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sublunaren Substanzen gelten, die das Thema des Z bilden und die nur
existieren können, indem sie sich in Materie vervielfältigen und durch
diese multiple Selbstklonierung in den erwähnten Artprozess eintreten,
in dem sie, die individuellen Formen, selbst von endlicher Dauer und
nur die Arten ewig sind. – Soweit in allergröbsten Zügen das Grund-
gerüst der Aristotelischen Metaphysik.
Die Negativität aber war bekanntlich schon für Parmenides die Quelle
der Pluralität und Prozessualität, also des Kosmos. Freilich blieb sie bei
Parmenides streng vom Sein getrennt und konnte nur im Modus des
Scheins bestehen. Hegel hingegen sieht Sein und Negativität im reinen
Sein innig amalgamiert. Die Inkonsistenz gehört insofern zum Wesen
des Satzes und zum Wesen der Welt, zum Denken und zum Sein. Aber
Denken und Sein sind vom Widerspruch nicht statisch geprägt, sondern
vielmehr getrieben; denn Hegel hält am Nichtwiderspruchsprinzip fest.
Angesichts der Faktizität des Widerspruchs besitzt es allerdings den
Status eines bloß regulativen Prinzips, einer Norm, die das inkonsistente
Denken und Sein des Anfangs in einen Prozess der Selbstkorrektur
zwingt, der die Evolution des logischen Raumes hin zur Wider-
spruchsfreiheit bildet, die in der Wissenschaft der Logik nachgezeichnet
und dadurch vollendet wird.
Auch hier übrigens trägt Zeller Kritik vor: Wenn Hegel den Wi-
derspruch als „die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit“ und die
Bewegung als den „daseiende(n) Widerspruch“ auffasse, so verwechsle
er „den Widerspruch mit dem Gegensatz“.4 Doch die Antinomie des
Lügners belehrt uns, dass die Negation-ihrer-selbst, dass somit der reine
Widerspruch zum Wesen des Denkens gehört und dass der Satz vom zu
vermeidenden Widerspruch nicht selbstverständlich, sondern eine he-
roische Absichtserklärung der Vernunft ist. Man kann Hegel allenfalls
vorwerfen, dass er die Macht der Vernunft, nicht dass er die Macht des
Widerspruchs überschätzt.
Den verschiedenen Entwicklungsstufen des logischen Raumes, um
zu dessen Evolution zurückzukehren, entsprechen verschiedene kate-
goriale Konzeptionen des Realen, die im Lauf der Philosophiege-
schichte in konkurrierenden metaphysischen Theorien ausgearbeitet
worden sind. Aber nicht wir Philosophen sind die Urheber einseitiger,
inkonsistenter Theoriebildung, sondern das Reale selber ergeht sich in
schlechter Metaphysik und spielt sie uns zu, wenn wir philosophieren.
In einer bestimmten Phase seiner logischen Evolution besteht das Reale
zum Beispiel aus Dingen mit Eigenschaften, näher fürs erste aus baren
Partikularien, an die sich allgemeine Eigenschaften heften, dann aber,
nach dem Scheitern der Partikularien, aus Bündeln von Universalien.
Konkurrierende metaphysische Theorien können also durchaus zu-
treffen und werden dann jeweils wahr gemacht durch eine kategoriale
Auftrittsform des Realen. Aber jede metaphysische Theorie ist in einem
tieferen Sinn unwahr, weil die Auftrittsform, die ihren Gegenstand und
Wahrmacher bildet, nicht haltbar ist, sondern sich alsbald zugunsten
eines logischen Nachfolgers auflöst, der eine konkurrierende Meta-
physik wahr macht, so lange, bis alle möglichen kategorialen oder
metaphysischen Formen aufgebraucht sind und die Evolution des lo-
gischen Raumes einen Haltepunkt erreicht hat, an dem die Spannung
zwischen Sein und Negativität nicht mehr inkonsistent, sondern voll-
kommen harmonisch sein soll. Der Haltepunkt – Hegel nennt ihn die
absolute Idee bzw. den absoluten Geist – soll indes keine weitere, nur
eben triumphale kategoriale Form bzw. metaphysische Theorie mehr
sein, sondern das dynamische Ensemble aller kategorialen Formen. Im
logischen Haltepunkt sind demnach alle Denk- und Seinsformen zu
flüssigen Momenten einer prozessualen Totalität herabgesetzt, die Hegel
mit dem organischen Prozess einer Pflanze vergleicht: Deren Formen –
Knospe, Blüte, Frucht usw. –
unterscheiden sich nicht nur, sondern verdrängen sich auch als unver-
träglich miteinander. Aber ihre flüssige Natur macht sie zugleich zu Mo-
menten der organischen Einheit, worin sie sich nicht nur nicht wider-
streiten, sondern eins so notwendig als das andere ist, und diese gleiche
Notwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus.5
Hegel will also den Schatz der kategorialen Formen des Realen nicht
um eine weitere vermehren, sondern das Spiel der konkurrierenden
metaphysischen Theorien als das Wesen des Satzes und der Welt (bzw.
