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Springer-Lehrbuch

Rolf Mahnken

Lehrbuch der
Technischen Mechanik –
Statik
Grundlagen und Anwendungen

123
Prof. Dr.-Ing. Rolf Mahnken, M.Sc.
Universität Paderborn
Fakultät für Maschinenbau
Lehrstuhl für Technische Mechanik
Warburger Straße 100
33098 Paderborn
Deutschland
rolf.mahnken@ltm.upb.de

ISBN 978-3-642-21710-4 e-ISBN 978-3-642-21711-1


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1
Springer Heidelberg Dordrecht London New York

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Vorwort

Die Statik ist die Lehre vom Gleichgewicht von Körpern, die unter dem Einfluß von Kräften
stehen. Dabei denkt man zunächst an ruhende Körper - so wie die Baumeister der An-
tike, die bei der Errichtung monumentaler Gebäude großen Herausforderungen gegenüber-
standen. Während damals die Bauausführungen vorwiegend auf Erfahrungen beruhten, sind
im heutigen Ingenieuralltag außerdem zuverlässige und effiziente Berechnungsverfahren
unerlässlich. Damit wird es möglich, immer höhere Gebäude und Brücken mit immer
weiteren Spannweiten zu bauen. Jedoch weisen uns aktuelle Nachrichten, etwa über ein-
sturzgefährdete Brücken und U-Bahnbaustellen oder auf Grund von Eis- und Schneelast
umgestürzte Strommasten und Eissporthallen, immer wieder auf das Gefahrenpotenzial von
Ingenieurkonstruktionen hin.
Berücksichtigt man, dass sich nicht nur ruhende, sondern auch nicht beschleunigte Kör-
per im Gleichgewicht befinden, dann sind die Angabe des Übersetzungsverhältnisses für ein
PKW-Getriebe oder die Berechnung von Kräften in Zahnradgetrieben bei konstanter Drehge-
schwindigkeit ebenfalls Fragestellungen, die mit Methoden der Statik beantwortet werden
können.
Für Studierende vieler Ingenieurbereiche ist eine eingehende Beschäftigung mit der
Statik also von grundsätzlicher Bedeutung, um auch im späteren Berufsleben den An-
forderungen an sichere Bauten und Maschinen unter wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
gerecht zu werden. Das vorliegende Buch richtet sich somit vorrangig an Studentinnen und
Studenten der Fachrichtungen Maschinenbau, Bauingenieurwesen, Geologie, Elektrotech-
nik, Wirtschaftsingenieurwesen, Technomathematik, Ingenieurinformatik, Mechatronik, Ver-
fahrenstechnik und Lehramt sowie an Ingenieure in der beruflichen Praxis. Entsprechend
wird die Statik starrer Körper umfassend behandelt. Zum Verständnis des Buches werden
Kenntnisse über Physik und Mathematik auf Abiturniveau vorausgesetzt.
Das Buch ist aus gleichnamigen Vorlesungen entstanden, die der Autor in den Win-
tersemestern 1997/98 und 1998/99 an der Universität Hannover für Studenten des Bauinge-
nieurwesens gehalten hat und seit dem Wintersemester 2004/05 an der Universität Paderborn
für Studenten des Maschinenbaus und des Wirtschaftsingenieurwesens hält. Dabei wurden
und werden auch weiterhin die unterschiedlichen fachlichen Schwerpunkte der verschiede-
nen Hörerkreise berücksichtigt. Sie sind in dieses Buch eingegangen und tragen zu der um-
fassenden Darstellung der Statik starrer Körper bei.
Besonders bedanken möchte ich mich bei ehemaligen und jetzigen Mitarbeitern des
Lehrstuhls für Technische Mechanik, Universität Paderborn, Dr.-Ing. Franz-Barthold Gockel,
Dr.-Ing. Stefan Wilmanns, Dipl.-Ing. Kim Sauerland, Dr.-Ing. Ismael Caylak, Dipl.-Ing.
Frederik Hankeln für die Unterstützung bei der Erstellung der Übungsaufgaben. Des Wei-
teren sei den Hilfsassistenten Martin Kage und Sebastian Heibel für die Bearbeitung der
Übungsaufgaben sowie Herrn Kohlstedt für die Programmierung mit MATLAB gedankt. Den
Hilfsassistenten Dominik Stümpel und Simon Maike sowie Herrn Kai Yang danke ich für die
sorgfältige Anfertigung der anschaulichen Abbildungen. Dem Springer Verlag und insbeson-
dere Frau Eva Hestermann-Beyerle möchte ich für die gute Zusammenarbeit danken.

Paderborn, im Juli 2011 Rolf Mahnken


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Was ist Mechanik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Einige Meilensteine in der Geschichte der Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.3 Einteilung der Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.4 Einteilung und Inhalte des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.5 Ziele des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Teil I Grundlagen der Statik

2 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.1 Die Newtonsche Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.1.1 Definition Betrag einer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.1.2 Definition des Kraftvektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2.1.3 Flächen- und Volumenkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2.1.4 Lastermittlung für Ingenieurkonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.1.5 Freischneiden und Freikörperbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2.1.6 Einteilung von Kräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.1.7 Aufgaben zu Abschnitt 2.1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.2 Der Starrkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.3 Der Freiheitsgrad eines Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.4 Lager- und Reaktionskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.4.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.4.2 Lagerarten für ebene Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.4.3 Lagerarten für räumliche Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
2.4.4 Zwischenlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2.4.5 Aufgaben zu Abschnitt 2.4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

3 Axiome, Gesetze und Idealisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37


3.1 Das Gleichgewichtsaxiom zweier Kräfte am Starrkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
3.2 Wechselwirkung zwischen zwei Kräften: Gesetz und Axiom . . . . . . . . . . . . . . 40
3.3 Das Axiom vom Kräfteparallelogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
VIII Inhaltsverzeichnis

3.4 Gleichgewicht verschiedenartiger Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44


3.4.1 Das Gravitationsgesetz von Newton für zwei Massen . . . . . . . . . . . . . . 44
3.4.2 Das Coulombsche Gesetz für zwei elektrische Ladungen . . . . . . . . . . . 45
3.4.3 Kräfte auf stromdurchflossene Leiter im magnetischen Feld . . . . . . . . . 47
3.4.4 Das Hookesche Gesetz für Schraubenfedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
3.5 Statisch äquivalente Kraftsysteme und Gleichgewicht von Kraftsystemen . . . 50
3.6 Anwendung der Axiome auf idealisierte Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
3.7 Aufgaben zu Kapitel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59


4.1 Vom realen System zum zentralen Kraftsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
4.2 Zeichnerische Lösungen der drei Grundaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
4.2.1 Erste Grundaufgabe: Reduktion auf eine Einzelkraft . . . . . . . . . . . . . . . 60
4.2.2 Zweite Grundaufgabe: Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
4.2.3 Praktische Berechnung von zentralen Kraftsystemen . . . . . . . . . . . . . . . 64
4.2.4 Gleichgewicht von drei Kräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4.2.5 Das Superpositionsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
4.2.6 Dritte Grundaufgabe: Zerlegung einer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
4.2.7 Zerlegung eines Kraftvektors in kartesischen Koordinaten . . . . . . . . . . 73
4.2.8 Aufgaben zu Abschnitt 4.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
4.3 Rechnerische Lösungen der drei Grundaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
4.3.1 Erste Grundaufgabe: Reduktion auf eine Einzelkraft . . . . . . . . . . . . . . . 81
4.3.2 Zweite Grundaufgabe: Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
4.3.3 Dritte Grundaufgabe: Zerlegung einer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
4.3.4 Die Systemmatrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
4.4 Statische Bestimmtheit eines Massenpunktes in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . 86
4.5 Numerische Methoden für Gleichgewichtsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
4.6 Aufgaben zu den Abschnitten 4.3 bis 4.5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95


5.1 Vom realen System zum nichtzentralen Kraftsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
5.2 Reduktion von zwei parallelen Kräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
5.3 Das Kräftepaar und dessen Moment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
5.3.1 Definitionen und Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
5.3.2 Reduktion und Gleichgewicht für Momente von Kräftepaaren . . . . . . . 101
5.4 Parallelverschiebung einer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
5.5 Das polare Moment einer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
5.6 Aufgaben zu den Abschnitten 5.2 bis 5.5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
5.7 Die drei Grundaufgaben der Starrkörperstatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
5.7.1 Erste Grundaufgabe: Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
5.7.2 Zweite Grundaufgabe: Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
5.7.3 Statisch äquivalente Gleichgewichtsbedingungen für den Starrkörper . 116
5.7.4 Dritte Grundaufgabe: Zerlegung einer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
5.7.5 Die Systemmatrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
Inhaltsverzeichnis IX

5.8 Statische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121


5.9 Aufgaben zu den Abschnitten 5.7 und 5.8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

6 Kraftsysteme im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131


6.1 Darstellung von Kraftvektoren in kartesischen Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . 131
6.2 Zentrale Kraftsysteme im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
6.2.1 Erste Grundaufgabe: Reduktion auf eine Einzelkraft . . . . . . . . . . . . . . . 132
6.2.2 Zweite Grundaufgabe: Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
6.2.3 Dritte Grundaufgabe: Zerlegung einer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
6.2.4 Statische Bestimmtheit eines Massenpunktes im Raum . . . . . . . . . . . . 137
6.2.5 Aufgaben zu Abschnitt 6.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
6.3 Nichtzentrale Kraftsysteme im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
6.3.1 Der Momentenvektor eines Kräftepaares . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
6.3.2 Parallelverschiebung einer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
6.3.3 Der polare Momentenvektor einer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
6.3.4 Der axiale Momentenvektor einer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
6.3.5 Aufgaben zu den Abschnitten 6.3.1 bis 6.3.4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
6.3.6 Erste Grundaufgabe: Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
6.3.7 Zweite Grundaufgabe: Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
6.3.8 Statisch äquivalente Gleichgewichtsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
6.3.9 Dritte Grundaufgabe: Zerlegung einer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
6.3.10 Statische Bestimmtheit eines Starrkörpers im Raum . . . . . . . . . . . . . . . 155
6.3.11 Aufgaben zu den Abschnitten 6.3.6 bis 6.3.10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

7 Kinematik des Starrkörpers in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161


7.1 Die finite ebene Bewegung eines Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
7.2 Die infinitesimale ebene Bewegung eines Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
7.3 Drei Grundaufgaben der Starrkörperkinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
7.3.1 Erste Grundaufgabe: Verschiebungen eines Starrkörpers ermitteln . . . . 164
7.3.2 Zweite Grundaufgabe: Momentanpol eines Starrkörpers ermitteln . . . . 166
7.3.3 Dritte Grundaufgabe: Polplan eines mehrteiligen Systems ermitteln . . 169
7.4 Verschiebungen von Punkten in kartesischen Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . 172
7.5 Kinematische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . 173
7.6 Statische und kinematische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene . . . 175
7.7 Aufgaben zu Kapitel 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

Teil II Anwendungen der Statik

8 Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
8.1 Der Schwerpunkt einer Körpergruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
8.1.1 Definition und Berechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
8.1.2 Aufgaben zu Abschnitt 8.1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
8.2 Der Schwerpunkt eines inhomogenen Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
X Inhaltsverzeichnis

8.3 Geometrische Mittelpunkte für Volumina, Flächen und Linien . . . . . . . . . . . . . 188


8.3.1 Volumenmittelpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
8.3.2 Flächenmittelpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
8.3.3 Linienmittelpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
8.4 Praktische Auswertung der Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
8.5 Die Resultierende von Streckenlasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
8.6 Geometrische Mittelpunkte für zusammengesetzte Körper . . . . . . . . . . . . . . . . 204
8.7 Aufgaben zu den Abschnitten 8.2 bis 8.6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
8.8 Die zwei Regeln von Pappus-Guldin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
8.8.1 Herleitung der Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
8.8.2 Aufgaben zu Abschnitt 8.8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

9 Gleichgewicht von Balkentragwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223


9.1 Einteilung von Tragwerken und statische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
9.2 Praktische Berechnung von Gleichgewicht für Tragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
9.3 Einteilige Tragwerke in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
9.3.1 Statische Bestimmtheit und Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
9.3.2 Aufgaben zu Abschnitt 9.3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
9.4 Mehrteilige Tragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
9.4.1 Statische Bestimmtheit und Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
9.4.2 Dreigelenkbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
9.4.3 Gelenkbalken (Gerberträger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
9.4.4 Aufgaben zu Abschnitt 9.4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
9.5 Einteilige Tragwerke im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
9.5.1 Statische Bestimmtheit und Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
9.5.2 Aufgaben zu Abschnitt 9.5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

10 Gleichgewicht von Fachwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255


10.1 Grundlagen und Einteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
10.2 Idealisierungen und Regeln für das ideale Fachwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
10.3 Statische Bestimmtheit von Fachwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
10.4 Die drei Bildungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
10.5 Praktische Berechnung von Stabkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
10.5.1 Nullstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
10.5.2 Das Knotenpunktverfahren: Grundgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
10.5.3 Das zeichnerische Knotenpunktverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
10.5.4 Das rechnerische Knotenpunktverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
10.5.5 Das numerische Knotenpunktverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
10.5.6 Das Rittersche Schnittverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
10.6 Aufgaben zu Kapitel 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
Inhaltsverzeichnis XI

11 Werkzeuge und Maschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283


11.1 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
11.2 Kinematische Untersuchungen für Bewegungs- und Ruhezustand . . . . . . . . . . 284
11.3 Gleichgewicht an verschieblichen Systemen mit Haltekraftgrößen . . . . . . . . . . 286
11.4 Kraft- und Wegübertragung in Hebeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
11.5 Momenten- und Drehwinkelübertragungen in Getrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
11.5.1 Übertragungsfaktoren in ruhenden Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
11.5.2 Momentenwandlung, Drehzahl und Übersetzung in bewegten Systemen299
11.5.3 Übertragung von Kräfte- und Bewegungsgrößen in Radpaaren . . . . . . . 303
11.5.4 Mehrstufige Getriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
11.6 Kraft- und Wegübertragung in Flaschenzügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
11.7 Kräfte in Zahnradgetrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
11.7.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
11.7.2 Die Zahnradkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
11.8 Aufgaben zu Kapitel 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

12 Schnittgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
12.1 Definition von Schnittgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
12.2 Gleichgewichtsmethode für einteilige Balkentragwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
12.3 Zusammenhang zwischen Belastungen und Schnittgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . 337
12.4 Praktische Berechnung von Schnittgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
12.5 Berechnen der Schnittgrößen durch Lösen der Differenzialgleichungen . . . . . 350
12.6 Schnittgrößen in räumlichen Tragwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
12.7 Schnittgrößen in Werkzeugen und Maschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
12.8 Aufgaben zu Kapitel 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

13 Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
13.1 Grundlagen zur Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
13.2 Reibungsgesetze für Haft- und Gleitreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
13.2.1 Vier Zustände eines Körpers bei Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
13.2.2 Haftreibung für Gleichgewicht im Zustand I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
13.2.3 Das Haftreibungsgesetz im Grenzzustand II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
13.2.4 Die beschleunigte Bewegung im Zustand III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
13.2.5 Das Gleitreibungsgesetz im Zustand IV mit gleichförmiger Bewegung 372
13.3 Praktische Berechnung von Systemen mit Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
13.4 Haftreibungswinkel, Haftreibungskegel und Selbsthemmung . . . . . . . . . . . . . . 376
13.5 Reibung in Keilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
13.6 Reibung in Schrauben und Gewinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
13.6.1 Schrauben mit Flachgewinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
13.6.2 Schrauben mit Spitzgewinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
13.6.3 Schrauben mit Vorspannkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
13.7 Seilreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386
13.8 Wirkungsgrad für allgemeine Reibungsverluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
13.9 Aufgaben zu Kapitel 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
XII Inhaltsverzeichnis

14 Arbeit, Potenzial und Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399


14.1 Die Arbeit einer Kraft entlang einer Bahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
14.1.1 Vorbetrachtungen zum Arbeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
14.1.2 Berechnung der Arbeit im allgemeinen Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
14.1.3 Das Arbeitsdifferenzial in kartesischen Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . 402
14.1.4 Arbeit bei einer Kreisbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
14.1.5 Aufgaben zu Abschnitt 14.1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
14.2 Das Prinzip der virtuellen Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
14.2.1 Definitionen der virtuellen Arbeiten von Kräften und Momenten . . . . . 407
14.2.2 Herleitung des Prinzips der virtuellen Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
14.2.3 Praktische Berechnung von Systemen mit einem Freiheitsgrad . . . . . . . 410
14.2.4 Berechnung von Haltekräften in verschieblichen Systemen . . . . . . . . . . 411
14.2.5 Festlegung einzelner Systemparameter für Gleichgewicht . . . . . . . . . . . 413
14.2.6 Ermittlung von Gleichgewichtslagen bei verschieblichen Systemen . . . 413
14.2.7 Berechnung von Kraftgrößen in statisch bestimmten Systemen . . . . . . 414
14.2.8 Variationelle Verschiebungen für Systeme mit mehreren Freiheitsgraden420
14.2.9 Aufgaben zu Abschnitt 14.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
14.3 Potenzialkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424
14.3.1 Wegunabhängigkeit von Gewichts- und Federkräften . . . . . . . . . . . . . . . 424
14.3.2 Potenzialfunktionen für Gewichts- und Federkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . 426
14.3.3 Das P.d.v.A für starre Körper mit Potenzialkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
14.4 Stabilität von Gleichgewichtslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
14.4.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
14.4.2 Stabilität von Potenzialsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
14.4.3 Praktische Untersuchung der Stabilität von Systemen mit einem
Freiheitsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
14.4.4 Aufgaben zu Abschnitt 14.4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436

15 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
A Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
B Notwendige und hinreichende Bedingungen in der Statik . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
C Grundlagen der Vektorrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438
C.1 Rechenoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439
C.2 Vektorbasis und Basisdarstellung von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441
D Grundlagen der Matrixrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442
E Anhang zu Kraftsystemen in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
E.1 Beweis des Reduktionsgesetzes (5.9) für Drehmomente in der Ebene . 444
E.2 Beweis der Gleichgewichtsbedingungen (5.10) für Drehmomente in
der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
E.3 Beweis der statisch äquivalenten Gleichgewichtsbedingungen (5.27) . 445
F Anhang zu Kraftsystemen im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
F.1 Beweis des Verschiebungsgesetzes (6.18.1) für Drehmomentenvektoren446
F.2 Beweis des Reduktionsgesetzes (6.18.2) für Drehmomentenvektoren . 446
F.3 Beweise zu den Regeln (6.29) des axialen Momentenvektors . . . . . . . . 447
Inhaltsverzeichnis XIII

E Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455

Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457
1
Einleitung

1.1 Was ist Mechanik?

Stellt man mehreren Personen in Familie, Beruf und Freizeit die Frage „Was ist Mechanik?”,
erhält man vielfältige Antworten: Der eine denkt zuerst an den Kfz-Mechaniker anlässlich
der gerade durchgeführten PKW-Inspektion oder an den Fein-Mechaniker, der eine Uhr repa-
riert. Bei anderen werden Erinnerungen an das Zahnradwerk in Abb. 1.1 geweckt, das Charly
Chaplin in dem Film Moderne Zeiten vor schwer lösbare Aufgaben stellte, oder man wird in
die virtuelle Welt von Jim Knopf mit dem „Perpetumobil” in Abb. 1.1 versetzt. Weiter findet
man folgende Antworten auf die Frage „Was ist Mechanik?”:
1. „Die Kunst, die Natur zu überlisten” (Klassische Antike).
2. „Die Kunst, “Maschinen zu bauen” (Mechanike, Übersetzung aus dem Griechischen).
3. „Teilgebiet der Physik, beschäftigt sich mit den Bewegungen, den sie verursachenden
Kräften, mit der Zusammensetzung und dem Gleichgewicht von Kräften...” (Meyer’s
Lexikon, [23]).
4. „Die Mechanik ist das Paradies der mathematischen Wissenschaften, denn in ihr zeitigt
man die Früchte der Mathematik” (Leonardo da Vinci, 1452-1519).
5. „Theoretisch, unpraktisch, überflüssig” (Student).
6. „...hätte ich als Student gewusst, dass diese Dinge heute für unsere Firma wichtig werden,
dann hätte ich mich damals mehr für die Mechanik interessiert” (Diplom-Ingenieur einer
Dienstleistungsfirma).


c Roy Export SAS, Paris Gezeichnet von F.J. Tripp 
c Thienemann Verlag

Abb. 1.1. Links: Zahnradwerk mit Charlie Chaplin in Moderne Zeiten, (1936). Rechts: "Perpetumobil" aus
Michael Endes "Jim Knopf und die Wilde 13" [41].

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
2 1 Einleitung

„Die Natur zu überlisten” in Antwort 1 war in der klassischen Antike ein Grundsatz
bei der Erfindung und Konstruktion von Kriegsgeräten, Räder- und Hebewerken. Heute hat
dieser Grundsatz allenfalls noch in virtuellen Welten, wie in Zeichentrickfilmen oder der
Darstellung in Abb. 1.1 von Jim Knopf bei der Konstruktion des „Perpetumobils”, Bestand.
Nach dem aktuellen Stand der Technik gründet sich die Mechanik auf Axiome. Dieses sind
Naturgesetze, die nicht beweisbar sind, sondern aus Experimenten oder aus der Beobachtung
und Analyse von Naturerscheinungen abgeleitet werden. Eines der bekanntesten Axiome ist
das zweite Axiom (oder: das dynamische Grundgesetz) von Sir Isaac Newton (1642-1727),
welches er 1686 in seiner Arbeit Principia Mathematica Philosophia Naturalis (Die mathe-
matischen Grundsätze der Naturphilosophie) formuliert hat.1
Im heutigen Ingenieuralltag wird bei der Berechnung von Standsicherheit und Funktion-
stüchtigkeit einer technischen Konstruktion, wie z.B. der Hebebühne oder der Gasturbine
in Abb. 1.3, das reale technische System auf der Grundlage der bereits erwähnten mechani-
schen Axiome auf mathematische Modellgleichungen zurückgeführt. Damit ist „Maschinen
zu bauen” heute nicht nur eine „Kunst” wie in Antwort 2, sondern ebenso eine ständige
Herausforderung an zuverlässige Modellbeschreibungen von „den Bewegungen, den sie
verursachenden Kräften” und „dem Gleichgewicht von Kräften” aus Antwort 3.
Die axiomatisch begründeten mathematischen Modellglei-
chungen sind i.d.R. lineare oder nichtlineare algebraische Glei-
chungssysteme oder Differentialgleichungen. Damit ist die
Mathematik die Sprache der Mechanik oder, wie es Leonardo
da Vinci begeistert in Antwort 4 formulierte, „das Paradies der
mathematischen Wissenschaften”. Die Lösungen der mathema-
tischen Gleichungen sind im Einzelfall sehr komplex und wer-
den daher im Ingenieuralltag mit Hilfe numerischer Metho-
den gelöst. Während des Studiums ist es für das Verständnis
eines Studenten jedoch unerlässlich, mathematische Operatio-
nen auch durch Handrechnungen durchzuführen, was Übung,
Abb. 1.2. Leonardo Da Vinci
Fleiß und Geduld erfordert, aber auch gelegentlich zu Verdruss (1452-1519)
führen kann, wie bei dem Studenten in Antwort 5.
Die Lösung von Ingenieurproblemen ist ohne den Einsatz der Mechanik also heute kaum
möglich. Weitere aktuelle Aufgabenstellungen bei ruhenden Konstruktionen sind z.B. die
Gewährleistung der Standsicherheit
• einer Stahlbeton-Geschossdecke unter Eigengewicht und Nutzlasten
• des Dachstuhls eines Wohnhauses unter Eigengewicht, Wind- und Schneelasten
• einer Eissporthalle unter Eigengewicht, Wind- und Schneelasten
• einer Staumauer unter Wasserdruck
• einer Eisenbahnbrücke unter Eigengewicht und Nutzlasten.
Aufgabenstellungen bei technischen Konstruktionen, die sich bewegen oder bei denen die
Bewegungen weiterer Medien einen Einfluss haben, sind z.B. die
• Vorhersage der Durchbiegung einer Eisenbahnbrücke infolge eines fahrenden Zuges
1
Diese Arbeit ist vollständig in [17] in deutscher Sprache abgedruckt.
1.2 Einige Meilensteine in der Geschichte der Mechanik 3

Quelle: LoryLift Lödige Fördertechnik Quelle: ALSTOM (Schweiz) AG, Baden, Schweiz

Abb. 1.3. Beispiele für Ingenieurkonstruktionen: Hebebühne und Gasturbine

• Untersuchung der Standfestigkeit eines Kanals mit Wasserströmung


• Entwicklung von neuen Turbinen für Flugzeuge oder Kraftwerke
• Gewährleistung der Standsicherheit von Gebäuden bei Erdbeben
• Untersuchung der Dauerfestigkeit des Radreifens eines Bahnwagons
• Untersuchung von Fahrzeugen oder Fahrzeugteilen (z.B. Dummypuppe oder Crashbox)
beim PKW-Unfall
• Vorhersage der Flugbahn einer Rakete.
Bei der Planung und Entwicklung, bei der Überprüfung während des Betriebes und bei
Inspektionen von technischen Konstruktionen müssen diese Aufgabenstellungen von dem
Ingenieur einwandfrei bearbeitet werden, so dass Schäden für Personen, die Konstruktionen
und die Umwelt ausgeschlossen bleiben. Dazu sind Kenntnisse aus verschiedenen ingenieur-
wissenschaftlichen Gebieten und der Technischen Mechanik notwendig. Vor diesem Hinter-
grund verdeutlicht die Einsicht des Diplom-Ingenieurs in Antwort 6 treffend die Bedeutung
der Mechanik im heutigen Ingenieuralltag.

1.2 Einige Meilensteine in der Geschichte der Mechanik

Die Geschichte der Mechanik reicht bis in die Antike. Die Wortprägungen „mechanae, tech-
nae” stammen von dem Philosophen Aristoteles (384-322 v. C.). Die Lehren von Aristoteles
haben für die heutige Mechanik jedoch kaum Bestand. Beispielsweise erklärte er die Ur-
sache der ersten Phase des schrägen Wurfes mit einer vis viva, einer „lebendigen Kraft”,
die schließlich „erlischt”, so dass der Körper in einer Kurve zu Boden fällt. Die aus dem
Altertum und dem frühen Mittelalter gesammelten Erkenntnisse sind bestenfalls für die Ent-
wicklung der Mechanik von Bedeutung, für den heutigen Wissensstand der Mechanik wie
für die gesamte heutige Naturwissenschaft sind sie jedoch gering. Einige Ausnahmen sind
die Erkenntnisse von Archimedes (227-212) über Hebel, Flaschenzug, Schwerpunkt und
Auftrieb. Von ihm stammt auch die bereits erwähnte Aussage, die Mechanik ist eine „Kunst,
„die Natur zu überlisten”. Erst gegen Ende des Mittelalters, also fast 2000 Jahre nach den
4 1 Einleitung

Lehren von Aristoteles, erreichte das Wissen über die Mechanik einen Stand, der die heutige
Naturwissenschaft begründete.
Von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung hin zur modernen Naturwissenschaft
war zum Einen die Berücksichtigung von Beobachtungen, wie z.B. der Planetenbewegungen
durch Tycho de Brahe (1546-1601). Zum Anderen wurden Experimente zu Naturerschei-
nungen durchgeführt und daraus Gesetzmäßigkeiten abgeleitetet, wie z.B. Leonardo Da
Vinci (1452-1519) mit Erkenntnissen über das Gleichgewicht auf der schiefen Ebene und
Simon Stevin (1548-1620) mit Erkenntnissen über den Hebel, die schiefe Ebene und die
Kräftezusammensetzung.

a) b)

Galileo Galilei
(1564 - 1642)
Abb. 1.4. Beispiele für eingespannten Balken mit Belastung: a) Holzbalken nach Galilei mit Belastung durch
Steinblock, b) Tragflügel eines Flugzeuges mit Belastung durch Turbine

Für die Entwicklung der Festkörpermechanik hat Galileo Galilei (1564 - 1642) grundle-
gende Ergebnisse erarbeitet [17]. Insbesondere hat er erste mathematische Ansätze für die
Materialbeanspruchung eines eingespannten Balkens mit Belastung durch einen Steinblock
formuliert, wie in Abb. 1.4.a dargestellt. Diese finden auch heute noch Anwendung, z.B.
auf den Tragflügel eines Flugzeuges mit Belastung durch eine Turbine, wie in Abb. 1.4.b
dargestellt. Wichtige theoretische Beiträge haben ferner die Mitglieder der Familie Bernoulli
im 18. Jahrhundert z.B. zur Balkenbiegung und Leonhard Euler (1707-1783) u.A. zur Sta-
bilität (Knicken) und zum Freischnitt geleistet. Gleichzeitig entwickelte Charles Augustin
de Coulomb (1736-1806) Grundlagen der Reibungslehre, die u.A. zum Verständnis von
Bremsvorgängen wesentlich sind.
Die Bewegungen von Körpern haben Johannes Kepler (1571-1630) für Planeten und Ga-
lilei, anhand von Versuchen zu Fallbewegungen [17], beschrieben. Beide Wissenschaftler
waren jedoch nicht in der Lage, die Ursachen der Bewegungen erklären, was Sir Isaac New-
ton (1642-1727) im Jahr 1686 mit dem zweiten Axiom und dem Gravitationsgesetz in seinem
Werk Principia gelang, siehe auch [17]. Eine wichtige Ergänzung gelang Leonhard Euler
(1707-1783) mit der Formulierung eines Zusammenhanges von Drehbewegungen und den
sie verursachenden Kräften und Momenten.
Das erste Lehrbuch über Technische Mechanik wurde im Jahre 1832 von dem französi-
schen Physiker L. Navier von an der École Polytechnique in Paris verfaßt.
1.4 Einteilung und Inhalte des Buches 5

1.3 Einteilung der Mechanik


Je nachdem, welches Merkmal zu Grunde gelegt wird, bestehen bei der Einteilung der
Mechanik mehrere Möglichkeiten:
Merkmal Aggregatzustand
a) Festkörpermechanik: Die Anwendung erfolgt auf starre, elastische, viskoelastische, visko-
plastische, plastische Körper.
b) Fluidmechanik: Hier erfolgt eine weitere Einteilung in
i) Flüssige Körper: reibungsfreie und viskose Flüssigkeiten
ii) Gasförmige Körper: ideale und reale Gase.
Merkmal Berücksichtigung von Kräften und Bewegungen
a) Kinematik: Lehre von Bewegungen ohne Berücksichtigung von Kräftewirkungen
b) Dynamik: die Lehre von den Kräften. Man kann sie unterteilen in2
i) Kinetik: die Lehre von Kräften an beschleunigten Körpern.
ii) Statik: die Lehre von Kräften an nicht beschleunigten Körpern.
Merkmal Anwendungsgebiet
a) Technische Mechanik: Auf der Grundlage axiomatisch formulierter Gleichungen wird das
Zusammenwirken von Bewegungen und Kräften an technischen Strukturen untersucht.
Allgegenwärtige Beispiele sind Brücken, Kräne, Gebäude, Maschinen und Flugzeuge.
Ein wichtiges Teilgebiet der Technischen Mechanik ist die Starrkörperstatik (oder: Stereo-
statik), welche die Statik nicht beschleunigter Körper unter der Annahme eines Starr-
körpers behandelt. Die Festigkeitslehre untersucht im Zusammenwirken von Elastostatik
und Werkstofflehre das Festigkeitsverhalten fester Werkstoffe. Wichtige Anwendungen
zum Schwingungsverhalten technischer Systeme finden sich in der Baudynamik für das
Bauwesen sowie der Maschinendynamik für den Maschinenbau. Grundlage moderner
computergestützter Verfahren ist die Kontinuumsmechanik.
b) Analytische Mechanik (oder: theoretische Mechanik, rationale Mechanik): Diese ist eine
Disziplin der theoretischen Physik und behandelt die nichtrelativistische Mechanik der
Massenpunkte und starrer Körper. Die Gründer sind Galilei, Huygens und insbeson-
dere Newton. Weitere wichtige Beiträge wurden von D. Bernoulli, Euler, de Maupertius,
d’Alembert, Gauß, Hamilton und Jacobi geleistet. Anwendungen finden sich z.B. in der
Molekularphysik.

1.4 Einteilung und Inhalte des Buches


Das vorliegende Buch zur Statik starrer Körper wendet sich als einführendes Lehrbuch
an Studierende der Ingenieurwissenschaften und soll auch den Ingenieur im Berufsleben
bei dem Auffrischen von Grundlagenwissen unterstützen. Auf der Grundlage einer modu-
laren Einteilung des gesamten Stoffes in themenbezogene Kapitel wurde großer Wert auf
anschauliche Darstellungen und verständliche Herleitungen gelegt. Nach der Einleitung in
diesem Kapitel ist das Buch in zwei Teile gegliedert:
2
Diese Aufteilung wird vor allem in der Technischen Mechanik gebraucht. In der Physik wird dagegen meist
der Ausdruck Dynamik statt Kinetik verwendet.
6 1 Einleitung

• Teil 1: Grundlagen der Statik in sechs Kapiteln


• Teil 2: Anwendungen der Statik in sieben Kapiteln.
Das Kapitel 2 im ersten Teil des Buches ist, auf der Grundlage einer „Erklärung” von
Newton, der Kraft gewidmet. Weitere Themen sind Flächen- und Volumenkräfte, die Laster-
mittlung durch Idealisierung von Kräften, das Schnittprinzip, der Starrkörper, der Freiheits-
grad eines Starrkörpers sowie verschiedene Lagerarten.
In Kapitel 3 werden drei grundlegende Axiome der Mechanik vorgestellt: 1. Das Gleich-
gewichtsaxiom zweier Kräfte am Starrkörper, 2. das Axiom vom Kräfteparallelogramm und
3. das Wechselwirkungsaxiom. Wir zeigen, wie mit dem ersten Axiom das Verschiebungsge-
setz für eine Kraft am Starrkörper und das Wechselwirkungsgesetz für Nahkräfte begründet
werden. Mit den Axiomen und den daraus abgeleiteten Gesetzen werden anschließend einige
Regeln zur Berechnung idealisierter Körper aufgestellt. Außerdem werden verschiedene aus
der Schule bekannte Kräftearten – Gewichtskraft, Newtonsche Gravitationskraft, Coulomb-
sche Ladungskraft, Magnetkraft und Hookesche Federkraft – behandelt.
In Kapitel 4 über zentrale Kraftsysteme in der Ebene werden drei Grundaufgaben der
Starrkörperstatik behandelt: 1. Reduktion auf eine Einzelkraft, 2. Bedingungen für Gleichge-
wicht und 3. Zerlegung einer Kraft. Deren Lösungen werden auf der Grundlage der Axiome
aus Kapitel 3 zeichnerisch und rechnerisch erhalten. Im Zusammenhang mit rechnerischen
Lösungen wird die Systemmatrix eingeführt, die für die Untersuchung der statischen Be-
stimmtheit und für numerische Methoden besondere Bedeutung hat.
Im anschließenden Kapitel 5 werden zur Untersuchung von nichtzentralen Kraftsystemen
in der Ebene das Drehmoment und das polare Moment einer Kraft eingeführt. Damit können
die drei Grundaufgaben der Starrkörperstatik 1. Reduktion, 2. Bedingungen für Gleichgewicht
und 3. Zerlegung einer Kraft auf der Grundlage der Axiome aus Kapitel 3 behandelt werden.
Ein weiteres Thema ist die Systemmatrix, die in den weiteren Abschnitten über statische
Bestimmtheit und numerische Methoden eine wichtige Rolle annimmt.
Das Kapitel 6 behandelt räumliche Kraftsysteme, wobei die Kräfte nicht alle in dersel-
ben Wirkungsebene liegen. Auch hier behandeln wir die drei Grundaufgaben der Starrkör-
perstatik 1. Reduktion, 2. Bedingungen für Gleichgewicht und 3. Zerlegung einer Kraft. Da
zeichnerische Lösungen heute kaum noch Bedeutung haben, beschränken wir uns auf rech-
nerische Lösungen und gehen dabei auch auf numerische Methoden ein.
In dem Kapitel 7 untersuchen wir die Kinematik des Starrkörpers in der Ebene, ohne da-
bei Kräftewirkungen zu berücksichtigen. Ausgehend von der Darstellung endlicher Bewegun-
gen werden drei Grundaufgaben der Starrkörperkinematik für differenzielle Bewegungen be-
handelt: Ermittlung 1. von Verschiebungen eines Starrkörpers für gegebenen Momentanpol,
2. des Momentanpols eines Starrkörpers für gegebene Verschiebungen und 3. des Polplans
eines mehrteiligen Systems. Der Polplan wird weiter eingesetzt, um die kinematische Be-
stimmtheit eines Systems zu untersuchen, welche äquivalent zur statischen Bestimmtheit ist.
Das Kapitel 8 leitet den zweiten Teil des Buches - Anwendungen der Statik - ein. Dazu
wird die Berechnung von Schwerpunkten 3- und 2-dimensionaler Körper behandelt. Zusät-
zlich werden wir den Massenmittelpunkt und den Volumenmittelpunkt kennenlernen. Für die
praktische Berechnung von Mehrfachintegralen wird ein vereinheitlichtes Rechenschema für
Linien, Flächen und Volumina eingeführt. Weitere Abschnitte behandeln zusammengesetzte
Querschnitte und die zwei Regeln von Pappus-Guldin.
1.4 Einteilung und Inhalte des Buches 7

Die Sicherstellung des Gleichgewichtes von Tragwerken ist eines der ältesten und nach
wie vor wichtigsten Herausforderungen im Ingenieurwesen. Dazu werden in Kapitel 9 zwei
Aufgaben behandelt: 1. Untersuchung der statischen Bestimmtheit und 2. Berechnung der
Lagerreaktionen. In beiden Fällen werden einteilige und mehrteilige Balkentragwerke in der
Ebene und im Raum untersucht.
In Kapitel 10 werden nach einer Übersicht über mögliche Bauarten von Fachwerken die
notwendige und die hinreichende Bedingung für statische Bestimmtheit behandelt. Es wird
gezeigt, wie diese Bedingungen mit den drei Bildungsgesetzen überprüft werden können.
Anschließend werden zwei Methoden zur Ermittlung der Stabkräfte – das Knotenpunktver-
fahren und das Rittersche Schnittverfahren – behandelt. Beim Knotenpunktverfahren unter-
scheiden wir zusätzlich drei Möglichkeiten: die zeichnerische, die rechnerische und die nu-
merische Lösung. Die Programmierung mit dem Computerprogramm MATLAB verdeutlicht
die Effizienz numerischer Methoden, die im heutigen Ingenieuralltag unverzichtbar sind.
Werkzeuge und Maschinen sind allgegenwärtig. Sie erleichtern die tägliche Arbeit, sie
produzieren und sie transportieren. Eine wesentliche Aufgabe von Werkzeugen und Maschi-
nen ist die Übertragung und Wandlung von Kräften und Verschiebungen, wofür der Hebel,
die Zange oder der Flaschenzug häufig auftretende Beispiele sind. Bei rotierenden Systemen
wie z.B. Getrieben ist man zusätzlich an der Übertragung und Wandlung von Momenten
und Verdrehungen interessiert. Das wesentliche Ziel in Kapitel 11 ist daher die Berechnung
von Übertragungsfaktoren für Kraft- und Bewegungsgrößen als wichtigen Kenngrößen für
Werkzeuge und Maschinen. Ein weiterer Abschnitt behandelt Kräfte in Zahnradgetrieben.
Bei der Berechnung von Schnittgrößen in Kapitel 12 beschränken wir uns auf Balken-
tragwerke. Wir behandeln zunächst 2-dimensionale Strukturen, wobei zwei Methoden, das
Gleichgewicht am Teilsystem und die Lösung von Differenzialgleichungen, für geradlinige
Balken behandelt werden. Weitere Anwendungen erfolgen für Bogenträger, Balkentragwer-
ke im Raum sowie Werkzeuge und Maschinen.
In Kapitel 13 über Reibung wird nach einer Beschreibung der Reibungsarten - Haftrei-
bung und Gleitreibung - das Coulombsche Gesetz zur Modellierung eingeführt. Auf der
Grundlage dieses Ansatzes wird die Reibung bei Keilen, Schrauben und Seilen in den An-
wendungen behandelt.
Aufgaben der Statik starrer Körper können grundsätzlich mit den Gleichgewichtsbedin-
gungen aus Teil I dieses Buches bearbeitet werden. Dabei kann der Rechenaufwand zur Lö-
sung der Gleichungen recht umfangreich werden. In Kapitel 14 wird daher das Prinzip der
virtuellen Arbeiten hergeleitet, welches in einigen Fällen zur Vereinfachung der Lösungs-
schritte beiträgt. Darüber hinaus ist das Prinzip der Ausgangspunkt effizienter numerischer
Methoden des Ingenieuralltages. In weiteren Abschnitten lernen wir Potenzialkräfte kennen,
und wir behandeln die Stabilität von Starrkörpern.
Die Axiome der Starrkörperstatik und die daraus abgeleiteten Gesetze können grundsätz-
lich in einer koordinatenfreien Vektorschreibweise mathematisch beschrieben werden. Für
die rechnerische Lösung von praktischen Aufgabenstellungen sind die Gesetze jedoch in
geeigneten Koordinatensystemen darzustellen. Wir verwenden dazu ausschließlich kartesi-
sche Koordinaten. Da das Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen und deren Lösungen
den Studierenden anfänglich häufig Schwierigkeiten bereiten, werden die einzelnen Schritte
ausführlich in zahlreichen Praxisbeispielen erläutert.
8 1 Einleitung

1.5 Ziele des Buches

Das Studienfach „Technische Mechanik - Statik” ist ein Grundlagenfach der Ingenieurwis-
senschaften an deutschen Universitäten, Fachhochschulen und Ingenieurhochschulen. Für die
verschiedenen Studienrichtungen, wie z.B. Maschinenbau, Bauingenieurwesen, Geologie,
Elektrotechnik, Wirtschaftsingenieurwesen, Technomathematik, Ingenieurinformatik, Me-
chatronik, Verfahrenstechnik und Lehramt ergeben sich dabei unterschiedliche Anforderun-
gen an die Lehrinhalte und den Lehrumfang. Während beispielsweise für den Maschinen-
bauingenieur die Auslegung eines Rotors mit Drehung um eine feste Achse im Vorder-
grund steht, ist für den Bauingenieur die Auslegung des den Rotor tragenden Fundamentes
aus Stahlbeton vorrangig. Die parallel laufenden Studiengänge zum Diplom- und Bache-
lor/Masterabschluss an Fachhochschulen und Universitäten haben weitere unterschiedliche
Situationen insbesondere im Hinblick auf den Lehrumfang geschaffen.
Mit der im vorherigen Abschnitt beschriebenen Einteilung des Buches ist eine gegliederte
Struktur der Themen gegeben. Damit kann verschiedenen Anforderungen von Studierenden
und Lehrenden begegnet werden.
Es wurde bereits erwähnt, dass im modernen Ingenieuralltag computergestützte Pro-
gramme auf der Grundlage numerischer Methoden unverzichtbar geworden sind. Der An-
wender erwartet Effizienz, ein hohes Prognosepotenzial und Zuverlässigkeit der Simulations-
ergebnisse. Numerische Methoden erleichtern somit die Ingenieurarbeit erheblich, sie bergen
jedoch auch die Gefahr der Fehlinterpretationen in sich. Dazu ist festzustellen, dass sie in der
Grundlagenausbildung zur Mechanik an den meisten deutschen Universitäten aktuell kaum
berücksichtigt werden. In dem vorliegenden Buch werden daher einige Anwendungen nu-
merischer Methoden erklärt, um damit z.B. den Ausnahmefall der Statik erkennen zu kön-
nen. Im Gegenzug wird auf eine ausführliche Darstellung zeichnerischer Methoden durch
Beschränkung auf die Thematik in Kapitel 4 über zentrale Kraftsysteme verzichtet.
Jedes Kapitel beschreibt jeweils ausführlich die theoretischen Gesetzmäßigkeiten. Zur
weiteren Veranschaulichung werden alle Themen in über 120 vollständig durchgerechneten
Beispielen behandelt. Das solide Verständnis für die Gesetze der Technischen Mechanik kann
jedoch nur durch selbständige Bearbeitung von Aufgaben erhalten werden. Zu diesem Zweck
werden zusätzlich ca. 230 Übungsaufgaben zum Rechnen angeboten. Bei deren Auswahl
sind sowohl didaktische Gesichtspunkte als auch praktische Problemstellungen berück-
sichtigt worden. Dazu wechseln sich Aufgaben, in denen das Verständnis einzelner The-
men kurz abgefragt wird, mit Aufgaben ab, in denen komplexe Zusammenhänge und somit
auch mehrere Themengebiete abgedeckt werden. Alle Aufgaben sind mit unterschiedlichen
Schwierigkeitsgraden von SG=1 (leicht) bis SG=3 (schwer) versehen. Die Aufgaben mit der
Kennung SG = 3 haben zudem das Niveau einer Semesterabschlussklausur. Mit den Kennun-
gen SG = 3* bzw. SG = 2* oder SG = 1* sind Aufgaben versehen, die besonders schwierig
sind bzw., die mit den üblichen Hilfsmitteln unter Klausurbedingungen nicht zu lösen sind,
bei denen also zum Beispiel numerische Verfahren eingesetzt werden müssen.
Um nicht nur die „Kunst, Maschinen zu bauen”, sondern auch andere Ingenieuraufgaben
erfolgreich im Studium und später im Berufsleben umsetzen zu können, wird den Leserinnen
und Lesern viel Erfolg beim Erlernen und Anwenden der Inhalte dieses Buches gewünscht.
Teil I

Grundlagen der Statik


Luftwiderstand

Gewicht

Ein allgegenwärtiges Beispiel für Kräfte ist die Schwerkraft: Sie wirkt auf den vom Baum fallenden Apfel
genauso wie auf den Fallschirmspringer, der in der Abbildung dargestellt wird. Bei alleiniger Wirkung der
Schwerkraft würde er eine immer größere Geschwindigkeit erhalten und hätte beim Aufprall auf den Erdbo-
den kaum eine Überlebenschance. Der Bewegung wirkt jedoch eine zweite Kraft, der Luftwiderstand, entgegen.
Ab einer bestimmten Geschwindigkeit heben sich beide Kräfte auf, so dass die Geschwindigkeit nicht weiter
ansteigt. Der Fallschirmspringer kann sicher auf der Erde landen.
Kräfte treten also bei ruhenden und bewegten Körpern auf und können verschiedene Ursachen haben. Weitere
Kräftearten sind die Dampfkraft, die magnetische Kraft, die elektrische Kraft oder die Federkraft. Um diese
verschiedenartigen Kräfte vergleichen zu können, ist eine allgemeingültige Definition der Kraft erforderlich, die
auf Newton zurückgeht.
2
Grundbegriffe

In diesem Kapitel wird zunächst, auf der Grundlage einer „Erklärung” von Newton, der
Kraftvektor definiert. Weitere Themen sind Flächen- und Volumenkräfte, die Lastermittlung
durch Idealisierung von Kräften, das Schnittprinzip, der Starrkörper, der Freiheitsgrad eines
Starrkörpers sowie verschiedene Lagerarten.

2.1 Die Newtonsche Kraft


2.1.1 Definition Betrag einer Kraft
Im Alltag, im Berufsleben und im Sport haben wir es häufig mit physikalischen Größen zu
tun, die man direkt beobachten oder messen kann. Drei bekannte Beispiele sind die Zeit, die
Länge und die Masse, deren internationale SI-Einheiten in Anhang A erläutert werden. Mit
dem Begriff Kraft verbindet man häufig die Gewichtskraft, die, wie im Physikunterricht in der
Schule, mit einem Kraftmesser ermittelt wird. In der Technik treten weitere Kräftearten wie
Magnetkraft, elektrische Kraft oder Federkraft auf, so dass eine allgemeingültige Definition
erforderlich wird. Diese geht auf Sir Isaac Newton zurück, die er in seinem Buch Principia
wie folgt einführt, siehe z.B. [17], S. 638:

„Erklärung
E INE ANGEBRACHTE K RAFT IST DAS GEGEN
EINEN K ÖRPER AUSGEÜBTE B ESTREBEN , SEINEN (2.1)
Z USTAND ZU ÄNDERN , ENTWEDER DEN DER
RUHE ODER DER GLEICHFÖRMIGEN B EWE -
GUNG .” Sir Isaac Newton
(1642-1727)

Die Änderung des Bewegungszustandes


bezieht sich sowohl auf die Beschleuni-
gung als auch auf die Verzögerung. In
Windkraft
Abb. 2.1 beschleunigt eine Antriebskraft
den PKW. Bei alleiniger Wirkung dieser
Kraft würde die Geschwindigkeit über
alle Grenzen ansteigen. Dieses verhin- Antriebskraft
dert die entgegengesetz gerichtete Wind-
Abb. 2.1. Antriebskraft und Windkraft beim fahrenden PKW
kraft, die den PKW somit verzögert.

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
14 2 Grundbegriffe

Man kann eine Kraft also nicht direkt beobachten, sondern nur aus deren Wirkung auf
den Bewegungszustand des Körpers auf ihre Existenz schließen. Auf der Grundlage der
„Erklärung” (2.1) formuliert Newton in der Principia sein zweites Axiom, woraus für eine
zeitlich konstante Masse folgende Definition abgeleitet wird, siehe z.B. [14, 21, 34]):

Definition Betrag einer Kraft (2.2)


Kraft = Masse × Beschleunigung oder F = m · a.

Bemerkungen 2.1
1. In der Definition (2.2) ist m die Masse auf welche die Beschleunigung a einwirkt. Das
Symbol F (engl. force) kennzeichnet die Kraft. Im Folgenden werden wir für die Kraft
auch andere nichtfette lateinische Buchstaben wie z.B. G oder H verwenden.
2. Mit den Einheiten kg für die Masse m eines Körpers und m/s2 für die Beschleunigung a
erhält man die Einheit Newton mit dem Zeichen „N” einer Kraft F , vgl. Anhang A:
m kg m
[F ] = 1 N = 1 kg · 1 2 = 1 2 . (2.3)
s s
Somit ist das Newton N eine aus den SI-Einheiten s, m und kg abgeleitete Einheit, und
es gilt: 1 N ist die Kraft, die der Masse 1 kg die Beschleunigung 1 m/s2 erteilt.
3. Früher benutzte man das Pond als Einheit einer Kraft. Das Tausendfache davon, das Kilo-
pond, entsprach dem Normgewicht der Masse 1 Kilogramm, die in Anhang A definiert
ist. Diese Festlegung orientiert sich somit lediglich an dem Gewicht eines Körpers, je-
doch nicht wie in der „Erklärung” (2.1) von Newton an der Änderung des Bewegungszu-
standes”.

 Beispiel 2.1 Gewichtskräfte von zwei Kugeln

Zwei Kugeln mit den Massen m1 und m2 befinden sich im


freien Fall. Die Erdbeschleunigung ist g. Wie groß sind die
g
Gewichtskräfte, die auf die Kugeln wirken.
Bekannt: g = 9, 81 m/s2 , m1 = 1 kg, m2 = 5 kg.
Vorüberlegungen: Die Beschleunigung in der Nähe der
Erdoberfläche ist unabhängig von den Massen und hat den G1
(nahezu) konstanten Wert g. Für beide Massen können die G2
Gewichtskräfte daher mit Gl.(2.2) berechnet werden.
1
Lösung: Mit den gegebenen Zahlwerten folgt aus Gl.(2.2)
für beide Massen
G1 = m1 g = 1 · 9, 81 kg m/s2 = 9, 81 N ≈ 10 N
G2 = m2 g = 5 · 9, 81 kgm/s2 = 49, 05 N ≈ 50 N. Abb.2.2. Zwei Kugeln im freien Fall

Bemerkung: Im Jahre 1638 hat Galileo Galilei (1564-1642) erkannt, dass alle Köper bei
Vernachlässigung des Luftwiderstandes mit der gleichen Beschleunigung, der Erdbeschleu-
nigung, fallen. Damit hat er wesentlich zur Abkehr von der fast 2000 Jahre gültigen Lehre
2.1 Die Newtonsche Kraft 15

von Aristoteles beigetragen, nach der schwere Massen schneller als leichte Massen fallen. Ob
Galilei die Fallversuche vom schiefen Turm von Pisa, wie in Abb. 2.2 dargestellt, tatsächlich
durchgeführt hat, ist angesichts der Bedeutung seiner Erkenntnis eher nebensächlich. 

2.1.2 Definition des Kraftvektors


Die Erfahrung zeigt, dass Definition (2.2) zur vollständigen Beschreibung der Wirkung einer
Kraft nicht ausreicht. Dies erkennen wir an den verschiedenen Kraftwirkungen auf das Buch
in Abb. 2.3, die der Leser mit Hilfe eines Stiftes selbst nachvollziehen möge. Eine senkrecht
gerichtete Kraft hat keine Bewegung zur Folge. Greift die Kraft mit gleichem Betrag im
gleichen Punkt in Richtung der Diagonalen oder einer Randparallelen an, so ergeben sich
jeweils Bewegungen, die sogar unterschiedlich sind. Wie die vierte Darstellung verdeutlicht,
hat auch der Angriffspunkt einen Einfluss auf die Bewegung.

Abb. 2.3. Verschiedene Angriffspunkte und Richtungen einer Kraft an einem Buch

Diese einfachen Experimente erfordern eine Erweiterung von Definition (2.2):


Definition Kraftvektor
Die Einzelkraft ist ein punktgebundener Vektor. Ihre Bestimmungsstücke sind
1. der Angriffspunkt am Körper (2.4)
2. die Richtung
3. der Betrag (die Größe) .

Bemerkungen 2.2
1. In der Darstellung in Abb. 2.4 wird der Kraftvektor durch einen Pfeil gekennzeichnet.
2. Der Pfeilanfang des Kraftvektors kennzeichnet den Angriffspunkt der Kraft.
3. Die Richtung des Kraftvektors wird in
der Ebene z.B. durch den Richtungs- Richtungssinn ie w
winkel α, der von einer Bezugslinie aus n g slin
ku
entgegen dem Uhrzeigersinn gemessen Richtungswinkel α Wir
wird, und den Richtungssinn, dargestellt F
Angriffspunkt
durch eine Pfeilspitze, festgelegt. Im
Raum sind drei Winkel notwendig.
4. Die Länge des Pfeiles legt unter Ver-
Bezugslinie
wendung eines gewählten Maßstabes ag
Betr
(z.B. 1 cm=1
ˆ N) den bereits in Defini-
tion 2.2 eingeführten Betrag der Kraft Abb.2.4. Bestimmungsstücke einer Kraft
fest.
16 2 Grundbegriffe

5. Der Richtungswinkel und der Angriffspunkt einer Kraft legen deren Wirkungslinie w fest.
6. Die mathematische Beschreibung von Kräften geschieht mit den Methoden der Vektor-
rechnung, deren wichtigste Regeln in Anhang C zusammengefasst sind. Als Symbole für
Vektoren dienen fett gedruckte Buchstaben. Damit wird ein Kraftvektor z.B. mit dem
Symbol F gekennzeichnet, für die Gewichtskraft wird häufig das Symbol G verwendet.
In Abb. C.1 sind Vektoren mit verschiedenen Eigenschaften dargestellt.
7. In den vektoriellen Gleichungen sind Vektorsymbole wie z.B. F oder G notwendig. In
den Abbildungen, in denen die Vektoreigenschaften der Kräfte durch die Darstellung mit
einem Pfeil hervorgehen, genügt dagegen die Angabe ihrer Beträge, wie z.B. F oder
G. Auch beim textlichen Hinweis auf die Abbildungen werden wir, soweit ausreichend,
Kräfte im Folgenden durch Angabe der Beträge kennzeichnen.

2.1.3 Flächen- und Volumenkräfte

In Abb. 2.5 wird für drei verschiedene Fälle, die der Leser selbst nachvollziehen möge, mit
einem Buch und einem weiteren Körper eine Kraft an der Berührungstelle beider Körper
übertragen. Dabei wird im Fall a die Berührfläche durch die Größe einer Vasenunterseite
festgelegt. In den Fällen b und c definieren die Kontaktbereiche zwischen dem Buch und
einem Zeichendreieck bzw. einem Zeichenstift die Berührflächen. Obwohl die Fläche im
Fall c im Vergleich zur Oberfläche des Buches sehr klein ist, hat sie einen endlichen Wert.

a) b) c)

q F
p

Abb. 2.5. Flächenkräfte und deren Idealisierungen a) Flächenkraft, b) Streckenkraft, c) Einzelkraft. Oben: Reale
Systeme, unten: Idealisierte Kräfte

Allgemein gilt, dass Kräfte verteilt auftreten, so dass die bisherige Darstellung einer
Einzelkraft als Vektor mit den Bestimmungsstücken Betrag, Angriffspunkt und Richtung eine
Vereinfachung darstellt. Zusammenfassend gelten folgende

Regeln zu Kräften in der Natur


1. Einzelkräfte existieren in der Natur nicht. (2.5)
2. Es sind zwei Kräftearten bekannt: Flächenkräfte und Volumenkräfte.
2.1 Die Newtonsche Kraft 17

Flächenkräfte treten in der Berührfläche zweier Körper auf, wie z.B. der Vase und dem Buch
in Abb. 2.5.a. Drei technische Beispiele mit Flächenkräften von Fluiden sind in Abb. 2.6
dargestellt. Dabei treffen wir jeweils die Annahme, dass die Kraftrichtungen senkrecht zur
Berührfläche sind. Für den Kolben eines Verbrennungsmotors in Abb. 2.6.a nehmen wir einen
konstanten Luftdruck mit dem Symbol p an. Der Wasserdruck p auf die Staumauer ist: linear
veränderlich bei konstanter Richtung entlang der geraden Fläche in Abb. 2.6.b und nichtli-
near veränderlich bei veränderlicher Richtung entlang der gekrümmten Fläche in Abb. 2.6.c.
Weitere Beispiele für Flächenkräfte sind die Schneelast und die Windlast auf einem Gebäude,
wobei noch zwischen Winddruck und Windsog unterschieden wird, siehe z.B. [28].

a) b) p c) p

L
C

B β B
A
r dϕP

Abb. 2.6. Flächenkräfte: a) Luftdruck auf Kolben eines Verbrennungsmotors, b) und c) Wasserdruck auf Stau-
mauer mit gerader und gekrümmter Fläche

Der Zusammenhang zwischen einer Flächenkraft p und ih- F


rer Einzelkraft F ist im allgemeinen Fall komplex und wird
daher in Kapitel 8 über Schwerpunkte gesondert behandelt. p
Für den einfachen Fall mit über einer Fläche A konstanten
Flächenkraft p, wie in Abb. 2.7 dargestellt, gilt A
F
1. p = ⇐⇒ 2. F = p · A. (2.6)
A
Abb.2.7. Konstante Flächenkraft p
Aus Gl.(2.6.1) folgt: Die physikalische Größe Kraft durch und ihre Einzelkraft F
Fläche mit dem Symbol p hat die Einheit [p]= 1 N/m2 .
Volumenkräfte sind über das Volumen eines Körpers verteilt, wofür die Gewichtskraft ein
allgegenwärtiges Beispiel ist. Wie z.B. in Abb. 2.8.a für einen Betonkübel dargestellt, hat
jedes noch so kleine Volumenelement dV eine Schwerkraft dG = ρdV mit der Volumen-
dichte des Materials ρ. Dabei gilt: Die physikalische Größe Kraft durch Volumen mit dem
Symbol ρ hat die Einheit [ρ]= 1 N/m3 . Im allgemeinen ist ρ an jedem Ort des Körpers unter-
schiedlich. Zwei weitere Beispiele für Gewichtskräfte sind in Abb. 2.8.b das Eigengewicht
eines Tragflügels mit Turbine und in Abb. 2.8.c. das Eigengewicht eines Balkons mit einer
Person. Weitere Beispiele für Volumenkräfte sind die Magnetkraft und die elektrische Kraft.

2.1.4 Lastermittlung für Ingenieurkonstruktionen

Die auf eine Ingenieurkonstruktion einwirkenden Kräfte bestimmt deren sogenannte Belas-
tung. Entsprechend der Einteilung des vorherigen Abschnittes unterscheidet man Einzel-,
18 2 Grundbegriffe

a) b) c)

G q2 G
dV q1
p
dG
G

Abb. 2.8. Volumenkräfte und deren Idealisierungen: a) Betonkübel mit Einzelkraft, b) Tragflügel eines Flugzeu-
ges mit Strecken- und Einzelkraft, c) Balkon mit Person mit Flächen- und Einzelkraft, Oben: Reale Systeme,
unten: Idealisierte Kräfte

Flächen- und Volumenlasten. Zusätzlich erweist sich die Streckenlast als nützliche Rechen-
größe. Da die Lastermittlung dieser Kräftearten im Allgemeinen nicht exakt möglich ist, sind
Idealisierungen erforderlich. Bei einer Idealisierung handelt es sich um eine Vereinfachung
der realen physikalischen Vorgänge auf das Wesentliche nach dem Grundsatz:
möglichst einfach und genügend genau.
Zur Veranschaulichung von Idealisierungen betrachten wir einige Beispiele: Für das Buch
in Abb. 2.5.a (unten) nehmen wir an, dass sich die Gewichtskraft der Vase gleichmäßig in
der Berührzone verteilt und die zugehörige Flächenlast p einen konstanten Wert annimmt.
In Abb. 2.5.b (unten) wird die kurze Seite in der Berührfläche als vernachlässigbar klein
angenommen, so dass eine Streckenlast (oder: Linienlast, Schneidenlast) entsteht. Die phy-
sikalische Größe Kraft durch Länge mit dem Symbol q hat die Einheit [q] = 1 N/m. Als
weitere Vereinfachung können wir häufig einen konstanten Wert für q annehmen. Erst wenn
die Berührfläche im Vergleich zur Gesamtfläche des Buches vernachlässigbar klein wird, ist
die Annahme einer Einzellast genügend genau, vgl Abb. 2.5.c (unten).
In Abb. 2.8.a (unten) werden die kontinuierlich verteilten Kräfte dG in Abb. 2.8.a (oben)
durch die Einzellast G ersetzt. Bei dem Tragflügel in Abb. 2.8.b wird das Eigengewicht über
die Tragflügellänge als Streckenlast mit unterschiedlichen Randwerten q1 und q2 angenom-
men. Das Gewicht der Turbine wird durch eine zusätzliche Einzellast G berücksichtigt. Bei
dem Balkon in Abb. 2.8.c wird das Eigengewicht der Betonplatte als Flächenlast mit dem
konstanten Wert p angenommen. Das Gewicht der Person wird durch eine zusätzliche Einzel-
last G berücksichtigt.
Neben den Regeln (2.5) lautet somit eine wichtige

Regel zur Lastermittlung: Einzel- und Streckenlasten (2.7)


sind Idealisierungen zur Vereinfachung der realen Belastungen.
2.1 Die Newtonsche Kraft 19

 Beispiel 2.2 Streckenlast auf Dachbinder

Die Dachbinder einer Dachkonstruktion wer-


den wie dargestellt durch Dachhaut, Sparren- Gebäudequerschnitt
pfetten, Schnee und Eigengewicht belastet. Der Schnee
Abstand der Binder beträgt a=8 m. Wie groß
sind für jeden Binder die Streckenlasten q?
Dachbinder
Bekannt: Eigengewicht (EG) der Dachhaut: Sparrenpfette Dachhaut

gDa = 0, 5 kN/m2 . Das Eigengewicht von


Sparrenpfetten und Aussteifungsverband wird
vereinfacht mit gSp = 0, 1 kN/m2 berücksich-
l = 20,00
tigt. Belastung durch Schnee: s = 0, 7 kN/m2 .
Eigengewicht Dachbinder: gB = 0, 15 kN/m. Dachgrundriss
Vorüberlegungen: Zunächst wird die Auflast Aussteifungsverband
infolge Dachhaut, Sparrenpfetten und Schnee
als Flächenlast (in kN/m2 ) berechnet. Durch

a = 8,00
Multiplikation mit dem Abstand a der Binder
und Berücksichtigung des Eigengewichtes er-
hält man die Auflast als Streckenlast für jeden
Dachbinder (in kN/m).
Dachbinder
Lösung: Wir fassen zunächst die Auflasten als 4x5,00 = 20,00
Flächenlast zusammen:
EG Dachhaut gDa = 0, 5 kN/m2 Abb.2.9. Dachbinder mit Belastungen
EG Sparrenpfetten gSp = 0, 1 kN/m2
Schnee s = 0, 7 kN/m2
Summe Auflasten g = 1, 3 kN/m2 . q
Die Auflast als Streckenlast für jeden Binder ist
dann

qA = 1, 3 kN/m2 · 8, 00 m = 10, 40 kN/m. 20,00

Mit Berücksichtigung des Eigengewichtes gB


ist die gesamte Streckenlast für jeden Binder Abb.2.9.b. Idealisierte Streckenlast
je Dachbinder
Summe Auflasten qA = 10, 40 kN/m
EG Binder gB = 0, 15 kN/m
Belastung Binder q = 10, 55 kN/m .
In Abb.2.9.b ist die Streckenlast q je Dachbinder dargestellt. Dazu sei nochmals hervorge-
hoben, dass diese eine Idealisierung der wirklichen Belastung ist. Sie stellt jedoch eine ein-
fache und genügend genaue Annahme dar, um anschließend mit den Methoden der Festig-
keitslehre die Materialbeanspruchung im Inneren des Dachbinders berechnen zu können. 
20 2 Grundbegriffe

2.1.5 Freischneiden und Freikörperbild

Wir betrachten in Abb. 2.10 und Abb. 2.11 zwei durch Eigengewicht beanspruchte Systeme.
Die Gewichtskraft G der Lampe in Abb. 2.10 beansprucht die Ringschraube, welche die kine-
matische Bindung zur Decke – also die Lagerung – herstellt. Außerdem wird das die Lampe
tragende Seil auf seiner gesamten Länge beansprucht. Kommnt es zum Versagen eines dieser
Teilkörper, fällt die Lampe zum Boden. In Abb. 2.11 entstehen infolge der Gewichtskraft G
der Brücke und den Verkehrslasten G1 , G2 , G3 Kräfte an den Auflagern A und B. Zusätzlich
entstehen Kräfte im Inneren der Brücke, wie z.B. Zugkräfte innerhalb der Vertikalen zwi-
schen Ober- und Untergurt, vgl. auch Kapitel 10. Infolge der Wirkung von äußeren Lasten
entstehen also immer zwei Kräftearten: 1. Kräfte an den Auflagern des Systems und 2. Kräfte
im Inneren des Systems. Im Folgenden wird der Zugang zu beiden Kräftearten erläutert.
Kräfte an den Auflagern eines Systems: Um die Beanspruchungen an Auflagern einer
Berechnung zugänglich zu machen, werden zwei Schritte durchgeführt:
1. Eintragen einer Systemgrenze: Das System, dass der Berechnung zu Grunde gelegt
werden soll, wird von der Umgebung abgegrenzt. Dazu wird, wie in Abb. 2.10 oder in
Abb. 2.11, eine geschlossene Linie – die Systemgrenze – mit einem Stift in die Zeichnung
der realen Struktur eingetragen.
3. Zeichnen des Freikörperbildes: Es wird eine Skizze – das Freikörperbild – mit allen
an dem abgegrenzten System angreifenden Kräften erstellt. Diese bestehen aus zwei An-
teilen:
1) Eingeprägte Kräfte: Hier handelt es sich um Kräfte mit physikalischer Ursache. Ein
allgegenwärtiges Beispiel ist die Gewichtskraft, deren Ursache die Gravitation ist. Sie
wird in Abb. 2.10 und in Abb. 2.11 jeweils mit G bezeichnet. Andere Beispiele für
eingeprägte Kräfte sind der Winddruck oder die Schneelast.
2) Reaktionskräfte: Hier handelt es sich um Kräfte, die durch die Einschränkung der
Bewegungsmöglichkeiten des Systems verursacht werden. Sie werden durch das so-
genannte Freischneiden der Auflagerkräfte sichtbar gemacht: Dazu wird der Kör-

a) b) c) d)
F

F F
S'
S

G G G Leonhard Euler
G (1707-1783)

Systemgrenze

Abb. 2.10. Erläuterungen zum Freischneiden am Beispiel einer Lampe: a) Ausgangssystem mit Schnitt an der
Systemgrenze, b) Freikörperbild des abgegrenzten Systems, c) innerer Schnitt, d) Freikörperbild der Teilsysteme
2.1 Die Newtonsche Kraft 21

per an seinen Bindungen entlang der Systemgrenze gedanklich geschnitten, und an-
schließend werden die auf den Körper wirkenden unbekannten Reaktionskräfte (oder:
Lagerkräfte, Bindungskräfte) als äußere Kräfte eingetragen. Als Beispiel wird in
Abb. 2.10.b das Seil von der Ringschraube gelöst und mit der Kraft F belastet. In
Abb. 2.11.b wird die Brücke von den Auflagern gelöst und mit den Kräften AV , AH
und BV belastet.
Kräfte im Inneren eines Systems: Der Zugang zur Beanspruchung an einer beliebigen
Stelle im Inneren des Systems erfolgt durch Freischneiden der inneren Kräfte, was auch
als Eulersches Schnittprinzip bekannt ist: Dabei wird der Körper an der betreffenden Stelle
innerlich gedanklich geschnitten, wie z.B. in Abb. 2.10.c. An den dadurch freigewordenen
zwei Schnittufern werden die inneren Kräfte eingetragen. Wie in Abb. 2.10.d für die Kräfte S
und S  erkennbar, sind im Unterschied zum Freischneiden der Auflagerkräfte in Abb. 2.10.b
innere Kräfte also immer paarweise einzutragen. (Später werden wir sehen, dass sie entge-
gengesetzt gerichtet gleich groß sind.) Die so entstandene Skizze mit eingeprägten Kräften,
Reaktionskräften und inneren Kräften in Abb. 2.10.d bezeichnet man als Freikörperbild der
Teilsysteme.
Bemerkungen 2.3
1. Die Unterteilung in äußere und innere Kräfte ist relativ, da diese von der Wahl der Sys-
temgrenze abhängen. Führen wir z.B. in Abb. 2.11 eine Systemgrenze 1 zur Berech-
nung des Brückenaufbaus ein, so sind die durch die Schnitte freigelegten Lagerkräfte
AV , AH , BV äußere Kräfte. Mit der Systemgrenze 2 werden dagegen der Brückenaufbau
und beide Fundamente als System betrachtet, so dass die durch die Schnitte freigelegten
Kräfte AV , AV , AH , AH , BV , BV zwischen den Bauteilen innere Kräfte sind.
2. Durch das Freischneiden an den Lagern oder im Inneren des Systems werden die so
entstandenen Teilssysteme verschieblich. Um sie einer Berechnung mit den Gleichge-
wichtsmethoden der nachfolgenden Kapitel zugänglich zu machen, denkt man sie sich in
der gegebenen Lage als „erstarrt” (Erstarrungsprinzip).
3. Innere Kräfte haben große Bedeutung in der Statik, da sie ein Maß für die Material-
beanspruchung sind. Deren Berechnung wird ausführlich im späteren Kapitel 12 über
Schnittgrößen behandelt.

a) b) G2 GBrücke
Systemgrenze 1 Systemgrenze 2 G1 G3

AH
G2 G Brücke
G1 G3 AV BV
A'V A'H B 'V
A B

Abb. 2.11. Erläuterungen zum Freischneiden an den Auflagern einer Brücke: a) Ausgangssystem mit System-
grenzen 1 und 2, b) Freikörperbild mit Gewichtskräften und Kräften an den Auflagern
22 2 Grundbegriffe

2.1.6 Einteilung von Kräften


Je nachdem, welches Merkmal zu Grunde gelegt wird, können wir folgende Einteilungen von
Kräften vornehmen, siehe z.B. [30]:
Merkmal Dimension
a) Volumenkräfte, z.B. Gewicht
b) Flächenkräfte, z.B. Wasserdruck auf Staumauer
c) Linienkräfte (oder: Streckenlasten), z.B. Schneidenlast (Idealisierung)
d) Einzelkräfte, z.B. Nageldruck (Idealisierung).

Merkmal Herkunft
a) Eingeprägte Kräfte: Kräfte mit physikalischer Ursache, z.B. Gewicht
b) Reaktionskräfte: ergeben sich durch Einschränkung der Bewegungsmöglichkeiten, z.B.
Lagerkräfte.

Merkmal System
a) Äußere Kräfte: Belastungen auf das System und Reaktionskräfte an der Systemgrenze
b) Innere Kräfte: Kräfte, die im Inneren eines Systems mit dem Schnittprinzip sichtbar
gemacht werden.

Merkmal Berührung zweier Körper


a) Nahkräfte: Treten in der Berührkräfte zweier Körper auf
b) Fernkräfte: Hierbei haben die Körper keinen Kontakt. Beispiele für Fernkräfte sind die
Gravitationskraft zwischen zwei Massen oder die Coulombsche Kraft zwischen zwei La-
dungen, siehe hierzu Kapitel 3.
Beispiel 1: Die Gewichtskraft einer Brücke ist gleichzeitig eine Volumenkraft, da sie über
das Körpervolumen verteilt ist, eine eingeprägte Kraft, da sie eine physikalische Ursache,
nämlich die Graviatation hat, eine äußere Kraft, weil sie von außen auf den Körper einwirkt
und eine Fernkraft, da sie durch Massenanziehung wirkt.
Beispiel 2: Die Lagerkraft an einem Brückenlager ist gleichzeitig eine Flächenkraft, da sie
in der Berührfläche zwischen Brückenaufbau und Lager verteilt ist, eine Reaktionskraft, da
sie durch Einschränkung der Bewegungsmöglichkeit entsteht, eine äußere Kraft, weil sie von
außen auf den Brückenaufbau einwirkt und eine Nahkraft, da sie in der Berührfläche zwi-
schen Brückenaufbau und Lager wirkt.
Eine Gruppe von Kräften nennt man ein Kraftsystem (oder: Kräftesystem). Zur Analyse
von Kraftsystemen sind folgende Unterscheidungen zweckmäßig:
Merkmal Dimension des Kraftsystems
a) Ebenes Kraftsystem: Alle Kraftvektoren liegen in ein und derselben Ebene. Das ebene
Kraftsystem wird ausführlich in Kapitel 4 behandelt.
b) Räumliches Kraftsystem: Alle Kraftvektoren liegen irgendwie im Raum. Hierauf wird
ausführlich in Kapitel 6 eingegangen.
2.1 Die Newtonsche Kraft 23

Merkmal Wirkungslinien des Kraftsystems


Werden Kräfte entlang ihrer Wirkungslinie verschoben, ohne das sich dabei die Kräftewirkung
auf den oder die Körper verändert, ist folgende Unterscheidung zweckmäßig:
a) Zentrales Kraftsystem: Es existiert ein gemeinsamer Schnittpunkt der Wirkungslinien
aller Kräfte, siehe hierzu Kapitel 4.
b) Nichtzentrales Kraftsystem: Es existiert kein gemeinsamer Schnittpunkt der Wirkungsli-
nien aller Kräfte, siehe hierzu Kapitel 5.

2.1.7 Aufgaben zu Abschnitt 2.1

Aufgabe 2.1 (Schwierigkeitsgrad SG = 1,


Bearbeitungszeit BZ = 3 min)
Ein Flugzeug der Masse m erfährt in der
Startphase die Beschleunigung a. Wie groß FS
ist die Schubkraft FS ?
Bekannt: m = 250 t, a = 10 m/s2 .

Aufgabe 2.2 (SG = 1, BZ = 10 min)


Eine Welle der Länge l hat eine Rotorachse
mit Radius r. Die Dichte des Materials ist
mW R Radius r
ρW . Zusätzlich ist eine Scheibe mit dem
Radius R und der Dicke t angebracht. Die
Dichte des Materials ist ρS . Erstellen Sie ein mS
Belastungsbild für die Welle, wobei die Be- t
lastung der Scheibe als Einzellast FS und l
die Belastung der Welle als Streckenlast qW
angenommen werden kann.
Bekannt: Welle: l = 6, 0 m, r = 5, 0 cm, ρW = 3, 0 kg/cm3 , Scheibe: R = 60, 0 cm, t =
5, 0 cm, ρS = 4, 0 kg/cm3 .

Aufgabe 2.3 (SG = 2, BZ = 10 min)


Ein Rahmen besteht aus einer Platte und vier
Riegeln mit quadratischen Querschnittsflä- l
chen. Auf der Platte sind zwei Motoren
mit jeweils der Masse mM angebracht. Wie
groß ist die Flächenlast unter jedem Riegel? d
Welche Annahmen liegen der Berechnung h
zu Grunde?
Bekannt: Platte: l = 5 m, d = 30 cm, ρP = b d
b
21 kN/m3 , Riegel: h = 2, 50 m, b = 0, 3 m, h
ρS = 28 kN/m3 , Motoren: mM = 500 kg.
24 2 Grundbegriffe

Aufgabe 2.4 (SG = 1, BZ = 3 min)


Für eine durch Wasser belastete Staumauer
wird eine geradlinige Zunahme des Wasser-
druckes angenommen. Wie groß ist die
Flächenlast (Flächenpressung) p auf die H
Staumauer an der Stelle B?
Bekannt: H = 30 m, ρW = 1 kg/m3 . B

Aufgabe 2.5 (SG = 2, BZ = 10 min)


Für eine durch Erdreich belastete Stützwand
einer Baugrube wird für die Lastermittlung
eine geradlinige Zunahme des Erddruckes
nach eah = γ · H · Kah angenommen. Dabei
ist γ die Wichte des feuchten Bodens in
H
kN/m3 , und Kah ist ein Erddruckbeiwert zur B
Berücksichtigung der inneren Reibung des
Bodens, s. z.B. [28]. Durch den neben der
Stützwand abgestellten LKW entsteht eine
zusätzliche Verkehrslast p , deren Belastung
auf die Stützwand vereinfachend mit eah,p = eah,p eah
p · Kah über die Höhe konstant verteilt, an-
genommen wird.
Wie groß ist die Flächenlast (Erddruck) eges = eah + eah,p auf die Stützwand an der Stelle B?
Bekannt: H = 30 m, Wichte (nichtbindiger Boden, Sand, locker, rund) γ = 18 kN/m3 ,
Erddruckbeiwert Kah = 0, 28, p = 143 kg/m2 , siehe z.B. [28].

Aufgabe 2.6 (SG = 1, BZ = 15 min)


Die Dachkonstruktion aus Beispiel 2.2 wird zusätzlich durch Wind belastet. Bestimmen Sie
die gesamten Streckenlasten für jeden Dachbinder für die Lastfälle
1. Winddruck wD und
2. Windsog wS .
Bekannt: Abstand der Binder a=8 m, Eigengewicht (EG) Dachhaut: gDa = 0, 5 kN/m2 ,
EG Sparrenpfetten und Aussteifungsverband gSp = 0, 1 kN/m2 , Schneebelastung: s = 0, 7
kN/m2 , EG Dachbinder: gB = 0, 15 kN/m, Winddruck: wD = 0, 45 kN/m2 , Windsog: wS =
0, 35 kN/m2 . Winddruck und Windsog wirken jeweils senkrecht zur Dachfläche.
2.1 Die Newtonsche Kraft 25

Aufgabe 2.7 (SG = 1, BZ = 5 min)


Für den Kolben eines Verbrennungsmotors
F V
soll der Druck des Gases p abgeschätzt wer-
den. Dazu wird näherungsweise die allge- p
h
meine Gasgleichung
pV = T k
verwendet [14, 7]. Hierbei sind T die Tem- r
peratur, V das Volumen, und k ist eine Kon-
stante. Das Volumen V wird als Zylinder an-
genähert.
1. Welchen Wert hat p für die gegebenen
Zahlwerte?
2. Wie groß ist dann die Gesamtkraft F ?
Bekannt: T = 1700 o C, k = 0, 5 kg m2 /(s2 K), r = h = 3 cm.

Aufgabe 2.8 (SG = 2, BZ = 15 min)


Ein Mauerwerk der Länge l, der Höhe h
und der Breite b belastet ein Fundament aus b
Stahlbeton.

1. Welche Flächenlast entsteht in der


Fläche zwischen Mauerwerk und Funda- h
ment infolge Eigengewicht?
2. Welche Flächenlast (Bodenpressung) l
entsteht in der Fläche zwischen Funda- d 45 o
ment und Erdreich, wenn die mitwirk- bW
ende Breite bW wie dargestellt unter
einem Winkel von 45o angenommen
wird?
Bekannt: Mauerwerk: Rohdichte ρM = 2, 0 g/cm3 (s. z.B. [28]), l = 3 m, h = 2 m, b =
0, 24 m, Stahlbeton: Rohdichte ρB = 1, 6 g/cm3 , d = 0, 2 m.
26 2 Grundbegriffe

2.2 Der Starrkörper

Im Allgemeinen sind reale Körper deformierbar. Kommt es z.B. für den PKW in Abb. 2.12.a
zum Aufprall auf ein Hindernis, so verändert sich der Abstand zweier beliebiger Punkte
in dem Aufprallbereich erheblich. Für die Billiardkugel in Abb. 2.12.b dagegen ist die Ab-
standsänderung von zwei Punkten A und B beim Aufprall unwesentlich. Sie sind eine gute
Näherung für die

Definition Starrkörper
Ein Körper, der sich unter der Wirkung von Kräften nicht verformt, wird Star- (2.8)
rkörper genannt. In ihm sind die Abstände beliebiger Punkte immer gleich.

In der Wirklichkeit gibt es den Starrkörper (oder: starren Körper) nicht, so dass Definition
(2.8) eine Idealisierung ist. Im Ingenieurwesen sind die Deformationen der Körper im Ver-
gleich zu deren Abmessungen jedoch häufig so klein, dass wir sie mit guter Näherung ver-
nachlässigen können. In einigen Fällen, wie z.B. bei der Berechnung einer Rahmenkonstruk-
tion, ist die Deformation zu berücksichtigen, was jedoch nicht Thema dieses Buches ist.

a) b) Bewegung

A ..
B

Abb. 2.12. a) PKW als deformierbarer Körper, b) zwei Billiardkugeln als nahezu starre Körper

2.3 Der Freiheitsgrad eines Körpers


Nach Defintion (2.8) treten bei einem Starrkörper unter der Wirkung von Kräften keine Ver-
formungen auf, so dass die Abstände beliebiger Punkte immer gleich sind. Der Starrkörper
kann jedoch als Ganzes eine Bewegung vornehmen, womit die Lageänderung gegenüber an-
deren Körpern gemeint ist. Wir wählen dazu die Erde als ruhendes Bezugssystem.
In Abb. 2.13 betrachten wir ein
Buch, das auf einer Tischplatte frei B
beweglich ist. Wir können es durch v D
1. eine horizontale Verschiebung u
ϕ
in die Lage A oder
2. eine vertikale Verschiebung v in u A
die Lage B oder
3. eine Verdrehung ϕ in die Lage C
C
überführen.
Abb. 2.13. Bewegungen eines Körpers in der Ebene
2.4 Lager- und Reaktionskräfte 27

Es ist nicht möglich, durch ein Vielfaches der Verschiebungen u und v die gedrehte Lage
C zu erreichen. Durch ein Vielfaches der Bewegungen u, v und ϕ kann dagegen die Lage
D und jede weitere Lage in der Ebene erreicht werden. Damit gibt es für einen Körper in
der Ebene drei unabhängige Bewegungen. Für einen Körper im Raum beträgt deren Anzahl
sechs: drei Verschiebungen und drei Verdrehungen. Wir bezeichnen die Anzahl der unab-
hängigen Bewegungen als Freiheitsgrade. Es gelten folgende

Regeln zu Freiheitsgraden
1. In der Ebene hat ein Körper maximal drei unabhängige Freiheitsgrade. (2.9)
2. Im Raum hat ein Körper maximal sechs unabhängige Freiheitsgrade.

2.4 Lager- und Reaktionskräfte

2.4.1 Allgemeines

In vielen Fällen wird die Bewegungsmöglichkeit von Körpern durch Kontakt oder Verbund
mit anderen Körpern behindert. Man bezeichnet diese kinematischen Bindungen [6]
• in der Statik als Auflager (Lager, Stütze, ...) und
• in der Dynamik als Führung (Lager, Gleitband, Schiene ...).

Zwei Beispiele für kinematische Bindungen (kurz: Lager) sind in Abb. 2.14 das Loslager
einer Brücke und die Trasse einer Magnetschnellbahn. Die zwei Mauerwerke in Abb. 2.15
sichern z.B. eine Stützung des Dachbinders in vertikaler Richtung. Nach Regel (2.9.1) beträgt
die Anzahl der unabhängigen Freiheitsgrade für einen Körper in der Ebene jedoch f = 3.
Um ein Abgleiten des Dachbinders in horizontaler Richtung zu verhindern, ist eine dritte
Halterung notwendig, die z.B. durch einen Anker realisiert wird. Kennzeichnen wir mit r die
Anzahl der kinematischen Bindungen, wird die Anzahl der Freiheitsgrade f in (2.9.1) für
einen Körper in der Ebene also gemäß f = 3 − r verringert. Damit gilt auch der Zusammen-
hang f + r = 3. Für einen Körper im Raum gilt entsprechend f = 6 − r bzw. f + r = 6.
Kinematische Bindungen haben zusätzliche Kraftwirkungen auf den gestützen Körper zur
Folge. Man bezeichnet diese Kräfte

a) b)

Abb. 2.14. Beispiele für kinematische Bindungen: a) Loslager einer Brücke, b) Trasse einer Magnetschnellbahn
28 2 Grundbegriffe

a) b) F F
q0
AH
F F
q0 AV B
A'V A'H B'
Anker

Abb. 2.15. Dachbinder auf Mauerwerk: a) System mit Belastung, b) Lagerreaktionen im Freikörperbild

• in der Statik als Auflager- (Lager-, Stütz-, Reaktions-, ...) kräfte und
• in der Dynamik als Führungs- (Lager-, Gleitband-, Schienen-, Reaktions-, ...) kräfte.
Für den Dachbinder auf Mauerwerk in Abb. 2.15 erhält man nach dem Eulerschen Schnitt-
prinzip in Abschnitt 2.1.5 die vertikalen Reaktionskräfte AV , BV und eine horizontale
Reaktionskraft AH . Die auf die Mauerwerke entgegengesetzt wirkenden Kräfte werden mit
AV , BV und AH bezeichnet. Zusammenfassend gelten folgende

Regeln zu kinematischen Bindungen


1. Für die Summe der Freiheitsgrade f und der kinematischen Bindungen
r eines gestützten Körpers gilt
a) in der Ebene: f + r = 3 (2.10)
b) im Raum: f + r = 6.
2. Das Lager übt unabhängige Reaktionskräfte (Lagerkräfte) auf den
gestützen Körper aus, deren Anzahl gleich der Anzahl r der unabhängi-
gen kinematischen Bindungen ist.

Es sei bemerkt, dass es sogenannte Ausnahmefälle zu den Regeln (2.10.1) gibt. Damit sind
diese nicht hinreichend zur Bewertung von gestützten Systemen, worauf wir ausführlich in
den nachfolgenden Kapiteln 7, 9 und 11 eingehen werden.

2.4.2 Lagerarten für ebene Systeme

Die drei wichtigsten Lagerungsarten für ein ebenes Tragwerk sind 1. das verschiebliche
Gelenklager (Loslager), 2. das feste Gelenklager (Festlager) und 3. die feste Einspannung.

a) b) c) d) e)
u ϕ

AV

Abb. 2.16. Loslager: a) Rollenlager, b) Pendelstütze, e) Rollenkipplager, d) Symbolskizze, e) mögliche Bewe-


gungen u und ϕ sowie Reaktionskraft AV
2.4 Lager- und Reaktionskräfte 29

Dabei wird stets angenommen, dass die Gelenke der Lager ideal reibungsfrei sind und auch
die Verschiebung ohne jede Reibung möglich ist.
Das verschiebliche Gelenklager (Loslager): Bei diesem Lager ist wie in Abb. 2.16 eine
Bewegung u des Körpers parallel zur Lagerungsebene und eine Verdrehung ϕ des Körpers
um einen Punkt möglich. Dagegen ist die Bewegung des Körpers senkrecht zur Lagerebene
behindert, so dass er, ohne weitere Lagerung, den Freiheitsgrad f = 2 hat. Da wir die
Reibung in diesen Lagern stets vernachlässigen, tritt eine Reaktionskraft AV senkrecht zur
möglichen Bewegungsrichtung auf, so dass die Anzahl der Lagerreaktionen r = 1 ist. Man
spricht dann von einer einwertigen Lagerung. Die Ausführung kann verschiedenartig sein. In
Abb. 2.16.a-c sind als Beispiele das Rollenlager, die Pendelstütze und das Rollenkipplager
dargestellt. In Abb. 2.16.d wird die Lagerform für das Loslager durch eine Symbolskizze
dargestellt. Abb. 2.17.e zeigt die möglichen Bewegungsformen: die horizontale Verschiebung
u und die Verdrehung ϕ sowie die auftretende Reaktionskraft AV . Der Index V steht dabei
für vertikal zur Lagerführung.
Das feste Gelenklager (Festlager): Bei diesem Lager ist wie in Abb. 2.17 nur eine Ver-
drehung ϕ des Körpers um einen Punkt möglich, so dass der Freiheitsgrad f = 1 ist. Be-
wegungen des Körpers parallel und senkrecht zur Lagerungsebene sind behindert, so dass
eine zweiwertige Lagerung mit r = 2 vorliegt. Auch hier kann die wirkliche Ausführung
verschiedenartig sein. Als Beispiele sind das Kugellager in Abb. 2.17.a, die Doppelstütze in
Abb. 2.17.b oder das Kipplager in Abb. 2.17.c dargestellt. In Abb. 2.17.d wird die Lagerform
durch eine Symbolskizze veranschaulicht. Abb. 2.17.e zeigt die Verdrehung ϕ als mögliche
Bewegungsform und die auftretenden Reaktionskräfte AH und AV . Die Indices V und H
stehen dabei für vertikal und horizontal zur Lagerführung.

a) b) c) d) e)
ϕ
AH

AV

Abb. 2.17. Festlager: a) Kugellager, b) Doppelstützen, c) Kipplager, d) Symbolskizze, e) mögliche Bewegung ϕ


und Reaktionskräfte AH und AV

Die feste Einspannung: Bei diesem Lager sind wie in Abb. 2.18 beide Verschiebungen und
die Verdrehung behindert, so dass eine dreiwertige Lagerung vorliegt. Damit gilt f = 0
für den Freiheitsgrad und r = 3 für die Anzahl der Reaktionen. Auch hier sind die Aus-
führungen verschiedenartig. Bei dem Kragbalken in Abb. 2.18.a liegt ein vollständiger Ver-
bund des gelagerten Körpers mit einem anderen Körper vor, während in Abb. 2.18.b die
feste Lagerung durch Pendelstützen realisiert wird. Abb. 2.18.c zeigt die zugehörige Sym-
bolskizze. Während in Abb. 2.18.d keine Bewegungsformen auftreten, sind dort zwei Reak-
tionskräfte AH , AV eingetragen. Zusätzlich entsteht ein sogenanntes Einspannmoment (kurz:
Moment MA ), welches im späteren Abschnitt 5.3 erklärt wird.
30 2 Grundbegriffe

a) b) c) d) MA

AH

AV
Abb. 2.18. Feste Einspannung: a) Kragbalken, b) Pendelstützen, c) Symbolskizze, d) keine Bewegungen, Reak-
tionskraftgrößen AH , AV , MA

In Tabelle 2.1 sind die Lagerbezeichnungen, Lagersymbole, Freiheitsgrade und Reaktio-


nen für das verschiebliche Gelenklager (Loslager), das feste Gelenklager (Festlager) und

Bezeichnung Symbol Freiheitsgrade Lagerreaktionen f r

verschiebliches u ϕ
Gelenklager,
Loslager, 2 1
AV
Rollenlager
ϕ
festes AH
Gelenklager, 1 2
Festlager AV

MA
(feste) AH
0 3
Einspannung
AV

längs u MA
verschiebliche 1 2
Einspannung
(Schiebehülse) AV

quer MA
verschiebliche AH
1 2
Einspannung v
(Parallelführung)
u
freies Ende 3 0
v ϕ

f +r = 3

Tabelle 2.1. Lagerbezeichnungen, Lagersymbole, Freiheitsgrade und Lagerreaktionen für ebene Systeme
2.4 Lager- und Reaktionskräfte 31

die feste Einspannung zusammengefasst. Zusätzlich sind zwei weitere Lagerungsformen,


die längs verschiebliche Einspannung und die quer verschiebliche Einspannung eingetra-
gen. Dabei wird im ersten Fall eine Verschiebung u längs zur Stabachse und im zweiten Fall
eine Verschiebung v quer zur Stabachse ermöglicht, so dass beide Lager jeweils den Frei-
heitsgrad f = 1 und r = 2 Reaktionskraftgrößen haben. Bei dem freien Ende sind alle drei
Freiheitsgrade möglich, so dass Lagerreaktionen nicht auftreten. Für alle Fälle in Tabelle 2.1
ist wegen f + r = 3 die Regel (2.10.1) für die kinematischen Bindungen erfüllt.

2.4.3 Lagerarten für räumliche Systeme

Lagerungsarten für räumliche Systeme sind in der Technik sehr vielfältig. Zwei häufig auftre-
tende Beispiele sind das Punktlager und das Kugelgelenk. Auch hier wird angenommen, dass
die Gelenke der Lager ideal reibungsfrei sind und die Verschiebungen ohne Reibung erfolgen.
Das Punktlager: Hier ist nur ein Verschiebungsfreiheitsgrad behindert, wie z.B. bei dem
Elastomerlager einer Brücke in Abb. 2.19.a. In Abb. 2.19.c ist das die Verschiebung in z-
Richtung, so dass zwei Verschiebungen u und v verbleiben. Weiter sind drei Drehfreiheits-
grade ϕx , ϕy , ϕz um die drei Achsen x, y, z möglich, die in Abb. 2.19.c jeweils mit einem
Doppelpfeil gekennzeichet sind. Damit erhält man f = 5 für die Anzahl der Freiheitsgrade.
Als Reaktionskraft stellt sich wie in Abb. 2.19.d eine Kraft Az ein, so dass die Anzahl der
Lagerreaktionen r = 1 beträgt.

a) b) c) d)
z ϕz
y ϕy Az
x
v
u ϕx
Abb. 2.19. Punktlager: a) Elastomerlager einer Brücke, b) Skizze, c) mögliche Bewegungen, d) Reaktionskraft

Das Kugellager: Hier sind drei Verschiebungsfreiheitsgrade behindert, wie z.B. bei dem
Lager eines Parallelroboters in Abb. 2.20.a. Damit verbleiben in Abb. 2.20.c alle drei Drehfrei-
heitsgrade ϕx , ϕy , ϕz , und die Anzahl der Freiheitsgrade ist f = 3. Als Reaktionskräfte er-

a) b) c) d)

ϕz Az Ay
ϕy
Ax
ϕx
Quelle: Institut für Regelungstechnik und Mechatronik, Universität Paderborn

Abb. 2.20. Kugellager: a) Lager Parallelroboter „TriPlanar“ (Trächtler), b) Skizze, c) mögliche Bewegungen,
d) Reaktionskräfte
32 2 Grundbegriffe

Bezeichnung Skizze Freiheitsgrade Lagerreaktionen f r

ϕz
Punktlager z ϕy 5 1
v Az
x
u ϕx

Kugellager ϕz Az 3 3
ϕy Ay
ϕx Ax

Kippgelenk- Mz
lager ϕy 2 4
Az Mx
u Ay

längsverschieb- Mz
liches Achslager y y 4 2
My
x z
z x u ϕx Az Ay

festes Mz
Achslager 1 5
My
u Az Ay
Mx

längsverschieb- Mz
liches Lager 1 5
ϕy
Az Ay
Ax Mx

Einspannung Mz
0 6
My
Az Ay
Ax Mx

f +r = 6

Tabelle 2.2. Lagerbezeichnungen, Lagerskizzen, Freiheitsgrade und Lagerreaktionen für räumliche Systeme

hält man in Abb. 2.20.d die Kräfte Ax , Ay und Az , so dass die Anzahl der Lagerreaktionen
r = 3 beträgt.
2.4 Lager- und Reaktionskräfte 33

In Tabelle 2.2 sind die Lagerbezeichnungen, Skizzen, Freiheitsgrade und Reaktionen für
die wichtigsten Lager räumlicher Systeme zusammengefasst. Zusätzlich sind die jeweiligen
Freiheitsgrade und die Auflagerreaktionen angegeben. Da allgemeingültige Symbole, wie
z.B. für ebene Systeme in Tabelle 2.1, nicht verbreitet sind, beschränken wir uns hier und im
Folgenden auf die Angaben von Skizzen.
Nach Regel (2.9.2) gibt es für einen Körper im Raum sechs unabhängige Freiheitsgrade:
Dieses sind drei Verschiebungen, die in Tabelle 2.2 mit u, v und w bezeichnet werden und
die drei Verdrehungen ϕx , ϕy und ϕz , die jeweils durch einen Doppelpfeil dargestellt sind.
Ist eine der drei Verschiebungen durch eine kinematische Bindung behindert, entsteht in
deren Richtung eine der Kräfte Ax , Ay oder Az . Wird eine der drei Verdrehungen behindert,
entsteht in deren Richtung eines der Momente Mx , My , Mz , die ausführlich im späteren
Kapitel 6 behandelt werden.

2.4.4 Zwischenlagerungen

Technische Konstruktionen wie Bauwerke, Werkzeuge und Maschinen werden häufig aus
mehreren Körpern zusammengesetzt. Dabei schränken die kinematischen Bindungen zwi-
schen den Körpern (kurz: Zwischenlagerungen) ihre relativen Bewegungen zueinander ein.
Gelenk: Das am häufigsten vorkommende Zwischenlager ist das Momentengelenk (kurz:
Gelenk) in Abb. 2.21. Das Gelenk verhindert eine relative Verschiebung in beide Koordi-
natenrichtungen und damit in alle Richtungen in der Ebene. Dafür können zwei Kräfte GH
und GV in beide Koordinatenrichtungen übertragen werden. Zusätzlich ist eine gegenseitige
Verdrehung der beiden angeschlossenen Teilkörper möglich. Damit kann kein Moment über-
tragen werden (Erklärung im nachfolgenden Abschnitt 5.3). Bezeichnen wir in Ergänzung
zur Anzahl der Lagerreaktionen r die Anzahl der Zwischenreaktionen mit z, so gilt hier
z = 2.

a) b) c) d) e)
Δϕ
GH GH

GV GV

Abb. 2.21. Gelenk: a) Reales System, b) Symbol, c) Verdrehung Δϕ, d) Reaktionskräfte GV , GH

In Tabelle 2.3 sind außer für das Gelenk Lagerbezeichnungen, Lagersymbole, Frei-
heitsgrade und Zwischenreaktionen für weitere Zwischenlager zusammengefasst: Das Nor-
malkraftgelenk verhindert sowohl eine gegenseitige Verdrehung der beiden angeschlossenen
Teilkörper als auch eine gegenseitige Querverschiebung. Damit werden eine senkrecht zur
Stabachse auftretende GV und ein Moment M übertragen, so dass die Anzahl der Zwi-
schenreaktionen z = 2 ist. Das Querkraftgelenk (Parallelführung) verhindert sowohl eine
gegenseitige Verdrehung der beiden angeschlossenen Teilkörper als auch eine gegenseitige
Transversalverschiebung. Damit wird eine horizontale Kraft GH und ein Moment M über-
tragen, so dass hier z = 2 gilt. Beim Pendelstab ist die relative Verschiebung in Richtung des
34 2 Grundbegriffe

Bezeichnung Symbol Freiheitsgrade Zwischenreaktionen f z

Δϕ
(Momenten-) GH GH
Gelenk 1 2
GV GV

Δu
M M
Normalkraft- 1 2
gelenk
GV GV

M M
Querkraft- 1 2
gelenk Δv GH GH

Δϕ
Pendelstab Δv GH GH
2 1

M M
vollständige GV GV 0 3
Verbindung
GH GH

f +z = 3

Tabelle 2.3. Lagerbezeichnungen, Lagersymbole, Freiheitsgrade und Zwischenreaktionen für ebene Systeme

Stabes behindert. Dadurch entsteht eine Kraft S in seiner Längsrichtung, und es gilt z = 1.
Die vollständige Verbindung in Tabelle 2.3 überträgt alle drei Bewegungen u, v und ϕ, so
dass z = 3 gilt. Damit entstehen drei Zwischenreaktionen GH , GV sowie M .
Wir bemerken noch, dass die Gleichheit der horizontalen und vertikalen Kräfte GH und
GV sowie des Momentes M an jeweils zwei gegenüberliegenden Schnittufern in Tabelle 2.3
aus dem Wechselwirkungsaxiom („actio gleich reactio“) folgt, worauf wir im nachfolgenden
Abschnitt 3.2 eingehen werden.
2.4 Lager- und Reaktionskräfte 35

2.4.5 Aufgaben zu Abschnitt 2.4


Aufgabe 2.9 (SG = 1, BZ = 10 min)
Geben Sie, bezogen auf das angegebene Koordinatensystem, für die drei Beispiele, 1. CD-
Laufwerk, 2. Tür und 3. Handbrause einer Dusche, jeweils die kinematischen Bindungen und
die Freiheitsgrade an.

z y
z
y
z y x
x
x

Aufgabe 2.10 (SG = 1, BZ = 10 min)


Geben Sie, bezogen auf das angegebene Koordinatensystem, für die drei Beispiele, 1. Kolben
eines Verbrennungsmotors, 2. Tragflügel eines Flugzeuges und 3. Balkon eines Wohnhauses,
jeweils die kinematischen Bindungen und die Freiheitsgrade an.

z
y
x z
y
x z y

Aufgabe 2.11 (SG = 1, BZ = 5 min)


Geben Sie, bezogen auf das angegebene Koordinatensystem, für die zwei Beispiele, 1. Ge-
lenk einer Stehlampe, 2. Kadangelenk in einer Mühle jeweils die kinematischen Zwischen-
bindungen und die Freiheitsgrade an.

z
y
z
x y

x
Aufbau eines Bogens aus Kunststoffbausteinen im Technik Museum, Phaeno, Wolfsburg.

Viadukt Eisenbahnbrücke bei Altenbeken in Nordrhein-Westfalen

„Die Natur zu überlisten” war in der klassischen Antike ein Grundsatz bei der Erfindung und Konstruktion von
Räder- und Hebewerken, Kriegsgeräten und Bauwerken. Nach dem heutigen Stand der Technik gründet sich die
Mechanik auf Axiome. Dieses sind Naturgesetze, die aus Experimenten oder aus der Beobachtung und Analyse
von Naturerscheinungen abgeleitet werden. Sie spielen in der Statik bei der Untersuchung ruhender Körper eine
wichtige Rolle. Auf der Grundlage dieser Gesetzmäßigkeiten ist es z.B. möglich, das Gleichgewicht für den
Bogen aus Kunststoffbausteinen und die Bogenbrücke in den Abbildungen mit Hilfe mathematischer Methoden
zu erklären – ohne „die Natur überlisten” zu müssen.
3
Axiome, Gesetze und Idealisierungen

Das vorliegende Kapitel stellt drei grundlegende Axiome der Mechanik vor: 1. Das Gleichge-
wichtsaxiom zweier Kräfte am Starrkörper, 2. das Wechselwirkungsaxiom und 3. das Axiom
vom Kräfteparallelogramm. Wir zeigen, wie mit dem ersten Axiom das Verschiebungsgesetz
für eine Kraft am Starrkörper und das Wechselwirkungsgesetz für Nahkräfte begründet wer-
den. Mit den Axiomen und den daraus abgeleiteten Gesetzen werden anschließend einige
Regeln zur Berechnung idealisierter Körper aufgestellt.

3.1 Das Gleichgewichtsaxiom zweier Kräfte am Starrkörper


Für die in Abb. 3.1 dargestellte Kiste soll die Wirkung einer Kräftegruppe untersucht werden.
Dabei spielt der Begriff Gleichgewicht eine wichtige Rolle, den wir zunächst wie folgt fest-
legen: Ein ursprünglich ruhender Körper ist im Gleichgewicht, wenn er unter der Wirkung
einer Kräftegruppe weiter in Ruhe bleibt. Da für allgemeine Kräftegruppen eine Bedingung
für Gleichgewicht nicht unmittelbar erkennbar ist, konzentrieren wir uns in Abb. 3.1 auf
den Fall mit zwei Kräften und beurteilen Gleichgewicht axiomatisch. Dabei sehen wir ein
Axiom als ein Naturgesetz an, das nicht beweisbar ist, sondern aus Experimenten oder aus
der Beobachtung und Analyse von Naturerscheinungen abgeleitet wird. Es kann also nicht
vereinfacht oder durch andere Gesetze oder Axiome erklärt werden. Die Erfahrung bestätigt

Das Gleichgewichtsaxiom zweier Kräfte (Varignon 1685)


Ein Starrkörper ist unter der Wirkung von zwei Kräften
dann und nur dann im Gleichgewicht, wenn die Kräfte (3.1)
1. entgegengesetzt gerichtet
2. gleich groß sind und
Pierre Varignon
3. auf der gleichen Wirkungslinie liegen. (1654 -1722)

F, F -F, F
F, F -F, F
w

Abb. 3.1. Das Gleichgewichtsaxiom: Gleichgewicht von zwei Kräften am Starrkörper

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
38 3 Axiome, Gesetze und Idealisierungen

Bemerkungen 3.1
1. Da die Gestalt des Körpers in Axiom (3.1) keinen Einfluss hat, ist es grundsätzlich ausrei-
chend, nur die Kräfte zu betrachten und sich den starren Körper hinzuzudenken. Statt der
Aussage „Ein Starrkörper ist unter der Wirkung von zwei Kräften im Gleichgewicht”,
kann man dann auch die (nicht ganz korrekte) Aussage „Zwei Kräfte sind im Gleichge-
wicht“ verwenden, vgl. z.B. [8].
2. Wir bezeichnen zwei Kräfte, die nach dem Axiom (3.1) im Gleichgewicht sind, als
Gleichgewichtsgruppe. Damit bleibt ein ursprünglich ruhender Körper wie in Abb. 3.2.a
unter dem Einfluss einer oder mehrerer Gleichgewichtsgruppen weiterhin in Ruhe.
3. Erfüllen wie in Abb. 3.2.b zwei Kräfte nur den 1. und 2. Axiomsteil - entgegenge-
setzt gerichtet und gleich groß -, jedoch nicht den 3. Axiomsteil - auf der gleichen
Wirkungslinie, dann verdreht sich der Körper und ist somit nicht im Gleichgewicht.
4. In Abb. 3.2.c erfüllen zwei Kräfte zwar alle drei Axiomsteile. Da der Körper - die offene
Schere - jedoch nicht starr ist, bewegt er sich, so dass kein Gleichgewicht vorliegt.
5. Wir bezeichnen mit F und −F zwei Kräfte auf parallelen Wirkungslinien mit Abstand a.
Damit lassen sich die drei Axiomsteile in (3.1) durch zwei Gleichungen beschreiben:

1. R = F + (−F) = 0 2. a = 0. (3.2)

Hierbei kennzeichnet 0 den Nullvektor. Mit Gl.(3.2.1) werden der 1. und der 2. Axioms-
teil in (3.1) erfasst, und Gl.(3.2.2) erzwingt den 3. Axiomsteil.
6. Die Gleichungen (3.2) sind notwendige und hinreichende Bedingungen für Gleichgewicht
eines starren Körpers. Wie weiter in Anhang B erläutert wird, folgt mit der symbolischen
Schreibweise nach (B.1): Ein Starrkörper ist unter der Wirkung von zwei Kräften im
Gleichgewicht ⇐⇒ Die Bedingungen (3.2) sind erfüllt.
7. Auf der Grundlage des Trägheitsgesetzes von Newton aus dem Jahre 1638 kann die Aus-
sage von Axiom (3.1) erweitert werden: Eine Gleichgewichtsgruppe von zwei Kräften
erhält nicht nur den Ruhezustand eines Körpers, sondern auch einen Zustand konstanter,
geradliniger Geschwindigkeit, siehe z.B. [21]. Damit gelten die Gleichgewichtsbedin-
gungen (3.2) auch für nicht beschleunigte Körper. Z.B. sind bei dem Fallschirmspringer
im Titelbild zu Kapitel 2 Gewichts- und Luftwiderstandskraft bei konstanter Geschwin-
digkeit im Gleichgewicht. Gleichgewicht in bewegten Systemen wird z.B. in Kapitel 11
über Werkzeuge und Maschinen oder in Kapitel 13 über Gleitreibung behandelt.

a) in Ruhe F2 b) c)
Bewegung
Verdrehung
-F, F
F1 F1 w2
F F
a F, F w1
F2

Abb. 3.2. Erläuterungen zum Gleichgewichtsaxiom: a) Körper mit zwei Gleichgewichtsgruppen, b) Kräfte auf
verschiedenen Wirkungslinien, c) nichtstarrer Körper
3.1 Das Gleichgewichtsaxiom zweier Kräfte am Starrkörper 39

Mit dem Gleichgewichtsaxiom (3.1) beweisen wir

Das Verschiebungsgesetz für eine Kraft am Starrkörper


Der Angriffspunkt einer Kraft F darf auf der Wirkungslinie beliebig verschoben (3.3)
werden. An der Wirkung der Kraft auf den Starrkörper ändert sich dabei nichts.

F, F F, F -F, F F, F F, F
A B
= A B = A B

Abb. 3.3. Zum Beweis des Verschiebungsgesetzes

Zum Beweis betrachten wir in Abb. 3.3 einen starren Körper mit zwei Punkten A und B. Im
Punkt A greift eine Kraft F an, deren Richtung durch die Verbindungslinie von A nach B
festgelegt ist. Im Punkt A fügen wir die Kraft −F und im Punkt B die Kraft F hinzu. Diese
zusätzlichen Kräfte bilden nach dem Axiom (3.1) eine Gleichgewichtsgruppe, so dass sich
an der Wirkung auf den Starrkörper nichts ändert. vgl. Bemerkung 3.1.2. Andererseits bilden
auch die beiden in A angreifenden Kräfte (F, −F) nach dem Axiom (3.1) eine Gleichge-
wichtsgruppe, die entfernt werden kann, ohne die Wirkung auf den Starrkörper zu ändern.
Damit verbleibt die Kraft F im Punkt B, womit das Verschiebungsgesetz (3.3) bewiesen ist.
Wegen des Verschiebungsgesetzes (3.3) ist eine Beschränkung auf punktgebundene Kraft-
vektoren nach Definition (2.4) für Starrkörper nicht erforderlich. Wir formulieren daher die

Definition Kraftvektor in der Starrkörperstatik


Die Einzelkraft ist ein liniengebundener Vektor. Ihre Bestimmungsstücke sind
1. der Betrag (die Größe) (3.4)
2. die Wirkungslinie
3. der Richtungssinn.

Bemerkungen 3.2
1. Wird wie in Abb. 3.4 die Kraft F w2
in eine parallele Wirkungslinie
F w1
verschoben, dann ändert sich
auch die Wirkung auf den Star-
rkörper.
2. Ein liniengebundener Vektor ist
Abb. 3.4. Parallelverschiebung einer Kraft
in Abb. C.1 in Anhang C erklärt.
3. Treten bei einem Körper infolge der Belastung vergleichsweise große Deformationen
auf, dann ist die Annahme eines Starrkörpers nach Definition (2.8) nicht mehr gültig.
Da somit eine wesentliche Voraussetzung des Verschiebungsgesetzes (3.3) verletzt ist,
ist auch eine Verschiebung der Kraft auf ihrer Wirkungslinie nicht mehr in jedem Fall
möglich.
40 3 Axiome, Gesetze und Idealisierungen

Z.B. können sich bei dem Rah- F3 F3


F2 F2
men in Abb. 3.5 die Lagen der w1 w1
F1F F1
Wirkungslinien infolge der Defor-
mationen erheblich verändern. Sich
w2 w2
daraus ergebende zusätzliche Be- w3 w1 w3
lastungen sind ggf. mit einer soge-
nannten Theorie 2. Ordnung zu be-
rücksichtigen, was jedoch nicht In-
halt dieses Buches ist. Abb. 3.5. Änderungen der Wirkungslinien von Kräften

3.2 Wechselwirkung zwischen zwei Kräften: Gesetz und Axiom


Wir untersuchen im Folgenden paarweise auftretende Kräfte – und werden dabei auch auf den
Unterschied zwischen einem Gesetz und einem Axiom eingehen. Dazu betrachten wir als ers-
tes Beispiel in Abb. 3.6.a eine Person, die zwei Bälle A und B durch Aufbringen einer Kraft
F gegen eine Wand drückt, so dass beide Bälle in Ruhe sind. Mit dem Eulerschen Schnitt-
prinzip wird in Abb. 3.6.b die Kraft W zwischen Ball B und der Wand sichtbar gemacht.
Wegen der Ruhelage liegt Gleichgewicht vor, so dass nach Axiom (3.1) die Kräfte F und
W entgegengesetzt gleich groß sind und auf der gleichen Wirkungslinie liegen. In Abb. 3.6.c
werden mit einem weiteren Schnitt zwischen Ball A und Ball B die Schnittkräfte SA und SB
sichtbar gemacht. Für die beiden in Ruhe befindlichen Bälle erhalten wir durch zweimalige
Anwendung von Axiom (3.1), dass sowohl die Kräfte F und SA als auch die Kräfte SB und
W jeweils entgegengesetzt gleich groß sind und auf der gleichen Wirkungslinie liegen. Da
auch W und F diese Eigenschaften haben, gilt zusammenfassend für SA und SB
Das Wechselwirkungsgesetz für Schnittkräfte
1. Schnittkräfte treten an den beiden Schnittufern zwischen zwei Körpern oder
im Innern eines Körpers immer paarweise auf. (3.5)
2. Deren Beträge sind gleich groß,
3. deren Richtungen sind entgegengesetzt, und
4. sie liegen auf der gleichen Wirkungslinie.

a) Bälle in Ruhelage
b) Kraft wirkt von Kraft wirkt von c)
Hand auf Ball A Wand auf Ball B
F F W=F F SA=F SB=F W=F

A B A Schnitt B A B
Schnitt

Abb. 3.6. Zur Herleitung des Wechselwirkungsgesetzes (actio gleich reactio) für Nahkräfte

Wir können das Wechselwirkungsgesetz (3.5) auf die paarweise auftretenden Schnittkräf-
te einer ruhenden Brücke in Abb. 3.7.a anwenden: Damit sind die auf den Aufbau der Brücke
aufwärts gerichteten Lagerkräfte AV , BV gleich den auf die Fundamente abwärts gerichteten
Kräften. Ebenso sind die am linken Lager auftretenden horizontalen Schnittkräfte AH entge-
gengesetzt gleich groß.
3.3 Das Axiom vom Kräfteparallelogramm 41

a) G b)
AH F
AV BV
AV AH BV F

Abb. 3.7. Wechselwirkung zwischen zwei Kräften: a) Schnittkräfte (Nahkräfte) an einer Brücke, b) Gravitations-
kräfte (Fernkräfte) zwischen zwei Planeten

Bezeichnen wir Kräfte in der Berührfläche von zwei Körpern auch als Nahkräfte, dann
sind im Gegensatz dazu die zwei Gravitationskräfte zwischen zwei Planeten in Abb. 3.7.b
Fernkräfte. Für diese Kräfte ist es nicht möglich, die Wechselwirkung durch Anwendung der
bisher eingeführten Axiome und Gesetze zu begründen. Jedoch bestätigt die Erfahrung

Das Wechselwirkungsaxiom („actio gleich reactio”)


(Newton 1687)
(3.6)
Die Kräfte, die zwei Körper aufeinander ausüben, sind gleich
groß, entgegengesetzt gerichtet und liegen auf der gleichen
Wirkungslinie. Sir Isaac Newton
(1642-1727)

Das Wechselwirkungsgesetz (3.5) ist somit ein Sonderfall des Wechselwirkungsaxioms (3.6).

3.3 Das Axiom vom Kräfteparallelogramm


In Abb. 3.8.a greifen zwei Kräfte an einer Kiste an, die wir als Starrkörper idealisieren. Damit
können nach dem Verschiebungsgesetz (3.3) beide Kräfte bis in den gemeinsamen Schnitt-
punkt S verschoben werden. Die Erfahrung bestätigt

Das Axiom vom Kräfteparallelogramm (Stevin 1586)


Die Wirkung zweier an einem Punkt S angreifender Kräfte F1
und F2 ist statisch äquivalent der Wirkung einer Einzelkraft R (3.7)
(Kraftresultierende, kurz: Resultierende) mit Angriffspunkt S.
Deren Größe und Richtung sind durch die Diagonale des von
beiden Kräften aufgespannten Parallelogramms bestimmt. Simon Stevin
(1548- 1620)

Während das Gleichgewichtsaxiom (3.1) für den gesamten Starrköper gilt, bezieht sich das
Axiom (3.7) lediglich auf einen Punkt des Starrkörpers. Für die zeichnerische Ermittlung
der Resultierenden gibt es zwei Darstellungsmöglichkeiten: 1. den Lageplan und 2. den
Kräfteplan.
42 3 Axiome, Gesetze und Idealisierungen

a) Lageplan (LP) b) Kräfteplan (KP) c)

Q F2 cos α
180 0- α α 180 0- α B
α F2
F1 F1 E
w2 P E γ
β β R
α γ R A R A F1
S α
w1 F2 T F2
C
180 0-α F cos α
1

Abb. 3.8. Das Axiom vom Kräfteparallelogramm: Bestimmung der Resultierenden mit a) dem Kräfteparal-
lelogramm im Lageplan (LP), b) dem Kräftedreieck im Kräfteplan (KP). c) Zweites Kräftedreieck

Bezugnehmend auf Abb. 3.8.a gelten die


Regeln zum Kräfteparallelogramm im Lageplan (LP)
1. In dem Lageplan werden die Kräfte in ihrer geometrisch richtigen Lage
dargestellt.
2. Die Resultierende R ist die Diagonale in dem von F1 und F2 aufgespannten (3.8)
Parallelogramm.
3. Ihre Wirkungslinie verläuft durch den Schnittpunkt der Wirkungslinien von
F1 und F2 .
Alternativ können wir wie in Abb. 3.8.b die Resultierende R auch durch Vektoraddition
(oder: geometrische Addition) der Vektoren F1 und F2 in einem Kräfteplan (KP) erhalten.
Unter Verwendung eines Kräftemaßstabes (KM), z.B. 1 cm = ˆ 1 N, werden dazu ausgehend
von einem beliebigen Punkt A die Vektoren F1 und F2 vom Lageplan in den Kräfteplan über-
tragen und als Kräftepolygon aneinandergefügt. Durch Verbinden von A mit dem Endpunkt
E der Kraft F2 erhält man die Resultierende R. In dem so entstehenden Dreieck weist der
Richtungssinn von R dem durch die Vektoren F1 und F2 gegebenen Umlaufsinn entgegen.
In Abb. 3.8.c werden ausgehend von A zuerst F2 und dann F1 eingetragen. Da der gleiche
Endpunkt E erhalten wird, spielt die Reihenfolge der Summanden bei der geometrischen Ad-
dition also keine Rolle, d.h. es gilt das Kommutativgesetz der Vektorrechnung, vgl. Gl.(C.1.2)
in Anhang C. Das Ergebnis für die Resultierende R wird abschließend in den Lageplan über-
tragen. Bezugnehmend auf Abb. 3.8 gelten somit die

Regeln zum Kräftedreieck im Kräfteplan (KP)


1. In dem Kräfteplan werden die Kräfte in einem Polygonzug dargestellt.
2. Die Resultierende ist die vektorielle Summe, vgl. Abb. 3.8.b und c:
R = F1 + F2 = F2 + F1 .
3. Dabei spielt die Reihenfolge der Summanden keine Rolle, d.h. die Resul- (3.9)
tierende ist die Verbindungslinie vom Anfangspunkt A des zuerst gezeich-
neten Vektors zum Endpunkt E des zuletzt gezeichneten Vektors.
4. Bei dem Übertragen der Resultierenden vom Kräfteplan (KP) in den Lage-
plan (LP) verläuft deren Wirkungslinie durch den Schnittpunkt der Wir-
kungslinien von F1 und F2 .
3.3 Das Axiom vom Kräfteparallelogramm 43

Grafo-analytische Berechnung der Resultierenden: Eine höhere Genauigkeit als mit dem
zeichnerischen Verfahren wird grafo-analytisch (zeichnerisch und rechnerisch) erhalten. Zur
Berechnung des Betrages R = |R| der Resultierenden R wenden wir mit dem Winkel α, den
F1 und F2 in Abb. 3.8.a einschließen, den Kosinussatz der ebenen Trigonometrie an. Aus
dem Dreieck SP Q in Abb. 3.8.a folgt wegen cos(180o − α) = − cos α:
 
R = F12 + F22 − 2F1 F2 cos(180o − α) = F12 + F22 + 2F1 F2 cos α, (3.10)
wobei F1 und F2 die Beträge der beiden Kräfte sind. Die Wurzel ist stets positiv zu nehmen.
Die Richtung von R wird wahlweise durch die Winkel β oder γ festgelegt. Mit dem
Sinussatz gilt für die Dreiecke SP Q und SP T in Abb. 3.8.a wegen sin(180 − α) = sin α:
F2 sin α F1 sin α
1. sin β = 2. sin γ = , (3.11)
R R
wobei R nach Gl.(3.10) einzusetzen ist. Da α nur Werte zwischen 0o und 180o annimmt,
ist sin α ≥ 0. Damit folgt aus Gl.(3.11.1) stets sin β ≥ 0, womit jedoch nicht unmittelbar
erkennbar wird, ob β spitz (im ersten Quadranten) oder stumpf (im zweiten Quadranten) ist.
Diese Überprüfung gelingt durch Fallunterscheidung: Für α ≤ 900 sind wegen α = β + γ
beide Winkel β und γ auf jeden Fall spitz. Für α > 90o bestimmt man beide Winkel aus den
Dreiecken AEB in Abb. 3.8.b bzw. AEC in Abb. 3.8.c mit den Beziehungen
F1 + F2 cos α F2 + F1 cos α
1. cos β = 2. cos γ = . (3.12)
R R
Ist cos β (bzw. cos γ) positiv, dann ist β (bzw. γ) spitz (im ersten Quadranten), sonst stumpf
(im zweiten Quadranten).

 Beispiel 3.1 Zwei Kräfte an einer Ringschraube

An einer Ringschraube wirken zwei Kräfte F1 , F2 ,


die den Winkel α miteinander einschließen. Ermit-
teln Sie a) zeichnerisch und b) rechnerisch die Re-
F2
sultierende R sowie deren Richtungswinkel β.
R α
Bekannt: F1 = 20 N, F2 = 50 N, α = 140o . β
Lösung: a) Die zeichnerische Lösung erhält man F1
mit dem Kräfteparallelogramm direkt in dem Lage-
plan in Abb. 3.9. Damit folgen der Betrag R ≈ 37 N
Abb. 3.9. Kräfte an einer Ringschraube
und der Richtungswinkel β ≈ 120o .
b) Für die rechnerische Lösung bestimmt man nach Gl.(3.10) mit cos α = cos 140o = −0, 766
den Betrag der Resultierenden:
 
R = F12 + F22 + 2F1 F2 cos α = 202 + 502 − 2 · 20 · 50 · 0, 766 = 36, 98N.
Wegen α > 90o wird der Richtungswinkel von R zweckmäßig mit Gl.(3.12.1) bestimmt:
F1 + F2 cos α 20 + 50 · (−0, 766)
cos β = = = −0, 498.
R 36, 98
Damit ergibt sich β = 119, 66o , d.h. der Winkel β liegt im zweiten Quadranten. 
44 3 Axiome, Gesetze und Idealisierungen

3.4 Gleichgewicht verschiedenartiger Kräfte


1 Wie das Beispiel 2.1 zeigt, ist die a) b) c)
Gewichtskraft eine physikalische Größe, F F F
die mit der Definition (2.2) für einen
fallenden Körper berechenbar ist. In
Abb. 3.10 wird ein Körper mit einer
Gewichtskraft G durch drei andere
Kräftearten gehalten, so dass er in Ruhe
ist. Dieses gelingt a) mit der Federkraft,
b) mit der Muskelkraft und c) mit der
Magnetkraft. Damit gibt es verschiedene G G G
Kräftearten, die nach dem Axiom (3.1)
Abb.3.10. Gleichgewicht einer Gewichtskraft G mit
miteinander ins Gleichgewicht gebracht
a) Federkraft, b) Muskelkraft, c) Magnetkraft
werden können. Weitere Beispiele für
Kräfte sind elektrische Kraft, Dampf-, Feder- oder Zentrifugalkraft. Führt man von den ver-
schiedenen Kräften die Gewichtskraft als Referenzgröße ein, erhält man folgende

Regel zu Kräften: Jede physikalische Größe, die mit der Gewichtskraft ins (3.13)
Gleichgewicht gebracht werden kann, ist eine Kraft nach Definition 2.4.

Im Folgenden wollen wir kurz auf einige Kräftearten eingehen, die aus der Schule bekannt
sind, siehe z.B. [14], und in der Technik eine wichtige Rolle spielen:
1. die Gravitationskraft
2. die Coulombsche Kraft für elektrische Ladungen
3. die Magnetkraft auf einen stromdurchflossenen Leiter
4. die Federkraft.

3.4.1 Das Gravitationsgesetz von Newton für zwei Massen

Angeregt durch die Keplerschen Gesetze m1


stellte Newton nach intensiven Beobachtun- F1, F
gen des Erdmondes fest, dass die gleiche
F2, F e
Kraft, die für den Fall eines Körpers auf die
Erdoberfläche verantwortlich ist - nämlich die
Erdgravitation -, auch den Mond auf seiner
Umlaufbahn hält. Der Legende nach kam ihm r
m2
diese Erkenntnis beim Anblick eines fallen-
den Apfels vom Baum, was historisch jedoch
Abb.3.11. Gravitationskraft zwischen zwei Körpern
nicht belegt ist.
Nach dem Gravitationsgesetz von Newton gibt es zwischen zwei Körpern mit den Massen
m1 und m2 und dem Abstand r eine anziehende Kraft F , die Gravitationskraft:
1
Dieser Abschnitt dient im Wesentlichen dem Verständnis verschiedener Kräftearten und ist nicht Vorausset-
zung für die Bearbeitung der nachfolgenden Kapitel.
3.4 Gleichgewicht verschiedenartiger Kräfte 45

1. Deren Betrag ist

m1 m2 m3
1. F = Γ , wobei 2. Γ = 6.6742 · 10−11 . (3.14)
r2 kg s2

Damit ist F proportional dem Produkt beider Massen m1 und m2 (in kg) und umgekehrt
proportional zum Quadrat ihres Abstandes r (in m). Γ = ist die universelle Gravitations-
konstante.
2. Die Gravitationskraft tritt paarweise für beide Körper auf. Der Angriffspunkt jeder Kraft
ist der jeweilige Schwerpunkt des Körpers.
3. Die Richtung jeder Kraft verläuft vom Schwerpunkt des eigenen Körpers zum Schwer-
punkt des gegenüberliegenden Körpers.
4. Mit dem von m1 auf m2 gerichteten Einheitsvektor e werden in einer vektoriellen
Schreibweise die Richtungen beider Kräfte erfasst:
m1 m2
F1 = F e = Γ e = −F2 . (3.15)
r2

Da die beiden Kräfte entgegengesetzt gleich groß sind, ist das Gravitationsgesetz ein Beispiel
für das Wechselwirkungsaxiom (3.6).

 Beispiel 3.2 Die Gravitationskraft zwischen zwei Körpern

Gegeben sind zwei Massen m1 = m2 = m = 1000 kg mit dem Abstand r=10 cm.
1. Bestimmen Sie den Betrag der Gravitationskraft.
2. Vergleichen Sie die Gravitationskraft mit der Gewichtskraft.

Lösung: 1. Aus dem Gravitationsgesetz (3.14) folgt für den Betrag der Gravitationskraft
3 3 3 2
m1 m2 −11 m 1, 0 · 10 · 1, 0 · 10 kg
F=Γ = 6, 6742 · 10 = 6, 67 · 10−3 N.
r2 kg s2 (0, 1)2 m2

2. Das Verhältnis von Gewichtskraft G = mg = 9810N und Gravitationskraft F ist


G 9810N
= = 1.47 · 106 .
F 6, 67 · 10−3 N
Somit sind Gravitationskräfte für Massen der hier betrachteten Größenordnung vernachläs-
sigbar klein. 

3.4.2 Das Coulombsche Gesetz für zwei elektrische Ladungen

Durch Versuche mit einer Torsionswaage stellte Charles Augustin de Coulomb (1736-1806)
im Jahr 1785 fest, dass zwischen zwei Kugeln mit den elektrischen Ladungen Q1 und Q2
eine Kraft auftritt, die entgegengesetzt gleich groß auf beide Ladungen wirkt.
46 3 Axiome, Gesetze und Idealisierungen

1. Deren Betrag ist


1 Q1 Q2
1. F = , wobei
4πε0 r 2 (3.16)
e
2.
0 = 8, 8542 · 10−12 C/(Vm). F1, F
Q2< 0
Damit ist F proportional dem Produkt F2, F
Q1< 0
beider Ladungen Q1 und Q2 (in C) und
umgekehrt proportional zum Quadrat
ihres Abstandes r (in m). ε0 ist die elek- Abb.3.11. Coulombsche Kraft zwischen zwei Ladungen
trische Feldkonstante.
2. Die Coulombsche Kraft tritt paarweise für beide Kugeln auf. Der Angriffspunkt jeder
Kraft ist das jeweilige Zentrum der Ladung.
3. Haben beide Ladungen ungleiche Vorzeichen, so ziehen sich die geladenen Körper an.
Die Richtung jeder Kraft ist somit vom Zentrum der eigenen Ladung zum Zentrum der
gegenüberliegenden Ladung. Haben beide Ladungen gleiche Vorzeichen, so stoßen sich
die geladenen Körper ab, und der Richtungssinn der Kräfte kehrt sich um.
4. Mit dem von Q1 auf Q2 gerichteten Einheitsvektor e werden in einer vektoriellen
Schreibweise die Richtungen beider Kräfte erfasst:
1 Q1 Q2
F1 = −F e = − e = −F2 . (3.17)
4πε0 r 2

Hierbei gehen die Ladungen Q1 und Q2 mit Vorzeichen in die Gleichung ein.
Das Coulombsche Gesetz (3.16) hat die gleiche mathematische Struktur wie das Gravita-
tionsgesetz (3.14) und ist ein weiteres Beispiel für das Wechselwirkungsaxiom (3.6).

 Beispiel 3.3 Das Coulombsche Gesetz zwischen zwei Ladungen (aus [14])

Der Abstand zwischen Proton (mp =1, 7 · 10−27 kg) und Elektron (me =9, 1 · 10−31 kg) im
Wasserstoffatom ist d = 10−10 . Beide Ladungen sind positiv mit Q = 1, 6 · 10−19 C.
1. Bestimmen Sie den Betrag der Coulombschen Kraft.
2. Vergleichen Sie die Coulombsche Kraft mit der Gravitationskraft.
Lösung: a) Aus (3.16) folgt für den Betrag der Coulombschen Kraft

1 Q1 Q2 1 Nm2 1, 6 · 10−19 · 1, 6 · 10−19 C2


F= = = 2, 30 · 10−8 N.
4π ε0 r 2 4π 8, 8542 · 10−12 C2 (1 · 10−10 )2 m2

b) Mit der Gravitationskraft


3 −27 · 9, 1 · 10−31 kg2
m1 m2 −11 m 1, 7 · 10
G=Γ = 6, 6742 · 10 = 1, 032 · 10−47 N
r2 kg s2 (1 · 10−10 )2 m2

ist das Verhältnis zur Coulombschen Kraft G/F = 1, 032·10−47 / 2, 30·10−8 = 4, 49·10−40 .
Somit sind Gravitationskräfte für dieses Beispiel vernachlässigbar klein. 
3.4 Gleichgewicht verschiedenartiger Kräfte 47

3.4.3 Kräfte auf stromdurchflossene Leiter im magnetischen Feld

In Abb. 3.13.a ist ein zylindrischer Metallstab auf zwei Schienen dargestellt [14]. Durch An-
legen einer elektrischen Spannung fließt ein elektrischer Strom I durch den Stab. Außerdem
befindet sich der Stab in dem magnetischen Feld eines Hufeisenmagneten. Man beobachtet,
dass der Stab zu rollen beginnt. Dreht man den Hufeisenmagneten um (Abb. 3.13.b) oder
polt man den Strom um (Abb. 3.13.c), so rollt der Stab in die entgegengesetzte Richtung. Die
einsetzende Bewegung des Stabes ist nach der Erklärung (2.1) von Newton ein Hinweis auf
eine Kraftwirkung. Auf Grund der Versuchsaufbauten in Abb. 3.13 ist diese sowohl senkrecht
zum Stromleiter als auch senkrecht zur Richtung des Magnetfeldes gerichtet.

a) b) c)
N S B N

I I
_ _ +
F
S F S
+ l N + _F
B I
B
Abb. 3.13. Stromdurchflossener Stab im Magnetfeld: Die Richtung der Kraft ist sowohl senkrecht zur Richtung
des Stroms als auch senkrecht zur Richtung der magnetischen Feldlinien.

Im allgemeinen Fall haben das Magnet-


feld und die Stromrichtung einen Winkel F B
α zueinander. Dann ist der Kraftvektor als
.
Kreuzprodukt darstellbar (siehe die Gleichun- . α
gen (C.6) in Anhang C):
I
1. F = l I × B
(3.18) Abb.3.14. Zusammenhang zwischen Stromstärke I,
2. F = lIB sin α. magnetischer Feldstärke B und Kraft F
Hierbei gilt:
1. l ist die Länge, durch die der elektrische Strom fließt und sich gleichzeitig in dem mag-
netischen Feld befindet.
2. B ist der Vektor der magnetischen Feldstärke. Die Einheit von B ist Tesla: [B] = N/ (Am)
= T (nach Nicola Tesla, 1856-1943).
3. I ist der Vektor der elektrischen Stromstärke. Diese ist ein Maß für die pro Zeiteineinheit
geflossene Ladung. Deren Einheit ist Ampere: [I] = C/s = A (nach André Marie Ampère,
1775-1836).
4. α ist der Winkel, den die Vektoren B und I in Abb. 3.14 bilden.
5. Die Vektoren I, B, F in Abb. 3.14 bilden nach der „Rechte-Hand-Regel” ein Rechtssys-
tem, vgl. Abb. C.2.d.
48 3 Axiome, Gesetze und Idealisierungen

 Beispiel 3.4 Kraft auf Freileitung im Erdmagnetfeld (in Anlehnung an [14])

Die Horizontalkomponente der Feldstärke B des magnetischen Erdfeldes beträgt ungefähr


BH = 19 μT. Die Strommasten einer Freileitung haben den Abstand a = 150 m, der Strom in
der Freileitung beträgt I=100 A. Die Freileitung besteht aus sieben Stromkabeln, die jeweils
den Radius r= 4 cm haben. Die Dichte des Materials ist γ = 70 kN/m3 .
1. Berechnen Sie die Magnetkraft auf eine in Ost-West-Richtung verlaufende Freileitung.
2. Vergleichen Sie die Magnetkraft mit dem Eigengewicht je Stromleitung.
Hinweise: Die Längenänderung infolge „Durchhängen” der Stromkabel wird vernachlässigt.
Ebenso wird die Neigung des Erdmagneten gegenüber der Erdachse in Abb. 3.15.b vernach-
lässigt.

a) b)
Rotationsachse
magnetische Feldlinie
magnetische Achse
N geografischer Nordpol
S
magnetischer Südpol

magnetischer Nordpol
N

Abb. 3.15. a) Freileitung im Erdmagnetfeld, b) Neigung des Erdmagneten gegenüber der Erdachse
Lösungen:
1. Mit dem Winkel α = 90o in Abb. 3.15.c Strommasten Stromkabel
folgt aus Gl.(3.18.2) für den Betrag der Mag-
netkraft B
Iα F O
F = aIB sin α W
NmA
= 150 · 100 · 19 · 10−6 = 0, 285 N.
Am
a=150 m
Nach der „Rechte-Hand-Regel” in
Abb. C.2.d ist der Vektor F wie die Ge- Abb. 3.15.c. Richtungen von I, B und F
wichtskraft zum Erdmittelpunkt gerichtet.
2. Für das Gewicht der sieben Stromkabel G = 7V γ = 7πr 2 aγ = 7π0, 042 · 150 · 70 =
369, 5 kN ist das Verhältnis zur Magnetkraft

G 369, 5 · 103 N
= = 1, 30 · 106 .
F 0, 285 N
Somit sind Magnetkräfte für dieses Beispiel vernachlässigbar klein. 
3.4 Gleichgewicht verschiedenartiger Kräfte 49

3.4.4 Das Hookesche Gesetz für Schraubenfedern

Im Jahr 1678 entdeckte Sir Robert Hooke (1635 - 1703) einen einfachen Zusammenhang zur
Beschreibung des elastischen Verhaltens von Festkörpern. Das nach ihm benannte Hookesche
Gesetz ist eines der Fundamentalgesetze der Festkörpermechanik.
Bei der Belastung einer Schraubenfeder (kurz: Feder) in Abb. 3.16 erhält man einen line-
aren Zusammenhang zwischen dem Betrag der Kraft F und der Auslenkung Δl. Damit gibt
es eine Proportionalitätskon-
stante c, so dass a) b)
F
F =0
F = cΔl. (3.19)
l Δl c
Die Konstante c wird als Feder-
konstante bezeichnet. Für deren 1
Einheit gilt [c] = 1 N/mm. F>0 Δl

Abb.3.16. Das Hookesche Gesetz: a) Kraft auf eine Feder,


b) Kraft-Längenänderungs-Diagramm

 Beispiel 3.5 Bestimmung der Federkonstanten für das Hookesche Gesetz.

An eine an einer Decke befestigte Feder wird eine


a) b)
Kugel der Masse m gehängt. Dadurch ergibt sich in
Abb. 3.17.a eine Längenänderung der Feder um die
Strecke Δl. Bestimmen Sie die Federkonstante. g
Bekannt: m = 12 kg, Δl = 3 cm, g = 9, 81 m/s2 .
Lösung: Wir erstellen in Abb. 3.17.b ein Freikörper- F
bild mit der Federkraft F und der Gewichtskraft G. Δl
Da die Kugel in Ruhe ist, sind beide Kräfte nach dem m
Axiom (3.1) im Gleichgewicht, so dass
G
G = F.

Berechnen wir mit der Erdbeschleunigung g die Abb.3.17. Kugel an einer Feder:
Gewichtskraft nach Gl.(2.2) und die Federkraft nach a) Ausgelenkte Lage, b) Gleich-
gewicht im Freikörperbild
Gl.(3.19), erhält man

G = mg = F = cΔl.
Durch Auflösen nach der gesuchten Federkonstante ergibt sich
mg 12 · 9, 81 kg m N
c= = = 39, 24 . 
Δl 3 cm s2 cm
50 3 Axiome, Gesetze und Idealisierungen

3.5 Statisch äquivalente Kraftsysteme und Gleichgewicht von Kraftsystemen

In dem Axiom vom Kräfteparallelogramm (3.7) haben wir zwei Kräfte durch eine Resul-
tierende ersetzt, ohne die Kraftwirkung zu ändern. Ebenso kann nach dem Verschiebungs-
gesetz (3.3) - welches mit dem Gleichgewichtsaxiom (3.1) bewiesen wurde - eine Kraft an
verschiedenen Punkten entlang ihrer Wirkungslinie angreifen, ohne dass sich die Kraftwir-
kung ändert. Wir werden in den nachfolgenden Kapiteln in gleicher Weise Kraftsysteme
durch Anwendung der Axiome (3.1), (3.6) und (3.7) verändern und formulieren dazu die

Definition statisch äquivalente Kraftsysteme


Zwei Kraftsysteme sind statisch äquivalent (oder: gleichwertig), wenn sie durch (3.20)
(ggf. wiederholte) Anwendung der Axiome (3.1), (3.6) oder (3.7) ineinander
überführt werden können.

Mit Hilfe dieser Definition können wir folgendes Gesetz ableiten:

Das Gleichgewichtsgesetz für zwei Kraftsysteme


Werden in einem von zwei äquivalenten Kraftsystemen sämtliche Kraftrichtun- (3.21)
gen umgekehrt, dann sind die beiden Kraftsysteme im Gleichgewicht.

F2 -F2
F3 -F3
+ =
F1 -F1

Foto: Babylonisches Kartenhaus, Zirkus Meer, Fotograf: Gary Sperrer

Abb. 3.18. Gleichgewicht durch Addition von zwei Kraftsystemen.

Zum Beweis des Gleichgewichtsgesetzes (3.21) betrachten wir in Abb. 3.18 zwei Kraftsys-
teme, wobei sich die Kraftgruppen F1 , F2 , F3 , ... und −F1 , −F2 , −F3 , ... nur in den Vor-
zeichen unterscheiden. Nach dem Gleichgewichtsaxiom (3.1) heben sich alle Kräfte paar-
weise auf, so dass der Körper unter Wirkung von beiden Kraftsystemen nach Axiom (3.1)
im Gleichgewicht ist. Wird jetzt eines der Kraftsysteme mit den Axiomen (3.1), (3.6) oder
(3.7) in ein statisch äquivalentes Kraftsystem überführt, dann bleibt die Kräftewirkung nach
Definition (3.20) unverändert. Da beide Kraftsysteme vor der Überführung im Gleichgewicht
sind, gilt dieses auch nach der Überführung.
3.6 Anwendung der Axiome auf idealisierte Körper 51

3.6 Anwendung der Axiome auf idealisierte Körper

Für den Bau technischer Konstruktionen werden häufig Körper verwendet, die auf Grund
ihrer Beanspruchungen und ihrer einfachen Geometrie mit Hilfe von Idealisierungen in den
mechanischen Berechnungen vereinfacht werden. Einige der in der Mechanik üblichen Be-
griffe für idealisierte Körper werden im Folgenden erläutert. Damit können unter Berück-
sichtigung der Axiome und Gesetze der vorherigen Abschnitte dieses Kapitels einige Regeln
für Kräfte bei idealisierten Körpern zusammengefasst werden.
Als Beispiel betrachten wir in Abb. 3.19 einen Kran, der eine Last befördert und sich dabei
auf Rädern über einen Schienenabschnitt bewegt. Die Erklärung der Begriffe Massenpunkt,
Zweigelenkstab, Seil, Rolle und Rad erfolgt in Tabelle 3.1.
Die Gleichheit der Kräfte an den Schnitten für den Zugstab, den Druckstab in Abb. 3.19.b
und das Seil in Abb. 3.19.c folgt sofort aus dem Gleichgewichtsaxiom (3.1). Für die Rolle in
Abb. 3.19.e wird die Gleichheit der Kräfte an den Seilenden im nachfolgenden Beispiel 3.6
gezeigt. Die Kontaktkräfte K in der Berührfläche zwischen Rad und Schiene in Abb. 3.19.e
werden mit dem Schnittprinzip aus Abschnitt 2.1.5 sichtbar gemacht. Sie wirken nach dem
Wechselwirkungsgesetz (3.5) entgegengesetzt gleich groß auf beide Körper. Mit dem Axiom
vom Kräfteparallelogramm (3.7) können sie in die beiden Komponenten T und N zerlegt
werden. Hierbei wirkt die Tangentialkraft T in der Kontaktfläche, und die Normalkraft N
wirkt normal zur Kontaktfläche. Die Tangentialkraft wird z.B. durch Reibung oder einen
Rollwiderstand verursacht.

a) e)
B Druckstab
Massenpunkt
Zugstab
A
T N
Rolle b) Zugstab K
Z Z
Seil
N K T
Stabachse
Druckstab

D D
c) S Seil S

S S
Rad d)
Rolle

Abb. 3.19. Kran mit idealisierten Körpern: a) Massenpunkt, b) Zweigelenkstab (Zug und Druckstab), c) Seil,
d) Rolle, e) Rad
52 3 Axiome, Gesetze und Idealisierungen

Begriffe zu idealisierten Körpern


1. Massenpunkt: Ein Bauteil dessen Masse auf einen Punkt konzentriert wird. Diese
Vereinfachung ist z.B. für den Betonkübel in Abb. 3.19.a zulässig, da dessen Abmes-
sungen klein gegenüber den sonstigen Abmessungen des Kranes sind.
2. Stab: Ein Bauteil, dessen Querschnittsabmessungen klein gegenüber den Längsab-
messungen sind. Diese Voraussetzung gilt z.B. für den Stab AB in Abb. 3.19.
3. Stabachse: Die den Stab repräsentierende Linie. Häufig fällt sie mit einer Linie des
Stabes zusammen, auf welcher der Schwerpunkt liegt (Schwerachse).
4. Zweigelenkstab: Ein Stab, der wie in Abb. 3.19.b nur mit Zug- oder Druckkräften
belastet wird. Je nach Anwendung sind auch die Begriffe Pendelstab und Fachwerk-
stab üblich. Fachwerke werden im späteren Kapitel 10 behandelt.
5. Seil: Ein Körper mit Abmessungen wie bei einem Stab. Es kann jedoch, wie
in Abb. 3.19.c dargestellt, im Gegensatz zum Zweigelenkstab nur Zugkräfte in
Richtung seiner Längsachse aufnehmen. Weitere Körper mit diesem Verhalten
sind Drähte, Schnüre, Bänder, Fäden, Ketten und Riemen. Sie alle werden in der
Mechanik mit dem Oberbegriff Seil bezeichnet.
6. Masseloses Seil: Das Eigengewicht des Seiles wird vernachlässigt. Diese Vereinfa-
chung ist z.B. für das den Betonkübel tragende Seil in Abb. 3.19 zulässig.
7. Reibungsfreie Rolle: Ein Körper, der sich ohne Reibungswiderstände bewegt. Diese
Annahme kann z.B. für ein Rad getroffen werden.
8. Glatter Körper: Ein Körper mit einer glatten Oberfläche, die keine Reibung
überträgt. Damit verschwindet an dieser Stelle, wie bei dem Rad in Abb. 3.19.e,
die Tangentialkraft T . Reibungseffekte werden ausführlich in Kapitel 13 behandelt.

Tabelle 3.1. Begriffe zu idealisierten Körpern

 Beispiel 3.6 Gleichheit der Seilkräfte an einer Rolle

Ein masseloses Seil wird wie dargestellt über eine rei-


bungsfreie Rolle drehbar geführt. Die Rolle ist im Punkt
S1
A gelagert. Die Eigengewichte des Seiles und der Rolle
S2
werden vernachlässigt. Die Seilkraft S1 an dem einen δ A
Seilende und die Richtungswinkel δ, ε beider Seilenden ε
sind gegeben. Bestimmen Sie die Größe der Seilkraft S2
an dem anderen Ende des Seiles.
Bekannt: S1 , δ, ε.
Vorüberlegungen: Bei der Lösung beachten wir, dass
im Punkt A der Rolle in Abb. 3.20 zusätzlich eine Reak- Abb. 3.20. Seilkräfte an einer Rolle
tionskraft angreift. Das Gleichgewicht von Rolle und
Seil wird unter Beachtung der Axiome (3.1) und (3.7)
und des Verschiebungsgesetzes (3.3) hergestellt.
3.6 Anwendung der Axiome auf idealisierte Körper 53

Lösung: Wir verschieben in Abb. 3.21 die Kräfte S1 und S2 in den Schnittpunkt M . Die
Seilkraft S1 ist nach Betrag und Richtung bekannt, während von S2 nur die Richtung bekannt
ist. Von der Resultierenden R wissen wir aus Regel (3.8.3) zum Kräfteparallelogramm
zunächst nur, dass sie durch den gemeinsamen Schnittpunkt M verlaufen muss.
Durch einen Freischnitt machen wir die Reaktionskraft A sichtbar. Für Gleichgewicht
muss A nach dem Axiom (3.1) entgegengesetzt gleich groß zu R sein, d.h. nach Gl.(3.2.1)
gilt A = −R. Um auch Gl.(3.2.2) zu erfüllen, muss A durch den gemeinsamen Schnittpunkt
M verlaufen. Da A ebenso durch den Gelenkpunkt A verläuft, ist die Verbindungsstrecke
M A die Wirkungslinie wA von A und damit auch von R. Dieses ist gleichzeitig die Winkel-
halbierende des von S1 und S2 eingeschlossenen Winkels. Zeichnet man jetzt unter Berück-
sichtigung von A = −R das Kräfteparallelogramm in den Lageplan in Abb. 3.21, erhält
man S1 = S2 . Damit gilt: Bei reibungsfreier Rollenlagerung werden Seilkräfte durch die
Umlenkung nicht verändert. Wir fassen die Lösungsschritte wie folgt zusammen:
Lösungschritte:
wA
• Konstruktion des Schnittpunktes M
der Wirkungslinien von S1 und S2 .
• Konstruktion der Wirkungslinie wA A
β R
der Reaktionskraft A als Verbindungs- γ=β
S1
linie AM . A
• Zeichnen des Kräfteparallelogramms δ ε S 2 =S1
mit den Winkeln γ = β und dem M
Ergebnis S2 = S1 .

