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Hermeneutik

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Die Hermeneutik (von griech. ἑρμηνεύειν hermēneuein mit den Bedeutungen: (Gedanken)
„ausdrücken“, (etwas) „interpretieren“, „übersetzen“) ist ursprünglich die Lehre vom Verstehen,
Deuten oder Auslegen von Kunstwerken, wie literarischen Werken, Gemälden, Musikstücken,
historischen Quellen, Filmen, Denkmälern, aber auch der mündlichen Rede. In der Antike und im
Mittelalter des Christentums diente die Hermeneutik als Wissenschaft und Kunst der Auslegung
(Exegese) grundlegender Texte. In der Neuzeit entwickelte sie sich zu einer Lehre von den
Voraussetzungen und Methoden sachgerechter Interpretation und zu einer Philosophie des
„Verstehens“.[1] Wichtige Zweige waren und sind die theologische, die juristische, die philologische
und die historische Hermeneutik.

Mit der von Kant entscheidend beförderten Einsicht in die Grenzen der menschlichen
Erkenntnisfähigkeit stellte sich für die Hermeneutik seit dem 19. Jahrhundert u.a. das Problem der
Epochengebundenheit menschlichen Denkens und Verstehens. Als einflussreichster Vertreter der
philosophischen Hermeneutik im 20. Jahrhundert hat Gadamer diese Bedingtheit positiv gewendet und
das Verstehen in den Zusammenhang eines prinzipiell nicht zu beendenden Gesprächs über die
Deutung wichtiger Zeugnisse der geschichtlichen und kulturellen Überlieferung gerückt. – Der
Anwendungsbereich der Hermeneutik hat sich heute auf weitere Wissenschaftsgebiete ausgedehnt,
z.B. auf die Medizin zur Aufklärung des unverständlichen Sinnes symptomatischer Äußerungen. Es
wird daher von einem Universalitätsanspruch der Hermeneutik gesprochen.[2]

Inhaltsverzeichnis
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1 Begriffliche Herkunft
2 Geschichtliche Entwicklung
2.1 Antike Exegese
2.2 Mittelalterliche Exegese
2.3 Frühneuzeitliche Profilierung
← 2.3.1 Impulse der protestantischen Reformation
← 2.3.2 Renaissance, Buchdruck und Aufklärung
2.4 Horizonterweiterung im 19. Jahrhundert
← 2.4.1 Schleiermacher
← 2.4.2 Dilthey
2.5 Neue Fundierung im 20. Jahrhundert
← 2.5.1 Heidegger
← 2.5.2 Gadamer
2.6 Jüngere Ansätze einer hermeneutischen Methodologie

1
← 2.6.1 Apel
← 2.6.2 Ricœur
2.7 Philosophische Hermeneutik im Selbstklärungsprozess
2.8 Hermeneutik und Dialog der Zivilisationen
3 Siehe auch
4 Anmerkungen
5 Literatur

6 Weblinks

Begriffliche Herkunft [Bearbeiten]

Als ἑρμηνευτική τέχνη (hermeneutike techne) ist der Begriff zuerst bei Platon im Zusammenhang mit
religiöser Weissagung überliefert. Die hermeneutische Kunst soll die Sprache der Götter erhellen. [3]
Die etymologische Ableitung der Hermeneutik von dem griechischen Götterboten der Antike Hermes
ist umstritten,[4] eine gemeinsame Wurzel aber anzunehmen. [5] In der griechischen Mythologie war
Hermes nicht nur der Überbringer von Botschaften der Götter, sondern auch der Übersetzer dieser
Botschaften. Ohne seine Interpretation blieben sie kryptisch. Hermes gilt in dieser Mythologie auch
als der Erfinder der Schrift und der Sprache.[6] Zum nämlichen Wortstamm gehört der ἑρμηνεύς
(Hermeneus), der bei Platon in zweierlei Gestalt vorkommt: als Dichter, der die Botschaft der Götter
vermittelt, und als Rhapsode, der die Werke der Dichter interpretiert. [7]

Geschichtliche Entwicklung [Bearbeiten]

Auch wenn die begriffliche Fixierung der Hermeneutik und ihre systematische Entwicklung zu einem
eigenen wissenschaftstheoretischen Bereich erst in die frühe Neuzeit fallen, reichen ihre historischen
Wurzeln sehr viel weiter zurück. Hermeneutik als Kunst der Interpretation hat ihren Ursprung in der
Judaistik [8], in altindischen Lehren[9] und in der antiken Exegese.

Antike Exegese [Bearbeiten]

Hermeneutik hatte also hinsichtlich der oben genannten Bedeutungen in der griechischen Mythologie
und in der antiken Philosophie frühe Anwendungsbereiche. Die Kunst der Weissagung erkundete die
verborgene Bedeutung eines Objektes und wurde Mantik (μαντεία) genannt. [10] Platon befasste sich
mit ihr, um Kriterien für die Lehre der Interpretation zu entwickeln. Die Interpretationslehre
beschäftigte sich mit der Bedeutung hinter den offensichtlichen Bedeutungen. So wurde bei der
Exegese (exégesis = Auslegung, Erläuterung) der Werke Homers zunächst die Bedeutung der Wörter
und der Sätze kommentiert. Erst auf einer tieferen Ebene ging es darum, die allegorische (αλληγορειν
– etwas anders ausdrücken) Bedeutung zu diskutieren und auszulegen. [11]

2
Bereits das Aussagen selbst wurde im klassischen Griechenland als ein Interpretieren (ἑρμηνεύειν)
verstanden.[12] Die Aussage wandelt ein innerlich Gedachtes in geäußerte Sprache um. Die Auslegung
des Gesprochenen erfordert den umgekehrten Weg von der Äußerung zur gedachte Aussagabsicht:
„Das ἑρμηνεύειν erweist sich also durchaus als ein Vorgang der Sinnvermittlung, die vom Äußeren
auf ein Inneres von Sinn zurückgeht.“ [13]

Mittelalterliche Exegese [Bearbeiten]

Im christlichen Mittelalter wurde die Tradition der antiken Exegese in ihrer Grundstruktur der
Zweiteilung fortgesetzt. Gegenstand war die Bibel. Die Grenzen der Textkritik wurden durch eine
Doktrin, den exegetischen Kode (Umberto Eco [14]) bestimmt. Grund war der Konflikt zwischen der
Dogmatik der Auslegung und den Ergebnissen neuer Erforschungen. [15] Nach dieser Doktrin besaß die
Bibel einen äußeren Mantel, den cortex, der einen tieferen Kern, den nucleus umzog. Auf der Cortex-
Ebene wurden Grammatik und Semantik hinsichtlich des buchstäblichen Sinns (sensus litteralis) und
des historischen Sinns (sensus historicus) hin interpretiert. Auf der Kern-Ebene (nucleus) wurde die
tiefere Bedeutung, die sententia, erforscht. Dazu wurde der nucleus in drei Tiefen der Ausformungen
von Bedeutung unterteilt. Auf der ersten Nucleus-Stufe wurde die moralische Bedeutung (sensus
tropologicus) erforscht. Auf der nächst tieferen standen die christologischen und kirchlichen
Bedeutungen (sensus allegoricus) und auf der tiefsten Ebene des nucleus ging es in der Exegese um
den sensus anagogicus. Die tiefsten Bedeutungen, die die himmlischen Mysterien betrafen, galten als
für die Menschen im Diesseits nicht erschließbar. Sie werden ihnen erst im Jenseits offenbart
(Offenbarung). [16]

Frühneuzeitliche Profilierung [Bearbeiten]

Gegenstand der Hermeneutik, die sich mit Reformation und Humanismus Anfang des 16. Jahrhunderts
neu entfaltete, war zunächst noch und wieder der Inhalt der Bibel (vgl.: Biblische Hermeneutik).
Deren Wahrheitsgehalt galt bis dahin als konkret gegeben. Die Theologen versuchten deshalb, ein
methodisches Regelwerk zu schaffen, das das Auffinden der biblischen Wahrheit und – vor allem –
die möglichen Interpretationen auf die eine und einzig wahre Auslegung einschränken sollte. Diese
Auffassung grenzte sich deutlich ab von der Vorstellungswelt des Mittelalters, in welcher der Gedanke
des so genannten vierfachen Schriftsinns der Bibel vorherrschte.

Impulse der protestantischen Reformation [Bearbeiten]

3
Die zu ihrer Legitimation wesentlich auf die Geltung und Auslegung der Bibel gestützte
protestantische Reformation hat der Hermeneutik nachhaltig neue Impulse gegeben. Während
Luther betonte, dass der Schlüssel zum Verständnis der Bibel in ihr selbst angelegt sei („sui
ipsius interpres“), stützte Melanchthon sich bei der Ausarbeitung einer frühprotestantischen
Hermeneutik auf die humanistische Rhetoriktradition. Damit verbunden war eine
Akzentverschiebung weg von der Konzeption einer wirksamen eigenen Rede („ars bene
dicendi“) hin zur verständigen Lektüre und Deutung von Texten („ars bene legendi“): „Die
Beschäftigung mit der rhetorischen Theorie dient nicht dazu, Beredsamkeit zu erzeugen,
sondern für die auszubildende Jugend ein methodisches Rüstzeug bereitzustellen, um
elaborierte Texte kompetent zu beurteilen.“ [17]

Melanchthons Schüler Matthias Flacius unterstrich die Notwendigkeit gediegener Sprachkenntnisse


für das Verständnis vermeintlich dunkler Bibelstellen, deren Klärung er durch das systematische
Heranziehen von Parallelstellen der Heiligen Schrift betrieb. Oft konnte er dabei an Untersuchungen
des Augustinus und anderer Kirchenväter anknüpfen. Die Schwierigkeiten, die das Verstehen der
Bibel stellenweise hemmten, so erklärte er, seien rein sprachlich oder grammatisch: „Die Sprache ist
nämlich ein Zeichen oder ein Bild der Dinge und gleichsam eine Art Brille, durch welche wir die
Dinge selbst anschauen. Wenn daher die Sprache entweder an sich oder für uns dunkel ist, so erkennen
wir mühsam durch sie die Sachen selbst.“ [18]

Renaissance, Buchdruck und Aufklärung [Bearbeiten]

Das aus der Renaissance hervorgehende, neu belebte Studium der überlieferten Klassiker der
römischen, dann auch der griechischen Antike führte in Verbindung mit den
Textvervielfältigungsmöglichkeiten des Buchdrucks zu einer ungekannten Ausweitung des
Auslegungs- und Deutungsbedürfnisses, dem im 16. Jahrhundert mit der „ars critica“ als gesonderter
Disziplin der Texterfassung Rechnung getragen wurde: „In der damaligen Situation der sich
suchenden Neuzeit erwachte das Bedürfnis nach einer neuen Methodenlehre der überall
aufsprießenden Wissenschaften. Ein neues Organon des Wissens, das das aristotelische ersetzte oder
komplettierte, war gefragt ...“ [19]

Nun erst kam die Hermeneutik auf ihren Begriff, geprägt 1629 durch Johann Conrad Dannhauer. [20]
Ihm ging es um eine allgemeine Wissenschaft vom Interpretieren, um eine philosophische
Hermeneutik, die auch anderen Fakultäten wie Recht, Theologie und Medizin das Instrumentarium zur
Auslegung schriftlicher Aussagen bereitstellen sollte: „Bei dieser universalen Ausrichtung konnte es
sich nur um eine ‚propädeutische’ Wissenschaft handeln, eine Stelle, die im klassischen

4
Wissenschaftsspektrum der Logik zukam. Dannhauer entwickelte seine hermeneutica generalis
parallel und als Ergänzung zur herkömmlichen Logik der aristotelischen Methodenlehre (Organon).“

Von Chladenius wurde mit dem „Sehepunkt“ des Interpreten 1742 ein Aspekt in die hermeneutische
Theorie eingeführt, der in unterschiedlicher Hinsicht aktuell geblieben ist: „Diejenigen Umstände
unserer Seele, unseres Leibes und unserer ganzen Person, welche machen oder Ursache sind, dass wir
uns eine Sache so und nicht anders vorstellen, wollen wir den Sehe-Punckt nennen.“ Den Ausdruck
„Sehepunkt“ hat Chladenius zufolge Leibniz geprägt, der damit den unaufhebbaren Perspektivismus
der Monaden kennzeichnete. [21] Erst die Berücksichtigung des Sehepunktes, so Chladenius,
ermögliche Objektivität, denn nur dadurch ergebe sich die Chance, die individuellen
„Abwechselungen, die die Menschen von einer Sache haben“, angemessen zu berücksichtigen.
Grondin folgert: „Es geht also lediglich um das richtige Verständnis der Sprache durch Rückführung
auf den sie leitenden Sehepunkt. Ein Sprachobjektivismus, der vom Sehepunkt absehen würde, ginge
an den Sachen vollkommen vorbei. Dies ist die Grundlehre der universalen Hermeneutik.“ [22]

Wie Chladenius gehörte auch Georg Friedrich Meier mit seiner 1757 erschienenen Schrift zur
Auslegekunst dem Zeitalter der Aufklärung an. Meier weitete den hermeneutischen Anspruch weit
hinaus über die Textdeutung auf eine Universalhermeneutik aus, die auf Zeichen aller Art, naturhafte
wie künstliche, gerichtet war. Verstehen meint demnach das Einordnen in einen die ganze Welt
umschließenden Zeichenzusammenhang. Die Harmonie des Weltganzen wiederum bedingt nach
Meier, der hier Leibniz Vorstellung von der besten aller Welten aufgreift, dass jedes Zeichen auf ein
[23]
anderes verweisen kann, weil in dieser Welt ein optimaler Zeichenzusammenhang gegeben sei.

Chladenius wie Meier haben folglich in unterschiedlicher Weise in Leibniz’ Denken ihren
Ausgangspunkt. Grondin sieht darin zwei Fronten der gegenwärtigen Hermeneutik-Diskussion
vorgezeichnet: „auf der einen Seite die herausfordernde Ubiquität des Perspektivismus (der sich nach
dem Szientismus des 19. Jh. Relativismus glaubte nennen zu müssen) im kontinentalen Bereich, auf
der anderen die semiotische Unterwanderung des hermeneutischen Denkens in der strukturalistischen
Linguistik, von der der postmoderne Dekonstruktivismus, für den jedes Wort eine Abtrift von Zeichen
signalisiert, zehrt.“ [24]

Dass die dem Rationalitätsbegriff der Aufklärung verpflichteten hermeneutischen Ansätze wenig
später keine Rolle mehr spielten und völlig vergessen schienen, geht auf die Wirkung Kants zurück,
dessen Kritik der reinen Vernunft in erkenntnistheoretischer Hinsicht den Zusammenbruch des
aufklärerisch-rationalen Weltbilds zur Folge hatte. In Kants Unterscheidung zwischen der Welt der
Phänomene, wie sie der menschliche Erkenntnisapparat vermittelt, und den „Dingen an sich“ liegt
nach Grondin „eine der geheimen Wurzeln der Romantik und des Aufschwungs, der der Hermeneutik
seitdem widerfahren ist.“ [25]

5
Horizonterweiterung im 19. Jahrhundert [Bearbeiten]
Schleiermacher [Bearbeiten]

Für die Entwicklung der Hermeneutik im 19. Jahrhundert setzte Friedrich Schleiermacher
grundlegende Akzente. Zwei Ebenen der Textauslegung gilt es ihm zufolge den Regeln der Kunst
gemäß zu beachten: die grammatische, die den sprachlichen Kontext des Schriftzeugnisses
aufschlüsselt, und die psychologische, die die Motive des Verfassers zu erschließen trachtet, und zwar
in einem Maße, dass der Interpret den Autoren zuletzt besser versteht, als es dieser selbst vermocht
hat. [26] Grondin deutet dieses Ziel des Besserverstehens im Zusammenhang mit der von
Schleiermacher öfters betonten „unendlichen Aufgabe“, die ein fortwährendes Weiterinterpretieren
erfordere. Schleiermacher, so Grondin, habe auf die durch Kant bewirkte fundamentale
Verunsicherung reagiert, die in Bezug auf die menschliche Vernunft eingetreten sei: Deren
Verstehensanstrengungen waren nunmehr prinzipiell als begrenzt, perspektivisch und hypothetisch
ausgewiesen. Vorkehrungen gegen ein Missverstehen zu treffen, habe daher Schleiermachers
besonderes Augenmerk gegolten. [27]

Mit dieser Erweiterung verliert die Hermeneutik ihre traditionelle Beziehung zu Texten als
Wahrheitsvermittlern. Stattdessen werden diese als der Ausdruck der Psyche, des Lebens und der
geschichtlichen Epoche des Verfassers begriffen, und das Verstehen wird gleichgesetzt mit einem
Wiedererleben und Einleben in das Bewusstsein, das Leben und die geschichtliche Epoche, aus der die
Texte entstammen. Die Hermeneutik wird zu einer allgemeinen Kunstlehre, sich in das Leben
einzufühlen, das hinter einem gegebenen Geistesprodukt steht. Ein Interpret versucht, sich in das
Denken des Autors hineinzuversetzen, um den schöpferischen Akt nachzuvollziehen und auf diese
Weise den möglichen Sinn des Kunstwerkes aufzudecken. Diese Theorie des „Einlebens“, welche
Schleiermacher Divination nennt, wird mit einer allgemeinen metaphysischen Theorie verbunden,
nach **der Verfasser und Leser beide Ausdruck ein und desselben überindividuellen Lebens (des
Geistes) sind, welches sich durch die Weltgeschichte entwickelt.

Dilthey [Bearbeiten]

Auch Wilhelm Diltheys das 20. Jahrhundert nachhaltig beeinflussender Entwurf bezieht sich noch
deutlich auf die Nachwirkung Kants, nicht nur in dem Vorhaben, Kants „Kritik der reinen Vernunft“
eine „Kritik der historischen Vernunft“ an die Seite zu stellen.

