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Goethe: Faust I – wichtige Ansätze und Aspekte

Heinrich Faust als Prototyp des modernen Menschen


- Ein Prototyp verkörpert Merkmale eines neuen Charakters in sich und zielt auf das
Zukünftige. Dabei ist er dynamisch an die historische Periode angepasst. Er wird
dialektisch verwendet: Faust steht sowohl für die Erschaffung als auch die
Zerstörung, er ist niemals einseitig gut oder einseitig schlecht. D.h. neue und
weiterführende Ideen und zerstörerische Merkmale werden in einem Prototypen des
modernen Menschen vereinigt.
- Die Moderne beschreibt in der Kunst die Zeit, die das Mittelalter ablöst, um
gleichzeitig die Antike in sich aufzunehmen. Konkret umschließt sie die literarischen
Epochen von der Renaissance über Humanismus, Aufklärung, Sturm und Drang,
Klassik bis zur technischen Revolution.
- Die Selbstbestimmung gegenüber der Religion, die Abkehr von der Kirche (vgl. S.100,
V.3426 ff.)
- Faust negativ interpretiert kann ein sinnloses Streben um des Strebens willen
(rastlosigkeit und Hektik der modernen Gesellschaft durch neue Wirtschaftweisen),
Faust als Plädoyer für Entschleunigung und Geduld, einem negativen Beispiel
dienlich.
- Goethe lebte von 1749 bis 1832 vorwiegend in Weimar. Die Titelgestalt Faust war
bereits in dem Vorgänger (1587) durch Modernität hervorgehoben. Das Drama Faust
beschäftigte Goethe selbst zeit seines Lebens weshalb die Entstehungszeit mehrere
Epochen umfasst. Das Drama ist an die Entwicklung des Individuums, der modernen
Geistes- und Naturwissenschaften und des bürgerlichen Denkens verbunden.
- Inhalt: Die Tragödie behandelt die Geschichte Fausts, eines Wissenschaftlers und
modernen Menschen, der durch einen Teufelspakt die letzten Geheimnisse der Welt
erfahren will und dabei keine Opfer scheut.

Zur Wette im Faust – Karl Eibl

Rahmenwette im „Prolog im Himmel“:


- Mephisto tritt in eine Situation, in der die Engel die Schöpfung loben und preisen ein
und kritisiert sie, v.a. bezogen auf den Menschen („Ich sehe nur wie sich die
Menschen plagen“, V.280) als Fehlschlag der Schöpfung. Daher ist die himmlische
Ordnung dadurch gestört.
- Der Herr bringt den Verweis auf Faust als Gegenargument an („Kennst du den Faust?
(…) Meinen Knecht!“, V.299), die Wette bezieht sich auf die Qualität der Schöpfung
(Machtbeweis Gottes) über die Qualität der Welt („herzlich schlecht“). Faust dient als
exemplarischer Fall, um dies zu beweisen, vertritt also den Menschen, jedoch
keineswegs den durchschnittlichen.
- „Wenn ich zu meinem Zweck gelange, /Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust“
(V.331f.)  Mephisto geht es um einen Machtanspruch in der himmlischen
Ordnung/ Gewinn des Teufels
- Charakterisierung des Herren als einen sehr vergebenden, wie sich in der Rettung
Gretchens und Fausts Seele zeigt. Zugleich als einer, der kein Interesse an seinem
Schöpfungswerk, dem Menschen, aufbringt, sondern sich von seinem Werk
zurückzieht und in dessen Vervollkommnung vertraut.
- Prolog kann als Akt der Entlassung Fausts aus der Vormundschaft des Herren gesehen
werden, die auf das emanzipiert-werden, d.h. aus dem Schutz des Herren entlassen
werden hinweist. Somit wird Faust als exemplarischer Fall moderner Individualität
angekündigt, da dieser nicht bestimmt wird, sondern sich selbst auf die Suche seiner
Bestimmung machen muss.