Abb. 3.21. Freischnitt der Rolle 


Das Ergebnis aus Beispiel 3.6 zur Gleichheit der Seilkräfte an einer Rolle ist auch in
Abb. 3.19.d dargestellt. Mit den bisherigen Erläuterungen zu den Darstellungen in Abb. 3.19.b
bis e und dem Ergebnis aus Beispiel 3.6 erhält man folgende

Regeln für Kräfte bei idealisierten Körpern


1. Bei einem Zweigelenkstab (oder: Fachwerkstab, Pendelstab) fällt die
Wirkungslinie der Stabkraft mit der Stabachse zusammen. Nach dem
Gleichgewichtsaxiom (3.1) sind die in Abb. 3.19.b dargestellten Kräfte Z
und D entgegengesetzt gleich groß.
2. Bei einem Seil fällt die Wirkungslinie der Seilkraft mit der Seilachse zusam- (3.22)
men. Seile können nur Kräfte auf Zug aufnehmen, so dass auch der Rich-
tungssinn und damit die Richtung der Seilkraft bekannt ist. Nach dem
Gleichgewichtsaxiom sind die in Abb. 3.19.c dargestellten Kräfte S entge-
gengesetzt gleich groß.
3. Bei glatten Oberflächen verschwindet die Tangentialkraft.
4. Bei reibungsfreien Rollen sind die Seilkräfte an beiden Enden gleich groß.

Die symbolischen Darstellungen für die Lagerarten in Abschnitt 2.4 und die Idealisierung
für den Stab aus Tabelle 3.1 werden in der Ingenieurpraxis zur vereinfachten Darstellung
54 3 Axiome, Gesetze und Idealisierungen

der realen Systeme verwendet. Als Beispiel betrachten wir in Abb. 3.22 einen Balken mit
zwei Lagern. Die Bewegung des Lagers A ist horizontal und vertikal und die des Lagers B
vertikal behindert. Als Schwerachse bezeichnen wir die Verbindungslinie der Flächenschw-
erpunkte entlang der Trägerlängsachse. Mit den Lagersymbolen in Tabelle 2.1 erhält man das
vereinfachte statische System in Abb. 3.22.b.

a) F b)
F
A B b
A B
h
S
Schwerlinie

l l
Abb. 3.22. Idealisierung eines Balkens: a) Reales System, b) statisches System

Die Begriffe Axiom, Gesetz und Idealisierung werden gelegentlich unterschiedlich inter-
pretiert. In diesem Buch unterscheiden wir

Axiome, Gesetze und Idealisierungen


1. Ein Axiom wird aus Experimenten oder aus der Beobachtung und Analyse
von Naturerscheinungen festgelegt. (3.23)
2. Ein Gesetz wird aus den Axiomen oder anderen Gesetzen abgeleitet.
3. Eine Idealisierung ist eine Vereinfachung realer physikalischer Vorgänge.

Den Begriff Regel verwenden wir, um wichtige Ergebnisse oder Erkenntnisse übersichtlich
darzustellen. Damit können weitere Ableitungen aus den Gesetzen, praktische Hinweise zur
Berechnung von Aufgaben, Zusammenfassungen usw. gemeint sein.

 Beispiel 3.7 Seilkräfte an einer Rolle

An einer reibungsfreien Rolle greifen wie in Abb. 3.23


dargestellt zwei gleich große Seilkräfte S an. Gesucht
ist die Größe und die Richtung der Resultierenden.
Bekannt: S = 10 N, δ = 50o , ε = 30o . S
S
Lösung: Wir lösen die Aufgabe mit einem grafo- δ
analytischen Verfahren. Dazu verschieben wir in ε
Abb. 3.23.b beide Seilkräfte bis in den gemeinsamen
Schnittpunkt M und zeichnen das Kräfteparallelo-
gramm. Dabei ist sofort der Zusammenhang α =
180o − δ − ε = 110o erkennbar. Da beide Seilkräfte
nach Regel (3.22.4) gleich groß sind, ist das Kräftepar-
allelogramm gleichseitig, und es gilt β = γ = α/2 = Abb. 3.23. Seilkräfte an einer Rolle
55o .
3.7 Aufgaben zu Kapitel 3 55

Aus Gl.(3.10) erhält man für den Betrag



R = S 2 + S 2 + 2SS cos α
 β R
= S 2(1 + cos α) S γ=β

= 10 2(1 + cos 110o ) = 11, 47 N. α
δ ε S
Wir können Gl.(3.12.1) noch zur Überprüfung M
des Ergebnisses für β verwenden: Abb. 3.23.b Kräfteparallelogramm
mit der Resultierenden R
S + S cos α 10 + 10 cos 110o
cos β = = = 0, 5737 =⇒ β = 55, 0o . 
R 11, 57

3.7 Aufgaben zu Kapitel 3

Aufgabe 3.1 (SG = 1, BZ = 20 min)


An einer Stahllasche sind zwei Stahlwinkel F1
angeschweißt, welche die Zugkräfte F1 , F2 F2
übertragen. Ermitteln Sie
1. zeichnerisch mit dem Kräfteparallelo-
β2 β1
gramm
2. zeichnerisch mit dem Kräftedreieck
3. grafo-analytisch
die Resultierende R sowie deren Rich-
tungswinkel β bezogen auf die Horizontale.
Bekannt: F1 =10 N, F2 = 45 N, β1 = 47o , β2 = 34o .

Aufgabe 3.2 (SG = 1, BZ = 5 min) g


Ein masseloses Seil wird wie dargestellt
über eine reibungsfreie Rolle geführt. An
γ
dem einem Ende hängt eine Kiste (mK ,
GK ), das andere Ende wird an einer
Ringschraube gehalten. Gesucht ist die
Größe und die Richtung der Resultierenden.
Bekannt: mK = 1, 2 kg, γ = 35o , g =
10 m/s2 .

mK
..
..

..
..
....

..
..
56 3 Axiome, Gesetze und Idealisierungen

Aufgabe 3.3 (SG = 2, BZ = 10 min)


Zwei Traktoren bewegen wie dargestellt F1
a
einen Baumstamm mit den Kräften F1 und
F2 . Wie groß muss der Abstand b sein, damit F2 b
die Resultierende in Richtung der Längachse
des Baumes verläuft?
Bekannt: F1 = 100 kN, F2 = 150 kN, a =
2 m.

Aufgabe 3.4 (SG = 2, BZ = 10 min)


Drei Kugeln mit den elektrischen Ladungen c
Q1 , Q2 und Q3 sind wie dargestellt ange-
ordnet. Ermitteln Sie zeichnerisch und rech- Q1 > 0
nerisch den Betrag und die Richtungswinkel
β und γ der Resultierenden R in den Glei-
chungen (3.11), die von den Kugeln 1 und 2 Q2 > 0
auf die Kugel 3 wirkt.
b
Bekannt: Ladungen Q1 = 40 μC, Q2 = 40 a Q 3< 0
μC, Q3 = 5 μC, a = 5 cm, b = 6 cm, c =
12 cm.

Aufgabe 3.5 (SG = 1, BZ = 5 min)


Ein Flugzeug der Masse m fliegt in einer
Höhe H über der Erdoberfläche. m
RE
1. Wie groß ist die Gravitationskraft zwi-
schen Flugzeug und Erde? H
2. Welches Verhältnis besteht zwischen
Gravitationskraft und Gewichtskraft? M
Bekannt: Masse des Flugzeuges m = 250 t,
H = 2000 m, Masse der Erde M = 6 · 1021 t,
Erdradius RE = 6370 km.

Aufgabe 3.6 (SG = 1, BZ = 5 min)


Erklären Sie für das Beispiel „Person mit zwei Bällen” in Abb. 3.6 die Begriffe System-
grenze, eingeprägte Kräfte, Reaktionskräfte, Schnittkräfte, äußere Kräfte, innere Kräfte,
Nahkräfte, Fernkräfte.

Aufgabe 3.7 (SG = 1, BZ = 3 min)


In welchem Verhältnis stehen elektrostatische Anziehungskraft und Gravitationskraft? Hängt
das Verhältnis vom Abstand der Teilchen ab?
3.7 Aufgaben zu Kapitel 3 57

Aufgabe 3.8 (SG = 1, BZ = 3 min)


Um die Konstante c einer Kugelschreiber-
feder zu ermitteln, wird an diese ein Schlüs-
g
selbund gehängt. Für dessen Masse wird mit
einer Lebensmittelwaage der Wert 103 g er-
halten. Für die Auslenkung der Feder wird
der Wert 1, 5 mm gemessen. Wie groß ist die
Federkonstante c?

Aufgabe 3.9 (SG = 3, BZ = 20 min)


Ein Metallstab kann sich wie dargestellt rei-
bungsfrei vertikal bewegen. Durch Anlegen
einer elektrischen Spannung fließt ein elek-
trischer Strom I durch den Stab. Außer- N + g
S
dem befindet sich der Stab in einem von N l _
nach S gerichteten magnetischen Feld der α
Stärke B.

1. Bestimmen Sie den Betrag und die Rich-


tung des Stromes, damit der Stab im
Gleichgewicht bleibt.
2. Bestimmen Sie den Betrag und die Rich-
tung des Stromes für Gleichgewicht,
wenn das magnetische Feld um die ver-
tikale Achse mit dem Winkel α gedreht
wird.
Bekannt: Radius und Länge des Stabes r = 4 mm, l = 50 mm, α = 30o , Wichte γ =
7850 kg/m3 , Magnetfeld B = 70 μT.

Aufgabe 3.10 (SG = 1, BZ = 5 min)


Ein von einem Strom I = 4 A durchflossener Leiter der Länge l = 5 cm erfährt in einem
homogenen Magnetfeld der Feldstärke B = 0, 3 T die Kraft F = 0, 04 N. Welchen Winkel
bildet der Leiter mit den magnetischen Feldlinien? (Aus [14].)

Aufgabe 3.11 (SG = 1, BZ = 5 min)


Lösen Sie die Aufgabenstellung aus Beispiel 3.7 zeichnerisch mit 1. dem Kräfteparallelo-
gramm und 2. dem Kräftedreieck.
Die Wirkungslinien von Kräften in technischen Systemen haben häufig besondere geometrische Eigenschaften.
Zum Beispiel verlaufen in der Darstellung die vertikale Aufhängung unterhalb des Flaschenzuges und die Schräg-
seile durch einen gemeinsamen Schnittpunkt. Die zugehörigen Kräfte bilden dann ein zentrales Kraftsystem in
der Ebene.
4
Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

Wir behandeln drei Grundaufgaben der Starrkörperstatik für zentrale Kraftsysteme in der
Ebene: 1. Reduktion auf eine Einzelkraft, 2. Bedingungen für Gleichgewicht und 3. Zerlegung
einer Kraft. Die Lösungen werden mit Hilfe der Axiome des vorherigen Kapitels 3 zeich-
nerisch und rechnerisch erhalten. Im Zusammenhang mit der rechnerischen Lösung wird
die Systemmatrix eingeführt, die für die Untersuchung der statischen Bestimmtheit und für
numerische Methoden besondere Bedeutung hat.

4.1 Vom realen System zum zentralen Kraftsystem


Mit Hilfe des Eulerschen Schnittprinzips aus Abschnitt 2.1.5 können wir die auftretenden
Kräfte der Lampe an zwei Ketten in Abb. 4.1.a untersuchen. Dazu umfahren wir in Abb. 4.1.a
die Lampe mit einem Stift und erhalten die Systemgrenze, wie in Abschnitt 2.1.5 beschrieben.
Ein Freischnitt macht die in den Ketten wirkenden Reaktionskräfte F1 und F2 sichtbar. Nach
Regel (3.22.2) verlaufen deren Wirkungslinien w1 und w2 entlang der Kettenlängsachsen und
schneiden sich in dem Punkt M . Da Ketten nur Zugkräfte aufnehmen, zeigt der Richtungs-
sinn nach Regel (3.22.2) jeweils vom Schnittufer weg. Die Wirkungslinie wG der Gewicht-
skraft der Lampe G verläuft in Abb. 4.1.b ebenfalls durch den Punkt M . Für den allgemeinen
Fall mit mehreren Kräften formulieren wir die

Definition zentrales Kraftsystem


Eine Kräftegruppe bildet ein zentrales Kraftsystem, wenn sich die Wir- (4.1)
kungslinien aller Kräfte in einem im Endlichen gelegenen Punkt schneiden.

a) b) w1 wG w2

F1 F2
Systemgrenze

M .
G

Abb. 4.1. Lampe unter Eigengewicht: a) Reales System, b) Freikörperbild mit zentralem Kraftsystem

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
60 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

Zentrale Kraftsysteme können mit Hilfe der Axiome und Gesetze in Kapitel 3 zeichnerisch
und rechnerisch untersucht werden. Dabei unterscheiden wir, vgl. z.B. [3, 30],
Die drei Grundaufgaben der Starrkörperstatik für zentrale Kraftsysteme
1. Reduktion auf eine Einzelkraft (4.2)
2. Bedingungen für Gleichgewicht
3. Zerlegung einer Kraft.

4.2 Zeichnerische Lösungen der drei Grundaufgaben


4.2.1 Erste Grundaufgabe: Reduktion auf eine Einzelkraft
Aufgabenstellung: In dem Lageplan (LP) in Abb. 4.2.a greifen drei Kräfte F1 , F2 , F3 auf
ihren Wirkungslinien w1 , w2 , w3 an einem starren Körper an. Diese Darstellung ist mit einem
Längenmaßstab (LM) versehen, z.B. 1 cm = ˆ 1 m. Die Wirkungslinien der Kräfte schneiden
sich in einem Punkt M , so dass nach Definition 4.1 ein zentrales Kraftsystem vorliegt. Wir
suchen den resultierenden Kraftvektor R (Kraftresultierende, kurz: Resultierende) mit den
drei Bestimmungsstücken Betrag, Wirkungslinie und Richtungssinn nach Definition (3.4).

a) LP b) KP

F2 F3 1. Teilresultierende 2. Teilresultierende
wR w3

.
R F3

M F2 F2
w1 E

1m
w1
F1

A
. R12

F1
R=R 123

1N
A
. R12

F1

Abb. 4.2. Zeichnerische Lösung zur Reduktion von Kräften: a) Lageplan (LP), b) Kräfteplan (KP)

Lösung: In Abb. 4.2.b wird ein Kräfteplan (KP) eingeführt, der mit einem Kräftemaßstab
z.B. 1 cm =
ˆ 1 N, versehen ist. Mit dem Axiom vom Kräfteparallelogramm (3.7) gelingt die
Bestimmung der Resultierenden R in drei Schritten:
1. Die Vektoren F1 und F2 werden wie in Abschnitt 3.3 beschrieben nach Betrag und Rich-
tung vom Lageplan in den Kräfteplan übertragen und dort beginnend bei einem Punkt A
als Kräftepolygon angeordnet. Durch Verbinden von A mit dem Endpunkt der Kraft F2
erhält man nach Regel (3.9.2) die erste Teilresultierende R12 . Den Betrag R12 bestimmt
man durch Messen der Länge von R12 .
2. Wir wiederholen Schritt 1 mit den Kräften R12 und F3 , indem wir an den Endpunkt
der Kraft R12 den Anfangspunkt der Kraft F3 legen. Bezeichnen wir den Endpunkt der
Kraft F3 mit E, dann legt die Verbindungslinie von A nach E die Richtung der zweiten
Teilresultierenden R123 fest, welche gleichzeitig die gesuchte Resultierende ist, d.h. R =
R123 . Deren Betrag R erhalten wir durch Messen der Länge von R.
4.2 Zeichnerische Lösungen der drei Grundaufgaben 61

3. Der Vektor R wird nach Betrag und Richtung vom Kräfteplan in den Lageplan übertra-
gen. Da ein zentrales Kraftsystem vorliegt, verläuft nach Regel (3.9.4) die Wirkungslinie
von R12 und damit auch die Wirkungslinie von R durch den Punkt M .
Wie in Gl.(3.9.2) können wir Schritt 1 mathematisch als Vektorgleichung beschreiben:

R12 = F1 + F2 . (4.3)

Die zum Schritt 2 gehörige Vektoraddition liefert unter Berücksichtigung von Gl.(4.3)
3

R = R123 = R12 + F3 = F1 + F2 + F3 = Fi . (4.4)
i=1

In dem Kräfteplan in Abb. 4.3 untersuchen wir, ob F1


die Reihenfolge bei der Summation der drei Kräfte F3
F1 , F2 , F3 einen Einfluss hat. Dazu tragen wir be- F3
E
ginnend bei A die Kräfte in der Reihenfolge F2 , E
F1 , F3 und F2 , F3 , F1 ein. Da jeweils der glei- F2 F1 F2
che Endpunkt E wie in Abb. 4.2.b erhalten wird, R R
ist auch der resultierende Kraftvektor R unverän- 1N
dert. Durch weiteres Vertauschen der Vektoren F1 , A A
F2 , F3 überzeuge sich der Leser, dass jeweils der Abb. 4.3. Kräftepolygone zu Abb. 4.2.a mit ver-
gleiche Vektor R erhalten wird. änderten Reihenfolgen der Kräfte F1 , F2 , F3

Für den Fall mit n Kräften wird Gl.(4.4) entsprechend erweitert. Zusammenfassend er-
halten wir folgende

Regeln zur Reduktion eines zentralen Kraftsystems auf eine Resultierende


1. Die Kraftresultierende (kurz: Resultierende) erhält man durch vektorielle Ad-
dition von n Kräften:

n
R = F1 + F2 + ... + Fi + ... + Fn = Fi .
i=1

Hierfür schreibt man auch abkürzend R = Fi .
2. Die Reihenfolge der Vektoren Fi , i = 1, 2, 3, ... hat keinen Einfluss auf R. (4.5)
3. Damit gilt für die zeichnerische Lösung: In dem Kräfteplan ist die Resul-
tierende R die Verbindungslinie vom Anfangspunkt A des zuerst gezeichneten
Vektors zum Endpunkt E des zuletzt gezeichneten Vektors.
4. Der Kräfteplan liefert die vektoriellen Bestimmungsstücke Betrag und Rich-
tung und damit den Richtungssinn der Resultierenden.
5. Da alle Kräfte Fi im Lageplan durch den Punkt M verlaufen, gilt: Die Wir-
kungslinie der Resultierenden verläuft im Lageplan durch den Schnittpunkt M .
6. Die Resultierende R ist den Kräften F1 , F2 , ... nach Defintion (3.20) statisch
äquivalent.
62 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

 Beispiel 4.1 Kraftsystem an einer Ringschraube

Eine Ringschraube wird durch drei Kräfte F1 , F2 , F3 belastet. Ermitteln Sie die Kraftresul-
tierende R sowie deren Richtungswinkel αR mit einer zeichnerischen Methode.
F1 = 15 N, F2 = 30 N, F3 = 82 N,
α1 = 48o , α2 = 342o , α3 = 142o .

a) LP y a) KP
R α3
F3 E
αR
F F3
α2 α1 1 R
x αR
20 N
F2 A F1 F2

Abb. 4.4. Kräfte an einer Ringschraube: a) Lageplan (LP), b) Kräfteplan (KP)

Lösung: Wir zeichnen in Abb. 4.4.b einen Kräfteplan mit dem Maßstab 1 cm = ˆ 20 N. Aus-
gehend von einem Anfangspunkt A werden die Kräfte F1 , F2 , F3 nach Größe und Richtung
zu einem Kräftepolygon mit Endpunkt E aneinandergefügt. Nach Regel (4.5.3) ist der resul-
tierende Kraftvektor R ein Pfeil von A nach E. Wir lesen R ≈ 58 N für den Betrag und αR
≈ 116, 5o für den Richtungswinkel ab. Nach Regel (4.5.5) verläuft R im Lageplan durch den
Punkt M . 

4.2.2 Zweite Grundaufgabe: Gleichgewicht


Aufgabenstellung: In dem Lageplan in Abb. 4.5.a belastet die Kräftegruppe F1 , F2 , F3 , F4
einen starren Körper. Die Wirkungslinien der Kräfte schneiden sich in einem Punkt M , so
dass ein zentrales Kraftsystem vorliegt. Gesucht ist eine Bedingung für Gleichgewicht.
a) LP b) KP
A
F2 F3 F3 F3
R12 R12 F2
F2
M
F4 R34 R34 F4
F1
A F1 E A=E F1
1m F4 1N

Abb. 4.5. Zeichnerische Lösung zum Gleichgewicht von Kräften: a) Lageplan (LP), b) Kräfteplan (KP)

Lösung: Die zeichnerische Lösung geschieht in dem Kräfteplan in Abb. 4.5.b. Wir teilen die
gesamte Kräftegruppe in zwei Kräftegruppen F1 , F2 und F3 , F4 auf. Analog zum Vorgehen
in Abb. 4.2.b werden in dem Kräfteplan in Abb. 4.5.b für beide Kräftegruppen die Resultie-
renden R12 und R34 eingezeichnet. Die zugehörigen Vektoradditionen lauten nach Gl.(3.9)
4.2 Zeichnerische Lösungen der drei Grundaufgaben 63

R12 = F1 + F2 , R34 = F3 + F4 . (4.6)


Nach dem Gleichgewichtsaxiom (3.1) sind beide Kräfte im Gleichgewicht, wenn sie entge-
gengesetzt gleich groß sind, d.h. R12 = −R34 . Die Vektoraddition (3.2.1) fordert somit
4

R = R12 + R34 = F1 + F2 + F3 + F4 = Fi = 0. (4.7)
i=1
Für die Kräfte F1 , F2 , F3 , F4 ergibt sich in der zeichnerischen Darstellung in dem Kräfteplan
in Abb. 4.5.b ein geschlossenes Kräftepolygon. Wird Gl.(4.7) für den Fall mit n Kräften
erweitert, erhält man zusammenfassend die

Regeln zum Gleichgewicht eines zentralen Kraftsystems


1. n Kräfte sind im Gleichgewicht, wenn die vektorielle Summe verschwindet:
n
R = F1 + F2 + ... + Fi + ... + Fn = Fi = 0.
i=1

Hierfür schreibt man auch abkürzend R = Fi = 0. (4.8)
2. Gl.(4.8.1) ist eine notwendige und hinreichende Bedingung für Gleichgewicht
eines zentralen Kraftsystems mit n Kräften, vgl. Anhang B.
3. Für die zeichnerische Lösung gilt: Ein zentrales Kraftsystem ist im Gleich-
gewicht, wenn das Kräftepolygon in einheitlichem Umlaufsinn geschlossen
ist. Damit muss gelten: Im Kräfteplan ist der Anfangspunkt A gleich dem
Endpunkt E. Die Merkregel dazu lautet kurz: A = E.

 Beispiel 4.2 Gleichgewicht eines Kraftsystems an einer Ringschraube

Welchen Betrag F4 und welchen Richtungswinkel α4 hat eine vierte Kraft für das Kraftsys-
tem aus Beispiel 4.1, damit Gleichgewicht vorliegt?

a) LP y a) KP
E' E ' α4
F3 α3
F2 F3 F3
F4
α2 α1
x
F1 F1
A F2 A=E F2
α4 F4 F2 20 N

Abb. 4.6. Kraftsystem im Gleichgewicht an einer Ringschraube: a) Lageplan (LP), b) Kräfteplan (KP)

Lösung: Wir übertragen zunächst das Kräftepolygon der Kräfte F1 , F2 , F3 aus Abb. 4.4.b
in den Kräfteplan in Abb. 4.6.b. Dessen Endpunkt benennen wir mit E  . Nach Regel (4.8.3)
muss das Kräftepolygon für Gleichgewicht geschlossen sein. Dazu tragen wir eine vierte
Kraft F4 als Pfeil von E  nach A ein, so dass A = E. Wir lesen F4 = 58 N für den Betrag
und α4 = 296, 5o für den Richtungswinkel ab. 
64 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

4.2.3 Praktische Berechnung von zentralen Kraftsystemen

Bei zentralen Kraftsystemen werden die folgenden Aufgabenarten unterschieden:


1. Gesucht sind die Beträge zweier Kräfte.
2. Gesucht sind die Wirkungslinien zweier Kräfte.
3. Gesucht sind der Betrag und die Wirkungslinie einer Kraft.
4. Gesucht sind der Betrag einer Kraft und die Wirkungslinie einer anderen Kraft.
Fassen wir auch den Richtungssinn von jeweils zwei Kräften als unbekannte Größen auf,
dann sind bei allen Aufgabenarten immer vier Bestimmungsstücke des Kraftsystems gesucht.
Für die ersten beiden Fälle sind die wesentlichen Lösungsschritte in Tabelle 4.1 bzw. Tabelle
4.2 zusammengefasst. Die Aufgabenarten 3 und 4 werden durch geeignete Kombinationen
der Lösungsschritte 3 in Tabelle 4.1 und Tabelle 4.2 behandelt.

Lösungsschritte für Aufgabenart 1: Gesucht sind Beträge zweier Kräfte.


1. Freikörperbild: Eintragen der Wirkungslinien aller - bekannten und unbekannten -
Kräfte in den Lageplan.
2. Kräftepolygon: Maßstäbliches Aneindanderreihen aller bekannten Kräfte im
Kräfteplan. Anfangs- und Endpunkt mit A und E  kennzeichnen.
3. Bekannte Wirkungslinien: Parallelverschiebungen aus dem Lageplan der Wir-
kungslinie der einen unbekannten Kraft in den Punkt E  und der Wirkungslinie der
anderen unbekannten Kraft in den Punkt A des Kräfteplanes.
4. Schließen des Kräftepolygons: Die Bedingung A = E und die Beibehaltung des
Umlaufsinns aus Schritt 2 legen den Richtungssinn jeder unbekannten Kraft fest.
5. Unbekannte Beträge: Entsprechend des Kräftemaßstabes aus KP ablesen.
6. Übertragen: Kräfte nach Betrag und Richtung in Lageplan übertragen.
Tabelle 4.1. Lösungsschritte für Gleichgewichtsaufgaben mit bekannten Wirkungslinien aller Kräfte

Lösungsschritte für Aufgabenart 2: Gesucht sind Wirkungslinien zweier Kräfte.


1. Freikörperbild: Eintragen der Wirkungslinien aller bekannten Kräfte in den Lage-
plan.
2. Kräftepolygon: Maßstäbliches Aneindanderreihen aller bekannten Kräfte im
Kräfteplan. Anfangs- und Endpunkt mit A und E  kennzeichnen.
3. Bekannte Beträge: Zeichnen von Kreisen mit Radius der einen unbekannten Kraft
um den Mittelpunkt E  und mit Radius der anderen unbekannten Kraft um den Mit-
telpunkt A.
4. Schließen des Kräftepolygons: Die Bedingung A = E und die Beibehaltung des
Umlaufsinns aus Schritt 2 legen den Richtungssinn jeder unbekannten Kraft fest.
5. Unbekannte Wirkungslinien: Richtungswinkel aus KP ablesen.
6. Übertragen: Richtungssinn und Wirkungslinien der Kräfte in Lageplan übertragen.

Tabelle 4.2. Lösungsschritte für Gleichgewichtsaufgaben mit bekannten Beträgen aller Kräfte
4.2 Zeichnerische Lösungen der drei Grundaufgaben 65

 Beispiel 4.3 Lampe an zwei Ketten mit seitlicher Belastung

Eine Lampe vom Gewicht G ist wie dargestellt an


zwei Ketten aufgehängt. Im Punkt M greift zusät-
zlich eine Kraft W = 0, 5 G an. Bestimmen Sie
zeichnerisch die Kräfte in den Ketten. M
o
Vorüberlegungen: Da die Wirkungslinien aller 45o 45
Kräfte - angreifende Kräfte G, W und unbekannte W
Kettenkräfte - bekannt sind, liegt die Aufgabenart 1
in Abschnitt 4.2.3 vor. Es werden daher die Lö-
sungsschritte in Tabelle 4.1 abgearbeitet. Abb. 4.7. Lampe an zwei Ketten mit
seitlicher Belastung
Lösung:
1. Freikörperbild: Dieses wird in Abb. 4.8.a erstellt. Als angreifende (bekannte) Kräfte wer-
den die senkrechte Gewichtskraft G sowie die horizontale Kraft W eingetragen. Durch
einen Freischnitt werden zusätzlich die Kettenkräfte S1 und S2 sichtbar gemacht. Die
Richtungen der Kettenachsen legen nach Regel (3.22) die Wirkungslinien w1 und w2 bei-
der Kettenkräfte fest.

a) LP b) KP
w1 w1 A=E
A A=E
w2
M S1=0,35 G
S1 S2 G S2
G S =1,05 G w1 G
2
W E' E' w2 E'
w2 S1
W W W
G
Abb. 4.8. a) Lageplan mit Freikörperbild, b) Kräfteplan

2. Kräftepolygon: Ausgehend von dem Punkt A werden die bekannten Kräfte G und W
eingetragen, linke Skizze in Abb. 4.8.b. Der Endpunkt ist E  .
3. Bekannte Wirkungslinien: Aus dem Lageplan werden die Wirkungslinie w1 der einen un-
bekannten Kraft S1 in den Punkt E  des Kräfteplans und die Wirkungslinie w2 der zweiten
unbekannten Kraft S2 in den Punkt A parallel verschoben, mittlere Skizze in Abb. 4.8.b.
4. Schließen des Kräftepolygons: Die Bedingung A = E und die Beibehaltung des Umlauf-
sinns aus Schritt 2 legen jeweils den Richtungssinn von S1 und S2 fest.
5. Unbekannte Beträge: Durch Ablesen erhält man die Werte S1 ≈ 0, 35 G, S2 ≈ 1, 05 G.
6. Übertragen: Kräfte S1 und S2 nach Betrag und Richtung in den Lageplan übertragen.
Bemerkung: Die rechte Skizze in Abb. 4.8.b verdeutlicht, dass das Vertauschen der Wir-
kungslinien w1 und w2 in Schritt 3 zu dem gleichen Ergebnis für S1 und S2 führt. 

Wie das folgende Beispiel zeigt, ist die Lösung von Gleichgewichtsaufgaben nicht immer
möglich.
66 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

 Beispiel 4.4 Lampe an einer Kette mit seitlicher Belastung

Die Lampe aus Beispiel 4.3 ist an einer Kette aufgehängt. Im


Punkt M greift zusätzlich eine Kraft W =0, 5 G an.
1. Begründen Sie unter Verwendung des Kräfteplans, warum die M
Kette die Belastung in der dargestellen Lage nicht aufnehmen
kann.
2. Welche Position nimmt die Lampe tatsächlich ein? W

Vorüberlegungen: Wie in Beispiel 4.3 wird ein Freikörperbild


mit allen an der Lampe angreifenden Kräften erstellt. Für beide Abb. 4.9. Lampe an einer
Aufgabenteile untersuchen wir, ob die Regeln (4.8) für Gleichge- Kette mit seitlicher
wicht eingehalten werden können. Belastung

Lösungen:
1. In dem Lageplan in Abb. 4.10.a werden die a) LP b) KP

.
senkrechte Gewichtskraft G sowie die horizontale Kraft
W eingetragen. Durch einen Freischnitt wird zusätzlich S A
M
die Kettenkraft S sichtbar gemacht. Die vertikale Lage
der Kette legt nach Regel (3.22.2) die Wirkungslinie
G

.
der Kettenkraft fest. In dem Kräfteplan in Abb. 4.10.b W S
werden anschließend ausgehend von dem Punkt A die
G E'
Kräfte G und W eingetragen. Versucht man weiter mit
W
einer vertikal gerichteten Kettenkraft S den Polygonzug
Abb. 4.10. a) Lageplan, b) Kräfteplan
zu schließen, erkennt man, dass dies nicht möglich ist.
Bemerkungen: Für die gegebenen Kräfte G, W ist mit einer vertikal gerichteten Kettenkraft
S kein Gleichgewicht möglich. Man bezeichnet das System dann als statisch unbrauchbar,
worauf wir weiter in Kapitel 9 eingehen werden. Mathematisch sagt man: Für Kräftegle-
ichgewicht existiert keine Lösung. Der Grund dafür ist sofort einsehbar, da sich der untere
Kettenpunkt infolge der Kraft W auf einer Kreisbahn im Uhrzeigersinn bewegen wird. Man
sagt: Das System ist verschieblich, worauf wir ausführlich in Kapitel 7 eingehen werden.
2. Um die tatsächliche Position der Lampe zu erhal-
ten, bestimmen wir die Wirkungslinie und den Betrag a) LP b) KP
der Kettenkraft. Damit liegt Aufgabenart 3 in Abschnitt
4.2.3 vor. Dazu schließen wir in dem Kräfteplan in
Abb. 4.11.b nach Regel (4.8.3) das Kräftepolygon (A
= E) und erhalten sofort die Richtung der Kettenkraft S α
S=1,13 G
A=E
.
α G
S. Deren Betrag ist S ≈ 1, 13G. Der Richtungspfeil
und der Winkel α ≈ 26, 6o definieren die Richtung M
der Seilkraft. Wir verschieben diese in den Lageplan in
Abb. 4.11.a und erhalten unter Berücksichtigung, dass wS
W=0,5 G
E'
W
.
der Aufhängepunkt der Kette unverschiebbar ist und die G
Kette ihre Länge nicht ändert die Wirkungslinie wS und Abb. 4.11. a) Lageplan, b) Kräfteplan
die endgültige Position der Lampe. 
4.2 Zeichnerische Lösungen der drei Grundaufgaben 67

 Beispiel 4.5 Rolle auf schiefer Ebene

Eine Rolle (Masse mR , Gewicht GR ) wird über ein Seil auf


einer glatten, schiefen Ebene gehalten. Das masselose Seil g
wird über eine zweite reibungsfreie Rolle geführt. An seinem
anderem Ende hängt eine Kiste (mK , GK ). Bestimmen Sie
α

..
..

..
..
die Kontaktkraft zwischen Ebene und Rolle sowie den Nei-
gungswinkel α des Seiles. mR

....

..
..
mK
Bekannt: GR , GK = 0,6 · GR , β = 30o .
Vorüberlegungen: Da die Wirkungslinie der Seilkraft und β
die Größe der Kontaktkraft unbekannt sind, liegt der Aufga-
bentyp 4 in Abschnitt 4.2.3 vor. Wir gehen nach den Tabellen
4.1 und 4.2 vor und kombinieren dabei die Schritte 3 bis 6. Abb. 4.12. Rolle auf schiefer Ebene
Lösung:
1. Freikörperbild: Wir schneiden das Seil frei, trennen die Rolle von der Ebene und tragen
an den Schnittstellen die Seilkraft S und die Kontaktkraft N ein. Wegen Regel (3.22.4)
gilt S = GK , d.h. der Betrag der Seilkraft ist bekannt. Da die Fläche glatt ist, hat die
Kontaktkraft nach Regel (3.22.3) nur einen normal zur schiefen Ebene gerichteten Anteil
N . Damit ist deren Wirkungslinie wN bekannt, was für die Seilkraft S nicht zutrifft.

a) LP b) KP
S=GK r = GK r = GK
S=GK A A=E
..
..

..
..

α
wN S
....

..
..

α
GR GK P P
β GR GR
Schnittpunkt
β N
E' E'
N wN wN

Abb. 4.13. Rolle auf schiefer Ebene: a) Lageplan mit Freikörperbild, b) Kräfteplan

2. Kräftepolygon: Ausgehend von dem Punkt A wird die bekannte Gewichtskraft GR im


Kräfteplan eingetragen. Der Endpunkt sei E  , linke Skizze in Abb. 4.13.b.
3. Bekannte Wirkungslinie und Betrag: Die Wirkungslinie wN der Kraft N wird aus dem
Lageplan in den Punkt E  im Kräfteplan parallel verschoben, linke Skizze in Abb. 4.13.b.
Der Betrag von S = GK wird durch einen Kreis um A mit Radius r = GK berücksichtigt.
4. Schließen des Kräftepolygons: Die Bedingung A = E und die Beibehaltung des durch
GK eingeführten Umlaufsinns legen den Richtungssinn der Kräfte N und S fest. Somit
ist der Schnittpunkt P gleichzeitig Endpunkt der Kraft N und Anfangspunkt der Kraft S.
5. Unbekannte Wirkungslinie und Betrag: Für den Richtungswinkel der Seilkkraft S liest
man α = 63, 5o und für den Betrag der Normalkraft N ≈ 0, 55 GR ab.
6. Übertragen: Die Kraft N und der Richtungswinkel α werden im Lageplan eingetragen. 
68 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

4.2.4 Gleichgewicht von drei Kräften


In dem Lageplan in Abb. 4.14.a greifen drei Kräfte F1 , F2 und F3 an einem Körper an. Nach
dem Axiom vom Kräfteparallelogramm (3.7) können wir z.B. die Kräfte F1 und F2 zu einer
Teilresultierenden R12 zusammenfassen, deren Wirkungslinie durch den Punkt M verläuft.
Für Gleichgewicht müssen nach dem Axiom (3.1) die Kräfte R12 und F3 entgegengesetzt
gerichtet gleich groß sein und auf der gleichen Wirkungslinie liegen. Daraus folgen die

Bedingungen zum Gleichgewicht von drei Kräften („Drei-Kräfte-Regel”)


Drei in einer Ebene liegende Kräfte sind im Gleichgewicht, wenn (4.9)
1. sich ihre Wirkungslinien – im Lageplan – in einem Punkt schneiden und
2. das Kräftedreieck – im Kräfteplan – geschlossen ist.

a) LP b) KP
F2

F1 F1
F2 F2
R12 A F3
F1 M F3
R12 A=E R12
w1 w3 E'
w2
Abb. 4.14. Gleichgewicht von drei Kräften: a) Lageplan, b) Kräfteplan

Bemerkung 4.1
1. Bedingung (4.9.1) ist nur notwendig, (4.9.2) dagegen hinreichend für Gleichgewicht.
2. Liegt der Schnittpunkt der drei Wirkungslinien im Unendlichen, dann sind die Kräfte
nicht parallel, und die Bedingungen (4.8.3) für Gleichgewicht eines zentralen Kraftsys-
tems gelten nicht. Derartige Aufgabenstellungen werden in Kapitel 5 behandelt.

 Beispiel 4.6 Anhänger in der Kipplage

Der Anhänger eines Trak- a) b)


tors und dessen (nicht
sichtbare) Ladung wird in 2a G
einer Kipplage durch das C
dargestellte statische Sys-
2a
tem mit der Gewichts- A
B
kraft G vereinfacht. Be-
stimmen Sie die Kräfte in a
den Lagern A und B. 4a
Bekannt:
G = 5 kN, a = 0, 75 m. Abb. 4.15. Anhänger in der Kipplage: a) Reales System, b) statisches System
Vorüberlegungen: Wir erstellen in Abb. 4.16.a ein Freikörperbild und tragen zunächst die
Gewichtskraft G ein. Da mit den beiden Lagerkräften A und B insgesamt drei Kräfte an dem
4.2 Zeichnerische Lösungen der drei Grundaufgaben 69

System wirken, müssen diese nach Regel (4.9.1) für Gleichgewicht ein zentrales Kräftesys-
tem bilden. Gleichzeitig müssen die Wirkungslinien der Kräfte A und B die vorgegebenen
Lagerbedingungen berücksichtigen.
Lösung: Wir tragen in dem Freikörperbild in Abb. 4.16.a die gegebene Kraft G ein und
machen mit einem Freischnitt die Lagerkräfte A und B sichtbar. Dazu beachten wir, dass
der Zweigelenkstab (oder: Pendelstab) BC nach Regel (3.22.1) nur eine Kraft in Richtung
der Stabachse aufnehmen kann, womit die Wirkungslinien wB und wG den Schnittpunkt
M festlegen. Die Bewegung des Lagers A ist horizontal und vertikal behindert, so dass die
Richtung der Wirkungslinie wA allein aus der Lagerbedingung nicht festgelegt werden kann.
Nach Regel (4.9.1) muss wA jedoch ebenfalls durch den Punkt M verlaufen, damit Gleichge-
gewicht aller drei Kräfte vor-
a) LP G b) KP
liegen kann. In dem Kräfteplan 1kN
in Abb. 4.16.b zeichnen wir mit
der bekannten Kraft G und M A=E
den bekannten Wirkungslinien w B B
wA wA
wA und wB ein geschlossenes C G
Kräftepolygon, so dass A =
E. Dabei legt die Beibehal- B A
wG wB
tung des von G eingeführten A E'
Umlaufsinns den Richtungs- B wG
sinn von A und B fest. Für die
Abb. 4.16. a) Freikörperbild im Lageplan, b) Kräfteplan
Beträge der gesuchten Lager-
kräfte erhält man A = B = 3, 05 kN. Abschließend werden die Kräfte A und B nach Betrag
und Richtung in den Lageplan durch M verlaufend übertragen. 

 Beispiel 4.7 Rahmen mit zwei Teilsystemen

Ein Rahmen besteht wie


a) F b) F
dargestellt aus zwei Teilsyste- l l l
2l l 2l
men, die über ein Momenten-
gelenk verbunden sind, vgl.
Tabelle 2.3. Er wird durch das
dargestellte statische System 1
4l 2
mit zwei Festlagern und einem
Momentengelenk vereinfacht.
Bestimmen Sie die Kräfte in den A B A B
Lagern A und B infolge einer
Kraft F im Teilsystem 1. Abb. 4.17. Rahmen mit zwei Teilsystemen: a) Reales System,
b) statisches System
Bekannt: F , l.
Vorüberlegungen: Mit dem Schnittprinzip werden alle Kräfte an den Lagern und im Ge-
lenk sichtbar gemacht. Mit dem Gleichgewichtsaxiom (3.1) für zwei Kräfte am Teilsystem 2
und der „Drei-Kräfte-Regel” (4.9) für das Teilsystem 1 werden die Richtungen aller Kräfte
erkannt. Deren Beträge werden jeweils mit dem Kräfteplan erhalten.
70 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

Lösung: In dem Freikörperbild in Abb. 4.18.a machen wir die Lagerkräfte A und B sowie
die Gelenkkräfte G an beiden Teilsystemen durch Freischnitte sichtbar. Am Teilsystem 2
müssen die zwei Kräfte B und G nach Axiom (3.1) für Gleichgewicht auf der gleichen
Wirkungslinie verlaufen. Damit sind die Wirkungslinien von G und von B bekannt. Am
Teilsystem 1 müssen die drei Kräfte A, F und G nach der „Drei-Kräfte-Regel” (4.9) für
Gleichgewicht durch einen Punkt verlaufen. Damit ist die Wirkungslinie von A bekannt.

a) F b) F
c)
l l 2l l l 2l A=E
G

+ = A F
1 G 2 1 2 αA

βB
A B A B
B
A αA B
A βB
B

Abb. 4.18. a) Freikörperbild für beide Teilsysteme, b) Freikörperbild für Gesamtsystem, c) Kräfteplan

In der zusammenfassenden Darstellung in Abb. 4.18.b verlaufen die Wirkungslinien der


Kräfte von A, B und F durch einen Punkt, wobei die Wirkungslinie von B zusätzlich durch
den Gelenkpunkt verläuft. Aus dem zugehörigen Kräfteplan in Abb. 4.18.c werden die Be-
träge und die Richtungswinkel der Kräfte A und B ermittelt: A = 0, 69 F , B = 0, 38 F , αA
= 76, 0o , βB = 63, 5o . Zusätzlich legt die Beibehaltung des von F eingeführten Umlaufsinns
den Richtungssinn von A und B fest. 

4.2.5 Das Superpositionsgesetz


In dem Lageplan in Abb. 4.19.a greifen zwei Gruppen mit jeweils drei Kräften an. Wir setzen
voraus, dass beide Gruppen die „Drei-Kräfte-Regel” (4.9) erfüllen. Damit gilt

Das Superpositionsgesetz
Erfüllen zwei oder mehr Kräftegruppen bestehend aus jeweils drei Kräften die (4.10)
„Drei-Kräfte-Regel” (4.9), dann verschwindet die Gesamtresultierende.

a) b)
F5 F6
F2 F5
M2 F1 F2
F4 F4
F1 A1= E1 F F6
M1 F3 3
w3 A 2 =E 2
w1 w2
Abb. 4.19. Das Superpositionsgesetz: a) Lageplan, b) Kräfteplan
4.2 Zeichnerische Lösungen der drei Grundaufgaben 71

 Beispiel 4.8 Rahmen mit zwei Pendelstäben

Ein Rahmen mit zwei Pendelstäben erfährt wie


dargestellt eine Belastung F im Punkt C. Bestim- 2l 4l
men Sie die Kräfte in den Lagern A und B. C
Bekannt: F , l.
Vorüberlegungen: Die Auflagerkraft B ist we- 2l F
gen der horizontalen Verschieblichkeit vertikal und 4l
somit parallel zu F gerichtet. Damit liegt, unab-
hängig von der Lagerkraft in A, kein zentrales Kraft- A B
system vor, so dass Regel (4.8.3) als Bedingung für
Gleichgewicht versagt, vgl. auch Bemerkung 4.1.2. Abb. 4.20. Rahmen mit zwei Pendelstäben
Wir können eine Lösung jedoch
durch gleichzeitige Anwendung von Gleichgewicht am Knoten C, des Gleichgewichts-
axioms (3.1), der „Drei-Kräfte-Regel” (4.9) und des Superpositionsgesetzes (4.10) erhalten.
Lösung: Durch Freischnitt der Pendelstäbe werden in dem Freikörperbild in Abb. 4.21.a die
Stabkräfte S1 und S2 sichtbar gemacht. Aus einer Gleichgewichtsbedingung
√ am Knoten C
erhält man in dem zugehörigen Kräfteplan S1 = F , S2 = F 2.

a) b) c) d)
2l 4l LP LP
S1 S1 S1
A1= 2F E
S2
F S2 A = 3F
S2 4l = + 2
KP A
S2 = 2 F A 2 = 1,118 F
A
B A2
F B2
wB A1 KP B1 F
KP B2 = 2
B1 =F
S1 =F S1 =F A 2 = 1,118 F A F
B=
B1 =F 2
E
A1 = 2 F S2 = 2 F B2 = F
2
Abb. 4.21. a) Freischnitt der Pendelstäbe, b) Belastung S1 , c) Belastung S2 , d) Superpositionsgesetz

Die Kräfte S1 und S2 werden dann in Abb. 4.21.b und Abb. 4.21.c entgegengesetzt gleich
gross als Belastung getrennt auf den Rahmen aufgebracht. Entsprechend der „Drei-Kräfte-
Regel” (4.9) erhält man aus den zugehörigen Lageplänen√die Wirkungslinien der Auflager-

kräfte und aus den Kräfteplänen deren Beträge: A1 = F 2, B1 = F bzw. A2 = F 2, B2
= 1, 118F . Die Beibehaltung des von S1 bzw. S2 eingeführten Umlaufsinns legt jeweils den
Richtungssinn von A1 , B1 bzw. A2 , B2 in dem Kräfteplan fest. Nach dem Superpositions-
gesetz (4.10) werden aus dem Kräfteplan in Abb. 4.21.d die gesamten Lagerkräfte durch
Vektoraddition erhalten: A = 3F/2, ↑, bzw. B = F/2, ↓. 
72 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

4.2.6 Dritte Grundaufgabe: Zerlegung einer Kraft


Aufgabenstellung: In dem Lageplan in Abb. 4.22.a greift eine Kraft R an einem starren
Körper an. Des Weiteren sind zwei Wirkungslinien w1 und w2 gegeben, die sich mit der
Wirkungslinie der Kraft R in einem Punkt M schneiden. Wir suchen zwei Kräfte F1 und F2
auf den Wirkungslinien w1 und w2 , die gemäß Definition (3.20) äquivalent zur Kraft R sind.

a) LP b) KP
w2 w2
w1
w2 F1'
E
E R F2'
M
R F2 A R
w1 F1 A
w1

Abb. 4.22. Zerlegung einer Kraft in zwei unabhängige Richtungen: a) Lageplan, b) Kräfteplan

Lösung: Wir kennzeichnen in dem Kräfteplan in Abb. 4.22.b mit A und E Anfangs- und
Endpunkt des Vektors R. Nach dem Axiom vom Kräfteparallelogramm (3.1) wird R in die
beiden Richtungen von w1 und w2 zerlegt. Wir erkennen dabei für die Kraftvektoren F1 , F2
und F1 , F2 zwei Verbindungsmöglichkeiten von A nach E, wobei jedoch der Zusammen-
hang F1 = F1 , F2 = F2 besteht. Damit ist die Lösung eindeutig und lautet in Übereinstim-
mung mit dem Kommutativgesetz in Gl.(3.9):
1. R = F1 + F2 = F2 + F1 ⇐⇒ 2. F1 = F1 , F2 = F2 . (4.11)
Die Kräfte F1 und F2 in Abb. 4.22.a bezeichnet man auch als Komponenten der Kraft R in
den Richtungen von w1 und w2 .

a) LP b) KP
w 2 w3
w1 E F 3'
R
F3 A E R
M R A
F1 F 2'
F2 F 1'

Abb. 4.23. Zerlegung einer Kraft in drei unabhängige Richtungen: a) Lageplan, b) Kräfteplan

Für eine Zerlegung von R in die drei Richtungen von w1 , w2 und w3 findet man in dem
Kräfteplan in Abb. 4.23.b z.B. zwei Lösungen mit den Eigenschaften
1. R = F1 + F2 + F3 = F2 + F1 + F3 , wobei 2. F1
= F1 , F2
= F2 , F3
= F3 . (4.12)
Damit ist im Unterschied zu den Gleichungen (4.11) die Lösung in den Gleichungen (4.12)
nicht eindeutig. Zusammenfassend erhalten wir folgende
4.2 Zeichnerische Lösungen der drei Grundaufgaben 73

Regeln zur Zerlegung einer Kraft


1. Aus den Gleichungen (4.11) folgt: Die Zerlegung einer Kraft in zwei ver-
schiedene (linear unabhängige) Richtungen ist eindeutig möglich. (4.13)
2. Aus Gl.(4.12.1) und Ungleichung (4.12.2) folgt: Die Zerlegung einer Kraft
in mehr als zwei verschiedene (linear unabhängige) Richtungen ist möglich
aber nicht eindeutig. Oder: Es gibt unendlich viele Lösungen.

4.2.7 Zerlegung eines Kraftvektors in kartesischen Koordinaten

Für die rechnerischen Lösungen der drei Grundaufgaben


in den nachfolgenden Abschnitten hat die Zerlegung Fix
y
von Kräften in zwei zueinander senkrechte Komponen-
ten eine besondere Bedeutung. Dazu betrachten wir in
Abb. 4.24 eine Kraft Fi , welche in die beiden senkrecht Fiy
Fi
Fiy
zueinander stehenden kartesischen Koordinatenachsen αi
x, y zerlegt wird (nach R. Descartes, genannt Cartesius,
ey Fix
1596-1650). Mit den Komponenten Fix und Fiy folgt aus
x
Gl.(4.11.1) ex

Fi = Fix + Fiy . (4.14) Abb.4.24. Zerlegung einer Kraft Fi


in kartesischen Koordinaten
Es ist zweckmäßig, den Komponenten Fix und Fiy Zah-
lenwerte Fix und Fiy zuzuordnen. Diese werden als Ko-
effizienten (oder: Koordinaten) des Vektors Fi bezeichnet und können positive und negative
Werte annehmen. Des Weiteren werden Basisvektoren ex und ey eingeführt. Diese sind or-
thonormal, d.h. es gilt |ex | = |ey | = 1 und ex · ey = 0, siehe Anhang C.2. Damit können die
Komponenten mit Hilfe der Koeffizienten dargestellt werden:

Fix = Fix ex , Fiy = Fiy ey . (4.15)

In Abb.4.24 führen wir noch den Richtungswinkel αi ein. Er zählt von der positiven x-Achse
aus im Gegenuhrzeigersinn. Aus Gl.(4.14) und Gl.(4.15) sowie Anwendung der Sinus- und
Kosinusfunktionen erhält man zusammenfassend folgende Gleichungen zur

Zerlegung eines Kraftvektors in kartesischen Koordinaten


1. Fi = Fix + Fiy Komponentendarstellung
2. Fi = Fix ex + Fiy ey Basisdarstellung
3. Fix = Fi cos αi , Fiy = Fi sin αi Koeffizienten (4.16)

4. Fi = |Fi | = Fix 2 + F2 Betrag der Kraft
iy
Fiy
5. tan αi = Richtungswinkel.
Fix
74 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

Bemerkungen 4.2
1. Die Basisdarstellung eines Kraftvektors in (4.16.2) wird auch als Spaltenmatrix
 
Fix  T
Fi = Fix ex + Fiy ey = = Fix , Fiy (4.17)
Fiy
geschrieben. Diese Darstellung für Vektoren mit runden Klammern ist mathematisch von

T
der Spaltenmatrix F = Fix , Fiy mit rechteckigen Klammern zu unterscheiden, die
insbesondere Grundlage numerischer Methoden ist, vgl. die Erläuterungen in Anhang D.
2. Durch Angabe des Betrages Fi und des Richtungswinkels αi sind beide Koeffizienten
Fix und Fiy mit Gl.(4.16.3) eindeutig bestimmbar.
3. Umgekehrt kann durch Angabe der beiden Koeffizienten Fix und Fiy der Richtungswinkel
αi allein mit Gl.(4.16.5) nicht direkt berechnet werden, da die Tangensfunktion zwischen
0o und 360o nicht eindeutig ist. Mit Hilfe des spitzen Winkels
|Fiy |
βi = arctan (4.18)
|Fix |
sowie den Fallunterscheidungen in Abb. 4.25 kann jedoch eine eindeutige Zuordnung
gefunden werden. Den Betrag Fi der Kraft Fi berechnet man mit Gl.(4.16.4).

1. Fix > 0 2. Fix < 0 3. Fix < 0 4. Fix > 0


Fiy > 0 Fiy > 0 Fiy < 0 Fiy < 0
αi = βi αi = 180o − βi αi = 180o + βi αi = 360o − βi

y y y y
Fiy
Fi Fi
αi αi
Fiy α i= β i αi
βi Fix Fix
x x x βi x
F ix Fix βi Fiy
Fi Fiy Fi
Abb. 4.25. Vier Fälle zur Bestimmung des Richtungswinkels αi der Kraft Fi

 Beispiel 4.9 Zerlegung der Auflagerkräfte für Rahmen auf zwei Stützen

Für die in Beispiel 4.7 berechneten Lagerkräfte A und B eines Rahmens sind die Koeffizien-
ten bezogen auf das x, y Koordinatensystem in Abb. 4.26.a gesucht.
Lösung: In Abb. 4.26.b bzw. c sind die a) b) c)
berechneten Kräfte A = 0, 69 F bzw. B
= 0, 38 F eingetragen. Mit dem Rich-
tungswinkel αA = 76, 5o erhält man aus Ay
Gl.(4.16.3) die Koeffizienten der Kraft A A
α A=βA By B αB
y βB
Ax = 0, 69 F cos 76, 5o = 0, 16 F x
Ay = 0, 69 F sin 76, 5o = 0, 67 F. Ax Bx
Abb. 4.26. Zerlegung der Auflagerkräfte:
a) Koordinatensystem, b) Lager A, c) Lager B
4.2 Zeichnerische Lösungen der drei Grundaufgaben 75

Für die Koeffizienten der Kraft B in Abb. 4.26.c erhält man aus Gl.(4.16.3) mit dem Rich-
tungswinkel αB = 180−βB = 180−63, 5o = 116, 5o

Bx = 0, 38 F cos 116, 5o = −0.17F, By = 0, 38 F sin 116, 5o = 0.34F.

Damit liegen A bzw. B im ersten bzw. zweiten Quadranten des x, y-Koordinatensystems,


was anschaulich sofort überprüft werden kann. 

4.2.8 Aufgaben zu Abschnitt 4.2


F2 F3
γ3
Aufgabe 4.1 (SG = 1, BZ = 5 min) γ2
An dem Lager eines Sendemastes greifen
wie dargestellt drei Kräfte an. Ermitteln Sie F1
γ1
zeichnerisch die Resultierende R sowie de-
ren Richtungswinkel γR .
Bekannt:
F1 = 30 kN, F2 = 40 kN, F3 = 50 kN,
γ1 = 43o , γ2 = 50o , γ3 = 70o .

Aufgabe 4.2 (SG = 1, BZ = 10 min)


An einer Stahllasche sind vier Stahlwinkel
angeschweißt, welche die Zugkräfte F1 , F2 , F3
F3 , F4 übertragen. Ermitteln Sie zeichne- F2
risch die Resultierende R sowie deren Rich- F4
tungswinkel αR .
Bekannt: β4 β2
F1 = 10 N, F2 = 45 N, F3 = 30 N, F1
F4 = 30 N, β2 = 45o , β4 = 25o .

Aufgabe 4.3 (SG = 1, BZ = 5 min) g


Eine Rolle (Masse mR , Gewicht GR ) wird
über ein Seil auf einer glatten Kante α mR
geführt. Das masselose Seil wird von R
einer Ringschraube gehalten. Bestimmen
a
Sie zeichnerisch die Kontaktkraft zwischen
Kante und Rolle sowie die Seilkraft.
Bekannt: GR , α = 40o , R, a = 0, 5 · R.
76 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

Aufgabe 4.4 (SG = 1, BZ = 5 min)


Das Aufstellen einer LKW-Ladefläche wird für eine momentane Lage durch das dargestellte
statische System vereinfacht. Bestimmen Sie zeichnerisch die Reaktionskräfte in den Lagern
A und B.
Bekannt: G = 1000 N, a = 50 cm.

8a
C D
A G 2a
B

7a 5a

Aufgabe 4.5 (SG = 2, BZ = 15 min)


Stellen Sie mit dem Sinussatz und dem Kosinussatz einen Zusammenhang zwischen den
Beträgen der Komponenten von F1 , F2 und der Resultierenden R in Abb. 4.22 für die dritte
Grundaufgabe her.

Aufgabe 4.6 (SG = 1, BZ = 5 min)


Die dargestellte Rolle (Masse mR , Gewicht g
GR ) wird über ein Seil auf einer glat-
ten, schiefen Ebene geführt. Das masselose α
Seil wird an einer Ringschraube gehalten. mR
Bestimmen Sie zeichnerisch die Kontakt-
kraft zwischen Ebene und Rolle sowie die
β
Seilkraft.
Bekannt: GR , β = 30o , α = 60o , g = 10 m/s2 .

Aufgabe 4.7 (SG = 2, BZ = 5 min)


Drei Lampen (Massen m1 , m2 , m3 , g
Gewichte G1 , G2 , G3 ) werden über zwei
reibungsfreie Rollen mit zwei masselosen α1 α2
Seilen geführt. Bestimmen Sie zeich-
nerisch die Winkel α1 und α2 . Welcher
Aufgabentyp nach Abschnitt 4.2.3 liegt vor?
m1
Bekannt: G1 = 150 N, G2 = 200 N, G3 =
m3
100 N. m2
4.2 Zeichnerische Lösungen der drei Grundaufgaben 77

Aufgabe 4.8 (SG = 3, BZ = 10 min)


Die dargestellte Rolle (Masse mR , Gewicht
GR ) wird über zwei Stäbe (Zweige-
g
lenkstäbe) an einer Wand gehalten. Das
masselose Seil wird von einer Ringschraube γ
gehalten. An seinem anderem Ende hängt
eine Kiste (mK , GK ). Bestimmen Sie β
zeichnerisch die Kräfte in beiden Stäben.
Bekannt: GK , GR = 1, 8 · GK , α = 20o , β = α
60o , γ = 40o .
mR
Hinweis: Um alle Kräfte auf ein zentrales
Kraftsystem zu reduzieren, wird zunächst mK

..
..

..
..
die Resultierende der Seilkräfte wie in Auf-
gabe 3.2 ermittelt.

....

..
..
Aufgabe 4.9 (SG = 1, BZ = 5 min)
y
Ein PKW der Masse m steht an einem Hang
mit der Neigung β. Bestimmen Sie für die ey G
Gewichtskraft G bezogen auf die beiden Ko- ex x
ordinatensysteme X, Y und x, y jeweils eine
Basisdarstellung. Y β
Bekannt: m = 1500 kg, β = 300 . eY
Bemerkung: Die Komponente der Gewichts- eX X
kraft in x-Richtung bezeichnet man auch als
Hangabtriebskraft.

Aufgabe 4.10 (SG = 2, BZ = 10 min)


Die dargestellte Rolle (Masse mR , Gewicht
GR ) liegt auf einer glatten, schiefen Ebene
mit dem Neigungswinkel β. Ein einbe- mR
tonierter Stein verhindert das Abrollen. Be- g
stimmen Sie zeichnerisch die Kontaktkräfte R
β
zwischen Ebene und Rolle und zwischen
Stein und Rolle.
Bekannt: GR , R = 15 cm, h = 7, 5 cm, β = h
30o .
78 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

Aufgabe 4.11 (SG = 3, BZ = 15 min) F


Ein Rahmen ist an zwei Punkten gelagert. l l
Die Bewegung des Lagers A ist horizontal
und vertikal und die des Lagers B horizontal
behindert. Das Eigengewicht des Rahmens
wird vernachlässigt. Das System wird wie l F B
dargestellt durch zwei Einzelkräfte belastet. α
2l
1. Bestimmen Sie zeichnerisch die Kräfte
l
in den Lagern A und B.
2. Für welche Winkel α versagt die Metho- A
de eines zentralen Kraftsystems?

Bekannt: F , α = 30o .

Aufgabe 4.12 (SG = 3, BZ = 20 min)


l
Eine glatte Stange (Masse mS , Gewicht GS ) 2 g
wird von einer masselosen Hülse und einem
l
Festlager gehalten. Die Hülse kann sich in
α mS
Längsrichtung der Stange reibungsfrei be- β
3l
wegen und ist über ein masseloses Seil an 2
einer Ringschraube befestigt.
3l
1. Für welche Winkel α und β ist die
Stange im Gleichgewicht?
2. Wie groß ist die Seilkraft und die Reak-
tionskraft im Lager A?
Bekannt: GS , l.

Aufgabe 4.13 (SG = 3, BZ = 20 min)


Eine glatte Stange (Masse mS , Gewicht g
GS ) wird von einer masselosen Hülse und
einem Festlager gehalten. Die Hülse kann α
....

....

sich in Längsrichtung der Stange bewegen. mS


3l mK β
....
....

Sie wird über ein masseloses Seil, welches 2


über eine reibungsfreie Rolle geführt wird,
von einer Kiste (mK , GK ) belastet. Für 3l
welche Winkel α und β ist die Stange im
Gleichgewicht?
Bekannt: GS , GK = 0,8 GS , l.
4.2 Zeichnerische Lösungen der drei Grundaufgaben 79

Aufgabe 4.14 (SG = 2, BZ = 15 min) g


Zwei Rollen (Massen m1 , m2 , Gewichte m2
G1 , G2 ) werden wie dargestellt von drei
glatten Platten gehalten. Bestimmen Sie m1
R2
zeichnerisch die Kontaktkräfte zwischen
beiden Rollen und den Rollen und den Plat-
ten. R1
Bekannt: G1 = 2 N, G2 = 3 N, a = 60 cm,
R1 = 20 cm, R2 = 15 cm. a

Aufgabe 4.15 (SG = 1, BZ = 5 min)


Eine Hülse (Masse mH , Gewicht GH ) wird
an eine glatten Stange gehalten. Zusätzlich
wird sie über ein masseloses Seil, welches
über eine reibungsfreie Rolle geführt wird, g α
von einer Kiste (mK , GK ) belastet.

1. Bestimmen Sie zeichnerisch für GK =


1, 5 GH die Haltekraft an der Hülse und
..
..

..
..

mH
den Neigungswinkel α des Seiles.
mK
....

..
..

2. Wie groß muss GK mindestens sein,


damit sich Gleichgewicht einstellt?

Aufgabe 4.16
(SG = 1, BZ = 5 min)
Die Arbeitsbühne einer Um- g
F
zugsfirma wird durch das 1 2a
dargestellte statische System
vereinfacht. Bestimmen Sie C
zeichnerisch die Kräfte in
2a
den Lagern A und B. A 3a
Bekannt: F1 = 1000 N, a =
5 m. B
1,5a
80 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

Aufgabe 4.17 (SG = 3, BZ = 15 min)


Ein Kranausleger erfährt das Gewicht einer 4a
Kiste (Masse mK , Gewicht GK ). Die B
dargestellte Rolle ist masselos und reibungs- a
frei. Bestimmen Sie zeichnerisch die Kräfte 2a
in den Lagern A und B, wobei der Rollenra-
dius vernachlässigt werden soll.

..
..

..
..
4a
Bekannt: GK , a. g
mK

....

..
..
A

Aufgabe 4.18 (SG = 2, BZ = 15 min)


Das Aufstellen eines Containers wird für eine momentane Lage durch das dargestellte stati-
sche System vereinfacht. Bestimmen Sie
1. die Kräfte in den beiden Ketten K1 und K2
2. die Auflagerreaktionen in den Lagern A und B.
Bekannt: G = 1000 N, a = 50 cm.

g D

6a 4a
K1 K2

C
_
G _
G 2a
A 2 2
B
1,5a 1,5a
5a 6a
4.3 Rechnerische Lösungen der drei Grundaufgaben 81

4.3 Rechnerische Lösungen der drei Grundaufgaben


Für zentrale Kraftsysteme in der Ebene ist die zeichnerische Lösung die schnellste und ein-
fachste Methode. Sie liefert jedoch nur Lösungen im Rahmen der Zeichengenauigkeit und
ist für dreidimensionale Probleme nicht sehr anschaulich. Im Folgenden werden daher rech-
nerische Lösungen der drei Grundaufgaben unter Verwendung von kartesischen Koordinaten
behandelt. Dabei wird auch die Systemmatrix eingeführt, die für die statische Bestimmtheit
und für numerische Methoden der nachfolgenden Abschnitte besondere Bedeutung hat.

4.3.1 Erste Grundaufgabe: Reduktion auf eine Einzelkraft


Aufgabenstellung: Gesucht sind die Koeffizienten der Kraftresultierenden in Gl.(4.5.1) in
einem kartesischen Koordinatensystem.
Lösung: Mit der Basisdarstellung (4.16.2) für jeden Kraftvektor Fi in Gl.(4.5.1) folgt
R = F1x ex + F1y ey + F2x ex + F2y ey ... + Fix ex + Fiy ey ... + Fnx ex + Fny ey
= (F1x + F2x ... + Fix ... + Fnx ) ex + (F1y + F2y ... + Fiy ... + Fny ) ey (4.19)
= Rx ex + Ry ey .
Damit ist eine Basisdarstellung für die Kraftresultierende analog zu Gl.(4.16.2) gefunden.
Wenden wir auch die Gleichungen (4.16.3) bis (4.16.5) auf diesen Vektor an, erhält man
zusammenfassend für die

Resultierende eines zentralen Kraftsystems in kartesischen Koordinaten



n
1. Rx = F1x + F2x ... + Fix ... + Fnx = Fix , wobei Fix = Fi cos αi
i=1

n
2. Ry = F1y + F2y ... + Fiy ... + Fny = Fiy , wobei Fiy = Fi sin αi
(4.20)
i=1
3. Rx = R cos αR , Ry = R sin αR

4. R = Rx2 + Ry2
Ry
5. tan αR = .
Rx

Bemerkungen 4.3
1. Die Gleichungen (4.20.1) und (4.20.2) besagen: Die Koeffizienten Rx und Ry der Kraftre-
sultierenden sind die algebraischen Summen der Koeffizienten (Summe aus positiven und
negativen Summanden) der einzelnen Kräfte.
2. Hat man mit Gl.(4.20.1) und Gl.(4.20.2) die Koeffizienten Rx und Ry berechnet, be-
stimmt man mit Gl.(4.20.4) und Gl.(4.20.5) Betrag und Richtungswinkel der Resultieren-
den. Zur Ermittlung des Quadranten für den Winkel αR sind zusätzlich Fallunterschei-
dungen entsprechend Abb. 4.25 durchzuführen. Dazu verwendet man den spitzen Winkel
|Ry |
βR = arctan . (4.21)
|Rx |
82 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

 Beispiel 4.10 Kraftsystem an einer Ringschraube

An einer Ringschraube greifen drei Kräfte F1 , F2 , F3 an. y


Berechnen Sie die Koeffizenten der Resultierenden sowie R α2
deren Richtungswinkel αR . F3 α3
αR
Bekannt: F1 = 15 N, α1 = 48o F
α1 1
F2 = 30 N, α2 = 342o x
F3 = 82 N, α3 = 142o .
F2
Lösung: Aus den Gleichungen (4.20.1) und (4.20.2) er-
hält man die Koeffizienten Abb. 4.27. Kräfte an einer Ringschraube

Rx = (15 · cos 48o + 30 · cos 342o + 82 · cos 142o ) N = −26, 05 N


Ry = (15 · sin 48o + 30 · sin 342o + 82 · sin 142o ) N = 52, 54 N .
Wegen der Vorzeichen von Rx und Ry liegt nach Abb. 4.25 der Richtungswinkel αR im
zweiten Quadranten. Mit dem spitzen Winkel βR nach Gl.(4.21) bestimmt man αR :

|Ry | 52, 36
tanβR = = = 2, 010 =⇒ βR = 63, 54o =⇒ αR = 180o − βR = 116, 46o .
|Rx | 26, 05
Bemerkung: Gelegentlich ist eine Berechnung mit be- y
tragsmäßig positiven Koeffizienten zweckmäßig. Die R
F3 αR
richtigen Vorzeichen der Kraftkoeffizienten in Gl.(4.20.1) β3 F1
und Gl.(4.20.2) müssen dann aus der Anschauung fest- β1
gelegt werden. Führen wir wie in Abb. 4.27.b die Winkel x
β1 = α1 = 48o , β2 = 360o − α2 = 18o , β2 F
2
β3 = α3 − 90o = 52o Abb. 4.27.b Betragsmäßig positive
Koeffizienten
ein, berechnet man
Rx = (15 · cos 48o + 30 · cos 18o − 82 · sin 52o ) N = −26, 05 N
Ry = (15 · sin 48o − 30 · sin 18o + 82 · cos 52o ) N = 52, 36 N .
Der Richtungswinkel αR wird wie oben beschrieben berechnet. 

4.3.2 Zweite Grundaufgabe: Gleichgewicht


Aufgabenstellung: Wir suchen Bedingungen für Gleichgewicht in kartesischen Koordinaten.
Lösung: Die notwendige und hinreichende vektorielle Gleichgewichtsbedingung (4.8.1)
lautet R = 0. Allgemein ist ein Vektor nur dann der Nullvektor, wenn sein Betrag ver-
schwindet. Dieses ist wegen Gl.(4.20.4) dann und nur dann der Fall, wenn beide Koeffizien-
ten Rx und Ry in Gl.(4.20.1) und Gl.(4.20.2) verschwinden. Damit erhält man folgende

Skalare Gleichgewichtsbedingungen für ebene zentrale Kraftsysteme


n n (4.22)
1. → : Rx = Fix = 0 2. ↑ : Ry = Fiy = 0.
i=1 i=1
4.3 Rechnerische Lösungen der drei Grundaufgaben 83

Bemerkungen 4.4
1. Die Bedingungen (4.22) besagen: Ein starrer Körper ist unter der Wirkung eines zen-
tralen ebenen Kraftsystems im Gleichgewicht, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: 1. Die
Summe aller Kräfte in x-Richtung ist gleich Null; 2. Die Summe aller Kräfte in y-
Richtung ist gleich Null. (Wie noch gezeigt wird, sind es im Raum drei Bedingungen.)
2. In der praktischen Rechnung verwendet man als symbolische Kennungen der Gleichge-
wichtsbedingungen (4.22) häufig einen horizontalen Pfeil → und einen vertikalen Pfeil ↑.
3. Die Koordinatenrichtungen x, y müssen nicht unbedingt horizontal und vertikal gerichtet
sein. Gelegentlich sind auch geneigte, zueinander orthogonale Koordinatenrichtungen
x, y, zweckmäßig. In der praktischen Rechnung geben dann z.B. die Symbole ( oder
) bzw. ( oder ) die Richtungen für positive Kräfte an.
4. Nach Multiplikation von Gl.(4.22.1) bzw. Gl.(4.22.2) mit −1 gelten diese Gleichungen
auch für negative Koordinatenrichtungen. In der praktischen Rechnung geben dann z.B.
die Symbole ← bzw. ↓ die Richtungen für positive Kräfte an.

 Beispiel 4.11 Gleichgewicht eines Kraftsystems an einer Ringschraube

Welche Koeffizienten F4x und F4y und welchen Rich-


tungswinkel α4 hat eine vierte Kraft in Beispiel 4.10 y
damit Gleichgewicht vorliegt?
F3 β3 F1
Bekannt: F1 = 15 N, β1 = 48o
F2 = 30 N, β2 = 18o
β1
α4 β2 x
F3 = 82 N, β3 = 52o .
β4
Vorüberlegungen: Mit den Koeffizienten der Kräfte F2
F1 , F2 , F3 in Beispiel 4.10 sowie F4x und F4y werden F4
die Gleichgewichtsbedingungen (4.22) aufgestellt und
nach den unbekannten Größen aufgelöst. Die Bestim- Abb. 4.28. Kräfte an einer Ringschraube
im Gleichgewicht
mung des Richtungswinkels geschieht mit dem spitzen
Winkel β4 nach Gl.(4.18).
Lösung: Mit den Ergebnissen aus Beispiel 4.10 lauten die Gleichgewichtsbedingungen
(4.22)
→: (15 · cos 48o + 30 · cos 18o − 82 · sin 52o ) N + F4x = 0
↑: (15 · sin 48o − 30 · sin 18o + 82 · cos 52o ) N + F4y = 0.
Wir lösen diese Gleichungen nach den unbekannten Größen auf und erhalten
F4x = 26, 05 N, F4y = −52, 36N.
Das negative Vorzeichen für F4y weist auf eine negative Koordinatenrichtung hin. Wegen
der Vorzeichen von F4x und F4y liegt nach Abb. 4.25 der Richtungswinkel α4 im vierten
Quadranten. Mit dem spitzen Winkel β4 nach Gl.(4.18) bestimmt man α4 :
|F4y | 52, 36
tanβ4 = = = 2, 010 =⇒ β4 = 63, 54o =⇒ α4 = 360o − β4 = 296, 46o .
|F4x | 26, 05
Das Ergebnis stimmt weitgehend mit der zeichnerischen Lösung in Beispiel 4.2 überein. 
84 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

4.3.3 Dritte Grundaufgabe: Zerlegung einer Kraft


Aufgabenstellung: In Abb. 4.29 sind eine Kraft R auf der Wirkungslinie wR mit Rich-
tungswinkel αR sowie zwei Richtungswinkel α1 , α2 der Wirkungslinien w1 und w2 gegeben.
Wir suchen die Koeffizienten der Kräfte F1 und F2 auf den Wirkungslinien w1 und w2 in
kartesischen Koordinaten, so daß F1 und F2 gemäß Definition (3.20) äquivalent zur Kraft R
sind.
Lösung: In kartesischen Koordinaten
besteht nach Gl.(4.20.1) und Gl.(4.20.2) w2 w2
wR y
zwischen den Koeffizienten von R und
α2 αR w F2 R
F1 , F2 der Zusammenhang 1
α1 α2 α w1
R
Rx = F1x + F2x , Ry = F1y + F2y . F
α1 1 x
R
Für die Winkel αR , α1 , α2 und die Be-
träge R, F1 , F2 folgt mit den Gleichun- Abb. 4.29. Zerlegung einer Kraft in zwei Richtungen
gen (4.20.3) und (4.16.3)
1. Rx = R cos αR = F1x + F2x = F1 cos α1 + F2 cos α2
(4.23)
2. Ry = R sin αR = F1y + F2y = F1 sin α1 + F2 sin α2 .
Durch Multiplikation von Gl.(4.23.1) mit sin α2 , Multiplikation von Gl.(4.23.2) mit cos α2 ,
zweifacher Anwendung des Additionstheorems sin(α − β) = sin α cos β − cos α sin β
und Substraktion der so erhaltenen Gleichungen voneinander wird F1 berechnet. In gleicher
Weise bestimmt man F2 und erhält zusammenfassend
sin(α2 − αR ) sin(αR − α1 )
F1 = R , F2 = R . (4.24)
sin(α2 − α1 ) sin(α2 − α1 )
Mit diesen Ergebnissen und weiteren Betrachtungen werden in Abb. 4.30 vier Fälle unter-
schieden:

1. w1
= w2
= wR , w1
= wR 2. w1 = w2
= wR

F2= 0 R
w1 R w1 F1 oo
w2 F2 oo
F1= 0 wR
wR
w2 4. w1
= w2
= w3
= wR

3. w1
= wR R F2= 0
w1 R
w1 F1 oo F3= 0
w3
F1= 0
wR
wR
w2
Abb. 4.30. Zerlegung einer Kraft R für vier Sonderfälle
4.3 Rechnerische Lösungen der drei Grundaufgaben 85

1. Für den Fall, dass, wie in Abb. 4.30.1, alle drei Winkel α1 , α2 und αR unterschiedlich
sind, liefern die Gleichungen (4.24) eindeutige Lösungen für F1 und F2 .
2. Für den Sonderfall gleicher Winkel α1 = α2
= αR in Abb. 4.30.2 werden die Nennerter-
me in den Gleichungen (4.24) zu Null. Damit existiert keine Lösung für die Zerlegung.
3. In Abb. 4.30.3 betrachten wir den Fall mit einer Wirkungslinie w1
=wR . Es ist nicht
möglich, die Resultierende R auf der Wirkungslinie wR durch eine Kraft F1 auf der
Wirkungslinie w1 darzustellen. Dieses würde dem Gesetz (C.2) im Anhang widersprechen.
4. Für den Fall mit vier verschiedenen Wirkungslinien w1 , w2 , w3 und wR in Abb. 4.30.4
wissen wir bereits für die zeichnerische Lösung aus Regel (4.13.2), dass diese nicht ein-
deutig ist. Für die rechnerische Lösung müssen die beiden Gleichungen (4.23) jeweils
um einen dritten Term erweitert werden. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, kann
gezeigt werden, dass für diese zwei Gleichungen mit drei Unbekannten F1 , F2 , F3 eine
Lösung zwar existiert, diese jedoch nicht eindeutig ist.

4.3.4 Die Systemmatrix


Die Existenz von Lösungen der Gleichungen (4.23) kann auch mit Matrizen untersucht
werden, die in Anhang D erklärt werden. Dazu schreiben wir die Gleichungen (4.23)
entsprechend Gl.(D.3) als Matrixgleichung:

cos α1 cos α2 F1 R cos αR
1. = 2. A x = b. (4.25)
sin α1 sin α2 F2 R sin αR
        
A x b
Da die Matrix A nur von den Richtungswinkeln α1 und α2 der Wirkungslinien w1 und w2 ,
jedoch nicht von der Belastung abhängt, bezeichnen wir sie als Systemmatrix. Mit dem Addi-
tionstheorem sin(α − β) = sin α cos β − cos α sin β gilt für deren Determinante, vgl. (D.5.1)

cos α1 cos α2
det A = det = cos α1 sin α2 − cos α2 sin α1 = sin(α2 − α1 ). (4.26)
sin α1 sin α2
Mit der Cramerschen Regel erhält man die Lösungen (vgl. Gl.(D.7) und Gl.(D.8) im Anhang)

1 R cos αR cos α2 sin(α2 − αR )
F1 = det =R ,
det A R sin αR sin α2 sin(α2 − α1 )
(4.27)
1 cos α1 R cos αR sin(αR − α1 )
F2 = det =R .
det A sin α1 R sin αR sin(α2 − α1 )
Sie sind identisch zu den Lösungen in (4.24). Zusammenfassend gelten folgende

Regeln zur Systemmatrix für ebene zentrale Kraftsysteme


1. Die Systemmatrix A in den Gleichungen (4.25) wird durch die zwei Rich-
tungen der Wirkungslinien w1 und w2 festgelegt, d.h.
2. sie ist unabhängig von der Belastung.
3. Für parallele Wirkungslinien w1 und w2 gilt α1 = α2 , so dass wegen det A = (4.28)
sin(α2 − α1 ) = sin 0 = 0 die Determinante der Systemmatrix verschwindet.
Eine Lösung der Gleichungen (4.23) existiert dann nicht, vgl. Abb. 4.30.2.
4. Für den Fall nichtparalleler Wirkungslinien w1 und w2 gilt det A
= 0. Dann
und nur dann existiert eine Lösung der Gleichungen (4.23), vgl. Abb. 4.30.1.
86 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

4.4 Statische Bestimmtheit eines Massenpunktes in der Ebene

Wir betrachten in Abb. 4.31 einen Körper, der als Massenpunkt (vgl. Tabelle 3.1) idealisiert
wird und für vier verschiedene Fälle mit Pendelstäben gelagert ist. Infolge der Belastung R
entstehen in den Stäben jeweils Reaktionskräfte S1 , S2 , ..., die mit R ein zentrales Kraftsys-
tem bilden. Zu deren Berechnung stehen in allen vier Fällen die zwei Gleichgewichtsbedin-
gungen (4.22) zur Verfügung. Wir untersuchen die Eignung der verschiedenen Lagerungen
gemäß der

Definition statische Bestimmtheit eines Massenpunktes in der Ebene


Ein Massenpunkt ist statisch bestimmt gelagert, wenn bei beliebiger Be- (4.29)
lastung seine Lagerreaktionen mit den zwei Gleichgewichtsbedingungen
(4.22) eindeutig bestimmt werden können.

Zur Klärung, ob ein Massenpunkt statisch bestimmt gelagert ist, verwenden wir die Ergeb-
nisse zur dritten Grundaufgabe im vorherigen Abschnitt 4.3.3. Dabei berücksichtigen wir,
dass die beiden Kraftsysteme R und, sofern existent, F1 , F2 , ... für die verschiedenen Fälle
in Abb. 4.30 jeweils statisch äquivalent sind. Kehren wir die Richtungen der Kräfte F1 , F2 , ...
um, so werden diese zu Reaktionskräften S1 , S2 , ... und sind nach dem Gleichgewichtsge-
setz für zwei Kraftsysteme (3.21) mit der Kraft R im Gleichgewicht. Aus den vier Fällen in
Abb. 4.30 für die Zerlegung einer Kraft R ergeben sich in Abb. 4.31 vier Fälle für Gleichge-
wicht von R mit den Reaktionskräften S1 , S2 , .... . Zusammenfassend erhält man folgende

1. w1
= w2
= wR , w1
= wR 2. w1 = w2
= wR

R
S 2= 0
w2
R S1 oo w1
S2 oo w2
w1
wR
wR

S1 = 0 4. w1
= w2
= w3
= wR
3. w1
= wR w2
S1= 0
R R
S1 oo
S3 = 0 w3
w1
w1
wR wR
S2= 0

Abb. 4.31. Vier Fälle zur Untersuchung von Gleichgewicht eines Massenpunktes
4.4 Statische Bestimmtheit eines Massenpunktes in der Ebene 87

Vier Fälle zur Existenz von Gleichgewicht


Fall r Wirkungslinien det A Ergebnis für Gleichgewicht

1. 2 w1
= w2
= wR , w1
= wR
= 0 existiert eindeutig (4.30)
2. 2 w1 = w2
= wR =0 existiert nicht
3. 1 w1
= wR − existiert nicht
4. 3 w1
= w2
= w3
= wR − existiert, jedoch nicht eindeutig.

Der Fall (4.30.2) zeigt, dass allein das Anbringen von r=2 kinematischen Bindungen das
Gleichgewicht des Massenpunktes nicht sichert. Zusätzlich fordern wir, dass die Anord-
nung der zwei Bindungen wie in (4.30.1) zu einer regulären Systemmatrix führt (det A
=0).
Der Fall (4.30.3) sowie Abb. 4.30.3 zeigen, dass eine Bindung mit r=1 zur Aufnahme einer
beliebigen Kraft R nicht ausreichend ist. Die Aussage von Fall (4.30.4) sowie Abb. 4.30.4 ist,
dass eine beliebige Kraft mit r=3 Bindungen aufgenommen werden kann, die Berechnung
der Kräfte S1 , S2 , S3 jedoch nicht eindeutig möglich ist. Einzig der Fall (4.30.1) erfüllt die

Bedingungen für statische Bestimmtheit eines Massenpunktes in der Ebene


1. Für die Anzahl der kinematischen Bindungen muss gelten:
r = 2. (4.31)
2. Die zwei Wirkungslinien der zu den Bindungen gehörenden Reaktionskräfte
dürfen nicht parallel sein. Dann gilt für die Determinante der Systemmatrix:
det A
= 0.

Bemerkung 4.5
1. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die statische Bestimmtheit nur von der
Lagerung und nicht von der Belastung des Systems abhängt.
2. Bedingung (4.31.2) für die Systemmatrix kann erst überprüft werden, wenn Bedingung
(4.31.1) erfüllt ist. Daher ist (4.31.1) notwendig, während (4.31.2) hinreichend für stati-
sche Bestimmtheit des Massenpunktes in der Ebene ist, vgl. Anhang B.
3. Den Fall det A = 0 bezeichnet man als Ausnahmefall der Statik (kurz: Ausnahmefall).

 Beispiel 4.12 Lampe an zwei Ketten mit seitlicher Belastung

Wir untersuchen nochmals die Lampe an zwei Ketten mit


einer Seitenkraft W = 0, 5 G aus Beispiel 4.3.
1. Bestimmen Sie die Kettenkräfte mit einer rechneri- M
schen Methode in kartesischen Koordinaten. o
2. Untersuchen Sie die statische Bestimmtheit. 45o 45
W
Vorüberlegungen: Die rechnerische Lösung geschieht mit
den Gleichgewichtsbedingungen (4.22). Dazu werden in
einem Freikörperbild alle an der Lampe angreifenden
Abb. 4.32. Lampe an zwei Ketten
Kräfte, einschließlich der Kettenkräfte, eingetragen. Für mit seitlicher Belastung
Aufgabe 2 werden die Bedingungen (4.31) überprüft.
88 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

Lösungen:
1. In dem Freikörperbild in Abb. 4.33.a werden die senkrechte Gewichtskraft G sowie die
horizontale Kraft W eingetragen. Durch einen Freischnitt werden zusätzlich die Kettenkräfte
S1 und S2 sichtbar gemacht. Die Zerlegung der Kettenkräfte S1 und S2 in die zwei Koordi-
natenrichtungen x, y geschieht in Abb. 4.33.b.

a) M
b)
S1 S2
S1 S1 S2 S2
y
W 2 2
x S1 45 o 45 o S2
G 2 2

Abb. 4.33. a) Freikörperbild, b) Zerlegung der Kräfte S1 und S2

Damit lauten die Gleichgewichtsbedingungen (4.22)


S1 S2 S1 S2
→: − √ + √ − W = 0 (1), ↑: √ + √ − G = 0 (2).
2 2 2 2
Da der horizontale Anteil von S1 in negativer Koordinatenrichtung zeigt, wird er in Gl.(1)
mit einem Minuszeichen berücksichtigt (vgl. die Bemerkung in Beispiel 4.10). Aus Gl.(1)
folgt
S S
√1 = −W + √2 (3).
2 2
Einsetzen von Gl.(3) in Gl.(2) und nochmalige Berücksichtigung von Gl.(3) liefert:

S2 S2 2 3
√ − W + √ − G = 0 =⇒ S2 = (G + W ) = √ G = 1, 066 G
2 2 2 2 2
 
√ 3 √ 1 1
S1 = S2 − 2W = √ − 2 G = √ G = 0, 35 G.
2 2 2 2 2
2. Für den zweiten Aufgabenteil ist die notwendige Bedingung (4.31.1) r = 2 auf Grund der
zwei Ketten erfüllt. Zur Überprüfung der hinreichenden Bedingung (4.31.2) bringen wir die
Gleichungen (1) und (2) in die Form
⎡ 1 1 ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−√ √
⎢ 2 2 ⎥ ⎢ S1 ⎥ ⎢ W ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ = ⎢ ⎥.
⎣ 1 1 ⎦⎣S ⎦ ⎣ G ⎦
√ √ 2
2 2
  
A
Die Determinante der Systemmatrix A ist
1 1 1 1 1
det A = − √ · √ − √ · √ =
= 0.
2 2 2 2 2
Damit existieren auch Lösungen für beliebige Belastungen. (Die Einschränkung, dass Zugkräfte
in Ketten nicht auftreten können, muss gesondert berücksichtigt werden.) 
4.5 Numerische Methoden für Gleichgewichtsaufgaben 89

4.5 Numerische Methoden für Gleichgewichtsaufgaben


Computeranwendungen mit numerischen Methoden sind in dem heutigen Ingenieurwesen
unverzichtbar. Die wesentlichen Vorteile sind 1. hohe Genauigkeit und 2. Zeitersparnis. Ins-
besondere bei der statischen Berechnung dreidimensionaler Strukturen, die in den nachfol-
genden Kapiteln behandelt werden, haben diese Vorteile große Bedeutung. Wir geben daher
eine kurze Einführung zur Lösung von Gleichungssystemen mit numerischen Methoden für
zentrale Kraftssysteme. Dazu bringen wir die Gleichgewichtsbedingungen (4.22) in eine Ma-
trixform, vgl. auch Gl.(D.3) im Anhang:
A x = b. (4.32)
Wie das anschließende Beispiel 4.13 zeigt, ergeben sich die Elemente der Matrizen A, x und
b aus den jeweiligen Aufgabenstellungen. Im Allgemeinen gilt:
• A ist die Systemmatrix. Sie ist nach Bemerkung 4.5.1 unabhängig von der Belastung.
Sie liefert eine hinreichende Bedingung für statische Bestimmtheit, die z.B. mit einer
numerischen Methode durch Berechnung der Determinante det A untersucht wird.
• Die Spaltenmatrix x ist die Lösungsmatrix und enthält die unbekannten Reaktionskräfte.
• Die Spaltenmatrix b enthält als Lastmatrix die Elemente der äußeren Lasten.

 Beispiel 4.13 Zweistab mit Einzellast

Ein Zweistab wird wie in


Abb. 4.34 dargestellt durch F
eine vertikale Einzellast für
zwei Winkelkombinationen F
beansprucht. α β
1. Bestimmen Sie die Ma-
trixgleichung (4.32) für
α =0 β =0
beliebige Winkel α und β. Abb. 4.34. Einzellast auf zwei Stäben für zwei Winkelkombinationen
2. Bestimmen Sie die beiden Stabkräfte mit einer numerischen Methode für die Zahlwerte
α = 40o , β = 20o und F = 5 N.
3. Untersuchen Sie die statische Bestimmtheit für den Fall α = β = 0.
Vorüberlegungen: Wir stellen die Gleichgewichtsbedingungen (4.22) auf und bringen diese
in die Matrixgleichung (4.32). Deren Lösung erfolgt mit dem Programm MATLAB.
Lösungen:
1. In dem Freikörperbild in Abb. 4.34.b tragen wir die F
senkrechte Kraft F , die Stabkräfte S1 und S2 sowie
deren Koeffizienten in den Koordinatenrichungen ein.
S1cos α S2cos β
Damit lauten die Gleichungen (4.22)
S1 α β S2
→: S1 cos α − S2 cos β =0
S1sin α S2sin β
↑: S1 sin α + S2 sin β − F = 0.
Abb. 4.34.b. Freikörperbild
90 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

Wir bringen diese Gleichungen in die Matrixform (4.32).


    
cos α − cos β S1 0
= =⇒ A x = b.
sin α sin β S2 F

2. Zur Lösung des Gleichungssystems mit dem Computeralgebra-System MATLAB werden


zunächst die Winkel α, β und damit die Matrizen A und b initialisiert.
alpha = 40*pi/180; beta = 20*pi/180; F = 5;
Amat = [ cos(alpha) -cos(beta) ;
sin(alpha) sin(beta) ];
bmat = [0; F];
Mit dem Befehl
detA = det(Amat)
berechnen wir die Determinante. Das Ergebnis ist
detA =
0.8660
Wie in Anhang D erläutert, ist die mathematische Interpretation dieses Ergebnisses, dass die
Systemmatrix A regulär ist. Die mechanische Interpretation ist auf Grund der Bedingung
(4.31.2), dass das System statisch bestimmt ist. Wir können also mit dem Befehl
xmat = inv(Amat)*bmat
einen Lösungsvektor berechnen. Man erhält
xmat =
-5.4253
-4.4228
d.h. S1 = −5.4253 N und S2 = −4.4228 N sind jeweils Druckkräfte.
3. Für den Fall α= β= 0 wird die Matrix A neu initialisiert
alpha = 0; beta = 0;
Amat = [ cos(alpha) -cos(beta) ;
sin(alpha) sin(beta) ];
Mit dem Befehl detA = det(Amat) berechnen wir wieder die Determinante und erhalten
detA = 0
Die mathematische Interpretation dieses Ergebnisses ist, dass die Systemmatrix singulär ist.
Die mechanische Interpretation ist nach Bemerkung 4.5.3, dass der Ausnahmefall der Statik
vorliegt. Verwenden wir dennoch den Befehl
xmat = inv(Amat)*bmat
erhalten wir
Warning: Matrix is singular to working precision.
xmat =
NaN
NaN
Die Angabe NaN steht für „Not a Number”. Die mechanische Interpretation dieser Meldun-
gen von MATLAB ist auch hier, dass der Ausnahmefall vorliegt. Damit ist das System für α
= β = 0 nicht für beliebige Belastungsfälle geeignet. 
4.6 Aufgaben zu den Abschnitten 4.3 bis 4.5 91

4.6 Aufgaben zu den Abschnitten 4.3 bis 4.5

Aufgabe 4.19 (SG = 1, BZ = 10 min)


1. Lösen Sie Aufgabe 4.2 rechnerisch in kartesischen Koordinaten.
3.* Bestimmen Sie die Resultierende mit einer numerischen Methode.

Aufgabe 4.20 (SG = 1, BZ = 10 min)


Lösen Sie Aufgabe 4.6 rechnerisch in kartesischen Koordinaten.

Aufgabe 4.21 (SG = 1, BZ = 10 min)


Lösen Sie Aufgabe 4.3 rechnerisch in kartesischen Koordinaten.

Aufgabe 4.22 (SG = 3, BZ = 20 min)


Lösen Sie Aufgabe 4.7 rechnerisch in kartesischen Koordinaten.

Aufgabe 4.23 (SG = 2, BZ = 30 min)


Eine Lampe vom Gewicht G ist an zwei Ket-
ten aufgehängt. Die Ketten haben mit der
Horizontalen wie dargestellt die Winkel α
und β. Im Punkt M greift zusätzlich eine M
Kraft W = 0, 5 G an. α β

1. Berechnen Sie die Kettenkräfte für die W


Winkel α = 600 , β = 300 .
2. Für welche Winkel α und β kann die
Belastung nicht aufgenommen werden?
3.* Lösen Sie die Aufgaben 1 und 2 mit einer numerischen Methode.

Aufgabe 4.24 (SG = 2, BZ = 5 min)


Erklären Sie mit den Bedingungen (4.31), warum keine Lösung für die Lampe an einer Kette
in Beispiel 4.4 gefunden werden kann.
92 4 Zentrale Kraftsysteme in der Ebene

Aufgabe 4.25 (SG = 2, BZ = 15 min) y


Der skizzierte Kran trägt an seinem Lastseil x
eine Last mit dem Gewicht G über eine rei-
Seil
bungsfreie Rolle.
1
1. Berechnen Sie die Kräfte in den Stäben 2 d
1 und 2.
a G
2. Handelt es sich um Zug- oder Druck-
kräfte?
3. Bestimmen Sie die Systemmatrix. c
a b
4.* Bestimmen Sie die Stabkräfte mit einer
numerischen Methode.
Bekannt: a = 2 m, b = 1, 5 m, c = 2 m, d =
5 m, G = 15 kN.

Aufgabe 4.26 (SG = 2, BZ = 30 min)


An einem Ring, der für sechs verschiedene Seilaufhängungen gelagert ist, greift jeweils eine
Kraft R unter verschiedenen Richtungswinkeln αR an.
1. Für welche Fälle ist Gleichgewicht möglich? Wie groß sind dann die Seilkräfte?
2. Bestimmen Sie jeweils die Systemmatrix.
3.* Untersuchen Sie alle Fälle mit einer numerischen Methode.
Bekannt: α1 = 20o , α2 = 50o , αR = 30o , R = 15 kN.

1. 2. 3.
S1
S1 w1= wR
w1 R R
α1 αR w1 αR α1 α R= α 1
S1 α2
wR α2 wR R
w2 w2
w2
S2 S2 S2
4. 5. 6.
S1
R w1 R
w1= w 2 = wR w1= w 2 αR
S1 R S1 αR w3 α 1

S2 S2 S 3 wR α2
wR
w2 S
2
4.6 Aufgaben zu den Abschnitten 4.3 bis 4.5 93

Aufgabe 4.27 (SG = 1, BZ = 5 min)


Leiten Sie für den Sonderfall α1 = 0, α2 = 90o aus den Gleichungen (4.24) die Gleichungen
(4.16.3) her.

Aufgabe 4.28 (SG = 1, BZ = 10 min)


Bestimmen Sie aus den Gleichungen (4.24) für den Fall α1 = αR
= α2 die äquivalenten
Kräfte F1 und F2 .
Bei den meisten technischen Systemen verlaufen die Wirkungslinien der beteiligten Kräfte beliebig im Raum, so
dass sie nicht wie im vorherigen Kapitel einen gemeinsamen Schnittpunkt haben. Dieses gilt z.B. für das Kurbel-
getriebe der Lokomotive in den Abbildungen. Eine Vereinfachung erreichen wir, indem wir uns die auftretenden
Kräfte in eine gemeinsame Ebene verschoben denken. Es liegt dann ein nichtzentrales Kraftsystem in der Ebene
vor.
5
Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

Zusätzlich zur Kraft werden das Drehmoment und das polare Moment eingeführt. Entspre-
chend dem Vorgehen in Kapitel 4 können damit für nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene
die drei Grundaufgaben der Starrkörperstatik 1. Reduktion, 2. Gleichgewicht und 3. Zer-
legung einer Kraft auf der Grundlage der Axiome in Kapitel 3 behandelt werden. Ein weiteres
Thema ist die Systemmatrix, die in den weiteren Abschnitten über statische Bestimmtheit und
numerische Methoden eine wichtige Rolle annimmt.

5.1 Vom realen System zum nichtzentralen Kraftsystem


In Abb. 5.1.a ist eine an zwei Lagern gestützte Welle mit einer Scheibe dargestellt. Wir um-
fahren in Abb. 5.1.a die Welle mit einem Stift und erhalten die Systemgrenze. Zur weiteren
Vereinfachung idealisieren wir die Welle bzw. die Scheibe nach Tabelle 3.1 als Stab bzw. als
Massenpunkt, setzen in dem linken bzw. rechten Lager ein Festlager bzw. Loslager voraus
und erhalten mit den Lagersymbolen aus Tabelle 2.1 das statische System in Abb. 5.1.b. Bei
der Lastannahme vernachlässigen wir die Masse mW der Welle, konzentrieren die Masse mS
der Scheibe in den Massenpunkt und erhalten somit die Einzelkraft G = mS g. In dem Frei-
körperbild in Abb. 5.1.c treten, wie in Tabelle 2.1 angegeben, Reaktionskräfte (Lagerkräfte)
AH , AV sowie BV an den Lagern auf, deren Beträge zunächst noch unbekannt sind. Da die
Wirkungslinien der Gewichtskraft G und der Lagerkräfte nicht alle durch einen gemeinsamen
Punkt verlaufen, liegt ein nichtzentrales Kraftsystem vor.

a) Systemgrenze b) c)
G G
mW=0 S A B AH
mS
AV BV
l l l l l l
2 2 2 2 2 2

Abb. 5.1. Welle mit Scheibe: a) Reales System, a) statisches System mit Belastung, c) Freikörperbild mit
nichtzentralem Kraftsystem

Wir untersuchen zunächst zwei Sonderfälle mit jeweils zwei parallelen Kräften: 1. mit
gleicher und 2. mit entgegengesetzter Richtung.

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
96 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

5.2 Reduktion von zwei parallelen Kräften


a
Aufgabenstellung: In Abb. 5.2 greifen zwei gleichgerichtete F1 F2
Kräfte F1 , F2 an einem starren Körper an. Da die Wirkungslinien
beider Kräfte parallel sind, liegt ein nichtzentrales Kraftsystem
vor. Wir wollen dieses auf eine Resultierende R reduzieren und
suchen deren Betrag, Richtung und Lage der Wirkungslinie.
Lösung: Mit dem Gleichgewichtsaxiom (3.1), dem Axiom
vom Kräfteparallelogramm (3.7) sowie dem Verschiebungsge- H -H
setz (3.3) werden die folgenden Schritte durchgeführt: (a)
F1 F2
(a) Einführung einer Gleichgewichtsgruppe mit zwei entge- c
gengesetzt gleich großen Hilfskräften H, −H. Diese R1
Gruppe hat nach Bemerkung 3.1.2 keinen Einfluss auf den R2
Starrkörper. Wir bestimmen die Teilresultierenden R1 = F1 S
+ H und R2 = F2 + (−H).
(b) Verschiebung von R1 und R2 bis in den Schnittpunkt S.
a1 a2
Bestimmung der Resultierenden R = F1 + F2 . Da die ho- (b)
rizontalen Komponenten H und −H von R1 und R2 sich
aufheben, hat die Resultierende R die gleiche Richtung wie H
S
die parallelen Kräfte F1 und F2 . Damit ist der Betrag R =
F1 + F2 . R2 F1

Mit der Hilfsgröße c in Abb. 5.2.(a) erhält man folgende Bezie- R1


hungen für die Längen a1 , a2 , c und die Kräfte F1 , F2 , H: R
c F1 c F2 F2
= , = , a = a1 + a2 .
a1 H a2 H
-H
Diese Gleichungen können nach a1 und a2 aufgelöst werden.
Zusammenfassend erhält man für die Abb.5.2. Reduktion von zwei
parallelen Kräften

Resultierende von zwei parallelen, gleichgerichteten Kräften F1 , F2 mit Abstand a


1. Betrag: R = F1 + F2
(5.1)
2. Richtung: parallel zu F1 , F2
F2 F1 a2 F1
3. Lage der Wirkungslinie: (α) a1 = a, (β) a2 = a ⇐⇒ (γ) = .
R R a1 F2

Bemerkungen 5.1
1. Gl.(5.1.3.γ) ist als Hebelgesetz von Archimedes bekannt und besagt: Die Kräfte F1 und
F2 verhalten sich umgekehrt wie die Abstände von der Resultierenden a1 und a2 .
2. Für den Sonderfall gleich großer Kräfte F = F1 = F2 ist die Richtung der Resultierenden
ebenfalls parallel zu F. Für deren Betrag und Lage erhält man aus (5.1)
1. R = 2F 2. a1 = a2 = a/2. (5.2)
3. Die Resultierende R ist den Kräften F1 , F2 nach Defintion (3.20) statisch äquivalent.
5.3 Das Kräftepaar und dessen Moment 97

5.3 Das Kräftepaar und dessen Moment

5.3.1 Definitionen und Gesetze

Zur mathematischen Behandlung von nichtzentralen Kraftsystemen führt man ergänzend


zum Kraftvektor das Kräftepaar und dessen Moment ein. In Abb. 5.3 betrachten wir dazu
zwei parallele Kräfte F, −F und formulieren die

Definition Kräftepaar
Zwei entgegengesetzt gerichtete Kräfte F, −F gleichen Betrages und dem Ab- (5.3)
stand a ihrer Wirkungslinien bezeichnet man als Kräftepaar (F, a, −F).

Aufgabenstellung: Für das Kräftepaar in Abb. 5.3 soll a


untersucht werden, ob es weiter vereinfacht werden
F -F
kann.
Lösung: Mit dem Gleichgewichtsaxiom (3.1), dem
Axiom vom Kräfteparallelogramm (3.7) sowie dem
Verschiebungsgesetz (3.3) werden die folgenden
Schritte durchgeführt:

(a) Verschiebung der Kraft F wie dargestellt. Einfüh-


rung einer Gleichgewichtsgruppe mit zwei ent- (a)
-R -F
gegengesetzt gleich großen Hilfskräften H, −H. H
Sie hat nach Bemerkung 3.1.2 keinen Einfluss auf -H
den Starrkörper. Bestimmung der Teilresultieren- F
den R = F + H, (−R) = (−F) + (−H).
(b) Wir können R und −R zwar noch verschieben. R
Da beide Kräfte parallel mit Abstand a sind, kann
jedoch - im Gegensatz zur Reduktion von zwei (b) -R
parallelen Kräften in Abb. 5.2 kein gemeinsamer
a'
Schnittpunkt gefunden werden.
R
Da die beiden Kräfte eines Kräftepaares entgegenge-
setzt gerichtet und gleich groß sind, sind der erste und
der zweite Axiomsteil in (3.1) (bzw. Gl.(3.2.1)) erfüllt.
Für a > 0 ist der dritte Axiomsteil in (3.1) (bzw.
Gl.(3.2.2)) jedoch nicht erfüllt und der Körper bewegt Abb.5.3. Kräftepaar
sich. Zusammenfassend erhalten wir folgende

Regeln zum Kräftepaar


1. Ein Kräftepaar kann nicht auf eine Einzelkraft reduziert werden.
2. Ein Kräftepaar erfüllt Gl.(3.2.1) des Gleichgewichtsaxioms (3.1). (5.4)
3. Ein Kräftepaar mit a > 0 erfüllt nicht Gl.(3.2.2) des Gleichgewichtsaxioms.
4. Die Folge ist: Ein Kräftepaar verdreht einen Körper, sofern keine kinemati-
schen Bindungen (z.B. Auflager, Führungen) dieses verhindern.
98 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

Zwei Beispiele in Abb. 5.4 veranschaulichen die kinematische Wirkung von Kräftepaaren:
Im Fall a verdreht sich ein Buch auf einer Ebene, sofern nicht weitere kinematische Bindun-
gen dieses behindern. Bei dem technischen Beispiel in Abb. 5.4.b entsteht ein Kräftepaar
durch eine Kraft F an einer Zahnstange, die eine Reaktionskraft F im Zentrum eines Zahn-
rades verursacht. Als Folge dieses Kräftepaares verdreht sich das Zahnrad.
a) b)
F

a
F
Verdrehen

Abb. 5.4. Kräftepaar an a) einem Buch, b) einer Zahnstange mit Zahnrad

Um Kräftepaare mathematisch einfacher handhaben zu können, formulieren wir die

Definition Moment eines Kräftepaares (Drehmoment)


(5.5)
1. Skalar M = ±F a 2. Positiver Drehsinn .

Bemerkungen 5.2
1. Im Folgenden werden häufig die Kurzbezeichnungen Drehmoment oder, falls Verwechs-
lungen ausgeschlossen sind, Moment anstatt Moment eines Kräftepaares verwendet.
2. Das Drehmoment ist das Produkt aus dem Kraftbetrag F und dem senkrechten Abstand
a beider Wirkungslinien. Die Notation ± in Gl.(5.5.1) definiert ein positives Vorzeichen
für den Skalar von M , wenn das Kräftepaar wie in Definition (5.5.2) im Gegenuhrzeiger-
sinn dreht; andernfalls ist der Skalar negativ. Somit fasst allein der Skalar in Gl.(5.5.1)
die zwei Bestimmungsstücke des Momentes - Betrag |M | und Drehsinn - zusammen.
3. Die Einheit des Drehmomentes M ist „Kraft × Länge”, so dass [M] = 1 Nm.
4. In Abweichung von Definition (5.5) werden wir im Folgenden ein Moment auch gele-
gentlich mit dem Betrag (z.B. 5 Nm) und einem Drehpfeil (  oder  ) kennzeichnen.
Abb. 5.5 veranschaulicht die Definition (5.5) für drei Kräftepaare an einem Steuerrad. Im
Fall a ist der Abstand a gleich Null, so dass eine Kraft F > 0 keine Drehwirkung erzeugt. Die
Fälle b und c bestätigen die Erfahrung, dass durch Vergrößerung des Abstandes (a2 > a1 )
der Kraftaufwand zum Erzielen der gleichen Drehwirkung reduziert wird (F2 < F1 ). Für
a1 F1 = a2 F2 sind die Drehmomente der beiden Fälle - nach Betrag und Drehsinn - gleich.

a) b) c)
F2
F1
F F
a1 a2
F1
F2
Abb. 5.5. Momente an einem Steuerrad: a) M = 0, b) M1 = F1 a1 , c) M2 = F2 a2
5.3 Das Kräftepaar und dessen Moment 99

 Beispiel 5.1 Kräftepaar an einem Stirnversatz

Für einen Dachstuhl wird der Kraftanschluss über


einen Stirnversatz durchgeführt. Bestimmen Sie das N
Drehmoment der Normalkräfte N unter der An-
nahme, dass sie jeweils im Zentrum ihrer Schnitt- N

bzw. Kontaktfläche wirken. b


Bekannt: b = 18 cm, s = 6 cm, N = 100 N. s
Lösung: Der Abstand der beiden Kräfte N beträgt
a = (b − s)/2 = 6 cm. Das Drehmoment nach
Definition (5.5) ist M = −aN = −600 Ncm. N
Das Minuszeichen resultiert aus der Drehwirkung
Abb. 5.6. Kräftepaar an einem Stirnversatz
im Uhrzeigersinn.
Bemerkung: In der Praxis verwendet man zur Angabe des Drehmomentes nach Betrag und
Drehsinn auch häufig: M = 600 Nm,  , vgl. Bemerkung 5.2.4. 
Es gilt das bemerkenswerte
Verschiebungsgesetz für ein Kräftepaar
Ein Kräftepaar darf in seiner Wirkungsebene beliebig verschoben werden, (5.6)
ohne dass sich der Skalar seines Drehmomentes ändert.

Zum Beweis des Verschiebungsgesetzes betrachten wir


in Abb. 5.7 ein Kräftepaar (F, a, −F) mit dem zuge-
hörigen Drehmoment M = F a. Der Drehsinn  ist a*
im Gegenuhrzeigersinn. Mit den beiden Axiomen (3.1) -F a*
a
und (3.7) sowie dem Verschiebungsgesetz für Kräfte a
(3.3) gehen wir in zwei Schritten vor: α
F α
(a) Verschiebung der Kräfte F, −F und Einführung
einer beliebigen Gleichgewichtsgruppe (H, −H), =
wobei der Einfachheit halber F⊥¸H gewählt wird. (a)
(b) Bestimmung der Resultierenden F∗ = F + H, -F*
(−F∗ ) = (−F) + (−H). Aus Abb. 5.7 folgt -H
a -F
F a∗ F F
cos α = ∗ = =⇒ a∗ = ∗ a H α
F a F (5.7)
∗ ∗ ∗ F*
=⇒ |M | = F a = F a = |M |, =
-F*
d.h. der Betrag des Drehmomentes ist unverän- a*
(b)
dert. Der Darstellung entnehmen wir, dass auch F*
α
der Drehsinn  und damit das Vorzeichen des
Skalars von M unverändert bleiben. a
Da die Wahl der Kraftbeträge in der Gleichgewichts-
gruppe (H, −H) beliebig ist, ist auch die Verschiebung
des Kräftepaares in der Wirkungsebene beliebig. Abb.5.7. Verschiebung eines Kräftepaares
100 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

Da das Drehmoment M ∗ in Gl.(5.7) durch Anwendung des Gleichgewichtsaxioms (3.1) und


des Axioms vom Kräfteparallelogramm (3.7) erhalten wurde, gilt nach Defintion (3.20) das

Äquivalenzgesetz für Momente von Kräftepaaren


(5.8)
Ein Drehmoment M kann durch beliebige Drehmomente mit gleichem Skalar
M ∗ =M in der Ebene ersetzt werden.

Bemerkungen 5.3
1. Aus den Verschiebungsgesetzen (3.3) und (5.6) folgt vergleichend: Eine Kraft darf ent-
lang ihrer Wirkungslinie und ein Kräftepaar darf in seiner Wirkungsebene verschoben
werden, ohne dass sich jeweils die Wirkung auf den Starrkörper ändert.
2. In der Darstellung wird ein Kräftepaar häufig nicht durch Kräfte, sondern zweckmäßig
durch sein Moment M mit Drehpfeil (  ) gekennzeichnet. Wegen des Verschiebungs-
gesetzes (5.6) gilt: Der Ort der Darstellung an dem Starrkörper ist gleichgültig.
3. Das Äquivalenzgesetz (5.8) macht nur eine Aussage über die Kräftewirkung auf einen
Körper, jedoch nicht über die kinematische Wirkung, was gelegentlich zu Verständnis-
schwierigkeiten führt. Wie die folgenden Beispiele zeigen, ist die kinematische Wirkung
von den kinematischen Bindungen abhängig.
In Abb. 5.8 wirken zwei Kräftepaa- a) b)
re auf ein Steuerrad. Im Fall a wird F1 F2 = 2F1
es mit zwei Händen mit jeweils der
R
Kraft F1 gedreht. Mit dem Abstand
a1 = 2R entsteht das Drehmoment 2R
F2
M1 = F1 · 2R. Dreht man im Fall b
das Steuerrad mit einer Hand und der F1
Kraft F2 = 2F1 , entsteht die zweite Abb. 5.8. Äquivalente Drehmomente an einem Steuerrad
Kraft des Kräftepaares im Abstand a2 mit gleichen kinematischen Wirkungen:
= R als Auflagerkraft an der Steuer- a) Verdrehen mit zwei Händen, b) Verdrehen mit einer Hand
radsäule. Damit ist M2 =F2 a2 =2F1 ·R
= M1 , d.h. beide Drehmomente sind nach dem Äquivalenzgesetz (5.8) gleich, obwohl deren
Kräftepaare unterschiedlich sind. Da sich das Steuerrad nur um die Mittelachse drehen kann,
sind die kinematischen Wirkungen infolge der gleichen Drehmomente gleich.
In Abb. 5.9 wirken zwei Kräf-
tepaare mit gleichen Drehmomenten a) b)
Verdrehung um B
F a an den Eckpunkten A und B
F
eines Buches, das ohne Bewegungs- B
einschränkung auf einer glatten Ebene F
a a
liegt. Im Fall a erfolgt eine Ver- F
drehung um den Punkt A und im A F
Fall b um den Punkt B. Damit sind Verdrehung um A
die kinematischen Wirkungen infolge
Abb. 5.9. Äquivalente Drehmomente an einem Buch
gleicher Drehmomente, im Gegensatz auf einer glatten Ebene mit unterschiedlichen
zum vorherigen Beispiel, hier unter- kinematischen Wirkungen
schiedlich.
5.3 Das Kräftepaar und dessen Moment 101

5.3.2 Reduktion und Gleichgewicht für Momente von Kräftepaaren


In Abb. 5.10 greifen zwei Kräftepaare mit den Drehmomenten M1 = F1 a1 und M2 = F2 a2
an einem starren Körper an. Für den allgemeinen Fall mit m Kräftepaaren und zugehörigen
Drehmomenten Mi , i = 1, ..., m wird in Anhang E eine Reduktion durchgeführt. Man erhält
Das Reduktionsgesetz für Momente von Kräftepaaren
Drehmomente werden unter Beachtung des Drehsinns algebraisch addiert: (5.9)

MR = m i=1 Mi .

Das Verschiebungsgesetz (5.6) und das Reduktionsgesetz (5.9) werden in Abb. 5.10 für zwei
Kräftepaare mit den Drehmomenten M1 = F1 a1 und M2 = F2 a2 veranschaulicht. Das
resultierende Drehmoment ist MR = M1 + M2 . Es kann wieder durch ein Kräftepaar (FR ,
aR , −FR ) ersetzt werden, wobei die Kraft FR und der Abstand aR die Bedingung FR aR =
MR erfüllen müssen, ansonsten sind beide Größen beliebig. Gemäß Bemerkung 5.3.2 ist der
Ort der Darstellung der Kräftepaare und der Momente an dem Starrkörper gleichgültig.

a1 M1
F1 M1 aR
MR =M1 +M2 FR
F1 = = = =
a2 M2 M2
FR
F2 F2
Verschiebungsgesetz Reduktionsgesetz
Abb. 5.10. Das Verschiebungs- und das Reduktionsgesetz für zwei Kräftepaare

 Beispiel 5.2 Reduktion von zwei Kräftepaaren und einem Drehmoment

Reduzieren Sie das Drehmoment und die zwei Kräftepaare in Abb. 5.11 auf ein Kräftepaar.
Bekannt: _
M
F1 = 60 N, a1 = 0, 4 m
FR
F2 = 45 N, a2 = 0, 8 m, M̄ = 16 Nm. F1
= FR
Lösung: Unter Beachtung eines positiven F1 a1
F2 aR
Drehsinns im Gegenuhrzeigersinn (  )
folgt aus dem Reduktionsgesetz (5.9): F2
a2
M1 = − 60 · 0, 4 = −24 Nm
M2 = + 45 · 0, 8 = 36 Nm
M3 = −M̄ = −16 Nm
Abb. 5.11. Reduktion von zwei Kräftepaaren
MR = −4 Nm und einem Drehmoment
Der Drehsinn des resultierenden Drehmomentes MR ist wegen des Minuszeichens tatsäch-
lich im Uhrzeigersinn, d.h.  . Von den unendlich vielen Möglichkeiten wird das Moment
in Abb. 5.11 als Kräftepaar (FR = 2 N, aR = 0, 2 m) gewählt. Der Ort der Darstellung ist
wegen des Verschiebungsgesetzes (5.6) beliebig. 
102 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

Für das Gleichgewicht von m Kräftepaaren gilt

Die Gleichgewichtsbedingung für Momente von Kräftepaaren


 (5.10)
MR = m i=1 Mi = 0.

Bemerkungen 5.4
1. Die Aussage der Gleichgewichtsbedingung (5.10) ist wie folgt: m Kräftepaare mit den
Drehmomenten Mi , i = 1, ..., m sind dann und nur dann im Gleichgewicht, wenn das
resultierende Drehmoment MR verschwindet.
2. Die Gleichgewichtsbedingung (5.10) ist notwendig und hinreichend für Gleichgewicht
von Kräftepaaren. Eine Herleitung erfolgt in Anhang E.2.
3. Die Gleichgewichtsbedingung (5.10) bezieht sich nur auf Kräftepaare. Allgemeine nicht-
zentrale Kraftsysteme werden im folgenden Abschnitt 5.7.2 behandelt.
4. Wir wiederholen nochmals, dass bei der Berechnung von MR der Drehsinn der einzelnen
Drehmomente Mi zu beachten ist.

 Beispiel 5.3 Gleichgewicht von drei Kräftepaaren und einem Drehmoment

Welche Lagerkräfte C und B müssen bei dem Rahmen in Abb. 5.12 auftreten, damit unter
der Belastung der Kräftepaare in Beispiel 5.2 Gleichgewicht vorliegt?
Bekannt : F1 = 60 N, a1 = 0, 4 m _
F2 = 45 N, a2 = 0, 8 m M
M̄ = 16 Nm, l = 1 m.
F1
Vorüberlegungen: Zusätzlich zu dem resultierenden Dreh-
moment MR = −4 Nm aus Beispiel 5.2 wird ein Kräf- a1
tepaar infolge der Lagerkräfte B und C auf den Rahmen F2
aufgebracht. Dabei werden die kinematischen Bindungen C
des Systems sowie die Gleichgewichtsbedingung für Mo- a2
mente (5.10) beachtet. B
Lösung: Für das Kräftepaar der Lagerkräfte C und B gilt:
1. Da das Lager B horizontal verschieblich ist, muss die C 2l B
Kraft B vertikal gerichtet sein. In Abb. 5.12 nehmen
wir vorläufig den Richtungssinn nach oben an.
2. Die Lagerkräfte bilden ein Kräftepaar, wenn sie entge- Abb. 5.12. Momentengleich-
gewicht am Rahmen
gengesetzt gleich groß sind. Damit ist die Kraft C ver-
tikal nach unten gerichtet und hat den Wert C = B.
3. Mit dem Abstand 2l der Lagerkräfte hat das Drehmoment der Lagerkräfte den Wert B ·2l.
4. Für Momentengleichgewicht folgt aus dem Gesetz (5.10):
MR −4
MR + B · 2l = 0 =⇒ B = C = − =− = 2 N.
2l 2
Da wir positive Werte für B und C erhalten, war die Annahme für den Richtungssinn von
B im Schritt 1 richtig. Anschaulich ist das Drehmoment |MR | = 4 Nm,  , infolge der
Belastung im Gleichgewicht mit dem Drehmoment der Lagerkräfte B · 2l = 4 Nm,  . 
5.5 Das polare Moment einer Kraft 103

5.4 Parallelverschiebung einer Kraft


Aufgabenstellung: In Abb. 5.13 greift eine Kraft F entlang der Wirkungslinie w an einem
Starrkörper an. Ein Bezugspunkt A hat zu w den kürzesten Abstand a. Wir suchen eine
Bedingung, so dass für eine nach A verschobene Kraft F die Kräftewirkung erhalten bleibt.

a a
= = a

F A F
A A
w F MA
F
Abb. 5.13. Parallelverschiebung einer Einzelkraft in der Ebene
Lösung: Nach Axiom (3.1) wird eine Gleichgewichtsgruppe (F, −F) in den Punkt A gelegt,
ohne die Kräftewirkung zu ändern. Es entsteht ein Kräftepaar (F, a, −F) mit dem Drehmo-
ment M A = aF nach Definition (5.5). Damit gilt
Das Parallelverschiebungsgesetz für eine Kraft
Verschiebt man eine Kraft F in eine parallele Wirkungslinie im Abstand a, (5.11)
dann ist für eine äquivalente Kräftewirkung zusätzlich ein Kräftepaar mit dem
Drehmoment M A = F a erforderlich.

Bemerkung 5.5
1. Der hochgestellte Index A in dem Symbol M A kennzeichnet einen Bezugspunkt A auf
der neuen Wirkungslinie von F .
2. Das Drehmoment M A = aF ist nach dem Verschiebungsgesetz (5.6) in der Ebene frei.
Es ist jedoch zweckmäßig, den Drehpfeil in der Nähe des Punktes A einzutragen.
3. Alle drei Kraftsysteme in Abb. 5.13 sind nach Definition (3.20) statisch äquivalent.
4. Der Drehsinn von M A und damit das Vorzeichen des Skalars F a ist durch den Drehsinn
der Kraft F um den Punkt A festgelegt.

5.5 Das polare Moment einer Kraft


F
In Ergänzung zum Moment eines Kräftepaares ist für die
Behandlung von nichtzentralen Kraftsystemen in der Ebene
w
die Definition des Momentes einer Kraft zweckmäßig. Wir
betrachten dazu in Abb. 5.14 eine Kraft F auf der Wirkungs- b
A a B
linie w. Legen wir einen Bezugspunkt A fest, dann ist a der
kürzeste Abstand von der Wirkungslinie w. Mit den Beträ- Bezugspunkte
gen F und a formulieren wir die Abb.5.14 Polare Momente einer Kraft

Definition Moment einer Kraft bezüglich eines Punktes (polares Moment)


(5.12)
1. Skalar M (A) = ±F a 2. Positiver Drehsinn .
104 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

Bemerkungen 5.6
1. Für das Moment M (A) wird oft die Bezeichnung „Das Moment der Kraft F bezüglich
des Punktes A” (oder kurz: „Das polare Moment”) verwendet.
2. Das polare Moment M (A) ist das Produkt aus dem Kraftbetrag F und dem senkrechten
Abstand a der Kraftwirkungslinie von dem Bezugspunkt A. Die Notation ± in Gl.(5.12.1)
definiert ein positives Vorzeichen für den Skalar von M (A) , wenn die Kraft um den
Bezugspunkt im Gegenuhrzeigersinn wie in Definition (5.12.2) dreht; andernfalls ist der
Skalar negativ. Somit fasst allein der Skalar in Gl.(5.12.1) die zwei Bestimmungsstücke
des polaren Momentes - Betrag |M (A) | und Drehsinn - zusammen.
3. Der hochgestellte Index (A) in dem Symbol M (A) kennzeichnet den Bezugspunkt.
4. Den Abstand a in Abb. 5.14 nennt man Hebelarm der Kraft F .
5. Das polare Moment ist Null, wenn der Bezugspunkt auf der Wirkungslinie der Kraft liegt.
Es verändert sich nicht, wenn die Kraft entlang ihrer Wirkungslinie verschoben wird.
6. In Abweichung von Definition (5.12) werden wir im Folgenden ein polares Moment gele-
gentlich mit dem Betrag (z.B. 5 Nm) und einem Drehpfeil (  oder  ) kennzeichnen.
7. Das polare Moment M (A) einer Kraft hat keine kinematische Drehwirkung wie das Mo-
ment eines Kräftepaares M in (5.5), vgl. Regel (5.4.4). M (A) ist jedoch eine zweck-
mäßige Rechengröße zur Auswertung von M A in Gl.(5.11), da der Skalar F a gleich ist.
Wir bestimmen die polaren Momente der Kraft F bezüglich der Punkte A und B in Abb.5.14:

1. M (A) = +F a 2. M (B) = −F b. (5.13)


Somit ist das polare Moment nach Betrag und Drehsinn ab- F
F
hängig von der Lage des Bezugspunktes.
Für das polare Moment eines Kräftepaares (F, a, −F) in a
Abb. 5.15 bezüglich eines Punktes A erhält man mit den He-
b
belarmen b und c der beiden Kräfte
A c
M (A) = F b − F c = F (b − c) = F a. (5.14)
Damit ist das polare Moment eines Kräftepaares nach Betrag Abb.5.15. Polares Moment
eines Kräftepaares
und Drehsinn unabhängig vom Bezugspunkt. Der Leser über-
prüfe diese Eigenschaft für weitere Bezugspunkte. y
In kartesischen Koordinaten kann das polare Moment einer
Kraft Fi auch mit deren Koeffizienten Fix , Fiy aus Gl.(4.15) Fiy Fi
berechnet werden. Aus den Gleichungen (4.16.3) folgt: xi sin αi αi
yi
Fiy Fix
αi αi Fix
sin αi = , cos αi = . (5.15) x
Fi Fi A
xi
Mit den Koordinaten xi , yi des Angriffspunktes der Kraft Fi ai yi cos α i
erhält man für den Hebelarm in Abb.5.16 Abb.5.16. Polares Moment einer
ai = xi sin αi − yi cos αi . (5.16) Kraft in kartesischen Koordinaten
Setzen wir die Gleichungen (5.16) und (5.15) in Definition (5.12), gilt für das polare Moment
 
(A) Fiy Fix
Mi = Fi ai = Fi xi − yi = xi Fiy − yi Fix , Drehsinn  . (5.17)
Fi Fi
5.5 Das polare Moment einer Kraft 105

Zusammenfassend lauten die wichtigsten

Regeln zum polaren Moment einer Kraft


1. Der Hebelarm a ist der kürzeste Abstand der Wirkungslinie einer Kraft F zum
Bezugspunkt A und steht daher senkrecht auf der Wirkungslinie.
2. Aus den Gleichungen (5.13) folgt: Das polare Moment einer Kraft ist nach
Betrag und Drehsinn (Vorzeichen) abhängig von der Lage des Bezugspunktes. (5.18)
3. Aus Gl.(5.14) folgt: Das polare Moment eines Kräftepaares ist nach Betrag
und Drehsinn (Vorzeichen) unabhängig von der Lage des Bezugspunktes.
(A)
4. Für kartesische Koordinaten folgt aus (5.17): Das polare Moment Mi einer
Kraft Fi bezüglich des Ursprunges A bestimmt man als Summe der polaren
Momente der Kraftkoeffizienten Fiy bzw. Fix mit ihren Hebelarmen xi bzw. yi .

 Beispiel 5.4 Kran mit Last und Gegengewicht

Ein Kran befördert eine Last der Masse mS an einem ge- a


neigten Ausleger. Als Gegengewicht ist eine Masse mG b
g
angebracht. Um welchen Abstand b darf die Last maximal
ausgefahren werden, damit der Kran nicht kippt? β
Bekannt: mS = 500 kg, mG = 1250 kg, a = 2 m, β = 10o , mG
c = 1, 5 m.
Hinweise: Beim Kippen erfolgt eine Drehung des Kranes
c
um den Punkt A in dem Freikörperbild in Abb. 5.18. Dieser mS
Fall tritt ein, wenn das polare Moment der Gewichtskraft
mS g infolge der Last (Kippmoment) betragsmäßig größer A
als das polare Moment der Gewichtskraft mG g infolge
Abb. 5.17. Kran mit Last
des Gegengewichtes (Standmoment) ist. Im Grenzfall sind und Gegengewicht
beide polaren Momente betragsmäßig gleich groß, vgl.
Aufgabe 5.15.
Lösung: Die kürzesten Abstände der Wirkungslinien der
beiden Kräfte mS g bzw. mG g von dem Bezugspunkt A
a b
für die Hebelarme nach Regel (5.18.1) sind b cos β − c
bzw. a + c. Die polaren Momente sind somit
(A) β
MS = −mS g(b cos β − c)
(A)
MG = mG g(a + c). mGg
Für den Grenzfall setzen wir beide Momente be-
tragsmäßig gleich und lösen nach der gesuchten Größe c d
b auf. Mit den gegebenen Zahlen erhält man: mSg
A
1
b= (c(mG + mS ) + mG a) = 10, 41 m. 
cos β · mS Abb. 5.18 Freikörperbild
106 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

5.6 Aufgaben zu den Abschnitten 5.2 bis 5.5

Aufgabe 5.1 (SG = 1, BZ = 5 min) b c


a
G1
Ein Wasserrad wird wie dargestellt durch 3 G2
Kräfte G1 , G2 , G3 belastet.
G3
1. Bestimmen Sie das polare Moment be-
züglich des Punktes Z in der darge- Z
stellten momentanen Lage.
2. Begründen Sie, warum sich das Rad
dreht.
Bekannt: G1 = 20 N, G2 = 18 N, G3 = 16 N,
a = 20 cm, b = 25 cm, c = 15 cm.

Aufgabe 5.2 (SG = 1, BZ = 5 min)


F β
Ein Steuerrad wird wie dargestellt durch
eine Kraft F belastet. Bestimmen Sie das
polare Moment bezüglich des Punktes M . M
Bekannt: F = 125 N, R = 20 cm, β = 30o .
R

Aufgabe 5.3 (SG = 1, BZ = 5 min) mR


Eine Rolle befindet sich auf einer schiefen g
Ebene. Bestimmen Sie das Moment des re- R
sultierenden Kräftepaares. β
Bekannt: mR = 2 kg, R = 10 cm, β = 25o ,
g = 10 m/s2 .

Aufgabe 5.4 (SG = 1, BZ =5 min) g a b


Auf einem PKW-Anhänger befindet sich im mK mW
Abstand b von der Radachse eine Waschma-
schine. Welchen Abstand a muss eine Kiste
haben, damit die resultierende Kraft direkt
über der Radachse auftritt?
Bekannt: mW = 150 kg, b = 1, 50 m, mK =
250 kg, g = 10 m/s2 .
5.6 Aufgaben zu den Abschnitten 5.2 bis 5.5 107

Aufgabe 5.5 (SG = 1, BZ = 5 min)


Eine Fahrradpedale wird für drei ver-
schiedene Winkel βi mit einer vertikalen F
Kraft F belastet. Wie groß ist jeweils das po-
β
lare Moment bezüglich des Drehpunktes im
Tretlager? R
Bekannt: F = 500 N, R = 20 cm, β1 = 90o ,
β2 = 12o , β3 = 0o .

Aufgabe 5.6 (SG = 1, BZ = 5 min)


Ein Fahrradfahrer kann mit Hilfe von
Schnallen eine Zugkraft Z und gleichzeitig D
eine Druckkraft D auf die Pedalen aufbrin- Z
gen. Beide Kräfte sind vertikal gerichtet. β
Wie groß ist für die dargestellte Lage das po- R
lare Moment bezüglich des Drehpunktes im R
Tretlager?
Bekannt: Z = 150 N, D = 250 N, R = 20
cm, β = 12o .

Aufgabe 5.7 (SG = 2, BZ = 15 min)


Das Pleuel eines Verbrennungsmotors wird R2
in der dargestellen Lage durch eine Kraft
F belastet. Wie groß ist das polare Moment
F
bezüglich des Drehpunktes A?
α
Bekannt: F = 250 kN, R1 = 5 cm, R2 =
8 cm, α = 30o . A
R1

Aufgabe 5.8 (SG = 1, BZ = 5 min)


a b
Eine Person der Masse mP setzt sich auf den
Rand einer Bank der Masse mB . Wie groß g
darf der Abstand a höchstens werden, damit mP
mB
die Bank nicht kippt?
Bekannt: mP = 70 kg, mB = 25 kg, b =
2, 00 m, g = 10 m/s2 . A
108 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

Aufgabe 5.9 (SG = 1, BZ = 5 min)


g
Ein Gabelstabler der Masse m1 hebt eine
Last der Masse m3 . Zusätzlich ist wie
dargestellt ein Gegengewicht der Masse m2 m2
angebracht. Wie groß darf m3 maximal sein,
damit keine Kippgefahr besteht?
m3 h
m1
Bekannt: b, c = (3/2)b, h = b, m1 = m,
m2 = 0, 5 m, m3 = 0, 5m. c
b b b

a a b b
Aufgabe 5.10 (SG = 1, BZ = 5 min)
W G1 G2
Ein Hochhaus wird wie dargestellt mit
einem Betonkern erbaut. Bestimmen Sie die W G1 G2 h
polaren Momente bezüglich der Punkte A h
W G1 G2
und B infolge der Gewichtskräfte G1 und
G2 sowie der Windkräfte W . W G1 G2 h
Bekannt: W = 20 kN, G1 = 100 kN, G2 = h
W G1 G2
120 kN, a = 5 m, b = 6 m, h = 3 m.
W G1 B G2 h

A h

Aufgabe 5.11 (SG = 1, BZ = 10 min)


F2
An einem Winkel greifen zwei Kräftepaare
und ein Moment an.
_
F1 a2
1. Berechnen Sie das resultierende Dreh- M
moment.
2. Wie groß müssen die Lagerreaktionen a1
für Gleichgewicht sein? l

Bekannt : F1 = 20 N, a1 = 0, 2 m
F2 = 25 N, a2 = 0, 9 m
|M̄ | = 26 Nm, l = 12 m.
5.7 Die drei Grundaufgaben der Starrkörperstatik 109

5.7 Die drei Grundaufgaben der Starrkörperstatik

Wie bei zentralen Kraftsystemen werden auch bei nichtzentralen Kraftsystemen drei Grund-
aufgaben unterschieden: 1. Reduktion, 2. Bedingungen für Gleichgewicht, 3. Zerlegung
einer Kraft. Da zeichnerische Lösungen für praktische Problemstellungen heute kaum noch
angewendet werden, beschränken wir uns im Folgenden auf rechnerische Lösungen.

5.7.1 Erste Grundaufgabe: Reduktion

Bei der Reduktion eines ebenen nichtzentralen Kraftsystems bestehen zwei Möglichkeiten:
1. Reduktion auf eine Dyname (Einzelkraft und Einzelmoment)
2. Reduktion auf eine Totalresultierende (Einzelkraft).

Erste Reduktion auf eine Dyname


Aufgabenstellung: An dem Körper in Abb. 5.19.a greifen Kräfte F1 , ..., Fi , ... , Fn eines
ebenen nichtzentralen Kraftsystems an. Der Richtungswinkel jeder Kraft Fi ist αi , und xi , yi
sind jeweils die Koordinaten des Angriffspunktes auf der Wirkungslinie wi . Wir suchen den
resultierenden Kraftvektor R und das resultierende Drehmoment MRA bezüglich des Punktes
A, so dass deren Kraftwirkung gemäß Definition (3.20) äquivalent zu dem ursprünglichen
Kraftsystem ist.
Lösung: In Abb. 5.19 werden alle Kräfte F1 , ..., Fi , ... ,Fn , wie in Abb. 5.13, parallel in
den Bezugspunkt A verschoben. Damit erhält man ein zentrales Kraftsystem, für das die
Kraftresultierende nach Gl.(4.5.1) und das resultierende Drehmoment nach Gl.(5.9) bestimmt
werden. Zusammenfassend erhält man die Gleichungen:

R = F1 + F2 + ... + Fi + ... + Fn = ni=1 Fi
 (5.19)
MRA = M1A + M2A + ... + MiA + ... + MnA = ni MiA .

a) b) c)
y F1 wi y y
Fi
αi
yi = = R
F1 Fi
Fn A αR
A A Fn
yA yA M1A yA
M Ai M RA=M R(A)
MnA
xA xi x xA x xA x
Abb. 5.19. Erste Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems auf eine Dyname

Wir verwenden die Ergebnisse (4.20) für die Kraftresultierende in kartesischen Koordinaten
und berechnen die Momente der Kräftepaare MiA gemäß Bemerkung 5.6.7 als polare Mo-
(A)
mente Mi für jede Kraft nach Gl.(5.17). Zusammenfassend erhält man die
110 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

Erste Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems auf eine Dyname


n
1. Rx = F1x + F2x ... + Fix ... + Fnx = Fix , wobei Fix = Fi cos αi
i=1

n
2. Ry = F1y + F2y ... + Fiy ... + Fny = Fiy , wobei Fiy = Fi sin αi
i=1
3. Rx = R cos αR , Ry = R sin αR (5.20)

4. R = Rx2 + Ry2
Ry
5. tan αR =
Rx
(A)

n
(A) (A)
6. MRA = MR = Mi , wobei Mi = xi Fiy − yi Fix .
i

Bemerkungen 5.7
1. Die Dyname in Abb. 5.19.c hat die gleiche Kraftwirkung wie die Kraftsysteme in
Abb. 5.19.a und b. Damit sind alle Kraftsysteme nach Definition (3.20) statisch äquiv-
alent.
2. Zur eindeutigen Bestimmung des Richtungswinkels αR kann wie in den Bemerkungen
4.2.3 oder 4.3.2 beschrieben vorgegangen werden.
3. Die Anwendung von Gl.(5.20.6) liefert ein resultierendes Drehmoment MRA mit Drehsinn
(  ) im Gegenuhrzeigersinn.
4. Häufig werden, im Gegensatz zu Abb. 5.19.a, die Richtungen der Kräfte Fi nicht mit dem
Winkel αi festgelegt. Es ist dann zweckmäßig, mit betragsmäßig positiven Koeffizienten
Fix und Fiy zu rechnen und die Vorzeichen in den Gleichungen (5.20.1) und (5.20.2) aus
der Anschauung festzulegen, vgl. hierzu auch die Bemerkung in Beispiel 4.10. In gleicher
(A)
Weise können die polaren Momente Mi der Kräfte Fix und Fiy ermittelt werden, wobei
das Vorzeichen für den Drehsinn jeweils aus der Anschauung festgelegt wird.

Zweite Reduktion auf eine Totalresultierende


Aufgabenstellung: Wir betrachten in Abb. 5.20.a eine Dyname (R, MRA ) bzgl. des Punktes
A als Ergebnis der ersten Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems, vgl. Abb. 5.19.a. Der
Drehsinn von MRA ist im Gegenuhrzeigersinn, d.h.  . Gesucht ist die Wirkungslinie wZ , in
welche die Resultierende R verschoben werden muss, damit das resultierende Drehmoment
verschwindet.
Lösung: Wir führen in Abb. 5.20.b eine Wirkungsline wZ im Abstand aR vom Punkt A ein.
Durch Einführung einer Gleichgewichtsgruppe (R, −R) im Punkt B auf wZ entsteht ein
Kräftepaar mit dem Drehmoment (R · aR ,  ). Die neue Dyname bzgl. B besteht aus dem
Kraftvektor R und dem Drehmoment MRB = MRA − R · aR . Der Abstand aR wird jetzt so
gewählt, dass MRB verschwindet:
MRA
1. MRB = MRA − R · aR = 0 =⇒ 2. aR = . (5.21)
R
5.7 Die drei Grundaufgaben der Starrkörperstatik 111

a) y b) y c) y

R R aR aR R
yi = R =

A B A B
A yA
yA yA
A R
MRA MR
Zentrallinie
wZ wZ
xA xi x xA x xA x
Abb. 5.20. Zweite Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems auf eine Totalresultierende

Wir übertragen dieses Ergebnis auf kartesische Koordinaten: Mit Anwendung von Gl.(5.16)
auf den Hebelarm aR in Gl.(5.21.2) erhält man mit den Gleichungen (5.20.3)
Ry Rx MA
−y
aR = x sin αR − y cos αR = x = R. (5.22)
R R R
Wir lösen diese Beziehung nach der Koordinate y auf und erhalten zusammenfassend die

Zweite Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems auf eine Totalresultierende


(5.23)
Ry MA
1. Kraft R 2. Moment MRB = 0 3. Zentrallinie y = x− R.
Rx Rx

Bemerkungen 5.8
1. Die durch die Geradengleichung (5.23.3) definierte Linie bezeichnen wir als Zentrallinie
wZ und die auf ihr liegende Resultierende R als Totalresultierende. Sie ist allen Kraft-
systemen in Abb. 5.19 und Abb. 5.20 nach Definition (3.20) statisch äquivalent.
2. Zur Berechnung der Zentrallinie nach Gl.(5.23.3) muss das Vorzeichen für MRA nach
Definition (5.5) berücksichtigt werden.
Mit den Gleichungen (5.21) und (5.23) zur ersten und zweiten Rekuktion unterscheiden wir

Vier Fälle für die Reduktion eines Kraftsystems in der Ebene


Fall R MRA Ergebnis

1.
= 0
= 0 Dyname nach (5.20): Die Reduktion (5.21) auf eine Total-
resultierende ist eindeutig möglich.
2.
= 0 =0 Totalresultierende: Aus Gl. (5.21.2) folgt aR = 0, d.h. die
Wirkungslinie von R verläuft durch A. (5.24)
3. =0
= 0 Resultierendes Kräftepaar: Aus R = 0 folgt aR → ∞
(bzw. aus Rx = 0 folgt y → ∞). Damit ist MRA = MR
vom Bezugspunkt A unabhängig. (Der obere Index A kann
entfallen.) Nach Regel (5.4.1) ist keine weitere Reduktion
möglich.
4. =0 =0 Gleichgewicht: keine weitere Reduktion möglich.
112 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

 Beispiel 5.5 Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems an einem Träger

Das in Abb. 5.21 dargestellte aus vier parallelen


Kräften bestehende Kraftsystem soll reduziert F1 F2 F3 F4
werden.
Bekannt: A
F1 = 3 N, F2 = 4 N, F3 = 10 N, F4 = 3 N,
a1 = 0 m, a2 = 2 m, a3 = 5 m, a4 = 7 m. a2
Vorüberlegungen: Wir reduzieren das Kraft- a3
system mit den Gleichungen (5.20) zunächst a4
auf eine Dyname (R, MRA ) bzgl. des Punk- Abb. 5.21. Nichtzentrales Kraftsystem
tes A. Auf Grundlage der vier Fälle in (5.24) an einem Träger
wird anschließend über eine weitere Reduktion
entschieden.
Lösung: Für das in Abb. 5.21.b eingezeichnete Koordinatensystem x, y erhält man aus den
Gleichungen (5.20.1) und (5.20.2) die Koeffizienten der Kraftresultierenden

Rx = 4i=1 Fix = 0 N

Ry = 4i=1 Fix = (−3 − 4 + 10 − 3) N y MR
= 0 N. x
A
Damit verschwindet der resultierende Kraftvek-
tor, d.h. es gilt R = 0. Für das resultierende Abb. 5.21.b. Resultierendes Moment
Moment bezüglich des Bezugspunktes A erhält
man nach Gl.(5.20.6)

MRA = (F1 a1 − F2 a2 + F3 a3 − F4 a4 ) = (3 · 0 − 4 · 2 + 10 · 5 − 3 · 7)N = 21 Nm.

Wegen R = 0 und MRA


= 0 reduziert sich das Kraftsystem entsprechend dem Fall 3 in (5.24)
auf ein vom Bezugspunkt unabhängiges Kräftepaar. Damit kann der hochgestellte Index A
für das Moment in Abb. 5.21.b auch entfallen, d.h. wir können MRA = MR schreiben.

