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JOSEPHSGESCHICHTE UND CHOKMA 121

Epoche ziehen. Schon GUNKEL hat an der Josephsgeschichte eine


Freude am Fremdartigen wahrgenommen 1), jenes aufgeklarte
JOSEPHSGESCHICHT~ UND ALTERE CHOKMA Interesse an den Brauchen und V erhaltnissen eines fernen Volkes,
an dem Glanz cles Pharaonenhofes, an der Installation eines W esirs,
VON an der Speicherung cles Getreides, an der Mumifizierung der Leichen
usw. Jene friihe Konigszeìt war eine ~eit cles Abbruches vìeler
GERHARD VON RAD · patriarchalischer Traditionen, aber zugleìch die Zeìt eines ganz
Heidclberg neuen geìstigen Aufbruches, eìne Art Aufklarung, d.h. die Zeit
eines Aufwachens cles geistigen Selbstbewusstseins. De~ Mensch
Dìe Josephsgeschichte ist in jeder Hinsicht von den Vaterge- wurde sich seiner geistigen Kriifte und seines ordnenden Verstandes
schichten, die sie fortsetzt, zu unterscheiden. Wahrend sìch die bewusst, und ganz neue Dìmensionen seiner Umwelt - aussere
Abrahams- oder Jakobsgeschichten· nahezu alle in den Grenzen eìnes und innere! - , die der Glaube der Alteren noch gar nìcht wahr-
Umfangs von 20 bis 30 Versen halten; erweist sich die Josephs- genommen hatte, traten in sein Blìckfeld 2) .
geschichte mit ìhren nahezu 400 V ersen schon ausserlich als ein Bine dieser neu ins Blickfeld getretenen Dimensionen, die uns
Dokument, das gattungsgeschichtlich ganz anders zu beurteilen ìst; aus der Literatur · dieser Epoche besonders entgegentritt, ist das,
denn ein ,Sagenkranz", d.h. eine Aufreihung ehedem selbstiindiger was wir das Anthropologìsche nennen wiirden, d.h. eine Konzen-
Erzahlungseinheiten, ist sie keinesfalls 1). Erweitert man den Ver- tration auf das Phanomen cles Humanum im weitesten Sinne, auf
gleich auf die inneren Wesensmerkmale, so werden die Unterschiede seine Moglichkeìten und seine Grenzen, seine psychologische
noch deutlicher: die Abrahams-, Isaaks- und Jakobsgeschichten sind Kompliziertheit und seine Abgriindigkeit. Ein Weiteres, .das sich
orts- und kultgebundenes Sagengut, thematisch vom J ahwisten (oder s'ofort damit verband, war die Erkenntnis, dass dieses Humanum
schon friiher) durch die Erzvaterverheissung (Land, Nachkommen- gebildet und erzogen werden konne und miisse. Das war das grosse
schaft) miteinander verklammert. Die Josephsgeschichte ist durch Anliegen, mit dem die altere Weìsheit hervortrat 3). Solch eine
und durch novellistisch, ìhr Erzahlungsstoff ermangelt durchaus Erziehung ist aber nicht moglich ohne ein vorhandenes Leitbild
solcher genuiner Bindungen an lokale Haftpunkte 2). Auch hin- vom Menschen, ohne ein ganz bestimmtes Bildungsìdeal. Die
sichtlich ihrer literarischen Technik - etwa in der Schilderung altere israelitische Weisheit hatte ein solches und hat es mit Emphase
komplìzìerter psychologischer Situationen, oder in der Einlage eines gelehrt. Wir wollen einige Ziige davon nennen, denn unsere erste
blitzenden Wortes in eine Szene - verfiigt die Josephsgeschichte These ist, dass schon hinsichtlich dieses Bildungsideales zwischen
iiber Moglichkeiten, die iiber die der alteren Sage weit hinausgehen. der Josephsgeschichte und der alteren Weisheit enge Beziehungen
In dieser Hìnsicht steht sie der Geschichte von der Thronnachfolge bestehen.
