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Noch nicht am Ziel.

Berliner Enteignungsinitiative kann sich nicht auf den Senat verlassen n Seite 3
Revolution hilft. In Kuba ist Wohnungsnot seit 1960 kein großes Problem mehr n Seite 5
Im Osten nichts Teures. Immobilienkonzerne profitierten von Annexion der DDR n Seite 7

Kampf ums Wohnen


Eine Beilage der Tageszeitung junge Welt | Mittwoch, 3. November 2021, Nr. 256

STEFAN BONESS/IPON/BEARBEITUNG JW

Eine Frage des Systems


Wohnungsnot, Verdrängung und explodierende Mieten bestimmen das Bild in vielen Städten.
Das Problem heißt Kapitalismus. Von Jan Greve

E
s ist noch nicht lange her, da war der Be- und mehr zur Kenntnis genommen, weil es im zunehmen- hende Gebäude besetzten, oder für ein Recht auf Wohnen Die Fotos in dieser Bei-
griff der Gentrifizierung nur in einschlägigen den Maße die viel beschworene »Mitte« der Gesellschaft demonstriert wurde. Zusätzliche Sprengkraft könnte das lage zeigen den Wider-
soziologischen Fachkreisen und bei Stadt- trifft. Auch hier wiederholt sich Altbekanntes: Der Mythos Thema in den nächsten Monaten durch weiter steigende stand von Berliner Mie-
planern bekannt. 2010 stand das Wort, das der Leistung belohnenden und Aufstieg ermöglichenden, Coronainfektionszahlen bekommen. Denn in der Pande- tern gegen Wohnungs-
grob zusammengefasst die Verdrängung von sozialstaatlich organisierten Gesellschaft entlarvt sich als mie haben Quarantänepflicht und Homeoffice-Regelung not – und auf Seite 2 das
weniger zahlungskräftigen Mietern in bestimmten Vierteln blendender Schein – als Ideologie, deren Zweck es ist, die deutlich gemacht, wie wichtig ein sicheres, bezahlbares und Stadtentwicklungsge-
durch den Zuzug von Besserverdienenden bedeutet, noch Profitmacherei von Konzernen abzusichern. der Größe des eigenen Haushalts angemessenes Wohnen biet Sonnwendviertel in
nicht im Duden. Heute kennt das Wörterbuch gleich mehre- Doch bleibt diese Gewalt nicht unbeantwortet. So be- für alle ist. Wien
re Einträge dazu, definiert den Prozess blumig als »Aufwer- rechtigt die vielschichtige Kritik an der Berliner Initiative In der vorliegenden Beilage richtet sich der Blick nicht
tung«, spart aber zumindest den Aspekt der Verdrängung »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« im einzelnen auch nur auf die BRD. Beispielhaft wird die Lage in Österreich,
nicht aus, der damit einhergeht. sein mag – etwa wegen möglicherweise üppiger Entschä- Schweden und Polen dargestellt. Dabei zeigt sich, dass
Denn wie so oft zeigt sich die Gewalt, die zur kapitalis- digungszahlungen für große Immobilienunternehmen –, neoliberale Politik im Sinne von Privatisierung vormals
tisch verfassten Gesellschaft gehört wie die Ausbeutung die Aktivistinnen und Aktivisten haben schon jetzt viel kommunaler Wohnungsbestände und Verdrängung von
des Arbeiters zur Akkumulation von Kapital, nicht auf den erreicht. Mehr als eine Million Menschen stimmten bei alteingesessenen Mietern bei gleichzeitig sprudelnden
ersten Blick, ist für die bürgerliche Mehrheitsgesellschaft dem Volksentscheid am 26. September für ein Anliegen, Gewinnen von Immobilienkonzernen vielerorts zu Ver-
nicht von Belang, spielt in den großen Zeitungen keine das mit dem Begriff der »Enteignung« erwartbare antikom- werfungen führt – und Protest dagegen notwendig macht.
Rolle. Dabei finden Zwangsräumungen von Menschen, munistische Reflexe bei der Gegenseite hervorrief. Schon Weitere Beiträge widmen sich Entwicklungen hierzulan-
die sich ihre immer weiter steigende Miete nicht mehr im Vorfeld wurden die Quoren für die zu sammelnden Un- de: den steigenden Energiepreisen für Mieter, dem Aus-
leisten können, Tag für Tag statt. Wohnungslosigkeit ist in terschriften weit übertroffen. Nun wird sich zeigen, wie die verkauf von ostdeutschen Immobilien und der Berliner
der BRD für Hunderttausende ein Dauerzustand. Und das sehr wahrscheinlich gewordene Neuauflage eines Senats Enteignungsinitiative. Abgerundet wird die Beilage durch
wachsende Problem, aus seinem vertrauten Wohnumfeld von SPD, Grünen und Die Linke mit dem Votum umgeht. einen Beitrag über die positive Entwicklung in Kuba nach
herausgerissen zu werden, weil ein Immobilienkonzern Strahlkraft hat das Berliner Beispiel aber ohnehin schon – der Revolution – wenngleich neue Probleme heute nach
seine Konkurrenten ausstechen und seinen Aktionären eine wenngleich bereits vorher in vielen deutschen Städten Mie- neuen Lösungen verlangen. In diesem Sinne: Viel Spaß
hübsche Dividende bieten will, wird nur deswegen mehr ter gegen Verdrängung aktiv waren, Aktivistinnen leerste- beim Lesen!
2 KAMPF UMS WOHNEN Mittwoch, 3. November 2021, Nr. 256

Fast zeitgleich, im Jahr 2004, entle-


digte sich der Bund seines staatlichen
Wohnungsbestands. Dafür sorgte Karl-
Heinz Grasser, der zunächst von der FPÖ
und später als Parteiloser von der ÖVP
als Finanzminister aufgestellt wurde.
60.000 Bundeswohnungen gingen damals
handstreichartig an den privaten Woh-
nungsmarkt. Sie wurden weit unter Markt-
wert an ein österreichisches Bankenkon-
sortium verkauft. Davon profitierten un-
ter anderem die der ÖVP nahestehende
Raiffeisenbank Oberösterreich sowie die
eher dem sozialdemokratischen Spektrum
zugerechnete Wiener Städtische. Es zeigte
sich, dass in Österreich auch die Vettern-
wirtschaft sozialpartnerschaftlich geregelt
ist. Egal ob »rot« oder »schwarz«, es sol-
len alle etwas davon haben.
Inzwischen sind längst verschiedene
Filetstücke aus den Beständen der priva-
tisierten Bundeswohngesellschaft Buwog
herausgeschnitten worden. Transnationa-
le Finanzkonzerne wie Blackrock oder J.
P. Morgan kauften sich ein. 2018 erfolgte
schließlich der Verkauf an den berüch-
tigten deutschen Immobilienkonzern Vo-
novia. Der baut seitdem in Deutschland
unter dem Buwog-Logo unter anderem
»Eigentumswohnungen zur Kapitalanla-

IMAGO IMAGES/ALEX HALADA


ge«, wie es auf der Webseite heißt.
Es gibt in Österreich inzwischen be-
grenzte Versuche, dem Trend zur Libe-
ralisierung des privaten Wohnungsmark-
tes etwas entgegenzusetzen. So wurde in
Wien im Jahr 2018 die Bauordnung novel-
liert. In der Folge müssen seit März 2019
auf allen Flächen, die in Wohngebiete
umgewidmet werden, zwei Drittel für den

Wiener Mieter sehen rot


sozialen Wohnbau vorgesehen werden. In
einem sehr engen Rahmen baut die Stadt
Wien sogar wieder Gemeindewohnungen.
Doch private Entwickler sind recht fin-
dig darin, solche Regelungen zu umgehen.
Ein Beispiel dafür ist ein riesiges Neubau-
projekt auf dem in der Nähe des pres-
Wer in Österreichs Hauptstadt eine Wohnung sucht, muss immer tigeträchtigen Donaukanals gelegenen
Gelände der ehemaligen Firmenzentrale
tiefer in die Tasche greifen. Von Christian Bunke des Kommunikationsdienstleisters A1.
Hier entstehen 500 sogenannte Business­
apartments. Das sind Wohnungen auf Zeit