Unter dem Eindruck des fulminanten Aufschwungs und Prestigegewinns der Naturwissenschaften im
19. Jahrhundert kommt es Dilthey vor allem darauf an, den Geisteswissenschaften einen klar
definierten Zuständigkeitsbereich nachzuweisen und vorzubehalten, indem er, ausgehend von den
Naturwissenschaften, Abgrenzungen vornimmt:

„Wir bemächtigen uns dieser physischen Welt durch das Studium ihrer Gesetze. Diese Gesetze können
nur gefunden werden, indem der Erlebnischarakter unserer Eindrücke von der Natur, der

6
Zusammenhang, in dem wir, sofern wir selber Natur sind, mit ihm stehen, das lebendige Gefühl, in
dem wir sie genießen, immer mehr zurücktritt hinter das abstrakte Auffassen derselben nach den
Relationen von Raum, Zeit, Masse, Bewegung. Alle diese Momente wirken dahin zusammen, dass der
Mensch sich selbst ausschaltet, um aus seinen Eindrücken diesen großen Gegenstand Natur als eine
Ordnung nach Gesetzen zu konstruieren. Sie wird dem Menschen zum Zentrum der Wirklichkeit.
Aber derselbe Mensch wendet sich dann von ihr rückwärts zum Leben, zu sich selbst. Dieser
Rückgang des Menschen in das Erlebnis, durch welches für ihn erst die Natur da ist, in das Leben, in
dem allein Bedeutung, Wert und Zweck auftritt, ist die andere große Tendenz, welche die
wissenschaftliche Arbeit bestimmt. Ein zweites Zentrum entsteht. Alles, was der Menschheit
begegnet, was sie erschafft und was sie handelt, die Zwecksysteme, in denen sie sich auslebt, die
äußeren Organisationen der Gesellschaft, zu der die Einzelmenschen in ihr sich zusammenfassen – all
das erhält nur hier eine Einheit. Von dem sinnlich in der Menschengeschichte Gegebenen geht hier das
Verstehen in das zurück, was nie in die Sinne fällt und doch in diesem Äußeren sich auswirkt und
ausdrückt.[28]“

Die Hermeneutik wird damit auf jenen geschichtlichen Boden verwiesen, ohne den
geisteswissenschaftliche Erkenntnis nach Dilthey nicht zu erlangen ist, da jedem individuellen
menschlichen Leben die kulturgeschichtlichen Voraussetzungen konstitutiv mitgegeben sind. Die
Abgrenzung der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik von naturwissenschaftlichen Methoden
vollzog er u.a. am Beispiel der Psychologie. Der „erklärenden“ Psychologie, die er in der Nähe der auf
Hypothesenbildung und Kausalitäten gegründeten Erkenntnisweise der Naturwissenschaften sah,
setzte Dilthey eine auf das Verstehen von Erlebniszusammenhängen gegründete Psychologie
entgegen.[29] Der historisch-hermeneutische Horizont wird von Dilthey weit ausgespannt:

„Von der Verteilung der Bäume in einem Park, der Anordnung der Häuser in einer Straße, dem
zweckmäßigen Werkzeug des Handwerkers bis zu dem Strafurteil im Gerichtsgebäude ist um uns
stündlich geschichtlich Gewordenes. Was der Geist heute hineinverlegt von seinem Charakter in seine
Lebensäußerung, ist morgen, wenn es dasteht, Geschichte. Wie die Zeit voranschreitet sind wir von
den Römerruinen, Kathedralen, Lustschlössern der Selbstherrschaft umgeben. Geschichte ist nichts
vom Leben Getrenntes, nichts von der Gegenwart durch ihre Zeitferne Gesondertes. […] Nur was der
Geist geschaffen hat, versteht er. Die Natur, der Gegenstand der Naturwissenschaft, umfasst die
unabhängig vom Wirken des Geistes hervorgebrachte Wirklichkeit. Alles, dem der Mensch wirkend
sein Gepräge aufgedrückt hat, bildet den Gegenstand der Geisteswissenschaften.[30]“

Diltheys Bestreben, eine universelle Methodik der auf „ geschichtlichen Seelenvorgängen“ beruhenden
Geisteswissenschaften zu entwickeln und diese von den Gegenständen und Arbeitsweisen der
Naturwissenschaften abzugrenzen, übte einen nachhaltigen Einfluss besonders auf die
Literaturwissenschaft aus.

7
Neue Fundierung im 20. Jahrhundert [Bearbeiten]
Heidegger [Bearbeiten]

Auf Dilthey aufbauend, hat Heidegger die Hermeneutik noch einmal zusätzlich mit Bedeutung
aufgeladen, indem er sie – weniger in seinem Hauptwerk Sein und Zeit als in seinen Vorlesungen der
frühen 20er Jahre – als Grundlage menschlicher Daseinssorge und Daseinsbewältigung begreiflich zu
machen suchte. Sein Verstehenskonzept setzt längst vor geisteswissenschaftlicher Erkenntnissuche an
und bildet als ein Sich-auf-etwas-Verstehen im Lebensalltag die unabdingbare Voraussetzung allen
praktischen Könnens.

Grondin erläutert: „Dieses, nennen wir es ‚praktische’, Verstehen denkt Heidegger als ‚Existenzial’,
d.h. als Seinsweise oder Grundmodus, kraft dessen wir in der Welt zurechtkommen und
zurechtzukommen suchen. Das Verstehen bedeutet weniger eine ‚Weise des Erkennens’ als ein von
Sorge getragenes Sichauskennen in der Welt.“[31] […] „Es wäre aber ein Missverständnis der
Intentionen Heideggers, würde man meinen, die Selbstauslegung des Daseins habe außerhalb der
Sprache zu erfolgen. […] Nicht um ein Verkennen oder Verdrängen der Sprache kann es sich handeln.
Heidegger will lediglich, dass man in jedem gesprochenen Wort die sich kundgebende Sorge des
Daseins mithört.“[32] […] „Dies steht im Einklang mit der grundlegenden Bemühung der Hermeneutik
um ein Erreichen dessen, was vor, oder besser: in oder hinter der Aussage steht, kurzum um die Seele,
die sich im Wort ausdrückt. Es besteht kein Zweifel, dass Heidegger diesem Streben des
hermeneutischen Verstehens folgt, um es gleichwohl durch die universale Einbettung des Verstehens
in die Sorgestruktur des Daseins zu radikalisieren.“ [33]

In einer Linie mit der von Dilthey gemeinten „Kritik der historischen Vernunft“ liegt Heideggers
Begriff der „Geworfenheit“, der die geschichtliche Perspektive reflektiert, die allem Verstehen
beigegeben ist: „Die Hermeneutik hat die Aufgabe, das je eigene Dasein in seinem Seinscharakter
diesem Dasein selbst zugänglich zu machen, mitzuteilen, der Selbstentfremdung, mit der das Dasein
geschlagen ist, nachzugehen. In der Hermeneutik bildet sich für das Dasein eine Möglichkeit aus, für
sich selbst verstehend zu werden und zu sein.“[34] Heideggers früh skizzierte philosophische
Hermeneutik, der er bis zu seinem Tode keine systematische Ausarbeitung mehr hat folgen lassen,
erlangte für die fernere Auseinandersetzung um die Hermeneutik im 20. Jahrhundert weitreichende
Bedeutung.

Gadamer [Bearbeiten]

Den Anstoß für die nachfolgende lebenslange Beschäftigung mit einer universalen philosophischen
Hermeneutik empfing Hans-Georg Gadamer 1923 in den Freiburger Vorlesungen Heideggers über die
„Faktizität der Hermeneutik“.[35] In der Einleitung zu seinem 1960 erschienenen Hauptwerk Wahrheit
und Methode skizzierte Gadamer Grundzüge seiner hermeneutischen Lehre folgendermaßen:

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„Es gehört zur elementaren Erfahrung des Philosophierens, dass die Klassiker des philosophischen
Gedankens, wenn wir sie zu verstehen suchen, von sich aus einen Wahrheitsanspruch geltend machen,
den das zeitgenössische Bewußtsein weder abweisen noch überbieten kann. […] Wenn wir das
Verstehen zum Gegenstand unserer Besinnung machen, so ist das Ziel nicht eine Kunstlehre des
Verstehens, wie sie die herkömmliche philologische und theologische Hermeneutik sein wollte. Eine
solche Kunstlehre würde verkennen, dass angesichts der Wahrheit dessen, was uns aus der
Überlieferung anspricht, der Formalismus kunstvollen Könnens eine falsche Überlegenheit in
Anspruch nähme. […] Die folgenden Untersuchungen glauben damit einer Einsicht zu dienen, die in
unserer von schnellen Verwandlungen überfluteten Zeit von Verdunkelung bedroht ist. Was sich
verändert, drängt sich der Aufmerksamkeit unvergleichlich viel mehr auf, als was beim Alten bleibt.
Das ist ein allgemeines Gesetz unseres geistigen Lebens. Die Perspektiven, die sich von der
Einführung des geschichtlichen Wandels her ergeben, sind daher immer in der Gefahr, Verzerrungen
zu sein, weil sie die Verborgenheit des Beharrenden vergessen. [36] “

Den Ansatz, sich in den Geist vergangener Zeiten zu versetzen, wie es der Historismus anstrebte,
verwirft Gadamer. Er betont die Chance, den zeitlichen Abstand zwischen Betrachter und Gegenstand
der Überlieferung produktiv zu nutzen: „Die Ausschöpfung des wahren Sinns aber, der in einem Text
oder in einer künstlerischen Schöpfung gelegen ist, kommt nicht irgendwo zum Abschluß, sondern ist
in Wahrheit ein unendlicher Prozeß. Es werden nicht nur immer neue Fehlerquellen ausgeschaltet, so
dass der wahre Sinn aus allerlei Trübungen herausgefiltert wird, sondern es entspringen stets neue
Quellen des Verständnisses, die ungeahnte Sinnbezüge offenbaren. Der Zeitenabstand, der die
Filterung leistet, hat nicht eine abgeschlossene Größe, sondern ist in einer ständigen Bewegung und
Ausweitung begriffen.“[37]

Zentral für Gadamers Ansatz zu hermeneutischem Erkenntnisgewinn ist das unter gemeinsamer
Fragestellung zu führende Gespräch: „Ein Gespräch führen heißt, sich unter die Führung der Sache
stellen, auf die die Gesprächspartner gerichtet sind. Ein Gespräch führen verlangt, den anderen nicht
niederzuargumentieren, sondern im Gegenteil das sachliche Gewicht der anderen Meinung wirklich zu
erwägen. […] Wer die ‚Kunst’ des Fragens besitzt, ist einer, der sich gegen das Niedergehaltenwerden
des Fragens durch die herrschende Meinung zu erwehren weiß. Wer diese Kunst besitzt, wird selber
nach allem suchen, was für eine Meinung spricht. Dialektik besteht darin, dass man das Gesagte nicht
in seiner Schwäche zu treffen versucht, sondern es erst selbst zu seiner wahren Stärke bringt.“ [38]

Die subjektive Standortgebundenheit des individuellen Denkens und Erkennens wird von Gadamer
positiv gewendet, weil dadurch eine fruchtbare Begegnung und Auseinandersetzung mit Überliefertem
angeregt und ein falsches Vorurteil der Prüfung ausgesetzt werde. Jegliche Vorurteilsbehaftung
auszublenden, komme der Naivität des historischen Objektivismus gleich. [39]

„So gibt es gewiss kein Verstehen, das von allen Vorurteilen frei wäre, so sehr auch immer der Wille
unserer Erkenntnis darauf gerichtet sein muß, dem Bann unserer Vorurteile zu entgehen. Es hat sich
im Ganzen unserer Untersuchung gezeigt, dass die Sicherheit, die der Gebrauch wissenschaftlicher
Methoden gewährt, nicht genügt, Wahrheit zu garantieren. Das gilt im besonderen Maße von den

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Geisteswissenschaften, bedeutet aber nicht eine Minderung ihrer Wissenschaftlichkeit, sondern im
Gegenteil die Legitimierung des Anspruchs auf besondere humane Bedeutung, den sie seit alters
erheben. Daß in ihrer Erkenntnis das eigene Sein des Erkennenden mit ins Spiel kommt, bezeichnet
zwar die wirkliche Grenze der ‚Methode’, aber nicht die der Wissenschaft. Was das Werkzeug der
Methode nicht leistet, muß vielmehr und kann auch wirklich durch eine Disziplin des Fragens und des
Forschens geleistet werden, die Wahrheit verbürgt. [40]“

Jüngere Ansätze einer hermeneutischen Methodologie [Bearbeiten]

Gadamers Auseinandersetzung mit dem Historismus, auf der seine Neukonzeption der
philosophischen Hermeneutik wesentlich beruht, hat Fundamente gelegt, auf denen die nachfolgende
kritische Reflexion einer zeitgemäßen Hermeneutik bis heute aufbaut. Widerspruch ausgelöst haben
vor allem Gadamers Behauptung einer autoritativen Geltung klassischer Texte und Kunstwerke
gegenüber dem Gegenwartshorizont sowie seine Wendung gegen ein methodisches Instrumentarium,
das die Gewinnung von Objektivität und Wahrheit in den Geisteswissenschaften sichern soll. [41]

Apel [Bearbeiten]

Mit der Setzung einer Komplementarität (wechselseitigen Ergänzung) von „erklärenden“


Naturwissenschaften und „verstehenden“ Geisteswissenschaften verbindet Karl-Otto Apel einen
methodisch zu entwickelnden ideologiekritischen Anspruch, der sich für ihn vor allem mit Blick auf
die außereuropäischen Kulturen aufdrängt: „Für sie ergibt sich von Anfang an die Notwendigkeit,
zugleich mit der hermeneutischen Besinnung auf die eigenen und die fremden Traditionen ein quasi-
objektives, geschichtsphilosophisches Bezugssystem zu erarbeiten, das es möglich macht, die eigene
Position in den weltgeschichtlichen Zusammenhang einzuordnen, der ohne ihr Zutun durch die
europäisch-amerikanische Zivilisation geschaffen worden ist. Sie werden durch die für sie
unvermeidliche Verfremdung ihrer eigenen Tradition auch sogleich auf die Tatsache hingewiesen,
dass geistige Sinndeutungen der Welt, z.B. religiös moralische Wertordnungen, im engsten
Zusammenhang mir den sozialen Lebensformen (den Institutionen) zu begreifen sind. Was sie daher
vor allem suchen, ist eine philosophisch-wissenschaftliche Orientierung, welche das hermeneutische
Verständnis der eigenen und fremden Sinn-Traditionen durch soziologische Analysen der jeweils
zugehörigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen vermittelt.“ [42]

Analog zur psychotherapeutischen Arzt-Patienten-Situation sei daher ein partieller Abbruch der
hermeneutischen Kommunikation zugunsten objektiver Erkenntnismethoden nötig. Heranzuziehen
seien neben hermeneutischen Verfahren die „objektiven Strukturanalysen der empirischen
Sozialwissenschaften zur Erklärung etwa der nicht literarisch belegbaren Interessen-Konstellationen in
der politischen und auch in der Ideengeschichte.“ [43]

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Anders als das hermeneutische Verstehen glichen psychologische und sozialpsychologische
Verhaltensanalysen dem prognostisch relevanten Wissen der Naturwissenschaft; wie diese
ermöglichten sie “eine technische Herrschaft über ihren Gegenstand”, wie sie in Manipulationen von
Konsumenten durch den Werbefachmann oder der Wähler durch den demoskopisch geschulten
Politiker zum Ausdruck kämen. [44] Aus seinen Überlegungen, schließt Apel, ergebe sich „die
methodologische Forderung einer dialektischen Vermittlung der sozialwissenschaftlichen ‚Erklärung’
und des historisch-hermeneutischen ‚Verstehens’ der Sinntradition unter dem regulativen Prinzip einer
‚Aufhebung’ der vernunftlosen Momente unseres geschichtlichen Daseins.“ [45]

Ricœur [Bearbeiten]

Ausgehend davon, dass Hermeneutik zunächst auf Regeln für die „Interpretation von schriftlichen
Dokumenten unserer Kultur“ gerichtet ist, stellt sich für den französischen Philosophen Paul Ricœur
die Frage der Übertragbarkeit einer Methodologie der Textinterpretation auf humanwissenschaftliche
Erkenntnisgewinnung im allgemeinen. [46]

Ansatzpunkt seiner Untersuchung ist die These, dass die menschliche Handlung ebenso wie ein Text
„ein unvollendetes offenes Werk ist, dessen Sinn in der Schwebe bleibt.“ [47] Der Text als ein Ganzes
sei ebenso Individuum wie ein Lebewesen oder Kunstwerk. „Als Individuum kann er nur durch einen
Prozess der Einengung und Spezifikation von Gattungsbegriffen erfasst werden, welche sich auf die
literarische Gattung beziehen, auf die Kategorie von Texten, zu denen dieser Text gehört, und auf die
Strukturen der verschiedenen anderen Kategorien, die sich in diesem Text überschneiden.“ [48]

Es gebe immer mehr als einen Weg der Konstruktion oder Rekonstruktion eines Textes. „Die Logik
der Validierung eröffnet uns einen Interpretationsrahmen zwischen Dogmatismus und Skeptizismus.
Es ist immer möglich, für oder gegen eine Interpretation zu argumentieren, Interpretationen einander
entgegenzusetzen, sich zwischen ihnen zu entscheiden und nach Übereinstimmung zu suchen, auch
wenn diese Übereinstimmung nur jenseits unserer Reichweite liegen kann.“ [49]

Die strukturale Textanalyse läuft für Ricœur dabei nur auf eine „Oberflächen-Semantik“ hinaus,
während das eigentliche Verstehen und Erfasstsein des Lesers eine Tiefen-Semantik erfordere. „Die
Tiefensemantik des Textes ist nicht das, was der Autor selbst zum Ausdruck bringen wollte, sondern
ist das, von dem der Text handelt, d.h. er handelt von den nicht-ostentativen Bezügen des Textes. Und
der nicht-ostentative Bezug des Textes ist jene Welt, die von der Tiefensemantik des Textes
erschlossen werden kann. […] Verstehen hat nur wenig zu tun mit dem Autor und seiner Situation. Es
möchte die durch den Text eröffneten Weltdeutungen begreifen. Einen Text verstehen heißt, seiner
Bewegung vom Sinn zum Bezug, von dem, was er sagt, zu dem, wovon er handelt, folgen.“ So
bestehe der Sinn von Texten mythischen Charakters in der Aufforderung, den Text als Ausgangspunkt
einer neuen Weltsicht zu nehmen.[50]

Eine analoge Tiefensemantik gibt es für Ricœur auch bei der Interpretation sozialer Phänomene, „d.h.
die Entfaltung einer Welt, die nicht mehr nur Umwelt ist, der Entwurf einer Welt, die mehr ist als eine

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bloße Situation: Können wir nicht sagen, dass wir auch in den Sozialwissenschaften mit Hilfe der
strukturalen Analysen fortschreiten von naiven zu kritischen Interpretationen, von Oberflächen-
Interpretationen zu Tiefen-Interpretationen?“ [51]

Philosophische Hermeneutik im Selbstklärungsprozess [Bearbeiten]

Als wichtiger Vertreter der kritischen Theorie hat sich auch der Soziologe und Philosoph Jürgen
Habermas mit Gadamers Hermeneutik auseinandergesetzt. Die Einbeziehung sozialwissenschaftlicher
Forschungsansätze und einer emanzipatorischen Ideologiekritik verbindet ihn mit Apel, die
Einforderung einer Meta- und Tiefenhermeneutik mit Ricœur. Habermas kritisierte vor allem, dass der
dialogisch gewonnene hermeneutische Konsens im Sinne Gadamers auch Ausfluss einer ideologisch
verschleierten Herrschaftsstruktur sein könne, die es aufzudecken gelte. Wie die Psychoanalyse das
geeignete Instrumentarium zur Aufdeckung individueller Bewusstseinstrübung bereitstelle, so habe die
Ideologiekritik falsches gesellschaftliches Bewusstsein sozialwissenschaftlich aufzuarbeiten.

