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iro miede
utsurou mono wa
yo no naka no
hito no kokoro no
hana ni zo arikeri
Friedrich von Matthisons Gedicht „Adelaide“ habe ich über seine Ver-
tonung durch Ludwig van Beethoven kennengelernt. Es endet mit fol-
gender Strophe, die ich unkommentiert Komachi’s waka zur Seite stel-
len möchte:
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Wir reihen uns mit unserem Thema in eine lange, viele Kulturen über-
greifende Tradition ein. Das ist eine triviale Bemerkung. Das Faktum
aber muss uns auch bei der Beschäftigung mit dem Herzen und der
Metapher Herz in Japan bewusst sein. Nicht nur, um kontrastiv und
komparativ argumentieren zu können, sondern, vielleicht vor allem,
um der Tatsache Rechnung tragen zu können, dass gerade die japa-
nische Kultur eine geradezu exemplarische Hybrid-Kultur ist. Und das
ist sie seit ihren Anfängen. - Auch das scheint, vor allem hier und jetzt,
eine triviale, zudem überflüssige Bemerkung zu sein. Aber dass die
Dinge längst noch nicht ausgemacht sind, kann man im zum Beispiel
im sinologischen Kontext an der fundamentalen Kritik ablesen, die
Jean-Francois Billeter am bisherigen Lebenswerk des jüngeren Kol-
legen Francois Jullien geübt hat. - Dass das gerade erschienene Buch
Le Japon grec – Culture et possession von Michael Lucken zu einer
wissenschaftstheoretischen Debatte innerhalb der Japanologie führen
wird, das glaube ich zwar nicht, aber es beweist doch, wie „an-
ders“ man mit bekannten und erprobten Fragestellungen umgehen
kann.
Nicht nur bei Ikegami Yoshihiko kann man lesen, dass Gedanken und
Gefühle im Japanischen in der Regel als etwas konzipiert werden, das
spontan hervorgeht, weniger als etwas, das durch einen inneren oder
äußeren Stimulus bewirkt wird. Sprachlich schlägt sich das in der üb-
lichen Tendenz zu quasi subjektlosen oder intransitiven Konstruk-
tionen nieder. - In gewisser Weise parallel dazu werden Körperteile
eher als Orte, terminologischer gesagt: als loci konzeptualisiert, an de-
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nen Gefühle oder auch Gedanken hervorgehen, - eher denn als Entitä-
ten, die sie hervorbringen, generieren. Man könnte das, zum Beispiel,
an der grammatischen Kategorie des jihatsu demonstrieren, wie Lewin
sie beschreibt.
kokoro soll auch von Anfang an, wenn wir diese uns vertraute Kom-
partimentalisierung übernehmen, die Funktionen des Denkens, Füh-
lens und Wollens umfasst haben. Insofern bietet kokoro viele An-
schlüsse (auch) an die abendländische Tradition an.
- Schon die Formulierung kokoro ni omou in dem oft zitierten und stra-
pazierten Vorwort des Ki no Tsurayuki zum Kokinshû scheint diese drei
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Funktionen, um sie der Kürze und Einfachheit halber so zu nennen, als
eine zu sehen, zu einer zusammenzufassen, oder auch, wenn man so
will, sie auf das Moment der Intention oder gar der Intentionalität zu
reduzieren; kokoro araba wäre hier die allgemeine Floskel für die Vor-
handenheit einer solchen Intentionalität, kokoro shirazu die für den
Mangel an Intentionalität. Wenn ein Sprecher sie sich herbeiwünscht,
sagt er vielleicht kokoro arubeki / hatsushigure kana. (tsuki wo matsu
/ takane no kumo wa / hare ni keri / kokoro arubeki / hatsushigure
kana) -
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Hara spielt eine besondere Rolle als ein pathos-generierender Ort. Mir
zumindest scheint er dem thymos bei Homer ähnlich. Es kommt mir
auch so vor, dass hara und auch mune einen irgendwie anderen orga-
nischen Status haben als kokoro oder kimo. – futoppara weist nicht auf
einen Menschen mit Falstaff-Umfang, sondern auf einen großzügigen,
generösen Menschen
- Aber was bedeutete das für das Verständnis, wenn man es so nennen
kann, des hara-kiri, auch genannt seppuku? – hara als ein imaginierter
Ort der Kraft und Lebenskraft, wie es ja auch der thymos bei Homer ist,
wird, quasi stellvertretend, als reales Organ zerstört, kitta, getötet.
