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nzz 20.08.05 Nr.

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Indiens Traumproduzenten in Zürich


Bollywood-Filme als mögliche Tourismusförderung?
Die Schweiz ist als Drehort für indische Filme seit längerem beliebt. Weil das Kino in
Indien einen grossen Stellenwert besitzt, eignen sich diese Produktionen hervorragend
zur Tourismusförderung. Auch die Stadt Zürich möchte von diesem Effekt profitieren.
Doch der Wettbewerb unter den Filmschauplätzen ist härter geworden.
luc. Die Szenerie ist reichlich schräg: Auf einem Budget für Imagewerbung im Film bereitstellen.
beschaulichen Grabfeld des Friedhofs Sihlfeld –
der Himmel ist an diesem Donnerstagmorgen «Finanzhilfe politisch nicht durchsetzbar»
stimmungsvoll grau verhangen – hat sich eine gut In die entgegengesetzte Richtung denkt Jean-
30-köpfige Filmcrew aus Indien eingerichtet. Zwi- Pierre Wollenschläger, Pressesprecher der Stadt-
schen den Gräbern schlängeln sich Kabel hin- zürcher Wirtschaftsförderung. Auch er glaubt,
durch, der Kameramann sitzt erhöht auf seinem dass die in der Schweiz gedrehten Bollywood-
Kran, Beleuchter und Tontechniker wuseln eifrig Filme der Image- und Tourismusförderung die-
über das Set. Der Schweizer Statist, der den Pries- nen. Man habe «Kalyug» deshalb organisatorisch
ter spielt – damit das auf jeden Fall klar wird, hat geholfen, erklärt Wollenschläger. Finanzielle Un-
man ihm ein gigantisches goldenes Kreuz umge- terstützung von Seiten der Stadt wäre aber poli-
hängt –, wartet stoisch auf seinen Einsatz. Regis- tisch kaum durchsetzbar, sagt er und spielt den
seur Mohit Suri steht auf einem Holzkistchen, Ball zurück an die Privatwirtschaft. Maurus Lau-
zieht an einer Zigarette und schreit Anweisungen ber, dessen Organisation hauptsächlich von den
in sein Funkgerät: «Camera!» Der Kameramann Hoteliers finanziert wird, ist sich dieses Dilemmas
– er ist etwa drei Meter entfernt – antwortet eben- bewusst: «Im Moment gibt es niemanden, der die
falls per Funkgerät: «Rolling!», worauf Suri den Vermarktung von Zürich in der Welt an die Hand
ersehnten Befehl gibt: «Action!» nimmt.» Auch für die Kritik am Bewilligungsver-
fahren zeigt Lauber gewisses Verständnis, wäh-
Kritik an den Stadtbehörden rend Andreas Weibel vom Büro für Veranstaltun-
Für zwei Wochen ist das Produktionsteam aus gen bei der Stadtpolizei widerspricht und erklärt,
Mumbai, der indischen Filmmetropole, in Zürich, man habe versucht, die Wünsche der Filmcrew so
um den Film «Kalyug», der grösstenteils in gut wie möglich zu erfüllen.
Zürich spielt, zu drehen. Es sei die Liebes- Inzwischen hat sich die Filmcrew auf die Poly-
geschichte eines jungen Pärchens; die Frau ver- terrasse verschoben. Dort soll eine Szene gedreht
lasse Indien und gehe nach Zürich, der Mann werden, in welcher eine Horde Journalisten die
folge ihr, umreisst Produzent Mukesh Bhatt vage Hauptdarstellerin bestürmt. Obwohl es deutlich
die Geschichte. Erst die Nachfrage bei Regisseur wärmer geworden ist, tragen die indischen Crew-
Suri, der in seiner Heimat als Jungtalent gilt, ent- mitglieder immer noch ihre Wollpullover, wäh-
hüllt Genaueres: Es sei eine klassische Rache-Ge- rend sie eine für die Szene benötigte und plötzlich
schichte, sagt Suri, angesiedelt in der «westlichen verschwundene Polizeiuniform suchen. Als dann
Welt des Menschenhandels und der Pornogra- alles zum Dreh bereit ist, mangelt es an Statisten,
phie». Das Arbeiten in Zürich sei sehr angenehm, weshalb man zufällig anwesende ETH-Studenten
meint Suri, nur die Sache mit den Bewilligungen – besonders die indischen – um Mithilfe bittet.
hätte vielleicht etwas einfacher ablaufen können. Und auch der Berichterstatter und eine Kollegin
Deutlich weniger diplomatisch kommentiert vom Westschweizer Fernsehen werden kurzer-
Produzent Bhatt diese Angelegenheit: Er habe hand zu Statisten erklärt.
keinerlei Unterstützung erhalten, enerviert er sich;
dabei habe er schon oft in der Schweiz gedreht,
und er liebe dieses Land über alles. «Aber dies-
mal gehe ich traurig nach Hause», fügt er mit eini-
gem Pathos hinzu. Kritik äussert auch Roger Neu-
burger von der Firma Allabout, welche die Pro-
duktion von «Kalyug» in der Schweiz begleitet.
Enttäuscht ist Neuburger aber nicht nur über das
aus seiner Sicht mühsame Bewilligungsverfahren
in Zürich, sondern vor allem über mangelnde
finanzielle Unterstützung. Einzig von Zürich Tou-
rismus habe er 3000 Franken bekommen. Dabei
seien Bollywood-Filme, wie die indischen Pro-
duktionen in Anspielung an die amerikanische
Traumfabrik Hollywood genannt werden, sehr
gute Werbung für das Tourismusland Schweiz. –
Maurus Lauber, der Marketingverantwortliche
von Zürich Tourismus, betont seinerseits, dass
seine Organisation normalerweise Filmproduktio-
nen keine finanzielle Unterstützung gewähre.
Weil der indische Markt aber grosses Potenzial
habe, sei bei «Kalyug» eine Zahlung gerecht-
fertigt. Er verstehe die Kritik des Produktions-
teams durchaus, sagt Lauber, und würde sich sel-
ber mehr Mittel für die Mitfinanzierung von
Filmdrehs in Zürich wünschen. Andere Länder
würden hier grosse Summen einsetzen, was dazu
geführt habe, dass die indischen Produzenten an-
spruchsvoller geworden seien. Nach Laubers
Meinung sollten Stadt und Region Zürich ein

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