Grondin zufolge hat die Auseinandersetzung Gadamers mit den von Habermas und Apel
eingenommenen Positionen einen wechselseitigen Lernprozess ausgelöst. Die Analogie von
Psychoanalyse und Ideologiekritik habe Gadamer zwar deutlich zurückgewiesen, da es auch unter
Berufung auf die Kompetenz einer emanzipatorischen Sozialwissenschaft nicht angehe, einem
Gesellschaftsverband, der sich nicht als behandlungsbedürftiger Patient sehe, ein falsches Bewusstsein
zu attestieren. Doch sei Gadamer von Habermas angeregt worden, das kritische Potential seiner
Hermeneutik in der Folge deutlicher herauszuarbeiten. Bei Habermas hingegen sei es zu einer Abkehr
vom Paradigma der soziologisch erweiterten Psychoanalyse gekommen und zur Universalisierung der
hermeneutischen Grundkategorie der Verständigung im Modell einer herrschaftsfreien Diskursethik.
[52]

In dieser Hinsicht beobachtet Grondin eine „tiefgreifende Solidarität“ zwischen Gadamer und
Habermas, die zur Gemeinschaft führe „gegen die neue Herausforderung des Dekonstruktivismus und
des neohistorischen Postmodernismus.“[53]

Hermeneutik und Dialog der Zivilisationen [Bearbeiten]

Für die gegenwärtige philosophische Diskussion hat der österreichische Philosoph Hans Köchler die
Gadamer'sche Hermeneutik als Grundlage des "Dialoges der Zivilisationen" herauszuarbeiten gesucht.
[54]

In einem Vortrag über "Die kulturphilosophischen Aspekte internationaler Kooperation" vor der
Königlichen Wissenschaftlichen Gesellschaft in Jordanien hat Köchler im März 1974 den Begriff der
"Dialektik des kulturellen Selbstverständnisses" entwickelt und Gadamers Begriff der
"Horizontverschmelzung" zur Erläuterung der Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen
herangezogen.[55] Seine hermeneutisch akzentuierte Kritik am Paradigma des "Konfliktes der

12
Zivilisationen" hat Köchler auch auf die Theorie der internationalen Beziehungen anzuwenden
gesucht.[56]

Siehe auch [Bearbeiten]

← Auslegungskunst – Interpretation – Immanente Kritik – Diskursanalyse


← Hermeneutischer Zirkel – Objektive Hermeneutik – Doppelte Hermeneutik
← Biblische Hermeneutik – Literaturwissenschaft – Interpretation (Musik)
← pädagogische Hermeneutik

Anmerkungen [Bearbeiten]

1. ↑ Vgl. Winfried Nörth: Handbuch der Semiotik. 2. Aufl., o.V., o.O. 2000
2. ↑ Habermas, Jürgen: Der Universalitätsanspruch der Hermeneutik (1970). In: Zur Logik der
Sozialwissenschaften, Suhrkamp Taschenbuch, Wissenschaft 517, 5. Aufl., Frankfurt 1982, S.
331–366
3. ↑ Vgl. Ineichen, S. 21.
4. ↑ „Der Zusammenhang ist wohl zu offensichtlich, um auch wahr zu sein. So wurde er in der
neueren Philologie fast allenthalben mit überlegener Skepsis betrachtet. Indessen hat es noch
keine bessere Deutung vermocht, sich allgemein durchzusetzen, so dass die Frage um die
Herkunft des Wortfeldes ἑρμηνεύειν hier offen bleiben muß.“ Grondin, S.39.
5. ↑ Seiffert, S.9.
6. ↑ Gerhard Ebeling (1959): Hermeneutik. In: K. Galling: Die Religion in Geschichte und
Gegenwart. Tübingen. "Hermessen" ist eine analogisierende Bezeichnung für den Vorgang
des Interpretierens.
7. ↑ Grondin, S. 38.
8. ↑ José Faur, 1986: Golden Doves with Silver Dots: Semiotics and Textuality in Rabbinic
Tradition. Bloomington.
9. ↑ Tzvetan Todorov 1977: Théories du symbole. Paris.; Tzvetan Todorov 1983: Symbolism
and Interpretation. London.
10. ↑ Tzvetan Todorov 1997 und 1983, a.a.O.
11. ↑ vgl. Nörth 2000, a.a.O.
12. ↑ „So konnte Aristoteles’ logisch-semantische Schrift >Peri Hermeneias<, die vom wahr oder
falsch sein könnenden Aussagesatz […] handelt, durchweg durch >De interpretatione< auf
Latein wiedergegeben werden.“ Grondin, S. 37.
13. ↑ Grondin, S. 37.
14. ↑ Umberto Eco 1985: Semiotik und Philosophie der Sprache. München.
15. ↑ vgl. Nörth 2000, a.a.O.
16. ↑ vgl. Nörth 2000, a.a.O.

13
17. ↑ Philipp Melanchthons „Rhetorik“, hrsg. von J. Knape, Tübingen 1993, 107, 158. Zit.n.
Grondin, S. 62.
18. ↑ Flacius, De ratione, S. 7. Zit.n. Grondin, S. 65f.
19. ↑ Grondin, S. 77
20. ↑ Grondin, S. 78, verweist auf die wenig beachtete Schrift „Die Idee des guten Interpreten“
von 1630, die Dannhauer als „hermeneutica generalis“ konzipiert hatte.
21. ↑ J. M. Chladenius, Einleitung zur richtigen Auslegung vernünftiger Reden und Schriften,
Leipzig 1742. Zit.n. Grondin, S. 85.
22. ↑ Grondin, S. 86.
23. ↑ Grondin, S. 87f.
24. ↑ Grondin, S. 90.
25. ↑ Grondin, S. 100.
26. ↑ Vgl. Ineichen, S. 121ff.
27. ↑ ”Das Geschäft der Hermeneutik darf nicht erst da anfangen, wo das Verständniß unsicher
wird, sondern vom ersten Anfang des Unternehmens an, eine Rede verstehen zu wollen. Denn
das Verständniß wird gewöhnlich erst unsicher, weil es schon früher vernachlässigt worden.“
F. Schleiermacher, Allgemeine Hermeneutik von 1809/10, S. 1272; zit.n. Grondin, S. 106.
28. ↑ Wilhelm Dilthey, Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Zit.n.
Lessing (Hrsg.), S. 53.
29. ↑ Ineichen, S. 147f.
30. ↑ Wilhelm Dilthey, Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Zit.n.
Lessing (Hrsg.), S. 72f.
31. ↑ Grondin, S. 135.
32. ↑ Grondin, S. 143.
33. ↑ Grondin, S. 136.
34. ↑ Martin Heidegger, Gesamtausgabe, Frankfurt a.M. 1975ff., Bd. 63, S. 12. Zit.n. Grondin, S.
141.
35. ↑ Jean Grondin, Einführung zu Gadamer. Tübingen 2000, S. 8.
36. ↑ Gadamer, Wahrheit und Methode, Band 1, 6. Aufl., Tübingen 1990, S. 2ff.
37. ↑ Gadamer, Wahrheit und Methode, Band 1, 6. Aufl., Tübingen 1990, S. 303.
38. ↑ Gadamer, Wahrheit und Methode, Band 1, 6. Aufl., Tübingen 1990, S. 373.
39. ↑ Gadamer, Wahrheit und Methode, Band 2, 2. Aufl., Tübingen 1993, S. 64.
40. ↑ Gadamer, Wahrheit und Methode, Band 1, 6. Aufl., Tübingen 1990, S. 494.
41. ↑ Fünf Jahre vor dem Erscheinen von Gadamers Hauptwerk hatte Emilio Betti 1955 noch vier
Kanones der Interpretation vorgeschlagen, die hermeneutische Objektivität gewährleisten
sollten. Vgl. Ineichen, S. 208f.
42. ↑ Karl-Otto Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 2: Das Apriori der
Kommunikationsgemeinschaft; zit.n. Lessing (Hrsg.), S. 251.

14
43. ↑ Karl-Otto Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 2: Das Apriori der
Kommunikationsgemeinschaft; zit.n.Lessing (Hrsg.), S. 253.
44. ↑ Karl-Otto Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 2: Das Apriori der
Kommunikationsgemeinschaft; zit.n.Lessing (Hrsg.), S. 255.
45. ↑ Karl-Otto Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 2: Das Apriori der
Kommunikationsgemeinschaft; zit.n.Lessing (Hrsg.), S. 257.
46. ↑ Paul Ricœur, Verstehende Soziologie. Grundzüge und Entwicklungstendenzen. München
1972 (Erstpublikation 1971 in englischer Sprache). Zit.n. Lessing (Hrsg.), S. 260.
47. ↑ Paul Ricœur, Verstehende Soziologie. Grundzüge und Entwicklungstendenzen. München
1972 (Erstpublikation 1971 in englischer Sprache). Zit.n. Lessing (Hrsg.), S. 276.
48. ↑ Paul Ricœur, Verstehende Soziologie. Grundzüge und Entwicklungstendenzen. München
1972 (Erstpublikation 1971 in englischer Sprache). Zit.n. Lessing (Hrsg.), S. 280.
49. ↑ Paul Ricœur, Verstehende Soziologie. Grundzüge und Entwicklungstendenzen. München
1972 (Erstpublikation 1971 in englischer Sprache). Zit.n. Lessing (Hrsg.), S. 282.
50. ↑ Paul Ricœur, Verstehende Soziologie. Grundzüge und Entwicklungstendenzen. München
1972 (Erstpublikation 1971 in englischer Sprache). Zit.n. Lessing (Hrsg.), S. 289f.
51. ↑ Paul Ricœur, Verstehende Soziologie. Grundzüge und Entwicklungstendenzen. München
1972 (Erstpublikation 1971 in englischer Sprache). Zit.n. Lessing (Hrsg.), S. 292.
52. ↑ Grondin, S. 183f.
53. ↑ Grondin, S. 186.
54. ↑ Köchler, Philosophical Foundations of Civilizational Dialogue. The Hermeneutics of
Cultural Self-comprehension versus the Paradigm of Civilizational Conflict. International
Seminar on Civilizational Dialogue (3rd: 15-17 September 1997: Kuala Lumpur), BP171.5
ISCD. Kertas kerja persidangan / conference papers. Kuala Lumpur: University of Malaya
Library, 1997.
55. ↑ Köchler, "Kulturphilosophische Aspekte internationaler Kooperation", in: Zeitschrift für
Kulturaustausch, Bd. 28 (1978), S. 40-43. Siehe auch den von Köchler edierten Sammelband
The Cultural Self-comprehension of Nations. Erdmann: Tübingen, 1978. ISBN 3771103118
56. ↑ Zur detaillierten Darstellung des Ansatzes von Köchler vgl. Andreas Oberprantacher,
Towards a Hermeneutics of Mutual Respect and Trans-cultural Understanding: Köchler's
Foundation of Civilizational Dialogue, in: F. R. Balbin (Hrsg.), Hans Köchler Bibliography
and Reader. Manila/Innsbruck 2007, S. 151-162. ISBN 978-3-900719-04-3

Literatur [Bearbeiten]

Philosophische Hermeneutik

← Bühler, Axel: Unzeitgemäße Hermeneutik. Interpretation und Verstehen im Denken der


Aufklärung Frankfurt 1994

15
← Bühler, Axel: Hermeneutik. Basistexte zur Einführung in die wissenschaftstheoretischen
Grundlagen von Verstehen und Interpretation Heidelberg 2003
← Gadamer, Hans-Georg & Gottfried Boehm: Seminar: Philosophische Hermeneutik. Frankfurt
am Main 1979.
← Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode. 1960.
← Grondin, Jean: Einführung in die philosophische Hermeneutik. 2. überarbeitete Auflage,
Darmstadt 2001. ISBN 3-534-15076-7 (trefflicher und konzentrierter historischer
Gesamtüberblick)
← Ineichen, Hans: Philosophische Hermeneutik. Freiburg 1991. ISBN 3-495-47492-7
← Jung, Matthias: Hermeneutik zur Einführung. Junius 2001 (knappe systematische Einführung,
auf neuere philosophische Fragestellungen v.a. im Zusammenhang mit Gadamers Hermeneutik
Bezug nehmend) ISBN 3-88506-334-4
← Koselleck, Reinhart: Hans Georg Gadamer: Hermeneutik und Historik. ISBN 3-8253-3932-7
← Lessing, Hans Ulrich (Hrsg.): Philosophische Hermeneutik. Freiburg (Breisgau) – München
1999. ISBN 3-495-47968-6 (Textsammlung von Dilthey bis Ricœur)
← Vetter, Helmuth: Philosophische Hermeneutik. Unterwegs zu Heidegger und Gadamer.
Frankfurt a. M. 2007 (Reihe der Österreichischen Gesellschaft für Phänomenologie; Band 13)
ISBN 3-631-53869-3

Schreiter, Jörg: Hermeneutik – Wahrheit und Verstehen, Akademie-Verlag Berlin 1988, ISBN 3-05-
000664-1

Hermeneutik als geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliche Methode

← Betti, Emilio: Die Hermeneutik als allgemeine Methodik der Geisteswissenschaften. Tübingen
1962
← Brinkmann, Hennig: Mittelalterliche Hermeneutik Tübingen 1980
← Dilthey, Wilhelm: Gesammelte Schriften. I-XII. 1914-36, fortgeführt 1962ff. (bisher 18 Bde.).
← Droysen, J. G.: Historik, I-III. 1937.
← Eberhard, Kurt: Einführung in die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie (2. Aufl.)
Kohlhammer, 1999 (mit abduktionslogisch deduzierten Regeln für eine validitätsorientierte
Hermeneutik) ISBN 3-17-015486-9
← Körtner, Ulrich H.J.: Einführung in die theologische Hermeneutik, Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006 ISBN 3-534-15740-0
← Kurt, Ronald: Hermeneutik · Eine sozialwissenschaftliche Einführung. Stuttgart: UTB, 2004
ISBN 3-8252-2572-0
← Meder, Stephan: Mißverstehen und Verstehen. Savignys Grundlegung der juristischen
Hermeneutik. Mohr Siebeck, Tübingen 2004.

16
← Seiffert, Helmut: Einführung in die Hermeneutik. UTB 1992 (relativ knapp gehaltene,
übersichtliche Einführung mit Schwerpunkt auf klassischen Bereichen angewandter
Texthermeneutik: Theologie, Jura, Pädagogik) ISBN 3-8252-1666-7

Hermeneutik und kritische und transzendentalpragmatische Philosophie

← Hans Albert: Kritik der reinen Hermeneutik. Tübingen (Mohr) 1994


← Apel, Karl-Otto: Die Erklären-Verstehen-Kontroverse in transzendental-pragmatischer Sicht.
1979

Hermeneutik und Dekonstruktion und andere neuere Methoden

← Angehrn, Emil: Interpretation und Dekonstruktion. Untersuchungen zur Hermeneutik.


Weilerswist: Uelbrück 2003
← Georg W. Bertram: Hermeneutik und Dekonstruktion, Konturen einer Auseinandersetzung der
Gegenwartsphilosophie, München : Wilhelm Fink Verlag 2002, ISBN 3-7705-3643-6
← Ph. Forget (Hg.): Text und Interpretation. Deutsch-französische Debatte mit Beiträgen von J.
Derrida u.a. München: Fink 1984
← Gumbrecht, H.U.: Diesseits der Hermeneutik
← Hörisch, Jochen: Die Wut des Verstehens, edition suhrkamp, erweiterte Nachauflage 1998, ein
fulminant verfasstes Essay zur Kritik der Hermeneutik ISBN 3-518-11485-9
← Jacques Lacan : Écrits
← Harro Müller: Hermeneutik oder Dekonstruktion?- In: Karl Heinz Bohrer (Hg.), Ästhetik und
Rhetorik, Frankf. a. M. (Suhrkamp) 1993, S. 98ff.
← Raman Selden (Hg.): The Cambridge History of Literary Criticism, Bd. 8: From Formalism to
Poststructuralism, Cambridge University Press 1995, ISBN 0521300134
← Paul Ricœur : Le conflit des interprétations,
← Hugh J. Silverman: Textualities. Between Hermeneutics and Deconstruction. London 1994
(Routledge) ISBN 0-415-90818-3
← Toni Tholen: Erfahrung und Interpretation, Der Streit zwischen Hermeneutik und
Dekonstruktion, C. Winter Universitätsverlag, Heidelberg 1999, ISBN 3825308839

Auslegungskunst
Keine Version gesichtet.