Bemerkungen:
1. Der Leser überzeuge sich, dass das Ergebnis MRB = 21 Nm auch für beliebige andere
Bezugspunkte B erhalten wird. (Wie lautet die Begründung dazu?)
2. Aus dem Ergebnis R = 0 für den resultierenden Kraftvektor allein kann nicht Gleich-
gewicht gefolgert werden. Das wäre nur bei einem zentralen Kraftsystem der Fall, was
hier nicht vorliegt. Nach Fall 4 in (5.24) muss bei einem nichtzentralen Kraftsystem für
Gleichgewicht zusätzlich das resultierende Moment MR verschwinden. 
5.7 Die drei Grundaufgaben der Starrkörperstatik 113

 Beispiel 5.6 Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems an einem Rahmen

Drei an einem Rahmen angreifende Kräfte sollen l l


reduziert werden
F2 sin β2 β2 F2
F3 cos β 3
1. auf eine Dyname bezüglich des Punktes C,
2. auf eine Totalresultierende. F1 β3
β1 F2 cos β2 F3
F3 sin β 3
Bekannt : F1 = 10 N, β1 = 65o ,
F1 cos β1
F2 = 45 N, β2 = 30o , 2l
F1 sin β 1 y
o
F3 = 5 N, β3 = 40 , l = 1 m. l
Vorüberlegungen: Die Reduktion auf eine Dyna- x
C
me erfolgt für ein x, y-Koordinatensystem im Punkt l
C mit den Gleichungen (5.20). Da die gegebenen
B
Winkel β1 , β2 , β3 nicht mit den Definitionen für die
Winkel αi übereinstimmen, werden nach Bemer-
kung 5.7.4 die Vorzeichen der betragsmäßig posi- Abb. 5.22. Nichtzentrales Kraftsystem
tiven Koeffizienten aus der Anschauung festgelegt. an einem Rahmen
Die Lage der Totalresultierenden für den zweiten Aufgabenteil wird nach (5.23) erhalten.
Lösungen: 1. Mit den zerlegten Kräften in Abb. 5.22 erhält man aus den Gleichungen (5.20)
die Koeffizienten und den Betrag der Resultierenden:
Rx = −F1 · sin β1 + F2 · cos β2 + F3 · cos β3 = 33, 74 N
Ry = F1 · cos β1 + F2 · sin β2 − F3 · sin β3 = 23, 51 N

R = Rx2 + Ry2 = 33, 742 + 23, 512 = 41, 12 N.
Wegen der Vorzeichen von Rx und Ry liegt nach Abb. 4.25 der Richtungswinkel αR im
ersten Quadranten. Mit dem spitzen Winkel βR nach Gl.(4.21) bestimmt man αR :
|Ry | 23, 51
tanβR = = = 0, 70 =⇒ βR = 34, 87o =⇒ αR = βR = 34, 87o .
|Rx | 33, 74
Mit dem positiven Drehsinn  berechnet man das Totalresultierende Zentrallinie wZ
resultierende Drehmoment bezüglich C:
MRC = F1 · sin β1 · l
R
+ F2 · sin β2 · l − F2 · cos β2 · (2l)
− F3 · sin β3 · (2l) − F3 · cos β2 · (2l)
1,79

= −60, 47 Nm. y R
αR =34,87 o
2. Für die Zentrallinie wZ der Totalresultierenden
gilt nach Gl.(5.23.3) C x
Dyname
Ry MC 23, 51 −60, 47 MRC
y= x− R = x− B
Rx Rx 33, 74 33, 74
= 0, 70 x + 1, 79 m. Abb. 5.22.b. Dyname und Totalresultierende
In Abb. 5.22.b sind die Dyname bzgl. C (Resultierende R und resultierendes Drehmoment
MRC ) und die Totalresultierende R auf der Zentrallinie wZ dargestellt. 
114 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

5.7.2 Zweite Grundaufgabe: Gleichgewicht


Aufgabenstellung: Gesucht sind Bedingungen für Gleichgewicht eines ebenen nichtzen-
tralen Kraftsystems mit den Kräften F1 , ..., Fi , ... , Fn in Abb. 5.19.a.
Lösung: Das nichtzentrale Kraftsystem wird mit den Gleichungen (5.20) auf eine Dyname
(R, MRA ) bzgl. des Punktes A in Abb. 5.19.c reduziert. Nach Gl.(4.8) lautet die notwendige
und hinreichende Bedingung für Gleichgewicht eines zentralen Kraftsystems R = 0, und
nach Gl.(5.10) lautet die notwendige und hinreichende Bedingung für Gleichgewicht eines
resultierenden Drehmomentes MRA = 0. Wir ersetzen die Bedingung R = 0 durch zwei
(A)
skalare Gleichungen, das Drehmoment MRA durch das polare Moment MR und erhalten
zusammenfassend folgende

Skalare Gleichgewichtsbedingungen für ebene nichtzentrale Kraftsysteme



n
→ : Rx = Fix = 0
i=1

n (5.25)
↑ : Ry = Fiy =0
i=1
 (A)

n
(A)
A : MR = Mi = 0.
i=1

Bemerkungen 5.9
1. Die Aussage der Gleichgewichtsbedingungen (5.25) ist: Ein starrer Körper ist unter der
Wirkung eines allgemeinen ebenen Kraftsystems dann und nur dann im Gleichgewicht,
wenn die folgenden drei Bedingungen erfüllt sind: 1. Die Summe aller Kräfte in x-
Richtung ist gleich Null; 2. Die Summe aller Kräfte in y-Richtung ist gleich Null; 3. Die
Summe der polaren Momente aller Kräfte bezüglich eines Bezugspunktes ist gleich Null.
2. Die drei Bedingungen (5.25) sind notwendig und hinreichend für Gleichgewicht eines
Starrkörpers in der Ebene. In Abschnitt 5.7.3 zeigen wir, unter welchen Voraussetzungen
sie durch drei andere - statisch äquivalente - Bedingungen ersetzt werden können.
3. Die Koordinatenrichtungen x, y müssen nicht unbedingt horizontal und vertikal gerichtet
sein. Gelegentlich sind auch geneigte Koordinatenrichtungen x, y, die orthogonal zueinan-
der sind, zweckmäßig.
4. Wie in Bemerkung 4.4.5 bereits erwähnt, gelten die Gleichungen (5.25) auch für nega-
tive Koordinatenrichtungen. Bei Anwendung der Gleichgewichtsbedingungen geben die
Symbole (→ oder ←) bzw. (↑ oder ↓) die gewählten Richtungen für positive Kräfte an,

und bei Anwendung einer Momentengleichgewichtsbedingung geben die Symbole (A

oder A) sowohl den gewählten Drehsinn als auch den gewählten Bezugspunkt an.
(A)
5. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass das polare Moment MR in Gl.(5.25.3) gemäß
Bemerkung 5.6.7 als zweckmäßige Rechengröße zur Berechnung des Drehmomentes
MRA verwendet wird, welches nach dem Gleichgewichtsgesetz für Momente (5.10) ver-
schwinden muss.
5.7 Die drei Grundaufgaben der Starrkörperstatik 115

 Beispiel 5.7 Brücke auf zwei Lagern

Eine Brücke vom Gewicht G ist an


F G
zwei Punkten gelagert. Die Bewegung
des Lagers A ist horizontal und vertikal
und die des Lagers B vertikal behindert. A
B
Das Eigengewicht der Brücke wird verein-
fachend durch eine Einzellast G in Brück-
enmitte berücksichtigt. Die zusätzliche
Belastung durch einen LKW wird mit a
einer vertikalen Kraft F erfasst. Gesucht l l
sind alle Auflagerkräfte der Brücke. 2 2
Abb. 5.23. Brücke auf zwei Lagern
Bekannt: l, a, F , G.
Vorüberlegungen: Zunächst wird ein Freikörperbild erstellt, in das alle an der Brücke an-
greifenden Kräfte, einschließlich der Lagerkräfte, eingetragen werden. Damit können die drei
Gleichgewichtsbedingungen (5.25) aufgestellt werden. Die unbekannten Lagerkräfte erhält
man schließlich durch Auflösung dieser Gleichungen.
Lösung: In dem Freikörperbild in Abb. 5.24 werden die senkrecht gerichteten Kräfte G
und F eingetragen. Durch einen Freischnitt werden zusätzlich die Auflagerkräfte sichtbar
gemacht. Da die Bewegung des Lagers A horizontal und vertikal behindert ist, treten hier
eine horizontale Kraft AH und eine vertikale Kraft AV auf. Am Lager B tritt die vertikale
Kraft BV auf.
Die Gleichgewichtsbedingungen (5.25)
lauten F
G B
→: AH = 0 (1) AH
A
↑: AV + BV − F − G = 0 (2)
AV BV
 l a
A: G + F a − BV l = 0. (3)
2 l l
Damit sind drei Gleichungen formuliert, 2 2
die im Folgenden nach den drei Unbekann- Abb. 5.24. Freikörperbild
ten AH , AV , BV aufgelöst werden: Aus
Gl.(1) erhält man sofort die horizontale Auflagerkraft AH = 0. Dieses Ergebnis besagt, dass
das Lager A infolge des Eigenwichtes der Brücke und der zusätzlichen Kraft F in horizon-
taler Richtung nicht beansprucht wird. Aus (3) folgt
1 a
BV = G + F .
2 l
Wird Gl.(2) nach AV aufgelöst, folgt mit dem Ergebnis für BV

l−a 1
AV = F − BV + G = F +G . 
l 2
116 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

5.7.3 Statisch äquivalente Gleichgewichtsbedingungen für den Starrkörper


Die Berechnung von drei Auflagerkräften eines Starrkörpers kann grundsätzlich mit den drei
Gleichgewichtsbedingungen (5.25) erfolgen. Häufig gelingt es, den Rechenaufwand zur Lö-
sung des sich ergebenden linearen Gleichungssystems zu reduzieren, indem die Bedingungen
(5.25) durch drei alternative Bedingungen ersetzt werden. Grundlage dazu sind die

Regeln I zum Aufstellen von Gleichgewichtsbedingungen


1. Der Bezugspunkt A in der Momentengleichgewichtsbedingung (5.25.3) wird
so gewählt, dass er im Schnittpunkt der Wirkungslinien von zwei unbekannten
Kräften liegt. Dann sind deren Hebelarme nach Regel (5.18.1) gleich Null, d.h.
diese Kräfte leisten keinen Beitrag zur Momentengleichung, und es wird eine (5.26)
direkte Lösung der dritten Unbekannten möglich.
2. Die Momentengleichgewichtsbedingung (5.25.3) wird für mehrere – höch-
stens drei – Bezugspunkte aufgestellt, wobei immer zwei Wirkungslinien von
unbekannten Kräften durch den Bezugspunkt verlaufen.

Für Starrkörper mit drei einteiligen Lagern gelingt die direkte Berechnung einer unbekan-
nten Kraftgröße immer (sofern kein Ausnahmefall vorliegt, siehe Abschnitt 5.8). Allerdings
kann die Verwendung von mehr als einer Momentengleichgewichtsbedingung dazu führen,
dass das Gleichungssystem keine Lösung liefert. Wir untersuchen daher im Folgenden, unter
welchen Voraussetzungen die drei Bedingungen (5.25) durch drei andere – statisch äquiva-
lente – Gleichgewichtsbedingungen ersetzt werden können.
In Abb. 5.25 greifen Kräfte F1 , ..., Fi , y
... ,Fn eines nichtzentralen Kraftsystems F2
an. Außer dem Punkt A sind die Punkte F1 Fiy Fi
B und C mögliche Bezugspunkte zum yi
Fix
yi -y B

Aufstellen der Momentengleichgewichts- yC C


bedingung (5.25.3). Wie in Anhang E.3
yB
gezeigt, sind die nachfolgenden Gleichge- B Fn
wichtsbedingungen (5.27) statisch äquiva-
lent und können - unter Berücksichtigung A xC xB xi x
xi -x B
der in (5.27) angegebenen Voraussetzun-
gen - alternativ zu den Gleichungen (5.25) Abb. 5.25. Nichtzentrales Kraftsystem
verwendet werden: und Bezugspunkte A, B und C

Statisch äquivalente Gleichgewichtsbedingungen und Voraussetzungen


(A)
1. Rx = 0 Ry = 0 MR =0
(B)
2. Rx = 0 Ry =0 MR =0 (5.27)
(A) (B)
3. Rx = 0 MR =0 MR =0 xB
= 0
(A) (B)
4. Ry =0 MR =0 MR =0 yB
= 0
(A) (B) (C)
5. MR =0 MR =0 MR =0 A, B, C nicht auf einer Geraden.

Bezugnehmend auf die Bedingungen (5.27) gelten die folgenden


5.7 Die drei Grundaufgaben der Starrkörperstatik 117

Regeln II zum Aufstellen von Gleichgewichtsbedingungen


1. Jede der fünf Gleichungssysteme in (5.27) mit jeweils drei Gleichgewichts-
bedingungen ist notwendig und hinreichend für Gleichgewicht eines starren
Körpers in der Ebene.
2. Aus (5.27.2) folgt: Die Wahl des Bezugspunktes A in Gl.(5.25.3) spielt keine
Rolle; er darf auch außerhalb des Körpers liegen.
3. Bei Anwendung von (5.27.3) mit Kräftegleichgewicht in horizontaler Rich-
tung dürfen die zwei Bezugspunkte nicht senkrecht übereinander liegen. (5.28)
4. Bei Anwendung von (5.27.4) mit Kräftegleichgewicht in vertikaler Richtung
dürfen die zwei Bezugspunkte nicht auf gleicher Höhe liegen.
5. Bei Anwendung von (5.27.5) mit drei Momentengleichungen dürfen die drei
Bezugspunkte A, B, C nicht auf einer Geraden liegen.
6. Weiter gilt: Mehr als drei Gleichungen beim Aufstellen der Gleichgewichts-
bedingungen zur Berechnung von unbekannten Lagerreaktionen bringen keine
neuen Informationen. Eine vierte und ggf. weitere Gleichungen können – und
sollten als dringende Empfehlung – zur Kontrolle verwendet werden.

 Beispiel 5.8 Brücke auf zwei Lagern


Stellen Sie die Gleichungen zur Berechnung der Auflagerkräfte in Beispiel 4.7 so auf, dass
jede Gleichung direkt zur Berechnung einer unbekannten Größe verwendet werden kann.
Vorüberlegungen: Gl.(1) und Gl.(3) in Beispiel 4.7 sind bereits so formuliert, dass die Un-
bekannten AH und BV direkt erhalten werden. Zur direkten Bestimmung der Auflagerkraft
AV wird der Bezugspunkt für die Momentengleichung nach Regel I.1 in (5.26) als Schnitt-
punkt der Wirkungslinien der Kräfte AH und BV gewählt. Dieses ist gerade der Lagerpunkt
B. Da die Hebelarme und somit auch die polaren Momente beider Kräfte bezüglich B gleich
Null sind, leisten sie keinen Beitrag zur Momentengleichung.
Lösung: Aus einer Kräftegleichgewichtsbedingung und zwei Momentengleichgewichtsbe-
dingungen bezüglich der Punkte A und B können die unbekannten Lagerkräfte direkt be-
stimmt werden:
→: AH = 0
 l l−a 1
B: AV l − G − F (l − a) = 0 =⇒ AV = F +G
2 l 2
 l 1 a
A: BV l − F a − G = 0 =⇒ BV = G + F .
2 2 l
Mit diesen Ergebnissen überprüfen wir zusätzlich, ob das Kräftegleichgewicht in vertikaler
Richtung erfüllt ist (vgl. auch Regel (5.28.6)):
   
l−a 1 1 a l
↑: AV + BV − G − F = F + G + G +F −G−F
l 2 2 l l
 
F 1 1
= (l − a + a − l) + G + − 1 = 0. 
l 2 2
118 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

5.7.4 Dritte Grundaufgabe: Zerlegung einer Kraft


Aufgabenstellung: In Abb. 5.26 sind eine y Ry R
Kraft R mit dem Richtungswinkel αR w1 αR
und der Wirkungslinie wR sowie drei yR
Wirkungslinien w1 , w2 und w3 mit den Rx
Richtungswinkeln α1 , α2 , α3 gegeben. Auf F1 wR w2
den Linien w1 , w2 und w3 suchen wir die α 1 F 2

Kräfte F1 , F2 und F3 , so dass diese gemäß α2


Definition (3.20) äquivalent zu R sind. w3
F3y F3
Lösung: Wir bestimmen die Lösung durch y3
α3 F3x
Anwendung von zwei Kräftebedingungen
A
und einer Momentenbedingung in karte- xR x3 x
sischen Koordinaten. Dabei setzen wir in
Abb. 5.26 vorläufig voraus, dass die Wir- Abb. 5.26. Zerlegung einer Kraft R in drei Richtungen
kungslinien w1 und w2 nicht parallel sind. Dann gibt es einen Schnittpunkt A, den wir als
Ursprung eines xy-Koordinatensystems verwenden. Die Koeffizienten aller Kräfte lauten
F1x = F1 cos α1 , F1y = F1 sin α1 , F2x = F2 cos α2 , F2y = F2 sin α2 ,
(5.29)
F3x = F3 cos α3 , F3y = F3 sin α3 , Rx = R cos αR , Ry = R sin αR .
Wir bilden das Moment der Kraft F3 mit den Koeffizienten F3x und F3y sowie den Hebel-
armen y3 und x3 . Die Kräfte F1 und F2 haben kein polares Moment bzgl. A, da deren
Wirkungslinien durch diesen Punkt verlaufen. Das Moment der Kraft R wird in gleicher
Weise berechnet. Mit der Forderung, dass das Kraftsystem F1 , F2 und F3 bzgl. Moment und
Kräftesummen in horizontaler und vertikaler Richtung äquivalent zur Kraft R sein soll (kein
Gleichgewicht !), erhält man

1. A: y3 F3x − x3 F3y = yR Rx − xR Ry
2. →: F1x + F2x + F3x = Rx (5.30)
3. ↑: F1y + F2y + F3x = Ry .
Mit den Koeffizienten für F3x , F3y , Rx , Ry in den Gleichungen (5.29) folgt aus Gl.(5.30.1)
yR cos αR − xR sin αR
F3 = R. (5.31)
y3 cos α3 − x3 sin α3
Mit den Koeffizienten für F1x , F1y , F2x und F2y in den Gleichungen (5.29), Multiplikation
von Gl.(5.30.1) mit sin α2 , Multiplikation von Gl.(5.30.2) mit cos α2 , dem Additionstheorem
sin(α − β) = sin α cos β − cos α sin β und Substraktion beider Gleichungen voneinander
wird F1 berechnet. Bestimmt man F2 in gleicher Weise, erhält man zusammenfassend
1
F1 = (R(sin(α2 − αR ) + F3 (sin(α2 − α3 )))
sin(α2 − α1 )
1 (5.32)
F2 = (R(sin(αR − α1 ) + F3 (sin(α1 − α3 ))) .
sin(α2 − α1 )
Mit diesen Ergebnissen und weiteren Untersuchungen werden in Abb. 5.27 sechs Fälle un-
terschieden:
5.7 Die drei Grundaufgaben der Starrkörperstatik 119

1. Der Fall 1 in Abb. 5.27.1 wiederholt die Darstellung aus Abb. 5.26. Dabei kennzeichnet
„Kein GP (w1 , w2 , w3 )”, dass es keinen gemeinsamen Schnittpunkt der drei Wirkungsli-
nien w1 , w2 , w3 gibt. Wir bemerken nochmals ausdrücklich, dass die Gleichungen (5.32)
nicht für den Sonderfall mit zwei parallelen Wirkungslinien w1 und w2 gelten, da bei der
Aufstellung der Gleichungen (5.30) ein Schnittpunkt beider Linien vorausgesetzt wurde.
2. Für den Sonderfall mit zwei parallelen Wirkungslinien w1  w2 verwenden wir in
Abb. 5.27.2 zweckmäßig in einem neuen Ansatz ein Koordinatensystem, bei dem die
x-Achse parallel zu den Wirkungslinien w1 und w2 ist. Mit einem Bezugspunkt A für die
Momentengleichung im Angriffspunkt der Kraft F3 lauten die Äquivalenzbedingungen

 : F3 sin α3 = R sin αR
: F1 + F2 + F3 cos α3 = R cos αR (5.33)

A : F1 y1 + F2 y2 = R cos αR yR .

Gl.(5.33.1) liefert sofort die Kraft F3 . Für alle drei Kräfte erhält man nach weiterer Au-
flösung (vgl. Aufgabe 5.22)

1. Kein GP (w1 , w2 , w3 ) 2. w1  w2
= w3 3. GP (w1 , w2 , w3 ) = A

R R R
y
Ry
wR αR F x y Ry
w1 αR Rx
2 w1 αR
yR w3 Ry yR
Rx xR Rx
F1 α3 F1 wR
F3 w2
α1 F2 w2 F3 Fx w1 α1 F2
α2 wR F1 α2
w3 Fy w3
F3y F3 F3y F3
y3 y3
α 3 F3x w2 F3x α3
A xR y y3 y
x3 x xR x3 x
R y2
A GP =A

4. w1  w2  w3 5. w1
= w2 6. Kein GP (w1 , w2 , w3 , w4 )
R R wR
αR y R wR y
F4
w3 Rx F 2 x w1
αR αR
Ry w4
F3 xR F1
F1
w1 α1 α1 F2 w2
wR α2
F3 w w3
w2 F1 3
F3y F3y F3
y3 y3 w
α3 F 1 α3 F3x
3x
y y x3 x
3 yR y x3 x
2

Abb. 5.27. Zerlegung einer Kraft R für sechs Fälle (GP kennzeichnet einen gemeinsamen Schnittpunkt)
120 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

sin αR
1. F3 = R
sin α3
 
R sin αR cos α3
2. F1 = y1 cos αR − y1 − yR cos αR + xR sin αR (5.34)
y1 − y2 sin α3
 
R sin αR cos α3
3. F2 = y2 cos αR − y2 − yR cos αR + xR sin αR .
y2 − y1 sin α3

3. Verlaufen wie in Abb. 5.27.3 alle drei Wirkungslinien durch einen Schnittpunkt A, dann
gilt für die Koordinaten (x3 , y3 ) des Angriffspunktes der Kraft F3 in Gl.(5.34.1)
y3 sin α3
1. = tan α3 = =⇒ 2. y3 cos α3 − x3 sin α3 = 0. (5.35)
x3 cos α3
Damit wird der Nennerterm in Gl.(5.31) gleich Null, so dass keine Lösungen für F3 in
Gl.(5.31) und somit auch nicht für F1 und F2 in Gl.(5.32) existieren.
4. Den Fall 4 mit drei parallelen Wirkungslinien w1 w2 w3 in Abb. 5.27.4 können wir mit
α3 = 0 als Sonderfall der Gleichungen (5.33) behandeln. Wegen sin α3 = 0 wird der
Nennerterm allerdings zu Null, so dass eine Lösung nach den Gleichungen (5.34) nicht
existiert.
5. In Abb. 5.27.5 betrachten wir zusätzlich den Fall mit zwei Wirkungslinien w1
= w2
und einer Wirkungslinie wR , die nicht durch deren Schnittpunkt verläuft. Es ist nicht
möglich, die Resultierende R auf der Wirkungslinie wR durch zwei Kräfte F1 und F2
auf deren Wirkungslinien w1 und w1 gleichwertig zu ersetzen. Dieses würde dem Axiom
vom Kräfteparallelogramm (3.7) widersprechen. Es sei auch bemerkt, dass dieser Fall
dem Sonderfall mit zwei gleichen Wirkungslinien w1 = w2 in Abb. 5.27.4 entspricht,
wofür wegen y1 = y2 keine Lösung der Gleichungen (5.34) existiert.
6. Für den Fall mit vier Wirkungslinien w1
= w2
= w3
= w4 in Abb. 5.27.6 müssen die
drei Gleichungen (5.30 jeweils um einen vierten Term erweitert werden. Ohne hier auf
Einzelheiten einzugehen, kann gezeigt werden, dass für diese drei Gleichungen mit vier
Unbekannten F1 , F2 , F3 , F4 zwar eine Lösung existiert, jedoch ist diese nicht eindeutig.

5.7.5 Die Systemmatrix


Die Existenz von Lösungen der Gleichungen (5.30) kann auch mit einer Matrixdarstellung
untersucht werden. Dazu bringen wir die Gleichungen (5.30) mit den Koeffizienten aus den
Äquivalenzbedingungen (5.29) in eine Matrixform A x = b, vgl. Gl.(D.3):
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 0 y3 cos α3 − x3 sin α3 F1 R(yR cos αR − xR sin αR )
⎣ cos α1 cos α2 cos α3 ⎦ ⎣ F2 ⎦ = ⎣ R cos αR ⎦ . (5.36)
sin α1 sin α2 sin α3 F3 R sin αR
        
A x x

Da die Matrix A nur von den Richtungswinkeln α1 , α2 und α3 der Wirkungslinien w1 , w2


und w3 und den Koordinaten eines Punktes auf der Wirkungslinie von w3 jedoch nicht von
der Belastung abhängt, bezeichnen wir sie als Systemmatrix. Für deren Determinante gilt
5.8 Statische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene 121
⎡ ⎤
0 0 y3 cos α3 − x3 sin α3
det A = det ⎣ cos α1 cos α2 cos α3 ⎦
sin α1 sin α2 sin α3 (5.37)

= (y3 cos α3 − x3 sin α3 )(cos α1 sin α2 − cos α2 sin α1 ).


Schneiden sich alle Wirkungslinien in einem Punkt, folgt für den ersten Klammerausdruck
wegen Gl.(5.35.2) y3 cos α3 − x3 sin α3 = 0, so dass det A = 0.
Für den Sonderfall mit zwei parallelen Wirkungslinien w1  w2 bestimmt man die Sys-
temmatrix und deren Determinante aus den Gleichungen (5.33):
⎡ ⎤
0 0 sin α3
A = ⎣ 1 1 cos α3 ⎦ =⇒ det A = sin α3 (y2 − y1 ). (5.38)
y1 y2 0

Zusammenfassend gelten folgende

Regeln zur Systemmatrix für ebene nichtzentrale Kraftsysteme


1. Die Systemmatrix A wird durch die drei Richtungen der Wirkungslinien w1 ,
w2 und w3 sowie die Lage einer Wirkungslinie gegenüber den beiden anderen
Wirkungslinien festgelegt, d.h.
2. sie ist unabhängig von der Belastung.
3. Die Systemmatrix ist singulär für zwei Fälle: (5.39)
a) Die drei Wirkungslinienhaben einengemeinsamen Schnittpunkt,Abb. 5.27.3.
b) Die drei Wirkungslinien sind parallel, Abb. 5.27.4.
In beiden Fällen existieren keine Lösungen für die Zerlegung.
4. Sind nicht alle Wirkungslinien parallel und haben sie keinen gemeinsamen
Schnittpunkt, dann ist die Systemmatrix regulär. Nur dann existiert eine Lösung
für die Kraftzerlegung, Abb. 5.27.1 und Abb. 5.27.2.

5.8 Statische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene


Wir betrachten in Abb. 5.28 einen Rahmen, der für sechs verschiedene Fälle mit Pendelstäben
verschiedener Anzahl und verschiedener Richtungen gelagert ist. Infolge der Belastung R
entstehen in den Stäben jeweils Reaktionskräfte S1 , S2 , ..., für deren Berechnung man die
drei Gleichgewichtsbedingungen (5.25) zur Verfügung hat. Wir untersuchen die Eignung der
verschiedenen Lagerungen gemäß der

Definition statische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene


Ein Starrkörper ist statisch bestimmt gelagert, wenn bei beliebiger Belas- (5.40)
tung seine Lagerreaktionen mit den drei Gleichgewichtsbedingungen (5.25)
eindeutig bestimmt werden können.

Zur Klärung, welcher der Rahmen in Abb. 5.28 statisch bestimmt gelagert ist, verwenden
wir die Ergebnisse zur dritten Grundaufgabe im vorherigen Abschnitt 5.7.4. Dazu berück-
122 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

sichtigen wir, dass die beiden Kraftsysteme R und, sofern existent, F1 , F2 , ... für die ver-
schiedenen Fälle in Abb. 5.27 jeweils statisch äquivalent sind. Kehren wir die Richtungen
der Kräfte F1 , F2 , ... um, so werden diese zu Reaktionskräften S1 , S2 , ... und sind nach dem
Gleichgewichtsgesetz für zwei Kraftsysteme (3.21) mit der Kraft R im Gleichgewicht. Mit
der Bezeichnung GP (w1 , w2 , ...) für den gemeinsamen Schnittpunkt der Wirkungslinien w1 ,
w2 , ... erhält man zusammenfassend folgende

Sechs Fälle zur Existenz von Gleichgewicht


Fall r Wirkungslinien det A Ergebnis für Gleichgewicht

1. 3 Kein GP (w1 , w2 , w3 )
= 0 existiert eindeutig
2. 3 w1  w2
= w3
= 0 existiert eindeutig (5.41)
3. 3 GP (w1 , w2 , w3 ) =0 existiert nicht
4. 3 w1  w2  w3 =0 existiert nicht
5. 2 w1
= w2 − existiert nicht
6. 4 Kein GP (w1 , w2 , w3 , w4 ) − existiert, jedoch nicht eindeutig.

1. Kein GP (w1 , w2 , w3 ) 2. w1  w2
= w3 3. GP (w1 , w2 , w3 ) = A

y R w R αR R
x y
Ry αR
R
Rx Ry αR
yR yR
Rx w3 Ry xR R
w1
w2 w1 wR x
F3 w2
α1 w1 α1
α2 wR α2
w3 S2
S2 w2 S1 S2 w3
y3 S1 y3
α3 S3 α3
A xR yy S3
x3 x 3 yR y xR x3 x
S3 2 A GP=A
S1
4. w1  w2  w3 5. w1
= w2 6. Kein GP (w1 , w2 , w3 , w4 )
R
αR y R wR y R wR
w3 x w4
Rx αR αR
Ry xR w1 S4 w1
α1 α1 w2
w1
wR S α2
2
w2 w3
S2
S3 y2 y3
w2 S1 α2 S1 α3
yy
3 yR S2 x2 x S3 x3 x
y2
S1
Abb. 5.28. Sechs Fälle zur Untersuchung von Gleichgewicht eines Starrkörpers (GP kennzeichnet einen gemein-
samen Schnittpunkt)
5.8 Statische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene 123

Die Fälle (5.41.3) und (5.41.4) zeigen, dass allein das Anbringen von r = 3 kinematischen
Bindungen das Gleichgewicht des Starrkörpers nicht sichert. Zusätzlich muss die Anord-
nung der drei Bindungen zu einer regulären Systemmatrix führen. Der Fall (5.41.5) sowie
Abb. 5.28.5 zeigen, dass zwei Bindungen mit r = 2 zur Aufnahme einer beliebigen Kraft
R nicht ausreichend sind. Die Aussage von Fall (5.41.6) sowie Abb. 5.28.6 ist, dass eine
beliebige Kraft mit r = 4 Bindungen, deren Achsen sich nicht in einem Punkt schneiden,
aufgenommen werden kann, die Berechnung der Kräfte S1 , S2 , S3 , S4 jedoch nicht eindeutig
möglich ist. Einzig die Fälle (5.41.1) und (5.41.2) erfüllen die

Bedingungen für statische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene


1. Für die Anzahl der kinematischen Bindungen gilt:
r=3
2. Die drei Wirkungslinien der Reaktionskräfte dürfen (5.42)
a) nicht alle durch einen Punkt verlaufen und
b) nicht alle parallel sein
(vgl. z.B. Abb. 5.28.1 und Abb.5.28.2). Dann gilt für die Systemmatrix:
det A
= 0.

Bemerkung 5.10
1. Es sei nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die statische Bestimmtheit nur
von der Lagerung und nicht von der Belastung des Systems abhängt.
2. Bedingung (5.42.2) für die Systemmatrix kann erst überprüft werden, wenn Bedin-
gung (5.42.1) für die kinematischen Bindungen erfüllt ist. Daher ist (5.42.1) notwendig,
während (5.42.2) hinreichend für statische Bestimmtheit ist, vgl. Anhang B.
3. Den Fall det A = 0 bezeichnet man als Ausnahmefall der Statik (kurz: Ausnahmefall).
4. Die statische Bestimmtheit mehrteiliger Systeme wird im nachfolgenden Abschnitt 9.4
behandelt.

 Beispiel 5.9 Platte mit drei Pendelstützen

Eine Platte wird durch drei Pendelstützen gehalten. F


1. Berechnen Sie die Stabkräfte unter Einwirkung einer
a a
A 2 2
Einzellast F für beliebige Winkel α.
2. Werten Sie die Ergebnisse für a = 2 m, F = 3 N,
α = 0o aus. a
3. Für welchen Winkel α existiert keine Lösung?
4. Geben Sie die Systemmatrix A und deren Determi- B C
nante an. α
5. Berechnen Sie die Stabkräfte mit einer numerischen a
Methode und den Zahlwerten aus Aufgabe 2.
6. Welche mathematische und mechanische Interpreta- Abb. 5.29. Platte mit drei
Pendelstützen
tion ergibt sich für die numerische Lösung mit dem
Winkel aus Aufgabe 3?
124 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

Vorüberlegungen: Nach Eintragen der unbekannten Stab-


F
kräfte in dem Freikörperbild in Abb. 5.29.b werden die a a
Gleichgewichtsbedingungen (5.25) am Gesamtsystem aufge- A 2 2
stellt und nach den Lagerreaktionen aufgelöst.
Lösungen: A
1. Aus den Gleichgewichtsbedingungen (5.25) erhält man: a


C sinα
a
A: F − C cos α a + C sin α a = 0
2 B C
F C cos α α
=⇒ C =
2(cos α − sin α)
→: A − C sin α = 0 Abb. 5.29.b. Freikörperbild
F
=⇒ A = C sin α =
2(cot α − 1)  
1
↑: B + C cos α − F = 0 =⇒ B = F − C cos α = F 1− .
2(1 − tan α)
2. Mit den Zahlwerten a = 2 m, F = 3 N, α = 0o erhält man die Stabkräfte:
3 3
A = 0, B = N, C = N.
2 2
3. Die Lösungen für die Lagerreaktionen aus Schritt 1 F
sind nicht auswertbar, wenn jeweils die Nennerterme ver- a a
2 2
schwinden, d.h. wenn A

1. cos α − sin α = 0 oder


2. cot α = 1 oder 45 o
3. tan α = 1.
In allen drei Fällen folgt daraus die Bedingung
B C
1
cos α = sin α = √ =⇒ α = 45o .
2 Abb. 5.29.c. Ausnahmefall α = 45o
Für α = 45o bilden die drei Lagerreaktionen in Abb. 5.29.c ein zentrales Kraftsystem,
welches nicht ins Gleichgewicht mit der äußeren Kraft F gesetzt werden kann.
4. Wir schreiben die Gleichungen aus Aufgabenteil 1 als Matrixgleichung:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ F ⎤
0 0 a(sin α − cos α) A − a
⎢ ⎥
⎣1 0 − sin α ⎦ ⎣ B ⎦ = ⎣ 02 ⎦, A x = b.
0 1 cos α C F
        
A x
b
Die Entwicklung nach der ersten Spalte (vgl. (D.5)) ergibt für die Determinante von A

det A = (−1) (−1 · (− cos α + sin α)) .


5.8 Statische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene 125

Die Determinante verschwindet für sin α = cos α, so dass, wie oben bereits festgestellt, für
α = 45o Lösungen für die Lagerkräfte nicht existieren.
5. Die numerische Lösung des Gleichungssystems erfolgt mit dem Computeralgebra-System
MATLAB. Dazu betrachten wir zunächst den Fall α = 0. Mit den Konstanten ca = cos(α)
und sa = sin(α) werden die Matrizen A und b initialisiert.
a=2; F=3; alpha = 0;
alpha = alpha*pi/180, ca = cos(alpha), sa = sin(alpha)
Amat = [ 0 0 a*(sa-ca) ;
10 -sa ;
01 ca ];
bmat = [-F*a/2; 0 ; F;];
Mit dem Befehl detA = det(Amat) berechnen wir die Determinante und erhalten
detA = -2.0000
Damit ist die Matrix regulär, und wir können mit dem Befehl
xmat = inv(Amat)*bmat
die Ergebnismatrix berechnen:
xmat = 0
1.5000
1.5000
Damit werden für α = 0 die Ergebnisse aus dem Aufgabenteil 2 bestätigt.
6. Für den Fall α = 450 wird die Matrix A neu initialisiert:
a=2; F=3; alpha = 45;
alpha = alpha*pi/180, ca = cos(alpha), sa = sin(alpha)
Amat = [ 0 0 a*(sa-ca) ;
10 -sa ;
01 ca ];
bmat = [-F*a/2; 0 ; F;];
Mit dem Befehl detA = det(Amat) berechnen wir wieder die Determinante und erhalten
detA = -2.2204e-016
Aus den Lösungen in Aufgabe 4 hätten wir den Wert 0 erwartet. Im Gegensatz zum Beispiel
4.13 hat MATLAB diesen Wert diesmal nicht exakt erkannt. Dieses ist eine Folge von nu-
merischen Rundungsfehlern. Da der Wert detA = −2.2204e − 016 eine deutlich andere
Größenordnung als die betragsmäßig größten Elemente der Matrix A hat, ist die mathema-
tische Interpretation, dass die Matrix singulär ist. Die mechanische Interpretation besagt, dass
der Ausnahmefall vorliegt. Mit dem Befehl
xmat = inv(Amat)*bmat
erhalten wir weiter
Warning: Matrix is close to singular or badly scaled.
Results may be inaccurate. RCOND = 3.061617e-017.
xmat = 1.0e+016 *
0.9554
-0.9554
1.3511
Man erhält also unrealistisch große Werte für die Lagerreaktionen, was eine Folge des Aus-
nahmefalls ist. 
126 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

5.9 Aufgaben zu den Abschnitten 5.7 und 5.8


F
Aufgabe 5.12 (SG = 1, BZ = 10 min) w1 w2
Zerlegen Sie die Kraft F in die Richtungen A
der Wirkungslinien w1 und w2 .
Bekannt: F = 6 kN, a = 60 cm, b = 80 cm, a
c = 110 cm. b
c

Aufgabe 5.13 (SG = 1, BZ = 5 min ) a b


Auf einem Anhänger mit zwei Radachsen mW mW
mK
sind wie dargestellt zwei Waschmaschinen
mK
abgestellt. Welchen Abstand a muss die Kis- mW
te haben, damit die resultierende Kraft in der
Mitte des Anhängers auftritt?
Bekannt: mW = 150 kg, b = 3, 50 m, mK = c c
250 kg.

Aufgabe 5.14 (SG = 2, BZ = 20 min)


Ein Kragträger wird mit zwei Kräftegruppen belastet. Bestimmen Sie für beide Fälle a und b
1. die Dyname (Kraftwirkung) bzgl. des Punktes A
2. die Totalresultierende.
Bekannt: F1 = 6 kN, F2 = 8 kN, F3 = 4 kN, a = 60 cm, b = 180 cm, c = 240 cm.

a) b) F2
F1 F3 F1 F3
A A
45 o 45o 45 o
F2

a a
b b
c

Aufgabe 5.15 (SG = 2, BZ = 10 min )


Erstellen Sie für den Kran aus Beispiel 5.4 ein Freikörperbild und erklären Sie den Unter-
schied zwischen dem polaren Moment und dem Drehmoment.
5.9 Aufgaben zu den Abschnitten 5.7 und 5.8 127

Aufgabe 5.16 (SG = 1, BZ = 15 min) a) F1 F2 F1


F2
Ein Träger wird mit parallelen Kräftegrup-
A
pen belastet.
1. Bestimmen Sie für beide Gruppen die a
Dyname (Kraftwirkung) bzgl. des Punk- b
tes A. c
2. Welche Reduktionen sind möglich? F1 F2 F2 F2
b)
Bekannt: F1 = 6 kN, F2 = 7 kN, a = 60 cm,
A
b = 80 cm, c = 110 cm.

Aufgabe 5.17 (SG = 2, BZ = 15 min )


Der dargestellte Rahmen ist an zwei Punk-
2l
ten gelagert. Die Bewegung des Lagers
A ist horizontal und vertikal und die des α
Lagers B ist senkrecht zu einer um den
Winkel α geneigten Achse behindert. Das l B
Eigengewicht des Rahmens wird vernach- F
2l
lässigt. In dem Stiel greift wie dargestellt
eine horizontale Einzellast an. l

1. Bestimmen Sie alle Auflagerkräfte des A


Rahmens für den Winkel α = 0.
2. Führen Sie eine Kontrolle des Ergeb-
nisses mit einer weiteren Momenten-
gleichgewichtsbedingung durch.
3. Bestimmen Sie die Systemmatrix allgemein für den Winkel α. Für welche Winkel α
wird das System unbrauchbar?
4.* Lösen bzw. untersuchen Sie die Aufgaben 1 und 3 mit einer numerischen Methode.
Bekannt: l = 3 m, F = 12 kN.

Aufgabe 5.18 (SG = 2, BZ = 15 min )


Eine Laufkatze, an deren Hacken ein x
Gewicht G angebracht ist, bewegt sich ent-
lang eines Trägers.
1. Bestimmen Sie die vertikalen Auf-
A B
lagerkräfte in A und B infolge der
Gewichtskraft G als Funktion der Vari-
ablen x. l
2. Wie groß sind die vertikalen Auf-
lagerkräfte für x = l/2, l/4, 2l/3, 3l/4? m
Bekannt: l = 3 m, G = 12 kN.
128 5 Nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene

Aufgabe 5.19 (SG = 2, BZ = 15 min )


F2 l
Die dargestellte Stahlkonstruktion wird durch
drei Kräfte belastet. 45 o B

1. Reduzieren Sie das Kraftsystem auf eine F1


h
Dyname im Punkt A. A F3
2. Welche Art der Redukton ist möglich?
3. Bestimmen Sie die Kräfte in den Lagern A
und B. l l

Bekannt: F1 = 3 N, F2 = F1 2 N, F3 =
F1 N, l = 3 m, h = 2 m.

Aufgabe 5.20 (SG = 2, BZ = 20 min )


Für ein Fahrrad mit Federgabel wird zur Ab-
schätzung des Schwingungsverhaltens ein ein- g
faches Ersatzmodell verwendet, welches aus mP
drei Stäben der Masse m und einer Punktmasse l
mP besteht. Der zusätzliche Hilfsstab ist mas- m H =0
hP m
selos (mH = 0). Die Gabel hat eine Feder mit
m m h
der Konstanten c. 60° 70°
Wie groß ist die Längenänderung der Feder in-
c
folge der Gewichtskräfte?
Bekannt: m = 7 kg, mP = 70 kg, l =
0, 5 m, hP = 1, 20 m, h = 0, 8 m, c = 40
kN/m, g = 10 m/s2 .

Aufgabe 5.21 (SG = 1, BZ = 10 min ) a b


Auf einen Dachbinder wirken zwei Einzel- F1 F2
lasten F1 , F2 . Wie groß sind die beiden
Lagerkräfte?
Bekannt: l = 3 m, a = 0, 50 m, b = 0, 40 m,
F1 = 3 kN, F2 = 7 kN.
l

Aufgabe 5.22 (SG = 2, BZ = 20 min )


Leiten Sie die Gleichungen (5.34) für die Zerlegung einer Kraft mit zwei parallelen
Wirkungslinien her.
5.9 Aufgaben zu den Abschnitten 5.7 und 5.8 129

Aufgabe 5.23 (SG = 3, BZ = 30 min )


Ein Stab (Masse mS , Gewicht G, Länge l) ist
in einer um den Winkel β geneigten Lage an
den Endpunkten A und B gelagert. Das Lager
A wird von einer Feder und einer Hülse und
das Lager b von einer Hülse gebildet. Bestim- l
mS
men Sie für den Winkel β = 60o
1. die Lagerkräfte β c
2. die Längenänderung in der Feder.
3. Bestimmen Sie für einen beliebigen
Winkel β die Systemmatrix. Für welchen
Winkel β wird das System unbrauchbar?
4.* Behandeln Sie die Aufgaben 1 und 3 mit
einer numerischen Methode.
Bekannt: l = 3 m, c = 60 N/m, G = 3 N, β = 60o .

Aufgabe 5.24 (SG = 1, BZ = 10 min )


Bestimmen Sie mit den Gleichungen (5.32) für den Sonderfall α1 = 90o , α2 = 0o , αR = 0o ,
xR = yR = 0 die Kräfte F1 , F2 , F3 in Abb. 5.27.1.

Aufgabe 5.25 (SG = 2, BZ = 10 min )


F2
Die dargestellte federgelagerte Stahlkon- l
struktion wird durch ein Kräftepaar belastet. B

1. Bestimmen Sie die Kräfte in den Lagern F1


h c
A und B. c A
2. Welche Verschiebungen erfahren die
Lager? c
l l
Bekannt: F1 = 3 N, F2 = 9 N, c = 60 N/m,
l = 3 m, h = 2 m.
Foto: K. Niggemeier

Die Köhlbrandbrücke ist auf Grund ihrer markanten Konstruktion ein Wahrzeichen der Stadt Hamburg. Sie
verbindet seit dem 23. September 1974 auf einer Länge von 3,94 km die westlichen und die östlichen Hafen-
teile über den 300 Meter breiten Wasserarm „Köhlbrand". Das 520 Meter lange Kernstück der Stahlbrücke ist
an zwei 135 Meter hohen Pylonen mit 88 Stahlseilen aufgehängt und erreicht dabei eine Höhe von 55 Metern
über dem Wasser. Die westliche Rampenbrücke in Waltershof ist im Grundriss S-förmig mit Radien bis zu 175
m gekrümmt, so dass bei der Konstruktion auch die räumliche Wirkung von Kräften zu berücksichtigen war. Die
Köhlbrandbrücke stellt damit nicht nur optisch, sondern auch technisch eine Meisterleistung der Brückenkon-
strukteure hinsichtlich räumlicher Tragwirkungen dar.
6
Kraftsysteme im Raum

Eine Gruppe von Kräften, die nicht alle in derselben Wirkungsebene liegen, bildet ein räum-
liches Kraftsystem. Greifen alle Kräfte an demselben Punkt an, liegt ein zentrales räumliches
Kraftsystem ansonsten ein nichtzentrales räumliches Kraftsystem vor. Wie bei den ebenen
Kraftsystemen in den Kapiteln 4 und 5 behandeln wir in beiden Fällen drei Grundaufgaben:
1. Reduktion, 2. Bedingungen für Gleichgewicht und 3. Zerlegung einer Kraft. Da zeichne-
rische Lösungen heute kaum noch Bedeutung haben, beschränken wir uns auf rechnerische
Lösungen und gehen dabei auch auf numerische Methoden ein.

6.1 Darstellung von Kraftvektoren in kartesischen Koordinaten


Für die rechnerischen Lösungen der drei Grund-
aufgaben in den nachfolgenden Abschnitten hat Fiy
die Darstellung von Kraftvektoren in kartesi-
schen Koordinaten eine besondere Bedeutung.
z
Zur Erklärung zerlegen wir in Abb. 6.1 eine Kraft γ i Fi Fiz
Fiz
Fi in die drei senkrecht zueinander stehenden βi
kartesischen Koordinatenrichtungen x, y, z. Mit
ez α i Fiy
den Komponenten Fix , Fiy und Fiz erhält man Fix Fix
ex ey y
Fi = Fix + Fiy + Fiz . (6.1) x
Wie bei Kräften in der Ebene in Abschnitt 4.2.7 Abb.6.1. Zerlegung einer Kraft Fi im
Raum für kartesische Koordinaten
werden auch hier den Komponenten Fix , Fiy und
Fiz Koeffizienten Fix , Fiy und Fiz zugeordnet.
Mit den orthonormalen Basisvektoren ex , ey , ez (siehe Anhang C.2) werden die Komponen-
ten mit Hilfe der Koeffizienten ausgedrückt:

Fix = Fix ex , Fiy = Fiy ey , Fiz = Fiz ez . (6.2)

Zur Festlegung der Richtung des Kraftvektors F im Raum sind im Gegensatz zum ebenen
Fall drei Richtungswinkel notwendig. In Abb.6.1 sind das die Winkel αi , βi , γi , die der
Vektor Fi mit den Koordinatenachsen einschließt. Der Betrag von Fi ist nach Gl.(C.13) in
Anhang C die Länge der Diagonalen des Quaders in Abb. 6.1. Aus Gl.(6.1) und Gl.(6.2)
sowie Anwendung der Kosinusfunktionen erhält man zusammenfassend für den

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
132 6 Kraftsysteme im Raum

Kraftvektor in kartesischen Koordinaten


1. Fi = Fix + Fiy + Fiz Komponentendarstellung
2. Fi = Fix ex + Fiy ey + Fiz ez Basisdarstellung (6.3)
3. Fix = Fi cos αi , Fiy = Fi cos βi , Fiz = Fi cos γi Koeffizienten

4. Fi = |Fi | = Fix 2 + F2 + F2 Betrag der Kraft.
iy iz

Bemerkungen 6.1
1. Die Basisdarstellung eines Kraftvektors (6.3.2) wird auch als Spaltenmatrix
⎛ ⎞
Fix  T
Fi = Fix ex + Fiy ey + Fiz ez = ⎝ Fiy ⎠ = Fix , Fiy , Fiz (6.4)
Fiz
geschrieben. Diese Darstellung für Vektoren mit runden Klammern ist mathematisch von

T
der Spaltenmatrix F = Fix , Fiy , Fiz mit rechteckigen Klammern zu unterscheiden,
die nur eine Anordnung von Skalaren kennzeichnet, vgl. die Erläuterungen in Anhang D.
2. Mit der Resultierenden Fi und den Richtungswinkeln αi , βi , γi sind die Koeffizienten Fix ,
Fiy und Fiz mit Gl.(6.3.3) eindeutig bestimmbar. Dabei ist Fi stets positiv einzusetzen.
3. Umgekehrt können durch Angabe der drei Koeffizienten Fix , Fiy und Fiz die Rich-
tungswinkel αi , βi , γi durch Umstellung von Gl.(6.3.3) berechnet werden:
Fix Fiy Fiz
cos αi = , cos βi = , cos γi = . (6.5)
Fi Fi Fi
Hierbei ist Fi stets positiv, und die Koeffizienten Fix , Fiy und Fiz sind mit ihren Vor-
zeichen einzusetzen. Ist z.B. cos αi positiv, schließt Fix mit der positiven x-Achse einen
spitzen Winkel ein; ist cos αi dagegen negativ, dann liegt ein stumpfer Winkel vor. Wei-
tere Möglichkeiten treten nicht auf.
4. Durch Quadrieren und Addieren der drei Gleichungen (6.5) folgt unter Berücksichtigung
von Gl.(6.3.4)
cos2 αi + cos2 βi + cos2 γi = 1. (6.6)
Damit sind die drei Richtungskosinus und folglich auch die drei Richtungswinkel nicht
unabhängig voneinander.

6.2 Zentrale Kraftsysteme im Raum

6.2.1 Erste Grundaufgabe: Reduktion auf eine Einzelkraft


Aufgabenstellung: In dem Lageplan (LP) in Abb. 6.2.a greifen drei Kräfte F1 , F2 , F3 auf
ihren Wirkungslinien w1 , w2 , w3 an. Diese schneiden sich in einem Punkt M , so dass ein
zentrales Kraftsystem im Raum vorliegt. Wir suchen vektorielle und skalare Gleichungen für
die Kraftresultierende (kurz: Resultierende) R.
Lösung: Wie beim ebenen Kraftsystem werden die Kräfte F1 , F2 , F3 nach Betrag und Rich-
tung vom Lageplan (LP) in den Kräfteplan (KP) übertragen. Die Resultierende R wird durch
6.2 Zentrale Kraftsysteme im Raum 133

a) LP b) KP
F2 F3 w3

R
M w1 E . F3
F2

z y
x
w1
F1
z y
R
A
. F1
x
Abb. 6.2. Reduktion eines räumlichen zentralen Kraftsystems: a) Lageplan (LP), b) Kräfteplan (KP)

die aufeinanderfolgende Anwendung des Axioms vom Kräfteparallelogramm (3.7) und somit
durch Addition aller Vektoren in dem Kräfteplan in Abb. 6.2.b erhalten. Dabei ist auch hier
die Reihenfolge beliebig. Die Verbindungsstrecke vom Anfangspunkt A des zuerst gezeich-
neten Vektors zum Endpunkt E des zuletzt gezeichneten Vektors in dem so entstandenen
Kräftepolygon ist die Resultierende R. Wie beim ebenen Kraftsystem verläuft sie im Lage-
plan durch den gemeinsamen Schnittpunkt M . Für den Fall mit n Kräften erhalten wir die

Resultierende eines zentralen Kraftsystems durch Vektoraddition


n
(6.7)
R = F1 + F2 + ... + Fi + ... + Fn = Fi .
i=1

Die Regeln (4.5) des zentralen ebenen Kraftsystems gelten auch für das zentrale räumliche
Kraftsystem. Da die zeichnerische Lösung für räumliche Kraftsysteme nicht sehr anschaulich
ist, wird sie im Folgenden nicht weiter verfolgt.
Mit der Basisdarstellung (6.3.2) für jeden Kraftvektor Fi in Gl.(6.7) folgt entsprechend
der Herleitung für das ebene zentrale Kraftsystem in Gl.(4.19)

n 
n 
n
R= Fix ex + Fiy ey + Fiz ez = Rx ex + Ry ey + Rz ez . (6.8)
i=1 i=1 i=1

Damit ist eine Basisdarstellung für die Resultierende analog zu Gl.(6.3.2) gefunden. Übertra-
gen wir zusätzlich die Gleichungen (6.3.3) für die Koeffizienten, Gl.(6.3.4) für den Betrag,
sowie die Gleichungen (6.5) für die Richtungen, dann gilt zusammenfassend für die

Resultierende eines zentralen Kraftsystems in kartesischen Koordinaten



1. Rx = ni=1 Fix , wobei Fix = Fi cos αi
n
2. Ry = i=1 Fiy , wobei Fiy = Fi cos βi
n (6.9)
3. Rz = i=1 Fiz , wobei Fiz = Fi cos γi

4. R = Rx2 + Ry2 + Rz2
Rx Ry Ry
5. cos αR = , cos βR = , cos γR = .
R R R
134 6 Kraftsysteme im Raum

 Beispiel 6.1 Kraftsystem an einer Ringschraube

An einer Ringschraube greifen drei Kräfte F1 , F2 , F3 an.


Berechnen Sie die Koeffizienten der Kraftresultierenden z
sowie deren Richtungswinkel αR , βR , γR .
F3 F1
Bekannt: F1 = 15 N, α1 = 48o , β1 = 60o
F2 = 30 N, α2 = 342o , β2 = 80o
F3 = 82 N, α3 = 142o , β3 = 110o . y
Vorüberlegungen: Zunächst müssen die noch fehlenden F2
Richtungswinkel γ1 , γ2 , γ3 mit Gl.(6.6) bestimmt wer-
den. Anschließend werden die drei Koeffizienten der Re- x
sultierenden mit den Gleichungen (6.9.1-3) und die Rich- Abb. 6.3. Kräfte an einer Ringschraube
tungswinkel mit den Gleichungen (6.9.5) berechnet.
Lösung: Durch Umstellen von Gl.(6.6) gemäß cos γi2 = 1 − (cos α2i + cos βi2 ) und Einsetzen
der gegebenen Winkel erhält man
cos γ1 = 0, 550, cos γ2 = 0, 256, cos γ3 = 0, 512
=⇒ γ1 = 56, 65o , γ2 = 75, 19o , γ3 = 59, 21o .
Aus den Gleichungen (6.9.1) bis (6.9.3) folgt für die Kraftkoeffizienten

Rx = (15 · cos 48o + 30 · cos 342o + 82 · cos 142o ) N = − 26, 05 N


Ry = (15 · cos 60o + 30 · cos 80o + 82 · cos 110o ) N = − 15, 33 N
Rz = (15 · cos 56, 65o + 30 · cos 75, 19o + 82 · cos 59, 21o ) N = 57, 89 N .

Mit dem Betrag der Resultierenden nach Gl.(6.9.4)


 
R = Rx2 + Ry2 + Rz2 = (−26, 05)2 + (−15, 33)2 + 57, 892 = 65, 31 N

bestimmt man die Richtungswinkel nach den Gleichungen (6.9.5)


−26, 05 −15, 33 57, 89
cos αR = = −0, 399, cos βR = = −0, 235, cos γR = = 0, 886
65, 31 65, 31 65, 31
=⇒ αR = 113, 52o , βR = 103, 59o , γR = 27, 58o . 

6.2.2 Zweite Grundaufgabe: Gleichgewicht


Aufgabenstellung: Gesucht sind vektorielle und skalare Bedingungen für Gleichgewicht
eines zentralen Kraftsystems im Raum.
Lösung: Wie bei der Bedingung (4.8) für ebene Kraftsysteme ist ein räumliches zentrales
Kraftsystem im Gleichgewicht, wenn die Kraftresultierende in Gl.(6.7) verschwindet:
Vektorielle Gleichgewichtsbedingung für ein zentrales Kraftsystem im Raum
n
(6.10)
R = F1 + F2 + ... + Fi + ... + Fn = Fi = 0.
i=1
6.2 Zentrale Kraftsysteme im Raum 135

Mit den Koeffizienten für die Resultierende in (6.9) erhält man drei zu (6.10) gleichwertige

Skalare Gleichgewichtsbedingungen für ein zentrales Kraftsystem im Raum


n n  n (6.11)
1. Rx = Fix = 0 2. Ry = Fiy = 0 3. Rz = Fiz = 0.
i=1 i=1 i=1

Bemerkungen 6.2
1. Die Bedingungen (6.11) besagen: Ein starrer Körper ist unter der Wirkung eines zen-
tralen räumlichen Kraftsystems im Gleichgewicht, wenn die Summe aller Kräfte in den
drei Koordinatenrichungen x, y und z jeweils gleich Null ist.
2. Damit sind drei skalare Gleichungen notwendig und hinreichend für Gleichgewicht eines
räumlichen zentralen Kraftsystems. (Nach Bemerkung 4.4.1 sind es zwei Gleichungen für
ein ebenes zentrales Kraftsystem.)

 Beispiel 6.2 Kraftsystem an einem Eckzaun

Der Eckbereich eine Zaunes wird mit drei Pfählen 1, 2 und


F2
3 ausgeführt. In dem oberen Punkt P greifen zwei Kräfte
F1 und F2 an. Wie groß sind die Kräfte in den Pfählen? P F1
Bekannt: h, a, b, F1 , F2 = 2F1 . β 3
Vorüberlegungen: Wir bestimmen zunächst die Rich- h
tungswinkel β und γ, die zur Zerlegung der Pfahlkräfte in
1 γ
2 b
Abb. 6.5 benötigt werden. Anschließend werden mit den
drei Gleichgewichtsbedingungen (6.11) die unbekannten a
Pfahlkräfte berechnet. Abb. 6.4. Kräfte an einem Eckzaun

a) z F2 b) c)
y S2x S3y
P F1 z z
x S1 S3 S2z S2 S3z S3
S2 x γ y β

Abb. 6.5 Kräfte im Punkt P : a) Freikörperbild, b) Zerlegung von S2 , c) Zerlegung von S3

Lösung: Für die Richtungswinkel β und γ in Abb. 6.4 gilt mit den Abständen a, b, h
a b
tan γ = , tan β = .
h h
Abb. 6.5 zeigt ein Freikörperbild in der Nähe des Punktes P mit den Pfahlkräften S1 , S2 und
S3 und den Belastungen F1 und F2 . Bezogen auf das dargestellte Koordinatensystem erhält
man nach der Zerlegung von S2 und S3 die Kraftkoeffizienten
S2z = S2 cos γ, S2x = S2 sin γ,
S3z = S3 cos β, S3y = S3 sin β.
136 6 Kraftsysteme im Raum

Die Kraft S1 muss nicht zerlegt werden, da diese in z-Richtung wirkt. Damit lauten die
Gleichgewichtsbedingungen (6.11)

1. Fix = 0 : F1 − S2 sin γ = 0

2. Fiy = 0 : F2 − S3 sin β = 0

3. Fiz = 0 : S2 cos γ + S3 cos β − S1 = 0.
Nach Auflösung dieser drei Gleichungen erhält man die Pfahlkräfte
F1 F2 F1 F2
S2 = , S3 = , S1 = + . 
sin γ sin β tan γ tan β

6.2.3 Dritte Grundaufgabe: Zerlegung einer Kraft


Aufgabenstellung: In Abb. 6.6 sind eine Kraft
R auf der Wirkungslinie wR sowie drei
Wirkungslinien w1 , w3 , w3 gegeben. Die zuge- wR F2 w2
hörigen Richtungswinkel sind αR , βR , γR bzw. z
α1 , α2 , α3 , β1 , β2 , β3 und γ1 , γ2 , γ3 . Auf den R w1
Linien w1 , w2 , w3 suchen wir die Kräfte F1 , F2 , w3 γ1 F1
F3 , so dass diese äquivalent zu R sind. F3 β1
Lösung: Es werden drei Kräftebedingungen for- α1 y
muliert. Dabei schreiben wir die Koeffizienten
sowohl der Kräfte F1 , F2 , F3 als auch der Kraft x
R entsprechend Gl.(6.3) Aus der Forderung, dass
Abb. 6.6. Zerlegung einer Kraft
beide Kraftsysteme äquivalent sein sollen (kein in drei Richtungen
Gleichgewicht !) erhält man

1. F1 cos α1 + F2 cos α2 + F3 cos α3 = R cos αR


2. F1 cos β1 + F2 cos β2 + F3 cos β3 = R cos βR (6.12)
3. F1 cos γ1 + F2 cos γ2 + F3 cos γ3 = R cos γR .
Schreiben wir dieses Gleichungssystem als Matrixgleichung
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
cos α1 cos α2 cos α3 F1 R cos αR
1. ⎣ cos β1 cos β2 cos β3 ⎦ ⎣ F2 ⎦ = ⎣ R cos βR ⎦ 2. A x = b, (6.13)
cos γ1 cos γ2 cos γ3 F3 R cos γR
        
A x b
so kann es z.B. mit der Cramerschen Regel gelöst werden. Wie im ebenen Fall in Abschnitt
4.3.3 sind die Elemente der Systemmatrix A nur von den Richtungswinkeln αi , βi und γi ,
jedoch nicht von der Belastung, abhängig. Wir bezeichnen sie daher auch hier als Systemma-
trix. Ohne auf Einzelheiten einzugehen kann gezeigt werden: Das Gleichungssystem (6.13)
hat eine eindeutige Lösung, wenn die drei Wirkungslinien w1 , w2 , w3 nicht in einer Ebene
liegen. Die Untersuchung der Systemmatrix, z.B. durch Bestimmung der Determinante det A
kann auch mit einem Computer-Algebra Programm, z.B. MATLAB, durchgeführt, werden.
6.2 Zentrale Kraftsysteme im Raum 137

6.2.4 Statische Bestimmtheit eines Massenpunktes im Raum

Wir wollen hier auf eine ausführliche Untersuchung zur statischen Bestimmtheit eines
Massenpunktes im Raum, wie in Abschnitt 4.4 für den Massenpunkt in der Ebene, verzichten.
Stattdessen werden in Erweiterung der Bedingungen (4.31) die notwendige und die hinre-
ichende Bedingungen für statische Bestimmtheit eines Massenpunktes im Raum ohne Her-
leitung zusammengefasst:

Bedingungen für statische Bestimmtheit eines Massenpunktes im Raum


1. Für die Anzahl der kinematischen Bindungen muss gelten:
r = 3. (6.14)
2. Die drei Wirkungslinien der Reaktionskräfte dürfen nicht in einer Ebene
liegen. Dann ist die Systemmatrix regulär, d.h.
det A
= 0.

Die Bemerkungen 4.5 zum ebenen Fall gelten sinngemäß auch für den räumlichen Fall.

 Beispiel 6.3 Kraftsystem an einem Eckzaun

Untersuchen Sie das Kraftsystem an dem Eckzaun aus Beispiel 6.2 für den Winkel β=0.
Lösung: Für β = 0 gilt sin β = tan β = 0, so dass die Pfahlkräfte S1 und S3 wegen
S1 = F1 /tan γ + F2 /tan β und S3 = F2 /sin β unendlich groß werden. Die mechanische In-
terpretation ist: Da alle drei Pfähle in der xy-Ebene liegen, kann die dazu senkrecht wirkende
Kraft F2 nicht aufgenommen werden. 

6.2.5 Aufgaben zu Abschnitt 6.2

Aufgabe 6.1 (SG = 1, BZ = 10 min)


Gegeben sind drei Kräfte eines zentralen räumlichen Kraftsystems Bestimmen Sie
1. den Vektor der Resultierenden in einer Matrixdarstellung
2. den Vektor der Resultierenden in einer Basisdarstellung
3. eine Bedingung für Gleichgewicht.
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
5 −2 −4
Bekannt: F1 = ⎝ 3 ⎠ N, F2 = ⎝ 2 ⎠ N, F3 = ⎝ −1 ⎠ N.
2 5 −3

Aufgabe 6.2 (SG = 1, BZ = 10 min)


Bestimmen Sie die Systemmatrix und deren Determinante für das Kraftsystem an dem Eck-
zaun aus Beispiel 6.3. Für welche Winkel verschwindet die Determinante? Wie ist die Inter-
pretation dazu?
138 6 Kraftsysteme im Raum

Aufgabe 6.3
β
(SG = 2, BZ = 25 min) 2
F a F
Bestimmen Sie für das räum- γ α α b
δ
liche Stabsystem die drei γ
α
Stabkräfte. δ
1 1 2 3
Bekannt: F = 4 kN, a = 3 m, 3
b = 2 m, c = 4 m, α = 90o , δ
= 120o , γ = 60o . c

Aufgabe 6.4 (SG = 2, BZ = 20 min)


Das dargestellte räumliche Stabsystem wird F
a
durch eine Kraft F belastet. Die Kraft F
liegt parallel zu der Strecke mit der Länge d.
1. Bestimmen die drei Stabkräfte. 1
2. Zerlegen Sie die Kraft F in die Rich- b
3
tungen der drei Stabachsen. z 2
3. Was folgt für d = 0? y
4.* Lösen Sie die Aufgaben 1 bis 3 mit d x c
einer numerischen Methode.
Bekannt: a = 3 m, b = 2 m, c = 4 m, d =
1 m, F = 10 kN.

Aufgabe 6.5 (SG = 2, BZ = 20 min)


Eine Seilbahn wird durch drei Fachwerkträger gehalten. Bestimmen Sie in dem vereinfachten
statischen System die Stabkräfte infolge der Last F mit Angriffspunkt P .
Bekannt: F = 4 kN, β = 120 , a = 3 m, b = 2 m, h = 7 m,

Draufsicht Ansicht
β
2 F
b
F P 1,2 3 h
b 1

a a
6.3 Nichtzentrale Kraftsysteme im Raum 139

6.3 Nichtzentrale Kraftsysteme im Raum


6.3.1 Der Momentenvektor eines Kräftepaares
In Erweiterung zum Drehmoment in der Ebene wird zur Behandlung von nichtzentralen
Kraftsystemen im Raum der Drehmomentenvektor eingeführt. Wir betrachten dazu in Abb. 6.7
ein Kräftepaar (F, a, −F) mit dem Drehmoment (M = F a,  ) in der Draufsicht auf die
von (F, a, −F) aufgespannte Ebene. Mit dem Verbindungsvektor r der Anfangspunkte von
−F und F (kurz: „von −F nach F”) formulieren wir die

Definition Momentenvektor eines Kräftepaares (Drehmomentenvektor) (6.15)


M = r × F.

z
y Fa a F M
M
x ϕ ϕ = =
-F r

r
Abb.6.7. Der Momentenvektor eines Kräftepaares

Um den Drehsinn des Momentes festzulegen, definieren wir den Vektor M in (6.15) als axia-
len Vektor, der in Abb. 6.7 mit einer Doppelpfeilspitze gekennzeichnet ist. Wie in Anhang C
erklärt, erfolgt eine positive Drehrichtung damit wie bei einer Rechtsschraube. Wir wollen
zeigen, dass die Definitionen (5.5) und (6.15) äquivalent sind:
1. Betrag von M: Mit der Länge r = |r| des Verbindungsvektors r und dem Winkel ϕ, den r
und F einschließen, erhält man den Hebelarm a=r sin ϕ des Kräftepaares (F, a −F). Der
Betrag von M ist nach Regel (C.6.1) die von r und F aufgespannte Parallelogrammfläche
|M| = |r||F| sin ϕ = F r sin ϕ = F a. (6.16)
Dieser Betrag ist gleich dem Betrag des Drehmomentes in Definition (5.5.1).
2. Drehsinn von M: Definitionsgemäß ist dieser wie bei einer Rechtsschraube und entspricht
somit dem Drehsinn in Definition (5.5.2).
3. Wirkungsebene von M: Diese ist die von r und F aufgespannte Ebene. Sie entspricht im
ebenen Fall der Zeichenebene in Definition (5.5).
Damit sind Definition (6.15) und Definition (5.5) zur Darstellung eines Kräftepaares äquiva-
lent.
In Abb. 6.8 verwenden wir einen neuen Verbindungs-
vektor r∗ zweier Punkte auf den Wirkungslinien des
Kräftepaares. Da r = u+ r∗ +v =⇒ r∗ = r−(u + v)
-F
und da u+v parallel zu F ist, folgt nach Regel (C.6.5) F
∗ ∗
r
M = r × F = (r − (u + v)) × F
= r × F − (u + v) × F = r × F = M. (6.17) u v
   r *
=0
M= r x F
Damit ist der Vektor M unabhängig von den Verbin-
dungspunkten auf den Wirkungslinien des Kräftepaares. Abb.6.8. Verbindungsvektor r∗
140 6 Kraftsysteme im Raum

 Beispiel 6.4 Kräftepaar an einem Winkelstab

An dem Winkelstab in Abb. 6.9 greift ein Kräftepaar an.


Bestimmen Sie den zugehörigen Drehmomentenvektor.
Bekannt: F, L.
Vorüberlegungen: Wir formulieren die Vektoren r und F
L L
F bzgl. des Koordinatensystems in Abb. 6.9 und werten r
das Kreuzprodukt (6.15) nach Gl. (C.14) im Anhang aus. z
L L
Lösung: Die Kraft F und der Verbindungsvektor r „von
-F
−F nach F” in Definition (6.15) haben die Matrix- A
darstellungen y
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ x
−2L 0
r = ⎝ 0 ⎠, F = ⎝F ⎠. Abb. 6.9. Kräftepaar an einem Winkelstab
0 0
Für das Kreuzprodukt (6.15) erhält man nach Gl.(C.14) im Anhang
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
−2L 0 0
M(A) = r × F = ⎝ 0 ⎠ × ⎝ F ⎠ = ⎝ 0 ⎠ .
0 0 −2LF
Damit hat der Drehmomentenvektor nur eine Komponente in z-Richtung. Diese entspricht
einem Drehmoment Mz = −2LF in der xy-Ebene. 

Wie für Momente von Kräftepaaren in der Ebene in Abschnitt 5.3 gelten folgende

Gesetze zu Momentenvektoren von Kräftepaaren im Raum


1. Das Verschiebungsgesetz: Der Drehmomentenvektor kann beliebig im
Raum verschoben werden, ohne dass sich die Wirkung auf den Starrkör-
per ändert. Damit ist er ein freier Vektor, vgl. Anhang C.
2. Das Reduktionsgesetz: Drehmomentenvektoren werden vektoriell addiert:
(6.18)

MR = m i=1 Mi .

3. Die Gleichgewichtsbedingung: Drehmomentenvektoren sind im Gleichge-


wicht, wenn der resultierende Momentenvektor verschwindet:

MR = m i=1 Mi = 0.

Bemerkungen 6.3
1. Das Verschiebungsgesetz (6.18.1) für den Drehmomentenvektor im Raum ist eine Er-
weiterung des Verschiebungsgesetzes (5.6) für das Drehmoment in der Ebene. Der Be-
weis des Gesetzes (6.18.1) erfolgt in Anhang F.1.
2. Aus den Verschiebungsgesetzen (3.3) und (6.18.1) folgt vergleichend: Eine Kraft ist ein
liniengebundener Vektor und darf entlang ihrer Wirkungslinie verschoben werden, ein
Moment ist ein freier Vektor und darf im Raum verschoben werden. Dabei ist die Wirkung
auf den Starrkörper jeweils unverändert.
6.3 Nichtzentrale Kraftsysteme im Raum 141

3. Das Reduktionsgesetz (6.18.2) für Momentenvektoren im Raum ist eine Erweiterung des
Reduktionsgesetzes (5.9) für Momente in der Ebene. Der Beweis des Gesetzes (6.18.2)
erfolgt in Anhang F.2.
4. Die Gleichgewichtsbedingung (6.18.3) für Momentenvektoren ist eine Erweiterung der
Gleichgewichtsbedingung (5.10) für Momente in der Ebene. Die Gültigkeit von (6.18.3)
folgt sofort aus Anwendung von (5.10) auf den resultierenden Vektor MR in (6.18.2).

 Beispiel 6.5 Momentengleichgewicht an einem Winkelstab

Welches Reaktionsmoment MA wirkt an der Ein-


spannung des Winkelstabes aus Beispiel 6.4?
Lösung: Mit dem Drehmomentenvektor M(A) in-
folge des Kräftepaares (F, 2L, −F) aus Beispiel 6.4 L L
F
und dem Reaktionsmoment MA folgt aus der Gleich-
gewichtsbedingung (6.18.3) für Momentenvektoren L L
z
⎛ ⎞ -F
0 A
M(A) + MA = 0 =⇒ MA = −M(A) = ⎝ 0 ⎠ . y
2LF x
MA
Das Reaktionsmoment hat somit eine Komponente in
z-Richtung. Es entspricht einem Drehmoment MzA Abb. 6.10. Momentengleichgewicht
= 2LF in der xy-Ebene. an einem Winkelstab 

6.3.2 Parallelverschiebung einer Kraft


Aufgabenstellung: In Abb. 6.11 wirkt eine Kraft F mit Angriffspunkt P auf der Wirkungsli-
nie w. Ein Bezugspunkt A hat zu P den Verbindungsvektor r der Länge r. Wir suchen eine
Bedingung, so dass für eine nach A verschobene Kraft F die Kräftewirkung erhalten bleibt.

z y w
a F a
x a F MA
ϕ ϕ F ϕ
ϕ P
= F
ϕ P
= ϕ P
r r r
A -F A A
r
Abb. 6.11. Parallelverschiebung einer Einzelkraft im Raum

Lösung: Nach dem Gleichgewichtsaxiom (3.1) wird eine Gleichgewichtsgruppe (F, −F)
in den Punkt A gelegt, ohne die Kräftewirkung zu ändern. Somit entsteht ein Kräftepaar
(F, a, −F), dem nach Definition (6.15) ein Drehmomentenvektor MA = r × F zugeordnet
werden kann. Damit gilt
142 6 Kraftsysteme im Raum

Das Parallelverschiebungsgesetz für eine Kraft im Raum


Verschiebt man eine Kraft F mit Angriffspunkt P in eine parallele Wirkungsli-
nie durch einen Bezugspunkt A, dann ist für eine äquivalente Kräftewirkung
(6.19)
zusätzlich der Momentenvektor eines Kräftepaares
MA = r × F
erforderlich. Hierbei ist r der Verbindungsvektor von A nach P .

Bemerkungen 6.4
1. Wie in dem Parallelverschiebungsgesetz (5.11) für den ebenen Fall kennzeichnet der
hochgestellte Index in (6.19) den Bezugspunkt A auf der neuen Wirkungslinie von F.
2. Das Moment MA ist nach dem Verschiebungsgesetz (6.18.1) ein freier Vektor. Es ist
jedoch zweckmäßig, ihn in der Nähe des Bezugspunktes A einzutragen.
3. Die drei Kraftsysteme in Abb. 6.11 sind nach Definition (3.20) statisch äquivalent.

6.3.3 Der polare Momentenvektor einer Kraft


In Abb. 6.12 sind ein Kraftvektor F und ein Bezugspunkt A dargestellt. Mit dem Verbindungs-
vektor r von A zum Anfangspunkt von F (kurz: „von A nach F”) formulieren wir die

Definition Momentenvektor einer Kraft bezüglich eines Punktes (polares Moment)


M(A) = r × F. (6.20)

Bemerkungen 6.5
1. M(A) wird auch als „der Momentenvektor der Kraft F bezüglich des Punktes A” (oder
kurz: „Das polare Moment”) bezeichnet, vgl. Bemerkung 5.6.1 für ebene Kraftsysteme.
2. Wie für ebene Kraftsysteme hat das polare Moment M(A) einer Kraft keine kinematische
Drehwirkung wie das Moment eines Kräftepaares M in Definition (6.15), vgl. Regel
(5.4.4). M(A) ist jedoch eine zweckmäßige Rechengröße zur Auswertung von MA in
Gl.(6.19), da beide Vektoren gleich r × F sind.
Der polare Momentenvektor M(A) steht gemäß
den Eigenschaften für das Vektorprodukt in (C.6.2) z Fa F
senkrecht auf einer Ebene, die durch r und F auf-
gespannt wird. Der Betrag entspricht, wie bei dem M(A) ϕ
Momentenvektor eines Kräftepaares in Abschnitt r ϕ
6.3.1, der von r und F aufgespannten Parallelo- a u y
A
grammfläche und hat nach Gl.(6.16) den Wert x r*
|M(A) | = |r||F| sin ϕ = F r sin ϕ = F a. (6.21) Abb.6.12. Der polare Momentenvektor einer Kraft
In Abb. 6.12 verwenden wir einen neuen Verbindungsvektor r∗ mit Endpunkt auf der Wir-
kungslinie von F. Da r = u+ r∗ =⇒ r∗ = r − u und da u parallel zu F ist, folgt
(M(A) )∗ = r∗ × F = (r − u) × F = r × F − u × F = r × F = M(A) , (6.22)
6.3 Nichtzentrale Kraftsysteme im Raum 143

wobei noch Regel (C.6.5) für das Kreuzprodukt angewendet wurde. Damit ist der Drehmo-
mentenvektor M(A) unabhängig von den Punkten auf der Kraftwirkungslinie.
Mit den Verbindungsvektoren rA und rB in
Abb.6.13 bestimmen wir die polaren Momente der
Kraft F bezüglich der Punkte A und B
F
1. M(A) = rA × F ϕB
(6.23) ϕA rB
2. M(B) = rB × F. M(A) rA
B M(B)
A
Für rA
=rB folgt M(A)
= M(B) , d.h. der polare Mo-
mentenvektor einer Kraft ist abhängig von der Lage Abb.6.13 Polare Momente einer Kraft F
des Bezugspunktes. bezüglich der Punkte A und B
Mit Hilfe von Abb. 6.14 wird das polare Moment
eines Kräftepaares (F, a, −F) bezüglich eines be-
a
liebigen Punktes A untersucht. Mit den Ortsvektoren
rB und rC der beiden Kraftangriffspunkte B und C
erhält man B rBC F
-F C
rB
M(A) = rB × (−F) + rC × F
(6.24) rC
= (rC − rB ) × F = rBC × F.
A M= rBC x F
Hierbei ist rBC = rC − rB der Verbindungsvektor Abb.6.14. Polares Moment eines
der Punkte C und B, der von A unabhängig ist. Damit Kräftepaares bezüglich eines Punktes A
ist der polare Momentenvektor eines Kräftepaares un-
abhängig vom Bezugspunkt A.
In kartesischen Koordinaten kann das polare Mo-
ment der Kraft Fi in Abb. 6.15 mit deren Koef-
fizienten Fix , Fiy , Fiz in Gl.(6.2) berechnet werden. Fi
Mit den Basisdarstellungen für Verbindungs- und Fiy
z
Kraftvektor Fiy
ri Fix
ri = xi ex + yi ey + zi ez M(A)
i ez zi
(6.25) ex
Fi = Fix ex + Fiy ey + Fiz ez A ey xi y
x yi
erhält man für die Auswertung des Kreuzproduktes
(A)
Mi = ri × Fi , wie bei der Herleitung von (C.14) Abb.6.15. Polares Moment einer Kraft
Fi bzgl. A in kartesischen Koordinaten
im Anhang gezeigt, die folgende Basisdarstellung für
den polaren Momentenvektor:
(A) (A) (A) (A)
1. Mi = Mix ex + Miy ey + Miz ez , wobei
(A) (A) (A) (6.26)
2. Mix = yi Fiz − zi Fiy , Miy = zi Fix − xi Fiz , Miz = xi Fiy − yi Fix .

In Abb. 6.16 werden die Momentenkoeffizienten (6.26.2) veranschaulicht. Man erkennt,


dass sie als polare Momente mit den Kraftkoeffizienten Fix , Fiy , Fiz und den Hebelarmen
xi , yi , zi in den jeweiligen Ebenen bestimmt werden können.
144 6 Kraftsysteme im Raum
a) b) c)
z z y
Fiz Fiz Fiy
zi zi yi
Fiy Fix Fix
x x x
A A A
A y ii y A xii x A xii x
(A)
M ix M (A)
iy
(A)
M iz
Abb. 6.16. Zur Auswertung der Koeffizienten des polaren Momentenvektors einer Kraft Fi bzgl. A in kartesi-
schen Koordinaten: Polare Momente um den Ursprung A in der a) yz-Ebene, b) xz-Ebene, c) xy-Ebene

Wir fassen die wichtigsten Regeln zusammen:

Regeln zum polaren Momentenvektor


1. Aus Gl.(6.23) folgt: Der polare Momentenvektor einer Kraft ist abhängig
vom Bezugspunkt. Damit ist er ein ortsgebundener (also kein freier) Vektor.
2. Aus Gl.(6.24) folgt: Der polare Momentenvektor eines Kräftepaares ist un-
abhängig vom Bezugspunkt. Er ist ein freier Vektor. (6.27)
3. Aus Gl.(6.26) folgt für kartesische Koordinaten: Die drei Koeffizienten des
(A)
polaren Momentes Mi einer Kraft Fi bezüglich des Ursprunges A be-
stimmt man als polare Momente der Kraftkoeffizienten Fix , Fiy , Fiz mit den
Hebelarmen xi , yi , zi in den drei Koordinatenebenen, vgl Regel (5.18.3).

 Beispiel 6.6 Polares Moment an einer Welle

An der Welle in Abb. 6.17 greifen drei Einzelkräfte


an. Bestimmen Sie den polaren Momentenvektor F3
bzgl. des Punktes A z F2
1. formal durch Auswertung des Kreuzproduktes
A r F1
gemäß Definition (6.20) y R
2. anschaulich mit den gegebenen Kraftkoeffizien-
ten gemäß Regel (6.27.3). x
Bekannt: F = (4, 6, −3)T N, l = 4 m, R = 0, 4 m. l l
Vorüberlegungen: Bei der ersten Möglichkeit for- 2 2
mulieren wir die Vektoren r („von A nach F”) und Abb. 6.17. Kräfte an einer Welle
F bzgl. der kartesischen Basis in Abb. 6.17 und
werten das Kreuzprodukt in Definition (6.20) nach der Determinantenregel (C.14) im Anhang
aus. Bei der zweiten Möglichkeit berechnen wir die Koeffizienten der polaren Momente wie
in Abb. 6.16 und Regel (5.18.3) für Kraftsysteme in der Ebene.
Lösungen: 1. Mit den Matrixdarstellungen für Verbindungs- und Kraftvektor
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
0 0 4
r = ⎝ l/2 ⎠ = ⎝ 2 ⎠ m, F=⎝ 6 ⎠ N
R 0, 4 −3
6.3 Nichtzentrale Kraftsysteme im Raum 145

erhält man für die Auswertung des Kreuzproduktes gemäß Definition (6.20):
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
0 4 2 · (−3) − 0, 4 · 6 −8, 4
M(A) = r × F = ⎝ 2 ⎠ m × ⎝ 6 ⎠ N = ⎝ 0, 4 · 4 − 0 · (−3) ⎠ Nm = ⎝ 1, 6 ⎠ Nm.
0, 4 −3 0·6−2·4 −8
2. Wir tragen in Abb.6.18 die Kräfte F1 , F2 und F3 ein und berechnen die jeweiligen polaren
Momente nach Regel (5.18.3) für Kraftsysteme in der Ebene:
Mx(A) = −2 · 3 − 0, 4 · 6 = −8, 4 Nm, My(A) = 0, 4 · 4 = 1, 6 Nm, Mz(A) = −2 · 4 = −8 Nm.

a) z b) z c) y
l
|F3|=3 |F3 |=3 2 =2
R =0,4 F1 =4
R =0,4 F1 =4
F2 =6 x
x
A A A
A l =2 y A x A x
Mx(A) 2 M y(A) M z(A)
Abb.6.18. Polare Momente um den Ursprung A in der a) yz-Ebene, b) xz-Ebene, c) xy-Ebene

Man erhält also mit beiden Rechenwegen die gleichen Koeffizienten des Vektors M(A) . 

6.3.4 Der axiale Momentenvektor einer Kraft


Wir betrachten in Abb. 6.19 einen (A)
M =r F
Kraftvektor F und ein polares Moment
F
M(A) bzgl. eines Punktes A nach Defi- ϕ
nition (6.20). Zusätzlich ist eine Achse g g ϕ
gegeben, die durch A verläuft und deren (A)
Mg r z y
Richtung durch den Einheitsvektor eg eg
A
festgelegt ist. Die Projektion von M(A) (A)
M . eg x
auf die Achse g ist das Skalarprodukt
M(A) · eg und führt auf die Abb.6.19 Der axiale Momentenvektor einer Kraft

Definition Momentenvektor einer Kraft bezüglich einer Achse (Axiales Moment)


1. Skalar: Mg = M(A) · eg 2. Vektor: Mg = Mg eg . (6.28)

In Anhang F.3 beweisen wir folgende


Regeln zum axialen Moment
1. Der axiale Momentenvektor einer Kraft ist abhängig von der Bezugsachse
g. Damit ist er ein liniengebundener (also kein freier) Vektor. (6.29)
2. Kräfte, welche die Achse g schneiden, haben kein axiales Moment bzgl. g.
3. Kräfte parallel zur Achse g haben kein axiales Moment bzgl. g.

Für einen kartesischen Basisvektor, z.B. eg = ex , ist der Skalar in Definition (6.28.1) Mg
(A) (A)
= M(A) · ex = Mx , d.h. die Projektion von M(A) auf ex ist das polare Moment Mx . Für
alle drei Koordinatenrichtungen erhält man in Ergänzung zu Regel (6.27.3) eine weitere
146 6 Kraftsysteme im Raum

Regel zur praktischen Berechnung des polaren Momentes


(A) (A) (A)
Die drei Koeffizienten Mx , My , Mz in den Gleichungen (6.26.2) des po-
(A) (6.30)
laren Momentes Mi einer Kraft Fi bezüglich des Ursprunges A berechnet
man als axiale Momente um die x-, y-, und z-Achsen mit den Kraftkoeffizien-
ten Fix , Fiy , Fiz und den Hebelarmen xi , yi , zi .

Der Vorteil von Regel (6.30) gegenüber Regel (6.27.3) besteht darin, dass das polare Moment
direkt mit einer räumlichen Darstellung der Kraftkoeffizienten unter Beachtung von Regel
(6.29.2) und Regel (6.29.3) berechnet wird, ohne eine zusätzliche Skizze wie in Abb. 6.16
anfertigen zu müssen. Diese anschauliche Vorgehensweise führt in der praktischen Rechnung
meist schneller zum Ziel als die Berechnung des Kreuzproduktes.

 Beispiel 6.7 Axiales Moment an einer Welle

Bestimmen Sie für die Welle aus Beispiel 6.6 das


axiale Moment bzgl. der Drehachse AB
F3
1. formal durch Auswertung des Skalarproduktes z F2
gemäß Definition (6.28.1) eg
A y R F1 B
2. anschaulich mit den gegebenen Kraftkoeffizien-
ten gemäß Regel (6.30).
x
Vorüberlegungen: Bei der ersten Möglichkeit
l l
berechnen wir mit dem Ergebnis für den polaren
2 2
Momentenvektor M(A) aus Beispiel 6.6 und dem
Richtungsvektor eg = ey das Skalarprodukt nach Abb. 6.20. Kräfte an einer Welle
Gl.(6.28.1). Bei der zweiten Möglichkeit berechnet
man den Skalar des axialen Momentes direkt mit den
Angaben in Abb.6.20.
Lösungen: 1. Mit der Matrixdarstellung für den polaren Momentenvektor aus Beispiel 6.6
⎛ ⎞
−8, 4
M(A) = ⎝ 1, 6 ⎠ Nm
−8
erhält man für das Skalarprodukt gemäß Gl.(6.28.1)
⎛ ⎞ ⎛ ⎞
−8, 4 0
My(A) = M(A) · ey = ⎝ 1, 6 ⎠ · ⎝ 1 ⎠ Nm = 1, 6 Nm.
−8 0

2. Unter Beachtung von Regel (6.29.2) und Regel (6.29.3) liefern die Kräfte F3 und F2 keinen
Beitrag zum axialen Moment bzgl. der Achse AB in Abb.6.20. Die Kraft F1 hat als kürzesten
Abstand von der Achse AB den Radius R. Das Vorzeichen des axialen Momentes ist positiv,
da F1 wie bei einer Rechtsschraube bzgl. der Achse AB wirkt. Damit gilt

My(A) = R · F1 = 0, 4 · 4 = 1, 6 Nm.

Der zweite Rechenweg führt schneller als der erste Rechenweg zu dem gleichen Ergebnis. 
6.3 Nichtzentrale Kraftsysteme im Raum 147

6.3.5 Aufgaben zu den Abschnitten 6.3.1 bis 6.3.4

Aufgabe 6.6
(SG = 1, BZ = 10 min )
FV z
Ein Türgriff wird mit einer Kraft F x y
belastet. Bestimmen Sie das polare
Moment bezüglich des Punktes A B A
b
1. formal durch Auswertung des FH a
Kreuzproduktes gemäß Defini-
tion (6.20)
2. anschaulich mit den Kraftkoef-
fizienten gemäß Regel (6.30).
3. Bestimmen Sie das axiale Moment bzgl. der Achse AB.
Bekannt: FH = 20 N, FV = 50 N, a = 8 cm, b = 11 cm.

FK
Aufgabe 6.7 (SG = 1, BZ = 15 min) .
Zum Heben einer Last mit einer Handwinde greift an rK α
z

.
dem dargestellten System eine Kraft FK an. . y
1. Bestimmen Sie die polaren Momente von FK A
a x
bezüglich der Punkte A und B.
2. Bestimmen Sie die axialen Momente von FK und B rT
G bzgl. der Achse AB.
C
3. Für welche Gewichtskraft G sind die axialen Mo-
mente von F und G bzgl. der Achse AB be-
tragsmäßig gleich groß?
G
Bekannt: FK = 250 N, rK = 360 mm, rT = 200
mm, a = 150 mm, α = 30o .

Aufgabe 6.8 (SG = 1, BZ = 5 min )


Ein Sprungturm wird wie dargestellt durch drei Kräfte belastet. Bestimmen Sie das polare
Moment bezüglich des Punktes P .
Bekannt: F1 = 750 N, F2 = 50 N, F3 = 150 N, a = 3 m, b = 2 m, c = 10 m, d = 5 m.

F1 F1 a
F1

F2
b c
F2 a F2
F3
z z F3 z
P d
y
x x y
P P
148 6 Kraftsysteme im Raum

6.3.6 Erste Grundaufgabe: Reduktion

Wie bei zentralen Kraftsystemen werden bei nichtzentralen Kraftsystemen drei Grundaufga-
ben der Starrkörperstatik unterschieden: 1. Reduktion, 2. Bedingungen für Gleichgewicht,
3. Zerlegung einer Kraft. Bei der Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems im Raum
werden zwei Fälle unterschieden:
1. Reduktion auf eine Dyname (Einzelkraft und Einzeldrehmoment)
2. Reduktion auf eine Kraftschraube (Einzelkraft und Einzeldrehmoment parallel).

Erste Reduktion auf eine Dyname

Aufgabenstellung: In Abb. 6.21.a bilden die Kräfte F1 , ..., Fi , ... ,Fn ein nichtzentrales
Kraftsystem. Die Richtung jeder Kraft Fi ist wie in Abb. 6.1 durch die Richtungswinkel αi ,
βi , γi festgelegt. Der Angriffspunkt von Fi auf der Wirkungslinie wi ist wie in Abb. 6.15
durch die Koordinaten xi , yi , zi gegeben. In Abb. 6.21.a ist ri der Verbindungsvektor von
A zum Angriffspunkt der Kraft Fi . Wir suchen den resultierenden Kraftvektor R und das
resultierende Drehmoment MA R bezüglich des Punktes A, so dass sich die Kraftwirkung nicht
ändert.
Lösung: In Abb. 6.21.b werden alle Kräfte F1 , ..., Fi , ... ,Fn , wie in Abb. 6.11, parallel in den
Bezugspunkt A verschoben. Damit erhält man ein zentrales Kraftsystem, für das die Kraftre-
sultierende R in Abb. 6.21.c nach Gl.(6.7) bestimmt wird. Das resultierende Drehmoment
MA R wird nach dem Reduktionsgesetz (6.18.2) berechnet. Zusammenfassend erhält man die

Erste Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems auf eine Dyname


(6.31)
 n n A
1. Kraft: R = ni=1 Fi 2. Moment: MA R = i ri × Fi = i Mi .

a) b) c)
z y M A2 MA1
F2 MRA
x F2
r2 R
F1
r1 = =
A ri A F1 A
MAi
Fi Fi
Abb. 6.21. Erste Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems auf eine Dyname

Zur Auswertung der Dyname in kartesischen Koordinaten verwenden wir die Gleichungen
in (6.9) für die Kraftresultierende und bestimmen entsprechend den Gleichungen (6.26) das
resultierende Drehmoment als Summe der polaren Momente jeder Kraft. Damit erhält man
zusammenfassend
6.3 Nichtzentrale Kraftsysteme im Raum 149

Die skalarwertigen Größen einer Dyname



1. Rx = ni=1 Fix , wobei Fix = Fi cos αi

2. Ry = ni=1 Fiy , wobei Fiy = Fi cos βi

3. Rz = ni=1 Fiz , wobei Fiz = Fi cos γi
Rx Ry Rz
4. cos αR = , cos βR = , cos γR =
R R R

5. R = Rx2 + Ry2 + Rz2 (6.32)

6. A
MRx = ni=1 Mix
A, wobei A
Mix = yi Fiz − zi Fiy
A
n A, A =z F −x F
7. MRy = i=1 Miy wobei Miy i ix i iz
A
n A, A =x F −y F
8. MRz = i=1 Miz wobei Miz i iy i ix
A MRy A A
MRx MRz
9. cos αM = , cos βM = , cos γ M =
MA MRA MRA
R
10. MRA = (MRxA )2 + (M A )2 + (M A )2 .
Ry Rz

Bemerkungen 6.6
1. Häufig werden die Richtungen der Kräfte Fi nicht mit den Winkeln αi , βi , γi festgelegt.
In der praktischen Rechnung ist es dann zweckmäßig, mit betragsmäßig positiven Koef-
fizienten Fix , Fiy , Fiz zu rechnen und die Vorzeichen in den Gleichungen (6.32.1-3) aus
der Anschauung festzulegen, vgl. auch die Bemerkung aus Beispiel 4.10.
2. Die Drehmomente Mix A , M A , M A infolge der Kraftkoeffizienten F , F , F sollten
iy iz ix iy iy
zweckmäßig als axiale Momente nach Regel (6.30) berechnet werden. Dabei werden die
Vorzeichen für den Drehsinn jeweils aus der Anschauung festgelegt.

Zweite Reduktion auf eine Kraftschraube


Aufgabenstellung: Wir betrachen in Abb. 6.22.a eine Dyname (R, MA ) bzgl. des Punktes
A als Ergebnis der ersten Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems in Abb. 6.21.a. Wir
suchen eine weitere statisch äquivalente Dyname, für welche die Kraftresultierende und das
resultierende Drehmoment parallel sind.
Lösung: Mit der Gleichgewichtsgruppe (R, −R) im Punkt B in Abb. 6.22.a entsteht in
Abb. 6.22.b ein Kräftepaar mit dem Moment rBA × R. Hierbei ist rBA ein Verbindungs-
vektor „von −R nach R”. Wegen rBA = −rAB ist das Moment gleich −rAB × R, und die
Dyname bzgl. B lautet:
1. Kraft: R R = MR − rAB × R.
2. Moment: MB A (6.33)
Die Forderung, dass MBR parallel zu R ist, führt wegen Regel (C.6.5) im Anhang auf R ×
MR = 0. Mit dem Entwicklungssatz (C.6.6) folgt dann aus Gl.(6.33.2)
B

 2

0 = R × MA R − R × (rAB × R) = R × MR − rAB R − R(R · rAB ) . (6.34)
A
150 6 Kraftsysteme im Raum

a) b) c)
R
R R s
MRA R rAB B MRA B rAB
rBA = MR rAB B = MRB B
A -R A A
rBA x R Zentrallinie

Abb. 6.22. Zweite Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems auf eine Kraftschraube

Da der Vektor R auf seiner Wirkungslinie verschoben werden kann, können wir von dem
Punkt B zusätzlich fordern, dass rAB senkrecht zu R ist. Mit rAB · R = 0 gilt weiter

2 R × MA
1. R − rAB R
0 = R × MA =⇒ 2. rAB =
R
. (6.35)
R2
Einsetzen von Gl.(6.35.2) in Gl.(6.33.2) liefert mit dem Entwicklungssatz (C.6.6)
1  A 2 R
MB R = MR − rAB × R = MR −
A A
2
MR R − R(R · MA R) = (R · MA R ). (6.36)
R R2
Da die Kraftresultierende und das resultierende Drehmoment in Abb. 6.22.c parallel sind,
wird die neue Dyname (R, MB R ) als Kraftschraube bezeichnet. Deren Wirkungslinie wird
von dem Punkt B ausgehend mit einem Parameter s als Geradengleichung r(s) = rAB +
sR/R beschrieben und als Zentrallinie bezeichnet. Zusammenfassend erhalten wir die

Zweite Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems auf eine Kraftschraube


 R
1. Kraft: R = ni=1 Fi 2. Moment: MB R = 2
(R · MA
R) (6.37)
R
R × MR A
R
3. Verbindungsvektor: rAB = 2
4. Zentrallinie: r(s) = rAB + s .
R R

Mit den Ergebnissen (6.32) und ( 6.37) zur ersten und zweiten Reduktion unterscheiden wir

Fünf Fälle für die Reduktion eines Kraftsystems im Raum


Fall R MA
R R · MA
R Ergebnis

1.
= 0
= 0
= 0 Dyname nach (6.31): Reduktion auf eine Kraft-
schraube oder Totalresultierende ist möglich.
2.
= 0
= 0 =0 Kraftschraube nach (6.37).
3.
= 0 =0 =0 Totalresultierende: Die Zentrallinie verläuft (6.38)
durch A.
(A)
4. =0
= 0 =0 Resultierendes Kräftepaar: MA R = MR = MR
ist vom Bezugspunkt unabhängig und kann we-
gen Regel (5.4.1) nicht weiter reduziert werden.
Die Zentrallinie verläuft im Unendlichen.
5. =0 =0 =0 Gleichgewicht: keine weitere Reduktion mög-
lich. Die Zentrallinie existiert nicht.
6.3 Nichtzentrale Kraftsysteme im Raum 151

 Beispiel 6.8 Dyname und Kraftschraube an einem Winkelstab

An dem Winkelstab in Abb. 6.23 greifen wie


dargestellt drei Kräfte F1 , F2 , F3 an. Reduzieren Sie
F2
das Kraftsystem auf F3
1. eine Dyname bzgl. des Punktes A L
2. eine Kraftschraube.
Bekannt: L, F1 = 3F, F2 = 2F, F3 = F. L L
Vorüberlegungen:
Die Dyname (R, MA R ) in Aufgabe 1 berechnet man L z L
mit den Gleichungen (6.31). Die Kraftresultierende F1
R ist die vektorielle Summe aller Kräfte. Das re- A
sultierende polare Moment MA y
R bzgl. A ist die vek-
torielle Summe der polaren Momente aller Kräfte. x
Deren Berechnung erfolgt zweckmäßig mit den axi-
Abb. 6.23. Kräftegruppe an einem Winkelstab
alen Momenten bzgl. der Koordinatenachsen nach
Regel (6.30). Mit den Ergebnissen für die Dyname werden in Aufgabe 2 die Gleichungen
(6.37) für die Kraftschraube ausgewertet.
Lösungen:
1. Mit Anwendung von Regel (6.30) zur Berechnung der axialen Momente aller Kräfte in
Abb. 6.23 gilt für die Dyname (R, MA
R ) bzgl. des Punktes A
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
F3 F F1 L − F2 L FL
R = ⎝ −F1 ⎠ = ⎝ −3F ⎠ , MAR =
⎝ −F2 L + F3 2L ⎠ = ⎝ 0 ⎠ .
−F2 −2F −F1 L −3F L
2. Das Moment der Kraftschraube wird nach Gl.(6.37.2) bestimmt: Mit den Skalaren
R2 = R · R = F 2 (11 + (−3)2 + (−2)2 ) = 14 F 2 ,
2 2
R = F L(1 + 0 + (−2) · (−3)) = 7F L
R · MA
erhält man für den Momentenvektor der Kraftschraube
⎛ ⎞ ⎛ ⎞
2L 1 1
R 7F F L
MBR = (R · MA
R) = F ⎝ −3 ⎠ = ⎝ −3 ⎠ .
R2 14F 2 2
−2 −2
Den Verbindungsvektor vom Ursprung A zum neuen Bezugspunkt B lautet nach Gl.(6.37.3):
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
F FL 9 9
R × MA 1 ⎝ −3F ⎠ × ⎝ 0 ⎠ = 1 2 ⎝ ⎠ L ⎝1⎠.
rAB = R
= F L 1 =
R2 R2 14F 2 14
−2F −3F L 3 3
Die Zentrallinie ist nach Gl.(6.37.4)
⎛ ⎞ ⎛ ⎞
9 1
R L ⎝ ⎠ s
r(s) = rAB +s = 1 + √ ⎝ −3 ⎠ .
R 14 14 −2
3 
152 6 Kraftsysteme im Raum

6.3.7 Zweite Grundaufgabe: Gleichgewicht


Aufgabenstellung: Gesucht sind Gleichgewichtbedingungen für das nichtzentrale Kraftsys-
tem F1 , ..., Fi , ... ,Fn in Abb. 6.21.a.
Lösung: Das nichtzentrale Kraftsystem in Abb. 6.21.a. wird mit den Gleichungen (6.31) auf
eine Dyname (R, MA R ) in Abb. 6.21.c bzgl. des Punktes A reduziert. Die notwendigen und
die hinreichenden Bedingungen für Gleichgewicht sind nach Gl.(6.10) für die Kraftresul-
tierende R = 0 und nach Gl.(6.18.3) für das resultierende Drehmoment MA R = 0. Mit den
Kraft- und Momentenkoeffizienten der Dyname (R, MR ) in (6.32) erhält man folgende
A

Skalare Gleichgewichtsbedingungen für räumliche nichtzentrale Kraftsysteme



n n n
1. Fix = 0 2. Fiy = 0 3. Fiz = 0
(6.39)
i=1 i=1 i=1

n
(A)

n
(A)

n
(A)
4. Mix = 0 5. Miy = 0 6. Miz = 0.
i=1 i=1 i=1

Bemerkungen 6.7
1. Die Bedingungen (6.39) besagen: Ein starrer Körper ist unter der Wirkung eines allge-
meinen räumlichen Kraftsystems im Gleichgewicht, wenn sechs Bedingungen erfüllt sind:
Die Summen aller Kräfte in x-, y- und z-Richtung sind gleich Null, und die Summen aller
Drehmomente in x-, y- und z-Richtung bezüglich eines Bezugspunktes sind gleich Null.
2. In den Gleichungen (6.39.4-6) haben wir die Drehmomente Mix A , M A , M A durch die po-
iy iz
(A) (A) (A)
laren Momente Mix , Miy , Miz ersetzt, da sie nach Bemerkung 6.5.2 identisch sind.
3. In der praktischen Rechnung bestimmt man die polaren Momente in den Gleichungen
(6.39.4-6) nach Regel (6.30) als axiale Momente um die x-, y- und z-Achsen. Wir be-
zeichnen diese Achsen für die Momentenbedingungen auch als Bezugsachsen.

6.3.8 Statisch äquivalente Gleichgewichtsbedingungen


Wie in Abschnitt 5.7.3 für ebene Probleme können die sechs Gleichungen (6.39) zur Ver-
einfachung des resultierenden Gleichungssystems durch sechs alternative Gleichungen von
der Form (6.39) ersetzt werden. Dazu werden die Bezugsachsen für die Momentengleichge-
wichtsbedingungen so gewählt, dass sie von möglichst vielen Wirkungslinien unbekannter
Kräfte geschnitten werden oder parallel zu ihnen verlaufen, vgl. die Regeln (6.29). In einzel-
nen Fällen ist die direkte Berechnung von Unbekannten mit jeder der sechs aufgestellten
Gleichungen möglich, jedoch gelingt dieses nicht immer.
Schreiben wir die sechs aufgestellten Gleichgewichtsbedingungen als Matrixgleichung

A x = b, (6.40)

wobei wir hier auf eine detaillierte Darstellung der Matrizen A, x und b verzichten wollen,
dann gibt es wie im ebenen Fall allerdings Ausnahmefälle, in denen das Gleichungssystem
(6.40) keine Lösung für die Unbekannten liefert. Einige Beispiele für Ausnahmefälle können
wir wie folgt zusammenfassen, siehe z.B. [30]:
6.3 Nichtzentrale Kraftsysteme im Raum 153

Regeln zu Ausnahmefällen: Ein Ausnahmefall liegt zum Beispiel vor, wenn:


1. es eine Gerade gibt, die alle Achsen schneidet (im Endlichen oder im Unendlichen)
2. mehr als drei Achsen durch einen Punkt gehen
3. mehr als drei Achsen parallel verlaufen (6.41)
4. mehr als drei Achsen in einer Ebene liegen
5. drei Achsen in einer Ebene und die restlichen drei in einer zweiten Ebene liegen
6. drei Achsen durch einen Punkt und die restlichen durch einen zweiten Punkt gehen
7. drei in einer Ebene liegende Achsen sich in einem Punkt schneiden.

Bemerkungen 6.8
1. Die Aufzählung (6.41) für mögliche Ausnahmefälle ist nicht vollständig. Notwendig und
hinreichend für die Existenz einer eindeutigen Lösung ist die Regulariät der Matrix A in
Gl.(6.40), vgl. Anhang D.
2. In der praktischen Rechnung laufen alle Ausnahmefälle darauf hinaus, dass die aufge-
stellten Gleichgewichtsbedingungen linear abhängig sind, so dass eine Auflösung nach
den unbekannten Lagerreaktionen nicht gelingt.

 Beispiel 6.9 Platte mit Einzellasten.

Eine Platte wird durch sechs Stäbe wie dargestellt in der waagerechten Lage gehalten. Be-
rechnen Sie die Stabkräfte unter Einwirkung von drei Einzelkräften F1 , F2 , F3 .
Bekannt: a, b = 2a, F1 = F , F2 = 3F , F3 = 5F .
Vorüberlegungen: Im Freikörperbild in Abb. 6.24.b werden die unbekannten Stabkräfte ein-
getragen. Anstatt den sechs Gleichgewichtsbedingungen (6.39) verwenden wir sechs alterna-
tive Bedingungen von der Form (6.39), wobei durch zweckmäßige Wahl der Bezugsachsen
für Momentengleichgewicht mit jeder Gleichung eine Unbekannte direkt ermittelt wird.
Lösungen: Aus sechs alternativen Gleichgewichtsbedingungen von der Form (6.39) folgt:
 (A)
M = 0 : Bz a − F1 a = =⇒ Bz = F1 = F
i ix (B)
M = 0 : −Az 2a + F1 2a = =⇒ Az = F1 = F
i iy
Fiz = 0 : Az + Bz + Cz − F1 = 0 =⇒ Cz = F1 − Az − Bz = −F
i (A)
i Miz = 0 : Bx a − F2 a − F3 a = 0 =⇒ Bx = 8F
F
i iy = 0 : −A y + F3 = =⇒ Ay = F3 = 5F
i Fix = 0 : Bx + Cx − F2 = 0 =⇒ Cx = F2 − Bx = −5F.

a) z b) Cx
C C Bx
y B B
x F3 a F3 a Cz F1 Bz
F1
a a
A Ay A
Az F2
F2
a a
Abb. 6.24. Platte mit drei Kräften: a) Statisches System, b) Freikörperbild 
154 6 Kraftsysteme im Raum

6.3.9 Dritte Grundaufgabe: Zerlegung einer Kraft

Aufgabenstellung: In Abb. 6.25 sind


eine Kraft R auf der Wirkungslinie wR w1 wR
F1 R
sowie sechs Wirkungslinien w1 , ... w6 mit
den Richtungswinkeln α1 , ... α6 , β1 , ... β6
und γ1 , ... γ6 gegeben. Auf den Linien w1 , z PR γi Fi wi
... w6 suchen wir die Kräfte F1 , ... F6 , so Pi βi
dass diese äquivalent zu R sind. F2 αi
ri zi F
Lösung: Wir formulieren drei Kräfte- 6
A x y
bedingungen und drei Momentenbedin-
gungen. Als Bezugspunkt A für die Mo- x w2 yi w6
mentenbedingung verwenden wir den
Koordinatenursprung in Abb. 6.25. Die Abb. 6.25. Zerlegung einer Kraft in sechs Richtungen
Koeffizienten sowohl der Kräfte F1 , ... F6 als auch der Kraft R schreiben wir entsprechend
den Gleichungen (6.3), und die Momentenkoeffizienten beider Kraftsysteme schreiben wir
entsprechend den Gleichungen (6.26). Aus der Forderung, dass beide Kraftsysteme äquiva-
lent sein sollen (kein Gleichgewicht !) erhält man
6
1. x : i=1 Fi cos αi = R cos αR
6
2. y : i=1 Fi cos βi = R cos βR
6
3. z : i=1 Fi cos γi = R cos γR
 6 (6.42)
4. x: i=1 (Fi (yi cos γi − zi cos βi )) = R (yR cos γR − zR cos βR )
 6
5. y : i=1 (Fi (zi cos αi − xi cos γi )) = R (yR cos αR − zR cos γR )
 6
6. z : i=1 (Fi (xi cos βi − yi cos αi )) = R (yR cos βR − zR cos αR ) .

Wie im ebenen Fall in Abschnitt 5.7.4 gibt es auch hier Ausnahmefälle, in denen das Glei-
chungssystem (6.42) nicht mehr linear unabhängig ist und somit keine Lösung existiert. Der
Ausnahmefall der Statik tritt z.B. auf, wenn die Wirkungslinien w1 , w2 , ..., w6 in Abb. 6.25
wie die Achsen bei einem der Fälle in den Regeln (6.41) angeordnet sind.
Wie bereits erwähnt, ist die Aufzählung (6.41) nicht vollständig. Allgemeiner wird die
Existenz von Lösungen der Gleichungen (6.42) mit einer Matrixdarstellung

Ax=b (6.43)

untersucht, wobei wir auf eine detaillierte Darstellung der Matrizen A, x und b hier allerdings
verzichten werden. Wie im ebenen Fall in Abschnitt 5.7.4 sind die Elemente der Matrix A
nur von den Richtungswinkeln αi , βi und γi und den Koordinaten jeweils eines Punktes auf
den Wirkungslinien w1 , ... w6 abhängig, jedoch nicht von der Belastung. Wir bezeichnen sie
daher auch hier als Systemmatrix. Zusammenfassend gelten folgende
6.3 Nichtzentrale Kraftsysteme im Raum 155

Regeln zur Systemmatrix für räumliche nichtzentrale Kraftsysteme


1. Die Systemmatrix A wird durch die sechs Richtungen der Wirkungslinien
w1 , ... w6 sowie ihren Lagen im Raum festgelegt, d.h.
2. sie ist unabhängig von der Belastung. (6.44)
3. Im Ausnahmefall, wie z.B. bei einem der Fälle in den Regeln (6.41), ist
die Systemmatrix singulär, d.h. es gilt det A = 0.
4. Ist die Systemmatrix regulär, dann existiert eine eindeutige Lösung für die
Zerlegung.

Die Untersuchung der Systemmatrix durch Handrechnung, z.B. Bestimmung der Determi-
nante det A, ist im Allgemeinen vergleichsweise aufwändig und sollte daher mit einem
Computer-Algebra Programm, z.B. MATLAB, durchgeführt werden.

6.3.10 Statische Bestimmtheit eines Starrkörpers im Raum

Wie im ebenen Fall in Abschnitt 5.8 dürfen die Lagerungen eines Starrkörpers im Raum nicht
beliebig angeordnet sein, um allgemeine Belastungen aufnehmen zu können. Entsprechend
der Definition (5.40) für ebene Systeme formulieren wir die

Definition statische Bestimmtheit eines Starrkörpers im Raum


Ein Starrkörper ist statisch bestimmt gelagert, wenn bei beliebiger Be- (6.45)
lastung seine Lagerreaktionen aus den sechs Gleichgewichtsbedingungen
(6.39) eindeutig bestimmt werden können.

Zur Klärung, ob ein Starrkörper im Raum statisch bestimmt gelagert ist, geht man wie
im ebenen Fall in Abschnitt (5.8) vor: Da ein Starrkörper im Raum nach Regel (2.9.2) sechs
Freiheitsgrade hat, ist die Mindestanzahl der Bindungen für statische Bestimmtheit r = 6.
Allein das Anbringen von sechs kinematischen Bindungen sichert jedoch nicht das Gleich-
gewicht des Starrkörpers. Zusätzlich müssen die Bindungen so angebracht sein, dass die
Systemmatrix regulär wird. Entsprechend den Bedingungen für statische Bestimmtheit eines
Starrkörpers in der Ebene (5.42) erhält man zusammenfassend die

Bedingungen für statische Bestimmtheit eines Starrkörpers im Raum


1. Für die Anzahl der kinematischen Bindungen gilt
r = 6. (6.46)
2. Die Systemmatrix A in Gl.(6.43) ist regulär, d.h.
det A
= 0.

Bemerkung 6.9
1. Die Bemerkungen 5.10 für ebene Systeme gelten sinngemäß auch für räumliche Systeme.
2. Der Ausnahmefall tritt z.B. auf, wenn die Lagerungen wie die Achsen in einem der Fälle
in (6.41) angeordnet sind. Wie bereits in Bemerkung 6.8.1 erwähnt, ist die Aufzählung
für mögliche Ausnahmefälle (6.41) jedoch nicht vollständig.
156 6 Kraftsysteme im Raum

 Beispiel 6.10 Platte mit Einzellasten.

Die Platte aus Beispiel 6.9 wird durch sechs Stäbe in der waagerechten Lage gehalten.
1. Berechnen Sie die Stabkräfte unter Einwirkung von drei Einzelkräften F1 , F2 und F1 für
den Winkel α = 0. Für welche Winkel α gibt es keine Lösung?
2. Lösen Sie das Gleichungssystem mit einer numerischen Methode für α = 0 und α = 900 .
Bekannt: a, b = 2a, F1 = F , F2 = 3F , F3 = 5F .
Vorüberlegungen: Im Freikörperbild in Abb. 6.26.b werden die unbekannten Stabkräfte
eingetragen. Anstatt den sechs Gleichgewichtsbedingungen (6.39) verwenden wir sechs alter-
native Bedingungen von der Form (6.39), wobei durch zweckmäßige Wahl der Bezugsachsen
für Momentengleichgewicht mit jeder Gleichung eine Unbekannte direkt ermittelt wird.

a) z b)
Cx
C C Bx
y B B
x F3 a F3 a Cz F1 Bz
F1
a A cosα a
α A A α A
Az F2
F2 a
a
A sin α

Abb. 6.26. Platte mit drei Kräften: a) Statisches System, b) Freikörperbild

Lösungen:
1. Aufstellung von sechs Gleichgewichtsbedingungen von der Form (6.39) am Gesamtsystem
und Auflösung nach den Unbekannten liefert:
 (A)
i Mix = 0 : Bz a − F1 a = =⇒ Bz = F1 = F
 (B)
i Miy = 0 : −Az 2a + F1 2a = =⇒ Az = F1 = F

i Fiz = 0 : Az + Bz + Cz − F1 = 0 =⇒ Cz = F1 − Az − Bz = −F
 (A)
i Miz = 0 : −Bx a − F2 a − F3 a = 0 =⇒ Bx = 8F
 F3 5F
i Fiy = 0 : −Ā cos α + F3 = =⇒ Ā = =
cos α cos α

i Fix = 0 : Bx + Cx − Ā sin α − F2 = 0 =⇒ Cx = 5F (tan α − 1).

Für α = 0 erhält man die gleichen Ergebnisse wie in Beispiel 6.9. Für α = 90o wird der
Nennerterm cos α zur Berechnung von Ā gleich Null, so dass keine Lösung existiert.
2. Wir schreiben die Gleichungen aus Teil 1 als Matrixgleichung wie in Gl.(6.40):
6.3 Nichtzentrale Kraftsysteme im Raum 157

⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 0 0 a 0 0 Ā Fa
⎢ 0 −2a 0 0 0 0 ⎥ ⎢ Az ⎥ ⎢ −2F a ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ 0 1 0 1 0 1 ⎥ ⎢ Bx ⎥ ⎢ F ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥=⎢ ⎥
⎢ 0 0 a 0 0 0 ⎥ ⎢ Bz ⎥ ⎢ 8F a ⎥, A x = b.
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎣ − cos α 0 0 0 0 0 ⎦ ⎣ Cx ⎦ ⎣ −5F ⎦
− sin α 0 1 0 1 0 Cz 3F
        
A x b

Zur Lösung des Gleichungssystems mit dem Computeralgebra-System MATLAB betrachten


wir zunächst den Fall α = 0o . Mit den Konstanten ca = cos(α) und sa = sin(α) werden die
Matrizen A und b initialisiert.
a=1; F=1; alpha = 0;
alpha = alpha*pi/180, ca = cos(alpha), sa = sin(alpha)
Amat = [ 0 0 0 a 0 0 ; 0 -2*a 0 0 0 0 ; 0 1 0 1 0 1 ;
0 0 a 0 0 0 ; -ca 0 0 0 0 0 ; -sa 0 1 0 1 0 ];
bmat = [F; -2*F; F; 8*F; -5*F; 3*F];
Mit dem Befehl detA = det(Amat) berechnen wir die Determinante und erhalten
detA = 2.0000
Damit ist die Matrix regulär, und wir können mit dem Befehl
xmat = inv(Amat)*bmat
die Ergebnismatrix berechnen:
xmat = 5 1 8 1 -5 -1
d.h. für α = 0o erhält man die gleichen Werte wie in Beispiel 6.9.
Für den Fall α = 90o werden die Matrizen A und b neu initialisiert:
a=1; F=1; alpha = 90;
alpha = alpha*pi/180, ca = cos(alpha), sa = sin(alpha)
Amat = [ 0 0 0 a 0 0 ; 0 -2*a 0 0 0 0 ; 0 1 0 1 0 1 ;
0 0 a 0 0 0 ; -ca 0 0 0 0 0 ; -sa 0 1 0 1 0 ];
bmat = [F; -2*F; F; 8*F; -5*F; 3*F];
Mit dem Befehl detA = det(Amat) berechnen wir wieder die Determinante und erhalten
detA = 1.2246e-016
Die mathematische Interpretation der Determinante „nahe bei Null” ist, dass die Systemma-
trix singulär ist. Die mechanische Interpretation ist, dass der Ausnahmefall der Statik vorliegt.
Mit dem Befehl
xmat = inv(Amat)*bmat
erhalten wir
Warning: Matrix is close to singular or badly scaled.
Results may be inaccurate. RCOND = 5.047421e-017.
xmat = 1.0e+016 *
8.1656 0.0000 0.0000 8.1656 0.0000
Diese Ergebnisse liefern also unrealistische Werte für die Stabkräfte, was eine Folge des
Ausnahmefalls ist. 
158 6 Kraftsysteme im Raum

6.3.11 Aufgaben zu den Abschnitten 6.3.6 bis 6.3.10

Aufgabe 6.9 (SG = 1, BZ = 15 min ) z M3


x y M2
Ein Winkel wird durch drei Momente und F
F α
ein Kräftepaar belastet. Bestimmen Sie
den resultierenden Drehmomentenvektor in b
einer Basisdarstellung bzgl. des gegebenen a
Koordinatensystems. M1
Bekannt: M1 = 750 Nm, M2 = 350 Nm, M3
= 500 Nm, F = 50 N, a = 20 mm, α = 30o .

Aufgabe 6.10
(SG = 1, BZ = 15 min ) FV z
x y
Wir betrachten nochmals den Tür-
B A
griff in Aufgabe 6.6:
b
FH a
1. Untersuchen Sie die statische
Bestimmtheit.
2. Bestimmen Sie die auftretenden
Lagerreaktionen.
Bekannt: FH = 20 N, FV = 50 N, a = 8 cm, b = 11 cm.

Aufgabe 6.11 (SG = 2, BZ = 20 min )


Für die Aufhängung eines Duschvorhanges ste-
hen drei Lagerungsarten zur Auswahl.
1. Welche Lagerung ist statisch bestimmt?
2. Bestimmen Sie die Lagerreaktionen in den
Punkten A und B für das gewählte System.
3.* Lösen Sie Aufgabe 2 mit einem numeri-
schen Verfahren. Bestimmen Sie jeweils die
Determinante der Systemmatrix.
Bekannt: F = 5 N, a = 40 cm.
a) b) c)

a a F F
a a a a a a
2 a
F 2 2 2

A B A B A B
Aufgabe 6.12 (SG = 2, BZ = 10 min )
Für ein Baugerüst stehen vier Bauweisen zur
Auswahl.

1. Welche Bauweise würden Sie zur Aus-


führung freigeben?
2.* Lösen Sie Aufgabe 1 mit einem nu-
merischen Verfahren. Bestimmen Sie
jeweils die Determinante der System-
matrix.

a) b) c) d)

Aufgabe 6.13 (SG = 2, BZ = 25 min )


B
An dem Quader mit zylindrischem Aus-
schnitt greifen wie dargestellt drei Kräfte F1 , a 30 o
F1 30 o
F2 , F3 an. Reduzieren Sie das Kraftsystem a
auf A
a C
1. eine Dyname bzgl. des Punktes A
F2
2. eine Kraftschraube. a
3. Berechnen Sie alle Stabkräfte.
4.* Lösen Sie Aufgabe 3 mit einem nu-
merischen Verfahren. Bestimmen Sie D F3 z
dazu die Determinante der Systemma- a y
a x
trix.

Bekannt: a, F1 = 3F, F2 = 2F, F3 = F.

Aufgabe 6.14 (SG = 1, BZ = 5 min )


Berechnen Sie für den Sprungturm aus Aufgabe 6.8 alle Auflagerreaktionen
1. rechnerisch
2.* numerisch.
W

G
G

Foto:
c Sales Manager Photo, dpa Picture-Alliance GmbH, Frankfurt/Main.

Eine an einer Kette aufgehängte Lampe ist im Schwerefeld der Erde in einer Gleichgewichtslage, wobei die
Kettenlängsachse senkrecht gerichtet ist. Bei Einwirkung einer horizontalen Kraft W findet die Lampe, wie
bereits in Beispiel 4.4 besprochen, eine neue Gleichgewichtslage, wobei die Kettenlängsachse nicht mehr mit der
Senkrechten zusammenfällt. Man sagt, das System ist verschieblich. Versagen bei einem Strommasten infolge
einer unerwartet großen Belastung ein oder mehrere Fachwerkstäbe, dann kommt es zu einer sogenannten inneren
Verschieblichkeit des Systems, die wie in der Abbildung dargestellt zum Einsturz führt.
Die systematische Untersuchung verschieblicher Systeme geschieht mit den Methoden der Kinematik. Dazu
werden in dem folgenden Kapitel die wichtigsten Gesetzmäßigkeiten für Starrkörper in der Ebene behandelt.
7
Kinematik des Starrkörpers in der Ebene

Ausgehend von der Darstellung endlicher (finiter) Bewegungen werden drei Grundaufgaben
der Starrkörperkinematik für differenzielle (infinitesimale) Bewegungen behandelt: Ermitt-
lung 1. von Verschiebungen eines Starrkörpers für gegebenen Momentanpol, 2. des Momen-
tanpols eines Starrkörpers für gegebene Verschiebungen und 3. des Polplans eines mehrteili-
gen Systems. Ein wesentlicher Vorteil der kinematischen Methode ist ihre Anschaulichkeit,
z.B. bei der Überprüfung der kinematischen Bestimmtheit, die äquivalent zur statischen
Bestimmtheit ist. Weitere Anwendungen der kinematischen Methode erfolgen u.A. in Kapitel
11 über Werkzeuge und Maschinen sowie in Abschnitt 14.2 zum Prinzip der virtuellen Arbeit.

7.1 Die finite ebene Bewegung eines Körpers


Wir betrachten in Abb. 7.1 auf einer ebenen
Fläche die Bewegung einer Holzstange von wirkliche Bahnen
P'
einem Zustand I, dem Ausgangszustand, in
einen Zustand II, dem Endzustand. Den Be- Zustand II
uP
wegungsverlauf eines Punktes P oder Q des
Zustand I
Körpers bezeichnet man als Bahn. Für die Q Q'
nachfolgenden Untersuchungen ist die Be- P uQ
trachtung dieser beiden beliebigen Punkte
ausreichend, da die Positionen der übrigen
Punkte des als starr angenommenen Körpers Abb. 7.1. Ebene Bewegung eines Starrkörpers:
durch die Positionen von P und Q eindeutig Bahnen und Verschiebungen von zwei Punkten
festgelegt sind. Bezeichnen wir die Positio-
nen beider Punkte in dem Zustand II mit P  und Q , dann sind die Verbindungsstrecken P P 
und QQ die Verschiebungen ūP und ūQ beider Punkte. Eine Bewegung wird als endliche
(oder: finite) Bewegung bezeichnet, wenn deren Größe unbeschränkt ist.
In Abb. 7.2 lassen wir die Zwischenlagen der wirklichen Bewegung in Abb. 7.1 unberück-
sichtigt und konzentrieren uns auf Anfangs- und Endzustand I und II. Beginnend bei den
Punkten P ∗ und Q∗ konstruieren wir die Mittelsenkrechten der Verschiebungen ūP und
ūQ und bezeichnen deren Schnittpunkt mit R. Für die so entstandenen gleichschenkligen
Dreiecke P P  R und QQ R sind die Seiten P R und P  R sowie QR und Q R jeweils gleich
lang. Da für den Starrkörper auch die Strecken P Q und P  Q gleich lang sind, sind die
Dreiecke P QR und P  Q R kongruent, siehe z.B. [11]. Dieses hat zur Folge, dass die den

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
162 7 Kinematik des Starrkörpers in der Ebene
P'
Verschiebungen ūP und ūQ gegenüberliegen-
den Winkel ϕ und θ gleich groß sind. Da
fiktive
die Strecken RP und RP  bzw. RQ und uP Kreisbahnen
P*
RQ jeweils gleich lang sind, liegen die An- Q Q'
Q*
fangspunkte P , Q und Endpunkte P  , Q der uQ
P
Verschiebungen ūP und ūQ jeweils auf Kreisen
mit den Radien rPR = RP sowie rQ R = RQ rQR
ϕ
um den Punkt R. Man kann also von dem Zu- rPR θ=ϕ
stand I in den Zustand II durch Rotation des
R
Körpers um den Punkt R gelangen, wobei die
Abb. 7.2. Zustände I und II der Bewegung in Abb.
Punkte P und Q auf fiktiven Kreisbahnen ver- 7.1: Fiktive Kreisbahnen von zwei Punkten infolge
laufen. Zusammenfassend gelten die Drehung des Körpers um Rotationsmittelpunkt R

Regeln für ebene finite Bewegungen


1. Eine finite beliebige Bewegung eines Starrkörpers in der Ebene ist als
Drehung um einen Punkt, den Rotationsmittelpunkt R, darstellbar.
2. Zwischenzustände auf der wirklichen Bahn haben keinen Einfluss auf die
Verschiebungen ūP und ūQ von zwei Punkten P und Q des Starrkörpers.
3. Der Rotationspunkt R ist der Schnittpunkt der Mittelsenkrechten auf den (7.1)
Verschiebungen ūP und ūQ .
4. Die Anfangspunkte P , Q und die Endpunkte P  , Q der Verschiebungen
ūP , ūQ liegen auf fiktiven Kreisbahnen um den Punkt R mit den Radien
rPR = RP und rQ R = RQ.

5. Die Verschiebungen ūP und ūQ der Punkte P und Q sind Sekanten der
Kreise mit den Radien RP und RQ um R.

7.2 Die infinitesimale ebene Bewegung eines Körpers


Die Kinematik finiter Bewegungen ist insbesondere für Mehrkörpersysteme im Raum, wie z.B.
für Roboter, komplex, so dass deren Behandlung über den Rahmen dieses Buches hinausge-
hen würde. Häufig ist es jedoch ausreichend, nicht den gesamten Bewegungsablauf eines
Systems, sondern nur seine „Tendenz” im Ausgangszustand zu kennen. Wie wir in nachfol-
genden Kapiteln sehen werden, gilt dieses nicht nur für verschiebliche Systeme des Maschi-
nenbaus, sondern auch für unverschiebliche Systeme des Bauwesens, für die ja eigentlich der
Ruhezustand interessiert, siehe z.B. [25]. Wir beschränken uns daher, wie z.B. in Abb. 7.3
dargestellt, auf Verschiebungsdifferenziale in der Ebene. Die zugehörigen Bewegungen wer-
den auch als infinitesimal kleine (oder infinitesimale) Bewegungen in der Ebene bezeichnet.
In Abb. 7.3.a ist der Rotationspunkt R nach Regel (7.1.3) der Schnittpunkt der Mit-
telsenkrechten auf den Verschiebungsdifferenzialen dūP und dūQ . Die Anfangspunkte P ,
Q und die Endpunkte P  , Q liegen nach Regel (7.1.4) auf Kreisbahnen um den Punkt R mit
den Radien RP und RQ. In Abb. 7.3.b betrachten wir zwei weitere Verschiebungsdifferen-
ziale duP und duQ der Punkte P und Q – die im Gegensatz zu dūP und dūQ – tangential
zur Kreisbahn verlaufen. Die zugehörigen Endpunkte sind P  und Q . In Ergänzung zu dem
Rotationsmittelpunkt nach Regel (7.1.3) formulieren wir die
7.2 Die infinitesimale ebene Bewegung eines Körpers 163
a) Q b) Q
P' P '' du Q
du Q
duP duP
Q' Q ''
P P

R (M)= R
Abb. 7.3. Infinitesimale ebene Bewegung eines Starrkörpers mit Verschiebungsdifferenzialen a) als Sekante an
die Kreisbahn um den Rotationsmittelpunkt R, b) als Tangente an die Kreisbahn um den Momentanpol (M )

Definition Momentanpol (kurz: Pol)


Der Momentanpol ist der Schnittpunkt der Anfangssenkrechten auf den tan- (7.2)
gentialen Verschiebungsdifferenzialen duP und duQ von zwei Punkten P und
Q eines Starrkörpers. Dieser Punkt kann auch im Unendlichen liegen.
Auf Grund der beiden Konstruktionsvorschriften in den Regeln (7.1.3) und (7.2) erkennen
wir in Abb. 7.3, dass der Rotationsmittelpunkt R der Sekanten dūP und dūQ mit dem Mo-
mentanpol (M ) der Tangenten duP und duQ zusammenfällt. Ein wesentlicher Unterschied
bei der Konstruktion des Momentanpols (M ) gegenüber der des Rotationsmittelpunktes R
besteht darin, dass die Längen der Verschiebungsdifferenziale duP und duQ nicht bekannt
sein müssen. Im Folgenden wird der Momentanpol eines Körpers stets mit einer Klammer
(..) versehen, und die infinitesimale Bewegung wird als Verschiebungsfigur bezeichnet.
In Abb. 7.4 ist die Drehung eines Stabes der Länge rPM = (M )P
um den Pol (M ) mit dem Winkeldifferenzial dϕ dargestellt. Zu P '' Δ
dem Kreisdifferenzial dsP und dem Tangentendifferenzial duP du P
bestehen die Zusammenhänge: P'
dsP
dsP = dϕ rPM , duP = tan dϕ rPM . (7.3) rPM''
P
Für kleine Winkel gilt tan dϕ ≈ dϕ, so dass duP ≈ dϕ rPM = dsP .
rPM
Damit folgt: Der Unterschied zwischen dem Kreisbogen und sei- Kreis d ϕ
ner Tangente ist bei einer infiniten Bewegung vernachlässigbar. In (M)=R
Abb. 7.4 erkennen wir außerdem eine Streckung Δ = rPM − rPM ,
wobei rPM = M P  , was der Voraussetzung an den Starrkörper
Abb. 7.4. Kreis- und Tangenten-
gemäß Definition (2.8) widerspricht. In Aufgabe 7.8 wird gezeigt, differenzial, Streckung Δ
dass Δ vernachlässigbar ist. Zusammenfassend gelten folgende

Kinematische Grundregeln für ebene infinitesimale Bewegungen


1. Jede infinitesimale Bewegung eines starren Körpers ist als Drehung dϕ um
einen Momentanpol (M ) nach Definition (7.2) darstellbar.
2. Für den Betrag des Verschiebungsdifferenzials eines Punktes P gilt
duP = rPM dϕ. (7.4)
Hierbei ist rPM = P (M ) der Abstand von P zum Pol (M ).
3. Für die Richtung des Verschiebungsdifferenzials gilt: duP ist eine Tangente
an den Kreis mit Radius rPM um (M ).
4. Damit gilt auch: duP ist senkrecht zu einem Strahl von P nach (M ).
164 7 Kinematik des Starrkörpers in der Ebene

 Beispiel 7.1 Kette in der Verdrehung um einen Punkt

Die Kette einer Lampe der Länge L erfährt zwei Winkel-


änderungen Δϕ1 und Δϕ2 . Bestimmen Sie für den Punkt A
jeweils
1. die wirkliche Wegstrecke Δu auf dem Kreisbogen und L
2. die virtuelle Wegstrecke δu auf der Tangentialbahn. Δϕ
3. Wie groß ist jeweils der relative Fehler für δu? ΔuA A
Bekannt: Δϕ1 = 0, 123 rad, Δϕ2 = 1, 23 rad, L = 0, 5 m. Bahn
δuA
Lösungen: Die wirkliche Wegstrecke ist das zu dem Winkel
Δϕ gehörige Bogenstück, und die virtuelle Wegstrecke δu
ist die Gegenkathete zu dem Winkel Δϕ. Mit diesen Größen
definieren wir einen relativen Fehler für die virtuelle Ver-
Abb. 7.5. Kette in der
schiebung Verdrehung
|δu − Δu|
Δu = LΔϕ, δu = L tan Δϕ =⇒ e= · 100, [e] = %.
|Δu|
Mit den gegebenen Zahlwerten erhält man:
Δu1 = 0, 5 · 0, 123 = 0, 0615 m, δu1 = 0, 5 · tan 0, 123 = 0, 061812 m =⇒ e1 = 0, 52%
Δu2 = 0, 5 · 1, 23 = 0, 615 m, δu2 = 0, 5 · tan 1, 23 = 1, 4099 m =⇒ e2 = 56, 4%.
Die Ergebnisse zeigen, dass für „kleine” Winkel der Unterschied zwischen dem Kreisbogen
und seiner Tangente vernachlässigt werden kann, was für „große” Winkel nicht gilt. 

7.3 Drei Grundaufgaben der Starrkörperkinematik

Die Untersuchung der Kinematik von einteiligen und mehrteiligen Starrkörpern wird im
Allgemeinen grafo-analytisch (zeichnerisch und rechnerisch) durchgeführt. Dabei treten für
viele Problemstellungen mehrere Teilaufgaben auf, die wir systematisch unterscheiden als

Drei Grundaufgaben der Starrkörperkinematik


1. Für gegebenen Momentanpol werden Verschiebungen eines Körpers gesucht. (7.5)
2. Für gegebene Verschiebungen wird der Momentanpol eines Körpers gesucht.
3. Gesucht ist der Polplan (Haupt- und Nebenpole) eines mehrteiligen Systems.

Zur Vereinfachung der Notation haben wir hier den Begriff Verschiebungsdifferenzial durch
den Begriff Verschiebung ersetzt, wovon wir auch im Folgenden mehrfach Gebrauch machen
werden.

7.3.1 Erste Grundaufgabe: Verschiebungen eines Starrkörpers ermitteln

Ist der Momentanpol eines Starrkörpers bekannt, dann ist für viele Aufgabenstellungen
nicht nur das gesamte Verschiebungsdifferenzial duP eines Punktes P gesucht, wie in
7.3 Drei Grundaufgaben der Starrkörperkinematik 165

Abb. 7.6. Beim Prinzip der virtuellen Arbeit in Abschnitt 14.2 werden z.B. gegenseitige Ab-
hängigkeiten von Verschiebungen zweier Punkte P und Q oder die Verschiebungskompo-
nenten auf ihrer Verbindungsgeraden benötigt. Bevor wir die dazu wichtigsten Regeln weiter
unten zusammengefassen, beweisen wir folgende

Regeln für Verschiebungsdifferenziale von zwei Punkten P und Q (7.6)


M M
rP Q M
rP Q
duP r
1. = PM 2. duQP = duQ M = duP M = duP Q 3. duQP = dϕ rPMQ .
duQ rQ rQ rP

Zum Beweis von Gl.(7.6.1) wird Gl.(7.4.2) auf den Punkt Q in der Form duQ = rQ M dϕ

angewendet. Das Ergebnis folgt dann durch Quotientenbildung von duP und duQ .
In Gl.(7.6.2) und Gl.(7.6.3) sind duP Q und
duQP , wie in Abb. 7.6 dargestellt, die Verschiebun-
gen der Punkte P und Q in Richtung ihrer Verbin- duQP
M Q
dungsgeraden P Q. rP Q ist der kürzeste Abstand von
duQ α dϕ
P Q zu (M ). Mit dem Winkel α in Abb. 7.6 gilt für
du P
den Punkt Q rQM
α rPQ M duPQ P
r M
duQP PQ
cos α = = M . (7.7)
duQ rQ
(M) rPM
Mit einer entsprechenden Gleichung für den Punkt
P folgt sofort Gl.(7.6.2). Die Gleichheit von duQP Abb. 7.6. Zur Abhängigkeit der
Verschiebungen zweier Punkte
und duP Q folgt auch anschaulich aus der Starrheit
des Körpers.
Zum Beweis von Gl.(7.6.3) setzen wir die kinematische Grundregel (7.4.2) in (7.6.2) ein:
rPMQ rPMQ
duQP = duP = dϕ rPM = dϕ rPMQ . (7.8)
rPM rPM
Unter Berücksichtigung der kinematischen Grundregel Gl.(7.4.2) sowie den Gleichungen
(7.6) werden die folgenden Regeln zusammengefasst:
Regeln A zur ersten Grundaufgabe:
Für gegebenen Momentanpol (M ) werden Verschiebungen eines Körpers gesucht
A1 Die Richtung der Verschiebung dup eines Punktes P steht senkrecht auf der
Verbindungsgeraden der Punkte (M ) und P , vgl. Abb. 7.6.
A2 Der Betrag der Verschiebung duP ist proportional zum Abstand rPM der
Punkte P und (M ), vgl. Gl.(7.4.2)
A3 Die Verschiebungen duP und duQ zweier Punkte P und Q stehen im Ver- (7.9)
hältnis ihrer Abstände rPM und rQ M zum Momentanpol zueinander, vgl.

Gl.(7.6.1), Abb. 7.6 .


A4 Die Verschiebungen duP Q und duQP von zwei Punkten P und Q in Richtung
der Verbindungsgeraden beider Punkte sind gleich, vgl. Gl.(7.6.2), Abb. 7.6.
A5 Die Verschiebungen duP Q und duQP aus A4 sind proportional zum Abstand
rPMQ der Verbindungsgeraden P Q und (M ), vgl. Gl.(7.6.3), Abb. 7.6.
166 7 Kinematik des Starrkörpers in der Ebene

7.3.2 Zweite Grundaufgabe: Momentanpol eines Starrkörpers ermitteln


Sind der Verschiebungszustand eines Starrkörpers oder auch nur Verschiebungen einzelner
Punkte des Körpes wie in Abb. 7.6 bekannt, kann der Momentanpol ermittelt werden. Mit
der Abkürzung GO(M ) für geometrischer Ort von (M ) formulieren wir dazu die

Regeln B zur zweiten Grundaufgabe:


Für gegebene Verschiebungen wird der Momentanpol (M ) eines Körpers gesucht
B1 Ein geometrischer Ort GO(M ) für den Momentanpol(M )ist eine Gerade durch
den Punkt P senkrecht zur Verschiebung duP , vgl. GO(M )1 in Abb. 7.7.a.
B2 Die Abstände zweier Punkte P und Q zum Momentanpol (M ), rPM und rQ M
,
stehen im gleichen Verhältnis zueinander, wie die Verschiebungen duP und
duQ , vgl. Gl.(7.6.1), Abb. 7.6 oder GO(M )2 in Abb. 7.7.a.
B3 Das Festlager eines verschieblichen starren Körpers ist der Momentanpol (M ),
vgl. (1) = A in Abb. 7.7.b. (7.10)
B4 Bei Loslagern ist die Gerade senkrecht zur Verschiebungsrichtung ein ge-
ometrischer Ort für den Momentanpol (M ), vgl. GO(2)2 in Abb. 7.7.b.
B5 Der Schnittpunkt SP zweier geometrischer Orte GO(M )1 und GO(M )2 ist
der Pol (M ), vgl. SP(GO(2)1 , GO(2)2 ) = (2) in Abb. 7.7.a und in Abb. 7.7.b.
B6 Bei einer Transversalverschiebung eines Körpers (d.h. ohne Verdrehung) liegt
der Pol (M ) im Unendlichen. Der zugehörige Winkel ist Null, Abb. 7.7.c.
B7 Bei verschieblichen Körpern mit Querkraft- oder Normalkraftgelenken ist der
Momentanpol im Unendlichen senkrecht zur Verschiebung, Abb. 7.7.d,e.
Wir wollen die Regeln B begründen bzw. veranschaulichen, dabei aber auf strenge Beweis-
führung verzichten. Regel B1 folgt unmittelbar aus Regel (7.4.2), während sich Regel B2 di-
rekt aus Gl. (7.6.1) ableitet. Die Begründungen für die Regeln B3 und B4 sind offensichtlich.
In Abb. 7.7 sind mehrere Beispiele zum Auffinden von Momentanpolen (kurz: Pole) dar-
gestellt. In Abb. 7.7.a verlaufen die Verschiebungen zweier Punkte P und Q senkrecht zur

a) b) GO(2)1 (2)
duP B GO(2)2
GO(M)2
duQ
du duC
P A=(1) 1 B
2
Q 30 o
C
GO(M)1 (M) 30o

c) d) e)
(M) (M)
GO(M) (M) GO(M)
P Q
du P duQ du
du
Abb. 7.7. Veranschaulichung der Regeln B in (7.10) : a) Parallele Verschiebungen (B2 und B5), b) Ausnutzen
der Lagerbedingungen beim Stabwerksystem (B3, B4 und B5), Systeme mit: c) Transversalverschiebungen (B6),
d) Normalkraftgelenk (B7) und e) Querkraftgelenk (B7)
7.3 Drei Grundaufgaben der Starrkörperkinematik 167

Verbindungsgeraden beider Punkte. Nach Regel B1 in (7.10) ist der erste geometrische Ort
GO(M )1 für (M ) eine senkrechte Gerade zu den Verschiebungen. Der zweite geometrische
Ort GO(M )2 ist nach Regel B2 eine Gerade durch die Endpunkte beider Vektoren. Der
Schnittpunkt beider Geraden liefert (M ). Dieses ist die Aussage von Regel B5.
In Abb. 7.7.b ist das gelenkige Lager eines Stabwerksystems nach Regel B3 der Pol (1)
für Stab 1. Die Verschiebung duB ist nach Regel A1 in (7.9) senkrecht auf der Verbindungs-
geraden der Punkte (1) und B. Nach Regel B4 ist eine Gerade senkrecht zu duB ein ge-
ometrischer Ort GO(2)1 für den Pol (2) des Stabes 2. Nach Regel B1 ist die zur Verschiebung
duB senkrechte Gerade der zweite geometrische Ort GO(2)2 für (2). Den Pol (2) findet man
schließlich nach Regel B5.
Zur Begründung von Regel B6 betrachten wir in Abb. 7.7.c das System mit den Lagern P
und Q. Zweimalige Anwendung von Regel B1 auf die Punkte P und Q liefert nach B5 den
Momentanpol (M ) als Schnittpunkt im Unendlichen. Die Momentanpole für die Systeme mit
dem Normalkraftgelenk in Abb. 7.7.d und dem Querkraftgelenk in Abb. 7.7.e (vgl. Tabelle
2.1) liegen damit nach B6 im Unendlichen, womit auch Regel B7 begründet ist.

 Beispiel 7.2 Kugellager mit zwei Wellen

Zwei Wellen eines Kugellagers mit den Radien R1


bzw. R2 haben momentan die Winkeldifferenziale dϕ1 dϕ 2
dϕ 3
bzw. dϕ2 im Gegenuhrzeigersinn. Bestimmen Sie das
Winkeldifferenzial dϕ3 der Kugel 3. R1 3
Vorüberlegungen: Die Lösung wird mit den Regeln A A dϕ1
in (7.9) und Regeln B in (7.10) grafo-analytisch erhal- 2
ten. Dazu geben wir stichwortartig die jeweils verwen-
R2 1
dete Regel sowie den Lösungsschritt an. Dabei kenn-
zeichnen (1), (2), (3) die Pole der Körper 1, 2 und 3.
Lösung: Abb. 7.8. Kugellager mit zwei Wellen

B3: (1) = (2) = A


A1, A2: duP = R1 dϕ1 , duQ = R2 dϕ2
B1: GO(3)1 als Senkrechte auf Verschiebungen R 2 R1 rQ3
duP , duQ
B2: GO(3)2 durch Verbinden der Endpunkte der 3 Q GO(3)1
Verschiebungen duP , duQ dϕ3 duQ
B5: (3) gleich Schnittpunkt von GO(3)1 und duP
P (3)
GO(3)2
A2, A3: du2 = rQ3 dϕ rP3
3 GO(3)2
duQ duP + duQ
=⇒ dϕ3 = 3 =
rQ R2 − R1 Abb. 7.8.b. Verschiebungen
und Momentanpol (3)
R1 dϕ1 + R2 dϕ2 von Kugel 3
= .
R2 − R1
Die Drehrichtung ist im Uhrzeigersinn. 
168 7 Kinematik des Starrkörpers in der Ebene

 Beispiel 7.3 Gelenkig verbundenes Stabsystem

Für das dargestellte gelenkig verbundene Stabwerksys-


tem bestimme man für β = 300 L cos β
a) die Momentanpole (1) und (2) der Stäbe 1 und 2 C
b) den Zusammenhang zwischen dϕ1 und dϕ2
c) die Zusammenhänge zwischen duB und duC sowie duC
dϕ2
zwischen duB und dϕ1 2
d) die Verschiebungsfigur. B
duB 1
Bekannt: L, dϕ1 entgegen dem Uhrzeigersinn, β = 30o . dϕ1 A
Vorüberlegungen: Zur Lösung der Aufgabenstellun- β
gen werden die Regeln A in (7.9) und die Regeln B in L
(7.10) verwendet. Im Folgenden geben wir stichwortar-
tig die jeweils verwendete Regel sowie den zugehöri-
gen grafo-analytischen Lösungsschritt in dem statis- Abb. 7.9. Stabsystem
chen System in Abb. 7.9.b an.
Lösung zu Aufgabe a: L cos β L cos β
C
B3: (1) = A GO(2)2
A1: Verschiebungsdifferenzial duB (2) GO(2)1
senkrecht auf der Verbindungs- d ϕ2 du C
geraden von (1) und B dϕ2 B 2
B1: GO(2)1 als Gerade durch B d ϕ1
senkrecht zu duB duB
1
B4: GO(2)2 als Gerade durch den β
Punkt C senkrecht zur Ver- A=(1)
schiebungsmöglichkeit L
B5: (2) ist gleich Schnittpunkt von
GO(2)1 und GO(2)2 . Abb. 7.9.b. Statisches System, Pole, Verschiebungsfigur

Lösung zu Aufgabe b: Wir bezeichnen mit rB1 = L und r 2 = L die Abstände zwischen (1)
B
und B sowie zwischen (2) und B und erhalten:
1 dϕ = Ldϕ
A2 für Stab 1: duB1 = rB 1 1
2 dϕ = Ldϕ .
A2 für Stab 2: duB2 = rB 2 2

Wegen duB1 = duB2 = duB folgt dϕ1 = dϕ2 . In Abb. 7.9.b erkennt man, dass die Drehrich-
tung von dϕ2 im Uhrzeigersinn verläuft.
Lösung zu Aufgabe c: Mit dem Abstand rC 2 = 2L cos β von (2) nach C, der Anwendung

von Regel A2 auf Stab 1, der Beziehung cos β = 3/2 und den Ergebnissen aus Aufgabe b
folgt:
2
√ √
duC = rC dϕ2 = 2L cos βdϕ2 = 2L cos βdϕ1 = 3Ldϕ1 = 3duB .

Lösung zu Aufgabe d: Die Verschiebungsfigur ist in Abb. 7.9.b dargestellt. 


7.3 Drei Grundaufgaben der Starrkörperkinematik 169

7.3.3 Dritte Grundaufgabe: Polplan eines mehrteiligen Systems ermitteln

Wir betrachten in diesem Abschnitt verschiebliche Systeme, die aus mehreren Körpern Ki ,
i = 1, .. zusammengesetzt sind. Wie wir später sehen werden, ist es gelegentlich günstiger,
zuerst alle Hauptpole zu ermitteln - ohne Anwendung der Regeln A in (7.9) -, um anschlie-
ßend die Verschiebungsfigur zu zeichnen. Bei der Untersuchung der statischen Bestimmtheit
ist man gar nicht an der Verschiebungsfigur interessiert, sondern geht nur der Fragestellung
nach, ob für alle Teilkörper ein Momentanpol ohne Widerspruch gefunden werden kann. In
Ergänzung zu der Definition (7.2) für den Momentanpol formulieren wir dazu die

Definition Nebenpol
Der Punkt, bei dem die relative Verschiebung zwischen zwei Punkten von zwei (7.11)
Körpern Ki und Kj gleich Null ist, heißt Nebenpol (oder: Zwischenpol) (i, j).
Dieser Punkt kann auch im Unendlichen liegen.

Zur Vereinfachung der Notation verwenden wir im Folgenden meist die abkürzenden Be-
zeichnungen 1 ≡ K1 , 2 ≡ K2 ... für die Körper mehrteiliger Systeme. Die zugehörigen Pole
sind dann (1), (2), ..., und (1, 2), (1, 3), ... sind die Nebenpole.
In Abb. 7.10 sind zwei Beispiele für Nebenpole (1, 2) zwischen zwei Körpern 1 und 2
dargestellt. In beiden Fällen verhindert ein Gelenk die relative Verschiebung zwischen zwei
Punkten beider Körper. Mit den Begriffen Haupt- und Nebenpol formulieren wir die

Regeln C zur dritten Grundaufgabe:


Ermittlung des Polplans (alle Haupt- und Nebenpole) eines mehrteiligen Systems
C1 Ein Gelenk zwischen zwei benachbarten verschieblichen Körpern Ki und Kj
ist ein Nebenpol (i, j), vgl. (1, 2) in Abb. 7.10 .
C2 Die Hauptpole (i), (j) zweier benachbarter verschieblicher Körper Ki , Kj
und der gemeinsame Nebenpol (i, j) liegen auf einer Geraden, vgl. (1), (2),
(1, 2) in Abb. 7.11.a.
C3 Die Nebenpole (i, j), (i, k) und (j, k) dreier benachbarter verschieblicher (7.12)
Körper Ki , Kj und Kk liegen auf einer Geraden, vgl. (1, 2), (2, 3), (1, 3)
in Abb. 7.12.a.
C4 Der Schnittpunkt zweier geometrischer Orte GO(i, j)1 und GO(i, j)2 ist der
Nebenpol (i, j), vgl. GO(1, 3)1 und GO(1, 3)2 in Abb. 7.12.a.
C5 Bei zwei verschieblichen Körpern Ki , Kj , die durch ein Querkraft- oder
ein Normalkraftgelenk verbunden sind, ist der Nebenpol (i, j) senkrecht
zur relativen Transversalverschiebung duij im Unendlichen, vgl. (1, 2) in
Abb. 7.13.a und Abb. 7.13b.