I
für Manager auf Dienstreise. Daneben
Für neu in die Stadt st privates Mieten in Wien noch leist- Gemeindewohnung haben möchte, muss Auch der gemeinnützige Sektor ist in entstehen noch 200 »echte« Wohnungen.
gezogene Menschen, bar?« Das fragt der »Mietmonitor zwei Jahre durchgängig an einer Wiener den vergangenen Jahrzehnten zunehmend Auf diese trifft die Wiener Bauordnung
junge Personen oder Wien«, eine datenbasierte Aufbe- Adresse hauptgemeldet sein. Das bedeu- für privatwirtschaftliche Nutzung weich- zu. Zwei Drittel davon werden also geför-
solche mit Migrations- reitung des Instituts für Raumpla- tet, dass man sich oft zunächst am über- geklopft worden. Der erste Schritt in diese derte Wohnungen mit sozialem Anstrich
hintergrund sind durch nung der TU Wien. Die Ergebnisse sind hitzten privaten Markt behaupten muss, Richtung erfolgte in den Jahren 1987/88. sein. Zählt man aber die insgesamt 700
die regierende Sozialde- ernüchternd. Wer im »roten Wien« mit um überhaupt eine Chance auf eine rela- Damals wurde die Verantwortung für die hier entstehenden Wohnungen, dann zeigt
mokratie große Hürden einem Haushaltseinkommen zwischen tiv günstige gemeinnützige Wohnung zu Wohnbauförderung vom Bund an die öster- sich, dass der private Markt dominiert.
errichtet worden. 1.000  Euro und 2.000 Euro nach einer bekommen. Dazu muss man wissen, dass reichischen Bundesländer abgegeben. Im Verschärft wird das im vorliegenden Fall
bezahlbaren Wohnung am privaten Miet- private Mietverträge zunehmend befristet Jahr 2008 wurde schließlich nach mehreren dadurch, dass ursprünglich zusätzlich ein
markt sucht, wird allenfalls in einer Hand- sind, oft auf ein Jahr. Das ist seit 1994 so, Zwischenschritten in den vorangegangenen Großhotel mit 700 Zimmern auf dem Ge-
voll Randlagen mit ansonsten schlechter als das österreichische Mietrecht unter Jahren die Zweckwidmung für die Wohn- lände geplant war. Dieses Vorhaben ist
Infrastruktur und Anbindung an den öffent- Mitwirkung der Sozialdemokraten libera- bauförderung vollständig abgeschafft. Seit- inzwischen aufgrund der Coronapande-
lichen Verkehr fündig – wenn überhaupt. lisiert wurde. Seitdem existiert ein völlig dem können Fördertöpfe ganz legal zweck- mie abgeblasen worden. Was anstelle des
Rund 300.000 Wohnungen gehören intransparentes Richtwertsystem mit Zu- entfremdet werden, zum Beispiel für die Hotels dort hinkommt, ist unklar. Sozialer
in Wien zum privaten Wohnungsmarkt. und Abschlägen, je nach Wohnungslage. Sanierung kommunaler Haushalte. Wohnraum wird es wohl nicht sein.
Das sind 33 Prozent aller in der österrei-
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chischen Bundeshauptstadt verfügbaren
Objekte. Laut Statistiken aus dem Jahr
2018 gehören 43,4 Prozent zum Sozial-
wohnungsbereich. Das sind Quartiere, die
entweder von gemeinnützigen Bauträgern
oder von der Stadt Wien direkt als Ge-
meindewohnungen errichtet worden sind.
Kampf ums Wohnen 19,4 Prozent sind Eigentumswohnungen.
erscheint als Beilage der Hier liegt Wien klar unter dem Bundes-
Tageszeitung junge Welt durchschnitt. Die Eigentumsquote liegt
im Verlag 8. Mai GmbH, österreichweit bei 55 Prozent.
it
Torstr. 6, 10119 Berlin. Von 2008 bis 2016 sind die Mieten
n d eswe
Bu
über
am privaten Wiener Wohnungsmarkt
Redaktion: laut Mietmonitor um 53 Prozent gestie-
00
Jan Greve (V. i. S. d. P.) gen. Im Vergleich seien die verfügbaren 49.0 der
Haushaltseinkommen nur um 22 Prozent lie
Mitg
Anzeigen:
Tobias Khusrawi gewachsen. Das spüren vor allem jene
Bildredaktion: besonders drastisch, die keinen Zugang
Jessica Weber zum im Ausland viel gelobten gemeinnüt-
Gestaltung: zigen Wohnungsmarkt bekommen. Denn
Michael Sommer die Zugangsbeschränkungen sind hoch.
Für neu in die Stadt gezogene Menschen,
junge Personen oder solche mit Migrati-
Am Mittwoch, 17.11.2021., onshintergrund sind durch die regierende
erscheint das jW-Spezial Sozialdemokratie große Hürden errichtet
worden. Wer Anspruch auf das örtliche
jW-Fotowettbewerb »Wohnticket« und somit Zugang zu einer
Mittwoch, 3. November 2021, Nr. 256 KAMPF UMS WOHNEN 3

D
ie Quadratmeterpreise am
Berliner Wohnungsmarkt sind
explodiert. Innerhalb der ver-
gangenen neun Jahre hat sich
der durchschnittliche Wert fast verdoppelt.
Kein Wunder, dass der Unmut in der Be-
völkerung wächst. Die Kampagne »Deut-
sche Wohnen & Co. enteignen« (DWE)
schaffte es, diese Wut zu kanalisieren. Mit
ihrem Volksentscheid sorgte die Initiative
dafür, dass am 26. September mehr als
eine Million Menschen für die Vergesell-
schaftung großer Immobilienkonzerne
stimmte. Der Plan: Unternehmen, die mehr
als 3.000 Wohnungen besitzen, sollen ge-
gen Entschädigung enteignet werden. Wie
konnte diese Forderung einen solchen Zu-
spruch erlangen? Und wie kann die Verge-
sellschaftung jetzt durchgesetzt werden?
Im Jahr 2018 entschlossen sich Initiati-
ven von Berliner Mieterinnen und Mietern
wie »Kotti und Co.« dazu, nicht nur gegen
die Verdrängung aus ihren Wohnungen und
Häusern zu kämpfen, sondern den Protest
auszuweiten und auf eine breitere Basis zu
stellen. Das Ergebnis war eine Kam­pagne,
die auf Basis des Grundgesetzartikels 15
eine Enteignung der großen Immobilien-
CHRISTIAN MANG/BEARBEITUNG JW

konzerne anstrebt. Tomasz Jaroslaw, ein


DWE-Aktivist der ersten Stunde, erinnert
sich im Gespräch mit jW: »Ich habe es
so wahrgenommen, als ob du ein Zimmer
aufräumst und etwas Unerwartetes findest –
ein wichtiges Werkzeug.«
DWE schaffte es, das Anliegen nicht nur
in etablierten linken Kreisen bekanntzuma-
chen, sondern auch bei selbstorganisierten

Noch nicht im Ziel


Mieterinnen und Mietern in der ganzen
Stadt. Seit 2020 sind die Gewerkschaf-
ten Verdi und GEW Teil der Kampagne.
Hervorzuheben bei der gewerkschaftli-
chen Solidarität ist vor allem die Berliner
Krankenhausbewegung, die durch ihre es-
sentielle Rolle im Kampf gegen die Co-
ronapandemie zu einer noch wichtigeren
Kraft wurde. »Die Kooperation zwischen
Berliner Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« hat mit
der Enteignungskampagne und der Kran- Volksentscheid viel erreicht. Auf »rot-grün-roten« Senat ist
kenhausbewegung ist für beide Seiten von
strategischem Wert«, so Jaroslaw. aber kein Verlass. Von Simon Zinnstein und Simon Zamora Martin
Den Widrigkeiten zum Trotz
die den Erfolg von DWE bedrohte. Der Vor- Ein Teil von DWE spricht sich dafür wie das Beispiel der Krankenhausbewe- Innerhalb eines Jahres
In der Anfangszeit musste die Initiative vie- wurf: Ein führendes Mitglied der Initiative aus, sich der kommenden Regierung gung zeigt. soll die sogenannte
le Hürden nehmen. Es war schwierig, Struk- habe eine Aktivistin sexuell belästigt. Der als Gesprächspartner anzubieten. Jaros- An Anknüpfungspunkten dafür fehlt es Expertenkommission
turen für das Sammeln von Unterschriften Umgang mit dem Fall führte zu heftigen law vertritt einen anderen Ansatz. Man nicht: Beispielsweise haben viele prekär eine Empfehlung für das
aus dem Nichts aufzubauen, zumal der enge Auseinandersetzungen. Einige wollten den müsse zwar auch Druck auf Abgeordnete Beschäftigte wie die »Rider« genannten weitere Vorgehen erar-
Kreis der »Sammel-AG« zu Beginn der ers- Verdächtigten basierend auf den Aussagen ausüben, aber auf den Erfolg eines rein Kuriere des Lieferdienstes Gorillas Schwie- beiten. Viel Zeit also, die
ten Phase Anfang 2019 aus lediglich einem der betroffenen Aktivistin ausschließen, an- juristischen Wegs zu setzen, sei unrea- rigkeiten, mit ihren Niedriglöhnen eine gute die Immobilienlobby und
Dutzend Aktiven bestand. »Ein Mensch ist dere bezeichneten den Sexismusvorwurf als listisch. »Giffey will eine Enteignung Unterkunft zu finden. Ähnliche Probleme die bürgerlichen Parteien
alle zwei Wochen mit 1.000 Unterschrif- konstruiert. Letztendlich wurde der Mann verhindern«, so Jaroslaw über die SPD- haben Tausende Studierende, die zu Beginn nutzen können, um den
ten gekommen«, berichtet Jaroslaw über ohne tiefergehende Untersuchung der Vor- Spitzenkandidatin. Der kommende Senat jedes Wintersemesters auf Wohnungssuche Volksentscheid zu unter-
das beispiellose Engagement. 77.000 Un- fälle ausgeschlossen. Jaroslaw bilanziert: werde »das Gesetz nicht verabschieden, sind. Hier wird sich zeigen müssen, dass graben.
terschriften wurden in der ersten Phase für »Erst danach haben wir mit der Diskussion weil wir gute Argumente haben«, sondern sich die Initiative künftig nicht als bloße
den Volksentscheid abgegeben. Ein voller zum Verfahren bei solchen Fällen und de- wenn es ausreichenden Druck von der Beraterin des Berliner Senats versteht, son-
Erfolg, denn die letztlich 50.000 gültigen ren Prävention begonnen.« Bei allen unter- Straße gibt. Deshalb sei es jetzt wichtig, dern mit politischen Aktionen die Rich-
Unterschriften waren bei weitem mehr als schiedlichen Meinungen: Das gemeinsame die Unterstützerinnen und Unterstützer tung vorgibt. Nicht nur beim erfolgreichen
die 20.000 benötigten. Ziel der Vergesellschaftung habe schwerer des Volksentscheides zu organisieren und Volksentscheid hat sich gezeigt, welches
2021 wurde das Jahr der Initiative. Immer gewogen. den Kampf auszuweiten. Neben Großde- Konfliktpotential die anhaltende Mietenex-
mehr Menschen integrierten sich in die so- monstrationen und Mietboykotten brau- plosion birgt. Massenproteste werden wei-
genannten Kiezteams. Durch die lokalen Noch viel zu tun che es mehr Vernetzung zu Beschäftigten, ter gebraucht.
Strukturen wurde nicht nur eine breite Basis ANZEIGE