Auslegungskunst ist ein in der Aufklärung (18. Jahrhundert) geprägter deutscher Terminus zur
Bezeichnung der Hermeneutik, die zuvor unter dem lateinischen Titel der „Hermeneutica universalis“
behandelt wurde. Die Auslegungungskunst ist somit ein Vorläufer der modernen Hermeneutik.

Ein wichtiger Vertreter der Auslegungskunst ist Georg Friedrich Meier, der 1757 in seiner
Veröffentlichung „Versuch einer allgemeinen Auslegungskunst“ (Nachdruck 1965) in § 1 die
Auslegungskunst wie folgt beschrieb:

17
„Die Auslegungskunst im weiteren Verstande […] ist die Wissenschaft der Regeln, durch deren
Beobachtung die Bedeutungen aus ihren Zeichen können erkannt werden; die Auslegungskunst im
engeren Verstande […] ist die Wissenschaft der Regeln, die man beobachten muß, wenn man den Sinn
der Rede erkennen, und denselben andern vortragen will.“

Daneben stammt ein wichtiger Beitrag zur Auslegungskunst von Johann Martin Chladenius (1710–
1759), der als Begründer der modernen Geschichtswissenschaft gilt. In seiner „Einleitung zur
richtigen Auslegung vernünftiger Reden und Schriften“ 1742 (Nachdruck 1969) entwickelte er
allgemeine Regeln für die Interpretation historischer und dogmatischer (Lehr-)Schriften. Dabei wird
von der heutigen Hermeneutik besonders seine Lehre des Sehepunktes (der Perspektive) gewürdigt.

Sowohl Meier wie Chladenius behandeln die Auslegungskunst in einem eigenen Werk, nachdem diese
zuvor meist innerhalb der Logik und der Vernunftlehre (so bei Johannes Clauberg, Christian
Thomasius und Christian Wolff) ihren Ort hatte. Indem Meier die Auslegungskunst in die Nähe der
Semiotik rückt und Chladenius besonders die Rolle der sogenannten 'unteren Erkenntnisvermögen'
betont, führen ihre Konzeptionen einerseits über den Rationalismus der Aufklärung hinaus.
Andererseits ist ihre strenge systematische Form, die Orientierung an der Wissenschaftlichkeit und die
Konzeption eines primär rationalen Autors ein typischer Ausdruck der allgemeinen Annahmen der
Aufklärung.

Literatur [Bearbeiten]

← Georg Friedrich Meier: Versuch einer allgemeinen Auslegungskunst. Mit einer Einl. und Anm.
hrsg. von Axel Bühler und Luigi Cataldi Madonna. Meiner, Hamburg 1996, ISBN 978-3-7873-
1236-8 (Originalausgabe von 1757).

Interpretation
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Interpretation (v. latein. interpretatio „Auslegung, Übersetzung, Erklärung“) bedeutet im


allgemeinen oder alltäglichen Sinne das Verstehen oder die Deutung der zugrundegelegten Bedeutung,
Aussage oder des Kontextes.

Inhaltsverzeichnis
[Verbergen]

1 Beispiele interpretativer Ansätze


2 Interpretation in der Kunst
3 Natur- und Kulturinterpretation

4 Siehe auch

Beispiele interpretativer Ansätze [Bearbeiten]

18
← Hermeneutik, die allgemeine Methodenlehre der Interpretation
← Interpretation in der Formalen Logik und der Formalen Semantik: Die Interpretationsfunktion
ordnet jedem syntaktisch korrekten Konstrukt einer formalen Sprache dessen Bedeutung zu
← Interpretation von Kommandos in der Informatik: Interpreter und Compiler sind
Computerprogramme, die Texte, die in einer höheren Programmiersprache formuliert sind, in die
Maschinensprache übersetzen, und dadurch für den Computer ausführbar machen. Im Unterschied
zum Compiler, der nur den übersetzten Text liefert, führt der Interpreter jedes übersetzte
Kommando unmittelbar danach gleich aus.
← Im Zusammenhang mit der Auslegung und Deutung von theologischen, literarischen und
juristischen Texten spricht man auch von Exegese, deren Gegensatz die Eisegese ist, bei
Auslegung von Gesetzen in der Rechtswissenschaft von Rechtsauslegung, etwa im
Gesetzeskommentar.
← Interpretation von Geodaten, um Informationen über geographische Zusammenhänge zu
gewinnen: Geoinformationssysteme präsentieren Informationen durch Verschneidung von Primär-
(etwa Bildverarbeitung) und Sekundärdaten
← Interpretation von Sinneseindrücken durch das Gehirn, und in Folge das Bewusstsein, wie
z. B. der Raumlage, bei optische Täuschungen, Schwindelgefühl, Raumangst
← Die Traumdeutung in der Psychoanalyse
← Interpration in der Kunst als Darstellung oder Werkanalyse
← Natur- und Kulturinterpretation als didaktisches Konzept

Interpretation in der Kunst [Bearbeiten]

Interpretation im Sinne der Wissenschaften, die sich mit Kunst und kulturellen Leistungen
beschäftigen, insbesondere der Kunsttheorie ist der Vorgang, in dem ein literarisches, musikalisches
oder bildnerisches Kunstwerk ausgelegt oder gedeutet wird. Interpretation umfasst neben der Analyse
formaler Aspekt auch die Untersuchung des Subtextes.

Der Versuch einer Deutung setzt voraus, dass der interpretierte Gegenstand der Auslegung bedarf.
Nach anderen Auffassungen ist jedes Verstehen schon Interpretieren. Auch das Ergebnis dieses
Vorgangs bezeichnet man als Interpretation. In den ephemeren Kunstformen wie Musik oder Tanz ist
schon die Aufführung selbst eine Interpretation eines Werkes, und daher steht für den Künstler das aus
dem englischen übernommene Werk Interpret.

← Literatur:
← Textinterpretation im allgemeinen
← Gedichtinterpretation zur Dekodierung und Deutung poetischer Texte
← Biblische Hermeneutik, Deutung christlicher Textes als literarisches Kulturgut
← Bildende Kunst:
← Bildwissenschaft im allgemeinen
← Ikonographie und Ikonologie, Deutung der bildlichen Symbole

19
← Filmen und anderen Medien:
← Medienwissenschaft
← Musik:
← Musikalische Interpretation, das Wiedergeben von Musik
← Tanzen:
← Interpretation im Tanz, Darstellung einer Handlung oder eines Gefühlsausdruck

Natur- und Kulturinterpretation [Bearbeiten]

Natur- und Kulturinterpretation (Heritage Interpretation) ist ein zusammenfassender Begriff für ein
Kommunikationskonzept in besucherorientierten Einrichtungen, bei dem es darum geht, Besuchern
unmittelbare Erfahrungen mit wahrnehmbaren Natur- und Kulturphänomenen zu ermöglichen und sie
darüber zum Erhalt unseres Natur- und Kulturerbes anzuregen. Natur- und Kulturinterpretation wird
auf den Journalisten Freeman Tilden (Interpreting Our Heritage, 1957) zurückgeführt und ist als
Kommunikationskonzept der Ranger im US National Park Service v. a. im anglo-amerikanischen
Sprachraum verbreitet. Die Verwendung des Begriffs Interpretation in diesem Zusammenhang geht
auf den kalifornischen Naturschützer John Muir zurück – „I'll interpret the rocks, learn the language of
flood, storm, and the avalanche“ (Ich interpretiere die Felsen, erlerne die Sprache der Flut, des Sturms
und der Lawine), 1871.
Immanente Kritik
Keine Version gesichtet.

Immanente Kritik meint ein grundlegend hermeneutisches Verfahren der Auseinandersetzung mit
Texten.

Der Text wird dabei aufgrund seiner eigenen Mittel, Begriffe und Denkfiguren sowie deren
Performativität einer Kritik unterzogen.

Im Gegensatz zur Standpunktkritik, bei der die Kritik dem Text eine andere Position entgegensetzt
wird, ist die "Immanente Kritik" eine Auseinandersetzung an der Argumentation einer vorliegenden
Position des kritisierten Textes. Aufgezeigt werden hier beispielsweise unzulässige Schlüsse, die
unzureichende Begründung einer These und die Widersprüche einer Theorie, wenn sie nicht in sich
schlüssig oder tautologisch ist.

Mit "Text" sind dabei nicht immer nur schriftliche Äußerungen gemeint.

Bekannt für die konsequente "Beurteilung der Werke an ihren immanenten Kriterien" ist Walter
Benjamin und beispielhaft seine Schrift "Kritik der Gewalt".

Immanente Kritik kann zwar als eine Methode der Dekonstruktion bezeichnet werden, unterscheidet
sich aber von der Immanenz-Philosophie von Gilles Deleuze.

Als Urheber und Begründer werden immer wieder verschiedene Philosophen angegeben. So soll
Popper sich die Methode der "Immanenten Kritik" Adornos zu eigen gemacht haben. Immanente

20
Kritik ist jedoch eine prinzipiell uralte Methode der Philosophie. So hat sich bereits Baruch de Spinoza
1677 mit den Problemen der Auslegung von Texten beschäftigt und stellte dazu Grundsätze auf: "Die
Hauptregel der Schriftinterpretation besteht also darin, dass man der Schrift keine Lehre zuschreiben
soll, die nicht mit völliger Deutlichkeit aus ihrer Geschichte sich ergibt".

Literatur [Bearbeiten]

← Lyotard, Jean-Francois (1987): Der Widerstreit. München.


← Baruch de Spinoza (1677): Theologisch-politischer Traktat (dort: Von der Auslegung der
Schrift)

Weblinks [Bearbeiten]
Diskursanalyse
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Diskursanalyse ist ein Oberbegriff für die sprachwissenschaftliche Analyse von Diskursphänomenen.
Je nachdem, was als Diskurs betrachtet wird, gibt es dafür unterschiedliche Interpretationen. In den
Sozialwissenschaften ist nicht nur die Form, sondern auch der Inhalt des Diskurses Gegenstand der
Analyse.

Die Diskursanalyse geht im wesentlichen auf die Arbeiten von Michel Foucault zurück, der damit die
traditionelle Geistesgeschichte in Frage stellte. Foucault schuf aber keine Methode, sondern legte mit
seinen theoretischen Überlegungen Grundsteine für eine neue Art des Denkens, ein epistemologisches
Modell, das erst in den letzten Jahrzehnten methodisch in der Literaturwissenschaft, der Soziologie
und zunehmend auch in der Geschichtswissenschaft angewendet und reflektiert wird. Als
wissenschaftliche Methode spielt die Diskursanalyse auch im Bereich der Politikwissenschaft, v. a. im
Teilgebiet der Internationalen Beziehungen eine zunehmend wichtige Rolle. In Frankreich trug
insbesondere der Diskursforscher Michel Pêcheux dazu bei, die methodologische Umsetzung einer
empirisch orientierten Diskursanalyse voranzutreiben. Nach wie vor ist die Diskursanalyse jedoch kein
einheitliches Verfahren, sondern vielmehr eine epistemologische Herangehensweise, die auf
bestimmte Grundannahmen aufbaut.

Allgemein untersucht sie den Zusammenhang von sprachlichem Handeln und sprachlicher Form,
sowie den Zusammenhang zwischen sprachlichem Handeln und gesellschaftlichen, insbesondere
institutionellen, Strukturen. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist dabei die Abgrenzung des
Diskurses (als pragmatisches Phänomen) gegenüber dem Text (als sprachliche Struktur des Diskurses,
welcher u. a. in der Textlinguistik untersucht wird) bemerkenswert.

Bei einer Diskursanalyse können folgende Themen Beachtung finden:

← Sprechakttheorie

21
← Deixis
← Interjektionen und Responsive
← Reparaturmechanismus
← Sprecherwechsel
← Thema-Rhema-Gliederung

Ähnliche Konzepte sind:

← Gesprächsanalyse
← Ethnographie des Sprechens
← Ethnomethodologie
← Konversationsanalyse

Inhaltsverzeichnis
[Verbergen]

1 Diskursanalyse in der Sozialwissenschaft


2 Gegenstand der Diskursanalyse in der Sozialwissenschaft
3 Vier Charakteristika des Diskurses in der Sozialwissenschaft
4 Analyseschritte in der Sozialwissenschaft
5 Siehe auch
6 Weblinks

7 Literatur

Diskursanalyse in der Sozialwissenschaft [Bearbeiten]

Die historische Diskursanalyse (DA) geht von einer doppelten Vermittlung von Geschichte aus. Zum
einen durch Quellen, zum anderen durch ihre Darstellung (in Geschichtsbüchern beziehungsweise
geschichtswissenschaftlichen Abhandlungen). Geschichte wird stets von Zeichensystemen vermittelt
und ist insofern immer konstruiert, indem sie genau diese sinnhaften (Zeichen-) Konstruktionen zum
Gegenstand ihrer Untersuchung erhebt - anders gesagt: Historische Ereignisse, Strukturen und
Prozesse sind untrennbar mit ihrer Repräsentation verknüpft. Geschichte ist nur in vermittelter Form
zugänglich, also als "re-präsentierte Realität". Die DA spürt also den Formen und Regeln der
Repräsentation nach.

Gegenstand der Diskursanalyse in der Sozialwissenschaft [Bearbeiten]

Sie untersucht die Regeln und Regelmäßigkeiten des Diskurses, seine Möglichkeiten zur
Wirklichkeitskonstruktion, seine gesellschaftliche Verankerung und seine historischen
Veränderungen. Sie stellt insbesondere Fragen nach den sozialen und institutionellen
Zusammenhängen, in denen Aussagen des Diskurses auftauchen, sowie nach der Organisation der

22
Aussagen, das heißt nach den Prinzipien ihrer Anordnung. Das Forschungsinteresse richtet sich
insbesondere auf die Existenz der Aussagen. (Warum treten gerade diese Aussagen auf? Warum in
dieser Form und in diesen Zusammenhängen?) Die DA beabsichtigt also nicht, einen (literarischen)
Text in seiner Ganzheit zu verstehen und zu interpretieren wie etwa die Hermeneutik, sondern es geht
ihr vielmehr um Diskursformationen (Strukturen, Praktiken), die sich durch die unterschiedlichsten
Texte hindurchziehen.

Vier Charakteristika des Diskurses in der Sozialwissenschaft [Bearbeiten]

Nach Dominique Maingueneau, einem Vertreter der linguistischen Diskursanalyse in Frankreich,


lassen sich vier Charakteristika in der DA nach Foucault ausmachen:

1. Ort: historischer, sozialer, kultureller Ausgangspunkt einer Serie ähnlicher Aussagen, der
"Ort des legitimen Sprechens" (Institutionalisierung eines Sachverhaltes z.B. Wahnsinn im
Rahmen der Psychiatrie). Der Ort ist eng mit Macht verbunden, da es sich dabei zumeist auch
um einen Platz handelt, "den ein Subjekt einnehmen muss, wenn es im Rahmen eines
Diskurses etwas sagen will, das als Wahrheit gelten soll".(Sarasin, 34)
2. Einschreibung: Äußerungen werden erst zu Aussagen durch die Wiederholung ähnlicher
Äußerungen, denn durch Wiederholung generieren die miteinander verbundenen Aussagen ein
Ordnungsschema bzw. eine diskursive Regelmäßigkeit
3. Grenzen und Interdiskurse: Ein Diskurs zeichnet sich immer auch durch seine
Beschränkungen aus, d.h. durch Verbote, Ausgrenzungen (des Sagbaren, Sichtbaren), zugleich
zeigen sich auch immer Verbindungen zu anderen Diskursen z.B. durch Kollektivsymbole
(=diskursive Elemente, die zu einer bestimmten Zeit in vielen Diskursen verkommen, sie
dienen als Quelle von Evidenz und Deutbarkeit)
4. Archiv: Die vier vorangegangen Elemente konstruieren das Archiv. "Auf Basis dieses
Archivs erst kann man dann inhaltliche Aussagen darüber machen, wie Diskurse die soziale
Welt des Bezeichneten in ihrer historischen Spezifität hervorbringen." (Sarasin, 35)

Darüber hinaus ist die Eigenlogik folgender Elemente zu bedenken und im Auge
zu behalten:

a) der diskurs-immanten Ordnung


b) der Medialität (jedes Medium hat seine eigenen inhärenten Darstellungsformen, die zu
berücksichtigen sind.)
c) der Polysemie der Sprache
Analyseschritte in der Sozialwissenschaft [Bearbeiten]

← Institutioneller Rahmen / Kontext (z. B.: Autor, Medium,


Ereignishintergrund)

23
← Text-Oberfläche (Gestaltung, Sinneinheiten, Strukturierung
angesprochener Themen)
← Sprachlich-rhetorische Mittel (Analyse der
Argumentationsstrategien, Implikationen und Anspielungen,
Logik und Komposition, Kollektivsymbolik ("Bildlichkeit"),
Redewendungen, Wortschatz, Stil, Akteure,
Referenzbögen ...)
← Inhaltliche-ideologische Aussagen: Menschenbild,
Gesellschaftsbild, Vorstellungen von Zukunft, Technik etc.
← Interpretation: Systematische analytische Darstellung eines
Diskursfragments nach der Aufbereitung des Materials.
Dabei werden die einzelnen Elemente aufeinander bezogen.

Zentrale Analysekategorien sind dabei die Diskursstränge, der


diskursiven Ereignisse, Diskursebenen und Diskurspositionen.

(Vgl. Jäger (2004))


Hermeneutischer Zirkel
Keine Version gesichtet.

Das Bild des Hermeneutischen Zirkels (von griech. ἑρμηνεύω [hermēneúō]: "auslegen, erklären,
übersetzen") charakterisiert in der Sprachphilosophie die Interpretation eines Textes als
fortschreitende Annäherung an dessen Sinn: Ausgangspunkt für das Verständnis von Texten ist das
eigene (Vor-)Wissen. Der eigentliche Verstehensprozess besteht aus

1. der Bildung von Vorurteilen (Vorwegnahmen), in denen Vermutungen über den Sinn eines
Textes (oder eines Textabschnittes) vorausgeworfen werden
2. der anschließenden Erarbeitung des Textes (oder Textabschnittes). Dieser Prozess führt zur
Änderung und Weiterentwicklung des ursprünglichen Vorwissens - die Bereitschaft zur
Revidierung der eigenen Vorurteile vorausgesetzt (Offenheit, Empfänglichkeit - Gadamer).