(1) 1 (1,2) 2 (2) (1) 1 (1,2) 2 (2)

Abb. 7.10. Zwei Beispiele zu Regel C1


170 7 Kinematik des Starrkörpers in der Ebene
a) b) du2
kein Widerspruch du1 . . Widerspruch
(1) 1 (1,2) 2 (2) (1,2)
du (1) 1 2 (2)

Abb. 7.11. Zur Veranschaulichung von Regel C2 in (7.12): a) verschiebliches und b) unverschiebliches System

Wir wollen die Regeln C begründen bzw. veranschaulichen, dabei aber auf strenge Beweis-
führung verzichten. Regel C1 erhält man sofort aus den Beispielen in Abb. 7.10. Zur Ver-
anschaulichung von Regel C2 in (7.12) betrachten wir in Abb. 7.11.a zwei Stäbe mit drei
Gelenken auf einer Geraden. Nach Regel B3 in (7.10) sind die beiden festen Gelenklager
die Momentanpole (1) und (2) der Stäbe 1 und 2. Der mittlere Gelenkpunkt, welcher beiden
Körpern 1 und 2 angehört, ist nach Definition (7.11) ein Nebenpol (1, 2). Nach Regel A1 in
(7.9) steht der Verschiebungsvektor du des mittleren Gelenkpunktes senkrecht auf den beiden
Verbindungsgeraden (1), (1, 2) und (2), (1, 2). Dieses ist nur möglich, wenn die Punkte (1),
(2) sowie (1, 2) auf einer Geraden liegen.
Bei dem Beispiel in Abb. 7.11.b nehmen wir zunächst an, dass nach Regel B3 in (7.10)
die beiden festen Gelenklager Momentanpole (1) und (2) der Stäbe 1 und 2 sind. Damit sind
nach Regel A1 in (7.9) die Verschiebungen du1 bzw. du2 jeweils senkrecht auf den Verbin-
dungsgeraden (1), (1, 2) bzw. (2), (1, 2). Da die unterschiedlichen Verschiebungen du1 und
du2 zu dem gleichen Gelenkpunkt gehören, ergibt sich in diesem Beispiel ein Widerspruch,
d.h. dieses System ist unverschieblich.
Zur Veranschaulichung von Regel C3 in (7.12) betrachten wir in Abb. 7.12.a drei Stäbe
mit vier Gelenken. Die mittleren Gelenkpunkte sind nach Definition (7.11) Nebenpole (1, 2)
bzw. (2, 3) der Stäbe 1 und 2 bzw. 2 und 3. Des Weiteren sind du(1,2) und du(2,3) Ver-
schiebungen der Punkte (1, 2) und (2, 3) in Richtung der Verbindungsstrecke (1, 2), (2, 3).
Nach Regel A4 sind diese beiden Verschiebungen gleich, so dass die relative Verschiebung
zwischen zwei Punkten der Körper 1 und 3 in Richtung der Verbindungsstrecke (1, 2), (2, 3)
verschwindet. Der Nebenpol (1, 3) nach Definition (7.11) liegt somit auf dieser Verbindungs-
strecke, was die Aussage von Regel C3 ist.
Wir bezeichnen in Abb. 7.12.a den ersten geometrischen Ort für den Nebenpol (1, 3) mit
GO(1, 3)1 . Zusätzlich können wir nach Regel B3 in (7.10) die beiden festen Gelenklager

a) b)
(1,2) (1,2)
2 (2,3) 2 (2,3)
du (2,3) du (2,3) = 0
du (1,2) GO(1,3)1 du (1,2)
1 3 (3) 1 3
(1,3)

(1) GO(1,3)2 (1)

Abb. 7.12. Zur Veranschaulichung der Regeln C3 und C4: a) verschiebliches und b) unverschiebliches System
7.3 Drei Grundaufgaben der Starrkörperkinematik 171

als Momentanpole (1) und (3) der Stäbe 1 und 3 bestimmen und erhalten nach Regel C2 in
(7.12) einen zweiten geometrischen Ort GO(1, 3)2 für den Nebenpol (1, 3). Der Schnittpunkt
von GO(1, 3)1 und GO(1, 3)2 liefert den Nebenpol (1, 3), womit Regel C4 in (7.12) veran-
schaulicht ist.
Bei dem Beispiel in Abb. 7.12.b hat der Stab 3 eine Festeinspannung. Wir nehmen an, dass
nach Regel B3 in (7.10) das linke feste Gelenklager Momentanpol (1) des Stabes 1 ist, so dass
eine Verschiebung du(1,2) in Richtung der Verbindungsstrecke (1, 2), (2, 3) auftritt, die z.B.
nach Gl.(7.6.2) berechnet werden kann. Diese muss nach Regel A4 gleich der Verschiebung
du(2,3) des Punktes (2, 3) sein, was jedoch nicht möglich ist, da der Stab 3 fest eingespannt
ist. Wegen dieses Widerspruchs ist das System unverschieblich.
Zur Veranschaulichung von Regel C5 in (7.12) betrachten wir in Abb. 7.13 jeweils zwei
Stäbe 1 und 2 mit Querkraft- und Normalkraftgelenken, bei denen wir die Momentanpole
(1), (2) nach Regel B6 in (7.10) jeweils im Unendlichen annehmen. Nach Regel C2 in (7.12)
liegt der Nebenpol (1, 2) ebenfalls im Unendlichen, in diesem Fall also senkrecht zur gegen-
seitigen Verschiebungsmöglichkeit.

a) du(1,2) b) du (1,2)
1 2 1 2

(1) (2) (1) (1,2) (2)


(1,2)

Abb. 7.13. Zur Veranschaulichung von Regel C5: a) für Querkraftgelenk, b) für Normalkraftgelenk

 Beispiel 7.4 Polplan für gelenkig verbundenes Stabwerksystem

Ermitteln Sie für das gelenkig verbundene Stabwerksystem aus Beispiel 7.3 den Polplan.
Vorüberlegungen: Zur Lösung werden die Regeln B in (7.10) und die Regeln C in (7.12)
verwendet. Im Folgenden geben wir stichwortartig die jeweils verwendete Regel sowie den
zugehörigen grafo-analytischen Lösungsschritt an.
Lösung: L cos β L cos β
B3: (1) = A C
GO(2) 2
C1: (1, 2) = B
C2: GO(2)1 ist gleich Verbindungsgerade (2)
von (1) und (1, 2) GO(2)1 2
B4: GO(2)2 ist gleich Gerade durch den B
(1,2) 1
Punkt C senkrecht zur Verschiebungs-
A=(1)
möglichkeit
B5: (2) ist gleich Schnittpunkt von
GO(2)1 und GO(2)2 . L
Abb. 7.14. Polplan
Da der Polplan ohne Widerspruch gezeichnet werden kann, ist das System verschieblich. 
172 7 Kinematik des Starrkörpers in der Ebene

Aus den Beispielen in Abb. 7.11 bis Abb. 7.13 erkennen wir, dass es sich bei Systemen, die
nicht im Widerspruch zu den Regeln B in (7.10) und den Regeln C in (7.12) stehen, um
verschiebliche Systeme handelt, für die ein Polplan mit Haupt- und Nebenpolen gezeichnet
werden kann, was für unverschiebliche Systeme nicht gelingt. Im Umkehrschluss erhält man
die folgende

Bedingung für Unverschieblichkeit eines mehrteiligen Systems


Ein mehrteiliges System ist unverschieblich, wenn für alle Teilkörper (7.13)
jeweils mindestens ein Widerspruch im Polplan, z.B. zu den Regeln B
in (7.10) oder den Regeln C in (7.12), auftritt.

7.4 Verschiebungen von Punkten in kartesischen Koordinaten


1 Wir betrachten in Abb. 7.15 die differenzielle Verschiebung eines starren Körpers in der
Ebene. Nach Regel (7.4.1) ist sie als Drehung dϕ um den Momentanpol (M ) darstellbar, so
dass nach Regel (7.4.2) die Punkte A bzw. P mit den Abständen r̄A bzw. r̄P die Verschiebun-
gen

1. duA = r̄A dϕ 2. duP = r̄P dϕ (7.14)

haben. Wir verwenden ein xy-Koordinatensystem mit Ursprung in A, so dass der Punkt P
die Koordinaten xP , yP hat. Gesucht ist ein Zusammenhang zwischen den Verschiebungsko-
effizienten duAx , duAy und duP x , duP y der Punkte A und P .
Dazu wird ein x̄, ȳ-Koor-
dinatensystem mit Ursprung
(M ) eingeführt. Für den
Winkel α in Abb. 7.15 und y
y rP
die neuen Koordinaten x̄A , ȳA duP

und x̄P , ȳP der Punkte A und rA
P gelten die geometrischen α duPy
yP
Beziehungen: y P P
yP -yA duAy duPx
ȳA ȳP duA
1. sin α = = yA α
r̄A r̄P duAx A xP x
x̄A x̄P dϕ
2. cos α = =
r̄A r̄P (7.15) xP -xA
3. x̄P = x̄A + xP α
(M) xA xP x
4. ȳP = ȳA + yP .
Abb. 7.15. Verschiebungen in kartesischen Koordinaten

Für die Verschiebungskoeffizienten der beiden Punkte gilt


1
Die Ergebnisse dieses Abschnittes kommen insbesondere in Abschnitt 14.2 über das Prinzip der virtuellen
Arbeit zur Anwendung und können daher ggf. später behandelt werden.
7.5 Kinematische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene 173

1. duAx = −duA sin α 2. duP x = −duP sin α


(7.16)
3. duAy = duA cos α 4. duP y = duP cos α,

wobei aus der Anschauung berücksichtigt wird, dass die x-Koeffizienten der Verschiebun-
gen duA und duP im ersten Quadranten negativ sind. Durch Einsetzen von Gl.(7.14.1) in
Gl.(7.16.1) sowie Gl.(7.14.2) in Gl.(7.16.2) und Berücksichtigung von Gl.(7.15.1) erhält man

1. duAx = −r̄A dϕ sin α = −ȳA dϕ 2. duP x = −r̄P dϕ sin α = −ȳP dϕ. (7.17)

Durch Einsetzen von Gl.(7.15.4) in Gl.(7.17.2) folgt dann mit Gl.(7.17.1)

duP x = −ȳP dϕ = −(ȳA + yP )dϕ = duAx − yP dϕ. (7.18)

In gleicher Weise behandeln wir die y-Verschiebungen: Durch Einsetzen von Gl.(7.14.1) in
Gl.(7.16.3) sowie Gl.(7.14.2) in Gl.(7.16.4) und Berücksichtigung von Gl.(7.15.2) erhält man

1. duAy = r̄A dϕ cos α = x̄A dϕ 2. duP y = r̄P dϕ cos α = x̄P dϕ. (7.19)

Durch Einsetzen von Gl.(7.15.3) in (7.19.2) folgt dann mit (7.19.1)

duP y = x̄P dϕ = (x̄A + xP )dϕ = duAy + xP dϕ. (7.20)

Zusammenfassend erhalten wir aus den Ergebnissen (7.18) und (7.20) einen

Zusammenhang von zwei Punktverschiebungen (7.21)


1. duP x = duAx − yP dϕ 2. duP y = duAy + xP dϕ.

7.5 Kinematische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene

In Abb. 7.16 ist ein Rahmen in sechs verschiedenen Fällen mit Pendelstäben gelagert. Die
Wirkungslinien w1 , w2 ,... kennzeichnen die Achsen der Pendelstäbe. Nach Regel (2.9) hat
ein Körper in der Ebene maximal drei unabhängige Freiheitsgrade, so dass mindestens r = 3
kinematische Bindungen für eine Unverschieblichkeit notwendig sind. Wir gehen jetzt der
Frage nach, welche der Lagerungen in Abb. 7.16 geeignet sind, um den Anforderungen nach
Unverschieblichkeit mit höchstens drei Bindungen zu entsprechen. Dazu formulieren wir die

Definition kinematische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene


(7.22)
Ein Starrkörper ist kinematisch bestimmt gelagert, wenn dieser mit genau
drei einzähligen kinematischen Bindungen unverschieblich ist.

Zur Klärung, ob die Starrkörper in der Ebene in Abb. 7.16 kinematisch bestimmt gelagert
sind, untersuchen wir mit den Regeln B in (7.10) deren Verschieblichkeit. Zugehörig zu den
sechs Darstellungen in Abb. 7.16 unterscheiden wir
174 7 Kinematik des Starrkörpers in der Ebene

1. Kein GP (w1 , w2 , w3 ) 2. w1  w2
= w3 3. GP (w1 , w2 , w3 ) = A

w3 α1
w1 w1 w2
α1 w2 F3
w1 α1
w2
α2 α2
w3 α 2 =α 1 w3
α3 (M) α3
A

4. w1  w2  w3 5. w1
= w2 6. Kein GP (w1 , w2 , w3 , w4 )
w3 α4
α w4
α w1 w1 w2
w1 α1 α1 α2
α w3
(M) w w2 α2 α3
2 (M)

Abb. 7.16. Sechs Fälle zur Untersuchung der Verschieblichkeit (GP kennzeichnet einen Schnittpunkt)

Sechs Fälle zum Polplan


Fall r Wirkungslinien Widerspruch im Polplan System verschieblich

1. 3 Kein GP (w1 , w2 , w3 ) ja nein


2. 3 w1  w2
= w3 ja nein (7.23)
3. 3 GP(w1 , w2 , w3 ) nein ja
4. 3 w1  w2  w3 nein ja
5. 2 w1
= w2 nein ja
6. 4 Kein GP (w1 , w2 , w3 , w4 ) ja nein

Die Fälle (7.23.3) und (7.23.4) zeigen, dass allein das Anbringen von r = 3 kinemati-
schen Bindungen die kinematische Bestimmtheit eines Starrkörpers nicht sichert. Zusätzlich
müssen wir fordern, dass die drei Bindungen so angebracht sind, dass ein Widerspruch im
Polplan entsteht. Nur dann ist das System nach Regel (7.13) unverschieblich. Aus dem Fall
(7.23.5) sowie Abb. 7.16.5 folgt, dass zwei Bindungen mit r = 2 für Unverschieblichkeit
eines Systems nicht ausreichend sind, da immer ein Schnittpunkt der zwei Wirkungslinien
der kinematischen Bindungen existiert. Für den Fall (7.23.6) in Abb. 7.16.6 wird die Unver-
schieblichkeit mit r = 4 Bindungen erhalten, jedoch liegt eine Bindung mehr als in Definition
(7.22) gefordert vor. Einzig die Fälle (7.23.1) und (7.23.2) erfüllen die
7.6 Statische und kinematische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene 175

Bedingungen für kinematische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene


1. Für die Anzahl der kinematischen Bindungen gilt:
r = 3.
2. Die drei Wirkungslinien der einzähligen kinematischen Bindungen dürfen (7.24)
a) nicht alle durch einen Punkt verlaufen und
b) nicht alle parallel sein
(vgl. Abb. 7.16.1 und Abb. 7.16.2). Dann gibt es einen Widerspruch im Polplan
und das System ist unverschieblich.

Bemerkungen 7.1
1. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die kinematische Bestimmtheit nur von der
Lagerung und nicht von der Belastung des Systems abhängt.
2. Die Bedingung (7.24.2) für den Polplan kann erst überprüft werden, wenn (7.24.1) erfüllt
ist. Daher ist (7.24.1) eine notwendige Bedingung, während (7.24.2) eine hinreichende
Bedingung für kinematische Bestimmtheit ist, vgl. Anhang B.
3. Für mehrteilige Systeme muss Gl.(7.24.1) durch folgende Bedingung ersetzt werden:
r + z = 3n, (7.25)
wobei n die Anzahl der Teilkörper und z nach Tabelle (2.3) die Anzahl der Zwischen-
bindungen angeben. Weitere Untersuchungen erfolgen dazu in Abschnitt 9.4.

7.6 Statische und kinematische Bestimmtheit eines Starrkörpers in der Ebene


Aus dem Vergleich der Bedingungen (5.42) und (7.24) folgt sofort die

Regel: Statische und kinematische Bestimmtheit sind äquivalent. (7.26)

Bemerkungen 7.2
1. Der Unterschied der kinematischen und der statischen Methode ist grundlegend: Bei der
kinematischen Methode bleiben Kräfte unberücksichtigt. Im Gegensatz dazu werden bei
der statischen Methode keine Bewegungen berücksichtigt.
2. Für die Untersuchung der statischen Bestimmtheit eines Körpers – und in den nachfol-
genden Kapiteln von mehrteiligen Körpern – hat man immer zwei Möglichkeiten: die
statische oder die kinematischen Methode. Die Frage nach der zweckmäßigen Wahl der
Methode ist im Einzelfall zu entscheiden. Für Strukturen in der Ebene mit vergleichs-
weise wenig Teilkörpern ist die kinematische Methode mit dem Polplan auf Grund ihrer
Anschaulichkeit im Allgemeinen im Vorteil. Bei Systemen mit vielen Teilkörpern und
bei dreidimensionalen Strukturen ist man aus Effizienzgründen auf numerische Metho-
den unter Verwendung der Systemmatrix angewiesen. Für praktische Untersuchungen
ebener Fachwerke sind die Bildungsgesetze aus Kapitel 10 vorzuziehen.
176 7 Kinematik des Starrkörpers in der Ebene

7.7 Aufgaben zu Kapitel 7

Aufgabe 7.1 (SG = 1, BZ = 10 min)


Das dargestellte Rad erfährt zwei Winkeländerungen
Δϕ1 und Δϕ2 . Bestimmen Sie für den Punkt A jeweils
1. die wirkliche Wegstrecke Δu auf dem Kreisbogen
und R A
2. die virtuelle Wegstrecke δu auf der Tangentialbahn. Δu
3. Wie groß ist jeweils der relative Fehler für δu? Δϕ δu
Bekannt: Δϕ1 = 0, 0223 rad, Δϕ2 = 0, 223 rad, R =
0, 5 m.

Aufgabe 7.2 (SG = 1, BZ = 10 min) B


Eine Leiter der Länge l rutscht an einer Wand ent-
lang. In der dargestellten momentanen Lage hat der
Punkt A die Verschiebung duA . Bestimmen Sie
1. den Polplan l
2. den Verdrehwinkel dϕ der Leiter.
Bekannt: l, duA , α.
α A
duA

Aufgabe 7.3 (SG = 2, BZ = 10 min)


Bestimmen Sie für das gelenkig verbundene Stabsystem aus Beispiel 7.3 für den Winkel
β=0o
1. den Polplan
2. den Verdrehwinkel von Stab 2
3. die Verschiebungen beider Stäbe.
Bekannt: β = 00 , dϕ1 .

Aufgabe 7.4 (SG = 2, BZ = 10 min)


l B l
Der Punkt C eines Stabsystems hat wie
dargestellt die Verschiebung duC in einem du C
geneigten verschieblichen Lager. Gesucht ist dϕ
der Verdrehwinkel des Stabes AB. A 30 o 30 o
C
30 o
7.7 Aufgaben zu Kapitel 7 177

Aufgabe 7.5 (SG = 1, BZ = 5 min)


Untersuchen Sie für die drei Rahmen die kinematische Bestimmtheit.

a) b) c)

Aufgabe 7.6 l q
2 F
(SG = 1, BZ = 5 min)
A B C F
Das Lager B eines Ger-
berträgers erfährt eine 2
1
Absenkung Δs. Wie groß
ist die Verdrehung des Δs
l l l
Trägers 1?
Bekannt: l = 3 m, Δs =
3 cm.

Aufgabe 7.7 (SG = 2, BZ = 10 min)


Ein Stabsystem ist wie dargestellt gelenkig g l2
verbunden. Der Punkt C ist vertikal ver- dϕ 2
B
schieblich gelagert. Der Stab 2 hat mo-
l1

mentan eine horizontale Lage und den Ver- β= 45° 2 C


drehwinkel dϕ2 . Gesucht sind
1. die Verschiebung des Punktes C A dϕ11
2. der Verdrehwinkel dϕ1 des Stabes 1.
Bekannt: dϕ2 , l1 , l2 .

Aufgabe 7.8 (SG = 1, BZ = 5 min )


Zeigen Sie, dass für ein Winkeldifferenzial dϕ die Streckung Δ = rPM − rPM in Abb. 7.4
vernachlässigbar klein ist.
Hinweis: Verwenden Sie den Satz des Pythagoras.
178 7 Kinematik des Starrkörpers in der Ebene

Aufgabe 7.9 (SG = 3, BZ = 30 min)


Die momentane Lage des dargestellten Pleuels eines
Verbrennungsmotors ist durch den Winkel β = 30o
festgelegt. Der augenblickliche Verdrehwinkel beträgt
dϕP . Gesucht sind L
C
1. der Polplan
2. der Verdrehwinkel dϕBC des Stabes BC
3. der Verdrehwinkel dϕS des Pleuels B β
4. die Verschiebung duC des Kolbens
A
5. die Verschiebung duB des Punktes B. r dϕP
Bekannt: dϕP , r = 30 mm, r/L = 1/4.

Aufgabe 7.10 (SG = 2, BZ = 15 min)


Ein Stabsystem ist gelenkig verbunden. Der 4 2 B
rechte Stab 1 hat den Verdrehwinkel dϕ1 . du4 1
L
Der Stab 3 ist mit einem Zahnrad starr ver-
bunden und hat momentan eine horizontale R dϕ1 A
Lage. Die Zahnstange 4 ist horizontal ver- C
3
schieblich. Wie groß ist die Verschiebung
du4 des Stabes 4? L L/2 L/2
Bekannt: dϕ1 , L, R.

Aufgabe 7.11 (SG = 2, BZ = 15 min)


Für das dargestellte Fahrgestell wird ange-
d ϕ2
a a
nommen, dass es aus drei starren Körpern 2
1, 2, 3 besteht. Bestimmen Sie im Fall einer dϕ1 dϕ3
Torsionsbewegung mit den Verdrehwinkeln
dϕ1 = dϕ3 B a
2R A
1. den Verdrehwinkel dϕ2 von Körper 2 1 3
2. die Verschiebungen der Punkte A und B. 2a 3a 2a
Bekannt: dϕ1 = dϕ3 , R, a = 0, 8R.

Aufgabe 7.12 (SG = 2, BZ = 15 min )


Untersuchen Sie den Rahmen aus Aufgabe 5.17 auf kinematische Bestimmtheit. Für welchen
Winkel α im Lager B ist das System verschieblich?
Teil II

Anwendungen der Statik


Foto: foto-filleboeck

Bei dem dargestellten Kistenklettern stapelt ein Kind Kisten der Reihe nach übereinander und klettert gleichzei-
tig auf die jeweils oberste Kiste. Der gemeinsame Schwerpunkt von Kind und allen Kisten ist zu Beginn noch
oberhalb der unteren Aufstellfläche, und das gesamte Gebilde ist im Gleichgewicht - vergleichbar dem schiefen
Turm von Pisa. Verlagert sich der Schwerpunkt weiter, kommt es zum Kippen des gesamten Gebildes.
8
Schwerpunkte

Dieses Kapitel behandelt die Berechnung von Schwerpunkten für Kräftegruppen, Körper,
Flächen und Linien. Zusätzlich werden wir den Massenmittelpunkt und den Volumenmit-
telpunkt kennenlernen. Für die praktische Berechnung von Mehrfachintegralen wird ein
vereinheitlichtes Rechenschema für Linien, Flächen und Volumina eingeführt. Weitere Ab-
schnitte behandeln zusammengesetzte Querschnitte und die zwei Regeln von Pappus-Guldin.

8.1 Der Schwerpunkt einer Körpergruppe

8.1.1 Definition und Berechnung

Wir betrachten in Abb. 8.1.a ein masseloses Laufrad mit dem Mittelpunkt A an dem drei
Massenpunkte m1 , m2 , m3 (vgl. Tabelle 3.1) angebracht sind. Im Schwerefeld der Erde mit
der Erdbeschleunigung g bilden die Gewichtskräfte G1 = m1 g, G2 = m2 g, G3 = m3 g in
Abb. 8.1.b eine ebene Kräftegruppe. Da alle Kräfte in y-Richtung zeigen, ist formal die Re-
duktion auf eine Totalresultierende Ry ohne resultierendes Kräftepaar nach den Gleichungen
(5.23) möglich. Wir können die Lage der Resultierenden Ry auch anschaulich aus der Be-
dingung bestimmen, dass das Moment von Ry bzgl. A gleich dem Moment aller Einzelkräfte
Gi bzgl. des gleichen Punktes sein muss:
3 3 3
 Gi xi
↓: Ry = Gi , A: xS Ry = Gi xi =⇒ xS = i=1 3 . (8.1)
i=1 i=1 i=1 G i

a) b) c)
y G3 y
g Ry Verdrehung der Körpergruppe
m3 Rx G g
3
G1 yS
m1
x3 x1
wy wy w x y3
A y
x x A
A
xS
G2 S
x2
y2 Schnittpunkt
m2 von wxund wy
G2 x y1
G1

Abb. 8.1. Laufrad mit Körpergruppe in der Ebene: a) Massen und Koordinatensystem, b) erste Lage im Schwe-
refeld der Erde, c) zweite gedrehte Lage im Schwerefeld der Erde

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
184 8 Schwerpunkte

Die zugehörige Zentrallinie wird in Abb. 8.1.b mit wy bezeichnet. Drehen wir das Laufrad
im Schwerefeld um den Winkel π/2, dann nehmen alle Gewichtskräfte in Abb. 8.1.c relativ
zum Koordinatensystem eine andere Richtung an. Die Lage der Resultierenden Rx wird wie
in den Gleichungen (8.1) bestimmt:
3  3 3
 Gi yi
↓: Rx = Gi , A: yS Rx = Gi yi =⇒ yS = i=1 3 . (8.2)
i=1 i=1 i=1 Gi

Die zugehörige Zentrallinie in Abb. 8.1.c ist wx . Die Größe der Resultierenden gibt die
gesamte Gewichtskraft an und hat nach Gl.(8.1) und Gl.(8.2) den Wert G = Rx = Ry =
 3
i=1 Gi . Den Schnittpunkt der beiden Wirkungslinien wx und wy bezeichnen wir in Abb. 8.1.c
mit S und formulieren dazu die
Definition Schwerpunkt (oder Kräftemittelpunkt)
Der Punkt eines Körpers oder einer Körpergruppe, durch den die Totalresul- (8.3)
tierende aller Gewichtskräfte bei beliebiger Lage des Körpers oder der Kör-
pergruppe hindurchgeht, ist der Schwerpunkt S.

Die Überlegungen, die zur Berechnung von xS


und yS für den ebenen Fall in (8.1) und (8.2) geführt
haben, können wir auf die Körpergruppe im Raum
in Abb. 8.2 übertragen. Dazu berechnen wir z.B.
die Lage der Resultierenden Rx aus der Bedin-
gung, dass das axiale Moment von Rx bzgl. der y- x Rx
Achse durch A gleich dem axialen Moment aller z
Einzelkräfte Gi bzgl. derselben Achse sein muss: G3 xS S
  x1 G1
Rx = 3i=1 Gi , zS Rx = 3i=1 Gi zi
3 zS z1
Gi zi (8.4)
=⇒ zS = i=1 . A
3 G2
i=1 Gi yS y
1
Dreht man die Körpergruppe im Raum und wieder- y
holt die Berechnungen entsprechend (8.4), erhält Abb. 8.2. Körpergruppe im Raum
man die Ergebnisse in (8.1) und (8.2). Für N
Einzelmassen gilt somit für den

Schwerpunkt einer Körpergruppe


1  1  1 
N N N (8.5)
1. xS = Gi xi 2. yS = Gi yi 3. zS = Gi zi
G G G
i=1 i=1 i=1

mit dem Gesamtgewicht G = N i=1 Gi . Anschaulich ist der Schwerpunkt derjenige Punkt,
in den man sich alle Einzelkräfte Gi konzentriert denkt, ohne dass sich die statische Wirkung
ändert. Im Allgemeinen fällt er nicht mit einem der Massenpunkte zusammen.
Die Erdbeschleunigung kann mit genügender Genauigkeit als konstant angnommen wer-
den. Wegen g = const und Gi =  mi g kann sie also aus Gleichung (8.5) gekürzt werden.
Führt man die Gesamtmasse m = N i=1 mi ein, erhält man die Koordinaten für den
8.1 Der Schwerpunkt einer Körpergruppe 185

Massenmittelpunkt einer Körpergruppe


1  1  1 
N N N (8.6)
1. xM = m i xi 2. yM = mi y i 3. zM = mi zi .
m m m
i=1 i=1 i=1

Für viele technische Konstruktionen ist auch die Dichte ρ konstant, d.h. ρi = ρ = const,
so dass sie auf Grund der Beziehung
 mi = ρVi aus Gleichung (8.6) gekürzt werden kann.
Mit dem Gesamtvolumen V = N V
i=1 i erhält man die Koordinaten für den

Volumenmittelpunkt einer Körpergruppe

1  1  1 
N N N (8.7)
1. xV = Vi xi 2. yV = Vi yi 3. zV = Vi zi .
V V V
i=1 i=1 i=1

 Beispiel 8.1 Massen- und Volumenpunkt für Rührwerk mit zwei Kugeln.

Ein Rührwerk besteht aus einem masselosen T-


förmigen Rührarm, der auf einer masselosen
Welle angebracht ist. An den Enden des
Rührarmes sind zwei Kugeln mit den Massen L V2 , m2
m1 und m2 befestigt. Bestimmen Sie bzgl. des
gegebenen Koordinatensystems L
L
1. den Massenmittelpunkt L
2. den Volumenmittelpunkt. z L
V1, m1
Bekannt: V1 , ρ1 , V2 = V1 , ρ2 = 2ρ1 . y
Vorüberlegungen: Die gesuchten Punkte werden x
mit den Gleichungen (8.6) und (8.7) erhalten.
Abb. 8.3. Rührwerk mit zwei Kugeln
Lösung: Die Koordinaten beider Kugeln lauten x1 = L, y1 = L, z1 = L, x2 = −L, y2 =
L, z2 = L. Mit den Massen m1 = V1 ρ1 , m2 = V2 ρ2 = V1 2ρ1 = 2m1 erhält man aus den
Gleichungen (8.6) die Koordinaten des Massenmittelpunktes
Lm1 + (−L)(2m1 ) 1 Lm1 + L(2m1 )
xM = = − L, yM = = L,
m1 + 2m1 3 m1 + 2m1
Lm1 + L(2m1 )
zM = = L.
m1 + 2m1
Aus den Gleichungen (8.7) folgen die Koordinaten des Volumenmittelpunktes
LV1 + (−L)(V1 ) LV1 + L(V1 )
xV = = 0, yV = = L,
V1 + V1 V1 + V1
LV1 + LV1
zV = = L.
V1 + V1
Wegen zM
zV sind Massen- und Volumenmittelpunkt unterschiedlich.
= 
186 8 Schwerpunkte

8.1.2 Aufgaben zu Abschnitt 8.1

Aufgabe 8.1 (SG = 1, BZ = 5 min) V


An dem dargestellten Rührwerk sind an den x V*
Enden von zwei masselosen Stäben Punkt-
massen M und M ∗ angebracht. Bestimmen y
z
Sie
1. den Massenmittelpunkt
2. den Volumenmittelpunkt.
Bekannt: L, V, M , V ∗ = 3V , M ∗ = 6M .

Aufgabe 8.2 (SG = 1, , BZ = 5 min)


Berechnen Sie für den dargestellten Winkel-
rahmen
L
1. den Massenmittelpunkt L L
2. den Volumenmittelpunkt.
m3 L
Bekannt: L, ρ2 = 3ρ1 , ρ3 = 4ρ1 , V2 = V1 , m2
V3 = 3V1 . L L
z L L

x y m1

Aufgabe 8.3 (SG = 1, BZ = 5 min)


Die dargestellte unsymmetrische Nockenwelle ist in den Punkten A und B drehbar gelagert.
Die Nocken dürfen als Punktmassen m bzw. 3m mit den Abständen L bzw. 2L zur Drehachse
vereinfacht werden. Bestimmen Sie den Massenmittelpunkt.
Bekannt: m, L.

3m
A B
2L

L
m L m
L 2L 2L L
8.2 Der Schwerpunkt eines inhomogenen Körpers 187

8.2 Der Schwerpunkt eines inhomogenen Körpers


Das Rad eines Personenkraftwagens in Abb. 8.4 besteht aus verschiedenen Materialien (Gum-
mie für den Reifen, Luft im Inneren, Aluminium für die Radkappe, Blei für Auswuchtmas-
sen) und ist damit ein Beispiel für einen inhomogenen Körper, im Folgenden kurz mit K
bezeichnet. Die Dichte ρ kann an jedem Ort des Körpers mit den Koordinaten x, y, z unter-
schiedlich sein. Das zugehörige Volumendifferenzial dV (x, y, z) hat das Massendifferenzial
dm(x, y, z) = ρ(x, y, z) dV (x, y, z), vgl. z.B. dm1 , dm2 und dm3 in Abb. 8.4.a.
a) y b) Verdrehung des Körpers c)
g y Ry Rx dG g
3
dm 3 dm 1 dG1 yS
dG3 x3
x w y x1 x wx y3
A wy A y
A
xS S
dG y2
x2 2 y1 Schnittpunkt
dG2 von wxund wy
dm 2 x
dG1
Abb. 8.4. Autrorad als inhomogener Körper in der Ebene

Im Schwerefeld der Erde mit der Erdbeschleunigung g bilden die – unendlich vielen –
Gewichtskraftdifferenziale dGi = gdmi , i = 1, ...∞, eine ebene Kraftgruppe, vgl. Abb. 8.4.b.
Wir berechnen die Lage der Totalresultierenden Ry wie in den Gleichungen (8.1), wobei im
Grenzübergang i = 1, ...∞ die Summen aus (8.1) in Integrale übergehen:

   xdG
↓: Ry = K dG, A: xS Ry = K xdG =⇒ xS = K . (8.8)
K dG
Wir drehen das Rad im Schwerefeld um eine Drehachse durch den Punkt A und bestimmen
Größe und Lage der Resultierenden in Abb. 8.4.c wie in den Gleichungen (8.2):

   ydG
↓: Rx = K dG, A: yS Rx = K ydG =⇒ yS = K . (8.9)
K dG
Die Koordinaten xS und yS in den Gleichungen (8.8) und (8.9) sind nach Definition (8.3) die
Schwerpunktkoordinaten in der xy-Ebene. Fallen die Punkte A und S des Rades in Abb. 8.4.c
zusammen, dann gilt xS = yS = 0 und man bezeichnet das Rad als statisch ausgewuchtet.
Die Überlegungen, die zur Berechnung von
xS und yS für den ebenen Fall in den Glei- x
chungen (8.8) und (8.9) geführt haben, können S Rx dG dV
wir auf den PKW als inhomogenen Körper im
Raum in Abb. 8.5 übertragen. Dazu berechnen xS
z
wir wie in (8.4) z.B. die Lage der Resultieren- x
den Rx aus der Bedingung, dass das axiale Mo- zS
z
ment von Rx bzgl. der y-Achse durch A gleich
dem axialen Moment aller Kraftdifferenziale A yS y y
dG bzgl. derselben Achse sein muss: Abb. 8.5. PKW als inhomogener Körper im Raum
188 8 Schwerpunkte

   zdG
↓: Rx = K dG, A: zS Rx = K zdG =⇒ zS = K . (8.10)
K dG
Dreht man den Körper im Raum und wiederholt die Berechnungen entsprechend (8.10), er-
hält man die Ergebnisse der Gleichungen (8.8) und (8.9). Zusammenfassend lauten die Ko-
ordinaten für den

Schwerpunkt eines inhomogenen Körpers


   (8.11)
1 1 1
1. xS = xdG 2. yS = ydG 3. zS = zdG,
G K G K G K

wobei G= K dG. Wie in Abschnitt 8.1 für den Schwerpunkt einer Körpergruppe, kann bei
konstant angenommener Erdbeschleunigung
 g diese in den Gleichungen (8.11) gekürzt wer-
den. Mit der Gesamtmasse m= K dm erhalten wir die Koordinaten für den

Massenmittelpunkt eines inhomogenen Körpers


   (8.12)
1 1 1
1. xM = xdm 2. yM = ydm 3. zM = zdm.
m K m K m K

8.3 Geometrische Mittelpunkte für Volumina, Flächen und Linien


8.3.1 Volumenmittelpunkte
Bei einem homogenen Körper ist die Dichte ρ für das Massendifferenzial dm = ρdV
konstant
 und kann in den Gleichungen (8.12) gekürzt werden. Mit dem Gesamtvolumen
V = dV folgen somit die Koordinaten für den

Volumenmittelpunkt eines homogenen Körpers


   (8.13)
1 1 1
1. xV = xdV 2. yV = ydV 3. zV = zdV.
V K V K V K

Die Terme xdV , ydV , zdV bezeichnet man als Momente erster Ordnung des Volumen-
differenzials dV . Entsprechend sind xV V , yV V , zV V Momente erster Ordnung des Volu-
mens V .

8.3.2 Flächenmittelpunkte
Wir betrachten in Abb. 8.6 als Sonderfall eines 3- y
dimensionalen Körpers eine dünne Scheibe der yS dA
Dicke h. Damit gilt für ein Volumendifferenzial z y S
dV = h dA, so dass die Höhe h in den Gleichun- h/2
gen (8.13) gekürzt werden kann. Legen wir das h/2
Koordinatensystem noch xS x dV
 in Scheibenmitte und x
führen die Fläche A = A dA ein, erhält man aus
den Gleichungen (8.13) die Koordinaten für den Abb. 8.6 Schwerpunkt einer dünnen Scheibe
8.3 Geometrische Mittelpunkte für Volumina, Flächen und Linien 189

Flächenmittelpunkt („Schwerpunkt“) einer dünnen Scheibe


  (8.14)
1 1
1. xS = xdA 2. yS = ydA 3. zS = 0.
A A A A

Die Terme xdA, ydA bezeichnet man als Momente erster Ordnung des Flächendifferenzials
dA. Entsprechend definiert man

Die statischen Momente (Flächenmomente erster Ordnung)


  (8.15)
1. Sy = xS A = xdA 2. Sx = yS A = ydA.
A A

Für den Begriff Flächenmittelpunkt in den Gleichungen (8.14) werden wir im Folgenden
auch die nicht ganz korrekte Bezeichnung „Schwerpunkt” verwenden. Legt man das Koordi-
natensystem in den Schwerpunkt S, dann werden xS und yS gleich Null. Damit gilt die

Regel zu statischen Momenten


In den Schwerpunktachsen (kurz: Schwerachsen) verschwinden (8.16)
die statischen Momente erster Ordnung.

Für den Sonderfall, dass eine der Koordinatenachsen eine Symmetrieachse ist, kann eine
Schwerpunktkoordinate sofort angegeben werden. Um dieses zu zeigen, betrachten wir in
Abb. 8.7 einen Querschnitt mit der y-Achse als Symmetrieachse. Zu jedem Flächendiffe-
renzial dA mit Koordinaten (−x, y) findet man ein Flächendifferenzial dA mit Koordinaten
(x, y), so dass (−x)dA+xdA=0. Berücksichtigt man diese Beziehung für das Integral über
den gesamten Querschnitt in Gl.(8.15.1), erhält man

Sy
Sy = x dA = 0 =⇒ xS = = 0. (8.17)
A A
In gleicher Weise erhält man für einen Querschnitt mit der x-Achse als Symmetrieachse das
Ergebnis yS = 0. Damit gilt die einfach zu merkende

Regel: Symmetrieachsen sind Schwerpunktachsen. (8.18)

a) y b) y y y

dA dA
y S S S
S x x x
-x x x

Abb. 8.7. Schwerpunkte von Flächen mit Symmetrieachsen: a) allgemeiner Fall, b) ausgewählte Profile:
Rechteckprofil, I- und U -Profile
190 8 Schwerpunkte

In Abb. 8.7.b wird diese Regel für drei verschiedene Querschnitte veranschaulicht. Hier-
bei haben das Rechteckprofil und das I-Profil jeweils zwei Symmetrieachsen, so dass beide
Schwerpunktkoordinaten xS , yS sofort angegeben werden können. Das U -Profil dagegen hat
nur eine horizontale Symmetrieachse, womit lediglich die Koordinate yS sofort angegeben
werden kann.

8.3.3 Linienmittelpunkte
L,A
Ist der homogene Körper linienhaft im Raum mit z
der Länge L und einem Querschnitt A verteilt, ML dL
dann gilt für das Gesamtvolumen V = AL und
für das Volumendifferenzial dV = AdL, wobei
y
dL das Liniendifferenzial ist. Damit kürzt sich
x
ρA aus den Gleichungen
 (8.13) heraus. Mit der
Gesamtlänge L = L dL erhält man die Gleichun- Abb. 8.8. Gekrümmte Linie im Raum
gen für den

Linienmittelpunkt
   (8.19)
1 1 1
1. xL = xdL 2. yL = ydL 3. zL = zdL.
L L L L L L

Die Terme xdL, ydL, zdL bezeichnet man auch als Momente erster Ordnung des Liniendif-
ferenzials dL. Entsprechend sind xS L, yS L, zS L Momente erster Ordnung der Linie L.
Man kann den Schwerpunkt eines schmalen und länglichen Gegenstandes auch durch
einen Versuch, wie z.B. für das Lineal in Abb. 8.9, ermitteln. Dazu legt man das Lineal
quer über die beiden auf gleicher Höhe gestreckten Zeigefinger und bewegt diese langsam
aufeinander zu. Auf dem Finger, der dem Schwerpunkt näher liegt, ist die größere Lagerkraft.
Wie in Kapitel 13 gezeigt wird, entsteht dadurch eine größere Reibkraft, so dass das Lineal
über den anderen Finger gleitet. Das System stellt sich immer so ein, dass bei beiden Fingern
die horizontalen Reibkräfte entgegengesetzt gleich groß sind. Wenn sich die Zeigefinger am
Ende berühren, bleibt das Lineal waagerecht und der Schwerpunkt liegt über beiden Fingern.

Abb. 8.9. Versuch zur Bestimmung des Schwerpunktes eines Lineals

Die mit den Gleichungen (8.13), (8.14) und (8.19) festgelegten Punkte für Volumina,
Flächen und Linien werden als geometrische Mittelpunkte bezeichnet, da sie von dem Mate-
rial des Körpers unabhängig sind.
8.4 Praktische Auswertung der Integrale 191

8.4 Praktische Auswertung der Integrale


Die Auswertung der Gleichungen in (8.13) bis (8.19) führt auf Mehrfachintegrale, die häufig
mathematisch komplex sind. Z.B. sind der Volumenmittelpunkt bzw. der Flächenmittelpunkt
von homogenen Körpern formal durch Dreifach- bzw. Zweifachintegrale, also z.B.
    
1 1
xS = x dx dy dz bzw. xS = x dx dy, (8.20)
V x y z A x y
gegeben. Dabei sind für jedes der Integrale die entsprechenden Grenzen einzusetzen. Zur
Auswertung dieser Gleichungen können zwei Substitutionsmethoden unterschieden werden:
1. Substitution der Integrationsgrenzen: Hier werden die Begrenzungen des Körpers (Vo-
lumina, Flächen und Linien) durch eine unabhängige Variable ausgedrückt.
2. Substitution der Differenzialelemente: Die Differenzialelemente - Volumen- (dV ),
Flächen- (dA) und Liniendifferenzial (dL) - sowie die zugehörigen statischen Momente
werden durch eine unabhängige Variable ausgedrückt. Man erreicht damit, dass die
Volumen- bzw. Flächenintegrale auf Linienintegrale zurückgeführt werden.

Lösungsschritte zur Integration durch Substitution der Differenzialelemente


1. Wahl des Koordinatensystems: Je nach Geometrie des zu untersuchenden Körpers
verwendet man z.B.
a) Kartesische Koordinaten: Sie sind vorteilhaft, wenn der Körper durch geradlinige
Flächen oder Linien begrenzt ist.
b) Polarkoordinaten: Sie sind vorteilhaft, wenn der Körper durch kreisförmige
Flächen oder Linien begrenzt ist.
2. Wahl der unabhängigen Variablen: Man wählt eine der Koordinaten als unabhän-
gige Variable. Anschließend wird das Differenzialelement - Volumen- (dV), Flächen-
(dA) oder Liniendifferenzial (dL) - so eingeführt, dass dessen Punkte von der zuge-
hörigen Koordinatenachse den gleichen Abstand haben. Man erreicht damit, dass
Integrationen vorweggenommen werden und dass Momente erster Ordnung des El-
ementdifferenzials (z.B. xdA, ydA in den Gleichungen (8.15)) bekannt sind. Falls
es nicht gelingt, die Momente erster Ordnung auf diese Weise zu erkennen, müssen
diese vorab ermittelt werden (z.B. bei gekrümmten Elementdifferenzialen mit Hilfe
von Tabellen). Ggf. wählt man eine andere unabhängige Variable.
3. Substitution: In der Ebene wird die abhängige Variable (bzw. im Raum werden
zwei abhängige Variablen) durch die unabhängige Variable aus Schritt 2 ausgedrückt.
Dieses geschieht z.B. durch Bilden der Umkehrfunktion. Damit können Diffenren-
zialelemente und Momente erster Ordnung ebenfalls durch die unabhängige Koordi-
nate ausgedrückt werden. Ggf. wählt man eine andere unabhängige Variable.
4. Integralauswertung: Gelingt die Substitution in Schritt 3, wird das Zweifachinte-
gral im ebenen (bzw. das Dreifachintegral im räumlichen) Fall zu einem Einfachin-
tegral. Damit werden die Integrale (z.B. in der Gleichungen (8.13) bis (8.14), (8.19))
durch Bilden von Stammfunktionen ausgewertet.

Tabelle 8.1. Lösungsschritte und Hinweise zur Berechnung von Mehrfachintegralen


192 8 Schwerpunkte

In Tabelle 8.1 sind die wichtigsten Lösungsschritte und einige allgemeine Hinweise für
die zweite Möglichkeit zusammengefasst. Wir weisen darauf hin, dass diese Schritte nicht
immer zum Ziel führen, z.B. wenn die Umkehrfunktion in Schritt 3 nicht gefunden wird.
In Abb. 8.10 werden sechs Möglichkeiten zur Auswertung eines Integrals für die Berech-
nung des Schwerpunktes einer ebenen Fläche unterschieden. Dabei werden in den oberen
drei Darstellungen kartesische Koordinaten und in den unteren drei Darstellungen Polarko-
ordinaten verwendet. In den Fällen a) und d) erfolgt eine Substitution der Integrationsgrenzen
und in den übrigen Fällen die Substitution der Differenzialelemente. Der Punkt S̄ ist jeweils
der Schwerpunkt eines Flächendifferenzials dA.

a) y b) c) y
y(x) dx y2 dA=x(y)dy
S
dx y(x) dy
y dA=y(x)dx
dy S y(x) x(y)
dA=dxdy
2 2
x x x1 x x2 x x(y) x

y1
d) e) f)
y y 1 ϕ ϕ y
dA= r( )d
2
r(ϕ ) dϕ dA=r ϕ (r)d r
dA=rdϕ dr S
y=rsin ϕ y(ϕ) r(ϕ) r2
dr ϕ2 dϕ ϕ dr
dϕ ϕ1 y(r) S r
ϕ
r x x(ϕ) x r1 x(r) x(y)
x=rcos ϕ ϕ (r)

Abb. 8.10. Sechs Fälle zur Schwerpunktberechnung: oben: Kartesische Koordinaten, unten: Polarkoordinaten

a) Doppelintegral in kartesischen Koordinaten: Das Flächendifferenzial in Abb. 8.10.a


hat den Wert dA = dxdy. Mit seinen Schwerpunktkoordinaten x und y lauten die differen-
ziellen Momente dSy = xdA und dSx = ydA. Die Gesamtfläche und die zugehörigen
statischen Momente werden durch Auswertung von Doppelintegralen berechnet:
     
1. A = dxdy, 2. Sy = xdxdy, 3. Sx = ydxdy. (8.21)
x y x y(x) x y(x)

b) Einfachintegral mit vertikalem Flächenstreifen: Das Flächendifferenzial in Abb. 8.10.b


besteht aus einem infinitesimalen vertikalen Streifen. Um dessen Größe dA=y(x)dx zu be-
stimmen, muss der funktionale Zusammenhang y=y(x) gefunden werden. Mit den Koordi-
naten x und y(x)/2 des Schwerpunktes S̄ lauten die differenziellen Momente dSy = xdA
und dSx = y(x)/2dA. Legt man die Integrationsgrenzen x1 , x2 fest, werden die Fläche und
die statischen Momente durch Auswertung von Einfachintegralen berechnet:
8.4 Praktische Auswertung der Integrale 193
 x2  x2  x2
1
1. A = y(x)dx, 2. Sy = xy(x)dx, 3. Sx = y(x)2 dx. (8.22)
x1 x1 2 x1

c) Einfachintegral mit horizontalem Flächenstreifen: Das Flächendifferenzial in Abb.


8.10.c besteht aus einem infinitesimalen horizontalen Streifen. Dessen Größe dA = x(y)dy
wird durch Bilden der Umkehrfunktion x(y) erhalten. Mit den Koordinaten y und x(y)/2 des
Schwerpunktes S̄ lauten die differenziellen Momente dSy =x(y)/2dA und dSx =ydA. Mit
dem oberen Ausdruck für dA und den Integrationsgrenzen y1 , y2 werden die Fläche und die
statischen Momente durch Auswertung von Einfachintegralen berechnet:
 y2   y2
1 y2 2
1. A = x(y)dy, 2. Sy = x(y) dy, 3. Sx = yx(y)dy. (8.23)
y1 2 y1 y1

d) Doppelintegral in Polarkoordinaten: Das Flächendifferenzial in Abb. 8.10.d hat die


Größe dA = rdϕdr. Mit dessen Schwerpunktkoordinaten x = r cos ϕ und y = r sin ϕ
lauten die differenziellen Momente dSy = r cos ϕdA und dSx = r sin ϕdA. Die Fläche und
die statischen Momente werden durch Auswertung von Doppelintegralen berechnet:
     
2
1. A = rdϕ dr, 2. Sy = r cos ϕdϕ dr, 3. Sx = r 2 sin ϕdϕ dr. (8.24)
ϕ r ϕ r ϕ r

e) Einfachintegral mit Radialstreifen: Das Flächendifferenzial dA in Abb. 8.10.e ist ein


Ausschnitt aus einer Kreisfläche. Für kleine Winkel dϕ wird es durch ein Dreiecksdif-
ferenzial mit der Grundseite r(ϕ) und der Höhe r(ϕ)dϕ ersetzt, so dass dA = r 2 (ϕ)dϕ/2.
Die Koordinaten des Schwerpunktes S̄ von dA sind x(ϕ) = 2r(ϕ) cos ϕ/3 und y(ϕ) =
2r(ϕ) sin ϕ/3, siehe das spätere Beispiel 8.3. Damit lauten die differenziellen Momente
dSy = 2r(ϕ) cos ϕ/3dA und dSx = 2r(ϕ) sin ϕ/3dA. Mit dem oberen Ausdruck für dA
und den Integrationsgrenzen ϕ1 , ϕ2 werden die Fläche und die statischen Momente durch
Auswertung von Einfachintegralen berechnet:
  
1 ϕ2 2 1 ϕ2 3 1 ϕ2 3
1. A = r (ϕ)dϕ, 2. Sy = r (ϕ) cos ϕdϕ, 3. Sx = r (ϕ) sin ϕdϕ. (8.25)
2 ϕ1 3 ϕ1 3 ϕ1

f) Einfachintegral mit Ringstreifen: In Abb. 8.10.f ist ϕ(r) der Winkel, der das Bogenstück
mit Radius r einschließt. Mit der infinitesimalen Breite dr wird somit das Flächendifferen-
zial dA = ϕ(r)rdr gebildet. Dessen Koordinaten des Schwerpunktes S̄ sind y(r) und x(r).
Sie werden den Ergebnissen für Linien entnommen, siehe Abschnitt 8.3.3. Damit lauten die
differenziellen Momente dSy = y(r)dA und dSx = x(r)dA. Mit dem oberen Ausdruck für
dA und den Integrationsgrenzen r1 , r2 werden die Fläche und die statischen Momente durch
Auswertung von Einfachintegralen berechnet:
 r2  r2  r2
1. A = ϕ(r)rdr, 2. Sy = x(r)ϕ(r)rdr, 3. Sx = y(r)ϕ(r)rdr. (8.26)
r1 r1 r1
194 8 Schwerpunkte

 Beispiel 8.2 Flächenschwerpunkt eines Viertelkreises

Bestimmen Sie für einen Viertelkreis mit allen sechs Möglichkeiten in Abb. 8.10 die Koor-
dinaten xS , ys des Flächenschwerpunktes.
Vorüberlegungen: Mit den Darstellungen für den Viertelkreis in Abb. 8.11 werten wir die
Gleichungen (8.21) - (8.26) aus. Dabei beschränken wir uns zunächst auf das statische Mo-
ment Sx .

a) b) y c) y
y dx dA= R 2- y 2 dy
R dA=dx dy R R
dx y(x) y
S dy
y 2
S
dy dA= R - x2 dx y(x) x(y)
2 2
x R x x R x x(y) R x

d) y e) 1
f) y
dA= Rd ϕ ϕ (r)= π /2
2
dA=rdϕ dr dA=π rdr
y(ϕ) d ϕ
S r(ϕ)=R
dr π dr
dϕ 2 ϕ 2r S r
ϕ π
r Rx x(ϕ) R x 2r R x(y)
π

Abb. 8.11. Viertelkreis: Sechs Möglichkeiten zur Schwerpunktberechnung

Lösungen:
a) Doppelintegral in kartesischen√ Koordinaten: Aus der Kreisgleichung folgt der funk-
tionale Zusammenhang y(x) = R2 − x2 . Mit der Wahl eines Flächendifferenzials dA =
dydx in Abb. 8.11.a und dem Abstand y von der vertikalen Koordinatenachse folgt aus
Gl.(8.21.3) für das statische Moment bezogen auf die x-Achse:
   √
R R2 −x2
Sx = ydA = ydydx
A x=0 y=0

 2 √R2 −x2  2 R
R
y R
R 2 − x2 R x x3 R3
= dx = dx = − = .
x=0 2 0 x=0 2 2 6 0 3

b) Einfachintegral mit vertikalem Flächenstreifen: An der Stelle x wird in Abb. 8.11.b


ein Flächendifferenzial der√Breite dx eingeführt. Dessen Höhe y(x) wird mit Hilfe der Kreis-
gleichung durch y(x) = R2 − x2 beschrieben. Damit folgt mit den Integrationsgrenzen
x1 =0, x2 =R aus Gl.(8.22.3)
8.4 Praktische Auswertung der Integrale 195
   2 R
1 x2
2
R
R 2 − x2 R x x3 R3
Sx = ydA = y(x) dx = dx = − = .
A 2 x1 x=0 2 2 6 0 3

c) Einfachintegral mit horizontalem Flächenstreifen: An der Stelle y wird in Abb. 8.11.c


ein Flächendifferenzial derHöhe dy eingeführt. Dessen Breite x(y) wird mit Hilfe der Kreis-
gleichung durch x(y) = R2 − y 2 beschrieben. Damit folgt mit den Integrationsgrenzen
y1 =0, y2 =R sowie der erforderlichen Stammfunktion (siehe z.B. [5]) aus Gl.(8.23.3)
  y2  R   R
−(R 2 − y 2 )3/2 ) R3
Sx = ydA = yx(y)dy = y R2 − y 2 dy = = .
A y1 y=0 3 3
0

d) Doppelintegral mit Polarkoordinaten: In Polarkoordinaten wird in Abb. 8.11.d an der


Stelle r, ϕ das Flächendifferenzial dA = rdϕ dr eingeführt. Damit folgt aus Gl.(8.24.3)
  R  π/2  R

R R3
r 2 sin ϕdϕdr = r 2 [− cos ϕ]ϕ=0 dϕ = r 2 r=0 =
π/2
Sx = ydA = .
A r=0 ϕ=0 r=0 3

e) Einfachintegral mit Radialstreifen: In Polarkoordinaten wird in Abb. 8.11.e für den


Winkel ϕ ein Ausschnitt aus einer Kreisfläche mit dem Flächendifferenzial dA = R2 dϕ/2
eingeführt. Mit r(ϕ) = R und den Integrationsgrenzen ϕ1 =0, ϕ2 =π/2 folgt aus Gl.(8.25.3)
 
1 π/2
1 π/2
1 R3
r (ϕ) sin ϕdϕ = R3
3
sin ϕdϕ = R3 [− cos ϕ]ϕ=0 =
π/2
Sx = .
3 ϕ=0 3 ϕ=0 3 3

f) Einfachintegral mit Ringstreifen: In Polarkoordinaten wird in Abb. 8.11.f für den Ra-
dius r mit dem Kreisbogen der Länge πr/2 das Flächendifferenzial dA = πr dr/2 einge-
führt. Aus Beispiel 8.7 erhält man den Schwerpunkt S̄ in y-Richtung für einen Viertelkreis-
bogen y(r) = 2r/π. Mit ϕ(r) = π/2 und den Integrationsgrenzen r1 =0, r2 =R folgt aus
Gl.(8.26.3)
 r2  R
2r π
R R3
Sx = y(r)ϕ(r)rdr = dr = r 2 r=0 = .
r1 0 π 2 3

In gleicher Weise können mit allen sechs Möglichkeiten die Fläche A und das statische Mo-
ment Sy des Viertelkreises berechnet werden, was der Leser selbst nachvollziehen möge. Die
Ergebnisse lauten A = πR2 /4 und Sy = R3 /3. Aus Gl.(8.14.1) und Gl.(8.14.2) erhält man:
 
1 1 R3 4 4R 1 1 R3 4 4R
xS = xdA = Sy = 2
= , y S = ydA = S x = 2
= .
A A A 3 πR 3π A A A 3 πR 3π
Zusammenfassend gilt für die Schwerpunktkoordinaten eines Viertelkreises
4R
xS = y S = . (8.27)
3π 
196 8 Schwerpunkte

 Beispiel 8.3 Flächenschwerpunkt eines rechtwinkligen Dreiecks

Für ein rechtwinkliges Dreieck mit der Grundseite a und


der Höhe h sind die Koordinaten des Flächenschwerpunk-
tes gesucht.
h
Vorüberlegungen: Es werden die Schritte nach Tabelle 8.1
abgearbeitet, wobei wir uns zunächst auf die x-Koordinate
des Schwerpunktes konzentrieren.
a
Lösung:
1. Wahl des Koordinatensystems: Die x, y-Koordinaten Abb. 8.12. Rechtwinkliges Dreieck
haben den Ursprung im linken Eckpunkt in Abb. 8.12.b.
2. Wahl der unabhängigen Variablen: Wir wählen x als
unabhängige Variable. Durch einen vertikalen Flä- y
chenstreifen der Breite dx, für den alle Punkte den glei-
chen Abstand x von der y-Achse haben, wird ein Flä-
chendifferenzial dA = ydx festgelegt.
3. Substitution: Die Höhe y(x) des Flächendifferenzials
y(x) dA h
wird durch eine Geradengleichung beschrieben. Damit
wird das Flächendifferenzial dA durch die unabhängige x dx x
Variable x ausgedrückt: a
h h
y(x) = x =⇒ dA = y(x)dx = x dx = dA(x). Abb. 8.12.b. Flächendifferenzial
a a
4. Integralauswertung: Mit den Integrationsgrenzen x1 = 0, x2 = a bestimmen wir die
Fläche A und das Flächenträgheitsmoment Sy nach den Gleichungen (8.22):
  a  a
h h a h x2 ha
A = dA = xdx = xdx = = ,
A x=0 a a x=0 a 2 0 2
  x2  a  a
h h a 2 h x3 ha2
Sy = xdA = xy(x)dx = x xdx = x dx = = .
A x1 x=0 a a x=0 a 3 0 3

Damit folgt ha2


A 2
xS = = 3 = a.
Sy ha 3
2
Zur Bestimmung von yS stellen wir eine anschauliche y
Überlegung an: Mit dem soeben berechneten Wert für xS
ist der horizontale Abstand vom Eckpunkt mit dem rechten
Winkel zum Flächenschwerpunkt (1/3)a. Entsprechend S 1h
muss der vertikale Abstand yS vom gleichen Eckpunkt 3
zum Flächenschwerpunkt (1/3)h betragen. Zusammen- 2a 1a x
fassend lauten beide Schwerpunktkoordinaten 3 3
Abb. 8.12.c. Schwerpunktkoordinaten
2 1
xS = a, yS = h. (8.28) 
3 3
8.4 Praktische Auswertung der Integrale 197

 Beispiel 8.4 Flächenschwerpunkt einer Parabel

Bestimmen Sie für die dargestellte Fläche, welche durch


eine Parabel y = ax2 und die Höhe h begrenzt wird, den y
y=ax 2
Flächenschwerpunkt.
Vorüberlegungen: Es werden die Schritte nach Tabelle
8.1 abgearbeitet, wobei wir uns zunächst auf die vertikale
Koordinate des Schwerpunktes konzentrieren. h
Lösung:
1. Wahl des Koordinatensystems: Wir legen das x, y-Ko- x
ordinatensystem in den Minimalpunkt der Parabel in
Abb. 8.13.b. Abb. 8.13. Parabel
2. Wahl der unabhängigen Variablen: Wir wählen y als
unabhängige Variable. Durch einen horizontalen Flä-
chenstreifen der Breite dy, für den alle Punkte den
y
gleichen Abstand y von der x-Achse haben, wird ein y=ax 2
dA
Flächendifferenzial dA = 2xdy festgelegt.
3. Substitution: Für die Parabelgleichung y(x) = ax2 dy
bilden wir die Umkehrfunktion x(y). Damit wird das h
Flächendifferenzial dA durch die unabhängige Vari-
y
yS
able y ausgedrückt:
x x
y y
x(y) = =⇒ dA = 2x(y)dy = 2 dy = dA(y). Abb. 8.13.b Flächendifferenzial
a a
4. Integralauswertung: Mit den Integrationsgrenzen y1 = 0, y2 = h bestimmen wir die
Fläche und das Flächenträgheitsmoment nach den Gleichungen (8.23):
  y2  h  h  h
y 2 2 2 y 3/2 4
A = dA = x(y)dy = 2 dy = √ y 1/2 dy = √ = √ h3/2 .
A y1 0 a a 0 a3 2 3 a
0
  y2  h   h
y 2 h
3/2 2 2 y 5/2 4
Sx = ydA = yx(y)dy = 2 y dy = √ y dy = √ = √ h5/2 .
A y1 0 a a 0 a5 2 5 a
0
4
Damit folgt √ h5/2
5 a 3
yS = = h.
4 5
√ h3/2
3 a
Für die Koordinate in horizontaler Richtung gilt auf Grund der Symmetrie xS = 0. Zusam-
menfassend lauten somit die Schwerpunktkoordinaten
3
xS = 0, yS = h. (8.29)
5
Es fällt auf, dass der Schwerpunkt von dem Parameter a unabhängig ist. 
198 8 Schwerpunkte

 Beispiel 8.5 Schwerpunkt eines räumlichen Körpers

Ein räumlicher homogener Körper wird durch eine


symmetrische Trapezfläche, zwei gleiche Dreiecke
und eine Rechteckfläche begrenzt. Berechnen Sie 2b
den Schwerpunkt. Bekannt: a, b, h, l.
Vorüberlegungen: Es werden die Schritte nach Ta- h
belle 8.1 abgearbeitet. Da der Körper homogen ist,
kann der Schwerpunkt mit den Gleichungen (8.13)
für den Volumenmittelpunkt berechnet werden.
Lösung: l
1. Wahl des Koordinatensystems: Aus Symme-
2a
triegründen betrachten wir nur die rechte Hälfte
des Körper und verwenden kartesische Koordi- Abb. 8.14. Räumlicher Körper
naten wie in Abb. 8.14.b dargestellt.
2. Wahl der unabhängigen Variablen: Wir wählen
y als unabhängige Variable. Durch einen ver- b
tikalen Volumenstreifen der Breite dy, für den b
alle Punkte den gleichen Abstand y von der
x, z-Ebene haben, wird ein Volumendifferen- h dV z(y)
zial dV = xz dy festgelegt.
3. Substitution: Die x- und die z-Koordinaten des x(y)
Volumendifferenzials werden durch Geraden- dy z
y y x
gleichungen beschrieben. Damit gelingt es, das l
Volumendifferenzial dV durch die unabhängige a
Variable y auszudrücken: a

b−a h Abb. 8.14.b. Volumendifferenzial


x(y) = a + y, z(y) = y
l l
 
b−a h
=⇒ dV = x(y)z(y) dy = a + y y = dV (y).
l l
4. Integralauswertung: Mit den Integrationsgrenzen y1 = 0, y2 = l berechnen wir das
Volumen und die Momente erster Ordnung für den homogenen Körper nach den Glei-
chungen (8.13):
  l    l  
b−a h ha b−ah 2
V = dV = a+ y y dy = y+ y dy
V y=0 l l y=0 l l l
l
ha y 2 b − a h y 3 ha l2 b − a h l3 hal hl(b − a)
= + = + = +
l 2 l l 3 y=0 l 2 l l 3 2 3
 
a b
= hl +
6 3
8.4 Praktische Auswertung der Integrale 199

xS V = 0 (wegen Symmetrie)
      
l
b−a h l
ha 2 b − a h 3
yS V = ydV = y a+ y y dy = y + y dy
V y=0 l l y=0 l l l
l  
ha y 3 b − a h y 4 ha l3 b − a h l4 a b−a
= + = + = hl2 +
l 3 l l 4 y=0 l 3 l l 4 3 4
 
2 a b
= hl +
12 4

    2   
l
b−a h l
h2 a 2 b − a h2 3
zS V = zdV = a+ y y dy = y + y dy
V y=0 l l y=0 l2 l l2
l  
h2 a y 3 b − a h2 y 4 h2 a l3 b − a h2 l4 a b−a
= + = 2 + = h2 l +
l2 3 l l2 4 y=0 l 3 l l2 4 3 4
 
2 a b
=h l + .
12 4

Zusammenfassend lauten die Schwerpunktkoordinaten des räumlichen Körpers in Abb. 8.14


xS V
1. xS = =0
V  
a b
+ hl2
yS V 12 4 a + 3b
2. yS = =   =l
V a b 2a + 4b
hl + (8.30)
6 3
 
2 a b
lh +
zS V 12 4 a + 3b
3. zS = =   =h .
V a b 2a + 4b
hl +
6 3

Für den Fall a = b wird der räumliche Körper zu einem Prisma mit parallelen Dreiecks-
flächen. Man erhält aus den Ergebnissen (8.30)
2 2
xS = 0, yS = l, zS = h.
3 3
Diese Ergebnisse werden auch anschaulich mit den Schwerpunktkoordinaten für das recht-
winklige Dreieck aus Beispiel 8.3 erhalten. 
200 8 Schwerpunkte

 Beispiel 8.6 Schwerpunkt eines Kegels

Für einen Kegel mit dem Grundradius R und der Höhe h


ist der Schwerpunkt gesucht.
Vorüberlegungen: Es werden die Schritte nach Tabelle
8.1 abgearbeitet, wobei wir uns zunächst auf die vertikale
Koordinate des Schwerpunktes konzentrieren. h
Lösung:
1. Wahl des Koordinatensystems: Zusätzlich zu den
x, y, z-Koordinaten in der Spitze des Kegels werden
in Abb. 8.15.b in der x, y-Ebene Polarkoordinaten R
ϕ, r zur Auswertung der Integrale eingeführt.
Abb. 8.15. Kegel
2. Wahl der unabhängigen Variablen: Wir wählen z als
unabhängige Variable. Durch eine horizontale Volu- y
menscheibe der Höhe dz, für die alle Punkte den glei- ϕ
chen Abstand z von der x, y-Ebene haben, wird ein x z
Volumendifferenzial dV = πr 2 dz festgelegt. dV r dz
h
3. Substitution: Der Radius r des Volumendifferen-
zials wird durch eine Geradengleichung beschrieben.
Damit gelingt es, das Volumendifferenzial dV durch h/4
die unabhängige Variable z auszudrücken: R
 2 
R R 2 Abb. 8.15.b. Volumendifferenzial
r(z) = z =⇒ dV = π z dz = dV (z).
h h2
4. Integralauswertung: Mit den Integrationsgrenzen z1 = 0, z2 = h berechnen wir das
Volumen und das Moment erster Ordnung für den homogenen Körper nach den Glei-
chungen (8.13):
  h  2  h
R 2 R2 z 2 1
V = dV = π 2
z dz = π 2 = πR2 h.
V z=0 h h 3 z=0 3
    h
h
R2 2 R2 z 4 1
zS V = zdV = zπ 2
z dz = π 2 = πR2 h2 .
V z=0 h h 4 z=0 4
Damit folgt 1 2 2
zS V πR h 3h
zS = = 4 = .
V 1 2 4
πR h
3
Für die Koordinaten in horizontaler Richtung gilt auf Grund der Symmetrie xS = yS = 0.
Zusammenfassend lauten die Schwerpunktkoordinaten des Kegels somit
3h
xS = 0, yS = 0, zS = . (8.31)
4 
8.4 Praktische Auswertung der Integrale 201

 Beispiel 8.7 Schwerpunkt eines Kreisbogens

Für den dargestellten Kreisbogen mit Radius R und den


Winkeln α1 und α2 ist der Linienschwerpunkt gesucht.
Vorüberlegungen: Es werden die Schritte nach
Tabelle 8.1 abgearbeitet, wobei wir uns zunächst auf α2
die Schwerpunktkoordinate in horizontaler Richtung R
konzentrieren.
Lösung: α1
1. Wahl des Koordinatensystems: Zusätzlich zu den Abb. 8.16. Kreisbogen mit
x, y-Koordinaten werden in Abb. 8.16.b Polarkoor- Winkeln α1 und α2
dinaten ϕ, r zur Auswertung der Integrale einge-
führt.
2. Wahl der unabhängigen Variablen: Wir wählen ϕ als y
unabhängige Variable und führen ein Kreisbogen- dL
differenzial der Länge dL ein, für das alle Punkte y
den gleichen Abstand R vom Ursprung haben. dϕ
α2
Dessen Länge berechnet man (wie bei einer Um-
R
fangsberechnung U =2πR) zu ϕ
x
dL = dϕ R.
α1 x
3. Substitution: Die Koordinaten x und y wer-
Abb. 8.16.b. Kartesische Koordinaten
den für den Kreisbogen durch den Winkel ϕ
und Polarkoordinaten, Kreis-
parametrisiert: bogendifferenzial

x = R cos ϕ, y = R sin ϕ.
Da r = R konstant ist, wird kein funktionaler Zusammenhang r(ϕ) erforderlich.
4. Integralauswertung: Mit den Integrationsgrenzen α1 , α2 für den Winkel ϕ berechnen wir
die Länge und das Moment erster Ordnung nach den Gleichungen (8.19)
  α2
L= dL = Rdϕ = R[ϕ]αα21 = R(α2 − α1 )
L ϕ=α1
 α2
xdL = R cos ϕRdϕ = R2 [sin ϕ]αα21 = R2 (sin α2 − sin α1 ).
L ϕ=α1

In gleicher Weise bestimmt man das Moment erster Ordnung L ydL. Zusammenfassend
erhält man für beide Schwerpunktkoordinaten
R(sin α2 − sin α1 ) R(cos α1 − cos α2 )
xS = , yS = . (8.32)
α2 − α1 α2 − α1
Für einen Viertelkreisbogen folgt mit α1 = 0 und α2 = π/2
2R
xS = y S = . (8.33)
π 
202 8 Schwerpunkte

8.5 Die Resultierende von Streckenlasten

Die Gleichungen zur Schwerpunktermittlung können auch zur Berechnung der Resultieren-
den von Streckenlasten (Totalresultierende) eingesetzt werden. Als Beispiel betrachten wir
in Abb. 8.17 einen Träger der Länge l mit
y R
einer vertikalen Streckenlast q(x). Wir suchen aR
den Betrag, das polare Moment bezüglich
des Punktes A und die Lage der Resultieren- q(x)
den. Diese Aufgabe ist äquivalent der Schw-
A B
erpunktberechnung einer Fläche in Abschnitt
8.3.2. Dabei entspricht die Kraftresultierende
dem Flächeninhalt A = A dA und das po- x
lare Moment dem statischen Moment in den l
Gleichungen (8.15). Zusammenfassend erhält Abb. 8.17. Vertikale Streckenlast und deren
man: Resultierende

Betrag, polares Moment und Lage der Resultierenden einer


vertikalen Streckenlast
  (A)
(8.34)
(A) M
1. R = q(x) dx 2. MR = xq(x) dx 3. aR = R .
(l) (l) R

Gl.(8.34.3) entspricht Gl.(5.21.2) für die Reduktion eines nichtzentralen Kraftsystems auf
eine Totalresultierende.

 Beispiel 8.8 Resultierende einer dreiecksförmigen Streckenlast auf einen Träger

Auf einen Träger der Länge l wirkt eine


dreiecksförmige Streckenlast mit dem Rand-
aR
wert q = 0 im Punkt A und dem Randwert q0 R
im Punkt B. Bestimmen Sie die Größe, das po-
q0
lare Moment bezüglich des Punktes A und die
Lage der Resultierenden. A B
Bekannt: q0 , l.
Lösung: Die Größe der Resultierenden ist x
nach Gl. (8.34.1) der Flächeninhalt der Stre- l
ckenlast, und das polare Moment der Resul- Abb. 8.18. Dreiecksförmige Streckenlast
tierenden ist nach Gl.(8.34.2) das statische Mo- und deren Resultierende
ment der Streckenlast. Somit folgt mit den Er-
gebnissen aus Beispiel 8.3:

(A)
l (A) l2 MR 2 (8.35)
R = q0 , MR = q0 , aR = = l.
2 3 R 3

8.5 Die Resultierende von Streckenlasten 203

 Beispiel 8.9 Resultierende einer Streckenlast auf einem Kreisbogen

Ein Kreisbogenträger wird auf einem Segment,


dass durch zwei Winkel α1 und α2 festgelegt
ist, infolge einer Streckenlast q radial zum Kreis- y
mittelpunkt beansprucht. Bestimmen Sie bezogen q
auf das gegebene x, y-Koordinatensystem Betrag,
Richtung und Lage der Resultierenden.
Bekannt: q0 , R, α1 , α2 . R α2
A α1 B x
Vorüberlegungen: Zerlegt man an einer Stelle
x, y die Streckenlast q(x, y) in einen horizontalen
und einen vertikalen Anteil, dann verändern sich Abb. 8.19. Streckenlast auf Kreisbogen
beide Anteile in Abhängigkeit der Koordinaten
x, y, so dass die Auswertung der Integrale in den Gleichungen (8.11) mathematisch komplex
wird. Die Berechnung vereinfacht sich für ein gedrehtes Koordinatensystem x̄, ȳ erheblich,
wobei z.B. die x̄-Achse die Symmetrieachse der Belastung ist.

a) x b) x c)
y Fy x
q cos ϕ Fx
F q sin ϕ Fy =0
Fx
q = + q sin ϕ
yS
αm ϕ ϕ
α α y α α
y α y α
R α2
α1 B x B A B
A A
xS
Abb. 8.19.b. a) Koordinatensystem x̄, ȳ, b) Normalbelastung, c) Tangentialbelastung

Lösung: Mit der Festlegung der beiden Winkel


αm = 0, 5(α2 + α1 ), ᾱ = 0, 5(α2 − α1 ) (8.36)
wird in Abb. 8.19.a die Belastung bezüglich eines um den Winkel αm gedrehten Koordi-
natensystem x̄, ȳ beschrieben. Mit der Zerlegung der Streckenlast q(x, y) in die Koordinaten-
richtungen von x̄ und ȳ erhält man in Abhängigkeit des Winkels ϕ die Streckenlasten q cos ϕ
in Abb. 8.19.b und q sin ϕ in Abb. 8.19.c. Aus Symmetriegründen fällt die Resultierende F̄x̄
in Abb. 8.19.b mit der x̄−Achse zusammen, und es verschwindet die Resultierende F̄ȳ in
Abb. 8.19.c. Damit gilt für die Totalresultierende F̄ = F̄x̄ . Die Integralauswertung liefert
 ᾱ
F̄x̄ = −ᾱ q cos ϕRdϕ = [q sin ϕR]ᾱ−ᾱ = qR(sin ᾱ − sin(−ᾱ)) = 2qR sin ᾱ = F̄ . (8.37)
Nach Rücktransformation auf das x, y-Koordinatensystem erhält man für Betrag, Richtung
und Lage der Resultierenden einer Streckenlast auf einem Kreisbogen:
Fx = F̄ cos αm = 2qR sin ᾱ cos αm , Richtung: ← für αm < 0, → für αm > 0,
Fy = F̄ sin αm = 2qR sin ᾱ sin αm , Richtung: ↓, (8.38)
xS = R cos αm , yS = R sin αm . 
204 8 Schwerpunkte

8.6 Geometrische Mittelpunkte für zusammengesetzte Körper


Häufig bestehen Körper aus mehreren Teilkörpern mit einfachen Geometrien. Als Beispiel
ist in Abb. 8.20.a ein Exzenterschleifer dargestellt, der aus einer dünnen Kreisscheibe, drei
Rippen zur Verstärkung, vereinfacht als Linien, und einem Antriebsmotor, vereinfacht als
Zylinder, zusammengesetzt ist. In Abb. 8.20.b ist ein Verbundbalkenquerschnitt aus einer
Betonplatte und einem I-Profil zusammengesetzt. Für derartige Körper sind die Teilschwer-
punkte häufig bekannt, so dass der Gesamtschwerpunkt ohne Integration berechnet werden
kann.
a) b)

A1

A2

Abb. 8.20. Zusammengesetzte Körper: a) Exzenterschleifer, b) Betonplatte und I-Profil

Um dieses zu zeigen, betrachten wir K,m


Ki ,m i
in Abb. 8.21 den allgemeinen Fall mit z K2,m 2
N Teilkörpern. Die Gesamtmasse ist
das Integral über den Gesamtkörper K, K1,m 1
welches nach den Regeln der Integral- M M1
rechnung in Integrale über die Teilkör- yM
per Ki aufgeteilt wird: y1 y
  
yM
m= dm = dm + dm + ...
K K1 K2

N (8.39)
= m1 + m2 + .... = mi . xM x1 x
 i=1 Abb. 8.21. Zusammengesetzter Körper
Hierbei ist mi = Ki dm die Masse des
i-ten Teilkörpers Ki .
Mit Gl.(8.12.1) erhält man die x-Koordinate des Massenmittelpunktes für den Teilkör-
per Ki :
 
1
1. xi = xdm =⇒ 2. xdm = xi mi . (8.40)
mi K i Ki
Nochmalige Anwendung der Gleichungen (8.12.1) auf den Gesamtmassenmittelpunkt und
Anwendung von (8.40.2) auf die Teilkörper K1 , K2 , ... liefert
8.6 Geometrische Mittelpunkte für zusammengesetzte Körper 205
   
1 1 1
xM = xdm = xdm + xdm + ... = (x1 m1 + x2 m2 + ...). (8.41)
m K m K1 K2 m
In gleicher Weise bestimmt man die Koordinaten yM und zM des Massenmittelpunktes und
erhält zusammenfassend die Koordinaten für den

Massenmittelpunkt eines zusammengesetzten Körpers


1  1  1  (8.42)
N N N
1. xM = xi m i 2. yM = y i mi 3. zM = zi mi ,
m m m
i=1 i=1 i=1
N
wobei m = i=1 mi die Gesamtmasse ist. Falls die Dichte im gesamten Körper konstant
ist, vereinfachen sich die Gleichungen (8.42) wie die Gleichungen (8.13), und man erhält die
Koordinaten für den

Volumenmittelpunkt eines zusammengesetzten Körpers


1  1  1  (8.43)
N N N
1. xV = xi Vi 2. yV = yi Vi 3. zV = zi Vi ,
V V V
i=1 i=1 i=1


wobei V = N i=1 Vi das Gesamtvolumen ist. Wie bei der Herleitung der Gleichungen (8.14)
für den Flächenmittelpunkt eines homogenen Körpers erhält man die Koordinaten für den

Flächenmittelpunkt einer zusammengesetzten Fläche („Schwerpunkt”)


1  1  (8.44)
N N
1. xA = xi Ai 2. yA = yi Ai ,
A A
i=1 i=1

wobei A = N i=1 Ai die Gesamtfäche ist. Wie bei der Herleitung der Gleichungen (8.19)
erhält man für den Linienmittelpunkt eines homogenen Körpers die Koordinaten für den

Linienmittelpunkt einer zusammengesetzten Linie


1 1 1 (8.45)
N N N
1. xL = xi L i 2. yL = y i Li 3. zL = zi Li ,
L L L
i=1 i=1 i=1

N
wobei L = i=1 Li die Gesamtlinienlänge ist.
Bemerkungen 8.1
1. Mit den Gleichungen (8.42) bis (8.45) werden die Koordinaten der geometrischen Mit-
telpunkte durch Summation erhalten, so dass Integrationen nicht erforderlich werden.
Voraussetzung dazu ist die Kenntnis der Schwerpunkte der Teilkörper. Diese sind in
Tabelle 8.2 für einige einfache geometrische Flächen und in Tabelle 8.3 für einige ein-
fache 3-dimensionale geometrische Körper angegeben.
2. Mit den Gleichungen (8.42) bis (8.45) können auch Ausschnitte oder Löcher berück-
sichtigt werden, indem man diese als Teilkörper mit „negativen” Linien, Flächen bzw.
Volumina auffasst, vgl. die Beispiele 8.10 und 8.12.
206 8 Schwerpunkte

Fläche Flächeninhalt Schwerpunktkoordinaten


1. rechtwinkliges Dreieck 2
A = 21 ah xS = a
y 3
1
yS = h
3
h S
xS yS
a x

2. beliebiges Dreieck 1
A = 21 ((x2 − x1 )(y3 − y1 ) xS = (x1 + x2 + x3 )
y x2 , y2 3
− (x3 − x1 )(y2 − y1 )) 1
yS = (y1 + y2 + y3 )
3
S
x3 , y3
x1 , y1
x

3. Parallelogramm A = ah
y S liegt im Schnittpunkt
a/2 a/2
der Diagonalen
h/2 S

h/2
a/2 a/2 x

4. Trapez
h S liegt auf der Seiten-
y b/2 b/2 A= (a + b)
2 halbierenden
h/2 h a + 2b
S yS =
3 a+b
h/2
a/2 a/2 x

5. Polygon
1 
n
n
A= i=1 (xi yi+1 − xi+1 yi ) xS = (xi + xi+1 )·
xi , yi
6A
y xn , yn i=1
(xi yi+1 − xi+1 yi )
1 
n
S yS = (yi + yi+1 )·
x1 , y2 6A
i=1
x2 , y2 x3 , y3
(xi yi+1 − xi+1 yi )
x
8.6 Geometrische Mittelpunkte für zusammengesetzte Körper 207

Fläche Flächeninhalt Schwerpunktkoordinaten

6. Kreisausschnitt A = αR2 xS = 0
2 sin α
y yS = R
3 α
S
α α
yS R x

7. Viertelkreis π 2 4R
A= R xS =
4 3π
y
4R
yS =

S
yS R x
xS

8. Kreisabschnitt A = 21 R2 (2α − sin 2α) xS = 0


s s3
y yS =
12A
S
s = R sin α
α α R
yS
x

9. quadratische Parabel 2
A = ab xS = 0
3
3
y y=ax 2 yS = h
5

h
yS x

Tabelle 8.2. Schwerpunktkoordinaten für einige einfache geometrische Flächen


208 8 Schwerpunkte

Körper Volumeninhalt Schwerpunktkoordinaten


1. Zylinder V = πR2 l xS = yS = zS = 0
y

R x

z l

2. dickwandiger V = π(Ra2 − Ri2 )l xS = yS = zS = 0


Hohlzylinder
y

Ra x
l
z R
i

3. Kugel
y 4
V = πR3 xS = yS = zS = 0
R 5

z x

4. Halbkugel
y 2
zS =3/8 R V = πR3 xS = y S = 0
5
R 3
zS = R
8
z S x

5. Kegel
1
zS = l/4 V = πR2 l xS = y S = 0
l y 3
R l
zS =
x 4
S
z

Tabelle 8.3. Schwerpunktkoordinaten für einige einfache 3-dimensionale geometrische Körper


8.6 Geometrische Mittelpunkte für zusammengesetzte Körper 209

 Beispiel 8.10 Schwerpunkt eines Quadrates mit Kreisausschnitt

Aus dem Quadrat in Abb. 8.22.a ist ein Kreis ausgespart. Bestimmen Sie den Flächenschw-
erpunkt. Bekannt: a.
Vorüberlegungen: In Abb. 8.22.b wird die gegebene Fläche als Differenz zweier Flächen
mit bekannten Teilschwerpunkten S1 und S2 dargestellt. Fassen wir also das Loch als
„negative” Fläche auf, kann die Schwerpunktberechnung mit den Gleichungen (8.44) erfol-
gen. Dazu legen wir das Koordinatensystem in den Teilschwerpunkt S1 des Quadrates.

a) b) A1 y y

A2
2a
= -
a x x
S1 S2
2a

5/2a
2a 2a
Abb. 8.22. Quadrat mit Kreisausschnitt

Lösung: Wir versehen das Quadrat mit der Nummer 1, den Kreis mit der Nummer 2 und
tragen Koordinaten, Flächen und statische Momente in eine Tabelle ein:
i xi yi Ai xi Ai yi Ai
1 0 0 4a2 0 0
πa3
2 a
2 0 − πa2 − 2 0
 πa3
a2 (4 − π) − 2 0
Für die Schwerpunktkoordinaten erhält man aus Gl.(8.44.1) und Gl.(8.44.2)
2 3 2
i=1 xi Ai − πa2 πa yi Ai 0
xS = 2 = 2 =− , yS = i=1 2 = 2 = 0. 
i=1 Ai
a (4 − π) 8 − 2π i=1 Ai
a (4 − π)

 Beispiel 8.11 Schwerpunkt einer zusammengesetzten Fläche aus zwei Dreiecken

Bestimmen Sie für eine zusammengesetzte Fläche y


aus zwei Dreiecken 1 und 2 den Gesamtschwer- a b
punkt bzgl. des dargestellen Koordinatensystems.
A1 A2
Bekannt: a, b, h. h
Vorüberlegungen: Wir bestimmen die Teil- S1 y1=
S2 y2
schwerpunkte und die Flächen der beiden Dreiecke
und werten die Gleichungen (8.44) tabellarisch x1 x
aus. x2
Abb. 8.23. Zwei Dreiecke
210 8 Schwerpunkte

Lösung: Wir tragen Koordinaten, Flächen und statische Momente in eine Tabelle ein:
i xi yi Ai xi Ai yi Ai
2 1 1 1 2 1 2
1 3a 3h 2 ah 3a ·h 6a · h
2 a + 13 b 1
3h
1
2 bh
1
2a · b · h + 16 b2 h 1
6b · h
2

 1 1 1 2
2 (a + b) h 6 (a + b)(2a + b)h 6 h (a + b).
Für die Schwerpunktkoordinaten erhält man aus Gl.(8.44.1) und Gl.(8.44.2)
1 1 2
6 (a + b)(2a + b)h 2a + b 6 h (a + b) 1
xS = 1 = , yS = 1 = h. 
2 (a + b) · h 2 (a + b) · h
3 3

 Beispiel 8.12 Schwerpunkt eines Quaders mit Viertelzylinderausschnitt

Aus dem homogenen Quader in Abb. 8.24.a ist ein Viertelzylinder ausgespart. Bestimmen
Sie den Schwerpunkt. Bekannt: a.
Vorüberlegungen: In Abb. 8.24.b wird der gegebene Körper als Differenz zweier Körpern
mit bekannten Schwerpunkten dargestellt. Fassen wir also den Ausschnitt als „negativen”
Körper auf, kann die Schwerpunktberechnung mit den Gleichungen (8.13) für den Volumen-
mittelpunkt erfolgen. Dieses geschieht zweckmäßig mit Hilfe einer Tabelle.

a) a b)
a z

a
y
= -
a x

a
a

Abb. 8.24. Quader mit Viertelzylinderausschnitt

Lösung: Wir versehen den Quader mit der Nummer 1, den Viertelylinder mit der Num-
mer 2 und tragen Koordinaten, Volumina und statische Momente in eine Tabelle ein: Für
den Schwerpunkt des Viertelzylinders verwenden wir das Ergebnis für den Viertelkreis in
Tabelle 8.2: x2 = z2 = a − 4a/3π = a(3π − 4)/3π, V2 = −a · a2 π/4
i xi yi zi Vi xi Vi yi Vi zi Vi
1 0 0 0 (2a)3 0 0 0
a(3π−4) a(3π−4) a3 a4 (3π−4) a4 (3π−a) a4 (3π−4)
2 3π − a2 3π − 4 π − 12 8π − 12
 a3 a4 (3π−4) a4 (3π−4) a4 (3π−4)
(32 − π) 4 − 12 8π − 12 .
8.6 Geometrische Mittelpunkte für zusammengesetzte Körper 211

Für die Volumenmittelpunktkoordinaten erhält man dann aus Gl.(8.13)


4 (3π−4) a4 (3π−4)
−a 12 4(3π − 4) 8π a(3π − 4)
xV = zV = 3 =− a, yV = 3 = .
(32 − π) a4 3(32 − π) (32 − π) a4 2π(32 − π) 

 Beispiel 8.13 Schwerpunkt eines Winkels

Bestimmen Sie für den ungleichschenkli-


gen Winkel in Abb. 8.25.a den Flächen- a) b) y
schwerpunkt xS
t 1
1. unter Berücksichtigung der wirk-
S1
lichen Flächen 5a S
2. mit dem Ergebnis aus Aufgabenteil 1 y1
t S2 2 yS
und dem Grenzübergang t → 0
3. als Linienschwerpunkt. x
x2
Bekannt: a, t 3a 3a
Vorüberlegungen: Die Gesamtfläche
wird in Abb. 8.25.b in zwei Rechtecke 1 Abb. 8.25. Ungleichschenkliger Winkel:
a) Geometrie, b) Teilflächen
und 2 aufgeteilt. Wir legen ein Koordina-
tensystem in die linke untere Ecke, bestimmen die Teilschwerpunkte und die Flächen der
beiden Rechtecke und werten die Gleichungen (8.44) tabellarisch aus.
Lösungen: 1. Unter Berücksichtigung von x2 = (3a − t)/2 + t = (3a + t)/2 ergibt sich
i xi yi Ai xi Ai yi Ai

t 5a 2 2
1 2 2 5at 5 t2 a 25 a2 t
3a+t 3a+t t2
2 2
t
2 (3a − t)t 2 (3a − t)t 2 (3a − h)
 1
 1

8at − t2 2 9a2 t + 5t2 a − t3 2 25a2 t + 3t2 a − t3 .

Für die Schwerpunktkoordinaten erhält man aus Gl.(8.44.1) und Gl.(8.44.2)


5t 1 t 2
9a2 t + 5t2 a − t3 9 1 + 9a − 9 ( a )
xS = = a
2(8at − t2 ) 16 1−
t
8a
3t 1 t2
2 2
25a t + 3t a − t 3 25 1 + −
yS = = a 25a 25 a2 .
2(8at − t )2 16 t
1−
8a

2. Für ein dünnwandiges Profil gilt t << a. Dann sind die Terme t/a und (t/a)2 klein
gegen 1 und können vernachlässigt werden. Man erhält für die Schwerpunktkoordinaten
212 8 Schwerpunkte

9 25 y
xS = a, yS = a.
16 16
xS
3. Wir tragen in Abb. 8.26 die Schwerlinien der bei-
den Flächen des Winkels ein und fassen diesen als 1
Linienkörper auf. Mit den zwei Linienmittelpunkten S1
5a S
ergibt sich folgende Tabelle:
y1
i xi yi Li xi L i y i Li S2 2 yS
5 25 2 x2 x
1 0 2a 5a 0 2 a
3a 9 2 3a
2 2 0 3a 2a 0
 9 2 25 2 Abb. 8.26. Winkel als Linienkörper
8a 2a 2 a .

Für die Schwerpunktkoordinaten erhält man aus Gl.(8.19.1) und Gl.(8.19.2)


 9a2  25a2
xi L i 2 9 y i Li 25
xS =  = = a, yS =  = 2 = a. 
Li 8a 16 Li 8a 16
Aus Beispiel 8.13 und weiteren Untersuchungen erhält man zusammenfassend folgende

Regeln zu dünnwandigen Querschnitten


1. Eine zusammengesetzte Fläche, bei der alle Dicken die Bedingung ti << a
erfüllen, bezeichnet man als dünnwandig (z.B. ti < 0, 05 a). Dabei ist a eine
charakteristische Querschnittsgröße, z.B. Höhe oder Breite des Querschnittes.
2. Ist die Dicke für alle Teilflächen gleich, ti = const, kann der Schwerpunkt als (8.46)
Linienmittelpunkt nach Gl. (8.19) berechnet werden.
3. Für ti
= const kann der Schwerpunkt nicht als Linienmittelpunkt berechnet
werden. Einflüsse der Dicken bei den Berechnungen der Abmessungen und
der Koordinaten dürfen aber unberücksichtigt bleiben. Die Berechnung wird
zweckmäßig auf die Schwerachsen der Teilflächen bezogen.

 Beispiel 8.14 Schwerpunkt eines „Doppel-T” Querschnittes

Bestimmen Sie für den dünnwandigen „Doppel-T” Quer- b1


schnitt in Abb. 8.27 den Flächenschwerpunkt. t1
Bekannt: h = 20 cm, b1 = 15 cm, b2 = 10 cm, t1 = 5 mm,
t2 = 3 mm, t4 = 4 mm. t3
Vorüberlegungen: Wir legen in Abb. 8.27.b ein Koordi-
natensystem in die Schwerachse der unteren Teilfläche. h
Die x-Koordinate des Schwerpunktes ist wegen Symme-
trie gleich Null, vgl. Regel (8.18). Wir bestimmen die Teil- t2
schwerpunkte sowie die Flächen der drei Teilflächen nach
Regel 8.46.3 ohne exakte Berücksichtigung der Dicken. Die b2
Gleichungen (8.44) werden tabellarisch ausgewertet.
Abb. 8.27. „Doppel-T” Querschnitt
8.7 Aufgaben zu den Abschnitten 8.2 bis 8.6 213

Lösung: Mit den drei Teilfächen ergibt sich tabellarisch:

i yi Ai yi Ai b1
t1 S1
1 ≈h b1 t1 hb1 t1
= 200 = 150 · 5 = 150 000 3 1
t3
2 0 b2 t2 0
100 · 3 0 h S3
h2 t3
3 ≈ h
2 ht3 2
y
h/2
= 100 = 200 · 4 = 80 000 t2

1850 230 000 S2 x
2
b2
Für die Schwerpunktkoordinate folgt aus Gl.(8.44.2)
 Abb. 8.27.b. Teilfächen
yi Ai 230 000 mm2
yS =  = = 12, 43 mm.
Ai 1850 mm 

8.7 Aufgaben zu den Abschnitten 8.2 bis 8.6

Aufgabe 8.4 (SG = 2, BZ = 20 min)


Das dargestellte Stabwerksystem m1
besteht aus drei Stäben mit den
l
Massen m1 , m2 , m3 . A 90° C 90° B
1. Bestimmen Sie den Gesamt-
m3
schwerpunkt des Systems. l m2
2. Machen Sie einen Vorschlag für
einen weiteren Stab, so dass der
Gesamtschwerpunkt mit dem l l l l
Punkt C zusammenfällt.
Bekannt: m1 , m2 = m1 , m3 = m1 , L.

z
Aufgabe 8.5 (SG = 2, BZ = 20 min) 10
Für die dargestellte Fläche unter der Kurve
z(x)
z(x) ist die Lage des Schwerpunktes zu er-
mitteln.
1
Bekannt: z(x) = x2 + 1. x
1 2 3

Aufgabe 8.6 (SG = 2, BZ = 20 min)


Leiten Sie die Schwerpunktkoordinaten für den Kreisabschnitt in Tabelle (8.2.8) her.
214 8 Schwerpunkte

Aufgabe 8.7 (SG = 2, BZ = 15 min) rKante


Das L-Profil nach DIN EN 10056-1
(50x30x5) soll als dünnwandiges Profil
t
betrachtet werden.
a
1. Berechnen Sie die Fläche und den S
Schwerpunkt. rÜbergang
2. Vergleichen Sie die Ergebnisse mit der cy rKante
Norm (DIN EN 10056-1 50x30x5): cx
= 1, 73 cm, cy = 0, 741 cm, A = 3, 76 cx t
cm2 . b
Bekannt: a = 50 mm, b = 30 mm, t = 5 mm.

Aufgabe 8.8
(SG = 3, BZ = 20 min)
c
Aus einer Sperr-
holzplatte wurde die
dargestellte Kirche y a
x
ausgesägt, die mit
b
nur einem Nagel
b
aufgehängt werden
soll. Berechnen Sie a
die Schwerpunktko-
ordinaten xS und yS
bzgl. des gegebenen
b b b b
Koordinatensystems. a c a a a

Bekannt: a = 2 m, b = 1 m, c = 3 m.

Aufgabe 8.9 (SG = 2, BZ = 20 min)


Für die dargestellte zusammengesetz-
te Fläche mit halbierten Rechtecken
und einer Bohrung sollen die Schwer-
punktkoordinaten xS und yS des Gesamt-
profils bestimmt werden.
Bekannt: Die Rechtecke und Dreiecke haben
y
die kurzen bzw. langen Kantenlängen a = x
2 cm bzw. b = 4 cm. Die Bohrung hat den
Durchmesser d = 2 cm.
8.7 Aufgaben zu den Abschnitten 8.2 bis 8.6 215

Aufgabe 8.10
(SG = 3, BZ = 20 min)
Der gekrümmte Pfosten eines Hal- F g
teschildes wird durch das dargestellte
statische System vereinfacht. Der m
Pfosten hat die Masse m, und der
Stabdurchmesser ist konstant. 2a 2a
1. Bestimmen Sie den Linienmit-
telpunkt.
4a
2. Bestimmen Sie die Auflager-
reaktionen infolge des Eigen-
gewichtes und der Einzellast F .
Bekannt: a = 1, 5 m, F = 25 N, m =
130 kg.

Aufgabe 8.11 (SG = 3, BZ = 45 min)


Das Profil einer Staumauer wird z
nach der Funktion in Aufgabe 8.5 y
beschrieben. Berechnen Sie die
Schwerpunktkoordinaten. 10

Bekannt: α = 120o .

1
α x
-1 0 1 2 3

Aufgabe 8.12 (SG = 2, BZ = 30 min )


Bestimmen Sie für die drei dargestellen linear veränderlichen Belastungen eines Dachbinders
den Betrag, die Lage und die Richtung der Totalresultierenden.
Bekannt: l, α, q1 , q2 , w1 , w2 , n1 , n2 . Bei der dritten Belastung ist zwischen n1 und n2 . linear
zu interpolieren.

q2 w2 n2
w1
q1 n1
α α α

b b b
216 8 Schwerpunkte

Aufgabe 8.13 (SG = 2, BZ = 15 min )


Bestimmen Sie für die aus Aufgabe 2.5 berechnete Flächenlast
1. Größe und Lage der Resultierenden
2. das Moment an der Einspannstelle B.

Aufgabe 8.14 (SG = 3, BZ = 20 min)


Bei der Entwicklung eines Exzen-
terschleifers sollen in einem ersten
Schritt die mechanischen Anforderun-
gen abgeschätzt werden. Dazu ver-
einfacht man die reale Geometrie zu B
dem dargestellten Modell: Die Schleif- z m5
platte wird als dünne Kreisscheibe der
Masse m1 abgebildet. Zur Verstärkung a f f
dieser Scheibe werden drei Rippen
eingesetzt, welche im Mittelpunkt M
A y
der Scheibe zusammentreffen und als m2
dünne Stäbe gerechnet werden kön- b x
nen. Der Antriebsmotor wird über eine e
zylinderförmige Masse m5 abgebildet. c
P M β
Bestimmen Sie den Schwerpunkt des
m4 r
vereinfachten Systems bezogen auf das
gegebene Koordinatensystem. m1 m3

1 3 1 1
Bekannt: m1 , m2 = m3 = m4 = m1 , m5 = 5m1 , r, a = r, b = r, c ≈ 0, e = r,
10 2 2 4
1 o
f = r, β = 45 .
2

Aufgabe 8.15 (SG = 3, BZ = 30 min)


Das dargestellte „Stehaufmännchen”
besteht aus einem Kegel 1, einer Zy-
linderscheibe 2 und einer Halbkugel 3.
H 1
Die zugehörigen Massen sind m1 , m2
und m3 . Berechnen Sie die minimale
Masse m3 der Halbkugel, damit sich
das System nach einer Auslenkung von 2
d
selbst aufrichtet.
Bekannt: H = 2R, d = R/4, m2 = R 3
m1 /4.
Hinweis: Verwenden Sie Tabelle 8.3.
8.7 Aufgaben zu den Abschnitten 8.2 bis 8.6 217

Aufgabe 8.16 (SG = 3, BZ = 60 min)


y
Bestimmen Sie durch Integration die
Schwerpunkte
1. einer Halbkreisfläche
2. eines Halbkreisbogens
3. einer Halbkugelfläche
R
x
4. einer Halbkugel.
Bekannt: r.

Aufgabe 8.17 (SG = 2, BZ = 20 min)


Ein Paraboloid wird für die erste Abschätzung der mechanischen Eigenschaften vereinfacht.
Dazu wird ein starres System mit einer Kreisscheibe und drei Kreisringen angenommen.
Bestimmen Sie den Schwerpunkt des Systems.
Bekannt: Masse der Kreisscheibe m = 20 kg, Masse der Kreisringe m1 = 10 kg, m2 = 20 kg,
m3 = 30 kg.

2,5
2
1,5
5

1
4
3

ex o
ez 30 2 3 4 5
2

B
Kreisscheibe m

m1
m2 3 Kreisringe
A m3
[m]
[m]

Aufgabe 8.18 (SG = 2, BZ = 15 min) y


y e2
Ein Autorad der Masse m hat mit
Koordinaten xS = eS , yS = 0
m2 m2
einen Schwerpunkt, der nicht auf der
Drehachse liegt. Welche Massen m1 r2
S eS
und m2 müssen an den Orten r1 0 z
und r2 angebracht werden, damit der R x r1
Gesamtschwerpunkt mit dem Punkt 0 m1
m1
zusammenfällt?
Bekannt: eS , e1 , e2 . e1
Hinweis: Das Anbringen von Zusatzmassen zur Verlagerung des Schwerpunktes in eine
Drechachse bezeichnet man als statisches Auswuchten.
218 8 Schwerpunkte

8.8 Die zwei Regeln von Pappus-Guldin

8.8.1 Herleitung der Regeln

Die Gleichungen zur Berechnung des Flächenmittelpunktes einer dünnen Scheibe (8.14) und
des Linienmittelpunktes (8.19) haben noch weitere Bedeutungen: Sie können mit den zwei
Regeln von Pappus-Guldin (Pappus, 3. Jahrhundert; Paul Habakuk Guldin, 1577-1643) zur
Berechnung von Mantelflächen und Volumina für rotationssymmetrische Körper angewen-
dent werden. Zur Erklärung betrachten wir in Abb. 8.28.a eine Linie der Länge L in der
xz-Ebene, welche die x-Achse nicht schneidet. Die z-Koordinate des Mittelpunktes ML hat
den Wert RL . Die Linie bildet die Meridianlinie (Mantellinie) des rotationssymmetrischen
Körpers in Abb. 8.28.b.

a) b) c)
z z dL
z ML
L RL z
ML
RL y x y
x x

Abb. 8.28. Zur Herleitung der 1. Regel von Pappus-Guldin: a) Meridianlinie L mit zugehörigem Mittelpunkt ML ,
b) Mantelfläche eines rotationssymmetrischen Körpers, erzeugende Meridianlinie L, Weg des Mittelpunktes ML
bei einer vollen Umdrehung, c) erzeugendes Linienelement dL eines Flächenelementes dA

Zur Berechnung der Mantelfläche wird diese in infinitesimale Flächen dA aufgeteilt.


Abb. 8.28.c zeigt die Breite dL und den Radius z eines Flächendifferenzials. Damit ist der
Umfang 2πz und die Fläche dA = 2πzdL. Die gesamte Mantelfläche ist das Integral über
die Länge L der Erzeugenden (Meridianlinie):
 
A= 2πzdL = 2π zdL. (8.47)
L L

Aus Gl.(8.19.3) für den Linienmittelpunkt ML können wir die Beziehung L zdL = zL L =
RL L ableiten. Nach Einsetzen in Gl.(8.47) folgt

Die erste Regel von Pappus-Guldin

A = 2πRL L.
(8.48)
Die Mantelfäche eines rotationssymmetrischen Körpers ist gleich dem Pro-
dukt der erzeugenden Mantellinie L und dem Weg ihres Linienmittelpunk-
tes ML bei einer vollen Umdrehung.

Zur Berechnung des Volumenes eines rotationssymmetrischen Körpers betrachten wir in


Abb. 8.29.a die in der xz-Ebene liegende Meridianfläche A des rotationssymmetrischen Kör-
8.8 Die zwei Regeln von Pappus-Guldin 219
a) b) c)
z z
z L MA
MA A dA
RA z
RA
y y dV
x x x

Abb. 8.29. Zur Herleitung der 2. Regel von Pappus-Guldin: a) Meridianfläche A mit zugehörigem Mittelpunkt
MA , b) Volumen eines rotationssymmetrischen Körpers, erzeugende Meridianfläche A, Weg des Mittelpunktes
MA bei einer vollen Umdrehung, c) erzeugendes Flächenelement dA eines Volumenelementes dV

pers in Abb. 8.29.b. Der Mittelpunkt hat die z-Koordinate RA . Das gesamte Volumen wird in
Volumendifferenziale dV aufgeteilt. Abb. 8.29.c zeigt die Fläche dA und den Radius z eines
Volumendifferenzials (infinitesimaler Torus). Der Umfang ist 2πz und das Volumen hat die
Größe dV = 2πzdA. Das gesamte Volumen ist das Integral über die Meridianfläche A der
Erzeugenden (Meridianfläche):
 
V = 2πzdA = 2π zdA. (8.49)
A A
Durch Vertauschen der Koordinaten können wir aus Gl.(8.14) für den Flächenmittelpunkt
MA die Beziehung A zdA = zL A = RA A ableiten. Nach Einsetzen in Gl.(8.49) folgt
Die zweite Regel von Pappus-Guldin

V = 2πRA A.
(8.50)
Das Volumen eines rotationssymmetrischen Körpers ist gleich dem Produkt
der erzeugenden Mantelfläche A und dem Weg ihres Flächenmittelpunktes
MA bei einer vollen Umdrehung.

 Beispiel 8.15 Mantelfläche und Volumen eines Kegels

Für den Kegel in Abb. 8.30.a sind die Mantelfläche und das Volumen gesucht.
Bekannt: h, R.
a) b) c)

L A
h h ML
MA

R R/2 R/3
Abb. 8.30. Kegel a) Geometrie, b) Linie, c) Dreiecksfläche
220 8 Schwerpunkte

Vorüberlegungen: Die Berechnungen erfolgen nach den Regeln von Pappus-Guldin (8.47)
und (8.48).
Lösung: Abb. 8.30.b zeigt die Meridianlinie
√ mit dem Linienmittelpunkt ML . Mit den
Beziehungen RL = R/2 und L = R2 + h2 folgt aus der ersten Regel von Pappus-Guldin
(8.47) für die Mantelfläche
R 2 
A = 2πRL L = 2π R + h2 = πR R2 + h2 .
2
In Abb. 8.30.c ist der Mittelpunkt MA der Meridianfläche A dargestellt. Mit den Beziehungen
RA = R/3 und A = Rh/2 folgt aus der zweiten Regel von Pappus-Guldin (8.48) für das
Volumen
R1 1
V = 2πRA A = 2π Rh = πR2 h.
32 3 

8.8.2 Aufgaben zu Abschnitt 8.8

Aufgabe 8.19 (SG = 3, BZ = 20 min)


Die Form eines rotationssysmmetrischen Parabel
Igludaches wird durch eine quadratische
Parabel in der Ebene festgelegt. Die Wand-
stärke beträgt d. Berechnen Sie mit den h
Regeln von Pappus-Guldin
1. die Oberfläche
2. das Volumen des Innenraumes.
a a
Bekannt: a = 1, 80 m, h = 2, 30 m, d =
40 cm.

Aufgabe 8.20 (SG = 2, BZ = 20 min)


R
Ein Silo ist aus einer Halbkugel, einen
Zylinder und einem Kegel zusam-
mengesetzt. Berechnen Sie mit den
Regeln von Pappus-Guldin h

1. die Oberfläche
2. das Volumen.
a
Bekannt: R = 2 m, h = 5 m, a =
1, 8 m.
8.8 Die zwei Regeln von Pappus-Guldin 221

Aufgabe 8.21 (SG = 3, BZ = 15 min)


Kreis
Der Querschnitt eines Autorreifens R1
wird vereinfacht als Kreis angenom- R2
men. Berechnen Sie die Oberfläche mit
der ersten Regel von Pappus-Guldin.
Bekannt: R1 = 30 cm, R2 = 20 cm.

Aufgabe 8.22 (SG = 2, BZ = 15 min)


Für die Herstellung von Zahnrädern wird, wie in den Bildern dargestellt, ein kombinierter
Wärme-Kraftprozess verwendet. Berechnen Sie – nur – für die in der rechten Abbildung
dargestellte Welle mit den Regeln von Pappus-Guldin.
1. die Oberfläche
2. das Volumen.

Bekannt: a = 10 mm, b = 40 mm, c = 12 mm, d = 6 mm, e = 25 mm.


d
a
b
e
c

Quelle: Lehrstuhl für Umformtechnik, Universität Kassel

Aufgabe 8.23 (SG = 2, BZ = 20 min)


Berechnen Sie für den dargestellten
Sandhaufen
1. die Oberfläche h
2. das Volumen.

Bekannt: a = 3 m, b = 2 m, h = R
a b
1, 8 m, R = 1, 5 m. R

Aufgabe 8.24 (SG = 3, BZ = 25 min)


Berechnen Sie für den Damm aus Aufgabe 8.11 die Oberfläche und das Volumen mit den
Regeln von Pappus-Guldin.
In den Jahren 1934 - 1936 wurde bei Dömitz eine Elbüberquerung für eine feste Straßenverbindung zwischen
Hamburg und Wittenberge errichtet. Der Hauptteil des stählernen Brückenzuges mit einer Gesamtlänge von
960 m war eine 156 m weit spannende Stabbogenbrücke. Die südliche Vorlandbrücke, eine vierstegige Voll-
wandträgerkonstruktion, hatte 16 Felder und war durch Gelenke in vier Abschnitte unterteilt. Im Jahr 1945 wurde
die Strombrücke durch einen Luftangriff zerstört. Heute erinnert an der Kreuzung der B 191 mit der B 195 ein
Baudenkmal, bestehend aus einem umgesetzten Pfeiler und einigen Metern Überbau der ersten Vorlandbrück-
enkonstruktion an das urprüngliche Tragwerk (obere Abbildung).
Zwischen den Jahren 1991 und 1992 wurde an gleicher Stelle ein neuer Brückenzug errichtet (untere Abbildung).
Die Anzahl der Felder beträgt 19. Über dem Elbestrom ist eine stählerne Stabbogenbrücke mit einer Stützweite
von 178 m errichtet. Die Freigabe für den Verkehr erfolgte am 18. Dezember 1992. Seitdem gilt die Brücke als
ein Symbol der Wiedervereinigung.
9
Gleichgewicht von Balkentragwerken

Die Sicherstellung des Gleichgewichtes von Tragwerken ist eines der ältesten und nach wie
vor wichtigsten Herausforderungen im Ingenieurwesen. Dazu sind zwei Aufgaben zu bear-
beiten: 1. Untersuchung der statischen Bestimmtheit und 2. Berechnung der Lagerreaktionen.
Beide Aufgaben werden in diesem Kapitel für einteilige und mehrteilige Balkentragwerke in
der Ebene und im Raum behandelt.

9.1 Einteilung von Tragwerken und statische Systeme

Ein Bauteil, welches einen freien Raum überspannt oder frei in den Raum vorragt und dabei
zusätzlich Lasten aufnehmen kann, bezeichnen wir als Tragwerk. Allgegenwärtige Beispiele
dafür sind Auto- und Bahnbrücken, Dachkonstruktionen von Lager- und Sporthallen, der
Dachbinder eines Einfamilienhauses oder der einfache Träger eines Fenstersturzes. Weitere
Beispiele sind in Abb. 9.1 a) ein Dachbinder auf Mauerwerk als Balken, b) ein Bogenträger
und c) eine Platte als Balkon. Eine Einteilung von Tragwerken ist in Tabelle 9.1 vorgenom-
men.

a) b) c)

q
F
q q

Abb. 9.1. Beispiele für Tragwerke: a) Dachbinder auf Mauerwerk, b) Bogenträger, c) auskragende Platte. Oben:
reale Systeme, unten: statische Systeme mit idealisierter Belastung

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
224 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

Einteilung von Tragwerken


1. Stab: Ein Bauteil, dessen Querschnittsabmessungen klein gegenüber der Längsab-
messung sind und das nur Kräfte in seiner Stabrichtung (Zug oder Druck) aufnehmen
kann (siehe hierzu auch Tabelle 3.1).
2. Balken: Ein Bauteil mit Abmessungen wie bei einem Stab, das jedoch nur quer zu
seiner Achse beansprucht wird.
3. Bogen: Ein gekrümmter Balken.
4. Rahmen: Ein Tragwerk, dass aus Stäben, Balken oder Bögen zusammengesetzt ist.
5. Scheibe: Ein Flächentragwerk, dessen Dicke klein gegenüber den Längsabmes-
sungen ist und das nur Kräfte in seiner Ebene aufnimmt.
6. Platte: Ein Flächentragwerk mit Abmessungen wie bei einer Scheibe, das jedoch
nur Kräfte senkrecht zu seiner Ebene aufnimmt.
7. Schale: Ein räumlich gekrümmtes Flächentragwerk mit Abmessungen wie bei einer
Scheibe, das nur Kräfte senkrecht zu seiner Ebene aufnimmt.

Tabelle 9.1. Einteilung von Tragwerken

Die Idealisierungen der realen Systeme zur Geometrie, den Lagerbindungen, den Zwi-
schenbindungen und der Belastung werden wie in den drei Beispielen in Abb. 9.1 in einem
statischen System dargestellt. Hierbei werden Stäbe, Balken, Bogen und Rahmen als Linien
sowie Lager und Zwischenlager mit den Symbolen nach Tabelle 2.1 und 2.3 gezeichnet. Die
(zweidimensionale) Balkonplatte in Abb. 9.1.c ist erheblich vereinfacht als (eindimensiona-
ler) Kragbalken mit Strecken- und Einzellast dargestellt.

9.2 Praktische Berechnung von Gleichgewicht für Tragwerke


Die Untersuchung des Gleichgewichtes eines Tragwerkes umfasst zwei Aufgaben:
1. Überprüfung der notwendigen und hinreichenden Bedingungen für statische Bestimmtheit.
2. Berechnung der Lager- (und ggf. Zwischen-)reaktionen.
Die wichtigsten Rechenschritte dazu sind in Tabelle 9.2 zusammengefasst. Ergänzende Erk-
lärungen zu einteiligen, mehrteiligen und räumlichen Systemen erfolgen in den nachfolgen-
den Abschnitten 9.3, 9.4 und 9.5. Statisch unbestimmte Systeme werden in diesem Buch
nicht behandelt.

9.3 Einteilige Tragwerke in der Ebene


9.3.1 Statische Bestimmtheit und Gleichgewicht
An den Lagern eines Tragwerkes entstehen Lagerreaktionen, wobei Kräfte und Momente
zu unterscheiden sind. Nach Definition (5.40) ist ein ebenes Tragwerk statisch bestimmt
gelagert, wenn die Lagerreaktionen bei beliebiger Belastung eindeutig aus den drei Gleich-
gewichtsbedingungen (5.25) berechenbar sind. Dazu müssen die Bedingungen (5.42) erfüllt
sein. Zur systematichen Überprüfung der statischen Bestimmtheit eines Tragwerkes verwen-
den wir den
9.3 Einteilige Tragwerke in der Ebene 225

Lösungsschritte für Gleichgewicht eines Tragwerkes


1. Idealisierung und statisches System: Abgrenzung des Systems (bzw. der
Teilkonstruktionen) von anderen Körpern oder Lagern entlang einer Systemgren-
ze, Einteilung der Körper nach Tabelle 9.1, Festlegung von kinematischen Bindun-
gen (Gelenke, Einspannungen, Reibungslager), Darstellung als statisches System
mit Stäben als Linien und Lagern und Zwischenlagern mit Symbolen nach den
Tabellen 2.1 bis 2.3, Lastermittlung durch Idealisierung.
2. Statische Bestimmtheit überprüfen:
a) Notwendige Bedingung: Überprüfung von x = 0, z.B. entsprechend Gl.(9.4.1).
b) Hinreichende Bedingung: Ebene Systeme mit dem Polplan, große mehrteilige
oder räumliche Systeme numerisch mit der Systemmatrix überprüfen.
3. Freischneiden und Freikörperbild:
a) Lösen des Körpers durch gedachte Schnitte entlang der Systemgrenze. Mehr-
teilige Systeme durch Schnitte an Zwischenbindungen in Teilkörper zerlegen.
b) Eintragen der eingeprägten Kräfte (z.B. Gewichtskräfte, Schnee- und Wind-
lasten) und der Reaktionskräfte an Lagern und Zwischenbindungen sowie der
entsprechenden Momente für alle Teilkörper.
c) Für Streckenlasten muss jeweils die Totalresultierende berechnet werden.
d) Alle Kräfte und Momente werden bezeichnet. Der Richtungssinn der unbekan-
nten Kräfte und Momente wird jeweils angenommen. Zerlegen aller Kräfte
und Momente in die Komponenten bzgl. eines gewählten Koordinatensystems
(z.B. horizontale und vertikale Anteile).
4. Gleichgewichtsbedingungen:
a) In der Ebene: Aufstellung von Gleichungen der Form (5.27) für jeden Teil-
körper oder ggf. für zusammengesetzte Teilkörper. Der Bezugspunkt A in der
Momentenbedingung (5.25.3) wird so gewählt, dass er von möglichst vielen
Wirkungslinien unbekannter Kräfte geschnitten wird, vgl. die Regeln (5.26).
b) Im Raum: Aufstellung von Gleichungen der Form (6.39) für jeden Teilkörper
oder ggf. für zusammengesetzte Teilkörper. Für die Momentenbedingungen
(6.39.1-3) werden die Bezugsachsen so gewählt, dass sie von möglichst vie-
len Wirkungslinien unbekannter Kräfte geschnitten werden oder parallel zu
ihnen verlaufen, vgl. die Regeln (6.29). Die polaren Momente werden nach
den Regeln (6.30) bestimmt (kein Kreuzprodukt bilden).
5. Auflösung der Gleichungen: Bei einem negativen Zahlwert für eine der Lager-
reaktionen ist der wahre Richtungssinn entgegengesetzt zum angenommenen
Richtungssinn im Freikörperbild. Findet man keine Lösung, gibt es zwei Ursachen:
1. Es liegt der Ausnahmefall der Statik vor oder 2. die Voraussetzungen in (5.27)
(bzw. Regeln (6.41) im Raum) sind nicht richtig beachtet worden. In beiden Fällen
ist das Gleichungssystem Ax=b linear abhängig, so dass det A = 0.
6. Kontrolle der Lösungen: Dieses geschieht mit zusätzlichen Gleichgewichtsbe-
dingungen, die nicht in Schritt 4 verwendet worden sind.

Tabelle 9.2. Lösungsschritte für Gleichgewicht eines Tragwerkes


226 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

Grad der statischen Unbestimmtheit für ebene Tragwerke


x=r−3 (9.1)
• r ist die Anzahl der Auflagerreaktionen
• 3 ist die Anzahl der Gleichgewichtsbedingungen
und
Das statische Abzählkriterium
!
1. x > 0 : statisch unbestimmt sofern kein (9.2)
2. x = 0 : statisch bestimmt Ausnahmefall
3. x < 0 : statisch unbrauchbar.
Die Bedingungen x > 0 in Gl.(9.2.1) und x = 0 in Gl.(9.2.2) sind jeweils nur notwendig,
d.h.: Formales Abzählen genügt nicht! Man muss zusätzlich mit einer hinreichenden Bedin-
gung überprüfen, ob der Ausnahmefall der Statik vorliegt. Dieses kann entsprechend Regel
(7.26) mit einer statischen oder mit einer kinematischen Methode geschehen.
1. Statisch unbestimmte Systeme: Für x > 0 in Gl.(9.2.1) hat das Tragwerk mehr Lager-
reaktionen als Gleichgewichtsbedingungen zur Verfügung stehen. Man bezeichnet es als x-
fach statisch unbestimmt gelagert, sofern kein Ausnahmefall vorliegt. In Abb. 9.2.a und b
sind zwei Beispiele mit jeweils vier kinematischen Bindungen dargestellt. Sie sind, wie der
Fall 6 in (5.41), wegen x = 4 − 3 = 1 einfach statisch unbestimmt gelagert. Die Berechnung
der zugehörigen Lagerreaktionen ist mit den Methoden der Starrkörperstatik nicht möglich.
Stattdessen müssen die Deformationen berücksichtigt werden, was Thema der Elastostatik
ist. Das Tragwerk in Abb. 9.2.c stellt einen Ausnahmefall der Statik dar, was anschaulich mit
zwei Methoden erkannt werden kann (vgl. auch Bemerkung 7.2.2): Mit der statischen Me-
thode erkennt man, dass zwischen der horizontalen Kraftkomponente der Einzelkraft und den
vertikal gerichteten Lagerkräften kein Gleichgewicht möglich ist. Mit der kinematischen Me-
thode erkennt man, dass die vier Loslager eine horizontale Verschiebung des Balkens nicht
verhindern, so dass das System verschieblich ist.

a) b) c)
q F q F q F

Abb. 9.2. Drei Balken mit jeweils vier kinematischen Bindungen: a) und b) sind 1-fach statisch unbestimmte
Systeme, c) ist ein Ausnahmefall.

2. Statisch bestimmte Systeme: Für x = 0 sind Anzahl der Lagerreaktionen und Anzahl der
Gleichgewichtsbedingungen gleich. Die hinreichende Bedingung kann mit zwei Methoden
überprüft werden (vgl. auch Bemerkung 7.2.2): Mit der statischen Methode bringt man die
Gleichgewichtsbedingungen (5.25) oder (5.27) für die Strukturanlyse des Tragwerkes in die
Matrixform
Ax = b (9.3)
(vgl. Beispiel 5.9) und untersucht die Regularität der Systemmatrix A. Dies geschieht z.B.
durch Berechnung der Determinante det A: Ist diese gleich Null, liegt der Ausnahmefall
9.3 Einteilige Tragwerke in der Ebene 227

vor. Insbesondere für mehrteilige Tragwerke (siehe Abschnitt 9.4) ist dieses Vorgehen bei
vertretbarem Aufwand nur numerisch zu lösen. Bei der kinematischen Methode zeichnet
man mit den Regeln C in (7.12) einen Polplan und überprüft, ob ein Widerspruch gefunden
werden kann. Da nach Regel (7.26) statische und kinematische Bestimmtheit gleichwertig
sind, schreiben wir anstatt den Bedingungen (5.42):
Bedingungen für statische Bestimmtheit (9.4)
1. x = 0 2. Widerspruch im Polplan oder det A
= 0.

Für einteilige Tragwerke kann die statische Bestimmtheit mit der kinematischen Metho-
de sofort erkannt werden: Wir betrachten dazu in Abb. 9.3 zwei Rahmen mit jeweils zwei
Lagern: Das Lager A nimmt jeweils eine vertikale Kraft und ein Einspannmoment auf; das
Lager B nimmt im Fall a eine vertikale Kraft und im Fall b eine horizontale Kraft auf. Für
das Lager A liegt der Momentanpol nach Regel B7 in (7.10) jeweils auf einer Vertikalen
im Unendlichen. Zeichnet man nach Regel B4 in (7.10) jeweils für das Loslager B den ge-
ometrischen Ort GO(M ) ein, dann tritt für den Rahmen in Abb. 9.3.a kein Widerspruch für
einen Pol auf, so dass dieser verschieblich ist. Dagegen ergibt sich im Fall b ein Widerspruch
für einen möglichen Pol, so dass das System nach Regel (7.13) unverschieblich ist.
GO(M)
a) b) (M)
(M)

A A GO(M)
B
B
Abb. 9.3. Zwei Rahmen mit jeweils zwei Lagern: a) Polplan ohne Widerspruch für vertikales Loslager, c) Polplan
mit Widerspruch für horizontales Loslager

Aus diesen Beispielen und den ersten beiden Fällen in (5.41) erhalten wir die
Regeln zur statischen Bestimmtheit einteiliger Tragwerke
Ein einteiliges Tragwerk ist statisch bestimmt gelagert, wenn genau drei Lager-
reaktionen auftreten. Diese können sein (9.5)
1. drei Kräfte, die nicht alle parallel und nicht zentral sind, oder
2. zwei Kräfte und ein Moment, wobei die Kräfte nicht parallel sind.

Zur Berechnung der unbekannten Lagerreaktionen verwendet man aus Effizienzgründen


eine der Gleichungssysteme in (5.27). Dabei wird der Bezugspunkt in der jeweiligen Momen-
tenbedingung so gewählt, dass er im Schnittpunkt der Wirkungslinien von zwei unbekannten
Kräften liegt, vgl. Regeln I in (5.26). Stellt man während der Berechnung fest, dass keine Lö-
sung existiert, gibt es zwei Ursachen: 1. Es liegt der Ausnahmefall der Statik vor oder 2. die
Voraussetzungen in (5.27) sind nicht richtig beachtet worden.

3. Statisch unbrauchbare Systeme: Für x < 0 sind weniger Lagerreaktionen vorhanden als
für Gleichgewicht notwendig sind. Ein solches Tragwerk ist verschieblich und für beliebige
Belastungen statisch unbrauchbar.
228 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

 Beispiel 9.1 Drei Bauweisen für Rahmen mit zwei Lagern

Für einen Rahmen stehen wie in Abb. 9.4 dargestellt drei Bauweisen zur Auswahl. In
Bauweise 1 sind die Punkte A und B vertikal unverschieblich gelagert. In Bauweise 2 ist
der Punkt A horizontal und vertikal unverschieblich und der Punkt B vertikal unverschieblich
gelagert. In Bauweise 3 ist der Punkt A horizontal und vertikal unverschieblich und der Punkt
C mit einen Pendelstab horizontal gehalten. In dem Riegel greifen eine horizontale Kraft F
und ein Moment M̄ an.
a) Ermitteln Sie, welches System statisch bestimmt ist.
b) Bestimmen Sie für das statisch bestimmte System alle Auflagerkräfte.

_ 2l _ _ 2l
2l
M M M
F F F

2l 2l 2l

A A A C

l l l
B B
B

Abb. 9.4. Drei Bauweisen für Rahmen mit zwei Lagern

Vorüberlegungen: Zur Lösung der beiden Aufgaben werden die Schritte in Tabelle 9.2
abgearbeitet. Die Gleichgewichtsbedingungen werden so aufgestellt, dass jeweils eine un-
bekannte Lagerkraft direkt berechnet werden kann.
Lösungen:
1. Idealisierung: Aus der Aufgabenstellung ergeben sich mit den Lagersymbolen aus Tabelle 2.1
die in Abb. 9.4.b dargestellten statischen Systeme.

l l l l l l
GO(M)

2l 2l 2l

A (M) A (M) A C
B
C
l l l
GO(M)
B B B

Abb. 9.4.b Statische Systeme und Polpläne


9.3 Einteilige Tragwerke in der Ebene 229

2. Statische Bestimmtheit: Für den Grad der statischen Unbestimmtheit nach Gl.(9.1) erhält
man für alle drei Bauweisen folgende Werte:

Bauweise 1 Bauweise 2 Bauweise 3


Anzahl Auflagerreaktionen r 1+1 2+1 2+1
x=r−3 −1 0 0

Damit ist die notwendige Bedingung (9.4.1) für die Bauweisen 2 und 3 erfüllt, während
Bauweise 1 nach dem Kriterium (9.2.3) statisch unbrauchbar ist.
Die hinreichende Bedingung (9.4.2) wird mit dem Polplan in Abb. 9.4.b für die Bau-
weisen 2 und 3 untersucht: In beiden Fällen ist nach Regel B3 in (7.10) das Festlager A
ein möglicher Pol (M ). Nach Regel B4 ist eine Gerade senkrecht zur Verschiebungsrich-
tung am Loslager B ein geometrischer Ort GO(M ). Da für Bauweise 2 GO(M ) nicht
durch A verläuft, tritt ein Widerspruch im Polplan auf, d.h. das System ist unverschieb-
lich. Für Bauweise 3 verläuft GO(M ) durch A, so dass dieses System verschieblich ist.
Bemerkung: Das Ergebnis zur statischen Bestimmtheit für Bauweise 2 folgt auch aus
Regel (9.5.1).
Nur Bauweise 2 erfüllt also die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für stati-
sche Bestimmtheit, so dass für dieses System die Lagerreaktionen eindeutig berechnet
werden können. Damit ist Aufgabe a beantwortet.

3. Freischneiden und Freikörperbild: In _ 2l


dem Freikörperbild in Abb. 9.4.c wer- M
den für Bauweise 2 die äußeren Las- F
ten, die Kraft F und das Moment M̄
eingetragen. Durch einen Freischnitt
an den Lagern werden zusätzlich die 2l
Lagerkräfte sichtbar gemacht. An dem
zweiwertigen Lager A wird die zu be- A C
stimmende Reaktionskraft in die bei- AH w
den Anteile AH und AV zerlegt. An AV l
dem einwertigen Lager B tritt eine B
vertikale Kraft B auf, die wir nach
B
oben gerichtet annehmen.
Abb. 9.4.c Freikörperbild für Bauweise 2

4. und 5. Gleichgewichtsbedingungen und deren Auflösung: In dem Freikörperbild in Abb.


9.4.c schneiden sich die Wirkungslinien der Kräfte AH und B in dem Punkt C. Damit
leisten sie keinen Beitrag in einer Momentenbedingung bzgl. dieses Punktes, und die
Kraft AV kann direkt berechnet werden. Formulieren wir außerdem eine Gleichgewichts-
bedingung für horizontale Kräfte und eine Momentengleichgewichtsbedingung bzgl. des
Punktes A, dann werden alle unbekannten Lagerkräfte direkt erhalten:
230 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

→: AH + F = 0 =⇒ AH = −F
 M̄
A: F 2l − B2l − M̄ = 0 =⇒ B=F−
2l
 M̄
C: AV 2l − M̄ + F 2l = 0 =⇒ AV = − F.
2l
6. Kontrolle der Lösungen: Wir stellen das Kräftegleichgewicht in vertikaler Richtung auf:

M̄ M̄
↑: AV + B = −F +F − = 0. 
2l 2l

 Beispiel 9.2 Balken mit drei Pendelstäben

Ein Balken ist durch drei Pendelstäbe


l F
gestützt und wird wie dargestellt durch 2
A B C
zwei Kräfte F und W belastet. W
a) Für welchen Winkel α liegt der
Ausnahmefall vor? α
b) Bestimmen Sie für beliebige Win-
kel α die Stabkräfte in den drei l l
Pendelstützen. Werten Sie die
Ergebnisse für l = 2 m, F = 4 Abb. 9.5. Balken mit drei Pendelstäben
N, W = 2F , α = 90o aus.
c) Untersuchen Sie die Systemmatrix in Abhängigkeit des Winkels α.
d) Berechnen Sie die Stabkräfte mit einer numerischen Methode für die Zahlwerte in Auf-
gabe b.
e) Welche mathematische und welche mechanische Interpretation folgt aus der numerischen
Lösung mit dem Winkel für den Ausnahmefall aus Aufgabe a?

Vorüberlegungen: Zur Lösung der Aufgaben a und b werden die Schritte in Tabelle 9.2
abgearbeitet. Für Aufgabe c bringen wir die Gleichgewichtsbedingungen aus Schritt 4 der
Tabelle 9.2 in die Form Ax = b. Diese Darstellung ist auch Grundlage der numerischen
Lösungen für die Aufgaben d und e.
Lösungen zu den Aufgaben a und b:
1. Idealisierung: Aus der Aufgabenstellung ergeben sich die in Abb. 9.6 dargestellten stati-
schen Systeme. Wir untersuchen die Winkel α = 0 und α
= 0.
2. Statische Bestimmtheit: Grundsätzlich kann die statische Bestimmtheit mit Gl.(9.1) durch
Überprüfung der notwendigen Bedingung (9.4.1) sowie den Polplänen in Abb. 9.6 unter-
sucht werden. Alternativ können wir die statische Bestimmtheit mit Regel (9.5.1) be-
gründen: Nur das System in Abb. 9.6.b erfüllt die Bedingung, drei Kräfte, die nicht alle
parallel und nicht zentral sind. Damit liegt für α = 0 der Ausnahmefall vor, womit Auf-
gabe a beantwortet ist.
9.3 Einteilige Tragwerke in der Ebene 231

a) b)
GO(M)C
(M)
(M)

GO(M)A GO(M)B GO(M)C GO(M)A GO(M)B α

Abb. 9.6. Statische Systeme und Polpläne: a) ohne Widerspruch für α = 0, b) mit Widerspruch für α = 0

3. Freischneiden und Freikörperbild: In dem Freikörperbild in Abb. 9.7 werden die äußeren
Lasten F , W sowie die Reaktionskräfte SA , SB , SC eingetragen. Die Kraft SC wird in
einen vertikalen und einen horizontalen Anteil zerlegt.
4. und 5. Gleichgewichtsbedingungen und deren Auflösung: Wir formulieren die Gleichge-
wichtsbedingungen (5.25) für das Freikörperbild in Abb. 9.7:
l F
→: −SC sin α + W = 0 (1) 2 S C sin α
W B
↑: SA +SB +SC cos α−F = 0 (2)

SB SC cosα SC
l S l l α
B : SA l + F − SC cos α l = 0. (3) A
2

Abb. 9.7. Freikörperbild


Nach Auflösung der Gleichungen folgt
W 1 3 2W W
SA = − F, SB = F − , SC = .
tan α 2 2 tan α sin α
Für α = 0 gilt tan α = 0 und sin α = 0, so dass alle Stabkräfte unendlich groß werden.
Wie bereits in Aufgabe a festgestellt, liegt für α = 0 der Ausnahmefall der Statik vor. Für
die gegebenen Zahlwerte erhält man
1 1 3 3 W 2·4N
SA = − F = − 4 N = −2 N, SB = F = 4 N = 6 N, SC = = = 8 N.
2 2 2 2 sin α sin 90o
6. Kontrolle der Lösungen: Wir formulieren Momentengleichgewicht bzgl. des Punktes C
   
 l l 3 2W W 1
C : F − SB l − SA 2l = F − F− l− − F 2l = 0.
2 2 2 tan α tan α 2

Lösung zu Aufgabe c: Wir bringen die o.g. drei Gleichgewichtsbedingungen (1) bis (3) in
eine Matrixform:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 0 − sin α SA −W
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎣ 1 1 cos α ⎦ ⎣ SB ⎦ = ⎣ F ⎦ =⇒ Ax = b.
l 0 −l cos α SC −F l/2
Für die Determinante der Systemmatrix berechnen wir nach Regel (D.5.2) det[A] = l sin α.
Sie verschwindet für α = 0 und führt - wie in den Aufgaben a und b bereits festgestellt - zum
Ausnahmefall der Statik.
232 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

Lösung zu Aufgabe d: Zur Anwendung des Computeralgebra-Systems MATLAB betrach-


ten wir zunächst den Fall α = 90o . Dazu werden die Matrizen A und b initialisiert.
alpha = 90; l=2; F=4;W=2*F;
alpha = alpha*pi/180, sa = sin(alpha), ca = cos(alpha)
Amat = [ 0 0 -sa ;
1 1 ca ;
l 0 -l*ca ];
bmat = [-W; F; -F*l/2];
Mit dem Befehl detA = det(Amat) berechnen wir die Determinante:
detA = 2.0000
Dieser Wert ist ungleich Null, d.h. das System ist statisch bestimmt. Mit dem Befehl
xmat = inv(Amat)*bmat
erhält man die gleichen Ergebnisse wie in Aufgabe b:
xmat = -2.0000
6.0000
8.0000
Lösung zu Aufgabe e: Für den Fall α = 0 wird die Matrix A neu initialisiert:
alpha = 0; alpha = alpha*pi/180, ca = cos(alpha), sa = sin(alpha)
Amat = [ 0 0 -sa ;
1 1 ca ;
l 0 -l*ca ];
Mit dem Befehl detA = det(Amat) berechnen wir wieder die Determinante:
detA = -2.2204e-016
Aus der Lösung zu Aufgabe c hätten wir den Wert 0 erwartet. Im Gegensatz zum Beispiel
4.13 hat MATLAB den Wert für dieses Beispiel nicht exakt erkannt. Dieses ist eine Folge von
numerischen Rundungsfehlern. Die mathematische Interpretation der Determinante „nahe bei
Null” lautet: Die Systemmatrix ist singulär. Die mechanische Interpretation lautet: Es liegt
der Ausnahmefall der Statik vor. 

9.3.2 Aufgaben zu Abschnitt 9.3

Aufgabe 9.1 (SG = 1, BZ = 10 min) a) b)


Überprüfen Sie für die beiden Systeme die
statische Bestimmtheit
a
1. mit dem Polplan
2. mit der Systemmatrix a a a a
3.* numerisch.

Aufgabe 9.2 (SG = 1, BZ = 10 min)


_ F
Ein Balken wird durch eine Kraft F und ein M
Moment M̄ belastet. Gesucht sind die Auf- α
lagerreaktionen. A B
Bekannt: F = 300 N, M̄ = 200 Nm, l =
1 m, α = 30o . l l l
9.3 Einteilige Tragwerke in der Ebene 233

Aufgabe 9.3 (SG = 2, BZ = 15 min)


q0 M
Ein Winkel wird wie dargestellt belastet. B
1. Untersuchen Sie die statische Be-
stimmtheit. l
2. Berechnen Sie die Auflagerreaktio-
nen. A
Bekannt: q0 = 30 N/m, M̄ = 400 Nm, l
l l l l
= 3 m.

Aufgabe 9.4 (SG = 2, BZ = 15 min)


Ein Rahmen wird durch eine Kraft F , die unter einem Winkel von 45o angreift, und ein
Moment M̄ belastet. Dabei stehen drei Bauweisen zur Auswahl.
1. Ermitteln Sie, welches System statisch bestimmt ist.
2. Bestimmen Sie für das statisch bestimmte System alle Auflagerkräfte.
3.* Lösen Sie Aufgabe 2 mit einer numerischen Methode.
Bekannt: F = 1 kN, M̄ = 2 kNm, a = 3 m, b = 2 m, α = 45o .
_ _ _
F M F M F M
α α α

a
2
β β β
B B B
a
2
A A A

b b b b
b 2 b
2 2

Aufgabe 9.5 (SG = 2, BZ = 15 min) _


5F
M
Zwei Balken werden durch zwei Einzellas- A α B
ten sowie ein Moment belastet. Sie unter-
scheiden sich wie dargestellt lediglich in der 2F β
Lagerung.
2a 1a 1a 1a
1. Berechnen Sie jeweils die Auflagerre- 3 3 2 2
_
aktionen. A 5F M
2.* Lösen Sie Aufgabe 1 mit einer numeri- α
schen Methode.
2F β
Bekannt: F = 35 kN, M̄ = 10 kNm, α =
40o , β = 22o , a = 2, 1 m. 2a 1a 1a 1a
3 3 2 2
234 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

Aufgabe 9.6
(SG = 2, BZ = 10 min)
A mW=0 B
An einer masselosen Welle sind
drei Scheiben mit den Massen m2 m3
m1
m1 , m2 , m3 befestigt. In A ist
ein Festlager und in B ein Gleit- l l l l
lager angebracht. Berechnen Sie
die Auflagerkräfte.
Bekannt: m1 = 150 kg, m2 = 400 kg, m3 = 200 kg, l = 1 m, g = 10 m/s2 .

Aufgabe 9.7 (SG = 2, BZ = 15 min)


Ein Rahmen-Bogenträger wird durch die Einzelkräfte F1 , F2 und F3 und das Moment M̄
belastet. Dazu stehen drei Bauarten zur Auswahl.
1. Welches der Systeme ist statisch bestimmt?
2. Bestimmen Sie für das statisch bestimmte System alle Auflagerreaktionen.
Bekannt: α = 10o , γ = 45o , F1 = 10 kN, F2 = 20 kN, F3 = 30 kN, M̄ = 25 kNm, a = 2 m.

F3 F3 γ F3
γ
α C α C α C
a _ _ _
M M M
a
F2 F2 F2
F1 F1 F1
a
B
A A B A
a 2a a a 2a a a 2a a

Aufgabe 9.8 (SG = 3, BZ = 20 min)


Ein Bogenträger ist in den Punkten A und B
wie dargestellt gelagert und wird durch eine 2F
Kraft und eine Streckenlast beansprucht.
q B
1. Untersuchen Sie die statische Be- q
stimmtheit.
2. Bestimmen Sie die Auflagerreaktionen R
in A und B durch direkte Anwendung α
der Gleichgewichtsbedingungen. a
A
3.* Lösen Sie Aufgabe 2 mit einer numeri-
schen Methode.
Bekannt: R = a = 1, 5 m, F = 12 kN, q = 3 kN/m.
9.3 Einteilige Tragwerke in der Ebene 235

Aufgabe 9.9 (SG = 2, BZ = 15 min)


Ein Rahmenwinkel wird durch eine Kraft F , eine dreiecksförmige Streckenlast mit Randwert
q0 und ein Moment M̄ belastet. Dabei stehen zwei Bauweisen zur Auswahl.
1. Ermitteln Sie, welches System statisch bestimmt ist.
2. Bestimmen Sie für das statisch bestimmte System alle Auflagerkräfte.
3.* Untersuchen Sie beide Systeme mit einer numerischen Methode.

Bekannt: a = 2 m, α = 45o , F = 10 N, q0 = 10 N/m, M̄ = 5 Nm.

a a a a a a

_ q _ q
M 0 a M 0
F F
a
α α

Aufgabe 9.10 (SG = 2, BZ = 15 min )


Der Dachbinder eine mehrfeldrigen Konstruktion aus Beispiel 2.2 hat eine Neigung β.
1. Bestimmen Sie Größe und Lage der resultierenden Kraft.
2. Wie groß ist die Streckenlast q bezogen auf die geneigte Dachlinie (DL)?
3. Wie groß ist die Streckenlast q̄ bezogen auf die horizontale Grundlinie (GL)?
4. Berechnen Sie die Auflagerreaktionen in A, B.

Bekannt: Eigengewicht (EG) der Dachhaut: gDa = 0, 5 kN/m2 . Das Eigengewicht von
Sparrenpfetten und Aussteifungsverband wird vereinfacht mit gSp = 0, 1 kN/m2 berück-
sichtigt. Belastung durch Schnee: s = 0, 7 kN/m2 (bezogen auf eine horizontale Fläche),
Eigengewicht Dachbinder: gB = 0, 15 kN/m.

Streckenlast je Dachbinder
q

Schnee
Gebäudequerschnitt Draufsicht
20,00 Aussteifungsverband
B
Dachhaut
β
8,00

A Sparrenpfette
Dachbinder

Dachbinder
_ _
l = 16,60 l = 16,60
236 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

9.4 Mehrteilige Tragwerke


9.4.1 Statische Bestimmtheit und Gleichgewicht
Häufig sind Tragwerke wie in Abb. 9.8 aus mehreren Körpern zusammengesetzt. Dabei
entstehen außer den Lagerreaktionen auch Zwischenreaktionen an den kinematischen Bindun-
gen nach Tabelle 2.3. Zur Berechnung aller Reaktionskräfte werden nach dem Schnittprinzip
die Lager entfernt und die einzelnen Teilkörper getrennt. Für ein Tragwerk mit n Teilkörpern
hat man somit 3n Gleichgewichtsbedingungen von der Form (5.25) zur Verfügung.
Wir bezeichnen in Erweiterung von Definition (5.40) ein ebenes mehrteiliges Tragwerk
als statisch bestimmt gelagert, wenn die r Lagerreaktionen und die z Zwischenreaktionen bei
beliebiger Belastung eindeutig aus den 3n Gleichgewichtsbedingungen berechenbar sind.
Zur systematischen Untersuchung der statischen Bestimmtheit verwenden wir den

Grad der statischen Unbestimmtheit für mehrteilige Tragwerke


x = r + z − 3n
• r ist die Anzahl der Auflagerreaktionen (9.6)
• z ist die Anzahl der Zwischenreaktionen
• n ist die Anzahl der Teilkörper
• 3 ist die Anzahl der Gleichgewichtsbedingungen pro Teilkörper.

