KULTUR ❚ MUSIK
Foto: Leah Nash
Zuflucht in meinem Herzen
Antony Hegarty und die Welt da draußen
Vier Jahre nach dem Überraschungs-Triumph von "I Am A Bird Now", nach einem Ausflug in die Club-Musik mit Hercules & Love
Affair und Gast-Features etwa bei Björk, Marianne Faithfull und gar Herbert Grönemeyer kommt Antony Hegarty mit den Johnsons
und einer neuen Platte zum Konzert nach Frankfurt.
gab-Magazin: Seit der Veröffentlichung
deines letzten Albums sind rund vier Jahre
vergangen...
Antony Hegarty: Ja, ich habe etwa zweiein-
halb Jahre im Studio verbracht und allein
acht oder neun Monate gebraucht, um das
Album zu schneiden und abzumischen. Ich
habe viel Zeit damit verbracht, verschiedene
Möglichkeiten durchzuspielen, um am Ende
doch zu der ursprünglichen, zurückhalten-
den Fassung zurückzukehren. Das war ziem-
lich anstrengend und ermüdend. Ich bin
froh, dass das Album jetzt endlich fertig ist.
Foto: Beggars Group
20 APRIL 2009
gab-Magazin: Ein wiederkehrendes Thema Antony Hegarty: Er ist ein netter Kerl.
auf "The Crying Light" ist dein Leiden an derAber als ich noch ein Kind war, erschien er
Zerstörung der Welt mir wie ein Märchen. Sein Image hatte et-
Antony Hegarty: Die Veränderungen in der was unglaublich Süßes. Mit Kate Bush war
Welt brechen mir das Herz. Normalerweise es genauso. Die beiden waren zu Beginn
verschließe ich mich bei solchen Themen, ihrer Karrieren so jung, gerade mal in ih-
weil mich das Ganze zu sehr aufregt. Aber ren frühen Zwanzigern. Ich bin inzwi-
dieses Mal wollte ich mich bewusst mit mei- schen 37 Jahre alt. Aber aus der Sicht eines
nen Gefühlen beschäftigen. Ich habe auch 11- oder 12-Jährigen wirkten sie so viel äl-
keine Lösung für dieses Problem, ich wollte ter. Ihr Image, alles, was sie verkörperten,
mich lediglich artikulieren und das Gefühl erschien mir aus meiner Kinderperspekti-
des Verlustes durchleben. ve so frei und kreativ. In meiner Bezugs-
gruppe, meiner Familie oder meinem Um-
gab-Magazin: Inzwischen hast du dir in feld hat niemand so etwas gemacht. Ich
New York ein großes Netzwerk von Künst- habe Derartiges nur in der Musik gesehen,
lern aufgebaut, mit denen du zusammenar- wo manche Leute ihr Herz einfach so viel
beitest. Ist das eine Art sicherer Hafen für farbenprächtiger zum Ausdruck brachten.
dich? Als Transgender-Kid wirst du davon ange-
Antony Hegarty: Es ist eine Gemeinschaft zogen, du findest dich darin wieder. Du
oder, wie du schon sagst, ein Netzwerk. bist auf der Suche danach, du möchtest je-
Aber du findest überall kleine sichere Orte. manden sehen, in dem sich deine Gefühle
Du versuchst, etwas davon überall hin mit- widerspiegeln. Boy George verkörperte das
zunehmen. Ich habe eine Weile gebraucht, farbenfrohe Leben, er hat nichts unter-
bis ich gelernt habe, einen Zufluchtsort für drückt. Das sind die Dinge, von denen du
mich in meinem Herzen zu tragen. Man träumst. (mer)
darf sich nicht aufgeben, wenn es stür-
misch zugeht. Das ist etwas, was man von
seinen Eltern lernen sollte, wenn man gute
Eltern hat. Die Eltern bringen dem Kind
bei, auf sich selbst zu achten und sich
selbst wertzuschätzen, auf die richtige Art.
Wenn du in deinen Zwanzigern bist, bist
du hoffentlich in der Lage, das Ruder zu
übernehmen und diese Dinge für dich
selbst zu regeln. Wenn nicht, dann musst
du es lernen.
gab-Magazin: Auf deinem letzten Album Das Album "The Crying Light" ist bei Rough Trade/Beggars
hattest du unter anderem mit Boy George zu- Group/Indigo erschienen. Antony and The Johnsons live
sammengearbeitet. Wie war das, auf einen am 27.4. in der Alten Oper Frankfurt. antonyandthejohn-
Helden deiner Kindheit zu treffen? sons.com
 Fotos: Frederic Detjens

Sachte gelümmelt
Mocky überrascht mit Jazzy Tristeza
mal jazziger, mal poppiger,
aber immer schön sachte ge-
lümmelt. Spannende Lange-
weile, natürlich wie immer ir-
gendwie herausragend. Eine
krude Story zum Album gibt's
übrigens auch: nachdem Mo-
cky einen Rechtsstreit gegen
eine österreichische Super-
marktkette gewonnen hat (die
ohne Genehmigung einen Mo-
cky-Song in einem Bio-Lebens-
mittel-Werbespot mit einem
sprechenden Schwein verwen-
det haben), nutze er das Geld,
um sich im berühmten Pariser
Ferber Studio für "Saskamodie"
einzumieten. Alle Instrumente
hat er übrigens selbst gespielt -