Binnenwette im „Studierzimmer II“


- Faust befindet sich zum Zeitpunkt der Wettschließung in einem Zustand existenzieller
Verzweiflung, da sich ihm der Widerspruch zwischen dem Erkenntnisdrang und dem
Wissen, dass er nie wirklich etwas wissen kann aufdrängt.
- Der Pakt ist dieser: „Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden, /Auf deinen Wink
nicht raten und nicht ruhn; /Wenn wir uns drüben wieder finden, / So sollst du mir
das Gleiche tun.“ (V.1656ff.). Diskussion über die Formulierung „wenn“, kann sowohl
temporal als auch konditional im Sinne von „falls“ verstanden werden und ist somit
doppeldeutig. Auch die Formulierung „wieder finden“ ist eher konditional, als würde
etwa „wieder sehen“, was eindeutig ist. Somit deutet dies auf die konditionale
Deutung des Wortes hin.
- Die Forderungen Fausts an den Höllenfürst sind eher trivial, etwa die „Frucht, die
fault, eh` man sie bricht.“ Oder „Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt.“. Mephisto geht
in der Annahme, die seien ernstgemeinte Wünsche auf die Wette ein, allerdings ist es
gerade Fausts Wunsch, sich in die Nichtigkeit zu stürzen, da er als Gelehrter auf der
Suche nach der Erkenntnis und der Bestimmung gescheitert ist: „Dem Taumel weih‘
ich mich, dem schmerzlichsten Genuß“.
- Der Zeitraum der Wette wird festgelegt, indem Faust die Bedingung formuliert, unter
der er zu sterben bereit ist: „Wird‘ ich zum Augenblicke sagen …“, allerdings fällt hier
das Wort „je“, welches keine zeitliche Angabe ist, sondern wieder konditional zu
verstehen ist, die Möglichkeit, dass dies nie eintritt ist da.  Die Faulbett-Wette ist
nicht ernst zu nehmen, Mephisto wird diffamiert und dümmlich dargestellt
- Zweiter Teil: „Verweile doch!“ „Du bist so schön!“: ist der schöne, erfüllte Augenblick
erreichbar?
- Faust hält den Eintriff des Moments von plötzlicher, ekstatischer Ganzheitserkenntnis
für unmöglich, deshalb ist es für ihn ein risikofreier Wetteinsatz.  Sein Leben
gelingt dann, wenn dieser Zustand eintritt, da dann der Sinn/Bestimmung des
Daseins erreicht wird, deshalb ginge er dann gerne zugrunde.  Anwendung der
theoretischen Rahmenwette auf das Einzelschicksal, es geht um das Gleiche: ist die
Welt die beste aller möglichen Welten, so dass ein Individuum sich in ihr vollenden
kann; tritt dieser Augenblick der Lebenserfüllung bei Faust ein, so hat der Herr
gewonnen, es zeigt sich also ein Paradoxon, da Mephisto bei Gewinn der Wette mit
Faust zugleich die Wette mit dem Herrn verlöre.

- Faust ist insofern als Menschheitsrepräsentant zu verstehen, als dass er moderne


Individualität  moderner Mensch; Von Allgemeinheit kann nicht im Sinne eines
Vorbildes für die Menschen, sondern als Darstellung der Besonderheit des je
Individuellen.
- Verstoß gegen die poetische Gerechtigkeit: Weder Erfolg/Belohnung noch Bestrafung
durch die Hölle; nicht mehr die Ebene von Strafe und Belohnung für normenwidriges
und normenkonformes bzw. moralisch richtiges Handeln, sondern eine höhere
Ebene, auf der über den Wert/Sinn des menschlichen Lebens an sich geredet wird.

