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200 Jahre

Völkerschlacht
200 Jahre Völkerschlacht
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Zum 200. Mal jährt sich im Oktober sion des Ereignisses. Entscheidende
2013 die Völkerschlacht bei Leipzig. Schauplätze werden aufwändig res­
Das Ereignis vom 16. bis 19. Oktober tauriert. Tausende Menschen bereiten
1813 war die Entscheidungsschlacht sich auf eine historische Nachstellung
der Befreiungskriege im Kampf der der Schlacht (Reenactment) (siehe
alliierten Österreicher, Preußen, Seite 66) oder einzelner Facetten
Russen und Schweden gegen die wie die „Patrouillenritte“ (siehe Seite
Truppen Napoleon Bonapartes – und 56) zwischen den Truppenteilen und
eine der wichtigsten Weichenstellung­ ihren Quartieren vor. Ein Gedenktref­
­en für die Zukunft Europas, die die fen in Leipzig und Rötha, 1813 das
Region Leipzig ins Zentrum der Hauptquartier der gegen Napoleon
Weltgeschichte rückte. Vier Tage lang verbündeten Heere, soll einer der
waren bis zu 600.000 Soldaten an Höhepunkte der Feierlichkeiten im
der Schlacht um die Vorherrschaft Oktober werden: Viele Vertreter der
in Europa beteiligt. 100.000 getötete in die Ereignisse des Jahres 1813
und verwundete Menschen zeigen die involvierten Fürstenhäuser haben ihr
Härte der damaligen Kämpfe. Nach Kommen zugesagt, um am histori­
der Niederlage in Leipzig musste sich schen Ort gemeinsam der Gefallenen
der französische Kaiser nach Westen der Völkerschlacht zu gedenken
über den Rhein zurückziehen, der (siehe Seite 4). Zugleich soll das Tref­
Weg war frei für die Neuordnung der fen die Erinnerung an das Jahr 1813 -
europäischen Machtverhältnisse auf jedoch ebenso an das Jahr 1913, den
dem Wiener Kongress. Vorabend des 1. Weltkrieges - wach
halten. Es soll uns an die Zerbrech­
Zahlreiche Gemeinden, Vereine und lichkeit des Friedens in Europa
Institutionen aus dem Südraum Leip­ gerade auch in der heutigen Zeit
zigs arbeiten zum Teil seit mehreren europäischer Finanz-, Wirtschafts-
Jahren intensiv und mit sehr viel und Identitätskrisen gemahnen.
Engagement daran, den 200. Jahres­
tag der Völkerschlacht angemessen Die Kultur- und Umweltstiftung
zu würdigen: Mehrere Ausstellungen Leipziger Land der Sparkasse Leipzig
verweisen auf die historische Dimen­ unterstützt seit vielen Jahren das
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Gedenken an die Völkerschlacht. Die Mit der vorliegenden Sonder­
Stiftung ist ideeller Partner zahlreicher broschüre geben wir Ihnen einen
Projektträger im Leipziger Umland Überblick über die Förderprojekte
und fördert mit über 250.000 Euro – der Kultur- und Umweltstiftung zum
der größten Themenförderung in ihrer Völkerschlacht-Gedenkjahr 2013. Wir
Geschichte – Aktivitäten im ehema­ verstehen diese Publikation gleicher­
ligen Landkreis Leipziger Land im maßen als einen Teil der Erinnerungs­
Gedenkjahr 2013. Für das Gedenk­ arbeit wie auch als Anregung für
treffen an die Völkerschlacht in Leip­ Sie, Geschichte zu bewahren und
zig und Rötha übernimmt die Stiftung sich Ihrerseits am Gedenken an das
selbst gemeinsam mit dem „Förder­ historische Ereignis vor 200 Jahren zu
verein Rötha – Gestern. Heute. beteiligen.
Morgen. e. V.“ die Gastgeberrolle.

Der Vorstand

Gabriele Greiner Brigitte Steinbach Stephan Seeger


Vorsitzende Stellvertretende Geschäftsführender
Vorsitzende Vorstand
2
Inhalt
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

200 Jahre Völkerschlacht II

Friedensbotschaft vom historischen Ort 4

Damals und heute – Die Repräsentanten der Fürstenhäuser im Portrait 6

Der Große Zapfenstreich – Historie und Bedeutung 38

Jahrestag der Völkerschlacht – Europa blickt 2013 nach Rötha 43

Das Schloss zu Rötha – Ein „Hymnus an den Frieden“ 48

„Förderung war Initialzündung“ – Interview mit Walter Christian Steinbach 54

„Rings um Rötha“ – Der Patrouillenritt 2013 56

1813 eine Bilanz. Leipzigs Süden im Jahr der Völkerschlacht  58

1812 / 1813 – Zwei Ausstellungen – Russen und Österreicher


in der Völkerschlacht bei Leipzig 60

Ein Museum verändert sein Gesicht 63

Reenactment: Lebendige Geschichte wird nicht vergessen 66

Das Tatarengrab von Kleinbeucha – nicht nur eine Erinnerungsstätte 68

Sechs Eichen bei Rötha  72


3

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Stiftungsgremien82

Die Stiftungen der Sparkasse Leipzig  84

Wenn auch Sie etwas für Ihre Region tun wollen … 86

Reproduktion: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Karl Philipp Fürst zu Schwarzenberg meldet den verbündeten Monarchen den Sieg in der Völker­
schlacht bei Leipzig - Gemälde von Johann Peter Krafft
4
Friedensbotschaft vom
historischen Ort
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Leipzig begeht in diesem Jahr 2013 entscheidend mitgeprägt haben.


gleich zwei Jahrestage: den 200. der Das geschichtliche Ereignis erhält,
Völkerschlacht 1813 und den 100. vermittelt über die Nachfahren der
der Errichtung des Völkerschlacht­ historischen Persönlichkeiten, eine
denkmals 1913. Das Jahr 1913 ist Relevanz fürs Heute. Die Schauplätze
auch in einem zweiten Sinne aus der bis dahin größten Schlacht der
europäischer Perspektive ein relevan­ Menschheitsgeschichte sollen Orte
tes Jahr: Am 24. Mai 1913 heiratete eines würdigen Gedenkens sein,
Hohenzollern-Prinzessin Viktoria von denen in einer Zeit, in der die
Luise von Preußen, einzige Tochter europäische Idee und die europäi­
von Kaiser Wilhelm II., den welfischen sche Integration erneut vor großen
Kronprinzen Herzog Ernst August von Herausforderungen stehen, eine
Braunschweig-Lüneburg in Berlin. Es Friedensbotschaft ausgeht.
war ein gesellschaftliches Ereignis:
Zahlreiche gekrönte Häupter Europas, Zahlreiche Vertreter europäischer
darunter der britische König Georg Fürstenhäuser (siehe Seite 6), darun­
V. und Zar Nikolaus II. von Russ­ ter S.K.H. Georg Friedrich Prinz von
land, trafen anlässlich der Hochzeit Preußen, S.K.H. Georgi Michailowitsch
in Berlin zusammen. Die Stimmung Großfürst von Russland, II.KK. Georg
der Berliner Bevölkerung neigte ins und Eilika Erzherzog und Erzherzogin
Euphorische – an einen Krieg, gar von Österreich sowie II.KK.HH.
an einen Weltkrieg dachte in diesem Heinrich und Thyra Prinz und Prin­
Augenblick niemand. zessin von Hannover Herzog und
Herzogin von Braunschweig und
Es ist dieses historische Beispiel der Lüneburg und die Nachfahren bedeu­
Zerbrechlichkeit des Friedens auf tender Heerführer wie Blücher oder
dem europäischen Kontinent, das die Bennigsen folgen der gemeinsamen
Kultur- und Umweltstiftung Leipziger Einladung von Stiftung und Förder­
Land und den „Förderverein Rötha verein zum Gedenktreffen.
– Gestern. Heute. Morgen e. V.“
dazu veranlasst hat, anlässlich des Vom 17. bis 19. Oktober 2013
200. Jahrestages der Völkerschlacht werden die Familienvertreter an
Vertreter und Nachkommen derjeni­ der gemeinsamen Andacht in der
gen Familien zu einem Gedenktreffen Nikolaikirche, dem Ort der Friedli­
nach Rötha und Leipzig einzula­ chen Revolution von 1989, teilneh­
den, die die Ereignisse von 1813 men, der sich ein Besuch in der
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Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Thomaskirche und im historischen meister der Stadt Leipzig, Burkhard
Auerbachs Keller anschließt. Ein Jung, runden das Gedenktreffen ab.
ökumenischer Gottes­dienst mit dem
Landesbischof der evangelisch-­ Einen Überblick über die Teilnehmer
lutherischen Kirche Sachsens, am Gedenktreffen sowie die Rolle
Jochen Bohl, S.E. Bischof Dr. Heiner ihrer Vorfahren während der Völker­
Koch des Bistums Dresden-Meißen schlacht geben die folgenden Seiten.
und S.E. Erzbischof Longin von Klin
der russisch-orthodoxen Kirche
sowie unter Mitwirkung des Thoma­
nerchores Leipzig stellt das Toten­
gedenken an die Gefallenen der
Völkerschlacht in den Mittelpunkt.
Am historischen Standort des 1969
zerstörten Schlosses Rötha, steht
eine Begegnung mit Fahnenabord­
nungen der Teilnehmer des Völker­
schlacht-Reenactments auf dem
Programm. Zum Begrüßungs­abend
sind die Familien­vertreter in die
„Villa Ida“, den Sitz der Stiftungen
der Sparkasse Leipzig, eingela­
den. Seinen Abschluss findet das
Gedenktreffen durch Empfang, Gro­
ßen Zapfenstreich und Bankett im
„Mediencampus Villa Ida“ mit einer
symphonischen Aufführung des
Großen Zapfenstreichs (siehe Seite
38) unter Schirmherrschaft und
in Anwesenheit des sächsischen
Ministerpräsidenten Stanislaw Til­
lich. Eine Teilnahme am gemeinsa­
men Festakt der Stadt Leipzig und
des Freistaates Sachsen zum 200.
Jahrestag der Völkerschlacht sowie
ein Empfang durch den Oberbürger­
6
Damals und heute –
Die Repräsentanten der
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Fürstenhäuser im Portrait
S.K.H. Georg Erzherzog von Österreich
* 16. Dezember 1964
Der Enkel des letzten österreichi­

Foto: zimbio.com
schen Kaisers Karl I. und Sohn
des Europa­ab­geordneten Otto von
Habsburg lebt seit 1993 in Ungarn
und übernahm ab 1995 leitende
Funktionen bei Fernsehproduktio­
nen und TV-Anstalten in Ungarn.

Seit 1996 fungiert er als Sonderbot­


schafter im Amt des ungarischen
Ministerpräsidenten für europäische
Angelegenheiten und wurde im
Jahre 2004 Präsident des Ungari­
schen Roten Kreuzes Georg und Eilika Erzherzog und Erzherzogin von
Österreich
Er ist seit 1997 mit Eilika Erzherzo­
gin von Österreich verheiratet und von Oldenburg, der ein General im
hat drei Kinder. Erzherzogin Eilika, Dienste des russischen Zaren war
geborene Herzogin von Oldenburg, und unter anderem in der Schlacht
ist die Ur-Ur-Ur-Enkelin von Paul bei Borodino kämpfte.
Friedrich August Erbgroßherzog

Historische Persönlichkeit aus der Zeit der Völkerschlacht:

Franz I. Kaiser von Österreich


(1768-1835)
Napoleons Expansion in Europa eines österreichischen Kaisers. Das
veranlasste Franz, seit 1792 als Heilige Römische Reich Deutscher
Franz II. erwählter Römischer Kaiser, Nation hatte zu dieser Zeit schon
1804 zur Einführung des Titels viel an einstiger Bedeutung verloren,
7
bevor es 1806 aufgelöst wurde. Ab

Foto: habsburger.net
1438 hatten Franz‘ Vorfahren fast

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
ununterbrochen als deutsche Könige
und römisch-deutsche Kaiser
regiert. Franz entstammte der Linie
Habsburg-Lothringen. Er wurde
1768 als ältester Sohn von Großher­
zog Peter Leopold von Toskana – ab
1790 Kaiser Leopold II. – und Maria
Ludovica Infantin von Spanien in
Florenz geboren.

Bereits Franz‘ Krönung zum Römi­


schen Kaiser 1792 war durch eine
Kriegserklärung Frankreichs über­
schattet, die in den 1. Koalitionskrieg
mündete. In den folgenden Jahrzehn­
ten spaltete das Spannungsverhält­
nis zwischen dem Hause Habsburg
und Frankreich Europa. 1805 wurde Franz I. Kaiser von Österreich
Wien durch napoleonische Truppen
eingenommen. 1809 gelang es Öster­ Graf Radetzky ein österreichisches
reich, dem bis dahin als unbesiegbar Kommando, Österreich stellte mit
geltenden Napoleon im 5. Koalitions­ 127.000 Soldaten ein bedeutendes
krieg bei Aspern eine Niederlage Truppenkontingent.
beizubringen, auch wenn der Krieg
schlussendlich verloren ging. Durch Kaiser Franz zog mit der böhmischen
die nachfolgende Heirat seiner Armee gen Leipzig. Während der
Tochter Marie-Louise Erzherzogin von Völkerschlacht quartierte er sich im
Österreich mit Kaiser Napoleon, war Schloss Rötha ein, dem Hauptquar­
Franz I. ab 1810 familiär an Frank­ tier der Koalitionstruppen. Täglich
reich gebunden. Nach den Frühjahrs­ trafen hier die Monarchen mit ihren
feldzügen 1813 fungierte Österreich Heerführern zusammen, um strate­
zunächst in einer Mittlerrolle zwischen gische Entscheidungen zu treffen.
Frankreich und der antinapoleoni­ Dazu gehörte auch die Ablehnung
schen Koalition, bevor es sich dieser eines Waffenstillstandsangebotes,
nach gescheiterten Friedensverhand­ das Napoleon am zweiten Tag der
lungen anschloss. Die böhmische Schlacht seinem Schwiegervater
Koalitionsarmee erhielt mit Befehls­ Franz übermitteln ließ. Stattdessen
haber Karl Philipp Fürst zu Schwar­ besiegten die Alliierten Napoleon
zenberg und General­stabschef Josef bei Leipzig, über 14.000 österrei­
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chische Soldaten zahlten dafür mit erheben. Zum Wiener Kongress über
ihrem Leben oder wurden verwun­ die Neuordnung Europas 1814/15
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

det. Die erfolgreiche Völkerschlacht rückten Franz I. und Metternich in die


veranlasste Franz seinen führenden Gastgeberrolle.
Diplomaten Metternich noch auf
Schloss Rötha in den Fürstenstand zu www.habsburger.net

S.K.H. Georgi Michailowitsch Großfürst von Russland


*13. März 1981
Großfürst Georgi Michailowitsch

Foto: Kanzlei des Russischen Kaiserlichen Hauses


wurde am 13. März 1981 in Madrid
als Sohn von Maria Wladimirowna,
Großfürstin von Russland und Franz
Wilhelm, Prinz von Preußen in Madrid
geboren. Seine Kindheit verbrachte
er in Frankreich. Von 1985 bis 1999
lebte Georgi Michailowitsch in Mad­
rid. Russland besuchte er zum ersten
Mal im April 1992.

Nach dem Studium in Oxford hat er


beim Europaparlament gearbeitet,
um die die Entwicklung Europas’ Georgi Michailowitsch Großfürst von Russland
bestimmenden Prozesse kennenzu­
lernen. Anschließend war er für die duzenten, der „GMK Norilsk Nickel“
Vize - Präsidentin der Europäischen AG mit. Er engagiert sich für wohl­
Kommission für Verkehr und Energie, tätige Zwecke, indem er die Stiftung
Loyola de Palacio in Brüssel tätig. für Krebsforschung „Russian Imperial
Foundation for Cancer Research“
Später setzte der Großfürst seine gründete.
Tätigkeit in der Europäischen Kom­
mission in Luxemburg fortund
konzentrierte sich auf Fragen der
Kernenergie und Sicherheit der nukle­ Der offizielle Titel des Großfürsten lautet: Его
Императорское Высочество наследник
aren Technologien.
цесаревич и великий князь Георгий
Михайлович Российский: Seine Kaiserliche
Seit 2008 wirkt Georgi Michailowitsch Hoheit Thronfolger Kaisersohn und Großfürst
bei dem weltweit größten Nickelpro­ von Russland Georgi Michailowitsch
9
Historische Persönlichkeit aus der Zeit der Völkerschlacht:

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Alexander I. Zar von Russland
(1777-1825)
1613, nach der Überwindung der Zeit

Foto: academic.ru
der großen Wirren, bestieg erstmals
ein Romanow den Thron, Zar Michail
I. Fjodorowitsch, der von den Volks­
vertretern gewählt wurde, da er mit
der ersten russischen Rurikiden-
Dynastie, die 862 – 1598 herrschte,
am nächsten verwandt war. Alexander
I. Zar von Russland entstammte der
Linie Holstein-Gottorp des Hauses
Romanow, die Peter III. (1728-1762),
der leibliche Enkel mütterlicherseits
von Peter I., dem Großen, begrün­
dete. Alexander I. war Sohn von Zar
Paul I. und dessen zweiter Frau Maria
Fjodorowna, geborene Prinzessin
Sophie Dorothee von Württemberg.

Außenpolitisch schloss Alexander


I. 1802 einen Freundschaftsbund Alexander I. Zar von Russland
mit König Friedrich Wilhelm III. von
Preußen und war zunächst auch Russland zurückziehen, die russische
darum bemüht, Europa im Verbund Armee setzte nach. Nach wechselhaf­
mit Napoleon Bonaparte neu zu tem Kriegsverlauf, in dem zunächst
ordnen. Dies änderte sich 1811 – Preußen, später Österreich und
sowohl Russland als auch Frankreich zahlreiche Rheinbund-Staaten auf der
bereiteten sich auf einen Krieg vor. Seite Russlands in den Krieg eintra­
Dies mündete 1812 in Napoleons ten, führte Alexander I. sein Heer in
Russlandfeldzug, in dessen Verlauf die Herbstfeldzüge 1813:
er Moskau besetzte, das bald von Gemäß dem gemeinsam mit König
einem verheerenden Brand zerstört Friedrich Wilhelm III. und Kronprinz
wurde. Aufgrund der schlechten Bernadotte von Schweden im Juli
Versorgungslage und der Weigerung 1813 beschlossenen Trachen­
Alexanders I. Verhandlungen auf­ berg-Plan stellte Russland 82.000
zunehmen, musste sich Napoleons Soldaten für die böhmische Armee
Armee unter großen Verlusten aus unter General Fürst Schwarzenberg
10
bereit, weitere 66.000 für die schlesi­ 1913, als der 100. Jahrestag der
schen Armee unter General Blücher Völkerschlacht bei Leipzig feier­
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und 29.000 für die schwedischen lich begangen wurde, stand an der
Armee unter Kronprinz Bernadotte. Spitze der russischen Delegation
der Cousin des Zaren Nikolaus II.,
Während der Völkerschlacht bei Kyrill Wladimirowitsch Großfürst
Leipzig, in der die russischen Truppen von Russland, der später, nach der
etwa 22.000 Tote und Verwundete zu Revolution von 1917, zum Oberhaupt
beklagen hatten, begleitete Alexander des Russischen Kaiserlichen Hauses
I. die böhmische Armee und nahm im Exil wurde. Den Festlichkeiten
an den strategischen Beratungen der anlässlich des 200. Jahrestages der
Alliierten auf Schloss Rötha teil. Nach Völkerschlacht wohnt der Urenkel
dem Sieg zog er gemeinsam mit den von Kyrill Wladimirowitsch Großfürst
anderen Monarchen in Leipzig ein. von Russland, Georgi Michailowitsch
Alexander I. Zar von Russland wird Großfürst von Russland, als Ehren­
während des gesamten Herbstfeld­ gast bei.
zugs eine besonders prägende Rolle
zugesprochen: Seiner offensiven www.imperialhouse.ru
Haltung gegen die französische www.charitychoice.co.uk/the-russian-imperi­
Besatzung ist es zu verdanken, dass al-foundation-for-cancer-research-228245
sich auch die deutschen Länder
schrittweise gegen Napoleon erho­
ben. So galt er seinen Zeitgenossen
als „Retter Europas“, dem auf dem
Wiener Kongress 1815 das soge­
nannte „Kongresspolen“ zugespro­
chen wurde. Gemeinsam mit Preußen
und Österreich bildete Russland im
gleichen Jahr die „Heilige Allianz“ der
Herrscher und Völker.
11
S.K.H. Georg Friedrich Prinz von Preußen
*10. Juni 1976

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Nach dem Tod seines Großvaters

Foto: Haus Hohenzollern


Louis Ferdinand folgte ihm Georg
Friedrich Prinz von Preußen 1994 als
Chef des Hauses Hohenzollern. Der
Major der Reserve ist ein Ur-Ur-Enkel
des letzten deutschen Kaisers
Wilhelm II.

Georg Friedrich Prinz von Preußen


lebt in Berlin, wo er als Unterneh­
mens- und Existenzgründungsberater
wissenschaftliche Einrichtungen bei
der Verwertung von Hochschul­
innovationen unterstützt. Er verwaltet Georg Friedrich und Sophie Prinz und Prinzessin
das Familienvermögen, zu dem auch von Preußen
zu zwei Dritteln die Burg Hohenzollern
in Baden-Württemberg gehört, und ist Seit 2011 ist er mit Sophie Prinzessin
im Vorstand der „Prinzessin Kira von von Preußen, geborene Prinzessin
Preußen-Stiftung“, die sich um sozial von Isenburg, verheiratet. Das Paar
benachteiligte Kinder kümmert. bekam im Jahre 2013 Zwillingssöhne.

Historische Persönlichkeit aus der Zeit der Völkerschlacht:

Friedrich Wilhelm III. König von Preußen


(1770-1840)
Das ursprünglich aus dem süd­ 1797 betrat er als Nachfolger seines
deutschen Raum stammende Vaters den preußischen Thron. Zu
Geschlecht der Hohenzollern stellte Beginn seiner Regentschaft ver­
ab 1417 die Kurfürsten von Bran­ folgte er die französischen Expan­
denburg, seit 1701 die preußischen sionsbestrebungen abwartend,
Könige und nach 1871 zugleich die außenpolitisch isoliert, musste
deutschen Kaiser. Der nachmalige er Napoleons Führungsrolle auf
Friedrich Wilhelm III. wurde 1770 in deutschem Gebiet nach dessen
Potsdam als Sohn Friedrich Siegen in der Schlacht von Austerlitz
Wilhelms II. und der Friederike (1805) und bei Jena und Auerstedt
von Hessen-Darmstadt geboren. (1806) anerkennen: im Oktober 1806
12
durchschnittlicher Kampfgeist zuge­

Foto: SPSG
sprochen, den die Truppen auch
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der Führungskraft des „Marschall


Vorwärts“, dem preußischen Gene­
ral Gebhard Leberecht von Blücher,
verdankten. Ihm wurde im Sommer
1813 die schlesische Armee der
Koalitionstruppen unterstellt, der
38.000 preußische Soldaten ange­
hörten. Weitere 45.000 preußische
Soldaten gehörten zur böhmischen
Armee, 73.000 Preußen unterstan­
den dem schwedischen Kronprinzen
Bernadotte in dessen Nordarmee.

