Sie sind auf Seite 1von 7

Deutschland: Kostet ein Brot

bald zehn Euro?


Viel Geld für Gas und Strom auszugeben, das ist für Bäcker nichts Neues. Die
aktuellen Energiepreise sind für viele in der Branche aber nicht mehr
bezahlbar.
    

Hochpreisig: Brot dürfte bald teurer werden

Brot, Brötchen, Kuchen und Törtchen - "Wir sind eine klassische Handwerksbäckerei,
in der vorne verkauft wird, was hinten aus dem Ofen kommt", so wirbt Tobias Plaz für
seinen Betrieb im süddeutschen Eutingen, einem Dorf südwestlich von Stuttgart. Seit
1890 gibt es den Familienbetrieb, Plaz ist Bäckermeister in der vierten Generation. Im
vergangenen Jahr erst hat er sein Ladengeschäft komplett umgebaut, durch eine
Glasscheibe können die Kunden von der Theke aus zusehen, wie im hinteren Teil
gebacken wird.
Doch gerade weiß Tobias Plaz nicht mehr, wie er sein Geschäft noch wirtschaftlich
weiterführen soll. Ende August bekam er Post von seinem Gasversorger. Statt bislang
knapp zehn Cent pro Kilowattstunde Gas soll er nun knapp 35 Cent bezahlen. "Diese
Informationen wollen wir mit Euch teilen, damit Ihr Verständnis habt, wenn wir die
Preise für unsere Backwaren anpassen müssen", schreibt der Bäcker auf Facebook und
Instagram, wo er ein Foto von der Mitteilung seines Gasversorgers mit den neuen
Abschlagszahlungen postete.
Bäcker protestieren in Hannover

Auch in andere Bäckereien in Deutschland flattern in diesen Tagen die neuen


Abschlagsforderungen der Energieversorger ins Haus. Mit teilweise so hohen
Forderungen, dass die Unternehmer fassungslos überlegen, wie sie die Kosten noch
stemmen sollen. Eckehard Vatter, der in Niedersachsen eine Großbäckerei mit 35
Filialen betreibt und 430 Mitarbeiter beschäftigt, soll künftig mehr als 75.000 Euro
pro Monat für Gas zahlen. Bisher waren es rund 5.800 Euro.

Um 14 Uhr schlossen die Bäcker ihre Geschäfte, um 15 Uhr startete die Demonstration in Hannover

In Hannover gingen Vatter und viele seiner Kollegen jetzt auf die Straße. "Rettet uns
Bäcker" stand auf Schildern und Bannern, die rund 1000 demonstrierende Bäcker und
ihre Mitarbeiter in die Höhe hielten. In vielen Läden wird seit Tagen immer wieder im
Dunkeln verkauft, um die Kunden aufmerksam zu machen. "Uns geht das Licht aus
- Heute das Licht und morgen der Ofen?", lautet das Motto.

Ein Brötchen für fünf Euro

Ohne Energie können die Backöfen nicht laufen, aber wie sollen die Bäcker die hohen
Kosten erwirtschaften? Den Preis für Brot und Brötchen entsprechend erhöhen? Ein
Brötchen für fünf, ein Brot für zehn Euro? Das würden die Kunden nicht mittragen,
sind sich die Bäcker sicher. Der Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks warnt
davor, dass viele Betriebe aufgeben müssen, wenn es keine staatlichen Finanzhilfen
gibt.

Verkaufen im Dunkeln - damit wollen die Bäcker auf die hohen Energiekosten aufmerksam machen

Die Entlastungspakete der Bundesregierung hatten bislang vor allem die


Privathaushalte im Blick und weniger die Unternehmen. 95 Milliarden Euro sind
veranschlagt, um die explodierten Energiepreise für die Bürger verkraftbar zu machen.
Länger brauchte die Koalition aus SPD, Grünen und FDP für die Erkenntnis, dass auch
die Wirtschaft ohne Unterstützung nicht durch die Krise kommen dürfte. 

Wer soll die hohen Preise bezahlen?

"Jeden Tag erreichen uns Notrufe von Betrieben, die kurz davor sind, ihre Produktion
einzustellen - auch weil sich diese enormen Energiepreissteigerungen nicht mehr
durch Preiserhöhungen kompensieren und an die Kunden weitergeben lassen", warnt
Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Handwerks, im
Interview der "Rheinischen Post". Die Dynamik bei Pleiten sei viel schlimmer als in
den Hochphasen der Corona-Pandemie. Laut einer Umfrage des Bundesverbandes der
Deutschen Industrie sieht sich ein Drittel der Industrieunternehmen in der Existenz
bedroht.
Hilfen für Bäckereien? Waren von der Politik eigentlich nicht angedacht

Beispiele für die Krise gibt es jeden Tag mehr. Der Toilettenpapierhersteller Hakle hat
Insolvenz angemeldet und begründet die Zahlungsunfähigkeit damit, dass der
Kostenanstieg nicht über die Preise im Einzelhandel aufzufangen sei. Der Stahlkonzern
Arcelor Mittal hat zwei Produktionsanlagen in Norddeutschland gestoppt und seine
Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt: Die staatliche Arbeitslosenversicherung springt
ein und zahlt die Löhne.