geschaffen, auch die Aktiven wurden enger Letztlich konnte DWE erfolgreich in den
an die Kampagne gebunden. Etwas unfrei- Berliner Wahlkampf starten. Am Ende
willig befeuerte ein Urteil des Bundesver- stimmte mehr als eine Million Berlinerin-
fassungsgerichts das Vorhaben. »Mit dem nen und Berliner für die Vergesellschaf-
Kippen des Mietendeckels gab es einen tung. Nach der Wahl führte die Bildung der
Sprung in der Motivation und in der Akzep- Landesregierung zu neuen Spannungen.
AKTUELLE PUBLIKATIONEN
tanz von DWE in der Bevölkerung«, blickt Denn der Senat ist durch den erfolgreichen
Jaroslaw auf die Karlsruher Entscheidung Volksentscheid lediglich dazu verpflichtet, Adrian Garcia-Landa,
Christoph Trautvetter
vom März dieses Jahres zurück. Damals auf Basis des Beschlusstextes ein Gesetz
WEM ZAHLE
sei die Wut vieler Leute »riesig« gewesen. auszuarbeiten und dem Abgeordnetenhaus
ICH EIGENTLICH
15.000 Menschen seien spontan auf die vorzulegen. In dem Sondierungspapier von MIETE?
Straßen gegangen, um dagegen zu protestie- SPD, Grünen und Die Linke vom Oktober Den finanzialisierten
ren, dass das Gericht das Gesetz des Berli- heißt es, dass »eine Expertenkommission Immobilienmarkt
ner Senats über einen Mietenstopp für nich- zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und verstehen: Redaktionsgruppe
tig erklärt hatte. Im Grunde, meint Jaroslaw, Voraussetzungen der Umsetzung des Volks- Ein Recherchehandbuch Die Genossenschaftler*innen
für Mieter*innen SELBSTVERWALTET
wäre damals noch mehr möglich gewesen. begehrens« eingesetzt werden soll. Damit
68 Seiten,Broschur UND SOLIDARISCH WOHNEN
»Wir hätten das mehr nutzen können.« Es wird der Gesetzentwurf ignoriert, der von
Februar 2019 Weite Genossenschaften und ihre Bedeutung
habe allerdings keine ernsthaften Diskus- DWE bereits ausgearbeitet worden war. In- ISBN 978-3-9818987-8-1 Publika re für eine gemeinwohlorientierte
sionen in der Kampagne gegeben, ob und nerhalb eines Jahres soll die Kommission tionen Wohnungspolitik
unt
wie das Mobilisierungspotential zu diesem eine Empfehlung für das weitere Vorgehen Download und Bestellung unter: www.r er 94 Seiten, Broschur, Juli 2021
www.rosalux.de/publikation/id/40038 osalux
Zeitpunkt über das Sammeln von Unter- erarbeiten. Viel Zeit also, die die Immo- .de ISBN 978-3-948250-31-7
schriften hinaus genutzt werden könnte. bilienlobby und die bürgerlichen Parteien Download und Bestellung unter:
Kurz vor der Abstimmung am 26. Sep- nutzen können, um den Volksentscheid zu www.rosalux.de/publikation/id/44677
tember war es eine gänzlich andere Debatte, untergraben.
4 KAMPF UMS WOHNEN Mittwoch, 3. November 2021, Nr. 256

D Wohnst du noch,
er nahende Winter könnte für
viele Mieter in der BRD be-
sonders kalt werden. Da die
Kosten fürs Heizen weiter

oder frierst du schon?


steigen, werden sie sich warm anziehen
müssen. Die Verbraucherzentrale rech-
net inzwischen mit einem Plus von mehr
als 200 Euro im Vergleich zum Vorjahr.
Und die Energiekosten werden weiter
wachsen.
In einer Modellrechnung kam der
Verbraucherzentrale Bundesverband Steigende Energiepreise machen das Heizen immer teurer.
(VZBV) laut Welt am Sonntag-Bericht
vom 17. Oktober zu dem Ergebnis: In Warnung vor »Nebenkostenexplosion«. Von Bernd Müller
diesem Jahr steigen für Mieter einer
100 Quadratmeter großen Wohnung
Die Bundesregierung die Heizkosten auf durchschnittlich
dürfte bestrebt sein, die 980  Euro. 2020 lag der Wert noch bei
energetische Sanierung knapp 770 Euro. Für eine Familie in ei-
der Gebäude zu be- nem Einfamilienhaus steigen die Kosten
schleunigen. Bis zu acht für Heizung und Warmwasser im Mit-
Prozent der entstan- tel auf 1.260  Euro; ein Plus von fast
denen Kosten darf der 300 Euro.
Eigentümer allerdings Gerade arme Menschen dürften das
auf die Jahresmiete um- kaum bezahlen können – wie in den
legen. Für viele Mieter Vorjahren. »Schon im Jahr 2019 konn-
ist das schon jetzt nicht ten es sich zwei Millionen Menschen
mehr bezahlbar. nicht leisten, ihre Wohnung richtig zu
heizen«, erklärte Verena Bentele, Präsi-
dentin des Sozialverbandes VdK, auf jW-
Anfrage. Die Bundesregierung müsse für ANZEIGE

Menschen mit geringen Einkommen und


auch für Grundsicherungsbezieher einen
sozia­len Ausgleich schaffen. Bentele plä-
diert dafür, dass die tatsächlichen Ener-
giepreise beim Wohngeld und bei der
Grundsicherung eingerechnet werden.
Michael Vassiliadis, Chef der Gewerk-
schaft IG Bergbau, Chemie, Energie
(IG BCE), hat einen anderen Vorschlag.
Er fordert einen staatlichen Zuschuss.
REUTERS/HANNIBAL HANSCHKE