des Denkens und des Seins) darstellen und anerkennen.
unter anderem auf Aristoteles zurück, der „die Natur als das zweck-
mäßige Tun“ bestimme.7 Die Form nämlich fungiert bei Aristoteles
zugleich als immanentes Telos, Zielursache, und die Zielursache mit-
unter, so im Fall des ersten Bewegers, als Wirkursache; denn, selbst
unbewegt, kann der Gott anderes nur bewegen hüs eroumenon, wie ein
Geliebtes, auf welches hin anderes sich in Bewegung setzt.
Im Hegelschen Kontext ist der Zweck kein äußeres Ziel, auf das hin
sich etwas Anderes bewegt, sondern das immanente Ziel der Evolution
des logischen und des physikalischen Raumes. Und Hegels Pointe ist es,
dass das erreichte und verwirklichte Ziel keine besondere letzte Ent-
wicklungsstufe ist, die über alle Vorgänger triumphiert und demgemäß
in einer metaphysica triumphans darzustellen wäre, sondern das Ziel ist
die Einsicht, dass alle Entwicklungsstufen unverzichtbar sind und alle
Metaphysiken ihr Wahrheitsmoment haben. Die ganze Entwicklung,
die zuvor an sich verlief, wird am Ende fðr sich und repräsentiert sich in
sich selbst.
Das aber spricht dafür, die Rede vom absoluten Geist deflationär zu
interpretieren. Er ist offenbar keine besondere, letzte, umfassende En-
tität. Er ist überhaupt keine Entität, kein Gegenstand irgendeiner re-
visionären Metaphysik. Er ist eine façon de parler, die zum Ausdruck
bringt, dass wir Menschen und unser Philosophieren kein Zufall sind,
sondern dass schon der Urknall nur stattfinden konnte und nur sein
konnte, was er war, weil eines Tages unsereins existieren und in He-
gelscher Manier philosophieren würde. Man kann diese Lehre auch so
formulieren: In jeder möglichen Welt gibt es endliche Subjekte, die
früher oder später zu philosophieren beginnen. Kühn ist diese These
zwar auch, aber nicht widerspruchsvoll, jedenfalls nicht in der von
Zeller gerügten Weise.
Diesem bliebe somit das Verdienst, durch die Diagnose eines Wi-
derspruchs in der Lehre vom absoluten Geist diese diskreditiert zu
haben, aber, anders als er glaubte, diskreditiert als Instrument der Hegel-
Interpretation. Zwar wird, dass Hegel diese Lehre vertreten habe, durch
viele seiner erläuternden und zusammenfassenden Redensarten nahe-
gelegt und ist die Standardinterpretation. Aber eine ontologisch ver-
pflichtende Rede vom absoluten Geist würde schlecht zur doktrinalen
und argumentativen Substanz von Hegels Lehre passen und ihn vor
allem, wie Zeller sah, in einen Widerspruch verwickeln. Der Gefahr
dieses Widerspruchs war Hegel sich aber wohlbewusst und auch dessen,
sie gebannt zu haben. Verabschieden wir uns also von der Vorstellung,
dass Hegel revisionäre Metaphysik betreibe und dass er insbesondere
eine Metaphysik des absoluten Geistes lehre. Damit ziehen wir die
angemessene Konsequenz aus Zellers Kritik.
Platon und Aristoteles haben mit ihren nah verwandten und zugleich
weit divergierenden Reaktionen auf Elea die Philosophie auf den Weg
oder vielmehr auf zwei Hauptwege gebracht, zwischen denen es stets
Querverbindungen und periodische Annäherungen gab, die aber erst
Hegel endgültig in der goldenen Mitte wieder zusammenführen wollte.
Insofern kommt in ihm weniger die kurze Entwicklung des deutschen
Idealismus als die lange Entwicklung der Metaphysik zum Abschluss.
Tatsächlich hat die metaphysische Theoriebildung seither kaum
grundsätzlich Neues erbracht, ausgenommen den Versuch Russells und
vor allem Wittgensteins, im Anschluss an Frege die apriorische Semantik
in den Rang der Ersten Philosophie zu erheben. Aber die gegenwärtige
analytische Metaphysik bewegt sich mit ihren begrifflich präzise ge-
fassten Universalien- und Wahrmachertheorien doch wieder in ver-
trauten metaphysischen Fahrwassern, und im Übrigen dominiert der
philosophische Naturalismus: die pragmatisch inkonsistente Metaphysik
der Metaphysiklosigkeit. Nichts Neues also unter der Sonne, möchte
man sagen, abgesehen von wissenschaftlich fragwürdigen (aber vielleicht
zukunftsträchtigen) Bestrebungen, hinter die Metaphysik zurückzuge-
hen und einen anderen Anfang des Denkens vorzubereiten.