Davids nahe (2 Sam. vi bis 1 Kon. ii), wìe es denn keines Beweises Dass der urspriingliche Sitz im Leben dieser iilteren Weisheit der
bedarf, dass auch die Josephsgeschichte literaturgeschichtlich nicht Hof ist und dass sie ihre vornehmlichste Aufgabe in der Heran-
vor der iilteren Konìgszeit angesetzt werden kann. ziehung eines tiichtigen Beamtennachwuchses gesehen hat, bedarf
Aber es lassen sich noch viel engen! Verbindungslinien von der keìner Erorterung. Auch Joseph ìst Beamter, und er ist es geworden,
Josephsgeschichte zu der spezifischen Geistigkeit gerade dieser indem er vor dem Pharao eine doppelte Kunst bewies, namlich

1) Gegen GUNKEL, der bei der Analyse der Josephsgeschlchte viel zu sehr von 1) H . GuNKEL, Gen. 397.
ihrem vermeintlichen Sagencharakter ausgegangen ist. Genesis pg. 395 ff. 1) Auch rationale naturkundliche Interessen sind in diescr Zeit aufgewacht,
2) Nur ganz am Rande in Gen. 124 konnte die Verklammerung der Josephs- A. ALT, Die Weisheit Salomos, ThLz. 1951, p. 139 ff.
geschichte mit der Erzvaterverheissung vollzogen werden. Diese Verklammerung 3) Untcr der altcren Wcisheit sind dic Sammlungcn von Sentenzen zu ver-
ist in iiberlieferungsgeschichtlichcr Hinsicht (nicht in literarischerl) sckundar. stehen, die aus der vorexilischen Konigszeit stammen, also Prov. x 1 bis xxii 16;
Die urspriinglich sclbstandige Josephsgeschlchte kannte sie noch nicht. xxii 17 bis xxiv 22; xxv-xxix.
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die der offentlichen Rede und die des Ratgebens. Das aber ist genau (Prov. i 7; xv 33; Gen. xlii 18) 1). Theologischist andiesemBildungs-
das, worauf die Weisheitslehrer unabHissig gedrungen haben. In ideal diese Fundamentierung wohl das Wichtigste. Die Weisheit
entscheidenden Augenblicken gut reden zu konnen und in irgend- erzieht also nicht auf Kultus und Offenbarung hin, sondern von
welchen Staatsangelegenheiten einen Rat geben ZU konnen, womog- ihr her. Weil ihm jedes Erlosungspathos fehlt, behalt dieses Bildungs-
lich seinen Platz in ·der Nii.he des Konigs zu bekommen, das war streben etwas Unstarres, Undoktrinares, und es hat in seiner Bedacht-
eines der Hauptziele dieser Erziehung. heit auf das Mogliche etwas ausgesprochen Realis.tisches. Diese
,Siehst du ·einen behend in seinem Geschaft, Bindung an das absolute Gebot tritt in der J osephsgeschichte be-
vor Konige kann er hintreten." Prov. xxii 29. sonders deutlich in der Versuchungserzahlung (Gen. xxxix) zutage.
Damit stehen wir wieder vor einem weitlaufigen Feld der weisheit-
Und was Sirach sagt, konnte ebenso schon zur Zeit Salomos lichçn Mahnungen, namlich denen vor der ,fremden Frau" (i1~"1~~) 2 •
gesagt sein. ·
Die Erzablung Gen. xxxix liest sich doch geradezu wie eine ad
,Vernachlassigé nicht die Rede der Weisen ... hoc verfasste Beispielerzahlung zu den Mahnungen der Weisen 3).
denn dadurch wirst du Bildung lernen,
dass du vor Fiirsten treten kannst." Sir. viii 8.
Eine andere Warnung der Weisen ist die vor dem ,Hitzigen", d.h.
vor dem Unbeherrschten, Aufbrausenden. Das positive Gegenbild
A us der Fiille der agyptischen Beispiele sei nur eines herangezogen: ist der IJ~., .,i(, der Kaltbliitige ·ader der Langmiitige 4).