Mit diesem überarbeiteten Vorwissen kann der Verstehensprozess erneut angestoßen werden. Im
Prinzip kann dieser Kreis endlos wiederholt werden.

In der Erkenntnistheorie ist vor allem der von Martin Heidegger in Sein und Zeit dargestellte Ansatz
bedeutsam geworden, der den hermeneutischen Zirkel „ontologisch“ begründen will. Danach liegt der
Anfang des hermeneutischen Zirkels in einer ursprünglichen Grundevidenz der Wahrheit. Nur weil der
Mensch „immer schon“ in der Wahrheit seines Seins stehe, könne er die Wahrheitsfrage über den Sinn
seines Menschseins stellen und diese weiter ausbauen.

Demzufolge ist jede Aussage, die von einem Individuum getroffen wird, für das selbige ein
hermeneutischer Zirkel, da dieses sowohl die Wahrheit als auch die "Erkenntnis" der Wahrheit schon

24
inne hat, oder anders formuliert, sich die Frage nach der Wahrheit nicht stellen kann, da es diese ja
schon ist.

Diese Grundlage ist von Hans-Georg Gadamer in seiner Hermeneutik weiterentwickelt worden.

Der Hermeneutische Zirkel wird oft als Methode sui generis in den Geisteswissenschaften verstanden,
durch die sich die Geisteswissenschaften von den Naturwissenschaften unterscheiden. Von Seiten der
analytischen Wissenschaftsphilosophie wird in diesem Zusammenhang kritisiert, dass das Bild des
Hermeneutischen Zirkels erstens kein Zirkel (sondern eine "hermeneutische Spirale"), zweitens keine
Methode und drittens kein Unterscheidungsmerkmal zwischen geisteswissenschaftlicher und
naturwissenschaftlicher Erkenntnis ist.

Grundlage für die Interpretation anhand des Hermeneutischen Zirkels ist die Ergriffenheit beim Leser.
Aus diesem Grund sind Gebrauchstexte von dieser Methode ausgeschlossen. Emil Staiger umschrieb
dies folgendermaßen: "Dass wir begreifen, was uns ergreift." (Emotionales muss rational
erklärt werden, Faszination führt zu Analyse).
Inhaltsverzeichnis
[Verbergen]

1 Hermeneutischer Prozess
2 Literatur
3 Siehe auch

4 Weblinks

Hermeneutischer Prozess [Bearbeiten]

Vorstadium
Vorverständnis erforderlich; Beherrschen der Sprache; Vorstellung über damalige
Verhältnisse
1. Stadium − Der hermeneutische Entwurf
Horizontverschmelzung zwischen Verstehenshorizont und Bedeutungshorizont
2. Stadium − Die hermeneutische Erfahrung
Vorverständnis wird erweitert und korrigiert
3. Stadium − Der letzte verbesserte Entwurf
tieferes Verständnis, Reifung des Vorverständnisses
Literatur [Bearbeiten]

Apel, Karl-Otto: Transformation der Philosophie, 2 Bände, Frankfurt am Main:


Suhrkamp 1973 (Bd. I: Sprachanalytik, Semiotik, Hermeneutik; Bd. II: Das
Apriori der Kommunikationsgemeinschaft)

25
Wolfgang Stegmüller: Der sogenannte Zirkel des Verstehens. In: ders.: Das
Problem der Induktion: Humes Herausforderung und moderne Antworten.
Darmstadt 1996 (Wissenschaftliche Buchgesellschaft)
Objektive Hermeneutik
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Die Objektive Hermeneutik ist eine Methode der empirischen Sozialforschung. Sie ist eine
hermeneutische Methode, d.h. eine Methodenlehre der Sinnerschließung der "sinnstrukturierten Welt"
menschlicher Lebenspraxis. Im Unterschied zu anderen Hermeneutiken zielt sie nicht auf den
subjektiv gemeinten Sinn ab, sondern auf die Bedeutung von "Ausdrucksgestalten" im weiten Sinne,
besonders von "Texten". Die Objektive Hermeneutik gehört zur Rekonstruktionslogik (im Gegensatz
zu Subsumtionslogik).

Außerdem ist die Methode der Objektiven Hermeneutik dem Praxisbereich einer strikt analytischen
Hermeneutik zuzurechnen, die – anders als beispielsweise die Hermeneutik Gadamers – keinen
unmittelbaren Beitrag zur Bewältigung irgendeiner Lebenspraxis leisten kann und will. Fragen, wie
zum Beispiel nach der Verantwortlichkeit im Handeln, haben keinen Platz in der
objektivhermeneutischen Analyse, es sei denn in Form der Bewertung eines Handelns als Bestandteil
eines jeweils sozialisationsspezifisch analytisch klar beschreibbaren Bewährungsmythos.

Die Objektive Hermeneutik ist sowohl eine Methode der Sinnerschließung als auch eine Theorie der
konstitutiven Merkmale des Gegenstandes "sinnstrukturierte Welt". Sie will eine streng
erfahrungswissenschaftliche, falsifikationistische Forschungsmethodologie für Forschungen im
gesamten Erfahrungsbereich der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften sein. Begründer der
Objektiven Hermeneutik ist Ulrich Oevermann.

Inhaltsverzeichnis
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1 Objektbereich (Welt Drei)


2 Strukturen
3 Methoden
← 3.1 Interpretationsbeispiel
← 3.2 Ästhetiktheorie
4 Literatur

5 Weblinks

Objektbereich (Welt Drei) [Bearbeiten]

26
Der Objektbereich der objektiven Hermeneutik ist, was der Philosoph Popper als „Welt Drei“
bezeichnet:

Welt Drei entsteht aus der Interaktion von Subjekten, wobei kulturelle Gehalte entstehen, die
emergent sind und fortan unabhängig von den erzeugenden Subjekten existieren können.
Beispiel: aus einem Dialog entstandene Ideen. Popper unterscheidet zwischen drei Welten:

1. die erste Welt des Physisch-Materiellen (der erfahrbaren Welt),


2. der zweiten Welt des Subjektiv-Psychischen (der menschlichen Interaktionen und
Gedanken) und
3. der dritten Welt des Objektiv-Geistigen.

Die Strukturen von „Welt Drei“ werden erzeugt durch ein System "generativer Regeln".

Der generative Regelbegriff stammt von Noam Chomsky: Ein generatives Regelsystem kann
durch eine endliche Zahl von Regeln eine unendliche Zahl von Ergebnissen produzieren.
Chomsky griff hierbei auf die mathematische Theorie der rekursiven (auf sich rückbezogenen)
Funktionen zurück.

Generative Regeln beziehen sich auf universale und historische Strukturen. Universale
Strukturen sind nicht veränderbar, historische hingegen schon.

← Universal sind diese Strukturen aber nur in Bezug auf die Menschen. Zu den
universalen Regeln gehören u.a. die Regeln der Sozialität als zweckfrei sich
reproduzierende Reziprozität (Wechselseitigkeit), die universalgrammatischen Regeln
der Phonologie und Syntax, sowie die universalpragmatischen Regeln. Es kann also
gesagt werden, dass generative Regeln in Form von rekursiven Algorithmen objektive
Sinnstrukturen erzeugen und so wohlgeformte Handlungen und Äußerungen
ermöglichen. Die objektive Hermeneutik versucht diese Strukturen zu rekonstruieren.

Strukturen [Bearbeiten]

In Zusammenhang mit der objektiven Hermeneutik sind Strukturen jene


Gesetzmäßigkeiten, mit der eine Lebenspraxis (Individuum, Gruppe, Gemeinschaft,
Institution, Gesellschaft) über einen bestimmten Zeitraum typische Selektionen aus den
nach Regeln erzeugten offen stehenden Optionen vornimmt.

Struktur lässt sich in vier Ebenen unterscheiden:

1. Ebene 1 mit Parameter 1: Sie enthält die Menge aller Strukturgesetzlichkeiten, die
rekursiv algorithmisch geformte Möglichkeiten eröffnet.
2. Ebene 2 mit Parameter 2: Sind die typischen Auswahlen einer Lebenspraxis aus
Ebene 1. Die Zweite Ebene ist die Ebene der Subjektivität.

27
3. Ebene 3 als Resultat der Selektion: Sie beinhaltet die objektive Fall-
Strukturgesetzlichkeit bzw. die objektive Identität.
4. Ebene 4 als immer nur partielles Begreifen: Sie beinhaltet ein bewusstseinsfähiges
Selbstbild und intersubjektive Identität.

Diese Strukturen sind durch Latenz geschützt. Es können Strukturschichten unterschieden


werden. Diese werden nach der Latenz der Zugänglichkeit unterschieden.

← Die universalen Strukturen sind dem Unbewussten zu zurechnen. Die universalen


Strukturen sind invariabel und somit auch durch Aufdeckung nicht zu verändern.
← bei den historischen Strukturen (epochenspezifische, gesellschaftsspezifische,
subkulturelle, milieuspezifische Regeln) hingegen finden sich Stufen der Latenz vom
Unbewussten, Vorbewussten bis zum partiell Bewussten.

Nach der Definition von Luhmann (in Tradition von Parsons) hat strukturfunktionale
Latenz die Funktion des Strukturschutzes. Demnach hat Latenz die Funktion, Strukturen
vor der Zerstörung durch Aufdeckung zu bewahren. Dies gilt nur für die historisch
variablen Strukturen.

Methoden [Bearbeiten]

Gegenstand des Verfahrens sind Texte. Wenn man Texte unter dem Gesichtspunkt der
Trägerschaft von Sinn und Bedeutung betrachtet, so kann man diese auf das gesamte
menschliche Schaffen erweitern. Dazu gehören dann auch Landschaften, Filme, Bilder,
Gemälde, usw.. Diese werden in Form von Protokollen vergegenständlicht. Die Protokolle
ihrerseits sind von der Lebenspraxis (der protokollierten Wirklichkeit) zu trennen. Unter
Lebenspraxis versteht Oevermann z.B. Personen, Familien, sich selbst als Einheiten
verstehende Gruppen, Organisationen, Firmen oder nationale Gesellschaften. Die
Unmittelbarkeit der Lebenspraxis verhindert ein sofortiges Analysieren.

Im Gegensatz zu anderen qualitativen Verfahren, sowie den traditionellen Hermeneutiken


geht es der objektiven Hermeneutik nicht darum, einen vom Autor intendierten Sinn
nachzuvollziehen, sondern den latenten Sinn - die Struktur - des Textes zu ermitteln. Dabei
geht die objektive Hermeneutik davon aus, dass eine Sprache von Individuen intersubjektiv
geteilte Regeln und Bedeutungen aufweist, die man rekonstruieren kann. Die
Rekonstruktion der Struktur von „Welt Drei“ erfolgt durch Interpretieren. Dabei gelten
folgende Interpretationsregeln:

1. Im Zentrum eines Falles steht ein Strukturkern, welchen man auch als
Strukturformel oder generatives Prinzip bezeichnen kann. Ziel wissenschaftlicher
Arbeit muss also sein, die Strukturformel des Falles zu rekonstruieren
(entschlüsseln).

28
2. Das Interpretieren muss dem Sequentialitätsprinzip folgen. Es soll Sequenz für
Sequenz, Interakt für Interakt rekonstruiert werden.
3. Der wissenschaftliche Interpret soll dem Phänomen möglichst viel Sinn
unterstellen und somit auch die unwahrscheinlichsten Lesearten berücksichtigen.
4. Die im Interpretationsprozess nicht ausgeschiedenen Interpretationen müssen dann
den Strukturkern des Falles beschreiben.

Bei der Datenerhebung wird nicht standardisiert vorgegangen. Es wird darauf geachtet,
keine „Kleinigkeit“ zu übersehen. Deshalb werden Aufzeichnungsgeräte benutzt. Dadurch
ist gewährleistet, dass es zu keiner Selektion im Voraus kommt.

Lesarten entwerfen heißt, Kontextbedingungen zu konstruieren, die den jeweiligen Interakt


(auch Sequenz) sinnvoll erscheinen lassen. Diese Vorgehensweise hat nichts mit
willkürlichem Interpretieren zu tun, sondern trägt der Struktur von „Welt Drei“ Rechnung,
da diese verborgen ist. Sie unterscheidet sich gerade durch diese Vorgehensweise von der
„Alltagsinterpretation“, da im Alltag gerade eine Richtung ohne Umwege bei der
Interpretation eingeschlagen werden muss. Dies muss im Alltagsgeschehen auch so sein, da
der Versuch auch das Unwahrscheinliche, Außergewöhnliche oder Abenteuerliche mit
einzubeziehen, das Handeln erheblich erschweren würde. Diese Art des Interpretierens setzt
eine Einstellungsänderung bei den wissenschaftlichen Interpreten voraus. Der Interpret
muss versuchen den Gegenstand zu verfremden, sich ihm gegenüber „naiv“ zu stellen. Das
hat die Funktion, Kritik, sowie fest gefügte Vorstellungen zu Lesarten zu unterbinden. Es
soll ihm außerdem helfen kein „Vorwissen“ über den Fall in die Konstruktion von
Kontexten einfließen zu lassen.

Sequenzialität ist ein Charakteristikum des menschlichen Handelns. Jeder


Handlungsvollzug stellt eine Sequenzstelle dar, an welcher sich ein Prozess der Schließung
und Öffnung von Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Menschliches Handeln basiert auf dem
sozialen Akt und für den gilt,

1. dass er regelgeleitet (generative Regeln) ist,


2. dass er im Sinne eines rekursiven Algorithmus funktioniert,
3. dass er einen geschlossenen Handlungskreis (Geste, Reaktion, Resultan-te)
darstellt.

Deshalb ist die Sequenzanalyse die methodisch angemessene Antwort auf die Sequentialität
von menschlichem Handeln. Bei der Interpretation einer Sequenz sind zwei Parameter zu
unterscheiden: Der erste Parameter bezieht sich auf die Gesamtheit der offen stehenden
Handlungsmöglichkeiten – er gibt die Gesamtzahl der Sequenzierungsregeln an, welche an
dieser Stelle eine logischen Anschluss an die Handlung bieten. Der zweite Parameter
bezieht sich auf die Auswahl unter den offen stehenden Handlungsmöglichkeiten – dieser

29
umfasst alle Elemente der beteiligten Lebens- oder Handlungspraxen welche zu einer
Auswahl führen.

Das Totalitätsprinzip legt fest, dass bei der Rekonstruktion eines Protokollabschnitts
prinzipiell alles zu berücksichtigen ist. Alles ist zu interpretieren, jedes Detail egal wie
unscheinbar muss mit einbezogen werden.

Das Wörtlichkeitsprinzip besagt, dass nur das zur Erschließung einer Sache heranzuziehen
ist, was sich auch an deren Ausdrucksgestalt festmachen lässt. Das heißt es kann nur das
zur Rekonstruktion der Fallstruktur herangezogen werden, was wörtlich im Text, bzw.
Protokoll zu finden ist.

Das Darstellungsprinzip legt fest, in welcher Weise ein Fall dargestellt, d.h. prä-entiert
werden soll. Die Darstellung erfolgt hierarchisch. Zuerst wird die Analyse der
Fragestellung vorgestellt. Es ist erforderlich, dass die Fragestellung mit objektiv
hermeneutischen Mittel rekonstruiert und das Ergebnis schriftlich festgehalten wird, bevor
die weiteren Schritte in Angriff genommen werden. Als Zweites folgt die Interpretation der
objektiven Daten, d.h. der Geschichte des Falls, sowie der sozialen Eingebundenheit. An
dritter Stelle folgt die Interpretation der erhobenen Daten, wobei mit der
Eröffnungssequenz zu beginnen ist. Dieses Prinzip gilt auch für die Reihenfolge von
Fallanalysen.

Es stellt sich noch die Frage nach der Überprüfbarkeit - also Gültigkeit - der, von den
hermeneutischen Erfahrungswissenschaft aufgestellten Hypothesen. Hierbei kommt das
Falsifikationsprinzip Poppers zum Zug. Demnach lässt sich eine Hypothese nicht
verifizieren (belegen), sondern muss falsifiziert (widerlegt) werden. Die einzige
Möglichkeit eine Hypothese zu entkräften, ist sie zu widerlegen. In der objektiven
Hermeneutik werden deshalb folgende Verfahrensschritte verwendet:

1. Aufstellung einer Hypothese


2. Überprüfung der Hypothese
1. auf ihren empirischen Gehalt
2. auf ihren logischen Gehalt
3. Formulierung der Hypothese in Reinform
4. Widerlegungsversuch
1. Hypothese
2. Randbedingungen
3. Prognose

Wenn eine Entscheidung bei der Überprüfung negativ ausfällt, so gilt die Hypothese und
damit das System aus dem sie stammt als falsifiziert und hat somit keine Gültigkeit. Das
Falsifikationsprinzip wird an zwei Stellen in der hermeneutischen Erfahrungswissenschaft

30
angewendet. An erster Stelle findet sich das Falsifikationsprinzip in der Sequenzanalyse
durch die Einführung der Parameter I und II. Dann werden auf der Ebene von Parameter II
– konkrete Auswahl - aus den offen stehenden Handlungsmöglichkeiten (Parameter I)
Entscheidungen getroffen, die nicht zur Strukturhypothese passt, so gilt diese als
falsifiziert. Die zweite Stelle befindet sich am Ende der Interpretation eines Falles, wenn
alle Lesarten darauf überprüft werden, ob sie wirklich zur Strukturhypothese passen. Somit
zeigt sich, dass die Ergebnisse der objektiv hermeneutisch verfahrenden Wissenschaft
doppelt auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden. „Ein strengeres Falsifikationsverfahren ist
in der Methodologie der Humanwissenschaften schlechterdings nicht zu haben.“
(Oevermann)

Interpretationsbeispiel [Bearbeiten]

Die wohl zur Zeit detaillierteste, lückenloseste Sequenzanalyse des Begründers der
Objektiven Hermeneutik, die daher zu Studienzwecken auch als am besten geeignet
erscheint, findet sich in

Ulrich Oevermann (2001): Strukturprobleme supervisorischer Praxis. Eine objektiv


hermeneutische Sequenzanalyse zur Überprüfung der Professionalisierungstheorie.
Humanities-online, Frankfurt am Main, 314 S. (vgl. auch Oevermanns Aufsatz im Band
von Barde / Mattke (1993))

Darüber hinaus:

Ulrich Oevermann (2001): Beckett's "Endspiel" als Prüfstein hermeneutischer


Methodologie. Eine Interpretation mit dem Verfahren der objektiven Hermeneutik. (Oder:
Ein objektiv-hermeneutisches Exerzitium). In: Neue Versuche, Becketts 'Endspiel' zu
verstehen. Sozialwissenschaftliches Interpretieren nach Adorno. Hg: Hans-Dieter König. S.
93-249. Suhrkamp. Frankfurt am Main

Ästhetiktheorie [Bearbeiten]

Ulrich Oevermann hat mehrere Aufsätze zu den Konsequenzen seines Ansatzes für die
Ästhetiktheorie geschrieben.

