auswertungstechniken entwickeln. Dazu ist ein erster Ver-
such vorgelegt und am Beispiel demonstriert worden.
7. Solche qualitativen Inhaltsanalysen haben den Anspruch, sich an sozialwissen-
schaftlichen und spezifisch inhaltsanalytischen Gütekriterien messen zu lassen.

Das soll aber nicht heißen, dass die qualitative Inhaltsanalyse grenzenlos einsetzbar
ist. Vor allem drei Einschränkungen müssen beachtet werden:
● Wir haben es hier mit einer spezifischen Auswertungstechnik zu tun. So muss die
Inhaltsanalyse kombiniert werden mit Techniken der Datenerhebung und Da-
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126 8. Schlussbemerkungen: Leistungen und Grenzen der qualitativen Inhaltsanalyse

tenaufbereitung, sie muss eingeordnet werden in einen übergeordneten Untersu-


chungsplan (Mayring 2002).
● Die Stärke der qualitativen Inhaltsanalyse liegt in ihrem systematischen, regelge-
leiteten Vorgehen, mit dem auch große Materialmengen bearbeitet werden kön-
nen. Wenn diese Systematik von Gegenstand oder Fragestellung her nicht ange-
messen erscheint (z. B. in stärker explorativen Untersuchungen), müssen andere
Verfahren gewählt werden.
● In jedem Fall muss darauf geachtet werden, dass die Inhaltsanalyse nicht zu starr
und unflexibel wird. Sie muss auf den konkreten Forschungsgegenstand ausge-
richtet sein.

Letztlich muss die Gegenstandsangemessenheit wichtiger genommen werden als die


Systematik, um nicht genau in die Probleme zu geraten, in die uns einseitig quantita-
tive Forschung geführt hat. Wenn aber solche Fallstricke beachtet werden, ist der Weg
frei für sinnvolle, aussagekräftige und methodisch abgesicherte qualitativ orientierte
Forschung.
Es darf nicht verschwiegen werden, dass es Kritik an der Qualitativen Inhalts-
analyse, wie wir sie entwickelt haben, gibt. Für etliche Vertreter der qualitativen For-
schung ist sie zu systematisch, zu quantitativ, eigentlich gar keine qualitative Methode
(vgl. ausführlich Mayring 2019c). Das ist aber ein Missverständnis, da ja der erste
Schritt der Zuordnung von Kategorien zu Textstellen immer ein zwar regelgeleiteter,
aber letztlich interpretativer Schritt bleibt.
Auch sind in den letzten Jahren Konzeptionen einer qualitativen Inhaltsanalyse
vorgelegt worden (Kuckartz 2012; Schreier 2012), die zum Teil auf unseren Arbei-
ten aufbauen, dann aber Einseitigkeiten und Ungenauigkeiten aufweisen sowie die
Inhaltsanalyse weitgehend unpraktikabel werden lassen (siehe Mayring 2019c). Der
große Vorteil der Qualitativen Inhaltsanalyse, theorie- und regelgeleitete qualitativ
orientierte Textanalyse auch großer Materialmengen mit Möglichkeiten der Quantifi-
zierung zu verbinden, kann so verloren gehen.

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