2. Mai – 7. Juni 2009

das wird spannend beim Frank-
Mocky gehört zur lustigen furter Live-Gig! (bjö)
Gruppe der Ex-Kanadier Feist,
Peaches, Gonzales und Taylor
Savvy, die inzwischen alle in Sports Weekend: 29. Mai – 1. Juni | Pride Weekend: 5. – 7. Juni
Berlin leben und arbeiten. Mo-
ckys bisherigen Alben fielen Parade: 6. Juni | Kultur | Filme | Sport | Parties | Stadtfest |
durch vertrackte Rhythmus- | Parade | Sight-Seeing | Shopping und vieles, vieles mehr …
schachteln, irre arrangierte
Popperlen und groovige Soul-
songs auf. Dabei konnte man
sich nie ganz sicher sein, was www.europride09.eu
als nächstes passiert. Wenn
man das weiß, wundert einen O R G A N IS AT IO N : VE R E IN E U R O PR ID E , PO S T FAC H , 8 0 2 1 ZÜ RIC H

eigentlich gar nichts mehr - "Saskamodie" ist bei Crammed Discs

O FFICIA L H OTE L BO O KIN G O FFICIA L CA RRIE RS:
oder eben alles. Denn "Saska- erschienen. Mocky live am Mo 27.4., PA RTN E R:

modie" klingt wie eine Bossa- 21:30 Uhr, Mousonturm, Waldschmidtstr. 4,

Tristeza-Platte aus den 60ern, Frankfurt.
KULTUR ❚ MUSIK

Foto: VincentFlouret
Eiszeit -
minus 90 Grad
Miss Kittin ist ziemlich kühl
Als eine der wenigen Frauen
der Technoszene meldet sich
Miss Kittin zurück, die ihre
Karriere als Musikerin und
DJ bereits 1996 zusammen
mit "The Hacker" auf DJ Hells
Label "Gigolo Records" be-
gann. Nicht ganz so hart wie
Techno-Dandy Hell, aber mit ebenso maschinell-
kühler Atmosphäre und jeder Menge Anleihen
zu Disco, Glamrock und 80er-Syntipop gibt es 11
neue Songs. Anspieltipps: das Disco-Stück "Party
in my Head", in dem man die laszive Stimme
Donna Summers wähnt, dann jedoch Kittin mit
ihrem betont belanglosen Sprechgesang loslegt.
Auch gut: die Cover-Version von Elvis' "Suspi-
cious Minds", die bei Kitten und Hacker zu
trashig-fröhlichem Kirmestechno mutiert. Wir
hoffen, dass das ironisch gemeint ist .... (bjö)

"Two" von Miss Kittin and The Hacker ist bei Nobodys Business/
Groove Attack erschienen.

CD-Tipps
Elektro/Pop
Röyksopp: Junior (EMI)
Nach dem etwas orientierungslosen Vorgänger "The Understan-
ding" geben Röyksopp auf ihrem dritten Album richtig Gas: Nicht
nur dass die Songs eindeutig mehr in Richtung Tanzfläche und
Elektropop gehen, mit Robyn und Lykke Li haben sie - neben den
bereits bewährten Vokalistinnen Karin Dreijer Andersson von The
Knife und Anneli Drecker - gleich zwei große und derzeit schwer
angesagte Namen verpflichten können. Dabei entsteht mal
Kylie-Pop ("The Girl and the Robot"), mal treibende Dance-Tracks
("Tricky, tricky") - insgesamt meist fröhlicher Elektro-Pop der
besseren Klasse. (burn)

Indie/Pop
White Lies: To lose my Life (Polydor/Universal)
Noch britischer als die White Lies kann Indie eigentlich nicht
mehr klingen - ein bisschen Joy Division, eine Prise The Smiths
und ein Hauch von The Cure. So zieht sich eine eher kühl-
düstere Atmosphäre durch die zehn Songs des Albums. Grund-
botschaft: Das Leben taugt nichts ohne Liebe, aber Liebe ist die
Hölle. In der Heimat der drei jungen Londoner kam das so gut
an, dass das Album direkt auf Platz 1 der Charts einstieg. Tat-
sächlich sind die Songs zum Teil ganz gut, wenn auch manch-
mal schon zu eingängig. Aus dem Schatten ihrer Vorbilder treten
die Drei leider keinen Moment. (VÖ: 03.04.) (burn)

Schlager
Dalida: Ihre großen Erfolge (Orlando/Koch Universal)
"Best of"-Alben gibt's von Dalida wahrlich genug, aber eine
Doppel-CD mit 44 Titeln in deutscher Sprache ist doch eine
bemerkenswerte Rarität. Natürlich sind dabei die Klassiker
wie "Am Tag, als der Regen kam", "Milord", "Pepe" und das
legendäre "Er war gerade 18 Jahr", für das sie noch heute,
22 Jahre nach ihrem Tod, von so einigen Schwulen verehrt
wird. Darüber hinaus gibt es viele Perlen wiederzuentdecken,
darunter die Anti-Kriegs-Version von "Wenn die Soldaten" und
das Tucholsky-Gedicht "Nein, zärtlich bist du nicht", vertont
von Hanne Haller. (cm)

Pop
Kelly Clarkson: All I Ever Wanted (RCA/SonyBMG)
Mit Hits wie "Since U Been Gone" hatte "American Idol" Kelly
Clarkson es auch in unseren Breiten geschafft; dafür floppte
2007 das musikalisch vielschichtige, für den Mainstream aber
wohl zu düstere Album "My December". So geht Kelly bei Long-
player Nummer Vier lieber auf Nummer sicher. Die Vorab-Single
"My Life Would Suck Without You" kündete schon von einer
Rückkehr zur alten Form. Überfliegerin Katy Perry steuert das
erfrischend rotzige "I Do Not Hook Up", One-Republic-Front-
mann Ryan Tedder die außergewöhnliche Ballade "Save You"
bei. Alles nicht wirklich originell, aber sehr unterhaltsam. (to)

22 APRIL 2009