Matsui Mahito sagt es in einem Aufsatz mit dem Titel Nihon bunka ni
okeru „kokoro“ no gainen-metafuâ in gewisser Weise noch drastischer,
wenn er das Herz ein „ungreifbares Objekt“ nennt, auf das sich die
Metapher beziehe: toraedokoro no nai kokoro to iu taishô. Als wäre
kokoro die Metapher für ein Ineffabile, wie es in der abendländischen
Tradition genannt wird. Gleichzeitig verspricht er, in seinem Aufsatz
klar zu machen, wie japanische Sprecherinnen und Sprecher dieses
Ineffabile vorstellen und möglicherweise verstehen.
Matsui stützt und beruft sich dabei primär auf Lakoff und Johnson und
deren Konzept der conceptual metaphor, gainen-metafuâ, mit dem sie
den Begriff der Metapher sozusagen aus dem Bannkreis der Sprache
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resp. sprachwissenschaftlicher Fragestellungen herausgeführt und für
die Kognitionswissenschaften nutzbar gemacht hätten. Lakoff und
Johnson hätten auch klar gemacht, dass man über die Dinge praktisch
nur metaphorisch reden könne. Auf eine Formel gebracht: hito no gai-
nen-taikei no ôku no bubun ga metafuâ ni yotte naritatte iru. – Freilich
würde man über den tatsächlichen Umfang dieses ôku no bubun gerne
Genaueres wissen.
Ich stelle einige Gedanken und Argumente Matsui‘s (und seiner Ge-
währsleute, vor allem Sumi Yukimi) vor, Gedanken, von denen ich
glaube, dass es sich lohnte, sie weiterzudenken. Eine große Schwäche
des Aufsatzes ist in meinen Augen aber, dass er zwischen Synchronie
und Diachronie sozusagen nicht differenziert. Matsui synchronisiert
die Diachronie, das heißt, er lässt schlichtweg Sprachgeschichte und
Sprachentwicklung außer Acht. Er behandelt seine Spezimen alle
gleich, ob sie aus einer Studie über die „Konzeptualisierung (gainen-
ka) von kokoro in den utamakura“ oder aus einer vergleichenden
Studie über „das „Herz“ im Chinesischen und Japanischen“ stammen.
Er sagt uns ausgerechnet nichts über das, was uns mit am meisten
interessiert. Unsere Aufgabe ist also: zu versuchen, zu re-diachro-
nisieren, was Matsui bewusst formal darstellt.
- Ich sollte hier ergänzen, dass die Autorin und der Autor der beiden
Studien, auf die Matsui sich bezieht, an der Unterscheidung von Entität
und locus anscheinend nicht interessiert sind. Ich komme darauf zu-
rück. -
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Das Herz wird hier also als Objekt gesehen (buttai to minashite): das
abstrakte, gestaltlose kokoro wird durch Metaphorisierung objekti-
viert, das heißt überhaupt erst vorstellbar. Lakoff und Johnson spre-
chen in diesem expliziten Fall daher von einer ontological metaphor:
– Das gilt übrigens fast alles auch, Sie werden es gemerkt haben, für ki.
Ich habe vor langer Zeit ein kleines ki-Lexikon mit ungefähr 400 Einträ-
gen zusammengestellt, und musste dann leider feststellen, dass es zu
großen Teilen sich mit einem Lexikon der ki-Idiome bei Ihara Saikaku
überschnitt. Aber das bewies wenigstens die Langlebigkeit der Idiome,
wenn sich die grammatischen Formen auch sehr verändert hatten.
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Wichtiger aber ist, dass ich erst später gemerkt habe, in wie überaus
vielen dieser Idiome ki und kokoro austauschbar sind. Es wäre also
vielleicht ergiebig, die metaphorischen Funktionen beider Begriffe mit
einander zu vergleichen, und zu sehen, was man aus den Stellen, wo
die sich nicht überlappen, lernen kann.
kokoro yori
musubi okikeru
shimo nareba
omoi toku hi wa
nokorazarikeri
In meinem Herzen / breitet sich / der Frost aus. / Kein Feuer ist mehr
/ geblieben, / das meine Gefühl zum Schmelzen brächte.