Literatur [Bearbeiten]

← Oevermann, Ulrich; Allert, Tilman.; Konau, Elisabeth; Krambeck, J. (1979). Die


Methodologie einer "objektiven Hermeneutik" und ihre allgemeine forschungslogische
Bedeutung in den Sozialwissenschaften. In: Hans-Georg Soeffner (Hrsg.):
Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften. Stuttgart, S. 352-434:
Metzler

31
← Oevermann, Ulrich (2000): Die Methode der Fallrekonstruktion in der
Grundlagenforschung sowie der klinischen und pädagogischen Praxis, in: Klaus
Kraimer (Hrsg.): Die Fallrekonstruktion. Sinnverstehen in der sozialwissenschaftlichen
Forschung. Frankfurt am Main, S. 58-156: Suhrkamp

← Oevermann, Ulrich (2001): Strukturprobleme supervisorischer Praxis. Eine objektiv


hermeneutische Sequenzanalyse zur Überprüfung der Professionalisierungstheorie.
Humanities Online, Frankfurt am Main, 314 S.

← Ulrich Oevermann (2002): Klinische Soziologie auf der Basis der Methodologie der
objektiven Hermeneutik – Manifest der objektiv hermeneutischen Sozialforschung.
Frankfurt am Main, pdf-Datei, 33 S.

← Ley, Thomas (2004): "Objektive Hermeneutik in der Polizeiausbildung. Zur


sozialwissenschaftlichen Grundlegung eines Curriculums", Berlin: Duncker & Humblot

← Wagner, Hans-Josef (2001): "Objektive Hermeneutik und Bildung des Subjekts",


Weilerswist: Velbrück Wissenschaft

← Wernet, Andreas (2000): "Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven


Hermeneutik", Opladen: Leske + Budrich

← Wernet, Andreas (2006): "Hermeneutik - Kasuistik - Fallverstehen". Eine Einführung,


Stuttgart: Kohlhammer

Doppelte Hermeneutik
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Zur Löschdiskussion

Begründung:

Begründung:Seit über 2 Jahren wird angemeckert,das das Lemma nicht erklärt wird und der Text
Geschwurbel ist. Er ist es immer noch - und nu reicht es imho. --Weissbier 16:02, 5. Jul. 2008 (CEST)

Mit dem Begriff doppelte Hermeneutik wird eine besondere Problematik der Sozialwissenschaften
benannt: Sowohl bei der Theorienbildung als auch bei der Erfassung der Daten werde hermeneutisch
vorgegangen.

32
Näheres [Bearbeiten]

Geprägt wurde der Begriff vom britischen Soziologen Anthony Giddens, der zunächst an den - auch
vor ihm nicht unbekannten - Tatbestand erinnerte, dass Sozialphänomene, auch bevor sie von
Sozialwissenschaftlern professionell analysiert werden, bereits sinnhaft konstituiert seien. Das
bedeutet für ihn, dass die Bedingung für den sich gesellschaftliche Phänomene aneignenden
Sozialwissenschaftler als „Eintritt“ ins soziologische Forschungsfeld sei, sich das anzueignen, was
Akteure schon wissen und wissen müssen, um sich in den täglichen Aktivitäten des gesellschaftlichen
Lebens ‚zurechtfinden‘ zu können.[1]

Voraussetzung für die hermeneutische Dopplung und ihr erster Schritt sei zunächst die Aneignung von
alltäglichem gesellschaftlichen Wissen. Dieses Wissen erfahre sodann im soziologischen
Forschungsprozess seine fachwissenschaftliche Umformung. Dieser Transformationsprozess drücke
sich auch in Form eines speziellen Denkstils mit seiner besonderen Fachspache aus.

In der deutschen Ausgabe von Giddens' Theorie der Strukturierung wird methodisch auf die
unbehebbare Doppelung der „Bedeutungsrahmen“ beider Wissensformen hingewiesen, da die
wechselseitige Durchdringung zweier Bedeutungsrahmen als logisch notwendiges Moment der
Sozialwissenschaften, die sinnhafte Sozialwelt, wie sie von handelnden Laien und den von den
Sozialwissenschaftlern eingeführten Metasprachen konstituiert wird; in der Praxis der
Sozialwissenschaften gibt es [zwar] einen beständigen ‚Austausch‘ zwischen den beiden
Bedeutungsrahmen.[2] Trotz aller gegenseitigen Rückwirkungsprozesse und wechselseitigen
Durchdringungen von laienhaftem Alltags- und professionellem Wissenschaftlerwissen könnten beide
Wissensformen jedoch nie miteinander identisch werden.

Literatur [Bearbeiten]

← Anthony Giddens: The Constitution of Society. Outline of a Theory of Structuration, The


University of California Press, Berkeley 1984, ISBN 0-520-05292-7; deutsche Ausgabe: Die
Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Einf. v. Hans Joas,
[„Theorie der Gesellschaft“ 1], Campus, Frankfurt am Main/New York 1988, ISBN 3-593-33611-
1

Biblische Hermeneutik
Keine Version gesichtet.

Die Biblische Hermeneutik ist die Wissenschaft vom Verstehen biblischer Texte, eine angewandte
Form der Hermeneutik.

Fragen nach dem richtigen Verständnis der Bibel, und somit die ersten hermeneutischen
Überlegungen, finden sich bereits in der Bibel selbst. "Verstehst du auch, was du liest?" - diese Frage
des Philippus an den beamteten Eunuchen vom äthiopischen Königshof provoziert die Antwort "Wie
kann ich (denn), wenn mich niemand anleitet." (Apg. 8, 30ff.).

33
Inhaltsverzeichnis
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1 Hermeneutik und Exegese


2 Warum benötigt man Hermeneutik?
3 Positionen Biblischer Hermeneutik
4 Literatur
← 4.1 Hermeneutiken
← 4.2 Methodenbücher
← 4.2.1 Altes Testament
← 4.2.2 Neues Testament
← 4.3 Einzelabhandlungen

5 Weblinks

Hermeneutik und Exegese [Bearbeiten]

Oft wird Hermeneutik mit Biblischer Exegese verwechselt oder gleichgesetzt, aber die beiden sind
nicht identisch. Exegese ist die praktische Auslegung eines biblischen Texts, Hermeneutik beleuchtet
die Voraussetzungen und Ziele der Auslegung. Die beiden verhalten sich - vorsichtig gesagt - so
ähnlich wie Sprache und Grammatik.

Wenn Philippus im obigen Beispiel dem Kämmerer den Text erklärt, betreibt er Exegese, jedoch hat
seine Erklärung eine bestimmte Hermeneutik zur Grundlage: ein alttestamentliches Prophetenwort ist
für ihn nur von Christus her zu verstehen. Ein rabbinischer Jude sähe das anders und würde dem
Äthiopier den Text auch anders auslegen.

Warum benötigt man Hermeneutik? [Bearbeiten]

Wie es möglich ist, ohne Grammatikkenntnisse zu reden, ist es auch möglich, Bibeltexte auszulegen,
ohne sich mit Hermeneutikfragen zu befassen. Doch eine solche Auslegung kommt schnell an ihre
Grenzen. Jede Bibelauslegung, ob an der Universität oder im Bibelkreis, wird beeinflusst von
bewussten oder unbewussten theologischen Grundannahmen (im Bibelkreis oft unbewusst, an der
Universität hoffentlich bewusst). Zu diesen Grundsatzfragen gehört z.B.

← Wie sind die Auferstehungsberichte zu verstehen? Handelt es sich um Halluzinationen, um im


Nachhinein entwickelte Mythen oder um historisches Geschehen?
← Grundsätzliche Fragen zum Bibelverständnis, zur Inspiration, zur Entstehungsgeschichte
biblischer Texte müssen eine Antwort haben, bevor ein Text ausgelegt werden kann.
← Weitere grundlegende Faktoren sind die Entwicklung der christlichen Kirche und der
theologischen Richtungen innerhalb und außerhalb, und die Positionierung des Texts in dieser
Geschichte. Was für Texte (welche literarischen Typen) wurden aus welchen Gründen zu
verschiedenen Zeiten verfasst, was wurde damit beabsichtigt?

34
← Dazu stellen sich konkrete Verständnisprobleme, da der Bibeltext aus einer anderen Sprache,
einer anderen Kultur, und anderen historischen Zeitumständen stammt: Wenn Lydia mitsamt
ihrem Haus getauft wird (Apg. 16,15), bietet der Satz zwar von Wörtern und Grammatik her kein
großes Problem, ist aber doch, in heutigem Sprachgebrauch wörtlich verstanden, schlicht Unsinn.
← Eine weitere wesentliche Rolle bei der Auslegung spielt der Leser selbst. Warum befasst er
sich überhaupt mit dem Text? Setzt er sich der Wirkung des Texts aus (mit oder ohne bestimmte
Erwartungen) oder ist der Text für ihn Mittel zu einem Zweck? Aus welcher Kultur kommt der
Leser: wie wirken z.B. die Wanderungen Abrahams auf einen gutsituierten Mitteleuropäer oder
auf einen Nomaden aus der Sahelzone; wie die Reden Jesu gegen den Reichtum?

Auf die obigen Problemstellungen gibt es für jede Konfession, jede Theologie (und oft auch noch für
einzelne Theologen und Laien) sehr unterschiedliche Antworten - Antworten, die auch mit sehr
unterschiedlichem Grad von Gewissheit gegeben werden.

Gemeinsam ist jedoch allen Bibelauslegern, dass sie für diese Problemstellungen Antworten haben -
ob philosophisch und theologisch ausgefeilt oder aus dem Bauch heraus - und dass diese Antworten
ihre Auslegung der Bibel wesentlich mitbestimmen. Auch wer, unbelastet von aller Theologie,
schlicht glaubt, dass der gesamte Text vom Heiligen Geist diktiert wurde, und dass man den Text
einfach wörtlich so verstehen muss, wie er dasteht, stellt damit hermeneutische Regeln auf, ob er sich
dessen bewusst ist oder nicht.

Um bei der Bibelauslegung begründbare Resultate zu erreichen, ist es allerdings nötig, nicht nur
Regeln für die Auslegung zu haben, sondern sich auch diese Regeln bewusst gemacht zu haben.

Biblische Hermeneutik ist aus praktischen Gründen in die Hermeneutik des Alten und des Neuen
Testaments aufgegliedert, da die Antworten auf manche Problemstellungen für das Alte und für das
Neue Testament unterschiedlich ausfallen. Dennoch darf die Einheit der Schrift nicht aus dem Blick
geraten, worum sich innerhalb der Systematischen Theologie die dogmatische Schriftlehre bemüht.

Positionen Biblischer Hermeneutik [Bearbeiten]

← befreiungstheologisches Schriftverständnis
← dialektisch-theologische Schriftverständnis
← existenzialistisches Schriftverständnis
← evangelikales Schriftverständnis
← feministisches Schriftverständnis
← fundamentalistisches Schriftverständnis
← homosexuelles Schriftverständnis
← sozialgeschichtliches Schriftverständnis
← Lectio divina (vierfacher Schriftsinn)
← (tiefen)psychologisches Schriftverständnis

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Literatur [Bearbeiten]

Hermeneutiken [Bearbeiten]

Biblische Hermeneutiken erörtern die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Verstehens
der Bibel.

← Klaus Berger: Hermeneutik des Neuen Testaments. UTB 2035. Francke, Tübingen/Basel 1999
ISBN 3-7720-2263-4
← Werner G. Jeanrond, Text und Interpretation als Kategorien Theologischen Denkens.
(Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 23.) Tübingen: Mohr, 1986. ISBN 3-16-145101-
5
← Ulrich H.J. Körtner: Der inspirierte Leser. Zentrale Aspekte biblischer Hermeneutik,
Göttingen 1994 ISBN 3-525-01618-2
← Ulrich H.J. Körtner: Einführung in die theologische Hermeneutik Wissenschaftliche
Buchgesellschaft, Darmstadt 2006 ISBN 3-534-15740-0
← Gerhard Maier: Biblische Hermeneutik. Bibelwissenschaftliche Monographien. 1990. 3. Aufl.
R. Brockhaus, Wuppertal 1998 ISBN 3-417-29355-3
← Manfred Oeming: Biblische Hermeneutik. Eine Einführung. Primus, Darmstadt 1998 ISBN 3-
89678-316-5 Der Autor stellt die unterschiedlichen Lektüreweisen wie historisch-kritische
Methode, sozialgeschichtliche Exegese, kanonische Schriftauslegung usw. nacheinander vor und
benennt jeweils Vor- und Nachteile.
← Peter Stuhlmacher: Vom Verstehen des Neuen Testaments. Eine Hermeneutik.
Allgemeinverständlicher Überblick über die verschiedenen Richtungen der biblischen
Hermeneutik, auch historische Positionen kommen zur Sprache. 1979. 2., neubearb. u. erw. Aufl.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1986 ISBN 3-525-51355-6 (formal falsche ISBN)
← Anthony C. Thiselton: New Horizons in Hermeneutics. The Theory and Practice of
Transforming Biblical Reading. Zondervan, Grand Rapids 1992 ISBN 0-310-21762-8
(kenntnisreiche Besprechung von Schleiermacher, Gadamer, Ricoeur, Habermas, Iser u.a.)
← Oda Wischmeyer: Hermeneutik des Neuen Testaments. Ein Lehrbuch. Neutestamentliche
Entwürfe zur Theologie 8. Francke, Tübingen/Basel 2004 ISBN 3-7720-8054-5
← Kühnewegsche Hermeneutik von Dr. Uwe Kühneweg
← Jörg Schreiter; Hermeneutik - Wahrheit und Verstehen. Darstellung und Texte. Akademie-
Verlag Berlin 1988, ISBN 3-05-000664-1

Methodenbücher [Bearbeiten]

Methodenbücher beschreiben das Vorgehen bei der Bibelauslegung Schritt für Schritt. Weitere
Literatur unter Biblische Exegese.

Altes Testament [Bearbeiten]

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← Maimonides, Führer der Unschlüssigen, ISBN 3-7873-1144-0
← Heinrich Zimmermann: Neutestamentliche Methodenlehre. Darstellung der historisch-
kritischen Methode. 7. Aufl. neubearb. v. Klaus Kliesch. Kath. Bibelwerk, Stuttgart 1982
← Odil Hannes Steck: Exegese des Alten Testaments. Leitfaden der Methodik. Ein Arbeitsbuch
für Proseminare, Seminare und Vorlesungen. 14., durchges. u. erw. Aufl. Neukirchener,
Neukirchen-Vluyn 1999 ISBN 3-7887-1586-3 (immer noch das Standardwerk, ohne die neueren
Ansätze)
← Helmut Utzschneider/Stefan Ark Nitsche: Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche
Bibelauslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments. Kaiser/Gütersloher
Verlagshaus, Gütersloh 2001 ISBN 3-579-00409-3 (bezieht die neueren "synchronen" Methoden
mit ein)
← Manfred Dreytza/Walter Hilbrands/Hartmut Schmid: Das Studium des Alten Testaments. Eine
Einführung in die Methoden der Exegese. Bibelwissenschaftliche Monographien 10. 2., überarb.
Aufl. R. Brockhaus, Wuppertal 2007 ISBN 3-417-29471-1

Neues Testament [Bearbeiten]

← Thomas Söding: Wege der Schriftauslegung. Methodenbuch zum Neuen Testament. Unter
Mitarb. v. Christian Münch. Herder, Freiburg/Basel/Wien 1998 ISBN 3-451-26545-1 (sehr
fundiert)
← Wolfgang Fenske: Arbeitsbuch zur Exegese des Neuen Testaments. Ein Proseminar.
Kaiser/Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1999 ISBN 3-579-02624-0
← Heinz-Werner Neudorfer/Eckhard J. Schnabel (Hrsg.): Das Studium des Neuen Testaments.
Band 1: Eine Einführung in die Methoden der Exegese. Bibelwissenschaftliche Monographien 5.
Brockhaus, Wuppertal; Brunnen, Gießen/Basel 1999 ISBN 3-417-29434-7
← Martin Meiser / Uwe Kühneweg u.a.: Proseminar II. Neues Testament - Kirchengeschichte.
Ein Arbeitsbuch. Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln 2000 ISBN 3-17-015531-8
← Grant R. Osborne: The Hermeneutical Spiral. A Comprehensive Introduction to Biblical
Interpretation. InterVarsity, Downers Grove 1991 ISBN 0-8308-1288-1

Einzelabhandlungen [Bearbeiten]

← Hartmut Gese, Hermeneutische Grundsätze der Exegese biblischer Texte, in: Hartmut Gese,
Alttestamentliche Studien, Tübingen 1991, S. 266-282
← Hartmut Gese, Der auszulegende Text, in: Hartmut Gese, Alttestamentliche Studien, Tübingen
1991, S. 266-282

Literaturwissenschaft
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37
Literaturwissenschaft ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Literatur. Sie umfasst nach
gängigem Verständnis Teilgebiete wie die Literaturgeschichte, die Literaturkritik, die
Literaturinterpretation, die Literaturtheorie und die Editionsphilologie.