Das statische Abzählkriterium (9.2) ist wie für einteilige Systeme anwendbar. Für x > 0 hat
das Tragwerk mehr Lager- und Zwischenreaktionen als wie Gleichgewichtsbedingungen ver-
fügbar sind und heißt x-fach statisch unbestimmt gelagert. Es müssen dann Lager entfernt
oder Gelenke hinzugefügt werden. Der Fall x = 0 stellt nur eine notwendige Bedingung
für statische Bestimmtheit dar. Als hinreichende Bedingung wird das Kriterium (9.4.2) -
Widerspruch im Polplan - oder - Regularität der Systemmatrix - überprüft. Für x < 0 ist das
Tragwerk statisch unbrauchbar, da weniger Lager- und Zwischenreaktionen auftreten als für
Gleichgewicht notwendig. Es müssen dann Lager hinzugefügt oder Gelenke entfernt werden.
Zur Untersuchung des Gleichgewichtes wird nach den Schritten in Tabelle 9.2 vorge-
gangen. Bei der Aufstellung der Gleichgewichtsbedingungen an den Teilkörpern wird der
Bezugspunkt in der Momentenbedingung (5.25.3) so gewählt, dass er von möglichst vielen
Wirkungslinien unbekannter Kräfte geschnitten wird. Häufig – jedoch nicht immer – ist somit
eine direkte Berechnung von unbekannten Kräften möglich. Im Einzelfall ist es günstig, nicht
das gesamte Tragwerk in Einzelkörper zu zerlegen, sondern die Gleichgewichtsbedingungen
an zusammengesetzten Teilkörpern aufzustellen.

a) b)

Abb. 9.8. Stahlkonstruktion für das Dach einer Parkgarage: a) Mehrteilige Stahlträger, b) Zwischenbindung
9.4 Mehrteilige Tragwerke 237

 Beispiel 9.3 Drei Bauweisen für Rahmen mit zwei Lagern und einem Gelenk
Für einen Rahmen mit einem Zwischengelenk im Riegel stehen wie in Abb. 9.9 dargestellt
drei Bauweisen zur Auswahl. In Bauweise 1 ist der Punkt A horizontal und vertikal unver-
schieblich und der Punkt B vertikal unverschieblich gelagert. In Bauweise 2 ist der Punkt A
fest eingespannt, und der Punkt B ist vertikal unverschieblich gelagert. In Bauweise 3 ist der
Punkt A fest eingespannt, und der Punkt B ist mit einem Pendelstab gehalten. In dem Riegel
greifen eine horizontale Kraft F und ein Moment M̄ an.
a) Welches System ist statisch bestimmt gelagert?
b) Bestimmen Sie für das statisch bestimmte System alle Auflager- und Gelenkkräfte.
_ l l _ l l _ l l
M M M
F F

2l 2l 2l

A A A

l l l
B B B

Abb. 9.9. Drei Bauweisen für Rahmen mit zwei Lagern und einem Gelenk

Vorüberlegungen: Zur Lösung der Aufgaben a und b werden die Schritte in Tabelle 9.2
abgearbeitet. Die Gleichgewichtsbedingungen werden so aufgestellt, dass eine Unbekannte
Lagerkraft direkt berechnet werden kann.
Lösungen:
1. Statische Systeme: Aus der Aufgabenstellung ergeben sich mit den Lagersymbolen aus
Tabelle 2.1 und Tabelle 2.3 die in Abb. 9.9.b dargestellten statischen Systeme.

l l l l l l
GO(2)

(2) (2)

1 2 1 2 1 2
2l 2l 2l
GO(2)
A A A

l l l
B
B B

Abb. 9.9.b Statische Systeme und Polpläne


238 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

2. Statische Bestimmtheit: Für den Grad der statischen Bestimmtheit nach Gl.(9.6) erhält
man für alle drei Bauweisen folgende Werte:
Bauweise 1 Bauweise 2 Bauweise 3

Anzahl Auflagerreaktionen r 2+1 3+1 3+1


Zwischenreaktionen z 2 2 2
Anzahl der Teilkörper n 2 2 2

x = r + z − 3n −1 0 0
Damit ist die notwendige Bedingung (9.4.1) x = 0 für die Bauweisen 2 und 3 erfüllt,
während Bauweise 1 nach dem Kriterium (9.2.3) statisch unbrauchbar ist.
Die hinreichende Bedingung (9.4.2) wird mit dem Polplan in Abb. 9.9.b für die Bau-
weisen 2 und 3 untersucht. In beiden Fällen ist Stab 1 wegen der Einspannung unver-
schieblich, so dass nach Regel B3 in (7.10) das Zwischengelenk der Pol (2) von Stab 2
ist. Nach Regel B4 ist eine Gerade senkrecht zur Verschiebungsrichtung am Lager B ein
geometrischer Ort GO(2). Da für Bauweise 2 GO(2) nicht durch (2) verläuft, tritt ein
Widerspruch im Polplan auf, d.h. das System ist unverschieblich. Für Bauweise 3 verläuft
GO(2) durch (2), d.h. es gibt keinen Widerspruch, und das System ist verschieblich. So-
mit erfüllt nur Bauweise 2 die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für statische
Bestimmtheit, so dass für dieses System die Lagerreaktionen eindeutig berechnet werden
können. Damit ist Aufgabe a beantwortet.
3. Freischneiden und Freikörperbild: Wir tren-
_ l l
nen bei dem Rahmen nach Bauweise 2 die
M GV
Teilkörper 1 und 2, entfernen die Lager und F
zeichnen in Abb. 9.9.c das Freikörperbild. GH GH G
Zusätzlich zu den äußeren Lasten, der Kraft GV
F und dem Moment M̄ , werden durch einen 2l
1 2
Freischnitt die Lager- und Gelenkkräfte sicht-
bar gemacht. Für das dreiwertige Lager A set- A
zen wir die zwei Kräfte AH , AV und das Mo- AH MA
l
ment MA an. An dem zweiwertigen Gelenk AV
wählen wir an einem der Teilkörper die bei- B
den Gelenkkräfte GH und GV . Wegen des B
Wechselwirkungsgesetzes (3.6) sind sie an
dem gegenüberliegenden Schnittufer entge- Abb. 9.9.c Freikörperbild
gengesetzt gleich groß. Im Loslager B wird für Bauweise 2
eine vertikale Kraft B angesetzt.
5. und 6. Gleichgewichtsbedingungen und Auflösung der Gleichungen: Formuliert man die
Gleichgewichtsbedingungen (5.25) an dem Teilkörper 2 mit dem Bezugspunkt G für eine
Momentenbedingung, so erhält man direkt die unbekannten Kräfte GV , GH , B:
→: −GH + F = 0 =⇒ GH = F

G: Bl = 0 =⇒ B=0
↑: B + GV = 0 =⇒ GV = 0.
9.4 Mehrteilige Tragwerke 239

Aus den Gleichgewichtsbedingungen (5.25) am Teilkörper 1 und den Ergebnissen für


GV und GH erhält man mit dem Bezugspunkt A direkt die übrigen unbekannten Kräfte
→: AH + GH = 0 =⇒ AH = −GH = −F

A: MA + M̄ − GV l − GH 2l = 0 =⇒ MA = 2F l − M̄
↑: AV − GV = 0 =⇒ AV = 0.
_ l l
7. Kontrolle der Lösungen: Zur Überprüfung M
der Ergebnisse formulieren wir die Gleich- F
gewichtsbedingungen am Gesamtsystem in
Abb. 9.9.d: 2l
→: AV + B = 0 + 0 = 0
A

A: MA + M̄ + Bl − 2F l = AH MA
l
= 2F l − M̄ + M̄ + 0 − 2F l = 0 AV
B
↑: B + GV = 0 + 0 = 0.
B

Abb. 9.9.d Gleichgewicht am Gesamtsystem 

9.4.2 Dreigelenkbogen

Häufig soll bei der Überspannung mit einem Tragwerk auch in der Höhe ein möglichst
großer Freiraum zur Verfügung stehen. Dazu wird das Tragwerk, wie z.B. die Eissporthalle
in Abb. 9.10, als Bogenträger ausgebildet.

a) b)

Abb. 9.10. Eissporthalle als Dreigelenkbogen: a) Freiraum, b) gelenkige Lagerung

Wird ein Bogenträger wie in Abb. 9.11.a mit einem Festlager und einem Loslager ausge-
führt, kann es auf Grund des tatsächlichen Verformungsverhaltens des Bogens zu unzuläs-
sigen Verschiebungen des Loslagers kommen. Ersetzen wir das einwertige Lager durch ein
zweiwertiges Lager wie in Abb. 9.11.b, erhält man wegen r = 2 + 2 = 4 für den Grad der
statischen Unbestimmtheit nach Gl.(9.1) den Wert x = r − 3 = 4 − 3 = 1, d.h. das System ist
einfach statisch unbestimmt. Wir können die statische Bestimmtheit wiederherstellen, wenn
240 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken
a) b) c)
F F F
F
1 G
2
(1,2)
Deformation Deformation
Deformation
(1) (2)

Abb. 9.11. Bogenträger a) ohne, b) ohne, c) mit Zwischengelenk, Polplan

wie in Abb. 9.11.c in dem oberen Punkt ein Gelenk G angebracht wird. Das so entstandene
Tragwerk mit n = 2 Teilkörpern und drei Gelenken wird als Dreigelenkbogen bezeichnet.
Für den Grad der statischen Unbestimmtheit in Gl.(9.6) ergibt sich jetzt mit r = 2 + 2 für
die Anzahl der Auflagerreaktionen und z = 2 für die Anzahl der Zwischenreaktionen (vgl.
Tabelle 2.3) der Wert x = r+z−3·n = 4+2−3·2 = 0. Damit ist die notwendige Bedingung
(9.4.1) erfüllt. Da der Zwischenpol (1, 2) nicht auf der Verbindungsgeraden der Pole (1) und
(2) liegt, gibt es einen Widerspruch zu der Regel C2 in (7.12), so dass auch die hinreichende
Bedingung (9.4.2) für statische Bestimmtheit erfüllt ist. Aus diesen Überlegungen folgt die

Regel für Dreigelenkbogen


(9.7)
Ein Dreigelenkbogen ist statisch bestimmt gelagert, wenn die drei Gelenke
nicht auf einer Geraden liegen.

a) b)

1 2 2
1

Abb. 9.12. Dreigelenkbogen a) als Rahmen, b) als Fachwerk

Die beiden Tragwerke in Abb. 9.12 bestehen, wie beim Dreigelenkbogen in Abb. 9.11.c,
aus zwei Teilkörpern mit zwei Festlagern und einem Zwischengelenk. Obwohl sie nicht die
Form eines Bogens haben, bezeichnet man sie gelegentlich als Dreigelenkbogen. Für beide
Tragwerke ist somit auch Regel (9.7) anwendbar.
Für die Berechnung der vier Lagerkräfte und der zwei Gelenkkräfte eines Dreigelenkbo-
gens ist die Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen an den Teilsystemen nicht immer
von Vorteil, da dann die Gleichungen jeweils mehr als eine Unbekannte enthalten. Gelingt es
stattdessen einen Bezugspunkt für Momentengleichgewicht am Gesamtsystem zu finden, der
im Schnittpunkt der Wirkungslinien von drei Auflagerkräften liegt, dann wird die vierte un-
bekannte Kraft direkt berechnet. Die zwei Gelenkkräfte werden anschließend durch Gleich-
gewicht an den Teilsystemen ebenfalls direkt erhalten.
9.4 Mehrteilige Tragwerke 241

 Beispiel 9.4 Dreigelenkbogen mit Streckenlast

Für den Dreigelenkbogen mit einer radial gerichte-


ten Streckenlast in Abb. 9.13 sind die Auflager- und G q
q
Zwischenreaktionen gesucht. Bekannt: q, R.
Vorüberlegungen: Wir erstellen in Abb. 9.14 je ein
Freikörperbild für a) das gesamte System und b) R
beide Teilsysteme. Die Gleichgewichtsbedingungen A
(5.25) werden so aufgestellt, dass immer eine der B
Unbekannten, Auflager- oder Zwischenreaktion, di-
rekt berechnet werden kann. Die Totalresultierende Abb. 9.13. Dreigelenkbogen mit Streckenlast
der Streckenlast wird wie in Beispiel 8.9 berechnet.
Lösung: Wir lassen den Winkel α im Gegensatz zum Beispiel 8.9 im Uhrzeigersinn laufen
und legen Richtung und Lage der Totalresultierenden in Abb. 9.13 aus der Anschauung fest.
Mit den Winkeln αm = ᾱ=45o aus Gl.(8.36) und der Resultierenden F̄ = 2qR sin 450 =

2qR aus Gl.(8.37)
√ erhält man die Kraftkoeffizienten
√ und deren Lagen nach Gl.(8.38) zu
Fx = Fy = F̄ / 2, c = xS = b =yS = R/ 2. Zur direkten Berechnung von BV stellen
wir Momentengleichgewicht am Gesamtsystem mit dem Bezugspunkt A auf, da sich √ hier die
Wirkungslinien von AH , AV und BH schneiden. Mit den Hebelarmen a = R − R/ 2 sowie
dem Zusammenhang a + b = R erhält man
 F̄ F̄ F̄ F̄ qR
A: BV 2R − √ a − √ b = 0 =⇒ BV = √ (a + b) = √ =
2 2 2 2R 2 2 2
F̄ F̄ F̄ qR
↑: AV + BV − √ = 0 =⇒ AV = √ − BV = √ = .
2 2 2 2 2
_ _ _ _
a) F b) F F
F G GH GH G
2 2
_ _ 1 GV GV
F R F R 2
b 2 α m =45 o 2 α m =45 o
B A BH
A B H H A B
AH a a
c BV A c
AV V BV

Abb. 9.14 Freikörperbild: a) Gesamtsystem, b) Teilsysteme

Mit der bekannten Kraft BV wird eine Momentengleichung am Teilsystem 2 mit dem Be-
zugspunkt G zur Bestimmung von BH aufgestellt. Mit den Bedingungen für Kräftegleichge-
wicht in horizontaler und vertikaler Richtung erhält man die Gelenkkräfte GH und GV :
 F̄ qR
G: BV R − BH R = 0 =⇒ BH = BV = √ =
2 2 2
F̄ qR
←: GH + BH = 0 =⇒ GH = −BH = − √ = −
2 2 2
F̄ qR
↑: GV + BV = 0 =⇒ GV = −BV = − √ = − .
2 2 2
242 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

Aus dem Gleichgewicht der Horizontalkräfte am Gesamtsystem folgt

F̄ F̄ F̄ qR
→: AH − BH + √ = 0 =⇒ AH = BH − √ = − √ = − .
2 2 2 2 2

Zur Kontrolle untersuchen wir das Gleichgewicht am Teilsystem 1. Wegen a + b = R folgt


 
 F̄ F̄ R R
A: √ a + √ b + GV R + GH R = qR a + b − − =0
2 2 2 2
 
F̄ 1 1
→: AH + GH + √ = qR − − + 1 = 0
2 2 2
   
F̄ 1 1
↑: AV − GV − √ = qR − − − 1 = 0. 
2 2 2

9.4.3 Gelenkbalken (Gerberträger)

Wir betrachten in Abb. 9.15.a einen Balken mit einem Fest- und einem Loslager. Bei einer
vergleichsweise großen Spannweite kann es auf Grund des tatsächlichen Verformungsverhal-
tens des Balkens zu einer unzulässig großen Durchbiegung zwischen den Lagern kommen.
Es wird daher wie in Abb. 9.15.b eine weitere einwertige Stützung zwischen den Randlagern
angebracht. Mit r = 2 + 1 + 1 = 4 für die Anzahl aller Reaktionen erhält man jetzt für den
Grad der statischen Unbestimmtheit nach Gl.(9.1) den Wert x = r − 3 = 4 − 3 = 1, d.h. das
System ist einfach statisch unbestimmt.

a) b) c)
GO(2) 1 GO(2)2
q q q
(1) 1

Deformation
(1,2) 2

Abb. 9.15. Gelenkbalken a) ohne, b) ohne und c) mit Zwischengelenk

a) b)

Abb. 9.16. Ausführungen für Zwischengelenke: a) mit einem Knotenblech zwischen den Stützen b) als Kipplager
auf einer Zwischenstütze
9.4 Mehrteilige Tragwerke 243

Wir können die statische Bestimmtheit wiederherstellen, wenn wie in Abb. 9.15.c an einer
beliebigen Stelle ein Gelenk angebracht wird. In Abb. 9.16.a ist eine mögliche Konstruktion
für eine gelenkige Ausführung mit einem Knotenblech dargestellt. Abb. 9.16.b zeigt, wie
das zusätzliche Gelenk als Kipplager auf einer Zwischenstütze ausgeführt wird. Das so ent-
standene Tragwerk mit n = 2 Teilkörpern und drei Gelenken wird als Gelenkbalken oder
Gerber-Träger (nach Heinrich Gottfried Gerber, 1832 - 1912) bezeichnet. Für den Grad der
statischen Unbestimmtheit nach Gl.(9.6) erhält man mit r = 2 + 1 + 1 für die Anzahl der
Lagerreaktionen, z = 2 für die Anzahl der Zwischenreaktionen und n = 2 für die Anzahl der
Teilkörper den Wert x = 4 + 2 − 2 · 3 = 0, d.h. die notwendige Bedingung (9.4.1) ist er-
füllt. Da der Zwischenpol (1, 2) nicht auf der Verbindungsgeraden der geometrischen Orte
GO(2)1 und GO(2)2 liegt, gibt es einen Widerspruch zu der Regel C2 in (7.12), so dass auch
die hinreichende Bedingung (9.4.2) für statische und kinematische Bestimmtheit erfüllt ist.

a) b)
F F
q q (3) 3
1 3
2 1 2
verschieblich

Abb. 9.17. Gelenkbalken mit zwei Zwischengelenken: a) unverschieblich, b) verschieblich

Der Gelenkbalken kann wie in Abb. 9.17 auch über mehr als zwei Felder ausgeführt wer-
den. Man bezeichnet ein derartiges Tragwerk als Durchlaufträger. Ist g die Anzahl der Ge-
lenke, so wird dieser in n = g + 1 Teilsysteme (Balken) zerlegt. Da jedes Gelenk zwei
Zwischenreaktionen überträgt, ist die Anzahl der gesamten Zwischenreaktionen z = 2g.
Mit dem Grad der statischen Unbestimmtheit für mehrteilige Tragwerke in Gl.(9.6) und der
Bedingung x = 0 kann die Anzahl der Gelenke berechnet werden:

1. x = r + z − 3n = r + 2g − 3(g + 1) = 0 =⇒ 2. g = r − 3. (9.8)

Der Durchlaufträger in Abb. 9.17.a hat wegen eines zweiwertigen und drei einwertigen
Lagern r = 2 + 3 = 5 kinematische Bindungen. Damit benötigt man nach Gl.(9.8.2)
g = 5 − 3 = 2 Gelenke. Abb. 9.17.b veranschaulicht, dass mit den Gleichungen (9.8) nur
die notwendige Bedingung für statische Bestimmtheit berücksichtigt wird. Für den Balken 3
kann sofort der Momentanpol (3) ohne Widerspruch angegeben werden, so dass dieser Teil
des Tragwerkes verschieblich ist, d.h. es liegt der Ausnahmefall der Statik vor.
Eine allgemein gültige Regel für kinematische Bestimmtheit, wie Regel (9.7) für Dreige-
lenkbogen, kann für Gelenkbalken nicht angegeben werden, so dass die kinematische Be-
stimmtheit im Einzelfall überprüft werden muss.
Bei der Berechnung der Lager- und Gelenkkräfte eines Gelenkbalkens ist wie beim
Dreigelenkbogen nicht immer die Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen an allen
Teilsystemen von Vorteil, da dann die Gleichungen jeweils mehrere Unbekannte enthalten.
Im Einzelfall führt stattdessen das Aufstellen von Gleichgewicht am Gesamtsystem oder an
zusammengesetzten Teilsystemen schneller zum Ziel.
244 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

 Beispiel 9.5 Gerberträger mit Einzel- und Streckenbelastung

Ein Gerberträger wird


wie in Abb. 9.18 l q
2 F
dargestellt mit zwei
A B C
Einzelkräften F und F
einer Streckenlast q α
beansprucht.
a) Für welchen Winkel l l l
α liegt der Ausnah-
mefall vor? Abb. 9.18. Gerberträger mit Einzel- und Streckenbelastung

b) Bestimmen Sie für beliebige Winkel α die Auflager- und Zwischenreaktionen. Werten
Sie die Ergebnisse für l = 1 m, F = 3 kN, q = 2 kN/m, α = 0o aus.
c) Berechnen Sie die Auflager- und Zwischenreaktionen mit einer numerischen Methode
für die Zahlwerte in Aufgabe b.
Vorüberlegungen: Zur Lösung der Aufgaben a und b werden die Schritte in Tabelle 9.2
abgearbeitet. Für die numerische Lösung in Aufgabe c bringen wir die Gleichgewichtsbedin-
gungen aus Aufgabe b in die Form Ax = b.
Lösungen zu den Aufgaben a und b:
1. Idealisierung: Aus der Aufgabenstellung ergeben sich die in Abb. 9.19 dargestellten sta-
tischen Systeme. Wir untersuchen die Winkel α = 90o und α
= 90o .
2. Statische Bestimmtheit: Mit r = 4 für die Anzahl der unbekannten Stabkräfte und z = 2
für die Anzahl der Zwischenreaktionen ist der Grad der statischen Unbestimmtheit nach
Gl.(9.6) in beiden Fällen x = 3n−(r +z) = 3·2−(4+2) = 0. Damit ist die notwendige
Bedingung (9.4.1) für statische Bestimmtheit für beliebige Winkel α erfüllt.
Die hinreichende Bedingung (9.4.2) wird in Abb. 9.19 im Fall a für α = 90 und im
Fall b für α
= 90o mit dem Polplan überprüft. Für das System a lässt sich der Polplan und
damit eine Verschiebungsfigur ohne Widerspruch zeichnen, was für das System b nicht
möglich ist. Nach Regel (7.26) ist das System a damit statisch unbrauchbar, und es liegt
der Ausnahmefall vor. Das System b ist unverschieblich und somit statisch bestimmt.
Damit ist Aufgabe a beantwortet.

a) b)

GO(1)1
GO(1)1 (1) (2) (2)
1 2 α 1 2
(1,2) (1,2)
GO(1)2 GO(2)1 GO(2) 2 GO(2) 1 GO(2) 2
GO(1) 2

Abb. 9.19. Statische Systeme und Polpläne a) ohne Widerspruch für α = 90, b) mit Widerspruch für α = 90o
9.4 Mehrteilige Tragwerke 245

3. Freischneiden und Freikörperbild: Wir erstellen in Abb. 9.20 ein Freikörperbild für a)
das gesamte System und b) beide Teilsysteme. Es werden die äußeren Lasten F und
die Resultierende R=ql der Streckenlast q sowie die Reaktionskräfte A, Ā, B und C
eingetragen. Die Kraft Ā wird in einen vertikalen und einen horizontalen Anteil zerlegt.
Weiter werden die Gelenkkräfte GH und GV berücksichtigt.
4. und 5. Gleichgewichtsbedingungen und deren Auflösung: Wir beginnen mit einer Gleich-
gewichtsbedingung für horizontale Kräfte am Gesamtsystem
F
→: Ā cos α + F = 0 =⇒ Ā = −
. (1)
cos α
Mit der bekannten Kraft Ā wird Gleichgewicht am Balken 1 aufgestellt:
→: Ā cos α + GH = 0 =⇒ GH = −Ā cos α = F
 l F
A: GV l + F = 0 =⇒ GV = − (2)
2 2 " #
↑: AV − Ā sin α − GV + F = 0 =⇒ AV = Ā sin α+GV −F = −F tan α+ 23 .

Mit diesen Ergebnissen werden am Balken 2 eine Momentengleichung mit dem Bezugspunkt
B und eine Kräftebedingung in vertikaler Richtung formuliert:
 
 l 1 l F ql
B : GV l − ql − Cl = 0 =⇒ C = GV l − ql =− −
2 l 2 2 2 (3)
3ql
↑: GV − ql + B + C = 0 =⇒ B = ql − GV − C = F + .
2
Für die Zahlwerte l= 1 m, F = 3 kN, q = 2 kN/m, α = 0o erhält man folgende Kräfte:
Ā = −3, 0 N, AV = −4, 5 N, B = 6, 0 N, C = −2, 50 N, GH = 3, 0 N, GV − 1, 5 N.
Für α = 90o existiert für Ā in (1) wegen cos 90o = 0 keine Lösung. Wie bereits in
Aufgabe a festgestellt, liegt für α = 90 der Ausnahmefall der Statik vor.
_ R=ql q
a) A sinα l
_ 2 F
A
α A B 2 C F
_
A cos α 1
AV B C
l l l
_
b) A sin α l R=ql q
_ 2 F
A
α 1 GH GH 2 F
_
A cos α GV GV
AV B C
l l l

Abb. 9.20. Freikörperbild: a) Gesamtsystem, b) Teilsysteme


246 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

6. Kontrolle der Lösungen: Wir untersuchen das Gleichgewicht am Gesamtsystem


 l 3l l 3l l l
A: F + ql − B2l − C3l = F + ql − 2lF − 3ql + 3F + 3ql = 0.
2 2 2 2 2 2

Lösung zu Aufgabe c: Für die numerische Lösung bringen wir die sechs Gleichgewichts-
bedingungen in (1), (2) und (3) in die Matrixform Ax = b. Anschließend werden mit den
gegebenen Zahlwerten für l, α, F und q die Matrizen A und b initialisiert:
alpha = 0, alpha = alpha*pi/180, ca = cos(alpha), sa = sin(alpha);
F = 3; q = 2; l = 1;
Amat = [ ca 0 0 0 0 0 ;
ca 0 0 0 1 0 ;
0 0 0 0 0 l ;
-sa 1 0 0 0 -1 ;
0 0 0 -l 0 l ;
0 0 1 1 0 1 ];
bmat = [-F; 0; -F*l/2; -F; q*l*l/2; q*l];
Mit dem Befehl detA = det(Amat) überprüfen wir zunächst die Determinante. Man erhält
detA = -1, d.h. die Matrix ist regulär. Der Befehl xmat = inv(Amat)*bmat liefert
xmat = -3.0000 -4.5000 6.0000 -2.5000 3.0000 -1.5000
Die numerische Lösung liefert also die gleichen Ergebnisse für Ā, AV , B, C, GH , GV wie in
Aufgabe b. Der Leser überprüfe die Determinante der Systemmatrix für den Fall α = 90o . 

9.4.4 Aufgaben zu Abschnitt 9.4


a) b)
Aufgabe 9.11 (SG = 1, BZ = 10 min)
Untersuchen Sie für die dargestellten Sys-
teme die statische Bestimmtheit a
1. mit dem Polplan
2. mit der Systemmatrix a a a a
3.* numerisch.

Aufgabe 9.12 (SG = 2, BZ = 15 min)


b b
Das dargestellte System wird mit einem Mo-
ment belastet. E
1. Untersuchen Sie die statische Bestimmt- _ 2
b
heit mit der kinematischen Methode. M D
a
2. Berechnen Sie die Auflagerreaktionen 4
und die Gelenkkräfte. 1 3
Bekannt: α = 60o , β = 45o , a = 2 m, b = α β
1 m, M̄ = 100 Nm. A B C
9.4 Mehrteilige Tragwerke 247

Aufgabe 9.13 (SG = 2, BZ = 20 min)


Für einen Gerberträger stehen zwei Bauweisen zur Auswahl.
1. Welches der Systeme ist statisch bestimmt?
2. Bestimmen Sie für das statisch bestimmte System die Auflager- und die Gelenkkräfte.
3.* Lösen Sie Aufgabe 2 mit einer numerischen Methode.
Bekannt: l = 2 m, q = 60 kN/m, F = 30 kN, M̄ = 20 kNm.

_ _ F
F M q
M q C
A C A
B G B G
l l 2l 2l l l 3l
2l 2l 3l

Aufgabe 9.14 (SG = 2, BZ = 20 min)


Für ein Dreigelenksystem stehen drei Bauweisen zur Auswahl.
1. Welches der drei Systeme ist statisch bestimmt? Überprüfen Sie dazu die notwendige
und die hinreichende Bedingung mit einer kinematischen Methode.
2. Bestimmen Sie für das statisch bestimmte System die Auflagerreaktionen und die Ge-
lenkkräfte.
3.* Lösen Sie Aufgabe 2 mit einer numerischen Methode.
Bekannt: l = 2 m, F1 = 60 kN, F2 = 90 kN, M̄ = 20 kNm, α = 30o , β = 45o , γ = 45o .

a) F2 b) F2 c) F2
D D
C α α C α
C _ _
_ M M
l M l l
F1 F1 F1
β 2 β 2 β 2
B B B
1 1 1
l γ l l

A A A

l l l l l l
2 2 2 2 2 2
248 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

Aufgabe 9.15 (SG = 3, BZ = 15 min) F1


Das dargestellte Dreigelenksystem wird mit C β
einem Moment, zwei Einzelkräften und α
einer Streckenlast beansprucht. F2
l
1. Untersuchen Sie die statische Bestimmt- _ q1
M 2
heit.
2. Berechnen Sie die Auflagerreaktionen
l 1
und die Gelenkkräfte in A, B und C.
Bekannt: α = 30o , l = 1 m, q1 = 5 kN/m, A B
q2
q2 = 8 kN/m, F1 = 40 kN, F2 = 30 kN,
M̄ = 15 kNm. l l
2 2

Aufgabe 9.16 (SG = 3, BZ = 30 min)


Für ein Dreigelenksystem stehen vier Bauweisen zur Auswahl.
1. Welches der vier Systeme ist statisch bestimmt? Überprüfen Sie dazu die notwendige
und die hinreichende Bedingung.
2. Bestimmen Sie für das statisch bestimmte System die Lager- und Gelenkkräfte infolge
des Momentes M̄ und des Eigenwichtes des Viertelbogens der Masse m.
3.* Lösen Sie Aufgabe 2 mit einer numerischen Methode.
Bekannt: l = 2 m, M̄ = 20 kNm, m= 750 kg, β= 45o , γ= 45o . Hinweis: Verwenden Sie die
Ergebnisse für den Schwerpunkt eines Kreisbogens aus Beispiel 8.7.

a) 2 b) 2 g
C g C
1 m 1
2l _ 2l m
_
M M
B B
l l β
A β A
γ

3l 2l 3l 2l
c) d)
2 g 2 g
C C
1 m 1
_ m
2l 2l
_ B M
M B
A
l β l A β

3l 2l 3l 2l
9.4 Mehrteilige Tragwerke 249

Aufgabe 9.17 (SG = 2, BZ = 15 min) B


Das dargestellte Hubwerk mit den Gelenken g
4a
G1 und G2 wird durch die Kräfte F und G
G1 G2
belastet.
2a
1. Überprüfen Sie die statische Bestimmt-
heit.
2. Bestimmen Sie die Reaktionen in den F
Lagern A und B sowie die Gelenkkräfte 7a
in G1 und G2 . G
A
Bekannt: a, G, F = G/8.
2a 4a a

Aufgabe 9.18 (SG = 3, BZ = 20 min )


Eine Holzdachkonstruktion ist als Dreigelenkbogen ausgeführt. Berechnen Sie die Auflager-
reaktionen, die Gelenkkräfte in A, B und C und die Kraft in der Zugpfette.
1. rechnerisch
2.* numerisch.

Bekannt: Eigengewicht (EG) der Dachhaut: gDa = 0, 5 kN/m2 . Das Eigengewicht von
Sparrenpfetten und Aussteifungsverband wird vereinfacht mit gSp = 0, 1 kN/m2 berück-
sichtigt. Belastung durch Schnee: s = 0, 7 kN/m2 , bezogen auf die horizontale Fläche.
Eigengewicht Dachbinder: gB = 0, 15 kN/m. Der Abstand der Dachbinder beträgt 8, 00 m
(vgl. Beispiel 2.2).

Streckenlast je Dachbinder

_ _
q q
Schnee
C
Gebäudequerschnitt
20,00 20,00

Nagelplatte
Dachhaut

A B
Sparrenpfette Zugpfette
Dachbinder

_ _
l = 16,60 l = 16,60
250 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

9.5 Einteilige Tragwerke im Raum


9.5.1 Statische Bestimmtheit und Gleichgewicht
Nach Definition (6.45) ist ein räumliches Tragwerk statisch bestimmt gelagert, wenn die
Lagerreaktionen bei beliebiger Belastung eindeutig aus den sechs Gleichgewichtsbedingun-
gen (6.39) berechenbar sind. Zur systematischen Untersuchung der statischen Bestimmtheit
verwenden wir wie in Abschnitt 9.3 für einteilige Tragwerke in der Ebene den

Grad der statischen Unbestimmtheit für räumliche Tragwerke


x=r−6 (9.9)
• r ist die Anzahl der Auflagerreaktionen
• 6 ist die Anzahl der Gleichgewichtsbedingungen.

Damit kann das statische Abzählkriterium (9.2) wie im ebenen Fall verwendet werden. Für
x > 0 ist das Tragwerk also x-fach statisch unbestimmt gelagert.
Für x = 0 überprüft man die statische Bestimmtheit mit den Bedingungen (9.4). Da
der Vorteil der Anschaulichkeit der kinematischen Methode für räumliche Tragwerke im
Allgemeinen verloren geht, sollte man zunächst untersuchen, ob die sechs Wirkungslinien
der Lagerkräfte mit einem der Ausnahmefälle in (6.41) übereinstimmen. Nach Bemerkung
6.8.1 ist die Aufzählung in (6.41) jedoch nicht vollständig, so dass ggf. die Regulariät der
Matrix A nach Aufstellung der Gleichgewichtsbedingungen untersucht werden muss.
In den Momentengleichungen zur Berechnung der Lagerreaktionen werden die Bezugs-
achsen so gewählt, dass möglichst viele Wirkungslinien von unbekannten Kräften diese
schneiden oder parallel zu ihnen verlaufen, vgl. die Regeln (6.29). Häufig gelingt so eine
direkte Ermittlung der Unbekannten, jedoch ist das nicht immer möglich. Die polaren Mo-
mente in den Momentenbedingungen (6.39.4-6) sollten nicht als Kreuzprodukt r × F be-
stimmt werden. Wie das Beispiel 6.7 zeigt, sind die Berechnungen als axiale Momente bzgl.
der Koordinatenachsen nach den Regeln (6.30) im Allgemeinen deutlich im Vorteil. In der
praktischen Berechnung kann nach den Lösungsschritten in Tabelle 9.2 vorgegangen werden.
Für x < 0 sind weniger Lagerreaktionen vorhanden, als für Gleichgewicht notwendig
sind, so dass ein solches System statisch unbrauchbar ist.

 Beispiel 9.6 Räumlicher Kragarm mit Einzellast

Der räumliche Kragarm in Abb. 9.21 ist im Punkt A eingespannt gelagert und im Punkt B
durch eine Kraft F wie dargestellt belastet.
a) Untersuchen Sie die statische Bestimmt-
heit des Systems. F y A
b) Berechnen Sie alle Lagerreaktionen im B x z
Punkt A.
c) Lösen Sie Aufgabe b mit einer numeri- x y
b a
schen Methode.
z
Bekannt: a = 3 m, b = 2 m, F = 3 N.
Abb. 9.21. Kragarm mit zwei Bereichen
9.5 Einteilige Tragwerke im Raum 251

Vorüberlegungen: Zur Lösung der Aufgaben a und b werden die Schritte in Tabelle 9.2
abgearbeitet. Für die numerische Lösung in Aufgabe c bringen wir die Gleichgewichtsbedin-
gungen aus Aufgabe b in die Form Ax = b.
Lösungen zu den Aufgaben a und b:
1. Idealisierung: Das statische System ist bereits in der Aufgabenstellung gegeben.
2. Statische Bestimmtheit: Auf Grund der Einspannung hat das Lager A die Wertigkeit r =
6, so dass der Grad der statischen Unbestimmtheit nach Gl.(9.9) den Wert x = r − 6 =
6 − 6 = 0 hat. Damit ist die notwendige Bedingung (9.4.1) für statische und kinema-
tische Bestimmtheit erfüllt. Die Erfüllung der hinreichenden Bedingung (9.4.2) kann
anschaulich damit erklärt werden, dass die Einspannung des als starr angenommenen
einteiligen Körpers alle sechs Freiheitsgrade behindert. Damit ist die Aufgabe a gelöst.
3. Freischneiden und Freikörperbild: In dem Freikörperbild in Abb. 9.21.b werden die
äußere Last F und alle sechs Lagerreaktionen, drei Kräfte Ax , Ay , Az und drei Momente
MT , My , Mz jeweils in den Koordinatenrichtungen eingetragen.
4. und 5. Gleichgewichtsbedingungen und deren Auflösung: Aus den Gleichgewichtsbedin-
gungen (6.39) für das Gesamtsystem erhält man:

Fix = 0 : Ax = 0 =⇒ Ax = 0
i Mz
i Fiy = 0 : Ay = 0 =⇒ Ay = 0
 Az MT
i Fiz = 0 : Az − F = 0 =⇒ Az = F F N
 y A
(A) Ay
i M ix = 0 : M T − F b = 0 =⇒ M T = F b B x z
 My
(A)
i Miy = 0 : My + F a = 0 =⇒ My = −F a y
 x a
(A) b
i M iz = 0 : M z = 0 =⇒ M z = 0.
z

Abb. 9.21.b Freikörperbild mit Lagerreaktionen

6. Kontrolle der Lösungen: Wir formulieren Momentengleichgewicht bzgl. des Punktes B


 (B)
i Mix = 0 : MT − Az b = F b − F b = 0
 (B)
i Miy = 0 : My + Az a = −F a + F a = 0
 (B)
i Miz = 0 : Mz − Ay a = 0 + 0 = 0.

Für die Zahlwerte a= 3 m, b= 2 m, F = 3 kN erhält man folgende Kräfte:


Ax = 0 N, Ay = 0 N, Az = 3, 0 N, MT = 6, 0 Nm, My = −9, 0 Nm, Mz = 0 Nm.

Lösung zu Aufgabe c: Für die numerische Lösung bringen wir die sechs Gleichgewichts-
bedingungen aus Aufgabe b in eine Matrixform Ax = b. Anschließend werden mit den
gegebenen Zahlwerten für a, b und F die Matrizen A und b initialisiert:
252 9 Gleichgewicht von Balkentragwerken

F = 3; a = 3; b = 2;
Amat = [ 1 0 0 0 0 0 ;
0 1 0 0 0 0 ;
0 0 1 0 0 0 ;
0 0 0 1 0 0 ;
0 0 0 0 1 0 ;
0 0 0 0 0 1 ];
bmat = [ 0; 0; F; F*a; - F*b ; 0 ];
Mit dem Befehl detA = det(Amat) überprüfen wir zunächst die Determinante. Man erhält:
detA = 1, d.h. die Matrix ist regulär. Der Befehl xmat = inv(Amat)*bmat liefert
xmat = 0.0000 0.0000 3.0000 6.0000 -9.0000 0.0000
Man erhält also die gleichen Ergebnisse wie für Ax , Ay , Az , MT , My , Mz in Aufgabe b. 

9.5.2 Aufgaben zu Abschnitt 9.5


M1
Aufgabe 9.19 (SG = 2, BZ = 20 min) y l
Der dargestellte eingespannte Rahmen ist x
durch mehrere Kräfte und Momente be- z F3 F1
lastet. Bestimmen Sie die Auflagerreaktio-
M2
nen. A l
Bekannt: F1 = 200 N, F2 = 280 N, F 3 =
F2
[−30, 20, 40]T N, M1 = 150 Nm, M2 =
−50 Nm, l = 2 m. l

F3 C F1
Aufgabe 9.20 (SG = 1, BZ = 20 min) y
x l F2
Ein drei-dimensionaler Rahmen ist wie 2l
z l
dargestellt belastet. Bestimmen Sie die Auf-
lagerreaktionen in den Punkten A, B und C. M

Bekannt: F1 = 100 N, F2 = 300 N, F3 = q F4 l


200 N, F4 = 500 N, q = 200 N/m, M̄ = 300 A
Nm, l = 1 m. B l

l l

Aufgabe 9.21 (SG = 2, BZ = 20 min) z F


y
Ein Rahmentragwerk ist wie dargestellt
x M b
belastet. Bestimmen Sie die Auflager-
F C
kräfte in den Punkten A, B, C.
A
Bekannt: F , M̄ = F a, a = b. a
B
2F
a
2 a a
2 2 a
2
Aufgabe 9.22
(SG = 2, BZ = 20 min) y
Der dargestellte Träger wird x l
l
durch drei Kräfte belastet. Be- z l
F
stimnen Sie die Auflagerkräfte.
A 2F l/2
Bekannt: F = 100 N, a = l =
1 m. B
3F a
C

Aufgabe 9.23 a
(SG = 2, BZ = 20 min) F1
y
Ein Rahmen wird durch zwei x C
Kräfte und eine Streckenlast z
D
beansprucht. Die Kraft F2 liegt
in der x, y-Ebene und greift 3a
unter einem Winkel von 45o zum q
Rahmen an. Bestimmen Sie die F2
A α
Auflagerreaktionen in den Punk-
ten A, B, C und D. a B
Bekannt: q = 2, 5 kN/m, F1 = 2
11 kN, F2 = 3 kN, q =
2, 5 kN/m, a = 2 m, α = 45o .

Aufgabe 9.24
(SG = 2, BZ = 20 min) B
F2 y
Der dargestellte Rahmen ist x
c
durch mehrere Kräfte und Mo- M F1
z
mente belastet. Bestimmen Sie b/2
die Auflagerreaktionen. F4 C
a/2
Bekannt: F 1 = [100, 50, 20]T N, A
F2 = 400 N, F3 = 200 N, F4 = F3 b
500 N, M̄ = 2000 Nm, a = 2b
a D
= 3c = 12 m.
Konstruktion
c Expo Engineering, Oelde

Spannender Höhepunkt während der Fußball-Weltmeisterschaft im Jahre 2006 in Deutschland war in den WM-
Austragungsorten Gelsenkirchen, Dortmund und Köln neben den Spielen das künstlerisch-artistische Projekt
"kicks & balances". Dazu wurde ein Fußball als Fachwerk mit Aluminium-Gitterträgern konstruiert. Der 10 m
im Durchmesser messende Ball auf einem 2, 5 m Stahlsockel, der gleichermaßen Weltkugel und Fußball sym-
bolisiert, wirkte transparent und offen. Er sollte leicht und schnell zu montieren sein, um die Belastungen von 8
Seilakrobaten ertragen können.
Die Grundlage einer realen Konstruktion im modernen Ingenieurwesen ist, wie in der unteren Abbildung, ein
CAD-Modell (Computer-Aided-Design). Damit können besondere Herausforderungen an die Montage bereits
am Computer gelöst werden. CAD-Modelle bieten auch die Möglichkeit der Kombination mit weiteren Pro-
grammen für statische Berechnungen, die mit numerischen Methoden durchgeführt werden.
10
Gleichgewicht von Fachwerken

Nach einer Übersicht über mögliche Bauarten von Fachwerken werden die notwendige und
die hinreichende Bedingung für statische Bestimmtheit behandelt. Es wird gezeigt, wie diese
Bedingungen mit den drei Bildungsgesetzen überprüft werden können. Anschließend werden
zwei Methoden zur Ermittlung der Stabkräfte – das Knotenpunktverfahren und das Ritter-
sche Schnittverfahren – behandelt. Beim Knotenpunktverfahren unterscheiden wir zusätzlich
drei Möglichkeiten: die zeichnerische, die rechnerische und die numerische Lösung. Die Pro-
grammierung mit dem Computerprogramm MATLAB verdeutlicht die Effizienz numerischer
Methoden, die im heutigen Ingenieuralltag unverzichtbar sind.

10.1 Grundlagen und Einteilungen

Als Fachwerk bezeichnet man ein aus Stäben zusammengesetztes Bauteil, wobei die Stäbe
an ihren Enden gelenkig verbunden sind, vgl. Tabelle 3.1. Der Begriff Fachwerk lässt sich
auf die Aufteilung der Struktur in „Fächer” zurückführen. Werden Fachwerke, wie die
Tragwerke in Kapitel 9, zur Überspannung von Räumen bei gleichzeitiger Aufnahme von
Lasten eingesetzt, so spricht man auch von Fachwerkträgern oder Fachwerkbalken. We-
gen ihrer Wirtschaftlichkeit werden sie bei grossen Spannweiten vor allem im Brückenbau
oder im Gebäudebau eingesetzt. Zwei Beispiele in Abb. 10.1 sind eine Eisenbahnbrücke in
Stahlbauweise und ein Dachbinder in Holzbauweise. Weitere Anwendungen von Fachwerken
findet man z.B. bei Gerüsten, Kränen, Industrie- und Sporthallen oder Strommasten.

Abb. 10.1. Beispiele für Fachwerke: Eisenbahnbrücke und Dachbinder

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
256 10 Gleichgewicht von Fachwerken

Wie in Abb. 10.2 dargestellt unterteilt man die einzelnen Stäbe eines Fachwerks in:
1. Äußere Gurtstäbe (kurz: Gurte): Sie bilden die äußere Berandung eines Fachwerks und
werden als Obergurtstäbe bezeichnet, wenn sie an der Fachwerkoberseite verlaufen und
als Untergurtstäbe, wenn sie an der Fachwerkunterseite liegen.
2. Innere Füllstäbe (kurz: Knoten Obergurt
Füllstäbe): Sie verlaufen
zwischen den Gurten.
Geneigte Füllstäbe nennt Ständer
Pfosten
man Diagonalen, Streben
oder Schrägen. Senkrechte
Füllstäbe nennt man auch
Vertikale, Steher, Ständer
oder bei Holzfachwerken Untergurt Diagonale / Strebe
Pfosten. Abb. 10.2. Unterteilung eines Fachwerkes

Die Stellen, an denen zwei oder mehrere Stäbe zusammenstoßen, bezeichnet man als Knoten
des Fachwerks. Bei einem Raumfachwerk haben die Stäbe beliebige Richtungen im Raum.
Liegen alle Stäbe in einer Ebene, so spricht man von einem ebenen Fachwerk. In diesem
Kapitel werden räumliche Fachwerke nur am Rande behandelt. Je nachdem welches Merk-
mal zu Grunde gelegt wird, unterscheidet man verschiedene Bauausführungen [9]:
Merkmal Ausfachung: Für die Ausfachung des durch Ober- und Untergurte gegebenen
Umrisses sind in Abb. 10.3 neun verschiedene Möglichkeiten dargestellt.

a) Reines Strebenfachwerk b) Strebenfachwerk mit Pfosten c) Ständerfachwerk mit


fallenden Streben

d) Ständerfachwerk mit e) Ständerfachwerk mit zur f) Ständerfachwerk mit zur


steigenden Streben Mitte hin fallenden Streben Mitte hin steigenden Streben

g) Rautenfachwerk h) K-Fachwerk i) Hilfsfachwerk

Abb. 10.3. Ausfachungsarten bei Fachwerken

Merkmal Trägerform: In Abb. 10.4 werden sechs verschiedene Fachwerke nach der Trä-
gerform unterschieden.
10.1 Grundlagen und Einteilungen 257

a) Parallelträger b) Trapezträger c) Parabelträger

d) Polygonträger e) Dreiecksträger f) Fischbauchträger

Abb. 10.4. Trägerformen von Fachwerken

Merkmal Fächerform: Abb. 10.5 unterscheidet Fachwerke in a) einfache Fachwerke, b)


nichteinfache Fachwerke. Ein einfaches Fachwerk ist ausschließlich aus Dreiecken aufge-
baut. Bei nichteinfachen Fachwerken können auch Vierecke, Fünfecke oder andere „Fächer”
auftreten. Wie wir noch sehen werden, ist die Berechnung der Kräfte in den Stäben von
nichteinfachen Fachwerken häufig mit größerem Aufwand verbunden.

Abb. 10.5. Zwei Fächerformen: a) einfaches Fachwerk, b) nichteinfaches Fachwerk

Merkmal Ausführungen für Dachbinder: In Abb. 10.6 sind sechs verschiedene Bauaus-
führungen für Dachbinder dargestellt.

a) Sparrendach b) deutscher Binder c) belgischer Binder

d) englischer Binder e) französischer Binder f) Säge- oder Sheddachbinder

Abb. 10.6. Bauausführungen für Dachbinder


258 10 Gleichgewicht von Fachwerken

10.2 Idealisierungen und Regeln für das ideale Fachwerk


Die ingenieurmäßige Aufgabe besteht darin, jeden Stab eines Fachwerkes nach Geometrie
und Material so auszuwählen, dass dessen Beanspruchung unterhalb zulässiger Grenzen liegt.
Für diese Bemessungsaufgabe ist die Kenntnis aller Stabkräfte erforderlich. Grundlage der
Berechnung von Stabkräften ist eine Vereinfachung durch

Idealisierungen des realen Fachwerkes zum idealen Fachwerk


1. Die Stäbe sind starr und gerade.
2. Die Stabachsen schneiden sich in den Knotenpunkten. (10.1)
3. Die Knoten sind reibungsfreie Gelenke.
4. Äußere Kräfte greifen als Einzellasten nur in den Knoten an.

Bemerkungen 10.1
1. Die Bezeichnung Stabachse in der Idealisierung (10.1.2) bezieht sich auf die Verbin-
dungslinie sämtlicher Querschnittsschwerpunkte eines Stabes.
2. Die Annahmen für das ideale Fachwerk weichen häufig beträchtlich von den Gegeben-
heiten für das reale Fachwerk ab. Beipielsweise werden wie in Abb. 10.7 dargestellt die
Knoten bei Stahlfachwerken mit Knotenblechen oder bei Holzfachwerken mit Nagelplat-
ten ausgeführt. Außerdem laufen die Gurte aus konstruktiven Gründen häufig ohne Un-
terbrechung durch. Damit treten in den Stäben eines realen Fachwerkes Biegemomente
auf. Es kann jedoch gezeigt werden, dass die dadurch hervorgerufenen Beanspruchungen
im Allgemeinen klein gegenüber denen der Normalkräfte sind.

Abb. 10.7. Reale Fachwerke mit a) Knotenblech bei Stahlfachwerk, b) Nagelbrett bei Holzfachwerk

3. Da das Eigengewicht jedes Stabes über die ganze Sta-


blänge verteilt wirkt, kann die Idealisierung (10.1.4) bei mg
realen Fachwerken niemals genau erfüllt werden. Die 2 g
daraus resultierenden Querkräfte und Momente bleiben mg
m
also unberücksichtigt. Das Eigengewicht eines Stabes 2
kann dennoch näherungsweise berücksichtigt werden,
indem man es wie in Abb. 10.8 dargestellt durch zwei l
statisch äquivalente Einzelkräfte (Ersatzkräfte) in den
Knoten des Stabes ersetzt.
Abb. 10.8. Ersatzkräfte für Eigengewicht
10.3 Statische Bestimmtheit von Fachwerken 259

Auf Grund der Idealisierungen (10.1)


ergeben sich Vereinfachungen für die inneren II
Kräfte eines Fachwerkes, vgl. auch Regel
(3.22.1). Wir betrachten dazu in Abb. 10.9 M II Q II
einen Stab mit den zugehörigen Freischnitten N II
in der Nähe der Knoten I und II. Wir nehmen M II N II
an, dass an beiden Stabenden jeweils zwei
II ' Q II
Kräfte QI , NI bzw. QII , NII und ein Moment
MI bzw. MII auftreten. Auf Grund der Ideali-
sierung eines reibungsfreien Gelenkes in (10.1)
l
kann das Moment MI zwischen dem Knoten I QI
und dem Stab nicht übertragen werden, so dass I'
MI = 0 gelten muss. Mit der gleichen Argu- MI
NI
mentation erhält man MII = 0. Wir bilden die MI NI
Summe der Momente um die Punkte I  und II  QI I
für den Stab:

II : QI l = 0 =⇒ QI = 0 Abb. 10.9. Innere Kräfte für Fachwerkstäbe

I : QI l = 0 =⇒ QI = 0,

d.h. auch die Querkräfte QI und QII verschwinden. Damit verbleiben nur die Kräfte NI und
NII . Wir bilden die Summe aller Kräfte in Stabrichtung:
: NI − NII = 0 =⇒ NI = NII = S.
Somit erhält man an den Schnittstellen nur eine im Allgemeinen von Null verschiedene
Normalkraft, während Biegemoment und Querkraft gleich Null sind. Die Größe dieser Nor-
malkraft ist unabhängig von der Lage der Schnittstelle und wird Stabkraft S genannt. Weist
die Stabkraft von den Schnittufern weg, ist sie eine Zugkraft, andernfalls eine Druckkraft.
Zusammenfassend ergeben sich folgende

Regeln zu Kraftgrößen für das ideale Fachwerk


1. In Fachwerkstäben treten keine Querkräfte und Momente auf.
(10.2)
2. Es treten nur Stabkräfte (Zug- oder Druckkräfte) in Richtung der
Stabachsen auf.
3. In den Knoten liegen zentrale Kraftsysteme vor.

Wir bemerken noch, dass Stäbe mit der Eigenschaft nach Regel (10.2.2) auch als Pendelstäbe
bezeichnet werden und dass Regel (10.2.3) eine direkte Folge der Idealisierung (10.1.2) - die
Stabachsen schneiden sich in den Knotenpunkten - ist.

10.3 Statische Bestimmtheit von Fachwerken


Wie in Kapitel 9 kann das Gleichgewicht von ebenen Fachwerken grundsätzlich mit den
Gleichgewichtsbedingungen (4.22) (bzw. (6.11) für räumliche Fachwerke) für alle Teilkör-
260 10 Gleichgewicht von Fachwerken

per, bzw. alle Stäbe, untersucht werden. Sind alle Stäbe im Gleichgewicht, dann ist das
Gesamtsystem im Gleichgewicht. Auch der Grad der statischen Bestimmtheit kann mit einer
körperweisen Betrachtung untersucht werden, was z.B. nach Gl.(9.6) geschieht.
Da bei Fachwerken auf Grund der Regeln (10.2) Querkräfte und Momente nicht auftreten
und die Richtungen der Stabkräfte somit bekannt sind, führt eine Betrachtung aller Knoten
mit den Methoden aus Kapitel 4 bzw. Abschnitt 6.2 für zentrale Kraftsysteme im Allge-
meinen schneller zum Ziel. Sind alle Knoten im Gleichgewicht, dann ist auch das Gesamt-
system im Gleichgewicht. Mit einer knotenweisen Betrachtung ist auch die Untersuchung der
statischen Bestimmtheit effizienter als mit einer körperweisen Betrachtung.
Im Folgenden kennzeichnet r die Anzahl aller
Auflagerreaktionen und s die Anzahl aller Stabkräfte S1 S2
eines Fachwerkes. An dem Fachwerkknoten in
Abb. 10.10 greifen r = 2 Auflagerreaktionen und s = AH
2 Stabkräfte an. Zu deren Berechnung hat man beim
ebenen Fachwerk für jeden Knoten k zwei Gleichge-
wichtsbedingungen von der Form (4.22) zur Verfü- AV
gung. Für das räumliche Fachwerk gelten die Gle-
ichungen (6.11). Vergleichbar zu Gl.(9.1) und dem Abb. 10.10. Auflagerreaktionen und
Kriterium (9.2) formulieren wir den Stabkräfte an einem Fachwerkknoten

Grad der statischen Unbestimmtheit für


1. das ebene Fachwerk x = (r + s) − 2k
2. das räumliche Fachwerk x = (r + s) − 3k (10.3)
• r ist die Anzahl der Auflagerreaktionen
• s ist die Anzahl der Stabkräfte
• k ist die Anzahl der Knotenpunkte (einschließlich der Auflagerknoten)

und

Das statische Abzählkriterium


!
1. x > 0 : statisch unbestimmt sofern kein (10.4)
2. x = 0 : statisch bestimmt Ausnahmefall
3. x < 0 : statisch unbrauchbar.

Bemerkungen 10.2
1. Für x > 0 in Gl.(10.4.1) hat das Fachwerk mehr Stabkräfte und Lagerreaktionen als
Gleichgewichtsbedingungen zur Verfügung stehen. Die unbekannten Kräfte können dann
allein mit den Methoden der Starrkörperstatik nicht berechnet werden, sondern erfordern
Methoden der Elastostatik.
2. Für x = 0 in Gl.(10.4.2) hat das Fachwerk genauso viele Stabkräfte und Lagerreaktionen
wie Gleichgewichtsbedingungen zur Verfügung stehen. Jedoch ist Gl.(10.4.2) nur eine
notwendige Bedingung für statische Bestimmtheit. Der Ausnahmefall wird damit nicht
ausgeschlossen, d.h.: Formales Abzählen genügt nicht! Zur Untersuchung einer hinrei-
chenden Bedingung stehen wahlweise zwei Hilfsmittel zur Verfügung: 1. der Polplan
10.3 Statische Bestimmtheit von Fachwerken 261

und 2. die Systemmatrix A, vgl. Regel (7.26) für den Starrkörper. Zusammenfasssend
lauten die notwendige und die hinreichende Bedingung für statische Bestimmtheit für
das ebene bzw. das räumliche Fachwerk
1. x = 0 2. det A
= 0 oder Widerspruch im Polplan. (10.5)

3. Für x < 0 sind weniger Lagerreaktionen und Stabkräfte vorhanden als für Gleichgewicht
notwendig sind. Ein solches System ist statisch unbrauchbar.
4. Setzen wir voraus, dass das ebene Fachwerk wie ein Träger statisch bestimmt gelagert
ist, dann gilt r = 3. Damit folgt aus der statischen Abzählformel (10.3.1)
xin = (3 + s) − 2k, (10.6)
so dass die Untersuchung der statischen Bestimmtheit nur die Anzahl der Stäbe s und
die Anzahl der Gleichgewichtsbedingungen 2k berücksichtigt. Für xin > 0 hat das Fach-
werk mehr Stabkräfte s als Gleichgewichtsbedingungen 2k zur Verfügung stehen. Man
bezeichnet das Fachwerk dann als innerlich statisch unbestimmt, da die statische Unbe-
stimmtheit ihre Ursache in seinem inneren Aufbau hat. Für xin = 0 ist das Fachwerk
innerlich statisch bestimmt. Ist zusätzlich eine hinreichende Bedingung erfüllt, dann sind
keine gegenseitigen Verschiebungen der Stäbe möglich, und das Fachwerk verhält sich
wie ein Starrkörper. Für xin < 0 ist das Fachwerk und innerlich statisch unbrauchbar.
5. Bei größeren Fachwerken wird die Untersuchung der kinematischen Bestimmtheit sowohl
mit dem Polplan als auch mit der Systemmatrix im Allgemeinen recht aufwändig.
Schneller und übersichtlicher ist eine Untersuchung mit den Bildungsgesetzen des nächs-
ten Abschnittes. Grundlage dazu sind die Ergebnisse des nachfolgenden Beispiels 10.1.

 Beispiel 10.1 Innere statische Bestimmtheit für Dreiecks- und Vierecksfachwerk

Untersuchen Sie für die beiden dargestellten Fachwerke mit drei bzw. vier Stäben die innere
statische Bestimmtheit.

a) III b) III 4 IV

2 3 2 3
I 1 II I 1 II

Abb. 10.11. Fachwerke mit a) drei und b) vier Stäben

Vorüberlegungen: Die innere statische Unbestimmtheit beider Fachwerke untersucht man


am besten anschaulich, indem diese wie in Abb. 10.12 äußerlich statisch bestimmt, also mit
r=3 Bindungen, unter Berücksichtigung der Regeln (7.24), gelagert werden. Mit dem Grad
der Verschieblichkeit nach Gl.(10.3.1) wird das statische Abzählkriterium (10.4) überprüft.
Anschließend wird mit einem Polplan die hinreichende Bedingung für Unverschieblichkeit
untersucht.
Lösung: Für den Grad der Verschieblichkeit nach Gl.(10.3.1) erhält man
262 10 Gleichgewicht von Fachwerken

Dreieck : r = 3, s = 3, k = 3 =⇒ x = (3 + 3) − 2 · 3 = 0
Viereck : r = 3, s = 4, k = 4 =⇒ x = (3 + 4) − 2 · 4 = −1.
Nach dem statischen Abzählkriterium (10.4) ist das Dreieck somit innerlich unverschieblich,
während das Viereck innerlich verschieblich ist.
In Abb. 10.12 werden beide Fachwerke mit dem Polplan untersucht. Für das Dreieck ist
das Festlager I gleichzeitig Pol (1) und Pol (2) der Stäbe 1 und 2. Der Knoten III ist
Nebenpol (2, 3) der Stäbe 2 und 3, und der Knoten II ist Nebenpol (1, 3) der Stäbe 1 und
3. Nach Regel C2 in (7.12) sind die Verbindungslinien von (1) nach (1, 3) und von (2) nach
(2, 3) geometrische Orte GO(3)1 und GO(3)2 für den Pol (3). Ein weiterer geometrischer
Ort ist GO(3)3 nach Regel B4 in (7.10). Da es keinen gemeinsamen Schnittpunkt aller drei
Linien gibt, existiert kein Pol (3), so dass der Stab 3 und damit das gesamte Dreiecksfachwerk
unverschieblich sind.

a) GO(3)1 b)
GO(4)1 (4) GO(4) 2

III III (2,4) 4 IV


(2,3) GO(3)3 (3,4)
2 3 3
Verschie-
2 GO(3) 2
II bungsfigur
I 1 GO(3) 2 1 II GO(3) 1
(1,3) I (1,3)
(1)=(2) (1)=(2) (1)=(3)
Abb. 10.12. Polpläne für a) Dreieck (mit Widerspruch) und b) Viereck (ohne Widerspruch)

Obwohl für das Viereck bereits aus dem Abzählkriterium x = −1 < 0 die Verschieb-
lichkeit folgt, soll diese zusätzlich mit dem Polplan veranschaulicht werden. Dazu werden
in Abb. 10.12.b die Pole (1) = (2) sowie die Nebenpole (2, 4), (1, 3) und (3, 4) und der
geometrische Ort GO(3)1 eingetragen. Wir nehmen den Pol (3) im Lager II an und unter-
suchen, ob sich ein Widerspruch ergibt: Nach Regel C2 in (7.12) sind die Verbindungslinien
von (2) und (2, 4) sowie von (3) und (3, 4) geometrische Orte GO(4)1 und GO(4)2 für den
Pol (4). Damit liegt der Pol (4) im Unendlichen. Die Verbindungslinie von (4) und (3, 4)
ist nach Regel (7.12) ein geometrischer Ort GO(3)2 . Sie verläuft durch den angenommenen
Pol (3), so dass kein Widerspruch entsteht. In Abb. 10.12.b erkennen wir auch, dass eine
Verschiebungsfigur für die Stäbe 2, 3 und 4 ohne Widerspruch gezeichnet werden kann. 

Wir können die Fachwerkstäbe in Beispiel 10.1 auch allgemein durch beliebige starre
Teilkörper ersetzen und erhalten folgende

Regeln für mehrteilige Körper


1. Drei Teilkörper, die gelenkig an drei verschiedenen Punkten verbunden
werden, sind innerlich statisch bestimmt und bilden einen Starrkörper. (10.7)
2. Vier Teilkörper, die gelenkig an vier Punkten verbunden werden, sind ver-
schieblich (innerlich statisch unbrauchbar).
10.4 Die drei Bildungsgesetze 263

10.4 Die drei Bildungsgesetze

Die Untersuchung der statischen und kinematischen Bestimmtheit eines Fachwerkes wird im
Allgemeinen erheblich vereinfacht, wenn das gesamte Fachwerk oder Teile des Fachwerkes
sich auf eines von drei Bildungsgesetzen zurückführen lassen.

Das 1. Bildungsgesetz
Ausgehend von einem starren Körper (z.B. Einzelstab oder ein innerlich
statisch bestimmtes Fachwerk) wird ein neuer Knoten durch zwei Stäbe (10.8)
angeschlossen, so dass ein Dreieck entsteht. Dies kann man beliebig fort-
setzen, solange die zwei neuen Stäbe nicht auf einer Geraden liegen.

In Abb. 10.13 sind zwei Beispiele zum


Aufbau eines Fachwerks nach dem 1. Bil- a) b)
dungsgesetz veranschaulicht. In Beispiel a
kann jeder Stab als Ausgangsstab verwen- 2 3
det werden, in Beispiel b dagegen kann 1 1 6 7
nicht mit den Stäben 6 oder 7 begonnen 5
4 4 6
werden. Bei jedem Schritt erhöht sich die
Anzahl der Knoten um eins, die der Stäbe 2 3 5 2 3
um zwei. Damit wird Regel (10.7.1) zum 1 1
Aufbau eines Starrkörpers in jedem Schritt
erfüllt, und das Fachwerk ist innerlich
Abb. 10.13. Das erste Bildungsgesetz
statisch bestimmt.

Das 2. Bildungsgesetz
Zwei innerlich statisch bestimmte Fachwerke werden durch 3 Stäbe mitein-
ander verbunden, die sich nicht in einem Punkt schneiden und die nicht alle (10.9)
parallel sind. An die Stelle von zwei Stäben kann auch ein beiden Fachwer-
ken gemeinsamer Knoten treten.

In Abb. 10.14 sind drei Beispiele zum Aufbau eines Fachwerks nach dem 2. Bildungsgesetz
veranschaulicht. Im ersten Beispiel in Abb. 10.14.a sind die zusätzlichen Stäbe alle paral-
lel. Damit lässt sich unter Berücksichtigung der Regeln (7.12) der Polplan widerspruchslos
zeichnen: Z.B. können die Hauptpole aller fünf Teilkörper widerspruchsfrei gefunden wer-
den, so dass das System verschieblich ist. In dem zweiten Beispiel in Abb. 10.14.b gibt es
dagegen einen Widerspruch für den geometrischen Ort des Nebenpols (1, 2), so dass dieses
System unverschieblich ist. Das Fachwerk in Abb. 10.14.c besteht aus drei gelenkig verbun-
denen Teilkörpern, zwei Teilfachwerken 1 und 2 und einem Stab 3. Nach Regel (10.7.1) ist
es innerlich unverschieblich. Wird der Stab 3 in Abb. 10.14.c entfernt, dann ist das so ent-
standene Gesamtsystem mit einem Gelenk sowie einem Fest- und einem Loslager einfach
verschieblich. Ersetzt man wie in Abb. 10.14.d das einwertige Lager durch ein zweiwertiges
Lager, entsteht ein Dreigelenkbogen, der nach Regel (9.7) unverschieblich ist.
264 10 Gleichgewicht von Fachwerken

a) (3) b)
1 2
1 2 (1,3) 3 (2,3) GO(1,2)
(1,3) (4)3 (2,3)

GO(1,2)
(5) (1,4) 4 (2,4)
4
5 (1,5) 5
(1,5) (2,5))
(2,5)
GO(1,2)

c) 1 2 d) 1 2

Abb. 10.14. Das zweite Bildungsgesetz

Das 3. Bildungsgesetz
Bei einem innerlich statisch bestimmten Fachwerk wird 1 Stab heraus- (10.10)
genommen und an einer anderer Stelle wieder so eingefügt, dass das Fach-
werk starr wird.

Da sich durch die Veränderung des Fachwer-


kes nach dem 3. Bildungsgesetz weder die
Anzahl der Stäbe, noch die der Knoten än-
dern, bleibt mit Gl.(10.6) die Bedingung für
innere statische Bestimmtheit xin = (3 +
s) − 2k = 0 erfüllt. In Abb. 10.15 ist ein
Beispiel zum Aufbau eines Fachwerks nach
dem 3. Bildungsgesetz veranschaulicht. Man
beachte, dass sich das so erhaltene Fachwerk
weder nach dem 1. noch nach dem 2. Bil- Abb. 10.15. Das dritte Bildungsgesetz
dungsgesetz aufbauen lässt.
Wir können die in diesem Abschnitt erhaltenen Ergebnisse zusammenfassen:

Regel zu den drei Bildungsgesetzen


Ein Fachwerk, dass aus innerlich statisch und kinematisch bestimmten Teil- (10.11)
systemen nach den drei Bildungsgesetzen (10.8), (10.9) oder (10.10) aufge-
baut wird, ist innerlich statisch und kinematisch bestimmt.
10.4 Die drei Bildungsgesetze 265

 Beispiel 10.2 Statische Bestimmtheit einer Fachwerkbrücke

Mit dem Computerspiel Bridge Construction, siehe z.B. [40], wird die in Abb. 10.16 darge-
stellte Fachwerkbrücke erstellt.
1. Untersuchen Sie mit Hilfe der drei Bildungsgesetze die innere statische Bestimmtheit für
die Ebene senkrecht zum Flußverlauf.
2. Machen Sie ggf. einen oder mehrere Verbesserungsvorschläge.

Abb. 10.16. Fachwerkbrücke konstruiert mit dem Computerspiel Bridge Construction, [40]

Vorüberlegungen: Zunächst werden die statischen Systeme gezeichnet. Da das Fachwerk


nur aus Dreiecken besteht, ist das erste Bildungsgesetz (10.8) zur Untersuchung der stati-
schen Bestimmtheit ausreichend.
Lösungen:
1. In Abb. 10.17.a werden ausgehend von den beiden Außendiagonalen nach dem 1. Bil-
dungsgesetz (10.8) rekursiv jeweils zwei Stäbe angeschlossen. Man erhält schließlich ein
System mit zwei Einzelfachwerken 1 und 2, das einen Dreigelenkbogen darstellt. Da die bei-
den Hauptpole (1) und (2) sowie der Nebenpol (1, 2) auf einer Geraden liegen, ist Regel
(9.7) nicht erfüllt, d.h. das System ist verschieblich.
a) b)
1 2 1 (1,2) 2

(1) (2) (1) (2)


(1,2)
Abb. 10.17. a) Aufbau nach dem ersten Bildungsgesetz, b) unverschiebliches System

2. Mit einem zusätzlichen Obergurt in Abb. 10.17.a würde das Gesamtsystem nach dem
1. Bildungsgesetz (10.8) unverschieblich werden. Nachteilig wäre dabei, dass dieser Obergurt
als Druckstab mit der doppelten Fächerlänge ausgebildet werden müsste. In Abb. 10.17.b
werden die mittleren Diagonalstäbe daher zur Mitte hin ansteigend angeordnet. Man erhält
wieder einen Dreigelenkbogen, bei dem die drei Pole (1), (2) und (1, 2) nicht auf einer Ge-
raden liegen, so dass das System nach Regel (9.7) unverschieblich ist. 
266 10 Gleichgewicht von Fachwerken

10.5 Praktische Berechnung von Stabkräften

Im Folgenden werden zwei Verfahren zur Berechnung von Stabkräften in Fachwerken be-
handelt: 1. das Knotenpunktverfahren und 2. das Rittersche Schnittverfahren. Dabei werden
für das Knotenpunktverfahren drei Möglichkeiten unterschieden: 1. die zeichnerische, 2. die
rechnerische und 3. die numerische Lösung.

10.5.1 Nullstäbe

Vor der eigentlichen Berechnung ist es ratsam, das Fachwerk auf sogenannte Nullstäbe hin
zu untersuchen. Hierbei handelt es sich um Stäbe, die bei bestimmten Lastfällen weder Zug-
noch Druckkräfte aufnehmen. Mit den Darstellungen in Abb. (10.18) unterscheiden wir fol-
gende

Regeln für Nullstäbe


1. Sind an einem unbelasteten Knoten zwei Stäben angeschlossen, die
nicht in gleicher Richtung liegen, so sind diese Stäbe Nullstäbe.
(10.12)
2. Sind an einem belasteten Knoten zwei Stäbe angeschlossen und liegt
die Last in Richtung eines dieser Stäbe, so ist der andere ein Nullstab.
3. Sind an einem unbelasteten Knoten drei Stäbe angeschlossen, von de-
nen zwei in gleicher Richtung liegen, so ist der dritte ein Nullstab.

Regel 2 F Knoten II LP KP
Regel 1
4 8 II F
I S8=0 A=E
II
6
1 7 F S7
2 5 S7
III Regel 3

Knoten I LP KP Knoten III LP KP


S6=0 A=E S4
I A=E S4=0
S4=0 S2 III S4 S2
S1=0
S1=0

Abb. 10.18. Ermittlung von Nullstäben in Lageplan (LP) und Kräfteplan (KP)

Wie in Abb. (10.18) gezeigt, können alle drei Regeln (10.12) jeweils mit einem Freischnitt
des Knotens im Lageplan (LP) sowie den Regeln (4.8) für Gleichgewicht eines zentralen
Kraftsystems im Kräfteplan (KP) abgeleitet werden. Hat man einen Nullstab ermittelt, so
kann dieser bei der Berechnung unberücksichtigt bleiben.
10.5 Praktische Berechnung von Stabkräften 267

10.5.2 Das Knotenpunktverfahren: Grundgedanke


Das Knotenpunktverfahren ist ein systematisches Verfahren zur Berechnung von Stabkräften,
das bei statisch bestimmten Fachwerken immer zum Ziel führt. Mit Handrechnungen ist es
insbesondere für Fachwerke nach dem 1. Bildungsgesetz geeignet. Für Fachwerke nach dem
2. und 3. Bildungsgesetz ist ggf. das Rittersche Verfahren hinzuzuziehen, das im nachfolgen-
den Abschnitt 10.5.6 behandelt wird.
Der Grundgedanke des Verfahrens besteht in der Herstellung von Gleichgewicht in allen
Knoten eines Fachwerkes. Dann sind auch alle Stäbe und damit das Gesamtsystem in Ruhe.
Da sich die Stäbe auf Grund der Idealisierung (10.1.2) in den Knoten schneiden, liegen je-
weils zentrale Kraftsysteme vor, die mit den Methoden aus Kapitel 4 für zentrale ebene Kraft-
systeme bzw. aus Abschnitt 6.2 für zentrale räumliche Kraftsysteme behandelt werden. Die
in Tabelle 10.1 zusammengestellten Lösungsschritte werden im Folgenden weiter erläutert.

Das Knotenpunktverfahren für Fachwerke nach dem 1. Bildungsgesetz


1. Wahl eines Knotens: Heraussuchen eines Knotens mit maximal zwei (bzw. für räum-
liche Fachwerke drei) unbekannten Stabkräften. Dazu ist vorab die Ermittlung von
Auflagerkräften zweckmäßig oder im Einzelfall sogar notwendig.
2. Gleichgewicht am Knoten: Aufstellen der Kräftegleichgewichtsbedingungen an
einem Knoten unter Berücksichtigung aller an dem Knoten angreifenden Kräfte (Be-
lastungen, Auflagerreaktionen, Stabkräfte):
a) Zeichnerische Lösung: Zeichnen eines Kräfteplans (KP), so dass das Kräf-
tepolygon nach Regel (4.8.3) in einheitlichem Umlaufsinn geschlossen ist („A
= E"). Betrag und Richtung der Stabkräfte ergeben sich aus dem Kräfteplan. Der
Richtungssinn gibt jeweils an, ob eine Zug- oder Druckkraft vorliegt.
b) Rechnerische Lösung: Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen (4.22) (bzw.
(6.11) für räumliche Fachwerke):
  
→: Fix = 0, ↑ : Fiy = 0, ( Fiz = 0, falls räumlich)
unter Berücksichtigung der Lasten und der Auflagerreaktionen. Dazu müssen alle
Kräfte in die Koordinatenrichtungen zerlegt werden. Es wird empfohlen, alle
Stabkräfte vom Schnittufer wegzeigend anzusetzen und die Vorzeichen für deren
Kraftkoeffizienten in den Gleichgewichtsbedingungen aus der Anschauung zu er-
mitteln. Nach Lösung der Gleichungen gibt das Vorzeichen jeweils an, ob eine
Zug- oder Druckkraft vorliegt.
Falls alle Knoten abgearbeitet sind, gehe zu Schritt 3. Sonst: Gehe zu Schnitt 1.
3. Kontrolle der Lösungen: Falls in Schritt 1 noch keine Auflagerreaktionen bestimmt
worden sind, werden die Gleichgewichtsbedingungen (5.27) (bzw. (6.11) für räum-
liche Fachwerke) am Gesamtsystem aufgestellt. Andernfalls müssen als Kontrolle die
in Schritt 2 bestimmten Werte für die Auflagerkräfte mit den in Schritt 1 berechneten
Werten übereinstimmen.

Tabelle 10.1. Lösungsschritte zum Knotenpunktverfahren. Die Schritte 2.a und 2.b beschreiben das zeichnerische
und das rechnerische Knotenpunktverfahren.
268 10 Gleichgewicht von Fachwerken

10.5.3 Das zeichnerische Knotenpunktverfahren

Für Fachwerke, die nach dem 1. Bildungsgesetz aufgebaut sind, kann das Knotenpunktver-
fahren sehr effizient eingesetzt werden. Dabei erfolgt ein schrittweises Herstellen von Gleich-
gewicht in den Knoten, wobei in jedem Rechenschritt an einem Knoten maximal zwei un-
bekannte Kräfte auftreten dürfen. Die Lösungsschritte sind in Tabelle 10.1 zusammengestellt,
wobei im Schritt 2.a das Gleichgewicht unter Beachtung der Regeln (4.8) im Kräfteplan je-
weils zeichnerisch hergestellt wird, vgl. auch Tabelle 4.1.

 Beispiel 10.3 Zeichnerisches Knotenpunktverfahren für ein auskragendes Fachwerk

Für das dargestellte auskragende Fach-


werk sind alle Stabkräfte mit dem zeich- a a a F
nerischen Knotenpunktverfahren zu be- V 4 III 1 I
stimmen. Bekannt: F, a.
Vorüberlegungen: Es werden die Schrit- a 5 3
7 2 9
te nach Tabelle 10.1 abgearbeitet, wobei
für das Gleichgewicht an den Knoten die 6
Merkregel „A=E” in (4.8.3) für die zeich- IV II 8 VI
nerische Lösung beachtet werden muss.
Abb. 10.19. Auskragendes Fachwerk

Lösung: In Abb. 10.19.b sind die Lagepläne (LP) und die Kräftepläne (KP) für jeden Knoten
eingetragen. Dazu werden die folgenden Schritte durchgeführt.

1. Auswahl eines Knotens: Da an dem Knoten V I nur zwei Stäbe 8 und 9 angrenzen, be-
ginnt hier die Rechnung.
2. Gleichgewicht für Knoten V I: In dem Kräfteplan (KP) ist für Knoten V I mit den bekann-
ten Wirkungslinien der Kräfte S8 und S9 das Kräftepolygon in einheitlichem Umlaufsinn
zu schließen. Da die Richtungen beider Kräfte unterschiedlich sind, ist nach Axiom 3.1
kein Gleichgewicht möglich. Damit liegen wegen S8 = S9 = 0 Nullstäbe vor. Alternativ
ist auch eine Begründung nach Regel 1 in (10.12.1) möglich.
1. Auswahl eines Knotens: An dem Knoten I mit der Kraft F sind wegen S9 = 0 nur zwei
Stabkräfte S1 und S2 unbekannt.
2. Gleichgewicht für Knoten I: In dem Kräfteplan ist mit den bekannten Wirkungslinien der
Kräfte S1 und S2 und der bekannten Richtung von F das Kräftepolygon in einheitlichem
Umlaufsinn zu schließen. Damit ergeben
√ sich die Beträge und Richtungen der Stabkräfte:
S1 = F als Zugkraft (Z) und S2 = 2F als Druckkraft (D).
1. Auswahl eines Knotens: An dem Knoten II sind S2 als Druckkraft und S8 als Nullstab
bekannt, so dass nur S3 und S6 unbekannt sind.
2. Gleichgewicht für Knoten II: In dem Kräfteplan ist mit den bekannten Kräften S2 und
S8 = 0 und den bekannten Wirkungslinien der Kräfte S3 und S6 das Kräftepolygon in
einheitlichem Umlaufsinn
√ zu schließen. Damit ergeben sich die Beträge und Richtungen
der Stabkräfte: S3 = 2F als Zugkraft (Z) und S6 = 2F als Druckkraft (D).
10.5 Praktische Berechnung von Stabkräften 269

Die weiteren Schritte werden wie oben beschrieben für die Knoten III, V und IV mit den
zugehörigen Lage- und Kräfteplänen in Abb. 10.19 durchgeführt. Dabei werden auch die
Auflagerreaktionen B, AV und AH erhalten. Der Stab 7 ergibt sich als Nullstab.

a a a F
Knoten VI LP KP
B V 4 III 1 I
S9
S8=0 S9=0
a 7 5 3 2 9 S8
6 VI A=E
AH IV II 8 VI
AV
Knoten I LP KP Knoten II LP KP
F
S1 A=E
A=E S2
I S3 S2=F 2 S3=F 2
S2=F 2
S2 F
II
S6 S8=0 S6=2F
S9=0 S1=F

Knoten III LP KP Knoten V LP KP


III
S4=3F
B V S4=3F S4=3F A=E
S4 S1=F S1=F
S3=F 2 S5=F 2 B =3F
S5
S3=F 2
A=E S7=0
Knoten IV LP KP
S7 A=E
S5 S5
AH S6=2F AV =F
IV S 6=0 A H = 3F
AV

Abb. 10.19.b. Auskragendes Fachwerk: Lageplan (LP) und Kräfteplan (KP) für alle Knoten

Wir fassen alle Ergebnisse für die Stab- und Lagerkräfte in einer Tabelle zusammen:
Stab i 2 3 1
4 5 6 7 8 9 AH AV B
√ √ √
Si F 2F 2F 3F 2F 2F 0 0 0 3F F 3F
(Z) oder (D) (Z) (D) (Z) (Z) (D) (D) − − − − − −

3. Zur Kontrolle verwenden wir die Gleichgewichtsbedingungen (4.22) für das Gesamtsys-
tem:
↑: AV − F = F − F = 0
→: −B + AH = −3F + 3F = 0

A: −Ba + 3F a = −3F a + 3F a = 0. 
270 10 Gleichgewicht von Fachwerken

10.5.4 Das rechnerische Knotenpunktverfahren


Für Fachwerke nach dem 1. Bildungsgesetz werden bei dem rechnerischen Knotenpunk-
tverfahren wie bei der zeichnerischen Lösung die Stabkräfte durch schrittweises Herstellen
von Gleichgewicht in den Knoten ermittelt. Der Unterschied in Schritt 2.b zu Schritt 2.a der
Tabelle 10.1, besteht darin, dass das Gleichgewicht durch Aufstellen der Bedingungen (4.22)
(bzw. (6.11) für räumliche Fachwerke) rechnerisch erhalten wird.

 Beispiel 10.4 Rechnerisches Knotenpunktverfahren für ein auskragendes Fachwerk

Für das auskragende Fachwerk aus Beispiel 10.3 bestimme man alle Stabkräfte mit dem
rechnerischen Knotenpunktverfahren.
Vorüberlegungen: Es werden die Schritte nach Tabelle 10.1 mit den Gleichgewichtsbedin-
gungen (4.22) für zentrale Kraftsysteme abgearbeitet. Die Reihenfolge der Knoten ist wie in
Beispiel 10.4, so dass auch hier immer maximal zwei unbekannte Kräfte je Knoten auftreten.
Lösung: In Abb. 10.20 sind die Lagepläne für alle freigeschnittenen Knoten dargestellt.
Dabei werden alle Stabkräfte vom Schnittufer wegzeigend eingetragen und jeweils in ho-
rizontale und vertikale Anteile zerlegt, vgl. z.B. Abschnitt 4.2.6. In den folgenden Rechen-
schritten werden die Stab- und Lagerkräfte durch Aufstellen und Lösen der Gleichgewichts-
bedingungen (4.22) erhalten:

a a a F
B V 4 III 1 I Knoten VI

a 5 3 S9
7 2 9
6 S8
AH IV II 8 VI VI
AV
Knoten I Knoten II Knoten III
F S3 / 2 S2 / 2 III S1=-F
S1 S4
S3 S2 S3 2
I S5 / 2
S2 / 2 S2 / 2 S5
S3 / 2 II S3
S2 S6 S8=0
S9=0 S5 / 2 S3 2
S2 / 2
Knoten V Knoten IV
S5 / 2
B V S4 S7 S5
S5 / 2
AH
S7=0 IV S6

AV

Abb. 10.20 Auskragendes Fachwerk: Lageplan für alle Knoten


10.5 Praktische Berechnung von Stabkräften 271

Knoten V I → : S9 = 0, ↑ : S8 = 0
S2 √
Knoten I: ↓ : F + S9 + √ = 0 =⇒ S2 = − 2F
2
S2 S2
← : S1 + √ = 0 =⇒ S1 = − √ = F
2 2
S2 S3 √
Knoten II: ↑ : √ +√ = 0 =⇒ S3 = −S2 = 2F
2 2
S2 S3 S2 S3
→ : −S6 + √ − √ + S8 = 0 =⇒ S6 = S8 + √ − √ = −2F
2 2 2 2
S S √
Knoten III: ↓ : √3 + √5 = 0 =⇒ S5 = −S3 = − 2F
2 2
S5 S3 S5 S3
→ : −S4 + S1 − √ + √ = 0 =⇒ S4 = S1 − √ + √ = 3F
2 2 2 2
Knoten V : → : B + S4 = 0 =⇒ B = −S4 = −3F
↓ : S7 =0
S5 S
Knoten IV : ↑ : S7 + AV + √ = 0 =⇒ AV = −S7 − √5 = F
2 2
S5 S
→ : AH + S6 + √ = 0 =⇒ AH = −S6 − √5 = 3F.
2 2
Wir fassen alle Ergebnisse für die Stab- und Lagerkräfte in einer Tabelle zusammen:

i 1 2 3 4 5 6 7 8 9 AH AV B
√ √ √
Si F − 2F 2F 3F − 2F −2F 0 0 0 3F F −3F .

Damit stimmen alle Stab- und Lagerkräfte – unter Berücksichtigung der unterschiedlich
definierten Richtungen – mit den Ergebnissen in Beispiel 10.3 überein. 

10.5.5 Das numerische Knotenpunktverfahren

Wird ein Fachwerk nicht nach dem ersten Bildungsgesetz aufgebaut, können mehr als zwei
unbekannte Kräfte an einem Knoten auftreten. Die Möglichkeit zum schrittweisen Herstellen
von Gleichgewicht in den Knoten ist dann nur noch in Einzelfällen (z.B. durch ergänzende
Anwendung des Ritterschen Schnittverfahrens aus Abschnitt 10.5.6) gegeben. Für derartige
Fälle, aber auch für großdimensionierte ebene oder räumliche Fachwerke nach dem ersten
Bildungsgesetz, werden in der Ingenieurpraxis numerische Verfahren eingesetzt.
Wir betrachten in Abb. 10.21 zwei Beispiele für den Knoten eines ebenen Fachwerkes
mit der Nummer k. Kennzeichnen wir mit nk die Anzahl der anliegenden Knoten, lauten die
Gleichgewichtsbedingungen (4.22)
n k
→: i=1 Six + Fkx + Rkx = 0, wobei Six = Si cos αki
n k (10.13)
↑: i=1 Siy + Fky + Rky = 0, wobei Siy = Si sin αki .
272 10 Gleichgewicht von Fachwerken

a) y b) y
S2 S2
y2 y1 F ky
y1 R ky S1 y2 S1
α2 α2
α3 α1 α1
yk yk
y3 Fkx R kx
S3
x3 x2 xk x1 x x2 xk x1 x

Abb. 10.21. Das numerische Knotenpunktverfahren: a) Knoten mit horizontaler äußerer Kraft Fkx und vertikaler
Reaktionskraft Rky , b) Knoten mit horizontaler Reaktionskraft Rkx und vertikaler äußerer Kraft Fky

Dabei können, wie in Abb. 10.21 dargestellt, die bekannten horizontalen bzw. vertikalen
äußeren Kräfte Fkx bzw. Fky nicht gleichzeitig mit den unbekannten horizontalen bzw. ver-
tikalen Reaktionskräften Rkx bzw. Rky auftreten. Die unbekannten Stabkräfte Si in (10.13)
werden positiv als Zugkräfte angenommen, und die cos- und sin-Funktionen der Rich-
tungswinkel αki werden direkt mit den Koordinaten der umliegenden Knoten bestimmt:
xi − xk yi − yk 
cos αki = , sin αki = , ski = (xi − xk )2 + (yi − yk )2 . (10.14)
ski ski
Da die Differenzen xi − xk und yi − yk positive und negative Werte annehmen können und
ski stets positiv ist, werden mit (10.14) alle vier Fälle in Abb. 4.25 richtig erfasst. Durch
Einsetzen in die Gleichungen (10.13) erhält man für jeden Knoten k zwei Gleichungen:
n k xi − xk
i=1 Akix Si + Fkx + Rkx = 0, wobei Akix =
ski (10.15)
n k yi − yk
A
i=1 kiy iS + Fky + R ky = 0, wobei Akiy = .
ski
Wir bringen diese Gleichungen in eine Matrixdarstellung:
A x = b. (10.16)
Bemerkungen 10.3
1. Die Lösungsmatrix x enthält die unbekannten Kräfte Si aller Stäbe und die unbekannten
Reaktionskräfte Rkx sowie Rky infolge der kinematischen Bindungen.
2. Die Lastmatrix b enthält die äußeren Kräfte Fkx bzw. Fky der Gleichungen (10.15).
3. Die Systemmatrix A hat zwei Anteile: 1. Die Elemente Akix , Akiy in (10.15) zur Berück-
sichtigung der unbekannten Stabkräfte Si . 2. Die Elemente Akjx =1 bzw. Akjy =1 zur
Berücksichtigung der unbekannten Lagerkräfte Rkx bzw. Rky , wobei der Index j aus der
Position von Rkx bzw. Rky in der Lösungsmatrix x hervorgeht. Damit hängt A nur von
der Geometrie und den Randbedingungen jedoch nicht von der Belastung ab.
4. In Tabelle 10.2 erfolgt die numerische Auswertung der Gleichungen (10.15) mit dem Pro-
gramm MATLAB, siehe z.B. [22]. Zur Anwendung des Programms müssen zunächst die
Koordinaten (Matrix (Koord), die Stäbe mit Anfangs- und Endknoten (Matrix (Staebe),
die Lasten (Matrix (Lasten) und die kinematischen Bindungen (Matrix (kinBin) eingele-
sen werden. Dieses geschieht zweckmäßig, wie in Beispiel 10.6. gezeigt, in einer geson-
derten Eingabedatei.
10.5 Praktische Berechnung von Stabkräften 273

% Fachwerkprogramm nach dem numerischen Knotenpunktverfahren


% (c) Kohlstedt, Mahnken, Feb. 2011
NkB = sum(sum(kinBin(:,2:3))); % Anzahl der kinematischen Bindungen
NK = size(Koord,1); % Anzahl der Knoten
NS = size(Staebe,1); % Anzahl der Stäbe
Amat = zeros(NS+NkB); % Matrizen A und b initialisieren
bmat = zeros(NS+NkB,1);
ikB = 0; % Zähler für kinematische Bindungen
for k=1:NK
xk = Koord(k,1); yk = Koord(k,1); % Stäbe in Matrix A berücksichtigen
[K L] = find(Staebe==k);
for l=1:length(K)
if L(l) == 1
xi = Koord(Staebe(K(l),2),1); yi = Koord(Staebe(K(l),2),2);
else
xi = Koord(Staebe(K(l),1),1); yi = Koord(Staebe(K(l),1),2);
end
si = sqrt((xi-xk)2 +(yi-yk)2 );
Amat(2*k-1,K(l)) = (xi-xk)/si; Amat(2*k,K(l)) = (yi-yk)/si;
end
K2 = find(kinBin(:,1)==k); % Randbedingungen in Matrix A berücksichtigen
if isempty(K2)
if kinBin(K2,2)
ikB = ikB+1; Amat(2*k-1,NS+ikB) = kinBin(K2,2);
end
if kinBin(K2,3)
ikB = ikB+1; Amat(2*k,NS+ikB) = kinBin(K2,3);
end
end
K3 = find(Lasten(:,1)==k);
for l=1:length(K3)
bmat(2*k-1,1) = -Lasten(K3,2); bmat(2*k,1) = -Lasten(K3,3);
end
end
detA = det(Amat)
if abs(detA) < 1e-12, error(’Matrix singulaer, Abbruch des Programms’), end
x = inv(Amat)*bmat % Gleichungssystem lösen
Smat = x(1:size(Staebe,1)) % Matrix der Stabkräfte
Rmat = x(size(Staebe,1)+1:end) % Matrix der Reaktionskräfte
hold on; % Plotten der Stabkräfte
colorbar; caxis([min(Smat) max(Smat)]); cmap=colormap(jet(256));
FFarbe=linspace(min(Smat),max(Smat),length(cmap));
for e=1:size(Staebe,1)
efarbe=interp1(FFarbe,cmap,Smat(e));
plot(Koord(Staebe(e,:),1),Koord(Staebe(e,:),2),’Color’, ...
efarbe,’LineWidth’,10);
end
xmin = min(Koord(:,1)); xmax = max(Koord(:,1));
ymin = min(Koord(:,2)); ymax = max(Koord(:,2));
dx=diff([xmin xmax]); dy=diff([ymin ymax]);
axis([xmin-dx*0.1 xmax+dx*0.1 ymin-dy*0.1 ymax+dy*0.1]);

Tabelle 10.2. MATLAB-Datei für Fachwerkprogramm


274 10 Gleichgewicht von Fachwerken

 Beispiel 10.5 System- und Lastmatrizen für ein auskragendes Fachwerk

Bestimmen Sie für das auskra- a a a F


gende Fachwerk aus Beispiel 10.3
die Matrizen A, x, b in der Matrix- V 4 III 1 I
gleichung (10.16).
a 7 5 3
Vorüberlegungen: Wir formulie- 2 9
ren die Gleichgewichtsbedingun- 6
gen (10.15) und schreiben diese IV II 8 VI
Matrixgleichung (10.16).
Abb. 10.22. Auskragendes Fachwerk

Lösung: Für jeden Knoten k = I − V I werden die Knotenabstände xi − xk , yi − yk und


die Stablängen ski , i = 1, ..., nk tabellarisch bestimmt. Hierbei bezeichnet nk wie in den
Gleichungen (10.15) die Anzahl der am Knoten k angeschlossenen Stäbe der Spalte „Ang.-
Stab” . Deren Knotennummern sind in der Spalte „Kn.-Nr.” aufgelistet.

Knoten k xk yk nk Ang.-Stab Kn.-Nr. i xi y i xi − xk y i − y k ski


I 3a a 3 1 III a a −2a 0 √2a
2 II 2a 0 −a −a 2a
9 VI 3a 0 0 −a a
II 2a 0 4 6 IV 0 0 −2a 0 √2a
3 III a a −a a √2a
2 I 3a a a a 2a
8 VI 3a 0 a 0 a
III a a 4 4 V 0 a −a 0 √a
5 IV 0 0 −a −a √2a
3 II 2a 0 a −a 2a
1 I 3a a 2a 0 2a
IV 0 0 3 7 V 0 a 0 a √a
5 III a a a a 2a
6 II 2a 0 2a 0 2a
V 0 a 2 7 IV 0 0 0 −a a
4 III a a a 0 a
VI 3a 0 2 8 II 2a 0 −a 0 a
9 I 3a a 0 a a

Mit diesen Beziehungen werden die Gleichgewichtsbedingungen (10.15) aufgestellt:


Knoten k Gl.-Nr
−2a −a 0
I 1 S1 + S2 √ + S9 =0
2a 2a a
0 −a 0
2 S1 + S2 √ + S9 −F = 0
2a 2a a
10.5 Praktische Berechnung von Stabkräften 275

Knoten k Gl.-Nr
−2a −a a a
II 3 S6 + S3 √ + S2 √ + S8 =0
2a 2a 2a a
0 a a 0
4 S6 + S3 √ + S2 √ + S8 =0
2a 2a 2a a
−a −a a 2a
III 5 S4 + S5 √ + S3 √ + S1 =0
a 2a 2a 2a
0 −a −a 0
6 S4 + S5 √ + S3 √ + S1 =0
a 2a 2a 2a
0 a 2a
IV 7 S7 + S5 √ + S6 +AH = 0
a 2a 2a
a a 0
8 S7 + S5 √ + S6 +AV = 0
a 2a 2a
0 a
V 9 S7 + S4 +BH = 0
a a
−a 0
10 S7 + S4 =0
a a
−a 0
VI 11 S8 + S9 =0
a a
0 a
12 S8 + S9 =0.
a a
Diese 12 Gleichungen stimmen, bis auf die Vorzeichen, mit den 12 Gleichungen in Beispiel
10.5 für das rechnerische Knotenpunktverfahren überein. Wir bringen sie für a = 1 und
F = 1 in eine Matrixform:
A x = b, wobei

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1
1 −1 √ ⎢ S1 ⎥ ⎢ 0 ⎥
2 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ S2 ⎥ ⎢F ⎥
−1 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
2 √ −1 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
2 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
1 −1 ⎢ S3 ⎥ ⎢ 0 ⎥
3 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
√ √ -1 1 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
2 2 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
1 1 ⎢ S4 ⎥ ⎢ 0 ⎥
4 √ √ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
2 2 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
1 −1 ⎢ S ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ 5 ⎥ ⎢ ⎥
5 1 √ -1 √ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
2 2 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A= , x= ⎢ ⎥ b= ⎢ ⎥
−1 −1 ⎢ S6 ⎥, ⎢ 0 ⎥.
6 √ √ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
2 2 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
1 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ S7 ⎥ ⎢ 0 ⎥
7 √ 1 1 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
2 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
1 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
8 √ 1 ⎢ S8 ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
2 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
9 1 1 ⎢ S ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ 9 ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
10 -1 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ AH ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
11 -1 ⎢A ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ V ⎥ ⎢ ⎥
⎣ ⎦ ⎣ ⎦
12 1 0
BH

Die rechnerische Lösung dieser Matrixgleichung durch Handrechnung ist sehr aufwändig
und wird daher nicht behandelt. Effizienter ist die numerische Lösung, wie im nachfolgenden
Beispiel 10.6 deutlich wird. 
276 10 Gleichgewicht von Fachwerken

 Beispiel 10.6 Numerisches Knotenpunktverfahren für ein auskragendes Fachwerk

Für das auskragende Fachwerk aus Bei-


a a a F
spiel 10.3 bestimme man alle Stabkräf-
te und die Reaktionskräfte mit dem V 4 III 1 I
MATLAB-Programm in Tabelle 10.2.
Vorüberlegungen: Es wird, wie in Be- a 7 5 3 2 9
merkung 10.3.4 angegeben, zunächst 6
eine Eingabedatei erstellt und das Pro- 8
IV II VI
gramm anschließend ausgeführt.
Abb. 10.23. Auskragendes Fachwerk

Lösung: Die Eingabedatei enthält, bezugnehmend auf Abb. 10.23, mit a=1 m, F =1 kN An-
gaben zu Koordinaten, Stäben mit Anfangs- und Endknoten, Lasten, und Randbedingungen:
Koord = [3 1; 2 0; 1 1; 0 0; 0 1; 3 0]; % Koordinaten
Staebe = [3 1; 2 1; 3 2; 5 3; 4 3; 4 2; 4 5; 2 6; 6 1];
% Stäbe (Anfangs-, Endknoten)
Lasten = [1 0 -1]; % Lasten (Knoten, x-, y-Richtung)
kinBin = [4 1 1; 5 1 0]; % Lager (Knoten, x-, y-Richtung)
% 1 = gelagert, 0 = nicht gelagert

Nach Ausführung des Programms erhält man die Ergebnisse für die Determinante der Sys-
temmatrix sowie die Stab- und Reaktionskräfte:
detA = -0.3536
Smat = 1.0000 -1.4142 1.4142 3.0000 -1.4142 -2.0000 0 0 0
Rmat = 3 1 -3
und es erfolgt eine Darstellung des Fachwerkes wie in Abb. 10.24. Die Farben geben
entsprechend der Legende die Größen der Stabkräfte an. Man erkennt z.B., dass die Stäbe
7, 8 und 9 Nullstäbe sind, und dass der Stab 4 die größte Zugkraft 3 kN erfährt.

1
V 4 III 1 I -2.0
-1.5
-1.0
0.8
-0.5
0.6 0
7 5 3 9 0.5
0.4 2 1.0
1.5
0.2 II 2.0
0 IV 6 8 VI 2.5
3.0
0 0.5 1 1.5 2 2.5 3

Abb. 10.24. Ergebnisplot der numerischen Lösung für die Stabkräfte

Diese Ergebnisse für die neun Stabkräfte und die drei Lagerreaktionen sind identisch mit
denen der zeichnerischen und der rechnerischen Lösungen in den Beispielen 10.3 und 10.4.
Zusatzaufgabe: Wird (versehentlich) kinBin = [4 1 1; 5 0 1] eingegeben, erhält man
die Meldung Matrix singulaer, Abbruch des Programms. Begründen Sie dieses. 
10.5 Praktische Berechnung von Stabkräften 277

10.5.6 Das Rittersche Schnittverfahren

Das Rittersche Schnittverfahren (kurz: Ritterschnitt) ist ein Verfahren zur Berechnung einzel-
ner Stabkräfte. Es wird z.B. eingesetzt,
1. wenn nur die Kräfte einzelner Stäbe von Interesse sind, etwa bei der Bemessung eines
Fachwerkes.
2. wenn das Knotenpunktverfahren „stecken” bleibt, also wenn kein Knoten mit nur zwei
unbekannten Kräfte gefunden werden kann,
3. zur Kontrolle von Stabkräften, die z.B. mit dem Knotenpunktverfahren oder einem Com-
puterprogramm berechnet wurden.
Der Grundgedanke geht auf August Ritter (1826 - 1908) zurück [27]: Setzen wir voraus,
dass sich das gesamte System im Gleichgewicht befindet, dann ist es notwendig und hinrei-
chend, dass sich jedes Teilsystem im Gleichgewicht befindet. In der praktischen Rechnung
werden dazu zweckmäßig gewählte Teilsysteme nach dem Schnittprinzip von Euler in Ab-
schnitt 2.1.5 freigelegt und anschließend mit den drei Gleichgewichtsbedingungen (5.25) für
ebene Fachwerke bzw. den sechs Gleichgewichtsbedingungen (6.39) für räumliche Fachwer-
ke zur Berechnung von unbekannten Stabkräften untersucht. Die wichtigsten Schritte zum
Ritterschen Schnittverfahren sind in Tabelle 10.3 zusammengestellt. Dabei beschränken wir
uns auf ebene Fachwerke. Die Erweiterung auf räumlich Fachwerke erfolgt entsprechend.

Das Rittersche Schnittverfahren


1. Freischneiden: Das Fachwerk wird in zwei (oder mehr) Teilsysteme zerlegt.
a) Dabei dürfen höchstens drei Stäbe mit unbekannten Stabkräften geschnitten wer-
den. Diese drei Stäbe und deren Verlängerungen dürfen jedoch keinen gemein-
samen Schnittpunkt besitzen.
b) Oder: der Schnitt ist durch einen Stab und ein Gelenk zu führen.
2. Gleichgewicht am Teilsystem: Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen
(5.25) an einem der beiden Teilsysteme. Hinweise:
a) Der Bezugspunkt A in der Momentenbedingung (5.25.3) wird so gewählt, dass
er von so vielen Wirkungslinien unbekannter Stabkräfte geschnitten wird, dass
nur eine unbekannte Stabkraft als Unbekannte auftritt.
b) Die Kenntnis aller Lagerkräfte ist nicht Voraussetzung zur Anwendung des Ver-
fahrens. Nur die an dem gewählten Teilsystem angreifenden Kräfte müssen vorab
ermittelt werden.
c) In der Berechnung wird die unbekannte Stabkraft zunächst als Zugkraft einge-
führt. Liefert die Auflösung des Gleichungssystems ein negatives Vorzeichen, so
handelt es sich um eine Druckkraft.

Tabelle 10.3. Lösungsschritte und Hinweise zum Ritterschen Schnittverfahren für ebene Fachwerke.
278 10 Gleichgewicht von Fachwerken

 Beispiel 10.7 Das Rittersche Schnittverfahren für ein auskragendes Fachwerk

Gesucht ist die Stabkraft S6 aus Beispiel 10.3 mit dem Ritterschen Verfahren.
Lösung: Es werden die zwei Schritte nach Tabelle 10.3 abgearbeitet:
1. Freischneiden: Das Fachwerk wird wie in Abb. 10.25 dargestellt in zwei Teile zerlegt.

a a a F

V 4 S 4III V 4 III 1 I
S4
a 7 7 5 3
5 S5 S5 2 9
6
IV S6 IVS 6 II 8 VI
Abb. 10.25 Zerlegung des Fachwerkes in zwei Teilsysteme

2. Gleichgewichtsbedingungen: Wir wählen das rechte Teilsystem zum Aufstellen der


Gleichgewichtsbedingungen, da dann keine Lagerkräfte zu berücksichtigen sind. Ver-
wenden wir eine Momentenbedingung mit dem Bezugspunkt III, dann liefern die beiden
Stabkräfte S4 und S5 keinen Beitrag und die gesuchte Stabkraft S6 kann direkt berechnet
werden:

III: S6 a + F 2a = 0 =⇒ S6 = −2F. 

10.6 Aufgaben zu Kapitel 10


Aufgabe 10.1 (SG = 1, BZ = 15 min)
Für eine Fußgängerbrücke stehen vier Bauweisen a) bis d) zur Auswahl:
1. Geben Sie den Grad der statischen Bestimmtheit für jedes System an.
2. Für welche Systeme liegt ein Ausnahmefall der Statik vor und warum?
3. Überprüfen Sie die statische Bestimmtheit auch mit den Bildungsgesetzen.
4.* Untersuchen Sie die statische Bestimmtheit mit einer numerischen√Methode fur das Sys-
tem b. (Nehmen Sie dazu die Längen a für den Untergurt und a 2 für die Diagonalen
an).
a) F c) F

A B A B

3F 3F

b) II IV d)
3 F F
1 4 7
5 A B
I V
2 III 6
3F 3F
10.6 Aufgaben zu Kapitel 10 279

Aufgabe 10.2 (SG = 2, BZ = 30 min)


Die Abstützkonstruktion einer Halle wird durch das dargestellte Fachwerk vereinfacht.
1. Überprüfen Sie die statische Bestimmtheit mit den Bildungsgesetzen.
2. Berechnen Sie alle Stabkräfte mit dem zeichnerischen Knotenpunktverfahren.
3. Berechnen Sie alle Stabkräfte mit dem rechnerischen Knotenpunktverfahren.
4. Berechnen Sie die Stabkräfte 4 und 7 mit dem Ritterschen Schnittverfahren.
5.* Erstellen Sie eine Eingabedatei für das Fachwerkprogramm in Tabelle 10.2 und berech-
nen Sie alle Stabkräfte numerisch.
Bekannt: F = 40 kN, a = 4 m.
IV

6
2a 4 7

III V
II 3 5 10 VI
a F 1 8
2 9
I VII

a 2a a
2

Aufgabe 10.3 (SG = 2, BZ = 20 min)


Ein Radioteleskop wird durch die Gewichtskraft G und die Windkraft W belastet. Die Kräfte
G und W liegen in einer Ebene, die von der Seitenhalbierenden zwischen den Stäben 2, 3 und
dem Stab 1 aufgespannt wird. Wählen Sie ein geeignetes Koordinatensystem und bestimmen
Sie die drei Stabkräfte.
Bekannt: G = 1200 N, W = 500 N, a = 25o .

W
A β
G
a β
γ C
γ B
γ C
A
B
α
280 10 Gleichgewicht von Fachwerken

Aufgabe 10.4 (SG = 3, BZ = 20 min)


Eine Rampenüberdachung wird durch das dargestellte Fachwerk vereinfacht.
1. Überprüfen Sie die statische Bestimmtheit mit den Bildungsgesetzen.
2. Berechnen Sie alle Stabkräfte mit dem zeichnerischen Knotenpunktverfahren.
3. Berechnen Sie alle Stabkräfte mit dem rechnerischen Knotenpunktverfahren.
4. Berechnen Sie die Stabkräfte 4 und 7 mit dem Ritterschen Schnittverfahren.
5.* Erstellen Sie eine Eingabedatei für das Fachwerkprogramm in Tabelle 10.2 und berech-
nen Sie alle Stabkräfte numerisch.
Bekannt: F = 40 kN, a = 1 m.

IV
2 F
2a
4
5a 6 I
3
5
III V

7a
1

II

3a 8a

Aufgabe 10.5 (SG = 3, BZ = 30 min)


Das dargestellten Fachwerk ist in den Punkten
A und B gelagert und wird mit einer Kraft VI
belastet.
1. Überprüfen Sie die statische Bestimmt- 4
3
heit mit den Bildungsgesetzen.
V F
2. Berechnen Sie alle Stabkräfte mit dem 2a 1 III
zeichnerischen Knotenpunktverfahren. 5 7
6
3. Berechnen Sie alle Stabkräfte mit dem 2 IV 2a
rechnerischen Knotenpunktverfahren. 8
a
4. Berechnen Sie die Stabkräfte 5 und 6 mit 9
dem Ritterschen Schnittverfahren. I II
a
5.* Erstellen Sie eine Eingabedatei für das 4a
Fachwerkprogramm in Tabelle 10.2 und
berechnen Sie alle Stabkräfte numerisch.
Bekannt: a = 1, 5 m, F = 10 kN.
10.6 Aufgaben zu Kapitel 10 281

Aufgabe 10.6 (SG = 3, BZ = 30 min)


Die Abstützkonstruktion einer Bahnhofsüberdachung wird durch das dargestellte Fachwerk
vereinfacht.
1. Überprüfen Sie die statische Bestimmtheit mit den Bildungsgesetzen.
2. Berechnen Sie alle Stabkräfte mit dem zeichnerischen Knotenpunktverfahren.
3. Berechnen Sie alle Stabkräfte mit dem rechnerischen Knotenpunktverfahren.
4. Berechnen Sie die Stabkräfte 4 und 7 mit dem Ritterschen Schnittverfahren.
5.* Erstellen Sie eine Eingabedatei für das Fachwerkprogramm in Tabelle 10.2 und berech-
nen Sie alle Stabkräfte numerisch.
Bekannt: F = 40 kN, a = 4 m.

F F F
1 VI 6 V
I
2 4 5
II 7
8 2a
3
III
9 IV

a a a a

Aufgabe 10.7
(SG = 3, BZ = 20 min) X
1
XI
4
XII F2
Das dargestellte Fachwerk wird
durch drei Einzellasten belastet. 6 7 2 8 9 10 11 a
1. Überprüfen Sie die statische 5 3 12 21
VIII IX V VI VII
Bestimmtheit.
2. Bestimmen Sie die Nullstäbe F1 15 14 13 F3 a
mit Begründung im Kräfteplan. III
16
IV
3. Berechnen Sie die Auflagerre-
aktionen in A und B. 17 18 19 a
4. Berechnen Sie die Stabkraft im I 20 II
Stab 3 mit dem Ritterschen A B
Schnittverfahren.
5. Bestimmen Sie mit dem a a a a
Knotenpunktverfahren die
Stabkräfte 1, 2 und 4.
Bekannt: a = 1 m, F1 = 100 N, F2 = 200 N, F3 = 300 N.
Werkzeuge und Maschinen sind allgegenwärtig. Sie erleichtern die tägliche Arbeit, sie produzieren und sie trans-
portieren. Die Bandbreite der Werkzeuge reicht vom Flaschenöffner über den Hammer und die Säge bis hin
zu Vorrichtungen beim Umformen, Trennen und Verbinden wie etwa im Automobilbau. Beispiele für Maschi-
nen reichen von Miniaturrobotern in Sandkorngröße über die Waschmaschine, das Auto, das Fahrrad und das
Flugzeug bis hin zu Kraftwerksanlagen und verfahrenstechnischen Anlagen, siehe auch [39].
Kennzeichnend für Werkzeuge und Maschinen sind Bewegungen. Dieses gilt zum Beispiel für die dargestellte
Arbeitsbühne, die eine Person mit einer durch Hydraulik betriebenen Vorrichtung sicher und schnell an ver-
schiedene Orte zur Fassadenreinigung befördert. Im Unterschied zu Tragwerken sind wir bei Werkzeugen und
Maschinen nicht nur an dem Gleichgewicht von Kräften und der statischen Bestimmtheit im Ruhezustand, son-
dern auch an den Zusammenhang zwischen Kräften und Bewegungen verschieblicher Systeme interessiert, was
Thema der Dynamik ist. Bei Beschränkung auf z.B. infinite Bewegungen für hebelartige Systeme oder gleichför-
mige Bewegungen für rotierende Systeme können mit den Methoden der Statik wichtige Kenngrößen, wie z.B.
die Hebelwirkung bei einer Rohrzange oder die Übersetzung von Drehzahlen eines Getriebes, ermittelt werden.
11
Werkzeuge und Maschinen

Ein wesentliches Ziel dieses Kapitels ist die Berechnung von Übertragungsfaktoren für
Kraft- und Bewegungsgrößen, wofür die Übersetzung von Drehzahlen ein häufig vorkom-
mendes Beispiel im Maschinenbau ist. Dazu behandeln wir – ausgehend von den Gleich-
gewichtsmethoden für Kraftgrößen und den kinematischen Methoden aus Teil 1 dieses
Buches – zunächst Kraft- und Wegübertragungen in Hebeln und anschließend Momenten-
und Drehwinkelübertragungen in Getrieben. Ein weiterer Abschnitt behandelt Kräfte in
Zahnradgetrieben.

11.1 Begriffe

Werkzeuge: Seit ca. 2,4 Millionen Jahren setzt der Mensch Hilfsmitttel ein, um die körper-
lichen Fähigkeiten etwa zum Bau von Wohnraum, der Herstellung von Essgeschirr oder der
Anfertigung von Jagdgeräten zu steigern. Die dazu verwendeten Materialien waren zuerst
Holz und Stein, Metalle sind seit der Bronzezeit üblich. Für diese Hilfsmittel wird seit
dem 12. Jahrhundert der Begriff Werkzeug verwendet [29], der im Jahre 1854 von den Ge-
brüdern Grimm im Deutschen Wörterbuch wie folgt erklärt wird: „im konkreten sinne (ein)
gerät als mittel zur unterstützung oder ersetzung der menschlichen hand bei der bearbeitung
von gegenständen oder stoffen.” Beispiele für Werkzeuge sind außer dem Flaschenöffner
in Abb. 11.1 Rohrzangen, Hammer, Feilen, Schraubendreher, Säge und Hobel. Heute wer-
den darüberhinaus in Handwerk und Industrie Maschinen als Werkzeuge eingesetzt, um auf
Gegenstände mechanisch einzuwirken. Beispiele hierfür sind - etwa im Automobilbau - Hal-
ten, Bewegen oder Umformen, Durch-/Abtrennen, Verbinden und andere Vorgänge, die man
unter dem Begriff Fertigungsverfahren zusammenfasst [36].
Maschinen: Nach einer auch heute noch gültigen Definition von Karl Kutzbach aus dem
Jahre 1927 ist „eine Maschine die Anwendung aller Mittel zur geregelten Beherrschung
der Orts- und Formänderung von Stoff oder Energie (oder Information)” [36]. Darunter
fallen neben dem Flaschenzug und der Handwinde in Abb. 11.1 Waschmaschinen, Personen-
kraftwagen, Traktoren sowie Turbinen für Kraftwerke und Flugzeuge. Maschinen sind aus
Maschinenelementen zusammengesetzt, womit nicht notwendig die kleinst möglichen Teile,
wie z.B. Schrauben, gemeint sind. Stattdessen kennzeichnet der Begriff Maschinenelemente
die kleinst möglichen sinnvollen Organisationseinheiten, welche die Funktion und den Bau
von technischen Strukturen ermöglichen. Damit ist eine Fahrradkette mit den Teilen Bolzen,
Hülsen und Laschen in ihrer Zusammensetzung ein Maschinenelement eines Fahrrades.
Weitere Beispiele für Maschinenelenente sind Speicherelemente (Federn, Schwungräder),

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
284 11 Werkzeuge und Maschinen

Führungselemente (Gleitlager und Wälzlager, Achsen und Wellen) oder Umformelemente


(Zahnräder und Zahnradgetriebe, Reibradgetriebe). Da Maschinen auch als Werkzeuge einge-
setzt werden, können sich die Begriffe Werkzeuge und Maschinen durchaus überlappen.

11.2 Kinematische Untersuchungen für Bewegungs- und Ruhezustand

Während des Betriebes sind Werkzeuge und Maschinen im Bewegungszustand im Allgemei-


nen verschieblich, und somit nicht statisch bestimmt. Dieses gilt z.B. für den Flaschenzug
und die Handwinde in Abb. 11.1. Bei dem Flaschenzug in Abb. 11.1.a sind duL und duH
Verschiebungsdifferenziale der beiden Seilenden, im Folgenden kurz Verschiebungen oder
Wege genannt. Bei der Handwinde in Abb. 11.1.b sind dϕL und dϕH Verdrehungsdifferen-
ziale der beiden Wellen, im Folgenden kurz Verdrehungen genannt. Wie das Beispiel für
einen Flaschenöffner in Abb. 11.1.c1 zeigt, kann die Verschieblichkeit auch in idealisierten
Systemen nach Anwendung des Schnittprinzips entstehen. Dabei wird das Einhaken des Fla-
schenöffners in Abb. 11.1.c2 als starre Verbindung mit dem Deckel idealisiert. Wird nur die
kinematische Bindung für die Verdrehung entfernt, so entsteht das verschiebliche System
in Abb. 11.1.c3. Hier ist duL die Verschiebung der Kraft FL und dϕH die Verdrehung des
Momentes MH . Bei dem Bewegungszustand beschränken wir uns auf infinitesimale Bewe-
gungen. Endliche (finite) Bewegungen (siehe Abschnitt 7.1) sind nicht Inhalt dieses Kapitels.
Während des Ruhezustandes ist man insbesondere bei Maschinen, z.B. einer Arbeits-
bühne, an der statischen Bestimmtheit interessiert, die nach Regel (7.26) äquivalent zur kine-
matischen Bestimmtheit ist. Nach Definition (7.22) ist ein Starrkörper in der Ebene kinema-

a) b)
g

duH

FH

duL
FL
c1) c2) c3)

FL
MH dϕ H
FL

duL
Abb. 11.1. Beispiele für Werkzeuge und Maschinen: a) Flaschenzug, b) Handwinde, c) Flaschenöffner: c1) reales
System, c2) statisch bestimmtes System und c3) verschiebliches System
11.2 Kinematische Untersuchungen für Bewegungs- und Ruhezustand 285

tisch bestimmt gelagert, wenn dieser für genau drei einzählige kinematische Bindungen un-
verschieblich ist. Im Raum muss die Anzahl der Bindungen gleich sechs sein. In Erweiterung
dazu bezeichnen wir ein ebenes n-teiliges System als kinematisch bestimmt gelagert, wenn
die Summe von r kinematischen Bindungen und z Zwischenbindungen gleich 3n (bzw. 6n
im Raum) ist, so dass das System unverschieblich wird.
Zur systematischen Untersuchung der Verschieblichkeit eines Systems für Bewegungs-
und Ruhezustand verwenden wir den

Grad der kinematischen Bestimmtheit für mehrteilige Systeme


1. In der Ebene f = 3n − (r + z)
2. Im Raum f = 6n − (r + z)
(11.1)
• r ist die Anzahl der kinematischen Bindungen
• z ist die Anzahl der kinematischen Zwischenbindungen
• n ist die Anzahl der Teilkörper
• 3 (bzw. 6) ist die Anzahl der Freiheitsgrade pro Teilkörper.

und

Das kinematische Abzählkriterium


!
1. f < 0 : unverschieblich sofern kein (11.2)
2. f = 0 : unverschieblich (kinematisch bestimmt) Ausnahmefall
3. f > 0 : verschieblich (kinematisch unbestimmt).

Bemerkungen 11.1
1. Für f < 0 hat das System mehr und für f = 0 gleich viele Bindungen durch Lager und
Stäbe als Freiheitsgrade zur Verfügung stehen. Trotz ausreichender Anzahl von Bindun-
gen und Stäben kann ein System für f ≤ 0 verschieblich sein, so dass der Ausnah-
mefall der Statik vorliegt. Wie die Bedingungen (9.2.1) und (9.2.2) für einteilige Kör-
per sind also auch die Bedingungen (11.2.1) und (11.2.2) nur notwendig für Unver-
schieblichkeit eines mehrteiligen Systems, d.h.: Formales Abzählen genügt nicht! Zu
einer hinreichenden Bedingung gelangt man erst durch die Untersuchung des Polplans
für das gesamte System. Die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für kinema-
tische Bestimmtheit lauten zusammenfassend
1. f = 0 2. Widerspruch im Polplan. (11.3)
2. Für f > 0 ist das System verschieblich. Dieser Fall ist kennzeichnend für das Funktionie-
ren von Werkzeugen und Maschinen. Bei Einwirkung von beliebigen nichtzentralen
Kraftsystemen befinden sich derartige Systeme, wie in den Beispielen in Abb. 11.1, im
Allgemeinen nicht im Gleichgewicht.
3. Bei größeren Systemen kann die Ermittlung des Polplanes recht aufwändig werden. Die
Untersuchung auf Unverschieblichkeit gelingt häufig einfacher unter Berücksichtigung
von Regel (10.7) für mehrteilige Körper, Regel (9.7) für Dreigelenkbogen sowie der Bil-
dungsgesetze für Fachwerke in Abschnitt 10.4. Zum Zeichnen der Verschiebungsfigur
mit Zahlwerten ist bei komplexen Systemen der Polplan meist unerlässlich.
286 11 Werkzeuge und Maschinen

4. Bilden die Teilkörper eines Systems einen starren Gesamtkörper, dann ist dieser mit r =
3 in der Ebene, bzw. r = 6 im Raum, kinematisch bestimmt gelagert. Definieren wir:
1. In der Ebene: fin = 3n − (3 + z)
(11.4)
2. im Raum: fin = 6n − (6 + z),
dann reduziert sich die Untersuchung der kinematischen Bestimmtheit auf die Berück-
sichtigung der Anzahl der Körper n und der Anzahl der Zwischenbindungen z. Für fin
> 0 stehen dem System mehr Freiheitsgrade als Zwischenbindungen durch die Stäbe
zur Verfügung. Man bezeichnet das System dann als innerlich kinematisch unbestimmt,
da die Verschieblichkeit ihre Ursache in dessen inneren Aufbau hat. Für fin = 0 ist das
System innerlich kinematisch bestimmt und für fin < 0 innerlich unverschieblich.
5. Ein Vergleich von Gl. (9.6) für ebene Tragwerke in Abschnitt 9.4 mit Gl.(11.1.1) für
Werkzeuge und Maschinen liefert den Zusammenhang x = −f zwischen den Graden der
statischen und der kinematischen Bestimmtheit. Für eine statische Untersuchung verwen-
det man also die zu (11.3) äquivalenten notwendigen und hinreichenden Bedingungen

1. x = 0 2. det A
= 0. (11.5)
Für mehrteilige Systeme kann die Dimension der Systemmatrix A vergleichsweise groß
werden, so dass deren Determinante praktisch nur numerisch ausgewertet werden kann.

11.3 Gleichgewicht an verschieblichen Systemen mit Haltekraftgrößen

Verschiebliche Systeme mit f > 0, wie z.B. in Abb. 11.1, sind infolge der Wirkung von
beliebigen Kraftsystemen im Allgemeinen nicht im Gleichgewicht. Um für diese - statisch
unbrauchbaren - Systeme Gleichgewicht untersuchen zu können, formulieren wir die

Definition Haltekräfte und Haltemomente


Haltekräfte bzw. Haltemomente sind eingeprägte Kräfte bzw. eingeprägte (11.6)
Momente eines verschieblichen Systems, die in einer Gleichgewichtskräfte-
gruppe unbekannt sind.

Bemerkungen 11.2
1. Haltekräfte und Haltemomente werden mit dem Oberbegriff Haltekraftgrößen zusammen-
gefasst. Beispiele sind die Haltekräfte FH oder das Haltemoment MH in Abb. 11.1.
2. Nach Bemerkung 3.1.7 beschränkt sich der Begriff Gleichgewicht in Definition (11.6)
nicht nur auf den Ruhezustand, sondern bezieht auch die gleichförmige Bewegung mit
ein. Bei dem Flaschenzug in Abb. 11.1.a bzw. der Handwinde in Abb. 11.1.b sprechen
wir von Gleichgewicht, wenn die unbekannten Kräfte FH gerade so bestimmt sind, dass
die Gewichtskraft FL in dem verschieblichen System jeweils entweder in Ruhe oder in
einem Zustand gleichförmiger Bewegung (bzw. Drehbewegung) ist.
3. Je nach Anordnung kann die Anzahl der unbekannten Haltekräfte und Haltemomente
kleiner f oder gleich f sein (siehe das nachfolgende Beispiel 11.1). Der Fall größer f
verlangt die Berücksichtigung von Verformungen und soll hier nicht behandelt werden.
11.3 Gleichgewicht an verschieblichen Systemen mit Haltekraftgrößen 287

 Beispiel 11.1 Gleichgewicht an einem verschieblichen Winkel

Der Winkel in Abb. 11.2 wird für zwei verschiedene Lagerungen durch ein nichtzentrales
Kraftsystem F1 , F2 , F3 belastet. In Abb. 11.2.a ist er als Hebel mit einem Festlager und einer
Haltekraft H im Punkt B ausgebildet. In Abb. 11.2.b ist er in der Ebene unbehindert ver-
schieblich. Er wird jedoch mit einer Kraft H gehalten, deren Lage unbekannt ist. Bestimmen
Sie für beide Fälle die Haltekraft H für Gleichgewicht. Bekannt: a, F .
F 3 =3F F 3 =3F y
a) b)
G x
F1 = 2F F1 = 2F
H=? A
F F2 =F 2a F F2 =F 2a
B
F H=? F
a 2a 2a
2a 2a 3a 4a

Abb. 11.2 Winkel mit nichtzentralem Kraftsystem a) mit einem Festlager, b) ohne Lagerung

Vorüberlegungen: Im Fall a folgt nach Gl. (11.1.1) mit dem Festlager (r=2) für den Grad
der kinematischen Bestimmtheit f = 3 − 2 = 1. Damit hat der Winkel einen Freiheitsgrad,
der als Drehung um den Punkt G darstellbar ist und durch die Haltekraft H behindert wird.
Da im Fall b keine kinematischen Bindungen vorliegen, ist das System dreifach kinematisch
verschieblich. Für Gleichgewicht reduzieren wir das Kraftsystem F1 , F2 , F3 auf eine Total-
resultierende R nach Gl.(5.23) und führen eine entgegengesetzt gerichtete Haltekraft H ein.
Lösungen: a) Wir bestimmen den Wert der Haltekraft H aus der Momentengleichgewichts-
bedingung (5.25.3) bzgl. des Punktes G:

G: 3 F 3a − F 2a − F 5a + F a + H3a = 0 =⇒ H = F.
b) Bezogen auf das Koordinatensystem mit Bezugspunkt A in Abb. 11.2.b lautet die erste
Reduktion des nichtzentralen Kraftsystems auf eine Dyname nach den Gleichungen (5.20):
Rx = F, Ry = −F + F − 3F = −3F, MRA = −F · 4a + F · 8a + F · 2a = 6F a.
Damit folgt für die Zentrallinie der Totalresultierenden nach Gl.(5.23.3)
Ry MA −3F 6F a
y= x− R = x− = −3x − 6a, Nulldurchgang x = −2a.
Rx Rx F F
Diese Geradengleichung legt die Dyname
Totalresul- Ry R y
Wirkungslinie der Totalresultieren- tierende
R MRA
den R wie in Abb. 11.3 dargestellt Hx x
fest. Wird zusätzlich eine gleich Rx H A
große, entgegengesetzt gerichtete
Hy 2a
Haltekraft H mit den Koeffizien-
ten Hx = |Rx | = F , Hy = |Ry | = 2a
3F eingeführt, ist der Winkel nach 2a 2a 4a
Axiom (3.1) im Gleichgewicht.
Abb. 11.3 Dyname, Totalresultierende und Haltekraft H 
288 11 Werkzeuge und Maschinen

 Beispiel 11.2 Drei Bauweisen für eine Arbeitsbühne

Für eine Arbeitsbühne stehen die drei Bauweisen in Abb. 11.5


zur Auswahl. In Bauweise 1 ist Stab 4 und in den Bauweisen 2
und 3 sind die Stäbe 2 mit einer Hydraulik versehen.
1. Welche Bauweise ist für den Bewegungs- und den Ruhezu-
stand geeignet?
2. Bestimmen Sie die Haltekraft für den Hydraulikstab infol-
ge der Belastungen F und M̄ in dem geeigneten System.
Bekannt: a, F , M̄ = F a.
Vorüberlegungen: Für Aufgabe 1 untersuchen wir die not-
wendige Bedingung (11.3.1) mit dem Grad der kinematischen
Bestimmtheit in Gl.(11.1.1) und überprüfen die hinreichenden
Bedingung (11.3.2) mit den Regeln (10.7) und (9.7). Für Auf-
gabe 2 stellen wir die Gleichgewichtsbedingungen (5.25) auf. Abb. 11.4 Arbeitsbühne
_ _ _
M 1. M 2. M 3.
F F F
1 1 1 2a
F F F
E E E
2 2a
2 2
Hydraulik Hydraulik
5 C a
D C D C
D Hydraulik 2
A 3 4 A 3 4 A 3 a
B B B
a a a
3a a a 2 3a a a 2 3a a a 2

Abb. 11.5 Drei Bauweisen für eine Arbeitsbühne


Lösungen: 1. Für den Grad der kinematischen Bestimmtheit für mehrteilige Systeme nach
Gl.(11.1) erhält man für die Systeme in Abb. 11.5 folgende Werte:

Bauweise 1 2 3
Anzahl Auflagerreaktionen r 2+2 2+2 2+2
Zwischenreaktionen z 10 8 6
Anzahl der Teilkörper n 5 4 3
f = 3n − (r + z) 1 0 −1
Wegen f = 1 ist Bauweise 1 auch bei fixierter Hydraulik im Stab 4 verschieblich und somit für
den Ruhezustand nicht geeignet. Für Bauweise 2 ist die notwendige Bedingung (11.3.1) f = 0
erfüllt. Ist die Hydraulik im Stab 2 fixiert, dann bilden auf Grund der gelenkigen Verbindung
die Stäbe 1, 2 und 3 nach Regel (10.7) in Abb. 11.6 einen starren Körper K. Dieser bildet
mit dem Stab 4 einen Dreigelenkbogen, der nach Regel (9.7) kinematisch bestimmt ist, so
dass auch die hinreichende Bedingung für kinematische Bestimmtheit erfüllt ist. Um das
11.3 Gleichgewicht an verschieblichen Systemen mit Haltekraftgrößen 289

Funktionieren von Bauweise 2 für den Bewegungszustand zu untersuchen, beachten wir, dass
die Stäbe 1, 3 und 4 einen verschieblichen Viergelenkbogen bilden, vgl. Beispiel 10.1. Wird
eine Transversalverschiebung durch 2. 3.
die Hydraulik im Stab 2 aktiviert, kann
sich auch die Arbeitsbühne bewegen. 1 1
In Bauweise 3 bilden dagegen die
Stäbe 1 und 3 einen unverschieblichen
K
Dreigelenkbogen, der eine Transver- 2 2
salverschiebung des Stabes 2 „sperrt”.
Damit funktioniert Bauweise 3 als Ar- K
3 4 3
beitsbühne nicht. Zusammenfassend
ist nur Bauweise 2 für den Ruhe- und
den Bewegungszustand geeignet. Abb. 11.6 Dreigelenkbogen in Bauweise 2 und 3
2. Zur Bestimmung der Haltekraft S2 im Stab 2 für Bauweise 2 verwenden wir die drei
Freikörperbilder in Abb. 11.7. In Abb. 11.7.a werden in den zweiwertigen Lagern A und B
jeweils horizontale und vertikale Kräfte eingetragen. Mit den Gleichgewichtsbedingungen
(5.25) am Gesamtsystem berechnen wir zunächst die vertikalen Lagerkräfte:

B : AV 2a − F 5a − M̄ = 0 =⇒ AV = 21 (F 5a + F a) = 3F
↑: AV + BV − F = 0 =⇒ BV = F − AV = −2F.
_
a) M b) c)
F
1 2a
F
E
.
2a S2 b Gr Cr
2 Schnitte
G a Ct
D C 2 D G Gt 3 C
4 a a 4 a
AH A 3 AH A 3 2
B
AV a BH B a BH
3a a a 2 AV 2
BV a BV
Abb. 11.7 Freikörperbilder
Wir trennen in Abb. 11.7.c den Stab 4 und erhalten aus einer Momentenbedingung bzgl. C:
 a BV
C : BV − BH a =⇒ BH = = −F.
2 2
Damit folgt für das Gesamtsystem
→: AH − BH = 0 =⇒ AH = BH = −F.
In Abb. 11.7.b schneiden wir den Stab 3 frei. Aus einer Momentenbedingung mit dem
Bezugspunkt G und dem Hebelarm b ≈ 0, 505a, den wir zeichnerisch ermitteln, folgt:
 
 1 3
3
G: S2 b + AV a − AH 2 a =⇒ S2 = AH a − AV a = −8, 91F.
b 2 
290 11 Werkzeuge und Maschinen

11.4 Kraft- und Wegübertragung in Hebeln

Ein Hebel ist ein starrer Körper, der in der Ebene um einen Punkt drehbar gelagert ist und
somit verschieblich ist. Infolge der Wirkung von beliebigen Kraftsystemen ist er im Allge-
meinen nicht im Gleichgewicht. Wie in Beispiel 11.1 kann Gleichgewicht durch zusätzliche
Haltekraftgrößen erzielt werden. Als weiteres Beispiel betrachten wir in Abb. 11.8.a1 das
Öffnen einer Flasche, wobei ein Löffel auf einem Zeigefinger gelagert wird. Durch Ideali-
sierung entsteht das statisch bestimmte System in Abb. 11.8.a2. Wir bezeichnen die aufge-
brachte Kraft als Lastkraft FL . Durch einen Freischnitt am linken Lager wird die Haltekraft
FH des verschieblichen Hebels in Abb. 11.8.a3 sichtbar. Für die Untersuchung der Kine-
matik erkennen wir nach Regel B3 in (7.10) den Drehpunkt des Hebels G sofort als Momen-
tanpol (M ). Einer infiniten Verschiebung duL (kurz: Weg) des Punktes L auf der Lastseite
ist eine infinite Verschiebung duH des Punktes H auf der Halteseite zugeordnet. Der Hebel
dient damit neben der Kraftübertragung auch der Wegübertragung. Die Wirkungsweise von

a1) a2) a3)

FL FH FL
G (M) dϕ
H L
duH = d ϕ a
du L = dϕ b
a b a b

b1) b2) FL b3) FL


G H (M) duH = dϕ b
L

FH
duL= d ϕ b

c1) c2) FL c3) FL

L _
duL
du H= d ϕ rH duL= d ϕ r L
rL
_
H duH dϕ

G FH
rH dϕ G=(M)_
_ rL
rH

Abb. 11.8. Hebelarten: a) Zweiarmiger Hebel, b) einarmiger Hebel, c) Winkelhebel. Die Zahlen 1,2,3 kennzeich-
nen jeweils 1. das reale System, 2. das statisch bestimmte System mit der Lastkraft FL und 3. den verschieblichen
Hebel mit der Lastkraft FL und der Haltekraft FH sowie Polplan und Verschiebungsfigur.
11.4 Kraft- und Wegübertragung in Hebeln 291

Hebeln wird bei Werkzeugen des täglichen Gebrauchs, wie z.B. Brechstangen, Schrauben-
schlüsseln, Scheren, Zangen ebenso wie bei technischen Systemen, z.B. Kupplungspedale,
Bremsgestänge, rotierende Teile wie Riemenscheiben und Zahnräder ausgenutzt.
Den Hebel in Abb. 11.8.a3 bezeichnen wir als zweiarmig. Sind die Hebellängen a und b
auf der Last- und der Halteseite gleich, entsteht der gleicharmige andernfalls der ungleich-
armige Hebel. Hier haben Last- und Haltekraft FL und FH die gleiche Richtung, während die
zugehörigen Wege ihrer Kraftangriffspunkte duL und duH entgegengesetzt gerichtet sind.
Beim geraden einarmigen Hebel in Abb. 11.8.b sind die Verhältnisse umgekehrt. Bei dem
Winkelhebel in Abb. 11.8.c ist der Körper nicht gerade ausgebildet. Die Abhängigkeiten von
Kraft- und Weggrößen sind von der Geometrie im jeweiligen Einzelfall abhängig.
Wesentlich für die Wirkung von Hebeln sind die Verhältnisse von Kraft und Weg (FL ,
duL ) auf der Lastseite zu den Größen (FH , duH ) auf der Halteseite. Dazu verwenden wir die

Definition Übertragungsfaktoren für


F duH (11.7)
1. Kräfte iF = H , 2. Wege iV = .
FL duL

Für iF > 1 bzw. iV > 1 hat man einen Kraft- bzw. Weggewinn und für iF < 1 bzw. iV < 1
einen Kraft- bzw. Wegverlust.
Wir wollen die Übertragungsfaktoren in den Gleichungen (11.7) für den Winkelhebel in
Abb. 11.8.c3 ermitteln: Zur Berechnung der Kraftübertragung iF formulieren wir die Mo-
mentengleichgewichtsbedingung (5.25.3) mit dem Bezugspunkt G und erhalten:

G: FL r̄L − FH r̄H = 0 =⇒ FL r̄L = FH r̄H , (11.8)

wobei die Hebelarme r̄L und r̄H nach Regel (5.18.1) die kürzesten Abstände der Wirkungs-
linien der Kräfte FL und FH vom Bezugspunkt G sind. Die Kinematik des verschieblichen
Systems wird mit dem Polplan untersucht. Mit dem Momentanpol (M ) und dem Ver-
drehwinkel dϕ erhält man aus der kinematischen Grundregel (7.4.2)

duL du
duL = dϕrL , duH = dϕrH =⇒ dϕ = = H. (11.9)
rL rH

Nach Regel (7.4.4) sind die Wege duL bzw. duH senkrecht zu den Abständen rL bzw. rH
der Punkte L bzw. H vom Momentanpol (M ). Aus den Ergebnissen (11.8) und (11.9) erhält
man für die Übertragungsfaktoren in den Gleichungen (11.7)
F r̄ du r
1. iF = H = L 2. iV = H = H . (11.10)
FL r̄H duL rL

Für den zweiarmigen Hebel in Abb. 11.8.a gilt wegen r̄L = rL = b und r̄H = rH = a
FH b duH a 1
1. iF = = 2. iV = = = . (11.11)
FL a duL b iF
Diese Beziehungen erlauben einige Interpretationen: Aus den Gleichungen (11.11) erhält
man z.B. FH duH =FL duL , was bereits in der Antike bekannt war als
292 11 Werkzeuge und Maschinen

„Die goldene Regel der Mechanik” (11.12)


„Kraft mal Kraftweg = Last mal Lastweg”.

Aus (11.11) erkennen wir auch, dass die Übertragungsfaktoren iF und iV nur für a
= b
ungleich Eins sind, d.h.: Nur ungleicharmige Hebel können Kräfte und Wege wandeln. Durch
Umstellen von Gl.(11.11.1) folgt außerdem das Hebelgesetz von Archimedes FH a = FL b.
Wir gehen noch der Frage nach, ob eine zu Gl.(11.11.2) ähnliche Beziehung iV = 1/iF
für den Winkelhebel in Abb. 11.8.c gilt. Dazu definieren wir in Ergänzung zu Gl.(11.7.2) den

Übertragungsfaktor für Last-Wege dūH (11.13)


īV = .
dūL

Hierbei sind die Last-Wege dūL und dūH die Verschiebungen der Punkte L und H in Rich-
tung der Wirkungslinien von FL und FH . Für den Winkelhebel in Abb. 11.8.c3 werden sie
nach Regel A5 in (7.9) mit dem Winkel dϕ und den kürzesten Abständen r̄L und r̄H vom
Pol (M ) zu den Wirkungslinien von FL und FH berechnet:
dū r̄ 1
1. dūL = dϕr̄L 2. dūH = dϕr̄H =⇒ 3. īV = H = H = . (11.14)
dūL r̄L iF
Der Zusammenhang zwischen īV und iF in Gl.(11.14.3), der für jedes einfach verschiebliche
Werkzeug oder jede einfach verschiebliche Maschine gilt, führt auf

Das Kraft-Weg-Prinzip
Bei einem verschieblichen System mit einem Freiheitsgrad (f = 1) ist der (11.15)
Kraftgewinn invers zum Last-Wegverlust (und umgekehrt).

Bemerkungen 11.3
1. Die Berechnung des Übertragungsfaktors iF für Kräfte in Gl.(11.7.1) geschieht stets auf
der Grundlage der Gleichgewichtsbedingungen. Die Berechnung der Übertragungsfak-
toren für Wege iV in Gl.(11.7.2) sowie īV in Gl.(11.13) geschieht auf der Grundlage des
Polplans. Voraussetzung dafür ist eine Verschieblichkeit des Systems mit f = 1.
2. Sind bei einem Hebel die Übertragungsfaktoren in (11.7) für Kräfte bzw. Wege ungleich
Eins, bezeichnen wir ihn auch Kraft- bzw. Wegwandler (oder: Kraft- bzw. Wegüberset-
zer).
3. Bezieht man die differenziellen Last-Wege dūH und dūL in den Gleichungen (11.13) auf
eine differenzielle Zeit dt, dann definiert dieses die Geschwindigkeiten der Punkte L und
H in Richtung der Wirkungslinien der Kräfte FL und FH , vgl. z.B. [21]:
dū dū v dū /dt dū 1
1. vL = H 2. vH = L =⇒ 3. H = H = H = īV = . (11.16)
dt dt vL dūL /dt dūL iF
Das Kraft-Weg-Prinzip (11.15) geht somit in ein Kraft-Geschwindigkeitsprinzip über:
Bei einem verschieblichen System mit einem Freiheitsgrad ist der Kraftgewinn invers
zum Last-Geschwindigkeitsverlust (und umgekehrt).
4. Das Prinzip (11.15), welches nur für zwei Kräfte FL und FH formuliert ist, kann zu
einem allgemeingültigen Prinzip für verschiebliche Systeme erweitert werden. Dieses ist
das Prinzip der virtuellen Arbeit in Abschnitt 14.2.
11.4 Kraft- und Wegübertragung in Hebeln 293

 Beispiel 11.3 Kraft- und Wegübertragung in einem Nussknacker


Eine Nuss wird mit einem Nussknacker zusammengedrückt. Dabei werden Lastkraft FL und
Haltekraft FH in Abb. 11.9 als vertikal gerichtet angenommen. Bestimmen Sie die Übertra-
gungsfaktoren nach (11.7) für Kräfte und Wege sowie nach (11.13) für die Last-Wege.
Bekannt: a, FL .
Vorüberlegungen: Der Übertragungsfaktor für FL
die Kräfte nach (11.7.1) wird mit Hilfe der Mo-
mentengleichgewichtsbedingung (5.25.3) be- FH L
rechnet. Die Übertragungsfaktoren für die Wege G H 2a
nach (11.7.2) sowie (11.13) erhält man mit 2a
Hilfe des Polplanes. Bei der Erstellung eines FH
statischen Systems ist aus Symmetriegründen 4a 8a FL
die Berücksichtigung des oberen Hebels ausrei-
chend, den wir im Punkt G gelenkig lagern. Abb. 11.9 Nussknacker
Lösungen: 1. Momentengleichgewicht für das
FL
statische System in Abb. 11.10 bzgl. des Ge- rL
lenkes G liefert:
rH dϕ L
G=(M) H

G: FL 12a − FH 4a = 0 =⇒ FH = FL 3. 2a
FH 2a
Damit gilt für den Kraftübertragungsfaktor nach 4a
_ 8a
=rH _
(11.7.1): iF = FH /FL = 3. rL
2. Zur Ermittlung einer Verschiebungsfigur wird H FL
der obere Stab (gedanklich) im Gelenkpunkt G L
_
gelagert. Damit liegt nach Regel B3 in (7.10) duH duH = dϕ rH
_
der Pol (M ) in G. Zweifache Anwendung von duL duL= dϕ rL
√ von L und H liefert
Regel (7.4) auf die Punkte FH
mit den Abständen rL = 122 + 22 a = 12, 17a
und rH = 4 · 12.17a/12 = 4, 06a:
Abb. 11.10 Statisches System und Verschiebungs-
figur, Details für die Punkte L und H

duH 4, 06a
duL = rL dϕ = 12, 17a dϕ, duH = rH dϕ = 4, 06a dϕ =⇒ iV = = ≈ 0, 33.
duL 12, 17a
Für den Last-Weg-Übertragungsfaktor nach Gl.(11.13) benötigen wir die Verschiebungen
dūL und dūH in Richtung der Kräfte FL und FH . Dazu wenden wir Regel A5 in (7.9)
zweimal an und erhalten mit dem Winkel dϕ und den kürzesten Abständen r̄L = 12a und
r̄H = 4a vom Pol (M ) zu den Wirkungslinien von FL und FH :
dū 4a 1 1
dūL = r̄L dϕ = 12a dϕ, dūH = r̄H dϕ = 4a dϕ =⇒ īV = H = = = .
dūL 12a 3 iF
Der Unterschied zwischen īV und iV ist hier also unwesentlich. Die auf die Nuss wirkende
Kraft FH ist dreimal so groß wie die aufgebrachte Kraft FL („dreifacher Kraftgewinn”),
während der Weg duH , etwa bei Versagen der Nuss, dreimal so klein wie duL ist. 
294 11 Werkzeuge und Maschinen

 Beispiel 11.4 Kraft- und Wegübertragung in einer Rohrzange

Ein Rohr wird mit einer Zange wie in Abb. 11.11.a dargestellt zusammengedrückt. Mit der
vertikalen Lastkraft FL an den Griffen entsteht im Rohr eine vertikale Haltekraft FH .
1. Überprüfen Sie die kinematische Bestimmtheit des statischen Systems in Abb. 11.11.b.
2. Bestimmen Sie den Übertragungsfaktor iF nach Gl.(11.7.1) für Kräfte.
3. Bestimmen Sie die Übertragungsfaktoren iV nach Gl.(11.7.2) für Wege sowie īV nach
Gl.(11.13) für Last-Wege.
Bekannt: a, FL .

FL FL
a) b)

4
D A a L
A a
D
a 3 a
C C 2 5
B
1 B
FL a 3a a a FL a 3a a a

Abb. 11.11 Rohrzange: a) Reales System, b) statisches Ersatzsystem

Vorüberlegungen: Da das System äußerlich nicht gelagert ist, wird hier nur die innere kine-
matische Bestimmtheit nach Gl.(11.4.1) für das statische Ersatzsystem in Abb. 11.11.b un-
tersucht. Die Überprüfung der hinreichenden Bedingung wird zweckmäßig mit den Regeln
(10.7) und (9.7) – also ohne Polplan – durchgeführt. Zur Bestimmung der Übertragungs-
faktoren wird das System durch Wegnahme des Stabes 5 verschieblich gemacht. Für den
Übertragungsfaktor iF im Aufgabenteil 2 benötigen wir die Haltekraft FH im Ersatzstab 5.
Dazu verwenden wir die Gleichgewichtsbedingungen (5.25), wobei die Momentenbedingun-
gen so formuliert werden, dass keine unbekannten Gelenkkräfte berechnet werden müssen.
Zur Berechnung der Übertragungsfaktoren für die Verschiebungen kann auf die Ermittlung
des Polplanes für das verschiebliche System nicht verzichtet werden.
Lösungen: 1. Für den Grad der inneren kinematischen Bestimmtheit für mehrteilige Systeme
nach Gl.(11.4.1) erhält man für das statische System in Abb. 11.11.b
n = 5, z = 12 =⇒ fin = 3 · 5 − (3 + 12) = 0.
Damit ist die notwendige Bedingung f = 0 in Gl.(11.3.1) erfüllt. Zur Überprüfung der hin-
reichenden Bedingung gehen wir ohne Verwendung des Polplanes vor: Die Stäbe 1, 2 und
5 sind mit drei Gelenken verbunden und bilden nach Regel (10.7.1) einen starren Körper.
Dieser bildet mit den Stäben 3 und 4 ebenfalls einen Körper mit drei Gelenken, der nach
Regel (10.7.1) starr ist. Damit ist das Gesamtsystem innerlich unverschieblich.
2. Zur Berechnung der Haltekraft FH erfolgt in Abb. 11.12 ein Freischnitt für die Stäbe 1
bis 4. In den Punkten A und B werden die Gelenkkräfte AH , AV sowie BH , BV eingeführt.
11.4 Kraft- und Wegübertragung in Hebeln 295

Für den Stab 3 führen wir die Kräfte SH , SV ein. Da es sich um einen Pendelstab handelt,
muss deren Resultierende S in Richtung der Stabachse verlaufen. Mit den Gleichgewichts-
bedingungen (5.25) folgt:
FL
Stab 4: 4
 L
A: FL 5a − SV a = 0 A
H
a
=⇒ SV = 5 FL D
3 2 FH a
C 1 FH
Stab 1: B
 FL a a a
B : FL 5a − SV 4a + FH a = 0 3a
1 FL
=⇒ FH = (SV 4a − FL 5a)
a 4
= 15FL . L a
AV
SH AH AH
Damit gilt für den Kraftübertra- SV 2 FH
S SH AV a
gungsfaktor in Gl.(11.7.1) SV
3 S BH
F SH C BV
iF = H = 15, SV
FL S SH BV
SV S 1 B B H FH
d.h. man erzielt einen 15-fachen
Kraftgewinn. FL
a 3a a a

Abb. 11.12 Freikörperbilder

3. Zur Berechnung des Halteweges duH erstellen wir zunächst einen Polplan für das statische
System in Abb. 11.13, bei dem der Stab 5 entfernt ist. Für den Grad der inneren kinemati-
schen Bestimmtheit nach Gl.(11.4) erhält man

n = 4, z = 8 =⇒ fin = 3 · 4 − (3 + 8) = 1,
d.h. das System ist nach dem Kriterium (11.2) einfach kinematisch verschieblich. Für die
weiteren Untersuchungen zur Kinematik halten wir den Stab 1 gedanklich fest. Da so auch
die Gelenke B und C fest sind, sind
nach Regel B3 in (7.10) die Pole (2)
GO(4)1
und (3) bekannt. Nach Regel C1 in 4
(7.12) können damit die Nebenpole GO(4)2
(4)
(2, 4) und (3, 4) angegeben werden. D A b
Nach Regel C2 sind die Verbindungs- 3 (3,4) (2,4) a
C 2
linien (2), (2, 4) und (3), (3, 4) ge- (2)
ometrische Orte GO(4)1 und GO(4)2 . (3) 1 B
Deren Schnittpunkt liefert nach Regel a 3a a a
B5 in (7.10) den Momentanpol (4). Auf
Grund der Ähnlichkeit der Dreiecke C, Abb. 11.13 Polplan
B, (4) und D, A, (4) erhält man den
Abstand b = a/3.
296 11 Werkzeuge und Maschinen

Mit dem so erhaltenen Pol- L


plan wird in Abb. 11.14 _ (4)
die Verschiebungsfigur er- duL duL dϕ4 _
mittelt. Dazu verwenden
D A dϕ4 duH b
3 duA 2 duH
wir einen Zusammenhang a
zwischen den Verdrehun- dϕ 2 dϕ2
gen dϕ4 und dϕ2 der 1 (2) B rH
Stäbe 1 und 4 über die rL
Verschiebung des Punktes _
_ rH = a
A. Die zweifache Anwen- rL = 5a
dung der kinematischen
Grundregel (7.4.2) liefert
Abb. 11.14 Verschiebungsfigur

b 1
duA = dϕ4 b = dϕ2 a =⇒ dϕ2 = dϕ4 = dϕ4 .
a 3
Die zweifache Anwendung von Gl.(7.4.2) auf die Punkte L und H liefert
1
duL = dϕ4 rL , duH = dϕ2 rH = dϕ4 rH .
3
 √
Mit den Abständen rL = (5a)2 + (a − b)2 = 5, 04 a und rH = a2 + a2 = 1, 41 a folgt
die Wegübertragung in Gl.(11.7.2) zu
duH 1 1 1 1
iV = = rH = 1, 41a = 0, 093.
duL 3 rL 3 5, 04 a

4. Für den Last-Weg Übertragungsfaktor in Gl.(11.7) benötigen wir die Verschiebungen


dūL und dūH in Richtung der Kräfte FL und FH . Dazu verwenden wir Regel A5 in (7.9)
und erhalten mit dem Winkel dϕ4 und dem kürzesten Abstand r̄L = 5a vom Pol (4) zur
Wirkungslinie von FL

dūL = r̄L dϕ4 = 5adϕ4 .

