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MENSCHEN · EREIGNISSE · EPOCHEN

GESCHICHTE
12/2019

Bollwerk
gegen
die Barbarei

Wie Mönche
das Abendland vor
dem Untergang
retteten

Die
12

606107
4 190727

Benediktiner
Ardennenoffensive Welterbe Dubrovnik
Hitlers letzter Blitzkrieg Bühne für »Game of Thrones«
MENSCHEN
MEN · EREIGNISSE · EPOCHEN

GESCHICHTE 4 3%
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EDITORIAL

Das Stundengebet
der Jahrhunderte
Prim: Mittelalterliche Morgenröte. 476 war das
Weströmische Reich gefallen und barbarisches
Chaos schien nun zu herrschen. Hoffnung auf
Ordnung und Frieden kam mit den Benediktinern.
Ihre Klöster glichen Inseln einer besseren Welt.
Geleitet von der Regel des heiligen Benedikts wur-
de hier nicht nur gebetet und gearbeitet, sondern
auch Wissen der Antike weitergegeben und mit christlichen Werten wie Mitleid und Nächsten-
liebe neu beseelt: Die Mönche legten so das Fundament unseres christlichen Abendlandes.

Sext: Barocke Sonne im Zenit. Bereits in den Tagen der Ottonen waren Klöster ein Pfeiler der
kaiserlichen Macht. Im 17. und 18. Jahrhundert mauserten sich die Reichsabteien zu kleinen
Königreichen und statt eines schlichten Habits legten ihre Äbte die Gewänder von Fürsten an.
Macht und Reichtum kristallisierten sich in barocker Schönheit: Kempten, Weltenburg, Ettal.
In ihrer Pracht konkurrierten die Bibliotheken mit den Inszenierungen der Kirchen.
Aber die Fürstäbte investierten auch in Armenfürsorge, Hospize und Schulen.

Vesper: Abenddämmerung in der Moderne. Im Ideensturm der Französischen Revolution


brach das Heilige Römische Reich wie ein Kartenhaus zusammen. 1803 wurde der Kirchen-
und Klosterbesitz von den weltlichen Fürsten »einkassiert« oder vornehmer ausgedrückt:
säkularisiert. Das letzte Kapitel der weltlichen Geschichte der Benediktiner war beendet. Doch
ihre spirituelle Botschaft ist in unseren Tagen voller hektischem Egoismus wichtiger denn je:
Menschlichkeit, maßvolles und geregeltes Leben sowie innere Ruhe und Gelassenheit.

Ihr, Euer

Dr. Klaus Hillingmeier, Chefredakteur


BILDNACHWEIS: BRIDGEMAN, DANIEL GERST; TITEL: BRIDGEMAN

Traurige Fragmente
Überreste der Wandmalereien von Monte
Cassino nach der Schlacht von 1944 Seite 60

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G GESCHICHTE 12 | 2019 3
INHALT
G/GESCHICHTE · Dezember 12/2019

AKTUELLES

6 Ardennenoffensive
Ende 1944 befiehlt Hitler einen
letzten Großangriff. In Belgien
kommt es zur Entscheidung
12 Forum & Chronik
Pinochets mörderischer Putsch
und das Ende seiner Herrschaft

TITEL

14 Benediktiner
PROLOG
16 Benedikt von Nursia
Ein Mönch steigt aus, um das
spirituelle Leben neu zu erfinden
19 Gregor der Große
Papst und Benedikt-Biograf
20 Antike Vorbilder

14
Wüstenväter, buddhistische
Ideen und griechische Denker

1. KAPITEL
ORA & LABORA
22 Die Ordensregel

Europas
Im Kloster Monte Cassino ist der
Alltag bis ins Detail vorgegeben
28 In der Schreibstube
Wie die Mönche das Wissen der

erster Orden
Antike ins Mittelalter übertragen
30 Zeittafel
32 Die Pflege der Kranken
Benediktiner gründen Hospitäler
und wenden blutige Therapien an Die Benediktiner
34 Bier aus Andechs
Wenn Mönche ein Welt- Der Mönch Benedikt von Nursia formuliert um
unternehmen leiten: Interview
mit Abt Johannes Eckert 540 n. Chr. eine revolutionäre Klosterregel
und begründet damit das christliche Abendland
2. KAPITEL
VISIONEN
38 Das Reich von Cluny
Die größte Kirche ihrer Zeit

4 G GESCHICHTE 12 | 2019
42 Hildegard von Bingen
Die Nonne fasziniert bis heute.
Warum eigentlich?
46 Mehr Askese!
Radikale Brüder spalten sich ab
und gründen die Zisterzienser
6 3. KAPITEL
BLICKPUNKT MACHT
48 Die Klosterstaaten
Hitlers letzte Offensive Als Klöster zu Reichsabteien
und Äbte zu Politikern werden
52 Eine glänzende Epoche
Barock-Klöster sind Zentren für
Bildung, Handel und Wirtschaft
57 Rätsel & Preise
58 Sturm auf Kirchenschätze
Die Säkularisation und ihre
verheerenden Folgen
BILDNACHWEIS: BPK/BAYERISCHE STAATSGEMÄLDESAMMLUNGEN, ESSITY GMBH/TEMPO, INTERFOTO/MARY EVANS/ROBERT HUNT LIBRARY, ISTOCK/GRAFISSIMO, GETTY/LIGHTROCKET

60 Abtei im Höllenfeuer
Die Zerstörung Monte Cassinos
und der lange Wiederaufbau
62 Einst Soldat, heute Mönch
Der Weg vom Afghanistan-
Einsatz bis ins Kloster Beuron

PANORAMA

70
GESCHICHTE IM ALLTAG
66 Serie: Der Khyber-Pass
Schöner schnupfen Opium und Kalaschnikows:
Der Wilde Westen von Pakistan
70 Geschichte im Alltag: Tempo
Ein Taschentuch zum Wegwerfen
SERIE
72 Florence Baker
Khyber-Pass Von der Sklavin zur Forscherin

66
76 Reihe: Welterbe
Dubrovnik – Bühne für
»Game of Thrones«
Benedikts Regelwerk 78 Ausstellungen
prägt das Ordens-
und Kirchenleben in 80 Bücher & Medien
der westlichen Welt
82 Impressum, Leserbriefe
& Vorschau

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G GESCHICHTE 12 | 2019 5
ANGRIFF
Bei dichten Wolken und trüber Wetterlage
stürmen deutsche Soldaten
die Linien der alliierten Truppen

Hitlers letzte
Offensive
6 G GESCHICHTE 12 | 2019
BLICKPUNKT ARDENNEN

DIE SCHLACHT IN
BILDNACHWEIS: U.S. NATIONAL ARCHIVES AND RECORDS ADMINISTRATION

DEN ARDENNEN
Im Dezember 1944 mobilisiert das NS-Regime seine verbleibenden
Reserven und setzt alles auf eine Karte ­– mit zunächst ver­blüffendem
Erfolg. Dann beginnt ein Albtraum in Eis und Schnee

G GESCHICHTE 12 | 2019 7
BLICKPUNKT ARDENNEN

A
[ VON CHRISTOPH DRIESSEN ]

m 21. Oktober 1944


nehmen US-Trup-
pen erstmals eine
deutsche Stadt ein,
Aachen. Jetzt kann
es nicht mehr lan-
ge dauern, bis der
Krieg zu Ende ist,
hoffen viele. Doch
am selben Tag führt
Hitler im fernen Ostpreußen den SS-Mann Ot-
to Skorzeny durch die schummrig beleuchte-
te Wolfsschanze. Skorzeny ist bekannt für seine
Beteiligung an der Befreiung Mussolinis nach
dessen Absetzung 1943.
»Ich habe Ihnen heute den vielleicht wich- Im Schnee lauern US-Infanteristen nahe
tigsten Auftrag Ihres Lebens zu erteilen«, eröff- Amonines in Belgien auf deutsche Soldaten
net Hitler ihm. »Bisher wissen nur einige weni-
Die schnellen Erfolge ge Leute um die Vorbereitungen zu einem ge-
lassen Hitler jubeln.
noch Großes mit ihm vorhaben? Hitler fährt
heimen Plan, in dem Sie eine große Rolle über-
Aber schon bald gerät
der Angriff ins Stocken
nehmen sollen.« Skorzeny, ein 1,96 Meter gro-fort: »Deutschland startet im Dezember eine
und die Alliierten ßer Hüne mit einer tiefen Narbe vom Ohr bis große, für das weitere Schicksal des Landes ent-
greifen von Westen zum linken Mundwinkel, wird hellhörig: Was scheidende Offensive.« Ein neuer Blitzkrieg soll
und Süden her an kann derNiederlande
Führer in dieser prekären Situation
im letzten Moment doch noch die Kriegswende
bringen.
Aus der Eifel kommend soll die Wehrmacht
Düsseldorf
die alliierten Linien durchbrechen und das
Anfang September befreite Belgien zurücker-
Deutsches obern. Schon 1940 ist die Wehrmacht in einem
DIE OFFENSIVE
Rh
M

Reich
os

ein

»Sichelschnitt« von den Ardennen bis nach


el

Dünkirchen an der Kanalküste vorgestoßen –


Rur

Vom 16. bis 25. Dezember 1944 stürmen die Köln jetzt soll sie diesen Erfolg wiederholen. Dies-
Deutschen, dann schlagen die Alliierten zurück mal ist das Ziel, binnen einer Woche Antwer-
Aachen Düren pen einzunehmen, den einzigen großen Tief-
Aachen wasserhafen, über den die Alliierten Nachschub
Bonn
Schmidt heranführen können. Von Antwerpen aus will
Eupen Eupen Hitler dann V2-Raketen auf London abfeuern.
Huy
Huy Monschau
Monschau All das wird die Alliierten nach seinen Vorstel-
Maas Spa
Spa WEHRMACHT
s lungen dermaßen demoralisieren, dass sie Frie-
Maa Malmedy
Malmedy
densverhandlungen aufnehmen. Der »Endsieg«
Losheim im Osten wäre dann wieder möglich. Das zu-
St. Vith
Hotton St. Vith mindest glaubt Hitler – oder will es glauben.
Marche
Marche
Front
Prüm
Prüm Hitler fordert schlechtes Wetter, aber für
Front
25. Dezember Houffalize 16. Dezember Wochen sind kaum Wolken am Himmel
Houffalize
Da der Diktator jedes Vertrauen in die deut-
Bastogne Bastogne Bitburg
Bitburg sche Militärführung verloren hat, plant er sei-
Weiler ne Offensive allein mit wenigen Beratern. Das
Weiler
Oberkommando des Heeres wird ins Vertrauen
Front gezogen. Einwände seiner Vertrauten, der Ge-
Neufchâteau
Neufchâteau 20. Dezember Trier
Trier neräle Gerd von Rundstedt und Walter Model,
wischt er vom Tisch. Er verdrängt schlicht, dass
die erfolgreiche Offensive von 1940 nur durch
ALLIIERTE Deutsches
Luxembourg
Luxemburg das Zusammenspiel von Panzern und Luftwaf-
Reich
Ma

Saarbrücken
as
i PORTRÄT

Gegen­
sätzliche
Gegner

Wo angreifen? Deutsche Soldaten besprechen, wie sie eine


Anhöhe mit US-Stellungen in den Luxemburger Ardennen einnehmen sollen Joachim Peiper
Der heute als über-
schätzt geltende
fe gelingen konnte. Mittlerweile beherrschen hauptquartier Adlerhorst« im hessischen Zie- Kommandeur der 1.
die Flugzeuge der Amerikaner und Briten den genberg in der Nähe von Bad Nauheim. Mehr- SS Panzerdivision soll
Himmel. Ein weiteres Problem ist der Treib- fach wird der Beginn der Offensive verscho- zur Maas durchstoßen.
Bei Malmedy verüben
stoffmangel: Die deutschen Panzerverbände ha- ben, weil das Wetter ungeeignet ist. »Allein aus-
seine Männer ein Mas-
BILDNACHWEIS: WIKIMEDIA/BUNDESARCHIV (2), WIKIMEDIA/U.S. FEDERAL GOVERNMENT (2), KARTE: AGENTUR2

ben gerade einmal Vorrat für 60 Kilometer. Das schlaggebend ist das Wetter«, spöttelt General- saker an US-Soldaten.
reicht bei Weitem nicht bis Antwerpen. Hitler oberst Alfred Jodl im kleinen Kreis. »Es wird
setzt deshalb darauf, dass sie unterwegs Treib- daher vom Führer bestimmt.« Hitler benötigt
stofflager der Amerikaner erobern.
Im dichten Nebel beginnt der Angriff,
Als Hitler Goebbels Anfang Dezember in
Berlin in die Details seines großen Plans ein- an dem viele Kindersoldaten teilnehmen
weiht, erscheint er dem Propagandaminister eine dichte Wolkendecke, weil die Alliierten
wie neu geboren. Der Gedanke daran, selbst dann nicht fliegen können. Kurz vor Weihnach-
wieder die Initiative ergreifen zu können, mo- ten ist es schließlich so weit: Es schneit wie ver-
bilisiert die letzten Kräfte des gesundheitlich rückt, in der Eifel und den Ardennen sinken die
schwer angeschlagenen und vorzeitig gealterten Temperaturen zeitweise auf minus 20 Grad. Am
Massenmörders. So sehr sich Goebbels darüber frühen Morgen des 16. Dezember schlägt Hitler Omar Bradley
freut, so ist er sich doch auch darüber im Kla- los. Auf etwa 150 Kilometern von Monschau in Der uneitle US-
ren, »dass der Führer mit Divisionen operiert, der Eifel bis Echternach in Luxemburg greifen General befehligt den
die praktisch nicht mehr oder nur noch zum die deutschen Streitkräfte bei dichtem Nebel an Angriff auf die Nor-
Teil vorhanden sind«. – teilweise getarnt mit weißen Schneehemden. mandie und wehrt die
Ardennenoffensive ab.
Um die Operation »Wacht am Rhein« selbst Die Amerikaner sind völlig überrascht und
Später wird er zum
überwachen zu können, bezieht Hitler am überrumpelt. Sie haben mit allem gerechnet – Generalstabschef der
Abend des 10. Dezember 1944 das »Führer- aber nicht damit, dass die Deutschen, die den US-Armee ernannt.
Krieg doch sowieso verloren haben, noch ein-
mal einen Gegenangriff starten könnten. »Die
»Diese Offensive Lage der Deutschen ist so, dass sie Großoffen-
siven nicht mehr einleiten können«, hat der bri-
entsprang nicht general­ tische Oberkommandierende Bernard Mont-
stabsmäßigem Kalkül, gomery noch einen Tag zuvor behauptet. Den
200 000 Angreifern haben die Alliierten in dem
sondern war ein Frontabschnitt nur etwa 80 000 Soldaten entge-
irrationaler Verzweif­ genzusetzen. Und ihre 400 Panzer sind den 600
deutschen unterlegen. Die Feuerkraft der ame-
lungsakt Hitlers« rikanischen Sherman-Panzer reicht nicht aus,
Der Militärhistoriker Karl-Heinz Frieser um die Stahlpanzerung der neuartigen deut-

G GESCHICHTE 12 | 2019 9
BLICKPUNKT ARDENNEN

schen Tiger und Panther zu durchschlagen.


In der ersten Panik lassen die Amerikaner alles
stehen und liegen und fliehen. Bald markieren
Hunderte zurückgelassener und ausgebrannter
Fahrzeuge ihre Rückzugswege. »Wo zum Teu-
fel nimmt dieser Hundesohn nur die Soldaten
her?«, fragt sich der US-General Omar Brad-
ley mit Blick auf Hitler. Was er nicht weiß: Viele
von ihnen sind Kindersoldaten. Sie sind völlig
unerfahren und kommen zudem auf den ver-
schneiten Waldwegen nur langsam voran. Man-
che Fahrzeuge frieren am Boden fest, es kommt
zu regelrechten Panzerstaus.
Große Verwirrung bei den Alliierten: Ist
das alles nur ein Ablenkungsmanöver?
Dennoch kann Goebbels in der Nacht zum
17. Dezember festhalten: »Der erste Erfolg un-
seres Offensivstoßes ist überraschend.« Erst-
HINTER DEN LINIEN
mals seit Langem nehmen die Deutschen wie- US-Militärpolizisten bereiten die Exekution des deutschen
der in großer Zahl gegnerische Soldaten gefan- Soldaten Günter Billing vor, der US-Uniform trug
gen. Bei Malmedy werden am 17. Dezember
mindestens 82 US-Soldaten, die sich ergeben
hatten, von einer Kampfgruppe unter dem Be-
fehl des SS-Standartenführers Joachim Peiper
ermordet. Weitere deutsche Kriegsverbrechen US-Uniformen schicken amerikanische Einhei-
folgten, bevor am 1. Januar in der Nähe des bel- ten in die falsche Richtung und zerschneiden i CHRONIK
gischen Dorfs Chenogne auch mehrere Dut- Telefonkabel. Als sich das herumspricht, miss-
zend deutsche Soldaten von Amerikanern er- trauen sich die GIs in der Schneehölle der Ar- Attacke und
schossen werden. Belgische Zivilisten werden dennen gegenseitig. Es werden Kontrollfragen Gegenangriff
ebenso Opfer von Kriegsverbrechen. Für sie ist eingeführt: »Wie heißt die Freundin von Mi- 12. Oktober 1944
der schon zu Ende geglaubte Krieg über Nacht ckey Mouse?« Oder: »Wer ist der neue Mann Generalfeldmarschall
zurückgekehrt. Und die gefürchteten deutschen der Filmschauspielerin Betty Grable?« Gerd von Rundstedt
Soldaten sind plötzlich wieder da. Das kann allerdings auch nicht jeder Ame- soll Offensive planen.
Die Verwirrung bei Amerikanern und Briten rikaner aus dem Stegreif beantworten, selbst
10. November
ist groß. Anfangs tippen sie auf ein Ablenkungs- an der Frage nach der Hauptstadt des US-Staa- Hitler befiehlt Auf-
manöver der Deutschen. Dass Hitler tatsächlich tes Illinois – nicht Chicago, sondern Spring- marsch. Angriff wird
eine große Offensive begonnen hat, um Ant- field – scheitern manche. Fast 2500 amerikani- zweimal verschoben.
werpen zu erobern, können sie schlicht nicht sche Soldaten werden deshalb irrtümlicherwei-
16. Dezember
glauben. Dazu kommen Sabotageaktionen un- se als Deutsche verdächtigt und zumindest vor- Drei deutsche Arme-
ter Führung des SS-Manns Otto Skorzeny: Flie- übergehend festgenommen, darunter sogar ein en greifen in Belgien
ßend Englisch sprechende deutsche Soldaten in General. Der Pariser Korrespondent des briti- und Luxemburg an.
schen »Daily Telegraph« bringt die Nachricht
21. Dezember
in Umlauf, Englisch sprechende deutsche Frau-
Größte US-Niederlage
en seien hinter den amerikanischen Linien ab-
»Dem Feind war gesprungen, um GIs zunächst zu verführen und
in diesem Krieg.

27. Dezember
dann zu erstechen.
es einwandfrei Am 21. Dezember müssen sich bei St. Vith Wehrmacht muss sich
wieder zurückziehen.
gelungen, uns zu 7500 Amerikaner ergeben: Es ist die größte Nie-
derlage von US-Streitkräften im Zweiten Welt- 16. Januar 1945

überraschen« krieg. Hitler ist bester Laune. Am 23. Dezem- Alle Geländegewinne
ber stehen die vordersten deutschen Verbände sind verloren.
Der alliierte Oberbefehlshaber vor Dinant tief in der wallonischen Provinz Na-
Dwight D. Eisenhower mur. Wie eine Riesenbeule ragt ihr Frontbogen

10 G GESCHICHTE 12 | 2019
in das alliierte Gebiet hinein – was der Schlacht
ihren etwas merkwürdigen englischen Namen
geben wird: The Battle of the Bulge (die Schlacht
der Ausbuchtung). Das ist durchaus ein Über-
raschungserfolg. Allerdings: Antwerpen ist von
hier aus immer noch 140 Kilometer entfernt.
Und mittlerweile haben sich die Amerikaner
von ihrem Schock erholt und verlegen massiv
zusätzliche Truppen ins Kampfgebiet. Manche
tragen Schnee-Tarnanzüge, andere hüllen sich
in Bettlaken. In weißen Tarnanzügen nähern sich US-Soldaten
der Gemeinde Herresbach im Osten Belgiens
Bald fehlt es an »Otto« und »Hermann«,
also an Benzin und Munition
Bald lösen sich Bewölkung und Nebel auf, Mehr als 80 US-Soldaten, die sich den Deutschen
ergeben hatten, liegen nahe Malmedy tot im Schnee
sodass die Alliierten ihre Luftüberlegenheit aus-
spielen können. Als die Deutschen die Ameri-
kaner zur Aufgabe der südbelgischen Stadt Bas-
togne auffordern, gibt General Anthony McAu-
liffe eine Antwort, die berühmt werden wird:
»Nuts!« (»Quatsch!«)
An Heiligabend zeichnet sich schon ab, dass
Hitlers letztes großes Vabanquespiel gescheitert
ist: Der Überraschungseffekt verpufft, der Vor-
marsch stockt. »Wir haben kein Otto und kein
Hermann mehr«, funken SS-Einheiten. »Ot-
to« steht für Benzin, »Hermann« für Munition.
Mitte Januar 1945 haben die Deutschen sämtli-
che Geländegewinne wieder eingebüßt. Wie ge-
BILDNACHWEIS: INTERFOTO/MARY EVANS (2), WIKIMEDIA/U.S. FEDERAL GOVERNMENT, WIKIMEDIA/U.S. NOAA

strandete Schlachtschiffe bleiben ihre schweren


Panzer in den Schneewäldern der Ardennen
zurück.
Die Verluste sind enorm. Mehr als 3000 bel-
gische Zivilisten haben durch Artilleriefeuer,
Luftangriffe und Häuserkämpfe ihr Leben ver-
loren. Für die Amerikaner ist die Abwehr der
Ardennenoffensive die blutigste Schlacht des Zerborsten bleibt der deutsche Panzer
in der »Schlacht der Ausbuchtung«
ganzen Krieges: 75 000 bis 90 000 Mann wer-
nahe der Stadt Bastogne liegen
den getötet, verwundet oder gefangen genom-
men. Auf deutscher Seite betragen die Verluste
nach Schätzungen zwischen 63 000 bis weit über
100 000 Mann. Dem Vormarsch der Roten Ar-
mee im Osten hat Deutschland jetzt kaum noch
etwas entgegenzusetzen. Hitlers Kommentar
dazu: »Wir haben ausgesprochenes Pech ge-
habt.« Am 15. Januar 1945 kehrt er nach Berlin
zurück. Er wird es nie mehr verlassen.

LESETIPP
Antony Beevor: »Die Ardennenoffensive 1944.
Hitlers letzte Schlacht im Westen«.
Pantheon 2018, € 17,–

G GESCHICHTE 12 | 2019 11
Die Katakomben des
Fußballstadions von
Santiago: Fotos für die
Gefangenen-Kartei

Militär bewacht die rund


7000 Gefangenen im
Fußballstadion »Estadio
Nacional de Chile«

D
ZEITZEICHEN: 14. 12. 1989 ie Schreckensherrschaft
von Augusto Pinochet

General beginnt am 11. Septem-


ber 1973. Erst kurz zu-

ohne
vor von Chiles Präsident
Salvador Allende zum Oberbefehls-

BILDNACHWEIS: AKG/UNIVERSAL IMAGES GROUP/TASS, BERGER ET AL. 2019/DANIEL BERGER,


haber des Heeres ernannt, gibt er
Ließ über 28 000 Menschen foltern:

Gewissen
Kampfjets den Befehl, den Präsiden- General Augusto Pinochet

EHUD GALILI, ISTOCKPHOTO.COM/DEDY SETYAWAN, LAIF/HOLLANDSEHOOGTE,


tenpalast zu bombardieren. Allende
nimmt sich während des Putsches

DPA/SÜDDEUTSCHE ZEITUNG PHOTO; TEXTE: MICHAEL FELDHOFF


das Leben. tungen, Folter und »Verschwinden«
Freie Wahlen beenden das werden zur Normalität.
16-jährige Terrorregime Tausende verschwinden spurlos Im Oktober 1988 lässt Pinochet auf
von General Augusto Es folgen Massenverhaftungen von inneren und äußeren Druck ein Re-
Sympathisanten der gestürzten Re- ferendum zu, in dem sich 56 Prozent
Pinochet in Chile gierung, der Linksparteien und Ge- für die Begrenzung seiner Herrschaft
werkschaften. Tausende Menschen aussprechen. Die Wahlen am
werden im Fußballstadion von Santi- 14. 12. 1989 gewinnt der Christdemo-
ago zusammengetrieben und gefol- krat Patricio Aylwin. Pinochet wird
tert. Mehrere Hunderttausend Chile- als Präsident abgelöst. Für seine Ver-
nen gehen bis 1976 ins Exil. Hinrich- brechen wird er nie verurteilt.

CHRONIK IM DEZEMBER

20. 12. 69 n. Chr. umstrittener Herrscher Nachfolger Johannes


»Wer einer auf dem Kongress von
Im Vierkaiserjahr wird über das Imperium. Tzimiskes im Schlaf- Angostura die Schaf-
in Rom Aulus Vitellius zimmer ermordet. Das Revolution fung Großkolumbiens.
aus dem Kaiseramt 11. 12. 969 Komplott schmiedete dient, Diese Republik zerfällt
gejagt, dem Volke vor- In Konstantinopel wird Kaiserin Theophanu. kurz nach Bolívars
geführt, getötet und der byzantinische
gräbt das Tod 1830 in Venezuela,
in den Tiber geworfen. Kaiser Nikephoros II. 17. 12. 1819 Meer um« Ecuador und das
Damit ist Vespasian un- von seinem Neffen und Simón Bolívar erklärt Simón Bolívar heutige Kolumbien.

12 G GESCHICHTE 12 | 2019
FORUM & CHRONIK
mel Saturn – Gewölk
7. Him
mel Jupiter – Stätte
Aristoteles unterteilte den Himmel 6. Him
in sieben Gewölbe, in die mel Mars – Burg
5. Him
Himmelskörper eingebettet sind
l Sonne – Wohn
im m e ung
4. H
m e l Venus – Dunstw
im olke
3. H
i m mel Merkur – Ves
2. H te
m el Mond – Der Vorh
FORSCHUNG im an
1. H g

Frühe Briten verkauften


Zinn in den Orient
Welch komplexe Handelssysteme es schon zur Bronzezeit FRAGE DES MONATS
gab, bekräftigen neue Untersuchungen von alten Zinnbarren
Warum
S
chon in der Bronzezeit (ca. europäischen Lagerstätten stammten –
2200 – 800 v. Chr.) gab es ei- und nicht, wie bislang vermutet, aus heißt es
nen regen Handel von begehr- Zentralasien. Im Fall der israelischen
ten Rohstoffen wie Zinn, Fundobjekte etwa entdeckten die For- Wolke sieben?
Bernstein, Glas und Kupfer zwischen scher hohe Übereinstimmungen mit
Europa und dem Nahen Osten. Dass Zinn aus Großbritannien. Dieses wur- Wer auf Wolke sieben
dabei Metall aus dem heutigen Eng- de in großen Mengen verschifft und schwebt ist meistens
land bis ins jetzige Israel exportiert ergab mit Kupfer vermischt Bronze. schwer verliebt. Aber was
wurde, haben Forscher der Universität hat es mit den anderen
Heidelberg und des Curt-Engelhorn- ZUM THEMA Wolken darunter auf sich?
Zentrums Archäometrie in Mannheim Mehr über das damalige Die alten Griechen haben
nun belegt. Europa und ein 4000 Jahre den Himmel in sieben
Die Wissenschaftler analysierten in altes Königreich im heuti- Sphären eingeteilt. Der
Israel, der Türkei und Griechenland gen Deutschland erfahren Idee nach wölben sich die
Zinnbarren aus dem 2. Jahrtausend Sie in G/GESCHICHTE verschiedenen Ebenen —
1/2019 »Die Bronzezeit«.
v. Chr. und wiesen nach, dass diese aus oder eben Wolken —
in Schichten um die Erde.
Funde 2500 — 1000 v. Chr. Der siebte Himmel gilt dabei
analysierte Zinnbarren als derjenige, der dem
andere Zinnobjekte Göttlichen am nächsten ist.
Zinnvorkommen Hinter dem letzten sicht­
baren Planeten, Saturn,
endet demnach die materi-
elle Welt und es kommt
nur noch die unsichtbare
geistige Welt der Fantasie,
der Träume und Ideen.

»Made in England« Untersuchte Zinnbarren aus Haifa, Israel, mit Gravur (l.)