Geschichtlich ist sie hervorgegangen

← aus der universitären Beschäftigung mit (Rhetorik und) Poesie,


← der Beschäftigung mit dem Roman als Gegenstand der belles lettres und,
← dem Namen nach, aus der Beschäftigung mit "Literatur" - bis in das 19. Jahrhundert das Feld
der wissenschaftlichen Publikationen.

In der literaturwissenschaftlichen Tradition stehen unter anderem die Theaterwissenschaft und die
Medienwissenschaft.

Inhaltsverzeichnis
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1 Geschichte vom 17. ins 19. Jahrhundert


← 1.1 Lehrstühle für Poesie und Rhetorik
← 1.2 Außeruniversitär: Die Beschäftigung mit dem Roman
← 1.3 Die Literaturwissenschaft im Wortsinn des 17. und 18. Jahrhunderts
← 1.4 Die Literaturwissenschaft des 19. Jahrhunderts
2 Aktuelle Untergliederungen
← 2.1 Ältere deutsche Literaturwissenschaft
← 2.2 Neuere deutsche Literaturwissenschaft
← 2.3 Literaturwissenschaft in den so genannten Fremdsprachenphilologien
← 2.4 Vergleichende Literaturwissenschaft
3 Methoden und Theorien
4 Bibliographien
5 Bekannte Literaturwissenschaftler
6 Literatur
7 Weblinks

8 Siehe auch

Geschichte vom 17. ins 19. Jahrhundert [Bearbeiten]

Lehrstühle für Poesie und Rhetorik [Bearbeiten]

Man liest zuweilen, Johann Christoph Gottsched habe den ersten universitären Lehrstuhl für Poesie
innegehabt. Das ist nicht korrekt, denn Lehrstühle in den Bereichen Poesie und Rhetorik gab es in den
philosophischen Fakultären europäischer Universitäten schon lange.

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Die universitäre Auseinandersetzung mit Poesie blieb bis ins 18. Jahrhundert hinein auf die Poetologie
fixiert und damit auf eine Diskussion der Regeln, denen Kunstwerke in den verschiedenen Gattungen
der Poesie nach Aristoteles und seinen Nachfolgern entsprechen mussten. Poesie in den
Landessprachen blieb gegenüber lateinischer Dichtung auf den Universitäten weitgehend unbeachtet.
Den geringsten Raum nahm die im 17. und 18. Jahrhundert aktuelle, mit der Oper ihr Zentrum
findende Poesieproduktion ein.

Außeruniversitär: Die Beschäftigung mit dem Roman [Bearbeiten]

Der Roman fand, nicht zur Poesie gehörig, vor allem auf dem Gebiet der Romanproduktion selbst
Untersuchungen: in Vorreden zu Romanen und in Kapiteln, die von ihren Autoren in Romane
eingebaut wurden, um dort die Geschichte der Gattung und ihre Qualitäten zu diskutieren. Zum
Meilenstein wurde auf diesem Feld 1670 Pierre Daniel Huets Tractat über den Ursprung der Romane,
1670 als Vorrede zu Marie-Madeleine de La Fayettes Zayde veröffentlicht. Der in der Interpretation
von Texten geschulte Bischof von Avranches schlug bahnbrechend vor, Romane und Poesie generell
als Fiktionen vor dem Hintergrund der jeweiligen kulturellen Bedingungen zu interpretieren, denen sie
entstammten. Die bestehenden Fachwissenschaften konnten dem Vorschlag wenig abgewinnen,
profitabler schien bis weit in das 18. Jahrhundert hinein eine Romankritik, die die gesamte Gattung als
moralisch verworfen disqualifizierte.

Die Literaturwissenschaft im Wortsinn des 17. und 18. Jahrhunderts [Bearbeiten]

Die Literaturwissenschaft, die der Literatur, per definitionem dem Feld der Wissenschaften, galt,
entwickelte sich als die Wissenschaft der wichtigsten wissenschaftlichen Publikationen und damit
weitgehend als bibliographisches Projekt. Ihre Arbeit bestand im Wesentlichen in der Herausgabe
großer Wissenschaftsbibliographien. Im Lauf des 18. Jahrhunderts wurde dieses Projekt zunehmend
fragwürdig: Fachbibliographien gewannen in den 1770ern gegenüber allgemeinen Überblicken über
die Literatur aller Wissenschaften. Das allgemeine Projekt einer Literaturgeschichte und
Literaturwissenschaft überlebte, indem es sich am Ende des 18. Jahrhunderts der Poesiediskussion
öffnete, die sich selbst Mitte des 18. Jahrhunderts der Romandiskussion geöffnet und damit
entscheidend an Attraktivität gewonnen hatte.

Die Literaturwissenschaft des 19. Jahrhunderts [Bearbeiten]

Als im 19. Jahrhundert bahnbrechend in Deutschland neu definiert wurde, was als Literatur zu
betrachten sei – im Zentrum der Begriffsdefinition der Bereich der sprachlichen Kunstwerke einer
jeweiligen Nation – wandelte sich die Literaturwissenschaft zu einem eminent politischen Projekt. Der
Fachterminus "Germanistik" birgt die neue Traditionslinie: Fachleute aus dem Bereich der
Rechtswissenschaft, die in der Lektüre mittelalterlicher deutscher Rechtsquellen geschult waren,
hatten als erste die Expertise, das Corpus der Nationalliteratur zu sichern und quellenkritisch zu
edieren.

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Die neudefinierte Literaturwissenschaft machte europaweit Schule in einer Entwicklung, in der
deutsche und französische Fachwissenschaftler Mitte des 19. Jahrhunderts die entscheidenden
Vorgaben für Literaturgeschichten anderer Länder machten.

Aktuelle Untergliederungen [Bearbeiten]

Ältere deutsche Literaturwissenschaft [Bearbeiten]

Das Fach Ältere Deutsche Literaturwissenschaft ist ein Teilbereich der Deutschen Philologie. Die
Ältere Deutsche Literaturwissenschaft befasst sich mit der deutschen Literatur von den Anfängen im
Frühmittelalter bis zum Übergang zur Neuzeit im 16./17. Jahrhundert. Sie analysiert die mittel- und
althochdeutschen Texte systematisch nach Gattungen, Formen, Stoffen und Motiven, sowie historisch
nach Autoren und Epochen.

Für Absolventen dieses Fachs lassen sich keine „typischen“ Berufsfelder erkennen. Es kommen
quantitativ sehr begrenzte berufliche Tätigkeiten in Bildungsanstalten, Verlagen, Medien,
Bibliotheken, Museen, Kulturvereinen, im Archiv- und Dokumentationswesen und in der
Öffentlichkeitsarbeit in Betracht.

siehe auch: Mediävistik

Neuere deutsche Literaturwissenschaft [Bearbeiten]

In der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft werden theoretische Grundlagen und Methoden zur
Untersuchung und Interpretation literarischer und nicht-literarischer Texte, wozu auch Theaterstücke
und Filme zählen, in deutscher Sprache ab dem 16. Jahrhundert erarbeitet und angewendet.
Literarische Epochen und ihr historischer Wandel werden erforscht und Beziehungen zwischen
literarischen und anderen (geistes- oder sozialgeschichtlichen) Strukturen und Bedingungen der
Herstellung, Verbreitung und Aufnahme von Literatur untersucht.

Die neuere deutsche Literaturwissenschaft ist neben der Linguistik und Mediävistik, die dritte
Disziplin des Studienfaches Germanistik an deutschen Universitäten.

Neu: Im Sinne von neuzeitlich, bezieht sich auf die Literatur und nicht auf die Wissenschaft. Als erstes
großes Werk der neueren deutschen Literaturwissenschaft gilt das Narrenschiff(1494) von Sebastian
Brant.

Deutsch: bezieht sich auf die deutsche Sprache; Studienobjekt ist also die deutschsprachige Literatur.

Wissenschaft: Macht darauf aufmerksam, dass beim wissenschaftlichen Lesen von Texten nicht das
Rezipieren im Vordergrund steht, sondern vor allem das Reflektieren und Beobachten der
Modalitäten. Das wissenschaftliche Nachdenken über Literatur muss methodologisch fundiert sein.

Literaturwissenschaft in den so genannten Fremdsprachenphilologien [Bearbeiten]

siehe: Anglistik, Amerikanistik, Romanistik, Slawistik, Orientalistik, Skandinavistik

Vergleichende Literaturwissenschaft [Bearbeiten]

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siehe: Komparatistik

Methoden und Theorien [Bearbeiten]

In der Literaturwissenschaft haben sich verschiedene Methoden und Theorien entwickelt:

← Erzähltheorie (Narrativistik)
← Hermeneutik
← Rezeptionsästhetik
← Intertextualitätstheorie
← Russischer Formalismus
← Strukturalismus
← Poststrukturalismus bzw. Neostrukturalismus
← Diskursanalyse
← Dekonstruktivismus (auch "Dekonstruktion")
← Gender Studies
← Komparatistik
← Empirische Literaturwissenschaft
← Quantitative Literaturwissenschaft
← Systemtheoretische Literaturwissenschaft
← Literarisches Feld

Unterteilung nach Gegenstand der Untersuchung

← Erzähltextanalyse (siehe Erzähltheorie)


← Lyrikanalyse (siehe Gedichtinterpretation)
← Metrikanalyse (siehe Verslehre)
← Dramenanalyse (vgl. auch Dramentheorie, Geschlossene und offene Form im Drama)
← Sprachanalyse

Bibliographien [Bearbeiten]

← Bibliographie der Deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft ("BDSL Online", in der


gedruckten Ausgabe bekannt als Eppelsheimer-Köttelwesch, ist die wichtigste germanistische
Bibliographie. Frei zugänglich sind die Berichtsjahrgänge 1985-1995. Die meisten deutschen
Hochschulbibliotheken besitzen eine Lizenz zum Vollzugriff aus dem jeweiligen Hochschulnetz.)

Bekannte Literaturwissenschaftler [Bearbeiten]

← Erich Auerbach
← Michail Bachtin

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← Alexander Baumgartner (* 27. Juni 1841 in St. Gallen; † 5. Oktober 1910 in Luxemburg]
← Harold Bloom
← Dieter Borchmeyer
← Bernhard Echte
← Werner Keller (*1930)
← F. O. Matthiesen, (1902-1950), USA
← Werner Mittenzwei (*1927)
← Hans Mayer
← Paul de Man
← George Steiner
← Wendelin Schmidt-Dengler, (* 1942), österreich.
← Peter Szondi

Literatur [Bearbeiten]

← Rainer Baasner und Maria Zens: Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft - Eine
Einführung, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 2005.
← Horst Brunner/Rainer Moritz (Hrsg.): Literaturwissenschaftliches Lexikon - Grundbegriffe der
Germanistik, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 2006.
← Hans Krah, Einführung in die Literaturwissenschaft. Textanalyse, Kiel: Verlag Ludwig, 2006,
ISBN 978-3-937719-43-6.
← Jürgen H. Petersen/Martina Wagner-Egelhaaf (Hrsg.): Einführung in die neuere deutsche
Literaturwissenschaft, Berlin 2006. ISBN 978-3-503-07959-9
← Klaus-Michael Bogdal/Kai Kauffmann/Georg Mein, unter Mitarbeit von Meinolf Schumacher
und Johannes Volmert: BA-Studium Germanistik. Ein Lehrbuch (Rowohlts Enzyklopädie 55682),
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2008 ISBN 978-3-499-55682-1
← Ansgar Nünning, Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze, Personen,
Grundbegriffe, Stuttgart: Metzler, 3., aktualis. u. erw. Aufl. 2004, ISBN 3-476-01889-X
← Kindlers Literaturlexikon
← Victor Zmegac (Hrsg.), Geschichte der deutschen Literatur, 3 Bände (1/I und 1/II, sowie 2
und 3), Königstein/ Ts. 1978, Athenäum Verlag.

Karl-Otto Apel
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Karl-Otto Apel (* 15. März 1922 in Düsseldorf), ist ein deutscher Philosoph. Er ist ein Vertreter
der Diskursethik sowie einer sprachpragmatischen, intersubjektiven Transzendentalphilosophie
(Transzendentalpragmatik), habilitierte sich 1961 an der Universität Mainz, war von 1962-1969
ordentlicher Professor für Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, von 1969-1972

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ordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Saarbrücken und von 1972 bis zu seiner
Emeritierung im Jahre 1990 ordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Frankfurt am
Main.

Apels Philosophie ist zum einen durch eine Verbindung von sprachanalytischer (Ludwig Wittgenstein,
Charles S. Peirce) und hermeneutischer Philosophie (Martin Heidegger) gekennzeichnet und ist zum
anderen durch die Abwehr relativistischer Positionen, insbesondere in der Ethik geprägt. Apel hat
auch bedeutende Arbeiten zur Geschichte der Sprachphilosophie vorgelegt.

Inhaltsverzeichnis
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1 Transformation der Transzendentalphilosophie und Letztbegründung


2 Diskursethik
← 2.1 Das Apriori der Argumentation
← 2.2 Reale und ideale Kommunikationsgemeinschaft
3 Hermeneutik und Sprachkritik
4 Kritik
5 Quellen
6 Werke
7 Literatur

8 Weblinks

Transformation der Transzendentalphilosophie und Letztbegründung [Bearbeiten]

Apel strebt eine „Transformation der Philosophie“ (so der Titel seines Hauptwerkes) an, will aber
zugleich den grundsätzlichen Standpunkt der Transzendentalphilosophie beibehalten: der Ausgang
vom Subjekt müsse zugunsten einer intersubjektiven Perspektive überwunden werden, ohne dass die
von Immanuel Kant gewonnen Einsichten in die unhintergehbaren Konstituionsbedingungen der
Objektivität verloren gehen sollen. Anstelle der bei Kant in der subjektiven Vernunft verwurzelten
apriorischen Annahmen geht Apel vom „Apriori der Kommunikationsgemeischaft“ aus: In der
Reflexion auf die in jeder Diskurssituation immer schon vorausgesetzten Diskursbedingungen zeige
sich ein auch für die philosophische Debatte unhintergehbares Apriori. Diese Voraussetzungen lassen
sich nach Apels Ansicht als letztbegründete Diskursnormen betrachten: Jeder Versuch, sie explizit zu
bestreiten, setzt sie implizit voraus. Apel kennzeichnet somit sein Letztbegründungskonzept wie folgt:
Sätze sind letztbegründet, wenn sie a) nicht bewiesen werden können, ohne selbst vorausgesetzt zu
werden und sie b) nicht bestritten werden können, ohne zugleich als gültig angesehen zu werden.
Durch diese zweite Bedingung, der Vermeidung eines performativen Widerspruches liege in jenem
Argument kein Zirkelschluss vor. Zugleich sei jener Widerspruch performativer oder pragmatischer
Natur, er stamme nicht aus dem subjektiven Denken, sondern aus dem Akt des intersubjektiven

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Gesprächs, so dass sich für Apel die Intersubjektivität als unhintergehbare Bestimmung menschlichen
Denkens und Handelns ergibt.

Diskursethik [Bearbeiten]

Apel versucht mit diesem „Letztbegründungs-Kriterium“ grundlegende Diskursnormen zu


rechtfertigen und somit eine Diskursethik zu entwickeln, wie sie in abgeschwächter Form – d.h. ohne
Letztbegründungsanspruch – auch von Jürgen Habermas vertreten wird. Die ethischen Prinzipien
sollen dabei nach Apel aus den in jeder Diskussion um jede Ethik, ja auch um den ethischen
Nihilismus immer schon vorausgesetzten Annahmen gewonnen werden. Jeder philosophische und
ethische Ansatz appelliere an das Kriterium der objektiven Verbindlichkeit und Wahrheit der eigenen
Aussage, so dass die Verbindlichkeitsanforderung und die Wahrheitsfähigkeit nach Apel nicht
vernünftig in Frage gestellt werden können. Ziel Apels ist hierbei die Abwehr des ethischen
Nihilismus und die Rückkehr zu einer objektiven und rationalen Ethik, die das „Paradoxon“ der
Gegenwart überwinden soll. Apel sieht in der Trennung zwischen objektivem Faktenwissen der
Einzelwissenschaften und der Privatheit und Beliebigkeit ethischer Überzeugungen eines der
Hauptprobleme der Moderne, aus dem die Diskursethik einen Ausweg darstellen soll.

Das Apriori der Argumentation [Bearbeiten]

Das zentrale Anliegen der Diskursethik Apels ist die Letztbegründung ihrer zugrunde gelegten
ethischen Prinzipien. Zu diesem Zweck strebt er eine „Transformation der Kantischen Position“ in
Richtung einer „transzendentalen Theorie der Intersubjektivität“ an. Von dieser Transformation
erhofft er sich eine einheitliche philosophische Theorie, die eine Überbrückung des Gegensatzes von
theoretischer und praktischer Philosophie leisten kann.