König Friedrich Wilhelm III. zog mit


der böhmischen Armee, quartierte
sich – anders als Alexander I. und
Franz I. – jedoch nicht in Rötha,
König Friedrich Wilhelm III. von Preußen (Gemäl­ sondern im benachbarten Gruna
de von E. P. Gebauer nach F. Baron Gérard) bei Magdeborn ein und ritt täglich
zu den Lagebesprechungen nach
besetzten die Franzosen Berlin. Rötha. Gemeinsam mit dem russi­
Trotz eines Freundschaftsbundes schen Zaren, dem österreichischen
mit Zar Alexander I. musste Fried­ Kaiser und ihren Stäben verfolgte
rich Wilhelm III. in der Folge der er am 18. Oktober die Kampfhand­
Grande Armée 20.000 Soldaten lungen vom „Monarchenhügel“ bei
für den Russland-Feldzug 1812 zur Liebertwolkwitz. Hier nahmen die
Verfügung stellen. Erst nach dem drei Monarchen auch die Siegesbot­
verheerenden Ende des Feldzugs schaft des Oberbefehlshabers Fürst
wagte Friedrich Wilhelm, getrieben Schwarzenberg am Abend entgegen.
vom teils eigenmächtigen Handeln Für Preußen brachte der Sieg über
seiner Generalität, im Februar 1813 Napoleon eine Aufwertung im euro­
den Bruch mit Napoleon und den päischen Machtgefüge – beim Wiener
Schulterschluss mit Russland. Im Kongress wurde Preußen vor allem
März erklärte er Frankreich den um die rheinischen Gebiete erweitert.
Krieg, den er mit einem Aufruf
„An mein Volk“ zum patriotischen www.preußen.de
Freiheitskrieg erklärte. Vor allem
im Frühjahrsfeldzug 1813 wird den
preußischen Soldaten ein über­
13
S.K.H. Heinrich Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig
und Lüneburg, Prinz von Großbritannien und Irland

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
*29. April 1961

Foto: Privat
Heinrich Prinz von Hannover ist der
jüngere Bruder des Welfenchefs
Ernst August und arbeitet als Ver­
leger. Er wurde 1961 geboren. Seit
1999 ist er mit Thyra Prinzessin von
Hannover, Herzogin zu Braunschweig
und Lüneburg verheiratet. Das Paar
hat 3 Kinder und lebt in Göttingen.

Heinrich und Thyra Prinz und Prinzessin von


Hannover

Historische Persönlichkeit aus der Zeit der Völkerschlacht:

George III. König von Großbritannien und Irland, König


von Hannover
(1738-1820)

George III. William Frederick war Römischen Reich Deutscher Nation


der dritte britische Monarch aus gehörte. Im Jahre 1235 entstand das
dem Hause Hannover – der erste, in der Folge wiederholt geteilte und
der in England geboren wurde wieder zusammengeführte welfische
und englischsprachig aufwuchs. Herzogtum und spätere Kurfürsten­
Er entstammt dem ursprünglich tum Braunschweig-Lüneburg, deren
fränkischen Adelsgeschlecht der Linie George III. entstammte. Gebo­
Welfen, das seit dem 9. Jahrhundert ren wurde er am 4. Juni 1738 als
urkundlich bekannt ist und bereits Enkel König George II. und Sohn von
im 12. Jahrhundert – durch Persön­ Friedrich Ludwig von Hannover und
lichkeiten wie Heinrich dem Löwen Augusta von Sachsen-Gotha. Sein
und Kaiser Otto IV. – zu den füh­ Vater starb, bevor er die Thronfolge
renden Geschlechtern im Heiligen antreten konnte. Daher übernahm
14
George III. 1760 die Regentschaft als

Foto: bildgalerie-diepholz.de
König von Großbritannien und Kur­
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fürst von Braunschweig-Lüneburg.

Ab 1793 befand sich Großbritannien


für mehr als zwei Jahrzehnte fast
kontinuierlich in Kriegen mit Frank­
reich, die beispielsweise die Nieder­
lagen bei der Schlacht von Austerlitz,
aber auch den Sieg bei der See­
schlacht von Trafalgar 1805 brachten.
Letztere sorgte für eine langjährige
Vorherrschaft der britischen Flotte
auf den Weltmeeren und verhinderte
eine Expansion Napoleons auf die
britischen Inseln. Napoleon reagierte
mit der Kontinentalsperre gegen
Groß­britannien, die fortan regelmäßig
Anlass für weitere Auseinanderset­ George III. König von Großbritannien und
Hannover
zungen und neue Allianzen bot.

1813 schloss sich George III. der German Legion“ stellte 1813 etwa
anti-napoleonischen Koalition an. 9.000 Soldaten. Belohnt wurde dieser
Dies manifestierte sich zwar nicht im Einsatz mit einer deutlichen Stärkung
persönlichen Kriegseinsatz Georges des Hauses Hannover auf dem Wiener
III., jedoch in der Bereitstellung Kongress, das das Kurfürstentum
von Truppenkontingenten für den Lüneburg-Braunschweig zum deutlich
Frühjahrs- und Herbstfeldzug, die größeren Königreich Hannover aus­
überwiegend aus dem Kurfürstentum bauen konnte, dessen erster König
Braunschweig-Lüneburg rekrutiert George III. wurde.
wurden. Die 1803 begründete „King’s
15
S.D. Nicolaus Herzog von Leuchtenberg de Beauharnais
*12. Oktober 1933

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Als Nachkomme von Eugène de

Foto: Vasily Bratanyuk


Beauharnais, Herzog von Leuchten­
berg, dem Stiefsohn von Kaiser
Napoleon I. von Frankreich, fun­
giert er als Familienoberhaupt des
Hauses Leuchtenberg. Eugène de
Beauharnais’ Sohn Maximilian, der
Ururgroßvater von Nicolaus Herzog
von Leuchtenberg, war mit Maria, der
Tochter Zar Nikolaus I., verheiratet.
Maximilian erhielt vom Zaren zusätz­
lich den Titel Fürst Romanowsky und
ergänzte das Familienwappen um den
russischen Doppeladler mit Andreas­ Nicolaus Herzog von Leuchtenberg de
orden. Die Nachkommen Maximilians Beauharnais und Frau Carla Michel
wurden alle militärisch erzogen und
standen somit in russischen Diens­
ten. Die Familie wurde während der
Revolution in Russland enteignet.
Nicolaus Herzog von Leuchtenberg
hat einen Sohn und lebt heute in St.
Augustin nahe Bonn.
16
Historische Persönlichkeit aus der Zeit der Völkerschlacht:
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Eugène de Beauharnais Vizekönig von Italien, Herzog von


Leuchtenberg
(1781-1824)

Eugène de Beauharnais, geboren

Foto: wikipedia.org
1781, entstammte der ersten Ehe von
Napoleons Gattin Joséphine. Sein
Vater Alexandre Vicomte de Beau­
harnais starb 1794 in den Nachwehen
der Französischen Revolution unter
der Guillotine, seine Mutter heiratete
zwei Jahre später den General Napo­
leon Bonaparte. 1805 ernannte Napo­
leon seinen Stiefsohn zum Prinzen
und Staatserzkanzler von Frankreich
sowie zum Vizekönig von Italien.
1806 wurde Eugène de Beauharnais
offiziell von Napoleon adoptiert und Eugène de Beauharnais Vizekönig von Italien,
heiratete die Tochter des ersten Herzog von Leuchtenberg
bayerischen Königs Maximilian I.
Joseph, Auguste Amalie von Bayern. beordert, um von dort Österreich zu
1810 erhob Napoleon seinen Stief- bekämpfen. Nach Napoleons Nieder­
und Adoptivsohn zum Großherzog lage in der Völkerschlacht führte er
von Frankfurt. die Kampfhandlungen fort, erst mit
Napoleons Sturz 1814 beendete auch
De Beauharnais war von 1797 an Eugène de Beauharnais den Konflikt
als Offizier und Feldherr ständiger und zog sich aus Italien nach Mün­
Begleiter Napoleons. So nahm er chen zurück. Von seinem Schwieger­
1812 auch als Befehlshaber eines vater König Max I. Joseph wurde ihm
Truppenteils am Russlandfeldzug teil. im November 1817 der Titel eines
Nach dem Rückzug erhielt er das Herzogs von Leuchtenberg verliehen,
Oberkommando über die Überreste das die im 17. Jahrhundert ausge­
der Grande Armée in Deutschland storbene Linie derer zu Leuchten­berg
und führte sie – gemeinsam mit sei­ neu begründete. Noch im gleichen
nem Adoptivvater – im Mai 1813 zum, Jahr erhielt er auch den Titel Fürst
allerdings verlustreichen, Sieg bei von Eichstätt nebst dazugehörigem
Großgörschen. Anschließend wurde Besitz.
er als Oberbefehlshaber nach Italien
17
S.K.H. Alexander Prinz von Sachsen
*12. Februar 1954

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Als Sohn der Maria Anna Prinzessin

Foto: zimbio.com
von Sachsen und des libanesischen
Prinzen Roberto de Afif-Gessaph
wurde Alexander Prinz von Sachsen
1999 von seinem Onkel, dem
Familienoberhaupt des sächsischen
Königshauses, Maria Emanuel Mark­
graf von Meißen, adoptiert und als
Nachfolger designiert.

Seit 1987 ist Alexander Prinz von


Sachsen mit Gisela Prinzessin von
Sachsen verheiratet. Sie ist eine
geborene Prinzessin von Bayern und Alexander und Gisela Prinz und Prinzessin von
Nichte des Herzogs von Bayern. Das Sachsen
Paar hat vier Kinder.
Ministerpräsidenten. Heute lebt er
Prinz Alexander fungierte von 2003- mit seiner Familie überwiegend in
2008 als Berater des sächsischen Mexiko.

Historische Persönlichkeit aus der Zeit der Völkerschlacht:

Friedrich August I. König von Sachsen, Herzog von


Warschau
(1750-1827)

Friedrich August I. König von Sachsen des 10. Jahrhunderts zurückverfolgt


und Herzog von Warschau wurde werden können. Friedrich August
1750 in Dresden als Sohn des I. gehörte zur Albertinischen Linie
Kurfürsten Friedrich Christian von des Hauses, die mit der Leipziger
Sachsen und dessen Gemahlin Maria Teilung 1485 entstanden war. 1763
Antonia von Bayern ins Geschlecht wurde er, zunächst durch Mutter
der Wettiner geboren. Das Haus und Onkel vertreten, Kurfürst von
Wettin gilt als eines der ältesten Sachsen, 1768 übernahm er die
deutschen Adelsgeschlechter, des­ Regentschaft.
sen Wurzeln bis in die zweite Hälfte
18
Große Teile der Befreiungskriege ab

Foto: wikipedia.org
1813 spielten sich auf sächsischem
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Boden ab, was Friedrich August I. in


eine schwierige Situation brachte: Auf
zwei Millionen Sachsen kamen eine
Million Soldaten, die versorgt werden
mussten. Napoleon drohte, Sachsen
als Feindesland zu betrachten, sollte
das Land die Seiten wechseln. So
bekämpfte Sachsen in der Schlacht
bei Großgörschen im Mai 1813 die
preußisch-russischen Truppen. Im
Sommer war Dresden Mittelpunkt
der Bewegungen der französischen
Armee. In die Völkerschlacht zogen
sächsische und polnische Truppen
noch an der Seite Napoleons. Die
polnische Armee wurde fast vollstän­
Friedrich August I. König von Sachsen, Herzog dig vernichtet, Teile der sächsischen
von Warschau Armee wechselten während der
Schlacht in das Lager der Alliierten.
Außenpolitisch agierte Friedrich Friedrich August I. wurde in Leipzig
August zurückhaltend: so lehnte er festgesetzt. An einem Beitritt Sach­
beispielsweise 1791 die polnische sens zur antinapoleonischen Koali­
Königskrone ab. Ähnlich abwartend tion hatten Preußen und Russland
verhielt er sich auf dem Reichs­ aufgrund eigener Expansionsbestre­
deputationshauptschluss 1803 und bungen kein Interesse. Sachsen blieb
bei der Gründung des von Napoleon besetzt und Friedrich August bis Feb­
initiierten Rheinbundes 1806, dem ruar 1815 preußischer Gefangener.
Jahr, in dem es auch eine schwere Sachsen verlor in der Nachkriegsord­
Niederlage für die sächsischen und nung 57 Prozent seines Territoriums.
preußischen Truppen in der Schlacht Gleichwohl wurde er von seinen
bei Jena und Auerstedt zu verzeich­ Landsleuten nach seiner Freilassung
nen gab. Anschließend trat Sachsen begeistert empfangen.
dem Rheinbund bei, 1807 wurde
Friedrich August I. auf Betreiben www.haus-wettin.de
Napoleons zum Herzog von War­
schau erhoben. In den Russland­
feldzug Napoleons 1812 waren
115.000 Soldaten unter polnischer
Fahne eingebunden.
19
S.D. Heinrich XIV. Prinz Reuß Fürst Reuß zu Köstritz
*14. Juli 1955

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Heinrich XIV. Prinz Reuß Fürst Reuß

Foto: gera.otz.de
zu Köstritz ist der Sohn des Fürsten
Heinrich IV. Reuß zu Köstritz und der
Prinzessin Marie Luise zu Salm-
Horstmar. Seit dem Tode seines
Vaters im Jahre 2012 ist er Familien­
oberhaupt des ehemals regierenden
Hauses Reuß. Er verwaltet das
Familien­vermögen des Hauses Reuß
und lebt auf Schloss Ernstbrunn
in Österreich. Seit 1995 ist er mit
Johanna Fürstin Reuß zu Köstritz,
geborene Baronesse Raitz von Frentz
verheiratet und hat vier Kinder. Heinrich XIV. Prinz Reuß Fürst Reuß zu Köstritz

Historische Persönlichkeit aus der Zeit der Völkerschlacht:

Heinrich LI. Fürst Reuß zu Ebersdorf (jüngere Linie)


(1761-1822)
Heinrich LI. wurde 1761 als Sohn sen – zwischen 150.000 und 200.000
des Grafen Heinrich XXIV. Reuß zu Soldaten zogen durch das kleine
Ebersdorf und dessen Gemahlin Gräfin Fürstentum. Am 18. April 1807 trat
Karoline Ernestine zu Erbach- es – gemeinsam mit den Grafschaf­
Schönberg geboren. Die Grafschaft ten Reuß-Greiz, Reuß-Schleiz und
Reuß-Ebersdorf, im heutigen thüringi­ Reuss-Lobenstein – dem Rheinbund
schen Saale-Orla-Kreis gelegen, war bei und gehörte ihm bis zu dessen
1678 nach mehreren Teilungen der Zerfall an. Während der Völkerschlacht
jüngeren Linie Reuß entstanden. spielte das Fürstentum ob seiner
Größe naturgemäß nur eine unterge­
Heinrich LI. wurde 1806 zum Fürsten ordnete Rolle: Die zahlreichen kleinen
Reuß zu Ebersdorf erhoben. Im Okto­ Rheinbundstaaten hatten insgesamt
ber des gleichen Jahres beherbergte er ein Truppenkontingent von 4.000 Sol­
in seiner Residenz Schloss Ebersdorf daten zu stellen, im Akzessionsvertrag
Napoleon Bonaparte mit 32 Generalen von 1807 wurden den vier Reußischen
und Stabsoffizieren während dessen Fürstentümern für den Kriegsfall
Feldzug gegen Preußen und Sach­ insgesamt 450 Infanteristen unter der
20
Führung des Fürstentums Reuß-Greiz an den Teichen zwischen Connewitz
abverlangt. Sie nahmen unter anderem und Probstheida am 18. Oktober
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

am Russlandfeldzug teil. belegt. Nach Napoleons Niederlage


schlossen sich die Fürsten­tümer der
Zur Völkerschlacht mussten die Reußi­ Koalition an und verdoppelten für die
schen Fürstentümer erneut 450 Mann kommenden Frankreichfeldzüge ihre
in drei Regimentern stellen, ihr Einsatz Truppen auf 900 Mann.
ist beispielsweise für Infanterie­gefechte
www.haus-reuß.de

S.D. Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe


*25. Dezember 1958
Alexander Fürst zu Schaumburg Lippe

Foto: netzzeitung.de
ist der zweite Sohn von Philipp-Ernst
Fürst zu Schaumburg-Lippe und Eva-
Benita Baronesse von Tiele-­Winckler.
Der ältere Sohn und Erbe Georg
Wilhelm starb 1983 bei einem Motor­
radunfall.

Nachdem er sein Jura-Studium an der


Universität Göttingen erfolgreich abge­
schlossen hatte, wurde er bereits 1993
durch seinen Vater als Generalbevoll­ Alexander und Nadja Fürst und Fürstin zu
mächtigter der Fürstlichen Hofkammer Schaumburg-Lippe
Bücke­burg eingesetzt. Seit dem Tode
seines Vaters im Jahre 2003 ist Fürst
Alexan­der Familienoberhaupt des
ehemals regierenden Fürstenhauses
und residiert auf Schloss Bückeburg in
Nieder­sachsen.

Fürst Alexander hat aus seiner ersten


Ehe mit Marie Louise Prinzessin zu
Sayn-Wittgenstein-Berleburg einen
Sohn und aus seiner 2007 geschlos­
senen zweiten Ehe mit der Münchner
Rechtsanwältin Nadja Fürstin zu
Schaumburg-Lippe, geborene Zsöks,
zwei Töchter.
21
Historische Persönlichkeit aus der Zeit der Völkerschlacht:

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Georg Wilhelm Fürst zu Schaumburg-Lippe
(1784-1860)
Georg Wilhelm Fürst zu Schaumburg­

Foto: wikipedia.org
Lippe war der Sohn von Graf Philipp
II. und dessen zweiter Ehefrau Prin­
zessin Juliane von Hessen-Philipps­
tal. Schaumburg-Lippe, im heutigen
Niedersachsen gelegen, entstand
1647 durch die Aufteilung der Graf­
schaft Schaumburg, nachdem deren
letzter Erbe 1640 verstorben war. Graf
Georg Wilhelm übernahm die Regent­
schaft 1807, im gleichen Jahr trat
er – nach Besetzung seines Landes
durch holländische Truppen – dem
Rheinbund bei, wurde zum Fürsten
erhoben und sicherte so den Erhalt
des Landes. Gemeinsam mit dem
gleichzeitig beigetretenen Fürstentum
Lippe-Detmold, hatte Schaumburg-­ Georg Wilhelm Fürst zu Schaumburg-Lippe
Lippe im Falle eines Krieges der
napoleonischen Armee 650 Infan­ Gebiet des Fürstentums begeistert
teristen bereitzustellen, wobei empfangen. Die Bataillone Georg
Schaumburg-­Lippe den deutlich Wilhelms wurden den Truppen
geringeren Anteil (150 Soldaten) zu des Herzogs von Sachsen-Coburg
tragen hatte. Für den Russland-Feld­ zugeordnet und marschierten gen
zug wurde das schaumburg-lippische Paris. Auf dem Wiener Kongress
Kontingent auf 280 Mann erhöht, konnte Georg Wilhelm die Souverä­
ein ähnliches Kontingent war für die nität seines Fürstentums bewahren,
Frühjahrs- und Herbstschlachten zu wenn auch ohne die angestrebten
stellen. Gebietsvergrößerungen. Mit hohem
wirtschaftlichen Sachverstand gelang
Mit Napoleons Niederlage bei Leipzig es ihm jedoch in der Folgezeit,
stiegen auch in Schaumburg-Lippe Schaumburg-Lippe rund um Schloss
die patriotischen Tendenzen, sodass Bückeburg zu einem prosperierenden
das Fürstentum im November 1813 Fürstentum im Deutschen Bund zu
dem alliierten Bündnis beitrat. Das entwickeln.
Heer um Blücher wurde auf dem www.schloss-bueckeburg.de
22
S.D. Stephan Leopold Prinz zur Lippe
*24. Mai 1959
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Als Sohn des Dr. Armin Prinz zur

Foto: gala.de
Lippe, Familienoberhaupt des
ehemals regierenden Fürstenhauses
Lippe, ist Stephan Leopold Prinz zur
Lippe seit einigen Jahren in enger
Zusammenarbeit mit seinem Vater
Verwalter des Fürstlichen Erbes.
Prinz Lippe ist Rechtsanwalt und
Notar und lebt auf Schloss Detmold.
Er ist seit 1994 mit Maria Prinzessin
zur Lippe, geborene Gräfin
Solms-Laubach verheiratet. Sie ist
Tochter des Grafen Otto, Herrn der
ehemaligen Standesherrschaft Stephan Leopold und Maria Prinz und Prinzessin
Laubach in Hessen. Das Paar hat zur Lippe
fünf Kinder.

S.D. Dr. Georg Prinz zur Lippe


*25. Juni 1957
Dr. Georg Prinz zur Lippe wurde am
25. Juni 1957 als jüngstes von sieben Foto: dresdenfan.de
Kindern der Familie in Schweinfurt
geboren. Er gehört der erbherrlichen
Linie Lippe-Weißenfeld an, d. h. nicht
der bis 1918 regierenden Linie dieses
alten deutschen Fürstenhauses. In
den 1990er Jahren erwarb Prinz zur
Lippe das 1945 enteignete elterliche
Schloss Proschwitz bei Meißen mit
den umliegenden Weinbergen und
sanierte es vollständig.

Prinz Lippe ist seit 1995 mit der


Rundfunk-Journalistin Alexandra, Dr. Georg Prinz zur Lippe
geb. Gerlach, verheiratet. 2003 wurde
Sohn Georg-Moritz geboren.
23
Historische Persönlichkeit aus der Zeit der Völkerschlacht:

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Pauline Fürstin zur Lippe, geb. Prinzessin Anhalt-
Bernburg, Regentin des Fürstentums Lippe
(1769-1820)

Pauline Fürstin zur Lippe, 1769 in

Foto: harzinfo.de
Ballenstedt geborene Prinzessin
Anhalt-Bernburg, wurde 1802 durch
den Tod ihres Ehemannes Leopold
I., der Lippe 1789 durch Einlösung
des Fürstenbriefs zum Fürstentum
gemacht hatte, als Vormund ihres erst
sechsjährigen Sohnes Paul Alexander
Leopold II. zur Regentin des circa
70.000 Einwohner zählenden Klein­
staates, der auf dem Gebiet des
heutigen nordrhein-westfälischen
Landkreises Lippe angesiedelt war.
Pauline Fürstin zur Lippe
Als Regentin war sie darum
bemüht, die formelle Souveränität Russlandfeldzug 1812 an, was immer
des Fürsten­tums, das zwischen wieder zu Unruhen im Fürstentum
den Gebieten der Konfliktparteien und einem hohen Anteil desertieren­
Preuß­en, Hessen und Frankreich lag, der Soldaten führte. Nach Napoleons
zu erhalten. 1807 trat das Fürsten­ Niederlage bei der Völkerschlacht galt
tum als Fürstentum Lippe-Detmold das Fürstentum den Koalitionären als
gemeinsam mit Schaumburg-Lippe feindliches Land, das zunächst von
dem Rheinbund bei und hatte den preußischen Truppen besetzt wurde.
napoleonischen Truppen fortan 500 Im November 1813 erklärte Fürstin
der von beiden Ländern 650 gefor­ Pauline den Austritt aus dem Rhein­
derten Infanteristen bereitzustellen. bund. Im Fürstentum bildete sich
Die Fürsten von Lippe-Detmold hat­ daraufhin ein Freiwilligenkorps, das
ten die Direktion und Inspektion über sich den antinapoleonischen Truppen
das gesamte Kontingent. Pauline galt anschloss. Das Fürstentum konnte
als Bewunderin Napoleons, den sie auf dem Wiener Kongress seine
im Rahmen der Beitrittsverhandlun­ Eigenständigkeit bewahren.
gen 1807 auch persönlich kennen­
gelernt hatte. Die Bewunderung hielt www.lippelaw.de
auch noch nach dessen gescheiterten www.schloss-proschwitz.de
24
S.D. Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn
* 22. November 1943
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Alexander Konrad Friedrich Heinrich

Foto: wikipedia.org
Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn,
geboren am 22. November 1943 in
Salzburg, ist als ältester Sohn von
Ludwig Fürst zu Sayn-Wittgenstein­­
-Sayn seit 1962 Chef seines Hauses.
Er ist Unternehmer, Vizepräsident des
europäischen Denkmalschutz-Verbun­
des „Europa Nostra“ und Vorsitzen­
der dessen deutschen Zweiges. Von
1968 bis April 2013 war er Prä­si­dent
der Deutschen Burgenvereinigung
(DBV). Heute ist Alexander Fürst zu
Sayn-Wittgenstein-Sayn der Ehrenprä­
sident der DBV sowie Vorsitzender der
DBV-Stiftung.
Alexander und Gabriela Fürst und Fürstin zu
Seit 1969 ist er mit Gabriela Gräfin Sayn-Wittgenstein-Sayn
von Schönborn-Wiesentheid
verheiratet. Das Paar hat sieben
Kinder und lebt auf Schloss Sayn in
Bendorf bei Koblenz.