»Wir brauchen eine Winterhilfe für Mil-


lionen Haushalte«, sagte er der Rheini-
schen Post (Ausgabe vom 16. Oktober).
»Das Einfachste wäre ein monatlicher
Festbetrag, mit dem Familien die Mehr-
kosten für Heizung und Strom abfedern
können.« Wer Leistungen zur Grundsi-
cherung erhalte, könne die Winterhilfe
zum Beispiel über das Jobcenter gezahlt Ein Gegensteuern forderte zuletzt liche und regulative Fehlanreize« hin. Die Bundesregierung hatte daraufhin
bekommen. Bei Beschäftigten könnte auch der Deutsche Mieterbund (DMB) Dazu gehört demnach, dass der Strom- 5,8 Milliarden Euro zur Verfügung ge-
dies über den Lohn erfolgen. gemeinsam mit dem VZBV. In den kom- preis zu über 50 Prozent aus »staatlich stellt, um die Gebäude schneller zu sa-
Eine ähnliche Forderung kam schon menden Jahren drohe eine »Nebenkos- veranlassten Steuern, Abgaben und Um- nieren. Experten zweifelten allerdings
zuvor vom Städte- und Gemeindebund. tenexplosion«, warnten beide Verbände lagen« besteht, dass die Mieter beim an der Wirkung des Programms. Inzwi-
Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer in einem im Oktober veröffentlichten ge- Preis auf Kohlendioxid einseitig belastet schen geht auch die Deutsche Umwelt-
des Verbands, hatte gegenüber Bild hö- meinsamen Papier. Schon in diesem Jahr werden und dass Haushalte mit niedri- hilfe (DUH) davon aus, dass sich die
here Heizkostenzuschüsse für Geringver- müsste bei Heizöl und Erdgas, aber auch gem Einkommen kaum entlastet werden. Lücke zwischen Einsparungsvorgabe
diener von der Bundesregierung gefor- bei der Fernwärme mit einem Plus von Zudem sei die Mehrzahl der Öl- und und Erreichtem in diesem Jahr noch ver-
dert. Energie dürfe nicht nur etwas für neun bis 44 Prozent gerechnet werden. Gasheizungen veraltet und der Anteil der größert hat. Die Bundesregierung dürfte
Reiche sein, erklärte er. »Daher ist die Die Mieter hierzulande »leiden unter erneuerbaren Energieträger im Wärme- bestrebt sein, die energetische Sanie-
nächste Bundesregierung gefordert, ge- den höchsten Strompreisen in Europa, sektor zu gering. rung der Gebäude zu beschleunigen.
rade finanzschwache Familien zu unter- den aktuellen Preissprüngen auf dem Öl- Auf viele Faktoren haben Mieter kaum Bis zu acht Prozent der entstandenen
stützen und die Heizkostenexplosion ab- und Gasmarkt und der vollen CO2-Preis- Einfluss, erklärte VdK-Präsidentin Ben- Kosten darf der Eigentümer allerdings
zumildern.« Zudem erklärte er, die stark Umlage für Heizung und Warmwasser«, tele. Als Beispiele führte sie die ener- auf die Jahresmiete umlegen. Für viele
gestiegenen Gaspreise würden in die erklärte DMB-Bundesdirektorin Mela- getische Sanierung der Gebäude an und Mieter ist das schon jetzt nicht mehr
Haushalte der Kommunen ein Loch von nie Weber-Moritz. den Einsatz umweltfreundlicher Heiz- bezahlbar, heißt es in dem Papier von
bis zu 8,5 Milliarden Euro reißen. Grund Für den Anstieg der Nebenkosten ma- techniken, die nicht von den Mietern um- DMB und VZBV.
seien »höhere Energiekosten für Gebäu- chen beide Verbände nicht nur die Ent- gesetzt werden könnten, sondern allein Eine weitere Stellschraube ist der
de und höhere Heizkostenzuschüsse für wicklung auf den Energiemärkten ver- von den Vermietern. Deshalb könne es CO2-Preis. Aktuell liegt er bei 25 Euro
Hartz-IV-Empfänger«. antwortlich. Sie weisen auch auf »staat- nicht sein, »dass der enorme Anstieg der pro Tonne Kohlendioxid, die beim Hei-
Heizkosten durch die CO2-Bepreisung zen oder im Verkehr anfällt. Bis 2025
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allein von den Mietern getragen wird«, soll er auf 55 Euro steigen. Danach soll
betonte Bentele. Statt dessen sollten die der Preis über Versteigerungen gebildet
GegenStandpunkt
GegenStandpunkt Vermieter die Zusatzkosten tragen. Da- werden und könnte spätestens dann er-

zur Wohnungsfrage im Kapitalismus


Kapitalismus
mit kleine, gemeinwohlorientierte und
Einzelvermieter nicht überfordert wer-
heblich steigen. Bis 2025 könnten den
Mietern allein durch die geplante Erhö-
den, spricht sich der Sozialverband bei hung Mehrkosten von 262 Euro jährlich
In deutschen Großstädten ist eine neue Wohnungsnot ausgebrochen. Dass die elementare Lebens­
bedingung für die arbeitende Bevölkerungsmehrheit ein Luxus ist, den sie sich kaum leisten kann, wird ihnen für eine staatliche Unterstützung bei einer Gasheizung und 347 Euro bei
hochoffiziell als „soziales Problem“ anerkannt. Politiker versprechen unentwegt, sich dafür einzusetzen, aus. einer Ölheizung entstehen, heißt es in
dass „das Wohnen bezahlbar bleibt“ – was schon alles sagt: Nach 150 Jahren kapitalistischen Wachstums Gerade über die energetische Sanie- dem Papier.
ist es das für viele eben nicht. rung und über die Heizkosten droht Mie- Allerdings ist es vorher schon möglich,
Die Betroffenen bekommen auf diese Weise zu spüren, dass die Wohnung, von der manche fordern, tern in Zukunft eine erhebliche Belastung, dass der CO2-Preis deutlich angehoben
sie dürfe keine Ware sein, tatsächlich keine gewöhnliche Ware ist. Im GEGENSTANDPUNKT behandeln sollte nicht von der Bundesregierung um- wird, wie ein Bericht des Handelsblatts
wir die Eigentümlichkeiten der kapitalistischen Reichtumsquelle Grundeigentum, die Konkurrenz mit gesteuert werden. Der Grund dafür liegt von Anfang September nahelegte. Das
und um die Nutzung von Grund und Boden, die unausweichlichen ‚sozialen Folgen‘ für den Wohnbedarf im sogenannten Klimaschutzgesetz, das liegt vor allem daran, dass auch im Ver-
der Bevölkerung, den Umgang des Staates mit der Wohnungsfrage und die Proteste gegen ‚Mietwucher‘ konkrete Ziele definiert. Sollte in einem kehrssektor das Klimaschutzziel vor-
und ‚Gentrifizierung‘. Sektor – in diesem Fall: Gebäude – das aussichtlich nicht eingehalten wird und
Die einschlägigen Artikel sowie ein Vortrag zum Thema können hier abgerufen werden: Angestrebte nicht erreicht werden, ist die der CO2-Preis dort die wichtigste Stell-
gegenstandpunkt.com/wohnungsfrage
gegenstandpunkt.com/wohnungsfrage Bundesregierung verpflichtet, innerhalb schraube ist. Experten halten demnach
von drei Monaten ein Sofortprogramm einen Preis von 250 Euro pro Tonne Koh-
Die fünf Ausgaben unserer Zeitschrift, die die genannten Artikel enthalten, sind außerdem als Paket auf den Weg zu bringen, um das Ziel doch lendioxid für notwendig, um die Klima-
zum Sonderpreis von 39 Euro beim Verlag erhältlich. noch zu erreichen. schutzziele einhalten zu können. Diese
Gegenstandpunkt Verlag, Kirchenstr. 88, 81675 München Schon im vergangenen Jahr wurde Höhe hätte nicht nur verheerende Folgen
Tel.: 089-2721604; Fax: 089-2721605; Internet: www.gegenstandpunkt.com die riesige Menge von zwei Millionen für die Mobilität, so würden auch viele
Tonnen Kohlendioxid zuviel freigesetzt. Wohnungen im Winter kalt werden.
Mittwoch, 3. November 2021, Nr. 256 KAMPF UMS WOHNEN 5

K
ubas Bürger leben nicht im
Paradies. Versorgungsmängel
bei Nahrungsmitteln, Treib-
stoffen und Medikamenten
prägen den Alltag. Und jedes Mal, wenn
die USA ihre seit 60 Jahren gegen die
Insel verhängte Blockade verschärfen und
neue Sanktionen ausrufen, gibt es weitere
Einschränkungen. Doch trotz ihrer vielfäl-
tigen Probleme müssen die Kubanerinnen
und Kubaner den verzweifelten Kampf um
bezahlbare Wohnungen, wie er in deut-
schen Großstädten alltäglich ist, nicht füh-
ren.
Als eine ihrer ersten Maßnahmen hatte
die revolutionäre Regierung am 14. Ok-
tober 1960, wenige Monate nach dem
Sieg der von Fidel Castro angeführten Re-
bellen, ein Gesetz zur Stadtreform, die
»Reforma Urbana« verabschiedet, durch
das Mietwucher und die Spekulation mit
Wohnraum beendet wurden. Bis dahin war
die Versorgung auch in Kuba kapitalisti-
schen Regeln unterworfen. In den ersten
Jahrzehnten nach der 1902 formal erreich-
ten Unabhängigkeit hatte in den Großstäd-
ten ein schnelles Bevölkerungswachstum
zu mehr Nachfrage und kontinuierlich
steigenden Mieten geführt, die zum Bei-
spiel in Havanna zu den höchsten Latein-
amerikas gehörten. Private Investoren
und Wohnungsbauunternehmen strebten
nach Gewinnmaximierung und reklamier-
ten das Recht der »freien« Vergabe von
Mietverträgen für sich. Dadurch konnten
PHOTOCREDIT

sich nahezu ausschließlich Angehörige der


wohlhabenden Bevölkerungsschichten das
Leben in neu gebauten Häusern leisten.
Weniger betuchte Bürger teilten ältere Ge-