Deutschland droht eine Rezession

Stellt ein Unternehmen seine Produktion ein, dann hat das oft weitreichende Folgen
für andere Wirtschaftszweige und Verbraucher. Nachdem die Stickstoffwerke Piesteritz
in Sachsen-Anhalt ihre Ammoniak-Anlagen nicht mehr wirtschaftlich betreiben
können und sie deshalb heruntergefahren haben, liefert die Firma kein Adblue mehr.
Das ist die Harnstofflösung, die in modernen Dieselfahrzeugen - also auch in
Lieferwagen - für die Abgasreinigung sorgt. 
Wirtschaftswissenschaftler und auch die Wirtschaft selbst rechnen damit, dass
Deutschland auf dem Weg in eine Rezession ist- vergleichbar mit dem Einbruch in der
Corona-Pandemie. Auf dem Deutschen Arbeitgebertag versprach
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck finanzielle Unterstützung, musste
allerdings einräumen, dass es über den konkreten Umfang innerhalb der Regierung
noch keine Einigung gibt.

Wie teuer die Finanzhilfen für den Steuerzahler werden, kann Wirtschaftsminister Robert Habeck
noch nicht beziffern
Fest steht, dass nicht nur große Industriebetriebe, die im internationalen Wettbewerb
stehen, profitieren sollen, sondern auch der Mittelstand und dort vor allem
energieintensive Betriebe. Also auch Bäckereien. Die Regierung wolle das Programm in
den nächsten Wochen beschließen, so Habeck in Berlin. Es solle aber möglichst
rückwirkend etwa ab September greifen. "Wir müssen jetzt alle finanzielle Kraft
aufbringen, die nötig ist, um die gute Substanz unserer Wirtschaft und Arbeitsplätze in
diesem Land zu sichern", sagte Habeck nach einem Treffen mit 40 mittelständischen
Wirtschaftsverbänden. "Dass das den Mittelstand erheblich entlasten wird, ist zu
erwarten, dass es ihm alle Kosten abnehmen wird, nicht." Wie teuer das Programm für
den Steuerzahler wird, könne derzeit noch nicht beziffert werden.
Keine Subventionen auf Dauer
Die Finanzhilfen sollen für eine begrenzte Zeit gezahlt werden, bis Anstrengungen auf
nationaler und europäischer Ebene zur Dämpfung der hohen Strom- und
Gaspreise wirken würden, kündigt Habeck an. Doch wird das ausreichen? Steffen
Müller, Professor am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) gibt zu
bedenken, dass steigende Energiepreise, aber auch steigende Kreditzinsen kein
vorübergehendes Phänomen sind, sondern mittel- und langfristig bleiben würden.

Kann ein Unternehmen seine Rechnungen nicht mehr bezahlen, dann muss es das öffentlich
bekannt geben
"Hilfsprogramme, die lediglich eine bestimmte Krisenzeit überbrücken können,
verschieben in dieser Situation die Probleme in erster Linie zu Lasten des
Steuerzahlers um ein paar Monate in die Zukunft", schreibt Müller auf Anfrage der
DW: "Maßnahmen, die eine Zeitlang die Energiepreise senken, sind ebenfalls nicht
sinnvoll, da sie Anreize zum Energiesparen nehmen. Genau das können wir uns nicht
erlauben."
Die Krise beschleunigt den Strukturwandel
Sinnvoller seien zinsgünstige Kredite, argumentiert Müller, die mit der Maßgabe
vergeben werden sollten, auf energiesparende Produktionsverfahren umzurüsten. "Der
Kern des Arguments ist, dass die Energiepreise auch nach diesem Winter nicht wieder
zurück auf das Niveau der letzten Jahre fallen werden. Es ändert sich also strukturell
etwas."
Normalerweise sei es Aufgabe der Unternehmen, sich darauf einzustellen, schreibt der
Wissenschaftler. In einem "krisenhaft stark beschleunigten Strukturwandel hin zu
einer grüneren Industrie" könne der Staat aber helfen und die Unternehmen begleiten.

Das könnte Ihnen auch gefallen