Zur Figur des Mephisto als Personifikation des Bösen


- Vereinigt das Paradoxe in sich, zugleich vollkommen und unvollkommen zu sein,
zugleich unbedingt und beschränkt zu sein: Lucifer und der Mensch in einer
ähnlichen Situation. Beide sind ferner notwendig für die Schöpfung. Deshalb kann
auch Mephisto zugleich Nihilist/Zerstörer und Schöpfer sein.
Im himmlischen Gefüge tritt er einerseits in einer dienenden Rolle, andererseits in
der Opposition zum Herrn auf.  Ambivalenz des Bösen
- „Teil von jener Kraft, Die stets das Böse will, doch stets das Gute schafft“ (S.64), hat
somit einen Nutzen für den Herren, bzw. dieser braucht ihn, da er den Menschen
reizt und diesen so vor der Erschlaffung der Tätigkeit bewahrt (vgl.V.340f.). Die
Aufgabe des Mephisto ist es, den Menschen zu testen. Dies ist durch den Herrn
eingeschränkt, da dieser äußert „Es irrt der Mensch so lang‘ er strebt“ (V.316), somit
ist der Ausgang der Wette bereits klar, denn der Teufel hat keine reale Macht über
den Menschen, der allein durch das Streben an sich in der Gnade Gottes ist.
Mephisto selbst bemerkt, dass er die Schöpfung nicht vernichten kann (vgl.V.1363-
11373). Faust würde der Teufelspakt in dem Sinne als legitimer Irrweg im Streben des
Menschen verziehen werden.
- Eine weitere Paradoxie des Wette von Faust und Mephisto stellt dar, dass Mephisto
Faust dienen muss und daher seine Rolle im göttlichen Gespann erfüllen muss, wenn
er diese erfüllt kann er unmöglich die Wette mit Faust gewinnen – er unternimmt
den gegenteiligen Versuch, Faust von seinem rastlosen Streben abzuhalten.
Gleichzeitig ist fraglich, inwiefern Mephisto diese Wette gewinnen wollen kann, da
dies eine Niederlage in der Wette mit Gott wäre, denn wenn Faust zum Augenblick
sagt Verweile doch du bist so schön, dann ist die Schöpfung gelungen, da es dem
Menschen erlaubt sich in ihr zu vervollkommnen.
- Es kann also festgehalten werden, dass Mephisto nicht wirklich autonom handelt, er
ist sich dieser Ohnmacht bewusst. Er wird zum menschlichen Teufel, ist nicht für ihre
bösen Taten verantwortlich, sondern das Böse ist menschlich. Und Mephisto selbst
wird durch seinen Niedergang auf die Erde vermenschlicht  Verantwortung für das
weltliche Diesseits (Zugehörigkeit)
- Selbstbeobachter: beobachtet die Figur des Teufels durch die Augen der Menschen
und wird durch die Erwartungen zu dem, der er ist. Er hat somit Macht verloren, da
er Bild ist, an die Vorstellung des Menschen gebunden. Lässt schließen, dass es ihm
nicht möglcih wäre, Fausts Seele zu stehlen.
- Dieser Machtverlust zeigt sich auch in der allegorischen statt tatsächlichen Wirkung
„Die Hölle ist geschlossen und auch das Theater öffnet ihre Tore nicht mehr“: Kann
den Menschen nicht mehr ins Verderben reißen und somit ist ihm sein absoluter
Schrecken genommen  komödiante Darstellung, er kann den Irrweg des Menschen
lediglich verlängern, nicht vermeiden, dass er das Ziel erreicht
- Psychologische Sichtweise: Verleiht Faust das nötige Selbstbewusstsein, um sich in
der Welt zurechtzufinden  Mut, Lust, Vertrauen, eine Frau zu erobern durch
Verjüngung („Mein guter Freund, das wird sich alles geben; / Sobald du dir vertraust,
sobald weißt du zu leben.“, V.2051 ff., S.87f.). Zeigt sich darin, dass Faust nach dem
Verjüngungstrank nicht mehr verlegen ist, Margarete anzusprechen „Mein schönes
Fräulein, darf ich wagen, / Meinen Arm und Geleit ihr anzutragen?“ (V.2605ff., S.
112)
- Einführung in eine Sphäre des weltlich leiblichen Vergnügens
- Mephisto scheitert auch darin, Gretchens Seele vom göttlichen Weg abzubringen,
wie er erwartet hatte
- Gott des Dramas gesteht den Menschen Irrungen und somit könnte Mephisto nur
glücken, würde Gott Strafen für irrende Menschen veranlassen Das Böse kann immer
als menschliches Irren durch Gottes Gnade vergeben werden (folgenlose,
amoralische Welt) „Wer immer strebend sich bemüht, / Den können wir erlösen“
(Faust II)
- Kraft, die stets das schlechte will und stets das gute schafft: Die Dynamik als
Antreiber in der Schöpfung lässt den Menschen an den Herausforderungen wachsen
und reifen
- Gottes Güte lässt selbst den Teufel nicht unbeeindruckt (vgl.S.27) und führt zu einem
Grad an Wertschätzung und Ehrfurcht
- Mephistos Selbstverständnis: (S.65) Finsternis und Chaos als Ursprung/Urzustand der
Schöpfung, zu der Mephisto gehört und die er wiederherstellen will  Teil der
destruktiven Kraft, die gegen das Licht ankämpft
- Feind der Schöpfung widerspricht seinen Bezug zu Sexualität und Fruchtbarkeit, also