Revolution hilft
bäude in zahlreiche kleinere Wohneinhei-
ten auf und verwandelten sie in günstige
»Mietskasernen«. Konnten Bewohner die
steigenden Kosten trotzdem nicht mehr
zahlen, drohten Räumungsklagen. Wer im
Rückstand war, wurde auf die Straße ge-
setzt. Für einfache Arbeiter und Tagelöh-
ner bestand die einzige Lösung oft darin,
sich eine behelfsmäßige Hütte aus Abfall-
materialien in einem der schnell wachsen- Kuba: 1960 wurden Mietwucher und Spekulation mit Wohnraum per Gesetz
den Slums von Havanna zu errichten.
beendet. Heute stellen sich neue Probleme. Von Volker Hermsdorf
Wort gehalten
1953 hielt der junge Anwalt Fidel Castro doch trotzdem gehöre sie ihnen nicht, be- zu umgehen, führten verstärkt zu illegalen land verfügen oder einem lukrativen priva- Im Jahr 2012, zum Zeit-
seine durch die Worte »Die Geschichte gründete Castro den Paradigmenwechsel Aktionen. Nach und nach bildete sich ein ten Geschäft nachgehen, von der »neuen punkt der letzten Volks-
wird mich freisprechen« berühmt gewor- am 15. Oktober 1960. Tatsächlich wohnten grauer Markt für Kauf und Verkauf heraus. Freiheit« auf dem Wohnungsmarkt ausge- zählung, wohnten laut
dene Verteidigungsrede nach dem geschei- im Jahr 2012, zum Zeitpunkt der letzten Angesichts der veränderten Situation schlossen. Statistisch sind Zweckentfrem- dem Amt für Statistik
terten Angriff der von ihm angeführten Volkszählung, laut dem Amt für Statistik leitete der 6. Parteitag der Kommunis- dung und Wucherpreise noch eine vernach- und Information (ONEI)
Guerilleros auf die Moncada-Kaserne in und Information (ONEI) etwa 90 Prozent tischen Partei Kubas im April 2011 mit lässigbare Größe. Doch gibt es Warnungen etwa 90 Prozent der ku-
Santiago de Cuba. Darin prangerte er die der kubanischen Bürgerinnen und Bürger neuen »Wirtschafts- und sozialpolitischen vor einem Rückfall in vorrevolutionäre banischen Bürgerinnen
»Tragödie im Wohnungswesen« an. »Hun- mietfrei in den eigenen vier Wänden. Um Leitlinien« die Überarbeitung der mehr als Zustände. Denn die grundsätzliche Wei- und Bürger mietfrei in
derttausende Familien auf dem Lande le- das erneute Entstehen spekulativer Immo- 50 Jahre alten Gesetze ein. Möglichkeiten chenstellung der »Reforma Urbana« wird den eigenen vier Wän-
ben in Baracken und Hütten ohne die ele- bilienmärkte zu verhindern, war der Kauf zum Kauf und Verkauf sowie zum Tausch in Kuba noch immer als Errungenschaft den.
mentarsten hygienischen und gesundheitli- und Verkauf von Wohnraum rund 50 Jahre von Wohnungen und Häusern wurden fle- angesehen. Trotz aller Irrtümer und Feh-
chen Bedingungen. Die städtische Bevöl- lang grundsätzlich verboten. Bis 2011 war xibilisiert, neue nichtstaatliche Formen ler sind die vor 60 Jahren beschlossenen
kerung zahlt immer öfter Mieten, die den es nur zulässig, Wohnungen zu vererben des Baus zugelassen, die Vermietung er- Maßnahmen ein Beispiel dafür, dass es
größten Teil der Einkommen ausmacht. oder gegen gleichwertige zu tauschen. Bis leichtert und der freie Verkauf von Bau- Alternativen zum Kampf ums Wohnen in
Und wenn gefordert wird, die Mieten zu heute dürfen Bürger Kubas offiziell maxi- materialien ohne Subventionen gefördert. Deutschland und anderen kapitalistischen
senken, drohen Vermieter damit, den Bau mal zwei Immobilien besitzen. Bis 1984 Die Leitlinien markierten den Übergang Ländern gibt.
von Wohnungen einzustellen«, beschrieb waren auch Mietverträge zwischen Privat- von einer rein staatlichen Wohnungswirt-
Castro die Situation. Er kündigte für den personen untersagt. schaft, die 1960 mit der »Reforma Urba- ANZEIGE

Fall des Sieges seiner Bewegung an, zu- na« eingeleitet worden war und das ab-
VERLAG WESTFÄLISCHES DAMPFBOOT
nächst die Mieten drastisch zu senken und Neue Stellschrauben solute Primat politischer Vorgaben über
die Bewohner dann zu Eigentümern der ökonomische Interessen begründet hatte,
Häuser zu machen. Und er hielt Wort: In Was in den Jahren nach der Revolution zu einer Politik, die kontrolliert auch auf
den ersten Wochen nach dem Sieg der zunächst für das Ende der Wohnraum- privatwirtschaftliche Anreize setzte. Der
Revolution am 1. Januar 1959 wurden ers- spekulation gesorgt hatte, erwies sich für sozialpolitische Anspruch, allen Bürgern
te Gesetze zur Wohnungspolitik erlassen. nachfolgende Generationen allerdings als einschließlich der Ärmsten einen würdi-
Am 26. Januar verfügte die neue Regie- unflexibel. Der Altbestand in den Städten gen Lebensraum zu garantieren, blieb eine
rung die Einstellung aller Räumungskla- verfiel. Zum Teil auch, weil Baumaterial bisher nicht gelöste Herausforderung in Joscha Metzger
gen. Im März und April folgten Bestim- fehlte. Neue Blocks wurden im Plattenbau Kuba.
Genossenschaften und die
mungen zur Senkung der Mieten und die und durch freiwillige »Microbrigaden« Zwar wurden massenhaft Wohnungen
Wohnungsfrage
Festlegung von Höchstpreisen. Mit der von Beschäftigten, die unter Fortzahlung instandgesetzt, und das Angebot verbes-
Konflikte im Feld der Sozialen
»Reforma Urbana« wurden am 14. Okto- ihres Entgelts für die Bauzeit freigestellt serte sich, doch es gibt auch neue Verwer-
Wohnungswirtschaft
ber 1960 dann weitreichende Entscheidun- wurden, vor allem auf dem Land und in fungen. Im Exil lebende Kubaner und Aus- (Raumproduktionen: Theorie und
gen über Eigentumsrechte und die künftige den Vorstädten hochgezogen. Die Situa- länder erwerben Immobilien illegal über gesellschaftliche Praxis, Band 38)
Wohnungspolitik getroffen. tion in den ländlichen Gebieten, wo viele Strohleute, oft in spekulativer Absicht. In 2021 – 310 Seiten – 30,00 €
Kern des neuen Gesetzes war die Ver- Menschen bis zur Revolution in Hütten Kuba lebende Bürger vermieten Wohnun- ISBN 978-3-89691-068-4
staatlichung. Der gesamte Bestand an ohne Strom- und Wasserversorgung gelebt gen und Zimmer in guten Lagen gegen
Philipp P. Metzger
Mietwohnungen wurde deren Bewohnern hatten, verbesserte sich deutlich. Doch ins- Devisen an Touristen. Internetportale wie
Die Finanzialisierung der deutschen Ökonomie
als Eigentum übertragen, und die Vorbe- gesamt konnte das Angebot trotzdem nicht Airbnb treiben die Mieten in Havanna in
am Beispiel des Wohnungsmarktes
sitzer wurden je nach Baujahr und Ausstat- mit der gestiegenen Nachfrage Schritt hal- astronomische Höhen. Auch die Preise 2020 – 310 Seiten – 30,00 € – ISBN 978-3-89691-262-6
tung entschädigt. Viele Menschen hätten ten. Vor allem jüngere Leute waren ge- für mittlerweile frei gehandelte Immobi-
nach 15, 20 oder 30 Jahren zur Miete ihre zwungen, bei ihren Eltern wohnen zu blei- lien explodieren. Damit sind Bürger, die
WWW . DAMPFBOOT - VERLAG . DE
Wohnungen bereits mehrfach abbezahlt, ben. Versuche, die strikten Vorschriften nicht über Zuwendungen aus dem Aus-
6 KAMPF UMS WOHNEN Mittwoch, 3. November 2021, Nr. 256

I
Nicht selten erhöhen m Juni 2021 schlitterte Schweden in
Wohnungsbauunter- eine Regierungskrise. Anlass war die
nehmen die Mieten nach Wohnungspolitik. Die Minderheits-
Renovierungen um mehr regierung aus Sozialdemokraten und
als 50 Prozent, was viele Grünen wollte die Mieten neu errichteter
Menschen zum Auszug kommunaler Wohnungen an marktübliche
zwingt. Dass dies vor Preise anpassen. Dies war dem »Januarab-
allem in migrantisch kommen« geschuldet, das die Regierungs-
geprägten Stadtteilen ge- parteien 2019 mit den Liberalen und der
schieht, verleiht der Pra- Zentrumspartei unterzeichnet hatten, um
xis besondere Brisanz. sich deren Unterstützung zu sichern. Auch
auf die der Linkspartei ist die Regierung
angewiesen. Diese weigerte sich jedoch,
die Mietpreiserhöhungen mitzutragen. Am
15.  Juni wurde Ministerpräsident Stefan
Löfven mit den Stimmen der Linkspartei
und der Rechtsopposition durch ein Miss-
trauensvotum abgesetzt. Als die Zentrums-
partei auf die Forderung der Mietpreisstei-
gerungen verzichtete, kam er drei Wochen
später wieder an die Macht.
Seit der Jahrtausendwende ist die Woh-
nungspolitik in Schweden heiß umkämpft.
Dortige Politiker, konservative wie sozial­
IMAGO IMAGES/SNAPSHOT

demokratische, folgten einem Beispiel,


mit dem Margaret Thatcher in den 1970er
Jahren den britischen Markt umkrempelte:
Man bot Mietern den Kauf ihrer kommuna-
len Quartiere zu Schleuderpreisen an, um
einen Wohnungsmarkt zu schaffen. Damit
nicht genug. Zahlreiche der verbliebenen