Historische Persönlichkeit aus der Zeit der Völkerschlacht:

Ludwig Adolf Graf von Sayn-Wittgenstein


(1769 – 1843)
Ludwig Adolf Graf von Sayn-Witt­ Ludwig Adolfs Vater, Christian Lud­
genstein-Berleburg-Ludwigsburg wig siedelte nach Russland über und
wurde am 6. Januar 1769 in Negine wurde 1752 Mitglied der russischen
(Nizhyn/Nezhin) bei Kiew geboren. Die Armee.
Sayn-Wittgenstein sind ein Adelsge­
schlecht mit Stammsitz auf der Burg Diesen Weg schlug auch Ludwig Adolf
Sayn in Bendorf (heutiges Rhein­ ein, der 1781 zunächst seinen Dienst
land-Pfalz), das seit 1605 in drei Linien in der Leibgarde des Zaren antrat,
und zahlreiche Äste aufgeteilt ist. wo er in Referenz zu seinem Diens­
25
therren den Vornamen Peter annahm. bei Liebertwolkwitz in die Geschichte
Während der Schlacht bei Austerlitz eingegangenen Gefechte endeten für

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
1805 befehligte er einen Vorposten, beide Seiten ohne Gebietsgewinne.
1807 wurde er Generalleutnant und Die franzö­sische Kavallerie wurde
Chef des Leibgardehusarenregiments. jedoch erheblich dezimiert. Am 16.
In dieser Funktion 1812 kämpfte er Oktober sollte Wittgenstein, der
im Russlandfeldzug gegen Napo­
leons Invasionsheer. Mit dem ersten

Foto: wikipedia.org
Sieg eines russischen Heeresteils in
der Schlacht bei Kljasticy konnte er
den Vorstoß der Franzosen auf St.
Petersburg abwenden. Beim Rückzug
der Franzosen gelang es Wittgenstein
nicht, Napoleon an der Beresina den
Weg zu verlegen, er bezeichnete die
dortige Kapitulation einer französi­
schen Division, die erste im Feldzug,
aber als seinen größten Erfolg.

Sayn-Wittgensteins Truppen zogen


am 7. März 1813 – zusammen mit
denen Yorcks – in Berlin ein. Nach
Kutusows Tod hatte er vorüberge­
hend den Oberbefehl über die rus­
sischen und preußischen Truppen,
rückte nach den Niederlagen bei Ludwig Adolf Graf von Sayn-Wittgenstein
Großgörschen und Bautzen aber ins
zweite Glied zurück. inzwischen den Oberbefehl über die
Truppenverbände der böhmischen
Am 14. Oktober 1813 befehligte Armee rechts der Pleiße innehatte,
General Wittgenstein das Aufklä­ gegen Leipzig vordringen. Zwei Tage
rungsunternehmen, bei dem 3.000 später stieß er unter dem Kom­
russische Kavalleristen und weitere mando von Barclay de Tolly erneut
russische und preußische Infanterie- – und diesmal siegreich – gegen
und Kavalleriekorps die Stellungen Wachau und Liebertwolkwitz vor.
der napoleonischen Truppen südlich Am 19. Oktober erstürmten seine
von Leipzig erkunden sollten. Das Truppen gemeinsam mit denen von
Unternehmen wuchs sich zu Kämp­ Kleists die Quandtsche Tabaks­
fen mit etwa 60.000 Soldaten auf mühle, die am Tag zuvor Befehls­
beiden Seiten aus. Die als Reiter­ stand Napoleons gewesen war,
schlacht bei Wachau und Gefecht sowie das Wind­mühlentor in Leipzig.
26
Nach der Völkerschlacht nahm ßische König 1834 zum Fürsten von
General Wittgenstein am Frank­ Sayn-Wittgenstein-Berleburg-
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

reichfeldzug in führender Position Ludwigsburg (ab 1861 Fürsten zu


teil, 1814 kehrte er nach Russland Sayn-Wittgenstein-Sayn).
zurück und wurde 1826 zum Feld­
marschall ernannt. In Anerkennung www.sayn.de
seiner Dienste erhob ihn der preu­

Lesen Sie zu zwei bedeutenden Heerführern der Völkerschlacht und Ihren


Nachfahren die Beiträge von Thomas Mayer, Chefreporter a. D. der Leipziger
Volkszeitung, die in gekürzter Form am 6. September in der LVZ erschienen
sind.

„Die Seelen der Gefallenen sind mir wichtiger als die Siege“
Der Ur-Ur-Ur-Blücher - Beim Nach- Blücher gibt Gas. Er sitzt hinterm
fahren eines legendären Generals in Steuer seines geländegängigen
den Graubündener Alpen Wagens, fährt erst durch herrlichen
Wald, bald vorbei an Almen, Kurve
Nikolaus Fürst Blücher von Wahlstatt folgt auf Kurve, es geht weit nach
hat einiges von seinem berühmten oben. Dort schreitet er aus über Stock
Vorfahren. Er sieht aus wie einer, der und Stein und atmet durch. „Wie herr­
was aushält, ein Naturbursche mithin. lich kann doch die Welt sein“, so Blü­
So schnell wirft so einen bekanntlich cher, Nachkomme zweier großer deut­
nichts um. Erst vor wenigen Tagen scher Familien – auf der Vaterseite der
nach einer Lungenembolie aus der General, der Haudegen in Zeiten der
Klinik entlassen, will der 81 Jahre Befreiungskriege, auf der Seite der
alte Ur-Ur-Ur-Enkel von „Marschall Mutter die Familie von Siemens. Sohn
Vorwärts“, wie Gebhard Leberecht Nikolaus hat mithin genügend erlebt,
von Blücher, der legendäre Held der war wohl behütet, ist gut situiert.
Kriege gegen die Napoleonische Sein Arbeitsleben verbrachte er bei
Fremdherrschaft von seinen Soldaten Siemens, erst als Volontär, später als
voller Verehrung genannt wurde, raus Direktor. Im Alter haben er und seine
an die Luft. Die ist in Graubünden Frau den Wohnsitz nahe München an
in der Schweiz und konkret auf den Sohn Lukas weitergegeben und sich
Bergen oberhalb von Chur natürlich in den Schweizer Bergen um Flims/
bestens. Laax niedergelassen.
27
Nikolaus von Blücher

Foto: Thomas Mayer


ist es nicht fremd,

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
zu Gedenkfeiern
für die Kriege aus
Napoleoni­scher Zeit
geladen zu werden.
In Waterloo war er
zu Gast. Da sei es
erwünscht gewe­
sen, dass sich die
Nachkommen von
Napoleon, Welling­
ton und Blücher die
Hand geben. Nikolaus
Blücher: „Eine ausge­
zeichnete Idee, noch
dazu unterm Siegel
der europäischen
Verständigung. Nach
nichts anderem
stand und steht doch
auch mir der Sinn,
leider machten früher
die Franzosen dabei
meist nicht mit. Sie Nikolaus Fürst Blücher von Wahlstatt vor der Kulisse der Graubün­
sagen stattdessen: dener Alpen
Wir feiern doch
unsere Niederlage nicht. Das bedau­ hoffentlich für immer vorbei ist.“ Auch
erte ich sehr.“ Also gab von Blücher in Leipzig will Blücher etwas sagen.
selbst mal ein Beispiel: Er ging in Ihn drängt es hier zu verkünden: „Die
den 1990er-Jahren nach Jena und Seelen der Gefallenen sind mir wichti­
Auerstädt, wo 1806 die Franzosen ger als die Siege.“
gesiegt hatten und hatte dort gar kein
Problem, gerade mit den Siegern von Der Blücher von heute kennt diese
einst das Gedenken zu pflegen. Ja, und jene Seite „seines“ Generals.
Blücher ergriff sogar das Wort und Der war berühmt für manch ureigene
sagte: „Wir sollten unsere Vorfahren Geschichte. Als er in der Schlacht
und ihre Leistungen nicht verleugnen. von Waterloo, mittlerweile schon
Wir sollten aber vor allem wissen, 73, vom Pferd fiel und unter ihm wie
dass diese Art und Weise und diese begraben lag, wurde er doch noch
Zeit, sich gegenseitig umzubringen, gerettet und zur Heilung am ganzen
28
kann seinen eige­

Foto: wikipedia.org
nen Kopf küssen?
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Ratlose Blicke.
Blücher stand
auf und küsste
Gneisenau auf die
Glatze.“

Sieg oder Nieder­


lage – Blücher,
so glaubt der
Ur-Ur-Ur-Enkel,
sei es ziemlich
egal gewesen,
ob er gewonnen
oder verloren
habe: „Er stand
auf und kämpfte
weiter, was
selbst Napoleon
imponiert haben
muss. Denn der
Kaiser besuchte
ihn sogar in der
Gefangenschaft.
Gebhard Leberecht Fürst Blücher von Wahlstatt Als Blücher nach
der Völkerschlacht
Körper mit Knoblauch eingerie­ bis nach Paris gekommen war, hatten
ben. Als er dann aus Freude einen diese beiden Exponenten des Krieges
verletzten Offizier, der einen Arm nahezu gleichzeitig Nervenzusam­
verloren hatte, ungestüm umarmte, menbrüche und Wahnideen. Der Krieg
sagte der Feldherr: „Achtung, ich hatte sie wohl an die Grenze ihrer
stinke!“ Blücher, so dessen Erbe, mentalen Belastbarkeit getrieben. Blü­
war ein Original, vor allem aber ein cher sagte damals: „Ich bin froh, dass
Kämpfer mit Führungsqualitäten, für das Morden zu Ende ist.“ Diese Worte
die militärische Strategie war indes rechnet der Nachfahre dem Gene­
General von Gneisenau, Stabschef ral besonders hoch an. Es ist keine
der Schlesischen Armee, zuständig. Heldenverehrung, die Nikolaus von
Fürst Nikolaus kennt auch dazu eine Blücher an den Urahnen denken lässt.
Episode: „Blücher saß inmitten der Stolz sei er aber schon auf so einen
Offiziere und fragt: Wer von euch „sehr besonderen Menschen“.
29
Mit über 70 Jahren ritt Blücher in 2000 Gefangene. Wie Steffen Poser,
die Völkerschlacht. Was ihn damals Direktor der Gedenkstätte und des

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
bewegte, hatte er mit einem Aufruf Museums Völkerschlachtdenkmal
am 23. März 1813, verfasst mit Fürst weiß, schlief Blücher gut in jener
zu Sayn-Wittgenstein, den Einwoh­ Nacht.
ner Sachsens kund getan: „Wir
ziehen, wo der Finger der Vorsehung Bevor nun der Junior nach Leipzig
uns zeiget, um zu kämpfen für die kommt, ist er erneut in der Welt
Sicherheit der alten Throne, und unterwegs. Als engagierter Botschaf­
unsere National­-Unabhängigkeit ter und Lehrer der Transzendentalen
… Wir bringen Euch die Morgen­ Meditation wird er nicht müde, für
röthe eines neuen Tages. Die Zeit ist Glück auf Erden und für die Weltord­
endlich gekommen, ein verhasstes nung des Friedens zu werben. Jüngst
Joch abzuwerfen, das uns seit Jahren war er in Kanada, nächste Reisen
furchtbar drückte … Den Freund nach Indien, dem Ursprungsland
deutscher Unabhängigkeit werden wir dieser Art anders zu denken, stehen
als unseren Bruder betrachten, den auch auf dem Programm. Zunächst
irregeleiteten Schwachsinnigen mit besucht Blücher aber Sachsen, um
Milde auf die rechte Bahn leiten.“ damit auch seinen Vorfahren zu
ehren. Der sorgte letztlich dafür, dass
Blücher wurde zu einer Hauptfigur der Name Blücher auch fast 200
der Völkerschlacht. Es war Sonn­ Jahre nach dem Tod des Generals all­
abend, der 16. Oktober. Im Norden gegenwärtig ist. Der Spruch „Ran wie
Leipzig tobten die Kämpfe. Blücher Blücher“ bezieht sich auf den Sieg
befehligte die Schlesische Armee mit über die Franzosen im August 1813
den Truppen des Generals Yorck. an der Katzbach in Schlesien. Es gibt
Die Schlacht von Möckern gestal­ deutschlandweit nach ihm benannte
tete sich für die Franzosen wie für Straßen und Plätze, für die Verdienste
die Preußen verlustreich. Erst die für den Sieg über Napoleon hängt
herein­brechende Nacht beendete im Waterloo-Saal auf Windsor Castle
das Gemetzel. Blücher verbrachte neben Wellingtons Porträt das von
die Nacht im Pfarrhaus von Groß­ Blücher - und das aus gutem Grund:
wiederitzsch. Zufrieden soll er „Es werde Nacht, oder die Preußen
gewesen sein, sein Hauptverdienst kommen“, hoffte bekanntlich der
war es, um Möckern jene Truppen britische General. Die Preußen,
Napoleons gebunden zu haben, die Blücher kam und sorgte mit seiner
in Wachau für den Sieg des Kaisers Truppe für die Niederlage Napoleons.
hätten sorgen können. Blücher und
Co. erbeuteten einen kaiserlichen Und, nicht zu vergessen: Technik-
Adler, zwei Fahnen, 40 Kanonen und Pionier George Stevenson nannte
200 Munitionswagen und machten eine seiner Lokomotiven - „Blücher“.
30
Fürst Nikolaus lächelt: „Vorwärts, zückt den Fotoapparat und steuert
immer vorwärts ...“ Genauso wie der bald darauf den Geländewagen über
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

alte Herr bei seinen Touren in den die Serpentinen ins Tal. Dort ist Brot­
Alpen. Der Enzian fasziniert ihn an zeit angesagt. So ein Ur-Ur-Ur-Enkel
diesem Tag besonders. So schön ruht eben in sich selbst.
habe er sich noch nie gezeigt. Sagt’s,

Lukas Graf Blücher von Wahlstatt


*29. Mai 1956
Sein Sohn und Nachfolger, Lukas gieunternehmen. Er ist seit 1996 mit
Graf Blücher von Wahlstatt, geboren Patricia Gräfin Blücher von Wahlstatt,
am 29.05.1956 in Kiel, ist studierter geborene Baronesse von Fircks ver­
Elektroingenieur und agiert heute als heiratet und hat zwei Söhne und eine
Business-Angel für junge Technolo­ Tochter.

„Erst Feinde und heute Bürger einer Weltgemeinschaft“


Der Ur-Ur-Ur-Ur-Bennigsen - schweig. Er war, als Napoleon Europa
Beim letzten Nachfahren eines zu beherrschen suchte, ein begeister­
deutsch-russischen Generals in ter Militär, stand zunächst in kurfürst­
Brüssel lich-hannoverschen Diensten und
wurde später General der russischen
Der Brüsseler Stadtteil Uccle ist Armee. Als solcher nahm er an der
nicht das, was man ein Armendomizil Völker­schlacht bei Leipzig teil.
nennt. Stattliche Anwesen gibt es,
prächtige Villen, Parks und Gärten, „Ich bin der Letzte“, sagt Pierre von
die meist verdeckt hinter Mauern und Bennigsen. Er meint die „Thronfolge“
Hecken. Hier hat man was oder ist in seiner Familie. Der Ur-Ur-Ur-Ur-
man was. Viel Wert auf den Stamm­ Enkel stammt in direkter männlicher
baum ihrer Familie legen Graf Pierre Linie vom einstigen General ab. Da
und Gräfin Anastasia von Bennigsen, es keine weiteren männlichen Erben
gründet sich der doch auf ein jahr­ gibt, wird diese Linie irgendwann
hundertealtes niedersächsisches aussterben. Der Graf, gerade 63
Adelsgeschlecht. Der berühmteste Jahre alt geworden, bedauert das
Vertreter hieß Levin August von und versucht, die Erinnerungen an
Bennigsen, geboren 1745 in Braun­ einen bemerkenswerten Vorfahren
31
hochzuhalten. So

Foto: Thomas Mayer


freut er sich auf

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Leipzig. Gerade mit
der Kenntnis des
200. Jahrestages der
Völkerschlacht ist
bei ihm die eigene,
manchmal schon ver­
gessene Familienge­
schichte wieder sehr
präsent geworden.

Der alte Bennigsen


war ein Haudegen.
Dass Deutsche in
Russland dienten,
war vor 200 Jahren
gar keine Seltenheit,
die Deutschen, so
weiß Pierre von Ben­
nigsen, waren „sehr
beliebt, nicht zuletzt
wegen der deutsch­
stämmigen Zarin Pierre Graf von Bennigsen vor dem Portrait seines berühmten
Katharina II.“. So war Vorfahren
also dieser General
bei den Kämpfen was laut der Geschichtsbücher am
um Leipzig präsent. Zar Alexander 18. Oktober geschah. „Bennigsen
I. hatte ihn zum Oberbefehlshaber hatte die besten Eigenschaften eines
seiner Reservearmee, die in Polen Kavallerieoffiziers, als die galten:
stationiert war, berufen. Bennigsen Feuer, Kühnheit, Schnelligkeit“, weiß
führte 1813 die Truppe in Eilmärschen Pierre von Bennigsen.
nach Leipzig. Es heißt: Nur das recht­
zeitige Eintreffen sicherte ab dem 17. Ganz so unbescholten liest sich die
Oktober den Sieg der Verbündeten. Vita seines Vorfahren aber dann
General von Bennigsen nahm per­ doch nicht. Der hatte eine beson­
sönlich die Kapitulation des Königs dere Leidenschaft fürs schöne
von Sachsen, Friedrich August I., Geschlecht. Vier Mal war er verhei­
entgegen. Noch in Leipzig wurde der ratet, die letzte Frau die Verlobte des
Deutsche in Diensten des Zaren in eigenen Sohnes! Auch war der Gene­
den russischen Grafenstand erhoben, ral 1801 in die Verschwörung gegen
32
Zar Paul I. verstrickt, wobei ihm die „Hoch lebe unser Bennigsen“, sagt
nicht unbedeutenden Geschichts­ Pierre. Er ist stolz auf diesen Vor­
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

schreiber Karl Marx und Friedrich fahren, insbesondere auf dessen


Engels attestierten, selbst die Leistungen bei der Völkerschlacht.
schwere silberne Schnupftabakdose Der Generals-Nachfahre ist heute
geschwungen zu haben. Graf Pierre Franzose, ist es da nicht schwierig,
lächelt: „Ich war doch nicht dabei sich über Napoleons Niederlage
…“ Nach einem „sehr kampfreichen zu freuen? – „Warum? So ist doch
und abwechslungsreichen Leben“ unsere Geschichte, und ich bin
habe sich der Vorfahre auf sein Gut ein Teil von ihr. Schauen Sie: Mein
Banteln im Hannoverschen zurück berühmter Vorfahre ritt in der Völker­
gezogen, wo er 1826 im Alter von schlacht gegen die Franzosen in den
81 Jahren starb – und wie Marx/ Kampf. Mein Großvater Adam von
Engels auch zu wissen glauben: „… Bennigsen hat im Ersten Weltkrieg
nachdem er den größten Teil seines als Russe gegen die Deutschen
Vermögens verschwendet und seine gekämpft. Mein Vater Alexander von
Kinder arm in russischen Diensten Bennigsen kämpfte als Franzose im
zurück gelassen hatte.“ Zweiten Weltkrieg gegen die Deut­
schen. Und heute? Wir vertragen uns.
Der definitiv letzte Graf Bennigsen Ist das nicht wunderbar? Ich freue
geht gelassen mit dieser wie mit mich auf Leipzig, wo wir uns alle
anderer Familiengeschichte um. Die treffen.“
Altvorderen in Ehren zu halten, ist
für ihn aber selbstverständlich. Die Pierre und Anastasia leben in Brüssel
Wohnung zieren diverse Erinnerungs­ und sind Europäer. Die Vereinigung
stücke, so gibt es die Kopie eines der Länder und Menschen sei die
Gemäldes, die den Großvater hoch zu Grundlage allen künftigen Fort­
Ross im Ersten Weltkrieg unter dem schritts. Nur müsse endlich die Krise
Befehlshaber General Wrangel zeigt. der Politik ein Ende haben. Pierre ist
Da stehen originale Stücke aus Afrika deutsch-russischer Herkunft, wurde
im Regal, die darauf verweisen, das in Paris geboren. Er hat die franzö­
ein von Bennigsen auch mal Gouver­ sische Staatsbürgerschaft ebenso
neur fürs deutsche Kaiserreich in Ost­ wie die belgische. Er spricht mehrere
afrika war. Und wie in einem Schrein Sprachen. Nicht anders seine Frau.
hängt das Porträt des berühmtesten Anastasia hat polnisch-litauische
von Bennigsen. Im Bücherregal steht Wurzeln und kam in Kolumbien zur
die dreibändige Autobiografie des Welt, wohin ihre Eltern ausgewan­
Generals. Er selbst schaut dem heu­ dert waren. Sie wuchs in Argentinien
tigen Grafen-Ehepaar beim Speisen auf, ging in Deutschland zu Schule,
auf den Tisch. Gut gegessen wird hier machte hier das Abitur, lebte in
in Brüssel. Und getrunken ebenso. Frankreich und ist seit Jahren mit
33
Pierre in Brüssel

Foto: wikipedia.org
zu Hause. Das

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Paar hat zwei
Töchter. „Wir
kennen schon
lange keine Gren­
zen mehr, erst
Feinde, sind wir
heute Bürger einer
Weltgemeinschaft“,
sagt der Graf. Fast
nebenbei erwähnt
Gräfin Anastasia,
dass ja auch die
Familie, aus der sie
stammt, etwas mit
der Völkerschlacht
zu tun hatte: „Einer
meiner Vorfahren
hieß Alexander
Jurgenjew. Wie
ich recherchiert
habe, gehörte
er zu jenen 20
000 russischen Levin August Graf von Bennigsen
Soldaten, die in
der Völkerschlacht zu Tode kamen. fühle ich mich als Russe.“ Und als
Vielleicht finde ich ja eine Spur von Deutscher? – „Dafür bin ich schon
ihm in Leipzig.“ zu lang weg von Deutschland.“ Der
Graf, der als Computer-Ingenieur
Bei aller Weltläufigkeit ist ein treff­ sein Geld verdient, freut sich auf
licher Zufall, dass unweit von Pierre seinen Ruhestand. Der dürfte aber
von Bennigsens Zuhause mit einem mehr in Unruhe stattfinden. In Paris
riesigen Areal die Botschaft Russ­ will der Senior noch mal durchstarten
lands ihren Sitz hat. Der Ur-Ur-Ur- und Theologie studieren. Das Fach
Ur-Enkel des Generals in Diensten fasziniert ihn mehr als die Militärge­
des Zaren: „Die Beziehung unserer schichte, die ihm eigentlich bei seiner
Familie zu diesem Land ist seit Jahr­ Familiengeschichte näher liegen
hunderten eng. Mit dem heutigen müsste. Auch den Militärdienst
Russland habe ich aber nichts zu für die Grand Nation absolvierte
tun. Je älter ich werde, umso weniger er ohne Begeisterung. Haudegen
34
Levin August, ein Held der „battle of den trefflichen Rotwein ausschenkt.
nations“, wie der Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel Man lebt gut in Uccle. Frau
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

das die Welt verändernde Leipziger Anastasia, eigentlich die treibende


Ereignis nennt, dürfte ihm auch das Kraft der Aufarbeitung der Familien-­
verzeihen. Geschichte, betrachtet den General,
gerahmt an der Wand, und ihren
Der Alte, für Pierre ein „action man“, Mann: „Wie ähnlich sie sich sind.
blickt auf den Tisch, wo Graf Pierre Echte Bennigsens!“

Heinrich Freiherr von Friesen


*21. Juli 1935
Heinrich Freiherr von Friesen ist der bilien-Verwaltungen GmbH. Da er
letzte noch lebende auf Schloss sich zeitlebens mit der Kunst befasst
Rötha geborene Friesen. 1945 musste hat, betätigte er sich nach dem
die Familie innerhalb kürzester Zeit Verkauf seiner Firma im Jahre 2001
fliehen, um der Verhaftung durch die fast ausschließlich im Kunst- und
russische Armee zu entgehen. Sie Kulturbereich. Als Folge der Wieder­
gelangten über Leipzig und Berlin in vereinigung gründete er die „Heinrich
die Gegend von Wesel am Nieder­ Freiherr von Friesen – Rötha“ Stif­
rhein. Nach Abitur und Jura-Studium tung, in die er die Ahnengalerie seiner
gründete Freiherr von Friesen 1960 Familie mit fast 100 Gemälden zum
die Firma von Friesen & Lang Immo­ Teil bedeutender Maler einbrachte.

