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- Gretchen als tragische Figur nach der aristotelischen Definition: Erweckt Furcht und
Mitleid beim Zuschauer. Somit könnte die Reinigung (Katharsis) erfolgen, (durch
Jammer und Schaudern), diese Affekte werden hervorgerufen, wenn das Glück der
Figur in Unglück umschlägt. Gretchens Schicksal wirkt jedoch sofort aussichtslos, so
dass sie die Sympathie des Zuschauers bekommt, während bei dem Helden Faust
unklar ist und bleibt, ob er ein positives oder negatives Menschheitsbeispiel ist. Sie
gerät in einen schicksalhaften, unvermeidbaren und unlösbaren Konflikt zwischen
Gefühl und gesellschaftlichem Druck.
- Entwicklung Gretchen von einer braven, normenkonformen Bürgerin zu dem
Verlassen des kleinbürgerlichen Schutzraumes und somit die Überschreitung der
Grenzen des kleinbürgerlichen Raums. (achtet ständische Grenzen gering)
- Tritt naiv, unwissend und unsicher in der Beziehung zu Faust auf („Er liebt mich –
liebt mich nicht.“, V.3182, s.92). Gleichzeitig kann die Intensität ihrer Gefühle und
ihre absolute Hingabe auch als Stärke interpretiert werden („Wo ich ihn nicht hab /
Ist mir das Grab“, V. 3378f., S.98, „Was tu ich nicht um deinetwillen“, V.3514). Solche
intensiven Gefühle sind für einfache Bürger untypisch. Diese emotionale
Feinfühligkeit spiegelt sich auch in ihrem Gefühl gegenüber Mephisto wieder: Sie
erkennt seine böse Seele: „Seine Gegenwart bewegt mir das Blut. / Ich bin sonst allen
Menschen gut; / Aber, wie ich mich sehne dich zu schauen, / Hab ich vor dem
Menschen ein heimlich Grauen, / Und halt ihn für einen Schelm dazu!“ (V.2477ff.).
Deswegen stört Mephisto auch Fausts „Wahl“, denn er weiß ja, dass Gott mächtiger
ist als er und er somit Gretchens Seele nicht verunreinigen kann, was sich in ihrer
Rückorientierung zu Gott zeigt.
- Gretchen – Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt: Faust wohnte dem Prozess
Frau Brandts bei, nachdem er eine juristische Ausbildung absolviert hatte. Faust lies
dieses Erlebnis offensichtlich in das Drama einfließen, da einige Parallelen
aufzufinden sind. So sei Frau Brandt zu dem Sex verführt worden und unter starkem
Alkoholeinfluss gewesen, es sei dreimal geschehen, an einem Tage und es sei der
einzige Mann gewesen, mit dem sie je eine intime Beziehung hatte. Nachdem er
abreiste (er war Holländer) sahen sie sich nie wieder. Ferner erzählte sie keinem von
der Schwangerschaft. Sie behauptet, der Satan habe sie dazu verleitet zu schweigen
und habe ihr den Gedanken, das Kind zu ermorden in den Kopf gesetzt, da sie die
gesellschaftliche Zugehörigkeit nicht verlieren wollte, den vorherigen Zustand
wiederherstellen wollte.
- An dem Tag der Vollstreckung durch das Schafott (Gang zum Schafott) habe sie
gesunden und gebetet, wurde dann geköpft.
- Kindsmord im 18. Jahrhundert: „vorsätzliche Tötung eines neugeborenen, in der
Regel unehelichen, immer ungetauften Kindes durch die eigene Mutter nach
verheimlichter Niederkunft“; wurde als besonders ruchlos und widernatürlich
angesehen, Zahlen nahmen zu, Todesstrafe seit dem 16/17. Jhdt.; soziale Ursachen
und psychologische Bedingungen wurden erstmals im 18. Jhdt. Mit in Betracht
gezogen. Wurde nun als Verzweiflungstat aus Angst vor der Unzuchtsstrafe und
Kirchenbußen, vor öffentlicher Entehrung und materieller Verelendung.
- Faust thematisiert demnach eventuell die gesellschaftlichen Ängste, die Gretchen zu
der Tat bewogen haben und stellt sie als Opfer des Kleinbürgertums dar, sie war
ausgeliefert und in die Enge getrieben, so dass sie ihr Kind nicht aus Hass oder
Bösartigkeit ermordete, sondern aus ihrer Verzweiflung heraus, aus Angst, dass sie
kein Leben mehr führen könne.