,Wenn du ein erprobter Mann bist, der in der Halle seines Herrn sitzt, ,Der Langmiitige ist reich an Einsicht,
so nimm deinen Verstand aufs ausserste zusammen. Wenn du schweigst, aber der Jahzornige tragt Narrheit davon." Prov. xiv 29.
ist es besser als Teftefblumen. Wenn du redest, musst du wissen, wie du
loskommst. Ein Kunstfertiger ists, der im Rate spricht; schwieriger ist Ist nicht Joseph in seinem Verhaltnis zu seinen Briidern auf und
Reden als alle Arbeiten." 1) ab der ,rechte Schweiger", wie ihn die agyptische Weisheit nennt?
Es ware sicher falsch, in diesen und vielen anderen Mahnungen Er ist doch ,der Kluge, der Erkenntnis zu verbergen weiss" (Prov.
nur eine ausserliche Dressur sehen zu wollen, die den jungen Mann xii 23), der seine Lippen ,schont" (Prov. x 19). V or allem lasst sich
zu einem ra~chen A vancieren befahigen solite. Von einem Bildungs- der ,Langmiitige" ~cht von seinen Affekten treiben. Der _Leser
ideal zu reden, ware ja dann gewiss kein Recht. Aber jene Weisen soll dariiber staunen, bis zu welchem aussersten Grade J oseph
hatten doch ein sehr imponierendes und innerlich gegriindetes imstande war, seine Aufwallungen niederzuhalten 6) . Es ist doch
Leitbild vom Menschen, das sich in einigen Ziigen auffallend beriihrt nicht zu verkennen, dass dieses Gebot aller Gefiihlsentausserung,
mit unserem antik-humanistischen, aber auch mit dem der mittel- das dieses Bildungsideal aufstellte 6), der Wesensart des hebriiischen ,.
alterlichen màze 2 ). Es ist das Bild eines Menschen, der seinem Menschen im Grunde recht fremd war. Solche Selbstbeherrschung
Wesen durch Zucht, Bescheidenheit, Kenntnisse, Freundlichkeit und ?ennt auch die israelitische Weisheit im.,fl '~IJ (Prov. xvi 32); solch
Selbstbeherrschung eine edle Form gegeben hat, und - mochten ein ,gelassener Sinn" (Prov. xiv 30) bringt in das Zusammenleben
wir gleich hinzusetzen: es ist das Bild Josephs! In Joseph hat der der Menschen etwas Wohltatiges, Aufbauendes.
Erzahler das Bild eines sÒlchen jungen Mannes entworfen von
,Der Langmiitige stillt Hader" (Prov. xv 18),
bester Bildung und Zucht, von Glaubigkeit und Weltgewandtheit.
1) L. KoHLER, Theologie des Alten Testaments, p. 94.
Das Fundament und der Ausgangspunkt dieses Bildungsstrebens
2) G. BoSTRèiM, Proverbiastudim 15 ff.
ist die ,Gottesfurcht", zu der sich auch Joseph bekennt; und 3) Prov. xxii 14; xxiii 27 f. vgl. Weisbeit des Anii: Eine Frau, die von ihrem
Gottesfurcht ist ganz einfach Gehorsam Gottes Geboten gegeniiber Mann fern ist, ,ich bin htibsch" sagt sie alle Tage zu dir, wenn sie keine Zeugen
hat. ERMAN, Literatur d. Agypter, p. 296. ·
4 ) Prov. xvii 27; xv 18; xvi 32. Ober das Ideai d es ,Schweigenden" vgl. H. O .
1)Ptahhotep 24, Obersetzung von H. KEES. LANGE, Die Wcisheit det Amen em ope, p . 20 f.
2
H. KEES, Agyptm ( Hdb. d. Altertumswiu.
) m. Abt., l, Teil. 3. Band, 5 ) G en. xlii 24; xliii 30 f . ; xlv 1.

Kulturgeschichte cles alten Orients) p. 268, 283. · 8 ) H . KEES, !.c., p. 284.