Historische Persönlichkeit aus der Zeit der Völkerschlacht

Johann Georg Friedrich Freiherr von Friesen


(1757-1824)
Johann Georg Friedrich Freiherr von Leipzig, wo er Rechtswissenschaften
Friesen wurde am 28. April 1757 als studierte. Nach Abschluss des Studi­
erster Sohn des Herrn auf Rötha, ums vollzog Johann Georg Friedrich
Rammelburg und Königsbrück Freiherr von Friesen eine beein­
Johann Friedrich Ernst Freiherr von druckende Karriere am Sächsischen
Friesen und seiner Ehefrau Christine Hof König Friedrich August III. und
Jakobine geb. Gräfin von Werthern bekleidete Positionen zunächst als
geboren. Nach sorgfältiger Unterwei­ Kammerjunker, dann Kammerherr,
sung durch Privatlehrer besuchte er Geheimer Rat, Erbmarschall-Amts­
die Universitäten in Wittenberg und verweser und ab 1812 Oberkammer­
35
herr. Als der König in Folge Zuspit­ Hier trafen sich Zar Alexander I. von
zung der politischen Lage 1813 Russland, Kaiser Franz I. von Öster­

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
den Hof in Dresden verließ, wurde reich und König Friedrich Wilhelm
Freiherr von Friesen zum Mitglied der III. von Preußen zu den Lagebe­
vom König für seine Abwesenheit sprechungen mit ihren militärischen
eingesetzten Immediat-Kommission Befehlshabern. Für diese strategi­
ernannt. Aufgrund seiner außeror­ schen Beratungen wurde u. a. auch
dentlichen diplomatischen Fähigkei­ der Speisesaal genutzt. Der russi­
ten wurde er mehrmals Kaiser Napo­ sche und der österreichische Mon­
leon insbesondere während dessen arch wohnten während der Kriegs­
Aufenthaltes im Marcolini-Palais in tage im Schloss. Freiherr von Friesen
Dresden zur persönlichen Betreuung hielt sich während der Völkerschlacht
beigegeben. Trotz des hohen Anse­ nicht in Rötha auf, sondern weilte
hens, welches Freiherr von Friesen gemeinsam mit seiner Frau Juliane
auch bei den Verbündeten gegen Caroline geb. Gräfin von der
Napoleon besaß, wurde sein Schloss Schulen­burg-Wolfsburg auf seiner
in Rötha zum Hauptquartier der alli­ Besitzung Schloss Rammelburg im
ierten Monarchen gegen Napoleon Harz. Nach der Niederlage Napo­
während der Völkerschlacht bei Leip­ leons kehrte er im Dezember 1813
zig auserkoren. War es wohl auch an den Hof nach Dresden zurück. Er
durch seine Lage insbesondere seine starb am 18. Januar 1824.
Größe und den Wirtschaftsumfang
des Rittergutes unter den Herrensit­
zen der Umgebung am besten hierfür
geeignet.

Außer dem Beitrag zum Hause Romanow,


verfassten Nikolaus Faulstroh und Volker
Tzschucke die Portraits.
36
Koordination fürstliche Häuser
und Protokoll
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Die Kultur- und Umweltstiftung Leipziger Land der Sparkasse Leipzig und der
Förderverein Rötha – Gestern. Heute. Morgen. e. V. danken für ihre Unterstüt­
zung und ihren Rat bei der Vorbereitung und Durchführung der Gedenkveran­
staltungen zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht:

Koordinator fürstliche Häuser

S.E. Maximilian Graf zu Solms-Laubach


* 27. September 1962
Maximilian Graf zu Solms-Laubach Seit 1993 ist Graf

Foto: M.Kaliske
stammt als Standesherr aus der vor­ Solms verheiratet
mals reichsunmittelbaren Familie der mit Ursula Gräfin
Grafen Solms aus Laubach in Ober­ zu Solms-Laubach.
hessen. Nach seiner Ausbildung zum Das Paar hat fünf
Immobilienkaufmann in Frankfurt am Kinder.
Main und anschließender Tätigkeit
als Unternehmensberater in München
lebt er seit März 1990 als Kaufmann Maximilian Graf zu
Solms-Laubach
in Leipzig. Die von ihm hier gegrün­
dete SolmsConsult berät bundesweit
Unternehmen zu strategischen und
betrieblichen Fragen der Entwicklung,
Optimierung und Vermarktung von
Gewerbeimmobilien.
37
Hans-Henning Freiherr von Bischoffshausen
* 5. September 1958

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Die Familie von Bischoffshausen selte er als Abtei­

Foto: Privat
stammt ursprünglich aus Nordhes­ lungsdirektor zur
sen. Freiherr von Bischoffshausen Commerzbank AG,
lebte bis 1976 im Elternhaus in Filiale Leipzig.
Wentorf bei Hamburg. Von Juli 1979
bis Juli 1981 war er Zeitsoldat der Seit 1995 ist Frei­
Bundeswehr (Panzertruppe). 1981 herr von Bischoffs­
bis 1983 wurde eine Ausbildung zum hausen verheiratet
Bankkaufmann bei der BHF-BANK in mit Birthe Freifrau Hans-Henning Frei­
Frankfurt am Main absolviert. 1990 von Bischoffshau­ herr von Bischoffs­
hausen
war er tätig für die BHF-BANK in New sen. Das Paar hat
York; danach bis 1995 in Hamburg sechs Kinder.
und anschließend für das Privatkun­
dengeschäft in Leipzig. 2005 wech­

Protokoll

Nikolaus Faulstroh
* 24. Oktober 1978
Nach einer Ausbildung zum Hotel­ Derzeit promoviert
Foto: Privat
kaufmann absolvierte Nikolaus er am Lehrstuhl
Faulstroh ein Studium der Politik­ für Mittel- und
wissenschaft und Geschichte an den Osteuropäische
Universitäten Wien und Eichstätt, Zeitgeschichte der
das er 2008 mit dem Magister Artium Katholischen Uni­
abschloss. versität Eichstätt
über die Politik
Nach Praktika im In- und Ausland der Europäischen Nikolaus Faulstroh
arbeitete Nikolaus Faulstroh für meh­ Großmächte in den
rere Jahre als Marketingleiter bei den Balkankonflikten.
renommierten Passauer Festspielen,
wo er als persönlicher Referent des
Intendanten u. a. für das Fundraising
und protokollarische Aufgaben ver­
antwortlich war.
38
Der Große Zapfenstreich – Historie
und Bedeutung
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Von Stephan Seeger / Direktor Stiftungen der Sparkasse Leipzig

Im Jahre 2013 blicken wir nicht nur für hervorragende Taten vergeben
zurück auf die Ereignisse der Völker­ werden. Dies war konsequent, denn
schlacht im Oktober 1813. Wir erin­ mit der Einführung der allgemei­
nern uns auch des 100. Jahrestages nen Wehrpflicht in Preußen in den
1913, diesem letzten Friedensjahr vor Jahren 1813/1814 verschwammen
der Urkatastrophe des I. Weltkrieges, die Standes­unterschiede im Militär.
in dem das alte Europa unterging Wille des Königs als Stifter war, dass
und an dessen Ende die Saat für eine die später „EK“ genannte Auszeich­
noch größere Katastrophe bereits nung nur im Kampf gegen Napoleon
gelegt wurde. verliehen werden sollte. Das „Eiserne
Kreuz“ wurde in der Folgezeit jedoch
Dieses Jahr 1913, in dem die Erinne­ mehrfach erneuert und ist heute
rung an die bis dahin größte Massen­ Hoheitszeichen der Bundeswehr.
schlacht der Menschheitsgeschichte
noch näher war, als uns heute und Neben der Einführung der allgemei­
die deshalb Ausdrucksformen des nen Wehrpflicht in Preußen und der
Gedenkens im monumentalen Stil Stiftung des „Eisernen Kreuzes“ ent­
der Zeit schuf: das Völkerschlacht­ stand etwa zur selben Zeit unter dem
denkmal, die Russische „St. Alexej“ Begriff „Großer Zapfenstreich“ auch
Gedächtniskirche, die zahlreichen eine militärische Zeremonie, die heute
kleineren Denkmale, u. a. die des in der Bundeswehr höchster protokol­
Militär-Maria-Theresia-Ordens mit larischer Ausdruck einer Ehrung ist.
ihren beeindruckenden bronzenen
Doppeladlern. Ursprünglich hatte der „Zapfen­
streich“ eine disziplinierende Aufgabe.
Wir erinnern uns auch der Stiftung Wenn die Landsknechte zur festge­
des „Eisernen Kreuzes“ durch König setzten Abendstunde in das Lager
Friedrich Wilhelm III. am 10. März zurückkehren sollten, ging ein Offizier,
1813. Diese militärische Auszeich­ begleitet von einem Pfeifer oder
nung, in Erinnerung an Königin Trommler, durch die Gaststuben
Luise gestiftet, ihr posthum als und schlug mit seinem Stock auf den
erster Trägerin verliehen und von Zapfen des Fasses. Danach durfte
Schinkel ausgeführt, sollte erstmals der Wirt keine Getränke mehr ausge­
ohne Ansehen von Herkunft, Rang ben und die Soldaten mussten in die
und Stand des Auszuzeichnenden Zelte. Diesen musikalischen Befehl
39
nannten die Landsknechte

Foto: Historische Bürgerwehr Villingen e. V.


„Zapfenstreich“.

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
König Friedrich Wil­
helm III. befahl für seine
Truppen die Einführung
eines Gebetes nach dem
Zapfenstreich, nachdem
er diesen Brauch im Lager
der verbündeten Russen
bei Großgörschen im Mai
1813 kennengelernt hatte.
Der Erlaß stammt vom Aufführung eines historischen Zapfenstreiches in Villingen
10. August 1813 und hat
folgenden Wortlaut: mit dem kommandierenden Offizier,
Unteroffizier usw. zugleich den Czako
„Da bei allen Armeen der jetzt mit uns ab und setzt ihn ebenso wieder auf.
verbündeten Mächte, und namentlich
bei den Russen, Österreichern und In den Feldlägern sollen die vor den
Schweden der Gebrauch stattfindet, Fahnen usw. versammelten Trom­
des morgens nach beendigter Reveille, peter oder Hoboisten gleich nach
und des abends nach beendetem beendigtem Zapfenstreich ein kurzes
Zapfen­streich ein Gebet zu verrich­ Abendlied blasen, nach welchem die
ten und es mein Wille ist, dass meine vordem ohne Gewehr in Jacken oder
Truppen auch in Hinsicht der Gottes­ Mänteln herangetretenen Eskadronen
verehrung keinen anderen nachstehen oder Kompanien zugleich mit den
sollen, und dass überhaupt bei den­ Waffen das Haupt zum Gebet ent­
selben dem so notwendigen religiösen blössen, nach dessen Ende auf ein
Sinn immer mehr Raum gegeben und Signal mit der Trompete oder Trom­
jedes Mittel zur Belebung desselben mel die Wachen aus dem Gewehr
angewendet werden möge, so befehle treten und die Kompanien usw.
ich hiermit: Dass die Wachen von jetzt auseinander gehen.
an, wenn Reveille oder Zapfenstreich
geschlagen wird, ins Gewehr treten, Ich trage Ihnen auf, diesen Befehl den
sodann das Gewehr präsentieren, wie­ unter Ihrem Kommando stehenden
der schultern und abnehmen, hierauf Truppen wörtlich bekanntzumachen,
den Czako usw. mit der linken Hand und auf dessen Befolgung strenge zu
abnehmen und, ihn mit beiden Händen halten.“
vor dem Gesicht haltend, ein stilles
Neudorf, den 10. August 1813
Gebet, etwa ein Vaterunser lang, ver­
richten sollen. Die Mannschaft nimmt Friedrich Wilhelm
40
Die Zusammenfassung von einigen Zapfenstreichstücken der Fußtruppen und
der berittenen Truppen mit dem Gebet führte dann zu der heute noch gebräuch­
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

lichen Form des Großen Zapfenstreichs. Auf der Grundlinie „Locken – Zap­
fenstreich – Gebet“ ist von Wilhelm Wieprecht, dem Direktor sämtlicher Musik­
korps des Preußischen Gardekorps, die Spielfolge des Großen Zapfenstreichs
zusammengestellt worden.

Das Gebet
Der Dichter des Liedes „Ich bete an die Macht der Liebe“ ist der deutsche
Mystiker Gerhard Tersteegen (1697-1769). Der Komponist ist Dimitri
Stepanowitsch Bonnianski (1751-1825), dessen 160 liturgische Gesänge
(Gesamtausgabe später durch Tschaikowsky) von Friedrich Wilhelm III. einge­
führt wurden. Ob dieses Lied 1813 schon komponiert war, ist nicht sicher. In
den Gesangsbüchern der deutschen Landeskirchen und in dem neuen evange­
lischen Gesang- und Gebetbuch für Soldaten steht bei der Melodie des Liedes
die Jahreszahl 1822.

Der „Große Zapfenstreich“


am 19.10.2013 auf dem „Mediencampus Villa Ida“
Der “Große Zapfenstreich“ kommt aufgrund der räumlichen Gegebenheiten
auf dem „Mediencampus Villa Ida“ am 19.10. als „Historischer Zapfenstreich“
in symphonischer Form zu Gehör, da das Gelände Marschformationen nicht
zulässt.

Mit diesem Zeremoniell ehren wir die Gefallenen und Opfer der Völkerschlacht
bei Leipzig und richten unter dem Europamotto „In Vielfalt geeint“ zugleich eine
Botschaft an die in Verantwortung für das Gemeinwohl Stehenden, den europäi­
schen Integrationsprozeß mit aller Kraft fortzusetzen.
41
Das musikalische Programm am 19.10.2013

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Einmarsch
Marsch des Yorck’schen Korps/Ludwig van Beethoven (1770-1827)

Serenade
1. Hoch Habsburg/Johann Nepomuk Král (1839-1896)
2. Le régiment de sambre et meuse/Robert Planquette (1848-1903), Arr.: Louis-
Philippe Laurendeau
3. Marsch des Soldaten Robert Bruce/Melodie aus Schottland, Arr.: Bernd
Classen
4. Großer Gott, wir loben dich/Arr.: Kurt Gäble

Großer Zapfenstreich
• „Locken“ zum Großen Zapfenstreich durch den Spielmannszug
• Preußischer Zapfenstreichmarsch
• Retraite mit drei Posten (Fanfarenrufe); die drei Posten unterscheiden sich
durch eine zunehmende Getragenheit und Melancholie und rufen symbo­
lisch nacheinander die Versprengten und die Verwundeten nach der Schlacht
zurück, die dritte und letzte Fanfare ist ein musikalischer Gruß an die Toten,
die nicht mehr zurückkehren
• Ruf zum Gebet durch den Spielmannszug
• Nach dem Kommando „Helm ab zum Gebet!“ das musikalische Gebet, die
von Dimitri Stepanowitsch Bonnianski komponierte Choralstrophe, die später
mit dem Text „Ich bete an die Macht der Liebe“ unterlegt wurde. Die betei­
ligten Ausführenden halten dazu den Helm mit der linken Hand vor die Brust;
anwesende Soldaten in Uniform nehmen formlos ihre Kopfbedeckung ab.
• Das Kommando „Helm auf!“, Abschlagen nach dem Gebet und Ruf nach dem
Gebet
• Nach dem Kommando „Achtung, präsentiert !“ folgen am 19.10. die

Hymnen
Deutsche Nationalhymne nach Joseph Haydn (1732-1809)
Europahymne nach Ludwig van Beethoven (1770-1827)
42
Mit den zum Zeremoniell des Zapfenstreiches obligatorischen sowie den für
die Serenade ausgewählten Musikstücken aus Preußen (Yorck’scher Marsch),
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Österreich (Hoch Habsburg), Frankreich (Le régiment de sambre et meuse) und


Russland (Ich bete an die Macht der Liebe) nehmen wir Bezug auf die einstigen
Verbündeten und Kriegsgegner.

Der „Marsch des Soldaten Robert Bruce“ und der die Serenade abschließende
Choral „Großer Gott wir loben Dich“, unterstreichen eine der beiden Kern-Bot­
schaften unseres Veranstaltungsprogramms: das Gefallenengedenken. Seinen
musikalischen Höhepunkt findet dieses Gedenken im Choral „Ich bete an die
Macht der Liebe“.

Die zweite zentrale Botschaft, aus den Erfahrungen der Geschichte Lehren zu
ziehen und den europäischen Integrationsprozess trotz aller Hindernisse und aktu­
ellen Verwerfungen fortzusetzen, soll im – ansonsten für den Großen Zapfenstreich
unüblichen – Abspielen der Europahymne als symbolisches Ausrufezeichen am
Schluss eine musikalische Aufforderung an uns alle sein.

Wir danken der Historischen Bürgerwehr Villingen unter ihrem Kommandanten


Herrn Major Hans-Joachim Böhm und der Stadt- und Bürgerwehrmusik Villingen
unter Leitung von Herrn Stadtmusikdirektor Markus Färber sowie allen Mitwirken­
den für die Ausführung des „Großen Zapfenstreiches“ anlässlich des 200. Jahres­
tages der Völkerschlacht bei Leipzig.

Protokoll

Beim Gebet - nachdem der Befehl „Helm ab zum Gebet“ erteilt wurde - erhe­
ben sich alle zum „Großen Zapfenstreich“ geladenen Gäste. Die Herren nehmen
ebenfalls ihre Kopfbedeckung ab. Nach Beendigung des Gebets – nach dem
Kommando „Helm auf“ – sind alle Gäste gebeten, wieder Platz zu nehmen.

Zum Spielen der Nationalhymne und der Europahymne verhalten sich alle Gäste
nach ihrer jeweiligen Landessitte.
43
Jahrestag der Völkerschlacht –
Europa blickt 2013 nach Rötha

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Von Walter Christian Steinbach / Vorsitzender des „Fördervereins Rötha –
Gestern. Heute. Morgen. e. V.“

Bei einem Besuch in Rötha im Juli der Völker­schlacht 1813 in Rötha


2010 legte mir Heinrich Freiherr von europäische Geschichte schrieben
Friesen dringlich nahe, mich um (siehe Seite 48). Keiner von uns
die Rückführung des sogenannten beiden ahnte damals, dass aus dieser
„Verbündetenzimmers“ nach Rötha zu vergleichsweise überschaubaren Bitte
bemühen - jenes Mobiliar, an dem der sich ein Kulturprojekt von knapp einer
Überlieferung nach die drei Monar­ halben Million Euro bereits in der
chen Kaiser Franz I. von Österreich, ersten Phase (2011 – 2013) entwickeln
Zar Alexander I. von Russland und würde – auch dank der Gründung
König Friedrich Wilhelm III. während des „Fördervereins Rötha – Gestern.