8. 12. 1849 17. 12. 1939 bis Kriegsende in Warschauer Pakt die Hauptstadt Kabul.
In der Enzyklika Das deutsche Panzer- Argentinien interniert. Abrüstungsverhand- Sie richten den Präsi-
»Nostis et nobiscum« schiff Admiral Graf lungen anzubieten. denten Amin hin.
wendet sich Papst Spee versenkt sich vor 12. 12. 1979
Pius IX. gegen Uruguay selbst. Der Der NATO-Doppel- 27. 12. 1979 31. 12. 1999
die Theorien des Kapitän Langsdorff beschluss: neue Atom- Sowjetische Truppen In Russland tritt Boris
Sozialismus und begeht Selbstmord, raketen in Westeuropa marschieren in Afgha- Jelzin zurück. Neuer
des Kommunismus. die Mannschaft wird aufzustellen und dem nistan ein und erobern Präsident wird Putin.

G GESCHICHTE 12 | 2019 13
TITEL

Die Bene
BILDNACHWEIS: BPK/GERMANISCHES NATIONALMUSEUM/JÜRGEN MUSOLF

Barockes Organigramm
Der Orden ist weitverzweigt, wie dieses Deckengemälde aus dem 18. Jahrhundert zeigt

14 G GESCHICHTE 12 | 2019
Europas erste Mönche
Kontemplation, Bildung, körperliche Arbeit –
die Grundsteine für die Zivilisation

diktiner
des Abendlandes liegen in den Klöstern

G GESCHICHTE 12 | 2019 15
PROLOG

Benedikt von
Nursia

Vater
des
Abend-
landes
Er wendet sich ab von
der Welt, um ganz in
der Nachfolge Christi
zu leben. Damit ver­
ändert er die Welt,
wie es nur wenige taten.
Die Orden, die nach
seiner Regel leben,
prägen das spirituelle
Gesicht Europas
[ VON FRANZ METZGER ]

Die Regel meist dabei


Benedikt wird oft mit
einem Buch in der Hand
dargestellt. Es verweist
auf das von ihm
geschaffene Regelwerk

16 G GESCHICHTE 12 | 2019
M
ehrfach von Ger-
manen geplündert
und vom kaiserli-
chen Hofstaat ver-
lassen, war Rom
um das Jahr 500
nur noch ein Schat-
ten seiner früheren Größe. Eine quirli-
ge Metropole war es aber allemal – vor
allem für Studenten aus der Provinz.
Die wussten ihr Studium des römi-
schen Rechts mit ausgelassenem Leben
zu verbinden und genossen die Freiheit
der Jugend in vollen Zügen.
Nicht so sehr der Kommilitone Be-
nedikt aus dem umbrischen Landstädt-
chen Nursia (heute Norcia bei Spoleto).
Seine Eltern, wohlhabende Landbesit-
zer, hatten für ihn eine Juristenkarri-
ere im Staatsdienst vorgesehen, viel-
leicht auch in der Hoffnung, ihn damit
von seinen Glaubenszweifeln und -fra- Der Heilige als Wundertäter
gen abzulenken, die er mit seiner Zwil- Papst Gregor I. erzählt: Beim Bau der Wohnräume in Monte Cassino lässt
lingsschwester Scholastika diskutierte. sich ein Stein nicht von der Stelle bewegen. Erst Benedikt vertreibt mit Gebet
Die Ablenkungen einer im Nie- und Segen den Teufel, der sich darauf niedergelassen hatte
dergang begriffenen Weltstadt, ja ei-
ner ganzen Zivilisation erreichten aber
das Gegenteil. Angewidert wandte sich und Kontemplation in weitgehender Der Eremit weigerte sich zunächst und
Benedikt davon ab und der Kernfra- Isolation führen. gab dann nach. In Vicovaro fand er ei-
ge des Christenglaubens zu: Wie kann Im wilden Apennin-Bergtal von Su- ne tief zerstrittene und undisziplinier-
ich in der Nachfolge Jesu leben, so wie biaco fand er eine abgelegene Höhle, te Gemeinschaft vor; entsprechend hef-
es Christus im Johannes-Evangelium in der er drei Jahre lang als Einsiedler tig war der Widerstand, als der neue
vorgegeben hat? Dort steht schließlich: hauste. Die Sehnsucht nach anderen Abt eine strenge Ordnung einzuführen
»Wer mir nachfolgt, wird nicht in Fins- Menschen und den Freuden der Welt suchte. Der Konflikt gipfelte in einem
ternis wandeln, sondern das Licht des quälte ihn dabei immer wieder. Einmal Giftanschlag auf den ungeliebten Vor-
Lebens haben.« kam er an einem Gestrüpp von Brenn- steher, dem dieser nach der Legende
Ein flottes Leben im dekadenten nesseln und Dornen vorbei. Da riss er nur durch ein Wunder entkam.
Rom konnte dieser Weg nicht sein. Auf sich den zerschlissenen Überwurf vom Benedikt kehrte nach Subiaco zu-
der Suche nach Alternativen stieß Be- Leib und wälzte sich in den Dornen rück, um sich dem zu widmen, was er
nedikt auf eine christliche Kommune und Nesseln, bis ihm jede Lust auf die als seine drängende Aufgabe erkannt
im Umland, deren Mitglieder – Män- Verlockungen der Außenwelt vergan- hatte: dem populären, aber wild wu-
ner, Frauen und Kinder – gemeinsam gen war. chernden Mönchsleben eine klare
ein gottgefälliges Leben zu praktizie- Struktur und Ordnung zu geben. Mit
Neugierige und Ratsuchende
ren suchten. Aber im Matthäus-Evan- seinen Reformvorschlägen trat er an
BILDNACHWEIS: AKG/RABATTI & DOMINGIE, INTERFOTO/ALINARI

gelium fordert Jesus noch mehr: »Jeder, kommen zum Einsiedler verschiedene Klöster im näheren Um-
der um meines Namens willen Häu- Die Einsamkeit wurde allerdings feld heran; um 520 soll er für zwan-
ser oder Brüder oder Schwestern oder immer wieder gestört, wenn Neugie- zig Klöster als geistlich-organisatori-
Vater oder Mutter oder Kinder oder rige, aber auch Ratsuchende zum As- scher Berater gewirkt haben. Mit dem
Äcker verlassen hat, wird dafür das keten im Gebirge pilgerten, um den Ergebnis war er jedoch nicht zufrie-
Hundertfache erhalten und das ewi- die ersten Legenden entstanden. Eines den; zu festgefahren und unterschied-
ge Leben erben.« Benedikt zog daraus Tages tauchten einige Mönche des na- lich waren die bestehenden Strukturen.
denselben Schluss wie schon viele an- hen Klosters Vicovaro vor der Höhle Benedikt erkannte, dass er ein eigenes
dere Gläubige vor ihm (siehe Beitrag ab auf und baten Benedikt, die Rolle ihres Modellkloster gründen musste, das
S. 20): Er würde ein Leben mit Gebet eben verstorbenen Abtes anzunehmen. von Anfang an seinen Vorstellungen

G GESCHICHTE 12 | 2019 17
PROLOG

»Der Abt hasse die Fehler, liebe aber die Brüder«


Aus der Ordensregel Benedikts

folgte. Als Ort wählte er das Hoch- g­ eschulten Denken des Ex-Studenten unterhalten, sondern weil die Arbeit
plateau des Monte Cassino unweit der und gilt mit Recht als eines der großen eine andere, gleichwertige Form der
Straße von Rom nach Neapel. Damit Dokumente der Weltgeschichte (siehe Gottsuche und des Gottesdienstes ist.
war bei aller Abgeschiedenheit eine Beitrag ab S. 22). Benedikt fügte den Mit dieser Aufwertung der Arbeit­
Verbindung zur Welt hergestellt. Das asketischen Idealen der Besitzlosigkeit stellte Benedikt das Wertesystem der
Plateau bot zudem ausreichend Raum (Armut) und Ehelosigkeit (Keuschheit) Antike auf den Kopf: Ob bei Griechen
für Kloster und Wirtschaftsflächen. den absoluten Gehorsam des Mönches oder Römern oder auch bei Kelten
Dass der Neubau an der Stelle eines gegen seinen »Vater«, den Abt, hinzu, und Germanen – (körperliche) Arbeit
verlassenen Apollotempels entstand, ferner die dauernde Gebundenheit an war ein notwendiges Übel, das man
hatte durchaus symbolische Bedeutung. sein Kloster (stabilitas loci) – Kloster nach Möglichkeit Sklaven und ande-
Die Grundsteinlegung des Klos- bedeutet ja »abgeschlossener Raum«. ren Pechvögeln überließ. Dank des
ters dürfte 529 erfolgt sein, im selben Einflusses und Vorbildes der Mönche
Ein Lob der körperlichen
Jahr, als Kaiser Justinian die Akademie und späteren Ordensgemeinschaften
in Athen, den zentralen Hort antiken Arbeit — in der Antike undenkbar entwickelte sich im Abendland ein Ar-
Denkens, schloss – ein neues Zeitalter Noch wichtiger wurde aber ein Prin- beitsethos, das zur großen Triebkraft
hatte begonnen. Benedikts Ruf war in- zip, das die ganze Regel durchzieht Euro­pas wurde und wesentlich zu des-
zwischen so groß, dass sich rasch eine und im Schlagwort »Bete und arbei- sen späterer wirtschaftlicher und poli-
zahlenstarke Mönchsgemeinschaft zu- te!« (»Ora et labora«) zusammengefasst tischer Dynamik beitrug. Dass Papst
sammenfand, welche die Klosterge- wird, auch wenn es in dieser prägnan- Paul VI. Benedikt im Jahr 1964 zum
bäude errichtete und Felder zur Selbst- ten Form nirgends erscheint: Das Le- »Schutzpatron Europas« erhob, war al-
versorgung anlegte. Der wichtigste ben der Mönche besteht aus einer ge- so eine höchst gerechtfertigte Ehrung.
Baustein wurde jedoch die Ordens- nau festgelegten Abfolge von Gebet Im Detail gestaltete Benedikt sei-
regel, die Benedikt für seine Gemein- und Kontemplation und von körper- ne Ordensregel in Monte Cassino und
schaft festlegte. Sie verband die reli­ licher Arbeit. Dies nicht allein aus der nutzte dabei die Erfahrungen mit der
giöse Überzeugung mit dem juristisch Notwendigkeit heraus, das Kloster zu stetig wachsenden Mönchsgemein-
schaft. Er konnte erleben, wie weitere
Klöster seinem Vorbild folgten; seine
Schwester Scholastika führte eine ei-
Benedikt entgeht einem Mordanschlag gene Nonnengemeinschaft unweit von
Die Legende berichtet: Die Mönche von Vicovaro wollen ihren selbst gewählten Monte Cassino.
Abt umbringen, er ist ihnen zu streng. Doch als Benedikt (links) Im Mutterkloster der von ihm be-
das Kreuz­zeichen über dem vergifteten Wein macht, zerspringt das Glas gründeten Ordensfamilie soll Bene-
dikt einer Überlieferung zufolge am
21. März 547, einem Gründonnerstag,
gestorben sein. Einige Forscher vermu-
ten jedoch, dass er bis 560 gelebt ­haben
könnte, wie es überhaupt viele Frage­
zeichen um seine Lebensgeschichte­
gibt. Die Quellenlage ist lückenhaft,
auch weil das erste Kloster von Mon-
BILDNACHWEIS: AKG, BRIDGEMAN/LUISA RICCIARINI

te Cassino bereits 577 von den Lango-


barden erobert und zerstört wurde. Es
wurde erst im 8. Jahrhundert wieder-
errichtet. Die Ordensgemeinschaften
nach Benedikts Regel hatten sich da
schon im ganzen christlichen Abend-
land ausgebreitet und dessen spirituel-
les Gesicht nachhaltig geprägt.

LESETIPP
Franz Metzger, Karin Feuerstein-Prasser:
»Die Geschichte des Ordenslebens«.
Herder 2006, antiquarisch

18 G GESCHICHTE 12 | 2019
Der Kirchenlehrer bei der Arbeit
Eine Taube sitzt auf der Schulter Gregors I.;
sie symbolisiert den Heiligen Geist

in Auflösung begriffen war. Statt jedoch in ein


bestehendes Kloster einzutreten, verwandel-
te Gregor den Stadtpalast seiner Familie in ein
Kloster nach den Regeln Benedikts; weitere
Klöster richtete er auf süditalienischen Gütern
der Familie ein.
Vielleicht formuliert er sogar die
maßgebliche Fassung der Ordensregel
Er war von der zukunftsweisenden Rolle der
Gemeinschaften nach Benedikts Vorbild über-
zeugt. So ist der zweite Band seiner »Dialoge«,
in denen er das Leben vorbildhafter Gläubiger
in Italien niederschrieb, ganz dem Ordensgrün-
der gewidmet. In Form eines Gesprächs schil-
dert er darin Benedikts Wirken – und wirbt für
die neue Lebensform; einige Forscher vermu-
ten, dass sogar die grundlegende Fassung der
Ordensregel von Gregor stammt.
Die kontemplative Seite des Mönchslebens
war allerdings Gregors Sache nicht, und auch
Gregor I. der Große nicht die Sesshaftigkeit. Er agierte als einer der
sieben Diakone der Stadt Rom und ging als Ge-

Der Papst der sandter Papst Pelagius’ II. als Botschafter nach
Konstantinopel. 590 wurde Rom von Unwet-
tern und Seuchen heimgesucht, und als auch

Mönche der Papst diesen zum Opfer fiel, fiel die Wahl
auf den erfahrenen Krisenmanager Gregor. Sein
Organisationstalent bewährte sich dann bei der
Benedikt bekommt keinen geringeren Autor für Reform der päpstlichen Behörden.
seine Lebensgeschichte als einen Papst. Gregor I. Als erster Mönch auf dem Heiligen Stuhl för-
verfolgt mit dem Buch aber auch eigene Ziele derte Gregor gezielt die Ausbreitung des bene-
diktinischen Klosterlebens als Stütze des jungen
[ VON FRANZ METZGER ] Christentums, aber auch als Vorkämpfer Roms
und seines Anspruchs auf die Führungsrolle in

A
der Kirche. So sandte er 597 eine Mönchsde-
us guten Familien kamen sie bei- legation nach England, die dort die christliche
de: Benedikt entstammte der rö- Mission in enger Anbindung an die Papstkirche
mischen Provinz-Aristokratie; der vorantreiben sollte, was den Benediktinern in
um 540 geborene Gregor gehör- England ebenso gelang wie unter den Germa­
te sogar zum stadtrömischen Se- nenvölkern (siehe G/GESCHICHTE 10/2019
natoren-Adel. Seine Familie, die und 12/2018). Gregor kämpfte derweil mit der
gens Anicia, zählte Kaiser und Päpste der Spät- Feder für die Ausbreitung und Vereinheitli-
zeit zu ihren Angehörigen; der Philosoph und chung der christlichen Lehre. So legte er etwa
Theologe Boëthius, geboren um 480, entstamm- die Auflistung der sieben Todsünden fest.
te mütterlicherseits diesem einflussreichen Clan. Wegen seiner vielseitigen theologischen Wer-
Wie Benedikt, so begann auch Gregor sei- ke zählt Gregor I. zu den vier Kirchenvätern des
ne Karriere als Jurist im Staatsdienst und stieg Abendlandes. Als er 604 starb, war die Position
vermutlich bis in den hohen Rang eines Stadt- des Papsttums im politischen wie kirchlichen
präfekten von Rom auf, ehe er 575 die Mönchs- Kontext nachhaltig gesichert. 1295 wurde Gre-
kutte anlegte und damit einer Welt entsagte, die gor heiliggesprochen.

G GESCHICHTE 12 | 2019 19
Cassianus Pachomius Athanasius
Statt Karriere zu machen, Der ägyptische Mönch gründet Durch seine Biografie des
pilgert er zu den Wüstenvätern eine Gemeinschaft von Einsied- Eremiten Antonius macht er
Ägyptens und schreibt später lern. Er gilt deshalb als Vater das Mönchtum im Westen
über ihr Leben ein Buch des Klosterwesens Europas bekannt

G
Inspiration eh mir nur ein we-
nig aus der Sonne« –
das war der einzige

Vorbilder der
Wunsch, den der Phi-
losoph Diogenes an
Alexander den Großen
richtete. Der Histori-

Weltflucht ker Plutarch überliefert die Anekdo-


BILDNACHWEIS: AKG, BRIDGEMAN (2), ISTOCK, ULLSTEIN BILD/PICTURES FROM HISTORY

te vom unkonventionellen Denker in


der Tonne, der sich beim Sonnenbad in
Korinth nicht vom mächtigsten Mann
Lange vor den Christen haben andere vorgemacht, seiner Zeit stören ließ.
Viele Denker der Antike pflegten ei-
wie ein kontemplatives Leben aussehen kann – ne selbstbewusste Distanz zum irdi-
allein oder in der Gemeinschaft mehrerer schen Treiben: Platon erfand die Ideen-
lehre und beschwor die Unsterblichkeit
[ VON HEIKO SCHMITZ ] der Seele. Auch sein Lehrer Sokrates,
der gelassen den Giftbecher leerte, den
die Athener ihm reichten, und die Sto-
iker inspirierten die ersten christlichen
Mönche. Für viele Kirchenväter spiel-
te die griechische und römische Philo-
sophie eine wichtige Rolle – natürlich

20 G GESCHICHTE 12 | 2019
PROLOG

Vergänglichkeit und vom Leid der Welt stadt Hippo in einer Gruppe von from-
– und sahen zunächst das mönchische men Asketen. Sein Leben als Kirchen-
Leben im Orden als einzigen Weg da- mann und Mönch endete 430 während
hin. Das ist verständlich, denn wer der der Belagerung Hippos durch die Van-
Lehre Buddhas folgen will, muss viel dalen. Es »beeinflusste Kultur und Bil-
Zeit und Energie in geistige Bemühun- dung sowohl der westlichen als auch
gen und Übungen stecken. der östlichen Kirche«, schreibt der Kir-
Diesen Weg schlugen nun auch die chenhistoriker Kurt Nowak.
ersten christlichen Aussteiger ein. Sie
Die Entscheidung fällt für das
gründeten aber zunächst keine Ge-
meinschaften, sondern lebten verein- gemeinschaftliche Dasein
zelt als Eremiten in der ägyptischen Inspiriert von Bischöfen und Klos-
Wüste. Rasch fanden diese Wüstenvä- tergründern aus dem Osten, breite-
ter, wie sie genannt wurden, Anhänger te sich das Mönchtum um die Wende
und Nachahmer und wurden zur Se- zum 5. Jahrhundert über viele Provin-
henswürdigkeit für Pilger. Askese und zen des zerfallenden Römischen Rei-
Anachorese (der Rückzug aus der Welt) ches nach Westen und Norden aus. Ei-
faszinierten die Zeitgenossen – und ner seiner Exporteure war Johannes
brachten »eine gewisse Garantie mit Cassianus, der als junger Mönch bei
sich, das ewige Leben zu gewinnen«, so den Wüstenvätern in Ägypten gelebt
der Althistoriker Manfred Clauss. hatte. Er ließ sich im südlichen Gallien
Augustinus Ein Wegbereiter des christlichen
Mönchtums war der heilige Antonius.­
nieder, kurz bevor die Völkerwande-
rung Griechen und Lateiner, West und
Als Bischof im nordafrikanischen
Er lebte als Einsiedler in der Wüste­ Ost trennte. Schon zuvor hatte es Mön-
Hippo muss der Kirchenvater
Kontemplation und Kirchenpolitik Ägyptens, schuf jedoch lose Zusam- che in Gallien gegeben, etwa den hei-
miteinander vereinbaren menschlüsse von Weltflüchtlingen. Im ligen Martin, später Bischof von Tours.
Jahre 356 soll er, 105 Jahre alt, in der Doch Cassian brachte das Wissen aus
Metropole Alexandria gestorben sein. dem Osten mit, etwa seine Schrift »De
Der etwas jüngere Pachomius gilt als institutis coenobiorum«, ein Vorbild
Vater des Klosterwesens im eigentli- für die Benediktinische Regel.
chen Sinn: Seine Schüler gründeten in In seinen »Unterredungen mit den
ergänzt um die Botschaft von Christus Ägypten etliche Klöster, in denen die Vätern«, Pflichtlektüre in jeder Kloster-
als dem wahren Erlöser. Eremiten fortan zusammen hinter ei- bibliothek des Mittelalters, verarbeite-
Das Christentum indessen entwi- ner Mauer und unter einem Dach leb- te er seine Erfahrungen mit den ägyp-
ckelte sich zunehmend zum Glauben ten, gemeinschaftlich organisiert und tischen Wüstenvätern in Dialogen, die
des einfachen Volkes. Damit wurde es unter Leitung eines Vorstehers. Und an Platon erinnern. Mit Sympathie und
immer weltlicher – und das wieder- schließlich weckte Bischof Athanasius Respekt spricht Cassian darin von den
um weckte in frommen Individualisten in Alexandria im lateinischen Westen »frühen, tiefgläubigen und asketischen
den Wunsch, sich zurückzuziehen. War mit seinen Schriften Begeisterung für Christen«, die vor den vielen Laien
es überhaupt möglich, inmitten der das asketische Leben. als Eremiten in die Wüste flüchteten –
Gesellschaft ein gutes christliches Le- Eine wichtige Figur des 4. Jahrhun- nicht aus Feigheit oder Intoleranz, son-
ben zu führen? Oder erforderte dieses derts im christlichen Osten und ähn- dern »um tiefer in die Betrachtung
Ziel letztlich doch einen radikalen Ver- lich bedeutsam wie Benedikt und sei- Gottes vorzudringen«. Zum Erfolgs-
zicht auf Bindungen und Besitz? ne Regel im Westen war Erzbischof modell und zur Schule des Mittelalters
Basilius der Große. Er sah christliche aber wurde nicht das Dasein als Ein-
Die ersten Gottsucher wählen
Vollkommenheit nur in einer Gemein- siedler, sondern das Leben in klösterli-
den Weg des Einsiedlers schaft als möglich an. In dieser findet cher Gemeinschaft – im Morgen- und
Die Asketen und Eremiten wähl- die Seele Halt und Orientierung durch im Abendland.
ten Letzteres und flohen vor der Welt Buße und Beichte, durch Gebet, Bil-
– eine Parallele zum Heilsweg der Bud- dungs- und Sozialarbeit.
dhisten, deren Lehre schon in vor- Diese Überzeugung teilte der afri-
LESETIPP
christlicher Zeit nach Westen vorge- kanische Kirchenvater Augustinus. Er
drungen war. Auch die Buddhisten lebte auch nach seiner Weihe zum Bi- Karl Suso Frank: »Geschichte des christlichen
Mönchtums«. Primus 2013, antiquarisch
suchten Weisheit und Erlösung von der schof der nordafrikanischen Küsten-

G GESCHICHTE 12 | 2019 21
1. KAPITEL ORA & LABORA

Leben nach

Zum Gottesdienst
unterwegs
Mit Vortragekreuz,
Kerzen und Weihrauch
BILDNACHWEIS: AKG/OLIVIER MARTEL

durchschreiten vier
Mönche diesen franzö­
sischen Kreuzgang aus
dem 14. Jahrhundert

22 G GESCHICHTE 12 | 2019
der Regel
Ein Dokument für alle Fälle
Nach der Gründung von Monte Cassino
verfasst Benedikt von Nursia seine berühmte
Klosterregel. Sie bestimmt das Leben
der Mönchsgemeinschaft bis ins Detail
[ VON KARIN FEUERSTEIN-PRASSER ]

M
üßiggang ist der Feind
der Seele« – das muss-
te Benedikt am eige-
nen Leib erfahren, als
er in jungen Jahren
versuchte, der Welt
gänzlich zu entflie-
hen. Vielleicht hatten
einige Eremiten in der
ägyptischen Wüste auf diese Weise ja tatsäch-
lich zu Gott gefunden, doch für ihn selbst wa-
ren Einsamkeit und Askese genau der falsche
Weg. Es gab daher nur eine Konsequenz: Ein
Mönch, der Gott wirklich nahekommen will,
braucht ein im wahrsten Sinne des Wortes ge-
regeltes Leben, damit seine Seele keinen Scha-
den nimmt.
In die Benediktsregel ist einiges aus der
älteren »Magisterregel« eingeflossen
Auf dieser Basis formulierte Benedikt von
Nursia während der Zeit in Monte Cassino eine
Klosterverfassung, die heute als Benediktiner-
regel bekannt ist und für die meisten abendlän-
dischen Klöster richtungsweisend wurde. Sie
beruht allerdings nicht nur auf seinen eigenen
Erfahrungen, sondern ist an die ältere »Ma-
gisterregel« eines unbekannten Verfassers

G GESCHICHTE 12 | 2019 23
1. KAPITEL ORA & LABORA

angelehnt. In 73 Kapiteln bestimmt Bene-


dikts Regel das Leben der Mönchsgemeinschaft Mikro­kosmos
Kloster
bis ins Detail. So glich das Benediktinerklos-
ter einem quasi monarchisch regierten Minia-
turstaat mit einem mächtigen Oberhaupt, einer
festen Hierarchie und eigenem Wirtschaftsle-
ben. An der Spitze der Gemeinschaft stand der
Abt als »Vater der Mönche« (hebr. abba = Vater). Ein Querschnitt
Die Benediktinerregel verlieh ihm eine macht-
volle Stellung, ganz in der Tradition des römi- Arbeit für die Mönche gibt es
schen pater familias. Ihm oblag nicht nur die
Gesamtleitung des Klosters, sondern auch die
mehr als genug. Klöster sind
Führung jedes einzelnen Mönchs. Zwar wurde Selbstversorger und Wirtschafts-
der Abt von allen Brüdern gewählt und muss-
te bei wichtigen Fragen ihren Rat einholen, die
betriebe zugleich
Entscheidung aber traf er letztlich ganz allein
und duldete auch keinen Widerspruch.
Der Pförtner braucht Menschenkenntnis,
der Cellerar Sinn für Finanzen
Daneben gab es verschiedene Ämter, die ei-
nen reibungslosen Ablauf des Klosterlebens ge-
währleisten sollten. Sie wurden vom Abt besetzt
und waren ihm direkt unterstellt. Der Cellerar Vorratskammer
fungierte als »Finanz- und Wirtschaftsminis- Auch ein Mönch
ter« der Abtei, ein Küchenmeister sorgte für das lebt nicht vom
leibliche Wohl der Mönche, der Krankenbruder Wort allein. Die
kümmerte sich um seine Patienten, während Gemeinschaft
der Novizenmeister für die angehenden Mön- muss ebenso leib­
che zuständig war und sie auch ins Kloster­leben lich verpflegt sein
einführte. In den Verantwortungsbereich des
Bibliothekars fiel nicht nur die Aufbewahrung
der alten Handschriften, er bestimmte auch,
welche Texte von den Mönchen kopiert werden
sollten. Dem Pförtner kam eine besonde-
re Stellung zu, denn als Verbindung des Gästehaus
Klosters zur Welt da draußen brauchte er Ein Kloster be­
vor allem Erfahrung und eine gute Men- herbergt Durchrei­
schenkenntnis. sende und Kranke
Weil Benedikt wusste, dass nicht al- jeweils gesondert
le Gottsuchenden für das Klosterleben und außerhalb des
geschaffen waren, gab es zunächst eine geschlossenen
Bereichs (Klausur)
Probezeit. Jeder, der dem Orden beitre-
ten wollte, musste ein Noviziat durchlau-
fen, um zu prüfen, ob er den Anforderungen
des monastischen Alltags tatsächlich gewach-
BILDNACHWEIS: BRIDGEMAN/GIORGIO ALBERTINI

sen war. Blieb er bei seinem Entschluss, hatte


er ein (schriftliches) Gelübde abzulegen, bis zu
seinem Tod in Armut, Keuschheit und Gehor-
sam zu leben. Eine Besonderheit bildeten die
Oblaten, die bereits im Kindesalter als »Gottes-
geschenk« dem Kloster übergeben wurden (lat.
oblatum = dargebracht), wobei die Eltern den
Aufenthalt in der Regel mit einer großzügi-

24 G GESCHICHTE 12 | 2019
Bibliothek Dormitorium
Hier ist das Wissen Im Schlafsaal tren­
aus Jahrhunderten nen Holzwände
gesammelt. Eine und Vorhänge die
Etage tiefer, im Bettstellen von­
Skriptorium, wird einander. So viel
es vervielfältigt Privatsphäre gab
es nicht immer

Wäscherei
Trotz Besitzlosig­
keit der Mönche
fällt in einem
­Kloster jede Men­
ge Wäsche an, die
es zu reinigen gilt

Kreuzgarten
und Kreuzgang
Im Kreuzgarten
herrscht Ruhe Braukeller
für die religiöse Die Klöster brauen
Besinnung. Ihn ihr eigenes Bier.
umgibt der über­ Über dem Brau­
dachte Kreuzgang keller befindet sich
die klostereigene
Apotheke