Widerstand gegen
kommunalen Anlagen wurden an private
Baugesellschaften verkauft und die Unter-
nehmen der Städte und Gemeinden gleich-
zeitig gezwungen, mit den privaten zu kon-

»Renovräkning«
kurrieren. Seither verdienen Kommunen
am kommunalen Wohnungsbau. Fast ein
Jahrhundert lang hatte die Gemeinnützig-
keit gestanden. Davon ist inzwischen nichts
mehr übrig.
Die neue Politik hat zu Verdrängung ge-
führt. Vor allem in der begehrten Stockhol- In schwedischen Städten kämpfen Basisinitiativen gegen Verdrängung.
mer Innenstadt wurde der Bestand kom-
munaler Wohnungen aufgelöst. Während
Wohnungspolitik sorgte für Regierungskrise. Von Gabriel Kuhn
sich die Mieten dort früher alleine an Stan-
dard und Größe orientierten, spielt nun der beobachtet die schwedische Wohnungspo- Polanska zufolge oft »weiß und alt«. Damit marktes schützen.« Er kritisierte: »Die
Standort eine wesentliche Rolle. Geringver- litik seit 15 Jahren. Dass die Linkspartei im gelingt es nicht, Menschen in den Stadttei- Überzeugung, dass Menschen ein Recht
diener sind gezwungen, in strukturschwa- Juni 2021 den neuen »Mietpreisanpassun- len zu erreichen, die von der Verdrängung auf Wohnen zu angemessenen Preisen ha-
che Vororte zu ziehen. Seit einigen Jahren gen« einen Riegel vorschob, sieht sie als am stärksten betroffen sind. ben, existiert nicht mehr.«
ist zudem von »Sozialdumping« die Rede. Ergebnis der zahlreichen Basisinitiativen, Eine der Basisinitiativen ist das Netz- Die sozialen Kämpfe rund um das Woh-
Damit meint man die Praxis von Städten, die sich in Schweden seit der Jahrtausend- werk »Ort till Ort«, zu deutsch: »Von Ort nen konzentrieren sich in Schweden auf die
Menschen, die auf soziale Unterstützung wende gebildet haben. Diese wenden sich zu Ort«. Gemeint sind damit in erster Linie Großstädte Stockholm, Göteborg und Mal-
angewiesen sind, aufgrund angeblichen nicht nur gegen Privatisierungen und Miet- die strukturschwachen Vororte. »Ort till mö. In den dünn besiedelten ländlichen Re-
Wohnraummangels auf Kommunen abzu- erhöhungen, sondern auch gegen die Praxis Ort« pflegt Kontakte zur Berliner Initiati- gionen sind die meisten Häuser seit jeher in
schieben, die mit Landflucht zu kämpfen des »Renovräkning« – eine Begriffsneu- ve »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«. Privatbesitz. Ähnlich sieht es in den nordi-
haben. Gleichzeitig machen Menschen, die schöpfung, die die schwedischen Wörter Dies ist nicht die einzige Verbindung, die schen Nachbarländern aus, in denen es we-
sich den Kauf leisten können, sogenannte für »Renovierung« und »Zwangsräumung« zwischen schwedischen und deutschen niger urbane Ballungsräume gibt. Kommu-
Wohnraumkarrieren. Aufgrund der Wert- verbindet. Nicht selten erhöhen Wohnungs- Aktivisten besteht. Im Stockholmer Stadt- naler Wohnungsbau war dort primär für ein-
steigerung am Immobilienmarkt haben Ei- bauunternehmen die Mieten nach Reno- teil Kärrtorp nimmt sich eine Gruppe das kommensschwache Schichten reserviert. In
gentümer in Stockholm in den vergangenen vierungen um mehr als 50 Prozent, was sogenannte Mietshäusersyndikat zum Dänemark will man die daraus resultieren-
20 Jahren bis zu 800 Euro monatlich an viele Menschen zum Auszug zwingt. Dass Vorbild: Bewohner einer kommunalen de soziale Segregation nun mit drastischen
nichts anderem als dem Besitz ihrer Woh- dies vor allem in migrantisch geprägten Wohnanlage wollen diese in eine Genos- Mitteln bekämpfen. Ein Regierungserlass
nungen »verdient«. Stadtteilen geschieht, verleiht der Praxis be- senschaft umwandeln, um ihre Privatisie- der Sozialdemokraten sieht Zwangsumsied-
Die Soziologin und Universitätsdozentin sondere Brisanz. Die 1923 gegründete und rung zu verhindern. Gründungsmitglied lungen und den Abriss ganzer Quartiere vor,
Dominika Polanska bezeichnete das Resul- der Sozialdemokratie nahestehende Mieter- Andreas Sidkvist erklärte die Motivation um Stadtviertel aufzulösen, die offiziell als
tat dieser Entwicklungen gegenüber junge schutzvereinigung steht den Entwicklungen gegenüber jW wie folgt: »Wir wollen uns »Ghettos« bezeichnet werden. Schweden
Welt als »soziale Segregation«. Polanska hilflos gegenüber. Ihre Repräsentanten sind gegen die Privatisierung des Wohnungs- könnte Ähnliches blühen.

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Mittwoch, 3. November 2021, Nr. 256 KAMPF UMS WOHNEN 7

Im Osten nichts Teures


Nach Annexion der DDR konnten Immobilienkonzerne durch Aufkauf von
Wohnungsbeständen aufsteigen. Von Philipp Metzger

A
m Abend des 26. September Der deutsche Ausnahme-
2021 war der Jubel innerhalb weg von großen En-bloc-
der Initiative »Deutsche Woh- Privatisierungen war für
nen & Co. enteignen« über Privat-Equity-Fonds be-
den gewonnenen Volksentscheid riesen- sonders profitabel.
groß. Fast 60 Prozent der Berliner Wahl-
berechtigten stimmten für die Vergesell-
schaftung großer Immobilienkonzerne.
Dabei handelt es sich bei den börsen-
notierten Unternehmen um eine junge
Branche, kein einziges von ihnen ist älter
als 30 Jahre. Ohne die Annektierung der
DDR wäre der schnelle Aufstieg dieser
Konzerne niemals möglich gewesen. Es
ist sogar fraglich, ob sie überhaupt existie-
ren würden, gäbe es die DDR noch.
Nach dem Zweiten Weltkrieg fehlten
in der BRD ca. 5,5 Millionen Wohnun-
gen, zudem gab es 23 Millionen Obdach-
lose. Vor dem Hintergrund dieser Not
entwickelte sich eine spezifische sozial-
staatliche Wohnungspolitik, die auf zwei
Werkzeuge setzte: Mietrecht und sozia­
ler Wohnungsbau. In der Nachkriegszeit
IMAGO IMAGES/SNAPSHOT

waren Mieterkündigungen faktisch ver-


boten, das Preisniveau wurde staatlich
festgelegt  – und anfangs war sogar die
Wohnraumvergabe an Suchende gesetz-
lich geregelt. In nur wenigen Jahren wur-
den rund sechs Millionen Wohnungen ge-
baut. Aufgrund der eigentumsähnlichen
Rechte für Mieter, der guten Qualität und
der niedrigen Preise wurde das Wohnen sel. Der Miet- und Finanzmarkt wurde dingung – die Privatisierung. Nebenbei ist z. B. 2001 von dem Londoner Private- Philipp Metzger ist
zur Miete eine echte Alternative zum Ei- zunehmend dereguliert, außerdem der bemerkt: Diese Politik beschränkte sich Equity-Fonds Terra gegründet und 2013 promovierter Politik-
genheim. Ausstieg des Bundes aus dem sozialen nicht nur auf Ostdeutschland, auch in an der Börse verkauft worden. Vor kurzem wissenschaftler. Zuletzt
Wohnungsbau beschlossen. Die Länder Westdeutschland förderte man die Pri- hat der Konzern seinen Berliner Konkur- erschien von ihm das