Über die konstitutive Bifurkation der Metaphysik, über Aristoteles’
Verhältnis zu Platon, schreibt Zeller:
[Bei Aristoteles] wird zwar die allgemeine Grundlage des platonischen
Idealismus festgehalten, aber die nähere Bestimmtheit, welche er in der
Ideenlehre erhält, wird aufgegeben: die Idee, welche Plato als jenseitige
und ausserweltliche gefasst hatte, wird als gestaltende und bewegende Kraft
in die Erscheinungswelt eingeführt […]. Die aristotelische Lehre kann
insofern gleichsehr als die Vollendung und als die Widerlegung der pla-
tonischen bezeichnet werden: sie widerlegt dieselbe in der Fassung, welche
ihr Plato gegeben hatte, aber ihren Grundgedanken führt sie noch reiner
und vollständiger, als Plato selbst, durch, denn sie legt der Form […] auch
die schöpferische Kraft bei, alle Wirklichkeit ausser sich zu erzeugen, und
186 Anton Friedrich Koch
sie verfolgt diese ihre Wirksamkeit […] durch das ganze Gebiet der Er-
scheinung.8
Dazu zwei Schlussbemerkungen.
1) Hegel fasst die Idee – bei ihm ein Singularetantum – als inner-
weltliche und ist insofern Aristoteliker. Aber da er den Widerspruch als
reale Macht anerkennt, kann er zugleich mit dem Einzelnen auch, wie
Platon, das Gattungsallgemeine als substantiell und die Dialektik als die
Diskursform der Ersten Philosophie anerkennen. Über allem aber steht
bei ihm der transitorische Charakter jeder metaphysischen Theoriebil-
dung. Alles Kontraintuitive seiner Lehre dient, wie übrigens auch bei
Kant, Fichte und Schelling, zuletzt der Rechtfertigung des natürlichen,
vormetaphysischen Weltbildes, das aber (wie schon Kant lehrte) in sich
begrifflich instabil ist und unwiderstehlich zu revisionärer Metaphysik
einlädt, deren vollständiges Formenspiel Hegel erschöpfend darstellen
und ipso facto depotenzieren wollte. Insofern kann man nicht sagen,
dass Hegel den deutschen Idealismus auf ähnliche Weise abschließt wie
Aristoteles die Sokratisch-Platonische Philosophie. Hegel schließt die
Metaphysik ab, indem er Platon und Aristoteles zusammenführt; und
Kant, Fichte, Schelling stehen als nahe Alternativen zu seiner Seite.
2) Zeller charakterisiert die Aristotelische Philosophie in ihrem
Verhältnis zur Sokratisch-Platonischen als eine Vollendung, die zugleich
Widerlegung ist. Wie kann eine Vollendung zugleich widerlegen?
Zeller sagt: als kritische Vertiefung, und das trifft im gegebenen Fall
sicher zu. Aber es trifft auch zu, dass Aristoteles den Platonismus in dem
Sinne widerlegt und vollendet, dass er dessen Einseitigkeit eine ge-
genläufige Einseitigkeit zur Seite stellt. Platon fasste das Substantielle als
allgemein, Aristoteles vollendet das Spektrum der theoretischen Mög-
lichkeiten, indem er das Substantielle als individuell fasst. Ähnliches
könnte, wenn auch bei gewandeltem Theoriespektrum, für Hegel und
seine Vorgänger gelten. Ihnen konnte es nicht mehr darum zu tun sein,
der Metaphysik eine Grundalternative zu eröffnen; sondern sie arbei-
teten daran, die Metaphysik durch eine Selbstaufklärung und Selbst-
begrenzung abzuschließen, aus der zugleich eine Rechtfertigung des
natürlichen Weltbildes hervorginge, also jenes fragilen Begriffssystems,
das Peter Strawson in deskriptiver Metaphysik nur explizit machen
wollte, ohne es rechtfertigen zu können. Das Programm einer Recht-
fertigung des natürlichen Weltbildes aus einer sich selbst transparent
Bibliographie
Hegel (1970): Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „Phänomenologie des Geistes“,
in: Werke Bd. 3, Frankfurt/M.
Zeller (1875): Eduard Zeller, Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz,
München.
Zeller (1862): Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen
Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung. Aristoteles und die alten
Peripatetiker, Tübingen.