Küche und
Backstube
Trotz Benedikts­
regel: Der Kloster­
küche wird
Schmackhaftigkeit
nachgesagt
gen Spende finanzierten. Heutzutage werden
Erwachsene, die nach der Benediktsregel und in
Verbindung mit einem Kloster leben, ohne dort
einzutreten, ebenfalls Oblaten genannt.
Ab dem Moment, in dem sich die Klostertü-
ren endgültig hinter ihnen schlossen, mussten
die Mönche auf alle individuellen Bedürfnisse
und Freiräume verzichten. Sie hatten dem Abt
bedingungslos zu gehorchen und ­durften das
Klostergelände ohne seine ausdrückliche Er-
laubnis nicht mehr verlassen. Bei Ungehorsam
und anderen Verstößen gegen die Benediktiner-
regel drohten verschiedene Sanktionen – vom
vorübergehenden Ausschluss aus der Gemein- Eine besondere Strenge darauf bedacht war, den Brüdern nichts
schaft bis hin zur körperlichen Züchtigung. Gemeinschaft Übermenschliches abzuverlangen und ihre
Wenn ein Mönch die menschlichen Schwächen zu berücksichtigen.
Menschliche Schwächen dürfen sein Priesterweihe erhalten Einen festen Rahmen bildeten das regelmäßige
und werden berücksichtigt hat, darf er als Ordens­ gemeinsame Chorgebet und die Arbeit. »Ora et
Auch Privatbesitz war den Mönchen ver- priester seinen Mit­ labora – bete und arbeite« lautet die griffige Ma-
brüdern die Heilige
wehrt, »weder Buch noch Tafel noch Griffel« xime, wenngleich sich diese Formulierung nicht
Kommunion spenden
durften sie besitzen. Ihnen gehörte lediglich die wortwörtlich in Benedikts Regel wiederfindet.
Kleidung, die sie bei Tag und Nacht am Leibe Der Tag begann für die Mönche mitten in
trugen. Freundschaften und Vertraulichkeiten der Nacht. Um zwei Uhr – im Sommer etwas
waren ebenfalls verpönt, denn sie hätten das früher, im Winter etwas später – wurden sie ge-
strenge hierarchische Gefüge in Gefahr brin- weckt. Die Zeit wurde übrigens mit primitiven
gen können. Weil alle Mönche in einem Raum Mitteln gemessen, etwa mit Kerzen, die in einer
schliefen, gab es auch keine Intimsphäre, zumal bestimmten Zeit abbrannten. Dann mussten
während der ganzen Nacht eine Lampe brannte. die Mönche ihr Schlaflager unverzüglich ver-
Ohne einen geregelten Tagesablauf hätte das lassen. Zur Morgenmesse, der Matutin, versam-
entbehrungsreiche Klosterleben wohl kaum melten sie sich in der Klosterkirche, um rund
funktioniert – selbst wenn Benedikt bei aller eineinhalb Stunden lang Bibelverse, Gebete und

Abt
Zuständigkeiten Vorsteher eines Klosters mit
Weisungsbefugnis

Eine Klostergemeinschaft ist aufgebaut wie ein Staat


Prior
im Kleinen. Jeder weiß, was er zu tun hat Stellvertreter des Abtes oder Leiter
einer Außenstelle

Sakristan Cellerar Bibliothekar Infirmar Pförtner Oblate Novizenmeister


Verantwort­ Organisiert Schreibstube und Kranken­ Regelt den Einst: ein dem Kümmert sich um die
lich für die Finanzen und Bibliothek pflege Zugang Kloster an­ angehenden Mönche
Klosterkirche Vorräte vertrautes Kind
und Liturgie
Novizen
Hospitalis Mitglieder auf
Betreut die Gäste dem Weg zum
der Abtei Mönch

Der heilige Benedikt übergibt seine Regel

26 G GESCHICHTE 12 | 2019
1. KAPITEL ORA & LABORA

Psalmen zu lesen oder zu singen. Mit Sonnen-


aufgang begann die Arbeit. Zu ihr gehörten so-
wohl praktische Aufgaben als auch das Studium
der Heiligen Schrift. Unterbrochen wurde sie
von den jeweiligen Stundengebeten: der Prim
gegen sechs Uhr morgens, der Terz gegen neun Sankt Galler Klosterplan
Uhr, der Sext gegen zwölf Uhr, der Non um drei

Ideal oder
Uhr nachmittags und der Vesper vor Sonnenun-
tergang. Den Abschluss bildete die Komplet vor
dem Zubettgehen.
Arbeit gilt als Gottesdienst —
und sie macht das Kloster unabhängig
Wirklichkeit?
Arbeit galt als Gottesdienst, ganz gleich, ob Vor 1200 Jahren wurde auf der Reichenau ein
man nun den Stall ausmistete oder fromme perfektes Benediktinerkloster entworfen
Texte kopierte. Doch sie diente auch einem eher

U
profanen Zweck, denn so blieb das Kloster völ- m 820 entstand in gruppieren sich jene Ge­
lig autark und frei von weltlichen Einflüssen. Je- der Abtei auf der bäude, die den abgeschlos­
der Mönch hatte, abhängig von der Jahreszeit, Bodenseeinsel senen Bereich der Klausur
von Alter und Konstitution, zwischen drei und Reichenau der ar­ bilden: Kreuzgang, Kapitel­
acht Stunden täglich zu arbeiten – auf den Fel- chitektonische Plan eines saal, Dormitorium, Refekto­
dern, in den Werkstätten, in der Küche oder im perfekten Benediktinerklos­ rium, Skriptorium und
Skriptorium. Etwaiger Leerlauf musste mit dem ters. Der Reichenauer Abt Bibliothek. Umgeben ist
Studium der Heiligen Schrift gefüllt werden. widmete das Pergament dieser innere Kern von weit­
Ging der Arbeitstag mit dem Sonnenunter- ­seinem Amtsbruder von läufig angelegten Obst-,
gang zu Ende, erhielten die Mönche noch eine Sankt Gallen, wo es aufbe­ Gemüse- und Kräutergärten,
recht karge Mahlzeit, wie es die Benediktiner­ wahrt und unter dem Namen verschiedenen Werkstätten,
regel vorschrieb. Bis Mittag – in der Fastenzeit »Sankt Galler Klosterplan« Vorratsräumen und Ställen.
bis Sonnenuntergang – durfte ohnehin nichts bekannt wurde. Hier befinden sich auch
gegessen werden. Von Mitte September bis Os-
BILDNACHWEIS: AKG, AKG/OLIVIER MARTEL, BRIDGEMAN/BRITISH LIBRARY BOARD, ISTOCK/DUNCAN1890

Inwieweit diese Zeichnung das ­Novizenhaus und die


tern gab es nur eine Mahlzeit am Tag, in den damals tatsächlich existie­ Unterkünfte für die Gäste
Sommermonaten der längeren Tage wegen zwei. rende Verhältnisse wieder­ der Abtei. Eine massive
Sie bestand meist aus Brot und Hülsenfrüch- gibt, ist unklar. Doch der hohe Mauer sperrt den
ten, ergänzt durch Eier, Fisch, Obst und Gemü- Plan wird dem Abt Anregun­ Klosterbezirk nach außen
se. Erlaubt war ein Viertelliter Wein. Das Essen gen gegeben haben, wie ab, sodass das Bene­
wurde stets schweigend eingenommen, wäh- Sankt Gallen zu einer Abtei diktinerkloster eine
rend einer der Brüder Texte aus der Bibel las. werden konnte, die dem eigene kleine
Eine halbe Stunde nach Einbruch der Dunkel- Ideal des benediktinischen Welt bildet.
heit begann die Nachtruhe, im Winter also be- Lebens am nächsten kam.
reits gegen fünf Uhr nachmittags. Im Zentrum des Kloster-
Selbst dem frömmsten und gutmütigsten Be- bezirks befindet sich die
nediktinermönch muss ein solches Leben bis- Kirche, um sie herum
weilen schier übermenschliche Geduld abver-
langt haben. Für uns heute ist ein derartiges
Maß an Verzicht kaum noch nachvollziehbar.
Weshalb heutzutage die Askese im Benedikti-
nerkloster doch wesentlich gemäßigter ist.

LESETIPP
P. Ulrich Faust OSB: »Die Benediktsregel
Der Plan: Fünf Pergamente,
Lateinisch/Deutsch«. Reclam 2018, € 6,80
mit Darmnähten verbunden

G GESCHICHTE 12 | 2019 27
1. KAPITEL ORA & LABORA

Einblicke in das Skriptorium

Mit Pergament
und Tinte
Lange vor der Erfindung des Buchdrucks vervielfältigen Mönche
in ihren Schreibstuben zahlreiche Werke. Die Arbeit ist
nicht nur mühsam, sondern auch teuer und zeitaufwendig
[ VON KAY PETER JANKRIFT ]

Teamwork im Kloster
Bei der Herstellung von Büchern ist der
Schreiber für die Textabschrift zuständig.
Der Rubrikator malt die Anfangsbuchstaben
von Kapiteln und der Illustrator schmückt
schließlich das Werk mit Bildern aus

28 G GESCHICHTE 12 | 2019
O
h, wie beschwerlich te man mehr als 28 Kühe zur Herstel-
ist doch das Schrei- lung des prachtvollen Werkes. Allein
ben. Es belastet die der Materialwert einer solchen Men-
Augen, schwächt die ge an Pergament belief sich mithin auf
Nieren und zieht weit mehr als den Jahresverdienst eines
gleichsam alle Glie- Handwerksmeisters.
der in Mitleiden- Noch weitaus kostbarer war Perga-
schaft.« Diesen Stoßseufzer stellte ein ment, das wie im Falle des sogenann-
anonymer Klosterschreiber im 9. Jahr- ten Codex Argenteus aus dem frühen
hundert an den Beginn seiner Ab- 6. Jahrhundert mit dem Farbstoff der
schrift eines spätantiken Textes. Nichts Purpurschnecke gefärbt und mit sil-
begehre er sehnlicher, so fährt er fort, berner Tinte beschrieben wurde. Für
als endlich zum letzten Satz zu kom- Selbstbildnis Der Buchillustrator gewöhnlich bestand Tinte in ihrer ein-
Rufillus zeichnet sich Ende des
men. Eindringlich gemahnt er die Le- fachsten, billigsten Form aus Ruß, Was-
12. Jahrhunderts in der Initiale »R«
serschaft zu einem sorgsamen Umgang ser und Eiweiß zum Binden. In den
mit dem Buch und zum Händewa- Skriptorien der Klöster fand allerdings
schen vor dessen Benutzung. gerbte Haut von Ziegen, Schafen, Käl- zumeist die weit hochwertigere Eisen-
Die Anfertigung von Büchern blieb bern oder Kühen, die zunächst in einer gallustinte Verwendung. Diese misch-
bis zur Erfindung des Buchdrucks mit Kalklösung gebleicht wurde. Anschlie- te man aus Eisenvitriol und dem Ab-
beweglichen Lettern um die Mitte des ßend enthaarte man die Häute, reinigte sud von Galläpfeln an. Zum Schreiben
15. Jahrhunderts mühselig, teuer und sie von Resten und zog sie zum Trock- dienten in der Regel angespitzte Gänse-
zeitaufwendig. Zur Vervielfältigung nen auf Rahmen. Anschließend erfolg- federkiele.
musste jedes Werk von Hand abge- te eine Glättung der Tierhaut mithilfe Die Herstellung eines Buches im
schrieben werden. Die Schreibstuben von Bimsstein. Zur besseren Beschreib- Skriptorium war eine Gemeinschafts-
der Klöster, die Skriptorien, spielten barkeit wurde das Pergament in einem arbeit, die je nach Umfang und Aus-
dabei jahrhundertelang eine zentra- letzten Arbeitsschritt mit Kreidepulver stattung des Werkes manchmal ein
le Rolle. Die Bibliotheken der Ordens- weiter aufgehellt. Jahr oder länger in Anspruch nehmen
häuser umfassten nicht nur religiöse konnte. Nachdem der Schreiber, der
Für 226 Pergamentseiten
Werke. In ihnen schlummerten viel- Skriptor, die Textabschrift fertiggestellt
mehr zahlreiche Schriften des antiken benötigt man mehr als 28 Kühe hatte, malte der sogenannte Rubrika-
Wissens, welche die Mönche durch die Pergament war reißfest, stabil, tor zumeist in roter Tinte die Anfangs-
Zeit der im späten 4. Jahrhundert ein- haltbar und ließ sich gut beschrei- buchstaben von Kapiteln oder einzel-
setzenden Völkerwanderung vor der ben. Die Stärke des Materials erlaub- nen Abschnitten. Ein kunstfertiger
Zerstörung retten konnten. te es, Schreibfehler durch Abschaben Illustrator schmückte das Werk schließ-
Gemessen an heutigen Verhältnis- zu tilgen und zu korrigieren. Mitunter lich mit Bildern aus, der Illumination.
sen verfügten mittelalterliche Kloster- löschte man auf diese Weise ältere Tex- Mit dem geflügelten Wort »Das geht
bibliotheken über recht kleine Bestän- te sogar vollständig, um das Pergament auf keine Kuhhaut« hat sich bis heute
de. Die Benediktinerabtei im schweize- ein zweites Mal verwenden zu können. eine Erinnerung an die Zeit der Skrip-
rischen Sankt Gallen besaß in der zwei- Durch verschiedene Verfahren wie et- torien in unserem Alltag erhalten. Der
ten Hälfte des 9. Jahrhunderts eine der wa die UV-Fluoreszenzfotografie ist es Ausdruck geht auf die zeitgenössische
größten und wichtigsten Büchersamm- inzwischen möglich, die überschriebe- Vorstellung zurück, dass der Teufel
lungen im lateinischen Europa. Ein zu nen Passagen wieder lesbar zu machen. mit gespitzter Feder über die Sünden
dieser Zeit angelegtes Verzeichnis lis- Die Freude über die vielen Vorzüge jedes Einzelnen Buch führte und hier-
tet mehr als 400 Werke auf. Dieser Bü- des Pergaments wurde indes durch sei- zu selbstverständlich Pergament nutz-
cherschatz stellte ein riesiges Vermö- nen hohen Preis empfindlich getrübt. te. Wenn das Sündenregister allzu lang
BILDNACHWEIS: INTERFOTO/MARY EVANS, WIKIMEDIA

gen dar. Eine Kuhhaut durchschnittlicher Grö- geworden war, dann reichte zum Auf-
Papier in ausreichender Qualität ße reichte für etwa acht Pergamentsei- schreiben selbst eine ganze Kuhhaut
und zu einem günstigen Preis kam in ten von rund 35 cm Höhe und 26 cm nicht mehr aus.
weiten Teilen Europas erst ab dem 14. Breite. Das berühmte Evangeliar Her-
Jahrhundert allmählich als Beschreib- zog Heinrichs des Löwen, welches in
LESETIPP
stoff in Umlauf. Bis ins 17. Jahrhun- der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts
dert benutzte man zum Schreiben vor im Skriptorium des Benediktinerklos- Vera Trost: »Skriptorium.
allem Pergament. Zur Herstellung von ters Helmarshausen angefertigt wurde, Die Buchherstellung im Mittelalter«.
Belser 2011, € 9,95
Pergament verwendete man die unge- enthält 226 Seiten. Demnach benötig-

G GESCHICHTE 12 | 2019 29
i ZEITTAFEL

Steter Wandel und


Die Vision des heiligen Benedikts prägt über Jahrhunderte Europa:

400 800 1000 1200


476 800 1099 1215
Mit der Absetzung des Karl der Große wird Das Kreuzfahrerheer Mit dem IV. Lateran­
Kaisers Romulus zum Kaiser gekrönt erobert Jerusalem konzil erhält der Bettel­
Augustulus endet das orden der Franziskaner
Weströmische Reich 816 1119 seine Approbation
Mit der Aachener Die Regel der Zister­
ca. 480 — 550 ­Synode wird die Bene­ zienser wird 1291
Leben und Wirken diktinerregel für alle vom Papst bestätigt Der Fall von Akkon
des heiligen Benedikts Klöster im Karolinger­ beendet die Kreuzzüge
von Nursia reich verbindlich 1122 im Heiligen Land
Das Wormser
529 910 Kon­kordat beendet 1302
Überliefertes Gründung der Abtei den Investiturstreit Mit der Bulle »Unam
Gründungsdatum von Cluny in Burgund Sanctam« beansprucht
von Monte Cassino ca. 1150 Papst Bonifatius VIII.
927 Hildegard von Bingen auch eine weltliche
590 Odo von Cluny wird Abt gründet das Kloster ­Vorherrschaft
Gregor der Große wird des Reformklosters Rupertsberg
zum Papst gewählt 1346 — 1353
962 1187 Der Schwarze Tod
742 Kaiserkrönung Ottos Rückeroberung wütet in Europa
Bonifatius bestätigt des Großen in Rom Jerusalems durch
die Benediktinerregel Sultan Saladin 1378
im Frankenreich Beginn des Abend­
ländischen Schismas
zwischen Rom und
Avignon

Auferstanden aus den Ruinen des Zweiten Weltkrieges:


1964 konnte die Abtei von Monte Cassino wieder eingeweiht werden

30 G GESCHICHTE 12 | 2019
ZEITTAFEL

fester Glauben
Sie bildet das Fundament für die Vielfalt des abendländischen Mönchtums

1400 1600 1700 1900


1414 — 1418 1617 1711 1918
Das Konzil von Kons­ In Salzburg wird die Kloster Ettal erhält Die Missionsbene­
tanz reformiert die erste Universität des eine militärische diktiner von St. Ottilien
Kirche und überwindet Benediktinerordens Ritterakademie ­verlieren ihre Stütz­
das Schisma ins Leben gerufen punkte in Ostafrika
1790
1517 1618 — 1648 Im revolutionären 1939 — 1945
Martin Luther Dreißigjähriger Krieg. Frankreich werden die Der Zweite Weltkrieg
ver­öffentlicht seine Zahlreiche Klöster Klöster aufgelöst
95 Thesen werden geplündert 1944
zur Kirchenreform 1802 Schlacht um Monte
1651 Säkularisierung der Cassino zwischen
1524 — 1526 Grundsteinlegung zur Klöster im Kurfürsten­ der Wehrmacht und
Bauernkriege neuen fürstäbtlichen tum Bayern beginnt alliierten Verbänden
im Heiligen Residenz zu Kempten
Römischen Reich 1803 1964
1684 Der Reichsdeputations­ Der heilige Benedikt
1536 Die selbstständigen hauptschluss (ein Ge­ von Nursia wird zum
Aufstände gegen Klöster in Bayern setz) leitet das Ende »Patron Europas«
König Heinrich VIII. als ­organisieren sich des Heiligen Römischen
Reaktion auf die in der Bayerischen Reiches von 1806 ein 2000 — 2016
Auflösung der Abteien Benediktiner­ Notker Wolf leitet
und Klöster in England kongregation 1893 als Abtprimas in Rom
Gründung der Benedik­ die Benediktinische
tinischen Konföderation Konföderation

Hervorgehobene Daten = weltgeschichtliche Ereignisse

BILDNACHWEIS: ISTOCK/VALERIOMEI

G GESCHICHTE 12 | 2019 31
1. KAPITEL ORA & LABORA

Heilkunst im Kloster

Von Kräuter-
gärten und
Hospitälern
Es ist die Pflicht eines jeden Mönchs, seine er-
krankten Mitbrüder zu pflegen. So hat es einst
Benedikt festgelegt. Schon bald kommen die
in den mittelalterlichen Klöstern praktizierten
Methoden allen Kranken zugute
Helft uns! Ein Mönch und seine Brüder behandeln
[ VON KAY PETER JANKRIFT ]

A
ch, wenn doch nur Notker gehörte damals zu den be­ tale auf, die unterschiedlichen Zwecken
mein Notker hier rühmtesten Vertretern der sogenann­ dienen. Das Armenspital, das Hospita-
wäre!« Schmerzge­ ten Klostermedizin. Heilkunde und le Pauperum, bot Bedürftigen und Pil­
plagt wünschte sich Krankenfürsorge spielten in den bene­ gern Verköstigung, Bekleidung und
der greise Mönch diktinischen Klöstern eine bedeutende Obdach. Kranke wurden gepflegt, in
Gerold im Kloster Rolle. Nach dem Selbstverständnis des der Regel aber wohl nicht medizinisch
Sankt Gallen zum Ordensgründers Benedikt von Nursia behandelt.
Ende des 10. Jahrhunderts die me­ waren die Sorge um das Heil der See­
Die Klosterärzte orientieren sich
dizinische Hilfe seines heilkundigen le wie um die Heilung des Körpers zen­
­Mitbruders. trale Aufgaben der klösterlichen Ge­ an der antiken Viersäftelehre
Doch der Arzt Notker war ein viel­ meinschaft. Diese Vorstellung fand ih­ Das Hospitium diente zur Beherber­
beschäftigter Mann. Selbst Kaiser ren Ausdruck im 36. Kapitel der Be­ gung wohlbetuchter Gäste des Klos­
Otto I. (* 912, † 973) vertraute auf sein nediktsregel, welches die Mönche zur ters, die zu Pferd reisten. Beide Ein­
ärztliches Geschick. Dem Bericht des Pflege ihrer kranken Mitbrüder ver­ richtungen hatten mit Krankenhäusern
benediktinischen Gelehrten und Ge­ pflichtet, als seien sie Christus selbst. im heutigen Sinne nichts gemein. Das
schichtsschreibers Ekkehard IV. von Der Klosterplan von Sankt Gallen dritte Spital, das sogenannte Infirmari-
Sankt Gallen zufolge war der Medi­ aus dem frühen 9. Jahrhundert ver­ um im östlichen Teil der Klausur, war
cus wieder einmal an den kaiserlichen anschaulicht, wie diese Bestimmung kranken Brüdern oder Schwestern vor­
Hof gerufen worden. Deshalb konnte beim Bau eines Benediktinerklosters behalten. Sofern ein Arzt zur Verfü­
er dem todgeweihten Gerold in seiner in idealtypischer Weise umgesetzt wer­ gung stand, erhielten diese dort auch
Krankheit nicht beistehen. den sollte. Die Anlage weist drei Hospi­ heilkundliche Versorgung.

32 G GESCHICHTE 12 | 2019
Hippokrates von Kos und Galen von
Pergamon zurück, welche die Heil­
kunde jahrhundertelang maßgeblich
­b estimmten. Demzufolge enthält der
menschliche Körper die vier Säfte Blut,
Schleim, gelbe und schwarze Galle.
Krankheit entsteht, wenn einer die­
ser Körpersäfte im Übermaß gebil­
det wird. Es galt als oberstes Ziel des
­A rztes, durch seine medizinischen
Empfehlungen zu einer gesunden Le­
bensführung ein solches Ungleichge­
wicht zu vermeiden.
Die »sechs nicht natürlichen
Dinge« müssen ausgewogen sein
Für entscheidend erachtete man
dabei die Ausgewogenheit der so­
genannten »sechs nicht natürlichen
Dinge«. Diese umfassten in angemes­
sener Weise jeweils einen Wechsel von­
Schlaf- und Wachzeiten, Licht und
Luft, Speise und Trank, Bewegung und
Ruhe, Stoffwechsel sowie Anregung
des Gemüts.
Die Beachtung dieser diätetischen
Regeln half nach zeitgenössischer Auf­
fassung auch bei der Wiederherstellung
der angeschlagenen Gesundheit. Im
Falle einer Erkrankung ging es darum,
Patienten, die vermutlich an der Pest leiden. Miniatur aus dem 15. Jahrhundert
das Gleichgewicht der vier Säfte wie­
derherzustellen, indem der Überschuss
aus dem Körper herausgeleitet wurde.
Das Infirmarium des Klosters Cluny Arzt. Wenngleich Ordensbrüder und Hierzu diente der Aderlass oder
in Burgund bestand dem archäolo­ -schwestern gleichermaßen in Kran­ die Gabe von Brech- und Abführmit­
gischen Befund zufolge um 1040 aus kenpflege wirkten, blieb die ärztliche teln. Unterstützt wurde die Behand­
vier Räumen mit jeweils acht Kranken­ Tätigkeit vornehmlich in Männerhand. lung durch Arzneien, die vor allem
betten. Üblicherweise teilten sich zwei Heilkundigen Brüdern oblag mithin aus den Heilpflanzen der klösterlichen
Kranke eine Bettstatt. Bis zur Mitte des auch die medizinische Versorgung ih­ Kräutergärten bereitet wurden. In sei­
12. Jahrhunderts wurde das Infirmari­ rer benediktinischen Schwestern. nem um 840 verfassten »Buch über die
um auf 80 Betten erweitert und war da­ So erwähnt etwa der angelsächsi­ ­Kultivierung von Gärten« beschreibt
mit eines der größten Hospitäler im la­ sche Mönch und Geschichtsschreiber der Abt des Klosters Reichenau, Wa­
teinischen Europa. Beda Venerabilis (* 672, † 735) in sei­ lahfrid Strabo, 24 dieser Heilkräuter
In ihrer baulichen Struktur glichen ner »Kirchengeschichte des englischen und ihre Wirkung.
BILDNACHWEIS: BPK/DEA PICTURE LIBRARY/A. DAGLI ORTI

die Infirmarien Klöstern im Kleinfor­ Volkes« einen Klosterarzt namens


mat. Sie verfügten neben den Schlaf­ Cynefrith. Dieser versuchte vergeb­
räumen der Kranken über eigene Kü­ lich, eine große Geschwulst unter dem
chen, Speisesäle und Kapellen. Hinzu Kiefer der Äbtissin Etheldreda von Ely
kamen Räumlichkeiten für Bäder und durch Ablassen der angestauten Flüs­
LESETIPPS
den Aderlass, eine Apotheke sowie die sigkeit zu behandeln.
Unterkunft des Arztes. Die Therapien der Klosterärzte ori­ Kay Peter Jankrift: »Krankheit und
Heil­kunde im Mittelalter«. Wbg 2013, € 14,99
Die Zahl der Heilkundigen scheint entierten sich grundlegend an der an­
vergleichsweise gering gewesen zu sein. tiken Viersäftelehre. Diese geht auf Steve Parker: »Medizin. Die visuelle
Geschichte der Heilkunst«. DK 2017, € 34,95
Nicht jedes Kloster hatte einen eigenen die Theorien der griechischen Ärzte

G GESCHICHTE 12 | 2019 33
Abt Johannes
Eckert
Der 50-Jährige
leitet seit 2003 die
Benediktinerabtei
Sankt Bonifaz, die
zwei Klöster umfasst:
In München und
dem 35 Kilometer
entfernten Andechs,
das seit dem Mittel-
alter ein beliebter
Wallfahrtsort ist

Interview

»Die Brauerei ist


unser Standbein«
Wie halten 14 Mönche zwei Klöster und ein weltbekanntes
Wirtschaftsunternehmen am Laufen? Abt Johannes Eckert
über weltliche und geistliche Herausforderungen
[ INTERVIEW: CHRISTIAN PANTLE ]

34 G GESCHICHTE 12 | 2019
1. KAPITEL ORA & LABORA

Als Abt von Sankt Boni-


faz in München und An-
dechs stehen Sie an der
Spitze eines großen Unter- Der Andechser Doppelbock Dunkel
nehmens: mit 220 Mitarbeitern, ist die stärkste der acht Biersorten
viel besuchten Gaststätten und des Klosters Andechs, das
einer berühmten Klosterbrauerei malerisch auf einem Hügel liegt
mit weltweitem Vertrieb …
Abt Johannes Eckert: Erst einmal
muss ich richtigstellen: Der Abt leitet Die neue Anlage der klostereigenen Brauerei am Fuß
des Hügels befüllt in einer Stunde 24 000 Flaschen
die klösterliche Gemeinschaft, nicht
die Unternehmen des Klosters. Für die
wirtschaftlichen Bereiche ist ein Mit­
bruder, der Cellerar, zuständig. Das
hat der heilige Benedikt sehr weise so
entschieden.
Kontrollieren Sie die wirtschaftli-
chen Zahlen?
Natürlich ist der Cellerar dem Abt ver­
antwortlich. Aber der Abt ist auch im­
mer an die Gemeinschaft gebunden
– und die ist die oberste Instanz des
Klosters, nicht der Abt. Alle wichtigen
Entscheidungen muss der Abt in den
Rat der Brüder einbringen, auch alle
Investitionen in die Wirtschaftsbetrie­
be. Im Rat der Brüder, dem Kapitel, hat müssen wir von dem unterhalten, was Die neue Füllerei hat keine höhere Ka­
der Abt als einziger kein Stimmrecht – wir selbst erwirtschaften. pazität als die alte, aber sie braucht we­
auch das ist sehr klug, damit alle in der Die Gemeinschaft – wir sind derzeit 14 niger Energie, Wasser und Reinigungs­
Verantwortung stehen. So verstanden Mönche – braucht für den Lebensun­ mittel. Umweltverträglichkeit und
ist der Rat der Brüder sowohl die Ak­ terhalt relativ wenig. Das ist nicht das Nachhaltigkeit sind uns wichtig. Aber
tionärsgruppe als auch die Teilhaber­ Problem. Aber wir müssen die alten klar ist auch: Die Brauerei und die Gas­
versammlung als auch der Aufsichtsrat. Gebäude erhalten, es kommen täglich tronomie sind für uns der Bereich, wo
Wie gehen Sie damit um, als Mönch 200 bis 250 Obdachlose zu uns zum Es­ wir einnehmen.
einerseits zur Armut verpflichtet zu sen, zu den sanitären Einrichtungen, Was nicht immer konfliktfrei abläuft.
sein – und andererseits im Rat mit Mil- zur Kleiderausgabe. Außerdem bieten Natürlich. Wer gewinnorientiert wirt­
wir eine eigene Arztpraxis, einen So­ schaftet, hat auch Auseinandersetzun­
BILDNACHWEIS: ABTEI ST. BONIFAZ, ARGUM/FALK HELLER, STEFAN SCHUHBAUER

lionensummen zu hantieren?
Da muss man unterscheiden. Zum ei­ zialarbeiter – all das muss erwirtschaf­ gen mit Konkurrenten, Konflikte um
nen: Wir haben nicht das Gelübde der tet werden. Deswegen müssen wir auch die Namensrechte und so weiter.
Armut – das kommt in der Benedikts­ gemeinsam darauf schauen, wie die Das Kloster Ettal bekam vor vier Jah-
regel nicht vor –, aber wir verpflich­ Kassenlage ist, was wir uns erlauben ren Ärger, weil es seine Namensrechte
ten uns zu einem Lebensstil in Ge­ können. an eine hessische Privatbrauerei über-
meinschaft, der natürlich bescheiden Sie sind auch stark am Investieren. trug. »Benediktiner Weißbier eine Mo-
ist. Zum anderen: Der heilige Benedikt Erst Anfang Oktober kam die Nach- gelpackung?«, titelte die Presse.
will, dass die Mönche von ihrer Hän­ richt, dass Ihre Klosterbrauerei An- Das eigentliche Problem liegt hier wo­
de arbeiten leben. Wir sind also keine dechs einen zwölf Millionen Euro teu- anders: Ettal hat nicht seinen Namen
Bettelmönche, die sich von anderen ren Erweiterungsbau eröffnet hat, weggegeben, sondern einen Namen,
unterhalten lassen, und wir bekommen inklusive einer modernen Flaschen-­ der ihm nicht gehört. Da stellt sich die
auch keine Kirchensteuer. Unsere bei­ füllerei, die 24 000 Flaschen pro Stun- Frage, ob das moralisch zu vertreten ist
den Klöster in München und Andechs de schafft. oder nicht.