Keine Wohltat und Kommunen konnten diesen Rück- vatisierung kommunaler Immobilien. renten, die Deutsche Wohnen, geschluckt Buch »Wohnkonzerne
zug nicht kompensieren. Vor diesem und besitzt jetzt ca. 650.000  Wohnun- enteignen! Wie Deutsche
Die Notlage war nicht der einzige Grund Hintergrund ist es wenig überraschend, Einstieg der Investoren gen. Viele davon befinden sich in Ost- Wohnen & Co. ein Grund-
für diese Politik. Sie stützte auch die Ex- dass immer weniger Sozialwohnungen deutschland und wurden von der DDR bedürfnis zu Profit ma-
portorientierung der deutschen Industrie. fertiggestellt wurden. Die Veränderun- Durch diese Entwicklungen wurde der gebaut. Beispielsweise in Dresden besitzt chen« im Mandelbaum-
Die Bundesrepublik verfolgte eine neo- gen begünstigten Immobilienspekulati- bundesdeutsche Wohnungsmarkt für der Konzern aktuell ca. 50.000 Woh- Verlag
merkantilistische Strategie, deren Kern – on und waren eine Abkehr vom Konsens internationale Finanzinvestoren hochat- nungen, daneben sind auch noch andere
neben einer entsprechenden Geldpolitik – der Nachkriegszeit. Allerdings verhin- traktiv. In den 1990er Jahren profitierten Finanzakteure auf dem Mietmarkt aktiv.
in einer Hemmung der Lohnentwicklung derten nach wie vor die kleinteiligen davon sogenannte Privat-Equity-Fonds. Vonovia und Co. besitzen in Dresden ei-
lag. Ein starkes Ansteigen der Mieten Besitzstrukturen, dass große Player auf Als Käufer der Ostimmobilien traten aus- ne gewaltige Marktmacht. Kein Wunder,
hätte die zurückhaltende Lohnpolitik ge- dem Mietmarkt Fuß fassen konnten. schließlich Unternehmen dieser Art auf. dass in der Stadt seit Jahren die Mieten
fährden können, weil diese die Repro- Das änderte sich mit der Annektie- Der deutsche Ausnahmeweg von großen explodieren.
duktionskosten der Ware Arbeitskraft er- rung der DDR. Die Eingliederung des En-bloc-Privatisierungen war für sie be- Auch in Berlin, besonders im Osten
höht hätten. Günstige Mieten waren daher ostdeutschen Wohnungsbestandes hatte sonders profitabel. Das Problem der klein- der Hauptstadt, sind diese Konzerne
nicht in erster Linie als soziale Wohltat weitreichende Folgen. Quasi über Nacht teiligen Besitzstrukturen bestand nicht stark vertreten. Das mag erklären, warum
gedacht, sondern als indirekte Subvention gab es in der BRD mehrere Millionen mehr. Hohe Bestandszahlen und Preisra- so viele Berliner Mieter den Volksent-
für das Exportkapital. So sollten die Ge- Wohnungen zusätzlich, zudem hat- batte waren letztlich eine wesentliche Vo- scheid unterstützt haben. Es ist zu hoffen,
werkschaften gemäßigt und die Arbeiter- te sich das Problem der kleinteiligen raussetzung für die Investitionsstrategien. dass von dieser Initiative eine bundeswei-
klasse in den fordistischen Klassenkom- Besitzstrukturen größtenteils erledigt. Auch im Westen schlugen die sogenann- te Strahlkraft ausgeht. Von einer flächen-
promiss sowie die neomerkantilistische Ganz im Sinne einer neoliberalen Poli- ten Geierfonds zu – allerdings war die Pri- deckenden Vergesellschaftung großer Im-
Strategie integriert werden. tik wollte die Kohl-Regierung eine mög- vatisierungswelle in Ostdeutschland viel mobilienunternehmen würden besonders
Für große Wohnungskonzerne, die lichst schnelle Privatisierung der Immo- größer. Innerhalb weniger Jahre konnten die Mieter in Ostdeutschland profitieren.
möglichst hohe Gewinne machen wollen, bilien. Vor diesem Hintergrund erfuhr die Privat-Equity-Fonds ca. eine Million
sind das keine guten Voraussetzungen. der soziale Wohnungsbau einen zweiten Wohnungen an sich reißen. Sogenannte ANZEIGE

Folglich spielten börsennotierte Unter- Frühling. Zum einen, um die innerdeut- institutionelle Anleger (im Gegensatz zu
nehmen auf dem Mietmarkt der BRD sche Migration zu bewältigen, und zum privaten Anlegern) investieren in Geier-
keine Rolle. Die Eigentümerstrukturen anderen, weil der oft schlechte Zustand fonds, weil diese eine höhere Profitrate
waren äußerst kleinteilig. Es gab Genos- des ostdeutschen Wohnungsbestandes versprechen, als wenn sie die Immobilien
senschaften und kommunalen Gesell- einem Verkauf im Wege stand. Die Neu- selbst verwalten würden. Diese Rechnung
schaften, aber der größte Anteil war in der auflage des sozialen Wohnungsbaus war ging oft auf, im Schnitt erzielen sie Ren-
Hand von »Hobbyvermietern«. Darun- also gerade keine Abkehr von neolibe- diten zwischen 20 und 30 Prozent. Diese
ter versteht man Personen, denen meist raler Politik, sondern diente ihrer Absi- Werte liegen deutlich über den Profiten
nur ein paar Wohnungen gehören, zum cherung. von klassischen Wohnverwaltungsgesell-
Beispiel ein Zahnarzt, der zwei bis drei Die Wohnungsgesellschaften der ehe- schaften. Möglich wird dies durch die
Objekte besitzt. Für Finanzmarktakteu- maligen DDR standen vor dem Pro- Orientierung von Privat-Equity-Fonds auf
re  – wie Private-Equity-Fonds, Hedge- blem, dass sie hoch verschuldet waren. kurzfristige Anlagen, im Gegensatz zu BERLINER MIETERGEMEINSCHAFT E.V.
fonds oder Investmentbanken – waren Die Schulden waren im Zuge der Ab- traditionellen, eher substanzorientierten
das unattraktive Investitionsbedingungen. wicklung des DDR-Bankensystems an Eigentümer- sowie spekulativeren Finan- Berlins engagierte und preisgünstige
Um es etwas salopp auszudrücken: Kein westdeutsche Banken übergegangen. zierungsstrategien. Anders ausgedrückt, Mieterorganisation bietet
Hedgefonds ruft bei einem Zahnarzt an, Die BRD bestand auf die möglichst ist das Ziel der Geierfonds recht sim- • Persönliche Mietrechtsberatung durch • Sozialberatung
um über den Kauf von drei Wohnungen zu schnelle Rückzahlung. Allerdings wa- pel: Mieten maximal erhöhen, Repara- spezialisierte Rechtsanwältinnen und • Rechtsschutz bei Mietprozessen
verhandeln. Das lohnt sich nicht. ren die Schulden der Wohngesellschaf- turkosten senken, Angestellte entlassen Rechtsanwälte
ten unter den Umständen der Annektie- und Kredite hebeln, um möglichst viele • Umfangreiches Informationsmaterial
• Beratungsstellen in allen Bezirken
rung längst nicht mehr zu tragen, auch Wohnungen zu kaufen. • Unterstützung
Kohls Kurswechsel • Telefonische Mietrechtsberatung von Hausversammlungen
vor dem Hintergrund, dass viele Ob- Nach ca. fünf Jahren verkaufen die
Spätestens mit der Regierung unter Hel- jekte dringend saniert werden mussten. Fonds dann die Wohnungen gewinnbrin-
� 216 80 01
Möckernstraße 92 · 10963 Berlin
mut Kohl (CDU) gab es in den 1980er Daher knüpfte die Kohl-Regierung die gend oder plazieren sie an der Börse. www.bmgev.de
Jahren einen neoliberalen Kurswech- Reduzierung der Schulden an eine Be- Der größte Wohnungskonzern Vonovia
8 KAMPF UMS WOHNEN Mittwoch, 3. November 2021, Nr. 256

Bedrohliches Potential
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Wohnen ist in Polen ein Luxus. Faktischer Zwang zum Eigentum.