Die Verschiebung dūH in Richtung der Haltekraft FH erhält man nach Regel A5 in (7.9) mit
dem kürzesten Abstand r̄H = a vom Pol (2) zur Wirkungslinie von FH :
1
dūH = r̄H dϕ2 = adϕ4 .
3
Damit folgt die Weg-Last-Übertragung zu

dūH 1 1 1 1
īV = = a dϕ4 = = .
dūL 3 5a dϕ4 15 iF

Der Zusammenhang in Gl.(11.14.3) und das Kraft-Weg-Prinzip (11.15), welche beide nur
für den einteiligen Winkel hergeleitet worden sind, gelten somit auch für die hier untersuchte
mehrteilige Rohrzange. 
11.5 Momenten- und Drehwinkelübertragungen in Getrieben 297

11.5 Momenten- und Drehwinkelübertragungen in Getrieben


Viele Maschinen oder Maschinenele-
mente sind, wie das 5-Gang-
Handschaltgetriebe in Abb. 11.15,
durch Kreisbewegungen gekenn-
zeichnet. Analog zu den Definitionen
(11.7) für Kräfte und Verschiebungen
werden daher Übertragungsfakto-
ren für Momente und Drehwinkel
als wichtige Kenngrößen einge-
führt. Dazu behandeln wir zunächst
ruhende und anschließend gleichför- Quelle: Lehrstuhl für Konstruktions- und Antriebstechnik, Universität Paderborn

mig bewegte Systeme. Abb. 11.15. 5-Gang-Handschaltgetriebe

11.5.1 Übertragungsfaktoren in ruhenden Systemen

In Abb. 11.16.a sind zwei Wellen mit je einem einarmigen Hebel versehen. Infolge der Ge-
wichtskraft FL wirkt auf die Welle L ein Moment ML = FL rT , das wir als Lastmoment
bezeichnen. Das an der Welle H wirkende Moment MH ist nach Definition (11.6) ein un-
bekanntes Haltemoment für Gleichgewicht. Mit der Kontaktkraft K in Abb. 11.16.a2 zwi-
schen den beiden Hebelenden folgt aus den Momentenbedingungen für beide Wellen:

FL ML
a1) a2)
L
K
MH MH
rL
rH L H K
rT
H Verdrehungen rT rH rL

(MH) duK (ML )


dϕH dϕ L
FL
b1) b2)
H K L

MH duK FL M
L

dϕ H dϕ L

K
rT
rH rL

Abb. 11.16. Zwei Wellen zum Halten einer Gewichtskraft FL mit zwei a) einarmigen Hebeln, b) Zahnrädern.
Die Abbildungen a1, b1 bzw. a2, b2 zeigen reale Systeme bzw. statische Ersatzsysteme.
298 11 Werkzeuge und Maschinen
r
1. MH = KrH 2. ML = KrL =⇒ 3. MH = ML H . (11.17)
rL
Hierbei ist die dritte Beziehung durch Eliminieren von K in den ersten beiden Gleichungen
entstanden. Aus Gl.(11.17.3) folgt: Ein Moment ML wird in ein Moment MH gewandelt,
indem man die dazugehörenden Hebelarme in das Verhältnis rH /rL zueinander setzt.
Zur Untersuchung der Kinematik in Abb. 11.16.a2 beachten wir, dass die Momentanpole
(MH ) und (ML ) der beiden Hebel auf den jeweiligen Wellenachsen liegen. Wir nehmen
einen Drehwinkel dϕH der Welle H an, so dass eine Verschiebung duK des Kontaktpunktes
K entsteht. Damit verdreht sich die Welle L mit dem Winkel dϕL . Zweifache Anwendung
der kinematischen Grundregel (7.4.2) auf den Punkt K liefert mit den Abständen rH und rL :
r
1. duK = dϕH rH 2. duK = dϕL rL =⇒ 3. dϕH = dϕL L . (11.18)
rH
Aus Gl.(11.18.3) folgt: Ein Drehwinkel dϕL wird in einen Drehwinkel dϕH gewandelt, in-
dem man die dazugehörenden Hebelarme in das Verhältnis rL /rH zueinander setzt.
Zur Kennzeichung der Drehwirkung von zwei Hebeln verwenden wir die

Definition Übertragungsfaktoren für


M dϕH (11.19)
1. Momente iM = H 2. Drehwinkel iϕ = .
ML dϕL

Aus Gl.(11.17) und Gl.(11.18) folgt für das Beispiel mit zwei Wellen in Abb. 11.16.a
MH r dϕH r 1
1. iM = = H 2. iϕ = = L = , (11.20)
ML rL dϕL rH iM
d.h. die Übertragungsfaktoren für Momente und Drehwinkel sind invers zueinander.
Mit der Anordnung der Hebel in Abb. 11.16.a sind Momenten- und Winkelübertragung
nur in der dargestellten Lage der Hebel möglich. Ersetzt man beide Hebel wie in Abb. 11.16.b
durch Zahnräder, gelingt die Übertragung in jeder beliebigen Stellung der Wellen mit einem
Getriebe. Wie wir in Abschnitt 11.7 noch zeigen werden, entsprechen die Tangentialkräfte
der Zahnkräfte den Kontaktkräften K in Abb. 11.16.b2, und es treten Radialkräfte auf, die
bei der Auslegung der Zahnräder zu berücksichtigen sind. Die Gleichungen (11.17) und
(11.18) und somit auch die Gleichungen (11.20) behalten jedoch ihre Gültigkeit. Damit gilt
in Ergänzung zum Kraft-Weg-Prinzip (11.15)

Das Momenten-Drehwinkel-Prinzip
Bei einem drehbar gelagerten System mit einem Freiheitsgrad (f = 1) ist der (11.21)
Momentengewinn invers zum Drehwinkelverlust (und umgekehrt).

Bemerkungen 11.4
1. Die Berechnung des Übertragungsverhältnisses iM für Momente in Gl.(11.19.1) geschieht
auf der Grundlage von Gleichgewichtsbedingungen. Die Berechnung des Übertragungs-
verhältnisses iϕ für Drehwinkel in Gl.(11.19.2) geschieht auf der Grundlage des Polplans.
Voraussetzung dafür ist ein Drehfreiheitsgrad f = 1 des Systems.
11.5 Momenten- und Drehwinkelübertragungen in Getrieben 299

2. Die Berechnung von Übertragungsfaktoren kann auch auf verschiebliche Systeme mit
f > 1 verallgemeinert werden, was jedoch nicht Thema dieses Buches ist.
3. Das Prinzip (11.21) für Momente und Drehwinkel kann in Kombination mit dem Prinzip
(11.15) für Kräfte und Wege zum Prinzip der virtuellen Arbeit in Abschnitt 14.2 für
mehrteilige Systeme mit beliebigen Belastungen erweitert werden.

11.5.2 Momentenwandlung, Drehzahl und Übersetzung in bewegten Systemen


Die bisherigen Herleitungen
dieses Kapitels gehen von Gleich-
gewichtsbetrachtungen für ruhende
Körper aus. Wir können sie zur
Berechnung von Momentenwand-
lung und Drehzahlübersetzung für
rotierende Wellen übernehmen, wenn
wir gleichförmige Drehbewegungen
mit konstanter Anzahl der Drehungen
pro Zeiteinheit voraussetzen, vgl. Abb. 11.17 Getriebe mit konstanter Drehzahl
Bemerkung 3.1.7 und Anhang B. Für
beschleunigte Bewegungen, z.B. während der Anlauf- oder der Abschaltphase von Getrieben,
müssen dagegen weitere Gesetze der Dynamik berücksichtigt werden, siehe z.B. [21].
Im Maschinenbau bezeichnet man die „aktive” Welle als Antriebswelle und die „passive”
Welle als Abtriebswelle (oder: getriebene Welle), siehe z.B. [16, 35]. Um die in diesem Kapi-
tel bisher gefundenen Formeln weiter nutzen zu können, treffen wir folgende

Vereinbarung Antriebseite ≡ Lastseite


Abtriebseite ≡ Halteseite. (11.22)

Das Antriebsmoment des Motors in Abb. 11.17 wird also mit ML und das Abtriebsmoment
mit MH bezeichnet. Für iM = MH /ML > 1 erzielt man einen Momentengewinn, und für
iM < 1 liegt ein Momentenverlust vor.
Nach der Vereinbarung (11.22) bezeichnen wir die zur Antrieb- und Abtriebswelle gehö-
renden Drehwinkeldifferenziale mit dϕL und dϕH . Bezieht man beide auf eine differenzielle
Zeit dt, dann definiert dieses die Winkelgeschwindigkeiten der beiden Wellen und man erhält:
dϕL dϕH ωH dϕH /dt dϕH 1
1. ωL = 2. ωH = =⇒ 3. = = = iϕ = . (11.23)
dt dt ωL dϕL /dt dϕL iM
Die Winkelgeschwindigkeit ω wird in der Einheit Bogenmaß pro Sekunde [1/s] angegeben.
Nach Gl.(11.23.3), in der die Definitionen (11.19) berücksichtigt sind, geht das Momenten-
Drehwinkel-Prinzip (11.21) in ein Momenten-Winkelgeschwindigkeitsprinzip über: Bei ei-
nem drehbar gelagerten System mit einem Drehfreiheitsgrad ist der Momentengewinn invers
zum Winkelgeschwindigkeitsverlust (und umgekehrt).
In der Technik wird anstatt der Winkelgeschwindigkeit, die in der Physik üblich ist, die
Drehzahl n für die Anzahl der Umdrehungen pro Minute angegeben. Dabei entsprechen n
Umdrehungen pro Minute dem Winkel n · 2π. Der Zusammenhang lautet, siehe z.B. [21]:
300 11 Werkzeuge und Maschinen
60 s
1. n = ω · 2. [n] = min−1 3. [ω] = 1/s. (11.24)

Anstatt (11.19) verwenden wir mit Berücksichtigung von Gl.(11.24.1) und Gl.(11.23.3) die

Definition Übertragungsfaktoren für gleichförmig bewegte Getriebe


M nH ωH 1 (11.25)
1. Momente iM = H 2. Drehzahlen in = = = iϕ = .
ML nL ωL iM

Bemerkungen 11.5
1. Wie in den Gleichungen (11.20) gilt für zwei Räder auf zwei Wellen in Abb. 11.16.a
MH r nH ωH dϕH r 1
1. iM = = H 2. in = = = = L = , (11.26)
ML rL nL ωL dϕL rH iM
d.h. die Übertragungsfaktoren für Momente und Drehwinkel sind invers zueinander. Für
iM > 1 erfolgt die Momentenwandlung als Gewinn, wobei gleichzeitig die Drehzahl
verringert wird. Für iM < 1 erfolgt die Momentenwandlung als Verlust, wobei gleich-
zeitig die Drehzahl erhöht wird.
2. Im Maschinenbau wird das Verhältnis der Drehzahlen von Antriebs- und Abtriebsrad als
Übersetzung i bezeichnet. Zu den Übertragungsfaktoren in (11.25) besteht die Beziehung
nAntrieb nL 1
i= = = = iM . (11.27)
nAbtrieb nH in
Mit dieser Bezeichnung gilt: Für i > 1 erfolgt eine Übersetzung ins Langsame, für i < 1
eine Übersetzung ins Schnelle, siehe z.B. [16, 35].

 Beispiel 11.5 Getriebe mit zwei Wellen

Eine Antriebswelle mit Radius rL wird von einem Motor mit einem Moment ML
angetrieben. Die Drehzahl ist nL .
1. Wie groß muss der Radius rH der Abtriebswelle sein, damit deren Übertragungsmoment
MH ist?
2. Wie groß ist dann die Drehzahl nH der getriebenen Welle?
Bekannt: rL = 12 cm, ML = 200 Nm, MH = 400 Nm, nL = 500 min−1 .
Vorüberlegungen: Der gesuchte Radius rH für Aufgabe 1 wird durch Umstellen von
Gl.(11.20.1) erhalten. Die gesuchte Drehzahl für Aufgabe 2 erhält man durch Umstellen von
Gl.(11.25) und nochmalige Verwendung von Gl.(11.20.1).
Lösungen: 1. Durch Umstellen von Gl.(11.20.1) nach dem gesuchten Radius rH erhält man

MH rL 400 Nm · 12 cm
rH = = = 24 cm.
ML 200 Nm
2. Durch Multiplikation von Gl.(11.25) mit nL und Verwendung von Gl.(11.20.1) folgt
1 ML 200 Nm
nH = nL = nL = 500 min−1 = 250 min−1 . 
iM MH 400 Nm
11.5 Momenten- und Drehwinkelübertragungen in Getrieben 301

 Beispiel 11.6 Übertragungsfaktoren in einer Handwinde

Eine Handwinde besteht wie darge-


stellt aus den Wellen 1 und 2, deren
Nahtstelle der Zahnradtrieb ist. An der
Kurbel wird eine Handkraft FK ein-
geleitet. Berechnen Sie
1. die Gewichtskraft G für eine
gleichförmige Bewegung
2. die Kraft- und Momentenübertra-
gungsfaktoren
3. die Weg- und Drehwinkelübertra-
gungsfaktoren.
4. Wie groß ist die Drehzahl n2 von
Welle 2, wenn Welle 1 die Dreh- Abb. 11.18 Handwinde
zahl n1 hat?
Bekannt: Handkraft FK = 250 N, Radius der Handkurbel rK = 170 mm, Trommelradius rT
= 90 mm, Radius Rad r1 = 80 mm, Radius Trommelzahnrad r2 = 140 mm, Umdrehungen
von Welle 1: n1 = 10 min−1 .
Hinweis: Radialkräfte zwischen den Zahnrädern sollen vernachlässigt werden.
Vorüberlegungen: Da wir eine gleichförmige Bewegung voraussetzen, wird Aufgabe 1
durch Anwendung der Momentenbedingung (5.25.3) auf beide Wellen gelöst. In Aufgabe
2 legen wir zur Berechnung der Übertragungsfaktoren für Kräfte nach (11.7.1) die bekannte
Handkraft FK als Lastkraft FL und die unbekannte Gewichtskraft G als Haltekraft FH fest.
Beide Kräfte legen mit den Abständen rK und rT zu den jeweiligen Drehachsen die Momen-
te ML und MH zur Berechnung der Übertragungsfaktoren für Momente nach (11.19.1) fest.
In Aufgabe 3 werden die Übertragungsfaktoren für Wege und Drehwinkel aus der Bedingung
gleicher Verschiebungen für beide Wellen am Zahnradtrieb berechnet. Mit dem berechneten
Übertragungsfaktor iϕ erhält man die Drehzahl für Welle 2 in Aufgabe 4 nach Gl.(11.25.2).
Lösungen: 1. Aus der Momentenbedin-
gung (5.25.3) folgt für beide Wellen in FK
Abb. 11.19: K 2
1
Welle 1: rK
G MH
 rK ML
A1 : FK rK − Kr1 = 0 =⇒ K = FK A1 A2
r1
Welle 2:

A2 : GrT − Kr2 = 0 K
r2 rK r2
=⇒ G = K = FK rT
rT r1 rT r1 r2
170 mm 140 mm
= 250 N = 827, 5 N. Abb. 11.19 Freischnitt
80 mm 90 mm
302 11 Werkzeuge und Maschinen

2. Mit der Lastkraft der Welle 1 FL = FK und der Haltekraft der getriebenen Welle FH = G
folgt für den Übertragungsfaktor für Kräfte
FH G rK r2 170 mm 140 mm
iF = = = = = 3, 31.
FL FK r1 rT 80 mm 90 mm
Mit den Last- und Haltemomenten ML = FK rK und MH = GrT erhält man den Übertra-
gungsfaktor für Momente
M GrT rK r2 rT r2 140 mm
iϕ = H = = = = = 1, 75. (11.28)
ML FK rK r1 rT rK r1 80 mm
3. Mit der kinematichen Grundregel (7.4.2) folgt aus dem Polplan in Abb. 11.20 für beide
Wellen:
r1
Welle 1: duF = rK dϕ1 , duk = r1 dϕ1 =⇒ duK = duF
rK
r2
Welle 2: duG = rT dϕ2 , duk = r2 dϕ2 =⇒ duK = duG .
rT
Nach Gleichsetzen der beiden Beziehungen
für die Kontaktverschiebung duK erhält man
duF = duL FK
r1 rT
duG = duF . 1 2
rK r2
rK duK G
Mit den Wegen und Drehwinkeln duL =duF , dϕ 1 du G = duH
dϕL = dϕ1 auf der Lastseite sowie duH
= duG , dϕH = dϕ2 auf der Halteseite er- dϕ 2
hält man für die zugehörigen Übertragungs-
faktoren
duH duG r1 rT 1 rT
iV = = = = = 0, 303 r1 r2
duL duF rK r2 iF

dϕH dϕ2 r1 80 1 Abb. 11.20 Polplan und Verschiebungsfigur


iϕ = = = = = 0, 571 = .
dϕL dϕ1 r2 140 iM

4. Mit dem Ergebnis für iϕ folgt aus Gl.(11.25)

n2 = nH = iϕ nL = iϕ n1 = 0, 507 · 10 = 5, 07 min−1 .

Wegen n2 = 5, 07 min−1 < 10 min−1 = n1 liegt eine Übersetzung ins Langsame vor. 

 Beispiel 11.7 Ungleichachsiges 5-Ganggetriebe

Ein 5-Ganggetriebe besteht aus einer Antriebs- und einer Abtriebswelle mit jeweils 6 Zahnrä-
dern. Der Kraftfluss zwischen Schaltrad (Losrad) und Getriebewelle wird über eine Schalt-
muffe hergestellt, die über einen Synchronkörper drehfest mit der Getriebewelle verbunden
ist.
11.5 Momenten- und Drehwinkelübertragungen in Getrieben 303

Alle Zahnradpaarungen für die Vor-


wärtsgänge sind ständig miteinander im Z7 Z9
Z 3 Z5 Z 11
Eingriff. Dies ist nur möglich, wenn bei Antriebs- Z1 S2
welle
jeder nicht geschalteten Zahnradpaarung
ein Zahnrad als Losrad frei auf der Welle
drehbar ist. Bei dem Schaltvorgang wird MM
eine Schaltmuffe so verschoben, dass das
entsprechende Schaltrad (Losrad) drehfest
mit der Welle verbunden wird. Dabei Ma
werden die Innenklauen der Schaltmuffe Abtriebs-
welle S1 S3
über die Schaltverzahnung des Schaltrades Z2
Z4 Z 6 Z 8 Z10 Z12
geschoben, siehe z.B. [12]. Kraftfluss:
Beim 3. Gang wird die Schaltmuffe S2 1. Gang S1
nach links auf die Schaltverzahnung des
2. Gang
Schaltrades Z5 geschoben. Für den Kraft-
fluss gilt: Antriebswelle → Synchronkör- 3. Gang S2
per → Schaltmuffe S2 → Schaltverzah- 4. Gang
nung von Z5 → Zahnrad Z5 → Zahnrad 5. Gang
Z6 → Abtriebswelle. Bestimmen Sie das S3
R-Gang
Moment Ma und die Drehzahl na der Ab-
triebswelle im 3. Gang, wenn das Motor-
drehmoment MM und die Motordrehzahl Abb. 11.21 Ungleichachsiges 5-Ganggetriebe
nM betragen.
Bekannt: r5 = 20 mm, r6 = 34 mm, nM = 4000 min−1 , MM = 300 Nm.
Vorüberlegungen: Die gesuchten Größen für Moment und Drehzahl werden durch Um-
stellen der Gleichungen (11.26) erhalten.
Lösungen: Mit ML = MM , MH = Ma sowie rL = r5 , rH = r6 folgt durch Umstellen von
Gl.(11.26.1)
Ma r6 r6 34 mm
iM = = =⇒ Ma = MM = 300Nm = 510 Nm.
MM r5 r5 20 mm
Mit nL = nM , nH = na folgt durch Umstellen von Gl.(11.26.2)
na r5 r5 20 mm
in = = =⇒ na = nM = 4000 min−1 = 2352, 9 min−1 . 
nM r6 r6 34 mm

11.5.3 Übertragung von Kräfte- und Bewegungsgrößen in Radpaaren

Außer der Anordnung für das einstufige Getriebe in Abb. 11.16.b bzw. in Abb. 11.22.a gibt
es weitere Möglichkeiten, ein Radpaar auf Wellen anzuordnen. Diese sind in Abb. 11.22.b
das Wellrad auf der mittleren Welle und in Abb. 11.22.c der Riementrieb. Im Folgenden
konzentrieren wir uns auf die Bestimmung von Übertragungsfaktoren für Kräfte- und Be-
wegungsgrößen für zwei Räder k und j in den Prinzipskizzen a2, b2 und c2 in Abb. 11.22.
304 11 Werkzeuge und Maschinen

a) Einstufiges Zahnradgetriebe: Für diesen Fall wurde bereits in Gl.(11.20.1) festgestellt,


dass die von außen einwirkenden Momente Mj und Mk im Verhältnis der Radien rJ
und rk der beiden Räder gewandelt werden. Wir bezeichnen die an dem Zahnradtrieb in
Abb. 11.22.a2 auftretenden Kontaktkräfte bzw. Wege mit Fk , Fj bzw. mit duk , duj . Sie
sind auf Grund des Wechselwirkungsgesetzes (3.6) und der kinematischen Zwangsbedingung
gleich groß, so dass diese Größen nicht gewandelt werden.
b) Wellrad: Zwei Räder, die wie auf der mittleren Welle in Abb. 11.22.b1 fest verbunden
sind, stellen ein Wellrad dar. Wir bezeichnen in Abb. 11.22.b die von außen auf das Radpaar
einwirkenden Kräfte mit Fk , Fj und die zugehörigen Wege mit duk , duj . Die zwischen den
beiden Rädern in Abb. 11.22.b2 auftretenden Kontaktmomente bezeichnen wir mit Mk , Mj .
Sie sind auf Grund des Wechselwirkungsgesetzes gleich groß, so dass sie nicht gewandelt
werden. Für das Radpaar folgt aus der Momentengleichgewichtsbedingung (5.25.3) mit dem
Bezugspunkt A

a1) a2) j K=Fk k

Mj duK Mk

dϕ j dϕ k

K=F j
rj rk

b1) b2)
j
Mj
Fj F
Mk rk k

duj du k
A
k rk

c1) c2)
duk = du
Fj =S Fk =S .
duj = du k
k . rk
j
Mj rj dϕ k
j dϕj Mk
Aj Ak
Mk
Mj

Abb. 11.22. Anordnung von Radpaaren: a) Einstufiges Zahnradgetriebe, b) Wellrad, c) Riementrieb. Die Abbil-
dungen 1 bzw. 2 zeigen reale Systeme bzw. Prinzipskizzen mit Kräften und Verschiebungsfiguren.
11.5 Momenten- und Drehwinkelübertragungen in Getrieben 305
 rj
A: Fj rj − Fk rk = 0 =⇒ Fj rj = Fk rj =⇒ Fk = Fj , Mj = Mk . (11.29)
rk
Damit sind die Kräfte Fj und Fk unterschiedlich, so dass ein Wellrad ein Kraftwandler ist.
Dagegen wird das Moment nicht gewandelt. Zur Untersuchung der Kinematik beachten wir,
dass auf Grund der festen Verbindung der beiden Räder die Drehwinkel beider Räder gleich
sind: dϕj = dϕk = dϕ. Nach zweifacher Anwendung von Regel (7.4.2) folgt somit
r
duj = dϕj rj , duk = dϕk rk , dϕj = dϕk = dϕ =⇒ duk = duj k , (11.30)
rj
d.h. ein Wellrad wandelt auch Wege, was auf Grund der festen Verbindung der beiden Räder
für Verdrehungen nicht zutrifft.
c) Riementrieb: In Abb. 11.22.c1 sind zwei Räder über einen Riemen verbunden. Wir
nehmen an, dass Rad j mit einem linksdrehenden Moment Mj belastet wird, so dass in dem
oberen Seilabschnitt die Seilkraft S entsteht. Wegen Fj = Fk = S wird die zwischen den
Rädern auftretende Kraft nicht gewandelt. Die Seilkraft in dem unteren Seilabschnitt bleibt
in diesem einfachen Modell unberücksichtigt. Aus der Momentengleichgewichtsbedingung
(5.25.3) bzgl. der Punkte Aj und Ak folgt also
  r
Aj : Mj −Fj rj = 0, Ak : Mk −Fk rk = 0, Fj = Fk = S =⇒ Mk = Mj k . (11.31)
rj
Für rk
= rj sind die Momente Mj und Mk unterschiedlich, so dass das Riemenrad ein
Momentenwandler ist. Zur Untersuchung der Kinematik beachten wir, dass mit der Annahme
eines dehnstarren Seiles Last- und Halteweg gleich sind: duj = duk = du. Die zweifache
Anwendung von Regel (7.4.2) liefert
rj
duj = dϕj rj , duk = dϕk rk , duj = duk = du =⇒ dϕk = dϕj , (11.32)
rk
d.h. beim Riemenrad werden Verdrehungen jedoch keine Wege gewandelt.
Zwecks Zusammenfassung der Ergebnisse für die drei Radpaare in Abb. 11.22 definieren
wir einen Übertragungsfaktor
Z
iZ = k (11.33)
Zj
für eine Zustandsgröße Z, die eine Kraft F , ein Moment M , einen Weg du, eine Ver-
drehung dϕ oder eine Drehzahl n repräsentiert. Aus den Ergebnissen (11.26) sowie (11.29)
bis (11.32) und unter Berücksichtigung, dass die Übertragungsfaktoren für Drehzahlen und
Verdrehwinkel gleich sind (in = iϕ ), erhalten wie zusammenfassend folgende

Regeln zur Wandlung von Kraft- und Bewegungsgrößen in Radpaaren


r rj
1. Einstufiges Getriebe: iF = 1, iM = k , iV = 1, in =
rj rk
rj rk
2. Wellrad: iF = , iM = 1, iV = , in = 1 (11.34)
rk rj
rk rj
3. Riementrieb: iF = 1, iM = , iV = 1, in = .
rj rk

Gemäß Gl.(11.33) sind hierbei iF = Fk /Fj , iM = Mk /Mj , iV = duk /duj und in = nk /nj
die Übertragungsfaktoren für Kräfte, Momente, Verschiebungen und Drehzahlen.
306 11 Werkzeuge und Maschinen

 Beispiel 11.8 Übertragungsfaktoren für ein Fahrrad

Die Pedale eines Fahrrades wird mit einer Tretkraft FP belastet. Berechnen Sie
1. die Kraft- und Momentenübertragungsfaktoren
2. die Verschiebungs- und Drehwinkelübertragungsfaktoren
zwischen dem Antrieb an der Pedale und dem Abtrieb zwischen Reifen und Boden.
Bekannt: Tretkraft FP = 215 N, Kurbelradius rP = 160 mm, Kettenrad rK = 80 mm, Ritzel
rR = 38 mm, Hinterrad rH = 325 mm. Zur Vereinfachung wird das statische Ersatzsystem
in Abb. 11.23.b mit festen Punkten A und B verwendet.
a) b)
Reifen Hinterrad
FP rP Kettenrad
Ritzel
rR

Tret-
rH
kurbel
rK A B
duP
R
duR R
Abb. 11.23 Fahrrad: a) Reales System, b) statisches Ersatzsystem

Vorüberlegungen: Durch Freischneiden der Kette entsteht das Freikörperbild in Abb. 11.24.a
mit der Kettenkraft K. Sie kann durch zweifache Anwendung der Momentengleichgewichts-
bedingung (5.25.3) mit den Bezugspunkten A und B eliminiert werden. Der Übertragungs-
faktor für Kräfte iF wird anschließend mit Gl.(11.7.1) ermittelt. Dabei ist FP = FL die
bekannte Lastkraft und R = FH die zunächst unbekannte Haltekraft. Zur Berechnung
des Wegübertragungsfaktors iV nach Gl.(11.7.2) ermitteln wir vorher einen Zusammenhang
zwischen den Wegen duF und duR mit Hilfe eines Polplanes.
a) b)
FP rP rP
K K duK duK
rR
rK (M)1 rK (M)2 rR
B duP
A rH dϕ1 dϕ2
rH
R
R du R
Abb. 11.24 a) Freikörperbild, b) Polplan und Verschiebungsfigur

Lösungen: 1. Mit den Momentenbedingungen (5.25.3) für Kettenrad und Hinterrad folgt:
 rP
Kettenrad: A: FP rP − KrK = 0 =⇒ K = FP
rK
 rR rP rR
Hinterrad: B : KrR − RrH = 0 =⇒ R = K = FP .
rH rK rH
11.5 Momenten- und Drehwinkelübertragungen in Getrieben 307

Mit der Festlegung für Last- und Halteseite aus den Vorüberlegungen definieren wir FL =
FP , FH = R für die Kräfte sowie ML = FP rP , MH = RrH für die Momente. Damit erhält
man folgende Ergebnisse für die Übertragungsfaktoren von Kräften und Momenten:
F R rP rR 160 · 38
iF = H = = = = 0, 234
FL FP rK rH 80 · 325
M R rH rP rR rH rR 38
iM = H = = = = = 0, 475.
ML FP rP rK rH rP rK 80
2. Mit Regel (7.4.2) folgt aus dem Polplan in Abb. 11.24.b für Kettenrad und Hinterrad:
duP rK
Kettenrad: duP = rP dϕ1 =⇒ dϕ1 = =⇒ duK = dϕ1 rK = duP
rP rP
duK rK rH
Hinterrad: duK = rR dϕ2 =⇒ dϕ2 = =⇒ duR = dϕ2 rH = duP .
rR rP rR
Mit der Festlegung für Last- und Halteseite aus den Vorüberlegungen definieren wir duL =
duP , duH = duR für die Wege, sowie dϕL = dϕ1 , dϕH = dϕ2 für die Drehwinkel. Damit
erhält man folgende Ergebnisse für die Übertragungsfaktoren von Wegen und Drehwinkeln:
duH duR rK rH 80 · 325 1
iV = = = = = 4, 27 =
duL duP rP rR 160 · 38 iF

dϕH dϕ2 duK rK rK 80 1


iϕ = = = = = = 2, 105 = .
dϕL dϕ1 rR duK rR 38 iM
Bemerkungen:
1. Beim Fahrrad wird gleichzeitig die Wirkungsweise von Wellrad und Riementrieb aus-
genutzt: Da die Tretkurbel und das mit ihr verbundene Kettenrad auf derselben Drehachse
sitzen, bilden sie ein Wellrad: Die Kraft FP wird im Verhältnis rP /rK = 160/80 = 2
vergrößert und der Weg im Verhältnis rK /rP = 80/160 = 0, 5 verkleinert. Moment und
Drehwinkel werden dagegen nicht gewandelt.
Vorderes Kettenrad und hinteres Ritzel bilden einen Riementrieb bzw. einen Ketten-
trieb: Dabei wird die Kraft K unverändert vom vorderen Kettenrad an das hintere Ritzel
übertragen. Für das Verhältnis der Momente an dem Kettenrad ML und an dem Ritzel
MH gilt iM = 0, 475, d.h. das Haltemoment MH ist fast halb so groß wie das Lastmo-
ment ML . Der Drehwinkel dϕH und damit auch die Drehgeschwindigkeit des Hinter-
rades werden mehr als verdoppelt.
Da Ritzel und Hinterrad fest verbunden sind, bilden sie wieder ein Wellrad, bei dem
Kraft und Weg gewandelt werden. Die Kraft K wird im Verhältnis rR /rH = 38/325 =
0, 117 verkleinert und der Weg im Verhältnis rH /rR = 8, 553 vergrößert.
Zusammenfassend ergibt sich durch die Kombination von zwei Wellrädern mit dem
Kettentrieb für die Kraftwandlung iF = 0, 234 und für die Wegwandlung iV = 4, 27.
Damit folgt auch, dass die Geschwindigkeit, mit der die Pedale bewegt wird, um mehr
als das vierfache „ins Schnelle” gewandelt wird.
2. Die Punkte A und B des Ersatzsystems in Abb. 11.23.b sind in der Realität nicht fest,
sondern bewegen sich. Dabei rollt der Kontaktpunkt R ohne Geschwindigkeit, siehe z.B.
[21]. Man kann zeigen, dass die Übertragungsfaktoren sich jedoch nicht ändern. 
308 11 Werkzeuge und Maschinen

11.5.4 Mehrstufige Getriebe


In mehrstufigen Getrieben sind wie in Abb. 11.25 ein oder mehrere Wellräder nacheinan-
der angeordnet. Damit können höhere Übersetzungen für Drehzahlen oder Momente, wie
z.B. in Zylindern von Kraftmotoren, erzielt werden. Ferner hat man die Möglichkeit,
Drehmomente über eine gewisse Distanz zu übertragen.
Als Beispiel betrachten wir in Abb. 11.25.a ein zweistufiges Zahnradgetriebe mit drei
Wellen. Die zugehörige Prinzipskizze ist in Abb. 11.25.b dargestellt. Die erste Welle mit
dem Zahnrad 1 wird durch ein Antriebsmoment M1 = ML angetrieben. Auf der ersten Stufe
sind die Zahnräder 2 und 3 als Wellrad fest verbunden angeordnet, und auf der zweiten Stufe
ist wieder nur ein Zahnrad 4 angeordnet. Die Radien der vier Zahnräder bezeichnen wir mit
r1 , r2 , r3 und r4 . Wir suchen das Abtriebsmoment M4 = MH der getriebenen Welle mit dem
Zahnrad 4.
Dazu bestimmen wir nach den Regeln (11.34.1) für die Momentenübertragung der ersten
Stufe: iM 1 = M2 /M1 = r2 /r1 . Nach den Regeln (11.34.2) gilt für das Wellrad iM 2 =
M3 /M2 = 1, und nochmalige Anwendung von (11.34.1) liefert in der zweiten Stufe iM 3 =
M4 /M3 = r4 /r3 . Damit ist der Gesamtübertragungsfaktor für Momente

M4 M2 M3 M4 r2 r4
iM g = = = iM 1 iM 2 iM 3 = iM 1 iM 3 = (11.35)
M1 M1 M2 M3 r1 r3
als Produkt von zwei Einzelübertragungen darstellbar. In gleicher Weise werden die Dreh-
zahlübertragungen berechnet: Für die erste Stufe gilt nach den Regeln (11.34.1) in1 = n2 /n1
= r1 /r2 , für das Wellrad gilt nach (11.34.2) in2 = n3 /n2 = 1, und nochmalige Anwendung
von (11.34.1) liefert in der zweiten Stufe in3 = n4 /n3 = r3 /r4 . Zusammenfassend erhält
man den Gesamtübertragungsfaktor auch hier als Produkt von zwei Einzelübertragungen:
n4 r1 r3
ing = = in1 in3 = . (11.36)
n1 r2 r4
Wir können die so erhaltenen Beziehungen für ein mehrstufiges System verallgemeinern.
Dabei setzen wir voraus, dass, wie bei dem zweistufigen System in Abb. 11.25, an den bei-
den äußeren Wellen jeweils nur ein Zahnrad und an den inneren Wellen jeweils Wellräder
angeordnet sind. Für s Stufen ist s + 1 die Anzahl der Wellen, die Anzahl der Zahnräder

a) b)
r1 r2 2
4
1
3
r3 r4

Abb. 11.25. Zweistufiges Zahnradgetriebe: a) reales System, b) Prinzipskizze


11.5 Momenten- und Drehwinkelübertragungen in Getrieben 309

ist 2s, und (r2 , r3 ), ..., (r2s−2 , r2s−1 ) sind die Radien der Radpaare zwischen den Stufen.
Kennzeichnen wir die Drehzahlen von Antriebs- und Abtriebswelle mit nL und nH , dann
erhält man die

Übertragungsfaktoren für ein s-stufiges Getriebe mit Wellrädern


MH r2 r4 r2s
1. Momente iM = = iM 1 iM 3 ...iM 2s−1 = ....
ML r1 r3 r2s−1
nH r1 r3 r2s−1 1 (11.37)
2. Drehzahlen in = = in1 in3 ...in2s−1 = .... =
nL r2 r4 r2s iM
ri = Radius des i-ten Zahnrades
ML = M1 = Antriebsmoment
MH = M2s = Abtriebsmoment der (s + 1)-ten Welle.

 Beispiel 11.9 Mehrstufiges Getriebe mit vier Zahnrädern

Das zweistufige Zahnradgetriebe mit 4 Zahnrädern in Abb. 11.25 wird von einem Motor mit
einem Moment M1 = ML angetrieben. Die Drehzahl ist n1 = nL . Die Radien der Zahnräder
stehen im Verhältnis r4 = 2r2 , r3 = 2r1 zueinander.
1. Wie groß muss der Radius r4 sein, damit das Übertragungsmoment M4 = MH erreicht
wird?
2. Wie groß ist in diesem Fall die Drehzahl n4 des Zahnrades 4?

Bekannt: r1 = 12 cm, ML = 200 Nm, MH = 400 Nm, n1 = 500 min−1 .


Vorüberlegungen: Der gesuchte Radius r2 für Aufgabe 1 wird für s = 2 durch Umstellen
von Gl.(11.37.1) erhalten. Die gesuchte Drehzahl für Aufgabe 2 erhält man durch Umstellen
von Gl.(11.37.2) und nochmalige Verwendung von Gl.(11.37.1).
Lösungen: 1. Durch Umstellen von Gl.(11.37.1) nach dem gesuchten Radius r2 erhält man
$
MH r2 r4 r2 2r2 r22 MH 400 Nm
iM = = = = 2 =⇒ r2 = r1 = 12 cm = 16, 97 cm.
ML r1 r3 r1 2r1 r1 ML 200 Nm

2. Durch Multiplikation von Gl.(11.37.2) mit nL und Verwendung von Gl.(11.37.1) folgt
1 ML 200 Nm
nH = nL = nL = 500 min−1 min−1 = 250 min−1 . 
iM MH 400 Nm

Die Gleichungen (11.37) gelten für Getriebe, bei denen die inneren Wellen als Wellräder
ausgebildet sind. Möchte man die verschiedenen Radpaare aus Abschnitt 11.5.3 zusammen-
schalten, sind für Kraft- und Bewegungsgrößen die Gesamtübertragungsfaktoren als Produkt
der Einzelübertragungen darstellbar, worauf hier nicht im Einzelnen eingegangen werden
soll. Zusammenfassend erhält man die
310 11 Werkzeuge und Maschinen

Übertragungsfaktoren für ein allgemeines Getriebe mit p Radpaaren


FH duH 1
1. iF = = iF 1 iF 2 iF 3 ...iF p 2. iV = = iV 1 iV 2 iV 3 ...iV p = (11.38)
FL duL iF
MH nH 1
3. iM = = iM 1 iM 2 iM 3 ...iM p 4. in = = in1 in2 in3 ...inp = .
ML nL iM

Obwohl mit der Anordnung von allgemeinen Zahnradsystemen theoretisch beachtliche Über-
tragungsfaktoren erzielt werden können, ist der Gewinn bei realen Systemen immer mit Ver-
lusten, insbesondere auf Grund von Reibung, verbunden.

 Beispiel 11.10 Übertragungsfaktoren in einem Fahrrad

Bestimmen Sie sämtliche Übertra- Reifen Hinterrad


FP rP
gungsfaktoren für das Fahrrad in Kettenrad
Ritzel
Beispiel 11.8 mit den Gleichungen rR
(11.38). rH
Tret-
Bekannt: Kurbelradius rP = 160 mm, kurbel
rK A B
duP
Kettenrad rK = 80 mm, Ritzel rR = 38 R
mm, Hinterrad rH = 325 mm. duR R
Abb. 11.26 Ersatzsystem für Fahrrad

Lösungen: Wir fassen das Fahrrad mit dem Ersatzsystem in Abb. 11.26 als Getriebe mit p=3
Radpaaren auf: 1. Tretkurbel - Kettenrad = Wellrad, 2. Kettenrad - Ritzel = Riemenrad, 3.
Ritzel - Hinterrad = Wellrad. Die Auswertung der Gleichungen (11.38) erfolgt zweckmäßig
tabellarisch unter Verwendung der Faktoren für Kräfte- und Bewegungsgrößen in (11.34).
Radpaare Wellrad Radriemen Wellrad Gesamtübertra-
Tretkurbel - Kettenrad Kettenrad - Ritzel Ritzel - Hinterrad gungsfaktoren

rj - rk rP - rK rK - rR rR - rH
rP rR rP rR
iF i 1 iF =
rK rH rK rH
rR rR
iM i 1 1 iM =
rK rK
rK rH rK rH
iV i 1 iV =
rP rR rP rR
rK rK
ini 1 1 in =
rR rR

Damit werden die gleichen Ergebnisse wie in Beispiel 11.8 erhalten. 


11.6 Kraft- und Wegübertragung in Flaschenzügen 311

11.6 Kraft- und Wegübertragung in Flaschenzügen


Bereits im Altertum erkannte man, dass das Heben von
Lasten mit Seilen durch Rollen deutlich erleichtert werden
kann. In der damaligen Sichtweise wurden die Kräfte mit
„List verändert", womit sich von dem altgriechischen Wort
„mechane" für List der heutige Begriff Maschine ableitet.
Auch heute werden Rollen vielfältig eingesetzt, wie z.B. für
den Flaschenzug eines Baukranes in Abb. 11.27. Dabei un-
terscheidet man zwei Fälle:
• Feste Rollen: Hierbei sind die Achsen der Rollen wie in
Abb. 11.28.a ortsfest.
• Lose Rollen: Hierbei sind die Achsen der Rollen wie in
Abb. 11.28.b ortsveränderlich. Abb. 11.27. Flaschenzug eines
Baukranes

Mit den Darstellungen in Abb. 11.28 wollen wir die Zusammenhänge für Kräfte und Wege
an beiden Rollen unter Vernachlässigung von Reibungseffekten untersuchen. Wie in den bis-
herigen Abschnitten dieses Kapitels sind FL die bekannte Lastkraft und FH die unbekannte
Haltekraft für Gleichgewicht an dem verschieblichen System nach Definition (11.6). Die
zugehörigen Wegdifferenziale sind duL und duH . Mit dem Radius r fordern wir zunächst
Momentengleichgewicht bezüglich des Drehpunktes A für die feste Rolle in Abb. 11.28.a:

A: FH r − FL r = 0 =⇒ FH = FL . (11.39)

Zur Untersuchung der Kinematik erhält man mit dem Drehpunkt A als Pol (M ), dem Radius
r und der Verdrehung dϕ nach zweifacher Anwendung der kinematischen Grundregel (7.4.2)

duH = dϕr, duL = dϕr =⇒ duH = duL . (11.40)

Damit sind bei der festen Rolle in Abb. 11.28.a die Beträge für Kräfte und Wege auf der Last-
und Kraftseite gleich, während deren Richtungen jeweils unterschiedlich sind.
a) b)
FL
FH FH=
A=(M) 2 S
duH =duL duL
g r duH S=FH
dϕ duL duH =2du L

duH r P duH P=(M)


FH duL dϕ
FL
duL duL
FL FL

Abb. 11.28. Kräfte und Wege für eine a) feste Rolle, b) lose Rolle
312 11 Werkzeuge und Maschinen

In Abb. 11.28.b betrachten wir eine lose Rolle, bei der der rechte Seilabschnitt befes-
tigt ist. Wir zeichnen das Freikörperbild in Abb. 11.28.b und bilden Momentengleichgewicht
nach Gl.(5.25.3) mit dem Punkt P als Bezugspunkt, da dieser auf der Wirkungslinie der
unbekannten Kraft S liegt. Mit einer weiteren Kräftebedingung (5.25.2) folgt dann:

P : FH 2r − FL r = 0 =⇒ FH = 21 FL , ↑: FH + S − FL = 0 =⇒ S = 21 FL = FH .
Die Haltekraft FH ist also halb so groß wie die Lastkraft FL . Wie bereits in Regel (3.22.4)
festgestellt, tritt bei reibungsfreien Rollen an beiden Enden eine gleich große Seilkraft S auf.
Zur Berechnung des Halteweges duH bei Vorgabe eines Lastweges duL nehmen wir an,
dass das Seil dehnstarr ist und dass der Punkt P der Rolle über den momentanen Kontakt-
punkt des Seiles abrollt, d.h. es findet kein Rutschen statt. Damit liegt der Momentanpol (M )
in dem Kontaktpunkt P . Zweifache Anwendung von Gl.(7.4.2) liefert

duH = 2dϕr, duL = dϕr =⇒ duH = 2duL . (11.41)


Zusammenfassend erhalten wir für die beiden Anordnungen der Rollen in Abb. 11.28 die

Regeln für reibungsfreie feste und lose Rollen


1. Feste Rollen: Sowohl Haltekraft FH und Lastkraft FL als auch Halteweg
duH und Lastweg duL sind gleich groß. (11.42)
2. Lose Rollen: Die Haltekraft ist halb so groß wie die Lastkraft: FH =
FL /2. Der Halteweg ist doppelt so groß wie der Lastweg: duH = 2duL .

Werden mehrere feste und lose Rollen über ein oder mehrere Seile verbunden, entsteht
ein Flaschenzug, wie z.B. für den Baukran in Abb. 11.27. Dabei unterscheidet man: 1. den
Faktorenflaschenzug, 2. den Potenzflaschenzug und 3. den Differenzialflaschenzug.
Faktorenflaschenzug: Der einfache Faktorenflaschenzug in Abb. 11.29.a besteht aus einer
losen und einer festen Rolle. Nach Regel (11.42.2) teilt sich die Gewichtskraft FL bei der
losen Rolle auf beide Seilenden auf. Damit wirkt im Verbindungsbereich beider Rollen die

a) b) c)

g g g

duH FL FL
=2duL 2 2
dϕ FH
2duL P FH
FH = FL duL
2

duL
FL
FL FL

Abb. 11.29. Faktorenflaschenzüge mit: a) und b) zwei Rollen, c) vier Rollen


11.6 Kraft- und Wegübertragung in Flaschenzügen 313

Seilkraft FL /2. Da bei festen Rollen nach Regel (11.42.1) die Kräfte an beiden Seilenden
gleich groß sind, gilt für die Haltekraft FH = FL /2. Zur Berechnung des Halteweges duH
infolge des Lastweges duL berücksichtigen wir, dass bei der losen Rolle der Weg am losen
Ende nach Regel (11.42.2) doppelt so gross ist wie am festen Ende. Damit erfährt der Ver-
bindungsbereich beider Rollen den Weg 2duL . Da bei festen Rollen nach Regel (11.42.1) die
Wege an beiden Seilenden gleich groß sind, gilt für den Halteweg duH = 2duL .
Der Flaschenzug in Abb. 11.29.b besteht ebenso aus einer festen und einer losen Rolle, so
dass Kräfte und Wege sich wie bei dem System in Abb. 11.29.a verhalten. Der Flaschenzug
in Abb. 11.29.c besteht aus zwei festen Rollen und zwei mit der Last FL verbundenen Rollen.
Durch mehrfache Anwendung der Regeln (11.42) zeigt man, dass jede Rolle nur ein Viertel
von FL übernimmt, so dass FH = FL /4. Für die Wege gilt duH = 4duL , vgl. Aufgabe 11.8.
Eine Verallgemeinerung dieser Ergebnisse für Kräfte und Wege liefert die

Übertragungsfaktoren für den Faktorenflaschenzug mit n Seilabschnitten


F 1 du 1 (11.43)
1. Kräfte: iF = H = 2. Wege: iV = H = n = .
FL n duL iF

Potenzflaschenzug: Das System in a) b)


Abb. 11.30 besteht aus einer festen
FL
Rolle und 3 losen Rollen. Ein Seil g g
8
jeder losen Rolle ist an einer festen F L
8 duH =
Aufhängung und der benachbarten
8du L 8duL
Rolle befestigt. Um einen Zusam- FL 4duL
menhang zwischen der Haltekraft F L
4
4 FH
FH und der Lastkraft FL zu erhal- FH = FL 4duL
8 2duL
ten, werden die Regeln (11.42.2) FL
nacheinander auf die losen Rollen FL 2
2 P 2duL P
angewendet. Damit wird FL an der
duL dϕ
unteren Rolle halbiert, so dass an
der darüber liegenden losen Rolle
nur noch die Kraft FL /2 auftritt.
An dieser und der darüber liegen- FL FL
den Rolle wird die Kraft jeweils
Abb. 11.30. Potenzflaschenzug: a) Kräfte und b) Wege
wieder halbiert. Am Seil der letz-
ten Rolle wirkt schließlich die Zugkraft FL /8, die nach Regel (11.42.1) durch eine feste
Rolle nach unten umgelenkt wird. Damit potenziert sich die Kraftwirkung invers mit der
Anzahl 3 der losen Rollen. Zur Untersuchung der Kinematik wird Regel (11.42.2) für die
Wege nacheinander auf die losen Rollen angewendet. Aus der Darstellung für die einzelnen
Rollen in Abb. 11.30.b erkennt man, dass sich die Wegwirkung mit der Anzahl 3 der losen
Rollen potenziert. Eine Verallgemeinerung dieser Ergebnisse liefert die

Übertragungsfaktoren für den Potenzflaschenzug mit n losen Rollen


F 1 du 1 (11.44)
1. Kräfte: iF = H = n 2. Wege: iV = H = 2n = .
FL 2 duL iF
314 11 Werkzeuge und Maschinen

Differenzialflaschenzug: Dieser a) b)
Typ besteht, wie in Abb. 11.31 R R
1 1
dargestellt, im oberen Bereich r r
g
aus zwei festen Rollen, die fest
miteinander verbunden sind und G
unterschiedliche Durchmesser r FH S S
und R haben. Das Gewicht mit
FL FL
der Lastkraft FL hängt an einer FH
2 2
losen Rolle mit dem Durchmesser
(R + r)/2. Beide Rollen sind über 2 P 2 P
ein Seil verbunden, welches von
der größeren Rolle zum Gewicht
hin und auf der anderen Seite über
die kleinere Rolle zurückgeführt
wird. Um einen (rutsch-)festen FL FL
Kontakt der beiden Seile mit den
Rollen zu erhalten, werden das Abb. 11.31. Differenzialflaschenzug: a) Anordnung
der Rollen, b) Freischnitt
Seil oft als Kette und die Räder als
Zahnräder ausgeführt. Bei der losen Rolle wird die Seilkraft nach Regel (11.42.2) halbiert,
so dass mit S = FL /2 aus dem Momentengleichgewicht an dem oberen Rollenpaar folgt:
 R−r F R−r
G: FH R + Sr − S R = 0 =⇒ FH = S = L . (11.45)
R 2 R
Die Kinematik für den Differenzialflaschenzug wird in Aufgabe 11.9 untersucht. Zusammen-
fassend erhält man die

Übertragungsfaktoren für den Differenzialflaschenzug


F R−r du 2R 1 (11.46)
1. Kräfte: iF = H = 2. Wege: iV = H = = .
FL 2R duL R−r iF

Bemerkungen 11.6
1. Da die Übertragungsfaktoren für Kräfte und Wege in (11.44), (11.44) und (11.46) alle
ungleich Eins sind, gilt: Ein Flaschenzug ist zugleich Kraft- und Wegwandler.
2. Wegen iF = 1/iV in den Gleichungen (11.44), (11.44) und (11.46) folgt auch für alle
Flaschenzüge die goldene Regel der Mechanik (11.12): FH duH = FL duL .
3. Die oben hergeleiteten Beziehungen für die Kräfte gelten nur unter der Voraussetzung,
dass keine Verluste durch Reibung auftreten. In der Realität lassen sich jedoch Rei-
bungsverluste an den Umlenkrollen selbst, sowie zwischen Seil und Umlenkrollen nicht
vermeiden. Des Weiteren haben das Seil, die beweglichen Umlenkrollen und die untere
Aufhängung eine nicht zu unterschätzende Masse. Damit ist die reale Haltekraft FH∗ im-
mer unterschiedlich zum theoretischen Wert FH : Bei gleichen Richtungen von Lastkraft
FL und Lastweg duL unterstützt Reibung die Haltekraft FH∗ , so dass FH∗ < FH . Bei
entgegengesetzten Richtungen von Lastkraft FL und Lastweg duL muss die Haltekraft
FH∗ zusätzlich Reibung überwinden, so dass FH∗ > FH .
11.6 Kraft- und Wegübertragung in Flaschenzügen 315

 Beispiel 11.11 Flaschenzug mit drei Rollen

Ein Gewicht der Masse mK wird mit einer Kraft Z an einem


Flaschenzug gehoben. Dieser besteht aus drei reibungsfreien
g 1
Rollen, die wie dargestellt mit drei masselosen Seile verbunden
I
sind. Die Eigengewichte der Rollen werden vernachlässigt. 2
1. Welche Kraft Z muss zum Anheben des Gewichtes min- duH
s
destens aufgebracht werden?
2. Welcher Weg s ist für die Kraft Z zum Anheben der Masse 3
II
um den Weg h notwendig.
II mK
3. Welche Gesamtkraft D wirkt auf die Deckenkonstruktion? Z
h
Bekannt: mK = 6 kg, h = 5 cm, g = 10 N/kg.
duL
Vorüberlegungen: Es handelt sich um einen Potenzflaschenzug I G
mit einer festen Rolle und zwei losen Rollen. Damit kann Auf-
gabe 1 mit Gl.(11.44.1) für n=2 beantwortet werden. Ebenso Abb. 11.32. Flaschenzug mit
wird Aufgabe 2 mit Gl.(11.44.2) beantwortet, wobei noch zusät- drei Rollen
zlich eine Wegintegration erfolgt. Für Aufgabe 3 wird ein
Freikörperbild erstellt. _ G
G _ G
_
2 4 2
Lösungen:
1. Nach Umstellen von Gl.(11.44.1) erhält man mit n = 2 und
1
der Lastkraft FL = G = mK g für die Haltekraft FH = Z
1 1 1 kg N
Z= 2
G = mK g = 6 · 9.81 = 14, 72 N. G
_ _ Z= G
G _
2 4 4 kg 4 4 4

2. Mit n = 2 losen Rollen erhält man nach Umstellen von G


_ G
_
Gl.(11.44.2) und Wegintegration für den Halteweg 4 4
  G
_ 2
2
s = duH = 2 duL = 4 · h = 4 · 5 cm = 20 cm. 2

3. Unter Berücksichtigung der Regeln (11.44.1) und (11.44.2)


für die feste und die lose Rolle erstellen wir in Abb. 11.33 G
_ G
_
ein Freikörperbild durch Freischnitt aller Seile. Damit teilt sich 2 2
an der Rolle 3 die Gewichtskraft G auf beide Seilenden auf,
wovon die linke Seilkraft die Decke mit G/2 belastet. Die rechte 3
Seilkraft G/2 zieht an der Rolle 2, so dass die Decke zusätzlich
wieder mit der Hälfte dieser Kraft, also G/4 belastet wird. An mK
der Rolle 1 wird die Kraft G/4 umgelenkt, so dass die nach
oben gerichtete zusätzliche Belastung der Decke G/2 beträgt.
G
Nach Summation aller Anteile folgt für die Deckenbelastung
G G G 5G 5 · 9, 81 · 6 Abb. 11.33. Freikörperbild
D= + + = = = 73, 58 N.
2 4 2 4 4 
316 11 Werkzeuge und Maschinen

11.7 Kräfte in Zahnradgetrieben


11.7.1 Allgemeines
Wie in Abschnitt 11.5 bereits beschrieben, erfolgt die Übertragung der Drehbewegungen und
Drehmomente von der Antriebswelle auf die Abtriebswelle häufig mit Zahnrädern. Dazu
werden die Zahnräder auf den Wellen so angebracht, dass ihre Zähne ineinander greifen.
Zahnräder werden außer in Getrieben z.B. auch in Uhren eingesetzt.

a1) a2) a3)

b1) b2) b3)

Abb. 11.34. Bauarten von Zahnradgetrieben: a1) parallele Wellen mit Stirnrädern, b1) schneidende Wellen mit
Kegelrädern, a2), b2) Geradverzahnung, a3), b3) Schrägverzahnung

Bei der Zahnradgestaltung gibt es mehrere Möglichkeiten. In Abhängigkeit der Lage der
Wellen zueinander werden z.B. die folgenden Bauarten mit den zugehörigen Zahnradformen
eingesetzt, siehe z.B. [16]:
1. Parallele Wellen: Die beiden Zahnräder haben eine zylindrische Form und werden als
Stirnräder bezeichnet. In Abb. 11.34.a wird zusätzlich zwischen der Geradverzahnung
und der Schrägverzahnung unterschieden.
2. Schneidende Wellen: Auf Grund der Kegelform werden die Zahnräder als Kegelräder
bezeichnet. Der Schnittpunkt beider Körper liegt im Schnittpunkt der Wellenachsen. In
Abb. 11.34.b wird wie beim Stirnrad zwischen der Geradverzahnung und der Schrägver-
zahnung unterschieden.

11.7.2 Die Zahnradkraft


Abb. 11.35.a zeigt eine Antriebswelle mit einem Lastmoment ML und eine Abtriebswelle.
Die Kraftübertragung zwischen den beiden Rädern geschieht, wie in Abb. 11.35.b dargestellt,
in den sogenannten Flankenflächen. Diese sind in realen Zahnrädern im Allgemeinen nicht
eben, sondern gekrümmt, was in der Fachliteratur über Maschinenelemente behandelt wird,
siehe z.B. [16, 35]. Im Folgenden setzen wir ein vereinfachtes Zahnstangenprofil voraus.
11.7 Kräfte in Zahnradgetrieben 317

Dabei wird für das Stirnrad in Abb. 11.35.c die Flankenfläche durch den Wälzkreisradius
rw und den Eingriffswinkel α eindeutig im Raum festgelegt. Für schrägverzahnte Räder in
Abb. 11.35.d werden zusätzlich die Flankenflächen durch den Schrägungswinkel β und für
Kegelräder in Abb. 11.35.e durch den Kegelwinkel δ festgelegt.

a) b)
getrieben

y Flankenflächen
z FN W fN
Bewegung
FN

ML dϕ rw
treibend

c) d) e)
α FN
y
z Bewegung
.
FN y
x
β . z
x

.
FN rw
Bewegung
treibend δ ML

rw
rw
ML dϕ
ML

Abb. 11.35. Geometrie und Kräfte am Zahnrad: a) Wellen mit Zahn- und Lagerkräften, b) Flächenkräfte fN
und Zahnkräfte FN in den Flankenflächen, c) Eingriffswinkel α, d) Schrägungswinkel β am Wälzkreis und
e) Kegelwinkel δ

Die reale Kraftübertragung von Antriebs- auf Abtriebsrad geschieht über komplex verteilte
Flächenkräfte fN zwischen den sich berührenden Flankenflächen, vgl. Abschnitt 2.1.3. Zur
Vereinfachung werden diese auf beiden Seiten jeweils durch eine resultierende Zahnradkraft
FN (kurz: Zahnkraft) ersetzt. Nehmen wir an, dass die Flankenflächen glatt sind, dann ste-
hen die Zahnkräfte nach Regel (3.22.3) auf beiden Seiten jeweils normal auf diesen Flächen.
In Abb. 11.35.b berühren sich die Flanken gerade im Wälzpunkt W in dem die Zahnkräfte
angenommen werden. Drehen sich die Räder weiter, dann verändern sich die Verteilungen
der Flächenkräfte fN ständig. Zur Vereinfachung nehmen wir an, dass diese Änderungen
ohne Einfluß auf Beträge und Richtungen der Zahnkräfte sind. Zusammenfassend lauten die

Annahmen zur Berechnung einer Zahnkraft: Die Wirkungslinie von FN


(11.47)
1. ist normal zur Flankenfläche
2. verläuft stets durch den Wälzkreis mit Radius rw .
318 11 Werkzeuge und Maschinen

Im Folgenden werden vier Fälle zur Berechnung einer Zahnradkraft in Abhängigkeit


der vier geometrischen Größen Eingriffswinkel α, Schrägungswinkel β, Kegelwinkel δ und
Wälzkreisradius rw für ein Antriebsmoment ML behandelt. Dabei erfolgt die Kraftzerlegung
von FN bzgl. eines xyz-Koordinatensystems in dem jeweiligen Kräfteplan (KP).
Abb. 11.36 zeigt die Kraft-
verhältnisse an einem Stirnrad (LP) (KP)
mit Geradverzahnung. Da A
FN y
Schrägungs- und Kegelwinkel Bewegung α x Fr
β und δ gleich Null sind, z
liegt die Kraft FN auf Grund FN
der Annahme (11.47.1) um rw C
den Winkel α geneigt in der
α F
yz-Ebene. Wir zerlegen sie in t
eine Tangential- und eine Radi- ML
alkomponente Ft und Fr . Aus B
Momentengleichgewicht um Abb. 11.36 Zahnkraft am geraden Stirnrad
die x-Achse folgt Ft =ML /rw .
Aus dem Krafteck in Abb. 11.36 folgt Fr = Ft tan α. Da keine Kraft Fa in axialer Richtung
auftritt, erhält man zusammenfassend:

Fall a: Zahnkraft am Stirnrad mit Geradverzahnung


M
Tangentialanteil: Ft = L = FN y (11.48)
rw
Radialanteil: Fr = Ft tan α = FN z
Axialanteil: Fa = 0 = FN x .

Hierbei sind FN y , FN z und FN x die Koeffizienten der Zahnkraft FN bezogen auf das xyz-
Koordinatensystem in Abb. 11.36.
Abb. 11.37 zeigt die Kraft-
verhältnisse an einem Stirn- (LP) (KP)
rad mit Schrägverzahnung. Da FN β
der Kegelwinkel δ gleich Null y A
ist, liegt die Kraft FN we- β x
Bewegung z Fr
gen der Annahme (11.47.1) in
FN
einer Fläche senkrecht zur xy- rw
Ebene, die um den Winkel β C Fa
α
in der xy-Ebene gedreht ist.
Definieren wir in einem Kräfte- ML β Ft
quader diese Fläche durch das Ft /cosβ
Dreieck ABC, dann ist FN um B
den Winkel α gegenüber der
Abb. 11.37 Zahnkraft am schrägen Stirnrad
Grundseite BC geneigt. Wir
zerlegen FN in eine Tangential-, eine Radial- und eine Axialkomponente Ft , Fr und Fa .
Aus Momentengleichgewicht um die x-Achse folgt für gegebenes Moment auch hier Ft
11.7 Kräfte in Zahnradgetrieben 319

= ML /rw . Unter Verwendung der Komponente Ft / cos β = CB in dem Kräftequader in


Abb. 11.37 erhält man zusammenfassend:
Fall b: Zahnkraft am Stirnrad mit Schrägverzahnung
M
Tangentialanteil: Ft = L = FN y
rw (11.49)
tan α
Radialanteil: Fr = Ft = FN z
cos β
Axialanteil: Fa = Ft tan β = FN x .

(LP) (KP)
FN x
y δ x z
Bewegung
z F
Fa
B Fr’ sin δ A
D Fr
δ A
rw Fr’ Fr’ cos δ δ Fr’
δ C FN
Ft C
ML E
α
B
Abb. 11.38 Zahnkraft am geraden Kegelrad

In Abb. 11.38 untersuchen wir die Kraftverhältnisse an einem Kegelrad mit Geradver-
zahnung. Dazu bestimmen wie zunächst die Koeffizienten von FN in einem Dreieck ABC,
dessen Seite AC mit dem Winkel δ um eine zur y−Achse parallele Kante BC gedreht ist. In
dem so gedrehten Kräftedreieck zerlegen wir FN – entsprechend den Gleichungen (11.48)
und Abb. 11.37 – in die Anteile Ft , Fr = Ft tan α und Fa = 0. Da Fr und Fa keine Anteile in
y-Richtung haben, folgt aus Momentengleichgewicht um die x-Achse für gegebenes Moment
wieder Ft = ML /rw . Weiter wird die Hilfskraft Fr in x- und z-Richtung zerlegt, so dass
Fr = Fr cos δ, Fa = Fr sin δ. Zusammenfassend erhält man:

Fall c: Zahnkraft am Kegelrad mit Geradverzahnung


M
Tangentialanteil: Ft = L = FN y
rw (11.50)
Radialanteil: Fr = Ft tan α cos δ = FN z
Axialanteil: Fa = Ft tan α sin δ = −FN x .

In Abb. 11.39 werden die Koeffizienten FN für ein Kegelrad mit Schrägverzahnung er-
mittelt. Dazu bestimmen wir zunächst die Koeffizienten von FN in dem Kräftequader in
Abb. 11.39, dessen Kante BE mit dem Winkel δ um eine zur y−Achse parallele Kante BD
gedreht ist. In diesem Kräftequader wird FN – entsprechend Gl.(11.49) und Abb. 11.38 – in
drei Anteile Ft , Fr = Ft tan α/ cos β und Fa = Ft tan β zerlegt. Da Fr . und Fa keine An-
teile in y-Richtung haben, folgt aus Momentengleichgewicht um die x-Achse für gegebenes
Moment wieder Ft = ML /rw . Weiter werden die Hilfskräfte Fr und Fa in x- und z-Richtung
aufgeteilt: Fr = Fr cos δ + Fa sin δ, Fa = Fr sin δ − Fa cos δ. Zusammenfassend gilt:
320 11 Werkzeuge und Maschinen

(LP) (KP)
Fr’ A x F r’ cos δ
FN C z Fr’
Bewegung β y δ x A
z FN C δ
Fr’ sinδ
δ F Fa’ δ
E α Fa’ cosδ
D A’ Fa’
rw Ft Fa’ sin δ
δ β
δ A’
ML G
D
B
Abb. 11.39 Zahnkraft am schrägen Kegelrad

Fall d: Zahnkraft am Kegelrad mit Schrägverzahnung


M
Tangentialanteil: Ft = L = FN y
rw
 
tan α cos δ (11.51)
Radialanteil: Fr = Ft + tan β sin δ = FN z
cos β
 
tan α sin δ
Axialanteil: Fa = Ft − tan β cos δ = −FN x .
cos β

Bemerkungen 11.7
1. Die Gleichungen (11.48) bis (11.51) gelten nur für die in Abb. 11.36 bis Abb. 11.39
dargestellten Anordnungen mit je einem treibenden Rad und einem Antriebsmoment ML .
2. Die Minuszeichen in (11.50.3) und (11.51.3) weisen darauf hin, dass die Axialkraft Fa
jeweils in negative x-Richtung zeigt.
3. Aus den vier in Abb. 11.36 bis Abb. 11.39 dargestellten Fällen folgern wir die

Regeln für die Tangentialkraft Ft :


(11.52)
Am Antriebsrad wirkt die Tangentialkraft Ft stets entgegen der Bewe-
gungsrichtung der Zähne, am Abtriebsrad in Bewegungsrichtung der Zähne.

4. Bei Drehrichtungsänderung ändern die Zahnkraft FN und somit auch die Tangentialkraft
Ft ihre Richtungen.
5. Mit den Zahnkräften der Gleichungen (11.48) bis (11.51) können mit Hilfe der Gleich-
gewichtsbedingungen (6.39) für räumliche nichtzentrale Kraftsysteme die Auflagerreak-
tionen an einer Welle berechnet werden. Dabei müssen, wie in Abschnitt (11.5.2) bereits
erläutert, gleichförmige Bewegungen mit konstanter Drehzahl vorausgesetzt werden.
6. In den Abbildungen 11.36 bis 11.39 erkennt man, dass zur Beschreibung einer Flan-
kenfläche die Reihenfolge der Winkel α, β, γ beachtet werden muss. Damit sind sie auch
als Euler-Winkel interpretierbar. Stellt man die drei Winkel weiter als Vektoren dar, dann
gilt für diese nicht das Kommutativgesetz der Vektorrechnung (C.1.2), siehe z.B. [21].
11.7 Kräfte in Zahnradgetrieben 321

 Beispiel 11.12 Lagerkräfte einer Getriebewelle

Eine Getriebezwischenwelle hat ein Moment MT von einem Schrägzahnstirnrad 2 auf ein
Geradzahnkegelrad 3 zu übertragen. Die positive Drehrichtung dϕ1 des zugehörigen An-
triebsrades 1 ist wie bei einer Linksschraube um die dargestellte x-Achse. Bestimmen Sie
die Reaktionskräfte in dem Festlager A und dem Loslager B.
Bekannt: MT = 15 kNm, Stirnrad: β2 = 12o , α2 = 15o , Radius rw2 =150 mm, Kegelrad: α3
= 15o , δ3 = 35o , Radius rw3 =200 mm, Abstände: a = 600 mm, b = 400 mm, l = 1300 mm.

a) b)
1
dϕ 1
4
2 3
B
A δ3
β2 rw2 rw3

a b
l

Abb. 11.40 Getriebe mit Zwischenwelle: a) Reales System, b) Prinzipskizze

Vorüberlegungen: Wir erstellen ein statisches System und zeichnen dafür das Freikörperbild
in Abb. 11.41. Zunächst werden die Koeffizienten der Zahnkräfte FN 2 und FN 3 nach den
Gleichungen (11.49) für das Stirnrad mit Schrägverzahnung und den Gleichungen (11.50)
für das Kegelrad mit Geradverzahnung berechnet. Auf Grund der gegebenen Drehrichtung
von Rad 1 folgt, dass sich der Kontaktbereich zwischen Rad 1 und Rad 2 in y-Richtung
bewegt. Damit ist die Tangentialkraft Ft2 für das Abtriebsrad 2 nach Regel (11.52) ebenfalls
in y-Richtung gerichtet. Da das Rad 3 das Rad 4 antreibt, ist die Tangentialkraft Ft3 nach
Regel (11.52) entgegen der y-Koordinate gerichtet. Wir können damit die Richtungen der
radialen und axialen Kraftkoeffizienten an beiden Rädern aus der Anschauung bestimmen
und anschließend die Gleichgewichtsbedingungen (6.39) formulieren.
Lösungen: Wir bestimmen zunächst nach den Gleichungen (11.49) und (11.50) die Koef-
fizienten der Zahnradkräfte FN 2 und FN 3 :
MT 15 kNm tan α2 tan 15o
Ft2 = = = 100 kN, Fr2 = Ft2 = 100 kN = 27, 39 kN
rw2 0, 15 m cos β2 cos 12o
Fa2 = Ft2 tan β2 = 100 kN tan 12o = 21, 26 kN
MT 15 kNm
Ft3 = = = 75 kN
rw3 0, 20 m
Fr3 = Ft3 tan α3 cos δ3 = 75 kN tan 15o cos 30o = 17, 40 kN

Fa3 = Ft tan α3 sin δ3 = 75 kN tan 15o sin 30o = 10, 05 kN.


322 11 Werkzeuge und Maschinen

FN2

y Ax Fr2
x
z Ay Fa2 Ft2
2
Az
a rw2 Bewegung
FN3
C Bewegung
Fr3
l b By Ft3 Fa3
Bz rw3 3

Abb. 11.41 Freikörperbild

Die Richtungen der Kräfte sind in Abb. 11.41 dargestellt. Mit den Gleichgewichtsbedingun-
gen (6.39.3) können anschließend die Auflagerreaktionen berechnet werden:

Fx = 0 : Ax + Fa2 − Fa3 = 0
=⇒ Ax = Fa3 − Fa2 = 10, 05 − 21, 26 = −11, 21 kN
 (A)
My = 0 : Bz (a + b) − Fr3 l − Fr2 a − Fa2 rw2 + Fa3 rw3 = 0
1
=⇒ Bz = (Fr3 l + Fr2 a + Fa2 rw2 − Fa3 rw3 )
a+b
1
= (17, 40 · 1, 30+27, 39 · 0, 6+21, 26 · 0, 15−10, 05 · 0, 2) kN
0, 6 + 0, 4
= 40, 23 kN

Fz = 0 : −Az − Bz + Fr2 + Fr3 = 0
=⇒ Az = Fr2 + Fr3 − Bz = (27, 39 + 17, 40 − 40, 23)kN = 4, 56 kN
 (A)
Mz = 0 : By (a + b) − Ft3 l + Ft2 a = 0
1 1
=⇒ By = (Ft3 l− Ft2 a) = (75 · 1, 3−100 · 0, 6) = 37, 5 kN
a+b 0, 6+ 0, 4

Fy = 0 : Ay + By + Ft2 − Ft3 = 0
=⇒ Ay = −Ft2 + Ft3 − By = (−100 + 75 − 37, 5) kN = −62, 5 kN.
Zur Kontrolle verwenden wir zwei Momentengleichungen mit dem Bezugspunkt C in
Abb. 11.41:
 (C)
My = 0 : Bz b − Az a − Fr3 (l − a) − Fa2 rw2 + Fa3 rw3 =
= (40, 23 · 0, 4 − 4, 56 · 0, 6 − 17, 40 · (1, 30 − 0, 6)
−21, 26 · 0, 15+10, 05 · 0, 2) kNm = 0 kNm
 (C)
Mz = 0 : −Ay a + By b − Ft3 (l − a)
= (−(−62, 5) · 0, 6 + 37, 5 · 0, 4 − 75 · (1, 3 − 0, 6)) kNm = 0 kNm. 
11.8 Aufgaben zu Kapitel 11 323

11.8 Aufgaben zu Kapitel 11

Aufgabe 11.1 (SG = 2, BZ = 20 min)


Ein Hammer, der wie dargestellt als Winkelhebel idealisiert wird, soll für zwei Belastungs-
und Lagerungsfälle untersucht werden. Im Fall 1 erfolgt die Lagerung mit einem Festlager
und einer Haltekraft H. Als Belastung wirkt eine Kraft FL . Im Fall 2 ist der Winkel in der
Ebene vollkommen verschieblich. Er wird mit einer Kraft H gehalten, deren Lage unbekannt
ist. Die Belastung erfolgt wie dargestellt durch ein nichtzentrales Kraftsystem F1 , F2 , F3 .
Bestimmen Sie für beide Fälle die Größe und im Fall 2 zusätzlich die Richtung und die Lage
der Haltekraft H für Gleichgewicht.
Bekannt: a, α = 30o , FL , F1 = FL , F2 = 2FL , F3 = 3FL .

1) 2) F2
FL
A
3a F1 3a
H=?

F3
H
a α B a α
a a

Aufgabe 11.2 (SG = 1, BZ = 10 min) du H


Das mechanische Verhalten einer Hand wird
wie dargestellt als Winkelhebel vereinfacht. FH Flexus
aFl
1. Berechnen Sie die Muskelkraft FH für
α
Gleichgewicht infolge der Gewichts-
kraft FL . Drehpunkt
2. Wie groß ist der Übertragungsfaktor der der Hand

Kräfte FL und FH ?
3. Berechnen Sie den Übertragungsfaktor du L aG
der Wege duL und duH . FL
Bekannt: Gewichtskraft FL = 10 N, Abmessungen aG = 6 cm, aF l = 1 cm, α = 30o .

Aufgabe 11.3 (SG = 3, BZ = 30 min)


Ermitteln Sie den Polplan für Bauweise 2 der Arbeitsbühne in Beispiel 11.2.
324 11 Werkzeuge und Maschinen

Aufgabe 11.4 (SG = 3, BZ = 20 min)


Eine Knoblauchpresse besteht aus drei Teil-
FL
körpern und zwei Gelenken. Sie wird mit
den Kräften FL belastet und in der darge-
stellten Lage gehalten. Bestimmen Sie
8a
1. das statische Ersatzsystem
12a
2. den Grad der inneren kinematischen
Verschieblichkeit
3. den Übertragungsfaktor für die Kräfte 6a
4. den Polplan
5. den Übertragungsfaktor für die Last-
FL 4a
Wege nach Gl.(11.13). 12a
Bekannt: a = 3 cm.

Aufgabe 11.5 (SG = 1, BZ = 20 min)


Kupplungspedal
Die Kupplung eines PKWs besteht wie FP
dargestellt aus zwei Hebeln. Das Kupp-
lungspedal wird mit der Kraft FP getreten. Ausrücker
Berechnen Sie unter Berücksichtigung des FA
dargestellen statischen Systems 8a
2a
1. die Haltekraft FA im Ausrücker
2. die Kraft- und Wegübertragungsfak-
toren.
Ausrückgabel 4a
Bekannt: Fusskraft FP = 50 N, Abmessung 2a
a = 20 mm.
Seil

Aufgabe 11.6 (SG = 3, BZ = 20 min) FL


Untersuchen Sie mit Hilfe eines Polplans, ob C A
die dargestellte Rohrzange als alternatives
Werkzeug zu dem Modell in Beispiel 11.4
a
tauglich ist. Begründen Sie Ihre Antwort mit
einer Verschiebungsfigur.
D B a
Bekannt: a.

FL a 3a a a
11.8 Aufgaben zu Kapitel 11 325

Aufgabe 11.7 (SG = 3, BZ = 45 min)


Für eine Wasserpumpenzange stehen drei Bauweisen zur Auswahl, die jeweils durch die
dargestellten statischen Systeme mit 4, 5 bzw. 4 Stäben vereinfacht werden.
1. Welche der drei Bauweisen ist zum Greifen eines Wasserrohres geeignet?
2. Bestimmen Sie die Haltekraft im Ersatzstab 4 für das geeignete System infolge der
Kraft F .
Bekannt: a = 2 cm, b = 8 cm, c = 18 cm, F = 10 N.
1) F
1
4
2a A 3 2
2a 3a
b F
c

2) F 3) F
5 1 1
4 4
2a A 3 2 A 3 2
2a 3a 2a 3a
b F b F
c c

Aufgabe 11.8 (SG = 1, BZ = 10 min)


Ein Gewicht (Gewichtskraft FL ) wird mit
Hilfe einer Kraft FH an einem Flaschenzug g
gehoben. Der Flaschenzug besteht aus vier
reibungsfreien Rollen, die wie dargestellt
mit einem masselosen Seil verbunden sind.
Die Eigengewichte der Rollen werden ver-
nachlässigt. Bestimmen Sie mit den Regeln
(11.42) die Übertragungsfaktoren für FH

1. Kräfte
2. Wege.

Bekannt: FL .
FL

Aufgabe 11.9 (SG = 2, BZ = 15 min)


Leiten Sie für den Differenzialflaschenzug in Abb. 11.31 den Übertragungsfaktor iV für
Wege gemäß Gl.(11.46.2) her.
326 11 Werkzeuge und Maschinen

Aufgabe 11.10 (SG = 2, BZ = 15 min)


Eine Gewichtskraft G wird mit dem
dargestellten Flaschenzug angehoben. g
Dieser besteht wie dargestellt aus vier
Rollen, die mit einem masselosen Seil
verbunden sind. Am freien Ende des Seiles
greift eine Kraft Z an. Bestimmen Sie die
Übertragungsfaktoren für Z

1. Kräfte
2. Wege.
G
Bekannt: G.

Aufgabe 11.11 (SG = 1, BZ = 2 min)


F
Bei der Bergrettung wird ein Seil über
einen Karabiner abgerollt. Wie groß ist die
Seilkraft, wenn das Gewicht der zu retten-
den Person G beträgt?
Bekannt: G = 800 N. Karabiner

Aufgabe 11.12
(SG = 2, BZ = 15 min)
M
Das mechanische Verhal- E
ten einer Arbeitsbühne duL
2a F
wird mit dem dargestell- 2
ten statischen System un- D
tersucht. Die Belastung duH
2a
im Punkt E wird durch 3
eine Kraft F und ein
Moment M vereinfacht. a B
C
Berechnen Sie a 1
1. die Kraft im Stab 3 A
2. das Verhältnis der a a
2a
Wege duL und duH ,
wenn Stab 3 in Längsrichtung verschieblich ist.
Bekannt: F = 1500 kN, M = 2500 kNm, a = 1 m.
11.8 Aufgaben zu Kapitel 11 327

Aufgabe 11.13 (SG = 3, BZ = 45 min)


Für das Hebewerk eines Radladers stehen drei Bauweisen zur Auswahl, die wie dargestellt
jeweils durch die statischen Systeme mit 7, 6 bzw. 5 Stäben vereinfacht werden. Dabei sind
Stab 1 und Stab 3 jeweils mit einer Hydraulik versehen.
1. Welche der drei Bauweisen ist für den Bewegungs- und den Ruhezustand geeignet?
2. Bestimmen Sie die Hydraulikkraft in dem geeigneten System infolge der Belastung F .
Bekannt: a, F
1)

2a 7 3 Hydraulik 6
2
2a 4
5 F
2a 1 Hydraulik

2) 3) 6a 3a 3a a

2a 3 Hydraulik 6 3 Hydraulik
2 2
2a 4 4
5 F 5 F
2a 1 Hydraulik 1 Hydraulik

6a 3a 3a a 6a 3a 3a a

Aufgabe 11.14
(SG = 2, BZ = 20 min) FL 4a a
Mit dem dargestellen sta-
tischen System wird das
mechanische Verhalten Δ uL
2
eines Lochers untersucht. A
In dem Punkt A ist eine Δ uD cM
Torsionsfeder angebracht. 1
FD
Wie bei dem Federgesetz
für Kräfte in Gl.(3.19)
wird ein Federgesetz für Momente gemäß M = cM ϕ angenommen. Hierbei sind M das in
der Feder wirkende Moment, ϕ die momentane Verdrehung und cM eine Drehfederkonstante.
1. Wie groß ist der Weg ΔuD , wenn die Handkraft FL den Weg ΔuL vertikal nach unten
gerichtet zurücklegt?
2. Wie groß ist dann die Druckkraft FD ?
3. Wie groß muss FL mindestens sein, um die angegebene Verschiebung zu erreichen?
Bekannt: Handkraft FL = 50 N, ΔuL = 5 mm, Abmessung a = 25 mm, Drehfederkonstante
cM = 20 N/m. Die Berechnung soll unter der Annahme kleiner Verformumgen erfolgen.
328 11 Werkzeuge und Maschinen

Aufgabe 11.15
(SG = 1, BZ = 5 min)
Das mechanische Verhal-
ten des Wellrades in einer 1
r1 r2
Oberleitung wird durch
das dargestellte statische Δ uZ
2
System vereinfacht. Z
1. Berechnen Sie für die G ΔuG
Last G die Kraft Z für
Gleichgewicht.
2. Berechnen Sie den
Weg ΔuG , der sich
infolge des Weges
ΔuZ einstellt.
Bekannt: G = 2 kN, Abmessungen r1 = 30 mm, r2 = 8 mm, ΔuG = 5 mm.

Aufgabe 11.16 (SG = 2, BZ = 15 min)


Eine Dampfturbine älterer Bauart überträgt mit einem räumlichen Zahnradsystem eine
Kraft FD .
1. Berechnen Sie unter Verwendung des dargestellten vereinfachten mechanischen Systems
die Presskraft FP .
2. Berechnen Sie die Übertragungsfaktoren für Kräfte, Momente, Wege und Drehzahlen.
3. Wie groß ist die Drehzahl n4 des Rades 4, wenn n1 die Drehzahl des Rades 1 ist?

r3 r4

r2

FD
r1 FP

Bekannt: Dampfkraft FD = 50 N, Abmessungen r1 = 40 cm, r2 = 20 cm, r3 = 30 cm, r4 =


10 cm, n1 = 10 min−1 .
Aufgabe 11.17 (SG = 2, BZ = 20 min)
Die Kurbelwelle eines Motors treibt über rB Gebläse Generator

jeweils einen Riementrieb gleichzeitig ein B G rG


Gebläse und einen Generator an. Dabei
geschieht der Gebläseantrieb über eine
zusätzliche Spannrolle. rS
S
1. Wie groß ist die Übersetzung zwischen rK
Kühlluftgebläse und Motorantrieb? Spannrolle
2. Welchen Durchmesser hat die Gebläse-
K
scheibe?
3. Welche Drehzahl nS hat die Spannrolle? Kurbelwelle
4. Welche Drehzahl nG hat der Generator?
Bekannt: Drehzahl Motor nM = 1200 min−1 , Abmessungen rM = 40 cm, rG = 20 cm, rG
= 30 cm, rS = 10 cm.

Aufgabe 11.18 (SG = 3, BZ = 45 min)


1
Die Zwischenwelle eines Stirnrad-Getriebes dϕ1
hat ein Drehmoment MT zu übertragen. 4
Die Schrägzahn-Stirnräder 2 und 3 haben
die Schrägungswinkel β2 und β3 sowie 2
die Wälzkreisdurchmesser rw2 und rw3 . A β β3 3 B
2
Berechnen Sie die Lagerkräfte in dem
Loslager A und dem Festlager B. rw3
rw2
Bekannt: MT = 15 kNm, Stirnrad 2: β2 =
17o , α2 = 16o , Radius rw2 =140 mm, Stirn-
rad 3: β3 = 15o , α3 = 12o , Radius rw3 =100 3a 4a 4a
mm, Abstände: a = 100 mm. Die Drehrich-
tung des Antriebsrades 1 ist wie dargestellt
dϕ1 .

Aufgabe 11.19 (SG = 1, BZ = 10 min)


Ein dreistufiges Zahnradgetriebe wird von ML
einem Motor mit einem Moment M1 = ML 2
angetrieben. Die Drehzahl ist n1 = nL . Die 4
6
Radien der Zahnräder stehen im Verhältnis 1
3
r6 = 2r1 , r2 = 2r1 , r3 = 0, 8r1 .
5
1. Wie groß muss der Radius r4 sein, damit
das Übertragungsmoment M6 = MH
erreicht wird? MH
2. Wie groß ist dann die Drehzahl n6 des
Rades 6?
Bekannt: r5 = 14 cm, ML = 200 Nm, MH = 400 Nm, n1 = 500 min−1 .
Um die Standsicherheit der oben dargestellten Feuerwehrfahrzeughalle zu gewährleisten, führt der Berech-
nungsingenieur eine Bemessung (oder: Dimensionierung) des unten dargestellten Stahlbogenträgers durch. Dazu
werden die Abmessungen und der Werkstoff so ausgewählt, dass
1. die zulässige Materialbeanspruchung an jeder Stelle der Querschnitte nicht überschritten wird und
2. die Verformungen des Systems innerhalb vorgegebener Toleranzwerte bleiben.
Ausgangspunkt dieser beiden Aufgaben sind sogenannte Schnittgrößen. Dieses sind Kräfte und Momente im
Inneren der Konstruktion, die auf der Grundlage einer idealisierten Belastung mit den Methoden der Statik
berechnet werden. Die Bemessung unter Verwendung von Schnittgrößen ist außer im Bauwesen für alle Inge-
nieurdisziplinen, in denen Konstruktionen großen Belastungen ausgesetzt sind, von großer sicherheitsrelevanter
Bedeutung.
12
Schnittgrößen

Bei der Berechnung von Schnittgrößen untersuchen wir zunächst Balkentragwerke in der
Ebene, wobei zwei Berechnungswege, die Gleichgewichtsmethode und die Lösung von Dif-
ferenzialgleichungen, vorgestellt werden. Weitere Anwendungen erfolgen für Bogenträger,
Balkentragwerke im Raum sowie Werkzeuge und Maschinen.

12.1 Definition von Schnittgrößen


Wir betrachten in Abb. 12.1.a einen Träger auf zwei Stützen, der in der Ebene durch
Einzelkräfte F1 , F2 ,.., Fi , Einzelmomente M1 , M2 ,.., Mi , eine Streckenlast q(x) senkrecht
zur Trägerlängsachse und eine Streckenlast n(x) in Trägerlängsachse beansprucht wird.
In dem verwendeten Koordinatensystem fällt die x-Achse mit der Schwerlinie, welche die
Flächenschwerpunkte S des Trägers verbindet, zusammen. Abb. 12.1.b zeigt das zugehörige
statische System für einen Balken.
Mit einem Freischnitt an der beliebigen Stelle x wird der Balken in Abb. 12.2 in zwei
Teilsysteme zerlegt. Gleichzeitig werden an beiden Schnittufern die

Schnittgrößen
(12.1)
1. N (x) die Normalkraft, 2. Q(x) die Querkraft, 3. M (x) das Biegemoment

F1 Fi q(x)
a) M1 b
Mi n(x)
y y
x x h
S
z Schwerlinie z
F1 Fi q(x)
b) Mi
M1 n(x)
y
x S
z Schnitt

Abb. 12.1. Träger auf zwei Stützen mit Belastung: a) reales System, b) statisches System

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
332 12 Schnittgrößen

a) M(x) M(x)
y x x
x N(x) N(x)
z Q(x) Q(x)
positives SU negatives SU
b) _
_ _ z
M(x)
_ M(x)
_ _
x x x _
_ _ y
_ N(x) N(x) _
negatives SU Q(x) Q(x) positives SU

Abb. 12.2. Freischnitte und Schnittgrößen für a) Koordinatensystem x, y, z, b) Koordinatensystem x̄, ȳ, z̄

sichtbar gemacht. Sie sind ein Maß für die innere Beanspruchung des Balkens und Grund-
lage der Bemessung und Dimensionierung. Nach dem Wechselwirkungsgesetz (3.5) treten
sie entgegengesetzt gleich groß an beiden Schnittufern auf.
In einer statischen Berechnung ist es üblich, Schnittgrößen zunächst als positiv anzuneh-
men. Ergibt die Berechnung ein negatives Vorzeichen, so wirken sie entgegengesetzt zur
angenommenen Richtung. Bei der Vorzeichendefinition werden zwei Möglichkeiten unter-
schieden: 1. Vorzeichendefinition über ein Koordinatensystem und 2. Vorzeichendefinition
über eine gestrichelte Linie (ohne Koordinatensystem).

1. Vorzeichendefinition über ein Koordinatensystem: Wir formulieren die

Definition Schnittufer (SU)


1. Positives Schnittufer: Die x-Koordinate zeigt aus dem Schnittufer heraus. (12.2)
2. Negatives Schnittufer: Die x-Koordinate zeigt in das Schnittufer herein.

Damit können wir unter Beachtung des Wechselwirkungsgesetzes (3.5) die Vorzeichen von
Schnittgrößen in Abb. 12.2 für beide Schnittufer eindeutig festlegen:

Definition zu den Vorzeichen: positive Schnittgrößen


1. zeigen am positiven Schnittufer in positive Koordinatenrichtungen und (12.3)
2. zeigen am negativen Schnittufer in negative Koordinatenrichtungen.

In Abb. 12.2.a sind alle Schnittgrößen positiv entsprechend dieser Definition eingetragen.
Dabei ist das Moment M (x) positiv, wenn der zugehörige Momentenvektor in y-Richtung
wie bei einer Rechtsschraube wirkt, vgl. Anhang C. Abb. 12.2.b macht deutlich, dass mit
einem anderen Rechtskoordinatensystem x̄, ȳ, z̄ der Drehsinn des Momentes verändert wer-
den kann, während Normal- und Querkraft unverändert bleiben.

2. Vorzeichendefinition über eine gestrichelte Linie: Für die statische Berechnung ebener
Systeme wird in der Praxis häufig auf die Angabe des x, y, z Koordinatensystems verzichtet.
Stattdessen wird als alternative Vorzeichenregelung wie in Abb. 12.3 eine sogenannte gestri-
chelte Linie eingeführt. Man kann sie anschaulich als „untere Faser” des Balkens auffassen,
die von den Schnittgrößen gedanklich belastet wird. Damit entstehen folgende
12.2 Gleichgewichtsmethode für einteilige Balkentragwerke 333

a) c)
M(x) M(x)

linkes SU”
N(x) N(x)
Q(x) Q(x) M

linkes SU” ”
rechtes SU” Q N
x M
M(x) M(x) N
b)
Q
N(x) N(x)
” Q(x) Q(x) ”
rechtes SU” ”
linkes SU” rechtes SU”

Abb. 12.3. Freischnitte und Schnittgrößen für a) gestrichelte Linie oben, b) gestrichelte Linie unten, c) beliebige
Balkenlage in der Ebene

Regeln zu „Wirkungen” der Schnittgrößen auf die gestrichelte Linie


1. Positive Normalkraft N (x): „zieht an der Linie” (12.4)
2. Positives Moment M (x): „erzeugt Zug in der Linie”
3. Positive Querkraft Q(x): „zieht am linken Schnittufer die Linie nach unten”.

Die „Wirkungen” (12.4.1) und (12.4.2) gelten für beide Schnittufer, während die Aussage
(12.4.3) nur für das linke Schnittufer in Abb. 12.3.a gilt.
Wird die gestrichelte Linie wie in Abb. 12.3.b auf die gegenüberliegende Seite ver-
legt, dann können die „Wirkungen” (12.4) übernommen werden, indem der Balken so in
der Zeichenebene gedreht wird, dass die gestrichelte Linie wieder unterhalb der Balken-
achse auftritt. Diese Vorgehensweise erklärt auch, warum „rechtes SU” bzw. „linkes SU”
in Abb. 12.3.b auf der linken bzw. auf der rechten Seite auftreten. Eine Anwendung der
Regeln (12.4) auf die gestrichelte Linie in Abb. 12.3.b verändert den Drehsinn des Momentes,
während Normal- und Querkraft unverändert bleiben. Mit den Regeln (12.4) sind die Schnitt-
größen auch in einer beliebigen Balkenlage in der Ebene in Abb. 12.3.c eindeutig festgelegt.
Für die Schnittgrößenberechnung werden zwei Methoden unterschieden: 1. Die Gleich-
gewichtsmethode und 2. die Lösung von Differenzialgleichungen.

12.2 Gleichgewichtsmethode für einteilige Balkentragwerke


Setzen wir voraus, dass jedes der Teilsysteme in Abb. 12.2 oder in Abb. 12.3 auch nach dem
Schnitt im Gleichgewicht ist, dann müssen die Schnittgrößen N (x), Q(x) und M (x) mit
den übrigen an den Teilsystemen angreifenden Kraftgrößen eine Gleichgewichtsgruppe bil-
den. Damit lassen sie sich für statisch bestimmte Systeme durch Gleichgewicht an einem der
geschnittenen Teilsysteme mit den Gleichungen (5.25) berechnen. Bei dem folgenden Bei-
spiel sind insbesondere zwei Schritte für die Berechnung von Schnittgrößen durchzuführen:
1. Berechnung der Lagerreaktionen
2. Anwendung des Schnittprinzips und Aufstellung sowie Auflösung der Gleichgewichts-
bedingungen (5.25) an den Teilsystemen.
334 12 Schnittgrößen

 Beispiel 12.1 Balken mit konstanter Streckenlast

Für einen Balken mit konstanter Streckenlast q q


sind die Schnittgrößen N , Q und M gesucht.
Bekannt: l, q.
Vorüberlegungen: Nach Bestimmung der La- x
gerreaktionen wird eine gestrichelte Linie zur l
Festlegung positiver Schnittgrößen eingeführt.
Anschließend werden die Gleichgewichtsbe- Abb. 12.4. Balken mit Streckenlast
dingungen (5.25) an einem geschnittenen Teilsystem formuliert und nach den Schnittgrößen
aufgelöst. Dabei wird die Resultierende der Streckenlast q für das Teilsystem benötigt.
Lösung: Durch Aufstellen und Auflösen der Gleichgewichtsbedingungen (5.25) für das
Gesamtsystem in Abb. 12.5.a berechnen wir die Auflagerkräfte:

→: AH = 0 =⇒ AH = 0
 l 1
A: ql · − BV · 3l = 0 =⇒ BV = ql
2 2
1
↑: AV + Bv − ql = 0 =⇒ AV = ql − BV = ql.
2
Anschließend werden ausgehend vom Auflager A eine x-Koordinate sowie an der „Unter-
seite” des Balkens eine gestrichelte Linie eingetragen. Wir schneiden den Balken an einer
beliebigen Stelle x und bringen am linken Teilsystem in Abb. 12.5.b die Schnittgrößen gemäß
Definition (12.4) an. Die konstante Streckenlast wirkt auf der Länge x, so dass deren Totalre-
sultierende den Betrag qx und den Abstand x/2 vom Lager A hat. Mit den Gleichgewichts-
bedingungen (5.25) und dem Bezugspunkt S erhält man:

a) l/2 ql
q c)

AH
0
x N
Schnitt
AV B
ql
x/2 Q 2
qx +
b) q ql
M(x) 2
AH S
M
AV x N(x) +
Q(x) q l2
8
Abb. 12.5. Balken mit Streckenlast: a) Gestrichelte Linie, Freikörperbild des Gesamtsystems, b) Freikörperbild
des Teilsystems, c) Darstellung aller Schnittgrößen N (x), Q(x) und M (x)
12.2 Gleichgewichtsmethode für einteilige Balkentragwerke 335

→: AH + N (x) = 0 =⇒ N (x) = −AH = 0 


l
↑: AV − q · x − Q(x) = 0 =⇒ Q(x) = AV − q · x = q −x
2
 x qx2 qx
S : qx − AV x + M (x) = 0 =⇒ M (x) = AV x − = (l − x) .
2 2 2
In Abb. 12.5.c sind die Verläufe der drei Schnittgrößen N (x), Q(x) und M (x) dargestellt.
Die Maximalwerte für die Querkraft treten für x = 0 und x = l an den Lagern auf: Q(x = 0)
= ql/2, Q(x = l) = −ql/2. Für das Moment gilt an diesen Stellen M (x = 0) = M (x = l)
= 0. Der Maximalwert tritt an der Stelle x = l/2 mit M (x = l/2) = ql2 /8 auf.
Bemerkung: Der Leser überzeuge sich, dass man die gleichen Ergebnisse auch durch Auf-
stellen und Lösen der Gleichgewichtsbedingungen am rechten Teilsystem erhält. 

 Beispiel 12.2 Kragarm mit dreiecksförmiger Streckenlast

Für einen Kragarm mit dreiecksförmiger Stre-


q
ckenlast sind die Schnittgrößen gesucht.
Bekannt: l, q.
Vorüberlegungen: Wir wenden die Gleich- l
gewichtsbedingungen (5.25) an dem rechten
geschnittenen Teilsystem an. Dann ist es nicht Abb. 12.6. Kragarm mit dreiecksförmiger
notwendig, zuerst die Lagerreaktionen zu Streckenlast
berechnen. a) q
Lösung: Ausgehend vom Kragarmende lassen AH
wir die Koordinate x nach links zeigen und
MA l x
tragen an der „Unterseite” des Kragarms eine Schnitt
AV qx 2
gestrichelte Linie ein. Wir schneiden den Krag-
arm an einer beliebigen Stelle x und bringen x/3 2l 2x/3
b) qx
dort die Schnittgrößen gemäß Definition (12.4) l
M(x) S
an. Mit dem Randwert qx/l am Teilsystem der
Länge x in Abb. 12.7.b hat die Totalresultieren- N(x) x
Q(x)
de der dreiecksförmigen Streckenlast den Wert
Abb. 12.7. Freischnitte a) am Gesamtsystem,
(qx/l) · x · (1/2) = (qx2 )/(2l) und den Ab- b) am rechten Teilsystem
stand x/3 vom Bezugspunkt S. Aus den Gleich-
gewichtsbedingungen (5.25) folgt: 0
N
→: N (x) =0
qx2 qx2
↑: − + Q(x) = 0 =⇒ Q(x) = Q +
2l 2l 3 ql
 qx2 x qx quadratische Parabel
S : M (x) + = 0 =⇒ M (x) = − . 2
2l 3 6l
In Abb. 12.8 sind die Verläufe der Schnitt- M
kubische Parabel
größen dargestellt. Die Querkraft hat einen q l2
quadratischen und das Moment einen kubi- 6
schen Verlauf. Abb. 12.8. Verläufe der Schnittgrößen
336 12 Schnittgrößen

Durch Auswertung der Funktionen an der Stelle x = l können wir die Auflagerkräfte in
Abb. 12.7.a ermitteln: AH = −N (x = l) = 0, AV = Q (x = l) = ql/2, MA = M (x = l) =
−ql2 /6. Der Leser überprüfe mit den Gleichgewichtsbedingungen (5.25) am Gesamtsystem
in Abb. 12.7.a deren Richtigkeit. 

 Beispiel 12.3 Balken mit Einzellast

Für einen Balken der Länge l mit Einzellast F


sind die Schnittgrößen N , Q und M gesucht. F
Vorüberlegungen: Es werden die gleichen
Rechenschritte wie in Beispiel 12.1 durchge- x
führt. Zur Berücksichtigung der Änderung der l l
Schnittgrößen führen wir zwei Teilsysteme mit 2 2
den Längen x < l/2 und x > l/2 ein. Abb. 12.9. Balken mit Einzellast

Lösung: Aus den Gleichgewichtsbedingungen (5.25) für das Gesamtsystem in Abb. 12.10.a
berechnen wir die Auflagerkräfte:
F
AH = 0, AV = B = .
2
Die Schnittgrößen gemäß Definition (12.4) am linken Teilsystem der Länge x < l/2 in
Abb. 12.10.b erhalten wir aus den Gleichgewichtsbedingungen (6.39):

→: AH + N (x) = 0 =⇒ N (x) = −AH = 0


F
↑: AV − Q(x) = 0 =⇒ Q(x) = AV =
2
 F
S : AV x + M (x) = 0 =⇒ M (x) = AV x = x
2
d)
a) F
l/2
AH =0
0
x N
b) F Schnitte
AV =
AH =0
2
S M(x) B=F F
2 Q 2
+
N(x)
AV = F x Q(x)
F F
2 2
c) F
M(x) M
AH =0 S +
Fl
AV = F x
N(x) 4
2 Q(x)
Abb. 12.10. Balken mit Einzellast: a) Gestrichelte Linie, Gleichgewicht am Gesamtsystem, b) Gleichgewicht an
den Teilsystemen x < l/2 und c) x > l/2, d) Darstellung aller Schnittgrößen N (x), Q(x) und M (x)
12.3 Zusammenhang zwischen Belastungen und Schnittgrößen 337

In gleicher Weise behandelt man das linke Teilsystem der Länge x > l/2 in Abb. 12.10.c.
Die Schnittgrößenverläufe sind für beide Bereiche in Abb. 12.10.d dargestellt. Damit hat die
Querkraft im Bereich x < l/2 einen konstanten Verlauf, an der Stelle x = l/2 einen Sprung
um den Wert F und für x > l/2 wieder einen konstanten Verlauf. Der Maximalwert des
Momentes tritt an der Stelle x = l/2 mit M (x = l/2) = F/4 auf.
Bemerkung: Der Leser überzeuge sich, dass man die gleichen Ergebnisse auch durch Auf-
stellen und Lösen der Gleichgewichtsbedingungen am jeweils rechten Teilsystem erhält. 

12.3 Zusammenhang zwischen Belastungen und Schnittgrößen

Zwischen den Belastungen und den Schnittgrößen kann ein allgemeingültiger Zusammen-
hang formuliert werden. Dazu erfolgt vorher ein kleiner Exkurs in die Differentialgeometrie.
Wir betrachten in Abb. 12.11 eine nichtlineare Funktion f (x) an den Stellen x und x+dx.
Kennzeichnen wir mit f  (x) = df /dx die Ableitung von f (x) an der Stelle x, dann lässt sich
der Funktionswert f (x + dx) an der Stelle x + dx in drei Anteile zerlegen:

f (x + dx) = f (x) + df + r(x). (12.5)


f(x)
Hierbei ist r(x) ein Restglied, welches für li- f(x+dx)
r(x)
neare Funktionen f (x) zu Null wird. Lassen f '= df = tan α
f(x) dx α df
wir dx gegen Null laufen, dann ist r(x)
„klein von höherer Ordnung” und kann daher f(x)
auch für nichtlineare Funktionen vernachläs-
sigt werden. Wir können Gl.(12.5) also durch x x+dx x
x dx
einen linearen Term annähern:
Abb. 12.11. Lineare Annäherung einer
f (x + dx) = f (x) + df. (12.6) nichtlinearen Funktion

Wir untersuchen jetzt in Abb. 12.12 einen Balken auf zwei Stützen, der durch eine Stre-
ckenlast q(x) senkrecht zur Balkenlängsachse und eine Streckenlast n(x) in Balkenlängs-
achse beansprucht wird. An der Stelle x wird ein Balkendifferenzial der Länge dx her-
ausgeschnitten. Wegen dx → 0 werden die zugehörigen Streckenlasten q(x) und n(x)
als konstant angesetzt. Damit greifen deren Resultierende q(x)dx und n(x)dx im Zen-
trum des Differenzialelementes dx an. Gemäß der Vorzeichenregelung (12.4) tragen wir

qdx
dx dx
F1 Fi 2 2
q(x) q(x) n(x)
M1 Mi n(x) M(x) M(x+dx)
N(x+dx)
N(x) ndx S
x Q(x) Q(x+dx)
dx dx
Abb. 12.12. Freikörperbild eines Balkendifferenzials
338 12 Schnittgrößen

am linken Schnittufer des Balkendifferenzials die Schnittgrößen N (x), Q(x) und M (x)
an. Entsprechend wirken am rechten Schnittufer die Größen N (x + dx), Q(x + dx) und
M (x + dx), die wir nach Gl.(12.6) durch
N (x + dx) = N (x) + dN, Q(x + dx) = Q(x) + dQ, M (x + dx) = M (x) + dM (12.7)
ersetzen. Mit dem Bezugspunkt S für die Momentenbedingung werden die Gleichgewichts-
bedingungen (5.25) für das Balkendifferenzial aufgestellt und umgeformt:
→: −N (x) + (N (x) + dN ) + n(x)dx = 0 =⇒ dN + n(x)dx = 0
↑: Q(x) − (Q(x) + dQ) − q(x)dx = 0 =⇒ dQ + qdx = 0
 dx (12.8)
S : −M (x) + (M (x) + dM ) − Q(x)dx + q(x) dx =0
1 2
=⇒ dM − Q(x)dx + qdx · dx = 0.
2
In dem dritten Ergebnis in (12.8) ist der Term dx · dx verglichen mit dx „klein von höherer
Ordnung”1 . Wir teilen alle drei Ergebnisse in (12.8) durch dx und erhalten nach Umstellung

Die Differenzialgleichungen für die Schnittgrößen des geraden Balkens


dN dQ dM (12.9)
1. = −n(x) 2. = −q(x) 3. = Q(x).
dx dx dx
Aus diesen Gleichungen, den Darstellungen in Abb. 12.13, den bisherigen Ergebnissen in
den Beispielen 12.1 bis 12.3 sowie Aufgabe 12.16 erhalten wir folgende

Regeln zu den Schnittgrößen des geraden Balkens


1. Der Querkraftverlauf Q(x) beschreibt die Steigung des Momentenverlaufes,
vgl. Gl. (12.9.3), Abb. 12.13.
2. Der Streckenlastverlauf q(x) beschreibt die Steigung des Querkraftverlaufes
und wegen M  (x) = Q (x) = −q(x) die Krümmung des Momentenver-
laufes, vgl. Gl. (12.9.2), Gl. (12.9.3), Abb. 12.13. Ist z.B. q(x) linear, dann
sind Q(x) quadratisch und M (x) kubisch, vgl. Abb. 12.13.c.
3. Der Streckenlastverlauf n(x) beschreibt die Steigung des Normalkraftver-
laufes, vgl. Gl. (12.9.1).
4. In Bereichen ohne Streckenlastverlauf q(x) bzw. ohne Streckenlastverlauf (12.10)
n(x) sind Querkraft- bzw. Normalkraftverlauf konstant, vgl. Abb. 12.13.
5. An der Nullstelle der Querkraft (Q = 0) hat das Moment ein Maximum oder
ein Minimum, vgl. Gl. (12.9.3), vgl. Abb. 12.5.c.
6. An dem Ort einer Einzellast in Richtung der Balkenachse hat die Nor-
malkraft N (x) einen Sprung mit dem Wert dieser Einzellast, Abb. 12.13.d.
7. An dem Ort einer Einzellast senkrecht zur Balkenachse hat Q(x) einen
Sprung mit dem Wert dieser Einzellast und M (x) einen Knick, Abb. 12.13.e.
8. An dem Ort eines Einzelmomentes hat das Moment einen Sprung mit dem
Wert dieses Einzelmomentes. Die Normal- und Querkraftverläufe bleiben
davon unbeeinflußt, vgl. Abb. 12.13.f.
1
Man setze z.B. Δx = 10−3 , dann ist Δx · Δx = 10−6 << Δx. Im Grenzübergang Δx = dx → 0 strebt
also dx · dx „schneller” gegen Null als dx.
12.4 Praktische Berechnung von Schnittgrößen 339

a) b) c)
_
linear
M F q
q=0 q=0

0 F
Q
+ ql +
quadratische Parabel
konstant 2
_ konstant
M Fl linear q l2 kubische Parabel

M
+ 6
_
d) e) FV f) M
FH

a b a b a b
0 0 _ 0
N FH +
FH FV b M
a+b - a+b
0 +
Q FV FV a _ +
a+b Mb
0 a+b -
M
+ _ + _
FV ab Ma M
a+b a+b
Abb. 12.13. Zusammenhang zwischen Belastungen und Schnittgrößen

Wir weisen auch darauf hin, dass die Differenzialgleichungen (12.9) des geraden Balkens
nicht für gekrümmte Strukturen, also z.B. Bogenträger, gelten.

12.4 Praktische Berechnung von Schnittgrößen


In Abb. 12.14 sind verschiedenartige Balkentragwerke wie Träger, Rahmen und Bogen-
träger dargestellt. Dabei können Gelenke oder Knicke wie bei dem Rahmen in Abb. 12.14.c
auftreten. Weiter erkennen wir Streckenlasten mit unstetigen Verläufen, Einzellasten oder
Einzelmomente. Grundsätzlich gilt die

Regel zu Bereichen von Schnittgrößen


Orte mit sprunghaften Änderungen der Belastung oder der Geometrie sind Un- (12.11)
stetigkeitsstellen in Form von Sprüngen oder Knicken für die Schnittgrößen.

Die Berechnung der Schnittgrößen geschieht daher als Mehrbereichsaufgabe, wobei das
Tragwerk in Bereiche I, II, III, .. aufgeteilt wird. Die Berechnungsschritte dazu sind in
Tabelle 12.2 zusammengefasst. Erläuterungen zu Bogenträgern, räumlichen Tragwerken
sowie Werkzeugen und Maschinen werden in den nachfolgenden Abschnitten vorgenommen.
340 12 Schnittgrößen

a) F b) F
q
I II
x x
I II III
ϕ ϕ
q(x)
q
c)
II
I II III

III
_
M x x

I II III M =0
II Q II
I
AH M =0
N II
Q III= -N II
N I = -AH III
AV M =0
Q I = AV N III= QII
Abb. 12.14. Mehrteilige Balkentragwerke mit veränderlicher Streckenlast, Einzellast, Einzelmoment und Gelenk,
Gleichgewicht von Kräften und Schnittgrößen in den Knoten: a) Träger, b) Bogenträger, c) Rahmen

Fall Bezeichnung Symbol N Q M

1. Momenten- QI I II II N I = N II QI = QII M I = M II = 0
N
gelenk N I II
Q

2. Normalkraft- QI I II N I = N II = 0 QI = QII M I = M II
MII
gelenk
MI QII

3. Querkraft- NI I II N II N I = N II QI = QII = 0 M I = M II
gelenk MII
MI
II M II
4. Rahmen- I
NII
QI QII
ecke
MI
N I = −QII QI = N II M I = M II
NI

Tabelle 12.1. Übergangsbedingungen zwischen zwei Bereichen I und II


12.4 Praktische Berechnung von Schnittgrößen 341

Lösungsschritte zur Berechnung von Schnittgrößen


1. Auflagerkräfte berechnen: Es werden Gleichgewichtsbedingungen am Gesamtsystem
aufgestellt. Dieses ist nicht immer notwendig, z.B. nicht bei Systemen mit freien Enden.
2. Einteilung in Bereiche: Grenzen für die Bereiche ergeben sich durch
a) die Belastung (z.B. Einzellasten, Änderungen in den Streckenlasten) und
b) die Geometrie des Systems (z.B. Knicke oder Gelenke zwischen den Konstruktions-
teilen, Rahmenecken).
3. Vorzeichenfestlegung: Dieses geschieht für alle Bereiche aus Schritt 2.
a) Ebene Tragwerke: Es wird eine gestrichelte Linie nach Regel (12.4) zur Vorzeichen-
festlegung der Schnittgrößen eingeführt. Der Ort in jedem Bereich wird bei geraden
Trägern durch eine oder mehrere Koordinaten (x, x̄, ..) und bei Bogenträgern durch
einen oder mehrere Winkel ϕ, ϕ̄, ... festgelegt, vgl. Bemerkung 12.1.2.
b) Räumliche Tragwerke: Es wird ein Koordinatensystem nach Definition (12.3)
eingeführt. Hierbei zeigt die x-Koordinate stets in Stabrichtung. Die y- und z-
Koordinaten können beliebig sein, wobei jedoch ein Rechtssystem vorliegen muss.
4. Gleichgewichtsbedingungen an Teilsystemen:
a) Zugehörig zu jedem Bereich wird ein Teilsystem durch i.d.R. zwei Schnitte fest-
gelegt, so dass die Anzahl der Kräfte möglichst gering ist. Ein Schnittufer liegt in
dem betrachteten Bereich und ist durch die Koordinate in Schritt 2 festgelegt. Das
andere Schnittufer ist beliebig, vorausgesetzt die Schnittgrößen sind bekannt. Das
Teilsystem kann so z.B. im Inneren des Tragwerkes liegen oder es kann angrenzende
Bereiche miteinschließen.
b) Für Streckenlasten muss die Totalresultierende (Größe, Lage und Richtung) am Teil-
system berechnet werden.
c) Eintragen der Schnittgrößen: Ebene Tragwerke: nach Definition (12.4), räumliche
Tragwerke: nach Definition (12.3).
d) Aufstellung der Gleichgewichtsbedingungen: Ebene Tragwerke: nach (5.25), räum-
liche Tragwerke: nach (6.39).
e) Darstellung der Ergebnisse über die Stabachsen aller Bereiche mit Angabe von
Zahlwerten, Vorzeichen und ausgezeichneten Werten (Extrema, Nullstellen usw.).
5. Kontrolle der Lösungen: Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten:
a) Die Regeln (12.10) zu Schnittgrößenverläufen.
b) Gleichgewicht von Schnitt- und Reaktionsgrößen an Lagern, vgl. Abb. 12.14.a.
c) Übergangsbedingungen nach Tabelle 12.1, vgl. Abb. 12.14.b.
d) Übergangsbedingungen zwischen den Teilsystemen.

Tabelle 12.2. Lösungsschritte zur Berechnung von Schnittgrößen in Tragwerken mit mehreren Bereichen

Bemerkungen 12.1
1. Da das Tragwerk als ganzes nach Tabelle 12.2, Schritt 1, im Gleichgewicht ist, hat die
Wahl des Teilsystems in Schritt 4.a keinen Einfluß auf die Ergebnisse.
2. Die Wahl der Koordinaten in Tabelle 12.2, Schritt 3.a für ebene Systeme hat keinen Ein-
fluß auf die Vorzeichenfestlegung der Schnittgrößen, die ja eindeutig mit der gestrichelten
Linie vorgenommen wird.
342 12 Schnittgrößen

 Beispiel 12.4 Balken mit Strecken- und Einzellast

Auf einen Balken wirken wie dargestellt


eine vertikale Streckenlast q und eine ho- q
rizontale Einzellast FH . Gesucht sind die
A C FH B
Schnittgrößenverläufe für N, Q und M .
Bekannt: l, q, FH . x
2l l
Vorüberlegungen: Es werden die Schritte
nach Tabelle 12.2 abgearbeitet. Abb. 12.15. Balken mit Strecken- und Einzellast
Lösungen:
1. Auflagerkräfte berechnen: Durch Aufstellung und Auflösung der Gleichgewichtsbedin-
gungen (5.25) am freigeschnittenen Gesamtsystem in Abb. 12.15.b erhält man
→: AH − FH = 0
l q2l
=⇒ AH = FH q

A: 2ql · l − BV · 3l = 0 AH C FH
2
=⇒ BV = ql x x
3 AV 2l l BV
↑: AV + BV − 2ql = 0 Bereich I Bereich II
4 Abb. 12.15.b. Freikörperbild, Einteilung in zwei
=⇒ AV = 2ql − BV = ql.
3 Bereiche, gestrichelte Linie am Gesamtsystem

2. Einteilung in Bereiche: Auf Grund der sprunghaften Änderungen der Last q(x) und der
Einzellast FH , tritt an dieser Stelle ein Sprung in den Schnittgrößen auf. Der Stab wird
also in Abb. 12.15.b in zwei Bereiche 0 ≤ x < 2l und 2l ≤ x ≤ 3l aufgeteilt.
3. Vorzeichenfestlegung: Es wird eine gestrichelte Linie unterhalb der Systemachse in
Abb. 12.15.b eingetragen. Der Ort der Schnittgrößen wird wahlweise durch die Koor-
dinaten x oder x̄ festgelegt.
x/2 qx
4. Gleichgewicht an Teilsystemen:
q
Bereich I (0 ≤ x < 2l): Mit einem Schnitt des
Balkens an der Stelle x entsteht das Teilsystem I MI(x)
AH S
in Abb. 12.15.c. Mit den Schnittgrößen unter Be-
rücksichtigung von Definition (12.4) stellen wir AV x N I(x)
I
Q (x)
die Gleichgewichtsbedingungen auf und lösen
diese nach den Schnittgrößen auf: Abb. 12.15.c. Teilsystem I

→: N I (x) − AH = 0 =⇒ N I (x) = AH = FH
4
↑: AV − qx − QI (x) = 0 =⇒ QI (x) = ql − qx
3
 x 4 x2
S : M (x) − AV x + qx = 0 =⇒ M (x) = qlx − q .
I I
2 3 2
Durch Einsetzen von x = 2l erhält man die Schnittgrößen an der Übergangsstelle
4 2 4 (2l)2 2 2
N I (x = 2l) = FH , QI (x = 2l) = ql−q2l = − ql, M I (x = 2l) = ql2l−q = ql .
3 3 3 2 3
12.4 Praktische Berechnung von Schnittgrößen 343

In Abb. 12.15.e ist der Verlauf der drei Schnittgrößen N I (x), QI (x) und M I (x) darge-
stellt. Nach Regel (12.10.5) hat das Moment ein Extremum MM I an der Nullstelle x
M
der Querkraft:
4 x 4 8 16
QI (x) = ql−2q = 0 =⇒ xM = l =⇒ MM I
= M I (x = xM ) = ql2 = ql2 .
3 2 3 9 18
Dieser Wert ist größer als die Werte M I (x = l) = (5/6)ql2 = (15/18)ql2 an der Stelle
x = l und M I (x = 2l) = (2/3)ql2 = (12/18)ql2 an der Stelle x = 2l.
Bereich II (0≤x<2l):
Ein Schnitt im Bereich II l q2l
q
liefert die Teilsysteme
in Abb. 12.15.d. Die Be- A M II(x) M II(x)
H C FH
rechnung vereinfacht sich
2l NII (x) NII (x) _
erheblich (!) mit Gleichge- AV x lQ II(x)BV QII (x)l x BV
wicht am rechten Teilsystem
und der Koordinate x̄, vgl. Abb. 12.15.d. Teilsysteme infolge eines Schnittes im Bereich II
Bemerkung 12.1.1:
→: N II (x̄) = 0,
2
↑: BV + QII (x̄) = 0 =⇒ QII (x̄) = −BV = − ql
3
 2
S : BV x̄ − M II (x̄) = 0 =⇒ M II (x̄) = BV x̄ = qlx̄.
3
5. Kontrolle der Ergebnisse: Durch q
Einsetzen von x=2l und x̄=l er- A =F FH
H H
hält man die Schnittgrößen an der
Übergangsstelle: AV = 34 ql B = ql
2
V 3
N I (x = 2l) =0= N II (x̄ = l)
N 0
2 +
QI (x = 2l) = − ql = QII (x̄ = l) FH
3
2 2 2 ql
M (x = 2l) = ql = M II (x̄ = l).
I
Q 3
3
4 ql +
Durch Einsetzen von x̄ = 0 erhält 3
man die Schnittgrößen an dem
Auflager B: M
+
5 ql 2 2 ql 2
N II (x̄ = 0) = 0 6 2
l MMI = 98 ql 3
2
QII (x̄ = 0) = − ql = −BV 4l
3 3
M II (x̄ = 0) = 0. Abb. 12.15.e. Verläufe der Schnittgrößen

Der Ort des Maximums von M ist die Nullstelle von Q, vgl. Regel (12.10.5). Die
Schnittgrößen an den Lagern in A und B sind im Gleichgewicht mit den Auflagerkräften.
Im Punkt C hat die Normalkraft N I (2l) einen Sprung der Einzellast FH , vgl. Regel
(12.10.6). Für die Querkraft bzw. das Moment werden die Übergangsbedingungen QI (2l)
= QII (l) = −(2/3)ql bzw. M I (2l) = M II (l) = (2/3)ql2 erfüllt. 
344 12 Schnittgrößen

 Beispiel 12.5 Eingespannter Rahmen mit Einzellast

Ein eingespannter Rahmen wird wie dargestellt durch


l F
eine vertikale Einzelkraft F belastet. Gesucht sind die 2
Schnittgrößenverläufe für N , Q und M . C
B
Bekannt: l, F .
Vorüberlegungen: Es werden die Schritte nach Tabelle
12.2 abgearbeitet. Dabei können wir auf die Berechnung
der Lagerreaktionen verzichten, wenn wir die Berech- l
nung der Schnittgrößen am Teilsystem mit dem freien
Ende beginnen.
A
Lösungen:
1. Auflagerkräfte berechnen: entfällt. Abb. 12.16. Rahmen mit Einzellast
2. Einteilung in Bereiche: An der Rahmenecke tritt
ein Sprung in den Schnittgrößen auf. Der Rahmen
l F
wird also in Abb. 12.17 in zwei Bereiche, Stiel und 2
Riegel, aufgeteilt. Dabei legen wir zweckmäßig den C
xI B
Bereich I mit der Koordinate xI in den Riegel, da
wir den Schritt 4 ohne Lagerreaktionen durchführen
werden.
3. Vorzeichenfestlegung: Es wird eine gestrichelte l
Linie wie in Abb. 12.17 dargestellt eingetragen. Die
Orte der Schnittgrößen werden durch die von A und
C ausgehenden Koordinaten xI und xII festgelegt.
(Alternativ sind von B und C ausgehende, zu xI A xII
und xII entgegengesetzt gerichtete, Koordinaten bei
Abb. 12.17. Einteilung in zwei Bereiche,
gleicher gestrichelter Linie möglich.) gestrichelte Linie
4. Gleichgewicht an Teilsystemen:
Bereich I: Infolge eines Schnittes im Bereich I l x
I
entsteht das Teilsystem I in Abb. 12.18 am freien I 2 F
M (xI )
I
Trägerende. Mit den Schnittgrößen nach Defini- N (x xI ) S
C
tion (12.4) folgt aus den Gleichgewichtsbedingun- xI QI (x )
B
I
gen (5.25):
Abb. 12.18. Teilsystem I
→: N I (xI ) = 0 =⇒ N I (xI ) = 0

↓: F − QI (xI ) = 0 =⇒ QI (xI ) = F
   
 l l
S: M I (x I) +F − xI = 0 =⇒ M I (x I) =F xI − .
2 2
Durch Einsetzen von xI = 0 erhält man die Schnittgrößen im Punkt C.
l
N I (xI = 0) = 0, QI (xI = 0) = F, M I (xI = 0) = −F .
2
12.4 Praktische Berechnung von Schnittgrößen 345

In Abb. 12.20 sind die Verläufe der Schnittgrößen N I (x), QI (x) und M I (x) dargestellt.
Bereich II: Infolge eines Schnittes im Bereich II ent-
l
steht das Teilsystem II in Abb. 12.19 am freien Träger- 2 F
ende. Mit den Schnittgrößen nach Definition (12.4) folgt
C
aus den Gleichgewichtsbedingungen (5.25): xI B

l xII
→: −QII (xII ) = 0 =⇒ QII (xII ) = 0
↑: −N II (xII ) − F = 0 =⇒ N II (xII ) = −F S
Q II (xII )
 l l
S : M II (xII ) + F = 0 =⇒ M II (xII ) = −F , M II (x II )
2 2
N II(xII )
d.h. in diesem Bereich sind alle Schnittgrößen, wie in
Abb. 12.20 dargestellt, konstant. Abb. 12.19. Teilsystem II

N Q M
F l
F F +
F2 -
C 0
B

Q II
- 0
MII N II
-

N II
MII
Q II
A AH
MA
AV
Abb. 12.20. Verläufe der Schnittgrößen, Reaktionsgrößen am Lager A

5. Kontrolle der Ergebnisse: Durch Auswertung der Funktionen an der Stelle xII = 0 kön-
nen wir die Reaktionsgrößen am Lager A ermitteln, vgl. Abb. 12.20:
l
AV = −N II (xII = 0) = F, AH = QII (xII = 0) = 0, MA = M II (xII = 0) = −F .
2
Der Leser überprüfe mit den Gleichgewichtsbedingun- MI (0)
gen (5.25) am Gesamtsystem die Richtigkeit dieser C
Ergebnisse. Für die Normal- und Querkräfte sowie das NI(0)
Q II (l) I
Moment werden die Übergangsbedingungen QI (0) = Q (0)
−N II (2l) = F , N I (0) = QII (2l) = 0 und M I (0) = M II(l) II
N (l)
M II (2l) = F l/2 am Knoten C in Abb. 12.21 erfüllt.
Abb. 12.21. Gleichgewicht
am Knoten C 
346 12 Schnittgrößen

 Beispiel 12.6 Gerberträger mit Streckenlast, Einzellast und Einzelmoment

Auf einen Gerberträger wirken wie


dargestellt eine dreiecksförmige Stre- _ F
M q
ckenlast q, eine Einzellast F und ein C
A
Einzelmoment M̄ . Gesucht sind die B G
Schnittgrößen.
2l 2l l l 3l
Bekannt: l, F , q = 2F/l, M̄ = F l.
Vorüberlegungen: Es werden die Abb. 12.22. Gerberträger
Schritte nach Tabelle 12.2 abgearbeitet.
Lösungen:
1. Auflagerkräfte berechnen: _ F
Mit einem Schnitt M q
AH
am Gelenk G
zerlegen wir das a) x BV x G x CV
AV I II III IV V
Gesamtsystem
2l 2l l l 3l q3l
in Abb. 12.23 in
_ l 2
zwei Teilsysteme. F
Aus den Gleichge- M GV
AH GH
wichtsbedingungen
(5.25) erhält man b) BV GV GH CV
AV l l
für das rechte 2l 2l 3l
Teilsystem:
Abb. 12.23. a) Freikörperbild am Gesamtsystem, Einteilung in fünf Bereiche,
¯, b) Freikörperbild am zerlegten System
gestrichelte Linie, Koordinaten x, x̄, x̄

 q3l ql
G: CV 3l − l=0 =⇒ CV = =F
2 2
3ql 3ql
↑: GV + CV − =0 =⇒ GV = − CV = 3F − F = 2F
2 2
→: GH = 0.

Für das linke Teilsystem gilt:


 1
A: BV 4l − F 5l − GV 6l + M̄ = 0 =⇒ BV = (5F + 6GV − M̄ /l) = 4F
4
↑: AV + BV − F − GV = 0 =⇒ AV = F + GV −BV = F +2F −4F = −F
→: AH + GH = 0 =⇒ AH = GH = 0.

2. Einteilung in Bereiche: An den Stellen der Einzellast F , des Einzelmomentes M̄ , des


Lagers B und dem Gelenk G treten Sprünge in den Schnittgrößen auf. Der Stab wird
also in Abb. 12.23.a in fünf Bereiche I, II, ..., V aufgeteilt.
3. Vorzeichenfestlegung: Es wird eine gestrichelte Linie unterhalb der Systemachse in
Abb. 12.23.a eingetragen. Der Ort der Schnittgrößen wird im Folgenden für die ver-
schiedenen Bereiche durch die Koordinaten x, x̄ und x̄ ¯ so festgelegt, dass die Kraftanteile
in den Gleichgewichtsbedingungen (6.39) möglichst gering sind, vgl. Bemerkung 12.1.3.
12.4 Praktische Berechnung von Schnittgrößen 347

4. Gleichgewichtsbedingungen an Teilsystemen: Da keine horizontalen Belastungen auftre-


ten, ist die Normalkraft gleich Null. Wir bestimmen Querkraft- und Momentenschnitt-
größen für die Bereiche I bis V daher aus den Bedingungen (5.25.2) und (5.25.3). Die
Verläufe für die drei Schnittgrößen werden für alle Bereiche in Abb. 12.29 dargestellt.
Bereich I: Ein Schnitt im Bereich I liefert das Teilsystem I in
Abb. 12.24. Aus Gleichgewicht folgt: AH
I
M (x)
S
↑: −QI (x) − AV = 0 =⇒ QI (x) = AV = −F
I
N (x)
I
 x Q (x)
S : M I (x) + −AV x = 0 =⇒ M I (x) = AV x = −F x. AV

Durch Einsetzen von x = 0 und x = 2l erhält man die Schnitt- Abb. 12.24. Teilsystem I
größen im Lager A und an der Einleitungsstelle des Momentes:
QI (x = 0) = −F, M I (x = 0) = 0, QI (x = 2l) = −F, M I (x = 2l) = −2F l.
_
Bereich II: M II
AH S M (x)
↑: −QII (x) − AV = 0 II
N (x)
=⇒ QII (x) = AV = −F II
x Q (x)
 AV I
S : M II (x) + M̄ − AV x = 0 2l
=⇒ M II (x) = AV x − M̄ = −F (x + l). Abb. 12.25. Teilsystem II

Durch Einsetzen von x = 2l und x = 4l erhält man die Schnittgrößen an der Ein-
leitungsstelle des Momentes und im Punkt B:
QII (x = 2l) = −F, M II (x = 2l) = −3F L, QII (x = 4l) = −F, M II (x = 4l) = −5F l.
Bereich V: Wir verwenden in diesem Bereich
eine von C nach links laufende Koordinate x̄. qx 2
qx
Mit dem Randwert q x̄/(3l) am Teilsystem V x 6l 2x
3l
der Länge x̄ in Abb. 12.26 hat die Totalresul- V 3 3
Q (x)
tierende der dreiecksförmigen Streckenlast den V
Wert q x̄/(3l) · x̄ · (1/2) = (q x̄2 )/(6l) und den N (x)
Abstand x̄/3 vom Bezugspunkt S. Es gilt: V
S CV
2 M (x) x
q x̄
↑: QV (x̄) − + CV = 0
6l  2  Abb. 12.26. Teilsystem V
q x̄2 x̄
V
=⇒ Q (x̄) = −F = F −1
6l 3l2
 q x̄2 x̄ q x̄3 F x̄3
S : M V (x̄) + = 0 =⇒ M V (x̄) = CV x̄ − = F x̄ − 2 .
6l 3 18l l 9
Durch Einsetzen von x̄ = 3l erhält man die Schnittgrößen im Gelenk G:
QV (x̄ = 0) = −F, M V (x̄ = 0) = 0, QV (x̄ = 3l) = 2F, M V (x̄ = 3l) = 0.
V
√ Nullsetzen der quadratischen Funktion für Q (x̄) erhalten wir die Nullstelle x̄Q
Durch
= 3l. Nach Regel (12.10.6) hat das √
Moment hier ein Extremum, in diesem Fall ein
V V
Maximum: MM ax = M (x̄Q ) = F l2/ 3.
348 12 Schnittgrößen
IV
Bereich IV: Wir verwenden zweck- Q (x)
IV
mäßig die von G aus nach links N (x) S G GH
¯ am Teilsystem
zeigende Koordinate x̄
M IV(x) x GV
IV in Abb. 12.27:
¯) − GV = 0
↑: QIV (x̄ Abb. 12.27. Teilsystem IV

=⇒ QIV (x̄
¯) = GV = 2F

S : M IV (x̄
¯) + GV x̄
¯=0 ¯) = −GV x̄
=⇒ M IV (x̄ ¯ = −GV x̄
¯.
Durch Einsetzen von x̄ = 0 und x̄ = l erhält man die Schnittgrößen im Gelenk G
und an der Stelle der Lasteinleitung der Kraft:
¯ = 0) = −2F, M IV (x̄
QIV (x̄ ¯ = l) = −2F, M IV (x̄
¯ = 0) = 0, QIV (x̄ ¯ = l) = −2F l.
Bereich III: Mit der Koordinate x̄¯ am III
Teilsystem III in Abb. 12.28 folgt: Q (x) F
III
N (x) S GH
↑: ¯) − GV − F = 0
QIII (x̄
III GV
=⇒ QIII (x̄¯) = GV + F = 3F M (x) x
l

S : M III (x̄
¯) + GV x̄ ¯ − l)F = 0
¯ + (x̄
Abb. 12.28. Teilsystem III
=⇒ M III (x̄¯) = F (l − 3x̄
¯).

Durch Einsetzen von x̄ = l und x̄ = 2l erhält man die Schnittgrößen an der Stelle der
Lasteinleitung und im Lager B
¯ = l) = −2F, M III (x̄
QIII (x̄ ¯ = l) = −2F L,
III
Q (x̄ III
¯ = 2l) = 3F, M (x̄ ¯ = 2l) = −5F l.

5. Kontrolle der Ergebnisse: _ F linear


Die Schnittgrößen an den M q
Lagern in A und C sind A C
im Gleichgewicht mit den B G
Auflagerkräften. An allen 2l 2l l l 3l
Übergangsstellen zwischen
den Bereichen sind die Über- N 0
gangsbedingungen erfüllt. quadratisch
In den Darstellungen in Q F
Abb. 12.29 erkennt man, F
3F +
dass die Sprünge für die 2F
Querkraft der Lagerkraft BV 3l
bzw. der Einzelkraft F und 3F l 5F l
M 2F l
der Sprung für das Moment 2F l
dem Einzelmoment M̄ kubisch
entsprechen. Ferner ist der +
Nulldurchgang von QV (x̄ ¯) MMV =F l 2
3
an der Stelle des maximalen
Abb. 12.29. Verläufe der Schnittgrößen
Momentes von M V (x̄¯). 
12.4 Praktische Berechnung von Schnittgrößen 349

 Beispiel 12.7 Bogentäger unter Eigengewicht

Für einen Bogenträger der Masse m sind die


Schnittgrößen infolge Eigengewicht gesucht. g m
Bekannt: R, m, g.
Vorüberlegungen: Es werden die Schritte nach Ta- R
belle 12.2 abgearbeitet. Zur Ermittlung der Total-
resultierenden am Teilsystem infolge des Eigenge- A B
wichtes werden die Ergebnisse aus Beispiel 8.7 für
den Schwerpunkt eines Kreisbogens verwendet. Abb. 12.30. Bogenträger unter Eigengewicht
Lösungen: q G
1. Auflagerkräfte berechnen: Aufgrund der Sym-
metrie des Halbbogens verläuft die Resultie-
rende der Gewichtskraft in der Symmetrieachse
des Systems und hat den Wert G = mg. Durch
Aufstellen und Auflösen der Gleichgewichts- R
bedingungen (5.25) am freigeschnittenen Ge- A H
samtsystem in Abb. 12.31 erhält man für die ϕ
Lagerkräfte BV
AV
1
AV = BV = G, AH = 0. Abb. 12.31. Freikörperbild, Winkel
2
2. Einteilung in Bereiche: Auf Grund der kontinuierlichen Verteilung der Masse wird nur
ein Bereich mit dem Winkel 0 ≤ ϕ ≤ 180o in Abb. 12.31 benötigt.
3. Vorzeichenfestlegung: Positive Schnittgrößen werden mit der gestrichelten Linie in
Abb. 12.31 festgelegt. Der Ort der Schnittgrößen wird durch den Winkel ϕ angegeben.
4. Gleichgewicht am Teilsystem: In das durch den Winkel ϕ
festgelegte Teilsystem in Abb. 12.32 werden die Schnitt- q
größen nach Definition (12.4) eingetragen. Zur Berück-
sichtigung einer Streckenlast q infolge Eigengewicht G(ϕ ) cos ϕ
G(ϕ )
setzen wir das Verhältnis der Gewichtskraft G(ϕ) zur ϕ M(ϕ )
geschnittenen Bogenlänge gleich dem Verhältnis der Ge- G(ϕ ) sin ϕ N(ϕ )
wichtskraft G zur gesamten Bogenlänge: S R
Q(ϕ )
G(ϕ) G Rϕ ϕ
= =⇒ G(ϕ) = G =G . AH = 0
Rϕ Rπ Rπ π ϕ
AV cos ϕ xG
Die Lage wird mit α1 = 0 und α2 = ϕ nach Gl.(8.32) ϕ
bestimmt. Unter Berücksichtigung des Drehsinns folgt
AV sin ϕ R cos ϕ
für die Koordinate xG (ϕ) in Abb. 12.32 G R(1-cos ϕ )
AV =
2
R sin ϕ
xG (ϕ) = . (12.12) Abb. 12.32. Teilsystem
ϕ
350 12 Schnittgrößen

Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen (5.25) am Teilsystem in Abb. 12.32 an der


Stelle ϕ und Auflösen nach den Schnittgrößen liefert:
 
ϕ 1
: N (ϕ) + AV cos ϕ − G(ϕ) cos ϕ = 0 =⇒ N (ϕ) = G cos ϕ −
π 2
 
1 ϕ
: Q(ϕ) − AV sin ϕ + G(ϕ) sin ϕ = 0 =⇒ Q(ϕ) = G sin ϕ −
2 π

S: M (ϕ) − AV R(1 − cos ϕ) + G(ϕ)(xG (ϕ) − R cos ϕ) = 0
 
1 1 ϕ cos ϕ sin ϕ
=⇒ M (ϕ) = GR 2 − 2 cos ϕ + − .
π π
Diese Ergebnissekönnenfür ausgezeichnete Winkel ausgewertet werden. Für das Moment er-
hält man z.B. M (π/2) = GR(1/2−1/π). Eine qualitative Darstellung erfolgt in Abb. 12.33.
1 1
GR(2 π )
+

+
G
2 N Q M

Abb. 12.33. Schnittgrößen im Bogen, qualitative Darstellung

5. Kontrolle der Ergebnisse: ϕ =0: ϕ = π:


Auswertung der Schnittgrößen für M=0 N=- G M=0 N=- G
2 2
ϕ = 0 und ϕ = π liefert:
A Q=0 B Q=0
N (ϕ = 0) = N (ϕ = π) = − 21 G AH =0
Q(ϕ = 0) = Q(ϕ = π) = 0 AV = G B=G
2 2
M (ϕ = 0) = M (ϕ = π) = 0.
Abb. 12.34. Kontrolle der Ergebnisse in A und B
Damit sind die Kraftschnittgrößen im Gleichgewicht mit den Auflagerkräften in A und
B, siehe Abb. 12.34. Ferner sind in beiden Gelenken die Momente gleich Null. 

12.5 Berechnen der Schnittgrößen durch Lösen der Differenzialgleichungen


Als alternative Möglichkeit zur Gleichgewichtsmethode der vorherigen Abschnitte können
die Schnittgrößen durch Lösung der Differenzialgleichungen (12.9) berechnet werden. Ver-
wendet man dazu unbestimmte Integrale (siehe z.B. [5]), erhält man zusammenfassend die

Gleichungen für die Schnittgrößen des Balkens



1. N (x) = −n(x)dx +CN
 (12.13)
2. Q(x) = −q(x)dx +CQ

3. M (x) = Q(x)dx +CM .
12.5 Berechnen der Schnittgrößen durch Lösen der Differenzialgleichungen 351

Die drei Integrationskonstanten CN , CQ , CM werden mit Hilfe von Rand- und Übergangs-
bedingungen berechnet, wie sie z.B. in Tabelle 12.3 und Tabelle 12.1 auftreten. Für den
Fall mit Streckenlasten n(x), q(x) und den Randbedingungen N (x0 ) = N0 , Q(x0 ) = Q0 ,
M (x0 ) = M0 erhält man für die Konstanten CN = N0 , CQ = Qo , CM = M0 . Damit folgen
aus den Gleichungen (12.13) die in Abb. 12.35 dargestellten Lösungen:
x
1. N (x) = N0 − ΔN, ΔN = x0 n(x)dx
x
2. Q(x) = Q0 − ΔQ, ΔQ = x0 q(x)dx (12.14)
x
3. M (x) = M0 + ΔM, ΔM = x0 Q(x)dx.

Die Aussage von z.B. Gl.(12.14.2) N0 n(x) N(x)


ist: Die Querkraft Q(x) an der
Stelle x > x0 ist gleich dem N N0 ΔN
Anfangswert Q0 an der Stelle + 0
N(x)
x0 vermindert um den Flächen-
Q0 q(x) Q(x)
inhalt unter der Streckenlast q(x)
M0 M(x)
zwischen den beiden Punkten.
Entsprechende Aussagen können
Q Q0 ΔQ
aus den Gleichungen Gl.(12.14.1) +
Q(x)
und Gl.(12.14.3) für die Nor-
malkraft und das Moment gewon-
ΔM
nen werden. M M0 +
M(x)
Abb. 12.35. Lösungen der Differenzialgleichungen

Fall Bezeichnung Symbol N Q M

N
1. Festlager =0
Q

2. Loslager Q =0 =0

N
3. Einspannung M
Q
N
4. Parallelführung =0
M

5. Schiebehülse =0
QM

6. freies Ende =0 =0 =0

Tabelle 12.3. Randbedingungen für einige Lagerungen


352 12 Schnittgrößen

 Beispiel 12.8 Balken mit konstanter Streckenlast.

Für den Balken aus Beispiel 12.1 bestim-


me man die Schnittgrößen N (x), Q(x) q
und M (x) durch Lösen der Differenzialglei-
chungen (12.9).
Bekannt: l, q. x
l
Vorüberlegungen: Die Lösung wird durch
Auswertung der Gleichungen (12.13) unter
Berücksichtigung der Randbedingungen zur Abb. 12.36. Balken mit Streckenlast
Bestimmung der drei Integrationskonstanten
erhalten.
Lösung: Der geradlinige Verlauf der Streckenlast wird durch die konstante Funktion q(x) =
q beschrieben. Mit n(x) = 0 folgt somit aus (12.13) nach Aufstellen der jeweiligen Stamm-
funktionen

1. N (x) = −n(x)dx +CN = CN

2. Q(x) = −q(x)dx +CQ = −qx + CQ

qx2
3. M (x) = Q(x)dx +CM = − + CQ x + CM .
2
Zur Berechnung der drei Integrationskonstanten CN , CQ , CM sind drei Randbedingungen
aufzustellen. Da das Lager A ein Festlager ist, verschwindet an dieser Stelle nach Tabelle
12.3, Fall 1, das Moment. An dem Loslager B verschwinden nach Tabelle 12.3, Fall 2, die
Normalkraft und das Moment. Damit gilt

N (x = l) = 0 : =⇒ CN = 0
q02
M (x = 0) = 0 : − + CQ 0 + CM = 0 =⇒ CM = 0
2
ql2 ql
M (x = l) = 0 : − + CQ l =⇒ CQ = .
2 2
Somit erhält man zusammenfassend für die Funktionen der Schnittgrößen
 
l qx
N (x) = 0, Q(x) = q −x , M (x) = (l − x) .
2 2

Diese Ergebnisse sind gleich den Ergebnissen in Abb. 12.5 für das Beispiel 12.1. 
12.5 Berechnen der Schnittgrößen durch Lösen der Differenzialgleichungen 353

 Beispiel 12.9 Eingespannter Rahmen mit Einzellast

Für den eingespannten Rahmen in Beispiel 12.5 be-


stimme man die Schnittgrößen durch Lösen der Dif- l F
ferenzialgleichungen (12.9). 2
C
Bekannt: l, F . xI B
Vorüberlegungen: An der Rahmenecke C tritt nach
Regel (12.11) ein Sprung in den Schnittgrößen auf.
Die Lösungen werden daher durch Auswertung der
l
Gleichungen (12.13) getrennt für Stiel und Riegel
erhalten. Zur Bestimmung der Ansatzkonstanten für
den Riegel werden Randbedingungen am freien Ende
B verwendet. Die Übergangsbedingungen zur Be- xII
A
stimmung der Ansatzkonstanten für den Stiel werden
durch Gleichgewicht der Schnittgrößen am Knoten C Abb. 12.37. Rahmen mit Einzellast,
bestimmt. Koordinaten
Lösungen:
Bereich I: (0 ≤ xI < l/2): Mit n(x) = 0, q(x) = 0 folgt aus (12.13)
1. N I (xI ) = CN
I 2. QI (xI ) = CQ
I 3. M I (xI ) = CQ
I x + CI .
I M

Zur Bestimmung der drei Integra-


I , C I , C I werden I F
tionskonstanten CN Q M IM
drei Randbedingungen nach Tabelle N
C
B
12.3, Fall 6, im Punkt B in Abb. 12.37.b QI
x I

verwendet. Damit gilt


Abb. 12.37.b. Randbedingungen im Punkt B
 
l
N I xI = = 0 : =⇒ CN I =0 =⇒ N I (xI ) = 0
 2 
l
Q I xI = = F : =⇒ CQ I =F =⇒ QI (xI ) = F
 2   
l l l
I
M xI = = 0 : =⇒ CM = −F
I =⇒ M (xI ) = F xI −
I .
2 2 2
Durch Einsetzen von xI = 0 erhält man die Schnittgrößen im Punkt C
l
N I (xI = 0) = 0, QI (xI = 0) = F, M I (xI = 0) = −F .
2
Bereich II (0 ≤ xII < l): Mit n(x) =
0, q(x) = 0 folgt aus (12.13) wie für Be- QI MI
reich I C
NI
QII
1. N II (xI ) = CN
II
MII
2. QII (xII ) = CQ
II
N II
3. M II (xII ) = CQ
II x + C II .
II M Abb. 12.37.c. Übergangsbedingungen im Punkt C
354 12 Schnittgrößen

Zur Bestimmung der Integrationskonstanten CN II , C II , C II werden drei Übergangsbedin-


Q M
gungen im Punkt C in Abb. 12.37.c verwendet. Man erhält:

N II (xII = l) = −QI (xI = 0) = −F : II = −F


=⇒ CN =⇒ N II (xII ) = −F

QII (xII = l) = N I (xI = 0) = 0 : II = 0


=⇒ CQ =⇒ QII (xII ) = 0
l II = −F l l
M II (xII = l) = M I (xI = 0) = −F : =⇒ CM =⇒ M II (xI ) = −F .
2 2 2
Damit sind sämtliche Ergebnisse gleich den Ergebnissen in Abb. 12.20. 

12.6 Schnittgrößen in räumlichen Tragwerken

Wir betrachten in Abb. 12.38 einen eingespannten Balken, der durch Einzelkräfte F1 , F2 ,..,
Fi , Einzelmomente M1 , M2 ,.., Mi sowie Streckenlasten q(x) und n(x) beansprucht wird.