G GESCHICHTE 12 | 2019 35
Gemeinschaft, sondern das Geistli­
che: Wie gehen wir miteinander um?
Wie kann die Gemeinschaft nach au­
ßen ausstrahlen? Wie kann eine kleine­
re Gemeinschaft gut miteinander leben,
sodass sie Zeugnis gibt von etwas, das
über dieses Leben hinausweist?
Alle Klöster haben große Nachwuchs­
Jedes Jahr kommen rund eine Million Besucher probleme. Wie der »Spiegel« im Sep-
zum Kloster Andechs — auch wegen der Gaststätten dort tember berichtete, ging die Zahl der
Ordensmitglieder in Deutschland seit
1999 von gut 38 000 auf unter 18 000
Was sagen Sie?
Dass es nicht zu vertreten ist. Ob Ettal »Es geht zurück, die Zahl der Benediktiner von
957 auf 598. Wie blicken Sie auf diese
ein »Ettaler Bier« vergibt, ist deren Sa­
che. Aber nicht bei einem »Benedikti­ darum, jetzt Entwicklung?
Die macht mir überhaupt keine Sorgen.
ner Weißbier«. Da werden ein Name
und eine Lebensform vermarktet, die authentisch Wenn etwas zu Ende geht, geht es zu
Ende – sollte es uns einmal nicht mehr
allen zustehen, die Benediktiner sind.
Sie selbst produzieren das »An- zu leben« geben, ist es auch nicht tragisch. Aber
das wissen wir noch nicht. Die Ge­
dechser Klosterbier« in der größten Abt Johannes Eckert schichte der Orden ist immer ein Auf
konzernunabhängigen Klosterbraue- und Ab. Ich verstehe, dass unsere Le­
rei Deutschlands. Was antworten Sie bensform für den Mainstream erstmal
Menschen, die sagen, dass Alkohol und hohe Verluste machen und man deswe- weniger attraktiv ist – das war sie zu
mönchische Askese nicht zusammen- gen Mitarbeiter entlassen muss. Wie Beginn auch nicht, als die Mönche als

BILDNACHWEIS: ARGUM/FALK HELLER UND THOMAS EINBERGER


passen? gehen Sie persönlich damit um? komische Typen galten, die in die Wüs­
Da muss man immer wieder auf das Zum Glück mussten wir bislang nie­ te gingen. Darum geht es auch nicht. Es
40. Kapitel in unserer Regel verweisen. manden aus wirtschaftlichen Grün­ geht darum, dass wir jetzt authentisch
Der heilige Benedikt sagt darin: Der den entlassen. Aber man weiß nie, was leben, dass wir jetzt unserer Verant­
Genuss des Weines soll nicht zur ab­ kommt. Man muss da genauso denken wortung gerecht werden.
soluten Trunkenheit führen, aber die wie in einer Familie: Eine Familie kann Das Gegenteil von alt ist im Evangeli­
Mönche unserer Tage sind überhaupt nicht auf Pump leben – sie muss se­ um nicht jung, sondern neu. Ich erlebe
nicht mehr davon zu überzeugen, auf hen, was finanziell möglich ist und was so viele Menschen außerhalb des Klos­
Wein zu verzichten. Daher sollen sie nicht. Das ist nicht unethisch. Wenn ters, die als Mönche und Nonnen leben.
das rechte Maß finden. wir feststellen, dass es Bereiche gibt, Sehen wir, was sich Neues entwickelt.
Das rechte Maß ist also das Entschei­ die wir so nicht weiterführen können, Mir ist um unsere Zeit nicht bang.
dende? weil wir sie uns nicht leisten können,
Richtig. Wir haben ein sehr aufwendi­ ist das nichts moralisch Verwerfliches.
ges Brauverfahren und geben unseren Welche wirtschaftlichen Pläne hat GESCHICHTE ZUM THEMA
Bieren bei der Lagerung sehr viel Zeit. die Abtei für die Zukunft?
Im Dreißigjährigen Krieg
Dadurch erreichen wir eine hohe Pro­ Wir haben in den letzten 15 Jahren fast führte der Abt des Klosters
duktqualität. Wenn sich nun jemand 30 Millionen Euro in unsere Braue­ Andechs ein Tagebuch,
an unseren Produkten erfreut und ei­ rei investiert, haben sie völlig erneu­ das zu den bewegends-
ne Halbe oder Maß Bier genießt, dann ert – eben weil wir sagen: Das ist un­ ten Zeugnissen jener
Zeit zählt. Mehr in
entspricht das genau dem, was wir mit ser wirtschaftliches Standbein, die G/GESCHICHTE
unseren Produkten wollen. Grundlage für das, was wir an beiden 11/2017 auf
Als Unternehmer muss man biswei- Klosterstandorten versuchen Gutes zu Seite 50 bis 54.
len Entscheidungen treffen, die dem tun. Diese Linie wollen wir fortfüh­ Zu bestellen unter:
Ideal der Nächstenliebe entgegenlau- ren. Aber das Wirtschaftliche ist nicht www.abo.g-geschichte.de/
fen – etwa wenn Unternehmenszweige das Entscheidende einer klösterlichen einzelheft/jahrgang-2017

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2. KAPITEL VISIONEN

Die größte
Kirche des
Mittelalters
Das monastische
Reich von Cluny
Was hat Kardinal Richelieu
mit Papst Urban II., dem
»Erfinder« der Kreuzzüge,
gemeinsam? Oder
Kardinal Mazarin mit
dem »Canossa«-Papst
Gregor VII.? Antwort:
Sie alle gehörten zur
Gemeinschaft von
Cluny, einem Teil
BILDNACHWEIS: ISTOCK/KONTRAST-FOTODESIGN

der benediktinischen
Ordensfamilie
K
[ VON STEFAN VON KEMPIS ]

aum zu glauben, dass Cluniazensische Reform, so nennen Histori-


Cluny auf dem Zenit ker diese Bewegung, die eher eine Restauration
seiner Macht, zu Beginn war, eine Rückbesinnung auf das Charisma der
des 12. Jahrhunderts, an Anfänge des Benediktinerordens. Zu Beginn
die 1500 Klöster zählte des 10. Jahrhunderts hatte das abendländische
– und heute vollständig Mönchtum in vielen Regionen Europas stark an
von der Bildfläche ver- Glanz eingebüßt; schuld daran waren die Inva-
schwunden ist. In dem sionen der Wikinger, die Überfälle von Ungarn
burgundischen Dörf- oder Sarazenen auf reiche Abteien.
chen Cluny ist von der einstmals größten Kir-
Der Plan: Das Kloster soll unabhängig
che des Mittelalters nur ein Turm stehengeblie-
ben. Der letzte Generalsuperior der Gemein- von Grundherren und Klerikern sein
schaft von Cluny starb 1794 auf der Guillotine, Die Klöster suchten bei den örtlichen Grund-
kurz darauf versteigerten die Revolutionäre die herren Schutz vor Angreifern, wurden dadurch
Klostergebäude; die Kirche wurde abgetragen. allerdings noch stärker von diesen Herren ab-
Dabei war Cluny einmal, viele Jahrhunderte zu- hängig – eine schwere Hypothek. Hinter vielen
vor, ein riesiges Netzwerk des Glaubens und der Klostermauern löste sich die Ordnung auf, die
Macht gewesen. Ein monastisches Reich, das in Benediktsregel geriet in Vergessenheit, und vie-
Teilen Frankreichs, Italiens, Spaniens, Englands le Adelige zögerten nicht, sich die Abtwürde an-
und Deutschlands »ein Europa des Geistes« zumaßen, nur um einen Konvent noch besser
(Papst Benedikt XVI.) mitbegründet hat. kontrollieren und schröpfen zu können.

Gebete für Verstorbene waren eine Spezialität in der


burgundischen Abtei Cluny. Hier entstand auch das
Fest Allerseelen, das noch heute einen Tag nach
Allerheiligen in der katholischen Kirche begangen wird

G GESCHICHTE 12 | 2019 39
2. KAPITEL VISIONEN

»Die Handarbeit hatte darunter


sicherlich stark zu leiden«
Ein Kirchenhistoriker über den starken Fokus auf Liturgie und Gebet in Cluny

Das war der Moment, in dem Cluny die Zu ihr kam Jahrzehnte später die sogenannte
weltgeschichtliche Bühne betrat. 909 oder Exemption, die Befreiung: Sie verwehrte dem
910, je nachdem, wie man die Datumsangabe Ortsbischof explizit jeden Eingriff in die Ange-
»11. September im zweiten Jahr der Regierung legenheiten des Klosters, etwa was die Auswahl
von König Raoul« in der Stiftungsurkunde ver- des Abtes betraf.
steht. Herzog Wilhelm von Aquitanien, genannt Diese Eigenständigkeit allein kann jedoch
»der Fromme«, gründete das Kloster im Bistum die Ausstrahlungskraft nicht erklären, welche
Mâcon in einem Tal, das ihm seine Schwester, das Kloster schon unter seinem ersten Abt Ber-
die Äbtissin Eva, überlassen hatte. Der Herzog no entwickelte. Vielmehr muss der Ernst, mit
wollte das Kloster der Beeinflussung durch an- dem in diesem burgundischen Flecken die Er-
Rekonstruktion dere Grundherren oder Kleriker entziehen und neuerung des Mönchtums angegangen wurde,
eines vertraute es deshalb den Aposteln Petrus und einen Nerv der Zeit getroffen haben.
Paulus sowie dem Schutz des Papstes an – eine
Prachtbaus In Cluny wird das westliche Mönchtum
überraschende Entscheidung, denn der damali-
Heute finden sich vom
ge römische Pontifex Sergius III. war eine eher von Grund auf erneuert
ehemals größten Got-
teshaus der Welt nur irrelevante Figur. »Es hat uns gefallen, in dieser Ständiger Gottesdienst und unablässiges Ge-
noch Überreste. Der Urkunde festzusetzen, dass von diesem Tag an bet für die Verstorbenen – das waren die Ak-
Weihwasserturm 1 ist die zehn Mönche keinem Joch irgendeiner welt- zente, die Cluny setzte. War der Ordensgrün-
ebenso erhalten wie lichen Macht [...] unterworfen werden dürfen; der Benedikt von Nursia noch für ein Gleich-
die Abteikirche 2 und dass kein weltlicher Fürst, kein Graf oder Bi- gewicht aus Gebet und Arbeit (»ora et labora«)
der Südteil des westli- schof und auch nicht der Papst sich am Eigen- eingetreten, so betonte Cluny vor allem das
chen Querschiffs. Zum
tum der Diener Gottes vergreifen dürfen.« ora: Die Mönche sollten jeden Tag an mehre-
Kirchenbau gehörten
unter anderem Ställe
Das war, auch wenn das Kloster zu seinem ren Gottesdiensten teilnehmen und sämtliche
und Gästehäuser 3 , Schutz immer auf das Wohlwollen von verbün- Psalmen rezitieren. »Wäre dieses System ohne
eine Küche 4 sowie deten Seigneurs angewiesen bleiben sollte, eine Abstriche praktiziert worden, hätten die Mön-
Krankenstationen 5 wichtige Unabhängigkeitserklärung für Cluny. che täglich gut 15 bis 18 Stunden in der Kirche
zubringen müssen«, urteilt ein Kirchenhisto-
riker heute – und fährt fort: »Die Handarbeit
3
hatte darunter sicherlich stark zu leiden.« Auf
2 die Zeitgenossen allerdings machte die Kon-
1 sequenz, mit der Cluny Gottesdienst und
Gotteslob in den Mittelpunkt aller Akti-
vitäten stellte, sowie die Schönheit seiner
Liturgie und Architektur nachhalti-
4
gen Eindruck.
Nicht nur die Mönche von Cluny
wollten dem Benediktinerorden im
10. und 11. Jahrhundert neues Le-
ben einhauchen. Doch waren sie
BILDNACHWEIS: BRIDGEMAN/FRENCH SCHOOL, FOTOFINDER/SONNET SYLVAIN/HEMIS.FR

die ersten, die versuchten, ei-


nen Klosterverband zu bil-
5 den. Weil immer mehr
Grund- oder Landesherren
die Äbte von Cluny baten, Kon-
5 vente auf ihrem Territorium zu refor-
mieren, ersann die Mutterabtei ein aus-
geklügeltes System, das die Anbindung der
reformierten Klöster an Cluny garantieren soll-
te. Fünf Großpriorate, die direkt Cluny unter-
standen und deren Leiter vom Abt von Cluny
ausgewählt wurden, waren für das Netz der an-
geschlossenen Abteien verantwortlich.
Die Zahl der Konvente, die juridisch auf
Cluny hingeordnet waren oder die sich zumin-

40 G GESCHICHTE 12 | 2019
dest seiner spezifischen Ausprägung benedikti- starkes Wachstum; er begann 1088 auch mit Wandern in
nischer Observanz verpflichtet fühlten, wuchs dem Bau der Klosterkirche, deren Dimensionen einer Ruine
zwei Jahrhunderte lang schier unaufhaltsam; den römischen Petersdom und den Kaiserdom Heute, 1100 Jahre nach
dazu gehörten nicht nur reformierte Klöster, von Speyer in den Schatten stellten. der Gründung, ist das
sondern auch viele Neugründungen und Schen- Die Historiker sind sich nicht einig darüber, einst so prächtige
kungen. Von Cluny hingen im 11. Jahrhundert ob Hugo an der Gregorianischen Reform be- Kloster Cluny zu großen
Teilen eine Ruine.
mehr als 1000 Tochterklöster ab – eine beein- teiligt gewesen ist (Gregor VII. war Mönch in
Nur etwa zehn Prozent
druckende Zahl. Allerdings lebten nach heuti- Cluny gewesen) oder ob er Urban II. (einen frü- des ehemals 187 Meter
gen Schätzungen in mehr als der Hälfte dieser heren cluniazensischen Großprior) zur Aus- langen Kirchenbaus
Klöster jeweils weniger als sechs Mönche. Zwei rufung des Ersten Kreuzzugs geraten hat. Wie existieren noch
Drittel des weitgespannten Netzwerks bestan- auch immer: Als Hugo starb, endete mit ihm
den also aus eher kleinen Einheiten. auch die Glanzzeit von Cluny.
Der Niedergang setzte ein. Nicht nur, weil
1088 stellt die neue Klosterkirche den
mit der Entstehung des Zisterzienserordens um
römischen Petersdom in den Schatten Bernhard von Clairvaux zu Beginn des 12. Jahr-
»Cluniacensis ecclesia«, »Kirche von Cluny« hunderts eine Konkurrenz erwuchs, die Cluny
nannte sich die Familie aller zu Cluny gehören- alt aussehen ließ, weil sie bewusst auf viele Pri-
den monastischen Einrichtungen. Ihr Zusam- vilegien verzichtete. Auch finanziell hatte sich
mengehörigkeitsgefühl lässt sich aus den erhal- Cluny überhoben, und im Streit über einen ab-
tenen Sterberegistern ablesen: Danach wurde in gesetzten Abt, der von seinem Amt nicht lassen
der heiligen Messe für die verstorbenen Mön- wollte, spalteten sich die Mönche in feindliche
che aller Konvente gebetet, die Cluny unterstan- Gruppen. Auch wenn es dem herausragenden
den, nicht nur für die der eigenen Abtei. Abt Petrus Venerabilis im 12. Jahrhundert mit
An der Spitze des cluniazensischen Systems einer Reihe von Reformen gelang, die Gemein-
stand, mit weitreichenden Vollmachten aus- schaft wieder zu stabilisieren, konnte sie sich
gestattet, der Abt des Mutterklosters: Er konn- doch nicht mehr zur früheren Größe aufschwin-
te seinen eigenen Nachfolger bestimmen und gen. Im 18. Jahrhundert zerfiel sie schließlich in
(der Regel des hl. Benedikt zum Trotz) Mönche zwei Flügel, und kurz darauf versetzte ihr die
von einem Konvent in den anderen versetzen. Französische Revolution den Todesstoß.
Viele dieser Äbte waren beeindruckende Per-
sönlichkeiten, die die Kirche und Gesellschaft
LESETIPP
ihrer Zeit stark geprägt haben; einige gelten
in der katholischen Kirche heute als Heilige. Joachim Wollasch: »Cluny – Licht der Welt. Aufstieg
Unter Hugo von Semur, dem sechsten Abt, er- und Niedergang der klösterlichen Gemeinschaft«.
Patmos 2001, antiquarisch
lebte das Netzwerk von Cluny ein besonders

G GESCHICHTE 12 | 2019 41
2. KAPITEL VISIONEN

Hildegard von Bingen


— der Mythos lebt

Das wahre
Orakel Gottes
Ob Petersilientrank oder Edelsteine: Produkte unter dem
Namen Hildegard von Bingen lassen sich im Internet einfach
finden. Die persönlichkeitsstarke Nonne aus dem
12. Jahrhundert fasziniert bis heute. Warum ist das so?
[ VON JANINA LINGENBERG ]

J
utta ist angekommen. Sie mersheim bei Alzey das Licht der Welt. Die
ist die Frau, die zusammen Kleine ist oft krank und schwach, sodass sich
mit zwei kleinen Mädchen die Eltern die Frage stellen müssen, ob das
auf der Baustelle einzie- Kind heiratsfähig ist. Bleibt nur das Kloster? Es
hen will. Hoch oben auf ist beschlossen. Gott ist mit den Schwachen. So
dem Disibodenberg – un- erreicht Hildegard den Berg des heiligen Disi-
weit der Nahe. Fernab von bod in einer Zeit, als die Welt sich bewegt: Das
der Welt und allem Weltli- Klima wird wärmer, Städte werden gegründet
chem. Die drei werden sich und bürgerliche Freiheiten geben neue Impulse.
dem Benediktinerkloster anschließen und ne- Eine Zeit, in der auch Frauen Chancen haben,
ben den Mönchen als Inklusen leben. denn Mönche und Theologen sehen sie als Be-
Vielleicht wurden sie tatsächlich eingemau- reicherung in religiösen Gemeinschaften.
ert. Vielleicht auch nicht. Vielleicht zeigten
Als Mädchen lernt sie Handarbeiten,
sich die beiden Mädchen entflammt dafür, hier
in aller Einfachheit und in Juttas Pflege aufzu- Psalmen und Krankenpflege
wachsen. Vielleicht auch nicht. Wir wissen es Und so erwirkt die zielstrebige und selbst-
nicht. Wie vieles aus dem Leben der Hildegard bewusste Jutta von Sponheim eine Frauenklau-
von Bingen, die mit 14 Jahren zu den Benedik- sur. Am 1. November 1112 ist es offiziell und
tinern kommt. Noch verschweigt sie meist das Bischof Otto von Bamberg nimmt bei einer fei-
Licht, das Feuer, das sie durchstrahlt, wenn der erlichen Zeremonie das Gelübde entgegen. Die
BILDNACHWEIS: AKG/ALBUM/CELLULOID DREAMS

Allmächtige zu ihr spricht. »In meinem drit- neue Magistra sammelt schnell etwa zehn Frau-
ten Lebensjahr sah ich ein so großes Licht, dass en um sich, aber ihre Lieblingsschülerin bleibt
meine Seele erbebte, doch wegen meiner Kind- Hildegard. Das Mädchen zeigt sich gelehrsam
heit konnte ich mich nicht darüber äußern«, und lernt zum Beispiel Psalmen, Handarbei-
schreibt sie später. Bis sie ihre Visionen in die ten und Krankenpflege. Im Jahr 1115 legt Hil-
Welt hinausruft, vergehen noch Jahre. degard die Profess ab. Und als Jutta am 22. De-
Hildegard erblickt als zehntes Kind der Ade- zember 1136 stirbt, tritt sie ihre Nachfolge an.
ligen Hildebert und Mechthild 1098 in Ber- Allerdings dauert es noch, bis die neue Vor-

42 G GESCHICHTE 12 | 2019
Die Mystikerin
im Film
Barbara Sukowa spielte
2009 in »Vision. Aus dem
Leben der Hildegard von
Bingen« die Titelrolle.
Regie führte Margarethe
von Trotta

G GESCHICHTE 12 | 2019 43
2. KAPITEL VISIONEN

steherin beginnt, Profil zu zeigen; es dauert,


bis das Licht spricht: »Du gebrechlicher Mensch,
Asche von Asche, Fäulnis von Fäulnis, sage und
schreibe, was du siehst und hörst ...«
Mit 42 Jahren ist der Weg klar. Ihr Vertrau-
ter, Mönch Volmar, bestärkt sie und Abt Kuno
meint – obwohl Frauen nach Paulus schweigen
sollen –, dass eine Seherin für das Kloster gut
wäre. Nachdem Papst Eugen III. auf einer Sy-
node davon erfähren hat, überprüft eine Kom-
mission die Visionen und fragt, ob sie dabei wa-
che oder schlafe. »Ich empfing sie wachend und
umsichtig bei klarem Verstand mit den Augen
und Ohren des inneren Menschen an zugängli-
chen Orten nach dem Willen Gottes.«
Der Papst entbindet Hildegard von der
Schweigepflicht und setzt damit den Startschuss
für ihre Karriere, ihren Mythos. Wie ein Kom-
munikationsstratege arbeitet sie an ihrem Le-
benswerk und weiß um den Wert einer Korres-
pondenz mit berühmten Herrschern und Geist-
lichen. Etwa 390 Briefe sind überliefert. Einer
der ersten geht um 1147 an Bernhard von Clair- nes Denken voraussetzt. Aktuell ist Hildegard Die Schau
vaux: Sie fragt den berühmten Abt, ob sie ihre übrigens auch, weil sie einen Zusammenhang des Erlösers
Visionen offenlegen soll. Das hilft, Neider zum zwischen selbstzerstörerischem Menschen und Gott ist das blaue Licht
Schweigen zu bringen. Auch erlaubt sie sich, misshandelter Umwelt herstellt. Hildegard sei im Feuer­kreis ganz
König Barbarossa zu Gerechtigkeit und Barm- wohl die berühmteste Persönlichkeit des Mit- oben. Sein Wort er­
herzigkeit zu ermahnen oder Kleriker anzukla- telalters, sagt Schwester Maura. Die Menschen schafft in sechs Luft­
gen, die maßlos zu leben. Nachträglich führt ein heute sehnten sich nach Heilung und Ganzheit- kugeln die Welt, die ins
Redaktionsteam Briefe neu zusammen oder re- lichkeit und dieser Sehnsucht kämen Angebote Finstere gerät und von
Christus erlöst werden
digiert sie – zu der Zeit nichts Ungewöhnliches. wie Ernährungstherapie und Edelsteine im Na-
muss. Der kehrt zuletzt
men Hildegards entgegen: »’Hildegard’ bietet als Lichtmensch (unten)
Hildegards Theologie könnte noch
dabei eher eine Projektionsfläche.« zu Gott zurück:
heute neue Impulse setzen Ihre Kosmologie (Lehre von der Welt) run- Der Himmel steht den
Unter großem Arbeitseinsatz entstehen so det die berühmte Benediktinerin mit einer Lie- Menschen offen.
ihre Schriften, deren göttliche Botschaften sie dersammlung von 77 Kompositionen und mit Miniatur aus Hildegards
zuerst in Wachstafeln kratzt, damit Mönch ­e inem Buch zu einer unbekannten, selbster- Buch »Scivias«
Volmar oder ihre Vertraute Richardis sie auf schaffenen Sprache ab. Bei den Bittstellern ist
Pergament bannen können. 1151 ist ihr erstes das »wahre Orakel Gottes«, wie sie sie nennen,
Buch »Scivias«(»Wisse die Wege«) fertig. Sei- vor allem beliebt, weil sie Trost spendet und auf
ne Wirkung leidet bis heute unter der männlich einen barmherzigen Gott verweist, der Men-
geprägten Theologie. Dabei könnte Hildegard schen nicht bestraft, sondern Erlösung schenkt.
der Schultheologie neue Impulse geben, erklärt »Sie hat viele berührt und bewegt. Sie hat es ver-
Schwester Maura Zátonyi, die Vorsitzende der standen, zwischen Gott und den Menschen zu
St. Hildegard-Akademie Eibingen. vermitteln«, so Biografin Barbara Beuys.
Es folgen weitere Werke wie zwischen 1151 Kein Wunder, dass Hildegard sich in ihrem
und 1158 die berühmten heil- und naturkund- Auftrag, »den Menschen Heil zu bringen«, spä-
lichen Schriften, die nicht mehr im Original ter auch auf Predigtreisen begibt. Unerhört!
existieren. Hier beschreibt Hildegard die Na- Nicht nur für Frauen. Aber Beweglichkeit ist in
turkräfte und nennt Rezepturen, mit denen sich jeder Hinsicht für Hildegard ein Faktor, obwohl
Krankheiten behandeln lassen. Alles bedingt die »stabilitas loci« vorschreibt, dass sie auf dem
sich. U
­ ngewöhnlich liest es sich, wenn sie über Berg des heiligen Disibod zu bleiben hat – aber
weibliche Menstruation oder männliche Eja- das Licht will es anders. Und ein eigenes Kloster
kulation schreibt, weil es für uns ein moder- soll her. 1150 ziehen etwa 20 Frauen zum Ru-

44 G GESCHICHTE 12 | 2019
»Ich küsse die Sonne, wenn ich sie in
Freude besitze, und umarme den Mond«
Hildegard von Bingen

pertsberg aus, um mit Helfern eine Baustelle Frau«, »ich ungebildete, schwache Frau«. Oder
einzurichten. Einige Schwestern und der eigene sie schreibt: »Was ich aber nicht sehe, das weiß i VITA
Abt sind gegen das Projekt: »Damit dies nicht ich nicht, weil ich ungebildet bin.« Damit kann
zustande komme, verschworen sie sich, uns Wi- sie zudem glaubwürdig untermalen, dass aus Hildegard
derstand entgegenzusetzen. Von mir behaupte- ihr das Licht spricht. von Bingen
ten sie, ich habe mich durch ein Trugbild täu- Am 17. September 1179 stirbt Hildegard von
schen lassen«, schreibt Hildegard. Bingen in hohem Alter. Die Menschen vereh- 1098
Geboren als Kind
ren sie wie eine Heilige, sodass Erzbischof Sieg-
Ihr Charakter: Radikal, selbstbewusst einer Adelsfamilie
fried II. zum Rupertsberg reisen muss, um das
und dabei doch diplomatisch »Wundertun« zu verbieten. 1228 leitet Papst 1112
Was hilft? Wieder einmal das Herantreten Gregor IX. einen Heiligsprechungsprozess ein, Einzug als Inkluse auf
dem Disibodenberg
an den ranghöheren Erzbischof von Mainz, der der keinen Abschluss findet. Trotz gelebter Hei-
den Streit um die Mitgiften der Bräute Christi ligenverehrung vergehen Jahrhunderte, bis Hil- 1136
regelt und das neue Kloster direkt der Mainzer degard 2012 ihren Platz im päpstlichen Katalog Hildegard wird Meiste­
Kirche unterstellt. Nach einem entbehrungsrei- findet und als Kirchenlehrerin anerkannt wird. rin des Frauenklosters
chen Anfang steht am Ende ein modernes Heim Dennoch fehlen die Achtung und Rezeption als 1147
mit fließend Wasser in den Zimmern. 1165 folgt Theologin. Warum Hildegard seit über 800 Jah- Der weitgespannte
sogar eine Zweigstelle in Eibingen. ren begeistert? »Wirklich erklären kann man es Briefwechsel beginnt
BILDNACHWEIS: AKG/HERITAGE IMAGES/FINE ART IMAGES, GETTY IMAGES NEWS