Als gainen-metafuâ erst wird kokoro den Sinnen, dann aber allen, zu-
gänglich. Jetzt kann es als gerade, massugu, oder verdreht, nejima-
gatta, sauber oder schmutzig erscheinen. As you like it.
Weil das Herzklopfen ja wirklich hörbar ist, sogar als Symptom gedeu-
tet werden kann, scheinen mir die auditiven Metaphern eine funktio-
nale Sonderrolle zu spielen: kokoro ga sawagu, kokoro ga shizumaru,
kokoro no soko wo tataku. – Japaner und Japanerinnen können offen-
sichtlich auf den Boden ihrer Herzen klopfen. - Angelsächsische Auto-
ren behaupten, dass es im Englischen kein Äquvialent für kokoro ga
sawagu gäbe. - Deutet das darauf hin, dass es im Japanischen mehr
um ein gefühltes und nicht gehörtes „Lärmen“ geht?
Die in einem weiten Sinne taktilen Metaphern, die vorgeben, dass man
das Herz spüren, sein Gewicht wiegen, dass man es überhaupt halten
kann, dass es kalt oder heiß, schwer oder leicht, hart oder weich ist
etc., diese taktilen oder haptischen Metaphern sind gleichsam doppelt
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oder auch mehrfach kodiert oder konnotiert, weil mit Temperatur,
Gewicht und Konsistenz des Herzens sehr verschiedene Deutungen
verbunden sind, zum Beispiel die des Liebenswerten, des Abstoßen-
den, des Verständigen, des Guten, des Bösen etc. -. Ein atatakai kokoro
ist als conceptional metaphor ein ganzer Bedeutungskomplex, ich
möchte sagen: höherer Ordnung. Dass im modernen Japanischen kein
Sinn ausgeschlossen ist, mögen Ausdrücke wie kokoro no amasa, se-
ken ni taishite karai kokoro wo idaku oder kokoro no kaori suru kaisha
demonstrieren. Schon im Imakagami finden sich Ausdrücke, die auf
geradezu handfeste Vorstellungen vom kokoro schließen lassen.
Denken wir an hito no kokoro wo yukasu, man kann Herzen also zum
Laufen bringen, oder an kuraki kokoro wo michibiku, man kann offen-
sichtlich wenigsten die dunkelen, verblendeten Herzen die Straßen
entlang ziehen oder gar zerren.
Aber auch die Vorstellung vom Herzen als Container, Futteral oder Etui
ist im Japanischen sehr aktiv. Hier werden Gedanken und Gefühle als
Inhalt, content, des als ein Gefäß oder Behältnis konzipierten kokoro
hingestellt, jap. mitaterareru, wie man besser sagen sollte. - Leider
harrt aber der Begriff mitate noch immer einer umfassenden und
gründlichen Aufarbeitung, die herausarbeitet, was mitate mit sich hier,
meine ich, für eine Probe aufs Exempel anbieten.
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als an seinen Innereien, nai-zô. – Wir werden freilich, das liegt an den
Textgenres, mit denen wir hier umgehen, freilich hauptsächlich von
den verborgenen Seiten des Körpers reden.
Kokoro soll sich etymologisch, auch das kolportiere ich hier nur, aus
kôru, fest oder hart werden entwickelt haben. Vielleicht liegt hier die
Vorstellung zugrunde, dass sich eine Flüssigkeit im Innern eines wie
auch immer gedachten corpus verdichtet. Dass sie granuliert.
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Hören und Sehen entstehen lässt. – Der weitere Kontext des Fukuro
zôshi verdeutlicht, dass für Kiyosuke, wie auch für seine Zeitgenossen,
das Herz der kreative Ort ist, aus dem Dichtung hervorgeht. Auch das
ist seit Ki no Tsurayuki, als terminus post quem, ein – umkämpfter -
Allgemeinplatz, gewinnt aber an Bedeutung und Deutlichkeit, wenn
wir kokoro in seiner Funktion als konzeptionelle Metapher ein wenig
beleuchten. - Das gilt auch, was ich hier aber nur erwähnen möchte,
für Shunzei, der sein komplexes Konzept vom Herzen ausgehend von
einem Zitat aus dem Fugen-Sutra entwickelt: waga kokoro onozukara
kû nari. – In dieser Formel sollen sich offensichtlich fünf völlig unbe-
stimmte Abstrakta (Ich, Herz, Selbst, Werden) Leere gegenseitig be-
stimmen.