Mi Mi
q(x) Fi q(x) positives SU negatives SU
Fi
n(x) Mz n(x)
Qy
A x A x MT M T N
N
y z My Qz
z My Q
z
Mz Qy

Abb. 12.38. Schnittgrößen am räumlichen System

Wir legen in das Lager A ein Rechtskoordinatensystem, wobei die Koordinate x in


Balkenlängsachse zeigt, die Koordinaten y und z sind ansonsten beliebig. Mit dem Schnitt-
prinzip werden an der beliebigen Stelle x drei innere Kräfte und drei innere Momente sichtbar
gemacht. Wir formulieren dazu die

Definition Schnittgrößen für räumliche Tragwerke


1. N (x) Normalkraft 2. Qy (x) Querkraft 3. Qz (x) Querkraft (12.15)
4. MT (x) Torsionsmoment 5. My (x) Biegemoment 6. Mz (x) Biegemoment.

Wie für den Balken in der Ebene können wir ein positives Schnittufer von einem nega-
tiven Schnittufer nach Definition (12.2) unterscheiden. Damit kann auch die Vorzeichen-
regelung für positive Schnittgrößen nach Definition (12.3) übernommen werden, d.h. positive
Schnittgrößen
1. zeigen am positiven Schnittufer in positive Koordinatenrichtungen und
2. zeigen am negativen Schnittufer in negative Koordinatenrichtungen.
12.6 Schnittgrößen in räumlichen Tragwerken 355

Für die Berechnung von Schnittgrößen werden, wie bei ebenen Problemen, zwei Meth-
oden unterschieden: 1. Gleichgewicht an den Teilsystemen und 2. Lösung von Differenzial-
gleichungen. Im Folgenden beschränken wir uns auf die erste Methode und erläutern dazu
die Vorgehensweise aus Tabelle 12.2 an einem Beispiel. Bezüglich des Lösungsschrittes 3 in
Tabelle 12.2, Vorzeichenfestlegung, sei bemerkt, dass eine gestrichelte Linie bei dreidimen-
sionalen Tragwerken für eine eindeutige Festlegung der Schnittgrößen nicht ausreicht.

 Beispiel 12.10 Räumlicher Kragarm mit Einzellast

Ein räumlicher Kragarm wird mit einer


Einzelkraft F belastet. Gesucht sind alle
Schnittgrößen. F
Bekannt: l, F .
Vorüberlegungen: Es werden die Schritte C
nach Tabelle 12.2 abgearbeitet. Wir kön- b a
nen auf die Berechnung der Lagerreak-
tionen verzichten, wenn die Berechnung
der Schnittgrößen am Teilsystem mit dem Abb. 12.39. Räumlicher Kragarm mit Einzellast
freien Ende beginnt.
Lösungen:
1. Auflagerkräfte berechnen: entfällt.
2. Einteilung in Bereiche: An dem F
Punkt C tritt ein Sprung in den y
Schnittgrößen auf. Der Stab wird x z
also in Abb. 12.39.b in zwei Bereiche C
aufgeteilt. Be b y x II
rei a
ch reich
3. Vorzeichenfestlegung: Es wird je ein I z Be
Rechtskoordinatensystem für beide
Bereiche in Abb. 12.39.b eingetragen.
Abb. 12.39.b. Freikörperbild, Einteilung in zwei
Bereiche Koordinatensysteme
4. Gleichgewicht an den Teilsystemen:
Bereich I: Ein Schnitt an der Stelle x im
F Mz
Bereich I legt das Teilsystem I am freien
Trägerende in Abb. 12.39.c fest. Da die x- My
Koodinate in die Schnittfläche hinein zeigt, N
liegt nach Definition (12.2) ein negatives b-x MT
Qy Qz x y
Schnittufer vor. Nach Definition (12.3) zeigen
positive Schnittgrößen somit in negative Ko- z
ordinatenrichtungen. Wir stellen die Gleich-
gewichtsbedingungen (6.39) auf und erhalten: Abb. 12.39.c. Teilsystem I
356 12 Schnittgrößen

Fix = 0 : N = 0 =⇒ N = 0
i
Fiy = 0 : Qy = 0 =⇒ Qy = 0
i
i Fiz = 0 : Qz − F = 0 =⇒ Qz = F
 (S)
i Mix = 0 : MT = 0 =⇒ MT = 0
 (S)
i Miy = 0 : My + F (b − x) = 0 =⇒ −My = F (b − x)
 (S)
i Miz = 0 : Mz = 0 =⇒ Mz = 0.

Bereich II: Ein Schnitt im Bereich II legt y


das Teilsystem II am freien Trägerende in Mz
Abb. 12.39.d. fest. Auch hier liegt nach Defi- x z
F N
nition (12.2) ein negatives Schnittufer vor, so Qz MT
dass positive Schnittgrößen in negative Ko- Qy
ordinatenrichtungen zeigen. Aufstellen der y
b x My
Gleichgewichtsbedingungen (6.39) am Teil- z
system an der Stelle x und Auflösung nach a-x
den Schnittgrößen liefert: Abb. 12.39.d. Teilsystem II

Fix = 0 : N = 0 =⇒ N = 0
i
Fiy = 0 : Qy = 0 =⇒ Qy = 0
i
i Fiz = 0 : Qz − F = 0 =⇒ Qz = F
 (S)
i Mix = 0 : MT − F b = 0 =⇒ MT = F b
 (S)
i Miy = 0 : My + F (a − x) = 0 =⇒ My = −F (a − x)
 (S)
i Miz = 0 : Mz = 0 =⇒ Mz = 0.

In Abb. 12.39.e sind die Verläufe aller sechs Schnittgrößen dargestellt.

N Qy Qz
0
0 0 0 F
+
+

Mx My Mz

0 0 0
++ -

Fb Fb

Abb. 12.39.e. Schnittgrößenverläufe in den Bereichen I und II


12.7 Schnittgrößen in Werkzeugen und Maschinen 357

5. Kontrolle der Ergebnisse: Durch Auswertung der Funktionen an der Stelle xII = 0 kön-
nen wir die Auflagerkräfte in Abb. 12.39.f ermitteln:

Ax = QII (0) = 0, Ay = N II (0) = 0, Az = QII


z (0) = F,

MAx = MxII (0) = F b, MAy = MTII (0) = 0, MAz = MzII (0) = 0.

Der Leser überprüfe mit den Gleichgewichtsbedingungen (6.39) am Gesamtsystem die


Richtigkeit dieser Ergebnisse. Für alle Schnittgrößen werden sechs Übergangsbedingun-
gen im Punkt C in Abb. 12.39.f erfüllt:

N I (0) = QII M TI M zII


y (a) = 0
N I QzI QzII M II
T
QIy (0) = N II (a) = 0
N II
QIz (0) = QII
z (a) = F QII
y
QyI C
MTI (0) = MyII (a) = 0 M yI I MIIy
Mz
MyI (0) = −MTII (a) = −F b
MzI (0) = MzII (a) = 0. Abb. 12.39.f. Gleichgewicht am Knoten C


12.7 Schnittgrößen in Werkzeugen und Maschinen

Die Methoden zur Berechnung der Schnittgrößen aus den Abschnitten 12.3 und 12.6 für
ebene und räumliche Tragwerke können auch auf Werkzeuge und Maschinen in Kapitel 11
übertragen werden. Anhand eines Beispieles wird die Vorgehensweise aus Tabelle 12.2 ver-
anschaulicht.

 Beispiel 12.11 Schnittgrößen in einer Getriebewelle

Bestimmen Sie für die Getriebewelle


aus Beispiel 11.12 die Schnittgrößen.
Bekannt: MT = 15 kNm, Stirnrad: β2
= 12o , α2 = 15o , Radius rw2 =150
mm, Kegelrad: α3 = 15o , δ3 = 35o , Ra-
dius rw3 =200 mm, Abstände: a = 600
mm, b = 400 mm, l = 1300 mm, vgl.
Abb. 12.40.
Vorüberlegungen: Es werden die
Schritte nach Tabelle 12.2 abgearbeitet.
Dazu werden die Ergebnisse für die Abb. 12.40. Getriebewelle mit zwei Zahnrädern
Lagerreaktionen aus Beispiel 11.12
verwendet.
358 12 Schnittgrößen

Lösungen:
1. Auflagerkräfte berechnen: Es werden die Ergebnisse in Beispiel 11.12 verwendet. Mit
den Radial-, Axial- und Tangentialkräften Ft2 = 100 kN, Fr2 = 27, 39 kN, Fa2 =
21, 26 kN, Ft3 = 75 kN, Fr3 = 17, 40 kN, Fa3 = 10, 05 kN gilt für die Lagerkräfte:
Ax = −11, 21 kN, Az = 4, 56 kN, Ay = −62, 5 kN, By = 37, 5 kN, Bz = 40, 23 kN.
2. Einteilung in Bereiche: FN2
An den Punkten C und
D treten Sprünge in y Ax Fr2
x
den Schnittgrößen auf. z Ay Fa2 Ft2
Der Stab wird also in 2
Az
Abb. 12.41 in drei Be- a rw2 Bewegung
FN3
reiche aufgeteilt. I
3. Vorzeichenfestlegung: b Fr3 Bewegung
Es wird ein Rechts- l II Ft3 Fa3
By
koordinatensystem Bz 3
III rw3
für alle drei Berei-
che in Abb. 12.41
eingetragen. Abb. 12.41. Freikörperbild, Einteilung in drei Bereiche, Koordinatensystem

4. Gleichgewicht an den Teilsystemen: Alle drei Bereiche werden jeweils durch einen
Schnitt in zwei Teilsysteme getrennt. Die sechs Gleichgewichtsbedingungen (6.39) wer-
den zweckmäßig an dem Teilsystem mit den wenigsten Kräften aufgestellt. Die Verläufe
werden für alle Bereiche in Abb. 12.44 dargestellt.
Bereich I: (0 ≤ x < a): Wir betrachten in Ax
I
Abb. 12.42 das Teilsystem I am freien Ende in- Ay Qz
folge eines Schnittes an der Stelle x im Bereich I. y
x A z QyI
Da die x-Koodinate aus der Schnittfläche heraus z

zeigt, handelt es sich nach Definition (12.2) um


a MyI N I I
MT
By I
ein positives Schnittufer. Nach Definition (12.3) Mz
zeigen positive Schnittgrößen somit in positive b
Koordinatenrichtungen. Gleichgewicht am Teil-
Abb. 12.42. Teilsystem I
system liefert:

Fix = 0 : N I + Ax = 0 =⇒ N I = −Ax = 11, 21 kN
i
Fiy = 0 : QIy + Ay = 0 =⇒ QIy = −Ay = 62, 5 kN
i
i Fiz = 0 : QIz − Az = 0 =⇒ QIz = Az = 4, 56 kN
 (S) I
i Mix = 0 : MT = 0
 (S)
i Miy = 0 : My − Az x = 0 =⇒ My = Az x = 4, 56 x kNm
I I
 (S)
i Miz = 0 : Mz − Ay x = 0 =⇒ Mz = Ay x = −62, 5 x kNm.
I I

Nach Auswertung an den Stellen x = 0 und x = a erhält man: MyI (0) = 0, MyI (a = 0, 6)
= 4, 56 · 0, 6 = 2, 74 kNm, MzI (0) = 0, MzI (a = 0, 6) = −62, 5 · 0, 6 = −37, 5 kNm.
(Die Einheiten sind nur für die Endergebnisse angegeben.)
12.7 Schnittgrößen in Werkzeugen und Maschinen 359

Bereich II: (a ≤ x < a + b): Gleichgewicht für das Teilsystem II in Abb. 12.43.a liefert

i Fix = 0 : N II + Ax + Fa2 = 0
=⇒ N II = −Ax − Fa2 = (11, 21 − 21, 26) kN = −10, 05 kN

i Fiy = 0 : QII
y + Ay + Ft2 = 0
=⇒ QII y = −Ay − Ft2 = (62, 5 − 100) = −37, 5 kN

i Fiz = 0 : Qz − Az + Fr2 = 0
II

=⇒ QII z = Az − Fr2 = (4, 56 − 27, 39)kN = −22, 83 kN


 (S) II
i Mix = 0 : MT + Ft2 rw2 = 0
=⇒ MTII = −Ft2 rw2 = −100kN · 0, 15 m = −15 kNm
 (S)
i Miy = 0 : My − Az x + Fr2 (x − a) − Fa2 rw2 = 0
II

=⇒ MyII = Az x − Fr2 (x − a) + Fa2 rw2 = −22, 83kN x + 19, 62 kNm


 (S)
i Miz = 0 : Mz − Ay x − Ft2 (x − a) = 0
II

=⇒ MzII = Ay x + Ft2 (x − a) = 37, 5kN x − 60 kNm

Eine Auswertung dieser Funktionen an den Stellen x = a und x = a+b liefert: MyII (a =
0, 6) = 5, 93 kNm, MyII (a + b = 1, 0) = −3, 21 kNm, MzII (a = 0, 6) = −37, 5 kNm,
MzII (a + b = 1, 0) = −22, 5 kNm.

a) b)
y
Ax F r2 x 2
z rw2
Ay F t2 a M zIII
Fa2
y 2 x MIII M yIII Fr3
z Q zII T
Az
a rw2 b N III Ft3 Fa3
QyII l
x QyIII
M TII III 3
b M II
y N
II
Ft3 rw3 Qz
By
MII
Bz z
rw3

Abb. 12.43. Teilsysteme II und III

Bereich III: (a ≤ x < a+ b): Aus Gleichgewicht für das Teilsystem III in Abb. 12.43.b
folgt:

Fix = 0 : −N III − Fa3 = 0 =⇒ N III = −Fa3 = −10, 05 kN
i
Fiy = 0 : −QIII
y − Ft3 = 0 =⇒ QIII
y = −Ft3 = −75 kN
i
i Fiz = 0 : −Qz + Fr3 = 0 III
=⇒ Qz = Fr3 = 17, 40 kN
 (S)
i Mix = 0 : MT
III + F r
t3 w3 = 0 =⇒ MTIII = −Ft3 rw3 = −75 · 0, 3 = −15 kNm
 (S) III + F (l − x) − F r
i Miy = 0 : My r3 a3 w3 = 0
=⇒ MyIII = −Fr3 (l − x) + Fa3 rw3 = 17, 4 kNx − 20, 61 kNm
 (S)
i Miz = 0 : MzIII + Ft3 (l − x) = 0 =⇒ MzIII = Ft3 (x − l) = 75 kN(x − l).
360 12 Schnittgrößen

Eine Auswertung dieser Funktionen an den Stellen x = a+b und x = l liefert: MyIII (a+
b = 1, 0) = −3, 21 kNm, MyIII (l = 1, 3) = 2, 01 kNm, MzIII (a + b = 1, 0) =
−22, 5 kNm, MzIII (l = 1, 3) = 0 kNm. In Abb. 12.44 sind die Verläufe aller sechs
Schnittgrößen dargestellt.

N Qy Qz
10,05 37,5 4,56 22,83
11,21 62,5
+
+ +

75 + 17,4
+
MT
My Mz
0 37,5

3,21 22,5
2,73 +
15
5,93 2,0
+

Abb. 12.44. Schnittgrößenverläufe

5. Kontrolle der Ergebnisse: Wir überprüfen am Lager B (x = a + b = 1, 0 m) die Über-


gangsbedingungen:


i Fix = −N II + N III
= (−10, 05 + 10, 05) kN = 0 kN

i Fiy = −QII III
y + Q y + By MzII
= 37, 5 − 75 + 37, 5 kN = 0 kN M yII
 MII
T
i Fiz = −QIIz + Q z − Bz
III
N II QzIII
= 22, 83 + 17, 40 − 40, 23 kN = 0 kN QyIII
 QyII B
(S)
i Mix = −MTII + MTIII MyIII MIII
T
NIII
= 15 − 15 = 0 kNm QzII
 (S) MzIII
i Miy = −MyII + MyIII
= 3, 21 − 3, 21 = 0 kNm Abb. 12.45. Gleichgewicht am Lager B
 (S)
i Miz = −MzII + MzIII
= 22, 5 − 22, 5 = 0 kNm = 0 kNm

Der Leser überprüfe die Übergangsbedingungen an dem Rad 2. 


12.8 Aufgaben zu Kapitel 12 361

12.8 Aufgaben zu Kapitel 12

Aufgabe 12.1 (SG = 2, BZ = 20 min)


Bestimmen Sie für den Tragfügel eines
Flugzeuges die Schnittgrößen infolge einer G q2
q
Streckenlast. 1

Bekannt: α = 10o , a = 3, 5 m, b = 4, 5 m, G α
= 120 kN, q1 = 15 kN/m, q2 = 10 kN/m. a b

Aufgabe 12.2 (SG = 2, BZ = 20 min)


Für die durch Erdreich und LKW belastete
Stützwand der Baugrube in Aufgabe 2.5 be- H
B
stimme man die Schnittgrößen N , Q und M
mit einer gestrichelten Linie im Außenbe-
reich.

eah,p eah

Aufgabe 12.3 (SG = 1, BZ = 10 min) F


_
Der dargestellte Träger wird durch eine M 45°
Einzelkraft F und ein Einzelmoment M̄ be- A B
lastet. Bestimmen Sie die Auflagerreaktio-
nen und die Schnittgrößen N, Q und M . a a a
2 2
Bekannt: a, F , M̄ = F a.

Aufgabe 12.4 (SG = 2, BZ = 15 min)


Der dargestellte Träger wird durch eine l l
Einzelkraft F und eine konstante Streck-
enlast q beansprucht. Berechnen Sie die
A B
Schnittgrößen N, Q und M .
F
Bekannt: l, F , q = F/l. l
l2

q
362 12 Schnittgrößen

Aufgabe 12.5 (SG = 2, BZ = 15 min) 3a a


q0
Für den nebenstehenden Belastungsfall
sollen die Schnittgrößen N, Q und M B a
mit Hilfe der Gleichgewichtsbedingungen
C
bestimmt werden. a
Bekannt: a, q0 . A

F
Aufgabe 12.6 (SG = 2, BZ = 15 min)
Für den nebenstehenden Belastungsfall q
sollen die Schnittgrößen N, Q und M mit
Hilfe der Gleichgewichtsbedingungen bes-
l
timmt werden. Skizzieren Sie die Verläufe
der Schnittgrößen entlang des Balkens. A B
Bekannt: l, F , q0 = F/l.
l l l
2 2

Aufgabe 12.7 (SG = 3, BZ = 20 min)


Bestimmen Sie für den Pfosten eines Halteschildes in Aufgabe 8.10 die Schnittgrößen infolge
Eigengewicht der Masse m und der Einzellast F .

y
Aufgabe 12.8 (SG = 3, BZ = 30 min) q
Für den dargestellten Bogenträger sind der
Normalkraft-, der Querkraft- und der Biege-
momentverlauf mit Hilfe der Gleichge-
wichtsbedingungen zu ermitteln. Die Quer-
schnittshöhe des Trägers ist zu vernachlässi- R
A B x
gen.
Bekannt: R, q.

Aufgabe 12.9
(SG = 3*, BZ = 30 min) g
Bestimmen Sie für das m
dargestellte Generatorge-
bäude die Schnittgrößen
infolge Eigengewicht.
α
Bekannt: R = 3, 5 m, α = R B
A
20o , m = 530 kg.
12.8 Aufgaben zu Kapitel 12 363

Aufgabe 12.10 (SG = 3, BZ = 20 min)


Berechnen Sie die Schnittgrößen für das Dreigelenksystem in Aufgabe 9.16. Die gestrichelte
Linie liegt im Inneren des Systems.

Aufgabe 12.11 (SG = 2, BZ = 20 min)


Berechnen Sie für den Dachbinder in Aufgabe 9.18 die Schnittgrößen.

Aufgabe 12.12 (SG = 3, BZ = 45 min) q0


F
Für den dargestellten Rahmen sind der
Normalkraft-, der Querkraft- und der Biege-
momentverlauf mit Hilfe der Gleichge-
2l
wichtsbedingungen zu ermitteln. Skizzieren
Sie die Verläufe der Schnittgrößen. 2l
Bekannt: l = 2 m, F = 20 N, q0 = 10 N/m. A B
q0
l l

Aufgabe 12.13 (SG = 3, BZ = 30 min)


sin-Funktion
Die Belastung eines dreiteiligen Kragarmes
tritt in zwei Bereichen auf. Sie wird wie q0 2q 0
dargestellt im dritten Bereich durch eine sin-
Funktion beschrieben. Berechnen Sie die
Schnittgrößen.
a a a
Bekannt: a, q0 .

Aufgabe 12.14 (SG = 2, BZ = 20 min)


Berechnen Sie die Schnittgrößen in Aufgabe 12.4 durch Lösung der Differentialgleichungen.

Aufgabe 12.15 (SG = 2, BZ = 25 min)


Berechnen Sie die Schnittgrößen in Aufgabe 12.5 durch Lösung der Differentialgleichungen.

Aufgabe 12.16 (SG = 1, BZ = 20 min)


Bestätigen Sie die Ergebnisse für die Balken in Abb. 12.14 a,b,d,e,f.
364 12 Schnittgrößen

Aufgabe 12.17 (SG = 1, BZ = 10 min)


Das dargestellte räumliche Tragwerk wird y a
z x
am Trägerende durch drei Kräfte belastet.
A y
1. Bestimmen Sie die Verläufe der Schnitt- z
x
größen N, Qy , Qz , MT , My , Mz mit z b
Angabe der charakteristischen Werte. x y
F1 C
2. Kontrollieren Sie die Schnittgrößen am c
Knoten C.
F3
F2
Bekannt: F1 = 8 N, F2 = 10 N, F3 = 7 N, a
= 10 m, b = 8 m, c = 8 m.

Aufgabe 12.18
(SG = 1, BZ = 15 min )
Bestimmen Sie für den Tür- FV z
x y
griff in Aufgabe 6.6 alle Schnitt-
B A
größen.
b
FH a
Bekannt: FH = 20 N, FV = 50 N,
a = 8 cm, b = 11 cm.

Aufgabe 12.19 (SG = 1, BZ = 10 min)


Berechnen Sie die Schnittgrößen für das Dreigelenksystem in Aufgabe 9.15. Die gestrichelte
Linie liegt im Inneren des Systems.

Aufgabe 12.20 (SG = 2, BZ = 15 min)


Für einen Träger sind zwei Schnittgrößenverläufe a) und b) bekannt. Welche Lager- und
Belastungsarten liegen jeweils zu Grunde. An welchen Stellen treten diese auf?

a) b)

Q Q +
- -

N +
N
-
+
M M
-
Aufgabe 12.21 (SG = 3, BZ = 20 min)
Berechnen Sie alle Schnittgrößen für den F3 C F1
y
nebenstehenden räumlichen Träger. Verwen- x l F2
den Sie die Ergebnisse aus Aufgabe 9.20 für z l 2l
die Auflagerreaktionen. M
Bekannt: F1 = 100 N, F2 = 300 N, F3 = F4 l
q
200 N, F4 = 500 N, q = 150 N/m, M = 300
A
Nm, l = 1 m. B l

l l

Aufgabe 12.22 (SG = 3, BZ = 45 min )


Bestimmen Sie für die drei dargestellen Belastungen eines Dachbinders die Schnittgrößen
und skizzieren Sie diese. Verwenden Sie dazu die Ergebnisse aus Aufgabe 8.12. Betrachten
Sie das rechte Lager jeweils als Festlager.
Bekannt: l, α, q1 , q2 , w1 , w2 , n1 , n2 .

q2 w2 n2
w1
q1 n1
α α α

b b b

Aufgabe 12.23 (SG = 3, BZ = 20 min)


Der abgebildete Rahmen wird durch 2
Kräfte und eine Streckenlast, die jeweils a
mittig auf den Teilstücken angreifen,
y F1
beansprucht. F2 liegt in der x − y−Ebene C
x y
und greift unter einem Winkel von 45o zum z
Rahmen an. D z
x
1. Berechnen Sie alle Schnittgrößen und 3a
skizzieren Sie deren Verläufe.
2. Kontrollieren Sie die Schnittgrößen am q
F2
Knoten B. A α y z
x
Hinweis: Verwenden Sie Ergebnisse für die
Auflagerreaktionen aus Aufgabe 9.23. a B
2
Bekannt: q = 2, 5 kN/m, F1 = 11 kN, F2 =
3 kN, q = 2, 5 kN/m, a = 2 m, α = 45o .
rutschgefährdete
Schicht
Gleitfuge

ddp
c images GmbH / Ronny Hartmann

Reibung ist allgegenwärtig. Ohne sie wäre z.B. das Besteigen eines Hanges nicht möglich. Man kann Reibung
in Keilen als einfaches Hilfsmittel zum Abstützen von Einschalwänden im Betonbau ausnutzen. Ist der Rei-
bungswiderstand in den Gleitfugen unter der Erdoberfläche zu klein, können Hänge abrutschen oder Grund-
brüche ausgelöst werden. In Motorgetrieben werden mit Hilfe von Reibung in Riementrieben Drehmomente und
Drehzahlen übersetzt. Reibung entsteht auch bei verschiedenen Fertigungsprozessen des Maschinenbaus, wie
z.B. Spanen oder Drehen. Gelegentlich ist dabei die Wandlung von mechanischer Energie in Wärme so groß,
dass sie als Funkenbildung sichtbar wird.
13
Reibung

Nach einer Darstellung der Grundlagen zur Reibung mit den Fallunterscheidungen Haftrei-
bung, Grenzhaftreibung, beschleunigte Phase und Gleitreibung wird das Coulombsche Gesetz
zur Modellierung von Grenzhaftreibung und Gleitreibung eingeführt. In den Anwendungen
zur Reibung behandeln wir Keile, Schrauben und Seile.

13.1 Grundlagen zur Reibung

Wir betrachten in Abb. 13.1.a einen parkenden Lieferwagen am Hang. Damit dieser in Ruhe
bleibt, wird ein Stein an das Hinterrad gelegt. Auf diese Weise entsteht zwischen Stein und
Untergrund eine Widerstandskraft R, die von verschiedenen Einflüssen abhängig ist, wie z.B.
der Beschaffenheit und dem Zustand der Oberflächen (glatt oder rauh, trocken oder nass).
In Abb. 13.1.b betrachten wir nochmals die Handwinde aus Beispiel 11.6. Zum Heben des
Gewichtes in einer gleichförmigen Bewegung wurde für die Handkraft der theoretische Wert
FK = G/3, 31 errechnet. Mit einer Kraftmessung stellt man jedoch eine Kraft Fk∗ > Fk fest,
d.h. der reale Wert Fk∗ ist größer als der theoretische Wert Fk . Der Grund dafür sind weitere
Widerstände innerhalb des Getriebes, z.B. an den Auflagern oder zwischen den Zahnrädern.
Für weitere Untersuchungen der oben beschriebenen Widerstände formulieren wir die

a) b)

behinderte Bewegung
R
Reibungskraft

Abb. 13.1. Reibungseffekte: a) Ruhender Lieferwagen am Hang mit Reibungskraft als Beispiel für Haftreibung,
b) Handkurbel in Bewegung mit Reibungsmomenten als Beispiel für Gleitreibung

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
368 13 Reibung

Definition Reibung
Reibung ist der Widerstand in den Kontaktflächen von zwei Körpern, der (13.1)
eine gegenseitige Bewegung durch Gleiten, Rollen oder Abwälzen verhin-
dert oder zumindest beeinträchtigt.

Bemerkungen 13.1
1. Die Beispiele in Abb. 13.1 zeigen, dass Reibung in ruhenden und in bewegten Syste-
men auftritt. Im ersten Fall sprechen wir von Haftreibung (oder: Ruhereibung, statische
Reibung, Haftung) und im zweiten Fall von Gleitreibung (oder: kinetische Reibung, Rei-
bung).
2. Der Reibwiderstand kann durch Kräfte oder Momente dargestellt werden: In Abb. 13.1.a
wirkt die Reibungskraft R der zu verhindernden Verschiebung entgegen, und in Abb. 13.1.b
wirken die Reibungsmomente MR der tatsächlichen Verdrehung des Körpers entgegen.
3. Wie das Beispiel in Abb. 13.1.a zeigt, kann Reibung erwünscht sein, um die Funk-
tion eines technischen Systems zu ermöglichen. Weitere Beispiele für erwünschte Rei-
bung sind innere Reibung bei einer Böschung im Grundbau, Reibung in Bremsen oder
Kupplungen sowie in Verbindungen mit Nägeln oder Schrauben. Im Allgemeinen ist
„Reibung der Freund von ruhenden Systemen.”
4. Bei dem Beispiel in Abb. 13.1.b ist Reibung wegen Fk∗ > Fk für die reale Kraft Fk∗ nicht
erwünscht. Dies gilt z.B. auch für Reibung zwischen Ski und Schnee sowie in Lagern und
Kontaktbereichen bei Werkzeugen und Maschinen. Allgemein ist Reibung immer dann
unerwünscht, wenn durch die wärmeerzeugenden Vorgänge Energieverluste oder evtl.
Funktionsstörungen auftreten. Durch Reibung können auch unangenehme Geräusche
und Vibrationen entstehen, die bis hin zum Verschleiß an den jeweiligen Reibungsorten
führen können. Im Allgemeinen ist „Reibung der Gegner von bewegten Systemen”.
5. Die Ursache von Haft- und Gleitreibung kann man sich an den Darstellungen der Kon-
taktfläche von zwei Körpern in Abb. 13.2.a und Abb. 13.2.b klarmachen: Im Allgemeinen
haben die Körper mehr oder weniger große Unebenheiten, die sich ineinander verzahnen.
Im Fall a ist die Verzahnung so eng, dass eine gegenseitige Bewegung s der Körper
verhindert wird, so dass Haftreibung vorliegt. Im Fall b ist die Verzahnung nicht ausrei-
chend, um eine Bewegung s aufzuhalten, so dass Gleitreibung auftritt.
6. Da kein weiteres Medium zwischen den Berührflächen in Abb. 13.2.a und b auftritt, liegt
gleichzeitig Trockenreibung vor. Sind die Körper wie in Abb. 13.2.c durch einen Schmier-
film getrennt, um den Reibungswiderstand zu verringern, spricht man von Flüssigkeits-
reibung. Bei der Mischreibung in Abb. 13.2.d haben beide Körper bereichsweise Kontakt.

a) s=0 b) s>0 c) s>0 d) s>0

Abb. 13.2. Reibungszustände: a) Haftreibung mit enger Verzahnung, b) Gleitreibung als Trockenreibung, c) Flüs-
sigkeitsreibung mit Schmierfilm als Trennschicht, d) Mischreibung
13.2 Reibungsgesetze für Haft- und Gleitreibung 369

Da die Flüssigkeitsreibung im Rahmen der Hydromechanik behandelt wird, beschränken


wir uns im Folgenden auf die Trockenreibung. Weitere Reibungsarten sind:
1. Seilreibung tritt auf, wenn ein Seil (oder ein Riemen, eine Kette, ein Band) über eine
gewölbte Fläche (z.B. einen Zylinder) gelegt wird und an beiden Seilenden Kräfte wirken.
2. Rollreibung tritt auf, wenn zwei Körper sich relativ zueinander in einer Kontaktfläche
bewegen, wobei mindestens ein Körper eine Drehbewegung durchführt. Dieses ist z.B.
für das Rad auf der Fahrbahn der Fall.
3. Wälzreibung ist eine Rollreibung mit einem überlagerten Gleitanteil. Dieses tritt z.B. an
Zahnrädern auf.
4. Innere Reibung tritt in Flüssigkeiten und Gasen auf, die sich bewegen sowie in festen
Körpern, die sich verformen.
Der Zusammenhang von Reibung, Schmierung und Verschleiß wird in der Tribologie, der Wis-
senschaft von aufeinander einwirkenden Berührungsflächen in Relativbewegung, behandelt.

13.2 Reibungsgesetze für Haft- und Gleitreibung


13.2.1 Vier Zustände eines Körpers bei Reibung
Kraft- und Bewegungsgrößen stehen bei Haft- und Gleitreibung in ständiger Wechsel-
wirkung. Zur Veranschaulichung betrachten wir in Abb. 13.3.a eine auf dem Boden ste-
hende Kiste. Diese wird von einer Kraft F horizontal belastet, deren Betrag in Abhängigkeit
der Zeit t an einer Federwaage abgelesen und in dem Kraft-Zeit-Diagramm in Abb. 13.3.c
dargestellt wird. In dem Freikörperbild in Abb. 13.3.b sind alle an der Kiste angreifenden
Kräfte angetragen. G und N sind die Gewichts- und die Normalkraft. Die vier Reibungskräfte
H, H ∗ , R∗ und R werden entsprechend den folgenden vier Zuständen unterschieden:

a) s c)
F(t) I III IV
g Haftreibung Gleitreibung
G
Fmax Beschleunigung
H* R = μ GN
R
II Grenzzustand
H < μH N=H*

b) G F d) t

s(t)

Verschiebung
s=0
H,H*,R*,R t
N

Abb. 13.3. Haft- und Gleitreibung an einer Kiste: a) System mit äußerer Belastung, b) Freikörperbild, c) Kraft-
Zeit-Diagramm mit Unterscheidung von vier Zuständen, d) Weg-Zeit-Diagramm
370 13 Reibung

I Haftreibungszustand: Zu Beginn der Belastung, zur Zeit t = 0, ist die Kraft F =


0, so dass in dem zugehörigen Weg-Zeit-Diagramm in Abb. 13.3.d die Bewegung s(t)
ebenfalls im Ursprung beginnt. Auch für vergleichsweise kleine Kräfte F (t) bleibt die
Kiste in Ruhe, so dass weiterhin s(t) = 0 gilt. Der Grund sind die engen Verzahnungen
entsprechend Abb. 13.2.a, die zu Widerständen an den Berührflächen der Verzahnungen
und in der Gesamtwirkung zu der Haftreibungskraft H führen.
II Grenzzustand: Die Reibungskraft H hat die Grenzhaftreibungskraft H ∗ erreicht. Es
findet gerade noch keine Bewegung statt.
III Beschleunigungszustand: Die äußere Kraft wird auf Fmax >H ∗ gesteigert, wodurch es
zur Verformung oder Zerstörung der Verzahnungen in der Kontaktfläche kommt, vgl.
Abb. 13.2.a. Dabei wird die Kiste kurzzeitig beschleunigt. In der Kontaktfläche wirkt die
Reibungskraft R∗ .
IV Gleitreibungszustand: Es erfolgt eine gleichförmige Bewegung mit konstanter Ge-
schwindigkeit. Da die gegenseitige Verzahnung in der Kontaktfläche beider Reibkör-
per zurücknimmt, ist die Gleitreibungskraft R kleiner als der Grenzwert der Haftrei-
bungskraft H ∗ , d.h. es gilt R < H ∗ . Durch „Schmieren” der Oberflächen wird, wie in
Abb. 13.2.c und Abb. 13.2.d dargestellt, die Verzahnung und damit die Gleitreibungskraft
R weiter reduziert. Auf Grund der gleichförmigen Bewegung sind nach Bemerkung 3.1.7
die äußere Kraft F und die Gleitreibungskraft R im Gleichgewicht, vgl. auch Anhang B.
Wir fassen die bisherigen Ergebnisse wie folgt zusammen:

Vier Zustände für einen Körper mit Reibung


I Haftreibungszustand: Auf Grund von Haftreibung liegt ein Ruhezustand
vor, bei dem alle an dem Körper wirkenden Kräfte im Gleichgewicht sind.
II Grenzzustand: Die Reibungskraft H erreicht die Grenzhaftreibungskraft
(13.2)
H ∗ . Der Körper bleibt – gerade noch – in Ruhe (Grenzzustand).
III Beschleunigungszustand: Der Körper wird kurzzeitig beschleunigt.
IV Gleitreibungszustand: Der Körper bewegt sich gleichförmig (mit konstan-
ter Geschwindigkeit). Damit ist der Körper im Gleichgewicht. Anstatt H
wirkt in der Kontaktfläche die Gleitreibungskraft R.

Für die vier Kräfte H, H ∗ , R∗ und R gilt die


Regel zur Richtung von Reibungskräften
Eine Reibungskraft ist der tatsächlichen bzw. der zu behindernden Bewe- (13.3)
gung entgegengesetzt gerichtet.

Die vier Zustände in (13.2) können nicht mit einer einzigen Formel berücksichtigt werden,
sondern erfordern getrennte Betrachtungen.

13.2.2 Haftreibung für Gleichgewicht im Zustand I


In diesem Zustand sind alle Körper auf Grund von Haftung in Ruhe. Idealisieren wir z.B. die
Kiste in Abb. 13.3 als Massenpunkt, können die zwei Reaktionskräfte N und H mit den zwei
Kräftebedingungen für ein ebenes zentrales Kraftsystem (4.22) eindeutig berechnet werden:
13.2 Reibungsgesetze für Haft- und Gleitreibung 371

↑: N − G = 0 =⇒ N = G, →: F −H =0 =⇒ H = F. (13.4)
Der Richtungssinn von H ist nach Regel (13.3) der möglichen Bewegung stets entge-
gengerichtet, was bei komplexen Aufgabenstellungen nicht immer sofort erkennbar ist. Nach
Auflösung der Kräftegleichgewichtsbedingungen gibt jedoch das Vorzeichen von H dazu
Auskunft über die tatsächliche Kraftrichtung. Weiter muss überprüft werden, ob H unterhalb
der Grenzlast H ∗ liegt, vgl. Abb. 13.3. Damit gilt

(13.5)
Die Haftreibungsbedingung |H| ≤ H ∗ .

13.2.3 Das Haftreibungsgesetz im Grenzzustand II


Zur experimentellen Bestimmung der Grenzhaftreibungskraft H ∗ werden wie in Abb. 13.4
dargestellt drei Versuche für einen Holzklotz durchgeführt, die unter Anderem auf Coulomb,
Leonardo (da Vinci), Euler und Amontons zurückgehen. Abb. 13.4.a zeigt den Versuchs-
aufbau mit einer Kraftfederwaage zum Messen der Haftreibungskraft. Bei dem Versuch in
Abb. 13.4.b liegt der Klotz auf der größten aller drei möglichen Flächen, und man erhält für
den Maximalwert der Haftreibungskraft den Wert H ∗ ≈ 1N. Bei dem Versuch in Abb. 13.4.c
liegt der Klotz auf einer kleineren Fläche, man erhält jedoch nahezu den gleichen Wert H ∗ ≈
1N. Damit gilt das Gesetz von Leonardo (da Vinci): Die Grenzhaftreibungskraft ist von der
Kontaktfläche unabhängig. In einem weiteren Versuch in Abb. 13.4.d wird das Gewicht des
Klotzes verdoppelt. Als Ergebnis erhält man jetzt H ∗ ≈ 2 N. Damit gilt das Gesetz von Euler
und Amontons: Die Grenzhaftreibungskraft ist proportional zur Normalkraft N ∗ . Wir fassen
beide Versuchsergebnisse zusammen als

Das Haftreibungsgesetz von Coulomb (Leonardo, Euler und Amontons) (13.6)


H ∗ = μH N ∗ .

Abb. 13.4. Versuche zur Grenzhaftreibung: a) Versuchsaufbau mit Federwaage und Holzklotz, b) Lage des
Klotzes auf „großer Fläche”, c) Lage des Klotzes auf „kleinerer Fläche”, d) doppeltes Gewicht
372 13 Reibung

Es sei ausdrücklich hervorgehoben, dass diese Beziehung nur für den Grenzzustand gilt. In
Tabelle 13.1 ist der Haftreibungskoeffizient μH für einige Werkstoffpaarungen angegeben.
Er ist abhängig von
1. der Werkstoffpaarung
2. der geometrischen Oberflächenbeschaffenheit (z.B. rauh, glatt, geschliffen, poliert)
3. der physikalischen Oberflächenbeschaffenheit (z.B. trocken, feucht, geschmiert)
4. der Temperatur.

Werkstoffpaarung Haftreibungszahl μH Gleitreibungszahl μG


trocken geschmiert trocken geschmiert

(1) Stahl auf Stahl 0, 12 − 0, 18 0, 08 − 0, 1 0, 1 − 0, 12 0, 01 − 0, 05


(2) Holz auf Holz 0, 4 − 0, 6 0, 15 − 0, 2 0, 2 − 0, 4 0, 04 − 0, 16
(3) Autoreifen auf Straße 0, 5 − 0, 7 0, 3 − 0, 5
(4) Ski auf Schnee 0, 1 − 0, 3 0, 04 − 0, 2

(5) Stahl auf Teflon 0, 04 0, 04

Tabelle 13.1. Reibungskoeffizienten μH für Haften und μG für Gleiten einiger Werkstoffpaarungen

13.2.4 Die beschleunigte Bewegung im Zustand III


Die beschleunigte Bewegung eines Körpers wird, in Ergänzung
 zu den Gleichgewichtsbe-
dingungen der Statik, mit dem dynamischen Grundgesetz i Fi = ma beschrieben. Dabei
sind a die Beschleunigung und m die Masse des Körpers, siehe z.B. [21]. Anstatt den Glei-
chungen (13.4) gilt dann

↑: N − G = 0 =⇒ N = G, →: F − R∗ = ma =⇒ R∗ = F − ma. (13.7)
In dem beschleunigten Zustand sind also die Kräfte F und R∗ nicht im Gleichgewicht. Die
Reibungskraft R∗ wird in der praktischen Berechnung gleich der Gleitreibungskraft R für
die gleichförmige Bewegung des nachfolgenden Abschnittes gesetzt.

13.2.5 Das Gleitreibungsgesetz im Zustand IV mit gleichförmiger Bewegung

In der gleichförmigen Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit ist der Körper nach Be-
merkung 3.1.7 im Gleichgewicht, vgl. auch Anhang B. Damit gelten die Gleichgungen (13.4),
wenn wir die Haftreibungskraft H durch die Gleitreibungskraft N ersetzen:

↑: N − G = 0 =⇒ N = G, →: F − R = 0 =⇒ R = F. (13.8)
In der gleichförmigen Bewegung mit Gleitreibung sind also die Kräfte F und R im Gleichge-
wicht. Die Gleichungen (13.8) werden auch als Sonderfall der Gleichungen (13.7) erhalten,
wenn die Beschleunigung a gleich Null ist, siehe z.B. [21]. Aus Experimenten mit bewegten
Körpern stellte Coulomb 1785 wie beim Haftreibungsgesetz (13.6) einen linearen Zusam-
menhang zwischen Normalkraft N und Gleitreibungskraft R fest. Damit gilt
13.3 Praktische Berechnung von Systemen mit Reibung 373

Das Gleitreibungsgesetz von Coulomb (13.9)


R = μG N.

In Tabelle 13.1 ist der Gleitreibungskoeffizient μG für einige Werkstoffpaarungen angegeben.


Moderne Messmethoden zeigen außerdem einen Einfluß der Relativgeschwindigkeit zwi-
schen den Reibkörpern auf μG , worauf wir hier jedoch nicht weiter eingehen werden.

13.3 Praktische Berechnung von Systemen mit Reibung


Die Berechnung von Reibungsaufgaben wird auf Grund von zwei Aspekten erschwert:
1. In dem Kontaktbereich zwischen zwei Körpern müssen die vier Zustände nach (13.2) –
Haftreibung, Grenzzustand, Beschleunigung und Gleitreibung – unterschieden werden.
2. Es müssen statisch bestimmte und statisch unbestimmte Systeme unterschieden werden.
In Tabelle 13.2 sind die wichtigsten Lösungsschritte zur Berechnung von Reibungsaufgaben
zusammengefasst. Dabei berücksichtigen wir nur Körper in dem Haftreibungszustand I und
dem Grenzzustand II. Der beschleunigte Zustand III ist häufig von kurzer Dauer und bleibt
somit oft unberücksichtigt. Da sich gleichförmig bewegte Körper im Zustand IV im Gleich-
gewicht befinden, können diese wie Körper im Grenzzustand behandelt werden, wobei die
Grenzhaftreibungskraft H ∗ in (13.6) durch die Gleitreibungskraft R in (13.9) ersetzt wird.

Lösungsschritte für Reibungsaufgaben von Körpern in Ruhe


1. Freikörperbild zeichnen: Reibungs- und Normalkräfte sind als unbekannte Reak-
tionskräfte zu behandeln. (Im Allgemeinen gilt H
= μH N !)
2. Grad der statischen Unbestimmtheit: Es werden die Abzählformeln (9.1) und (9.6)
für ebene einteilige und mehrteilige bzw. (9.9) für räumliche Tragwerke verwendet.
Für Massenpunkte ist die Anzahl der kinematischen Bindungen nach Regel (4.31) in
der Ebene r = 2 und nach Regel (6.14) im Raum r = 3.
3. Berechnung der Reaktionskräfte: Es werden drei Fälle unterschieden:
a) Statisch bestimmte Systeme: Die Reaktionskräfte H, N werden aus den Gleichge-
wichtsbedingungen, z.B. (4.22) für Punktmassen oder (5.25) für ebene Systeme,
ermittelt. Weiter muss die Haftreibungsbedingung (13.5) überprüft werden.
b) Statisch unbestimmte Systeme, allgemeiner Fall: Es wird ein algebraisches Sys-
tem von Gleichgewichtsbedingungen, z.B. (4.22) oder (5.25), Gleichheitsbedin-
gungen für Haftreibung (13.6) und Ungleichheitsbedingungen (13.5) für Haftrei-
bung aufgestellt. Für diesen allgemeinen Fall existiert keine eindeutige Lösung.
c) Statisch unbestimmte Systeme, Grenzzustand: Es wird ein algebraisches System
von Gleichgewichtsbedingungen, z.B. (4.22) oder (5.25) und Gleichheitsbedin-
gungen für Haftreibung (13.6) aufgestellt. Die Ungleichheitsbedingungen (13.5)
für Haftreibung werden zu Gleichheitsbedingungen (13.6). Aufzählung aller al-
gebraischen Gleichungen und aller Unbekannten. Sind beide Anzahlen gleich, ist
eine notwendige Bedingung für Lösbarkeit erfüllt.

Tabelle 13.2. Lösungsschritte und Hinweise zur Berechnung von Reibungsaufgaben


374 13 Reibung

 Beispiel 13.1 Kiste auf schiefer Ebene

Eine Kiste der Masse m liegt wie dargestellt auf einer m2 g


schiefen Ebene.
α
....

....
a) Bestimmen Sie die Reaktionskräfte (Normal- und Rei- ....

μH
....
bungskraft) in der Kontaktfläche.
b) Wie groß ist die Neigung α∗ , damit gerade kein Rut-
schen auftritt? Wie groß sind jetzt die Reaktionskräfte?
Abb. 13.5. Kiste auf schiefer Ebene
Bekannt: μH = 0, 6, α =20o , m = 7 kg, g = 10 m/s2 .
Vorüberlegungen: Mit der Annahme eines Massenpunktes
für die Kiste, werden für Aufgabe a die Rechenschritte in G
Gsin α
Tabelle 13.2 abgearbeitet. Für Aufgabe b müssen die Bedin- Gcosα
α
....

gungen für Kräftegleichgewicht und Haftung erfüllt sein. .... ....

Lösung zu Aufgabe a: ....

N
1. Freikörperbild zeichnen: Wir erstellen in Abb. 13.5.b H
ein Freikörperbild mit der Gewichtskraft G. Aufgrund
Abb. 13.5.b. Freikörperbild
der zwei Reaktionskräfte H und N ist die Anzahl der für Haftung
Unbekannten r = 2.
2. Grad der statischen Unbestimmtheit: Wir behandeln die Kiste als Massenpunkt in der
Ebene. Unter Berücksichtigung von Definition (4.29) folgt für den Grad der statischen
Unbestimmtheit x = r − 2 = 2 − 2 = 0, d.h. die Kiste ist statisch bestimmt gelagert.
3. Berechnung der Reaktionskräfte: Mit den Gleichgewichtsbedingungen (4.22) und der
Gewichtskraft G = mg = 70 N erhält man
: H − G sin α = 0 =⇒ H = G sin α = 70 N sin 20o = 23, 94 N (1)
: N − G cos α = 0 =⇒ N = G cos α = 70 N cos 20o = 65, 77 N. (2)
Für die maximale Haftreibungskraft gilt nach dem Haftreibungsgesetz (13.6)
H ∗ = μH N ∗ = 0, 6 · 65, 77 N = 39, 46 > 23, 94 N = H.
Damit bleibt die Kiste in Ruhe.
Lösung zu Aufgabe b: Wir verwenden das Freikörperbild in Abb. 13.5.c mit den Reak-
tionskräften H ∗ und N ∗ im Grenzzustand. Für die Berechnung der drei Unbekannten α∗ ,
H ∗ , N ∗ setzen wir die Gleichgewichtsbeziehungen (1) und (2) mit dem Winkel α∗ in das
Haftreibungsgesetz H ∗ = μH N ∗ ein:
G sin α∗ = μH G cos α∗ =⇒ sin α∗ = μH cos α∗
Gsin α *
=⇒ tan α∗ = μH =⇒ α∗ = arctan μH = 30, 96o , G
α*
Gcos α *
....

d.h. es gilt α∗ > α. Nach Einsetzen von α∗ in Gl.(1) und >α ....
....

Gl.(2) erhält man die Reaktionskräfte im Grenzzustand: ....


N* H*
H∗ = G sin α∗ = 70 N sin 30, 96o = 36, 01 N
Abb. 13.5.c. Freikörperbild
N ∗ = G cos α∗ = 70 N cos 30, 96o = 60, 00 N. im Grenzzustand 
13.3 Praktische Berechnung von Systemen mit Reibung 375

 Beispiel 13.2 Lieferwagen am Hang

Ein Lieferwagen vom Gewicht G parkt wie


dargestellt an einem Hang. Die Vorder- und Hin- G
terräder sind durch die Handbremse arretiert. c
Zwischen den Rädern und dem Untergrund
wirkt jeweils der Haftreibungskoeffizient μH .
Wie groß ist die maximale Hangneigung α∗ ,
damit kein Rutschen auftritt? b
Bekannt: G, a, b, c, μH . a
Vorüberlegungen: Mit den Annahmen für das α∗
ebene statische System in Abb. 13.7.a werden
Abb. 13.6. Lieferwagen am Hang
die Rechenschritte in Tabelle 13.2 abgearbeitet.

a) b) G
G
Gcos α∗
c c
B Gsin α∗
H*
B

N*
A α∗ H*
A b B
b A
a
a
N*
A

Abb. 13.7. a) Statisches System in der Ebene, b) Freikörperbild

Lösungen:
1. Freikörperbild zeichnen: Wir erstellen in Abb. 13.7.a ein statisches System. Die angezo-
gene Handbremse wird durch jeweils zwei kinematische Bindungen an den Lagern A und
B idealisiert, so dass deren Anzahl r = 2 + 2 beträgt. Die unbekannten Reaktionskräfte
in dem Freikörperbild in Abb. 13.7.b sind HA∗ , N ∗ , H∗ , N ∗ .
A B B
2. Grad der statischen Unbestimmtheit: Nach Gl.(9.1) ist der Grad der statischen Unbe-
stimmtheit x = r−3 = 4−3 = 1, d.h. das System ist nach dem statischen Abzählkriterium
(9.2) einfach statisch unbestimmt gelagert.
3. Berechnung der Reaktionskräfte: Im Grenzfall stellen die Reaktionskräfte HA ∗ , N ∗ , H∗ ,
A B
NB∗ und der Neigungswinkel α∗ insgesamt fünf Unbekannte dar. Mit den drei Gleichge-
wichtsbedingungen (5.25) und dem Haftreibungsgesetz nach Coulomb (13.6) für Vorder-
und Hinterräder stehen ebenso fünf Gleichungen zur Verfügung. Damit gilt:

: G cos α∗ − NA∗ − NB∗ =0 (1)


: G sin α∗ − HA
∗ − H∗
B =0 (2)

A: NB∗ (a + b) − G cos α∗ a + G sin α∗ c = 0 (3)
∗ = μ N∗
HA (4), ∗ = μ N∗
HB (5).
H A H B
376 13 Reibung

Nach Umformen von (1) und Einsetzen in (2) folgt unter Verwendung von (4) und (5)
(1) : G cos α∗ = NA∗ + NB∗
=⇒ (2, 4, 5) : G sin α∗ = HA ∗ + H ∗ = μ (N ∗ + N ∗ ) = μ G cos α∗
B H A B H
sin α ∗
=⇒ = tan α∗ = μH =⇒ α∗ = acrtanμH .
cos α∗
Gleichung (3) wird benötigt, falls zusätzlich nach Reaktionskräften gefragt wird. 

13.4 Haftreibungswinkel, Haftreibungskegel und Selbsthemmung


In Abb. 13.8 wird ein Handstock, der gegenüber der Senkrechten um den Winkel ρ geneigt
ist, mit einer Kraft F belastet. Für Gleichgewicht tritt nach dem Axiom (3.1) eine zu F gleich
große, entgegengesetzt gerichtete Reaktionskraft W auf
der Wirkungslinie von F auf. Eine Zerlegung von W F
liefert in der Kontaktfläche die Normalkraft N und die
Haftreibungskraft H. Zu dem Neigungwinkel ρ besteht der
ρ
Zusammenhang
H
tan ρ = . (13.10) Kontaktfläche
N H* H
Durch Vergrößerung der Neigung erreicht die Haftrei-
bungskraft H den Grenzwert H ∗ . Für den zugehörigen W* ρ W
Winkel ρ∗ folgt aus Gl.(13.10) und dem Reibgesetz (13.6) N
N*
∗ H∗ ρ*
tan ρ = ∗ = μH . (13.11)
N Abb. 13.8. Der Haftreibungskeil
Man bezeichnet ρ∗ als Haftreibungswinkel. Wird ρ∗ in
Abb. 13.8 nach beiden Seiten aufgetragen, entsteht der
F
Haftreibungskeil. Solange W nicht außerhalb des Keiles
liegt, ist die Haftbedingung H ≤ H ∗ in (13.5) erfüllt,
und der Handstock bleibt in Ruhe. Diesen Effekt bezeich- ρ
net man als Selbsthemmung. Gleichzeitig erfüllt der Nei- Kontaktfläche
gungswinkel ρ die Selbsthemmungsbedingung
H
ρ ≤ ρ∗ =⇒ tan α ≤ tan ρ∗ = μH . (13.12)
Lässt man den Handstock mit der äußeren Kraft F um den Haftrei-
Fußpunkt rotieren, ist die Neigung der Reaktionskraft W ρ* ρ* bungs-
W kegel
in Abb. 13.9 durch den Winkel ρ gegeben. Der Grenzzu-
ρ N
stand ist durch einen Haftreibungskegel (kurz: Haftkegel)
mit dem Öffnungswinkel 2ρ∗ um die Normale der Kon-
Abb. 13.9. Der Haftreibungskegel
taktfläche festgelegt. Zusammenfassend gilt

Die Haftreibungskegelbedingung („Haftkegelbedingung”)


Ein Punkt ist in Ruhe, solange die Wirkungslinie der resultierenden Reaktions- (13.13)
kraft W an der Kontaktfläche nicht außerhalb des Haftreibungskegels liegt.
13.4 Haftreibungswinkel, Haftreibungskegel und Selbsthemmung 377

 Beispiel 13.3 Selbsthemmung für Kiste auf schiefer Ebene

Wir betrachten nochmals die Kiste auf einer schiefen Ebene aus Beispiel 13.1:
1. Bestimmen Sie den Haftreibungswinkel ρ∗ .
2. Untersuchen Sie die Fälle α < ρ∗ , α = ρ∗ , α > ρ∗ zeichnerisch auf Selbsthemmung.
Bekannt: μH =0, 6, m=7 kg.
Lösungen:
1. Zur Bestimmung des Haftreibungswinkels verwenden wir Gl.(13.11):

tan ρ∗ = μH =⇒ ρ∗ = arctan μH = arctan 0, 6 = 30, 96o .

2. In der Lösung zu Aufgabe 2 in


a) α < ρ∗ b) α = α∗ = ρ∗ c) α > ρ∗
Beispiel 13.1 haben wir für den Grenz-
zustand tan α∗ = μH erhalten. Mit G ....
G Bewegung G
.... ....
Gl.(13.11) folgt daraus ....
....
α ....
.... α
....
.
α .... ....

..
tan α∗ = μH = tan ρ∗ =⇒ α∗ = ρ∗ .
....

N* H* R
W N
Unter Beachtung des Gleichgewichts- W*
ρ* ρ * ρ* ρ * ρ* W
axioms (3.1) für die Kräfte G und W ρ*
bzw. W ∗ werden in Abb. 13.10 drei Abb. 13.10. a) Selbsthemmung mit Haftreibung,
b) Selbsthemmung im Grenzzustand, c) Gleiten
Möglichkeiten untersucht. Für α < ρ∗
ist die Resultierende W innerhalb des
Haftkegels, so dass Selbsthemmung vorliegt. Im Grenzfall α = α∗ = ρ∗ liegt die Resul-
tierende W ∗ gerade auf der Mantelfläche des Haftkegels. Für α > ρ∗ ist W außerhalb des
Haftkegels, so dass sich die Kiste unter der Wirkung von Gleitreibung bewegt. 

 Beispiel 13.4 Besteigen einer Leiter

Eine Person vom Gewicht G besteigt die in Abb. 13.11


dargestellte Leiter. An den Kontaktstellen A und B wirkt B
jeweils der Haftreibungskoeffizient μH .
μH
1. Bestimmen Sie rechnerisch die maximale Steiglänge s∗ ,
damit kein Rutschen auftritt.
l
2. Untersuchen Sie zeichnerisch die Fälle (a) s < s∗ ,
(b) s = s∗ , (c) s > s∗ . s
Bekannt: G, l, μH , α.
Vorüberlegungen: Für Aufgabe 1 werden die Rechen- α
schritte in Tabelle 13.2 abgearbeitet. Für die zeichnerische A
Lösung in Aufgabe 2 beachten wir Regel (13.13) für die re- μH
sultierenden Reaktionskräfte an den Berührflächen in A und
Abb. 13.11. Besteigen einer Leiter
B und die „Drei-Kräfte-Regel” (4.9) für Gleichgewicht.
378 13 Reibung

Lösungen zu Aufgabe 1:
a) b)
1. Freikörperbild zeichnen: Wir er- H*B
B N*
B
stellen in Abb. 13.12.a ein stati-
sches System, wobei auf Grund G
l l

l sin α
der Haftung jeweils zwei kinema-
tische Bindungen an den Lagern s
auftreten. Damit ist die Anzahl
der kinematischen Bindungen r α
A
A
= 2 · 2 = 4. Die unbekannten H*
s cos α A
Reaktionskräfte in dem Freikör- N*
∗, l cos α A
perbild in Abb. 13.12.b sind HA
NA∗ , HB∗ , N∗ .
B Abb. 13.12. a) Statisch unbestimmtes System, b) Freikörperbild
2. Grad der statischen Unbestimmtheit: Nach Gl.(9.1) ist der Grad der statischen Unbe-
stimmtheit x = r−3 = 4−3 = 1, d.h. das System ist nach dem statischen Abzählkriterium
(9.2) einfach statisch unbestimmt.
∗ , N ∗ , H∗ ,
3. Berechnung der Reaktionskräfte: Im Grenzfall stellen die Reaktionskräfte HA A B
NB∗ und die maximale Steiglänge s∗ fünf Unbekannte dar. Mit den drei Gleichgewichts-
bedingungen (5.25) und dem Haftreibungsgesetz (13.6) für die Kontaktpunkte A und B
im Grenzzustand stehen ebenso fünf Gleichungen zur Verfügung. Damit gilt:

A: −Gs cos α + NB∗ l sin α + HB
∗ l cos α = 0 (1)
∗ − N∗
←: HA =0 (2)
B
↑: ∗ + N∗
−G − HB =0 (3)
A
∗ = μ N∗,
HA (4) ∗ = μ N∗
HB (5).
H A H B

Nach einigen Umformungen erhält man die drei Lösungen

μH G 1 μH l
NB∗ = 2 , NA∗ = 2 G, s∗ = (μh + tan α),
1 + μH 1 + μH 1 + μ2H
∗ und H ∗ mit (4) und (5) sofort berechenbar sind.
womit auch die beiden Haftkräfte HA B
Lösungen zu Aufgabe 2: In der zeichnerischen Lösung müssen die resultierenden Reak-
tionskräfte WA und WB an den Berührflächen in A und B jeweils die Haftkegelbedin-
gung (13.13) erfüllen. Für den Öffnungswinkel 2ρ∗ beider Kegel gilt nach Gl.(13.11) ρ∗
= arctan μH . Mit der Gewichtskraft G greifen drei Kräfte an der Leiter an. Für Gleichge-
wicht müssen deren Wirkungslinien nach der „Drei-Kräfte-Regel” (4.9) durch einen Punkt
im Lageplan verlaufen und das Kräftepolygon im Kräfteplan schließen. Mit diesen Vorüber-
legungen werden in Abb. 13.13 drei Fälle unterschieden:
(a) Die Person hat eine Steiglänge s erreicht, die kleiner als die kritische Länge s∗ ist:
Man kann leicht zwei verschiedene Lösungen WA1 , WB1 oder WA2 , WB2 finden, welche
gleichzeitig die Haftkegelbedingung (13.13) und die Gleichgewichtsbedingung (4.9) er-
füllen. Damit liegt an beiden Lagern Selbsthemmung vor. Die Unbekannten sind auf
13.5 Reibung in Keilen 379

Grund der statischen Unbestimmtheit jedoch nicht eindeutig berechenbar, so dass un-
endlich viele Lösungen gefunden werden können. Allgemein gilt: Schneidet die Wir-
kungslinie von G die Schnittfläche der Reibungskegel (SFR), werden gleichzeitig die Be-
dingungen (13.13) und (4.9) erfüllt. Da die Leiter nur nach oben bestiegen wird, scheiden
Wirkungslinien von G rechts vom unteren Lager aus, und der Lösungsbereich reduziert
sich auf die Fläche LB in Abb. 13.13.
(b) Die Person hat die kritische Steiglänge s∗ erreicht: Hier findet man eine eindeutige Lö-
sung, welche gleichzeitig die Bedingungen (13.13) und (4.9) erfüllt.
(c) Die Person hat die kritische Steiglänge s∗ überschritten: Man findet keine Lösung, welche
gleichzeitig die Bedingungen (13.13) und (4.9) erfüllt, so dass Gleitreibung auftritt.

(a) s < s∗ (b) s = s∗ (c) s > s∗


SFR
LB
ρ* ρ* LB
ρ* LB
WB2 WB* G WB G

WB1 G l l
l
s>s*
s=s*
s<s*
G WA2 α WA* α α
G
WA1 WA* WA
WA1 WA2
WB1
WB2 ρ* WB* ρ* ρ*
Abb. 13.13. Lage- und Kräftepläne: (a) Selbsthemmung und mehrdeutige Lösung am statisch unbestimmten
System, (b) eindeutige Lösung im Grenzzustand, (c) Gleitreibung und keine Lösung für Kräftegleichgewicht 

13.5 Reibung in Keilen


Ein Keil ist ein Hilfsmittel des a) b) F
täglichen Gebrauchs zur Fixierung
oder Bewegung von schweren Las- K
ten. Bei dem Beispiel in Abb. 13.14 F
wird eine Kraft P auf Grund der H*2
N*2
Geometrie des Keiles in eine zu H* N*
ihr fast senkrechte Kraft N gewan- α α 2 2

delt. Wie das Freikörperbild in P P


Abb. 13.14 zeigt, müssen während H* 1
N*1
des Einbingens von P Grenzhaft-
reibungskräfte H1∗ , H2∗ überwun- Abb. 13.14. Einbringen eines Keiles
den werden.
Nach dem Einbringen von P tragen die Haftreibungskräfte wesentlich dazu bei, dass das
System in Ruhe bleibt.
380 13 Reibung

 Beispiel 13.5 Abstützung einer Lagerhallendecke

Eine Lagerhallendecke vom Gewicht G wird wegen Ein-


sturzgefahr abgestützt. Dazu wird ein Keil unter eine Stüt- G
ze eingebracht, die zusätzlich horizontal abgestützt ist.
Welche Lastkraft P ist dazu mindestens erforderlich?
Bekannt: G=30kN, α=12o , μH =0, 6, H=4m, h=0, 3m.
Vorüberlegungen: Es werden die Rechenschritte in
Tabelle 13.2 abgearbeitet. H
Lösungen:
1. Freikörperbild zeichnen: Das idealisierte statische
System der Stütze in Abb. 13.16.a besteht aus einem α μH μH
P h
Stab mit zwei Los- und einem Festlager. Der Keil
wird als Massenpunkt idealisiert. Die zugehörigen Abb. 13.15. Abstützung einer
unbekannten Reaktionskräfte in dem Freikörperbild Lagerhallendecke
∗ ∗ ∗ ∗ ∗
in Abb. 13.16.b sind HA , NA , HB , NB , HC , K.
2. Grad der statischen Unbestimmtheit: Mit jeweils r = 4 Bindungen ist die Stütze wegen
x = 4 − 3 = 1 einfach und der Keil wegen x = 4 − 2 = 2 zweifach statisch unbestimmt.
3. Berechnung der Reaktionskräfte: Im Grenzfall stellen die Reaktionskräfte HA ∗ , N ∗ , H∗ ,
A B
∗ ∗
NB , HC , K und die gesuchte Kraft P sieben Unbekannte dar. Mit den drei Gleichge-
wichtsbedingungen (5.25) für die Stütze, zwei Kräftebedingungen (4.22) für den Keil
und dem Haftreibungsgesetz (13.6) für die Flächen A und B stehen ebenso sieben Glei-
chungen zur Verfügung:
 a) b)
(Stütze) A: K · h + HC∗ · H = 0 (1) G H*
C
∗ ∗ C
↑: −G + NA cos α − HA sin α = 0 (2)
→: −K −HC∗ +NA∗ sin α +HA
∗ cos α = 0 (3)

HA∗ = μ N∗ (4)
H A H
(Keil) ↑: ∗ ∗ ∗
NB − NA cos α − HA sin α = 0 (5)
∗ − H ∗ cos α − N ∗ sin α = 0 (6)
K
→: P −HB A A
∗ = μ N∗ . h A H*
HB H B (7) A A

Aus (2) und (4) folgt unter Berücksichtigung von (3): N*


A
G
α H* N*
A A
(2), (4) : NA∗ = P A
cos α − μH sin α
30 B N* H*
B
= = 35, 15 kN B
cos 12o − 0, 6 · sin 12o
=⇒ (4) : HA ∗ = μ N ∗ = 0, 6 · 35, 15 kN = 21, 09 kN.
H A Abb. 13.16. a) Statisches System,
b) Freikörperbild
Mit (5), (6) und (7) erhält man die gesuchte Lastkraft:
(5), (7) : NB∗ = NA∗ (cos α + μH sin α) = 35, 15(cos 12o + 0, 6 · sin 12o ) = 38, 77 kN
=⇒ (6) : P = HB ∗ + H ∗ cos α + N ∗ sin α = μ N ∗ + μ N ∗ cos α + N ∗ sin α
A A H B H A A
= 0, 6 · 38, 77 + 0, 6 · 35, 15 · cos 12 + 35, 15 · sin 12o = 51, 20 kN. 
o
13.6 Reibung in Schrauben und Gewinden 381

13.6 Reibung in Schrauben und Gewinden


Schrauben werden in der Technik zum Verbinden von Bauteilen eingesetzt. Dabei wird beim
Anziehen oder Lösen einer Schraube der Reibungswiderstand an den Gewindeflanken über-
wunden. Das gilt auch beim Heben und Senken einer Last mit einer Spindel.

13.6.1 Schrauben mit Flachgewinde


Wir betrachten in Abb. 13.17 eine Flachgewindeschraube. r r
Deren wichtigste Kenngrößen sind die Abwicklung eines
G
Ganges mit der Steigung h und der Flankendurchmesser Mutter
2r. Damit gilt für den Steigungswinkel (fest)

z
h t
tan α = . (13.14) α
2πr
h
Die Schraube wird mit einer Gewichtskraft G und einem dV
Anziehmoment MA belastet, wobei vier Fälle unterschie- Gewinde
den werden: 1. Heben der Last G, 2. Senken der Last G
für α < ρ∗ (geringe Steighöhe), 3. Senken der Last G für
α > ρ∗ (große Steighöhe), 4. Bedingung für Selbsthem-
mung ohne Moment MA . In den ersten drei Fällen muss MA
für eine Bewegung jeweils die Grenzhaftreibungskraft an
der Gewindefläche überwunden werden. Dabei kann das
Gewinde still stehen und die Mutter gedreht werden. Abb. 13.17. Schraube mit
Flachgewinde, Differenzial dV
Umgekehrt kann, wie im Folgenden angenommen, die
Mutter still stehen und das Gewinde sich drehen.
1. Heben der Last: Wir be-
einsetzende Bewegung
trachten in Abb. 13.18 einen dif- dW* t
ferenziellen Ausschnitt dV des α *
dH dW *
Schraubengewindes bei dem die dW*
*
z M r
Bewegung zum Heben der Last dW α ρ* α +ρ *
gerade einsetzt. In der Kontakt- dN * dN*
fläche wirken eine differenzielle ρ* ρ* dH* dW*t

Grenzhaftreibungskraft dH , pa-
rallel zum Gewinde entgegen der Abb. 13.18. Heben der Last, Grenzzustand
einsetzenden Bewegung, und eine
differenzielle Normalkraft dN ∗ , normal zur Kontaktfläche. Sie werden in dem Kräfteplan
zur Resultierenden dW ∗ zusammengefasst, die mit dN ∗ den Haftreibungswinkel ρ∗ =
arctan μH einschließt. Wir zerlegen dW ∗ in Abb. 13.18 in einen zum Schraubenradius tan-
gentialen Anteil dWt∗ und einen zur Schraubenachse parallelen Anteil dWz∗ :
 
∗ ∗ ∗ ∗ ∗
1. dWt = tan(α + ρ ) dWz =⇒ 2. dWt = tan(α + ρ ) dWz∗ , (13.15)
K K
wobei das Integral über den gesamten Kontaktbereich K zwischen Mutter und Schraube
gebildet wird. Ebenso können durch Integration die vertikalen Differenzialkräfte dWz∗ zu
382 13 Reibung
 ∗ ∗
einer resultierenden Kraft
 K dWz und die Differenzialmomente r · dWt zu einem resul-

tierenden Moment r K dWt bzgl. der Schraubenachse zusammengefasst werden. Die tan-
gentialen Anteile dWt∗ in Abb. 13.18 heben sich dagegen in ihrer Kräftewirkung auf. Mit
den äußeren Belastungen G und MA lauten die Gleichgewichtsbedingungen (5.25) für die
Schraube:
  ∗
1. Fiz = 0 : K dWz − G = 0
 M  (13.16)
2. Miz = 0 : MA − r K dWt∗ = 0.
Nach Umstellen von Gl.(13.16.2) folgt mit Gl.(13.15.2) und (13.16.1) der Zusammenhang
 
∗ ∗
MA = r dWt = r tan(α + ρ ) dWz∗ = Gr tan(α + ρ∗ ). (13.17)
K K
2. Senken der Last für α < ρ∗ :
Nach Abb. 13.19.a muss die tangentiale Reibungskraft in
Gl.(13.15.1) durch Wt∗ = dWz∗ tan(ρ∗ − α) ersetzt werden. Gegenüber Abb. 13.18 ist deren
Richtung umgekehrt, so dass im Gegensatz zu Gl.(13.17) gilt: MA = −Gr tan(ρ∗ − α).
3. Senken der Last
a) b)
für α > ρ∗ : Die tan- einsetzende einsetzende
gentiale Reibungskraft Bewegung Bewegung
α
in Abb. 13.19.b hat dWt α
dWz α
den Wert Wt∗ = dWz∗ dH* dH *
dWz
dN *
dN * ρ*- α α
tan(α − ρ∗ ) und die dN*
α -ρ* ρ*
dW *
gleiche Richtung wie ρ* dW * ρ * dN* dW *
ρ* dW *
ρ* dH *
in Abb. 13.18. Für ρ* dW*
t
dH*
das Anzugsmoment
gilt somit MA = Abb. 13.19. Senken der Last: a) α < ρ∗ , b) α > ρ∗
Gr tan(α − ρ∗ ).
4. Selbsthemmung: Ist das Anzugsmoment MA a) b)
gleich Null, tritt wegen Gl.(13.16.2) kein hori- α α
zontaler Anteil dWt∗ auf. Für α > ρ liegt dann die dH
∗ dH
Resultierende W in Abb. 13.20.a außerhalb des α
α dN
Reibungskegels, und die Schraube bewegt sich dN
ρ*
bei gleichzeitiger Gleitreibung. Für α ≤ ρ liegt ρ* dW= dWz
ρ* ρ
*
W ∗ in Abb. 13.20.2 nicht außerhalb des Rei- dW= dWz
bungskegels. Damit liegt Selbsthemmung vor,
wobei sich die Schraube, unter einer Belastung Abb. 13.20. Anzugsmoment gleich Null: a) Glei-
ten für α > ρ∗ , b) Selbsthemmung für α ≤ ρ∗
nicht von selbst zurückdreht.
Wir können die bisherigen Ergebnisse wie folgt zusammenfassen:
Anzugsmomente zum Heben und Senken einer Last G bei einem Flachgewinde
1. Heben: MA = G r tan(α + ρ∗ )
2. Senken geringe Steighöhe: MA = −G r tan(ρ∗ − α), α < ρ∗ (13.18)
3. Senken große Steighöhe: MA = G r tan(α − ρ∗ ), α > ρ∗
4. Selbsthemmung: MA = 0, α < ρ∗ .
13.6 Reibung in Schrauben und Gewinden 383

13.6.2 Schrauben mit Spitzgewinde


Gebräuchlicher als Flachgewinde sind heute Schrauben
r r
mit Spitzgewinde. Dabei sind die Gewindeflanken wie in
Mutter
Abb. 13.21 dargestellt gegenüber der Gewindeachse um G
den Flankenwinkel β geneigt.
Die Normalkraft dN ∗ am Differenzialelement dV ist z dV
um den Winkel α gegen die r, z-Ebene und um den Winkel t dN *
β gegen die t, z-Ebene geneigt. Sie hat in dem Kräfte- α β
quader in Abb. 13.22.a eine tangentiale, eine vertikale und dH*
eine radiale Komponente. Mit den Beziehungen
dN * α
h
dNt∗ dNr∗
= tan α, = tan β (13.19)
dNz∗ dNz∗ Gewinde
MA
erhält man für den Betrag der gesamten Normalkraft
 Abb. 13.21. Schraube mit
dN ∗ = dNr∗ 2 + dNt∗ 2 + dNz∗ 2 Spitzgewinde
 (13.20)
∗ 2 2
= dNz tan β + tan α + 1.

Für die Grenzhaftreibungskraft a) b)


erkennt man in dem Kräftequader in z
Abb. 13.21.b t
r
dHt∗ = cos α dH ∗ β
(13.21) dN* α β
dHz∗ = sin α dH ∗ .
z dN* dH*
z dH*
α
Im Grenzzustand gilt das Coulomb-
sche Haftreibungsgesetz: dN*r dH*t
dN*t
dH ∗ = μH dN ∗ . (13.22) Abb. 13.22 Kräftequader für a) Normalkraft,
b) Grenzhaftreibungskraft

Mit den Belastungen G und MA lauten die Gleichgewichtsbedingungen (5.25) für die
Schraube mit Spitzgewinde:
  
1. Fiz = 0 : − dHz∗ + dNz − G = 0
   (13.23)
2. Miz = 0 : MA − r dHt∗ − r dNt = 0.
Nach Eliminieren von dNt∗ , dNz∗ und dH ∗ erhält man den Zusammenhang, siehe z.B. [19],

tan α + μH cos α 1 + tan2 α + tan2 β
MA = rG  . (13.24)
1 − μH sin α 1 + tan2 α + tan2 β
Mit der trigonometrischen Beziehung 1 + tan2 α = 1/ cos2 α, siehe z.B. [5], erhält man

tan α + μH 1 + cos2 α · tan2 β
MA = rG  . (13.25)
1 − μH tan α 1 + cos2 α · tan2 β
384 13 Reibung

Da der Winkel α häufig klein ist, kann cos α ≈ 1 gesetzt werden, und mit 1 + tan2 β =
1/ cos2 β erhält man

tan α + μH 1 + tan2 β tan α + μH / cos β
MA = rG  = rG . (13.26)
1 − μH tan α 1 + tan2 β 1 − tan αμH / cos β
Mit der Definition für die Gewindereibungszahl μ = μH /cos β = tan ρ und der Beziehung
tan(α + ρ ) = (tan α + tan ρ )/ (1 − tan α · tan ρ ), siehe z.B. [5], wird Gl.(13.26) weiter
vereinfacht. Damit gilt für das
Anzugsmoment zum Heben einer Last G beim Spitzgewinde

1. MA = G r tan(α + ρ ), wobei (13.27)


   
h μH
2. α = arctan 3. ρ = arctan .
2πr cos β

Die Fälle Senken mit geringer Steighöhe, Senken mit großer Steighöhe und Selbsthem-
mung werden wie in den Gleichungen (13.18) mit dem modifizierten Reibungswinkel ρ in
Gl.(13.27.3) behandelt.

 Beispiel 13.6 Apfelpresse mit Spindel

Eine Apfelpresse besteht aus einer Spindel


mit Spitzgewinde, die an einer Spindelmutter
abgestützt wird. Welche Presskraft P wird für ein
gegebenes Lastmoment MA erreicht?
Bekannt: MA = 850 Nmm, Radius r = 28 mm,
μH = 0, 12, Flankenwinkel β = 30o , Ganghöhe
h = 20 mm.
Vorüberlegungen: Wir betrachten die Schraube
mit Spitzgewinde in Abb. 13.21 um 180o
gedreht, so dass für den Fall „Heben der Last”
MA dem gegebenen Lastmoment und die Last
G der gesuchten Presskraft P entspricht. Nach
Umstellen von Gl.(13.27.1) wird die gesuchte
Presskraft mit G = P erhalten.
Lösung: Mit dem Steigungswinkel in
Gl.(13.27.2) und dem modifizierten Haftrei-
Abb. 13.23. Apfelpresse mit Spindel
bungswinkel in Gl.(13.27.3)
   
20 mm o  0, 12
α = arctan = 6, 49 , ρ = arctan = 7, 89o ,
2π28 mm cos 30o
folgt mit G = P nach Umstellen von Gl.(13.27.1) für die gesuchte Presskraft
MA 850 Nmm
P = 
= = 118, 4 N. 
r tan(α + ρ ) 28 mm tan(6, 49o + 7, 89o )
13.6 Reibung in Schrauben und Gewinden 385

13.6.3 Schrauben mit Vorspannkraft


Häufig wird eine Vorspannkraft FV auf FV Rm
die Schraube aufgebracht, um die zu
verbindenden Teile zusammenzupressen.
Dieses entspricht dem Heben einer Last mit
einem Gewinde, während das Lösen der FV
r r R*O =μ KFV
Schraube dem Senken einer Last entspricht. MA
r r
Damit können die Gleichungen (13.18)
rA rA rA rA
für das Flachgewinde bzw. (13.27) für
das Spitzgewinde zur Berechnung eines Abb. 13.24. Schraube mit Vorspannkraft FV
Gewindereibungsmomentes verwendet wer- und Anzugsmoment MA
den. Zusätzlich tritt an der Mutter- oder
Schraubenkopf-Auflagefläche eine Reibungskraft RO ∗ auf, die wir nach dem Coulombschen

Gesetz (13.6) mit einem Haftreibungskoeffizienten μK und dem Wert RO ∗ = μ F berück-


K V
sichtigen. Infolge dieser Kraft entsteht bzgl. der Schraubenachse ein weiterer Anteil MK für
das Anzugsmoment, den wir mit einem mittleren Radius RM berechnen:

MK = RO · RM = μK FV · RM , wobei RM = 0, 5 (rA + r). (13.28)
Damit folgt das
Anzugsmoment für eine Schraube mit Vorspannkraft
1. MA = FV ( r tan(α + ρ ) + μK · RM ), wobei (13.29)
   
h  μH
2. α = arctan 3. ρ = arctan 4. RM = 0, 5 (rA + r).
2πr cos β

Hierbei ist h die Ganghöhe wie in Abb. 13.17. Die Fälle Lösen der Schraube mit geringer
Steighöhe, Lösen mit großer Steighöhe und Selbsthemmung werden wie in den Gleichungen
(13.18) mit dem modifizierten Reibungswinkel ρ in Gl.(13.27.3) behandelt.

 Beispiel 13.7 Vorspannkraft in einer Schraubenverbindung

Eine Sechskantschraube soll auf eine Vorspannkraft FV angezogen werden. Wie groß ist das
dazu erforderliche Anziehmoment MA ?
Bekannt: FV = 60 kN, Außenradius rA = 24 mm, Radius r = 20 mm, μH = μK = 0, 08,
Spitzwinkel β = 30o , Ganghöhe h = 34 mm.
Lösung: Mit dem Steigungswinkel, dem Gewindereibungswinkel und dem mittleren Radius
   
34 o  0, 08
α = arctan = 15, 14 , ρ = arctan = 5, 28o , RM = 0, 5(24 + 20) = 22mm
2π20 cos 30o
erhält man aus Gl.(13.29)
MA = FV (r tan(α + ρ ) + μK · RM )
= 60 kN (20 mm tan(15, 14o + 5, 28o ) + 0, 08 · 22 mm) = 552, 35 kNmm. 
386 13 Reibung

13.7 Seilreibung
Seilreibung tritt auf, wenn ein Seil (oder ein Riemen, ein Band) über eine gewölbte Fläche
(z.B. einen Zylinder) gelegt wird und an beiden Enden durch zwei Kräfte S1 und S2 belastet
wird. Dabei können wie in Abb. 13.25 dargestellt drei Fälle unterschieden werden:
a) Das Seil gleitet über den festen Zylinder, so dass zwischen Seil und Zylinder Gleitreibung
auftritt. Wird der Zylinder mehrfach von dem Seil umschlungen – wie beim Poller zum
Anlegen eines Schiffes – stellt sich Haftreibung ein, und die Bewegung ist verhindert.
b) Der Zylinder dreht sich und berührt ein feststehendes Seil, so dass Gleitreibung auftritt.
Dieser Effekt wird z.B. bei Bandbremsen ausgenutzt.
c) Beim Riementrieb drehen sich der Zylinder und der Riemen gleichzeitig. Dabei tritt keine
relative Bewegung zwischen beiden Körpern auf, so dass Haftreibung vorliegt.
Bei Seilreibung können also sowohl Haft- als auch Gleitreibung auftreten. Dabei sind jeweils
die Kräfte S1 und S2 an den Seilenden im Allgemeinen nicht gleich groß – im Gegensatz
zu Regel (3.22.4). Die Ursache liegt in den in der Berührfläche zwischen Seil und Zylinder
auftretenden Reibungskräften.

a) b) c)
FL
Verschiebung
S1 ML
S2
Verdrehung
Gleitreibung
Gleitreibung Haftreibung MH
Verdrehung

Abb. 13.25. Beispiele zur Seilreibung: a) Seil rutscht über festen Zylinder, b) Zylinder rutscht über festes Seil,
c) Riemen und Zylinder bewegen sich

In Abb. 13.26.a ist ein Seil um den Winkel α über einen Zylinder gespannt. Wir setzen
voraus, dass die Kraft S2 an dem rechten Seilende größer als die Kraft S1 am linken Seilende
ist. Um einen Zusammenhang zwischen S1 und S2 zu erhalten, untersuchen wir zunächst das
Seildifferenzial in Abb. 13.26.b. Mit dessen Idealisierung als Massenpunkt, gehen wir nach
den Lösungsschritten in Tabelle 13.2 vor:
In dem Freikörperbild in Abb. 13.26.b sind dH und dN die von dem Zylinder auf das
Seil wirkenden Haftreibungs- und Normalkräfte. S(ϕ) und S(ϕ + dϕ) sind die Seilkräfte an
den durch die Winkel ϕ und ϕ + dϕ festgelegten Schnitten. Dabei gilt nach Gl.(12.6) die
Näherung S(ϕ + dϕ) = S + dS. Wegen S2 > S1 würde das Seil ohne Haftung nach rechts
rutschen, so dass die Haftreibungskraft dH wegen Regel (13.3) nach links gerichtet ist. Nach
Zerlegung der Kräfte dH und dN in die Tangential- und Normalrichtungen stehen für das
als Massenpunkt angenommene Seildifferenzial die zwei Gleichgewichtsbedingungen (4.22)
zur Verfügung:
dϕ dϕ
1. →: −S cos + (S + dS) cos − dH = 0
2 2
dϕ dϕ (13.30)
2. ↑: dN − S sin − (S + dS) sin = 0.
2 2
13.7 Seilreibung 387

a) b) dϕ dϕ

2 2
ϕ α
S dH S+dS
dN
S1 R S 2 >S1 ϕ

Abb. 13.26. Zur Herleitung der Seilreibungsformel: a) Kräfte an einem über einen Zylinder gespannten Seil,
b) Freikörperbild eines Seildifferenzials

Mit den Näherungen für kleine Winkel dϕ


dϕ dϕ dϕ
cos ≈ 1, sin ≈ , dS · dϕ ≈ 0 (13.31)
2 2 2
gehen die Gleichungen (13.30) über in
dS = dH, dN = Sdϕ. (13.32)
Diesen zwei Gleichungen stehen drei Unbekannte S, H und N gegenüber. Damit liegt, wie
in Tabelle 13.2, Schritt 3.b, angegeben, ein statisch unbestimmtes System vor, das wir mit
den Methoden den Statik nicht lösen können. Wir konzentrieren uns daher gemäß Tabelle
13.2, Schritt 3.c, auf den Grenzfall, so dass in den Gleichungen (13.32) die Reaktionskräfte
dH und dN durch dH ∗ und dN ∗ ersetzt werden. Mit dem Haftreibungsgesetz von Coulomb
(13.6) erhalten wir damit drei Gleichungen:
1. dS = dH ∗ 2. dN ∗ = Sdϕ 3. dH ∗ = μH dN ∗ . (13.33)
Durch Einsetzen von Gl.(13.33.2) in Gl.(13.33.3) folgt mit Gl.(13.33.1)

Die Differenzialgleichung der Seilreibung (13.34)


dS = μH Sdϕ.

Die Lösung dieser Differenzialgleichung geschieht durch Trennung der Variablen und der
Methode der direkten Integration. Dabei verwenden wir als untere Grenzen S1 für die Seil-
kraft und ϕ=0 für den zugehörigen Winkel. Die oberen Grenzen sind S2 und α. Damit gilt
 S2  α
dS dS
= μH dϕ =⇒ = μH dϕ. (13.35)
S S1 S 0

Mit den zugehörigen Stammfunktionen folgt durch Auswertung auf beiden Seiten
S2
[ln S]SS21 = μH [ϕ]α0 =⇒ ln S2 − ln S1 = ln = μH α. (13.36)
S1
Wenden wir noch die Exponentialfunktion auf beiden Seiten an, erhält man die
(13.37)
Seilreibungsformel nach Euler und Eytelwein S2 = S1 eμH α .

Dabei muss der Winkel α im Bogenmaß angegeben werden.


388 13 Reibung

Bemerkungen 13.2
1. Die Seilreibungsformel (13.37) wird häufig als Eytelweinsche Formel angegeben, n. Joh.
Albert Eytelwein (1764 bis 1848), obwohl sie auch von Leonhard Euler (1707 bis 1783)
hergeleitet wurde.
2. Die Seilreibungsformel (13.37) gilt nur für den Grenzfall, bei dem das Seil gerade nicht
in Richtung der größeren Kraft S2 gezogen wird.
3. Für den Grenzfall, bei dem das Seil gerade nicht in Richtung der Kraft S1 rutscht, ist S1 ≥
S2 , und die Seilreibungsformel (13.37) hat die Form S1 = S2 eμH α . Zusammenfassend
erhält man folgende Bedingungen dafür, dass kein Rutschen auftritt:

S1 e−μH α ≤ S2 ≤ S1 eμH α . (13.38)

4. Die Seilreibungsformel (13.37) kann auch angewendet werden, wenn das Seil gleichför-
mig (mit konstanter Geschwindigkeit) über den Zylinder rutscht. Dazu wird der Haftrei-
bungskoeffizient μH durch den Gleitreibungskoeffizient μG ersetzt. Für den Fall, dass
das Seil gleichförmig in Richtung der Kraft S2 rutscht gilt also

S2 = S1 eμG α . (13.39)

5. Grundsätzlich können auch für Seilreibungsaufgaben die Rechenschritte nach Tabelle


13.2 abgearbeitet werden. Bei etwas Erfahrung ist es jedoch häufig nicht notwendig, alle
Unbekannten aufzulisten, sondern die (Momenten-)Gleichgewichtsbedingungen zweck-
mäßig so zu formulieren, dass man schneller zum Ziel kommt.

 Beispiel 13.8 Umschlingen einer Trommel mit einem Seil

Eine Trommel wird von einem Seil wie dargestellt


umschlungen. An den Seilenden greifen eine Hal-
tekraft FH und eine Gewichtskraft G an. FH ist
FH
horizontal gerichtet. Welchen Mindestwert muss
FH haben, damit kein Rutschen auftritt? g
Bekannt: G = 50 N, μH = 0, 6.
Lösung: Um den Mindestwert für FH zu erhal-
x
ten, betrachten wir den Grenzfall, bei dem gera-
de ein Abrutschen des Seiles in Richtung der Ge- z y
wichtskraft vermieden wird. Damit ist G = S2
> S1 = FH die größere der beiden Kräfte in G
der Seilreibungsformel (13.37). Durch Umstellen
nach S1 = FH erhält man mit dem Umschlin- Abb. 13.27. Trommel mit Seil,
gungswinkel α = 2 · π + π/2 = 5π/2: Gewichts- und Haltekraft

FH = Ge−μH α = 50 e−0,6·5π/2 = 0, 45 N. 
13.7 Seilreibung 389

 Beispiel 13.9 Rad mit Antriebsmoment und Backenbremse

Das dargestellte Rad wird durch ein Mo-


ment MA entgegen dem Uhrzeigersinn μH
angetrieben. Gleichzeitig wird eine Ba- g
ckenbremse durch Aufbringen einer Last MA r
G auf einen Hebel wie dargestellt ak-
tiviert. Wie groß muss die Kraft G min-
destens sein, damit das Rad in Ruhe
bleibt?
Bekannt: MA , μH , r, l.
Vorüberlegungen: Wir erstellen in l G
Abb. 13.28b. ein Freikörperbild. Mit den
freigelegten Seilkräften S1 und S2 wird
Abb. 13.28. System einer Backenbremse
die Momentengleichgewichtsbedingung
(5.25.3) für den Stab bzgl. des Auflagers
A und für das Rad bzgl. des Mittelpunktes
B formuliert. Damit entstehen keine
zusätzlichen Unbekannten in den Glei- g B
chungen, vgl. Bemerkung 13.2.5. Da MA MA r
entgegen dem Uhrzeigersinn wirkt, muss
für Gleichgewicht S1 < S2 gelten, d.h.
die Seilreibungsformel (13.37) kann ohne S1 S2
Änderung angewendet werden.
S1 S2
Lösung

A: lG − rS2 = 0 A
r
=⇒ G = S2 (1)
l

B : MA + (S1 − S2 )r = 0 l G
MA
=⇒ S2 = S1 + (2).
r Abb. 13.28.b. Freikörperbild

Mit dem Umschließungswinkel α = π folgt aus der Seilreibungsformel (13.37)


S1 = S2 e−μH π (3).
Durch Einsetzen in Gl.(2) erhält man
MA MA
S2 = S2 e−μH π + =⇒ S2 = .
r r(1 − e−μH π )
Nach Einsetzen dieses Ergebnisses in Gl.(1) folgt
r r MA MA 1
G = S2 =
l −μ
l r(1 − e H )
π
=
l 1 − e−μH π
. 
390 13 Reibung

 Beispiel 13.10 Umschlingen einer Trommel mit einem Seil

Eine Trommel wird von einem Seil wie


dargestellt für verschiedene Winkel umschlun-
gen. Wie groß ist das jeweilige Kräfteverhältnis
S2 /S1 ?
Bekannt: α = 45o , 90o , 270o , 360o , 540o , 720o , S1
μH = 0, 6.
S2
Lösung: Nach Auswertung der Seilreibungsfor- α
mel (13.37) erhält man für die verschiedenen
Winkel die folgenden Ergebnisse:
Winkel Kräfteverhältnis S2 /S1

π/4 (45o ) 1, 6
π/2 (90o ) 2, 56
1, 5 π (270o ) 16, 0 Abb. 13.29. Trommel mit Seil und
2 π (360o ) 43, 4 Seilkräften S1 und S2
3 π (540o ) 286, 7
4 π (720o ) 2882, 5
Die Ergebnisse verdeutlichen den exponenziellen Anstieg der Seilkraft mit Zunahme des Um-
schlingungswinkels. 

13.8 Wirkungsgrad für allgemeine Reibungsverluste

Bei komplexen Werkzeugen, Maschinen oder technischen Geräten treten Widerstände gleich-
zeitig an verschiedenen Orten auf. Ein Beispiel ist Rollreibung mit einem überlagerten Gleit-
anteil (Schlupf), wie z.B. in Wälzlagern und an den Flanken von Getriebezahnrädern. Weitere
Beispiele sind Reibung in Kettengliedern oder innere Reibung in den Schmierfilmen eines
Getriebes. In derartigen Fällen ist es häufig schwierig oder sogar unmöglich, die Reibungs-
widerstände rechnerisch zu erfassen. Stattdessen werden zweckmäßig alle Reibungsverluste
in einer Zahl, dem Wirkungsgrad, berücksichtigt. Wirkungsgrade werden häufig im Zusam-
menhang mit dem Begriff der Arbeit verwendet, wie z.B. im nachfolgenden Kapitel 14. In
einigen Fällen kann der Wirkungsgrad auch zweckmäßig mit Kräften formuliert werden.
Als Beispiele betrachten wir in Abb. 13.30 drei Ausführungen eines Flaschenzuges. Wir
bezeichnen, wie in Abschnitt 11.6, die theoretische Haltekraft jeweils mit FH , während FH ∗
die reale Kraft ist. Zum Heben einer Last FL ist FH ∗ größer als FH , so dass der

Wirkungsgrad für einen Flaschenzug


theoretische Kraft F (13.40)
η= = H∗
reale Kraft FH

kleiner als eins ist.


13.9 Aufgaben zu Kapitel 13 391

a) b) c)

FL
g FH= g
2

FH
FL
FH = FL
2
FL FL

Abb. 13.30. Flaschenzüge: a) feste Rolle, b) lose Rolle, c) einfacher Faktorenflaschenzug

Wir wenden Definition (13.40) auf die feste Rolle (FR) in Abb. 13.30.a sowie die lose
Rolle (LR) in Abb. 13.30.b an und erhalten unter Beachtung der Regeln (11.42) für die zuge-
hörigen Wirkungsgrade
1 ·F
F F FH 2 L
1. ηF R = H∗ = L∗ 2. ηLR = = . (13.41)
FH FH FH ∗ FH ∗
Die Ergebnisse in den Gleichungen (13.41) können weiter auf den einfachen Faktoren-
flaschenzug in Abb. 13.30.c angewendet werden: Bei der losen Rolle hat die Seilkraft
nach Gl.(13.41.2) den Wert FL /(2ηLR ). Diese Kraft erhöht sich bei der festen Rolle nach
Gl.(13.41.1) auf FL /(2ηLR ηF R ). Ferner gilt mit n = 1 für die theoretische Kraft nach
Gl.(11.44) FH = FL /2. Aus Definition (13.40) folgt für den Wirkungsgrad des gesamten
Flaschenzuges:
FL FL FH
FH ∗ = , FH = =⇒ ηges = = ηLR ηF R . (13.42)
2ηLR ηF R 2 FH ∗

13.9 Aufgaben zu Kapitel 13


Aufgabe 13.1 (SG = 1, BZ = 10 min)
Eine Kiste der Masse m liegt wie dargestellt auf einer horizontalen Fläche und wird mit einer
horizontalen Kraft F belastet.
1. Berechnen Sie die Haftreibungskraft H. g
2. Wie groß darf F maximal werden, damit G F
die Kiste sich nicht bewegt?
3. Lösen Sie Aufgabe 2 zeichnerisch mit
Darstellung des Haftreibungskegels.

Bekannt: F = 10 N, μH = 0, 3, m = 10 kg, μH
g = 10 m/s2 .
392 13 Reibung

Aufgabe 13.2 (SG = 1, BZ = 10 min)


Eine Kiste liegt wie dargestellt auf einer horizontalen Fläche und wird von einer Kraft F
belastet, die mit der Vertikalen einen Winkel α einschließt.
1. Berechnen Sie die Haftreibungskraft H α
für α = 20o . F
2. Berechnen Sie den maximalen Winkel
α∗ , für den die Kiste sich nicht bewegt.
3. Zeichnen Sie den zugehörigen Haftrei-
bungskegel.

Bekannt: μH = 0, 5, F = 10 kN.
μH

Aufgabe 13.3 (SG = 2, BZ = 15 min)


Eine Kiste vom Gewicht G erfährt infolge g β
einer Kraft F auf einer schiefen Ebene eine F
gleichmäßige Bewegung
m
α
....
1. aufwärts .... ....
2. abwärts. ....

Bestimmen Sie für beide Fälle die erforder- μG


liche Kraft F .
Bekannt: μG , α, β, G.

Aufgabe 13.4 (SG = 2, BZ = 15 min)


Auf dem Dach eines kugelförmigen Iglus A m μH
g
mit Radius r liegt ein Eiszapfen der Masse
m. Die augenblickliche Lage wird durch den
β
Winkel β festgelegt. Welchen Wert kann β
r
maximal haben, damit der Eiszapfen nicht
rutscht? Bestimmen Sie die Lösung
1. zeichnerisch und
2. rechnerisch.
Bekannt: μH = 0, 03, r = 1, 80 m, m = 120 g, g = 10 m/s2 .

Aufgabe 13.5 (SG = 1, BZ = 10 min)


Berechnen Sie für die Apfelpresse aus Beispiel 13.6 die maximale Ganghöhe, so dass Selbst-
hemmung vorliegt.
13.9 Aufgaben zu Kapitel 13 393

Aufgabe 13.6 (SG = 2, BZ = 20 min)


Zwei Kisten 1 und 2 mit den Gewichtskräften G1 und G2 sind wie dargestellt durch
einen horizontalen, gewichtslosen Stab gelenkig verbunden. Der Reibungskoeffizient zu den
Berührflächen ist jeweils μH . Der Kiste 1 wird zusätzlich mit einer Kraft F belastet.
1. Bestimmen Sie die minimale Kraft G2 ,
bei der das System in Ruhe bleibt.
Stellen Sie für G2 zunächst eine allge- F g
meine Gleichung auf. Rechnen Sie erst
2
....

..
..
..
.
danach mit Zahlwerten! .... ....
2. Wie groß ist die Reibkraft an der Kiste
μH μH
....

..

..
..

..
1, falls die Gewichtskraft G2 = 360 N
beträgt? 1 α
Bekannt: α = 25o , F = 100 N, G1 = 50 N,
μH = 0, 4.

Aufgabe 13.7 (SG = 3, BZ = 20 min)


Zwei Kisten 1 und 2 und ein Gewicht 3 sind 1 g
wie dargestellt durch Kontakt und ein Seil α ..
.. .
.. μ H1
verbunden. Die Rolle ist reibungsfrei. Wie 2 ..
.. ..
..
.
..

groß muss die Gewichtskraft G3 mindestens ..


.. ..
..

sein, damit die Kiste 2 herausgezogen wird?


Bekannt: G1 = 120 N, G2 = 200 N, μH1 =
μ H2
0, 3, μH2 = 0, 4, α = 25o .
3

Aufgabe 13.8 (SG = 1, BZ = 10 min)


Ein PKW der Masse m fährt mit der Ge-
schwindigkeit v in einer kreisförmigen Kur-
ve mit Radius r. Dabei entsteht im Schwer-
punkt S eine nach außen gerichtete Zen- H FZ
trifugalkraft, die sich mit der Formel FZ
= m v 2 /r berechnen läßt, siehe z.B. [21].
Welche maximale Geschwindigkeit darf der H H
PKW haben, damit er nicht rutscht
1. bei trockener Fahrbahn v
2. bei glatter Fahrbahn? H

Hinweis: Der PKW wird als Massenpunkt


angenommen.
Bekannt: r = 40 m, m = 1, 2 t, μH (trocken)
= 0, 7, μH (glatt) = 0, 07.
394 13 Reibung

Aufgabe 13.9 (SG = 2, BZ = 15 min)


Der Kolben eines Verbrennungsmotors erfährt den p
Druck p. Zwischen dem Kolben und der Rohrwan-
dung entsteht durch die Schiefstellung des Pleuels R
mit dem Winkel β Gleitreibung. Wie groß ist die μG
die Pleuelkraft F , wenn Beschleunigungseffekte un-
berücksichtigt bleiben? Bewegung

Bekannt: p = 1200 MPa, μG = 0, 03, r = 2 cm, β


= 30o . F β

Aufgabe 13.10 (SG = 2, BZ = 20 min)


Ein Lieferwagen der Masse m wird an einem Hang g m
abgestellt. Das Abrollen wird ohne Wirkung der c
Bremsen des Wagens durch einen Stein verhindert.
Der Abstand zwischen Stein und Hinterrad wird ver-
nachlässigt.
1. Welche Neigung α∗ darf der Hang maximal b
haben, damit der Wagen sich nicht bewegt? a
μH
2. Wie groß ist α∗ , wenn ein zweiter Stein vor dem α∗
Vorderrad liegt?

Bekannt: m = 2 t, μH = 0, 7, a = 3 m, b = 2 m, c =
1, 5 m, g = 10 m/s2 .

Aufgabe 13.11 (SG = 3, BZ = 30 min)


Ein Kran der Masse m1 befindet sich auf einer
schiefen Ebene mit der Neigung α. An dem Haken
ist ein PKW der Masse m2 angebracht. Zwischen g
den Stützungen und dem Untergrund wirkt Haftrei- L β
bung. Berechnen Sie die maximale Reibkraft an der α
vorderen Stütze. m2
Bestimmen Sie die Lösung zeichnerisch und rech-
nerisch. m1 S1
α
Bekannt: m1 = 4 t, m2 = 1, 2 t, μH = 0, 7, a = 3 m,
b = 4 m, l = 8 m, L = 17 m, hG = 3 m, hS = 2 m, hG hS
α = 30o , β = 32o . μH
a
μH b l
13.9 Aufgaben zu Kapitel 13 395

Aufgabe 13.12 (SG = 2, BZ = 20 min)


F
Das dargestellte Stabsystem erfährt eine ver-
tikale Kraft F . Das Lager C ist als Loslager
l l
ausgebildet, das tangential zur Bewegungs-
richtung zusätzlich eine Haftreibungskraft B
aufnimmt. Für welche Winkel von β tritt
A α α
kein Rutschen auf? Ermitteln Sie die Lösung C
β μH
1. zeichnerisch
2. rechnerisch.
Bekannt: F = 12 kN, μH = 0, 5, α = 30o , l = 1, 5 m.

Aufgabe 13.13 (SG = 3, BZ = 20 min)


Durch Verkanten des Zylinders einer Ver-
tikalführung kann die vertikale Bewegung a μH
verhindert werden. Für welche Werte von a
tritt Selbsthemmung auf? Lösen Sie die Auf- h
gabe zeichnerisch. dR
F
Bekannt: dR = 5 cm, dH = 7 cm, h = 12 cm, dH
μH = 0, 4, F = 8 kN.

Aufgabe 13.14 (SG = 2, BZ = 30 min) α α


Ein Keil ist wie dargestellt in eine Betonaus- Keil
sparrung eingebracht. Für welche Winkel α μH μH
tritt Selbsthemmung ein? Lösen Sie die Auf-
gabe zeichnerisch.
Bekannt: Keilwinkel α = 15o , Haftreibung
zwischen Keil und Beton μH = 0, 7.

Aufgabe 13.15 (SG = 2, BZ = 20 min)


G
Um die Unebenheit eines Fußbodens auszu-
gleichen, muss ein Schrank vom Gewicht
G angehoben werden. Dazu wird ein Keil
mit dem Neigungswinkel α wie dargestellt
mit einer horizontalen Kraft P im Punkt A
eingebracht. Dabei tritt kein Rutschen im
Punkt B auf. Wie groß muss P mindestens
α A
sein? P
Bekannt: G = 2 kN, α = 12o , μH = 0.6. B
μH
396 13 Reibung

Aufgabe 13.16 (SG = 2, BZ = 15 min)


Zum Abstützen einer Schalwand werden Keile zwischen Wand und Stützung eingebracht.
Dabei tritt sowohl zwischen den Keilen als auch zwischen der Wand und den Keilen kein
Rutschen auf. Wieviele Keile sind für die obere und die untere Stütze notwendig, damit
Selbsthemmung auftritt? Lösen Sie die Aufgabe zeichnerisch.
Bekannt: Keilwinkel α = 15o , Haftreibung zwischen Keil und Stütze μH = 0, 4, H =
500 kN, a = 60 cm.
H α

B
3a
Keil
H
2a A C

7a

Aufgabe 13.17 (SG = 3, BZ = 30 min)


Der Anhänger mit der Gewichts-
g b
kraft GA des dargestellten Ge-
spanns ist hinten beladen und GT
steht auf einer um 45o geneigten
Fläche. Der Traktor mit der GA
Gewichtskraft GT steht auf ho-
rizontalem Boden. An der Hin-
terachse des Traktors ist Haftrei- r
bung zu berücksichtigen, die
α
Vorderachse und die Räder des
Anhängers sind als reibungsfrei μH
a c d
anzunehmen. Der Auflagerpunkt
des Anhängers ist als Gelenk zu
betrachten und befindet sich näherungsweise im Zentrum der Hinterachse des Traktors.
Prüfen Sie, ob es dem Traktor gelingt, den Anhänger mit den gegebenen Abmessungen die
Steigung hinaufzuziehen. Geben Sie die zugehörige Reibkraft im Grenzzustand an.
Bekannt: GT = 30 kN, GA = 40 kN, μH = 0, 85, α = 45o , a = 3m, b = 1 m, c = 4 m, d =
1 m, r = 0, 75 m.

Aufgabe 13.18 (SG = 2, BZ = 10 min)


Bestimmen Sie für den Flaschenzug aus Aufgabe 11.11 den Wirkungsgrad, wenn der
Wirkungsgrad der losen Rollen jeweils ηLR und der festen Rollen jeweils ηF R beträgt.
Aufgabe 13.19 (SG = 2, BZ = 10 min)
Bestimmen Sie für den Flaschenzug aus Aufgabe 11.3 den Wirkungsgrad, wenn der
Wirkungsgrad der losen Rollen jeweils ηLR und der festen Rollen jeweils ηF R beträgt.

Aufgabe 13.20 (SG = 2, BZ = 15 min)


μH
Ein Gerüst mit der Gewichtskraft G wird α1 α2
über zwei Poller durch Seilreibung gehalten.
Um welche Strecke x kann eine weitere Last μH
F verschoben werden, ohne das Gleichge- F
wicht zu gefährden? b a D
Bekannt: G, F, a, b, α1 , α2 , μH . G x

Aufgabe 13.21 (SG = 3, BZ = 30 min) _


MB
Auf die Trommeln B und C wirken Dreh- μH
momente MB und MC . Um die Trommeln R
a B F
B und C ist ein rauhes Band geschlungen,
das mit einem Hebel verbunden ist. Welche A
Drehmomente MB und MC dürfen höch-
_
stens auf die Trommeln wirken, damit sie MC c
mit einer Kraft F = 500 N abgebremst wer- R
den können? C μH
Bekannt: μH = 0, 6, R = 200 mm, a = R, b b
= 3 R, c = 2 R.

Aufgabe 13.22 (SG = 3, BZ = 30 min)


Ein Keilriementrieb verbindet eine Wasch-
maschinentrommel mit einem Antriebsmo-
tor. Beim Betrieb tritt kein Rutschen auf.
μH
1. Bestimmen Sie die Lagerkräfte in A und G r2
B und die Seilkräfte. r3
A
2. Bestimmen Sie das erforderliche An-
triebsmoment M̄ . h
r1
Bekannt: G = 50 N, r1 = 15 cm, r2 = 40 B
cm, r3 = 25 cm, h = 70 cm, b = 30 cm, μH
_ μH
M F
= 0, 25.
b
Die Goldene Regel der Mechanik
K RAFT MAL K RAFTWEG GLEICH L AST MAL L ASTWEG

Für ein Kraft-Kraftweg Paar (P, s) und ein Last-Lastweg Paar (G, h) gilt nach der Regel (11.12) P · s =
G · h. Damit können die folgenden vier Interpretationen abgeleitet werden:

g G g
s h
.... ..
..

..
.. ..
..

h
..

..
..

..

P
....

..
..

G
s
G>P =⇒ P <s
h=s G h>s =⇒ G=P s <P
h

WAS AN K RAFT GEWONNEN WIRD , WAS AN W EG GEWONNEN WIRD ,


GEHT AN W EG VERLOREN . GEHT AN K RAFT VERLOREN .

s P G
g g
G ....
....

....

s
......
.. .. h
h ..
.. ..
..

P <G =⇒ s=h G s<h =⇒ P =G h


s >G
P >h
WAS AN K RAFT EINGESPART WIRD , WAS AN W EG EINGESPART WIRD ,
MUSS MAN AN W EG ZUGEBEN . MUSS MAN AN K RAFT ZUGEBEN .

Formulieren wir die Goldene Regel der Mechanik mit Arbeitsdifferenzialen in der Form dWG = G · dh =
P · ds = dWP , dann stellt sie einen Sonderfall eines allgemeinem Axioms der Physik dar: Dieses ist der
1. Hauptsatz der Thermodynamik. Dabei werden weitere Energieformen, wie z.B. Wärmemenge, elektrische
Energie, chemische Energie oder Strahlungsenergie, berücksichtigt.
Eine wesentliche Aussage des 1. Hauptsatzes der Thermodynamik ist, dass ein Perpetuum Mobile nicht möglich
ist. Auf dieser Grundlage beschloss die Pariser Akademie der Wissenschaften bereits 1775, keine Patentanträge
auf ein Perpetuum Mobile mehr zur Prüfung anzunehmen (Quelle: NZZ FOLIO, die Zeitschrift der Neuen
Zürcher Zeitung, 03/95). Das Deutsche Patent- und Markenamt weist Patentanmeldungen, die ein Perpetuum
Mobile zum Gegenstand haben, unter Verweis auf die mangelnde Ausführbarkeit der Erfindung nach Paragraph
1 PatG zurück.
14
Arbeit, Potenzial und Stabilität

Aufgaben der Statik starrer Körper können grundsätzlich mit den Gleichgewichtsbedingun-
gen aus Teil 1 dieses Buches bearbeitet werden. Wie Beispiele in den vorherigen Kapiteln
gezeigt haben, kann der Rechenaufwand dabei recht umfangreich werden. In diesem Kapitel
wird das Prinzip der virtuellen Arbeit hergeleitet, welches in einigen Fällen zur Vereinfa-
chung der Lösungsschritte beiträgt. Darüber hinaus ist das Prinzip der Ausgangspunkt ef-
fizienter numerischer Methoden des Ingenieuralltages. In weiteren Abschnitten behandeln
wir Eigenschaften von Potenzialkräften und die Stabilität von Starrkörpern.

14.1 Die Arbeit einer Kraft entlang einer Bahn


14.1.1 Vorbetrachtungen zum Arbeitsbegriff
In Abb. 14.1.a bewegt sich ein Wagen infolge einer Zugkraft F eine Weglänge Δs horizontal
von einer Lage I in eine Lage II. Ein einfacher Ansatz zur Berechnung der Arbeit lautet:
Arbeit = Kraft × Weg =⇒ W = F Δs. (14.1)

a) b)
PI F(x)
S PII
I II β
Δs Bahn
.. F x du
.... ....
0

Abb. 14.1. a) Konstante Zugkraft F an einem Wagen, b) ortsabhängige Kraft F(x) an einem Hubschrauber

In Abb. 14.1.b ist die Bewegung eines Hubschraubers auf einer im Raum gekrümmten Bahn
von den Positionen PI nach PII dargestellt. Die augenblickliche Position wird durch den
Ortsvektor x festgelegt. Auf den Körper wirkt eine Windkraft F(x). Während der Bewegung
können die folgenden Fälle auftreten:
• Die Kraft ist während der Bewegung nicht konstant, d.h. F = F(x).
• Der Winkel β zwischen der ortsabhängigen Kraft und der momentanen Bewegungsrich-
tung variiert während der Bewegung.
Es ist nicht möglich, diese verschiedenen Fälle mit dem einfachen Ansatz (14.1) zu berück-
sichtigen. Damit wird eine allgemeine Definition der Arbeit notwendig.

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
400 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

14.1.2 Berechnung der Arbeit im allgemeinen Fall


Wir führen in Abb. 14.1.b das Verschiebungsdifferenzial du ein, das eine Kraft F an dem
Ort x momentan zurücklegt. (In [21] wird gezeigt, dass du stets tangential zum Bahnverlauf
gerichtet ist.) Die Berechnung der gesamten Arbeit W I,II einer Kraft F(x) entlang eines
Weges zwischen zwei Bahnpunkten PI und PII geschieht in zwei Schritten:

Arbeit einer Kraft entlang einer Bahn


1. Arbeitsdifferenzial: dW = F · du
(14.2)
II II
2. Arbeit: W I,II = dW = F · du.
I I

Bemerkungen 14.1
1. Das Arbeitsdifferenzial dW ist ein momentaner Wert, während die Arbeit W I,II die
gesamte Arbeit einer Kraft angibt, die auf dem Weg zwischen zwei Bahnpunkten PI und
PII verrichtet wird.
2. In Gl.(14.2) kennzeichnet der Punkt (·) das Skalarprodukt von zwei Vektoren gemäß
Gl.(C.3). Bezeichnen wir mit β den von F und du eingeschlossenen Winkel, dann gilt
dW = F · du = |F| · |du| cos β = F · du cos β. (14.3)
Hierbei sind F = |F| und du = |du| die Beträge der Vektoren F und du.
3. Da das Arbeitsdifferenzial dW aus dem Skalarprodukt der beiden Vektoren F und du
entsteht, ist dW und somit auch W I,II eine skalare Größe.
4. Wir bringen Gl.(14.3) in die Form F
dW = (|F| cos β) · |du|. (14.4) S β
du
In Abb. 14.2 ist |F| cos β die Komponente der Kraft F |du
|
auf dem Verschiebungsdifferenzial du (kurz: Verschie- |F|
cos
bungskomponente der Kraft, oder: Projektion der Kraft). β
Damit besagt Gl.(14.2.1): Das Arbeitsdifferenzial dW
ist das Produkt der momentanen Größen „Verschiebungs- Abb. 14.2. Projektion |F| cos β
der Kraft F auf dem
komponente der Kraft” und „Verschiebungsdifferenzial”. Verschiebungsdifferenzial du
5. Wir bringen Gl.(14.3) in die Form

dW = (|du| cos β) · |F|. (14.5) |F|

Gemäß Abb. 14.3 ist |du| cos β die Komponente des Ver- cosβ
|du| F
schiebungsdifferenzials du auf der Wirkungslinie der Kraft
F (kurz: Kraftkomponente der Verschiebung, oder: Pro- S β
jektion der Verschiebung). Damit besagt Gl.(14.2.1): du
Das Arbeitsdifferenzial dW ist das Produkt der momen-
Abb. 14.3. Projektion |du| cos β
tanen Größen „Kraftkomponente der Verschiebung” und des Verschiebungsdifferenzials
„Kraft”. du auf der Kraft F
14.1 Die Arbeit einer Kraft entlang einer Bahn 401

6. Aus Definition (14.2) ergibt sich als Einheit für die Arbeit

[W ] = 1 Nm = 1 J. (14.6)

Hierbei ist die Einheit Joule J nach James Prescott Joule (1818 - 1889) benannt.
7. Falls die Vektoren F und du ungleich dem Nullvektor 0 sind und, wie in den Abbildun-
gen 14.4, den Winkel β einschließen, dann ergeben sich aus Gl.(14.3) für das Vorzeichen
von dW die folgenden drei Fälle:

⎨ > 0, falls 0 ≤ β < 90o , 270o < β ≤ 360o
dW = 0, falls β = 90o , 270o (14.7)
⎩ o o
< 0, falls 90 < β < 270 .

In Abb. 14.4 sind die drei Fälle dargestellt und an Beispielen erklärt. Die Zugkraft eines
Wagens verursacht somit entlang der Verschiebung du ein positives Arbeitsdifferenzial.
Die Arbeit einer Gewichtskraft entlang einer horizontalen Verschiebung du ist immer
gleich Null. Reibungskräfte sind nach Regel (13.3) der Bewegung stets entgegengesetzt
gerichtet. Damit gilt: Die Arbeit von Reibungskräften ist immer negativ.

a) dW > 0 b) dW = 0 c) dW < 0

F F β =π /2 β > π /2
β <π/2 F
du
du du

F G
.. β
.. .. du
.... ....
du .... .... du .... ....
R
Abb. 14.4. Zur Veranschaulichung des Arbeitsdifferenzials: a) positives Vorzeichen (tritt z.B. für die Zugkraft
eines Wagens auf), b) Wert gleich Null (tritt z.B. bei Gewichtskräften auf, die horizontal verschoben werden),
c) negatives Vorzeichen (tritt z.B. bei Reibungskräften auf)

8. Reaktionskräfte (z.B. Lager-, Führungs- und Tragkräfte) sind bei geführten Bewegungen
stets senkrecht zur Bahn gerichtet. Damit gilt: Die Arbeit von Reaktionskräften ist immer
gleich Null.
9. Bei Maschinen und Anlagen tritt auf Grund von Widerstandskräften, z.B. an Lagern oder
Führungen, ein Teil der aufgewandten Arbeit WA als Verlustarbeit WV auf. Für den
vorgesehenen Zweck, z.B. den Antrieb einer Maschine, steht nur die Nutzarbeit WN
= WA - WV zur Verfügung. Zur Beurteilung der Effizienz einer Maschine wird daher
der Wirkungsgrad
WA − WV WN
η= = (14.8)
WA WA
eingeführt.
402 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

 Beispiel 14.1 Arbeiten in Flaschenzug mit drei Rollen

Bei dem Flaschenzug aus Beispiel 11.11 wird die Gewichts-


kraft G um den Weg h infolge einer Zugkraft Z angehoben.
g 1
Berechnen Sie die zugehörigen Arbeiten von G und Z.
I
Bekannt: G = 600 N, h = 5 cm. 2
duH
Vorüberlegungen: Mit den Ergebnissen Z = G/4 und duL s
= 4duH aus Beispiel 11.11 werden die Arbeiten für beide
3
Kräfte jeweils mit den zwei Berechnungsschritten gemäß II
den Gleichungen (14.2) erhalten. Die Arbeitsdifferenziale II mK
Z
bestimmen wir nach den Gleichungen (14.3). h
Lösungen: Mit der Zugkraft Z = G/4 und dem zugehöri- duL
gen Weg s = 4 · h aus Beispiel 11.11 lauten die Arbeiten: I G

1
a) Zugkraft : dWZ = Z · duH · cos 0 = GduH Abb. 14.5. Flaschenzug mit
4 drei Rollen
 s=4h  s=4h
1 1
=⇒ WZI,II = dWZ = G duH = G4h = G · h.
0 4 0 4
b) Gewicht : dWG = G · duL · cos 180o = G · duL · (−1) = −G · duL
 h  h
=⇒ WGI,II = dWG = −G duL = −G · h.
0 0
Mit den gegebenen Zahlwerten für das Gewicht G und den Weg h erhält man für die Arbeiten
beider Kräfte den Betrag 600 N · 5 cm = 3000 Ncm. Die Arbeit WGI,II der Gewichtskraft G
ist negativ, da sie zu ihrem Weg entgegengesetzt gerichtet ist. 

14.1.3 Das Arbeitsdifferenzial in kartesischen Koordinaten

Wir wollen das Arbeitsdifferenzial dW aus Gl.(14.2.1) für ein kartesisches Koordinatensys-
tem auswerten. Mit den Matrixdarstellungen nach (C.11) für den Kraftvektor F und das Ver-
schiebungsdifferenzial du erhalten wir für das Arbeitsdifferenzial nach Definition (14.2.1):
⎛ ⎞ ⎛ ⎞
Fx dx

1. F = Fy ⎠ 2. du = dy ⎠ =⇒ 3. dW = F · du = Fx dx+Fy dy+Fz dz. (14.9)

Fz dz

Dieses Ergebnis erlaubt die folgende Interpretation: Die drei Kraftkoeffizienten Fx , Fy bzw.
Fz liefern nur dann einen Beitrag zum Arbeitsdifferenzial, wenn in der jeweiligen Koordi-
natenrichtung eine Verschiebung auftritt.
14.1 Die Arbeit einer Kraft entlang einer Bahn 403

 Beispiel 14.2 Kind auf einer Rutsche

Ein Kind der Masse m rutscht eine schiefe


Ebene der Länge L hinab. Der Neigungswinkel g
beträgt β, und der Gleitreibungskoeffizient ist
μG . Entlang der Wegstrecke L bestimme man
die Arbeiten
L β
a) der Gewichtskraft G
b) der Normalkraft N
c) der Gleitreibungskraft R.
Abb. 14.6. Kind auf einer Rutsche

Vorüberlegungen: Die Arbeiten werden jeweils in zwei Berechnungsschritten nach den


Gleichungen (14.2) erhalten. Dazu bestimmen wir die Arbeitsdifferenziale nach Gl.(14.9)
mit kartesischen Koordinaten x, y, wobei die x-Koordinate in Bewegungsrichtung zeigt. In
z-Richtung treten sowohl für Kräfte als auch für Verschiebungen keine Komponenten auf.
Lösung: Aus dem Freikörperbild in Abb. 14.6.b folgt für die Normalkraft N = mg cos β. Für
die Gleitreibungskraft gilt nach Gl.(13.9) das Gleitreibungsgesetz R = μG N = μG mg cos β.
Sie ist nach Regel (13.3) der Bewegung entgegen gerichtet, so dass der x-Koeffizient in der
Basisdarstellung negativ ist. Für die Vektoren der Gewichtskraft FG , der Normalkraft FN ,
der Reibungskraft FR und des Verschiebungsdifferenzials du erhält man
   
mg sin β 0
FG = , FN = y
−mg cos β mg cos β I
   
−μG mg cos β dx x
FR = , du = . mg sin β
0 0 mg cosβ
N R
Hierbei ist berücksichtigt, dass in y-Richtung mg
kein Verschiebungsdifferenzial dy auftritt. β II
L
Damit folgen die differenziellen Arbeiten nach
Gl.(14.9) sowie die gesamten Arbeiten von
der Ausgangslage I in die Endlage II nach
Gl.(14.2.2) für alle drei Kräfte: Abb. 14.6.b. Kräfte im Freikörperbild

a) Gewichtskraft : dWG = FG · du = mg sin βdx


 L  L
=⇒ WGI,II = dWG = mg sin β dx = mg sin βL
0 0
b) Normalkraft : dWN = FN · du = 0
 L
=⇒ WNI,II = dWN = 0
0
c) Reibungskraft : dWR = FR · du = −μG mg cos βdx
 L  L
I,II
=⇒ WR = dWR = −μG mg cos β dx = −μG mg cos βL.
0 0
404 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

Bemerkungen: Die Ergebnisse bestätigen die in Abb. 14.4 dargestellten Fälle zur Vorzei-
chenregelung: Das Vorzeichen der Arbeit folgt aus der Größe des Winkels, den Kraft- und
Verschiebungsvektor im jeweiligen Fall einschließen. Die Normalkraft ist, wie im Fall b in
Abb. 14.4, als Reaktionskraft immer senkrecht zur geführten Bewegung gerichtet und leistet
somit keine Arbeit, vgl. Bemerkung 14.1.7. Wie in Bemerkung 14.1.7. erläutert, ist die Arbeit
der Reibungskraft R auch hier negativ. 

14.1.4 Arbeit bei einer Kreisbewegung

Wir betrachten in Abb. 14.7 eine Kraft F auf einer


Kreisbahn mit Radius r. Die Kraft ändert ihre y
Ft
Richtung ständig so, dass die tangentiale Kompo-
II F ds=r dϕ
nente Ft und die radiale Komponente Fn erhalten
bleiben. Nach der kinematischen Grundregel (7.4.2) ist ϕII dϕ Fn I
das Verschiebungsdifferenzial auf dem Drehwinkeldif-
ϕ ϕI x
ferenzial dϕ
r
Kreisbahn
ds = rdϕ. (14.10)

Nach Bemerkung 14.1.4 leistet nur die Komponente der Abb. 14.7. Kraft auf einer
Kraft F auf dem Verschiebungsdifferenzial ds einen Kreisbewegung
Beitrag zur Arbeit. Bei einer Kreisbewegung ist das der
Tangentialanteil Ft . Mit Gl.(14.4) berechnet man das
Arbeitsdifferenzial zu

dW = F · du = Ft ds = Ft rdϕ = M dϕ. (14.11)

Hierbei ist M = Ft r das polare Moment der Tangentialkraft Ft bezüglich des Koordinatenur-
sprungs mit dem Hebelarm r. Der Kraftanteil Fn in Abb. 14.7 ist normal zum Verschiebungs-
differenzial ds und liefert somit keinen Beitrag zur Arbeit. Damit gilt bei einer Kreisbewe-
gung: Arbeitsdifferenzial = Moment × Drehwinkeldifferenzial.
Aus den Gleichungen (14.2) erhalten wir die gesamte Arbeit zwischen zwei Bahnpunkten
I und II sowie zugehörigen Winkeln ϕI und ϕII mit den folgenden Gleichungen:

Arbeit bei einer Kreisbewegung


1. Arbeitsdifferenzial: dW = M dϕ
(14.12)
II ϕII
2. Arbeit: W I,II = dW = M dϕ.
I ϕI

In Gl.(14.12.1) ist dW also ein Arbeitsdifferenzial, welches in Gl.(14.12.2) entlang einer


Bahnkurve von Lage I nach Lage II integriert wird.
Da ein Winkel dimensionslos ist, haben Moment und Arbeit die gleiche Dimension, ob-
wohl sie unterschiedliche physikalische Größen sind.
14.1 Die Arbeit einer Kraft entlang einer Bahn 405

 Beispiel 11.3 Arbeit einer Tretkraft an der Fahrradpedale

Die Pedale eines Fahrrades wird mit einer Kraft FP


getreten. Berechnen Sie die Arbeit von FP auf dem FP
ϕ
Weg von der oberen Lage I in die untere Lage II I
unter den Annahmen, dass der Betrag von FP kon-
stant und die Richtung vertikal bleiben. R
Bekannt: Tretkraft FP = 215 N, Kurbelradius R = R sin ϕ
160 mm. Bahn
Vorüberlegungen: Die Arbeit wird in zwei II
Berechnungsschritten nach den Gleichungen Abb. 14.8 Tretkraft am Fahrrad
(14.12) erhalten.
Lösung: Das Moment der Kraft FP an einer beliebigen Stelle ist M = FP R sin ϕ. Damit ist
das Arbeitsdifferenzial nach Gl.(14.12.1)
dW = M dϕ = FP R sin ϕ dϕ.
Mit den Integrationsgrenzen ϕI = 0 und ϕII = π für die obere und die untere Lage ist die
gesamte Arbeit nach Gl.(14.12.2)
II ϕII π
W I,II
= dW = M dϕ = FP R sin ϕdϕ = FP R [− cos ϕ]π0 = 2 FP R
I ϕI 0

= 2 · 215 N · 0, 160 m = 68, 8 Nm.


Bemerkung: Das Ergebnis W I,II = 2 FP R ist auch interpretierbar als die Arbeit der Kraft
FP auf dem Höhenunterschied 2R. 

14.1.5 Aufgaben zu Abschnitt 14.1

Aufgabe 14.1 (SG = 1, BZ = 10 min)


Ein Gewicht 1 ist wie dargestellt mit einem
über eine Rolle gespannten Seil mit einer
Kiste 2 verbunden, die zudem auf einer g
schiefen Ebene liegt. Deren Neigungswinkel
beträgt α, und der Gleitreibungskoeffizient
ist μG . Die Masse 1 bewegt sich um eine
Strecke h nach unten. Bestimmen Sie für die α .... 2
Kiste 2 die Arbeiten ....
....

1. der Gewichtskraft G2 1 μG
....

h du
2. der Normalkraft N
3. der Gleitreibungskraft R.
Bekannt: h, G1 , G2 , α, μG .
406 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

Aufgabe 14.2
l
(SG = 2, BZ = 10 min) 2 F
Das Lager B eines Gerber- A M B C
trägers erfährt eine Absen-
1 2
kung Δs. Wie groß sind die
Δs
Arbeiten der Kraft F und l l l
des Momentes M̄ ?
Hinweis: Die Bewegungen dürfen wie infinitesimale Bewegungen unter Verwendung eines
Polplanes berechnet werden.
Bekannt: l = 3 m, Δs = 3 cm, F = 10 N, M̄ = 4 Nm.

Aufgabe 14.3 (SG = 1, BZ = 5 min)


Bei dem Flaschenzug in Aufgabe 11.10 wird
die Gewichtskraft G um den Weg h infolge g
eine Zugkraft Z angehoben. Berechnen Sie
die Arbeiten von G und Z.
Bekannt: G = 600 N, h = 5 cm.
Z

Aufgabe 14.4 (SG = 2, BZ = 20 min)


Eine Last vom Gewicht G wird mit der
dargestellten Handwinde um den Weg
h angehoben. Berechnen Sie
1. die Anzahl der Umdrehungen
2. die Kurbelkraft FK bei gleichför-
miger Hubbewegung
3. die Dreharbeit der Kurbelkraft FK
4. die Hubarbeit der Gewichtskraft G.
Hinweis: Lösen Sie den Aufgabenteil 2
mit Gleichgewichtsbedingungen.

Bekannt: h = 4 m, G = 500 N, Radius der Handkurbel rK = 360 mm, Trommelradius rT =


200 mm, Radius Antriebsrad r1 = 260 mm, Radius Abtriebszahnrad r2 = 460 mm.
14.2 Das Prinzip der virtuellen Arbeit 407

14.2 Das Prinzip der virtuellen Arbeit


14.2.1 Definitionen der virtuellen Arbeiten von Kräften und Momenten
In dem vorherigen Abschnitt haben wir bei der Berechnung der Arbeit einer Kraft stets
vorausgesetzt, dass sich deren Angriffspunkt längs eines Weges real verschiebt. Ebenso ist
zur Berechnung der Arbeit eines Momentes M eine reale Verdrehung des starren Körpers
erforderlich. Das Arbeitsdifferenzial eines Kraftvektors F auf dem Verschiebungsdifferen-
zial du bestimmt man nach Gl.(14.2.1) und bei Beschränkung auf ebene Bewegungen das
Arbeitsdifferenzial eines Momentes M auf dem Verdrehungsdifferenzial dϕ nach Gl.(14.12):
1. dW = F · du 2. dW = M dϕ. (14.13)
Für den zweiseitigen Hebel in Abb. 14.9.b gilt damit z.B. für das Arbeitsdifferenzial der
Lastkraft FL auf dem realen Weg duL : dWL = FL duL .

a) b) c)
FL FH FH
FL FL
A A=(M) d ϕ A=(M) δϕ
H L
duH = d ϕ a A δ uH = δϕ a A
V du L = dϕ b V δ uL = δϕ b
a b a b a b

Abb. 14.9. Hebel: a) Statisches System, b) reale Kräfte und reale Verschiebungen, c) reale Kräfte und virtuelle
Verschiebungen

Wir können uns den Begriff des Arbeitsdifferenzials auch zu Nutze machen, wenn wir
das wirkliche Verschiebungsdifferenzial du durch eine gedachte, sogenannte virtuelle Ver-
schiebung δu und das wirkliche Verdrehungsdifferenzial dϕ durch eine gedachte, virtuelle
Verdrehung δϕ ersetzen. Dazu formulieren wir die
Definition: Eine virtuelle Bewegung
1. ist gedacht, d.h. in Wirklichkeit nicht vorhanden
2. infinitesimal klein und (14.14)
3. geometrisch (kinematisch) möglich, d.h. mit den Bindungen des Sys-
tems verträglich.
Obwohl diese Definition auch für räumliche Bewegungen gilt, beschränken wir uns im Fol-
genden auf ebene Bewegungen. Die Arbeit einer Kraftgröße auf einer virtuellen Bewegung
bezeichnet man als virtuelle Arbeit. Zu deren Berechnung formulieren wir wie in (14.13) die

Definitionen: Virtuelle Arbeiten in der Ebene (14.15)


1. einer Kraft: δW = F · δu 2. eines Momentes: δW = M δϕ.

Hierbei ist δu eine virtuelle Verschiebung und δϕ eine virtuelle Verdrehung. Daraus folgt
z.B. für die reale Kraft FL an dem Hebel in Abb. 14.9.c auf dem virtuellen Weg δuL die
virtuelle Arbeit δWL = FL δuL .
408 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

14.2.2 Herleitung des Prinzips der virtuellen Arbeit

Als einführendes Beispiel betrachten wir den zweiseitigen Hebel in Abb. 14.9.c. Wir for-
mulieren die Momentengleichgewichtsbedingung (5.25.3) mit dem Bezugspunkt A und mul-
tiplizieren das Ergebnis mit dem virtuellen Verdrehwinkel δϕ:

A: FL b − FH a = 0 =⇒ (FL b − FH a)δϕ = 0. (14.16)
Für die virtuellen Verschiebungen der Kräfte FL und FH gilt nach Gl.(7.4) δuL =δϕb und
δuH =dϕa. Die zugehörigen virtuellen Arbeiten lauten nach Definition (14.15) also
1. δWL = FL δuL = FL δϕb 2. δWH = −FH δuH = −FH δϕa. (14.17)
Hierbei berücksichtigt das Minuszeichen in Gl.(14.17.2) die entgegengesetzten Richtungen
von FH und δuH . Mit diesen Beziehungen folgt aus Gl.(14.16) die Bedingung
δW = δWL + δWH = 0. (14.18)
Im Gleichgewichtsfall verschwindet also die gesamte virtuelle Arbeit δW . Wesentlich ist,
dass nur die Kräfte FL und FH in die virtuelle Arbeit eingehen, deren virtuelle Verschiebung
ungleich Null ist, während die unbekannte Lagerkraft AV in Abb. 14.9.c keinen Anteil liefert.
Das Ergebnis in Gl.(14.18) lässt
sich verallgemeinern. Dazu betrachten F2
wir in Abb. 14.10 einen starren Körper y
M1 δ ui Fiy
in der Ebene, der durch Kräfte Fi , i = δϕ
F1
1, ..., n und Momente Mj , j = 1, ..., m
δ uiy Fi
belastet wird. Wir nehmen an, dass der
yi Mm
Körper im Gleichgewicht ist, so dass δu
δ uAy ix P F ix
aus den Gleichgewichtsgewichtsbedin- δ uA i Fn
gungen (5.25) mit dem Bezugspunkt A δ uAx A xi x
folgt:
Abb. 14.10. Reale Kräfte und Momente
sowie virtuelle Bewegung
n n
1. i=1 Fix = 0, 2. i=1 Fiy = 0,
n m (14.19)
3. A
i=1 Mi + j Mj = 0, wobei MiA = xi Fiy − yi Fix .

Des Weiteren wenden wir die kinematischen Beziehungen (7.21) auf die virtuellen Verschie-
bungen von zwei Punkten A und Pi an:

1. δuix = δuAx − yi δϕ 2. δuiy = δuAy + xi δϕ. (14.20)

Wir multiplizieren Gl.(14.19.1) bzw. Gl.(14.19.2) mit den virtuellen Verschiebungen δuAx
bzw. δuAy des Bezugspunktes A und Gl.(14.19.3) mit der virtuellen Verdrehung δϕ. Die so
erhaltenen Größen sind nach Definition (14.15) jeweils virtuelle Arbeiten. Da die Terme in
den Gleichungen (14.19) jeweils Null sind, verschwindet auch die gesamte virtuelle Arbeit:
  " m #
δW = ( ni=1 Fix ) δuAx + ( ni=1 Fiy ) δuAy + n
i=1 M i
A+
j M j δϕ = 0. (14.21)
14.2 Das Prinzip der virtuellen Arbeit 409

Mit den kinematischen Beziehungen (14.20) und dem Term für MiA in Gl.(14.19.3) folgt
   
δW = ni=1 Fix δuix + ni=1 Fix yi δϕ + ni=1 Fiy δuiy − ni=1 Fiy xi δϕ
  
+ ni=1 Fiy xi δϕ − ni=1 Fix yi δϕ + mj Mj δϕ
(14.22)
n n m
= i=1 Fix δuix + i=1 Fiy δuiy + j Mj δϕ.
Wir können die virtuellen Arbeiten auch durch die Matrixdarstellungen der Vektoren
   
Fix δuix
Fi = , δui = (14.23)
Fiy δuiy
für die Kraft Fi und das zugehörige Verschiebungsdifferenzial δui ausdrücken und erhalten

Das Prinzip der virtuellen Arbeit (P.d.v.A)


n m
δW = Fi · δui + Mj δϕj = 0.
i=1 j=1 (14.24)
Ein mechanischer Starrkörper oder ein System von Starrkörpern ist im
Gleichgewicht, wenn die virtuelle Arbeit aller Kräfte und Momente bei
einer virtuellen Bewegung aus der Gleichgewichtslage verschwindet.

Bemerkungen 14.2
1. Das Prinzip der virtuellen Arbeit (14.24) wurde oben auf der Grundlage der Gleichge-
wichtsbedingungen (14.19) hergeleitet. Umgekehrt kann leicht gezeigt werden, dass aus
der Gültigkeit von (14.24) die Gleichgewichtsbedingungen (14.19) folgen. Damit ist das
Prinzip (14.24) notwendig und hinreichend für Gleichgewicht eines Körpers
2. Mit dem Index j für δϕj in Gl.(14.24) werden unterschiedliche Verdrehwinkel für Sys-
teme von Starrkörpern berücksichtigt. Auf den zugehörigen Beweis wird hier verzichtet.
Ebenso wollen wir hier nicht auf einen Beweis für räumliche Bewegungen eingehen.
3. Für praktische Anwendungen spielt der Begriff der kinematischen Verträglichkeit in De-
finition (14.14.3) eine wichtige Rolle. Bei einem Festlager ist z.B. die Verschiebung
gleich Null, so dass die unbekannten Lagerkräfte keine Arbeitsanteile liefern, was ein
wesentlicher Vorteil des Prinzips ist. Als Nachteil der Methode kann der Aufwand zur
Beschreibung der kinematischen Beziehungen genannt werden.
4. Die Einschränkung infinitesimal klein in Definition (14.14.2) ist im Allgemeinen für das
Prinzip der virtuellen Arbeit nicht notwendig. In der praktischen Rechnung für Systeme
mit einem Freiheitsgrad im nachfolgenden Abschnitt 14.2.3 können so jedoch alle Hilfs-
mittel zum Polplan und zur Verschiebungsfigur aus Kapitel 7 genutzt werden.
5. In Abb. 14.11 schließen die Richtungen einer Kraft F und deren Verschiebung δu
einen beliebigen Winkel β ein. Wie in Gl.(14.5) kann die virtuelle Arbeit nach δW =
(|δu| cos β) · |F| berechnet werden. Dabei ist |δu| cos β = δuF die Projektion der Ver-
schiebung δu auf der Wirkungslinie von F. Nach Regel A4 in (7.9) ist δuF gleich der
Verschiebung δuQ des Punktes Q, der sowohl auf der Wirkungslinie von F liegt als auch
den kürzesten Abstand vom Momentanpol (M ) hat. Das Vorzeichen von δuF = δuQ
folgt aus den Fallunterscheidungen (14.7).
410 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

In der praktischen Berechnung bestimmt man die


virtuelle Arbeit von F auf dem Weg δu wie folgt: δ uF
wF F P
δuQ α
1. δW = ±F δuQ 2. δuQ = rQ δϕ. (14.25) Q
β δu
rQ rQ
Hierbei sind F = |F| der Kraftbetrag und δϕ
der virtuelle Drehwinkel des Starrkörpers. rQ ist δϕ
der kürzeste Abstand der Wirkungslinie wS von α δϕ
F zum Momentanpol (M ). Das Vorzeichen in (M)
Gl.(14.25.1) wird aus der Anschauung festgelegt. Abb. 14.11. Auswertung der Arbeit F · δu

14.2.3 Praktische Berechnung von Systemen mit einem Freiheitsgrad


Für das Prinzip der virtuellen Arbeiten sind vier Aufgabentypen zu unterscheiden [6]:
1. Berechnung von Haltekräften nach Definition (11.6) in verschieblichen Systemen
2. Festlegung von Systemparametern zur Erfüllung von Gleichgewicht
3. Ermittlung von Gleichgewichtslagen bei verschieblichen Systemen
4. Berechnung von Kraftgrößen (Kräfte, Momente in Lagern und Gelenken, Schnittgrößen).
Im Folgenden erläutern wir die Vorgehensweise jeweils an einem Beispiel. Für die Auf-
gabentypen 1-3 stellen wir die Arbeitsschritte in Tabelle 14.1 zusammen. Dabei setzen wir
stets voraus, dass das jeweilige System mit dem Freiheitsgrad f = 1 verschieblich ist.

Das Prinzip der virtuellen Arbeiten (P.d.v.A.) für Systeme mit einem Freiheitsgrad
1. Polplan: Es werden die Regeln B und C in (7.10) und (7.12) berücksichtigt. Beim
Aufgabentyp 3 - Ermittlung von Gleichgewichtslagen bei verschieblichen Syste-
men - muss die Ausgangslage beliebig (nicht infinitesimal !) ausgelenkt sein.
2. Virtuelle Verschiebung:
a) Einführung einer verträglichen, kompatiblen virtuellen Verschiebung.
b) Verwendung der kinematischen Grundregel (7.4) und der Regeln A in (7.9).
c) Darstellung aller kinematischen Größen in Abhängigkeit einer Bezugsgröße
(z.B. δv, δϕ).
3. Arbeitsgleichung und deren Auflösung:
n m
δW = Fi · δui + Mj δϕj = 0.
i=1 j=1
a) Zur Auswertung der Arbeitsterme nach den Gleichungen (14.25) Verschiebungs-
anteile in den Richtungen der Kräfte verwenden.
b) Beachte: Reaktionskräfte verrichten keine Arbeit.
c) Ausklammern der unabhängigen kinematische Größe.
d) Der verbleibende Klammerterm verschwindet auf Grund der Beliebigkeit der
unabhängigen kinematischen Größe.
Tabelle 14.1. Das Prinzip der virtuellen Arbeiten für verschiebliche Systeme mit einem Freiheitsgrad
14.2 Das Prinzip der virtuellen Arbeit 411

14.2.4 Berechnung von Haltekräften in verschieblichen Systemen

 Beispiel 14.4 Gleichgewicht in einer Kupplung

Die Kupplung eines PKWs wird mit dem dar- Kupplungspedal


gestellten statischen System mit zwei Hebeln FP
P
vereinfacht. Das Kupplungspedal wird mit der
Kraft FP getreten. Berechnen Sie die Hal- Ausrücker
tekraft FA im Ausrücker. 2
FA A
Bekannt: Fusskraft FP = 50 N, Abmessung a 8a
2a
= 20 mm.
Vorüberlegungen: Es werden die Schritte
nach Tabelle 14.1 abgearbeitet.
4a
1 2a
Lösung:
B Seil
C
1. Polplan: Aus Regel B3 in (7.10) erhält man
in Abb. 14.12.b sofort die Pole (1) und (2) Abb. 14.12. Kupplung und Ausrücker
in den Festlagern der Stäbe 1 und 2.
2. Virtuelle Verschiebung: Wir bezeichnen die
virtuellen Verdrehwinkel der Stäbe 1 und 2 δuP
FP
in der Verschiebungsfigur in Abb. 14.12.b
mit δϕ1 und δϕ2 . Mit Regel (7.4) und
Ausrücker
wegen der Gleichheit der virtuellen Ver-
schiebungen der Punkte B und C folgt FA
δ uA 8a
2a
δuB = δϕ1 4a = δuC = δϕ2 2a δϕ2
4 (1)
=⇒ δϕ2 = δϕ1 = 2δϕ1 .
2
4a (2)
Wir wählen den Verdrehwinkel δϕ2 als un-
abhängige kinematische Variable und er- δϕ 1 δϕ2 2a
halten für die Verschiebungen der Punkte
A und P : δuB δuC
δuA = δϕ1 2a Abb. 14.12.b Polplan und
δuP = δϕ2 8a = 2δϕ1 8a = 16aδϕ1 . virtuelle Verschiebung

3. Arbeitsgleichung und deren Auflösung: Mit den virtuellen Arbeiten δWP und δWA der
Kräfte FP und FA formulieren wir das Prinzip der virtuellen Arbeit und erhalten:

δWP = FP δuP = FP 16δϕ1 , δWA = −FA δuA = −FA 2δϕ1


=⇒ δW = δWP + δWA = FP 16aδϕ1 − FA 2δϕ1 = (FP 16a − FA 2)δϕ1 = 0
1
=⇒ FA = FP . 
8
412 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

 Beispiel 14.5 Haltekraft in einer Hebebühne

Auf einer Hebebühne


steht ein PKW mit a) b)
der Gewichtskraft G. G
Berechnen Sie unter Ver- G
wendung des statischen 3
Systems in Abb. 14.13.b C D
die Haltekraft P für die 1
durch den Winkel α 2
h
festgelegte momentane E
l l
Lage. α α
Bekannt: G = 12 kN, l = P P
A
7 m, α = 70o . B
Vorüberlegungen: Es b
werden die Schritte nach Abb. 14.13 Hebebühne: a) Reales System, b) statisches Ersatzsystem
Tabelle 14.1 abgearbeitet.
Lösung:
G
1. Polplan zeichnen: Nach Regel B.3 in (7.10) δ vC δ vD
ist das Festlager A der Pol (1). Das Gelenk E
ist nach C1 in (7.12) der Zwischenpol (1, 2). δϕ2 (2)
Die Verbindungslinie von (1) zu (1, 2) ist 1 (3)
nach C2 in (7.12) GO(2)1 . Mit GO(2)2 nach
2
(1,2) δϕ1
B4 in (7.10) erhält man wegen B5 den Pol δϕ 2
(2)=D. δ vE
2. Virtuelle Verschiebung: Mit den Abständen δhE GO(2) 2
b = l cos α und h = l sin α, dem Stabdreh- GO(2)1 P
(1)
winkel δϕ1 als kinematische Bezugsgröße arbeit/bil-arbeit-hebebuehne13.eps
δ hB
und wiederholter Anwendung von Regel A4
in (7.9) erhält man folgende virtuelle Bewe- Abb. 14.14 Polplan und
virtuelle Verschiebung
gungsgrößen:
b b
δvD = bδϕ1 , δvC = bδϕ2 , δvE = δϕ1 = δϕ2
2 2
δvE h
=⇒ δϕ2 = = δϕ1 , δhB = hδϕ2 = hδϕ1 = δvD .
b/2 b
Wegen der Gleichheit der vertikalen Verschiebungen, δvC = δvD , erfährt die Platform 3
eine translatorische Bewegung ohne Verdrehung. (Damit liegt Pol (3) im Unendlichen.)
3. Arbeitsgleichung und deren Auflösung:
   
h h l sin α
δW = P δhB − GδvG = P δvD −GδvD = P − G δvD = P − G δvD
b b l cos α
G 12 kN
=⇒ P = = = 4, 37 kN. 
tan α tan 70o
14.2 Das Prinzip der virtuellen Arbeit 413

14.2.5 Festlegung einzelner Systemparameter für Gleichgewicht

 Beispiel 14.6 Ganghöhe in einer Schraube

Die dargestellte Schraube wird mit einer Gewichtskraft G r r


und einem Anziehmoment MA = 5rF belastet. Wie groß G
muss die Ganghöhe h sein, damit die Kraft F und das Mutter
(fest)
Gewicht G das Verhältnis 1/20 haben? δu
Bekannt: F/G = 1/20, r, MA = 5rF .
α
Vorüberlegungen: Wir bestimmen die virtuellen Arbeiten
h
von Anziehmoment MA und Gewicht G infolge einer vir-
tuellen Drehung der Schraube und wenden das Prinzip der Gewinde
virtuellen Arbeit gemäß Gl.(14.24) an. Um diese Gleichung
nach der unbekannten Größe auflösen zu können, wird noch
der Zusammenhang zwischen der virtuellen Verdrehung und
der virtuellen vertikalen Verschiebung benötigt. MA
δϕ
Lösung: Bei einer Verdrehung von 2π wird die Schraube um
die Höhe h gehoben. Entsprechend wird bei einer virtuellen Abb. 14.15. Schraube mit Kraft
Verdrehung δϕ die Schraube um die Höhe δu gehoben. Da- und Moment
mit gilt: δϕ/2π = δu/h =⇒ δu = hδϕ/2π. Mit dem Anziehmoment MA = 5rF und dem
geforderten Zusammenhang F/G = 1/20 folgt aus dem Prinzip der virtuellen Arbeit (14.24):
 
G δϕ 5 1 5 1
MA δϕ−Gδu = 5r δϕ−Gh = r −h Gδϕ = 0 =⇒ h = r 2π = πr.
20 2π 20 2π 20 2

14.2.6 Ermittlung von Gleichgewichtslagen bei verschieblichen Systemen

 Beispiel 14.7 Lampe an einer Kette mit seitlicher Belastung

Bestimmen Sie für die Lampe aus Beispiel 4.4 deren Position infolge der Kräfte F und W .
Vorüberlegungen: Da es sich um den Aufgabentyp 3 handelt, werden die Schritte nach
Tabelle 14.1 abgearbeitet.
Lösung:
1. Polplan: Für die um den Winkel α ausgelenkte Lage der (M)
Lampe in Abb. 14.16 liegt der Pol (M ) im Aufhängepunkt. l
δα
2. Virtuelle Verschiebung: Die virtuellen Verschiebungen α l cos α
der Gewichtskraft G und der seitlichen Kraft W in
δv
Abhängigkeit der virtuellen Verdrehung δα sind nach δu
Gl.(14.25.2) δv = l sin αδα und δh = l cos αδα. δh W=0,5 G
3. Arbeitsgleichung und deren Auflösung:
δW = W δh − Gδv = W l cos αδα − Gl sin αδα
G
= (W cos α − G sin α)lδα = 0 l sin α
W
=⇒ tan α = = 0, 5 =⇒ α = 26, 6o Abb. 14.16 Verschiebungsfigur an
G der ausgelenkten Lage
Das Ergebnis stimmt mit dem aus Beispiel 4.4 überein. 
414 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

14.2.7 Berechnung von Kraftgrößen in statisch bestimmten Systemen

Für die Berechnung von Kraftgrößen – Kräfte und Momente in Lagern und Zwischenla-
gerungen, Schnittgrößen – setzen wir stets ein statisch bestimmtes bzw. unverschiebliches
System voraus (x=f =0). Die Rechenschritte in Tabelle 14.1 gelten dagegen nur für ver-
schiebliche Systeme. Wir können das Prinzip der virtuellen Arbeit dennoch nutzen, indem die
zur Kraftgröße gehörende Bindung - gedanklich - gelöst wird. Damit wird das System einfach
verschieblich (f = −x = 1), und die zu berechnende Kraftgröße leistet einen Beitrag in der
Arbeitsgleichung (14.24). Tabelle 14.2 fasst die wesentlichen Lösungsschritte zusammen.