Was ist der besondere Charakter dieser star- nicht«, sagt Barbara Beuys. »Es hängt wirklich
1150
ken Frau? »Eine Kombination von radikal und mit ihrer Persönlichkeit zusammen.« Übersiedlung auf den
selbstbewusst und trotzdem dabei diplomatisch. Rupertsberg b. Bingen
Sie hat ihre Ansichten klug nach außen vertre-
LESETIPP 1151
ten«, sagt Barbara Beuys. Hildegard ist fleißig,
Barbara Beuys: »Hildegard von Bingen. »Scivias« ist vollendet.
ehrgeizig, zielstrebig, mutig, charismatisch und
Kämpferisch und barmherzig«. Insel 2017, € 10,– Weitere Bücher folgen
eben selbstbewusst, aber immer auf der Hut,
als Grenzgängerin nicht ins Abseits zu gelan- 1158
gen. Was bei dem Pensum nicht vergessen wer- Beginn der Predigt-
den darf: Sie leidet lebenslang unter Krankhei- reisen, insgesamt
werden es vier
ten. Aber Gott ist mit den Schwachen. Das be-
teuert sie auch in ihrem Schriftwerk, in das sie 1179
öfters einsteigt mit Worten wie »ich armselige Hildegard stirbt im
Kloster Rupertsberg

Eine Benediktinerin im
Weinberg von Kloster Eibingen

G GESCHICHTE 12 | 2019 45
Streng, nüchtern, aber
erfolgreich führt Abt
Bernhard von Clairvaux
die Zisterzienser.
Unter ihm verbreitet
sich der Orden rasch in
weiten Teilen Europas

Zisterzienser
Die neuen,
radikalen Asketen
Zu großer Luxus, zu wenig Feldarbeit: Weil ihnen die Reformen
ihrer Mitbrüder nicht weit genug gehen, suchen einige
Benediktiner mehr Strenge und begründen so einen neuen Orden
BILDNACHWEIS: AKG/ALBUM/PRISMA

[ VON SOPHIA SCHÜLKE ]

46 G GESCHICHTE 12 | 2019
2. KAPITEL VISIONEN

A
n den Wänden zeigt In Cîteaux herrscht ein radikale- Unter Bernhard von Clairvaux ent-
die Kirche ihren rer Geist als bei den Benediktinern in faltet der Orden schließlich seine unge-
Glanz, an den Ar- Cluny. Die Mönche hier folgen radikal heure Strahlkraft. Bernhard, der 1113
m e n i h re Kn i ck - der Benediktinerregel: Sie leben in Ar- in das Kloster Cîteaux eingetreten ist,
rigkeit.« So wettert mut und Abgeschiedenheit, tragen Ge- predigt wortgewaltig. Er gründet 68
Bernhard von Clair- wänder aus grauer, ungebleichter Wol- Klöster, verfasst zahlreiche Schriften
vaux 1125 in seiner le, schlafen auf Holzbänken im unge- und wird schließlich Ordensleiter.
Schrift »Apologia« gegen den Stolz und heizten Dormitorium und stehen um Bernhard ist ein Radikaler, der sei-
den Luxus, der sich in den Klöstern zwei Uhr morgens zum ersten von ins- ne Ideale lebt und die Ordensregeln er-
ausbreitet. Es graut ihm vor all jenen gesamt sieben Gebeten auf. Sie begnü- neuert. Er warnt vor Schmuck im Klos-
benediktinischen Glaubensbrüdern, gen sich mit einer Mahlzeit. Nur in den terbau, in der Buchkunst und in der Le-
die statt der vorgeschriebenen 37 täg- arbeitsreichen Sommermonaten wird bensführung. Jede Art von Pracht ver-
lich lieber 215 Psalmen beten, die sich zweimal täglich gegessen. Aber selbst führe zu Arroganz und Ketzerei. »Im
dem Müßiggang hingeben und mehr dann kommen weder Milch noch Käse Äußeren gezeigter Überfluss ist ein An-
von weltlichen Spenden als von ihrer oder Fleisch auf den Tisch. Die Feldar- zeichen innerer Leere«, notiert er 1125
Hände Arbeit leben. Mit seiner Kritik beit bewerkstelligen die Mönche – an- in besagter »Apologia«.
ist der geborene Rittersohn und spätere ders als viele ihrer ehemaligen Bene- Seit der Gründung der Abtei Tart
Kreuzzugsprediger keineswegs allein. diktinerbrüder – ohne Hilfe von Unter- nahe Dijon im Jahr 1132 gibt es auch
Nicht nur Bernhard bemängelt, dass gebenen. Bereits kultivierte Ländereien Zisterzienserinnen. Die Zisterzienser
die einst von der Abtei von Cluny in nehmen sie nicht als Schenkung an. legen Sümpfe trocken und beackern
Burgund ausgegangene Reform längst Felder, womit sie entscheidend zum
verwässert wird. Ausbau des Landes beitragen. Sie ver-
Ursprünglich haben die Mönche des »Im Äußeren gezeigter breiten landwirtschaftliche Techniken
im Jahre 910 gegründeten Benedikti- Überfluss ist ein An­ und aufgrund der regen Bautätigkeit
nerklosters von Cluny alte Tugenden auch die Backsteingotik. Als Bernhard
beschworen und dadurch das Mönch-
zeichen innerer Leere« 1153 stirbt, zählt der Orden bereits 343
Bernhard von Clairvaux,
tum überall in Europa inspiriert. Cluny, Klöster und ist in den wichtigsten eu-
1125 in seiner »Apologia«
das allein dem Papst untersteht, hat ropäischen Ländern präsent.
sich zudem als Klosterverband orga- Doch die Zisterzienser werden Op-
nisiert und damit dem chaotischen Robert von Molesme initierte diese fer ihres Erfolgs. Neue Bettelorden wie
Mönchtum erstmals eine feste Ordens- neue innerkirchliche Reformbewegung. die Dominikaner und die Franziskaner
struktur verliehen. Doch es ist einer seiner Nachfolger, richten ihr Augenmerk auf die Seelsor-
der Abt Stephan Harding, der mit der ge. Je beliebter sie werden, desto mehr
Ungeheizte Schlafräume
»Carta Caritatis« (Urkunde der Liebe) fehlt es den Zisterziensern an Nach-
und harte Feldarbeit den Grundstein für den Zusammen- wuchs. Viele ihrer Klöster können bald
Aber schon bald gerieten die Tugen- halt der Klöster in einem Orden legt. kaum mehr die eigenen Ländereien be-
den in Cluny wieder in Vergessenheit. Als der Papst dieses Verfassungsdoku- wirtschaften und sind auf die Abgaben
Bereits in der zweiten Hälfte des 11. ment 1119 billigt, ist den Zisterzien- abhängiger Pachtbauern angewiesen.
Jahrhunderts wird deshalb Kritik laut: sern damit ein entscheidender Schritt So wie sich damit ihre asketischen Ide-
Der Benediktiner Robert von Molesme gelungen, um sich von den Benedikti- ale aufweichen, verlieren sie ihren Ruf
wirft seinen Ordensbrüdern vor, das nern zu lösen. als Reformorden.
Armutsideal zu missachten. 1075 grün- Die Zisterzienser begründen mit der Schließlich geht im 17. Jahrhun-
det er mit einigen Mönchen die Abtei Zeit einen einheitlichen Klosterbau, ei- dert auch aus den Zisterziensern ein
Molesme. Als Abt will Robert die Regel ne eigene Liturgie und eine besondere Reformzweig hervor: die weltabge-
Benedikts von Nursia (Benediktiner- Marienfrömmigkeit. Zudem bringt die schiedenen Trappisten, die sich selbst
regel) streng durchsetzen, scheitert je- junge Reformbewegung einen weniger als »Zisterzienser der strengen Obser-
doch am Widerstand der Mönche. Mit hierarchischen Klosterverband hervor: vanz« bezeichnen.
21 Gleichgesinnten zieht er wiederum Die einzelnen Abteien sind selbststän-
aus und gründet 1098 Cîteaux, latei- diger als bei den Benediktinern. Ihr
nisch Cistercium. Das einfache Kloster Verband funktioniert nach dem Prin-
nahe Dijon wird dem sich formieren- zip der Abstammung (Filiation), wobei
LESETIPP
den Orden der Zisterzienser, einem der die Mutterabtei einmal im Jahr prüft,
strengsten der katholischen Kirche, sei- ob in ihren Tochterabteien die Bene- Jörg Oberste: »Die Zisterzienser«.
Kohlhammer/Urban 2014, € 26,90
nen Namen geben. diktinerregel eingehalten wird.

G GESCHICHTE 12 | 2019 47
3. KAPITEL MACHT

Fürsten in
der Kutte

48 G GESCHICHTE 12 | 2019
D
[ VON DANIEL CARLO PANGERL ]

Die Entstehung von irekt und unmittelbar


dem Kais er unterge-

Klosterstaaten ben.« Im Heiligen Römi-


schen Reich des späten
Mittelalters und der frü-
Einigen Klöstern gelingt es ab dem hen Neuzeit sah die Ge-
späten Mittelalter, zu Reichs­abteien auf- sellschaftsordnung ein
besonderes Privileg vor:
zusteigen. Sie häufen beeindruckende Personen, aber auch In-
Besitztümer an und ihre Äbte spielen stitutionen konnten die sogenannte Reichsun-
eine bedeutende Rolle auf der mittelbarkeit erlangen. Sie unterstanden dann
keinem anderen Herrscher (etwa einem adeli-
politischen Bühne der Reichstage gen Landesherrn), sondern direkt dem Kaiser.
Dies war der größtmögliche Freiheitsgrad, den
ein Mensch zur damaligen Zeit erlangen konnte.
Wer den Status der Reichsunmittelbarkeit be-
saß, hatte die Pflicht, dem Kaiser mit »Rat und
Tat« zur Seite zu stehen. Damit verbunden war
die Teilnahme an Reichstagen, auf denen über
bedeutende politische, wirtschaftliche und mi-
litärische Themen debattiert wurde, sowie die
Zahlung von Reichssteuern, die direkt an den
Kaiser flossen.
Wer »reichsunmittelbar« ist, hat ein
Stimmrecht auf den Reichstagen
Insgesamt gab es drei Gruppen von reichs-
unmittelbaren Personen und Institutionen. Ers-
tens, die Kurfürsten, Fürsten sowie die Fürstbi-
schöfe und Fürstäbte. Sie hatten auf den Reichs-
tagen jeweils eine sogenannte Virilstimme, ein
Einzelstimmrecht. Zur zweiten Gruppe gehör-
ten die Grafen und Herren, die Reichsstädte
und die reichsunmittelbaren Äbte (Reichsprä-
laten). Sie waren in Korporationen organisiert,
von denen jede nur eine einzige gemeinsame
Stimme auf den Reichstagen besaß. Die beiden
ersten Gruppen bildeten zusammen die Reichs-
stände. Zur dritten Gruppe, deren Mitglieder
kein Stimmrecht auf den Reichstagen hatten,
zählten insbesondere die Reichsritter.
Bemerkenswert an dieser politischen Ord-
nung war die Tatsache, dass auch Äbte von
Klöstern zu den mächtigen Entscheidungs-
trägern gehörten. Wie aber kam es dazu, dass
Mönche quasi zu »Fürsten in der Kutte« wur-
den und eigene, von den weltlichen Autoritä-
BILDNACHWEIS: INTERFOTO/BAHNMÜLLER

ten weitgehend unabhängige »Klosterstaaten«


gründen konnten?
Das Epizentrum dieser klösterlichen Un-
Äbte von Klöstern, die direkt dem Kaiser unterstellt
abhängigkeitsbewegung war der Südwesten
sind, haben auf den Reichstagen ein gemeinsames des heutigen Deutschlands. In Oberschwaben,
Stimmrecht. Daher sind sie auch hier auf dem das von den drei Gewässern Donau, Lech und
Reichstag in Augsburg im Jahr 1530 anwesend Bodensee begrenzt war und sich heute auf

G GESCHICHTE 12 | 2019 49
Baden-Württemberg und Bayern verteilt,
existierten im Mittelalter zahlreiche bedeuten-
de Klöster. Diese wollten ihre Machtstellung
im Reich ausweiten. Sie gehörten vorwiegend
den Orden der Benediktiner, Prämonstraten-
ser und Zisterzienser an. Der Verfall der welt-
lichen Herrschaft begünstigte den Aufstieg die-
ser Klöster, denn kurz nach dem Jahr 1300 hatte
sich das zuletzt von den Habsburgern regierte
Herzogtum Schwaben aufgelöst.
Die Reichsabteien kaufen Grundbesitz von
Adeligen und unterdrücken die Bauern
Weil eine starke Zentralgewalt fehlte, muss-
ten die Klöster nur noch mit kleineren Regio-
nalherrschern konkurrieren. Diese weltlichen
Adeligen schränkten jedoch die Macht der Äb-
te ein, da sie als Vögte (Schutzherren) in die in-
Johann von Waldburg- neren Angelegenheiten der Klöster eingreifen
Wolfegg war ab 1628
durften und diese in weltlichen Rechtsprozes-
Abt des Klosters
Reichenau und Fürst­
sen vertraten. Einige reiche Abteien wie Kemp-
bischof von Konstanz ten kauften sich frei, indem sie die Vogteirechte
von den Adeligen erwarben. Andere profitier-
ten von ihren engen Beziehungen zu den höchs-
ten politischen Kreisen: Beispielsweise entließ
Kaiser Friedrich III. persönlich im Jahr 1480
das Kloster Roggenburg aus dessen Bindung an
die Reichsstadt Ulm.
Sobald diese Reichsklöster den Rechtsstatus
der Reichsunmittelbarkeit erlangt hatten und
somit direkt dem Kaiser unterstanden, gingen

BILDNACHWEIS: AKG/IMAGNO/GERHARD TRUMLER, INTERFOTO/TONI SCHNEIDERS, INTERFOTO/MARCO SCHNEIDERS, ISTOCK/HERMSDORF


sie dazu über, ihre »Klosterstaaten« flächenmä-
ßig auszudehnen. Dazu nutzten sie die finanzi-
ellen Schwierigkeiten zahlreicher Adeliger aus
und kauften oft Teile von deren Grundbesitz
auf. Die auf diesem Boden tätigen Bauern wur-
den nun zu Untertanen der Äbte.
Diese Menschen waren Hörige: Sie waren
unfrei, an ihre Scholle gebunden und bearbei-
teten das klösterliche Land. Zudem waren sie
verpflichtet, Abgaben an die Klöster zu entrich-
ten und Frondienste – etwa Forstarbeiten und
Spanndienste mit Zugtieren – zu leisten. Ver-
bunden mit ihrer Grundherrschaft erlangten
Keine falsche die Klöster auch das Privileg der niederen und
Bescheidenheit hohen Gerichtsbarkeit. Somit durften sie über
Aus einem einfachen ihre Untertanen in weltlichen Angelegenheiten
Hirtenstab wird ein mit Recht sprechen.
Juwelen und Gold über- Der rasante Aufstieg der Reichsabteien blieb
säter Krummstab.
jedoch nicht ohne Widerspruch. Viele Bauern
Er entwickelt sich zu
einem Macht­insigne
wehrten sich gegen das strenge Regiment der
eines Fürstabtes, Äbte und versuchten, ihre Besitz- und Erbrech-
analog zum Schwert te zu wahren. Aus dem 15. Jahrhundert sind
eines weltlichen Fürsten mehrere Verträge überliefert, die Kompromiss-

50 G GESCHICHTE 12 | 2019
3. KAPITEL MACHT

»Nicht der Landeshoheit eines Fürsten,


sondern nur Kaiser und Reich unterstehend«
Definition von »Reichsunmittelbarkeit«

Nur wenigen Äbten gelingt der


Aufstieg zum Fürstabt. Zu diesem
illustren Kreis gehören die Fürst­äbte
der Residenz in Kempten (Allgäu)

regelungen zwischen Klöstern und Bauern do- bank. Sie verfügte seit dem Jahr 1653 über eine Das prunkvolle Tag­
kumentieren. Daneben wiesen kritische Stim- eigene Kuriatstimme. Der Name dieses Kollegi- zimmer des Fürstabtes
men darauf hin, dass sich das in der benedik- ums war insofern irreführend, als ihm Reichs- in der Kemptener
Residenz
tinischen Mönchsregel enthaltene Armutsgebot abteien aus allen Teilen des Reiches angehörten:
wohl kaum mit dem neu erworbenen Reichtum darunter sogar aus Schwaben, wie St. Ulrich
der »Klosterstaaten« vereinbaren lasse. und Afra in Augsburg und Isny im Allgäu. Der
Dennoch setzte sich der Machtzuwachs der Direktor der Rheinischen Prälatenbank war der
Reichsabteien fort. Einigen Äbten gelang sogar Abt des Benediktinerklosters Werden bei Essen.
der Aufstieg zum Fürstabt, verbunden mit dem Auch Frauenklöster konnten vom Kaiser die
Recht auf Sitz und Einzelstimmrecht im Reichs- Reichsunmittelbarkeit, und deren Äbtissinnen
fürstenrat, dem mächtigsten Gremium auf dem den Rang eines Reichsprälaten erhalten. Sie
Reichstag. Zu diesem illustren Kreis gehörten durften ebenfalls Mitglied der beiden Prälaten-
unter anderem die Fürstäbte von Corvey an der bänke werden. Zu den Reichsabteien der Bene-
Weser, Fulda, Kempten im Allgäu, Prüm in der diktinerinnen gehörten unter anderem Frau-
Eifel und Reichenau (Bodensee). enchiemsee in Bayern, Fraumünster in Zürich
und Göss im österreichischen Leoben.
Auch Frauenklöster können vom Kaiser
Rund ein halbes Jahrtausend lang bestimm-
die Reichsunmittelbarkeit erhalten ten die Reichsabteien die europäische Politik
Die meisten reichsunmittelbaren Äbte besa- mit, doch infolge der Napoleonischen Kriege,
ßen jedoch den Rang eines Reichsprälaten. Die der Säkularisation und des Endes des Heiligen
Reichsmatrikel, das Verzeichnis der Reichs- Römischen Reiches im Jahre 1806 verloren sie
stände des Heiligen Römischen Reiches, weist ihren Status der Reichsunmittelbarkeit. Zahlrei-
für das Jahr 1521 insgesamt 83 Reichsprälaten che dieser Abteien wurden aufgelöst und ihre
auf. Diese organisierten sich in der Schwäbi- Territorien und Reichtümer gingen auf die gro-
schen Prälatenbank, die im Jahr 1582 eine ge- ßen weltlichen Fürstentümer wie Bayern, Ba-
meinsame Kuriatstimme (lat. curia =Versamm- den und Württemberg über. Doch noch heute
lung) erhielt. Dies bedeutete, dass sich die Mit- zeugen die imponierenden und prächtig aus-
glieder auf den Reichstagen eine Stimme teilen gestatteten Bauwerke vom klösterlichen Glanz
mussten. An der Spitze der Rangfolge stand der vergangener Zeiten.
Abt des Zisterzienserklosters Salem am Boden-
see, dominiert wurde die Prälatenbank aber von
LESETIPP
den Benediktinerabteien wie Elchingen, Irsee,
Ochsenhausen und Weingarten. Thomas Vogtherr: »Die Reichsabteien der Benediktiner
Daneben bildete sich eine zweite Vertretung und das Königtum im hohen Mittelalter (900 – 1125)«.
Jan Thorbecke Verlag 2000, antiquarisch
von Reichsprälaten: die Rheinische Prälaten-

G GESCHICHTE 12 | 2019 51
Hohe Kunst und stille Frömmigkeit
In der Barockkirche St. Mariä Himmelfahrt in Ettal,
Bayern, verewigte der Tiroler Freskomaler Johann Jakob
Zeiller biblische Gestalten und schwebende Heilige

Mit dem Schild gegen das Böse


Der heilige Erzengel Michael bezwingt den Teufel und
kämpft kühn für den Erhalt der göttlichen Ordnung
BILDNACHWEIS: ALAMY, INTERFOTO/CHRISTIAN BÄCK, ISTOCKPHOTO.COM/LOVELYPEACE

Im Zauber der
Weihnachtszeit
Kloster Ettal, am Rande
der Alpen gelegen, mit
seiner Basilika und der
im 18. Jahrhundert ent-
standenen imposanten
Anlage

52 G GESCHICHTE 12 | 2019
3. KAPITEL MACHT

Spätblüte der Klöster

Barocker Glanz
Mitte des 17. Jahrhunderts entstehen im Süden Deutschlands prächtige
Kirchenbauten, die atemraubendes Selbstbewusstsein ausstrahlen.
Noch einmal werden die Klöster zu Zentren von Wirtschaft und Forschung

G GESCHICHTE 12 | 2019 53
3. KAPITEL MACHT

K
[ VON KARIN SCHNEIDER-FERBER ]

lara Staiger konnte es te die katholische Kirche durch das Konzil von
nicht fassen: Im Mai Trient, das von 1545 bis 1563 abgehalten wor-
1633 hatten schwedi- den war, zu neuer Geschlossenheit und Selbstsi-
sche Truppen ihr vor cherheit zurückgefunden. Diese schlug sich im
Eichstätt gelegenes gesamten katholischen Süden des Heiligen Rö-
Kloster Marienstein mischen Reiches, in Österreich, Bayern, Schwa-
so gründlich geplün- ben und den fränkischen Bistümern im Laufe
dert, dass kein Stein des 18. Jahrhunderts in wahren Prunkbauten
mehr auf dem ande- des Barock und Rokoko nieder.
ren stand. »Was an al-
Biere, Liköre und Kräuterwässer machen
len Orten im Kloster für ein Jammer und Wüst
gewesen, ist unmöglich zu beschreiben«, klagte so manches Kloster weltberühmt
die Priorin des Augustinerinnenklosters. »Erst- Große Reichsstifte wie Kempten, Ottobeuren,
lich ist unser kirchen und closter aufbrochen, Irsee oder Roggenburg, die weltlichen Fürsten-
die altär verwüstet, die reliquien, bilder und kir- tümern gleichgestellt waren, setzten alle künst-
chengeschirr alles zerrissen.« Akribisch zählte lerischen Mittel ein, um ihre Macht und ihren
sie in ihrem Tagebuch auf, was den Schweden Rang baulich abzubilden, gleichzeitig aber auch,
alles in die Hände gefallen war: Koch- und Ess- um ihren Untertanen die Freude am Glauben
geschirr, Braukessel, die gesamte Apotheke, al- zu vermitteln. Dafür scheuten sie keine Mühen
le Essensvorräte, dazu Geflügel und Vieh. Der und Kosten. Maler, Bildhauer, Tischler, Stucka-
Konvent stand kurz vor dem Aus. teure, Vergolder wirkten zusammen, um ein
Was die Augustinerchorfrau Klara Staiger Stück »Himmel auf Erden« zu holen. Figuren-
ihrem Tagebuch über die schweren Jahre zwi- reiche Deckengemälde, lachende Putti an al-
schen 1631 und 1650 anvertraute, betraf viele len Ecken und Enden, goldgefasste Altäre und
süddeutsche Klöster: Überall gab es Zerstörung, Skulpturen in jeder Seitenkapelle, dazu präch-
Flucht, Vertreibung. tig klingende Orgeln. Es sollte ein Fest für alle
Erst der Westfälische Frieden von 1648 schuf Sinne sein.
Präzise Arbeit am
die Voraussetzungen für einen Neuanfang. Dass Ebenso großzügig wie die Kirchen fielen
Schreibpult
gebaut werden musste, stand in vielen Ordens- auch die Konvents- und die Wirtschaftsgebäu-
Den Kopf aufgestützt
gemeinschaften außer Frage, doch wie gebaut de aus. Bautypologisch folgten die großen Anla-
arbeitet ein Mönch am
Pult, während sein Or-
wurde, überstieg alles Erwartbare. Eine neue gen – wie sie in den oberschwäbischen Reichs-
densbruder kritisch ein Lust am Glauben brach sich Bahn und suchte klöstern Wiblingen, Schussenried, Ochsenhau-
Dokument beäugt, an ihren Ausdruck in der Architektur. Nach all den sen oder Ottobeuren im Allgäu verwirklicht
dem ein Siegel hängt Glaubenskämpfen und Glaubenszweifeln hat- wurden – dem spanischen Klosterschloss Esco-

Auf einer Insel im Klostersee


Bis zur Auflösung 1803 beherbergt
das Kloster Seeon in Ober-
bayern eine berühmte Schreibschule

54 G GESCHICHTE 12 | 2019
rial. Um die prächtig ausgestattete Kirche als be und Sägewerke, Bauhütten, Käsereien, Vieh- Als hätte es nie einen
Mittelpunkt gruppierte sich ein rechtwinkliges und Bienenzucht. Dreißigjährigen Krieg
Klausurgeviert, das seinerseits von weiteren Ge- Die Bewohner der zu den Reichsklöstern ge- gegeben: Die Abtei
Ottobeuren wird im
bäudetrakten wie Stallungen, Speichern, Werk- hörenden Dörfer standen unter der Herrschaft
18. Jahrhundert wieder
stätten, Dienstwohnungen für das Gesinde und der Fürstäbte und -äbtissinnen. Sie waren zu aufgebaut und gilt
Gästeunterkünften ergänzt wurde. Auf diese Abgaben und Frondiensten verpflichtet, unter- heute als einer der
Weise entstanden regelrechte Klosterstädte. standen ihrer Gerichtsbarkeit, profitierten aber schönsten Barock­
Grundlage dieses erstaunlichen Wiederauf- auch von den überregionalen Wirtschaftsbezie- bauten überhaupt
stiegs innerhalb nur eines Jahrhunderts war hungen sowie den Handwerks- und Bauaufträ-
der sorgsam verwaltete Grundbesitz der Klös- gen der Klöster. Meist war das Kloster der größ-
ter. Sie besaßen Dörfer, Äcker, Wälder, Wiesen te Arbeitgeber vor Ort.
nicht nur im unmittelbaren Umfeld, sondern
Eine Schule des Kunsthandwerks,
auch in weiter entlegenen Regionen. So konn-
te das Kloster Wiblingen Grund und Boden in die 3000 Stuckateure hervorbringt
rund neunzig Ortschaften der näheren Umge- Welche Früchte daraus hervorgehen konn-
bung sein Eigen nennen, aber auch am Boden- ten, zeigte das Beispiel des Benediktinerklosters
see, in der Schweiz und nahe Speyer. Kloster Wessobrunn im oberbayerischen Pfaffenwinkel.
Schussenried beherrschte ein Gebiet von etwa Unter dem Schutz des Klosters, das unter ande-
110 Quadratkilometern mit 3 200 Bewohnern, rem drei Elementarschulen vor Ort betrieb, in
Kloster Weingarten brachte es gar auf 306 Qua- eigenen Klosterwerkstätten ausbildete und Bau-
dratkilometer mit 11 000 Einwohnern. aufträge vergab oder vermittelte, entwickelte
Findig zeigten sich die Ordensleute überdies sich in den Dörfern Wessobrunn und Haid ein
BILDNACHWEIS: AKG (2), ISTOCK/ORIREDMOUSE

in der Veredelung der landwirtschaftlichen Pro- Kunsthandwerkszentrum von europäischer Be-


dukte: Hochwertige Biere verschiedener Sor- deutung: die angesehene Wessobrunner Stucka-
ten, Liköre und Kräuterwässer steigerten die torenschule. 3000 Stuckatoren, darunter die be-
Einnahmen nochmals nachhaltig und mach- rühmtesten Vertreter der Familien Feichtmayr
ten so manches Kloster weltberühmt, darunter und Schmuzer, gingen aus diesem anregenden
Ettal, Andechs und Weltenburg. Darüber hin- Umfeld hervor. Die dem klein- und kleinst-
aus zählten zur Klosterökonomie Mühlen und bäuerlichen Milieu entstammenden Handwer-
Teichwirtschaft, Klosterapotheken, Forstbetrie- ker-Künstler hätten ohne die Protektion des

G GESCHICHTE 12 | 2019 55
3. KAPITEL MACHT

»Müßiggang ist der Feind der Seele«


Aus der Regel des Benedikt von Nursia

Klosters ihren Aufstieg niemals geschafft. Zum Herzstück jedes großen Klosters gehörte
Auch der bekannte Architekt Dominikus Zim- daher die Bibliothek, die reich mit Bücherschät-
mermann, Erbauer der Wieskirche, entstammte zen ausgestattet und mit prachtvoller Barock-
einer Kleinbauernfamilie aus Wessobrunn und dekoration geschmückt wurde. Die Bibliothek
begann seine Karriere als Stuckateur. des Augustinerchorherrenstifts von Polling bei
Weilheim im Pfaffenwinkel war sogar die siebt-
Mönche lassen in Ottobeuren den ersten
größte des ganzen Heiligen Römischen Reiches
Heißluftballon Deutschlands steigen und stand auch auswärtigen Gelehrten offen.