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von wem gilt denn diese Sentenz, wenn nicht von Joseph? Ja, mehr , Viel sind der Piane im Herzen eines Mannes,
aber Jahwes Rat bleibt bestehen."
noch: auch J osephs V erzicht auf V ergeltung, seine zudeckende Giite
hat ihre schlagenden Parallelen in den weisheitlichen Sentenzen: Genau wie in der J osephssentenz werden hier die Absìchten der
,Sprich nicht: wie er mir getan, so will ich ihm tun; Menschen und die Gottes konfrontiert, aber J ahwes Absichten gehen
!eh will vergelten dem Mann nach seiner Tat." Prov. xxiv 29 iiber die der Menscheri hinweg. Dass wir es bei diesem schroffen
,Alle Vergehungen deckt Liebe zu." Prov. x 12. Auseinanderhalten von gottlichem und menschlichem Handeln mit
Eine solche Formung des ganzen Menschen: gewinnt einer freilich eìnem zentral weisheitlich-theologìschen Thema zu tun haben, zeigt
nicht iiber Nacht; er lernt sie erst in einer schweren Schule, n,amlich endlich dér agyptische Amen em ope:
in der der Demut (ilnP,). Dass ,vor der Ehre die Demut stehe", ,Anders ist das, was die Menschen sich denken,
dass ,der Lohn der Demut Reichtum und Ehre seien" (Prov. xv 33; Anders das, was der Gott tut." (xix 16). 1) ,
xxii 4), das ist wiederum eine Lehre, die die Josephsgeschichte in Angesichts der formalen und inhaltlichen Aehnlichkeit dieses
ihrem ersten Teil breit illustrìert. Spruches mit dem Satz J osephs - jedesmal wird das Tun der
Soweit von dem Bildungsideal und dem Menschenbild der Menschen im ersten, dem Tun Gottes im zweìten Satz konfron-
Josephsgeschichte einerseits und der alteren Weisheìt andererseìts. tiert - kann man fragen, ob Josephs , Ihr gedachtet ... " nicht
Nun aber zu dem theologischen Grundgedanken; unsere These geradezu ein fiir die Erzahlu~g umstilisìerter Weisheitsspruch war.
konnte ja nicht als bewiesen gelten, wenn Josephsgeschichte und Aufs engste beri.ihrt sieh mit diesem Thema der J osephsgeschichte
Weisheit in diesem wichtigst~n Punkt eigene Wege gingen. Nun ferner die Sentenz Prov. xx 24:
ist die altere Weisheit bekanntlich sparsam mit direkt theologischen
Aussagen, aber die Josephsgeschichte ist es auch. Nur an zwei ,]ahwe lenkt die Schritte cles Mannes,
aber der Mensch,- wie konnte er seinen Weg verstehent"
Stellen spricht sie programmatisch von Gott. Zuerst geschieht das
beim Erkennen, wo Joseph den Schleier li.iftet und auf die Fiihrung- In dieses Staunen mischt sich freilich ein Moment der Resignation,
Gottes hinweist, die alle Wirrnisse zu einem guten Ende brachte das nicht iibersehen werden solite. Es ware hier ein weites Feld, das
(Gen. xlv Sff). Am Ende ist dieser theologìsche Hinweis noch ge- auszufi.ihren, wie die Kehrseite dieses imponierenden Glaubens an
wichtiger in dem ,Ihr gedachtet mir Boses zu tun, aber Gott ge- die Allgenugsamkeit der sich gegen alles durchsetzenden Fiihrung
dachte es zum Guten zu wenden" (Gen. l 20). Hìer wird das Ratsel doch eine offenkundige Skepsis gegeni.iber allem menschlichen Tun
des Ineinanders von gottlichem Fiihren und menschlichem Handeln und Planen ist. Es lasst sich ja nicht leugnen, dass schon in der
noch scharfer betont. G~tt hat auch da, wo es kein Mensch mehr J osephsgeschichte ·eine vollige Zerreissung des gottlichen und des
annehmen konnte, alle Faden in Handen gehalten. Aber das wird menschlichen Handelns droht und dass das menschliche Handeln
nur behauptet. Das Wìe dieses Ineinanderwirkens bleìbt ganz unter der Last der Allgenugsamkeit der gottlichen Fiihrung zu
Geheìmnis. So stehen sich dieses ,Ihr gedachtet" und dieses ,Gott eìner Bedeutungslosìgkeit herabgedri.ickt wird, die gefahrlich ist.