Reproduktion: Foto-Geuther, Rötha 2011

Schloss Rötha – Gemälde von Roland Schwenke


44
Heute. Morgen e. V.“ mit 20 sehr akti­ 19. Oktober…“, wird einhundert Jahre
ven Mitgliedern. später in den „Leipziger Neuesten
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Nachrichten und Handelszeitung“


Die wissenschaftliche Beschäftigung unter dem Titel „Die Leipziger Jahr­
mit dem Verbündetenzimmer führte hundertfeier“ das Schloss Rötha als
sehr schnell zu dem übergeordneten einstiges Hauptquartier der Alliierten
Projekt: „Rötha 2013 – Stadt des nicht einmal mehr erwähnt. Selbst
Hauptquartiers zur Völkerschlacht“. eine große, museale Inszenierung des
Vom 16. – 18. Oktober 1813 befand „Verbündetenzimmers“ 1938 zur 125.
sich im Freiherrlich von Friesenschen „Jahrfeier“ der Völkerschlacht durch
Schloss zu Rötha das Hauptquartier den damaligen Schlossherrn Otto
der Alliierten. Am 16. Oktober fassten Heinrich von Friesen (1889 – 1982)
die Monarchen von Österreich, Russ­ brachte wohl nicht den gewünschten,
land und Preußen gemeinsam mit dem nachhaltigen Erfolg. In den Mitteilun­
Oberbefehlshaber der alliierten Trup­ gen des Sächsischen Heimatschut­
pen, Karl Philipp Fürst zu Schwarzen­ zes 1941, Band 30, wird in einem
berg, die maßgeblichen strategischen Artikel des damaligen Schlossherrn
Beschlüsse, die dann in der Ent­ zwar erwähnt, dass „anlässlich der
scheidungsschlacht am 19. Oktober 125-Jahrfeier der Völkerschlacht,
zur Niederlage Napoleons und im die im Schlosspark am 16. Oktober
Anschluss daran zur Neuordnung 1938 mit einem abendlichen Festakt
Europas führten. Der Außenminister bei Fackelbeleuchtung ihren höchst
des Kaiserreichs Österreich, Klemens gelungene Auftakt nahm“ und dass
Wenzel Lothar Graf von Metternich, in dem Speisesaal „die entscheiden­
befand sich in diesen Tagen ebenfalls den Beratungen der Verbündeten am
im Schloss Rötha. Franz I. erließ nach 17. Oktober 1813 stattfanden“, das
dem Sieg am 20. Oktober noch im Schloss und seine Geschichte jedoch
Schloss zu Rötha eine Kabinettsordre gerieten weiter in Vergessenheit.
zur Erhebung Metternichs in den
Reichsfürstenstand. Im Zuge der Braunkohlengewinnung
und Elektrizitätserzeugung mussten
Diese geschichtsträchtigen Tage in schon in den dreißiger Jahren wichtige
dem 1669 auf den Grundmauern einer Flächen des Ritterguts an die „AG
spätmittelalterlichen Wasserburg von Sächsische Werke“ (ASW) abgege­
den Freiherren von Friesen erbauten ben werden. Die mit der Braunkohle­
Schloss, waren allerdings schon 1913 gewinnung im Tagebauverfahren
zur 100. „Jahrfeier“ der Völkerschlacht verbundene Grundwasserabsenkung
fast vollständig in Vergessenheit gera­ führte zu irreparablen Schäden an der
ten: Während es in der „Leipziger Zei­ Eichenpfahlgründung des Schlosses.
tung“, Nr. 202 vom 22. Oktober 1813 Schließlich hinterließen Krieg und
noch heißt: „Hauptquartier Rötha, den Nachkrieg ihre katastrophalen Spuren.
45
Diese Situation verschärfte sich wäh­

Foto: Architekturbüro Ilg, Friebe und Nauber


rend der Mangelwirtschaft in der DDR,

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
so dass der Turm mit dem legendären
Friedensengel als Bekrönung schon in
den 1950er Jahren teilweise abge­
tragen werden musste. Hinzu kamen
die durch die Wohnungsnot in der
ehemaligen DDR bedingten Einquar­
tierungen im Schloss, die zeitweise
bis zu 17 Mietparteien umfassten. Im
Oktober 1969 feierte die DDR ihren 20.
Jahrestag und noch vor diesen Feier­
lichkeiten sollte der „Schandfleck“
auf Weisung des damaligen Rates
des Kreises Borna unwiederbringlich
verschwinden. In den letzten Monaten
vor der Sprengung wurde das Schloss Der Sieger des Architekturwettbewerbs: Entwurf
des Architekturbüros IIlg, Friebe und Nauber
geräumt. Damit war das Gebäude
mutwilliger Beschädigung schutzlos
ausgesetzt. 1982 überbaute die dama­ fotografische Dokumentation des
lige LPG „Freundschaft“ das Areal bekannten Leipziger Architekturfoto­
mit einem zweistöckigen Gebäude grafen Rolf Langematz (1928 – 2012),
und zementierte so den städtebaulich der die Situation des Schlosses vor
katastrophalen Zustand. Im unteren der Sprengung in einer Serie von etwa
Teil befanden sich Mehrzweckhallen 100 Fotos festgehalten hat. Die von
und Garagen, im ersten Stock Woh­ den DDR – Behörden befohlene und
nungen. Dieser Plattenbau mit dem im Dezember 1969 durchgeführte
DDR-typischen Trogfaltendach wurde Sprengung hat zwar einen schlimmen
nach der Wende wieder abgerissen. städtebaulichen Missstand hinterlas­
sen, aber die Erinnerung an die große
Es erscheint in dieser Situation fast Geschichte nicht gänzlich auslöschen
wie ein Wunder, dass die frühere können.
Dresdner Arbeitsstelle des Instituts für
Denkmalpflege noch so viele Kunst­ Röthaer Heimatforscher wie Horst
gegenstände retten konnte: Teile der Brauße (1930 - 2010) und Helmut
Ausstattung, des älteren Mobiliars, der Hentschel haben die Erinnerung an
kostbaren Bibliothek, der Familien­ das Speisezimmer im Schloss Rötha
galerie und wertvolle Plafondgemälde immer wach gehalten. Horst Brauße
von Samuel Bottschildt. Von beson­ und ich (1975-1985 Pfarrer in Rötha)
derer Bedeutung ist die kürzlich im gründeten eine Arbeitsgemeinschaft
Staatsarchiv Leipzig aufgefundene für Heimatgeschichte innerhalb der
46
Gesellschaft für Heimatgeschichte im Die sehr unbefriedigende städte­
damaligen Kulturbund der DDR. bauliche Ansicht des ehemaligen
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Schloss­areals führte unmittelbar zum


So ergab es sich auf Grund der Teilprojekt eines Architekturwettbe­
geschilderten komplexen Schloss­ werbs „Zukunft durch Erinnerung“,
geschichte fast zwangsläufig, dass der Entwürfe für einen Gedenk- und
die Bitte und gleichzeitig das groß­ Erinnerungsort in Rötha suchte. Die
zügige Angebot Heinrich Freiherr von KUS stellte hierfür einen Betrag von
Friesens, das berühmte Speisezimmer 15.000 Euro zur Verfügung.
nunmehr wieder in Rötha zu konzen­
trieren, weitere Teilprojekte in Gang Arbeitsgrundlage dafür war nicht
setzte. zuletzt die Zusage Heinrich Freiherr
von Friesens, alle restituierten Kunst­
Zunächst mussten die zahlreichen gegenstände des ehemaligen Schlos­
und außerordentlich verdienstvollen ses, insbesondere auch die wertvolle
heimat­geschichtlichen Forschun­ Bibliothek, wieder in Rötha zu konzen­
gen fachwissenschaftlich überprüft trieren, wenn dafür ein angemessener
werden, die zum Teil neue außeror­ Raum zur Verfügung gestellt werden
dentliche Erkenntnisse zeitigten (Dr. könne.
Schneider & Küster, Büro für Denkmal­
pflege Leipzig). Insbesondere gelang Der Architektenwettbewerb „Zukunft
es, den bis jetzt ältesten Beleg für die durch Erinnerung“ hat inzwischen zu
tatsächliche Existenz des Hauptquar­ einem überzeugenden 1. Preis des
tiers Rötha im Pfarrarchiv zu finden. Büros Ilg, Friebe und Nauber aus
Bei der Erarbeitung eines IT-gestützten Leipzig geführt.
Repertoriums fand Brigitte Stein­
bach 2012 eine Notiz des damaligen Schon 2011 wurde damit begonnen,
Archidiakonus Gruner, der die Verhält­ die historische Anlage des Schloss­
nisse in Rötha vom 16. – 20. Okto­ parks zu untersuchen. Die KUS
ber 1813 aus eigener Anschauung ermöglichte mit einer Förderung von
beschreibt. Gruner war als Theologe 80.000 Euro eine erste Restaurierung
akademisch gebildet und man muss als 1. Bauabschnitt für die geplante
seinem Bericht eine hohe Authentizität Gesamtrenovierung des Parks. Diese
zumessen. Arbeiten bestanden im Wesentlichen
darin, die alte Sichtachse der eng­
Inzwischen entstand durch Unterstütz­ lischen Parkanlage freizulegen, die
ung der Kultur- und Umweltstiftung Allee mit Winterlinden neu zu bepflan­
Leipziger Land der Sparkasse Leipzig zen, die historische Brücke über die
(KUS) eine wissenschaftliche Begleit­ Kleine Pleiße zu rekonstruieren und
publikation, die am 17. Oktober 2013 ursprüngliche Wegesituationen wieder
der Öffentlichkeit übergeben wird. herzustellen.
47
In einem nächsten Bauabschnitt soll und Umweltstiftung nun gemeinsam
der ursprüngliche Küchengarten des einladen (siehe Seite 4).

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Schlosses, durch einen Bombenein­
schlag im 2. Weltkrieg schwer in Mit­ Mit einer im September 2013 eröff­
leidenschaft gezogen und heute völlig neten Ausstellung von Teilen des Ver­
verschwunden, neu entstehen und bündetenzimmers in der Patronats­loge
eine entsprechende Bewirtschaftungs­ der St. Marienkirche zu Rötha, der
form gefunden werden. Dort ist eben­ Veröffentlichung des wissenschaftli­
falls eine Brücke nach historischem chen Begleitbandes, der Teilrestaurier­
Vorbild geplant. Der westliche Teil des ung des historischen Schlossparks,
ehemaligen Parks ist inzwischen als dem erfolgreichen Abschluss des
Wald gewidmet. Seine Restaurierung Wettbewerbs „Zukunft durch Erin­
bleibt einem späteren Zeitpunkt vorbe­ nerung“ und dem „Gedenktreffen“
halten. Die fast gänzlich verwachsenen ist die 1. Phase des Projekts „Rötha
Wege der ehemaligen Rittergutswiesen 2013“ abgeschlossen. Dabei konnte
werden Zug um Zug wieder freigelegt der Förderverein Rötha fast eine halbe
und mit Stieleichen bepflanzt. Die Million Euro Fördermittel, Spenden
Übergabe des 1. Bauabschnitts an die und andere Zuwendungen (bei einem
Öffentlichkeit am 14. September 2013 Verwaltungsaufwand von weniger als
erfolgte durch Staatssekretär Dr. Fritz 1%) einwerben.
Jaeckel vom Sächsischen Staats­
ministerium für Umwelt und Landwirt­ Wir beabsichtigen, 2014 eine zweite
schaft, welches die Parkrestaurierung Phase des Projekts zu beginnen, näm­
ebenfalls förderte. Die Übergabe lich die Errichtung einer Stiftung für
umrahmte ein großes „Fest der 1000 den Bau und den Betrieb des geplan­
Kerzen“ des Fördervereins, mit dem ten Gebäudes und der Ausstellungen,
die Röthaer Bürgerinnen und Bürger wobei in erster Linie eine nachhaltige
den Schlosspark wieder in Besitz Finanzierung für Unterhalt und Betrieb
nahmen. des Gedenk- und Erinnerungsortes
gesichert sein muss.
Aber auch die eigentlichen Gedenk­
tage um den 16. – 20. Oktober 2013 Der „Förderverein Rötha – Gestern.
mussten in den Blick genommen wer­ Heute. Morgen. e. V.“ dankt an dieser
den. Mit dem historischen Nachweis Stelle ausdrücklich für die großartige
des Hauptquartiers zur Völkerschlacht Unterstützung durch die Kultur- und
in Rötha entstand der ungewöhnliche Umweltstiftung Leipziger Land der
Gedanke eines „Gedenktreffens“, ein Sparkasse Leipzig.
Treffen am historischen Ort mit den
Nachfahren jener damals entschei­
dend beteiligten Fürstenhäusern, zu
dem der Förderverein und die Kultur- www.foerderverein-roetha.de
48
Das Schloss zu Rötha –
Ein „Hymnus an den Frieden“
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Von Heinrich Freiherr von Friesen Heiligen Römischen Reich Deutscher


Nation so viel unerledigt und unge­
In meinem Festvortrag in der St. Mari­ regelt liegen geblieben, dass man
enkirche zu Rötha am 22. Juni 2011 in Regensburg mehr als zehn Jahre
anlässlich ihres 500jährigen Jubilä­ benötigte, um dynastische, Gebiets-,
ums habe ich mich näher mit dem Wirtschafts-, Verwaltungs- und vor
ehemaligen Schloss Rötha befasst, allem Religionsfragen zu lösen.
insbesondere mit den geschichtlichen Hierbei leisteten die Friesen einen
Hintergründen seiner Entstehung im bedeutenden Beitrag zum Erhalt
Jahre 1669 und der Art seiner Gestal­ dieses Friedens, sodass sie alle
tung und seines Charakters. Mein drei im Jahre 1653 von Kaiser
Vorfahr Carl (1619-1686) hat bekannt­ ­Ferdinand III. in den Reichsfreiherren­
lich das Schloss in frühbarockem Stil stand erhoben wurden mit einer
erbaut, welches 1669 fertig gestellt Anzahl von bedeutenden Privilegien.
wurde. Bis zu seiner Sprengung im Nach den entsetzlichen Wirren – ja
Jahre 1969 durch die kommunis­ der Anarchie – des 30-jährigen
tischen Behörden hat es also genau Krieges, bewährte sich Carl Friesen
300 Jahre existiert. Das Schloss war als Präsident des Landesoberkon­
nicht nur außen, sondern auch innen sistoriums in Leipzig zudem auch im
als „Hymnus an den Westfälischen sächsischen Landesbereich, auch
Frieden“ gestaltet. Der Grund hierfür hier wieder für Recht und Ordnung,
lag darin, dass Carl, gemeinsam mit vor allem Rechtssicherheit zu sorgen,
seinem Bruder Heinrich dem Jünge­ hatte er doch in seinem Amt die
ren und seinem Vater Heinrich dem Oberaufsicht nicht nur über alle Kir­
Älteren, sein Land als Gesandter des chen in Sachsen, sondern auch alle
Kurfürsten von Sachsen auf dem Universitäten und Schulen.
Reichstag in Regensburg vertrat,
welcher ab 1651 in Permanenz tagen Der klar gegliederte Schlossbau mit
musste. den vier großen Ecktürmen war Aus­
druck einer symmetrischen Ordnung
Die Gründe waren offenbar. Denn eines Rechts- und Ordnungsprinzips.
zum Friedensschluss in Münster und Der hohe Turm über dem vorderen
Osnabrück war nach 30 Jahren euro­ Mitteltrakt war das stolze Zeichen
päischen Krieges auch angesichts der soeben erworbenen Reichsfrei­
der Übermacht Frankreichs gegen­ herrenwürde, die Höhe des Baukör­
über Österreich-Habsburg und dem pers in ihrer sichtbaren Monumenta­
49
lität war der Ausdruck dafür, dass die rungspräsident a. D. Walter Chris­
Mitglieder der Familie in „reichischen tian Steinbach, hat zu Recht immer

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Dingen“ unterwegs waren, d. h. mit wieder darauf hingewiesen, dass
den Belangen des Heiligen Römi­ mit der Vernichtung des Schlosses
schen Reiches Deutscher Nation 1969 der Ort Rötha des größten
betraut. Über der Laterne des Turmes Teiles seiner Seele beraubt wurde.
ganz oben über der Wetterfahne Denn das Schloss war der geistige
war ein überlebensgroßer vergolde­ und kulturelle Mittelpunkt Röthas. Es
ter Engel angebracht, der in seinen stellte also nicht nur ein Monument
ausgestreckten Händen den Zweig der Überwindung eines der entsetz­
einer Friedenspalme trug, als direkter lichsten Kriege der beginnenden Neu­
Bezug auf den Westfälischen Frie­ zeit in Europa dar, sondern es war
den. Es war der über 300 Jahre in als Hauptquartier der verbündeten
ganz Rötha sichtbare Friedensengel. Monarchen gegen Napoleon wäh­
Dieser vergoldete Engel leuchtete so rend der Völkerschlacht bei Leipzig
stark, dass er – wie meine Eltern nach 1813, der bis dato größten Schlacht
dem 2. Weltkrieg von den Amerika­ der Weltgeschichte überhaupt, mit
nern erfuhren – von den angloameri­ über einer halben Million Soldaten,
kanischen Bombern bei mondklarer ein zeitgeschichtliches Dokument. In
Nacht aus 6.000 m Höhe als Richt­ der vereinten Besiegung Napoleons
punkt auf die Hydrierwerke in Böhlen lag auch der Keim zur Entstehung
und Espenhain benutzt wurde, bis Deutschlands, welches 1848 in der
er auf Veranlassung der deutschen Paulskirche in Frankfurt erstmals in
Abwehr 1944 einen schwarzen seiner Geschichte den Anlauf zur
Anstrich erhielt. Welch furchtbare Entstehung einer Nation unternahm.
Perversion der lntentionen seiner Durch die Existenz seiner Privat­
Entstehung! bibliothek, der mit über 10.000 Bän­
den größten und bedeutendsten in
Der in der Schlossbibliothek ange­ Sachsen – darunter die Schedels’che
brachte Zyklus von Deckengemälden Weltchronik aus 1483 sowie einer
nach Samuel Bottschild stellte eine Fülle überragender Kunstschätze –
Allegorie des Triumphes des Rech­ war das Schloss in ganz Sachsen
tes und der Ordnung über die rohe bekannt. Der Ruf der Bibliothek war
Gewalt dar, als erneuter direkter so weitreichend, dass er offenbar
Bezug auf den Frieden von 1648. bis nach Berlin gelangte. Jedenfalls
Wie auf Bildern ersichtlich, strahlte machte Friedrich der Große auf dem
dieser Schlossbau eine Dominanz Eilmarsch mit seiner Armee von
aus, die sich über den ganzen Ort Schlesien Richtung Rossbach – wo er
Rötha erstreckte. Der Vorsitzende bekanntlich die Reichsarmee schlug
des Fördervereins „Rötha – Gestern. – Ende Oktober 1757 in Rötha Halt,
Heute. Morgen. e. V.“, Herr Regie­ wo er auch übernachtete. Er begehrte
50

Foto: Bildarchiv Heinrich Freiherr von Friesen, München


Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Der Speisesaal im Schloss Rötha

unbedingt die Schloss­bibliothek zu fahren Carl erworben wurde – wor­


sehen und ist dann lange in einem über noch die Kaufurkunde vorliegt
Buch lesend im Schlosspark spa­ – ergeben, dass sie zum Teil kulturelle
zieren gegangen. Die Hausherrin, Leistungen erbrachten, die nicht nur
Christine Jakobine Friesen geb. Gräfin Landes-, sondern sogar Weltgeltung
Werthern, die ihren abwesenden erlangten. Zu erwähnen sind hier
Gemahl vertrat, hat diese Begeben­ große Stiftungen wie z. B. die beiden
heit und ihre Konversation mit dem Silbermannorgeln in Rötha 1721/22,
König von Preußen im einem ausführ­ des St. Magdalenen Stiftes in Alten­
lichen Bericht der Nachwelt erhalten. burg 1705, welches, wenn auch in
anderer Form, bis zum heutigen Tag
Die Lebensläufe der einzelnen Mit­ existiert, die Gründung der Meiße­
glieder der Familie Friesen haben ab ner Porzellanmanufaktur im Auftrag
1592, als der Besitz von meinem Vor­ August des Starken 1710, über
51
welche noch die Fundations­urkunde Jahren, d. h. bis 1945, verbracht hat.
vorliegt, wobei man hinzufügen darf, Durch eine glückliche Fügung wurde

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
dass sich aus den Werkbüchern der ein nicht unbedeutender Teil der
Manufaktur durch die Eintragungen überreichen Kunstschätze aus dem
Johann Joachim Kaendlers, des Schloss gerettet, der mir als Erben
berühmtesten Modelleurs seiner Zeit, zurückerstattet wurde. Dies setzte
ergibt, dass in Meißen für ein Mit­ mich in die Lage, fast 100 Familien­
glied der Familie sogar ein eigenes bildnisse z. T. bedeutender Künstler
Service, das „Friesen-Service“, im Jahre 2009 dem Freistaat Sach­
hergestellt wurde. Die Mitbegründung sen – vertreten durch die Verwaltung
des weltumspannenden Werkes der der Schlösser, Burgen und Gärten
Herrnhuter Brüdergemeinde Mitte des Sachsens – zu überlassen, damit
18. Jahrhunderts, die geistige Mitur­ sie bei der Ausgestaltung des sog.
heberschaft des Deutschen Pietismus “Adelsmuseums“ im Schloss Nossen
gemeinsam mit August Herrmann bei Dresden Verwendung finden. Es
Francke und Philipp Jakob Speener, darf hinzugefügt werden, dass es
ebenfalls Mitte des 18. Jahrhunderts sich bei der Friesen’schen Ahnen­
die Mitbegründung der Deutschen galerie um eine der bedeutendsten
Shakespearegesellschaft in Weimar und vom 16. bis 20. Jahrhundert,
1862, der Abschluss des Friedens­ d. h. bis zu meinen Großeltern,
vertrages zwischen Sachsen und vollständig erhaltenen sächsischen
Preußen nach dem Preußisch-Öster­ Adelsgalerien handelt. Es entsprach
reichischen Krieg 1866 (Schlacht bei natürlich meinem Bestreben, diese in
Königgrätz), die Zusammentragung Jahrhunderten zusammengetragene
der erwähnten Bibliothek in mehreren Sammlung geschlossen der Nachwelt
Jahrhunderten sowie die Errichtung zu erhalten und der Öffentlichkeit zu
eines bedeutenden Familienarchivs präsentieren.
sagen viel über das Wirken der Fami­
lie über 350 Jahre aus. Ebenso ist geplant, genau am Stand­
ort des ehemaligen Schlosses einen
Über die Völkerschlacht bei Leipzig angemessenen Museumstrakt zu
und das Hauptquartier in Rötha ist erstellen. Er dient in erster Linie dazu,
bereits so viel aus berufenem Munde das Andenken Röthas an das Haupt­
gesagt worden, dass ich stattdessen quartier während der Völkerschlacht
einigen Hinweisen für die Zukunfts­ zu bewahren. Denn auch hier beste­
planungen und zum Schluss einigen hen einmalige Möglichkeiten. Es
persönlichen Erinnerungen an Rötha sind nämlich noch über 80 Prozent
Raum geben darf. Denn ich bin der der Einrichtungsgegenstände des
letzte noch Lebende im Schloss berühmten Speisesaales im 1. Ober­
Rötha geborene Friesen, der hier geschoss des Schlosses, gemeinsam
seine Kindheit bis zum Alter von zehn mit einer Fülle wertvoller Meißener
52
und chinesischer Wand­porzellane, meine räumliche Geborgenheit und
zwei Meißener Prunk­vasen sowie die ungeheure Großzügigkeit und meine
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Büsten Napoleons und Joséphines, unbeschreiblichen Glücksgefühle.


wieder in meinem Besitz. Sie werden Das wunderbare Schloss mit seinem
in dem im vollkommen alten Stil zu so kultivierten Flair und der besagte
errichtenden Speisesaal wieder in Speisesaal, den wir stets mit großer
neuem Glanz erstrahlen und dem Ehrfurcht betraten, denn man hatte
Museum zu entsprechender Gel­ uns gesagt, dass hier einmal „Welt­
tung verhelfen. Auch bin ich darüber geschichte“ geschrieben worden
hinaus in der Lage große Teile der sei, was immer das auch bedeuten
ehemaligen Schlossbibliothek, die mochte.
wieder aufgefunden wurden, eben­
falls im Stiftungswege zu übertragen. Der wunderschöne und große eng­
Auf diese Art und Weise wird der z. lische Park, das kleine Schloss, die
Zt. völlig verschandelte Schloss- und vielen Rittergutsgebäude mit den
Rittergutsteil dieses vormals großen riesigen Kuhställen und Scheunen mit
Areals wenigstens zum Teil wieder großen Toren, die Brennerei und der
einer Bestimmung zugeführt und die große Pferdestall, mein Zufluchtsort.
Stadt Rötha erhält einen weiteren Teil Wenn ich etwas „ausgefressen“ hatte
ihrer Identität zurück. Einen winzigen und mich vor Strafe (meist Schelte)
Abriss kann man bereits jetzt in der fürchtete, rannte ich quer über den
ehemaligen Friesen’schen Patronats­ Gutshof in den so ungemein wohl­
loge der Marienkirche in Rötha riechenden Pferdestall und verkroch
bewundern, in dem ein Teil wertvoller mich zu Füßen einer der Pferde in
Dokumente sowie auch Exponate das tiefe Stroh. Dort fühlte ich mich
aus dem ehemaligen Speisesaal des vollkommen sicher. Überall haben wir
Schlosses bis zur Fertigstellung des gespielt oder unsere kleinen Strei­
Hauptmuseums gezeigt werden. Als che vollführt. Alles war von einer so
unsere ganze Familie, meine Eltern wunderbaren Atmosphäre umgeben,
und wir vier Kinder, im Oktober 1945 alles hatte spezifische Gerüche und
aus Rötha fliehen mussten, um der überall konnte man Neues entdecken,
unmittelbaren Gefahr der Verhaftung sodass man es zutiefst geliebt hat.
und Verschleppung in die berüchtig­ Alles war so ungemein vertraut. Kein
ten Lager nach Rügen und später Zweifel, Rötha war mein Paradies.
nach Sibirien in letzter Minute zu
entgehen – mit sechs Gepäckstücken Ich bin ganz sicher, dass es auch
– war dies für uns alle ein Abschied diese Liebe ist, die heute, da sich
für immer. Das spürte auch ich mit das meiste völlig verändert hat, mir
meinen zehn Jahren. Ich hatte keine die Kraft gibt, mich mit dem Wandel,
Ahnung von „Besitz“ aber ich wusste, den ich nach der Wiedervereinigung
dass ich meine Spielgründe verliere, nach 45 Jahren erstmalig wieder als
53
furchtbaren Kulturschock erlebte, Mein großer Dank gilt vor allem vier
auseinanderzusetzen. Ich bin glück­ Personen, die sich ganz unmittelbar

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
lich, wenn ich erlebe, wenn wieder um Rötha verdient gemacht haben:
etwas entsteht, was den Zauber von
früher wenigstens zum Teil wieder Herr Regierungspräsident a. D. Walter
erstehen lässt. Sei es der Park, sei Christian Steinbach, Rötha, Vor­
es ein wunderbares Orgelkonzert sitzender des „Fördervereins Rötha –
in der St. Georgenkirche, sei es die Gestern. Heute. Morgen. e. V.“
wunderbar restaurierte Marien­kirche
oder das Traditionsbewusstsein Herr Rechtsanwalt Stefan Eichhorn,
„meiner“ Schützengesellschaft, deren Leipzig, Vorsitzender des „Förderver­
Gründung auf einen meiner Vorfahren eins für die Restaurierung der Marien­
1737 zurückgeht und die zu meiner kirche in Rötha und ihrer Silbermann­
Taufe 1935 in der Georgenkirche orgel e. V.“
geschlossen Pate stand. So sind alle
Mitglieder der Schützengesellschaft, Herr Stephan Seeger, Leipzig, Direk­
deren Fahne unser Familienwappen tor Stiftungen der Sparkasse Leipzig
trägt, im übertragenen Sinne meine
Patenonkel und -tanten, selbst wenn Frau Dr. Sabine Schneider, Leipzig,
sie viel jünger sind als ich. Ich hoffe Dr. Schneider & Küster, Büro für
so sehr, dass es gelingen möge, ins Denkmalpflege
Röthaer Schlossareal wieder Schön­
heit zu bringen, dass sein Ursprung
und seine Identität wenigstens
einigermaßen wiedergewonnen wird.
Vieles vollkommen Unmögliche ist
in der Zwischenzeit bereits möglich
gemacht.
54
„Förderung war Initialzündung“
Interview mit Walter Christian Steinbach
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Interview: Alexander Laboda

Foto: Privat
Walter Christan Steinbach, Vorsitz­
ender des „Fördervereins Rötha
Gestern. Heute. Morgen. e. V.“ über
seinen persönlichen Antrieb, die
Zusammenarbeit mit der Kultur- und
Umweltstiftung und den Jahrestag
der Völkerschlacht.

