Sie sind auf Seite 1von 4

Enzyklopädie der Neuzeit Online

Fabrikarbeiter/in
(954 words)

1. Begri f und Merkmale


Article Table of Contents
Der Begri f F. zur Bezeichnung der in einer zentralisierten
1. Begri f und Merkmale
und mechanisierten Produktionsstätte beschäftigten
Arbeitskraft ist erst grei ar, seit sich der Begri f Fabrik in 2. Zusammensetzung und
seiner modernen Bedeutung durchgesetzt hat. Damit Pro l
bleibt der/die F. eine Gestalt des entwickelten 3. Soziale Lage
Kapitalismus; entscheidendes Merkmal ist, dass F. ihren
Lebensunterhalt aus Lohnarbeit bestreiten, keine
Produktionsmittel besitzen und insofern Proletarier sind (Unterschichten, städtische). Als Teil
einer entwickelten Marktwirtschaft zeichnen sich F. in idealtypischer Form aber auch durch
rationales ökonomisches Erwerbsstreben aus; ihr Arbeitsverhältnis beruht auf einem freien
Arbeitsvertrag (Arbeitsrecht). Hierin unterscheiden sich F. von vorindustriellen Handwerkern
und Heimgewerbetreibenden ebenso wie vom fabrikindustriellen Unternehmer.

Das Wort F. ist abzugrenzen vom älteren Begri f Fabricant (auch Fabriquant, Fabricateur),
welcher im dt. Sprachgebrauch bereits seit dem ausgehenden 17. Jh. nachweisbar ist und in
einem weiten Sinn jeglichen Produzenten bezeichnete, unabhängig vom Produktionssystem
und seiner Stellung darin.

Stefan Gorißen

2. Zusammensetzung und Pro l

Bis zur Mitte des 19. Jh.s blieb die Zahl der F. noch relativ klein. Zwar waren in England um 1850
bereits knapp die Hälfte aller Beschäftigten im gewerblichen Sektor tätig, doch bildeten die
weitaus größte Gruppe unter diesen Heimgewerbetreibende und Handwerker. Auch in
Deutschland stieg der Anteil der Arbeiter/innen in zentralisierten Werkstätten –
Manufakturen, Fabriken und Bergwerken – an den im sekundären Sektor Beschäftigten nur
langsam von ca. 5 % (um 1800) auf ca. 16 % (um 1850) [7. 79].

/
Überall war diese noch recht kleine Gruppe von F. nach Quali kationsstufen gegliedert: Die
Organisation und Aufsicht des Produktionsablaufs oblag Werkmeistern, die mit
Leitungsaufgaben betraut waren. Unter ihnen stand eine unterschiedlich große Gruppe von
ausgebildeten Handwerks-Meistern und -Gesellen, die den Kern der Fabrikarbeiterschaft
bildeten und Teilprozesse ausführten. Die dritte, in den frühen Textilfabriken größte und
insgesamt rasch wachsende Gruppe waren die Ungelernten, die für Hilfsarbeiten eingesetzt
und für einfache Maschinen-Arbeit angelernt wurden. Auf diesen Teil der Belegschaft bezog
sich häu g der Begri f F. in zeitgenössischen Quellen.

Der Einsatz von Kindern zwischen 6 und 16 Jahren als F. war v. a. in den frühen mechanischen
Spinnereien weit verbreitet; sie stellten hier nicht selten mehr als ein Drittel der Belegschaft [7.
462]. Die preuß. Regierung verbot zwar 1839 die Beschäftigung von Kindern unter neun Jahren,
doch blieb während des gesamten 19. Jh.s Kinderarbeit in Fabriken üblich [4]. Für wenig
quali zierte Tätigkeiten wurden in Textilfabriken zunehmend auch Frauen eingesetzt, in den
Baumwoll-Spinnereien stellten sie um 1850 etwa die Hälfte der Belegschaft ( Frauenarbeit; vgl.
Abb. 1) [1]; [7. 464].

Stefan Gorißen

3. Soziale Lage

Zwar wurden die Löhne an F. in der ersten Hälfte des 19. 