BILDNACHWEIS: BRIDGEMAN/STEFAN AUTH/IMAGEBROKER, ISTOCKPHOTO.COM/NICKI1982


Vor allem in der Bildung und Erziehung Der Wissensdurst der Mönche schien un-
übernahmen die großen Klöster eine wichti- stillbar. Es wurde zu allen Wissensbereichen
ge Rolle für ihre Umgebung. Für die ärmeren geforscht und studiert. Nicht wenige Mönche
Schichten bedeuteten die gut ausgestatteten, brachten es dabei zu Hochleistungen. In Otto-
vom Kloster betriebenen Schulen in der Regel beuren ließen Mönche den ersten Heißluftbal-
die einzige Möglichkeit, eine solide und kosten- lon Deutschlands in die Lüfte steigen. Auf dem
freie Bildung zu erwerben. So finanzierte das Hohen Peißenberg errichteten Chorherren von
Chorherrenstift Rottenbuch drei Grundschu- Rottenbuch das erste Bergobservatorium Euro-
len auf dem Land, deren größte jährlich 110 bis pas. In Schussenried wagte sich Caspar Mohr
120 Kinder der Hofmarkdörfer unterrichtete. an die Entwicklung einer fußbetriebenen Flug-
Im hervorragenden Gymnasium der Reichsab- maschine, die ihm den Beinamen »fliegender
tei Ottobeuren erhielten die weltlichen Schüler Chorherr« einbrachte.
neben den Novizen Unterricht in Latein, Grie- Doch der Zeitgeist der Aufklärung ließ sich
Eine Orgel für chisch, Hebräisch, Ethik und Naturwissenschaf- nicht aufhalten. Die blühende Klosterkultur en-
die Ewigkeit ten. Ende des 18. Jahrhunderts hatte das Kloster dete mit den Schlägen der Säkularisation.
Als der bayerische mehr als 200 Schüler, aus deren Reihen später
Herrscher die Klöster renommierte Wissenschaftler hervorgingen.
enteignet, wird das
Ihren Bildungsauftrag nahmen die Klöster
Orgelwerk in Ettal als LESETIPP
wertvoll erkannt, aber
sehr ernst. Ihre Mitglieder verpflichteten sie
auf Studium und die Pflege der Wissenschaf- Wolfgang Wüst (Hrsg.): »Die süddeutsche
nicht versteigert. Einen
ten. Glaube und Wissen sollten im Zeichen der Klosterlandschaft – Kultur, Religion, Politik
Standortwechsel hätte
und Umwelt«. Peter Lang 2019, € 64,95
es kaum überstanden Aufklärung zu einer Synthese geführt werden.

56 G GESCHICHTE 12 | 2019
RÄTSEL & PREISE

Deckengemälde Der heilige Benedikt


in der Abtei San Benedetto, Italien
& CO. KG, DEREN ANGEHÖRIGE UND TEILNEHMER, DIE MITTELS TEILNAHME- ODER GEWINNSPIELANMELDUNGSDIENSTE WIE GEWINNCLUBS AN DER VERLOSUNG TEILNEHMEN. JEDER TEILNEHMER KANN NUR IM EIGENEN NAMEN UND NUR EINMAL TEILNEHMEN. MEHRFACHSENDUNGEN ERHÖHEN NICHT DIE GEWINNCHANCE UND WERDEN HERAUS­
GEFILTERT. DIE GEWINNER WERDEN DURCH LOS/ZUFALLSMOMENT ERMITTELT UND SCHRIFTLICH BENACHRICHTIGT. DIE GEWINNER ERKLÄREN SICH DAMIT EINVERSTANDEN, DASS IHRE NAMEN VERÖFFENTLICHT WERDEN KÖNNEN. LIEGT KEINE WERBEEINWILLIGUNG VOR, WERDEN DIE DATEN NACH BEENDIGUNG DES GEWINNSPIELS GELÖSCHT.
TEILNAHMEBEDINGUNGEN: DIE TEILNAHME AM GEWINNSPIEL IST KOSTENLOS. EINE BARAUSZAHLUNG DER SACHPREISE IST AUSGESCHLOSSEN. TEILNAHMEBERECHTIGT SIND VOLLJÄHRIGE UND MINDERJÄHRIGE MIT EINWILLIGUNG DES ERZIEHUNGSBERECHTIGTEN. NICHT TEILNAHMEBERECHTIGT SIND MITARBEITER DER BAYARD MEDIA GMBH

Hildegard von Bingen gründete um 1150 das Kloster:

9 1

Aufhebung kirchlicher Institutionen und Verstaatlichung ihres Besitzes:

Rätseln & 10 2

Gewinnen
Bezeichnung des obersten Repräsentanten des Benediktinerordens:

4 6
[ VON SABINE POMBERG ]

Er war einer der bekanntesten Missionare Die wohl berühmteste aller Klosterregeln:
und der wichtigste Kirchenreformer
7
im Frankenreich. Verehrt wird er als
»Apostel der Deutschen«.
Geben Sie die Lösung bitte bis zum
16. Dezember 2019 in das Online- Ablegen der Ordensgelübde:
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? STECKBRIEF

Mönch an der E-Gitarre Professor an der Päpstlichen Hoch- gewählt. Aus seiner Begeisterung
schule in Rom. Als Erzabt kehrt er zu- für die Rockmusik macht er auch als
Im Allgäu als Sohn eines Schneiders rück in seine Heimatabtei St. Ottilien. hoher Würdenträger keinen Hehl
geboren, tritt er mit 21 Jahren als No- Mit 60 Jahren wird er zum neunten und spielt gelegentlich in einer Rock-
vize in den Benediktinerorden ein. Er Abtprimas und damit zum obersten band E-Gitarre und Querflöte.
studiert in Rom und München und wird Repräsentanten der Benediktiner Auflösung auf Seite 82

G GESCHICHTE 12 | 2019 57
3. KAPITEL MACHT

H
Die Folgen der Säkularisation abe den Mut, dich
deines Verstandes zu

Sturm auf
bedienen.« Mit die-
ser Forderung bringt
der Philosoph Im-
manuel Kant die Ide-

die Schätze
en der Aufklärung im
18. Jahrhundert auf den Punkt. Da-
mit geraten auch Aspekte des christli-
chen Glaubens in den Fokus der Kri-

der Kirche tik. Denn wer seinen Verstand benutzt,


kann kirchlichen Dogmen einfach
nicht mehr länger blind vertrauen.
Natürlich kommt auch das Ordens-
Im Zuge der Aufklärung plündern weltliche leben nicht ungeschoren davon. Manch
Herrscher die Klöster. Auch der spätere bay­e­rische einer fragt sich, ob Klöster in einer auf-
geklärten Welt überhaupt noch einen
König Maximilian I. bedient sich und begreift Nutzen haben. Sind sie nicht lediglich
viel zu spät, wem er damit schadet ein Sammelbecken weltfremder Mü-
ßiggänger, die das Volk in finsterem
[ VON KARIN FEUERSTEIN-PRASSER ] Aberglauben halten? Tatsächlich ist

Klöster sind seit jeher


immer auch Wirtschafts-
betriebe, die bis zur
Französischen Revolution
große Reichtümer
anhäufen konnten

58 G GESCHICHTE 12 | 2019
von der barocken Frömmigkeit, die das
Klosterleben lange Zeit geprägt und in-
spiriert hat, am Ende des 18. Jahrhun-
derts nicht mehr viel zu spüren.
Hocherfreut reibt sich der
Kurfürst die Hände
Viele europäische Herrscher emanzi-
pieren sich von kirchlichen Einflüssen
und schließen erste Abteien. Der große König Max I. Joseph von Bayern Berater Graf Montgelas
»Klostersturm« kommt mit der Franzö-
sischen Revolution. In Frankreich wer- Erst gierig, dann reuig: 1803 füllt Bayern seine Staatskasse mit Klosterschätzen
den 1790 nahezu alle Klöster aufgeho-
ben, darunter die berühmte Abtei von
Cluny, einst Zentrum der benediktini- wa eine halbe Million Bände. Hinzu Die Klosterbibliotheken stehen näm-
schen Reformbewegung. Diesen Weg kommen alte Handschriften, die hier lich nicht nur den Mönchen zur Ver-
beschreitet auch Napoleon Bonapar- seit Jahrhunderten aufbewahrt werden. fügung, auch die Landbevölkerung hat
te, als er sich anschickt, Herr über halb Das alles wird im Mai 1803 unter staat- freien Zugang, meist Lehrer, Ärzte oder
Europa zu werden. Der Reichsdeputa- licher Aufsicht abtransportiert. Auch Beamte. Diese einzigartige Möglichkeit
tionshauptschluss 1803 besiegelt nicht wenn nur die wenigsten Folianten tat- zu Information und Weiterbildung ist
nur das spätere Ende des maroden Hei- sächlich auf dem Misthaufen gelandet nun verloren gegangen. So muss selbst
ligen Römischen Reiches, sondern ver- sein dürften, so ist der Verlust doch be- Freiherr Adam von Aretin, der Leiter
fügt auch die Säkularisation der geist- trächtlich. Rund 1800 Zentner Bücher der Sonderkommission für die Auf-
lichen Territorien und die Aufhebung werden allein als Altpapier verkauft. hebung der Bibliotheken, einräumen,
fast aller deutschen Klöster. Ungleich größer aber scheint der dass die Landbewohner einen enor-
Der bayerische Kurfürst Max Joseph, »Kollateralschaden« zu sein, der durch men Verlust erlitten haben.
in dessen Herrschaftsgebiet sich rund unsachgemäße Verpackung und Ab- Doch das ländliche Bayern fällt
400 zum Teil sehr reiche Klöster befin- transport angerichtet wird. In aller Ei- durch die Aufhebung der Klöster nicht
den, reibt sich zunächst die Hände. Die le hat man Landarbeiter und Tagelöh- nur einer kulturellen Verödung an-
Aussicht, durch die Verstaatlichung der ner aus der Umgebung herbeigeholt, heim, sondern auch einer sozialen.
Abteien die leere Staatskasse zu füllen, Größere Abteien wie Benediktbeuern
So manch wertvolle Bücherkiste
scheint einfach zu verlockend zu sein. unterhielten bis dahin Elementarschu-
Schließlich sind die Klöster nicht nur fällt vom Floß ins Wasser len und vergaben Stipendien an begab-
Orte der Frömmigkeit und Spirituali- die die benötigten Holzkisten meist aus te Schüler. Sie haben die Bevölkerung
tät, sondern oft auch florierende Wirt- Bretterresten notdürftig zusammenna- im Krankheitsfall mit verbilligter oder
schaftsbetriebe mit großem Landbe- gelten. Beim Verstauen geht so man- kostenloser Behandlung und preis-
sitz, Vieh und Vorräten, Brauereien, che Kiste zu Bruch, die Bücher lan- werten Medikamenten versorgt. Au-
Mühlen und Handwerksstätten. Hinzu den bisweilen in Dreck und Schlamm, ßerdem standen zahlreiche Handwer-
kommen wertvolle Bibliotheken und sind unbenutzbar und werden einfach ker und Bauern bei ihnen in Lohn und
kostbare Kunstgegenstände, die sich liegengelassen. Nicht besser ergeht es Brot. Das alles wird nun ersatzlos ge-
wunderbar zu Geld machen lassen. Zu- den Beständen, die über den Wasser- strichen.
BILDNACHWEIS: AKG, AKG/HERITAGE IMAGES/FINE ART IMAGES, BRIDGEMAN

sammen mit seinem Berater Maximi- weg auf Flößen abtransportiert werden. Max Joseph, seit 1806 Bayerns Kö-
lian Graf Montgelas will er ein macht- Denn durch unachtsamen Umgang nig von Napoleons Gnaden, hat an der
volles, effizientes Bayern schaffen. Da- versinkt so manche Kiste in den Fluten. gefüllten Staatskasse keine rechte Freu-
zu schlägt der Berater in einer Denk- Der Rest der konfiszierten Bücher de. Reuevoll soll er gesagt haben: »Was
schrift den »Einbau der Kirche in den wird zunächst nach München gebracht, sind wir doch für Hornochsen gewe-
Staat« vor. Erst später stellt Max Joseph wobei die kurfürstliche Hofbibliothek sen, alle Klöster aufzugeben.«
fest, dass er der altbayerischen Kultur die allermeisten Bände einheimst, ei-
einen schweren Schaden zugefügt hat. nen kleineren Teil erhalten die spä-
Wie viele Zeugnisse sakraler Kunst ter eingerichteten Staatsbibliotheken. LESETIPP
damals konfisziert und eingeschmol- Für die wissenschaftliche Arbeit mag Dietmar Stutzer: »Die Säkularisation 1803.
zen werden, lässt sich kaum ermes- die Konzentration auf wenige Stand- Der Sturm auf Bayerns Kirchen und
sen. In den bayerischen Klosterbiblio- orte von Vorteil sein. Für die früheren Klöster«. Rosenheimer Verlagshaus 1979,
antiquarisch
theken befinden sich zu jener Zeit et- Benutzer aber ist sie eine Katastrophe.

G GESCHICHTE 12 | 2019 59
Neuseeländische Soldaten suchen nach Scharfschützen

Die Ruine des benediktinischen Klosters

US-Flieger werfen Bomben auf die heilige Stätte

Italien, 1944

Abtei im Höllenfeuer
Ein 516 Meter hoher Felsen rund 130 Kilometer südöstlich von Rom ist
die Wiege des abendländischen Mönchtums – und der Schauplatz
einer der härtesten Schlachten des Zweiten Weltkriegs: Monte Cassino
[ VON GUID O WELK ]

60 G GESCHICHTE 12 | 2019
3. KAPITEL MACHT

A
uf den Überresten der stockte. Am 17. Januar 1944 griffen da- die direkt darüber eingeschlagen hatte,
antiken Stadt Casi- raufhin amerikanische, englische und war nicht explodiert.
num errichteten die neuseeländische Einheiten weiter im Zwei Tage später besetzten deutsche
Mönche um B ene- Landesinneren auf der Höhe von Mon- Soldaten der 1. Fallschirmjägerdivisi-
dikt von Nursia im te Cassino an, um den Durchbruch in on die Überreste des zerstörten Klos-
Jahr 529 das Kloster Richtung Rom zu erzwingen. ters. Die »Grünen Teufel«, wie sie von
Castellum Sancti Petri. Am 12. Februar übernahm das neu- den Alliierten genannt wurden, hiel-
Dort, wo einst ein heidnischer Apol- seeländische 2. Korps unter General- ten zahlenmäßig weit unterlegen trotz
lotempel stand, weihte Benedikt dem leutnant Bernard Freyberg die Haupt- schwerster Angriffe ihre Stellung in
Heiligen Martin von Tours eine Kapel- last des Angriffs von den Amerikanern. den Ruinen für ein weiteres Vierteljahr.
le. Hier verfasste er die mönchischen Freyberg forderte von diesen jedoch Der wohl ungewöhnlichste Kriegs-
Regeln, die für viele Klöster zum Vor- einen Luftschlag gegen die deutschen teilnehmer der Schlacht um Mon-
bild wurden. Und hier wurde der Heili- Stellungen um den Berg – und gegen te Cassino fand sich beim polnischen
ge um 547 beigesetzt. das Kloster selbst, wo er eine Funksta- 2. Korps: der junge Braunbär Wojtek.
Drei Jahrzehnte später zog der Lan- tion und Artillerie vermutete. Fälschli- Polnische Soldaten hatten ihn 1942 im
gobardenherzog Zotto durch die Regi- cherweise, wie die Mönche später be- Iran erworben. Ohne Gesellschaft von
on und verwüstete auf seinem Erobe- stätigen: Der deutsche Oberbefehls- Artgenossen ganz auf menschliche Ge-
rungszug die Abtei. Gut drei Jahrhun- haber in Italien, Generalfeldmarschall sellschaft geprägt, wurde er ihr Mas-
derte später folgte die zweite Zerstö- Albert Kesselring, hatte befohlen, dass kottchen – und später sogar im Rang
rung: 883 plünderten und brandschatz- die deutschen Stellungen im Umkreis eines Korporals offiziell in die Trup-
ten Sarazenen das Kloster. Die dritte von Monte Cassino, nicht jedoch im pe aufgenommen. Am Monte Cassi-
große Katastrophe verursachte 1349 Kloster selbst angelegt wurden. no schleppte Wojtek schwere Mörser-
ein Erdbeben. Nach dem Wiederauf- granaten über das Schlachtfeld. Nach
bau und baulichen Erweiterungen wur- dem Krieg kam der Bär in den Zoo von
de es 1866 zum italienischen National- »Wenn es kurz und Edinburgh, wo er 1963 starb.
denkmal erklärt und behielt seine Ge- energisch pfeift, schnell Fast genau vier Monate nach den
stalt bis zur vierten Zerstörung 1944. in Deckung werfen« ersten Angriffen schwiegen am 18. Mai
Am 9. September 1943 landeten die Hermann Lohmann,
1944 endlich die Waffen. Mit dem His-
Alliierten im Rahmen der »Operation deutscher Soldat sen der weißen Fahne über der Klos-
Avalanche« in Süditalien und zwangen terruine war eine der erbittertsten
die deutsche Wehrmacht zum Rück- Schlachten des Zweiten Weltkriegs
zug auf die sogenannte »Gustav-Linie«. Am 15. Februar 1944 flogen 142 vorbei. Im Verlauf der viermonatigen
Dieser Verteidigungsriegel zog sich schwere Boeing B-17 Flying Fortress Schlacht waren mehr als 20 000 deut-
südlich von Rom von Küste zu Küste, und 87 mittelschwere Bomber An- sche und 12 000 alliierte Soldaten so-
von Ortona nahe der Adria im Osten griffswellen auf den Klosterberg. In den wie unzählige Zivilisten gestorben.
bis zum Fluss Garigliano, der im Wes- folgenden drei Stunden verwandel- Unter den wenigen Überresten der
ten ins Tyrrhenische Meer mündet. ten geschätzt 500 Tonnen Spreng- und Abtei fand sich ausgerechnet ein Ge-
Brandbomben die Abtei in ein flam- wölbebogen mit der Aufschrift »Pax«:
Das Kloster brennt, aber das Grab
mendes Inferno. Zuvor hatten die Al- Friede. Der Friede aber konnte erst
Benedikts bleibt unversehrt liierten zwar Flugblätter mit der War- nach einer rund zehnjährigen Auf-
In der Schlacht von Ortona, die we- nung abgeworfen, das Gebiet vor dem bauzeit unter dem Motto »Wo es stand
gen ihrer brutalen Häuserkämpfe auch Angriff zu verlassen. Dennoch starben und wie es war« wieder ganz einkehren.
als »Italienisches Stalingrad« bekannt mehr als 250 der rund 800 Menschen, Heute leben in der Abtei gut 20 Mön-
BILDNACHWEIS: BRIDGEMAN/GRANGER (2), BRIDGEMAN/TALLANDIER

ist, kämpften Ende 1943 die deutsche 1. die sich dort noch aufhielten, darunter che. Monte Cassino mit seinen Grä-
Fallschirmjägerdivision und das deut- Flüchtlinge, Frauen, Kinder, Mönche. bern von Menschen aus mehr als 30
sche Panzergrenadier-Regiment 361 Nur die Krypta mit dem Grab Bene- Nationen gilt heute als ein Ort der Be-
gegen die kanadische 1. Infanteriedi- dikts blieb unzerstört. Die sterblichen sinnung und Aussöhnung.
vision und die britische 8. Armee. Mit- Überreste des Heiligen selbst waren zu-
te Januar erzielten die amerikanische sammen mit Schriften und Kunstschät-
5. Division und das britische X. Korps zen aus der Abtei auf Anordnung der
nahe Minturno einen Erfolg gegen die Deutschen nach Rom gebracht wor-
LESETIPP
deutsche 94. Infanteriedivision. Doch den. Wie durch ein Wunder überlebten
die deutsche Verteidigung hielt stand. der betagte Abt und rund 40 Mönche Peter Caddick-Adams: »Monte Cassino:
Ten Armies in Hell«. Arrow 2013, € 28,85
Der alliierte Vorstoß nach Norden in der Krypta den Angriff. Eine Bombe,

G GESCHICHTE 12 | 2019 61
ERFAHRUNGSBERICHT

Mein Weg ins Kloster

Gott suchen
und zu sich
selbst finden
Nach brisanten Auslandseinsätzen geht
Frank Beha ins Kloster Beuron. Wie der Als Soldat …
Soldat zu Bruder Longinus wurde, In Afghanistan vor meinem Fahrzeug, einem Mungo.

erzählt sein Buch »Ab morgen Mönch« Von meiner Waffe musste ich zum Glück nie Gebrauch machen

[ VON BRUDER LONGINUS BEHA ]

F
ür G/GESCHICHTE wohl fühlte, wenn mein Leben in eine terleben zu interessieren und Bücher
blättere ich wieder ein- Struktur eingebunden war, hat mir der über den Glauben zu lesen. Manchmal
mal in meinem Buch. Ja, geregelte Tagesablauf bei den Beuro- spukte mir zwar die Idee durch den
so hat mein Weg einst ner Benediktinern von Anfang an gut Kopf, Berufssoldat zu werden. Doch
begonnen: mit Solda- gefallen. Die Ruhe, Gelassenheit und mit der Zeit wuchs der Gedanke, dass
tenexerzitien im Klos- Disziplin, die in diesen altehrwürdigen die Auseinandersetzung mit dem Glau-
ter Beuron, an denen Mauern herrschten, taten mir ausge- ben mehr sein könnte als eine fixe Idee.
ich, soeben vom Einsatz in Mazedo- sprochen wohl. Dann kam der Sommer 2003 und mit
nien heimgekehrt, auf Anregung mei- ihm eine Erfahrung, die ich rückbli-
Auf einem Übungsmarsch machte
nes Militärpfarrers teilnahm. Beim ers- ckend nur als Fügung bezeichnen kann.
ten Mal hatte ich mir im Vorfeld kei- ich eine folgenreiche Wette Damals war ich noch nicht der Bru-
ne großen Gedanken darüber gemacht, Die Haltung, die der heilige Bene- der Longinus von heute, sondern der
was mich wohl erwarten würde. Umso dikt in seiner berühmten Regel seinen 24-jährige Zeitsoldat Frank Beha. Und
überraschter war ich über die Vielfalt Mitbrüdern auf den Weg gibt, war an als der musste ich, mitten im Hoch-
BILDNACHWEIS: BEURONER KUNSTVERLAG/BEURON, GERALD DREWS

der Angebote. allen Ecken und Enden spürbar: Ge- sommer, zu einem Übungsmarsch an-
Die feierliche Vesper, die um 18 Uhr horsam, Schweigsamkeit, Beständig- treten. Mit kompletter Ausrüstung im
abends gebetet wird, faszinierte mich keit und Demut. All das sind Tugenden, Kampfanzug bei drückender Hitze
von Anfang an. In ihr werden die Psal- die ich auch zu meinen zähle. Diese 30 Kilometer abspulen – wer das ein-
men in Latein gesungen. Als ich diesen rund anderthalb Jahrtausende alte Le- mal gemacht hat, der weiß, dass das
Gesang das erste Mal hörte, habe ich bensform Kloster, die ich hier im obe- kein Spaziergang ist. Als mir auf halber
eine Gänsehaut bekommen. Dass ich ren Donautal vorfand, wirkte auf mich Strecke die Kraft auszugehen drohte,
hier einmal in der Schola, also bei den irgendwie vertraut, erstaunlich aktuell versprach ich während einer Ruhepau-
Vorsängern, mitwirken würde, hätte und durchaus erstrebenswert. se: »Wenn ich es schaffe, diesen Marsch
ich mir damals nie träumen lassen. Da Nach den Soldatenexerzitien be- in einer guten Zeit hinter mich zu brin-
ich mich schon immer dann besonders gann ich mich intensiver für das Klos- gen, dann gehe ich ins Kloster!«

62 G GESCHICHTE 12 | 2019
sich selbst zu finden, Gott zu suchen,
sich von Gott finden zu lassen.
Schön ist auch, dass ich in Beuron
meinen zivilen Beruf als Elektriker ein-
bringen kann. Als ich ins Kloster ein-
trat, liefen gerade die Planungen für
ein neues E-Werk. »Na prima«, habe
ich gedacht, «jetzt kriegen sie gleich
auch noch einen Elektriker dazu!« Die
Frage, ob sie den überhaupt haben wol-
len, habe ich mir, ehrlich gesagt, nie ge-
stellt, so sicher war ich von Anfang an,
hierherzugehören.
Seine Fähigkeiten einbringen,
Spaß haben, aber demütig bleiben
Dabei ist es keineswegs zwingend,
dass man seine beruflichen Fähigkeiten
auch als Mönch einbringen kann. In
Benedikts Regel heißt es: »Sind Hand-
werker im Kloster, können sie in aller
Demut ihre Tätigkeit ausüben, wenn
… und als Mönch der Abt es erlaubt.« Das Leben im Klos-
Das Benediktinerkloster Beuron im oberen Donautal ist meine ter ist ja im Vergleich zu meiner Lehr-
Heimat geworden. Hier fühle ich mich am richtigen Ort oder Bundeswehrzeit eher beschaulich.
Aber an »Highlights« wie dem Bau des
Kraftwerks habe ich richtig Spaß! Doch
die von Benedikt eingeforderte Demut
vergesse ich dabei natürlich nicht.
Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. doch Angst hatte ich nie. Angst blo- Auch andere Vorlieben von früher
War es eine Wette gegen mich selbst? ckiert die Sinne. Ich würde das, was begleiten mich weiter. Jemand, der
Ein Gelübde? Wie auch immer: Es ich während meiner Einsätze empfand, mich in meiner Zelle besuchen würde,
fühlte sich an, als hätte ich einen Kraft- »Respekt« nennen. Respekt vor der könnte neben geistlicher Lektüre zwei
schub bekommen. Es lief, im Wortsinn, Aufgabe, aber auch vor den Menschen. »Star Trek«-Bände oder ein Buch über
wie von selbst. Als wäre da jemand ge- Nach meiner Rückkehr begann eine Astronomie vorfinden, weil ich mich
wesen, der mich trug! Als ich nach we- »Zeit auf Probe« im Kloster, dann ka- für die Sterne interessiere. Und wenn
niger als drei Stunden in der Kaserne men die zeitlichen, später die ewigen ich Urlaub habe, besuche ich meine Fa-
ankam, durchströmte mich ein bisher Gelübde. Ich bin bis heute geblieben. milie und kehre gern zu meinem alten
nie gekanntes Glücksgefühl. Es war, Warum? Die Frage ist für mich nicht Hobby zurück: dem Motorradfahren.
als wäre mir eine lang anstehende Ent- mit wenigen Worten und für Außen- Meine weltliche Vergangenheit hat
scheidung abgenommen worden. Blitz- stehende klar ersichtlich zu beantwor- mich bis heute
artig herrschte in mir eine große Klar- ten. Ins Kloster zu gehen bedeutet für nicht ganz ver-
heit: Ich würde Mönch werden. mich das Zurücklassen von Bindun- lassen.
gen und Einflüssen, um zu mir selbst
Gefährliche Erlebnisse hatte ich,
zu finden. Das Suchen fernab vom Tru-
aber nie Angst, eher Respekt bel der Welt öffnet mich für die Welt
Doch noch war ich beim Bund und und für Gott. Und zu diesem Leben der LESETIPP
zum Stabsgefreiten aufgestiegen. Der Gottsuche fühle ich mich berufen.
Bruder Longinus
zweite Auslandseinsatz kam: Afgha- Was mir am Benediktinerorden so- Beha: »Ab morgen
nistan! Von Oktober 2004 bis Febru- fort gefiel, war die Tatsache, dass er Mönch. Ein
ar 2005 war ich im Camp Warehouse kontemplativ ausgerichtet ist. Beson- Afghanistansoldat
östlich von Kabuls Zentrum statio- ders mithilfe des Gebetes ist es mög- geht ins Kloster«.
niert. Gefährliche Erlebnisse habe ich, lich, zu sich zu kommen. Beten bedeu- Beuroner Kunstverlag
2015, € 12,90
wie auch in Mazedonien, einige erlebt, tet, sich mit sich selbst zu beschäftigen,

G GESCHICHTE 12 | 2019 63
MENSCHEN · EREIGNISSE · EPOCHEN

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tenschutzerklärung finden Sie unter www.abo.g-geschichte.com/datenschutz Datum
✗ Unterschrift Telefonnummer (für Rückfragen und bes. Angebote)
Serie, letzter Teil:
Khyber-Pass

Durch das
wilde Pakistan
Jeder Kilometer scheint blutgetränkt: Ein Jahrhundert lang
liefern sich paschtunische Stämme und britische Regimenter
am Khyber-Pass ein tödliches Duell. Unser G/GESCHICHTE-
Chefredakteur Klaus Hillingmeier begab sich 1991 auf
Spurensuche und wagte sich in das kriegerische Berggebiet

66 G GESCHICHTE 12 | 2019
SERIE

D
[ VON KL AUS HILLINGMEIER ]

ie Antwort war immer


»Nein«. Nach Stunden der
pakistanischen Bürokra-
tie in der Behörde für die
Stammesgebiete hatte ich
den Khyber-Pass fast auf-
gegeben. Plötzlich wurde
ich in ein riesiges Büro mit
viktorianischem Schreib-
tisch zitiert. Der Chef der Behörde war auf den
jungen Deutschen neugierig geworden. Es gab
Tee, Gebäck und ein erneutes »Nein«.
Auch zwei Jahre nach dem Abzug der Sowjet-
russen aus Afghanistan herrschte im März 1991
noch Bürgerkrieg in dem Land am Hindukusch.
Pakistan hatte den Khyber-Pass für Ausländer
gesperrt. Der Beamte schätzte gute Konversation:
Wir philosophierten über hellenistische Kultur,
das britische Empire, die Kunst der Großmoguln
und schließlich über den Dichter Mirza Gha-
lib. Die gemeinsame Liebe zur Lyrik hatte das
Eis gebrochen: 15 Minuten später stand ich mit
einem gestempelten Passierschein auf einer stau-
bigen Straße in Peschawar.
Die eigentümliche Macht der Poesie
und unverschleierte Realitäten
Peschawars Biografie wird seit Jahrtausenden
vom Khyber-Pass geschrieben – wer die Stadt
regiert, kontrolliert auch den Zugang zum Pass
und damit die wichtigste Route zwischen dem
indischen Subkontinent und Mittelasien. Im 2.
Jahrhundert n. Chr. ragten in Peschawar die Pa-
goden des buddhistischen Kuschana-Imperi-
ums in den Himmel. Das Reich erstreckte sich
von Nordindien bis nach Persien. 1530 errich-
tete der Großmogul Babur in der Stadt eine
Festung, und im 19. Jahrhundert folgte eine bri-
tische Garnison.
Trotz dieser großen Geschichte meidet der
Tourismus Peschawar – statt folkloristischer
Fassaden herrscht ungeheuchelte Ehrlichkeit.
Im »Basar der Diebe« oder im »Basar der Mär-
BILDNACHWEIS: MAURITIUS/ARNOLD/ALAMY

chenerzähler« werden statt Souvenirs Töpfe


und Gemüse angeboten, und in den Garküchen
brodelt die traditionelle Suppe aus Schafskopf.
Obgleich Alkohol und Prostitution verboten
Strategische Serpentinen.
Solange Afghanistan
sind, kann man nachts unverschleierten »Frau-
Krisengebiet ist, wird en« begegnen – tagsüber undenkbar. Der ge-
auch der Pass in Pakistan naue Blick jedoch verrät: Es sind Eunuchen, die
nicht zur Ruhe kommen erotische Dienste anbieten.