Von Reinhard Lauterbach

W
enn Unternehmens- Wohnungsmarkt ist, dass Wohnungs- Gemeinden Grundstücke, über die sie
beratungen Studien suchende kaum eine Alternative dazu verfügten, als »Entschädigung für ent-
herausgeben, die dem haben, sich ihr Dach über dem Kopf zogenes Eigentum« großzügig an die
Wohnungsmarkt »erheb- zu kaufen. Das spiegelt sich darin, dass katholische Kirche verschleudert haben;
liches Potential« bescheinigen, dann ist in Polen 79 Prozent der Wohnungen in meist mit hohen Rabatten auf den Zeit-
das eine Drohung. Jedenfalls für Leute, privater Hand sind; genossenschaftliche, wert oder ganz umsonst. Die Kirche ist
die eine Unterkunft brauchen. Denn das kommunale, betriebliche und staatliche inzwischen Polens zweitgrößter Grund-
heißt, dass die Preise steigen. Solches Wohnungen machen gemeinsam mit ei- besitzer nach dem Militär. Klassisch war
»Potential« hat auch in diesem Sommer nigen anderen Sonderformen gemein- der Fall einer größeren Fläche im War-
wieder die Immobilienabteilung von sam nur ein Fünftel des Bestandes aus, schauer Stadtrandbezirk Bielany, der vor
Deloitte Touche der Situation in Polen wobei auch die Genossenschaften ers- einigen Jahren kostenlos an einen katho-
bescheinigt. Es ist nicht so, dass in Polen tens gewinnorientiert arbeiten müssen lischen Frauenorden übertragen wurde.
keine Wohnungen gebaut würden. 2020 und zweitens von ihren Mitgliedern ho- Die Klosterfrauen hatten dort vor 1939
kamen laut dieser Studie 220.000 Wohn- he Kapitaleinlagen verlangen. von Pachtbauern Kartoffeln und Gemü-
einheiten neu auf den Markt – »die Diese Struktur ist eine direkte Folge se anbauen lassen. Inzwischen ist aber
höchste Zahl seit den Zeiten von Edward von wohnungspolitischen Entscheidun- die Stadt gewachsen, die Gegend wurde
Gierek«, wie die Autoren schrieben. gen zu Beginn der Systemtransformation erschlossen – und der Orden hatte nichts
Freilich unter völlig anderen sozialen in den 1990er Jahren: Gemeinden und Eiligeres zu tun, als das Gelände zum
Voraussetzungen: Gierek, von 1970 bis Staat privatisierten die Wohnungen, die Marktpreis loszuschlagen.
1980 Chef der Polnischen Vereinigten sie zu sozialistischer Zeit verwaltet hat-
Arbeiterpartei (PVAP), wollte »die Woh- ten; die Betriebe stießen ihre Werkswoh- Kaum Protest
nungsfrage lösen«, heute sind Wohnun- nungsbestände als betriebswirtschaftlich
gen in erster Linie Geldanlagen. Die unrentable Kostenblöcke ab. Wer Ende Manche Polen nutzen in der Wohnungs-
Deloitte-Studie rechnet vor, dass man der 1980er Jahre schon eine Wohnung klemme überraschende Gelegenheiten.
mit den Mieteinnahmen mehr Reibach hatte, war vergleichsweise gut dran: Die Etwa, wenn eine florierende Großstadt
machen kann als durch die meisten ande- damalige Privatisierung verfolgte vor wie Szczecin an ein abgehängtes Land-
ren Investitionen. allem das Ziel, die öffentlichen Träger gebiet grenzt: das deutsche Vorpom-
Solche Bauherren machen seit einigen von den Aufwendungen für Unterhal- mern. Dort haben sich seit dem pol-
»Die Berlinerinnen Jahren das Gros der Wohnungsanbie- tung und Pflege der Objekte zu befreien. nischen EU-Beitritt mehrere hundert
ter aus. Und ihre Objekte sorgen dafür, Sie geschah deshalb nicht in erster Linie polnische Familien Häuser gebaut, zu
und Berliner haben
dass die durchschnittliche Wohnfläche gewinnorientiert – zumal sich ein Bo- niedrigeren Grundstückspreisen als
sich ganz klar für in Polen zurückgeht: 2019 lag sie laut denpreis erst allmählich herausbildete –, auf der polnischen Seite. Wer sich eine
den Volksentscheid der Statistikbehörde GUS bei 50,7 Qua- sondern zu oft symbolischen Preisen. Strukturdifferenz wie diese nicht zunut-
›Deutsche Wohnen & Co dratmetern pro Einheit, aufgeteilt in Wer sich das Recht auf so eine Woh- ze machen kann, ist darauf angewiesen,
enteignen‹ entschieden. durchschnittlich 3,9 Räume – wobei Kü- nung ersessen hatte, war zwangsläufig zu zahlen. Von organisierten Wohnungs-
Wer versucht, diese chen und Badezimmer in der Statistik nicht geneigt, diese zu wechseln, wenn kämpfen ist in Polen nichts zu sehen.
demokratische mitgezählt werden. Zehn Jahre früher etwa Kinder aus dem Haus gingen. Noch Angesichts der hohen Eigentumsquote
Entscheidung zu hatte die durchschnittliche Größe noch heute wird die geringe Bereitschaft der selbst bei Leuten, die in Deutschland
ignorieren, würde der um zehn Quadratmeter höher gelegen. Polen, etwa für einen neuen Job umzu- wahrscheinlich Mieter wären, ist das
Demokratie großen Am kleinsten sind polnische Neubau- ziehen, mit dieser schwachen Fluktuati- auch nicht erstaunlich. Eigentum indi-
wohnungen in jenen Ballungsgebieten, on auf dem Wohnungsmarkt erklärt. Erst vidualisiert eben auch und verhindert
Schaden zufügen.«
wohin die Leute der Jobs wegen zie- die gegenwärtige spekulative Welle des solidarisches Handeln.
Gesine Lötzsch, hen: So verbirgt sich hinter »Wojewod- Wohnungsbaus bringt hier etwas Bewe- Was es gibt, sind Einzelaktionen zum
direkt gewählt in schaft Pommern« im wesentlichen die gung in den Markt. Schutz durch Räumung bedrohter Mie-
Berlin-Lichtenberg Agglomeration von Gdansk, Sopot und Es ist nicht so, dass die Probleme auf ter, in denen sich linke Mietervereine en-
Gdynia, die sogenannte »Dreistadt«. dem polnischen Wohnungsmarkt unbe- gagieren – durchaus unter persönlichem
»Wojewodschaft Masowien« dagegen ist kannt wären. Die amtierende Rechtsre- Risiko, wie der Fall der Warschauer Ak-
ein statistisches Kürzel für den Ballungs- gierung hat in ihrer ersten Legislaturpe- tivistin Jolanta Brzeska zeigt, deren ver-
raum Warschau samt Speckgürtel. Auf riode sogar ein Programm namens »Woh- brannte Leiche 2011 in einem Wald am
dem Land sind die Wohnflächen zwar nung plus« aufgelegt, um Mietwohnun- Stadtrand gefunden wurde. Ermittlun-
um ein Drittel größer als in der Stadt, gen zu bauen. Aber aus den hochgesteck- gen, bei denen es auch um eine Anwalts-
was sich aber dadurch ausgleicht, dass ten Erwartungen ist in der Praxis nicht kanzlei ging, die ihr Geld mit der »Ent-
dort in jeder Wohnung statistisch andert- viel geworden. Auch deshalb, weil die als mietung« von Altbauwohnungen zwecks

VERSICHERUNGS halb Menschen mehr leben. Am Rande


kann noch erwähnt werden, dass jeweils
Spender von Bauland vorgesehenen staat-
lichen Unternehmen wie Bahn oder Post
Luxussanierung macht, liefen ins Leere.
Kampagnen wie die in Berlin für eine
etwa zehn Prozent des polnischen Woh- ihre Grundstücksbestände lieber festhiel- Enteignung großer Immobilienkonzerne
SERVICE nungsbestands nach wie vor kein Bad
und/oder keine Innentoilette haben.
ten. Generell hemmt fehlendes Bauland
die Errichtung von Mietwohnungen.
sind in Polen nicht zu erwarten. Auch
deshalb, weil es solche kommerziellen
Gelände mit halbwegs guter Verkehrs- Großvermieter in dem Land bisher kaum
Umbruch nach 1990 anbindung sind inzwischen rar und wer- gibt und die »Developer« ihr Geschäft
Kellermann & Prütz Die für polnische Verhältnisse exorbi-
den, häufig bis an die Grenzen dessen,
was die Bauordnung zulässt, ausgenutzt:
eher mit dem Verkauf von Wohnungen
machen. Eher trägt jeder die Bürde sei-
Beratung, Vermittlung, Betreuung tanten Mieten in den Ballungsräumen Verschattete Fenster, aus denen man den nes Kredits, und wenn er gehofft hat,
– sie erreichen bei durchschnittlichen Nachbarn ins Wohn- oder Schlafzimmer durch ein Darlehen in Schweizer Fran-
Graefestr. 14, 10967 Berlin Einkommen, die etwa 30 Prozent derje- schauen kann, sind eher die Regel als die ken niedrigere Zinsen zu zahlen, hat ihm
Tel: 0 30/6 94 37 77 nigen deutscher Beschäftigter entspre- Ausnahme. die Abwertung des Zloty einen Strich
chen, durchaus deutsches Niveau – sor- Eine Folge ist auch die wachsende durch die Rechnung gemacht. Prozesse
E-Mail: vkp@ipn.de
gen für zwei Entwicklungen. Erstens ist Zersiedlung des Umlandes polnischer mit dem Ziel, diese Valutakredite auf
der Anteil der jungen Erwachsenen, die Städte, hinter der die Erschließung der polnische Währung umzustellen, sind
auch mit Anfang 30 noch mit ihren El- Baugebiete mit öffentlichen Verkehrs- vor dem Obersten Gericht gescheitert.
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gleich mit Schutz gegen Fahrraddiebstahl. Ob E-Bike einer der höchsten in der EU – eine hilfe durch Bereitstellung zusätzlicher angekündigt, in die Bresche zu sprin-
Eurostat-Statistik von 2019 zeigt für die Grundstücke ist auch Kommunen, die gen, die Darlehen notleidender Fränkli-
oder Lastenfahrrad: wir kennen die guten Angebote.
BRD im Vergleich eine solche »Heim- im Prinzip willig wären, Wohnungen zu Schuldner zu übernehmen und zu einem
schläferquote« von knapp 20 Prozent. bauen, kaum noch möglich: nicht zu- Festkurs in Zloty umzurechnen. Was da-
Der zweite Trend auf dem polnischen letzt deshalb, weil seit 1990 Städte und raus wird, muss sich zeigen.

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