Jh.s überwiegend in Geldform ausgezahlt, doch kamen Abb. 1: Mechanische
Warenzahlungen regelmäßig vor und waren auch nach Baumwollweberei von Thomas
dem preuß. Truckverbot von 1849 noch anzutre fen. Bei Robinson, Stockport, England,
den Löhnen handelte es sich überwiegend um Zeitlöhne ca. 1835 (Kupferstich aus:
(Wochen- oder Tagelöhne). Seit den 1830er Jahren fand in Andrew Ure, The Philosophy of
dt. Fabriken immer häu ger der Stücklohn, gelegentlich Manufactures …, London 1835,
auch der Akkordlohn Verwendung (Erzbergbau und vor S. 1). Die Abbildung
Eisenindustrie). Dieser Übergang zur Leistungsbezahlung veranschaulicht das
bedingte eine Arbeitsintensivierung und langfristig eine Zusammenwirken von Kraft-
tendenzielle Verstetigung der Arbeitszeiten. Quali zierte und Arbeitsmaschinen in der
Tätigkeiten blieben jedoch ebenso vom Akkord frühen Textilindustrie. Über
ausgeschlossen wie einfache Hilfsarbeiten. komplexe Transmissionen wird
die zentrale Antriebsenergie auf
Die Löhne schwankten zwischen den Arbeitergruppen
eine Vielzahl von
erheblich: Die Spanne zwischen dem am besten und dem
Webmaschinen verteilt, welche
am schlechtesten entlohnten Arbeiter betrug 1 : 8,
nach dem 1822 von Richard
zuweilen sogar 1 : 12. Der große Arbeitskräftebedarf
Roberts entwickelten Modell
bewirkte, dass in der Fabrik in der Regel höhere Löhne
konstruiert sind. Bei den
gezahlt wurden als in Verlagssystem und Manufaktur.
dargestellten Arbeitskräften
Viele F. waren jedoch gezwungen, periodisch in den
handelt es sich ausschließlich
Agrarsektor zu wechseln.

/
In der Krise des Pauperismus befanden sich die F. nicht in um Frauen, nachdem seit 1833 in
einer schlechteren Lage als die verarmenden England Kinderarbeit verboten
Heimgewerbetreibenden. Wenn die Soziale Frage der F. war.
im 19. Jh. dennoch verschärft zutage trat, hatte dies
seinen Grund v. a. darin, dass jegliche soziale Di ferenzierung immer deutlicher auf
ökonomische Unterschiede bezogen wurde.

Die Arbeitszeiten der F. waren zu Beginn des 19. Jh.s meist ungeregelt und ungleichförmig; sie
blieben von den Unregelmäßigkeiten der Produktion abhängig. Verstetigung und Ausdehnung
kennzeichneten ihre Entwicklung in der ersten Hälfte des 19. Jh.s; in den 1850er Jahren lag die
durchschnittliche tägliche Arbeitszeit bei 12–16 Stunden [7. 485]. Für viele F. blieb noch in der
zweiten Hälfte des 19. Jh.s die Betätigung in der Fabrik lebenszyklisch auf einige Jahre
beschränkt, während sie davor und danach in Landwirtschaft und Kleingewerbe arbeiteten.
Solange Fabrikarbeit lediglich als vorübergehende Beschäftigung angesehen wurde, besaßen
Zusammengehörigkeitsgefühl und Solidarität nur geringe Bedeutung. Entsprechend spielten
die F. in den sozialen Protestbewegungen des Vormärz und in der frühen Arbeiterbewegung
gegenüber Handwerkern eine nachrangige Rolle.

Verwandte Artikel: Arbeit | Fabrik | Lohnarbeit | Manufaktur | Professionalisierung |


Unterschichten, städtische

Stefan Gorißen

Bibliography

Quellen

[1] K. H. K et al. (Hrsg.), Gewerbestatistik Preußens vor 1850, 3 Bde. (Quellen und
Forschungen zur Historischen Statistik von Deutschland 5, 6, 21), 1989–2000

[2] K. M , Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie (Marx-Engels-Gesamtausgabe, Abt. 


2), 3 Bde., 1976–1982

[3] A. U , The Philosophy of Manufactures, or: An Exposition of the Scienti c, Moral and
Commercial Economy of the Factory System of Great Britain, 1835 (Ndr. 1967).

Sekundärliteratur

[4] G. K. A , Geschichte der preußischen Fabrikgesetzgebung bis zu ihrer Aufnahme durch
die Reichsgewerbeordnung, 1891

[5] D. H , Art. Fabrik, Fabrikant, in: GGB 2, 1975, 229–252

/
[6] D. K , Kinderarbeit im Rheinland. Entstehung und Wirkung des ersten preußischen
Gesetzes gegen die Arbeit von Kindern in Fabriken von 1839 (Kölner Schriften zu Geschichte
und Kultur 27), 2004

[7] J. K , Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbildung im


19. Jh., 1990

[8] R. R , Lohn und Leistung. Lohnformen im Gewerbe 1450–1900 (VSWG, Beiheft 151), 1999

[9] W. S , Der moderne Kapitalismus. Historisch-systematische Darstellung des


gesamteuropäischen Wirtschaftslebens von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 2: Das
europ. Wirtschaftsleben im Zeitalter des Frühkapitalismus, 21916.

Cite this page

Gorißen, Stefan, “Fabrikarbeiter/in”, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in
Verbindung mit den Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Copyright © J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst
Poeschel Verlag GmbH 2005–2012. Consulted online on 14 May 2020 <http://dx-doi-org.uaccess.univie.ac.at/10.1163/2352-0248_edn_COM_262393>
First published online: 2019

Das könnte Ihnen auch gefallen