G GESCHICHTE 12 | 2019 67
SERIE

Natürlich war es mir im März 1991 nicht


gestattet, auf eigene Faust die Passstraße zu be-
reisen. Ein junger Stammespolizist sollte meine
Sicherheit garantieren und ein »Reiselei-
ter« verhindern, dass ich »vom Weg abkom-
me«. Nach einer kurzen Fahrt durchfuhr unser
Taxi Bab-e-Khyber, das Tor zum Khyber. »Der Khyber-Pass ist
Jetzt waren wir in den halbautonomen Ge-
bieten der Paschtunen (Federally Administered
wie eine große Liebe —
Tribal Areas). Damals herrschte dort statt der unvergesslich«
Afghanistan Gesetze Pakistans Pashtunwali, der Ehrenkodex Der Autor und G/GESCHICHTE-Chefredakteur
der Paschtunen. Gastrecht und Blutrache waren Klaus Hillingmeier (links) mit »Leibwächter«, 1991
gleichermaßen heilig und es galt das stolze Ide-
Pakistan al: »Jeder Mann ein König«. Erst 2017 hat sich
Indien
Pakistans Parlament endgültig von der Laisser- Am Eingang zum Pass schmücken britische
faire-Politik verabschiedet und beschlossen, die Regimentswappen eine Felswand. Über ein
paschtunischen Stammesgebiete härter an die Jahrhundert, von 1842 bis 1947, war der Khyber
Durand-Linie Kandare zu nehmen. immer wieder die Bühne brutaler Kämpfe zwi-
Seit 1893 verläuft die schen der angloindischen Armee und Paschtu-
Grenze zu Afghanistan Tor zu den Reichtümern Indiens und
nen. Der hundertjährige Krieg begann, als die
quer durch das Gebiet Bollwerk des britischen Empires britische East India Company versuchte, aus

UNIVERSAL IMAGES GROUP, ULLSTEIN BILD/CHRISTOPH; KARTE: AGENTUR2


der Paschtunen.

BILDNACHWEIS: GETTY IMAGES/HULTON ARCHIVE (2), GETTY IMAGES/


Grund dafür war, dass
Auf gut 50 Kilometern Länge durchschnei- Afghanistan einen Marionettenstaat zu machen.
die ­Briten den Khyber det der Khyber-Pass das Hochland der Paschtu- Das Experiment endete 1842 mit einem Massa-
(Markierung) nen. Die Hopliten Alexanders des Großen, die ker, bei dem fast 16 000 Menschen – größten-
kontrollieren wollten Horden Dschingis Khans und die Reiter Timurs teils Zivilisten – ihr Leben verloren. Trotz dieser
– immer wieder strömten Heere aus dem Wes- traumatischen Niederlage dachten die Briten
ten durch diese Schluchten, angezogen von den nicht daran, ihre Militärpräsenz in der Grenzre-
Reichtümern Indiens. Wer klug war, vermied gion aufzugeben. Denn Mitte des 19. Jahrhun-
den Kampf und arrangierte sich mit den kriege- derts expandierte das Zarenreich nach Mittel­
rischen Stämmen im Gebirge. Selbst die macht- asien und das Gespenst einer russischen Invasi-
verwöhnten Großmoguln entrichteten Wege- on Indiens spukte in den Köpfen der britischen
geld an die Bergkrieger, wenn sie von ihrer Re- Generalität. Wegen seiner strategischen Bedeu-
sidenz in Lahore nach Kabul reisten. tung galt der Khyber als das Gibraltar Indiens:

Der dritte Krieg mit


Afghanistan. Britische
Kolonialtruppen am
Khyber-Pass, 1919

68 G GESCHICHTE 12 | 2019
Eine Position, die um keinen Preis aufgegeben
werden durfte. Forts und Garnisonen wurden
entlang des Passes errichtet und jede militäri-
sche Aktion der Paschtunen mit einer Strafex-
pedition beantwortet. Wer als Offizier einen ris-
kanten Weg zur steilen Karriere suchte, muss-
te sich an die damalige Nordwestgrenze Indi-
ens versetzen lassen. Hier galten die Regimenter
als pukka – ein Hindiwort, das man salopp mit Das Tor zum Khyber
»erste Sahne« übersetzen kann. Keine Einheit Nun beginnt das
war glamouröser als die »Guides«, das erste bri- Stammesgebiet mit
tische Regiment, das anstelle der roten Unifor- eigenen Gesetzen
men staubbraunes Kaki anlegte, um den Scharf-
schützen in den Bergen kein Ziel zu bieten.
Tödliche Ware
Bodyguards mit Kalaschnikow Händler mit Bällen
und der süße Geruch von Opium aus Opium, 1994

Auf halber Strecke nach Afghanistan liegt Ali


Masjid. Hier, wo der Pass zum Nadelöhr wird,
erinnert ein unscheinbarer Schrein an Ali, den
Schwiegersohn des Propheten Mohammed. Er
soll hier im 7. Jahrhundert eine Moschee errich-
tet haben. Der gewundenen Straße folgend, be-
findet sich gut 15 Kilometer entfernt die Stadt
Landi Kotal. 1991 brauchte der Besucher starke
Nerven. Als wir vor einer Teestube Pause mach-
ten, brausten zwei geländegängige Pick-ups her-
an, auf der Ladefläche ein gutes Dutzend Män-
ner mit Kalaschnikows. Nach der Interpretation
meines Reiseführers die Leibwache eines lokalen
Drogenbarons. Zu meiner Verblüffung erwiesen
sich diese Bodyguards als ungemein freundlich
und posierten bereitwillig mit erhobenem Ge-
wehr und breitem Grinsen für ein Gruppenfo-
to. Fast jedes männliche Wesen – vom pubertie-
renden Knaben bis zum gebeugten Greis – trug
in Landi Kotal eine Waffe. Entweder ein begehr- Inszeniert?
tes Beutestück der Mudschahed aus russischen Paschtunische
Beständen oder ein einheimisches Fabrikat Krieger liegen im
aus dem nahen Ort Darra, wo seit Kolonialzeit Hinterhalt, 1910
Schusswaffen in mühevoller Handarbeit kopiert
werden. Vor etlichen Läden im Basar schaukel-
ten aufgeblasene Ziegenhäute im Wind – Wer-
beschilder für den Verkauf von Opium.
Am pakistanischen Grenzort Torkham endet
eine Reise auf dem Khyber-Pass, und der Tep-
pich der afghanischen Landschaft breitet sich
vor dem Betrachter aus. Neue Ziele erheben ih-
ren Lockruf: Kabul, Samarkand, Isfahan.

LESETIPP
Paddy Docherty: »The Khyber Pass. A History of
Empire and Invasion«. Sterling 2008, ca. € 13,80

G GESCHICHTE 12 | 2019 69
Ein Ausweis von Eleganz:
Die frühe Werbung für das Tempo-
Taschentuch in den 1920er-Jahren

GESCHICHTE IM ALLTAG
Das Tempo-Taschentuch

Schöner
schnupfen
Schon kurz nach ihrer Erfindung werden
Millionen Tempo-Taschentücher verkauft.
Es ist der Beginn einer Erfolgsgeschichte,
die auch eine schmutzige Seite hat
[ VON JULIANE PRÖLL ]

F
ür ihre Schnupfnasen ähnlichen Produkten wie dem ameri- 1920er-Jahre modisch gekleideten Frau
benutzten Menschen kanischen Kleenex inspiriert, das einige mit einem Glockenhut, in der linken
jahrhundertelang die Jahre zuvor in den USA auf den Markt Hand eine Packung Tempo. »Taschen-
nächstbesten Stoffta- gekommen war. tücher nicht mehr waschen zu müssen,
schentücher, in denen Zudem hatte die Göppinger Papier- kam bei den Hausfrauen gut an«, er-
sich mit der Zeit im- fabrik G. Krum bereits 1894 ein Patent zählt Franzke. »Der Slogan hieß: ›Mehr
mer mehr Krankheits- für ein Papiertaschentuch angemel- Hygiene und Komfort durch Wegwer-
keime tummelten. Das det, das mit Glycerin getränkt wurde fen statt Waschen.‹ Unter dem heuti-
änderte sich, als Oskar Rosenfelder am und laut Patentschrift in James-Bond- gen Nachhaltigkeitsanspruch wäre das
29. Januar 1929 die Marke »Tempo« Manier »sofort nach dem Gebrauch gar nicht mehr denkbar.«
beim Reichspatentamt anmeldete. Ihm zerstört (verbrannt oder sonstwie un- Wie beliebt Tempo war, belegen
und seinen beiden Brüdern Karl und schädlich gemacht)« werden sollte, um die Produktionszahlen. »1933 stell-
Emil gehörten die Vereinigten Papier- der Übertragung von Krankheitskei- te das Werk 35 Millionen Packungen
werke AG in Nürnberg und im nahen men vorzubeugen. her und die Produktion wuchs bis zum
Heroldsberg. Ihr Werk produzierte un- Beginn des Zweiten Weltkriegs weiter
Julius Streicher hetzt gegen
ter anderem »Camelia«-Damenbinden an«, führt die Kuratorin aus. Nach der
und Toilettenpapier. die »Camelia-Juden« Machtübernahme Hitlers waren die jü-
»Die Erfahrungen, mit Zellstoff um- »Seidenweich! Saugfähig! Hygie- dischen Rosenfelders dem Terror der
zugehen, brachten Oskar vermutlich nisch! Kein Waschen mehr!«, stand Nationalsozialisten ausgesetzt.
auf die Idee, ein Wegwerf-Taschentuch in dunkelblauer Schrift auf den frü- So versuchte der NSDAP-Orts-
zu entwickeln«, erklärt Regine Franzke, hen, quadratischen Packungen. Diese gruppenleiter Lorenz Goldfuß, 12 000
Sammlungskuratorin des Museum In- enthielten 18 Stück Einweg-Taschen- Reichsmark von Oskar Rosenfelder zu
dustriekultur in Nürnberg. Vielleicht tücher aus Zellstoff. Die erste Wer- erpressen, indem er behauptete, die-
wurde Oskar Rosenfelder auch von bung dafür zeigte das Foto einer für die ser hätte Kantinengeld unterschlagen.

70 G GESCHICHTE 12 | 2019
GESCHICHTE IM ALLTAG

30er-
Jahre

Quadratisch, praktisch, flach:


Die Wegwerf-Tücher mit
der Aufschrift »Seidenweich! 70er-
Saugfähig! Hygienisch!
Kein Waschen mehr!« 60er- Jahre
Jahre
In Amerika bringen Pop-Art und
Flower-Power-Bewegung knallige
Ein optischer Neustart, der zur Farben ins Leben — was man in
jungen Bundesrepublik passt: Das Nürnberg gleich einmal aufnimmt
Taschentuch wird zum betont sach-
lichen Gebrauchsgegenstand

Goldfuß gab sich mit 6000 Reichsmark schon acht Jahre später, 1955, wurde vorbeiging, wurden hierzulande die Ta-
zufrieden, da Rosenfelder nicht mehr die 1-Milliarden-Marke an verkauften schentücher farbig: Es gab nun gelbe,
Geld bei der Bank abheben konnte. Tempos geknackt. Auf dem Höhepunkt rote und orange Tempos.
Kurz darauf startete Frankens arbeiteten in der Produktion mehr als Die Firma errichtete weitere Stand-
NSDAP-Gauleiter Julius Streicher in 2000 Mitarbeiter. Für sie errichtete das orte und produzierte 1977 bereits mehr
seinem Hetzblatt »Der Stürmer« eine Unternehmen das einzige Hochhaus als zehn Milliarden Taschentücher. Ab
Kampagne gegen das Unternehmen der Mitte der Achtzigerjahre wanderte die
In den 1970er-Jahren kommen
»Camelia-Juden«. Gerade noch recht- Produktion komplett nach Neuss bei
zeitig entschlossen sich die Gebrüder gelbe, rote und orange Tempos Düsseldorf. Das Ursprungswerk im
Rosenfelder, nach England zu fliehen Heroldsbergs. Den inoffiziellen Namen fränkischen Heroldsberg wurde spä-
und entgingen damit der Verhaftung. »Tempo-Haus« trägt allerdings ein Ge- ter geschlossen und schließlich abge-
Ihr Unternehmen erwarb der Quel- bäude in der Nürnberger Nordstadt. rissen. Seit 2017 gehört die Marke zum
le-Gründer Gustav Schickedanz. Der Darin befand sich ab 1973 das neue schwedischen Unternehmen Essity. In
Kauf ist bis heute hoch umstritten. Verwaltungsgebäude der Papierwerke. Heroldsberg erinnert heute nur eine
Schickedanz, seit November 1932 Mit- Mit der Zeit änderte sich auch die Skulptur – ein aufgefaltetes Tempo aus
glied der NSDAP, dürfte die Firma Verpackung: 1953 kam die teilbare rostigem Stahl – an die bahnbrechende
weit unter Wert erhalten haben. Da die Brechpackung auf den Markt. Zehn Erfindung.
BILDNACHWEIS: ESSITY GMBH/TEMPO (4)

Tempo-Taschentücher während des Jahre später gestaltete die Firma die Ta-
Zweiten Weltkriegs nicht als kriegs- schentücher so, dass sie sich mit nur ei-
wichtiges Gut galten, wurde ihre Pro- ner Hand entfalten ließen: »Das Tuch MUSEUMS-TIPP
duktion eingestellt. mit dem besonderen Pfiff: Tempo mit
Das Museum Industriekultur in Nürnberg
Nach Kriegsende bekam das Ein- dem Tempo-Griff«, warb das Unter- zeigt Arbeit und Alltag von der Frühphase
weg-Taschentuch rasch wieder Auf- nehmen. In den 70er-Jahren, als in den der Industrialisierung bis heute. → https://
wind: 1947 lief die Produktion an und USA gerade die Zeit der Blumenkinder museen.nuernberg.de/museum-industriekultur

G GESCHICHTE 12 | 2019 71
PORTRÄT

Florence Baker,
viktorianisch züchtig.
Aber ihr Blick verrät
die Entdeckerin.
Das Bild zeigt sie 1875,
zurück in England

72 G GESCHICHTE 12 | 2019
Von der Sklavin
zur Forscherin
Florence Bakers Geschichte
Als Kleinkind verschleppt und in einen türkischen Harem verkauft,
als 14-Jährige befreit, dann mit ihrem Retter und späteren Ehemann in
Afrika unterwegs: Über ein Frauenleben, das für drei gereicht hätte
[ VON HANS-JÜRGEN MORITZ ]

W
illkommen im un-
glaublichen Leben­
der Florence Baker,
einer der außerge-
wöhnlichsten Frauen
des 19. Jahrhunderts.
Ihr verschlunge­n er
Lebensweg begann
wohl 1841, nach man-
chen Quellen 1845. Sie wurde als Barbara Ma-
ria Szász in Siebenbürgen im heutigen Rumäni-
en in eine deutsch-ungarische Adelsfamilie hin-
eingeboren.
BILDNACHWEIS: WIKIMEDIA/BIBLIOTHÈQUE NATIONALE DE FRANCE/HENRY MAULL/JEBULON, BRIDGEMAN

Barbaras Vater, Mathias Szász, hatte sich Auf-


ständischen angeschlossen, die Ungarn von der
österreichischen Vorherrschaft befreien wollten.
Er war vermutlich fern, als feindliche Marodeu-
re sein Anwesen heimsuchten. Barbara, damals Ein Haremsbild für westliche Fantasien:
ein Kind von vier Jahren, erinnerte sich spä- »Das türkische Bad« von Jean-A.-D. Ingres (1863)
ter an »Schüsse, Messer, Schreie, Tote und Feu-
er«. Man muss davon ausgehen, dass ihre­Mut- zum Islam bekehrte. Barbaras Vater tat es ver-
ter und ihre Brüder vor ihren Augen ermordet mutlich. Seine Spur verlor sich ebenso wie die
wurden. Dem Kindermädchen gelang es, mit des Kindermädchens. Möglicherweise nahm ei-
ihr zu flüchten. Sie schlugen sich, so heißt es, ne armenische Marketenderin die alleingelas-
zum Vater durch. sene Barbara an sich – und verkaufte sie. 1849
Das österreichische Kaiserreich erstickte die gelangte das entwurzelte Mädchen in den Ha-
Revolution. Die überlebenden Aufständischen rem der begüterten Familie Finjanjian. Aus Bar-
zogen sich ins Osmanische Reich zurück. In bara wurde Florenz, die Blume. In türkischen
der Donaustadt Widin im heutigen nördlichen Harems war es üblich, den Mädchen florale Na-
Bulgarien entstand ein elendes Flüchtlingslager. men zu geben. Weißhäutige Haremsdamen wa-
Die Türken versprachen jedem Asyl, der sich ren besonders begehrt, zumeist stammten sie

G GESCHICHTE 12 | 2019 73
PORTRÄT

»Florence Baker hat ein Leben geführt


wie keine andere Frau vor oder nach ihr«
Frances Wilson in »The Telegraph«

aus Georgien und Tscherkessien. Die blonde, Der Maharadscha ist ein abgehalfterter indi-
blauäugige Barbara war ein besonderer Fang. scher Potentat und Frauenheld. Baker stammt
Widin, irgendwann im Januar 1859: ein au- aus einer vermögenden englischen Familie mit
ßergewöhnlicher Tag. Die Familie Finjanjian Zuckerplantagen auf Mauritius und Ceylon. Er
hat begüterte Gäste zu einer exklusiven Skla- hat auf Ceylon gelebt, ist erfahrener Großwild-
venauktion geladen. Die in Barbara/Florenz jäger. Und Witwer, Mitte 30. Er ist auf der Su-
investierten Mittel sollen sich bezahlt machen. che nach einem neuen Lebensinhalt. Zurzeit
Man hat ihr Arabisch, Schreiben und Lesen, versucht er, den Lebemann Duleep Singh von
Mathematik, Geografie, Musizieren beigebracht. Dummheiten abzuhalten.
Vermutlich auch Zierstickerei, Kalligrafie und Der Mittelsmann des Paschas bietet einen
Tanzen. Vor allem aber: Der kostbare, nach Ha- stolzen Preis für Florenz. Vom weiteren Ver-
remssitte rasierte Leib der jungen Schönheit ist lauf gibt es unterschiedliche Versionen. Viel-
unberührt, von einer Hebamme attestiert. leicht überbot Baker den Pascha, womöglich
bestach er einen Eunuchen und raubte Florenz.
Die 14-Jährige soll auf einer
Verbürgt ist: Sie verließ mit Baker und dem
Sklavenauktion versteigert werden Maharadscha den Auktionsort. Der Weg führ-
Mit etwa 14 Jahren weist Florenz noch nicht te quer durch die Wallachei nach Bukarest, wo
allzu viele weibliche Rundungen auf, gilt aber beide zum Paar wurden. Der Altersunterschied
als heiratsfähig – und kann einen hohen Preis betrug rund 20 Jahre, die Romanze war nach
erzielen. Nicht nur trägt sie die kostbare helle vikto­rianischen Maßstäben schändlich und Flo-
Haut zu Markte, die türkische Haremsbesitzer renz, nun Florence, von zweifelhafter Herkunft.
so lieben. Auch ihr seidiges langes Haar, ihre Baker verdingte sich als Generaldirektor für
edlen Gesichtszüge und die anmutige Körper- den Bau der Eisenbahnlinie vom Schwarzmeer-
haltung machen sie begehrenswert. Diese au- hafen Constanza ins Hinterland. Doch schnell
ßergewöhnliche Attraktivität soll sie bis in ihr wurde es ihm langweilig, er träumte von Afri-
In der Schlacht von hohes Alter auszeichnen. ka. Florence teilte seine Obsession. Beide fass-
Masindi (heute Uganda)
Unter den Anwesenden befinden sich ein ten den Plan, dem Nil von Kairo bis zu seiner
kämpfen Samuel
Bakers ägyptische
Abgesandter des örtlichen Paschas und zwei Quelle zu folgen. Florences Arabischkenntnisse
Truppen 1872 gegen Fremde. Die Bärenjagd hat sie durch die dunk- sollten dabei gute Dienste leisten.
die des afrikanischen len Wälder Transsilvaniens geführt. Sie heißen Die Expedition begann im März 1861, aus
Staates Bunyoro Maharadscha Duleep Singh und Samuel Baker. Bakers beträchtlichen Mitteln finanziert. Eine
­ frika sehr gemischt. Zwar erhob sie Samuel
A
i VITA
Baker in den Adelsstand. Jedoch lehnte sie es ab,
seine Gattin jemals zu empfangen. Zu anrüchig
war ihr die Herkunft dieser Florence, die ihren Florence
Sam nur mit einer erzbischöflichen Sonderge-
nehmigung hatte heiraten können. Sam Baker
Baker
präsentierte seine junge Frau der Royal Geogra- 1841 oder 1845
Geburt in Siebenbür-
phical Society dennoch unter großem Jubel als
gen, heute Rumänien
treue Gefährtin mit dem »Herzen eines Löwen«.
Sein privater, zärtlicher Kosename für sie war 1848/49
»Flooey«. Barbara verliert ihre
Noch einmal kehrten die liebenden Abenteu- Familie und lebt als
Florenz in einem
rer gemeinsam nach Afrika zurück. Sam hat-
türkischen Harem
te den Auftrag erhalten, den Sklavenhandel im
ägyptisch-sudanesischen Hinterland auszurot- 1855 oder 1859
ten. Diese Bemühung blieb ohne anhaltenden Samuel Baker
Erfolg, weil zu viele Parteien Vorteile von dem entführt oder
Florence und Samuel unterwegs zum Albertsee.
ersteigert Florenz
Illustration aus einem Reisebuch von 1867 lukrativen Geschäft mit der Ware Mensch hat-
ten. Tiefpunkt war 1872 ein Gefecht, über das 1861
Nilschleife kürzten die Reisenden und ihr Ge- Florence in einem Brief an ihre Stieftochter Ag- Gemeinsame
folge auf dem Landweg ab – durch die glühend nes festhielt: »Unsere Soldaten töteten sehr viele Expedition zu den
heiße nubische Wüste. Meutereien, verschla- Einheimische, wir selbst verloren vier Männer. Nilquellen. Sie entde-
cken den Albertsee
gene Scouts, Dolmetscher und Träger sollten So endete der 8. Juni, Papas Geburtstag.«
wie Tsetsefliegen, Moskitos und Pferdebremsen 1865
Die Eheleute lehnen den Sklavenhandel
ständige Begleiterscheinungen sein. Sam und Florence
Zum Gepäck gehörte eine Badewanne. Flo- ab, denken aber kolonialistisch heiraten in England
rence ritt zunächst viktorianisch hochgeschlos- Florence und Sam Baker lehnten den Skla- ab 1869
sen auf einem Kamel. Später trug sie Männer- venhandel aus naheliegenden biografischen In Afrika Kampf ge-
kleider. Ihr blonder Haarschopf war überall At- Gründen ab. Dennoch waren sie Kinder des gen Sklavenhandel
traktion. Noch Jahre nach der Durchreise des viktorianischen Zeitalters. Baker hielt das Bri- 1873
Paars gingen in afrikanischen Kralen Geschich- tische Empire für den natürlichen Kolonisator Sie lassen sich in De-
ten über Myadue um, den blonden Morgen- der Welt. Und Florence notierte einmal: »Ich von, England, nieder
stern. Auch Sam Baker wusste Aufmerksam- habe mir immer solche Mühe gegeben, meinen
1893
keit zu erregen. Für Verhandlungen mit lokalen Leuten nur Gutes beizubringen, aber sie wollen
Samuel Baker stirbt
Häuptlingen kleidete er sich in eine schottische es einfach nicht annehmen. Ich bin froh, wenn
Tracht mit Straußenfedern an der Mütze. ich kein schwarzes Gesicht mehr sehen muss.« 1916
Der Rest waren Gewaltmärsche, Hunger und Später taten ihr diese Worte leid. Nach Af- Florence Baker stirbt
Durst; ständige Händel mit widerspenstigen lo- rika kehrte sie jedoch nie wieder zurück. Flo- in ihrem Haus
kalen Autoritäten – soweit überhaupt vorhan- rence nahm Sam das Versprechen ab, niemals
den – und Sklavenhändlern. Die schlimmste ohne sie dorthin zu reisen. Er hielt sich daran,
BILDNACHWEIS: AKG/WORLD HISTORY ARCHIVE, MAURITIUS IMAGES/SCIENCE SOURCE

Geißel aber waren Krankheiten. Florence und bis zu seinem Tod im Jahr 1893. Sie überlebte
Sam litten an: Malaria. Schwarzwasserfieber. ihren Befreier, Gatten und Getreuen um mehr
Typhus. Fleckfieber. Cholera. Blut- und Lebens- als 20 Jahre. Bis sie am 11. März 1916 starb, er-
mittelvergiftung. Einmal schaufelten die Träger füllte Florence sich auf dem Landsitz Sandford
schon ein Grab für Florence, die mit einem fieb- Orleigh nahe Newton Abbot in Devon den ein-
rigen Sonnenstich darniederlag. zigen Wunsch, den sie nach allen Wechselfällen
Dennoch schafften beide es bis zu einem See, ihres außergewöhnlichen Lebens noch hatte:
den frühere Forscher nicht erkundet hatten. Sie »In Devonshire Hühner zu halten.«
befuhren ihn mit Kanus und hielten ihn für das
fehlende Puzzlestück auf der Suche nach der
LESETIPP
Nilquelle. Da Queen Victorias geliebter Gat-
te Albert kürzlich gestorben war, benannten sie Pat Shipman: »Mit dem Herzen einer Löwin.
das Gewässer nach ihm: »Albertsee«. Die Kö- Lady Florence Baker und ihre Suche nach
den Quellen des Nils«. Piper 2018, € 19,-
nigin dankte es ihnen nach der Rückkehr aus