Frage: Herr Steinbach, ihr Verein


setzt sich seit Jahren dafür ein, dass
kulturhistorische Potenzial des Ortes
neu zu beleben. Was motiviert Sie
persönlich, sich dieser Mammutauf­
gabe zu stellen?
Walter Christian Steinbach,
Walter Christian Steinbach: Wir
Vorsitzender des Förderver­
wohnen seit fast 40 Jahren in Rötha, eins Rötha – Gestern. Heute.
haben Umweltzerstörung und Morgen. e. V.
Niedergang in der DDR erlebt, aber
auch die Aufbruchstimmung der Welchen Stellenwert hat die Förde­
Deutschen Einheit. Rötha hat eine rung durch die KUS für ihre Arbeit
interessante Geschichte – in zwei und wie haben sie die Kooperation
wunderbaren Kirchen zwei herrliche erlebt?
Orgeln von Gottfried Silbermann, als
Hauptquartier während der Völker­ Walter Christian Steinbach: Die
schlacht in einem fast vergessenen Förderung war die Initialzündung und
und zerstörten Schloss. Dies ist dem hat uns Mut gemacht. Ohne die KUS
Patronat der Freiherren von Friesen ständen wir noch ganz am Anfang.
zu verdanken. Ein Engagement, das Nach unserer Erfahrung arbeitet die
bewahrt und gezeigt werden muss, Stiftung präzise an ihrer Satzung
auch als Ansporn für uns heute, orientiert und zugleich sehr entgegen­
nicht nachzulassen im Bemühen, kommend. Es ist auch für die KUS
Rötha eine kulturelle Bedeutung zu ein Novum, ein Projekt mit einer solch
geben, die möglich ist und die es großen Summe zu fördern. Dem
verdient. möchten wir uns würdig erweisen.
55

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Zum Jahrestag der Völkerschlacht
2013 ist vor Ort eine große Gedenk­
veranstaltung geplant, die von der 
Stiftung unterstützt wird. Was dürfen
Besucher erwarten?

Walter Christian Steinbach: Das


Wichtigste scheint mir der ökumeni­
sche Gottesdienst in der St. Geor­
genkirche mit den Bischöfen der drei
Konfessionen (evangelisch-lutherisch,
katholisch, russisch-orthodox) sowie
dem Thomanerchor im Beisein vieler
Nachkommen der in die Ereignisse der
Völkerschlacht involvierten führenden
Familien. Ich hoffe, es wird für alle
Beteiligten ein berührender Tag der
Erinnerung und ein kraftvoller Impuls
für unsere Zukunft.

Walter Christian Steinbach


1944 in Leipzig geboren;
nach dem Abitur: Studium der Mathematik und
Physik, Dozent für Wirtschaftmathematik;
1969 Erleben der Sprengung der Universitäts­
kirche, Studium der Theologie;
1975 – 1985 Pfarrer in Rötha, Gründung
Christliches Umweltseminar (Aktion „Eine Mark
für Espenhain“);
Studiendirektor, aktive Teilnahme Friedliche
Revolution;
1991-2010 Regierungspräsident des
Regierungs­bezirks Leipzig, Gestaltung des
kanalverbundenen Neuseenlandes,
2010 Ruhestand, Gründung Förderverein Rötha
– Gestern. Heute. Morgen. e. V.
56
„Rings um Rötha“ –
Der Patrouillenritt 2013
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Von Dr. Lutz Zerling / Geschäftsführender Vorstand der „Hofgenossenschaft


Stiftsgut Liebertwolkwitz e. V.“

Im Jahre 1998, genau 185 Jahre nach den Ritt gemeinsam. Erstmals ging
der Völkerschlacht bei Leipzig, hatten der 30 bis 40 Kilometer lange Kurs
junge Reiter die Idee, das schwere über eine Rundstrecke. Doch sollte
Leben der Melde- und Patrouillen­ der Ritt in diesem Jahr auch auf
reiter dieser Zeit nachzuerleben den schlechten Zustand des Völker­
und Interessierten nahe zu bringen. schlachtdenkmals hinweisen, der
Seither reiten sie einmal im Jahr dem Gedenken an die rund 100.000
in originalgetreuen Uniformen der Toten der Schlacht nicht gerecht
damaligen Zeit in Gruppen von drei wurde. Auch aus diesem Grunde för­
bis fünf Reitern. Vor dem Start wird derte die Kultur- und Umweltstiftung
jeder Gruppe eine Wegkarte ausge­ Leipziger Land der Sparkasse Leipzig
händigt, deren Kontrollpunkte dann den 6. Patrouillenritt mit 7.500 Euro.
schnellstmöglich abgeritten werden Darüber hinaus wurden die beiden
müssen. Erschwert wird der Ritt folgenden Patrouillenritte mit jeweils
durch typische Husarenspiele wie das 1.000 Euro von der Stiftung bedacht.
„Säbelhauen“ oder Sprintstrecken.
Der Patrouillenritt klingt traditionell mit Nun, 200 Jahre nach der großen
einem zünftigen „Kavallerieball“ aus. Schlacht, werden wieder Reiter in his­
In den Jahren nach 1998 entwickelten torischen Uniformen „ausschwärmen“
sich die Patrouillenritte immer mehr – dieses Mal reiten die Teilnehmer
zu einem festen Programmpunkt der am 12. Oktober rund um Rötha. Vom
jährlichen Gedenkveranstaltungen zur ehemaligen Schlossareal müssen sie
Leipziger Völkerschlacht. den vorgegebenen Weg zunächst
finden und in einer bestimmten Zeit
So fand der 6. Patrouillenritt 2003 abreiten. Nach dem Zieleinlauf in
in einem besonderen Rahmen statt. Rötha wird die Geschicklichkeit der
Da die 190-Jahr-Feier der Völker­ Reiter mittels Bogenschießen und
schlacht anstand, veranstalteten der Lanzenstechen auf die Probe gestellt.
„Interessen­verein Völkerschlacht Der abendliche Reiterball in der
bei Leipzig 1813 e. V.“, das Sozio­ Liebertwolkwitzer Museumsscheune
kulturelle Zentrum „KuHstall e. V.“ und rundet die Veranstaltung, die von der
der „Verband Jahrfeier Völkerschlacht Kultur- und Umweltstiftung mit 5.000
bei Leipzig 1813 e. V.“ in Großpösna Euro unterstützt wird, zünftig ab.
57

Foto: LiebDorf-1813

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Reiter in historischen Uniformen

Der Patrouillenritt 2013, vom „Heimat­ und einfache Bauern, Bürgermeister


verein Rötha e. V.“, dem „Interessen­ Johann George Hofmann, Nachtwäch­
verein ‚Völkerschlacht bei Leipzig ter Traugott Schumann oder Gerichts­
1813’ e. V.“ und der Museumsscheune verwalter Johann Friedrich Gottlieb
Liebertwolkwitz gemeinsam veran­ Günther, sie alle werden das Dorf zum
staltet, ist sogleich der Auftakt der Leben erwecken. Hinzu kommen die
„Jubiläumswoche 200 Jahre Völker­ Soldaten unterschiedlicher Nationen,
schlacht in Liebertwolkwitz“. Vom 16. die auf Strohsäcken in Scheunen und
Oktober bis 20. Oktober 2013 werden auf Dachböden, wie 1813, einquartiert
auf dem historischen Marktplatz von sind. Auf den Höfen, in alten Schuppen
Liebertwolkwitz und den angrenzen­ und dunklen Kellern herrscht ein reges
den Gehöften Ortsgeschichte und Treiben. Es werden deftige Speisen
-geschichten aus der Zeit um 1813 bereitet, Bier frisch gezapft und köstli­
dargestellt. Über 350 kostümierte che Weine ausgeschenkt. Bauern und
Liebert­wolkwitzer stellen ihre Vorfahren Handwerker gehen ihrer Arbeit nach,
- authentische, früher im Ort lebende ein Leiterwagen rumpelt über die Dorf­
Personen - dar. Ob Pfarrer Christoph straße, überall hört man den klirrenden
August Bauer und Schulmeister Chris­ Hammerschlag des Hufschmiedes …
toph Wilhelm Schulze, Handwerks­ – Geschichte zum Anfassen!
meister verschiedenster Zünfte,
Gastwirte und Pferdner, Hintersässer www.liebertwolkwitz-1813.de
58
1813 eine Bilanz. Leipzigs Süden im
Jahr der Völkerschlacht
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Von Dipl.-Museol. (FH) Maria Breinl / Museum der Stadt Borna

Bis zum Beginn des 20. Jahrhun­


derts galt die Völkerschlacht bei

Fotos: Museum Borna


Leipzig als die größte Feldschlacht
der Geschichte. „Bei Leipzig“ meint
aber eben auch die zahlreichen Orte
des Leipziger Südraums, welche die
Vor- und Nachwehen der Schlacht
erleben mussten.

Eben diesem Südraum widmet sich


die Ausstellung „1813 eine Bilanz.
Leipzigs Süden im Jahr der Völker­
schlacht“. In der Zeit vom 30. April Kanonenmodell Gribeauval, 12 Pfünder, Franzö­
bis zum 10. November 2013 erfahren sisches Geschütz im Maßstab 1:6
die Besucher des Bornaer Museums,
was sich vor 200 Jahren in der und Aufenthalte der Monarchen und die
um die Stadt zugetragen hat. Dabei Situation der Stadt veranschaulicht
werden auch die Geschehnisse in werden. Eine Vielzahl von Original­
Orten wie Rötha, Pegau, Beucha, objekten aus der Völkerschlachtzeit
Seifertshain und Frohburg unter die ermöglicht dem Museumsgast den
Lupe genommen. Die Ausstellung direkten Blick in die Geschichte. Zu
beleuchtet die verschiedensten sehen sind unter anderem Waffen
Ereignisse, Wirren und Auswirkungen wie Pistolen und Gewehre aus der
im Südraum Leipzigs zwischen der damaligen Epoche. Doch können die
Schlacht bei Großgörschen am 2. Besucher zum Beispiel auch erfah­
Mai 1813 und der Völkerschlacht. ren, wo der Begriff „Zapfenstreich“
herkommt – dieser stammt noch aus
Eine Frage schwebt dabei ganz der Zeit der Landsknechte – und
besonders im Raum: Was bleibt wie er sich zu einem musikalischen
letztlich 200 Jahre nach diesen Zeremoniell entwickeln konnte (siehe
Ereignissen? Unter anderem anhand Seite 38).
eines digitalen Stadtmodells der
Bornaer Innenstadt um 1813, wel­ Beeindruckende Wandbilder im
ches die Leipziger Firma architools Comicstil des Leipziger Künstlers
3D erstellte, sollen dem Besucher die André Martini bringen markant
59

Fotos: Museum Borna

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Ausstellungsrundgang, Blick auf die Totentanz­banner von André Martini

moderne Motive in die Ausstellung. Die Ausstellung wird von einem


Martinis großformatige Bilder stellen abwechslungsreichen museums­
Geschehnisse rund um die Gefechte pädagogischen Angebot begleitet.
alles andere als heroisch dar – so So steht zusätzlich zur Ausstellung
zum Beispiel die Rast russischer und für Jung und Alt ein „Spiel- und
französischer Soldaten, aber auch die Aktionszimmer“ mit Spielen aus der
blutige Szene aus einem Feldlazarett. Zeit um 1800 zur Verfügung, die gern
So sollen Ereignisse, bei denen auch getestet werden können. Die­
unter anderem das Kleinbeuchaer ses außergewöhnliche Ausstellungs­
Tataren­grab (siehe Seite 68), der konzept wird von der Stiftung mit
Truppendurchzug in Lobstädt oder 7.500 Euro gefördert.
die Ermordung eines Schönaer
Bürgers durch einen sächsischen www.museum-borna.de
Infanteristen beschrieben werden,
erlebbar werden. Martini hat zudem
eine Landkarte mit allen Konflikten
der ersten anderthalb Jahrzehnte des
19. Jahrhunderts geschaffen, die die
Dimensionen der Napoleonischen
Kriege verdeutlicht.
60
1812 / 1813 – Zwei Ausstellungen
– Russen und Österreicher in der
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Völkerschlacht bei Leipzig


Von Rainer Baumann / „Förderverein Historisches Torhaus zu Markkleeberg
1813 e. V.“

Was 1812 mit dem Russland-Feld­ einer über 15 Jahre andauernden


zug Napoleons zweifellos seinen Epoche von Kriegen um die Vorherr­
Anfang nahm, wurde 1813/15 mit schaft in Europa endgültig eingeleitet.
seinen Feldzügen im Frühjahr und
Herbst 1813 mit der entscheidenden „Bum, bum, bum, de Russn kumm …!“
Schlacht bei Leipzig – später als – Das war das Motto, der Russland
Völker­schlacht bezeichnet – fortge­ gewidmeten Sonderausstellung im
führt und fand mit seiner Abdankung Herbst 2012, die mit 2.000 Euro durch
im April 1814 vorerst ein Ende. die Kultur- und Umweltstiftung der
Wie gut – oder auch nicht – das für Sparkasse Leipzig unterstützt wurde.
Europa war, sollte der 1815 stattfin­ Neben der sachlichen Darstellung von
dende Wiener Kongress klären. Mit Uniformen, Waffen, Ausrüstungen,
den Ergebnissen des Kongresses, Dokumenten und weiteren Exponaten
der Neuordnung Europas, waren wurde in erläuternden Begleittexten der
die beteiligten Mächte sicher sehr Betrachter durch nicht immer auf den
unterschiedlich zufrieden. Die nach­ ersten Blick eindeutig auszulegende
folgende historische Entwicklung hat Formulierungen zum Nachdenken und
gezeigt, dass mit den Beschlüssen eigenen Schlussfolgerungen angeregt.
von Wien kein dauerhafter Frieden in
Europa zu machen war. In den entscheidenden Jahren bis
1813 wurden Bündnisse zwischen
Aus Anlass der beiden 200. Jahres­ wechselnden Partnern meist recht
tage – 2012 Schlacht bei Borodino schnell geschlossen – aber mindes­
(circa 100 Kilometer vor Moskau) und tens ebenso oft wurden sie nicht
2013 Völkerschlacht bei Leipzig – hat eingehalten. So war Russland mit
es sich der „Förderverein Histo­ unterschiedlichen Mächten, u. a. auch
risches Torhaus zu Markkleeberg mit Frankreich, verbündet, Österreich
1813 e. V.“ zur Aufgabe gemacht, mit ebenso. Preußen wurde nach der
zwei Sonderausstellungen die Rollen verlorenen Doppelschlacht von Jena
Russlands und Österreichs näher zu und Auerstedt 1806 um den Preis
betrachten. Schließlich wurde mit die­ seines Unterganges in ein Bündnis
sen opferreichen Kämpfen das Ende mit Frankreich gezwungen.
61

Foto: Bernhard Weiß

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Exponate der französischen Armee

Erst nach dem verlustreichen Russ­ und dem Rückzug Napoleons und
land-Feldzug der Armeen Napoleons somit der Befreiung der besetzten
1812, der in einem Fiasko endete, Länder, auch auf deutschem Boden,
konnten sich die Kräfte in Preußen, endete. Leipzig erhielt einen russi­
Russland und Österreich durchset­ schen Stadtkommandanten, Sachsen
zen, die der Beherrschung Europas wurde unter russische Verwaltung
durch Napoleons Frankreich ein Ende gestellt – war das Besetzung eines
setzen wollten – forciert auch durch besiegten Landes? Immerhin war
die eigenmächtige Entscheidung Graf Sachsen seit 1806 als Mitglied des
Yorcks am 30. Dezember 1812, als er Rheinbundes Napoleons Verbündeter!
mit dem russischen General Diebitsch Friedrich August I. wurde als Gefange­
die Konvention von Tauroggen ner der Verbündeten in die preußische
schloss, durch welche das preußische Hauptstadt gebracht – ihm wurde Kol­
Korps auf Seiten der Franzosen neu­ laboration mit Napoleon vorgeworfen.
tralisiert wurde. Im Ergebnis des Wiener Kongresses
1815 wurde Sachsen nahezu um die
Die in der Folge zwischen Preußen, Hälfte seines Territoriums reduziert und
Russland, Schweden und dann auch erreichte danach nie wieder die vorma­
Österreich geschlossene Allianz, die lige Größe und Bedeutung in Europa.
durch England unterstützt wurde, war
letztlich die Basis für die entschei­ In der Sonderausstellung „1813
dende Völkerschlacht bei Leipzig im – Kampf für Europa // Die Öster­
Oktober 1813, die mit der Niederlage reicher in der Völkerschlacht bei
62
Leipzig“ wird nun die

Foto: Bernhard Weiß


Rolle der Österreicher
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

in der Völkerschlacht
genauer beleuchtet.
In der Vergangenheit
würdigte man, oft
auch aus politischen
Gründen, vor allem die
Bedeutung Preußens
oder Russlands. Daher
lag es nahe, die Rolle
Österreichs in dieser
Zeit deutlicher darzu­
stellen, als es bisher
erfolgt ist. Österreich
war als letzte Groß­
macht erst im Juni 1813
dem Bündnis zwischen
Russland und Preußen
beigetreten. Auch soll
nicht vergessen werden:
Das Oberkommando der Exponate der österreichischen Generalität
Verbündeten hatte ein
Österreicher, Fürst Karl zu Schwar­ men unter anderem Uniformen der
zenberg, inne. Josef Graf Radetzky österreichischen Generalität oder
war sein Generalstabschef. Öster­ Musketen – zu großen Teilen auch im
reichs Truppen bildeten das Zünglein Original – die in dieser Form außer­
an der Waage. halb Österreichs bisher noch nie zu
sehen waren und das österreichische
Infolge langjähriger, freundschaftlicher Heer sowie seine Rolle in der Völ­
Beziehungen mit dem Salzburger kerschlacht darstellen. Ergänzend
Wehrgeschichtlichen Museum und vorbereitend auf die Ausstellung
(SWGM) eröffnete sich die Möglich­ erscheint eine begleitende Broschüre.
keit, mit der federführenden Unter­ Die Ausstellung, die die Kultur- und
stützung durch dessen Mitglieder Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig
eine hochwertige Sonderausstellung mit 7.000 Euro fördert, wurde am 28.
vorzubereiten und im Schloss September 2013 eröffnet und ist der
Markkleeberg zu zeigen. interessierten Öffentlichkeit bis zum
31. Mai 2014 zugänglich.
Gezeigt werden in circa 20 Vitri­
nen und anderen Darstellungsfor­ www.torhaus-markkleeberg.de
63

Foto: Sanitäts- und Lazarettmuseum Seifertshain

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Lazarettszene aus den Befreiungskriegen

Ein Museum verändert sein Gesicht


Von Michél Kothe M. A. / Vorsitzender des „Verbandes Jahrfeier
Völkerschlacht bei Leipzig 1813 e. V.“

Wer kennt sie nicht, die Namen Verwundeten halfen? – Oft verges­
großer Feldherren, die Sieges­ sen, eine Randnotiz der Geschichte.
geräusche? Selbst die Unterlegenen Zu Unrecht.
finden oft Eingang in die Geschichts­
bücher. Die Toten bleiben meist Eben dieser wenig beachteten Seite
namenlos, werden gerade noch als des Krieges widmet sich das
Summe in einer statistischen Zahl Sanitäts- und Lazarettmuseum
überliefert. Doch was wurde aus Seifertshain für die Zeit der Napo­
den Soldaten, denen die Schlacht leonischen Kriege. Wie erfolgte die
Wunden zufügte, und aus den Versorgung der Verwundeten? Wer
Menschen, die durch ihr selbstloses behandelte oder versorgte sie und
Handeln eben jenen Kranken und welche Mittel standen zur Verfü­
64

Foto: Sanitäts- und Lazarettmuseum Seifertshain


Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Blick in einen Ausstellungsraum

gung? Antworten auf diese und viele dete versorgt. Die Militärmedizin und
weitere Fragen gibt die Daueraus­ auch die Chirurgie steckten damals
stellung. noch in den Kinderschuhen. Unter
unvorstellbaren Bedingungen rangen
Den authentischen Hintergrund zehntausende Menschen rings um
bildet ein Augenzeugenbericht der Leipzig um ihr Leben. Ihnen ist das
Pfarrerstochter Auguste Vater. Ihre Museum gewidmet.
Schilderungen über die Ereignisse
in und um Seifertshain in den Tagen Das Sanitäts- und Lazarettmuseum
der Völkerschlacht bei Leipzig zeigen in der Alten Schule, ergänzt durch
die Wirren des Krieges. Chaos und Kräutergarten und Museums­
Flucht, doch auch Nächstenliebe scheune, befindet sich inmitten
bestimmten im Oktober 1813 nicht eines fast original erhaltenen Areals:
nur in ihrem Heimatdorf die Szenerie: Auguste Vaters Elternhaus, die
Notdürftig wurden allerorten Verwun­ Kirche, die schmale Pfarrgasse. Es
65
scheint, als ob man wie durch ein Überzeugt von den Ideen und der
Fenster in eine 200 Jahre zurück­ Zukunftsfähigkeit des Konzeptes,

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
liegende Zeit blickt. Nur die heutige unterstützte die Kultur- und Umwelt­
Idylle, die friedliche Ruhe dieses stiftung der Sparkasse Leipzig maß­
Ortes liegt fast trügerisch über geblich die praktische Umsetzung.
der leidvollen Vergangenheit. Das Zwischen 2011 und 2013 betrug das
Museum entreißt diese seit 2003 Stiftungsengagement insgesamt
dem Vergessen. Dabei wird nicht 15.000 Euro. Schon in den Jahren
nur die Zeit Napoleons thematisiert. zuvor waren vierstellige Beträge aus
Sonderausstellungen beleuchten Stiftungsmitteln in Einzelprojekte wie
zusätzlich die Entwicklung der die Anschaffung von Ausstellungsob­
Militärmedizin bis in die heutige Zeit. jekten geflossen.
Die Dauerausstellung selbst bietet
viele Querverweise auf andere, nicht www.sanitaetsmuseum1813.de
nur medizinhistorische Themen. Das
„Soziokulturelle Zentrum KuHstall e.
V.“ aus Großpösna betreibt, unter­
stützt von vielen ehrenamtlichen
Helfern, das Sanitäts- und Lazarett­
museum.