gedachte" letztlich doch sehr sprode gegeniiber. Und n un vergleiche ,Es gibt keine Weisheit und keine Einsicht
man mit diesem Satz J osephs, auch mit dem in Gen. xlv 8, die Sentenz: und keinen Rat gegeniiber Jahwe.
Das Ross wird geriistet fiir den Tag der Schlacht,
,Des Menschen Herz denkt sich einen Weg aus,
aber Jahwes ist der Sieg." Prov. xxi 30f.
aber Jahwe lenkt seinen Schritt". (Prov. xvi 9).
In dieser wundervollen Sentenz ist noch einmal alles ausge-
Auch hier geht es 1) um jene alles bestimmende Fiihrung Jahwes
sprochen: Jahwe ist in seinem Lenken und Schenken ganz frei.
und 2) um jene schroffe, verbìndungslose Gegeni.iberstellung von
gottlichem Fiihren und menschlichem Planen. Diese Entsprechung 1) Dbersetzung von H. I<EEs, Lesebuch, p. 46; vgl. dazu K. SETHE , ,Der
ist frappierend und sie ìst nicht zufàllig, wie die Sentenz Prov. xix 21 Mmrch denkt, Gott /mkt" bei dm altetz Agyptern. Nachr. der Ges. d. Wiss. zu
zeigt: Gottingen, Phil. hist. Kl. 1925, p. 141 ff.
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Aber was bleibt fiir den Menschen? Er kann, ja er muss handeln rechnet werden. Nicht dass sie auch nur m ihrer ungefahren Jetzt-
und riisten, um dann doch mit all seinen Planen an eine absolute gestalt eine agyptische Erzahlung ware, sie ist zu deutlich von
Grenze zu stossen, um mit seiner Weisheit an Jahwe zu scheitern. einem Nichtagypter und fiir Nkhtagypter erzahlt; aber dass sich
Alles irdische Geschehen ist nach dieser Lehre einer Gesetzlichkeit von Agypten aus literarische Anregungen, Vorbilder, ja auch
unterworfen, die sich menschlichem Begreifen vollig entzieht. ,Der unmittelbare literarische Stoffe auf die Entstehung der Josephs-
Gott lebt im Erfolg, wahrend der Mensch im Versagen lebt", sagt geschichte ausgewirkt haben, ist bestimmt anzunehmen. Es wird
Amen em ope (xix 14). Das also ist der Josephsgeschichte wie den kein Zufall sein, dass gerade die Weisheit cles Amen em ope von
eben genannten Sentenzen der alteren Weisheit gemeinsam: sie jener personlichen Fiihrung cles Lebens durch ,den Gott" spricht 1),
verweisen das Handeln Gottes in eine radikale Verborgenheit, Ferne unter gleichzeitiger Betonung ihrer Verborgenheit vor dem Menschen,
und Unerkennbarkeit. Solange der charismatische Deuter da war, also genau das, wovon die Josephsgeschichte handelt. Auch Amen
wie in der Josephsgeschichte, war keine Gefahr. Aber wie es aussah, em opes Ideal ist das cles Diskreten, Bescheidenen, Ruhigen, Dber-
wenn der Mensch mit dieser radikalen Glaubenserkenntnis als legenen 2). Und fragt · man ganz allgemdn nach den nachtstver-
solcher allein gelassen war, das zeigt uns das Buch Kohelet, in dem wandten Beispielen jener Erzahlungskunst, wie sie die Josephs-
die Frage ,wie konnte der Mensch seinen Weg verstehen?" schon geschichte iibt, so waren wieder in erster Linie agyptische Erzah-
den Unterton der Verzweiflung angenommen hat (Koh. iii 11; lungen zu nennen von ganz ahnlich realistisch-psychologistischer