Was Shunzei meint, was sein kokoro im Sinne von meaning ist, kann
man vielleicht einem waka von Jakuzen entnehmen, in dem Kosmos
und kokoro wie kurzgeschlossen erscheinen. Zu einem Gesamtort, wie
die Romantiker vielleicht gesagt hätten:
hito shirezu
kokoro hitotsu wo
kakekureba
munashiki sora ni
mitsu omoi kana
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Wenn wir mit andren, / die wir nicht kennen, / unsre Herzen vereinen,
/ wie unsere Gefühle dann / den leeren Himmel erfüllen!
Die Metapher kokoro kann umgekehrt, hier in einem, sagen wir hö-
fisch-lebensweltlichen Kontext als anklagende Klage eines Verlassenen
dienen.
Mibu no Tadamine
kaze fukeba
mine ni wakaruru
shirakumo no
taete tsurenaki
kimi ga kokoro ka
Eine weiße Wolke, / die der Wind vom / Berggipfel losriss - / hat so sich
dein fühlloses / Herz von mir abgewendet?
Mit Bezug auf en, innen und vielleicht auch pratîtyasamutpâda, also
engi erlaube ich mir noch, auf dem deutschen Begriff Bildungstrieb
hinzuweisen, wie Blumenbach ihn 1781 als erster in die Diskussion
gebracht hat. Blumenbachs Bildungstrieb wird in wikipedia so definert:
„lat. nisus formativus, bezeichnet eine bei Lebewesen angenommene,
die Vorgänge von „Generation, Nutrition und Reproduktion“ regelnde
Lebenskraft. Es handelt sich um ein dreistufiges biologisches Konzept
der Selbstorganisaton, welches 1780 durch den Naturforscher Johann
Friedrich Blumenbach als Begriff geprägt und in Über den Bildungs-
trieb und das Zeugungsgeschäft 1781 ausführlicher dargelegt wurde.
Die von Blumenbach angenommene treibende Kraft bedingt den bio-
logischen Zyklus von Zeugung, Ernährung und Reproduktion.“
Ohne Blumenbach, das sei noch ergänzt, wäre Goethe wohl weder auf
seinen Wilhelm Meister, das Urei des Biuldungsromans, noch auf die
Metamorphose der Pflanze gekommen. Und auch Hegels Idee der
Dialektik verdankt Blumenbach viel. Aber das gehört nicht hierher.
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Die Intentionen der Herzens können freilich auch verleitet und fehl-
gleitet werden. Im Vorwort zu seinem Sanbôe fordert Tamemori, Frau-
en keine Romane lesen zu lassen, - das ist eine auch im Abendland
wohlbekannte Forderung, aber Tamemori befürchtet, dass das Herz
der Frauen durch die Lektüre von Romanen, von der buddhistischen
Lehre gleichsam weggezogen werden können; denn die monogatari,
im Sinne romanhafter Erzählungen seien: onna no mikokoro wo yaru
mono.
Die Bedeutung von Wesen, Sinn, Zentralität scheint mehr vom kon-
kreten oder imaginierten Ort des Organs im Körper abgeleitet zu sein
als von der irgendwie unspezifischen Vorstellung, dass hier der Ort sei,
an dem sich eine Performanz ereignet. Dafür spricht auch die Beo-
bachtung, dass – tendenziell - die Organe umso höher bewertet wer-
den, je höher sie im Körper verortet sind. Das scheint verständlich.
Für mich ist es wieder waka-Dichter, der, wie sich’s versteht, die
subtilsten (oft) buddhistischen Nuancen, der kokoro-Metapher ins
Wort bringt.
Jien dichtet:
honobono to
ômi no umi wo
kogu fune no
ato naki kata ni
yuku kokoro kana
Kaum erkennbar / rudert ein Boot / über den See von Ômi. / - Ein Herz
auf dem Weg / In Richtung Spurlos.
kokoro wo zo
agate hasu ni
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sakase tsuru
ima miru hana no
chiru ni taguete
harukaze ni
kôri tokeyuku
tanimizu wo
kokoro no uchi no
sumashite zo miru
toshi furedo
kokoro no haru wa
yoso nagara
nagamenarenuru
akebono no sora
sora ni naru
kokoro wa haru no
kasumi nite
yo ni araji to mo
omoitatsu kana
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