Im Vorfeld des 200. Jahrstages der


Völkerschlacht begannen bereits
2010 die Überlegungen für eine
Neugestaltung der Ausstellung. In
Kooperation mit dem „Verband Jahr­
feier Völkerschlacht bei Leipzig 1813
e. V.“ und der HTWK Leipzig wurde
ein zeitgemäßes Ausstellungskon­
zept entwickelt. Der neu gestaltete
Rundgang, der mit der Ursache der
Verwundung beginnt und mit dem
unbestimmbaren Schicksal des Sol­
daten endet, bietet Raum für eigene
Aktivität. Informationen liegen, in
Kisten verpackt, abrufbereit auf dem
Weg des Besuchers, und so manches
kleine Themenfenster wartet darauf,
geöffnet zu werden …
66

Foto: Hans Peter Günnel


Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Napoleon im Kreise seiner Feldherrn

Reenactment: Lebendige
Geschichte wird nicht vergessen
Von Michél Kothe M. A. / Vorsitzender des „Verbandes Jahrfeier
Völkerschlacht bei Leipzig 1813 e. V.“

Die Ereignisse der Ära Napoleons Brot. Kilometerlange Fußmärsche bei


regen Menschen aus aller Welt an, nasskaltem Wetter und auf schlam­
sich über das Reenactment mit der migen Wegen, durchfrorene Nächte,
Geschichte jener Zeit auseinander­ drückendes Gepäck und unbequeme
setzen. Bücherwissen sich selbst Kleidung gehören zur gewollten
und anderen erfahrbar machen, Geschichtserfahrung. Man bekommt
Geschichte zum Leben erwecken – eine Vorstellung davon, warum schon
darum geht es den Enthusiasten in der von Krankheiten und Erschöpfung
historischer Gewandung: Mehrere geprägte Soldaten-Alltag zu Beginn
Tage leben die mit originalgetreuen des 19. Jahrhunderts oft mehr Leben
Uniformen bekleideten Teilnehmer in kostete als die Schlacht selbst …
einem Zeltlager, dem Biwak – ganz
ohne moderne Kommunikations­ Die Rekonstruktion historischer
mittel. Dann zählen ganz andere Gegenstände, das Ausprobieren alter
Dinge wie beispielsweise ein wärmen­ Rezepte oder die Nachstellung vergan­
des Lagerfeuer, ein Strohsack zum gener Ereignisse sind Beispiele für die
Schlafen oder ein einfacher Kanten Ausprägungen des „Living History“,
67
der Lebendigen Geschichte. „Reenact­ Darstellern zu suchen, die Katastro­
ment“ ist oft die synonyme Bezeich­ phe Krieg mit ihnen zu diskutieren.

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
nung. Mit Leidenschaft werden altes „Ach, so war das!“, ist dann ein oft
Handwerk und fast verloren gegan­ gehörter Satz.
gene Techniken des Alltagslebens vor
dem Vergessen bewahrt. Eindrucks­ Und: Auch wenn Pulverdampf
voll beweist auch die Wissenschaft und Kanonendonner während der
mit der experimentellen Archäologie, Gefechtsdarstellung die Szenerie
wie bedeutsam das Nachstellen von bestimmen – abseits des „Schlacht­
vergangenen Alltagsszenen für
das Verstehen von Geschichte

Foto: Hans Peter Günnel


ist. Plastisch erlebbar werden
auf einmal die Lebensum­
stände unserer Vorfahren, wir
erkennen, wie geschickt und
klug sie ihre Möglichkeiten
nutzten, welche Sorgen und
welche Freude sie hatten.

In den vergangenen 20
Jahren haben überwiegend Geschichte erleben: Pulverdampf im Gefecht
Vereine aus der Reen­ac­­­tment­­­
-Szene mit historischen Veranstal­ feldes“ sitzen die Beteiligten ver­
tungen, Vorträgen und Ausstellungen schiedenster Nationalitäten an den
die Erinnerung an die Völkerschlacht Lagerfeuern der Biwaks friedlich
1813 in der breiten Öffentlichkeit beieinander. Nichts ist mehr von
wach gehalten. Das von ihnen gelebte der Feindschaft ihrer Vorfahren zu
Konzept von „Living History“ eignet spüren, die vor 200 Jahren noch
sich hervorragend, um Geschichte aufeinander schossen. Das Erlebnis
durch fühlbare Erfahrungen zu Geschichte versöhnt und trägt stets
vermitteln. Reenactment verlässt die mahnende Botschaft, gewaltsame
als Geschichtsinszenierung den Konflikte künftig zu vermeiden. Aus
eher geschlossenen Museumsraum, eben diesem Grunde und um die
wird selbst zum lebendigen, mobi­ Erinnerung an die gewaltige Schlacht
len Lernort, bietet Zugang auch für zu bewahren, fördert die Kultur- und
diejenigen, die Historie sonst eher für Umweltstiftung das Reenactment
verstaubt und langweilig halten. So zum 200. Jahrestag der Völker­
erwartet den Besucher eines Biwaks schlacht mit 10.000 Euro.
der Napoleonischen Zeit größtmög­
liche Authentizität. Er ist eingeladen, www.leipzig1813.com
das Gespräch mit den historischen
68
Das Tatarengrab von Kleinbeucha –
nicht nur eine Erinnerungsstätte
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Von Helmut Hentschel / Heimatverein des Bornaer Landes e. V.

Es war im Sommer des Jahres 1988.

Foto: Kultur- und Umweltstiftung Leipziger Land der Sparkasse Leipzig


Der 175. Jahrestag der Völkerschlacht
stand ins Haus. Ein willkommener
Anlass, die „deutsch-sowjetische
Waffenbrüderschaft“ zu würdigen.
Frau Urban, damals Sekretärin des
Kulturbundes der DDR in Borna
konfrontierte die Mitglieder der
Arbeitsgruppe Heimatgeschichte mit
der Frage: „Haben wir im Kreis Borna
Denkmale, die an die Völkerschlacht
1813 erinnern?“ Erst einmal großes
Schweigen, denn in Leipzig gab es
neben dem Völkerschlachtdenkmal
und Apelsteinen viele weitere Erinne­
rungsstätten an dieses Ereignis. Dazu
kamen die vielen Traditionsgruppen,
die die damalige Deutsch-Russische
(heute wissen wir, es war die Preu­
ßisch-Russische) Waffenbrüderschaft Das Tatarengrab bei Kleinbeucha
würdigten.
stand, wurde man über den Hergang
Es war dann Gert Schreiber, seines der Ereignisse informiert.
Zeichens Vorsitzender der Arbeits­
gruppe Heimatgeschichte, der das Anschließend wurde es wieder lange
Tatarengrab bei Kleinbeucha ins Zeit still ums Tatarengrab. Erst 2004
Gespräch brachte. Kurz entschlos­ erwachte es aus längerem Schlaf.
sen wurde ein Lokaltermin verein­ Ein Baschkirisches Fernsehteam
bart. Dem Grab sah man an, dass war in und um Leipzig auf Spuren­
es regelmäßig gepflegt wurde. Doch suche nach Landsleuten, die in den
an den beiden Grabsteinen hatte der Oktobertagen des Jahres 1813 in der
Zahn der Zeit so sehr genagt, dass Region ihr Leben gelassen hatten.
nur noch die Reste der arabischen Am 20. April 2004 kam es zu einem
Schriftzeichen zu erkennen waren. weiteren Besuch des Grabes und
Auf einer Tafel, die neben dem Grabe einer interessanten Begegnung zwi­
69
schen Beuchaer

Foto: Helmut Hentschel


Bürgern und dem

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Fernsehteam. So
begann eine Spu­
rensuche nach
Yussuf und seiner
Herkunft.

Zunächst zu den
Überlieferungen:
Auf halben Weg
zwischen Beucha
und Steinbach
unweit des Wei­
lers Kleinbeucha
liegt auf einer
circa 163,5 Meter
hohen bewalde­
ten Anhöhe ein
Grab, welches Das Tatarengrab vor der Sanierung
an ein nicht
alltägliches Ereignis des Jahres 1813 Gemeindevorstandes, der als Kind
erinnert. Hier wurde im Spätsommer bei der Beisetzung anwesend war,
1813 ein Muslim bestattet. Noch weitere Erinnerungsberichte von
um 1980 waren auf zwei Porphyrta­ Beuchaern sowie eine Nachricht,
feln Textreste in arabischer Schrift die sich im Turmknopf der Kirche
zu erkennen. Auf der südöstlichen Beucha befindet. Dazu kommen
(Richtung Mekka) stand in arabischer regionale Veröffentlichungen. Doch
Schrift: „Yussuf, der Sohn des sind diese recht kritisch zu betrach­
Mustafa, der Großmütige und Tap­ ten.
fere“. Auf der nordwestlichen stand
ein Spruch aus dem Koran: „Nichts Nach Augenzeugenberichten war
ist gut außer Gott und Muhamed, der 1813 ein Kosakenhetmann auf dem
Prophet Gottes.“ Beuchaer Rittergut einquartiert
worden. Großes Aufsehen riefen
Zu den wenigen Quellen, die über bei den Dorfbewohnern die vielen
das Grab berichten, gehören die mitgeführten seidenen Betten bzw.
Beiträge in den „Kirchengalerien Kissen sowie seine zehn prächtigen
Sachsens von 1840 und 1905 zu Pferde hervor. Da der Offizier an
Beucha in der Parochie Flößberg“, Typhus (damals sprach man auch von
die Niederschrift eines Beuchaer Lazarettfieber) erkrankte, wurde er
70

Foto: Kultur- und Umweltstiftung Leipziger Land der Sparkasse Leipzig


Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Die restaurierte Grabplatte

wegen der Gefahr einer Ansteckung Verzierung versehene Grabhügel sei


in ein abgelegenes Gehöft gebracht, bereits zerstört gewesen, da seien sie
wo ihn sein Leibdiener und der von den anrückenden Verbündeten
Schulmeister pflegten. Nach seinem vertrieben worden. Diese Darstellung
Tod, so der letzte Wille des Kranken, passt gut zu dem Ablauf der Kampf­
wünschte er, an einer Stelle begraben handlungen dieser Tage.
zu werden, an der man seine Ruhe
nicht störte. So hoben die Beuchaer Noch 25 Jahre lang sollen Verwandte
Bauern sein Grab auf obengenann­ des Yussuf das Grab gepflegt haben,
ter Anhöhe bei den Lämmerbirken ihnen wird auch die Errichtung der
aus, in dem er – in das grüne Tuch zwei Grabsteine mit Porphyrtafeln
des Propheten Mohammed gehüllt – zugeschrieben. Später wurde das
auf seinem Pferd sitzend begraben Grab von der Gutsherrschaft weiter
worden sein soll. Auf das Grab stellte gepflegt. Man kann sagen, dass die
man einen mit Wasser gefüllten Topf Pflege zur Tradition geworden ist.
und zerschlug ihn. Am 10. Oktober Irgendwann drohte der südöstliche
sollen Franzosen dabei gewesen sein, Stein auseinander zu fallen und
das Grab zu schänden und zu zer­ wurde mit zwei Eisenbändern stabili­
stören. Der mit einer mosaikartigen siert. Anlässlich des 175. Jahrestages
71
der Völkerschlacht bei Leipzig wurde Tatarische und Turkestanische
1988 ein weiterer Erinnerungsstein Studien (ICATAT) am 6. April 2013

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
mit folgender Inschrift aufgestellt: ein internationales Symposium zum
„Der Wachtchef Yussuf, Sohn des aktuellen Stand der Forschung. „Für
Mustafa, erlag in Beucha seinen in wen kämpfte Yussuf? – 200 Jahre
der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 Völkerschlacht Leipzig – 200 Jahre
empfangenen Verwundungen und Tatarengrab Kleinbeucha“ lautete die
wurde hier begraben.“ Überschrift der Veranstaltung, die
auch mit einem Jugend-Workshop
Bis heute ist es für die Beuchaer verbunden war. Über 40 Gäste aus
selbstverständlich, die Erinnerung an dem In- und Ausland, darunter natür­
Yussuf wachzuhalten und das Grab zu lich auch Vertreter tatarischer und
pflegen. Deshalb restaurierten die Mit­ baschkirischer Institutionen, wohnten
glieder des „Heimat­vereins Bornaer dem Symposium bei.
Land e. V.“ 2011 das Grabmal umfas­
send und errichteten zusätzlich eine www.heimatverein-bornaerland.de
Informationstafel und Erinnerungs­
stele. Die Kultur- und Umweltstiftung
der Sparkasse Leipzig förderte das
Vorhaben mit 2.500 Euro in Anerken­
nung des Einsatzes der Beuchaer
Bürger. Das Besondere an diesem
Denkmal ist die Tatsache, dass die
Bürger von Beucha – also Christen –
das Grab und das Andenken an einen
Muslim 200 Jahre lang über alle ethni­
schen und religiösen Grenzen hinweg
bewahrten, betreuten und pflegten.
So beweist das Tatarengrab, dass ein
vorurteilsfreier Umgang mit fremden
Kulturen möglich ist. Auch in der
heutigen Zeit ist es notwendig, dass
ein solcher Ort der Nachwelt erhalten
bleibt. Nicht nur deshalb spielt das
Grab eine Rolle in der Erzählung Erich
Loests „Sechs Eichen bei Rötha“
(siehe Seite 72).

Überdies veranstalteten die enga­


gierten Mitglieder des Heimatvereins
und das Institut für Kaukasische,
72
Aus Anlass des bevorstehenden 200-jährigen Jahrestages der Völkerschlacht
verfasste Erich Loest nachfolgende Geschichte, die Eingang in seinen Satire-
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

band „Sechs Eichen bei Rötha“ gefunden hat. Das Buch ist im Steidl-Verlag
erschienen.

Sechs Eichen

Foto: Stephan Seeger


bei Rötha

Erzählung
Dr. h. c. mult. Erich Loest
1926 - 2013
Von Erich Loest

Heinrich Ludwig Wilhelm Freiherr von Niebecker brauchte Geld. Diese Lage war
nicht ungewohnt, diesmal geradezu prekär. Der Durchzug französischer Horden
im Mai hatte Saaten verwüstet und seine Kuhherde in gallische Fleischtöpfe
wandern lassen, auch Württemberger und zwei Kompanien Sachsen hatten
zugelangt. Nur einige alterszähe Ochsen waren ihm geblieben. Das Herankrie­
chen einer ungeheuren Heeresmacht von Süden in die Leipziger Ebene, von
dem fliehende Hausierer und Landstreicher berichteten, erfüllte ihn mit neuer
Sorge. So konnte er keine Freude empfinden, als er inspizierend durch seinen
herbstlichen Wald ritt. Es war halbwegs mild, sonnig, beinahe windstill. Die
Armee des Feldherrn Schwarzenberg ließ sich Zeit, aber sie würde kommen,
wann, war nicht entscheidend.

Seine Bauern hatten die heil gebliebenen Felder abgeerntet, die Teiche leerge­
fischt und zum Teil trockengelegt. Wenn der Krieg endlich vorbei war, würde er
seine Knechte einige Eichen fällen lassen, Prachtkerle allesamt; das Bauholz
73
könnte er einlagern; das Astholz nahmen ihm Leipziger Händler ab wie jedes
Jahr. Seine Baumriesen ragten mit ausladenden Kronen, sechs an der Zahl,

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
im besten Alter, da faulte kein Würzelchen, man durfte sagen: sie waren kern­
deutsch. Wenn er jetzt mit dem Fällen begann, arbeitete er den Soldaten, die
für ihre Wachfeuer jeden Zaun und jede Hoftür stahlen, nur in die Hände. Einige
Klafter Brennholz, gut getrocknet, lagerten versteckt in einem Busch, im Nor­
malfall hätte er sie losschlagen können, aber kein Fuhrmann wagte sich auf die
Straßen. Im Grunde genommen war er pleite. Sechs Eichen, eine Kapitalanlage
immerhin.

Fasane purrten auf – schlich ein Fuchs durch Schilf, Röhricht und das Grobe
Mulp­kraut, die an den Teichrändern wucherten? Niebecker liebte diese Land­
schaft von Hügeln, Bächen, Waldstücken, kurzweilig alles, kurzwellig auch,
dumpf die Dörfer, die sich seit ferner Wendenzeit nur wenig verändert hatten.
Ärmlich ja, aber heimelig. Nur zehn Meilen weiter nach Norden, und die Ebene
begann, sich bis Wittenberg und Magdeburg streckend, wie geschaffen für
Schlach­ten mit Kanonenbatterien und zehntausend Kavalleristen in donnernder
Front.

Er hörte Pferdeschnauben, auf dem Pfad zwischen Eichen und Erlen bog ein
Reiter heraus, ein tressengeschmückter Offizier – von welcher Armee? Niebe­
cker zog seinen federgeschmückten Jägerhut. „Gestatten, Freiherr von Niebe­
cker.“

„Habe die Ehre, Major von Protta.“

Ein Österreicher also, das momentan kleinstmögliche Übel. Eine Gruppe weite­
rer Berittener tauchte hinter dem Offizier auf.

„Dachte schon: Was kraucht denn da im Busch herum, ich glaubt, es wär Napo­
leum.“ Protta lachte über seinen Scherz aus kratzigem Hals.

Niebecker lächelte höflich. Der Korse sei in der Tat im Mai in der Nähe gewesen,
in Pegau habe er genächtigt, jetzt sei er weit weg.

„Und wo weg?“

„Ich weiß es nicht.“

„Sagen Sie, Verehrtester, ist es weit bis Rötha?“


74
„In einer halben Stunde könnten Sie dort sein. Darf ich den Weg weisen?“
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

„Es wäre sehr höflich. Ich nehme gern an.“

Anfänglich ritten sie hintereinander, als der Weg breiter wurde, Seit an Seit.
Niebecker hatte einen Einfall: „Wenn Sie es nicht brandeilig haben, Herr Major,
könnte ich Ihnen ein wenig abseits des Weges eine Besonderheit zeigen, das
Grab eines Baschkiren.“ Vor einigen Monaten sei ein Trupp der Zarenarmee
durchgeritten, ein Offizier sei am Typhus erkrankt und zurückgelassen worden,
in einem abseits gelegenen Bauernhof hätten sein Leibdiener und der ansässige
Pfarrer Crasselt ihn bis zum Tod gepflegt. Seinen Namen hätte er mit Jussuf
Roku Waschef angegeben. Ein Muslim, und deshalb hätten sie den Leichnam in
ein grünes Tuch gewickelt. „Wir hatten Bedenken, ihn auf unserem Friedhof zu
bestatten. Der Pfarrer erkundigte sich beim Superintendenten, der warnte. Muss
man unbedingt Fehler machen?“ Vor wenigen Tagen hätten Franzosen versucht,
das Grab zu plündern, wären aber durch ungarische Husaren verjagt worden.

Auf einem Pfad zwischen Gebüsch aufwärts, vor einem laubbedeckten Hügel
hielten sie an. Viel zu sehen gebe es nicht, räumte Niebecker ein, aber Demut
vor einem Toten, selbst wenn er ein Heide gewesen war, sei christliches Gebot.
Die Blumen übrigens stammten von Kindern aus dem nahen Dorf.

„Im Grunde“, unterbrach Protta, „sind Sie ja mein Feind.“

Leider wäre das dem Buchstaben nach so, der Sachsenkönig befinde sich in
napoleonischer Geiselhaft, aber sein eigenes Herz schlüge unwandelbar treu­
deutsch. Vielleicht rebellierte die sächsische Armee mit ihrem General Thiele­
mann und liefe auf die Seite der Verbündeten über? Er hätte so manches läuten
hören.

Es sei nicht aller Tage Abend, murmelte Protta. Also weiter nach Rötha, wenn er
bitten dürfe.

Vorm Schloß ließ der Major seine Männer aufschließen, Niebecker wurde mit
einem Wink ans Ende der Kavalkade beordert. Jungen liefen zusammen, Markt­
frauen räumten eilig ihre Körbe weg, zwei Herren am Straßenrand verbeugten
sich und zogen die Hüte, Schulmeister und Apotheker vermutlich. Am Tor
empfing sie Schlossherr von Friesen. Protta sprang ab und warf einem Knecht
die Zügel zu. Die Herren begrüßten sich hackenschlagend. „Freiherr, ich möchte
Sie unter vier Augen sprechen.“ Herr Niebecker möge bitte warten, seine Hilfe
könnte gebraucht werden.
75
In einem kalten Zimmer nahe dem Tor verbrachte Niebecker eine qualvolle
Stunde, ein Kännchen Tee munterte ihn nicht auf. Schließlich trat ein Herr aus

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Prottas Gefolge ein, stellte sich als Rittmeister von Kritschina vor, ließ sich stöh­
nend in einen Sessel fallen. „Verdammte Reiterei.“

Niebecker wagte einen Scherz. „Als Rittmeister?“

Kritschina lachte. Im Grunde sei er Zahlmeister. „Hören Sie zu, Niebecker. Heute
und morgen weilen höchste Herrschaften hier, wir brauchen Brennholz, Fleisch,
Wein. Können Sie helfen?“

Er sei arm dran, baute Niebecker sofort vor, ausgeplündert bis aufs Hemd. Aber
er wolle sich bei umliegenden Bauern umsehen.