eine Vermehrung der Schöpfung. Dieser Paradoxon klärt sich jedoch, da der Trieb
(durch Verjüngungstrank) verderblich auf Fausts Moral wirkt. Dies hängt auch damit
zusammen, dass ihm die Willensfreiheit graduell genommen wird, da sein Verstand
durch den Trieb benebelt ist, er entwickelt sich zu einem skrupellosen,
unmoralischen Menschen, der Gretchen möglichst schnell verführen will, seiner
sexuellen Erfüllung wegen. („Wenn nicht das süße junge Blut /Heut‘ Nacht in meinen
Armen ruht:/ So sind wir um Mitternacht geschieden.“, S.113)
- Mephistos teuflischer Charakter zeigt sich an den Toden, die er verursacht,
angefangen bei Gretchens Mutter. Sie steht den Zielen im Weg, diabolisch ist auch,
dass Gretchens Unschuld durch die unwissentliche Vollstreckung des Mordanschlags
genommen wird (vgl.S.151)  skrupellos, kein Gewissen
- Der Niedergang Margaretes erfolgt schrittweise: Zunächst ist sie ihre Ruh los, da sie
sich in Faust verliebt hat (vgl.S.146), danach folgt die Liebesnacht mit Faust auf
Kostne des Lebens von Gretchens Mutter, wodurch sie schwanger wird. Das Kind
ertränkt sie wissentlich, darüber ihren Verstand endgültig verlierend. Das zeigt sich in
ihrer wirren Rede im Kerker, als Faust kommt in der Absicht sie zu retten: „Ich bin
nun ganz in deiner Macht. /Lass mich nur erst das Kind noch tränken. / Ich herzt‘ es
diese ganze Nacht; / Sie nahmen mir’s um mich zu kränken / Und sagen nun ich Hätt‘
es umgebracht“ (S.193), später geseht sie Faust schließlich ganz direkt: „Meine
Mutter hab‘ ich umgebracht, / Mein Kind hab‘ ich ertränkt.“ (S.195). Ferner ist auch
Fausts Liebe zu ihr (wofür sie alles geopfert hat) nicht mehr da. Herz, Verstand
wurden ihr genommen und dann auch ihr Leben. Opfer die neben Faust entstehen
werden weder durch Gott noch Mephisto verhindert
- Mephisto gelingt es, Fausts destruktive Kräfte, die sich zunächst gegen ihn selbst
richten, nach außen zu wenden und immer expansivere Formen annehmen. Faust
selbst stumpft ab und verliert Moralempfinden.
- In diesem Zusammenhang erscheint es fraglich, warum Faust dennoch gerettet wird
 „Die Freiheit des Menschen, für den Faust Paradigma ist, ist dann auf der Erden
durch keine Moral begrenzt und mit allen möglichen Formen schon im Voraus
entschuldigt.“: Das moralische Vakuum das durch die Entlassung Fausts aus der
Herrschaft Gottes (er wird emanzipiert), er wird sich also selbst überlassen in der
Suche nach seiner Bestimmung, muss durch eine andere moralische Ebene (Strafe,
Belohnung durch Gott und Mephisto) ersetzt werden, um Moralität auf Erden zu
wahren??
- Fausts Wünsche und Handlungen werden durch vermeintliche Ohnmacht
entschuldigt!
- Faust als tragische Figur, sein Scheitern im Leben wird nicht durch Neuanfänge und
die schlussendliche Vergebung aufgehoben
- Faust als scheiternder Mensch: die angestrebte Erkenntnis dessen, „was die Welt /
Im Innersten zusammenhält“ (S.41) wandelt sich in eine rastlose Tätigkeit um, die
immer mehr Unheil anrichtet. Das wirklich diabolische an Mephisto liegt in dem
Selbstvertrauen, das er den Menschen gibt, sodass diese sich selbst und ihre Ziele so
hoch bewerten, dass ihnen kein Preis dafür zu teuer erscheint. Er führt Faust in eine
Hybris, die ihn skrupellos werden lässt. Faust macht sich wegen der Wette und seiner
Sicherheit, zu gewinnen, keine Sorgen um das Jenseits und sieht darin einen Freibrief
zu völliger Handlungsfreiheit, die an keine moralischen Maßstäbe mehr gebunden ist.
- Fraglich, ob Mephisto die Wette überhaupt gewinnen will, schließlich kann er nicht
wollen, dass Faust den Moment der Erkenntnis erreicht. (Karl Eibl) Zeigt sich auch in
Mephistos Gleichgültigkeit gegenüber Gretchens Hinrichtung, er hätte daran
interessiert sein müssen, Faust Liebesglück zu befördern, um ihn zu seinem Glück zu
führen. Allerdings weiß Mephisto vielleicht, das dieses für Faust nicht durch die Liebe
allein erreicht werden kann, zu hoch ist sein Erkenntnisdrang. Mephisto könnte im
Sinne des reinen Zerstörers primäres Interesse daran haben, Faust in die Welt der
bösen Taten zu verleiten.
- Gott und Mephisto handeln aus Prinzip, ordnen Einzelschicksale also dem Prinzip
unter  beide nicht moralisch rein
- Fausts Streben wird durch Mephisto in ein herrschendes Machtstreben verwandelt,
das über Leichen geht und Menschen für sich ausbeutet (von einem weltfremden
Menschen, der sich vor anderen klein fühlt und glaubt, er werde stets verlegen sein)
Zur Figur des Gretchens im Faust