G GESCHICHTE 12 | 2019 75
WELTERBE

Blick auf die pittoreske Hafenstadt Dubrovnik im Süden


Kroatiens. Seit 1979 zählt sie zum Weltkulturerbe

K
Welterbe Dubrovnik aum eine Stadt in Eu-
Kultur vor der Haustür: In unserer Reihe stellen wir ropa hat in den letz-
Welterbestätten in und nahe Deutschland vor ten Jahren einen so
großen ­Hype erfahren

Stark, stolz
wie ­D ubrovnik. Dafür
mitverantwortlich­ ist
die erfolgreiche ­S erie »Ga­me of Thro-
nes« des amerikanischen Fernsehsen-

und lange frei ders HBO, dem die pittoreske Hafen-


stadt an der Adria im Süden Kroatiens
als Schauplatz diente. Alle Szenen, die
im fiktiven Königsmund spielen, wur-
Mit seinen engen Steingassen und den dort gedreht.
mittelalterlichen Bauten gilt Dubrovnik zu Recht Als Highlight gilt die zwei Kilometer
lange, bis zu 25 Meter hohe Stadtmauer
als eine der schönsten Städte Europas mit knapp 40 Türmen. Sie zählt zu den
[ VON UTE STRIMMER ]
massivsten Verteidigungsbauten Euro-
pas. Hinter dem einzigartigen Befes-
tigungsring verbirgt sich die wunder-
schöne Altstadt mit mittelalterlichen
Bauten, engen Steingassen und baro-
cken Kirchen. Nicht umsonst hat die
UNESCO b ­ ereits 1979 die Altstadt von
Dubrovnik zum Weltkulturerbe erklärt.
Bis ins 3. Jahrhundert v. Chr. geht
die bewegte Geschichte der Hafen-

76 G GESCHICHTE 12 | 2019
Touristen strömen zu den Dreh­ Auch die malerische Bucht hinter der
orten von »Game of Thrones« Festung diente bereits häufig als Kulisse

Historischer Augenblick

Die große
Erschütterung
Das verheerendste Erdbeben Kroati­
ens erschütterte 1667 Dubrovnik.
Drei Viertel aller Häuser wurden zer­
stört, einzig die Erlöserkirche über­
stand das Beben ohne Schaden. Die
Abbildung zeigt den Zustand davor.

stadt zurück. Damals befand sich auf ­g esundheitliche Einrichtungen wie Schönheit der Stadt hat aber auch ih-
einer kleinen Insel eine illyrische Sied- ein Altersheim, eine Apotheke und ein re Schattenseiten: Rund drei Millionen
lung, die man in der Antike lateinisch Waisenhaus. Touristen kommen jedes Jahr ­hierher.
Ragusa nannte; die Slawen besiedelten Im Sommer gibt es kaum noch ein
Rund drei Millionen Touristen
das gegenüberliegende Festland. Eine Durchkommen. Das alte Pflaster aus
freundschaftliche Beziehung zwischen besuchen Dubrovnik jedes Jahr Kalksandstein ist spiegelglatt – abge-
den beiden Völkern entstand, und die Aber Ragusa musste sich immer wie- treten durch zehntausende Touristen
beiden Ortschaften begannen mehr der fremder Herrschaft unterordnen: ­t äglich. Im Winter lässt die Stadtver-
und mehr zusammenzuwachsen. Im Die Türken ergriffen 1526 die Macht, waltung die Flächen wieder aufrauen,
12. Jahrhundert wurde dann die tren- 1806 besetzte Napoleon die Stadt um Unfälle zu vermeiden.
nende Wasserstraße zwischen der In- und ließ zwei Jahre später die Repub- Der Verantwortung für den Erhalt
sel und dem Festland aufgeschüttet. Sie lik auflösen. 1815 gehörte Dubrovnik seines Erbes ist sich Dubrovnik be-
bildet heute die berühmte Hauptstraße erst zum österreichischen Kaiserreich wusst. So veranstaltet die Stadt seit
BILDNACHWEIS: ISTOCKPHOTO.COM/DARIOZG, ISTOCKPHOTO.COM/FOTOKON,

Dubrovniks, die Stradun. und später zu Jugoslawien. Im Kroati- 2003 jeden September die mehrtägige
Im Mittelalter stieg Ragusa durch enkrieg 1991 wurde die Stadt von ser- Konferenz »The Best in Heritage«, die
WIKIMEDIA/GEORG KOWALCZYK/HUBERTL, WIKIMEDIA/ZYSKO SERHII

den Handel mit den Osmanen zu einer bisch-montenegrinischen Streitkräften zahlreiche preisgekrönte Museums-,
Wirtschaftsmacht auf und konkurrierte belagert und stark beschossen. Kulturerbe- und Konservierungspro-
sogar mit Venedig. 1358 ­gewährte ihr Trotzdem hat ihr alter Kern nichts jekte rund um die Welt vorstellt.
der ungarisch-kroatische König Lud- von seiner Pracht verloren. Nach dem
wig I. von Anjou Autonomie. D ­ adurch Krieg bekamen die Dächer der zer-
wurde sie zur Freistadt, nannte sich störten Häuser neue, rote Ziegel. Die
»Republik Ragusa« und war ein Zent- »Rotkäppchen«, wie sie die Bewohner AUSFLUGS-TIPP
rum freien Denkens: Als einer der ers- ­nennen, leuchten nun als malerische Den schönsten Blick auf das Meer und auf
ten Staaten schaffte Ragusa um 1410 Dachlandschaft in der Sonne. Dubrovniks Altstadt bekommt man bei einer
die Sklaverei ab. Und schon sehr früh Hinter der alten Stadtmauer brei- Fahrt mit der Seilbahn auf den Berg Srd.
→ www.dubrovnikcablecar.com
verfügte die Stadt über soziale und tet sich das neue Dubrovnik aus. Die

G GESCHICHTE 12 | 2019 77
In sein im Jahr 1860 Modehund Mops
Die Besitzerin der Reise­tasche Um 1750 kam diese Hunde-
wusste, was angesagt war mutter mitsamt Welpe in
der Porzellanmanufaktur
­Meißen auf die Welt

DOMSCHATZKAMMER PADERBORN/THOMAS OBERMEIER, LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE UND ARCHÄOLOGIE SACHSEN-ANHALT/JURAJ LIPTÁK, METRO-
GOLDWYN-MAYER/LASZLO WILLINGER (ANTHONY LODER ARCHIVE), THE CLEVELAND MUSEUM OF ART; TEXTE: FRANZ METZGER, CHRISTIANE SCHLÜTER
BILDNACHWEIS: BAYERISCHES NATIONALMUSEUM/BASTIAN KRACK UND KARL-MICHAEL VETTERS, ERZBISCHÖFLICHES DIÖZESANMUSEUM UND
Ä
VIER- UND ZWEIBEINER gyptische Hundemumi- und Hund im Bayerischen National-

Treue
en neben Aibo, dem museum München anschaulich. In
Roboterhund: Die ge- zwölf Abschnitten umreißt »Treue
meinsame Geschichte Freunde. Hunde und Menschen« das

Freunde
von Hund und Mensch Thema. Der Anlass: Vor hundert Jah-
umfasst viele Tausend Jahre. Hunde ren ist Thomas Manns Erzählung
sind Freunde und Gefährten, sie sind »Herr und Hund« erschienen.
Statussymbole für Herrscher und an- Berühmte ­Hundehalter wie Bis-
Die Beziehung zwischen dere P­ romis, sie ersetzen uns Sinne marck, Sisi und D­ avid Bowie sind in
und Gliedmaßen, sind Retter und der Ausstellung ebenso vertreten wie
Hund und Mensch in Spielgefährten, aber auch Quelle von Werke von Loriot oder der Smoking
Kunst und Alltagskultur ­Gefahr. Manche dienen sogar als von Mops Sir Henry. Und so ­erzählt
­erotische Objekte und alle sind, pfui, die Ausstellung nicht nur ­etwas über
­Urheber von Ekligem. Besondere den Hund, sondern auch über seinen
­Exemplare bekommen, wenn sie besten Freund – den Menschen.
­gestorben sind, sogar ein Denkmal. Bayerisches Nationalmuseum München,
Über 220 Objekte machen jetzt die 28. November 2019 bis 19. April 2020,
komplexe Geschichte von Mensch → www.bayerisches-nationalmuseum.de

WEITERE AUSSTELLUNGEN

Basel fanden sie ihre Freiheit Berlin Unikat? Anhand von Kassel
»Gladiator. Die wahre oder den Tod. Jetzt »Original Bauhaus. 14 Objekten und ihrer »Platzhirsche. Jagd
Geschichte« zeigt das Antikenmu­ Die Jubiläumsaus- Geschichte spürt die und Diplomatie«
Sie waren nicht nur seum Basel die Welt stellung« Ausstellung der Span­ Jagen war schick in der
Sklaven, sondern auch der Gladiatoren und Hat das Haus am Horn nung zwischen Original Frühen Neuzeit, bei der
hoch spezialisierte macht die Menschen einen heimlichen Zwil­ und Remake, Unikat Jagd war die Haute­
Kämpfer, die hart für hinter den Rüstungen ling? Und warum blieb und Serie am Bauhaus volee unter sich. Man
einen Platz in der römi­ lebendig. Bis 22. März ein als industrieller nach. Bis 27. Januar zeigte, was man hatte:
schen Gesellschaft 2020, www.antikenmu- Prototyp gedachtes 2020, www. Waffen, Pokale, Ge­
­arbeiteten. Am Ende seumbasel.ch Teekännchen für immer berlinischegalerie.de schirr, Kleidung und

78 G GESCHICHTE 12 | 2019
AUSSTELLUNGEN

Fromm und freigebig


Kaiser und Kaiserin
als Reliquienbüsten.
Darunter ein Reisealtar

HEINRICH II. MULTITALENT

Goldene Die schöne


Gaben Erfinderin
Hedy Lamarrs Leben
Die Geschenke des
zwischen den Extremen
Kaisers und ihre als Diva und Denkerin
Bedeutung für den

D
Aufstieg Basels ie »schönste Frau der
Welt« entwickelte im

V
or tausend Jahren wurde in kostbare religiöse Kunstwerke als Zweiten Weltkrieg eine
Basel der Neubau des Grundlage eines Münsterschatzes, Funkfernsteuerung für
Münsters eingeweiht, mit der später zerstreut wurde. In Basel Torpedos: Ohne Hedy Lamarr,
Kaiser Heinrich II. als Eh- vereint »Gold & Ruhm« zentrale Diva und brillante Denkerin,
rengast. Der hatte umfangreiche ­Objekte leihweise wieder. Anschau- ­gäbe es vielleicht kein WLAN
Landzuweisungen und Privilegien lich werden die damaligen Lebens- und kein B ­ luetooth. »Lady Blue-
mitgebracht. So begann der Aufstieg welten und die enge Verzahnung tooth. ­Hedy Lamarr« spürt der
der Stadt am Rhein, die kurz zuvor ­politischer und religiöser Macht- Tragik dieses vielfach zerrissenen
aus dem Königreich Burgund unter strukturen vermittelt. Ausstellung Lebens nach. Jüdisches Museum
Ostfränkische Oberherrschaft ge- des Historischen Museums Basel im Wien, 27. November 2019 bis 10.
wechselt war. Der Kaiser und seine Kunstmuseum Basel, bis 19. Januar Mai 2020, → www.jmw.at
Gattin Kunigunde stifteten zudem 2020, → www.kunstmuseumbasel.ch

Die Macht ist mit uns


Ringe sind mehr als Schmuck: Sie stehen für Macht, sie
verleihen Macht – und besitzen sie in Tolkiens Romanen
selbst. »Ringe der Macht« zeigt die Magie uralter Tradi-
tionen. Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale),
bis 1. Juni 2020, → www.landesmuseum-vorgeschichte.de Die junge Lamarr.
Später wurde sie
Seelenheil Das verspricht die Inschrift dieses Ringes exzentrisch

Gemälde. Nicht selten Quedlinburg seinem Tod und wie Regensburg und fein wie Nymphen­
wurden aus Jagden »Heinrich I. in Qued- blieb er in Erinnerung? »100 Schätze aus burger Porzellan — ent­
­diplomatische Groß­ linburg« In zwei Kapiteln wird 1000 Jahren« führen in die einzelnen
ereignisse, vergleichbar Ging alles ganz schnell auf dem Stiftsberg die Auf Zeitreise durch Jahrhunderte. Dazu
heutigen Staatsemp­ oder nahm der Sach­ Geschichte Heinrichs I. Bayern von 500 bis wartet in jedem ein
fängen — jetzt in Kassel senherzog länger An­ erzählt: »919 – Plötz­ 1800 lädt das Haus der Mensch seiner Zeit
mit allem Glanz nach­ lauf auf den Königs­ lich König« und »Am Bayerischen Geschich­ ­darauf, entdeckt zu
zuerleben. thron? Was machte Anfang war das Grab«. te ein: 100 Objekte — werden.
Bis 12. Januar 2020, sein Königtum aus? Bis 2. Februar 2020, grob wie die Lederstie­ Bis 8. März 2020,
www.museum-kassel.de Was hinterließ er nach www.heinrich2019.de fel einer Moorleiche www.hdbg.de

G GESCHICHTE 12 | 2019 79
Ein Schiff wird kommen: Rekonstruktionen der legendären
Wikingerschiffe zeigen die herausragende Baukunst der Nordmänner

MYTHEN AUF DEM PRÜFSTAND

Nordische Helden? reflektierteres, kritischeres Wikinger-


bild zu ver­mitteln, das über die ver-
wegenen, brutalen Seefahrer und
­Eroberer hinausgeht.
Neueste archäologische Forschungen widerlegen das So belegen aktuelle wissenschaftliche
einseitige Bild des unzivilisierten, brutalen Wikingers Untersuchungen von Knochenresten,

S
dass das Wikingerleben keinesfalls
ie tragen Hörner an ihren Mythen, widerlegenVorurteile und nur rau und unzivilisiert war:

­ IDEO (3), DVA, SONJA NOWACK, ULLSTEIN BUCHVERLAGE; TEXTE: SONJA NOWACK
Helmen, kommen in Dra- zeigen neue Aspekte auf. Die Skelettfunde lassen darauf schlie-
chenbooten, sind in Begonnen hatte das Werk der Mittel- ßen, dass Alte und Behinderte einen
schwarzes Leder und Fell alterarchäologe Jörn Staecker, der die Platz in der Gesellschaft hatten und ­
gehüllt und kämpfen mit Wikingerforschung vorangetrieben in die Gemeinschaft integriert waren.
großen Äxten. Dieses Stereotyp des und geprägt hat. Die Fertigstellung Die Autoren erklären dem Leser gut
Wikingers ist durch unzählige Holly- des Buches erlebte er nicht mehr, da verständlich den aktuellen Wissens-
wood-Filme und Bücher geprägt. er im D
­ ezember 2018 nach schwerer stand zu den Wikingern, zeigen aber
Aber wie realistisch ist dieses Bild? Krankheit verstarb. auch die Grenzen der Archäologie
Die Autoren des Buches »Die Wikin- Befreundete Wissenschaftler vollen- auf. Insgesamt ist das Werk eine
ger. Entdecker und Eroberer« hinter- deten Staeckers Werk auf Grundlage lehrreiche und spannende Lektüre
fragen anhand von neuen For- seiner Manuskripte im Sinne des Ver- – nicht nur für Wikingerfans.
schungserkenntnissen die gängigen storbenen, um der Öffentlichkeit ein Propyläen Verlag 2019, 480 S., € 32,–
BILDNACHWEIS: BETA ROOM/STEFAN VINCENT, CONCORDE V

AUGMENTED-REALITY-APP
DDR-Wachturm in 3D Die App ermöglicht
einen Blick in die Vergangenheit
Die Mauer erleben
Bis vor 30 Jahren war Deutschland geteilt. Viele junge (AR, erweiterte Realität) zusammen. Wer sich
Menschen kennen die Mauer aber nur aus Geschichtsbü- die kostenlose App herunterlädt, kann
chern. Die App »MauAR« schafft Abhilfe, denn sie visu- direkt vor Ort betrachten, wie die 1­60
alisiert den Verlauf der Mauer originalgetreu. Der Name Kilometer lange Mauer und die
der App setzt sich aus den Wörtern Wach­türme ausgesehen haben.
»Mauer« und »Augmented Reality« Infos: → https://mauar.berlin

80 G GESCHICHTE 12 | 2019
BÜCHER & MEDIEN

Wissen to go Historische
Fakten kurzweilig aufbereitet

NEUVERFILMUNG

Mysteriöse Morde
hinter Klostermauern
»Der Name der Rose« reloaded: In einer Serien-Adaption
des Detektivromans geht es erneut ins düstere Mittelalter

E
s war einer der größten Produktion als Mini-Serie neu ver- ABREISSKALENDER
Bestseller der 1980er-Jahre: filmt, dieses Jahr erstmals ausgestrahlt
Der Kriminalroman »Der
Name der Rose« des Italie-
und ist nun auf DVD und Blu-Ray
­erhältlich. Die achtteilige Serie orien-
Tägliche Dosis
ners Umberto Eco.
In der Verfilmung von 1986 schlüpfte
tiert sich weniger an der Buchvorlage
als an der Kinofassung mit Sean Con-
Geschichte
Sean Connery in die Rolle des Fran- nery. Dank längerer Spielzeit kann sie Das neue Jahr 2020 nähert
ziskanermönchs William bei der Figurenzeichnung, sich mit großen Schritten. Was
von Baskerville. Gemein- dem Klosterleben und kir- kann angesichts dessen (fast)
sam mit seinem Novizen chengeschichtlichen As- jeder gebrauchen? Klar, einen
ist dieser anno 1327 einem pekten mehr Details Kalender. Wer zusätzlich sein
Serienmörder in einer einfließen lassen. Geschichtswissen auffrischen
norditalienischen Benedik- Concorde ­Video oder ergänzen möchte, liegt mit
tinerabtei auf der Spur. 2019, acht Episoden, dem Tagesabreißkalender »Mit
Das Werk wurde in einer 400 Minuten, deutscher Geschichte durch
deutsch-italienischen Co- DVD ca. € 26,– das Jahr 2020« goldrichtig.
In leicht verdaulichen Häppchen
bietet er historische Informatio-
nen zu Politik, Kultur, Wissen-
schaft und Wirtschaft. So er-
fährt man zum Beispiel, wann
das erste reguläre Fernsehpro-
gramm der Welt ausgestrahlt
wurde oder warum das Buch
»Max und Moritz« beinahe nicht
John Turturro (links) spielt ... ... den Mönch William von Baskerville veröffentlicht wurde.
Südwest 2019, 11 x 15 cm, € 12,99

BEGINN EINER NEUEN ÄRA

Die Welt nach 1989


Der Fall der Berliner Mauer und die Proteste in ­»Wendezeit. Die Neuordnung der Welt
­Peking auf dem Tiananmen-Platz – zwei Ereignis- nach 1989« nachgegangen. Spohr zeigt
se, die 1989 die Welt in Atem hielten. Wie verän- ­eindrucksvoll, wie es die damaligen politischen
derte sich daraufhin die globale Ordnung? Akteure wie Bush, Kohl oder Gorbatschow
­Dieser Frage ist die deutsch-finnische Histori- schafften, in dieser Zeit der Veränderungen den
kerin Kristina Spohr in ihrem neuen Buch Frieden zu bewahren. DVA 2019, 976 S., € 42,—

G GESCHICHTE 12 | 2019 81
LESERBRIEFE & GEWINNER

Leserbriefe leuchtende Erklärung: Ein Lagerverwalter


in den USA zeichnete die zum Transport
IMPRESSUM
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Schreiben Sie uns: freigegebenen Kisten mit seinen Initialen Herausgeber: Dr. Franz Metzger
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Leserbriefe geben nicht die Meinung Walker Read wies nach, dass es um 1839 in Grafik: Daniel Baum, Christoph Rauch
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Zum Beitrag »Am Vorabend des wählt, dass sie anders oder absichtlich falsch E-Mail: g@bayard-media.de, www.g-geschichte.de
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Krieges« in der Ausgabe 11/2019 geschrieben wurden – aber ähnlich klangen, Bruder Longinus Beha, Dr. Christoph Driessen,
»Amerikas Bürgerkrieg« so wie o. k./»oll korrect« für »all correct«. Karin Feuerstein-Praßer, Prof. Dr. Kay Peter Jankrift,
Stefan von Kempis, Dirk Liesemer, Janina Lingen-
Die Reduktion der Gründe des Sezessions- berg, Hans-Jürgen Moritz, Dr. Daniel Carlo Pangerl,
krieges auf die Sklavenfrage scheint Teil RÄTSELAUFLÖSUNG / GEWINNER Juliane Pröll, Heiko Schmitz, Karin Schneider-Ferber,
Sophia Schülke, Dr. Ute Strimmer, Guido Welk
der Legendenbildung zur späteren Glorifi- Verlag: Bayard Media GmbH & Co. KG

zierung Lincolns. Zur Union gehörten vier Die Lösung des Preis­rätsels aus G/GESCHICHTE
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– nicht unwichtige – Staaten, in denen die 10/2019 »Angelsachsen« lautet: Ethelfleda www.bayard-media.de, USt-ID-Nr. DE 814054225

Sklaverei bis Ende des Krieges erlaubt war. Bedeutende Ausgrabungsstätte


HRA 15029, Handelsregister Augsburg
Geschäftsführer: Horst Ohligschläger
Die im Krieg erlassene Emancipation Pro- nahe Woodbridge/Suffolk: Sutton Hoo Leiter Media Marketing: Stefan Rörig (verantw.)
clamation befreite die Sklaven in den kon- Mächtiger angelsächsischer König aus der Media Sales:

föderierten Staaten, nicht aber in den Skla- Dynastie der Wuffinger: Raedwald
Tel.: +49 (0)821 45 54 81-33, media@bayard-media.de
Es gilt die aktuelle Preisliste. Weitere Informationen:
venstaaten des Nordens. Im District of Co- Der Überfall auf dieses Kloster markiert den www.bayard-media.de/mediadaten.html


lumbia – Bundeshauptstadt Washington – Beginn der Wikingerzeit: Lindisfarne


Druckvorstufe: Agentur2 GmbH, München
Druck: Euro-Druckservice GmbH, Passau
war die Sklaverei bis April 1862 legal. Kali- Er soll bereits zu Lebzeiten zahlreiche Abo-Marketing: Daniela Ospel-Lindner
fornien als Staat ohne Sklaverei schickte zur Wunder bewirkt haben: Cuthbert Auslieferung an den Handel:

Machtbalance einen Pro- und einen Anti- Das Epos ist das bedeutendste erhaltene
MZV Moderner Zeitschriften Vertrieb GmbH & Co. KG
Ohmstraße 1, 85716 Unterschleißheim
sklaven-Senator in den Kongress. Einzelwerk angelsächsischer Sprache: Beowulf Tel.: (+49) (0)89 3 19 06-0, Fax: (+49) (0)89 3 19 06-1 13
mzv@mzv.de, www.mzv.de
Die Meinung von Präsident Lincoln zur Typische Wohnform der Angelsachsen: Hallenhaus Hinweise: Für unverlangt eingesandte Manuskripte
Sklavenfrage war widersprüchlich. Noch und Fotos wird nicht gehaftet; Rück­sendung nur
Wir gratulieren den Gewinnern: gegen Rückporto. Nachdruck der Beiträge nur mit
im Bürgerkrieg hat er geäußert, es gehe ihm schriftlicher Genehmigung der Redaktion.
um die Existenz der Nation. Wenn er diese 3-mal: Bernard Cornwell »Wolfskrieg« (rororo) Zuschrif­ten können (mit Namens- und Ortsangabe,
Günter Meinhardt (07907 Schleiz), Jutta Schneider auch auszugsweise) ver­öffentlicht werden, falls
ohne Abschaffung der Sklaverei haben kön- (72149 Neustetten), Rosmarie Becker (06231 Bad Duerrenberg) kein Vorbehalt gemacht wird. Bei Nichtlieferung
ne, wolle er das tun … ohne Verschulden der Vertriebsfirma oder infolge
3-mal: Walkers »Suitcase Shortbread« höherer Gewalt bestehen keine Ansprüche gegen
Lambert Janssen, per E-Mail Hermann Krumkamp (59368 Werne), Alexandra Bullard
den Verlag. Bei Adressänderungen kann uns die Post
Ihre neue Anschrift mitteilen; dieser Weitergabe
(93049 Regensburg), Silke Hansen (30659 Hannover) können Sie innerhalb von vier Wochen nach Erhalt
Zum Beitrag »Chronik im März« des Heftes widersprechen. Sofern Sie nicht frist­
3-mal: Gerald Axelrod »König Artus« (Stürtz) gerecht vom Widerspruchsrecht Gebrauch machen,
in der Ausgabe 3/2019 »Hexen« Philipp Bügel (91126 Schwabach), Sonja Mairose setzen wir Ihr Einverständnis voraus.
Auf Seite 12 unter »Chronik im März« er- (90542 Eckental), Tom Dera (15537 Erkner) Alle Preise inkl. gesetzl. MwSt. Auslandspreise auf
Anfrage. Alle Abonnenten erhalten für 86,40 EUR
klären Sie die Entstehung des Begriffes 3-mal: Stefan Zweig »Magellan« (Fischer) neben 16 Printausgaben auch den Online-Newsletter
»o.k.« am 23. 3. 1839. Bitte überprüfen Sie Jürgen Madeya (45879 Gelsenkirchen), Brigitte Jerg
umsonst. Einzelhefte kosten 6,10 EUR
(G/GESCHICHTE) bzw. 6,70 EUR (G/GESCHICHTE
doch eine andere gängige und mir sehr ein- (CH-8406 Winterthur), Hartwig Bors (23758 Oldenburg) PORTRÄT) zzgl. Versand. Hefte können unter
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Notker Wolf (* 1940) Als oberster Repräsentant des Benediktinerordens lag www.g-geschichte.de erhältlich.
ihm dessen Neubelebung und Ausweitung am Herzen. Er veranlasste den
Bau von Krankenhäusern in China und Nordkorea und Missionsstationen
Wir unterstützen
in Indien und Afrika. Als Mitglied der Hard-Rock-Band »Feedback« spielt das Projekt
er E-Gitarre und Querflöte und trat als Vorgruppe von Deep Purple im zur Förderung
von Lese- und
Kloster Benediktbeuern auf. 2016 legte er sein Amt als Abtprimas nieder. Medienkompetenz

82 G GESCHICHTE 12 | 2019
VORSCHAU

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BILDNACHWEIS: DPA PICTURE ALLIANCE/SZ PHOTO/MANFRED NEUBAUER, INTERFOTO/A. KOCH, INTERFOTO/MARY EVANS/NATURAL HISTORY MUSEUM, ULLSTEIN/HERITAGE IMAGES/THE PRINT COLLECTOR

Blickpunkt:
Australien
Vor 250 Jahren entdeckt James
Cook den Fünften Kontinent. Ihm
folgen Sträflinge, Goldsucher und
Siedler. Für die Ureinwohner fängt
damit eine grausame Zeit an

Tanzen bis zum Morgengrauen: Gemälde »Großstadt« von Otto Dix, 1928

AUFBRÜCHE UND PUTSCHE

Die Goldenen Zwanziger


In kürzester Zeit erleben die Deutschen ein ungeheures Auf und Ab wie nie
zuvor: Endlich herrscht Frieden, doch das Land stöhnt unter dem Versailler
Vertrag. Rechte Putschisten kämpfen gegen linke Utopisten, Künstler stellen
obszöne Werke aus, Frauen treten für ein neues Selbstbewusstsein ein und
Neue Serie: Drogen
Geschäftsleute häufen Reichtümer an, die sie an einem einzigen Freitag
wieder verlieren. Es ist eine hochbrisante, spannungsreiche Dekade — Haschisch
ein Tanz auf dem Vulkan, bevor sich die große Katastrophe anbahnt. Eine kurze Weltgeschichte des
Cannabis: Von den Assassinen
Weitere Themen über die Sadhus in Indien bis zu
Geschichte im Alltag: Die Feuerzangenbowle den Hippies in den USA
Porträt: Wie Valentinian I. die Teilung des Römischen Reichs einleitet

G GESCHICHTE 12 | 2019 83
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