Nach Apels Ansicht setzt jeder, der argumentiert, immer schon voraus, dass er im Diskurs zu wahren
Ergebnissen gelangen kann, dass also Wahrheit grundsätzlich möglich ist. Eine ebensolche
Wahrheitsfähigkeit setze der Argumentierende von seinem Gesprächspartner voraus, mit dem er in
den Diskurs eintritt. Dies bedeutet in der Sprache Apels, dass die Argumentationssituation für jeden
Argumentierenden unhintergehbar sei. Jeder Versuch ihr zu entfliehen sei letztlich inkonsistent. Apel
spricht in diesem Zusammenhang von einem „Apriori der Argumentation“:

„Wer nämlich überhaupt an der philosophischen Argumentation teilnimmt, der hat die soeben
angedeuteten Voraussetzungen bereits implizit als Apriori der Argumentation anerkannt, und
er kann sie nicht bestreiten, ohne sich zugleich selbst die argumentative Kompetenz streitig zu
machen“[1]

Selbst derjenige, der die Argumentation abbricht, will nach Ansicht Apels damit etwas zum
Ausdruck bringen:

„Auch wer im Namen des existenziellen Zweifels, der durch Selbstmord sich verifizieren kann
… das Apriori der Verständigungsgemeinschaft zur Illusion erklärt, bestätigt es zugleich
dadurch, daß er noch argumentiert“ [2]

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Jemand, der auf eine argumentative Rechtfertigung seiner Handlung verzichten will,
zerstöre sich letztlich selbst. In theologischen Begriffen gesprochen könnte man daher
sagen, dass selbst „der Teufel nur durch den Akt der Selbstzerstörung von Gott unabhängig
gemacht werden kann“ [3]

Reale und ideale Kommunikationsgemeinschaft [Bearbeiten]

Nach Ansicht Apels wird mit der Unhintergehbarkeit der rationalen Argumentation auch
eine Gemeinschaft der Argumentierenden anerkannt. Die Rechtfertigung einer Aussage sei
nämlich nicht möglich, „ohne im Prinzip eine Gemeinschaft von Denkern vorauszusetzen,
die zur Verständigung und Konsensbildung befähigt sind. Selbst der faktisch einsame
Denker könne seine Argumente nur insofern explizieren und überprüfen, als er im
kritischen ‚Gespräch der Seele mit sich selbst’ (Platon) den Dialog einer potentiellen
Argumentationsgemeinschaft zu internalisieren vermag" [4] Das setze aber die Befolgung
der moralischen Norm voraus, dass alle Mitglieder der Argumentationsgemeinschaft sich
als gleichberechtigte Diskussionspartner anerkennen.

Diese notwendig vorauszusetzende Argumentationsgemeinschaft kommt nun bei Apel in


zwei Gestalten ins Spiel:

← als reale Kommunikationsgemeinschaft, deren Mitglied man „selbst durch einen


Sozialisationsprozess geworden ist“ [5]
← als ideale Kommunikationsgemeinschaft, „die prinzipiell imstande sein würde, den
Sinn seiner Argumente adäquat zu verstehen und ihre Wahrheit definitiv zu beurteilen“
[6]

Aus der notwendig vorausgesetzten Kommunikationsgemeinschaft in ihren beiden


Varianten leitet Apel zwei regulative Prinzipien der Ethik ab:

„Erstens muss es in allem Tun und Lassen darum gehen, das Überleben der menschlichen
Gattung als der realen Kommunikationsgemeinschaft sicherzustellen, zweitens darum, in der
realen die ideale Kommunikationsgemeinschaft zu verwirklichen. Das erste Ziel ist die
notwendige Bedingung des zweiten Ziels; und das zweite Ziel gibt dem ersten seinen Sinn, -
den Sinn, der mit jedem Argument schon antizipiert ist" [7]

Nach Apel sind also sowohl die ideale als auch die reale
Kommunikationsgemeinschaft a priori zu fordern. Für Apel stehen die ideale und
reale Kommunikationsgemeinschaft in einem dialektischen Zusammenhang. Die
Möglichkeit, ihren Widerspruch zu überwinden, sei a priori vorauszusetzen. Die
ideale Kommunikationsgemeinschaft sei als das Ziel, auf das es hinzuarbeiten gelte,
in der realen Kommunikationsgemeinschaft schon als deren Möglichkeit präsent.

Hermeneutik und Sprachkritik [Bearbeiten]

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Apel kann als einer der ersten deutschen Philosophen gelten, die die bis dahin
getrennten und gegensätzlichen Strömungen der an Heidegger anknüpfenden
hermeneutischen Philosophie und der sprachanalytischen Philosophie im Gefolge
Wittgensteins verbunden haben. Apel versucht durch eine Kritik sowohl an
Heidegger, dem er Logosvergessenheit vorwirft, als an Wittgenstein, dessen Tractatus
er als selbstwidersprüchliche Grenzziehung der Vernunft ansieht, nicht nur die
Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten beider Strömungen zu erfassen. So sei
sowohl Heideggers als auch Wittgensteins Philosophie durch eine Überwindung oder
'Verwindung' der Metaphysik gekennzeichnet. Beide Richtungen zielen auf die
pragmatische Lebenswelt, wie dies bei Heidegger durch den Vorrang der
Zuhandenheit über die theoretische Vorhandenheit zum Ausdruck kommt. In eben
jene Richtung gehe auch die Sprachspielanalyse Wittgensteins. Indem die Pragmatik
und die Sprache als intersubjektive Struktur bei beiden Denkern eine zentrale Rolle
spielen, sei der Übergang zur Philosophie der Gegenwart als Philosophie der
Intersubjektivität in beiden Fällen vollzogen. Ausgehend von einer
Auseinandersetzung mit diesen beiden philosophischen Richtungen versucht Apel in
seiner transzendentalen Hermeneutik zwischen den Modellen des Welterklärens der
Naturwissenschaften und des Weltverstehens der Geisteswissenschaften zu vermitteln.

Kritik [Bearbeiten]

Ein wesentlicher Einwand gegen Apels und auch andere ähnliche


Letztbegündungkonzepte beruht auf der Schwierigkeit Sätze mehr oder weniger
unabhängig von ihrem Kontext zu bewerten. Dem stehen mehrere in der Philosophie
vertretene Standpunkte entgegen. Beispielsweise besagt etwa die Duhem-Quine-These
explizit, dass Sätze nie isoliert bewertet werden, oder nach Thomas Kuhn gehen in
Theorien immer auch (teilweise unbewusste) Grundannahmen ein, welche für die
Interpretation und Bewertung der einzelnen Sätze wichtig sind.

Quellen [Bearbeiten]

1. ↑ Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 1, S. 62


2. ↑ Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 1, S. 62
3. ↑ Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2, S. 414
4. ↑ Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2, S. 399
5. ↑ Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2, S. 429
6. ↑ Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2, S. 429
7. ↑ Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2, S. 431

Werke [Bearbeiten]

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← Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico, Bonn:
Bouvier Verlag, 3. Auflage 1980
← Auseinandersetzungen in Erprobung des transzentendalpragmatischen Ansatzes,
Suhrkamp, Frankfurt/M. 1998, ISBN 3-518-58260-7
← Diskurs und Verantwortung. Das Problem des Übergangs zur
postkonventionellen Moral, Suhrkamp, Frankfurt/M. 1997, ISBN 3-518-28493-2
← Die Erklären: Verstehen-Kontroverse in transzentendalpragmatischer Sicht,
Suhrkamp, Frankfurt/M. 1979, ISBN 3-518-06109-7
← Transformation der Philosophie, Suhrkamp, Frankfurt/M. 1994
1. - Sprachanalytik, Semiotik, Hermeneutik, ISBN 3-518-27764-2
2. - Das Apriori der Kommunikationsgesellschaft, ISBN 3-518-27764-2

Literatur [Bearbeiten]

← Stefan Drees (2002): Diskurs- und Befreiungsethik im Dialog : eine Fallstudie


zur Soziologie der Philosophen, Aachen : Wiss.-Verl. Mainz - Untersuchung zu
den Bedingungen des Dialogs mit Enrique Dussel
← Vittorio Hösle: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie.
Transzendentalpragmatik, Letztbegründung, Ethik, München 1990
← Walter Reese-Schäfer, Karl-Otto Apel zur Einführung. Mit einem Nachwort von
Jürgen Habermas, Hamburg: Junius, ISBN 3-88506-861-3
← Gerhard Schönrich: Bei Gelegenheit Diskurs. Von den Grenzen der Diskursethik
und dem Preis der Letztbegründung. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994. (stw;
1111) ISBN 3-518-28711-7
← Uwe Steinhoff: Kritik der kommunikativen Rationalität. Eine Darstellung und
Kritik der kommunikationstheoretischen Philosophie von Jürgen Habermas und
Karl-Otto Apel. Paderborn: Mentis, 2006. ISBN 3-89785-473-2

Paul Ricœur
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Paul Ricœur (* 27. Februar 1913 in Valence; † 20. Mai 2005 in Châtenay-Malabry) war ein
französischer Philosoph.

Ricœur beschäftigte sich vor allem aus phänomenologischer und psychoanalytischer Perspektive, in
immer neuen Bewegungen hermeneutischen Erschließens, mit dem menschlichen Wollen; mit den
Symbolen, in denen es sich ausdrückt; mit der sprachlichen Produktion in Dichtung und Erzählung
und schließlich mit den Grundbegriffen der Geschichtswissenschaft. Sein Denken war stark von
Gabriel Marcel, Edmund Husserl, Karl Jaspers, Martin Heidegger und Sigmund Freud beeinflusst,
nahm aber ebenso die Anregungen verschiedener Spielarten des Strukturalismus und der
angelsächsischen sprachanalytischen Philosophie auf.

Inhaltsverzeichnis
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1 Leben und Werk


2 Schriften (Auswahl)
← 2.1 Vorträge
3 Literatur

4 Weblinks

Leben und Werk [Bearbeiten]

Der als Sohn protestantischer Eltern geborene Ricœur wuchs bei seinen Großeltern in der Bretagne
auf, da die Mutter nach seiner Geburt und der Vater 1915 an der Front gestorben waren. Er studierte
Philosophie in Rennes und 1934/35 an der Sorbonne, wo er Gabriel Marcel und die Phänomenologie
Husserls kennenlernte. Nach erfolgreicher Agrégation (Zulassung zum Lehrdienst) heiratete er und
wurde Vater von vier Kindern. Er unterrichtete zunächst Philosophie in Colmar und Lorient. 1939
wurde er eingezogen und kam rasch in Kriegsgefangenschaft, die er in Pommern verbrachte. In einer
intellektuell anregenden Umgebung studierte er hier Karl Jaspers’ Philosophie und übersetzte Edmund
Husserls Ideen I.

Nach dem Krieg unterrichtete er zuerst in Le Chambon-sur-Lignon, wo er auch den systematischen


Teil seiner Thèse (Dissertation) vorbereitete: Le volontaire et l’involontaire, eine phänomenologische
Beschreibung des Wollens. (Den historischen Teil bildete die ausführlich kommentierte Husserl-
Übersetzung). 1948 bis 1957 lehrte er in Straßburg Geschichte der Philosophie. 1950 wurde er an der
Sorbonne promoviert, 1957 erhielt er dort den Lehrstuhl für Allgemeine Philosophie. Er
veröffentlichte regelmäßig in der Zeitschrift Esprit, der er sich seit ihrer Gründung 1932 nahe fühlte,
und in anderen christlich orientierten Periodika.

1960 setzte er seine Philosophie des Wollens mit zwei Bänden über Finitude et culpabilité (in der dt.
Übersetzung: Phänomenologie der Schuld) fort. Im zweiten analysiert er die Symbole des Bösen, die
Sündenfallerzählungen in verschiedenen Kulturen. Im Anschluss widmete er sich in seinen

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Vorlesungen einer umfassenden Lektüre der Werke Sigmund Freuds und besuchte auch die Seminare
Jacques Lacans. Dass er diesen trotzdem in seiner umfangreichen Darstellung von 1965, Die
Interpretation. Ein Versuch über Freud, nicht behandelte, trug ihm die Verstimmung Lacans selbst
und viel Kritik von dessen Schülern ein.

In seinem Buch von 1969, Le conflit des interpretations (dt. Hermeneutik und Strukturalismus und
Hermeneutik und Psychoanalyse) setzt er sich in zahlreichen Aufsätzen mit der Psychoanalyse, mit
dem Strukturalismus und schließlich mit der philosophischen (Heidegger) und theologischen
(Bultmann) Hermeneutik auseinander. Als universales Erklärungsmodell lehnt er den Strukturalismus
zwar ab, besteht aber auf dem Eigenwert strukturaler Analysen als Teil der hermeneutischen
Erschließung eines Problems.

1966 hatte Ricoeur an die neu gegründete Universität Paris-Nanterre gewechselt, deren Rektor er 1969
wurde. Von diesem Amt trat er 1970 zurück, als der Staat infolge der Studentenproteste massiv in die
Hochschulautonomie eingriff. Ricoeur stand in diesem Konflikt zwischen den Fronten, denn von
Studenten wurde er in gleicher Weise angegriffen, ein Mal wurde ein Abfalleimer über ihm
ausgeschüttet. Nach kurzer Lehrtätigkeit an der katholischen Universität Löwen wurde er
Lehrstuhlnachfolger Paul Tillichs an der University of Chicago, wobei er aber die Lehrtätigkeit in
Paris mit Unterbrechungen beibehielt.

Die Auseinandersetzung mit der englischen und amerikanischen sprachanalytischen Philosophie, der
er sich in seinen Chicagoer Jahren widmete, schlug sich zuerst in dem 1975 erschienenen Werk Die
lebendige Metapher nieder, worin er die „poetische“ (im Sinn von: neue Bedeutungen schaffende)
Funktion der Sprache behandelt. 1983 folgte anknüpfend an die Poetik des Aristoteles das dreibändige
Opus Zeit und Erzählung, in dem er Gemeinsamkeiten in der Zeitlichkeit von Historiographie und
Dichtung herausarbeitet.

Den Ertrag seiner zahlreichen „Umwege der Deutung“ (Bernhard Waldenfels) für eine philosophische
Anschauung des Menschen präsentierte er 1990 in der großen Studie Das Selbst als ein Anderer.

Auch nach der Emeritierung 1987 (Paris) und 1990 (Chicago) widmete sich Ricœur weiter
geschichtsphilosophischen Untersuchungen im sprachlich-phänomenologischen Kontext. Die Debatte
um „Gedächtnis“ und Gedächtniskultur bereicherte er mit dem im Jahre 2000 erschienenen Buch
Gedächtnis, Geschichte, Vergessen. Aus historischer, erkenntnistheoretischer und
phänomenologischer Sicht untersucht er darin das Problem des Erinnerns und den Zusammenhang mit
dem (kulturellen) Gedächtnis.

Schließlich veröffentlichte er noch im Jahr vor seinem Tod Wege der Anerkennung über die
Anerkennung als Grundlage sozialer Beziehungen.

Paul Ricœur gehörte etwa mit den Historikern Reinhart Koselleck und Yosef Hayim Yerushalmi zu
den Ersten, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, Grundbegriffe der Geschichtswissenschaft in
Verbindung mit der Erinnerungskultur zu untersuchen und den Mangel an Selbstreflexion der

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Historiographie herauszuarbeiten. Er war stets bemüht, als Vermittler zwischen den Kulturen und
Denktraditionen im angelsächsischen, deutschen und französischen Sprachraum zu wirken.

Für sein Lebenswerk wurden Ricœur zahlreiche Preise verliehen, u.a. die Ehrendoktorwürde der
Pariser Universität, der Karl-Jaspers-Preis der Universität Heidelberg und der Dr.-Leopold-Lucas-
Preis der Universität Tübingen.

Schriften (Auswahl) [Bearbeiten]

← Geschichte und Wahrheit (1955), Münster 1974. ISBN 3-471-66549-8


← Die Fehlbarkeit des Menschen. Phänomenologie der Schuld, Bd. 1 (1960), Freiburg/München
2002. ISBN 3-495-48073-0
← Symbolik des Bösen. Phänomenologie der Schuld, Bd. 2 (1960), Freiburg/München 2002.
ISBN 3-495-48074-9
← Die Interpretation: ein Versuch über Freud (1965), Frankfurt 1974. ISBN 3-518-27676-X
← Hermeneutik und Strukturalismus (1969), München 1973
← Hermeneutik und Psychoanalyse (1969), München 1974
← Die lebendige Metapher (1975), München 1986. ISBN 3-7705-2349-0
← Zeit und Erzählung, Bd. 1: Zeit und historische Erzählung (1983), München 1988. ISBN 3-
7705-2467-5
← Zeit und Erzählung, Bd. 2: Zeit und literarische Erzählung (1984), München 1989. ISBN 3-
7705-2468-3
← Zeit und Erzählung, Bd. 3: Die erzählte Zeit (1985), München 1991. ISBN 3-7705-2608-2
← Das Selbst als ein Anderer (1990), München 1996. ISBN 3-7705-2904-9
← Vom Text zur Person: hermeneutische Aufsätze (1970-1999), Hamburg 2005. ISBN 3-7873-
1722-8
← Gedächtnis, Geschichte, Vergessen (2000), Paderborn 2004. ISBN 3-7705-3706-8
← Wege der Anerkennung: Erkennen, Wiedererkennen, Anerkanntsein (2004), Frankfurt 2006.
ISBN 3-518-29262-5
← An den Grenzen der Hermeneutik. Philosophische Reflexionen über die Religion, Freiburg:
Alber 2008. ISBN 978-3495482988

Vorträge [Bearbeiten]

← Staat und Gewalt (Vortrag in Genf), 1957


← Die religiöse Kraft des Atheismus (zusammen mit Alasdair McIntyre, Vortrag in New York
1969), Freiburg 2002. ISBN 3-495-48066-8
← Metapher. Zur Hermeneutik religiöser Sprache (mit Eberhard Jüngel), Evangelische
Theologie, Sonderheft, München 1974. ISBN 3-459-00981-0
← Geschichtsschreibung und Repräsentation der Vergangenheit (Vortrag in Tübingen 1985),
Tübingen 1986. ISBN 3-8258-6320-4

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← Das Böse: eine Herausforderung für Philosophie und Theologie (Vortrag in Lausanne 1985),
Zürich: Tvz Theologischer Verlag 2006. ISBN 3-290-17401-8
← Liebe und Gerechtigkeit (Vortrag in Tübingen 1989), Tübingen 1990. ISBN 3-16-145576-2
← Das Rätsel der Vergangenheit: Erinnern - Vergessen - Verzeihen (Vortrag in Essen),
Göttingen 1998. ISBN 3-89244-333-5

Literatur [Bearbeiten]

← Jens Mattern: Zwischen kultureller Symbolik und allgemeiner Wahrheit: Paul Ricoeur
interkulturell gelesen, Nordhausen: Bautz, 2008.
← Andris Breitling: Möglichkeitsdichtung - Wirklichkeitssinn. Paul Ricoeurs hermeneutisches
Denken der Geschichte, München: Fink 2007.
← Jens Mattern: Ricoeur zur Einführung, Hamburg: Junius, 1996, ISBN 3885069199
← Bernhard Waldenfels: Phänomenologie in Frankreich, Frankfurt: Suhrkamp 1987, Kap. V:
Paul Ricoeur: Umwege der Deutung, S. 266-335

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