- Gretchen als tragische Figur nach der aristotelischen Definition: Erweckt Furcht und
Mitleid beim Zuschauer. Somit könnte die Reinigung (Katharsis) erfolgen, (durch
Jammer und Schaudern), diese Affekte werden hervorgerufen, wenn das Glück der
Figur in Unglück umschlägt. Gretchens Schicksal wirkt jedoch sofort aussichtslos, so
dass sie die Sympathie des Zuschauers bekommt, während bei dem Helden Faust
unklar ist und bleibt, ob er ein positives oder negatives Menschheitsbeispiel ist. Sie
gerät in einen schicksalhaften, unvermeidbaren und unlösbaren Konflikt zwischen
Gefühl und gesellschaftlichem Druck.
- Entwicklung Gretchen von einer braven, normenkonformen Bürgerin zu dem
Verlassen des kleinbürgerlichen Schutzraumes und somit die Überschreitung der
Grenzen des kleinbürgerlichen Raums. (achtet ständische Grenzen gering)
- Tritt naiv, unwissend und unsicher in der Beziehung zu Faust auf („Er liebt mich –
liebt mich nicht.“, V.3182, s.92). Gleichzeitig kann die Intensität ihrer Gefühle und
ihre absolute Hingabe auch als Stärke interpretiert werden („Wo ich ihn nicht hab /
Ist mir das Grab“, V. 3378f., S.98, „Was tu ich nicht um deinetwillen“, V.3514). Solche
intensiven Gefühle sind für einfache Bürger untypisch. Diese emotionale
Feinfühligkeit spiegelt sich auch in ihrem Gefühl gegenüber Mephisto wieder: Sie
erkennt seine böse Seele: „Seine Gegenwart bewegt mir das Blut. / Ich bin sonst allen
Menschen gut; / Aber, wie ich mich sehne dich zu schauen, / Hab ich vor dem
Menschen ein heimlich Grauen, / Und halt ihn für einen Schelm dazu!“ (V.2477ff.).
Deswegen stört Mephisto auch Fausts „Wahl“, denn er weiß ja, dass Gott mächtiger
ist als er und er somit Gretchens Seele nicht verunreinigen kann, was sich in ihrer
Rückorientierung zu Gott zeigt.
- Gretchen – Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt: Faust wohnte dem Prozess
Frau Brandts bei, nachdem er eine juristische Ausbildung absolviert hatte. Faust lies
dieses Erlebnis offensichtlich in das Drama einfließen, da einige Parallelen
aufzufinden sind. So sei Frau Brandt zu dem Sex verführt worden und unter starkem
Alkoholeinfluss gewesen, es sei dreimal geschehen, an einem Tage und es sei der
einzige Mann gewesen, mit dem sie je eine intime Beziehung hatte. Nachdem er
abreiste (er war Holländer) sahen sie sich nie wieder. Ferner erzählte sie keinem von
der Schwangerschaft. Sie behauptet, der Satan habe sie dazu verleitet zu schweigen
und habe ihr den Gedanken, das Kind zu ermorden in den Kopf gesetzt, da sie die
gesellschaftliche Zugehörigkeit nicht verlieren wollte, den vorherigen Zustand
wiederherstellen wollte.
- An dem Tag der Vollstreckung durch das Schafott (Gang zum Schafott) habe sie
gesunden und gebetet, wurde dann geköpft.
- Kindsmord im 18. Jahrhundert: „vorsätzliche Tötung eines neugeborenen, in der
Regel unehelichen, immer ungetauften Kindes durch die eigene Mutter nach
verheimlichter Niederkunft“; wurde als besonders ruchlos und widernatürlich
angesehen, Zahlen nahmen zu, Todesstrafe seit dem 16/17. Jhdt.; soziale Ursachen
und psychologische Bedingungen wurden erstmals im 18. Jhdt. Mit in Betracht
gezogen. Wurde nun als Verzweiflungstat aus Angst vor der Unzuchtsstrafe und
Kirchenbußen, vor öffentlicher Entehrung und materieller Verelendung.
- Faust thematisiert demnach eventuell die gesellschaftlichen Ängste, die Gretchen zu
der Tat bewogen haben und stellt sie als Opfer des Kleinbürgertums dar, sie war
ausgeliefert und in die Enge getrieben, so dass sie ihr Kind nicht aus Hass oder
Bösartigkeit ermordete, sondern aus ihrer Verzweiflung heraus, aus Angst, dass sie
kein Leben mehr führen könne.

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