Das P.d.v.A. zur Berechnung von Kraftgrößen


1. Bindung lösen:
a) Lösen der kinematischen Bindung an der Stelle und in Richtung der Kraftgröße.
Schnittgrößen, Gelenkkräfte, Fachwerkstabkräfte treten paarweise auf.
b) Ggf. Freiheitsgrad f =1 nach Gl.(11.1.1), bzw. x=−1 nach Gl.(9.6), überprüfen.
c) Antragen der Kraftgröße(n) als äußere Belastung(en).
2. Polplan: Verwendung der Regeln B und C in (7.10) und (7.12).
3. Virtuelle Verschiebung:
a) Einführung einer verträglichen, kompatiblen virtuellen Verschiebung.
b) Verwendung der kinematischen Grundregel (7.4) und der Regeln A in (7.9).
c) Darstellung aller kinematischen Größen in Abhängigkeit einer Bezugsgröße
(z.B. δv, δϕ).
4. Arbeitsgleichung und deren Auflösung:
n m
δW = Fi · δui + Mj δϕj = 0.
i=1 j=1
a) Zur Auswertung der Arbeitsterme nach den Gleichungen (14.25) Verschiebungs-
anteile in den Richtungen der Kräfte verwenden.
b) Bei paarweise auftretenden Kräften beide Arbeitsanteile berücksichtigen.
c) Beachte: Die übrigen Reaktionskräfte verrichten keine Arbeit.
d) Ausklammern der unabhängigen kinematischen Größe.
e) Der verbleibende Klammerterm verschwindet auf Grund der Beliebigkeit der
unabhängigen kinematischen Größe.
Tabelle 14.2. Berechnung von Kraftgrößen in statisch bestimmten Systemen.

 Beispiel 14.8 Auflagerkraft und Schnittmoment eines Balkens

Bestimmen Sie für den Balken auf zwei Stützen in


Abb. 14.17 F
a) die Reaktionskraft im Lager B A B
b) das Schnittmoment in Balkenmitte.
Bekannt: l, F . l l
Vorüberlegungen: Für beide Aufgaben werden die 2 2
Schritte nach Tabelle 14.2 abgearbeitet. Abb. 14.17. Balkenträger
14.2 Das Prinzip der virtuellen Arbeit 415

Lösung Teil a:
1. Bindung lösen: Durch Wegnahme der zur ver-
tikalen Lagerkraft in B gehörenden Bindung
F
wird das Lager freigelegt. Dadurch entsteht B
ein verschiebliches System mit dem Freiheits-
(M)=A δϕ B
grad f = 1. δ vB
2. Polplan: Nach Regel B.3 in (7.10) ist das Fest- δ vF
lager A der Pol (M ). l l
2 2
3. Virtuelle Verschiebung: Mit dem Stabdrehwinkel
δϕ als Bezugsgröße lauten die virtuellen Ver- Abb. 14.17.b. System mit gelöster Bin-
schiebungen der Last F und der Lagerkraft B dung, Polplan und virtuelle Verschiebung
nach der kinematischen Grundregel (7.4):
l
δvF = δϕ, δvB = lδϕ.
2
4. Arbeitsgleichung und deren Auflösung: Mit den virtuellen Arbeiten δWF = F δvF , δWB
= −BδvB der Kräfte F und B lautet das Prinzip (14.24)
 
l l
δW = F δvF − BδvB = F δϕ − Blδϕ = F − Bl δϕ = 0.
2 2
Da die virtuelle Verdrehung δϕ beliebig ist, muss der Klammerausdruck in der Arbeits-
gleichung verschwinden. Man erhält B = F/2.
Lösung Teil b:
F GO(2) 2
1. Bindung lösen: Durch Wegnahme der zum M
M
Schnittmoment M gehörenden Bindung entsteht =A δϕ1
(1)=A δϕ 2 (2)=B
ein Gelenk in Balkenmitte. Das System hat mit GO(2)1
n = 2, r = 3 und z = 2 nach Gl.(11.1.1) den 1 (1,2) δ v F 2
Freiheitsgrad f = 3 · 2 − (3 + 2) = 1. l l
2. Polplan: Nach Regel B.3 in (7.10) ist das Fes- 2 2
tlager A der Pol (1). Das Gelenk ist nach
C1 in (7.12) der Zwischenpol (1, 2). Die Abb. 14.17.c. System mit gelöster Bin-
dung, Polplan und virtuelle Verschiebung
Verbindungslinie von (1) zu (1, 2) ist nach C2
in (7.12) GO(2)1 . Mit GO(2)2 nach B4 in (7.10)
erhält man wegen B5 in (7.10) den Pol (2) = B.
3. Virtuelle Verschiebung: Wir wählen den Stabdrehwinkel δϕ1 als Bezugsgröße. Wegen
der Gleichheit der virtuellen Verschiebungen der Stäbe 1 und 2 am Mittelgelenk gilt
l l
δϕ = δvF = δϕ2 =⇒ δϕ2 = δϕ1 .
2 1 2
4. Arbeitsgleichung und deren Auflösung: Unter Berücksichtigung, dass das Schnittmoment
M paarweise auftritt und die zugehörigen Verdrehungen δϕ1 und δϕ2 zum Moment je-
weils entgegengesetzt wirken, folgt aus dem Prinzip (14.24):
 
1 Fl
δW = F δvF − 2M δϕ1 = F l − 2M δϕ1 = 0 =⇒ M= .
2 4 
416 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

 Beispiel 14.9 Gelenkkraft in Gerberträger

Bestimmen Sie für den Ger-


berträger in Beispiel 12.6 den _ F
M q
vertikalen Anteil der Gelenk-
A C
kraft GV . Bekannt: l, F , q =
1 B G 2
2F/l, M̄ = F l.
2l 2l l l 3l
Vorüberlegungen: Es werden
die Schritte nach Tabelle 14.2
abgearbeitet. Abb. 14.18. Gerberträger

Lösungen:
1. Bindung lösen: Durch Lösen a) _
F q GO(2) 1
der zur vertikalen Gelenk- M
kraft in G gehörenden 1 (2)=C
Bindung entsteht an gleicher GV GV 2 GO(2) 2
unverschieblich
Stelle ein Moment/Quer-
l l
kraftgelenk. Die Gelenkkraft 2l 2l 3l
GV tritt paarweise auf. R=
q3l
_
2. Polplan: Der Träger 1 ist mit b) F
l
2
M GV 2l
dem Los- und dem Festlager
nach Regel (9.5.1) unver- (2)
schieblich. Für den Träger 2 GV δϕ
δ uR 2
erhält man GO(2)1 nach B1 δ u G
in (7.10) und GO(2)2 nach
C5 in (7.12). Damit folgt Abb. 14.19. a) System mit gelöster Bindung, Polplan
(2)=C. b) virtuelle Verschiebung

3. Virtuelle Verschiebung: Wir wählen den Stabdrehwinkel δϕ2 als Bezugsgröße. Damit
sind die virtuellen Verschiebungen der Gelenkkraft GV und der Resultierenden R der
dreiecksförmigen Streckenlast nach der kinematichen Grundregel (7.4.2)

δuG = δϕ2 3l, δuR = δϕ2 2l.

4. Arbeitsgleichung und deren Auflösung: Aus dem P.d.v.A. in Gl.(14.24) erhält man
 
q 3l q 3l
δW = RδuR − GV δuG = δϕ2 2l − GV δϕ2 3l = 2l − GV 3l δϕ2 = 0.
2 2

Das Moment und die Kräfte am Träger 1 leisten also keinen Beitrag zu der Arbeits-
gleichung, was ein wesentlicher Vorteil der Methode ist. Der Klammerausdruck ver-
schwindet auf Grund der Beliebigkeit der virtuellen Verdrehung δϕ2 . Man erhält:

q 3l
2l − GV 3l = 0 =⇒ GV = ql = 2F.
2
Das Ergebnis stimmt mit dem in Beispiel 12.6 überein. 
14.2 Das Prinzip der virtuellen Arbeit 417

 Beispiel 14.10 Reaktionskraft im abgewinkelten Träger

Bestimmen Sie für den F1 =F


A
abgewinkelten Träger in
Abb. 14.20 die horizontale
Reaktionskraft im Lager B.
3l
Bekannt: F1 = F , F2 = 2F , _
F3 = F , M̄ = 3F l. F2 =2F G M =3F l B
Vorüberlegungen: Es wer-
den die Schritte nach Tabelle F3 =F
14.2 abgearbeitet.
Lösungen: 4l 3l 3l
1. Bindung lösen: Durch Abb. 14.20. Abgewinkelter Träger
Lösen der zur horizon-
talen Reaktionskraft B
A 1 δϕ1 F1 =F
gehörenden Bindung
entsteht an gleicher (1) α δ v1
Stelle ein Loslager.
GO(2)2 3l
2. Polplan: Nach Regel B.3 _
in (7.10) ist das Festla-
F2 =2F α (1,2) 2 M =3F l δ h3 B
ger A der Pol (1). Das
Gelenk G ist nach C1 in δ h2 α BH
(7.12) der Zwischenpol δ v2
δv δϕ2
(1, 2). Die Verbindungs- α G F3 =F
linie von (1) zu (1, 2) h
δh2
ist nach C2 in (7.12) GO(2)1
GO(2)1 . Mit GO(2)2 δ v δ v2
nach B4 in (7.10) er-
hält man wegen B5 den (2)
Pol (2). Die Größe h,
die in Abb. 14.20.b den 4l 3l 3l
Ort von (2) festlegt, be-
Abb. 14.20.b. System mit gelöster Bindung, Polplan, virtuelle Verschiebung
stimmt man wie folgt:
3l h 3·6 9
tan α = = =⇒ h = l = l.
4l 6l 4 2
3. Virtuelle Verschiebung: Im Gelenk G in Abb. 14.20.b haben die Kräfte F2 und F3 nicht
die Richtung der Gelenkverschiebung δv. Deren Arbeiten werden daher wie in Gl.(14.25)
mit den Verschiebungsanteilen δv2 und δh2 in Richtung ihrer Wirkungslinien berechnet.
Mit dem Stabdrehwinkel δϕ1 als Bezugsgröße erhält man unter Beachtung der Regeln A
in (7.9) folgende virtuelle Bewegungsgrößen:
δv1 = 4lδϕ1 , δv2 = δv1 = 4lδϕ1 , δh2 = 3lδϕ1 , δh3 = hδϕ2 ,
418 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

1 2 2
δh2 = δh3 =⇒ δϕ2 = δh2= 3lδϕ1 = δϕ1 .
h 9l 3
4. Arbeitsgleichung und deren Auflösung: Mit den Gleichungen (14.25) zur Berechnung der
virtuellen Arbeiten der Kräfte F2 und F3 folgt aus dem Prinzip in Gl.(14.24):
δW = F1 · 0 + F2 δh2 + F3 δv2 + BH δh3 − M̄ δϕ2
2
= 2F 3lδϕ1 + F 4lδϕ1 + BH 3lδϕ1 − 3F l δϕ1
3
= (6F l + 4F l + BH 3l − 2F l) δϕ1 = 0.
Auf Grund der Beliebigkeit der virtuellen Verdrehung δϕ1 gilt
1 8F l 8
BH = (2F l − 6F l − 4F l) = − = − F. 
3l 3l 3

 Beispiel 14.11 Stabkraft in Fachwerkträger

Bestimmen Sie für den Fachwerkträger aus Beispiel 10.3 die Stabkraft S6 . Bekannt: F, a.
Vorüberlegungen: Es werden die Schritte
nach Tabelle 14.2 abgearbeitet. a a a F

Lösung: V 4 III 1 I
1. Bindung lösen: Der Stab 6 wird ent-
a 7 5 3
fernt, und es werden in Abb. 14.21.b 2 9
die zwei Stabkräfte S61 und S62 = S61 6
eingeführt. IV 8
II VI
2. Polplan zeichnen: Nach dem ersten Bil-
Abb. 14.21. Fachwerk
dungsgesetz (10.8) werden die Stäbe
4, 5, 7 zu einem starren Körper 1 und
die Stäbe 1, 3, 2, 9, 8 zu einem starren a a a F
Körper 2 zusammengeführt. Körper 1
ist nach Regel (9.5.1) unverschieblich, V 1 (2)=III 2
so dass der Knoten III der Momentan-
δ vF
pol (2) von Körper 2 ist. a δϕ
3. Virtuelle Verschiebung: Mit dem Stab- δ h 61 δ h 62
drehwinkel δϕ als Bezugsgröße lauten
die virtuellen Verschiebungen der Last S61 S62
F und der Stabkräfte S61 und S62 nach
der kinematischen Grundregel (7.4): Abb. 14.21.b System ohne Stab 6,
Polplan, Verschiebungsfigur
δh61 = 0, δh62 = aδϕ, δvF = 2aδϕ.
4. Arbeitsgleichung und deren Auflösung: Aus dem Prinzip in Gl.(14.24) folgt:
δW = F δvF + S61 δh61 + S62 δh62 = (F 2a + S61 0 + S62 a) δϕ = 0 =⇒ S62 = −2F.
Obwohl die Kraft S61 wegen δh61 = 0 keine Arbeit leistet, gilt S61 = S62 = S6 = −2F .
Man erhält also das gleiche Ergebnis wie in Beispiel 10.3. 
14.2 Das Prinzip der virtuellen Arbeit 419

 Beispiel 14.12 Haltekraft in einer Rohrzange

Berechnen Sie mit dem Prinzip der virtuellen Arbeit für die Zange aus Beispiel 11.4 die
Haltekraft im Ersatzstab 5 des statischen Systems in Abb. 14.22.b. Bekannt: a, FL .

FL
FL
a) b)

D A a 4
L a
D A
C a
B
3 a
C 2 5
1 B
FL a 3a a a
FL a 3a a a

Abb. 14.22 Rohrzange: a) Reales System, b) statisches Ersatzsystem

Vorüberlegungen: Es werden die Schritte nach Tabelle 14.2 abgearbeitet. Dazu werden die
Ergebnisse aus Beispiel 11.4 für Polplan und Verschiebungsfigur übernommen. Da das Sys-
tem äußerlich nicht gelagert ist, wird es gedanklich gehalten.
Lösung: FL
1. Bindung lösen: In Abb. 14.23 L
wird der Stab 5 entfernt, und _
δϕ 4 (4) δ u H2
gleichzeitig werden die Hal- _ b
uL
tekräfte FH1 = FH2 eingeführt. 3 FH2 a
2. Polplan zeichnen: In 2
FH1_
Abb. 14.23 ist der Polplan 1 (2)=B δϕ 2 δ u
_H1=0
auf der Grundlage der Ergeb- δ uH2
FL _
nisse in Abb. 11.13 dargestellt. _ rH = a
rL = 5a
Abb. 14.23 System mit gelöster Bindung,
Polplan, Verschiebungsfigur

3. Virtuelle Verschiebung: In Abb. 14.23 ist die virtuelle Verschiebung auf der Grundlage
der Ergebnisse für die Verschiebungsfigur in Abb. 11.14 dargestellt. Mit der Wahl δϕ4
als unabhängige virtuelle Bewegung sind die virtuellen Verschiebungen der Kräfte FL ,
FH1 und FH2 in Richtung ihrer Wirkungslinien δūL =5aδϕ4 , δūH1 =0, δūH2 =aδϕ4 /3.
4. Arbeitsgleichung und deren Auflösung: Mit Anwendung von Gl. (14.25) für die virtuellen
Arbeiten der Kräfte FL , FH1 und FH2 folgt aus dem Prinzip in Gl.(14.24):
 
1
δW = FL δūL + FH1 δūH1 − FH2 δūH2 = FL 5a − FH2 a δϕ4 =⇒ FH2 = 15FL .
3
Obwohl die Kraft FH1 wegen δūH1 = 0 keine Arbeit leistet, gilt FH1 = FH2 = FH = 15FL .
Man erhält also das gleiche Ergebnis wie in Beispiel 11.4. 
420 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

14.2.8 Variationelle Verschiebungen für Systeme mit mehreren Freiheitsgraden


Die bisherigen Anwendungen zum Prinzip der virtuellen Arbeit beschränken sich auf Sys-
teme mit einem Freiheitsgrad (f = 1), wofür die virtuellen Verschiebungsfiguren zweckmä-
ßig auf der Grundlage von Polplänen ermittelt werden, siehe auch Tabelle 14.1 und Tabelle
14.2. Als Alternative zu dieser anschaulichen Vorgehensweise können virtuelle Verschiebun-
gen auch formal durch Variation berechnet werden. Damit wird es möglich, gleichzeitig
mehrere Freiheitsgrade zu berücksichtigen.
Wir betrachten zunächst den Ort (z.B. eines Kraftangriffspunktes) x = x(q) in Abhän-
gigkeit eines Lageparameters q und definieren dessen Variation:
dx
1. x = x(q) =⇒ 2. δu = δx = δq = x δq. (14.26)
dq
Behandelt man das δ-Symbol also wie ein Differenzial, dann ist die Variation des Ortes x als
virtuelle Verschiebung δu interpretierbar. Sind z.B. die x, y, z-Koordinaten eines Kraftan-
griffspunktes durch einen Lageparameter q (z.B. einen Winkel α) eindeutig festgelegt, und
bezeichnen wir die virtuellen Verschiebungen in den drei Koordinatenrichtungen mit δu, δv,
δw, dann lauten die Zusammenhänge:
dx dy dz
δu = δx = δq = x δq, δv = δy = δq = y  δq, δw = δz = δq = z  δq. (14.27)
dq dq dq
Die Richtungen sind immer positiv. Für ein System mit n Freiheitsgraden wird deren Lage
durch n Lageparameter (oder: generalisierte Koordinaten) q1 , q2 , , ..., qn beschrieben. Für
den Ort x=x(q1 , q2 , , ..., qn ) erhält man in Erweiterung von Gl.(14.26.2) die

∂x ∂x ∂x  ∂xn
Variation des Ortes δx = δq1 + δq2 + ... + δqn = δqi . (14.28)
∂q1 ∂q2 ∂qn ∂qi
i=1

Bemerkungen 14.3
1. Das Symbol ∂(·)/∂(·) kennzeichnet die partielle Ableitung einer Funktion. Für das fol-
gende Beispiel einer Funktion f mit zwei Veränderlichen z und α gilt:
1 3 ∂f 3z 2 ∂f
f (z, α) = z + 4 cos(2α) =⇒ = , = −8 sin(2α).
2 ∂z 2 ∂α
2. Der Freiheitsgrad f – für ebene Systeme zu bestimmen nach Gl.(11.1.1) oder wegen
x=−f nach Gl.(9.6) – legt die Anzahl der generalisierten Koordinaten fest, d.h. es gilt
n = f.
3. Zur Berechnung der Variation nach Gl.(14.28) muss vorher eine beliebige (nicht infinite-
simale) Lage durch die generalisierten Koordinaten q1 , q2 , q3 , ...
= 0 festgelegt werden.
4. Nach Einsetzen der n Gleichungen (14.28) in das Prinzip der virtuellen Arbeit (14.24)
entstehen n Terme, die einzeln verschwinden müssen.
5. Zur Berechnung von Kraftgrößen (Lagerreaktionen oder Schnittkräften) in einer Gleich-
gewichtslage erfolgt zunächst eine Berechnung des Ortes x für eine beliebige, nicht
infinitesimale Lage in Abhängigkeit der generalisierten Koordinaten q1 , q2 , q3 , ...
= 0.
Anschließend wird die Variation des Ortes in Gl.(14.28) für die Gleichgewichtslage
q1 = q2 = q3 = ... = 0 ausgewertet.
14.2 Das Prinzip der virtuellen Arbeit 421

 Beispiel 14.13 Zwei Lampen an zwei Ketten

Zwei Lampen mit den Gewichtskräften


G1 und G2 werden durch eine Kraft F y
wie in Abb. 14.24 dargestellt gehalten. FV
A x F
Für welche Winkel ϕ1 und ϕ2 ist das Sys-
l1 α
tem im Gleichgewicht? ϕ1 l2
FH
Bekannt: G1 , G2 , F , ϕ =45o ,
l1 , l2 . ϕ2
Vorüberlegungen: Eine beliebige Lage G2
der Lampen ist durch die zwei Winkel
ϕ1 und ϕ2 in Abb. 14.24 eindeutig fest- G1
gelegt, d.h. das System hat zwei Frei-
Abb. 14.24 Zwei Lampen an einer Kette
heitsgrade. Wir formulieren zunächst die
Koordinaten der beiden Kraftangriffs-
punkte als Funktion der zwei Winkel ϕ1
und ϕ2 und bestimmen anschließend deren virtuelle Verschiebungen nach Gl. (14.28). Mit
dem P.d.v.A. wird die gesuchte Lage erhalten. Dabei müssen auf Grund der zwei Freiheits-
grade zwei Terme einzeln verschwinden.
Lösung: Vom festen Punkt A ausgehend lauten die Koordinaten der Kraftangriffspunkte

x1 = l1 sin ϕ1 , x2 = l1 sin ϕ1 + l2 sin ϕ2


y1 = −l1 cos ϕ1 , y2 = −l1 cos ϕ1 + l2 cos ϕ2 .
Eine Variation dieser vier Koordinaten nach Gl.(14.28) liefert die virtuellen Verschiebungen:

δx1 = l1 cos ϕ1 δϕ1 , δx2 = l1 cos ϕ1 δϕ1 + l2 cos ϕ2 δϕ2


δy1 = l1 sin ϕ1 δϕ1 , δy2 = l1 sin ϕ1 δϕ1 − l2 sin ϕ2 δϕ2 .
Nach Zerlegung der Kraft F in einen vertikalen und einen horizontalen Anteil FV und FH
lautet das P.d.v.A.
δW = −G1 δy1 − G2 δy2 + FH δx2 + FV δy2
= −G1 (l1 sin ϕ1 δϕ1 ) − G2 (l1 sin ϕ1 δϕ1 − l2 sin ϕ2 δϕ2 )
+ FH (l1 cos ϕ1 δϕ1 + l2 cos ϕ2 δϕ2 ) + FV (l1 sin ϕ1 δϕ1 − l2 sin ϕ2 δϕ2 )
= (−G1 l1 sin ϕ1 − G2 l1 sin ϕ1 + FH l1 cos ϕ1 + FV l1 sin ϕ1 )δϕ1
+ (G2 l2 sin ϕ2 + FH l2 cos ϕ2 − FV l2 sin ϕ2 )δϕ2 = 0.

Da die beiden virtuellen Verdrehungen δϕ1 und δϕ2 unabhängig voneinander sind und je-
weils ungleich Null sind, müssen beide Klammerterme einzeln verschwinden, so dass die
gesamte virtuelle Arbeit zu Null√wird. Nach kurzen Umformungen erhält man unter Berück-
sichtigung von FH = FV = F/ 2
√ √
F/ 2 F/ 2
tan ϕ1 = √ , tan ϕ2 = √ .
G1 + G2 − F/ 2 G2 − F/ 2 
422 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

 Beispiel 14.14 Lagerreaktionen eines Fachwerkträgers

Bestimmen Sie für das auskragende Fachwerk aus Beispiel 10.3 alle Auflagerkräfte mit dem
Prinzip der virtuellen Arbeit. Bekannt: F, a.
Vorüberlegungen: Wir lösen gleichzeitig alle Bindungen des Systems, so dass es drei Frei-
heitsgrade hat. Damit werden drei generalisierte Koordinaten benötigt. Wir bezeichnen diese
mit x, y und ϕ und beschreiben damit die Koordinaten aller Lagerreaktionskräfte und des
Kraftangriffspunktes. Die Variation wird nach Bemerkung 14.3.5 für die Gleichgewichtslage
x = y = ϕ = 0 ausgewertet. Das P.d.v.A. führt auf drei Terme, die einzeln verschwinden
müssen.
a a a
Lösung: Vom festen Punkt A
ausgehend lauten die Koordi- a sinϕ
F
naten der Lagerreaktionskräfte xB ϕ a cos ϕ
und des Kraftangriffspunktes yF
a cos ϕ

B
für eine beliebige Lage yB
a 3a sin ϕ
A : xA = x, yA = y yA
B : xB = x − a sin ϕ AH xA
xF a sin ϕ
yA = y + a cos ϕ AV
F : xF = x+3a cos ϕ−a sin ϕ 3a cosϕ
yF = y+3a sin ϕ+a cos ϕ. Abb. 14.25 Fachwerk: Ausgangslage und verschobene Lage

Die Variation Gl.(14.28) liefert die virtuellen Verschiebungen:


A : δxA = δx, δyA = δy
B : δxB = δx − a cos ϕδϕ, δyB = δy − a sin ϕδϕ
F : δxF = δx − 3a sin ϕδϕ − a cos ϕδϕ, δyF = δy + 3a cos ϕδϕ − a sin ϕδϕ.
Wie in Bemerkung 14.3.5 angegeben, wird die Variation für die Gleichgewichtslage x = y =
ϕ = 0 ausgewertet. Mit sin 0 = 0 und cos 0 = 1 erhält man
A : δxA = δx, δyA = δy
B : δxB = δx − aδϕ, δyA = δy
F : δxF = δx − aδϕ, δyF = δy + 3aδϕ.
Mit diesen Größen in positiven Koordinatenrichtungen lautet die virtuelle Arbeit der vier
Kräfte AH , AV , B und F :
δW = AH δxA + AV δyA − BδxB − F δyF
= AH δx + AV δy − B(δx − aδϕ) − F (δy + 3aδϕ)
= (AH − B) δx + (AV − F ) δy + (Ba − F 3a) δϕ.
        
=0 =0 =0
Da die drei virtuellen Bewegungen δx, δy und δϕ unabhängig voneinander und jeweils un-
gleich Null sind, müssen alle drei Klammerterme einzeln verschwinden, so dass die gesamte
virtuelle Arbeit zu Null wird. Damit gilt
AV = F, B = 3F, AH = B = 3F.
Man erhält also die gleichen Ergebnisse wie in Beispiel 10.3. 
14.2 Das Prinzip der virtuellen Arbeit 423

14.2.9 Aufgaben zu Abschnitt 14.2

Aufgabe 4.5 (SG = 2, BZ = 15 min)


Berechnen Sie mit dem Prinzip der virtuellen Arbeit die Lagewinkel α1 und α2 für die Lam-
pen aus Aufgabe 4.7.

Aufgabe 4.6 (SG = 2, BZ = 15 min)


Lösen Sie mit dem Prinzip der virtuellen Arbeit beide Aufgabenteile aus Aufgabe 4.15.

Aufgabe 4.7 (SG = 2, BZ = 20 min)


Bestimmen Sie mit dem P.dv.A. für die Arbeitsbühne aus Aufgabe 4.16 die Kräfte in den
Lagern A und B
1. mit dem Polplan
2. durch Variation der Verschiebungen.
Aufgabe 14.8 (SG = 3, BZ = 25 min)
Berechnen Sie mit dem P.d.v.A. die Druckkkraft FD für den Locher aus Aufgabe 11.14.

Aufgabe 14.9 (SG = 3, BZ = 20 min)


Berechnen Sie mit dem P.d.v.A. die Presskraft FP aus Aufgabe 11.16.

Aufgabe 14.10 (SG = 1, BZ = 20 min)


Berechnen Sie mit dem P.d.v.A. die Auflagerreaktionen der beiden Systeme aus Aufgabe 9.5.

Aufgabe 14.11 (SG = 2, BZ = 15 min)


Berechnen Sie mit dem P.d.v.A. für das System aus Aufgabe 9.12
1. die Reaktionskräfte im Lager A
2. das Schnittmoment im Punkt D.

Aufgabe 14.12 (SG = 2, BZ = 15 min)


Berechnen Sie mit dem P.d.v.A. für das System aus Aufgabe 9.17. die Reaktionen im
Lager B.

Aufgabe 14.13 (SG = 3, BZ = 20 min)


Berechnen Sie mit dem P.d.v.A. die Reak- F2
tionskräfte im Lager C des dargestellten B C
Tragwerkes a D
1. mit dem Polplan a F1
A
2. durch Variation der Verschiebungen.
Bekannt: F1 = 1 kN, F2 = 2 kN, a = 1 m.
2a 2a 2a 2a
424 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

14.3 Potenzialkräfte

In diesem Abschnitt werden wir zunächst als eine besondere Eigenschaft von Gewichts-
und Federkräften die Wegunabhängigkeit kennenlernen. Kräfte mit dieser Eigenschaft sind
gleichzeitig Potenzialkräfte. Auf dieser Grundlage zeigen wir, wie sich das Prinzip der
virtuellen Arbeit (P.d.v.A.) auch als Variation der realen Arbeit ableiten lässt.

14.3.1 Wegunabhängigkeit von Gewichts- und Federkräften

 Beispiel 14.15 Robotergesteuerte Rechteckplatte im Raum auf verschiedenen Wegen

Der Schwerpunkt S einer Rechteck- z I


platte der Masse m wird mit einem
Roboterarm von der Lage I in die Weg 3
Lage II im Raum verschoben. Es Weg 1 S

soll der Einfluss der verschiedenen


Verschiebungswege 1, 2, 3 auf die mg
Arbeit der Gewichtskraft untersucht Weg 2 y
werden.
Bekannt: Schwerpunktkoordinaten x
in Lage I und Lage II: xI , xII , yI , II
yII , zI , zII . Abb. 14.26. Robotergesteuerte Rechteckplatte
im Raum auf drei verschiedenen Wegen

Vorüberlegungen: Mit kartesischen Koordinaten wird zunächst das Arbeitsdifferenzial nach


Gl.(14.9) bestimmt. Die Gesamtarbeit ist das Wegintegral nach Gl.(14.2.2).
Lösung: Die Größe der Gewichtskraft ist mg, und deren Richtung ist entgegen der positiven
z-Richtung in Abb. 14.26. Nach Gl.(14.9) gilt somit für den Kraftvektor, das Verschiebungs-
differenzial und das Arbeitsdifferenzial:
⎛ ⎞ ⎛ ⎞
0 dx
F = ⎝ 0 ⎠ , du = ⎝ dy ⎠ =⇒ dW = F · du = −mgdz.
−mg dz
Die gesamte Arbeit entlang eines Weges von Lage I in Lage II ist nach Gl.(14.2.2)
 II  zII
W I,II = dW = −mgdz = −mg [z]zzIII
= −mg(zII − zI ). (14.29)
I zI

Schlussfolgerungen: Die Arbeit der Gewichtskraft ist das Produkt von der Kraft mg und der
Höhendifferenz h = −(zII − zI ). Horizontale Verschiebungen in x- und y- Richtung haben
also keinen Einfluss. Die Arbeit wird negativ für Verschiebungen nach oben und positiv für
Verschiebungen nach unten. Weiter stellt man fest, dass die Kenntnis der Koordinaten zI und
zII in der Anfangs- und der Endlage ausreichend zur Bestimmung der Arbeit ist und dass der
Bahnverlauf und Zwischenzustände keinen Einfluss haben. Allgemein gilt: Die Arbeit von
Gewichtskräften ist wegunabhängig. 
14.3 Potenzialkräfte 425

 Beispiel 14.16 Arbeit einer Federkraft

Eine Hülse ist wie dargestellt mit einer Feder ver-


bunden und kann entlang einer Stange reibungsfrei
vertikal gleiten. Die Feder ist im Punkt M drehbar P
gelagert. Auf dem Weg von der Lage I in die Lage xII II
II bestimme man die Arbeit der an der Hülse an-
greifenden Federkraft. x0
Bekannt: Federkonstante c, Längen und Lagewinkel ϕ II
für Lage I und II: xI , xII , ϕI , ϕII , zI = zII = 0,
Länge der entspannten Feder x0 . I
Vorüberlegungen: In Abb. 14.27.b wird die Aus- M
lenkung durch eine mitrotierende x-Koordinate mit xI
Ursprung M dargestellt. Die Berechnung der Arbeit Abb. 14.27. Hülse und gespannte Feder
erfolgt nach (14.2) in zwei Schritten: Berechnung
des Arbeitsdifferenzials nach Gl. (14.2.1) und der
Gesamtarbeit als Wegintegral nach Gl.(14.2.2).
Lösung: Bezogen auf die entspannte Lage ist du
Δl=x−x0 die Auslenkung in Abb. 14.27.b. Damit ϕ
x x-x0
lautet das Federgesetz (3.19) _
x P duF =dx
FF = cΔl = c(x − x0 ). x0 FF
Die an der Hülse angreifende Federkraft ist von x ϕ
P nach M gerichtet. Bei einer vertikalen Auf-
wärtsbewegung du benötigen wir für das Arbeitsdif- I
ferenzial dW nach Gl.(14.5) die Kraftkomponente
M xI
des Weges dx. Da diese in Abb. 14.27.b der Kraft
FF entgegengerichtet ist, wird dW negativ:
Abb. 14.27.b. Federkraft im Freikörperbild
dW = FF dx = −c(x − x0 )dx.
Die gesamte Arbeit auf dem Weg von Lage I in Lage II errechnet sich mit Gl.(14.2.2):
 II  xII xII
1 2
W I,II
= dW = −c(x − x0 )dx = −c x − xx0
I xI 2 xI
1 
= ... = c (xI − x0 )2 − (xII − x0 )2 . (14.30)
2
Falls die Ausgangslage mit der entspannten Lage zusammenfällt, gilt x0 = xI . Führen wir
außerdem eine Koordinate x̄ = x−x0 ein, vereinfacht sich das Ergebnis in Gl.(14.30) weiter:
1
W I,II = − cx̄2II . (14.31)
2
Bemerkung: Die Kenntnis der KoordinatenxI undxII in Anfangs- und der Endlage ist aus-
reichend zur Bestimmung der Federarbeit. Der Bahnverlauf und Zwischenzustände haben,
ebenso wie der Winkel ϕ, keinen Einfluss. Allgemein gilt: Die Arbeit von Federkräften ist
wegunabhängig. 
426 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

14.3.2 Potenzialfunktionen für Gewichts- und Federkräfte


Die Arbeit einer Gewichtskraft ist in Gl.(14.29) angegeben. Es lässt sich zeigen, dass die
Arbeit einer Drehfeder wie für Federkräfte in Gl.(14.30) angegeben werden kann. Zusam-
menfassend lauten damit die verschiedenen Arbeiten:
1. Gewichtskraft: W I,II = −mg(zII − zI )

2. Federkraft: W I,II = 21 c (xI − x0 )2 − (xII − x0 )2 (14.32)

3. Drehfedermoment: W I,II = 21 cM (ϕI − ϕ0 )2 − (ϕII − ϕ0 )2 .
Wie bereits festgestellt, ist die Kenntnis der Anfangs- und der Endlage zur Bestimmung der
jeweiligen Arbeit ausreichend. Der Bahnverlauf und Zwischenzustände haben keinen Ein-
fluss. Definieren wir die

Potenzialfunktionen für 1. Gewichtskraft: U (z) = mg(z − z0 )


2. Federkraft: U (x) = 12 c(x − x0 )2 (14.33)

3. Drehfedermoment: U (ϕ) = 21 cM (ϕ − ϕ0 )2 ,

dann können mit den Notationen U I = U (zI ), U II = U (zII ) usw. die Arbeiten in den Glei-
chungen (14.32) wie folgt dargestellt werden:

1. Gewichtskraft: W I,II = −mg(zII − zI ) = −(U II − U I )



2. Federkraft: W I,II = − 21 c (xII − x0 )2 − (xI − x0 )2 = −(U II − U I ) (14.34)

3. Drehfedermoment: W I,II = − 21 cM (ϕII − ϕ0 )2 − (ϕI − ϕ0 )2 = −(U II − U I ).

Bemerkungen 14.4
1. Kräfte, bei denen die Eigenarbeit W I,II durch eine negative Potenzialdifferenz

W I,II = −(U II − U I ) (14.35)

ersetzt werden kann, werden als Kräfte mit Potenzial (oder: Potenzialkräfte) bezeichnet.
Allgemein gilt: Kräfte, deren Arbeit wegunabhängig ist, sind gleichzeitig Potenzialkräfte,
siehe z.B. [21].
2. Die Potenzialfunktionen in (14.33) sind jeweils interpretierbar als potenzielle Energie,
die nach dem Aufbringen einer äußeren Arbeit gespeichert ist. Damit gilt: Arbeit kenn-
zeichnet einen Vorgang, Potenzial kennzeichnet einen Zustand.
3. Als Bezugslage z0 für Gewichtskräfte in Gl.(14.33) wird häufig z0 = 0 gewählt und als
Nullniveau N N bezeichnet. Sie muss nicht unbedingt mit der Anfangslage I zusammen-
fallen. Auf den zur Bezugsebene parallelen Ebenen, den Potenzialflächen, hat ein Körper
dann die gleiche potenzielle Energie der Lage U = mgz.
4. Die Potenzialfunktion einer Federkraft in Gl.(14.34.2) wird sowohl bei einer Verlänge-
rung Δx = x − x0 > 0 als auch bei einer Verkürzung Δx = x − x0 < 0 positiv. Die
Interpretation ist in beiden Fällen, dass potenzielle Energie gespeichert wird.
14.3 Potenzialkräfte 427

5. Wir bilden die negativen Ableitungen der Potenzialfunktionen in (14.33) nach den jew-
eiligen Lageparametern:
dU
1. Gewichtskraft: − = −mg = −G
dz
dU
2. Federkraft: − = −c(x − x0 ) = FF (14.36)
dx
dU
2. Drehfedermoment: − = −cM (ϕ − ϕ0 ) = MF .

Das Minuszeichen in Gl.(14.36.1) gibt an, dass die Gewichtskraft gegen die positive z-
Richtung orientiert ist. Die Aussage von Gl.(14.36.2) und der Darstellung in Abb. 14.27.b
ist: Die auf einen Massenpunkt wirkende Kraft FF ist bei einer Verlängerung der Feder
gegen die positive x-Richtung orientiert. Allgemein gilt: Die negative Ableitung einer
Potenzialfunktion nach dem Lageparameter ist die Potenzialkraft, siehe z.B. [21].
6. In [21] wird gezeigt, dass die Arbeit von Reibungskräften von dem Bahnverlauf zwischen
Anfangs- und Endpunkt abhängig ist. Sie kann daher nicht wie in Gl.(14.35) durch eine
negative Potenzialdifferenz dargestellt werden. Reibungskräfte können auch nicht wie in
den Gleichungen (14.36) als negative Ableitung einer Potenzialfunktion bestimmt wer-
den. Damit gilt: Reibungskräfte sind Kräfte ohne Potenzial (oder: Nicht-Potenzialkräfte).

14.3.3 Das P.d.v.A für starre Körper mit Potenzialkräften


Wir nehmen an, dass ein Potenzial U in Abhängigkeit eines Lageparameters q dargestellt
werden kann und formulieren – analog zur Variation des Ortes in Gl.(14.26) – die

Variation des Potenzials


dU (14.37)
U = U (q) =⇒ δW = δU = δq = U  δq.
dq

Behandelt man das δ-Symbol also wie ein Differenzial, dann ist die Variation des Potenzials
U gleich der virtuellen Arbeit δW des Systems.
Als Beispiel betrachten wir in Abb. 14.29 ein Gewicht an einer Feder. Abb. 14.29.a zeigt
die Ausgangslage, in der die Feder entspannt ist und das Gewicht mit einer Hand gehalten
wird. Abb. 14.29.b zeigt eine Gleichgewichtslage, in der das Gewicht durch die Feder gehal-
ten wird, und Abb. 14.29.c zeigt das zugehöri-
ge Freikörperbild. Aus der Gleichgewichtsbe- a) b) c)
trachtung mit Gl.(4.22.2) erhält man mit G =
mg und dem Federgesetz FF = cx g
NN z
↑ : −mg + cx = 0. (14.38) cx
x
Mit den Gleichungen (14.33) lautet das
gesamte Potenzial mg
U (x) = UG + UF
(14.39) Abb. 14.29. Gewicht an einer Feder: a) Ausgangs-
= mg(−x) + 21 cx2 . lage, b) Gleichgewichtslage, c) Freikörperbild
428 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

Die Anwendung der Variation (14.37) auf das Potenzial in Gl.(14.39) liefert
δU = δUG + δUF = −mgδx + cxδx = (mg + cx)δx. (14.40)
Mit der Gleichgewichtsbedingung −mg + cx = 0 in Gl.(14.38) folgt somit δU = 0. Ohne
hier den Beweis anführen zu wollen, zeigt man für den allgemeinen Fall

Das Prinzip der virtuellen Arbeit für Potenzialkräfte


δU = U  δq = 0.
(14.41)
Ein mechanischer Starrkörper oder ein System von Starrkörpern ist unter
der Wirkung von Potenzialkräften im Gleichgewicht, wenn die Variation
des Gesamtpotenzials verschwindet.

Bemerkungen 14.5
1. Es sei nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Prinzip (14.41) nur für Poten-
zialkräfte gilt. Da Reibungskräfte nach Bemerkung 14.4.5 keine Potenzialkräfte sind, darf
das Prinzip (14.41) bei Auftreten von Reibungskräften nicht angewendet werden.
2. Für ein allgemein verschiebliches System mit dem Freiheitsgrad f ist n = f nach Be-
merkung 14.3.2 die Anzahl der unabhängigen Lageparameter q1 , q2 , , .., qn (verallge-
meinerte Koordinaten, wie z.B. Verschiebungen oder Verdrehungen). Das Gesamtpoten-
zial ist dann eine Funktion aller Lageparameter, d.h.
U = U (q1 , q2 , , ..., qn ). (14.42)
Mit der Variation von U folgt in Erweiterung des Prinzips in Gl.(14.41)
∂U ∂U ∂U  ∂U n
δU = δq1 + δq2 + ... + δqn = δqi = 0. (14.43)
∂q1 ∂q2 ∂qn ∂qi
i=1
Daraus erhält man n Gleichgewichtsbedingungen
∂U ∂U ∂U
= 0, = 0, ...., = 0. (14.44)
∂q1 ∂q2 ∂qn

 Beispiel 14.17 Gleichgewicht eines federgelagerten Balkens

Ein horizontal unverschieblicher Balken ist wie


dargestellt auf zwei Federn gelagert und wird G
durch eine Gewichtskraft G belastet. Bestimmen
Sie unter der Annahme kleiner Auslenkungen
1. die Verschiebungen in den Lagern A und B
2. die zugehörigen Federkräfte. a b
Bekannt: Kraft F , Federkonstanten c1 , c2 ,
Abmessungen a, b. Das Eigenwicht des Balkens
wird vernachlässigt. Abb. 14.30. Federgelagerter Balken
14.3 Potenzialkräfte 429

Vorüberlegungen: Eine beliebige Lage des Balkens ist durch die zwei Auslenkungen x1
und x2 in Abb. 14.30.b eindeutig festgelegt, d.h. das System hat zwei Freiheitsgrade. Das
Gesamtpotenzial nach Gl.(14.42) für die äußere Kraft G und die Federkräfte kann daher als
Funktion der Lageparameter x1 und x2 (verallgemeinerte Koordinaten) bestimmt werden.
Mit der Variation (14.43) erhält man zwei Gleichgewichtsbedingungen (14.44), womit die
Auslenkungen der Federn berechnet werden.

Lösung: Für die Kraft G wählen wir die G


Ausgangslage mit den entspannten Fe- z NN
dern als Nullniveau N N . Unter Berück- x1
zG
sichtigung, dass die z-Koordinate nach x2
oben zeigt, erhalten wir die Verschiebung a b
der Gewichtskraft in Abhängigkeit der
beiden Lageparameter:
  Abb. 14.30.b. Ausgelenkte Lage
a
zG = − x1 + (x2 − x1 ) .
a+b
Einsetzen in Gl.(14.33.1) liefert das Potenzial der Gewichtskraft
 
a
UG = GzG = −G x1 + (x2 − x1 ) .
a+b

Das Potenzial der Federn mit den Federkonstanten c1 und c2 ist nach Gl.(14.33.2)
1 1
UF = c1 x21 + c2 x22 .
2 2
Damit lautet das Gesamtpotenzial in Abhängigkeit der Lageparameter
 
a 1 1
U = UG + UF = −G x1 + (x2 − x1 ) + c1 x21 + c2 x22 .
a+b 2 2

Aus der Variation (14.43) erhält man zwei Gleichgewichtsbedingungen (14.44), die zur
Berechnung der Federauslenkungen verwendet werden:
   
∂U a G a
= −G 1 − + c1 x1 = 0 =⇒ x1 = 1−
∂x1 a+b c1 a+b
 
∂U a G a
= −G + c2 x2 = 0 =⇒ x2 = .
∂x2 a+b c2 a + b

Die gesuchten Federkräfte erhält man schließlich mit dem Federgesetz:


 
a a
FF 1 = c1 x1 = G 1 − , FF 2 = c2 x2 = G .
a+b a+b 
430 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

14.4 Stabilität von Gleichgewichtslagen

14.4.1 Allgemeines

In dem vorherigen Abschnitt 14.3 haben wir uns mit Gleichgewichtsbedingungen für Sys-
teme mit Potenzialeigenschaften befasst. Für viele technische Anwendungen ist darüber
hinaus die Frage von Interesse, wie sich das System bei einer kleinen Störung aus der
Gleichgewichtslage verhält. Als Beispiele betrachten wir dazu die Systeme in Abb. 14.31,
deren Potenziale als Lageenergie UG beschrieben werden. Wird die Kugel in Abb. 14.31.a
auf der konkav gekrümmten Fläche um die Strecke Δs von der Lage I in die Lage II
verschoben, gilt mit den Potenzialfunktionen nach Gl.(14.33.1) für die Potenzialdifferenz
UGII − UGI = GzII − GzI > 0. Mit den Notationen Δz = zII − zI , ΔUG = UGII − UGI
schreiben wir kurz

ΔUG = GΔz > 0, (14.45)

d.h. das Potenzial nimmt bei einer Lageänderung zu. Das gleiche Ergebnis erhält man für
die an einer Ringschraube aufgehängte Lampe, wenn diese wie in Abb. 14.31.d um einen
Winkel Δϕ ausgelenkt wird. Werden beide Körper in Abb. 14.31.a und Abb. 14.31.d nach der
Störung sich selber überlassen, kehren sie selbständig in die urprüngliche Gleichgewichtslage
zurück. Man bezeichnet derartige Gleichgewichtslagen als stabil.
Verschiebt man die Kugel in Abb. 14.31.b auf der konvex gekrümmten Fläche um die
Strecke Δs oder lenkt man den verschieblich gelagerten Stab in Abb. 14.31.e (als Ersatzsys-
tem für gestapelte Kisten) um einen Winkel Δϕ aus, erhält man in beiden Fällen

ΔUG = −GΔz < 0,

a) b) c)
z Δs
Δs
Lage II
Δ z<0 Δz=0
zI
Δz>0 Δs
zII
Lage I
x
d) e) f)

A S
Δϕ Δ z<0
Δ z=0 Δϕ
Δϕ Gegen-
gewicht
A=S
S
Δz>0
A

Abb. 14.31. a), b) c) Kugel, d) Lampe, e) Kistenstapeln und f) Schranke in jeweils zwei Lagen
14.4 Stabilität von Gleichgewichtslagen 431

d.h. im Gegenssatz zu Gl.(14.45) nimmt das Potenzial bei einer Lageänderung ab. Überlässt
man beide Körper sich selber, dann entfernen sie sich jeweils weiter von der urprünglichen
Gleichgewichtslage. Derartige Gleichgewichtslagen bezeichnet man als labil.
Werden die Kugel in Abb. 14.31.c auf der horizontalen Fläche um die Strecke Δs bzw. die
im Schwerpunkt gelagerte Schranke in Abb. 14.31.f um einen Winkel Δϕ ausgelenkt, verän-
dert der Schwerpunkt seine Höhenlage jeweils nicht. Damit findet keine Potenzialänderung
statt, und es gilt

ΔUG = GΔz = 0.

Überlässt man auch hier beide Körper nach der Auslenkung sich selber, gibt es keine wei-
teren Bewegungen, d.h. die ausgelenkten Lagen sind ebenfalls Gleichgewichtslagen. Man
bezeichnet sie als indifferent. Zusammenfassend unterscheiden wir

Drei Fälle für Gleichgewichtslagen


1. Stabil (ΔU > 0): Das System kehrt nach der Störung in die ur-
sprüngliche Gleichgewichtslage zurück.
2. Labil (ΔU < 0): Das System entfernt sich nach der Störung immer (14.46)
weiter von der Gleichgewichtslage.
3. Indifferent (ΔU = 0): Das System bleibt nach der Störung in Ruhe,
d.h. die gestörte Lage ist ebenfalls eine Gleichgewichtslage.

14.4.2 Stabilität von Potenzialsystemen

Wir untersuchen im Folgenden die Stabilität von Starrkörpern, bei denen die angreifenden
Kräfte Potenzialeigenschaften nach Abschnitt 14.3 besitzen. Weiter machen wir die Ein-
schränkung, dass das Gesamtpotenzial des betrachteten Systems durch einen Lageparameter
q darstellbar ist, so dass U (q) das Potenzial dieses Systems beschreibt. Setzen wir voraus,
dass eine Gleichgewichtslage q0 existiert, dann gilt nach dem Prinzip der virtuellen Arbeit
für Potenzialkräfte (14.41)

1. δU = U  (q0 )δq = 0 =⇒ 2. U  (q0 ) = 0, (14.47)

d.h. im Gleichgewichtsfall verschwindet die erste Ableitung des Gesamtpotenzials nach dem
Lageparameter q.
Wir entwickeln U (q) in der Umgebung von q0 in eine Taylorreihe, vgl. [5], wobei δq die
Störung aus der Gleichgewichtslage angibt:
1 1
U (q0 + δq) = U (q0 ) + U  (q0 )δq + U  (q0 )δq 2 + U  (q0 )δq 3 + ... . (14.48)
   2 6
δU =0

Der zweite Term auf der rechten Seite beschreibt nach (14.47) die Variation des Potenzials
δU , die in der Gleichgewichtslage verschwindet. Damit verbleibt für eine Potenzialänderung
1 1
ΔU = U (q0 + δq) − U (q0 ) = U  (q0 )q 2 + U  (q0 )δq 3 + ... . (14.49)
2 6
432 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

Für kleine Störungen δq hängt die Potenzialänderung ΔU also vom Vorzeichen der zweiten
Ableitung ab. Aus den Fallunterscheidungen (14.46) folgt somit das

Kriterium für Stabilität


U  (q0 ) > 0 =⇒ stabil (14.50)
U  (q <00) =⇒ labil

U (q0 ) = 0 =⇒ höhere Ableitungen untersuchen.

Bemerkungen 14.6
1. Falls U  (q0 ) = 0, entscheidet der Term U  (q0 )δq 3 /6 in Gl.(14.49) über die Art des
Gleichgewichtes. Da die beliebige Auslenkung δq positive und negative Werte annehmen
kann, ist die Gleichgewichtslage sowohl für U  (q0 ) > 0 als auch für U  (q0 ) < 0 labil.
Falls auch U  (q0 ) = 0, dann sind weitere Ableitungen zu untersuchen.
2. Allgemein gilt: Bei einer Ableitung ungleich Null ungerader Ordnung liegt labiles
Gleichgewicht vor. Bei einer Ableitung gerader Ordnung mit positiven Vorzeichen liegt
stabiles Gleichgewicht vor, ist das Vorzeichen negativ, so ist die Gleichgewichtslage, la-
bil. Verschwinden alle höheren Ableitungen, dann ist die Gleichgewichtslage indifferent.

14.4.3 Praktische Untersuchung der Stabilität von Systemen mit einem Freiheitsgrad

Für die Untersuchung der Stabilität von Körpern mit Potenzialkräften sind die wesentlichen
Lösungsschritte in Tabelle 14.3 zusammengefasst. Dabei beschränken wir uns auf Einfrei-
heitsgradsysteme, die durch einen Lageparameter q dargestellt werden können.

Lösungsschritte zur Stabilität von Körpern mit Potenzialkräften


1. Auslenken des Systems: Das System wird in eine beliebige Gleichgewichtslage
ausgelenkt. Die Auslenkung ist endlich, d.h. nicht infinitesimal klein. Sie wird
durch einen Lageparameter q dargestellt.
2. Potenziale berechnen: Für Gewichts- und Federkräfte werden diese nach
Gl.(14.32) in Abhängigkeit des Lageparameters q berechnet. Das Nullniveau für
Gewichtskräfte bezieht man zweckmäßig auf einen niedrig gelegenen Punkt des
Systems (z.B. Erdoberfläche, unteres Lager). Das Gesamtpotenzial U (q) ist die
Summe der Einzelpotenziale.
3. Gleichgewichtslage: Aus der Bedingung U  (q) = 0 für die erste Ableitung des
Potenzials erhält man den Lageparameter q0 für Gleichgewicht. Dabei können
mehrere Lösungen auftreten.
4. Stabilität: Nach Einsetzen einer oder evtl. mehrerer Lösungen für q0 in U  (q)
für die zweite Ableitung des Potenzials wird über die Art des Gleichgewichtes
– stabil, labil oder indifferent – nach dem Kriterium (14.50) sowie Bemerkung
14.6.2 entschieden.
Tabelle 14.3. Stabilität von Körpern mit Potenzialkräften und einem Freiheitsgrad
14.4 Stabilität von Gleichgewichtslagen 433

 Beispiel 14.18 Quadratische und kubische Parabeln

Für den Untergrund einer Kugel werden in Abb. 14.32 vier Parabeln unterschieden: a) z(x)
= x2 , b) z(x) = −x2 , c) z(x) = x3 , d) z(x) = −x3 .
a) Bestimmen Sie jeweils die Gleichgewichtslage der Kugeln.
b) Untersuchen Sie jeweils die Art des Gleichgewichtes.

a) b) c) d)

z z z z
z z z x
x NN

G x z z G x G z
z(x)=x 2 z(x)=x 3
z(x)=-x 2 z(x)=-x 3
G G G
Abb. 14.32. Quadratische und kubische Parabeln

Vorüberlegungen: Es werden die Schritte nach Tabelle 14.3 abgearbeitet.


Lösungen:
1. Auslenken des Systems: Die Kugel kann sich jeweils nur entlang einer Parabel bewegen,
so dass der Freiheitsgrad f = 1 ist. Die momentane Lage der Kugel wird in allen vier
Fällen jeweils eindeutig durch die Koordinate x festgelegt.
2. Potenziale berechnen: Mit dem Nullniveau im Ursprung lauten die Potenziale für alle
vier Fälle
Ua = Gx2 , Ub = −Gx2 , Uc = Gx3 , Ud = −Gx3 .
1. Gleichgewichtslage: Die erste Ableitung lautet für alle vier Fälle:
Ua = 2Gx, Ub = −2Gx, Uc = 3Gx2 , Ud = −3Gx2 .
Alle vier Ableitungen verschwinden für x0 = 0.
2. Stabilität: Die zweite Ableitung lautet für alle vier Fälle:
Ua = 2G, Ub = −2G, Uc = 6Gx, Ud = −6Gx.
Einsetzen der Gleichgewichtslage x0 = 0 liefert
Ua (x0 = 0) = 2G > 0, Ub (x0 = 0) = −2G < 0, Uc (x0 = 0) = 0, Ud (x0 = 0) = 0.
Damit ist nach dem Kriterium (14.50) die Lage im Fall a stabil und im Fall b labil. In den
Fällen c und d wird jeweils die dritte Ableitung erforderlich:
Uc (x0 = 0) = 6
= 0, Ud (x0 = 0) = −6
= 0.
Da die Ableitungen ungerader Ordnung sind, liegt nach den Bemerkungen 14.6 - unab-
hängig vom Vorzeichen (!) - jeweils labiles Gleichgewicht vor. 
434 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

 Beispiel 14.19 Federgelagerter Turm

Die Schiefstellung eines Turmes a) b)


in Abb. 14.33.a wird vereinfacht
mit dem Feder-Balken-System in g
Abb. 14.33.b untersucht. Durch
eine geeignete Führung ist dabei
die Auslenkung x in der Feder-
kraft cx stets senkrecht zur Platt-
α G
form gerichtet.
a) Bestimmen Sie mögliche H H cosα
R R
Gleichgewichtslagen.
b) Untersuchen Sie jeweils die α NN
Art des Gleichgewichtes. x
Bekannt: R, H, c, G. c
Vorüberlegungen: Es werden die Foto: foto-filleboeck
Schritte nach Tabelle 14.3 abgear-
beitet. Abb. 14.33. Turm in Schiefstellung: a) Reales System,
b) statisches Ersatzsystem

Lösungen:
1. Auslenken des Systems: Der Turm kann sich nur um das Festlager verdrehen, so dass der
Freiheitsgrad f = 1 ist. Die momentane Lage des Turmes in der Schieflage wird durch
den Winkel α festgelegt. Damit erhält man mit dem Nullniveau N N in Höhe des Fest-
lagers für die z-Koordinate der Gewichtskraft z = H cos α und für die Federauslenkung
x = R tan α.
2. Potenziale berechnen: Mit dem Nullniveau für die Gewichtskraft im Festlager und der
Annahme, dass die Feder für α = 0 entspannt ist folgt aus den Gleichungen (14.33)

Gewicht: UG = Gz = GH cos α, Feder: UF = 21 cx2 = 21 c (R tan α)2 .

Damit ist das Gesamtpotenzial in Abhängigkeit des Lageparameters α


1
U = UG + UF = GH cos α + c (R tan α)2 = U (α)
2
3. Gleichgewichtslage: Wir setzen die erste Ableitung des Potenzials gleich Null:
1 1
U  = −GH sin α + cR2 2 tan α 2
2 cos α
 
1 2 cR2
= −GH sin α + cR sin α 3 = −GH + sin α = 0.
cos α cos3 α

Man findet zwei Lösungen als Nullstellen und somit zwei Gleichgewichtslagen:
14.4 Stabilität von Gleichgewichtslagen 435

sin α = 0 =⇒ α1 = 0 (1a)
 1/3
cR2 cR2
cos3 α = =0 =⇒ α2 = arccos (1b).
GH GH

2. Stabilität: Für die zweite Ableitung des Gesamtpotenzials gilt:

cos4 α + 3 cos2 α · sin2 α


U  = cR2 − GH cos α
cos6 α
cos2 α + 3 sin2 α 3 − 2 cos2 α
= cR2 4
− GH cos α = cR2 − GH cos α. (2)
cos α cos4 α
Für die erste Gleichgewichtslage α1 = 0 nach Gl.(1a) gilt:

U  (α1 = 0) = cR2 − GH.

Aus dem Kriterium (14.50) ergeben sich folgende Fallunterscheidungen:

cR2 > GH =⇒ U  (α1 = 0) > 0 =⇒ stabil


cR2 < GH =⇒ U  (α1 = 0) < 0 =⇒ labil
cR2 = GH =⇒ U  (α1 = 0) = 0 =⇒ höhere Ableitungen untersuchen.

Auf die Untersuchung höherer Ableitungen im dritten Fall wird verzichtet. Dieser Son-
derfall kennzeichnet eine „Übergangslage” von einer stabilen Lage (cR2 > GH) in eine
labile Lage (cR2 < GH).
Zusätzlich müssen wir die zweite Gleichgewichtslage α2 nach Gl.(1b) untersuchen. Mit
dem Zusammenhang cR2 = GH cos3 α2 aus Gl.(1b) folgt aus Gl.(2)

3 − 2 cos2 α2
U  (α2 ) = GH cos3 α2 − GH cos α2
cos4 α2
   
3 − 2 cos2 α2 − cos2 α2 1 − cos2 α2
= GH cos α2 = 3GH cos α2 .
cos2 α2 cos2 α2

Relevant ist nur der Winkelbereich 0 < α2 < π/2. Dann gilt für die Kosinusfunktion
0 < cos α2 < 1 und somit U  (α2 ) > 0. Damit ist die Lage stabil. 
436 14 Arbeit, Potenzial und Stabilität

14.4.4 Aufgaben zu Abschnitt 14.4

Aufgabe 14.14 (SG = 2, BZ = 20 min)


Ein Stab (Masse mS , Länge l) ist wie
dargestellt durch ein Loslager und eine l
Feder gehalten. Für ϕ = 90o ist die Feder mS
entspannt. ϕ
c
a) Bestimmen Sie mögliche Gleichge-
wichtslagen.
b) Untersuchen Sie jeweils die Art des
Gleichgewichtes.

Bekannt: l, c, mS , g.

Aufgabe 14.15 (SG = 2, BZ = 20 min)


Zwei masselose Stäbe sind wie dargestellt G
durch ein Gelenk verbunden. Im oberen
Loslager greift eine Gewichtskraft G an,
und im unteren Festlager ist eine Drehfeder 1
angebracht. l

a) Bestimmen Sie mögliche Gleichge-


2
wichtslagen.
b) Untersuchen Sie jeweils die Art des l
Gleichgewichtes. CM

Bekannt: l, cM , G.

Aufgabe 14.16 (SG = 3, BZ = 40 min)


Untersuchen Sie die Stabilität des federgelagerten Turmes in Beispiel 14.19 mit zwei weite-
ren Ansätzen für die Federauslenkung:
a) x = Rα
b) x = R sin α.
15
Anhang

A Einheiten
Die Einheiten von physikalischen Größen werden nach dem international vereinbarten Sys-
tème International d’Unités festgelegt und daher kurz als SI-Einheiten bezeichnet. Für drei
wichtige Größen der Technik, die Zeit, die Länge und die Masse, sind die Einheiten wie folgt:

• Zeit: Die Einheit für die Zeit ist die Sekunde mit dem SI-Einheitenzeichen „s”. Mit dem
Symbol t für die Größe gilt [t] = 1 s. Ursprünglich wurde die Sekunde als 1/86 400
eines Sonnentages definiert. Die aktuelle strenge Definition lautet: Eine Sekunde ist das
9.192.631.770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyper-
feinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133 Cs entsprechenden
Strahlung [36].
• Länge: Die Einheit für die Länge ist das (oder der) Meter mit dem SI-Einheitenzeichen
„m”. Mit dem Symbol s für die Größe, z.B. eine Wegstrecke, gilt [s] = 1 m. Ursprünglich
war das Meter als 40-millionster Teil des Erdumfanges und später als Abstand zweier
Striche auf einem in Sèvres bei Paris aufbewahrten Platin-Iridium-Stab, dem Urmeter,
definiert. Die aktuelle strenge Definition lautet: Ein Meter ist das 1.650.763,73-fache der
Wellenlänge der von Atomen des Nuklids 86 Kr beim Übergang von Zustand 5d5 zum Zu-
stand 2p10 ausgesandten, sich im Vakuum ausbreitenden Strahlung [36].
• Masse: Die Einheit für die Masse ist das Kilogramm mit dem SI-Einheitenzeichen „kg”.
Mit dem Symbol m für die Größe gilt [m] = 1 kg. Ursprünglich war ein Kilogramm
(1 kg) definiert als die Masse von 1 dm3 = 1 Liter Wasser bei 4o Celsius. Die aktuelle
strenge Definition lautet: Ein Kilogramm ist die träge Masse einer in Sèvres bei Paris auf-
bewahrten internationalen Standard-Masse aus Platin-Iridium, dem Urkilogramm [34].
Zur Zeit wird an einer Definition des Kilogramms gearbeitet, die nicht mehr auf einem
Prototyp beruht.

B Notwendige und hinreichende Bedingungen in der Statik


Notwendige Bedingung und hinreichende Bedingung sind Begriffe aus der Aussagenlogik
und Kausalitätstheorie, um das Auftreten eines Ereignisses zu explizieren. Eine Bedingung
bezeichnet man als notwendig, wenn sie zwingend für das Eintreten eines Ereignisses
erforderlich ist. Sie ist ein “K.-o.-Kriterium”, da bei deren Nichterfüllung das Ereignis
auf keinen Fall eintritt. Z.B. ist die Flüssigkeitsaufnahme notwendig zum Leben oder die
Klausurteilnahme notwendig zum Bestehen einer Prüfung. Das Verschwinden der ersten
Ableitung einer nichtlinearen Funktion ist notwendig für das Auftreten eines Minimums. Das
Erfüllen der notwendigen Bedingung hat jedoch nicht unbedingt das Ereignis zur Folge. Z.B.

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
438 15 Anhang

garantiert regelmäßige Flüssigkeitsaufnahme nicht (unendliches) Leben; die Klausurteil-


nahme hat nicht automatisch das Bestehen der Prüfung zur Folge. Beim Verschwinden der
ersten Ableitung einer nichtlinearen Funktion kann auch ein Maximum auftreten.
Bei Erfüllung einer hinreichenden Bedingung tritt das Ereignis dagegen auf jeden Fall
ein. Die Bedingung Es regnet ist z.B. hinreichend für das Ereignis Die Strasse ist nass. Ein
positiver Wert für die zweite Ableitung einer nichtlinearen Funktion an der Nullstelle der
ersten Ableitung ist hinreichend für ein Minimum. Die Nichterfüllung der hinreichenden Be-
dingung schließt jedoch das Eintreten des Ereignisses nicht aus. Z.B. kann die Straße auch
durch andere Ereignisse, wie durch Schneeschmelze, nass werden.
Eine sowohl notwendige als auch hinreichende Bedingung A ist eine unersetzbare Vo-
raussetzung, bei deren Erfüllung eine sogenannte Subjunktion oder Wirkung B zwangsläufig
eintritt. Man sagt: “A gilt dann und nur dann wenn B gilt” und schreibt symbolisch:
A ⇐⇒ B. (B.1)
In der Statik formulieren wir als Bedingung A: Zwei Kräfte sind 1. entgegengesetzt
gerichtet, 2. gleich groß und 3. liegen auf der gleichen Wirkungslinie. Das Ereignis B lautet:
Ein Körper ist im Gleichgewicht. Damit hat das Gleichgewichtsaxiom (3.1) die Form (B.1).
Da die Bedingungen A durch die Gleichgewichtsbedingungen (3.2) ersetzt werden können,
gilt auch: „Der Körper ist dann und nur dann im Gleichgewicht, wenn die Bedingungen (3.2)
erfüllt sind“.
Bemerkenswert ist, dass das Ereignis B für Gleichgewicht nicht nur den Ruhezustand,
sondern auch den Zustand gleichförmiger Geschwindigkeit mitberücksichtigt. Damit ist die
Statik auch die Lehre vom Gleichgewicht der Kräfte an nicht beschleunigten Körpern. Gilt
dagegen anstatt B Der Körper hat eine Beschleunigung, dann folgen daraus nicht mehr die
Gleichgewichtsbedingungen (3.2). Sind umgekehrt die Bedingungen (3.2) verletzt, dann ist
der Körper weder in Ruhe noch hat er eine konstante Geschwindigkeit. Diese Fälle über-
schreiten somit den Gültigkeitsbereich der Statik und werden stattdessen in der Kinetik, der
Lehre von Kräften an beschleunigten Körpern behandelt, siehe z.B. [21].

C Grundlagen der Vektorrechnung


In diesem Abschnitt werden einige wichtige Rechenregeln für Vektoren zusammengefasst.
Vektoren repräsentieren physikalische Größen, die durch die beiden Angaben
Betrag und Richtung
charakterisiert sind. Beispiele sind der Kraftvektor und der Momentenvektor. Dagegen ist
z.B. für die Zeit, die Masse oder Arbeit die Angabe des Zahlwertes ausreichend, so dass diese

a) b) feste c) d)
Q
|a| Linie
a
a a
a=PQ
P
Abb. C.1. Verschiedene Vektoren: a) punktgebundener Vektor, b) liniengebundener Vektor, c) freier Vektor,
d) axialer Vektor und „Rechtsschraube”.
C Grundlagen der Vektorrechnung 439

Größen keine Vektoren sind. Im Folgenden dienen fette Buchstaben zur Kennzeichnung eines

Vektors. In der Literatur findet man auch die Bezeichnung a = a . Wir stellen einen Vektor a
in Abb. C.1 durch einen Richtungspfeil dar, dessen Betrag (oder: Länge ) |a| und Richtung
mit der Größe und Richtung der zu beschreibenden physikalischen Größe übereinstimmt. In
der Physik unterscheidet man folgende Vektoren:
a) Punktgebundener Vektor: Im Anschauungsraum, z.B. dem Lageplan, ist dieses ein Vek-
−→
tor a = P Q, der wie in Abb. C.1.a dargestellt, zwei Punkte P und Q im Raum verbindet.
Dabei gibt die Pfeilspitze den Richtungssinn an. Für Kraftvektoren im Kräfteplan folgt bei
Angabe eines Anfangspunktes der Endpunkt aus dem Kraftbetrag und einem vereinbarten
Kräftelängenmaßstab.
b) Liniengebundener Vektor: Ein Vektor, der entlang seiner Wirkungslinie verschoben
werden kann. Beispiele sind der Kraftvektor oder der axiale Momentenvektor, die auf
einen Starrkörper wirken.
c) Freier Vektor: Ein Vektor, der unabhängig von Anfangs- und Endpunkt ist. Ein Beispiel
ist der Drehmomentenvektor des starren Körpers.
d) Axialer Vektor: Ein Vektor, dem man neben dem Betrag und der Richtung auch noch
einen Drehsinn zuordnet. Er wird mit einer Doppelpfeilspitze gekennzeichnet. Eine po-
sitive Drehrichtung erfolgt nach Definition wie bei einer Schraube mit Rechtsgewinde
(„Rechtsschraube”). Beispiele sind der Drehmomentenvektor, der polare Momentenvek-
tor oder der axiale Momentenvektor.

Der Drehmomentenvektor eines Kräftepaares ist gleichzeitig ein freier und ein axialer Vektor.

C.1 Rechenoperationen

Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Rechenoperationen für Vektoren zusammen.

a) Die Vektoraddition: Bei der Addition von zwei Vektoren a und b wird wie in Abb. C.2.a
der Anfangspunkt des Vektors b an den Endpunkt des Vektors a angelegt. Dabei entsteht
ein neuer Vektor c = a + b, der vom Anfangspunkt des Vektors a zum Endpunkt des
Vektors b zeigt. Es gelten unter Anderem die Regeln:

1. a + b = c, 2. a + b = b + a (kommutativ). (C.1)

Die Vektoren a und b heißen auch Komponenten des Vektors c.


b) Multiplikation mit einem Skalar: Bei der Multiplikation eines Vektors a mit einem
Skalar α ∈ R entsteht, wie in Abb. C.2.b dargestellt, ein neuer Vektor b,

b = αa. (C.2)

Die Länge von b ist α|a|. Für α < 0 kehrt sich der Richtungssinn um.
c) Das Skalarprodukt: Wie in Abb. C.2.c erkennbar, schließen zwei Vektoren a und b
einen Winkel ϕ ein. Als Maß für den Winkel wird das Skalarprodukt eingeführt. Zwei
wichtige Regeln sind

1. a · b = |a||b| cos ϕ, 2. a · b = b · a (kommutativ). (C.3)


440 15 Anhang

a) b) c)
b |b|
a b
a
c= a+ b b= α a ϕ a
|b| cos ϕ
|a|

d) e)
V=[a,b,c]
c
A=|axb|
b c
..
ϕ b
.
a . ϕ

a
Abb. C.2. Grundregeln der Vektorrechnung: a) Addition von zwei Vektoren, b) Multiplikation eines Vektors
mit einem Skalar, c) Skalarprodukt von zwei Vektoren, d) Kreuzprodukt von zwei Vektoren und „Rechte-Hand-
Regel”, e) Spatprodukt von drei Vektoren

Die Größe |b| cos ϕ gibt die Projektion des Vektors b auf den Vektor a an. Mit dem
inneren Produkt kann der Betrag (oder die Länge) eines Vektors bestimmt werden:

|a| = a · a ≥ 0. (C.4)

Die Länge des Vektors a ist in Abb. C.2.a dargestellt. Für |a| = 1 bezeichnet man a als
Einheitsvektor. Ein Einheitsvektor ist somit
a
e= . (C.5)
|a|

d) Das Kreuzprodukt von zwei Vektoren: Wie in Abb. C.2.d erkennbar, entsteht beim
Kreuzprodukt (oder: Vektorprodukt, äußeres Produkt) von zwei Vektoren a und b ein
neuer Vektor c, der senkrecht auf a und b steht. Die drei Vektoren bilden nach der soge-
nannten „Rechte-Hand-Regel” in Abb. C.2.d ein Rechtssystem. Der Betrag |c| gibt den
Inhalt der von a und b aufgespannten Fläche an. Unter Anderem gelten die Regeln:
1. a × b = c, wobei |c| = |a × b| = |a||b| sin ϕ
2. a ⊥ c und b ⊥ c
3. a, b, c bilden ein Rechtssystem
(C.6)
4. a × b = −b × a (nichtkommutativ)
5. a × b = 0 ⇐⇒ a = 0 ∨ b = 0 ∨ a||b
6. a × (b × c) = (a · c)b − (a · b) c (Entwicklungssatz).
e) Das Spatprodukt von drei Vektoren: In Abb. C.2.e ist das Spatprodukt von drei Vek-
toren a, b, c veranschaulicht. Hierbei ist ϕ der Winkel zwischen den beiden Vektoren a
und b. Es läßt sich zeigen, dass [a, b, c] den Volumeninhalt des von a, b c aufgespannten
Parallelepipeds angibt. Es gelten die Rechenregeln:
C Grundlagen der Vektorrechnung 441

1. [a, b, c] = a · (b × c)
2. [a, b, c] = [b, c, a] = [c, a, b] = −[a, c, b] = −[b, a, c] = −[c, b, a] (C.7)
3. [a, b, c] = 0 ⇐⇒ a, b, c linear abhängig.

Aus Gl.(C.7.3) folgt insbesondere der Zusammenhang

c = αa =⇒ [a, b, c] = 0. (C.8)

C.2 Vektorbasis und Basisdarstellung von Vektoren

Sind drei Vektoren ex , ey , ez linear unabhängig, d.h.

αx ex + αy ey + αz ez = 0 ⇐⇒ αx = αy = αz = 0, (C.9)

dann bilden diese eine Vektorbasis. Besondere Bedeutung haben orthonormale Basisvektoren
mit den folgenden Eigenschaften:
(
1. ex · ex = 1, ey · ey = 1, ez · ez = 1 (C.10)
Orthonormalität
2. ex · ey = 0, ey · ez = 0, ez · ex = 0
3. ex × ey = ez , ey × ez = ex , ez × ex = ey Rechtssystem.

Auf Grund der Definitionen (C.4) und (C.10.1) sind


die Basisvektoren gleichzeitig Einheitsvektoren. Mit
den Basisvektoren ex , ey , ez erfolgt in Abb. C.3 die a3e3
Basisdarstellung eines Vektors a3
⎛ ⎞ e3 a
ax
a = ax ex + ay ey + az ez = ⎝ ay ⎠ . (C.11)
e1 e2 a2e2
az
a1e1 a1
Die Matrixdarstellung mit runden Klammern auf der
a2
rechten Seite der Gleichung ist somit eine alterna-
tive Form für die Basisdarstellung. Sie ist mathe-
Abb. C.3. Basisdarstellung eines Vektors
matisch von der Darstellung für Spaltenmatrizen
mit rechteckigen Klammern des nachfolgenden Ab-
schnittes D zu unterscheiden.
Das Skalarprodukt von zwei Vektoren a und b in den Basisdarstellungen

a = ax ex + ay ey + az ez , b = bx ex + by ey + bz ez (C.12)

wird auf Grund der Orthonormalitätseigenschaften (C.10.1) und (C.10.2) wie folgt berechnet:

a · b = (ax ex + ay ey + az ez ) · (bx ex + by ey + bz ez ) = ax bx + ay by + az bz .

Zur Bestimmung der Länge eines Vektors a folgt aus Definition (C.4):
√ 
|a| = a · a = a2x + a2y + a2z . (C.13)
442 15 Anhang

Damit ist der Betrag des Vektors a die Länge der Diagonale des Quaders in Abb. C.3. Die
Basisvektoren können auch zur Bestimmung des Kreuzproduktes nach Regel (D.5) für De-
terminanten verwendet werden (Sarrus-Regel):
) )
) ex ey ez )
) )
c = a × b = )) ax ay az )) = (ay bz − az by )ex + (az bx − ax bz )ey + (ax by − ay bx )ez
) bx by bz )
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ (C.14)
ax bx ay bz − az by
= ⎝ ay ⎠ × ⎝ by ⎠ = ⎝ az bx − ax bz ⎠ .
az bz ax by − ay bx
Im zweiten Teil der Gleichung erfolgt als alternative Darstellung wie in (C.11) die Matrix-
darstellung mit runden Klammern.

D Grundlagen der Matrixrechnung


Eine Matrix dient der übersichtlichen Darstellung von mathematischen Objekten. Die Be-
zeichnung wurde 1850 von James Joseph Sylvester (1814 - 1897) eingeführt. Im Folgenden
erfolgt eine Beschränkung auf wesentliche Grundlagen der Matrixrechnung zur Lösung von
linearen Gleichungssystemen, die z.B. aus den Gleichgewichtsbedingungen (5.25) für ebene
nichtzentrale Kraftsysteme sowie für räumliche nichtzentrale Kraftsysteme (6.39) oder aus
der Grundaufgabe zur Zerlegung einer Kraft, wie z.B. in Gl.(5.36), entstehen. Damit sind
Matrizen insbesondere zur Programmierung für numerische Methoden geeignet.
Haben Matrizen ihre Ursache in der Aufstellung von skalarwertigen Gleichungen für
Kräfte und Momente, dann versehen wir sie stets mit rechteckigen Klammern. Diese Schreib-
weise unterscheidet sie mathematisch von Matrizen mit runden Klammern, womit wir eine
Basisdarstellung von Vektoren wie in Gl. (C.11) kennzeichnen, die ja physikalische Größen
mit Richtung und Betrag sind.
Beispiele für die Anordnung von m × n reellen Zahlen (m= Zeilenanzahl, n= Spaltenan-
zahl) in einer Matrix sind:
⎡ ⎤
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ b1
a11 a12 ... a1n x1 ⎢ b2 ⎥
⎢ a21 a22 ... a2n ⎥ ⎢ x2 ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ ⎥
⎣ ... ... ... ... ⎦ , x=⎢ ⎥
⎣ ... ⎦ , b=⎢ ⎥
⎢ ... ⎥ . (D.1)
⎣ ... ⎦
am1 am2 ... amn xn
bm
Für m=n liegt eine quadratische Matrix vor. Ist wie für b und x die Anzahl der Spalten n=1,
so spricht man von einer Spaltenmatrix.
Wir betrachten das lineare System von n Gleichungen mit n Unbekannten x1 , x2 , ..., xn :

a11 x1 + a12 x2 ... a1n xn = b1


a21 x2 + a22 x2 ... a2n xn = b2
(D.2)
.... ....
an1 x1 + an2 x2 ... ann xn = bn .
Es lässt sich unter Verwendung der Matrizen in (D.1) mit m = n in der Form
D Grundlagen der Matrixrechnung 443

Ax = b (D.3)
schreiben. Zur Lösung des Gleichungssystems (D.2) lassen sich verschiedene Methoden un-
terscheiden. Beispiele sind die Cramersche Regel (Gabriel Cramer, 1704-1753) oder der
Gausssche Algorithmus (Carl Friedrich Gauss, 1777-1755), wobei letzterer insbesondere für
numerische Methoden geeignet ist. Grundsätzlich ist zu beachten, dass eine Lösung nicht im-
mer existiert. Um dieses zu überprüfen, verwendet man z.B. die Determinante der Matrix A:
) )
) a11 a12 ... a1n )
) )
) a21 a22 ... a2n )
det A = )) ).
) (D.4)
) ... ... ... ... )
) am1 am2 ... amn )

Für det A
= 0 ist die Matrix regulär, und für det A = 0 ist die Matrix singulär. Es gilt: Das
Gleichungssystem (D.2) hat dann und nur dann eine eindeutige Lösung, wenn A regulär ist.
In der Statik liegt für det A = 0 der Ausnahmefall vor.
Wir geben die Berechnung der Determinante für zwei häufig auftretende Fälle an:
) )
) a11 a12 )
1. n = 2 : det A = ) ) ) = a11 a22 − a12 a22
a21 a22 )
) )
) a11 a12 a13 )
) ) a11 a22 a33 + a12 a23 a31 + a13 a21 a32
2. n = 3 : det A = )) a21 a22 a23 )) = (D.5)
) a31 a32 a33 ) −a 13 a22 a31 − a12 a21 a33 − a11 a23 a32
) ) ) ) ) )
) a22 a23 ) ) a12 a13 ) ) a12 a13 )
)
= a11 ) ) )
− a21 ) ) )
+ a31 ) ).
a32 a33 ) a32 a33 ) a22 a23 )
Man bezeichnet die zweite Darstellung in (D.5.2) als Entwicklung nach der 1. Spalte mit drei
Unterdeterminanten der Ordnung 2. Allgemein gilt, dass die Determinante gleich Null ist,
wenn eine Zeile (oder Spalte) linear abhängig von den übrigen ist.
Zur Lösung von zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten
a11 x1 + a12 x2 = b1
(D.6)
a21 x2 + a22 x2 = b2
mit der Cramerschen Regel berechnet man die drei Determinanten
) ) ) ) ) )
) a11 a12 ) ) b1 a12 ) ) a11 b1 )
det A = )) ) , )
det A 1 = ) ) , )
det A 2 = ) ). (D.7)
a21 a22 ) b2 a22 ) a21 b2 )
Hierbei werden in den Matrizen A 1 bzw. A 2 die erste bzw. die zweite Spalte durch die rechte
Seite in (D.6) ersetzt. Die gesuchten Lösungen sind dann die Quotienten
det A 1 det A 2
x1 = , x2 = . (D.8)
det A det A
Die Cramersche Regel wird in gleicher Weise für Gleichungen mit n = 3 Unbekannten
angewendet, siehe z.B. [11, 20]. Falls mehr Unbekannte auftreten, ist der Gausssche Algo-
rithmus empfehlenswert. Zur numerischen Lösung von linearen Gleichungssystemen sowie
dem Auffinden des Ausnahmefalles der Statik mit dem Programm MATLAB verweisen wir
auf die Beispiele 4.13, 5.9, 6.10, 9.2, 9.5, 9.6 und 10.6 in diesem Buch.
444 15 Anhang

E Anhang zu Kraftsystemen in der Ebene

E.1 Beweis des Reduktionsgesetzes (5.9) für Drehmomente in der Ebene


Aufgabenstellung: Ein Starrkörper wird von m Kräftepaaren mit den Drehmomenten M1 , M2 , ..., Mm belastet.
Dazu soll im Folgenden das Reduktionsgesetz für Kräftepaare (5.9) bewiesen werden.
Lösung: Die Reduktion erfolgt zunächst für zwei Kräftepaare (F1 ,a1
−F1 ) und (F2 ,a2 −F2 ) mit den Momenten (M1 = F1 a1 ,  ) und (M2
= F2 a2 ,  ), vgl. Abb. C.4. Unter Anwendung der Axiome (3.1) und
(3.7) und des Verschiebungsgesetzes (3.3) wird das Kräftepaar (F2 ,a2 -F2
−F2 ) in die Wirkungslinien des Kräftepaares (F1 ,a1 −F1 ) verschoben.
(i) Verschiebung der Kräfte F2 , −F2 bis in die Punkte A und B. a2
Einführung einer Gleichgewichtsgruppe H, −H auf der Verbin- a1
dungslinie von A nach B. Der Betrag von H = |H| folgt aus der F1
-F1 F2
Forderung, dass die Resultierenden F2 = F2 + H und (−F2 ) =
(−F2 ) + (−H) parallel zu F1 und (−F1 ) sind. Mit den Winkeln
α β -F'2
α, γ folgt mit dem Sinussatz für das Parallelogramm der Kräfte F2 , (i)
F2 , H und der Sinusfunktion für die Dreiecke ADB und AEB: -F2
B
α cβ -H
sin α F a2 a1 HA
= 2, sin α = , sin γ = .
sin γ F2 c c E
a1
Damit gilt
F'2 D a2 -F2
F2
F2 sin α a2 · c a2 a2 a2
= = = =⇒ F2 = F2
F2 sin γ c · a1 a1 a1 a1
F1
a2 (ii) -F1 F2
=⇒ M2 = F2 a1 = F2 a1 = F2 a2 = M2 .
a1
 
(ii) Verschiebung der Kräfte F2 , −F2 und Bestimmung der Resul-
tierenden FR = F1 + F2 , −FR = −F1 + (-F2 ) mit dem Betrag
FR = F1 + F2 . Das resultierende Moment lautet dann

MR = FR a1 = (F1 + F2 )a1 = M1 + M2 . -F2


-F'2
F'2
Diese Gleichung kann für m Kräftepaare erweitert werden, womit a2
das Reduktionsgesetz (5.9) bewiesen ist. a1
F1
-F1 F2
Bemerkung: Die Einführung der Hilfskräfte H und −H auf der FR -FR
Verbindungsstrecke der Punkte A und B stellt keine Einschränkung dar.
Man kann auch zwei Resultierende FR , −FR auf zwei Hilfslinien mit Abb.C.4. Addition von zwei
dem Abstand aR finden, so dass wie in Abb. 5.10 MR = FR aR gilt. Kräftepaaren

E.2 Beweis der Gleichgewichtsbedingungen (5.10) für Drehmomente in der Ebene


Aufgabenstellung: Ein Starrkörper wird von m Kräftepaaren mit den Drehmomenten M1 , M2 , ..., Mm belastet.
Gesucht ist eine Bedingung für Gleichgewicht.
Lösung: Nach dem Reduktionsgesetz (5.9) können m Kräftepaare auf ein Kräftepaar (FR ,aR −FR ) mit dem
Drehmoment MR = FR aR reduziert werden, siehe auch die Darstellung in Abb. 5.10 für zwei Kräftepaare. Für
Gleichgewicht müssen nach dem Axiom (3.1) die beiden Gleichungen (3.2) erfüllt sein, was zu beweisen ist:
Für das resultierende Kräftepaar gilt R = FR + (−FR ) = 0, so dass die Kräftegleichgewichtsbedingung (3.2.1)
erfüllt ist. Aus der Bedingung MR = 0 folgt für beliebiges FR = 0 aR = 0, so dass auch Gl.(3.2.2) erfüllt ist.
Damit ist Gl.(5.10) notwendig und hinreichend für Gleichgewicht von m Kräftepaaren.
E Anhang zu Kraftsystemen in der Ebene 445

E.3 Beweis der statisch äquivalenten Gleichgewichtsbedingungen (5.27)


In diesem Abschnitt wird die statische Äquivalenz der
Gleichgewichtsbedingungen in (5.27) gezeigt. Dazu be- y
trachen wir in Abb. C.5 das nichtzentrale Kraftsystem F2
mit den Kräften F1 , ..., Fi , ... ,Fn . Außer dem Punkt Fiy Fi
F1
A sind die Punkte B und C mögliche Bezugspunkte yi
zum Aufstellen der Momentengleichgewichtsbedin- Fix

yi -y B
yC C
gung (5.25.3). Die Koordinaten der Punkte A, B und C
sind (xA , yA ), (xB , yB ) und (xC , yC ). Ferner sind (xi , yB
yi ) die Koordinaten des Angriffspunktes der Kraft Fi . B Fn
Wir bestimmen zunächst das polare Moment der Kraft
Fi bezüglich des Bezugspunktes B. Mit den Bezeich- A xC xB xi x
(B) xi -x B
nungen in Abb. C.5 gilt Mi = (xi − xB )Fiy − (yi −
yB )Fix . Für das gesamte Moment aller Kräfte folgt
Abb. C.5. Körper mit nichtzentralem Kraft-
system, Bezugspunkte A, B und C
 (B) 
M (B) = i Mi = ((xi − xB )Fiy − (yi − yB )Fix )
i
   (E.1)
= i (xi Fiy − yi Fix ) − i xB Fiy + i yB Fix .
(A)
Mit dem polaren Moment der Kraft Fi bezüglich des Bezugspunktes A, Mi = xi Fiy − yi Fix und den resul-
 (A)  
tierenden Größen M (A) = i Mi , Rx = i Fix , Ry = i Fiy kann diese Gleichung umgeformt werden.
Verfahren wir in gleicher Weise für den Punkt C erhält man zusammenfassend
1. M (B) = M (A) − xB Ry + yB Rx , 2. M (C) = M (A) − xC Ry + yC Rx . (E.2)

Mit diesen Beziehungen untersuchen wir die Gleichungen (5.27) bzw. die Regeln (5.28):
2. Nach Voraussetzung gilt: Rx = 0, Ry = 0, M (B) = 0. Folgt daraus M (A) ? Nach Gl.(E.2.1) gilt
M (A) = M (B) + xB Ry − yB Rx . (E.3)
(A)
Mit den Voraussetzungen erhält man sofort - ohne weitere Einschränkungen - M = 0. Dieses ist die
Aussage in Regel (5.28.2).
3. Nach Voraussetzung gilt Rx = 0, M (B) = 0, M (A) = 0. Folgt daraus Ry = 0? Nach Gl.(E.2.1) gilt
xB Ry = M (A) − M (B) + yB Rx = 0. (E.4)
Aus den Voraussetzungen erhält man xB Ry = 0. Diese Gleichung hat Ry = 0 nur dann zur Folge, falls xB
= 0 ist. Dieses ist die Aussage in Regel (5.28.3)
4. Nach Voraussetzung gilt Ry = 0, M (B) = 0, M (A) = 0. Folgt daraus Rx = 0? Der Beweis wird wie für
Regel (5.28.3) durchgeführt. Damit folgt die Aussage in Regel (5.28.4).
5. Nach Voraussetzung gilt M (A) = 0, M (B) = 0, M (C) = 0. Folgt daraus Ry = 0, Rx = 0? Aus Gl.(E.2.1)
erhält man mit den Voraussetzungen:
1. − xB Ry + yB Rx = 0, 2. − xC Ry + yC Rx = 0. (E.5)
Durch Multiplikation der ersten Gleichung mit 1/xB und der zweiten Gleichung mit 1/xC und Subtrahieren
dieser neuen Gleichungen wird Rx eliminiert. In gleicher Weise wird durch Multiplikation der ersten Glei-
chung mit 1/yB und der zweiten Gleichung mit 1/yC und Subtrahieren dieser neuen Gleichungen wird Ry
eliminiert. Damit erhält man für die beiden Fälle:
   
yB yC xB xC
Rx − = 0, Ry − + = 0. (E.6)
xB xC yB yC
Aus diesen Gleichungen folgen die Gleichungen Rx = 0 und Ry = 0 nur dann, wenn die Klammeraus-
drücke verschwinden, d.h. wenn die Beziehungen
yB yC
= (E.7)
xB xC
gelten. Damit dürfen die drei Bezugspunkte A, B, C in Abb. 5.25 nicht auf einer Geraden liegen, was die
Aussage von Regel (5.28.5) ist.
446 15 Anhang

F Anhang zu Kraftsystemen im Raum

F.1 Beweis des Verschiebungsgesetzes (6.18.1) für Drehmomentenvektoren


Zum Beweis des Verschiebungsgesetz (6.18.1) für Drehmomentenvektoren im Raum nutzen wir das Ver-
schiebungsgesetz (5.6), wonach ein Kräftepaar und somit auch der zugehörige Drehmomentenvektor in seiner
Wirkungsebene beliebig verschoben werden kann. Es bleibt also zu zeigen, dass der Momentenvektor auch
senkrecht zur Wirkungsebene verschoben werden kann.

a) b) c)
E' F' -F' E' -F
z y a a
x M ' -F'' F'' M' F
wR wR
-F -F M '' R M '' -R
a = =
E F E F
Abb. C.6. Verschiebung eines Kräftepaares senkrecht zu seiner Wirkungsebene: a) Kräftepaar in E , b) Ein-
führung von zwei Gleichgewichtsgruppen in E  , c) Kräftepaar in E 

Wir betrachten dazu in Abb. C.6.a ein Kräftepaar (F, a, −F) in einer Ebene E . Nach dem Gleichgewichts-

axiom (3.1) bringen wir in Abb. C.6.b zwei Gleichgewichtsgruppen (F , −F ) und (F , −F ) mit Abstand a in
einer zu E parallelen Ebene E  an. Dabei haben alle Kräfte den gleichen Betrag F . Die gleichgerichteten Kräfte
F und F spannen eine Ebene auf, deren Resultierende R nach den Gleichungen (5.2) mit gleicher Richtung
in der Mitte der beiden Kräfte auf einer Wirkungslinie wR durch einen Punkt M  verläuft. In gleicher Weise
erzeugen −F und −F eine Resultierende −R durch einen Punkt M  , der ebenfalls auf der Wirkungslinie
wR liegt. Damit bilden R und −R nach dem Gleichgewichtsaxiom (3.1) eine Gleichgewichtsgruppe. Somit
verbleibt in Abb. C.6.c ein Kräftepaar (F , a, −F ) = (F, a, −F) in einer zu E parallelen Ebene E  . Da nach dem
Verschiebungsgesetz (5.6) ein Kräftepaar in der Ebene verschoben werden kann, ist mit den Ergebnissen dieses
Abschnittes auch die Verschiebung im Raum beliebig. Damit ist der Drehmomentenvektor ein freier Vektor, vgl.
Abschnitt C.

F.2 Beweis des Reduktionsgesetzes (6.18.2) für Drehmomentenvektoren


In diesem Abschnitt wird das Reduktionsgesetz (6.18.2) für Drehmomentenvektoren im Raum bewiesen, welches
besagt, dass Momentenvektoren vektoriell addiert werden können. Dazu beschränken wir uns zunächst auf den
Fall mit zwei Momentenvektoren.

a) b) c)
a
a E1 E1
E2 E1 E2 -R E2 -R
z y
-F2 -F1 M1
B = =
x MR
A F'1 A A
g -F'1 -F'2 g F2 g
F1
R M2 R
a'1 a'2 E3
F'2
Abb. C.7. Addition von zwei Momentenvektoren: a) Kräftepaare in ihren Wirkungsebenen E1 und E2 , b) Resul-
tierende, c) Vektoraddition von Kräfte- und Momentenvektoren in der Ebene E3
F Anhang zu Kraftsystemen im Raum 447

Wir betrachten in Abb. C.7 zwei Kräftepaare (F1 , a1 , −F1 ), (F2 , a2 , −F2 ) in zwei beliebig zueinander
geneigten Ebenen E1 und E2 . Nach dem Aquivalenzgesetz für Momente (5.8) können wir beide Kräftepaare
durch zwei Kräftepaare (F1 , a, −F1 ), (F2 , a, −F2 ) äquivalent ersetzen. Dabei ist der Abstand der Kräfte jeweils
gleich a und die Kräfte greifen in ihrer Ebene senkrecht zur Schnittlinie g der beiden Ebenen an. Wir können in
Abb. C.7.b also von zwei Kräftepaaren (F1 , a, −F1 ), (F2 , a, −F2 ) mit den Momenten M1 = F1 a, M2 = F2 a
ausgehen. Nach Definition (6.15) sind diesen Momenten zwei Momentenvektoren M1 und M2 zugeordnet, deren
Längen nach Gl.(6.16) den Längen der Kraftvektoren F1 und F2 proportional sind. Zusätzlich spannen M1 und
M2 ein Momentenparallelogramm in der Ebene E3 auf, welche senkrecht zu den Ebenen E1 und E2 ist.
Im Punkt A bestimmen wir nach dem Parallelogrammaxiom (3.7) die Resultierende R der Kräfte F1 , F2 .
In gleicher Weise wird im Punkt B mit den Vektoren −F1 , −F2 eine Resultierende −R in einer zu E3 paral-
lelen Ebene erhalten. Damit bilden R und −R ein Kräftepaar mit dem Abstand a und dem Moment MR a. Der
zugehörige Momentenvektor MR liegt ebenfalls in der Ebene E3 .
Zur Beantwortung der Frage, ob sich der Momentenvektor MR durch Vektoraddition von M1 und M2 be-
stimmen lässt, betrachten wir die Kräfte- und Momentenvektoren in der Ebene E3 in Abb. C.7.c. Da die Seiten
des Kräfte- und des Momentenparallelogramms wegen des Proportionalitätsfaktors a geometrisch ähnlich sind
und paarweise aufeinander senkrecht stehen, sind beide Parallelogramme geometrisch ähnlich und gegeneinan-
der um 90o verdreht. Somit stehen auch ihre Diagonalen R und MR senkrecht aufeinander, womit die Richtung
von MR bestimmt ist. Auf Grund der Proportionalität beider Parallelogramme ist Ra die Länge der Diagonalen
in dem Momentenparallelogramm, womit der Betrag von MR bestimmt ist. Damit gilt für die Vektoraddition
M1 + M2 = M2 + M1 = MR , was das Kommutativgesetz (C.1.2) einschließt. Diese Beziehung kann auf
beliebig viele Kräftepaare, deren Wirkungsebenen sich im Raum schneiden, erweitert werden, womit das Reduk-
tionsgesetz (6.18.2) bewiesen ist.

F.3 Beweise zu den Regeln (6.29) des axialen Momentenvektors


Beweis zu Regel (6.29.1): Mit den Ortsvektoren
rA und rB betrachten wir in Abb. C.8 die po- M(A) =rA F
laren Momente bzgl. der Punkte A und B auf einer
F
Achse g: g
M(A) = rA × F, M(B) = rB × F. (F.1) M(B)
M (A)
g rA =rB F
Der zur Achse g parallele Basisvektor eg kann auch
eg
A rB
durch rA und rB dargestellt werden: M(A)
.e g
z
rB − rA y M (B)
eg = . (F.2)
||rB − rA || B
x M (B)
. eg
Wir berechnen das axiale Moment mit dem polaren
Momentenvektor bzgl. A nach Definition (6.28). Abb.C.8 Axialer Momentenvektor als
Mit den Regeln (C.7.2) und (C.7.3) für das Spat- liniengebundener Vektor
produkt sowie Berücksichtigung von (rA × F) · rA
= 0 = (rB × F) · rB gilt:
(A) eg
Mg = (M(A) · eg )eg = ((rA × F) · (rB − rA ))
||rB − rA ||
eg
= ((rA × F) · rB − (rA × F) · rA ))
||rB − rA ||
(F.3)
eg
= (−(rB × F) · rA + (rB × F) · rB ))
||rB − rA ||
eg
= ((rB × F) · (rB − rA )) = (M(B) · eg )eg = M(B)
g ,
||rB − rA ||
d.h. man erhält das axiale Moment mit dem polaren Momentenvektor bzgl. B. Da beide axialen Momente gleich
sind, ist der axiale Momentenvektor der Kraft nur von der Lage der Bezugsachse g im Raum abhängig und somit
ein liniengebundener (d.h. kein freier) Vektor.
448 15 Anhang

Beweis zu Regel (6.29.2): Wir bestimmen (A)


in Abb. C.9 das axiale Moment bezüglich des M =rA F w
Schnittpunktes S. Der Ortsvektor rS zum Angriffs- F
punkt der Kraft ist parallel zu F, so dass das polare g
Moment rS × F und damit auch das axiale Moment
verschwinden. Da das axiale Moment nach Regel
(F.3.1) entlang seiner Achse verschoben werden z y eg rA rS
kann, verschwindet es auch bzgl. weiterer Punkte A (S)
auf der Achse g. x S M =rS F=0

Abb.C.9 Axiale Momentenvektoren:


Kraft schneidet Achse
Beweis zu Regel (6.29.3): Sind wie in Abb. C.10
Wirkungslinie der Kraft und Bezugsachse g paral- w
lel, dann läßt sich der Kraftvektor in die Form F F
= F eg bringen. Aus Regel (C.7.3) für das Spatpro- g
dukt von linear abhängigen Vektoren folgt dann:

Mg = (M(A) · eg )eg = (rA × F) · eg )eg


eg
z A
y
= (rA × F eg ) · eg )eg = 0.
x
Damit hat eine Kraft bzgl. einer zur Kraftrichtung
parallelen Achse kein axiales Moment. Abb.C.10 Axiale Momentenvektoren:
Kraft ist parallel zur Achse

E Lösungen zu den Aufgaben

Lösungen zu Kapitel 2: Grundbegriffe


2.1 F = m · a = 2500 kN 2.2 R = 2.218, 97 kN, q0 = 231.142, 7 N m
2.3 FBein = 43, 72 kN, p = 485, 78 kN m2 2.4 p = H · γ = 294, 3N m2
2.5 eges = eah + eah,p = 40, 04 kN m2 + 151, 2 kN m2 = 191, 24 kN m2
2.6 1. q = 14 kN m, 2. q = 7, 6 kN m 2.7 1. p = 116, 31 bar, 2. F = 32, 89 kN
2.8 p = 32.396, 54 kN/1, 92 m2 = 16, 87kN/m2
2.9 CD-Spieler: u = w = 0, v = 0, ϕx = ϕy = ϕz = 0, Tür: u = v = w = 0, ϕx = ϕz = 0, ϕy = 0,
Dusche: u = v = w = 0, ϕx = ϕz = ϕy = 0 2.10 Kolben: u = v = 0, w = 0, ϕx =
ϕy = ϕz = 0, Tragwerk: u = v = w = 0, ϕx = ϕz = ϕy = 0, Balkon: u = v = w = 0, ϕx =
ϕz = ϕy = 0 2.11 Stehlampe: u = v = w = 0, ϕy = ϕz = 0, ϕy = 0, Kardangelenk:
u = v = w = 0, ϕx = 0, ϕz = ϕy = 0

Lösungen zu Kapitel 3: Axiome


3.1 R = 46, 48N, β = 86, 35o 3.2 R = 11, 05N, α = 125o 3.3 a = b
o
3.4 R = 1078N, β = γ = 41, 43 3.5 1. G = 2, 465, 72 kN, 2. G = 2.465, 72 kN
3.7 Beide sind gleich groß, das Verhältnis ist unabhängig vom Teilchenabstand. 3.8 c = 673, 62 Nm
3.9 1. I = 5142, 86 A, 2. I = 5938, 46 A 3.10 α = arctan (2/3) = 33, 69o

Lösungen zu Kapitel 4: Zentrale Kraftsysteme in der Ebene


4.2 R = 76 N, αR = 78o 4.3 S = 0, 93 · mR g, n = 0, 83 · mR g
4.6 n = S = 0, 6 · GR 4.7 α1 = 60o , α2 = 45o 4.8 S1 = 0, 5 · GK = 2, 35 · GK
4.9 X-Y: G = −eY · 14715 N, x-y: G = −ey · 14715 N · cos 30◦ + ex · 14715 N · sin 30◦
E Lösungen zu den Aufgaben 449

4.10 n = 0, 9 · GR , nK = 0, 5GR 4.11 1. A = 1, 5 · F, B = 0, 9 · F , 2. α = 90o


o o
4.12 1. α = 60 , β = 30 , 2. S =√0, 867 · Gs , A = 0, 533 · Gs 4.13 α = 50o , β = 40o
4.14 N11 = 5 N, N12 = 3 N, N21 = 2 · 3 N, N2 = 3 N
4.15 1. FK = 1, 13 · GH , α = 42o 2. GK = GH /(sin α)
4.16 A = 700N, B = 1500N 4.17 A = 1, 167 · GK , B = 1, 67 · GK
4.19 R = 76 N 4.20 S = 0, 54 GR , N = 0, 577 GR 4.21 S = 0, 92 GR , N = −0, 82R
1 − sin β 0, 5 · sin α + 1
4.22 α1 = 61, 04o , α2 = 43, 43o 4.23 S1 = G · , S2 = G ·
sin α + tan α · sin β cos β · tan α + sin β
4.24 Wegen r = 1 ist die notwendige Bedingung für statische Bestimmtheit nicht erfüllt.
4.25 1. Wegen Reibungsfreiheit der Umlenkrolle: FSeil = 15 kN, F1 = −8, 61 kN, F2 = −17, 86 kN
2. FSeil ist positiv → Zug, F1 und F2 sind negativ → Druck

Lösungen zu Kapitel 5: Nichtzentrale Kraftsysteme


(Z) (M )
5.1 1. MR = 21, 7 Nm 5.2 MR = 21, 65 Nm 5.3 M = 0, 83 Nm 5.4 a = 0, 9 m
5.5 M (A) (β1 = 90o ) = 0 Nm, M (A) (β2 = 12o ) = 97, 82 Nm, M (A) (β3 = 0o ) = 100 Nm
5.6 M (A) = 78, 25 Nm 5.7 M (A) = 9320 Nm 5.8 a = 0, 36 m 5.9 m3 = 1, 75 m
(A) (B)
5.10 M = 2580 kNm, M = 2520 kNm 5.11 1. MR = −0, 5 Nm, 2. F = MR /l = −1/24 N
5.12 F1 = 10 kN, F2 = −4 kN 5.13 a = 5, 833 m
(A)
5.14 a) 1. R = 7, 156 kN, αR = 59, 65o , MR = 8, 427 kNm 2. y = 1, 7 · x − 1, 21 m
o (A)
b) 1. R = 8, 427 kN, αR = −33 , MR = −15, 04 kNm 2. y = −0, 65 · x + 2, 13 m
(A) (A)
5.16 a) 1. R = 12 kN, MR = −1, 3 kNm 2. Dyname b) 1. R = 1 kN, MR = 2, 1 kNm 2. Dyname
⎡ ⎤
01 − sin α
5.17 1. Ax = −6 kN, Ay = 0 kN, Bx = 6 kN 3. A = ⎣ 1 0 − cos α ⎦ , α = 45o
0 0 − cos α · 2l + sin α · 2l
4. F=12; l=3; alpha = 0; alpha = 40*pi/180; beta = 20*pi/180;
ca = cos(alpha); sa = sin(alpha);
Amat1 = [ 0 1 - sa; 1 0 -ca; 0 0 -ca*2*l+sa*2*l];
bmat1 = [0; -F; - F*l]; xmat1 = inv(Amat1)*bmat1
5.18 1. B = 4 kN/m · x, A = 12 kN − 4 kN/m · x 2. A(x = 1, 5m) = 6 kN, B(x = 1, 5m) =
6 kN, A(x = 0, 75m) = 9 kN, B(x = 0, 75m) = 3 kN, A(x = 2m) = 4 kN, B(x = 2m) =
8 kN, A(x = 2, 25m) = 3 kN, B(x = 2, 25m) = 9 kN
(A)
5.19 1. Rx = 0, Ry = 0, MR = −15 Nm, 2. Reduktion auf Kräftepaar. 3. Ax = 0 N, Ay =
−1, 67 N, By = 1, 67 N 5.20 x = 10, 039 mm
⎡ ⎤
5.21 A = 3, 43 kN, B = 6, 57 kN 0 1 0
5.23 1. Ax = 0, 87 N, Ay = 3 N, Bx = 0, 87 N 2. x = 1, 45 cm 3. A = ⎣ 0 0 sin β · l ⎦ , α = 0
−1 0 1
4. G = 3; l=3; beta=60; beta=beta*pi/180;
Amat= [0 1 0; 0 0 sin(beta)*l;-1 0 1]; bmat= [G; G*cos(beta)*l/2; 0];
xmat = inv(Amat)*bmat
5.25 1. A = 1 N, B = 5 N 2. ΔlA = 0, 017 m, ΔlB = 0, 083 m

Lösungen zu Kapitel 6: Raumstatik



T
6.1 1. R = −1, 4, 4 , 2. R = (−1) · ex + 4 · ey + 4 · ez , 3. R + F4 = 0 =⇒ F4 = −R
⎡ ⎤ det(A) = − sin γ · sin β. Die Determinante verschwindet für
0 − sin γ 0
⎣ ⎦ γ = 0 und/oder β = 0. Kräfte senkrecht zur Ebene mit drei
6.2 A= 0 0 − sin β ,
Pfählen werden nicht aufgenommen.
−1 cos γ cos β
6.3 S1 = 2, 29 kN, S2 = S3 = −2, 32 kN 6.4 1. S1 = 30 kN, S2 = 20 kN, S3 = −40 kN,
2. F1 = −30 kN, F2 = −20 kN, F3 = 40 kN, 3. Ausnahmefall
450 15 Anhang
T
6.5 S1 = S2 = −5, 97 kN, S3 = 8, 30 kN, 6.6 1. M = 5, 5; 4; 2, 2 Nm, 2. Mx =
5, 5 Nm, My = 4 Nm, Mz = 2, 2 Nm 3. M AB = FV · b = 5, 5 Nm 6.7 1. M A =
T B
T AB
−90, 0, 0 Nm, M = −90; − 18, 75; − 32, 48 Nm 2. M = −90 Nm + G · 0, 2 m
3. G = 450 N 6.8 Mx = 2, 35 kNm, My = 0, 9 kNm, Mz = −0, 3 kNm
6.9 MR = 1 Nm · ex + 446, 9 Nm · ey + 675 Nm · ez
6.10 1. System ist verschieblich 2. Fx = −20 N, Fy = 0, Fz = −50 N, My = −4 Nm, Mz = 2, 2 Nm
6.11 1. System b, 2. Ax = Az = Cx = Cy = 0, Bz = Cz = F/2, 3. Amat = [-1 0 0 1 0
0; 0 0 0 0 1 0; 0 1 1 0 0 1; 0 10 0 0 0; 0 0 1 0 0 0; 1 0 0 0 0 0],
Bmat = [0; 0; F; 0;0.5*F; 0]
6.12 Ausnahmefall für System a nach Regel (6.41.5) und für System b nach Regel (6.41.4). Kein Ausnahme-
fall für die Systeme c und d

T
T
6.13 1. R = F, 2F, −3F , MA R = 3F a, 4F a, 4F a ,
E

T
T
2. MR = −F a/14 1, 2, −3 , rAE = 1, 428a, − 0, 929a, − 0, 143a ,
3. B2 = 3 · F, A2 = 3 · F, D = 2 · F, A1 = −1, 598 · F, C = 2 · F, B1 = −1, 598 · F
4. F=10; alpha=30; alpha=alpha*pi/180;
Amat=[0 0 0 2*sin(alpha) 0 0; 0 sin(alpha)*2 0 0 0 0; 0 0 0 0 0 1;
1 cos(alpha) 0 0 0 0; 0 0 0 0 1 0; -1 -cos(alpha) -1 -cos(alpha) 0 1];
bmat= [3*F; 3*F; 2*F; F; 2*F; 0]; inv(Amat)*bmat
(A) (A) (A)
6.14 Ax = −150 N, Ay = 0 N, Az = 800 N, Mx = −2, 35 kNm, My = −0, 9 kNm, Mz =
0, 3 kNm

Lösungen zu Kapitel 7: Die Kinematik des Starrkörpers


7.1 1. Δu1 = 0, 01115 m, Δu2 = 0, 1115 m, 2. δu1 = 0, 011151848 m, δu2 = 0, 11339 m, 3. e1 =
0, 0166 %, e1 = 1, 67 % 7.2 2. dϕ = dua /(l · sin α) √
7.3 2. dϕ2 = −dϕ1 3. duB = L · dϕ1 , duC = 2duB 7.4 dϕAB = duC 3/(3 · l)
7.5 Notwendige und hinreichende Bedingung (7.24) überprüfen: a) r=3, w1  w2  w3 → verschieblich,
b) r=2 < 3 → verschieblich, c) r=4 > 3, kinematisch nicht bestimmt 7.6 dϕ1 = 2 · Δs/l
7.7 duC = dϕ2 l2 , dϕ1 = 0 7.9 2. dϕBC = 0, 238838379 · dϕP , 3. dϕS = dϕBC , 4. duK =
17, 32050808 · dϕP mm, 5. duB = 30 · dϕP mm 7.10 du4 = L · dϕ1
7.11 1. dϕ2 = 0, 4 · dϕ1 , 2. duA = duB = 0, 8 · R · dϕ1 7.12 α = β = 45o

Lösungen zu Kapitel 8: Schwerpunkte


8.1 1. xM = L/7, yM = −12 · L/7, zM = 19 · L/7 2. xV = L/4, yV = −3 · L/2, zV = 5 · L/2
8.5 xS = 2, 0625, yS = 2, 9 8.7 xS = 5, 042, yS = 15, 042 8.8 xS = 7, 81 m, yS = −0, 76 m
8.10 1. xL = −1, 359 m, yL = 3, 938 m 2. Ax = 0, Ay = 1303, 3 N, MA = −1883, 13 Nm
8.11 xS = 0, 959, yS = 1, 67, zS = 1, 324
8.12 Fall 1: |q| = b/ cos α(1/2q1 + 1/2q2 ), Richtung: Normal zur Länge b, Lage: von links 2/3 b Fall 2:
|w| = b/ cos α(1/2w1 + 1/2w2 ), Richtung: Normal zur Dachfläche, Entlang der Dachfläche 2/3 · b ·
1/cosα, Fall 3: |n| = b/ cos α(1/2n1 + 1/2n2 ), Richtung: Entlang der Dachfläche, Lage: Auf der
Wirkungslinie der Kräfte
8.13 1. R = 3469, 2 kN/m, MR (A) = 63378kN/m · m 2. M B = 40967, 82 kN/m · m
8.14 xM = 0, yM = 0, 009 · r, zM = (3/4) · r 13.15 m3 > m1 56/3
8.16 1. yS = (4 · R)/(3 · π), 2. yL = 2 · R/π, 3. yS = R/2, 4. yS = (3/8) · R 8.17 zS = 1, 875 m
8.19 1. A = 55, 36 m2 , 2. V = 13, 44 m3 8.20 1. A = 92, 3 m2 , 2. V = 87, 98 m3
2
8.22 1. A = 14256, 55mm 2. V = 83767, 43mm3 8.23 1. A = 23, 4 m2 , 2. V = 7, 52 m3
2 3
8.24 1. A = 92, 3 m , 2. V = 87, 98 m

Lösungen zu Kapitel 9 Tragwerke


9.1 1. a) stat. unbest., b) stat. best, 2. a) Amat = [1 0 1; 0 1 0; 2*a 0] singulär, b) Amat =
[1 0 1; 0 1 0; a 2*a 0] regulär 3. siehe 2.
9.2 Ax = −260 N, Ay = −175 N, By = 325 N, nach oben bzw. rechts
E Lösungen zu den Aufgaben 451

9.3 Ay = 90 N, Bx = 90 N, M (B) = −320 Nm, Kräfte nach oben bzw. links. Moment im Uhrzeigersinn
9.4 1. System 1 ist gem. Polplan und notw. Bed. statisch bestimmt, vgl. auch Regel (9.5.1)
2. Ay = −0, 667 kN, Ax = −0, 7071 kN, By = 1, 3738 kN, Kräfte nach oben bzw. rechts,
3. a=3; b=2; F=1; M=2; Amat=[0 0 3/2*b; 1 0 0; 0 1 1];
bmat=[F/sqrt(2)*a + M; -F/sqrt(2); F/sqrt(2)]; xmat=inv(Amat)*bmat
9.5 System 1: Ay = 44, 92 kN, By = 2, 664 kN, Bx = 160, 28 kN, nach oben bzw. links, Sys-
tem 2: Ax = 160, 28 kN, Ay = 47, 585 kN, MA = 11, 187 Nm, Kräfte nach oben bzw. rechts,
Moment im Gegenuhrzeigersinn
9.6 Ax = 0, Ay = 3188, 25 N, By = 4169, 25 N, Auflagerkräfte nach oben bzw. links
9.7 1. System 1 ist gem. Polplan und notwendiger Bedingung statisch bestimmt, 2. Ay = 46, 02 kN, By =
−40, 36 kN, C = −13, 5 kN, Auflagerkräfte nach oben bzw. links unten
9.8 1. stat. best. nach Regel (9.5.1), 2. Ay = 16, 5 kN, Bx = 4, 5 kN, By = 12 kN
3. Amat=[2*a 0 0; 0 -1 0; 0 0 -2*A],
Bmat=[2*F*a+q*R*2*a;-q*R;-q*R*(a-R/sqrt(2)) +q*R*(a-R/sqrt(2)) -2*F*a]
9.9 1. System 1 ist gem. Polplan und notwendiger Bedingung statisch bestimmt, 2. Ax = 29, 167 N, By =
−19, 167 N, C = 41, 25 N, Kräfte nach oben, rechts bzw. links oben
3. a=2; F=10; M=5; q=10; R=1/2*q*sqrt(2)*a
Amat=[1 0 -1/sqrt(2); 0 1 1/sqrt(2); 0 0 a/sqrt(2)]
bmat=[R/sqrt(2) - F; R/sqrt(2); -F*a + 1/2*q*11/3*aˆ2 + M]
xmat=inv(Amat)*bmat
9.10 1. R = 192 kN 2. q̄DL = 9, 6kN/m 3. q̄GL = 11, 56kN/m 4. Ay = By = 96kN
9.11 1. a) stat. unbrauchbar, b) stat. best. 2. a) a=1; Amat=[1 0 0 0 1 0; 0 1 0 0 0 1; 0 0
0 0 0 -a; 1 0 1 0 0 0; 0 1 0 1 0 0; 0 0 0 -2*a 0 0]; detA = det(Amat)
b) Bmat = [1 0 0 0 1 0; 0 1 0 0 0 1; 0 0 0 0 -a -a;
1 0 1 0 0 0; 0 1 0 1 0 0; 0 0 -a -2*a 0 0]; detB = det(Bmat)
9.12 1. f = 3·2−(4+2) = 0; Aus dem Polplan ergibt sich ein Widerspruch → System ist statisch bestimmt,
2. Ax = −33, 3 N, Ay = 33, 3 N, Bx = 33, 3 N, By = −33, 3 N, S3 = 0 N, S4 = 47, 1 N, wobei
S3 die Kraft im linken und S4 die Kraft im rechten Pendelstab darstellt.
9.13 1. System 1 (links) 2. Ay = −25 kN, By = 95, Cy = 20 kN 3.Amat = [0 0 0 0 0 -3*l; 0
0 0 1 0 0; 0 0 0 0 1 1; 0 0 -4*l 0 6*l 0; 1 0 0 0 0 0; 0 1 1 0 -1 0],
Bmat = [-1/2*l*l*q; 0 ; 1/2*q*l; M - F*5*l; 0; F]
9.14 1. System 3 ist gem. Polplan und notwendiger Bedingung statisch bestimmt
2. Ax = Cx = 45, 9 N, Ay = Cy = 79, 23 N, Bx = −170, 6 N, By = 45, 77 N
3. F1=60; F2=90; M=20; l=2; alpha=30; alpha=alpha*pi/180;
beta=beta*pi/180; sa=sin(alpha); ca=cos(alpha);
Amat=[-2*l 0 0 0 0 0; 0 1 0 0 0 -1; 1 0 -1 0 0 0;
0 0 0 1 0 1; 1 0 0 0 -1 0; 0 0 l 0 0 l];
bmat=[F1/sqrt(2)*l;F1/sqrt(2);F2*ca-F1/sqrt(2);
F2*sa;-F1/sqrt(2);-M+F2*sa*l*0.5]; xmat=inv(Amat)*bmat
9.15 1. statisch bestimmt nach Regel (9.7), 2. Ax = −Cx = 7, 5 kN, Ay = Cy = −2, 46 kN, Bx =
11, 7 kN, By = 15, 74 kN, Kräfte in A und B nach oben bzw. rechts
9.16 1. System d) 2. Ax = −589, 2 N, Ay = 2744, 1 N, Bx = 589, 2 N, By = 4613, 4 N, Cx =
589, 2 N, Cy = −2744, 1 N 3. Amat=[-3*l 3*l 0 0 0 0; 0 1 0 0 0 1; 1 0 0 0 1
0; 0 0 -2*l -2*l 0 0; 0 0 0 1 0 -1; 0 0 1 0 -1 0], Bmat = Fmat= [M;0;
0; -F*2*l/sqrt(2);F;0]
9.17 1. f = 3 · 3 − (5 + 4) = 0, Widerspruch im Polplan → System ist statisch bestimmt. 2. Ax =
(3/4) · G, Ay = (1/8) · G, Bx = −(3/4) · G, By = G, Cx = G, Cy = G, G1 = G2 = (7/4) · G
9.18 1. Ax = −Cx = 79, 62 kN, Ay = 107 kN, Bx = 79, 62 kN, By = 107 kN, Cy = 0, Kräfte
in A und Gelenkkräfte im linken Teilsystem nach rechts bzw. oben, in B nach links bzw. nach oben
2. R=107; l=16.6; alpha = 33.9; alpha = alpha*pi/180; ta=tan(alpha)
Amat = [ 1 0 0 0 1 0; 0 1 0 0 0 1; 1 0 -1 0 0 0;
0 0 0 -2*l 0 0; 0 0 0 0 l*ta -l; 0 1 0 1 0 0];
bmat = [ 0; R; 0; -2*l*R; -0.5*l*R; 2*R]; inv(Amat)*bmat
9.19 Ax = −170 N, Ay = −20 N, Az = −320 N, MAx = −90 Nm, MAy = 1040 Nm, MAz = 450 Nm
9.21 Ax = 0, Ay = F, Az = (5/4) · F, Bx = −2 · F, Bz = (3/4) · F, Cz = −F
452 15 Anhang

9.22 Ax = −200 N, Ay = 66, 7 N, Az = −100 N, By = 33, 3 N, Bz = −200 N, Cy = 0 N


9.23 Ax = 12, 88 kN, Ay = −4, 44 kN, Az = −22, 5 kN, By = 6, 56 kN, Cz = 22, 5 kN, Dy = 11 kN
9.24 Ax = −230 N, Ay = −101, 67 N, Az = −420 N, Bx = −370 N, Cy = −183, 33 N, Dy = 35 N

Lösungen zu Kapitel 10: Fachwerke


10.1 1. a) f =2·6−(3+8) = 1 → stat. unbest. b) f =2·5−(3+7) = 0 → stat. best. c) f =2·6−(4+8) =
0 →, nach notw. Bed. stat. best., nach Bildungsgesetzen liegt Ausnahmefall vor → System statisch
unbrauchbar d) f = 2 · 6 − (3 + 9) = 0 → stat. best. 2. siehe 1. 3. siehe 1. 4. Koord = [ 0 0;
1 1; 2 0; 3 1; 4 0]; Staebe = [ 1 2; 1 3; 2 4; 2 3; 3 4; 3 5; 4 5];
Lasten = [3 0 3; 4 1 0]; kinBin = [1 1 1; 5 0 1];
10.2 1. Aufbau nach erstem Bildungsgesetz aus Dreiecken → stat. bestimmter Dreigelenkbogen 2. S1 =
−10 kN, S2 = −44, 72 kN, S3 = 20 kN, S4 = −14, 14 kN, S5 = 30 kN, S6 = −23, 18 kN, S7 =
S8 = 30 kN, S9 = 29, 57 kN 3. siehe 2. 10.3 S1 = −59, 42 N, S2 = S3 = −918, 28 N
10.4 1. Aufbau nach erstem Bildungsgesetz aus Dreiecken → stat. best. 2. S2 = 79, 52 kN, S3 =
−80 kN, S4 = 150 kN, S5 = −80 kN, S6 = −169, 53 kN
10.5 1. Nach dem zweiten Bildungsgesetz statisch bestimmt, 2. S1 = 5kN, S2 = S6 = 0, S3 = S5 =
S8 = −14, 142 kN, S4 = 11, 18 kN, S7 = 5 kN, S9 = 10 kN 3. siehe 2. 4. Koord = [0 0; 4
0; 2 2; 3 1; 0 4; 4 2]; Staebe = [ 1 5; 1 3; 3 5; 5 6; 3 4; 4 6; 2 6; 2
4; 1 2]; Lasten = [6 10 0]; kinBin = [1 1 1; 2 0 1];
10.7 1. f = 2 · 12 − (3 + 21) = 0 → Aufbau nach erstem Bildungsgesetz aus Dreiecken → stat. best.,
2. S7 = S8 = S16 = 0, Regel (10.12.3) für Nullstäbe, S20 = 0, Regel (10.12.2), 3. Ax =
200 N, Ay = −600 N, By = 1000 N, 4. S3 = −100 N, 5. S1 = 200 N (Zug), S2 =
141, 42 N (Druck), S4 = 200 N (Zug)

Lösungen zu Kapitel 11: Werkzeuge und Maschinen


11.1 1. H = FL 3/2 2. Hx = |FL · (2 · cos(30o 9) − 3)|, Hy = |FL · (−2 · sin(30o ) − 1)|,
Zentrallinie: y = 1, 577 · x − 3, 366 · a 11.2 1. FH = 60 N 2. iF = 6 3. iV = 16
11.4 2. fin = 3 · 3 − (3 + 6) = 0 3. iF = 2, 73 5. iV = 2/11 11.5 1. FA = 400 N
2. iF = 8, iV = 1/8 11.6 Bauweise ist nicht geeignet, da sich Zange öffnet
11.8 1. iF = 1/4, 2. iV = 4 11.10 1. iF = 1/4 2. iV = 4
11.11 S = 400 N 11.12 1. S3 = −6719, 37 kN (auf Zug) 2. duL /duH = 1, 265
11.13 1. System 2 ist geeignet, 2. H1 = −F · 1/tan(α), H3 = (7/2) · F · cos(α)
11.14 1. ΔuD = 1mm 2. Mindestkraft = 32 N, 11.15 1. Z = 7, 5 kN, 2. duG = 18, 75 mm
11.19 iM = (r2 /r1 ) · r4 /r3 ...r2·(n−1) /r2·(n−1)−1 in = r1 /r2 · (r3 /r4 )...r2·(n−1)−1 /r2·(n−1) = 1/iM
11.16 1. FP = 300 N, 2. zwischen r1 und r2 : iM = 1, iF = 2, iV = 1/2 zwischen r2 und r3 :
iM = 1, 4, iF = 1, iV = 1 zwischen r3 und r4 : iM = 1, iF = 3, iV = 1/3, 3. n4 = 7, 5 min−1
11.17 1. iM = 4/3, 2. nS = 4800 min−1 , 3. nG = 2400 min−1
11.18 Ay = −142, 857 kN, Az = 30, 677 kN, Bx = −72, 949 kN, By = −114, 28 kN, Bz =
30, 677 kN 11.19 1. r4 = 5, 6 cm, 2. n6 = 250 min−1

Lösungen zu Kapitel 12: Schnittgrößen


12.3 a a a 12.4
2 2
F F F Fl
N √2 + 4 4 + 12

0,854 F

0,146 F
Q l N Q M

0,927 Fa
0,854 Fa l
2
M +

0,073 Fa
E Lösungen zu den Aufgaben 453

12.5 1 qa
qa 5 qa 5 qa 6 qa2
6 6 qa
a 0,37 qa
quadratisch kubisch
+
1,248 qa
a
+ +
N 0,555 qa Q M
a

12.6 12.8 πRq 1 12.10


2 ¬ 45,91
√2 88,48
N
N
¬ 45,77
F √2 πR q [N] +
2 F N 4
F
2 45,66
2 ¬ ¬
Q + √2 πR q √2 πR q
¬ 79,23
8 √2 πR q 8
23,57
8 +
F + 79,37
2 ¬ Q
F π R q 1 -√2 πR q +
2 √¬
Q 170,6
3 2 8 [N]
Fl 4F l ¬
2
Fl √2 πR q 0
M + 2 182,86
4
+ 50 +
M
l ¬ ¬ 2 2l
√2
πR q - √2 πR q
2 +
l l l M [Nm] 50
2 2 8 4
0 0 l
3l 2l

12.12 12.13 12.17


l l
10 21,67
+
a a a a
N + 16
7 + 56
10
[N ] N
N Mx
+
2q0 a +q0 2a
π q0 2a [Ν]
+
[Νm]
+
b
41,67 10 + π + q0 a 8
linear +
136
linear 10 c
41,67 Q
+ 21,67 + cos
16
2
10
4q0 a 2+ 4 q0 a a2 Qy My 56
Q quadratisch π + 4 q0 π 2 7 [Νm] 80
+
2 2 2 [Ν]
[N ] 15 linear 2q 0a +q 2a +q 4a
0 π
+
quadratisch M 0
π 2 156
21,67 quadratisch + 8 56
sin
10 10 + + Qz
+
quadratisch Mz
2 +
40 23,34 1 q0 a 2+ 4a [Ν] [Νm] 56
2 π 2
10
+ +
kubisch
M
[Nm ]
kubisch
linear
0
0
43,33
454 15 Anhang

12.19 35,78 33,74


7,5 5,46 2,73
7,5 19,6
5,46 18,74 9,8 kN

l N Q M
7,5 +
[kN] [kN] [kNm]
+ +
7,5
l
l l
2 2

12.20 q q

F F
F F

Lösungen zu Kapitel 13: Reibung


13.1 1. H = 10 N, N = 100 N, 2. H ∗ = 30 N, 13.2 1. H = 3, 42 kN, 2. α∗ = 26, 57o ,
13.3 1. F = G·(sin α + μG cos α)/(μG sin β + cos β) 2. F = −G·(sin α − μG cos α)/(μG sin β − cos β)
13.4 β = 1, 718o 13.5 h = 23, 4 m 13.6 1. G2 = 352, 13 N 2. H1 = 150 N 13.7 G3 = 153, 7 N
13.8 1. v = 16, 73 m/s, 2. v = 5, 292 m/s, 13.9 F = 1711, 6 kN 13.10 1. α = 19, 51o 2. a∗ = 35o
13.11 H = 20847, 32 N 13.12 2. β = 86, 56o 13.13 a = 14, 76 cm 13.14 α = 35o
13.15 P = 1174, 062N 13.16 Lager A: Ein Keil notwendig, Lager B: Zwei Keile notwendig
2
13.17 Der Traktor schafft es nicht. R = 19, 125 kN 13.18 ηges = ηLR · ηF2 R
μH (α1 +α2 )
13.20 x = (G·a−((G + F )·l)/(1 + e ))/F 13.21 MB = 60, 23 Nm, MC = 396, 65 Nm
13.22 1. Ax = 11, 15 N, Ay = 114, 9 N, Bx =11, 15 N, By =54, 9 N, MB =16, 47 Nm, 2. M =4, 68 Nm

Lösungen zu Kapitel 14: Arbeit, Potenzial und Stabilität


14.1 1. WGI,II
2
= −G2 · sin α · h 2. WNI,II = 0 3. WRI,II = −μG · G2 cos α · h
I,II I,II
14.2 WF = 0, 3 Nm, WM = 0, 32 Nm 14.3 WZI,II = 30 Nm, WGI,II = −30 Nm
14.4 1. n1 = 5, 63, n2 = 3, 18 2. FK = 157 N, 3. WFI,IIK
= 2000 Nm 4. WGI,II = −2000 Nm
14.5 siehe Aufg. 4.7 14.6 siehe Aufg. 4.15 14.7 siehe Aufg. 4.16 14.8 siehe Aufg. 11.14
14.9 siehe Aufg. 11.16 14.10 siehe Aufg. 9.5
14.11 1. siehe Aufg. 9.12 2. MD = −33, 3 Nm siehe Aufg. 9.17 14.13 Cx = 1 kN, Cy = 1, 167 kN
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Index

Übersetzung, 299, 300 Bezugspunkt, 116, 225


von Drehwinkeln, 298 Bodenpressung, 25
Übertragungsfaktoren, 291, 298, 300
CAD, 254
Arbeit, 399 Coulomb, 45
in kartesischen Koordinaten, 402 -sche Kraft, 22, 45, 46
Nutz-, 401 das Gleitreibungsgesetz von, 372
Verlust-, 401 das Haftreibungsgesetz von, 371
virtuelle, 407
von Reibungskräften, 401 Da Vinci, 2
Wegintegral, 400 Dachbinder, 19, 235, 249
Arbeitsdifferenzial, 402, 404 Descartes, 73
Archimedes, 3, 292 Determinante, siehe numerische Methoden
Hebelgesetz von, 96, 292 Dimensionierung, siehe Bemessung
Aristoteles, 3, 14 Drehmoment, siehe Kräftepaar
Auflagerreaktionen Drehzahl, 299
direkte Berechnung, 116, 153 Drei-Kräfte-Regel, 68, 377
Ausnahmefall, 8, 28, 87, 90, 123, 125, 136, 154, 157, Dreigelenkbogen, 239, 263
225, 227, 232, 243, 244, 250, 443 Durchlaufträger, 243
der Statik, 87, 123, 226, 231, 236, 250, 285 Dyname, siehe Grundaufgaben
numerische Methoden, 157, 232
Axiales Moment, 146 Einheit
Axiom Arbeit, 401
Gleichgewichts-, 37 Joule, 401
vom Kräfteparallelogramm, 37, 60, 132 Einheitsvektor, 440
Wechselwirkungs-, 41 Elastostatik, 260
Erdbeschleunigung, 14
Bahn, 161 Erddruck, 24, 128, 215, 216, 365
-komponente, 400 Erstarrungsprinzip, 20
Kreis-, 162 Euler, 4, 20
Balkentragwerke, 331 -Winkel, 320
Basisdarstellung, 74, 81, 132, 137, 143, 402 -sches Schnittprinzip, 20
Belastung, 17 Existenz von Lösungen, 66
Bemessung, 258, 277, 330, 332
Bewegung, 161, 162 Fachwerk, 255, 261
finite, 161 -stab, 262
gleichförmige, 38, 286, 299, 317 Bildungsgesetze, 261, 263
infinitesimale, 162 Eigengewicht, 258
Bezugsachse, 145, 152, 225 einfaches, 256

R. Mahnken, Lehrbuch der Technischen Mechanik – Statik,


DOI 10.1007/978-3-642-21711-1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
458 Index

ideales, 258 Verschiebungsfigur eines Starrkörpers, 165


kinematisches Abzählkriterium, 264, 266 Grundaufgaben der Starrkörperstatik, 60, 85, 121, 155
nichteinfaches, 256 für nichtzentrale Kraftsysteme im Raum, 148
reales, 258 für nichtzentrale Kraftsysteme in der Ebene, 109
statische Bestimmtheit, 259 für zentrale Kraftsysteme im Raum, 132
Feder, 49 für zentrale Kraftsysteme in der Ebene, 60
-konstante, 49 Gleichgewicht, 62, 82, 114, 134, 152
Dreh-, 327, 423 Reduktion, 60, 81, 109, 110, 132, 148, 149, 287
-kraft Zerlegung, 72, 84, 118, 136, 154
Potenzialfunktion der, 426
Schrauben-, 49 Haltekraft, 286, 287
Festigkeitslehre, 5, 19 Hangabtriebskraft, 77
Flächenmittelpunkt, 189 Hebel, 287, 290, 297
Flächenpressung, 24, 128, 215, 216, 317, 365 -arm, 104, 111, 116, 118, 143, 144, 146
Flaschenzug, 311–314 -gesetz, 96
Differenzial-, 312, 314 homogener Körper, 188
Faktoren-, 312 Hooke, 49
Potenz-, 312, 313, 315
freier Fall, 14 Idealisierung, 17, 19, 26, 51, 95, 224, 258, 284, 330
Freikörperbild, 20
Joule, 401
Freischneiden
der Auflagerkräfte, 20 Körper, 5
der inneren Kräfte, 20 fester, 5
glatter, 51
Galilei, 2, 4, 14 homogener, 189
Gelenk, 30, 33, 34 starrer, 5, 26
Gerber-Träger, 242, 244, 247, 347, 416 kartesische Koordinaten, 73, 131
Geschwindigkeit, 292 axiales Moment, 145, 146
Getriebe, 297, 299, 303 polares Moment, 105, 144
Übersetzung, 300 Kegelrad, 319, 320
Gewichtskraft Kepler, 4
Potenzialfunktion der, 426 Ketten, 51
Gewinde, 381 kinematische Bestimmtheit, 173–175
glatter Körper, 51 kinematische Betrachtungsweise, 175, 284
Gleichgewicht, 37 kinematische Bindungen, 27, 98, 100
-saxiom, 37 Knotenpunktverfahren
-sgruppe, 38, 39, 96, 99 numerisch, 271
bei Gleitreibung, 370 rechnerisch, 270
nicht beschleunigte Körper, 38 zeichnerisch, 268
von drei Kräften, 68 Kommutativgesetz, 43
Gleichgewichtsbedingungen, 63 Komponenten, 72
skalare, 83, 114, 152 Koordinaten
statisch äquivalente, 116 generalisierte, 420
Gleichtgewichtslage, 431 kartesische, 192
indifferente, 431 Polar-, 192, 429
instabile, 431 Kräftearten
stabile, 431 Vergleich verschiedener, 44
goldene Regel der Mechanik, 292, 314, 397 Kräftepaar, 103, 142
grafo-analytisch, 43, 54, 161, 164, 167, 168, 171 Definition, 97, 98
Gravitation, 20, 22, 41, 44, 45, 56 Drehmoment, 98
Grenzhaftreibungskraft, 379, 381 Eigenschaften, 100
Grundaufgaben der Starrkörperkinematik, 164 Gleichgewicht, 102
Momentanpol eines Starrkörpers, 166 Momentenvektor, 139
Polplan eines mehrteiligen Systems, 169 polares Moment, 144
Index 459

Reduktion, 97, 444 Lageparameter, 420


Reduktionsgesetz, 101 Lageplan, 41, 43, 439
Verschiebungsgesetz, 99 Lager, 27
Kräfteplan, 41, 43, 439 -symbole, 30, 32, 34, 340, 351
Kräftepolygon, 42, 61, 63–65, 132 Punkt-, 32
Kraft, 13 Last
-komponente, 400 Flächen-, 19
äußere, 22 Schnee-, 17
Antriebs-, 13 Strecken-, 18, 19, 202, 203
Bindungs-, 20 Wind-, 17, 24
eingeprägte, 20, 22 Winddruck, 17, 24
elektrische, 13, 17, 44 Windsog, 17, 24
Feder-, 13, 44 Lastermittlung, 17, 19, 24, 330
Fern-, 22, 41 Einzellasten, 17
Flächen-, 17, 22, 317 Flächenlasten, 17
Gewichts-, 44 Streckenlasten, 17
innere, 22 Laufkatze, 127
Koeffizienten einer, 73, 131 Lineare Gleichungssysteme, 89, 136, 155, 227, 250,
Komponenten einer, 72, 73 271, 443
Lager-, 20, 27 Cramersche Regel, 443
Magnet-, 13, 17, 44 Existenz von Lösungen, 89, 136, 154, 227, 250, 443
Muskel-, 44 Gaussscher Algorithmus, 443
Nah-, 22, 41 numerische Methoden, 89, 271, 443
ohne Potenzial, 427
Potenzial-, 426 Maschinen
Reaktions-, 20, 22, 27 Bewegungs- und Ruhezustand, 284, 327
Reibungs-, 427 Massenmittelpunkt, 205
Verschiebung einer, 103, 142 inhomogener Körper, 188
Verschiebungsgesetz, 39 Körpergruppe, 185
Volumen-, 17, 22 Massenpunkt, 51, 86, 95
wandler, 292 Matrizen, 74, 120, 137, 140, 144, 146, 154, 156, 272,
Widerstands-, 401 402, 409, 442
Wind-, 13 Determinante, 89, 136, 155, 443
Zentrifugal-, 13, 44, 393 reguläre, 87, 89, 121, 136, 153, 155, 443
Kraft-Weg-Prinzip, 292 singuläre, 87, 89, 121, 136, 155, 443
Krafteck, 61 Spalten-, 132
Kraftresultierende, siehe Resultierende mehrteilige Systeme, 172
Kraftschraube, siehe Grundaufgaben Moment, 139
Kraftsystem, 22, 59, 131 axiales, 145, 146, 184
ebenes, 22 einer Kraft, 103
ebenes zentrales, 59 Einspann-, 29
nichtzentrales, 22 Kipp-, 105
räumliches, 22 polares, 103, 144, 146
räumliches zentrales, 131 Stand-, 105
zentrales, 22, 59 Momentanpol, 164–169, 171, 230
Kraftsysteme Momenten-Drehwinkel-Prinzip, 298, 299
äquivalente, 50 Momentenparallelogramm, 447
Kraftvektor Momentenvektor, 139, 140, 142
Definition, 15 eines Kräftepaares, 139
liniengebunden, 39 Reduktionsgesetz, 139
punktgebunden, 15 Verschiebungsgesetz, 139
Kragarm, 335, 355
Kreisbewegung Nebenpol, 169
Arbeit bei einer, 404 Newton, 4, 13
460 Index

Nullniveau, 426, 429, 434 Haftreibungswinkel, 375–378, 381


Nullstab, 266, 268 Keil, 379, 395, 396
numerische Methoden, 8, 89, 91, 125, 126, 136, Roll-, 369
155–157, 232, 254, 271, 443 Seil-, 369
Ausnahmefall, 90, 125, 157, 232, 443 Selbsthemmung, 375–378, 382
Determinante, 90, 125, 157, 232, 443 Tribologie, 369
mathematische Interpretation, 125, 157, 232 Trocken-, 369
MATLAB, 90, 125, 157, 231, 232, 272, 276, 443 Wälz-, 369
mechanische Interpretation, 90, 125, 157, 232 Wirkungsgrad, 396, 397
NaN, 90 Resultierende, 41, 60
reguläre Matrix, 90 Richtungswinkel, 15, 43, 55, 56, 62, 63, 67, 73, 74,
Rundungsfehler, 232 82, 83, 113, 131, 134, 136, 148
singuläre Matrix, 90 Riemen, 51, 298
Rolle, 311
Pappus-Guldin feste, 311
erste Regel, 218 lose, 311
zweite Regel, 219 reibungsfreie, 51
Perpetuum Mobile, 397 Rollenlager
Pol, siehe Momentanpol reibungsfreies, 51
polares Moment, 105
kartesische Koordinaten, 105 schiefe Ebene, 403, 405
Polplan, 169, 226 Schnittgrößen, 331, 333
Potenzial Definition Schnittufer, 331, 332, 338, 339, 350, 354
-funktion Differenzialgleichungen für, 337
für Federkraft, 426 gestrichelte Linie, 332, 333
für Gewichtskraft, 426 Mehrbereichsaufgabe, 339
-kraft, 426 mehrteilige Tragwerke, 339
Prinzip der virtuellen Arbeit, 292, 407, 409 räumliche Tragwerke, 355
für Potenzialkräfte, 428 Rahmen, 353
Projektion Werkzeuge und Maschinen, 357
einer Kraft, 400 Schnittprinzip, 40, 42, 53, 54
einer Verschiebung, 400 Schrauben, 381, 382, 384, 385
mit Flachgewinde, 381
Rad mit Spitzgewinde, 383
Riemen-, 303, 307 mit Vorspannkraft, 385
Well-, 303, 307 Schwerachse, 54
Rechtsschraube, 139, 146, 332, 439 Schwerpunkt, 183
Reduktion, siehe Grundaufgaben der Starrkörperstatik dünnwandige Querschnitte, 211, 212
Dyname, 151 Definition, 184
Fallunterscheidungen in der Ebene, 87, 111, 122 einer Linie, 190
Kräftepaar, 97 inhomogener Körper, 188
Kraftschraube, 149, 151 Integralberechnung, 191
Reihenfolge der Kräfte, 61, 132 Körpergruppe, 184
von zwei parallelen Kräften, 96 Symmetrieachsen, 189
Reibung, 51, 367, 370 Seil, 51
Definition, 368 -reibung, 387
Führung, 395 masseloses, 51
Flüssigkeits-, 369 SI-Einheiten, 13, 437
Gleit-, 368, 370, 373, 375, 377, 378, 382 Skalarprodukt, 400, 439
Grenzhaft-, 370, 371 Arbeit als, 400
Haft-, 368, 370, 371, 374, 375, 377–379 Stab, 51, 95, 255
Haftkegel, 375–378, 381 -achse, 51, 258
Haftreibungsgesetz, 374 Fachwerk-, 51, 262
Haftreibungskegel, 375–378 Pendel-, 51, 259
Index 461

Zweigelenk-, 51 axiale, 439


Stabilität, 431, 436 Basisdarstellung von, 441
Starrkörper, 26, 38 Einheits-, 440
Statik freie, 439
Elasto-, 5 Kreuzprodukt von, 440
Stereo-, 5 liniengebundene, 439
statisch unbrauchbar, 66, 227, 229, 236, 238, 244, Multiplikation mit Skalar, 439
260, 262 punktgebundene, 15, 439
statische Bestimmtheit, 86, 87, 121, 123, 137, 155, Rechte-Hand-Regel, 47, 48, 440
175, 226, 227, 236 Skalarprodukt von, 439
Tragwerke im Raum, 250 Spatprodukt von, 440
zentrales Kraftsystem, 87, 123, 137, 155 Vektorprodukt, siehe Vektoren, Kreuzprodukt von
statische Betrachtungsweise, 175, 284 Verschiebung, 161
statische Momente, 189 -sdifferenzial, 162–164, 400
statisches Auswuchten, 187, 217 -sfigur, 163, 164, 302
statisches System, 54, 284 virtuelle, 407
Stirnrad, 318–320 Volumenmittelpunkt, 185, 188
Streckenlast
dreiecksförmige, 335 Wandlung
Substitution, 192 von Drehwinkeln, 298
Superpositionsgesetz, 70, 71 von Kräften, 314
System von Momenten, 298, 299
verschiebliches, 66, 227, 243, 284 von Wegen, 314
Systemgrenze, 20 Wechselwirkungsgesetz, 34, 45, 46, 304, 332
Systemmatrix, 85, 87–89, 120, 123, 136, 137, 154, Welle
155, 174, 236, 250, 271 Abtriebs-, 299
reguläre, 226, 236 Antriebs-, 299
getriebene, 299
Theorie 2. Ordnung, 40
Winkeldifferenzial
Totalresultierende, 110, 149–151, 183, 184, 187, 202,
starrer Körper, 165
241, 287, 334, 335, 347
Winkelgeschwindigkeit, 298
Tragwerke, 223, 224
Wirkungsgrad, 390, 401
Gelenkbalken, 242
momentaner, 401
im Raum, 250
Wirkungslinie, 15, 39
mehrteilige, 236

Unverschieblichkeit, 172 Zahnrad, 298, 317


-kraft, 317
Variation, 420 Zentrallinie, 111, 184
Vektoren Zwischenlagerungen, 33
Addition von, 41, 43, 61, 132, 439 Zwischenpol, siehe Nebenpol

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