vii 24; viii 17). Die Skepsis Kohelets hat weit zuriickliegende ~rt, wie. etwa die Kla~e cles Bauern 3). Von der Voraussetzung
Wurzelnl 1) emer Beemflussung von Agypten her miisste endlich die Frage nach
Wir sind der Frage nachgegangen, in welchen geistigen oder etwaigen mythologischen Hintergriinden der Josephsgeschichte neu
traditionsgeschichtlichen Raum die Josephsgeschichte einzuordnen gestellt werden 4). Dass solche in einer sehr fernen V orstufe cles
ist. Sie hat keinerlei historisch-politische Anliegen, ebenso fehlt ihr jetzigen Erzahlungsstoffes in Rechnung zu setzen sind, ist nicht
eine kultatiologische Tendenz, endlich vermissen wir eine spezifisch ausgeschlossen. Auch hier fiigt es sich iiberraschend, dass das
heilsgeschichtlich-theologische Ausrichtung. Unsere Antwort lautét: Marchen von den beiden Briidern, das man ja schon Jange stoff-
Die Josephsgeschichte mit ihrer deutlichen di.d aktischen Tendenz geschichtlich mit der Josephserzahlung in Verbindung gebracht hat,
gehort der alteren Weisheitslehre zu. Daraus ergeben sich Folge-' neuerdings eine iiberzeugende mythengeschichtliche Deutung er-
rungen·, die nur noch thesenartig angedeutet werden konnen. fahren hat 6). Zusammenfassend sei behauptet: die Josepsgeschichte
Zunachst fiir die Weisheit, und zwar in dem SiJ?.ne, dass man s1e ist eine weisheitlich-didaktische Erzahlung, die hinsichtlich ihres
nicht nur in einigen Sçntenzensammlungen greifen kann, sondern Bildungsideales ebenso wie hinsichtlich ihres theologischen Grund-
dass sie . von Anfang an als ein sehr viel umfassenderes geistiges· gedankens von starken Anregungen abhiingig ist, die von Agypten
Phanomen auf den Plan getreten ist. Wenn in Agypten der Einfluss· ausgegangen waren.
der Weisheit auf das weite Feld der Literatur ein bedeutender war 2),
so miisste man sich wundern, wenn in Israel die Dinge anders gelaufen 1
) H. BRUNNER, Le., p. 107 f .
1
waren. Hinsichtlich der Josephsgeschichte aber miisste nun aufs neue ) H. O. LANGE, _Das Weisheitsbuch des Amen em ope, p. 21.
) J. SPIEGEL, Agypto/ogie p. 117, 131.
3
mit engen Beziehungen zur gleichzeitigen agyptischen Literatur ge- 4
) B. REICKE, Ana/ogier mel/an Josefsberattelsen i Gmesis ocb Ras Shamra-
Texterna, Svensk Exegetisk Arsbok X, 1945, S. 5 f.).
6
) ]ACO~SOHN, Die dogmatiscbe Stel/ung des Kiinigs in der Theo/ogie der alten
1
) Das Thema dieser einbrechenden Skepsis liesse sich bei Amen . em ope Agypter, Agyptol. Forscb. VIII p. 13 ff.
unschwer weiter verfolgen. Dieser Glaubigkeit, diesem ,Sich in die Arme Gottes
setzcn" (xxii 7) ist eine recht bittere Rcsignation benachbart: ln Gottes Hand
gibt es keinen Erfolg und vor ihm gibt es kein Versagen. Wer sich anstrengt,
den Erfolg zu suchen, der verdirbt ihn im nachsten Augenblick (xix 22 bis
xx 2), Dbers. von H . KEES, Luebuch, p. 46.
B) H . BRUNNER, Ag_ypto/ogie ( Hdb. d. Orientalistik, 2. Abschnitt) p. 109.

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