„Tun Sie das.“

Niebecker nickte, es sollte versonnen wirken, grüblerisch. „Rundheraus, Verehr­


tester, die Bauern wollen sofort Geld.“

„Wie immer. Der Krieg kostet und kostet, und ich finanziere ihn aus meiner
Tasche. Ich schieße ihnen etwas vor in blindem Vertrauen. Ich habe schon
manchmal – Sie nicht, ich seh es Ihnen an, Sie betrügen mich nicht.“

Kritschina rief, Leutnant von Poplisch solle ihm sein Köfferchen bringen, ein
schlaksiger junger Mann trat ein und legte einen Lederkoffer mit protzigem
Schloss auf den Tisch. Kritschina öffnete, murmelte, nahm einige Münzen
heraus und legte sie wieder zurück, schließlich zählte er zwölf österreichische
Gulden auf den Tisch und einige französische Münzen, einen Gulden steckte er
in die eigene Rocktasche und sagte: „Bringen Sie mir bittschön Holz, Fleisch,
Bier, dann rechnen wir ab.“

„Ich werde Sie nicht enttäuschen.“ Ein Tag setzte sich fort, von dem Niebecker
noch nach zwanzig Jahren überzeugt war, er sei der absonderlichste und wich­
tigste in seinem Leben gewesen, von dem er in wechselnden Zusammenstellun­
gen seinen Enkeln berichtete, bis sie sagten: „Is ja gut, Opa.“

Er ging vom Schloss über die Straße zu einem Gasthof und besprach sich mit dem
Wirt. Was war die in Zukunft aussichtsreichste Währung? Das hinge vom Ausgang
der sich abzeichnenden Schlacht ab, darin waren sie sich einig. Der Louis d’or
stand auf der Kippe. Am Schlechtesten würde Sachsengeld abschneiden, das
schien leider sicher. Einen Gulden wechselte Niebecker in heimische Groschen zu
76
günstigem Kurs, dann ritt er auf kürzestem Weg zu seinem Schlösschen. Was sich
nun abspielte, war kein Gespräch, sondern eine Befehlsausgabe: Seine Tochter
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

sollte alle Katen in der Nähe abklappern und kaufen, was immer erhältlich war,
Eier, Hühner, Honig! Bezahlen mit Sachsenmünzen. Sein Ältester sollte anspannen,
Brennholz laden und sich sofort nach Rötha auf den Weg machen. Abliefern beim
Rittmeister Kritschina! Sein Zweiter sollte herumfragen: Wer verkaufte ein Schwein,
Schafe, Ochsen gar! Ehe es die anrückende Armee stahl, sollten die Bauern es
gegen, wie er wohl wusste, schlechtes Silber mit dem Porträt des Dresdner König
drauf ihm überlassen. Barzahlung! Er stieg wieder in den Sattel und sprengte zu
seinem Nachbarn auf Pegau zu, einem entfernten Vetter. Drei Ochsen orderte
er gegen Schuldschein, einlösbar in einer Woche. Zurück. Seine Frau solle nicht
zedernd herumstehen, sondern einpacken, was immer sie entbehren konnte und
was die Tochter einheimste. Einen geschlachteten Hasen holte er aus der Speise­
kammer, sprengte gen Rötha, seinen Sohn überholte er, winkte ihm zu.

Gedränge in den Straßen, Niebecker ließ sein Pferd in Schritt fallen. Kaiser
Franz! schnappte er auf, sechs Kutschen, der Monarch huldvoll grüßend. Seine
Landsleute jubelten gern, früher dem Wettinerkönig zu, dann dem Korsen,
jetzt dem Österreicher, irgendwann kehrte der Sachsenkönig zurück – auf die
Röthaer war Verlass. Dreimal so viel Wachen standen am Tor wie vor ein paar
Stunden. Den Rittmeister von Kritschina begehrte er zu sprechen, wurde von
einem Korporal zu einem Sergeanten gebracht. Der Herr von Kritschina weile
zu einer Besprechung oben im Kammersaal – Brennholz? Hühner? Ja freilich.
Leutnant von Poplisch wäre zuständig.

Poplisch zeigte sich erfreut. Vertrauen zahle sich aus, selten leider. Er legte
einen Bogen Papier auf den Tisch, rief nach Tinte und Feder. Seine Stimme
klang laut und selbstbewusst wie die Kritschinas. Poplisch notierte die Höhe des
Vorschusses, so, drei Ladungen Brennholz noch heute, morgen weitere sechs.
Zwei Ochsen, naja, macht zusammen… Niebecker hielt es für angebracht, nicht
zu feilschen. Dieser Mann schätzte sich wichtig, unentbehrlich, war es vielleicht
im Moment und wenn auch nur für ihn. Er unterschrieb Aufstellung und Ver­
pflichtung und erlaubte sich, einen Hasen im Auftrag seiner Gattin untertänigst
als Geschenk anzubieten. Wenn der Herr Leutnant es wünsche, könnte er ihn
drüben im Gasthof zubereiten lassen für ein Nachtmahl.

Poplisch nahm den Helm ab und knöpfte den Kragen auf. Jetzt erst sah Niebe­
cker, wie jung er war, wenig über zwanzig, er hätte sein Sohn sein können. „Sie
dürfen sich vollständig auf mich verlassen“, versicherte er. Jetzt wolle er nach­
schauen, ob die erste Holzladung eingetroffen sei, den Hasen im Gasthof depo­
nieren, gleich sei er zurück. Sein Sohn wurde gerade am Tor kontrolliert – alles
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in Ordnung, versicherte Niebecker, die Herrn Kritschina und Poplisch seien im
Bilde. „Nun mal abladen!“ Auf den Ton kam es an, Knechte und Muschkoten

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hatten ein feines Ohr für Obrigkeitsklänge. An der Spitze durfte sich einer Huld
leisten, hier galt die unmissverständliche Anweisung, der Befehl. Niebecker hielt
ein „Nun aber mal dalli!“ für angebracht. Sein Ältester kehrte um, sein Zweiter
ritt mit einem Beipferd in den Hof. „Liebster Vater, Eier, Hühner, Speck.“ Nach
dem Küchenmeister verlangte Niebecker, abermals berief er sich auf die Herren
Kritschina und Poplisch. Jetzt wäre ein Titel günstig, Generalversorgungsins­
pekteur etwa, aber es musste auch so gehen. Im Gasthof war der Teufel los,
der Wirt begriff: Hasenbraten auf höchste Order! Sachsenpfennige wären im
Moment knapp, Preußenthaler würden gern genommen. Die Österreicher wären
scharf auf Spanferkel. Und?

Zum zweiten Mal ritt Niebecker an diesem Tag zurück, borgte unterwegs von
einem ängstlichen Häusler ein Ackerpferd aus und inspizierte, was Frau und
Tochter beschafft und verpackt hatten. Sein Schlaf war kurz, am nächsten Mor­
gen brach noch in der Dunkelheit ein bunter Transportzug von seinem Gütchen
nach Rötha auf. Drei Pferdewägen, davon zwei mit Holz, auf dem dritten Gefährt
blökten Schafe. Ein Ochsengespann mit Säcken und Körben, angebunden eine
magere, traurige Kuh. Niebecker trug keine Jagdkleidung wie am Vortag, son­
dern seinen Bratenrock. Natürlich hätte er mit seiner Kutsche fahren müssen,
aber zwei Räder waren lädiert. Auf sein Gehabe, seine Miene kam es an.

Am Schlosstor wachten nicht nur österreichische Posten, von denen er zwei


wiedererkannte, sondern auch andere, pelzmützentragende mit überlangen
Gewehren. „Russen“, murmelte einer der Österreicher. „Aber wir leiten weiterhin
die Versorgung. Fahren Sie mal ruhig rein, Verehrtester.“

Er möchte unbedingt mit Rittmeister von Kritschina sprechen, beharrte Nie­


becker, vorher werde er nicht abladen lassen. Der sei wahrscheinlich nicht im
Schloss. Und Leutnant von Poplisch? Auf einem Inspektionsritt. Niebecker
winkte seinen Söhnen zu: Abbiegen zum Gasthof! „Ich bin dort drüben zu spre­
chen! Sagen Sie das den Herren.“

Viel Platz bot sich ihm nicht, den Pferden wurden Futterbeutel umgebunden,
den Ochsen Eimer mit Wasser unter die Mäuler gestellt. „Chaos!“ rief ihm der
Wirt zu, als Niebecker die Gaststube betrat. In der Nacht sei Zar Alexander
eingeritten, ein preußischer Hauptmann habe Quartier für sich und sieben seiner
Leute verlangt. Der Hase? Den habe Herr Leutnant von Poplisch mit einer
zweifelhaften Dame genüsslich verspeist. Konnte alles glänzend weiterlaufen,
hoffte Niebecker, und wusste, es konnte auch schiefgehen. Ein Viehhändler
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fragte nach der Kuh draußen, was sollte das Reff kosten? Möge in einer Stunde
wiederkommen. Niebecker bestellte dringlich einen Schnaps, das war für
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gewöhnlich nicht seine Art. Seine Söhne bewachten die Gespanne und horchten
herum: Der Zar aller Reußen sei in der Tat nächtens mit Kutschen und Leib­
wache eingetroffen, mit kleinem Gefolge quartiere er im Schloss, seine übrige
Bedeckung biwakiere auf einer Wiese vor dem Tor. Fürst Metternich habe das
Gefolge von Kaiser Franz entscheidend verstärkt. Täglich ritte Preußenkönig
Friedrich Wilhelm mit seinen Stäblern vom Schloss im nahen Gruna zu Strate­
giebesprechungen herüber. Rötha plötzlich Weltmittelpunkt, es war nicht zu fas­
sen. Sicherheitsstufe eins! Und Kritschina und Poplisch? Seine Söhne zuckten
die Schultern.

Der Rittmeister stürmte kurz vor dem Mittagsläuten herein, hochrot und außer
Atem. Geheime Mission, höchste Priorität, aber jetzt sei er ja hier. Poplisch
hocke auf dem Klosett, sei in ein paar Minuten zurück. Was habe der verehrte
Freiherr zu bieten?

Jaaa, das wäre ein beachtliches Konvolut. Niebecker zählte herunter, vergaß
Würste und Tauben keineswegs. Alles draußen auf den Wägen, beim Abladen
bitte er höflichst um strengste Nachprüfung. Beste Ware, einzigartig in diesen
Tagen weit herum. Auf seinen Wink stellte der Wirt eine Flasche Weinbrand auf
den Tisch und schenkte ein; Poplisch kam hinzu, die drei Herren stießen an.
Er habe abgrundtief in die Tasche greifen müssen, Niebecker blickte betrübt,
Poplisch auch. Die Bauern jagten dreist die Preise himmelhoch. Und Niebecker
nannte eine Summe, die ihn selber erstaunte; er hätte nie vermutet, dass er den
Mut dazu finden würde.

„Sie müssen auch preußische Thaler nehmen.“

„Solange es nicht französischer Schund ist!“ Das sei vaterländisch gespro­


chen, fand Niebecker, er setzte hörbar aufs Pferd des Bündnisses gegen
Napoleon. Aber die neuen Zehn-Frank-Stücke aus Paris seien doch erstaunlich
gut im Kurs, wendete Poplisch ein. Dennoch, beharrte Niebecker; der Alkohol,
ungewohnt, machte ihn kühner. Dann wäre noch etwas: Die Russen mit ihrem
Zar Alexander weilten höchstdero hier, in seinem Stab müsse wohl jemand für
Gefallene zuständig sein, nicht für jeden Bauernlümmel selbstverständlich,
für Herren Offiziere immerhin. Auf seiner Gemarkung sei ein hochgestellter
Würdenträger baschkirischer oder tatarischer Abkunft bestattet, Angehöriger
der russischen Streitkräfte. Herrn von Kritschina habe er bereits zum Grab­
hügel geführt. Was sollte künftig geschehen? Auch diesbezüglich biete er
seine Dienste an. Könnten die Herren freundlichst ausfindig machen, welches
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Ressort dafür zuständig sei und eine Verbindung knüpfen? Es sollte ihr Scha­
den nicht sein.

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Sie verbrachten palavernd eine gute Stunde, dann lenkte Niebecker den Provi­
antzug in den Schlosshof, seine Söhne luden ab, Poplisch notierte. Zurück am
Kneipentisch legten sie die Höhe der Bezahlung fest. Er wolle am kommenden
Tag erneut liefern, versicherte Niebecker, es sei denn, die Bauern, ihre Chance
witternd, würden nicht allzu unverschämt. Und er bitte noch einmal um eine
untertänigste Konversation mit betreffenden russischen Stellen.

Rittmeister von Kritschina zahlte mit Gold, Silber und Nickel; Niebecker war sich
bewusst, solch eine Summe noch nie an einem einzigen Tag eingestrichen zu
haben. Er ritt heimwärts, mühsam die Haltung im Sattel bewahrend. Die wert­
volleren Münzen verwahrte er in einer eisengesicherten Eichentruhe unter dem
Dach, mit dem Kleingeld schickte er Söhne und Tochter erneut zum Einkauf aus.
Brennholz war in den eigenen Stapeln noch vorrätig. Mit seiner Frau stritt er, die
zwei Pökelfässer nicht leeren wollte, er schalt sie engstirnig und borniert. Was
sollte im Winter werden? Händeringend gab sie nach. Die Tochter trat juchzend
in den Hof, fünf Schafe an den Stricken.

Wieder war die Nacht kurz, wieder setzte sich im ersten Licht ein Wagenzug in
Bewegung. Niebecker kam diesmal ohne Schwierigkeiten in den Schlosshof
hinein, Leutnant von Poplisch erwartete ihn schon. Der Rittmeister sei aufgebro­
chen, er, Poplisch, besitze alle Vollmachten. Die Preise wie gestern? Leider nein,
bedauerte Niebecker, der Markt sei ausgekehrt, Eier kosteten das Dreifache. Und
Brennholz erst! Und Schafe!

Poplisch notierte mit gewohnter Gründlichkeit, seine Stimme klang bedeut­


samer als am Vortag, da nun er weisungsbefugt war. Im Wirtshaus lehnte er
Weinbrand ab, der Tag sei noch lang. Forderung, Abschlag von zehn Prozent,
Barzahlung, Quittung – alles lief wie unter vertrauten Partnern ab. „In einer guten
Stunde“, schloss Poplisch, „wird Oberstleutnant von Salminen Sie im Schloss
empfangen.“ Ein schwedisch-finnischer Offizier in zaristischen Diensten sei das,
vortrefflich des Deutschen kundig, in groben Zügen sei er informiert. Im Übrigen
habe der österreichische Armeetross aufgeschlossen und wieder die geregelte
Versorgung übernommen. Die meisten Einheiten befänden sich auf dem Marsch
nach Norden, so seien die Dienste des Herrn von Niebecker, für die abermals
verbindlichster Dank ausgesprochen sein sollte, künftighin überflüssig. Fast hät­
ten sich die Herren umarmt.

Oberstleutnant von Salminen war ein großer, schwerer Mann mit weißem
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Backenbart, der eine Kalbshaxe verzehrte; den Knochen reichte er sanft brum­
mend seiner Dogge hinunter. „Ich hab nicht ewig Zeit“, eröffnete er unfreundlich.
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Vom Baschkiren oder Tataren Jussuf Roku Waschef begann Niebecker zu


berichten, der trotz liebevollster Pflege nahe seines Schlösschens verschieden
sei, und den man nach seinem Wunsch auf einem Hügel mit weiter Sicht begra­
ben habe. Gerüchte, Waschef sei auf seinem Pferd sitzend bestattet worden,
erkläre er als unzutreffend. Nun möchte er als Grundherr dies einem Vertreter
der großen berühmten russischen Armee untertänigst melden. Wie sei in etwa
weiter zu verfahren?

Der Oberstleutnant legte Messer und Gabel beiseite, stand mühselig auf, ging
auf Niebecker zu, presste ihn an sich und küsste ihn etwas fettigen Mundes auf
beide Wangen. Seinen Diener rief er und bestellte Wodka in größeren Gläsern,
stieß mit Niebecker an und bat ihn mit weiter Geste an den Tisch. „Jussuf“,
sprach er nach einem erheblichen Schluck, „war mein Freund.“

„Teufel noch eins!“ entfuhr es Niebecker. Nun trank auch er, vorsichtig aller­
dings, schaute Salminen bewusst treuherzig an, war er eben Zeuge eines unge­
hobelten Scherzes?

„Wir kämpften dereinst“, berichtete der zaristische Offizier mit belegter Stimme,
„Schulter an Schulter gegen Aufrührer in Aserbeidschan und Tschetschenien.
Jussuf gehörte einer Reitertruppe an, die mit Pfeil und Bogen bewaffnet und
weithin gefürchtet war. Hier galt die Tradition hunderter von Jahren seit der
Mongolenzeit. Auch die Franzosen zitterten vor diesen ungestümen Kämpfern.
Jussuf hieb mich mit blankem Säbel heraus, als mich ugurische Horden fast
eingeschlossen hatten. Lachend warf er mir den blutigen Kopf eines feindlichen
Hetmans zu, den er mit einem einzigen Hieb vom Rumpf getrennt hatte. Jussuf
verdanke ich mein Leben, wie auch ich ihn so manches Mal vor Gefangenschaft
und Tod bewahrte.“

„Mein herzliches Beileid“, murmelte Niebecker.

„Deshalb bitte ich Sie, das Grab dieses Helden zu bewahren und zu beschützen,
bis nach dem Endsieg seine Verwandten die Möglichkeit dazu finden. Für die
Kosten komme ich selbstverständlich auf.“ Abermals rief er seinen Diener und
gab eine Anordnung, eine Schatulle wurde gebracht, der er Münzen entnahm,
fünf waren es, die er auf den Tisch zählte, und Niebecker erkannte voller Ver­
wunderung und Entzücken, dass es Tscherwonzen waren, Zarengold, gleichwer­
tig den besten holländischen Gulden.
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„Kaufen Sie stabile Steinplatten, mein Freund, umgeben Sie den Hügel mit Mäu­
erchen, bis Jussufs Familie sich der weiteren Ausgestaltung annehmen kann.

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Mich entschuldigen Sie jetzt, die Schlacht ruft.“

Noch einmal küssten sich die beiden Edelmänner. Während er gemächlich nach
Hause ritt, gewahrte Niebecker auf allen Wegen und Straßen Kolonnen von
Artillerie, Kavallerie und Infanteristen, über ihnen wehten Österreichs Fahnen. Es
wurde ernst, keine Frage.

Niebecker hatte Zeit und genoss sie, die letzten Tage waren aufregend genug
gewesen. Er überschlug seinen Verdienst und schätzte die Kosten; die Bilanz
erwies sich als fabelhaft günstig. Hinter seinem Schafstall lagen in einer bren­
nesselüberwucherten Ecke neben etlichem Gelumpe haufenweise Pflastersteine
und einige Porphyrplatten. Sein Vorgänger hatte, wenn er sich recht entsann,
ein massives Torgebäude errichten wollen, daraus war, vermutlich aus Kosten­
gründen, nichts geworden. Dieses Material reichte für drei Gräber. Das hieß, fünf
Tscherwonzen wanderten rein und blank in seine Truhe.

Vor den sechs Eichen hielt er an. Da standen sie in wundersamer Kraft und
würden Jahre über weiterwachsen dürfen. Er könnte bei Rochlitz und Mittweida
Schafe, Hühner und Kühe kaufen, dort hatte die Kriegsfurie nicht gewütet; sei­
ner Frau füllte er Räucherkammer und Pökelfass. Vielleicht senkte sich nun der
Frieden segensreich für lange Zeit übers Land. Falls die Schlacht, die sich durch
fernen Donner ankündigte, gewonnen würde, wollte er einen Dankgottesdienst
ausrichten lassen und die Dorfarmen speisen.

Sechs Eichen als Kapital, am sanften Hang dahinter könnte er Buchen setzen.
Die würden einst der Schatz der Enkel sein. So musste Forstpflege vor sich
gehen, Niebecker suchte und fand ein schönes bleibendes Wort: nachhaltig.
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Stiftungsgremien
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Stiftungsrat

Der Stiftungsrat ist das höchste Gremium der Stiftung. Er steht dem Vorstand zur Seite
und legt die Förderrichtlinien fest.

Dr. Gerhard Gey Dr. Harald Langenfeld


Vorsitzender 1. Stellvertretender Vorsitzender
Landrat des Landkreises Leipzig Vorstandsvorsitzender der Sparkasse
Leipzig

Thomas Mayer Romy Bauer


2. Stellvertretender Vorsitzender Bürgermeisterin Geithain
Chefreporter a. D. der Leipziger Volkszeitung

Martin Bücher Herbert Ehme


Vorstand der Sparkasse Leipzig Bürgermeister a. D. Zwenkau

Wolfgang Klinger Andreas Koch


2. Beigeordneter des Landkreises Leipzig Vorstand der Sparkasse Leipzig

Martina Kurtz Rolf Sahner


Redakteurin BILD Erfurt

Klaus Sommer
Bürgermeister Elstertrebnitz
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Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
Vorstand

Der Vorstand entscheidet über die Vergabe von Stiftungsmitteln im Rahmen


der vom Stiftungsrat vorgegebenen Richtlinien.

Gabriele Greiner Brigitte Steinbach


Vorsitzende Stellvertretende Vorsitzende
Vorstandsmitglied a. D.
der Sparkasse Leipzig

Stephan Seeger M. A.
Geschäftsführender Vorstand
Direktor Stiftungen der Sparkasse Leipzig

Förderregion der KUS ist der Altkreis Leipziger Land


84
Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht

Institut für Praktische


Konferenzen & Tagungen
Journalismus- und
Konzertreihen
Kommunikationsforschung
campus inter|national
4 Promotionsstipendien

Preis für die Freiheit und


Zukunft der Medien
Axel-Eggebrecht-Preis
Günter-Eich-Preis
Talent-Taube

berufbegleitende
Masterstudiengänge

Förderung regional
gebundener Einzelprojekte
in den Bereichen Kultur
und Umwelt im Altkreis
Leipziger Land Förderung der Kultur und
der Denkmalpflege
im Altkreis
Torgau-Oschatz
Wenn auch Sie etwas für 85

Ihre Region tun wollen …

Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig – Sonderbroschüre 200 Jahre Völkerschlacht
… beraten wir Sie gern. Mit einer Zustiftung ab 1.000 Euro erhöhen Sie das
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Sie können ebenso mit einer zweckgebundenen Spende ganz bewusst ein ein­
zelnes Projekt fördern. Wir stehen Ihnen gerne mit unserer Erfahrung zur Seite.
Sie erreichen unsere Ansprechpartner persönlich unter der Telefonnummer
0341 – 5629661 bzw. per Email unter info@kultur-und-umweltstiftung.de.
In einem ersten Gespräch freuen wir uns über Ihre Ideen und Anregungen,
damit Sie Ihre Spende in guten Händen wissen.

Für die Unterstützung anlässlich der


Gedenkveranstaltungen zum 200. Jahrestag der
Völkerschlacht bei Leipzig danken wir

Dem Dem Verband der


Landeskommando Reservisten der
Sachsen Deutschen Bundes­
wehr e. V. - Landes­
gruppe Sachsen

Standort Süd, Richard-Lehmann-


Straße 124, 04277 Leipzig
Standort Nord, Maximilianallee 25,
04129 Leipzig
Impressum

V. i. S. d. P.: Stephan Seeger M. A.


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Redaktion: Martin Fiedler, Volker Tzschucke, Nikolaus Faulstroh
Layout: Andreas Lamm
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